Kulturelle Teilhabe durch Musik?: Transkulturelle Kinder- und Jugendbildung im Spannungsfeld von Empowerment und Othering 9783839448496

Die Idee kultureller Teilhabe wird in wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Kontexten immer wichtiger - mit en

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German Pages 356 Year 2019

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Table of contents :
Inhalt
Danksagung
Teil I: Einleitung
1. Forschungshorizont
2. Forschungsperspektive
3. Aufbau
Teil II: Theoretische Grundlagen
1. Kulturelle Bildung
2. Bedeutungsvarianten des Kulturbegriffs
3. Transkulturalität
4. Kulturelle Teilhabe
Teil III: Methodik
1. Das Forschungsfeld und seine Erschließung
2. Standortgebundenheit, methodisch kontrolliertes Fremdverstehen und ethische Forschungshaltung
3. Erhebungsmethoden
4. Erhebung und Sampling
5. Auswertungsmethoden
6. Darstellung der Daten
Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte
Einleitung
A. Heimat re-invented (Köln)
Steckbrief
Übersicht der Szenen von Heimat re-invented
1. Selbst- und Fremdbild: (Re-)Präsentationen in Antrag, Homepage, Evaluation und Presse
2. Zur Relevanz der Dramaturgie: Wer hält die Fäden in der Hand?
3. Was wird aufgeführt und wer steht auf der Bühne? Zur Auswahl des Repertoires und der Teilnehmenden
4. Kostüme und Requisiten
5. Wer arbeitet wie? Die Arbeitsweisen der künstlerischen Dozentinnen
6. Für wen ist das Projekt? Erwartungen und Ziele aus künstlerischen und pädagogischen Perspektiven
7. Titel und Rahmen
8. Exkurs: Der Umgang mit Klischees und Stereotypen
B. Philharmonischer Verein der Sinti und Roma (Frankfurt/Main)
Steckbrief
1. Titel und Rahmen
2. Auswahl des Repertoires und der Teilnehmenden
3. Selbst- und Fremdbild
C. Zukunftsmusik (Berlin)
Steckbrief
1. Titel und Rahmen
2. Auswahl des Repertoires und der Teilnehmenden
3. Selbst- und Fremdbild
Teil V: Im Spannungsfeld von Empowerment und Othering
1. Sichtbarkeit
2. Kompetenzorientierung
3. Zuschreibungen
4. Musik als Mittel zum Zweck?
5. Schlüsselkategorie: Das Spannungsfeld von Empowerment und Othering
Teil VI: Fazit und Ausblick
Einleitung
Inkludierende Exklusion
Ausblick
Teil VII: Anhang
Materialauflistung und Abkürzungsverzeichnis
1. Allgemein
2. Projekt A: Heimat re-invented (Köln)
3. Projekt B: Philharmonischer Verein der Sinti und Roma (Frankfurt/Main)
4. Projekt C: Zukunftsmusik (Berlin)
Teil VIII: Bibliografie
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Kulturelle Teilhabe durch Musik?: Transkulturelle Kinder- und Jugendbildung im Spannungsfeld von Empowerment und Othering
 9783839448496

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Nina Stoffers Kulturelle Teilhabe durch Musik?

Kultur und soziale Praxis

Nina Stoffers, geb. 1978, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig. Zudem ist sie Projektleiterin für »Connect – Kunst im Prozess« in Sachsen, einem Modellprojekt zur inklusiven Öffnung von Kultureinrichtungen. Die Kulturwissenschaftlerin und Médiatrice Culturelle promovierte an der HU Berlin. Sie lehrt und forscht zu Fragen der (Musik-)Vermittlung, der kulturellen und machtkritischen Repräsentation und Teilhabe sowie des »Sprechens Über« vor dem Hintergrund verschiedener Diversitätsdimensionen.

Nina Stoffers

Kulturelle Teilhabe durch Musik? Transkulturelle Kinder- und Jugendbildung im Spannungsfeld von Empowerment und Othering

