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German Pages 466 [467] Year 2022
Das Recht der inneren und äußeren Sicherheit
Band 17
Kriminalitätsbekämpfung durch Polizeirecht Verhinderung und Verhütung von Straftaten
Von
Michael Kniesel
Duncker & Humblot · Berlin
MICHAEL KNIESEL
Kriminalitätsbekämpfung durch Polizeirecht
Das Recht der inneren und äußeren Sicherheit Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. Markus Thiel, Münster
Band 17
Kriminalitätsbekämpfung durch Polizeirecht Verhinderung und Verhütung von Straftaten
Von
Michael Kniesel
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2021 als Dissertation angenommen.
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© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 2199-3475 ISBN 978-3-428-18601-3 (Print) ISBN 978-3-428-58601-1 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Für Matthias, Markus, Nathalie und Stephanie
Vorwort Die Bedeutung des Polizeirechts für die Kriminalitätsbekämpfung wird noch immer entweder gar nicht erkannt oder unterschätzt und das Straf- und Strafverfahrensrecht als maßgebliche Rechtsmaterie gesehen. Diese Sichtweise hatte mir schon im Studium nicht eingeleuchtet und die Hintanstellung des Polizeirechts war mir während meiner Verwendungen im Polizeibereich von 1976 bis 1994 in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder bewusst geworden. Auch in der darauf folgenden Zeit meiner Tätigkeit in der Ausbildung des höheren Polizeivollzugsdienstes sowie im Rahmen meiner wissenschaftlichen Betätigung war das Thema ein permanenter Begleiter. Dass es am Ende zu dieser Arbeit kam, verdanke ich Bernhard Schlink, der mich nicht nur zu ihr ermunterte, sondern auch auf ihrer Vollendung bestand. Die in den Jahren 2017 bis 2021 zu Papier gebrachte Arbeit ist im Sommersemester 2021 von der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen worden. Für die Betreuung der Arbeit und die Erstellung des Erstgutachtens danke ich Prof. Dr. Bernhard Schlink, für die des Zweitgutachtens Prof. Dr. Martin Eifert. Für stete Ansprechbarkeit und wertvolle Hinweise bin ich Prof. Dr. Bodo Pieroth, Prof. Dr. Ralf Poscher, Prof. Dr. Hans-Ullrich Paeffgen und Prof. Dr. Anja Schiemann zu Dank verpflichtet. Für eine sorgfältige kritische Durchsicht der Arbeit danke ich Wolfgang Gatzke, Direktor des Landeskriminalamtes NRW a.D. Mein Dank gilt auch dem Max-Planck-Institut in Freiburg, das mir im Jahr 2020 einen zweimonatigen Studienaufenthalt gewährte. Einen besonderen Dank schulde ich meinen Töchtern; Stephanie hat aus einem handschriftlichen Unterlagenkonvolut eine vorzeigbare Arbeit gemacht und Nathalie hat ihrem im Umgang mit dem Computer überforderten Vater die Literaturrecherche unter Coronabedingungen ermöglicht. Für die Veröffentlichung habe ich die Arbeit geringfügig überarbeitet und aktualisiert. Bonn, im März 2022
Michael Kniesel
Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 A. Gegenstand und Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 B. Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Teil Kriminalitätsbekämpfung – Gefahrenabwehr, Strafverfolgung oder Aufgabenhybrid?
42
1. Abschnitt Kriminalitätsbekämpfung aus der Sicht der Sicherheitspolitik
43
A. Programm für die Innere Sicherheit von 1972/1974 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ursprungsfassung 1972 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fortschreibung 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fortschreibung 2008/2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43 43 44 44
B. Mustergesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes (MEPolG) . . . . . . . . . . . . . . II. Alternativentwurf einheitlicher Polizeigesetze des Bundes und der Länder (AEPolG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vorentwurf zur Änderung des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes (VEMEPolG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47 47 49 50
2. Abschnitt Kriminalitätsbekämpfung aus der Sicht der Kriminalwissenschaften
52
A. Straf- und Strafverfahrensrecht: Strafverfolgung als mittelbare Kriminalitätsbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 I. Kriminalität als Begriff und Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 II. Bekämpfung als Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 B. Kriminologie: Kriminalitätsbekämpfung als Kriminalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 I. Erklärung der Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 II. Neue Qualität der Kriminalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 C. Kriminalistik: Kriminalitätsbekämpfung als vorverlagerte Strafverfolgung . . . . . . . . . 76 I. Klassische Kriminalistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
10
Inhaltsübersicht II. III. IV.
Stellenwert der Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Erweiterung des Blickfeldes auf kriminelle Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Vorverlagerung der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3. Abschnitt Kriminalitätsbekämpfung aus der Sicht des Polizeirechts
A. Gefahrenabwehr als unmittelbare Kriminalitätsbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. § 2 II 17 PrALR und Nachfolgeregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verhütung von Straftaten als vorbeugende Bekämpfung im Reichskriminalpolizeigesetz von 1922 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vorbeugende Verbrechensbekämpfung im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . IV. Beibehaltung des Verhütungsauftrags durch Instruktionen und Verordnungen der westlichen Alliierten 1945 – 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verhinderung von Straftaten als Bestandteil des polizeilichen Auftrags zur Gefahrenabwehr in den Aufgabenzuweisungen der Landespolizeigesetze seit 1949 VI. Erste Regelungen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten und von Überwachungsbefugnissen im MEPolG 1977 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Erweiterung des polizeilichen Auftrags zur Gefahrenabwehr um die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten in den Landespolizeigesetzen nach Maßgabe des VEMEPolG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Entwicklung der Polizeigesetze nach dem 11. 9. 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Dogmatische Entwicklung des Polizeirechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbeugende Rechtspflege als vorbeugende Bekämpfung von Straftaten . . . . . . II. Verhinderung strafbarer Handlungen durch Polizeigewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Polizeiliche Freiheitsentziehung zur Verhinderung von Straftaten . . . . . . . . . . . IV. Verhütung von Straftaten als gesellschaftssanitäre Aufgabe der Polizei . . . . . . . V. Präventive Wende zur operativen Kriminalitätsbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ruf nach dem Präventionsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Restriktive Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu polizeirechtlichen Vorfeldmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Sicherheitsrecht als neues Rechtsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81 81 81 82 83 88 89 90
90 92 95 95 98 99 100 102 102 103 106
2. Teil Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
113
1. Abschnitt Völkerrecht
113
A. Begriff und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 I. Klassisches Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 II. Entstehung eines transnationalen Sicherheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
Inhaltsübersicht B. Völkerrecht und Terrorismusbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Gewaltverbot und seine Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Maßnahmen der UN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Exekutive Umsetzung in Sanktionsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Weitere Abkommen auf internationaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 114 114 118 120 120
C. Völkerrecht und organisierte Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2. Abschnitt Recht der Europäischen Union
121
A. Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts als Zielsetzung . . . . . . . . . . . . 122 B. Kompetenzen zur Kriminalitätsbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität nach Art. 67 Abs. 3 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Polizeiliche Zusammenarbeit nach Art. 87 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Institutionelle Ebene der Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergänzende Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Art. 4 Abs. 2 S. 2 und 3 EUV und Art. 72 AEUV als Kompetenzgrenzen . . . . .
123 123 124 127 129 130
C. Rahmenbeschlüsse und Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 I. Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 II. Organisierte Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 3. Abschnitt Grundgesetz
132
A. Gewährleistung von Freiheit und Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 I. Staatstheoretische und verfassungsrechtliche Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 II. Freiheit und Sicherheit im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 B. Sicherheitsverfassungsrechtliche Trennungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Polizei und Bundeswehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Polizei und Verfassungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Landespolizei und Bundespolizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gefahrenabwehr und Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
143 143 145 148 150
C. Bundesstaatliche Kompetenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bezüge zu Demokratie und Rechtsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Staatlichkeit der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kommunale Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verteilung der sicherheitsrelevanten Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
154 154 155 156 156
D. Rechtsstaatliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 I. Inhalt und Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 II. Einzelgehalte des Rechtsstaatsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
12
Inhaltsübersicht 4. Abschnitt Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
228
A. Prävention und Repression – Entwicklung, Bedeutung und Wandel der Begriffe . . . . 228 I. Herkunft und allgemeiner Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 II. Strafrecht und Polizeirecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 B. Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 I. Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 II. Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 C. Aufgabenwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Polizei als Behörde mit zwei nebeneinander stehenden Aufgaben . . . . . . . . . . . II. Verbundene Aufgabenwahrnehmung bei Überschneidungen . . . . . . . . . . . . . . . . III. Polizeiliche Maßnahmen im Überschneidungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
285 285 286 295
D. Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Polizei und Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Polizei und kommunale Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Polizei und Bundeswehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Polizei und Nachrichtendienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
314 314 317 322 324
E. Bekämpfung des islamistischen Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 I. Regelungen des Grundgesetzes für Krisenzeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 II. Bekämpfungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 3. Teil Operative polizeigesetzliche Kriminalitätsbekämpfung
345
1. Abschnitt Dogmatische Einordnung
345
A. Polizeirecht im Übergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 I. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 II. Entwicklungsschritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 B. Neue dogmatische Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 2. Abschnitt Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
356
A. Vorlauf und Vorrang des Polizeirechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 I. Informationelle Vorfeldmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 II. Aktionelle polizeigesetzliche Maßnahmen statt Bekämpfungsstrafrecht . . . . . . . 357 B. Zweckfestlegung bei Aufgabenüberschneidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
Inhaltsübersicht
13
3. Abschnitt Verhinderung und Verhütung von Straftaten als Kriminalitätsbekämpfung
360
A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 I. Operative Qualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 II. Operatives Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 B. Verhinderung und Unterbindung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 I. Relevante Delikte und Deliktsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 II. Bekämpfungsmöglichkeiten in typischen polizeilichen Einsatzlagen . . . . . . . . . 378 C. Verhütung von Straftaten in kriminellen Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Terrorismus, Organisierte Kriminalität und Cybercrime als besondere Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Organisierte Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
397 397 399 407
Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 A. Gegenstand und Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 B. Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
1. Teil Kriminalitätsbekämpfung – Gefahrenabwehr, Strafverfolgung oder Aufgabenhybrid?
42
1. Abschnitt Kriminalitätsbekämpfung aus der Sicht der Sicherheitspolitik
43
A. Programm für die Innere Sicherheit von 1972/1974 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 I. II.
Ursprungsfassung 1972 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Fortschreibung 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
III.
Fortschreibung 2008/2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1. Künftige Entwicklung und Leitlinien zur Kriminalitätsbekämpfung . . . . . . . 45 2. Kriminalitätsbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3. Verstärkung der Präventionsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
B. Mustergesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 I.
Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes (MEPolG) . . . . . . . . . . . . . . 47 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 a) Aufgaben und Befugnisse zur Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 b) Erste Vorfeldregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 c) Abgrenzung zum Recht der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
II.
Alternativentwurf einheitlicher Polizeigesetze des Bundes und der Länder (AEPolG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
III.
Vorentwurf zur Änderung des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes (VEMEPolG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3. Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
16
Inhaltsverzeichnis 2. Abschnitt Kriminalitätsbekämpfung aus der Sicht der Kriminalwissenschaften
52
A. Straf- und Strafverfahrensrecht: Strafverfolgung als mittelbare Kriminalitätsbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 I. II.
Kriminalität als Begriff und Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Bekämpfung als Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1. Allgemeine Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2. Klassisches Straf- und Strafverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 a) Gegenstand und Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 b) Angemessenheit des Begriffs Bekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 c) Bekämpfung und Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3. Bekämpfungsstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 a) Neuer Strafrechtstypus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 b) Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 aa) Verselbstständigte negative Spezialprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 bb) Interventionsstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (1) Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (a) §§ 129 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (b) §§ 89a ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (2) Schlüsselfunktion für die Überwachungsbefugnisse der Strafprozessordnung und die Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 4. Neue Vorstellungen von Kriminalitätsbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 a) Kriminalpräventionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 aa) Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 bb) Wesentliche Komponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 (1) Kriminologisches Strukturmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 (2) Verlagerung der strategischen Überwachung aus den Polizeigesetzen in die Strafprozessordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 (3) Erweiterte Strafverfolgung durch kriminalpräventives Strafrecht in Gestalt abstrakter Gefährdungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 (4) Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 (a) Rechtsstaatlich gebändigtes Präventionsstrafrecht und strafprozessuales Vorfeldrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 (b) Alternative: Einbindung der Staatsanwaltschaft in präventivpolizeiliche Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 bb) Kritische Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 (1) Bedingte Eignung des Strafrechts für eine strategische operative Kriminalitätsbekämpfung und Unterschätzung der Möglichkeiten des Polizeirechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 (2) Folgen für die Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 (3) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
Inhaltsverzeichnis
17
b) Einheitliches Ermittlungsrecht für verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen zur Abwehr von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 aa) Wesentliche Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 (1) Überwindung der Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 (2) Vorliegen einer Gemengelage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 (3) Rechtsstaatliche Gefahrenlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 (4) Rechtspraktische Gefahrenlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 (5) Lösungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 (a) Große Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 (b) Kleine Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 bb) Kritische Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 (1) Gegenstand der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 (2) Methodik der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 (3) Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (4) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 B. Kriminologie: Kriminalitätsbekämpfung als Kriminalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 I. Erklärung der Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 II.
Neue Qualität der Kriminalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
C. Kriminalistik: Kriminalitätsbekämpfung als vorverlagerte Strafverfolgung . . . . . . . . . 76 I.
Klassische Kriminalistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
II. III.
Stellenwert der Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Erweiterung des Blickfeldes auf kriminelle Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
IV.
Vorverlagerung der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
3. Abschnitt Kriminalitätsbekämpfung aus der Sicht des Polizeirechts
81
A. Gefahrenabwehr als unmittelbare Kriminalitätsbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 I.
§ 2 II 17 PrALR und Nachfolgeregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
II.
Verhütung von Straftaten als vorbeugende Bekämpfung im Reichskriminalpolizeigesetz von 1922 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
III.
Vorbeugende Verbrechensbekämpfung im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . 83 1. Erste Phase von 1933 – 1936 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
IV.
Beibehaltung des Verhütungsauftrags durch Instruktionen und Verordnungen der westlichen Alliierten 1945 – 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Verhinderung von Straftaten als Bestandteil des polizeilichen Auftrags zur Gefahrenabwehr in den Aufgabenzuweisungen der Landespolizeigesetze seit 1949 89
2. Zweite Phase 1937 – 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
V.
18
Inhaltsverzeichnis VI. Erste Regelungen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten und von Überwachungsbefugnissen im MEPolG 1977 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 VII. Erweiterung des polizeilichen Auftrags zur Gefahrenabwehr um die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten in den Landespolizeigesetzen nach Maßgabe des VEMEPolG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 VIII. Entwicklung der Polizeigesetze nach dem 11. 9. 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 1. 2001 – 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2. Seit 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
B. Dogmatische Entwicklung des Polizeirechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 I. Vorbeugende Rechtspflege als vorbeugende Bekämpfung von Straftaten . . . . . . 95 1. Sicherstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Eingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3. Wegweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 4. Verhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 5. Haussuchung und Beschlagnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 II.
Verhinderung strafbarer Handlungen durch Polizeigewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
III. IV.
Polizeiliche Freiheitsentziehung zur Verhinderung von Straftaten . . . . . . . . . . . 99 Verhütung von Straftaten als gesellschaftssanitäre Aufgabe der Polizei . . . . . . . 100
V.
Präventive Wende zur operativen Kriminalitätsbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . 102
VI. Ruf nach dem Präventionsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 VII. Restriktive Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu polizeirechtlichen Vorfeldmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 VIII. Sicherheitsrecht als neues Rechtsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 1. Sicherheitsrecht – Paradigma und Überdachung für verschiedene Teilgebiete 106 2. Kritische Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 a) Dogmatische Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 b) Bisherige Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 aa) Auswahl der Rechtsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 bb) Systematik des Sicherheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 cc) Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 (1) Sicherheitsbegriff des Sicherheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 (2) Sicherheit und Freiheit – Sicherheitsverfassungsrecht . . . . . . . . . . 111 c) Zukunft des Sicherheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
Inhaltsverzeichnis
19
2. Teil Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
113
1. Abschnitt Völkerrecht
113
A. Begriff und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 I. II.
Klassisches Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Entstehung eines transnationalen Sicherheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
B. Völkerrecht und Terrorismusbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 I. Das Gewaltverbot und seine Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 1. Gewaltverbot nach Art. 2 Nr. 4 UN-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 a) Recht auf Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . 115 aa) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 bb) Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (1) Hintergrundstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (2) Terroristen als nichtstaatliche Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 b) Präventive Militäraktionen gegen Terroristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 aa) Terroristische Bedrohungslagen als Dauerangriff . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 bb) Einsatz von Drohnen und Targeted killings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 II.
Maßnahmen der UN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 1. Resolutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 a) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 b) Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 c) Maßgebliche Resolutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
III.
Exekutive Umsetzung in Sanktionsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Führung von Terrorlisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Smart sanctions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
IV.
Weitere Abkommen auf internationaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
C. Völkerrecht und organisierte Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
2. Abschnitt Recht der Europäischen Union
121
A. Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts als Zielsetzung . . . . . . . . . . . . 122 B. Kompetenzen zur Kriminalitätsbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 I.
Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität nach Art. 67 Abs. 3 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
20
Inhaltsverzeichnis II.
Polizeiliche Zusammenarbeit nach Art. 87 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 1. Verhütung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 2. Aufdeckung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 3. Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 4. Operative Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
III.
5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Institutionelle Ebene der Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Europol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Europäische Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 3. Frontex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 4. OLAF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
IV.
Ergänzende Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 1. Erlass von Vorschriften zum Datenschutz nach Art. 16 Abs. 2 AEUV . . . . . . 129 2. Rechtsangleichung im Binnenmarkt nach Art. 114 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . 130
V.
Art. 4 Abs. 2 S. 2 und 3 EUV und Art. 72 AEUV als Kompetenzgrenzen . . . . . 130
C. Rahmenbeschlüsse und Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 I. II.
Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Organisierte Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
3. Abschnitt Grundgesetz
132
A. Gewährleistung von Freiheit und Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 I. II.
Staatstheoretische und verfassungsrechtliche Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Freiheit und Sicherheit im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 1. Verfassungswerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 a) Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 aa) Textbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 bb) Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 (1) Staatsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 (2) Staatsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 (3) Gegenstand einer Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (a) Grundrecht auf Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (b) Schutzpflicht des Staates für die Grundrechte . . . . . . . . . . . . . 137 (4) Sicherheit als Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 2. Auflösung des Spannungsverhältnisses durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . 140 a) Spannungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 b) Ausgleich im Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
Inhaltsverzeichnis
21
B. Sicherheitsverfassungsrechtliche Trennungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 I.
Polizei und Bundeswehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
II. III.
Polizei und Verfassungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Landespolizei und Bundespolizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 1. Grundgesetzliche Aufteilung der Polizeikompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
IV.
2. Gefährdungen der Polizeihoheit der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Gefahrenabwehr und Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 1. Unterschiedlichkeit der Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 a) Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 c) Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. Vermischungstendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
C. Bundesstaatliche Kompetenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 I. II.
Bezüge zu Demokratie und Rechtsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Staatlichkeit der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
III.
Kommunale Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
IV.
Verteilung der sicherheitsrelevanten Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 1. Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Ausschließliche Gesetzgebung des Bundes, Art. 73 Abs. 1 GG . . . . . . . . . 157 aa) Nr. 5: Zoll und Grenzschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 bb) Nr. 6: Luftverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 cc) Nr. 6a: Eisenbahnwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 dd) Nr. 9a: Bekämpfung des internationalen Terrorismus . . . . . . . . . . . . . 158 (1) Bundeskompetenz zur Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (2) Verfassungsrechtliche Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (3) Fehlende Vollzugsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (4) Verhältnis zu Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 ee) Nr. 10: Zusammenarbeit in der Kriminalpolizei und im Verfassungsschutz, Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes und internationale Verbrechensbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (1) 1. Komponente: Zusammenarbeit in der Kriminalpolizei, beim Verfassungsschutz und beim Schutz auswärtiger Belange . . . . . . . 161 (a) Thematische Zusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (b) Wesen und Bedeutung der Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . 161 (c) Nr. 10 a): Kriminalpolizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (d) Nr. 10 b): Verfassungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (e) Nr. 10 c): Schutz auswärtiger Belange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (2) 2. Komponente: Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes
168
(3) 3. Komponente: Internationale Verbrechensbekämpfung . . . . . . . . 169
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Inhaltsverzeichnis b) Konkurrierende Gesetzgebung, Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . 170 aa) Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 (1) Sicherungsverwahrung und Therapieunterbringung . . . . . . . . . . . . 170 (2) Zulässigkeit von Landesstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 bb) Strafverfahrensrecht als gerichtliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (1) Begrenzung auf legitime Verfahrensziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (2) Weites Verständnis des gerichtlichen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . 172 (3) Einbeziehung der Verhinderung unmittelbar bevorstehender strafbarer Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (4) Einbeziehung der Strafverfolgungsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 c) Bundeskompetenz kraft Sachzusammenhangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 d) Residualkompetenz der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 aa) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 bb) Sachmaterien der Residualkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (1) Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (a) Enges Verständnis des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . 177 (b) Das Allgemeine am Polizei- und Ordnungsrecht . . . . . . . . . . . 178 (aa) Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht als Recht der unbenannten Gefahrenabwehraufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (bb) Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht als dogmatisches Gerüst des Gefahrenabwehrrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (c) Beachtung von Art. 79 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (2) Recht des Verfassungsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 2. Verwaltungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 a) Regelzuständigkeit der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 b) Sicherheitsrelevante Verwaltungskompetenzen des Bundes . . . . . . . . . . . . 183 aa) Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (1) Rechtsgrundlagen der fakultativen Bundessicherheitsverwaltung 183 (2) Verhältnis von Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG 185 (a) Trennung oder Verschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 (b) Eingriffsbefugnisse der Zentralstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 bb) Bundesgrenzschutzbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (1) Einrichtung durch Bundesgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (2) Aufgaben kraft Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (3) Verfassungsrechtliche Beschränkung der Bundespolizei auf sonderpolizeiliche Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (4) Verfassungswidrige Aufgabenzuweisungen an die Bundespolizei 191 cc) Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz als Zentralstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 (1) Bundeskriminalamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 (a) Doppelzentralstelle und Servicefunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
Inhaltsverzeichnis
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(b) Übernahme sonstiger Aufgaben als Zentralstelle . . . . . . . . . . . 193 (aa) Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 (bb) Schutzaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (c) Bundesoberbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (2) Bundesamt für Verfassungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 dd) Zollvollzugsdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 ee) Zusammenlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 D. Rechtsstaatliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 I. Inhalt und Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1. Geschriebene und ungeschriebene Einzelgehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 II.
2. Rechtsstaat als Regel, Grundsatz und Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Einzelgehalte des Rechtsstaatsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 1. Grundrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 a) Existenz von Grundrechten als essentielle Voraussetzung des Rechtsstaats 199 b) Polizeirelevante Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 aa) Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 bb) Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 cc) Telekommunikationsgeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 dd) Unverletzlichkeit der Wohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 ee) Recht auf Freiheit der Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 (1) Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 GG und Art. 5 EMRK als Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 (2) Neue Qualität des Durchsetzungsgewahrsams bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 (3) EMRK- und Grundgesetzkonformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 (a) EMRK-Konformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 (b) Grundgesetzkonformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 ff) Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 2. Verhältnismäßigkeit als Grundprinzip staatlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Entstehung, Inhalt und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 b) Anwendungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 aa) Polizeirecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 bb) Straf- und Strafverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (1) Tat- und Schuldprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (2) Strafrecht als ultima ratio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (3) § 152 Abs. 2 StPO als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips . . . . . 215 (4) Wahrheitsfindung und funktionstüchtige Strafrechtspflege . . . . . . 216 (a) Wahrheitserforschung als verfassungsrechtlicher und einfachgesetzlicher Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
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Inhaltsverzeichnis (b) Pflicht des Staates zum Erhalt einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 (c) Verhältnis der beiden Verfassungswerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 (aa) Problemfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 (bb) Kritische Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 (5) Stellenwert des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Strafrecht . . . . . . . . . . 218 3. Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 4. Klare Ordnung der Aufgaben im Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 a) Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 b) Kompetenzklarheit als Unterfall des Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . . . . 222 aa) Vertrauensschutz als Verlässlichkeit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . 222 bb) Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Verwaltungsorganisation 223 cc) Anwendung der Regel bzw. des Optimierungsgebots auf Mischverwaltung und Mehrfachzuständigkeiten im Sicherheitsbereich . . . . . . . 225 (1) Gefährdungen der Kompetenzklarheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 (2) Ausnahmsweise Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
4. Abschnitt Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
228
A. Prävention und Repression – Entwicklung, Bedeutung und Wandel der Begriffe . . . . 228 I. II.
Herkunft und allgemeiner Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Strafrecht und Polizeirecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 1. Traditionelles Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 2. Neues Verständnis als deskriptive Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
B. Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 I.
Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 1. Ermittlungen gemäß §§ 160 Abs. 1, 161 Abs. 1, 163 Abs. 1 Satz 1, 152 Abs. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) Tatverdacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 aa) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 bb) Rechtsstaatliche Qualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 b) Ermittlungen zur Erforschung des Sachverhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 aa) Durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 160 Abs. 1 StPO . . . . . . . . . . . 235 bb) Durch die Polizei gemäß § 163 Abs. 1 Satz 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . 236 2. Vorermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Inhalt und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 b) Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 aa) § 159 Abs. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
Inhaltsverzeichnis
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bb) §§ 161 Abs. 1 Satz 1, 160 Abs. 1 – 3 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 cc) Nr. 6.2 Gemeinsame Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren der Länder über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität (GRL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 dd) Legalitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 c) Kritische Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 3. Aufdeckungsermittlungen gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO und § 24 Abs. 2 ZFdG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 a) Aufdeckung als Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 b) Aufdeckung von unbekannten Steuerfällen gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 aa) Steuerverfahrens- und strafverfahrensrechtliche Ermittlungen . . . . . . 243 bb) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 c) Aufdeckung von unbekannten Straftaten gemäß § 24 Abs. 2 ZFdG . . . . . . 245 4. Polizeiliche Vorfeld-, Initiativ- und Strukturermittlungen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 a) Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 b) Inhalt und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 aa) Vorfeldermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 bb) Initiativermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 cc) Strukturermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
II.
c) §§ 163 Abs. 1 Satz 1, 152 Abs. 2 StPO i.V.m. Nr. 6.1 GRlJPOK als Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 1. Klassische Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 a) Gefahrenabwehr als Rechtsgüterschutz durch Schadensabwendung . . . . . 250 b) Gefahrbegriff der Aufgabenzuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 c) Erscheinungsformen polizeilicher Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 aa) Störungsbeseitigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 bb) Verhinderung und Unterbindung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 (1) Verhinderung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 (a) Abgrenzung zur Verhütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 (b) Allgemeiner Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 (c) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 (2) Unterbindung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 (3) Verhältnis zur Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 cc) Gefahrensuche durch Überwachung, Kontrolle und Aufklärung . . . . . 258 (1) Gefahrensuche als Gefahrenerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 (2) Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
26
Inhaltsverzeichnis (3) Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 (a) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 (b) Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 (c) Abgrenzung zur Fahndung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 (4) Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 (a) Bedeutung und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 (b) Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 dd) Vorbereitung auf die Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 2. Neue Qualität der Gefahrenabwehr als Vorfeldtätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 a) Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als Gefahrenvorsorge . . . . . . . . 264 aa) Prävention als neue Leitidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 bb) Entwicklung, Inhalt und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 (1) Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 (2) Inhalt und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 (a) Oberbegriff für Verhütung und Strafverfolgungsvorsorge . . . . 266 (aa) Verhütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 (bb) Strafverfolgungsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 (b) Standortbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 (aa) Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als antizipierte Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 (bb) Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als polizeirechtlicher Ersatz für unzulässige strafprozessuale Vorfeldermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 (cc) Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als dritte polizeiliche Aufgabenkategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 (dd) Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als antizipierte Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 (a) Vorsorgeverbund als Voraussetzung effektiver Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 (b) Operatives Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 b) Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als Unrechtsprävention . . . . . . . 281 aa) Verhinderung und Verhütung von Rechtsgutsverletzungen . . . . . . . . . 281 bb) Ge- und Verbote als Mittel der Unrechtsprävention . . . . . . . . . . . . . . . 283 (1) Rechtscharakter von Ge- und Verboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 (a) Urformen der Regelung menschlichen Verhaltens . . . . . . . . . . 283 (b) Ge- und Verbote als sanktionslose Gefahrenabwehr . . . . . . . . . 283 (2) Vorrang und Auffangfunktion gefahrenabwehrrechtlicher Ge- und Verbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
C. Aufgabenwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 I.
Polizei als Behörde mit zwei nebeneinander stehenden Aufgaben . . . . . . . . . . . 285
Inhaltsverzeichnis II.
27
Verbundene Aufgabenwahrnehmung bei Überschneidungen . . . . . . . . . . . . . . . . 286 1. Aufgabenüberschneidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 a) Begriff und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 b) Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 aa) Situative und lagebedingte Überschneidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 bb) Deliktsbedingte Überschneidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (1) Dauerdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (2) Vollendete Delikte mit fortdauernder Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 (3) Serienstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 (4) Mehrfachtaten in natürlicher Handlungseinheit . . . . . . . . . . . . . . . 288 (5) Szenestraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 (6) Anschlussstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 cc) Überschneidungen im Vorfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 (1) Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten und Strafverfolgung von Vorfelddelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 (2) Verhütungs- und Verfolgungsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 c) Notwendigkeit der Aufgabentrennung bei Überschneidungen . . . . . . . . . . 291 aa) Wahlrecht zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung? . . . . . . . . 291 bb) Bedeutung der Aufgabentrennung in situativen Gemengelagen . . . . . . 292 (1) Sperrwirkung des Straf- und Strafverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . 292 (2) Fortbestand der Gefahrenabwehr neben der Strafverfolgung . . . . . 292 (3) Kategoriale Qualität der Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
III.
2. Überschneidungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Polizeiliche Maßnahmen im Überschneidungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 1. Doppelfunktionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 a) Begriff und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 b) Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 aa) Abstrakte und konkrete doppelfunktionale Maßnahmen . . . . . . . . . . . 297 bb) Echte und unechte doppelfunktionale Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . 297 c) Theorienstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 aa) Relevanz für den polizeilichen Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 bb) Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 (1) Schwerpunkttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 (2) Kumulative bzw. parallele Anwendung der Befugnisnormen des Polizei- und Strafprozessrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 (3) Vorherige Festlegung der Befugnisnorm durch die Polizei . . . . . . 302 d) Kritische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 aa) Doppelt als irreführende Kennzeichnung bei Aufgaben und Befugnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 bb) Ungeklärtes Verhältnis zur „Gemengelage“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
28
Inhaltsverzeichnis cc) Haupt- und Nebeneffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 dd) Beschränkung der polizeilichen Handlungskompetenz . . . . . . . . . . . . 304 2. Festlegung von Zweck und Mitteln polizeilicher Maßnahmen bei Aufgabenüberschneidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 a) Festlegung durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 aa) Gestaltungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 bb) Beschränkung durch verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . 305 (1) Rangverhältnis von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung . . . . . . . 305 (a) Vorrang der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 (b) Vorrang der Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 (c) Gleichrangigkeit der Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 (2) Einstweiliger Vorrang der Gefahrenabwehr als Lösung der Rangfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 (3) Gebot eindeutiger Zuordnung der staatlichen Aufgaben und Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 (a) Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 (b) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 b) Nachträgliche Zweckkonkretisierung durch die Polizei . . . . . . . . . . . . . . . 310 aa) Zulässigkeit und Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 bb) Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 (1) Gebot der Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung . . 311 (2) Zweckbindungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 (3) Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
D. Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 I.
Polizei und Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 1. Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 a) Staatsanwaltschaften der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 b) Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 2. Verhältnis zur Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 a) Polizei als Ermittlungsapparat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 b) Übergewicht der Polizei durch Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
II.
Polizei und kommunale Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 1. Kommunen als Ordnungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 a) Verhütung von Straftaten im Rahmen der allgemeinen Gefahrenabwehr
317
aa) Entpolizeilichung der Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 bb) Entwicklung in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 cc) Verpolizeilichung der Ordnungsbehörde oder Weiterentwicklung der Entpolizeilichung der Gefahrenabwehr? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 dd) Mittelbarer Beitrag der allgemeinen und besonderen Ordnungsbehörden zur Kriminalitätsbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320
Inhaltsverzeichnis
29
2. Kommunen als Selbstverwaltungsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 a) Bedarf an Sicherheit und Ordnung in der örtlichen Gemeinschaft . . . . . . . 321 III.
b) Selbstverwaltungsangelegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Polizei und Bundeswehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 1. Einsatz im Verteidigungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 2. Einsatz im regionalen und überregionalen Notstand nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322
IV.
3. Einsatz zur Kriminalitätsbekämpfung im Cyberraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 Polizei und Nachrichtendienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 1. Nachrichtendienste im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 2. Unterschiede in der Arbeitsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 a) Offen/verdeckt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 b) Vorfeld/konkrete Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 c) Operativ/informationell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
E. Bekämpfung des islamistischen Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 I. Regelungen des Grundgesetzes für Krisenzeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 1. Ausnahmezustand? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 2. Innerer und äußerer Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 a) Innerer Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 b) Äußerer Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 II.
Bekämpfungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 1. Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 a) Kriegsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 b) Terrorismusbekämpfung als staatliche Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 2. Krieg gegen den Terror nach neuen Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 a) Feindstrafrecht als Wegbereiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 b) Terrorismus als neue Form der Kriegsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 c) Bekämpfung des Terrorismus mit kriegsrechtlich orientiertem Präventionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 d) Selbstbehauptung des Rechtsstaats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 e) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 3. Straf- und Strafverfahrensrecht, Sicherungsrecht oder Polizeirecht? . . . . . . . 338 a) Präventivstraf- und Strafverfahrensrecht zur Wahrung rechtsstaatlicher Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 b) Rückbau des Straf- und Strafverfahrensrechts durch Auslagerung seiner präventiven Bestandteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 c) Polizeirecht als Regelungsstandort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
30
Inhaltsverzeichnis 3. Teil Operative polizeigesetzliche Kriminalitätsbekämpfung
345
1. Abschnitt Dogmatische Einordnung
345
A. Polizeirecht im Übergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 I. II.
Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Entwicklungsschritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 1. Gefahrenvorsorge durch Eröffnung des Vorfelds der konkreten Gefahr . . . . . 346 2. Informationelle und aktionelle Vorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 a) Informationelle Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 b) Aktionelle Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 aa) Notwendigkeit und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 bb) Zulässigkeit aktioneller Vorfeldmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 (1) Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 (2) Eigene Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 3. Drohende Gefahr und Präventivhaft als neue Leitbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . 354
B. Neue dogmatische Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
2. Abschnitt Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
356
A. Vorlauf und Vorrang des Polizeirechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 I. II.
Informationelle Vorfeldmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Aktionelle polizeigesetzliche Maßnahmen statt Bekämpfungsstrafrecht . . . . . . . 357
B. Zweckfestlegung bei Aufgabenüberschneidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
3. Abschnitt Verhinderung und Verhütung von Straftaten als Kriminalitätsbekämpfung
360
A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 I.
Operative Qualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360
II.
Operatives Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 1. Informationelle und aktionelle Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 a) Strukturen als operatives Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 b) Informationelle Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 aa) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362
Inhaltsverzeichnis
31
bb) Vorfeldaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 cc) Neue technische Möglichkeiten der Gefahrerkennung . . . . . . . . . . . . . 363 dd) Abgrenzung des polizeigesetzlichen Aufklärungsverfahrens vom strafprozessualen Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 c) Aktionelle Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 aa) Verhinderung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 bb) Verhütung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 cc) Zulässigkeit automatisierter aktioneller Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . 367 2. Operative Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 a) Veranlassung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 aa) Notwendigkeit des Einsatzes von Lockspitzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 bb) Zulässigkeit der Tatprovokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 cc) Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 b) Zulassung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 aa) Praktische Relevanz und operative Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 bb) Zurückstellen von Strafverfolgungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 cc) Zulässigkeit der Nichtverhinderung und Nichtunterbindung einer Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 (1) Staatliches Strafverfolgungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 (2) Auftrag zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten . . . . . . . . . 373 (3) Aufgabe der Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 B. Verhinderung und Unterbindung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 I.
Relevante Delikte und Deliktsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 1. Dauerdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 2. Vollendete Delikte mit fortdauernder Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 3. Mehrfachstraftaten in natürlicher Handlungseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 4. Serienstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 5. Szenestraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
II.
6. Anschlussstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Bekämpfungsmöglichkeiten in typischen polizeilichen Einsatzlagen . . . . . . . . . 378 1. Bedeutung der polizeilichen Lage in der Einsatzlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 2. Polizeiliche Lagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 a) Räumung eines besetzten Hauses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 b) Bedrohungslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 aa) Bedrohungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 (1) Definition nach der PDV 100 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 (2) Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 (3) Polizeiliche Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 bb) Geiselnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 (1) Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380
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Inhaltsverzeichnis (2) Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 cc) Polizeiliche Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 dd) Entführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 (1) Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 (2) Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 (3) Polizeiliche Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 ee) Amoktaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 (1) Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 (2) Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 (3) Polizeiliche Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 c) Serienstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 d) Szenestraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 aa) Gewalt im öffentlichen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 (1) Lagebild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 (2) Polizeirechtliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 bb) Gewalt beim Fußball . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 (1) Lagebild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 (2) Organisation, Zusammenarbeit, Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 (3) Polizeirechtliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 (a) Vorfeldphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 (b) Anreise- bzw. Anmarschphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 (c) Einsatzphase während des Spiels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 (d) Einsatzphase nach dem Spiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 cc) Gewalt bei Demonstrationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 (1) Lagebild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 (2) Aufgaben der Polizei bei Demonstrationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 (3) Polizei- und versammlungsrechtliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . 392 dd) Straftaten in offenen Drogenszenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 ee) Verbotene Kraftfahrzeugrennen in Raserszenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 (1) Lagebild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 (2) Verwaltungsrechtliche und strafrechtliche Rechtslage . . . . . . . . . . 394 (3) Polizeirechtliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 ff) Gewaltdelikte beim organisierten Kindesmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . 396 (1) Lagebild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 (2) Polizeirechtliche Möglichkeiten und Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . 397
C. Verhütung von Straftaten in kriminellen Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 I. Terrorismus, Organisierte Kriminalität und Cybercrime als besondere Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 1. Zusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 2. Digitalisierung als Qualitätssprung krimineller Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . 398
Inhaltsverzeichnis
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3. Besondere Gefährdungsdimension als Legitimation für polizeiliches Agieren im Vorfeld der konkreten Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 II.
Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 1. Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 2. Lagebild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 a) Islamistischer Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 aa) Ausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 bb) Potenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 b) Rechtsextremistischer Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 aa) Ausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 bb) Potenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 3. Bekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 a) Islamistischer Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 aa) Möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 bb) Informationelle und aktionelle Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 (1) Polizeiliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 (2) Maßnahmen anderer Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 b) Rechtsextremistischer Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 c) Erweiterung der aktionellen Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406
III.
Organisierte Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 1. Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 2. Lagebild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 a) Fixierung auf Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 b) Ermittlungsverfahren und Tatverdächtige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 c) Strukturen und Gruppierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 d) Clankriminalität in ethnisch abgeschotteten Subkulturen . . . . . . . . . . . . . . 408 e) Kriminalitätsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 3. Bekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 a) Ausrichtung auf Strukturen, Personen und Finanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 b) Aktionelle Maßnahmen in operativer Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 aa) Kontrollen mit Folgemaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 bb) Verbundeinsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464
Einleitung A. Gegenstand und Ziel der Arbeit Die Möglichkeiten des Polizeirechts zur Kriminalitätsbekämpfung werden nach wie vor weitgehend nicht genutzt, obwohl die Verhinderung erkennbar bevorstehender und die Unterbindung der von vollendeten Straftaten noch ausgehenden Gefahren zur klassischen Gefahrenabwehr gehören und obwohl die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten durch deren Verhütung seit der neuen Generation der Polizeigesetze der späten 1980er und der 1990er Jahre Bestandteil der Gefahrenabwehraufgabe ist. Polizeirechtliche Gefahrenabwehr, die einen Schaden erst gar nicht eintreten lässt, ist dem Straf- und Strafverfahrensrecht, das einen realisierten Schaden voraussetzt, offensichtlich überlegen, weil die Verhinderung einer Rechtsgutsverletzung einfach die plausiblere Form der Sicherheitsgewährleistung ist.1 Gleichwohl ist in der polizeilichen Praxis der Kriminalitätsbekämpfung die Sichtweise der Kriminalisten dominant, die in ihrer Fixierung auf das Straf- und Strafverfahrensrecht die Möglichkeiten des Polizeirechts mit seinen neuen Befugnissen zur vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung gar nicht oder nur dann nutzen, wenn die Strafprozessordnung defizitär ist, wenn etwa polizeiliche Aufklärungsverfahren als Notnagel für fehlende strafprozessuale Vorfeldermittlungen in Anspruch genommen werden. Dass der in der Aufgabe der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten aufgehobene kriminalstrategische Auftrag nicht erkannt und genutzt wird, hängt auch damit zusammen, dass der Bundesgesetzgeber seit Mitte der 1990er Jahre das Strafrecht und die Strafprozessordnung als Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität entdeckt und zahlreiche Kriminalitätsbekämpfungsgesetze erlassen hat. Ein Interventionsstrafrecht als neuer Typus des Strafrechts will selber wie das Polizeirecht Straftaten verhindern. Das erfolgt durch abstrakte Gefährdungsdelikte, die wie die §§ 129 ff. und §§ 89a ff. StGB als Vorfelddelikte keine Rechtsgutsverletzung voraussetzen und schon vollendet sein können, bevor der Täter überhaupt die Phase des Versuchs eines Verletzungsdelikts erreicht hat.2 Zudem liefern die Strafbarkeit vorverlagernde Gefährdungsdelikte den Schlüssel zu den Befugnisnormen der Strafprozessordnung, insbesondere zur Überwachung der Telekommunikation und zur Verhängung von Untersuchungshaft. Dabei wird zwar formal § 152 Abs. 2 StPO eingehalten, weil der Verdacht einer 1 2
Möstl, Garantie, S. 153. Jakobs, ZStW 97 (1985), 751 (756 f.).
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Vorfeldstraftat bejaht wird, doch in der Sache geht es gar nicht um die Verhinderung der Vorfeldstraftat, sondern um die Verhinderung von terroristischen Anschlägen. Mit einem solchen „Straf- und Strafverfahrensrecht“, das Kriminalität unmittelbar bekämpft, kann sich der Kriminalist arrangieren. Diese Hintanstellung des Polizeirechts hat Tradition. Schon im Jahr 1866 wandte sich v. Mohl gegen eine Legitimation des Strafrechts aus dem Gedanken der Prävention, wenn dieser an die Stelle der Verhinderung von verbrecherischen Rechtsstörungen tritt. Völlig unbegreiflich war für v. Mohl die regelmäßige Vernachlässigung der Vorbeugung durch die Rechtsgelehrten seiner Zeit.3 Daran knüpfte im Jahr 1913 Kitzinger an, der wie v. Mohl die Unterscheidung von Gefahrenabwehr als Verhinderung und Strafverfolgung als Reparatur des Rechtsbruchs als grundlegend für die polizeiliche Arbeit sah und deshalb ebenfalls die Vernachlässigung der Gefahrenabwehr durch die Strafrechtslehre kritisierte.4 Auch bei der Neubegründung des Polizeirechts nach dem 2. Weltkrieg spielte die Vernachlässigung des polizeilichen Auftrags zur Verhinderung von Straftaten eine Rolle; Kaufmann schrieb 1951, dass die vorhergehende Abwehrtätigkeit der Polizei als Verhinderung strafbaren Übels ihr eigentliches Amt sei, während sie bei der Verfolgung begangener Straftaten nur als ausführendes Organ der Strafjustiz fungiere.5 Mit dem 11. 9. 2001 schien es, als würde das Polizeirecht zum Zuge kommen, um terroristische Straftaten in der Bundesrepublik zu verhindern. Doch der Bundesgesetzgeber setzte seine Bekämpfungsgesetzgebung in einer neuen Dimension fort, indem er mit den §§ 89a ff. StGB abstrakte Gefährdungsdelikte als Vorbereitungsdelikte von Einzeltätern schuf und sich damit die Möglichkeit verschaffte, im Verbund von Straf- und Strafverfahrensrecht potenzielle Terroristen zu überwachen und durch Untersuchungshaft als Präventionshaft zu neutralisieren. Dass das Polizeirecht seine eigentliche Funktion nicht erfüllen kann, hängt auch damit zusammen, dass die Grenzen zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung schon lange nicht mehr beachtet werden und deshalb bis zur Unkenntlichkeit verschwimmen. Auch das hat Tradition; schon zur Zeit der Reformierung des Strafverfahrens durch die Strafprozessordnung von 1877 faszinierte die Verbindung von Prävention und Repression die Polizeioberen und ein Jahrhundert später führte der Vermischungsgedanke zu der plausibel erscheinenden Zweckvorstellung, eine gesetzlich nicht programmierte „innere Sicherheit“ könne durch einen gemeinsamen Kampf von Polizei und Justiz gegen die Kriminalität garantiert werden.6 Zur Vermischung tragen auch Forderungen nach einer Harmonisierung der Befugnisse des Polizeirechts und der Strafprozessordnung bei, wie sie seit dem Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes und danach erhobenen worden sind.7 Auch die Aner3 4 5 6 7
v. Mohl, System, S. 14 f. Kitzinger, Verhinderung, S. 162. Kaufmann, Eingriff, S. 266. Denninger/Poscher, HdBPR (5. Aufl.) B. Rn. 98. Heise/Riegel, MEPolG, S. 13.
Einleitung
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kennung eines Gefahrenabwehr und Strafverfolgung verbindenden gemeinsamen Vorfeldbereichs beider Aufgaben8 und die Auffassung von der Parallelität von Befugnissen des Polizei- und Strafprozessrechts9 würden die funktionale Trennung der beiden Rechtsgebiete ebenso aufheben wie die rechtspolitische Forderung, die Abwehr von durch Straftaten hervorgerufenen Gefahren in die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 GG zu überführen.10 Ebenso werden Gefahrenabwehr und Strafverfolgung durch die Auffassung miteinander vermischt, die die Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG rein final versteht und dem Bund eine umfassende Gesetzgebungskompetenz für alle der Strafverfolgung dienenden Überwachungsermächtigungen auch für die Fälle zuweist, in denen Straftaten noch gar nicht begangen worden sind.11 Eine Einebnungstendenz ist auch den Versuchen eigen, ein Sicherheitsrecht als neues Rechtsgebiet mit den Teilgebieten Polizeirecht und Strafprozessrecht zu etablieren.12 Die Beteiligung an diesem Vermischungsprozess ist breit gestreut. Der Gesetzgeber ist früh beteiligt gewesen, als er den Haftgrund der Wiederholungsgefahr in § 112a StPO, die zwangsweise Aufnahme von Lichtbildern und Fingerabdrücken zum Zwecke des Erkennungsdienstes in § 81b 2. Alt. StPO, die Sicherungsverwahrung in den §§ 66 ff., die Führungsaufsicht in den §§ 68 ff. StGB, den Verfall bzw. die Einziehung in den §§ 73 ff. StGB und das vorläufige Berufsverbot in § 132a StPO geregelt hat, obwohl es sich um materielles Polizeirecht handelt. Auch das Bundesverfassungsgericht hat seinen Beitrag zur Verwischung der Grenzen zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung geleistet. Die Unterbringungsgesetze der Länder Bayern und Sachsen-Anhalt hat es wegen Verstoßes gegen Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG für verfassungswidrig befunden, weil der Bund mit dem Kompetenztitel Strafrecht auch im Bereich der Unterbringung von besonders rückfallgefährdeten hochgefährlichen Straftätern seine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz abschließend ausgeübt habe,13 eine Betrachtungsweise, die das Gericht in seiner Entscheidung zur nachträglichen Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz wiederholt und so Regelungen zur Gefahrenabwehr in der StPO abgesegnet hat.14 Auch die Zuordnung der Strafverfolgungsvorsorge als Unterfall der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten zum gerichtlichen Verfahren i.S. von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG in der Entscheidung des Gerichts zum niedersächsischen SOG hat das Verhältnis von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung verunklart.15 8
Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 357. Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 342 ff. und 351 f. 10 Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 573. 11 Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 249; ders., HdBPR, B. Rn. 104. 12 GSZ-Editorial 1/2017. 13 BVerfGE 109, 190 (211 ff.). 14 BVerfGE 134, 33 ff. 15 BVerfGE 113, 348 (368 ff.). 9
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Einleitung
Auch in wissenschaftlichen Abhandlungen nahm man es mit der Trennung nicht so genau, obwohl kritische Stimmen schon seit den 1990er Jahren eindringlich vor einem Konvergenzprozess zwischen Polizeirecht und Strafprozessrecht und seinen nachhaltigen Folgen gewarnt hatten.16 So befasste man sich unter der Überschrift „Neue Verbindungen zwischen Prävention und Repression“ mit der Zulässigkeit von sog. Vorfeldermittlungen und konstatierte, dass diese zu einer Verschmelzung von Polizei- und Strafprozessrecht geführt hätten.17 War für einige Autoren die Strafverfolgung dem Großauftrag zur Gefahrenabwehr untergeordnet,18 sprachen andere offen von strafrechtlicher Gefahrenabwehr.19 Im Programm für die innere Sicherheit von 1974 wurde mit dem umfassenden Sicherheitsauftrag für die Polizei die Trennung der Aufgaben von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung aufgegeben.20 Auf der ministeriellen Leitungsebene war von einem dogmatischen Dickicht aus Prävention und Repression die Rede21 oder die Unterscheidung zwischen beiden Rechtsgebieten wurde als überholt angesehen.22 Diese Melange hatte in der polizeilichen und staatsanwaltlichen Praxis Folgen, die offensichtlich als „normal“ angesehen wurden bzw. werden. So forderte etwa der Generalstaatsanwalt von Brandenburg im Sommer 2016 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Übermittlung aller Daten der in Brandenburg aufhältigen Asylbewerber, nachdem bekannt geworden war, dass das Amt nicht alle gefälschten Pässe syrischer Flüchtlinge erkannt hatte.23 Die Einleitung von Ermittlungsverfahren gegen alle in Brandenburg aufhältigen Flüchtlinge wäre mangels Tatverdacht gemäß § 152 Abs. 2 StPO unzulässig gewesen; zulässig gewesen wäre nur ein polizeirechtliches Aufklärungsverfahren zur Feststellung von Tatsachen, die für die Fälschung eines konkreten Passes gesprochen und damit die zureichenden Anhaltspunkte im Sinne von § 152 Abs. 2 StPO geliefert hätten. Nachdem das Internet zu einem neuen Kriminalitätsfeld geworden ist, „fährt“ die Polizei als „Cybercontrol“ dort Streife. Diese Kontrolle wird mit großer Selbstverständlichkeit als strafverfolgende Tätigkeit eingestuft.24 Auch die neuen polizeilichen Aktivitäten unter dem Etikett Predictive Policing, die die Polizei in den Stand setzen sollen, durch softwaregestützte Datenverarbeitung auf bevorstehende Straftatenbegehung präventiv zu reagieren und eher als der Täter am Tatort zu sein, werden als automatisierte oder antizipierte Strafverfolgung gewertet.25 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
So etwa Gärditz, Strafprozeß, S. 11. Kühne, Strafprozessrecht, S. 234. Schäfer, GA 133 (1986), 49 (53). Peglau, JR 2006, 14 ff. PIS 1974, S. 7. Schelter, ZRP 1994, 52 (53). Stümper, Kriminalistik 1980, 242. ntv 18. 9. 2016. Kudlich, GA 158 (2011), S. 193 f. Meinecke, K&R 2015, 377 ff.
Einleitung
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In Ansehung dieser Vorgeschichte lässt sich nachvollziehen, warum die Polizei es bei der Kriminalitätsbekämpfung mit den Grenzen zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung nicht so genau nahm und sich hinsichtlich der Aufgabenwahrnehmung als Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung und der Inanspruchnahme von Befugnissen für ihre operativen Maßnahmen taktisch verhielt, indem sie sich die Aufgabe und die Befugnisse aussuchte, die den größtmöglichen Spielraum für eine effektive Kriminalitätsbekämpfung verschafften. Die Eröffnung des Vorfeldes der konkreten Gefahr wurde nicht als auf Dauer angelegter und unabhängig von der Strafverfolgung wahrzunehmender Auftrag, sondern nur als Zwischenphase, als zeitweiliger Ersatz für das fehlende Vorfeld des Anfangsverdachts in der StPO gesehen, eine Phase, die nach Feststellung eines Anfangsverdachts i.S. von § 152 Abs. 2 StPO wieder beendet wurde, wohl vor allem weil im Rahmen der Strafverfolgung die in den Polizeigesetzen seinerzeit nicht zugelassene Telekommunikationsüberwachung möglich war. Dies taktisch-opportunistische Vorgehen der Polizei verhinderte eine klare Qualifizierung des Auftrags zur Kriminalitätsbekämpfung und begünstigte damit eine weitere Tendenz, die die Missachtung der Grenzen zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung geradezu voraussetzt: Kriminalitätsbekämpfung wird zum Magnetbegriff und hat anziehende Wirkung für staatliche Akteure, die die ihnen in Verfassung und Gesetz zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse erweitern oder sich in einer neuen Rolle ins Spiel bringen wollen. Das trifft auf das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei in ihrem Bestreben zu, sich von Sonderpolizeien des Bundes zu einer allgemeinen Bundespolizei mit unbegrenztem Aufgabenkreis zu entwickeln, aber auch auf die Nachrichtendienste, die mittels Teilhabe an der Kriminalitätsbekämpfung ihre Rolle als Koordinator und Nachrichtenbeschaffer hintanstellen und die angestrebte Rolle des operativen Akteurs verwirklichen wollen. Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang auch die Bundeswehr, die mit dem erweiterten Sicherheitsbegriff die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit aufweicht, sich als Bekämpfer des internationalen Terrorismus auf deutschem Boden anbietet und mit dem Kommando Cyber- und Informationsraum seit dem 5. 4. 2017 als „vierte Waffengattung“ zur Bekämpfung der Cyberkriminalität aufgestellt hat,26 ohne das davon abhängig zu machen, dass Cyberattacken in ihrer Qualität mit einem bewaffneten Angriff auf die Bundesrepublik vergleichbar sein müssten. Terrorismus und organisierte Kriminalität begünstigen und befördern zentralistische Tendenzen, die nicht nur in den gerade aufgezeigten Bestrebungen deutlich werden, sondern auch in der Wissenschaft, die mit neuer Begrifflichkeit den Boden für ein ausgreifendes Sicherheitsrecht bereitet, das die Polizeihoheit der Länder und ihr Polizeirecht zur marginalen Größe verkümmern lässt. Das sogenannte Sicherheitsrecht27 soll das Polizeirecht, das Strafrecht, das Recht der Nachrichtendienste 26 27
BMVg Presse- und Informationsstab, Presseerklärung vom 6. 7. 2017. S. dazu Kniesel, DP 2018, 265 ff.
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Einleitung
und das Wehrrecht umfassen und mit dieser Bündelung offensichtlich den Weg zu einem Funktionseinheit stiftenden Recht der Inneren Sicherheit28 ebnen. Ist ein solches Sicherheitsrecht „dogmatisch“ verankert, kann die tradierte Grenzziehung zwischen repressivem und präventivem Handeln zu Gunsten einer Gefahrenabwehr durch das Strafrecht aufgegeben werden, wodurch das Polizeirecht zum Teil des Strafrechts wird; das Recht der Nachrichtendienste gewinnt mit dem übergreifenden Begriff des Sicherheitsrechts eine operative Funktion und mit der Aufnahme des Wehrrechts in das Sicherheitsrecht kann die Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit überwunden werden, eine Trennung, die nicht mehr als zivilisatorische Errungenschaft29, sondern nur noch als verfassungsrechtlicher Hygienefaktor30 gesehen wird. In Ansehung dieser Bestrebungen ist an die Notwendigkeit der klaren Trennung zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zu erinnern. Diese für das deutsche Recht typische kompetenzielle Trennung hinsichtlich der beiden polizeilichen Hauptaufgaben und der beiden Akteure Polizei und Staatsanwaltschaft macht es zwingend erforderlich, polizeiliche Maßnahmen der Kriminalitätsbekämpfung entweder dem präventiven Polizeirecht oder dem repressiven Strafverfolgungsrecht und ihren jeweiligen Befugnisnormen zuzuordnen und so den Prozess der Aufgabenvermischung zu stoppen, um rechts- und bundesstaatliche Standards und Vorgaben zu wahren. Das dahinterstehende Ziel, das Strafrecht vom Polizeirecht und das Polizeirecht vom Strafrecht zu befreien, mag in Ansehung der für eine effektive Kriminalitätsbekämpfung als hinderlich angesehenen funktionalen Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung und der daraus folgenden Vermischung der beiden Aufgaben in der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis als aussichtsloses Unterfangen erscheinen, dennoch ist der Verfassung ein Versuch geschuldet. Unter all diesen Bedingungen hat es jedenfalls das Polizeirecht schwer, seinen Eigenstand zur Kriminalitätsbekämpfung zu behaupten bzw. überhaupt erst zu begründen. Dazu möchte diese Arbeit einen Beitrag leisten.
B. Aufbau der Arbeit Im 1. Teil wird hinterfragt, was unter Kriminalitätsbekämpfung zu verstehen ist. Handelt es sich um Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung oder um eine operative Mischung von beiden Aufgaben? Dazu werden die unterschiedlichen Sichtweisen und Positionen geschildert, die in der Sicherheitspolitik und den wissenschaftlichen Disziplinen des Straf- und Strafverfahrensrechts, der Kriminologie, der Kriminalistik und des Polizeirechts dazu vertreten werden. 28 29 30
Pieroth/Schlink/Kniesel, POR (2002), § 2 Rn. 2. Di Fabio, NJW 2008, 421 (423). Lorse, DV 38 (2005), 471 (472).
Einleitung
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Gegenstand des 2. Teils sind im 1. Abschnitt die Vorgaben des Völkerrechts, im 2. Abschnitt des Rechts der europäischen Union und im 3. Abschnitt des Grundgesetzes für die Kriminalitätsbekämpfung, insbesondere hinsichtlich der Gesetzgebung in Bund und Ländern für das Polizei- und Straf- und Strafverfahrensrecht und die auf die Aufträge zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung gestützte Aufgabenwahrnehmung der Polizeien von Bund und Ländern. Dabei sind die im Grundgesetz angelegten sicherheitsverfassungsrechtlichen Trennungen, die bundesstaatliche Kompetenzordnung sowie die polizeirelevanten Elemente des Rechtsstaatsprinzips von besonderer Bedeutung. Im 4. Abschnitt werden zunächst die einfachgesetzlichen Grundlagen der Aufgaben Gefahrenabwehr und Strafverfolgung und danach die alltägliche polizeiliche Aufgabenwahrnehmung auf ihre Relevanz für die Kriminalitätsbekämpfung untersucht. Abgehandelt wird hier auch die Terrorismusbekämpfung mit Blick auf die Frage, ob es sich bei ihr noch um das Recht einer verschärften Normalrechtsordnung oder schon ein antizipiertes Ausnahmezustandsrecht handelt. Der 3. Teil zieht aus den Erkenntnissen des 1. und 2. Teils die überfälligen Konsequenzen. Dabei ist Abschied zu nehmen von in Theorie und Praxis liebgewonnenen Rechtsbegriffen und daraus folgenden Verfahrensweisen: Dem Vorfeld des Anfangsverdachts im Einzugsbereich des § 152 Abs. 2 StPO und den polizeirechtlichen Begriffen der Gemengelage von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung und der daraus abgeleiteten Doppelfunktionalität polizeilicher Maßnahmen. Danach ist der Weg frei für die Darstellung des Rechts einer operativen Kriminalitätsbekämpfung durch die Verhinderung und Unterbindung von Straftaten als Bestandteil des klassischen Gefahrenabwehrauftrags und der Verhütung von Straftaten durch vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als erweitertem Gefahrenabwehrauftrag des neuen Polizeirechts.
1. Teil
Kriminalitätsbekämpfung – Gefahrenabwehr, Strafverfolgung oder Aufgabenhybrid? In der Sicherheits- und Kriminalpolitik, in Verfassung und Gesetzen und in den wissenschaftlichen Disziplinen des Straf- und Strafverfahrensrechts, der Kriminologie, der Kriminalistik und des Polizeirechts geht es um Kriminalitätsbekämpfung, ihre Bezüge zur Prävention und Repression und um die Bewältigung der Herausforderungen durch neue Kriminalitätsformen, insbesondere den Terrorismus und die organisierte Kriminalität. Seit 2015 gibt es neue disziplinübergreifende Betrachtungsweisen der Kriminalitätsbekämpfung als strategisch ausgerichtetes, in der Strafprozessordnung geregeltes Kriminalpräventionsrecht, als einheitliches Ermittlungsrecht für polizeigesetzliche und strafprozessuale verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen und als Polizei- und Strafverfahrensrecht, Nachrichtendienstrecht und Wehrrecht umfassendes Sicherheitsrecht im Sinn eines neuen Rechtsgebiets. Zur Kriminalitätsbekämpfung leisten das Straf- und Strafverfahrensrecht und das Polizeirecht ihren Beitrag. Gegen die Begehung von Straftaten wird mit den Mitteln des Polizeirechts vorgegangen, indem erkennbar bevorstehende verhindert bzw. begonnene und vollendete, die noch eine Gefahr darstellen, unterbunden werden sowie künftige Straftaten als Gefahren für die öffentliche Sicherheit vorbeugend bekämpft, sprich verhütet werden. Mit den Mitteln des Strafverfahrensrechts wird der staatliche Strafanspruch verwirklicht, was mittelbar der Kriminalitätsbekämpfung dadurch dient, dass der verurteilte und inhaftierte Täter außerhalb der Haftanstalt keine Straftaten begehen kann. Werden das Straf- und Strafverfahrensrecht aber als Interventionsrecht unmittelbar zur Kriminalitätsbekämpfung eingesetzt, muss der Frage nachgegangen werden, ob nicht die Aufgaben der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung bis zur Unkenntlichkeit miteinander vermischt werden.
1. Abschn.: Kriminalitätsbekämpfung aus Sicht der Sicherheitspolitik
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1. Abschnitt
Kriminalitätsbekämpfung aus der Sicht der Sicherheitspolitik A. Programm für die Innere Sicherheit von 1972/1974 I. Ursprungsfassung 1972 Als Ausdruck der auf das Polizeirecht ausgerichteten Sicherheitspolitik stellte die ständige Konferenz der Innenminister/-senatoren des Bundes und der Länder (IMK) in den Jahren 1972 bzw. 1974 der Öffentlichkeit das Programm für die Innere Sicherheit als Strategiepapier für die länderübergreifende Bekämpfung der Kriminalität und des internationalen Terrorismus vor. Das Programm wurde 1994 und 2008/ 2009 fortgeschrieben und gilt bis heute als politisches Grundsatzprogramm für die Polizeiarbeit. In der Erstfassung von 1972 geht es um Aufgaben und Verwendung der Polizeien des Bundes und der Länder, Organisation, Bewaffnung, Personal und gesetzgeberische Maßnahmen, in der Ergänzungsfassung von 1974 zusätzlich um spezielle polizeiliche Sicherheitsprobleme bei Großveranstaltungen, besondere Formen der Gewaltkriminalität und Wirtschaftskriminalität, die Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden, die Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit den anderen Nachrichtendiensten des Bundes und die Zusammenarbeit im Bereich der Inneren Sicherheit in der Europäischen Gemeinschaft. In der Vorbemerkung beider Fassungen wird die besondere Bedeutung der Inneren Sicherheit herausgestellt. Bei ihr handelt es sich um das zentrale Thema der politischen Gegenwart, das sich vorrangig mit dem Schutz des Einzelnen vor dem Verbrechen, zunehmend aber auch mit dem Schutz der Einrichtungen des Staates und seiner demokratischen Grundordnung befasst. In Ansehung des Anwachsens der Kriminalität und der Brutalisierung politischer Ausdrucksformen erwartet der Bürger klare Aussagen und die Durchführung der erforderlichen Maßnahmen.1 Die Gewährleistung der Inneren Sicherheit gehört nach wohlerwogener Entscheidung des Grundgesetzes grundsätzlich zum Verantwortungsbereich der Bundesländer und nur für einzelne Bereiche zur Zuständigkeit des Bundes. Der gesetzliche Auftrag der Polizei zur Gewährleistung der Inneren Sicherheit umfasst vor allem die Bekämpfung der Kriminalität, deren aktuelle Schwerpunkte die Gewaltkriminalität, die Wirtschaftskriminalität, die Jugendkriminalität und die Rauschgiftkriminalität sind.2 Bei den Aufgaben der Polizeien des Bundes und der Länder
1 2
PIS 1974, S. 5. PIS 1974, S. 5.
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
wird die Verbrechensbekämpfung als Hauptaufgabe der Länderpolizeien betont.3 Der Sicherheitsauftrag der Polizei zur Verbrechensbekämpfung umfasst die Verbrechensverhütung und die Strafverfolgung, wobei Schutz- und Kriminalpolizei gemeinsam Träger dieser Aufgaben sind. Als Teil des Auftrags zur Verbrechensbekämpfung ist auch die Strafverfolgung eine gemeinsame Aufgabe von Schutz- und Kriminalpolizei.4
II. Fortschreibung 1994 Mit der Fortschreibung des PIS reagierte die IMK auf die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft auf dem Weg von einem gemeinsamen Wirtschaftsraum zu einer politischen Union und die Herstellung der Deutschen Einheit und die damit verbundene Öffnung der mittel- und osteuropäischen Staaten gegenüber dem Westen. Diese erhöhten Anforderungen machen eine enge Zusammenarbeit und wechselseitige Unterstützung der Polizeien von Bund und Ländern notwendig. Auf die Besonderheiten in den neuen Ländern ist dabei Rücksicht zu nehmen.5 Die Fortschreibung 1994 differenziert die Kriminalität in Massenkriminalität, organisierte Kriminalität, Rauschgiftkriminalität, grenzbezogene Kriminalität, Gewaltkriminalität und Jugendkriminalität; bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität sind Vorfeldermittlungen und der Einsatz technischer Mittel von besonderer Bedeutung.6
III. Fortschreibung 2008/2009 Die Fortschreibung des PIS wurde wegen der Sicherheitslage erforderlich, insbesondere auf Grund der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, der global und in vernetzten Strukturen agierenden Organisierten Kriminalität, des demografischen Wandels, der weggefallenen Grenzkontrollen, steigender Fallzahlen bei der Gewaltkriminalität sowie der dynamischen Entwicklung der Informationsund Kommunikationskriminalität. Zweck der Fortschreibung ist eine grundsätzlich abgestimmte Ausrichtung der Sicherheitsbehörden.7
3 4 5 6 7
PIS 1974, S. 7. PIS 1974, S. 7. PIS 1994, S. 7. PIS 1994, S. 24 und 31. PIS 2008/2009, S. 4.
1. Abschn.: Kriminalitätsbekämpfung aus Sicht der Sicherheitspolitik
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1. Künftige Entwicklung und Leitlinien zur Kriminalitätsbekämpfung Als besondere Herausforderung der Zukunft sieht die IMK die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus und Extremismus, die Zunahme der Straf- und Gewalttaten im Bereich des Rechts- und Linksextremismus, die weltweit agierende Organisierte Kriminalität und Wirtschaftskriminalität und neue Formen und Ausmaße von Kriminalität im Zusammenhang mit der Informations- und Kommunikationstechnik.8 Für die Kriminalitätsbekämpfung werden als Leitlinien herausgestellt: – Polizei und Nachrichtendienste entwickeln ihre Zusammenarbeit kontinuierlich weiter. – Länder und Bund müssen ihre Möglichkeiten unter Berücksichtigung eines ganzheitlichen Ansatzes zur Bekämpfung von Terrorismus, Extremismus und Kriminalität noch besser nutzen, was eine optimale Vernetzung und operative Stärkung der Institutionen sowie eine Bündelung der Ressourcen erfordert. – Die Kriminalitätsbekämpfung benötigt Konzepte unter Verknüpfung repressiver und präventiver Gesichtspunkte.9
2. Kriminalitätsbekämpfung Die Kriminalitätsbekämpfung bleibt zentrales Thema auch der Fortschreibung 2008/2009 und wird durch den Deliktsbereich Internetkriminalität ergänzt.10 Erfolgreiche Bekämpfung der politisch motivierten Kriminalität setzt voraus, dass der gezielten Prävention besonderes Gewicht beigemessen wird. Hinsichtlich der Organisierten Kriminalität kommt es darauf an, dass es den Strafverfolgungsbehörden gelingt, neben der Aufklärung der einzelnen Straftaten die Organisationsstrukturen aufzuhellen und zu zerschlagen, die Schlüsselpersonen innerhalb eines kriminellen Geflechts zu überführen und die Erträge der Straftaten zu beschlagnahmen. Bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ist von Bedeutung, dass in schwerwiegenden Fällen Instrumente der OK-Bekämpfung eingesetzt und die Möglichkeiten der Vermögensabschöpfung genutzt werden.11 3. Verstärkung der Präventionsarbeit Am Anfang steht die Aussage, dass polizeiliche Gefahrenabwehr grundsätzlich der Strafverfolgung vorgeht. Die Feststellung des PIS von 1994, dass es besser ist, 8
PIS 2008/2009, S. 4. PIS 2008/2009, S. 7. 10 PIS 2008/2009, S. 7. 11 PIS 2008/2009, S. 28. 9
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
Straftaten nicht geschehen zu lassen, als sie zu verfolgen, hat nichts an Bedeutung verloren.12 Die Ausrichtung der Kriminalprävention ist strategisch und orientiert sich an der Sicherheitslage und am Sicherheitsempfinden der Bevölkerung. Kriminalprävention ist dreistufig als primäre, sekundäre und tertiäre Prävention angelegt. Die primäre nimmt unter Einbindung der Gesellschaft auf die allgemeinen Entstehungsbedingungen von Kriminalität Einfluss. Sekundäre Prävention beugt Kriminalität durch Reduzierung von Tatgelegenheiten oder tatfördernden Situationen vor, weshalb auf kommunaler Ebene Angst- und Entstehungsräume für sozialschädliches Verhalten verhindert werden müssen. Bei der tertiären Prävention stehen die Strafverfolgungsbehörden im Vordergrund. Hier hat Strafverfolgung neben dem Schuldausgleich und der Vergeltung von Unrecht das Ziel, der Begehung von weiteren Straftaten entgegenzuwirken.13 Mit der Unterscheidung in primäre, sekundäre und tertiäre Prävention wird an die in der Kriminologie geläufige angeknüpft, die in einer neuen Terminologie als universelle, selektive und indizierte Prävention verstanden wird. Unter die universelle (primäre) Kriminalprävention fallen alle Maßnahmen, die an die Allgemeinheit gerichtet sind und die allgemeinen Ursachen der Kriminalität beeinflussen; es geht dabei um Erziehung und Sozialisation, Ausbildung und Beruf, Wohnung, Freizeit und Erholung. Die dabei getroffenen Maßnahmen sind an jedermann in gleicher Weise, unabhängig von einem spezifischen Kriminalitätsrisiko gerichtet. Zur selektiven (sekundären) Kriminalprävention zählen die Maßnahmen, die schon erkennbare Risiken und Gefährdungen zum Gegenstand haben, sich also an potenzielle Täter und Opfer richten oder auf Überwachung und Umgestaltung kriminalitätsgefährdeter Orte und Situationen abzielen. Typische Maßnahmen sind Beratung und Schulung, Einrichtung von Schutzvorkehrungen und polizeiliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr. Als indizierte (tertiäre) Kriminalprävention gelten die Maßnahmen, die sich gegen Personen richten, die als Straftäter bereits eine Gefahr verwirklicht, ein Rechtsgut verletzt haben und deren erneute Straftaten verhindert werden sollen; Maßnahmen sind alle Formen der reaktiven sozialen Kontrolle, namentlich der Einsatz der strafrechtlichen Sanktionen.14 Die Bekämpfung der verschiedenen Erscheinungsformen der Kriminalität erfordert Konzepte unter Verknüpfung repressiver und präventiver Gesichtspunkte. Politisch motivierte Kriminalität verlangt zur wirksamen Bekämpfung eine nationale Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. Intensive Vermögensabschöpfung stützt die generalpräventive Wirkung der Strafverfolgung, insbesondere im Bereich der Wirtschaftskriminalität und der Organisierten Kriminalität. Effektive Präventionsarbeit erfordert vernetztes Handeln staatlicher und privater Organisationen. Früh-
12 13 14
PIS 2008/2009, S. 29. PIS 2008/2009, S. 30. Meier, Kriminologie, § 10 Rn. 13 ff.; Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 7 f.
1. Abschn.: Kriminalitätsbekämpfung aus Sicht der Sicherheitspolitik
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zeitige, breit angelegte und wirkungsorientierte Prävention reduziert die Aufwendungen für die Repression und ist letztlich erfolgreicher.15 Als Fazit ist festzustellen, dass die Verfasser des Programms für die Innere Sicherheit sich zwar mit verschiedenen Kriminalitätsformen auseinandergesetzt und die Bedeutung der Kriminalitätsbekämpfung für die Gewährleistung der Inneren Sicherheit und die Notwendigkeit der Verstärkung der Prävention erkannt haben, aber offengelassen haben, was sie unter Kriminalitätsbekämpfung als spezifischem Begriff verstehen.
B. Mustergesetzgebung I. Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes (MEPolG) 1. Entstehung Das von der IMK entwickelte Programm für die Innere Sicherheit sah in Abschnitt V Nr. 3.2 der Fassung von 1972 bzw. Abschnitt X Nr. 2 der Fassung von 1974 die Vereinheitlichung der Polizeigesetze vor. Im Hinblick auf die zunehmende Zusammenarbeit der Polizeien des Bundes und der Länder galt es als erstrebenswert, den schon jetzt inhaltlich nahezu übereinstimmenden Polizeigesetzen der Länder, einschließlich des Rechts der Zwangsmittel und der Anwendung des unmittelbaren Zwanges, eine einheitliche Fassung zu geben. Dazu sollte ein das materielle Polizeirecht umfassender Musterentwurf erstellt werden, der von den Ländern übernommen werden sollte. Es ging um Übereinstimmung in der Sache, nicht im Wortlaut. Die IMK hat dann am 20. 6. 1975 den von einer Kommission erarbeiteten Entwurf angenommen und auf ihrer Sitzung vom 10./11. 6. 1976 in der vorgelegten Fassung verabschiedet und dazu Folgendes ergänzend beschlossen. „Die Innenministerkonferenz sieht diesen Musterentwurf als geeignete Grundlage für einheitliche Polizeigesetze in Bund und Ländern an und ist sich einig, dass er Grundlage für entsprechende Gesetzgebungsverfahren sein soll.16 Die Innenministerkonferenz ist wie die Justizministerkonferenz der Auffassung, dass alle Befugnisse der Polizei bei der Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten in der Strafprozessordnung und im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten abschließend geregelt werden sollen.“
15 16
PIS 2008/2009, S. 32. Heise/Riegel, MEPolG, S. 11.
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
2. Inhalte a) Aufgaben und Befugnisse zur Gefahrenabwehr Der MEPolG regelt Aufgaben und Befugnisse der Polizei als Polizeivollzugsdienst und umfasst daher nicht die gesamte Gefahrenabwehr, die in erster Linie von besonderen, nicht einheitlich bezeichneten Verwaltungsbehörden wahrgenommen werden.17 Er unterscheidet eindeutig zwischen Aufgaben und Befugnissen. Hauptaufgabe der Polizei ist die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, allerdings nur für Maßnahmen, die zur Gefahrenabwehr unaufschiebbar notwendig erscheinen.18 In seinem zweiten Abschnitt sind die Generalklausel und die Spezialbefugnisse geregelt, wie sie schon in den seit 1949 erlassenen Polizeigesetzen enthalten waren. Der dritte Abschnitt regelt die Vollzugshilfe als Anwendung unmittelbaren Zwanges zu Gunsten anderer Behörden, im vierten Abschnitt sind die Bestimmungen zur zwangsweisen Durchsetzung polizeilicher Maßnahmen enthalten. Darunter sind neue Vorschriften, die als regelungsbedürftig erkannte Probleme – den Schusswaffengebrauch bei Geiselnahmen und gegen Personen in einer Menschenmenge – lösen sollen. Der fünfte Abschnitt befasst sich mit Schadensausgleich und Erstattungs- und Ersatzansprüchen. b) Erste Vorfeldregelungen Für die polizeirechtliche Kriminalitätsbekämpfung sind folgende Bestimmungen relevant. § 9 Abs. 1 Nrn. 3 – 5 MEPolG enthält mit der Identitätsfeststellung an gefährlichen und gefährdeten Orten sowie an von der Polizei eingerichteten Kontrollstellen Regelungen, die über die klassische konkrete Gefahrenabwehr hinausgehen und der Polizei erstmalig erlauben, zur Kriminalitätsbekämpfung das Vorfeld der konkreten Gefahr zu betreten. Der inhaltlich damit verbundene Begriff der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten taucht in § 10 Abs. 1 Nr. 2 MEPolG auf, wenn eine erkennungsdienstliche Maßnahme zu diesem Zweck zugelassen wird. Die Verfasser des MEPolG gingen bei dieser Regelung davon aus, dass die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten einen Unterfall der Gefahrenabwehr im Sinne von § 1 Abs. 1 MEPolG darstellt und anders als die Befugnisgeneralklausel des § 8 MEPolG keine konkrete Gefahr voraussetzt.19 c) Abgrenzung zum Recht der Strafverfolgung Die Strafprozessordnung als Bundesregelung weist in § 163 Abs. 1 den Behörden und Beamten des Polizeidienstes die Aufgabe der Strafverfolgung zu. Das greift § 1 Abs. 4 MEPolG auf, wenn er vorsieht, dass die Polizei ferner die Aufgaben zu er17 18 19
Heise/Riegel, MEPolG, S. 13. Heise/Riegel, MEPolG, S. 15. Heise/Riegel, MEPolG, S. 47.
1. Abschn.: Kriminalitätsbekämpfung aus Sicht der Sicherheitspolitik
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füllen hat, die ihr durch andere Rechtsvorschriften übertragen worden sind und regelt dann noch, dass sie insbesondere Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zu verfolgen hat. Mit dieser Regelung soll der MEPolG die ihm durch das Strafprozessrecht und Art. 31 GG gezogene Grenze überschritten haben, weil sie den wesensmäßigen Unterschied von Polizeirecht und Strafprozessrecht einebne.20 Diese Kritik ist zwar auf dem Hintergrund der Vorgabe des Programms für die Innere Sicherheit, wonach der Sicherheitsauftrag der Polizei den gesamten Bereich der Verbrechensbekämpfung, also auch die Strafverfolgung umfasse,21 als Übergriff des Polizeirechts in das Recht der Strafverfolgung missverstehbar, doch in der Sache unberechtigt. § 1 Abs. 4 MEPolG enthält nichts anderes als eine Brückennorm, mit der die in § 163 Abs. 1 StPO erfolgte Aufgabenzuweisung auf polizeigesetzlicher Ebene ohne inhaltliche Abweichung wiederholt wird. Diese Wiederholung räumt überdies als Bestätigung der Aufgabenübertragung durch den Bund seitens des jeweiligen Landes Zweifel daran aus, ob der Bund bei der Zuweisung einer Bundesaufgabe an die Länder auch bestimmen kann, welche Landesbehörde die Aufgabe wahrzunehmen hat. Als Fazit zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten aus sicherheitspolitischer Sicht ist festzuhalten, dass der Begriff im MEPolG als Unterfall der Gefahrenabwehr verstanden wird, im Übrigen aber ohne Konturen bleibt.
II. Alternativentwurf einheitlicher Polizeigesetze des Bundes und der Länder (AEPolG) Im Dezember 1978 legten der aus den Professoren Denninger, Hoffmann-Riem, Klug, Podlech, Rittstieg und Schneider und der Professorin Dürkop bestehende Arbeitskreis Polizeirecht den AEPolG vor, der einen grundsätzlichen Gegenentwurf zum MEPolG darstellen sollte.22 Mit dem MEPolG hätte man wohl endgültig Abschied zu nehmen von dem spezifischen Typ eines rechtstaatlich geprägten Polizeirechts, wie ihn das Preußische Polizeiverwaltungsgesetz verkörperte.23 Ein Teil der überkommenen rechtsstaatlichen Grundfesten des Polizeirechts würde eingerissen und eine Plattform für einschneidende polizeiliche Maßnahmen bereits im Vorfeld der Gefahrenbekämpfung errichtet; der MEPolG bringe also nicht nur eine quantitative Ausweitung polizeilicher Befugnisse mit sich, sondern verleihe ihnen darüber hinaus eine völlig neue, gleichsam vor – und überpräventive Qualität.24 Der AEPolG orientierte sich im Wesentlichen an den vier Leitideen Ausbau der Rechtstaatlichkeit, Wahrung der Liberalität, Verstärkung der Bürgerrechte und 20 21 22 23 24
Heise/Riegel, MEPolG, S. 47. Seebode, MDR 1976, 537 (537 f.). Krit. zum AEPolG Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 20 Fn. 19. AEPolG, Einleitung VII. AEPolG, Einleitung VII.
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
Berücksichtigung polizeilicher Praxisbedürfnisse.25 Er enthielt wesentliche Abweichungen vor allem bei den Vorschriften über die Identitätsfeststellung, die Amtshilfe, den unmittelbaren Zwang einschließlich des Schusswaffengebrauches und der polizeilichen Bewaffnung und über Kosten und Entschädigung. Insbesondere der finale Todesschuss des § 41 Abs. 2 Satz 2 MEPolG wurde abgelehnt, weil es nicht nur verfassungsrechtlich geboten, sondern auch aus staatspolitischen und ethischen Gründen erforderlich sei, dem Staat jede vorsätzliche Tötung von Menschen in Friedenszeiten ausnahmslos zu untersagen. Ebenfalls ausgeschlossen wurde eine Bewaffnung der Polizei mit Maschinengewehren und Handgranaten, weil es sich um typische Vernichtungswaffen handele.26 Der Begriff der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten kommt im AEPolG nicht vor, was nicht verwundern kann, weil dieser jeder Verlagerung der Gefahrenabwehr in ihr Vorfeld kritisch gegenüber eingestellt war.
III. Vorentwurf zur Änderung des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes (VEMEPolG) 1. Entstehung Um auf die Herausforderungen durch neue Kriminalitätsformen, insbesondere den Terrorismus und die organisierte Kriminalität zu reagieren und den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts im Volkszählungsgesetz-Urteil Rechnung zu tragen, beauftragte die IMK mit Beschluss vom 12. 1. 1984 ihren Arbeitskreis II „Öffentliche Sicherheit und Ordnung“ mit der Anpassung des MEPolG an die neuen Verhältnisse. Der AK II bildete den ad-hoc-Ausschuss „Recht der Polizei“, der unter dem Vorsitz von Nordrhein-Westfalen einen ersten Vorentwurf zur Änderung des MEPolG vorlegte. Am 26. 4. 1985 akzeptierte die IMK diesen Entwurf als geeignete Grundlage für ihre weiteren Beratungen. Unter Beteiligung der Datenschutzbeauftragten der Länder und des Bundes wurde der Entwurf überarbeitet und in der Fassung vom 12. 3. 1986 den Ländern als Muster für die Anpassung ihrer Polizeigesetze an die Hand gegeben.27 2. Zielsetzung Der VEMEPolG sollte die Lücken schließen, die aus der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts im VZG-Urteil resultierten, dass polizeiliche Datenerhebung und -verarbeitung Eingriffsqualität haben und deshalb nach dem Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes entsprechende Befugnisnormen für alle Maßnahmen der Da25 26 27
AEPolG, Einleitung VIII. AEPolG, Einleitung XI. Kniesel/Vahle, Polizeiliche Informationsverarbeitung, S. 3.
1. Abschn.: Kriminalitätsbekämpfung aus Sicht der Sicherheitspolitik
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tenerhebung und -verarbeitung erforderlich wurden; besonders intensive Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sollten nach Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts mittels grundrechtssichernder Verfahrensvorschriften eine Kompensation erfahren.28 3. Inhalte Der VEMEPolG knüpfte an die ersten Öffnungen in das Vorfeld der konkreten Gefahr im MEPolG an und räumte der Polizei in § 1 Abs. 1 Satz 2 die im Rahmen der Gefahrenabwehr nach Satz 1 zu erfüllende Aufgabe der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten in Gestalt der Strafverfolgungsvorsorge und Straftatenverhütung ein. Damit sollte ihr die Möglichkeit gegeben werden, bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Terrorismus informationelle Maßnahmen schon im Vorfeld der konkreten Gefahr zu treffen.29 Die entsprechenden Befugnis- und Verfahrensnormen wurden in den § 8a Datenerhebung, § 8b Datenerhebung bei öffentlichen Veranstaltungen, Ansammlungen und Versammlungen, § 8c Besondere Formen der Datenerhebung in Form der längerfristigen Observation, den verdeckten Einsatz technischer Mittel, den Einsatz verdeckter Ermittler und von Vertrauenspersonen, § 8d Polizeiliche Beobachtung, § 10a Datenspeicherung, -veränderung und -nutzung, § 10b Vorgangsverwaltung und Dokumentation, § 10d Automatisiertes Abrufverfahren, § 10e Datenabgleich, § 10f Besondere Formen des Datenabgleiches, § 10g Berichtigung, Löschung und Sperrung von Daten und § 10h Errichtungsanordnung geschaffen. Da in der IMK zwei politische Lager (SPD-regierte A-Länder und CDU/CSUregierte B-Länder) vertreten waren, bestanden politische Divergenzen bei der Einschätzung von Notwendigkeit und Umfang der Änderungen des MEPolG. Diese wurden offen ausgetragen, indem bei den neuen Befugnissen zwölf Alternativen angeboten wurden. Fazit zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten ist, dass die Sicherheitspolitik diesen originär an die Polizei erteilten Auftrag als Erweiterung der Aufgabe der Gefahrenabwehr anerkannt und den Begriff als Oberbegriff für die Verhütungs- und Strafverfolgungsvorsorge verstanden hat.
28 29
BVerfGE 65, 1 (46 und 59). Kniesel/Vahle, Polizeiliche Informationsverarbeitung, S. 3 ff.
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
2. Abschnitt
Kriminalitätsbekämpfung aus der Sicht der Kriminalwissenschaften A. Straf- und Strafverfahrensrecht: Strafverfolgung als mittelbare Kriminalitätsbekämpfung I. Kriminalität als Begriff und Gegenstand Der Begriff Kriminalität leitet sich vom lateinischen crimen ab, das Verbrechen bedeutet. Kriminell ist – durchaus dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechend –, wer durch sein Tun oder Unterlassen gegen einen Straftatbestand verstößt, also straffällig wird. Der strafrechtliche Kriminalitätsbegriff hat Handlungen mit strafrechtlichen Rechtsfolgen zum Bezugspunkt und ist damit formeller Natur, im Gegensatz zum materiellen Kriminalitätsbegriff der Kriminologie, der unabhängig von einer strafgesetzlichen Vertatbestandlichung auch sozialschädliches bzw. sozialabweichendes Verhalten erfassen will.30 Im Strafrecht geht es also um Kriminalität, wenn menschliches Verhalten vorliegt, das durch Gesetz mit Strafe bedroht ist. Indes müsste deshalb nicht abstrahierend von Kriminalität gesprochen werden, weil das Strafrecht sich wegen des Schuld- und Tatprinzips auf individuelles Verhalten, also die jeweils begangene Straftat beziehen muss; strafnormverletzendes Verhalten als gesellschaftliches Massenphänomen liegt nicht im Blickfeld des Strafrechts.31 Sozialschädliches Verhalten von besonderer, strukturell bedingter Qualität – organisierte Kriminalität und Terrorismus – wird im Strafrecht erst relevant, wenn der Gesetzgeber mit neuen Straftatbeständen, wie etwa §§ 89a ff. und §§ 129 ff. StGB, auf neue Kriminalitätsformen reagiert. Mithin ist die Kriminalität als solche kein Gegenstand des Straf- und Strafverfahrensrechts und es könnte statt Kriminalitätsbekämpfung auch Straftaten- oder Verbrechensbekämpfung heißen.
II. Bekämpfung als Funktion 1. Allgemeine Bedeutung Bekämpfung geht auf das lateinische campus zurück, das Schlachtfeld bedeutet. Kampf ist im militärischen Sprachgebrauch die Auseinandersetzung auf dem Gefechtsfeld.32 Die Begriffe Bekämpfung und Kampf finden sich auch im allgemeinen,
30 31 32
Meier, Kriminologie, § 1 Rn. 11. Meier, Kriminologie, § 1 Rn. 12. Brockhaus, 17. Aufl. 1970, Bd. 9, S. 677.
2. Abschn.: Kriminalitätsbekämpfung aus Sicht der Kriminalwissenschaften
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sportlichen und politischen Sprachgebrauch, wenn vom täglichen Überlebenskampf, vom Fußballstadion als Kampfbahn33 und vom Wahlkampf die Rede ist. 2. Klassisches Straf- und Strafverfahrensrecht a) Gegenstand und Aufgabe Das Strafrecht in Gestalt des Strafgesetzbuches vom 15. 5. 1871 knüpft an eine der Vergangenheit angehörende Rechtsverletzung an, ahndet diese mit einer Bestrafung und bringt so gegenüber dem Täter ein sozialethisches Unwerturteil zum Ausdruck; mit der Strafbewehrung soll die Durchsetzungskraft der als gesellschaftlich besonders wichtig angesehenen Verhaltensregeln verstärkt werden.34 Die Sicherung des Rechtsfriedens in Gestalt der Strafrechtspflege ist für das Bundesverfassungsgericht seit jeher eine zentrale Aufgabe staatlicher Gewalt und bei der Aufgabe ein geordnetes menschliches Zusammenleben durch Schutz der elementaren Werte des Gemeinschaftslebens auf der Grundlage einer Rechtsordnung zu schaffen, zu sichern und durchzusetzen, ist das Strafrecht ein unverzichtbares Element zur Sicherung der Unverbrüchlichkeit dieser Rechtsordnung.35 Die Bekämpfung von Kriminalität war kein Gegenstand des klassischen Strafrechts. Die Strafprozessordnung vom 1. 2. 1877 regelt das Verfahren, in dem strafbare Handlungen unter Wahrung der Rechte des Betroffenen ermittelt, verhandelt und vollstreckt werden und dient damit der Verwirklichung des materiellen Strafrechts;36 die Berechtigung des Verdachts einer strafbaren Handlung wird überprüft und so können die Voraussetzungen für eine strafgerichtliche Entscheidung geschaffen werden.37 Eigene Zwecke kann das Strafverfahrensrecht nicht verwirklichen, weil es sich zu den Strafzwecken und Straftheorien neutral verhält; es dient bei der Realisierung des staatlichen Strafanspruchs der Strafrechtspflege und kann deshalb nicht zum Mittel der Kriminalitätsbekämpfung als operativer Tätigkeit oder gar zum Baustein einer übergeordneten Sicherheitsarchitektur geraten.38 Daran ändert sich nichts, wenn in Strafverfahren sogenannte operative Befugnisse – Observation, Einsatz technischer Mittel oder eines verdeckten Ermittlers – zur Anwendung kommen, weil diese der Beschaffung potenzieller Beweismittel dienen. Das Strafverfahrensrecht als Strafrechtspflege hat eine doppelte Aufgabe. Es soll einerseits Verfahrensnormen zur Verfügung stellen, die eine Überführung und 33 Das 1926 erbaute Fußballstadion von Borussia Dortmund hieß offiziell „Kampfbahn Rote Erde“. 34 Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, § 1 Rn. 4 f. 35 BVerfGE 123, 267 (408). 36 Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 11; Paeffgen, Vorüberlegungen, S. 15; Gärditz, Strafprozeß, S. 52; Rieß, JR 2006, 269 (270). 37 Frister, HdBPR, F. Rn. 6. 38 Gärditz, Strafprozeß, S. 52.
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
Verurteilung des Schuldigen und damit den Schutz der Gesellschaft vor dem Verbrecher gewährleisten, andererseits aber auch dafür sorgen, dass kein Unschuldiger verurteilt und in seine persönliche Freiheit nur so viel eingegriffen wird, wie es für die Verbrechensbekämpfung erforderlich ist; die Normen des Strafverfahrensrechts sollen also nicht nur den Schutz des Bürgers durch das Strafrecht verwirklichen, sondern ihn auch vor dem Strafrecht in Gestalt polizeistaatlicher Übergriffe der Strafverfolgungsbehörden als angewandtes Verfassungsrecht schützen; der Strafprozess ist die Bewährungsprobe des Rechtsstaats, weil nicht nur im materiellen Strafrecht, sondern auch im Strafverfahren wie kaum sonst Grundrechte auf dem Spiel stehen.39 b) Angemessenheit des Begriffs Bekämpfung Auf diesem rechtsstaatlich geprägten Hintergrund tun sich Vertreter der klassischen Strafrechtslehre mit dem Begriff „Bekämpfung“ als Kennzeichnung der angemessenen Reaktion des Straf- und Strafverfahrensrechts auf Kriminalität schwer. Es wird von Bewältigung gesprochen, weil Bekämpfung in rechtsstaatlich bedenklicher Weise die zu Bekämpfenden als Feinde oder gar Vogelfreie abstempele, für die die sonst für Bürger bestehenden Rechtsgarantien zurückgenommen werden könnten.40 Es ist auch von Eindämmung die Rede, weil Bekämpfung einen Auftrag des Strafrechts als Sicherheitsstrafrecht suggeriere;41 werde das Straf- und Strafverfahrensrecht als Mittel der Kriminalitätsbekämpfung missverstanden, würden Fronten zwischen dem Beschuldigten und dem Staat vorausgesetzt, die in einem Rechtsstaat nicht existieren; wer mit den Regelungen des Strafprozessrechts etwas bekämpfen wolle, offenbare ein fundamental falsches Verständnis vom Strafverfahrensrecht.42 Demgegenüber geht es anderen Autoren bei der staatlichen Reaktion auf terroristische Anschläge als Frontalangriffe gegen den Rechtsstaat zwangsläufig kämpferisch zu, weil es sich um Krieg handele.43 Überwiegend wird der Begriff Bekämpfung aber paraphrasierend im Sinne von Strafverfolgung verwendet,44 weil es um die konsequente Auseinandersetzung mit der real existierenden Kriminalität geht.45 Es besteht daher zwar in der Formulierung, nicht aber in der Sache ein Unterschied; Bekämpfung bedeutet Strafverfolgung und
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Roxin, StPO, Einführung IX; Möstl, HStR, § 179 Rn. 1. Kühl, NJW 1987, 737. 41 Köhler, ZStW (107) 1995, 10 (12). 42 Zaczyk, StV 1993, 490 (491). 43 Horn, in: FS Schmitt Glaeser, S. 444 f.; Beck, in: FG Paulus, S. 15 ff.; Griesbaum/ Wallenta, NStZ 2013, 369. 44 Griesbaum/Wallenta, NStZ 2013, 369. 45 Schünemann, ZStW (114) 2002, 11 f.; Hassemer, StV 2006, 321 (323); Puschke, Legitimation, S. 28 f.; Bäcker, in: FS Schenke, S. 331. 40
2. Abschn.: Kriminalitätsbekämpfung aus Sicht der Kriminalwissenschaften
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ist im geschilderten Verständnis das Gegenstück zur Verhütung von Straftaten;46 der klassische Bereich solcher Bekämpfung ist das Ermittlungsverfahren.47 c) Bekämpfung und Prävention Das Recht des Staates zu strafen bedarf der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung, weil die Bestrafung auf der Grundlage des einschlägigen Strafgesetzes Grundrechtseingriffe bewirkt. Das zur Anwendung kommende Strafgesetz enthält eine Verbotsnorm, die für sich genommen einen Eingriff darstellt, und eine Sanktionsnorm, die mit dem Unwerturteil über das Verhalten des Täters und der für ihn verhängten Strafe weitere Eingriffe nach sich zieht.48 Diese Eingriffe machen den entscheidenden Unterschied zum Polizeirecht aus. Besteht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, drohen dem polizeirechtlichen Adressaten als Störer nur polizeiliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr oder Störungsbeseitigung. Ist die Gefahr abgewehrt, hat sich die Angelegenheit für das Polizeirecht erledigt. Die Fragen von Schuld und Vergeltung stellen sich nicht, während das Strafrecht seinen Geltungsgrund in der Bestrafung des Täters hat, der mit gravierenden Folgen in Form von Freiheits- oder Geldstrafen für seine Taten rechnen muss. Zur Rechtfertigung der Bestrafung reichen nach der herrschenden Meinung die klassischen absoluten Strafzwecke von Vergeltung und Sühne nicht aus, sondern diese sind nach der Vereinigungslehre der Ergänzung durch die relativen Strafzwecke der positiven und negativen General- und Spezialprävention bedürftig, weil erst diese Strafzwecke mit ihrer Ausrichtung auf die Verhinderung von Straftaten das Recht zu strafen legitimieren können.49 Demnach besteht ein Zusammenhang von Repression und Prävention, weil sich mit der zusätzlichen präventiven Legitimation zwangsläufig repressive und präventive Begründungselemente vermischen.50 Pointiert lässt sich deshalb durchaus sagen, dass es im Strafrecht stets um Prävention im Sinne der Verhinderung künftiger Straftaten geht.51 Der Gedanke der Prävention leitet insofern nicht nur das Recht der Gefahrenabwehr, sondern auch das Strafrecht, indem Strafen general- und spezialpräventiv durch Abschreckung von jedermann und des Täters wirken.52 Dennoch bleibt die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten durch den Täter eine hypothe46
Roth, Kriminalitätsbekämpfung, S. 18. Zieschang, ZStW 113 (2001), 255 (260 f.). 48 Kaspar, Verhältnismäßigkeit, S. 363 ff. m.w.N.; Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 363 ff. 49 BVerfGE 45, 187 (253 f.); BGHSt 28, 318 (326); Roxin, Strafrecht AT I, § 3 Rn. 33 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, § 1 Rn. 26; Rieß, JR 2006, 269 (275); krit. Bützler, in: Sinn/Gropp/Nagy, Grenzen, S. 20 f. 50 Kaspar, Verhältnismäßigkeit, S. 391. 51 Kaspar, Verhältnismäßigkeit, S. 391; Warschko, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, S. 4. 52 Kingreen/Poscher, POR, § 2 Rn. 5. 47
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
tische; im Gegensatz zur polizeilichen Gefahrenabwehr, die der Abwehr bestimmter Gefahren dient, hat die strafrechtliche General- bzw. Spezialprävention keine bestimmte Straftat zum Gegenstand.53 Ihr präventiver Effekt ist kein selbstständiger, sondern begleitet die Repression als Nebenwirkung.54 Das gilt auch für die negative Spezialprävention, die mit ihrer mittelbaren Wirkung dafür sorgt, dass der in der Haftanstalt einsitzende Täter während seines dortigen Aufenthalts außerhalb ihrer Mauern keine Straftaten begehen kann. Der eigentliche Zweck des Wegsperrens ist das Verbüßen der vom Gericht ausgesprochenen schuldangemessenen Freiheitsstrafe, nicht die Neutralisierung eines gefährlichen Straftäters. Auch wenn die Strafe präventiver Rechtfertigung bedarf, bleibt sie für die klassische Strafrechtslehre repressiv; sie ist postdeliktisch, weil sie sich auf eine in der Vergangenheit liegende Straftat bezieht. Die zusätzliche präventive Legitimation ändert nichts an der Rückwärtsgewandtheit des Strafrechts, das zu spät kommt, weil der Täter erst bestraft wird, wenn er die Straftat schon begangen, das vom Strafgesetz geschützte Rechtsgut bereits verletzt hat.55 3. Bekämpfungsstrafrecht a) Neuer Strafrechtstypus Die Kriminalpolitik und mit ihr das Straf- und Strafverfahrensrecht befinden sich mit dem Einsetzen der Bekämpfungsgesetzgebung seit Mitte der 1970er Jahren in einem Umwandlungsprozess, der Aufgaben und Funktionen des Straf- und des Strafverfahrensrechts grundlegend verändert.56 Der „Präventionsstaat“ hat sich auch des Strafrecht als Möglichkeit der Kriminalitätsbekämpfung angenommen und seit 1976 zahlreiche Kriminalitätsbekämpfungsgesetze erlassen.57 Hatten die Anti-Terror-Gesetze der 1970er Jahre den Begriff Bekämpfung noch vermieden, weil sie dem Schutz von Staat und Gesellschaft und nicht ausdrücklich der Bekämpfung des Terrorismus dienen sollten,58 trugen die den Begriff Bekämpfung im Gesetzestitel führenden Gesetzespakete als Kampfansagen gegen besondere Erscheinungsformen der Kriminalität ihren neuen Zweck wie eine Monstranz vor sich her;59 die Begriffswahl sollte politische Entschlossenheit unter Beweis stellen und war von einer sprachlichen Militanz, die das Strafrecht seit der Aufklärung nicht mehr kannte.60
53 54 55 56 57 58 59 60
Kingreen/Poscher, POR, § 2 Rn. 5. Warschko, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, S. 4. Möstl, Garantie, S. 153 ff. Heinrich, KriPoZ 217, 4 ff.; Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts, S. 157 ff. Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts, S. 163 ff. Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts, S. 162. Kempf, NJW 1997, 1731; Zaczyk, StV 1993, 490 f. Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts, S. 162.
2. Abschn.: Kriminalitätsbekämpfung aus Sicht der Kriminalwissenschaften
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b) Erscheinungsformen aa) Verselbstständigte negative Spezialprävention Diese Form des Bekämpfungsstrafrechts knüpft an die Sicherungsfunktion der negativen Spezialprävention an.61 Die mit der Verhängung einer Freiheitsstrafe erfolgende Inhaftierung sorgt dafür, dass der Inhaftierte während seiner Haftzeit außerhalb der Gefängnismauern keine Straftaten begehen kann.62 Mit der vorausgesetzten Bestrafung wegen eines Verstoßes gegen ein bestehendes Strafgesetz bleibt diese Form des Bekämpfungsstrafrechts zwar postdeliktisch, verabsolutiert aber den mit der Verbüßung der verhängten schuldangemessenen Strafe verbundenen Begleiteffekt zum eigentlichen Zweck der Bestrafung. Kriminalitätsbekämpfung setzt nach diesem Verständnis den effektiven Einsatz des Straf- und Strafverfahrensrechts mit dem Ziel voraus, gefährlichen Personen durch möglichst lange Inhaftierung die Möglichkeit zu nehmen, weitere Straftaten zu begehen.63 Dabei wird unverhohlen mit der Zulässigkeit der Zulassung von Straftaten unter den Augen der Polizei kokettiert, um gefährliche Personen möglichst lange aus dem Verkehr ziehen zu können.64 Damit geht es der verselbstständigten negativen Spezialprävention nicht mehr in erster Linie um Verhängung und Verbüßung einer schuldangemessenen Strafe, sondern um die Neutralisierung gefährlicher Personen. Dieser neue Ansatz der Kriminalitätsbekämpfung wird mit der kriminalstrategischen Begründung unterfüttert, dass nur das Strafrecht in der Lage sei, Kriminalität in ihren Strukturen zu bekämpfen.65 Terrorismus und organisierte Kriminalität könnten nur mit Aussicht auf Erfolg bekämpft werden mittels einer strategischen Präventionsplanung, die in eine übergreifende Präventionsstrategie eingebettet sei.66 Mit strategischer Überwachung müssten komplexe kriminelle Strukturen ausgeleuchtet werden, um sie zerschlagen oder zumindest nachhaltig stören zu können. Das Mittel dazu ist die gegen gefährliche Akteure, insbesondere die Hintermänner verhängte Freiheitsstrafe, die dafür sorgt, dass diese neutralisiert und damit zugleich die kriminellen Strukturen angegriffen werden.67 Mit dieser Neuausrichtung der negativen Spezialprävention tritt der von der tradierten Strafzwecklehre verfolgte Zweck der Resozialisierung in den Hintergrund; die Botschaft lautet wegsperren statt bessern. 61
Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, § 1 Rn. 23; Heinrich, Strafrecht AT, § 2 Rn. 18; Roxin, Strafrecht, AT, Bd. I, § 3 Rn. 12. 62 Bäcker, in: FS Schenke, S. 342; ders., Kriminalpräventionsrecht, S. 380 ff.; Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 110; Rachor, HdBPR, 5. Aufl. E, Rn. 285. 63 Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 107 ff.; auch Bäcker, in: FS Schenke, S. 343 und Kriminalpräventionsrecht, S. 350 f. 64 Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 110; Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 380; Griesbaum/Wallenta, NStZ 2013, 369 (372). 65 Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 389 ff. 66 Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 389 ff. 67 Puschke, Legitimation, S. 61 ff.; Moeller, Vorverlagerung S. 56 ff.; Rackow, in: FS Maiwald, S. 616 ff.
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
bb) Interventionsstrafrecht Für diesen Typus des Bekämpfungsstrafrechts ist die Prävention mehr als nur ein die Strafe legitimierendes Mittel; sie wird zu ihrem eigentlichen Zweck. Das Strafrecht will selber wie das Polizeirecht Straftaten verhindern. Formal wird zwar an den Verdacht einer Vorfeldstraftat nach den §§ 129 ff. oder §§ 89a ff. StGB angeknüpft, doch in der Sache geht es um die Verhinderung ganz anderer Straftaten, etwa von befürchteten terroristischen Anschlägen oder Straftaten organisierter Kriminalität. (1) Tatbestände (a) §§ 129 ff. StGB Als Grundtatbestand stellt § 129 StGB die Bildung krimineller Vereinigungen unter Strafe, deren Kennzeichen das erklärte Ziel ist, Straftaten zu begehen.68 Nach der Legaldefinition des Abs. 2 ist eine Vereinigung ein auf längere Dauer angelegter, freiwilliger, organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen mit einem übergeordneten gemeinsamen Interesse. Tathandlungen nach Abs. 1 sind Gründung, Mitgliedschaft, Unterstützung und Werbung. Geschütztes Rechtsgut ist nach der Rechtssprechung vorrangig die innere öffentliche Sicherheit und die staatliche Ordnung einschließlich des öffentlichen Friedens,69 während in der Literatur teilweise ein eigenes spezifisches Rechtsgut verneint und § 129 StGB allein in der Funktion eines reinen Vorfeldtatbestandes zum Schutz der Rechtsgüter der Strafbestimmungen des Besonderen Teils des StGB gesehen wird.70 Der Unrechtsgehalt des Tatbestandes besteht in der Schaffung oder Verstärkung des Gefahrenpotenzials, das im Bestehen der kriminellen Vereinigung und deren Aktionsmöglichkeiten liegt; § 129 soll die erhöhte kriminelle Intensität und Kapazität einfangen, die in der Gründung oder Fortführung einer festgefügten Organisation zum Ausdruck kommt und wegen der ihr immanenten Eigendynamik eine Steigerung der Gefährlichkeit für wichtige Rechtsgüter der Gemeinschaft im Gefolge hat.71 Die Begehungswahrscheinlichkeit von Straftaten durch die kriminelle Vereinigung wird erhöht, weil diese regelmäßig eine auf die Begehung der vom Vereinigungszweck anvisierten Straftaten gerichtete Eigendynamik entfaltet, die dem einzelnen Mitglied die Straftatbegehung erleichtert, indem sich für ihn die persönliche Verantwortung reduziert.72 68 Zur Neufassung des Begriffs der Vereinigung in § 129 Abs. 2 StGB durch die am 22. 07. 2017 in Kraft getretene Reform (BGBl I 2017, S. 2440) s. Martin, Kriminalistik 2018, 269 ff. 69 BGHSt 30, 328 (331); Fischer, StGB, § 129 Rn. 2; MüKo Schäfer, StGB, § 129a Rn. 1 m.w.N. 70 MüKo Schäfer, StGB, § 129a Rn. 1 m.w.N. 71 BGHSt 31, 202 (207); 41, 47 (51); BGH, NJW 2010, 3042 (3044); MüKo Schäfer, StGB, § 129 Rn. 2. 72 SK-StGB, Stein/Greco, § 129 Rn. 4 m.w.N.
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Die kriminalpolitische Relevanz des §§ 129 ff. StGB ist gemessen an der Zahl der Verurteilungen gering; seine eigentliche Bedeutung liegt in der Schlüsselfunktion für die Ermittlungsbefugnisse, insbesondere zur Überwachung der Telekommunikation73 und für die Anordnung von Untersuchungshaft nach § 112 Abs. 3 und § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO. § 129a ist Qualifikationstatbestand zu § 129 und soll als abstraktes Gefährdungsund Organisationsdelikt im Vorfeld der eigentlich relevanten Straftatbestände terroristische Vereinigungen bekämpfen. Tathandlungen, geschütztes Rechtsgut, Unrechtsgehalt und kriminalpolitische Bedeutung entsprechen dem Grundtatbestand des § 129.74 (b) §§ 89a ff. StGB Mit § 89a will der Gesetzgeber von ihm gesehene Strafbarkeitslücken schließen und stellt Vorbereitungshandlungen zu schweren politisch motivierten Gewalttaten unter Strafe, die nicht unter § 129a und b fallen, weil der Täter unabhängig von einer Vereinigung agiert oder der Bezug zu einer solchen nicht nachweisbar ist und die Taten auch nicht über § 30 erfasst werden können, weil es am erforderliche Konkretisierungsgrad fehlt.75 Geschützte Rechtsgüter sind Bestand und Sicherheit des Staates oder einer der in Abs. 1 genannten Organisationen sowie die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik; mittelbar werden auch die Individualinteressen möglicher Opfer der vorbereiteten Gewalttaten nach Abs. 1 geschützt.76 Die kriminalpolitische Bedeutung des § 89a liegt wie bei den §§ 129 ff. in seiner Schlüsselfunktion.77 § 89a stellt eine außerordentlich weite Vorverlagerung der Strafbarkeitsschwelle in den Bereich vor Versuchsbeginn dar, die vom Gesetzgeber damit begründet wurde, dass bei Selbstmordattentätern die Phase zwischen Vorbereitung und Durchführung zu kurz und deshalb die Vorverlagerung unter Sicherheitsaspekten geboten sei.78 § 89a hat dabei den isoliert handelnden Einzeltäter als Gefährder im Visier und geht mit der Vorverlagerung der Strafbarkeit noch über die §§ 129 ff. hinaus, indem er das Staatschutzstrafrecht in das Vorfeld des Vorfelds ausdehnt.79 Ließen sich die Tatbestände der §§ 129a und b StGB, die sich immerhin auf die besondere, in der Gruppendynamik der Mitglieder der Vereinigung liegende Gefährdung stützen konnten, erst bejahen, wenn der Beweis einer terroristischen Or73
MüKo Schäfer, StGB, § 129 Rn. 6. MüKo Schäfer, StGB, § 129a Rn. 2 ff. 75 MüKo Schäfer, StGB, § 89a Rn. 1; Fischer, StGB, § 89a Rn. 3 m.w.N.; SK-StGB Zöller, § 89a Rn. 3. 76 MüKo Schäfer, StGB, § 89a Rn. 3 m.w.N. 77 MüKo Schäfer, StGB, § 89a Rn. 9; SK-StGB Zöller, § 89a Rn. 8. 78 Fischer, StGB, § 89a Rn. 3; NK-StGB Paeffgen, § 89a Rn. 14. 79 NK-StGB Paeffgen, § 89a Rn. 9. 74
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
ganisationsstruktur geführt wurde, reichen für eine Strafbarkeit nach den §§ 89a ff. StGB neutrale Verhaltensweisen aus. Signifikant als neutrale Verhaltensweise ist das Unterweisen oder Unterweisenlassen in nicht näher bestimmten Fertigkeiten (§ 89a Abs. 2 Nr. 1 StGB) während des Aufenthalts in einem Terrorcamp.80 Die in § 89a Abs. 2 Nrn. 1 – 4 StGB beschriebenen Handlungen vertypen in ihrer äußeren Gestalt keinen rechtsgutsbezogenen Unrechtsgehalt; sie können die von Straftatbeständen zu erwartende Bestimmtheit erst durch den in Abs. 1 Satz 1 enthaltenen Oberbegriff des Vorbereitens gewinnen, dessen Voraussetzungen die Handlungsbeschreibungen im Einzelfall erfüllen sollen.81 Der durch das GVVG-ÄndG eingefügte Abs. 2a des § 89a StGB stellt die Vorbereitung der Vorbereitung einer Vorbereitungshandlung unter Strafe,82 indem er Abs. 1 auch für anwendbar erklärt, wenn der Täter eine schwere staatsgefährdende Gewalttat dadurch vorbereitet, dass er es unternimmt, zum Zweck der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat oder der in Abs. 2 Nr. 1 genannten Handlungen ausreist, um sich in einen Staat zu begeben, in dem Personen im Sinne von Abs. 2 Nr. 1 unterwiesen werden. § 89b stellt als abstraktes Gefährdungsdelikt die Vorbereitung des Vorbereitungsdelikts gemäß § 89a Abs. 2 Nr. 1 unter Strafe, wenn jemand in der Absicht, sich in der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Straftat unterweisen zu lassen, zu einer Vereinigung im Sinne des § 129a, auch in Verbindung mit § 129b, Beziehungen aufnimmt oder unterhält. Die angestrebte Unterweisung in einem Terrorcamp muss dabei auf die Begehung einer staatsgefährdenden Straftat im Sinne von § 89a Abs. 1 (§§ 211, 212, 239a oder b StGB) gerichtet sein.83 Der Tatbestand der Terrorismusfinanzierung in § 89c bedroht das Sammeln, Entgegennehmen oder Zurverfügungstellen von Vermögenswerten mit dem Wissen oder in der Absicht unter Strafe, wenn diese von einer anderen Person zur Begehung von Straftaten nach dem Katalog des Abs. 1 Nrn. 1 – 8 verwendet werden sollen. Dieser Katalog enthält eine äußerst weite Spanne von Straftaten, die in einem denkbaren Zusammenhang mit „Terrorismus“ stehen können.84 § 91 StGB stellt die Anleitung zur Begehung einer schweren staatgefährdenden Gewalttat unter Strafe. Auch dieser Straftatbestand enthält ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das die Lücke schließen soll, die trotz der bestehenden Straftatbestände der §§ 111, 130a StGB und § 52 Abs. 1 Nr. 4 WaffG in den Fällen besteht, wo inhaltlich neutrale Schriften unter Umständen verbreitet werden, die die Gefahr einer Begehung schwerer Straftaten begründen können, oder wenn sich Personen inhaltlich neutrale Schriften in der Absicht der Nutzung für solche Straftaten verschaffen.
80 81 82 83 84
NK-StGB Paeffgen, § 89a Rn. 1. Fischer, StGB, § 89a Rn. 35. NK-StGB Paeffgen, § 89a Rn. 1. Fischer, StGB, § 89a Rn. 3. Fischer, StGB, § 89a Rn. 5.
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Mit § 91 wird damit eine nochmalige Vorverlegung der Strafbarkeitsgrenze bewirkt, die die innersten Vorstellungen einer Person erreicht.85 (2) Schlüsselfunktion für die Überwachungsbefugnisse der Strafprozessordnung und die Untersuchungshaft Um die Bedeutung der Vorfelddelikte zu erfassen, muss man den Vergleich mit dem Prozess der Vorverlagerung im Polizeirecht anstellen. Die Polizeigesetze öffnen das Vorfeld der konkreten Gefahr zwecks Wahrnehmung der Aufgabe zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten durch Absenken der Eingriffsschwelle von der konkreten Gefahr zum Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte oder der Annahme von Tatsachen für die bevorstehende Begehung von Straftaten; auf diese Weise wird der Polizei die frühere Möglichkeit zum Einschreiten gegeben. Das Straf- und Strafverfahrensrecht ermöglicht diese Vorverlagerung ohne die Absenkung der mit der konkreten Gefahr des Polizeirechts korrespondierenden Eingriffsschwelle des § 152 Abs. 2 StPO, indem das frühere strafprozessuale Einschreiten unmittelbar mit den Vorfelddelikten gelingt.86 Die eigentliche Bedeutung der Vorfeldtatbestände der §§ 129 ff. und §§ 89a ff. StGB liegt indes in ihrer Schlüsselfunktion;87 sie sind der Hebel für die Nutzung der verdeckten Eingriffsbefugnisse der Telekommunikationsüberwachung (§ 100a), der Online-Durchsuchung informationstechnischer Systeme (§ 100b), der akustischen Überwachung mit technischen Mitteln innerhalb (§ 100c) und außerhalb von Wohnungen (§ 100f), der Erhebung von Verkehrsdaten (§ 100g), der Herstellung von Bildaufnahmen außerhalb von Wohnungen (§ 100h), der technischen Ermittlungsmaßnahmen (§ 100h), der technischen Ermittlungsmaßnahmen bei Mobilfunkendgeräten (§ 100i) und der Bestandsdatenauskunft (100j). Die Schlüsselfunktion erschließt zudem die Möglichkeit der Untersuchungshaft bzw. den Haftgrund der Wiederholungsgefahr; § 112 Abs. 3 lässt die Untersuchungshaft ohne einen Haftgrund nach Abs. 2 bei Tatverdacht für § 129a Abs. 1 oder Abs. 2 auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1 zu und § 112a sieht den Haftgrund der Wiederholungsgefahr auch für die §§ 89a und c Abs. 1 – 4 StGB vor, sodass gemäß § 122a StPO Untersuchungshaft bis zu einem Jahr zulässig sein kann. 4. Neue Vorstellungen von Kriminalitätsbekämpfung Seit 2015 sind zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der organisierten Kriminalität Vorstellungen und Modelle präsentiert worden, die die bisherigen Aufgabenzuweisungen in den Polizeigesetzen und der Strafprozessordnung einschließlich der diesen Gesetzen zugrundeliegenden verfassungsrechtlichen 85 86 87
Rn. 8.
Fischer, StGB, § 91a Rn. 3. Möstl, Garantie, S. 206. NK-StGB Paeffgen, § 89a Rn. 1; Fischer, StGB, § 89a Rn. 6; SK-StGB Zöller, § 89a
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
Grundlagen in Frage stellen. Es geht um ein neuartiges Kriminalpräventionsrecht, in dem das Polizeirecht und das Strafverfahrensrecht zwecks effektiverer und rechtsstaatlicherer Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Terrorismus neu zugeschnitten werden, und um ein einheitliches Ermittlungsrecht für verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen, das ebenfalls diesen Zielen dienen soll. a) Kriminalpräventionsrecht aa) Konzeption Die von Bäcker im Jahr 2015 vorgelegte Habilitationsschrift „Kriminalpräventionsrecht“ vermisst das Straf- und Strafverfahrensrecht und das Polizeirecht neu. Der Untertitel kennzeichnet die Arbeit als rechtssetzungsorientierte Studie zum Polizeirecht, zum Strafrecht und zum Strafverfahrensrecht. Bäcker versteht seine Arbeit als Beitrag zu einer rechtssetzungsorientierten Sicherheitsrechtswissenschaft und seine Vorschläge für eine Neuordnung des Straf- und Strafverfahrensrechts sowie des Polizeirechts als hypothetische Imperative.88 Sein Kriminalpräventionsrecht, das das Polizeirecht und das Recht des strafprozessualen Ermittlungsverfahrens umfasst,89 gestaltet das bestehende System des Nebeneinander von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung inhaltlich und organisatorisch grundlegend neu. Es geht um Veränderungen bei der Kriminalitätsbekämpfung, mit der die Polizei selbstständig eine immer weiter ausgreifende Kriminalprävention betreibt, um komplexe kriminelle Strukturen einzudämmen und Tatgelegenheiten zu vermindern. Hier will Bäcker Lösungen anbieten, wie das Recht ein solches polizeiliches Vorgehen ermöglichen, aber auch rechtsstaatlich disziplinieren kann.90 bb) Wesentliche Komponenten (1) Kriminologisches Strukturmodell Für Bäcker kennzeichnet das Kriminalpräventionsrecht das polizeiliche Eingriffsrecht, soweit es einer selektiven Kriminalprävention dient;91 er fasst also den Begriff der Kriminalprävention enger als das in der Kriminologie gängige dreistufige Strukturmodell der universellen (primären) Prävention, die sich an die Allgemeinheit richtet und die allgemeinen Ursachen der Kriminalität durch Einflussnahme auf Erziehung und Sozialisation, Ausbildung und Beruf, Wohnung, Freizeit und Erholung angehen will, der selektiven (sekundären) Prävention, die an bereits erkennbare Risiken und Gefährdungslagen anknüpft, sich an potenzielle Täter und Opfer wendet und gleichzeitig kriminalitätsgefährdete Orte und Situationen im Auge hat, um 88 89 90 91
Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 22 f. Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 7. S. Klappentext. Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 7.
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insbesondere mit den Mitteln des Polizeirechts Tatgelegenheitsstrukturen zu bekämpfen, und die indizierte (tertiäre) Prävention, die sich gegen Straftäter mit dem Ziel richtet, Wiederholungstaten mit allen Formen der reaktiven sozialen Kontrolle, insbesondere mit strafrechtlichen Sanktionen im Sinne der negativen Spezialprävention durch Inhaftierung zu verhindern.92 Bäckers Studie hat die selektive Prävention zum Gegenstand, weil sie an Faktoren anknüpft, die das Risiko der Begehung von Straftaten in bestimmten Situationen, bei Personen oder Sachen bzw. an bestimmten Orten erhöhen.93 Es geht dabei aber auch um das Strafrecht als Sanktionsordnung, weil es heute in erheblichem Ausmaß für eine selektive Prävention genutzt wird und immer mehr Handlungen im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung unter Strafe gestellt werden; mit dieser Vorverlagerung des strafrechtlichen Sanktionsregimes wird das Strafverfahren mittelbar auch zu einer präventiven Ordnung umgestaltet, in der Strafsanktionen dazu dienen, drohende Straftaten zu verhindern.94 (2) Verlagerung der strategischen Überwachung aus den Polizeigesetzen in die Strafprozessordnung Nach Bäcker bedarf es bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Terrorismus einer strategischen Präventionsplanung, die in eine übergreifende Präventionsstrategie eingebettet ist.95 Strategische Überwachung soll komplexe kriminelle Strukturen ausleuchten, um sie zu zerschlagen oder zumindest nachhaltig zu stören und ist primär darauf gerichtet, strafrechtliche Sanktionen zu verhängen.96 Nur mit den Mitteln des Strafrechts, insbesondere der Freiheitsentziehung könnten gefährliche Akteure aus dem Verkehr gezogen und auf diese Weise auch die kriminellen Strukturen angegriffen werden; das Polizeirecht mit seinen Eingriffsermächtigungen biete solche nachhaltigen Lösungen nicht.97 Daraus resultiert die Forderung, die strategische Überwachung komplexer krimineller Strukturen aus den Polizeigesetzen herauszulösen und in die Strafprozessordnung zu überführen. Dies Planungsrecht der Kriminalprävention und die von ihm getragenen strategischen Überwachungsmaßnahmen würden zwar im Vorfeld des § 152 Abs. 2 StPO stattfinden und brächen mit der hergebrachten Systematik des Strafverfahrensrechts, doch ist für Bäcker eine rechtsstaatlich eingehegte strafprozessuale Lösung verfassungsrechtlich machbar, auch wenn die Schwelle des Anfangsverdachts dafür fallen muss; eine rechtsstaatlich tragfähige Alternative ist für ihn nicht erkennbar.98 Bäcker kommt zu dieser Lösung, weil er Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG rein final versteht 92 93 94 95 96 97 98
Meier, Kriminologie, § 10 Rn. 13 ff.; Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 7. Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 7. Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 10. Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 293 ff. Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 380. Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 381. Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 382.
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und dem Bund eine umfassende Gesetzgebungskompetenz für alle der Strafverfolgung dienenden Überwachungsermächtigungen auch für die Fälle zuweist, wo Straftaten noch gar nicht begangen worden sind.99 Die von der Polizei nunmehr im Rahmen der Strafprozessordnung zu erbringende strategische Überwachung soll allerdings nicht der Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft unterliegen, weil diese ansonsten verpolizeilicht würde und als justizielle Kontrollinstanz ausfiele, wenn sie wie eine Polizeibehörde kriminalstrategisch agieren würde.100 Die situations-, personen- und ortsbezogene selektive Kriminalprävention soll in den Polizeigesetzen verbleiben, weil sie nicht Gegenstand einer übergreifenden Präventionsstrategie ist und mit ihrem Bezug auf einen bestimmten Anlass, eine bestimmte Person oder eine bestimmte Örtlichkeit keiner übergeordneten Planung bedarf.101 Bäcker würde also die alltägliche präventive Polizeiarbeit gegen als gefährlich erkannten Personen, Örtlichkeiten und Anlässen der schutzpolizeilichen Streifentätigkeit auf der Grundlage der Polizeigesetze überlassen. (3) Erweiterte Strafverfolgung durch kriminalpräventives Strafrecht in Gestalt abstrakter Gefährdungsdelikte Kriminalpräventives Strafrecht gestaltet das Strafverfahren in eine auch präventive Ordnung um.102 Es wird ein Verhalten strafbewehrt, weil es das Potential in sich trägt, bei ungehinderter Entwicklung in der Zukunft zu einem unerwünschten Zustand beizutragen, ohne dass schon die Schwelle zum Versuch überschritten oder sonst eine krisenhafte Situation entstanden wäre; Strafbarkeit soll so früh einsetzen, dass ein Schaden im Einzelfall mit strafrechtlichen Mitteln verhütet werden kann.103 Unter kriminalpräventivem Strafrecht versteht Bäcker Normen, die eine Handlung unter Strafe stellen, weil sie in weitere Straftaten des Handelnden oder Dritter einzumünden drohen.104 Kriminalpräventive Straftatbestände verweisen auf eine Bezugstat, die zum Zeitpunkt der Tathandlung des jeweiligen kriminalpräventiven Straftatbestands noch nicht vorliegt und zu der auch noch nicht unmittelbar angesetzt wurde; der kriminalpräventive Tatbestand kriminalisiert im Hinblick auf diese Bezugstat das ansonsten straffreie Vorfeld des Versuchs und verlagert auf diese Weise das Strafrecht vor.105
99
Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 249. Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 392. 101 Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 296 ff. 102 Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 31. 103 Bäcker, in: FS Schenke, S. 332. 104 Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 333. 105 Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 333 f.
100
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Regelungsmodell des kriminalpräventiven Strafrechts – wie des Präventionsstrafrechts insgesamt – ist das abstrakte Gefährdungsdelikt.106 Abstrakte Gefährdungsdelikte beziehen sich auf ein Verhalten, das für sich genommen Rechtsgüter weder verletzt noch konkret gefährdet, aber unter bestimmten Eintrittsbedingungen zukünftig zu einer solchen Verletzung oder Gefährdung führen kann.107 Bäcker unterscheidet dabei Anschließungs-, Kooperations- bzw. Organisations- und Vorbereitungsdelikte.108 So verstandenes Strafrecht hat strafprozessuale Auswirkungen, die den Anwendungsbereich des Strafverfahrensrechts schon im Vorfeld der Rechtsgutsverletzung eröffnen, das Strafverfahren präventiv ausrichten und mit der Erweiterung der materiellen Strafbarkeit auch die Zuständigkeit der Strafverfolgungbehörden vorverlagern.109 So öffnet das kriminalpräventive Strafrecht das Tor für strategische Überwachungen, die sich nicht primär gegen eine einzelne Tat oder einen einzelnen Täter richten, sondern vielmehr kriminelle Milieus und Organisationen möglichst weitwinklig erfassen.110 (4) Reformvorschläge (a) Rechtsstaatlich gebändigtes Präventionsstrafrecht und strafprozessuales Vorfeldrecht111 Zur Reform des gegenwärtig praktizierten Kriminalpräventionsrecht, das für Bäcker vor allem daran krankt, dass es ihm an einem die materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Vorverlagerungen verknüpfenden Regelungskonzept fehlt, bietet er zwei Modelle an. Seine große Lösung besteht darin, dass das Präventionsstrafrecht und das strafprozessuale Vorfeldrecht rechtsstaatlich dadurch gebändigt werden, dass ersteres reduziert und durch ein strafprozessuales Vorfeldrecht unterhalb der Schwelle des hinreichenden Tatverdacht gemäß § 152 Abs. 2 StPO ergänzt und teilweise ersetzt wird.112 Insoweit hat Bäcker zwar Bedenken, weil ein strafprozessuales Vorfeldrecht mit dem hergebrachten System der StPO bräche, sieht jedoch keine realistische und rechtsstaatliche Alternative, um zu verhindern, dass der Rechtsgüterschutz in das Polizeirecht verlegt wird; die rechtsstaatliche Reinheit des Strafverfahrensrechts könnte dann nur um den noch höheren Preis gravierender rechtsstaatlicher Verwerfungen verteidigt werden.113
106 107 108 109 110 111 112 113
Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 320. Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 320 f. Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 355 f. Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 335. Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 341. Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 387. Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 389. Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 389.
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(b) Alternative: Einbindung der Staatsanwaltschaft in präventivpolizeiliche Verfahren Da Bäcker selber die Realisierungschance eines strafprozessualen Vorfeldrechts skeptisch sieht, bietet er als zweitbeste Lösung an, die Staatsanwaltschat in das präventivpolizeiliche Vorfeldverfahren einzubinden, um so die bei der Bekämpfung komplexer krimineller Strukturen gegebenen strukturellen Gemengelagen von Strafrecht und Polizeirecht in den Griff zu bekommen.114 bb) Kritische Anmerkungen115 (1) Bedingte Eignung des Strafrechts für eine strategische operative Kriminalitätsbekämpfung und Unterschätzung der Möglichkeiten des Polizeirechts Bäcker hat für seine These, dass nur das Strafrecht in der Lage sei, kriminelle Strukturen dadurch zu zerschlagen bzw. zumindest empfindlich zu stören, dass die Hintermänner organisierter Kriminalität festgenommen und durch Bestrafung aus dem Verkehr gezogen würden,116 keine Belege geliefert. Die Auffassung, dass nur das Strafrecht zur Bekämpfung von Schwerkriminalität tauge, hatte schon Rachor vertreten; Straftaten verhindern könne die Polizei mit den Mitteln des Polizeirechts gar nicht; schließlich könne sie schwerkriminelle Täter ja nicht erschießen.117 Dagegen belegen die vorhandenen Erkenntnisse zum Ertrag von Strafverfahren gegen die organisierte Kriminalität eher die beschränkten Möglichkeiten des Strafrechts. So hat es 2017 572 Verfahren und in 2018 535 OK-Verfahren gegeben.118 Der Ertrag des Strafrechts durch Verurteilungen – aussagekräftige Verurteilungsstatistiken fehlen –, ist bescheiden. Zur Verdeutlichung soll von folgendem durchaus typischen OK-Verfahren ausgegangen werden. Die Staatsanwaltschaft erhebt nach einem zeitund personalaufwändigen Ermittlungsverfahren Anklage gegen mehrere in U-Haft sitzende Angehörige einer Tätergruppierung wegen § 129 StGB. Das Verfahren zieht sich hin, die Angeklagten sind zwischenzeitlich aus der U-Haft entlassen worden, nehmen das Urteil von drei Jahren auf freiem Fuß entgegen und steigen nach Verbüßung der verhängten Reststrafe – um einige Tätowierungen reicher – in der Hierarchie der Organisation auf, weil sie deren Ehrenkodex eingehalten haben. Auch die Logistikstrukturen lassen sich bei fehlender Verurteilung von Hintermännern mit den Mitteln des Strafrechts nicht nachhaltig angreifen. Aber selbst wenn es gelingen sollte, eine ganze Tätergruppierung auszuheben, bleiben die Logistikstrukturen im Wesentlichen erhalten und können von der nächsten Täter114
Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 394. Zur Beachtung der verfassungsrechtlichen Grenzen s. 2. Teil, 3. Abschnitt, C. IV. 1. b) aa) (1) (b). 116 Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 380 ff. 117 Rachor, HdBPR (5. Aufl.) E. Rn. 285. 118 S. 3. Teil, 3. Abschnitt, C. III. 2. 115
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gruppierung übernommen werden. Hier kann das Strafrecht sogar den kontraproduktiven Effekt haben, dass am Ende die am besten organisierten Tätergruppierungen als Oligopol übrigbleiben.119 (2) Folgen für die Polizei Das Kriminalpräventionsrecht hätte mit der Überführung der kriminalstrategischen Kriminalitätsbekämpfung in die Strafprozessordnung bei Belassung der situativen Verhinderung vor Ort in den Polizeigesetzen das Ende der Einheitspolizei zur Folge, die sich in den vergangenen Jahrzehnten bewährt hat. Die Polizei hat zwar mit der Schutz- und der Kriminalpolizei zwei Sparten (i.S. von Organisationsbereichen mit unterschiedlichen Arbeitsschwerpunkten), sie ist aber keine Spartenpolizei, weil ihre beiden Hauptaufgaben Gefahrenabwehr und Strafverfolgung jeweils Aufgaben für beide Sparten sind. Im Modell von Bäcker nähme die Kriminalpolizei auf dem Schoße der Staatsanwaltschaft Platz und organisierte mit dieser die strategische Kriminalitätsbekämpfung und erledigte mit dieser die qualifizierte Bearbeitung von Tötungs-, Sexual- und Wirtschaftsdelikten. Für die Schutzpolizei bliebe der Straßenverkehr, die Aufrechterhaltung der Sicherheit bei Veranstaltungen, die Bekämpfung der Gewalt beim Fußball und bei Demonstrationen und die Rolle als Fußtruppe der Kriminalpolizei bei der Bekämpfung der Straßenkriminalität. (3) Fazit Bäcker teilt die Sorge derer, die der Ansicht sind, dass die Ausweitung der präventiven Tätigkeit der Polizei in den Polizeigesetzen eine Gefahr für den Rechtsstaat darstellt.120 Wenn denn Kriminalitätsbekämpfung vorverlagert werden müsse, dann in der Strafprozessordnung, weil dort rechtsstaatliche Sicherungen gewährleistet seien.121 Dieses Bild vom Polizeirecht als permanenter Herausforderung für den Rechtsstaat und von der Strafprozessordnung als dessen Zufluchtsort trifft nicht zu; das Polizeirecht braucht den Vergleich mit der Strafprozessordnung in Sachen Rechtsstaatlichkeit nicht zu scheuen, im Gegenteil ist ersteres letzterem hinsichtlich der Qualität von Eingriffsschwellen, der Anwendung und Handhabung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der Rechtsschutzmöglichkeiten und der Ausgestaltung des Grundrechtsschutzes durch Verfahren überlegen.122 Kriminalitätsbekämpfung im Vorfeld, ob unterhalb der Schwelle der konkreten Gefahr oder des konkretisierten Tatverdachts, bedarf rechtsstaatlicher Sicherungen. Diese können in den Polizeigesetzen aber ebenso wie in der Strafprozessordnung vorgesehen werden, und es ist nicht einsichtig, warum eine längere Präventivhaft im
119 120 121 122
Sieber, JZ 1995, 766. S. 2. Teil, 4. Abschnitt, E. II. 3. a). Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 389 ff. S. 2. Teil, 4. Abschnitt, E. II. 3. c).
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Polizeirecht von vornherein unzulässig sein soll,123 wo doch eine auf der Grundlage der Strafprozessordnung vollzogene Untersuchungshaft bis zu einem Jahr124 gegen terroristische Gefährder eine im Strafverfahrensrecht systemwidrig angesiedelte Präventivhaft ist.125 Bei aller Kritik am Kriminalpräventionsrecht muss aber anerkannt werden, dass Bäcker die Bedeutung der Bekämpfung krimineller Strukturen auf einer Strategieebene wieder zum maßgeblichen Thema gemacht hat. Seine Vorstellungen von einem Planungsrecht der Kriminalprävention können – insbesondere im Hinblick auf die Konzeptpflichtigkeit polizeilicher Vorfeldmaßnahmen126 – eins zu eins auch in den Polizeigesetzen untergebracht werden und würden in Zeiten einer Neuorientierung der Polizeigesetze für dogmatische Konturen und weitere rechtsstaatliche Einhegung neuer Vorfeldmaßnahmen bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der organisierten Kriminalität sorgen. b) Einheitliches Ermittlungsrecht für verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen zur Abwehr von Straftaten Die Arbeit von Brodowski „Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrechts“127, mit dem Untertitel „Zur rechtsstaatlichen und rechtspraktischen Notwendigkeit eines einheitlichen operativen Ermittlungsrechts“ will die verdeckten technischen Ermittlungsmaßnahmen der Polizeigesetze und der Strafprozessordnung als modernes operatives Ermittlungsrecht in der Strafprozessordnung neu regeln. aa) Wesentliche Inhalte (1) Überwindung der Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung Brodowski stellt die unserer Rechtsordnung zugrundeliegende Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung in Frage. Der herrschenden Auffassung, dass diese Trennung rechtsstaatliche Qualität hat,128 stellt er die steile These entgegen, dass gerade die Trennung der beiden Rechtsgebiete im geltenden Recht zu einer Gemengelage von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung geführt habe, die die Ursache für erhebliche rechtsstaatliche Gefahren sei.129 Renommierten deutschen 123
S. dazu Gierhake, Zusammenhang, S. 414 ff. S. § 122a StPO. 125 Gärditz, JZ 2016, 513. 126 MVLVerfG, LKV 2000, 149 (156); VGH Mannheim, NVwZ 2004, 498 (504 ff.); Kral, Vorfeldbefugnisse, S. 217 f.; Möllers, NVwZ 2000, 382 (387). 127 Tübingen 2016. 128 S. 2. Teil, 3. Abschnitt, D. II. 4. a). 129 Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 568. 124
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Staatsrechtslehrern, die von der zwingenden Unterscheidung von Prävention und Repression ausgehen, weil erstere prognostisch ist und unter Ungewissheitsbedingungen operiert, während das Strafrecht nur einen Vergangenheitsbezug hat und der Prognose enthoben ist,130 hält er entgegen, dass das Strafverfahrensrecht in seiner modernen operativen Gestalt von der Ungewissheit geprägt sei, ob sich der Anfangsverdacht durch die zu ergreifenden, insbesondere verdeckten Ermittlungsmethoden tatsächlich bestätigen lasse.131 Rechtsmethodologisch outet sich Brodowski bei seiner Auseinandersetzung mit der von der herrschenden Auffassung in der Staatsrechtslehre für unverzichtbar gehaltenen diametralen Verschiedenheit eines prospektiven Gefahrenabwehrrechts und eines retrospektiven Strafverfahrens in der Weise, dass solche theoretischen Differenzierungen für ihn an Ertragskraft verlieren, „soweit das Recht Öffnungsmöglichkeiten enthält, die es Akteuren auf Basis des geltenden Rechts erlaubt, in der Praxis aus diesen Denkmustern auszubrechen.“132 Das neue operative einheitliche Ermittlungsrecht, das nur die drei Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung, des Lauschangriffs und der Online-Durchsuchung zum Gegenstand hat, soll in der Strafprozessordnung unter der Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft und auf der Grundlage neuer rechtsstaatlicher Absicherungen geregelt werden. Den dem Anfangsverdacht des § 152 Abs. 2 StPO vorgelagerten Bereich der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung bzw. der Vorfeldermittlungen bezieht Brodowski nicht in sein einheitliches Ermittlungsrecht ein, weil die von ihm festgestellte rechtsstaatlich und rechtspraktisch bedenkliche Gemengelage von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung sich vorrangig auf Maßnahmen beziehe, die erst bei Vorliegen einer konkreten Gefahr und eines Anfangsverdachts zulässig seien.133 (2) Vorliegen einer Gemengelage Brodowski geht von einer allgemeinen Gemengelage von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung aus;134 bei fast allen Delikten der Kriminalitätsbekämpfung kommt für ihn eine Gemengelage zustande, weil auch nach dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 152 Abs. 2 StPO die durch die Verletzung der Strafrechtsnorm als Bestandteil der öffentlichen Sicherheit der Generalklausel des Polizeirechts eingetretene Störung als realisierte konkrete Gefahr noch fortdauert.
130
Möstl, Garantie, S. 157 f.; ders., BeckOK PSR Bayern, Vorbem. Rn. 90; Denninger, HdBPR, D. Rn. 171; Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1 Rn. 16; Gärditz, Strafprozeß, S. 29 ff. 131 Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 568. 132 Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 7. 133 Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 315 f. 134 Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 550 ff.; Brodowski/Jahn/Schmitt-Leonardy, GSZ 2017, 7 und GSZ 2018, 7.
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(3) Rechtsstaatliche Gefahrenlagen Brodowski beklagt die Fragmentierung des Rechts, die dadurch eintritt, dass Polizeirecht und Strafprozessrecht nicht in ausreichendem Umfang miteinander korrespondieren, also ein Rechtsgebiet in seinen Möglichkeiten hinter dem anderen zurückbleibt, etwa wenn das Polizeirecht eine Überwachungsmaßnahme unter geringeren tatbestandlichen Voraussetzungen zulässt als die Strafprozessordnung.135 Das hätte dann nach Brodowskis Auffassung die negative Folge, dass die wechselseitige Verwendbarkeit von Präventiv- und Repressivdaten in Frage gestellt wird.136 Eine rechtsstaatliche Verwerfung sieht Brodowski auch beim Kernbereichsschutz, wenn eine verdeckte technische Ermittlungsmethode nur in einem Rechtsgebiet vorgesehen ist oder die Regelungen in beiden Rechtsgebieten nicht aufeinander abgestimmt worden sind.137 Insoweit bestehe hier die Versuchung, sich der jeweils günstigeren Regelung zu bedienen.138 In dieselbe Richtung geht Brodowskis Kritik am sogenannten „Befugnisshopping“, das eine missbräuchliche Auswahl der einschlägigen Befugnisnorm oder des Gerichtsstands ermöglicht, weil die Ermittler darüber entscheiden können, ob sie zur Gefahrenabwehr oder zur Strafverfolgung tätig werden wollen.139 Weiter beklagt Brodowski, dass eigenständige Ermittlungsbefugnisse der Polizei in der Gemengelage die staatsanwaltliche Sachleitungsbefugnis unterminieren, mit der Folge, dass der für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren zuständige Staatsanwalt seiner Kontrollfunktion nicht nachkommen kann.140 Im Hinblick auf die Möglichkeiten einer operativen Bekämpfung krimineller Strukturen, etwa der Ermittlung von Hintermännern oder der Frage der Zulässigkeit einer Zulassung von Straftaten, vermisst Brodowski eine normenklare und normenbestimmte Gesamtabwägungsmöglichkeit durch den Staatsanwalt.141 (4) Rechtspraktische Gefahrenlagen Aus der Fragmentierung der Kriminalitätsbekämpfung in zwei Regelungsbereiche ergibt sich für Brodowski die Unmöglichkeit, bei der Anordnung einer Überwachungsmaßnahme nach einem Rechtsgebiet im Rahmen der jeweils vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung auch diejenigen Gründe zu berücksichtigen, die nach dem anderen Rechtsgebiet für die angeordnete Überwachung sprechen.142 Weil bei einer Verhältnismäßigkeitsprüfung der jeweils verfolgte Zweck mit den beeinträchtigten Grundrechtspositionen ins Verhältnis zu setzen sei, sei eine „ge135 136 137 138 139 140 141 142
Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 352 f. Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 353 f. Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 353. Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 353. Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 355 f. Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 356. Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 356 f. Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 357 f.
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kreuzte“ Berücksichtigung der für eine Überwachung sprechenden Gründe nicht möglich. Überwögen demnach präventive und repressive Gründe nur gemeinsam, nicht aber jeweils für sich die gegen eine Überwachung sprechenden Aspekte, so sei die Angemessenheit der Überwachungsmaßnahme de lege lata zu verneinen. Das ließe sich nach Brodowskis Auffassung nur umgehen, „wenn man entgegen der sonstigen Verhältnismäßigkeitsdogmatik auch andere als die durch die jeweilige auf einen Bereich beschränkte Rechtsgrundlage verfolgten Zwecke berücksichtigt.“143 (5) Lösungsmodelle Brodowski bietet für sein einheitliches Ermittlungsrecht eine große und eine kleine Lösung an.144 Die große stellt ein rechtspolitisches Modell dar, das nur mit Hilfe des verfassungsändernden und des einfachen Gesetzgebers verwirklicht werden könnte, die kleine Lösung soll sich dagegen innerhalb des geltenden Kompetenzrahmens durch Konvergenz, Koordination und Kooperation realisieren lassen. (a) Große Lösung Um sein einheitliches Ermittlungsrecht in der StPO verankern zu können, schlägt Brodowski eine Anpassung der Gesetzgebungszuständigkeit in Art. 74 Abs. 1 GG vor, der um einen Kompetenztitel Nr. 34 „die Abwehr von Straftaten“ als neuer Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes erweitert wird.145 Einen Verstoß gegen die Länderhoheit für die allgemeine Gefahrenabwehr sieht Brodowski nicht, weil der Bund die straftatbezogene Gefahrenabwehr ohnehin schon jetzt dadurch determiniere, dass ihm die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für den Erlass von Strafnormen zugewiesen sei, mit denen er das Verhalten von Personen, das in die Begehung einer Straftat münden kann, zum Gegenstand der Gefahrenabwehr machen könne.146 Überdies sei die Annahme einer gefahrenabwehrrechtlichen Annexkompetenz des Bundes bezüglich der Begehung von Straftaten jedenfalls diskutabel, weil die Gefahrenabwehr mittels Prävention durch Strafrecht ohnehin schon dem Bund zugewiesen sei.147 Das allgemeine Polizeirecht werde dadurch nicht berührt, weil diesem ein weites Anwendungsgebiet verbleibe, wie es sich in der Mannigfaltigkeit der derzeitigen gefahrenabwehrenden Tätigkeiten der Polizei- und Ordnungsbehörden zeige.148 (b) Kleine Lösung Da Brodowski selber Bedenken hinsichtlich der Realisierung seiner großen Lösung hat – die in Ansehung der für seine Grundgesetzänderung erforderlichen 2/3 143 144 145 146 147 148
Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 558. Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 571 ff. Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 573. Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 573. Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 573. Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 573 ff.
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Mehrheit in Bundestag und Bundesrat gemäß Art. 79 Abs. 2 GG nur allzu berechtigt sind –, schlägt er alternativ eine kleine Lösung vor, mit der durch Konvergenz, Koordination und Kooperation ein einheitliches Ermittlungsrecht im Rahmen des geltenden Rechts verwirklicht werden könne. In Ansehung der bestehenden Gemengelage könnten Bund und Länder bei der Abfassung von Überwachungsmaßnahmen in der Strafprozessordnung und den Polizeigesetzen kooperieren, das Bundesverfassungsgericht und die Verfassungsgerichte der Länder ihre Rechtsprechung zu verdeckten technischen Überwachungsmaßnahmen einander angleichen und die Exekutive die vorhandenen Kooperations- und Koordinationsmöglichkeiten bei der Kriminalitätsbekämpfung mit verdeckten technischen Überwachungsmaßnahmen ausschöpfen.149 bb) Kritische Anmerkungen150 (1) Gegenstand der Arbeit Brodowskis Beschränkung auf die drei verdeckten technischen Überwachungsmaßnahmen der Telekommunikationsüberwachung, der Online-Durchsuchung und des Einsatzes technischer Mittel zur Überwachung von Wohnungen überzeugt nicht. Zunächst hätte auch die Überwachung durch Einsatz technischer Mittel außerhalb von Wohnungen dazugehört. Vor allem ist aber die Beschränkung auf technische Maßnahmen nicht einsichtig, weil die von Brodowski abgehandelten rechtsstaatlichen Verwerfungen und rechtspraktischen Gefahrenlagen nicht technikspezifisch sind und es deshalb nahegelegen wäre, auch die nichttechnischen verdeckten Maßnahmen der kurz- und längerfristigen Observation und des Einsatzes von VLeuten und verdeckten Ermittlern in die Untersuchung einzubeziehen. (2) Methodik der Arbeit Der „rechtsmethodische Ansatz“ von Brodowski, dass theoretische Differenzierungen zur Notwendigkeit der Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung an Ertragskraft verlören, soweit das Recht Öffnungsmöglichkeiten enthalte, die es auf der Basis des geltenden Rechts erlaubten, in der Praxis aus Denkmustern auszubrechen,151 bleibt nebulös. Öffnungsmöglichkeiten könnten bestehen, wenn der Gesetzgeber diesbezüglich unbestimmte Rechtsbegriffe in Generalklauseln verwendet oder Ermessen eingeräumt hätte. Insoweit konkretisiert Brodowski seinen methodischen Ansatz aber nicht, sondern nimmt offensichtlich eine, woher auch immer hergeleitete Rechtsfortbildungskompetenz zur Einebnung der Unterschiede von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung in Anspruch.
149 150 151
Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 575 ff. Zur Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben s. 2. Teil, 3. Abschnitt, D. II. Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 7.
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(3) Ergebnisse Brodowski geht von einer allgemeinen Gemengelage von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung aus,152 in der nicht mehr zwischen bereits begangenen und noch bevorstehenden Straftaten unterschieden werden könne. Wenn die stetige Wiederholung von Einzelstraftaten zur Regel werde, führe die strikte Trennung zwischen Prävention vor einer zukünftigen Tat und Repression nach einer beendeten Tat zur künstlichen Aufspaltung eines einheitlichen Ermittlungsgeschehens.153 Ist aber eine Unterscheidung zwischen schon begangenen und noch bevorstehenden Straftaten nicht mehr möglich, geht es nicht um die Gemengelage, in der eine konkrete Gefahr durch die Begehung einer Straftat entsteht, sondern um das Vorfeld der konkreten Gefahr, in dem Straftaten vorbeugend bekämpft, also verhütet werden sollen. Zu diesem Zeitpunkt besteht aber keine Gemengelage von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, weil das Strafverfahrensrecht kein Vorfeld des § 152 Abs. 2 StPO kennt, also sogenannte Vorfeld-, Initiativ- und Strukturermittlungen strafverfahrensrechtlich unzulässig sind.154 Anders als Brodowski es offensichtlich annimmt, liegt in den von ihm geschilderten Bereichen organisierter oder sonst verfestigter Strukturen keine konkrete Gefahr durch Begehung von Straftaten vor, weil die in solchen kriminellen Strukturen bevorstehenden Straftaten noch keinen bestimmten Personen zugerechnet werden können. Die kriminelle Struktur selber ist keine konkrete, sondern nur eine abstrakte Gefahr, weil es in ihr früher oder später mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu Straftaten kommen wird,155 die mit den Mitteln des Polizeirechts im Vorfeld der konkreten Gefahr vorbeugend zu bekämpfen sind. Wenn Brodowski davon ausgeht, dass die Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im geltenden Recht die Gemengelage erst bewirkt und damit die rechtsstaatlichen Verwerfungen verursacht habe156 und stattdessen die parallele Anwendung der Befugnisnormen des Polizei- und Strafverfahrensrechts als Lösung anbietet, verkennt er nicht nur die rechtsstaatliche Qualität der Trennung der beiden Rechtsgebiete, sondern auch die Bedeutung der Rechtsfigur Gemengelage. Das rechtsstaatliche Gebot klarer Verantwortungszuweisungen verlangt, den Zweck einer polizeilichen Maßnahme vor ihrem Ergehen festzulegen. Ist eine überschneidungsfreie Zuordnung der Aufgaben Gefahrenabwehr und Strafverfolgung durch die beteiligten Gesetzgeber nicht erfolgt und so ein Überschneidungsbereich entstanden, hat die Polizei ihn dadurch zu beseitigen, dass sie sich bei der von ihr zu treffenden Maßnahme von vornherein auf einen Zweck festlegt.157 Damit ist die Gemengelage als Rechtsfigur überflüssig und entfällt als zentraler Argumentationstopos in Brodowskis einheitlichem Ermittlungsrecht. 152 153 154 155 156 157
Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 13. Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 323. S. 2. Teil, 4. Abschnitt, B. I. 4. b). S. 3. Teil, 3. Abschnitt, A. II. 1. b). Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 568. S. 2. Teil, 4. Abschnitt, C. III. 2. b).
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
(4) Fazit Nachdem das materielle Strafrecht durch die Vorfeldkriminalisierung zum Gefahrenabwehr- und Kriminalbekämpfungsrecht geworden ist, setzt Brodowski noch eins drauf und macht auch aus der Strafprozessordnung ein Kriminalitätsbekämpfungsgesetz.
B. Kriminologie: Kriminalitätsbekämpfung als Kriminalprävention I. Erklärung der Kriminalität Anders als die Kriminalistik, die Straftaten aufklären will, geht es der Kriminologie um die Erklärung der Kriminalität als gesellschaftlichem Phänomen.158 Sie fragt auf der Makroebene nach den Erscheinungsformen, Ursachen und Opfern der Kriminalität und will das reale Kriminalitätsaufkommen abbilden.159 Als Grundlage einer präventiven Kriminalpolitik will die Kriminologie auch wissen, wie man der Kriminalität wirksam begegnen kann. Dabei ist sie breiter aufgestellt als das Strafrecht und die Kriminalistik, weil zur Prävention nicht nur der Staat, sondern auch gesellschaftliche Kräfte und die Wirtschaft in der Verantwortung gesehen werden.160 Nachdem die Kriminalprävention in den 1990er Jahren Forschungsfeld der Kriminologie wurde, ist das dreigliedrige Modell einer Kriminalprävention konzipiert worden, das auf den drei Wirkungsebenen der primären bzw. universellen, der sekundären bzw. selektiven und der tertiären bzw. indizierten Prävention die Kriminalitätsentwicklung beeinflussen will.161 Jeweils differenziert bezogen auf den potenziellen Täter, die Situation, in der Straftaten begangen werden und das potenzielle Opfer wird in einer Matrix erfasst, welche Maßnahmen von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft zur Verhinderung von Straftaten auf den drei Ebenen wirksam werden können.162 Die Maßnahmen haben überwiegend nur eine mittelbare Wirkung, weil sie bei der Situation mit ihren Kriminalitätsentstehung begünstigenden Tatgelegenheitsstrukturen oder bei den potenziellen Opfern ansetzen; vereinzelt werden aber auch unmittelbar gegenüber dem potenziellen Täter wirkende
158
Schwind, Kriminologie, § 1 Rn. 24. Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, § 1 Rn. 35 ff.; Kunz/Singelnstein, Kriminologie, Rn. 18 ff.; Meier, Kriminologie, § 1 Rn. 1 ff. und 28 ff.; Schwind, Kriminologie, § 1 Rn. 14. 160 Meier, Kriminologie, § 10 Rn. 17, Präventionsmatrix. 161 Göppinger, Kriminologie, § 30 Rn. 17 ff.; Meier, Kriminologie, § 10 Rn. 7 ff.; Kube, Kriminalprävention, in: Kniesel/Kube/Murck, Handbuch 18, Rn. 1 ff. 162 Meier, Kriminologie, § 10 Rn. 17. 159
2. Abschn.: Kriminalitätsbekämpfung aus Sicht der Kriminalwissenschaften
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Maßnahmen des Polizeirechts auf der Ebene der sekundären Prävention berücksichtigt.163
II. Neue Qualität der Kriminalprävention Nachdem die Bekämpfung der Kriminalität seit den 1970er Jahren zu einem beherrschenden Thema der Sicherheits- und Kriminalpolitik geworden ist, hat auch die Kriminologie sich in einer präventiven Wende164 der Kriminalprävention angenommen und versteht darunter die Gesamtheit aller staatlichen und privaten Bemühungen, die auf die Verhütung von Straftaten durch Vorbeugen abzielen.165 Das verfolgte Konzept ähnelt dem Verhütungsauftrag des Polizeirecht als Ausformung der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten. Allerdings vermeiden die Kriminologen den Begriff Bekämpfung, weil sie die real existierende Kriminalität nur beeinflussen wollen. Anders als die postdeliktische strafrechtliche Sozialkontrolle sind die krimininalpräventiven Ansätze der Kriminologie prädeliktisch, also deutlich präventiv im Sinne der Verhütung von Straftaten positioniert. Damit steht sie insoweit in verwandtschaftlicher Beziehung zum Polizeirecht mit dessen Auftrag zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten. Allerdings wird dieser Auftrag in der Kriminologie mitunter falsch eingeordnet. So versteht Meier den neuen Auftrag der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung ausschließlich als Aufgabe, die in einem Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse nach ihrer Verwendung als Beweismittel im Strafverfahren noch für die künftige Verfolgung von Straftaten in Akten oder Dateien vorzuhalten.166 Dabei verkennt er, dass die im Rahmen der Gefahrenabwehr zu erfüllende Aufgabe der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten zwei Aufgabenbestandteile hat, die Verhütung von Straftaten und die Strafverfolgungsvorsorge. Selbst wenn man letztere als der Strafverfolgung zugehörige Tätigkeit betrachtet,167 bleibt als originäre polizeiliche Aufgabe die Verhütung von Straftaten durch operative polizeiliche Maßnahmen der Gefahrenvorsorge. Die krimininalpräventiven Ansätze der Kriminologie und die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten in Gestalt der Verhütung von Straftaten als Auftrag des Polizeirechts können auf diese Weise in der Kriminalitätsbekämpfung zusammenkommen. So kann die Kriminologie mit ihren Prognosemöglichkeiten die polizeiliche Kriminalitätsbekämpfung als „Hilfswissenschaft“ des Polizeirechts interdisziplinär unterstützen.168 163 Meier, Kriminologie, § 10 Rn. 17, der in seiner Matrix bei der selektiven und täterbezogenen Prävention auch aktionelle polizeirechtliche Maßnahmen wie den Platzverweis und die Ingewahrsamnahme aufführt. 164 Wegner/Hunold, KriPoZ 2017, 366 (367 f.). 165 Meier, Kriminologie, § 10 Rn. 1; Neubacher, Kriminologie, S. 138. 166 Meier, § 9 Rn. 31 d. 167 S. dazu 2. Teil, 3. Abschnitt, C. IV. 1. b) bb) (4). 168 Waechter, JZ 2002, 854 (855); s. auch Meyer, JZ 2017, 429 ff.