Zugleich: Dissertation, angenommen an der Humboldt-Universität zu Berlin, Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Carolin Herold, Leipzig Lektorat: Theda Bader, Berlin Satz: Felix Holler, Leipzig Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4849-2 PDF-ISBN 978-3-8394-4849-6 https://doi.org/10.14361/9783839448496 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt Teil I: Einleitung  | 13 1. Forschungshorizont | 13 2. Forschungsperspektive  | 15 3. Auf bau | 16 Teil II: Theoretische Grundlagen  | 21 1. Kulturelle Bildung | 22 1.1 Kulturelle Bildung als Theorie-, Praxis- und Forschungsfeld | 22 1.2 Kinder- und Jugendbildung | 26 1.2.1 Strukturen | 27 1.2.2 Kontext: TeilHabeNichtse | 31 1.2.3 Kontext: Musik und Teilhabe | 34 2. Bedeutungsvarianten des Kulturbegriffs | 36 2.1 Der normative Kulturbegriff | 38 2.2 Der differenzierungstheoretische Kulturbegriff | 39 2.3 Der ethnisch-holistische oder totalitätsorientierte Kulturbegriff | 40 2.4 Der bedeutungsorientierte Kulturbegriff | 43 3. Transkulturalität | 44 3.1 Abgrenzung zu Multi- und Interkulturalität | 45 3.2 Transkulturalität: Ein Konzept, eingebracht von Welsch | 46 3.3 Kritik an Welschs Konzept  | 49 3.4 Trotz aller Kritik: Transkulturalität als Analyseinstrument | 54 4. Kulturelle Teilhabe | 56 4.1 Teilhabe: Ein populärer Begriff und seine Definitionen | 57 4.2 Bildungs- und kulturpolitisches Paradigma: Integration | 64 4.3 Bildungs- und kulturpolitisches Paradigma: Inklusion | 67

Teil III: Methodik  | 71 1. Das Forschungsfeld und seine Erschließung | 72 2. Standortgebundenheit, methodisch kontrolliertes Fremdverstehen und ethische Forschungshaltung | 75 3. Erhebungsmethoden | 77 3.1 Teilnehmende Beobachtung | 77 3.2 Offene Leitfadeninterviews | 78 3.3 Dokumentensammlung | 80 4. Erhebung und Sampling | 81 4.1 Materialkorpus | 81 4.2 Sampling | 81

5. Auswertungsmethoden | 82 5.1 Grounded Theory | 84 5.2 Dichte Beschreibung | 86 6. Darstellung der Daten | 88

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte  | 91 A. Heimat re-invented (Köln) | 93 Steckbrief | 93 Übersicht der Szenen von Heimat re-invented | 96 1. Selbst- und Fremdbild: (Re-)Präsentationen in Antrag, Homepage, Evaluation und Presse | 98 2. Zur Relevanz der Dramaturgie: Wer hält die Fäden in der Hand? | 116 3. Was wird aufgeführt und wer steht auf der Bühne? Zur Auswahl des Repertoires und der Teilnehmenden | 130 4. Kostüme und Requisiten | 141 5. Wer arbeitet wie? Die Arbeitsweisen der künstlerischen Dozentinnen | 151 5.1 Rezeptiv-reproduzierende Arbeitsweise | 154 5.2 Aktiv-produzierende Arbeitsweise | 158 6. Für wen ist das Projekt? Erwartungen und Ziele aus künstlerischen und pädagogischen Perspektiven | 166 7. Titel und Rahmen | 181 8. Exkurs: Der Umgang mit Klischees und Stereotypen | 190 B. Philharmonischer Verein der Sinti und Roma (Frankfurt/Main) | 198 Steckbrief | 198 1. Titel und Rahmen | 200 2. Auswahl des Repertoires und der Teilnehmenden | 204 3. Selbst- und Fremdbild | 215 C. Zukunftsmusik (Berlin) | 225 Steckbrief | 225 1. Titel und Rahmen | 227 2. Auswahl des Repertoires und der Teilnehmenden | 233 3. Selbst- und Fremdbild | 241

Teil V: Im Spannungsfeld von Empowerment und Othering  | 255 1. Sichtbarkeit | 257 1.1 Titel und Rahmen | 258 1.2 Auswahl des Repertoires und der Teilnehmenden  | 260 1.3 Selbst- und Fremdbild | 265

2. Kompetenzorientierung | 267 2.1 Titel und Rahmen | 267 2.2 Auswahl des Repertoires und der Teilnehmenden | 270 2.3 Selbst- und Fremdbild | 271 3. Zuschreibungen | 274 3.1 Stereotype, Essentialisierungen und Kulturalisierungen | 274 3.2 Der Umgang mit Zuschreibungen in den Projekten | 276 4. Musik als Mittel zum Zweck? | 280 4.1 Haltungen in drei Variationen | 284 5. Schlüsselkategorie: Das Spannungsfeld von Empowerment und Othering | 286 5.1 Schlüsselbegriff: Empowerment | 288 5.2 Schlüsselbegriff: Othering | 290 5.3 Das Spannungsfeld von Empowerment und Othering | 291

Teil VI: Fazit und Ausblick  | 295 Inkludierende Exklusion | 301 Ausblick | 304

Teil VII: Anhang  | 307 Materialauflistung und Abkürzungsverzeichnis | 307 1. Allgemein | 307 2. Projekt A: Heimat re-invented (Köln) | 307 2.1 Materialien  | 307 2.2 Auflistung der geführten Interviews | 308 3. Projekt B: Philharmonischer Verein der Sinti und Roma (Frankfurt/Main) | 311 3.1 Materialien | 311 3.2 Auflistung der geführten Interviews  | 311 3.3 Abkürzungen Presseberichterstattung  | 311 3.4 Übersicht Konzertprogramme und Presseberichterstattung  | 312 4. Projekt C: Zukunftsmusik (Berlin) | 330 4.1 Materialien  | 330 4.2 Auflistung der geführten Interviews  | 330 Teil VIII: Bibliografie  | 331

Danksagung Prozess oder Produkt – eine gängige Frage in künstlerischen Projekten mit sogenannten benachteiligten Kindern und Jugendlichen, denen eine kulturelle Teilhabe ermöglicht werden soll. Muss es denn eine Entweder-oder-Antwort geben? Sicherlich, in manchen Projekten wird die Tendenz eher in die eine, in anderen eher in die andere Richtung ausschlagen, aber prinzipiell ist ein Sowohl-als-auch sehr wohl möglich. Die gleiche Frage lässt sich auch für den Prozess einer Promotion stellen, und die Antwort wird sehr viel eindeutiger ausfallen: Das Endprodukt ist wichtiger. Gleichwohl gilt auch hier, dass für die persönliche Entwicklung der Prozess von entscheidender Bedeutung ist, denn was habe ich nicht alles gelernt im Verlauf des (langen) Weges der Doktorarbeit! Der Weg wurde somit ebenfalls zum Ziel – durchaus mit Durststrecken und Abstechern in Seitenwege, aber immer mit dem klaren Ziel vor Augen, dass die gesammelten Erkenntnisse unbedingt an die Öffentlichkeit gebracht werden müssen. Verbunden mit dem Rückblick, der mit der Abgabe des fertigen Produkts einhergeht, möchte ich meinen Dank an viele Wegbegleiter und Weggefährtinnen aussprechen: Mein erster Dank gilt meinem Doktorvater Sebastian Klotz vom Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, der die Arbeit von Beginn an unterstützt und mir mit vertrauensvollem Zuspruch und prägnanten Fragen, die mich immer wieder zum Kern meiner Arbeit geführt haben, freie Hand gelassen hat. Darüber hinaus sind mir die beiden Doktorandenkolloquien im schönen Crossen an der Elster in bester Erinnerung, die neben fruchtbaren inhaltlichen Diskussionen auch offenbarten, dass Sebastian Klotz ein echtes Frisbee Talent ist. Meiner Zweitgutachterin, Elke Josties, Professorin an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin, die ich zunächst nicht über die Wissenschaft kennenlernte und die dann zu einer äußerst wichtigen Bezugsperson wurde, gilt ebenfalls ein sehr großer Dank für ihren höchst engagierten Einsatz. Ohne ihre wertvollen Hinweise auf Schwachstellen, ihre guten Anregungen für meine Suche nach Lösungsmöglichkeiten und die Zeit, die sie immer wieder in Gespräche investierte, hätte die Entscheidung an mancher Weggabelung nicht so fundiert getroffen werden können.

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Kulturelle Teilhabe durch Musik?

Dem Studienförderwerk der Stiftung der Deutschen Wirtschaft (sdw) bin ich für die großzügige finanzielle Unterstützung und das inhaltliche Förderprogramm zu Dank verpflichtet. Vor allem aber habe ich Menschen kennengelernt, die über den akademischen Tellerrand hinaus und mit unternehmerischem Geist auch eine geisteswissenschaftliche Exotin wie mich mit Neugier und Interesse aufnahmen. Den zahlreichen Interviewpartnerinnen und allen Beteiligten in den drei untersuchten Projekten in Köln, Frankfurt/Main und Berlin möchte ich einen außerordentlichen Dank aussprechen. Die Arbeit wäre nicht möglich gewesen, hätten nicht zahlreiche Kinder und Jugendliche sowie verschiedene Akteure im Umfeld der Projekte mir erlaubt, einen Einblick in ihre Arbeit und ihren Alltag zu bekommen. Durch sie habe ich nicht nur sehr vieles gelernt, sondern mir wurde bewusst, dass es eine Notwendigkeit gibt, dieses Wissen zu streuen und in die Diskurse einzuspeisen. Dem Verlag transcript danke ich für die freundliche Aufnahme in die Reihe „Kultur und soziale Praxis“. Zudem danke ich den Beteiligten für die Begleitung und für das vertrauensvolle Verständnis, das Cover nicht figurativ, sondern abstrakt gestalten zu lassen. Über die Covergestaltung selbst bin ich froh und danke der Grafikerin Carolin Herold, dass sie meine Ideen und Assoziationen visuell und mit dem gewissen Extra umsetzte. Felix Holler danke ich für die Geduld beim Setzen der Druckvorlage. Für den Weg des Forschungsprozesses war meine Bürogemeinschaft, die sogenannte „Promotionszelle“ (Karen Hemming, Stephanie Garling, Benjamin Schulz, Knut Petzold, Sabine Blumstein) von Beginn an eine große moralische und forschungspragmatische Unterstützung, die ich nicht missen möchte. Auch meinen ehemaligen Arbeitskollegen an der Universität Hildesheim (Wolfgang Schneider, Birgit Mandel, Vanessa Reinwand-Weiss, Tobias Fink, Thomas Renz, Vera Allmanritter, Doreen Götzky, Julia Speckmann, Beate Kegler, Daniel Gad) möchte ich danken, da ich von dort nicht nur besten Zugang zur „Szene“ der kulturellen Bildung hatte, sondern zugleich in anregendem, kollegialem Austausch stand, der der Arbeit entscheidende Impulse gab. Insbesondere sind die gewinnbringenden Gespräche, das gemeinsame Ringen um eine Weiterentwicklung mit Sarah Kuschel zu nennen, der ich herzlich für ihr stets offenes Ohr danke – bis heute. Mit verschiedenen Personen verbindet mich das Interesse und die kritische Beobachtung der Schnittstellen von Musik, Transkulturalität und Teilhabe: Zu nennen sind Lisa Gaupp, Marion Haak-Schulenburg und Beate Fröhlich sowie Julio Mendívil, Johannes Ismaiel-Wendt, Kiwi Menrath, Stefanie Alisch und Sophie Arenhövel. Über das Cluster Diversität des Netzwerk Forschung Kulturelle Bildung bin ich inhaltlich in Auseinandersetzung und verbunden mit Ulaş Aktaş, Nina Simon und Leila Haghighat.