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
C. Kriminalistik: Kriminalitätsbekämpfung als vorverlagerte Strafverfolgung I. Klassische Kriminalistik Die klassische Kriminalistik verstand sich als Lehre von der Verbrechensbekämpfung, die Wissen über die Methoden und Mittel der Verhütung, Aufdeckung169 und Aufklärung von Straftaten und die Fahndung nach Personen und Sachen vermitteln wollte, erfasste also die repressive und die präventive Verbrechensbekämpfung.170 Das Hauptaugenmerk der Kriminalisten galt der detektivischen Arbeit der Kriminaltaktik und Kriminaltechnik, mit deren Möglichkeiten der Verdächtige überführt werden konnte;171 mit Hilfe der Beantwortung der „Sieben W“ war zu klären, wer was wann wo wie womit und warum getan hatte.172 Weil die dazu erforderliche professionelle Beweisführung kein Gegenstand des Strafprozessordnung war, wurde die Kriminalistik als Hilfs- oder Ergänzungswissenschaft, der Kriminalist als Gehilfe des Staatsanwalts verstanden.173 Sie hatte dafür zu sorgen, dass Tatspuren gesichert und mit wissenschaftlichen Methoden ausgewertet und Verdächtige unter Anwendung anerkannter Vernehmungsmethoden und -techniken überführt werden konnten, damit das Gericht den ermittelten Sachverhalt auf der Grundlage der Beweisaufnahme im Hauptverfahren als Ergebnis seiner Wahrheitsfindung dem Urteil zugrunde legen konnte. Durch die Fixierung auf das Strafverfahren fand aus der Sicht des Kriminalisten der Kern seiner Tätigkeit als Strafverfolgung im Ermittlungsverfahren statt. Im Rahmen ihrer strafverfolgenden Tätigkeit wurden von der Kriminalpolizei umfangreiche Datensammlungen angelegt, von ersten Verbrecher- und Fingerabdruckkarteien über die Kriminalaktenhaltung bis zur heutigen Datenverarbeitung auf Bundesebene (INPOL-System) und korrespondierenden Systemen auf der Ebene der Länder. Das seit den 1920er Jahren bestehende Nachrichten- und Meldewesen wurde zu Beginn der 1970er Jahre ebenfalls Teil der polizeilichen Datenverarbeitung. Alle angelegten Karteien und Datensammlungen – heute Dateien – wurden mit dem Ziel geschaffen und beschickt, um bei künftigen Ermittlungsverfahren auf Erkenntnisse zu Personen und Sachen zurückgreifen zu können; es ging also um künftige Strafverfolgung. Nachdem der VEMEPolG 1986 die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als neue polizeiliche Aufgabe für die Schutz- und Kriminalpolizei eingeführt hatte und die Länder diese Aufgabe in ihren Polizeigesetzen als Verhütungs169
S. zum Begriff 2. Teil, 4. Abschnitt, B. I. 3. a). Kube/Schreiber, Kriminalistik, Band 1, S. 1; Groß/Geerds, Handbuch der Kriminalistik, Band 1, 1. Teil, § 1, S. 5 ff.; Burghard, in: Kube/Störzer/Brugger, Wissenschaftliche Kriminalistik, S. 177; Berthel/Lapp, Kriminalstrategie, S. 16 f.; Kaiser, Kriminologie, S. 925; Sangmeister, Kriminalistik 1958, 169 (170). 171 Zimmermann, Kriminalstrategie, S. 12. 172 Clages/Ackermann, Der rote Faden, S. 40 f. 173 de Vries, Einführung in die Kriminalistik, S. 3. 170
2. Abschn.: Kriminalitätsbekämpfung aus Sicht der Kriminalwissenschaften
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und Verfolgungsvorsorge umgesetzt hatten, wurde die vorbeugende Bekämpfung allerdings von einigen Autoren auf die Strafverfolgungsvorsorge reduziert,174 eine Sichtweise, die Kriminalisten in ihrem Verständnis von vorbeugender Bekämpfung von Straftaten als Strafverfolgungsvorsorge bestärkte.
II. Stellenwert der Prävention Die Bedeutung der Prävention als Verhütung von Straftaten wurde in der klassischen Kriminalistik zwar auch im Hinblick auf die Verbrechensbekämpfung betont,175 doch zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass sie nur einen mittelbaren Bezug zu ihr hatte. Prävention war auf potenzielle Opfer, gelegentlich auf Tatgelegenheitsstrukturen ausgerichtet. Der Öffentlichkeit wurden differenzierte Beratungsprogramme und Hilfen für auf unterschiedlichen Kriminalitätsfeldern gefährdete potenzielle Opfer angeboten.176 Für eine operative Kriminalitätsbekämpfung hatte das keine Relevanz. Ausnahme, die die Regel bestätigt, war die Zeit von 1933 bis 1937, weil man mit der eingeführten vorbeugenden Polizeihaft gegen Berufsverbrecher177 ein scharfes operatives Mittel hatte, durch Wegsperren gefährlicher Personen die Gemeinschaft zu schützen.178 Mit Entfallen dieser Möglichkeit nach 1945 kehrte die Kriminalistik wieder zu einem Verständnis von Prävention zurück, die für die operative Kriminalitätsbekämpfung ohne Relevanz war. Es setzte sich im Laufe der Jahre die Auffassung durch, dass Repression die beste Prävention sei.179 Je intensiver und umfangreicher Straftaten verfolgt würden, desto besser gelinge Kriminalitätsbekämpfung. Für die Prävention blieb die Beratung, Warnung, Aufklärung und Schulung von potenziellen Opfern als weniger bedeutsames Arbeitsfeld. Prävention konnte sich neben dem hauptsächlichen Auftrag zur Strafverfolgung schwerlich behaupten. Das zeigte sich auch darin, dass man die kriminalpolizeiliche Beratungsstelle gern in die Hände der 174
Wolter, GA 134 (1988), 49 (52 f.); Warschko, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, S. 5 ff. und 18 ff.; Albers, Determination, S. 123 ff.; Ostendorf, in: FS Grünwald, S. 423. 175 Weihmann/Schuch, Kriminalistik, S. 619; Wieczorek, Kriminalistik, S. 11, der die vorbeugende Verbrechensbekämpfung gegenüber der strafverfolgenden allerdings verschämt in Klammern setzt; Mohr, in: Möllers, Wörterbuch der Polizei, S. 1129. 176 Bundeskriminalamt, Kriminalprävention in Deutschland, wo in 17 Themenbereichen detaillierte Hilfsangebote gemacht werden; Weihmann/Schuch, Kriminalistik, S. 621 ff.; Bauer, Moderne Verbrechensbekämpfung, Band 2, S. 356 f. 177 Runderlass des Preußischen Ministerium des Inneren vom 13. 11. 1933, BA Koblenz R22/1469, Bl. 6 ff. 178 Werner, Kriminalistik 1938, 58 (59); Konen, Selbständige Rechte und Pflichten der Kriminalpolizei bei der Ermittlung strafbarer Handlungen, S. 32 ff.; Werner, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, Schriftenreihe des Reichskriminalpolizeiamtes Berlin Nr. 15. 179 Burghard, in: Kube/Störzer/Brugger, Wissenschaftliche Kriminalistik, S. 181; s. dazu näher Kniesel, in: Kniesel/Kube/Murck, Handbuch, Kap. 2, Rn. 300 ff.; Feltes, in: Kniesel/ Kube/Murck, Handbuch, Kap. 17, Rn. 35 ff.
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
Schutzpolizei legte, die ja ohnehin schon mit dem Verkehrskasper zur frühkindlichen Verkehrserziehung in Sachen Prävention unterwegs war.
III. Erweiterung des Blickfeldes auf kriminelle Strukturen Das änderte sich mit der Erweiterung des kriminalistischen Blicks auf Hintergründe, Zusammenhänge und strukturelle Voraussetzungen der Kriminalität. Die Kriminalstrategie wurde seit Beginn der 1970er Jahre als neues Feld der Kriminalistik entdeckt und in den folgenden Jahren mit wissenschaftlichem Anspruch ausgebaut.180 Die tradierte Kriminalistik musste nicht nur Kriminalität als Massenphänomen in den Blick nehmen, sondern auch erkennen, dass mit den herkömmlichen Mitteln und Methoden organisierte Kriminalität und Terrorismus nicht nachhaltig und erfolgreich bekämpft werden konnten. Die Ermittlungstätigkeit konnte sich nicht mehr auf den einzelnen Fall und auch nicht auf das Erkennen von Fallreihen beschränken, sondern musste die hinter den einzelnen Fällen liegenden Strukturen mit ihren Zusammenhägen und Vernetzungen vorrangig in den Blick nehmen, mit informationellen Maßnahmen aufhellen und mit aktionellen bekämpfen.181 Damit war die notwendige Erkenntnis verbunden, dass Planung und Durchführung polizeilicher Bekämpfungsmaßnahmen auf der polizeilichen Führungsebene anzusiedeln waren. Ab jetzt ging es um strategische Entscheidungen, vor allem bezüglich der nicht länger ausweichbaren Erkenntnis, dass Kriminalität allein durch Strafverfolgung nicht in den Griff zu bekommen war; hatte man doch insbesondere mit Blick auf die Rauschgiftkriminalität feststellen müssen, dass ihre Bekämpfung allein durch Repression zum Scheitern verurteilt war.182 Deshalb mussten neue Wege beschritten werden; mit gemeinsamen Aktionen der Schutz- und Kriminalpolizei, die erstmals auf der Grundlage eines von Informationen beider Organisationseinheiten zusammengeführten Lagebildes beruhten, sollte die Rauschgiftkriminalität auf der Straße bekämpft werden. Zielführend war nicht die Einleitung von Ermittlungsverfahren gegen Abhängige und Kleindealer, sondern die Bekämpfung der dahinterstehenden Strukturen; um an die Hintermänner zu gelangen und gegen sie gezielt operativ vorgehen zu können, musste allerdings ganz unten angesetzt werden. Das konnte durchaus als entscheidende Wende in der Kriminalitätsbekämpfung gefeiert werden, weil „richtige“ polizeiliche Verbrechensbekämpfung ihren Schwerpunkt bei den strukturellen Voraussetzungen der Kriminalität setzen musste. Mit diesem operativen Ansatz war die Verbindung zum militärischen Strategiebegriff 180 Herold, Die Polizei 1972, 133 (134 f.); Stümper, Kriminalistik 1975, 49 ff.; ders., Kriminalistik 1978, 242 ff.; ders., Verbrechensvorbeugung, in: Kube/Störzer/Timm, Kriminalistik Band 1 Rn. 1 ff.; Pfister, Kriminalistik 1978, 390 ff.; Klink/Kordus, Kriminalstrategie, S. 22 ff.; Zimmermann, in: Kniesel/Kube/Murck, Handbuch, Kap. 19, Rn. 1 ff. 181 Beck, Bekämpfung, S. 54 ff.; Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts, S. 182 ff. 182 Stümper, Verbrechensvorbeugung, in: Kube/Störzer/Timm, Kriminalistik Band 1, Rn. 42 ff.; Kulenkampff, Kriminalstrategie und Strafjustiz, S. 69 ff.
2. Abschn.: Kriminalitätsbekämpfung aus Sicht der Kriminalwissenschaften
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hergestellt.183 Operativ ist im militärischen Sprachgebrauch gleichbedeutend mit strategisch.184 Nach Clausewitz bedarf es der Strategie, wenn man den Krieg gewinnen will,185 während die Taktik nur dafür sorgen kann, einzelne Gefechte für sich zu entscheiden.186 Für die polizeilichen Entscheider konnte es bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität mit ihren Strukturen und im Hintergrund bleibenden Drahtziehern nicht mehr um kleinteilig wirkende Strafverfolgungsmaßnahmen gehen, sondern um eine neue Dimension gezielter Maßnahmen gegen die kriminellen Strukturen und ihre Hintermänner.
IV. Vorverlagerung der Strafverfolgung Mit der neuen Qualität des polizeilichen Vorgehens liegt keine herkömmliche Strafverfolgung mit dem Ziel der schuldangemessenen Bestrafung eines Verdächtigen bzw. Angeklagten mehr vor, weil die StPO weder nach § 152 Abs. 2 ein Vorfeld des Anfangsverdacht kennt noch einen kriminalstrategischen Auftrag vergibt. Auf die neue Qualität des Vorgehens vorbereitet ist zwar das Polizeirecht mit der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten und den zur Wahrnehmung dieser Aufgabe vorgesehenen verdeckten Eingriffsbefugnissen, doch findet die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Terrorismus überwiegend noch im Rahmen der StPO statt. Das hat drei Gründe. Zunächst wirkt immer noch das tradierte Verständnis der Kriminalisten, dass Kriminalität nur durch Strafverfolgung wirksam zu bekämpfen sei. Obwohl die Polizei keine in die Sparten Schutz- und Kriminalpolizei gegliederte ist, weil die Aufträge der Gefahrenabwehr einschließlich der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten und die Strafverfolgung an beide erteilt sind, hat ein nicht unerheblicher Teil der Kriminalisten die Gefahrenabwehr mit ihrer Bekämpfungsfunktion noch nicht verinnerlicht, das Polizeirecht noch nicht entdeckt. Zur Veranschaulichung soll folgende Begebenheit aus jüngster Vergangenheit dienen. Ein im Bereich Gewalttäter Sport eingesetzter Polizeihauptkommissar bittet seinen im Kommissariat für Straftaten im Zusammenhang mit Fußballgewalt tätigen Kollegen, bei dem die Vernehmung eines Anhängers der Ultraszene des heimischen Bundesligavereins in einem Ermittlungsverfahren ansteht, mit diesem nach der Vernehmung eine Gefährderansprache als Gefahrenabwehrmaßnahme durchzuführen; er erhält die Antwort des Kriminalhauptkommissars: „Was habe ich mit einer Gefährderansprache zu tun, das ist doch eure Aufgabe.“ Der zweite Grund liegt in der von der Kriminalpolizei selber geschaffenen Ausweitung der Ermittlungsmöglichkeit in Form von Initiativ-, Vorfeld- und Strukturermittlungen, die operatives Vorgehen ermöglichen. Entstanden sind diese 183 184 185 186
Zimmermann, Kriminalstrategie, S. 14. Duden, Fremdwörterbuch, S. 699. Clausewitz, Vom Kriege, S. 345. Clausewitz, Vom Kriege, S. 271.
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
nicht umsonst im Bundeskriminalamt, weil das Amt mangels eines eigenen Polizeigesetzes nur im Rahmen der StPO als Akteur zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Terrorismus auftreten konnte. Insbesondere mit den sogenannten Strukturermittlungen verschaffte es sich die Möglichkeit kriminalstrategischen Vorgehens gegen kriminelle Strukturen. Interessant ist nun zu beobachten, dass das Bundeskriminalamt nach der Übertragung der Aufgabe zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus im Jahre 2006 seine neue Rolle zur Verhütung terroristischer Anschläge annimmt und die durch ein eigenes Polizeirecht vermittelten operativen Bekämpfungsmöglichkeiten entdeckt und wahrnimmt. Die mit der neuen Aufgabe des Bundeskriminalamt einhergehende Eigenständigkeit als Gefahrenabwehrbehörde wird inzwischen von der Behörde des Generalbundesanwalts als Abnabelung des Bundeskriminalamt und seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Ermittlungspersonen des Generalbundesanwalts gesehen; das Bundeskriminalamt wird aus der Sicht der Generalbundesanwaltschaft zum Grenzgänger zwischen Strafverfolgung und Gefahrenabwehr.187 Abzuwarten bleibt, ob dieser Prozess Folgen für die Kriminalpolizei insgesamt hat. Wie man am Beispiel des Bundeskriminalamts in seiner Wahrnehmung der Aufgabe der Terrorismusbekämpfung erkennen kann, ist es schon erstaunlich, welche Änderungen mit dem Perspektivwechsel von der Strafverfolgung zur Gefahrenabwehr verbunden sein können. Der dritte Grund liegt im Bekämpfungsstrafrecht des Bundesgesetzgebers. Solange es für zulässig gehalten wird, dass Vorfelddelikte die Strafbarkeit vorverlagern, den Schlüssel zu den verdeckten Ermittlungsmaßnahmen geben und die Untersuchungshaft bis zu einem Jahr ermöglichen, ist die Versuchung für den operativ tätigen Strafverfolger groß, es bei der Bekämpfung im Rahmen der StPO zu belassen, wodurch die zulässigen Möglichkeiten des Polizeirechts verschenkt werden. Die Fokussierung auf die Strafverfolgung verstellt nach wie vor Kriminalisten den Blick auf das Polizeirecht, das seit Ende der 1980er Jahre mit der Aufgabenerweiterung der Gefahrenabwehr um die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten und den informationellen und aktionellen Befugnissen den Weg in das Vorfeld der konkreten Gefahr und des Tatverdachts freigemacht und damit strategisch als operative Bekämpfung in den Polizeigesetzen verankert hat.
187
Griesbaum/Wallenta, NStZ 2013, 369 (373).
3. Abschn.: Kriminalitätsbekämpfung aus der Sicht des Polizeirechts
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3. Abschnitt
Kriminalitätsbekämpfung aus der Sicht des Polizeirechts A. Gefahrenabwehr als unmittelbare Kriminalitätsbekämpfung War der Begriff Kriminalitätsbekämpfung bis zum Programm für die Innere Sicherheit in der Fassung von 1974188 kein im Polizeirecht geläufiger, so ging es bei der Wahrnehmung der Aufgabe Gefahrenabwehr schon seit dem Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 um die Verhütung von Straftaten,189 wie der nachfolgende Rückblick zeigt.
I. § 2 II 17 PrALR und Nachfolgeregelungen § 2 2. Teil 17. Titel des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794 lautete: „Dem Staat kommt es also zur Verhütung von Verbrechen zu, die nöthigen Anstalten zu treffen.“190 In Bayern bestimmte das Strafgesetzbuch von 1813 in Art. 18 Teil II: „Die Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes sind verpflichtet, durch Aufsicht und Anstalten den Übertretungen der Strafgesetze möglichst zuvorzukommen und dieselben in ihrem Laufe zu unterdrücken.“191 Das bayerische Ausführungsgesetz zur Reichsstrafprozeßordnung vom 18. 8. 1879 übernahm diese Formulierung.192 In Baden wurde durch § 30 Abs. 1 Polizeistrafgesetzbuch vom 31. 10. 1863 den Polizeibehörden die „Befugnis vorbehalten, auch unabhängig von der strafgerichtlichen Verfolgung rechts- und ordnungswidrige Zustände innerhalb ihrer Zuständigkeit zu beseitigen und deren Entstehung und Fortsetzung zu verhindern“.193 Damit sollte die Verhinderung aller strafbaren Handlungen einbezogen werden.194 In Elsass-Lothringen hatte die Verwaltungspolizei nach Art. 19 des in den Reichslanden fortgeltenden französischen Gesetzes vom 25. 10. 1795 die stetige Erhaltung der öffentlichen Ordnung an jedem Ort und in jedem Teil der inneren
188
S. PIS A.I. Die Unterscheidung von Verhinderung und Verhütung (s. 2. Teil, 4. Abschnitt, B. I. 1. c) bb)) kann nicht zugrundegelegt werden, weil die Begriffe damals synonym verwendet wurden. 190 Hattenhauer, ALR, S. 626 f. 191 Kitzinger, Verhinderung, S. 33. 192 Kitzinger, Verhinderung, S. 33. 193 Kitzinger, Verhinderung, S. 34. 194 Kitzinger, Verhinderung, S. 34. 189
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
Verwaltung zum Gegenstand und bezweckte hauptsächlich, strafbaren Handlungen vorzubeugen.195 In Sachsen-Coburg-Gotha regelte das Gesetz über die Organisation der Verwaltungsbehörden im Herzogtum Gotha vom 11. 6. 1858 und das gleichlautende Gesetz für das Herzogtum Coburg vom 17. 6. 1858196 im jeweiligen § 2 die Gegenstände der inneren Verwaltung und zählte dazu „die Sicherheitspolizei mit Inbegriff der nötigen Maßregeln zur Verhütung von Verbrechen, Herstellung und Aufrechterhaltung der allgemeinen Sicherheit, Ordnung und Ruhe.“ Im Königreich Sachsen übertrug die Instruktion vom 13. 9. 1879 der Landgendarmerie in § 8 als Hauptaufgabe die Fürsorge für die öffentliche Sicherheit, vor allem die Ermittlungen begangener Verbrechen und die Verhütung künftiger; § 9 verpflichtete sie unbeschadet sofortigen Einschreitens zur Anzeige und § 10 zur vorläufigen Festnahme zwecks Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit oder zwecks Verhinderung von Straftaten.197 In Sachsen-Altenburg nannte § 52 des Edikts vom 18. 4. 1831 als Aufgabe der Polizeiverwaltung „alles zu entfernen, was der öffentlichen Ruhe und Ordnung, sowie der gesetzlich freien Bewegung des Einzelnen hinderlich sein könnte“ und sprach in § 53a von „der Leitung und Handhabung aller öffentlichen Anstalten zur Erhaltung und Herstellung der allgemeinen Ruhe, Sicherheit und Ordnung“ und von den „Vorkehrungen, um Verbrechen und Vergehungen vorzubeugen.“198 Das Gesetz vom 25. 3. 1837199 machte in § 1 den Behörden „die Vorbeugung der Vorgänge, welche eine Störung der öffentlichen Ruhe oder der gesetzlichen Ordnung zur Folge haben könnten“ zur Pflicht und verpflichtete „die Ortspolizeibehörde zur Verhinderung von Gewalttätigkeiten an Personen oder Sachen durch die bewährtesten und geeignetsten Mittel, allenfalls durch Verhaftung der tätigsten Frevler.“200
II. Verhütung von Straftaten als vorbeugende Bekämpfung im Reichskriminalpolizeigesetz von 1922 Das Reichskriminalpolizeigesetz von 1922 sah für die Landeskriminalpolizeibehörden neben ihrer Aufgabe zur Unterstützung der Staatsanwaltschaften und Gerichte bei der Aufdeckung und Aufklärung von Straftaten auch die Aufgabe vor, solche Straftaten zu verhüten.201 Grund für die Einbeziehung der Verhütung als 195
Kitzinger, Verhinderung, S. 38. Gesetzessammlung X 315 Nr. 570. 197 Gesetzessammlung Nr. 305. 198 Kitzinger, Verhinderung, S. 44. 199 Gesetzessammlung 15 Nr. 9; Kitzinger, Verhinderung, S. 44. 200 Kitzinger, Verhinderung, S. 45. 201 RGBl I, S. 593 f.; das entsprach dem Verständnis der Generalklausel des § 14 PrPVG von 1931, wonach präventivpolizeiliches Vorgehen gegen strafbare Handlungen dem Anwen196
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vorbeugende Verbrechensbekämpfung war die Notwendigkeit der Überwachung der statistisch erheblich angewachsenen Kriminalität am Ende der 1920er und Beginn der 1930er Jahre; insbesondere in Berlin war mit den Ringvereinen ein Berufsverbrechertum entstanden, das mit amerikanischen Verhältnissen verglichen wurde und Forderungen nach einschneidenden polizeilichen Maßnahmen zur Folge hatte.202
III. Vorbeugende Verbrechensbekämpfung im Nationalsozialismus In der Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 wurde nicht nur die Polizei als Instrument der nationalsozialistischen Diktatur missbraucht, sondern es wurden auch in der Weimarer Zeit geläufige Begriffe wie die vorbeugende Verbrechensbekämpfung im Sinne der nationalsozialistischen Rassenideologie benutzt und aus ihnen die Zulässigkeit der Vorbeugungshaft abgeleitet, aus der dann später die Schutzhaft und zuletzt die als selbstverständlich akzeptierte Polizeihaft wurde.203 Zwei Phasen sollten dabei unterschieden werden, die erste von der Machtergreifung im Januar 1933 bis zur Herauslösung der Polizei aus der allgemeinen inneren Verwaltung und ihrer Gleichschaltung mit der SS als Parteipolizei der NSDAP Mitte 1936 und die zweite ab diesem Zeitpunkt einsetzende, in dem polizeiliches Handeln nicht mehr auf Grundlage des formal noch geltenden Polizeiverwaltungsgesetzes, sondern nur noch gestützt auf Erlasse im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie vollzogen wurde.204 1. Erste Phase von 1933 – 1936 Der Kampf gegen die schon zu Ende der Weimarer Zeit ausgeuferte Kriminalität wurde eingeleitet mit dem Erlass des Preußischen Ministers des Inneren vom 13. 11. 1933 betreffend die „Anwendung der vorbeugenden Polizeihaft gegen Berufsverbrecher.“205 Dieser Erlass sollte das Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. 11. 1933206 schon elf Tage vor seiner Verkündung ergänzen, indem er der Polizei die Möglichkeit verschaffte, gegen Berufskriminelle vorzugehen, auch gegen solche, die nicht vom Gewohnheitsverbrechergesetz erfasst wurden. Mit dem Gesetz war die Erwartung verbunden, binnen Jahresfrist das gesamte gewerbsmäßige Verbrecher-
dungsbereich der Generalklausel unterfiel, s. Drews/Wacke, Allgemeines Polizeirecht, 1961, S. 112. 202 Terhorst, Überwachung, S. 9 ff. 203 Stolleis, HdBPR, A. Rn. 61; Terhorst, Überwachung, S. 4 ff.; Klug, ZRP 1969, 1 (2). 204 Terhorst, Überwachung, S. 56 ff. 205 BA Koblenz R 22/1469, Bl. 6 ff. 206 RGBl I, S. 999.
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
tum hinter Schloss und Riegel zu bringen.207 Der Erlass vom 13. 11. 1933 wurde ausdrücklich auf § 1 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. 2. 1933 gestützt.208 Die polizeiliche Haft für Berufsverbrecher war zunächst gegen diejenigen zu vollstrecken, die der Kriminalpolizei als Berufsverbrecher bekannt waren und ausschließlich oder zum größten Teil vom Erlös aus Straftaten lebten. Darüber hinaus konnten auch Personen inhaftiert werden, die, ohne vorbestrafte Berufsverbrecher zu sein, einen auf Mord, Raub, Einbruchsdiebstahl oder Brandstiftung abzielenden verbrecherischen Willen durch Handlungen offenbarten, welche die Voraussetzungen eines bestimmten Straftatbestands noch nicht erfüllten, die Person aber als eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit auswiesen.209 Unter die Vorbeugungshaft fielen drei Personengruppen, Berufsverbrecher, gewohnheitsmäßige Sittlichkeitsverbrecher und Gemeingefährliche.210 Die Zahl der zu Inhaftierenden wurde auf fünf Personen in jedem Bezirk einer Landeskriminalpolizeistelle und auf dreißig für Berlin beschränkt.211 Einen kleinen Teil wollte man unmittelbar an der weiteren Begehung von Straftaten hindern, die übrigen abschrecken.212 Die festgenommenen Personen wurden zunächst in Anstalten zur Aufnahme von Polizeigefangenen untergebracht, die bei den Polizeibehörden errichtet wurden, und später in Konzentrationslager überführt.213 Das Rundschreiben des Landeskriminalpolizeiamtes vom 17. 11. 1933 an alle Landeskriminalpolizeistellen enthielt Regelungen, die ein einheitliches Verfahren in ganz Preußen gewährleisten sollten.214 In dem Rundschreiben war von Schutzhäftlingen und vorbeugender Polizeihaft als Haft zum Schutze der Bevölkerung die Rede.215 Die Haft konnte nur vom Landeskriminalpolizeiamt verhängt werden. Die Überführung in ein Lager musste in jedem Fall beim Ministerium des Inneren beantragt werden. Die Dauer der Haft blieb ungeregelt, Rechtsmittel waren nicht vorgesehen.216
207
Terhorst, Überwachung, S. 73. Terhorst, Überwachung, S. 76 unter Hinweis auf Daluege, Nationalsozialistischer Kampf gegen das Verbrechertum, S. 34. Daluege war zunächst führend in der SA, später in der SS tätig, wurde 1933 Befehlshaber der preußischen Polizei und nach seiner Versetzung 1934 ins Reichsinnenministerium im Jahr 1936 unter Himmler Chef der gesamten Ordnungspolizei. Nach dem Attentat auf Heydrich wurde er 1943 stellvertretender Reichsprotektor in Böhmen und Mähren und 1946 in Prag als Verantwortlicher für die Vernichtung von Lidice hingerichtet. 209 GSA PK, Rep. 84a Nr. 8203, Bl. 230. 210 Terhorst, Überwachung, S. 80 m.w.N. 211 GStPK, Rep. 84a Nr. 8203, Bl. 231. 212 Daluege, DJ 1935, 1847. 213 Terhorst, Überwachung, S. 83. 214 NStA Oldenburg Best. 136 Nr. 18369, zu 140. 215 Daluege, DJ 1935, 1847. 216 Parey, Kriminalistik 1936, 56. 208
3. Abschn.: Kriminalitätsbekämpfung aus der Sicht des Polizeirechts
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Der Erlass des Preußischen Ministerium des Inneren vom 10. 2. 1934 betreffend die „Planmäßige Überwachung der auf freiem Fuß befindlichen Berufsverbrecher“217 verfolgte die kriminalpolitische Absicht, diese Personen an der „Fortführung ihres volksschädlichen Treibens“218 zu hindern. Der Überwachungserlass sah als planmäßige Maßnahmen zur Verhinderung von Straftaten den Wohnsitz bzw. die Wohnung betreffende Aufenthaltsge- und -verbote, Fahrzeugbenutzungsverbote, Aufenthaltsverbote für bestimmte Örtlichkeiten (Bahnhöfe, Versteigerungslokale, Rennbahnen, Lokale) und Inserierungsverbote vor. Die Überwachungsmaßnahmen waren als Vorstufe der Vorbeugungshaft gedacht und sollten zunächst als weniger schwerwiegende Mittel eingesetzt werden.219 Die Voraussetzungen, unter denen eine planmäßige Überwachung erfolgen konnte, waren geringer als die der Vorbeugungshaft.220 Der planmäßige Einsatz der Überwachungsmaßnahmen und die zahlreichen vorbeugenden Inhaftierungen hatten massive Auswirkungen auf das Kriminalitätsaufkommen. Am 31. 12. 1935 standen in Preußen 801 Personen unter planmäßiger Überwachung, 492 Personen befanden sich in polizeilicher Vorbeugungshaft.221 Das führte zu einem erheblichen Rückgang der Kriminalität; gegenüber dem Jahr 1932 ging in den größeren preußischen Städten im Jahr 1934 die Zahl der Raubüberfälle um 64,2 % und die Einbrüche um 49,7 % – beides Delikte, die überwiegend von Berufsverbrechern begangen wurden – zurück.222 Der Überwachungsdruck führte dazu, dass sich kriminelle Strukturen, wie sie sich mit den Verbrechervereinen „als Staat im Staate“223 gebildet hatten, Mitte der 1930er Jahre in Preußen auflösten; bekannte Berufskriminelle wechselten ihren Wohnort oder gingen ins Ausland.224 Planmäßige polizeiliche Überwachung und polizeiliche Vorbeugungshaft kamen außerhalb Preußen’s in den Ländern Braunschweig, Bayern und Oldenburg zur Anwendung. Die Entschließung Nr. 2355a 18 des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 19. 1. 1935225 hatte den Betreff „Vorbeugende Bekämpfung des Verbrechertums“ und knüpfte an die Zeit vor 1933 an, wo die bayerische Polizei schon ohne gesetzliche Grundlage, allein gestützt auf ihre gesetzliche Aufgabe zur Gefahrenabwehr, Verhaftungen zur Verhütung von Straftaten vorgenommen hatte.226
217
GStA PK, Rep. 84a Nr. 8203, Bl. 233 ff. Daluege, Nationalistischer Kampf, S. 48. 219 Parey, Kriminalisitk 1936, 56. 220 Terhorst, Überwachung, S. 90. 221 Mitteilungsblatt der PrLKPA Nr. 3 vom 01. 01. 1936; Daluege, DJ 1935, 1847; Werner, Kriminalistik 1938, 58 (59). 222 Terhorst, Überwachung, S. 98. 223 Rietzsch, DJ 1938, 141; Roth, Verbrechensbekämpfung, S. 499 ff. 224 Terhorst, Überwachung, S. 97. 225 BA Koblenz, Slg. Schumacher, 399. 226 Terhorst, Überwachung, S. 105 f. 218
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
Als Fazit kann man festhalten, dass die Bekämpfung des Berufsverbrechertums durch die Nationalsozialisten zwar an die Aktivitäten der Kriminalpolizei in den 1920er Jahren anknüpfte, weil der Kampf gegen das organisierte Verbrechen zentrales Anliegen der NS-Kriminalpolitik war; gleichzeitig nutzen die Nationalsozialisten diesen Kampf für die propagandistische Abrechnung mit der Weimarer Republik als einer Blütezeit des Verbrechens und konnten so ihre kriminalpolitische Wende nach 1933 inszenieren.227 2. Zweite Phase 1937 – 1945 Die erste Phase endete mit dem Gesetz über die Geheime Staatspolizei vom 10. 2. 1936, mit dem Verfügungen von Schutzhaft und Einweisungen in Konzentrationslager der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogen wurden. Das setzte sich fort mit der Entstehung eines einheitlichen Polizeiapparats, der ausschließlich auf einen Führererlass vom 17. 6. 1936 gestützt war.228 Spektakulärer Auftakt der zweiten Phase war die Sonderaktion vom 9. 3. 1937 gegen das Berufsverbrechertum. Nachdem Hitler den Reichsführer der SS Himmler zum Leiter der Deutschen Polizei gemacht hatte, befahl dieser eine Sonderaktion gegen ca. 2.000 nicht in Arbeit befindliche Berufs- und Gewohnheitsverbrecher und gemeingefährliche Sittlichkeitsverbrecher; diese wurden im gesamten Reichsgebiet fest- und in Vorbeugehaft genommen.229 Maßgeblicher Zweck der Sonderaktion war auch die Rekrutierung von Arbeitskräften für den Ausbau der Konzentrationslager Sachsenhausen und Buchenwald.230 Mit dem Erlass des Reichs- und Preußischen Ministerium des Innern vom 14. 12. 1937 betreffend die „Vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei“ und den zugehörigen Richtlinien des Reichskriminalpolizeiamtes vom 4. 4. 1938 wurde zum ersten Mal eine reichseinheitliche Regelung für die polizeiliche planmäßige Überwachung und die polizeiliche Vorbeugungshaft erlassen, die an die Stelle der bisherigen entsprechenden Landesbestimmungen trat231 und in die Erlaßsammlung „Vorbeugende Verbrechensbekämpfung“, die seit Dezember 1941 vom Reichskriminalpolizeiamt in Loseblattsammlungsform geführt wurde, aufgenommen.232 Mit diesem Erlass wurde der Präventionsauftrag der Polizei entscheidend erweitert. Zunächst wurde in der Einleitung verdeutlicht, dass die Bestimmungen zur planmäßigen polizeilichen Überwachung und Vorbeugungshaft „Sonderbestim227
Roth, Verbrechensbekämpfung, S. 499. Stolleis, HdBPR, A. Rn. 63. 229 Terhorst, Überwachung, S. 109; zur Vernichtung des Berufsverbrechertums s. Wagner, Vernichtung, S. 87 ff. 230 Terhorst, Überwachung, S. 111. 231 BA Koblenz, R 22/1469, Bl. 39 ff. (Erlaß); NStA Oldenburg, Best. 136 Nr. 18395, 12 (Richtlinien). 232 Terhorst, Überwachung, S. 116 f. 228
3. Abschn.: Kriminalitätsbekämpfung aus der Sicht des Polizeirechts
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mungen“ waren, die „die wirklichen Verbrecher“ treffen sollten.233 Worum es eigentlich ging, wurde aus einer Vorbemerkung der zu von Heydrich unterzeichneten, dem Erlass beigefügten Richtlinien234 deutlich. Der Kriminalpolizei sollte bei der Wahrnehmung der ihr vom Reichsführer der SS und Chef der Deutschen Polizei gestellten Aufgabe der Verbrechensvorbeugung eine größere Handlungsfreiheit eingeräumt werden, die keines besonderen Auftrags oder keiner besonderen Rechtsvorschrift bedürfe.235 Die planmäßige polizeiliche Überwachung unterschied sich vom Erlass des Preußischen Ministerium des Innern vom 10. 2. 1934 dadurch, dass die Begriffe Berufs- und Gewohnheitsverbrecher deutlicher voneinander abgegrenzt wurden. Als Berufsverbrecher konnte überwacht werden, wer vom durch seine Straftaten Erlangten lebte oder auch schon gelebt hatte.236 Zudem musste der Berufsverbrecher die Begehung von Straftaten zu seinem Gewerbe machen.237 Dagegen wurde der Begriff des Gewohnheitsverbrechers kriminalbiologisch definiert, indem man auf vorhandene verbrecherische Triebe und Neigungen abstellte.238 Die Durchführung der planmäßigen polizeilichen Überwachung erfolgte durch Verbote und Verpflichtungen, die als Auflagen ergingen, etwa das Verbot, den Wohnoder Aufenthaltsort ohne vorherige polizeiliche Erlaubnis zu verlassen, Aufenthaltsverbote für bestimmte öffentliche Örtlichkeiten, Untersagung des Verkehrs mit bestimmten Personen oder deren Beherbergung, Beschäftigungsverbote, Fahrzeugbenutzungsverbote und Inserierungsverbote.239 Eine zeitliche Befristung für diese planmäßige polizeiliche Überwachung war nicht vorgesehen; sie konnte solange erfolgen, wie sie für erforderlich gehalten wurde.240 Die polizeiliche Vorbeugungshaft gegen Berufs- und Gewohnheitsverbrecher konnte angeordnet werden, wenn eine im Rahmen der planmäßigen Überwachung ergangene Auflage missachtet oder der Betroffene straffällig wurde.241 Die Überwachungsauflagen wurden als milderes polizeiliches Mittel gegenüber dem schärfsten und letzten Mittel der Vorbeugungshaft angesehen.242 Die Vorbeugungshaft konnte gegen Berufs- und Gewohnheitsverbrecher auch ohne vorhergehende Überwachungsauflagen angeordnet werden, wenn eine dreimalige Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe von mindestens sechs Monaten für Straf233
Werner, Kriminalistik 1938, 59; Terhorst, Überwachung, S. 119. NStA Oldenburg, Best. 136 Nr. 18395, 12. 235 Terhorst, Überwachung, S. 119. 236 Terhorst, Überwachung, S. 121. 237 Terhorst, Überwachung, S. 121. 238 Terhorst, Überwachung, S. 121 f. 239 Terhorst, Überwachung, S. 127 f. 240 BA Koblenz, R 22/1469, Bl. 41. 241 Werner, Kriminalistik 1938, 60. 242 Schaffstein, ZStW 51 (1939), 308; Maunz, Gestalt, S. 48; es handelt sich beim Autor Maunz um Theodor Maunz, den Namensgeber des Grundgesetzkommentars Maunz/Dürig. 234
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
taten verhängt worden war, die aus Gewinnsucht oder verbrecherischem Trieb bzw. verbrecherischer Neigung begangen wurden.243 In polizeiliche Vorbeugungshaft konnten auch Gemeingefährliche und Asoziale genommen werden. Als gemeingefährlich galt, wer auf Grund einer von ihm begangenen schweren Straftat und wegen der Möglichkeit der Wiederholung eine so große Gefahr für die Allgemeinheit bildete, dass seine Belassung auf freiem Fuß nicht zu verantworten war, oder wer einen auf eine schwere Straftat abzielenden Willen durch Handlungen offenbarte, welche den Tatbestand eines bestimmten Delikts noch nicht erfüllte.244 Eine wesentliche Erweiterung des Erlasses vom 14. 12. 1937 bestand in der Erfassung von sogenannten Asozialen; überwacht und vorbeugend inhaftiert werden konnten auch Personen, die, ohne Berufs- oder Gewohnheitsverbrecher zu sein, durch ihr asoziales Verhalten die Allgemeinheit gefährdeten.245 Als asozial galt, wer durch gemeinschaftswidriges, wenn auch nicht verbrecherisches Verhalten zeigte, dass er sich nicht in die Gemeinschaft einfügen wollte; dazu zählten Personen, die durch geringfügige, aber sich immer wiederholende Gesetzesübertretungen nicht der in einem nationalsozialistischen Staat selbstverständlichen Ordnung fügen wollten, etwa Bettler, Landstreicher, Zigeuner, Trunksüchtige, Dirnen und Personen mit ansteckenden Krankheiten, die Maßnahmen der Gesundheitsbehörden nicht nachkamen sowie unabhängig von Vorstrafen Personen, die sich der Pflicht zur Arbeit entzogen und die Sorge für ihren Unterhalt der Allgemeinheit überließen.246 Die Vollstreckung der polizeilichen Vorbeugungshaft erfolgte in Konzentrationslagern.247 Die Haft konnte so lange andauern, wie es ihr Zweck erforderte.248 Das Reichskriminalpolizeiamt war aber verpflichtet, spätestens nach einer zweijährigen Haft über ihre Fortdauer zu entscheiden.249 Eine gerichtliche Überprüfung war nicht vorgesehen.
IV. Beibehaltung des Verhütungsauftrags durch Instruktionen und Verordnungen der westlichen Alliierten 1945 – 1949 In den westdeutschen Besatzungszonen formten die USA und Großbritannien in ihren Besatzungszonen das deutsche Polizeirecht mit bleibender Wirkung. Hinsichtlich der Verhinderung von Straftaten sind das amerikanische Reglement vom 1. 3. 1947 als Instruktion für die deutsche Polizei und die britische Verordnung 135 243
S. 46.
BA Koblenz, R 22/1469, Bl. 40; Werner, Kriminalistik 1938, 58 (60); Maunz, Gestalt,
244 BA Koblenz, R 22/1469, Bl. 40; Maunz, Gestalt, S. 47; Hagemann, Kriminalistik 1940, 92 (93). 245 BA Koblenz, R 22/1469, Bl. 40; Maunz, Gestalt, S. 47. 246 Terhorst, Überwachung, S. 138 ff. m.w.N. 247 Erlaßsammlung, 21. 09. 1939, S. 152 f. 248 BA Koblenz, R 22/1469, Bl. 41. 249 BA Koblenz, R 22/1469, Bl. 42.
3. Abschn.: Kriminalitätsbekämpfung aus der Sicht des Polizeirechts
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vom 1. 3. 1948 von Bedeutung. In Teil IV der amerikanischen Instruktion wurde der Polizei die Verantwortung für die Aufrechterhaltung von „law and order“ übertragen.250 Nach der Vorstellung der Amerikaner sollte sie ihre bisherigen Aufgaben weiterhin wahrnehmen, wenn sie in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Schutz von Leben und Eigentum, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Verhütung und Entdeckung von Straftaten standen.251 Im Zusammenhang mit polizeilichem Einschreiten bei Demonstrationen sollte die Polizei geeignete Vorbeugungs- und Schutzmaßnahmen zur Verhütung von Straftaten ergreifen.252 In der britischen Besatzungszone regelte Art. 1 der Verordnung 135 den Begriff der Polizei: „Die Polizei ist eine selbständige nichtmilitärische Einrichtung, die ihre Aufgaben unabhängig von anderen Verwaltungsbehörden wahrnimmt. Ihre Angehörigen sind an die Grundsätze des Rechtsstaats gebunden und ein jeder persönlich für Gesetzesverletzungen verantwortlich. Die hauptsächlichen Aufgaben der Polizei sind der Schutz von Leben und Eigentum, die Aufrechterhaltung von Gesetz und Ordnung, die Verhütung und Aufklärung von Straftaten und die Überführung der Rechtsbrecher an die Gerichte.253 Diesbezüglich wurde im Runderlass des Innenministerium NRW vom 24. 6. 1949254 festgestellt, dass das Polizeiverwaltungsgesetz von 1931 von der Militärregierung nicht aufgehoben worden sei und demzufolge die Zuständigkeit der Polizei für die Aufrechterhaltung von Gesetz und Ordnung und die Verhütung und Verfolgung von Straftaten fortbestehe.255
V. Verhinderung von Straftaten als Bestandteil des polizeilichen Auftrags zur Gefahrenabwehr in den Aufgabenzuweisungen der Landespolizeigesetze seit 1949 Die zwischen 1949 und 1951 in den Bundesländern ergangenen Polizeigesetze256 reformierten im Wesentlichen das auf der Grundlage des Polizeiverwaltungsgesetzes von 1931 und der Rechtsprechung des preußischen Oberverwaltungsgericht entwickelte klassische Polizeirecht. Im Sinne von § 14 Abs. 1 PrPVG gehörte die Verhinderung von Straftaten zum polizeilichen Auftrag zur Gefahrenabwehr.257 In den Polizeigesetzen der Bundesrepublik findet sich der Begriff der vorbeugenden
250 251 252 253 254 255 256 257
Kaufmann, Eingriff, S. 206. Kaufmann, Eingriff, S. 207. Kaufmann, Eingriff, S. 208. Amtsblatt MilReg. Brit. Zone, S. 713, Anlage 6. Pioch, Das Polizeirecht, S. 84 ff. S. Nr. 1 des Runderlasses. S. dazu Drews/Wacke, Allgemeines Polizeirecht, 1954, S. 8 f. Drews/Wacke, Allgemeines Polizeirecht, 1954, S. 18.
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
Bekämpfung von Straftaten erstmalig in § 21 rpPVG vom 26. 3. 1954 im Rahmen der Zulässigkeit von polizeirechtlichen erkennungsdienstlichen Maßnahmen.258
VI. Erste Regelungen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten und von Überwachungsbefugnissen im MEPolG 1977 Schon der MEPolG enthielt in § 10 Abs. 1 Nr. 2 eine Regelung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten und in § 9 Abs. 1 Nrn. 2 – 4 Überwachungsbefugnisse zur Identitätsfeststellung (Razzia) an verschiedenen Örtlichkeiten und begründete damit eine bis dahin unbekannte Ortshaftung, die das Störerprinzip als einen der drei Schlüsselbegriffe des klassischen Polizeirechts neben der konkreten Gefahr und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durchbrach und damit automatisch auch die beiden anderen zu Fall brachte. Diese Regelungen des MEPolG, die in den meisten Polizeigesetzen der Länder umgesetzt wurden,259 bedeuteten den Einstieg in eine neue Phase des Polizeirechts.
VII. Erweiterung des polizeilichen Auftrags zur Gefahrenabwehr um die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten in den Landespolizeigesetzen nach Maßgabe des VEMEPolG Nach dem Einstieg in den §§ 9 und 10 MEPolG wurde mit § 1 Abs. 1 Satz 2 VEMEPolG und den ihm nachgebildeten Bestimmungen in den Länderpolizeigesetzen das Vorfeld der konkreten Gefahr für polizeiliche informationelle Maßnahmen erschlossen: § 1 Aufgaben der Polizei Die Polizei hat die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Sie hat im Rahmen dieser Aufgabe auch für die Verfolgung von Straftaten vorzusorgen und Straftaten zu verhüten (vorbeugende Bekämpfung von Straftaten) sowie Vorbereitungen zu treffen, um künftige Gefahren abwehren zu können (Vorbereitung auf die Gefahrenabwehr).
Statt einer konkreten Gefahr war es für den neu beschriebenen Aufgabenbereich und die zu ihm gehörenden Befugnisse ausreichend, dass Tatsachen bzw. tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten vorhanden waren, was einen Bruch mit der tradierten Dogmatik des Polizeirechts bedeutete. Weder die Verfasser des VEMEPolG noch die diesen umsetzenden Landesgesetzgeber haben sich in den neuen polizeigesetzlichen Aufgabenbestimmungen oder in den Materialien der 258 259
GVBl, S. 31. S. dazu Wagner, PolG NRW, vor §§ 9 – 11 Rn. 1 ff.
3. Abschn.: Kriminalitätsbekämpfung aus der Sicht des Polizeirechts
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Gesetzgebungsverfahren dazu geäußert, was unter dem Begriff vorbeugende Bekämpfung von Straftaten zu verstehen sein sollte. Den jeweiligen gesetzlichen Aufgabenbestimmungen ließ sich nur entnehmen, dass die neue Aufgabe im Rahmen der schon bestehenden Aufgabe zur Gefahrenabwehr zu erledigen war.260 § 1 wurde um einen § 1a ergänzt: § 1a Verhältnis zu anderen Behörden Die Polizei wird außer in den Fällen des § 1 Abs. 1 Satz 2 nur tätig, soweit die Abwehr der Gefahr durch eine andere Behörde nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint. Sie unterrichtet die anderen Behörden unverzüglich von allen Vorgängen, deren Kenntnis für die Aufgabenerfüllung der anderen Behörden bedeutsam erscheint; § 10c Abs. 2 bleibt unberührt.
Diese Regelung wurde mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip für erforderlich gehalten, wonach die Polizei die Gefahrenabwehr im Verhältnis zu den Ordnungsbehörden (auch Verwaltungs- oder Sicherheitsbehörden genannt) nur im Eilfall wahrzunehmen hat. Die Polizei sollte den neuen Auftrag zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten nach § 1 Abs. 1 Satz 2 als eigene, ihr originär zustehende Aufgabe wahrnehmen. Diese Sonderregelung beinhaltet damit im Verhältnis zur Ordnungsbehörde eine teilweise Repolizeilichung der Gefahrenabwehr,261 die in den Polizeigesetzen von Berlin (§ 4 Abs. 1 Satz 1 ASOG), Brandenburg (§ 2 Satz 1 PolG), Mecklenburg-Vorpommern (§ 1 Abs. 2 i.V. mit § 7 Abs. 4 SOG), NordrheinWestfalen (§ 1 Abs. 1 Satz 3), Sachsen (§ 2 Abs. 3 PolG), Sachsen-Anhalt (§ 2 Abs. 2 SOG) und Thüringen (§ 3 Satz 1 PAG) umgesetzt wurde. Damit der Auftrag zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten wahrgenommen werden konnte, erhielt die Polizei nach dem Vorbild des VEMEPolG in den Landespolizeigesetzen Befugnisse zur offenen und verdeckten Informationsbeschaffung (allgemeine Datenerhebungsgeneralklausel, Befragung, Datenerhebung bei öffentlichen Veranstaltungen und Ansammlungen, Datenerhebung durch Observation, Einsatz technischer Mittel in der Öffentlichkeit oder in oder aus Wohnungen, Einsatz von Vertrauenspersonen und verdeckten Ermittlern und Polizeiliche Beobachtung) und Informationsverarbeitung (Datenabgleich und Rasterfahndung). Voraussetzungen für den Einsatz dieser Befugnisse war das Vorliegen von Tatsachen, die die Annahme rechtfertigten, dass der von der Maßnahme Betroffene Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen würde und ihre Erforderlichkeit zur vorbeugenden Bekämpfung dieser Straftaten.262 Die informationellen Maßnahmen zur Datenerhebung und -verarbeitung sollten auf sie folgende aktionelle Maßnahmen der Kriminalitätsbekämpfung vorbereiten. Seit den 1990er Jahren schufen die Polizeigesetzgeber mit dem Aufenthaltsverbot, der Schleierfahndung, der Videoüberwachung und dem automatisierten Kenn260 261 262
S. dazu 2. Teil, 4. Abschnitt, B. II. 2. a) bb) (2). Kniesel/Braun/Keller, BPOR, 1. Kap. Rn. 7 f. S. §§ 8a ff. VEMEPolG.
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
zeichenabgleich weitere Vorfeldmaßnahmen, die ebenfalls durchgeführt werden konnten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte bzw. Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass Personen in bestimmten Bereichen oder an bestimmten Stellen Straftaten begehen würden. Beim Aufenthaltsverbot handelte es sich um eine aktionelle Maßnahme, bei den anderen mischten sich informationelle und aktionelle Komponenten zu einem neuen Maßnahmentypus.263
VIII. Entwicklung der Polizeigesetze nach dem 11. 9. 2001 1. 2001 – 2016 Als Reaktion auf die Anschläge vom 11. 9. 2001 und die nachfolgenden in London, Madrid, Nizza, Paris und Berlin wurden die Polizeigesetzgeber in Bund und Ländern tätig und erweiterten die polizeilichen Überwachungsbefugnisse für die Telekommunikation,264 den Kennzeichenabgleich,265 die Online-Durchsuchung266 und die Vorratsdatenspeicherung.267 Die Antiterrordatei wurde durch das Antiterrordateigesetz als Verbunddatei eingeführt,268 das Terrorismusbekämpfungsgesetz übertrug dem Bundeskriminalamt die Bekämpfung des internationalen Terrorismus269 und das Bundeskriminalamtgesetz vom 25. 12. 2008 stattete das Amt in den §§ 20a – x mit umfangreichen Befugnissen aus – u. a. zum verdeckten Eingriff in informationstechnische Systeme, zur Überwachung der Telekommunikation, Erhebung von Telekommunikationsverkehrsdaten und Nutzungsdaten sowie Identifizierung und Lokalisierung von Mobilfunkdaten und -endgeräten –, die über die Befugnisse der Länder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten hinausgingen. 2. Seit 2017 In einem zweiten Schub kam es zu erheblichen Änderungen und Neuerungen. Der Bund konzipierte das BKAG grundlegend neu. Bei den Befugnissen wurden die Vorfeldmaßnahmen in § 49 (verdeckter Eingriff in informationstechnische Systeme), § 50 (Postbeschlagnahme), § 51 (Überwachung der Telekommunikation), § 52 (Erhebung von Telekommunikationsdaten und Nutzungsdaten), § 53 (Identifizierung und Lokalisierung von Mobilfunkkarten und -endgeräten), § 55 (Aufenthalts263
S. dazu näher 3. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 2. b). S. § 33 ndsSOG vom 19. 1. 2005 (Nds GVBl, S. 9). 265 S. § 14 Abs. 5 hessSOG vom 14. 1. 2005 (GVBl, S. 14) und § 184 Abs. 5 sh LVG vom 13. 04. 2007 (GVOBl, S. 234). 266 S. Art. 34d bayPAG; § 15b hessSOG; § 31c rpPOG; § 33a Abs. 2 Satz 2 thürPAG. 267 S. ATDG vom 22. 12. 2006 (BGBl I, S. 3409). 268 S. Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung vom 21. 12. 2007 (BGBl I, S. 3198). 269 BGBl I, S. 1354. 264
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vorgabe und Kontaktverbot) und § 56 (Elektronische Aufenthaltsüberwachung) erweitert und sind jeweils unter den tatbestandlichen Voraussetzungen zulässig, wenn – bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Person innerhalb eines übersehbaren Zeitraums auf eine zumindest ihrer Art nach konkretisierte Weise eine Straftat nach § 5 Absatz 1 Satz 2 begehen wird oder – deren individuelles Verhalten eine konkrete Wahrscheinlichkeit dafür begründet, dass sie innerhalb eines überschaubaren Zeitraums eine Straftat nach § 5 Abs. 1 Satz 2 begehen wird. Auf die Einführung des Gefahrentypus der drohenden Gefahr wurde verzichtet. Die in § 39 (Erhebung personenbezogener Daten), § 41 (Befragung und Auskunftspflicht), § 42 (Identitätsfeststellung und Prüfung von Berechtigungsscheinen), § 44 (Vorladung), § 47 (Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung oder gezielten Kontrolle) und § 48 (Rasterfahndung) geregelten Maßnahmen zur Verhütung von Straftaten setzen nur voraus, dass Tatsachen oder bei der Rasterfahndung konkrete Vorbereitungshandlungen die Annahme rechtfertigen, dass eine Straftat nach § 5 Abs. 1 Satz 2 begangen werden soll. Der Begriff der Gefahr, auf die sich die Befugnisse zur Abwehr des internationalen Terrorismus in Abschnitt 5 beziehen, ist gemäß § 38 Absatz 2 eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Zusammenhang mit Straftaten nach § 5 Absatz 1 Satz 2, wo es heißt: Gefahren des internationalen Terrorismus sind Gefahren der Verwirklichung von Straftaten, die in § 129a Absatz 1 und 2 des Strafgesetzbuchs bezeichnet und dazu bestimmt sind, 1. die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, 2. eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder 3. die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen können. Das Bundeskriminalamt kann in den in Satz 1 bezeichneten Fällen auch zur Verhütung von Straftaten nach Satz 2 tätig werden.
Die Landesgesetzgeber erweiterten ebenfalls die polizeilichen Befugnisse, um die Polizei in den Stand zu setzen, schon im Vorfeld der konkreten Gefahr zu agieren und so weitere terroristische Anschläge vorbeugend bekämpfen zu können. Bestehende Befugnisse, insbesondere die Überwachung der Telekommunikation, Schleierfahndung und Videoüberwachung wurden erweitert und neue (elektronische Aufenthaltsüberwachung, Aufenthaltsge- und -verbote) eingeführt. Im Mittelpunkt der Diskussion standen der neue Gefahrentypus der drohenden Gefahr und die über die bisherige maximale Dauer von 14 Tagen hinausgehende
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
Präventivhaft. Im bayerischen Polizeiaufgabengesetz wurde die drohende Gefahr eingeführt und in der Generalklausel des Art. 1 PAG als Abs. 3 verankert: Die Polizei kann unbeschadet der Abs. 1 und 2 die notwendigen Maßnahmen treffen, um den Sachverhalt aufzuklären und die Entstehung einer Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut zu verhindern, wenn im Einzelfall 1. das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet oder 2. Vorbereitungshandlungen für sich oder zusammen mit weiteren bestimmten Tatsachen den Schluss auf ein seiner Art nach konkretisiertes Geschehen zulassen, wonach in absehbarer Zeit Angriffe von erheblicher Intensität oder Auswirkung zu erwarten sind (drohende Gefahr), soweit nicht die Art. 12 bis 48 die Befugnisse der Polizei besonders regeln.
Der bayerische Gesetzgeber interpretierte die Passage im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKAG, wonach eine hinreichend konkretisierte Gefahr schon dann bestehen könne, wenn sich der zum Schaden führende Kausalverlauf noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehen lasse, sofern bereits bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinwiesen, in dem Sinne, dass damit ein neuer Gefahrtypus geschaffen worden sei und übernahm ihn. Die drohende Gefahr sollte aber nicht nur im Rahmen der Generalklausel, sondern auch bei den Standardmaßnahmen der Identitätsfeststellung nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 b) und der Platzverweisung nach Art. 16 Abs. 1 Nr. 2 bayPAG zur Anwendung kommen. Im neu eingefügten Art. 32a bayPAG wurde die elektronische Aufenthaltsüberwachung (Fußfessel) in Abs. 1 geregelt: Zur Abwehr einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr für ein in Art. 11 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis 3 oder Nr. 5 genanntes bedeutendes Rechtsgut kann gegenüber der dafür verantwortlichen Person angeordnet werden, die für eine elektronische Überwachung ihres Aufenthaltsorts erforderlichen technischen Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen. Eine Anordnung kann insbesondere mit Maßnahmen nach Art. 16 Abs. 2 verbunden werden.
Die besondere Bedeutung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung liegt in ihrer Vorschaltfunktion für die in Art. 17 Abs. 1 bayPAG geregelte Präventivhaft, die verhängt werden kann, wenn der Betroffene einer Anordnung nach § 32a bayPAG nicht Folge leistet. Die Höchstdauer des Präventionsgewahrsams wurde auf drei Monate verlängert und kann nach Art. 20 Nr. 3 bayPAG unbegrenzt häufig verlängert werden. Durch § 1 der Gesetzes vom 23. 7. 2021 (GVBl, S. 418) ist Art. 20 dergestalt geändert, dass eine Freiheitsentziehung jeweils nicht mehr als einen Monat betragen darf und insgesamt nur bis zu einer Gesamtdauer von zwei Monaten verlängert werden kann.
3. Abschn.: Kriminalitätsbekämpfung aus der Sicht des Polizeirechts
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B. Dogmatische Entwicklung des Polizeirechts I. Vorbeugende Rechtspflege als vorbeugende Bekämpfung von Straftaten In dem 1866 in 3. Auflage erschienen Werk „System der Präventivjustiz oder Rechtspolizei“ hat v. Mohl ein erstes Konzept der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten entwickelt. Er unterscheidet zwei Funktionen staatlicher Rechtssicherung; erstens müsse der Staat beabsichtigen Rechtsstörungen zuvorkommen und zweitens im Falle des Misslingens für die Wiederherstellung des Rechts sorgen.270 Für ihn zerfallen die Anstalten des Staates zur Sicherstellung des gesetzlichen Rechtszustandes in zwei große, wesentlich verschiedene Abteilungen; die eine enthält als vorbeugende Rechtspflege (Präventivjustiz oder Rechtspolizei) diejenigen Maßregeln, die durch äußeren Zwang verbrecherische Rechtsstörungen verhindern, die andere die wiederherstellende Rechtspflege als bürgerliche und peinliche Justiz.271 Hinsichtlich der Begründung von Strafe wendet sich v. Mohl gegen eine Legitimation des Strafrechts aus dem Gedanken der Prävention; die Zufügung von Strafe wegen einer begangenen Rechtsstörung dient der Wiedergutmachung und nicht der Vorbeugung.272 Völlig unbegreiflich ist für v. Mohl die regelmäßige Vernachlässigung der Präventiv-Justiz, also der Vorbeugung durch die Rechtsgelehrten seiner Zeit.273 Deren Fixierung auf die wiederherstellende Rechtspflege werde den Anforderungen des Rechtsstaats nicht gerecht, der seinen Zweck des Rechtsschutzes nur dann vollständig erfülle, wenn er den drohenden Rechtsstörungen zuvorkomme.274 Als Maßregeln der Verhinderung von Verbrechen entwickelt v. Mohl folgende Maßnahmen: 1. Sicherstellung Derjenige, von dem die Gefahr eines zukünftigen Verbrechens ausgeht – dem heutigen Gefährder – kann ein Versprechen oder ein Eid abverlangt werden, dass er das drohende Unrecht unterlassen werde. Von ihm könne auch gefordert werden, dass er eine Sicherheitsleistung als Realkaution leistet oder einen Bürgen stellt.275
270 271 272 273 274 275
v. Mohl, System, S. 12 f. v. Mohl, System, S. 48 f. v. Mohl, System, S. 15 Fn. 2. v. Mohl, System, S. 14. v. Mohl, System, S. 515. v. Mohl, System, S. 527.
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
2. Eingrenzung Als Beschränkung seiner Fortbewegungsfreiheit darf sich der Betroffene nur innerhalb vorgegebener enger Grenzen eines kleinen Bezirkes bewegen, ist dort aber frei und kann seinen Geschäften nachgehen.276 Damit seine ununterbrochene Anwesenheit garantiert werden kann, muss sich der Betroffene in vorgegebenen Zeitabständen bei der Behörde melden;277 es handelt sich insoweit um einen Vorläufer der heute in verschiedenen Kriminalitätsbereichen praktizierten Meldeauflage. Die Dauer der Eingrenzung kann „lebenslänglich währen“, wenn die Gefährdung durch den Betroffenen fortbesteht.278 3. Wegweisung Für v. Mohl ist die Wegweisung eine rechtsstaatlich höchst problematische Verfügung von größter Eingriffsintensität.279 Als Gegenstück zur Eingrenzung verbietet die Wegweisung dem Betroffenen, eine bestimmte Örtlichkeit zu betreten oder sich in ihr aufzuhalten. Sie kann sich auch auf ein größeres Gebiet erstrecken, als Landesverweisung sogar auf das ganze Staatsgebiet, wobei zwischen Ausländern und Staatsbürgern unterschieden wird. Bei ersteren wird die Wegweisung als unproblematisch angesehen, weil bei einem Fremden der Aufenthalt im Staatsgebiet nur unter der stillschweigenden Voraussetzung zugelassen werde, dass die Gesetze des Landes beachtet würden.280 Bei einem Staatsbürger soll die Wegweisung nur in Betracht kommen, wen es um die Verhütung einer zukünftigen Rechtsstörung mit überwiegendem Wahrscheinlichkeitseintritt handelt, der Betroffen schon früher gefährliche Unternehmungen derselben Art begangen hat und ein bestimmtes Verbrechen droht, etwa ein gewaltsamer Angriff auf die Staatsordnung, Landesverrat, gefährliche Brandstiftung, Organisation von Diebes- und Räuberbanden oder bewaffneter Einbruch.281 Adressat dieser für v. Mohl rechtsstaatlich bedenklichen Maßnahme muss eine Person sein, die sich in offenem Kriegszustand mit der Gesellschaft befindet; er spricht vom „gewohnheitsmäßigen Rechtsfeind“.282 4. Verhaftung Die Inhaftierung zur Verhinderung einer drohenden Rechtsverletzung ist dann grundsätzlich zu rechtfertigen, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der 276 277 278 279 280 281 282
v. Mohl, System, S. 528. v. Mohl, System, S. 529. v. Mohl, System, S. 533 f. v. Mohl, System, S. 533 f. v. Mohl, System, S. 540. v. Mohl, System, S. 539. v. Mohl, System, S. 543.
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Begehung des befürchteten Verbrechens durch eben die zu verhaftende Person besteht; die Verhaftung muss verhältnismäßig sein, darf also nur zur Verhinderung schweren Unrechts eingesetzt werden.283 Die Inhaftierung ist nur so lange zulässig, wie die Gefahr der Straftatbegehung besteht; im Extremfall kann somit eine lebenslange Präventivhaft zulässig sein.284 Dem Betroffenen müssen wirksame Mittel gegen eine willkürliche Inhaftierung eingeräumt werden, insbesondere muss er ungehindert Klage bei höheren Behörden führen können.285 Was den Vollzug der Präventivhaft betrifft, so darf der Betroffene nicht „hart behandelt“ werden, sich also nur das gefallen lassen müsse, was Flucht und unbefugte Kontakte nach außerhalb verhindert.286 Ansonsten sind dem Betroffenen relativ komfortable Haftbedingungen zu gewährleisten, „was sich mit der Sicherheit ihrer Aufbewahrung und mit dem Zwecke ihrer Verhaftung irgend verträgt, ist ihnen zu gestatten; auf ihre Kosten mögen sie Weiteres verlangen, als die gewöhnliche Einrichtung des Arresthauses mit sich bringt.“ Schlechte Kost, Gefangenenkleidung, harte Lagerstätten, Entziehung von Beschäftigung und Licht kommen als Unterbringungsstandard nicht in Betracht.287 5. Haussuchung und Beschlagnahme Weitere Mittel zur Verhinderung von Straftaten sind die Durchsuchung von Häusern und Wohnungen, die Beschlagnahme von Papieren und Gegenständen, die als Werkzeuge zur Begehung von Straftaten in Betracht kommen. 6. Fazit Zusammenfassen lässt sich v. Mohls Verhinderungskonzept wie folgt: Zwischen Prävention und Repression besteht ein fundamentaler Unterschied; erstere soll künftiges Unrecht verhindern, letztere das Recht nach begangenem Unrecht wiederherstellen. Für Maßnahmen zur Verbrechensverhinderung reicht die bloße Möglichkeit der Straftatbegehung nicht aus, diese muss vielmehr wahrscheinlich sein; im Hinblick auf eine bestimmte Straftat muss ein personaler Bezug zu einem konkreten potenziellen Täter gegeben sein. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit macht die Verhinderungsmaßnahme von Art und Gewicht des drohenden Unrechts abhängig und verlangt als Maßnahmeadressaten den gewohnheitsmäßigen Rechtsfeind, also Personen, die heute als Gefährder qualifiziert würden. Wenn es um die Verhinderung von Straftaten gegen diesen Personenkreis geht, der nach v. Mohls Vorstellung organisiert vorgeht, handelt es sich nicht nur um die zur allgemeinen 283 284 285 286 287
v. Mohl, System, S. 546. v. Mohl, System, S. 546 f. v. Mohl, System, S. 548. v. Mohl, System, S. 548 f. v. Mohl, System, S. 548 ff.
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
Gefahrenabwehr zählende Verhinderung unmittelbar bevorstehender, in ihren Umrissen schon klar erkennbaren Straftaten, sondern v. Mohl will auch die dahinterstehenden Strukturen angreifen. Die von ihm dafür vorgesehenen Maßnahmen sind rechtsstaatlich eingehegt und setzen keine Ausnahmesituation voraus; der Rechtsfeind ist im heutigen Sprachgebrauch ein Gefährder, dem mit den Mitteln des Polizeirechts zu begegnen ist. Die von v. Mohl vorgeschlagenen Maßnahmen entsprechen im Wesentlichen denen, die heute im Rahmen der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus diskutiert werden.
II. Verhinderung strafbarer Handlungen durch Polizeigewalt In seinem Werk „Verhinderung strafbarer Handlungen durch Polizeigewalt“ von 1913 folgt Friedrich Kitzinger v. Mohls Unterscheidung zwischen polizeilicher Gefahrenabwehr und Strafverfolgung. „Es ist begrifflich und dem juristischen Wesen nach etwas Anderes, wenn die Polizei tätig wird auf Grund allgemeiner Ermächtigung, Gefahren abzuwehren, für öffentliche Ordnung, Sicherheit, Sittlichkeit, Ruhe zu sorgen, oder wenn sie gegen den einzelnen Rechtsbrecher vorgeht auf Grund der Tatsache, dass er das Recht bricht oder brechen will.“288 Die Unterscheidung von Gefahrenabwehr als Verhinderung und Strafverfolgung als Reparatur des Rechtsbruches ist für Kitzinger so grundlegend wie für v. Mohl. Deshalb nimmt er schon in seiner Einleitung dessen Kritik an der Vernachlässigung der Gefahrenabwehr durch die Strafrechtslehre auf. „Für diese scheint die Abwehr strafbaren Unrechts durch Polizeigewalt überhaupt kaum zu existieren, weder als Rechtsfolge versuchten oder sich vollendenden Unrechts, obwohl sie dessen unmittelbarste Rechtsfolge ist, noch als Mittel zu dessen Verhütung, obwohl sie das unmittelbarste und direkteste Bekämpfungsmittel darstellt. Namentlich unter dem letzteren Gesichtspunkt muss jene Vernachlässigung befremden. Weit mehr als in früheren Zeiten behandelt in unseren Tagen die Kriminalwissenschaft neben der Bestrafung des Unrechts dessen Verhütung. Meist aber wurden dabei, soweit nicht die Strafe selbst und ihre vermeintlichen oder wirklichen Surrogate der Verbrechensbekämpfung dienstbar gemacht werden sollen, nur Maßnahmen allgemeineren Charakters erforscht, die indirekt kriminalpolitische Bedeutung haben; von dem unmittelbarsten Kampf gegen das Verbrechen durch die hierzu geschaffenen staatlichen Organe ist fast nie die Rede, charakteristischerweise auch nicht in solchen zeitgenössischen Werken, die der Verbrechensbekämpfung als solcher gewidmet sind. Vielleicht erscheint die Tatsache, dass die Polizei strafbare Handlungen verhindern darf, den Kriminalisten zu einfach und selbstverständlich, um untersucht oder auch nur erwähnt zu werden.“289 Als besondere Maßnahme zur Verhinderung von Straftaten hält Kitzinger eine über den bestehenden Rahmen von dreimal 24 Stunden hinausgehende Präventivhaft 288 289
Kitzinger, Verhinderung, S. 74. Kitzinger, Verhinderung, S. 1 f.
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als Entzug der Gelegenheit zur Tatbegehung für erforderlich, um Verbrechen erfolgreich bekämpfen zu können.290 Was den Zeitpunkt des polizeilichen Einschreitens zur Unrechtsverhinderung betrifft, orientiert sich Kitzinger nicht an einem bestimmten Stadium des rechtswidrigen Verhaltens wie Vorbereitungshandlung oder Versuch, sondern nur an der „Voraussetzung seiner Notwendigkeit behufs Zweckerfüllung, also behufs Verhinderung dieser Rechtsverletzung;“ ein Eingreifen ist gerechtfertigt, wenn die „Gefahr besteht, dass bei längerem Zuwarten die Ausführungshandlung nicht mehr verhindert werden kann“.291 Kitzinger sieht durchaus, dass in solchem vorverlagerten Eingreifen eine bedenkliche Erweiterung der polizeilichen Gewalt liegt, nimmt dies aber in Kauf, da das Vereiteln rechtswidriger Taten immer mit dem Risiko behaftet sei, dass das vorgelagerte Eingreifen sich im Nachhinein als überflüssig herausstelle.292 Im Begriff der Gefahr liege stets ein „Unbestimmtes“, weshalb schon v. Mohl die rechtspolizeiliche Tätigkeit zutreffend als ein Handeln auf Wahrscheinlichkeit gekennzeichnet habe.293
III. Polizeiliche Freiheitsentziehung zur Verhinderung von Straftaten In dem unter seiner Leitung entstandenen Werk „Der polizeiliche Eingriff in Freiheiten und Rechte“ von 1951 nimmt Erich Kaufmann den Aspekt der Vernachlässigung des polizeilichen Auftrags zur Straftatenverhinderung auf und betont, dass gerade die vorhergehende Abwehrtätigkeit der Polizei als Verhinderung strafbaren Übels größerer Beachtung wert wäre. „Denn hier nimmt die Polizei ihr eigentliches Amt wahr, während sie bei der Verfolgung begangener Straftaten nur ausführendes Organ der Strafjustiz ist, was sich schon in dem Unterstellungsverhältnis zur Staatsanwaltschaft äußert.“294 „Während die Betrachtung der Maßnahmen der gerichtlichen Polizei im deutschen Rechtsleben seit jeher gepflegt wurde und die Äußerungen der Wissenschaft und der obersten Gerichtshöfe zu diesem Thema allein ganze Bibliothekschränke füllen würden, fristet das Recht der Präventivpolizei ein kaum beachtetes Dasein.“295 Kaufmann setzt sich dann, wie schon v. Mohl und Kitzinger, mit der Notwendigkeit der Präventivhaft für eine effektive Verhinderung von Straftaten auseinander und er sieht die rechtsstaatliche Problematik in ihrer Dauer, meint aber, dass die Polizei bei der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten schwerster Art auf die Möglichkeit zur Inhaftierung gefährlicher Personen angewiesen sei, soll sie nicht zur 290 291 292 293 294 295
Kitzinger, Verhinderung, S. 209 ff. Kitzinger, Verhinderung, S. 146. Kitzinger, Verhinderung, S. 146 f.; Gierhake, Zusammenhang, S. 376. Kitzinger, Verhinderung, S. 147. Kaufmann, Eingriff, S. 266. Kaufmann, Eingriff, S. 313 ff.
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
Hilflosigkeit verurteilt sein und appelliert deshalb an den Gesetzgeber, sich des Problems anzunehmen.296
IV. Verhütung von Straftaten als gesellschaftssanitäre Aufgabe der Polizei Herold interpretierte schon Anfang der 1970er Jahre den Gedanken der Prävention neu und wollte mit ihm die Polizeiarbeit reformieren. Diese müsse auf eine höhere qualitative Stufe gehoben werden, wo Repression durch Prävention ersetzt werde.297 Wenn die Polizei erst über die notwendigen Daten verfüge, könne sie eher als der Täter am Tatort sein und so Straftaten verhüten und damit Strafverfolgung überflüssig machen; mit Hilfe des Computers als gesamtgesellschaftlichem Diagnoseinstrument könne die Gesellschaft therapiert werden, sodass die Ursachen der Kriminalität angegangen werden könnten und nicht mehr nur ihre Erscheinungsformen bekämpft werden müssten.298 Die Verhütung von Straftaten sollte damit auf ein ganz neues Fundament gestellt werden. Politische Rückendeckung erhielt Herold vom damaligen Bundesinnenminister Maihofer, der 1976 anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Bundeskriminalamtes erklärte, dass nur eine Schwerpunktverlagerung der polizeilichen Tätigkeit im informationellen wie im operativen Bereich auf die präventive Verbrechensvorbeugung tiefer greifende Erfolge ermöglichen könne als es die repressive Anwendung des Strafrechts gestatte.299 Herold wollte die Kriminalität „im Keim ersticken“ und „an der Wurzel packen“, den potentiellen Täter also möglichst gar nicht zur Ausführung seiner Tat kommen lassen.300 Durch umfassende Datenspeicherung und -auswertung bekäme die Verbrechensbekämpfung ihre eigentliche, die Ursachen des Verbrechens hemmende Dimension; gesellschaftsfeindliche oder lediglich abweichende Verhaltensweisen könnten ebenso unterschieden werden wie solche, die der Sanktion bedürften, und solche, bei denen im Sinne eines fortgeschrittenen Verständnisses auf staatlich-polizeiliche Präsenz verzichtet werden könne.301 Mit Hilfe der Datenverarbeitung und der Kriminaltechnik erscheine es erstmals technisch machbar, das Verbrechen auf jenen geringen Bodensatz zurückzuführen, der unausrottbar sei.302 In seinem Vortrag auf einem UN-Symposium in Den Haag im Jahre 1980 stellte Herold auch die normativen Rahmenbedingungen des dafür erforderlichen polizeilichen Vorgehens vor und zeigte auch den möglichen Konflikt zwischen Technik und Menschenwürde 296 297 298 299 300 301 302
Kaufmann, Eingriff, S. 320. Herold, DP 1972, 133 (134 f.); Baldus, DV 47 (2014), 1 (7 f.). Herold, DP 1972, 133 (134 f.). Maihofer, 25 Jahre BKA, S. 63 (75). Herold, Grundlagen der Kriminalistik, 11, S. 23. Herold, Recht und Politik 1980, 79 ff. Herold, Recht und Politik 1980, 79 ff.
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auf. Seine Vision oder Utopie303 wurde von seinen Kritikern als Programm eines sozialdemokratischen Sonnenstaats verstanden304 und mit rechtsstaatsfeindlichen Äußerungen nationalsozialistischer Rechtslehrer auf eine Stufe gestellt.305 Indes ist der gegen ihn erhobene Vorwurf totalitärer Gesinnung unbegründet; zum Vorwurf kann ihm allerdings gemacht werden, dass er die Gefahr einer totalen Überwachung der Gesellschaft, auf die seine Vorstellungen zwangsläufig hinauslaufen würden, unterschätzt und den für die Gewährleistung von Sicherheit zu zahlenden Preis in Form der Einbuße von Freiheitsrechten nicht berechnet hat.306 Neue Aktualität gewinnt Herold mit Predictive Policing als neuer Formen der Prävention. Diese wird seit 2015 in Bayern im Dauerbetrieb und in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen stellenweise praktiziert. Es geht um computergestützte automatisierte Auswertung unterschiedlicher Daten, um Wahrscheinlichkeitsaussagen über die künftige Begehung von Straftaten hinsichtlich Raum, Zeit und potenziellen Tätern machen zu können.307 Haupteinsatzgebiet ist die Bekämpfung des Wohnungseinbruchdiebstahles. Dafür wird die Datenverarbeitung zur Unterstützung der operativen Kriminalitätsbekämpfung eingesetzt, indem die knappe Ressource Personal auf der Straße effektiv dort eingesetzt werden kann, wo mit der Begehung von Straftaten zur rechnen ist. Predictive Policing erinnert deshalb an die Vision von Herold,308 wonach die Polizei schon vor dem Eintreffen der Täter am Tatort oder in seiner Nähe ist, um die geplante Straftat zu verhindern. Predictive Policing ist also ein neues Konzept zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten und gibt dieser mit dem Aufzeigen neuer Möglichkeiten der Kriminalitätsbekämpfung auch einen neuen dogmatischen Impuls, auch im Hinblick auf die Abgrenzung zur Strafverfolgung; wenn es um die Verhütung von Straftaten geht und Predictive Policing dadurch als Gefahrenabwehr legitimiert wird, kann es sich bei der vorausblickenden Polizeiarbeit nicht um automatisierte Strafverfolgung handeln.309 Mit Predictive Policing als neuer Form digitaler Gefahrensuche wird die Polizeirechtsdogmatik – wie bei allen Formen digitaler Verdachtsermittlung – vor eine weitere Herausforderung gestellt. Mit der algorithmisierten Generierung von Gefährdungswissen, bei der das Gefährdungspotential nicht mehr über Kausalwissen, sondern über Korrelationen bestimmt wird, stellt sich die Frage, ob und inwieweit auf
303
Cobler, Herold gegen Alle, Trans-Atlantik 1980, S. 29 ff. Enzensberger, Der Spiegel, Nr. 25/1979, S. 68 ff. (78). 305 Schwan, Demokratie und Recht 1980, 329 ff. 306 Bull, DVR 1982, 1 (5 f.; insbes. Fn. 13). 307 Gluba, DP 2016, 53 ff.; Singelnstein, NStZ 2018, 1 ff.; Rademacher, AöR 2017, 367 ff.; Volkmann, NVwZ 2021, 1408 (1414) sieht Predictive Policing im Sinne eines Prädikationsmodells gleitend übergehen in ein Präemptionsmodell, mit dem die Polizei nicht nur Straftaten vorhersagt, sondern ihrer Begehung zuvorkommt. 308 S. B. IV. 309 So aber Meinecke, K&R 2015, 377 ff. 304
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der Grundlage des Gefährdungswissens zur Verdichtung desselben informationelle und gegebenenfalls auch aktionelle Maßnahmen getroffen werden können.310
V. Präventive Wende zur operativen Kriminalitätsbekämpfung Schon im Jahr 1975 wies Alfred Stümper nachdrücklich auf die Notwendigkeit operativer Bekämpfung der modernen schweren Kriminalität hin. Diese könne nicht mehr unter einem kriminalpolitisch etwas kleinbürgerlichen Aspekt mit der immer wieder anzutreffenden Klischeevorstellung einer für sich allein stehenden Einzeltat gesehen werden.311 Er wechselte deshalb das „Feindbild“ aus: „Es geht in erster Linie nicht mehr um den Täter und seine Tat, sondern – soweit eben möglich – um die Beseitigung der Kriminalität schlechthin.“312 Dies setze aber – und das war seine richtige Erkenntnis – ein übergreifendes kriminalstrategisches Konzept voraus. Gegenüber der Notwendigkeit zu operativem Vorgehen müsse die überkommene Unterscheidung von Prävention und Repression in den Hintergrund treten; sie sei überholt, weil die operative Dimension der polizeilichen Kriminalitätsbekämpfung beide Bereiche zusammenführe.313 In Ansehung der unterschiedlichsten Erscheinungsformen organisierter Kriminalität komme es wegen der operativen Zielsetzung sicherheits- und kriminalpolitisch nicht in erster Linie darauf an, die einzelne Straftat aufzuklären, zu verfolgen und den Täter seiner gerechten Strafe zuzuführen; es komme auch letztlich nicht einmal darauf an, konkret bevorstehende nächste Straftaten zu verhindern, sondern entscheidendes Ziel müsse sein, die kriminelle Ausgangsbasis, Struktur und Logistik zu neutralisieren, auszuheben und zu beseitigen.314 Mit der operativen Wende hat Stümper eine neue Phase der Kriminalitätsbekämpfung eingeleitet, allerdings um den Preis der Vermischung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung.
VI. Ruf nach dem Präventionsstaat Hinter der Einsicht in die Notwendigkeit der operativen Bekämpfung der neuen Kriminalitätsformen aus der Sicht der Polizeipraxis stand die Erkenntnis der Polizeirechtswissenschaft, dass die klassische Gefahrenabwehr um die Gefahrenvorsorge erweitert werden muss.315 Die klassische Eingriffsschwelle der konkreten 310
Trute, DV 53 (2020), 99 (113). Stümper, Kriminalistik 1975, 49 (52). 312 Stümper, Kriminalistik 1975, 49 (52). 313 Stümper, Kriminalistik 1980, 242 ff. 314 Stümper, Kriminalistik 1980, 242 (243); ders., in: Kube/Störzer/Timm, Kriminalistik Band 1, S. 365 (381 ff.). 315 Schlink, VVDStRL 48 (1990), 236 (253 ff.); Möstl, DVB1 2007, 581 (582); Poscher, DV 2008, 345 (347 f.). 311
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Gefahr, die als Kompromiss zwischen Freiheit und Sicherheit die Verteidigungslinie des liberalen Rechtsstaats so weit zurückgenommen hatte, dass sie das Risiko einging, den letzten Zeitpunkt für eine effektive Gefahrenabwehr zu verpassen, kann in Ansehung von organisierter Kriminalität und Terrorismus nicht länger aufrechterhalten werden. Der Staat wird durch diese neue Gefährdungsdimension herausgefordert und es muss von ihm erwartet werden, dass er Gefahren gar nicht erst entstehen lässt. Er muss gefahrenvorsorgerisch schon bei Gefahrenquellen und Risikopotenzialen ansetzen und organisierte Kriminalität und Terrorismus schon im Vorfeld der konkreten Gefahr bekämpfen; die Verhütung von Straftaten als bereits im Frühstadium gegen kriminelle Strukturen gerichtete dauerhafte Bekämpfungsaufgabe ist als Erweiterung des klassischen Auftrags zur Gefahrenabwehr zu akzeptieren.316 Prävention als vorbeugende Bekämpfung von Straftaten ist vor diesem Hintergrund die neue dogmatische Leitidee im Sinne eines eigenständigen polizeirechtlichen Vorsorgeprinzips.317
VII. Restriktive Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu polizeirechtlichen Vorfeldmaßnahmen Das Bundesverfassungsgericht hat sich von 2005 bis 2016 in mehreren Entscheidungen mit polizeilichen Vorfeldmaßnahmen befasst. Am Anfang stand das Urteil zu § 33a Abs. 1 Nr. 2 und 3 ndsSOG. Diese Norm erlaubte der Polizei die Datenerhebung durch Überwachung der Telekommunikation über Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass sie Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen würden. Diese tatbestandlichen Voraussetzungen hat das Gericht als unzureichend verworfen und die Bestimmung wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot und die Verhältnismäßigkeit in ihrer Ausprägung der Angemessenheit für verfassungswidrig erachtet. Zwar könne bei der Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten oder bei ihrer Verhütung nicht an dieselben Kriterien angeknüpft werden, die für die Gefahrenabwehr oder die Verfolgung begangener Straftaten entwickelt worden seien, doch müsse der Gesetzgeber bei von ihm vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen die den Anlass bildenden Maßnahmen sowie die Anforderungen an Tatsachen so bestimmt umschreiben, dass das im Bereich der Vorfeldermittlung besonders hohe Risiko einer Fehlprognose gleichwohl verfassungsrechtlich noch hinnehmbar sei. Insbesondere müsse die Norm handlungsbegrenzende Tatbestandselemente enthalten, die bei § 33a Abs. 1 Nrn. 2 und 3 ndsSOG nach Auffassung des Gerichts nicht vorhanden waren; die auf Tatsachen gegründete, nicht näher konkretisierte Möglichkeit, dass jemand irgendwann in Zukunft Straf-
316
Volkmann, NVwZ 2009, 216 (217); Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1 Rn. 11 ff.; Würtenberger/Heckmann/Tanneberger, PR B-W, § 1 Rn. 33 ff.; Kniesel/Tegtmeyer/Vahle, Handbuch Datenschutz, Rn. 28 ff. 317 Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1 Rn. 11.
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taten von erheblicher Bedeutung begehen werde, reiche als handlungsbegrenzendes Tatbestandelement nicht aus.318 In seinem Beschluss zur Rasterfahndung aus dem Jahr 2006 hat es die konkrete Gefahr als verfassungsrechtlich gebotene Eingriffsschwelle für diese Vorfeldmaßnahme festgelegt319 und sie damit zur Bedeutungslosigkeit verurteilt, weil eine Rasterfahndung nur als Maßnahme im Vorfeld der konkreten Gefahr Sinn macht.320 Dagegen hat es in seiner Entscheidung zur Online-Durchsuchung von 2008 „tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr“ als tatbestandliche Voraussetzung ausreichen lassen; die Prognose müsse „auf die Entstehung einer konkreten Gefahr bezogen sein und die Maßnahme könne auch schon gerechtfertigt sein, wenn sich noch nicht mit hinreichende Wahrscheinlichkeit feststellen lasse, dass die Gefahr schon in näherer Zukunft eintritt, sofern bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr hinweisen.“321 Im Urteil zur Vorratsdatenspeicherung von 2010 hat sich das Gericht auf diese Beschreibung der Eingriffsschwelle bezogen und stellt hinsichtlich der verfassungsrechtlich gebotenen Eingriffsschwelle nicht nur ausdrücklich auf den polizeirechtlichen Begriff der konkreten Gefahr ab, sondern definiert ihn mit den drei Kriterien des konkreten Einzelfalles, der zeitlichen Nähe des Umschlagens der Gefahr in einen Schaden und des Bezugs auf individuelle Personen als Verursacher.322 Im Urteil zur Antiterrordatei von 2013 spricht es bezüglich der tatbestandlichen Voraussetzungen von Anhaltspunkten für das Vorliegen einer Gefahr; soweit der Gesetzgeber die Erhebung personenbezogener Daten ausnahmsweise anlasslos vorsorglich oder zur bloßen Verhütung von Gefahren oder Straftaten erlaube, sei dies besonders rechtfertigungsbedürftig und unterliege gesteigerten verfassungsrechtlichen Anforderungen.323 Im Urteil zum BKAG aus 2016324 hat das Bundesverfassungsgericht seine gerade skizzierte Rechtsprechung zur Eingriffsschwelle für Vorfeldmaßnahmen noch einmal vertieft und offenbar als Summe seiner Polizeirechtsprechung verstanden,325 obwohl das BKAG im speziellen Kontext der eingriffsintensiven Überwachungsmaßnahmen zur Terrorismusbekämpfung zu sehen ist und eine Übertragung auf die Polizeigesetze der Länder, die im Gegensatz zum Bund als Polizeigesetzgeber über eine unbeschränkte Polizeigesetzgebungskompetenz verfügen, nicht selbstverständlich erscheint.326 Bedeutsam ist, dass das Ge318 319 320 321 322 323 324 325 326
BVerfGE 113, 238 (368 ff.). BVerfGE 115, 2320 Leitsatz 1 und S. 360. Volkmann, Jura 2007, 132 ff. BVerfGE 120, 274 Leitsatz 2 und S. 328 f. BVerfGE 125, 260 (330). BVerfGE 133, 277 (327 f.). BVerfGE 141, 220 (272). Möstl, BayVBl 2018, 156. Möstl, BayVBl 2018, 156.
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richt eine schon grundsätzliche Aussage zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Vorfeldbefugnissen am Anfang seiner Urteilsbegründung macht: „Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen aber nicht von vornherein für jede Art der Aufgabenwahrnehmung auf die Schaffung von Eingriffstatbeständen beschränkt, die dem tradierten sicherheitsrechtlichen Modell der Abwehr konkreter unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren entsprechen.“327 Zur Präzisierung seiner bisherigen Rechtsprechung heißt es dann weiter: „Vielmehr kann er die Grenzen für bestimmte Bereiche mit dem Ziel der Straftatenverhütung auch weiter ziehen, indem er die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs reduziert. Allerdings müssen die Eingriffsgrundlagen auch dann eine hinreichend konkretisierte Gefahr in dem Sinne verlangen, dass zumindest tatsächliche Anhaltspunkte für die Entstehung einer konkreten Gefahr für die Schutzgüter bestehen. Allgemeine Erfahrungssätze reichen insoweit allein nicht aus, um den Eingriff zu rechtfertigen. Vielmehr müssen bestimmte Tatsachen festgestellt sein, die im Einzelfall die Prognose eines Geschehens, das zu einer zurechenbaren Verletzung der hier relevanten Schutzgüter führt, tragen.“328 Eine hinreichend konkretisierte Gefahr in diesem Sinne kann danach schon bestehen, wenn sich der zum Schaden führende Kausalverlauf noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehen lässt, sofern bereits bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen. Die Tatsachen müssen dafür zum einen den Schluss auf ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen zulassen, zum anderen darauf, dass bestimmte Personen beteiligt sein werden, über deren Identität zumindest so viel bekannt ist, dass die Überwachungsmaßnahmen gezielt gegen sie eingesetzt und weitgehend auf sie beschränkt werden können.329 In Bezug auf terroristische Straftaten, die oft durch lang geplante Taten von bisher nicht straffällig gewordenen Einzelnen an nicht vorhersehbaren Orten und in ganz verschiedener Weise verübt werden, können Überwachungsmaßnahmen auch dann erlaubt werden, wenn zwar noch nicht ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen erkennbar ist, jedoch das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie solche Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen wird, was etwa denkbar ist, wenn eine Person aus einem Ausbildungslager für Terroristen im Ausland in die Bundesrepublik Deutschland einreist.330
327
BVerfGE 141, 220 (272). BVerfGE 141, 220 (272), 110, 33 (56 f. und 61); 113, 248 (377 f.). 329 BVerfGE 141, 220 (272), 120, 274 (328 f.); 125, 260 (330 f.); nochmals präzisiert in BVerfGE 156, 63 (145 f.); s. dazu Möstl, BayVBl 2020, 649 ff. 330 BVerfGE 141, 220 (273); s. dazu auch BGH, DVBl 2022, 101 (Rn. 44 ff.). 328
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VIII. Sicherheitsrecht als neues Rechtsgebiet 1. Sicherheitsrecht – Paradigma und Überdachung für verschiedene Teilgebiete Im Zusammenhang mit grenzüberschreitender Kriminalität, insbesondere der Sicherheitsbedrohung durch den islamistischen Terrorismus wird „Sicherheitsrecht als neues Paradigma“ eingefordert.331 Begründet wird das mit dem Verschwimmen der überkommenen Trennungen zwischen äußerer und innerer Sicherheit, Gefahrenabwehr und Strafverfolgung und Nachrichtendienstrecht und Polizeirecht einerseits und der Segmentierung des wissenschaftlichen Sicherheitsdiskurses trotz immer stärker werdender Verwebung der sicherheitsrechtlichen Teilgebiete des Polizei-, Strafprozess-, Wehr- und Nachrichtendienstrechts andererseits.332 Dazu heißt es im Editorial der Zeitschrift für das Gesamte Sicherheitsrecht in Heft 1/2017, Sicherheit als neues Paradigma müsse in einer vernetzten Sicherheitsarchitektur erhöhten Abstimmungsbedarfen zwischen den gesetzlichen Ermächtigungen der verschiedenen Akteure auf nationaler, supra- und internationaler Ebene gerecht werden; die einschlägigen Rechtsgrundlagen hätten sich zunehmend angenähert bzw. überlagerten einander, vormals segmentiertes Sonderrecht einzelner Behörden verschränke sich, etwa wenn polizeiliches Handeln immer weiter in das Vorfeld von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung ausgreife, für dessen Beobachtung eigentlich die Nachrichtendienste zuständig seien. Die Teilgebiete des Sicherheitsrechts würden immer stärker miteinander verwoben und es frage sich, ob und inwieweit Strafrecht, Strafverfolgungsrecht und Polizeirecht bisher sinnvoll miteinander synchronisiert worden seien.333 Dass Gefahrenabwehr durch Strafverfolgung erfolge und zwischen Gefahrenabwehrrecht und Strafverfahrensrecht in sehr weitem Umfang eine „Gemengelage“ bestehe, gehöre zu den Grundannahmen des Sicherheitsrechts und komme im neuen Begriff des terroristischen Gefährders sinnfällig zum Ausdruck.334 Außerdem soll das Sicherheitsrecht als Dachbegriff verschiedene Teilgebiete miteinander verbinden. Welche das sind, ist zwischen den Protagonisten des Sicherheitsrechts noch nicht geklärt. Für Graulich hat sich das Recht der Gefahrenabwehr zu einem umfassenden Gebiet des Sicherheitsrechts ausgewachsen und übersteigt darin die Grenzen des ursprünglichen allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts; im Sicherheitsrecht berühren und überschneiden sich das Recht der Polizeien und der Nachrichtendienste, das Wehrrecht ist unterschiedlich, aber nicht zu trennen, während das Strafverfahrensrecht außerhalb steht.335 Kugelmann, der vom Sicherheitsverwaltungsrecht spricht, bringt unter dessen Dach das Polizei- und 331 332 333 334 335
GSZ-Editorial 1/2017. GSZ-Editorial 1/2017. GSZ-Editorial 1/2017. Brodowski/Jahn/Schmitt-Leonardy, GSZ 2017, S. 7 f. Graulich, DVBl 2013, 1210.
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Ordnungsrecht, das Recht der Nachrichtendienste und die Regelungen über das Einbeziehen privater Akteure in den Sicherheitsgewährleistungsprozess unter.336 Wehr sieht den Kern des Sicherheitsrechts im Polizei- und Ordnungsrecht, dem Strafund Strafverfahrensrecht und dem Recht der Nachrichtendienste,337 während Wolff zusätzlich noch das Wehrrecht einbezieht.338 Wenn Bäcker vom Sicherheitsrecht spricht, hat er vor allem das von ihm so genannte Kriminalpräventionsrecht vor Augen,339 Brodowski/Jahn/Schmitt-Leonardy erkennen das Profil des Sicherheitsrechts im schwer durchschaubaren Trias aus polizeirechtlichen, nachrichtendienstlichen und strafverfahrensrechtlichen Aufgaben und Befugnissen340 und das Editorial in Heft 1 der Zeitschrift für das Gesamte Sicherheitsrecht fasst die Teilgebiete Polizeirecht, Strafprozessrecht, Wehrrecht und Nachrichtendienstrecht zum Sicherheitsrecht zusammen. 2. Kritische Anmerkungen a) Dogmatische Anforderungen Ein neues Rechtsgebiet muss sich mit einer eigenen Dogmatik legitimieren, die einen umfangreichen, in verschiedenen Einzelgesetzen zersplitterten Rechtsstoff systematisierend ordnet, dessen inneres Wertungssystem offen legt und unter den Aspekten der Konsistenz, Kohärenz und Konsequenz eine wissenschaftliche Ordnung schafft, die das Rechtsgebiet erst lehr- und lernbar macht.341 Die Ausdifferenzierung eines Rechtsgebiets Sicherheitsrecht rechtfertigt sich demnach nur dann, wenn es genügend Besonderheiten gegenüber anderen Regelungsbereichen des Öffentlichen Rechts aufweist, deren eigenständige Behandlung auch überschießende Erträge verspricht.342 Dafür reichen die Präsentation von Realbefunden und deskriptive Sammelbezeichnungen nicht aus, weil Sicherheitsrecht mehr sein muss als das Recht der Sicherheitsbehörden oder die Summe der Gesetze, die das Handeln und die Organisation der Sicherheitsakteure regeln. Die dogmatischen Gebote der Konsistenz, Kohärenz und Konsequenz schließen aus, miteinander unvereinbare Rechtsgebiete unter dem Dach des Sicherheitsrechts unterzubringen oder verwandten das Dach vorzuenthalten. Gemeinsamkeiten, Trennendes und Besonderheiten müssen systematisch zusammengebracht, ein eigenständiger Begriff von
336
Kugelmann, DV 47 (2014), 25 (26). Wehr, in: Gusy/Kugelmann/Würtenberger, Handbuch Zivile Sicherheit, Kap. 21 Rn. 23. 338 Wolff, DVBl 2015, 1076. 339 Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 22. 340 Brodowski/Jahn/Schmitt-Leonardy, GSZ 2017, 7. 341 Schlink, JZ 2007, 157 (101 f.); Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 321; Pieroth, Töddenhoeker Gespräche, Gespräch vom 27. 8. 2018; Gärditz, GSZ 2017, 1. 342 Gusy, in: FS Graulich, S. 10 ff. 337
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
Sicherheit entwickelt und dem Sicherheitskonzept ein Freiheitskonzept an die Seite gestellt werden.343 b) Bisherige Umsetzung aa) Auswahl der Rechtsgebiete Das Straf- und Strafverfahrensrecht kann nicht neben dem Polizei- und Ordnungsrecht als Teilgebiet zum Sicherheitsrecht gehören. Das verbieten die kategorialen Unterschiede und die aus ihnen folgende Notwendigkeit der Trennung der beiden Rechtsgebiete.344 In Anbetracht der fortschreitenden Vermischung ist auf Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu bestehen, anstatt die Vermischung weiter zu betreiben, indem man die Gefahrenabwehr in der Strafverfolgung aufgehen lässt345 oder teilweise in diese transplantiert.346 Gehört das Straf- und Strafverfahrensrecht nicht zum Sicherheitsrecht, bedarf es keines Paradigmenwechsels und es erledigen sich die Diskussionen um eine angeblich von vornherein bestehende Gemengelage von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung347 – auch im Hinblick auf das Vorfeld von konkreter Gefahr und konkretisierbarem Anfangsverdacht – sowie um die Notwendigkeit einer Synchronisation der Befugnisnormen des Polizeirechts und des Strafverfahrensrechts, die nur Wegbereiter eines von unterschiedlichen tatbestandlichen Voraussetzungen unabhängigen Datenaustauschs zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung wäre. Ein Sicherheitsrecht käme ohne den Katastrophenschutz als sein Teilgebiet nicht aus. Hat auch der Katastrophenschutz nach dem Ende des kalten Krieges eine untergeordnete Rolle gespielt, erlebt er nach den Anschlägen vom 11. 9. 2001 einerseits und den Naturkatastrophen und neuartigen Seuchen und Pandemien andererseits eine Renaissance und wird als tragende Säule der Sicherheitsarchitektur anerkannt,348 auch wenn sein Verhältnis zum Zivilschutz als revisionsbedürftig gilt.349 Das Katastrophenschutzrecht ist als Gefahrenabwehrrecht Teil des Polizei- und Ordnungsrecht, aber gleichwohl dem begehrlichen Zugriff des Bundes ausgesetzt.350 Insoweit wäre der Katastrophenschutz ein lohnendes Betätigungsfeld für ein Sicherheitsrecht und eine Sicherheitsrechtswissenschaft. 343
Gusy, in: FS Graulich, S. 21 ff. S. 2. Teil, 3. Abschnitt, D. II. 4. a). 345 Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 555 ff. und 572 ff. 346 Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 389 ff. 347 S. Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, § 13. 348 Würtenberger, in: FS Schenke, S. 564; Stober/Eisenmenger, NVwZ 2005, 121 ff.; Gusy, VerwArch 101 (2010), 309 (323); ders., DÖV 2011, 85 ff.; Kugelmann, DV 2014 25 (27). 349 Thiele, Handbuch Zivile Sicherheit, Kap. 27 Rn. 10 ff.; Musil/Kirchner, DV 2006, 373 ff. 350 Thiele, Handbuch Zivile Sicherheit, Kap. 27 Rn. 18 und 42. 344
3. Abschn.: Kriminalitätsbekämpfung aus der Sicht des Polizeirechts
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In Ansehung ihrer Bedeutung für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Terrorismus müsste ein Sicherheitsrecht das Zollkriminalamt und die Zollfahndungsämter, die Steuerfahndung und die Finanzdienstleistungsaufsicht mit ihren Aufgaben und Befugnissen einbeziehen. Das gilt auch für die kommunale Sicherheit. Die Kommunen haben unabhängig von ihren Ordnungsaufgaben im übertragenen Wirkungskreis durch das Kommunalrecht einen eigenen Zugang zur Gewährleistung der Sicherheit, wenn die Ursachen von Kriminalität und Verwahrlosung in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln.351 Unter dem Aspekt kooperativer Sicherheit352 kann ein Sicherheitsrecht sich der Koordinierung der Anstrengungen von Staat und Gesellschaft annehmen und hinterfragen, was die Sicherheitswirtschaft, die Unternehmen und jeder Bürger für die Sicherheit im Verbund mit dem Staat leisten können. Von besonderer Bedeutung für ein Sicherheitsrecht ist die Cybersicherheit, auf die der Bund mit dem Bundeswehrkommando Cyber- und Informationsraum, dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und der zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich – ZITIS – längst zugegriffen hat, obschon Cyberattacken als Gefahren für die öffentliche Sicherheit in die Landeskompetenz fallen und als Straftaten der Zuständigkeit von Polizei und Strafjustiz unterliegen, es sei denn, sie erreichten eine Dimension, die einem bewaffneten Angriff auf die Bundesrepublik gleichkäme. bb) Systematik des Sicherheitsrechts Der Begriff Sicherheitsrecht wurde ursprünglich als systematischer Abgrenzungsbegriff verwendet; in der Privatisierungsdebatte der 1990er Jahre ging es nur um die Frage, ob und inwieweit sich die Polizei teilweise aus ihrem Gefahrenabwehrauftrag zurückziehen und die geräumten Bereiche Privaten überlassen könne. Daraus entstand die Forderung nach einem Sicherheitsrecht, in dem auch die privaten Anbieter ihren Platz haben konnten.353 Anfang der 2000er Jahre wurde der Begriff Sicherheitsrecht als kritischer Befund für die Verwischung der Grenzlinie zwischen Gefahrenabwehr – und Strafverfolgungsrecht, die Auflösung der Unterscheidungen zwischen Polizeirecht und Strafrecht und zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Geheimdiensten verwendet.354 Wenn seit 2017 prononciert vom Sicherheitsrecht als neuem Rechtsgebiet gesprochen und geschrieben wird, mag das als dogmatischer Ausgangspunkt taugen, kann aber nicht als systembildender Begriff mit der Begründung akzeptiert werden, die Vorschriften über die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und die Nach351 352 353 354
Burgi, Kommunalrecht, § 6 Rn. 1. Pitschas, DÖV 2002, 221 (224 ff.). Gusy, in: FS Graulich, S. 9 f. Calliess, DVBl 2003, 1096 (1099); Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts, S. 193.
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
richtendienste hätten als Sicherheitsrecht des Bundes einen Umfang erreicht, der es rechtfertige, von einem Bundessicherheitsrecht zu sprechen.355 Doch allein die zusammenfassende Betrachtung von einzelnen mit Sicherheit befassten Aufgabenträgern und den ihnen obliegenden Aufgaben begründet noch kein Sicherheitsrecht; von einem solchen kann erst gesprochen werden, wenn geklärt ist, was ein Rechtsgebiet im Kern ausmacht, welche Gemeinsamkeiten und Besonderheiten vorhanden sind, die es nach innen mit gemeinsamen Merkmalen ordnet und nach außen zu anderen Rechtsgebieten abgrenzt und zu einem neuen macht.356 Dabei darf der Blick für das Trennende nicht verloren gehen. Wenn etwa Anhänger eines Sicherheitsrechts die Notwendigkeit einer Vereinheitlichung der Befugnisnormen des Polizei- und Strafverfahrensrechts fordern,357 verkennen sie die grundsätzlichen Unterschiede zwischen dem Recht der Gefahrenabwehr und dem Recht der Strafverfolgung, die eine Harmonisierung ausschließen. cc) Offene Fragen (1) Sicherheitsbegriff des Sicherheitsrechts Ein das Sicherheitsrecht als eigenständiges Rechtsgebiet legitimierender Sicherheitsbegriff ist noch nicht erkennbar. Um Sicherheit geht es in verschiedenen Zusammenhängen und unter unterschiedlichen Perspektiven als öffentliche, innere, ganzheitliche bzw. vernetzte und zivile Sicherheit. Der überkommene Begriff der öffentlichen Sicherheit des Polizei- und Ordnungsrechts umfasst die drei Teilschutzgüter der Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, der Unverletzlichkeit der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen und den Bestand des Staates und der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates und sonstiger Träger von Staatsgewalt.358 Der Begriff der inneren Sicherheit soll als zentraler staatsrechtlicher Begriff die zur Verbrechensbekämpfung gebündelte Verbrechensverhütung und die Strafverfolgung durch Polizei und Justiz, die sicherheitspolizeilichen Aufgaben des Melde-, Pass-, Ausländer-, Vereins- und Versammlungswesens, die vollzugspolizeilichen Aufgaben, das Recht der Nachrichtendienste und den Katastrophenschutz umfassen;359 andere sehen in der inneren Sicherheit nur einen politischen Kampfbegriff.360 Der erweiterte Sicherheitsbegriff will in einem ganzheitlichen Ansatz die für die innere und äußere Sicherheit Verantwortlichen funktional zusammenschließen, weil politische, wirtschaftliche, soziale, ökologische und militärische Belange zusam355 356 357 358 359 360
Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht, S. IX (Vorwort). Gusy, in: FS Graulich, S. 12 ff. GSZ-Editorial 1/2017. Kingreen/Poscher, POR, § 7 Rn. 3 ff. Götz, HStR, § 85 Rn. 6. Kniesel, ZRP 1996, 482 (484); Middel, Innere Sicherheit, S. 28.
3. Abschn.: Kriminalitätsbekämpfung aus der Sicht des Polizeirechts
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mengedacht und zusammengebracht werden müssten.361 Es liegt auf der Hand, dass dieser bei der Bundeswehr geschaffene Begriff auch eine Zweckschöpfung war, um einem Bedeutungsverlust der Bundeswehr nach Ende des kalten Krieges entgegenzuwirken und ihr neue Betätigungsfelder zu erschließen.362 Die Perspektive der zivilen Sicherheit will das auf die Gefahrenabwehr zentrierte System des Polizei- und Ordnungsrechts interdisziplinär erweitern, stellt auf die Verwundbarkeit moderner Gesellschaften in ihrer Abhängigkeit vom Funktionieren der differenzierten Infrastrukturen ab und hat dabei nicht nur terroristische Anschläge, sondern auch Naturereignisse und Katastrophen im Blick, die Staat und Gesellschaft in ihren Existenzgrundlagen treffen können.363 In diesem Zusammenhang steht auch das Resilienzkonzept als Leitidee einer neuen Sicherheitsarchitektur,364 das sich mit der Fähigkeit eines Systems befasst, nach Angriffen oder Erschütterungen möglichst schnell wieder in den Ausgangszustand zurückzukehren.365 Rechtliche Kontur gewinnt der zivile Sicherheitsbegriff als Pendant zur äußeren bzw. militärischen Sicherheit, nicht aber zur öffentlichen Sicherheit im Sinne des Polizeiund Ordnungsrechts. Zivile und öffentliche Sicherheit haben mehr gemeinsam als die Vertreter des zivilen Sicherheitsbegriffs wahrhaben wollen und die Annahme, Katastrophen und Kriminalität bzw. Katastrophenschutz und Polizeirecht seien kategorial verschieden,366 trifft nicht zu. Katastrophen stellen nicht nur als Folge krimineller Handlungen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, sondern ebenso als Naturereignisse.367 Deshalb gehört das Recht des Katastrophenschutzes zum klassischen Recht der Gefahrenabwehr. Auch die Katastrophenvorsorge und das Resilienzkonzept sind im Polizei- und Ordnungsrecht aufgehoben, seitdem die Polizei- und Sicherheitsgesetze die Gefahrenvorsorge in Form der Vorbereitung auf Gefahrenabwehr im Auftrag zur Gefahrenabwehr verankert haben.368 (2) Sicherheit und Freiheit – Sicherheitsverfassungsrecht Sicherheitsrecht als Perspektive369 braucht kein Paradigma, um sich zu etablieren. Seine eigentliche Legitimation liegt im Sicherheitsverfassungsrecht.370 Hier kann 361 Frank, in: Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Sicherheitspolitik in neuen Dimensionen, S. 27. 362 Busch, Die Probleme des erweiterten Sicherheitsbegriffs, S. 517. 363 Gusy, Handbuch Zivile Sicherheit, Kap. 3 Rn. 12 ff.; Kaufmann, Handbuch Zivile Sicherheit, Kap. 1 Rn. 2; Haferkamp/Kaufmann/Zoche, in: Zoche/Kaufmann/Haferkamp, Zivile Sicherheit, Einführung, S. 113. 364 Würtenberger, in: Kugelmann, Polizei unter dem Grundgesetz, S. 73; Gander/Perron/ Poscher/Riescher/Würtenberger, Resilienz in der offenen Gesellschaft, Baden-Baden 2012. 365 Würtenberger, in: FS Schenke, S. 565; ders., Handbuch Zivile Sicherheit, Kap. 30 Rn. 8. 366 Schöndorf-Haubold, Handbuch Zivile Sicherheit, Kap. 3 Rn. 1; Kaufmann, Handbuch Zivile Sicherheit, Kap. 1 Rn. 5. 367 Kingreen/Poscher, POR, § 7 Rn. 21. 368 S. § 1 Abs. 1 Satz 2 nwPolG. 369 Gärditz, GSZ 2017, 1 ff.
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1. Teil: Kriminalitätsbekämpfung
sich ein Sicherheitsrecht um die Beantwortung offener Fragen verdient machen: Wie kann die Eingriffsschwelle für das Vorfeld der konkreten Gefahr ausgestaltet werden, welche Bedeutung der Grundrechtsschutz durch Verfahren als Kompensation für unvollkommen bleibende materielle tatbestandliche Voraussetzungen von Befugnisnormen haben kann, welche aktionellen Maßnahmen insbesondere zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus erforderlich sind und welche Unterschiede es beim Kernbereichsschutz im Hinblick auf die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Daten geben muss, damit die Polizei ihrer Schutzpflicht für das Leben bedrohter Personen nachkommen kann. Gusy ist beizupflichten, wenn er betont, dass ein Sicherheitsrecht ein Korrektiv unter dem Aspekt der Wahrung der Freiheitsrechte braucht.371 Ein Freiheitsrecht als Rechtsgebiet zu entwickeln wäre Aufgabe eines Sicherheitsverfassungsrechts. c) Zukunft des Sicherheitsrechts Der Anerkennung des Sicherheitsrechts als neuem Rechtsgebiet wird förderlich sein, wenn die Forderung nach ihm und es selber nicht nur als Wegbereiter für die Ausweitung von Bundeskompetenzen,372 sondern auch als Bewahrer der föderalen Ordnung wahrgenommen wird. Und die Zeitschrift für das Gesamte Sicherheitsrecht als Plattform eines Sicherheitsrechts sollte sich nicht als dogmatisches Konzept missverstehen, sondern als Ort verstehen, an dem unterschiedliche dogmatische Konzepte miteinander ins Gespräch kommen können, als heuristisches Konzept, das die Unterschiede der Teilbereiche profiliert, funktionale Eigenheiten entwickelt und interdisziplinäre Anknüpfungspunkte sucht.373 Wird diese Qualität nicht gewonnen, entlarvt sich der hypostasierende Begriff Sicherheitsrecht als sprachlicher Neuerung zugleich als Tarnung der Einleitung eines Prozesses zur Gewinnung eines neuen Verständnisses einer Disziplin, die eine Neuinterpretation grundgesetzlicher Vorgaben oder gar die Notwendigkeit des Tätigwerdens des verfassungsändernden Gesetzgebers begründen möchte;374 anschlussfähig sind dann auch Musterentwürfe für Bundes- und Länder-, Polizei- und Verfassungsschutzgesetze, die an durch das Sicherheitsrecht produzierte innovative Kompetenzverständnisse anknüpfen können.375
370 371 372 373 374 375
Poscher, Sicherheitsverfassungsrecht, in: Vesting, Eigenwert, S. 245 ff. Gusy, in: FS Graulich, S. 21 f. Krit. dazu Gusy, in: FS Graulich, S. 17. Kniesel, DP 2018, 265 (274). Gusy, in: FS Graulich, S. 17. Gusy, in: FS Graulich, S. 17.
2. Teil
Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung Seit terroristische Bewegungen und organisierte Kriminalität global agieren, sind Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung nicht mehr nur nationale Angelegenheiten. Die öffentliche Sicherheit wird zu einem transnationalen Gut in einem alle Staaten betreffenden Sicherheitsrecht, das das staatliche Sicherheitsrecht tendenziell entterritorialisiert und das Völkerrecht als Recht der Beziehungen zwischen Staaten mit dem Vorgehen gegen keinem Staat zugehörige Terroristen personalisiert. Die Europäische Union wird zu einem einheitlichen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem die Mitgliedsstaaten auf der Grundlage der geschlossenen Verträge ein hohes Niveau an Sicherheit durch polizei- und strafrechtliche Maßnahmen herzustellen haben, auch wenn davon die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Gewährleistung der inneren Sicherheit im jeweiligen Mitgliedstaat unberührt bleiben muss. Das Grundgesetz hat die Sicherheit im Inneren und nach Außen zum Gegenstand, verteilt zur Kriminalitätsbekämpfung Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen auf Bund und Länder, sieht mit Vorgaben für eine ausdifferenzierte Zuständigkeitsordnung zahlreiche Aufgabenträger zur Kriminalitätsbekämpfung vor und begrenzt zugleich mit rechts- und bundesstaatlichen Vorgaben deren Vorgehen. Auf einfachgesetzlicher Ebene haben der Bundesgesetzgeber der Polizei die Aufgabe der Strafverfolgung und die Landesgesetzgeber ihr in den Polizeigesetzen die Aufgabe der Gefahrenabwehr übertragen. 1. Abschnitt
Völkerrecht A. Begriff und Bedeutung I. Klassisches Völkerrecht Die Ordnung der Staatenwelt braucht verbindliche Regelungen, die die Beziehungen zwischen den Staaten näher ausgestalten.1 Neben die ursprünglich aus1
Herdegen, Völkerrecht, § 1 Rn. 1.
114
2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
schließlich staatlichen Akteure sind seit der Entwicklung des Völkerrechts nach dem 2. Weltkrieg von den Staaten geschaffene internationale Organisationen – Völkerbund, Vereinte Nationen, Europarat, NATO, Welthandelsorganisation – getreten. Individuen als Bürger eines Staates werden vom Völkerrecht im klassischen Verständnis nur mittelbar erfasst, wenn etwa mit der Anerkennung der Menschenrechte im Rahmen zwischenstaatlicher Vereinbarungen der einzelne Staat Bindungen nach innen gegenüber seinen Staatsangehörigen unterworfen wird.2 Insoweit sind die Staaten als Völkerrechtssubjekte die „Normalpersonen“3 des Völkerrechts und dies regelt auch heute noch im Kern die Beziehungen zwischen den Staaten als Träger eigener Rechte und Pflichten im Frieden und im Krieg.4
II. Entstehung eines transnationalen Sicherheitsrechts Mit dem Ausgreifen der terroristischen Bedrohung, von den Anschlägen des 11. 9. 2001 und den zahllosen folgenden bis zur Landnahme durch den Islamischen Staat, ist die öffentliche Sicherheit als ureigenste Angelegenheit des Staates zur Angelegenheit der Staatengemeinschaft geworden und hat sich zum transnationalen Gut entwickelt, das in einem transnationalen Sicherheitsrecht zu schützen ist. Diese Entwicklung zeigt sich in einer Entterritorialisierung des staatlichen Sicherheitsrechts, wenn Staaten außerhalb ihres Staatsgebiets gegen Terroristen vorgehen, und einer Personalisierung, wenn Maßnahmen sich nicht gegen einen Staat, sondern gegen keinem Staat zugehörige oder zuzurechnende Terroristen richten.5 Insoweit ist die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ein Referenzgebiet des transnationalen Sicherheitsrechts, wie es in der UN-Sicherheitsresolution 21786 zum Ausdruck kommt.7
B. Völkerrecht und Terrorismusbekämpfung I. Das Gewaltverbot und seine Ausnahmen 1. Gewaltverbot nach Art. 2 Nr. 4 UN-Charta Mit dem Gewaltverbot will die UN-Charta die Anwendung von Gewalt im Sinne des Einsatzes physischer Machtmittel gegen einen anderen Staat vollumfänglich 2
Herdegen, Völkerrecht, § 1 Rn. 2. Epping, in: Epping/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 7 Einleitung. 4 Herdegen, Völkerrecht, § 1 Rn. 3. 5 Altwicker, in: Kulick/Goldhammer, Der Terrorist als Feind?, S. 84 ff. 6 UN-Sicherheitsresolution 2178, 24. 09. 2014, UN-Doc. S/RES/2178. 7 Altwicker, in: Kulick/Goldhammer, Der Terrorist als Feind?, S. 83; s. auch Poscher, Sicherheitsverfassungsrecht, in: Vesting, Eigenwert, S. 246 3
1. Abschn.: Völkerrecht
115
untersagen und so dessen territoriale Integrität schützen.8 Es greift nicht erst beim koordinierten Einsatz von Streitkräften, sondern verbietet jeden Einsatz militärischer Gewalt und geht damit über das Verbot des Angriffskrieges hinaus.9 Außerdem bezieht es sich auch auf den Einsatz oder die Unterstützung von in einen anderen Staat eindringenden bewaffneten Gruppierungen und die Unterstützung terroristischer Aktionen in einem anderen Staat.10 Einen Verstoß gegen das Gewaltverbot stellen auch computergestützte Attacken dar, sofern sie vergleichbar mit konventionellen militärischen Angriffen in Ausmaß und Wirkung erhebliche Schäden verursachen, was insbesondere bei Attacken gegen computerabhängige kritische Infrastrukturen der Fall ist.11 Eine nachhaltige Erschütterung des Gewaltverbots in seinem strengen Geltungsanspruch hat die von der Bush-Administration formulierte National Security Strategy der USA vom September 2002 mit sich gebracht, mit der präventive Optionen schon weit im Vorfeld eines bewaffneten Angriffs beansprucht wurden.12 Eine solche Präventivdoktrin bedeutet eine frontale Herausforderung der Völkerrechtsordnung, weil sie „dem Gewaltverbot und dem Entscheidungsmonopol des UNSicherheitsrats zum Gewalteinsatz den strikten Primat gegenüber den anderen Grundwerten des Völkerrechts nimmt.“13 2. Ausnahmen a) Recht auf Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta aa) Voraussetzungen Ein Staat darf sich gegen einen anderen Staat verteidigen, wenn ein bewaffneter Angriff vorliegt. Der ist zu bejahen bei einem koordinierten militärischen Schlag, der in seinem Ausmaß und seinen Wirkungen erhebliches Gewicht hat, etwa durch Beschießung oder Bombardierung, einer Invasion durch fremde Streitkräfte, aber auch bei Cyberattacken, die in Wirkung und Ausmaß einem konventionellen militärischen Angriff vergleichbar sind.14 Der bewaffnete Angriff muss gegenwärtig sein, also entweder gerade stattgefunden haben, noch andauern oder unmittelbar bevorstehen.15 8
Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rn. 15. Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rn. 15. 10 Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rn. 15. 11 Arnauld, Völkerrecht, Rn. 1078; Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rn. 16; Meiertöns, Cyberkrieg, Baden-Baden 2018, Kap. 2; Schaller, GSZ 2018, 57. 12 Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rn. 5. 13 Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rn. 6. 14 Arnauld, Völkerrecht, Rn. 1077 f. 15 Ipsen, Völkerrecht, Rn. 792. 9
116
2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Nachdem der UN-Sicherheitsrat die Terroranschläge vom 11. 9. 2001 als bewaffneten Angriff auf die USA bewertet und auch der Nordatlantikrat diese als bewaffneten Angriff gemäß Art. V des NATO-Vertrages eingestuft hat, setzt das Selbstverteidigungsrecht nicht mehr voraus, dass der bewaffnete Angriff einem bestimmten Staat zuzurechnen ist.16 Das Selbstverteidigungsrecht unterliegt nach Art. 51 UN-Charta dem Vorbehalt des Eingreifens des UN-Sicherheitsrats, wozu es aber ausreicht, wenn dieser feststellt, dass ein Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung gegeben ist. bb) Adressaten (1) Hintergrundstaaten Wegen der im Völkerrecht nach wie vor bestehenden Mediatisierung der Einzelperson durch den Staat muss der bewaffnete Angriff grundsätzlich einem Staat als Urheber zuzurechnen sein.17 Wenn dieser die Waffengewalt nicht selber ausübt, sondern sie durch Terroristen ausüben oder sie auch nur gewähren lässt, sind angesichts der Terroranschläge der vergangenen Jahre die Anforderungen an die Zurechnung erheblich abgesenkt worden. Es wird nicht mehr verlangt, dass die Terroranschläge in Auftrag gegeben wurden, sondern es reicht aus, wenn der Hintergrundstaat den Terroristen einen sicheren Hafen bietet.18 (2) Terroristen als nichtstaatliche Akteure Wenn die Inanspruchnahme des Selbstverteidigungsrechts von der Verantwortlichkeit eines bestimmten Staates für den terroristischen bewaffneten Angriff entkoppelt wird, rücken die Terroristen selber in den Focus des Völkerrechts und es fragt sich, ob trotz der bestehenden rechtlichen Asymmetrie zwischen Privaten und Staaten das Selbstverteidigungsrecht des Art. 51 UN-Charta unmittelbar gegen Terroristen oder terroristische Organisationen gerichtet werden kann. Auch wenn das zwischenstaatliche Selbstverteidigungsrecht von der Vorstellung ausgeht, dass gleiche Völkerrechtssubjekte auf einer Ebene agieren, wird Art. 51 UN-Charta nicht entnommen, dass nur Staaten als Urheber eines bewaffneten Angriffs in Betracht kommen. Es besteht inzwischen Übereinstimmung unter den Mitliedstaaten der Vereinten Nationen, dass auch unabhängig von Staaten handelnde Terroristen Ur-
16
S. dazu bb). Arnauld, Völkerrecht, Rn. 1112 m.w.N. 18 Ipsen, Völkerrecht, Rn. 788 ff.; Arnauld, Völkerrecht, Rn. 1114; Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rn. 26. 17
1. Abschn.: Völkerrecht
117
heber eines bewaffneten Angriffs sein können und sich deshalb das Selbstverteidigungsrecht der Staaten unmittelbar gegen sie richten kann.19 Berücksichtigt man die Vielgestaltigkeit der Erscheinungsformen des heutigen internationalen Terrorismus – die Anschläge vom 11. 9. 2001 mit den ihnen nachfolgenden in Europa, die schon alltäglichen Selbstmordattentate in Afghanistan oder im Irak, die militärischen Operationen der Terrormilizen „Islamischer Staat“ und „Boko Haram“ oder neue Formen des Cyberterrorismus – lässt die markige Rede vom Krieg gegen den Terrorismus die entscheidende Frage unbeantwortet, was Terrorismus ist und wer als Terrorist gelten kann.20 Eine international verbindliche Definition des Terrorismus ist schon deshalb schwierig, weil für den einen Terrorist ist, der für den anderen als Freiheitskämpfer durchgeht: One man’s terrorist is another man’s freedom fighter.21 Um diesem Dilemma zu entgehen, wird eine zweckneutrale Definition vorgeschlagen, wonach entscheidendes Kennzeichen des Terrorismus das von ihm eingesetzte Mittel der Verbreitung von Angst und Schrecken unter der unbeteiligten Bevölkerung ist.22 b) Präventive Militäraktionen gegen Terroristen aa) Terroristische Bedrohungslagen als Dauerangriff Bei der militärischen Bekämpfung des Terrorismus mittels Inanspruchnahme des Selbstverteidigungsrechts besteht das besondere Problem in der „hit-and-run-Taktik“ der Terroristen, die die Frage aufwirft, ob das Recht auf Selbstverteidigung jeweils nur gegen den einzelnen Anschlag ausgeübt werden kann oder wegen der Wiederholungsgefahr eine ständige Angriffslage gegeben ist, die eine ununterbrochene Verteidigung erlaubt. Von letzterem geht die Doktrin des „consistent pattern of violent terrorist action“ der USA aus, die die terroristische Bedrohung als Dauerangriff betrachtet und präventive Militärschläge gegen Terroristen in Anspruch nimmt.23 Der UN-Sicherheitsrat lehnt bislang eine solche Vorgehensweise ab, weil er befürchtet, dass damit der Unterschied zwischen der repressiven Reaktion auf einen stattfindenden und der präventiven Verteidigung gegen einen erst bevorstehenden Angriff verloren geht. Insoweit ist in Ansehung der aktuellen Bedrohung durch den Terrorismus indes fraglich, ob die Völkergemeinschaft an dieser Unterscheidung festhalten kann oder ein dauerhaftes Selbstverteidigungsrecht zulassen muss.24 19 Heintschel von Heinegg, in: Epping/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, § 56 Rn. 24; Arnauld, Völkerrecht, Rn. 1115 f.; Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rn. 26; Ipsen, Völkerrecht, § 52 Rn. 840 ff. 20 Arnauld, Völkerrecht, Rn. 1100. 21 Arnauld, Völkerrecht, Rn. 1101; Binder/Jackson, in: Kulick/Goldhammer, Der Terrorist als Feind?, S. 123. 22 Arnauld, Völkerrecht, Rn. 1102. 23 Ipsen, Völkerrecht, § 52 Rn. 847 f. 24 Ipsen, Völkerrecht, § 52 Rn. 850.
118
2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
bb) Einsatz von Drohnen und Targeted killings Die USA setzen unbemannte Flugzeuge (Drohnen) ein, mit denen sie gezielt gegen nichtstaatliche Akteure außerhalb von Kampfhandlungen vorgehen. Dabei kommt es zu gezielten Tötungen (targeted killings) bestimmter Personen, die mit humanitärem Völkerrecht und allgemeinem Menschenrechtsschutz schwerlich zu vereinbaren sind, insbesondere wenn die gezielte Tötungen sich gegen Terroristen richten, die sich in der Zivilbevölkerung bewegen.25
II. Maßnahmen der UN Die vereinten Nationen sind als Hüter des Weltfriedens und Garant der internationalen Sicherheit zu einem präventiven Akteur geworden, der auf der Grundlage des Art. 24 UN-Charta den Terrorismus bekämpft. Der Sicherheitsrat, dem die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit obliegt, tritt dabei nicht nur als „Weltpolizei“ mit Zwangsmaßnahmen gegen den Terrorismus fördernde oder ihn duldende Staaten und selbstständig operierende Terroristen auf, sondern wird auch als Weltgesetzgeber aktiv, wenn die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung vereinbarter Maßnahmen säumig sind.26 1. Resolutionen a) Rechtsnatur Resolutionen sind grundsätzlich Empfehlungen an die Mitgliedstaaten, die diese mangels Übertragung von Rechtssetzungskompetenzen der Mitgliedstaaten auf die UN in eigenes Recht umsetzen sollen.27 Nur ausnahmsweise können Resolutionen unmittelbar Recht setzen, wenn sie als Ausdruck einer allgemeinen Überzeugung der Mitgliedstaaten zu verstehen sind. Davon kann ausgegangen werden, wenn die einer Resolution zustimmenden Staaten in dem Bewusstsein handeln, ihren Inhalt als rechtlich verbindlichen völkerrechtlichen Standard anzuerkennen28 ; ist das der Fall, handelt die Generalversammlung als Weltgesetzgeber.29
25
Herdegen, Völkerrecht, § 56 Rn. 33; Ambos/Alkatout, JZ 2011, 758 ff. Tomuschat, DÖV 2006, 357 (358); zum Begriff „Weltpolizei“ krit. Schoch, in: Schoch, Besonderes Verwaltungsrecht, Kap. 1 Rn. 181. 27 Tomuschat, DÖV 2006, 357 (358). 28 Herdegen, Völkerrecht, § 20 Rn. 2. 29 Herdegen, Völkerrecht, § 20 Rn. 2; Sulk, Jura 2010, 683 (685). 26
1. Abschn.: Völkerrecht
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b) Adressaten Wenn terroristische Anschläge nicht von Staaten, sondern von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, die der Sicherheitsrat mangels Völkerrechtssubjektivität nicht unmittelbar zu erreichen vermag, kann er die Mitgliedstaaten in einer Resolution auffordern, Maßnahmen gegen die Terroristen zu ergreifen, aber auch selber konkrete Sanktionsmaßnahmen festlegen und so unmittelbar gegen Terroristen und ihre Unterstützer mit Individualsanktionen vorgehen.30 c) Maßgebliche Resolutionen Der Anfang der Bekämpfung des Terrorismus durch Resolutionen des Sicherheitsrats lag im Jahr 1948, als mit einer Resolution der tödliche Anschlag auf den Gesandten der Vereinten Nationen im Nahen Osten, Graf Bernadotte, verurteilt wurde.31 Gezielte Maßnahmen gegen den Terrorismus und seine Unterstützerstaaten erfolgten nach dem Anschlag auf ein Verkehrsflugzeug 1988 im schottischen Lockerbie, der Libyen zugerechnet wurde und den Anschlägen auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam 1998, für die Osama Bin Laden und das afghanische Taliban-Regime verantwortlich gemacht und mit Sanktionen belegt wurden.32 Nach den Anschlägen vom 11. 9. 2001 bekam die Bekämpfung des Terrorismus dadurch eine neue Qualität, dass das gegen Staaten gerichtete Recht zur Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta unmittelbar gegen Terroristen angewandt wurde.33 Weil grenzüberschreitende Aktionen von Terroristen eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellen, ist die Bekämpfung des Terrorismus zur Aufgabe des Sicherheitsrates geworden,34 unabhängig davon, ob ein Staat ihn fördert oder duldet oder Terroristen selbstständig operieren. Die Resolution des Sicherheitsrats 2178 aus dem Jahr 2014 verlangt von den Mitgliedstaaten, das Reisen und den Versuch des Reisens in einen anderen Staat, um terroristische Handlungen zu begehen, zu planen, vorzubereiten oder sich daran zu beteiligen sowie Terroristen auszubilden oder sich zum Terroristen ausbilden zu lassen, unter Strafe zu stellen.
30
Fremuth, DÖV 2012, 81 (82) m.w.N. Boulden, Oxford Handbook of the United Nations, S. 429. 32 Resolution 1267/1999. 33 Resolutionen 1368/2001 und 1373/2001; Sulk, Jura 2010, 683 (685). 34 Tomuschat, DÖV 2006, 357 (358); Poscher, Sicherheitsverfassungrecht, in: Vesting, Eigenwert, S. 246. 31
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
III. Exekutive Umsetzung in Sanktionsmaßnahmen 1. Führung von Terrorlisten Der Sicherheitsrat hat zur Bekämpfung des Terrorismus Ausschüsse als seine Nebenorgane gemäß Art. 29 UN-Charta zur Umsetzung seiner Resolutionen eingesetzt und ihnen das Listing von Terrorverdächtigen übertragen. Auf der Grundlage der mitgeteilten Erkenntnisse der Mitgliedstaaten werden in Terrorlisten verdächtige Personen und Gruppierungen sowie ihre Unterstützer erfasst, die den Mitgliedstaaten an die Hand gegeben werden, damit sie gegen diesen Personenkreis mit Sanktionen vorgehen können.35 In den EU-Mitgliedstaaten erfolgt die Umsetzung supranational mit einer eigenen Liste der EU, in die sie selber weitere Personen und Gruppierungen aufnehmen kann.36 2. Smart sanctions Als smart oder targeted sanctions können Sanktionen gegen gelistete Personen, Gruppen, Unternehmen und juristische Personen als Akteure oder Unterstützer verhängt werden, indem Konten gesperrt, Reisetätigkeiten unterbunden und Waffenhandelsaktivitäten mit einem Embargo belegt werden.37 Mit diesen völkerrechtlichen Instrumenten sind die präventiven Handlungsmöglichkeiten maßgeblich erweitert worden, bedürfen aber als Verdachtsmaßnahmen noch rechtsstaatlicher Disziplinierung.38
IV. Weitere Abkommen auf internationaler Ebene Neben dem Vertragswerk der Vereinten Nationen bestehen weitere völkerrechtliche Verträge zur Bekämpfung des Terrorismus. Zu nennen ist das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union über die Verwendung von Fluggastdatensätzen und deren Übermittlung an das United State Department of Homeland Security, damit überprüft werden kann, ob sich unter den Fluggästen eine Person befindet, die einen terroristischen Anschlag verüben könnte.39 Zur Umsetzung dieses Abkommens hat die EU die Richtlinie 2016/681 über die Verwendung von Fluggastdatensätzen (PNR-Daten) zur Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität erlassen.40 Diese Richtlinie ist in der Bundesrepublik durch das Gesetz über die 35 36 37 38 39 40
Tomuschat, DÖV 2006, 357 (358). Zündorf, Jura 2014, 616 (617); Fremuth, DÖV 2012, 81 (82). Zündorf, Jura 2014, 616 (617). Schöndorf-Haubold, HdB Zivile Sicherheit, Kap. 33 Rn. 13. ABlEU 2012 Nr. L 215/5. ABlEU 2016 Nr. L 119/132.
2. Abschn.: Recht der Europäischen Union
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Verarbeitung von Fluggastdaten vom 06. 06. 2017 umgesetzt worden.41 Zentrale Bestimmung des Gesetzes ist § 1, der in Absatz 1 das Bundeskriminalamt zur nationalen zentralen Stelle für die Verarbeitung von Fluggastdaten einsetzt und in Absatz 2 als Zweck des Fluggastdaten-Informationssystems die Verhütung und Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität festlegt.42 Als weiteres Abkommen außerhalb des UN-Vertragswerks ist zu nennen die Vereinbarung zwischen der EU und den USA über die Verarbeitung von Zahlungsverkehrsdaten und deren Übermittlung zwecks Aufspürens von Finanzierungsquellen für den Terrorismus.43
C. Völkerrecht und organisierte Kriminalität Die Vereinten Nationen haben die Bekämpfung der organisierten Kriminalität von Beginn an als ihre Aufgabe gesehen und zum Gegenstand von Konventionen gegen den Handel mit Drogen, Menschen und radioaktivem Material gemacht. Zu nennen sind bezüglich des Drogenhandels das Einheitsabkommen über Betäubungsmittel von 196144 und die Wiener Konventionen gegen die Verbreitung von Betäubungsmitteln von 1971.45 Zur Bekämpfung des Menschenhandels, insbesondere von Frauen und Kindern, kam 2000 das Protokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels zustande, das als Ergänzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität von der Generalversammlung angenommen wurde.46 Eine Verbindung der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Terrorismus wurde mit dem Übereinkommen zur Bekämpfung des illegalen Handels mit radioaktivem Kernmaterial von 1979 hergestellt.47 2. Abschnitt
Recht der Europäischen Union Im Gegensatz zum Völkerrecht haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Hoheitsrechte auf diese übertragen und sie damit zu einer eigenständigen Rechtsperson gemacht. Obwohl eine solche Übertragung im Bereich von Polizei und 41 42 43 44 45 46 47
BGBl 2017 I, S. 1484. S. § 1 Abs. 1 FlugDaG. ABlEU 2010 Nr. L 195/5. BGBl 1974 II, S. 1138 und BGBl 1975 II, S. 2158. BGBl 1993 II, S. 1136. Sulk, Jura 2010, 683 (687). BGBl 1990 II, S. 326.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Justiz als zum Kernbereich souveräner Staatlichkeit gehörige Politikfelder nicht erfolgt ist, können sich auch Polizei und Justiz einem partiellen Europäisierungsprozess nicht entziehen.48 Mit dem Vertrag von Lissabon vom 01. 12. 2008 hat die polizeiliche Zusammenarbeit in der EU eine neue Qualität bekommen. Dem DreiSäulen-Modell von Europäischer Gemeinschaft, gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik und Zusammenarbeit von Polizei und Justiz wurde die dritte Säule genommen, indem die bis dahin intergouvernementale polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in die erste Säule überführt wurde. Die Zusammenarbeit ist damit nicht mehr nur völkerrechtlicher, also vertraglicher Natur, sondern hat nunmehr supranationale Qualität, weil die Mitgliedstaaten Hoheitsrechte auf die Union übertragen haben, die es ihr ermöglichen, eigenes Recht zu setzen.49
A. Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts als Zielsetzung Nach Art. 3 Abs. 2 EUV bildet die EU einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem gemäß Art. 67 Abs. 1 AEUV die Grundrechte und die verschiedenen Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten geachtet werden. Die Präambel der Charta der Grundrechte der EU konkretisiert das in Abs. 2 Satz 3, wenn sie den Menschen in den Mittelpunkt ihres Handelns stellt, indem sie die Unionsbürgerschaft und einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts begründet. Das programmatische Integrationsziel des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts stellt als verfassungsrechtliche Grundnorm die legitimatorische Schlüsselbestimmung für den inneren Sinn und die operative Handlungsagenda der EU dar, die den europäischen Wirtschaftsraum zum Rechtsraum macht.50 Es ist ein einheitlicher Raum, in dem Freiheit und Sicherheit mit den Mitteln des Rechts zu realisieren sind.51 Unter dem Dreiklang von Freiheit, Sicherheit und Recht steht Freiheit für die Garantie von Grundrechten; es geht dabei nicht nur um Freizügigkeit, sondern um die Entfaltung des Grundrechtsschutzes, wie sie in der Charta der Grundrechte zum Ausdruck kommt.52 Sicherheit bedeutet programmatisch Schutz vor Kriminalität im Hinblick auf die spezifischen Bedrohungen, die sich aus der Personenfreizügigkeit nach Abschaffung der Binnengrenzkontrollen ergeben und die mit dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts auch einen Be48
Möstl, BeckOK PSR Bayern, Vorbem., Rn. 65. Herdegen, Europarecht, § 5 Rn. 9. 50 Ruffert, EUV/AEUV, Art. 3 EUV Rn. 1; Müller-Graff, Frankfurter Kommentar, Band I, Art. 3 EUV Rn. 1; Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 67 AEUV Rn. 2. 51 Denninger, KritV 85 (2002), 467 (468); Möstl, BeckOK PSR Bayern, Vorbem., Rn. 66. 52 Weiß/Satzger, in: Streinz EUV/AEUV, Art. 67 AEUV Rn. 27; Müller-Graff, Frankfurter Kommentar, Band I, Art. 67 Rn. 5; Brodowski, Jura 2013, 492 (493); Würtenberger/Heckmann/ Tanneberger, PRB-W, § 2 Rn. 10. 49
2. Abschn.: Recht der Europäischen Union
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wegungsspielraum für kriminelle Akteure schaffen.53 Es geht also um Sicherheit durch Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität im einheitlichen kriminalgeografischen Raum Europa, die nur durch gemeinsames Handeln der Mitgliedstaaten im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit erfolgreich sein kann. Das Ziel Recht mag gegenüber den beiden anderen eingängigen Zielen Freiheit und Sicherheit auf den ersten Blick blass erscheinen. Es gewinnt aber klare Konturen, wenn man alle drei inhaltlich und instrumentell aufeinander bezogen sieht und das Recht als Mittel, mit dem Freiheit und Sicherheit konkretisiert und geschützt werden müssen.54 Zur Gewährleistung einer funktionierenden Ordnung ist insoweit die effektive Zusammenarbeit von Polizei und Justiz unverzichtbar, damit Straftäter sich nicht durch Überschreiten nationaler Grenzen polizeilichen und justiziellen Maßnahmen entziehen können.55
B. Kompetenzen zur Kriminalitätsbekämpfung I. Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität nach Art. 67 Abs. 3 AEUV Nach dieser Bestimmung wirkt die Union darauf hin, durch Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Kriminalität sowie von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ein hohes Maß an Sicherheit zu gewährleisten. Es geht ganz allgemein um die Bekämpfung von Kriminalität und diese wird als Mittel zur Erreichung dieses Ziels gesehen. Die gesonderte Regelung der Kriminalitätsbekämpfung zur Verhütung und Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ist der besonderen Bedeutung geschuldet, die ein auf gemeinsamen Wertvorstellungen der Mitgliedsstaaten beruhendes konsequentes Vorgehen gegen diese Erscheinungsformen der Kriminalität für die EU hat.56 Wenn in Art. 67 Abs. 3 AEUV und auch im Rahmen des Auftrags für Europol in Art. 88 Abs. 1 AEUV von Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität die Rede ist, scheint das der für die deutsche Rechtsordnung typischen Trennung zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zu entsprechen, die unter Verhütung präventive und unter Bekämpfung repressive Maßnahmen versteht. Doch dieser erste Eindruck täuscht. Die Begriffe Bekämpfung und Verhütung im EU-Recht sind nicht deckungsgleich mit den Begriffen Prävention und Repression bzw. Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im deutschen Recht. Das folgt aus dem Ziel der Zusammen53
Weiß/Satzger, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 67 AEUV Rn. 29; Rengeling, in: FS Knemeyer, S. 269 (273); Brodowski, Jura 2013, 492 f.; Baldus, in: Pache, Die Europäische Union, S. 34 (35 ff.). 54 Gusy, VVDStRL 63 (2003), 151 (166). 55 Würtenberger/Heckmann/Tanneberger, PR B-W, § 2 Rn. 12. 56 Weiß/Satzger, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 67 AEUV Rn. 35.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
arbeit, das Prävention und Repression konzeptionell zusammenführen, Maßnahmen der Prävention und Fahndung grenzüberschreitend bündeln und so den präventiven und repressiven Rechtsgüterschutz integrativ erfassen will.57 Auf der kategorialen Unterscheidung zwischen Prävention und Repression bzw. Gefahrenabwehr und Strafverfolgung muss indes aus Sicht der deutschen Rechtsordnung aus verfassungsrechtlichen Gründen bestanden werden, auch wenn diese Unterscheidung aus der Perspektive der Mitgliedstaaten mit anderer Sicherheitskultur als „querelle allemand“ schwerlich nachvollziehbar ist.58 Der gesamtintegrative Ansatz der Union, der präventive und repressive Reaktionen einem einheitlichen Regelungskonzept unterwirft, ist zugleich Ausdruck eines instrumentellen Verständnisses von Strafrecht.59 Die Folgen des gesamtintegrativen Ansatzes sind absehbar; Prävention und Repression verschmelzen zu einer Funktionseinheit, Zweckänderungen bzw. Datenübermittlungen von Daten aus verschiedenen Dateien werden unproblematisch und einem ausgreifenden Bekämpfungsstrafrecht steht nichts mehr im Wege.
II. Polizeiliche Zusammenarbeit nach Art. 87 AEUV Art. 87 Abs. 1 enthält das Ziel der polizeilichen Zusammenarbeit aller zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, die die Aufgabe der Verhütung und Aufdeckung von Straftaten sowie damit einhergehender Ermittlungen haben. Nach Abs. 2 können das Europäische Parlament und der Rat im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren für die in Abs. 1 genannten Zwecke Maßnahmen für gemeinsame Ermittlungstechniken zur Aufdeckung schwerwiegender Formen der organisierten Kriminalität und gemäß Abs. 3 der Rat Maßnahmen für die operative Zusammenarbeit der in Abs. 1 genannten Behörden vorsehen. Im Primärrecht der EU geht es um die Verhütung und die Bekämpfung bzw. die Verhütung und Aufdeckung von Straftaten einschließlich der damit verbundenen Ermittlungen. Diese Terminologie findet sich im Sekundärrecht wieder in der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung,60 wo es um die Bekämpfung schwerer Straftaten geht, in der Datenschutz-Richtlinie,61 wenn der Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung und Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten betroffen ist und in der Richtlinie über die Verwendung von Fluggastdatensätzen,62 die der Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung terroristischer Strafdaten und schwerer Kriminalität dient. 57 Paeffgen, AE Europol, S. 177; Gärditz, AE Europol, S. 209; Möstl, BeckOK PSR Bayern, Vorbem., Rn. 86. 58 Möstl, BeckOK PSR Bayern, Vorbem., Rn. 86; Paeffgen, AE Europol, S. 174. 59 Gärditz, AE Europol, S. 211. 60 ABlEU 2006 Nr. L 105, S. 54. 61 ABlEU 2016 Nr. L 119, S. 89. 62 ABlEU 2016 Nr. L 119, S. 132.
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1. Verhütung von Straftaten Verhütung hat offensichtlich einen Bezug zur präventiven Tätigkeit63 der Behörden, bleibt aber als europarechtlicher Begriff vom Verhütungsbegriff des deutschen Polizeirechts zu unterscheiden.64 Die dogmatischen Figuren der Verhütung von Straftaten, der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten und der Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten lassen sich nicht ohne Weiteres auf die Auslegung des Art. 87 Abs. 1 AEUV übertragen.65 Ein europarechtliches Verständnis von Verhütung muss den ganz unterschiedlichen Vorstellungen der Mitgliedstaaten zur Verhütung Rechnung zu tragen.66 Zur Verhütung im Sinne von Art. 87 Abs. 1 AEUV gehört etwa die anlasslose Informationserhebung zur Gefahrenabwehr,67 die allerdings von der nachrichtendienstlichen Aufklärung zu trennen ist.68 Die Kriminalprävention ist Gegenstand von Art. 84 AEUV, der allerdings eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten ausschließt. Aufklärungskampagnen und Bildung kriminalpräventiver Räte werden nicht zur Verhütung gerechnet.69 2. Aufdeckung von Straftaten Das EU-Recht versteht unter Aufdeckung von Straftaten die ermittelnde bzw. strafverfolgende Tätigkeit der zuständigen Behörden, die einen Anfangsverdacht für eine begangene Straftat voraussetzt.70 Die Begriffe Aufdeckung und Ermittlung werden offensichtlich gleichsinnig verwendet. Das folgt auch aus Art. 87 Abs. 2 c) AEUV, der mit den gemeinsamen Ermittlungstechniken zur Aufdeckung schwerwiegender Formen der organisierten Kriminalität einen deutlichen Bezug zur Strafverfolgung herstellt. Als eigenständiger Begriff neben den Ermittlungen machte die Aufdeckung von Straftaten nur Sinn, wenn man sie auf unbekannte, d. h. den Strafverfolgungsbehörden noch nicht zur Kenntnis gelangte Straftaten bezöge und ihr den Auftrag zur Aufhellung des Dunkelfeldes entnähme.71 Ein solches Verständnis findet sich indes in der europarechtlichen Rechtsprechung und Literatur nicht.
63
Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU, Art. 87 AEUV, Rn. 12. Kugelmann, EnzEUR, § 17 Rn. 55. 65 Kugelmann, EnzEUR, § 17 Rn. 55. 66 Kugelmann, EnzEUR, § 17 Rn. 55. 67 Hinterhofer, Frankfurter Kommentar, Band I Art. 87 Rn. 7; Kugelmann, EnzEUR, § 17 Rn. 55. 68 Kugelmann, EnzEUR, § 17 Rn. 56. 69 Kugelmann, EnzEUR, § 17 Rn. 56. 70 Kugelmann, EnzEUR, § 17 Rn. 57; Hinterhofer, Frankfurter Kommentar, Band I, Art. 87 AEUV Rn. 7; Gärditz, AE Europol, S. 212 f. 71 S. 4. Abschnitt, B. I. 1. b) aa). 64
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
3. Ermittlungen Der hermeneutisch offene Begriff könnte im Rahmen einer doppelfunktional verstandenen Zusammenarbeit sowohl Aufklärungs- oder Erforschungsmaßnahmen zur Gefahrenabwehr als auch zur Strafverfolgung abdecken.72 Allerdings spricht Art. 87 Abs. 2 c) AEUV für eine enge Auslegung als repressive Ermittlungen, weil gemeinsame Ermittlungstechniken nur zur Aufdeckung schwerwiegender Formen der organisierten Kriminalität, also in verengter Stoßrichtung geregelt werden. 4. Operative Zusammenarbeit Problematisch ist Art. 87 Abs. 3 Satz 1 AEUV, der es dem Rat erlaubt, Maßnahmen zur operativen Zusammenarbeit zwischen den in Abs. 1 genannten Behörden zu treffen. Damit sind gemeinsame Abstimmung und Koordination konkreter polizeilicher Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung möglich.73 Diese Form unmittelbarer Zusammenarbeit soll eine effizientere Alternative zur schwerfälligen und zeitraubenden Amtshilfe eröffnen.74 Hinter solcher operativer Zusammenarbeit steht der strategische Ansatz, kriminelle Strukturen zu beseitigen,75 womit Unterschiede zwischen Prävention und Repression eingeebnet werden und beide Aufgaben in einer umfassenden Bekämpfungsstrategie aufgehen.76 5. Fazit Es lässt sich festhalten, dass die einschlägigen Bestimmungen zur Kriminalitätsbekämpfung im Primär- und Sekundärrecht autonome Begriffe hervorgebracht haben, die die auch im EU-Recht grundsätzlich anerkannten Unterschiede von Prävention und Repression nivellieren.77 Forciert wird die Entwicklung durch ein Verständnis von Strafrecht, das als komplementäres Instrument des präventiven Rechtsgüterschutzes zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts begriffen wird.78 Dient in der deutschen Rechtsordnung das Strafverfahrensrecht als eine Schutz- und Freiheitsordnung, in der es um Aufklärung als prozessuale Wahrheitssuche geht, steht im EU-Recht die Bekämpfung der Kriminalität schlechthin im Vordergrund.79 Diese „Vorbilder“ befördern den hiesigen Prozess der Vermischung von Prävention 72
Gärditz, AE Europol, S. 215. Hinterhofer, Frankfurter Kommentar, Band I Art. 87 Rn. 23; Gärditz, AE Europol, S. 213 f. 74 Dannecker, in: Streinz EUV/AEUV, Art. 87 AEUV, Rn. 21. 75 Gärditz, AE Europol, S. 213; Zöller, Informationssysteme, S. 429. 76 Gärditz, Strafprozeß, S. 10 ff.; Albers, Determination, S. 110 ff. 77 Gärditz, AE Europol, S. 230; Möstl, BeckOK PSR Bayern, Vorbem. Rn. 86. 78 Gärditz, AE Europol, S. 230. 79 Paeffgen, AE Europol, S. 176 f. 73
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und Repression im Rahmen einer operativ verstandenen Gesamtaufgabe zur Kriminalitätsbekämpfung ebenso wie den weiteren Ausbau der Bekämpfungsgesetzgebung im Strafrecht.80
III. Institutionelle Ebene der Zusammenarbeit 1. Europol Die größte Sicherheitsagentur der EU ist das Europäische Polizeiamt Europol mit Sitz in Den Haag. Schwerpunkt der Aufgaben des Amtes ist nach Art. 87 Abs. 1 und Art. 88 Abs. 1 AEUV die Unterstützung der Polizei und sonstiger Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten bei der Verhütung und Bekämpfung von Fällen schwerer Kriminalität, soweit sie zwei oder mehr Mitgliedstaaten betrifft, des Terrorismus und von Kriminalitätsformen, die ein gemeinsames Interesse verletzen. Wie schon vorher der Europol-Rahmenbeschluss enthält die VO 2016/794 eine Liste von Kriminalitätsformen, die gemäß Art. 3 Abs. 1 der VO ein gemeinsames Interesse verletzen. Im Anhang I sind 30 Kriminalitätsformen aufgelistet, u. a. Terrorismus, Völkermord, illegaler Handel mit Waffen, Munition und Sprengstoff, Nachahmung und Produktpiraterie, Computerkriminalität und illegaler Handel mit bedrohten Tierarten oder Pflanzen- und Baumarten. In Anbetracht der Weite des Zuständigkeitsbereichs wird das Erfordernis des gemeinsamen Interesses so ausgelegt, dass die Zuständigkeit von Europol einen grenzüberschreitenden Bezug voraussetzt.81 Hauptaufgaben von Europol sind nach Art. 88 Abs. 2 AEUV Informationsverarbeitung und -austausch und Koordinierung von Ermittlungen und operativer Maßnahmen der mitgliedstaatlichen Behörden. Im Rahmen der Informationsverarbeitung und des Informationsaustausches betreibt das Amt zwei Datenbanken, das Europol-Informationssystem und das Europol-Analysesystem. Ersteres ist ein Recherche- und kein Fahndungssystem wie das Schengener Informationssystem; in ihm werden Kenntnisse über Straftaten und die an ihnen beteiligten Personen gespeichert, wenn die Straftat zum Zuständigkeitsbereich von Europol gehört. Das EuropolAnalysesystem soll grenzüberschreitende analytische polizeiliche Arbeit ermöglichen. Die dort gespeicherten Daten können aus dem Europol-Informationssystem stammen, werden aber auch auf Ersuchen von Europol oder aus eigener Initiative von den nationalen Sicherheitsbehörden übermittelt. Für Analysezwecke dürfen nach Abschnitt II des Anhangs zu Art. 18 VO 2016/794 nicht nur Daten von Verdächtigen und Verurteilten verarbeitet werden, sondern auch von Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte oder trifftige Gründe dafür vorliegen, dass sie Straftaten begehen werden, für die Europol zuständig ist.82 Das Europol-Analysesystem lässt damit Einschätzungen über das künftige Kriminalitätsverhalten bestimmter Perso80 81 82
S. 3. Abschnitt, C. IV. 1. b) aa). Aden, HdBPR, N. Rn. 105. Aden, HdBPR, N. Rn. 214.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
nen zu. Das kann im Hinblick auf den personenbezogene Daten schützenden Art. 8 Grundrechtscharta nur dann zulässig sein, wenn die erstellte Analyse ausschließlich in einem gegen die bestimmte Person gerichteten Verfahren von den in diesem eingesetzten Europolbediensteten genutzt wird.83 Die Koordinierung von Ermittlungen und operativen Maßnahmen als zweite Hauptaufgabe von Europol erfolgt regelmäßig in gemeinsamen Ermittlungsgruppen aus Behördenvertretern verschiedener Mitgliedstaaten unter Mitwirkung von Europolbediensteten. Letztere verfügen über keine Zwangsbefugnisse, weil Eingriffsermächtigungen und die Anwendung unmittelbaren Zwangs den mitgliedstaatlichen Behörden vorbehalten sind.84 Seit 2013 ist bei Europol das Europäische Zentrum zur Bekämpfung der Cyberkriminalität eingerichtet worden, dem die Koordinierung der Verfolgung und Verhütung von Straftaten obliegt, die über das Internet begangen, gefördert oder erleichtert werden.85 2. Europäische Staatsanwaltschaft Mit der EUStA-VO86 wurde im Jahr 2017 die Europäische Staatsanwaltschaft mit Sitz in Luxemburg eingerichtet, die ihre Tätigkeit inzwischen aufgenommen hat. Ihre Zuständigkeit bleibt zunächst auf Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU beschränkt.87 3. Frontex Die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache mit Sitz in Warschau hat die Aufgabe, den Schutz der EU-Außengrenzen zu koordinieren. Sie arbeitet seit 2016 auf der Grundlage der VO 2016/1624, die sich auf Art. 77 Abs. 2 und Art. 79 Abs. 2 AEUV stützt. Durch die Flüchtlingsbewegungen seit 2015 muss Frontex seine Aufgabe zur Sicherung der Außengrenzen im heiklen Feld der Migrationspolitik wahrnehmen. In diesem Zusammenhang hat Frontex den spezifisch polizeilichen Auftrag zur Bewältigung des Migrationsdrucks und potenzieller künftiger Bedrohungen an den Außengrenzen und soll zugleich zur Bekämpfung schwerer Kriminalität mit grenzüberschreitender Qualität tätig werden.88
83 84 85 86 87 88
Krit. dazu auch Aden, HdBPR, N. Rn. 215. Aden, HdBPR, N. Rn. 107. Aden, HdBPR, N. Rn. 113. ABl 2017 Nr. L 283, S. 1. Aden, HdBPR, N. Rn. 167. Aden, HdBPR, N. Rn. 180.