Danksagung

Zahlreiche dieser Kolleginnen und Kollegen sind längst gute Freunde geworden – ein persönlicher Gewinn im Verlauf des Promotionsprozesses. Ich bin glücklich, dass mein alter Freundeskreis mir die Treue gehalten hat. Für die vielen Diskussionen, Bitten um Einschätzungen und Gegenlesen möchte ich insbesondere ganz herzlich danken: Ute Daenschel, Ulrike Rösler, Theresa und Fabian Jacobs. Theda Bader gebührt ein großes Dankeschön für die lange Wegbegleitung, die im Korrekturlesen der finalen Druckfassung ihren Abschluss fand. Auch Maren Ziese, Ariane Wiegner, Vanessa Bremerich, Stefanie Müller-Frank, Saskia Schuppener, Diana Paul und Inga Voigt sind mir stets wichtige Wegbegleiterinnen gewesen. Schließlich möchte ich die große Unterstützung meiner Familie hervorheben: Meinen Eltern, Sigrun und Helmut Ott, meiner Schwester Ariane und meinem Schwager Sebastian Ott sowie meiner Schwägerin Imme Stoffers gilt der große Dank, dass sie meine zuweilen unverständlichen Fragen und noch nicht ausgereiften Texte mit konstruktiven Rückmeldungen versahen und mich in familiärer Verbundenheit unverdrossen durch Höhen und Tiefen des Forschungsprozesses begleiteten. Das größte Glück sind mein Mann Torge und meine beiden Kinder. Beide Mädchen hatten ihre ersten gebundenen Bücher aus der Kita vor mir fertig und haben trotzdem großmütig ausgehalten, dass ich Abend für Abend und viele Wochenenden im Büro verschwand. Mit Geduld und Gleichmut sorgte Torge neben dem seelischen Ausgleich auch für den kulinarischen Genuss und zeigte mir immer wieder, dass es auch ein sinnvolles Leben neben der Promotion gibt.