2. Abschn.: Recht der Europäischen Union
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4. OLAF Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung – Office Européen de Lutte AntiFraude – ist eine Dienststelle der Europäischen Kommission, der zwei Aufgaben gestellt sind. Sie ermittelt intern disziplinarrechtlich in Fällen schwerwiegenden Fehlverhaltens von EU-Bediensteten bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit und extern ist sie für die Bekämpfung von Betrug, Korruption und sonstigen rechtswidrigen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU zuständig.89 Dabei hat OLAF eine begrenzte bereichsspezifische supranationale Ermittlungskompetenz, die es den Bediensteten erlaubt, in den Mitgliedstaaten hoheitlich gegenüber deren Bürgern tätig zu werden.90 Künftig soll OLAF eng mit der Europäischen Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten.91
IV. Ergänzende Aufgaben 1. Erlass von Vorschriften zum Datenschutz nach Art. 16 Abs. 2 AEUV Der Kompetenztitel gewährleistet den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und ermächtigt das Europäische Parlament und den Rat zur Rechtssetzung entsprechender Bestimmungen zum Schutz der Betroffenen. Auf dieser Ermächtigung beruht die Richtlinie vom 27. 04. 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zweck der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr.92 Diese Richtlinie gilt für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die zum Zwecke der Strafverfolgung, Strafvollstreckung und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch die zuständigen Behörden in einem Dateisystem gespeichert sind oder werden sollen. Erfasst werden auch personenbezogene Daten in Vorgangs- und Fallbearbeitungssystemen und ganz oder teilweise automatisierte Ermittlungstechniken wie Körperscanner, Vorratsdatenspeicherung, Telekommunikationsüberwachung, Videoüberwachung, interaktive Cybercrimeanalyse, KFZ-Kennzeichenerfassung, IMSI-Catcher, Big-Data-Analysen oder Predictive Policing.93
89 90 91 92 93
Aden, HdBPR, N. Rn. 175. Aden, HdBPR, N. Rn. 175. Aden, HdBPR, N. Rn. 175. ABlEU 2016 Nr. L 119, S. 89. Weinhold/Johannes, DVBl 2016, 1501 (1503).
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
2. Rechtsangleichung im Binnenmarkt nach Art. 114 AEUV Dieser Kompetenztitel ist die Grundermächtigungsnorm zum Erlass von Maßnahmen zur Rechtsangleichung im Binnenmarkt der EU. Diese Harmonisierungskompetenz ist nur einschlägig, wenn es um die Beseitigung von Hemmnissen für den Binnenmarkt geht, die aus Unterschieden in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten erwachsen.94 Diese Unterschiede müssen geeignet sein, die Grundfreiheiten zu beeinträchtigen und sich auf diese Weise unmittelbar auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken.95 Art. 114 AEUV hat der EuGH bei seiner ersten Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung herangezogen, weil es dabei um Verpflichtungen mit erheblichen Auswirkungen für die Anbieter von elektronischen Kommunikationsdiensten ging und eine heterogene Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften zur Entstehung neuer Handelshemmnisse im Binnenmarkt führen würde.96 Art. 16 Abs. 2 AEUV kann nicht herangezogen werden, um Überwachungsmaßnahmen der mitgliedstaatlichen Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden unionsrechtlich zu begründen.97
V. Art. 4 Abs. 2 S. 2 und 3 EUV und Art. 72 AEUV als Kompetenzgrenzen Die beiden Artikel beinhalten einen Zuständigkeitsvorbehalt für die Mitgliedstaaten. Die Aufrechterhaltung der nationalen inneren Sicherheit fällt in die alleinige Verantwortung der Mitgliedstaaten. In Ermangelung einer Kompetenz-Kompetenz der Union für ein europäisches Polizei- und Strafverfahrensrecht beschränkt sich ihr Sicherheitsrecht auf die informationelle und operative Kooperation der grenzüberschreitenden Kriminalität und die Organisation dieser Kooperation.98 In einem Staatenverbund kann die supranationale Ebene keine Kompetenzen beanspruchen, die zu den Kernaufgaben des Staates gehören, wie es bei Gefahrenabwehr und Strafverfolgung der Fall ist.
94 95 96 97 98
Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 114 Rn. 2 f. Herdegen, Europarecht, § 19 Rn. 4. EuGH Rs. C – 301/06, Slg. 2009, I – 593, Rn. 63 f.; Herdegen, Europarecht, § 19 Rn. 4. Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 19. Möstl, BeckOK PSR Bayern, Vorbem. Rn. 68; Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 18 f.
2. Abschn.: Recht der Europäischen Union
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C. Rahmenbeschlüsse und Richtlinien I. Terrorismus Maßgeblicher Akt der EU zur Terrorismusbekämpfung war der Rahmenbeschluss 2002/475/JI des Rates vom 13. 06. 200299 in der Fassung des Änderungs-Rahmenbeschlusses 2008/919/JI vom 28. 11. 2008,100 in dem die Mitgliedstaaten verpflichtet wurden, zahlreiche terroristische Straftaten zu pönalisieren. Die Straftaten werden nach Art. 1 des Rahmenbeschlusses dadurch charakterisiert, dass sie mit dem Ziel begangen werden, „die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern oder öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören.“101 Dieser Rahmenbeschluss wirkte konzeptionell als Motor der Vorverlagerung des Strafrechts in den Bereich der straflosen Vorbereitungshandlung und ist im deutschen Recht mit den §§ 129a, 129b, 89a und 89b StGB umgesetzt worden, blieb aber hinter den Vorgaben des Beschlusses insoweit zurück, als terroristische Straftaten zum Teil unabhängig von der spezifisch terroristischen subjektiven Zielsetzung in § 129a StGB als im Einzelnen aufgeführte Straftaten definiert sind.102 Mit der Richtlinie 2017/541 vom 15. 03. 2017 zur Terrorismusbekämpfung wurden die o. a. Rahmenbeschlüsse103 ersetzt und der Beschluss des Rates 2005/671/gI vom 28. 09. 2005 über den Informationsaustausch und die Zusammenarbeit bei terroristischen Straftaten geändert. Inhaltlich setzt die Richtlinie vom 15. 03. 2017 die schon im Rahmenbeschluss von 2008 eingeleitete Tendenz fort, terroristische Anschläge bereits im Vorfeld von Rechtsgutsverletzungen zu kriminalisieren und sanktioniert schon die Planung, Anwerbung, Ausbildung und Finanzierung terroristischer Aktivitäten einschließlich terroristisch motivierter Reisen von sogenannten ausländischen Kämpfern in Konfliktgebiete.104 Im Rahmen von Art. 75 AEUV können als Maßnahmen gegen Terrorismusfinanzierung durch Verordnungen die Voraussetzungen für das Einfrieren von Geldern, finanziellen Vermögenswerten oder wirtschaftlichen Erträgen geschaffen werden.
99
ABlEU Nr. L 164, S. 3. ABlEU Nr. L 330, S. 21. 101 BGBl II 2003, S. 1923. 102 Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 42 Rn. 43. 103 ABl Nr. L 88, S. 6. 104 S. dazu näher Engelstätter, GSZ 2019, 95 ff.
100
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
II. Organisierte Kriminalität Wegen des enormen Schadenspotenzials und der typischerweise grenzüberschreitenden Begehung von Straftaten durch die organisierte Kriminalität musste sich die EU dieser Kriminalitätsform stellen. Nachdem die EG dem UN-Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität105 beigetreten war,106 erfolgte im Jahr 2008 der Rahmenbeschluss zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, der die Vorgabe des UN-Palermo-Übereinkommens umsetzte. Eine verbindliche Definition der organisierten Kriminalität besteht indes bis heute auf der Ebene der EU nicht. Als wesentliches Merkmal von Straftaten der organisierten Kriminalität wird deren Begehung aus einer kriminellen Vereinigung heraus angesehen;107 als typische OK-Straftaten gelten Drogen-, Waffen- und Organhandel, Menschenhandel mit sexueller Ausbeutung von Frauen und Kindern, Einschleusung von Flüchtlingen und Geldwäsche sowie sonstige Finanzstraftaten.108 3. Abschnitt
Grundgesetz A. Gewährleistung von Freiheit und Sicherheit Wenn Bürger in einem Staat unter dem Schutz einer Verfassung zusammenleben, erwarten sie vom Staat, dass er ihre Grundrechte schützt und ihre Sicherheit gewährleistet. Freiheit schließt die Möglichkeit der selbstbestimmten Entscheidung gegen das Recht ein und führt zu Straftaten, die Freiheitsrechte verletzen; Sicherheit soll Straftaten verhindern und benötigt dazu Überwachungs- und Handlungsbefugnisse, die ebenfalls in Grundrechte eingreifen. Freiheit und Sicherheit müssen deshalb vom Gesetzgeber unter Berücksichtigung der sicherheitsrechtlichen Herausforderungen der Zeit in einem politischen Aushandlungsprozess gewichtet und ausbalanciert werden. Insoweit hat sich nach dem 11. 9. 2001 die Frage nach dem Verhältnis von Freiheit und Sicherheit neu gestellt.
I. Staatstheoretische und verfassungsrechtliche Perspektive Sicherheit wird staatstheoretisch als ein der Verfassung vorausliegender Staatszweck gesehen und die Staatsaufgabe Sicherheit unmittelbar auf ihn gestützt. Beide sind einer Verankerung in einer Verfassung nicht bedürftig, weil der Staat Verfas105 106 107 108
UN Document A/55/383 vom 02. 11. 2000, S. 25 ff. ABlEU Nr. L 261, S. 69. Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 42 Rn. 35. Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 42 Rn. 35.
3. Abschn.: Grundgesetz
133
sungsvoraussetzung ist: „Der Staat ist vor der Verfassung“.109 In dieser Perspektive ist die Sicherheit Voraussetzung und Schranke der vom Staat garantierten Freiheitsrechte.110 Dem Staat obliegt es, die Freiheitsausübung zu koordinieren und sie vor Übergriffen durch Dritte zu bewahren.111 Auf diesem Hintergrund wird in Ansehung der terroristischen Bedrohung seit dem 11. 9. 2001 der Anspruch auf die „Selbstbehauptung des Rechtsstaats“ reklamiert, mit dem die Handlungsoptionen des mit seiner Negation durch Terroristen herausgeforderten Staates ermittelt werden sollen.112 Der staatstheoretische Ausgangspunkt ist, dass es ohne Sicherheit keine Staatlichkeit und ohne Staatlichkeit keine freiheitliche-demokratische Rechtsstaatlichkeit geben kann.113 Der Kampf um den Rechtsstaat, eigentlich ein Kampf um den Staat überhaupt114, führt über die Grenzen des Staatsrechts hinaus und wird „nicht nach Maßgabe grundrechtlicher Verhältnismäßigkeit, praktischer Konkordanz, Konsens und Selbstbestimmung entschieden werden, sondern nach dem Willen und der Fähigkeit zur existentiellen Selbstbehauptung der eigenen politischen Existenzform“.115 Der Gegenentwurf zum vorverfassungsrechtlichen Verständnis von Staat und Sicherheit begreift beide als verfassungsrechtliche Größen, weil die Verfassung als Rahmenordnung für ein funktionierendes Gemeinwesen keinen ihr vorausliegenden Staat braucht.116 Wenn Staatsgewalt im Sinne von Art. 20 Abs. 2 GG ausgeübt wird, so handelt es sich nicht um eine vorverfassungsrechtliche, sondern um die durch die Verfassung gebändigte und vermittelte Gewalt; unter dem Grundgesetz kann es keine Staatsgewalt geben, die nicht der Verfassung unterworfen wäre.117 Wenn im Verfassungsstaat demnach die Grundrechte einen staatsunabhängigen Geltungsgrund haben118, Freiheit als Negation des Staates zu verstehen ist119 und verfassungshistorisch erst die Verfassung den neuzeitlichen Staat hervorgebracht hat120, dann kann es ohne Verfassung keinen freischwebenden Staat mit von ihm abhängigen Freiheitsrechten geben. Das staatshistorische Verständnis vom Staat als Abstraktum führt ins Leere121; der Staat erlangt nur durch die Verfassung Bedeutung. 109
Isensee, Staat, Spalte 150. Isensee, in: FS P. Kirchhof, S. 27 f. 111 Isensee, in: Schwarz, 10 Jahre 11. September, S. 15. 112 Depenheuer, Selbstbehauptung, 2. Aufl. 2007. 113 Depenheuer, Selbstbehauptung, S. 17 f. 114 Denninger, HdBPR, B. Rn. 17. 115 Depenheuer, Selbstbehauptung, S. 8. 116 Möllers, Staat als Argument, S. 260 ff.; Denninger, HdBPR, B. Rn. 17 f.; Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts, S. 219 f.; s. dazu Waldhoff, JuS 2021, 289 ff. 117 Böckenförde, JA 1984, 325 (330); Sobota, Prinzip Rechtsstaat, S. 31 f. 118 Michael/Morlok, Grundrechte, § 2 Rn. 9. 119 Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 35. 120 Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 18 ff. 121 Böckenförde, JA 1984, 325: Der Begriff der Verfassung ist älter als der des Staates; Möllers, Staat als Argument, S. 263; Denninger, Leviathan, S. 9. 110
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
II. Freiheit und Sicherheit im Grundgesetz 1. Verfassungswerte a) Freiheit Die Freiheit ist der herausragende Verfassungswert.122 Das Grundgesetz hat mit seinen Freiheitsgewährleistungen wesentliche Theoreme der neuzeitlichen Staatsphilosophie und der Aufklärung aufgenommen und mit Verfassungsrang ausgestattet.123 Die Grundrechte als positiviertes Naturrecht liegen dem Staat voraus und sind legitimierende Bedingungen der Entstehung des Staats, indem sie die Ausübung staatlicher Gewalt verpflichten und begrenzen.124 Der Gebrauch der Grundrechte muss gegenüber dem Staat nicht gerechtfertigt werden; rechtfertigungsbedürftig ist vielmehr die Beschränkung der Grundrechte durch den Staat, wofür dieser darlegungs- und beweispflichtig ist.125 Nach dem rechtsstaatlichen Verteilungsprinzip ist die Freiheit des Einzelnen prinzipiell unbegrenzt, die Befugnis des Staates zu Eingriffen in die Freiheitssphäre dagegen prinzipiell begrenzt.126 b) Sicherheit aa) Textbefund Ein der Freiheit vergleichbares prominentes Verfassungsgut Sicherheit findet sich im Grundgesetz nicht.127 Das lässt sich damit erklären, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes noch die Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus vor Augen hatten und mit den Grundrechten Vorkehrungen gegen eine erneute Machtergreifung durch ein totalitäres, freiheitsverachtendes Unrechtsregime treffen wollten und außerdem die Aufgabe des Staates zur Gewährleistung der Sicherheit seiner Bürger als Selbstverständlichkeit angesehen wurde.128 Das Grundgesetz verwendet den Begriff Sicherheit in Art. 13 Abs. 4, Art. 35 Abs. 2 und Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 b). Aus diesen Bestimmungen lässt sich die geschriebene Staatsaufgabe Sicherheit nicht ableiten, weil sich die Art. 13 Abs. 4 und Art. 35 Abs. 2 GG auf den einfachgesetzlichen Begriff der öffentlichen Sicherheit im
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BVerfGE 12, 45 (51); Brugger, VVDStRL 63 (2003), S. 101 (129). Dreier, in: Dreier, GG Bd. I, Vorb. Rn. 33. 124 Schlink, EuGRZ 1984, 457; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 43. 125 Schlink, EuGRZ 1984, 457; Dreier, in: Dreier, GG Bd. I, Vorb. Rn. 70; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 44. 126 Schlink, EuGRZ 1984, 457 ff.; Dreier, in: Dreier, GG Bd. I, Vorb. Rn. 70. 127 Brugger, VVDStRL 63 (2003), S. 101 (129); Leuschner, Sicherheit als Grundsatz, S. 15. 128 Brugger, VVDStRL 63 (2003), S. 101 (129); Hillgruber, JZ 2007, 209 (210); Middel, Innere Sicherheit, S. 25; Götz, HStR IV, § 85 Rn. 24. 123
3. Abschn.: Grundgesetz
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Sinne der polizeilichen Generalklausel beziehen129 und die Gesetzgebungszuständigkeit aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG als Kompetenznorm eine Staatsaufgabe Sicherheit voraussetzt und deshalb nicht begründen kann.130 Hinzu kommt, dass die Ableitung einer Staatsaufgabe Sicherheit aus Art. 73 GG und der damit einhergehenden Überhöhung dieser Kompetenznorm zu Lasten der Länder ginge, die nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes für das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht zuständig sind.131 Dieser Textbefund steht der Ableitung eines ungeschriebenen Verfassungsgutes Sicherheit als Staatsziel, Staatsaufgabe oder Gegenstand einer Schutzpflicht nicht entgegen, wenn es dem Grundgesetz durch Auslegung entnommen werden kann. bb) Auslegung (1) Staatsziel Als Staatszielbestimmungen gelten Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung, die der Staatstätigkeit die fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter Aufgaben – sachlich umschriebener Ziele – vorschreiben und ein bestimmtes Programm der Staatstätigkeit umreißen und dadurch eine Richtlinie oder Direktive für das staatliche Handeln und auch für die Auslegung von Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften darstellen.132 Die Sicherheit wird als Staatszielbestimmung in diesem Sinne anerkannt, weil sie als unabdingbare Voraussetzung für die Freiheit verstanden wird.133 (2) Staatsaufgabe Staatsziele oder Staatszwecke können sich als staatliche Erledigungspflichten zu Staatsaufgaben verdichten.134 Auch insoweit fehlt die ausdrückliche Verankerung als Staatsaufgabe Sicherheit im Grundgesetz, wird aber als ungeschriebene Kernaufgabe des modernen Staates anerkannt.135 „Die Sicherheit des Staates als verfasster Frie129
Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 35 Rn. 6; Stern, in: Stern/Becker, GrundrechteKommentar, Art. 13 Rn. 97 f.; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 13 Rn. 89 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 35 Rn. 6; Erbguth, in: Sachs, GG, Art. 35 Rn. 36; Bauer, in: Dreier, GG, Bd. I, Art. 35 Rn. 36. 130 Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 73 Rn. 49; Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 228; Isensee, HStR VII, § 191 Rn. 278. 131 Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 228. 132 BMI/BMJ (Hrsg.), Staatszielbestimmungen/Gesetzesaufträge, Bericht der Sachverständigen-Kommission, 1983; zur Entwicklung des Begriffs näher Schladebach, JuS 2018, 118 ff. 133 Götz, HStR IV, § 85 Rn. 21; Isensee, in: Symposion P. Kirchhof, S. 7 (15); Middel, Innere Sicherheit, S. 25. 134 Calliess, ZRP 2002, 1 (4). 135 BVerfGE 46 (164); 88, 203 (254); Middel, Innere Sicherheit, S. 35 ff.; Gasch, Grenzen, S. 185.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
dens- und Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit seiner Bevölkerung sind Verfassungswerte, die mit anderen im gleichen Rang stehen und unverzichtbar sind, weil die Institution Staat von ihnen die eigentliche und letzte Rechtfertigung herleitet.“136 Problematisch ist die Anerkennung der Sicherheit als Verfassungswert, wenn man daraus Rechtsfolgen ableitet. Berücksichtigt man, dass nach der Lehre von den immanenten Schranken nicht nur kollidierende Grundrechte Dritter, sondern auch andere Verfassungswerte nach ihrer Gesetzesmediatisierung Grundrechtseingriffe legitimieren können137, bleibt zu prüfen, ob der Verfassungswert Sicherheit eine solche Legitimationsgrundlage abgeben kann. Insoweit ist zu verlangen, dass dem Verfassungswert im Grundgesetz ein verfassungsrechtlicher Rang verliehen und seine Realisierung zwingend vorgegeben wird138 ; pauschale Betrachtungen reichen dafür nicht aus, sondern der Verfassungswert muss sich in konkreten normativen Aussagen des Grundgesetzes wiederfinden.139 Diesen Anforderungen wird der karge Textbefund der Sicherheit in den Art. 13 Abs. 4, 35 Abs. 2 und 73 Abs. 1 Nr. 10 b) GG nicht gerecht, sodass ein Verfassungswert Sicherheit nicht als Eingriffsrechtfertigung dienen kann. (3) Gegenstand einer Schutzpflicht (a) Grundrecht auf Sicherheit Die Staatsaufgabe Sicherheit erfährt mit dem Grundrecht bzw. dem Menschenrecht auf Sicherheit eine Hypostasierung. Isensee leitet das Grundrecht auf Sicherheit aus der Gesamtheit der grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates ab.140 Das Grundrecht sei in seiner Wirksamkeit auf das einfache Gesetz angewiesen, weil nur über dieses Medium eine grundrechtliche Schutzpflicht greifen könne.141 Auch Robbers sieht im Menschenrecht auf Sicherheit kein ungeschriebenes neues Grundrecht, sondern eine Funktion der schon bestehenden Grundrechte.142 Der Verfassungsrang des Grund- oder Menschenrechts auf Sicherheit soll das Recht und gegebenenfalls auch die Pflicht der Staatsorgane begründen können, entgegenstehende Grundrechte einzuschränken143 und ihr subjektiv-rechtlicher Gehalt das Be136
BVerfGE 39, 1 (41 ff.); 46, 160 (164); 88, 203 (251 ff.). BVerfGE 67, 213 (228); 83, 130 (139 f.); 108, 282 (297); Sachs, in: Sachs, GG, vor Art. 1 Rn. 130 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 48 ff.; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 380 ff. 138 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 49. 139 Sachs, in: Sachs, GG, vor Art. 1 Rn. 121; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 383 ff. 140 Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 33. 141 Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 44 f. 142 Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 233. 143 Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 53 ff.; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 228 ff. und 246 ff.; Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, S. 110 ff. 137
3. Abschn.: Grundgesetz
137
hördenermessen im Einzelfall binden und einen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten begründen.144 Ein so verstandenes Grundrecht auf Sicherheit läuft Gefahr, als „Übergrundrecht“ zu einer alle Grundrechtsschranken überspielenden ungeschriebenen Grundrechtsschranke und damit zu einem Eingriffsrecht des Staates zu werden.145 Wohl deshalb wird inzwischen auch nur noch von einem Grundrecht auf Sicherheit im nichttechnischen Sinne gesprochen, das als Sammelbezeichnung erfassen soll, was insgesamt zum Recht auf Schutz gehört.146 Von einem echten Grundrecht auf Sicherheit kann auch schon deshalb nicht die Rede sein, weil Sicherheit ein kollektives Gut ist.147 (b) Schutzpflicht des Staates für die Grundrechte Die Gewährleistung der inneren Sicherheit geht in den staatlichen Schutzpflichten für das bedrohte Grundrecht auf.148 Die grundrechtliche Schutzfunktion gründet sich auf den objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte als Wertentscheidungen der Verfassung.149 Subjektiv-rechtlich gewendet kann die jeweilige Schutzpflicht zum Schutzanspruch des Einzelnen gegen den Staat erstarken.150 So hat das Bundesverfassungsgericht in Ansehung der terroristischen Bedrohung durch die RAF eine objektive Schutzpflicht des Staates für seine Bürger unmittelbar aus dem Grundrecht auf Leben hergeleitet.151 Die Grundrechte als objektive Schutzpflichten verpflichten den Staat, sich bei Grundrechtsgefährdungen schützend und fördernd vor die Grundrechte zu stellen und sie vor rechtswidrigen Eingriffen anderer zu bewahren.152 Mit der Anerkennung der Schutzpflicht des Staates für die Grundrechte wird das Gewährleistungsziel Sicherheit vergrundrechtlicht153 und da der Schutz des Bürgers vor Übergriffen eines anderen Bürgers nur im Modus Schutz durch Eingriff154 ge144 Krit. dazu Gusy, VVDStRL 63 (2003), S. 151 (168 ff.); ders., DÖV 1996, 573; Stern, DÖV 2010, 241 (246); Middel, Innere Sicherheit, S. 41 f.; Hufen, Grundrechte, § 1 Rn. 11; Kniesel, ZRP 1996, 482 (485 f.). 145 Hufen, Grundrechte, § 1 Rn. 11; Stern, DÖV 2010, 241 (246); Middel, Innere Sicherheit, S. 41 f.; Kniesel, ZRP 1996, 482 (486). 146 Alexy, VVDStRL 63 (2003), Aussprache, S. 195; Leuschner, Sicherheit als Grundsatz, S. 73. 147 Alexy, VVDStRL 63 (2003), Aussprache, S. 195. 148 BVerfGE 46, 160 (164); 88, 203 (254); Middel, Innere Sicherheit, S. 35 ff.; Gasch, Grenzen, S. 185. 149 BVerfGE 39, 1 (41 ff.); 46, 160 (164); 88, 203 (251 ff.). 150 Stern, DÖV 2010, 241 (248); Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 105. 151 BVerfGE 46, 160 (165). 152 BVerfGE 39, 1 (41 ff.); 49, 89 (124 und 140). 153 Leuschner, Sicherheit als Grundsatz, S. 1 ff. und 54 ff. 154 Wahl/Masing, JZ 1990, 552 ff.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
leistet werden kann, hat dieser Schutz freiheitssichernde und freiheitsverkürzende Wirkung. (4) Sicherheit als Prozess Sicherheit und Unsicherheit sind objektiv und subjektiv variable Größen. Sie hängen von der objektiven Bedrohungslage durch die bestehende Kriminalität, der empfundenen Bedrohung und den unterschiedlichen Bedürfnissen nach Sicherheit in einer pluralen Gesellschaft ab. Die Sicherheitslage hat Wellenberge und -täler und kann sich – wie der 11. 9. 2001 gezeigt hat – schlagartig ändern. Blickt man in die Geschichte der Bundesrepublik zurück, so lässt sich das verdeutlichen. In den 1950er Jahren ging es um den Wiederaufbau, ein wesentliches Sicherheitsthema gab es nicht. Das änderte sich 1962 mit der Spiegel-Affäre, die eine erste Sicherheitsdiskussion über die militärische Situation der Bundesrepublik und der NATO, das Vorgehen der Bundesregierung und der Bundesanwaltschaft gegen Herausgeber und Redakteure des Spiegel und die Bedeutung und den Schutz der Pressefreiheit auslöste. Seit Mitte der 1960er Jahre formierte sich studentischer Protest gegen den Zustand an den Hochschulen, die geplanten Notstandgesetze, den Vietnamkrieg und den Schahbesuch am 2. 6. 1967 in Berlin. Nachdem es anlässlich der Demonstrationen gegen den Schahbesuch zu Ausschreitungen und seitens der Polizei zu massiven Übergriffen gegen die Demonstranten kam, war ein Sicherheitsthema präsent, das nachhaltige Folgen hatte. So kam es zur Gründung der RAF, die im Mai 1972 erste Bombenattentate auf Kaufhäuser, danach Anschläge auf Politiker und Wirtschaftsführer verübte und mit ihren Nachfolgeorganisationen bis zu Beginn der 1990er Jahre bestimmendes Thema der Sicherheitslage blieb. Seit Mitte der 1970er Jahre traten die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und der organisierten Kriminalität mit ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen hinzu und lösten eine Welle von Bekämpfungsgesetzen aus. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre wurde die Sicherheitslage durch den Protest gegen die Kernkraft geprägt und gewann mit dem Umsägen von Strommasten als Reaktion auf die Errichtung der Wiederaufbereitungslage Wackersdorf im Jahre 1986 und den Morden von zwei Polizeibeamten im Zusammenhang mit den Demonstrationen gegen die Startbahn West des Frankfurter Flughafens im Jahre 1987 eine neue Qualität. In den 1990er Jahren blieb die organisierte Kriminalität bestimmendes Thema, auch mit Blick auf die sich verstärkende europäische Integration, die den Blick auf die den europäischen Raum gefährdende Vernetzung der organisierten Kriminalität freilegte. Hinzu kamen die das Demonstrationsgeschehen dominierenden Proteste gegen die Castor-Transporte und die zunehmende Gewalt im Zusammenhang mit nationalen und internationalen Fußballspielen, die sich wöchentlich bei Risikobegegnungen in den Fußball-Bundesligen und insbesondere bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich durch Anwendung brutaler Gewaltausübung durch Hooligans gegen den französischen Polizeibeamten David Nivel zeigte. Mitte der 1990er Jahre geriet verstärkt die Sicherheit des öffentlichen Raums in den Fokus. Es ging um Verwahrlosung und Unordnung, die als Grundlage von Straftaten gesehen und in Folge der aus den USA
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importierten und dort praktizierten Theorien von broken-windows und zero tolerance bei uns zu einem beherrschenden Thema der öffentlichen Auseinandersetzung und der rechtswissenschaftlichen, kriminologischen und soziologischen Diskussion wurden. Mit der Zäsur des 11. 9. 2001 und den folgenden Anschlägen in Madrid, London und Paris trat das Thema Sicherheit im öffentlichen Raum in den Hintergrund und die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ist seitdem das beherrschende Thema des Sicherheitsdiskurses. Dieser Rückblick zeigt, dass Sicherheit und Unsicherheit zeitorientiert die jeweils existierende Kriminalität abbilden und diese formt den jeweiligen Sicherheitsstandard. Hinzu kommt, dass in einer pluralen Gesellschaft unterschiedliche, miteinander konfligierende Sicherheitsbedürfnisse bestehen155; die reiche Oberschicht, die selbst für ihre Sicherheit sorgen kann und will, kann sich in gated communities zurückziehen, während der überwiegende Teil der Bevölkerung auf den Schutz des Staates vor Kriminalität angewiesen bleibt. Unterschiedlich sind auch objektive und subjektive Sicherheit. Die reale und die gefühlte Bedrohung durch Kriminalität klaffen oft weit auseinander.156 Die junge Frau, die sich nachts im Stadtpark höchst unsicher fühlt, ist dort statistisch ziemlich sicher und weniger gefährdet, als sie glaubt. Deutlich größer ist die Gefahr für sie, Opfer einer sexuellen Gewalttat durch einen Verwandten oder Bekannten in ihrer eigenen Wohnung zu werden oder durch einen Mann vergewaltigt zu werden, den sie in einer Disco kennengelernt hat und von dem sie sich mitnehmen lässt, weil sie sich sicher fühlt. Auch die verbreitete erhöhte Kriminalitätsfurcht lebensälterer Menschen steht im Widerspruch zu ihrer tatsächlichen Opfergefährdung. Die Anforderungen an die Gewährleistung von Sicherheit ändern sich auch mit der technischen Entwicklung. Das Internet spiegelt die allgemeine Sicherheitslage der realen Welt in der virtuellen und wird zum neuen Freiheitsraum für den Einzelnen, aber auch zum Raum der Bedrohung durch Kriminalität, die sich gegen den Einzelnen und gegen die Strukturen des Internet richtet. Cybersicherheit und ITSicherheit sind neue Aspekte der Sicherheitsgewährleistung.157 In Ansehung dieser Einflussfaktoren auf die Sicherheit kann diese nicht als feststehende Größe verstanden werden. Sicherheit ist kein zu erreichender Endzustand, sondern lässt sich nur in einem prozesshaften Vorgang als immer wieder neu auszuhandelnder Kompromiss zwischen ihr und der Freiheit herstellen.158 Im Rahmen dieser Kompromissfindung stellt sich Sicherheit als bewegliche, von der jeweiligen Kriminalitäts- und Bedrohungslage abhängige Grenze der Freiheit dar und dieser Grenzverlauf ist bei jedem Sicherheitsgesetz durch Abwägung der sicher-
155 156 157 158
Leuschner, Sicherheit als Grundsatz, S. 23. Kniesel, in: Kniesel/Kube/Murck, Handbuch, Kap. 2, Rn. 327 ff. Leuschner, Sicherheit als Grundsatz, S. 22 f. Leuschner, Sicherheit als Grundsatz, S. 23.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
heitsrechtlichen Vorteile mit den freiheitsverkürzenden Nachteilen im Gesetzgebungsprozess neu zu verhandeln. 2. Auflösung des Spannungsverhältnisses durch den Gesetzgeber a) Spannungsverhältnis In der verfassungsrechtlichen Betrachtung besteht Einigkeit, dass Freiheit und Sicherheit in einem Spannungsverhältnis gefangen sind, das als komplementär159 oder ambivalent160 bzw. antagonistisch161 beschrieben wird. Das fundamentale Spannungsverhältnis der tendenziell gegenläufigen Güter lässt sich nur auflösen, wenn man das eine Gut zu Gunsten des anderen völlig aufgeben würde. Weil es aber keine Freiheit ohne Sicherheit und keine Sicherheit ohne Freiheit geben kann, muss der Verfassungsstaat dies Paradoxon der Sicherheit bewältigen. „Der Staat, der alle Risiken ausschließen soll, muss alles wissen, alles können und alles dürfen. Das wäre nicht nur das Ende jeglicher Freiheit. Ein solcher Staat würde vielmehr selbstwidersprüchlich. Er würde zu einer Quelle dessen, was er eigentlich ausschließen wollte, der Unsicherheit.“162 Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma besteht in der Findung eines verfassungsverträglichen Ausgleichs zwischen beiden in einem politischen Prozess, in dem die Sicherheit als Begrenzung der Freiheit in Ansehung der bestehenden Bedrohungslage verstanden werden muss; Freiheit bleibt die Ausgangsgröße, an der sich Sicherheit abarbeiten muss. Wo und wie der Ausgleich zwischen beiden gelingen kann, ist strittig. Überwiegend wird davon ausgegangen, dass er durch abstraktes Gewichten und Abwägen163 auf der Ebene der Verfassung gefunden werden kann.164 Doch müsste dafür im Grundgesetz ein für beide Verfassungswerte verbindlicher Maßstab gefunden werden. Die sogenannte Werteordnung des Grundgesetzes, die als Maßstab herangezogen wird, weist indes keinen auf, sondern behauptet ihn nur165 ; im Grundgesetz lässt sich kein übergeordneter Wertmaßstab finden, anhand dessen der Ausgleich hergestellt werden könnte. Das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit lässt sich auf der Ebene der Verfassung nicht auflösen. Der Grundrechtsordnung lässt sich zwar ein Gebot zur angemessenen Abwägung von Freiheit und Sicherheit im Wege eines 159
Kulick, AöR 143 (2018), 175 (183); Hillgruber, JZ 2007, 209 (210). Masing, JZ 2011, 753 ff.; Di Fabio, NJW 2008, 421 (422); Schoch, in: Gander u. a., Resilienz, S. 63 ff.; Frisch, in: Gander u. a., Resilienz, S. 55 ff. 161 Denninger, KJ 2002, 467 (470); zum Verhältnis auch Möstl, BeckOK PSR Bayern, Vorbem. Rn. 1 ff. 162 Gusy, VVDStRL 63 (2003), S. 151 (160 f.). 163 Dazu grundlegend Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 127 ff. 164 BVerfGE 7, 198 (210); 7, 377 (406); Stern, StR III/2, S. 782 ff. 165 Schlink, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, S. 445 (460 ff.); Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 344; krit. auch Sachs, Grundrechte, 10 Rn. 44. 160
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deliberativen Prozesses entnehmen, aber nicht die Abwägung der Werte selbst, weil die Grundrechtsordnung den Aushandlungsprozess nur nach Maßgabe der Freiheitsgrundrechte einhegt, die Abwägungsentscheidung aber dem Gesetzgeber überlässt.166 Auch der im Rechtsstaatsprinzip und in den Grundrechten aufgehobene Grundsatz der Verhältnismäßigkeit enthält keinen materiellen Wertungsmaßstab für eine unmittelbare Gewichtung und Abwägung, kann aber als Prüfprogramm167 den Prozess der Gewichtung und Abwägung strukturieren und rationalisieren und verweist insoweit auf das Gesetzgebungsverfahren als maßgeblichen Ort des Ausgleichs. b) Ausgleich im Gesetzgebungsverfahren Im Gesetzgebungsverfahren verlangt die Schranken-Schranke der Verhältnismäßigkeit, dass der mit einem Eingriffsgesetz verfolgte Zweck als solcher verfolgt werden darf, das eingesetzte Mittel als solches eingesetzt werden darf und der Einsatz des Mittels zur Erreichung des Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen ist.168 Der mit einem Eingriffsgesetz verfolgte Zweck der Hebung des Sicherheitsniveaus ist ein von der Verfassung anerkannter Zweck und kann die Freiheit einschränken. Ob und in welchem Umfang die im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen zur Hebung des Sicherheitsstandards geeignet und erforderlich sind und die Freiheitsverkürzung rechtfertigen, ist im Gesetzgebungsverfahren auszuhandeln. Dies gelingt durch die Festlegung einer Eingriffsschwelle, die einen Kompromiss zwischen Freiheit und Sicherheit darstellt, wie er im klassischen Polizeirecht des liberalen Rechtsstaats in der konkreten Gefahr als hinreichender Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zum Ausdruck gekommen ist.169 Mit dem Abwarten des Zeitpunkts des sich erkennbar abzuzeichnenden Schadens hat der liberale Rechtsstaat seine Verteidigungslinie weit nach hinten verlegt und ist das Risiko eingegangen, den letzten Zeitpunkt zur Verhinderung des Schadens oder der bevorstehenden Straftat zu verpassen.170 Dies defensive Modell des liberalen Rechtsstaats kann sich der Staat in Ansehung der organisierten Kriminalität und insbesondere des Terrorismus seit dem 11. 9. 2001 nicht mehr leisten.171 Das abwartende Modell versagt gegen Strukturen der organisierten Kriminalität, in der die Akteure verdeckt und mit hoher und dauerhafter krimineller Energie arbeitsteilig operieren und erst recht bei unerkannt unter uns lebenden terroristischen Gefährdern, die jederzeit und überall Anschläge mit einfachen Mitteln verüben können und dabei im Gegensatz zu 166
Leuschner, Sicherheit als Grundsatz, S. 24. Hoffmann-Riem, ZRP 2002, 497 (499). 168 S. dazu Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 330 ff.; Sachs, Grundrechte, 10 Rn. 36 ff. 169 Grimm, KritV 1986, 38 (40 f.); Möstl, Garantie, S. 159; Volkmann, JZ 2006, 918; Baldus, DV 47 (2014), 1 (6 f.); Kral, Vorfeldbefugnisse, S. 178 f.; Schoch, Der Staat 43 (2004), 347 (349). 170 Darnstädt, Gefahrenabwehr, S. 81; Trute, in: GS Jeand’Heur, S. 403 (407). 171 Poscher, Sicherheitsverfassungsrecht, in: Vesting, Eigenwert, S. 245 (253). 167
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
den rational operierenden Akteuren der organisierten Kriminalität gezielt den eigenen Tod für den Erfolg ihrer Anschläge funktionalisieren.172 Gegenüber beiden Kriminalitätsformen muss der Staat die Verteidigungslinie vorverlegen, wenn er zum Schutz seiner Bürger vor Kriminalität eine Abwehrchance haben will.173 Deshalb sahen sich auch die Landesgesetzgeber schon seit Mitte der 1980er Jahre veranlasst, der Polizei die Bekämpfung von organisierte Kriminalität und Terrorismus im Vorfeld der konkreten Gefahr bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für die bevorstehende Begehung von Straftaten zu erlauben.174 Eine derart abgesenkte Eingriffsschwelle ist rechtsstaatlich nicht per se ausgeschlossen175, weil sie die klassische Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr für die allgemeine Gefahrenabwehr und die „normale“ Kriminalitätsbekämpfung in Funktion lässt und nur für die genannten Kriminalitätsformen eine eigene Eingriffsschwelle einrichtet, die der Gefahrenvorsorge in Form der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten gerecht werden soll. Solange die Polizeigesetzgeber die Gewichte nicht grundlegend verschieben, können sie die Balance von Freiheit und Sicherheit neu justieren, um neuen Kriminalitätsformen wirksam begegnen zu können.176 Diese Eingriffsschwelle müssen die Gesetzgeber in ihren Polizeigesetzen im Parlament aushandeln.177 Wie stark Sicherheitsbelange als Beschränkung der Freiheit zum Tragen kommen können, wie hoch der Preis für die Sicherheit als Sonderopfer des Einzelnen zu bemessen ist, ist eine politische Entscheidung des Gesetzgebers, die sich einer über eine Stimmigkeitsprüfung hinausgehende Angemessenheitskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht entzieht, weil es keine Legitimation hat, dem politischen Prozess und damit dem unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgeber vorbehaltene Entscheidungen zu treffen.178 Entscheiden sich die Polizeigesetzgeber für eine Eingriffsschwelle mit tatbestandlichen Voraussetzungen, die der Polizei einen Prognosespielraum einräumen, können sie damit verbundene rechtsstaatliche Risiken durch Grundrechtsschutz durch Verfahren und Befristung des Gesetzes kompensieren.179 Insbesondere trägt der Gesetzgeber dem 172
Denninger, KJ 2002, 467 (471). Poscher, Sicherheitsverfassungsrecht, in: Vesting, Eigenwert, S. 245 (253). 174 S. Kingreen/Poscher, POR § 8 Rn. 53; s. auch §§ 8a – d VEMEPolG. 175 Baldus, DV 47 (2014), 1 (18); Horn, in: FS Schmitt Glaeser, S. 435 (457); Schoch, Der Staat 43 (2004), S. 347 (364); Möstl, DVBl 2007, 581 ff.; ders., BayVBl 2018, 158 (161). 176 BVerfGE 115, 320 (360); Papier, in: Schwarz, 10 Jahre 11. September, S. 27 (37 f.); BVerwG, NVwZ 2017, 1798 (1800). 177 Papier, in: Schwarz, 10 Jahre 11. September, S. 27 (38); Leuschner, Sicherheit als Grundsatz, S. 24; Schlink, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, S. 445 (461); Würtenberger/Heckmann/Tanneberger, PRB-W, § 1 Rn. 38. 178 Schlink, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, S. 445 (461 f.); Schoch, in: Gander u. a., Resilienz, S. 63 (66 ff.); Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 344; Wegener, VVDStRL 75 (2016), S. 293 (310). 179 Trute, in: GS Jeand’Heur, S. 403 (415) spricht vom Experimentierspielraum des Gesetzgebers; Schoch, in: Gander u. a., Resilienz, S. 63 (70); Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts, 173
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prozesshaften Charakter der Sicherheit Rechnung, wenn er einem neuen Sicherheitsgesetz ein Verfallsdatum mitgibt, das er bei Fortbestand der Sicherheitslage wieder aufheben kann.
B. Sicherheitsverfassungsrechtliche Trennungen Das Grundgesetz sieht als Bestandteil eines Sicherheitsverfassungsrechts im Sinne einer Teilverfassungsrechtsordnung180 strukturelle Trennungen vor, die in der gegenwärtigen Diskussion um die angemessene Reaktion des Staates auf die Bedrohung durch neue Kriminalitätsformen, insbesondere den islamischen Terrorismus von Bedeutung sind.181
I. Polizei und Bundeswehr Der räumlichen Dimension der staatlichen Sicherheitsgarantie liegt die überkommene Unterscheidung der Gewährleistung im Inneren und nach außen zugrunde; die Verteidigung gegen einen von außerhalb des Staatsgebiets kommenden Angriffs ist Sache des Militärs, Aufgabe der Polizei die Gewährleistung der Sicherheit im Staatsgebiet.182 Einem Einsatz des Militärs im Landesinneren hat das Grundgesetz in der wehrverfassungsrechtlichen Zentralnorm des Art. 87a Abs. 2 GG enge Grenzen gezogen, wonach die Bundeswehr außer zur Verteidigung nur eingesetzt werden darf, wenn das Grundgesetz es ausdrücklich erlaubt.183 Der Stellung dieser Verfassungsbestimmung im VIII. Abschnitt des Grundgesetzes entnimmt eine systematische Verfassungsinterpretation hinsichtlich der Gewährleistung der inneren Sicherheit die Unterscheidung von Militär und Polizei und ein diesbezügliches Trennungsgebot, das den verfassungsgemäßen Einsatz der Bundeswehr im Inneren auf Ausnahmefälle begrenzt und vom regulären Einsatz der Polizei zum Schutz der inneren Sicherheit ausgeht.184 Die Bundeswehr ist somit keine Exekutive des Bundes zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit. Die verfassungsrechtliche Begrenzung polizeilicher Verwendung der Bundeswehr hat zunächst historische Gründe und ist die Antwort auf die Einsätze der Reichswehr in der Weimarer Republik als Mittel der
S. 363 f.; Horn, in: FS Schmitt Glaeser, S. 435 (459); Schulze-Fielitz, in: FS Schmitt Glaeser, S. 407 (429 ff.); krit. BVerfG, NJW 2021, 226 (Rn. 89); Sachs, JuS 2021, 377 (379). 180 Poscher, Sicherheitsverfassungsrecht, in: Vesting, Eigenwert, S. 245 ff. 181 S. dazu Kniesel, DP 2018, 265 (266 ff.). 182 Möstl, Garantie, S. 277 ff.; Schoch, Jura 2013, 255 (259). 183 Schoch, Jura 2013, 255 (259). 184 Depenheuer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87a Rn. 59; Schoch, Jura 2013, 255 (258).
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Reichsexekutive und auf die Militarisierung der Polizei im Nationalsozialismus.185 Die Begrenzung ergibt sich aber auch aus der föderalen Struktur der Bundesrepublik. Nicht der Bund, sondern die Länder haben die grundsätzliche Polizeikompetenz, die innere Sicherheit durch Sicherheitsbehörden zu gewährleisten, weshalb das Bundesverfassungsgericht betont hat, dass das Grundgesetz den Einsatz von Streitkräften vor allem als bundesstaatliches Problem sieht.186 Die auf das Grundgesetz gegründete Trennung von Polizei und Bundeswehr als genetischen Code des Grundgesetzes oder zivilisatorische Errungenschaft zu werten187, mag mancher Bundeswehrangehörige nicht gern hören. Wer aber in der Trennung nur noch einen verfassungsrechtlichen Hygienefaktor sieht, den man sich in Zeiten permanenter Katastrophen nicht mehr leisten könne188 oder gar den Verfechtern der Trennung hartnäckige antimilitaristische Pawlow-Reflexe unterstellt189, leistet keinen konstruktiven Beitrag in der Diskussion um die Gewährleistung der inneren Sicherheit in Krisenzeiten.190 Polizei und Militär sind nun mal in Denken und Handeln zu verschieden. Das Militär denkt und handelt herkömmlich in den Kategorien von Angriff und Verteidigung, Sieg und Niederlage und es geht um die Führung und Vermeidung des Krieges und darauf sind Ausbildung und Ausrüstung des Militärs ausgerichtet.191 Dagegen ist die Polizei historisch als Konsequenz der Einsicht zu verstehen, dass zur Gewährleistung der Sicherheit im Inneren andere Voraussetzungen zählen und andere Kategorien für polizeiliche Einsätze maßstabsbildend sein müssen, weil es im Rahmen punktueller Interventionen vor allem um Verhältnismäßigkeit und Deeskalation geht, die es ermöglichen, dass nach dem Polizeieinsatz – etwa bei gewalttätig verlaufenen Großdemonstrationen – die politisch verfeindeten gesellschaftlichen Kräfte sich wieder ohne Gewalt auseinandersetzen können.192 Umstritten ist, ob diese Grundsätze auch für terroristische Anschläge auf dem Boden der Bundesrepublik gelten, es sich also auch bei deren Bekämpfung noch um polizeiliche Gefahrenabwehr und nicht schon um militärische Kriegsführung nach Maßgabe des Verteidigungsauftrags des Grundgesetzes handelt. Nach einer weiten Auffassung soll es entscheidend auf die Intensität des Angriffs ankommen; wenn der terroristische Angriff ein Bedrohungs- und Zerstörungspotenzial wie der einer regulären Armee aufweise, also kriegsanaloge Verhehrungsausmaße erreiche, sei eine 185
Gramm, DV 41 (2008), 375 (385); Ladiges/Glawe, DÖV 2011, 1239; Schoch, Jura 2013, 255 (258); Martines Soria, DVBl 2004, 597 (599). 186 BVerfGE 90, 286 (387). 187 Di Fabio, NJW 2008, 421 (423); Gusy, VerwArch 101 (2010), 309 (326). 188 Lorse, DV 38 (2005), 471 (472). 189 Wellershoff, „Der Erweiterte Sicherheitsbegriff“, Vortrag vom 23. 4. 2002 an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. 190 Denninger, KritV 2003, 313 (320). 191 Gusy, VVDStRL 63 (2003), S. 186, unter Hinweis auf Clausewitz, Vom Kriege, S. 27 ff., 92 ff., 178 ff., 217 ff., 369 ff. und 592 ff. 192 Gusy, VVDStRL 63 (2003), S. 187.
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Verteidigungslage nach Art. 87a Abs. 2 GG gegeben.193 Verteidigung wäre demnach eine polizeiliche Generalklausel zur Abwehr besonders intensiver Gefahren von außen.194 Die Anhänger eines engen Verteidigungsbegriffs halten dagegen eine Verteidigung im Sinne von Art. 87a Abs. 2 GG nur gegen Streitkräfte eines anderen Staates, die als Kombattanten die Staatsgrenze überschreiten, für möglich; die Bekämpfung von Terroristen als Kriminellen bleibe auch in Extremfällen originäre Aufgabe der Polizei.195 Stellt man nur auf die Wirkung des Angriffs und nicht auf seinen Urheber ab, würde der Verfassungsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG unterlaufen, die Grenzziehung zwischen Militär und Polizei aufgegeben, wenn allein der Umstand, dass nur Streitkräfte in der Lage seien, den Angriff wirksam zu bekämpfen, zu einer Kompetenz zur Verteidigung ausreichte.196 Eine vermittelnde Auffassung, der hier gefolgt wird, hält eine Verteidigung gegen nichtstaatliche Akteure für möglich, wenn der Angreifer über eine militärähnliche Organisationsstruktur, hierarchische Steuerung und internationale Aktionsfähigkeit verfügt.197 Art und Ausmaß des Angriffs allein reichen nicht aus, der Angreifer muss dem Militär vergleichbar sein. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, kommt bei einem terroristischen Anschlag ein Einsatz der Bundeswehr nur zur Unterstützung der Polizei im regionalen oder überregionalen Notstand nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG unter der Voraussetzung in Betracht, dass ein besonders schwerer Unglücksfall vorliegt, was nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts198 nur bei Ereignissen von katastrophischen Dimensionen199 und ungewöhnlichen Ausnahmesituationen der Fall sein kann.
II. Polizei und Verfassungsschutz Ein verfassungsrechtliches Trennungsgebot von Verfassungsschutz und Polizei enthalten die Verfassungen der Bundesländer Brandenburg (Art. 11 Abs. 3), Sachsen (Art. 83 Abs. 3) und Thüringen (Art. 97). Das Grundgesetz sieht ein solch ausdrückliches Gebot der Trennung nicht vor. Gleichwohl sieht eine Mindermeinung ein Trennungsgebot im Grundgesetz enthalten und stützt sich dabei auf den Polizeibrief 193 Depenheuer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87a Rn. 89; Krings/Burkiczak, DÖV 2002, 501 (505); Bäumerich/Schneider, NVwZ 2017, 189 (192). 194 Depenheuer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87a Rn. 89. 195 Gramm, DV 41 (2008), 375 (396); Sattler, NVwZ 2004, 1286; Linke, NWVBl 2006, 174 (177); Barczak, Der nervöse Staat, S. 646; Bäcker, HdBPR, B. Rn. 219. 196 Glawe, NZWehrR 2009, 221 (222); Linke, AöR 129 (2004), 489 (516); Gramm, NZWehrR 2005, 133 (133 f. und 140 f.); Wahlen, Maritime Sicherheit, S. 207. 197 Kirchhof, HStR IV, § 84 Rn. 49; Baldus, NVwZ 2004, 1278 (1281); Epping, in: Epping/ Hillgruber, GG, Art. 87a Rn. 11. 198 BVerfGE 132, 1 (9). 199 BVerfGE 132, 1 (17 f.).
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
der drei westalliierten Militärgouverneure vom 14. April 1949, wo es unter Ziffer 2 heißt: „Der Bundesregierung wird es ebenfalls gestattet, eine Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten einzurichten. Diese Stelle soll keine Polizeibefugnis haben.“ Dieser Polizeibrief wird als Erkenntnisgrund einer historischen Auslegung herangezogen, der dafür sorgt, dass die in ihm enthaltene Vorenthaltung polizeilicher Befugnisse für den Verfassungsschutz zum Inhalt des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG erstarkt und ein Trennungsgebot von Verfassungsschutz und Polizei begründet.200 Außerdem soll dafür auch der Wortlaut von Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG sprechen, in dem die systematische Unterscheidung zwischen der Einrichtung von Zentralstellen für polizeiliche Zwecke (polizeiliches Auskunfts- und Nachrichtenwesen, Kriminalpolizei) und für Zwecke des Verfassungsschutzes angelegt sei.201 Auch das Rechtsstaats- und das Bundesstaatsprinzip werden als verfassungsrechtliche Grundlagen des Trennungsgebots bemüht.202 Die h.M. lehnt ein Trennungsgebot mit Verfassungsrang ab; der Polizeibrief kommt als Legitimation nicht in Betracht, weil mit Erlangung der vollen Souveränität der Bundesrepublik im Deutschlandvertrag vom 26. 5. 1952, der am 5. 5. 1955 in Kraft trat, Besatzungsrecht erlosch203 und damit auch als Quelle einer Verfassungsinterpretation ausschied.204 Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG wird als Rechtsgrundlage eines Trennungsgebots abgelehnt, weil die Verfassungsnorm dem Bund lediglich die Möglichkeit einräume, Aufgaben im Sicherheitsbereich verschiedenen Behörden zu übertragen, ohne deshalb eine Pflicht zur Schaffung unterschiedlicher, voneinander abgeschotteter Zentralstellen zu begründen;205 außerdem könnte Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG für die Länder ohnehin kein Trennungsgebot begründen.206 Das Rechtsstaats- und das Bundesstaatsprinzip werden als Rechtsgrundlagen verworfen, weil sie wegen ihrer Offenheit und Abstraktionshöhe zu geringe Konturen hätten, um Inhalt und Reichweite eines Trennungsgebots verlässlich zu bestimmen.207 Das Bundesverfassungsgericht hat 1998 zur Frage, ob dem damaligen Bundesgrenzschutz weitere Aufgaben – u. a. die Bahnpolizei – übertragen werden durften, in einem obiter dictum zu einem Trennungsgebot Stellung genommen: „Für die in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG vorgesehenen sonderpolizeilichen Behörden des Bundes 200
Ibler, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87 Rn. 143. Ibler, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87, Rn. 143; Gusy, ZRP 1987, 45 (46 ff.); Roggan/ Bergemann, NJW 2007, 876. 202 Götz, HStR IV, § 85 Rn. 39; Martinez Soria, in: FS Götz, S. 359 (365). 203 BVerfGE 110, 33 (52); Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1, Rn. 31; Volkmann, JA 2014, 820 (826); Bäcker, HdBPR, B. Rn. 245; Götz, HStR IV, § 85 Rn. 39. 204 Bäcker, HdBPR, B. Rn. 245. 205 Nehm, NJW 2004, 3289 (3291); Werthebach/Droste, BK GG, Art. 73 Nr. 10 Rn. 233; Volkmann, JA 2014, 820 (825 f.); Schenke, POR, Rn. 444. 206 Schenke, POR, Rn. 444. 207 Volkmann, JA 2014, 820 (827); Bäcker, HdBPR, B. Rn. 245; Fremuth, AöR 139 (2014), 32 (51). 201
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stellt sich allerdings die Frage eines Trennungsgebotes. Das Rechtsstaatsprinzip, das Bundesstaatsprinzip und der Schutz der Grundrechte können es verbieten, bestimmte Behörden miteinander zu verschmelzen oder sie mit Aufgaben zu befassen, die mit ihrer verfassungsrechtlichen Aufgabenstellung nicht vereinbar sind. So werden die Zentralstellen für Zwecke des Verfassungsschutzes oder des Nachrichtendienstes – angesichts deren andersartiger Aufgaben und Befugnisse – nicht mit einer Vollzugspolizeibehörde zusammengelegt werden dürfen (s. schon „Polizeibrief“ der westalliierten Militärgouverneure vom 14. April 1949). Diese Frage bedarf jedoch hier keiner abschließenden Entscheidung.“208 Das Bundesverfassungsgericht hat damit kein ausdrückliches Trennungsgebot mit Verfassungsrang festgelegt, aber doch durch den Hinweis auf das Rechts- und Bundesstaatsprinzip und den gebotenen Grundrechtsschutz auf die Problematik einer zu großen Machterfülle zusammengelegter Zentralstellen hinweisen wollen. In seiner Entscheidung zur Zulässigkeit der Antiterrordatei aus dem Jahr 2013 ist das Bundesverfassungsgericht einen anderen Weg gegangen und hat versucht, ein Trennungsgebot grundrechtlich zu begründen; es konkretisiert mit einem dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung entnommenen Trennungsprinzip den Grundsatz der Zweckbindung personenbezogener Daten und reguliert so den Datenaustausch zwischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten.209 Jeder Informationsaustausch unterliegt gesteigerten verfassungsrechtlichen Anforderungen dergestalt, dass er nur durch ein herausragendes öffentliches Interesse – etwa die Terrorismusbekämpfung – bei hinreichend konkreten und qualifizierten Eingriffsschwellen auf der Grundlage normenklarer gesetzlicher Regelungen gerechtfertigt werden kann.210 Dieses informationelle Trennungsprinzip ist im Gegensatz zu einem staatsorganisationsrechtlich begründeten Trennungsgebot, das strikt und unbedingt gelten würde, nur ein Optimierungsgebot211, das als Abwägungsposten im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung Bedeutung hat und durch eine stärkere Gewichtung der effektiven Terrorismusbekämpfung überwunden werden kann.212 Diese „grundrechtliche Rekonstruktion des Trennungsgebots“ durch das Bundesverfassungsgericht macht es für Bäcker möglich, die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für das Verhältnis von Polizei und Nachrichtendiensten besser zu begründen und klarer zu konturieren.213
208
BVerfGE 97, 198 (217); 100, 313 (369 f.); BVerfG, NJW 2011, 2417 (2420). Will, in: Freundesgabe Schlink, S. 429 (444). 210 Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1, Rn. 33. 211 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 756 ff. 212 Volkmann, JA 2014, 820 (828). 213 Bäcker, HdBPR, B. Rn. 246. 209
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
III. Landespolizei und Bundespolizei 1. Grundgesetzliche Aufteilung der Polizeikompetenz Die Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist eine bundesverfassungsrechtliche Gewährleistung, die von Bund und Ländern in aufgeteilten Kompetenzbereichen in gemeinsamer Verantwortung koordinations- und kooperationsbedürftig zu erbringen ist.214 Dabei ist diese „Garantenstellung“ der Länder gegenüber dem Bund eine herausgehobene, weil die allgemeine, über sonderpolizeiliche Kompetenzen hinausgehende Polizeigewalt allein den Ländern zusteht.215 Dabei wird der Bund von der Polizeigewalt nicht völlig ausgeschlossen; die ihm übertragenen Kompetenzen müssen aber auf bestimmte Aufgaben begrenzt bleiben, ihre Qualität als sonderpolizeiliche Spezialbefugnisse beibehalten werden und dürfen sich in ihrer Gesamtheit nicht zu einer mit den Ländern konkurrierenden Polizei des Bundes zusammenfügen lassen216, weil die den Ländern zugewiesene allgemeine Polizeigewalt den maßgeblichen Teil ihrer Staatlichkeit ausmacht.217 Damit die durch die räumliche Begrenzung der Länderpolizeien bedingten Nachteile der dezentralen Organisation ausgeglichen werden können, macht das Grundgesetz die polizeiliche Kooperation zwischen den Ländern und zwischen dem Bund und den Ländern in Gestalt von Staatsverträgen möglich und erlaubt dem Bund, mittels Zentralstellen im sachlichen Aufgabenbereich der Länder koordinierend zu wirken.218 Die Instrumente der Kooperation durch Vertrag und insbesondere die Kooperation können zwar in zentralistischer Zielsetzung missbraucht werden, aber auch als Sicherungen gegen zentralistische Bestrebungen verstanden werden.219 Ausdrückliche Ausnahme vom Grundsatz der Polizeihoheit der Länder ist die Einführung des Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG, der dem Bund die Gesetzgebungszuständigkeit für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus zuweist und damit den Bund in einem Kernbereich der inneren Sicherheit zur Gefahrenabwehr ermächtigt. Da es sich dabei aber um eine ausnahmsweise Parallelzuständigkeit handelt, die den Ländern von ihrer Polizeihoheit nichts nimmt, wird diese Verfassungsänderung und die auf ihr beruhende Aufgabenerweiterung des Bundeskriminalamtes für mit dem Grundgesetz vereinbar gehalten.220 Andererseits darf die zentralistische Schubkraft des mit opulenten Befugnissen ausgestatteten Bundes214
Möstl, Garantie, S. 460. Möstl, Garantie, S. 464 f. 216 BVerfGE 97, 198 (218); 139, 194 (226 f.); Möstl, Garantie, S. 464 f.; krit. Schoch, Jura 2006, 664 (666), der die Entscheidung des BVerfG als Einebnung des Weges zur Schaffung einer echten Bundespolizei sieht. 217 Möstl, Garantie, S. 464. 218 Möstl, Garantie, S. 465. 219 Möstl, Garantie, S. 477 ff. 220 Bäcker, Terrorismusabwehr, S. 30 ff.; Tams, DÖV 2007, 367 (371). 215
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polizeigesetzes nicht unterschätzt werden. Zwar steht es derzeit nur für den überschaubaren Bereich der gefahrenabwehrrechtlichen Bekämpfung des internationalen Terrorismus zur Verfügung, doch kann es für jede weitere Zuständigkeitserweiterung des Bundes zur Gefahrenabwehr genutzt werden. Das zum Polizeigesetz erweiterte BKA-Gesetz kann insoweit als Ergebnis zentralistischer Bestrebungen des Bundes gesehen werden.221 2. Gefährdungen der Polizeihoheit der Länder Der Föderalismus steht auch im Sicherheitsbereich laufend unter Rechtfertigungsdruck.222 Die Polizeihoheit der Länder wird in Frage gestellt durch die sicherheitsrechtliche Diskussion auf der Ebene der Europäischen Union und zentralistische Bestrebungen in der Sicherheitspolitik und im Behördenalltag. Auf der rechtspolitischen Ebene wird die Rechtszersplitterung im Polizeirecht als „Achillesferse der vorbeugenden Bekämpfung“ gesehen223 ; die föderalistische Struktur dürfe nicht zu kleinstaatlichem Verhalten bei der Kriminalitätsbekämpfung führen.224 Unterschiedliche Befugnisnormen in den Polizeigesetzen können sich bei länderübergreifender Kriminalitätsbekämpfung zwar nachteilig auswirken, wenn etwa bei der Überwachung von Gefährdern oder Personen, die der organisierten Kriminalität zugerechnet werden, die TKÜ nicht durchgängig erfolgen kann, weil in einem Bundesland dafür keine Rechtsgrundlage besteht. Andererseits liegen in der unterschiedlichen Wahrnehmung der Kompetenz zur Polizeigesetzgebung auch Chancen, weil „experimentelle“ Alleingänge225 zu neuen Befugnissen für die anderen Länder führen können, wie es sich bei der Schleierfahndung gezeigt hat. Auf der Ebene der EU nehmen die Zwänge zur mitgliedstaatlichen Zusammenarbeit und der daraus folgenden Forderung nach supranationalen Regelungen zu. Der Übertragung von polizeilichen Gefahrenabwehraufgaben auf die EU steht aber die föderale Ordnung des Grundgesetzes mit der Übertragung der allgemeinen Polizeigewalt auf die Länder entgegen. Um diesen Bindungen zu entgehen, sind Zentralisten versucht, in die Supranationalität zu flüchten.226 Indes lässt eine solche Intention unberücksichtigt, dass eine Hochzonung der wesentlichen den Ländern zustehenden Kompetenzen im Rahmen des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 GG nur unter
221 222 223 224 225 226
Wolff, DÖV 2009, 597 (599). Kenntner, Justitiabler Föderalismus, S. 301; Huber, NVwZ 2019, 665 ff. Götz, NVwZ 1990, 725 (727). Zachert, Standortbestimmung, S. 31 (37). Möstl, Garantie, S. 475. Gärditz, Strafprozeß, S. 20 Fn. 113.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
der Voraussetzung zulässig wäre, dass die Länder mit einer kompensatorischen Übertragung von Bundeszuständigkeiten entschädigt würden.227 Tatsächliche Vorgänge wie die terroristischen Anschläge vom und seit 11. 9. 2001 schaffen indes Sachzwänge, die den Bund und seine Polizeien begünstigen. Die terroristischen Aktivitäten zeigen die Verwundbarkeit von Staat und Gesellschaft auf und rufen den Bund nicht nur als Koordinator auf den Plan, sondern verschafften ihm mit der Bekämpfung des internationalen Terrorismus eine eigentlich vorenthaltene Gefahrenabwehrkompetenz. Hinzu kommen nachvollziehbare Interessen des Bundeskriminalamts und der Bundespolizei, ihre begrenzten Kompetenzen auszuweiten. Das Bundeskriminalamt will über die Zentralstellenfunktion und seine Strafverfolgungsaufgabe hinaus zum operativen Akteur bei der Bekämpfung des nationalen Terrorismus und der organisierten Kriminalität werden und die Bundespolizei befindet sich in ständiger Versuchung, eine allgemeine Polizei des Bundes zu werden. Begünstigt wird diese Entwicklung durch ein zwiespältiges Verhalten von Bundesländern, die auf der einen Seite den Ausbau der Bundespolizei zu einer Polizei mit allgemein-polizeilichen Aufgaben beklagen, auf der anderen Seite aber in Zeiten knapper Kassen den Avancen des Bundes nicht widerstehen können und mit ihm Sicherheitspartnerschaften zur Verbesserung der Sicherheit in den Städten eingehen; mit dem Ergebnis, dass die Bundespolizei dort mit auf Streifengang ist. Diese Außendarstellung einer Kompetenzerweiterung geht einher mit laufenden Bestrebungen des Bundes, die Bundespolizei zu einer echten Polizei des Bundes auszubauen, wie es etwa in den aktuell erhobenen Forderungen zur Erweiterung ihrer Kompetenzen zum Ausdruck kommt. Sie soll künftig nicht nur an der Grenze, auf Flughäfen, in den Zügen der Bundesbahn und auf Bahnhöfen zur Gefahrenabwehr zuständig sein, sondern jedes Verkehrsmittel im gesamten Bundesgebiet kontrollieren dürfen, wenn der Verdacht auf Schleusung von Ausländern besteht; nach einer Festnahme soll sie zuständig bleiben bis zur von ihr veranlassten und durchgeführten Abschiebung.228
IV. Gefahrenabwehr und Strafverfolgung 1. Unterschiedlichkeit der Aufgaben a) Gefahrenabwehr Bei der Gefahrenabwehr geht es um die Abwehr eines in absehbarer Zeit drohenden Schadens, der insbesondere durch eine Straftat eintreten kann. Gefahren227 Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. 2, Art. 20 Abs. 1 Rn. 58; Wollenschläger, in: Dreier, GG Bd. II, Art. 23 Rn. 101. 228 Der Spiegel, Nr. 34/2020, S. 21.
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abwehr, die als Prävention einen Schaden erst gar nicht eintreten lässt, ist dem repressiven Straf- und Strafverfahrensrecht, das den realisierten Schaden und die Rechtsgutsverletzung durch eine begangene Straftat voraussetzt, offensichtlich überlegen.229 Die Verhinderung einer Rechtsgutsverletzung ist einfach die plausiblere Form der Sicherheitsgewährleistung als die repressive Reaktion des Strafrechts, die nichts wieder rückgängig machen kann.230 Dieser evidente Vorzug begründet den verfassungsrechtlich in der Menschenwürde, der Schutzpflicht des Staates für die Grundrechte und im Rechtsstaatsprinzip verankterten231 Leitgedanken des Vorrangs der Prävention vor der Strafverfolgung.232 Im polizeilichen Alltag soll in Kollisionslagen im Zweifelsfall zu Gunsten der Gefahrenabwehr zu entscheiden sein.233 Die Gefahrenabwehr ist der Strafverfolgung zeitlich vorgelagert, als die zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit zählenden Strafgesetze erst dadurch ins polizeiliche Blickfeld geraten, dass mit der Prüfung des Vorliegens einer konkreten Gefahr auch die Frage des Verstoßes gegen einer Strafnorm als Bestandteil des Schutzgutes der öffentlichen Sicherheit in der polizeirechtliche Generalklausel aufgeworfen wird.234 Polizeirechtlich relevant ist weniger der Straftatbestand als Sanktionsnorm, sondern in erster Linie die in der Strafrechtsnorm aufgehobene Verbotsnorm, die im Strafrecht wie im Polizeirecht gleichermaßen in Geltung, also nicht strafrechtsspezifisch ist.235 b) Strafverfolgung Das Strafrecht fällt ein Unwerturteil, sanktioniert mit Freiheitsstrafen als einschneidenden Grundrechtseingriffen individuelles Fehlverhalten und hat in Anknüpfung an eine vorwerfbare Rechtsverletzung mit einer schuldangemessenen Strafe das Schuldprinzip zu verwirklichen.236 Insoweit ist das Recht der Strafverfolgung Strafanwendungsrecht, das der Realisierung des Strafrechts dient, ohne dabei als selbstständiges Kriminalitätsbekämpfungsrecht eine Sicherheitsgewährleistungsfunktion erfüllen zu müssen.237 Der Strafprozess ist Strafrechtspflege und
229
Gärditz, Strafprozeß, S. 17. Möstl, Garantie, S. 153; Baldus, DV (47) 2014, 1 (8). 231 S. dazu näher D. II. 1. b) aa) und 2. b) bb) (2) und 4. a), b). 232 BVerfGE 30, 336 (350); 39, 1 (44); 100, 313 (394); Möstl, Garantie, S. 148 ff. und 153 ff.; Kingreen/Poscher, POR, § 2 Rn. 12; Würtenberger/Heckmann/Tanneberger, PRB-W, S. 323; Ullrich, VerwArch 102 (2011), 383 (404); Pitschas, DÖV 2002, 221 (228). 233 Kingreen/Poscher, POR, § 2 Rn. 11. 234 BVerfGE 140, 317 (343 ff.); Landau, EuGRZ 2016 (505 (509 ff.)); Möstl, HStR VIII, § 179 Rn. 1. 235 S. dazu Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 363 ff. 236 BVerfGE 140, 317 (343 ff.); Landau, EuGRZ 2016 (505 (509 ff.)); Möstl, HStR VIII, § 179 Rn. 1. 237 Gärditz, Strafprozeß, S. 10 f. 230
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
kann deshalb weder Teilgebiet eines Sicherheitsrechts noch Baustein einer übergeordneten Sicherheitsarchitektur sein.238 c) Unterschiede Die Aufgaben der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung unterscheiden sich fundamental.239 Das Polizeirecht befasst sich mit gefahrenträchtigen Situationen oder Lagen, die durch Personen verursacht oder durch Naturereignisse hervorgerufen sein können. Wird eine Person als Störer in Anspruch genommen, geht es nicht um ihre Sanktionierung, sondern um ihre Heranziehung zur effektiven Gefahrenabwehr unter Opportunitätsgesichtspunkten. Individuelle Vorwerfbarkeit und Unschuldsvermutung spielen im Polizeirecht keine Rolle240, weil es um effektive Gefahrenabwehr geht.241 Das Polizeirecht sieht den Störer als Gefahrenquelle, nicht wie das Strafrecht als Person, die sich rechtstreu verhalten oder gegen das Recht entscheiden kann. Deshalb hat der Störer kein Schweigerecht, sondern ist durch Abgabe von Erklärungen zur Mitwirkung bei der Gefahrenabwehr verpflichtet.242 Die Polizei muss schnell, wirksam und unter Ungewissheitsbedingungen handeln243, ihr Handeln kann bei der Gefahrenaufklärung vorläufig sein und ist in der Regel korrigierbar.244 Ist eine Gefahr abgewehrt, eine Störung beseitigt oder eine fortdauernde Gefahr unterbunden worden, besteht an diesen Vorgängen allein deshalb kein polizeiliches Interesse mehr, weil sie der Vergangenheit angehören.245 Grundlegend anders ist das Strafrecht angelegt, das sich ausschließlich gegen Personen und ihr schuldhaftes Verhalten richtet, indem es einen der Vergangenheit angehörenden physisch abgeschlossenen sozialen Konflikt abarbeitet, der nur noch auf einer symbolischen Ebene fortwirkt.246 Das Strafrecht verfolgt einen verhaltenssteuernden Zweck und dient der Normbehauptung und -stabilisierung, während dem Polizeirecht diese Intention 238
Gärditz, Strafprozeß, S. 11; LR/Kühne, StPO, Einl. Abschn. B Rn. 42. Möstl, Garantie, S. 157; Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1 Rn. 15 f.; Denninger, HdBPR, D. Rn. 171; Gärditz, Strafprozeß, S. 1 und 89; Kniesel, DP 2018, 265 f.; Sieber, ZStW 119 (2007), 1 (34); Hawickhorst, § 129a StGB, S. 192 f. 240 Anders offensichtlich Petri, HdBPR, A. Rn. 155, der davon ausgeht, dass die Verwendung von Prognose-Software mit ihrer Möglichkeit der Vorhersage der Begehung von Straftaten durch bestimmte Personen die Unschuldsvermutung unterlaufe. Wenn dem so wäre, dürfte auch kein Streifenwagen mehr zur allgemeinen Überwachung mit dem Ziel der Verhinderung von Straftaten losfahren. 241 Lepsius, Jura 2006, 929 (931); Denninger, HdBPR, D. Rn. 170; Hawickhorst, § 129a StGB, S. 142 f. 242 Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 193; Götz/Geis, APOR, § 8 Rn. 21; Kingreen/Poscher, POR, § 13 Rn. 9. 243 Möstl, Garantie, S. 157; Denninger, HdBPR, D. Rn. 170; Paeffgen, Vorüberlegungen, S. 142 f. 244 Paeffgen, in: FS Amelung, S. 117. 245 Gärditz, Strafprozeß, S. 47. 246 Gärditz, Strafprozeß, S. 43 f.; Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 9. 239
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fremd ist, weil sein Auftrag mit der Abwehr der Gefahr erledigt ist.247 Das Strafrecht ist vom Legalitätsprinzip beherrscht und das Strafverfahrensrecht auf Gründlichkeit mit präziser und zeitraubender Beweisführung angewiesen, weil ein Urteil sich auf Gewissheit der Täterschaft gründen muss und in der Regel von nicht korrigierbarer Endgültigkeit ist.248 Unterschiedlich ist auch das Verständnis von Prävention. Der Gedanke der Prävention ist auch dem Strafrecht nicht fremd, weil Strafen nicht nur Unrecht vergelten, sondern auch general- und spezialpräventiv wirken, also jedermann und den Täter von der Begehung von Straftaten abschrecken sollen.249 Aber die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten, der im Strafrecht vorgebeugt werden soll, ist nur eine hypothetische250, während polizeiliche Gefahrenabwehr sich gegen bestimmte Gefahren richtet, seien es abstrakte oder konkrete, strukturelle oder situative. Gefahrenabwehr ist als vorbeugende Bekämpfung von Straftaten operativ, initiativ und proaktiv und kann anders als die punktuelle und reaktive Strafverfolgung gegen kriminelle Strukturen und Netzwerke gerichtet sein, weil diese als Gefahrenherde im polizeilichen Blickfeld liegen, während sie für das Strafrecht erst relevant werden, wenn eine Person oder Personenverbindung bei oder nach Begehung einer Straftat als Tatverdächtige ins Visier der Strafverfolgungsbehörden geraten. Unterschiedlich ist schließlich auch das Verhältnis zwischen informationellen und aktionellen – in einen Kausalverlauf eingreifenden – Maßnahmen. Im Polizeirecht bereiten informationelle Maßnahmen aktionelle vor, wenn die Polizei mit verdeckten Maßnahmen Strukturen organisierter Kriminalität aufklärt, um sie anschließend mit operativen Maßnahmen zu bekämpfen, im Strafverfahrensrecht dienen aktionelle Maßnahmen der Gewinnung von Informationen, wenn die Polizei etwa mittels Durchsuchung und Beschlagnahme potenzielle Beweismittel erlangt. 2. Vermischungstendenzen Die Vermischung von Prävention und Repression hat Tradition.251 Auch aktuell sind verschiedene Tendenzen erkennbar, die die Unterscheidung und Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung in Frage stellen bzw. einebnen wollen. Es beginnt mit Forderungen nach einer Harmonisierung der Befugnisse des Polizeirechts und der Strafprozessordnung, wie sie seit dem Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes252 und auch danach253 erhoben worden sind. Auch die Aner-
247 248 249 250 251 252
Gärditz, Strafprozeß, S. 47. Paeffgen, in: FS Amelung, S. 117. Kingreen/Poscher, POR, § 2 Rn. 5. Kingreen/Poscher, POR, § 2 Rn. 5. S. Einleitung, S. 2. S. 1. Teil, 1. Abschnitt, B. I.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
kennung eines Gefahrenabwehr und Strafverfolgung verbindenden gemeinsamen Vorfeldbereichs beider Aufgaben254 und die Auffassung von der Parallelität von Befugnissen des Polizei- und Strafprozessrechts255 würden die funktionale Trennung der beiden Rechtsgebiete ebenso aufheben wie die rechtspolitische Forderung, die Abwehr von durch Straftaten hervorgerufenen Gefahren in die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 GG zu überführen.256 Ebenso werden Gefahrenabwehr und Strafverfolgung durch die Auffassung miteinander vermischt, die die Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG rein final versteht und dem Bund eine umfassende Gesetzgebungskompetenz für alle der Strafverfolgung dienenden Überwachungsermächtigungen auch für die Fälle zuweist, in denen Straftaten noch gar nicht begangen worden sind.257 Eine Einebnungstendenz ist auch den Versuchen eigen, ein Sicherheitsrecht als neues Rechtsgebiet zu etablieren.258
C. Bundesstaatliche Kompetenzordnung I. Bezüge zu Demokratie und Rechtsstaat Die Art. 30 ff., 70 ff. und 83 ff. bilden die Kompetenzordnung des Grundgesetzes, dienen der Machtbalance durch Kompetenzteilung und sind verklammert mit den Prinzipien des Bundesstaats, der Demokratie und des Rechtsstaats.259 Das Bundesstaatsprinzip verlangt als vertikale Gewaltentrennung, dass Kompetenzen auf Bund und Länder in klarer Zuordnung verteilt werden.260 Es schützt die Länder vor einem Eindringen des Bundes in die ihnen vorbehaltenen Kompetenzen.261 Das Demokratieprinzip erfordert eine hinreichend klare Zuordnung von Kompetenzen als Verantwortlichkeiten, weil der wahlberechtigte Bürger nur so wissen kann, wen er wofür bei seiner Stimmabgabe verantwortlich machen kann.262 Diese Anforderungen berühren sich mit dem Rechtsstaatsprinzip, das hinsichtlich der Kompetenzen und Verantwortlichkeiten von Bund bzw. Ländern und im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes eine klare und auf Vollständigkeit angelegte Zu253
Hirsch, ZRP 1989, 81 (82); Rieger, Abgrenzung, S. 4; Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 353 f.; im Ansatz auch Gusy, in: Kugelmann, Polizei unter dem Grundgesetz, S. 22. 254 Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 357. 255 Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 342 ff. und 351 f. 256 Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 573. 257 Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 249; ders., HdBPR, B. Rn. 104. 258 S. dazu 1. Teil, 3. Abschnitt, B. VIII. 259 Rengeling, in: FS P. Kirchhof, § 8 Rn. 2 und 15; Wittreck, in: Dreier, GG, Bd. II, Vorb. zu Art. 70 – 74 Rn. 30. 260 Rengeling, in: FS P. Kirchhof, § 8 Rn. 16. 261 BVerfGE 139, 194 (226). 262 BVerfGE 137, 108 (144); 139, 194 (226).
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ordnung von Kompetenzen der handelnden Staatsorgane gebietet.263 Die Regelungen des Grundgesetzes über die Verteilung der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen sind deshalb „nicht nur kleinteilige Zuständigkeitsregelungen, sondern das Fundament der demokratischen Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland.“264
II. Staatlichkeit der Länder Den Ländern wird eine eigene, nicht vom Bund abgeleitete Staatsqualität mit daraus folgender – allerdings durch das Grundgesetz begrenzter – Verfassungsautonomie zuerkannt.265 Sie müssen in der Lage sein, die für ein Zusammenleben in der staatlichen Gemeinschaft richtungsweisenden Entscheidungen zu treffen, was nur möglich ist, wenn sie über ein entsprechendes Mindestmaß an Aufgaben und Befugnissen verfügen266, das als Hausgut der Länder gegen Verfassungsänderungen durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützt wird.267 Die wesentlichen Gesetzgebungsinhalte dieses Hausguts sind das Polizei- und Ordnungsrecht, das Schul- und Kulturrecht und das Kommunalrecht.268 Gleichwohl ist dieser Kern des Aufgabenbestands über das verfassungsfeste Minimum des Art. 79 Abs. 3 GG nur bedingt geschützt, weil dieser Kompetenzenkerngehalt nicht jedes der drei Rechtsgebiete als feststehende Größe garantiert, sondern es in einer bilanzierenden Betrachtung zulässt, dass Verschiebungen untereinander möglich sind, solange das Hausgut insgesamt erhalten bleibt269 ; ein Aufgabenentzug in einem Rechtsgebiet könnte demnach durch einen Aufgabenzuwachs in einem anderen kompensiert werden. Demzufolge könnte der Bund den Ländern Kompetenzen zur Gefahrenabwehr nehmen, wenn er sie dafür mit kulturellen entschädigt. Im parlamentarischen Aushandlungsprozess über die Zuweisung von Mitteln und Erweiterung oder Begrenzung von Aufgaben und Befugnissen wäre ein von der jeweiligen Kriminalitätslage abhängiger „Tauschhandel“ zwischen Bund und Ländern möglich.
263
BVerfGE 137, 108 (144). Kingreen/Schönberger, NVwZ 2018, 1825 (1826). 265 BVerfGE 36, 342 (360 f.); 72, 330 (338); 103, 332 (350 f.); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 17. 266 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Rn. 95 m.w.N. 267 Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. 2, Art. 79 Rn. 128; Jestaedt, HStR II, § 29 Rn. 65; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Rn. 95; Wittreck, in: Dreier, GG, Bd. II, Vorb. zu Art. 70 – 74 Rn. 31; Isensee, HStR VI, § 126 Rn. 201. 268 Wittreck, in: Dreier, GG, Bd. II, Vorb. zu Art. 70 – 74 Rn. 31; Isensee, HStR VI, § 126 Rn. 304. 269 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 79 Rn. 93; Isensee, HStRVI, § 126 Rn. 302; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. 2, Art. 79 Rn. 128; Dreier, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 79 Rn. 48; Pieroth, ZRP 2008, 90 (92). 264
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
III. Kommunale Selbstverwaltung Art. 28 Abs. 2 GG gewährleistet den Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Das sind „solche Aufgaben, die das Zusammenleben und -wohnen der Menschen vor Ort betreffen oder einen spezifischen Bezug darauf haben,“270 Zu den Bedürfnissen und Interessen dieser Gemeinschaft gehört auch die Abwehr der Gefahren, die das Zusammenleben und -wohnen vor Ort bedrohen und ihren Ursprung in den Verhältnissen dieser Gemeinschaft haben. Dazu zählt auch die vorbeugende Bekämpfung der Kriminalität schlichthoheitlicher Natur, mit denen eine Gemeinde im eigenen Wirkungskreis, also unabhängig von einer staatlichen Beauftragung, etwa Jugendkriminalität dadurch bekämpft, dass sie gefährdeten Jugendlichen Freizeitangebote macht. Kommunale Kriminalprävention und community policing sind in der Selbstverwaltungsgarantie eingeschlossen.271 In Bayern können sich die Gemeinden über Art. 28 Abs. 2 GG hinaus zur Sicherheitsgestaltung vor Ort auf Art. 83 Abs. 1 LV berufen, der die „örtliche Polizei“ als eine in den eigenen Wirkungskreis fallende Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft ansieht und den Gemeinden die – bislang nicht genutzte – Möglichkeit eröffnet, eine neben der staatlichen Polizei bestehende Gemeindepolizei einzuführen.272
IV. Verteilung der sicherheitsrelevanten Kompetenzen 1. Gesetzgebung Die Gesetzgebungskompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern ist in den Art. 70 – 74 GG geregelt. Zentrale Norm ist Art. 70, der als Grundregel des Bundesstaats in Abs. 1 ein Regel-Ausnahmeverhältnis festlegt, wonach der Bund nur die ihm zugewiesenen Kompetenzen hat, während die Länder als Residualkompetenz den ungeregelten Rest für sich beanspruchen können.273
270 BVerfGE 79, 127 (151 f.); 83, 37 (50 f.); 138, 1 Rn. 45; BVerwGE 92, 56/62; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 28 Rn. 23; Burgi, Kommunalrecht, § 6 Rn. 13 f. 271 Burgi, Kommunalrecht, § 6 Rn. 19 m.w.N.; Ostendorf, in: FS Grünwald, S. 419 (425). 272 Schwabenbauer, in: BeckOK PSR Bayern, Vorbem. Rn. 58. 273 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 70 Rn. 1; BVerfGE 16, 64 (79); 111, 226 (247).
3. Abschn.: Grundgesetz
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a) Ausschließliche Gesetzgebung des Bundes, Art. 73 Abs. 1 GG aa) Nr. 5: Zoll und Grenzschutz Diese Kompetenz erfasst die grenzschutzspezifische polizeiliche Tätigkeit an der Grenze, im grenznahen Raum und auf Flughäfen und Grenzbahnhöfen274 und bezieht sich auch auf die Beteiligung der Bundespolizei und des Zollkriminalamtes an der Antiterrordatei.275 Die allgemeine Gefahrenabwehr an den genannten Örtlichkeiten verbleibt bei den Ländern.276 Dagegen fehlt den Ländern die Gesetzgebungskompetenz für den materiellen Schutz ihrer Grenzen.277 Deshalb ist das bayerische Gesetz vom 24. 7. 2018278, mit dem der neu eingeführten bayerischen Grenzpolizei die grenzpolizeilichen Aufgaben der Überwachung der Grenzen, die polizeiliche Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs und im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 km die Beseitigung von Störungen und die Abwehr von Gefahren, die die Sicherheit der Grenzen beeinträchtigen, übertragen wurden, verfassungswidrig; mit der spezifischen Zuweisung grenzpolizeilicher Aufgaben wird der Schutz der Bundesgrenze in Bayern zu einer gemeinsamen Angelegenheit von Bund und Land und auf diese Weise die föderale Kompetenzordnung und mit ihr das Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland in Frage gestellt.279 bb) Nr. 6: Luftverkehr Luftverkehr erfasst das gesamte Luftfahrtwesen, wozu auch die Luftsicherheit280 als Schutz vor Gefahren für den Luftverkehr durch äußere Bedrohung und vor Gefahren aus dem Luftverkehr durch betriebsbedingt entstehende Gefahren zählt.281 Nach der Plenumsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die §§ 13 – 15 Luftsicherheitsgesetz aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG.282 Dem Bund steht nach tradierter Auffassung, wenn er für einen bestimmten Gesetzgebungsgegenstand zuständig ist, auch als Annexkompetenz die Gesetzgebungsbefugnis für die damit in einem notwendigen Zusammenhang stehenden Regelungen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in diesem 274 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 73 Rn. 20; die Zuständigkeit der Bundespolizei für die Bahnhöfe folgt schlicht aus der Übernahme der Aufgaben der damaligen Bahnpolizei im Jahr 1992, nicht aber aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG. 275 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 73 Rn. 20. 276 BVerfGE 97, 198 (217 f.); 139, 194 (227); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 73 Rn. 20. 277 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 73 Rn. 20. 278 BayGVBl Nr. 14/2018, 607. 279 BVerfGE 119, 331, (366); 137, 108 (144); 139, 194 (225 f.); Kingreen/Schönberger, NVwZ 2018, 1825. 280 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 73 Rn. 22. 281 Kniesel, HdBPR (6. Aufl.), J. Rn. 22. 282 BVerfGE 132, 1 ff.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Bereich zu, weshalb die Gesetzgebungszuständigkeit für den Luftverkehr als Annex auch erlaubt, Regelungen zur Abwehr solcher Gefahren zu treffen, die aus dem Luftverkehr herrühren.283 cc) Nr. 6a: Eisenbahnwesen Zum Kompetenztitel gehören auch Regelungen über die traditionell dem Bund zustehende Aufgabe, auf den Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes dort entstehende konkrete Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren, mit der Folge, dass Regelungen über die Bahnpolizei auch nach Übertragung ihrer Aufgaben auf den Bundesgrenzschutz (heute Bundespolizei) im Jahr 1992 Art. 73 Abs. 1 Nr. 6a GG unterfielen.284 Die Nummern 5, 6 und 6a bilden zusammen die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Bundespolizeigesetz. dd) Nr. 9a: Bekämpfung des internationalen Terrorismus (1) Bundeskompetenz zur Gefahrenabwehr Die 2006 geschaffene neue Gesetzgebungskompetenz begründet erstmalig eine selbstständige Gefahrenabwehraufgabe für den Bund, der nunmehr mit dem Bundeskriminalamt den internationalen Terrorismus mit den Befugnissen des zum Polizeigesetz des Bundes ausgebauten Bundeskriminalamtsgesetzes bekämpfen kann. Da der Gefahrenabwehrauftrag die Verhütung von Straftaten im Vorfeld der konkreten Gefahr einschließt285, kann das Bundeskriminalamt im Sinne vorbeugender Bekämpfung von Straftaten operativ agieren und ist nicht mehr auf die Organisation der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern bei der Bekämpfung des Terrorismus beschränkt. (2) Verfassungsrechtliche Zulässigkeit Das Grundgesetz wollte mit dieser neuen Gesetzgebungskompetenz den Herausforderungen des Verfassungsstaats durch den internationalen Terrorismus seit Beginn des 3. Jahrtausends Rechnung tragen und zugleich eine kompetenzrechtliche Vorsorge gegen eine aus föderalen Gründen ineffektive Abwehr von terroristischen Anschlägen treffen.286 Schon aus dem Wortlaut folgt, dass es um Gefahrenabwehr und nicht um Strafverfolgung geht. Letztere musste auch für das Bundeskriminalamt nicht begründet werden, weil es dafür nach § 4 Abs. 1 BKAG ohnehin zuständig ist. Da die Gefahrenabwehr als eigenständige Aufgabe aber nicht zu seinem Aufga283
BVerfGE 132, 1 (6). Wittreck, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 73 Rn. 51; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 73 Rn. 23. 285 Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 214; Bäcker, HdBPR, B. Rn. 143; Thiel, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 73 Rn. 40; BVerfGE 141, 220 (318). 286 Uhle, DÖV 2010, 989. 284
3. Abschn.: Grundgesetz
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benkreis gehört, musste sie im Grundgesetz erst begründet werden. Um verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Übertragung einer Gefahrenabwehraufgabe auf den Bund bzw. das Bundeskriminalamt abzufangen, wurde auch nur eine zusätzliche Zuständigkeit begründet, die die Länder nicht aus der Bekämpfung des internationalen Terrorismus verdrängt287; das Bundeskriminalamt kann demnach Gefahren durch den internationalen Terrorismus nur dann abwehren, wenn eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme durch das Bundeskriminalamt ersucht; es geht also um drei alternativ benannte Fälle, in denen eine effektive Gefahrenabwehr auf der Länderebene, nicht, noch nicht oder nicht mehr möglich ist.288 Im ersten Fall liegt es an der Überregionalität der Gefahr, die nicht nur ein Bundesland betrifft. Der zweite Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass zwar tatsächliche Anhaltspunkte für einen bevorstehenden terroristischen Anschlag vorliegen, aber noch nicht abzusehen ist, in welchem Bundesland er ausgeführt werden soll. Konkretisiert sich nach der Übernahme durch das Bundeskriminalamt der Anschlagsort, endet die Aufgabenwahrnehmung für das Bundeskriminalamt, es sei denn es würde eine andere Alternative von Nr. 9a seine Zuständigkeit neu begründen.289 Im dritten Fall kommt es, anders als in den ersten beiden Varianten, auf das Einverständnis des betroffenen Landes an, das mit seinem Übernahmeersuchen eingesteht, zu einer effektiven Gefahrenabwehr nicht in der Lage zu sein.290 Die drei Fallkonstellationen beschränken die neue Gesetzgebungskompetenz in dreifacher Weise und verdeutlichen damit die Subsidiarität des Bundeskriminalamt im Verhältnis zu den Landespolizeibehörden und den Charakter seiner Zuständigkeit als Auffangkompetenz.291 Diese Qualifizierungen stehen einem Weisungsrecht des Bundes gegenüber den Ländern entgegen292 und eine Eilkompetenz des Bundes ist nach dem Wortlaut von Nr. 9a implizit ausgeschlossen.293 Die Konzeption der Parallelzuständigkeit von Bund und Ländern bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus macht eine intensive gegenseitige Abstimmung, Koordination und Kooperation als Voraussetzung für eine effektive Zusammenarbeit zwischen Bundeskriminalamt und den betroffenen Landespolizeibehörden unausweichlich.294
287 Uhle, DÖV 2010, 989 (995); Bäcker, Terrorismusbekämpfung, S. 39 f.; Tams, DÖV 2007, 367 (371); Thiel, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 73 Rn. 13. 288 So treffend Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 217. 289 Uhle, DÖV 2010, 989 (994). 290 Uhle, DÖV 2010, 989 (994). 291 Uhle, DÖV 2010, 989 (995). 292 Thiel, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 73 Rn. 13; Heintzen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. 2, Art. 73 Rn. 106; Uhle, DÖV 2010, 989 (995). 293 Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 221; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 73 Rn. 33; Thiel, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 73 Rn. 17. 294 Uhle, DÖV 2010, 989 (995); Heintzen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. 2, Art. 73 Rn. 105.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
(3) Fehlende Vollzugsebene Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat im Zusammenhang mit der Einräumung der Gesetzgebungskompetenz keine Vollzugskompetenz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus vorgesehen. Die Gesetzesmaterialien lassen keine Erklärung für dies Versäumnis erkennen. Um die grundgesetzliche Systematik der Trennung von Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz zu wahren, wird Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG mit seinen Zentralstellenbefugnissen weit ausgelegt und als Verwaltungskompetenz bemüht295 oder es wird diese in die Gesetzgebungskompetenz des Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG hineingelesen.296 Überzeugender erscheint es, die Verwaltungskompetenz Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG zu entnehmen, der dem Bund erlaubt, für bestimmte Angelegenheiten selbstständige Bundesoberbehörden einzurichten, wenn er insoweit eine Gesetzgebungskompetenz hat.297 Diese sachgebietsneutrale Generalklausel erlaubt es dem Bund mit dem „außerdem“, anstelle der nach Art. 83 GG grundsätzlich zuständigen Länder eine Verwaltungskompetenz mit eigenen Behörden auszuüben, sofern er dafür eine Gesetzgebungskompetenz – in diesem Fall Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG – hat.298 (4) Verhältnis zu Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG Der neue Kompetenztitel der Nr. 9a stellt einen Spezialfall der internationalen Verbrechensbekämpfung als 3. Alt. der Nr. 10 dar und geht dieser vor.299 ee) Nr. 10: Zusammenarbeit in der Kriminalpolizei und im Verfassungsschutz, Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes und internationale Verbrechensbekämpfung Ursprünglich lautete Art. 73 Nr. 10 GG „die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in der Kriminalpolizei und in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes, die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes sowie die internationale Verbrechensbekämpfung“. Die jetzige Fassung300 ist komplizierter und lässt sich in drei Komponenten aufteilen. Die erste bezieht sich auf die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in der Kriminalpolizei, beim Verfassungsschutz und beim Schutz auswärtiger Belange, die zweite auf die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes und die dritte auf die internationale Verbrechensbekämpfung. 295
Heintzen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, Art. 73 Rn. 98 f. Baldus, Stellungnahme in der Anhörung vor dem Rechtsausschuss, S. 8, http://www.bun destag.de/Ausschüsse/a06/foederalismusreform/index.html. 297 Bäcker, HdBPR, B. Rn. 140; Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 209; Abbühl, Aufgabenwandel, S. 305 ff.; abl. Ibler, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87 Rn. 133; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 87 Rn. 5. 298 Abbühl, Aufgabenwandel, S. 310. 299 Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 208. 300 31. Gesetz zur Änderung des GG vom 28. 7. 1972, BGBl I, S. 1305. 296
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(1) 1. Komponente: Zusammenarbeit in der Kriminalpolizei, beim Verfassungsschutz und beim Schutz auswärtiger Belange (a) Thematische Zusammenhänge Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 a) – c) GG steht thematisch in Zusammenhang mit Art. 35 und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 sowie Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG.301 Er hat eine gewisse Irregularität, weil er mit der Ermächtigung zur Errichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes eine Regelung trifft, die systematisch Gegenstand des VIII. Abschnitts sein müsste; plausibel ist auch nicht, dass Nr. 9a als spezielle Regelung vor der Kompetenz zur internationalen Verbrechensbekämpfung rangiert.302 (b) Wesen und Bedeutung der Zusammenarbeit „Zusammenarbeit ist eine auf Dauer angelegte Form der Kooperation, die auf laufende gegenseitige Unterrichtung und Auskunftserteilung, die wechselseitige Beratung sowie die gegenseitige Unterstützung und Hilfeleistung in den Grenzen der je eigenen Befugnisse umfasst und funktionelle und organisatorische Verbindungen, gemeinschaftliche Einrichtungen und gemeinsame Informationssysteme erlaubt.“303 Zusammenarbeit reicht über die Pflicht zur Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG hinaus304 und verpflichtet nicht nur Bund und Länder, sondern auch die Länder untereinander einschließlich des Zusammenwirkens einzelner Länder.305 In Wahrnehmung seiner Kompetenz für die Gewährleistung der Zusammenarbeit kann der Bund auf den genannten Feldern Kriminalpolizei, Verfassungsschutz und Schutz auswärtiger Belange gesetzliche Regelungen treffen, die für das Gelingen von Zusammenarbeit erforderlich sind, nicht aber Regelungen, die das Sachgebiet als solches betreffen.306 Der Bund kann nicht mit einer extensiven Zusammenarbeitsgesetzgebung die grundsätzliche Länderkompetenz für das allgemein Polizei- und Ordnungsrecht und das allgemeine Recht des Verfassungsschutzes untergraben. Wenn es in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 a) – c) GG um die Zusammenarbeit geht, bedeutet das für das Bundesamt für Verfassungsschutz, dass seine ausschließliche Zuständigkeit in der Organisation der Zusammenarbeit zwischen ihm und den Verfassungsschutzbehörden der Länder liegt, wobei dem Bund zugebilligt wird, die für die Zusammenarbeit erforderlichen Rahmenvorgaben und Mindeststandards der Auf-
301 Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 228; Heintzen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, Art. 73 Rn. 109. 302 Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 228. 303 BVerfGE 133, 277 (317 f.); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 73 Rn. 34. 304 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 73 Rn. 34; Wittreck, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 73 Rn. 71. 305 Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 232. 306 BVerwG 69, 53 (57); BVerwG, DÖV 1995, 692 (693); SächsVerfGH, NVwZ 2005, 1310 (1311); BayVerfGH, NVwZ-RR 1998 273 (278); Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 233; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Art. 73 Rn. 145.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
gaben und Befugnisse zu beschreiben.307 Dieser engen Auslegung der Ausnahmeregelung des Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 a) – c) GG folgt das Bundesverfassungsschutzgesetz, in dem es in § 2 Abs. 1 Satz 2 heißt, dass der Bund für die „Zusammenarbeit des Bundes mit den Ländern“ ein Bundesamt für Verfassungsschutz als Bundesoberbehörde unterhält, und aus § 7, der dem Bund bei einem Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung ein Weisungsrecht gegenüber den obersten Landesbehörden „für die Zusammenarbeit der Länder mit dem Bund“ einräumt. Die restriktive Auslegung des Kompetenztitels aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 b) GG kann nicht mit der Argumentation in Frage gestellt werden, dass dem Bund damit die von ihm zur Erfüllung seiner verfassungsrechtlichen Aufgabe erforderlichen Mittel vorenthalten würden.308 Insoweit weist Bäcker zu Recht darauf hin, dass die Aufgabe des Bundes auf dem Felde des Verfassungsschutzes der Kompetenzordnung des Grundgesetzes nicht vorausliegt, sondern von ihr abhängt.309 In diesem Zusammenhang ist es allerdings schwierig, den Begriff „Zusammenarbeit“ in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG und den korrespondierenden Begriff „Zentralstellen“ in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG so zu interpretieren, dass die Gesetzgebungskompetenz und die Verwaltungskompetenz noch trennscharf abgegrenzt werden können310 ; insoweit ist unklar, auf welche Kompetenzen sich die beiden Begriffe jeweils beziehen. Nach der grundsätzlichen Unterscheidung des Grundgesetzes in Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen müsste man davon ausgehen, dass Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG materiell-rechtliche Bestimmungen rechtfertigt, während Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG regelt, inwieweit der Bund diese Bestimmungen durch eigene Behörden vollziehen darf.311 Hier besteht nun das Problem, dass Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG aus der grundgesetzlichen Systematik dadurch ausbricht, indem er mit der Kompetenz zur Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes im Rahmen der Gesetzgebungsbefugnis eine Vollzugskompetenz regelt und die in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG vorgesehenen Zentralstellen in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG keine Entsprechung haben.312 Weisungsbefugnisse der Zentralstellen gegenüber den Landesbehörden bestehen nur im Rahmen ihrer Aufgabe zur Gewährleistung der Zusammenarbeit durch informationelle Verklammerung, sachliche Unterstützung und Koordinierung.313
307
BayVerfGH, NVwZ-RR 1998, 273 (278); Bäcker, DÖV 2012, 840 (844); a.A. Risse/ Kathmann, DÖV 2012, 555 (556 ff.); dagegen die Replik von Bäcker, DÖV 2012, 560 ff. 308 Bäcker, DÖV 2012, 840 (844); a.A. Lerche, in: Maunz/Dürig, GG (1992), Art. 87 Rn. 133 ff.; Gröpl, Nachrichtendienste, S. 142 ff. 309 Bäcker, DÖV 2012, 840 (844); ders., HdBPR, B. Rn. 235. 310 Bäcker, HdBPR, B. Rn. 129. 311 Bäcker, HdBPR, B. Rn. 128. 312 S. dazu näher 3. Abschnitt, C. IV. 2. b) aa) (2). 313 Bäcker, HdBPR, B. Rn. 132; Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 234; Thiel, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 73 Rn. 8.
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(c) Nr. 10 a): Kriminalpolizei Nach einhelliger Auffassung umfasst dieser Gesetzgebungsgegenstand „Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in der Kriminalpolizei“ die Verhütung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten, wobei die Einschränkung gemacht wird, dass es sich bei den zu verfolgenden Straftaten um gewichtige handeln muss314; nicht erfasst wird die allgemeine Gefahrenabwehr.315 Das Bundesverfassungsgericht hat dazu in seiner Entscheidung zum Antiterrordateigesetz ausgeführt, dass Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG die Kompetenz für die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Polizeibehörden nicht auf die Strafverfolgung beschränke, sondern die Möglichkeit einschließe, die Zusammenarbeit auch zur Verhinderung von Straftaten zu regeln, weil der Gesetzgebungsgegenstand föderale Zuständigkeitsgrenzen bei der Erfüllung repressiver und präventiver Aufgaben lockern könne.316 Dies die Verhütung von Straftaten einschließende Verständnis von Kriminalpolizei überzeugt nicht. Erste Bedenken folgen schon aus dem Wortlaut; es ist nicht von einem gesamten Polizeiwesen oder allgemeiner Gefahrenabwehr die Rede, sondern nur von Kriminalpolizei. Diese hat sich seit Ende des 19. Jahrhunderts nach und nach als eigenständige Polizeisparte, zuerst in Berlin und danach in anderen großen Städten Preußens entwickelt, um der ausgreifenden Kriminalitätsentwicklung, insbesondere dem Berufsverbrechertum eine qualifizierte, von kriminalistischem Sachverstand getragene Strafverfolgung entgegenzusetzen.317 Die Verhütung von Straftaten spielte zu diesem Zeitpunkt aus der Sicht der Kriminalisten allenfalls eine Rolle als Beratung und Aufklärung potenzieller Opfer und blieb Aufgabe der uniformierten Polizei.318 Für die Kriminalpolizei ging es um effektive, länderübergreifende Verbrechensbekämpfung durch koordinierte Strafverfolgungsmaßnahmen. Das Verständnis prägte die Kriminalpolizei in Preußen und im Deutschen Reich bis zum Ende des 2. Weltkriegs und wirkte sich auch noch in den Debatten und Beratungen des seit dem 1. 9. 1948 in Bonn tagenden Parlamentarischen Rates bei der Erarbeitung des Grundgesetzes aus. Berücksichtigt man die Entstehungsgeschichte des Kompetenztitels „Zusammenarbeit in der Kriminalpolizei“ bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates zur ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes – den am intensivsten 314 BVerfGE 133, 277 (318); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 73 Rn. 36; Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 239; Wittreck, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 73 Rn. 72; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 73 Rn. 50; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 2, Art. 73 Rn. 39; Thiel, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 73 Rn. 13; Werthebach/Droste, in: BK GG, Art. 73 Rn. 118; Heintzen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, Art. 73 Rn. 114; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Art. 73 Rn. 148; Rengeling, HStR IV, § 135 Rn. 129. 315 S. Fn. 205. 316 BVerfGE 133, 277 (317 f.). 317 S. dazu 1. Teil, 2. Abschnitt, C. 318 S. dazu 1. Teil, 2. Abschnitt, C.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
kontrovers diskutierten Kompetenztitel319 –, muss man feststellen, dass die Verhütung von Straftaten dort keine Rolle gespielt hat. Es wurde vielmehr ausführlichst darüber beraten, ob und welche Gesetzgebungsrechte der Bund für die Polizei haben sollte. Nach der vom Abgeordneten Dr. Menzel (SPD) konzipierten „Westdeutschen Satzung“ vom 26. 7. 1948 sollte der Bund ein auf Grundsätze beschränktes Gesetzgebungsrecht für den Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erhalten.320 Die „Bayerischen Leitgedanken für die Schaffung eines Grundgesetzes“ betonten dagegen, dass die Regelung der inneren Verwaltung einschließlich der Polizei den Ländern obliegen müsse.321 In der dritten Sitzung des Plenums am 9. 9. 1948 versicherte Dr. Menzel, dass der von ihm erarbeitete Grundgesetzentwurf, in dem dem Bund die Vorranggesetzgebung über die öffentliche Ordnung und Sicherheit übertragen wurde, nicht das Ziel verfolge, die Polizei zur Bundessache zu machen. Die Polizeigewalt der Länder müsse aber einer Kontrolle des Bundes unterliegen und von Grundsätzen des Bundes getragen werden.322 Dagegen positionierten sich die CSUMitglieder des Parlamentarischen Rates, die darauf bestanden, dass die Polizei vollständig der Länderhoheit unterliegen müsse und die notwendige Koordinierung durch Ländervereinbarungen gewährleistet werden könne.323 Die Entstehung des Kompetenztitels „Zusammenarbeit in der Kriminalpolizei“ verlief wie folgt. In der achten Sitzung des Zuständigkeitsausschusses wurde das „Bundeskriminalwesen“ als Ziff. 9 in den Zuständigkeitskatalog aufgenommen und in der zwölften Sitzung dann die Fassung „Bundeskriminalwesen zur Bekämpfung des gemeingefährlichen Verbrechertums“ beschlossen.324 In der ersten Lesung des Hauptausschusses wurde beantragt, die Ziff. 9 als unnötig und bedenklich zu streichen, weil das Kriminalwesen nicht aus dem ländereigenen Polizeiwesen herausgenommen werden könne und zudem der Begriff des gemeingefährlichen Verbrechertums von anderen Straftaten nicht sachlich genau abgrenzbar sei.325 Der Antrag auf Streichung des Zusatzes werde angenommen, der Antrag auf Streichung der ganzen Ziff. 9 abgelehnt. In der zweiten Lesung des Hauptausschusses wurde noch einmal die Streichung der Ziff. 9 „Bundeskriminalwesen“ beantragt. In der sich anschließenden Debatte wurde als Neufassung der Ziff. 9 „Die Zusammenarbeit der Länder in der Kriminalpolizei“ beantragt und vom Ausschuss einstimmig als Ziff. 10 angenommen326 ; in der dritten Lesung des Hauptausschusses lag eine Neufassung mit der Formulierung „Die Zusammenarbeit der Länder in der Kriminalpolizei und die Errichtung eines Bundeskriminalamtes“ vor, aus der die in der vierten Lesung des 319 Wittreck, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 73 Rn. 68; die Dokumentation reicht bei Schneider, GG-Dokumentation, Bd. 17 von S. 907 bis S. 1037. 320 Schneider, GG-Dokumentation, Bd. 17, S. 907. 321 Schneider, GG-Dokumentation, Bd. 17, S. 907 322 Schneider, GG-Dokumentation, Bd. 17, S. 909. 323 Schneider, GG-Dokumentation, Bd. 17, S. 909. 324 Leibholz/v. Mangoldt, JöR, Bd. 1, 1951, S. 480. 325 Leibholz/v. Mangoldt, JöR, Bd. 1, 1951, S. 480. 326 Leibholz/v. Mangoldt, JöR, Bd. 1, 1951, S. 481.
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Hauptausschusses beantragte und verabschiedete Fassung „Die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in der Kriminalpolizei und in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes, die Einrichtung eines Bundeskriminalamtes sowie die internationale Verbrechensbekämpfung“ wurde.327 Die Verhütung von Straftaten als Bestandteil des Begriffs Kriminalpolizei kommt in den Beratungen nicht vor, so dass auch eine an der Entstehungsgeschichte orientierte genetische Auslegung gegen die Einbeziehung der Verhütung von Straftaten in den Begriff Kriminalpolizei spricht. Das könnte anders gesehen werden, wenn man den Begriff Kriminalpolizei aus der Perspektive des heutigen Rechts beurteilen würde.328 Nach dem VEMEPolG von 1986, der von den Polizeigesetzgebern in einem Aufgaben- oder Befugnismodell umgesetzt wurde329, ist die Aufgabe der Gefahrenabwehr um den Auftrag zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erweitert worden. In diesem Auftrag ist die Verhütung von Straftaten im Sinne eines operativen Modells zur Bekämpfung krimineller Strukturen enthalten.330 Da die Kriminalpolizei in heutigem Verständnis zwar nach wie vor eine besondere „Sparte“ der Polizei, die Polizei aber keine Spartenpolizei in dem Sinne ist, dass der Schutzpolizei die Gefahrenabwehr einschließlich der Verhütung und der Kriminalpolizei die Verfolgung von Straftaten obliegen würde, ist die Kriminalpolizei ebenso wie die Schutzpolizei Adressatin beider Aufgaben und damit auch der Verhütung von Straftaten. Diese gehört indes zur allgemeinen Gefahrenabwehr und es ist deshalb allein Sache der Länder festzulegen, was zur allgemeinen Gefahrenabwehr im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zählt.331 Über die Bedeutung der allgemeinen Gefahrenabwehr hat sich die oben skizzierte einhellige Meinung offensichtlich keine Gedanken gemacht, als sie die Verhütung von Straftaten in den Begriff Kriminalpolizei einbezog, zugleich aber die allgemeine Gefahrenabwehr aus ihm ausschloss.332 Wenn die Verhütung von Straftaten Gegenstand der allgemeinen Gefahrenabwehr ist, ist es inkonsistent, letztere aus dem Begriff Kriminalpolizei herauszuhalten, erstere aber in ihm enthalten zu sehen. Da die allgemeine Gefahrenabwehr der vorgeordnete Begriff ist, kann ihr Ausschluss 327
Leibholz/v. Mangoldt, JöR, Bd. 1, 1951, S. 481 f. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 730d. 329 Im Aufgabenmodell ist die Aufgabe der Gefahrenabwehr um die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten erweitert worden, während im Befugnismodell die vorbeugende Bekämpfung nur tatbestandliche Voraussetzung in den Befugnisnormen ist. 330 S. 3. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 331 S. dazu Kniesel/Braun/Keller, BPOR, 1. Kap. Rn. 19 f.; Heintzen, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Bd. 2, Art. 73 Rn. 114 sieht den Begriff Kriminalpolizei im Zusammenhang mit dem materiellen Polizeibegriff, um so die Einbeziehung der Verhütung von Straftaten zu rechtfertigen. Der materielle Polizeibegriff setzt aber Polizei insgesamt mit Gefahrenabwehr gleich, Kingreen/Poscher, POR, § 1 Rn. 19. 332 Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 73 Rn. 50; v. Münch/Kunig, GG, Art. 73 Rn. 39; Rengeling, HStR VI, § 135 Rn. 128; Thiel, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 73 Rn. 13; Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 239; Wittreck, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 73 Rn. 72. 328
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
nur bedeuten, dass die Verhütung von Straftaten nicht vom Begriff Kriminalpolizei erfasst wird. Unabhängig davon wäre der Kompetenztitel „Zusammenarbeit in der Kriminalpolizei“ im Rahmen einer das heutige Gesetzesrecht berücksichtigenden Auslegung nur dann einschlägig, wenn neben den zur Verhütung von Straftaten berufenen Kriminalpolizeien der Länder auch der Bund zur Verhütung von Straftaten berufen wäre, also eine Aufgabenüberschneidung vorläge. Insoweit verfügt der Bund über zwei sondergesetzlich begründete Felder zur Verhütung von Straftaten; hinsichtlich der Bundespolizei in den §§ 1 Abs. 5 und 12 BPolG für die im Zusammenhang mit der Strafverfolgung durch die Bundespolizei anfallende Verhütung und bezüglich des Bundeskriminalamt die in § 4a BKAG übertragene Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus, zu der auch deren operative Verhütung gehört. Gemäß § 1 Abs. 5 BPolG umfassen die der Bundespolizei obliegenden Gefahrenabwehraufgaben auch die Verhütung von Straftaten nach Maßgabe des Bundespolizeigesetzes. Nach § 12 Abs. 1 BPolG steht der Bundespolizei das Recht zur Strafverfolgung nur für Vergehen zu, die im Katalog des § 12 Abs. 1 Nrn. 1 – 6 BPolG angelehnt an die sondergesetzlich auf die Bundespolizei übertragenen Gefahrenabwehraufgaben beim Grenzschutz, bei der Bahnpolizei und auf See genannt sind. Das Recht zur Strafverfolgung ergibt sich also als Annex zu den sondergesetzlich übertragenen Aufgaben der Gefahrenabwehr.333 Für die in § 12 Abs. 1 BPolG genannten Straftaten besteht eine exklusive Zuständigkeit der Bundespolizei, die Länderpolizeien haben insoweit keine Strafverfolgungskompetenz.334 Nicht ausgeschlossen ist damit die den Bundespolizeien verbleibende Aufgabe der Verhütung von Straftaten im Sinne operativer Bekämpfung der aufscheinenden kriminellen Strukturen. Ob dieser Auftrag bei den Vergehen des § 12 Abs. 1 Nrn. 1 – 6 BPolG relevant wird, ist höchst fraglich. Jedenfalls ist aber kein Feld notwendiger Zusammenarbeit zwischen Bundespolizei und der jeweiligen Landespolizei eröffnet, weil erstere nur einen an ihre exklusive Aufgabe zur Strafverfolgung gekoppelten Verhütungsauftrag hat, während die Landespolizeien ihren Verhütungsauftrag auf der Grundlage der jeweiligen Aufgabennorm zur Gefahrenabwehr losgelöst von ihrem Strafverfolgungsauftrag wahrnehmen. Bei der Verhütung von Straftaten des internationalen Terrorismus besteht ebenfalls keine Notwendigkeit zur Zusammenarbeit nach Nr. 10a, weil Nr. 9a als speziellere Regelung Nr. 10a vorgeht.335 Nr. 9a verlangt nicht nur wie Nr. 10 bloße Zusammenarbeit gelegentlich paralleler Aufgabenerfüllung336, sondern überträgt die Aufgabe zur Verhütung terroristischer Straftaten auch auf den Bund. Weil diese aber auch Aufgabe der Länder nach ihren Polizeigesetzen ist, besteht eine Doppelzu333 334
Rn. 4. 335 336
Bäcker, HdBPR, B. Rn. 172. Graulich, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, § 12 BPolG, Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 23. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 73 Rn. 32.
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ständigkeit. In diesem Falle ist eine enge Zusammenarbeit schon dem Gelingen der je eigenen Aufgabenerfüllung geschuldet; Doppelzuständigkeiten, die nicht umsonst eine Ausnahme bei der Aufgabenwahrnehmung durch staatliche Behörden darstellen, verlangen als zwingende Folge der Aufgabenübertragung, dass beide Aufgabenträger eng, vertrauensvoll, kooperativ und koordiniert zusammenwirken. Die unmittelbar aus den Aufgabenzuweisungen an zwei Aufgabenträger folgende Zusammenarbeitspflicht für beide ist mehr als die bloße Zusammenarbeit nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 10a GG, so dass wegen des Vorrangs von Nr. 9a der Kompetenztitel Zusammenarbeit in der Kriminalpolizei bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus keine Rolle spielt. Im Ergebnis ist daher selbst bei einem weiten, die Verhütung von Straftaten einbeziehenden Verständnis von Kriminalpolizei der Kompetenztitel „Zusammenarbeit in der Kriminalpolizei“ weder bei der Verhütung der im Zusammenhang mit der Strafverfolgung anfallenden Straftaten durch die Bundespolizei noch bei der Verhütung terroristischer Straftaten durch das Bundeskriminalamt einschlägig, weil mangels der in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10a GG vorausgesetzten Aufgabenüberschneidung keine Notwendigkeit zur Zusammenarbeit im Sinne dieses Kompetenztitels bestünde. Der Begriff Kriminalpolizei in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10a GG und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG wird regelungsgleich verwendet, sodass insgesamt von einem engen Verständnis auszugehen ist. (d) Nr. 10 b): Verfassungsschutz Bundesgesetzliche Regelungen zur Zusammenarbeit des Bundes und der Länder sind auch zum Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung und des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes zulässig. Durch diese Umschreibung wird der Verfassungsschutz gesetzlich definiert, aber nicht garantiert.337 Schutzgut von Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 b) GG ist die freiheitliche demokratische Grundordnung i.S. von Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG.338 Die Sicherheit von Bund und Land ist kontextabhängig abzugrenzen von den in die Kompetenz der Länder fallenden allgemeinen Sicherheitsaufgaben und auf solche Sicherheitsbelange zu beschränken, die von besonderem Gewicht sind und mit den Mitteln des normalen Sicherheitsrechts nicht abgewehrt werden können, etwa bei organisierter Schwerstkriminalität, illegalen Technologietransfers oder professioneller Spionage.339 Der Unterscheidung zwischen Kriminalpolizei und Verfassungsschutz wird entnommen, dass die Trennung von Polizei und Verfassungsschutz verfassungs-
337
Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 73 Rn. 37; Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 242. 338 Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 242. 339 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 73 Rn. 37; Wittreck, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 73 Rn. 73; Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 244.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
rechtlich legitimiert sei.340 Das überzeugt nicht, weil von Kriminalpolizei und nicht von Polizei die Rede ist. Die Kriminalpolizei mit ihrem Schwerpunkt in der Strafverfolgung bedarf keiner verfassungsrechtlichen Abgrenzung zum im Vorfeld der konkreten Gefahr agierenden Verfassungsschutz, der zudem weder einen Strafverfolgungsauftrag hat, noch dem Legalitätsprinzip unterliegt. (e) Nr. 10 c): Schutz auswärtiger Belange Dieser im Jahr 1972 eingefügte Kompetenztitel341 ermächtigt den Bund zum Erlass von Regelungen zur Zusammenarbeit des Bundes und der Länder zum Schutz gegen gewaltsame Bestrebungen, die die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und ergänzt damit den Kompetenztitel der auswärtigen Belange in Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG.342 Dahinter steht die völkerrechtliche Verpflichtung, von deutschem Staatsgebiet ausgehende, gegen andere Staaten gerichtete gewaltsame Handlungen zu unterbinden.343 Dazu zählen Gewalttaten oder auf diese gerichtete Vorbereitungshandlungen, unabhängig davon, ob sie von Deutschen oder Ausländern, von Einzeltätern oder militanten Ausländer- bzw. Emigrantenorganisationen vorgenommen werden.344 (2) 2. Komponente: Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes Die zweite Komponente des Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG verleiht dem Bund das Recht, ein Bundeskriminalamt zu errichten und begründet damit in Abweichung von dem Grundsatz, dass Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG dem Bund keine Gesetzgebungsbefugnis zur Errichtung eigener Bundesbehörden vermittelt, eine selbstständige Gesetzgebungsbefugnis zur Einrichtung einer Bundesbehörde.345 Im Gegensatz zur 1. Komponente ist der Kompetenztitel nicht auf die Zusammenarbeit von Bund und Ländern beschränkt; er stimmt in der Sache mit Art. 87 Abs. 1 GG überein und stellt insoweit eine Doppelregelung dar.346 Problematisch ist, ob mit der Kompetenz zur Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes diesem auch Aufgaben und Befugnisse übertragen werden können. Der Wortlaut der 2. Komponente gibt dazu nichts her; gleichwohl wird aus dem systematischen Zusammenhang mit den anderen Teilbereichen des Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG abgeleitet, dass das Amt über die Aufgaben und Befugnisse verfügen müsse, die mit der 1. Komponente (Zusammenarbeit in der Kriminalpolizei) oder der
340 341 342 343 344 345 346
Heintzen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, Art. 73 Rn. 116. 31. Gesetz zur Änderung des GG vom 28. 7. 1972, BGBl I, S. 1305. Thiel, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 73 Rn. 19. Thiel, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Ar.t 73 Rn. 19. Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 247. Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 249. Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 249.
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3. Komponente (internationale Verbrechensbekämpfung) verbunden seien.347 Nach einer anderen Auffassung können außenwirksame Eingriffsbefugnisse für das Bundeskriminalpolizeiamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 b) und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG abgeleitet werden, weil diese Kompetenztitel auf die Zusammenarbeit beschränkt seien und deshalb keine anderweitigen Aufgaben mit entsprechenden Befugnissen begründen könnten.348 Der Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht349, dass einem Aufgabenträger die zur Aufgabenwahrnehmung erforderlichen Mittel nicht vorenthalten werden dürften350, gehe fehl, weil im gegebenen Zusammenhang schon die Aufgabe streitig sei. Auch die Bundeskompetenz zur internationalen Verbrechensbekämpfung helfe nicht weiter, weil sie grenzüberschreitende Aktivitäten voraussetze und deshalb für ein Vorgehen gegen internationale Kriminalität durch Ermittlungen im Inland nicht in Betracht komme.351 (3) 3. Komponente: Internationale Verbrechensbekämpfung Die dritte Komponente Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG hat die Bekämpfung der internationalen Kriminalität zum Gegenstand, wobei der Schwerpunkt beim Terrorismus und der organisierten Kriminalität liegt. Bei letzterer geht es um international agierende Täter, die im In- und Ausland Straftaten begehen, Gewinne verschieben und hier wie dort anlegen. Internationalität setzt die Grenzüberschreitung bei der Tatbegehung voraus. Verbrechensbekämpfung umfasst die Verhütung und die Verfolgung gewichtiger Straftaten.352 Der Kompetenztitel beschränkt sich nicht wie in Nr. 10 a) und b) auf die Zusammenarbeit, ist aber mit dem Gedanken der Kooperation eng verknüpft.353 Es geht um die bei der grenzüberschreitenden Strafverfolgung erforderliche internationale Amtshilfe in Form wechselseitiger Information, gegenseitigen Erfahrungsaustauschs und Beratung in gemeinsam gebildeten und arbeitenden Organisationseinheiten.354 Gegenstand der Kompetenznorm ist damit die Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung, nicht die Strafverfolgung als solche.355 Dabei geht es nicht nur um grenzüberschreitende Straftaten, sondern um alle Straftaten, deren Bekämpfung eine internationale Zusammenarbeit erforderlich 347 Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 250; Burgi, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 87 Rn. 45; Ibler, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87 Rn. 121; Werthebach/Droste, in: BK GG, Art. 73 Nr. 10 Rn. 121; Heintzen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, Art. 73 Rn. 111; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 73 Rn. 52. 348 Bäcker, HdBPR, B. Rn. 137; ders., GSZ 2018, 213 (215 f.). 349 BVerfGE 30, 1 (20). 350 Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 73 Rn. 52. 351 Bäcker, HdBPR, B. Rn. 137. 352 Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 252. 353 Thiel, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 73 Rn. 23. 354 Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 252. 355 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 73 Rn. 39; Wittreck, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 73 Rn. 76.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
macht,356 wie es bei international abgestimmten „Spiegelverfahren“ der Fall ist. Soweit es sich um Straftaten des internationalen Terrorismus handelt, wird die 3. Komponente der Nr. 10 von Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 a) GG verdrängt.357 b) Konkurrierende Gesetzgebung, Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG aa) Strafrecht Der Kompetenztitel Strafrecht wird weit ausgelegt und erfasst „die Regelung aller, auch nachträglicher, repressiver oder präventiver staatlicher Reaktionen auf Straftaten, die an Straftaten anknüpfen, ausschließlich für Straftäter gelten und ihre sachliche Rechtfertigung auch aus der Anlasstat beziehen.“358 Als solche Reaktionen gelten neben Strafen und Bußen auch Maßregeln der Besserung und Sicherung und das Therapieunterbringungsgesetz, weil sie Antworten des Staates auf Straftaten sind.359 (1) Sicherungsverwahrung und Therapieunterbringung Hinsichtlich der nachträglichen Sicherungsverwahrung und der Therapieunterbringung ist diese weite Auslegung kritisch zu sehen, weil sie das Strafrecht als Reaktion auf begangenes Unrecht mit dem Polizeirecht, das die Begehung künftiger Straftaten verhindern soll, unzulässig vermischt.360 Die nachträgliche Sicherungsverwahrung als polizeirechtliches, der Gefahrenabwehr dienendes Institut könnte auf der Grundlage von Art. 70 Abs. 1 GG durch die Landesgesetzgeber dergestalt geregelt werden, dass die Maßnahme ohne Anknüpfung an eine Straftat von der Verwaltungsgerichtsbarkeit angeordnet wird.361 Auch hinsichtlich des Therapieunterbringungsgesetzes wird die weite Auslegung des Kompetenztitels Strafrecht durch das Bundesverfassungsgericht zu Recht kritisiert, weil die Therapieunterbringung keine Reaktion auf eine Straftat ist, sondern ausschließlich der Abwehr hochgradiger Gefahren schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten dient.362
356
Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 252. Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 253. 358 BVerfGE 109, 190 (212); 134, 33 (55); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 74 Rn. 5; Wittreck, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 74 Rn. 19 m.w.N. 359 BVerfGE 109, 190 (213); 128, 326 (378); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 74 Rn. 5. 360 Würtenberger/Sydow, NVwZ 2001, 1201 (1202 ff.); Gärditz, BayVBl 2006, 231 (232 ff.). 361 Würtenberger/Sydow, NVwZ 2001, 1201 (1202 f.). 362 Abw. Votum des Richters Huber, BVerfGE 134, 33 (Rn. 147); Oeter, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Bd. 2, Art. 74 Rn. 15; Gärditz, Strafprozeß, S. 288 ff. 357
3. Abschn.: Grundgesetz
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(2) Zulässigkeit von Landesstrafrecht Bezüglich der Inanspruchnahme der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Strafrecht stellt sich aktuell die Frage, ob neben dem Bund noch die Landesgesetzgeber befugt sind, Landesgesetzen eine Strafbestimmung beizufügen, wie es der Gesetzgeber in Nordrhein-Westfalen jüngst getan hat, als er im Rahmen der Anordnung zum Tragen einer Fußfessel für Gefährder die Strafrechtsnorm des § 34d Abs. 1 nwPolG in das Polizeigesetz aufnahm.363 Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer einer vollstreckbaren gerichtlichen Anordnung nach § 34b Abs. 2 Satz 1 nwPolG oder einer vollziehbaren Anordnung nach § 34b Abs. 2 Satz 3 nwPolG zuwiderhandelt und dadurch den Zweck der Anordnung gefährdet oder einer vollstreckbaren gerichtlichen Anordnung nach § 34c Abs. 6 Satz 1 nwPolG oder einer vollziehbaren Anordnung nach § 34c Abs. 6 Satz 2 nwPolG zuwiderhandelt und dadurch die kontinuierliche Feststellung seines Aufenthaltsortes durch die Polizei verhindert. Dem Landesgesetzgeber steht eine Regelungsbefugnis für die konkurrierende Gesetzgebung im Strafrecht gemäß Art. 72 Abs. 1 GG nur zu, solange und soweit der Bund von seiner Zuständigkeit keinen Gebrauch gemacht hat. Ob das der Fall ist, hängt davon ab, dass eine Gesamtwürdigung des betreffenden Normkomplexes ergibt, dass der Bund eine abschließende Regelung angestrebt hat.364 Das Strafgesetzbuch kennt keinen entsprechenden Straftatbestand, mit § 87 BKAG findet sich aber eine thematisch einschlägige Strafbestimmung. Diese erstreckt sich aber nur auf durch das Bundeskriminalamt angeordnete Aufenthaltsvorgaben und Kontaktverbote nach § 55 BKAG und auf eine durch das Bundeskriminalamt angeordnete elektronische Aufenthaltsüberwachung nach § 56 BKAG. Diese Regelungen sollen für den Landesgesetzgeber keine abschließende Regelung darstellen. Das könne auch der Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Neustrukturierung des BKA-Gesetz365 entnommen werden, wonach ergänzende landesrechtliche Regelungen nicht ausgeschlossen sein sollten. Weil der abschließende Charakter der bundesrechtlichen Regelung nicht hinreichend deutlich werde, könne die in § 34c PolG NRWenthaltene Strafbestimmung auf die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Landes nach Art. 72 Abs. 1, 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gestützt werden.366 Solche Straftatbestände sind aber als Bekämpfungsstrafrecht Fremdkörper im Polizeirecht. Das allgemeine Polizeirecht taugt nicht als Standort des Nebenstrafrechts. Polizeigesetzgeber, die bei der Bekämpfung des islamischen Terrorismus zum Strafrecht greifen, dokumentieren damit, dass sie die Möglichkeiten des Polizeirechts zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten noch nicht richtig erkannt haben. Außerdem ist der Vollzug einer Freiheitsstrafe wegen eines Verstoßes gegen die Anordnung zum Tragen einer Fußfessel bzw. einer Aufenthaltsvorgabe eine verkappte Form der Präventivhaft. 363
S. auch § 84b Abs. 1 Nrn. 1 und 2 bwPolG; § 87 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 BKAG. BVerfG, NJW 2015, 44 (45). 365 BT-Drs. 18/11163, S. 135. 366 Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 72 Rn. 84; v. Coelln/Pernice-Warnke/Pützer/Reisch, NWVBl 2019, 89 (96). 364
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
bb) Strafverfahrensrecht als gerichtliches Verfahren (1) Begrenzung auf legitime Verfahrensziele Indem das gerichtliche Verfahren das Strafverfahren und mit ihm das Ermittlungsverfahren einschließt, begrenzt es zugleich das Strafprozessrecht auf legitime Verfahrensziele unter Ausschluss verfahrensfremder Zwecke, wozu die Gefahrenabwehr gehört.367 Deshalb ist die Bekämpfungsgesetzgebung, die die Gefahrenabwehr zum Bestandteil eines instrumentell verstandenen Strafrechts macht mit dem Auftrag der StPO als Verfahrensordnung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten bei der Operationalisierung des Strafrechts unvereinbar368 ; die Strafe ist kein Kampfmittel und das Straf- und Strafverfahrensrecht sind weder Instrumente der Kriminalitätsbekämpfung noch beinhalten sie einen Sicherheitsauftrag.369 (2) Weites Verständnis des gerichtlichen Verfahrens Die Kompetenzmaterie gerichtliches Verfahren im Sinne der vierten Variante des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG wird weit verstanden370; sie reicht von der Einleitung des Verfahrens bis zur Vollstreckung der gerichtlichen Entscheidung; erfasst ist nicht nur das eigentliche gerichtliche Verfahren, sondern auch das diesem vorgelagerte behördliche, sofern es das in der Strafprozessordnung geregelte polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren mit dem gerichtlichen Verfahren in einen untrennbaren funktionalen Zusammenhang stellt.371 Das bejaht das Bundesverfassungsgericht bei der Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten.372 Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist für das Gericht die gesamte repressive Polizeitätigkeit, die in Reaktion auf den Verdacht der Beteiligung einer Person an einer geschehenen oder unmittelbar bevorstehenden strafbaren Handlung erfolgt.373 Dies weite Verständnis begegnet grundsätzlichen Bedenken. (3) Einbeziehung der Verhinderung unmittelbar bevorstehender strafbarer Handlungen Die staatliche Reaktion auf eine unmittelbar bevorstehende Straftat kann keine repressive sein, weil Strafverfolgung eine schon begangene Straftat voraussetzt. Der Strafprozess und sein Recht setzen nach der Tat ein und setzen die Tat voraus; solange
367
Gärditz, Strafprozeß, S. 328. Gärditz, Strafprozeß, S. 325; ders., HStR IX, § 189 Rn. 31. 369 Paeffgen, DRiZ 1998, 317 ff.; Lisken, ZRP 1994, 49. 370 BVerfGE 150, 244 Rn. 67; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 74 Rn. 9. 371 BVerfGE 30, 1 (29); 150, 244 Rn. 67. 372 BVerfGE 103, 21 (30 f.); 113, 348 (369 ff.); Albers, Determination, S. 271 ff.; dazu näher Kniesel, DP 2017, 189 (194 ff.). 373 BVerfGE 113, 348 (369 ff.). 368
3. Abschn.: Grundgesetz
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noch keine Straftat geschehen ist, kann sie noch nicht verfolgt, sondern nur als konkrete Gefahr verhindert oder als abstrakte Gefahr verhütet werden.374 (4) Einbeziehung der Strafverfolgungsvorsorge Die Einbeziehung der Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten vermag aus verschiedenen Gründen nicht zu überzeugen. Strafverfolgungsvorsorge kann ebenso wenig wie die Verhinderung unmittelbar bevorstehender Straftaten als antizipierte Strafverfolgung Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens sein.375 Dagegen spricht schon der Wortlaut „gerichtliches Verfahren“; er legt vielmehr nahe, die Bundeskompetenz erst dann für einschlägig anzusehen, wenn das Ermittlungsverfahren mit der Anklageerhebung bei Gericht angekommen ist.376 Nur in historischer Auslegung kann das Ermittlungsverfahren als Teil des gerichtlichen Verfahrens gesehen werden, weil vorherige Ermittlungen praktisch notwendig sind und diese in einem schwer abtrennbaren Zusammenhang mit dem Strafverfahren stehen.377 Aber die dem Ermittlungsverfahren vorgelagerte Strafverfolgungsvorsorge als „Vor“Ermittlungsverfahren, das es wegen § 152 Abs. 2 StPO gar nicht geben dürfte, noch dem gerichtlichen Verfahren zuzuordnen, lässt die Gesetzessprache jeden Sinn verlieren.378 Die vom Bundesverfassungsgericht vorgenommene Auslegung würde auch den von ihm – später – entwickelten Auslegungsstandards, wonach entscheidender Ausgangspunkt jeder Auslegung der Wortlaut der fraglichen Norm ist379, nicht genügen. Methodisch nicht nachvollziehbar ist auch die vom Gericht angestellte Erwägung, dass Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG in seinem Wortlaut keine Einschränkung dahingehend enthalte, dass Maßnahmen, die sich auf zukünftige Strafverfahren bezögen, von der Gesetzgebungskompetenz nicht erfasst sein sollten.380 Der Regelung des Art. 31 GG, wonach alles, was nicht ausdrücklich dem Bund zugewiesen ist, in die Kompetenz der Länder fällt, kann man nicht dadurch entgehen, dass man Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG die Auslegung unterschiebt, er enthalte eine Ausnahme von sich selber.381 Das Bundesverfassungsgericht lässt bei seiner Auslegung des gerichtlichen Verfahrens auch die rechtsstaatliche Dimension des § 152 Abs. 2 StPO382 unbe374
Pieroth/Schlink/Kniesel, POR (2007), § 5 Rn. 6; Paeffgen, JZ 1991, 437 (441 ff.); Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1 Rn. 26; Würtenberger/Heckmann, PRB-W, Rn. 181 ff.; Albers, Determination, S. 268; Thiel, Entgrenzung, S. 113 f.; Annussek, Kraftfahrzeugkennzeichenüberprüfung, S. 129; Kniesel u. a., DP 2011, 333 (339); Kniesel, DP 2017, 189 (194 ff.). 375 S. 4. Abschnitt, B. II. 2. a) bb) (2) (b) (aa). 376 Gärditz, Strafprozeß, S. 328. 377 Gärditz, Strafprozeß, S. 328. 378 Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1 Rn. 26. 379 BVerfGE 122, 282 (283); 128, 193 (209 ff.); 132, 99 (127 f.); 138, 64 (93 ff.). 380 BVerfGE 103, 21 (30). 381 Kniesel u. a., DP 2011, 333 (340 Fn. 86). 382 Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 293 f.; Gärditz, Strafprozeß, S. 325 f.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
rücksichtigt, wenn es das Ausgreifen der Datenerhebung und -verarbeitung in ein nach der Strafprozessordnung gerade nicht offen stehendes Vorfeld des konkretisierbaren Anfangsverdacht zulässt.383 Dieser hat die Funktion, den Einzelnen vor vorstrafprozessualen Verdachtsermittlungen zu schützen; diese wird aufgegeben und damit die überkommene Trennung zwischen Polizeirecht und Straf- und Strafverfahrensrecht aufgehoben, wenn Strafverfolgungsvorsorge als materielles Strafprozessrecht im Vorfeld des Anfangsverdachts stattfindet.384 Zudem vernachlässigt das Gericht bei seiner Auslegung den Sachzusammenhang zwischen der Verhütung von Straftaten und ihrer vorsorglichen Verfolgung. Dieser bliebe auf der Strecke, nähme man seine Begründung ernst, wonach die bei der Strafverfolgungsvorsorge angefallenen Daten nur zur Verwertung in künftigen Strafverfahren erhoben würden.385 Diese Einschätzung verkennt, dass Strafverfolgungsvorsorge in einem Überschneidungsbereich von Polizeirecht und Strafprozessrecht stattfindet, in dem die präventiven Aspekte in aller Regel schwerer wiegen.386 Wenn die Polizei Daten erhebt, dann hat sie dabei regelmäßig beide Unterzwecke der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten vor Augen, indem sie Mischdaten produziert, die für künftige Einsätze zur Verhütung und für künftige Strafverfahren gleichermaßen gespeichert und genutzt werden. Dies lässt sich an folgendem Szenario belegen. Die Polizei hat die Gewalttäterdatei Sport angelegt, um Gewalttaten beim Fußball zu verhüten und bei Nichtgelingen der Verhütung strafrechtlich besser verfolgen zu können. Sie verhütet, indem sie vor Konfliktbegegnungen gegen bekannte Gewalttäter Aufenthaltsverbote ausspricht und den bei einem Spiel gleichwohl vor Ort angetroffenen Personen Platzverweise erteilt oder diese in Gewahrsam nimmt. c) Bundeskompetenz kraft Sachzusammenhangs Eine Kompetenzerweiterung zu Gunsten des Bundes wird bejaht, „wenn eine Materie verständiger Weise nicht geregelt werden kann, ohne dass zugleich eine dem Bund nicht ausdrücklich zugewiesene andere Materie mitgeregelt wird, wenn also das Übergreifen in die Gesetzgebungskompetenz der Länder unerlässliche Voraussetzung für die Regelung der in Rede stehenden Materie ist“.387 Dabei ist Zurückhaltung geboten, weil das Übergreifen in eine Gesetzgebungsmaterie, für die kein Kompetenztitel vorhanden ist, eine Verschiebung der grundgesetzlichen Kompetenzordnung bedeutet.388 383 384 385 386 387
Rn. 9. 388
Kniesel, DP 2017, 189 (195). Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 293 f.; Gärditz, Strafprozeß, S. 325 f. Kniesel, DP 2017, 189 (195). Kniesel, DP 2017, 189 (195); Würtenberger/Heckmann, PRB-W Rn. 182. BVerfGE 137, 108 Rn. 145; 138, 261 Rn. 30; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 70 Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn. 183.
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Als Unterfall dieser Kompetenz kraft Sachzusammenhangs389 erlaubt die Annexkompetenz dem Bund den punktuellen Zugriff – eigentlich Übergriff390 – auf eine ihm nicht zugewiesene Gesetzgebungskompetenz.391 Als solcher Annex zu einer dem Bund zugewiesenen Materie wird die spezielle Ordnungs- und Polizeigewalt zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in diesem Bereich gesehen.392 Auf diese Weise konnte die Bahnpolizei als Annex zu Art. 73 Abs. 1 Nr. 6a GG a.F. und die Abwehr terroristischer Angriffe auf den Flugverkehr als Annex zu Art. 73 Abs. 1 Nr. 6a GG n.F.393 geregelt werden. Im letzteren Fall durfte der Bund in seinem Luftsicherheitsgesetz in den §§ 13 ff. Befugnisnormen für den Gefahrenabwehreinsatz gegen gekaperte Luftfahrzeuge schaffen, die von Terroristen als Waffe benutzt werden.394 Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht betont, dass die Notwendigkeit des Zusammenhangs zwischen der dem Bund zugewiesenen Materie und den dort getroffenen Regelungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einer strengen Prüfung unterzogen werden muss.395 d) Residualkompetenz der Länder aa) Bedeutung Gemäß der Grundregel des Art. 70 Abs. 1 GG für die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen auf Bund und Länder muss der Bund sich für seine Gesetzgebung auf einen ihm zugewiesenen Kompetenztitel stützen, während den Ländern die im Grundgesetz nicht geregelten Gesetzgebungsmaterien automatisch als Residualkompetenz zufallen.396 Diese Kompetenzgeneralklausel kann „bei Bedarf zu sachgegenständlich bestimmten Kompetenztiteln konkretisiert werden, die sich als stillschweigend mitgeschriebene Subtatbestände der Generalklausel verstehen“ und sich wie im Falle des Polizeirechts zu einem kompakten Kompetenztitel verdichten lassen.397 Art. 70 Abs. 1 GG begründet damit ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zu
389 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 70 Rn. 12; Wittreck, in: Dreier, GG, Bd. II, Vorb. zu Art. 70 – 74 Rn. 49; a.A. Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 70 Rn. 37 und 43. 390 Wittreck, in: Dreier, GG, Bd. II, Vorb. zu Art. 70 – 74 Rn. 47. 391 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 70 Rn. 12; Wittreck, in: Dreier, GG, Bd. II, Vorb. zu Art. 70 – 74 Rn. 47. 392 BVerfGE 78, 374 (386 f.); 110, 33 (48); 132, 1 (6 f.); BVerwGE 84, 247 (250); 95, 188 (191); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 70 Rn. 12. 393 BVerfGE 3, 407 (433); 8, 143 (149). 394 BVerfGE 132, 1 (6 f.). 395 BVerfGE 132, 1 (6). 396 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 70 Rn. 1; Degenhardt, in: Sachs, GG, Art. 70 Rn. 7; Heintzen, BK GG, Art. 70 Rn. 72 ff.; Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 70 Rn. 2; Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, Art. 70 Rn. 12. 397 Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, Art. 70 Rn. 12; Heintzen, in: BK GG, Art. 70 Rn. 73 ff.; Uhle, in: Maunz/Dürig GG, Art. 70 Rn. 86.
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Gunsten der Länder.398 Das darf aber nicht den Blick dafür vorstellen, dass wegen Vielzahl und Gewicht der dem Bund zugewiesenen Kompetenztitel das tatsächliche Schwergewicht der Gesetzgebungsanteile – auch im Polizei- und Ordnungsrecht – beim Bund liegt.399 Ein Ausgleich erfolgt aber dadurch, dass infolge der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung den Ländern neue zukunftsträchtige Sachmaterien – wie z. B. das Recht der neuen Medien einschließlich der damit verbundenen Gefahrenabwehr – zufallen; die im Grundgesetz angelegte Entwicklungsoffenheit für neuartige Gesetzgebungsmaterien besteht zu Gunsten der Länder.400 Auch unter diesem Aspekt ist es nicht sachgerecht, die Gesetzgebungskompetenzen der Länder als eine bloß negativ bestimmte amorphe Restmenge zu betrachten.401 Wenn der Bund bei der Schaffung von Vorfelddelikten bewusst das Mittel Strafrecht einsetzt, um Straftaten zu verhindern, greift er in die Kompetenz der Länder für das Polizeirecht ein, weil die Verhinderung von Straftaten zur Gefahrenabwehraufgabe gehört.402 Wenn der Bundesgesetzgeber von seiner Pönalisierungskompetenz beliebigen Gebrauch machen könnte, würde er die Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder unterlaufen,403 gleichzeitig aber auch seine eigene ihm ausnahmsweise in Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG eingeräumte Gefahrenabwehrkompetenz in Frage stellen. Mit der Zweckentfremdung des Strafrechts als Polizeirecht würden dem Strafgesetzgeber kraft seiner Pönalisierungskompetenz Möglichkeiten zur Kriminalitätsbekämpfung zuwachsen, die ihm nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 9a GG zur Gefahrenabwehr nicht eröffnet sind, weil das Bundeskriminalamt als Polizei des Bundes nur eine Polizei mit begrenzten Aufgaben sein kann.404 Diesen Aspekt der Zweckentfremdung des Polizeirechts durch das Strafrecht hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des § 89a StGB405 unberücksichtigt gelassen. Er hat dort ausgeführt, dass sich Strafverfolgung zunehmend mit Sachverhalten befasse, die traditionell dem Gebiet der Gefahrenabwehr zuzurechnen seien.406 Schon beim Wort Gefahrenabwehr hätten ihm Zweifel an der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG kommen müssen, doch hat er offensichtlich akzeptiert, was bei Obergerichten schon als Selbstverständlichkeit durchgeht, dass nämlich Vorfelddelikte der Gefahrenabwehr 398 BVerfGE 8, 143 (149 f.); 109, 190 (215); Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1, Rn. 87; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 18; Schenke, POR, Rn. 23; Kingreen/Poscher, POR, § 2 Rn. 33. 399 Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 70 Rn. 23 ff. 400 Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, Art. 70 Rn. 13. 401 So aber Degenhardt, in: Sachs, GG, Art. 70 Rn. 13; Maurer, in: FS Rudolf, S. 344 f.; Pietzcker, HStR VI, § 132 Rn. 9; s. auch Gusy, POR, Rn. 21. 402 S. 4. Abschnitt, B. II. 1. c) bb). 403 Degenhardt, in: Sachs, GG, Art. 74 Rn. 14; Wittreck, in: Dreier, GG Bd. II, Art. 74 Rn. 20. 404 BVerfGE 97, 198 (218); s. dazu näher 3. Abschnitt, B. III. 1. 405 BGHSt 59, 218 ff. 406 BGHSt 59, 218 (230).
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dienen und damit „Polizeirecht in strafrechtlicher Hinsicht sind“.407 Derart zweckentfremdetes Strafrecht unterläuft die Kompetenzverteilung des Grundgesetzes, weil ein als Strafrecht umetikettiertes Gefahrenabwehrrecht nicht mehr Unrecht ahndet, sondern selber Straftaten verhindern will und damit das Polizeirecht überflüssig werden lässt.408 Zudem verwechselt der Bundesgerichtshof die im gegebenen Zusammenhang thematisierte Prävention mittels Schaffung von Vorfelddelikten mit der Präventionswirkung, die Strafnormen eigen sind, mit denen Verletzungs- und konkrete Gefährdungsdelikte pönalisiert werden.409 Mit § 211 StGB und der Verurteilung eines Mörder sollen zwar auch künftige Morde verhindert werden, doch gründet die Legitimität des § 211 StGB sich nicht auf diesen Zweck. Mitsch verdeutlicht das am Beispiel der Strafdrohung für den Kauf eines Mordwerkzeugs zur Vorbereitung eines Mordes; der Präventionszweck des § 211 StGB könne nicht den Vorfeldtatbestand eines Hammerkaufs zur Mordvorbereitung unter Strafe stellen, weil es strafzwecktheoretisch einen entscheidenden Unterschied mache, ob Mord bestraft werde, um künftige Morde zu verhindern oder ob der Hammerkauf bestraft werde, um einen Mord mit diesem Hammer zu verhindern.410 Der Zweck terroristische Anschläge zu verhindern als Legitimation für § 89a StGB entspricht dem dem Hammerkauf-Straftatbestand zu Grunde liegenden Mordverhinderungszweck und nicht dem unproblematischen Mordverhinderungszweck des § 211 StGB.411 bb) Sachmaterien der Residualkompetenz (1) Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht (a) Enges Verständnis des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet zwischen dem allgemeinen Polizeirecht und der Gesamtheit der Normen, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienen; diese Normengesamtheit soll keinen selbstständigen Sachbereich im Sinne der grundgesetzlichen Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeit zwischen Bund und Ländern bilden.412 „Normen die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in einem bestimmten Sachbereich dienen, sind für die Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenz vielmehr dem Sachbereich zuzurechnen, zu dem sie in einem notwendigen Zusammenhang stehen. Erscheint eine Regelung als Annex zu einem Sachgebiet, auf dem der Bund tätig ist, umfasst die Zuständigkeit zur Gesetzgebung auch präventive Regelungen in diesem Sachbe407
OLG München, NJW 2007, 2886 (2787). Mitsch, NJW 2015, 209 (211); NK-StGB Paeffgen, § 89a Rn. 3; Rackow, in: FS Maiwald, S. 617; Lieber, NStZ 2009, 353 (355 ff.); Fischer, StGB, § 89a Rn. 8; Heinrich, KriPoZ 2017, 4 (7); Puschke, KriPoZ 2018, 101 (103 f.). 409 Mitsch, NJW 2015, 209 (211). 410 Mitsch, NJW 2015, 209 (211). 411 Mitsch, NJW 2015, 209 (211). 412 BVerfGE 109, 190 (215); 8, 143 (149 f.). 408
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reich. Soweit der Bund ein Recht zur Gesetzgebung in einem bestimmten Sachbereich hat, kann er auch punktuelle Annexregelungen zu einem der Zuständigkeit der Länder unterfallenden Regelungsbereich treffen, sofern diese in einem notwendigen Zusammenhang zu der in der Zuständigkeit des Bundes liegenden Materie stehen und daher für den wirksamen Vollzug der Bestimmungen erforderlich sind (s. BVerfGE 22, 180 [210]; 77, 288 [299]). Nur solche Regelungen, bei denen die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht als Teil einer bundesgesetzlich geregelten Sachmaterie gesetzlich bestimmt ist, können einem selbständigen Sachbereich zugerechnet werden, der als allgemeines Polizeirecht bezeichnet wird und in die Zuständigkeit der Landesgesetzgebung fällt.“413 Das Schrifttum folgt dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und sieht vom allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht als der Landesgesetzgebung zugewiesene Sachmaterie nur diejenigen Regelungen erfasst, bei denen – unabhängig vom Bezug zu einer bestimmten Sachmaterie im Sinne der Art. 73 und 74 GG – die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung den alleinigen und unmittelbaren Gesetzeszweck – als Hauptgegenstand414 bzw. Polizeirecht im engeren Sinne415 – bildet416, während dem Bund als Annexkompetenz die Gesetzgebung für die bereichsspezifische Gefahrenabwehr bleibt.417 Von dieser Ausnahmekompetenz muss der Bund allerdings restriktiv Gebrauch machen,418 weil er sich sonst des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht als alleiniger Gesetzgebungskompetenz der Länder bemächtigen könnte. (b) Das Allgemeine am Polizei- und Ordnungsrecht Wenn es um das allgemeine Polizeirecht oder Polizei- und Ordnungsrecht geht, fragt sich, was das Allgemeine des Rechtsgebiets ausmacht. Insoweit sind zwei Ansätze zu unterscheiden; das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht kann vom besonderen unterschieden werden, lässt sich aber auch in dogmatischer Sicht als das Recht der allgemeinen Grundsätze und prägenden Rechtsbegriffe verstehen. (aa) Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht als Recht der unbenannten Gefahrenabwehraufgaben Das Polizei- und Ordnungsrecht hieß bis zum Ende des 2. Weltkrieges nur Polizeirecht. Mit der von den Briten und Amerikanern eingeleiteten Entpolizeilichung419 von Verwaltungsaufgaben entstand eine Spezialgesetzgebung, die die bis dahin im allgemeinen Polizeirecht aufgehobenen Sachmaterien des Ausländer-, 413 414 415 416 417 418 419
BVerfGE 8, 143 (149 f.); 78, 374 (386 f.); 109, 190 (215); 113, 348 (369). Heintzen, in: BK GG, Art. 70 Rn. 141. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Art. 70, Rn. 42. Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1, Rn. 90; Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 70 Rn. 111. Wittreck, in: Dreier, GG, Bd. II, Vorb. zu Art. 70 – 74, Rn. 49. BVerfGE 132, 1 (6 f.). Götz/Geis, APOR, § 1 Rn. 5; Kingreen/Poscher, POR, § 1 Rn. 24.
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Bauordnungs-, Feuerschutz-, Gewerbe-, Gesundheits-, Immissionsschutz-, Lebensmittel-, Straßenverkehrs-, Versammlungs-, Vereins- und Waffenrechts zu eigenen Rechtsgebieten des Polizei- und Ordnungsrechts machte. Als allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht verblieben nur noch die unbenannten, also nicht spezialgesetzlich geregelten Aufgaben der Gefahrenabwehr wie die Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Raum oder die Unterbringung von Obdachlosen.420 Diese Entpolizeilichung hatte für das klassische Polizei- und Ordnungsrecht als Recht der nicht besonders geregelten Sachmaterien des Gefahrenabwehrrechts mit der Etablierung eines neuen speziellen Gefahrenabwehrrechts einen Bedeutungsverlust zur Folge. Dieser wird indes dadurch kompensiert, dass das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht, gerade weil es nicht auf einen einheitlichen fachlichen Gegenstand festgelegt wird, in der Lage ist, neuen Gefahren in Gestalt etwa organisierter Kriminalität und Terrorismus und Gefährdungen der Infrastruktur, der Sicherheit des öffentlichen Raums und der Gewährleistung der Sicherheit bei Großveranstaltungen, Demonstrationen und Konfliktbegegnungen in den Fußballbundesligen zu begegnen. Durch die Erweiterung der polizeilichen Aufgabe der Gefahrenabwehr um die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten konnte die Polizei auf der Grundlage des allgemeinen Polizeirechts in operativer Zielsetzung auf die neuen Herausforderungen reagieren und erschloss sich damit neue unbenannte, d. h. nicht auf spezialgesetzlicher Grundlage geschaffene Aufgaben der allgemeinen Gefahrenabwehr. Als der Polizei die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als originäre Aufgabe übertragen wurde421, wurde damit auch der Prozess der Repolizeilichung der Gefahrenabwehr eingeleitet.422 Der Bedeutungsverlust des Polizeiund Ordnungsrechts als Recht der unbenannten Gefahrenabwehr durch neue Gesetzgebungskompetenzen des Bundes für Aufgaben der Gefahrenabwehr wird also kompensiert durch seine Entwicklungsoffenheit für neue unbenannte Rechtsgebiete der Gefahrenabwehr423, wie es sich beim Recht der neuen Medien zeigt.424 (bb) Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht als dogmatisches Gerüst des Gefahrenabwehrrechts Das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht beinhaltet die Grundsätze und prägenden Rechtsbegriffe des Rechts der Gefahrenabwehr. Seine klassische dogmatische Ausrichtung hat es in den drei Essentials der Gefahr, des Störers und der Verhältnismäßigkeit gefunden.425 Die Landesgesetzgeber begrenzen die Polizeigewalt, in dem sie mit der Eingriffsschwelle der Gefahr festlegen, wann die Polizei einschreiten darf, mit den Störerbestimmungen gegen wen sie vorgehen darf und mit 420
Götz/Geis, APOR, § 1 Rn. 7; Schlink, VVDStRL 48 (1990), S. 236 (256). § 1 Abs. 1 Satz 2 bbgPolG; § 1 Abs. 1 Satz 2 hmbPolDVG; § 7 Abs. 1 Nr. 4 mvSOG; § 1 Abs. 1 Satz 2 und 4 nwPolG; § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 sächsPolG; § 1 Abs. 1 Satz 2 thürPAG. 422 Kniesel/Braun/Keller, BPOR, Rn. 7. 423 Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, Art. 70 Rn. 13. 424 Kniesel/Braun/Keller, BPOR, Rn. 1663 ff. 425 Barczak, Der nervöse Staat, S. 477 ff. 421
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dem im Polizeirecht erfundenen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit426, auf welche Weise sie in die Grundrechte des Betroffenen eingreifen darf. Im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht kann geregelt werden, unter welchen Voraussetzungen für die Polizei das Vorfeld der konkreten Gefahr offenstehen kann und welche Kompensation dafür in Form von grundrechtssichernden Form- und Verfahrensvorschriften geschaffen werden muss. Hier besteht ein untrennbarer Zusammenhang mit dem materiellen Polizeibegriff, der Polizei mit Gefahrenabwehr gleichsetzt.427 Dieser materielle Polizeibegriff ist alles andere als überholt428, macht er doch erst die gebotene Unterscheidung von präventiver und repressiver Polizeiarbeit und die Differenzierung zwischen polizeilicher und nachrichtendienstlicher Tätigkeit möglich.429 Das allgemeine Polizeirecht und der materielle Polizeibegriff sind im liberal-rechtsstaatlichen Polizeirecht preußischer Prägung eine Verbindung eingegangen, als die polizeiliche Tätigkeit auf die Gefahrenabwehr reduziert wurde430; maßgeblicher Kern des allgemeinen Polizeirechts, der zum Ausgangspunkt des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts der Bundesrepublik nach der Überwindung der NS-Diktatur wurde, bleibt die Beschränkung auf die Gefahrenabwehr.431 Dem Bund ist der Zugriff auf das allgemeine Polizeirecht in seinen dogmatischen Grundlagen verwehrt. Nur die Landesgesetzgeber können – soweit Verfassungsrecht nicht entgegensteht – über die Schlüsselbegriffe der Gefahr, des Störers und der Verhältnismäßigkeit entscheiden, wenn sie die Eingriffsschwelle für das polizeiliche Vorgehen im Vorfeld der konkreten Gefahr absenken, andere Personen als den Störer bzw. den Nichtstörer zum Adressaten machen und Defizite des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Gefahrenvorfeld mit grundrechtssichernden Form- und Verfahrensvorschriften kompensieren. Die Auslegung, nach der Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG final zu verstehen sei und dem Bund eine umfassende Gesetzgebungskompetenz für alle der Strafverfolgung dienenden Überwachungsbefugnissen auch für den Fall zuweise, dass Straftaten noch gar nicht begangen worden sind,432 ist mit dem System der Art. 70 ff. GG nicht vereinbar.433 Die Verhinderung und Verhütung von Straftaten sind Bestandteil des 426 PrOVG 13, 426 (427); 38, 421 (426 f.); 51, 284 (288); Bühler, Subjektive öffentliche Recte, S. 197 f.; Kingreen/Poscher, POR, § 1 Rn. 12. 427 Kingreen/Poscher, POR, § 1 Rn. 19; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 33. 428 A.A. Götz/Geis, APOR, § 2 Rn. 19; krit. auch Gusy, POR, § 1 Rn. 4; dagegen wird der materielle Polizeibegriff zu Recht von Kingreen/Poscher, POR, § 1 Rn. 27 und Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1 Rn. 9 verteidigt; gerade mit Blick auf die aktuellen Vermischungstendenzen von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung ist der materielle Polizeibegriff unverzichtbar. 429 Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1 Rn. 9. 430 Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1 Rn. 5; Kingreen/Poscher, POR, § 1 Rn. 9 ff. 431 Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1 Rn. 6. 432 Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 249. 433 S. 2. Teil, 3. Abschnitt, C. IV. 1. b) aa) (1) (b) (bb).
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polizeilichen Gefahrenabwehrauftrags und gehören damit zur ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder für das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht.434 Die Überwachung von Personen, bei denen davon auszugehen ist, dass sie Straftaten begehen werden, dient der Verhinderung bzw. Verhütung von Straftaten. Solange die Straftat noch nicht passiert ist, kann sie noch nicht verfolgt, sondern nur verhindert bzw. verhütet werden.435 (c) Beachtung von Art. 79 Abs. 3 GG Die von Brodowski vorgeschlagene große Lösung in Gestalt einer neuen Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Abwehr von in Art. 74 Abs. 1 Nr. 34 GG greift in die Polizeihoheit der Länder ein, weil sie dem Polizeirecht einen wesentlichen Teil der Gefahrenabwehr nimmt. Die Abwehr von Straftaten ist nichts anderes als die Abwehr von Gefahren, die durch Straftaten entstehen. Die dem Rechtsgüterschutz dienenden Straftatbestände des Strafgesetzbuchs sind in dieser Funktion im Schutzgut der öffentlichen Sicherheit aufgehoben und dieser zusätzliche Schutz durch das Polizeirecht macht einen essentiellen Teil des Rechtes der Gefahrenabwehr aus. Ein neuer strafrechtlicher Auftrag zur Abwehr von Straftaten würde den Rechtscharakter des materiellen Polizeirechts verändern. Zudem ist auch die von Brodowski gelieferte Begründung für die neue Bundeskompetenz, dass der Bund ja ohnehin schon mit seiner Gesetzgebungskompetenz für das Strafrecht aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG Strafnormen erlassen könne, mit denen er das Verhalten von Personen, das zur Begehung einer Straftat führe, zum Gegenstand der Gefahrenabwehr machen könne, ist abwegig. Gefahrenabwehr im Gewande des Strafrechts ist gerade das verfassungsrechtliche Problem des modernen Interventionsstrafrechts, das sich nicht durch eine neue Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die strafrechtliche Gefahrenabwehr beseitigen lässt. Mit einem neuen Art. 74 Abs. 1 Nr. 34 GG wäre ein mit Art. 79 Abs. 3 GG nicht mehr vereinbarer Übergriff auf die Länderkompetenz für das Allgemeine Polizeirecht gegeben, weil mit einer Kompetenz des Bundes zur Abwehr von Straftaten die Möglichkeiten des Polizeirechts zur Verhinderung von Straftaten auf der Grundlage der klassischen Aufgabe der Gefahrenabwehr und die Verhütung von Straftaten als erweitertem Auftrag der Gefahrenabwehr auf den Bund übergingen. Ein Polizeirecht, dem seine Kernfunktion genommen wird, ist nicht einmal mehr die Hälfte wert, und von einem Hausgut der Länder als durch Art. 70 Abs. 1 GG geschützte Residualkompetenz kann in Ansehung von Art. 79 Abs. 3 GG nicht mehr die Rede sein. (2) Recht des Verfassungsschutzes Gemäß den Art. 30, 70 und 83 GG sind die Länder für den Schutz der Verfassung als Sachmaterie der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung zuständig. Gegenstand 434 435
S. 2. Teil, 4. Abschnitt B. II. 1. und 2. Pieroth/Schlink/Kniesel, POR (2002), § 5 Rn. 6.
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der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 b) und c) GG ist die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes. Danach darf der Bund die Organisation des Zusammenwirkens von Bund und Ländern in Sachen Verfassungsschutz regeln und die dazu erforderlichen Aufgaben und Befugnisse beschreiben.436 Sein Auftrag ist die Gewährleistung der Zusammenarbeit, nicht die Aufgabe des Schutzes der Verfassung selber.437 Fällt letztere gemäß Art. 70 Abs. 1 GG in die Gesetzgebungshoheit der Länder, können die Länder die allgemeinen Grundsätze und prägenden Begriffe der Sachmaterie Verfassungsschutz festlegen und haben auch die Gestaltungsmacht, die Aufgaben ihrer Verfassungsschutzbehörden zu erweitern.438 Bei der Erarbeitung eines allgemeinen Verfassungsschutzrechts kann der Bund in dem Umfang mitwirken, wie es zur Gewährleistung der Zusammenarbeit und der diese bedingenden Voraussetzungen erforderlich ist. Wenn in diesem Zusammenhang von Vertretern des Bundes der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers betont wird439, dabei aber offen gelassen wird, wer der Gesetzgeber für die materiellen Inhalte des Rechts des Verfassungsschutzes ist, so ist daran zu erinnern, dass der Gesetzgeber für diese Sachmaterie die Landesgesetzgeber sind und deshalb die Möglichkeiten des Bundes zur Entwicklung einer Dogmatik des Rechts des Verfassungsschutzes440 begrenzt sind. 2. Verwaltungskompetenzen a) Regelzuständigkeit der Länder Als Kernelement des deutschen Vollzugsföderalismus weist Art. 83 GG als Spezialregelung zu Art. 30 GG den Ländern die Ausführung der Bundesgesetze als eigene Angelegenheit unter dem Vorbehalt anderweitiger grundgesetzlicher Regelung zu.441 Hinsichtlich der Aufteilung der Vollzugskompetenzen zwischen Bund und Ländern gilt der Grundsatz, dass die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes die äußerste Grenze seiner Verwaltungskompetenz ist; wo der Bund nicht gesetzge-
436 BVerwG, DÖV 1995, 692 f.; BVerwGE 69, 53 (57); Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 233. 437 BayVerfGH, NVwZ-RR 1998, 273 (278). 438 BVerwG, DÖV 1995, 692 f.; BVerwGE 69, 53 (59); BayVerfGH, NVwZ-RR 1998, 273 (278); SächsVerfGH, NVwZ 2005, 1310 (1311); Droste, Handbuch Verfassungsschutz, S. 52; Gusy, BayVBl 1982, 201 ff.; Baldus, ThürVBl 2013, 25 (26); Roth, in: Schenke/Graulich/ Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, § 2 Rn. 19. 439 Hecker, in: Dietrich/Eiffler, HdB Nachrichtendienste, III § 2 Rn. 8. 440 Lindner/Unterreitmeier, DÖV 2019, 165 ff. 441 Hermes, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 83 Rn. 16.
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bungsbefugt ist, kann er auch keine für den Vollzug haben.442 Dieser Grundsatz zeigt sich durchgängig in den Art. 86 ff. GG, insbesondere in Art. 87 Abs. 3 GG. Ob Bundesgesetze durch den Bund selber oder durch die Länder vollzogen werden, wird nicht im Rahmen der Gesetzgebungskompetenzen, sondern in den Art. 83 ff. GG geregelt, wobei die Generalklausel des Art. 87 Abs. 3 GG dem Bund Verwaltungskompetenzen für alle Sachbereiche ermöglicht, für die er eine Gesetzgebungskompetenz hat.443 Eine Ausnahme wird für gesetzgeberische Organisationsregelungen zu den Gegenständen der Bundesverwaltung gemacht.444 Danach liegen die Vollzugskompetenzen zur Gefahrenabwehr überwiegend bei den Ländern, während dem Bund nur bereichsspezifisch festgelegte Zuständigkeiten zugewiesen sind.445 Unverkennbar ist aber eine infolge von Internationalisierung, Informatisierung bzw. Digitalisierung und Technisierung beständig wachsende Zentralisierung der Gefahrenabwehr auch hinsichtlich des Verwaltungsvollzugs, wie sie in den kontinuierlichen Bemühungen des Bundes zur Stärkung von Bundespolizei und Bundeskriminalamt zum Ausdruck kommt.446 b) Sicherheitsrelevante Verwaltungskompetenzen des Bundes aa) Vorbemerkungen (1) Rechtsgrundlagen der fakultativen Bundessicherheitsverwaltung Der Verwaltungstyp Bundesverwaltung in Gestalt des Vollzugs von Bundesgesetzen durch den Bund selber beruht auf Art. 87 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3, der dem Bund außerhalb der Regelungen für das Gesetzgebungsverfahren in den Art. 70 ff. GG eine eigene Gesetzgebungszuständigkeit zur Regelung des Gesetzesvollzugs zuweist. Er kann gemäß Abs. 1 Satz Bundesgrenzschutzbehörden und Zentralstellen für das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen, für die Kriminalpolizei und den Verfassungsschutz einrichten und hat nach Abs. 3 die Möglichkeit, durch Bundesgesetz für die Angelegenheiten, in denen er eine Gesetzgebungskompetenz hat, eine selbstständige Bundesoberbehörde zu errichten; hat der Bund also eine sicherheitsrelevante Gesetzgebungszuständigkeit – etwa in Art. 73 Abs. 1 Nr. 5, 6 und 6a GG für den Zoll, den Luftverkehr und den Eisenbahnverkehr –, so kann er auch eine Bundesoberbehörde für den entsprechenden Vollzug errichten. Auf diesem Hintergrund sind zwei Fragen zu klären. Die erste zielt auf das Verhältnis von Art. 87 Abs. 1 Satz 2 zu Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG und es muss geklärt werden, ob der Bund ein Wahlrecht zwischen beiden hat, also möglicherweise eine Zentralstelle oder eine 442
BVerfGE 12, 205 (229); 15, 1 (16); 78, 374 (386); 102, 167 (173 f.); BVerwGE 87, 181 (184); 110, 9 (14); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 83 Rn. 2; Hermes, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 83 Rn. 16. 443 Hermes, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 83 Rn. 16. 444 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 83 Rn. 2. 445 Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1, Rn. 92. 446 Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1, Rn. 92 ff.
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Bundesoberbehörde einrichten bzw. errichten kann, oder ob Abs. 1 Satz 2 die speziellere Regelung ist, die die Anwendung von Abs. 3 Satz 1 ausschließt. Die zweite Frage hat das Verhältnis von Art. 87 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG zum Gegenstand. Klärungsbedürftig ist, wie die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in der Kriminalpolizei, im Verfassungsschutz und zum Schutz auswärtiger Belange von der Zentralstellenkompetenz gemäß Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG für das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen, für die Kriminalpolizei und zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes abgegrenzt werden kann; insbesondere ist zu klären, wie sich die Bundesgesetzgebungskompetenz zur Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes gemäß der zweiten Komponente des Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG für die Kriminalpolizei und wie sich Art. 87 Abs. 1 Satz 2 zu Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG verhält. Aus diesen Bestimmungen wird in genetischer und systematischer Auslegung abgeleitet, dass der Bund die dort geregelten Verwaltungsaufgaben nur in der dort vorgesehenen Form der Zentralstellen ausüben kann; ein Wahlrecht wird ausgeschlossen, weil Abs. 1 Satz 2 gegenüber Abs. 3 eine Spezialregelung mit kompetenzbegrenzender Wirkung darstelle.447 Das wird damit begründet, dass es bei den Beratungen im Parlamentarischen Rat zu den Gesetzgebungskompetenzen des Bundes im Sicherheitsbereich darum gegangen sei, nach den unheilvollen Erfahrungen mit der zentralistischen geheimen Staatspolizei einer Machtkonzentration staatlicher Gewalt auf der Bundesebene durch eine nahezu ausschließliche Polizeihoheit der Länder vorzubeugen.448 Dieser Auslegung ist das Bundesverfassungsgericht – und ihm folgend ein Teil der neueren Literatur449 – nicht gefolgt450; das Gericht bejaht in einer teleologischen Auslegung ein Wahlrecht des Gesetzgebers zwischen der Einrichtung einer Zentralstelle und der Errichtung einer Bundesbehörde, weil Art. 87 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 GG parallel anwendbar seien. Dem Bund stehe es prinzipiell frei „dort, wo eine Zentralstelle im Hinblick darauf, dass diese im Wesentlichen auf die Wahrnehmung von Koordinationsaufgaben beschränkt ist, für die Erfüllung einer Aufgabe nicht ausreicht (…) unter den Voraussetzungen des Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG eine selbständige Bundesoberbehörde“ zu errichten.451 Hinsichtlich des Zwecks von Art. 87 GG führt das Gericht aus, dass diese Bestimmung wie die anderen des VIII. Abschnitts des Grundgesetzes eine sachgerechte Ausführung der Bundesgesetze und den Aufbau einer leistungsfähigen 447
Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1, Rn. 92; Möstl, DV 41 (2008), 308 (314 ff.). Gusy, DVBl 1993, 1117 (1127). 449 Gusy, DVBl 1993, 1117 (1126). 450 Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 252 f.; Hermes, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 87 Rn. 79; Abbühl, Aufgabenwandel, S. 363 ff.; Burgi, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 87 Rn. 91; Paeffgen/Gärditz, KritV 2002, 65 (69); Jestaedt, in: Umbach/Clemens, GG, Bd. II, Art. 87 Rn. 96; Lerche, in: Maunz/Dürig, GG (1992), Art. 87 Rn. 170 und 175. 451 BVerfGE 110, 33 (50 ff.). 448
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Bundesverwaltung – hier das Zollkriminalamtes als Teil der Zollverwaltung – ermöglichen solle, soweit die Aufgaben nicht von den Ländern wahrgenommen werden. Art. 87 GG diene nicht nur der Beachtung der Interessen der Länder am Schutz ihrer eigenen Verwaltungskompetenz, sondern auch die des Bundes an einer leistungsfähigen Verwaltung, soweit er über eigene Verwaltungskompetenzen verfügt oder sie begründen kann. Aus diesem Grunde stelle Art. 87 GG unterschiedliche Möglichkeiten bereit, zwischen denen der Bund wählen dürfe, wenn die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Einrichtung452 der jeweiligen Behörde – hier des Zollkriminalamtes – erfüllt seien. Das Recht und die Pflicht zur Wahl einer sachgerechten Organisationsstruktur würden unzulässig verengt, wenn Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG im Verhältnis zu Abs. 1 Satz 2 nur eine subsidiäre Regelung darstellen würde.453 Die einen Vorrang von Abs. 1 Satz 2 behauptende Auffassung454 werde nicht durch das Wort „Außerdem“ in der Einleitung des Abs. 3 gestützt, weil es an die in den beiden vorausgehenden Absätzen aufgeführten Fälle bundeseigener Verwaltung anknüpfe und damit nicht zum Ausdruck bringe, dass der Bund von Abs. 3 nur Gebrauch machen dürfe, wenn er keine Möglichkeit zur Einrichtung einer bundeseigenen Behörde habe.455 Es besteht daher zu Gunsten des Bundes ein Wahlrecht des Gesetzgebers zwischen der Einrichtung einer Zentralstelle und der Errichtung einer Bundesoberbehörde. (2) Verhältnis von Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG (a) Trennung oder Verschränkung Das Verhältnis der beiden Kompetenznormen zueinander ist problematisch, weil Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG anders als die übrigen Gesetzgebungskompetenzen keinen materiellen Sachbereich festlegt, sondern einen rein organisationsrechtlichen Gehalt hat, den Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG aufgreift und konkretisiert, dabei aber Gefahr läuft, die in ihm gezogenen Grenzen der Vollzugskompetenz als Zentralstelle durch den Rückgriff auf Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 2. HS GG zu relativieren oder gar zu erweitern.456 Inhaltlich entsprechen sich die beiden Regelungen nur scheinbar, wenn man davon ausgeht, die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes in Nr. 10 werde 452
BVerfGE 110, 33 (51). Obwohl das Grundgesetz in Art. 73 Abs 1 Nr. 10 von der Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes und in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG von der Einrichtung von Zentralstellen, dagegen in Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG von der Errichtung von Bundesoberbehörden spricht, hält sich das BVerfG nicht immer an diese Terminologie (s. BVerfGE 110, 33 (51)). Wenn das Grundgesetz im gegebenen Zusammenhang zwischen Einrichtung und Errichtung unterscheidet, will es damit wohl ein Bedeutungsgefälle zwischen der Errichtung einer selbstständigen Bundesoberbehörde und der Einrichtung einer Zentralstelle zum Ausdruck bringen, was dem allgemeinen Sprachgebrauch – s. Duden, Bd. 10, Bedeutungswörterbuch, S. 320 und 359 – entsprechend würde, wonach man ein Haus errichtet und eine Wohnung einrichtet. 454 BVerfGE 110, 33 (50 f.). 455 Lerche, in: Maunz/Dürig, GG (1992), Art. 87 Rn. 170. 456 BVerfGE 110, 33 (51). 453
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durch seine Verwaltungskompetenz in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG ergänzt, während letztere mit ihrem organisatorischem Gesetzesvorbehalt auf Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG verweise; es bestehe zwar ein Sachzusammenhang, aber keine Deckungsgleichheit; die Regelungsgegenstände seien nicht kongruent, weil die Gesetzgebungszuständigkeit gemäß Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG nur für eine Zusammenarbeit des Bundes und der Länder bestehe, sich aber im Wortlaut der Norm keine Aussagen über die Einrichtung von Behörden und ihren Aufgaben finden ließen.457 Wenn demnach nicht klar ist, um welche Kompetenzform – Gesetzgebungs- oder Verwaltungskompetenz – es geht, würde man nach der im Grundgesetz im Allgemeinen durchgehaltenen Trennung in Gesetzgebungskompetenzen einerseits und Verwaltungskompetenzen andererseits erwarten, dass Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG eine Gesetzgebungskompetenz zum Erlass materiell-rechtlicher Normen und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 eine Kompetenz zur Regelung der Frage enthält, welche dieser Normen vom Bund mit eigenen Behörden durchgesetzt werden können.458 In eine solche Regelungssystematik passt Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG aber nicht so recht, weil dieser mit seinem institutionellen Gesetzesvorbehalt nicht mehr eine reine Gesetzgebungsnorm ist, sondern schon Verwaltungsvollzugscharakter hat und die in ihm enthaltene Befugnis zur Zusammenarbeit in der Kriminalpolizei zwangsläufig zur Voraussetzung hat, dass der Bund auch wie eine Kriminalpolizei agieren kann.459 Die zweite Komponente des Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 – Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes – nimmt insoweit eine Sonderstellung ein, weil Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG keine Beschränkung des Amtes auf Zusammenarbeit enthält und deshalb gefolgert werden könnte, dass der Bund neben der Einrichtung einer Zentralsteller auch noch das Bundeskriminalamt als Bundesoberbehörde konzipieren könnte. Dazu werden nach wie vor zwei Theorien vertreten. Die Trennungstheorie geht in Anbetracht der aufgezeigten Inkongruenz von einer strikten Trennung der beiden Bestimmungen aus, weil sie materiell-rechtlich und organisationsrechtlich unterschiedliche Regelungsgegenstände aufwiesen; die für die Einrichtung von Zentralstellen erforderlichen Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen ergäben sich allein aus Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG, während Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG materiell-rechtliche Aussagen zu anderen sicherheitsrechtlichen Sachmaterien beinhalte.460 Daraus soll sich ergeben, dass das in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG geregelte Bundeskriminalpolizeiamt eben etwas anderes als die in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG vorgesehene Zentralstelle für die Kriminalpolizei sei und deshalb auch als Bundesoberbehörde eigene Aufgaben übertragen bekommen könne.461 Dagegen sieht die Verschränkungstheorie wegen des engen Sachzusammenhangs der Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG die beiden Bestimmungen kompetenzrechtlich 457
Gröpl, Nachrichtendienste, S. 134. Bäcker, HdBPR, B. Rn. 128. 459 Bäcker, HdBPR, B. Rn. 128. 460 Ahlf, Das BKA als Zentralstelle, S. 76; Ahlf u. a., BKAG, § 2 Rn. 8; Gusy, DVBl 1993, 1117 (1118 f.); Becker, DÖV 1978, 551 (553 f.). 461 Ahlf, Das BKA als Zentralstelle, S. 32 ff. 458
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derart miteinander verschränkt, dass ihre Inhalte und Grenzen nur in einer Gesamtschau beider bestimmt werden könnten.462 Die Vertreter der Verschränkungstheorie gehen deshalb von einen einheitlichen Regelungsgegenstand aus und schließen aus, dass das Bundeskriminalamt im Sinne von Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG über weitergehende Befugnisse als die Zentralstelle nach Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG verfügen kann.463 Für die Verschränkungstheorie und ihre Ablehnung einer im Grundgesetz vorgesehenen Möglichkeit der Einrichtung von zwei verschiedenen Kriminalpolizeilichen Institutionen auf Bundesebene spricht die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes. Bestimmender Gedanke der Beratungen im Parlamentarischen Rat war in Übereinstimmung mit den Vorstellungen der alliierten Militärgouverneure, dass eine föderalistische Sicherheitsstruktur mit primär zur Sicherheitsgewährleistung berufenen Ländern die bestmögliche Garantie für eine demokratische Entwicklung und gegen die Wiederkehr einer auf der Bundesebene angesiedelten zentralistischen kriminalpolizeilichen Behörde, die in ihrer kompetenziellen Ausstattung als Überwachungsapparat missbraucht werden könnte, sein würde.464 Dem würde eine Konzeption des Bundeskriminalamtes als Zentralstelle und Bundesoberbehörde widersprechen. Wie die genetische kommt auch eine systematische – Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG einbeziehende – Auslegung zum gleichen Ergebnis. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus setzt entsprechende operative Eingriffsbefugnisse voraus, die dem Bundeskriminalamt im Bundeskriminalamtsgesetz a.F.465 in den §§ 20a – x und im Bundeskriminalamtsgesetz n.F.466 in den §§ 38 – 62 übertragen worden sind. Bei diesen Befugnissen handelt es sich neben der Generalklausel und den informationellen Befugnissen zur Datenerhebung auch um aktionelle Befugnisse467, mit denen das Amt unmittelbar wirksame Maßnahmen zur Gefahrenabwehr treffen kann, um den Terrorismus effektiv zu bekämpfen. Für das Bundesverfassungsgericht diente die Einführung des Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG von vornherein dem Zweck, das Bundeskriminalamt mit der Bekämpfung des internationalen Terrorismus durch die operativen Befugnisse des Bundeskriminalamtsgesetzes zu betrauen.468 Nach dem Wortlaut des neuen Kompetenztitels „Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt“ lässt sich die Verwaltungskompetenz des Amtes als Bundesbehörde jedenfalls auf eine Zusammenschau 462
Burgi, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 87 Rn. 45; Heintzen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, Art. 73 Rn. 97; Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 231; Abbühl, Aufgabenwandel, S. 78 ff. 463 Burgi, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 87 Rn. 45; Lerche, in: Maunz/ Dürig, GG (1992), Art. 87 Rn. 137. 464 Gusy, DVBl 1993, 1117 (1119); Abbühl, Aufgabenwandel, S. 79 ff. 465 Art. 1 Terrorismusabwehrgesetz vom 25. 12. 2008, BGBl I, S. 3083. 466 BKAG vom 1. 6. 2017, BGBl I, S. 1354. 467 Kingreen/Poscher, POR, § 11 Rn. 6 ff. 468 BVerfGE 141, 220 (264).
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
von Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG stützen.469 Die außerhalb der Nr. 10 erfolgte Regelung der Nr. 9a für eine erstmals operativ zur Gefahrenabwehr befugte Bundesbehörde spricht dafür, dass sich aus einer Zusammenschau der Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG eben keine Verwaltungskompetenz des Bundeskriminalamtes als Bundesoberbehörde mit eigenen Befugnissen ableiten lässt. (b) Eingriffsbefugnisse der Zentralstellen In einer Gesamtschau von Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG ist auch zu klären, welche Bedeutung die Begriffe Zusammenarbeit und Zentralstelle für die Ausstattung des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit Eingriffsbefugnissen haben. Dazu ist es allerdings erforderlich abzuklären, was unter Eingriffsbefugnissen zu verstehen ist. Zu unterscheiden ist die Tätigkeit der beiden Ämter, wenn diese Informationen erheben, speichern, ändern, nutzen und übermitteln, von der mittels aktioneller Maßnahmen ausgeübten operativen Tätigkeit.470 Wenn das Bundeskriminalamt als Zentralstelle Informationen sammelt und auswertet und das Bundesamt für Verfassungsschutz Unterlagen zum Zweck des Verfassungsschutzes sammelt und auswertet, geht es um informationelle Maßnahmen, die nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Urteil zum Volkszählungsgesetz nicht mehr als schlicht-hoheitliche Maßnahmen gewertet werden konnten, weil jeder Umgang mit personenbezogenen Daten als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einzustufen war.471 Informationelle Maßnahmen der beiden Ämter sind als Speicherung, Änderung und Nutzung der ihnen von den jeweiligen Landebehörden übermittelten Daten Grundlage der Zusammenarbeit und können dem Bundeskriminalamt und dem Bundesamt für Verfassungsschutz nicht vorenthalten werden. Ob den beiden Ämtern aber darüber hinaus eigene Datenerhebungsbefugnisse und operative aktionelle Befugnisse im Sinne außenwirksamer Maßnahmen zustehen, ist eine höchst strittige Frage. Als unstreitig kann gelten, dass beide Ämter gemäß Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG als zur Gewährleistung der Zusammenarbeit von Bund und Ländern Verpflichtete die entsprechenden Bundes- und Landesbehörden informationell verklammern und ihr Handeln bei Abstimmungsbedarf koordinieren können.472 Im Hinblick auf die Ausstattung mit originären Eingriffsbefugnissen der beiden Ämter hat das Bundesverfassungsgericht nur entschieden, dass Zentralstellen gemäß Art. 87 Abs. 1 Satz 2 im Wesentlichen auf die Wahrnehmung von Koordinationsaufgaben beschränkt sind473 ; über deren Umfang und Grenzen und einer zulässigen Ausstattung
469 470 471 472 473
BVerfGE 141, 220 (264). S. dazu 3. Teil, 3. Abschnitt, A. BVerfGE 65, 1 (42 f.). Bäcker, HdBPR, B. Rn. 129. BVerfGE 110, 33 (51).
3. Abschn.: Grundgesetz
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der Ämter mit Eingriffsbefugnissen hatte das Gericht nicht zu entscheiden, so dass der Begriff der Zentralstelle insoweit nicht konkretisiert worden ist.474 Demgegenüber legt die überwiegende Auffassung in der Literatur die Begriffe Zusammenarbeit und Zentralstelle weit aus und hält es für verfassungsrechtlich zulässig, wenn das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz gegenüber Landespolizeibehörden und Landesverfassungsschutzbehörden weisungsbefugt sind und auch mit außenwirksamen eigenen Eingriffsbefugnissen ausgestattet werden und zwar auch dann, wenn es nicht mehr um Zusammenarbeit und Zentralstellenfunktion geht.475 Diese Auffassung ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, weil Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG restriktiv ausgelegt werden müssen. Der Bund kann aus diesen Bestimmungen nur eine beschränkte Gesetzgebungskompetenz ableiten, die ihn zur Regelung der Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten der Kriminalpolizei, der internationalen Verbrechensbekämpfung und des Schutzes der Verfassung ermächtigt.476 Hinsichtlich der Zusammenarbeit des Bundes und der Länder gemäß Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 a) – c) GG und der Zentralstellenfunktion aus Art. 73 Abs. 1 Satz 2 GG ist dabei zu differenzieren, ob es um das Bundeskriminalamt oder das Bundesamt für Verfassungsschutz geht, weil der Bundesgesetzgeber die Eingriffsbefugnisse der beiden Ämter unterschiedlich ausgestaltet hat. bb) Bundesgrenzschutzbehörden Durch Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG wird der Bund ermächtigt, durch Gesetz Bundesgrenzschutzbehörden einzurichten, so dass der Bundesgesetzgeber in Abweichung von der Regelzuständigkeit der Länder gemäß Art. 30 und 83 GG die Aufgabe des polizeilichen Schutzes der Bundesgrenze selbst übernehmen und zu diesem Zweck auch eine eigene Behördenorganisation einrichten kann.477 (1) Einrichtung durch Bundesgesetze Der Bund hatte mit dem Gesetz über den Bundesgrenzschutz und die Einrichtung von Bundesgrenzschutzbehörden vom 16. 3. 1951478 den Bundesgrenzschutz geschaffen. Die Umbenennung des Bundesgrenzschutzes in Bundespolizei durch
474
Bäcker, HdBPR, B. Rn. 130. Abbühl, Aufgabenwandel, S. 93 ff. und 100 ff.; Dittmann, Bundesverwaltung, S. 232 f.; Burgi, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 87 Rn. 47; Hermes, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 87 Rn. 48; Werthebach/Droste, in: BK, Art. 73 Rn. 76 ff. und 131 f.; s. dazu näher C. IV. 2. a) cc) (2). 476 Bäcker, HdBPR, B. Rn. 132. 477 BVerfGE 97, 198 (214). 478 BGBl I, S. 201. 475
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Gesetz vom 21. 6. 2005479, die außer der neuen Namensgebung keine organisatorischen Folgen hatte, sollte dem Umstand gerecht werden, dass der Bundesgrenzschutz sich zu einer multifunktionalen Polizei des Bundes entwickelt hatte.480 Erst die durch Gesetz vom 26. 2. 2008 erfolgte Reform der Bundespolizei führte zu einer neuen Organisationsstruktur481 mit dem Bundespolizeipräsidium als „Bundesoberbehörde sui generis“ und den Bundespolizeidirektionen – einschließlich der ihnen unterstellten Bundespolizeiinspektionen als unselbstständige Organisationseinheiten –, die hierarchisch als Unterbehörden fungieren. (2) Aufgaben kraft Verfassung Die Aufgabe zum polizeilichen Schutz des Bundesgrenze wird in Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 durch das Grundgesetz selber übertragen und umfasst sowohl die polizeiliche Überwachung der Grenze einschließlich der Abwehr von Gefahren für die Grenzanlagen als auch die Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs.482 Außerdem weisen die Art. 35 Abs. 2 und 3 sowie Art. 91 GG dem Bundesgrenzschutz grenzunabhängig Aufgaben zu, die mit Störungen der öffentlichen Sicherheit und Katastrophen sowie Notstandsfällen zu tun haben. Gemäß Art. 115 f. Abs. 1 Nr. 1 GG kann der Bundesgrenzschutz im Verteidigungsfall eingesetzt werden. (3) Verfassungsrechtliche Beschränkung der Bundespolizei auf sonderpolizeiliche Aufgaben Über die im Grundgesetz selber ausdrücklich zugewiesenen Aufgaben hinaus können der Bundespolizei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der h.M. unter bestimmten Voraussetzungen sonstige Sicherheitsaufgaben zugewiesen werden483, sofern sich der Bund dafür auf eine Verwaltungskompetenz außerhalb des Grenzschutzes gemäß Art. 87 Abs. 1 GG berufen kann. In Betracht kommen die Aufgaben der Aufrechterhaltung der Sicherheit des Flug- (Art. 87d GG), Eisenbahn- (Art. 87e GG) und Schiffsverkehrs (Art. 89 GG). In einem Normenkontrollverfahren hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 28. 1. 1998484 die durch den Bundesgesetzgeber vorgenommene Übertragung von Aufgaben der Bahnpolizei und der Sicherung der Flughäfen auf den Bundesgrenzschutz für zulässig gehalten, dabei allerdings deutlich gemacht, dass der Bundesgrenzschutz nicht zu einer allgemeinen, mit den Landespolizeien konkur479
BGBl I, S. 1818. Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1, Rn. 95; Ronellenfitsch, VerwArch 90 (1999), 139 (145 ff.). 481 BGBl I, S. 215. 482 Hermes, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 87 Rn. 37 f. 483 BVerfGE 97, 198 (217 f.); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 87 Rn. 4; Burgi, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 87 Rn. 42; Hermes, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 87 Rn. 40. 484 BVerfGE 97, 198 ff. 480
3. Abschn.: Grundgesetz
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rierenden Bundespolizei ausgebaut werden darf, weil er dann sein Gepräge als Polizei mit begrenzten Aufgaben verlieren würde. Nach Auffassung des Gerichts macht es die Entscheidung der Verfassung, die Polizeigewalt in die Zuständigkeit der Länder zu geben und aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit, der Bundesstaatlichkeit und des Grundrechtsschutzes den Ausnahmefall einer Bundespolizei in der Verfassung zu begrenzen, erforderlich, das Gepräge des Bundesgrenzschutzes als einer Sonderpolizei zur Sicherung der Grenzen des Bundes (Art. 87 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG) und zur Abwehr bestimmter, das Gebiet oder die Kräfte eines Landes überschreitender Gefahrenlagen (Art. 35 Abs. 2 und 3, 91, 115 f. Abs. 1 Nr. 1 GG) zu wahren.485 Diese Auffassung hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 2. 6. 2015 bestätigt.486 Stimmen in der Literatur gingen seinerzeit davon aus, dass dem Bund für die Übertragung der Aufgaben der Bahnpolizei und der Flughafensicherung keine Verwaltungskompetenz aus Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG zur Verfügung stand, weil diese Aufgaben keinen Grenzbezug hatten; jede Aufgabe der Bundesgrenzschutzbehörden müsse einen sachlichen und nicht nur einen örtlichen Bezug zum Grenzverkehr haben, der beim Eisenbahnbetrieb und bei der Flugsicherung allenfalls punktuell existiere.487 Angesichts der laufenden Bestrebungen des Bundes zur Ausweitung der Aufgaben der Bundespolizei, die sie zu einer allgemeinen Polizei machen würden, erscheinen die vom Bundesverfassungsgericht gezogenen Grenzen jedenfalls als ausreichend. Bäcker weist allerdings zu Recht darauf hin, dass Bestrebungen zur Einrichtung einer allgemeinen Bundespolizei schon daran scheitern, dass die dafür erforderlichen Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen schlichtweg nicht vorhanden sind.488 (4) Verfassungswidrige Aufgabenzuweisungen an die Bundespolizei Kompetenzwidrig ist § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BPolG, der die Unterstützung des Bundeskriminalamts durch die Bundespolizei beim Schutz der Verfassungsorgane des Bundes vorsieht, weil das Bundeskriminalamt dafür keinen verfassungsrechtlichen Auftrag hat.489 Mit der Verfassung unvereinbar ist auch der Erlass des Bundesinnenministeriums vom 2. 3. 2015490, mit dem der Bundespolizei gemäß § 5 BPolG der Objektschutz der Zentrale der Deutschen Bundesbank in Frankfurt übertragen wurde. Der Objektschutz des § 5 BPolG erstreckt sich nur auf Bundesorgane; das sind die im Grundgesetz vorgesehenen obersten Bundesorgane: Bundestag, Bundesrat, Bundespräsident, Bundeskanzler und Bundesverfassungsgericht.
485 486 487 488 489 490
BVerfGE 97, 198 (218). BVerfGE 139, 194 (227). Papier, DVBl 1992, 1 (3 f.). Bäcker, HdBPR, B. Rn. 165. Bäcker, HdBPR, B. Rn. 152 und 173. BAnz, Bekanntmachung vom 2. 4. 2015, veröffentlicht am 9. 4. 2015.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Da die Deutsche Bundesbank nicht dazu gehört, konnte der Objektschutz für sie nicht auf die Bundespolizei übertragen werden.491 cc) Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz als Zentralstellen Zentralstelle ist eine verfassungsgesetzlich positivierte Sonderform einer Bundesoberbehörde492 und institutionelles Bindeglied in einem auf Koordination und Zusammenarbeit angelegten Konzept der Sicherheitsverwaltung im föderalen Staat, in dem die Zentralstelle für das Angewiesensein des Bundes auf eine Zusammenarbeit mit den Ländern steht.493 Wegen dieses engen Bezugs auf die Länder wird der Verwaltungsvollzug durch eine Zentralstelle auch als zulässige Ausnahme vom Verbot der Mischverwaltung betrachtet.494 Zentralstellen sind funktional limitiert, weil sie keine Vollkompetenz im Sinne einer Sachkompetenz wie eine Oberbehörde haben.495 Deshalb kann der Bund die ihm in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG zugewiesenen Aufgaben nicht in der Sache ausschöpfen, sondern nur als Koordinationsaufgabe dadurch wahrnehmen, dass er für dauerhafte gegenseitige Information, Abstimmung und Unterstützung sorgt.496 In dieser Koordinierungsfunktion unterscheidet sich die Zentralstelle als alternative Form des Bundesverwaltungsvollzugs von einer Bundesoberbehörde, mit der sie im Übrigen bezüglich der bundesweiten Zuständigkeiten, des fehlenden Unterbaus nachgeordneten Behörden und der Errichtung nur durch Bundesgesetz Gemeinsamkeiten aufweist. Zentralstellen können ausschließlich für die in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG Bereiche eingerichtet werden, während der Bund nach Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG eine Bundesoberbehörde in allen Angelegenheiten errichten kann, für die ihm eine Gesetzgebungskompetenz zusteht. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob der Bund Einrichtungen schaffen kann, die sowohl Zentralstelle als auch Bundesoberbehörde sind. (1) Bundeskriminalamt (a) Doppelzentralstelle und Servicefunktion Im Bundeskriminalamt sind die Zentralstellen für das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen und für die Kriminalpolizei vereinigt, weil kriminalpolizeilich 491 A.A. Wagner/Schmidt, DP 2016, 109 (110), die die Unterschutzstellung auf § 29 Abs. 1 Satz 1 BBankG stützen wollen. 492 Jestaedt, in: Umbach/Clemens, GG, Bd. II, Art. 87 Rn. 79. 493 Burgi, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 87 Rn. 32; Abbühl, Aufgabenwandel, S. 360 ff. 494 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 87 Rn. 5; Burgi, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 87 Rn. 32 kennzeichnet die Zentralstelle pointiert als Verwaltungsorgan der Mischverwaltung. 495 Gusy, DVBl 1993, 1117 (1120). 496 Ibler, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87 Rn. 117.
3. Abschn.: Grundgesetz
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relevante Informationen regelmäßig für beide Zentralstellen von Bedeutung sind.497 Als Zentralstelle kann das Amt die Tätigkeit der Landespolizeibehörden in der Kriminalpolizei und im internationalen Verkehr informationell verklammern, die Landespolizeibehörden fachlich vielfältig unterstützen und ihr Handeln bei Abstimmungsbedarf koordinieren.498 Der Koordinationsauftrag beschränkt sich nicht auf die Festlegung genereller Verfahrensweisen, sondern kann auch in Einzelfällen ausgeübt werden. Der Begriff Kriminalpolizei in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG ist inhaltlich mit dem Begriff der Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in der Kriminalpolizei in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 a) GG identisch. Beide Bestimmungen geben dem Bund eine fakultative Verwaltungskompetenz in Form einer Zentralstelle mit Koordinierungsaufgaben.499 Als Zentralstelle erbringt das Amt neben seiner Koordinierungsaufgabe in Servicefunktion mannigfache Dienstleistungen zur fachlichen Unterstützung der Polizeien des Bundes und der Länder, indem es einen einheitlichen polizeilichen Informationsverbund unterhält, kriminaltechnische Forschung betreibt, Aus- und Fortbildungsveranstaltungen auf kriminalpolizeilichen Spezialgebieten durchführt und strategische und operative Analysen, Statistiken, einschließlich der Kriminalstatistik, und Lageberichte erstellt sowie polizeiliche Methoden und Arbeitsweisen der Kriminalitätsbekämpfung erforscht und entwickelt.500 (b) Übernahme sonstiger Aufgaben als Zentralstelle Streitig ist, ob das Bundeskriminalamt über die gerade beschriebenen Tätigkeiten hinaus als Zentralstelle agieren kann. Als unproblematisch kann insoweit seine Tätigkeit gemäß § 3 Abs. 1 BKAG als Nationales Zentralbüro der Bundesrepublik Deutschland für die Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation und als nationale Stelle für Europol nach § 1 Europol-Gesetz gesehen werden, weil die damit verbundenen Tätigkeiten ebenfalls auf die Erbringung von Servicedienstleistungen beschränkt sind. Das gilt auch für den vom Bundeskriminalamt organisierten Informationsaustausch als zentrale nationale Stelle gemäß Art. 39 Abs. 3 und Art. 46 Abs. 2 des Schengener Durchführungsabkommens, der dem Amt nach § 3 Abs. 2 BKAG obliegt. (aa) Strafverfolgung Problematisch ist aber § 4 BKAG, der dem Bundeskriminalamt in Abs. 1 Nrn. 1 – 6 eigene polizeiliche Aufgaben zur Strafverfolgung zuweist und in Abs. 2 497
Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 87 Rn. 6; Ibler, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87 Rn. 129; Hebeler, in: Friauf/Höfling, BK GG, Art. 87 Rn. 33. 498 Bäcker, HdBPR, B. Rn. 129. 499 Ibler, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87 Rn. 132; a.A. Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 73 Rn. 250. 500 S. § 2 Abs. 3 – 6.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
das Amt zur Strafverfolgung als eigene Aufgabe ermächtigt, wenn eine zuständige Landesbehörde darum ersucht, der Bundesminister des Inneren es nach Unterrichtung der obersten Landesbehörde aus schwerwiegenden Gründen anordnet oder der Generalbundesanwalt darum ersucht oder einen Auftrag erteilt. Über diese Strafverfolgungsbefugnisse verfügt das Amt seit seiner Einrichtung. Sie werden von der h.M. als nicht näher begründete Ausnahmebefugnisse gesehen501 oder sind auf Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 mit der Begründung gestützt worden, dass im Unterschied zur Zentralstelle für das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen der Aufgabenkreis der Zentralstelle für die Kriminalpolizei die Gesamtheit der Tätigkeiten umfasse, die auf die repressive und die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten gerichtet sei.502 Außerdem wird zur Begründung der Strafverfolgungskompetenz in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG eine über Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG hinausgehende, zusätzliche Verwaltungskompetenz hineingelesen.503 Diese Begründungen überzeugen nicht, weil die Strafverfolgungsbefugnisse des Bundeskriminalamtes kompetenzrechtlich heikel sind.504 Auch wenn die Befugnisse auf Sachverhalte mit einem ausreichenden Bundesbezug beschränkt werden, fehlt eine handhabbare kompetenzrechtliche Grenze zur grundsätzlichen Strafverfolgungskompetenz der Länder.505 Aus den Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG folgt nicht, dass das Bundeskriminalamt zur Strafverfolgung berufen ist. Deshalb geht die zutreffende Mindermeinung davon aus, dass als verfassungsrechtliche Grundlage für eine Ermittlungstätigkeit des Amtes nur Art. 96 Abs. 5 GG herangezogen werden kann, es also lediglich in den dort genannten Fällen der Gerichtsbarkeit des Bundes im Zusammenwirken mit dem Generalbundesanwalt selbst ermitteln kann.506 Auf besondere Kritik stößt, dass nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BKAG der für Strafverfolgung ganz und gar unzuständige Bundesinnenminister aus nirgends definierten Gründen die Zuständigkeit von Landesbehörden beseitigen und auf das Bundeskriminalamt übertragen kann, was allen föderalen und verfahrensrechtlichen Strukturprinzipien widerspricht.507
501
Gröpl, Nachrichtendienste, S. 280. Burgi, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 87 Rn. 45; Hermes, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 87, Rn. 50; Oebbecke, HStR VI, § 136 Rn. 123. 503 Abbühl, Aufgabenwandel, S. 362; Ahlf, BKA als Zentralstelle, S. 32. 504 Bäcker, Terrorismusabwehr, S. 25; ders., HdBPR, B. Rn. 134; Denninger/Poscher, HdBPR (5. Aufl.), B. Rn. 157; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 87 Rn. 6; Paeffgen, StV 2002, 336 (339); Kingreen/Poscher, POR, § 4 Rn. 3. 505 Bäcker, Terrorismusabwehr, S. 25. 506 Kingreen/Poscher, POR, § 4 Rn. 3; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 87 Rn. 6; Bull, AK-GG, Art. 87 Rn. 78; Bäcker, Terrorismusabwehr, S. 26 f.; Gusy, DVBl. 1993, 1117 (1124); Werthebach/Droste, BK, Art. 73 Nr. 10 Rn. 132; abl. Oebbecke, HStR VI, § 136 Rn. 123. 507 Denninger/Poscher, HdBPR (5. Aufl.), B. Rn. 157. 502
3. Abschn.: Grundgesetz
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(bb) Schutzaufgaben Das Bundeskriminalamt hat begrenzte Schutzaufgaben gemäß § 6 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 BKAG für die Mitglieder der Verfassungsorgane und ihre Gäste sowie für die Leitung des Amtes. Weil es sich nicht um kriminalpolizeiliche Aufgaben handelt, kommen Art. 87 Abs. 1 Satz 2 und Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 als Kompetenzgrundlagen für diese Aufgabe der Gefahrenabwehr nicht in Betracht. Die innere Systemlosigkeit der Regelung zeigt sich auch darin, dass die Schutzaufgaben nicht der Bundespolizei, sondern einem kriminalpolizeilichen Amt übertragen werden, dem dann gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 BPolG Kräfte der Bundespolizei unterstellt werden müssen, damit es die Schutzaufgaben überhaupt wahrnehmen kann.508 (c) Bundesoberbehörde Die Aufgabe der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus nimmt das Amt nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als Bundesoberbehörde wahr, weil sich seine Verwaltungskompetenz als Bundesbehörde mit operativen Befugnissen aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG ergibt.509 (2) Bundesamt für Verfassungsschutz Die verfassungsrechtliche Ausgangslage des Bundesamtes unterscheidet sich von der des Bundeskriminalamtes dadurch, dass das Grundgesetz die Aufgabe der Gefahrenabwehr als prinzipiell ungeteilte der Polizeihoheit der Länder überlässt, die Aufgaben des Schutzes der Verfassung dagegen als zwischen Bund und Länder geteilte begründet.510 Der Bund trägt die Verantwortung für die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Schutzes der Verfassung, aber nicht für den Gegenstand Verfassungsschutz als solchen. Reduziert man den Bund auf die Organisation der Zusammenarbeit, stellt sich die Frage, ob er dafür über eigene Befugnisse zur Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von personenbezogenen Daten – wie sie in den §§ 8, 8a,d und 9 BVerfSchG geregelt sind – verfügt. Eine rigide Auffassung schließt das aus; die Tätigkeit des Bundes in Sachen Verfassungsschutz bedürfe des ständigen Bezugs auf das Handeln der Landesämter, sodass ihm ein eigenständiges, die Länder außen vor lassendes Handeln von Verfassungs wegen verwehrt sei.511 Für diese Auslegung spricht der Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen, wonach der Bund die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder zu organisieren hat und dafür eine Zentralstelle unterhalten kann, die das Handeln der Länder untereinander und das zulässige Handeln des Bundesamtes bei seiner Informationsbeschaffung und -verarbeitung im Rahmen seiner Zentralstellenfunktion nach § 3 BVerfG miteinander informationell ver508 509 510 511
Denninger/Poscher, HdBPR (5. Aufl.), B. Rn. 158. BVerfGE 141, 220 (263 f.). Bäcker, HdBPR, B. Rn. 230. Bäcker, DÖV 2011, 840 (844).
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
klammert, die Landesbehörden fachlich unterstützt und ihr Handeln koordiniert.512 Diesen Auftrag könne das Bundesamt auch dann wahrnehmen, wenn es sich darauf beschränke, die Landesbehörden zu unterstützen, miteinander zu vernetzen und ihr Handeln zu koordinieren; aus eigener Initiative neue Erkenntnisse gewinnen zu können, sei dafür nicht erforderlich, denn das Bundesamt sei nun mal von Verfassungs wegen als Zentralstelle und damit als Koordinierungs- und Servicebehörde – wie das Bundeskriminalamt nach § 2 BKAG auch – konzipiert;513 dem Bund fehle damit die Kompetenz, das Bundesamt mit eigenen Kompetenzen auszustatten, die es ihm ermöglichten, sich eigene Erkenntnisziele zu setzen und autonom mit eigenen Mitteln zu verfolgen.514 Stellt man in einer systematischen und teleologischen Auslegung darauf ab, dass zu einer Zusammenarbeit in Sachen Verfassungsschutz zwangsläufig gehört, dass das Bundesamt über die Befugnisse verfügen können muss, die den Landesbehörden durch das Bundesverfassungsschutzgesetz zugewiesen worden sind, so wird man ihm diese Befugnisse nicht vorenthalten können, damit es die von den Landesbehörden angelieferten Informationen nach seinem Dafürhalten ergänzen und abrunden kann. Der Bundesgesetzgeber hat sich aber auch davon weit entfernt, indem er seine Gesetzgebungskompetenz aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 b) und c) und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG extensiv genutzt hat. Hatte sich der Bund bei Eingriffsbefugnissen für das Bundeskriminalamt bislang zurückgehalten und ihnen keine originären Befugnisse zu außenwirksamen Maßnahmen übertragen, weil er ansonsten verfassungsrechtlich unzulässig in die Polizeihoheit der Länder eingegriffen hätte, so hat er das Bundesamt für Verfassungsschutz in § 5 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG und das Amt und die Landesbehörden gemäß § 1 und §§ 3 ff. Artikel 10-G mit originären Eingriffsbefugnissen jenseits seiner Zentralstellenfunktion ausgestattet. Stein des Anstoßes ist zunächst § 5 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG, der es dem Bundesamt erlaubt, in einem Bundesland im Benehmen mit der Landesbehörde selber Informationen, Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen im Sinne von § 3 zu sammeln. Auf der Grundlage dieser Eingriffsbefugnis kann der Bund nach eigenen Vorstellungen eigenständig Informationen über von ihm für verfassungsfeindlich gehaltene Bestrebungen sammeln und sich dafür die Befugnisse der §§ 8 ff. BVerfSchG nutzbar machen. Das Artikel 10-Gesetz erlaubt den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder in § 1 und §§ 3 ff. die Individualüberwachung der Post- und Telekommunikation einzelner Personen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass die Betroffenen bestimmte Staatsschutz-, Tötungs- oder gemeingefährliche Delikte oder andere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand des Bundes oder eines Landes gerichtete Straftaten planen, begehen oder begangen haben. Seit der Änderung des Artikel 10-Gesetzes
512 513 514
Bäcker, HdBPR, B. Rn. 231. Bäcker, HdBPR, B. Rn. 232; ders., GSZ 2018, 213 (215). Bäcker, HdBPR, B. Rn. 233.
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vom 14. 8. 2017515 ist die Überwachung auch zur Abwehr von Hackerangriffen, die sich gegen die innere und äußere Sicherheit richten, erlaubt. Für diese Befugnisausweitungen findet sich keine kompetenzrechtliche Grundlage im Grundgesetz.516 Im Hinblick auf die die Ausweitung tragende h.M. wendet sich Bäcker zu Recht gegen eine zu weite Auslegung der genannten Kompetenznormen, die das Risiko mit sich bringt, dass der Bund die Aufgabe des Verfassungsschutzes als solche an sich zieht und sich dieses Risiko noch dadurch vergrößert, wenn im gegebenen Zusammenhang der Überwachung auch Weisungsrechte des Bundesamtes gegenüber den Verfassungsschutzbehörden der Länder für zulässig gehalten werden.517 Der engen Auslegung der Kompetenztitel aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 b) und Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG lässt sich nicht entgegenhalten, dass dem Bund dadurch die Mittel verwehrt würden, die er haben müsse, um seine Aufgabe des Schutzes der Verfassung erfüllen können.518 Abgesehen davon, dass der Schluss von der übertragenen Aufgabe auf die zu ihrer Wahrnehmung notwendigerweise mitübertragenen Befugnisse mit dem Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes nicht zu vereinbaren wäre, wird von der Gegenauffassung nicht dargetan, warum dem Bund für die Gewährleistung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in Angelegenheiten des Schutzes der Verfassung eigene Befugnisse zu Gebote stehen müssten.519 Als Fazit ist festzuhalten, dass dem Bundesgesetzgeber jedenfalls die Gesetzgebungskompetenz dafür fehlt, das Bundesamt mit eigenen, nicht mit den Landesbehörden geteilten Informationsbeschaffungs- und -verarbeitungsbefugnissen auszustatten. dd) Zollvollzugsdienst Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Zollvollzugsdienst als Bundesfinanzpolizei mit bereichsspezifischen polizeilichen Aufgaben folgt aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG. Außer dem dort aufgeführten Zollschutz gibt dieser Kompetenztitel dem Bund auch die Befugnis zur umfassenden Regulierung des Außenwirtschaftsverkehrs einschließlich der Übertragung präventivpolizeilicher Aufgaben und Befugnisse.520 Die Verwaltungskompetenz des Bundes für den Zollvollzugsdienst folgt im Wesentlichen aus Art. 108 Abs. 1 Satz 1 GG. Sein hierarchischer Aufbau einschließlich des Zollkriminalamtes beruht auf Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG.
515
BGBl I, S. 3202. Bäcker, HdBPR, B. Rn. 233; ders., DÖV 2011, 840 (843 f.). 517 Bäcker, DÖV 2011, 840 (843). 518 Bäcker, DÖV 2011, 840 (843); a.A. unter Berufung auf BVerfGE 30, 1 (20) Lerche, in: Maunz/Dürig, GG (1992), Art. 87 Rn. 133 ff.; Gröpl, Nachrichtendienste, S. 142 ff. 519 Bäcker, HdBPR, B. Rn. 231; ders., DÖV 2011, 840 (844); ders., DÖV 2012, 560 ff.; a.A. Risse/Kathmann, DÖV 2012, 555 (556 ff.). 520 BVerfGE 110, 33 (47 f.). 516
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
ee) Zusammenlegungen Die Werthebach-Kommission schlug in ihrem Bericht vom Dezember 2010521 vor, die Polizeien des Bundes neu zu organisieren und Bundespolizei und Bundeskriminalamt in einer Behörde – etwa in einer in das Bundesinnenministerium implementierten Generaldirektion – zusammenzuführen. Eine solche organisatorische Zusammenlegung stünde nicht im Gegensatz zu Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG, sofern die Sonderstellung des Bundeskriminalamtes als Zentralstelle erhalten bliebe.522 Eine Zusammenlegung der Zentralstellen beim Bundeskriminalamt und beim Bundesamt für Verfassungsschutz kommt wegen der unterschiedlichen Aufgaben von Polizei und Nachrichtendienst nicht in Betracht.523
D. Rechtsstaatliche Vorgaben I. Inhalt und Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips 1. Geschriebene und ungeschriebene Einzelgehalte Das Rechtsstaatsprinzip hat als eines der elementarsten Prinzipien des Grundgesetzes in diesem ausdrückliche Regelungen erfahren524, ist aber darüber hinaus in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in neuen Einzelgehalten konkretisiert worden, wozu die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Bestimmtheit und des Vertrauensschutzes gehören.525 Das Rechtsstaatsprinzip umfasst also geschriebene und ungeschriebene rechtliche Bindungen und Kontrollen, die die Staatsgewalt bei der Wahrnehmung der ihr übertragenen Aufgaben zu beachten hat. Allerdings ist wegen deren Weite und Unbestimmtheit von Bestandteilen des Rechtsstaatsprinzips bei der Ableitung konkreter Bindungen und Folgen behutsam zu verfahren.526 2. Rechtsstaat als Regel, Grundsatz und Prinzip Die Einzelgehalte des Rechtsstaatsprinzips sind in ihrer normativen Qualität unterschiedlich.527 Es kann sich um Rechtsregeln, allgemeine Rechtsgrundsätze oder 521
BT-Drs. 14/8007, 22 f. S. dazu Ibler, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87 Rn. 125 Fn. 12. 523 Ibler, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87 Rn. 125; a.A. Hermes, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 87 Rn. 36. 524 Hermes, in: Dreier, GG, Bd. III, Art. 87 Rn. 36 m.w.N. 525 Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 77. 526 Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 78. 527 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 40. 522
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Prinzipien handeln.528 Regeln gelten unmittelbar und müssen beachtet werden; sie können entweder erfüllt oder nicht erfüllt werden529, bei ihnen geht es um alles oder nichts.530 Allgemeine Rechtsgrundsätze sind von Regeln zu unterscheiden, weil ihr Geltungsanspruch durch Ausnahmen durchbrochen werden kann.531 Prinzipien gelten grundsätzlich ausnahmslos, können aber in ihrem Geltungsanspruch durch zuwiderlaufende Prinzipien beschränkt werden; in ihrer Abwägungsfähigkeit und Abwägungsbedürftigkeit handelt es sich um Optimierungsgebote, die mehr oder weniger umgesetzt werden können.532 Das Rechtsstaatsprinzip wird teils als allgemeiner Rechtsgrundsatz533, teils als Prinzip534 und teils als Optimierungsgebot535 verstanden. Seine normative Qualität kann aber nur im Hinblick auf den jeweils relevanten Einzelgehalt beurteilt werden.
II. Einzelgehalte des Rechtsstaatsprinzips 1. Grundrechtsschutz a) Existenz von Grundrechten als essentielle Voraussetzung des Rechtsstaats Einen Rechtsstaat ohne Grundrechte kann es nicht geben, weil die Idee des Rechtsstaats und die Garantie der Freiheitsrechte zusammengehören; die Gewährleistung der Grundrechte macht den formellen Rechtsstaat zum materiellen.536 Diese Zusammengehörigkeit zeigt sich auch darin, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowohl auf das Rechtsstaatsprinzip als auch auf die Grundrechte selber gestützt wird.537 Mit der Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG ist aus dem Vorbehalt des Gesetzes der Vorbehalt des verhältnismäßigen Gesetzes geworden.538
528
Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 41. Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 24; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 f. 530 Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, § 17 Rn. 17 f. 531 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 42. 532 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 758; Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, § 13 Rn. 22. 533 BVerfGE 7, 89 (92 f.); 52, 131 (144 f.); 141, 1; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 37. 534 Berger, Ordnung, S. 21 und 95 ff. 535 Leisner-Egensperger, JRE 21 (2013). 536 Kloepfer, Grundrechte, § 10 Rn. 25 und 41 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 46 ff.; Grzeszik, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Rn. 35 ff. 537 Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 146 f.; Stern, in: Stern/Becker, Grundrechte-Kommentar, Einleitung, Rn. 154 m.w.N.; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 325. 538 Schlink, EuGRZ 1984, 457 (459 f.); Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 325. 529
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Die Grundrechte sind aber mit der Garantie der staatsfreien Grundrechtssphäre nicht nur Abwehrrechte gegen den Staat, sondern garantieren dem Einzelnen auch den Schutz durch den Staat vor Übergriffen Dritter.539 Diese Funktion der Grundrechte als Schutzrechte beschreibt den Zustand, in dem der Einzelne seine Freiheit nicht ohne den Staat haben kann und verpflichtet die Polizei grundsätzlich zum Einschreiten, wenn ein Grundrecht des Einzelnen durch einen Dritten angegriffen wird. b) Polizeirelevante Grundrechte Von Bedeutung bei der Kriminalitätsbekämpfung sind insbesondere die Menschenwürde, das Allgemeine Persönlichkeitsrecht mit seinen Ausformungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und des Grundrechts auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, der Schutz der Telekommunikation, die Unverletzlichkeit der Wohnungsfreiheit und die körperliche Bewegungsfreiheit. aa) Menschenwürde Art. 1 Abs. 1 GG schützt als oberster Verfassungswert die Menschenwürde, die wegen ihrer Unantastbarkeit jeder Abwägung entzogen und damit absolut geschützt ist.540 Hinsichtlich der Rettungsfolter ist allerdings umstritten, ob das auch für Art. 1 Abs. 1 GG selber gilt oder ob der Achtungsanspruch durch den Schutzanspruch relativiert werden kann.541 Als oberster Verfassungswert ist Art. 1 Abs. 1 GG auch die Rechtsgrundlage für den Leitgedanken des Vorrangs der Prävention vor der Repression, der zum Ausdruck bringen soll, dass die Wahrung des Rechts im Zweifel wichtiger ist als die Sanktionierung seiner Verletzung, die Abwehr drohender Gefahren bedeutsamer als die Verfolgung schon begangener Straftaten.542 Aus der Verpflichtung des Staates zum Schutz seiner Bürger gehört auch, ihn vor Übergriffen Dritter zu schützen. Diese tripolare Ausgestaltung der Schutzpflicht hat stärkeres Gewicht als die bipolare Konfrontation des Staates mit dem Bürger, in der es nur um die Ahndung einer bereits geschehenen und nicht mehr reparablen Schutzgutsverletzung geht; deshalb kann die Aufgabe der Gefahrenabwehr beim Schutz vor Rechtsverletzungen durch Dritte Grundrechtsangriffe gegen diese eher verhältnismäßig erscheinen lassen als die Grundrechtseingriffe des strafenden Staates gegenüber dem Bürger als Straftäter. Die Aufgabe der Gefahrenabwehr hat demnach 539 Stern, in: Stern/Becker, Grundrechte-Kommentar, Einleitung Rn. 85; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 128 ff. 540 Enders, in: Stern/Becker, Grundrechte-Kommentar, Art. 1 Rn. 16 f.; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1 Rn. 10 f. 541 Dreier, in: Dreier, GG, Bd. I, Art. 1 Rn. 133 ff.; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1 Rn. 20 m.w.N.; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 430 ff. 542 Kingreen/Poscher, POR, § 2 Rn. 11; Möstl, Garantie, S. 147 ff. und 152 ff.
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einen weitaus engeren Bezug zu den grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates als das Straf- und Strafverfahrensrecht. Wenn polizeiliches Handeln aber vorrangig dem Schutz des Einzelnen und seiner Grundrechte dient, wären ein Primat der Strafverfolgung und eine Schwerpunktsetzung der Polizeiarbeit in der Strafverfolgung mit dem staatlichen Schutzauftrag nicht vereinbar, weil dieser mit seiner verfassungsrechtlichen Verankerung dem nur einfachgesetzlich geregelten Strafverfolgungsauftrag überlegen ist. bb) Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme Als Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG schützen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das sogenannte Computergrundrecht vor unzulässiger polizeilicher Datenerhebung und Datenverarbeitung zur Kriminalitätsbekämpfung; ersteres garantiert die Rechtsmacht des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden.543 Insoweit gibt es kein belangloses Datum mehr, weil durch die Verknüpfungsmöglichkeit der Datenverarbeitung jede einmal gespeicherte Information in einem neuen Zusammenhang eine neue Bedeutung bekommen kann.544 Alle polizeilichen informationellen Maßnahmen der Datenerhebung – insbesondere alle verdeckten Maßnahmen – und Datenverarbeitung in Form der Speicherung, Änderung, Nutzung und Übermittlung der erhobenen Daten stellen einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, der einer spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf. Da die Betroffenen insoweit nur gegen einzelne Maßnahmen geschützt sind, hat das Bundesverfassungsgericht den Grundrechtsschutz mit dem Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme erweitert, indem solche Systeme vom Personalcomputer bis zum Mobiltelefon mit all ihren Informationen über persönliche Verhältnisse, soziale Kontakte und ausgeübte Tätigkeiten der Betroffenen gegen heimliche Infiltration – etwa in Form der Online-Durchsuchung – geschützt werden.545 Im Hinblick auf die Terrorismusbekämpfung im Verbund von Polizei und Nachrichtendiensten hat das Bundesverfassungsgericht aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein Trennungsprinzip abgeleitet, dass einem unbeschränkten Datenaustausch zwischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten entgegensteht.546
543 544 545 546
BVerfGE 65, 1 (42 f.); 113, 29 (47); 118, 168 (183 ff.). BVerfGE 65, 1 (45). BVerfGE 120, 274 (302). BVerfGE 133, 277 (329).
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
cc) Telekommunikationsgeheimnis Das Fernmeldegeheimnis, im neueren Sprachgebrauch Telekommunikationsgeheimnis547 schützt Inhalt und Vertraulichkeit der Telekommunikation einschließlich ihrer näheren Umstände, vor allem die Identität der Teilnehmer und ihre Verbindungsdaten548 ; unter Schutz gestellt ist jegliche Form der unkörperlichen Übermittlung von Informationen an individuelle Empfänger mittels Telekommunikationsverkehr.549 Wegen seiner Entwicklungsoffenheit sind auch beliebige elektromagnetische und andere unkörperliche Formen der Übermittlung durch Kabel oder Funk, analoge oder digitale Vermittlung und optische oder akustische Signale erfasst.550 Darunter fallen nicht nur der herkömmliche Telefon-, Telefax-, Telegrammund Fernschreibverkehr, sondern auch Computernetzwerke und insbesondere das Internet.551 Auf dies neue Medium wird die Kommunikation in Form von E-Mail, SMS, internetgestützte Telefonate und auch das Surfen im Internet gestützt.552 Der Schutzbereich ist allerdings auf den laufenden Kommunikationsvorgang beschränkt; vor und nach Beendigung des Übertragungsvorgangs werden personenbezogene Daten durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geschützt.553 dd) Unverletzlichkeit der Wohnung Das Grundrecht aus Art. 13 GG schützt die Privatheit der Wohnung als einen elementaren Lebensraum durch Abschirmung der Privatsphäre in räumlicher Hinsicht.554 Ein Eingriff liegt in jedem Betreten der Wohnung, etwa bei der Installierung eines Trojaners oder einer Verwanzung vor Ort. Ein Eingriff durch Überwachung liegt auch ohne ein Betreten der Wohnung vor, wenn von draußen mit Hilfe technischer Mittel ein optischer und akustischer Zugriff auf Vorgänge in der Wohnung möglich wird, die einer natürlichen Wahrnehmung von außen entzogen sind.555
547
BVerfGE 125, 260 (309); 130, 151 (179). BVerfGE 100, 313 (358 ff.); 130, 151 (179); 141, 220 (316). 549 BVerfGE 115, 166 (182); 124, 43 (54); 125, 260 (309); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 10 Rn. 3. 550 BVerfGE 106, 28/36; 120, 274 (307); 124, 43 (54); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 10 Rn. 3. 551 BVerfGE 120, 274 (307); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 10 Rn. 3. 552 BVerfG, Beschl. vom 6. 7. 2016 – 2 BvR 1454/13, Rn. 29 ff. 553 BVerfGE 115, 166 (183 ff.). 554 BVerfGE 42, 212 (219); 51, 97 (110); 89, 1 (12); 103, 142 (150); Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 13 Rn. 1. 555 BVerfGE 65, 1 (40); 120, 274 (310); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 13 Rn. 7 f. 548
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ee) Recht auf Freiheit der Person (1) Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 GG und Art. 5 EMRK als Grundlagen Das Recht auf Freiheit der Person, das im Grundgesetz in Art. 2 und Art. 104 eine doppelte Gewährleistung erfährt und mit Art. 5 EMRK auf der Ebene des europäischen Rechts zusätzlich geschützt wird, steht in der Tradition des englischen Instituts „Habeas corpus“, das Festnahmen als Freiheitsentziehungen und mit körperlichem Zwang verbundene Freiheitsbeschränkungen begrenzt und damit den einzelnen insbesondere vor willkürlicher Verhaftung bewahrt556 Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 104 GG schützen mit der körperlichen Bewegungsfreiheit vor Freiheitsentziehung, die gegeben ist, wenn die körperliche Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufgehoben wird,557 also vor jeder Form von Arrest, Gewahrsam, Haft, Freiheitsstrafe und Unterbringung.558 Weniger eingriffsintensiv sind Freiheitsbeschränkungen durch aufenthaltsbeschränkende und führungsaufsichtliche Maßnahmen, die die körperliche Bewegungsfreiheit nicht aufheben, aber einschränken.559 Insoweit sind bei der vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung Ingewahrsamnahmen in Form des Durchsetzungsgewahrsams bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus und von verbotenen Straßenrennen relevant. Freiheitsbeschränkungen erfolgen in Form von Aufenthaltsverboten für Dealer einer bestimmten Drogenszene zur Bekämpfung der Drogenkriminalität und im Zusammenhang mit Platzverweisen bzw. Aufenthaltsverboten bei der Bekämpfung von Gewalt im öffentlichen Raum, Demonstrationen und Konfliktbegegnungen in den Fußballbundesligen.560 (2) Neue Qualität des Durchsetzungsgewahrsams bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus Die Polizeigesetze der Länder kannten bis zur ersten Regelung des Durchsetzungsgewahrsams im Jahr 1980 nur den Schutzgewahrsam, der den Betroffenen vor sich selbst schützen sollte und den Unterbindungs- bzw. Verhinderungsgewahrsam, mit dem die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit verhindert oder unterbunden werden konnte, sofern das unerlässlich war.561 Der Durchsetzungsgewahrsam, der weder in § 13 MEPolG vom 25. 11. 1977 noch in § 20 AE PolG vom 26. 11. 1978 vorgesehen war, wurde in Nordrhein-Westfalen in § 13 des Gesetzes zur Neuordnung des Polizei-, Ordnungs-, Verwaltungsvollstreckungsund Melderechts von 25. 03. 1980562 eingeführt, um eine Platzverweisung durchzu556 557 558 559 560 561 562
Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 110. BVerfGE 105, 239 (248). Kingreen/Poscher, Grundrechte, § 10 Rn. 501. Kingreen/Poscher, Grundrechte, § 10 Rn. 501. S. dazu 3. Teil, 3. Abschnitt, B. II. 2. d) aa), bb) und cc). S. z.B. § 35 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 nwPolG. S. Gesetz vom 25. 3.1980, GV NRW, S. 234.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
setzen. Diese Erweiterung der Gewahrsamsgründe wurde damit begründet, dass eine Ingewahrsamnahme in vielen Fällen auch dann erforderlich sei, wenn es nicht um die Abwehr von Gefahren für Leib und Leben gehe, die dem Betroffenen drohten oder von ihm ausgingen.563 Da der Durchsetzungsgewahrsam sich auf die Platzverweisung bezog, die eine konkrete Gefahr zur Voraussetzung hatte und nur von kurzer Dauer war, wurde die neue Form des Gewahrsams nicht problematisiert. Das war auch nicht der Fall, als im Jahr 2001 im Zusammenhang mit dem Gewaltschutzgesetz des Bundes564 in den Polizeigesetzen der Länder zu Beginn der 2000er Jahre die Wohnungsverweisung und das Rückkehrverbot zum Schutz vor häuslicher Gewalt als weitere mit dem Gewahrsam durchsetzbare Maßnahmen eingeführt wurden,565 weil die Maßnahmen eine gegenwärtige Gefahr zur Voraussetzung hatten und sich ihre Dauer mit zehn Tagen im Rahmen der als noch zulässig angesehenen 14-TageFrist hielt. Der Rechtscharakter des Durchsetzungsgewahrsams änderte sich aber mit der Einführung des Aufenthaltsverbots als qualifiziertem Platzverweis, der es dem Betroffenen verbot, für eine bestimmte Zeit – bis zu drei Monaten – einen bestimmten Bereich des Gemeindegebietes zu betreten und sich dort aufzuhalten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Betroffene dort eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen würde.566 Erstmals war damit eine Maßnahme mit einer Ingewahrsamnahme durchsetzbar, die keine konkrete Gefahr zur Voraussetzung hatte.567 Diese Ausweitung der durchzusetzenden Primärmaßnahmen als Vorfeldmaßnahmen wurde seit 2017 im Rahmen der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus mit den neuen Maßnahmen der Betretungs-, Aufenthalts- und Kontaktbeschränkungen und den Anordnungen zur Meldung auf Polizeidienststellen und zum Tragen einer Fußfessel fortgesetzt, deren Zulässigkeit an das Vorliegen einer drohenden Gefahr oder bestimmter Tatsachen geknüpft waren, die die Annahme rechtfertigten, dass die Betroffenen innerhalb eines überschaubaren Zeitraums auf eine zumindest ihrer Art nach konkretisierte Weise eine terroristische Straftat begehen würden, oder das individuelle Verhalten der Betroffenen die konkrete Wahrscheinlichkeit begründete, dass sie innerhalb eines überschaubaren Zeitraums eine terroristische Straftat begehen würden.568 Mit diesen tatbestandlichen Voraussetzungen, die auf Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts zurückgehen,569 wird nicht die konkrete Gefahr der Begehung einer Straftat gefordert, sondern eine neue, im Vorfeld der konkreten Gefahr angesiedelte Eingriffsschwelle vorgesehen, die den tatbezogenen Gefahrenverdacht 563
LT-Drs. 8/4080, S. 59. Vom 11. 12. 2001, BGBl I 3513. 565 S. Gesetz vom 18. 12. 2001, GV NRW, S. 870. 566 S. Gesetz vom 8. 07. 2003, GV NRW, S. 410. 567 Ogorek, in: Möstl/Kugelmann, POR NRW, § 34 Rn. 37. 568 §§ 27b, 27c, 84b bwPolG; Art. 16; Art. 34 bayPAG; § 31a, § 43b hess SOG; §§ 67a – d m-vSOG; §§ 17b, 17c ndsPolG; §§ 34b, 34c nwPolG; §§ 21, 61, 106 sächsPVDG; §§ 36a – c, 106 saSOG. 569 BVerfGE 141, 220 (272 f.). 564
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der möglichen Begehung einer terroristischen Straftat und den personenbezogenen Verdachtstatbestand der durch das individuelle Verhalten einer Person drohenden Gefahr einer terroristischen Straftat erfasst.570 Bei letzterem wird die zu erstellende Gefahrenprognose auf die Beurteilung der Gefährlichkeit des Betroffenen reduziert; es geht um den Gefährder als Gefahr.571 Die Dauer des Durchsetzungsgewahrsams bleibt – anders als die Regelung in Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5, Art. 20 Nr. 3 bayPAG – in §§ 18 Abs. 1 Nr. 2 a), 21 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 – 3 ndsPolG und §§ 35 Abs. 1 Nrn. 3, 4 und 6 nwPolG innerhalb des Zeitrahmens von 14 Tagen. (3) EMRK- und Grundgesetzkonformität (a) EMRK-Konformität Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hält einen polizeilichen Präventivgewahrsam nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2b Alt. 2 EMRK für zulässig, wenn er der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung dient. Damit ist nicht die allgemeine Verpflichtung gemeint, Gesetze zu beachten, etwa dadurch dass keine Straftaten begangen werden, sondern es geht um die Erfüllung einer konkreten und bestimmten gesetzlichen Verpflichtung, der der Betroffene zum Zeitpunkt der Freiheitsentziehung trotz eines Warnhinweises der Behörde noch nicht nachgekommen ist.572 Diesen Vorgaben wird der Durchsetzungsgewahrsam gerecht; wegen seiner instrumentellen Funktion als Sekundärmaßnahme ist hinsichtlich der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung auf die durchzusetzende Primärmaßnahme abzustellen. In den Regelungen des Platzverweises und des Aufenthaltsverbots, der Wohnungsverweisung und des Kontaktverbots und in den neuen Vorfeldmaßnahmen zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus sind die Verpflichtungen jeweils konkret und in bestimmter Form festgelegt, sodass für den Betroffenen deutlich erkennbar wird, welches Tun oder Unterlassen die Behörde von ihm erwartet. Da die in den Primärbefugnissen enthaltenen Verpflichtungen seitens der Behörde in einer polizeilichen Verfügung konkretisiert werden und dem Betroffenen in einer Gefährderansprache verdeutlicht wird, welche Folgen ein Verstoß gegen die bestehenden Verpflichtungen hat, sind die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2b EMRK beim Durchsetzungsgewahrsam gegeben.573 (b) Grundgesetzkonformität Nach der herrschenden Meinung stellt – auch bei Vorliegen einer konkreten Gefahr – ein über 14 Tage hinausgehender polizeilicher Gewahrsam einen unver570 571 572 573
Barczak, in: Möstl/Kugelmann, POR NRW, § 34b Rn. 17 ff. Kulick, AöR 143 (2019), 175 (190 ff.). EGMR, NVwZ 2012, 1089, Rn. 73 und 82; EuGRZ 2013, 489, Rn. 69 und 90 ff. Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1 Rn. 584 f.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
hältnismäßigen Eingriff in die Freiheit der Person dar.574 In vielen Fällen soll es schon an der Erforderlichkeit scheitern, weil der Polizei als mildere Mittel vielfältige Überwachungsbefugnisse zur Verfügung stünden. Soweit diese nicht von gleicher Wirksamkeit seien, scheitere ein längerfristiger Gewahrsam an der Angemessenheit des schwer wiegenden Eingriffs in die Freiheit der Person.575 Das Bundesverfassungsgericht hat dazu in seiner Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der Unterbringungsgesetze der Länder Bayern und Sachsen-Anhalt ausgeführt: „Eine Erstreckung der Gesetze auf nicht strafrechtlich verurteilte Personen hat man im Gesetzgebungsverfahren nicht ernsthaft erwogen. Eine solche Ausdehnung wäre unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit auch nicht vertretbar. Denn es ist – abgesehen von Zwangsmaßnahmen der Quarantäne nach dem Infektionsschutzgesetz und von der landesgesetzlich geregelten Unterbringung psychisch Kranker – gerade und ausschließlich das schwerwiegende und dem Betroffenen zurechenbare Indiz der Anlasstaten, welches den Staat berechtigt, die Gefährlichkeit seiner Bürger zu überprüfen und auf das Ergebnis dieser Überprüfung eine langfristige schuldunabhängige Freiheitsentziehung zu gründen. Unterhalb dieser Schwelle kann der Staat auf konkrete Gefahrensituationen lediglich mit den situationsbezogenen Instrumenten des Polizeirechts reagieren, zu denen auch der bis zu 14tägige landesrechtliche Polizeigewahrsam gehören dürfte. Dagegen wäre die längerfristige Verwahrung eines psychisch gesunden und strafrechtlich nicht oder nur unerheblich vorbelasteten Bürgers zum Zweck des Abwehr einer von ihm ausgehenden Gefahr der Begehung von Straftaten mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.“576
Die polizeiliche Ingewahrsamnahme könnte danach nur eine einstweilige Maßnahme sein, weil die Befugnisnorm eine absolute, aus dem Grundrecht auf Freiheit der Person in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgende zeitliche Grenze hat, die sich zwar nicht aus Art. 104 Abs. 2 GG, aber aus der Angemessenheit als Teilprinzip der Verhältnismäßigkeit ergibt; der Polizei sei es möglich, innerhalb von 14 Tagen die Gefahr abzuwehren oder den Weg der Strafverfolgung zu beschreiten.577 Dazu ist Folgendes anzumerken. Der klassische Polizeigewahrsam war als einstweilige Maßnahme konzipiert, mit der auf eine Situation oder Lage reagiert werden sollte, die nicht von Dauer war. So geht es auch heute noch – abgesehen von der terroristischen Bedrohung – bei Ingewahrsamnahmen um kurzfristige Freiheitsentziehungen, etwa um den alkoholisierten Randalierer, der für die Zeit seines Rauschzustandes unterzubringen ist oder den gewalttätigen Ultrafan, der ein Stadionverbot missachtet hat und zur Durchsetzung des Verbots für die Dauer des Spiels einschließlich dessen Vor- und Nachphase in Gewahrsam genommen wird. Dass Ingewahrsamnahmen als einstweilige Maßnahmen von kurzer Dauer konzipiert sind,
574 BVerfGE 109, 190 (220); SächsVerfGH, DVBl 1996, 1423; BayVerfGH, NVwZ 1991, 664; Pieroth, DV 53 (2020), 39 (55 ff.); Müller, Präventive Freiheitsentziehungen, S. 108 ff. 575 Pieroth, DV 53 (2020), 39 (56 f.). 576 BVerfGE 109, 190 (220). 577 Pieroth, DV 53 (2020), 39 (56 f.).
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zeigt sich auch an der Beschaffenheit und kargen, auf Sicherheit ausgelegten Ausstattung der Gewahrsamszellen in den Polizeidienststellen. Auch über den Zeitrahmen von einigen Stunden hinausgehende Lagen sind zwar ohne Ingewahrsamnahmen nicht zu bewältigen, etwa bei gewalttätigen Auseinandersetzungen mit militanten Hausbesetzern im Rahmen der Räumung besetzter Häuser, die im August 1995 in Hannover veranstalteten Chaostage, wo die Polizei mit sich über vier Tage hinziehenden Ausschreitungen von Gewalttätern konfrontiert wurde oder die Krawalle in Stuttgart, bei denen sich Jugendliche aus Frust über die Coronabeschränkungen vom 20.6. abends bis zum Morgen des 21. 6. 2020 andauernde Straßenschlachten mit der Polizei lieferten: Doch auch in solchen Lagen ist es einer professionellen Polizei – selbst wenn sie von einer nicht vorhersehbaren Lage überrascht wird – innerhalb weniger Stunden, im Ausnahmefall weniger Tage möglich, insbesondere mit Hilfe von Ingewahrsamnahmen wieder geordnete Verhältnisse herzustellen. Das hat sich seit dem 11. 9. 2001 und den nachfolgenden Anschlägen geändert und es muss auch in Deutschland von einer terroristischen Bedrohungslage als Dauerzustand ausgegangen werden. Im Gegensatz zu einer Dauergefahr, die die Voraussetzungen für eine konkrete Gefahr über einen längeren Zeitraum durchgängig erfüllt,578 ist für eine terroristische Bedrohungslage als Dauerzustand kennzeichnend, dass Anschläge, die jederzeit und ohne große Vorbereitungsaufwand realisiert werden können,579 stattfinden werden, ohne dass schon mit der für eine konkrete Gefahr erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststünde, von wem, wann, wo und wie die Anschläge durchgeführt werden.580 Auf diese neue Lage muss der Staat reagieren. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass der Staat einen wirksamen Schutz der Grundrechte und Rechtsgüter der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten hat, weil die Sicherheit der Bevölkerung und die Sicherheit des Staates von überragender Bedeutung sind und der Staat deshalb verpflichtet ist, das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die Freiheit des Einzelnen, vor allem vor rechtswidrigen Beeinträchtigungen von Seiten anderer – also insbesondere vor Anschlägen islamistischer Terroristen – zu schützen.581 Deshalb ist der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht auf die Schaffung von Eingriffstatbeständen beschränkt, die dem tradierten sicherheitsrechtlichen Modell der Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren entsprechen, sondern kann die Grenzen für bestimmte Bereiche mit dem Ziel der Verhütung von Straftaten auch weiter ziehen.582 Dabei macht das Gericht die Einschränkung, dass neue Befugnisnormen eine hinreichend kon578 BVerfGE 115, 320 (364 f.); Gusy/Worms, in: Möstl/Kugelmann, POR NRW, § 1 Rn. 149; Denninger, HdBPR, D. Rn. 55 f. 579 BVerfG, NVwZ 2017, 1526 (1528). 580 BVerwGE 158, 249 Rn. 29. 581 BVerfG, Beschluss vom 1. 12. 2020, Rn. 202; BVerfGE 141, 220 (267 f.) 582 BVerfG, Beschluss vom 1. 12. 2020, Rn. 205.
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kretisierte Gefahr dergestalt verlangen, dass zumindest tatsächliche Anhaltspunkte für die Entstehung einer konkreten Gefahr für die bedrohten Schutzgüter bestehen.583 Eine hinreichend konkretisierte Gefahr in diesem Sinne kann schon dann bestehen, wenn sich der zum Schaden führende Kausalverlauf noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehen lässt, sofern bereits bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen. Legt man das zugrunde, kann eine über 14 Tage hinausgehende, an das Bestehen einer konkretisierten Gefahr für einen bevorstehenden terroristischen Anschlag durch unbedingt anschlagsbereite Topgefährder584 Präventivhaft nicht apodiktisch ausgeschlossen werden. Jede einen Durchsetzungsgewahrsam ermöglichende Regelung muss allerdings folgende Voraussetzungen erfüllen, um diskutabel zu sein. Die abgesenkte Eingriffsschwelle eines Präventivgewahrsams für einen kleinen Kreis von Topgefährdern kann sich an der gerade dargestellten konkretisierten Gefahr des Bundesverfassungsgerichts und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu §§ 58a, 62 AufenthG orientieren.585 Hinsichtlich des Rechtsschutzes für die Betroffenen müsste ein Standard für Rechtsmittel und Grundrechtsschutz durch Verfahren gewährleistet sein, der über den bei der Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr eines Vorfelddelikts nach den §§ 89a ff. StGB hinausgeht. Jede Form einer polizeilichen Präventivhaft müsste kompatibel zu anderen Formen des Gewahrsams sein, der Sicherungsverwahrung und Therapieunterbringung, der Abschiebehaft, der Unterbringung psychisch Kranker und der zwangsweisen Absonderung von infektiösen Personen in geschlossenen Einrichtungen. Hier geht es insbesondere um eine plausible Befristung des Gewahrsams, der nicht einfach ohne jede Begründung kalendarisch in Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren bemessen wird. Eine zeitliche Begrenzung kann aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als solchem nicht überzeugend entwickelt werden, sondern muss im Zusammenhang mit dem Vorliegen einer Gefahr gesehen werden. Ist eine Präventivhaft die einzige Möglichkeit zur Abwehr einer Gefahr, so muss sie auch zulässig sein, solange sie besteht. Der Staat ist aber verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Gefahr beseitigt wird, was zur Folge hat, dass der Betroffene auch zu diesem Zeitpunkt zu entlassen ist. In der Sicherungsverwahrung bzw. Therapieunterbringung und in geschlossenen Einrichtungen für psychisch Kranke und unkooperative Infektionsträger untergebrachte gefährliche Personen müssen therapiert werden und es muss für sie ein im jeweiligen Gesetz nach festgelegten Kriterien berechenbarer Endzeitpunkt vorgegeben sein. Gefährliche Straftäter, psychisch Kranke und infektiöse Personen müssen davon ausgehen können, dass sie nach erfolgreicher Therapierung entlassen werden und ihre Mitwirkung daran den Zeitpunkt näher rücken lässt. Das bedeutet für in Präventivhaft genommene Topgefährder, dass ihre
583 584 585
BVerfG, Beschluss vom 1. 12. 2020, Rn. 205; BVerfGE 141, 220 (272). BVerfG, Beschluss vom 1. 12. 2020, Rn. 205; BVerfGE 141, 220 (272). S. dazu 3. Teil, 3. Abschnitt, C. II. 2. und 3.
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Unterbringung in einer dafür speziell geschaffenen geeigneten Einrichtung586 nur zulässig sein kann, wenn ihnen dort ein Therapieangebot gemacht wird, das vom Gesetzgeber selber in der neuen Rechtsgrundlage geregelt werden müsste. Es geht nicht um Umerziehung, sondern um freiwillige Mitwirkung an einer Therapierung, die die Deradikalisierung der Betroffenen zum Ziele hat. Jede Ingewahrsamnahme, die die Verhinderung weiterer terroristischer Anschläge nur durch Einsperren erreichen will, wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Freiheitsentziehung nicht gerecht. ff) Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ist Verfahrensgrundrecht587 sowie Grundsatznorm für die gesamte Rechtsordnung588 und sichert als lex specialis im Verhältnis zum allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch den Rechtsschutz gegen die Exekutive, ist also in allen verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten einschlägig.589 Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz, das dem Schutz der anderen Grundrechte dient, gewährleistet, dass deren rechtliche Geltung im gerichtlichen Verfahren zu tatsächlicher Wirksamkeit gebracht wird.590 Bei verdeckten polizeilichen Überwachungsmaßnahmen ist das nur möglich, wenn der Betroffene im Nachhinein über sie in Kenntnis gesetzt wird, weil sonst die Rechtsschutzgarantie leer liefe. Gesetzlich geregelte Benachrichtigungspflichten über die Durchführung verdeckter Überwachungsmaßnahmen sind deshalb für die Wahrnehmung des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG von zentraler Bedeutung.591 2. Verhältnismäßigkeit als Grundprinzip staatlichen Handelns a) Entstehung, Inhalt und Bedeutung Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat eine lange Geschichte, die mit den „nöthigen Anstalten“ zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung als Amt der Polizei in § 10 II 17 PrALR von 1794 als erster Ausformung begann, in der Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts entwickelt592 und in § 14 PrPVG als Vorbild aller späteren polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklauseln übernommen wurde.593 Spielte es bis zur Mitte der 1950er Jahre seine Rolle 586
BVerwGE 158, 225 Rn. 25 – 34; 158, 249 Rn. 29 ff. und 35 ff. Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 1157. 588 BVerfGE 58, 1 (40); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 32. 589 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 34. 590 Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 1157; Hufen, Grundrechte, § 44 Rn. 3. 591 BVerfGE 141, 220 (136); 125, 260 (336); 120, 351 (363 f.); Buchberger, HdBPR, L. Rn. 7 f. 592 Kingreen/Poscher, POR, § 1 Rn. 10 ff. 593 Kingreen/Poscher, POR, § 1 Rn. 18. 587
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nur im Verwaltungs- und besonders im Polizeirecht, indem es einen rechtmäßigen Zweck und zur Erreichung desselben ein geeignetes und erforderliches Mittel forderte, regiert es schon seit 200 Jahren das gesamte Verfassungs- und Verwaltungsrecht594 und ist auch dem Strafrecht nicht unbekannt. Die Tatbestände polizeilicher Gefahrenabwehr erhalten Ziel und Maß aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, insbesondere aus ihrem Herzstück, dem Gebot der Erforderlichkeit.595 Inhaltlich erweitert wurde der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz um das Element der Angemessenheit als Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, das verlangt, „dass der vom Staat verfolgte Zweck und das den Bürger belastende Mittel nach Wert, Rang, Gewicht, Bedeutung, Wichtigkeit, Qualität oder Intensität in richtigem Verhältnis zueinander stehen.596 Seine rechtliche Grundlage findet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in den Grundrechten, wenn es um das Verhältnis des Staates zum Bürger einschließlich der im Zusammenhang mit der staatlichen Schutzpflicht stehenden Dreierbeziehungen geht, in denen der Staat die Konflikte zwischen den Bürgern zu lösen hat; soweit der Grundsatz auf das Rechtsstaatsprinzip gestützt wird, gilt er für das Verhältnis des Staates zum Bürger und das der Gewalten zueinander.597 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist kein Verfassungswert im materiellen Sinne, sondern ein formales Prinzip zur Strukturierung des Gewichtungs- und Abwägungsprozesses bezüglich der Eingriffsfolgen eines geplanten Gesetzes für den Bürger und der Legitimität des mit dem Gesetz verfolgten staatlichen Zwecks. In diesem Prozess wird mit der Schranken-Schranke der Verhältnismäßigkeit geklärt, ob der verfolgte Zweck als solcher verfolgt und das eingesetzte Mittel als solches eingesetzt werden darf und der Einsatz des Mittels zur Erreichung des Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen ist.598 Anders als bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung von Maßnahmen der Verwaltung, insbesondere von polizeilichen informationellen und aktionellen Maßnahmen, bei denen gerade die Angemessenheit oft eine entscheidende Bedeutung für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme hat, ist eine Angemessenheitsprüfung von Gesetzen kritisch zu sehen; dies gilt insbesondere für die restriktive Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Polizeirecht, in der das Gericht die maßgebliche Eingriffsschwelle auf der Ebene der Angemessenheit gefunden und dem Gesetzgeber entsprechende Vorgaben gemacht hat, wonach ein Einzelfall, die zeitliche Nähe des Umschlagens einer Gefahr in einen Schaden und der Bezug auf die die 594 Schlink, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 445; zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Jestaedt/Lepsius, Verhältnismäßigkeit. Zur Tragfähigkeit eines verfassungsrechtlichen Schlüsselbegriffs, Tübingen 2015; Berkemann, DVBl 2018, 741 ff. 595 Schlink, VVDStRL 48 (1990), S. 236 (258). 596 Schlink, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, S. 445. 597 Schlink, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, S. 447. 598 Schlink, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, S. 445 ff.; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 33 ff.
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Gefahr verursachenden individuellen Personen vorliegen müssen.599 Die Vorgaben weichen von der tradierten Dogmatik des Polizeirechts ab, weil das Polizeirecht bei der konkreten Gefahr keine Anforderungen an die zeitliche Nähe des möglichen Schadenseintritts stellt und zwischen den Prüfungsschritten des Vorliegens einer Gefahr und Vorhandenseins eines Störers unterschieden wird.600 In grundsätzlicher Kritik an der Angemessenheitsprüfung wird es als problematisch angesehen, dass das Gericht überhaupt eine umfassende Angemessenheitskontrolle vornimmt. Solange es um die Geeignetheit und Erforderlichkeit der vom Gesetzgeber vorgesehenen Mittel geht, lassen sich diese auf der Grundlage von Tatsachen danach beurteilen, ob sie zur Zweckerreichung taugen und die Betroffenen möglichst wenig beeinträchtigen. Wenn das Bundesverfassungsgericht aber die Angemessenheit der Mittel kontrolliert, ist es im Bereich der Werte und der Politik angekommen. Jede über eine Vertretbarkeitsprüfung hinausgehende Überprüfung eines Gesetzes beschränkt den politischen Gestaltungsspielraum des unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgebers und gefährdet das Prinzip der Gewaltenteilung, wenn das Gericht seine eigene Einschätzung von der Angemessenheit eines Gesetzes über die Entscheidung des Gesetzgebers stellt.601 Insbesondere bleibt die Frage offen, woher die Ermächtigung kommen soll, die Bewertungen des Gesetzgebers zu kontrollieren und durch eigene zu ersetzen.602 Wenn das Gericht bei seiner Entscheidungsfindung gewichtet und abwägt, fehlen die rationalen und verbindlichen Maßstäbe; die Berufung auf die Wertordnung der Grundrechte oder des Grundgesetzes behauptet lediglich einen Maßstab, ohne ihn aufweisen zu können.603 Es ist auch weder konsistent noch konsequent, wenn das Bundesverfassungsgericht Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in seiner Entscheidung zur Rasterfahndung für den Bereich der Gefahrenvorsorge davon abhängig macht, dass der Gesetzgeber rechtsstaatliche Anforderungen dadurch wahrt, dass er den Eingriff erst von der Schwelle einer hinreichend konkreten Gefahr für die bedrohten Rechtsgüter an vorsieht,604 dagegen den viel schwereren Eingriff durch strafrechtliche Sanktionen in das höherrangige Grundrecht der persönlichen Freiheit nicht beanstandet, wenn bei den abstrakten Gefährdungsdelikten der §§ 89a und 129 ff. StGB auf der Grundlage diffuser Anhaltspunkte Untersuchungshaft angeordnet wird.605
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BVerfGE 141, 220 (291); 125, 260 (330); 120, 274 (328 f.). Möstl, BayVBl 2010, 808 (810 f.); ders., BayVBl 2018, 156 (157 f.). 601 Schlink, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, S. 460 ff.; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 344 f.; s. auch Meinel, Merkur 74 (2020), 43 (46). 602 Schlink, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, S. 461. 603 Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 344. 604 BVerfGE 115, 320 (365). 605 Müller, Präventive Freiheitsentziehungen, S. 199. 600
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b) Anwendungsfälle aa) Polizeirecht Die grundsätzliche Eingriffsschwelle für polizeiliche Eingriffsmaßnahmen ist die konkrete Gefahr, die die Antwort des rechtsstaatlichen Polizeirechts für den geregelten Umgang mit der Ungewissheit ist. Mit der konkreten Gefahr bleibt polizeiliches Handeln punktuell und reaktiv; das rechtsstaatliche Polizeirecht hat seine Verteidigungslinie weit nach hinten verlegt und will das drohende schädigende Ereignis bis kurz vor seinem Eintritt abwarten, auch um den Preis, den riskanten letzten Zeitpunkt zur Verhinderung des Schadenseintritts zu verpassen.606 bb) Straf- und Strafverfahrensrecht (1) Tat- und Schuldprinzip Der Grundsatz „Keine Strafe ohne Schuld“, der zum integrations- und verfassungsfesten Minimum der Art. 23 Abs. 1 Satz 3 und Art. 79 Abs. 3 GG gehört, verlangt als rechtsstaatliche Begrenzung des staatlichen Strafanspruchs durch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit im Zusammenwirken mit Art. 1 Abs. 1 GG, dass die Strafgerichte im Einzelfall eine gerechte und angemessene Straße verhängen.607 Strafe setzt Schuld voraus und es ist die klassische Funktion des Strafrechts, den Täter einer schuldangemessenen Strafe zuzuführen. Seine Schuld muss Tatschuld sein und deshalb an einer konkreten Tat und nicht an der Gesinnung des Täters oder seiner Gefährlichkeit anknüpfen.608 Das Schuldprinzip stellt an den Gesetzgeber hohe Ansprüche und setzt ihm Grenzen, weil ein rechtsstaatlich-demokratisches Strafrecht nicht inhaltlich beliebig ist und nicht zu einem Präventiv-Strafrecht degenerieren darf.609 Die §§ 129 ff. und §§ 89a ff. StGB müssen als Vorfelddelikte mit dem Schuld- und Tatprinzip in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dem UltimaRatio-Prinzip und dem Bestimmtheitsgebot vereinbar sein und dürfen nicht gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes verstoßen. Diese Vorverlagerung des Strafrechts in den Bereich der Vorbereitungshandlung, die nach dem geltenden Strafrecht grundsätzlich straffrei ist, gerät in Konflikt mit dem Tat- und Schuldprinzip, wenn es als Täterstrafrecht den Weg zum Gesinnungsstrafrecht ebnet610 und 606 Grimm, KritV 1986, 38 (39); Möstl, Garantie, S. 159; Volkmann, JZ 2006, 918; Baldus, DV 47 (2014), 1 (6 f.); Kral, Vorfeldbefugnisse, S. 178 f.; Schoch, Der Staat 43 (2004), 347 (349); Barczak, Der nervöse Staat, S. 519 ff.; Darnstädt, Gefahrenabwehr, S. 81; Trute, GS Jeand’Heur, S. 403 (407). 607 BVerfGE 123, 267 (413); Landau, EuGRZ 2016, 505. 608 BVerfGE 128, 326 (376); Landau, EuGRZ 2016, 505 (510); Heinrich, KriPoZ 2017, 4 (7 f.); Puschke, KriPoZ 2018, 101 (104). 609 BVerfGE 109, 133 (171); 123, 267 (413); 130, 1 (26). 610 Puschke, KriPoZ 2018, 101 (104 und 106 f.); Heinrich, ZStW 121 (2009), 94 (112 ff.).
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den Unrechtsgehalt neutraler Verhaltensweisen nicht mehr erkennen lässt, ein Umstand der sich durch erhöhte Anforderungen an die subjektive Tatseite nicht hinreichend kompensieren lässt.611 Die Verhältnismäßigkeitsprüfung612 muss sich auch mit der den Vorfelddelikten eigenen Vermischung von Strafrecht und Polizeirecht auseinandersetzen. Die Vorbereitungstatbestände des Interventionsstrafrechts sollen schon wirken, bevor etwas passiert ist, also Straftaten verhindern und damit die Aufgabe des Polizeirechts übernehmen.613 Die Verhältnismäßigkeitsprüfung muss dabei maßgeblich berücksichtigen, dass Strafrecht und Polizeirecht sich fundamental unterscheiden,614 insbesondere im Hinblick auf die Intensität der mit strafrechtlichem und polizeirechtlichem Vorgehen verbundenen Grundrechtseingriffe. Die höhere Intensität der mit einer Bestrafung einhergehenden Eingriffe verlangt in Ansehung des Schuld- und Tatprinzips die Prüfung, ob nicht die Mittel des Polizeirechts ausreichen, bevor die des Strafrechts zur Anwendung kommen.615 Mit Blick auf die Erforderlichkeit der Vorverlagerung durch das Strafrecht muss die Verhältnismäßigkeitsprüfung klären, ob polizeirechtlich zulässiges Vorgehen im Vorfeld der konkreten Gefahr nicht eine Vorfeldstrafbarkeit erübrigt.616 Mit Blick auf den Zusammenhang von Verhältnismäßigkeit und Schuld- und Tatprinzip müssen Gefährdung und polizeirechtliche Gefahrenabwehr auf der einen und strafrechtliches Unrecht und strafrechtliche Verfolgung auf der anderen Seite strikt getrennt werden, weil sie an verschiedenen Maßstäben zu messen sind.617 Strafrechtlicher Rechtsgüterschutz kann erst in Betracht kommen, wenn polizeirechtlicher nicht ausreicht.618 Solange polizeigesetzliche Überwachung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität gewährleistet ist, ist strafrechtliche Überwachung durch Vorfelddelikte im Verbund mit den strafprozessualen Eingriffsbefugnissen und dem Haftgrund der Wiederholungsgefahr im Hinblick auf das Schuld- und Tatprinzip als unverhältnismäßig, weil nicht erforderlich im Sinne des Prinzips des geringstmöglichen Eingriffs zu bewerten.619 Sollten sich die Überwachungsmöglichkeiten des Polizeirechts als defizitär für den Rechtsgüterschutz und die Kriminalitätsbe611 So aber BGHSt 59, 218 (239 f.); der BGH hat alle oben genannten verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Strafrecht unter dem Vorbehalt erhöhter Anforderungen an die subjektive Tatseite als gewahrt angesehen. 612 Ausf. Puschke, KriPoZ 2018, 101 (104 und 106 f.); ders., Legitimation, S. 137 ff. 613 Puschke, KriPoZ 2018, 101 (103) unter Hinweis auf BT-Drs. 16/12428, S. 12. 614 S. dazu ausf. 3. Abschnitt, B. IV. 1. 615 Puschke, KriPoZ 2018, 101 (102 f.); Heinrich, KriPoZ 2017, 4 (7); ders., ZStW 121 (2009), 94 (127 ff.). 616 Puschke, KriPoZ 2018, 101 (103 f.); Heinrich, KriPoZ 2017, 4 (7); Hawickhorst, § 129a, S. 298 ff. 617 Puschke, KriPoZ 2018, 101 (104). 618 Puschke, KriPoZ 2018, 101 (104); Heinrich, KriPoZ 2017, 4 (7); ders., ZStW 121 (2009), 94 (126 ff.). 619 Puschke, KriPoZ 2018, 101 (103).
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kämpfung erweisen, bestünde der Vorrang des Polizeirechts auch für den Gesetzgeber, weil die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder für das Polizeirecht und die des Bundes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Strafrecht vorgehen würden. Die Vorfelddelikte eröffnen Möglichkeiten, die selbst das Polizeirecht mit seinem Auftrag zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, also zu deren Verhütung nicht erlauben würde. Neutrale Vorbereitungshandlungen, die schon Gegenstand von § 89a StGB sind, würden sogar über die gegenüber der konkreten Gefahr abgesenkte Eingriffsschwelle der tatsächlichen Anhaltspunkte für eine potenzielle Straftat durch einen potenziellen Straftäter hinausgehen. Die für polizeiliche informationelle Überwachungsmaßnahmen gegen terroristische Gefährder erforderliche Gefahrenprognose darf sich nicht lediglich auf Vermutungen in Form kriminalistischer Hypothesen gründen, sondern muss sich auf tatsächliche Anhaltspunkte stützen, die die Annahme rechtfertigen, dass es sich bei der überwachten Person um einen terroristischen Gefährder handelt. Die polizeirechtliche Prognose bleibt eine – wenn auch gegenüber der konkreten Gefahr reduzierte – Aussage, die an der Wahrscheinlichkeit und nicht nur an der Möglichkeit eines Schadenseintritts orientiert ist.620 Die Bestrafung der Vorbereitungshandlungen in § 89a Abs. 2 und 2a und § 91, insbesondere Abs. 2 Nr. 2 StGB knüpft dagegen an Verhaltensweisen ohne Gefahrenpotenzial an und ist damit nicht mehr an der Wahrscheinlichkeit, sondern nur an der Möglichkeit eines terroristischen Anschlags als zu verhinderndem Schadensereignis orientiert. Das Strafrecht würde also eher intervenieren können als ein schon in das Vorfeld der Gefahr vorverlagertes Polizeirecht. Daraus kann nur die Verfassungswidrigkeit der Vorfeldtatbestände folgen, die die Strafbarkeit von Vorbereitungshandlungen bei gänzlicher Unkenntlichkeit eines Unrechtsgehalts so extrem vorverlagern, wie in § 89a Abs. 2 und § 91 StGB geschehen.621 (2) Strafrecht als ultima ratio Als Ausformung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit als SchrankenSchranke soll das Ultima-Ratio-Prinzip die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers begrenzen und ihn warnen, das Strafrecht zu einem beliebigen Instrument zu machen und als präventionsfixiertes Allheilmittel zu missbrauchen.622 Auch das Bundesverfassungsgericht sieht den Grundsatz als Erscheinungsform der Verhältnismäßigkeit623, ohne ihn allerdings verfassungsdogmatisch als Grenze des Strafgesetzgebers zu operationalisieren.624 620 Kingreen/Poscher, POR, § 2 Rn. 15; BVerfGE 141, 220 (273); Volkmann, NVwZ 2021, 1408 (1410). 621 NK-StGB Paeffgen, § 89a Rn. 9, 19 ff. und 54; Fischer, StGB, § 89a Rn. 3 und § 91 Rn. 19 f.; Puschke, KriPoZ 2018, 101 (107 f.); Gierhake, ZIS 2008, 397 (400 ff.); Beck, in: FG Paulus, S. 23 ff.; Lieber, NStZ 2009, 353 (364); Rackow, in: FS Maiwald, 2010, S. 629 ff.; Roggan, ZRP 2017, 208 f.; Mitsch, NJW 2015, 209 ff.; Zöller, NStZ 2015, 373 ff. 622 Landau, in: FS Schlick, S. 523 (526); Gärditz, JZ 2016, 641. 623 BVerfGE 57, 250 (270); 73, 206 (253); 90, 145 (172); 92, 277 (326 ff.); 96, 10 (25 ff.).
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Maßgeblich für eine rationale Begründung der Strafe und das Verständnis des Ultima-Ratio-Prinzips ist die Trennung zwischen dem vom Gesetzgeber verfolgten Regelungszweck und dem von ihm eingesetzten Mittel, im gegebenen Zusammenhang die Unterscheidung zwischen der vorrangigen Verbotsnorm und der nachrangigen Sanktionsnorm.625 Ob eine Sanktionierung zur Durchsetzung eines Verbots zulässig ist, muss unabhängig von der Frage nach der Zulässigkeit der materiellen Verbotsnorm beantwortet werden, weil es sich um eine grundrechtliche Frage handelt, die erst zu einer strafrechtlich relevanten wird, wenn das Verbot sanktioniert werden soll.626 Diese Unterscheidung nimmt dem Ultima-RatioGrundsatz einen Teil seiner Bedeutung, unterstützt seine Deutung als rechtspolitische Klugheitsregel627 und spricht gegen den Versuch, aus dem Ultima-Ratio-Prinzip ein Grundrecht auf Freiheit von staatlicher Sanktionierung und eine SchrankenSchranke für den Strafgesetzgeber abzuleiten.628 (3) § 152 Abs. 2 StPO als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips § 152 Abs. 2 StPO hat eine der konkreten Gefahr des Polizeirechts vergleichbare Funktion, die darin besteht, dass der Einzelne die Staatsmacht durch legales Verhalten auf Distanz halten kann.629 Die strafgerichtliche Rechtsprechung und das strafverfahrensrechtliche Schrifttum sehen indes die rechtsstaatliche Funktion und Bedeutung des § 152 Abs. 2 StPO im Schutz des Beschuldigten und seiner Rechte als Prozesssubjekt im Ermittlungsverfahren.630 Die rechtsstaatliche Qualität des § 152 Abs. 2 StPO greift aber nicht erst, wenn der Betroffene in den Beschuldigtenstatus gebracht worden ist, sondern schützt schon vor der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens.631 Damit hat § 152 Abs. 2 StPO zwei rechtsstaatliche Funktionen; er muss den in der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens liegenden Grundrechtseingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen rechtfertigen und zugleich die Ermittlungen steuern und begrenzen, damit sie nicht zu Verdachts- und Ausforschungsermittlungen geraten.632
624
Gärditz, JZ 2016, 641 (643). Appel, Verfassung und Strafe, S. 500 ff.; Gärditz, JZ 2016, 641 (642); Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 363 f. 626 Gärditz, JZ 2016, 641 (642); Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 369. 627 Landau, NStZ 2015, 665 (668). 628 So aber Jahn/Brodowski, JZ 2016, 969 (979 f.). 629 Grimm, KritV 1986, 38 (39). 630 Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 111. 631 Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 293; Gärditz, Strafprozeß, S. 325; LR/Beulke, StPO, § 152 Rn. 22; Mitsch, NJW 2015, 209 (210). 632 Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 293; Gärditz, Strafprozeß, S. 325. 625
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(4) Wahrheitsfindung und funktionstüchtige Strafrechtspflege (a) Wahrheitserforschung als verfassungsrechtlicher und einfachgesetzlicher Auftrag Der das strafprozessuale Erkenntnisverfahren in den §§ 160 Abs. 1, 244 Abs. 2 und 261 StPO zum Ausdruck kommende Grundsatz der Erforschung der Wahrheit ist Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips, der das Strafverfahren prägt. Das Ziel bestmöglicher Sachverhaltsaufklärung633 gründet sich nicht allein auf das mit Verfassungsrang ausgestattete Bedürfnis einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, sondern vor allem auf das Freiheitsrecht des Beschuldigten oder Angeklagten, dem die von einem Strafprozess und einer etwaigen strafrechtlichen Verurteilung ausgehenden Grundrechtseingriffe nur zugemutet werden kann, wenn das Strafverfahren eine hinreichend gesicherte Wahrheitserforschung gewährleistet.634 Das Bundesverfassungsgericht sieht das verfassungsrechtliche Gebot einer möglichst vollständigen Erforschung der Wahrheit sowohl in Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem im Rechtsstaatsprinzip enthaltenen Recht auf ein faires Verfahren, als auch im aus Art. 1 Abs. 1 GG folgenden Schuldgrundsatz aufgehoben.635 (b) Pflicht des Staates zum Erhalt einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege Das Rechtsstaatsprinzip fordert nicht nur eine faire Ausgestaltung und Anwendung des Strafverfahrensrechts, sondern verlangt auch, dass die Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege berücksichtigt werden.636 Wenn diese Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips und damit unabdingbare Voraussetzung des demokratischen Rechtsstaats ist, folgt daraus als originäre Staatsaufgabe und Staatspflicht, die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege zu gewährleisten. (c) Verhältnis der beiden Verfassungswerte (aa) Problemfelder Es geht um die entscheidende Frage, ob die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege nur eine dienende Funktion für die Wahrheitserforschung hat oder ob sie gegenüber letzterer als eigenständiger Verfassungswert oder als Abwägungstopos in Stellung gebracht werden kann. Bis zur gesetzlichen Zulassung der Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten durch Gesetz vom 29. 7. 2009637 wurden Absprachen zur Beendigung von Strafverfahren, insbesondere bei zeitaufwändigen Wirtschaftsstrafverfahren einerseits als Verletzung der Pflicht zur Wahrheitserfor633
BVerfGE 118, 212 (231). Möstl, HStR VIII, § 179 Rn. 38 635 BVerfGE 57, 250 (275); 80, 367 (378); 86, 288 (317 f.); 118, 212 (231). 636 MüKo Kudlich, Einleitung, Rn. 87 unter Hinweis auf die Rechtssprechung des BVerfG in E 33, 367 (383); 46, 214 (222); 100, 313 (389); 107, 104 (118 f.); 109, 279 (336); 115, 166 (192 f.); 118, 168 (195). Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 3; Rieß, JR 2006, 269 (272). 637 Landau, NStZ 2007, 121 (127). 634
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schung, andererseits als unverzichtbare Notwendigkeit zum Erhalt der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege gesehen.638 Nach wie vor aktuell ist die Diskussion um den missbräuchlichen Gebrauch der Rechte des Beschuldigten bzw. Angeklagten im Strafverfahren durch Strafverteidiger, die mit einer Flut von Anträgen nur das Ziel einer Verfahrensverzögerung verfolgen.639 Schließlich hat sich mit dem Bekämpfungsstrafrecht als Zweck des Strafverfahrens die unmittelbare Bekämpfung der Kriminalität durch das Strafrecht und das Strafverfahrensrecht ein neuer Strafzweck etabliert, zu dessen Durchsetzung Rechte der Betroffenen mit Blick auf die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege zurücktreten müssen. Kritiker sehen in einem solchen Verständnis eine Verselbstständigung des der Wahrheitsforschung dienenden Verfassungswerts und sprechen von der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege als Kampfbegriff, Gegeninteresse oder Tapetentür.640 Hassemer sieht den Begriff als Grundlage einer Gegenreformation gegen liberales, die Bürgerrechte schützendes Straf- und Strafverfahrensrecht.641 Mit der Verselbstständigung der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege gerät diese zur Ermächtigung des Strafrichters, im Strafverfahren die Verpflichtung zur Erforschung der Wahrheit gegen die zur Gewährleistung der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege abzuwägen und gegebenenfalls letztere der ersteren vorzuziehen, wenn er etwa über die Zulässigkeit eines Verteidigerantrags zu entscheiden hat. Die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege wird demnach als Prüfungsmaßstab oder Abwägungskriterium zur Beschränkung von Verfahrensförmlichkeiten benötigt.642 (bb) Kritische Bemerkungen Die zur Effektivität der Strafverfolgung643 mutierte Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege ist nach geltendem Recht kein Ziel des Strafverfahrens und kann deshalb auch nicht im Rahmen der Gewährleistung der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege als Beitrag zur Förderung der Inneren Sicherheit verstanden werden.644 Der Verfassungswert taugt auch nicht zur Beschneidung der Rechte der Betroffenen. Diese sind – so wie sie vom Gesetzgeber konzipiert worden sind – bereits Ergebnis eines Abwägungsprozesses zwischen den Verfassungswerten der Verpflichtung zur Erforschung der Wahrheit einerseits und der Gewährleistung der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege andererseits, und können deshalb nicht 638
BGBl I, S. 2353. Duttge, in: FS Böttcher, S. 53 (56); Fischer, StraFo 2009, 187 (188); Gössel, in: FS Böttcher, S. 79 (92). 640 Dazu schon Riele, KJ 13 (1980), 316 ff. 641 Landau, NStZ 2007, 121 unter Hinweis auf LR Rieß, Einleitung G, Rn. 16; Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 24 spricht von der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege als Tapetentür. 642 Hassemer, StV 1982, 275. 643 LR Rieß, Einleitung G, Rn. 10 f.; Nowrousian, Kriminalistik 2016, 45 (47). 644 So etwa Nowrousian, Kriminalistik 2016, 45; krit. dazu Landau, NStZ 2007, 121. 639
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mehr vom rechtsanwendenden Strafrichter nachträglich im Rahmen der Beurteilung der Zulässigkeit der Wahrnehmung von Rechten des Beschuldigten oder Angeklagten erneut gegeneinander abgewogen werden.645 Wenn Zielsetzung, Instrumente und Betroffenenrechte den Herausforderungen der real existierenden Kriminalität nicht mehr gerecht werden oder die Arbeitskapazitäten der Strafgerichtsbarkeit zur Bewältigung der Verfahren unter den gegebenen verfahrensrechtlichen Bedingungen nicht mehr ausreichen, sind Gesetzgeber und Ministerien als aufsichtführende Stellen gefordert, Gesetze zu ändern und/oder zusätzliche Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen. (5) Stellenwert des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Strafrecht Auch der Strafgesetzgeber unterliegt der Bindung an die Grundrechte. Das Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes verlangt als Prinzip vom Vorbehalt des verhältnismäßigen Gesetzes646 vom Strafgesetzgeber wegen der mit der Anwendung von Strafgesetzen einhergehendem Grundrechtseingriffe in die Freiheit der Person durch den Vollzug einer Haftstrafe und in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch den Schuldspruch eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.647 Insoweit ist schwerlich nachvollziehbar, wenn das Bundesverfassungsgericht ausführt, dass die Prüfung einer Strafrechtsnorm als verfassungsgemäß nicht an einem engen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auszurichten sei; es könne nicht überprüfen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden habe, sondern habe nur darüber zu wachen, dass die Strafvorschrift materiell im Einklang mit der Verfassung stehe.648 Deshalb hat es sich erst einmal dazu veranlasst gesehen, ein Strafgesetz wegen eines unverhältnismäßigen Grundrechtseingriffs für verfassungswidrig zu erklären, nämlich hinsichtlich des strafbewehrten Verbots der ungenehmigten Mitnahme von über Mitnahmezentralen vermittelten Personen in einem eigenen PKW.649 Das Bundesverfassungsgericht scheut sich offensichtlich, für das Strafrecht über eine eher allgemeine Plausibilitätskontrolle hinauszugehen.650 Das Gericht erreicht in seiner Rechtsprechung zum Strafrecht nicht das Maß an Klarheit, die es sonst bei der Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit an den Tag legt.651 Das hat Lepsius zum Befund veranlasst, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im
645
Möstl, HStR VIII, § 179 Rn. 6. Schlink, EuGRZ 1984, 457 (459 f.). 647 Puschke, KriPoZ 2018, 101 (102 f.); Gärditz, JZ 2016, 641 (642); Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 369; Kaspar, Verhältnismäßigkeit, S. 243 ff. 648 BVerfGE 80, 182 (185 ff.). 649 BVerfGE 17, 306 Rn. 27. 650 Berkemann, DVBl 2018, 741 (749). 651 Goeckenjan, in: Jestaedt/Lepsius, Verhältnismäßigkeit, S. 184 ff. 646
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Strafrecht keine Bedeutung habe.652 Das überrascht umso mehr in Anbetracht der Bedeutung, die das Bundesverfassungsgericht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, insbesondere der Angemessenheitsprüfung von präventiv-polizeilichen Regelungen beimisst, wo doch deren Eingriffe in ihrer Intensität mit den im Vollzug der Haftstrafe liegenden Eingriffen in die Freiheit der Person nicht vergleichbar sind. 3. Bestimmtheitsgrundsatz Als Ausprägung des Gebots der Rechtssicherheit ist das Gebot ausreichender Bestimmtheit von Rechtsnormen wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips.653 Normadressaten müssen erkennen können, was der Gesetzgeber von ihnen verlangt, was sie also tun dürfen und was sie zu unterlassen haben, damit sie nicht mit der Staatsgewalt in Konflikt geraten.654 Dieses Gebot deckt sich weitgehend mit dem anderen rechtsstaatlichen Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes, soweit dieser ausreichend detaillierte und bestimmte Regelungen verlangt.655 Der Grundsatz der Bestimmtheit schließt nicht aus, dass der Gesetzgeber unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln verwendet, solange diese mit den herkömmlichen Auslegungsmethoden konkretisiert werden können.656 Das gilt auch für das Einräumen von Ermessen, wenn dies durch die Zwecke des Gesetzes, Maßstäbe für Abwägungsentscheidungen und tatbestandliche Bindungen diszipliniert wird.657 Das Bestimmtheitsgebot wird bei Strafgesetzen durch die noch schärfere Sonderregelung des Art. 103 Abs. 2 GG verdrängt, indem der Gesetzgeber dazu verpflichtet wird, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass die Tragweite und der Anwendungsbereich der Straftatbestände erkennbar sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen.658 Das Bestimmtheitsgebot richtet sich auch an die Verwaltung und die Gerichte, die dazu verpflichtet sind, unbestimmte Rechtsbegriffe bei der Anwendung des Gesetzes im Sinne der Intention des Gesetzgebers zu präzisieren.659 Es besteht weitgehend Einigkeit, dass die §§ 89a ff. StGB in ihrer ausufernden Vorverlagerung auch das Bestimmtheitsgebot verletzen.660 Dies gilt vor allem für die 652
Lepsius, in: Jestaedt/Lepsius, Verhältnismäßigkeit, S. 28 f. BVerfGE 49, 168 (181); 80, 103 (107 f.); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 82. 654 BVerfGE 131, 268 (309 f.); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 129. 655 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 82. 656 BVerfGE 3, 225 (243); 133, 277 (355 f.); 8, 274 (326); 131, 316 (343); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 133. 657 BVerfGE 8, 274 (326); 110, 33 (54); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 134. 658 BVerfG, NJW 1998, 2589 (2590); Puschke, KriPoZ 2018, 101 (107). 659 BVerfGE 133, 168 (226). 660 NK-StGB Paeffgen, § 89a Rn. 19 ff.; Fischer, StGB, § 89a Rn. 7; § 91 Rn. 19; Puschke, KriPoZ 2018, 101 (107 f.). 653
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in § 89a Abs. 2 und Abs. 2a StGB sowie in § 91 Abs. 1 Nr. 2 StGB beschriebenen Handlungen, wo sich Unrecht allenfalls in den Interna des Täters aufspüren lässt; die Absicht des Täters ist die einzige Begründung für die Strafe.661 Bestraft werden sollen nicht gefährliche Taten, sondern gefährliche Täter.662 Vom Gebot der Bestimmtheit einer Rechtsnorm ist das Gebot ihrer Klarheit zu unterscheiden. Gesetze müssen verständlich, widerspruchsfrei, praktikabel und tatbestandlich stimmig sein, damit der Normadressat den Inhalt auch ohne spezielle Kenntnisse mit hinreichender Sicherheit im Wesentlichen erkennen kann.663 Dazu gehört auch das Gebot der Kompetenzklarheit, das die Betroffenen erkennen lässt, welche staatliche Stelle unter welchen Voraussetzungen zuständig ist, wobei Kompetenzkonflikte zu vermeiden sind.664 Im Hinblick auf die detaillierten Befugnisnormen zur Datenerhebung und Datenverarbeitung in den Polizeigesetzen geht es auch um Übersichtlichkeit im Sinne von Verständlichkeit, wenn diese Regelungen einen Umfang und Detaillierungsgrad annehmen, dass sie nur auf einer ganzen Seite eines Polizeigesetzbuches „verdeutlicht“ werden können. Wenn der Preis für die Bewältigung von Komplexität so hoch wird, dass nicht nur Normadressaten, sondern auch Polizeibeamte als Normanwender die dem Datenschutz dienenden Vorschriften nur nach aufwändigem Studium von Kommentaren verstehen können, geraten die Gebote der Bestimmtheit und Normenklarheit in Konflikt; textliche Aufgeblähtheit ist das Gegenteil von Normenklarheit.665 Gerät der Gesetzgeber bei der Abfassung der tatbestandlichen Voraussetzungen von informationellen Befugnisnormen an diese Grenze, stellt sich die Frage, ob und inwieweit prozeduraler Grundrechtsschutz eine an der Normenklarheit scheiternde Engführung der tatbestandlichen Voraussetzungen ergänzen oder gar ersetzen kann. 4. Klare Ordnung der Aufgaben im Staat Die Kompetenzverteilungsregeln der Artikel 30 ff., 70 ff. und 83 ff. GG stehen nicht nur mit dem Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 2 GG, sondern auch mit dem Rechtsstaatsprinzip in einem untrennbaren Zusammenhang; letzteres erfordert gemäß Art. 20 Absatz 3 GG eine klare und auf Vollständigkeit ausgerichtete Zuordnung von Kompetenzen der handelnden Staatsorgane. Wenn die Gesetzgeber in Bund und Ländern die Wahrnehmung von mit Eingriffsbefugnissen ausgestatteten Aufgaben auf verschiedene Verwaltungseinheiten verteilen, fragt sich, ob und inwieweit verwaltungsorganisatorische Regelungen, wie alle anderen auch, rechtsstaatlichen Anforderungen an ihre Klarheit und Bestimmtheit unterliegen, insbe661
Fischer, StGB, § 89a Rn. 36. Fischer, StGB, § 89a Rn. 36; Radtke/Steinsiek, ZIS 2008, 383 (392 f.); Sieber, NStZ 2009, 353 (363 f.); Weißer, ZStW 121 (2009), 131 (149); a.A. BGHSt 59, 218 (228 ff.). 663 BVerfGE 114, 1 (53); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 141. 664 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 142. 665 BVerfGE 141, 220; abweichende Meinung des Richters Schluckebier, S. 362 (378). 662
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sondere wegen der mit der jeweiligen Aufgabe verbundenen Eingriffsbefugnisnormen. Auf diesem Hintergrund ist die Unterschiedlichkeit der Aufgaben Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zu beachten und zu klären, ob und inwieweit gemischte Entscheidungsstrukturen in Gestalt von Mischverwaltung und Mehrfachzuständigkeiten zulässig sein können. a) Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung Gefahrenabwehr und Strafverfolgung sind wegen der bestehenden kategorialen Unterschiede voneinander zu trennen. Diese für die deutsche Sicherheitsverwaltung prägende Unterscheidung ist rechtsstaatlich zwingend geboten und kann nicht aufgegeben werden, weil sie integraler Bestandteil der gewaltenteiligen freiheitssichernden Kompetenzordnung des Grundgesetzes ist.666 Wenn Gefahrenabwehr und Strafverfolgung sich elementar dadurch unterscheiden, dass erstere eine noch abwendbare Schutzgutsverletzung verhindern und letztere eine nicht mehr rückgängig zu machende nur noch ahnden will, dann muss bei der Ausbalancierung von Freiheit und Sicherheit maßgeblich berücksichtigt werden, dass die Entscheidungssituation für den angemessenen Ausgleich von Freiheits- und Sicherheitsbelangen im Bereich der Gefahrenabwehr sich grundlegend von der im Bereich der Strafverfolgung unterscheidet.667 Polizeiliche Entscheidungen zur Gefahrenabwehr beruhen auf einer Prognose, die regelmäßig von Ungewissheit geprägt ist und können sich dem Faktum der Dringlichkeit nicht entziehen. Dagegen sind Entscheidungen bei der Strafverfolgung frei vom Dringlichkeitszwang und von Prognoseunsicherheiten und müssen stattdessen Gewissheit über einen in der Vergangenheit liegenden Geschehensablauf herstellen.668 Maßgebliche Unterschiede bestehen auch hinsichtlich Verfahrensherrschaft und Weisungskompetenz. Geht es um Gefahrenabwehr, liegt die Verfahrensleitung bei der Polizei, der dabei nur vorgesetzte Dienststellen der allgemeinen inneren Verwaltung Weisungen erteilen können, geht es um Strafverfolgung, leitet die zuständige Staatsanwaltschaft das jeweilige Ermittlungsverfahren, in dem sie den ihr als Ermittlungspersonen zugeordneten Polizeibeamten Weisungen erteilen kann. Polizeiliche Maßnahmen sind als gefahrenabwehrende und strafverfolgende zudem zu unterscheiden, wenn es um gerichtlichen Rechtsschutz, Haftung und Folgenbeseitigung geht.669
666 Möstl, Garantie, S. 157; Schoch, POR, in: Schoch, BVR, Kap. 1 Rn. 15 f.; Denninger, HdBPR, D. Rn. 171; Gärditz, Strafprozeß, S. 1 und 89; Sieber, ZStW 119 (2007), 1 (34); Hawickhorst, § 129a StGB, S. 192; Albers, Determination, S. 19 ff. und 92 ff.; Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts, S. 178; Lepsius, Jura 2006, 929 (931); Gierhake, Zusammenhang, S. 381; Trute, DV 32 (1999), 73 (75 f.). 667 Möstl, Garantie, S. 157. 668 Möstl, Garantie, S. 157. 669 Kniesel, DP 2018, 265 (266).
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Unterschiedlich sind im Bereich der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung auch die Eingriffsvoraussetzungen der einschlägigen Befugnisnormen, insbesondere was Vorfeldaktivitäten angeht; während das Strafverfahrensrecht den Verdacht einer begangenen Straftat voraussetzt, also kein Vorfeld des Anfangsverdacht kennt670 ermöglichen die informationellen Befugnisse der Polizeigesetze ein Tätigwerden im Vorfeld der konkreten Gefahr. Das Bundesverfassungsgericht hat jüngst zur Notwendigkeit einer kompetenziell klaren Trennung von Polizei- und Strafprozessrecht grundsätzlich Stellung genommen. Es geht davon aus, dass Gefahrenabwehr und Strafverfolgung oft nahe beieinanderliegen und sich deshalb die Regelungsbefugnisse von Bund und Ländern überschneiden können, mit der Folge, dass Regelungen doppelfunktional ausgerichtet sind und sowohl der Strafverfolgung als auch der Gefahrenabwehr – und entsprechend sowohl der Strafverfolgungsvorsorge als auch der Gefahrenvorsorge – dienen. Deshalb ist der Landesgesetzgeber nicht an dem Erlass einer der Gefahrenabwehr dienenden Regelung gehindert, weil diese in ihren tatsächlichen Wirkungen auch Interessen der Strafverfolgung dient. Die Zulässigkeit darauf gestützter landespolizeirechtlicher Maßnahmen steht nicht deshalb in Frage, weil sie präventiv und repressiv zugleich wirken.671 Das folgt für das Bundesverfassungsgericht aus der Entscheidung der Verfassung, Strafverfolgung und Gefahrenabwehr trotz ihrer inhaltlichen Nähe kompetenziell unterschiedlich zu behandeln. „Wenn danach ähnliche oder auch gleiche Maßnahmen aus verschiedenen, aber sachlich eng zusammenliegenden Gesichtspunkten einerseits vom Bund und andererseits von den Ländern geregelt werden können, kann und muss eine sachliche Überschneidung der Regelungen nicht völlig ausgeschlossen sein.“672 All das ändert aber auch für das Bundesverfassungsgericht nichts daran, dass die Kompetenzen von Bund und Ländern sorgfältig zu unterscheiden sind; für die kompetenzielle Zuordnung einer Eingriffsbefugnis zum Polizei- und Strafverfahrensrecht kommt es auf den Schwerpunkt der Zweckrichtung an.673 b) Kompetenzklarheit als Unterfall des Vertrauensschutzes aa) Vertrauensschutz als Verlässlichkeit der Rechtsordnung Zum Vertrauensschutz als ungeschriebenem Einzelgehalt des Rechtsstaatsprinzip674 im Sinne der Verlässlichkeit der Rechtsordnung gehört das Gebot der Kompetenzklarheit, das dafür sorgt, dass staatliches Handeln durch eindeutige Zuordnung zu bestimmten Verantwortung tragenden Verwaltungseinheiten berechenbar wird.675 670
4. Abschnitt, B. I. 4. BVerfGE 150, 244 (Rn. 71 ff.); krit. zur Doppelfunktionalität 2. Teil, 4. Abschnitt, C. II. 1. d). 672 BVerfGE 150, 244 (Rn. 73). 673 BVerfGE 150, 244 (Rn. 74); Möstl, BeckOK PSR Bayern, Vorbem. Rn. 60. 674 Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 83 Rn. 30 ff. m.w.N. 675 Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 78. 671
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Der Gesetzgeber hat deshalb bei der Festlegung von Verwaltungszuständigkeiten die rechtsstaatlichen Grundsätze der Normenklarheit und Widerspruchsfreiheit zu beachten.676 Überdies ist eine hinreichend klare Zuordnung von Verwaltungszuständigkeiten vor allem im Hinblick auf das Demokratieprinzip erforderlich, das eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern fordert und auf diese Weise demokratische Verantwortlichkeit ermöglicht.677 Aufgabenzuweisungen mit der ihnen innewohnenden Entscheidung über die bei ihrer Wahrnehmung zur Anwendung kommenden Befugnisse berühren regelmäßig die streng alternative Kompetenzverteilung des Grundgesetzes auf Bund und Länder und damit das Verfassungsgefüge insgesamt, weil die Regeln über die Kompetenzverteilung in den Art. 30 ff., 70 ff. und 83 ff. GG in einem untrennbaren konzeptionellen Zusammenhang mit der demokratischen Rechtsstaatlichkeit des Grundgesetzes stehen.678 Das Demokratieprinzip fordert eine hinreichend klare Zuordnung von Verantwortlichkeiten, damit der Wähler weiß, „wen er wofür – nicht zuletzt durch Vergabe oder Entzug seiner Stimme – verantwortlich machen kann. Daran fehlt es, wenn die Aufgaben durch Organe oder Amtswalter unter Bedingungen wahrgenommen werden, die eine solche Verantwortungszuordnung nicht ermöglichen.“679 Auch das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG fordert eine „klare und auf Vollständigkeit angelegte Zuordnung von Kompetenzen der handelnden Staatsorgane.“680 Demzufolge sind die Bestimmungen über die Verteilung der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nicht nur kleinteilige Zuständigkeitsregelungen, sondern das Fundament der demokratischen Rechtsstaatlichkeit des Grundgesetzes.681 Wenn der Gesetzgeber in Ausübung seiner Kompetenzen bestimmten Verwaltungssubjekten Aufgaben und Befugnisse zuweist, muss er das nach dem Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes auf der Grundlage eines Spezialgesetzes tun.682 bb) Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Verwaltungsorganisation Sollen der Verfassung konkrete Anforderungen an die Verwaltungsorganisation entnommen werden, ist wegen der Weite und Unbestimmtheit des Einzelgehalts Vertrauensschutz Behutsamkeit geboten.683 Zu klären ist vorab, ob dieser als Regel
676 BVerfGE 108 (169 ff.); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 142; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, Art. 20 Abs. 3 Rn. 300 f.; Berger, Ordnung, S. 59 f.; Oebbecke, in: FS Stree und Wessels, S. 1119 (1128). 677 Dreier, JZ 1987, 1009 (1016) 678 Kingreen/Schönberger, NVwZ 2018, 1825. 679 BVerfGE 137, 108 (144); 119, 331 (366). 680 BVerfGE 137, 108 (144); 119, 331 (366). 681 Kingreen/Schönberger, NVwZ 2018, 1825 (1826). 682 Schlink, Amtshilfe, S. 149. 683 BVerfGE 111, 54 (82) m.w.N.; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 78.
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im Sinn eines Gebots, als allgemeiner Rechtsgrundsatz oder als Prinzip in Anspruch genommen werden soll.684 Nach einer engen Betrachtungsweise können dem Grundgesetz außer den Anforderungen an die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse in Art. 33 Abs. 4 und den Regelungen zur Rechtsaufsicht in Art. 84 Abs. 3 und 85 Abs. 4 Satz 1 GG keine besonderen Bestimmungen für die Organisation der Verwaltung entnommen werden; das Rechtsstaatsprinzip erlaube über diese Grundgesetzbestimmungen hinaus grundsätzlich keine konkreten Folgerungen für die Verwaltungsorganisation, etwa mit Blick auf ein Optimierungsziel oder eine Gewaltenteilung innerhalb der vollziehenden Gewalt.685 Dagegen entnehmen das Bundesverfassungsgericht und die herrschende Meinung im Schrifttum dem Grundgesetz prinzipielle Vorgaben für eine klare Verwaltungsorganisation. Der Gesetzgeber hat bei der Bestimmung von Verwaltungszuständigkeiten die rechtsstaatlichen Grundsätze der Normenklarheit und Widerspruchsfreiheit zu beachten.686 Eine Verflechtung von Zuständigkeiten ist für das Bundesverfassungsgericht problematisch, weil demokratische Verantwortlichkeit grundsätzlich eine hinreichend klare Zuordnung von Verwaltungskompetenzen voraussetzt.687 Insoweit stehen die Anforderungen an das Demokratieprinzip in engem Zusammenhang mit dem Rechtsstaatsprinzip, das eine klare und auf Vollständigkeit angelegte Zuordnung von Kompetenzen gebietet.688 Auf dieser Linie liegt auch die herrschende Auffassung im Schrifttum. Für Schlink garantiert die aus dem allgemeinen Grundsatz der Gewaltenteilung abgeleitete Gewaltenteilung in der Verwaltung eine arbeitsteilige, funktionsgerechte und verantwortungsklare Organisationsstruktur und sichert zugleich individuelle Freiheit.689 Der freiheitssichernde Ertrag des Gedankens der Gewaltenteilung in der Verwaltung und seine arbeitsteilige Effizienz zeigen sich vor allem in den kompetenz- und zuständigkeitsmäßigen Differenzierungen, die auf der Gesetzesebene oder erst auf der Verwaltungsebene realisiert sind.690 Darauf hatte sich schon Forsthoff mit seiner Forderung bezogen, dass die verschiedenen Verwaltungszwecke getrennt voneinander zu verfolgen sind und Verwaltungseinheiten die ihnen eingeräumten Mittel nur zur Durchsetzung der ihnen aufgetragenen Zwecke einsetzen dürfen.691 Deshalb muss aus dem Rechtsstaatsprinzip ein Gebot klarer und fester Kompetenz- und
684 685 686 687 688 689 690 691
S. 3. Abschnitt, D. II. 4. c) cc). Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 161. BVerfGE 21, 73 (79); 78, 214 (226); 98, 106 (119); 108, 169 (180 f.). BVerfGE 137, 108 (144); 119, 331 (366). BVerfGE 137, 108 (144). Schlink, Amtshilfe, S. 18. Schlink, Amtshilfe, S. 29. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 450 f.; Schlink, Amtshilfe, S. 29.
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Zuständigkeitsabgrenzungen entnommen werden, das als verbindliche Regel zu verstehen ist.692 Berger geht in ihrer Habilitationsschrift „Die Ordnung der Aufgaben im Staat“ vom Grundsatz einer ausschließlichen Aufgabenverantwortung in der Verwaltung aus, in der die Aufgaben der einzelnen Verwaltungsträger diesen jeweils ausschließlich zugeordnet sind, was eine parzellenscharfe und punktgenaue gesetzliche Definition voraussetze.693 Gemischte und parallele Aufgabenverantwortung würden eine Durchbrechung des verfassungsrechtlichen Regelfalls der ausschließlichen Zuordnung darstellen.694 Der Gesetzgeber sei gehalten, die verschiedenen Aufgabennormen zu einer Aufgabenordnung auszuformen, in der er sich im Zweifel für eine trennscharfe Abgrenzung der Aufgabenbereiche entscheiden müsse und in der gemischte oder parallele Aufgabentatbestände als Abweichungen von der grundsätzlich ausschließlichen Zuweisung an ein Verwaltungsrechtssubjekt ausdrücklich und punktgenau ausgewiesen werden müssten.695 Wenn Berger vom Gebot der Verantwortungsklarheit als einem Leitbild spricht,696 geht sie allerdings anders als Schlink nur von einem Prinzip im Sinne eines Optimierungsgebots aus. Unter einem rechtsstaatlichen Gebot überschaubarer Verwaltungsorganisation697, einem Gebot der Kompetenzklarheit698 bzw. der Forderung nach einer Berechenbarkeit staatlichen Handelns in einer klaren Kompetenzordnung699 verstehen auch andere Autoren ein Optimierungsgebot. Kommt es beim Gesetzesvollzug zu Aufgabenüberschneidungen, weil der Gesetzgeber den Gesetzeszweck nicht bestimmt genug gefasst hat, muss die Verwaltung, ihrer Verpflichtung zur Präzisierung nachkommen und selber für Kompetenzklarheit sorgen, indem sie vor Erlass einer Maßnahme ihren Zweck unter Beachtung des Willens des Gesetzgebers festlegt. cc) Anwendung der Regel bzw. des Optimierungsgebots auf Mischverwaltung und Mehrfachzuständigkeiten im Sicherheitsbereich (1) Gefährdungen der Kompetenzklarheit Hier stellt sich die Frage nach einer unzulässigen Mischverwaltung bei den Zentralstellen des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG und bei den Informationsverbünden in gemeinsamen Zentren von Bundes- und Landesbehörden, wie es insbesondere beim gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum GTAZ der Fall ist. 692 693 694 695 696 697 698 699
Schlink, Amtshilfe, S. 29 ff. Berger, Ordnung, S. 13. Berger, Ordnung, S. 15 und 127. Berger, Ordnung, S. 127. Berger, Ordnung, S. 59 und 90. Stern, Staatsrechts, Bd. I, § 20 IV 4 d). Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 142. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, Art. 20 Rn. 300 f.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Eine klare Zuordnung der Aufgaben im Staat wird auch mit Mehrfachzuständigkeiten in Frage gestellt. Konkurrierende behördliche Zuständigkeiten bestehen im Sicherheitsbereich bei der Strafverfolgung, bei der Überwachung des Straßenverkehrs und bei der Versammlungsaufsicht. Im Rahmen der Strafverfolgung konkurrieren die Landespolizeien mit ihrem Strafverfolgungsauftrag aus § 163 Abs. 1 StPO mit dem der Staatsanwaltschaft aus § 161 Abs. 1 Satz 1 StPO. Zur Überwachung des ruhenden und fließenden Straßenverkehrs auf der Grundlage von § 36 Abs. 5 StVO in Verbindung mit einer organisatorischen Rechtsgrundlage des jeweiligen Landesrechts ist die Polizei zuständig, in einigen Bundesländern sind aber auch die örtlichen Ordnungsbehörden zur Überwachung des ruhenden und hinsichtlich Rotlichtverstößen und Geschwindigkeitsüberschreitungen auch des fließenden Verkehrs zuständig. Bei der Versammlungsaufsicht besteht in Bayern und Sachsen eine parallele Zuständigkeit für Auflösungsverfügungen; in Bayern sind gemäß Art. 24 Abs. 1 Satz 1 zuständige Behörden im Sinne des bayerischen Versammlungsgesetzes die Kreisverwaltungsbehörden als allgemeine Ordnungsbehörde und können in dieser Eigenschaft nach Art. 15 Abs. 4 bayVersG eine Versammlung nach ihrem Beginn beschränken oder auflösen; gemäß Art. 24 Abs. 2 Satz 2 bayPAG kann aber ab Beginn der Versammlung auch die Polizei in unaufschiebbaren Fällen entsprechende Maßnahmen treffen. In Sachsen überträgt § 32 Abs. 1 sächsVersG die sachliche Zuständigkeit für das Versammlungswesen auf die Kreispolizeibehörden als Versammlungsbehörden. Für die Eingriffsmaßnahmen des Versammlungsverbots, der beschränkenden Verfügung und der Auflösung ist die Versammlungsbehörde nach § 32 Abs. 1 Nr. 4 sächsVersG zuständig. Daneben besteht aber noch die parallele Zuständigkeit des Polizeivollzugsdienstes für die Auflösung von Versammlungen und Aufzügen gemäß § 32 Abs. 2 Nr. 3 sächsVersG, worunter auch als minderschwere Eingriffe beschränkende Verfügungen nach Versammlungsbeginn fallen. Die aufgezeigten Mehrfachzuständigkeiten können dazu führen, dass vor Ort zwischen der Versammlungsbehörde und dem Polizeivollzugsdienst keine Einigkeit darüber besteht, ob ein Beschränkungs- oder Auflösungsgrund vorliegt, mit der Folge, dass Versammlungsteilnehmer nicht einschätzen können, welche Konsequenzen sich aus ihren demonstrativen Aktionen für sie ergeben können. Dagegen bestehen durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken, weil einem Versammlungsteilnehmer als potenziellem Störer zwei verschiedene Behörden vor Ort entgegentreten können, die ihm je nach Einschätzung der Gefahrensituation unterschiedliches Handeln zur Gefahrenabwehr abverlangen können.700 In der Verwaltungspraxis ist die Mehrfachzuständigkeit für eine Auflösungs- oder Beschränkungsverfügung problematisch, wenn zwischen der Versammlungsbehörde und dem Polizeivollzugsdienst ein Dissens über das Vorliegen eines Auflösungs- oder Beschränkungsgrundes besteht. Die verfassungsrechtlichen Bedenken könnten nur ausgeschlossen werden, wenn das jeweilige Versammlungsgesetz eine wirksame
700
Oebbecke, in: FS für Stree und Wessels, S. 1119 (1128 f.).
3. Abschn.: Grundgesetz
227
Konfliktlösungsregel enthalten würde.701 Da eine solche in den oben angeführten Fällen nicht besteht, sind die Mehrfachzuständigkeiten im bayerischen und sächsischen Versammlungsgesetz verfassungswidrig. Es macht im Hinblick auf die Trennung von staatlicher Leistungs- und Eingriffsverwaltung einen entscheidenden Unterschied, ob eine Mehrfachzuständigkeit dazu führt, dass ein Kulturprojekt von zwei verschiedenen Verwaltungssubjekten gefördert wird oder ob ein Grundrechtsträger wegen einer Mehrfachzuständigkeit der Versammlungsaufsicht nicht mehr sicher einschätzen kann, was ihm grundrechtlich erlaubt ist und mit welchen staatlichen Maßnahmen er wegen seiner Grundrechtsausübung zu rechnen hat. In einem solchen Fall erstarkt das Gebot der klaren Kompetenzordnung zum Verbot einer Mehrfachzuständigkeit. (2) Ausnahmsweise Zulässigkeit Hinsichtlich der Zentralstellen wird davon ausgegangen, dass die eine ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes begründende Kompetenz zu ihrer Einrichtung gemäß Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG zur Durchbrechung des grundsätzlichen Verbots der Mischverwaltung ermächtigt.702 Bei den gemeinsam von Bund und Ländern unterhaltenen Zentren ist eine verfassungsrechtliche Legitimation für die dort stattfindende Zusammenarbeit von Polizei- und Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern problematisch. Es findet im GTAZ eine verstetigte und auch räumlich verfestigte informationelle Kooperation in der Weise statt, dass tägliche Lagebesprechungen stattfinden und verschiedene Arbeitsgruppen regelmäßig oder bedarfsabhängig zusammentreten.703 Dort werden nicht lediglich Informationen ausgetauscht, die dann später jede Behörde für sich weiterbearbeitet, sondern es werden in den Arbeitsgruppen gemeinsam Gefährdungs- und Fallanalysen erstellt, wodurch die teilnehmenden Behörden ihre analytische Fachkompetenz bündeln und so aus den bis dahin bei ihnen vorhandenen Einzeldaten neue Informationen generieren, über die vorher keine der beteiligten Behörden verfügte und auch jeweils für sich nicht hätte zusammenstellen können.704 Für diesen durch Behördenkooperation von Bund und Ländern geschöpften Mehrwert gibt es derzeit keine spezifische Ermächtigungsgrundlage, die einen besonderen sachlichen Grund als Legitimation für die im GTAZ stattfindende Mischverwaltung abgeben könnte.705 Da es bei der dort stattfindenden Datenverarbeitung um Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung handelt, wäre auch aus diesem Grunde eine spezialgesetzliche Rechtsgrundlage für das GTAZ erforderlich.
701
Oebbecke, in: FS für Stree und Wessels, S. 1119 (1128 f.). Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 87 Rn. 5; Gusy, DVBl 1993, 1117 (1120 f.). 703 Bäcker, HdBPR, B. Rn. 263; Sommerfeld, Verwaltungsnetzwerke, S. 154 ff. 704 Bäcker, HdBPR, B. Rn. 264. 705 Bäcker, HdBPR, B. Rn. 264; Sommerfeld, Verwaltungsnetzwerke, S. 276; Berger, Ordnung, S. 159 f. 702
228
2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
4. Abschnitt
Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben A. Prävention und Repression – Entwicklung, Bedeutung und Wandel der Begriffe Die Aufgabe der Gefahrenabwehr als Kern der vom Grundgesetz den Ländern vorbehaltenen Polizeihoheit obliegt diesen nach der Aufgabenzuweisung des jeweiligen Polizeigesetzes. Die Aufgabe der Strafverfolgung ist den Ländern gemäß den §§ 163 Abs. 1 Satz 1 und 161 Abs. 1 Satz 2 StPO übertragen. Gefahrenabwehr und Strafverfolgung sind als eigenständige Aufträge der Gesetzgeber zu verstehen und bis in die 1970er Jahre auch so verstanden worden. Das änderte sich mit dem Programm für die Innere Sicherheit von 1972/1974, das den Sicherheitsauftrag der Polizei als Verbrechensbekämpfung durch Verbrechensverhütung und Strafverfolgung verstand und mit der seit 1976 einsetzenden Kriminalitätsbekämpfungsgesetzgebung des Bundes, die Terrorismus und organisierte Kriminalität in präventiver Zielsetzung bekämpfen sollte. Auf diesem Hintergrund wurden die Begriffe Prävention und Repression aus dem Kontext der Straftheorien gelöst und bekamen eine neue Qualität, indem sie in einem Gefahrenabwehr und Strafverfolgung verbindenden operativen Auftrag zur Kriminalitätsbekämpfung in der Weise aufgingen, dass Prävention durch Repression und Repression durch Prävention möglich wurde.
I. Herkunft und allgemeiner Sprachgebrauch Da das Grundgesetz die Begriffe Prävention und Repression nicht kennt und der Gesetzgeber sie nicht verwendet, muss deren Auslegung an ihrer Herkunft und Verwendung im allgemeinen Sprachgebrauch ansetzen. Etymologisch haben beide Begriffe lateinische Wurzeln; Prävention wird abgeleitet von prävenire im Sinne von „etwas zuvorkommen“706 und Repression von reprimere im Sinne von „unterdrücken oder zurückdrängen“.707 Im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet Prävention Vorbeugung oder Verhütung708, Repression Unterdrückung709. In der Volksmundweisheit, dass Vorbeugen besser als Heilen sei, kommt die Überlegenheit des rechtzeitigen vorherigen Han706 707 708 709
Stowasser/Losek, Lateinisch-Deutsches Wörterbuch, S. 401. Stowasser/Losek, Lateinisch-Deutsches Wörterbuch, S. 440. Duden, Fremdwörterbuch, S. 801. Duden, Fremdwörterbuch, S. 861.
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
229
delns gegenüber dem nachlaufenden Bemühen um Wiederherstellung der Gesundheit zum Ausdruck.
II. Strafrecht und Polizeirecht 1. Traditionelles Verständnis Im deutschen Rechtssystem werden in zeitlicher Hinsicht traditionell zwei Phasen der staatlichen Sicherheitsgewährleistung unterschieden: die Prävention als Verhütung und Abwehr von zukünftigen oder noch andauernden Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung und die Repression als Verfolgung und Ahndung von bereits erfolgten sanktionsbewehrten Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Gestalt von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten; Zäsur zwischen diesen beiden Phasen staatlicher Sicherheitsgewährleistung ist der Zeitpunkt der Norm- bzw. Rechtsgutsverletzung; die Dichotomie des Vorher und Nachher ist für das deutsche Rechtssystem prägend und grenzt das präventive Polizeirecht vom repressiven Strafrecht als die beiden Hauptsäulen der staatlichen Sicherheitsgewährleistung trennscharf voneinander ab.710 Das Polizeirecht ist als Gefahrenabwehrrecht präventiv und damit prädeliktisch, weil es im Vorhinein Straftaten bzw. Rechtsgutsverletzungen verhindern will, während das Strafrecht und das ihm dienende Strafverfahrensrecht repressiv, also postdeliktisch sind711, weil sie sanktionieren und insoweit eine begangene Straftat zur zwingenden Voraussetzung haben.712 Auf diesem Hintergrund beschreiben die Begriffe Prävention und Repression nichts anderes als die polizeilichen Aufgaben Gefahrenabwehr und Strafverfolgung.713 2. Neues Verständnis als deskriptive Begriffe Von diesem klassischen Verständnis entfernt sich eine Sichtweise, die die Begriffe Prävention und Repression mit neuen Inhalten füllt und daraus Folgen für das Verhältnis von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung ableitet. Den Boden dazu bereitete das Programm für die Innere Sicherheit aus dem Jahr 1972/1974, das den Sicherheitsauftrag der Polizei auf den gesamten Bereich der Verbrechensbekämpfung, also die Verbrechensverhütung und die Strafverfolgung ausdehnte.714 Das traf sich mit der Forderung der polizeilichen Praxis, die aus ihrer Sicht überholte Un710
Möstl, Garantie, S. 147. Möstl, Garantie, S. 147; ders., BeckOK PSR Bayern, Vorbem. Rn. 60 und 90; Rieger, Abgrenzung, S. 66 ff. 712 BVerfGE 141, 220 (270); Gusy, POR, § 1 Rn. 19. 713 Pieroth/Schlink/Kniesel, POR (2002), § 2 Rn. 7 f.; Gusy, POR, § 1 Rn. 19; Würtenberger/Heckmann/Tanneberger, PRB-W, § 4 Rn. 85; Gärditz, Strafprozeß, S. 29. 714 PIS 1974, S. 7. 711
230
2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
terscheidung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zu Gunsten eines operativen Vorgehens aufzugeben, weil nur so besondere Kriminalitätsformen effektiv bekämpft werden könnten.715 Es wurde auch die Sichtweise propagiert, dass der Präventionsauftrag des Strafrechts in den übergeordneten Gefahrenabwehrauftrag eingebettet sei, die Polizei mithin aus kriminalstrategischer Perspektive nur den einzigen großen, gegenüber der Repression prädominanten Auftrag der Gefahrenabwehr habe.716 Mit Blick auf die neuen Möglichkeiten der Datenverarbeitung wurde die Repression in einem Endzustand gar als überflüssig angesehen, wenn es denn der Polizei mit Hilfe des Computers als gesamtgesellschaftlichem Diagnoseinstrument in Wahrnehmung eines gesellschaftssanitären Auftrags gelinge, die Gesellschaft durch Verhütung von Straftaten dergestalt zu therapieren, dass die Ursachen der Kriminalität angegangen werden könnten und nicht mehr nur ihre Erscheinungsformen bekämpft werden müssten.717 Den ersten Schritt in das Vorfeld der konkreten Gefahr ermöglichte § 9 MEPolG, der es der Polizei erlaubte, losgelöst vom klassischen Erfordernis der konkreten Gefahr Kontrollstellen an gefährlichen und gefährdeten Orten zu errichten und dort Identitätsfeststellungen als Razzien durchzuführen. Diesem Vorbild folgten die Polizeigesetze der 1980er Jahre. Nachdem die Tür in das Vorfeld der konkreten Gefahr aufgestoßen war, bezog der VEMEPolG von 1986 die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als Gefahrenvorsorge in die Aufgabe der Gefahrenabwehr ein. Diese Aufwertung der Gefahrenabwehr, die durch die Ableitung der Prävention aus der Staatsaufgabe Sicherheit zum verfassungsrechtlichen Begriff überhöht wurde, ließ Repression ins Hintertreffen geraten und musste deshalb auf massiven Protest der Justiz treffen. Aktuell ist die umgekehrte Betrachtungsweise festzustellen, die die Repression als das effektive Instrument zur Kriminalitätsbekämpfung in den Vordergrund stellt, die Prävention mangels unzureichender eigener Bekämpfungsmöglichkeiten in der Repression aufgehen lässt und die strategische Kriminalitätsbekämpfung aus dem Polizeirecht in das Strafverfahrensrecht überführen will. Gemeinsam ist aber beiden Betrachtungsweisen, dass es mit Hilfe der neuen Vorstellungen von Prävention und Repression zur Vermischung der Aufgaben von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung und zur Aufhebung der funktionalen Trennung zwischen beiden kommt. Die neue Sinngebung für Gefahrenabwehr und Strafverfolgung durch ein neues Verständnis von Prävention und Repression ist überflüssig, soweit der Zweck verfolgt wird, die Gefahrenvorsorge in die Prävention zu integrieren, und rechtsmethodisch unzulässig, wenn sie versucht, auf der übergeordneten Ebene der neuen
715
Stümper, Kriminalistik 1980, 242 ff. Schäfer, GA 133 (1986), 49 ff. 717 Herold, Die Polizei 1972, 133 ff.; ders., Interview mit Sebastian Cobler, Transatlantik, 11/1980. 716
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
231
Leitbegriffe Prävention und Repression die Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zu überwinden. Überflüssig ist das neue Verständnis, weil mit dem VEMEPolG die Gefahrenvorsorge in Gestalt der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten als Bestandteil der polizeilichen Aufgabe der Gefahrenabwehr verstanden wird und die Länder in ihren Polizeigesetzen diesen Auftrag der Polizei „im Rahmen“ der Aufgabe zur Gefahrenabwehr zugewiesen haben. Mit dem neuen Verständnis werden ohne Mitwirkung des Gesetzgebers grundlegende Änderungen im Verhältnis von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung herbeigeführt. Die Überhöhung der Begriffe Prävention und Repression in Form der Überwindung des Gegensatzes zwischen beiden und der Begründung eines Vorrangs des einen Ziels vor dem anderen macht es den vermeintlichen Interpreten möglich, die von Verfassung und Gesetz entschiedene Rangfrage von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung und die Trennung der beiden Aufgaben voneinander zu unterlaufen. Für die weitere Untersuchung wird daher das klassische Verständnis von präventiv und repressiv zugrunde gelegt, das mit diesen Merkmalen das Wesen von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung beschreibt718 und damit nicht die Legitimation gibt, diese Aufgaben umzugestalten.