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Teil I: Einleitung 1. F orschungshorizont Teilhabe ist in aller Munde. Sie scheint in gesellschaftspolitischen wie in wissenschaftlichen Debatten in Deutschland die aktuelle Losung zu sein. Verbunden mit großen Hoffnungen, lässt sich allerdings häufig nur erahnen, was mit Teilhabe konkret gemeint ist. Dabei werden insbesondere der Praxis kultureller Bildung große Potentiale zugeschrieben: Sie könne in hohem Maße dazu beitragen, soziale und kognitive Schlüsselkompetenzen zu entwickeln, die Persönlichkeitsentwicklung zu fördern, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und bestehende Bildungsungerechtigkeiten auszugleichen – so die landläufige Meinung. Ist kulturelle Bildung demnach ein Allheilmittel? Bedarf es Kunst und Kultur als Kitt und als „Schmiermittel der Integration“ (Terkessidis 2010: 181) für die Lösung gesellschaftlicher Probleme? Eine kulturelle Teilhabe wird vor allem dort gefordert, wo sogenannte benachteiligte Zielgruppen in den Blick genommen werden: Die Künste sollen als ästhetisches Medium zur gesellschaftlichen Integration, zur Teilhabe aller am kulturellen Leben in der Bundesrepublik beitragen (z. B. Deutscher Bundestag 2007: 379). Auch wenn viele Begrifflichkeiten vage bleiben und empirische Zusammenhänge behauptet werden, gewinnt der Diskurs um kulturelle Teilhabe zunehmend an Bedeutung und die Versprechungen des Ästhetischen (Ehrenspeck 1998), die sich mit kultureller Bildung verknüpfen, verlieren offensichtlich nichts von ihrer Anziehungskraft. Musik wird in diesem Zusammenhang als besonders förderlich gepriesen und mit hoher Wirkkraft assoziiert. Musikprojekte in Kooperation von schulischen und außerschulischen Trägern nehmen eine Leuchtturmfunktion ein. So erfuhren etwa das Musik- und Tanzprojekt der Berliner Philharmonie Rhythm Is It! und das musikpädagogische Grundschulprogramm Jedem Kind ein Instrument (Jeki) ein breites Interesse in der Öffentlichkeit wie in der Fachwelt. Zudem finden sich vermehrt Programme, die sich ganz explizit einer Integration bzw. einer Inklusion durch Musik widmen, wie z. B. die Initiativen von der Liz Mohn Musik- und Kulturstiftung und der Bundesvereinigung deutscher Orchesterverbände oder die inzwischen zweite Förderperiode des

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Kulturelle Teilhabe durch Musik?

vom Bundesministerium für Wissenschaft und Bildung (BMBF) geförderten Programms „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“, z. B. mit „MusikLeben2“ vom Verband deutscher Musikschulen (2018–2022). Wie kann jedoch das in den Menschenrechten verbriefte Recht auf Teilhabe eingelöst werden? Führen die gestiegene Aufmerksamkeit, mehr finanzielle Mittel und eine angestrebte flächendeckende „ästhetische Alphabetisierung“ (Mollenhauer 1990) auch automatisch zu mehr kultureller Teilhabe? Es ist zu fragen, ob die Existenz von und die Teilnahme an Projekten kultureller Bildung bereits dem Anspruch einer „Kultur für alle“ (Hoffmann 1981) Rechnung tragen. Führen Projekte kultureller Bildung immer und überall zu einer Teilhabe, sind sie also voraussetzungslos gewinnbringend und haben positive Effekte für alle Beteiligten, wie auch Reinwand/Hill kritisch fragen (Vorwort zu Fink 2012: 9)? Oder finden nicht gerade auch im Bereich Kultur Abgrenzungen und Distinktionen statt, durch die Ausschlüsse sowie Benachteiligungen fortgesetzt werden? Können Projekte kultureller Bildung gar mitverantwortlich sein für strukturelle Ausschlüsse? Es ist zu beobachten, dass Kultur als wichtigste Differenzlinie in transkulturellen Musikprojekten präsentiert wird. Kultur wird häufig zum Marker einer (vermeintlich) in sich geschlossenen, kohärenten und klar abgrenzbaren Entität. Ob Kultur sich dabei auf die schönen Künste oder auf ein ethnisch-holistisches Verständnis, d. h. auf eine ethnische Gruppe mitsamt ihrer als spezifisch erachteten Lebensweise und ihren kulturellen Ausprägungen bezieht, hat Auswirkungen auf die konkrete Teilhabe der Teilnehmenden wie auch auf den Diskurs. Wie gestalten sich folglich die diskursiven und künstlerisch-pädagogischen Prozesse und Praktiken in diesen Projekten? Ist die Differenzlinie Ausdruck einer gewählten, stolzen Selbstbehauptung der eigenen Kultur oder ist sie von homogenisierenden, essentialisierenden oder kulturalisierenden Stereotypen und Zuschreibungen geprägt? Das binäre Ordnungsschema Eigen und Fremd scheint nach wie vor das wichtigste Orientierungsmuster, auch wenn seit der dekonstruktivistischen Wende in den Kulturwissenschaften diese Binarität als überholt gilt (vgl. Ashcroft et al. 1995, Schiffauer 2004). Doch gerade der Begriff Kultur hat in den letzten Jahren wieder zusätzlich an Bedeutung als Differenzlinie zwischen Eigen und Fremd gewonnen (z. B. Kiesel 1996, Sökefeld 2004, Allolio-Näcke et al. 2005, Tschernokoshewa 2009). Zu fragen ist, inwieweit durch diesen Bedeutungszuwachs eine „Kulturalisierung sozialer Probleme“ (Treptow 2010: 46) entsteht: Kultur im Sinne einer ethnischen Verwendung wird als zentrale Erklärung und Rechtfertigung für individuelle Handlungen und Eigenschaften angeführt, sodass soziale Unterschiede und Probleme ausschließlich damit begründet werden.