B. Gesetzliche Grundlagen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als Aufgabenzuweisungen an die Polizei bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, die den jeweiligen Handlungsraum eröffnet und zugleich klärt, wann die Polizei ohne eine zusätzliche gesetzliche Ermächtigung schlicht hoheitlich, also ohne Grundrechtseingriff tätig werden darf.719 Aufgabenzuweisungen eröffnen mit der Beschreibung des äußersten Rahmens rechtlicher Zulässigkeit des Polizeihandelns ein Tätigkeitsfeld, das weiter ist als das auf spezielle Befugnisse gestützte Eingriffshandeln.720 Sie begrenzen es aber auch, etwa bei der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten durch den Zusatz im Rahmen der Gefahrenabwehr; denn wo von einer konkreten oder abstrakten Gefahr schlechterdings nicht die Rede sein kann, darf die Polizei von der entsprechenden Befugnisnorm keinen Gebrauch machen, etwa bei der Überprüfung von Ordensschwestern an einem gefährlichen Ort.721
718
Albers, Determination, S. 94. Pieroth/Schlink/Kniesel, POR (2002), § 5 Rn. 10; Knemeyer, POR, § 9 Rn. 54 f. 720 Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 113; Albers, Determination, S. 251; Knemeyer, DÖV 1978, 11; Staats, DÖV 1979, 155 (156). 721 Pieroth/Schlink/Kniesel, POR (2002) § 5 Rn. 11 f. 719
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
I. Strafverfolgung722 1. Ermittlungen gemäß §§ 160 Abs. 1, 161 Abs. 1, 163 Abs. 1 Satz 1, 152 Abs. 2 StPO a) Tatverdacht aa) Voraussetzungen Die Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts nach den §§ 160 Abs. 1 und 163 Abs. 1 StPO beginnt mit der Entstehung des Verdachts, dass eine Straftat begangen worden ist. Dafür müssen die von § 152 Abs. 2 StPO geforderten zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte es nach kriminalistischer Erfahrung als möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt.723 Der Verdacht hat mit der Annahme, dass sich ein Sachverhalt in bestimmter Weise zugetragen hat, einen eindeutigen Vergangenheitsbezug724; die tatsächlichen Anhaltspunkte müssen also schon vorhanden und nicht erst noch zu beschaffen sein. Die vorliegenden Anhaltspunkte sind zureichend, wenn sie auf Tatsachen beruhen, die dafür sprechen, dass über die bloße Möglichkeit der Begehung einer Straftat hinausgehend gerade der aufzuklärende Sachverhalt eine Straftat darstellt.725 Vage Anhaltspunkte, bloße Vermutungen und auch kriminalistische Erfahrungen für die Möglichkeit des Vorliegens einer Straftat genügen nicht.726 Letztere können erst dann zum Tragen kommen, wenn für sie im konkreten Fall Tatsachen sprechen und nicht nur auf statistische Häufigkeiten gestützte kriminalistische Erkenntnisse etwa dergestalt vorliegen, dass an bestimmten Örtlichkeiten bestimmte Straftaten – etwa Drogenhandel im Rotlichtmilieu – begangen werden.727 Insoweit ist die Situation des Verdachts vergleichbar mit der der konkreten Gefahr728, die voraussetzt, dass in einem Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein geschütztes Rechtsgut gefährdet wird.729 Eine bereits begangene Straftat, die den Strafverfolgungsbehörden noch nicht bekannt ist, vermag keinen Tatverdacht zu begründen und der Bezug auf bestimmte Tatsachen bedeutet, dass die Ermittlungsbehörden nicht von sich aus ohne konkrete Anhaltspunkte nach Straftaten forschen dürfen.730 Auch das Wissen um kriminelle 722 Die Strafverfolgung wird vor der Gefahrenabwehr abgehandelt, um Überschneidungen in der Darstellung zu vermeiden. 723 BGH, NJW 1989, 96 (97); BVerfG, NStZ-RR 2004, 206; KK/Diemer, StPO, § 152 Rn. 7; LR/Erb, StPO, § 160 Rn. 15 m.w.N. 724 Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 37. 725 BGH, NStZ 1994, 499 m.w.N.; s. auch BVerfGE 155, 119 (189 f.). 726 LR/Beulke, StPO, § 152 Rn. 25 m.w.N.; BVerfGE 115, 166 (197). 727 Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 36; Schmitt, StPO, § 152, Rn. 4. 728 Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 36. 729 Kingreen/Poscher, POR, § 8 Rn. 9. 730 Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 36.
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
233
Strukturen organisierter Kriminalität, in denen regelmäßig bestimmte Straftaten begangen werden – etwa Schutzgelderpressungen in Gastronomie und Vergnügungsgewerbe – vermag für sich genommen keinen Tatverdacht in einem bestimmten Fall zu begründen. Der Anfangsverdacht muss tatbezogen sein, sich aber noch nicht gegen eine bestimmte Person richten.731 Besteht ein Personenbezug nicht, ist das Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt zu führen. Die Ermittlungspflicht erstreckt sich bei Fehlen tatbezogener Verdachtsmomente aber nicht auf das Aufspüren verdächtiger Personen.732 Weil Ermittlungshandlungen außer der stigmatisierenden Wirkung für den Betroffenen gravierende Folgen haben können – allein der Umstand, dass gegen einen Betroffenen ein Ermittlungsverfahren läuft, kann bei einem Beamten dazu führen, dass er nicht eingestellt oder befördert wird –, müssen die mit ihnen verbundenen negativen Folgen möglichst gering gehalten werden, was eine restriktive Auslegung der zureichenden Anhaltspunkte bedingt.733 Da diese sich sowohl auf die begangene Tat als auch auf einen Tatverdächtigen beziehen können, ist zunächst allen Hinweisen auf die Begehung einer Tat nachzugehen, weil damit keine Stigmatisierung einer Person verbunden ist. Werden dadurch zureichende Anhaltspunkte gewonnen, können auch Anknüpfungstatsachen überprüft werden, die auf eine bestimmte Person als Tatverdächtigen hinweisen.734 Im Gegensatz zur uneingeschränkten Überprüfbarkeit des Vorliegens einer konkreten Gefahr durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit wird der Staatsanwaltschaft bei der Feststellung des Anfangsverdachts ein Beurteilungsspielraum eingeräumt.735 Dieser wird nicht überschritten, wenn der Tatverdacht sich auf ein legales Verhalten bezieht, das auf bestimmte Neigungen schließen lässt oder erfahrungsgemäß häufig mit Straftaten einhergeht, sofern zusätzliche konkrete Anhaltspunkte hinzukommen, die für eine Überschreitung der Strafbarkeitsschwelle sprechen.736 Warum das von seinen Rechtsfolgen in Gestalt von Freiheitsentziehungen eingriffsintensivere Straf- und Strafverfahrensrecht über einen der Kontrolle durch die Strafgerichte entzogenen Beurteilungsspielraum verfügen können soll, während die unbestimmten Rechtsbegriffe „Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ in der polizeilichen Generalklausel vollumfänglich der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit unterliegen, ist nicht einsichtig.737
731 732 733 734 735 736 737
Weßlau/Deiters, SK-StPO, § 152 Rn. 13. Weßlau/Deiters, SK-StPO, § 152 Rn. 13. Kühne, Strafprozessrecht, § 20 Rn. 317. Kühne, Strafprozessrecht, § 20 Rn. 319; Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 39. LR/Beulke, StPO, § 152 Rn. 28 m.w.N.; zu Recht kritisch Störmer, DV 39 (1996), 495 ff. BVerfG, NJW 2014, 3085 (3087 f.); LR/Erb, StPO, § 160 Rn. 15 (Fall Edathy). Störmer, DV 39 (1996), 495 ff.
234
2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Abwegig ist ein unter Kriminalisten gepflegtes Verständnis vom Tatverdacht. Bei Groß/Geerds wird im Handbuch der Kriminalistik ausgeführt, dass es bezüglich des Vorliegens eines Tatverdachts gleichgültig sei, ob dieser schon konkret sei oder nur aufgrund gewisser Tatsachen vermutet werde, dass eine strafbare Handlung entweder begangen worden sei oder unmittelbar bevorstehe.738 Störzer spricht im Zusammenhang mit der Aufdeckung von Straftaten – die er mit deren Erforschung gemäß § 163 Abs. 1 Satz 1 StPO gleichsetzt – davon, dass die Polizei im Rahmen der ihr obliegenden Hauptaufgabe der Verbrechensbekämpfung auf der Grundlage des § 163 Abs. 1 Satz 1 StPO den Auftrag habe, auf ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren hinzuarbeiten; erst dessen Einleitung durch die Staatsanwaltschaft soll einen Tatverdacht voraussetzen.739 Damit wird ein eigenes kriminalistisches Verständnis vom Tatverdacht beansprucht, das vom strafprozessualen nach § 152 Abs. 2 StPO grundlegend abweicht und eine neue, der Polizei vorbehaltene Ermittlungsform schaffen würde. Außerdem mutiert mit der Einbeziehung unmittelbar bevorstehender Straftaten in die als Strafverfolgung verstandene Verbrechensbekämpfung die polizeirechtliche Verhinderung von Straftaten zur Strafverfolgung und die kategoriale Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung würde auf diese Weise aufgehoben. Einem kriminalistischen Tatverdacht fehlt die Rechtsgrundlage. Er dient nur dem Zweck, unabhängig von der Staatsanwaltschaft, aber auch vom Polizeirecht in einer Grauzone zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung Kriminalität zu bekämpfen. bb) Rechtsstaatliche Qualität Der durch zureichende tatsächliche Anhaltspunkte konkretisierte Tatverdacht korrespondiert der konkreten Gefahr als maßgeblicher Eingriffsschwelle des Polizeiund Ordnungsrechts, die als Kompromiss des Rechtsstaats zwischen Freiheit und Sicherheit aktionelle Gefahrenabwehrmaßnahmen grundsätzlich erst ab dieser Eingriffsschwelle zulässt.740 Auch die Schwelle des Tatverdachts stellt einen am Prinzip der Verhältnismäßigkeit orientierten Kompromiss des Rechtsstaats zwischen der Sicherheit durch eine funktionstüchtige Strafrechtspflege und dem Freiheitsrecht des Bürgers dar, vor in seine Privatsphäre eindringenden Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden geschützt zu werden.741 Wie die konkrete Gefahr garantiert auch der durch zureichende Anhaltspunkte zu konkretisierende Tatverdacht, dass der Bürger die Staatsmacht durch legales Verhalten auf Distanz halten kann.742 Die rechtsstaatliche Funktion und Bedeutung des § 152 Abs. 2 StPO schützt den Betroffenen nicht nur in seiner Stellung als Beschuldigten mit eigenen Rechten als 738 739 740 741 742
Groß/Geerds, Handbuch, S. 47. Störzer, in: Kube/Störzer/Timm, Kriminalistik, Bd. 1, 11 Rn. 35. Barczak, Der nervöse Staat, S. 496 ff. Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 271; Senge, in: FS Hamm, 700 (703). Grimm, KritV 1986, 38 (39).
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
235
Prozesssubjekt im Ermittlungsverfahren743, sondern schon davor, erst gar nicht durch die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zum Beschuldigten zu werden.744 Die Norm hat demnach zwei rechtsstaatliche Funktionen; sie muss den in der Einleitung des Ermittlungsverfahrens liegenden Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen rechtfertigen und die Ermittlungen steuern und begrenzen, damit sie nicht zu Verdachtsschöpfungsermittlungen geraten.745 b) Ermittlungen zur Erforschung des Sachverhalts aa) Durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 160 Abs. 1 StPO Die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts beginnt für die Staatsanwaltschaft nach § 160 Abs. 1 StPO mit der Kenntnisnahme vom Verdacht einer Straftat durch Anzeige oder auf anderem Wege. Letzteres ist der Fall bei Akten und Schriftstücken anderer Behörden, Presse- und Rundfunknachrichten, sofern sie bestimmte und nachprüfbare Informationen enthalten, Mitteilungen über in Gerichtssitzungen begangene Straftaten nach § 183 GVG und allgemein verbreitete Gerüchte, soweit aus ihnen bestimmte und nachprüfbare Tatsachen entnommen werden können.746 Beide Formen der Kenntnisnahme sind reaktiv, sodass § 160 Abs. 1 StPO weder als Rechtsgrundlage für eine systematische Aufdeckung von den Strafverfolgungsbehörden noch nicht bekannten Straftaten noch zur explorativen Verdachtsschöpfung bezüglich stattfindender oder bevorstehender Straftaten herangezogen werden kann. Auch wenn die Staatsanwaltschaft in § 152 Abs. 2 StPO angehalten wird, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, kann sie diese Bestimmung nicht als Legitimation für eine umfassende systematische Aufdeckung ihr bislang nicht bekannt gewordener Straftaten heranziehen, weil eine liberal-rechtsstaatliche Sozialkontrolle nicht das Ziel verfolgen kann, alle schon begangenen Straftaten auf der Grundlage abstrakter Möglichkeiten ans Licht zu befördern.747 Auch aus dem Legalitätsprinzip lässt sich eine solche Verpflichtung bzw. die Befugnis zur Aufhellung des Dunkelfeldes der den Strafverfolgungsbehörden noch nicht bekannt gewordenen und deshalb nicht in die Kriminalstatistik eingegangenen Straftaten ableiten; selbst wenn die Möglichkeit besteht, dass bei systematischen Aufhellungsaktionen noch unbe-
743
Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 111. Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 293; Kühne, Strafprozessrecht, § 20 Rn. 321; Hilger, in: Festgabe Hilger, S. 17; Gärditz, Strafprozeß, S. 325; LR/Beulke, StPO, § 152 Rn. 22; MüKo/Peters, StPO § 152 Rn. 63; Möstl, HStR, VIII, § 179 Rn. 19; Kölbel, JR 2006, 322 (323); Mitsch, NJW 2015, 209 (210); Hund, ZRP 1991, 463 (464). 745 Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 293; Gärditz, Strafprozeß, S. 325. 746 LR/Erb, StPO, § 160 Rn. 19; Wohlers/Deiters, SK-StPO, § 160 Rn. 28; Schmitt, StPO § 160 Rn. 9. 747 Bottke, JuS 1990, 81 (83). 744
236
2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
kannte Straftaten aufgedeckt werden, können nicht auf der Grundlage kriminalistischer Hypothesen ganze Bereiche des sozialen Lebens durchleuchtet werden.748 Eine Verdachtsschöpfung hinsichtlich noch nicht begangener Straftaten, die entweder unmittelbar bevorstehen oder in absehbarer Zeit in erkannten kriminellen Strukturen typischerweise begangen werden, lässt sich nicht auf §§ 160 Abs. 1, 152 Abs. 2 StPO stützen, weil diese mit der Voraussetzung der schon begangenen Straftat reaktiv ausgerichtet sind. Proaktive Aktivitäten zum Erkennen künftiger Straftaten fallen als Gefahrensuche im Sinne einer Aufdeckung von personalen und strukturellen Gefahrenquellen unter das Polizeirecht.749 Noch nicht begangene Straftaten können nicht verfolgt, sondern nur verhindert bzw. verhütet werden.750 bb) Durch die Polizei gemäß § 163 Abs. 1 Satz 1 StPO Auch die Behörden und Beamten des Polizeidienstes haben nach dieser Bestimmung Straftaten zu erforschen und dabei das Recht des ersten Zugriffs. Für die polizeiliche Erforschungspflicht wird im Gegensatz zu § 160 Abs. 1 StPO nicht die Kenntnis von dem Verdacht einer Straftat durch eine Anzeige oder auf anderem Wege vorausgesetzt. Daraus wird gefolgert, die Polizei müsse sich anders als die Staatsanwaltschaft nicht auf die Bearbeitung der auf diese Weise „angelieferten“ Fälle beschränken, sondern dürfe auf der Grundlage von § 163 Abs. 1 Satz 1 StPO proaktiv agieren und Kriminalität gleichsam abholen, weil sie auf ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren „hinarbeite“, insoweit also vorgelagerte eigene Ermittlungen durchführen dürfe.751 Insbesondere bei den sogenannten Kontrolldelikten – etwa auf dem Felde der Rauschgiftkriminalität –, wo in aller Regel keine Straftaten angezeigt werden, sei es unabdingbar, dass die Polizei von sich aus unabhängig vom Bestehen eines Tatverdachts tätig werde.752 Mit Streifengängen und -fahrten im Revier, Kontrollen in kriminalitätsgeneigten Bereichen und Cyberpatrol-Aktivitäten dürfe sie mit Hilfe von Verdachtsgewinnungsstrategien gezielt nach Straftaten suchen; nicht nur nach solchen, die schon begangen, den Strafverfolgungsbehörden aber noch nicht bekannt geworden seien, sondern auch nach noch nicht begangenen, die unmittelbar bevorstehen oder in erkannten kriminellen Strukturen in absehbarer Zeit begangen werden würden.753 748
Bottke, JuS 1990, 81 (83); LR/Beulke, StPO, § 152 Rn. 22; Gärditz, Strafprozeß, S. 326; Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 154; Weßlau/Deiters, SK-StPO, vor §§ 151 ff., Rn. 6; Gössel, in: FS Dünnebier, S. 121 (131); Peters, Strafprozeß, § 23 IV 1. c); LR/Rieß, StPO, § 152 Rn. 41; Schöch, AK-StPO, § 152 Rn. 22. 749 S. B. II. 1. cc). 750 Pieroth/Schlink/Kniesel, POR (2002), § 2 Rn. 7 f. 751 Störzer, in: Kube/Störzer/Timm, Kriminalistik, Bd. 1, 11 Rn. 35. 752 Störzer, in: Kube/Störzer/Timm, Kriminalistik, Bd. 1, 11 Rn. 37. 753 Störzer, in: Kube/Störzer/Timm, Kriminalistik, Bd. 1, 11 Rn. 35 ff.; Klink/Kordus, Kriminalstrategie, S. 24 ff.; Meier, Kriminologie, § 9 Rn. 45; Dölling, Ermittlungstätigkeit, S. 272 ff.
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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Ein derartiger Verdachtsschöpfungsauftrag für die Polizei besteht nicht, weil es sich bei proaktiven Aktivitäten – etwa der Überwachung von Strukturen – um vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als Teilauftrag der Gefahrenabwehr handelt. Wollte man diese auf der Grundlage von § 163 Abs. 1 Satz 1 StPO für zulässig halten, wäre die Unterscheidung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung aufgehoben und alle nach Polizeirecht zulässigen verdachtsunabhängigen und anlasslosen Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen im Vorfeld der konkreten Gefahr wären dann der Sache nach strafprozessuale Maßnahmen zur Strafverfolgung; das Polizeirecht ginge im Strafprozessrecht auf. Unabhängig von der verfassungsrechtlich vorgegebenen Trennung zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung sprechen systematische Erwägungen gegen die Auslegung des § 163 Abs. 1 Satz 1 StPO als Grundlage eines Verdachtsschöpfungsauftrags für die Polizei. Sie erbringt ihre Ermittlungen als verlängerter Arm der Staatsanwaltschaft754 in einem einheitlichen, von dieser rechtlich – wenn auch selten faktisch – dominierten Ermittlungsverfahren.755 Die der Polizei in Ermittlungsverfahren eingeräumte Durchgangszuständigkeit756 spricht nicht für ein eigenes polizeiliches Ermittlungsverfahren, an das sich erst ein staatsanwaltliches anschließen würde. Es wäre systemwidrig, wenn die Polizei als Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft mit einem Verdachtsschöpfungsauftrag über eine weiter reichende Kompetenz verfügen würde als ihre Auftraggeberin.757 2. Vorermittlungen a) Inhalt und Bedeutung Staatsanwaltschaft und Polizei erhalten oft Kenntnis von einer möglicherweise begangenen Straftat, etwa durch eine unspezifische Geldwäsche-Verdachtsanzeige758, sind sich aber nach einer ersten Beurteilung der Sachlage nicht sicher, ob schon zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Bejahung eines Tatverdachts gemäß § 152 Abs. 2 StPO vorliegen. In dieser Situation werden sogenannte Vorermittlungen zur Verdachtsklärung praktiziert; in einem dem Ermittlungsverfahren vorgeschalteten Verfahren werden zusätzliche Informationen beschafft, die die ersten Erkenntnisse zu einem Tatverdacht verdichten oder ihn ausräumen sollen.759 In einem 754 Wohlers/Albrecht, SK-StPO, § 163 Rn. 3; BVerwGE 47, 255 (263); BGH, NJW 2003, 3142; Wohlers, GA 161 (2014), 675 (678). 755 BGH, NJW 2003, 3142; Schmitt, StPO, § 163 Rn. 1 m.w.N. 756 Schmitt, StPO, § 163 Rn. 1 m.w.N. 757 Die herausgehobene Stellung der Staatsanwaltschaft folgt auch aus § 159 Abs. 1 StPO, weil nach dieser Bestimmung die Polizeibehörden zur sofortigen Anzeige an die Staatsanwaltschaft verpflichtet sind. 758 Krause, in: FS Strauda, S. 352. 759 Haas, Vorermittlungen, S. 11 m.w.N.; Lange, Vorermittlungen, S. 13 ff.; Artzt, Vorfeldermittlungen, S. 12; Lange, DRiZ 2002, 264 (265); Keller/Griesbaum, NStZ 1990, 416
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Informations- bzw. Sondierungsverfahren760, das statt eines JS- (bekannter Beschuldiger) oder UJs- (unbekannter Beschuldigter) ein AR- (Allgemeines Register) Aktenzeichen erhält761, können mittels informatorischer Befragung, kurzfristiger Observation und Einholung von Auskünften bei anderen Behörden zusätzliche Erkenntnisse gewonnen werden; weitergehende Eingriffsbefugnisse sind ausgeschlossen.762 Zwischen Vermutungsstadium und feststehendem Anfangsverdacht wird ein Vorverdacht gegen einen Vorverdächtigen für zulässig gehalten.763 Der Generalbundesanwalt hat im Zuständigkeitsbereich der Abteilung Terrorismus im Jahr 2018 1.195 neue Ermittlungsverfahren eingeleitet und außerdem in diesem Zeitraum 1.268 neue Prüfvorgänge mit einem ARP-Aktenzeichen764 angelegt, also Verfahren eingeleitet, in denen nach Aktenvorlage durch eine Landesstaatsanwaltschaft geprüft wird, ob eine Strafverfolgungszuständigkeit des Generalbundesanwalts nach § 120 Abs. 1 und 2 GVG gegeben ist.765 Bei diesem Verfahren deuten häufig Erkenntnisse auf ein Staatsschutzdelikt hin, doch liegen noch keine oder nicht genügend Tatsachen vor, die einen Anfangsverdacht gemäß § 152 Abs. 2 StPO für eine der in § 120 Abs. 1 GVG aufgeführten Straftaten begründen könnten.766 Für diese Fälle leitet der Generalbundesanwalt die gesetzliche Befugnis zu Erhebungen im Rahmen der Verdachtsklärung vor der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens aus dem in § 152 Abs. 2 StPO enthaltenen Legalitätsprinzip ab.767 Dieses soll den Generalbundesanwalt verpflichten, wegen aller in seiner Sonderzuständigkeit verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, weil die Eigenart und Bedeutung der Staatsschutzdelikte es erforderte, dass zu dieser Bewertung alle Erkenntnisse herangezogen werden, die verfügbar sind und außerhalb strafprozessualer Maßnahmen gewonnen werden können.768 Im Verbund der Vorverlegung des Strafbarkeit in den §§ 89a ff. StGB und der großzügigen Auslegung des § 152 Abs. 2 StPO wird der Generalbundesanwalt zunehmend im Überschneidungsbereich von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung tätig.769
(417); Jahnes, Initiativermittlungen, S. 8 f.; Wölfl, JuS 2001, 478 (479 f.); Senge, in: FS Hamm, S. 701 ff.; Krause, in: FS Strauda, S. 351 ff.; Kammann, Anfangsverdacht, S. 145 ff. 760 Marxen, Straftatsystem und Strafprozeß, S. 185. 761 Schmitt, StPO, § 152 Rn. 46; Krause, FS Strauda, S. 351 ff. 762 Jahnes, Vorfeldermittlungen, S. 8 m.w.N.; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 320. 1. 763 Artzt, Vorfeldermittlungen, S. 123; Wolter, ZStW 107, (1995) 793 (820); Soine, Kriminalistik 1997, 254; Krause, in: FS Bundesrechtsanwaltskammer, S. 351 ff. 764 „Allgemeines Register für politische Sachen“ (i.S. von Strafschutzstrafsachen). 765 Frank, Strafverfolgung in Zeiten des islamistischen Terrors, S. 77. 766 Diemer, NStZ 2005, 666 (667). 767 Diemer, NStZ 2005, 666 (667). 768 Diemer, NStZ 2005, 666 (667). 769 Frank, Strafverfolgung in Zeiten des islamistischen Terrors, S. 77 (90).
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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b) Rechtsgrundlagen aa) § 159 Abs. 1 StPO Diese Bestimmung verpflichtet die Polizei- und Gemeindebehörden zur sofortigen Anzeige an die Staatsanwaltschaft oder das Amtsgericht, wenn Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass jemand eines nicht natürlichen Todes gestorben ist oder der Leichnam eines Unbekannten gefunden wird. Dieser Bestimmung wird zunächst der unmittelbare Normzweck entnommen, dass der Staatsanwaltschaft möglichst frühzeitig die Entscheidung darüber ermöglicht werde, ein Ermittlungsverfahren wegen eines Tötungsdelikts einzuleiten; darüber hinaus lasse sich § 159 StPO der allgemeingültige Gedanke entnehmen, dass die Staatsanwaltschaft bei Bekanntwerden noch nicht zureichender Anhaltspunkte im Sinne von § 152 Abs. 2 StPO den Anfangsverdacht durch Vorermittlungen aufklären müsse; weder Wortlaut noch Normzweck des § 159 Abs. 1 StPO würden darauf hindeuten, dass die Bestimmung nur für den engen Anwendungsbereich sogenannter „Leichensachen“ der Staatsanwaltschaft eine Prüfungspflicht zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens auferlege; vielmehr sehe die StPO in einem Zusammenwirken von §§ 152 Abs. 2, 159 Abs. 1 und 160 Abs. 1 eine allgemeine Zulässigkeit von Vorermittlungen vor.770 Eine andere Meinung erweitert den Anwendungsbereich des § 159 Abs. 1 StPO und entnimmt ihm die Rechtsgrundlage für ein Sondierungsverfahren, allerdings beschränkt auf schwer schädigende Ereignisse, die auf einen unnatürlichen Verlauf zurückzuführen seien.771 Beiden Auffassungen kann nicht gefolgt werden, weil sie den Anwendungsbereich des § 159 Abs. 1 StPO unzulässig erweitern. Diese Bestimmung soll sicherstellen, dass Hinweise auf Tötungsdelikte nicht übersehen und Beweismittelverluste verhindert werden.772 Deshalb soll trotz Fehlens eines Anfangsverdachts bei einem nicht natürlichen Tod oder dem Auffinden der Leiche eines Unbekannten eine Vorermittlung ermöglicht werden.773 Die darüber hinausgehende weite Auslegung des § 159 Abs. 1 StPO verkennt dessen Sonderstellung,774 die darin besteht, dass bei den in § 159 Abs. 1 StPO geregelten Fällen ausnahmsweise auch Ermittlungen ohne Tatverdacht zulässig sind. Dieser Norm die Zulässigkeit von in der StPO nicht vorgesehenen Vorermittlungen zu entnehmen, stellt das Verhältnis von Ausnahmeund Regelnorm auf den Kopf. Die Regel des § 152 Abs. 2 StPO, dass ein Verdacht für eine begangene Straftat vorliegen muss, wird durch § 159 Abs. 1 StPO bestätigt, indem er diese für die besonderen Fälle eines unnatürlichen Todes und des Auffinden des Leichnams eines Unbekannten aufhebt. 770
Keller/Griesbaum, NStZ 1990, 416 (417). Marxen, Straftatsystem und Strafprozeß, S. 186 f. 772 LR/Erb, StPO, § 159 Rn. 1. 773 LR/Erb, StPO, § 159 Rn. 1. 774 Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 125; Haas, Vorermittlungen, S. 47 f.; Deiters, Legalitätsprinzip, S. 130; Wölfl, JuS 2001, 478 (480). 771
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
bb) §§ 161 Abs. 1 Satz 1, 160 Abs. 1 – 3 StPO § 161 Abs. 1 Satz 1 StPO enthält eine Generalklausel als Ermächtigungsgrundlage für informationelle Maßnahmen (informatorische Befragung des Betroffenen und von Dritten, Einholung von Auskünften, kurzfristige Observation), die weniger intensiv eingreifen als die spezialgesetzlich geregelten Eingriffsbefugnisse wie etwa die längerfristige Observation und der Einsatz technischer Mittel bzw. verdeckter Ermittler.775 Als Generalklausel vermag sie aber nicht die Verdachtsabhängigkeit der Ermittlungen zu beseitigen, die durch die ausdrückliche Bezugnahme des § 161 Abs. 1 Satz 1 auf den in § 160 Abs. 1 bis 3 StPO bezeichneten Zweck gegeben ist; § 161 Abs. 1 setzt also voraus, dass die Staatsanwaltschaft in einem schon eingeleiteten Ermittlungsverfahren tätig wird, das seinerseits das Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte voraussetzt.776 cc) Nr. 6.2 Gemeinsame Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren der Länder über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität (GRL)777 Gemäß Nr. 6.2 können die Strafverfolgungsbehörden bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität Ansätzen für weitere Nachforschungen nachgehen, wenn nach Prüfung der vorliegenden Anhaltspunkte unklar bleibt, ob ein Anfangsverdacht besteht. „In solchen Fällen besteht keine gesetzliche Verfolgungspflicht. Ziel ist allein die Klärung, ob ein Anfangsverdacht besteht. Strafprozessuale Zwangs- und Eingriffsbefugnisse stehen den Strafverfolgungsbehörden in diesem Stadium nicht zu. Ob und inwieweit die Strafverfolgungsbehörden sich in diesen Fällen um weitere Aufklärung bemühen, richtet sich nach Verhältnismäßigkeitserwägungen; wegen der besonderen Gefährlichkeit der Organisierten Kriminalität werden sie ihre Aufklärungsmöglichkeiten bei Anhaltspunkten für solche Straftaten in der Regel ausschöpfen.“ Nr. 6.2 wird als Rechtsgrundlage für staatsanwaltliche Vorermittlungen gesehen, die – abgefasst wie eine Generalermächtigung – mit Vorermittlungen einhergehenden Grundrechtseingriffe rechtfertigen könne.778 Indes handelt es sich bei den Gemeinsamen Richtlinien um Verwaltungsvorschriften. Solche können gesetzesvertretenden Charakter haben, wenn in einem normbedürftigen Bereich eine gesetzliche Regelung fehlt. Als gesetzesvertretende Regelungen sind sie aber nur
775
BGHSt 51, 211 (218); Schmitt, StPO, § 161 Rn. 1; Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 104. 776 MüKo/Kölbel, StPO § 161 Rn. 2; Krause, in: FS Strauda, S. 352; Senge, in: FS Hamm, S. 710; Diemer, NStZ 2005, 666 (668). 777 Abgedruckt bei Schmitt, StPO, S. 2487 ff. 778 Senge, in: FS Hamm, S. 709.
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zulässig, soweit das Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes nicht eingreift.779 Im Recht der Strafverfolgung als Teil der Eingriffsverwaltung ist aber das Prinzip unbedingt zu beachten, so dass die Gemeinsamen Richtlinien keine mit Vorermittlungen zwangsläufig einhergehende Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung rechtfertigen können.780 dd) Legalitätsprinzip Eine im strafprozessualen Schrifttum vertretene Auffassung stützt außerhalb eines Ermittlungsverfahrens stattfindende Vorermittlungen auf das in §§ 152 Abs. 2, 170 Abs. 1 StPO enthaltene Legalitätsprinzip781. Die Vorermittlungspflicht sei auch Ausfluss eines neu bestimmten Legalitätsprinzips, das im Lichte gewandelter Aufgaben und Funktion der Strafverfolgungsbehörden zu interpretieren sei: „Das Legalitätsprinzip soll Gewähr für eine gleichmäßige Strafrechtspflege bieten. Dieser Anspruch kann von den Strafverfolgungsbehörden aber nur erfüllt werden, wenn man eine Vorermittlungspflicht auch für den Fall anerkennt, dass bekannt gewordene Umstände zwar noch keinen Anfangsverdacht begründen, dieser aber durch weitere Aufklärung bejaht oder ausgeschlossen werden kann. Es hieße die Strafverfolgung im Wesentlichen vom Zufall abhängig machen, wollte man zwar bei einer schlüssigen Anzeige die Ermittlungspflicht bejahen, nicht aber eine Vorermittlungspflicht in den Fällen der Kriminalität, die kaum angezeigt werden, sondern den Strafverfolgungsbehörden nur ansatzweise auf anderem Wege (s. § 160 Abs. 1 StPO) zur Kenntnis gelangen.“782 c) Kritische Stellungnahme Die ablehnende Meinung zu Vorermittlungen weist darauf hin, dass mit ihnen die rechtsstaatliche Qualität des § 152 Abs. 2 StPO unterlaufen werde.783 Im Hinblick auf das Gebot der Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als rechtsstaatlichem Einzelgehalt ist noch zu berücksichtigen, dass die Praxis des Generalbundesanwalt bei seinen APR-Verfahren wegen der §§ 89a ff. StGB bewirkt, dass der Verbund von extrem vorverlagertem Strafrecht und großzügiger Bejahung des Anfangsverdachts das Straf- und Strafverfahrensrecht die Stelle des Polizeirechts einnimmt.
779
Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 24 Rn. 14. So auch Wölfl, JuS 2001, 478 (480); Hilger, in: FG Hilger, S. 15. 781 Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 17. 782 Schmitt, StPO, § 152 Rn. 4a; Keller/Griesbaum, NStZ 1990, 416 (417); Lange, Vorermittlungen, S. 69 und 171; Senge, in: FS Hamm, S. 707; Diener, NStZ 2005, 666 (667); Rogall, Informationseingriff, S. 88. 783 Arndt, NJW 1962, 2000; Bottke, in: GS für Meyer, S. 47; Finke, ZStW 95 (1983), 918 (924); Hund, ZRP 1991, 463; Krause, in: FS Strauda, S. 352 f.; Hilger, in: FG Hilger, S. 17. 780
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Eine vermittelnde Auffassung lehnt Vorermittlungen ab, betrachtet aber etwa eine informatorische Befragung oder das Einholen von Auskünften noch nicht als ein Einschreiten im Sinne von § 152 Abs. 2 StPO.784 In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Prüfung des Vorliegens eines Anfangsverdachts gemäß § 152 Abs. 2 StPO in dieser Bestimmung implizit eine Vorprüfung vorgesehen sei, die zwar keinen eigenständigen Verfahrensabschnitt darstelle, aber einen Vorprüfungsvorgang zulasse, bei dessen Bearbeitung weitere Recherchen mittels informatorischer Befragung und Einholung von Auskünften erfolgen könnten.785 Insoweit überzeugt der den Vorermittlungen zu Grunde liegende Ansatz nicht, es müsse mit ihnen Zeit für eine Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens auf einer verdichteten Tatsachengrundlage geschaffen werden. Dieser zeitliche Ansatz lässt unberücksichtigt, dass die §§ 152 Abs. 2 und 160 Abs. 1 StPO zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und die Dauer der Entscheidungsfindung nichts hergeben. Die genannten Bestimmungen verlangen von der Staatsanwaltschaft eine Entscheidung, ob sie in Ansehung des sie zum Einschreiten verpflichtenden Legalitätsprinzip tätig werden will. Wann und in welchem zeitlichen Rahmen die Entscheidung zu treffen ist, bleibt offen. § 160 Abs. 1 StPO besagt nur, dass die Staatsanwaltschaft zu ihrer Entschließung darüber, ob Anklage zu erheben ist, den Sachverhalt erforschen muss, sobald sie vom Verdacht einer Straftat Kenntnis erhalten hat. Bezugspunkt ihrer Entschließung ist also die Anklageerhebung, nicht die ihr vorausgehende Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Es ist deshalb mit § 160 Abs. 1 StPO vereinbar, wenn ein Staatsanwalt sich bei einer schwierigen und zeitaufwändigen Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens einige Tage Zeit nimmt, um seine Entscheidungsgrundlage zu verdichten. Damit würde die Notwendigkeit von vorgeschalteten Vorermittlungen entfallen. 3. Aufdeckungsermittlungen gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO und § 24 Abs. 2 ZFdG a) Aufdeckung als Rechtsbegriff Im supranationalen Recht der EU sieht die Richtlinie über die Verwendung von Fluggastdatensätzen786 vor, dass diese zur Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität eingesetzt werden dürfen, während das zur Umsetzung der Richtlinie geschaffene Fluggastdatengesetz des Bundes787 den Begriff Aufdeckung nicht übernimmt und in § 1 Abs. 2 FlugDaG nur von der Verhütung und Verfolgung spricht. In § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO wird der Steuer- bzw. Zollfahndung die Aufgabe der Aufdeckung und Ermittlung 784 785 786 787
LR/Rieß, StPO § 152 Rn. 34; LR/Beulke, StPO, § 152 Rn. 34. Krause, in: FS Strauda, S. 353. ABl Nr. L 119 v. 4. 5. 2016, S. 132. BGBl I, S. 1484.
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unbekannter Steuerfälle übertragen. Nach § 24 Abs. 2 ZFdG haben die Zollfahndungsämter die Aufgabe, zur Verhütung und Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, zur Aufdeckung unbekannter Straftaten sowie zur Vorsorge für künftige Straftaten tätig zu werden und können zu diesen Zwecken gemäß § 26 Abs. 2 ZFdG alle geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen treffen. Im Zusammenhang mit der Strafverfolgung gemäß den §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1, 161 Abs. 1 und 163 Abs. 1 StPO verwendet ihn der Gesetzgeber nicht; dem Polizeirecht ist der Begriff Aufdeckung fremd, wird aber in Rechtsprechung und Schrifttum gelegentlich benutzt.788 Ohne Vorbilder ist der Begriff im deutschen Recht aber nicht. Das Reichskriminalpolizeigesetz vom 21. 7. 1922789 übertrug den Landeskriminalpolizeibehörden die Aufgabe, die Staatsanwaltschaften und Gerichte bei der Aufdeckung und Aufklärung von Straftaten zu unterstützen und solche Straftaten zu verhüten und § 13 Abs. 1 StPO-DDR790 enthielt als Ziel des Ermittlungsverfahrens die Aufdeckung und Aufklärung aller Straftaten. b) Aufdeckung von unbekannten Steuerfällen gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO aa) Steuerverfahrens- und strafverfahrensrechtliche Ermittlungen In § 208 Abs. 1 Satz 1 AO werden der Steuer- bzw. Zollfahndung drei unterschiedliche Aufgaben übertragen; in Nr. 1 die Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten, in Nr. 2 die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in den in Nr. 1 bezeichneten Fällen und in Nr. 3 die Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle. Bei Nr. 1 handelt es sich um eine strafverfahrensrechtliche, bei Nr. 2 um eine steuerverfahrensrechtliche Aufgabe, während die in Nr. 3 übertragene im Überschneidungsbereich der Nrn. 1 und 2 liegt791; es kann sich entweder um die Ermittlung eines bisher unbekannten Sachverhalts oder um die Suche nach einem bislang unbekannten Steuerpflichtigen handeln. Der Ermittlungsschwerpunkt liegt bei den Fällen, in denen mangels konkreter Anhaltspunkte ungeklärt ist, ob sie auf ein steuerverfahrensrechtliches und/oder strafverfahrensrechtliches Verfahren gegen einen bestimmten Steuerpflichtigen hinauslaufen; insoweit besteht ein maßgeblicher Unterschied zu den praktizierten strafprozessualen Vorermittlungen, die die Frage klären sollen, ob ein Anfangsverdacht im Sinne von § 152 Abs. 2 StPO für eine begangene Straftat besteht.792 788 BVerfGE 141, 220 (337 f.); wenn das BVerfG hier von Aufdeckung spricht, wird nicht deutlich, was es darunter versteht; nach dem Kontext verwendet es den Begriff an Stelle von Aufklärung i.S. von § 160 StPO; s. auch Störzer, in: Kube/Störzer/Timm, Kriminalistik, Bd. 1, 11, Rn. 35 ff. 789 RGBl I, S. 593. 790 StPO DDR v. 12. 1. 1968 in der Neufassung v. 19. 12. 1974, GBl I Nr. 4, S. 62. 791 Zöller, Informationssysteme, S. 232. 792 Zöller, Informationssysteme, S. 232 f.
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bb) Rechtsnatur Wegen dieses Unterschieds wird von Vorfeldermittlungen gesprochen, die sich gegen einen noch nicht namentlich bekannten Steuerpflichtigen richten. Auf einen Anfangsverdacht kommt es nicht an, weil es um steuerverfahrensrechtliche Amtsermittlungen zur Feststellung unbekannter Steuerfälle geht. Erst wenn diese einen Anfangsverdacht gegen einen bestimmten Steuerpflichtigen ergeben, sind die steuerverfahrensrechtlichen Vorfeldermittlungen als Ermittlungsverfahren gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO fortzuführen.793 Insoweit bedeutet Aufdeckung nichts anderes als Aufklärung unbekannter Fälle von Steuerverkürzung mittels Nachforschungen, die veranlasst sind, weil gewisse Anhaltspunkte und Umstände dafür sprechen, dass Personen Steuertatbestände verwirklicht haben, die dem zuständigen Finanzamt nicht bekannt sind, etwa weil diese ihren Anzeige- oder Meldepflichten nach den §§ 137 – 139 AO nicht nachgekommen sind.794 Dieses steuerverfahrensrechtliche Vorgehen ähnelt der polizeilichen Vorfeldtätigkeit zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Gefahr der Begehung von Straftaten besteht.795 Bei den im Überschneidungsbereich der Aufgaben von § 208 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO erfolgenden Aufdeckungs- und Ermittlungsmaßnahmen ist regelmäßig noch offen, ob es zu einem steuerrechtlichen und/oder einen strafrechtlichen Verfahren gegen einen Steuerpflichtigen kommt, etwa wenn die Zollfahndung Flohmärkte besucht, auf denen oft unversteuerte Zigaretten angeboten werden oder meist in Wochenzeitungen aufgegebenen Chiffreanzeigen zum Verkauf teurer ausländischer Immobilien nachgeht. Bei diesen Maßnahmen geht es um Verdachtsschöpfung, nicht wie bei strafprozessualen Vorermittlungen796 um Verdachtsverdichtung, weil die einen Verdacht begründenden Anhaltspunkte erst noch gefunden werden sollen. Wie diese Vorfeldermittlungen dogmatisch einzuordnen sind, wird im steuerrechtlichen Schrifttum unterschiedlich beurteilt; eine Auffassung sieht sie als strafprozessuale Ermittlungsaufgabe797, eine andere als steuerverfahrensrechtliche zur Konkretisierung des allgemeinen Steuersicherungsauftrags des § 85 Satz 2 AO798 und eine dritte als ein Verfahren sui generis zwischen Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren.799 Solange die Finanzbehörde Verdachtsschöpfung auf der Grundlage vager Vermutungen betreibt, also nur einen abstrakten Tatverdacht hat, können die Vermutungen zu einem Tatverdacht führen, müssen es aber nicht. In systematischer Sicht ist § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 793
Rüsken, in: Klein, AO, § 208 Rn. 40a f.; Seer, in: Tipke/Kruse, AO, § 208 Rn. 27 f. BFH, BStBl 2000, 643/647; Seer, in: Tipke/Kruse, AO, § 208 Rn. 29. 795 Zöller, Informationssysteme, S. 234; MüKo/Peters, StPO, § 152 Rn. 63. 796 Dieser bedeutsame Unterschied wird bei Seer, in: Tipke/Kruse, AO § 208 Rn. 27 nicht gesehen. 797 Schiek, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO § 208 Rn. 132 ff.; Rüping, DStZ 1980, 179 (180 f.). 798 Seer, in: Tipke/Kruse, AO, § 208 Rn. 26 f.; Wendeborn, Steuerfahndung, S. 69 f. m.w.N. 799 Henneberg, in: Schröder/Munss, Handbuch, Rn. 6550, S. 22. 794
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deshalb als Bestandteil der Steueraufsicht zu sehen800 und die auf seiner Grundlage geführten Ermittlungen finden im Vorfeld des Steuerstrafrechts statt. c) Aufdeckung von unbekannten Straftaten gemäß § 24 Abs. 2 ZFdG Der in den §§ 4 Abs. 2, 24 Abs. 2 und 26 Abs. 2 ZFdG enthaltenen Begriff der „Aufdeckung von unbekannten Straftaten“ als Aufgabe der Zollfahndungsämter findet sich im nationalen Recht nur dort; weder die Polizeigesetze noch das Strafverfahrensrecht kennen diesen Begriff. Daraus folgt nicht, dass es sich bei der Aufdeckung von unbekannten Straftaten um eine spezifische Aufgabe des Zollfahndungsdienstes handelt, weil sie – ohne ausdrücklich der Polizei zugewiesen zu sein – in ihren Aufgaben der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung aufgehoben sein könnte. Ob und inwieweit das der Fall ist, hängt davon ab, was unter „unbekannten“ Straftaten zu verstehen ist. Unbekannt sind Straftaten, von denen die Strafverfolgungsbehörden noch nichts wissen, weil sie weder durch eine Anzeige noch auf anderem Wege gemäß § 160 Abs. 1 StPO Kenntnis vom Verdacht einer Straftat erhalten haben. Bei den auf diese Weise bekannt gewordenen Straftaten, muss es sich wegen der reaktiven Kenntnisnahme um schon begangene Straftaten handeln; im Normalfall fallen Vollendung und Beendigung des Delikts zusammen, bei einem Dauerdelikt kann die Rechtsgutsgefährdung über den Zeitpunkt der Vollendung hinaus noch fortdauern, ebenso bei einem Diebstahl, solange das Diebesgut noch nicht gesichert ist.801 In diesen Fällen geht es bei der Aufdeckung um Strafverfolgung, im Fall der Beendigung des Delikts ausschließlich, im zweiten Fall des noch nicht beendeten Delikts auch um Strafverfolgung, neben die die Gefahrenabwehr als Unterbindung der Straftat tritt. Ist demnach eine begangene Straftat Voraussetzung für die Aufdeckung noch nicht bekannt gewordener Straftaten, kann es sich bei dieser Tätigkeit – abgesehen von der zugleich zu leistenden Unterbindung der Restgefahr – schon in einer am Wortlaut orientierten Auslegung nicht um Gefahrenabwehr handeln, weil diese als Prävention in Bezug auf eine Straftat nur vor deren Begehung Sinn macht; vorher kann eine Straftat verhindert, nachher nur noch verfolgt werden.802 Der Begriff Aufdeckung ist somit als Parallelbegriff zur Erforschung bzw. Aufklärung des Sachverhalts in § 160 Abs. 1 StPO für den Strafverfolgungsbehörden noch nicht bekannt gewordene Straftaten zu sehen. In dieser Bedeutung wird der Begriff Aufdeckung von Straftaten indes für überflüssig gehalten, weil dieser Auftrag bereits Teil der Strafverfolgungsaufgabe sei.803 Das überzeugt nicht, weil die systematische Suche nach unbekannten Straftaten zur Aufhellung des Dunkelfeldes eben nicht zum Strafverfolgungsauftrag gehört. § 24 Abs. 2 ZFdG stellt eine spezialgesetzliche Ausnahme für die Überwachungs- und Kontrolltätigkeit der Zollfahndungsämter dar, die diese befugt, bestimmte Örtlichkeiten und geschäftliche 800 801 802 803
Zöller, Informationssysteme, S. 233; Wendeborn, Steuerfahndung, S. 91. Fischer, StGB, § 242 Rn. 54. Pieroth/Schlink/Kniesel, POR (2002), § 5 Rn. 7 f. Nöllenburg, Zollrechtliche Gefahrenabwehr, S. 161.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Praktiken, an bzw. bei denen regelmäßig zollrechtlich relevante Straftaten begangen werden, zu überwachen. Problematisch ist, ob dieser spezialgesetzliche Aufdeckungsauftrag nur bei schon begangenen bzw. noch stattfindenden oder sogar bei künftigen Straftaten besteht.804 Indes können noch nicht begangene Straftaten nur verhindert bzw. verhütet, aber nicht verfolgt werden.805 Da die Verhütung von Straftaten gemäß § 24 Abs. 2 ZFdG zu den allgemeinen Aufgaben der Zollfahndungsämter gehört, haben diese mit der Aufdeckung von unbekannten Straftaten der Sache nach einen Auftrag zur gezielten Suche von Verstößen gegen zollrechtliche Bestimmungen, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedeuten. 4. Polizeiliche Vorfeld-, Initiativ- und Strukturermittlungen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität806 a) Entstehung Von Vorfeld- bzw. Initiativermittlungen ist seit Mitte der 1980er Jahre die Rede.807 Darunter werden von einigen Autoren Ermittlungen im Vorfeld eines Verdachts verstanden, mit denen ein Sachverhalt daraufhin überprüft wird, ob er Veranlassung zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gibt, also ein konkreter Bezug zu einer bereits begangenen Straftat verlangt wird.808 Vorfeld- bzw. Initiativermittlungen dienen nach diesem Verständnis der Strafverfolgung, weil sie einen Tatverdacht klären bzw. konkretisieren sollen, und unterscheiden sich nicht von den Vorermittlungen. Die eigentliche Bedeutung der Vorfeld- bzw. Initiativermittlungen liegt in der Bekämpfung von Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität. Weil diese gegenüber herkömmlichen Ermittlungsmaßnahmen weitgehend immun sei, müssten Ermittlungsmethoden zur Verfügung stehen, die es erlauben, in den inneren Bereich Krimineller einzudringen, ohne dass ein Tatverdacht wegen einer begangenen Straftat vorliegen müsse.809 Bei den neuen Ermittlungsformen handelt es sich nicht um die Verfolgung einzelner Straftaten, sondern um proaktive operative Aktionen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität in ihren Strukturen im Vorfeld der konkreten Gefahr und des Tatverdachts. Nicht umsonst handelt es sich bei den Vorfeld- bzw. Initiativermittlungen und den später dazu gekommenen Strukturermittlungen um Begriffsschöpfungen, die aus dem Bundeskriminalamt stammen.810 804
So Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 249. Pieroth/Schlink/Kniesel, POR (2006), § 5 Rn. 7 f. 806 Da diese Ermittlungsformen überwiegend als strafverfahrensrechtliche gesehen werden, erfolgt ihre Darstellung im Rahmen der Aufgabe zur Strafverfolgung. 807 Kube, Systematische Kriminalprävention, S. 94. 808 Rogall, ZStW 103, 907 (945); Lohner, Tatverdacht, S. 126. 809 Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität, BT-Drs. 12/989, S. 41. 810 Zachert, in: Kniesel/Kube/Murck, Handbuch, Kap. 21, Rn. 61. 805
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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Das Amt wollte bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Terrorismus als operativer Akteur im Vorfeld der konkreten Gefahr dabei sein, sah sich daran aber mangels eines in der Aufgabe der Gefahrenabwehr aufgehobenen Auftrags zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten gehindert. Deshalb konnte das Amt nur über die Schiene der Strafverfolgung zum operativen Akteur werden und deklarierte die neuen Ermittlungsformen bei Zugrundlegung eines vom Amt selber geprägten kriminalistischen Verständnis vom Tatverdacht als strafprozessuales Vorgehen.811 Nachdem im Rahmen der Antiterrorgesetzgebung nach dem 11. 9. 2001 eine Initiativermittlungskompetenz für das Bundeskriminalamt nicht durchsetzbar war, blieb es bei den inzwischen etablierten Vorfeld- bzw. Initiativermittlungen, zu denen sich noch die Strukturermittlungen gesellten.812 b) Inhalt und Bedeutung Allen drei Ermittlungsformen ist gemeinsam, dass sie sich als proaktive Vorgehensweisen gegen kriminelle Strukturen und Gefahrenquellen richten; es geht nicht um Einzelfallaufklärung, sondern um die Aufdeckung übergreifender Zusammenhänge, krimineller Strukturen und Netzwerke.813 aa) Vorfeldermittlungen Anders als Vorermittlungen, bei denen ja schon – wenn auch noch nicht zureichende – tatsächliche Anhaltspunkte für eine begangene Straftat vorliegen, setzen Vorfeldermittlungen bereits ein, wenn weder eine konkrete Straftat noch eine konkrete Gefahr vorliegt. Es soll sich um operative Maßnahmen der Informationsgewinnung handeln, die der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten dienen.814 Auf der Grundlage der im Vorfeld des Tatverdachts gewonnenen Informationen sollen später durch aktionelle Maßnahmen die erkannten kriminellen Strukturen und Organisationen zerschlagen werden. Das ist das operative Ziel der Vorfeldermittlungen, nicht die Aufklärung und Aburteilung einer oder einiger Straftaten und auch nicht deren Verhinderung.815 Verfehlt ist die Auffassung, Vorfeldermittlungen seien repressiver Natur, weil sie Ermittlungshandlungen bezüglich noch nicht begangener Straftaten seien.816 Noch nicht begangene Straftaten können nur verhindert bzw. verhütet, aber nicht verfolgt werden.817 811
S. B. I. 1. a) aa). Brisach, Kriminalistik 1997, 247; Münch, ZRP 2015, 130 (131). 813 S. dazu ausf. Albers, Determination, S. 108 ff. 814 Schmitt, StPO, § 152 Rn. 46; Jahnes, Initiativermittlungen, S. 9; Kammann, Anfangsverdacht, S. 149; Senge, in: FS Hamm, S. 704. 815 Stümper, Kriminalistik 1975, 49 (50). 816 Kühne, Strafprozessrecht, § 23 Rn. 371. 817 Pieroth/Schlink/Kniesel, POR (2002), § 5 Rn. 7 f. 812
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
bb) Initiativermittlungen Nach der Definition in Nr. 6.1 der Anlage E der RiStBV sind Initiativermittlungen gegeben, wenn Staatsanwaltschaft und Polizei zur Aufklärung und wirksamen Verfolgung der organisierten Kriminalität von sich aus im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugnisse Informationen gewinnen oder bereits erhobene Informationen zusammenführen, um Ansätze zu weiteren Ermittlungen zu erhalten.818 Bei Initiativermittlungen geht es genauso wie bei den Vorfeldermittlungen um proaktive operative Bekämpfung der organisierten Kriminalität; der Begriff ist nur insoweit akzentuierter als er zum Ausdruck bringt, dass die Polizei von sich aus und nicht fremdbestimmt agiert819 und ihr Vorgehen an ihren kriminalstrategischen Erkenntnissen ausrichten kann. cc) Strukturermittlungen Es handelt sich um Strategien zur Kontrolle krimineller Strukturen. Mit Strukturermittlungen geht es der Polizei nicht mehr um einzelfallbezogene Auswertungen, sondern Ziel ist das frühzeitige Erkennen von kriminellen Strukturen noch bevor in ihnen begangene Straftaten sichtbar werden.820 Nur in der Akzentuierung der Bedeutung der die organisierte Kriminalität begünstigenden Strukturen lässt sich eine Besonderheit der Strukturermittlungen feststellen; in der Sache unterscheiden sie sich nicht von Vorfeld- und Initiativermittlungen. c) §§ 163 Abs. 1 Satz 1, 152 Abs. 2 StPO i.V.m. Nr. 6.1 GRlJPOK als Rechtsgrundlage Vorfeld-, Initiativ- und Strukturermittlungen beinhalten Eingriffe in Grundrechte und müssen deshalb auf eine Aufgabenzuweisung und Befugnisnormen gegründet werden. Als Aufgabenzuweisung kommen die §§ 163 Abs. 1 Satz 1, 152 Abs. 2 StPO i.V.m. Nr. 6.1 GRlJPOK und als Befugnisnormen die in der StPO vorgesehenen verdeckten Maßnahmen (§ 167 f., längerfristige Observation; § 100a, Telekommunikationsüberwachung; §§ 100g, i und j, Auskunft über Telekommunikationsverbindungen, Erhebung von Verkehrsdaten, technische Ermittlungen bei Mobilfunkendgeräten, Bestandsdatenauskunft; § 100b, Online-Durchsuchung; § 98a, Rasterfahndung; § 100h, Einsatz technischer Mittel; § 100c, Lauschangriff; § 110a, Einsatz verdeckter Ermittler) in Betracht. Nr. 6 der GRlJPOK hat die Überschrift Initiativermittlungen. In Nr. 6.1 heißt es: Organisierte Kriminalität wird nur selten von sich aus offenbar. Strafanzeigen in diesem Bereich werden häufig nicht erstattet, u. a., weil die Zeugen Angst haben. Die 818 819 820
Anlage E, abgedr. in: Schmitt, StPO, S. 2487 ff. Jahnes, Initiativermittlungen, S. 10; Albers, Determination, S. 112. Brisach, Kriminalistik 1997, 247.
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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Aufklärung und wirksame Verfolgung der Organisierten Kriminalität setzt daher voraus, dass Staatsanwaltschaft und Polizei von sich aus im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugnisse Informationen gewinnen oder bereits erhobene Informationen zusammenführen, um Ansätze zu weiteren Ermittlungen zu erhalten (Initiativermittlungen). Unter 6.3 heißt es: Die Befugnisse der Polizei zu Initiativermittlungen im Rahmen der Gefahrenabwehr richten sich nach den Polizeigesetzen. Die Aufgabenzuweisung gemäß §§ 163 Abs. 1 Satz 1, 152 Abs. 2 StPO setzt ebenso wie die genannten verdeckten informationellen Maßnahmen einen bestehenden Tatverdacht voraus. Vorfeld-, Initiativ- und Strukturermittlungen finden im Vorfeld des Tatverdachts und der konkreten Gefahr statt, sollen also die zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für einen Tatverdacht im Wege der Verdachtsschöpfung erst beschaffen. Sie können demzufolge § 152 Abs. 2 StPO nicht genügen und sind deshalb rechtswidrig.821 Nr. 6.1 GRlJPOK vermag dem als Verwaltungsvorschrift nicht abzuhelfen. Als Rechtsgrundlagen für die neuen Ermittlungsformen kommt nur das Polizeirecht mit seinem Auftrag zur vorbeugenden Bekämpfung in Verbindung mit verdeckten informationellen Befugnissen des einschlägigen Polizeigesetzes in Betracht.822 Insoweit lag der thüringische Gesetzgeber richtig, als er in § 34 Abs. 3 Satz 2 a.F. thürPolG Strukturermittlungen zur Beobachtung der organisierten Kriminalität vorgesehen hatte, um frühzeitig Entwicklungstendenzen erkennen zu können, bevor er die Regelung wegen – unzutreffender – Bedenken gegen die Gesetzgebungszuständigkeit des Landes wieder aufhob.823
II. Gefahrenabwehr Aufgabe der Polizei ist die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Dies ist ihr klassischer Auftrag, der auch heute noch den polizeilichen Alltag prägt. Daneben sind die in die neue Generation der Polizei- und Sicherheitsgesetze der 1980er Jahre aufgenommenen zusätzlichen (Teil-)Aufgaben der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten und der Vorbereitung auf die Gefahrenabwehr getreten, die im Rahmen der Gefahrenabwehraufgabe zu erfüllen sind.
821 Schmitt, StPO, § 152 Rn. 46; LR/Erb, StPO, § 163 Rn. 17; Beukelmann, in: Graf, StPO, § 152 Rn. 6.1; Weßlau/Deiters, SK-StPO, Vor §§ 151 ff. Rn. 6 und 22; Haas, Vorermittlungen, S. 41 ff.; Riess, in: FS Otto, S. 964 f.; MüKo/Peters, § 152 Rn. 63; Pfordte, StraFo 2016, 53 (58); Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 125; Frister, HdBPR, Kap. F, Rn. 8; Jahnes, Initiativermittlungen, S. 175; Schnabl, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, § 152 Rn. 9. 822 Hilger, in: Hilger, S. 15; Haas, Vorermittlungen, S. 44; Vahle, Aufklärungsmaßnahmen, S. 46 ff.; Rieß, in: FS Otto, S. 965; MüKo/Peters, StPO, § 152 Rn. 63; Kammann, Anfangsverdacht, S. 150. 823 Ebert/Seel/Joel, Thüringer PAG, § 34 Rn. 26.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
1. Klassische Gefahrenabwehr a) Gefahrenabwehr als Rechtsgüterschutz durch Schadensabwendung Wenn vom klassischen Polizeirecht die Rede ist, geht es um das Polizeirecht preußischer Prägung. Im Ausgangspunkt war es § 10 II 17 des Preußischen Allgemeinen Landrechts, der die Aufgabe der Polizei programmatisch auf die Gefahrenabwehr unter Vernachlässigung der Wohlfahrtspflege als Kennzeichen des vormaligen Polizeistaats reduzierte und seinen Höhepunkt in dem Kreuzberg-Erkenntnis des Preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. 6. 1882 hatte, die die Aufgabe der Polizei unter Ausschluss der Wohlfahrtspflege auf die Gefahrenabwehr beschränkte.824 Seitdem ist – vom Rückfall in der Zeit des Nationalsozialismus abgesehen – Polizeirecht Gefahrenabwehrrecht; „die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, besteht darin, Schaden von den unter diesem Titel zusammengefassten Schutzgütern abzuwenden“.825 Rechtsgüterschutz ist kein Spezifikum des Strafrechts. Im Zusammenhang mit dem Verstoß gegen eine Ge- oder Verbotsnorm geht es im Polizeirecht wie im Strafrecht um Rechtsgüterschutz. Ersteres will den Verstoß gegen eine Ge- oder Verbotsnorm verhindern oder die eine Gefahr darstellenden Folgen abwenden bzw. beseitigen, letzteres den Rechtsverstoß sanktionieren, indem durch Schuldfeststellung die Tat missbilligt und durch Verhängung einer Strafe geahndet wird. Die in der einschlägigen Strafrechtsnorm enthaltene oder von ihr in Bezug genommene Verbotsnorm liegt als öffentlich-rechtliche oder zivilrechtliche Norm dem Strafrecht voraus. Insoweit hält das Strafrecht mit der Sanktionierung einen zusätzlichen Rechtsgüterschutz bereit, der wegen des mit der Sanktionierung einhergehenden intensiven Grundrechtseingriffs besonderen rechtsstaatlichen Anforderungen genügen muss, die an das verschuldensunabhängige, auf effektive Gefahrenabwehr ausgelegte Polizeirecht nicht zu stellen sind. b) Gefahrbegriff der Aufgabenzuweisung Die Aufgabe der Gefahrenabwehr ist nicht unbedingt mit der Wahrnehmung von Befugnissen zu Eingriffen in Grundrechte verbunden. Ein erheblicher Teil gefahrenabwehrenden Handelns kommt ohne die Inanspruchnahme von Befugnissen aus, mit der Folge, dass die getroffenen Maßnahmen allein auf die Aufgabenzuweisungsnorm gestützt werden können. Solche schlicht hoheitlichen Maßnahmen sind: – Streifengang und -fahrt in der analogen Welt und ihr Pendant der Cyber-Patrol als virtuelle Streifenfahrt im Internet, mit denen die Polizei Gefahren erkennen, ihnen vorbeugend begegnen und durch die gezeigte Präsenz in der analogen Welt die subjektive Sicherheit befördern will, 824 825
PrOVGE 9, 353. Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 221.
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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– Warnung vor Gefahren, der Bevölkerung vor einem ausgebrochenen Schwerverbrecher, der Verkehrsteilnehmer vor plötzlichem Glatteis, der Eltern vor Jugendsekten, – Präventionsberatung zum Treffen von Schutzvorkehrungen, für Eigentümer und Mieter gegen Wohnungseinbruch, für Frauen, wie sie sich vor männlichen Übergriffen schützen können, – Personen- und Objektschutz, – Überwachung bestimmter Örtlichkeiten und Milieus zum Zweck frühzeitigen Erkennens von Auffälligkeiten, – Maßnahmen zur Vorbereitung auf die Gefahrenabwehr durch Vorhalten von Notrufeinrichtungen und Unterlagen, die bei Unglücksfällen und größeren Schadensereignissen erforderlich sind, damit die zuständigen Behörden zur Gefahrenabwehr in der Lage sind, – Erteilen von Verkehrsunterricht, mit Hilfe des Verkehrskaspers in Kindergärten und durch praktische Unterweisung von Erstklässlern auf der Straße, um sie in den Stand zu setzen, allein oder in der Gruppe sicher im öffentlichen Straßenverkehr zur Schule zu gelangen, – Überwachung des Straßenverkehrs, Feststellung von Hauptunfallursachen und Unfallbrennpunkten zwecks Vermeidung weiterer Unfälle, – Gefahrenabwehr durch Unterbindung und Beseitigung von Störungen mit eigenen polizeilichen Mitteln, wenn verantwortliche Dritte nicht herangezogen werden können oder Beauftragung privater Unternehmen zum Abschleppen von verkehrswidrig abgestellten oder verunfallten Fahrzeugen. All diese Maßnahmen setzen nach den Aufgabenzuweisungsnormen der Polizeiund Ordnungsgesetze eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung voraus.826 Im Gegensatz zur Generalklausel als Befugnisnorm der Polizei- und Ordnungsgesetze, die von einer im einzelnen Fall bestehenden, konkreten Gefahr spricht827, beschreiben die Aufgabenzuweisungsnormen die durch schlicht hoheitliches Handeln abzuwehrende Gefahr nicht näher, mit Ausnahme des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes, in dem es in Art. 2 Abs. 1 heißt, dass die Polizei die Aufgabe hat, die allgemein oder im Einzelfall bestehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Der Gefahrbegriff der Aufgabenzuweisungsnormen unterscheidet sich damit offensichtlich von dem der Befugnisnormen dadurch, dass er nicht nur im konkreten 826
S. etwa § 1 Abs. 1 bbgPolG; § 1 Abs. 1 bbgOBG; § 1 Abs. 1 S. 1 berlASOG; § 1 Abs. 1 S. 1 hessSOG; § 1 Abs. 1 S. 1 ndsPOG; § 1 Abs. 1 S. 1 nwPolG; § 1 Abs. 1 nwOBG; § 1 Abs. 1 S. 1 sächsPolG; § 2 Abs. 1 S. 1 thürPAG; § 2 Abs. 1 thürOBG; § 1 Abs. 5 BPolG. 827 S. Art. 11 Abs. 1 bayPAG; Art. 7 Abs. 2 und 3 bayLStVG; § 10 Abs. 1 bbgPolG; § 13 Abs. 1 bbgOBG; § 17 Abs. 1 berlASOG; § 11 ndsPOG; § 8 Abs. 1 nwPolG; § 14 Abs. 1 nwOBG; § 3 Abs. 1 sächsPolG; § 12 Abs. 1 thürPAG; § 5 Abs. 1 thürOBG; § 14 Abs. 1 BPolG.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Einzelfall, sondern abstrakt gilt. Die abstrakte Gefahr wird definiert als eine Sachlage oder ein Verhalten, das allgemein, sei es nach der Lebenserfahrung, sei es auf Grund von fachkundigen Erkenntnissen typischerweise ein bestimmtes Rechtsgut gefährdet.828 Nach der Legaldefinition einiger Polizei- und Ordnungsgesetze ist die abstrakte Gefahr die nach allgemeiner Lebenserfahrung oder den Erkenntnissen fachkundiger Stellen mögliche Sachlage, die im Fall ihres Eintritts eine (konkrete) Gefahr darstellt.829 Danach lassen sich die o. a. dargestellten schlicht hoheitlichen Maßnahmen als abstrakte Gefahrenabwehr verstehen, wenn die jeweilige Gefahrensituation sich im Falle ihrer Realisierung als konkrete Gefahr darstellen würde. Problematisch ist das für den polizeilichen Streifengang bzw. die Streifenfahrt. Erfolgen diese etwa im Rotlichtmilieu, wo sich bestimmte Kriminalitätsformen wie Menschen- und Rauschgifthandel bevorzugt ansiedeln, ist die abstrakte Gefahr zu bejahen, nicht dagegen in Bereichen des öffentlichen Raumes, in denen im polizeilichen Kriminalitätsatlas kein nennenswertes Straftatenaufkommen vermerkt ist und deshalb bei Streifen auch keine Auffälligkeiten erkennbar wären. Für diese Fälle bedarf es eines weiter reichenden Gefahrbegriffs, um schlicht hoheitliches polizeiliches Handeln zu legitimieren. In Bayern kann dafür der in Art. 2 Abs. 1 bayPAG vorgesehene Begriff der allgemeinen Gefahr herangezogen werden. Dieser Gefahrbegriff deckt sich teilweise mit der abstrakten Gefahr830, reicht aber darüber hinaus, wenn die allgemeine Gefahr schon dann bejaht wird, sofern aus einer Sachlage aus allgemeiner Lebenserfahrung konkrete Gefahren im Einzelfall entstehen können831; es wird also im Unterschied zur abstrakten Gefahr keine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer konkreten Gefahr gefordert, sondern deren Möglichkeit für ausreichend gehalten.832 Tatbestandliche Voraussetzung ist aber, dass das auf die allgemeine Gefahr gestützte Handeln in präventiver Zielrichtung erfolgt, was bei Streifengang oder -fahrt mit der Intention, polizeirechtlich relevante Auffälligkeiten zu erkennen, bejaht wird.833 Für alle übrigen Bundesländer wird die Auffassung vertreten, dass die Polizei selbstverständlich Streifengänge und -fahrten durchführen können müsse, weil eine solche Form der Gefahrenvorsorge unter die Zielsetzung der Gefahrenabwehr subsumiert werden könne.834 Das Ergebnis überzeugt, doch ersetzt Wunschdenken keine Begründung. Es fragt sich daher, ob der Gefahrbegriff der Aufgabenzuweisung als allgemeine Gefahr im Sinne der Möglichkeit eines Schadenseintritts oder als um828
(52 f.). 829
Kingreen/Poscher, POR, § 8 Rn. 9; BVerwGE 116, 347 (351); Möstl, Jura 2005, 48
S. § 2 Nr. 2 ndsPOG; § 4 Nr. 3 h) sächsPolG; § 3 Nr. 3 f) saSOG; § 54 Nr. 3 e) thürOBG. Schmidtbauer/Holzner, BayPSR, Rn. 294; Knemeyer, POR, Rn. 54 f.; Götz/Geis, APOR, § 6 Rn. 25. 831 Schmidtbauer/Holzner, BayPSR, Rn. 295. 832 Schmidtbauer/Holzner, BayPSR, Rn. 295; Holzner, in: BeckOK PAG, Art. 2 Rn. 3. 833 Schenke, POR, Rn. 71. 834 Darnstädt, Gefahrenabwehr, S. 22 f.; Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 134; Staats, DÖV 1979, 155 (158 ff.); krit. dazu Wagner, PolG NRW, vor § 1 Rn. 38. 830
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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fassendes Kriterium polizeilichen Handelns verstanden werden kann. Für die Notwendigkeit eines solchen vorgeordneten Gefahrenbegriffs spricht nicht nur das Problem der polizeilichen Streifentätigkeit, sondern auch die Erweiterung der polizeilichen Gefahrenabwehraufgabe um die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten im Vorfeld der konkreten Gefahr. Wenn die gegenüber der konkreten und abstrakten Gefahr abgesenkte Eingriffsschwelle des Gefahrenverdachts oder der Gefahrbesorgnis in Gestalt von Tatsachen oder tatsächlichen Anhaltspunkten für die Annahme des Bevorstehens einer Straftat als Voraussetzung für Vorfeldmaßnahmen maßgeblich ist, muss der Gefahrbegriff der Aufgabenzuweisung auch diese Gefahrensituation abbilden und die Maßnahmen erfassen, die gelegentlich der im Rahmen der Gefahrenabwehr erfolgenden Verhütung von Straftaten anfallen. Insoweit liegt es nahe, die Gefahr im Sinne der Aufgabenzuweisung als übergeordneten Begriff zu verstehen, der den speziellen Begriffen der konkreten und abstrakten Gefahr bzw. der Gefahrbesorgnis im Sinne eines Gefahrverdachts übergeordnet ist.835 Dies wird für zulässig gehalten, wenn es um die Schlussfolgerung geht, dass ein Schadenseintritt möglich ist.836 Solange eine Ausweitung der Gefahrenvorsorge in den Bereich der Wohlfahrtspflege ausgeschlossen bleibt837, erscheint die Auslegung des Gefahrbegriffs der Aufgabenzuweisung als allgemeine Gefahr dogmatisch vertretbar.838 c) Erscheinungsformen polizeilicher Gefahrenabwehr Schadensabwendung kann durch Störungsbeseitigung, Verhinderung und Unterbindung von Straftaten sowie durch Gefahrensuche mittels Überwachung, Aufklärung und Kontrolle bewirkt werden. aa) Störungsbeseitigung Zur Gefahrenabwehr gehört die Verhinderung der Fortdauer von Störungen839 bzw. die Beseitigung von Störungen als ihre dringlichste Form,840 solange nach deren Eintritt eine Gefahr fortbesteht. Eine Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ist gegeben, wenn der Schaden nicht abgewendet werden konnte und ein Schutzgut verletzt wurde.841 Einige Polizei- und Ordnungsgesetze regeln die Störungsbeseitigung nach dem Vorbild des § 41 prPVG ausdrücklich in der Aufga835
Darnstädt, Gefahrenabwehr, S. 24 f.; Staats, DÖV 1979, 155 (158 f.). Denninger, HdBPR (6. Aufl.), D. Rn. 41. 837 BVerfGE 110, 1 (17); Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1 Rn. 282; Denninger, HdBPR, D. Rn. 15; Götz/Geis, APOR, § 7 Rn. 15; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 220. 838 Darnstädt, Gefahrenabwehr, S. 24 f. 839 BVerfG, NJW 2004, 2073 Rn. 68. 840 Barczak, Der nervöse Staat, S. 514. 841 Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1 Rn. 52; Denninger, HdBPR, D. Rn. 15; Drews/Wacke/ Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 220; Staats, DÖV 1979, 155 (158). 836
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
benzuweisung oder der Generalklausel.842 Nachdem der MEPolG auf die Störungsbeseitigung verzichtet hatte, tat das auch die Mehrheit der Landespolizeigesetzgeber, weil sie die Störungsbeseitigung als Unterfall der Gefahrenabwehr sahen, sofern die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung als Quelle weiteren Schadens fortbestand. bb) Verhinderung und Unterbindung von Straftaten (1) Verhinderung von Straftaten Eine Straftat kann nicht begangen, also verhindert werden, wenn die Polizei eine Maßnahme trifft, die es dem potenziellen Täter unmöglich macht, sein Vorhaben zu realisieren, etwa indem sie dem betrunkenen Fahrwilligen die Fahrzeugschlüssel wegnimmt.843 (a) Abgrenzung zur Verhütung Für die Beschreibung der Vorkehrungen, die dafür sorgen, dass es nicht zur Begehung von Straftaten kommt, werden die Begriffe Verhütung und Verhinderung verwendet, ohne dass geklärt wäre, ob die Begriffe Synonyma sind oder eine eigenständige Bedeutung haben. Für Denninger handelt es sich um synonyme Begriffe. Verhinderung kennzeichne eine Tätigkeit, die den Eintritt eines Ereignisses in Gestalt einer Straftat unmöglich macht und im gleichen Sinn könne auch von „Verhüten“ gesprochen werden.844 Das Wörterbuch der Polizei verweist bei den Stichworten „Verhinderung von Straftaten“ und „Verhütung von Straftaten“ auf das Stichwort „Vorbeugende Verbrechensbekämpfung“.845 Auch Gusy setzt Verhütung und Verhinderung gleich, wenn er die Verhinderung von Straftaten in der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten verortet.846 Eine klare Differenzierung zwischen Verhütung und Verhinderung erfolgt nur bei Albers; sie sieht beide Begriffe als Unterfälle der Vorbeugung und zählt zur Verhütung von Straftaten vorbeugende Maßnahmen, die in einen antizipierten Geschehensablauf eingreifen oder die Entstehungsbedingungen bestimmter Faktoren oder Ursachenketten beeinflussen sollen, so dass sich der Eintritt der Gefahr einer Straftat schon im Vorfeld verhüten lässt.847 Die Verhütung von Straftaten grenzt sie von deren Verhinderung dergestalt ab, dass die Verhinderung sich auf unmittelbar bevorstehende Straftaten bezieht und insoweit unter die Aufgabe zur Abwehr konkreter Gefahren fällt, während die 842 Art. 11 Abs. 2 bayPAG; § 3 i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 1 bwPolG; § 3 Abs. 1 hmbSOG; § 16 mvSOG; § 3 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 1 sächsPolG; § 176 Abs. 1 shLVwG; § 2 Abs. 1 thürOBG. 843 OVG Münster, NJW 1954, 1664 hat die Schließung eines Bordells zur Verhinderung des Straftatbestandes der Kuppelei für zulässig gehalten. 844 Denninger, HdBPR, D. Rn. 178. 845 Möllers, Wörterbuch der Polizei, S. 2104 und 2106. 846 Gusy, POR, § 3 Rn. 101. 847 Albers, Determination, S. 123 ff.; s. auch Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts, S. 185.
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Verhütung von Straftaten die Erarbeitung übergreifender Lagebilder, die Analyse struktureller Zusammenhänge krimineller Szenen, die Sammlung von Daten über Personen, von denen eine spätere Verwicklung in Straftaten zu erwarten ist und Vorfeldermittlungen durch Maßnahmen der längerfristigen Observation und des Einsatzes verdeckter Ermittler zum Gegenstand hat.848 Das Bundesverfassungsgericht hat die Verhinderung von Straftaten in seiner frühen Rechtsprechung im Kontext von Aufklärung und Verfolgung von Straftaten gesehen und sieht auch jüngst noch in der repressiven Polizeitätigkeit alles aufgehoben, was in Reaktion auf den Verdacht einer Beteiligung an einer bevorstehenden strafbaren Handlung vorgenommen wird.849 In einen Zusammenhang mit der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten gehört die Verhinderung von Straftaten als Erscheinungsform der Abwehr konkreter Gefahren nicht, weil die Gesetzgebungszuständigkeit des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG unter dem Gesichtspunkt des gerichtlichen Verfahrens nur die Kompetenz zur Regelung des Strafverfahrens zuweist. In späteren Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht die Verhinderung von Straftaten zur klassischen Aufgabe der Gefahrenabwehr gerechnet und ausgeführt, der Polizei obliege die Verhütung, Verhinderung und Verfolgung von Straftaten, ohne dabei einen Unterschied zwischen Verhinderung und Verhütung deutlich werden zu lassen.850 Jüngst hat es eine Unterscheidung vorgenommen, indem es die Verhinderung von Straftaten zur Gefahrenabwehr im klassischen Sinne rechnet, während es die Verhütung von Straftaten als Unterfall der Gefahrenvorsorge sieht, die Maßnahmen umfasst, die in einen antizipierten Geschehensablauf eingreifen oder die Entstehungsbedingungen bestimmter Faktoren oder Ursachenketten beeinflussen sollen, sodass der Gefahr der Begehung einer Straftat bereits im Vorfeld der Gefahr, also im Handlungsraum des Polizeirechts begegnet werden kann.851 (b) Allgemeiner Sprachgebrauch Da der allgemeine Sprachgebrauch unter „verhindern“ das Bewirken versteht, dass etwas nicht passiert und unter „verhüten“ das Eintreten von etwas durch vorbeugende Maßnahmen verhindern,852 lässt eine am Wortlaut orientierte Auslegung keinen entscheidenden Unterschied erkennen. (c) Systematische Auslegung Weiterführen kann eine systematische Auslegung des Begriffs Gefahrenabwehr, wie er sich seit der Neugestaltung durch den VEMEPolG darstellt. In § 1 Abs. 1 wurde der klassischen Gefahrenabwehr die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten 848 849
(842). 850 851 852
Albers, Determination, S. 122. BVerfGE 30, 1 (29); BVerfGE 150, 244 (Rn. 67); zu Recht abl. Bäcker, DÖV 2011, 840 BVerfGE 110, 33 (60); 133, 277 (327). BVerfGE 150, 244 (Rn. 69 f.). Duden, Bedeutungswörterbuch, S. 1053 und 1054.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
durch deren Verhütung an die Seite gestellt. Diese sich auf die Bekämpfung von Strukturen beziehende vorbeugende Tätigkeit unterschied sich von der schon immer zur klassischen Gefahrenabwehr zählenden Verhinderung von Straftaten. Systematisch wäre dann die Verhinderung einer erkennbar unmittelbar bevorstehenden Straftat durch einen Eingriff in den Kausalverlauf als Gefahrenabwehr einzuordnen, etwa die Verhinderung der Trunkenheitsfahrt einer aus einer Gaststätte in Richtung eines abgestellten Fahrzeugs wankenden Person mittels Sicherstellung des Zündschlüssels. Verhütung von Straftaten als Gefahrenvorsorge im Vorfeld der konkreten Gefahr wären dagegen die Maßnahmen, die die Begehungsbedingungen von Straftaten so beeinflussen, dass der potenzielle Täter von der Begehung von Straftaten absieht, etwa weil die an einem Kriminalitätsbrennpunkt installierte Videoüberwachung ein zu hohes Entdeckungsrisiko darstellt oder unmittelbar gegen kriminelle Strukturen gerichtete aktionelle Maßnahmen, wie Aufenthaltsverbote, Schleierfahndung oder Razzien, mit denen kriminelle Aktivitäten gestört werden. Verhütung und Verhinderung unterscheiden sich demnach durch Zeitpunkt und Qualität der getroffenen Maßnahmen. Verhinderung von erkennbar bevorstehenden Straftaten entspricht dem klassischen Polizeirecht, das mit seinem Eingreifen erst bei konkreter Gefahr auf das schädigende Ereignis so lange wartete, dass es das Risiko einging, den richtigen Zeitpunkt für die Verhinderung einer Straftat zu verpassen.853 Verhütung im Vorfeld der konkreten Gefahr zur Bekämpfung krimineller Strukturen bietet dagegen umso mehr Erfolgschancen, je früher die Polizei agiert.854 Verhütung und Verhinderung unterscheiden sich auch durch die Qualität des Vorgehens; erstere erfolgt durch operatives Handeln in kriminalstrategischer Zielsetzung gegen kriminelle Strukturen mit neuen informationellen und aktionellen Befugnissen, während für letztere die klassischen polizeilichen Standardmaßnahmen ausreichen. Verhinderung ist situativ und punktuell, Verhütung lagebezogen und flächendeckend und erweitert den polizeilichen Handlungsraum in das Vorfeld der konkreten Gefahr. (2) Unterbindung von Straftaten Zur Verhinderung von Straftaten wird auch deren Unterbindung gezählt.855 Unterbindung unterscheidet sich von der Verhinderung dadurch, dass bereits eine Störung vorliegt, die als Straftat zu verfolgen ist; gleichzeitig besteht aber noch die Gefahr für das von der Strafnorm und der öffentlichen Sicherheit geschützte Rechtsgut fort, wie es bei Dauerdelikten – Hausfriedensbruch, Freiheitsberaubung, unerlaubter Aufenthalt in der Bundesrepublik – der Fall ist. Hier führt der Täter einen andauernden rechtswidrigen Zustand herbei oder beseitigt ihn pflichtwidrig nicht 853 Grimm, KritV 69 (1986), 38 (39); Möstl, Garantie, S. 159; Volkmann, JZ 2006, 918; Kral, Vorfeldbefugnisse, S. 46. 854 Albers, Determination, S. 124; Waechter, POR, Rn. 273 ff.; Nöllenburg, Zollrechtliche Gefahrenabwehr, S. 143. 855 BVerfGE 110, 1 (17); Götz/Geis, APOR, § 17 Rn. 15; Möstl, Garantie, S. 148; Schmidbauer/Holzner, BayPSR, Rn. 363; Gasch, Grenzen, S. 196; Park, Wandel des klassischen Polizeirechts, S. 387.
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und hält ihn danach willentlich aufrecht.856 Mit der Herbeiführung des rechtswidrigen Zustands ist das Dauerdelikt vollendet, aber erst mit der Aufhebung des rechtswidrigen Zustands beendet.857 Bis zur Deliktsbeendigung kann die andauernde Rechtsgutsverletzung als fortbestehende Gefahr durch polizeirechtliches Einschreiten unterbunden werden, etwa durch Räumung eines besetzten Hauses, Befreiung einer Geisel oder Zurückschiebung eines unerlaubt eingereisten Ausländers. (3) Verhältnis zur Strafverfolgung Verhütung bzw. Verhinderung von Straftaten und deren Unterbindung sind von der Strafverfolgung abzugrenzen. Wird eine Straftat verhindert, weil die Polizei einschreitet, bevor die überwachte Person mit der tatbestandlichen Ausführungshandlung begonnen hat, liegt keine Straftat vor und findet demzufolge auch keine Strafverfolgung statt. Kann die Polizei erst nach Beginn der Ausführungshandlung oder nach Vollendung des Delikts einschreiten, ist sie nach § 163 Abs. 1 Satz 1 StPO zur Strafverfolgung verpflichtet. Daneben bleibt sie zur Gefahrenabwehr zuständig, wenn die durch die Begehung der Straftat bewirkte Störung der öffentlichen Sicherheit als Gefahr fortbesteht. In diesen Fällen agiert die Polizei in zwei Funktionen als weisungsabhängiges Ermittlungspersonal der Staatsanwaltschaft mit den Befugnissen der StPO und als Gefahrenabwehrbehörde mit den Befugnissen des jeweiligen Polizeigesetzes.858 In solchen Fällen besteht kein Vorrang der Strafverfolgung dergestalt, dass das Recht der Strafverfolgung dem der Gefahrenabwehr vorgehen und dem zuständigen Staatsanwalt auch eine Sachleitungsbefugnis für die Gefahrenabwehr zuwachsen würde, sondern die Polizei kann aus eigenem Recht und eigener Entscheidungsmacht das zur Gefahrenabwehr Gebotene veranlassen. Die Verhütung bzw. Verhinderung von Straftaten ist aber auch von deren Unterbindung abzugrenzen. Die Besonderheit, dass die Aufgaben Gefahrenabwehr und Strafverfolgung bei der Unterbindung von Straftaten zeitweilig nebeneinander wahrgenommen werden, darf nicht zur Einebnung der Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung führen. Wenn die Verhütung bzw. Verhinderung von Straftaten nicht nur in der Funktion gesehen wird, dass ein Straftatbestand erst gar nicht erfüllt wird, sondern schon als Verhütung gilt, wenn ein Schaden vor Beendigung der Tat noch dadurch abgewendet wird, dass der Täter sich die Tatvorteile nicht sichern kann,859 rückt das Recht der Gefahrenabwehr zu nahe an das der Strafverfolgung heran.860 Die Trennung der beiden würde im Gefolge des Annäherungsprozesses aufgehoben und die Verhinderung von Straftaten zum Teil der Strafverfolgung werden.861 856 857 858 859 860 861
Fischer, StGB, Vor § 52 Rn. 58. Fischer, StGB, Vor § 52 Rn. 58. Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 848. Wamers, in: Hk-ZFdG, § 18 Rn. 10. So auch Nöllenburg, Zollrechtliche Gefahrenabwehr, S. 142. So Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 74 Rn. 82.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
cc) Gefahrensuche durch Überwachung, Kontrolle und Aufklärung (1) Gefahrensuche als Gefahrenerkennung Die Aufgabe zur Gefahrenabwehr beinhaltet einen Überwachungsauftrag. Überwachung ist Gefahrensuche im Sinn der Aufdeckung von Gefahren, die von Personen oder Naturereignissen verursacht werden. Bei menschlichem Verhalten geht es um die Feststellung von Verstößen gegen bestehende Ge- und Verbote, die zu einer Verletzung des Schutzguts der öffentlichen Sicherheit führen. Sind die Ge- und Verbote straf- bzw. bußgeldbewehrt, ist auch das Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht als Schutzgut der öffentlichen Sicherheit betroffen. Die Straftat oder Ordnungswidrigkeit gerät über den Verstoß gegen eine Ge- oder Verbotsnorm in das Blickfeld polizeilicher Gefahrenabwehr. Gefahrensuche setzt keinen bestimmten Anlass oder Verdacht einer Straftat im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO voraus. Es muss sich aber um eine Situation handeln, die Anlass dazu gibt abzuklären, ob eine konkrete Gefahr und – mit ihr im Zusammenhang stehend – eine Straftat vorliegt. Entdeckt die Polizei auf diese Weise eine Gefahr und schöpft daraus einen Verdacht auf eine begangene Straftat, so ist das das Ergebnis, nicht die Voraussetzung der Gefahrensuche.862 Verdachtsschöpfung ist ohne vorherige Gefahrerkennung nicht möglich. Die anlass- und verdachtslosen polizeilichen Personenkontrollen dienen der Gefahrensuche. Der in die gesetzlichen Kontrollnormen ausdrücklich aufgenommene Kontrollzweck der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten macht diese Bekämpfung zur abstrakten Gefahrenabwehr.863 Dass bei Kontrollen ein Datenabgleich erfolgt, der auch der Fahndung nach Personen und Sachen dient, steht deren Qualifizierung als Gefahrensuche nicht entgegen. Auch der Bezug auf eine Straftat, etwa die unerlaubte Überschreitung der Landesgrenze oder den unerlaubten Aufenthalt, macht aus einer Schleierfahndung keine strafprozessuale Regelung, die der Erforschung begangener Straftaten dient.864 Wenn der Gesetzgeber in § 22 Abs. 1a BPolG ausdrücklich die Verhütung oder Unterbindung bestimmter Verhaltensweisen zum Kontrollzweck gemacht hat, hat er sie damit auch eindeutig von repressiven Maßnahmen zur Verfolgung von Verstößen gegen ausländerrechtliche Bestimmungen abgegrenzt.865 Die polizeilichen anlassund verdachtslosen Kontrollbefugnisse als Verdachtsschöpfungsregelungen im Vorfeld des Tatverdachts zu qualifizieren866, geht fehl. Wie schon dargestellt867, kennt das geltende Strafverfahrensrecht keinen Auftrag zur Verdachtsschöpfung. Würde man die Trennung zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung durch den Tatverdacht wegen einer begangenen Straftat aufgeben und Maßnahmen zur Ermittlung 862 863 864 865 866 867
Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 78. Kastner, VerwArch 92 (2001), 216 (235). Kastner, VerwArch 92 (2001), 216 (236). Kastner, VerwArch 92 (2001), 216 (236 f.); Möllers, NVwZ 2000, 382 (383 f.). Rachor, HdBPR (5. Aufl.), E. Rn. 367 und Graulich, HdBPR, E. Rn. 146. S. B. I. 1. b).
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eines Tatverdachts als Strafverfolgung zulassen, wären alle anlass- und verdachtslosen polizeilichen Kontrollbefugnisse – von der allgemeinen Verkehrskontrolle nach § 36 Abs. 5 StPO über die Kontrollrechte an gefährlichen und gefährdeten Orten bis zur Schleierfahndung – schon strafprozessuale Maßnahmen.868 Das Recht der Gefahrenabwehr lässt sich nur dann vom Recht der Strafverfolgung abgrenzen, wenn der von § 152 Abs. 2 StPO vorgegebene Unterschied zwischen pro- und reaktiven Maßnahmen beachtet wird.869 (2) Überwachung Als Terminus der polizeilichen Einsatzlehre bedeutet Überwachung das Beobachten bestimmter Räume, Objekte, Personen oder Vorgänge zwecks Erkennung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung sowie Störungen und der damit verbundenen Einleitung von Maßnahmen zu deren Beseitigung.870 Überwachung ist danach polizeiliche Präsenz mit offenen Augen und Ohren871, um etwaige Auffälligkeiten und drohende Verstöße gegen die Rechtsordnung, insbesondere Straftaten und Ordnungswidrigkeiten festzustellen und darauf zu reagieren. Es handelt sich bei dieser Beobachtung der Umgebung nicht um eine kurzfristige Observation im Sinne der Polizeigesetze, weil die Polizeistreife nicht gezielt bestimmte Personen observiert, sondern ihr Augenmerk auf die Personen richtet, die gerade in der Nähe sind. Im Gegensatz zur aktiven Observation geht es lediglich um einen passiven Wahrnehmungsvorgang. Diese Unterscheidung passt indes nicht recht, wenn die Polizei – anders als im Fall bloßer Entgegennahme von Informationen, die von Dritten stammen – selber mit offenen Augen registriert, was um sie herum vorgeht. Straftaten geraten dabei meist als Gefahrverdacht ins polizeiliche Blickfeld; trifft die Streife auf eine Person, die ein abgeschlossenes Fahrrad trägt, kann es sich um einen Diebstahl, aber auch um einen Eigentümer handeln, der seinen Schlüssel verloren hat; als Maßnahme der Gefahrensuche wird die Polizei ihn befragen und wenn er eine plausible Erklärung geben oder sein Eigentum nachweisen kann, entsteht kein Tatverdacht gemäß § 152 Abs. 2 StPO. Hier zeigt sich, dass polizeirechtliche Gefahrenabwehr nicht für eine strafprozessual unzulässige Verdachtsschöpfung instrumentalisiert wird. In die Rolle des Strafverfolgers kommen die Streifenpolizisten erst dann, wenn wegen mangelnder Plausibilität der Erklärung des wegen des Fahrrads überprüften Person ein Tatverdacht nach § 152 Abs. 2 StPO entsteht und deshalb ein Ermittlungsverfahren gegen sie in Gang kommt. Wenn die Bundespolizei Personen im Rahmen einer Grenzkontrolle befragt, geht es ebenfalls um Gefahrensuche durch Gefahrenerkennung. Nach § 22 Abs. 1 BPolG kann die Bundespolizei eine Einreisebefragung durchführen, um an Informationen 868
Kastner, VerwArch 92 (2001), 216 (237). Kastner, VerwArch 92 (2001), 216 (237); Würtenberger/Heckmann, PRB-W (6. Aufl.) Rn. 181. 870 PDV 100, Anlage 20; Möllers, Wörterbuch der Polizei, S. 2000. 871 Pieroth, VerwArch 88 (1997), 568 (576). 869
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
zu gelangen, die als sachdienliche Angaben für die präventivpolizeiliche Aufgabe des Grenzschutzes nach § 2 BPolG relevant sind. Die Einreisebefragung bezweckt insbesondere, solche Informationen zu gewinnen, aus denen sich Anhaltspunkte für die konkrete Gefahr in Gestalt der versuchten unerlaubten Einreise ergeben; sie ist also eine Maßnahme der Gefahrensuche, aus der der Verdacht einer Straftat gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG entstehen kann, wenn der oder die Betroffene keine plausiblen Angaben für die Einreise macht. Die polizeiliche Überwachung des Straßenverkehrs beinhaltet dessen laufende Beobachtung auf Einhaltung aller straßenverkehrsrechtlichen Bestimmungen. Als Überwachungs- und Kontrollmittel kann die Polizei Verkehrsteilnehmer anhalten und überprüfen, ohne dass eine konkrete Gefahr vorliegen oder der Tatverdacht für eine Verkehrsstraftat oder Ordnungswidrigkeit bestehen muss. Die Überwachung bezieht sich als verkehrsspezifische Gefahrenabwehr auf die Fahrtüchtigkeit und Fahrberechtigung des Fahrzeugführers sowie den ordnungsgemäßen Zustand des Fahrzeugs und seiner Ladung. Bei der Überprüfung kann sich herausstellen, dass der Fahrer keine Fahrerlaubnis hat oder keinen Versicherungsschutz genießt und damit der Verdacht auf Straftaten nach § 21 Abs. 1 oder Abs. 2 StVG bzw. § 6 Abs. 1 PflVG entsteht. Polizeiliche Überwachung durch Streifentätigkeit findet nicht nur in der analogen Welt, sondern auch in der digitalen des Internet statt. Streifenfahrten einer CyberPatrol haben im Bereich von Social Media Internetforen und Blogs im Auge und die Beamten surfen auf angebotenen Webseiten. Diese Überwachungstätigkeit dient der Gefahrensuche und ist noch keine Strafverfolgung, weil ein Tatverdacht erst entsteht, wenn das Überwachungspersonal auf strafbare Inhalte stößt.872 Bei operativer Überwachung organisierter Kriminalität geht es in kriminalstrategischer Zielsetzung um laufende Erkenntnisgewinnung zur Einschätzung des Gefährdungspotenzials krimineller Strukturen und ihrer Akteure. Neben der allgemeinen Überwachungstätigkeit im Rahmen von Streifen in der realen Welt und im Internet geht es um Videoüberwachung, Einsatz von Bodycams, Überwachung von Gefährdern mittels einer elektronischen Fußfessel bzw. von vorzeitig aus der Sicherungsverwahrung entlassenen Sexualstraftätern in Form ständiger Bewachung und um die strategische Überwachung krimineller Strukturen.
872 Von Gefahrenabwehr gehen aus Biemann, „Streifenfahrten“ im Internet, S. 17 und Eisenmenger, Virtuelle Streifenfahrten, S. 251 ff., während Kudlich, GA 158 (2011), 193 (198 ff.) und Rückert, ZStW 129 (2017), 302 (303 ff.) wie selbstverständlich von Strafverfolgung ausgehen, allerdings ohne das zu begründen.
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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(3) Kontrolle (a) Bedeutung Die polizeiliche Einsatzlehre kennzeichnet Kontrolle als Überprüfung von Personen und Sachen zur Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung.873 Im Verhältnis zur Überwachung ist Kontrolle ihre gesteigerte Form,874 die die Ausübung spezieller Kontrollbefugnisse im Zusammenhang mit Identitätsfeststellungen, der Prüfung der Berechtigung zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten, dem Prüfen der Echtheit und Gültigkeit von Dokumenten und der Aufenthaltsberechtigung zulässt. (b) Maßnahmen Identitätsfeststellungen erfolgen im öffentlichen Raum, insbesondere an gefährlichen und gefährdeten Orten als Razzien und an Kontrollstellen, die zur Verhütung von Straftaten im Vorfeld von Demonstrationen mit Gewaltpotenzial oder Risikobegegnungen in den Fußballbundesligen eingerichtet werden. Schleierfahndung oder strategische Fahndung werden als verdachts- und ereignisunabhängige Kontrollen in bestimmten gesetzlich zugelassenen Gebieten oder an bestimmten Örtlichkeiten – Autobahnen, Bahnhöfen, Flughäfen – durchgeführt und Kennzeichenüberprüfungen durch automatische Lesesysteme erfassen verdachts- und ereignisunabhängig Daten für eine Speicherung in gesetzlich zugelassenen Dateien. (c) Abgrenzung zur Fahndung Unter Fahndung versteht die polizeiliche Einsatzlehre die planmäßige Suche nach Personen oder Sachen im Rahmen der Gefahrenabwehr, der Strafverfolgung und der Strafvollstreckung.875 Die Verwendung des Begriffs Fahndung im Zusammenhang mit Maßnahmen der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung trägt zur unzulässigen Vermischung der beiden Aufgaben bei und ist deshalb nur im Zusammenhang mit der Strafverfolgung zu verwenden. Weil § 111 StPO eine abschließende Regelung zur Fahndung nach Straftätern enthält, stellt es einen Verstoß gegen Art. 74 Abs. 1 Nr. 1, 72 Abs. 1 GG dar, wenn polizeigesetzliche Fahndungskontrollstellen- und -bereichsregelungen876 zur „Fahndung“ nach Straftätern befugen.877 Begriffe wie Schleierfahndung und strategische Fahndung878 verunklaren das Verhältnis von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung. Sucht die Polizei nach Vermissten oder Suizidenten, geht es ebenfalls 873
PDV 100, Anlage 20; Möllers, Wörterbuch der Polizei, S. 1100. Pieroth, VerwArch 88 (1997), 568 (576). 875 PDV 100, Anlage 20; Möllers, Wörterbuch der Polizei, S. 650; Annussek, Kraftfahrzeugkennzeichenüberprüfungen, S. 173 f. 876 Etwa § 26 Abs. 1 Nr. 4 und 5 bwPolG und der frühere § 19 Abs. 1 Nr. 6 b) sächsPolG. 877 Pieroth/Schlink/Kniesel, POR (2002), § 14 Rn. 40; Kingreen/Poscher, POR, § 13 Rn. 44; Würtenberger/Heckmann/Tanneberger, PRB-W, § 5 Rn. 148. 878 § 12a nwPolG. 874
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
nicht um Fahndung, sondern um polizeirechtlich veranlasste Personensuche zur Gefahrenabwehr. (4) Aufklärung (a) Bedeutung und Funktion Als Begriff der polizeilichen Einsatzlehre kennzeichnet Aufklärung das zielgerichtete, systematische Sammeln von Informationen im Sinne des Erhebens von Daten über Personen, Gruppen, Institutionen, Sachen, Objekte, Einsatzräume, Umstände und Geschehensabläufe, die zur Aufgabenerfüllung, insbesondere zur Beurteilung der Lage erforderlich sind.879 In der Gesetzgebung fand sich der Begriff Aufklärung im Zusammenhang mit der Verfolgung von Straftaten in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Reichskriminalpolizeigesetz vom 21. 7. 1922880, ohne dort näher definiert zu werden. Die StPO sieht in § 160 Abs. 1 die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung vor und verpflichtet die Staatsanwaltschaft, den Sachverhalt zu erforschen, sobald sie Kenntnis von dem Verdacht einer Straftat erhält. In § 1 Abs. 2 ATDG grenzt der Gesetzgeber Aufklärung und Bekämpfung des Terrorismus voneinander ab, um den Unterschied zwischen den auf Informationsbeschaffung beschränkten Nachrichtendiensten und der operativen polizeilichen Gefahrenabwehr zu verdeutlichen. Das Bundesverfassungsgericht verwendet den Begriff Aufklärung im Zusammenhang mit der Abwehr verfassungsfeindlicher Bestrebungen im Vorfeld strafprozessualer Ermittlungen und führt aus, dass zulässige Beschränkungsmaßnahmen nach Art. 1 § 2 G10 der Verhinderung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten dienen.881 Im Kontext der Begriffe Verhinderung und Verfolgung ergibt die Aufklärung als zwischengeschalteter Begriff keinen Sinn; die Verhinderung von Straftaten als Erscheinungsform der Gefahrenabwehr hätte das Bundesverfassungsgericht bezüglich Art. 1 § 2 G10 zudem gar nicht anführen dürfen, weil die Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG sich nicht auf die Gefahrenabwehr erstreckt.882 Im Verhältnis zur Strafverfolgung offenbart sich kein Sinn, weil Aufklärung mit Blick auf die Kompetenzordnung ein neutraler Begriff ist, gibt er doch keinen Anhalt, ob Aufklärungsmaßnahmen der Verhinderung oder der Verfolgung von Straftaten dienen sollen.883 Insoweit bleibt Aufklärung als polizeilicher Fachbegriff ohne Aussagewert. Wenn das Bundesverfassungsgericht es im Zusammenhang mit der auf § 161 Abs. 1 StPO gegründeten freien Gestaltung des Ermittlungsverfahrens für zulässig hält, dass die Staatsanwaltschaft die erforderlichen Maßnahmen zur Aufklärung von Straftaten ergreifen kann, ist damit nichts anderes 879 880 881 882 883
PDV 100, Anlage 20; Möllers, Wörterbuch der Polizei, S. 164. RGBl I, S. 593. BVerfGE 30, 1 (29); 100, 313 (388). Bäcker, DÖV 2011, 840 (842). Bäcker, DÖV 2011, 840 (842).
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gemeint als die in §§ 160 Abs. 1 und 163 Abs. 1 Satz 1 StPO festgelegte Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts.884 Aufklärung als Fachbegriff gewinnt Konturen und macht im Hinblick auf die gebotene Trennung zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung Sinn, wenn man ihn als Gegenbegriff zu den strafprozessualen Ermittlungen gemäß § 163 Abs. 1 Satz 1 StPO versteht und im Begriff Aufklärung alle Maßnahmen der Informationsbeschaffung zur Erstellung von Lagebildern relevanter Kriminalitätsfelder aufgehoben sieht, auf deren Grundlage gefährliche und gefährdete Orte und Bereiche sowie kriminelle Szenen und Strukturen überwacht und bekämpft werden können. Um Aufklärung als polizeilichen Fachbegriff geht es insbesondere in komplexen Einsatzlagen. Bei einer Geiselnahme in einer Bank benötigt die Einsatzleitung Informationen über die konkrete Bedrohungssituation – Zahl und Bewaffnung der Geiselnehmer, Zahl der Geiseln und räumliche Beschaffenheit des Tatorts –, um die Gefahrensituation im Hinblick auf die notwendigen Maßnahmen zur Befreiung der Geiseln einschätzen zu können. (b) Maßnahmen Der Aufklärung dienen alle informationellen Maßnahmen der Polizeigesetze: Identitätsfeststellungen, erkennungsdienstliche Maßnahmen, Videoüberwachung, Observation, verdeckter Einsatz von technischen Mitteln, Vertrauenspersonen und verdeckten Ermittlern, polizeiliche Beobachtung, Überwachung der Telekommunikation und Online-Durchsuchung. dd) Vorbereitung auf die Gefahrenabwehr Die Vorbereitung auf künftige Gefahrenabwehr ist in mehreren Polizeigesetzen ausdrücklich als originärer der Polizei zugewiesener Teilauftrag vorgesehen.885 In den übrigen Ländern obliegt sie den Polizei- und Ordnungsbehörden als gemeinsam zu erfüllende Aufgabe. Da die Gefahrenabwehrbehörden mit unterschiedlichen Gefahren konfrontiert werden, sei es durch Naturereignisse, Katastrophen bzw. Unglücksfälle oder individuelles Fehlverhalten bzw. Straftaten, müssen sie Vorkehrungen treffen, um künftig auftretende Gefahren in den Griff zu bekommen.886 Deshalb hat die Polizei, wie es in § 1 Abs. 1 Satz 2 nwPolG ausführlich und anschaulich heißt, „die erforderlichen Vorbereitungen für die Hilfeleistung und das Handeln in Gefahrenfällen zu treffen“.887 Zu diesem Zweck werden personen- und objektbezogene Daten bei der Polizei gespeichert und stehen den für Feuerwehr, 884
BVerfG, NVwZ 2019, 381 (385). § 1 Abs. 1 Satz bbgPolG; § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 hambPolDVG; § 7 Abs. 1 Nr. 4 mvSOG; § 1 Abs. 1 S. 2 nwPolG; § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 sächsPolG; § 1 Abs. 1 S. 1 thürPAG. 886 Kingreen/Poscher, POR, § 3 Rn. 6; Park, Wandel des klassischen Sicherheitsrechts, S. 236 f.; Soine, DÖV 2000, 173 ff. 887 S. § 11 nwPolG. 885
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Rettungsdienst und Katastrophenschutz zuständigen Behörden, aber auch der Polizei zur Verfügung, sofern sie für die eigene Aufgabenerledigung auf die Daten angewiesen ist, wie es insbesondere bei der Gefahrenabwehr im Eilfall für die Ordnungsbehörden der Fall ist. Objektbezogene Unterlagen können für die Polizei relevant werden, wenn es etwa gilt, bei einer Geiselnahme in einer Bank nach Einsicht in die Bauzeichnungen einen gezielten Zugriff zur Befreiung der Geiseln durchführen zu können. Da bei einem Personenbezug der gespeicherten Daten in deren Erhebung ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung liegt, sehen die Polizeigesetze eine Befugnisnorm für die Datenerhebung zur Vorbereitung auf die Gefahrenabwehr vor.888 Bei den gespeicherten Daten sind Personen auf unterschiedliche Weise betroffen. Es geht zunächst um Personen, deren Kenntnisse oder Fähigkeiten für die Gefahrenabwehr benötigt werden, z. B. Notärzte, Abschleppunternehmer, Dolmetscher, Umweltingenieure, sodann um verantwortliche Personen für Anlagen oder Einrichtungen, von denen eine erhebliche Gefahr ausgeht, ihnen aber auch drohen kann, z. B. Atomkraftwerke, chemische Industrieanlagen, Tanklager, Staudämme, Flughäfen, Botschaften, Synagogen und schließlich um Veranstalter von Popfestivals, Volksfesten, Messen und Märkten. In all diesen Fällen werden auch Lagepläne und Bauunterlagen der gefährlichen bzw. gefährdeten Objekte vorgehalten, damit die zuständigen Behörden sich im Gefahren- bzw. Störfall sofort einen Überblick über die räumliche Situation verschaffen können. 2. Neue Qualität der Gefahrenabwehr als Vorfeldtätigkeit a) Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als Gefahrenvorsorge Dieser durch den VEMEPolG eingeführte Begriff ist vom im Programm für die Innere Sicherheit von 1972/1974 verwendeten Begriff der Verbrechensbekämpfung zu unterscheiden. Nach den Vorstellungen der Programmverfasser sollte Verbrechensbekämpfung die Hauptaufgabe der Länderpolizeien sein und dieser Sicherheitsauftrag die Verbrechensverhütung und die Strafverfolgung umfassen.889 Dagegen stehen die Begriffe vorbeugende Bekämpfung von Straftaten oder vorbeugende Verbrechensbekämpfung für die Einbeziehung des Vorfeldes der konkreten Gefahr in den Auftrag der Gefahrenabwehr und zugleich für die Abgrenzung zur Aufgabe der Strafverfolgung. aa) Prävention als neue Leitidee In Ansehung neuer Kriminalitätsformen mit bis dahin nicht gekannten Gefährdungsdimensionen wird vom Staat erwartet, Gefahren erst gar nicht entstehen zu 888 889
Kingreen/Poscher, POR, § 13 Rn. 26 ff. PIS 1974, S. 7.
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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lassen, sondern gefahrenvorsorgerisch schon bei Gefahrenquellen und Risikopotenzialen anzusetzen, was bedingt, dass die Verhütung von Straftaten als bereits in einem Frühstadium gegen kriminelle Strukturen gerichtete dauerhafte Bekämpfungsaufgabe verstanden werden muss.890 Organisierte Kriminalität und Terrorismus erfordern es, schon im Vorfeld der konkreten Gefahr kriminelle Strukturen aufzuklären und zu bekämpfen. Deshalb haben die Polizeigesetzgeber auf der Grundlage des Vorentwurfs zur Änderung des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes vom 12. 3. 1986 in ihren neuen Polizeigesetzen der Polizei das Vorfeld der konkreten Gefahr zugänglich gemacht und die Aufgabe der Gefahrenabwehr um die Gefahrenvorsorge in Gestalt der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erweitert. bb) Entwicklung, Inhalt und Bedeutung (1) Entwicklung Der Begriff „vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ wurde erstmals im Erlass des Reichs- und Preußischen Ministerium des Inneren vom 14. 12. 1937 betreffend die „Vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei“ verwendet und regelte reichseinheitlich die planmäßige polizeiliche Überwachung mit der Möglichkeit der Vorbeugehaft.891 In den Polizeigesetzen der Bundesrepublik findet sich der Begriff der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erstmalig in § 21 rpPVG vom 26. 3. 1954 im Rahmen der Zulässigkeit von polizeirechtlichen, von § 81b StPO unabhängigen erkennungsdienstlichen Maßnahmen.892 Im allgemeinen polizeilichen Sprachgebrauch verstand man bis zum Beginn der 1970er Jahre unter vorbeugender Verbrechensbekämpfung die aufklärende und beratende Öffentlichkeitsarbeit der Polizei, die für das Bemühen stand, die Entstehung von Kriminalität zu verhüten.893 Auch der polizeiliche Streifendienst wurde als Mittel der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten gesehen.894 Im Bundeskriminalamtsgesetz vom 29. 6. 1973 wurde in § 5 Abs. 1 Satz 1 die „vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als Sache der Länder“ erwähnt, eine Formulierung, die im BKAG vom 7. 7. 1997 aufgegeben wurde. Als etabliert kann die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten seit dem VEMEPolG von 1986 gelten, der in § 1 Abs. 1 Satz 2 diesen neuen Auftrag in die Aufgabe der Gefahrenabwehr einbezog. Die Länder übernahmen diese Aufgabenerweiterung allerdings auf unterschiedliche Weise. Die meisten Länder erweiterten die Aufgabenzuweisungsnorm für die Gefahrenabwehr um die vorbeugende Be890 Denninger, HdBPR, Kap. D, Rn. 6 ff.; Schlink, VVDStRL 48 (1990), 236 (253 ff.); Möstl, DVBl 2007, 581 (582); Poscher, DV 41 (2008), 345 (347 f.); Volkmann, NVwZ 2009, 216 (217). 891 BA Koblenz, R 22/1469, Bl. 39 ff.; dazu näher Terhorst, Vorbeugehaft, S. 115. 892 GVBl S. 31; danach in § 23 f. 1 c) bremPolG vom 15. 7. 1960 und § 178 Abs. 1 Nr. 3 shLVwG vom 28. 10. 1970. 893 S. dazu 1. Teil, 2. Abschnitt, C. II. 894 Schreiber, DNP 1970, 9 ff.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
kämpfung von Straftaten895, während Baden-Württemberg, Bayern, Saarland und Schleswig-Holstein ihre Aufgabennorm unverändert ließen, dafür aber Befugnisnormen für Vorfeldmaßnahmen schufen, die das Tatbestandsmerkmal „Erforderlichkeit zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten“ enthielten.896 Einen Sonderfall stellt Bremen dar, das sein Polizeigesetz schon vor dem VEMEPolG in Anlehnung an den Alternativentwurf für ein einheitliches Polizeigesetz von 1979897 geändert hatte und in § 1 Abs. 1 Satz 3 regelte, dass die Gefahrenabwehr auch die Verhütung von Straftaten umfasst. Nachdem das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum ndsSOG im Jahr 2005 die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als Unterfall der Verhütung von Straftaten gesehen und die zur Überwachung der Telekommunikation geschaffene Befugnis zur Strafverfolgungsvorsorge als Verstoß gegen die Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG für verfassungswidrig erklärt hatte, sahen sich die Polizeigesetzgeber in Niedersachsen, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen veranlasst, die Strafverfolgungsvorsorge insgesamt aus der Aufgabenzuweisungsnorm zur Gefahrenabwehr zu streichen.898 Das Verhältnis der verbleibenden Verhütung von Straftaten zur vorbeugenden Bekämpfung wurde unterschiedlich gestaltet; das ndsSOG ersetzte durchgängig den Begriff „vorbeugend bekämpfen“ durch verhüten, in § 1 Abs. 1 Satz 2 bbgPolG wurde der Begriff vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als in Klammern gesetzte Erläuterung der polizeilichen Teilaufgabe „Straftaten zu verhüten“ verwendet, während es im nwPolG nunmehr heißt, dass die Polizei im Rahmen der Gefahrenabwehr Straftaten zu verhüten sowie vorbeugend zu bekämpfen hat. Im Kontext mit „verhüten“ soll „vorbeugend bekämpfen“ offensichtlich eine eigenständige Bedeutung haben, die sich allerdings aus der Begründung der Gesetzesänderung nicht erschließt.899 (2) Inhalt und Bedeutung (a) Oberbegriff für Verhütung und Strafverfolgungsvorsorge (aa) Verhütung Das Verhüten von Straftaten – genauer das Verhüten der durch die Begehung der Straftat entstehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit900 – gehört als Bekämp895
§ 1 Abs. 3 berlASOG; § 1 Abs. 1 S. 2 bbgPolG; § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 hambPolDVG; § 1 Abs. 4 hessSOG; § 1 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 4 mvSOG; § 1 Abs. 1 S. 3 ndsSOG; § 1 Abs. 1 S. 2 nwPolG; § 1 Abs. 1 S. 3 rpPOG; § 1 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 sächsPolG; § 2 Abs. 1 S. 1 saSOG; § 2 Abs. 1 S. 2 thürPAG. 896 S. z.B. § 20 Abs. 3 Nr. 5 bwPolG; Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 bayPAG; § 26 Abs. 2 saarlPolG; § 185 Abs. 1 shLVwG. 897 Arbeitskreis Polizeirecht, Alternativentwurf einheitlicher Polizeigesetze des Bundes und der Länder, 1979. 898 S. dazu Kniesel u. a., DP 2011, 333 (341). 899 So auch Gusy/Worms, BeckOK POR NRW, § 1 Rn. 237a. 900 Albers, Determination, S. 124.
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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fung von Straftaten im Vorfeld der konkreten Gefahr zum allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht. Weil sie darauf ausgerichtet ist, dass es erst gar nicht zu einem schädigenden Ereignis in Form der Begehung einer Straftat kommt, unterscheidet sie sich wesensmäßig von der Strafverfolgung.901 Sie hat die eigenständige Funktion operativer Kriminalitätsbekämpfung in Gestalt informationeller Vorsorge durch Erstellung von Lagebildern einzelner Kriminalitätsformen bis zur aktionellen Vorsorge durch Bekämpfungsmaßnahmen gegen kriminelle Strukturen.902 Das mit diesem Verhütungsverständnis verbundene Agieren im Vorfeld der konkreten Gefahr begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.903 In Ansehung neuer Kriminalitätsformen, insbesondere der Bedrohung durch terroristische Anschläge und die Herausforderungen durch die organisierte Kriminalität können die Polizeigesetzgeber die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit neu justieren und dabei an tatbestandlichen Voraussetzungen anknüpfen, die unterhalb der tradierten Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr liegen.904 (bb) Strafverfolgungsvorsorge Bezugsgegenstand sind Straftaten, die in Zukunft begangen werden. Die Polizei sorgt für deren Verfolgung vor, wenn sie Daten, die bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben Gefahrenabwehr und Strafverfolgung erhoben worden sind, in Dateien und Akten speichert, um diese Erkenntnisse in künftigen Ermittlungsverfahren zur Feststellung von Tatverdächtigen und/oder zur weiteren Aufklärung der jeweiligen Straftat zu nutzen.905 Bei den gespeicherten Daten handelt es sich um mögliche Ermittlungshilfen, nicht aber um vorweg beschaffte Beweise.906 Es geht auch nicht um Beweismittel, sondern allenfalls um potenzielle Beweismittel. Die in Dateien und Akten gespeicherten Erkenntnisse bilden Vergangenheit ab. Beweiskraft als Indizien kommt ihnen erst zu, wenn sie von einem Gericht im Rahmen einer Beweisaufnahme in Bezug zu anderen Indiz-Tatsachen gesetzt werden, die mit der Auslösung eines neuen Straftatverdachts ermittelt, in foro präsentiert und vom Gericht in die Beweiswürdigung einbezogen worden sind.907 901 BVerfGE 113, 348 (369); 141, 220 (263); Denninger, HdBPR, D. Rn. 201; Thiel, Entgrenzung, S. 101; Park, Wandel des klassischen Polizeirechts, S. 234; Annussek, Kraftfahrzeugkennzeichenüberprüfungen, S. 129 f. 902 S. 3. Teil, 1. Abschnitt, A. I. und II. 903 BVerfGE 100, 313 (383); 115, 320 (360); 125, 260 (318 ff. und 325 ff.); 133, 277 (327 f.); 141, 220 (269); SächsVerfGH, LKV 1996, 273; BbgVerfG, LKV 1999, 450; Möstl, BeckOK PSR Bayern, Vorbem. Rn. 37; Paeffgen, JZ 1991, 437 (442); Papier, in: Schwarz, 10 Jahre 11. September, S. 37 ff. 904 BVerfGE 115, 320 (360). 905 Kniesel u. a., DP 2011, 333; Graulich, NVwZ 2014, 685 (686). 906 So aber BVerfGE 113, 348 (370); BVerwGE 141, 329 (333); Graulich, NVwZ 2014, 685 (686); Kühne, Strafprozeßrecht, S. 235. 907 Kniesel u. a., DP 2011, 333 f.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Als Ermittlungshilfen dienen die gespeicherten Daten zunächst der Ermittlung von Tatverdächtigen. So wird etwa das Foto vom prügelnden Hooligan mit den in der Gewalttäterdatei Sport gespeicherten Bildern im Suchlauf des Datenabgleichs verglichen, die insoweit also nur Vergleichsdaten sind, mit denen Personen wiedererkannt werden können. Die Wiedererkennung erfolgt durch Datenabgleich des gewonnenen potenziellen Beweismittels (z. B. das Foto des prügelnden Hooligans) mit den Bildern der in die Gewalttäterdatei Sport bereits eingestellten, schon früher aufgefallenen Personen. So kann ein Verdächtiger der aufzuklärenden Straftat ermittelt werden. Die bereits gespeicherten Daten, die im Suchlauf des Datenabgleiches am konkreten potenziellen Beweismittel (Foto, Fingerabdruck, DNA) „vorbeigeführt“ werden, haben also lediglich die Qualität von Vergleichsdaten. Insoweit hat Dreier schon 1987 den Erkennungsdienst im Sinne von § 81b 2. Alt. StPO treffend als Wiedererkennungsdienst gekennzeichnet.908 Erst in zweiter Funktion dienen die in den polizeilichen Akten und Dateien gespeicherten Daten der Ermittlungsunterstützung in neuen Ermittlungsverfahren. Durch die Nutzung von Erkenntnissen aus Kriminalakten und Falldateien kann das kriminelle Umfeld deutlich werden, können kriminelle Karrieren nachvollzogen werden und durch das gespeicherte Strukturwissen kriminelle Vernetzungen, insbesondere bei der organisierten Kriminalität aufscheinen.909 Strafverfolgungsvorsorge kann auch nach der umstrittenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum ndsSOG910 als Bestandteil der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten zusammen mit deren Verhütung in der Aufgabenzuweisungsnorm der Polizeigesetze geregelt werden.911 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts912 hört die Länderkompetenz für Regelungen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erst dort auf, wo die Strafverfolgungsvorsorge von der Straftatenverhütung getrennt und zum eigenständigen Tatbestandsmerkmal einer Befugnisnorm zur Datenerhebung gemacht wird, die zu derartigen Maßnahmen auch dann befugt, wenn es gerade nicht mehr um die Verhütung von Straftaten geht.913 Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit festgestellt, dass Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG keine Einschränkungen dahingehend enthält, dass vorsorgende Maßnahmen, die sich auf die Durchführung künftiger Strafverfahren beziehen, von der Zuweisung zur konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nicht erfasst sein sollen.914 908
Dreier, JZ 1987, 1009 (1014). S. dazu 3. Teil, 3. Abschnitt, C. III. 2. 910 BVerfGE 113, 348 ff. 911 Kniesel u. a., DP 2011, 333 (338); Annussek, Kraftfahrzeugkennzeichenüberprüfungen, S. 127 ff. 912 BVerfGE 113, 348 (368 ff.); BVerwGE 141, 329 (330). 913 Pieroth/Schlink/Kniesel, POR (2014), § 5 Rn. 6b; Stephan, VBlBW 2005, 410 (411); abl. Schenke, in: FS Paeffgen, S. 396 ff. 914 BVerfGE 103, 21 (30); 113, 348 (371); Albers, Determination, S. 271 ff. 909
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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Daraus folgt, dass die in den Polizeigesetzen enthaltenen Aufgabenzuweisungen zur Strafverfolgungsvorsorge Bestand haben, solange die Strafverfolgungsvorsorge gemeinsam mit der Verhütung von Straftaten unter dem gemeinsamen Dach des Oberbegriffs der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten stattfindet; einem Landesgesetzgeber fehlt erst dann die Kompetenz für die Strafverfolgungsvorsorge, wenn er diese nicht als Aspekt der Verhütung von Straftaten begreift, sondern sie von letzterer isoliert und als eigenständige Aufgabe daneben stellt.915 Fortbestehen können auch die mit dieser Aufgabenzuweisung korrespondierenden Datenerhebungsbefugnisse, wenn das Tatbestandsmerkmal Erforderlichkeit zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten im gerade beschriebenen Sinne ausgelegt wird. (b) Standortbestimmung Was unter vorbeugender Verbrechensbekämpfung bzw. vorbeugender Bekämpfung von Straftaten zu verstehen ist, welche der beiden Komponenten Verhütung und Strafverfolgungsvorsorge die prägende und wo ihr angestammter Regelungsstandort ist, wird aus der Perspektive des Straf- und Strafverfahrensrechts und des Polizeirecht ganz unterschiedlich beurteilt. (aa) Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als antizipierte Strafverfolgung Mit unterschiedlicher Begründung betrachten Strafrechtler und auch Polizeirechtler die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als vorweggenommene Strafverfolgung und reduzieren sie unter Ausblendung der Verhütung auf die Strafverfolgungsvorsorge. Letztere sei das prägende Element der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, denn die Polizei sammle in ihren Akten und Dateien Informationen allein zu dem Zweck, sie in sich an die polizeirechtliche Erhebung anschließenden oder später eingeleiteten Ermittlungsverfahren als Ermittlungserleichterung oder Voraussetzung für deren Einleitung zu verwenden; entscheidend sei, dass die von der Polizei vorgehaltenen Informationen erst dann genutzt würden, wenn der Verdacht einer Straftat vorliege und daraus strafprozessuale Konsequenzen gezogen werden müssten.916 Vorbeugende Verbrechensbekämpfung ist als präventive Repression danach ein Instrument zur Vorwegnahme des eigentlichen Ermittlungsverfahrens917 oder die Gesamtheit der Aktivitäten, die der Aufklärung künftiger oder zwar bereits begangener, aber der Polizei noch nicht bekannt gewordener Straftaten dient.918 Rachor ordnet die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten insgesamt, also auch die Komponente der Verhütung von Straftaten der Strafverfolgung zu, weil die Polizei außer dem gezielten Todesschuss über keine Befugnisse 915 Pieroth/Schlink/Kniesel, POR (2014), § 5 Rn. 6 b; Stephan, VBlBW 2005, 410 (411); Park, Wandel des Sicherheitsrechts, S. 246; Gusy/Worms, BeckOK POR NRW, § 1 Rn. 246. 916 Rachor, in: Lisken/Denninger, HdBPR (5. Aufl.), E. Rn. 153; Graulich, HdBPR, E. Rn. 144; Bull, in: FS Götz, S. 341 (351); abl. Annussek, Kraftfahrzeugkennzeichenüberprüfungen, S. 127 ff. 917 Warschko, Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten, S. 5 und 168. 918 Meier, Kriminologie, S. 267.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
zur Straftatenverhütung verfüge; sie könne aber schwerkriminelle Straftäter nicht erschießen, sondern sei nur mit den Mitteln des Strafrechts, also insbesondere der Freiheitsstrafe in der Lage, kriminelle Strukturen zu bekämpfen.919 Nach dieser Auffassung wäre die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten also in der Strafprozessordnung zu regeln. (bb) Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als polizeirechtlicher Ersatz für unzulässige strafprozessuale Vorfeldermittlungen Straf- und Strafverfahrensrechtler, die Vorfeld- bzw. Initiativermittlungen auf der Grundlage der StPO wegen § 152 Abs. 2 StPO für unzulässig halten, sehen die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als Lückenschließerin, die solche Vorfeldermittlungen polizeirechtlich legitimiert920 und Verdachtsschöpfungsprozesse unterhalb der Schwelle des § 152 Abs. 2 StPO mit Hilfe des Polizeirechts ermöglicht.921 Variante der Lückenschließungsfunktion des Polizeirechts ist die Verzahnungstheorie, die die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten in einer Gemengelage von Gefahrenabwehr als vorgelagerter Strafverfolgung und Strafverfolgung mit präventiver Funktion sieht.922 In dieser Gemengelage stelle sich die polizeiliche Vorfeldarbeit nicht als reine Gefahrenabwehr dar, sondern es gehe um Maßnahmen, die zumindest auch der Verfolgung künftiger Straftaten dienten, weil es um die Aufhellung eines vermuteten Dunkelfeldes strafrechtlich relevanter Vorgänge gehe, die im Wesentlichen auf die Einleitung von Ermittlungsverfahren abziele.923 Um ein solches Vorfeld in der StPO unterbringen zu können, wird eine Erweiterung des § 160 StPO vorgeschlagen, die die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten strafprozessual rechtfertigen würde.924 Nach einer Neuregelung durch den Gesetzgeber würde die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten also Teil der Strafverfolgung. (cc) Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als dritte polizeiliche Aufgabenkategorie Von einem Teil des Schrifttums wird die vorbeugende Verbrechensbekämpfung weder der Gefahrenabwehr noch der Strafverfolgung zugerechnet, sondern als ei-
919 Rachor, HdBPR (5. Aufl.), E. Rn. 285; ders., Vorbeugende Straftatenbekämpfung, S. 50 ff. und 80 ff.; s. dazu auch Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 380 ff.; krit. zur Geeignetheit auch Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 297. 920 Frister, HdBPR, F. Rn. 8; Ostendorf, in: FS Grünwald, S. 419 (423); Schnabl, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, § 152 Rn. 9. 921 Keller/Griesbaum, NStZ 1990, 416 (418). 922 Keller/Griesbaum, NStZ 1990, 416 (418). 923 Keller/Griesbaum, NStZ 1990, 416 (418 f.). 924 Keller/Griesbaum, NStZ 1990, 416 (420).
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
271
genständiges drittes Aufgabenfeld925 gesehen, das sich wegen des operativen polizeilichem Vorgehens gegen die Unterscheidung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung abgrenzt.926 Denninger spricht von der Dreiheit der Polizeiaufgaben Gefahrenabwehr, Strafverfolgung und Prävention, wobei er die klassische gefahrenabwehrende polizeiliche Tätigkeit als Prävention I von der im Vorfeld von Gefahr und Verdacht operierenden Prävention II unterscheidet.927 Beide Präventionsformen sollen verschiedenen, teilweise antinomischen Funktionslogiken folgen; die Prävention I der des Rechtsstaats, welche die klassischen Felder der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung beherrsche, die Prävention II der des Präventionsstaats, der mit seinem neuen Verständnis von Prävention die Aufgaben der Straftatenverhütung, der Verfolgungsvorsorge und Sicherheitsvorsorge als Vorbereitung auf die Gefahrenabwehr zusammenfasst. Kennzeichen des Präventionsstaats ist das proaktive, operative polizeiliche Handeln im Vorfeld, für das schon tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Gefahr oder eines Tatverdachts genügen, also eine Begrenzung des Handelns aus der konkreten Gefahrensituation entfällt. Stattdessen geht es um das allgegenwärtige Risiko, gegen dessen Verwirklichung Vorsorge getroffen werden muss. Dies gilt insbesondere für terroristische Gefahren als Erscheinungsformen einer globalisierten Weltrisikogesellschaft, die aus präventionslogischer Sicht tendenziell eine ganzheitliche Sicherheitspolitik im Gefolge hat, in der die Kompetenzordnung des Grundgesetzes zugunsten einer faktisch geschaffenen Konzentration von Kompetenzen aufgegeben wird.928 Für Weßlau ist die polizeiliche Vorfeldtätigkeit weder Gefahrenabwehr noch Strafverfolgung, sondern ein selbstständiges drittes polizeiliches Tätigkeitsfeld.929 Ihr Ausgangspunkt ist die Frage nach der Aufgabenzuweisung für die operative Polizeiarbeit im Vorfeld der konkreten Gefahr und des konkretisierbaren Tatverdachts, mit der die Kriminalität als solche, nicht mehr nur der einzelne Täter und die einzelne Tat bekämpft werden soll, um kriminelle Strukturen zu erkennen und zu zerschlagen.930 Für diese operative Vorfeldarbeit können nach ihrer Auffassung weder die Polizeigesetze noch die StPO als Rechtsgrundlage herangezogen werden. Erstere nicht, weil die Polizei auf der Grundlage des einschlägigen Polizeigesetzes nur Informationen beschaffe, mit deren Hilfe sie dann unter Nutzung der Befugnisse der StPO Kriminalität dadurch bekämpfe, dass in den Strukturen agierende Straftäter festgenommen, verurteilt und so aus dem Verkehr gezogen würden. Die polizeigesetzliche Informationsbeschaffung diene also nur prä-reaktiv der strafprozessualen Kriminalitätsbekämpfung, könne aber selber keine Änderung der tatsächlich exis925 Denninger, HdBPR, D. Rn. 5; Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 159; Riegel, DVBl 1979, 709; Knemeyer, POR Rn. 116; Albers, Determination, S. 252 ff.; Pitschas, DÖV 2002, 221 (223); Kral, Vorfeldbefugnisse, S. 104. 926 Albers, Determination, S. 356. 927 Denninger, HdBPR, D. Rn. 5. 928 Denninger, HdBPR, D. Rn. 5. 929 Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 159. 930 Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 59 f.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
tierenden Kriminalität bewirken, weil sie als bloße informationelle Gefahrenvorsorge keine aktionelle Komponente habe und nicht in Kausalverläufe eingreifen könne.931 Vielmehr könne die Aushebung und Zerschlagung krimineller Strukturen nur mit den Mitteln des Strafprozessrechts erreicht werden, indem die Haupttatverdächtigen verhaftet und vermutlich deliktisch erlangtes Vermögen und die zur Tatausführung benutzten logistischen Hilfsmittel sichergestellt würden; andere Mittel stelle die Rechtsordnung nun einmal nicht zur Verfügung.932 Weßlau liegt damit auf der Linie von Rachor, der davon ausgeht, dass die Polizei Straftaten gar nicht verhüten könne, weil es ihr dafür am erforderlichen polizeirechtlichen Instrumentarium fehle.933 Auch für Rachor steht fest, dass nur das Straf- und Strafverfahrensrecht die Mittel bereithält, um kriminelle Strukturen durch Festnahme und Aburteilung der Hintermänner zu bekämpfen.934 Allerdings kommt für Weßlau das Recht der Strafverfolgung für die operativen Vorfeldaktivitäten nicht in Betracht, weil die StPO kein Verdachtsschöpfungsverfahren kenne und § 152 Abs. 2 Ausforschungsermittlungen verbiete.935 Rechtspolitisch bestehe daher für zulässige operative Vorfeldaktivitäten nur die Möglichkeit, mit einem selbstständigen Gesetz über Vorfeldermittlungen die erforderlichen Rechtsgrundlagen zu schaffen, was allerdings eine neue Gesetzgebungskompetenz in Art. 74 GG voraussetzen soll.936 Albers sieht das Polizeirecht im Umbruch; es sei durch die Aufnahme der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge fundamental verändert worden und habe sich von einem allgemeinen Gefahrenabwehrrecht zu einem eigenen Rechtsgebiet ausdifferenziert.937 Die Aufgaben der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge seien keine Elemente der Gefahrenabwehraufgabe, sondern als eigenständige Aufgaben von ihr, aber auch voneinander zu unterscheiden und durch gesetzliche Konkretisierung auszugestalten.938 Bezüglich der Verhütung von Straftaten sieht Albers deren neue Regelung als selbstständige Aufgabe neben der Gefahrenabwehr in den Polizeigesetzen als verfassungskonform an, sofern eine Konkretisierung bezüglich der tatbestandlichen Voraussetzungen und der begrenzenden Funktion der Aufgabenzuweisung im Verhältnis zu den Verhütungsbefugnissen erfolge.939 Problematisch ist für Albers die Neuregelung der Strafverfolgungsvorsorge, soweit sie als Strafverfolgung zu sehen ist und deshalb § 152 Abs. 2 StPO mit seiner verfassungsrechtlichen Verankerung im Rechtsstaatsprinzip Verdachtsschöpfungs-
931 932 933 934 935 936 937 938 939
Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 297 und 335. Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 158 ff. Rachor, HdBPR (5. Aufl.), E. Rn. 285. Rachor, Vorbeugende Straftatenbekämpfung und Kriminalakten, S. 50 ff. und 80 ff. Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 293. Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 247. Albers, Determination, S. 216, 254 ff., 347 und 359 ff. Albers, Determination, S. 254 f. Albers, Determination, S. 256 ff.
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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ermittlungen ausschließt.940 Die Regelung einer Strafverfolgungsvorsorge für künftig begangene Straftaten hält sie bei enger Abstimmung mit den Nahtstellen zur Strafprozessordnung für möglich, sodass sie als neues Gesamtbild des Polizeirechts ein vernetztes Quadrat der vier Aufgabenbereiche Straftatenverhütung, Gefahrenabwehr, Verfolgungsvorsorge und Strafverfolgung entwirft.941 Nach dieser Auffassung müssten die Polizeigesetzgeber die Polizeigesetze um die neue Aufgabe der Verhütung von Straftaten ergänzen und der Bundesgesetzgeber die Strafverfolgungsvorsorge in der Strafprozessordnung regeln, mit der Folge, dass zwei zusammengehörende polizeiliche Aufträge getrennt und unterschiedlichen Rechtsregimen unterworfen würden. (dd) Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als antizipierte Gefahrenabwehr Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten ist als Verhütungs- und Verfolgungsvorsorge vorweggenommene Gefahrenabwehr und gehört in ihrer prädeliktischen Ausrichtung zur Aufgabe Gefahrenabwehr, weshalb diese beiden Vorsorgeaufträge unter dem Dach der Gefahrenabwehr nur zusammen erfüllt werden können. (a) Vorsorgeverbund als Voraussetzung effektiver Gefahrenabwehr Verhütung von Straftaten und Strafverfolgungsvorsorge sind jeweils selbstständige prädeliktische Komponenten des Auftrags zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten. Die Verhütung von Straftaten auszublenden und den Auftrag auf die Vorsorge für die Verfolgung in der Zukunft begangener Straftaten zu reduzieren, stellt einen Verstoß gegen den eindeutigen Wortlaut der einschlägigen Polizeigesetze dar. Beide Komponenten sind prädeliktisch, die Verhütung von Straftaten, weil die durch die Begehung einer Straftat drohende Gefahr gar nicht erst eintreten soll, Strafverfolgungsvorsorge, weil mit denselben Daten schon vor Begehung einer Straftat Vorkehrungen für deren spätere beweissichere Aburteilung getroffen werden.942 Die zur Verhütung von Straftaten gewonnenen Informationen stehen dabei in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Strafverfolgungsvorsorge und dienen als Mischdaten943 beiden Zwecken. Wenn die Polizei zur Verarbeitung dieser Daten Dateien anlegt, so handelt es sich um Mischdateien, mit denen Straftaten verhütet und bei Nichtgelingen verfolgt werden sollen. So hat die mit Gewalttätigkeiten von Hooligan und Ausschreitungen von Ultragruppierungen konfrontierte Polizei die „Gewalttäterdatei Sport“ angelegt, in denen Erkenntnisse über Personen gespeichert werden, die durch aggressives Verhalten und Gewalttaten im Zusammenhang mit Fußballspielen in Erscheinung getreten sind. Vor dem Spiel führt die Polizei Ge940
Albers, Determination, S. 26 ff., 254 und 271 ff. Albers, Determination, S. 368. 942 Gasch, Grenzen, S. 201; Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts, S. 187; Rieger, Abgrenzung, S. 68 ff. 943 Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1 Rn. 26. 941
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
fährderansprachen durch, verhängt Aufenthaltsverbote und Meldeauflagen gegen ihr bekannte Hooligan und Ultras und spricht gegen gleichwohl vor Ort erscheinende Personen Platzverweise aus, die bei Nichtbeachtung durch Ingewahrsamnahme durchgesetzt werden. Nach dem Spiel nutzt sie die in der „Gewalttäterdatei Sport“ einschließlich der beim Spiel angefallenen Daten zur Verfolgung der Straftaten, die sie nicht verhindern konnte. Der untrennbare Zusammenhang vom Verhütungs- und Verfolgungsvorsorge als Wirkungsverbund wird durch die Wiedererkennungsfunktion der Strafverfolgungsvorsorge als Voraussetzung für künftige Verhütungsmaßnahmen begründet. Die erkennungsdienstliche Behandlung nach den Polizeigesetzen im Vorfeld von Konfliktbegegnungen in den Fußball-Bundesligen – etwa einer Ultragruppierung auf dem Weg zu einer verabredeten Massenschlägerei mit den Ultras des Gegners – und die Videoaufnahmen von Gewalttaten beim laufenden Spiel setzen die Polizei in den Stand, die Betroffenen zu identifizieren und damit aus der Anonymität zu holen944; die gespeicherten Daten dienen somit beiden Zwecken, sie ermöglichen die Strafverfolgung und zugleich die Verhütung von Straftaten, weil gegen die identifizierten Personen nunmehr vor dem nächsten Spiel polizeirechtliche Maßnahmen – Gefährderansprache, Aufenthaltsverbot und Meldeauflage – gerichtet werden können. Würden die Verhütungs- und Verfolgungsvorsorge voneinander getrennt, hätten beide Aufträge darunter zu leiden, weil sie ihre Wirksamkeit zur Gefahrenabwehr nur zusammen entfalten können. (b) Operatives Vorgehen *
Herkunft und Bedeutung des Begriffs „operativ“
Der Begriff operativ hat Konjunktur. Er wird bei den Sicherheitsbehörden in verschiedenen Zusammenhängen verwendet und die jeweilige Verwendung lässt Rückschlüsse auf die Interessen und Begehrlichkeiten des Verwenders zu. Operativ ist auch ein Schlüsselbegriff in der gegenwärtigen Diskussion um die effektive Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität. Operativ stammt ab vom lateinischen Verb operari und bedeutet betreiben, verrichten, wirken, handeln, verursachen oder hinzielen auf.945 Laut Duden bedeutet operativ im medizinischen Sinne chirurgisch eingreifend, im militärischen strategisch im Hinblick auf die operativen Maßnahmen der Truppen und im wirtschaftlichen, dass konkrete, das Kerngeschäft des Unternehmens betreffende Maßnahmen getroffen werden, die unmittelbare Wirkung entfalten.946 Als Rechtsbegriff wird operativ nur im EU-Recht verwendet. Nach Art. 87 Abs. 3 Satz 1 AEUV kann der Rat in einem besonderen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen erlassen, die die operative Zusammenarbeit zwischen den in diesem Artikel genannten Behörden betreffen. Nach Art. 88 AEUV hat Europol den Auftrag, die Tätigkeit der Polizeibehörden und der anderen Strafverfolgungsbehörden der Mit944 945 946
VG Karlsruhe, Beschl. v. 12. 1. 2017 – 3 K141/16 –, S. 19. Navigium, Latein-Deutsch Wörterbuch. Duden, Bedeutungswörterbuch, S. 720; Duden, Fremdwörterbuch, S. 699.
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gliedstaaten sowie deren Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung der zwei oder mehr Mitgliedstaaten betreffenden schweren Kriminalität, des Terrorismus und der Kriminalitätsformen, die ein gemeinsames, den Gegenstand einer Politik der Union bildendes Interesse verletzt, zu unterstützen und zu verstärken. Insoweit ist es Aufgabe von Europol, Ermittlungen und operative Maßnahmen, die gemeinsam mit den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten oder im Rahmen gemeinsamer Ermittlungsgruppen erfolgen, zu koordinieren, zu organisieren und durchzuführen. Was unter operativen Maßnahmen zu verstehen ist, bleibt offen und insoweit besteht weitgehend Unklarheit über den Begriff.947 Er wird gedeutet als strategischer Ansatz einer Kriminalitätsbekämpfung, die nicht mehr die einzelne Tat verfolgen, sondern kriminelle Strukturen beseitigen will und dabei tendenziell den Unterschied zwischen Prävention und Repression nivelliert und sich letztlich in einer übergreifenden Bekämpfungsstrategie auflöst.948 Als polizeilicher Fachbegriff hat operativ ganz unterschiedliche Bedeutung. Nach der Polizeidienstvorschrift „Einsatz und Führung der Polizei“ bezieht er sich auf Maßnahmen zur Observation und Aufklärung und die Technik des Zugriffs, der durch Spezialeinheiten und Spezialkräfte erfolgt. Im Bereich der Kriminalpolizei wird der Begriff operativ benutzt, wenn es um verdeckte polizeiliche Maßnahmen geht, insbesondere bei Observation, Einsatz technischer Mittel, von Vertrauenspersonen und verdeckten Ermittlern. Die Kriminaltaktik als ein Fachgebiet der Kriminalistik – neben Kriminalstrategie und Kriminaltechnik – wird auch als operative Kriminalistik bezeichnet. Von operativer Fallanalyse bzw. Spurenauswertung ist in Lexika und Lehrbüchern der Kriminalistik die Rede; Gegenstand der operativen Fallanalyse ist, insbesondere bei Tötungsdelikten und sexuellen Gewaltdelikten die Erarbeitung von ermittlungsunterstützenden Hinweisen und Täterprofilen auf der Grundlage aller zur Verfügung stehenden objektiven Daten und möglichst umfassender Informationen zum Opfer.949 Im Rahmen der jeweiligen Aufgabenerledigung sprechen Vertreter des Bundeskriminalamts, des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der Staatsanwaltschaft von operativem Vorgehen, wenn sie zum Ausdruck bringen wollen, dass sie bei der Kriminalitätsbekämpfung als maßgeblicher Akteur eine Rolle spielen bzw. einen maßgeblichen Beitrag leisten.950 Die Staatssicherheit der DDR bekannte sich zu der ihr gestellten Aufgabe, die Bürger systematisch zu überwachen, zu bespitzeln und zu sanktionieren und sprach von ihr als operativer Personenkontrolle.951 In Schrifttum und Rechtsprechung gibt es verschiedene Ansätze, den Begriff operativ als dogmatischen zu benutzen. Für verschiedene Autoren ist operativ das 947 948 949
409. 950 951
Gärditz, AE Europol, S. 213 m.w.N. Gärditz, AE Europol, S. 213; Zöller, Informationssysteme, S. 429 f. Wirth, Kriminalistik-Lexikon, S. 411 f.; Clages/Ackermann, Der rote Faden, S. 126 und S. z.B. Jahn, JBÖS 2018/19, 123 (132). Weihmann/de Vries, Kriminalistik, S. 39.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Schlüsselwort zur für notwendig gehaltenen Überwindung der Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung und die gebotene Neuausrichtung der polizeilichen Arbeit auf die proaktive Kriminalitätsbekämpfung, die sich vom reaktiven Schema der einzelfallbezogenen Strafverfolgung löst und sich stattdessen auf die Bekämpfung krimineller Strukturen konzentriert.952 Diese Neuorientierung kommt im Begriff operativ zum Ausdruck953, der für die überholte Unterscheidung zwischen Prävention und Repression steht, die beide im übergeordneten Auftrag der Gefahrenabwehr954 bzw. der Kriminalitätsbekämpfung aufgehen.955 Weßlau versteht unter operativer Arbeit alle Maßnahmen der Informationsgewinnung, die unabhängig von einem konkreten Tatverdacht und einer konkretem Gefahrenlage erfolgen;956 operative Maßnahmen sind demnach also informationeller Natur. Andere Autoren ordnen die Verhütung von Straftaten als sogenannte operative Vorfeldermittlungen ein, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Polizei schon im Vorfeld der konkreten Gefahr und des strafprozessualen Tatverdachts proaktiv durch die Gewinnung von Informationen tätig wird.957 Für Brodowski geht es um die Etablierung eines einheitlichen, die verdeckten technischen Überwachungsmaßnahmen der Polizeigesetze mit erfassenden Ermittlungsrechts in der Strafprozessordnung, das er als operatives kennzeichnet.958 Andere Autoren sehen im operativen Tätigwerden der Polizei einen neuen dritten Aufgabenbereich, der neben den klassischen Aufgaben der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung stehe und mit der Ausrichtung auf die Bekämpfung von Strukturen nicht von den bestehenden Aufgaben erfasst werde.959 Das wiederum kritisieren Autoren, die der Kennzeichnung dieser dritten Säule polizeilicher Tätigkeit als operative nur deskriptive Bedeutung beimessen und davon ausgehen, dass die klassische binäre Struktur der polizeilichen Aufgaben bestehen bleibe, es also lediglich eine dritte Handlungsebene für die Polizei gehe, der keine dritte rechtliche Ebene entspreche.960 Der Begriff des operativen Vorgehens sei nur eine polizeitaktische Metapher ohne prägenden rechtssystematischen Gehalt.961 Das Bundesverfassungsgericht verwendet in seiner Entscheidung zur Antiterrordatei den Begriff operativ im Zusammenhang der Abgrenzung der Aufgaben der Nachrichtendienste und der Polizei. Für das Gericht haben erstere in ihrem vorfeldbezogenen 952
Stümper, Kriminalistik 1975, 49 ff.; ders., Kriminalistik 1980, 242 ff.; Sielaff, Organisierte Kriminalität, Rn. 19 ff.; Kniesel, DP 1991, 185. 953 Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 56; Albers, Determination, S. 110 ff.; Albrecht, KritV 1987, 55 (65); Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts, S. 182 ff. 954 Schäfer, GA 133 (1986), 50 (53 ff.). 955 Stümper, Kriminalistik 1980, 242; Riechmann, Organisierte Kriminalität, S. 136 f. 956 Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 110. 957 Griesbaum/Wallenta, NStZ 2013, 369 (374); Rogann, NJW 2009, 257; Schnabl, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, § 152 Rn. 9. 958 Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 551 ff. 959 Albers, Determination, S. 209 ff. 960 Dreier, JZ 1987, 1009 (1015); Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts, S. 188. 961 Dreier, JZ 1987, 1009 (1015).
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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Aufgabenspektrum Daten zu sammeln, während die Aufgaben der Polizei von einer operativen Verantwortung geprägt sind, insbesondere mit der Befugnis gegenüber Einzelnen, Maßnahmen erforderlichenfalls auch mit Zwang durchzusetzen.962 Über eine deskriptive Funktion hinaus hätte der Begriff eine dogmatische Bedeutung, wenn er die Unterscheidung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung überwinden könnte. Eben das kann er aber nicht, weil die Unterscheidung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung verfassungsrechtlichen Vorgaben geschuldet ist.963 Dogmatische Konturen gewinnt der Begriff operativ aber, wenn man an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anknüpft und den Wortlaut und den mit ihm verbundenen Sprachgebrauch zum Ausgangspunkt der Auslegung macht.964 Wenn schnelle und effektive Gefahrenabwehr von der Polizei verlangt wird, muss sie bei der Verhinderung von Straftaten über Maßnahmen verfügen, die einen schnellen und effektiven Erfolg garantieren; das sind insbesondere die Durchsuchung und Sicherstellung, die Ingewahrsamnahme und der gezielte Todesschuss, Maßnahmen mit einschneidenden Folgen, die unmittelbar wirksam werden, weil sie in einen Kausalverlauf eingreifen. Das ist das Spezifische am operativen Vorgehen bei der Verhinderung von Straftaten. Die Möglichkeit, unmittelbar in Kausalverläufe einzugreifen, unterscheidet die polizeiliche Tätigkeit der Gefahrenabwehr von der Tätigkeit der Strafverfolgungs- und Verfassungsschutzbehörden, die mit ihren informationellen Maßnahmen nur einen mittelbaren Beitrag zur Kriminalitätsbekämpfung leisten können. Wenn Vertreter des Bundeskriminalamts und des Verfassungsschutzes ihre informationellen Maßnahmen als operative verstehen, so ist das aus dem Wunsch zu erklären, selber auch operativ agieren zu wollen. *
Informationelle und aktionelle Maßnahmen
Die Polizei geht operativ vor, wenn sie kriminelle Strukturen mit den Mitteln des Polizeirechts in kriminalstrategischer Zielsetzung bekämpfen will. Diesbezügliche informationelle Maßnahmen haben die Erhebung und Verarbeitung von Daten zum Gegenstand. Mit den durch Aufklärung gewonnen Informationen können Lagebilder der real existierenden Kriminalität erstellt werden, auf deren Grundlage aktionelle Maßnahmen zur Gefahrenabwehr getroffen werden. Nur aktionelle Maßnahmen sind operativ, weil sie durch Eingriffe in Kausalverläufe Änderungen bewirken, während informationelle Maßnahmen zwar auch in operativer Zielsetzung erfolgen, aber nur vorbereitenden Charakter haben. Auf die klassischen Spezialbefugnisse der Durchsuchung, Sicherstellung und Ingewahrsamnahme gestützte polizeiliche Maßnahmen sind als aktionelle unmittelbar auf die Abwehr einer konkreten Gefahr mittels Eingriffen in den Kausalverlauf gerichtet, während informationelle Maßnahmen der Abwehr konkreter Gefahren nur mittelbar dienen; unmittelbar dienen sie
962 963 964
BVerfGE 133, 277 (327). S. 2. Teil, 3. Abschnitt, D. II. 3. a). BVerfGE 127, 248 (283); 128, 193 (210); 132, 99 (127 f.).