Teil I: Einleitung

Diesen Fragen nachzugehen und Ein- und Ausschlussmechanismen zu untersuchen, die sich implizit manifestieren und so das Feld und seine Diskurse durchziehen, ist Aufgabe dieser Arbeit.

2. F orschungsperspek tive Der vorliegenden Arbeit liegt ein interdisziplinäres Forschungsdesign zugrunde, das musiksoziologische, musikethnologische und bildungswissenschaftliche Zugänge zu einer neuen Forschungsperspektive vereint: Es werden exemplarisch Musikprojekte transkultureller Kinder- und Jugendbildung untersucht, die bewusst für Kinder und Jugendliche der ethnischen Gruppe der Roma konzipiert wurden, um ihrer strukturellen Benachteiligung zu begegnen. Für diese Zielgruppe soll durch Musik ein bestimmtes (sozial-)pädagogisches und kulturpolitisches Ziel ermöglicht werden: kulturelle Teilhabe. Es wird zunächst untersucht, was mit kultureller Teilhabe ganz konkret gemeint ist: Wie wird kulturelle Teilhabe gestaltet und ausgehandelt, wie wird sie konzipiert, begründet und für Förderer argumentativ dargelegt und wie wird sie schließlich umgesetzt, z. B. auf der Bühne oder im Konzertsaal? Zweitens wird untersucht, welche Strategien und Prozesse kulturelle Teilhabe ermöglichen und befördern und welche sie stattdessen schmälern, be- oder gar verhindern. Die angestrebte kulturelle Teilhabe der Projekte lässt sich auch als Strategie des Empowerments beschreiben, die sich z. B. als sichtbare, selbstbewusste kulturelle Präsentation und in der Orientierung auf Kompetenzen der Beteiligten zeigt. Als Spannungsfeld kann jedoch die dabei entstehende Ambivalenz beschrieben werden, mit der Benennung von Differenzen diese gleichzeitig zu reproduzieren und eine zuschreibende Besonderung (Feuser 1989, Mecheril 2015) hervorzurufen. Denn Projekte kultureller Bildung sind, so meine These, sehr wohl an Othering-Prozessen beteiligt. In ihren Settings kann eine bestimmte Gruppe pädagogisch-künstlerisch als die Anderen konstruiert werden, allerdings nicht in einer gleichberechtigten, sondern in einer hegemonialen Eigen-Fremd-Perspektive, und damit vor der Folie derjenigen, die als vermeintliche Norm unsichtbar und als die Nicht-Anderen (Spivak 2008) verbleiben. Inwieweit trägt also die „Doppeldeutigkeit“ (Treptow 2010: 42) des Feldes kultureller Bildung, d. h. einerseits die Proklamation des Ziels kultureller Teilhabe dazu bei, dass durch ein Minimum an Teilhabe andererseits eine „raffinierte Form potentieller Exklusion“ (Vogt 2013: 487) entstehen kann? Sind Projekte kultureller Bildung struktur- und machtstützend, die den eigenen Anteil an der Fortschreibung sozialer und kultureller Ausgrenzung verdecken und damit einer Farce gleichkommen?

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Kulturelle Teilhabe durch Musik?

In der vorliegenden Arbeit werde ich analysieren, inwieweit die untersuchten Projekte zwischen den beiden Polen von Empowerment und Othering oszillieren und inwieweit diese Ambivalenzen und komplexen Verstrickungen ein Dilemma entstehen lassen, das ein konstitutives Element der untersuchten Projekte darstellt. Dem Diskurs um kulturelle Teilhabe, so wird zu zeigen sein, ist inhärent, dass sich Prozesse der inkludierenden Exklusion vollziehen: Das Ziel der kulturellen Teilhabe verkehrt sich in sein Gegenteil. Es ist freilich problematisch, dass in der vorliegenden Arbeit durch die Fokussierung auf eine ethnische Zielgruppe Binaritäten zunächst als „kategoriale Etikettierung“ (Josties 2015: 205) aufgezeigt und verwendet werden, die erst im Anschluss dekonstruiert werden. Die Dichotomie zu reproduzieren, ist jedoch notwendig, um die Entstehung von Zuschreibungen gezielt und gleichsam wie durch ein Brennglas in den Blick nehmen zu können. Das Ziel der entwickelten Forschungsperspektive ist es, die Binnenstruktur des Spannungsfeldes zu erhellen und damit Kultur als „selbstgesponnene[s] Bedeutungsgewebe“ (Geertz 1983: 9), das sich wie durch ein Kaleidoskop betrachten lässt, zu durchdringen.