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
der Abwehr einer abstrakten Gefahr und der Vorbereitung der Abwehr einer konkreten Gefahr.965 Polizeiliche operative Aktivitäten im Vorfeld der konkreten Gefahr sind zunächst nur als informationelle Eingriffe zulässig, weil diese aktionelle vorbereiten, aber selber nicht in Kausalverläufe eingreifen966 ; der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebiete grundsätzlich den Vorrang der informationellen vor den aktionellen Maßnahme, sodass eine „rechtsstaatliche Stufenfolge von Informationseingriff und aktionellem Folgeeingriff“ bestehe;967 aktionelle Vorfeldmaßnahmen können aber unter erhöhten Rechtsmäßigkeitsvoraussetzungen zulässig sein.968 *
Im Rahmen der Gefahrenabwehr
Wenn die Polizei in Wahrnehmung ihres kriminalstrategischen Auftrags agiert, wird sie ausschließlich auf der Grundlage des Polizeirechts zur Verhütung von Straftaten tätig, weil die Strafprozessordnung keinen operativen Auftrag vergibt. Deshalb taugt der Begriff „operativ“ weder als Oberbegriff für ein Gefahrenabwehr und Strafverfolgung umfassendes polizeiliches Handeln, noch vermag er die beiden Aufgaben miteinander zu verzahnen, weil sonst die verfassungsrechtlich gebotene Trennung zwischen beiden aufgegeben würde. Wenn die Polizei zwecks Lagebilderstellung Informationen beschafft, handelt es sich nicht um ein Zwischenverfahren zur Verdachtsermittlung, das die in der StPO nicht vorgesehenen Initiativ- bzw. Vorfeldermittlungen ersetzt, sondern um ein eigenständiges, auf Dauer angelegtes polizeigesetzliches Verfahren der Gefahrensuche.969 Ergibt sich dabei der Verdacht einer Straftat im Sinne von § 152 Abs. 2 StPO, sei es im Rahmen einer Streifenfahrt oder bei der Aufklärung krimineller Strukturen, hat die Polizei ein Ermittlungsverfahren einzuleiten und agiert in diesem nach Maßgabe staatsanwaltschaftlicher Weisungen. Davon wird aber eine fortdauernde polizeigesetzliche Aufklärung im Rahmen struktureller Kriminalitätsbekämpfung nicht berührt; beide Verfahren laufen jeweils selbstständig nebeneinander, teilweise mit eigenem Datenbestand und eigenen Verfahrensregeln. Die Kritik, dass Polizei die Informationsbeschaffung nur aus taktischen Gründen auf das Polizeirecht stütze970, es sich in der Sache um verkappte strafrechtliche Ermittlungen handele, traf weitgehend zu. Gerade innerhalb der Kriminalpolizei war in der Vergangenheit das Polizeirecht als willkommener Notnagel zur Beschaffung von Informationen aus dem Vorfeld der konkreten Gefahr gesehen worden, die auf der Grundlage strafprozessualen Vorgehens nicht zur Verfügung gestanden hätten. Es 965
Kingreen/Poscher, POR, § 11 Rn. 6. Möstl, DVBl 2007, 581 (584). 967 Barczak, Der nervöse Staat, S. 472 ff.; Pieroth, DV 53 (2020), 39 (49). 968 Möstl, in: Möstl/Kugelmann, POR NRW, Vorbem. Rn. 45. S. dazu näher 3. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 2. b) bb) (2). 969 S. B. II. 1. c) cc). 970 S. Warschko, Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten, S. 49 ff., 96 ff., 168 ff. und 182. 966
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ging nur um einen zeitweiligen „Aufenthalt“ im Polizeirecht, der sofort beendet wurde, wenn man mit Hilfe polizeigesetzlicher Befugnisse einen Anfangsverdacht generieren konnte. Der Zusammenhang der informationellen Ebene des Polizeirechts mit seiner aktionellen zur nachhaltigen Bekämpfung der Kriminalität wurde nicht gesehen, weil man Bekämpfungsmöglichkeiten ausschließlich in der StPO wähnte und die strategische Dimension des Polizeirechts nicht erkannte. Auch dem Gesetzgeber ist dies Defizit anzulasten, etwa als er die in § 34 Abs. 3 Satz 2 thürPAG vorgesehenen Strukturermittlungen, die der Polizei die Aufklärung krimineller Strukturen erlaubte, im Gefolge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum ndsSOG wieder aufhob.971 Die Verfasser des VEMEPolG und die diesen umsetzenden Polizeigesetzgeber wollten aber mit der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten nicht nur eine informationelle Ebene als Zwischenphase begründen, sondern sahen die Datenerhebung als notwendige Voraussetzung für sich anschließende polizeirechtliche aktionelle Maßnahmen zur Bekämpfung der Kriminalität. Diese Bekämpfungsebene ist von der Ebene der Strafverfolgung strikt zu trennen. Haben etwa informationelle polizeigesetzliche Maßnahmen zur Aufklärung krimineller Strukturen – etwa durch Observation oder Einsatz eines verdeckten Ermittlers – den Anfangsverdacht einer Straftat ergeben, endet die Aufklärung nicht und insbesondere wird die polizeigesetzliche Maßnahme nicht zu einer strafprozessualen. Der auf der Grundlage des Polizeigesetzes eingesetzte verdeckte Ermittler bleibt weiter Instrument der Aufklärung und wird nicht in einem Rollentausch zum verdeckten Ermittler nach § 110a StPO. Der Beamte wird die Tatsachen, die ihn zur Bejahung eines Anfangsverdachts kommen ließen, aktenkundig machen und der zuständigen Organisationseinheit für die Führung von Ermittlungsverfahren gegen die organisierte Kriminalität zukommen lassen. Diese wird ein Ermittlungsverfahren einleiten und entscheiden, mit welchen informationellen Maßnahmen der StPO weitere Informationen beschafft werden. Wird ein verdeckter Ermittler eingesetzt, agiert er im Ermittlungsverfahren unabhängig von der weiter betriebenen Aufklärung nach Polizeirecht. In personeller Hinsicht bedeutet das, dass in großen Behörden nicht nur die Verfahren, sondern auch die verdeckt vorgehenden Personen in nach Polizeirecht aufklärende und nach Strafprozessrecht ermittelnde zu trennen sind. Wenn das in kleineren Behörden wegen zu geringer Personalausstattung nicht möglich ist, hat der in beiden Funktionen tätige Beamte die von ihm gewonnenen Informationen daraufhin zu überprüfen, inwieweit sie der Komplettierung des Lagebildes dienen und dann der polizeirechtlichen Verwendung zuzuführen, bei Relevanz für das Ermittlungsverfahren auch diesem. Wird in Behörden in einer Dienststelle über den Einsatz verdeckter Ermittler und die Zusammenarbeit mit Vertrauenspersonen entschieden, muss gewährleistet sein, dass den unterschiedlichen Voraussetzungen für die Datenerhebung und Datenverarbeitung bezüglich der Einsatzzwecke Gefahrenabwehr und Strafverfolgung 971
Ebert/Seel/Joel, Thüringer PAG, § 34 Rn. 26.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Rechnung getragen wird, insbesondere, wenn Einsätze nach dem Polizeigesetz durch die Dienststelle angeordnet werden, die auch die OK-Strafverfahren bearbeitet. Ergibt sich in einem Einsatz nach dem Polizeigesetz der Anfangsverdacht einer oktypischen Straftat, ist zu prüfen, ob auch der Einsatz eines verdeckten Ermittlers oder die Zusammenarbeit mit einer Vertrauensperson anzuordnen ist. Werden dieselben Personen zur Verfolgung beider Zwecke eingesetzt, müssen die gewonnenen Erkenntnisse als personenbezogene Daten zweckbezogen getrennt werden, können aber unter Wahrung der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Zweckänderung in beiden – getrennt voneinander geführten – Verfahren gespeichert und genutzt werden. Beim operativen Vorgehen zur Gefahrensuche handelt es sich nicht um ein drittes Rechtsgebiet neben Gefahrenabwehr und Strafverfolgung. Gegen diese Auffassung spricht der den Willen der Landespolizeigesetzgeber zum Ausdruck bringende Wortlaut der Aufgabenzuweisung, wo es ausdrücklich heißt, dass die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten „im Rahmen der Gefahrenabwehr“ zu erbringen ist. Das lässt nur als am Wortlaut der Norm orientierte Auslegung ein Verständnis zu, wonach die neue Aufgabe wesensmäßig zur Gefahrenabwehr gehört.972 Jede Interpretation, die als Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein.973 Auch die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung endet dort, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch tritt.974 Das operative Agieren der Polizei im Vorfeld der konkreten Gefahr mag man als dritte, neue Handlungsebene ansehen, doch entspricht dieser keine dritte Rechtsebene.975 Schon wegen der streng alternativen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern hinsichtlich Gefahrenabwehr und Strafverfolgung bedürfen die Aufgaben der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten und die mit dieser verbundenen neuen Befugnisse einer unzweideutigen Zuordnung, die nur eine binäre Aufgabenstruktur ermöglicht.976 Es stellt sich auch die Frage, in welchem neuen Gesetzgebungsgegenstand des Art. 74 Abs. 1 GG die dritte Dimension der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten zum Ausdruck kommen soll.977 Eine neue Gesetzgebungskompetenz des Bundes – etwa in Gestalt eines durch den verfassungsändernden Gesetzgeber eingefügten Kompetenztitels zur Abwehr von Straftaten978 – ginge zu Lasten der für das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht zuständigen Länder und würde deren Polizeigewalt als Ausdruck ihrer Landessouveränität aushöhlen. 972
Pieroth/Schlink/Kniesel, POR (2002), § 5 Rn. 6. BVerfGE 127, 248 (283); 128, 193 (210); 132, 99 (127 f.). 974 BVerfGE 138, 64 (94). 975 Dreier, JZ 1987, 1009 (1015 f.); Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts, S. 188. 976 Dreier, JZ 1987, 1009 (1016); Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1 Rn. 29; Möstl, BeckOK PSR Bayern, Vorbem. Rn. 95. 977 Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 247. 978 So der Vorschlag von Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 573. 973
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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Der besonderen Bedeutung der Aufgabenzuweisung als Begrenzung der mit ihr verbundenen Befugnisse979 kann auch in der binären Aufgabenstruktur gerade dadurch bewirkt werden, dass die vorbeugende Bekämpfung in den Rahmen der Gefahrenabwehraufgabe gestellt wird; wo von einer Gefahr, sei es einer konkreten oder einer abstrakten schlechterdings keine Rede sein kann, ist es der Polizei verwehrt, von der entsprechenden Befugnisnorm Gebrauch zu machen; etwa bei einer Identitätsfeststellung an einem gefährlichen Ort, wo es ausreicht, dass Tatsachen die Annahme des Aufenthalts bestimmter Personen rechtfertigen, wenn diese Gefahr bei einer Reisegruppe von Nonnen definitiv nicht vorhanden ist.980 *
Geeignetheit zur Verhütung von Straftaten
Die Geeignetheit des Polizeirechts Straftaten zu verhüten lässt sich nicht unter Hinweis auf fehlende Möglichkeiten – außer der zum wohl nicht ernst gemeinten Erschießen von Schwerkriminellen –981 in Frage stellen. Der Polizei steht ein breites Spektrum an Befugnissen zur Verfügung, auf deren Grundlage Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung getroffen werden können. Mit den modernen informationellen verdeckten Maßnahmen beschafft sich die Polizei Erkenntnisse über kriminelle Strukturen, die sie zu einem Lagebild zusammensetzt und danach mit einem breiten Spektrum aktioneller Maßnahmen bekämpft.982 b) Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als Unrechtsprävention aa) Verhinderung und Verhütung von Rechtsgutsverletzungen Die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten dient der Unrechtsprävention dadurch, dass durch Verhinderung und Verhütung von Straftaten Rechtsgutsverletzungen vermieden werden. Jede bevorstehende Straftat stellt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, als deren Teilschutzgut sich die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung darstellt; die öffentliche Sicherheit kennzeichnet den Soll-Zustand allen geltenden Rechts, das gewahrt, also vor Verletzungen geschützt werden soll.983 Das bedeutet aber nichts anderes, als dass das durch die jeweilige Strafrechtsnorm geschützte Rechtsgut zugleich auch vom Polizeirecht mit seinem Auftrag zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten unter Schutz gestellt wird. Dem widerspricht Gierhake, die davon ausgeht, dass die unrechtsvorbeugende Tätigkeit des Staates nicht mit der Gefahrenabwehr gleichgesetzt werden könne, da natürliche Gefahren – etwa durch Naturkatastrophen – auf der einen und menschliche Unrechtstaten auf der anderen Seite fundamental unterschiedliche Bedrohungen der 979
Albers, Determination, S. 254 f. Pieroth/Schlink/Kniesel, POR (2002), § 5 Rn. 11 f. 981 Rachor, HdBPR (5. Aufl.), E. Rn. 285; abl. auch Annussek, Automatisierte Kraftfahrzeugkennzeichenüberprüfungen, S. 128. 982 S. dazu 3. Teil, 2. Abschnitt, C. III. 3. b) bb). 983 Kingreen/Poscher, POR, § 7 Rn. 7. 980
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Rechtsordnung darstellten und ihnen deshalb auch unterschiedlich begegnet werden müsse. Der einer bevorstehenden Straftat Verdächtigte könne nicht als Gefahrenquelle oder Gefährder, sondern nur als vernunftbegabtes Willenssubjekt, das potenziell Unrecht begehen wolle, begriffen werden; mit der Folge, dass jede gegen dies Subjekt gerichtete, auf bloße Beseitigung der Gefahrenquelle zielende Präventionsmaßnahme ausgeschlossen sei.984 Der Auffassung kann nicht gefolgt werden, weil sie den auf Verursachung und nicht auf Verschulden abstellenden Ansatz des Polizeirechts verkennt. Das Polizeirecht wird vom Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr beherrscht; es orientiert sich an allen Handlungen, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung rechtswidrig verursachen können. Die individuellen persönlichen Verhältnisse des Verursachers – in der Sprache des Polizeirechts des Störers – interessieren nicht, sodass dessen Alter, Handlungsfähigkeit, Geschäftsfähigkeit, Deliktfähigkeit und Strafmündigkeit keine Rolle spielen, genauso wenig wie sein Verschulden in Form von Vorsatz und Fahrlässigkeit und auch nicht ein möglicher Irrtum über die Umstände seines Verhaltens oder die Situation, in der er handelt.985 Ob Säugling, Geisteskranker, Volltrunkener oder willentlich handelnder Straftäter, das Polizeirecht behandelt sie alle gleich, indem es auf den Verursachungsbeitrag abstellt, für den kein bewusstes Handeln erforderlich ist, sondern schon eine Reflexbewegung ausreicht.986 Das Polizeirecht ist neutral, es kennt weder Freund noch Feind und unterscheidet auch nicht zwischen Gut und Böse, weil es moralisch indifferent ist. Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit kann auch bestehen, ohne dass eine Verletzung oder Rechtsordnung droht, also kein Verstoß gegen eine Rechtsnorm durch den Verursachungsbeitrag einer Person vorliegen muss. Deshalb sind Naturereignisse genauso wie unwillentliche und willentliche Handlungen von Personen als Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu behandeln.987 Die Polizei kann deshalb gleichermaßen gegen drohende und eingetretene Gefahren vorgehen, auch durch Anwendung unmittelbaren Zwangs, unabhängig davon, ob sie durch willentliches oder unwillentliches Handeln oder durch Naturgewalten verursacht werden. Ist ein Dorf in den Bergen durch den Abgang einer Lawine von der Außenwelt abgeschnitten und damit keine ärztliche Versorgung schwer erkrankter Personen mehr möglich, kann die Polizei den Eigentümer eines Schneeräumungsfahrzeugs durch Androhung unmittelbaren Zwanges dazu veranlassen, die Verbindungsstraße zum Dorf freizuräumen. Die Anwendung unmittelbaren Zwanges kommt also nicht nur bei menschlichen oder auch bei von Tieren verursachten Gefahren in Betracht, sondern eben auch bei durch Naturereignisse bedingten Gefahren. Wenn Gierhake 984
Gierhake, Zusammenhang, S. 381. Denninger, HdBPR, D. Rn. 75. 986 Denninger, HdBPR, D. Rn. 75. 987 Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 232; Kingreen/Poscher, POR, § 7 Rn. 21 f. 985
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die unterschiedliche Behandlung von willentlichen und unwillentlichen bzw. durch Naturereignisse verursachten Gefahren darauf zurückführt, dass polizeiliche Zwangsanwendung als Wahrung des Rechts nur bei willentlichen Handlungen in Betracht kommen könne,988 so verkennt sie, dass das Polizeirecht die Wahrung des Rechts in allen Fällen einer möglichen Rechtsverletzung unabhängig von strafrechtlichen Kriterien vorsieht und damit auch den Einsatz unmittelbaren Zwangs ermöglicht. Der polizeiliche Auftrag zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten ist dann nichts Anderes als Unrechtsprävention, wenn es darum geht, mit polizeilichen Aktivitäten Straftaten von Gefährdern zu verhüten. bb) Ge- und Verbote als Mittel der Unrechtsprävention (1) Rechtscharakter von Ge- und Verboten (a) Urformen der Regelung menschlichen Verhaltens In einer normativen Ordnung wird menschliches Verhalten positiv geregelt, wenn eine bestimmte Handlung geboten und negativ, wenn die Unterlassung einer bestimmten Handlung verlangt wird, diese also verboten ist.989 Nach der Legaldefinition des § 40 PrPVG sind polizeiliche Verfügungen „Anordnungen der Polizeibehörden, die an bestimmte Personen oder einen bestimmten Personenkreis ergehen und ein Gebot oder Verbot oder die Versagung, Einschränkung der Zurücknahme einer rechtlich vorgesehenen polizeilichen Erlaubnis oder Bescheinigung enthalten.“ Eine polizeiliche Verfügung hat also zur Voraussetzung, dass Gegenstand der ergangenen Maßnahme ein Gebot oder Verbot zu einem bestimmten Tun oder Lassen ist.990 (b) Ge- und Verbote als sanktionslose Gefahrenabwehr Ge- und Verbote sind als abstrakte Regelungen Gegenstand des besonderen Polizei- und Ordnungsrechts, etwa im Straßenverkehrsrecht, Versammlungs- und Vereinsrecht, Gewerberecht, Bauordnungsrecht, Lebensmittel- und Gesundheitsrecht, Umweltrecht und Aufenthaltsrecht. Das typische Umsetzungsinstrument der abstrakten Ge- und Verbote ist das vorgezogene Gefahrenabwehr ermöglichende Verbot mit Erlaubnisvorbehalt.991 Das allgemeine Polizeirecht enthält in seinen Befugnissen zur Beschränkung von Aufenthalt und Kontakten sowie bei der Anordnung zum Tragen einer Fußfessel konkretisierte Ge- und Verbote. Wenn die besonderen Polizei- und Ordnungsgesetze sich darauf beschränken, bestimmte Verhaltensweisen zu verbieten oder nur bestimmte zuzulassen, aber keine 988
Gierhake, Zusammenhang, S. 351. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 44. 990 Drews/Wacke, Allgemeines Polizeirecht (6. Aufl. 1954), S. 103 f. 991 Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 354 f.; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 217. 989
284
2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Befugnisnormen zur Durchsetzung solcher Ge- und Verbote vorsehen, ist das allgemeine Polizeirecht mit seinen Möglichkeiten unverzichtbar.992 Da der Verstoß gegen ein Ge- oder Verbot die öffentliche Sicherheit mit ihrem Teilschutzgut der Unverletzlichkeit der Rechtsordnung verletzt,993 können mit Hilfe des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts die Gebote und Verbote des besonderen Polizei- und Ordnungsrechts auf die Weise durchgesetzt werden, dass eine auf die Generalklausel gestützte Verfügung das abstrakte Ge- oder Verbot fall- und adressatenbezogen konkretisiert. Im Gegensatz zum Strafrecht sind bzw. bleiben Verstöße gegen Ge- und Verbote des besonderen Polizei- und Ordnungsrechts sanktionslos, weil das Polizei- und Ordnungsrecht, das keinen Schuldvorwurf erhebt und kein Unrecht ahnden will, eben nicht sanktionieren kann. Sanktionen sind strafrechtsspezifisch, aber nicht die Geund Verbote, die ihnen zugrunde liegen.994 Diese sind und bleiben öffentlichrechtliche Regelungen unabhängig davon, ob sie strafbewehrt sind oder nicht, und haben nur den Zweck, das objektiv Verbotswidrige zu verhindern.995 (2) Vorrang und Auffangfunktion gefahrenabwehrrechtlicher Ge- und Verbote Der aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abgeleitete Ultima-Ratio-Prinzip begründet den Vorrang der Verbotsnorm vor der Sanktionsnorm und verlangt für die Sanktionierung eines Verbots in einem Straftatbestand vom Gesetzgeber den Nachweis, dass das zur Verwirklichung des gesetzgeberischen Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen ist.996 Mit den abstrakten Gefährdungsdelikten der §§ 89a ff. StGB verfolgt der Gesetzgeber den präventiven Zweck, terroristische Straftaten durch Anordnung von Untersuchungshaft gegen islamistische Gefährder zu verhindern.997 Diesen Zweck könnte er auch dadurch erreichen, dass er die in den §§ 89a ff. StGB enthaltenen Verbotsnormen im Aufenthaltsrecht regelt und die Polizeigesetzgeber des Bundes und der Länder die Ingewahrsamnahme von Topgefährdern unter Wahrung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen durch eine Anpassung der Bestimmungen über den Durchsetzungsgewahrsam ermöglichen.
992 993 994 995 996 997
Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Rn. 217. Kingreen/Poscher, POR, § 7 Rn. 7 ff. S. dazu 2. Teil, 3. Abschnitt, D. II. 2. b) bb) (2). Götz/Geis, APOR, § 4 Rn. 11. S. dazu 3. Abschnitt, C. II. 1. b) aa) (1) (b). S. dazu 3. Abschnitt, D. II. 1. b) cc).
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
285
C. Aufgabenwahrnehmung I. Polizei als Behörde mit zwei nebeneinander stehenden Aufgaben Die Polizei hat mit der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung zwei Aufgaben zu erfüllen. Die Gefahrenabwehr ist ihr in den Polizeigesetzen der Länder übertragen, die Strafverfolgung obliegt ihr auf der Grundlage der bundesgesetzlichen Strafprozessordnung. Dieselben Polizeibehörden und dieselben Polizeibeamten nehmen beide Aufgaben wahr.998 Dabei haben die einem Behördenleiter als Landesbeamten unterstehenden Polizisten auch die Pflicht, als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft deren Aufträgen nach § 161 Abs. 2 Satz 2 StPO nachzukommen. Es sind auch dieselben Daten, die im Rahmen der Gefahrenabwehr zur Verhütung von Straftaten erhoben, gespeichert werden und gleichzeitig für die künftige Verfolgung von Straftaten vorsorgen. Im Polizeialltag sind schließlich Situationen, Lagen und Kriminalitätsformen zu bewältigen, die ein Tätigwerden zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung verlangen können.999 In Anbetracht der beiden Aufgaben ist davon die Rede, die Polizei sei eine doppelfunktionale Institution1000, habe eine doppelte1001 oder zweifache1002 Aufgabe bzw. Funktion1003, einen doppelten Auftrag1004 oder spiele eine Doppelrolle.1005 Der Begriff doppelt soll zum Ausdruck bringen, dass die Polizei zwei verschiedene Aufgaben hat.1006 Indes kann eben dies der Begriff nicht leisten. Doppelt oder zweifach bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch zweimal der-, die- oder dasselbe.1007 Das bringt auch die Weisheit aus dem Volksmund zum Ausdruck, wonach doppelt genäht besser hält. Wer den Erfolg in einer Sache gefährdet sieht, muss seine Anstrengungen bei der Verfolgung dieser Sache, nicht einer anderen verdoppeln. Der Begriff doppelt bedeutet also das Gegenteil von verschieden und ist als Begriff ungeeignet, der Unterschiedlichkeit von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung Ausdruck zu verleihen und das Problem zu verdeutlichen, dass bei der Wahrnehmung 998
Kingreen/Poscher, POR, § 2 Rn. 7. Kingreen/Poscher, POR, § 2 Rn. 7. 1000 Benfer/Bialon, Rechtseingriffe, Rn. 24. 1001 Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 15. 1002 Emmerig, DVBl 1958, 338; Rieger, Abgrenzung, S. 29. 1003 Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 138 und 142; Emmerig, DVBl 1958, 338; Rieger, Abgrenzung, S. 3; Schmidbauer/Holzner, BayPSR, Rn. 255; Schmidbauer, in: FS Steiner, S. 736; Dreier, JZ 1987, 1009; Buchberger, HdBPR, L. Rn. 21; Schenke, NJW 2011, 2838 (2842); s. auch Gusy, in: Kugelmann, Polizei unter dem Grundgesetz, S. 11 (11 f.); OVG Münster, NJW 1980, 855. 1004 Roggan, DP 2008, 112. 1005 Emmerig, DVBl 1958, 338; Schwan, VerwArch 70 (1979), 109; Schäfer, GA 133 (1986), 49 spricht vom janusköpfigen Doppelauftrag der Polizei. 1006 Schwan, VerwArch 70 (1979), 109. 1007 Duden, Bedeutungswörterbuch, S. 286. 999
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
der beiden Aufgaben auch Maßnahmen getroffen werden müssen, für die das Polizeirecht und das Strafverfahrensrecht Befugnisnormen vorsehen. Demzufolge hat die Polizei keine doppelte Aufgabe, sondern zwei verschiedene, ist sie keine doppelfunktionale Institution, sondern eine zweifunktionale und sie spielt auch keine Doppelrolle, sondern muss im Polizeialltag in der zu bewältigenden Situation oder Lage bisweilen ihre Rolle tauschen, von der Gefahrenabwehr in die Strafverfolgung und umgekehrt, aber auch beiden Rollen zugleich gerecht zu werden versuchen oder sich für eine von beiden um den Preis der Vernachlässigung der anderen entscheiden. Wenn die Gesetzgeber von Bund und Ländern der Polizei die Aufgaben der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr übertragen haben, so ist dadurch keine gesetzliche Gemengelage der beiden Aufgaben entstanden. Es gibt aber auch bei ihrer tatsächlichen Wahrnehmung keine allgemeine Gemengelage, sondern es kann nur im Einzelfall zu Überschneidungen kommen. Im Regelfall stehen die Aufgaben nebeneinander und Polizeibeamte werden mal zur Gefahrenabwehr und mal zur Strafverfolgung tätig, indem sie die eine Aufgabe unabhängig von der anderen wahrnehmen. Ist eine Gefahr abzuwehren, muss nicht zugleich eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit vorliegen, weil zum einen Gefahren nicht nur durch menschliches Verhalten, sondern eben auch durch Naturereignisse entstehen können1008, und zum zweiten ist nicht jede von Menschen verursachte Rechtsgutverletzung auch straf- oder bußgeldbewehrt; ist eine Straftat begangen worden, liegt zwar eine Störung der öffentlichen Sicherheit vor, doch ist diese polizeirechtlich nur relevant, wenn sie als Gefahr fortdauert.1009
II. Verbundene Aufgabenwahrnehmung bei Überschneidungen 1. Aufgabenüberschneidungen a) Begriff und Bedeutung Im polizeilichen Alltag besteht oft ein enger Sachzusammenhang zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, der zu sogenannten Gemengelagen als Überschneidungen beider Aufgaben führt. Solche Überschneidungen entstehen, wenn eine Straftat begangen worden ist und die Gefahr noch andauert oder bei bestimmten Begehungsweisen bzw. in bestimmten Kriminalitätsbereichen mit der Begehung weiterer Straftaten gerechnet werden muss. So wird von einer Gemengelage gesprochen, wenn Gefahrenabwehr und Strafverfolgung in einer Situation oder Lage anfallen und die Polizei deshalb präventiv und repressiv agieren und die
1008
BVerwG, NVwZ 2001, 1285 (1286). BVerfGE 110, 1 (17); Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 220; Kingreen/Poscher, POR, § 3 Rn. 3. 1009
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
287
beiden Aufgaben zusammen erledigen könne.1010 Die so beschriebene Gemengelage ist allerdings ein tatsächlicher Befund und kein Begriff des geltenden Polizeirechts. b) Erscheinungsformen aa) Situative und lagebedingte Überschneidungen Situative Überschneidungen entstehen, wenn es in einer konkreten Einsatzsituation um Gefahrenabwehr und Strafverfolgung geht. Stellt die Polizei bei der Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität Rauschgift sicher, verhindert sie, dass es zu Gesundheitsgefährdungen kommt und sichert zugleich einen potenziellen Beweis für das Strafverfahren. Beim sexuellen Missbrauch von Kindern geht es sowohl um den Schutz der Kinder vor weiteren Übergriffen mit den Mitteln des Polizeirechts als auch um die Sicherung potenzieller Beweismittel mit den Mitteln der Strafprozessordnung. Nach einem Verkehrsunfall kann die gerade vorbeikommende Kradstreife die Verfolgung des flüchtenden Fahrers aufnehmen oder dem Unfallopfer erste Hilfe leisten. Lagebedingte Überschneidungen bestehen bei Großdemonstrationen und Spielen der Fußball-Bundesligen. Die Polizei will einerseits Straftaten verhindern und die jeweilige Veranstaltung möglichst störungs- und gewaltfrei verlaufen lassen, andererseits hat sie aber auch die Straftaten zu verfolgen, die sie nicht verhindern konnte. bb) Deliktsbedingte Überschneidungen Mit der Vollendung bzw. Beendigung eines Delikts muss sich die Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht erledigen. Sie besteht insbesondere fort bei Dauerdelikten, Serienstraftaten und in Kriminalitätsbereichen, wo die Begehung von Straftaten Teil eines dauerhaften kriminellen Geschehens ist.1011 (1) Dauerdelikte Ein Dauerdelikt liegt vor, wenn der Täter einen andauernden rechtswidrigen Zustand herbeiführt oder pflichtwidrig nicht beseitigt und diesen Zustand willentlich bestehen lässt bzw. mit seinem Verhalten kontinuierlich fortsetzt.1012 Polizeirelevante Dauerdelikte sind z. B. Hausfriedensbruch, Freiheitsberaubung und unbefugter Waffenbesitz. Wird ein solches Delikt begangen, geht es für die Polizei nicht nur um Strafverfolgung, sondern auch um die Abwehr der Gefahr, die mit der Aufrechterhaltung bzw. Nichtbeseitigung des bestehenden Zustands einhergeht. 1010
Möstl, BeckOK PSR Bayern, Vorbem. Rn. 60 f.; Schmidbauer, in: FS Steiner, S. 735 f.; Roggan, DP 2008, 112 (113); Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 357 f.; Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 316 ff.; BGHSt 62, 123 (133); s. auch BVerfGE 150, 244 (Rn. 71). 1011 3. Teil, 1. Abschnitt, B. I. 1012 Fischer, StGB, Vor § 52 Rn. 57.
288
2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
(2) Vollendete Delikte mit fortdauernder Gefahr Wenn jemand nach § 126 Abs. 1 Nr. 1 – 7 StGB eine Straftat androht, nach § 240 Abs. 1 StGB mit einem empfindlichen Übel in Form der Begehung einer Gewalttat droht oder einen erpresserischen Menschenraub nach § 239a StGB bzw. eine Geiselnahme nach § 239b StGB begeht, vollendet er das Delikt mit der Tathandlung, zugleich bleibt aber für die Opfer die Gefahr weiterer Rechtsgutsbeeinträchtigungen bestehen, die zu unterbinden ist. (3) Serienstraftaten Von einer Serie von Straftaten ist auszugehen, wenn der modus operandi der Taten auf einen Täter oder eine Tätergruppe schließen lässt. Typische Serienstraftaten sind Tageswohnungseinbrüche, Aufbrechen von PKW, Brandstiftungen und Sprengungen von Bankautomaten. Bei solchen Serien geht es um die Aufklärung der begangenen, aber auch um die Verhinderung weiterer Straftaten durch den oder die Serientäter. (4) Mehrfachtaten in natürlicher Handlungseinheit Es ist nur von einer Straftat auszugehen, wenn sich das rechtsgutsverletzende Handeln des Täters in natürlicher Betrachtung als Einheit darstellt, was nach ständiger Rechtsprechung voraussetzt, dass zwischen mehreren strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen ein unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht und das Handeln des Täters bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen Dritten als einheitliches Tun erscheint.1013 Amoktaten werden regelmäßig in natürlicher Handlungseinheit begangen. (5) Szenestraftaten Szenestraftaten werden typischerweise von Personen begangen, die sich regelmäßig in einer bestimmten Szene unter Gleichgesinnten aufhalten. Offene Szenen finden sich in den Bereichen alltägliche Gewalt im öffentlichen Raum, Fußball, Demonstrationen, Drogen und Prostitution und Straßenrennen unter Rasern in den Innenstädten. Abgeschottete Szenen sind die Chatgruppen von Pädophilenringen im Internet. (6) Anschlussstraftaten Bestimmten Straftaten folgen weitere Straftaten. Mit gestohlenen Kraftfahrzeugen bzw. Kraftfahrzeugkennzeichen werden Anschlussstraftaten – Raubüberfälle auf Banken, Einbruchsdiebstähle, Kraftfahrzeugverschiebungen – begangen.
1013
Fischer, StGB, Vor § 52 Rn. 3; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 1253 ff.
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
289
cc) Überschneidungen im Vorfeld (1) Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten und Strafverfolgung von Vorfelddelikten Bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Terrorismus soll es regelmäßig zu einer Gemengelage von Strafprozessrecht und Polizeirecht kommen, weil auf diesen Kriminalitätsfeldern mit den §§ 129 ff. und §§ 89a ff. StGB straflose Vorbereitungshandlungen bzw. Vorbereitungen für Vorbereitungshandlungen mit sogenannten Vorfelddelikten unter Strafe gestellt worden sind, die sich auf die eigentlich zu bekämpfenden Straftaten der organisierten Kriminalität und des Terrorismus beziehen.1014 Wenn nun ein Anfangsverdacht wegen eines Vorfelddelikts bejaht werde, würden nicht nur strafverfolgende Maßnahmen erforderlich, sondern es müsse auch die drohende Bezugsstraftat – die Drogenlieferung oder der terroristische Anschlag – verhindert werden, so dass es zu einer Gemengelage des Vorfeldstrafrechts und des polizeilichen Verhütungsauftrags komme.1015 Diese Auffassung überzeugt nicht. Bei der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten im Rahmen der Gefahrenabwehr und der strafrechtlichen Verfolgung von Vorfelddelikten kann es keine Gemengelage der beiden Rechtsregime Gefahrenabwehr und Strafverfolgung geben, weil letztere wegen § 152 Abs. 2 StPO kein Vorfeld der Strafverfolgung kennt. Auch wenn das materielle Strafrecht mit den Vorfelddelikten in das Vorfeld eindringt, bleibt es bei der formalen Abgrenzung durch § 152 Abs. 2 StPO, weil durch die Kriminalisierung des Vorfeldes durch Vorfelddelikte das Polizeirecht und die Strafprozessordnung nicht zur Deckung kommen. Das Vorfelddelikt bleibt eine zu verhütende Straftat und zu ihrer strafrechtlichen Verfolgung bedarf es eines Anfangsverdachts. Mit der Vorverlagerung des materiellen Strafrechts in das polizeirechtliche Vorfeld wird dies nicht kleiner, sondern noch weiter vorverlagert.1016 Solange § 152 Abs. 2 StPO die maßgebliche Grenze zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zieht, kann es zwischen der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten und der Verfolgung von Vorfelddelikten keine Gemengelage geben, denn das Vorfeld der konkreten Gefahr steht nur für die Polizei nach dem Polizeirecht offen. Erst wenn bei der polizeilichen Aufklärung krimineller Strukturen, etwa im Rahmen einer langfristigen Observation ein Anfangsverdacht wegen einer begangenen Straftat entsteht, liegt eine Aufgabenüberschneidung vor und ist ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Unabhängig davon läuft das die Strukturen betreffende Aufklärungsverfahren als polizeirechtliches Verwaltungsverfahren weiter. Ob ein Überschneidungsbereich bei der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten und der Verfolgung eines Vorfelddelikts besteht, hängt davon ab, ob die vorbeugende Bekämpfung einer Straftat noch möglich ist, wenn gleichzeitig schon der Tatverdacht eines Vorfelddelikts gegeben ist; es geht also um die Festlegung des 1014 1015 1016
Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 357. Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 359. Kniesel, DP 2017, 189 (199 f.).
290
2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
letztmöglichen Zeitpunktes für eine vorbeugende Bekämpfung von Straftaten. Wenn eine Befugnisnorm die Annahme, dass eine Straftat begangen werden soll bzw. geplant wird, voraussetzt, so bemisst Brodowski den Zeitraum für eine vorbeugende Bekämpfung bis zu dem Zeitpunkt, in dem der drohende Schaden entweder abgewehrt werden kann oder sich vollständig entwickelt hat.1017 Die getroffene Maßnahme soll auf die Befugnisnorm gestützt werden können und die Gemengelage auch den Zeitraum zwischen strafrechtlichem Versuchsbeginn und Deliktsvollendung regelmäßig auch bis zur Deliktsbeendigung erfassen.1018 Dies Ergebnis leitet Brodowski aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 39 ff. AWG ab, wo es hinsichtlich der Verhinderung einer geplanten Straftat heißt, dass für Prävention so lange Anlass besteht, wie diese noch nicht beendet ist.1019 Eine Überschneidung zwischen dem Präventionsmaßnahmen nach § 39 AWG und möglichen Strafverfolgungsmaßnahmen könne es insoweit geben, als die Planung schon in ein straftatbestandliches Verhalten übergegangen, die Rechtsgutbeeinträchtigung hingegen noch nicht abgeschlossen sei, so dass präventive Maßnahmen weiter sinnvoll sein könnten.1020 Brodowski verkennt, dass das Bundesverfassungsgericht mit Prävention und präventiven Maßnahmen die konkrete Gefahr anspricht, nicht die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten. Sobald ein strafbarer Versuch gegeben und eine Aufgabenüberschneidung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung entstanden ist, geht es um die Unterbindung einer fortdauernden Gefahr als Unterfall der Verhinderung einer Straftat, die zur konkreten Gefahrenabwehr gehört.1021 Demnach kann es bei drohenden bzw. geplanten Straftaten keine Gemengelage von vorbeugender Bekämpfung von Straftaten und Strafverfolgung geben, solange nicht die Grenze zum strafbaren Versuch überschritten worden ist. (2) Verhütungs- und Verfolgungsvorsorge Eine Gemengelage soll auch im Vorfeld der konkreten Gefahr und des konkretisierbaren Tatverdachts entstehen, weil die Polizeigesetze des Bundes und der Länder ihren Polizeien den Auftrag der Gefahrenabwehr um die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten in Form der Verhütung von Straftaten und der Vorsorge für künftige Strafverfolgung erweitert hätten und nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts1022 nur die Verhütung von Straftaten dem Recht der Gefahrenabwehr, die Strafverfolgungsvorsorge dagegen dem Recht der Strafverfolgung zugeordnet werde.1023
1017 1018 1019 1020 1021 1022 1023
Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 319. Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 319. BVerfGE 110, 33 (60). BVerfGE 110, 33 (60). S. B. II. 1. c) bb) (2). BVerfGE 113, 348 (368 ff.); BVerwGE 141, 329 (335). Danne, JuS 2018, 434 (434 f.).
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
291
Wenn eine Gemengelage eine Überschneidung der beiden unterschiedlichen Aufgaben Gefahrenabwehr und Strafverfolgung voraussetzen würde, dann könnte nur eine von Verhütungs- und Verfolgungsvorsorge als Unterfällen der im Rahmen der Gefahrenabwehr zu erfüllenden Aufgabe der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten entstehen, aber keine von Gefahrenabwehr als Verhütung von Straftaten und Strafverfolgung als Verfolgungsvorsorge; Verhütungs- und Verfolgungsvorsorge stehen in einem untrennbaren Zusammenhang, der eine Zuordnung der beiden Tätigkeiten zu zwei gänzlich verschiedenen Aufgaben ausschließt. Das soll mit folgender Einsatzkonzeption für Konfliktbegegnungen in den Fußball-Bundesligen verdeutlich werden. Bei solchen Spielen mit hohem Konfliktpotenzial kommt es oft zu verabredeten Massenschlägereien zwischen den rivalisierenden Ultra-Gruppierungen der beiden Mannschaften. Wenn die Polizei die beiden Gruppierungen jeweils vor Erreichen des vereinbarten Treffpunktes zur Verhinderung von Straftaten auf polizeigesetzlicher Grundlage anhält, einkesselt, Identitäten feststellt und durch Fotografieren erkennungsdienstlich behandelt, verhindert sie nicht nur die im anstehenden Spiel bevorstehenden Straftaten, sondern sorgt zugleich für die Verhütung künftiger Straftaten durch diese Ultra-Gruppierungen bei nachfolgenden Konfliktbegegnungen vor, weil sie mit den gewonnenen und in der Gewalttäterdatei Sport gespeicherten Daten die Ultras aus der Anonymität der schützenden Masse herausgeholt hat. Die Daten können in der Zukunft nun zwei Funktionen erfüllen; mit den Bildern sind die Ultras im Vorfeld künftiger Konfliktbegegnungen für die Polizei erkennbar und es können zur Verhinderung von Straftaten polizeigesetzliche Platzverweise und ggf. Ingewahrsamnahmen erfolgen. Können Straftaten nicht verhindert werden, dienen die gespeicherten Daten zugleich als Strafverfolgungsvorsorgedaten der Aufklärung der bei dem Spiel begangenen Straftaten; weil die auf den Videoaufzeichnungen in Erscheinung tretenden Gewalttäter bei einer vorherigen Begegnung aus der schützenden Anonymität der Masse herausgeholt worden sind, können sie nunmehr als Täter identifiziert werden. c) Notwendigkeit der Aufgabentrennung bei Überschneidungen aa) Wahlrecht zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung? Eine im Vordringen befindliche Auffassung hält die Trennung zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung für überflüssig, wenn die Polizei in Gemengelagen bzw. bei Aufgabenparallelität tätig werde. Hier soll sie ein Wahlrecht zwischen den beiden Aufgaben haben und sich die Befugnisnorm aussuchen können.1024 Für die umstrittenen legendierten Kontrollen würde das bedeuten, dass der Aufgabenwechsel zwischen Strafverfolgung und Gefahrenabwehr unproblematisch wäre, weil die einer Abgrenzung enthobene Polizei auch bei Vorliegen eines Tatverdachts, also einer begangenen Straftat weiter zur Gefahrenabwehr tätig werden und die zum 1024 BGHSt 62, 123 (130 ff.); Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 351; Schenke, POR, Rn. 423 f.; Danne, JuS 2018, 434 (437); Graulich, NVwZ 2014, 695 (690).
292
2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Einschreiten erforderliche Befugnisnorm dem einschlägigen Polizeigesetz entnehmen könnte. bb) Bedeutung der Aufgabentrennung in situativen Gemengelagen Nach der noch überwiegend vertretenen Auffassung besteht eine Gemengelage von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, die doppelfunktionale Maßnahmen zur Folge hat, nur in situativen Einzelfällen; dabei wird maßgeblich darauf abgestellt, ob der Schwerpunkt der getroffenen Maßnahme auf der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung liegt.1025 Hinsichtlich der für die Beurteilung maßgeblichen Perspektive wird auf die erkennbare Absicht des handelnden Beamten oder die Wahrnehmung eines verständigen Betroffenen abgestellt.1026 Bleiben Zweifel, gilt der Grundsatz, dass Gefahrenabwehr wichtiger ist als Strafverfolgung.1027 Umstritten ist aber unter den Vertretern der die Unterscheidung für notwendig haltenden Auffassung, welche Folgen das Zusammentreffen von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung in einer situativen Gemengelage hat. (1) Sperrwirkung des Straf- und Strafverfahrensrechts Aus strafprozessualer Perspektive wird davon ausgegangen, dass das Polizeirecht nicht mehr anwendbar sei, wenn ein Anfangsverdacht für eine Straftat vorliegt.1028 Es soll dann eine Sperrwirkung des Strafrechts für das Polizeirecht bestehen, ein absoluter Vorrang der Repression vor der Prävention, weil sonst die strengeren Voraussetzungen des Strafprozessrechts unterlaufen werden könnten und deshalb ein Kontrollverlust der Justiz drohe.1029 (2) Fortbestand der Gefahrenabwehr neben der Strafverfolgung Die gerade geschilderte Auffassung hätte zur Folge, dass mit der Bejahung eines Anfangsverdachts der Zugriff auf die Befugnisse der Polizeigesetze nicht mehr möglich wäre. Das gesamte polizeiliche Handeln könnte nur noch auf strafprozessuale Befugnisnormen gestützt werden, mit der weiteren Folge, dass sich die Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft mit der Entstehung eines Anfangsverdachts auch auf die Gefahrenabwehr erstreckte. Das kann nicht überzeugen. Nur weil eine konkrete Gefahr und ein konkretisierbarer Tatverdacht zusammentreffen, 1025 BVerfG, BeckRS 2018, 37180, Rn. 72; BVerwGE 47, 255 (264 f.); BayVGH, BayVBl 2010, 220; OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2014, 327 (327 f.); OVG Münster, BeckRS 2012, 45958; Gusy, POR, Rn. 484 ff.; Möstl, BeckOK PSR Bayern, Vorbem. Rn. 90; Kingreen/Poscher, POR, § 2 Rn. 14; a.A. Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1 Rn. 20; Schenke, POR, Rn. 423. 1026 BVerwGE 121, 345 (348); 47, 255 (165). 1027 Möstl, BeckOK PSR Bayern, Vorbem. Rn. 91; Kingreen/Poscher, POR, Rn. 14. 1028 Schoreit, KK-StPO, § 152 Rn. 18c; Benfer/Bialon, Rechtseingriffe, Rn. 24 f.; Roggan, DP 2008, 112 (114 f.). 1029 Gubitz, NStZ 2016, 128; Müller/Römer, NStZ 2012, 543 (547).
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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kann nicht das Recht der Strafverfolgung für die Gefahrenabwehr maßgeblich und mit der Staatsanwaltschaft ein Organ für diese polizeiliche Aufgabe zuständig werden, für die sie keinen gesetzlichen Auftrag hat und zudem in der Sache auf diese Aufgabe nicht vorbereitet ist.1030 Die eigentlich zuständige Polizei und die für die Gefahrenabwehr geschaffenen speziellen Befugnisse der Polizeigesetze würden blockiert und eine im Schlepptau der Strafverfolgung erfolgende Gefahrenabwehr würde ihrer Funktion nicht mehr gerecht; es wäre mit den grundrechtlichen Schutzpflichten unvereinbar, die verlangen, dass die Polizei nach Maßgabe der Polizeigesetze stets aus eigenem Recht und eigener Entscheidungsmacht handeln und das zur Gefahrenabwehr Erforderliche tun kann.1031 Deshalb besteht auch nach Bejahung eines Anfangsverdachts der Auftrag zur Gefahrenabwehr für die Polizei uneingeschränkt fort und sie entscheidet allein über Art, Umfang und Zeitpunkt gefahrenabwehrender Maßnahmen.1032 Wenn die Gegenmeinung sich zur Stützung des Vorrangs der Strafverfolgung auf „die landläufige Auffassung, dass derjenige der Straftaten begangen hat, auch zu bestrafen sei“1033, so kann diese kalenderspruchartige Floskel zur Stützung des Vorrangs der Strafverfolgung vor der Gefahrenabwehr nicht überzeugen. (3) Kategoriale Qualität der Unterscheidung Zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung besteht ein kategorialer Unterschied.1034 Dieser wird eingeebnet, wenn vorschnell von Gemengelagen und doppelfunktionalen Maßnahmen die Rede ist. Auch die Forderung nach einer Harmonisierung der Befugnisnormen der Polizeigesetze und der Strafprozessordnung1035 hat eine die notwendige Unterscheidung einebnende Wirkung, weil die Unterschiedlichkeit der Befugnisnormen in ihren tatbestandlichen Voraussetzungen und grundrechtssichernden Verfahrensregelungen der Notwendigkeit der Aufgabenunterscheidung geschuldet ist. Eine Gleichschaltung der Befugnisse würde den unterschiedlichen Aufträgen zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung nicht gerecht. Der kategoriale Unterschied wird auch durch die Perspektive des sogenannten polizeilichen Eingriffsrechts1036 eingeebnet, das die Befugnisnormen des Polizei- und
1030
Möstl, BeckOK PSR Bayern, Vorbem. Rn. 91. Möstl, BeckOK PSR Bayern, Vorbem. Rn. 91. 1032 Kniesel, ZRP 1987, 377 (378 f.); Rieger, Abgrenzung, S. 138 f. 1033 Benfer/Bialon, Rechtseingriffe, Rn. 24. 1034 Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1, Rn. 16; s. auch BVerfGE 150, 244 (Rn. 75). 1035 Hirsch, ZRP 1989, 81 (82); Heise/Riegel, MEPolG, S. 15; im Ansatz auch Gusy, in: Kugelmann, Polizei unter dem Grundgesetz, S. 22; Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 353 f. 1036 So Benfer/Bialon, Rechtseingriffe von Polizei und Staatsanwaltschaft; König/Trurnit, Eingriffsrecht; Schütte/Braun/Keller, Eingriffsrecht Nordrhein-Westfalen. 1031
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Strafprozessrechts als einer gleichgeschalteten Maßnahmentypik unterworfene parallel und vergleichend darstellt.1037 Auch die Adressaten der beiden Aufgaben sind grundverschieden. Bei der Inanspruchnahme des Verhaltensstörers im Polizeirecht geht es nur um die Verursachung der Gefahr; Alter, Handlungsfähigkeit, Deliktsfähigkeit, Strafmündigkeit spielen ebenso keine Rolle wie sein Verschulden in Form von Vorsatz oder Fahrlässigkeit.1038 Im Straf- und Strafverfahrensrecht geht es dagegen um den schuldhaft handelnden Beschuldigten bzw. Angeklagten. Von daher ist es verfehlt, wenn Brodowski von einer Gemengelage der Adressaten in beiden Rechtsgebieten ausgeht; der Verhaltensstörer muss eben nicht – wie Brodowski fälschlich annimmt – die gefahrbegründenden Umstände billigend in Kauf genommen haben.1039 Auch Kleinkinder, Geisteskranke und Volltrunkene sind als Gefahrverursacher Störer, weil es im Polizeirecht nur um effektive Gefahrenabwehr geht.1040 Ist die Gefahr beseitigt, ist der Störer allenfalls als Kostenschuldner für die Polizei noch von Interesse. Hier zeigt sich der kategoriale Unterschied zwischen den beiden Rechtsgebieten als systembildender, der die qualitativen Diskrepanzen markiert.1041 Deshalb kann auch nicht von einer Entsprechung der polizeirechtlichen und strafprozessualen Befugnisse ausgegangen werden. Die Ermächtigungsgrundlagen der Polizeigesetze und der Strafprozessordnung ähneln einander, können sich in ihren tatbestandlichen Voraussetzungen aber nicht entsprechen, weil Gefahrenabwehr und Strafverfolgung gänzlich verschiedene Zwecke verfolgen. Deshalb verbietet es sich, bei den genannten Befugnisnormen von doppelfunktionalen zu sprechen und gleichgeschaltete Ermächtigungsgrundlagen in einem einheitlichen Ermittlungsrecht aufgehen zu lassen.1042 2. Überschneidungsformen Wenn sich Gefahrenabwehr und Strafverfolgung überschneiden, können sie sich unterschiedlich zueinander verhalten; sie können weiterhin nebeneinander, also jede für sich erledigt werden; die eine Aufgabe kann aber auch durch die andere erfüllt werden und es kann auch dazu kommen, dass die eine nur auf Kosten der anderen bewältigt werden kann.1043 Typischerweise nebeneinander werden die Aufgaben bei Dauerdelikten wahrgenommen; nimmt die Polizei den Hausfriedensbrecher fest, 1037
(62).
Möstl, BeckOK BayPSR, Vorbem. Rn. 60; krit. auch Bäuerle, in: FS Kreuzer, S. 43
1038 Kingreen/Poscher, POR, § 9 Rn. 5; Schenke, POR, Rn. 241; Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1 Rn. 343 ff.; Denninger, HdBPR, D. Rn. 75. 1039 Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 312 f. 1040 Denninger, HdBPR, D. Rn. 75; Kingreen/Poscher, POR, § 9 Rn. 5. 1041 Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1, Rn. 16. 1042 So aber Brodowski, Überwachungsmaßnahmen. 1043 Kingreen/Poscher, POR, § 2 Rn. 7.
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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wehrt sie auch die in der Fortdauer des Hausfriedensbruchs liegende Gefahr ab. Die eine Aufgabe wird durch oder mit der anderen erfüllt, wenn die Polizei bei einer legendierten Kontrolle ihre Maßnahme auf eine Befugnisnorm des Polizeirechts stützt, um das Vorgehen gegen Hintermännern eines Rauschgiftringes nicht zu gefährden.1044 Auf Kosten der Strafverfolgung kann Gefahrenabwehr gehen, wenn die auf Streifenfahrt befindlichen Beamten Zeugen eines Verkehrsunfalls werden und nicht die Verfolgung des flüchtigen Täters aufnehmen, sondern dem Unfallopfer erste Hilfe leisten.
III. Polizeiliche Maßnahmen im Überschneidungsbereich 1. Doppelfunktionalität Seit Emmerig im Jahr 1958 die Doppelfunktion der Polizei als Aufgabenträger zum Thema des Polizei- und Strafprozessrechts gemacht hat,1045 beschäftigt der Begriff der doppelfunktionalen Maßnahmen Schrifttum und Rechtsprechung.1046 a) Begriff und Bedeutung Die Lehre von den doppelfunktionalen Maßnahmen geht davon aus, dass die Polizei mit einer Maßnahme gleichzeitig zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung tätig wird und ein und dieselbe Maßnahme sowohl auf eine polizeigesetzliche als auch auf eine strafprozessuale Befugnisnorm stützen kann;1047 der Steine werfende Autonome könnte also zugleich polizeirechtlich in Gewahrsam genommen und strafprozessual nach § 127 Abs. 2 StPO vorläufig festgenommen werden. Schoreit bestreitet die Existenz doppelfunktionaler Maßnahmen, weil es gar nicht vorkommen könne, dass die Polizei gleichzeitig zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung tätig werden müsse. Wenn eine Straftat vorliege, habe sich mit der dadurch eingetretenen Störung der öffentlichen Sicherheit die Gefahrenabwehr-
1044
Kingreen/Poscher, POR, § 2 Rn. 8; BGHSt 62, 123 (130 ff.). Emmerig, DVBl 1958, 338 ff. 1046 BVerfGE 150, 244 Rn. 72; BVerwGE 47, 255 ff.; BGHSt 62, 123 ff.; BGH, NStZ 1995, 601 f.; BGH, NJW 1991, 2651 f.; OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2014, 327; OVG Münster, NWVBl 2012, 364 f.; OVG Münster, NJW 1980, 855; VGH München, NVwZ 1986, 655 f.; VGH Mannheim, NVwZ-RR 2005, 540 ff.; Emmerig, DVBl 1958, 338 ff.; Schwan, VerwArch 70 (1979), 109 ff.; ders., DVR 1982, 311 ff.; Schoch, Jura 2013, 1115 ff.; Schenke, NJW 2011, 283 ff.; Roggan, DP 2008, 112 ff.; ders., GSZ 2018, 52 ff.; Danne, JuS 2018, 834 ff.; Schenke, in: FS Knemeyer, S. 383 ff.; Schmidbauer, in: FS Steiner, S. 734 ff.; Rieger, Abgrenzung, 1994; Ahlers, Grenzbereich, 1998. 1047 Schenke, POR, Rn. 423; ders., in: FS Knemeyer, S. 383 ff.; Schoch, Jura 2013, 1115 ff.; ders., in: FS Stree und Wessels, S. 1114; Schmidbauer, in: FS Steiner, S. 735 ff.; Würtenberger, in: Ehlers/Fehling/Pünder, BVR III, § 69 Rn. 137. 1045
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
aufgabe erledigt.1048 Diese Auffassung beruht auf einem engen Verständnis von Gefahrenabwehr, nach der die Erfüllung dieser Aufgabe nur bis zum Augenblick des Schadenseintritts möglich ist.1049 Polizeitätigkeit wird demnach strikt prospektiv gesehen, während ein weites Verständnis von Strafverfolgung auch künftige Begleitund Nebeneffekte polizeilicher Maßnahmen dem Recht des Strafprozesses zuordnet.1050 Gegen dies Verständnis spricht zunächst, dass das Vorgehen nach der Strafprozessordnung mit der Voraussetzung der begangenen Straftat retrospektiv ist. Zusätzlich verkennt es, dass sich bei den schon geschilderten Delikten und Kriminalitätsfeldern die Aufgabe der Gefahrenabwehr nicht erledigt, sondern die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten fortbesteht und unabhängig von der Strafverfolgung zu erfüllen ist. Götz leugnet nicht die Existenz doppelfunktionaler Maßnahmen, für ihn sind sie aber Maßnahmen der Strafverfolgung mit der Eigenschaft, dass die Polizei sie gleichzeitig und unter zusätzlicher Inanspruchnahme präventivpolizeilicher Befugnisse auch zur Gefahrenabwehr trifft.1051 Im Zusammenhang mit Versuchen zur Etablierung eines Gefahrenabwehr und Strafverfolgung übergreifend erfassenden Sicherheitsrechts1052 gewinnen die Begriffe Gemengelage und „doppelfunktionale Maßnahmen“ zusätzliche Bedeutung.1053 In letzteren zeige sich ein thematisches Epizentrum, in dem Fragen über die institutionelle Zusammenarbeit von Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden virulent würden, die die innere Sicherheitsarchitektur beträfen und Veranlassung gäben, sich in Ansehung asymmetrischer Bedrohungen und einer Entgrenzung des Polizeirechts für eine gemeinsame Betrachtung von Gefahrenabwehrrecht und Strafprozessrecht in einem Sicherheitsrecht zu entscheiden.1054 Offensichtlich eignet sich der Begriff doppelfunktionale Maßnahmen zur Einebnung des Unterschieds von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung und ist auch deshalb kritisch zu hinterfragen. Insoweit haben Götz/Geis zu Recht Zweifel angemeldet, ob es überhaupt eine doppelfunktionale Maßnahme im Rechtssinne gibt, deren Rechtsgrundlage sich im Polizei- und im Strafprozessrecht findet.1055
1048 Schoreit, DVR 1982, 40 (47); ders., NJW 1985, 169 (172); ders., KK-StPO, § 152 Rn. 18a ff. 1049 Dreier, JZ 1987, 1009 (1014). 1050 Schwan, VerwArch 70 (1979), 122 (126). 1051 Götz/Geis, APOR, § 18 Rn. 15. 1052 Dazu Kniesel, DP 2018, 265 ff.; Gusy, FG Graulich, S. 9 ff. 1053 Danne, JuS 2018, 434; Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, §§ 13 und 14. 1054 Danne, JuS 2018, 434 Rn. 4. 1055 Götz/Geis, APOR, § 18 Rn. 15.
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b) Formen aa) Abstrakte und konkrete doppelfunktionale Maßnahmen In einer von der konkreten Einschreitenssituation losgelösten Betrachtung werden die Maßnahmen als doppelfunktional bezeichnet, für die die Polizeigesetze und die Strafprozessordnung vergleichbare Befugnisnormen bereithalten;1056 konkret doppelfunktional sollen dagegen die sein, die in einer konkreten Situation sowohl auf eine Befugnisnorm des Polizeirechts und des Strafprozessrechts gestützt werden können, wo also beide Rechtsmaterien einschlägig sind.1057 bb) Echte und unechte doppelfunktionale Maßnahmen Echte1058 oder doppelfunktionale Maßnahmen im engeren Sinne1059 sind solche, die in einer konkreten Einschreitenssituation sowohl der Gefahrenabwehr als auch der Strafverfolgung dienen. In anderer Akzentuierung sind doppelfunktionelle Maßnahmen der Polizei Strafverfolgungsmaßnahmen, die die Polizei gleichzeitig und unter zusätzlicher Inanspruchnahme präventiv-polizeilicher Befugnisse auch zur Gefahrenabwehr vornimmt.1060 Als unechte werden die Maßnahmen charakterisiert, die nur deswegen auch einen präventive Wirkung haben, weil sich mit der Strafverfolgung auch der unselbstständige Nebeneffekt der Prävention durch Repression einstelle, etwa wenn der Festgenommene durch die verhängte Untersuchungshaft an der Begehung weiterer Straftaten gehindert werde.1061 c) Theorienstreit aa) Relevanz für den polizeilichen Alltag Alle Theorien zu den doppelfunktionalen Maßnahmen gehen von deren Relevanz für den polizeilichen Alltag aus und Rechtsprechung und Literatur liefern dafür zahllose Beispiele: Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung und Rasterfahndung nach Terrorismusverdächtigen1062, Videoüberwachung eines mutmaßlichen
1056
Rachor, HdBPR (5. Auflage), L. Rn. 22. Rachor, HdBPR (5. Auflage), L. Rn. 28. 1058 Roggan, DP 2008, 112 (113); BGHSt 62, 123 (130 f.); BGH, NStZ 1992, 44 mit Anmerkung Rogall; StV 1991, 403 mit Anmerkung Gusy; Götz/Geis, APOR, § 18 Rn. 17; Kochheim, KriPoZ 2017, 31 (318); Schwan, VerwArch 70 (1979), 109 (129 f.). 1059 Danne, JuS 2018, 434 (436). 1060 Götz/Geis, APOR, § 18 Rn. 15. 1061 Roggan, DP 2008, 112 (113); Danne, JuS 2018, 434 (435 f.); Götz/Geis, APOR, § 18 Rn. 17; Kugelmann, POR, Kap. 1, Rn. 66; BGHSt 62, 123 (130 f.); Kochheim, KriPoZ 2017, 316 (318). 1062 OVG Münster, NJW 1980, 855; Roggan, DP 2008, 112 (114). 1057
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Brandstifters1063, Videoaufnahmen einer Gruppe gewaltbereiter Fußballanhänger1064, Lauschangriff auf in Blockhütten aufhältige, des Terrorismus verdächtige Personen1065, Platzverweisung eines störenden Journalisten nach einem Verkehrsunfall1066, Identitätsfeststellung von Personen, die in eine Dienstbesprechung von Sozialarbeitern eingedrungen waren1067, Platzverweisung und Wegtragen von Demonstranten aus einer Kirche1068, Sicherstellung von Rauschgift bei einer legendierten Kontrolle1069, Räumung eines besetzten Hauses1070, Auskunftsverlangen vom mutmaßlichen Entführer nach dem Aufenthaltsort des Entführten als Vernehmung oder Befragung1071, Durchsuchung und Sicherstellung bei Demonstrationen und Konfliktbegegnungen in den Fußball-Bundesligen1072, Videoaufnahmen an Kriminalitätsbrennpunkten1073, Online-Durchsuchungen1074, Stoppen eines Amokläufers und Befreiung von Geiseln1075, Razzien in kriminellen Szenen und gegen Clan-Kriminalität1076 sowie Sicherstellung der Fahrzeuge von Angehörigen organisierter Raserszenen.1077 bb) Theorien (1) Schwerpunkttheorie Rechtsprechung und h.M. in der Literatur nehmen die Zuordnung polizeilicher Maßnahmen in Gemengelagen von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung nach ihrem Schwerpunkt vor, orientieren sich also daran, ob der Zweck der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung die jeweilige Maßnahme prägt.1078 Unterschiedlich wird 1063
BGH, NJW 1991, 2651. Rachor, HdBPR, D. Rn. 26. 1065 BGH NStZ 1995, 602. 1066 OVG Lüneburg, NJW 2012, 2057. 1067 BVerwGE 47, 255. 1068 VGH München, NVwZ 1986, 655. 1069 BGHSt 62, 123. 1070 Gusy, POR, Rn. 23; Kingreen/Poscher, POR, § 2 Rn. 8. 1071 Roggan, DP 2008, 112 (114). 1072 Kingreen/Poscher, POR, § 2 Rn. 12; Rieger, Abgrenzung, S. 22. 1073 Schede, NWVBl 2004, 415. 1074 Roggan, GSZ 2018, 52. 1075 Roggan, GSZ 2018, 52; Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 356. 1076 Rieger, Abgrenzung, S. 11. 1077 S. 3. Teil, 2. Abschnitt, B. II. 2. d) ee). 1078 BVerfGE 150, 244, Rn. 72; BVerwGE 47, 245 (264); OVG Münster, NJW 1980, 855; VGH Mannheim, NVwZ-RR 2005, 540; VGH München, BayVBl 2010, 220; OVG Lüneburg, NJW 1984, 940; Möstl, BeckOK PSR Bayern, Vorbem. Rn. 90; Gusy, POR, Rn. 484; Roggan, DP 2008, 112 (113 f.); Knemeyer, POR, Rn. 122; Kingreen/Poscher, POR, § 2 Rn. 14; Würtenberger/Heckmann/Riggert, PRB-W, § 4 Rn. 69; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 139. 1064
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dabei gesehen, aus welcher Perspektive der Schwerpunkt zu ermitteln ist, aus der ex ante bzw. ex situatione Sicht des handelnden oder eines objektiven Polizeibeamten, aus der Betrachtung des konkret oder abstrakt Betroffenen oder aus der nachträglichen des mit der Sache befassten Gerichts.1079 Streitig ist weiter, ob der Schwerpunkt bei gestaffelten Maßnahmen oder einem Maßnahmenbündel durch eine Gesamt- oder Einzelbetrachtung zu ermitteln ist.1080 Lässt sich ein Schwerpunkt des polizeilichen Handelns als Gefahren abwehrendes oder strafverfolgendes im Einzelfall nicht feststellen, soll die Wertigkeit der beiden Aufgaben entscheiden und im Zweifelsfall die Gefahrenabwehr vorgehen.1081 Entscheidendes Kennzeichen der Schwerpunkttheorie ist ihre Festlegung auf eine Rechtsgrundlage, also die Alternativität zwischen einer polizeigesetzlichen und einer strafprozessualen Befugnisnorm. Es kommt die Rechtsgrundlage des schwerpunktmäßig betroffenen Rechtsgebiets zur Anwendung und das nicht zur Anwendung kommenden Rechtsgebiet bleibt einschließlich seiner Rechtsfolgen unberücksichtigt.1082 Die Schwerpunkttheorie macht also aus einer doppelfunktionalen Maßnahme eine einfachfunktionale. Götz/Geis vertreten eine Variante der Schwerpunkttheorie, indem sie zusätzlich auf den Haupt- und Nebeneffekt der Maßnahme abstellen. Doppelt gestützte, also auf eine Befugnisnorm des Polizei- und des Strafprozessrechts gegründete und in diesem Sinne doppelfunktionale Maßnahmen hätten im polizeilichen Alltag Ausnahmecharakter.1083 Maßnahmen der Strafverfolgung seien trotz erwünschter Präventionseffekte im Zweifel nicht gleichzeitig solche der Gefahrenabwehr, sondern hätten allenfalls einen präventiven Nebeneffekt. Wenn die Polizei einen Drogendealerring zerschlage, so hätten die ergriffenen Maßnahmen der Festnahme der Dealer und der Beschlagnahme des Rauschgifts den Nebeneffekt der Prävention durch Repression, indem die Dealer an der Fortsetzung ihrer strafbaren Aktivitäten gehindert würden.1084 Danach können nur solche Maßnahmen doppelfunktionell sein, bei denen sich die Polizei eindeutig sowohl auf das Polizeirecht als auch auf das Strafprozessrecht stütze. Wenn letzteres der Fall sei, dürfe die Polizei auch nebenbei präventive Effekte erzielen, ohne deshalb die Maßnahmen auch auf eine polizeigesetzliche Befugnisnorm stützen zu müssen.1085 Gegenüber der strafprozessualen Beschlagnahme als speziellerer Qualifikation der getroffenen Maßnahme verblasse 1079 S. dazu Schenke, in: FS Knemeyer, S. 383 ff.; Schmidbauer, in: FS Steiner, S. 734 (740 ff.). 1080 S. dazu Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1, Rn. 21; ders., Jura 2013, 1115 (1118) m.w.N. 1081 Kingreen/Poscher, POR, § 2 Rn. 11 und 14; Möstl, BeckOK PSR Bayern, Vorbem. Rn. 25 und 91; s. dazu ausf. 2. a) bb) (1). 1082 VGH Mannheim, VBlBW 1989, 16 (17); OVG Berlin, NJW 1971, 637; OVG Münster, DÖV 1980, 574; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 139; krit. dazu Rieger, Abgrenzung, S. 106 ff. 1083 Götz, JuS 1985, 869 (873); Götz/Geis, APOR, § 18 Rn. 19. 1084 Götz/Geis, APOR, § 18 Rn. 19. 1085 Götz, JuS 1985, 869 (872).
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der präventivpolizeiliche Nebeneffekt, der dafür sorge, dass die Drogen nicht mehr in den Handel gelangen könnten. Erst wenn eine polizeiliche Maßnahme nicht mehr speziell durch das Strafprozessrecht und seine Ziele geprägt werde, könne bei gegebener präventiver Wirkung von einer doppelfunktionellen Maßnahme gesprochen werden.1086 In einem solchen Fall müsse die ergangene Maßnahme auf der Grundlage einer Einschätzung ihres objektiven Zwecks nach ihrem Gesamteindruck entweder als strafprozessuale oder polizeirechtliche beurteilt werden. Es gehe aber nur um die Feststellung, ob es sich um eine Maßnahme der Strafverfolgung handele, nicht um die Ermittlung des Schwerpunktes der Maßnahme wie bei der Schwerpunkttheorie, bei der das Ergebnis ja auch zu Gunsten der Gefahrenabwehr ausfallen könne. Spricht also der objektive Zweck nach dem Gesamteindruck für eine Maßnahme der Strafverfolgung, sei nur die Aufgabe der Strafverfolgung gegeben und ein vorliegender präventiver Effekt gehe in dieser auf.1087 (2) Kumulative bzw. parallele Anwendung der Befugnisnormen des Polizeiund Strafprozessrechts Gegen diese Verengung der Schwerpunkttheorie auf ein Rechtsgebiet und seine Befugnisnormen wendet sich die Auffassung von der kumulativen Anwendung der Befugnisnormen beider Rechtsgebiete.1088 Bei doppelfunktionalen Maßnahmen kommt es also zu einer Anwendung von Befugnisnormen in der Art und Weise, dass eine Ermächtigungsgrundlage des Polizeirechts und eine des Strafprozessrechts zusammen in einem Wirkungsverbund herangezogen werden. Die Begründungen dafür sind unterschiedlich. Schoch geht von der Ungeeignetheit der Schwerpunkttheorie zur Zuordnung der doppelfunktionalen Maßnahmen aus, weil es kein überzeugendes Kriterium zur Schwerpunktbestimmung gebe und die Zielsetzung der Maßnahme durch die Polizei, die primär über ihr Vorgehen zu entscheiden habe, ausgeblendet werde.1089 Schwan kritisiert die h.M., die im Anschluss an Emmerig1090 bei doppelfunktionalen Maßnahmen nur ein Entweder-Oder der beiden Rechtsgebiete kenne, und bringt stattdessen das Strafverfolgungsrecht und das Gefahrenabwehrrecht nicht alternativ, sondern kumulativ zur Anwendung; für die Rechtmäßigkeit der ergangenen Maßnahme soll es allerdings ausreichen, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Befugnisnorm vorliegen.1091 Schenke geht in seiner Kritik noch weiter und sieht in der Schwerpunkttheorie eine gesetzwidrige Einschränkung der polizeilichen Handlungsbefugnisse. Durch das Entweder-Oder ihrer Anwendbarkeit werde der Handlungsspielraum der Polizei dogmatisch unzu1086
Götz, JuS 1985, 869 (873); Götz/Geis, APOR, § 18 Rn. 19. Götz/Geis, APOR, § 18 Rn. 19. 1088 Schwan, VerwArch (1979), 109 ff.; Schenke, POR, Rn. 423; ders., NJW 2011, 2838 (2841 f.); Schmidbauer, in: FS Steiner, S. 734 (751 ff.). 1089 Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1, Rn. 21. 1090 Emmerig, DVBl 1958, 338 f. 1091 Schwan, VerwArch 70 (1979), S. 109 f. 1087
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lässig verengt, weil trotz Vorliegens der rechtlichen Voraussetzungen für eine Gefahrenabwehr- und eine Strafverfolgungsmaßnahme nur eine von beiden ergehen dürfe.1092 Diese Reduktion führe zu einem nicht hinnehmbaren Effektivitätsverlust der polizeilichen Aufgabenerfüllung auf dem Aufgabenfeld, das nicht zum Zuge komme.1093 Stattdessen müsse die gleichzeitige Verfolgung der Aufgaben Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zulässig sein, allerdings unter der Voraussetzung, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der angewandten Befugnisnorm in der Ausgestaltung des Polizei- und des Strafverfolgungsrechts vorlägen.1094 Schmidbauer geht sogar von einer aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Pflicht zu kumulativen Vorgehen aus.1095 Folge dieser Auffassung ist, dass der Polizei ein Wahlrecht zusteht, weil die gleichzeitige Zulässigkeit eines Handelns zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung ihr alle Handlungsoptionen eröffne, auch dergestalt, dass sie zunächst zweispurig und später einspurig agieren könne.1096 Die Theorie von der parallelen Anwendbarkeit der Befugnisnormen des Polizeiund Strafprozessrechts kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Wenn die Polizei ihre Maßnahmen auf eine Rechtsgrundlage stützen könne, reiche das aus, sofern deren tatbestandlichen Voraussetzungen vorlägen; ein damit einhergehender Zweckwechsel sei unschädlich, weil die Polizei über ein Wahlrecht zwischen einem Vorgehen zur Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung verfüge.1097 Im Fall einer sogenannten legendierten Kontrolle könne die Polizei die Durchsuchung des Fahrzeugs eines Dogendealers wahlweise auf das einschlägige Polizeigesetz oder die Strafprozessordnung stützen.1098 Der Unterschied zur kumulativen Anwendung der einschlägigen Befugnisnormen des Polizei- und Strafprozessrechts liegt darin, dass diese nicht im Wirkungsverbund zur Anwendung kommen, sondern die getroffene Maßnahme entweder als gefahrenabwehrende oder strafverfolgende nur eine einfache Wirkung hat. Als Vertreter der Theorie der parallelen Anwendbarkeit kritisiert und verwirft Brodowski die Schwerpunktheorie, weil sie die vom Gesetzgeber eingeräumten Handlungs- und Entscheidungsspielräume der jeweils zur Repression und Prävention berufenen Akteure einschränke.1099 Zur Verteidigung der parallelen Anwendbarkeit führt er aus, dass diese das Zweckbindungsgebot nicht umgehe, da sich die getroffene Maßnahme jeweils innerhalb der rechtlichen Befugnisse des jeweiligen Rechtsgebiets bewegen müsse.1100 1092
Schenke, NJW 2011, 2838 (2841 ff.). Schenke, NJW 2011, 2838 (284). 1094 Schenke, NJW 2011, 2838 (2841 f.); Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1, Rn. 21; Thiel, POR, § 4 Rn. 25; Schmidbauer, in: FS Steiner, S. 734 (744 ff.); Ahlers, Grenzbereich, S. 94. 1095 Schmidbauer, in: FS Steiner, S. 734 (744); Schmidbauer/Holzner, BayPSR, Rn. 2024. 1096 Schwan, VerwArch 70 (1979), S. 109 f.; Schenke, NJW 2011, 2838 (2842). 1097 Ringwald, INPOL und Staatsanwaltschaft, S. 129; Merten/Merten, ZRP 1991, 213 (216); Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 342 ff. und 351 f.; BGHSt 62, 123 (130 f.). 1098 BGHSt 62, 123 (130 f.). 1099 Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 347. 1100 Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 349. 1093
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
(3) Vorherige Festlegung der Befugnisnorm durch die Polizei Nach dieser Auffassung kann bei doppelfunktionalen Maßnahmen von vornherein nur ein Recht anwendbar sein und die Polizei müsse deshalb schon mit ihrer Maßnahme darüber entscheiden, welche Aufgabe sie wahrnehmen wolle; wenn die Verwaltung sich zu einem Eingriff in Grundrechte entschließe, müsse die handelnde Behörde die Ermächtigungsgrundlage festlegen, denn das Verhältnis zum Bürger werde entscheidend durch die Rechtsnorm geprägt, die die Behörde ihrer Verfügung zugrunde lege.1101 Im Gegensatz zu den anderen Theorien, nach denen der maßgebliche Zweck einer Maßnahme auch aus einer Ex post-Perspektive festgelegt werden kann, ist die vorherige Festlegung des verfolgten Zwecks unabdingbar.1102 Eine unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten ausgewählte Rechtsgrundlage kann daher zur Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffs nicht herangezogen werden und ein beliebiger Wechsel zwischen den in Betracht kommenden Befugnisnormen des Polizei- und Strafprozessrechts ist damit ausgeschlossen.1103 d) Kritische Betrachtung aa) Doppelt als irreführende Kennzeichnung bei Aufgaben und Befugnissen Wie schon bei der Darstellung der Polizei als Institution und ihrer Aufgaben bzw. Funktionen dargestellt1104, ist der Begriff „doppelt“ irreführend und das gilt auch im Zusammenhang mit dem Begriff „doppelfunktionale Maßnahmen“. Diese sollen die Eigenschaft haben, dass sie zwei verschiedenen Aufgaben, der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung zugleich dienen können. Da doppelt aber „zweimal der-, dieoder dasselbe“ bedeutet1105, bringt Doppelfunktionalität nicht eine unterschiedliche, sondern eine identische Zweckausrichtung der Maßnahmen zum Ausdruck; sie wäre nicht auf verschiedene Weise wirksam, sondern zweifach; die Polizei hätte in Gemengelagen nicht zwei Maßnahmen mit verschiedenen Auswirkungen zur Auswahl, sondern könnte nur zweimal dieselbe treffen. bb) Ungeklärtes Verhältnis zur „Gemengelage“ Wird eine Gemengelage dadurch gekennzeichnet, dass in bestimmten polizeilichen Lagen oder Situationen bzw. bei bestimmten Delikten oder Kriminalitätsformen sowohl die Aufgabe der Gefahrenabwehr als auch die der Strafverfolgung anfällt, so müsste das Verhältnis von Gemengelage und doppelfunktionalen Maßnahmen klar sein, denn es könnte davon ausgegangen werden, dass das Bestehen 1101 1102 1103 1104 1105
Bull, DVR 1982, 1 ff.; Knemeyer, POR, Rn. 88; Ahlers, Grenzbereich, S. 88. Bull, DVR 1982, 1 (3 und 15). Bull, DVR 1982, 1 (15). S. C. I. 1. Duden, Bedeutungswörterbuch, S. 286.
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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einer Gemengelage Voraussetzung für eine doppelfunktionale Maßnahme ist. Umgekehrt wäre aber nicht selbstverständlich, dass die in einer Gemengelage getroffenen polizeilichen Maßnahmen doppelfunktional sein müssten.1106 Wer von einem inneren Zusammenhang beider Rechtsfiguren ausgeht, müsste diesen näher begründen; so ist etwa bei einer Aufgabenkollision anerkannt, dass es zulässig sein kann, dass die Polizei eine Aufgabe auf Kosten der anderen wahrnimmt und demzufolge dann nur eine Maßnahme trifft. cc) Haupt- und Nebeneffekt Die Auffassung von der Notwendigkeit der Feststellung des Haupteffekts einer polizeilichen Maßnahme reduziert Anzahl und Bedeutung doppelfunktionaler Maßnahmen, indem sie durch die Herabstufung eines gleichrangigen Zwecks zum Nebenzweck die doppelfunktionale Maßnahme zu einer einfachfunktionalen macht. Kritisch zu sehen ist, dass polizeiliche Maßnahmen in Gemengelagen eigentlich der Strafverfolgung dienen sollen und die Gefahrenabwehr regelmäßig nur als Nebeneffekt wirken könne; erst wenn der objektive Zweck der Maßnahme nach ihrem Gesamteindruck eindeutig die Gefahrenabwehr sei, könne es sich ausnahmsweise um eine präventivpolizeiliche Maßnahme handeln1107, die dann – auch wenn Götz das nicht ausdrücklich sagt – im Nebeneffekt der Strafverfolgung dient. Diese Grundausrichtung auf die Strafverfolgung überzeugt nicht. Der hauptsächlich verfolgte Zweck kann ebenso gut die Gefahrenabwehr sein und die Strafverfolgung nur als Nebeneffekt gewollt sein. Das von Götz/Geis angeführte Beispiel der Zerschlagung des Drogendealerrings lässt sich ebenso, wenn nicht sogar eher, für den umgekehrten Fall bemühen, dass die Polizei mit den durchgeführten Maßnahmen – Razzien mit Festnahmen und Beschlagnahmen – in kriminalstrategischer Zielsetzung die logistischen Strukturen einer kriminellen Organisation auf der Grundlage des Polizeirechts zerschlagen will; dass dabei potenzielle Beweismittel gefunden werden, ist willkommener Nebeneffekt der Maßnahmen. Die Theorie von der vermuteten Hauptwirkung als Strafverfolgungsmaßnahme verkennt die Qualität des Vorgehens auf der Grundlage des Polizeirechts, wenn sie davon ausgeht, dass sich die gefahrenabwehrende Ausrichtung regelmäßig als Nebeneffekt der strafverfolgenden Maßnahme einstellt. Es macht aber einen qualitativen Unterschied, ob die Polizei mit der Beschlagnahme von Rauschgift als potenziellem Beweismittel nebenbei dafür sorgt, dass es nicht mehr verkauft werden kann oder ob sie im Rahmen strategischer Bekämpfung organisierter Rauschgiftkriminalität auf der Grundlage des Polizeirechts gegen deren Strukturen vorgeht und immer wieder Razzien durchführt, um die Geschäfte der Organisation nachhaltig zu stören und sie zu zwingen, einen Teil ihrer kriminellen Aktivitäten darauf zu verwenden, sich neue Handelswege zu erschließen. 1106 1107
Wovon Brodowski, Überwachungsmaßnahmen (§§ 13 und 14) offensichtlich ausgeht. Götz, JuS 1985, 869 (872 f.).
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
dd) Beschränkung der polizeilichen Handlungskompetenz Schenke und Brodowski kritisieren die Schwerpunkttheorie, weil diese mit der Ausblendung eines Zwecks der Polizei die Möglichkeit nehme, ihren diesbezüglichen gesetzlichen Auftrag wahrzunehmen.1108 Beider Sichtweise krankt daran, dass sie als selbstverständlich davon ausgegangen, dass der Vorrang der einen Aufgabe vor der anderen als endgültiger gesehen wird. Die Möglichkeit, dass die nicht als vorrangig gesehene Aufgabe nur vorübergehend zurücktreten muss und nach Erledigung der bevorzugten noch erledigt werden kann, wird nicht in Betracht gezogen. 2. Festlegung von Zweck und Mitteln polizeilicher Maßnahmen bei Aufgabenüberschneidungen Welche Zwecke er verfolgen und welche Mittel er dafür einsetzen will, entscheidet der Gesetzgeber in Ausübung seiner Kompetenzen durch Gesetz. Über Zweck und Mittel ihres Handelns kann die Polizei allenfalls dann selber entscheiden, wenn die gesetzliche Regelung lückenhaft geblieben ist. a) Festlegung durch den Gesetzgeber aa) Gestaltungsmacht Der Gesetzgeber kann durch Gesetz beliebige Zwecke verwirklichen und dafür die Mittel einsetzen, die er für erforderlich hält, solange ihm das Grundgesetz nicht bestimmte Zwecke und Mittel vorenthält; die Verwaltung dagegen ist an die Zwecksetzung und die Mittelauswahl durch den Gesetzgeber gebunden.1109 Die Gesetzgeber von Bund und Ländern haben in der Strafprozessordnung und in den Polizeigesetzen die Aufgaben Gefahrenabwehr und Strafverfolgung mit klarer Zweckausrichtung und den zu ihrer Realisierung erforderlichen Mitteln in Gestalt von aufgabenadäquaten Befugnisnormen geschaffen. Strafprozessordnung und Polizeigesetze sehen aber keine Regelung für den Fall vor, dass sich die beiden Aufgaben in Gemengelagen überschneiden und deshalb unklar bleibt, welche Aufgabe mit ihren in tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen unterschiedlichen Befugnissen maßgeblich ist. Eine klarstellende gesetzliche Regelung in der Strafprozessordnung oder in den Polizeigesetzen wäre aus kompetenziellen Gründen unzulässig, weil weder die Polizeigesetze strafprozessuales Vorgehen begrenzen können noch die Strafprozessordnung polizeilichem Handeln nach Maßgabe der Polizeigesetze Grenzen setzen kann. In Ansehung dieser Regelungslücke wird die Auffassung vertreten, dass es im Ermessen der Polizei liege, selber über den maß-
1108 1109
Schenke, NJW 2011, 2838 (2842); Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 353 f. Dreier, GG, Bd. 1, Vorb. Rn. 146; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 331 f.
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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geblichen Maßnahmezweck zu entscheiden.1110 Ob das mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere der föderalen Kompetenzordnung und einfachgesetzlichen Maßgaben vereinbar ist, wird nachfolgend geprüft. bb) Beschränkung durch verfassungsrechtliche Vorgaben In einem ersten Schritt ist zu klären, in welchem Rangverhältnis Gefahrenabwehr und Strafverfolgung stehen und welche Aufgabe bei der Schwerpunktfestlegung einer Maßnahme und im Kollisionsfall von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung gegenüber der anderen die überlegene ist. In einem zweiten Schritt muss dann geklärt werden, ob ein Zuordnungsgebot die Polizei zwingt, sich auf einen Zweck festzulegen. (1) Rangverhältnis von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung (a) Vorrang der Strafverfolgung Ein Vorrang der Strafverfolgung vor der Gefahrenabwehr wird aus Art. 31 GG und aus dem Legalitätsprinzip abgeleitet. Schoreit vertritt die Auffassung, dass das Strafprozessrecht als vorrangiges Bundesrecht dem landesrechtlichen Polizeirecht vorgehe1111 und das aus § 152 Abs. 2 StPO folgende Legalitätsprinzip dem Opportunitätsprinzip des Gefahrenabwehrrechts überlegen sei und deshalb die Aufgabe der Gefahrenabwehr verdränge.1112 Art. 31 GG soll Kollisionen von Bundes- und Landesrecht, die jeder bundesstaatlichen Ordnung immanent sind, lösen. Entscheidende Voraussetzung ist also, dass es eine Kollision zwischen den beiden Rechtsbereichen gibt, was zu bejahen ist, wenn eine bundesgesetzliche und eine landesgesetzliche Rechtsnorm auf denselben Sachverhalt anwendbar ist, also Gegenstandsgleichheit besteht und es dadurch zu unterschiedlichen Rechtsfolgen kommt bzw. sich unvereinbare Normgehalte ergeben.1113 Bei Strafverfolgung und Gefahrenabwehr handelt es sich um voneinander unabhängige Regelungsgegenstände.1114 Schon das Reichsgericht kennzeichnete die Präventivpolizei als eine „selbständige Tätigkeit, die durch die StPO nicht berührt werde“.1115 Eine Kollision kann damit nicht vorliegen und Art. 31 GG ist nicht einschlägig. Ebenso kann das einfachgesetzliche Legalitätsprinzip der StPO nicht für das Gefahrenabwehrrecht maßgeblich sein und über das Verhältnis Gefahrenabwehr 1110
(2842). 1111
Schenke, in: FS Knemeyer, S. 383 (394 f.); ders., POR, Rn. 423; ders., NJW 2011, 2838
Schoreit, KK-StPO, § 152 StPO, Rn. 18a ff.; Griesbaum, KK-StPO, § 163 Rn. 22; Merten/Merten, ZRP 1991, 213 (216). 1112 Schoreit, DVR 1982, 30 (40). 1113 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 31 Rn. 1; Huber, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 31 Rn. 2. 1114 Rieger, Abgrenzung, S. 140; Schenke, in: FS Knemeyer, S. 383 (394 f. Fn. 28). 1115 RGSt 139, 193.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
und Strafverfolgung entscheiden, weil es als strafprozessuale Regelung keiner dem Gefahrenabwehrrecht überlegenen Rechtsordnung entstammt.1116 (b) Vorrang der Gefahrenabwehr In Anknüpfung an den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Leitgedanken des Vorrangs der Prävention vor der Repression1117 räumt die herrschende Auffassung im Polizeirecht der Gefahrenabwehr einen auf das Grundgesetz gestützten höheren Rang als das Straf- und Strafverfahrensrecht ein.1118 Der Leitgedanke vom Vorrang der Prävention soll zum Ausdruck bringen, dass die Wahrung des Rechts im Zweifel wichtiger ist als die Sanktionierung seiner Verletzung, die Abwehr erst drohender Gefahren wichtiger als die Verfolgung schon begangener Straftaten.1119 Ist danach polizeiliches Handeln vorrangig dem Schutz des Einzelnen und seiner Grundrechte verpflichtet, wären ein Primat der Strafverfolgung und eine Schwerpunktsetzung der Polizeiarbeit in der Repression mit dem auf der Ebene der Verfassung angesiedelten Schutzgebot und dem im Gegensatz dazu nur einfachgesetzlichen Strafverfolgungsauftrag nicht vereinbar.1120 (c) Gleichrangigkeit der Aufgaben Demgegenüber bestreitet eine andere Auffassung einen generellen Vorrang der einen Aufgabe vor der anderen. Es bestehe weder ein allgemeiner Vorrang der Strafprozessordnung gegenüber dem Gefahrenabwehrrecht noch umgekehrt ein solcher des Gefahrenabwehrrechts gegenüber dem Strafprozessrecht.1121 Das führt nach dieser Auffassung dazu, dass in Gemengelagen strafprozessuale und gefahrenabwehrrechtliche also doppelfunktionale Maßnahmen nebeneinander anwendbar sind.1122 (2) Einstweiliger Vorrang der Gefahrenabwehr als Lösung der Rangfrage Wenn man davon ausgeht, dass die Aufgabe der Gefahrenabwehr verfassungsrechtlich höher zu bewerten ist und das Gefahrenabwehrkonzept, das eine Rechtsgutverletzung gar nicht erst eintreten lässt, der Repression, die die eingetretene Rechtsgutverletzung zur Voraussetzung hat, in seiner Rationalität überlegen und 1116
Rieger, Abgrenzung, S. 141. BVerfGE 30, 336 (350); 39, 1 (44); 100, 313 (394). 1118 Kingreen/Poscher, POR, § 2 Rn. 11 und 14; Möstl, BeckOK PSR Bayern, Vorbem. Rn. 25, 61 und 91; ders., Garantie, S. 147 ff. und 152 ff.; Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1, Rn. 20; Würtenberger/Heckmann/Tanneberger, PR-BW, § 1 Rn. 23 ff.; Ullrich, VerwArch 102 (2011), 383 (404); Pitschas, DÖV 2002, 221 (228); Kniesel u. a., DP 2011, 333 (340). 1119 Kingreen/Poscher, POR, § 2 Rn. 11; Möstl, Garantie, S. 147 ff. und 152 ff. 1120 Kniesel, in: Bull, Sicherheit durch Gesetze, S. 105 (106 f.). 1121 BGHSt 62, 123 (133); BVerwG, NVwZ 2001, 1285 (1286); Schmidbauer/Holzner, BayPSR, Rn. 268, 797; Danne, DP 2018, 210 (213). 1122 BGHSt 62, 123 (133 ff.). 1117
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einfach die plausiblere Form der Sicherheitsgewährleistung ist1123, muss das keinen allgemeinen Vorrang der Gefahrenabwehr zur Folge haben. Dieser wird ja relevant bei der Festlegung des Schwerpunktes einer doppelfunktionalen Maßnahme im Rahmen der Schwerpunkttheorie und in Fällen der Aufgabenkollision, wo die eine Aufgabe nur auf Kosten der anderen wahrgenommen werden kann. In beiden Zusammenhängen kann es ein non liquet geben, das nach einer Lösung verlangt. Hier schlägt die Stunde der Zweifelsfallregelung, die der Gefahrenabwehr den Vorrang einräumt, mit der sich die Vertreter der Gleichrangigkeitstheorie für den Konfliktfall der Aufgabenkollision abfinden, nicht aber im Fall der Schwerpunktfestlegung.1124 Insoweit stellt sich die Frage, ob nicht auf einen allgemeinen Vorrang der Gefahrenabwehr und mit ihm auf die Zweifelsfallregelung verzichtet werden kann und statt eines absoluten nur ein relativer Vorrang angenommen wird, der als einstweiliger die Strafverfolgung nur vorübergehend zurücktreten lässt. Ein einstweiliger Vorrang der Gefahrenabwehr kann unabhängig von einer vorgegebenen verfassungsrechtlichen Wertigkeit plausibel damit begründet werden, dass die Aufgabe der Gefahrenabwehr die vorrangig zu erfüllende ist, weil sie zeitlich prioritär ist und im Gegensatz zur Strafverfolgung nicht nachgeholt werden kann, wenn die Chance zu rechtzeitigem Einschreitens zur Abwendung der Gefahr erst einmal vertan ist. Dass die Aufgabe der Strafverfolgung in aller Regel noch zeitlich versetzt erfüllt werden kann, belegen folgende Beispiele polizeilicher Konfliktsituationen, bei denen vorschnell unterstellt wird, dass die Strafverfolgung ganz oder in wesentlichen Teilen auf der Strecke bleibt. Wenn im Fall des flüchtenden Unfallverursachers die gerade am Unfallort befindlichen Polizeibeamten nicht die Verfolgung aufnehmen, sondern das verletzte Opfer erstversorgen, kann der Strafverfolgung auch dadurch Genüge getan werden, dass die Beamten das Kennzeichen notieren und nach der Erstversorgung des Opfers an die Einsatzleitstelle zwecks Einleitung der Fahndung nach dem Flüchtigen übermitteln. Auch bei einer Geiselnahme in einer Bank, mit der der Geiselnehmer seinen freien Abzug mit der Geisel erpressen will, kommt es nur im Ausnahmefall zu einem Aufgabenkonflikt, der die Strafverfolgung unmöglich macht. Dass dieser Fall als Konfliktlage gesehen wird, ist allein dem Streit darüber geschuldet, ob über die Möglichkeit des Zugriffs vor Ort oder den Abzug des Geiselnehmers mit der Geisel die Polizei oder die Staatsanwaltschaft zu entscheiden hat. Erschießt die im Falle unterschiedlicher Beurteilung des Gewichts der beiden Aufgaben Gefahrenabwehr und Strafverfolgung entscheidungsbefugte Polizei1125 den Geiselnehmer, weil nach ihrer Auffassung nur so das Leben der Geisel gerettet 1123
Möstl, Garantie, S. 153; Gärditz, Strafprozeß, S. 17 und 43. Schenke, in: FS Knemeyer, S. 383 (394 Fn. 28); Schmidbauer/Holzner, BayPSR, Rn. 1342 und 2024. 1125 Die gemeinsamen Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/senatoren des Bundes und der Länder über die Anwendung unmittelbaren Zwanges durch Polizeibeamte auf Anordnung des Staatsanwalts sehen vor, dass im Einzelfall abzuwägen ist, ob Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung den Vorrang verdient und dass im Zweifelsfall die Polizei entscheidet; abgedr. RiStBV, Anlage A. 1124
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
werden kann, ist es nicht mehr möglich, ein Strafverfahren gegen den Geiselnehmer durchzuführen, ein Ergebnis wie es auch bei anderen Delikten mit dem Tod des Angeschuldigten oder Angeklagten eintreten kann. Lässt die Polizei den Geiselnehmer mit der Geisel abziehen, weil der Zugriff vor Ort für die Geisel zu gefährlich wäre und die Polizei das Risiko des Abzugs des inzwischen identifizierten Geiselnehmers für vertretbar hält und darauf vertraut, ihn später festnehmen zu können, so kann der staatliche Strafanspruch allenfalls dann untergehen, wenn die spätere Festnahme nicht gelingt. Schließlich führen auch polizeiliche Vorrangentscheidungen zu Gunsten der Gefahrenabwehr bei Straftaten – Vermummung und Landfriedensbruch – im Zusammenhang mit Demonstrationen regelmäßig nicht dazu, dass die Polizei ihrer Strafverfolgungspflicht nicht nachkommen kann. Wenn sie bei einer mit Blick auf die Gesamtlage überwiegend friedlichen Demonstration mit einer als gewalttätig einzustufenden Gruppe vermummter Autonomer in der Menge konfrontiert wird, steht der verantwortliche Polizeiführer vor der Entscheidung, zum Zwecke der Strafverfolgung mit Spezialkräften gegen die Vermummten mittels Festnahme und Identitätsfeststellung vorzugehen, um den Preis, aus der bis dahin friedlichen Demonstration eine unfriedliche zu machen, weil beim Einsatz von Spezialkräften unvermeidbar auch nicht vermummte Demonstrationsteilnehmer in Mitleidenschaft gezogen werden, wodurch Solidarisierungseffekte zu Gunsten der Vermummten und gegen die eingesetzten Kräfte ausgelöst werden, oder auf den Einsatz zu verzichten, um den Preis, dass der Strafverfolgungsauftrag möglicherweise nicht hinreichend erfüllt wird. In einer solchen Situation sollte nicht vorschnell von einer Aufgabenkollision gesprochen werden. Zunächst muss geklärt werden, was eine Kollision ist, ob sie erst vorliegt, wenn die nicht bevorrangte Aufgabe überhaupt nicht mehr erfüllt werden kann oder schon dann, wenn ihre Wahrnehmung wesentlich erschwert wird. Wenn man schon eine wesentliche Erschwerung für ausreichend hält, bleibt gleichwohl immer noch die Frage, ob wirklich eine Kollision der Aufgaben vorliegt. Die Polizei wird in solchen Lagen von vornherein auch zur Strafverfolgung tätig, indem sie die Vermummten videografiert und insoweit potenzielle Beweismittel sichert. Der Zugriff auf die Personen kann unter günstigeren Begleitumständen beim Verlassen des Demonstrationsortes erfolgen; auch wenn ein Teil der Vermummten die Vermummungsgegenstände nicht mehr bei sich führt, ist eine Identifizierung durch das Videomaterial und weitere Beobachtungen der zur Beweissicherung eingesetzten begleitenden Spezialkräfte möglich. Die Beispiele belegen, dass eine Aufgabenkollision, bei der die Aufgabe der Strafverfolgung gar nicht oder in wesentlichen Teilen nicht wahrgenommen werden kann, sehr selten sein dürfte. Im Überschneidungsbereich kann daher auch bei einer möglichen Kollision der beiden Aufgaben die Strafverfolgung zumindest zeitlich versetzt oder sogar neben der Gefahrenabwehr erfolgen. Ein einstweiliger Vorrang der Gefahrenabwehr stellt sicher, dass die Polizei immer zur Erfüllung dieser Aufgabe eine vom Polizeirecht festgelegte Maßnahme treffen kann, ohne dass der Auftrag der Strafverfolgung deshalb unerfüllt bleiben müsste. Die Einstweiligkeit
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des Vorrangs der Gefahrenabwehr macht ihn von den vertretenen Vorrangtheorien unabhängig, ohne deshalb auf eine dogmatische Rechtfertigung zu verzichten, die darin liegt, dass Gefahrenabwehr im Gegensatz zur Strafverfolgung in aller Regel nicht nachgeholt werden kann. (3) Gebot eindeutiger Zuordnung der staatlichen Aufgaben und Befugnisse Es bleibt in einem zweiten Schritt zu prüfen ob verfassungsrechtliche oder einfachgesetzliche Vorgaben zu einem Zuordnungsgebot führen, das der Polizei aufgibt, den Zweck der beabsichtigten Maßnahme festzulegen, bevor sie getroffen wird. (a) Vorgaben Aufgabenzuweisungen mit der immanenten Entscheidung über die zur Anwendung kommenden Befugnisse berühren die streng alternative Kompetenzverteilung des Grundgesetzes auf Bund und Länder1126 und damit insgesamt das Verfassungsgefüge, weil die Regeln über die Kompetenzverteilung in den Art. 30 ff., 70 ff. und 83 ff. GG in einem untrennbaren konzeptionellen Zusammenhang mit der demokratischen Rechtsstaatlichkeit des Grundgesetzes stehen.1127 Das Demokratieprinzip fordert eine hinreichend klare Zuordnung von Verantwortlichkeiten, damit der Wähler weiß, wen er wofür – nicht zuletzt durch Vergabe oder Entzug seiner Stimme – verantwortlich machen kann. Daran fehlt es, wenn die Aufgaben durch Organe oder Amtswalter unter Bedingungen wahrgenommen werden, die eine solche Verantwortungszuordnung nicht ermöglichen.“1128 Auch das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG fordert eine „klare und auf Vollständigkeit angelegte Zuordnung von Kompetenzen der handelnden Staatsorgane.“1129 Demzufolge sind die Bestimmungen über die Verteilung der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nicht nur kleinteilige Zuständigkeitsregelungen, sondern das Fundament der demokratischen Rechtsstaatlichkeit des Grundgesetzes.1130 Wenn der Gesetzgeber in Ausübung seiner Kompetenzen bestimmten Verwaltungssubjekten Aufgaben und Befugnisse zuweist, muss er das nach dem Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes auf der Grundlage eines Spezialgesetzes tun.1131 (b) Folgerungen Aus diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben ergibt sich die Notwendigkeit einer eindeutig voneinander abgegrenzten Zuordnung der Aufgaben des Staates, die dafür 1126
Dreier, JZ 1987, 1009 (1016). Kingreen/Schönberger, NVwZ 2018, 1825. 1128 BVerfGE 137, 108 (144). 1129 BVerfGE 137, 108 (144). 1130 Kingreen/Schönberger, NVwZ 2018, 1825 (1826); Berger, Ordnung, S. 59, 94 und 101; Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 20 IV 4d; Oebbecke, in: FS für Stree und Wessels, S. 1120 (1127 f.). 1131 Schlink, Amtshilfe, S. 149. 1127
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
sorgt, dass der jeweilige Aufgabenbereich eines staatlichen Rechtssubjekts klar von dem anderer Aufgabenträger abgegrenzt ist.1132 Eine parallele Aufgabenwahrnehmung stellt eine Durchbrechung dieser Aufgabenordnung dar, weil sie mit dem jeder Angabe immanenten Ausschließlichkeitsanspruch unvereinbar ist und deshalb nur im Ausnahmefall gerechtfertigt werden kann; der Gesetzgeber ist in der Pflicht, verschiedene Aufgabennormen in einer grundsätzlich trennscharfen Aufgabenordnung aufeinander abzustimmen und Abweichungen und Durchbrechungen des Ordnungsmodells in einem Aufgabenzuweisungsgesetz kenntlich zu machen; parallele oder gemischte Aufgabentatbestände müssen deshalb als Abweichungen von der grundsätzlich ausschließlichen Zuordnung an einen Aufgabenträger ausdrücklich und punktgenau erfolgen.1133 Ist das nicht möglich, kann eine spätere Zuordnung durch die Exekutive nur dann zulässig sein, wenn sie auf der Grundlage der verfassungsrechtlichen Zuordnungsvorgaben erfolgt, die der Gesetzgeber zu beachten gehabt hätte, wenn er die Zuordnung hätte vornehmen können. b) Nachträgliche Zweckkonkretisierung durch die Polizei Ist davon auszugehen, dass eine klare Zuordnung der Aufgaben Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Überschneidungsbereich der Aufgabenzuweisung durch zwei Gesetzgeber nach dem Modell der eindeutigen Aufgabenzuordnung nicht stattgefunden hat, ist zu klären, ob eine nachträgliche Zuordnung durch eine polizeiliche Maßnahme erfolgen kann, die deren auf die Wahrnehmung einer Aufgabe ausgerichteten Zweck vorher festlegt. aa) Zulässigkeit und Grenzen Wenn die Exekutive im Ausnahmefall eine unklare Aufgabenzuordnung im Nachhinein reparieren darf, kann sie das nur in dem Rahmen tun, der auch dem Gesetzgeber zur Verfügung gestanden hätte. Dieser hätte die Zuordnung auf der Grundlage der verfassungsrechtlichen Vorgaben vornehmen müssen und wäre daran gehindert gewesen, durch Gesetz beliebige Zweckwechsel bei der polizeilichen Aufgabenwahrnehmung zuzulassen, sondern hätte Zweckänderungen nur unter einschränkenden gesetzlichen Voraussetzungen möglich machen können.1134 Es wäre mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung unvereinbar, wenn die Polizei nicht an diese Vorgaben gebunden wäre und im Rahmen einer vom Gesetzgeber unklar gelassenen Aufgabenwahrnehmung erst einmal unter Opportunitäts- und Effektivitätsgesichtspunkten getroffene Maßnahmen durchsetzen und sich im Nachhinein die passende Befugnisnorm dafür aussuchen könnte. Insoweit besteht das Zuordnungsgebot nicht nur bei der Einräumung von Aufgaben, sondern auch bei Ein1132 1133 1134
Berger, Ordnung, S. 13; Gusy, VVDStRL 63 (2003), S. 151 (184). Berger, Ordnung, S. 15, 112 ff. und 125 ff. BVerfGE 141, 220 (328 ff.); Kingreen/Poscher, POR, § 14 Rn. 13 ff.
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räumung von Befugnissen.1135 Deshalb sind bei Aufgabenüberschneidungen weder die Aufgabe noch die zu ihrer Wahrnehmung eingesetzten Befugnisse für die Polizei disponibel, mit der Folge, dass ein diesbezügliches Wahlrecht entgegen Schenke1136, der ein zunächst zweckoffenes Handeln der Polizei für zulässig hält, ausgeschlossen ist. Die Polizei könnte sonst ihre Aufgabenerledigung im Überschneidungsbereich von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung nach eigenen Vorstellungen selber steuern und wäre damit dem an verfassungsrechtliche Vorgaben gebundenen Gesetzgeber überlegen, hätte also als Stellvertreter des Gesetzgebers größere Gestaltungsmacht als dieser. bb) Vorgaben (1) Gebot der Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung Jedes polizeiliche Handeln unterliegt dem Gebot trennscharfer Aufgabenzuordnung, weil Gefahrenabwehr und Strafverfolgung unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen müssen und deshalb einem jeweils spezifischen Rechtsregime unterworfen sind.1137 Auch wenn oft ein enger Zusammenhang zwischen den beiden Aufgaben besteht und obwohl das Polizeirecht und das Strafprozessrecht vergleichbare, ja fast austauschbar anmutende Befugnisnormen für polizeiliche Maßnahmen bereitstellen,1138 erfordert die für das deutsche Recht typische Trennung von Polizei-, Straf- und Strafverfahrensrecht zwingend, polizeiliches Handeln trennscharf entweder dem Recht der Gefahrenabwehr oder dem Recht der Strafverfolgung zuzuordnen; diese von der grundgesetzlichen Kompetenzordnung geforderte Unterscheidung ist rechtsstaatlich begründet, weil es die unterschiedlichen Entscheidungssituationen der beiden Aufgaben erforderlich machen, die jeweiligen Befugnisnormen der Polizeigesetze und der Strafprozessordnung an unterschiedliche tatbestandliche Voraussetzungen und prozedurale Vorkehrungen zu binden.1139 Streng alternativ ist auch die Kompetenzordnung des Grundgesetzes, die das Polizeirecht zur Sache der Länder und das Strafprozessrecht zur Sache des Bundes macht.1140 Bei der polizeilichen Aufgabenwahrnehmung sind auch unterschiedliche Maßnahmeadressaten betroffen, im Polizeirecht der die Gefahr verursachende Handlungsstörer, der Zustandsstörer oder der im polizeilichen Notstand in Anspruch genommene Nichtstörer und im Strafprozessrecht der schuldhaft handelnde Beschuldigte, Angeschuldigte oder Angeklagte. Gefahrenabwehr und Strafverfolgung sind verschiedenen verfahrensleitenden Grundsätzen verpflichtet, 1135 1136 1137 1138
(341). 1139 1140
Schlink, Die Amtshilfe, S. 149. Schenke, POR, Rn. 423; ders., NJW 2011, 2838 (2842). Möstl, BeckOK PSR Bayern, Vorbem. Rn. 60 f.; ders., Garantie, S. 157 f. Möstl, BeckOK PSR Bayern, Vorbem. Rn. 60; auch schon Emmerig, DVBl 1958, 338 Möstl, BeckOK PSR Bayern, Vorbem. Rn. 61. Dreier, JZ 1987, 1009 (1015).
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das Polizeirecht dem Opportunitätsprinzip, das Strafprozessrecht dem Legalitätsprinzip. Unterschiedlich ausgestaltet sind auch die jeweilige Eilzuständigkeit, die Haftungs- und Kostenregelungen sowie die Ausgestaltung der Rechtswege und ihrer Klagemöglichkeiten. Bei der Frage des einzuschlagenden Rechtswegs ist zu berücksichtigen, dass es beim Rechtsschutz nicht nur um eine formale Abgrenzungsproblematik geht, sondern zugleich über seine Güte entschieden wird, weil dieser im Hinblick auf strafprozessuale Maßnahmen nach wie vor defizitär ausgestaltet ist und die unübersichtliche Rechtswegzuweisung nach dem EGGVG und der Strafprozessordnung dringend reformbedürftig ist bzw. verfassungsgerichtlicher Korrektur bedarf.1141 Die Verwendung rechtswidrig erlangter Daten bzw. unter Verstoß gegen bestehende Beweisregeln gewonnene potenzielle Beweise sind unterschiedlich zu beurteilen; das auf den unmittelbaren Schutz von Rechtsgütern, insbesondere Leib und Leben verpflichtete Polizeirecht folgt dem Grundsatz effektiver Gefahrenabwehr und das jeweilige Gefahrenabwehrverfahren hat einen tatsächlichen Abschluss im Ge- und Misslingen der Gefahrenabwehr, ohne dass sich die Frage nach einem Verschulden des Gefahrverursachers stellt; anders das Strafund Strafverfahrensrecht, wo es um die Verurteilung zu hohen Freiheits- oder Geldstrafen geht; insoweit unterscheiden sich die Anforderungen an die Zulässigkeit der Verwendung rechtswidrig erlangter Daten bzw. potenzieller Beweismittel. Weil es im Polizeirecht nicht um Schuld, sondern um effektive Gefahrenabwehr geht, gibt es im Polizeirecht auch keine Unschuldsvermutung und Selbstbelastungsfreiheit. Schließlich gilt das jeweilige Landesverwaltungsverfahrensgesetz nur im Polizeirecht. Die gebotene Trennung kann nicht erst auf der Maßnahmenebene erfolgen, sondern muss schon auf der Aufgabenebene vollzogen werden1142, weil die einschlägige Befugnisnorm von der zu verfolgenden Aufgabe abhängt. Wird die Trennlinie auf der Aufgabenebene gezogen und ergibt sich daraus der Vorrang einer Aufgabe, kann es bei einer Aufgabenüberschneidung keine doppelfunktionale Maßnahme mehr geben. (2) Zweckbindungsgebot Das aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung abgeleitete und datenschutzrechtlich konkretisierte Gebot der Zweckbindung verlangt, dass der Zweck der Datenerhebung für die anderen Phasen der Datenverarbeitung bindend ist.1143 Das Bundesverfassungsgericht verlangt zur Stärkung der freiheitswahrenden Funktion der informationellen Zweckbindung, dass das Erfordernis der bereichsspezifischen und präzisen Bestimmung des Verwen-
1141
Schoch, in: FS für Stree und Wessels, S. 1114 f. So aber BGHSt 62, 123 (130 f.); Rieger, Abgrenzung, S. 1. 1143 BVerfGE 65, 1 (46); 141, 220 (328 ff.); Kingreen/Poscher, POR, § 14 Rn. 12 ff.; Denninger, HdBPR, B. 38 ff.; Schwabenbauer, HdBPR, G. Rn. 12 ff. 1142
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dungszwecks einer Eingriffsnorm an den Grundsätzen der Bestimmtheit und Klarheit von Rechtsnormen gemessen werden muss.1144 Wenn der Polizei die Möglichkeit eröffnet wäre, im Überschneidungsbereich von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung den maßgeblichen Maßnahmenzweck selber festzulegen und damit auch über Zweckwechsel zu entscheiden, würde das die gesetzlichen Zweckänderungsvorschriften leerlaufen lassen und dem Zweckbindungsgebot seine Schutzfunktion nehmen. (3) Bestimmtheitsgebot Das im Rechtsstaatsprinzip aufgehobene Gebot der Bestimmtheit von Rechtsnormen1145 ist auch an die Exekutive gerichtet. Verwendet der Gesetzgeber unbestimmte Rechtsbegriffe, besteht für den Rechtsanwender ein Präzisierungsgebot,1146 das ihn verpflichtet, das Gesetz nach dem erkennbaren oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers zu konkretisieren, aber nicht zu korrigieren. Das Gebot der Bestimmtheit von Rechtsnormen wird in § 37 Abs. 1 VwVfG konkretisiert; der das Gesetz umsetzende Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein, also so klar formuliert sein, dass der Betroffene eindeutig erkennen kann, was die Behörde von ihm fordert.1147 Das setzt voraus, dass die Behörde selber eine zweifelsfreie Entscheidung getroffen hat.1148 Bei polizeilichen Maßnahmen mit Verfügungscharakter im Überschneidungsbereich von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung muss also zwingend der mit der Maßnahme verfolgte Zweck als Verwaltungsinternum offen- und festgelegt werden, bevor die Maßnahme ergeht.1149 c) Fazit Wenn die Polizei im Überschneidungsbereich von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung auf der Grundlage des Zuordnungsgebots die Gefahrenabwehr als einstweilig vorrangig zu erfüllende Aufgabe hat und damit zugleich ausschließlich eine polizeigesetzliche Befugnisnorm als Rechtsgrundlage der beabsichtigten Maßnahme in Betracht kommt, kann diese keine doppelfunktionale im Sinne der Lehre von den doppelfunktionalen Maßnahmen sein. Damit fehlt auch den Theorien von der kumulativen und parallelen Anwendbarkeit der Befugnisnormen des Polizeiund Strafprozessrechts die „dogmatische“ Grundlage; sie verstoßen vielmehr gegen das verfassungsrechtliche Gebot, die Verantwortung für die Wahrnehmung der 1144
BVerfGE 118, 168 (187); BVerfGE 141, 220 (328 ff.). BVerfGE 49, 168 (181); 141, 220 (328 ff.); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 82 ff. 1146 BVerwGE 126, 170 (199). 1147 BVerwGE 131, 259 (263 ff.). 1148 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 52. 1149 Ahlers, Grenzbereich, S. 88; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht, § 50 II d) 1; Bull, DVR 1982, 1 (3 und 15). 1145
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Aufgaben Gefahrenabwehr und Strafverfolgung eindeutig und spannungsfrei zu regeln. Die Rechtsfiguren Gemengelage und doppelfunktionale Maßnahmen sind entbehrlich, weil eine an der Verfassung orientierte Polizeipraxis ohne sie auskommt.
D. Abgrenzungen I. Polizei und Staatsanwaltschaft Überwiegend wird die Staatsanwaltschaft wegen ihrer Zugehörigkeit zum Justizressort als Rechtspflege eingestuft, gehört aber in staatsorganisationsrechtlicher Sicht zur Exekutive.1150 Sie steht indes in einer Zwitterstellung zwischen Exekutive und Judikative1151 und entzieht sich einer eindeutigen Einordnung und Bewertung nach Gewaltenteilungskriterien; einerseits dienen strafrechtliche Ermittlungen der Vorbereitung von Entscheidungen der Strafjustiz, andererseits benötigen diese zwingend obrigkeitlicher Verwaltung gemäße Arbeitsmethoden.1152 Die dem Legalitätsprinzip unterliegenden Staatsanwaltschaften haben gemäß § 152 Abs. 2 StPO die Pflicht zum Tätigwerden, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine verfolgbare strafbare Handlung begangen wurde. Ihre Ermittlungen bereiten die Entscheidungen der Strafgerichte vor und setzt sie damit in den Stand, mit schuldangemessener Bestrafung vorwerfbarer Rechtsverletzungen das Schuldprinzip zu verwirklichen.1153 Straf- und Strafverfahrensrecht und mit ihnen die Staatsanwaltschaften haben insoweit einen wichtigen Platz im System staatlichen Rechtsgüterschutzes, der ohne die generalpräventive Wirkung des Strafrechts schwerlich auskommen kann.1154 Das führt aber nicht dazu, dass das Strafrecht und das seiner Realisierung dienende Recht der Strafverfolgung als Kriminalitätsbekämpfungsrecht eine Sicherheitsgewährleistungsfunktion zu erfüllen hätten.1155 Die Staatsanwaltschaft hat gemäß § 158 StPO Strafanzeigen und Strafanträge entgegenzunehmen, sie leitet die Ermittlungen und entscheidet nach deren Abschluss über deren Einstellung oder die Anklageerhebung. Im letzteren Fall vertritt sie die Anklage im Zwischen- und Hauptverfahren und ist nach Rechtskraft des Urteils Vollstreckungsbehörde. Schwerpunkt der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit ist das Ermittlungsverfahren. Mit der Einstellung bzw. der Anklageerhebung entscheidet 1150
BVerfGE 103, 142 (156); Möstl, Garantie, S. 385; Rachor/Roggan, HdBPR, C. Rn. 119. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 9 Rn. 10; Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, § 5 Rn. 88. 1152 Möstl, Garantie, S. 385. 1153 BVerfGE 140, 317 (343 ff.); Landau, EuGRZ 2016, 505 (509 ff.); Möstl, HStR VIII, § 179 Rn. 1. 1154 Möstl, Garantie, S. 387. 1155 Gärditz, Strafprozeß, S. 10 f.; Möstl, Garantie, S. 388; Kniesel, DP 2018, 265. 1151
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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sie, was die Strafgerichte entscheiden können. Damit hat sie die Funktion eines „Gerichts“ vor den Gerichten übernommen, wenn sie die Masse der Ermittlungsverfahren mittels Einstellung nach § 153a StPO gegen Zahlung von Geldbeträgen einstellt, die einer Bestrafung in Form der Verhängung von Geldstrafen entsprechen. 1. Organisation a) Staatsanwaltschaften der Länder Dem Grundsatz des § 141 GVG folgend besteht bei jedem Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit eine Staatsanwaltschaft. Das sind die Staatsanwaltschaften bei den Landgerichten und durch sie vermittelt bei den ihnen zugeordneten Amtsgerichten, die Generalstaatsanwaltschaften bei den Oberlandesgerichten und die Bundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof. Gemäß § 143 Abs. 4 GVG können durch ministeriellen Erlass zur Verfolgung bestimmter Straftaten bezirksübergreifende Zuständigkeiten geschaffen werden, wenn es für eine sachdienliche Förderung oder schnellere Erledigung der Verfahren erforderlich ist. Solche Schwerpunktstaatsanwaltschaften bestehen in den Bereichen Wirtschaftskriminalität und Korruption sowie Computer- und Internetkriminalität.1156 Oberste Landesbehörde für die Staatsanwaltschaft ist der Justizminister oder -senator, die mittlere Ebene bilden die Generalstaatsanwaltschaften und die untere die von einem Leitenden Oberstaatsanwalt geführten Staatsanwaltschaften bei den Landgerichten. b) Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof Der GBA ist für die Verfolgung schwerwiegender Straftaten auf dem Gebiet der inneren und äußeren Sicherheit zuständig. Ihm sind Bundesanwälte sowie Oberstaatsanwälte oder Staatsanwälte beim Bundesgerichtshof zugewiesen. Ermittlungspersonen stellt das Bundeskriminalamt. Diese Staatsanwaltschaft des Bundes hat keinen Unterbau, kann aber im Fall besonderer Bedeutung bei den Landesstaatsanwaltschaften geführte Ermittlungsverfahren gemäß §§ 74a Abs. 2, 120 Abs. 2, 142a GVG an sich ziehen. Ein Weisungsrecht des GBA gegenüber den Landesstaatsanwaltschaften besteht nicht, weil sie keine ihm nachgeordnete Behörden sind.
1156
Rachor/Roggan, HdBPR, C. Rn. 122.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
2. Verhältnis zur Polizei a) Polizei als Ermittlungsapparat Die Staatsanwaltschaft hat als „Kopf ohne Hände“1157 keine ausführenden Organe und bedarf deshalb der Unterstützung durch andere Amtsträger, die der Gesetzgeber dadurch ermöglicht hat, dass er ihr die Polizei als „verlängerten Arm“1158 für die Ermittlungen zur Verfügung stellt und mit den speziellen Regelungen der §§ 161 Abs. 1 S. 2, 163 Abs. 2 S. 1 und § 152 GVG dafür sorgt, dass dies besondere System der Zusammenarbeit zwischen zwei selbstständigen, verschiedenen Ressorts angehörenden Behörden funktioniert. Die Polizei wird ihr nicht organisatorisch unterstellt, sondern funktional zugeordnet, indem die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungspersonen im Sinn von § 152 Abs. 1 GVG auf der Grundlage des § 161 Abs. 1 S. 1 StPO zur Vornahme von Ermittlungen veranlassen kann. Die Behörden und Beamten der Polizei sind dann nach S. 2 verpflichtet, dem Ersuchen oder Auftrag der Staatsanwaltschaft nachzukommen. Mit einem Auftrag wendet sie sich an die mit besonderen Eingriffsbefugnissen ausgestatteten Ermittlungspersonen, mit Ersuchen an die übrigen Polizeibeamten. Über den Status als Ermittlungsperson entscheiden die Länder durch Rechtsverordnung. Diese gesetzgeberische Konzeption, die der Staatsanwaltschaft die Herrschaft über die Ermittlungstätigkeit zuweist und der Polizei nur das Recht des ersten Zugriffs zubilligt, ist von der Wirklichkeit überholt worden.1159 Von Kapitaldelikten, Wirtschaftsstrafsachen und Ermittlungsverfahren von besonderer Bedeutung für die Aufrechterhaltung des Rechtsbewusstseins der Bevölkerung abgesehen, liegt die Ermittlungstätigkeit in den Händen der Polizei; sie führt die Ermittlungen selbstständig und übersendet die ausermittelten Vorgänge an die Staatsanwaltschaft, die diese polizeilichen Ermittlungen nur durch allgemeine Weisungen anleiten kann. In Steuerstrafsachen agiert die nach § 404 AO als Ermittlungsorgan fungierende Steuerfahndung selbstständig. b) Übergewicht der Polizei durch Technik Bei der Polizei sind die Kriminaltechnik und die Datenverarbeitung zur Kriminalitätsbekämpfung angesiedelt. Die für die zunehmende Bedeutung des Sachbeweises maßgebliche Kriminaltechnik umfasst die erkennungsdienstlichen Maßnahmen, Spurenkunde mit DSN-Analysen als Identifizierungsmittel, Isotopenanalyse zur Identifizierung unbekannter Täter, Auswertung von Schreib- und Sprechproben zur Täterermittlung, DNA-Analysen bei Massenuntersuchungen, neue biometrische Verfahren zur Gesichts- und Iriserkennung und das Offender Profiling 1157 1158 1159
Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 9 Rn. 16. LR/Erb, StPO, § 161 Rn. 45. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 9 Rn. 16.
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als Erstellung sozio-psychologischer Täterportraits im Rahmen der operativen Fallanalyse zur Ermittlung unbekannter Täter. Die maßgeblichen Informationssysteme INPOL auf Bundesebene und die korrespondierenden Systeme der Länder befinden sich in der Hand der Polizei. Auf diese aus Präventiv- und Repressivdaten bestehenden Mischdateien haben die Staatsanwaltschaften keinen direkten Zugriff.1160 Als eigenes Datenverarbeitungssystem besteht das beim Bundesamt für Justiz geführte „Zentrale staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister“, das der Ermittlung von überörtlich agierenden Tätern und Mehrfachtätern dient, damit Doppelverfahren vermieden und Sammelverfahren frühzeitig gebildet werden können. Mit Hilfe des Informationssystem SISY können die Staatsanwaltschaften online auf das ZStV zugreifen. Daneben bestehen auf Länderebene noch weitere Auskunftssysteme wie MESTA (Mehrländer-Staatsanwaltschafts-Automation) oder SIJUS-Straf-StA.1161
II. Polizei und kommunale Behörden 1. Kommunen als Ordnungsbehörden a) Verhütung von Straftaten im Rahmen der allgemeinen Gefahrenabwehr aa) Entpolizeilichung der Gefahrenabwehr In den meisten Bundesländern sind die Ordnungs- bzw. Verwaltungsbehörden organisatorisch von der Polizei im institutionellen Sinn getrennt. Folge dieser nach dem 2. Weltkrieg von den britischen und amerikanischen Besatzungsmächten herbeigeführten Entpolizeilichung der Gefahrenabwehr ist, dass diese den Ordnungsbehörden als vom Land zugewiesene Aufgabe obliegt und die uniformierte Polizei nur in Eilfällen handelt. Sofern nicht besondere Ordnungsbehörden (Sonderordnungsbehörden) spezielle Aufgaben der Gefahrenabwehr wahrzunehmen haben, verbleibt die nicht in besonderen Ordnungsgesetzen geregelte allgemeine Gefahrenabwehr bei den allgemeinen Ordnungsbehörden und sie nehmen diese Aufgabe auf der Grundlage eines für Ordnungsbehörden und Polizei geltenden Sicherheitsund Ordnungsgesetzes oder eines nur für die Ordnungsbehörden geltenden Ordnungsbehördengesetzes wahr. Zur allgemeinen Gefahrenabwehr gehört auch die Verhinderung einer Straftat1162, die als konkrete Gefahr schon dann droht, wenn sie in ihren Umrissen bereits erkennbar ist, auch wenn sie sich strafrechtlich noch als straflose Vorbereitungshandlung darstellt. Soweit der Polizei die Verhütung von
1160 1161 1162
Krit. dazu Weßlau, in: SK-StPO, vor § 483 Rn. 4 ff. Singelnstein, in: MüKo/StPO, vor § 483 Rn. 3. B. II. 1. c) bb).
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Straftaten als vorbeugende Bekämpfung im Rahmen der Gefahrenabwehr zugewiesen wird, handelt es sich um eine Repolizeilichung der Gefahrenabwehr.1163 bb) Entwicklung in der Praxis Trotz der eindeutigen gesetzlichen Aufgabenzuweisung, nach der im Regelfall die Ordnungsbehörden und nur im Eilfall die Polizei zur Gefahrenabwehr berufen ist, hat diese Aufgabe in der Praxis der Ordnungsbehörden bis in die 1980er Jahre so gut wie keine Bedeutung gehabt. Man arbeitete die Vorgänge der Ordnungsverwaltung am Schreibtisch ab und überließ die Gefahrenabwehr vor Ort der Polizei. Man musste den Eindruck gewinnen, dass es außerhalb der Vorstellungswelt nicht nur von Bediensteten der Ordnungsämter, sondern auch Behördenleitungen, Kommunalpolitikern und Vertretern kommunaler Spitzenverbänden lag, dass Mitarbeiter der Ordnungsämter ihre Aufgabe der Gefahrenabwehr auf der Straße wahrnehmen könnten; ein Blick in das einschlägige Ordnungsbehördengesetz hätte das Gegenteil vor Augen geführt, verfügen doch die Bediensteten der Ordnungsämter für die Gefahrenabwehr vor Ort über ein üppiges Arsenal von Eingriffsbefugnissen – u. a. Befragung, Identitätsfeststellung, Platzverweisung, Ingewahrsamnahme, Durchsuchung von Personen und Sachen sowie Sicherstellung letzterer und Betreten und Durchsuchen von Wohnungen – und sind auch als Vollzugsdienstkräfte zur Anwendung unmittelbaren Zwangs befugt.1164 Als in den 1970er Jahren in den Städten Drogenszenen entstanden und auch andere als störend empfundene Verhaltensweisen wie aggressives Betteln, Pöbeleien, Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit, Graffitischmierereien, Vandalismus und Vermüllung zur Verwahrlosung ganzer Stadtviertel führten, wuchs der Druck auf die Polizei zu einem Einschreiten nach dem jeweiligen Polizeigesetz. Diese verwies auf die Verantwortung der Kommunen zur Gefahrenabwehr und ihre eigene Personalknappheit. Es kam daraufhin durch den Druck aus Geschäftswelt, Presse und Öffentlichkeit zu ersten gemeinsamen Aktionen von Polizei und Ordnungsbehörde in Form gemeinsamer Streifen von Polizeibeamten und uniformierten Bediensteten des Ordnungsamtes. Gleichzeitig versuchte die Landespolitik die kommunalen Verantwortungsträger durch Gesetzesänderungen zu zwingen, sich ihrer Aufgabe der allgemeinen Gefahrenabwehr zu stellen. So strich der nordrhein-westfälische Gesetzgeber im Jahr 1989 das Schutzgut der öffentlichen Ordnung aus der Generalklausel des Polizeigesetzes in der Erwartung, dass die kommunalen Verantwortungsträger dann ihrer Verpflichtung zur Gefahrenabwehr aus der ordnungsbehördlichen Generalklausel nachkommen müssten und es damit auch zur Entlastung der Polizei käme. Diese spielten den Ball aber zurück, indem sie in Rechtsverordnungen bußgeldbewehrte Ge- und Verbote bestimmter Verhaltensweisen im öffentlichen Raum schufen, die als zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit gehörig die Polizei doch wieder zum Einschreiten zwangen. 1163 1164
Kniesel/Braun/Keller, BPOR, Rn. 7 ff. S. etwa § 24 nwOBG und § 68 nwVwVG.
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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Das Thema Sicherheit und Ordnung in den Städten war seit Ende der 1980er Jahre zum beherrschenden Thema der Sicherheitspolitik geworden. Einflüsse aus den Vereinigten Staaten, insbesondere der Zero-Tolerance-Strategie der New Yorker Polizei1165 und die Broken windows-Theorie1166 trugen dazu bei. Verwahrlosung und mit ihr einhergehende Kriminalität führten zur Warnung vor dem Verlust des öffentlichen Raumes in einer Zeit „zunehmender Risikoerfahrung und Risikowahrnehmung, von der Auflösung von Erwartungssicherheit, von der Erosion rechtlicher und sozialer Normen, von Veränderungen der sozialen Kultur oder auch schlicht von einem Werte- und Sittenverfall, bei dem vor allem der Sinn für das Allgemeine auf der Strecke“ bleibe;1167 es ging um die „Rückeroberung der Allmende“.1168 Neben diesem politischen Druck war es auch Eigeninteresse, das die kommunalen Entscheidungsträger dazu veranlasste, sich der Aufgabe der Gestaltung von Sicherheit und Ordnung vor Ort zu stellen. In Zeiten knapper Kassen sind die Möglichkeiten zur Sicherung der Wiederwahl durch Gewährung von Leistungen an die Bürger beschränkt und deshalb lag es nahe, das Thema Sicherheit und Ordnung in Städten, Gemeinden und Kreisen als neues Politikfeld zu begreifen und zu gestalten. Im bevölkerungsreichsten Land Nordrhein-Westfalen wurde das seit 1994 besonders deutlich, nachdem mit dem Gesetz zur Änderung der Kommunalverfassung die sogenannte Doppelspitze vom Hauptverwaltungsbeamten (Oberstadtdirektor, Stadtdirektor oder Oberkreisdirektor) und nur ehrenamtlich tätigem Oberbürgermeister, Bürgermeister oder Landrat zu Gunsten der nunmehr zu wählenden politischen Leitung durch letztere abgeschafft wurde.1169 Sicherheit und Ordnung vor Ort sind seitdem Gegenstand der Kommunalpolitik geworden. In den kreisfreien, aber auch in den kreisangehörigen Städten ist ein Außendienst des Ordnungsamtes geschaffen worden, dessen uniformierte Mitarbeiter als Fußstreifen oder in blauweißen Streifenfahrzeugen mit der Aufschrift Ordnungsamt unterwegs sind. Ihre Überwachungstätigkeit beschränkt sich nicht nur auf die Überwachung des ruhenden Straßenverkehrs, sondern erstreckt sich gerade auch auf die kritischen Szenen und Milieus, die zur Verwahrlosung geführt hatten. cc) Verpolizeilichung der Ordnungsbehörde oder Weiterentwicklung der Entpolizeilichung der Gefahrenabwehr? Die aufgezeigte Entwicklung hat zwangsläufig zur Folge, dass die Leitbilder von der Polizei vor Ort und der Ordnungsbehörde als Gefahrenabwehrbehörde für den Innendienst am Schreibtisch nicht mehr stimmen. Nach Aufgaben, Befugnissen und 1165 1166 1167
217 ff. 1168 1169
S. dazu Volkmann, NVwZ 1999, 225 ff. Wilson/Kelling, KrimJ 28 (1996), 121 ff. Volkmann, NVwZ 2000, 361 ff.; s. auch Finger, DV 40 (2007), 105 ff.; Gusy, JZ 2009, Volkmann, NVwZ 2000, 361. Gesetz vom 6. 5. 1994, GV NRW, S. 270.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
äußerem Erscheinungsbild lassen sich Außendienste von Ordnungsämtern und erst recht „Stadtpolizeien“ kaum noch von der normalen Polizei unterscheiden. Auch die der Entpolizeilichung zugrunde liegende ausschließliche Kompetenz zur Anwendung unmittelbaren Zwanges an die Polizei ist entfallen, weil auch die Bediensteten von Außendiensten oder Stadtpolizeien als Vollzugsdienstkräfte mit dem Recht zur Anwendung unmittelbaren Zwanges ausgestattet sind.1170 Diese Entwicklung entspricht der Rechtslage, wonach primäre Aufgabenträger der Gefahrenabwehr die Ordnungsbehörden sind, und führt auch die Entpolizeilichung der Gefahrenabwehr folgerichtig zu Ende; sie als Verpolizeilichung der Ordnungsbehörde zu kennzeichnen1171 verkennt die Bedeutung des historischen Vorgangs der Entpolizeilichung. Problematisch sind allerdings gemeinsame Streifen von Ordnungsamt und Polizei, die sich in vielen Städten finden. Nach einer zugestandenen Übergangsphase hat die Polizei in ihnen keinen Platz mehr, weil ja mit der Anwesenheit der Mitarbeiter des Ordnungsamtes vor Ort keine polizeiliche Eilfallkompetenz mehr greifen kann. Im weiteren Verlauf dieser Entwicklung wäre es zulässig, dass eine Stadt, die über hinreichende finanzielle Mittel verfügt, in ihrem Zuständigkeitsbereich flächendeckend einen Streifendienst zur Überwachung des öffentlichen Raumes im Rahmen ihrer Aufgabe zur allgemeinen Gefahrenabwehr betreibt. dd) Mittelbarer Beitrag der allgemeinen und besonderen Ordnungsbehörden zur Kriminalitätsbekämpfung Die allgemeinen und besonderen Ordnungsbehörden werden am Schreibtisch zur Gefahrenabwehr tätig, wenn sie im Rahmen der Gewerbe-, Gaststätten-, Bau-, Gesundheits-, Ausländer- und Asyl-, Abfallverbringungs- und öffentlichen Vereinsaufsicht Ordnungsverfügungen in Gestalt des Verbots einer bestimmten Betätigung erlassen, was bei erlaubnisfreien Betätigungen von Bedeutung ist oder wenn sie bei erlaubnispflichtigen Betätigungen Erlaubnisse wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit versagen oder zurücknehmen. Der Einsatz dieser Instrumente kann im Rahmen konzertierter Aktionen von Polizei und anderen Sicherheitsbehörden zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität einen maßgeblichen Beitrag leisten.1172
1170
S. etwa § 68 nwVwVG. Tuchscherer, Stadtpolizei, S. 32 f.; zur Stadtpolizei auch Morhardt, JBÖS 2018/19, S. 413 ff. 1172 S. dazu 3. Teil, 3. Abschnitt, C. III. 3. b) bb). 1171
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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2. Kommunen als Selbstverwaltungsträger a) Bedarf an Sicherheit und Ordnung in der örtlichen Gemeinschaft Gemeinden, Städte und Kreise können sich zur Kriminalitätsbekämpfung auf Art. 28 Abs. 2 GG berufen, wenn die Kriminalität ihren Ursprung in der örtlichen Gemeinschaft oder auf der Kreisebene hat.1173 In Anbetracht von Verwahrlosung und der Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im öffentlichen Raum besteht auch ein Bedarf für die Gestaltung von Sicherheit und Ordnung, der in der Chiffre von der Rückeroberung der Allmende zum Ausdruck kommt.1174 b) Selbstverwaltungsangelegenheit Wenn die Kommunen sich dieser Aufgabe der Bekämpfung der örtlichen Kriminalität annehmen, ist ihre Tätigkeit im eigenen Wirkungskreis von der Wahrnehmung der vom Land als Auftragsangelegenheit oder Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung übertragenen Gefahrengefahr zu unterscheiden.1175 Unabhängig von dieser staatlichen Aufgabe geht es um die Selbstverwaltungsaufgabe, im Rahmen kommunaler Kriminalprävention Sicherheit und Ordnung vor Ort selber zu gewährleisten, indem mit sicherheitsvorsorgerischen Maßnahmen das kommunale Umfeld gestaltet wird. So wird die objektive Sicherheit gefördert, wenn Jugendliche von der Straße in Jugendtreffs mit Freizeitangeboten geholt werden und dort z. B. Kontakte zu Sportvereinen hergestellt werden, die gefährdeten Jugendlichen eine sportliche Perspektive bieten. Von maßgeblicher Bedeutung ist die kommunale Bauleitplanung, mit der verhindert werden kann, dass kriminalitätsbegünstigende bauliche Strukturen in Form von Wohnsilos und Mietkasernen ohne ausreichende Spielplätze und Sportanlagen entstehen.1176 Nach Ladenschluss ausgestorbene Innenstadtflächen erzeugen Tatgelegenheitsstrukturen, die durch ausgewogene Mischung von Geschäften und Wohnungen wiederbelebt werden können und so einer Ghettobildung in Problemstadtgebieten durch Veränderung der kommunalen Belegungspolitik zusätzlich begegnet werden kann. Die subjektive Sicherheit wird gefördert, wenn Bedrohtheitsgefühle der Bürger ernstgenommen werden. Statt etwa in den Städten aus Kostengründen die Beleuchtung abzuschalten, wäre das Gegenteil der richtige Weg. Nachts ausgeleuchtete Straßen und Plätze in den Innenstädten und Wohngebieten fördern nicht nur das Sicherheitsgefühl, sondern führen auch zum Rückgang der Kriminalität.1177 1173 Burgi, Kommunalrecht, § 6 Rn. 9; Lange, in: FS Götz, S. 437; Knemeyer, DVBl 2007, 785 (788); Finger, DV 40 (2007), 105 (121 f.); Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts, S. 237 ff.; Röhl, Kommunalrecht, Rn. 32. 1174 Volkmann, NVwZ 2000, 361. 1175 S. dazu näher Burgi, Kommunalrecht, § 6 Rn. 13 ff. und § 8 Rn. 6 ff.; Röhl, Kommunalrecht, Rn. 32. 1176 Schwind, Kriminologie, § 18 Rn. 45. 1177 Schwind, Kriminologie, § 18 Rn. 57.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Mit hoheitlichen Mitteln können die Kommunen gegen Verwahrlosungserscheinungen und Straftaten wie Nötigungen und Sachbeschädigungen vorgehen, indem sie in Benutzungssatzungen für öffentliche kommunale Einrichtungen – Schwimmbäder, Sportanlagen, Stadtparke – bußgeldbewehrte Ge- und Verbote festlegen und gegen Verstöße konsequent vorgehen.1178 In Bayern besteht für die Gemeinden die Möglichkeit, auf der Grundlage von Art. 83 Abs. 1 LV eine „örtliche Polizei“ unabhängig von der als Landespolizei bestehenden Gemeindepolizei einzuführen.1179
III. Polizei und Bundeswehr 1. Einsatz im Verteidigungsfall Aus Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG folgt die eigentliche Aufgabe der Bundeswehr, das Bundesgebiet gegen Angriffe von außen zu schützen. Verteidigung ist demnach die Abwehr eines von außerhalb der Landesgrenzen kommenden bewaffneten Angriffs.1180 Ob es sich bei einem solchen um einen Angriff eines Staates im Sinne des Völkerrechts handeln muss, oder ob ein terroristischer Anschlag wie der vom 11. 9. 2001 als Angriff gelten kann, ist umstritten.1181 Geht man davon aus, dass ein Einsatz der Bundeswehr als Verteidigung gegen einen Angriff nichtstaatlicher Akteure schon dann in Betracht kommt, wenn diese über eine militärähnliche Organisationsstruktur, hierarchische Steuerung und internationale Aktionsfähigkeit verfügen, könnte man einen terroristischen Anschlag auf deutschem Boden von der Dimension des Anschlags vom 11. 9. 2001 als Verteidigungsfall einstufen. 2. Einsatz im regionalen und überregionalen Notstand nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG Verneint man die Voraussetzungen des Verteidigungsfalls, kommt bei einem terroristischen Anschlag ein Einsatz der Bundeswehr nur zur Unterstützung der Polizei im Rahmen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG unter der Voraussetzung in Betracht, dass ein besonders schwerer Unglücksfall vorliegt1182, der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur bei Ereignissen von katastrophischer Dimension und in ungewöhnlichen Ausnahmesituationen bejaht werden kann.1183
1178 1179 1180 1181 1182 1183
Geis, Kommunalrecht, § 8 Rn. 28. Schwabenbauer, in: BeckOK PRS Bayern, Entwicklung und Strukturen, Rn. 58. Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn. 537 m.w.N. S. dazu 3. Abschnitt, B. I. 1. BVerfGE 132, 1 (9 f.). BVerfGE 132, 1 (17).
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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Autoren, die die westliche Welt im Krieg mit dem Terror sehen1184, vermitteln den Eindruck, als ob es ein realistisches Szenario sei, dass Kämpfer des islamischen Staates in Kompaniestärke in die Bundesrepublik einmarschieren. Schlink hat die Frage aufgeworfen, ob es unter Juristen ein Bedürfnis gibt, nicht immer nur die langweilige Normallage, sondern manchmal auch den aufregenden Ausnahmezustand zu denken und dabei die Freude zu spüren, endlich wieder einmal groß und schwer denken zu dürfen.1185 Was ist nun ein realistisches Szenario eines terroristischen Angriffs, für dessen Bewältigung die Bundeswehr gebraucht wird? Wegen der Professionalität der mit der Terrorismusbekämpfung betrauten Polizeibehörden in Bund und Ländern konnten bislang Anschläge mit sehr hohen Opferzahlen verhütet bzw. verhindert werden, weil die Täter dafür wegen des hohen Vorbereitungsaufwands aus der Deckung kommen müssen und ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten. Möglich sind aber Anschläge mit geringerem Vorbereitungsaufwand und relativ einfach zu beschaffenden Tatmitteln. Das soll an folgendem Szenario belegt werden. Zehn aus Syrien im Rahmen der Flüchtlingsströme in die Bundesrepublik eingereiste Terroristen haben in Köln ein Kino gestürmt, in dem ein islamkritischer Film gezeigt wird. Sie haben beide Ausgänge besetzt, eine Internetschaltung installiert und drohen vor den Augen der hundert Kinobesucher und der zugeschalteten Öffentlichkeit alle 10 Minuten einen Kinobesucher mit Messern zu töten und bei einer Stürmung des Kinos Handgranaten zu werfen. Es handelt sich bei einer solchen Lage weder um einen Verteidigungsfall noch um einen besonders schweren Unglücksfall von katastrophischem Ausmaß. Fälle von massenhafter Geiselnahme in Moskau und Beslan haben auch nicht gezeigt, dass das Militär mit seinen Mitteln und Möglichkeiten zur Bewältigung solcher Lagen besser geeignet wäre als die Polizei. Die bei den Länderpolizeien vorgehaltenen Sondereinsatzkommandos (SEK) und die bei der Bundespolizei bestehende Sondereinheit GSG 9 sind imstande, die geschilderte Lage zeitnah mit den in den Polizeigesetzen zugelassenen Waffen und Hilfsmitteln zu bewältigen und möglichst viele Geiseln zu retten. Der nicht gegen die Geiseln als Personen in einer Menschenmenge, sondern gegen die Terroristen gerichtete Schusswaffengebrauch nach Maßgabe des nordrhein-westfälischen Polizeigesetzes wäre auch dann zulässig, wenn bei der Stürmung des Kinos durch das eingesetzte SEK unvermeidbar auch Geiseln getötet oder verletzt würden, weil ihr Leben und ihre Gesundheit nicht bewusst zu Gunsten der befreiten Geiseln geopfert würden; aufgrund der durch die Terroristen geschaffenen Situation ist es nur nicht auszuschließen, dass bei der Stürmung des Kinos in einer Überraschungsaktion, nachdem bereits drei Kinobesucher von den Terroristen getötet wurden, auch unbeabsichtigt Geiseln getroffen werden. Wird bei einer solchen Lage Betäubungsgas eingesetzt, wie es im Jahr 2002 in Moskau der Fall war, als tschetschenische Terroristen ein Theater gestürmt hatten und 900 Personen als 1184 1185
S. E. II. 2. b), c), d). Schlink, Vergewisserungen, S. 175.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Geiseln nahmen und bei der Rettungsaktion 125 Geiseln ums Leben kamen, so ist das nicht grundsätzlich unzulässig. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat allerdings zur Voraussetzung gemacht, dass Operationen von Sicherheitskräften unter Einsatz von Gewalt vom staatlichen Recht zugelassen sein und mit angemessenen und wirksamen Garantien gegen Willkür und Missbrauch vorgenommen werden müssen; zusätzlich muss sichergestellt sein, dass die Anwendung lebensgefährdender Gewalt und der Verlust menschlichen Lebens so gering wie möglich gehalten wird; die Entscheidung der russischen Behörden, das Theater zu stürmen und dabei Gas einzusetzen hat der Gerichtshof für rechtmäßig erachtet, die Durchführung der Befreiungsaktion aber wegen unprofessioneller Vorbereitung für rechtswidrig gehalten.1186 3. Einsatz zur Kriminalitätsbekämpfung im Cyberraum Durch Beschluss der Bundesregierung wurde die Kriminalitätsbekämpfung im Cyberraum zur Aufgabe der Bundeswehr gemacht und am 5. 4. 2017 das Kommando Cyber- und Organisationsraum der Bundeswehr in Bonn in Dienst gestellt1187, das bis 2021 eine Stärke von 13.500 Soldaten und 1.500 zivilen Mitarbeitern haben soll.1188 Wie die Kriminalitätsbekämpfung im Cyberraum durch diese vierte Waffengattung von den „normalen“ präventiven und repressiven Aktivitäten zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung durch Polizei bzw. Staatsanwaltschaft abgegrenzt werden soll, blieb offen. Die Zulässigkeit der Bekämpfung der Cyberkriminalität wurde auch nicht davon abhängig gemacht, dass ein Cyberangriff von der Dimension wäre, dass er mit einem bewaffneten Angriff auf die Bundesrepublik gleichgestellt werden könnte.1189 Die Bundesregierung hat sich einfach dieser neuen Aufgabe bemächtigt und dabei die Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit aufgegeben; diese verkümmert zum verfassungsrechtlichen Hygienefaktor1190 und gilt nicht mehr als zivilisatorische Errungenschaft.1191
IV. Polizei und Nachrichtendienste 1. Nachrichtendienste im Wandel Die Nachrichtendienste und ihr Recht befinden sich in einem grundlegenden Wandlungsprozess, der den Gesetzgeber fordert, auf Entwicklungen, Herausforde1186
EGMR, NJOZ 2013, 137 ff. BMVg Presse- und Informationsstab, Presseerklärung vom 6. 4. 2017. 1188 Spiegel Online vom 5. 4. 2017. 1189 Marxsen, JZ 2017, 543 (545 f.); Heumann, Vorgänge 2017, 55 ff.; Arnauld, Völkerrecht, Rn. 1078. 1190 Lorse, DV 37 (2005), 471 (472). 1191 So aber Di Fabio, NJW 2008, 421 (423); Gusy, VerwArch 101 (2010), 309 (326). 1187
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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rungen und Geschehnisse zu reagieren und die Fragen nach der Notwendigkeit von Nachrichtendiensten und dem Umfang ihrer Aufgaben und Befugnisse zu beantworten. In diesem Zusammenhang sind von maßgeblicher Bedeutung der Annäherungsprozess zwischen Polizei- und Verfassungsschutz hinsichtlich Aufgaben und Befugnissen einschließlich der Frage nach dem funktionalen Unterschied ihrer Aufgaben, der technologische Wandel durch die Digitalisierung der Kommunikation und der damit einhergehenden Überwachungsmöglichkeiten, die Gefährdung durch den internationalen Terrorismus, das Versagen der Verfassungsschutzbehörden und der Polizei bei der Verhinderung und Aufklärung der Mordserie durch die Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) und die im Rahmen der durch Snowden bekannt gewordene Dimension der weltweiten Überwachung der Telekommunikation und des Internets durch die National Security Agency (NSA) der USA. Nachrichten- oder Geheimdienste1192 sind die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, das Amt für den militärischen Abschirmdienst und der Bundesnachrichtendienst. Allen drei Institutionen ist die Aufgabe eigen, den zuständigen politischen Entscheidungsträgern die für die Beurteilung der jeweiligen Sicherheitslage notwendigen Informationen zu liefern. Im Nachrichtendienstrecht hat das Bundesverfassungsschutzgesetz eine Leitfunktion inne, was sich darin zeigt, dass die Eingriffsermächtigungen der anderen Fachgesetze überwiegend auf die des BVerfSchG verweisen (§§ 4 Abs. 1 Satz 1, 8, 18 Abs. 3 MADG; §§ 3 Abs. 1 Satz 1, 5, 19 ff. BNDG). Nach den Erkenntnissen aus den Untersuchungsausschüssen zur NSU-Mordserie und zu den Überwachungspraktiken der NSA hat sich herausgestellt, dass das zentrale Problem des Nachrichtendienstrechts die Kontrolle der Nachrichtendienste ist. 2. Unterschiede in der Arbeitsweise Die Arbeitsweise von Verfassungsschutz und Polizei werden wie folgt unterschieden: Ersterer arbeitet grundsätzlich verdeckt und im Vorfeld der konkreten Gefahr und ist dabei auf die Beobachtung und Aufklärung mit dem Ziel politischer Information und Beratung beschränkt,1193 während letztere grundsätzlich – auch beim Umgang mit Daten – offen arbeitet, bei der Wahrnehmung der Aufgabe zur Gefahrenabwehr mit Eingriffsbefugnissen gegenüber dem Bürger einen konkreten Anlass in Form einer Gefahr oder eines Tatverdachts benötigt und in einer operativen Verantwortung steht.1194 Unterscheidungskriterien sind demnach offenes oder verdecktes Vorgehen, Betätigung im Vorfeld der konkreten oder erst bei konkreter 1192
Rachor/Roggan, HdBPR, C. Rn. 99. BVerfGE 133, 277 (326); Unterreitmeier, BayVBl 2017, 217 (225) geht sogar von einer ausschließlichen Tätigkeit der Nachrichtendienste im Vorfeld der konkreten Gefahr aus. 1194 BVerfGE 133, 277 (327). 1193
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Gefahr und operatives, im Sinne von aktionellem Handeln oder informationeller Aufklärung. a) Offen/verdeckt Die Polizei tritt offen, also erkennbar als Schutzpolizei im Straßenverkehr oder auf Streifengang in Erscheinung, Kriminalpolizei dagegen arbeitet verdeckt, also nicht als solche erkennbar, seit es sie gibt. Kriminalbeamte hatten aus gutem Grund auf eine Uniform verzichtet, weil sie dann an Informationen gelangen konnten, die sie uniformiert nicht bekommen hätten. Verdeckte Bekämpfung des aufkommenden Berufsverbrechertums in Preußen, insbesondere in Berlin war für erfolgreiche kriminalpolizeiliche Arbeit unverzichtbar.1195 Das gilt erst recht in Ansehung der gegenwärtigen Herausforderungen auf den Feldern der organisierten Kriminalität, der Cyberkriminalität im Darknet und des internationalen Terrorismus, wo die Akteure im Untergrund agieren und ihre Aktivitäten systematisch verschleiern. Setzt die Polizei bei der Bekämpfung solcher krimineller Strukturen verdeckte Mittel und Methoden ein – Observation, Überwachung der Telekommunikation, Lauschangriff, Zusammenarbeit mit Vertrauenspersonen, verdeckte Ermittler – unterscheidet sie sich nicht mehr grundsätzlich vom nachrichtendienstliche Mittel einsetzenden Verfassungsschutz. Auf der anderen Seite trifft es auch nicht zu, dass der Verfassungsschutz grundsätzlich verdeckt arbeitet. Die Verfassungsschutzbehörden beschaffen sich ihre Informationen im Wesentlichen aus öffentlich zugänglichen Quellen und nur in besonderen Fällen durch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel.1196 Unabhängig davon hat die Unterscheidung von offenem und verdecktem Vorgehen durch die Digitalisierung der Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz weitgehend an Bedeutung verloren. Beide Organisationen beschaffen sich ihre Informationen überwiegend nicht mehr im öffentlichen oder privaten Raum, sondern am Computerarbeitsplatz im Binnenbereich ihrer Behörden. Die Begegnung mit den von Informationsmaßnahmen Betroffenen ist keine visuelle mehr, sondern eine virtuelle. Dass die Betroffenen diese informationellen Eingriffsmaßnahmen nicht mitbekommen, ist der Verlegung des Arbeitsplatzes geschuldet und nicht auf den Einsatz neuer verdeckter Maßnahmen zurückzuführen. Insgesamt taugen daher die Leitbilder einer grundsätzlich offen agierenden Polizei und eines grundsätzlich verdeckt vorgehenden Verfassungsschutzes nicht mehr zur Unterscheidung beider Institutionen. b) Vorfeld/konkrete Gefahr Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, dass der Verfassungsschutz grundsätzlich im Vorfeld der konkreten Gefahr agiert, während die Polizei zur 1195
S. Terhorst, Überwachung, S. 9 ff. Droste, HdBVerfSchR, S. 228; Kniesel/Tegtmeyer/Vahle, HdB Datenschutz, Rn. 119; BayVerfG, BayVBl 2014, 464 (467) geht von 70 % aus. 1196
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Gefahrenabwehr grundsätzlich erst bei Vorliegen einer konkreten Gefahr berufen ist1197, entspricht dem überkommenen Bild beider Institutionen, wonach das der konkreten Gefahr vorausliegende informationelle Tätigkeitsfeld dem Verfassungsschutz und die Abwehr konkreter Gefahren durch aktionelle Maßnahmen der Polizei obliegt.1198 Dieses Bild hat nie gestimmt und es entspricht auch nicht mehr der geltenden Gesetzeslage, seit die Generation der neuen Polizeigesetze in Umsetzung des VEMEPolG von 1986 die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten zur polizeilichen Aufgabe gemacht und der Polizei entsprechende Befugnisse eingeräumt hat, die als Eingriffsschwelle statt der konkreten Gefahr nur tatsächliche Anhaltspunkte für die drohende Begehung von Straftaten vorsahen.1199 Das skizzierte Bild der Polizei als reine Gefahrenabwehrbehörde hat nie gestimmt, weil sie schon immer aktionelle Maßnahmen mit informationellen vorbereitete, indem sie Daten sammelte, speicherte und auswertete. Diese vorbereitenden Tätigkeiten wurden als schlichthoheitliche Maßnahmen angesehen, die auf die Aufgabenzuweisung für die Gefahrenabwehr gestützt werden konnten. Die Frage nach einem Vorfeld mit einer eigenen Eingriffsschwelle stellte sich erst, als sich im Rahmen der Datenschutzdiskussion in den 1980er Jahren die Auffassung durchsetzte, dass jeder Umgang mit personenbezogenen Daten einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bedeutete und dazu eine formell-gesetzliche Bestimmung als Ermächtigungsgrundlage erforderlich war.1200 Damit die polizeilichen Maßnahmen zur Informationsgewinnung und die damit einhergehende Überwachung in einem rechtsstaatlich vertretbarem Rahmen blieben, wurde das Vorfeld mit einer gegenüber der konkreten Gefahr abgesenkten Eingriffsschwelle versehen, die nur tatsächliche Anhaltspunkte für die drohende Begehung einer Straftat verlangte. Nachdem die neuen Polizeigesetze der 1980er Jahre die Aufgabe der Gefahrenabwehr um die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten durch deren Verhütung erweitert hatten und der Polizei zu diesem Zweck Eingriffsbefugnisse zur verdeckten Informationsgewinnung durch Observation, Telefonüberwachung und Einsatz von Vertrauenspersonen bzw. verdeckten Ermittlern an die Hand gegeben worden waren, ist die Polizei „vernachrichtendienstlicht“ worden, weil sie mit den genannten Maßnahmen klassische nachrichtendienstliche Mittel zur Gewinnung von Informationen im Vorfeld der konkreten Gefahr einsetzen konnte. Die Verfasser des VEMEPolG und die diesen umsetzenden Polizeigesetzgeber wollten der Polizei den Weg in das Vorfeld der konkreten Gefahr freimachen, um sie in den Stand zu setzen, organisierte Kriminalität und Terrorismus mit Aussicht auf Erfolg bekämpfen zu können. Man hatte erkannt, dass das durch die Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr vorgegebene reaktive Schema bei der Bekämpfung verdeckt und arbeitsteilig operierender krimineller Organisationen und Verbindungen zum Scheitern verurteilt 1197 1198 1199 1200
BVerfGE 133, 277 (327). Kniesel/Tegtmeyer/Vahle, HdB Datenschutz, Rn. 138. VEMEPolG, § 8a Abs. 2. BVerfGE 65, 1 (42 f.).
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
war. Wenn der Berichterstatter im Urteil zum Antiterrordateigesetz die Ausführungen in der Entscheidung zur grundsätzlichen Unterscheidbarkeit von Polizei und Verfassungsschutz in einem Beitrag zum Recht der Nachrichtendienste dahingehend präzisiert, dass die Polizei nur auf einen aus sich heraus ans Licht tretenden Anlass, etwa eine konkrete Gefahr, eine Tat oder einen Tatverdacht hin ermitteln könne1201, so verkennt er, dass mit der Eröffnung des Vorfeldes der konkreten Gefahr auf eben dieses reaktive Schema verzichtet worden war. Darf somit die Polizei im Vorfeld der konkreten Gefahr agieren, taugt ein Anknüpfen daran nicht mehr für eine Unterscheidung, weil sich die dort eingesetzten verdeckten Informationsgewinnungsbefugnisse von Polizei und Verfassungsschutz weitgehend überschneiden. Der darin zum Ausdruck kommende Annäherungsprozess hat sich seit dem 11. 9. 2001 intensiviert, weil die Nachrichtendienste in die Bekämpfung des internationalen Terrorismus eingebunden wurden. Wenn in Ansehung dieses Annäherungsprozesses Vertreter der Verfassungsschutzbehörden das Vorfeld der konkreten Gefahr als ausschließlich dem Verfassungsschutz zustehendes Terrain in Anspruch nehmen und im Zusammenhang der Diskussion um eine Neuausrichtung des Verfassungsschutzes den rechtsstaatlich gemeinten Warnhinweis geben, dass jede Beschränkung der Aufgaben und Befugnisse der Nachrichtendienste einer Geheimpolizei den Weg ebne,1202 geht das nicht nur an der geltenden Rechtslage vorbei, sondern lässt auch Rückschlüsse auf das Amtsverständnis von Verfassungsschützern zu. Auch wenn ihr Wunsch nach der Rolle des operativen Akteurs bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der organisierten Kriminalität im Rahmen einer „Neuen Sicherheitsarchitektur“ der Vernetzung oder unter dem Dach eines einheitlichen Sicherheitsrechts nachvollziehbar ist, sollten Verfassungsschützer realistisch beurteilen können, warum die Polizei im Vorfeld der konkreten Gefahr agiert. Aus der Sicht eines seine gesetzliche Aufgabe verinnerlichenden Verfassungsschützers könnte das Agieren im Vorfeld nur problematisch sein, wenn dadurch der originäre Auftrag des Verfassungsschutzes zur Information von Regierung, Politik und Öffentlichkeit in Frage gestellt würde. Dass die Polizei dem Verfassungsschutz diesen Auftrag streitig machen will, wäre neu und die das Vorfeld gegen ein Eindringen der Polizei verteidigenden Vertreter des Verfassungsschutzes wissen, dass es ein solches Vorhaben nicht gibt und ihnen deshalb die Polizei auch nicht ins Gehege kommen kann. Bei der operativen Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität schon deshalb nicht, weil der Verfassungsschutz dafür keinen Auftrag hat, auch dann nicht, wenn er die Polizei über von ihm gewonnene Erkenntnisse zu geplanten Anschlägen informiert, damit sie diese verhindern kann. Der Verfassungsschutz wird auch insoweit als Informationsdienstleister1203 tätig, der
1201 1202 1203
Masing, in: Dietrich u. a., Nachrichtendienste, S. 10. Unterreitmeier, GSZ 2018, 1 (5). Unterreitmeier, GSZ 2018, 1 (3).