3. A ufbau Die Arbeit gliedert sich in sechs Teile. Im Anschluss an die Einleitung folgt im Teil II die Darlegung der theoretischen Grundlagen, die die zentralen Begrifflichkeiten des Diskurses präzisieren, verorten und aufzeigen, welche Auswirkungen unterschiedliche Definitionen und Verwendungsweisen für kulturelle Teilhabe haben können. Im ersten Kapitel (Teil II/1.) wird das Theorie-, Praxis- und Forschungsfeld kultureller Bildung abgesteckt und dargelegt, welche Strukturen und Rahmenbedingungen der außerschulischen Kinder- und Jugendbildung explizit wie implizit die Referenz bilden. Die Forschungsausgangsperspektive richtet sich dabei auf sogenannte Benachteiligte im Bereich transkultureller Musikprojekte. Im Anschluss daran werden die Bedeutungsvarianten des Kulturbegriffs ausdifferenziert (Reckwitz 2004, Fuchs 1999 u. a.), die sich zwischen einem engen Verständnis von Kultur im Sinne der Künste und ihrer Praxen und einem weiten Verständnis als ethnisch-holistische Variante bewegen (Teil II/2.). Anhand der theoretischen und historischen Einordnung der verschiedenen Verwendungsweisen sowie der geistesgeschichtlichen Bezüge und Traditionslinien wird offengelegt, welche Formen kultureller Teilhabe angestrebt und wie diese jeweils legitimiert werden. Mithilfe des Begriffs der Transkulturalität wird analysiert, wie sich Austauschprozesse und Interaktionen zwischen verschiedenen sogenannten Kulturen gestalten und ausgehandelt werden (Teil II/3.). Um einen Erkenntnis-

Teil I: Einleitung

ertrag aus der Auseinandersetzung mit dem Konzept der Transkulturalität zu erhalten, wird es zunächst kritisch rezipiert und anschließend weiterentwickelt. Die Forderung nach kultureller Teilhabe als Menschenrecht durchzieht den Diskurs als normative Setzung, die implizit bleibt, dabei aber zur selbstreferentiellen Legitimation wird. Deshalb wird im letzten Theoriekapitel herausgearbeitet, wie kulturelle Teilhabe als Schlagwort genutzt wird (Teil II/4.). Anschließend werden die damit in engem Zusammenhang stehenden bildungs- und kulturpolitischen Paradigmen der Integration und der Inklusion dahingehend untersucht, welche unterschiedlichen Haltungen und Arbeitsweisen mit diesen Begrifflichkeiten verbunden sind und welche Auswirkungen sie auf kulturelle Teilhabe haben. Die Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundlagen hat zum Ziel, ausdifferenzierte und begriffliche Analysewerkzeuge zu erarbeiten, mit denen die Empirie systematisch gedeutet werden kann. Denn die Begriffe und Konzepte von Kultur, Transkulturalität und Teilhabe wirken, wie zu sehen sein wird, implizit auf das Spannungsfeld, gerade weil der Diskurs nur explizit Einschlüsse verhandelt und Ausschlüsse nicht thematisiert. Im Teil III wird die Methodik dargelegt. Für die empirisch-qualitative Studie wurden drei transkulturelle Musikprojekte in deutschen Großstädten ausgewählt. Das Datenmaterial wurde zwischen 2010 und 2012 erhoben. Mithilfe der Grounded Theory (Strauss/Corbin 1996) sowie der Dichten Beschreibung (Geertz) wurden teilnehmende Beobachtungen, offene Leitfadeninterviews sowie relevante Dokumente als Datenkorpus generiert und ausgewertet. Von den drei ausgewählten Projekten steht eines im Mittelpunkt der Arbeit und wird als Detailstudie bis in feinste Verästelungen analysiert. Zwei weitere Projekte kontrastieren diese Analyse und komplementieren damit die Untersuchung, um eine größtmögliche Sättigung im Sinne der Grounded Theory zu erreichen. Im Verlauf des hypothesengenerierenden, d. h. induktiven Forschungsprozesses konnte ich zentrale Phänomene herausarbeiten, die sich in allen drei Projekten gleichermaßen finden und sichern ließen. Zusammengefügt ergeben sie die Schlüsselkategorie, die als Spannungsfeld beschrieben werden kann. Die entwickelte Theorie kann die Strukturen des Spannungsfeldes rekonstruieren und damit Erklärungen für die Frage nach kultureller Teilhabe in transkulturellen Projekten der Kinder- und Jugendbildung anbieten. Es ist darauf hinzuweisen, dass es im Forschungsprozess einen steten Wechsel zwischen den Aktivitäten im Feld, der theoretischen Auseinandersetzung und der Analyse gab. Für die vorliegende Arbeit hingegen ist eine lineare Leserichtung gewählt worden, die zunächst den theoretischen Rahmen absteckt, um dann die empirischen Daten und Ergebnisse vorzustellen. Die beiden zentralen Begriffe des Spannungsfeldes – Empowerment und Othering –, die sich erst im Verlauf des Forschungsprozesses herausgeschält haben, kön-

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Kulturelle Teilhabe durch Musik?