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mit der Weitergabe seiner Erkenntnisse mittelbar einen Bekämpfungsbeitrag leistet, ohne deshalb eine operative Funktion zu haben.1204 In Anbetracht dieser Rechtslage stellt sich nicht die Frage nach einem unzulässigen Eindringen der Polizei in das Vorfeld der konkreten Gefahr, sondern die nach der Unverzichtbarkeit des Verfassungsschutzes außerhalb der Wahrnehmung seines originären Auftrags als Informationsdienstleister für Regierung, Politik und Öffentlichkeit. c) Operativ/informationell Wenn die Polizei komplexe kriminelle Strukturen mit informationellen und aktionellen Maßnahmen bekämpft, geht sie operativ vor.1205 Wenn der Verfassungsschutz Informationen sammelt und auswertet, geht es um die Information von Regierung, Politik und Öffentlichkeit, ohne dass der Verfassungsschutz dabei in einer operativen Verantwortung für die Abwehr von Gefahren oder die Verfolgung von Straftaten stünde. Wenn er zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus von ihm gewonnene Erkenntnisse über geplante Anschläge an die Polizei übermittelt, damit sie zu deren Verhinderung aktionelle Maßnahmen treffen kann, macht diese Datenübermittlung den Verfassungsschutz nicht zum operativen Akteur; er bleibt auch als Datenübermittler Informationsdienstleister. Dass er sich dabei nicht an seine üblichen Adressaten, sondern direkt an die Polizei wendet, ist allein der Notwendigkeit raschen Handelns zur effektiven Gefahrenabwehr geschuldet. In ihrer jeweiligen Rolle als Informationsdienstleister bzw. operativer Akteur lassen sich also Verfassungsschutz und Polizei funktional unterscheiden.1206
E. Bekämpfung des islamistischen Terrorismus Ob wir uns seit dem 11. 9. 2001 mit islamistischen Terroristen im Krieg befinden, ihre Anschläge einen Ausnahmezustand begründen oder im Recht der Normallage zu bekämpfen sind und welche Rechtsgrundlagen dabei zur Anwendung kommen, ist umstritten.
1204 Bäcker, in: Dietrich u. a., Nachrichtendienste, S. 137 (148); Gusy, DVBl 1991, 1282 (1292 f.). 1205 S. 3. Teil, 3. Abschnitt, A. I. 1206 Poscher/Rusteberg, KJ 2014, 57 (65 ff.).
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
I. Regelungen des Grundgesetzes für Krisenzeiten 1. Ausnahmezustand? Das Grundgesetz kennt keinen Ausnahmezustand für Krisenzeiten.1207 Auch bei Naturkatastrophen, Krieg, terroristischer Bedrohung oder Pandemie bleibt es grundsätzlich bei der Aufteilung der Staatsgewalt zwischen Parlament, Regierung und Gerichtsbarkeit wie es in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG vorgesehen ist.1208 In der Krise schlägt nicht die Stunde der Exekutive mit dem starken Mann an der Spitze, sondern das Grundgesetz sieht auch in der Krise das kompetenzgemäße Zusammenwirken aller Staatsorgane vor.1209 Eine Ausnahme ist das für den Verteidigungsfall vorgesehene Notstandsregime der Art. 115a ff. GG, aber auch unter diesem wird die Gewaltenteilung – insbesondere durch die Einsetzung des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 53a GG – nicht aufgehoben, sondern nur modifiziert.1210 2. Innerer und äußerer Notstand a) Innerer Notstand Der innere Notstand kennt mit dem in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG geregelten Notfall, dem innenpolitischen Notstand des Art. 91 GG und dem Widerstandsfall des Art. 20 Abs. 4 GG drei rechtlich gestufte Notlagen.1211 Im regionalen Notfall des Art. 35 Abs. 2 GG können die Länder bei einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Unterstützung der Bundespolizei und bei einer Naturkatastrophe oder einem besonders schweren Unglücksfall die Polizeikräfte anderer Länder, die Bundespolizei und die Streitkräfte anfordern. Geht im sogenannten überregionalen Notstand die Naturkatastrophe oder der Unglücksfall über das Gebiet eines Landes hinaus, kann die Bundesregierung nach Art. 35 Abs. 3 GG eingreifen und die Landesregierungen anweisen, anderen Ländern eigene Polizeikräfte zur Verfügung zu stellen oder Einheiten der Bundespolizei und der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei einzusetzen. Bezüglich der Bekämpfung des Terrorismus erfasst der Begriff des Unglücksfalls nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG auch eine vorsätzlich herbeigeführte Notlage und damit auch unmittelbar bevorstehende oder schon erfolgte terroristische Anschläge.1212 Der innenpolitische Notstand des Art. 91 GG kennt drei Fallkonstellationen, den in einem Land von ihm selbst nach Art. 91 1207 Barczak, Der nervöse Staat, S. 55 ff., 209 ff. und 351 ff.; Kaiser, Ausnahmeverfassungsrecht, S. 385 ff.; Michl, JuS 2020, 507 ff. 1208 Michl, JuS 2020, 507. 1209 Michl, JuS 2020, 507 f. 1210 Michl, JuS 2020, 508; Kersten, JuS 2016, 193 (197 ff.). 1211 Kersten, JuS 2016, 193 (197). 1212 BVerfGE 115, 118 (143 ff.); Ladiges, NVwZ 2012, 1225; Schoch, Jura 2013, 255 (264); Kersten, JuS 2016, 193 (197).
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Abs. 1 GG zu bekämpfenden Notstand, den in einem Land nach Art. 91 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG durch den Bund und den ebenfalls durch den Bund nach Art. 91 Abs. 2 Satz 3 zu bekämpfenden Notstand über ein Land hinaus. In allen drei Fällen geht es um die Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes.1213 Unter den Voraussetzungen des Art. 91 Abs. 2 GG eröffnet Art 87a Abs. 4 GG der Bundesregierung die Möglichkeit, die Polizei in dem betroffenen Land und die Polizeikräfte anderer Länder ihren Weisungen zu unterstellen und Einheiten der Bundespolizei einzusetzen. Gemäß Art. 87 Abs. 4 Satz 1 GG kann die Bundesregierung sogar die Streitkräfte zur Unterstützung der Landes- und Bundespolizei zum Schutz von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer heranziehen. Die dritte Notlage des Widerstandsfalls setzt voraus, dass das Grundgesetz dauerhaft beseitigt werden soll. Gegen Personen, die das vorhaben, kann sich die Widerstandshandlung richten, allerdings unter der Voraussetzung, dass keine staatlichen Organe mehr zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vorhanden sind.1214 b) Äußerer Notstand Die Bestimmungen der Art. 115a – l GG regeln den Verteidigungsfall und beziehen sich auf den äußeren Notstand, der durch einen – aktuellen oder drohenden – Angriff auf das Bundesgebiet von außen hervorgerufen wird.1215 Voraussetzung ist ein Angriff, d. h. eine mit Waffen ausgeführte Aktion auf das Bundesgebiet. Dabei kann es sich um herkömmliche militärische Waffen handeln, aber auch um neuartige Cyber-Angriffe oder andersartige Attacken in Form terroristischer Anschläge, wenn diese Angriffe so geartet sind, dass sie kriegerischen Aktionen im herkömmlichen Sinne in Wirkungsweisen und Folgen gleichkommen.1216
II. Bekämpfungsmöglichkeiten 1. Völkerrecht a) Kriegsrecht Ein Krieg im Sinne des Völkerrechts ist gegeben, wenn ein mit typischen Kriegswaffen geführter Konflikt zwischen Staaten vorliegt.1217 Ein solcher war bei 1213
Kersten, JuS 2016, 193 (197). BVerfGE 123, 118 (151 ff.); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG Art. 20 Rn. 172 ff. 1215 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG Art. 115a Rn. 1 ff. 1216 Epping, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 115a Rn. 44 und 51; Grote, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 115a Rn. 17. 1217 Bothe, Kriegsrecht, 8. Abschnitt, Rn. 2 und 120. 1214
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
den durchgeführten und versuchten Anschlägen der vergangenen Jahre nicht gegeben, weil kein zwischenstaatlicher Konflikt vorlag und es sich bei den terroristischen Akteuren nicht um Soldaten eines mit der Bundesrepublik im Krieg befindlichen Staates handelte.1218 Die Anschläge können auch nicht als bewaffnete, nicht internationale Auseinandersetzung im Sinn des Völkerrechts verstanden werden, weil dafür Voraussetzung wäre, dass bürgerkriegsähnliche Zustände in Form von bewaffneten Aufständen regierungsfeindlicher Kämpfer oder Umsturzbewegungen gegen das bestehende System vorlägen.1219 Die durchgeführten und verhinderten Anschläge, ob am Breitscheidplatz in Berlin oder bei den Kofferbomben in deutschen Bahnen, hatten als gezielte Einzelaktionen nicht die gerade beschriebene Qualität einer bewaffneten, nicht internationalen Auseinandersetzung.1220 b) Terrorismusbekämpfung als staatliche Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta Völkerrechtlich umstritten ist, ob das Völkerrecht über die Regelungen bewaffneter zwischenstaatlicher Konflikte hinaus auch Regelungen vorsieht, die ein militärisches Vorgehen gegen nichtstaatliche Terrororganisationen erlauben.1221 Das völkerrechtliche Gewaltverbot des Art. 2 Nr. 4 UN-Charta, das grundsätzlich jede Androhung und Anwendung von Gewalt zwischen Staaten untersagt,1222 steht einer Inanspruchnahme des Selbstverteidigungsrechts der Staaten gemäß Art. 51 UNCharta nicht entgegen, wenn militärische Zwangsmaßnahmen unter der Führung des Sicherheitsrates nach Kapitel VII der UN-Charta durchgeführt werden.1223 Voraussetzung dafür ist, dass ein bewaffneter Angriff gemäß Art. 51 UN-Charta auch bei einem terroristischen Anschlag bejaht werden kann. Insoweit wird zwar grundsätzlich ein Angriff eines Staates auf die Souveränität, territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit eines anderen Staates verlangt, doch ist völkerrechtlich inzwischen anerkannt, dass darunter auch Angriffe von Privaten fallen können, wenn diese einem Staat zugerechnet werden können;1224 bei transnationalen terroristischen Angriffen kann also Kriegsrecht zur Anwendung kommen. Die bislang in der Bundesrepublik durchgeführten bzw. verhinderten Anschlägen hatten indes weder die Dimension eines transnationalen Angriffs noch lag dessen Steuerung 1218
So auch Gierhake, Zusammenhang, S. 315. Bothe, Kriegsrecht, 8. Abschnitt, Rn. 120 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 639 ff. 1220 Gierhake, Zusammenhang, S. 315; Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 123 f. 1221 Dederer, JZ 2004, 421 ff.; Krajewski, Selbstverteidigung, AVR 40 (2002), S. 183 ff.; Ruffert, ZRP 2002, 247 ff.; Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 112 ff. 1222 Bothe, Kriegsrecht, 8. Abschnitt, Rn. 7 ff. 1223 Dederer, JZ 2004, 421; Ruffert, ZRP 2002, 247. 1224 Krajewski, Selbstverteidigung, S. 189 ff.; Ruffert, ZRP 2002, 247 (248); Gierhake, Zusammenhang, S. 327 m.w.N. 1219
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durch einen Staat vor. Eine kriegsrechtliche Bekämpfung des islamischen Terrorismus kann somit unter den genannten Voraussetzungen nicht in Betracht kommen. 2. Krieg gegen den Terror nach neuen Regeln a) Feindstrafrecht als Wegbereiter Der Bonner Strafrechtler Jakobs hat sich seit den 1980er Jahren mit der Frage befasst, wie der Staat angemessen auf schwere gemeinschädliche Straftaten reagieren kann. Ausgangspunkt war die Diskussion um die Gefahrenprävention und die Funktion des Strafrechts in der Risikogesellschaft.1225 Jakobs erkannte als zentrale Veränderungen des Strafrechts seine Subjektivierung, die Verlagerung der Strafbarkeit in den Bereich der Vorbereitungshandlungen und das Ausgreifen der Legitimierung des Strafrechts als Rechtsgüterschutz1226 und prägte dafür den Begriff des Feindstrafrechts, der in der sicherheitspolitischen und -rechtlichen Debatte, insbesondere nach den Anschlägen vom 11. 9. 2001 zu einem maßgeblichen Argumentationstopos wurde.1227 Aus der Sicht des Feindstrafrechts lassen sich schwere gemeinschädliche Straftaten im Gegensatz zu „normalen“, die Rechtsordnung nur partiell verletzenden Straftaten als Ausdruck der Aufkündigung des grundlegenden bürgerlichen Konsenses, der sich auf den Gesellschaftsvertrag und die Stellung des Einzelnen als Bürger einer Rechtsgemeinschaft gründe, verstehen.1228 Solche Straftäter hätten sich vom Recht abgewandt und böten nicht mehr die kognitive Mindestgarantie, die für ihre Behandlung als Person erforderlich sei,1229 mit der Folge, dass sie der Segnungen des Begriffs der Person nicht mehr teilhaftig werden könnten und der Staat sie nicht mehr als Personen behandeln dürfe, weil er dann das Recht auf Sicherheit anderer Personen verletzen würde.1230 Der Staat finde sich gegenüber diesen Individuen in einem vorstaatlichen Naturzustand wieder und müsse deshalb sein Vorgehen gegen sie nicht mehr an den rechtsstaatlichen Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und Schuldangemessenheit der Strafe ausrichten; der prinzipiell Abweichende könne nicht mehr als Bürger behandelt werden, sondern müsse als Feind bekriegt werden.1231 Entscheidendes Kennzeichen des Feindstrafrechts ist also die Befugnis des in seiner Sicherheit bedrohten Staates, die Individuen, die sich als Bedroher herausgestellt haben, als Feinde partiell oder auch gänzlich aus der Gemeinschaft der Rechtspersonen auszuschließen und den Umgang mit ihnen als 1225
Jakobs, ZStW 97 (1985), 751 (773 ff.). Jakobs, ZStW 97 (1985), 751 (753). 1227 S. dazu Heinrich, ZStW 121 (2009), 94 (95 ff.); Saliger, JZ 2006, 756 ff.; Paeffgen, in: FS Amelung S. 81 ff.; Gierhake, Zusammenhang, S. 243 ff.; Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts, S. 320 ff.; Frankenberg, KJ 2005, 370 (382 ff.); Hörnle, GA 153 (2006), S. 80 ff. 1228 Jakobs, HRRS 2004, 88 (89 ff.). 1229 Jakobs, HRRS 2004, 88 (72). 1230 Jakobs, HRRS 2004, 88 (93). 1231 Jakobs, HRRS 2004, 88 (95). 1226
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Krieg zu begreifen und notfalls bis zu ihrer Kaltstellung auszugestalten.1232 Eine solche Vorgehensweise ist für Jakobs allerdings nur als geltendes Notstandsstrafrechts zu legitimieren.1233 Feindstrafrecht bekämpft also Gefahren, während das Bürgerstrafrecht der Normgeltung dient.1234 Das so beschriebene Feindstrafrecht sieht Jakobs unter vier typischen Kennzeichen schon im geltenden Strafrecht verwirklicht, in der weiten Vorverlagerung der Strafbarkeit mit der Veränderung der Perspektive von der geschehenen auf die kommende Tat, im Fehlen einer angemessenen Reduktion der Vorfelddelikte, im Übergang von der Strafrechtsgesetzgebung zur Bekämpfungsgesetzgebung und im Abbau der prozessualen Garantien.1235 In Anbetracht dieser Auswüchse des geltenden, von den Grundsätzen des klassischen Strafrechts abweichenden neuen Strafrechtstypus betont Jakobs, dass ein klar umrissenes Feindstrafrecht rechtsstaatlich weniger gefährlich sei als die Durchmischung des geltenden Strafrechts mit feindstrafrechtlichen präventiven Elementen.1236 Mit dieser Erkenntnis entlarvt Jakobs das derzeitige Bekämpfungsstrafrecht in seiner sicherheitsstrafrechtlichen Dimension als Polizeirecht im Gewande des Strafrechts, das mit dem Verständnis des Feindes als Störer bei der polizeilichen Gefahrenabwehr landet.1237 Die Figur des terroristischen Gefährders als Schläfer stellt insoweit geradezu die Inkarnation des von Jakobs beschriebenen inneren Feindes dar.1238 Allerdings besteht er trotz des Charakters des Terroristen als Gefährder auf der Notwendigkeit des Feindstrafrechts mit seiner Ausgrenzung der Terroristen als Unpersonen, weil auch das Polizeirecht das Problem der Gewährleistung einer kognitiven Mindestgarantie nicht lösen könne.1239 Zu „Terroristen als Personen im Recht“ stellt Jakobs im Jahr 2005 klar, dass die kognitive Garantie normgemäßen Verhaltens eine elementare Bringschuld aller Bürger sei und ergänzt hinsichtlich des vom Staat zu führenden Kampfes gegen Terroristen, dass das Verbot bestimmter Vernehmungsmethoden in § 136a StPO nicht das letzte Wort sein könne, weil die harte Vernehmung von Terroristen und der Abschuss eines von ihnen gekaperten Flugzeugs zum Recht der Ausnahme gehörten.1240 Andererseits trat er dem auf die Analyse seiner Veröffentlichungen gestützten Vorwurf entgegen, er plädiere für die Bekämpfung islamistischer Terrorverdächtiger jenseits verfassungsrechtlicher Bindungen.1241 1232
Gierhake, Zusammenhang, S. 302. Jakobs, ZStW 97 (1985), 751 (784). 1234 Frankenberg, KJ 2005, 370 (381). 1235 Saliger, JZ 2006, 757 (758). 1236 Jakobs, HRRS 2004, 88 (93 ff.). 1237 Paeffgen, in: FS Amelung, S. 88. 1238 Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts, S. 324. 1239 Jakobs, in: Eser/Hassemer/Burkhardt (Hrsg.), Die deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrtausendwende, S. 53. 1240 Jakobs, ZStW 117 (2005), 839 (847 ff.). 1241 Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts, S. 327 Fn. 1795. 1233
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b) Terrorismus als neue Form der Kriegsführung Ist eine direkte Anwendung des Kriegsrechts auf Terroristen nicht möglich, so wird aber im Terrorismus eine Parallele zur kriegerischen Auseinandersetzung gesehen, die es rechtfertigt, sich mit ihm als im Krieg befindlich zu betrachten.1242 Für Münkler ist der Terrorismus zu einer der wichtigsten Formen der Kriegsführung geworden.1243 An die Stelle der klassischen, durch grundsätzliche Symmetrie der Kriegsgegner gekennzeichneten Kriege seien zunehmend asymmetrische bewaffnete Konflikte, insbesondere im Rahmen sogenannter Partisanenkriege getreten; der islamistische Terrorismus sei vergleichbar mit den Verwüstungskriegen, wie sie Reiternomaden in den imperialen Grenzräumen geführt hätten. Dabei habe es sich um nicht reziproke bewaffnete Auseinandersetzungen gehandelt, in denen es der zurückgebliebenen, eigentlich unterlegen Seite gelang, die Überlegenheit des Gegners in seine Verletzlichkeit zu verwandeln.1244 „Was die Nichtsesshaftigkeit für die Reiternomaden war, die sie vor entsprechenden Gegenschlägen der angegriffenen Macht schützte, ist für heutige Terroristen die Netzwerkstruktur ihrer Organisationen. (…) Und was für die Reiternomaden ihre Beweglichkeit und Schnelligkeit war, ist für heutige Terrororganisationen die Klandestinität, durch die sie sich massiven Gegenschlägen entziehen.“1245 Dagegen müssen nach Münkler’s Auffassung drei Verteidigungslinien aufgebaut werden, die es ermöglichen, dass erstens der Polizeiapparat in Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten terroristische Akteure enttarnt, festnimmt oder unschädlich macht, bevor sie zum Angriff übergehen können, dass zweitens das Militär mit Spezialeinheiten identifizierte Knotenpunkte des terroristischen Netzwerks angreift, um sie in Stress zu versetzen und ihre strukturelle Angriffsfähigkeit dadurch erheblich zu beeinträchtigen, dass sie mehr mit ihrer Selbsterhaltung als mit der Planung und Durchführung von Angriffen beschäftigt sind und dass drittens die Bevölkerung des angegriffenen Staates auf die Attacken mit zusammengebissenen Zähnen reagiert und sich als postheroische Gesellschaft weder in ihren wirtschaftlichen Dispositionen noch in ihrer Bereitschaft zur Nutzung öffentlicher Nahverkehrsysteme erschüttern lässt.1246 c) Bekämpfung des Terrorismus mit kriegsrechtlich orientiertem Präventionsrecht Pawlik hat im Jahr 2008 mit seiner Arbeit „Der Terrorist und sein Recht“ das Feindstrafrecht in Ansehung des islamistischen Terrorismus zum kriegsrechtlich 1242 1243 1244 1245 1246
Gierhake, Zusammenhang, S. 316. Münkler, „Der Terror und wir“, S. 179. ff. Münkler, „Der Terror und wir“, S. 191. Münkler, „Der Terror und wir“, S. 192. Münkler, „Der Terror und wir“, S. 193 ff.
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orientierten Präventionsrecht weiterentwickelt.1247 Er geht davon aus, dass terroristische Anschläge mit kriegerischen Auseinandersetzungen vergleichbar sind und der internationale Terrorismus eine Form der verdeckten Kriegführung ist; kennzeichnend sei dafür, dass Terroristen über ein kriegsähnliches Zerstörungspotential verfügen, das ihren Angriff wegen seiner Zerstörungswirkung zum kriegerischen Akt macht, der auf die Vernichtung der Anderen in einem totalen Krieg gerichtet ist, in dem sich der Terrorist an keine Regeln gebunden sieht.1248 Der herausgeforderte Staat hat bei seiner angemessenen Reaktion zu entscheiden, innerhalb welchen Rechtsregimes er agieren kann und darf, weil die herkömmliche Trennung zwischen Kriegsrecht, Polizeirecht und Strafrecht in Anbetracht der Abkehr des internationalen Terrorismus von der symmetrischen Kriegsführung des klassischen Völkerrechts versagt.1249 Das spezifisch Neue eines Rechtsregimes zur Bekämpfung des modernen Terrorismus liegt für Pawlik in der Verknüpfung seiner asymmetrischen Grundstruktur durch Verteidigung des Rechts gegen das Unrecht mit kriegsähnlichen Mitteln. Die strikte Unterscheidung zwischen einer normativ symmetrischen Friedensordnung in Gestalt des Polizeirechts und des Strafrechts mit relativ umgrenzten Eingriffsbefugnissen auf der einen Seite und eines weitaus robusteren, auf der Prämisse grundsätzlicher normativer Symmetrie zwischen Konfliktparteien beruhenden Kriegsrechts auf der anderen Seite, sei durch die Realität überholt.1250 Als neues, eine Mittelstellung zwischen den beiden bisherigen Ordnungen einnehmendes Rechtsgebiet will Pawlik ein kriegsrechtlich orientiertes Präventionsrecht etablieren, das der neuartigen Bedrohung eine entsprechende neuartige Reaktion des Staates entgegensetzt; maßgebliches Ziel dieses neuen Rechtsregimes ist die rechtlich eingehegte Unschädlichmachung der Terroristen als Kombattanten, das vorbeugende Inhaftierung, die Sicherungshaft zur Durchsetzung von Abschiebungsanordnungen und gezielte Tötungen außerhalb der engen Grenzen des Polizeirechts und der Notwehrbestimmungen nicht ausschließen kann.1251 d) Selbstbehauptung des Rechtsstaats Depenheuer geht das Problem des internationalen Terrorismus aus staatstheoretischer und verfassungsrechtlicher Perspektive an und fordert, dass der Rechtsstaat sich im Krieg mit dem Terror behaupten müsse.1252 Für eine Verteidigung des Rechtsstaats gegen die terroristische Herausforderung reicht für Depenheuer das normale Instrumentarium des Rechtsstaats nicht mehr aus, 1247
Pawlik, Der Terrorist und sein Recht, S. 18 ff. Pawlik, Der Terrorist und sein Recht, S. 22 f. 1249 Pawlik, Der Terrorist und sein Recht, S. 23. 1250 Pawlik, Der Terrorist und sein Recht, S. 23 f.; s. auch Waechter, JZ 2007, 61 (63 ff.); Roellecke, JZ 2006, 265 ff. 1251 Pawlik, Der Terrorist und sein Recht, S. 42 f. 1252 Depenheuer, Selbstbehauptung des Rechtsstaats, 2008. 1248
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weil der Krieg gegen den Terror in rechtlicher Hinsicht von ungleichen Gegnern geführt werde, in dem der Staat als reguläre Macht zu rechtsgebundenem Vorgehen verpflichtet sei, während Terroristen sich nicht um das Recht scherten, sondern es sich mit Gewalt einfach nähmen.1253 Auf einen solchen Fall sei das Grundgesetz nicht vorbereitet, weil die asymmetrische Kriegsführung des internationalen Terrorismus das bestehende System des Sicherheitsverfassungsrechts unterlaufe.1254 Bei der Entwicklung des Verteidigungskonzepts geht Depenheuer von der Unterscheidung des Ernstfalls von der Normallage aus, 1255 und offenbart damit seine Nähe zu Carl Schmitt, der die Normallage als Zustand sah, in dem das Recht gilt und den Ausnahmezustand, den er als Suspendierung des Rechts kennzeichnete.1256 In Anlehnung daran unterscheidet Depenheuer zwei Formen von Gefährdungslagen des Staates, die Gefährdung in der Normallage, die innerhalb eines Bürgerrechtssystem mit den rechtsstaatlichen Maßnahmen der Gefahrenabwehr und des Strafrechts bewältigt werden können und die Gefährdung der Normallage, in der die Bürger mit nackter Gewalt konfrontiert würden, die nur in faktischer, nicht aber rechtlich gebundene Selbstbehauptung des Staates bekämpft werden könne.1257 Im Ernstfall des Rechts – also im Ausnahmerecht – lehnen Terroristen die legitime Rechtsordnung prinzipiell ab, stellen die staatliche Garantie für die Sicherheit offen infrage und bekämpfen das rechtlich verfasste Gemeinwesen mit Waffengewalt.1258 Im Umgang mit solchen Feinden unterscheidet Depenheuer wie Schmitt zwischen Freund und Feind1259 und sieht im Kampf der rechtsstaatlichen Zivilisation gegen die Barbarei des Terrorismus letztlich nur die Möglichkeit, den erkannten Feind einem speziellen Feindrecht zu unterwerfen;1260 verfassungstheoretisch handele es sich beim Rechtsfeind nicht um eine Rechtsperson, sondern um eine Gefahr, die um der Rechtsgeltung willen bekämpft werden müsse. Die Möglichkeiten des Gefahrenabwehrrechts müssten um eine präventive Sicherungsverwahrung, die Internierung potenziell gefährliche Person und eine rechtsstaatlich domestizierte Folter erweitert werden.1261 Darüber hinaus fordert Depenheuer ein Bürgeropfer, weil der kampfbereite freiheitliche Rechtsstaat als ursprünglicher, den Individuen unverfügbar vorausgehender Solidarverband von diesen uneingeschränkte Loyalität erwarten könne.1262 1253
Depenheuer, Selbstbehauptung des Rechtsstaats, S. 21. Depenheuer, Selbstbehauptung des Rechtsstaats, S. 22 f. 1255 Depenheuer, Selbstbehauptung des Rechtsstaats, S. 36. 1256 C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 46. 1257 Depenheuer, Selbstbehauptung des Rechtsstaats, S. 41. 1258 Depenheuer, Selbstbehauptung des Rechtsstaats, S. 39. 1259 Zu dieser Unterscheidung als Kriterium des Politischen s. Schlink, Rechtshistorisches Journal 10 (1992), Why Carl Schmitt?, S. 161 (165). 1260 Depenheuer, Selbstbehauptung des Rechtsstaats, S. 60. 1261 Depenheuer, Selbstbehauptung des Rechtsstaats, S. 72. 1262 Depenheuer, Selbstbehauptung des Rechtsstaats, S. 90. 1254
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
e) Stellungnahme Die Theorien von Münkler, Pawlik und Depenheuer gründen auf einem Feindstrafrecht, das für Terroristen eine Sonderstellung und Sonderbehandlung vorsieht. Wenn Art. 1 Abs. 1 GG als Träger der Menschenwürde schlicht den Menschen benennt, wird damit eine elementare Basisgleichheit für alle Menschen gewährleistet,1263 die auch Terroristen als Straftäter einbezieht. Basisgleichheit bedeutet, dass gegen Terroristen im Rahmen der geltenden Rechtsordnung vorgegangen werden muss, sie also nicht außerhalb der Rechtsordnung rechtlos gestellt werden können, indem sie in einer Sonderstellung sonderbehandelt werden.1264 Gegen sie muss im Recht der Normallage durch Maßnahmen effektiver Gefahrenabwehr vorgegangen werden, wobei diese der Grundrechtsbindung und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterliegen. „Das zentrale Problem der Verteidigung unserer freiheitlichen Demokratie liegt darin, die Legitimitätsgrundlage dieser staatlichen Ordnung zu sichern und zu verteidigen, dies aber in einer dem freiheitlichen Rechtsstaat entsprechenden, also in sich freiheitsbezogenen Weise zu tun; die Freiheitssubstanz unserer Ordnung soll nicht durch die Art ihrer Verteidigung selbst fragwürdig werden.“1265 Das sieht auch das Bundesverfassungsgericht so, wenn es betont, dass terroristische Straftaten sich gegen die Grundpfeiler der verfassungsrechtlichen Ordnung und das Gemeinwesen als Ganzes richten und es Gebot der verfassungsrechtlichen Ordnung sei, solche Angriffe nicht als Krieg oder Ausnahmezustand zu betrachten, die von der Beachtung rechtsstaatlicher Anforderungen freistellen, sondern sie als Straftaten mit den Mitteln des Rechtsstaats zu bekämpfen.1266 Dessen Kraft zeige sich gerade darin, dass er den Umgang mit seinen Gegnern den allgemein geltenden Grundsätzen unterwerfe.1267 3. Straf- und Strafverfahrensrecht, Sicherungsrecht oder Polizeirecht? Straf- und Strafprozessrechtler streiten in Anbetracht der Vorverlagerung des Strafrechts in den Bereich der Vorbereitungshandlungen durch die abstrakten Gefährdungsdelikte der §§ 89a ff. und 129 ff. StGB im Verbund mit der Untersuchungshaft als vorweggenommener Sicherungsverwahrung und der Absenkung der Voraussetzungen des § 152 Abs. 2 StPO darüber, ob bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus ein solches Bekämpfungsstrafrecht als Polizeirecht im Gewand des Straf- und Strafverfahrensrecht noch seinen Platz im Straf- und Straf1263
Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1 Rn. 35; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG Art. 1 Rn. 6; Kirchhof, HStR Bd. V, § 124 Rn. 99 ff. 1264 Enders, in: Stern/Becker, Grundrechte, Art. 1 Rn. 70; Gierhake, Zusammenhang, S. 177. 1265 Böckenförde, Verhaltensgewähr oder Gesinnungstreue, S. 277. 1266 BVerfGE 133, 277 (333 f.). 1267 BVerfGE 115, 320 (358).
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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verfahrensrecht haben kann oder ob es nicht an der Zeit ist, die präventiven Regelungen in ein neues Sicherungsrecht oder in das Polizeirecht zu überführen. Dazu werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. a) Präventivstraf- und Strafverfahrensrecht zur Wahrung rechtsstaatlicher Voraussetzungen Ein defensives Modell, das sich selber als Notlösung oder Kompromiss versteht,1268 sieht sich vor der Alternative, dass sich das Strafrecht entweder vollständig vom Gedanken der Prävention durch Strafrecht verabschiedet und sich puristisch auf die Repression begangener Straftat beschränkt, die nur noch auf die klassische Prävention als Nebenwirkung oder Fernziel setzt, oder dass das Strafrecht die Herausforderung annimmt und sich für eine unmittelbare Prävention durch ein das Polizeirecht überflüssig machendes Bekämpfungsstrafrecht in die Pflicht nehmen lässt, um so im geordneten Rahmen des Strafverfahrensrecht bleiben zu können.1269 Zöge sich das Strafrecht zurück, obläge die Prävention im Vorbereitungsstadium den Geheimdiensten und von den schützenden Formen des Strafverfahrensrecht müsste man sich dann verabschieden.1270 Nähme dagegen das Strafrecht die Herausforderung an und ließe sich für die Prävention in die Pflicht nehmen, drohe zwar die unverhältnismäßige Ausweitung von Ermittlungsbefugnissen durch den Gesetzgeber, doch verglichen mit den Folgen des Rückzugs des Strafrechts erscheine die zweite Variante vorzugswürdig, auch wenn es dafür Anstrengungen bedürfe, der Instrumentalisierung des Strafrechts zu Zwecken der Prävention durch den Gesetzgeber rechtsstaatliche Grenzen zu setzen.1271 Ganz im Gegensatz zu diesem defensiven Kompromissmodell will Bäcker ein offensives Modell des Präventionsstrafrechts als Kriminalpräventionsrecht, in dem die Vorverlagerung des materiellen Strafrechts reduziert und um ein strafprozessuales Vorfeldrecht ergänzt oder teilweise ersetzt wird.1272 Er ist der Auffassung, dass die Verlagerung eines schlagkräftigen kriminalpräventiven Zwangsrecht aus dem Strafrecht nur strafrechtliche Formen und Verfahren außerhalb des Strafrechts verdoppeln würde, ohne dass eine solche Umetikettierung einen Gewinn brächte, weil die rechtssystematischen, rechtsstaatlichen und institutionellen Probleme des gegenwärtigen Präventionsstrafrechts nicht gelöst würden. Er befürchtet vielmehr, dass auf der Grundlage des Polizeirechts oder eines Sonderregimes einschneidende Zwangsmaßnahmen gegen gefährliche Personen und kriminelle Strukturen ermöglicht würden, ohne dass dabei die materiellen und prozeduralen Sicherungen gewahrt
1268 1269 1270 1271 1272
Weißer, JZ 2008, 388 (394). Weißer, JZ 2008, 388 (394); dies., ZStW 121 (2009) 131 ff. Weißer, JZ 2008, 388 (394). Weißer, JZ 2008, 388 (394 f.). Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 387.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
werden könnten, die das gegenwärtige Präventionsstrafrecht noch aufweise.1273 Für Bäcker krankt das gegenwärtige Kriminalpräventionsrecht daran, dass materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Vorverlagerungen nicht durch ein übergreifendes Regelungskonzept verknüpft seien. Ziel müsse es sein, das Verhältnis beider Vorverlagerungansätze miteinander zu harmonisieren, um behördliche Prävention möglichst zielgenau anleiten zu können.1274 Ein strafprozessuales Vorfeldrecht bräche zwar mit der hergebrachten Systematik des Strafverfahrensrechts, begründe auch Risiken für die rechtsstaatliche Gestalt des Strafverfahrens und führe auch dazu, dass das Strafverfahrensrecht noch stärker in den Dienst der Prävention gestellt würde;1275 doch sieht Bäcker zu dieser Entwicklung keine realistische und rechtsstaatliche tragfähige Alternative als die der Einhegung der Entwicklung zum Bekämpfungsstrafrecht im Strafverfahrensrecht selber, weil eine Abdrängung des Rechtsgüterschutzes in andere Rechtsgebiete wie das Polizeirecht dazu führe, dass die rechtsstaatliche Reinheit des Strafverfahrens um den Preis noch gravierenderer rechtsstaatlicher Verwerfungen im Polizeirecht oder einem Sicherungsrecht verteidigt würde.1276 b) Rückbau des Straf- und Strafverfahrensrechts durch Auslagerung seiner präventiven Bestandteile Das materielle Strafrecht enthält mit den Maßregeln der Besserung und Sicherung, insbesondere der Sicherungsverwahrung nach §§ 66 und 66b StGB, der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB, dem Berufsverbot nach § 70 StGB und der Einziehung in den §§ 73 ff. StGB präventive Regelungen und die Strafprozessordnung regelt mit § 81b zweite Variante – zum Zwecke des Erkennungsdienstes –, den Haftgründen der Schwere der Tat nach § 112 Abs. 3 und der Wiederholungsgefahr in § 112a sowie den vorweggenommenen Maßnahmen der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a, der einstweiligen Unterbringung nach § 126a und dem vorläufigen Berufsverbot nach § 132a materielles Polizeirecht. Im Verbund von abstrakten Gefährdungsdelikten – § 89a ff. und 129 ff. StGB- und strafprozessualen Eingriffsbefugnissen, insbesondere der Untersuchungshaft nach § 112 Abs. 3 und § 112a stopp, kommt es zu einem Bekämpfungsstrafrecht, dass das Polizeirecht überflüssig macht. In Anbetracht dieser Vermischung von Straf- und Strafverfahrensrecht mit dem Polizeirecht wurde schon lange die Forderung nach einer Säuberung des Strafgesetzbuchs und der Strafprozessordnung von allen systemfremden präventiven Elementen erhoben.1277 Die Säuberung des Straf- und 1273
Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 386. Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 387 f. 1275 Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 389. 1276 Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 389. 1277 Paeffgen, DRiZ 1998, 317 (319 f.); Hassemer, HRRS 2006, 130 (133); Gierhake, Zusammenhang, S. 411 ff.; Hefendehl, GA 158 (2011), 209 (231); Heinrich, ZStW 121 (2009), 1274
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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Strafverfahrensrechts von seinen präventiven Elementen und das Verhindern seiner Mutation zum Polizeirecht bei der Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität wären schon den Vorgaben des Grundgesetzes zur klaren Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung geschuldet. Allerdings wäre eine solche umfassende Rechtsbereinigung eine Mammutaufgabe für die Gesetzgeber in Bund und Ländern, weil nicht nur der Bundesgesetzgeber das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung ändern müsste, sondern auch die Landesgesetzgeber jeweils ein neues Vorbeugungs- und Sicherungsrecht1278 entweder neu schaffen oder in ein bestehendes Gesetz integrieren müssten. Das setzte nicht nur bei allen Beteiligten einen entsprechenden politischen Willen voraus, es bedürfte auch auf der Ebene der Länder einer vorherigen Einigung über ein solches Gesetz, um eine Einheitlichkeit über die „wesentlichen Inhalte“ herzustellen. Dieses Großprojekt dürfte rechtspolitisch keine Chance haben. Machbar wäre aber eine kleine Lösung, die sich beim Rückbau auf die Vorfeldstraftatbestände des Strafrechts und den Missbrauch der Untersuchungshaft bei der Bekämpfung der §§ 89a ff. und §§ 129 ff. StGB beschränkt. Zwar bestünde auch dabei die Notwendigkeit einer Einigkeit unter den Ländern über die Inhalte und den Regelungsstandort eines Sicherungsgesetzes, im Unterschied zur großen Lösung besteht aber bereits mit der Ausweitung der klassischen polizeigesetzlichen Standardmaßnahme zur Ingewahrsamnahme zu einer über den bisherigen maximalen Zeitraum von 14 Tagen hinausgehenden Präventionshaft die politische Notwendigkeit für alle Bundesländer, sich zu freiheitsentziehenden neuen Eingriffsbefugnissen bei der vorbeugenden Bekämpfung des Terrorismus zu erklären. Wie weit ein solches Sicherungsrecht mit seinen Befugnissen gehen und wo es seinen Regelungsstandort haben könnte, wird unterschiedlich gesehen. Einigkeit besteht im Ausgangspunkt darin, dass es um Gefahrenabwehrrecht geht. Das Polizeirecht soll aber aus unterschiedlichen Gründen als Regelungsstandort nicht in Betracht kommen. Für Gierhake scheidet es aus, weil es mit seiner Ausrichtung auf Gefahrenabwehreingriffe in natürliche Kausalverläufe dem willentlich handelnden Rechtssubjekt nicht gerecht werden könne und deshalb zur Unrechtsvorbeugung nicht in Betracht komme.1279 Andere Autoren sehen das Polizeirecht nicht als anzustrebenden Regelungsstandort, weil in ihm der jenseits von Vorwerfbarkeit und Schuld agierende Störer im Gegensatz zum Beschuldigten oder Angeklagten im Strafverfahren eine zu schwache Stellung habe, also in einem polizeigesetzlichen Aufklärungsverfahren nicht der strafprozessuale Standard an Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit gegeben sei.1280 94 (125); Hawickhorst, § 129a StGB, S. 298; Kniesel, ZRP 1992, 165 (166); s. auch Walther, ZIS 2007, 464 ff. 1278 Paeffgen, in: FS Amelung, S. 103 ff. 1279 Gierhake, Zusammenhang, S. 368 ff. und S. 387 ff. 1280 Zöller, Informationssysteme, S. 509; Müller, Präventive Freiheitsentziehungen, S. 41; Paeffgen, in: FS Amelung, S. 81 (108).
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Nach einer anderen Auffassung ist das Polizeirecht der angestammte Standort für sicherungsrechtliche Regelungen bei der Bekämpfung des Terrorismus durch freiheitsentziehende Maßnahmen.1281 Heinrich begründet das damit, dass das Polizeirecht in seiner unmittelbar präventiven Ausrichtung zur Verhinderung von Straftaten mit seinen Eingriffsbefugnissen zum Schutz von Betroffenen weitergehen dürfe als das Straf- und Strafverfahrensrecht, das mit seinen intensiven Grundrechtseingriffen, insbesondere der langjährigen Haft eine ganz andere Zielrichtung verfolge.1282 Damit das Polizeirecht mit seinem Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr nicht in feindstrafrechtliches Fahrwasser gerate und die rechtsstaatliche zu sichernde Stellung des Störers im Hinblick auf eine gegen ihn vollzogene länger andauernde Präventivhaft nicht beeinträchtigt werde, müssten den strafprozessualen Anforderungen entsprechende grundrechtssichernde Verfahrensregelungen geschaffen werden, was im Polizeirecht genau so geschehen könne wie in einem neu zu schaffenden Sicherungsrecht.1283 Wenn dem gegenüber betont wird, dass es aus rechtsstaatlichen Gründen sinnvoller erscheine, die relevanten Eingriffsmaßnahmen gegen terroristische Gefährder den strengeren Formen des Straf- und Strafverfahrensrecht zu unterwerfen, so weist Hawickhorst zu Recht darauf hin, dass das gegenwärtig praktizierte Bekämpfungsstrafrecht im Verbund mit den Möglichkeiten des Strafverfahrensrecht regelmäßig dazu führe, dass die traditionellen Garantien und Sicherungen des Straf- und Strafverfahrensrechts aufgeweicht oder sogar aufgegeben und die Voraussetzungen für die Annahme eines Anfangsverdachts unverhältnismäßig abgesenkt würden. Gerade um dieser höchst bedenklichen Entwicklung entgegenzuwirken, erscheint es Hawickhorst vorzugswürdig, Fremdkörper aus dem Strafrecht zu entfernen und sie dort zu verankern, wo sie ihre Zielsetzung nach hingehören – ins Polizeirecht.1284 Ihr ist auch zuzustimmen, wenn sie darauf hinweist, dass eine Bündelung der Eingriffsbefugnisse zur Terrorismusbekämpfung im Polizeirecht erheblich zur Normenklarheit beitragen würde.1285 c) Polizeirecht als Regelungsstandort Warum ein Vorfeldrecht in der Strafprozessordnung besser aufgehoben sein soll als im Polizeirecht, ist nicht einsichtig. Was rechtsstaatliche Voraussetzungen für ein polizeiliches Einschreiten angeht, ist das Polizeirecht dem Strafverfahrensrecht zumindest gleichwertig. Die konkrete Gefahr und das Prinzip der Verhältnismäßigkeit sind seit dem Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794, insbesondere durch die Rechtsprechung des preußischen Oberverwaltungsgerichts als Kompromiss von Freiheit und Sicherheit entwickelt worden. Die rechtstaatliche Qualität der 1281 Heinrich, ZStW 121 (2009), 94 (123 ff.); Müller, Präventive Freihheitsentziehungen, S. 269 f.; Hawickhorst, § 129a, S. 298. 1282 Heinrich, ZStW 121 (2009), 94 (129). 1283 Heinrich, ZStW 121 (2009), 94 (128). 1284 Hawickhorst, § 129a StGB, S. 298. 1285 Hawickhorst, § 129a StGB, S. 298.
4. Abschn.: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben
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konkreten Gefahr ist im Polizeirecht etabliert, während der Anfangsverdacht gemäß § 152 Abs. 2 StPO – obwohl er das rechtsstaatliche Pendant zur konkreten Gefahr ist – in Rechtsprechung und Schrifttum zum Strafverfahrensrecht wesentlich geringeren Anforderungen unterliegen soll. Es wird im Gegensatz zum Polizeirecht, wo die unbestimmten Rechtsbegriffe der Gefahr und der Schutzgüter öffentliche Sicherheit und Ordnung der uneingeschränkten Kontrolle der Verwaltungsgerichtsbarkeit unterliegen, für die korrespondierenden „zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte“ ein Beurteilungsspielraum anerkannt und hinsichtlich des Vorliegens dieser tatbestandlichen Voraussetzungen werden geringere Anforderungen gestellt als im Polizeirecht mit seiner stringenten Dogmatik der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Die Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen durch polizeiliche Standardmaßnahmen, die auf den Ebenen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit durchleuchtet wird, ist im Polizeirecht von zentraler Bedeutung, während die Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen im Strafverfahren eher von untergeordneter Bedeutung zu sein scheint und in den Lehrbüchern zum Strafverfahrensrecht, wenn überhaupt, dann eher stiefmütterlich behandelt wird.1286 Man ist offensichtlich der Auffassung, dass Befugnisnormen, die der Gesetzgeber zur Verfügung gestellt hat, auch angewendet werden können, ohne dass eine weitere aufwändige Prüfung der Verhältnismäßig hinsichtlich der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahme im Einzelfall erfolgen müsste. Auch auf der Ebene der Zwangsanwendung stellt das Polizeirecht höhere Ansprüche, in dem es die Anordnungsebene von der Vollzugsebene unterscheidet und insoweit die Verhältnismäßigkeit zweimal zur Anwendung kommen kann, während die Strafprozessordnung nur die Anordnungsebene kennt und die Lehre deshalb davon ausgeht, dass in der Befugnisnorm zur Anordnung einer Maßnahme auch die Kompetenz zu deren Durchsetzung mit unmittelbarem Zwang enthalten ist.1287 Zu den Gründen, die von Weißer, Gierhake und Bäcker gegen die Verlagerung eines Sicherungsrechts in das Polizeirecht angeführt werden, ist Folgendes anzumerken. Wenn Weißer den Verbleib des Präventivstrafrechts im Straf- und Strafverfahrensrecht hinnimmt, um zu verhindern, dass die Nachrichtendienste ins Spiel kommen, so verkennt sie, dass diese keinen operativen Auftrag haben, also gar keine Befugnisse hätten, um gegen Terroristen wirksam vorgehen zu können. Sollte Weißer mit Geheimdiensten meinen, dass die Polizei auf dem Boden des Polizeirechts mit nachrichtendienstlichen Mitteln gegen Terroristen agieren könnte, so würde sie verkennen, dass die Polizei seit der Generation der Polizeigesetze der späten 1980er 1990er Jahren den Auftrag zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten hat und dazu mit Befugnissen zu verdeckten Maßnahmen ausgestattet worden ist, ohne deshalb zu einem Geheimdienst geworden zu sein. Im Übrigen würde die Polizei auf dem Boden der Strafprozessordnung mit den gleichen verdeckten Befugnissen agieren, um potentielle Beweise zur Verurteilung des Beschuldigten zu beschaffen. 1286 1287
S. Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 216. S. etwa Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 79, 107 f., 208 ff., 232 ff. und 322 ff.
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2. Teil: Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung
Gierhakes Einwand der mangelnden Tauglichkeit des Polizeirechts zu Unrechtsverhinderung geht fehl, weil es bei der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten als Teil des Auftrags zur Gefahrenabwehr um nichts Anderes als Unrechtsverhinderung zur Wahrung des Rechts als Unverletzlichkeit der Rechtsordnung im Sinne des Schutzguts der öffentlichen Sicherheit in der Generalklausel der Polizeigesetze geht. Zu Bäckers Modell des Kriminalpräventionsrechts soll im vorliegenden Zusammenhang nur auf folgende Punkte hingewiesen werden. Bäcker wird mit dem Kriminalpräventionsrecht als Mischung von Polizeirecht und Straf- und Strafverfahrensrecht den verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Notwendigkeit der Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung nicht gerecht. Seine Befürchtung, dass der in der Strafprozessordnung gewährleistete rechtsstaatliche Standard nach einer Verlagerung eines schlagkräftigen kriminalpräventiven Zwangsrechts in das Polizeirecht nicht mehr gegeben sei, basiert auf der schon kritisierten Vorstellung von der Strafprozessordnung als vermeintlichem Zufluchtsort des Rechtsstaats. Von rechtsstaatlichen Verwerfungen durch die Verlagerung in das Polizeirecht kann keine Rede sein, weil nach dem klassischen Verständnis von Prävention und Repression ein schlagkräftiges Bekämpfungsrecht mit aktionellen Befugnissen bis hin zur Präventivhaft seinen angestammten Platz im Recht der die Gefahrenvorsorge einschließenden Gefahrenabwehr hat,1288 während Bäckers Kriminalpräventionsrecht mit der Akzeptierung des Vorfeldstrafrechts der §§ 89a ff. und §§ 129 ff. StGB sowie der Preisgabe der Eingriffsschwelle der zureichenden Anhaltspunkte in § 152 Abs. 2 StPO zwei rechtsstaatliche Grundsätze aufs Spiel setzt.
1288
Müller, Präventive Freiheitsentziehungen, S. 269.
3. Teil
Operative polizeigesetzliche Kriminalitätsbekämpfung Verhinderung und Verhütung von Straftaten als Zwecke der Kriminalitätsbekämpfung wirken sich auf die Entwicklung der Dogmatik des Polizeirechts aus, sind maßgeblich für die Wahrnehmung der Aufgaben Gefahrenabwehr und Strafverfolgung und führen zur operativen Bekämpfung neuer Kriminalitätsformen. 1. Abschnitt
Dogmatische Einordnung A. Polizeirecht im Übergang I. Vorbemerkungen Als Pieroth, Schlink und Kniesel 2002 ihr Lehrbuch „Polizei- und Ordnungsrecht“ vorlegten, schrieben sie im Vorwort, dass das Polizei- und Ordnungsrecht sich in einem Übergangsstadium befinde; seine dogmatische Gestalt, die es vor rund hundert Jahren gewonnen habe, stimme infolge zahlloser ergänzender Regelungen und veränderter dogmatischen Aussagen nicht mehr so recht, ohne dass schon eine neue an seine Stelle treten könne. Die neue dogmatische Gestalt bereite sich vor, sei aber noch nicht fertig, sondern noch im Übergang, unter anderem von einem Recht der konkreten zu einem Recht der abstrakten Gefahrenabwehr. Diesem Übergang könne das Lehrbuch nicht vorgreifen, aber die erfolgten Ergänzungen und Änderungen, statt sie neben die alte dogmatische Gestalt zu stellen, ihr einfügen und, wo das nicht gehe, erklären, warum sie die alte Gestalt sprengen und auf welche neue sie hinauslaufen.1 Seitdem haben die Polizeigesetzgeber in Bund und Ländern neue Befugnisse geschaffen, deren Verfassungsmäßigkeit das Bundesverfassungsgericht zu überprüfen hatte und es dazu veranlasste, für Vorfeldmaßnahmen verfassungsrechtliche Voraussetzungen zu formulieren, die nicht mehr der klassischen Dogmatik des Gefahr- und des Störerbegriffs entsprechen.2 Seit 2017 versuchen sich die Polizei1
Pieroth/Schlink/Kniesel, POR (2002) Vorwort V. Möstl, DVBl 2007, 581 ff.; ders., DVBl 2010, 808 ff.; Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1 Rn. 280; Baldus, DV 47 (2014), 1 (6 f.). 2
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3. Teil: Operative polizeigesetzliche Kriminalitätsbekämpfung
gesetzgeber an der schwierigen Aufgabe, mit der drohenden Gefahr und neuen oder erweiterten Befugnissen – elektronische Aufenthaltsüberwachung (sogenannte Fußfessel), Aufenthaltsgeboten und -verboten, Präventivhaft und Telekommunikationsüberwachung – das Polizeirecht umzugestalten, assistiert von der Lehre, die die neuen Begriffe, insbesondere die drohende Gefahr und die neue Figur des terroristischen Gefährders in die Dogmatik des Polizeirechts einzufügen versucht.3 Dabei steht Dogmatik hoch im Kurs. Schon 2001 konstatierte Albers, das Polizeirecht stehe am Wendepunkt seiner dogmatischen Entwicklung.4 Seit 2017 ist allenthalben von fundamentalen Änderungen, Verschiebung des inneren Koordinatensystems, Paradigmenwechsel,5 einer neuen Sicht des Polizeirechts in neuen Bahnen6 oder vom Polizeirecht im Umbruch die Rede.7 Vorab ist zu erinnern, was Dogmatik leisten kann bzw. leisten muss. Für Schlink hat Dogmatik drei Funktionen zu erfüllen: Sie muss den Rechtsstoff lernbar, also beherrschbar machen, Lücken im Recht füllen und die rechtlichen Folgen einer rechtlichen Regelung, etwa im Hinblick auf ihren Bestand in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren, vorhersehbar machen.8 Dogmatik verlangt die Wissenschaftlichkeit der Aussagen, d. h. die verwendeten Begriffe und Argumentationen müssen überprüfbar und verallgemeinerungsfähig sein.9 Pieroth hat das auf den Punkt gebracht, wenn er der Dogmatik Konsistenz, Kohärenz und Konsequenz abverlangt.10
II. Entwicklungsschritte 1. Gefahrenvorsorge durch Eröffnung des Vorfelds der konkreten Gefahr Das klassische Polizeirecht besteht aus den drei Schlüsselbegriffen Gefahr, Störer und Verhältnismäßigkeit.11 Die konkrete Gefahr als zentrale Voraussetzung polizeilichen Handelns und die untrennbar mit ihr verbundene Störer-Dogmatik sind Ausdruck einer sicherheitsrechtlichen Normalvorstellung der rechtsstaatlichen
3 Kulick, AöR (143) 2018, 175 ff.; Hanschmann, KJ 2017, 434 ff.; Löffelmann, BayVBl 2018, 145 ff.; Bautze, KJ 2018, 205 ff.; Möstl, BayVBl 2020, 649 ff. 4 Albers, Determination, S. 15 ff. 5 Shirvani, DVBl 2018, 1393; Darnstädt, GSZ 2017, 16 (17). 6 Waechter, NVwZ 2018, 458. 7 Leisner-Egensperger, DÖV 2018, 677. 8 Schlink, JZ 2007, 157 (161 f.). 9 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Rn. 40. 10 Pieroth, Töddenhoeker Gespräche, Gespräch vom 27. 8. 2018. 11 Möstl, in: Möstl/Kugelmann, BeckOK PSR Bayern, Vorbem. Rn. 33; Kniesel, Freundesgabe Schlink, S. 447 (451); Barczak, Der nervöse Staat, S. 477 ff.
1. Abschn.: Dogmatische Einordnung
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Konkordanz von Freiheit und Sicherheit unter Ungewissheitsbedingungen.12 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gibt der polizeilichen Gefahrenabwehr Ziel und Maß, insbesondere dessen Herzstück, das Gebot der Erforderlichkeit der getroffenen Maßnahme.13 Von dieser Dogmatik lösen sich die neuen Befugnisse der informationellen und aktionellen Gefahrenvorsorge, die mit der Annahme von Tatsachen oder tatsächlichen Anhaltspunkten für eine bevorstehende Straftat schon im Vorfeld der konkreten Gefahr ansetzen. Neben die konkrete Gefahr tritt in der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts die konkretisierte14 und in der Rechtslehre wird zwischen der konkreten und der drohenden Gefahr letztlich kein entscheidender Unterschied mehr gesehen.15 An die Stelle des Störers tritt der potenzielle Störer in Gestalt des Gefährders, bei dem tatsächliche Anhaltspunkte für eine geplante Straftatbegehung vorliegen. Bei der Verhältnismäßigkeit ergibt sich eine Leerstelle, weil das Prinzip in seiner Funktion als Einzelfallkorrektiv bei der Gefahrenvorsorge versagt;16 hatten die konkrete und die abstrakte Gefahrenabwehr ihren Fixpunkt in der Erforderlichkeit, nach der beurteilt werden konnte, ob ein Eingriff als erfolgreicher den gefährlichen Geschehensablauf unterbrach oder als misslungener zum Schaden führte, fehlt ein vergleichbarer Fixpunkt bei der Gefahrenvorsorge, weil diese informationell unersättlich ist.17 2. Informationelle und aktionelle Vorsorge a) Informationelle Maßnahmen Die informationelle Gefahrenvorsorge im Vorfeld der konkreten Gefahr wird mit der klassischen Dogmatik als vereinbar angesehen, weil die Maßnahmen der Datenerhebung und -verarbeitung aktionelle vorbereiten, aber selber nicht in einen Kausalverlauf eingreifen18; ihr Zweck besteht allein darin, die Beurteilungsgrundlage für die aktionelle Gefahrbeseitigung zu schaffen.19 Es handelt sich um verschiedene Befugnisschichten, die dogmatisch zusammengebracht werden können,20 weil die informationellen Befugnisse die notwendige Vorstufe der Gefahrenabwehr 12
Barczak, Der nervöse Staat, S. 477 ff. Schlink, VVDStRL 48 (1990), 235 (258). 14 BVerfGE 141, 220 (272 f.); BVerwGE 158, 225 Rn. 25 – 34; 158, 249 Rn. 29 ff. und 35 ff. 15 Möstl, BayVBl 2020, 649 ff.; ders., DVBl 2020, 160 ff.; ders., BayVBl 2018, 156 ff. 16 Volkmann, NVwZ 2009, 216 (220); Schulze-Fielitz, in: FS Schmitt Glaeser, S. 423; Schenke, POR Rn. 340. 17 Schlink, VVDStRL 48 (1990), 235 (258). 18 Möstl, in: Möstl/Kugelmann, BeckOK PORNRW, Vorbem. Rn. 92 f.; Gusy, POR, Rn. 185 ff. 19 S. dazu B. II. 2. a) bb) (2). 20 Barczak, Der nervöse Staat, S. 497 ff.; Pieroth, DV53 (2020), 39 (49). 13
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3. Teil: Operative polizeigesetzliche Kriminalitätsbekämpfung
bilden.21 An die Gefahr-Störer-Dogmatik des klassischen Polizeirechts sind die informationellen Vorfeldbefugnisse deshalb nicht gebunden, aber der Gesetzgeber ist gefordert, eine auf die Vorfeldsituation zugeschnittene rechtsstaatliche Systembildung bezüglich tatbestandlicher Voraussetzungen für eine Eingriffsschwelle und zulässigerweise Betroffene gekoppelt mit kompensatorischen grundrechtssichernden Verfahrensvorschriften zu entwickeln.22 b) Aktionelle Maßnahmen aa) Notwendigkeit und Entwicklung Aktionelle Maßnahmen ohne Vorliegen einer konkreten Gefahr können nur dann in Betracht kommen, wenn die real existierende Kriminalität das defensive Modell des Abwartenkönnens in Gestalt der spät gezogenen Verteidigungslinie der konkreten Gefahr in Frage stellt. Solange Polizei die bestehende Kriminalität mit einer ausreichenden Polizeidichte und den klassischen Überwachungsinstrumenten bekämpfen kann, ist es möglich, die konkrete Gefahr als Eingriffsschwelle für Gefahrenabwehrmaßnahmen beizubehalten und die Bürger nicht schon als potenzielle Straftäter ins polizeiliche Visier zu nehmen. Das änderte sich in den 1970er Jahren mit den Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität und den Anschlägen der RAF. Gegen verdeckt im Untergrund operierende kriminelle Strukturen musste auch verdeckt schon im Vorfeld der konkreten Gefahr vorgegangen werden. Insoweit wurde die Verteidigungslinie schon mit § 9 Abs. 1 Nrn. 2 – 4 MEPolG vom 25. 11. 1977 vorverlegt, wonach Identitätsfeststellungen an gefährlichen und gefährdeten Orten und an von der Polizei eingerichteten Kontrollstellen bei allen dort aufhältigen Personen durchgeführt werden konnten. Diese Möglichkeit der Identitätsfeststellung, aber auch die Informationsbeschaffungsmaßnahmen in den §§ 8a ff. VEMEPolG vom 12. 3. 198623 stellten nicht nur Befugnisse zur Datenerhebung zwecks Erstellung eines Lagebildes der real existierenden Kriminalität dar, sondern beinhalteten schon eine aktionelle Komponente dergestalt, dass durch die Maßnahmen der Datenerhebung, von der Identitätsfeststellung über die Observation bis zum Einsatz eines verdeckten Ermittlers, ein Überwachungsdruck entstand, der durch Verunsicherung und Abschreckung Auswirkungen auf das Verhalten von Personen hatte. Insbesondere durch Razzien ließ sich ein Kontrolldruck aufbauen, der die kriminellen Aktivitäten bestimmter Gruppierungen störte. Ein solches Vorgehen war nicht neu, sondern wurde von der preußischen Polizei schon in den 1930er Jahren vor allem in Berlin gegen das erstarkte Berufsverbrechertum angewendet.24 Diese aktionelle Komponente wurde in ihrer mittelbar verhaltenssteuernden Wirkung in den 21
Möstl, DVBl 2007, 581 (84); Gusy, POR, Rn. 185 ff. Möstl, in: Möstl/Kugelmann, BeckOK PORNRW, Vorbem. Rn. 94; Kral, Vorfeldbefugnisse, S. 24; Kießling, VerwArch 108 (2017), 282 ff. 23 Kniesel/Vahle, Polizeiliche Informationsverarbeitung, S. 24 ff. 24 Terhorst, Überwachung, S. 88 ff. 22
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1990er Jahren mit der Videoüberwachung an kriminalitätsbelasteten Örtlichkeiten, dem automatisierten Kennzeichenabgleich und der Schleierfahndung gesteigert, wodurch mit diesen offen erfolgenden Datenerhebungen ein neuer Typus von Bekämpfungsmaßnahmen entstand. Zwar geht es bei diesen Maßnahmen auch um Informationsbeschaffung zur Lagebilderstellung, doch ist ihr eigentliches Ziel die indirekte Verhaltenssteuerung durch Verunsicherung und Abschreckung der betroffenen Personen und ihrer Hintermänner. Diese neuen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen nehmen eine Sonderstellung zwischen den vorbereitenden informationellen und den klassischen in einen Kausalverlauf eingreifenden und an das Vorliegen einer konkreten Gefahr gebundenen aktionellen Befugnisse ein, weil sie wegen ihrer abschreckenden und verunsichernden Wirkung mittelbar kausalverlaufsrelevant sind.25 Mischformen sind auch die der Identitätsfeststellung dienenden Razzien und die elektronische Aufenthaltsüberwachung. Eine neue Qualität haben dagegen die zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten eingesetzten Vorfeldmaßnahmen der Aufenthaltsverbote und -gebote, des Kontaktverbots, der Gefährderansprache und der Meldeauflage, weil sie keinen informationellen Gehalt haben, sondern rein aktioneller Natur sind. Besonders deutlich wird das bei der Gefährderansprache, wo die Polizei dem Betroffenen offensiv gegenübertritt, um mit an der ihn gerichteten Warnung eine Verhaltensänderung zu bewirken. Allerdings sind die genannten Maßnahmen den eine Sonderstellung einnehmenden Aufklärungsmaßnahmen mit aktioneller Wirkung vergleichbar, weil ihre aktionelle Wirkung ebenfalls eine mittelbare ist; die kausalverlaufsrelevante Handlung tritt nicht wie bei den klassischem Beseitigungsmaßnahmen durch die behördliche Anordnung bzw. Handlung ein, sondern erst durch ein Tun oder Unterlassen des Betroffenen, mit dem er die kausalverlaufsrelevante Handlung selber vornimmt, indem er sich an die Vorgaben für Aufenthalt und Kontakt hält, die Gefährderansprache beherzigt und nicht zum nächsten Spiel der Bundesliga oder zur Demonstration geht bzw. der Meldeauflage folgt und auf der Polizeiwache zu einem Zeitpunkt erscheint, der es ihm unmöglich macht, beim Spiel oder bei der Demonstration anwesend zu sein. Mit den Anschlägen des islamistischen Terrorismus nach dem 11. 9. 2001 änderte sich die Bedrohungslage gegenüber dem Terrorismus der RAF und ihrer Nachfolgeorganisationen grundlegend. Unter uns lebende Terroristen als sogenannte Schläfer oder über das Internet fremd- oder auch selbstradikalisierte Muslime, die vorher nicht straffällig geworden sind und auch sonst ein unauffälliges Verhalten an den Tag legen, können unvermittelt und ohne aufwändige Vorbereitung mit leicht zu beschaffenden Mitteln Anschläge verüben, bei denen sie auch bereit sind, zum Gelingen ihr Leben einzusetzen. Eine lange Zeit diffus bleibende terroristische Bedrohung kann sich also jederzeit und ohne großen Vorbereitungsaufwand realisieren.26 Demzufolge ist die Zeitspanne, in der Ort, Zeitpunkt und Art und Weise des
25 26
Möstl, BeckOK PSR Bayern, Vorbem. Rn. 45.1. BVerfG, NVwZ 2017, 1526 (1528).
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3. Teil: Operative polizeigesetzliche Kriminalitätsbekämpfung
Anschlags für die Sicherheitsbehörden erkennbar werden könnten, meist zu kurz, als dass eine wirksame Abwehrchance bestünde.27 Das Bundesamt für Verfassungsschutz ordnete im April 2019 2.240 Personen in Deutschland dem islamistisch-terroristischen Spektrum zu.28 Das Bundeskriminalamt hat mit Stand vom 23. 10. 2018 mit Hilfe des Risikobewertungsinstruments RADAR-iTE29 ein Verfahren entwickelt, das eine transparente, nachvollziehbare und bundesweit einheitliche Bewertung des Gewaltrisikos von polizeilich bekannten militanten Salafisten ermöglichen soll.30 Mit diesem Verfahren wurden 368 Personen ermittelt und in den drei Risikostufen – moderates, auffälliges und hohes Risiko – bewertet.31 Ca. 40 Prozent wurden der Gruppe mit hohem Risiko zugeordnet; bei diesen etwa 150 Hoch-Risiko-Personen befürchtet das Bundeskriminalamt einen Anschlag und trifft situationsangemessene Maßnahmen. Der Gruppe mit auffälligem Risiko wurden 10 Prozent und der mit moderatem Risiko 50 Prozent zugeordnet; auch bei diesen Gefährdern ist von einer Anschlagsbereitschaft auszugehen bzw. eine solche nicht auszuschließen.32 In Ansehung dieser Zahlen, der Vorgehensweise islamistisch-terroristischer Gefährder und ihrem Anwachsen durch rückkehrende IS-Kämpfer33 kann die Sicherheitspolitik der Frage nicht ausweichen, ob der Polizei nicht effektive aktionelle Handlungsbefugnisse zum physischen Eingreifen schon im Vorfeld der konkreten Gefahr zur Verfügung gestellt werden müssen, um weitere Anschläge durch islamistisch-terroristische Gefährder zu verhindern. Da für eine 24-stündige Dauerbewachung von Gefährdern keine Befugnisnorm vorhanden ist,34 bleiben nur freiheitsbeschränkende bzw. entziehende Maßnahmen. Erstere sind die eingeführten Aufenthalts- und Kontaktverbote sowie die elektronische Aufenthaltsüberwachung mittels einer sogenannten Fußfessel und als Maßnahme der Freiheitsentziehung ist die Präventivhaft in unterschiedlicher Dauer geregelt worden,35 die als aktionelle 27
Kulick, AöR 143 (2018), 175 (177). BT-Drs. 19/5648, S. 11. 29 „Regelbasierte Analyse potenziell destruktiver Täter zur Einschätzung des Risikos Islamistischer Terrorismus.“ 30 BT-Drs. 19/5648, S. 5 f. 31 BT-Drs. 19/5648, S. 5 f. 32 BT-Drs. 19/5648, S. 5 f. 33 Logvinov, Kriminalistik 2019, 31 ff. 34 S. dazu 2. Teil, 3. Abschnitt, D. II. 1. b) cc) (3) (c) (aa) (b). 35 Wenn die neue Möglichkeit einer dauerhaften Ingewahrsamnahme möglich wird, stellt sich die Frage, wo sie vollzogen werden soll. Das polizeiliche Gewahrsam in den Polizeipräsidien ist nur für eine kurzfristige Unterbringung ausgelegt. Für eine Präventivhaft hat schon v. Mohl (System, S. 548) darauf hingewiesen, dass sie sich in ihren Voraussetzungen und Möglichkeiten von einer strafprozessualen oder strafrechtlichen Inhaftierung grundlegend unterscheiden müsse, weil sie ausschließlich der Verhinderung des Freiheitsmissbrauchs der Inhaftierten dienen dürfe. Das Lager, in dem Gefährder untergebracht werden würden, müsste ein bewachter Aufenthaltsort sein, in dem kein Zwang zur Arbeit ausgeübt wird und keine 28
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Maßnahme den Eingriff in einen für wahrscheinlich gehaltenen Kausalverlauf der Vorbereitung eines terroristischen Anschlags ermöglicht. bb) Zulässigkeit aktioneller Vorfeldmaßnahmen (1) Streitstand Ob aktionelle Maßnahmen, insbesondere die Präventivhaft ohne das Vorliegen einer konkreten Gefahr verfassungsrechtlich zulässig sind, wird unterschiedlich beurteilt. Eine rechtsstaatlich rigide Auffassung geht davon aus, dass im Gefahrenvorfeld grundsätzlich nur informationelle Maßnahmen, nicht aber Eingriffe in den Kausalverlauf zur Gefahrbeseitigung verfassungsrechtlich zulässig sind;36 als Ausnahmen werden aktionelle Maßnahmen zugelassen, wenn sie lediglich dienende Funktion für im Schwerpunkt informationelle Maßnahmen haben (etwa Durchsuchung und Sicherstellung bei Identitätsfeststellungen), wenn es sich um Anordnungsbefugnisse für Freiheitsbeschränkungen zur Ermöglichung von Informationseingriffen handelt (etwa bei der elektronischen Aufenthaltsüberwachung) oder bei Freiheitseinschränkungen (Aufenthaltsvorgaben, Kontaktverbote, Meldeauflage und Gefährderansprache), die unterhalb der Freiheitsentziehung bleiben und unter erhöhte Rechtfertigungsanforderungen gestellt werden.37 Noch rigidere Kritiker lehnen eine Absenkung der Eingriffsschwelle für aktionelle Maßnahmen unter Hinweis auf eine Passage des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz ab38, aus der folge, dass das Gericht eine Vorverlagerung der Eingriffsschwelle nur für reine Überwachungsmaßnahmen, nicht aber für aktionelle, in den Kausalverlauf eingreifende Maßnahmen wie Aufenthaltsanordnungen und Kontaktverbote gebilligt habe.39 Dagegen wird eingewandt, dass das Bundesverfassungsgericht mit der positiven Aussage zu Überwachungsmaßnahmen keine negative über aktionelle Befugnisse gemacht habe; das Gericht habe vielmehr im gegebenen Zusammenhang ausgeführt, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht von vornherein für jede Art der Aufgabenwahrnehmung auf die Schaffung von Eingriffstatbeständen beschränkt sei, die dem tradierten sicherheitsrechtlichen Modell der Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren entsprächen. Vielmehr könne er die Grenzen für bestimmte Bereiche mit dem Ziel schon der Straftatenverhütung auch weiter ziehen, indem er die Anforderungen an den Kausalverlauf reduziere; diese Umerziehung stattfindet, aber ein Bildungs-, Freizeit- und Arbeitsangebot gemacht wird, s. v. Mohl, System, S. 548 ff. 36 Pieroth, DV (53) 2020, 39 (49); Barczak, Der nervöse Staat, S. 496 ff. 37 Pieroth, DV (53) 2020, 39 (49). 38 BVerfGE 141, 220 (271). 39 Amnesty International, Stellungnahme 17/646, S. 5 in der Anhörung vor dem Innenausschuss des Landtags NRW vom 06. 07. 2018; Gazeas, Stellungnahme 17/662, S. 12 und 25 f. und Stellungnahme 17/945, S. 17 in der Anhörung (s. o.).
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Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts werden als vom Charakter der jeweiligen Eingriffsmaßnahme losgelöste generalisierende Aussagen verstanden, mit der Folge, dass dann aktionelle Maßnahmen im Vorfeld der konkreten Gefahr nicht grundsätzlich ausgeschlossen sein können.40 Dabei wird die elektronische Aufenthaltsüberwachung unterschiedlich beurteilt. Ein Teil der Rechtslehre sieht diese Befugnis ausschließlich als informationelle,41 ein anderer Teil als aktionelle,42 während Barczak in dieser Befugnis beide Komponenten enthalten sieht, weil sie sowohl auf Erkenntnisgewinnung als auch Verhaltensbeeinflussung gerichtet sei.43 (2) Eigene Lösung Aktionell gehandelt hat die Polizei bei der Wahrnehmung des Auftrags der Gefahrenabwehr seit jeher, ohne dass zwischen einem Hauptfeld und einem Vorfeld unterschieden worden wäre. Diese Unterscheidung wurde erst mit der gesetzlichen Regelung der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten deutlich, die Reaktion auf die Erkenntnis war, dass Informationsbeschaffungsmaßnahmen Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und deshalb auf Befugnisnormen zu stützen waren. Insoweit war das Erkenntnisinteresse auf informationelle und nicht auf aktionelle gerichtet. Erstere erfolgten bei der polizeilichen Gefahrenabwehr aber nicht um ihrer selbst willen, sondern dienten schon immer der Vorbereitung aktioneller Maßnahmen. Wenn dieser enge Bezug besteht, kann nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass nur informationelle Maßnahmen im Vorfeld der konkreten Gefahr erfolgen können. Das belegt ein Blick in die Polizeigeschichte. Informationelle Maßnahmen in Form des systematischen Sammelns von Informationen über Personen, die es „zu polizieren“ galt, hat es bei der Polizei seit 1815 gegeben; die Informationsvorsorge ist also nicht erst von Horst Herold erfunden worden, sondern war schon lange Entscheidungsgrundlage für Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung.44 Zum Problem wurden informationelle Maßnahmen erst, nachdem sich mit dem Volkszählungsgesetz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Erkenntnis durchgesetzt hatte, dass sie Eingriffe in das neue Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung darstellten und deshalb nicht mehr als schlichthoheitliches Handeln auf die Gefahrenabwehraufgabe als Rechtsgrundlage gestützt werden konnten. Die nunmehr geforderten Gesetzgeber mussten somit für die neuen Befugnisnormen zur Datenerhebung und -verarbeitung eine Eingriffsschwelle festlegen. Um die Polizei in den Stand zu setzen, den Herausforderungen durch die 40
v. Coelln/Pernice-Warnke/Pützer/Reisch, NWVBl 2019, 89 (94). Gusy, Stellungnahme 17/630, S. 10 in der Anhörung vom 06. 07. 2018, S. 10; Schwarz, Stellungnahme 17/632 in der Anhörung vom 6. 7. 2018, S. 9. 42 Armenat/Kretschmann, JuS 2017, 647 (648 f.); LT-Drs. 7/1320, S. 18 (MecklenburgVorpommern): Mit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung wird die Möglichkeit geschaffen, Anordnungen zu treffen, mit denen bereits in den schadensträchtigen Kausalverlauf eingegriffen und die Gefahrverwirklichung unterbunden werden kann 43 Barczak, in: Möstl/Kugelmann, BeckOK PORNRW, § 34c Rn. 9. 44 Rusteberg, Normalzustand, S. 191 (197 f.). 41
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neuen Kriminalitätsformen des Terrorismus und der organisierten Kriminalität wirksam begegnen zu können, senkten sie die Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr ab, indem sie informationelle Maßnahmen schon zuließen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte bzw. Tatsachen die Annahme begründeten, dass eine Person künftig eine Straftat begehen würde. Diese Absenkung war plausibel und wurde nicht infrage gestellt, weil effektive Maßnahmen zur Gefahrenbeseitigung eine Aufklärung der Lage durch informationelle Maßnahmen zur Voraussetzung hatten. Als die Polizeigesetzgeber aber seit den 1990er Jahren auch aktionelle Maßnahmen (Aufenthaltsverbot) und Maßnahmen mit aktionellem Gehalt (Videoüberwachung, automatisierter Kennzeichenabgleich und Schleierfahndung) einführten, entbrannte die Diskussion um die Frage, ob auch diese Maßnahmen an die für informationelle geltende abgesenkte Eingriffsschwelle oder an die klassische der konkreten Gefahr gebunden sein sollten. Das verstellte den Blick auf die entscheidende Frage, ob über die Zulässigkeit aktioneller Vorfeldmaßnahmen nicht im Kontext der Notwendigkeit einer effektiven Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität entschieden werden müsste. Dafür spricht eine wortlautorientierte und genetische Auslegung der Begriffe Verhinderung und Verhütung. Um Straftaten verhindern oder verhüten zu können, reicht das systematische Sammeln und Auswerten von Informationen nicht aus, es bedarf vielmehr auch handfester Maßnahmen, die in einen Kausalverlauf eingreifen, damit Straftaten nicht geschehen. Eben dieser Bedeutungsgehalt ist den Begriffen Verhinderung und Verhütung eigen; laut Duden bedeutet verhindern das Bewirken, dass etwas nicht geschieht bzw. ausgeführt wird und verhüten das Eintreten (von etwas) durch vorbeugende Maßnahmen verhindern.45 Aus dem VEMEPolG folgt, dass es den Verfassern mit der Erweiterung des polizeilichen Auftrags zur Gefahrenabwehr um die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten darum ging, der Polizei ein wirksames Vorgehen gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität zu ermöglichen. Nur mit Sammeln und Auswerten von Informationen lässt sich das nicht erreichen. Weil aktionelle Vorfeldmaßnahmen als Form der Gefahrenvorsorge eine besondere Herausforderung für den Rechtsstaat darstellen, müssen Sie einer besonderen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen werden; „wie eng und wie weit die Tatbestände sein sollen, wie unbestimmt ihre Rechtsbegriffe sein dürfen – diese Fragen haben bei der Gefahrenvorsorge eine andere Brisanz als bei der Gefahrenabwehr.“46 Der Gesetzgeber muss festlegen, „wieviel Gefahrenvorsorge sein soll, und das Ziel der Gefahrenvorsorge zu Unterzielen kleinarbeiten, an denen Eingriffe wieder auf ihre Erforderlichkeit überprüft werden können. Je mehr Gefahrenvorsorge betrieben werden soll, desto mehr ist der Gesetzgeber gefordert“.47 Er kommt nicht umhin, für echte aktionelle Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität eine gegenüber der konkreten Gefahr abgesenkten Eingriffsschwelle – 45 46 47
Duden, Bedeutungswörterbuch, S. 1053 und 1054. Schlink, VVDStRL 48 (1990), 235 (258). Schlink, VVDStRL 48 (1990), 235 (259).
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3. Teil: Operative polizeigesetzliche Kriminalitätsbekämpfung
etwa der konkretisierten Gefahr im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts – zu schaffen. Echte aktionelle im Vorfeld der konkreten Gefahr können vom Gesetzgeber zugelassen werden, wenn sie ihre Legitimation im Schutz überragend wichtiger Rechtsgüter wie Leib, Leben und Freiheit finden.48 Weitere legitimierende Voraussetzung ist, dass der abzuwehrenden Gefahr der Begehung weiterer Anschläge mit den Mitteln des klassischen Polizeirechts nicht mehr begegnet werden kann.49 3. Drohende Gefahr und Präventivhaft als neue Leitbegriffe In der seit 2017 laufenden Phase der weiteren Aufrüstung der Polizeigesetze dominieren die Begriffe der drohenden Gefahr und der Präventivhaft. Die drohende Gefahr ist zwar nur im bayerischen Polizeiaufgabengesetz ausdrücklich gesetzlich verankert, aber in der Sache in den Polizeigesetzen von Baden-Württemberg, Brandenburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen enthalten, indem die tatbestandlichen Voraussetzungen der dort geregelten neuen Vorfeldmaßnahmen denen der drohenden Gefahr dadurch entsprechen, dass sie den tatbezogenen Gefahrenverdacht der möglichen Begehung einer terroristischen Straftat und den personenbezogenen Verdachtstatbestand der durch das individuelle Verhalten einer Person drohenden Gefahr einer terroristischen Straftat vorsehen.50 Der Begriff der drohenden Gefahr ist höchst umstritten. Einerseits wird er für tauglich befunden, die Gefahrenschwelle für Vorfeldmaßnahmen einschließlich bestimmter aktioneller zu markieren, unabhängig davon, für welche Art von Gefahren dadurch Vorsorge getroffen wird und zugleich könne die drohende Gefahr als „dogmatische Brücke zwischen den Vorfeldermittlungen des modernen Präventionsstaats und den klassischen Eingriffsinstrumentarien des liberalen Rechtsstaats“ dienen.51 Dagegen hält Pieroth die drohende Gefahr für eine gefährliche Begriffsbildung; es handele sich nicht nur um eine Tautologie, weil es einer Gefahr schon vom Wortlaut her eigen sei, dass sie drohe,52 sondern es gehe auch um die Bewahrung des rechtsstaatlichen Grundsatzes, dass im Regelfall die konkrete Gefahr tatbestandliche Voraussetzung für aktionelle, unmittelbar in einen Kausalverlauf eingreifende Maßnahmen ist.53 Die Präventivhaft als Freiheitsentziehung neben den freiheitsbeschränkenden Vorfeldmaßnahmen der Aufenthaltsvorgaben und der elektronischen Aufenthaltsüberwachung verdeutlicht, insbesondere in der bayerischen Version des bis zu zwei 48
BVerfGE 120, 274 (328). Kießling, Die aktionellen Maßnahmen im Vorfeld, S. 281 f.; Kral, Vorfeldbefugnisse, S. 199. 50 Barczak, in: Möstl/Kugelmann, Beck PORNRW, § 34b Rn. 13 ff. und 17 ff. 51 Leisner-Egensperger, DÖV 2018, 677 (685). 52 Pieroth, DV 53 (2020), 39 (44). 53 Pieroth, DV 53 (2020), 39 (49). 49
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Monaten möglichen Wegsperrens, die Tendenz der Ausweitung aktioneller Maßnahmen. Insbesondere im Hinblick auf die besondere Gefährdungsdimension durch terroristische Anschläge, bei denen von jetzt auf gleich ohne große Vorbereitung mit einfach zu beschaffenden Mitteln losgeschlagen werden kann, zeigt das Instrument der Präventivhaft, dass die Polizeigesetzgeber der Polizei das Vorfeld der konkreten Gefahr nicht nur für informationelle Maßnahmen öffnen wollen, sondern es darüber hinaus für geboten halten, dass mit der Präventivhaft eine aktionelle Maßnahme zur Verfügung gestellt wird, die der Polizei das physische Eingreifen in Gestalt des unmittelbaren Eingriffs in den Kausalverlauf eines geplanten oder schon begonnenen Tuns ermöglicht, um so einen Anschlag zu verhindern.54 Damit stellt eine solche Präventivhaft einen Paradigmenwechsel im Polizeirecht dar.
B. Neue dogmatische Struktur Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus und die organisierte Kriminalität hat polizeiliches Agieren im Vorfeld der konkreten Gefahr unabdingbar gemacht und die Gesetzgeber im Bund und Länder dazu veranlasst, der Polizei Vorfeldbefugnisse mit einer abgesenkten Gefahrenschwelle zur Verfügung zu stellen. Insbesondere die drohende Gefahr und die Präventivhaft geben insoweit Anlass zu fragen, welche Auswirkungen diese Vorverlagerung des Polizeirechts auf seine Dogmatik hat. Taugen die Rechtsfigur der drohenden Gefahr und eine von der konkreten Gefahr abgelöste Präventivhaft als Brücken zwischen der klassischen Gefahr-Störer-Dogmatik und der neuen auf die Gefahrenvorsorge ausgerichteten Dogmatik oder handelt es sich bei der drohenden Gefahr und der Präventivhaft um Grenzmarkierungen mit Ausnahmecharakter? Nur letzteres kann in Betracht kommen. Seit den Vorfeldregelungen im VEMEPolG von 1986 stehen in den Polizeigesetzen die Befugnisse zur Gefahrbeseitigung und Gefahrenvorsorge nebeneinander und kommen auch nebeneinander zur Anwendung, jeweils nach ihren unterschiedlichen tatbestandlichen Voraussetzungen, die einen nach Maßgabe der Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr, die anderen mit der abgesenkten der Tatsachen oder tatsächlichen Anhaltspunkte für die bevorstehende Begehung einer Straftat. Insoweit haben die Polizeigesetzgeber neben das tradierte Modell der reaktiven Gefahrenabwehr das Modell der proaktiven Gefahrenabwehr als vorbeugende Bekämpfung von Straftaten gestellt. Mit diesen beiden Modellen besteht im geltenden Polizeirecht ein Regel-Ausnahmeverhältnis, das reaktive Polizeirecht für die „normale“ Kriminalitätsbekämpfung, das proaktive Polizeirecht für besondere Kriminalitätsformen, insbesondere den Terrorismus und die organisierte Kriminalität, für die die Mittel des klassischen Polizeirechts nicht ausreichen. Diese Zweiteilung besteht inzwischen seit über 30 Jahren, ohne dass die Ausnahme zur Regel geworden wäre. Die drohende Gefahr, wie sie in Art. 13 Abs. 3 bayPAG als Teil der polizei54
S. dazu näher Kniesel, GSZ 2021, 111 ff.
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lichen Generalklausel geregelt ist, erlaubt indes der Polizei, schon im Vorfeld der konkreten Gefahr die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um den Sachverhalt aufzuklären und gegebenenfalls auch in den Kausalverlauf einzugreifen. Die für den polizeilichen Alltag der Gefahrenabwehr vorgesehene Generalklausel mit der drohenden Gefahr auch für die Gefahrenvorsorge auszustatten, sprengt das bisherige Regel-Annahme-Verhältnis zwischen reaktiver und proaktiver Polizeiarbeit und stellt einen Eingriff in die rechtsstaatliche Herzkammer des Polizeirechts dar55, der das verbundene Nebeneinander von Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge beendet. Das klassische Polizeirecht bleibt deshalb als Grundmodell unverzichtbar, weil es der Disziplinierung des modernen Polizeirechts bei den Versuchen dient, es zu Gunsten des proaktiven Modells in einer Weise auszubauen, die keinen Kompromiss zwischen Sicherheitsbedürfnissen und Freiheitsrechten mehr abbilden würde. Als die Polizeigesetzgeber vor über 30 Jahren in den Polizeigesetzen die Vorgaben des VEMEPolG von 1986 umsetzten, die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten in die Aufgabe der Gefahrenabwehr aufnahmen und in den Befugnisnormen zur tatbestandlichen Voraussetzung für informationelle und auch schon für erste aktionelle Maßnahmen machten, ohne sich zu diesem dogmatischen Bruch mit dem klassischen Polizeirecht zu erklären, haben sie der Entwicklung des Polizeirechts Zeit und Raum verschafft.56 Aus heutiger Sicht haben die Gesetzgeber eine kluge Entscheidung getroffen, als sie dem klassischen Polizeirecht, wenn auch nicht abgestimmt, ein neues an die Seite stellten und damit den Grundstein für ein im Regel-AnnahmeVerhältnis verbundenes Polizeirecht legten. In einem solchen Nebeneinander, in dem das klassische Polizeirecht das neue diszipliniert, könnte die polizeirechtliche Dogmatik ihre neue Gestalt gefunden haben. 2. Abschnitt
Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben A. Vorlauf und Vorrang des Polizeirechts I. Informationelle Vorfeldmaßnahmen Da § 152 Abs. 2 StPO keine informationellen Vorfeldmaßnahmen als sogenannte Vorfeld-, Initiativ- oder Strukturermittlungen zulässt, können solche „Ermittlungen“ nur als Aufklärung durch Gefahrensuche auf die polizeigesetzliche Gefahrenabwehr gestützt werden. Nimmt die Polizei ein Verhalten zum Anlass, eine Person zu überprüfen und ergibt sich dabei der Verdacht einer Straftat, so ist das das Ergebnis, 55
Möstl, BayVBl 2018, 156. Damit wäre aber auch für die Entwicklung des Polizeirechts die katechontische Funktion des Rechts von Bedeutung, Schlink, VVDStRL 48 (1990), 235 (260 f.). 56
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nicht die Voraussetzung der Überprüfung. Gefahrensuche ist keine Verdachtsschöpfung, kann aber zur Schöpfung eines Verdachts führen. Solche Gefahrenerkennung ist der Verdachtsschöpfung zeitlich vorgelagert, weil letztere erstere voraussetzt.57
II. Aktionelle polizeigesetzliche Maßnahmen statt Bekämpfungsstrafrecht Das Polizeirecht enthält in zahlreichen Bestimmungen eine gegenüber der konkreten Gefahr abgesenkte Eingriffsschwelle, nach der Tatsachen oder tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme ausreichen, dass eine Person eine Straftat begehen wird und deshalb bereits Maßnahmen zur Verhütung möglich sind.58 So kann etwa die Überwachung der laufenden Telekommunikation erfolgen, wenn das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie innerhalb eines übersehbaren Zeitraums auf eine zumindest ihrer Art nach konkretisierte Weise eine terroristische Straftat begehen wird.59 Tatsachen bzw. tatsächliche Anhaltspunkte müssen sich auf äußere Gegebenheiten beziehen, sodass eine kriminelle Gesinnung oder ein Hang zu Straftaten als innere Tatsachen nicht ausreichen.60 Äußere Tatsachen liegen vor, wenn sie sich auf erkennbare Umstände in der Außenwelt beziehen, die den plausiblen Schluss auf die Möglichkeit einer bevorstehenden Straftat nahelegen. Reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen und lediglich auf kriminalistische Alltagserfahrungen gestützte, fallunabhängige Vermutungen stellen keine ausreichende Tatsachengrundlage dar.61 Die Strafprozessordnung kennt eine solche gesetzliche Vorverlagerung nicht, weil § 152 Abs. 2 strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen erst zulässt, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Straftat begangen worden ist. Gleichwohl werden Vorfeldermittlungen, insbesondere bei der Bekämpfung des Terrorismus dadurch ermöglicht, dass das materielle Strafrecht mit den abstrakten Gefährdungsdelikten der §§ 89a – c und 91 sowie den §§ 129, 129a, und 129b StGB eine Vorverlagerung der Strafbarkeit in den Bereich der straflosen Vorbereitungshandlungen zugelassen hat und in der Praxis der Strafverfolgung zur Feststellung des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen der genannten Straftatbestände sogenannte Vorermittlungen für zulässig gehalten werden.62
57
S. 2. Teil, 4. Abschnitt, B. II. 1. c) cc). Kingreen/Poscher, POR, § 8 Rn. 53; Kniesel, DP 2017, 189 (192); §§ 9a Abs. 2, 8b, 8c Abs. 1 Nr. 2, 8d Abs. 1 Nr. 2 VEMEPolG. 59 So z. B. § 20c Abs. 1 Nr. 2 nwPolG. 60 Graulich, HdBPR, E. Rn. 150. 61 BVerfGE 125, 260 (330). 62 S. 2. Teil, 4. Abschnitt, B. I. 2. 58
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In der Praxis sieht das wie folgt aus. Der Generalbundesanwalt hat im Jahr 2018 im Zuständigkeitsbereich der Abteilung Terrorismus 1.677 Prüfvorgänge mit APRAktenzeichen angelegt und entsprechende Vorermittlungen durchgeführt, um zu klären, ob eine Strafverfolgungszuständigkeit des Generalbundesanwalts zur Verfolgung von Straftaten nach den §§ 89a ff. StGB vorlag.63 Es ging also in all diesen in der Strafprozessordnung nicht vorgesehenen Verfahren darum, sowohl zureichende Anhaltspunkte für eine begangene Straftat als auch die tatbestandlichen Voraussetzungen der in den § 89a Abs. 2 Nrn. 1 – 3 und Abs. 2a StGB unter Strafe gestellten Verhaltensweisen zu ermitteln. Solche teilweise neutralen Verhaltensweisen als tatbestandliche Voraussetzungen des § 89a Abs. 2 Nrn. 1 – 3 StGB können nur bejaht werden, wenn man sich mit Anhaltspunkten für deren Vorliegen begnügt. Kommen zu solchen Anhaltspunkten noch unterstellte zureichende Anhaltspunkte im Sinne von § 152 Abs. 2 StPO hinzu, so handelt es sich lediglich um Vermutungen. Wenn diese dann für ein strafrechtliches Vorgehen gegen mutmaßliche Terroristen ausreichen, entsteht eine Schieflage im Verhältnis von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, in der das mit seinen Rechtsfolgen – insbesondere der Möglichkeit der Verhängung langjähriger Haftstrafen – eingriffsintensivere Strafrecht in seinem Verbund mit dem als Teil des Bekämpfungsstrafrecht verstandenen Strafverfahrensrecht eher zur Anwendung kommt als das eingriffsschwächere, auf effektive Gefahrenabwehr ausgerichtete Polizeirecht, das im Vorfeld der konkreten Gefahr tatsächliche Anhaltspunkte bzw. Tatsachen voraussetzt und damit Vermutungen ausschließt. Die Vorverlegung der Grenzen der Strafbarkeit durch die Vorfelddelikte der §§ 89a ff. StGB bewältigt faktisch prozessuale Beweisschwierigkeiten und ergänzt gefahrenabwehrrechtliche Ermächtigungsgrundlagen um strafrechtliche Eingriffsbefugnisse.64 Mit dieser Instrumentalisierung unterbietet der Straf- und Strafverfahrensrechts-Verbund die polizeirechtlichen Standards, verstößt damit gegen das Ultima-Ratio-Prinzip und outet sich als feindstrafrechtlich geprägtes antizipiertes Ausnahmezustandsrecht.65 Die Schieflage zwischen Straf- und Strafverfahrensrecht und Polizeirecht ließe sich stimmig dadurch beseitigen, dass anstelle strafprozessualer, auf Vorfelddelikte bezogener Vorfeldermittlungen polizeigesetzliche Aufklärungsverfahren durchgeführt werden, die die drohende Verletzung von zum Teilschutzgut der öffentlichen Sicherheit gehörende, im Zusammenhang mit der Bekämpfung des islamischen Terrorismus stehende Ge- und Verbote verhindern sollen.66
63 64 65 66
Frank, in: Lüttig/Lehmann, Der Kampf gegen den Terror, 2019, S. 77. So schon Jakobs, ZStW 97 (1985), 751 (752). S. dazu ausf. Barczak, Der nervöse Staat, S. 353 ff.; Kniesel, NdsVBl 2021, 38 (42 f.). S. dazu 3. Teil, 4. Abschnitt B. II. 2. a) bb) (2) (c) und 2. b) bb).
2. Abschn.: Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
359
B. Zweckfestlegung bei Aufgabenüberschneidungen Aus dem Grundsatz der Kompetenzklarheit als Unterfall des zum Rechtsstaatsprinzip zählenden Vertrauensschutz folgt, dass die Polizei sich, wenn im Überschneidungsbereich von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung beide Rechtsgebiete eine Befugnisnorm für eine polizeiliche Maßnahme vorsehen, auf einen Zweck festlegen muss, bevor sie die Maßnahme trifft.67 Wie bereits dargestellt, besteht im Polizeialltag keine allgemeine Gemengelage zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, sondern es kann nur im Einzelfall zu einer Aufgabenüberschneidung kommen.68 In diesen Fällen kann es keine sogenannten doppelfunktionalen Maßnahmen geben69, mit denen beide Zwecke verfolgt werden und offen bleibt, welcher Zweck verfolgt wird, weil die Polizei sich eben vor Treffen der Maßnahme festlegen muss. In den Fällen, wo die Gesetzgeber von Bund und Ländern zwei Möglichkeiten eröffnen, weil sei den vorrangig zu verfolgenden Zweck nicht festgelegt haben, muss sie das unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls nachholen und den maßgeblichen Zweck ihres Einschreitens vor Treffen ihrer Maßnahme festlegen.70 Das soll am Beispiel der sogenannten legendierten Kontrolle verdeutlicht werden. Wenn die Polizei im Rahmen eines polizeigesetzlichen Aufklärungsverfahrens gegen eine im Drogenhandel operierende Tätergruppierung Kenntnis bekommt, dass in einem Kurierfahrzeug eines Mitglieds der ausführenden Ebene mehrere Kilo Rauschgift transportiert werden, will sie das Rauschgift aus dem Verkehr ziehen, um die Gefahrenquelle dadurch zu beseitigen, dass die Drogen nicht auf den Markt kommen, und um einen potenziellen Beweis für das Strafverfahren gegen den Transporteur zu sichern. Gleichzeitig will die Polizei aber auch in operativer Zielsetzung gegen die Hintermänner und die sie schützenden kriminellen Strukturen vorgehen. Um die aufgezeigten Ziele verwirklichen zu können, nimmt die Polizei den Drogenkurier nicht einfach fest, sondern lässt ihn in eine von der ermittelnden Dienststelle bei der Verkehrspolizei oder beim Zoll veranlasste allgemeine Verkehrsbzw. Zollkontrolle geraten, bei der dann das mitgeführte Rauschgift als zufälliger Fund erscheint, mit dem Effekt, dass die Hintermänner nicht davon ausgehen müssen, dass sich auch gegen sie Ermittlungen richten. Mit der polizeigesetzlichen Sicherstellung ist die Gefahr beseitigt, dass das Rauschgift auf den Markt kommt und Schäden bei den Konsumenten anrichtet; gleichzeitig werden zahlreiche Straftaten des Handels mit Drogen verhindert. Problematisch ist, dass die polizeiliche Maßnahme der Sicherstellung, anders als die strafprozessuale Sicherstellung und Beschlagnahme zu Beweiszwecken nach §§ 94, 98 StPO, keinen Richtervorbehalt vorsieht, die polizeigesetzliche Maßnahme
67 68 69 70
S. 2. Teil, 3. Abschnitt, C. II. 3. c). S. 2. Teil, 4. Abschnitt, C. II. 1. S. 2. Teil, 4. Abschnitt, C. III. 1. d). S. 2. Teil, 4. Abschnitt, C. III. 2. b).
360
3. Teil: Operative polizeigesetzliche Kriminalitätsbekämpfung
also unter geringeren tatbestandlichen Voraussetzungen getroffen werden kann als die strafprozessuale. Trotz dieser rechtsstaatlichen Bedenken hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass grundsätzlich kein Vorrang strafprozessualer Eingriffsbefugnisse besteht, wenn eine polizeiliche Maßnahme sowohl der Erlangung von Beweismitteln als auch der Gefahrenabwehr dient.71 Die Polizei darf demnach auch während eines bereits laufenden Ermittlungsverfahrens auf der Grundlage des jeweiligen Polizeigesetzes zur Gefahrenabwehr vorgehen; die Verwertbarkeit der dabei gewonnenen Beweismittel soll sich nach § 160 Abs. 2 Satz 1 StPO bestimmen.72 Da auch im Fall einer legendierten Kontrolle eine sogenannte doppelfunktionale Maßnahme nicht in Betracht kommt, muss die Polizei sich vor ihrem Einschreiten auf den verfolgten Zweck festlegen. Dabei muss sie sich an der Bedeutung orientieren, die die Aufgaben der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im konkreten Fall haben. Im vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall durfte die Polizei gemäß § 40 Nr. 1 hessSOG das vorgefundene Rauschgift sicherstellen, um die gegenwärtige Gefahr zu verhindern, dass eine große Menge gefährlicher Betäubungsmittel auf den Markt gelangt. Damit war die Polizei ihrer Verpflichtung nachgekommen, sich vor Treffen der Maßnahme auf den verfolgten Zweck festzulegen. Dass sie sich für die Gefahrenabwehr entschieden hat, entspricht dem oben entwickelten Grundsatz des einstweiligen Vorrangs der Gefahrenabwehr vor der Strafverfolgung.73 Welche strafrechtlichen Konsequenzen aus der polizeirechtlichen Maßnahme zu ziehen waren, konnte sie der von ihr in Kenntnis gesetzten Staatsanwaltschaft überlassen. 3. Abschnitt
Verhinderung und Verhütung von Straftaten als Kriminalitätsbekämpfung A. Grundlagen I. Operative Qualität Gegenstand des polizeilichen Auftrags zur Gefahrenabwehr ist die Verhinderung erkennbar bevorstehender Straftaten74; zur Verhinderung gehört auch die Unter71
BGH, NStZ 2017, 651 ff.; BGH, NStZ 2018, 296 f.; BGH, StraFo 2018, 348 ff. S. dazu näher Mitsch, NJW 2017, 3124; Schiemann, NStZ 2017, 657; Lenk, StV 2017, 692; Brodowski, JZ 2017, 1124; Albrecht, HRRS 2017, 446; Kochheim, KriPoZ 2017, 316; Börner, StraFo 2018, 1; Krehl, StraFo 2018, 265; Altvater, in: FS Schlothauer, S. 3; Danne, DP 2018, 210. 73 S. 2. Teil, 4. Abschnitt, C. III. 2. a) bb) (2) und b). 74 S. 2. Teil, 4. Abschnitt, B. II. 1. c) aa). 72
3. Abschn.: Verhinderung und Verhütung von Straftaten
361
bindung von Straftaten, die zu leisten ist, wenn bereits eine Straftat vorliegt, die Gefahr für das von der Strafnorm und dem Schutzgut öffentliche Sicherheit der polizeilichen Generalklausel geschützte Rechtsgut aber noch fortbesteht.75 Nach der Erweiterung des Gefahrenabwehrauftrags in den Polizeigesetzen der 1980er und 1990er Jahre obliegt der Polizei auch die gefahrenvorsorgerische vorbeugende Bekämpfung von Straftaten, die durch die kriminalstrategisch angeleitete operative Kriminalitätsbekämpfung als Verhütung von Straftaten erfolgen kann.76 Die Verhinderung von Straftaten finden an der Nahtstelle von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung statt, wenn die handelnde Person die Grenze zwischen strafloser Vorbereitungshandlung und Versuchsbeginn überschreitet. Die Verhütung von Straftaten erfolgt dagegen auf der Handlungsebene der Bekämpfung krimineller Strukturen. Entscheidendes Abgrenzungskriterium ist die erkennbare Straftat, die einer Person oder Personengruppe zugerechnet werden kann. Eine bestimmte Szene, in der – wie in Drogen- und Raserszenen77 – regelmäßig bestimmte Straftaten begangen werden, stellt als solche noch keine konkrete Gefahr dar, solange es keinen erkennbaren Täterbezug gibt. In solchen Fällen ist die Gefahr eine abstrakte, weil die Polizei nur allgemeine Erkenntnisse über eine kriminelle Struktur hat, gegen die sich ihre informationellen und aktionellen Aktivitäten richten.78
II. Operatives Vorgehen Wenn die Polizei im Überschneidungsbereich von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung Straftaten, insbesondere bei Serien- und Szenestraftaten verhindern will, braucht sie eine informationelle Grundlage, auf der sie gezielt mit aktionellen Maßnahmen gegen potenzielle Straftäter vorgehen kann. Will sie organisierte Strukturen vorbeugend bekämpfen, um die für diese Strukturen typischen Straftaten zu verhüten, benötigt sie ein mit Hilfe informationeller Maßnahmen erstelltes Lagebild, das Grundlage für gezielte operative Maßnahmen gegen die personellen und sächlichen Strukturen ist. 1. Informationelle und aktionelle Maßnahmen a) Strukturen als operatives Ziel Die Begriffe Struktur und operativ sind aufeinander bezogen, weil operative Kriminalitätsbekämpfung sich nicht auf einzelnen Straftaten bezieht, sondern gegen die kriminellen Milieus, logistischen Operationsbasen und unterstützenden Netz75 76 77 78
S. 2. Teil, 4. Abschnitt, B. II. 1. c) bb). S. 2. Teil, 4. Abschnitt, B. II. 2. a) bb). S. B. II. 2. d) ee). Kingreen/Poscher, POR, § 4 Rn. 13.
362
3. Teil: Operative polizeigesetzliche Kriminalitätsbekämpfung
werke gerichtet ist, die die Straftaten hervorbringen.79 Nicht nur auf den Feldern der organisierten Kriminalität bestehen Strukturen, sondern auch schon in bestimmten Szenen, wie sich derzeit insbesondere in den vom Internet begünstigten Strukturen des Kindesmissbrauchs, aber auch in den Raserszenen zeigt. Unter Struktur versteht man den gegliederten Aufbau, die Anordnung der Teile eines Ganzen zueinander.80 Um eine kriminelle Struktur im Großen wie im Kleinen zu erfassen, müssen die handelnden Personen und ihre Beziehungen zueinander, die räumlichen, sächlichen und logistischen Voraussetzungen, die Betätigungsfelder und Vorgehensweisen sowie die Ziele festgestellt werden. b) Informationelle Maßnahmen aa) Bedeutung Im Vorfeld der konkreten Gefahr sind informationelle Maßnahmen unverzichtbar, weil Prävention durch Information in Gestalt der Erstellung von Lagebildern, die durch die zahlreichen Befugnisse zur Datenerhebung und -verarbeitung zustande kommen, Voraussetzung für eine effektive spätere Gefahrbeseitigung durch aktionelle Maßnahmen ist.81 bb) Vorfeldaufklärung Es geht um die polizeiliche Tätigkeit im Vorfeld der konkreten Gefahr und des konkretisierbaren Tatverdachts, mit der aufgeklärt werden soll, ob sich im Zuständigkeitsbereich der Behörde eine neue oder noch nicht erkannte kriminelle Szene bildet oder gebildet hat. Veranlassung genau hinzuschauen geben etwa neue Gesichter im Rotlichtmilieu, die dafürsprechen, dass es zu Revierkämpfen innerhalb der organisierten Kriminalität kommen wird, ein verstärktes Auftreten junger zum Islam konvertierter Männer in einer Moschee, die der Polizei als Rekrutierungsort für Dschihad-Kämpfer bekannt ist und mehrfache durch stark überhöhte Geschwindigkeit verursachte schwere Verkehrsunfälle in der Innenstadt, die für die Entstehung einer Raserszene sprechen. Liegen solche Erkenntnisse vor, wird die Polizei diese Entwicklungen registrieren und im Auge behalten. Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren kann erst eingeleitet werden, wenn zureichenden Anhaltspunkte für eine begangene Straftat vorliegen. Sofern die zuständige Organisationseinheit der örtlich zuständigen Behörde sich durch Observation und Kontaktierung von Vertrauensleuten weitere Erkenntnisse verschafft, können sich diese zu einem ersten Lagebild verdichten, das in einer Akte als nicht-automatisierter Datei oder direkt in einer automatisierten Datei ab79 80 81
Volkmann, NVwZ 2009, 216 (219). Duden, Fremdwörterbuch, S. 954. Möstl, DVBl 2007, 581 (584); Gusy, POR, § 4 Rn. 190 ff.
3. Abschn.: Verhinderung und Verhütung von Straftaten
363
gebildet wird. Zugleich wird die zuständige Organisationseinheit zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten eine Regelung treffen, in der festgelegt wird, dass und wie alle das Lagebild betreffenden Informationen in Form eines Vermerks über das Ergebnis von Befragungen und Observationen, aber auch diesbezügliche Meldungen oder Beschwerden von Bürgern Eingang in die Dateien finden. Werden diese Dateien über einen längeren Zeitraum bedient, kann sich ein differenziertes Lagebild ergeben, in dem bestimmte Personen mit ihren Beziehungen zueinander deutlich werden. Liegen insoweit Erkenntnisse vor, dass diese Personen etwa auf Feldern der organisierten Kriminalität agieren, ist im Rahmen der nicht-automatisierten oder der eingerichteten automatisierten Datei zu der jeweiligen Person ein eigener Vorgang anzulegen, der als händisches oder elektronisch betriebenes polizeirechtliches Aufklärungsverfahren geführt wird; es handelt sich dabei um ein auf das jeweilige Verwaltungsverfahrensgesetz gestütztes polizeigesetzliches Aufklärungsverfahren als Verwaltungsverfahren eigener Art.82 Erweitert sich das Lagebild über die zuständige Behörde hinaus in eine regionale Dimension, ist die Errichtung einer entsprechenden landesweiten Datei zu prüfen, deren datenschutzrechtliche Voraussetzungen zu beachten sind.83 cc) Neue technische Möglichkeiten der Gefahrerkennung Neue Überwachungstechnologien eröffnen Überwachungsmaßnahmen neue Möglichkeiten. Die Videoüberwachung konnte schon bislang eindeutig als präventive Maßnahme gelten, wenn sie so angelegt war, dass auf der Basis der Bilder eine unmittelbare polizeiliche Reaktion erfolgen konnte. Wenn etwa in der Düsseldorfer Altstadtwache freitags und samstags am Abend und in der Nacht Polizeibeamte auf Monitoren die längste Theke der Welt überwachen, können sie bei ersten Auffälligkeiten bestimmter Personengruppen vor Ort befindliche Einsatzkräfte über Funk zu diesen dirigieren und so mögliche Straftaten verhindern. Neue Technologien der Gefahrenerkennung machen die Beamten an den Monitoren überflüssig, wenn eine intelligente Videoüberwachung mit Hilfe von Bilderkennungs- und Bildverarbeitungstechnologien Gefahren selbst erkennt, sobald sich im Überwachungsbereich Auffälligkeiten, insbesondere gefährliche oder verbotene Verhaltensweisen zeigen.84 Weiteres Beispiel für optische Gefahrerkennungstechnologien ist auch die automatisierte Kennzeichenerfassung, mit der Gefahren verursachende Fahrzeuge erkannt und aus dem Verkehr gezogen werden können. Diese Technologie kann auch
82
Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 19 Rn. 1 f. Insbesondere muss eine Errichtungsanordnung vorliegen oder die Datei unter Beteiligung des Datenschutzbeauftragten in ein Verfahrensverzeichnis eingetragen werden. 84 Rademacher/Perkowski, JuS 2020, 713 (714). 83
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3. Teil: Operative polizeigesetzliche Kriminalitätsbekämpfung
im Rahmen der Überwachung des Straßenverkehrs zur Geschwindigkeitskontrolle auf längeren Streckenabschnitten zum Einsatz kommen.85 Unter dem Leitbegriff Predictive Policing kommen digitale Systeme wie PredPol und SKALA zur Anwendung, mit denen Tageswohnungseinbrüche örtlich und zeitlich vorhergesagt werden.86 Es bestehen auch Möglichkeiten der Weiterverarbeitung der Informationen aus der Gefahrerkennung, wenn in Analysetools verschiedene Dateien der Polizei so miteinander verknüpft werden, dass vorher nicht erkannte Verbindungen zwischen Personen und Sachen sichtbar werden. Solche Netzwerkanalysen werden insbesondere in den Bereichen organisierte Kriminalität und Terrorismus eingesetzt. So erlaubt § 25 Abs. 2 hessSOG, dass im Rahmen der Weiterverarbeitung von Daten aus der automatisierten Anwendung zur Datenanalyse insbesondere Beziehungen und Zusammenhänge zwischen Personen, Personengruppierungen, Institutionen, Organisationen, Objekten und Sachen hergestellt, unbedeutende Informationen und Erkenntnisse ausgeschlossen, die eingehenden Erkenntnisse bekannten Sachverhalten zugeordnet sowie gespeicherte Daten statistisch ausgewertet werden. Eine solche intelligente Gefahrenanalyse findet auch statt, wenn Uploadfilter, mit denen urheberrechtliche Verstöße festgestellt werden sollen87, auch zum Erkennen von Kinderpornographie im Internet eingesetzt werden können. dd) Abgrenzung des polizeigesetzlichen Aufklärungsverfahrens vom strafprozessualen Ermittlungsverfahren Polizeiliche Aufklärungsverfahren, in denen es um Personen als Gefährder bzw. Gefahrenquelle geht, sind strikt von Ermittlungsverfahren auf der Grundlage der StPO zu trennen und unabhängig voneinander zu führen.88 Da die polizeiliche Vorfeldaufklärung schon stattfinden kann, bevor eine Straftat begangen oder der Polizei eine begangene, ihr unbekannte Straftat bekannt geworden ist, liegen polizeirechtliche Aufklärungsverfahren strafprozessualen Ermittlungen zeitlich voraus. Ergeben sich im Rahmen eines solchen Aufklärungsverfahrens zureichende Anhaltspunkte für eine begangene Straftat gemäß § 152 Abs. 2 StPO, ist ein Ermittlungsverfahren gegen einen Verdächtigen oder gegen Unbekannt einzuleiten. Ab diesem Zeitpunkt läuft das strafprozessuale Ermittlungsverfahren unabhängig von dem polizeirechtlichen Aufklärungsverfahren, dessen Betroffener Beschuldigter in ersterem ist. In der polizeilichen Praxis, die nur zu oft die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten der Polizeigesetze für strafprozessual nicht vorgesehene Vorfeld- oder
85 86 87 88
Müller, NZV 2019, 279. Rademacher/Perkowski, JuS 2020, 713 (714). Rademacher/Perkowski, JuS 2020, 713 (714 f.). So schon Schäfer, GA 133 (1986), 50 (64).
3. Abschn.: Verhinderung und Verhütung von Straftaten
365
Initiativermittlungen benutzt89, findet im Moment der Konkretisierung des Tatverdachts meist ein Schwenk vom Polizeirecht ins Strafprozessrecht statt, weil man mit dem Tatverdacht als Schlüssel zu deren Eingriffsbefugnissen, insbesondere der Telefonüberwachung das hat, was man haben wollte. Nach Vorliegen des Anfangsverdachts wird die Aufgabe der Gefahrenabwehr vernachlässigt oder ganz hintangestellt; die auf der Grundlage des jeweiligen Polizeigesetzes gewonnenen Erkenntnisse werden oft vollständig oder in einem zusammenfassenden Vermerk in die Ermittlungsakte überführt.90 Diese Praxis verkennt die Bedeutung der Vorfeldaufklärung für den polizeilichen Auftrag zur Verhinderung und Verhütung von Straftaten, der sich mit der vorliegenden Straftat nicht erledigt hat, sondern unabhängig vom eingeleiteten Ermittlungsverfahren fortbesteht, damit das – um die zusätzliche Erkenntnis der Begehung einer Straftat durch den Beschuldigten als Gefährder im Sinne des Polizeirechts bereicherte – Lagebild weiterhin als Grundlage für gezielte operative Maßnahmen genutzt werden kann. Die Erkenntnisse in den beiden unabhängig voneinander zu führenden Verfahren sind wie diese selber strikt zu trennen. In die Ermittlungsakten gehört das den Anfangsverdacht auslösende Ereignis und alle danach auf der Grundlage des Strafverfahrensrechts anfallenden Erkenntnisse, die für die Beweisführung benötigt werden. Es ist ein strategischer Fehler, wenn die Erkenntnisse der polizeirechtlichen Vorfeldaufklärung pauschal in das Ermittlungsverfahren überführt werden, weil dann die in ihm erkennbaren polizeilichen Vorgehensweisen zur strukturellen Bekämpfung der Kriminalität durch die Akteneinsicht der Verteidiger der Gegenseite bekannt werden. Das polizeirechtliche Aufklärungsverfahren und das strafprozessuale Ermittlungsverfahren und mit ihnen die in Akten und Dateien vorhandenen Erkenntnisse unterliegen verschiedenen Rechtsregimen, erstere den Polizei- und Datenschutzgesetzen der Länder, letztere der Strafprozessordnung. Ein Erkenntnistransfer in Gestalt der Datenübermittlung oder der Zweckänderung der Daten, über die die Polizei meist ja schon verfügt, ist nur unter Beachtung der Grundsätze für eine Datenneuerhebung möglich. Die Verfassungsmäßigkeit der Zweckänderung folgt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem Kriterium der hypothetischen Datenneuerhebung, das danach fragt, ob die zu übermittelnden oder zweckzuändernden Daten auch für den geänderten Zweck mit vergleichbar eingriffsintensiven Mitteln erhoben werden dürften.91
89 90 91
S. dazu 2. Teil, 4. Abschnitt, B. I. 4. b) aa), bb). So Jahnes, Initiativermittlungen, S. 108 und 163. BVerfGE 141, 220 (329 f.); Schoch, in: Schoch, BVR, Kap. 1 Rn. 665.
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3. Teil: Operative polizeigesetzliche Kriminalitätsbekämpfung
c) Aktionelle Maßnahmen aa) Verhinderung von Straftaten Da die Verhinderung von erkennbar bevorstehenden Straftaten zur Gefahrenabwehr gehört, können auch die Befugnisse der Polizeigesetze zur Gefahrenabwehr – Platzverweisung, Durchsuchung und Sicherstellung, Ingewahrsamnahme und gezielter Todesschuss – zur Anwendung kommen, mit denen in einen Kausalverlauf eingegriffen wird. bb) Verhütung von Straftaten Im Vorfeld der konkreten Gefahr sind informationelle Maßnahmen als Beurteilungsgrundlage Voraussetzung für ihnen folgende Maßnahmen, mit denen eine bestehende kriminelle Struktur bekämpft werden soll. In der ersten Gruppe geht es um Maßnahmen, die Informationen liefern und zugleich zur unmittelbaren Bekämpfung taugen, weil sie einen verhaltenssteuernden Effekt haben, der in Abschreckung und Verunsicherung der vor Ort agierenden Personen und ihrer Hintermänner besteht. Es geht um Identitätsfeststellungen als Razzien an gefährlichen und gefährdeten Orten sowie an Kontrollstellen, offen erfolgende Datenerhebungen bei öffentlichen Veranstaltungen und Ansammlungen, Videoüberwachung an Kriminalitätsbrennpunkten, automatisierten Kennzeichenabgleich, Schleierfahndung und elektronische Aufenthaltsüberwachung. Insbesondere Razzien sind ein unverzichtbares Mittel zur Kriminalitätsbekämpfung, weil sie vor Ort Kontrolldruck erzeugen und gleichzeitig die Geschäfte der Hintermänner stören. Eine Razzia ist eine Sammelkontrolle an einer bestimmten, der Polizei als Aufenthaltsort von Kriminellen bekannten Örtlichkeit, an der sich die angetroffenen Personen ausweisen müssen und anschließend auf Erkenntnisse in polizeilichen Dateien überprüft werden. Hauptzweck einer Razzia ist es, mit Hilfe der Feststellung der Identität die in der jeweiligen kriminellen Szene aufhältigen Personen aus der Anonymität zu holen, die Struktur der Szene zu erkennen und Informationen über die Hintermänner zu gewinnen. Zu einer zweiten Gruppe gehören Maßnahmen, die fraglos schon aktioneller - also kausalverlaufsrelevante - Natur sind, aber die Wirkungen nicht wie bei den klassischen Gefahrbeseitigungsmaßnahmen auf polizeilichen Anordnungen oder Handlungen beruhen, sondern durch das Handeln des Betroffenen selber eintreten. Es handelt sich um Aufenthaltsverbote, Aufenthaltsvorgaben, Kontaktverbote, Meldeauflagen und Gefährderansprachen. Eine besondere Rolle spielt im gegebenen Zusammenhang der Gewahrsam zur Verhinderung einer Straftat als klassische Gefahrbeseitigungsmaßnahme, wenn er als Präventivhaft der Polizei bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus die Möglichkeit verschaffen soll, eine Person für einen über 14 Tage hinausgehenden Zeitraum zu „neutralisieren“, um einen terroristischen Anschlag zu verhindern. Der
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367
Fall des 20-jährigen Syrers, der am 4. 10. 2020 in Dresden – nach der Verbüßung einer dreijährigen Haftstrafe wegen Anhängerschaft in der Terrormiliz „Islamischer Staat“ gerade aus der Haft entlassen – auf der Straße zwei Männer unvermittelt mit zwei Küchenmessern angegriffen und den einen getötet und den anderen schwer verletzt hat, zeigt die Problematik auf. Der Syrer wurde, obwohl er als hochgefährlich eingestuft worden war, nicht rund um die Uhr, sondern nur teilweise überwacht, sodass die Tat nicht verhindert werden konnte. Seiner Abschiebung nach § 58a und der diese sichernden Abschiebungshaft nach § 62 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG (max. 12 Monate) standen tatsächliche und rechtliche Hemmnisse entgegen, weil auf syrischer Seite kein administratives Gegenüber vorhanden und Folter nicht auszuschließen war. In Fällen wie diesem besteht eine Sicherheitslücke. Im Einzelfall ist zwar eine 24-stündige Überwachung machbar, aber wegen des hohen Personalaufwands nicht in einer Mehrzahl von Fällen. cc) Zulässigkeit automatisierter aktioneller Maßnahmen Uploadfilter zur Erkennung von urheberrechtlich geschütztem Material erkennen nicht nur automatisiert Gefahren der Verletzung von Urheberrechten, sondern können diese auch aktiv verhindern. Das gilt auch für von Google und Facebook genutzte Tools, mit denen kinderpornographische Inhalte erkannt werden können.92 Gelänge es, mit solchen intelligenten Systemen schon den Zugriff auf kinderpornografische Inhalte zu verhindern, wäre bei der Bekämpfung des Missbrauches von Kindern durch organisierte Pädophilenringe ein entscheidender Schritt nach vorn getan. Eine solche Entwicklung wird im Recht des Datenschutzes gefördert, wenn Art. 25 Abs. 1 DSGVO Datenschutz durch Technikgestaltung in Form des Aufund Ausbaus von automatisierten Rechtsdurchsetzungsstrukturen vorsieht. Wenn intelligente Systeme mit ihrer Software es ermöglichen, erlaubtes von verbotenem Verhalten zu unterscheiden, sinkt der faktische Aufwand für eine flächendeckende Erfassung und Beurteilung menschlichen Verhaltens, zumal wenn die Digitalisierung nicht nur die erforderlichen Rechenkapazitäten, sondern auch die Verknüpfungsarchitekturen mit Datenbanken liefert, wodurch große Mengen an Bild-, Tonund Textdaten in großer Geschwindigkeit auf gefahrenindizierende Muster gerastert werden können.93 Eine solche Entwicklung erfordert allerdings auf der anderen Seite, dass die verfassungsrechtlichen Grenzen beachtet, insbesondere durch Grundrechtsschutz durch Verfahren gesichert werden.
92 Stegemann/Brühl, SZ v. 5. 8. 2019, www.sueddeutsche.de/digital/software-maschinenler nen-ki-kuenstliche-intelligenz-kinderpornografie-polizei-nrw-1.4553870. 93 Rademacher/Perkowski, JuS 2020, 713 (715).
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3. Teil: Operative polizeigesetzliche Kriminalitätsbekämpfung
2. Operative Methoden Bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität sind als operative Methoden gängig die Veranlassung von Straftaten durch sogenannte Lockspitzel (agent provocateur) und die Zulassung von Straftaten durch die vor und bei der Tatbegehung untätig bleibende Polizei, die auf diese Weise kriminelle Strukturen aufklären, insbesondere an die Hintermänner herankommen möchte. a) Veranlassung von Straftaten aa) Notwendigkeit des Einsatzes von Lockspitzeln Bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, insbesondere der Drogenkriminalität werden Personen, die in kriminellen Szenen unterwegs sind, von verdeckten Ermittlern oder Vertrauenspersonen der Polizei im Rahmen eines Scheinaufkaufs zur Begehung einer Straftat veranlasst, um sie wegen dieser später festnehmen zu können, aber auch um an Erkenntnisse über Herkunft, Transportwege und Strukturen zu gelangen. Aktuell wird über die Zulässigkeit und gesetzliche Zulassung der Tatprovokation für eine effektive Strafverfolgung im Darknet diskutiert. Im Zusammenhang mit Cybergrooming, dem in § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB unter Strafe gestellten gezielten Ansprechen von Kindern im Internet zum Zweck der Anbahnung von Kontakten, ist vom Bundesrat jüngst die gesetzliche Zulassung der sogenannten Keuschheitsprobe gefordert worden, damit die Polizei bei der Bekämpfung der Kinderpornografie in abgeschottete Foren eindringen kann.94 bb) Zulässigkeit der Tatprovokation Die höchstrichterliche Rechtsprechung ist gespalten. Der EGMR und der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs gehen bei einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation von einem Verfahrenshindernis aus.95 Eine Tatprovokation durch den Staat sei unzulässig, weil es Aufgabe der Polizei sei, Straftaten zu verhindern oder aufzuklären, aber nicht Straftaten zu provozieren. Liege ein objektiv begründeter Verdacht gegen den Betroffenen nicht vor oder sei dieser nicht zur Begehung der Tat geneigt, sei eine staatlich veranlasste Tatprovokation unzulässig und führe zu einem Beweisverwertungsverbot für die durch die Tatprovokation erlangten Erkenntnisse. Die von der deutschen Rechtsprechung in solchen Fällen vertretene Strafzumessungslösung genüge als Ausgleich für den Verstoß gegen das Gebot auf ein faires Verfahren nicht.96 Demgegenüber vertreten eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts und der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Strafzumessungslösung, 94 95 96
BT-Drs. 19/13836, Anlage 2, S. 14. EGMR, BeckRS 2020, 28627; NJ 2015, 201; BGHSt 60, 276. EGMR, NJ 2015, 201 (202).
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wonach eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation nur zu einem gewichtigen und schuldunabhängigen Strafmilderungsgrund führen soll.97 cc) Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung In Anbetracht dieser gespaltenen Rechtsprechung wird Rechtssicherheit nur einkehren, wenn der Gesetzgeber die Tatprovokation selber in einer Befugnisnorm der Strafprozessordnung regelt, schon deshalb, weil das Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes und die Wesentlichkeitstheorie eine Ermächtigungsgrundlage zwingend erfordern.98 Entsprechende Vorschläge liegen vor. Sie beinhalten eine Legaldefinition der Tatprovokation und halten als tatbestandliche Voraussetzungen für den Einsatz eines agent provocateur einen Tatverdacht und eine Wiederholungsgefahr als gebotene rechtsstaatliche Standards oder bei einer weniger strengen Regelung nur tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung bestimmter Straftaten, bei denen auf Grund bestimmter Tatsachen die Gefahr der Wiederholung besteht, für erforderlich.99 b) Zulassung von Straftaten aa) Praktische Relevanz und operative Bedeutung Die Frage, ob die Polizei eine von ihr erkannte und verhinderbar bevorstehende Straftat geschehen lassen darf, dürfte sich im Hinblick darauf, dass die Verhinderung einer Rechtsgutsverletzung die plausiblere Form der Sicherheitsgewährleistung ist als die repressive Reaktion des Straf- und Strafverfahrensrechts, die nichts wieder rückgängig machen kann und das Grundgesetz der Gefahrenabwehr deshalb einen höheren Rang einräumt als der Strafverfolgung, gar nicht stellen. Gleichwohl ist im Hinblick auf die polizeiliche Praxis festzustellen, dass diese oft der Strafverfolgung den Vorrang einräumt oder zumindest bereit ist, unter Eingehung hoher Risiken zu versuchen, beiden Aufgaben gerecht zu werden.100 Wenn Polizeibeamte eine Person zu späterer Stunde aus einer Gaststätte auf ein geparktes Fahrzeug zugehen sehen und eine Trunkenheit vermuten, müssten sie zur Verhinderung einer Trunkenheitsfahrt nach § 316 Abs. 1 oder § 315c Abs. 1 Nr. 1a) StGB die Person anhalten und deren Fahrtüchtigkeit feststellen, bevor diese Person das Fahrzeug in Betrieb nimmt. Stellt sich die Fahruntüchtigkeit heraus, müssten zur Gefahrenabwehr zumindest die Fahrzeugschlüssel, ggfs. auch das Fahrzeug sichergestellt oder bei entsprechender Gefahrenprognose die Person in Gewahrsam genommen werden. In aller Regel geschieht das aber nicht, sondern die Beamten lassen die Person losfahren und halten 97
BVerfG, StV 2015, 413; BGHSt 60, 238. Jahn/Hübner, StV 2020, 207 (209); Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 466. 99 Schmidt, Grenzen des Lockspitzeleinsatzes, S. 186 ff.; Jahn/Hübner, StV 2020, 207 (211 f.). 100 Zur Problematik schon Kitzinger, Verhinderung, S. 212 f. 98
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diese erst im Verlauf der Fahrt auf, um abzuklären, ob ein Trunkenheitsdelikts vorliegt. Bei einer solchen Verfahrensweise gehen die Beamten das Risiko ein, dass die betrunkene fahruntüchtige Person einen Unfall verursacht, etwa einen Radfahrer übersieht und dabei schwer verletzt oder gar tötet. Auch im Rahmen der Bekämpfung der Schwerkriminalität, etwa bei Serieneinbrüchen mit vermuteten OK-Hintergrund oder Sprengungen von Bankautomaten durch darauf spezialisierte organisierte Gruppierungen, ist die Polizei bemüht, beiden Aufgaben gerecht zu werden, indem sie die Aufgabe der Gefahrenabwehr zwar im Auge hat, aber doch bereit ist, die Täter die Schwelle zum strafbaren Versuch überschreiten101 oder sogar bei Serien von Straftaten die Täter über einen längeren Zeitraum unbehelligt zu lassen, um bei ihrer Überwachung an die Auftraggeber heranzukommen. Lässt die Polizei, die von einem geplanten Überfall auf einen mit hochwertigen Uhren handelnden Juwelier erfahren hat, es zu, dass die Täter das Geschäft betreten, damit die Schwelle zum Versuch überschritten wird, geht sie das Risiko ein, dass beim Zugriff auf die Täter durch im Laden vorher positionierte Polizeibeamte die Lage dadurch eskaliert, dass es den Tätern gelingt, einen Beamten als Geisel zu nehmen und so aus dem Überfall die komplexere Lage einer Geiselnahme entsteht. Stellt die Polizei bei Tageswohnungseinbrüchen Maßnahmen nach dem Polizeirecht und dem Strafprozessrecht zurück, um an die Hintermänner in Osteuropa heranzukommen, besteht das erhebliche Risiko, dass sich in den Wohnungen, in die die Täter einbrechen wollen, Personen befinden, die Gefahr laufen, Opfer eines Raubes oder gar einer Straftat gegen Leib und Leben zu werden. Die Zusage des zuständigen Staatsanwalts gegenüber dem polizeilichen Einsatzleiter, Einbruch könne toleriert werden, darüber hinausgehende Straftaten aber nicht102, bringt ihm nichts, weil er nicht wissen kann, ob sich in dem Häuserkomplex in den einzelnen Wohnungen Personen befinden oder nicht. Hinzu kommt in allen diesen Fällen das strafrechtliche Risiko der eingesetzten Beamten, durch das Gewährenlassen der Täter eine Beihilfe zum versuchten bzw. vollendeten Delikt zu leisten, weil sie gegenüber den Opfern der Straftaten eine Beschützergarantenstellung aus den ihnen übertragenen Amtspflichten zur Gefahrenabwehr haben.103 Es bleibt die Frage nach den Gründen, warum Polizeibeamte immer wieder versuchen, trotz der bestehenden Risiken beiden Aufgaben gerecht zu werden bzw. die Aufgabe der Strafverfolgung bevorzugen. Hier spielt fraglos eine maßgebliche Rolle, dass nicht nur von bestimmter polizeigewerkschaftlicher Seite die Gewissheit vermittelt wird, dass Repression die beste Prävention sei und zudem bei renommierten Autoren zu lesen ist, dass das Polizeirecht zur Bekämpfung der Kriminalität gänzlich ungeeignet sei und nur das Strafrecht es mit seinen Mitteln ermögliche, 101
Die Problematik ist von Kitzinger, Verhinderung, S. 212 ff. schon im Jahr 1913 beschrieben worden, insbesondere die mit dem Abwarten des Beginns der Ausführung verbundenen Risiken. 102 Solche Fälle sind dem Verfasser aus Nordrhein-Westfalen bekannt. 103 OLG Nürnberg, BeckRS 2017, 130748; Jahn, JuS 2018, 181 ff.; Kühl, JuS 2007, 497 ff.
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wirksam gegen Kriminalität und ihre Strukturen vorzugehen.104 Wenn andere Autoren davon ausgehen, dass Kriminalität auch mit den Möglichkeiten des Polizeirechts bekämpft werden könne und der Zerschlagung krimineller Strukturen Vorrang vor der Strafverfolgung eingeräumt werden müsse105, hält Rachor ihnen entgegen, dass eine Zerschlagung nur mit dem scharfen Schwert des Strafrechts gelingen könne, so dass zwangsläufig erst die Schwelle der Strafbarkeit überschritten worden sein müsse; die Feststellung, dass eine Straftat, die noch nicht geschehen sei, noch nicht verfolgt, sondern nur verhütet werden könne, sei falsch, weil der Täter auf frischer Tat festgenommen und danach mit einem Ermittlungsverfahren überzogen werden könne.106 Rachor liegt mit dieser Aussage in mehrfacher Hinsicht falsch. Dass die Polizei außer der Erschießung eines Täters107 noch einige weitere polizeirechtliche Möglichkeiten zur Verhinderung und Verhütung von Straftaten hat, wird in dieser Arbeit aufgezeigt. Er verkennt zudem die aus der vorrangigen Aufgabe der Gefahrenabwehr folgende Verpflichtung der Polizei, Straftaten zu verhindern, wenn er es für zulässig hält, dass die Polizei unter ihren Augen verhinderbare Straftaten geschehen lässt, um mit den Mitteln des Straf- und Strafverfahrensrechts Kriminalität bekämpfen zu können. Zugleich verstößt er damit gegen das UltimaRatio-Prinzip, das den Einsatz des Strafrechts erst zulässt, wenn das Recht der Gefahrenabwehr nicht ausreicht. bb) Zurückstellen von Strafverfolgungsmaßnahmen Ist eine Straftat begangen worden, verpflichtet das Legalitätsprinzip die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen gemäß § 152 Abs. 2 StPO zum Einschreiten, was grundsätzlich unverzüglich zu erfolgen hat, wenn ein Anfangsverdacht entstanden ist. Allerdings ist in Rechtsprechung108 und Literatur109 sowie in den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren110 anerkannt, dass Strafverfolgungsmaßnahmen aus kriminaltaktischen Gründen, etwa weil die Ermittlung der Hintermänner wichtiger ist als der Zugriff auf die austauschbaren Vorderleute der organisierten Kriminalität oder wegen des vorrangigen Schutzes von Geiseln in den Händen von Kriminellen, zurückgestellt werden können. In solchen Fällen zwingt die Strafverfolgungspflicht nicht zu einem unverzüglichen Einschreiten, sondern 104 Rachor, HdBPR (5. Aufl.), E. Rn. 285; ders., Vorbeugende Straftatenbekämpfung, S. 50 ff. und 80 ff. 105 Pieroth/Schlink/Kniesel, POR (2002), § 5 Rn. 6. 106 Rachor, HdBPR (5. Aufl.), E. Rn. 251 Fn. 306; dagegen schon Kitzinger, Verhinderung, S. 212 ff. 107 Rachor, HdBPR (5. Aufl.), E. Rn. 285. 108 BGH, NStZ-RR 2003, 172; BGH, NStZ 2008, 685 f. 109 Weßlau/Deiters, SK-StPO, Bd. III, Vor §§ 151 ff. Rn. 19; Rieß, in: FS Dünnebier, S. 153 f.; KK-StPO/Diemer, § 152 Rn. 6; Schmitt, § 152 Rn. 6; Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, S. 359. 110 Ziff. 4.2.3 S. 2, S. 3 RiStBV Anlage E.
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gibt Raum für ein taktisches Vorgehen, solange der Strafverfolgungsanspruch nicht gänzlich aufgegeben wird.111 Wird bei einem Dauerdelikt eine Strafverfolgungsmaßnahme zurückgestellt, geht es auch um die Zulassung einer Straftat in Form der Nichtunterbindung der fortbestehenden Gefahr, weil nicht nur die Strafverfolgung zurückgestellt, sondern auch das Weiterbestehen der Gefahr des unerlaubten Waffenbesitzes als Verstoß gegen § 2 Abs. 3 WaffG zugelassen wird. cc) Zulässigkeit der Nichtverhinderung und Nichtunterbindung einer Straftat (1) Staatliches Strafverfolgungsinteresse Die Gewährleistung der Strafverfolgung und die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs werden im Rahmen der Erwägungen, ob Straftaten zugelassen oder Strafverfolgungsmaßnahmen zurückgestellt werden können, für berücksichtigungsfähige Aspekte gehalten.112 Zugleich geht die h.M. davon aus, dass kein Anspruch des Straftäters auf ein frühzeitiges Einschreiten der Strafverfolgungsbehörden besteht, mit dem die Straftat verhindert oder deren Schäden verringert würden.113 Daran knüpft Brodowski an und fragt, ob es zulässig ist, den Täter in die Falle der Strafbarkeit tappen zu lassen, um ihn wegen der nicht verhinderten oder nicht unterbundenen Straftat verfolgen und anschließend wegsperren zu können, damit er in der Zeit seiner Inhaftierung keine Straftaten mehr begehen kann. Konkret fragt Brodowski, ob die Polizei mit dem Einschreiten abwarten darf, bis der habgierige Täter mit der illegalen Schusswaffe auf das Opfer zielt und subjektiv die Schwelle der Tatbegehung überschreitet, damit dem Täter eine lebenslange Strafe wegen versuchten Mordes und nicht nur eine maximal fünfjährige wegen Mitsichführens einer Waffe gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 1 WaffenG droht.114 Brodowski hält es für akzeptabel, wenn dem Strafrecht eine verhaltenssteuernde Funktion entnommen und in ihm auch ein spezialpräventives Sicherheitsrecht gesehen wird, weil auf diese Weise rückfallgefährdete Straftäter durch Inhaftierung für einen längeren Zeitraum davon abgehalten würden, weitere Straftaten zu begehen.115 In verfassungsrechtlicher Sicht hat Brodowski keine Bedenken, weil es kein verfassungsrechtliches Gebot sei, einen voll verantwortlichen Straftäter vor sich selbst zu schützen.116 Er macht dann allerdings am Schluss seiner Ausführungen die Einschränkung, dass bei Lebensgefahren und nicht unerheblichen Gefahren für die Gesundheit oder Freiheit einer
111 112 113 114 115 116
Weßlau/Deiters, SK-StPO, Bd. III, Vor §§ 151 ff. Rn. 19. Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 109. BGH, NStZ 2015, 466 (467 f.) m.w.N. Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 109 f. Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 110. Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 110.
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Person selbst unter Berücksichtigung von Strafverfolgungsinteressen eine Ermessensreduktion auf null eintrete, die zum polizeilichen Einschreiten führe.117 Wer sich auf solche Gedankengänge einlässt, missbraucht das Strafrecht als reines Sicherungsrecht und stellt Art. 1 Abs. 1 GG in Frage. Ob der Täter zum Objekt staatlicher Sicherheitsinteressen wird, wenn man ihn in die Falle des Strafrechts tappen lässt, mag an dieser Stelle dahin stehen; allerdings belegt der forsche Hinweis auf die Nichtexistenz eines verfassungsrechtlichen Gebots, den Täter vor sich selbst zu schützen und die daraus abgeleitete Zulässigkeit, ihn zum Mittel eines Sicherheitsstrafrechts zu machen, die Sorglosigkeit von Strafrechtlern im Umgang mit dem zentralen Verfassungswert des Grundgesetzes, der Menschenwürde. Wer ernsthaft in Erwägung zieht, das Opfer einer Straftat einer – wenn auch nur geringen – Gefährdung durch einen von der Polizei nicht aufgehaltenen oder gar gesteuerten Täter auszusetzen, offenbart die Perversion eines Sicherheitsdenkens, das sich in seiner Fixierung auf das Strafrecht als besserem Polizeirecht nicht nur von der Verfassung entfernt, sondern auch das Bild vom Polizisten als Schutzmann in des Wortes vornehmster Bedeutung ad absurdum führt; Schutzmann in diesem Sinne sind nämlich nicht nur die freundliche Kollegin oder der freundliche Kollege, die auf ihrem Streifengang die alte Dame mit ihrem Rollator sicher auf die andere Straßenseite bringen. Weil Polizei keine Spartenpolizei ist, die Aufgaben zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung sich also sowohl an die Schutzpolizei als auch an die Kriminalpolizei richten, ist auch jede Kriminalbeamtin und jeder Kriminalbeamter Schutzfrau/-mann. (2) Auftrag zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten Für Warschko dient der Auftrag zur vorbeugenden Bekämpfung vor allem dazu, die Aufklärung künftiger Straftaten sowie die Auffindung künftiger Straftäter zu erleichtern und sie sieht deren Schwerpunkt in der Strafverfolgung, weil Polizeibeamte es regelmäßig zur Begehung der Straftat kommen ließen, um danach die Überführung und Verurteilung der Täter leichter bewirken zu können.118 Warschko liegt insoweit richtig, dass in der polizeilichen Praxis – wie bereits dargestellt – der Strafverfolgungsauftrag nur zu oft dem der Gefahrenabwehr vorgezogen wird; doch aus der Aufgabenzuweisung der Polizeigesetze zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten den vorrangigen Zweck der Erleichterung der Strafverfolgung abzuleiten, ist abwegig. Schon in § 1 Abs. 1 Satz 2 VEMEPolG, dem Vorbild der Aufgabennorm der Polizeigesetze, hatte der Begriff der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten die Funktion eines Oberbegriffs, der der Strafverfolgungsvorsorge die Verhütung von Straftaten als eigenständigen, im Rahmen der Gefahrenabwehr wahrzunehmenden Teilauftrag an die Seite stellte. Nachdem einige Polizeigesetze die Strafverfolgungsvorsorge aus dem Auftrag zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten entfernten, ist dort nur noch von der Verhütung von Straftaten als Form der vor117 118
Brodowski, Überwachungsmaßnahmen, S. 110. Warschko, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, S. 6 Fn. 17.
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beugenden Bekämpfung von Straftaten die Rede.119 Dass die Verhütung von Straftaten im Sinne deren vorbeugender Bekämpfung zur Gefahrenabwehr gehört und demzufolge mit der Strafverfolgung nichts zu tun haben kann, muss unstreitig sein. (3) Aufgabe der Gefahrenabwehr Nach der Aufgabengeneralklausel der Polizeigesetze hat die Polizei die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren und im Rahmen dieser Aufgabe Straftaten zu verhüten. Dagegen räumen die Standardmaßnahmen und die Befugnisgeneralklausel mit der Formulierung „die Polizei kann die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren“ Ermessen ein. Aus der Gesetzessystematik mit ihrer Trennung von Aufgabe und Befugnis soll schon vom Wortlaut her folgen, dass die Ermessensnorm nicht für die Aufgabenerfüllung einschlägig sei, weil sie allgemein von Maßnahmen spreche, die die Polizei nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen habe. Ermessen bestehe daher nur auf der Befugnis- und nicht auf der Aufgabenebene.120 Dagegen sieht die h.M. in der Formulierung „hat die Aufgabe“ nur die allgemeine Pflicht zur Aufgabenwahrnehmung statuiert, ohne dass damit festgelegt sei, ob und wie die Polizei auf eine Gefahr reagieren müsse; sie sei aus den Aufgaben- und Befugnisnormen nur verpflichtet zu überprüfen, ob eingeschritten werden müsse, nicht aber ohne weiteres zum Einschreiten.121 Der aufgezeigte Streit kann indes dahinstehen, weil auch die h.M. bei einer Ermessensreduktion auf null, wenn also nur die Entscheidung zum Einschreiten rechtmäßig wäre, von einer Pflicht zum Einschreiten ausgeht, eine Untätigkeit also rechtswidrig wäre. Das bejahen die Rechtsprechung und ein Teil der Lehre bei erheblichen Gefahren für wesentliche Rechtsgüter122, während andere Autoren davon ausgehen, dass die Pflicht zur Aufgabenwahrnehmung bei Gefahren für alle polizei- und ordnungsbehördlichen Schutzgüter immer besteht.123 Jedenfalls ist davon auszugehen, dass grundrechtliche Schutzpflichten unmittelbar der Aufgabe zur Gefahrenabwehr zugrunde liegen124 oder mittelbar die Ermessensausübung anleiten, wenn die Polizei im mehrpoligen Verhältnis von Behörde einerseits und Störer und Gestörten als Grundrechtsträgern andererseits zu Gunsten des einen und zu Lasten des anderen einschreiten muss.125 Die grundrechtsgestützte Aufgabe der Gefahrenabwehr schließt eine Zulassung von Straftaten im Sinne ihrer Nichtverhinderung grundsätzlich aus. Eine Ausnahme 119
S. z.B. § 1 Abs. 1 Satz 2 bbgPolG. Knemeyer, POR, Rn. 126. 121 Kingreen/Poscher, POR, § 10 Rn. 34; Schenke, POR, Rn. 99. 122 BVerwGE 11, 95 (97); Drews/Wacke/Vogel/Martens, S. 369 f.; Schenke, POR, Rn. 104. 123 Kingreen/Poscher, POR, § 10 Rn. 43; Götz/Geis, APOR, § 11 Rn. 6; Ullrich, VerwArch 102 (2011), 383 (398 ff.). 124 Pieroth/Schlink/Kniesel, POR (2002), § 10 Rn. 1 ff. 125 Ullrich, VerwArch 102 (2011), 383 (405). 120
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ist nur zulässig, wenn eine Straftat zugelassen wird, um einer höherwertigen gefahrenabwehrrechtlichen Schutzpflicht zu genügen – etwa der Bekämpfung krimineller Strukturen –, allerdings unter der Voraussetzung, dass die Polizei die Tatherrschaft hat, also eine Gefährdung von Leib, Leben und Freiheit betroffener Personen ausschließen kann. In den oben geschilderten Fällen kann eine Ausnahme bei Serieneinbrüchen in unbewachten Lagerhallen oder Räumlichkeiten, wo die Anwesenheit von Personen ausgeschlossen werden kann, oder bei einem kontrollierten Rauschgifttransport, wo Polizei bis zur und auch nach der Ankunft am Zielort ausschließen kann, dass das Rauschgift auf den Markt gelangt.126 Bei Bankautomatensprengungen, wo es schwierig sein kann, Spezialkräfte zeitnah heranzuführen, muss zur Gefahrenabwehr spätestens dann eingeschritten werden, wenn die Täter Sprengmaterialien aus einem Fahrzeug entladen.
B. Verhinderung und Unterbindung von Straftaten Wird eine Straftat verhindert, war Gefahrenabwehr erfolgreich und hat sich erledigt, sofern nicht noch eine Gefahr fortbesteht. Das ist insbesondere der Fall bei Dauerdelikten, bei denen die fortdauernde Gefahr noch unterbunden werden muss und bei Serien- und Szenestraftaten, wo neben den Maßnahmen zur Strafverfolgung auch solche zur Gefahrenabwehr zu treffen sind; weil der gesuchte Täter weitere Straftaten begehen wird, überschneiden sich die Aufgaben der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung und es entsteht Abstimmungsbedarf zwischen den für die Aufgabenwahrnehmung jeweils Verantwortlichen.
I. Relevante Delikte und Deliktsfelder 1. Dauerdelikte Bei einem Dauerdelikt begründet der Täter einen dauerhaften rechtswidrigen Zustand, indem er diesen herbeiführt oder pflichtwidrig nicht beseitigt und diesen Zustand willentlich bestehen lässt bzw. mit seinem Verhalten kontinuierlich fortsetzt.127 Polizeirechtlich relevant sind Hausfriedensbruch, Freiheitsberaubung, Zuhälterei, Menschenhandel, Fahren ohne Fahrerlaubnis oder in fahruntüchtigem Zustand, unbefugter Waffenbesitz, unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln und unerlaubter Aufenthalt in der Bundesrepublik. Von besonderer Relevanz sind der Hausfriedensbruch im Zusammenhang mit Hausbesetzungen und Freiheitsberaubungen in Bedrohungslagen. 126
S. 2. Teil, 4. Abschnitt, C. II. 1. b) bb). Fischer, StGB, Vor § 52 Rn. 57; Kühl, StGB, Vor § 52 Rn. 11; Sternberg-Lieben/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorbem. §§ 52 ff. Rn. 81. 127
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2. Vollendete Delikte mit fortdauernder Gefahr Droht eine Person eine Straftat nach § 126 Abs. 1 Nrn. 1 – 7 StGB an oder nötigt einen Menschen durch Drohung mit einem empfindlichen Übel in Form der Begehung einer Gewalttat, wie es regelmäßig in Bedrohungslagen der Fall ist, ist die Straftat vollendet, zugleich besteht aber die Gefahr für die bedrohten Opfer fort. So verhält es sich auch bei Entführungen und Geiselnahmen gemäß §§ 239a und b StGB, weil die Gefahr für Leib, Leben und Freiheit nach der Vollendung der Delikte fortdauert. 3. Mehrfachstraftaten in natürlicher Handlungseinheit Wenn sich das rechtsgutsverletzende Handeln des Täters bei natürlicher Betrachtung als einheitlicher Vorgang darstellt, ist nur von einer Straftat auszugehen. Das setzt voraus, dass zwischen mehreren strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen ein unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht und das Handeln des Täters sich bei natürlicher Betrachtungsweise, auch aus der Sicht eines Dritten, als einheitliches Tun darstellt.128 Straftaten bei Amokläufen erfüllen diese Voraussetzungen. 4. Serienstraftaten Im Rahmen der Täterklassifikation werden von Ersttätern, also Personen, die zum ersten Mal strafrechtlich in Erscheinung treten, Wiederholungs- oder Mehrfachtäter und Serientäter unterschieden. Wenn Mehrfachtäter bei Gewalttaten durch besondere Rücksichtslosigkeit auffallen, werden sie als Intensivtäter bezeichnet, die als besonders gefährlich gelten.129 Unter den Begriff des Serien- und Karrieretäters fallen Täter, die eine bestimmte Straftat in Serie, also nicht nur wiederholt oder mehrfach begehen.130 Für eine Serientat ist spezifisch, dass es sich nach dem opus moderandi um einen Täter bzw. einunddieselbe Tätergruppierung handelt. Typische Serienstraftaten sind Brandstiftungen, Tageswohnungseinbrüche, PKW-Aufbrüche und die sich in den vergangenen Jahren häufenden Sprengungen von Bankautomaten. Aufsehenerregende Serienstraftaten der jüngeren Vergangenheit waren die zwischen 2000 und 2006 begangenen Morde der beiden Neonazis Mundlos und Böhnhardt an neun Kleinunternehmern mit Migrationshintergrund, die Morde an Prostituierten, deren Leichen der Täter auf Parkplätzen in der Nähe von Autobahnraststätten in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen ablegte und das zwischen 2009 und 2013 erfolgte Beschießen von Fahrzeugen im fließenden Verkehr auf Autobahnen, bei dem 128
BGHSt 41, 394; Fischer, StGB, Vor § 52 Rn. 3; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 1253. 129 Schwind, Kriminologie, § 3 Rn. 23a; in Nordrhein-Westfalen gelten Personen als Intensivtäter, wenn sie in einem Jahr mindestens fünf Straftaten verübt haben. 130 Keller, Kriminalistik, S. 395.
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es nur durch glückliche Umstände nicht zu Todesfällen kam. In den letzten beiden Fällen konnten weitere Straftaten nur mit Hilfe von Verbindungsdaten und – wohl auch – Mautdaten verhindert werden.131 5. Szenestraftaten Szenestraftaten werden typischerweise von Personen begangen, die sich regelmäßig in einer bestimmten Szene unter Gleichgesinnten aufhalten. Gewaltdelikte im öffentlichen Raum werden durch Gewaltintensivtäter als Mehrfachtäter begangen, die durch besondere Rücksichtslosigkeit auffallen, wobei Jugendliche und Heranwachsende mit Migrationshintergrund einen auffällig hohen Anteil haben. Gewalttaten sind auch bei Demonstrationen und Spielen der Fußball-Bundesligen szenetypisch. Bei Großdemonstrationen begehen autonome Gruppierungen schwerste Gewalttaten, wie sich beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg gezeigt hat, aber auch bei den 1. Mai-Demos in Berlin-Kreuzberg regelmäßig zeigt. In den Szenen von Fangruppierungen (Ultras) der Vereine der Bundesligen kommt es ebenfalls regelhaft zu ritualisierter schwerer Gewaltanwendung, insbesondere wenn bei Konfliktbegegnungen verfeindete Gruppierungen aufeinandertreffen. Als sogenannte Szenestraftäter müssen auch die in zahlreichen deutschen Großstädten stattfindenden illegalen Autorennen gezählt werden, bei denen es oft zu vorsätzlichen Körperverletzungs- und Tötungsdelikten kommt. Auch entstehen im Drogen- und Prostitutionsmilieu Szenen, in denen gegen das Betäubungsmittelgesetz und Bestimmungen der Sperrgebietsverordnungen verstoßen wird. Während es sich bei diesen Szenen um offene, also für jedermann sichtbare handelt, gibt es abgeschottete Szenen im Internet (Darknet), in denen Pädophilenringe kinderpornografische Inhalte tauschen, aber auch – wie sich jüngst gezeigt hat – Eltern gegenseitig ihre Kinder zwecks Begehung pornographisch motivierter Straftaten „ausleihen“, sodass es im Internet zu organsiertem Kindesmissbrauch kommt. 6. Anschlussstraftaten Auf bestimmte Straftaten folgen weitere Straftaten, wenn etwa mit gestohlenen Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugkennzeichen Raubüberfälle auf Banken, Einbruchdiebstähle oder Kraftfahrzeugverschiebungen im großen Stil begangen werden.
131 Wenn Mautdaten rechtswidrig verwendet werden, sind sie für die Strafverfolgung unverwertbar. Dass sie zur Verhinderung weiterer Straftaten als Gefahrenabwehrdaten ggfs. genutzt werden dürfen, belegt den grundlegenden Unterschied der Zwecke Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, s. 2. Teil, 3. Abschnitt, B. I. 3. b).
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II. Bekämpfungsmöglichkeiten in typischen polizeilichen Einsatzlagen132 1. Bedeutung der polizeilichen Lage in der Einsatzlehre Eine polizeiliche Lage ist ein Status, in dem von der Polizei ein Einschreiten zur Gefahrenabwehr und/oder zur Strafverfolgung gefordert wird. Polizeiliche Lagen können funktionale Bezüge zu Personen und Personengruppen oder zeitliche zu Kalendertagen oder aktuellen Ereignissen haben. In polizeitaktischer Sicht wird von Zeitlagen gesprochen, wenn ein Ereignis vorhersehbar ist, z. B. wenn ein Staatsbesuch stattfindet oder eine Demonstration angemeldet worden ist, von Sofortlagen, wenn ein polizeilich relevantes Ereignis plötzlich eintritt, z. B. eine Geiselnahme oder eine Amoktat. Lagen sind stationär, wenn der Täter sich nur an einen Ort aufhält, mobil, wenn er sich von einem Ort zu einem anderen fortbewegt, gemischt, wenn der oder die Täter – etwa bei einem Bankraub mit Geiselnahme – vom Tatort flüchten können oder die Polizei sie mit der Geisel ziehen lässt. 2. Polizeiliche Lagen a) Räumung eines besetzten Hauses Wenn mit einer Hausbesetzung dem Eigentümer die Nutzungsmöglichkeit seines Eigentums entzogen wird, liegt mit der Eigentumsverletzung i.S. von § 903 BGB und der Begehung eines Hausfriedensbruchs eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit i.S. der polizeilichen Aufgabenzuweisung und der polizeilichen BefugnisGeneralklausel vor, gegen die die Polizei vorgehen muss. Bedeutsam ist dabei die sogenannte Privatrechtsklausel, wonach die Polizei nur dann zum Schutz privater Rechte gefahrenabwehrend tätig werden kann, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist oder ohne ihre Hilfe die Verwirklichung des privaten Rechts Gefahr liefe, vereitelt oder wesentlich erschwert zu werden.133 Da nach Lage der Dinge der Hauseigentümer die Besetzer nicht kennt, zumindest nicht über ihre ladungsfähige Anschrift verfügt, kann er beim Zivilgericht keinen Titel für eine Zwangsräumung erwirken. Damit greift die Privatrechtsklausel nicht ein und die Polizei muss in Ansehung ihres auf null reduzierten Ermessens gegen die Hausbesetzer vorgehen134 und das besetzte Haus bei Nichtbefolgung der Aufforderung, das
132 Für die verschiedenen Einsatzlagen bestehen zahlreiche Polizeidienstvorschriften (PDV), die als Verschlusssache (VS – Nur für den Dienstgebrauch) eingestuft sind. Wer aus einer PDV im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit zitiert, läuft Gefahr, dass seine Arbeit auch als VS-NfD eingestuft wird. Aus diesem Grunde beschreibt der Verfasser Einzelheiten in bestimmten Lagen aus seiner Erfahrung oder zitiert aus anderen Quellen, die Inhalte einer PDV wiedergeben. 133 Kingreen/Poscher, POR, § 3 Rn. 41 ff. 134 Kingreen/Poscher, POR, § 10 Rn. 41 ff.
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Haus zu verlassen, mit unmittelbarem Zwang räumen, um so die für das Eigentum fortbestehende Gefahr zu beseitigen. b) Bedrohungslagen All diesen polizeilichen Einsatzlagen ist gemeinsam, dass in ihnen beide polizeilichen Aufgaben, Gefahrenabwehr und Strafverfolgung anfallen. Die Aufgabe zur Strafverfolgung hat zurückzutreten, wenn ihre Wahrnehmung zu Lasten effektiver Gefahrenabwehr geht. Befreiung, Schutz und Rettung bedrohter Opfer haben Vorrang und sind das Hauptziel aller polizeilichen Einsätze in Bedrohungslagen. aa) Bedrohungslage (1) Definition nach der PDV 100 Im polizeitaktischem Sinne liegt nach der PDV 100 eine Bedrohungslage vor, wenn täterbezogene Tatsachen (hohe kriminelle Energie oder Aggressivität, Bewaffnung, Verfügbarkeit von brennbaren Stoffen oder Explosivmaterial) die Annahme rechtfertigen, dass vom Täter eine gegenwärtige Gefahr für Leben, körperliche Unversehrtheit oder Freiheit von in seiner Gewalt oder seinem Einflussbereich befindliche Personen oder für die Allgemeinheit ausgeht. (2) Erscheinungsformen Bedrohungslagen sind vielgestaltig.135 Sie entstehen bei Familien- bzw. Beziehungs- und Nachbarschaftsstreitigkeiten, haben also in der Mehrzahl der Fälle ihren Ursprung im familiären oder nahen sozialen Umfeld. Klassische Auslöser sind Auseinandersetzungen zwischen Eheleuten und Lebenspartnern, wenn es um finanzielle Schwierigkeiten oder Sorgerechtsstreitigkeiten geht, in deren Verlauf der Täter, der meist schon vorher durch Anwendung von oder Drohung mit Gewalt auffällig geworden ist, seine Ehefrau oder Partnerin durch Hindern am Verlassen der Wohnung in seine Gewalt bringt und meist unter Alkoholeinfluss mit Gewaltanwendung bedroht.136 Anlass können aber auch einschneidende Maßnahmen sein, z. B. Zwangsräumungen oder Einweisungen in die Psychiatrie, Vollstreckungsmaßnahmen von Gerichtsvollziehern oder die Durchsetzung gerichtlich angeordneter Maßnahmen wie die Wegnahme eines Kindes zwecks Überstellung an das Jugendamt. Auch bei polizeilichen Kontrollen kommt es zu Widerstand in Form der Bedrohung mit einer Waffe.
135 136
Gatzke, in: Kniesel/Kube/Murck, Handbuch, Kap. 12, Rn. 58 ff. Averdiek-Gröner/Brenski/Schramm, Einsatzlehre, Rn. 188.
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(3) Polizeiliche Vorgehensweise Da in der Anfangsphase einer Bedrohungslage oft nicht sicher eingeschätzt werden kann, ob es sich um eine Bedrohungslage oder schon um eine Geiselnahme handelt, ist im Zweifel von einer Geiselnahme auszugehen und es sind die für diese vorgesehenen Maßnahmen zu veranlassen, insbesondere SEK-und sonstige Spezialkräfte anzufordern. Zur Stabilisierung der Lage ist defensives Vorgehen geboten. Es gilt zunächst einen Überblick über die Situation zu gewinnen, insbesondere bei einer diffusen Ausgangslage Erkenntnisse über den Täter und die Beziehung zu seinem Opfer zu gewinnen. Vor Ort eingetroffene Verhandler nehmen Kontakt zum Täter auf und versuchen ihn zur Aufgabe zu bewegen, was gerade bei Lagen im familiären Umfeld oft gelingt. Ist der Täter nicht gesprächsbereit oder ist von einer Eskalation der Lage zum Nachteil der bedrohten Person auszugehen, bleibt nur der gewaltsame Einsatz des SEK zum Schutz von Leib und Leben des Opfers. bb) Geiselnahme (1) Definition Eine Geiselnahme liegt nach der PDV 132 vor, wenn ein oder mehrere Täter unter Verwirklichung der Tatbestände der § 239a (Erpresserischer Menschenraub) oder § 239b StGB (Geiselnahme) Personen zur Durchsetzung ihrer Ziele an einem der Polizei bekannten Ort in ihrer Gewalt haben.137 (2) Historie Geiselnahmen hat es schon immer gegeben. So sollen im Römischen Reich erhebliche Summen für die Freilassung gefangengenommener römischer Soldaten gezahlt worden sein. In der Bundesrepublik bedeutsam für die polizeiliche Vorgehensweise bei Geiselnahmen war die anlässlich eines Banküberfalls im August 1971 in München erfolgte Geiselnahme, in deren Verlauf bei einem Schusswechsel zwischen der Polizei und den Tätern Rammelmayr und Todorov eine Geisel und ein Täter ums Leben kamen. Beim Olympia-Attentat im olympischen Dorf nahmen am 5. 9. 1972 palästinensische Terroristen neun Mitglieder der israelischen Olympiamannschaft als Geiseln. Beim Versuch der Polizei, die Geiseln auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck zu befreien, wurden alle Geiseln, fünf der acht Terroristen und ein Polizeibeamter getötet. Das Vorgehen der Münchener Polizei, die auf eine solche Lage nicht vorbereitet war, führte zur Errichtung von Sondereinsatzkommandos (GSG 9 des damaligen Bundesgrenzschutzes und SEKs bei den Länderpolizeien) und zur Professionalisierung der Vorgehensweise bei Geiselnahmen, insbesondere im Hinblick auf den Vorrang des Schutzes und der Rettung der Geiseln. In diesen 137 Averdiek-Gröner/Brenski/Schramm, Einsatzlehre, Rn. 186; Gatzke, in: Kniesel/Kube/ Murck, Handbuch, Kap. 12, Rn. 11 ff.
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Zusammenhang gehört auch das Gladbecker-Geiseldrama, das mit einer Geiselnahme in Bremen am 16. 8. 1988 begann, mit einer Irrfahrt der Täter mit der bei ihnen verbliebenen Geisel quer durch die Republik fortgesetzt und am 18.8. mit dem Zugriff durch ein SEK auf der Autobahn A3 bei Bad Honnef endete, bei dem die Täter festgenommen wurden, aber von der Polizei nicht verhindert werden konnte, dass eine der beiden Geiseln noch von einem der beiden Täter erschossen wurde. In der Folge wurde die einschlägige PDV 132 grundlegend überarbeitet. Im Jahr 1999 brachte ein Söldner aus Bosnien in Würselen drei Personen in seine Gewalt, verschleppte sie in die Filiale der Landeszentralbank in Aachen und bedrohte die Geiseln und die vor Ort befindlichen Einsatzkräfte mit einer scharf gemachten Handgranate, die sich zum Zeitpunkt des Zugriffs in der Hand des Täters befand, die dieser unter dem offenen Hemd der Geisel an deren Oberkörper drückte, um mittels Öffnen der Hand die Explosion auszulösen zu können. Weil im Zeitpunkt des Zugriffs die beiden anderen Geiseln sich erstmals nicht in unmittelbarer Nähe des Geiselnehmers befanden und um zu verhindern, dass dieser auf den Weihnachtsmarkt in Aachen gelangen konnte, erschoss ihn das SEK auf Weisung des Einsatzleiters. Dass ist nicht zur Explosion kam, war der geistesgegenwärtigen Reaktion der Geisel zu verdanken, die die Hand des Geiselnehmers weiter an dessen Brust drückte.138 Im Hinblick auf mögliche Anschlagsszenarien durch islamistische Terroristen geben die Massengeiselnahmen durch tschetschenische Terroristen im Jahr 2002 im Dubrowka-Theater in Moskau und 2004 in einer Schule in Beslan, bei deren Beendigung durch Militär und Polizei in Moskau 170 und in Beslan 385 Personen, überwiegend Geiseln getötet wurden, Anlass zur Entwicklung polizeilicher Zugriffsmöglichkeiten, die auch im Fall eines unvermeidbaren Schusswaffeneinsatzes die Geiseln möglichst unversehrt lassen. cc) Polizeiliche Vorgehensweise139 Zur Rettung der Geiseln kommen nur drei Möglichkeiten in Betracht. Dass der Geiselnehmer aufgibt und die Geisel freilässt, kommt dank professioneller Gesprächsführung durch die bei jeder Geiselnahme eingesetzten Beamten der Verhandlungsgruppe vor. In der Regel will der Geiselnehmer aber zumindest entkommen und benutzt die Geisel als Schutzschild. Ob es in dieser Situation zum geplanten Zugriff durch gezielten Schusswaffengebrauch durch ein SEK kommt oder die 138
Da der Einsatzleiter nicht von dieser Reaktion ausgehen konnte, nahm er den Tod der Geisel billigend in Kauf, instrumentalisierte sie damit als Objekt zur Rettung der beiden anderen Geiseln, was nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in der Renegade-Entscheidung (BVerfGE 115, 118 (154)) einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG darstellt. Polizeiführer, die in solchen Extremfällen Entscheidung über Leben und Tod treffen müssen, können sich allerdings ggf. auf einen übergesetzlichen entschuldigenden Notstand berufen (Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 479). 139 Averdiek-Gröner/Brenski/Schramm, Einsatzlehre, Rn. 191 ff.; Gatzke, in: Kniesel/ Kube/Murck, Handbuch, Kap. 12, Rn. 15 ff.
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Polizei den Täter mit der Geisel ziehen lässt, hängt von den Umständen ab. Es ist – das ist die Lehre aus Gladbeck – möglichst zu vermeiden, dass aus der stationären Lage eine mobile mit all ihren Unwägbarkeiten wird. Deshalb kann aber die Möglichkeit, den Täter mit der Geisel ziehen zu lassen, nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Wenn die Polizei den Täter identifiziert hat und Ermittlungen ergeben, dass es sich um eine stabile und belastbare Persönlichkeit handelt, kann die Freilassung des Geiselnehmers mit einer Geisel in Betracht kommen, wenn der Eingriff vor Ort für die Geisel riskant ist und der Geiselnehmer noch keine der von ihm genommenen Geiseln getötet oder verletzt hat. Ergibt die polizeiliche Gefahrenprognose, dass das Risiko, den Geiselnehmer mit der Geisel ziehen zu lassen für diese geringer ist als das mit dem Zugriff vor Ort verbundene, ist die Entscheidung gegen den Zugriff vor Ort die richtige, weil der effektive Schutz für das Leben der Geisel das maßgebliche Entscheidungskriterium ist, dem gegenüber die Realisierung des staatlichen Strafanspruchs nur untergeordnete Bedeutung hat.140 dd) Entführung (1) Definition Eine Entführung im polizeitaktischem Sinne liegt nach der PDV 131 vor, wenn bei Bekanntwerden des Ereignisses der Verdacht einer Straftat gegen die persönliche Freiheit begründet ist und nach den Umständen des Einzelfalls erpresserische Forderungen zu erwarten sind.141 (2) Historie Opfer von Entführungen waren zwischen 1958 und 2015 32 Personen in 29 Entführungsfällen. Opfer der Entführungen waren Prominente oder ihre Kinder, aber auch der Öffentlichkeit unbekannte Personen. Im Jahr 1971 wurden Theo Albrecht, der Gründer von Aldi-Nord und die Millionärstochter Renate Putz entführt, 1976 Richard Oetker, der Springreiter Hendrik Snoek, dessen Vater und Eigentümer der Ratio-Gruppe in Münster war, und Gernot Egolf, der mit den Erben der KarlsbergBrauerei verwandt war, 1980 die Kinder des Journalisten Kronzucker, 1985 Axel Sven Springer, der Sohn von Axel Springer, 1987 Lars und Maike Schlecker, die Kinder des Drogerie-Unternehmers Anton Schlecker, 1996 Jan Philipp Reemtsma, 1998 der Millionärssohn Bodo Janssen, 2002 Jakob von Metzler, der elfjährige Sohn des Bankiers von Metzler, 2010 die Bankiersgattin Maria Bögerl und 2015 Markus Würth, der Sohn des „Schraubenkönigs“ Reinhold Würth. Als Politiker wurden Opfer 1975 Peter Lorenz und 1977 Hans Martin Schleyer, die von der Bewegung 2. Juni bzw. der RAF entführt wurden. Zwischen 1958 und 2015 wurden außerdem zwölf Kinder nicht prominenter Eltern entführt; bei zwei Entführungsfällen wurde das 140
So auch Gatzke, in: Kniesel/Kube/Murck, Handbuch, Kapitel 12, Rn. 29 ff. Averdiek-Gröner/Brenski/Schramm, Einsatzlehre, S. 210; Gatzke, in: Kniesel/Kube/ Murck, Handbuch, Kap. 12, Rn. 34 ff. 141
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Opfer getötet, in den übrigen 10 Fällen gegen Zahlung eines Lösegeldes freigelassen oder von der Polizei befreit. (3) Polizeiliche Vorgehensweise Auch bei der Entführung geht es vorrangig um die Rettung des Lebens des Entführungsopfers.142 Sie gestaltet sich regelmäßig schwierig, weil die Polizei im Gegensatz zur Geiselnahme weder die Täter noch den Aufenthaltsort des Opfers kennt. Das Tötungsrisiko für das Einführungsopfer ist am Tag der Entführung am höchsten, kann aber im weiteren Verlauf absinken, wenn der oder die Täter Vorkehrungen für einen Erhalt von Leib und Leben des Opfers in Form von sicherer Unterbringung und hinreichender Verpflegung treffen, aber auch anwachsen, wenn das Opfer in einem Erdloch oder einer Kiste ohne Essen und Trinken zurückgelassen wird. Nach der oft noch am Entführungstag erfolgenden Kontaktaufnahme wird die Polizei versuchen, mit ihren Spezialkräften (Verhandlungsgruppe) die Verhandlungen mit den Tätern zu führen oder sie zu beeinflussen, wenn eine Vertrauensperson der Familie (Rechtsanwalt) für die Verhandlung eingeschaltet wird. Die Interessen der Beteiligten sind klar; die Täter wollen das Lösegeld, aber auch kein unnötiges Risiko eingehen, d. h. wenn sie das Opfer nicht sofort getötet haben, besteht die Chance, dass die Angehörigen ihr Interesse, ihren Angehörigen unversehrt zurückzubekommen, verwirklichen können. Problematisch kann es werden, wenn die Polizei sich nicht nur am vorrangigen Ziel der Rettung des Entführungsopfers orientiert, sondern versucht, den nachrangigen Strafverfolgungsauftrag unter Inkaufnahme von Risiken für das Leben des Entführten dadurch zu erfüllen, dass sie die Kommunikation mit dem Täter oder die Lösegeldübergabe nutzt, um Beweismittel gegen die Täter zu gewinnen. Die Lösegeldübergabe ist für die Täter der kritische Punkt, weil sie aus ihrer Deckung kommen müssen. Müssen sie jetzt auch noch befürchten, dass die Polizei versucht, bei der Lösegeldübergabe an sie heranzukommen, besteht Lebensgefahr für das Opfer. Orientiert die Polizei ihr Vorgehen nicht maßgeblich am vorrangigen Ziel der Befreiung und fürchten die Angehörigen wegen der Strafverfolgungsmaßnahmen um ihr Familienmitglied, kann es zu Interessenskonflikten zwischen Polizei und Familie kommen, was im Entführungsfall Jan Philipp Reemtsma dazu führte, dass seine Ehefrau nach zweimaligem Scheitern der Lösegeldübergabe an die verunsicherten Täter die Polizei aus ihrem Haus verwies, sich frisches Geld besorgte und die Lösegeldübergabe selbst durchführte.143
142
Gatzke, in: Kniesel/Kube/Murck, Handbuch, Kap. 12, Rn. 53 ff. Krisennavigator, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 23. Jahrgang (2020), Ausgabe 8 – ISSN 1619 – 2389. 143
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ee) Amoktaten (1) Definition Eine Amoktat im polizeitaktischen Sinne liegt vor, wenn der Täter wahllos oder gezielt, insbesondere mittels Waffen, Sprengmitteln, gefährlichen Werkzeugen oder außergewöhnlicher Gewaltanwendung eine in der Regel zunächst nicht bestimmbare Anzahl von Personen tötet oder verletzt bzw. wenn dies zu erwarten ist und er weiter auf Personen einwirken kann.144 (2) Historie In der Bundesrepublik ist es zwischen 1999 und 2020 zu vierzehn Amokläufen mit 54 Toten und 94 Verletzten gekommen, fünf davon fanden in Schulen statt. (3) Polizeiliche Vorgehensweise Das polizeiliche Vorgehen bei Amokläufen unterscheidet sich grundlegend vom Vorgehen in den anderen Bedrohungslagen. Während bei einer Bedrohungslage i.S. der PDV 100 und einer Geiselnahme ein defensives Vorgehen geboten ist, die ersten am Tatort eintreffenden Kräfte nicht in Richtung des Täters agieren, sich auf Absperr- und sonstige Vorbereitungsmaßnahmen beschränken und das Eintreffen der Spezialkräfte abwarten sollen, ist in einer Amoklage sofortiges Handeln durch die Erstkräfte zwingend geboten, um den Amokläufer an der Begehung von Straftaten zu hindern. Das bedeutet, dass die eintreffenden Streifenwagenbesatzungen, die für eine Amoklage ausgebildet sind und im Fahrzeug auch eine Maschinenpistole für einen solchen Einsatz mitführen, zunächst eine Lagemeldung abgeben, dann Interventionsteams bilden, den Täter lokalisieren, um ihn als Gefahrenquelle auszuschalten. Dabei wird von den Beamtinnen und Beamten verlangt, zur Rettung der bedrohten Personen, ihre eigene Gesundheit, ja ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Der sonst geltende Grundsatz der Eigensicherung beim Einschreiten ist bei Amoklagen erheblich reduziert, weil ein hohes Eigenrisiko zwangsläufige Voraussetzung für die Rettung der bedrohten Personen ist. c) Serienstraftaten Bei in einer Serie begangenen Straftaten geht es um Gefahrenabwehr, weil davon auszugehen ist, dass der Täter seine Serie fortsetzen wird und deshalb eine oder mehrere Straftaten zu verhindern sind. Auf ihren Strafverfolgungsauftrag fixierte Kriminalisten nehmen den unabhängig von der Strafverfolgung zu erfüllenden Auftrag der Gefahrenabwehr zum Schutz weiterer Opfer allzu oft nicht wahr, weil sie seine Notwendigkeit und seinen Stellenwert nicht erkennen. Die am Ende der Ermittlungen erfolgende Festnahme des Täters und seine Überstellung in Untersu144
Averdiek-Gröner/Brenski/Schramm, Einsatzlehre, Rn. 189.
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chungshaft kommt für weitere Opfer zu spät. Deshalb geht es von Anfang an vorrangig um das Aufspüren des Täters, wodurch er an der Begehung weiterer Straftaten gehindert wird. Das ist die dem Vorrang der Gefahrenabwehr geschuldete zeitliche Abfolge, nicht die umgekehrte, in der der Täter auf dem Trittbrett der Strafverfolgung festgenommen wird und erst ab diesem Zeitpunkt weitere Straftaten verhindert werden können. d) Szenestraftaten aa) Gewalt im öffentlichen Raum (1) Lagebild Wie die Kriminalität insgesamt, ist auch die Gewaltkriminalität im öffentlichen Raum in den vergangenen Jahren zurückgegangen.145 Besorgniserregend ist aber die neue Qualität der Gewaltanwendung, die zudem weitgehend unter den Augen der Öffentlichkeit stattfindet. Es geht um das Totprügeln eines Helfers in der Münchener S-Bahn in 2009, Morde durch Stoßen einer Frau und eines Kindes in Frankfurt und Voerde vor einen einfahrenden Zug in 2019, den versuchten Massenmord am 9. 10. 2019 in Halle, als ein Rechtsextremist, der in die dortige Synagoge eindringen wollte, um möglichst viele jüdische Gottesdienstbesucher zu töten, nach Misslingen seines Plans eine zufällig vor der Synagoge vorbeikommende Frau und kurz darauf den Gast eines Döner-Imbiss erschoss, den Anschlag vom 20. 2. 2020 in Hanau, bei dem der Täter acht Männer und eine Frau erschoss und sechs weitere verletzte und die bis zum versuchten Mord reichenden Straftaten bei den Krawallen in der Nacht vom 20. auf den 21. 6. 2020 in Stuttgart. Daneben verblassen fast die Schlägereien, Messerattacken, Raubüberfälle und Schießereien zwischen rivalisierenden Rockergruppierungen auf der Straße, die bei öffentlichen Veranstaltungen und Ansammlungen (Kölner Silvesternacht) immer wieder erfolgenden sexuellen Übergriffe auf Frauen und die Gewaltdelikte gegen Polizeibeamte, Feuerwehrleute und Rettungspersonal im Einsatz. (2) Polizeirechtliche Maßnahmen Die Gewährleistung der Sicherheit im öffentlichen Raum ist eine Kernaufgabe des polizeilichen Gefahrenabwehrauftrags. Wenn das Urvertrauen der Bürgerinnen und Bürger, nicht unversehens und zufällig in der Öffentlichkeit mit Tötungsabsicht attackiert zu werden, verloren geht, ist es um Staat und Gesellschaft schlecht bestellt. Deshalb muss die Polizei der Sicherheit im öffentlichen Raum höchste Priorität einräumen. Wenn das in der Vergangenheit nicht geschehen ist, liegt das auch daran, dass Delikte der Gewaltkriminalität (Tötungsdelikte, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Raubdelikte und gefährliche bzw. schwere Körperverletzungen) in der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht unter dem Aspekt erfasst werden, ob sie im 145
Gatzke, Gewalt im öffentlichen Raum, S. 26.
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öffentlichen oder privaten Raum begangen wurden. Eine solche Auswertungsmöglichkeit besteht nur bei Gewaltdelikten der Straßenkriminalität, etwa Handtaschenraub und sonstigen Raubüberfällen auf Straßen, Wegen und Plätzen sowie Raubüberfällen auf Geld und Werttransporte, gefährliche und schwere Körperverletzungen auf Straßen, Wegen und Plätzen sowie überfallartigen Vergewaltigungen.146 Deshalb besteht die Notwendigkeit, ein polizeiliches Lagebild zur Gewaltkriminalität im jeweiligen Zuständigkeitsbereich aus allen erreichbaren Erkenntnisquellen zu erstellen. Der öffentliche Raum ist ein problematischer, weil ihm die Bewacher fehlen.147 Eine durchgängige polizeiliche Präsenz zum Schutz der Benutzer des öffentlichen Raums übersteigt die personelle Kapazität der Polizei. Dieses Defizit kann sie mit proaktiver Polizeiarbeit zumindest teilweise kompensieren. Die PDV 100 gibt dazu die Ziele vor. Straftaten sind zu verhindern, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu stärken, die Ursachen der Kriminalität zu beseitigen bzw. zu mindern und das Entstehen oder Verfestigen kriminogener Faktoren zu vermeiden. Zur Erreichung dieser Ziele kommen polizeigesetzliche Maßnahmen in Betracht: Gezielte polizeiliche Präsenz zu relevanten Zeitpunkten, Videoüberwachung mit angekoppelter Sofortreaktion durch vor Ort befindliche Kräfte, Kontrollen an gefährlichen und gefährdeten Orten, Gefährderansprachen, Platzverweise, Aufenthaltsverbote und Ingewahrsamnahmen stellen taugliche Instrumente zur Sicherheitsgewährleistung im öffentlichen Raum dar. Von besonderer Bedeutung sind Präventionsmodelle sozialraumorientierter Polizeiarbeit, mit denen sich die Polizei – etwa mit Projekten wie „Gewaltprävention an Schulen“ und durch koordiniertes Vorgehen gemeinsam mit städtischen Dienststellen und soziales Einrichtungen – vorbeugend zur Hebung des Sicherheitsstandards im öffentlichen Raum einbringt.148 bb) Gewalt beim Fußball (1) Lagebild In den drei Fußballbundesligen wurden in der Saison 2018/2019 1.151 Spiele ausgetragen. In den fünf Regionalligen Nord, Nordost, West, Südwest und Bayern kamen 1.530 Spiele hinzu. Die Zahl der Zuschauer in den drei Bundesligen betrug 22 Millionen. Bei den Spielen der Bundesligen wurden 1.127 Personen verletzt. Strafverfahren wegen Körperverletzungen, Widerstand, Landfriedensbruch, Sachbeschädigung, Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz und rechtsmotivierten Straftaten wurden in 6.289 Fällen eingeleitet. Die Zahl der freiheitsentziehenden und freiheitsbeschränkenden Maßnahmen betrug 10.494. Das gewaltbereite Potenzial
146 147 148
Gatzke, Gewalt im öffentlichen Raum, S. 9 (10 f.). Behrendes/Pollich, Gewalt im öffentlichen Raum, S. 45 (59). Behrendes/Pollich, Gewalt im öffentlichen Raum, S. 45 (66 ff.).
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unter den Zuschauern der drei Bundesligen wird auf 13.375 Personen beziffert.149 Hatten bis in die 1990er Jahre in dieser Gewaltszene die der britischen Subkultur entstammenden klassischen Hooligans dominiert, die mit hoher Gewaltbereitschaft die tätliche Auseinandersetzung mit der Polizei suchten, sind an deren Stelle seit der Jahrtausendwende an den meisten Bundesliga- und Regionalligastandorten Ultras getreten.150 Bei diesen Gruppierungen handelt es sich um Fanorganisationen, die von den Vereinen meist unterstützt werden, sich aber durch hohe Gewaltbereitschaft gegen Fans des gegnerischen Vereins, Polizeibeamte und Unbeteiligte auszeichnen, was zu einer neuen Mischform von Hooligans und Ultras als Hooltras geführt hat.151 Bei Spielen von Mannschaften, deren Ultras verfeindet sind – in der polizeilichen Sprache als Konfliktbegegnungen gekennzeichnet – kommt es zu verabredeten Massenschlägereien zwischen den verfeindeten Gruppierungen.152 Wesentliche Erscheinungsformen des gewaltbereiten Potenzials sind: – Ausnutzen der Gruppendynamik bei einem geschlossenen, teilweise bewusst verzögerten Eintreffen am Stadion, um durch die entstehenden Drucksituationen im Eingangsbereich einen sogenannten Kassen-/Blocksturm zu initiieren und unter Umgehung der sonst üblichen Kontrollen und teilweise ohne Eintrittskarte ins Stadion zu gelangen bzw. Pyrotechnik einzuschleusen, – Aufziehen großflächiger, teilweise blocküberspannender Banner, – zeitgleiches Abbrennen erheblicher Mengen von Pyrotechnik auf Kommando, – nach Erlöschen der Pyrotechnik erneutes Aufziehen der Banner und Wechsel hin zu teilweise einheitlicher Kleidung, – Solidarisierungseffekte bei Eingriffsmaßnahmen, – Aufrufe, das Stadion nur zu verlassen, wenn alle Gruppenmitglieder eingehakt sind, um Zugriffe durch Einsatzkräfte der Polizei und/oder des Ordnerdienstes zu erschweren, – zielgerichtete Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere gegen überzogene Maßnahmen der Sicherheitsbehörden und Ordnerdienste, teilweise auch unter Begleitung sogenannter Szeneanwälte.153 Die politische Motivation ist bei Ultras gering. Für die Saison 2018/2019 ergab ein Datenabgleich des INPOL-Bestandes hinsichtlich Straftaten mit politischer Motivation mit den in der Gewalttäterdatei Sport erfassten gewaltbereiten Personen 149 Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS), Jahresbericht Fußball Saison 2018/ 2019, S. 5 ff. 150 Averdiek-Gröner, in: Averdiek-Gröner/Behrendes/Dübbers, Gewalt durch Gruppen, S. 37 (40 f.); Barczak, JA 2014, 888 (890 ff.); Kralim, Polizeiliche Maßnahmen, S. 25 ff.; Niemeyer, Gefahrenabwehrrechtliche Möglichkeiten, S. 33 ff. 151 Barczak, in: Kugelmann, Polizei und Menschenrechte, S. 293. 152 ZIS – Jahresbericht Fußball Saison 2018/2019, S. 20 f. 153 ZIS – Jahresbericht Fußball Saison 2018/2019, S. 9 f.
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lediglich eine Schnittmenge von 2,5 %, wobei in dieser Rechts- und Linksmotivierte fast gleich vertreten waren.154 In der Saison 2018/2019 wurden von den Vereinen der drei Bundesligen 198 auf örtliche Stadien begrenzte und 568 bundesweit wirksame Stadionverbote verhängt.155 In Anbetracht der Gesamtzahl gewaltbereiter Personen von 13.375 spiegelt die Zahl der Stadionverbote das zwiespältige Verhältnis der Vereine zu ihren Ultras. Der personelle Aufwand der Polizeibehörden bei den 1.151 Spielen der drei Fußballbundesligen betrug 2.204.598 Stunden.156 (2) Organisation, Zusammenarbeit, Hilfsmittel Die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) mit Sitz beim Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste Nordrhein-Westfalen in Duisburg koordiniert seit ihrer Einrichtung durch die Innenministerkonferenz im Jahr 1992 den Informationsaustausch aller nationalen und internationalen Polizeibehörden und ist zentraler Ansprechpartner bei sportlichen Großereignissen. Sie sammelt, analysiert und tauscht alle relevanten Informationen – Einschätzung des Gefährdungspotenzials im Hinblick auf Heim- und Gästefans auf den Anreisewegen oder die aktuellen Ticketverkaufszahlen – mit den Landesinformationsstellen Sporteinsätze und dem Bundespolizeipräsidium aus. Sie arbeitet mit verschiedenen Netzwerkpartnern – Kommunen, Sportverbänden, Transportverbänden und den Vereinen der Bundesligen – zusammen, um die Sicherheit bei Fußballspielen zu gewährleisten.157 Als Hilfsmittel stehen die Dateien „Gewalttäter Sport“ und „Szenekundige Beamte“ zur Verfügung. In der Datei „Gewalttäter Sport“ werden Daten von Personen gespeichert, gegen die im Rahmen von Sportveranstaltungen ein Ermittlungsverfahren wegen einer Gewalttat eingeleitet oder die wegen einer solchen Straftat verurteilt wurden. Gespeichert werden auch Daten von Personen, gegen die von der Polizei Personalienfeststellungen, Platzverweise oder Ingewahrsamnahmen angeordnet wurden, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie künftig bei Sportveranstaltungen Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen oder sich an solchen beteiligen werden.158 Die in der Datei gespeicherten Daten bilden eine wesentliche Entscheidungsgrundlage bei der Bewertung künftiger Gefährdungslagen und erforderlich werdender polizeirechtlicher Maßnahmen gegen Störer. In der Arbeitsdatei „Szenekundige Beamte“ werden in den Ländern auf regionaler Ebene Informationen über Personen aus dem gewaltgeneigten Fanpotenzial vorgehalten, womit die Einsatzvorbereitung der Polizei auf der örtlichen Ebene unterstützt wird. Die Verdichtung relevanter Erkenntnisse durch die szenekundigen Beamten schafft die Grundlage für eine tatsachenbasierte Lagebewertung, damit schon im 154 155 156 157 158
S. 55.
ZIS – Jahresbericht Fußball Saison 2018/2019, S. 12. ZIS – Jahresbericht Fußball Saison 2018/2019, S. 21. ZIS – Jahresbericht Fußball Saison 2018/2019, S. 22. ZIS – Jahresbericht Fußball Saison 2018/2019, Vorwort. Averdiek-Gröner, in: Averdiek-Gröner/Behrendes/Dübbers, Gewalt durch Gruppen,
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Vorfeld des Einsatzes einzelfallbezogene polizeirechtliche Maßnahmen zur Verhinderung von Straftaten getroffen werden können.159 (3) Polizeirechtliche Maßnahmen160 (a) Vorfeldphase Im Rahmen der Einsatzvorbereitung führt die Polizei mit Fankontaktbeamten Gefährderansprachen durch, in denen als Gefährder eingestuften Personen verdeutlicht wird, mit welchen polizeilichen Maßnahmen sie zu rechnen haben, wenn sie bei dem bevorstehenden Spiel auffällig werden.161 Meldeauflagen werden ausgesprochen, um zu verhindern, dass Gefährder sich in Stadien, Innenstädten oder Public-Viewing-Bereichen aufhalten können. Mit Platzverweisen oder Aufenthaltsverboten, die sich auf diese Örtlichkeiten beziehen, soll ebenfalls die Anwesenheit von Gefährdern am Spieltag verhindert werden. Finden Champions- oder Europa-League-Spiele statt, können Ausreisebeschränkungen verhängt werden. Mit einem auf die polizeiliche Generalklausel gestützten Kartenverkaufsverbot an Fans der gegnerischen Mannschaft soll bei Konfliktbegegnungen das Aufeinandertreffen verfeindeter Fangruppen verhindert werden.162 Fanmärsche, die vor allem vom Bahnhof zum Stadion stattfinden,163 werden von der Polizei einschließend begleitet oder verboten bzw. aufgelöst, wenn von der Polizei nicht verhinderbare Auseinandersetzungen mit den Ultras der gastgebenden Mannschaft drohen, die das publikumswirksame Auftreten der verfeindeten Ultras in ihrer Stadt als „Kriegserklärung“ ansehen. Werden bei solchen Fanmärschen Transparente gezeigt, die sich gegen zu hohe Eintrittspreise oder unangemessene Gehälter von Spielern richten, liegt ein Kommunikationszweck vor und Art. 8 Abs. 1 GG ist zu beachten, mit der Folge, dass polizeiliche Maßnahmen sich nach dem Versammlungsrecht richten. (b) Anreise- bzw. Anmarschphase An eingerichteten Kontrollstellen können Identitätsfeststellungen erfolgen und Abgleiche mit der „Gewalttäterdatei Sport“ vorgenommen werden; wird dabei festgestellt, dass die kontrollierte Person einem Betretungsverbot unterliegt, kann sie zur Durchsetzung des Platzverweises bzw. des Aufenthaltsverbots für die Dauer des Spiels in Gewahrsam genommen werden. Es können bei entsprechender Gefahrenprognose erkennungsdienstliche Maßnahmen durch Fotografieren von Gefährdern durchgeführt werden, um diese aus der Anonymität der Ultra-Masse zu holen 159
S. 56. 160
Averdiek-Gröner, in: Averdiek-Gröner/Behrendes/Dübbers, Gewalt durch Gruppen,
Barczak, JA 2014, 888 (890 ff.); Niemeyer, Gefahrenabwehrrechtliche Möglichkeiten, S. 69 ff. 161 Kniesel, in: Freundesgabe Schlink, S. 447 ff. 162 OVG Hamburg, NJW 2012, 1975 ff. 163 Averdiek-Gröner, in: Averdiek-Gröner/Behrendes/Dübbers, Gewalt durch Gruppen, S. 62 f.
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und sie bei künftigen Konfliktbegegnungen mit polizeirechtlichen Maßnahmen – Platzverweisen oder Aufenthaltsverboten – überziehen zu können. Schließlich können bei Durchsuchungen gefundene gefährliche Gegenstände, insbesondere Pyrotechnik sichergestellt werden. Schon in der Anreise- bzw. Anmarschphase wird sichergestellt, dass verfeindete Fangruppierungen nicht aufeinandertreffen, sondern getrennt voneinander ins Stadion verbracht und dort in reservierten Fanblocks separiert werden. (c) Einsatzphase während des Spiels Mit Beginn des Spiels werden die Ultrafanblöcke auf polizeigesetzlicher Grundlage videografiert und die Aufnahmen aufgezeichnet, sobald erkennbar wird, dass Störungen bevorstehen, insbesondere Straftaten begangen werden. (d) Einsatzphase nach dem Spiel In dieser Phase gilt es, weitere Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Fans zu verhindern. Dazu werden mit starken Polizeikräften einzelne Fanblocks aufgehalten, um den Abmarsch solange zu verzögern, bis sich die gegnerischen Fans, die einschließend begleitet werden, so weit voneinander entfernt haben, dass ein Aufeinandertreffen nicht mehr möglich ist. cc) Gewalt bei Demonstrationen (1) Lagebild Ein dem Lagebild Fußball vergleichbares Lagebild über Art und Ausmaß der Gewalt bei Demonstrationen lässt sich derzeit nicht erstellen. Es gibt weder eine der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze entsprechende Institution, die Demonstrationen registriert und ihren Verlauf auswertet, noch gibt die bundesweite Polizeiliche Kriminalstatistik Auskunft über Gewaltdelikte anlässlich von Demonstrationen. Zwar stammen vom Bundeskriminalamt gelegentlich herausgegebene Übersichten auf der Grundlage des „Lagebild(s) Auswertung politisch motivierter Straftaten“, doch ermöglichen solche punktuellen Erhebungen keine seriöse Bewertung der Gesamtentwicklung über einen längeren Zeitraum. Die Verfassungsschutzberichte der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern zeigen im jeweiligen Berichtsjahr zwar relevante Ereignisse bei Demonstrationen auf, allerdings nur wenn sie bestimmten extremistischen Bestrebungen zugeordnet werden können.164 Führt man Presseberichte, wissenschaftliche Erkenntnisse und polizeiliche Daten zusammen, so ergibt sich folgendes Bild: Gewalttätigkeiten bei Demonstrationen sind seit Ende der 1960er Jahre keine Ausnahmeerscheinungen: Die bislang massivsten Gewalttätigkeiten gab es bei den „Osterunruhen“ im April 1968, nachdem der 164
Behrendes, in: Averdiek-Gröner/Behrendes/Dübbers, Gewalt durch Gruppen, S. 84.
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Studentenführer Rudi Dutschke in Westberlin auf offener Straße mit drei Schüssen lebensgefährlich verletzt worden war. Am selben Abend des Gründonnerstags kam es zu Ausschreitungen, nachdem sich die Attacken der Studenten gegen das Hochhaus des Springer-Verlages gerichtet hatten, der mit seiner Berichterstattung für die Tat verantwortlich gemacht wurde. Die Proteste erweiterten sich in den darauffolgenden Tagen auf das ganze Bundesgebiet und es kam in 26 Städten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen protestierenden Studenten und der Polizei, wobei in München ein Pressefotograf und ein Student ums Leben kamen. In den 1980er Jahren nahmen gewalttätige Aktionen zu: Auseinandersetzungen im Rahmen von Demonstrationen der Hausbesetzerszene um die Hamburger Hafenstraße, 1. Mai-Krawalle in Berlin, der Mord an zwei Polizeibeamten bei einer Demonstration am 2. 11. 1987 gegen den Bau der Startbahn West auf dem Gelände des Frankfurter Flughafens, 1996 die Ausschreitungen mit Plünderungen bei den sich über vier Tage hinziehenden Chaostagen in Hannover und das seit den 1990er Jahren registrierte Auftreten gewalttätiger vermummter Autonomer bei Demonstrationen des linksorientierten politischen Lagers. Jüngstes Beispiel sind die gewalttätigen Verläufe der Demonstrationen beim G20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg, insbesondere die sich anschließenden Ausschreitungen im Hamburger Schanzenviertel, wo es zu versuchten Tötungsdelikten an Polizeibeamten kam. Trotz dieser gravierenden Ereignisse bei Demonstrationen bleibt festzustellen, dass bei politischen Demonstrationen nur ein geringer Anteil gewalttätig verläuft; eine im Bundesinnenministerium für den Zeitraum von 1970 bis 1996 erstellte bundesweite Demonstrationsstatistik ergab, dass im Durchschnitt dieser Jahre ca. 1 % der Demonstrationen gewalttätig verlief. Auch wenn es danach keine bundesweite Erhebung mehr gegeben hat, kann man davon ausgehen, dass sich an dem aufgezeigten Bild nichts Entscheidendes geändert hat165 und über 95 % aller Demonstrationen im von Art. 8 Abs. 1 GG abgesteckten Rahmen friedlich und ohne Waffen i.S. von Art. 8 GG ablaufen.166 (2) Aufgaben der Polizei bei Demonstrationen Jeder Polizeieinsatz bei Demonstrationen dient der Gewährleistung ihres friedlichen Verlaufs, insbesondere bei Großdemonstrationen mit verschiedenen Veranstaltern und heterogener Teilnehmerstruktur, sowie bei Demonstrationen rechter Gruppierungen, die Gegendemonstrationen – zum Teil mit Gewaltpotenzial – auf den Plan rufen.167 Der Aufgabe der Gefahrenabwehr durch Verhinderung und Verhütung von Straftaten kommt daher besondere Bedeutung zu, unabhängig davon, ob die Polizei als Versammlungsbehörde oder als im Eilfall zuständige Polizeibehörde in Erscheinung tritt.168 165 166 167 168
Behrendes, in: Averdiek-Gröner/Behrendes/Dübbers, Gewalt durch Gruppen, S. 85. Kubera/Marhauer/Seidel, Kommentar zur PDV 100, Nr. 4.4.1 – 4.4.7.4. Kniesel, DP 2017, 33. S. dazu Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, Teil I Rn. 463 ff.
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(3) Polizei- und versammlungsrechtliche Maßnahmen Die auf die Einsatzphasen bezogenen Maßnahmen bei Demonstrationseinsätzen entsprechen weitgehend denen bei Einsätzen im Zusammenhang mit Fußballspielen der Bundes- und Regionalligen. In der Vorfeldphase können gegen Veranstalter Verbote oder beschränkende Verfügungen in Form von Auflagen ergehen, um so Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Gegenüber potenziellen Teilnehmern werden sogenannte Vorfeldmaßnahmen (Gefährderansprachen, Meldeauflagen, Ausreiseverbote, Aufenthalts- und Teilnehmerverbote) getroffen. Bei der Anreise bzw. beim Anmarsch von Teilnehmern werden Kontrollstellen eingerichtet bzw. finden Vorkontrollen statt, an bzw. mit denen mittels Durchsuchung von Personen und Gegenständen und Sicherstellung von Waffen und gefährlichen Gegenständen sowie durch Platzverweise und auf deren Durchsetzung gerichteter Unterbindungsgewahrsam Gewaltpotenzial abgeschöpft wird, um so einen friedlichen Verlauf zu gewährleisten. Während der Demonstration können zur Lenkung des Polizeieinsatzes Übersichtsaufnahmen und bei entsprechender Gefahrenprognose auch Individualaufnahmen gemacht werden. Angepasst an die Lageentwicklung können nachträglich noch beschränkende Verfügungen ergehen oder die Demonstration kann aufgelöst werden. Ggfs. kann die Demonstration als Ganze oder können Teile von ihr eingekesselt oder bei Aufzügen einschließend begleitet werden. Gegen einzelne Teilnehmer können Platzverweise und bei deren Nichtbeachtung Durchsetzungsingewahrsamnahmen angeordnet werden, wenn sie vorher von der Teilnahme an der Demonstration ausgeschlossen wurden. In der Einsatzphase nach Beendigung oder Auflösung der Demonstration geht es vor allem darum, anschließende Gewalttätigkeiten zu verhindern, was insbesondere bei Rechts-LinksLagen erforderlich ist, um Zusammenstöße der verfeindeten Lager auszuschließen. dd) Straftaten in offenen Drogenszenen Offene Drogenszenen, die in den 1990er Jahren in vielen deutschen Großstädten zum Politikum wurden, bestehen auch heute noch und bereiten Kommunen und Polizei nach wie vor Probleme. Es handelt sich um Treffpunkte von Drogenabhängigen und Drogendealern, in denen Betäubungsmittel gehandelt und konsumiert werden, wobei Konsum und Geschäft unter den Augen der Öffentlichkeit stattfinden, d. h. die für die Szene typischen Verhaltensweisen erfolgen nicht in abgeschlossenen privaten Kreisen, sondern für jedermann sichtbar.169 Damit die Abhängigen ihren Konsum finanzieren können, kommt es im Umfeld der Szenen zur Beschaffungskriminalität in Form von Ladendiebstahl oder Tageswohnungseinbruch und zu Straftaten im Zusammenhang mit Prostitution im öffentlichen Raum.170 Offene Drogenszenen bilden sich meist in der Nähe von Hauptbahnhöfen und Knoten169 Finger, Die offenen Szenen der Städte, S. 32; Leiterer, „Zero Tolerance“ gegen soziale Randgruppen, S. 130 ff. 170 Finger, Die offenen Szenen der Städte, S. 40 f.
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punkten des öffentlichen Personennahverkehrs, weil sie als Umschlagplätze für illegale Drogen hohe Anziehungskraft für Süchtige und abhängige Kleindealer aus dem Umland haben und schnell zu erreichen sind; hinzu kommt, dass gerade Hauptbahnhöfe mit ihren Hallen und großen Vorplätzen, unterirdischen Ebenen, Parkhäusern und Toilettenanlagen ideale Voraussetzungen für Erwerb, Handel und Konsum bieten.171 Die lange praktizierte Verdrängungspraxis durch die Polizei – sogenanntes „Junkie-Jogging“ – ist weitgehend Vergangenheit; zum einen musste man erkennen, dass sich als Folge der Verdrängung dezentrale Strukturen bildeten, die ungleich mehr Beschwerden in der Bevölkerung auslösten, und zum anderen verhinderte die Tolerierung offener Drogenszenen an bestimmten Plätzen, dass die Drogenkriminalität in private Räume abwanderte, wo sie von der Polizei nur unter schwierigen Bedingungen hätte überwacht werden können. Als polizeirechtliche Maßnahmen erfolgen gegen Abhängige Platzverweise und Aufenthaltsverbote, ggfs. mit anschließendem Durchsetzungsgewahrsam. Hauptadressaten sind die nicht abhängigen Dealer, auf die mit Razzien auf der Grundlage des einschlägigen Polizeigesetzes Druck ausgeübt und das Geschäft gestört wird. Erfolgreich sind dabei Aufenthaltsverbote mit Zwangsgeldandrohung. ee) Verbotene Kraftfahrzeugrennen in Raserszenen (1) Lagebild Illegale Autorennen finden in Raserszenen größerer Städte, aber auch spontan auf Deutschlands Straßen statt, wenn etwa Fahrer von PS-starken Pkw an einer roten Ampel warten und der eine die Herausforderung des anderen annimmt. Seit wann illegale Autorennen als polizeilich relevante Verhaltensweisen erkannt und registriert wurden, lässt sich schwer sagen, weil es naheliegt, dass die betroffenen Polizeibehörden nicht gleich in einer WE-Meldung oder Pressemitteilung bei einem schweren Verkehrsunfall das Etikett Raserunfall bzw. illegales Autorennen vergeben haben, um so Nachahmungseffekte zu vermeiden. Nach zwei tödlich verlaufenen Verkehrsunfällen mit erheblich überhöhter Geschwindigkeit im Innenstadtbereich 2001 in Köln und 2006 in Bochum musste man aber illegale Autorennen als neues Problem des Straßenverkehrs offiziell zur Kenntnis nehmen. Allein in Köln kam es im Jahr 2015 zu mehreren schweren Verkehrsunfällen mit drei getöteten und sechs verletzten Personen, denen illegale Autorennen vorausgegangen waren. Am 1. 2. 2016 rammten zwei junge Männer bei einem Rennen auf dem Berliner Kurfürstendamm nach mehreren Rotlichtverstößen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 170 km/h auf einer für sie rot zeigenden Ampel den Jeep eines 69-Jährigen, der durch den Aufprall 70 Meter weit geschleudert wurde, wobei der Fahrer verstarb. Allein in Nordrhein-Westfalen wurden 2018 insgesamt 474 illegale Rennen registriert.
171
Finger, Die offenen Szenen der Städte, S. 34.
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3. Teil: Operative polizeigesetzliche Kriminalitätsbekämpfung
Die Vorkommnisse in Köln veranlassten die Polizei, bei der Bekämpfung dieser neuen Deliktsform einen Schwerpunkt zu setzen und es wurde im Mai 2015 die Besondere Aufbauorganisation „Rennen“ in der Direktion Verkehr eingerichtet. Nach intensiven Überwachungsmaßnahmen und Auswertung der beschafften Informationen stellte sich heraus, dass es sich bei den beobachteten Personen um eine zwar nicht organisierte, aber sich trotzdem zusammenfindende Szene handelte, die sich aus 18 – 25-jährigen männlichen Personen zusammensetzte, die meist deutsche Staatsangehörige mit türkischer Abstammung, arbeitslos oder Geringverdiener waren und meist noch im Familienverbund lebten. Ihre Fahrzeuge waren finanziert, ausgeliehen und oft auf Verwandte zugelassen; der technische Zustand der meist großvolumigen Fahrzeuge war in aller Regel mangelhaft, weil an ihnen Fahrwerksveränderungen und/oder unzulässige Leistungssteigerungen vorgenommen worden waren. Die Szeneangehörigen suchten in der Gruppe soziale Anerkennung und fanden es „geil“ auf den Kölner Ringen ihr vermeintliches Können mit ihren hochmotorisierten Fahrzeugen in der Öffentlichkeit zu präsentieren und sich mit anderen zu messen, wobei sich der Vergleichswettkampf nicht nur auf die Rennen, sondern auch auf die vorgenommenen technischen Veränderungen an den Fahrzeugen erstreckte. Hinzu kam der Nervenkitzel, wenn sie bei ihrem gesetzwidrigen Verhalten der Polizei entwischten. Im Jahr 2018 wurden in der Datei „Rennliste“ 1.321 Personen geführt und 64 illegale Rennen im Sinne von § 315d StGB festgestellt. Auf polizeirechtlicher Grundlage wurden 1.407 Fahrzeuge sichergestellt.172 (2) Verwaltungsrechtliche und strafrechtliche Rechtslage Gemäß § 29 Abs. 1 StVO waren bis zur Einführung des § 315d StGB Rennen mit Kraftfahrzeugen verboten und nach Abs. 2 bedürfen Veranstaltungen, für die Straßen mehr als verkehrsüblich in Anspruch genommen werden, der Erlaubnis. Mit Gesetz vom 13. 10. 2017173 wurden verbotene Kraftfahrzeugrennen in § 315d StGB in drei Grundtatbeständen unter Strafe gestellt, nach Abs. 1 Nr. 1 die Ausrichtung und Durchführung eines nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennens, nach Nr. 2 die Teilnahme an einem Rennen als Kraftfahrzeugführer und nach Nr. 3 das „Einzelrennen“, von dem auszugehen ist, wenn ein Kraftfahrzeugführer sich mit nicht angepasster Geschwindigkeit grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen.174 Nach Abs. 5 kann in den Fällen des Abs. 2 eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren verhängt werden, wenn der Täter durch die Tat den Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen verursacht. Nach § 315f StGB können Kraftfahrzeuge, auf die sich eine Tat nach § 315d Abs. 1 Nr. 2 oder 3, Abs. 2, 4 oder 5 bezieht, eingezogen werden. 172 Diese Befunde und Zahlen beruhen auf Gesprächen, die der Verfasser mit den zuständigen Beamten des Polizeipräsidiums Köln geführt hat. 173 BGBl I, S. 3532. 174 Kulhanek, JA 2018, 561 ff.; Stam, StV 2018, 464 ff.
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(3) Polizeirechtliche Maßnahmen Trotz dieser Strafbarkeitserweiterung und zweier vom Bundesgerichtshof bestätigter Verurteilungen von Rasern zu lebenslanger Haft wegen Mordes nehmen illegale Autorennen bundesweit zu. Laut Auskunft des Polizeipräsidiums Berlin vom 19. 8. 2020 wurden in der Zeit vom 9.3. bis zum 12. 4. 2020 92 illegale Autorennen registriert, während es 2019 im selben Zeitraum noch 36 waren.175 Auch im Hinblick auf die schwierige Beweisführung bei den Tatbeständen des § 315d StGB liegt es nahe, die Bekämpfung illegaler Autorennen – so wie es die Kölner Polizei getan hat – vor allem mit den Mitteln des Polizeirechts anzugehen. Zentrale Befugnisnorm ist die Sicherstellung einer Sache, die erfolgen kann, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren.176 Wenn Raser an ihren Fahrzeugen manipulieren, indem sie z. B. Fahrwerkveränderungen vornehmen, einen anderen Auspuff einbauen oder die Motorleistung auftunen, liegt ein Verstoß gegen § 19 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 StVZO vor. Der Gebrauch eines solchen Fahrzeugs stellt eine gegenwärtige Gefahr dar, weil mit Antritt der Fahrt die besondere Nähe der Gefahrverwirklichung gegeben ist.177 Stellt die Polizei bei einer Kontrolle einen oder mehrere Verstöße gegen die StVZO fest, der oder die eine besondere Gefahr für die Verkehrssicherheit darstellen, kann sie das Fahrzeug sicherstellen. Nach Bestätigung der Mängel durch die beteiligte Prüforganisation (z. B. TÜVoder Dekra) wird das Fahrzeug durch die Polizei oder den Außendienst des Ordnungsamtes durch Entsiegelung des Kennzeichens aus dem Verkehr gezogen; der Eigentümer muss dann auf seine Kosten das verkehrsunsichere Fahrzeug mit einem Abschleppfahrzeug bei der Prüfungsorganisation abholen lassen, es in den Ursprungszustand versetzen und sich alsdann den Rückbau durch die Prüfungsorganisation bescheinigen lassen, um es wieder zulassen zu können. Auf diese Weise ist aber nur die Gefahr abgewehrt worden, die in der Beschaffenheit des Fahrzeugs ihre Ursache hatte.178 Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht aber unabhängig vom verkehrssicheren Zustand des bei Rennen genutzten Fahrzeuges in der Person des Fahrers, wenn es sich bei ihm um einen Angehörigen der Raserszene handelt; er selbst stellt die gegenwärtige Gefahr dar, die aus seinem Verhalten folgt und ihn zum Verhaltensstörer im Sinne des Polizeirechts macht.179 In solchen Fällen bietet sich ein abgestuftes polizeirechtliches Einsatzkonzept an. Es erfolgt zunächst eine Gefährderansprache, in der der Raser auf die Folgen hingewiesen wird, sollte er weiter an Rennen teilnehmen. Wird er gleichwohl wieder in der Nähe einer Rennstrecke angetroffen, kann gegen ihn ein Platzverweis bzw. ein 175 176 177 178 179
rbb24 vom 22. 8. 2020. S. z.B. § 43 Nr. 1 nwPolG. Graulich, HdBPR, E. Rn. 645. Graulich, HdBPR, E. Rn. 646. Graulich, HdBPR, E. Rn. 647.
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Aufenthaltsverbot in der Form verhängt werden, dass ihm untersagt wird, sich zu einem fest umrissenen Zeitraum als Fahrer eines Kraftfahrzeugs an der oder den Rennstrecken aufzuhalten. Da die Rennen meist an den Wochenenden stattfinden, ist das Verbot auf die Zeit von Freitag 12.00 Uhr bis Sonntag 24.00 Uhr zu begrenzen. Folgt man der Auffassung, dass eine Platzverweisung maximal 24 Stunden andauern darf,180 kommt nur ein Aufenthaltsverbot als Rechtsgrundlage für ein Bereichsbefahrungsverbot in Betracht. Mit ihm kann die Androhung eines Zwangsgeldes verbunden werden. Ist dieses uneinbringlich, kann die Polizei Ersatzzwangshaft beantragen. Wird der Betroffene trotz Aufenthaltsverbot als Fahrer eines Kraftfahrzeugs in der festgesetzten Zeit an der oder einer der Rennstrecken angetroffen, kann das von ihm geführte Fahrzeug als mildere Maßnahme gegenüber einem Gewahrsam zur Verhinderung einer Straftat nach § 315d StGB oder einem Gewahrsam zur Durchsetzung des Aufenthaltsverbots sichergestellt werden. Wird er erneut mit einem Fahrzeug angetroffen, kann er auch in Gewahrsam genommen werden, um die gegenwärtige Gefahr der Begehung einer Straftat nach § 315d StGB zu verhindern oder um das erlassene Bereichbefahrungsverbots durchzusetzen. Im ersten Fall kann der aus polizeilicher Rechtsmacht angeordnete Gewahrsam bei einer vorliegenden richterlichen Entscheidung 48 Stunden andauern, der angetroffene Raser also für diesen Zeitraum in Gewahrsam genommen werden. Im Falle des Durchsetzungsgewahrsams ist in den Bundesländern – außer Bremen und Schleswig-Holstein, die keine ausdrückliche Höchstdauer vorsehen – mit dem Zeitrahmen maximal zwei Monaten in Bayern und drei bis vierzehn Tagen in den anderen Bundesländern ein ausreichender Zeitrahmen für Ingewahrsamnahmen von Rasern in der Zeit von Freitag 12:00 Uhr bis Sonntag 24:00 Uhr vorhanden. ff) Gewaltdelikte beim organisierten Kindesmissbrauch (1) Lagebild Das Bundeskriminalamt hat im Jahr 2019 knapp 14.000 Fälle von Kindesmissbrauch und ca. 12.000 Verfahren wegen Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung kinderpornografischer Schriften gemäß § 184b StGB registriert.181 In NordrheinWestfalen haben die Missbrauchsfälle von Lügde, Münster und Bergisch-Gladbach die Dimension dieser Kriminalitätsformen deutlich gemacht. Allein im Ermittlungskomplex Bergisch-Gladbach liegen 30.000 Hinweise auf Tatverdächtige vor, die in internationalen Netzwerken organisiert sind und im Internet in abgeschotteten Foren agierten; sie tauschten nicht nur kinderpornografische Inhalte, sondern sogar 180 Schenke, POR, Rn. 132; Lang, VerwArch 96 (2005), 283 (299); Kugelmann, POR, 6. Kap. Rn. 25; a.A. Schmidtbauer/Holzner, BayPSR, Rn. 896, die vertreten, dass ein Platzverweis solange dauern darf, bis die Gefahr abgewehrt ist oder sich zeigt, dass der Zweck des Platzverweises nicht erreicht werden kann; Rachor, HdBPR (5. Aufl.), E. Rn. 435 geht davon aus, dass bei besonderen Gefahrenlagen ein Platzverweis den Zeitraum von 24 Stunden überschreiten darf. 181 Der Spiegel, Nr. 20 v. 9. 5. 2020, S. 39.
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ihre Kinder selber zur Begehung von Sexualstraftaten. Bislang wurden allein im Komplex Bergisch Gladbach 85 Terabyte Daten gesichert, was 21 Millionen Fotos entspricht.182 Die Bedeutung des polizeilichen Auftrags zur Verhinderung bzw. zur Verhütung von Straftaten wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass die Kölner Polizei seit Beginn ihrer strafrechtlichen Ermittlungen im Herbst 2019 65 Kinder – das jüngste war drei Jahre alt – aus den Händen ihrer Peiniger befreit und dem Jugendamt überstellt hat. (2) Polizeirechtliche Möglichkeiten und Maßnahmen Die Möglichkeiten der Polizei zur Verhinderung bzw. Unterbindung von Gewaltdelikten im Internet sind beschränkt. Es kann zwar bereits bei der Gefahrensuche Software eingesetzt werden, die entsprechende Delikte erkennt183, doch es fehlen zur Bekämpfung des Kindesmissbrauchs und der Verbreitung kinderpornografischer Bilder in der digitalen Welt die Befugnisse der Bekämpfung in der analogen. So wie es etwa Betretungsverbote im analogen Raum gibt, müsste es solche im digitalen geben, die dann ebenfalls zwangsweise durchgesetzt werden könnten. In Anbetracht der Masse der Daten für das mögliche Vorliegen von Kindesmissbrauch und des Zeitaufwands für die Abklärung ihrer strafrechtlichen Relevanz ist eine erneute Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung unausweichlich. Solange Internetanbieter die IP-Adressen der Nutzer nach wenigen Tagen löschen können, sind polizeiliche Aufklärungsverfahren, mit denen anonyme Täter gefunden werden könnten, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Es bleibt aber, wie in der realen Welt, die vorrangige Aufgabe der Gefahrenabwehr, die von weiteren Gewaltdelikten bedrohten Kinder aus dem Umfeld ihrer Peiniger mittels Schutzgewahrsam zu befreien und dem Jugendamt zu überstellen, ein Auftrag, der von Kriminalisten in ihrer Fixierung auf Ermittlungsverfahren nicht immer hinreichend wahrgenommen wird.
C. Verhütung von Straftaten in kriminellen Strukturen I. Terrorismus, Organisierte Kriminalität und Cybercrime als besondere Herausforderungen Die besondere Gefährdungsdimension dieser drei Kriminalitätsformen zeigt sich erst, wenn man die Zusammenhänge zwischen Terrorismus und Organisierter Kriminalität erkennt und begreift, welche Möglichkeiten der Cyberraum für beide Kriminalitätsformen eröffnet.184 182 183 184
Die Zeit, Nr. 31 v. 23. 7. 2020, S. 13 ff. S. C. I. 2. c). Stock, in: FS Kreuzer, S. 413 (418 f.); s. auch Goertz, DP 2018, 313 ff.
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1. Zusammenhänge Terrorismus und Organisierte Kriminalität sind besonders gefährlich, nicht weil sie bestimmte Straftaten begehen, sondern auf welche Weise und mit welcher Zielrichtung sie dabei vorgehen; das Wie, nicht das Was begründet ihre besondere Gefährlichkeit.185 Die organisierte Kriminalität geht unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel vor, um ihre Ziele zu erreichen. Terroristen begehen schwerste Straftaten mit dem Ziel, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern und die politischen Entscheidungsträger unter Druck zu setzen bzw. zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen, das die Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation destabilisieren oder zerstören kann.186 Hinzu kommt, dass Terroristen und organisierte Kriminelle sich in klandestinen Strukturen bewegen, was die herkömmlichen Bekämpfungsmöglichkeiten der Polizei erheblich einschränkt. Außerdem kommt es zu Interaktionen und Kooperationen zwischen transnationalen Akteuren des islamistischen Terrorismus und der transnationalen Organisierten Kriminalität, wenn diese in Konfliktregionen in Nord- und Westafrika, Afghanistan und Syrien zusammen agieren, was Al Quaida zu einem hybriden Akteur auf beiden Feldern gemacht hat.187 2. Digitalisierung als Qualitätssprung krimineller Kompetenz Der Cyberraum bietet Terroristen und organisierten Kriminellen ganz neue Möglichkeiten. Digitaler Datenverkehr kennt keine geografischen Grenzen, sondern Daten durchqueren Staaten, ohne dass diese derzeit zu einer wirksamen Kontrolle in der Lage wären. Der Cyberraum garantiert Ortsunabhängigkeit, hohe Geschwindigkeit, geringe Kosten und vor allem Anonymität. Insbesondere das Darknet als digitale Unterwelt bietet ein hohes Maß an Abschirmung gegen polizeiliche Überwachung.188 Die Akteure der organisierten Kriminalität profitieren von der Digitalisierung in zweifacher Weise; sie können ihre bisherigen Aktivitäten – etwa bei der Geldwäsche – in neuer Qualität durchführen und zusätzlich die durch das Internet geschaffenen Möglichkeiten des digitalen Geldkreislaufs zur Begehung typischer Finanzkriminalität – etwa bei den vielfältigen Formen des Online-Betrugs – nutzen. Kriminelle Strukturen werden neu dimensioniert, wenn illegale Online-Marktplätze und Kryptomärkte von der organisierten Kriminalität genutzt werden.189 185 So auch der Abschlussbericht der Regierungskommission „Mehr Sicherheit in Nordrhein-Westfalen“, 2020, S. 41. 186 Rahmenbeschluss 2002/475/JI des Rates vom 13. 6. 2002 zur Terrorismusbekämpfung, ABl L Nr. 164, S. 3; BVerfGE 141, 220 (266). 187 Goertz, DP 2017, 129. 188 Zöller, KriPoZ 2019, 274 ff. 189 Wegener, VVDStRL 75 (2016), S. 293 (301 ff.); Brunst, § 7 Cyberabwehr, in: Dietrich/ Eiffler, HdB Nachrichtendienste, Rn. 9 ff.
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Terroristen nutzen das Internet, um Propaganda für sich zu machen, um zu kommunizieren, etwa mit Anleitungen zum Bombenbau und um neue Anhänger zu rekrutieren. Mit Hacker-Angriffen können sie gegen Staaten in den Krieg ziehen, dessen Folgen bei Angriffen auf die Infrastruktur denen eines herkömmlichen Angriffs mit Waffengewalt entsprechen können. 3. Besondere Gefährdungsdimension als Legitimation für polizeiliches Agieren im Vorfeld der konkreten Gefahr Die aufgezeigte Gefährdungsdimension durch den Terrorismus und die organisierte Kriminalität im Verbund mit dem Cyberraum rechtfertigen ein früheres Einschreiten der Polizei mit Vorfeldmaßnahmen als es bei den klassischen Gefahrenabwehrmaßnahmen mit ihrer Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr möglich ist.
II. Terrorismus 1. Definitionen Eine allgemein gültige und akzeptierte Definition des Terrorismus gibt es nicht. Im Gemeinsame-Daten-Gesetz vom 22. 12. 2006 wird in § 2 Satz 1 Nr. 2 beschrieben, welche Personen zum Terrorismus zu rechnen sind: „Personen, die rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwenden …“.
Nach § 129a StGB macht sich strafbar, wer eine terroristische Vereinigung gründet. Eine Vereinigung ist terroristisch, wenn deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord und andere schwerste Verbrechen zu begehen (Abs. 1). Sind die Zwecke oder Tätigkeiten der Vereinigung auf weniger gravierende Straftaten gerichtet (Abs. 2), so ist die Vereinigung nur dann terroristisch, wenn eine der in der Norm aufgezählten Taten – bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und – durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann. Diese Regelung in § 129a Abs. 2 StGB beruht auf der Definition „Terroristische Straftaten“ aus dem Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung. Darin werden eine im Einzelnen aufgezählte Reihe von Straftaten als terroristische Straftaten eingestuft, wenn sie
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– durch die Art ihrer Begehung oder den jeweiligen Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen können und – mit dem Ziel begangen werden, – die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern oder – öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder – die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören.
2. Lagebild Die vom Terrorismus – insbesondere vom islamistischen und rechtsextremistischen – bewirkte Gefährdungslage ergibt sich aus den Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern und den im „kriminalpolizeilichen Meldedienst politisch motivierte Kriminalität“ erfassten Straftaten. Im Zentrum des Lagebildes steht das Gefährderpotenzial und damit das gefahrenabwehrrechtliche Ziel, Anschläge zu verhindern. a) Islamistischer Terrorismus aa) Ausrichtung Nach Einschätzung des Bundesnachrichtendienstes agieren die Gruppierungen des islamistischen Terrorismus transnational und verfolgen häufig einen global-jihadistischen Ansatz, der westliche Ziele und damit auch die Bundesrepublik im Visier hat. Ideologische Grundlage der islamistischen Terrorgruppierungen ist eine vorgebliche Rückbesinnung auf traditionelle islamische Werte in Anlehnung an das „Goldene Zeitalter“ zur Zeit des Propheten Muhammed.190 Ihr Ziel ist die Errichtung von islamischen Gemeinwesen nach den Grundsätzen der Scharia. Mittel zu diesem Zweck ist der als heiliger Krieg (Jihad) bezeichnete Kampf gegen die Ungläubigen.191 Die seit Jahren wachsende Strömung des Salafismus bildet den ideologischen Unterbau des gewaltbereiten Jihadismus.192
190
Deutscher Bundestag Wissenschaftliche Dienste, Ausarbeitung WD 3-417/09. Bundesnachrichtendienst, http://www.bnd.bund.de/DE/Themen/Lagebeiträge/Islamisti scherTerrorismusnode.html. 192 Verfassungsschutzbericht 2019, S. 177. 191
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bb) Potenzial Laut Verfassungsschutzbericht ergibt sich für 2019 ein Islamismuspotenzial von 28.020 und ein Salafismuspotenzial von 12.150 Personen.193 Um aus dieser Ausgangsmenge den gewaltbereiten Anteil herauszufiltern, hat das Bundeskriminalamt in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Forensische Psychologie der Universität Konstanz das Risikobewertungsinstrument RADAR-iTE („Regelbasierte Analyse potenziell destruktiver Täter zur Einschätzung des akuten Risikos – Islamistischer Terrorismus“) entwickelt, das eine transparente, nachvollziehbare und bundesweit einheitliche Bewertung des Gewaltrisikos polizeilich bekannter militanter Salafisten ermöglichen soll.194 Mit diesem Verfahren hat das Bundeskriminalamt 368 Personen ermittelt und in drei Risikostufen moderates, auffälliges und hohes Risiko bewertet. Ca. 40 Prozent wurden der Gruppe mit hohem Risiko zugeordnet und das Bundeskriminalamt befürchtet bei diesen 155 Personen einen Anschlag. Der Gruppe mit auffälligen Risiko wurden 10 Prozent und der mit moderatem Risiko 50 Prozent zugeordnet; bei diesen Gefährdern ist von einer Anschlagsbereitschaft auszugehen bzw. eine solche nicht auszuschließen.195 Zu diesem Kreis von Topgefährdern sind auch die IS-Angehörigen zu zählen, die nach Verbüßung einer Haftstrafe wegen Anhängerschaft zur Terrormiliz „Islamischer Staat“ nach § 58a AufenthG abgeschoben und nach § 62 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG zur Sicherung der Abschiebung in Abschiebehaft genommen werden könnten, ihrer Abschiebung und damit auch ihrer Abschiebungshaft aber tatsächliche und rechtliche Gründe nach dem Asylverfahrensgesetz entgegenstehen, weil auf syrischer Seite kein administratives Gegenüber vorhanden oder Folter nicht auszuschließen ist. Zu den Topgefährdern sind auch Personen zu zählen wie der 20-jährige Syrer, der am 4. 10. 2020 in Dresden – nach Verbüßung einer dreijährigen Haftstrafe wegen Anhängerschaft zur Terrormiliz Islamischer Staat gerade aus der Haft entlassen – auf offener Straße unvermittelt zwei Männer mit zwei Küchenmessern angriff, den einen tötete und den anderen schwer verletzte. b) Rechtsextremistischer Terrorismus Seit der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds an Kleinunternehmern mit Migrationshintergrund in den Jahren 2000 bis 2006, dem versuchten Mord an der Oberbürgermeister-Kandidatin Reker 2015 in Köln, dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke 2019, dem versuchten Tötungsdelikt an einem eritreischen Asylbewerber in Wächtersbach 2019, dem Anschlag auf die Synagoge in Halle mit der anschließenden Ermordung zweier Personen 2019 und dem Amoklauf 2020 in Hanau, bei dem neun Personen erschossen wurden, ist von einem rechts193 Verfassungsschutzbericht 2019, S. 180 und 193; dazu ausf. Goertz, in: Terrorismus als hybride Bedrohung, S. 1 ff. 194 BT-Drs. 19/5648, S. 5 f. 195 BT-Drs. 19/5648, S. 5 f.
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extremistischen Terrorismus in der Bundesrepublik auszugehen, weil alle Täter Rechtsextremisten waren bzw. mit rechtsextremistischer Motivation handelten.196 aa) Ausrichtung Der rechtsextremistisch motivierte Terrorismus hat seine ideologische Grundlage in der Auffassung, dass die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse über den Wert eines Menschen entscheidet, was mit der Propagierung, antidemokratischer, antipluralistischer, rassistischer und antisemitischer Propaganda einhergeht.197 Die rechtsextremistische Szene hat sich in den letzten Jahren geändert, insbesondere sind die Übergänge vom Rechtsextremismus zum Rechtsterrorismus fließend geworden.198 Das rechtsextremistische Gefährdungspotential, das meist aus einem szeneinternen Radikalisierungsprozess entsteht, mündet in Gewaltorientierung von sogenannter Bürgerwehren und Anschlägen auf Politiker oder Ausländer und Asylbewerberunterkünfte durch Mitglieder rechtsterroristischer Gruppierungen.199 Das OLG Dresden verurteilte 2018 acht Mitglieder der „Gruppe Freital“ wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Veränderung in Tateinheit mit versuchtem Mord zu Haftstrafen zwischen vier und zehn Jahren, weil sie einen Sprengstoffanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft verübt hatten.200 Das OLG München verurteilte 2017 vier Mitglieder der rechtsterroristischen Organisation „Oldschool Society“ wegen geplanter Sprengstoffanschläge auf Asylbewerberunterkünfte gemäß § 129a StGB zu Haftstrafen zwischen drei und fünf Jahren.201 Das Landgericht Dresden verurteilte 2017 zwei Mitglieder der „Freien Kameradschaft“ wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Landfriedensbruch, gefährlicher Körperverletzung und Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion zu Haftstrafen von jeweils drei Jahren und acht Monaten in Zusammenhang mit Gewalttaten gegen Asylbewerber.202 Der Bundesminister des Inneren verbot im Jahr 2000 das Netzwerk „Blood & Honour“, 2016 die gewaltbereite rechtsextremistische Gruppe „Weisse Wölfe Terrorcrew“, die zuletzt 70 – 100 gewaltbereite Mitglieder in zehn Bundesländern hatte und im Jahr 2019 die Gruppe „Combat 18“, die den bewaffneten Arm von „Blood & Honour“ darstellte. Zwischen dem Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke und den rechtsextremistischen Gruppen „Oidoxy-Streetfighting-Crew“, „Autonome Nationalisten“, „Combat 18“ und deren Kasseler Teilgruppe „Sturm 18“ sowie Mittätern der rechtsextremistischen Organisation 196 Verfassungsschutzbericht 2019, S. 46 ff.; Goertz, DP 2018, 321 ff.; Abschlussbericht der Regierungskommission „Mehr Sicherheit in Nordrhein-Westfalen“, 2020, S. 29; Lohse/Engelstätter, GSZ 2020, 156 ff. 197 Goertz, DP 2019, 321 ff. 198 Goertz, DP 2019, 321 (326). 199 Landtag NRW, BT-Drs. 17/11081, S. 66 ff.; Goertz, DP 2019, 321 (324). 200 Verfassungsschutzbericht 2019, S. 58 f. 201 Verfassungsschutzbericht 2018, S. 55. 202 Verfassungsschutzbericht 2018, S. 55 f.
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„Nationalsozialistischer Untergrund“ haben offensichtlich Verbindungen bestanden.203 bb) Potenzial Der Verfassungsschutzbericht 2019 geht von einem Rechtsextremismuspotential von 33.430 Personen aus, von denen ca. 20.000 rechtsextremistischen Parteien und ca. 6.600 in parteiunabhängigen bzw. parteigebundenen Strukturen organisiert sind und von einem unstrukturierten Personenpotenzial von ca. 13.500 Personen.204 Die Gruppe der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ sind auf die zweite und dritte Gruppe verteilt. Die Mitglieder der „Identitären Bewegung“ sind mit 600 Personen in der dritten Gruppe enthalten.205 Das BfV beziffert das gewaltorientierte Rechtsextremismuspotential auf ca. 13.000 Personen. Als hartem Kern von Topgefährdern geht das Bundeskriminalamt von 43 Rechtsterroristen aus.206 Zur Analyse extremistischer Bestrebungen in sozialen Netzwerken wird das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt „X_SONAR“ eingesetzt, um extremistische Netzwerkstrukturen und individuelle und kollektive Radikalisierungsprozesse frühzeitig zu erkennen.207 3. Bekämpfung a) Islamistischer Terrorismus aa) Möglichkeiten Der islamistische Terrorismus in seiner Entwicklung nach dem 11. 9. 2001 unterscheidet sich vom Terrorismus des RAF der 1970er Jahre, weil die Akteure unauffällig und angepasst unter uns leben und so unter dem Radar von Nachrichtendiensten und Polizei bleiben können. Sie sind auch nicht wie Angehörige der organisierten Kriminalität in auf Dauer angelegte kriminelle Aktivitäten und Strukturen eingebunden, sondern treten nur bei ihren Anschlägen und möglicherweise bei deren Vorbereitung in Erscheinung. Solange Anschläge von Terrorzellen vorbereitet und verübt werden, besteht Kommunikationsbedarf mit der Entscheidungsebene und zwischen den Zellenmitgliedern und damit die Möglichkeit der Telekommunikationsüberwachung durch Nachrichtendienste und Polizei. Werden die Anschläge aber von amorphen Kleinzellen vorbereitet und durchgeführt, entscheiden diese also 203
Goertz, DP 2019, 321 (326). Verfassungsschutzbericht 2019, S. 53. 205 Verfassungsschutzbericht 2019, S. 53. 206 https://www.goettinger-tageblatt.de/Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/PolitischerEx tremismus/22.10.2019. 207 Analyse extremistischer Bestrebungen in sozialen Netzwerken (X-SONAR), https: //www.sifo.de/files/Projektumriss_X-SONAR.pdf. 204
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3. Teil: Operative polizeigesetzliche Kriminalitätsbekämpfung
selber über das Ob, Wie, Wann und Wo des Anschlages, reduzieren sich die Überwachungsmöglichkeiten. Handelt es sich um den Typus des selbstradikalisierten Einzeltäters, der seine Anleitungen aus dem Internet bezieht und die Entscheidung über den Anschlag selber trifft, wird die Bekämpfungsmöglichkeit noch weiter reduziert. Der unter uns unauffällig und angepasst lebende Einzeltäter, dessen strukturelles Merkmal seine Unsichtbarkeit208 ist, stellt die größte Gefahr dar. „LowLevel-Terroristen“209 haben geringen oder gar keinen Kommunikationsbedarf, sind meist Ersttäter und müssen nur punktuell, also bei Vorbereitungshandlungen – etwa Bestellungen im Internet – und im Zeitpunkt des Anschlags aus ihrer Deckung kommen. Ihre Anschläge können an beliebigen Orten, zu beliebigen Zeitpunkten und mit beliebigen Mitteln, also mit ohnehin zur Verfügung stehenden Alltagsgegenständen wie PKW oder Stich- bzw. Hiebwaffen allein mit kinetischer Energie durchgeführt werden. Verlassen solche Täter ihre Deckung zur Durchführung ihres Anschlags in ihrer unmittelbaren Umgebung, ist die Chance zur Tatverhinderung durch die Polizei gering, weil die der Polizei verbleibende Zeitspanne sehr gering ist. Insoweit lässt sich ein grundlegender Unterschied zwischen dem islamistischen Terrorismus und der Organisierten Kriminalität feststellen. In den Strukturen der Organisierten Kriminalität begangene Straftaten sind Teil eines Gesamtgeschehens und insoweit Ansatzpunkte für polizeirechtliche Aufklärungs- und strafprozessuale Ermittlungsverfahren, die zu Erkenntnissen über die Strukturen führen und deren Bekämpfung ermöglichen. Terroristische Anschläge sind dagegen – auch wenn sie als Kette gesehen werden – singuläre Ereignisse; die Täter folgen zwar alle einer handlungsleitenden Ideologie, doch stehen ihre Taten in keinem Gesamtzusammenhang, aus dem sich konkrete Erkenntnisse über Täter, Ort, Zeitpunkt und Begehungsweise des nächsten Anschlags gewinnen ließen. bb) Informationelle und aktionelle Maßnahmen (1) Polizeiliche Maßnahmen Die Polizei ist am Informationsaustausch im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum und im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum beteiligt. Sie kommuniziert mit Sicherheitsbehörden der Herkunftsländer von Gefährdern und erhält Hinweise von Dritten über Auffälligkeiten (Autoverleihern, Online-Versandfirmen und besorgten Eltern). Mit ihren Maßnahmen kann die Polizei bei den ihr bekannten Gefährdern oder bei möglichen Anschlagzielen ansetzen. Eine dauerhafte 24-stündige Überwachung der Gefährder ist wegen des hohen Personalaufwandes nur in Einzelfällen möglich210 und mit der Überwachung potenzieller Anschlagsziele lassen sich nur Teilerfolge 208 Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts, S. 284; dazu näher Behrens/Goertz, Kriminalistik 2016, 686 ff. 209 Goertz, DP 2018, 313 (317). 210 S. dazu 2. Teil 3. Abschnitt, D. II. 1. b) cc) (3) (c) (aa) (b).
3. Abschn.: Verhinderung und Verhütung von Straftaten
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erzielen. Deshalb setzt die Polizei auf Einzelmaßnahmen; sie führt insbesondere bei rückkehrenden IS-Kämpfern Gefährderansprachen durch. Mit Verbleibskontrollen stellt sie die An- bzw. Abwesenheit an den zum jeweiligen Zeitpunkt vermuteten Aufenthaltsorten von Gefährdern fest, mit Abpasskontrollen ermittelt sie zusätzlich An- und Abreisewege einer Person. Sie führt Razzien durch, observiert, überwacht die Telekommunikation, erlässt Kontakt- und Aufenthaltsverbote, ordnet das Tragen einer Fußfessel an, bewacht begleitend in Einzelfällen und nimmt Gefährder in Gewahrsam. (2) Maßnahmen anderer Behörden Die örtlich zuständigen Ordnungsbehörden können auf der Grundlage des am 30. 6. 2015 in Kraft getretenen Gesetzes zur Änderung des Personalausweisgesetzes, zur Einführung eines Ersatz-Personalausweises und zur Änderung des Passgesetzes Maßnahmen zur effektiven Verhinderung der Ausreise aus dem Bundesgebiet mit dem Ziel der Terrorismusbekämpfung ergreifen. Neben der schon bestehenden Möglichkeit der Passentziehung nach den §§ 7 und 8 PassG kann Gefährdern der Personalausweis nach § 6a PAusweisG entzogen werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie rechtwidrig Gewalt gegen Leib und Leben als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwenden oder eine solche Gewaltanwendung unterstützen oder vorsätzlich hervorrufen.211 Auf der Grundlage von § 58a Abs. 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung eine Abschiebungsanordnung erlassen, die sofort vollziehbar ist. Nach Abs. 2 kann das Bundesministerium des Inneren die diesbezügliche Übernahme der Zuständigkeit erklären, wenn ein besonderes Interesse des Bundes gegeben ist. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht kann zur Terrorismusbekämpfung verschärfte Finanzkontrollen durchführen, insbesondere die grenzüberschreitende Verbringung von Bargeld kontrollieren, Konten abfragen und sperren, Instrumente der Geldwäschebekämpfung einsetzen und als personenbezogene Sanktion Vermögen einfrieren.212 b) Rechtsextremistischer Terrorismus Anders als bei islamistischen Topgefährdern gibt es bei den anschlagsbereiten Rechtsterroristen eher Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Verhinderung von Anschlägen. Nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamts handelt es sich vornehmlich 211 212
Kugelmann, NVwZ 2016, 25 ff. Ohler, DV 41 (2008), 405 (407); Jahn, ZRP 2002, 109.
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3. Teil: Operative polizeigesetzliche Kriminalitätsbekämpfung
um Männer im Alter zwischen 18 und 35 Jahren, die zu zwei Drittel in dem Ort leben, in dem sie ihren Anschlag begehen und zwei von drei Tätern sind auch schon zuvor straffällig geworden.213 Damit ergeben sich für Polizei und Verfassungsschutz erste Ansatzpunkte für wirksame Aufklärungsmaßnahmen. Weitere Erkenntnisse können sich aus den Daten des Staatsschutzes und des für Waffenzulassung zuständigen Amtes ergeben, wenn diese die Zugehörigkeit zu einer rechtsextremistischen Partei oder Gruppierung oder die Mitgliedschaft in einem Schützenverein offenbaren. c) Erweiterung der aktionellen Befugnisse Die Chancen für die Verhinderung von Anschlägen islamistischer und rechtsterroristischer Gefährder würden sich erhöhen, wenn die Polizeigesetzgeber weitere Befugnisse zur Überwachung dieser Personen erlauben würden. Von besonderer Bedeutung ist die Befugnis die dauerhaft bewachende Begleitung, wie sie die Polizei bei den als Folge der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2009214 vorzeitig aus der Sicherungsverwahrung entlassenen, aber nach wie vor gefährlichen Sexualstraftätern auf der Grundlage der polizeilichen Generalklausel durchgeführt hat.215 Eine Spezialbefugnis zu einer 24-stündigen offenen bewachten Begleitung216 von Gefährdern wäre eine effektive Maßnahme zur Verhinderung von Anschlägen, weil die den Gefährder auf Schritt und Tritt in unmittelbarer Nähe begleitenden Polizeibeamten sofort eingreifen könnten, wenn dieser spontan zu einem Angriff ansetzen würde. Eine solche Überwachungsbefugnis würde die Primärmaßnahmen zur Überwachung von Gefährdern ergänzen und bei einem trotz der bewachten Begleitung unternommenen Anschlagsversuch einen Durchsetzungsgewahrsam des Gefährders rechtfertigen können.217 Weitere Überwachungsmaßnahmen könnten nach dem Vorbild der Kontrollanordnungen der Terrorismusbekämpfungsgesetzgebung Großbritanniens geschaffen werden. Es geht um einschneidende Maßnahmen wie Beschränkungen der Telekommunikation (Sperrung des Zugangs zum Internet), Ausgangssperre, Zwangsumsiedlung und bewachten Hausarrest218, die als minderschwere Maßnahmen gegenüber einem längerfristigen Präventivgewahrsam in Form des Durchsetzungsgewahrsams diskutabel sein müssen. In Betracht kommen auch Ausgangssperren nach französischem Vorbild.219
213 https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-01/fluechtlingsunterkuenfte-strafta ten-zunahme-anschlaege-bka-zahlen; 19. 9. 2017. 214 EGMR, NJW 2010, 2495; BVerfGE 128, 326. 215 S. dazu OVG Münster, BeckRS 2013, 53559. 216 S. § 12c hmbSOG. 217 S. Kniesel, GSZ 2021, 111 ff. 218 Führer, Folgen, S. 43 f. 219 Herzmann, DÖV 2006, 678 (680 f.).
3. Abschn.: Verhinderung und Verhütung von Straftaten
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III. Organisierte Kriminalität 1. Definition „Organisierte Kriminalität ist die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken.“220 Die Definition, die den terroristischen Bereich ausnimmt, will das gesamte Spektrum von strukturierten, hierarchisch aufgebauten Organisationsformen bis zu Straftäterverflechtungen mit unterschiedlichem Bindungsgrad erfassen.221 2. Lagebild a) Fixierung auf Strafverfolgung Das in Zusammenarbeit von Bundeskriminalamt, Landeskriminalämtern, Zollkriminalamt und Bundespolizeipräsidium erarbeitete Bundeslagebild Organisierte Kriminalität bildet die Ergebnisse polizeilicher Strafverfolgungsaktivitäten in den Kriminalitätsbereichen der organisierten Kriminalität ab. Gefahrenabwehrrechtliche Aktivitäten der Polizei zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten spiegeln sich im Lagebild Organisierte Kriminalität nicht. b) Ermittlungsverfahren und Tatverdächtige Im Jahr 2019 wurden 579 Verfahren gegen die Organisierte Kriminalität geführt. Besondere Kriminalitätsbereiche waren Rauschgifthandel und -schmuggel (34,9 %), Kriminalität im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsleben (16,9 %), Eigentumskriminalität (15,2 %), Schleusungskriminalität (10,4 %), Steuer- und Zolldelikte (7,2 %), Gewaltkriminalität (2,9 %), Cybercrime (1,7 %) und Kriminalität im Zusammenhang mit dem Nachtleben (1,4 %). Die Anzahl der Tatverdächtigen lag bei 6.848 Personen, von denen 2.282 Deutsche waren.222 Unter den nichtdeutschen Tatverdächtigen befanden sich 748 türkische, 431 polnische und 245 italienische, 244 albanische, 242 rumänische, 220 libanesische, 198 kosovarische, 167 syrische und 133 ukrainische Staatsangehörige.223
220 221 222 223
Anlage E Nr. 2.1. RiStBV. Anlage E Nr. 2.1. und 2.2. RiStBV. Bundeslagebild OK 2019, S. 6 ff. Bundeslagebild OK 2019, S. 18.
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3. Teil: Operative polizeigesetzliche Kriminalitätsbekämpfung
c) Strukturen und Gruppierungen In rund zwei Drittel der festgestellten OK-Gruppierungen bestanden die Gruppierungen aus bis zu zehn Tatverdächtigen (67,4 %; 2018: 65,8 %). In 30,1 % der OKVerfahren wurden 11 bis 50 Tatverdächtige (2018: 32,0 %) sowie in 2,6 % der OKVerfahren mehr als 50 Tatverdächtige (2018: 1,5 %) registriert. Die kleinste Tätergruppe bestand aus drei Mitgliedern (2018: 3); die größte Tätergruppe umfasste 142 Mitglieder (2018: 135).224 15 OK-Verfahren wurden gegen Mitglieder von italienischen Mafiagruppierungen (Ndrangheta, Camorra, Cosa Nostra) geführt, wobei Kokainhandel Hauptaktivität war. Acht OK-Verfahren richteten sich gegen Angehörige der von Tschetschenen beherrschten Russisch-Eurasischen Organisierten Kriminalität in den Deliktsbereichen Eigentumskriminalität, Rauschgifthandel und -schmuggel, Gewaltkriminalität und Cybercrime.225 15 OK-Verfahren richteten sich gegen Angehörige von Rechtsgruppierungen, vor allem Hells Angel und Bandidos und drei gegen rockerähnliche Gruppierungen.226 d) Clankriminalität in ethnisch abgeschotteten Subkulturen Clankriminalität ist geprägt durch verwandtschaftliche Beziehungen, eine gemeinsame ethnische Herkunft und ein hohes Maß an Aggression der Täter, wodurch die Tatbegehung gefördert und die Aufklärung der Tat erschwert wird. Dies geht einher mit einer eigenen Werteordnung und der grundsätzlichen Ablehnung der deutschen Rechtsordnung.227 Über die OK-Definition hinaus sprechen folgende Indikatoren für das Vorliegen von Clankriminalität: – Starke Ausrichtung auf die zumeist patriarchisch-hierarchisch geprägte Familienstruktur, – Mangelnde Integrationsbereitschaft bei räumlicher Konzentration, – Provozieren von Eskalationen auch bei nichtigen Anlässen oder geringfügigen Rechtsverstößen, – Ausnutzung gruppenimmanenter Mobilisierungs- und Bedrohungspotenziale, – Erkennbares Maß an Gewaltbereitschaft.228
224 225 226 227 228
Bundeslagebild OK 2019, S. 20. Bundeslagebild OK 2019, S. 25 ff. Bundeslagebild OK 2019, S. 22. Bundeslagebild OK 2019, S. 30. Bundeslagebild OK 2019, S. 30.
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Im Jahr 2019 ermittelten Bundes- und Landesbehörden in 45 OK-Verfahren (2018: 45), die der Clankriminalität zugeordnet werden konnten, was einem Anteil von 7,8 % (2018: 8,4 %) aller im Berichtsjahr erfassten OK-Verfahren entspricht.229 Schwerpunkt der Clankriminalität als organisierter Kriminalität arabisch- oder türkischstämmiger Täter sind Berlin, Bremen, Niedersachsen und NordrheinWestfalen. Deliktsschwerpunkte sind Rauschgifthandel und -schmuggel und Eigentumskriminalität.230 Die nordrhein-westfälische Polizei geht von 111 Clans im Lande aus, die insbesondere im Ruhrgebiet mit der Hochburg Essen ansässig sind. Im Jahr 2019 wurden 3.800 Straftaten mit 6.100 Verdächtigen registriert.231 e) Kriminalitätsbereiche Neben den Schwerpunkten der organisierten Kriminalität auf den Deliktsfeldern Rauschgifthandel und -schmuggel, Eigentumskriminalität, Kriminalität im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsleben und Schleusungskriminalität bilden sich neue Kriminalitätsbereiche, weil die organisierte Kriminalität sich durch ein hohes Maß an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an neue Entwicklungen auszeichnet. Beispiel dafür sind die russischen Pflegedienste, die Krankenkassen und Pflegebedürftige in erheblichem Umfang schädigen, indem sie in großem Stil betrügerisch abrechnen oder nicht erbrachte Leistungen in Rechnung stellen.232 3. Bekämpfung a) Ausrichtung auf Strukturen, Personen und Finanzen Während der Blickwinkel der Strafprozessordnung auf den einzelnen Fall und das jeweilige Ermittlungsverfahren verengt ist, kann das Polizeirecht ein Kriminalitätsfeld als Ganzes in den Blick nehmen und in operativer Zielsetzung die hinter den einzelnen Fällen oder Fallreihen liegenden Strukturen bekämpfen. In der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten „drückt sich dies als Hinwendung zu einer operativen Verbrechensbekämpfung aus, die statt auf die isolierbare Tat auf die Strukturen zielt, die sie hervorgebracht hat: auf kriminelle Milieus, logistische Operationsbasen und unterstützende Netzwerke, die in einem vielschichtigen, langfristig angelegten und in sich oft auch unzusammenhängend wirkenden Zugriff irritiert oder zerschlagen werden sollen.“233 Die Polizei wird dazu polizeirechtliche Aufklärungsverfahren einleiten, die gegen eine bestimmte Struktur oder bestimmte Personen, die als potenzielle Hintermänner 229 230 231 232 233
Bundeslagebild OK 2019, S. 31. Bundeslagebild OK 2019, S. 32 ff. Dienstbühl, KriPoZ 2020, 210 ff. Vogt, DP 2018, 161 (165). Volkmann, NVwZ 2009, 216 (219); Rachor, HdBPR (5. Aufl.), E. Rn. 116.
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3. Teil: Operative polizeigesetzliche Kriminalitätsbekämpfung
in Betracht kommen, gerichtet sind. Abzuklären sind Kontakte mit anderen Personen, Aufenthalte an bestimmten Örtlichkeiten, Nutzung von Kommunikations- und Transportmitteln, organisatorische Einbindungen und Aktivitäten, die auf bestehende und neue kriminelle Vorhaben hindeuten. Es handelt sich bei einer solchen täterorientierten Vorgehensweise um Strukturverfahren. Nach dem polizeilichen Sprachgebrauch „gehen Strukturermittlungen im Rahmen der Bekämpfung der organisierten Kriminalität über die Aufklärung von Einzeldelikten hinaus und umfassen insbesondere Aufklärungsmaßnahmen zur Organisation, zu den Hintermännern, zu den Tatplanungen und -vorbereitungen, zur Beuteverwertung und erfolgen gezielt täterorientiert.“234 Solange noch keine zu verfolgende Tat vorliegt, kann auch noch kein Tatverdacht gemäß § 152 Abs. 2 StPO bejaht werden, sodass Strukturverfahren nur als polizeirechtliche Aufklärungsverfahren betrieben werden können. Achillesferse der organisierten Kriminalität ist das in den Strukturen erwirtschaftete Bargeld, das zwar keine Spuren hinterlässt, aber erst gewaschen werden muss, um zum weiteren Ausbau der kriminellen Strukturen zu taugen. Aus diesem Grunde muss sich das polizeiliche Augenmerk auf der Geldwäsche dienenden Aktivitäten richten, weil Angehörige der organisierten Kriminalität dazu ihre schützende Deckung verlassen müssen. b) Aktionelle Maßnahmen in operativer Zielsetzung aa) Kontrollen mit Folgemaßnahmen Liegt nach dem Einsatz informationeller Maßnahmen, insbesondere unter Nutzung der Befugnisnormen des Polizeirechts zur Observation, zum Einsatz technischer Mittel, von Vertrauensleuten und verdeckten Ermittlern, ein Lagebild vor,235 kann die Polizei auch mit aktionellen Maßnahmen gegen die erkannten Strukturen vorgehen. Mit Kontrollmaßnahmen von Bundes- und Landespolizei und Zoll, insbesondere durch Razzien und Schleierfahndung und ihren Folgemaßnahmen – Identitätsfeststellungen, Inhaftierungen, Durchsuchungen, Sicherstellungen und Beschlagnahmen –, werden unmittelbare Erfolge gegen die kriminelle Strukturen dadurch erzielt, dass Identitäten bislang unbekannter Akteure geklärt, diese gegebenenfalls aus dem Verkehr gezogen und Rauschgift, Bargeld und andere Gegenstände vom Markt genommen werden; unmittelbar bewirken die Kontrollmaßnahmen einen Dauerdruck auf die Strukturen, der zur Verunsicherung führt, sie in Bewegung hält, räumlich verdrängt oder zum Ausweichen in andere Kriminalitätsbereiche zwingt.236 Gezielt eingesetzte Kontrollen im Rahmen von Schleierfahndungen stören die Logistik und mit einer entsprechenden Kontrolldichte werden die Hintermänner zur Reaktion gezwungen, indem sie etwa Routen umplanen oder 234 235 236
AG Kripo 1995; Laudan, DP 2019, 225. Neumann, Vorsorge, S. 48. Kniesel, DP 1991, 185 (188).
3. Abschn.: Verhinderung und Verhütung von Straftaten
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ihre Aktivitäten regional verlagern müssen. So wird kriminelle Kapazität gebunden und die kriminelle Struktur geschwächt. Razzia237 und Schleierfahndung dienen als Maßnahmen der Gefahrensuche, der Verhinderung und Verhütung von Straftaten.238 Ergeben sich dabei zureichende Anhaltspunkte für eine begangene Straftat, sind strafrechtliche Ermittlungen einzuleiten, vorgefundene Gegenstände – Rauschgift, Falschgeld, Waffen etc. – nach § 94 StPO zu beschlagnahmen und verdächtige Personen nach § 127 StPO vorläufig festzunehmen. Werden bei Durchsuchungen im Rahmen einer Razzia wertvolle Gegenstände z. B. hochwertiger Schmuck, teure Markenuhren, Sportwagen und größere Summen Bargeld in kleiner Stückelung und gebrauchten Zustand gefunden, die keiner konkreten Straftat zugeordnet werden können, hinsichtlich derer aber die Gesamtumstände eine kriminelle Herkunft nahelegen, stellt sich die Frage der Zulässigkeit einer polizeirechtlichen Sicherstellung als präventiver Gewinnabschöpfung. Insoweit ist streitig, ob die tatbestandliche Voraussetzung der gegenwärtigen Gefahr239 bejaht werden kann. Teils wird die Auffassung vertreten, die Gefahr, dass die Sache zur Fortsetzung von Straftaten oder zur Begehung weiterer Straftaten benutzt würde, sei gegenwärtig,240 teils dagegen die Gegenwärtigkeit verneint, weil nicht mit hinreichender Gewissheit feststehe, dass die Sache – also das vorgefundene Geld – wieder für die Begehung weiterer Drogendelikte eingesetzt werden solle.241 Eine Sicherstellung ist aber zulässig, wenn in der einschlägigen Befugnisnorm des Polizeigesetzes eine niedrigere Gefahrenschwelle – drohende Gefahr,242 die Gefahr der Begehung einer Straftat von einer erheblicher Bedeutung (etwa Drogendelikt),243 Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte, die die Annahme rechtfertigen, dass die Sache zur Begehung einer Straftat gebraucht oder verwertet wird244 – vorgesehen ist. Wenn solche polizeigesetzlichen Regelungen zur präventiven Gewinnabschöpfung für verfassungswidrig gehalten werden, weil der Bund mit seiner Gesetzgebungskompetenz für das Strafrecht in Gestalt der Regelungen zum Verfall245 bzw. zur Erziehung246 eine abschließende Regelung getroffen habe,247 so kann dem nicht 237
S. dazu Kingreen/Poscher, POR, § 13 Rn. 31 f.; Graulich, HdBPR, E. Rn. 327 ff.; Tomerius, DP 2019, 257 ff. 238 S. 2. Teil, 4. Abschnitt, B. II. 1. c) cc). 239 S. z.B. § 26 Nr. 1 ndsPOG; § 43 Nr. 1 nwPolG; § 31 Abs. 1 Nr. 1 sächsPolG. 240 OVG Lüneburg, NdsVBl 2009, 283; Götz/Geis, APOR, § 8 Rn. 75; Hunsicker, Kriminalistik 2018, 670 ff. 241 OVG Bremen, NVwZ-RR 2015, 31; OVG Lüneburg, DP 2015, 275; Waechter, NordÖR 2008, 473 (476 ff.); Graulich, HdBPR, E. Rn. 660; Braun, in: Möstl/Kugelmann, PORNRW, § 43 Rn. 40.1. 242 Art. 25 Abs. 1 Nr. 1 b) bayPAG. 243 § 33 Abs. 1 Nr. 3 bwPolG. 244 § 40 Nr. 4 hessSOG i.V. mit §§ 36 Abs. 1 Nr. 1, 37 Abs. 1 Nr. 3, 38 Abs. 2 Nr. 1 hessSOG. 245 I.d.F. vom 24. 10. 2006, BGBl I, S. 2350. 246 Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. 4. 2017, BGBl I, S. 872.
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gefolgt werden. Die polizeigesetzlichen Befugnisnormen zur Sicherstellung mit einer abgesenkten Gefahrenschwelle verfolgen ein anderes Ziel als die Regelungen zum Verfall bzw. zur Einziehung. Letztere wollen verhindern, dass der betroffene Straftäter deliktisch erlangte Gegenstände behalten darf, also die mit seiner Bereicherung schon eingetretene, als Gefahr fortwirkende Störung der Vermögensordnung für die Zukunft beseitigen,248 während erstere mit der Sicherstellung des Geldes die bevorstehende neue Gefahr der Begehung weiterer Straftaten dadurch verhindern wollen, dass das vorgefundene Geld nicht in neue Drogendelikte investiert werden kann.249 Die in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen bestehenden Sicherstellungsbzw. Beschlagnahmungsbefugnisse sollten auch in den anderen Bundesländern eingeführt werden, um der Polizei effektive Handlungsmöglichkeiten bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität zu verschaffen, wenn Bargeld, wertvolle Uhren und hochwertige PKW vorgefunden werden. Kontrollmaßnahmen sind insbesondere bei der Bekämpfung der Clankriminalität geboten. Besonderer Druck wird in Nordrhein-Westfalen mit der Strategie der 1.000 Nadelstiche ausgeübt.250 Das fängt an mit dem Abschleppen von in zweiter Reihe oder auf Behindertenparkplätzen geparkten Fahrzeugen und wird konsequent fortgesetzt mit Überwachungsmaßnahmen, insbesondere Großrazzien in den Straßenzügen, die Clanangehörige als ihr „Hoheitsgebiet“ ansehen. bb) Verbundeinsätze Als besonders wirksam haben sich in einem sogenannten administrativen Bekämpfungsansatz – in Nordrhein-Westfalen „360-Grad-Betrachtung wirksamer Maßnahmen gegen die Clankriminalität“ – durchgeführte anlasslose Verbundeinsätze erwiesen.251 Ausgangspunkt ist eine von der Polizei durchgeführte Razzia auf der Grundlage der einschlägigen polizeigesetzlichen Befugnisnorm zur Identitätsfeststellung. Meist auf Initiative der Polizei schließen sich andere Behörden an: Ordnungsbehörden als Gewerbe- und Gaststättenaufsicht, Gesundheits-, Prostitutions-, Lebensmittel- und Hygieneaufsicht sowie die Bauaufsicht, Steuer- und Zollfahndung und die Geldwäscheaufsicht durch die Länder. Ihre Mitwirkung muss jeweils auf eigene Betretungs- und Nachschaurechte (z. B. § 29 GewO, § 22 GaststG, § 29 Prostitutionsschutzgesetz, § 209, 210 Abs. 1 AO, § 146b AO, § 27b UStG, § 43g EStG, § 2 SchwarzArbG, § 51 Abs. 1 Geldwäschegesetz, § 42 Abs. 2 LFGB252 247
Graulich, HdBPR, E. Rn. 661 unter Berufung auf BVerfGE 110, 1 Rn. 55 ff. BVerfGE 110, 1 Rn. 69. 249 VGH Kassel, NJW 2018, 3401. 250 Westfälische Nachrichten vom 17. 8. 2020. 251 Dazu Dogan/Lehnert, Kriminalistik 2019, 732 ff.; Dienstbühl, KriPOZ 2020, 210 (213). 252 Nach § 42 Abs. 2 LFGB hat die Polizei bei Gefahr im Verzuge ein eigenes Betretungsund Nachschaurecht. 248
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und für die Hygieneaufsicht auf eine landesgesetzliche Norm, z. B. § 28 Abs. 1 Nr. 1 GesundheitsdienstG NRW) gestützt werden. Jede beteiligte Behörde trifft ihre Maßnahmen in eigener Verantwortung. Eine Datenübermittlung an die Polizei ist nur auf der Grundlage des Grundsatzes zulässiger Datenneuerhebung möglich.
Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Teil Kriminalitätsbekämpfung – Gefahrenabwehr, Strafverfolgung oder Aufgabenhybrid?
Sicherheitspolitik, Kriminalwissenschaften und Polizeirecht haben ihren eigenen Blick auf die Kriminalitätsbekämpfung und deshalb unterschiedliche Vorstellungen von ihrem Gegenstand. Die Sicherheitspolitik befasst sich seit 1972 programmatisch mit der Herstellung von Sicherheit, insbesondere im Hinblick auf die besonderen Kriminalitätsformen der Organisierten Kriminalität und des Terrorismus. Was Kriminalitätsbekämpfung im Kern ausmacht, lässt sie offen. Innerhalb der Kriminalwissenschaften bestehen ebenfalls unterschiedliche Vorstellungen. Das Straf- und Strafverfahrensrecht leistete mit seinem klassischen Auftrag, den Täter der angemessenen Bestrafung zuzuführen, einen mittelbaren Beitrag zur Kriminalitätsbekämpfung. Davon entfernt sich das moderne Bekämpfungsstrafrecht, für das die Prävention nicht nur ein Strafe legitimierendes Mittel ist, sondern als Interventionsstrafrecht wie das Polizeirecht Straftaten verhindern will. Die Kriminologie setzt seit den 1970er Jahren verstärkt auf Kriminalprävention durch Verbrechensvorbeugung und ähnelt insoweit dem Polizeirecht mit seinem erweiterten Auftrag zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, allerdings ohne dessen operative Qualität in Gestalt aktioneller Maßnahmen angemessen zu berücksichtigen. Die Kriminalistik, die sich als Lehre von der Verbrechensbekämpfung in repressiver und präventiver Ausrichtung verstand, ihren Schwerpunkt aber in der Strafverfolgung hatte, hat ebenfalls seit den 1970er Jahren eine Wendung zur Prävention vollzogen und ihr Blickfeld auf kriminelle Strukturen erweitert. Dabei verkennt sie aber die neue Qualität des Polizeirechts mit seinem Auftrag zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, indem sie dessen präventives Potenzial als operativer kriminalstrategischer Auftrag übersieht und stattdessen auf die präventive Wirkung des Straf- und Strafverfahrensrechts setzt. Dagegen geht es im Polizeirecht seit dem Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 um die Verhinderung bzw. Verhütung von Straftaten. Dieser Auftrag der Gefahrenabwehr ist seit dessen Erweiterung um die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten im VEMEPolG von 1986 zur Grundlage der Kriminalitätsbekämpfung in ihrer kriminalstrategischen, unmittelbar auf das Polizeirecht gestützten Dimension geworden.
Zusammenfassung der Ergebnisse
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2. Teil Vorgaben für die Kriminalitätsbekämpfung 1. Abschnitt Völkerrecht
Seit terroristische Bewegungen und organisierte Kriminalität global agieren, ist Sicherheit zu einem transnationalen Gut geworden und das Völkerrecht hat Möglichkeiten des Vorgehens angegriffener Staaten gegen terroristische Gefährder eröffnet. Terroristen rücken in den Focus des Völkerrechts, wenn diese Anschläge gegen einen Staat richten, die von einem ihnen Schutz gewährenden Staat in Auftrag gegeben wurden. Dem angegriffenen Staat billigt das Völkerrecht das Recht der Selbstverteidigung zu, das auch präventive Militäraktionen mit gezielten Tötungen einschließt. Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität haben die Vereinten Nationen von Beginn an als ihre Aufgabe gesehen und seit 1961 diesbezügliche Abkommen geschlossen, insbesondere zur Bekämpfung des Drogen- und Menschenhandels. 2. Abschnitt Recht der Europäischen Union
Die Europäische Union bildet einen einheitlichen Raum, in dem Freiheit und Sicherheit mit den Mitteln des Rechts verwirklicht werden. Bei der Sicherheit geht es vor allem um die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität im kriminalgeografischen Raum Europa, in dem die Grundfreiheit der Freizügigkeit kriminellen Akteuren Bewegungsspielräume verschafft. Hinsichtlich der Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität als vertraglichen Zielen ist zu berücksichtigen, dass diese Begriffe des EU-Rechts nicht identisch mit den korrespondierenden deutschen Begriffen sind. Die dem deutschen Recht von Verfassungs wegen vorgegebene kategoriale Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung kennt das EU-Recht, das präventiven und repressiven Rechtsgüterschutz integrativ realisieren will, nicht. Der Begriff der Verhütung als vorbeugende Bekämpfung von Straftaten im Sinne des deutschen Polizeirechts entspricht nicht dem Verhütungsbegriff des EU-Rechts, weil dieser als offener Begriff ganz unterschiedlichen Vorstellungen der Mitgliedsstaaten gerecht werden muss. Bezüglich der Bekämpfung des Terrorismus und der Organisierten Kriminalität hat die EU zahlreiche Rahmenbeschlüsse und Richtlinien erlassen, zur Terrorismusbekämpfung insbesondere den Rahmenbeschluss zur Vorverlagerung des Strafrechts in den Bereich der straflosen Vorbereitungshandlung, der in Deutschland in den §§ 129a und b, 89a und b StGB umgesetzt wurde.
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Zusammenfassung der Ergebnisse 3. Abschnitt Grundgesetz A. Gewährleistung von Freiheit und Sicherheit
Freiheit und Sicherheit sind ambivalent und müssen vom Gesetzgeber unter Berücksichtigung der aktuellen Sicherheitsbelange in einem politischen Aushandlungsprozess gewichtet und ausbalanciert werden. B. Sicherheitsverfassungsrechtliche Trennungen
Das Grundgesetz gibt vier strukturelle Trennungen zwischen Polizei und Militär, Polizei und Verfassungsschutz, Landes- und Bundespolizei sowie Gefahrenabwehr und Strafverfolgung vor. Der Bundeswehr obliegt die Verteidigung gegen einen von außerhalb des Staatsgebiets kommenden Angriff, der Polizei die Gewährleistung der Sicherheit im Staatsgebiet. Bei der Bekämpfung terroristischer Anschläge auf dem Boden der Bundesrepublik handelt es sich um polizeiliche Gefahrenabwehr, solange die Terroristen nicht über eine militärähnliche Organisationsstruktur, hierarchische Steuerung und internationale Aktionsfähigkeit verfügen. Zwischen Polizei und Verfassungsschutz besteht kein verfassungsrechtliches Trennungsgebot, sondern nur ein datenschutzrechtlich begründetes Trennungsprinzip. Die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist nach dem Grundgesetz eine in gemeinsamer Verantwortung von Bund und Ländern zu erbringende, aber geteilte Kompetenz. Allerdings sind die Länder dem Bund dadurch überlegen, dass die allgemeine, über sonderpolizeiliche Kompetenzen hinaus gehende Polizeigewalt allein den Ländern zusteht. Die polizeilichen Hauptaufgaben der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung unterscheiden sich fundamental, weil Verhinderung bzw. Verhütung von Straftaten als Rechtsgutsverletzungen plausiblere Formen der Sicherheitsgewährleistung sind als die repressive Reaktion des Strafrechts, die nichts wieder rückgängig machen kann, sondern mit der Strafe nur symbolisch agiert. Der auf diesen fundamentalen Unterschied gestützte Leitgedanke des Vorrangs der Prävention vor der Repression ist verfassungsrechtlich in der Menschenwürde, der Schutzpflicht des Staates für die Grundrechte und dem Rechtsstaatsprinzip verankert. C. Bundesstaatliche Kompetenzordnung
Das Bundesstaatsprinzip als Grundlage vertikaler Gewaltenteilung schützt die Länder vor einem Eindringen des Bundes in die ihnen grundsätzlich vorbehaltene Polizeigewalt. Die neu für den Bund geschaffene Gesetzgebungskompetenz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist verfassungsrechtlich zulässig, weil es sich im Verhältnis zu den originär zuständig bleibenden Ländern nur um eine Auffangkompetenz handelt.
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Verfassungsrechtlich problematisch ist die weite Auslegung der Gesetzgebungsgegenstände Strafrecht und gerichtliches Verfahren in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG durch das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Sicherungsverwahrung und Therapieunterbringung als Strafrecht und der Strafverfolgungsvorsorge als Teil des gerichtlichen Verfahrens. Nachträgliche Sicherungsverwahrung und Therapieunterbringung als Strafrecht im Sinne einer Reaktion auf begangenes Unrecht zu qualifizieren, nimmt dem Polizeirecht seine Funktion, die Begehung künftiger Straftaten zu verhindern, und stellt deshalb einen unzulässigen Eingriff in die Polizeihoheit der Länder dar. Die Einbeziehung der Strafverfolgungsvorsorge in das gerichtliche Verfahren verstößt gegen den vom Bundesverfassungsgericht selber entwickelte Auslegungsstandard, wonach entscheidender Ausgangspunkt der Auslegung der noch mögliche Wortsinn ist. Die dem Ermittlungsverfahren zeitlich vorgelagerte Strafverfolgungsvorsorge als „Vor“-Ermittlungsverfahren, das es wegen § 152 Abs. 2 StPO gar nicht geben dürfte, noch als gerichtliches Verfahren einzuordnen, lässt die Gesetzessprache jeden Sinn verlieren. Die in Art. 70 Abs. 1 GG aufgehobene Residualkompetenz der Länder schützt diese vor einer Zweckentfremdung des Polizeirechts durch das Strafrecht, wie es derzeit stattfindet, wenn der Bund als Strafrechtsgesetzgeber Vorfelddelikte als abstrakte Gefährdungsdelikte schafft, mit denen er nicht mehr Unrecht ahnden, sondern mit dem Strafrecht als umetikettiertem Polizeirecht selber Straftaten verhindern will. Die Residualkompetenz der Länder für die allgemeine Polizeigewalt macht diese auch zum Herrn über das dogmatische Konzept des Polizeirechts und seinen zentralen Begriffen der Gefahr, des Störers und der Verhältnismäßigkeit. Das gilt auch für die Aufgabe der Länder, die Verfassung zu schützen. Nach dem Wortlaut des Grundgesetzes ist Aufgabe des Bundes die Gewährleistung der Zusammenarbeit des Bundes und der Länder, nicht des Schutzes der Verfassung selber. D. Rechtsstaatliche Vorgaben
Für die Polizei maßgebliche Einzelgehalte des Rechtsstaatsprinzips zur Erfüllung ihrer Aufgabe der Gefahrenabwehr sind insbesondere die Menschenwürde in ihrer Achtungs- und Schutzfunktion, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, das Bestimmtheitsgebot und das Gebot der klaren Ordnung der Aufgaben im Staat. Zu diesem Gebot gehört die Kompetenzklarheit als Unterfall des Vertrauensschutzes im Sinne der Verlässlichkeit der Rechtsordnung. Ausdruck der Kompetenzklarheit ist die eindeutige Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, die rechtsstaatlich zwingend geboten ist, weil sie integraler Bestandteil der gewaltenteiligen freiheitssichernden Kompetenzordnung des Grundgesetzes ist.
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Zusammenfassung der Ergebnisse 4. Abschnitt Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als polizeiliche Aufgaben A. Prävention und Repression
Das Polizeirecht ist als Gefahrenabwehrrecht präventiv und somit prädeliktisch, weil es Straftaten verhindern bzw. verhüten will, das Strafrecht und das ihm dienende Strafverfahrensrecht sind repressiv und damit postdeliktisch, weil sie sanktionieren und deshalb eine begangene Straftat voraussetzen. Auf diesem Hintergrund beschreiben die Begriffe Prävention und Repression nur die polizeilichen Aufgaben Gefahrenabwehr und Strafverfolgung. B. Gesetzliche Grundlagen I. Strafverfolgung
Der Handlungsraum zur Strafverfolgung wird für Staatsanwaltschaft und Polizei durch die Ermittlungskompetenzen aus den §§ 160 Abs. 1, 161 Abs. 1, 163 Abs. 1 Satz 1 und 152 Abs. 2 StPO eröffnet. Die Voraussetzung der zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte zur Begründung eines konkretisierten Tatverdachts in § 152 Abs. 2 StPO hat rechtsstaatliche Qualität, weil sie einen am Prinzip der Verhältnismäßigkeit ausgerichteten Kompromiss zwischen dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse und den Freiheitsrechten des von Ermittlungen Betroffenen darstellt. Die in der staatsanwaltschaftlichen Praxis gängigen Vorermittlungen, mit denen erst festgestellt werden soll, ob ein Tatverdacht bejaht werden kann, haben in der geltenden StPO keine Rechtsgrundlage. Das gilt auch für die im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität üblichen polizeilichen Vorfeld-, Initiativ- oder Strukturermittlungen, weil § 152 Abs. 2 StPO – anders als das im Polizeirecht erschlossene Vorfeld der konkreten Gefahr für die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten – kein Vorfeld des Anfangsverdachts kennt. II. Gefahrenabwehr 1. Klassische Gefahrenabwehr
Klassischer Auftrag der Gefahrenabwehraufgabe ist der Rechtsgüterschutz. Dazu gehört zunächst die Störungsbeseitigung, aber auch die Verhinderung und Unterbindung von Straftaten. Die Verhinderung von Straftaten ist von deren Verhütung abzugrenzen. Die Polizei verhindert eine Straftat, wenn diese als unmittelbar bevorstehende in ihren Konturen bereits klar erkennbar ist, sie verhütet, wenn sie im Vorfeld der konkreten Gefahr nicht gegen eine einzelne unmittelbar bevorstehende Straftat situativ und punktuell agiert, sondern durch operatives Handeln in kriminalstrategischer Zielsetzung gegen kriminelle Strukturen lagebezogen und flächendeckend vorgeht.
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2. Neue Qualität der Gefahrenabwehr als Vorfeldtätigkeit
Mit der Erweiterung der polizeilichen Aufgabe der Gefahrenabwehr um die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten ist die Gefahrenvorsorge in Gestalt der Verhütung von Straftaten und der Vorsorge für die künftige Strafverfolgung sowie in Form der Vorbereitung auf die Gefahrenabwehr Teil des Gefahrenabwehrauftrags geworden. Die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten ist keine dritte polizeiliche Aufgabenkategorie, sondern gilt nach dem Willen der Polizeigesetzgeber – im Rahmen der Gefahrenabwehr – als Bestandteil eines erweiterten Gefahrenabwehrauftrags. Mit dieser Erweiterung sind der Polizei zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten zunächst informationelle Befugnisse eingeräumt worden, mit deren Hilfe sie Lagebilder zur Bekämpfung besonders sozialschädlicher Kriminalitätsformen, insbesondere der Organisierten Kriminalität erstellen kann. Zur Bekämpfung der erkannten Strukturen können die Polizeigesetzgeber der Polizei aber auch operative Befugnisse, also solche, die als aktionelle in einen Kausalverlauf eingreifen, unter erhöhten tatbestandlichen Voraussetzungen einräumen, wenn nur so eine wirksame Bekämpfung möglich ist. Das gilt auch für terroristische Gefährder, die ihre Anschläge mit einfach zu beschaffenden Mitteln an beliebigen Orten gegen beliebige Personen ohne Vorbereitungsaufwand und Vorlaufzeit begehen. C. Aufgabenwahrnehmung I. Polizei als Behörde mit zwei nebeneinander stehenden Aufgaben
Die Polizei hat mit der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung zwei Aufgaben übertragen bekommen, die sie grundsätzlich nebeneinander, also unabhängig voneinander zu erfüllen hat. Es besteht weder eine gesetzliche Gemengelage der beiden Aufgaben, noch eine allgemeine Gemengelage bei ihrer tatsächlichen Aufgabenwahrnehmung; es kann nur im Einzelfall, der im polizeilichen Alltag oft gegeben sein kann, zur Überschneidung der beiden Aufgaben kommen, wenn zwischen ihnen ein sachlicher Zusammenhang besteht. Die Aufgabenüberschneidungen können situativ bzw. lagebedingt und deliktsbedingt, aber nicht im Vorfeld der konkreten Gefahr entstehen, weil nur das Polizeirecht ein Vorfeld hat. Kommt es im Einzelfall zu einer Aufgabenüberschneidung, hat die Polizei wegen der auf die kategoriale Qualität der Unterscheidung zurückzuführende Notwendigkeit der Trennung der beiden Aufgaben kein Wahlrecht zwischen einem Vorgehen nach Polizeirecht oder Strafverfahrensrecht, sondern der jeweilige polizeiliche Entscheidungsträger muss sich für eine Aufgabe entscheiden und kann sich nicht die für ihn günstigste Maßnahme aussuchen. Ein solches Wahlrecht verstieße gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gebot eindeutiger Zuordnung staatlicher Aufgaben und Befugnisse. Der Gesetzgeber beachtet dies Gebot, indem er regelmäßig im Gesetz festlegt, welche Zwecke
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zu verfolgen und welche Befugnisse als Mittel zur Zweckverwirklichung von der Exekutive eingesetzt werden können. Lässt der Gesetzgeber das bei Zwecküberschneidungen offen, kann die Exekutive keine größere Rechtsmacht haben als die Legislative, sondern muss die Gesetzeslücke dadurch ausfüllen, dass sie den vorrangig zu erfüllenden Zweck nachträglich gemäß den für den Gesetzgeber maßgeblichen verfassungsrechtlichen Vorgaben festlegt. Das kann nach dem Leitgedanken des Vorrangs der Prävention vor der Repression nur die vorläufige Entscheidung für die Maßnahme der Gefahrenabwehr sein. Mit dem Ausschluss eines polizeilichen Wahlrechts in Gemengelagen erledigt sich auch der Streit um sogenannte doppelfunktionale Maßnahmen im Polizeialltag. Ein einheitliches Ermittlungsrecht von polizei- und strafverfahrensrechtlichen Befugnissen kann es deshalb auch nicht geben. D. Abgrenzungen
Die polizeiliche Aufgabenerledigung ist abzugrenzen von der durch Staatsanwaltschaft, Ordnungsbehörden, Bundeswehr und Verfassungsschutz. Im Verhältnis zur Staatsanwaltschaft ist die Polizei bei der Strafverfolgung weisungsgebundenes Ermittlungsorgan, weil die Polizei in funktionaler Zuordnung die Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens zu unterstützen hat. Dagegen ist sie bei der Wahrnehmung der Aufgabe der Gefahrenabwehr von der Staatsanwaltschaft unabhängig. Auch nach Vorliegen eines Anfangsverdachts wegen einer Straftat, die als Störung der öffentlichen Sicherheit weiter eine Gefahr darstellt, bleibt allein die Polizei für die Gefahrenabwehr zuständig. Bei der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, insbesondere der Strukturen der Organisierten Kriminalität sind polizeigesetzliche Aufklärungsverfahren unabhängig von Ermittlungsverfahren gegen Akteure der Organisierten Kriminalität wegen schon begangener Straftaten zu führen. Im Verhältnis zu den Sicherheits- und Ordnungsbehörden obliegt der Polizei die allgemeine Gefahrenabwehr nur subsidiär im Eilfall, wenn also die eigentlich zuständige Behörde die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig abwehren kann. Die nach dem 2. Weltkrieg eingeleitete Entpolizeilichung der Gefahrenabwehr zu Gunsten der Sicherheits- und Ordnungsbehörden ist mit dem der Polizei erteilten originären Auftrag zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten relativiert worden, weil mit dem neuen polizeilichen Auftrag die Gefahrenabwehr repolizeilicht worden ist. Wenn sich seit einigen Jahren größere Städte auf ihren allgemeinen Auftrag zur Gefahrenabwehr besonnen haben und zur Überwachung des öffentlichen Raumes wegen dort verursachter Gefahren durch Gewalt, Drogen, Alkohol und sonstiger Ordnungsstörungen Vollzugsdienstkräfte bis hin zu Streifenfahrzeugflotten einsetzen, so handelt es sich nicht um eine Verpolizeilichung der Ordnungsverwaltung, sondern um eine konsequente Weiterentwicklung der Entpolizeilichung der allgemeinen Gefahrenabwehr. In ihrer Eigenschaft als Träger der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie können sich die Städte und Gemeinden auch in ihrem eigenen
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Wirkungskreis der Bekämpfung der Kriminalitätsursachen annehmen, die ihren Ursprung in der örtlichen Gemeinschaft haben. Im Verhältnis Polizei und Bundeswehr obliegt ersterer die Abwehr eines terroristischen Angriffs als Verteidigungsfall, wenn dieser einem Staat zugerechnet werden kann und die handelnden Terroristen über typisch militärische Möglichkeiten verfügen. Bei einem terroristischen Anschlag unterhalb dieser Voraussetzungen kann die Bundeswehr zur Gefahrenabwehr als Unterstützer der Polizei im Rahmen des regionalen und überregionalen Notstands unter der Voraussetzung eingesetzt werden, dass ein besonders schwerer Unglücksfall i.S. eines Ereignisses von katastrophischer Dimension oder einer ungewöhnlichen Ausnahmesituation vorliegt. Im Verhältnis Polizei und Verfassungsschutz werden zur Unterscheidung der Arbeitsweise die Kriterien offen/verdeckt, Vorfeld/konkrete Gefahr und operativ/ informationell verwendet. In herkömmlicher Betrachtung soll die Polizei grundsätzlich offen und nur im Ausnahmefall verdeckt agieren. Das überkommene Bild der beiden Institutionen sieht den angestammten Platz des Verfassungsschutz im Vorfeld der konkreten Gefahr, während die Polizei grundsätzlich erst bei Vorliegen einer konkreten Gefahr gefahrenabwehrend tätig werden könne. Eine neuere Betrachtungsweise kennzeichnet die Tätigkeit des Verfassungsschutzes bei der Übermittlung seiner Erkenntnisse an die Polizei zwecks deren Einschreitens zur Verhinderung von Straftaten als operative. Die genannten Unterscheidungskriterien offen/verdeckt und Vorfeld/konkrete Gefahr taugen indes zur Abgrenzung nicht mehr, seit die Polizei mit dem VEMEPolG und der auf ihn folgenden Polizeigesetze nachrichtendienstliche Mittel zur Bekämpfung besonders sozialschädlicher Kriminalitätsformen im Vorfeld der konkreten Gefahr erhalten hat. Das Begriffspaar operativ/informationell vermag die Tätigkeit der beiden Institutionen nicht abzugrenzen, weil der Auftrag des Verfassungsschutzes kein operativer, sondern ein informationeller ist. Der Verfassungsschutz ist mit der Sammlung und Auswertung von Informationen für Regierung, Politik und Öffentlichkeit befasst. Dass er dabei anfallende Erkenntnisse für die Planung eines terroristischen Anschlages an die Polizei zwecks dessen Verhinderung übermitteln darf, macht ihn nicht zum operativen Akteur. Ein solcher ist die Polizei, weil sie im Gegensatz zum Verfassungsschutz über aktionelle Befugnisse verfügt, mit denen sie einen Kausalverlauf unterbrechen kann. E. Bekämpfung des islamistischen Terrorismus
Solange kein innerer oder äußerer Notstand vorliegt, sind auf dem Boden der Bundesrepublik agierende Terroristen mit dem Recht der Normallage zu bekämpfen. Von einem Feindstrafrecht angeleitete neuer Vorstellungen vom Terrorismus als neue Form der Kriegführung bzw. von dessen Bekämpfung mit einem kriegsrechtlich orientierten Präventionsrecht oder der Entwicklung eines Verteidigungskonzepts des Rechtsstaats, der sich im Krieg mit dem Terror gegen seine Feinde mit Mitteln jenseits der Normallage – präventive Sicherheitsverwahrung, Internierung und
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rechtsstaatlich domestizierte Folter – verteidigen können müsse, vermögen nicht zu überzeugen. Solange mangels Feststellung des Verteidigungsfalls kein Kriegsrecht gilt, sondern Polizeirecht maßgeblich ist, sind auch Terroristen wie jeder andere Gefahrenverursacher und Straftäter als der Basisgleichheit der Menschenwürde unterliegende Rechtsgenossen zu betrachten, die nicht außerhalb der Rechtsordnung stehen, sondern mit den in ihr vorgesehenen Mitteln effektiv zu bekämpfen sind. Streitig ist, auf welchem Rechtsgebiet der Kampf zu führen ist. Während die einen aus – vermeintlich – rechtsstaatlich angezeigten Gründen auf das moderne, das Polizeirecht überflüssig machende Bekämpfungsstrafrecht setzen, präferieren andere den Rückbau des Straf- und Strafverfahrensrechts durch Auslagerung seiner präventiven Elemente und sehen das Polizeirecht mit seinen operativen Möglichkeiten gerade unter rechtsstaatlichen Aspekten als den zu bevorzugenden Regelungsstandort. 3. Teil Operative polizeigesetzliche Kriminalitätsbekämpfung 1. Abschnitt Dogmatische Einordnung
Das Polizeirecht befindet sich seit dem VEMEPolG von 1986 in einem Übergangsstadium und mit den Anschlägen vom und seit dem 11. 09. 2001 ist eine Neuorientierung im Gange, die in den Leitbegriffen der drohenden Gefahr und der dauerhaften Präventivhaft für terroristische Gefährder zum Ausdruck kommt. Mit der Gefahrenvorsorge durch Eröffnung des Vorfelds der konkreten Gefahr sind die drei zentralen Begriffe der Dogmatik des klassischen Polizeirechts – konkrete Gefahr, Störer, Verhältnismäßigkeit – ins Wanken geraten. An die Stelle der konkreten Gefahr tritt das Konstrukt der drohenden, an die Stelle des Störers der potenzielle in der Gestalt des Gefährders und bei der Verhältnismäßigkeit ergibt sich eine Leerstelle, weil das Prinzip als Korrektiv bei der Gefahrenvorsorge mit ihrem impliziten Datenhunger versagen muss. Während informationelle Maßnahmen im Vorfeld der konkreten Gefahr noch mit der klassischen Dogmatik als vereinbar angesehen werden, weil sie aktionelle nur vorbereiten und von der Polizei schon immer getroffen wurden, sollen aktionelle, d. h. in einen Kausalverlauf eingreifende Maßnahmen im Vorfeld mit der Verfassung unvereinbar sein. In Anbetracht der Bedrohungen durch Organisierte Kriminalität und Terrorismus wird man indes für deren Bekämpfung das defensive Konzept des Abwartenkönnens in Gestalt der spät gezogenen Verteidigungslinie der konkreten Gefahr nicht grundsätzlich beibehalten können, sondern muss auch aktionelle Bekämpfungsmaßnahmen im Vorfeld der konkreten Gefahr unter restriktiven tatbestandlichen Voraussetzungen und zugleich Grundrechtsschutz durch Verfahren ermöglichenden Voraussetzungen zulassen. Polizeirechtsdogmatisch können aktionelle Eingriffsmaßnahmen und die sie legitimierenden Befugnisse als Gefahrenvorsorge allerdings nur die Ausnahme sein. Das klassische Polizeirecht mit seinem Erfordernis der konkreten Gefahr bleibt als
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Disziplinierungsinstrument des modernen, das Vorfeld der konkreten Gefahr einbeziehenden Polizeirechts unverzichtbar. 2. Abschnitt Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben A. Vorlauf und Vorrang des Polizeirechts
Das Polizeirecht lässt im Gegensatz zum Strafverfahrensrecht informationelle Vorfeldmaßnahmen als Aufklärung durch Gefahrensuche zu, während solche Maßnahmen als sogenannte Vorfeld-, Initiativ- oder Strukturermittlungen wegen § 152 Abs. 2 StPO unter dem Regime der Strafprozessordnung nicht zulässig sind. Nimmt die Polizei das Verhalten einer Person zum Anlass, sie zu überprüfen und ergibt sich dabei der Verdacht einer Straftat, so ist dieser Befund das Ergebnis, nicht die Voraussetzung der Überprüfung; Gefahrensuche ist somit keine Verdachtsschöpfung, kann aber zur Schöpfung eines Verdachts führen und verzahnt auf diese Weise das Strafverfolgungsrecht mit dem Polizeirecht. B. Zweckfestlegung bei Aufgabenüberschneidungen
Mit der Zuweisung der Aufgaben Gefahrenabwehr und Strafverfolgung an die Polizei entsteht keine Gemengelage, sondern es kann nur im Einzelfall zu einer Aufgabenüberschneidung kommen. Bei solchen Überschneidungen kann es keine doppelfunktionalen Maßnahmen geben, mit denen beide Zwecke verfolgt werden und offen bleibt, welcher Zweck der eigentliche Anlass des Einschreitens ist. Aus dem Grundsatz der Kompetenzklarheit als Unterfall des zum Rechtsstaatsprinzip zählenden Vertrauensschutzes folgt, dass die Polizei sich in Überschneidungsfällen auf den von ihr verfolgen Zweck festlegen muss, bevor sie ihre Maßnahme trifft. Dabei hat sie sich an der Bedeutung der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung für die Aufgabenerledigung im konkreten Fall zu orientieren. 3. Abschnitt Verhinderung und Verhütung von Straftaten als Kriminalitätsbekämpfung A. Grundlagen
Verhinderung und Verhütung von Straftaten finden auf verschiedenen Handlungsebenen statt. Die Verhinderung von Straftaten einschließlich ihrer Unterbindung gehört zum klassischen Auftrag der Gefahrenabwehr und erfolgt auf der Nahtstelle von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, wenn die Grenze zwischen strafloser Vorbereitungshandlung und Versuchsbeginn überschritten wird, richtet sich also gegen ein bereits zumindest in seinen Umrissen klar erkennbares, auf eine strafbare Handlung hinauslaufendes Handeln. Die Verhütung von Straftaten zielt dagegen auf Strukturen, in denen erfahrungsgemäß Straftaten begangen werden, ohne dass die einzelne Straftat und ihr Täter dabei für die Polizei bereits erkennbar wären. Sie wird zunächst Vorfeldaufklärung betreiben und ein Lagebild erstellen und danach auf dessen Grundlage die
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erkannten Strukturen der Organisierten Kriminalität mit aktionellen Maßnahmen angreifen, die Kontrolldruck erzeugen, verunsichern und Aktivitäten stören. Im Hinblick auf die eingesetzten operativen Methoden sind klar zu ziehende Grenzen zu beachten. Der Einsatz von Lockspitzeln kann nur auf einer noch zu schaffenden Rechtsgrundlage zulässig sein. Die Zulassung von Straftaten mit dem Ziel, an die Hintermänner zu kommen und eine ganze kriminelle Szene in präventiver, kriminalstrategischer Zielrichtung zu zerschlagen, kann allenfalls dann zulässig sein, wenn die Polizei das Geschehen beherrscht, sie also eine Gefährdung von Leib, Leben und Freiheit betroffener Personen ausschließen kann. B. Verhinderung und Unterbindung von Straftaten I. Relevante Delikte und Deliktfelder
Wird eine Straftat verhindert, war Gefahrenabwehr erfolgreich und hat sich erledigt, sofern nicht die eingetretene Störung als Gefahr fortdauert. Das ist der Fall bei Dauerdelikten (z. B. Hausfriedensbruch, unerlaubter Waffenbesitz oder Aufenthalt in der Bundesrepublik), bei vollendeten, aber noch nicht beendeten Straftaten, wo für die bedrohten Opfer die Gefahr fortbesteht (z. B. Entführungen und Geiselnahmen), bei Mehrfachstraftaten in natürlicher Handlungseinheit, wenn sich das rechtsgutsverletzende Handeln des Täters bei natürlicher Betrachtung als einheitlicher Vorgang darstellt (z. B. Amokläufe), bei Serienstraftaten, also Straftaten, die von Tätern in Serie und nicht nur wiederholt oder mehrfach begangen werden (z. B. Brandstiftungen, Tageswohnungseinbrüche, PKW-Aufbrüche, Bankautomatensprengungen), bei Szenestraftaten, wo sich Personen regelmäßig in einer bestimmten Szene unter Gleichgesinnten aufhalten und in ihr Straftaten begehen (z. B. Gewalttaten im öffentlichen Raum, bei Demonstrationen und Spielen der Fußball-Bundesligen, teilweise aber auch noch in Regional- und Oberligen, in Drogen- und Raserszenen und in den abgeschotteten Szenen des Darknet, wo organisierte Pädophilenringe nicht nur pornografische Bilder, sondern auch Eltern gegenseitig ihre Kinder zwecks Begehung pornografisch motivierter Straftaten „ausleihen“), sowie bei sogenannten Anschlussstraftaten (z. B. wenn gestohlene Kraftfahrzeuge für Raubüberfälle genutzt werden sollen). II. Bekämpfungsmöglichkeiten in typischen polizeilichen Einsatzlagen
In einer polizeilichen Lage i.S. der PDV 100 kann die Polizei zu einem Einschreiten zur Gefahrenabwehr und/oder Strafverfolgung gefordert sein. Typische polizeiliche Lagen sind Hausbesetzungen, Bedrohungslagen (allgemeine Bedrohungslage im polizeilichen Alltag, Geiselnahmen, Entführungen und Amokläufe), Serienstraftaten (bei denen es nicht nur um die Aufklärung der schon begangenen, sondern ebenso um die Verhinderung weiterer Straftaten durch den Serientäter geht), sowie um Szenestraftaten, die in ganz unterschiedlichen Bereichen begangen werden. Hier ist die Gewaltkriminalität im öffentlichen Raum in ihrer neuen Qualität besorgniserregend, wie die Attentate in Halle und Hanau, die Krawalle in Stuttgart in Coronazeiten und die massenhaften Straftaten gegen Frauen in der Kölner Silves-
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ternacht zeigen. Abhilfe schaffen können nur gezielte polizeiliche Präsenz zu relevanten Zeitpunkten, Videoüberwachung mit angekoppelter Sofortreaktion durch vor Ort befindliche Kräfte, Kontrollen an gefährlichen und gefährdeten Orten, Gefährderansprachen, Platzverweise, Aufenthaltsverbote und Ingewahrsamnahmen. Die Bekämpfung von Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen von der 1. Bundesliga bis in die oberen Amateurligen ist eine polizeiliche Kapazitäten dauerhaft extrem in Anspruch nehmende polizeiliche Aufgabe. Mit speziellen Vorfeldmaßnahmen wie Meldeauflagen, Platzverweisen, Aufenthaltsverboten und Ingewahrsamnahmen versuchen Landes- und Bundespolizei der Gewalt, insbesondere bei den zahlreichen Konfliktbegegnungen, die auch als Ortsderbys in den Amateurliegen anfallen, Herr zu werden. Vergleichbar ist die Einsatzlage bei der Bekämpfung von Gewalttätigkeiten bei Demonstrationen, insbesondere wenn rechts- und linksextremistische Gruppierungen aufeinandertreffen. Die Bekämpfung der Kriminalität in offenen Drogenszenen ist immer noch ein Problem, das in den größeren Städten Polizei und kommunale Ordnungsdienste beschäftigt. Mit steigender Tendenz erfolgen Straftaten im Zusammenhang mit verbotenen Kraftfahrzeugrennen in Raserszenen. Trotz Kriminalisierung solcher Rennen und Verurteilung von Rasern zu lebenslanger Freiheitsstrafe wegen Mordes steigen die Fallzahlen und die Zahl der Todesfälle auf Seiten unbeteiligter Verkehrsteilnehmer. Was die Bekämpfungsqualität des Polizeirechts angeht, zeigt gerade diese problematische Einsatzlage, dass eine konsequente Anwendung polizeigesetzlicher Befugnisse Straftaten verhindern bzw. verhüten kann. Mit informationellen Maßnahmen bis zur Anlegung einer örtlichen Raserdatei werden strategische Maßnahmen ermöglicht, mit denen zunächst mit Sicherstellungen gegen die Fahrzeuge und dann mit einem abgestuften Konzept – von der Gefährderansprache über Platzverweise bis zur Ingewahrsamnahme – gegen die Raser als Gefahrenquelle vorgegangen wird. Erschreckende Ausmaße hat die Gewaltkriminalität gegen Kinder durch organisierte Pädophilenringe angenommen, wie insbesondere im Ermittlungskomplex Bergisch Gladbach, in dem 21 Millionen pornografische Fotos beschlagnahmt wurden, deutlich geworden ist. Gerade angesichts der Tatsache, dass die Polizei zwecks Verhinderung von Straftaten 65 Kinder ihren Eltern wegnehmen und den Jugendämtern überstellen musste, wird die Funktion des Polizeirechts als Instrument effektiver Gefahrenabwehr deutlich. C. Verhütung von Straftaten in kriminellen Strukturen
Wegen ihrer jeweils spezifischen Gefährdungsdimension stellen Terrorismus, organisierte Kriminalität und Cyberkrime die Polizei vor besondere Herausforderungen.Terrorismus und Organisierte Kriminalität sind besonders gefährlich, nicht weil sie bestimmte Straftaten begehen, sondern auf welche Weise und mit welcher Zielrichtung sie dabei vorgehen. Die Organisierte Kriminalität geht unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel vor, um ihre Ziele zu erreichen. Terroristen begehen schwerste Straftaten mit dem Ziel, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern und die politischen Entscheidungsträger unter Druck zu setzen bzw. zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen, das die Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organi-
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sation destabilisieren oder zerstören kann. Terroristen und Organisierte Kriminelle bewegen sich in klandestinen Strukturen, was die herkömmlichen Bekämpfungsmöglichkeiten der Polizei erheblich einschränkt. Der Cyberraum bietet Terroristen und organisierten Kriminellen ganz neue Möglichkeiten. Digitaler Datenverkehr kennt keine geografischen Grenzen, sondern Daten durchqueren Staaten, ohne dass diese derzeit zu einer wirksamen Kontrolle in der Lage wären. Der Cyberraum garantiert Ortsunabhängigkeit, hohe Geschwindigkeit, geringe Kosten und vor allem Anonymität, und das Darknet als digitale Unterwelt bietet ein hohes Maß an Abschirmung gegen polizeiliche Überwachung. Die aufgezeigte Gefährdungsdimension durch den Terrorismus und die Organisierte Kriminalität im Verbund mit dem Cyberraum rechtfertigen ein früheres Einschreiten der Polizei mit Vorfeldmaßnahmen als es bei den klassischen Gefahrenabwehrmaßnahmen mit ihrer Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr möglich ist. I. Terrorismus
Der islamistische Terrorismus verfügt über ein Potenzial von über 28.000 Personen und das BKA hat mit dem Risikobewertungsinstrument RADAR-iTE unter den polizeilich bekannten militanten Salafisten ca. 150 Personen als Topgefährder ausgemacht, bei denen das Amt mit einem Anschlag rechnet. Die Verhinderung von Anschlägen durch diesen Personenkreis ist schwierig, weil die Topgefährder überwiegend nicht in Strukturen eingebunden sind und selber ohne Kommunikationsbedarf über das Ob, Wie, Wann und Wo des Anschlags entscheiden. Können diese also an beliebigen Orten, zu beliebigen Zeiten und mit beliebigen, ohne Aufwand zu besorgenden Mitteln ihre Anschläge durchführen und müssen dazu ihre Deckung erst unmittelbar vor dem Anschlag verlassen, sind die Möglichkeiten der Tatverhinderung durch die Polizei beschränkt. Der Rechtsextremismus ist seit der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds als Terrorismus zu qualifizieren und das rechtsextremistische Potenzial in der Bundesrepublik von 33.000 Personen bedarf der intensiven Überwachung durch den Verfassungsschutz. Trotz des Anwachsens des linksextremistischen gewaltorientierten Personenpotenzials auf 9.600 Personen und des Höchststandes von 6.632 politisch motivierten Straftaten im Jahr 2020 stuft das Bundesamt für Verfassungsschutz den Linksextremismus nicht als terroristisch ein. II. Organisierte Kriminalität
Während der Blickwinkel der Strafprozessordnung auf den einzelnen Fall und das jeweilige Ermittlungsverfahren verengt ist, kann das Polizeirecht ein Kriminalitätsfeld als Ganzes in den Blick nehmen und in operativer Zielsetzung die hinter den einzelnen Fällen oder Fallreihen liegenden Strukturen bekämpfen. In der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten drückt sich dies als Hinwendung zu einer operativen Verbrechensbekämpfung aus, die statt auf die isolierbare Tat auf die Struk-
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turen zielt, die sie hervorgebracht hat: auf kriminelle Milieus, logistische Operationsbasen und unterstützende Netzwerke, die in einem langfristig angelegten Zugriff zerschlagen oder zumindest gestört werden sollen. Die Polizei wird dazu polizeirechtliche Aufklärungsverfahren einleiten, die gegen eine bestimmte Struktur oder bestimmte Personen, die als potenzielle Hintermänner in Betracht kommen, gerichtet sind. Abzuklären sind Kontakte mit anderen Personen, Aufenthalte an bestimmten Örtlichkeiten, Nutzung von Kommunikations- und Transportmitteln, organisatorische Einbindungen und Aktivitäten, die auf bestehende und neue kriminelle Vorhaben hindeuten. Es handelt sich bei einer solchen täterorientierten Vorgehensweise um Strukturverfahren. Nach dem polizeilichen Sprachgebrauch gehen Strukturermittlungen im Rahmen der Bekämpfung der organisierten Kriminalität über die Aufklärung von Einzeldelikten hinaus und umfassen insbesondere Aufklärungsmaßnahmen zur Organisation, zu den Hintermännern, zu den Tatplanungen und -vorbereitungen, zur Beuteverwertung und erfolgen gezielt täterorientiert. Solange noch keine zu verfolgende Tat vorliegt, kann auch noch kein Tatverdacht gemäß § 152 Abs. 2 StPO bejaht werden, sodass Strukturverfahren nur als polizeirechtliche Aufklärungsverfahren betrieben werden können. Achillesferse der Organisierten Kriminalität ist das in den Strukturen erwirtschaftete Bargeld, das zwar keine Spuren hinterlässt, aber erst gewaschen werden muss, um zum weiteren Ausbau der kriminellen Strukturen zu taugen. Aus diesem Grunde muss sich das polizeiliche Augenmerk auf der Geldwäsche dienenden Aktivitäten richten, weil Angehörige der Organisierten Kriminalität dazu ihre schützende Deckung verlassen müssen. Liegt nach dem Einsatz informationeller Maßnahmen, insbesondere unter Nutzung der Befugnisnormen des Polizeirechts zur Observation, zum Einsatz technischer Mittel, von Vertrauensleuten und verdeckten Ermittlern, ein Lagebild vor, kann die Polizei auch mit aktionellen Maßnahmen gegen die erkannten Strukturen vorgehen. Mit Kontrollmaßnahmen von Bundes- und Landespolizei und Zoll, insbesondere durch Razzien und Schleierfahndung und ihren Folgemaßnahmen – Identitätsfeststellungen, Inhaftierungen, Durchsuchungen, Sicherstellungen und Beschlagnahmen – werden unmittelbare Erfolge gegen die kriminelle Strukturen dadurch erzielt, dass Identitäten bislang unbekannter Akteure geklärt, diese gegebenenfalls aus dem Verkehr gezogen und Rauschgift, Bargeld und andere Gegenstände vom Markt genommen werden; dabei kommt der präventiven Gewinnabschöpfung besondere Bedeutung zu. Unmittelbar bewirken die Kontrollmaßnahmen einen Dauerdruck auf die Strukturen, der zur Verunsicherung führt, sie in Bewegung hält, räumlich verdrängt oder zum Ausweichen in andere Kriminalitätsbereiche zwingt. Gezielt eingesetzte Kontrollen im Rahmen von Schleierfahndungen stören die Logistik und mit einer entsprechenden Kontrolldichte werden die Hintermänner zur Reaktion gezwungen, indem sie etwa Routen umplanen oder ihre Aktivitäten regional verlagern müssen. So wird kriminelle Kapazität gebunden und kriminelle Struktur geschwächt.
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Zusammenfassung der Ergebnisse
Bei der Bekämpfung der Clankriminalität als besonderer Erscheinungsform der Organisierten Kriminalität haben sich in einem sogenannten administrativen Bekämpfungsansatz – in Nordrhein-Westfalen „360-Grad-Betrachtung wirksamer Maßnahmen gegen die Clankriminalität“ – durchgeführte anlasslose Verbundeinsätze als effektives Mittel erwiesen. Ausgangspunkt ist eine von der Polizei durchgeführte Razzia auf der Grundlage der einschlägigen polizeigesetzlichen Befugnisnorm zur Identitätsfeststellung. Meist auf Initiative der Polizei schließen sich andere Behörden an: Ordnungsbehörden als Gewerbe- und Gaststättenaufsicht, Gesundheits-, Prostitutions-, Lebensmittel- und Hygieneaufsicht sowie die Bauaufsicht, Steuer- und Zollfahndung und die Geldwäscheaufsicht durch die Länder.
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Stichwortverzeichnis Abpasskontrolle 405 Abstrakte Gefährdungsdelikte 289 Abwehr von Straftaten 71 Aktionelle Maßnahmen 348 ff., 357 f., 361 ff., 366, 410 Alternativentwurf (AEPolG) 49 f. Amoktaten 384 Angemessenheitsprüfung 210 f. Anschlussstraftaten 288, 377 Aufdeckung als Rechtsbegriff 242 Aufdeckung von Straftaten 125 Aufdeckungsermittlungen 242 ff. Aufenthaltsverbot 204, 349 Aufgabenüberschneidungen 286 ff. Aufklärung 262 Ausforschungsermittlungen 215 Ausnahmezustand 330 Äußerer Notstand 331 Ausreiseverbot 405 Bedrohungslagen 379 ff. Befragung 259 Bekämpfung des internationalen Terrorismus 158 ff. Bekämpfungsstrafrecht 56 ff. Bereichsbefahrungsverbot 396 Bestimmtheitsgrundsatz 219, 313 Betretungs- und Nachschaurechte 412 f. Bewachte Begleitung 406 Broken-Windows-Theorie 139, 319 Bundesamt für Verfassungsschutz 192 ff. Bundesgrenzschutzbehörden 189 ff. Bundeskompetenz kraft Sachzusammenhangs 174 Bundeskriminalamt 192 ff. Bundespolizei 191 Bundesstaatliche Kompetenzordnung 154 ff. Clankriminalität
408
Dauerdelikte 287, 375 Dogmatik des Polizeirechts 345 ff., 355 f. Doppelfunktionale Maßnahmen 295 ff., 360 Durchsetzungsgewahrsam 203 ff., 284, 393 Einheitliches Ermittlungsrecht 68 ff. Einstweiliger Vorrang der Gefahrenabwehr 306 ff. Elektronische Aufenthaltsüberwachung 351, 405 Entführung 382 f. Entpolizeilichung der Gefahrenabwehr 317 Ermittlungen zur Erforschung des Sachverhalts 235 Feindstrafrecht 333 ff. Fußfessel 405 Ge- und Verbote 283 ff. Gebot der Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung 311 Gefahr 250 – abstrakte 252 – allgemeine 250 ff. – drohende 354 – konkrete 212 Gefahrbesorgnis 253 Gefährderansprache 349, 395 Gefahrenabwehr 150 ff., 158, 249 ff., 374 f. Gefahrensuche 258 ff. Gefahrenvorsorge 264 ff., 345 ff., 353 Gefahrverdacht 253 Geiselnahme 380 f. Gemengelage 69 ff., 106, 292 ff., 302, 359 Gerichtliches Verfahren 172 Gesinnungsstrafrecht 212 Gewalt – bei Demonstrationen 390 ff. – beim Fußball 386 ff. – im öffentlichen Raum 385
Stichwortverzeichnis Gewalttäterdatei Sport 388 Gewaltverbot 114 ff. Grundrecht auf Sicherheit 136
Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes (MEPolG) 47 ff., 90
Haftgrund der Wiederholungsgefahr Hausräumung 378 Hintergrundstaaten 116
213
Identitätsfeststellung 349, 410 f. Informationelle Maßnahmen 347, 356, 361 ff. Initiativermittlungen 246 ff. Innerer Notstand 330 Innere Sicherheit 43 ff. Interventionsstrafrecht 58 ff. Islamistischer Terrorismus 403 ff. Kennzeichenabgleich 349 Klare Ordnung der Aufgaben im Staat 220 Klassisches Straf- und Strafverfahrensrecht 53 f. Kommunale Selbstverwaltung 156 Kompetenzklarheit 222 Kontaktverbot 349 Kontrolle 261 Kontrollstellen 348 Kriminalistik 76 ff. Kriminalitätsbekämpfung 43 ff., 123 ff. Kriminalprävention 74 Kriminalpräventionsrecht 62 ff. Kriminelle Strukturen 78, 348 f., 361 ff., 397 ff., 410 Kriminologie 74 f. Kriegsrecht 331 Lagebilderstellung 362 f. Landespolizei und Bundespolizei Landesstrafrecht 171 Legalitätsprinzip 241 Legendierte Kontrolle 359 f. Lockspitzel 368 Mehrfachtaten 288, 376, 384 Mehrfachzuständigkeiten 225 f. Meldeauflage 349 Menschenwürde 200 Mischverwaltung 225 ff.
465
148 f.
Nachrichtendienste 324 ff. Negative Spezialprävention 57 Notstand 322 ff. Operative Methoden 368 ff. Operatives Vorgehen 274 ff., 361 ff. Organisierte Kriminalität 121, 132, 407 ff. Organisierter Kindesmissbrauch 396 f. Platzverweisung 204 Polizeihoheit der Länder 149 f. Polizeirelevante Grundrechte 200 ff. Polizei und Bundeswehr 143 f., 322 Polizei und kommunale Behörden 317 ff. Polizei und Nachrichtendienste 324 ff. Polizei und Staatsanwaltschaft 314 Polizei und Verfassungsschutz 145 ff. Prävention 46 f. – indizierte (tertiäre) – selektive (sekundäre) – universelle (primäre) Prävention und Repression 228 ff. Präventive Gewinnabschöpfung 411 f. Präventive Militäraktionen 117 Präventive Wende 102 Präventivhaft 94, 354 Präventivstrafrecht 339 Predictive policing 101 Programm für die Innere Sicherheit (PIS) 43 ff. RADAR-iTE 350 Raserszenen 393 ff. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts 122 Razzia 349, 410 f. Rechtsextremistischer Terrorismus 401 f. Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt 209 Rechtsstaatsprinzip 198 ff. Repolizeilichung der Gefahrenabwehr 91, 179, 318 Residualkompetenz 175 ff.
466
Stichwortverzeichnis
Schleierfahndung 349, 410 f. Schutzpflicht des Staates für die Grundrechte 137 Selbstverwaltungsangelegenheit 321 Serienstraftaten 288, 376, 384 Sicherheit als Prozess 138 ff. Sicherheitsauftrag der Polizei 44 Sicherheitsbegriffe 110 f. Sicherheitsrecht 105 ff. Sicherheitsverfassungsrecht 111 Sicherungsrecht 338 ff. Sicherungsverwahrung 170 Smart sanctions 120 Sperrwirkung des Straf- und Strafverfahrensrechts 292 Störungsbeseitigung 253 Strafrecht als ultima ratio 214 Strafverfolgung 52 ff., 151 ff., 231 ff. Strafverfolgungsvorsorge 173, 267 f., 290 Streifenfahrt 278 Strukturermittlungen 246 ff., 410 Szenestraftaten 288, 377, 385 ff. Targeted killings 118 Tatprovokation 369 Tatsachen 253 Tatsächliche Anhaltspunkte 253 Tat- und Schuldprinzip 212 Tatverdacht 232 ff. Terrorismus 131, 329 ff., 399 ff. Terrorismusbekämpfung 114 ff. Terrorlisten 120 Therapieunterbringung 170 Topgefährder 208 f. Trennungsgebot 146 Trennung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung 150 ff., 221 f. Überwachung 259 Überwachung der Telekommunikation 357, 405 Unrechtsprävention 281 ff. Unterbindung von Straftaten 254 ff., 375 Veranlassung von Straftaten Verbleibskontrollen 405
368 f.
Verbotene Kraftfahrzeugrennen 393 ff. Verbundeinsätze 412 Verdachtsermittlungen 215 Verdachtsschöpfungsrecht 235 ff. Verhältnismäßigkeit 209 ff., 218 Verhinderung von Straftaten 89 f., 254 ff., 281, 366, 375 Verhütung von Straftaten 123 ff., 266, 281, 290, 366, 397 ff. Vermischungstendenzen 153 f. Verteidigungsfall 322 Vertrauensschutz 222 Verwaltungskompetenzen 182 ff. Videoüberwachung 349 Vorbereitung auf die Gefahrenabwehr 263 Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten 90 ff., 264 ff., 281 Vorbeugungshaft 83 ff. Vorentwurf zur Änderung des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes (VEMEPolG) 50 ff., 90 ff. Vorermittlungen 237 ff. Vorfeldaufklärung 362 ff. Vorfelddelikte 289 f., 358 Vorfeld der konkreten Gefahr 51 Vorfeldermittlungen 246 ff. Vorrang der Strafverfolgung 305 f. Vorrang des Polizeirechts 356 Vorverlagerung der Strafverfolgung 79 Wahlrecht zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung 291 Wahrheitsfindung und funktionstüchtige Strafrechtspflege 216 f. Zentralstellen 185 ff., 192 ff. Zero-Tolerance-Politik 139, 319 Zollvollzugsdienst 197 Zulassung von Straftaten 369 ff. Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in der Kriminalpolizei 163 ff. Zweckbindungsgebot 312 f. Zweckentfremdung des Strafrechts 176 f. Zweckfestlegung durch die Polizei 302, 304 ff., 310 ff.