nen aufgrund des induktiven Verfahrens folglich nicht bereits im Theoriekapitel erläutert werden. Ein Anliegen der Arbeit ist es, dass Musik als „Medium sozialwissenschaftlicher Erkenntnis mobilisiert“ (Klotz 2012: xi) und mithilfe qualitativer Forschungen als soziale Praxis aufgeschlüsselt werden kann. Der Arbeit liegt somit ein praxeologisch-prozessuales Musikkonzept zugrunde, wie es auch für die musikalische Kulturtransferforschung vorgeschlagen wird (Kim 2014: 12). Es kann aufgezeigt werden, wie Musik mit ihrem hohen Potential zur Ausgestaltung komplexer gesellschaftlicher (Macht-)Prozesse diese durchdringen kann, denn sie kann gleichermaßen zu „Entgrenzung und Grenzziehung“ (Kim/ Riva 2014) beitragen. Dadurch können Erkenntnisse gewonnen werden, die für die Musikwissenschaften wie auch für die Bildungs- und Sozialwissenschaften relevant sind. Teil IV stellt die drei untersuchten transkulturellen Musikprojekte vor: A. Heimat re-invented, Köln B. Philharmonischer Verein der Sinti und Roma, Frankfurt/Main C. Zukunftsmusik, Berlin Die Projekte werden zur vergleichenden Übersicht jeweils mit einem Steckbrief charakterisiert. Für das Kölner Projekt (A.) erfolgt zu Kapitelbeginn die Beschreibung von Szenen der Bühnenaufführung, um sie in erzählender Form zu veranschaulichen. Für das Frankfurter (B.) und das Berliner (C.) Projekt war dies nicht möglich, weil eine teilnehmende Beobachtung bei Probenprozessen aus unterschiedlichen Gründen, die im Methodenkapitel dargelegt werden, nicht erfolgen konnte. Systematisiert und strukturiert auf bereitet werden die drei Projekte durch die nach der Grounded Theory herausgearbeiteten Unterkategorien, sodass anschließend ein kontrastierender Vergleich möglich ist. Die Ergebnisse der Untersuchung werden in Teil V diskutiert: Die Rekonstruktion des Diskurses, wie kulturelle Teilhabe durch Empowerment- bzw. Otheringprozesse ermöglicht oder verhindert wird, kann durch die sich im Forschungsprozess herauskristallisierenden vier Kategorien dargelegt werden. Diese Klassifikation ist eine verdichtete Zusammenführung der zuvor gebildeten Unterkategorien, jedoch auf einer abstrakteren Ebene. Die vier Kategorien sind: 1. Sichtbarkeit, 2. Kompetenzorientierung, 3. Zuschreibungen, 4. Musik als Mittel zum Zweck? Im Anschluss werden sie in die Schlüsselkategorie integriert, welche als erklärende Theorie vorgestellt wird. Abschließend wird in Teil VI das Fazit gezogen, das den großen Bogen spannt und die „analytische Geschichte“ (Strauss/Corbin 1996: 117, Hervorhebung im Original) erzählt, ihre Grenzen beleuchtet und einen Ausblick auf offene Fragen und anknüpfende Desiderata gibt.

Teil I: Einleitung

Anmerkung In der vorliegenden Arbeit werden feminine und maskuline Bezeichnungen in scheinbar willkürlicher und zufälliger Form verwendet, um damit die Schwierigkeiten von einmal als adäquat empfundenen Festlegungen, wie es z. B. das Binnen-I, der Gender-Gap oder das Gender-Sternchen sind, aufzuzeigen und eine kritische Begleitung und Suche zu verdeutlichen. Ein Auf brechen von Zuschreibungen ist m. E . so einfacher möglich, als wenn ich mich für einen bestimmten Begriff entscheide, der dann möglicherweise nicht mehr hinterfragt und zu einem starren Konstrukt wird. Wenn es sich um allgemeine Aussagen handelt, sind in jeder weiblichen Bezeichnung im Folgenden auch männliche und alle anderen Geschlechtsidentitäten gemeint, in jeder männlichen Bezeichnung gilt dies vice versa. Handelt es sich um eine eindeutige Bezeichnung für eine bestimmte Person, so wird nur diese Bezeichnung verwendet.

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Teil II: Theoretische Grundlagen

In den folgenden Kapiteln (Teil II) werden die theoretischen Grundlagen aufgezeigt, die das Fundament der Arbeit bilden. Die zugrunde liegenden Begriffe werden präzisiert, wichtige Definitionen sowie Bedeutungsvarianten herausgearbeitet und die komplexen Bezüge auf die Fragestellung hin fokussiert. Anhand der verwendeten Literatur wird der interdisziplinäre Forschungsansatz sehr deutlich: Bezüge aus verschiedenen Disziplinen sowie Literatur unterschiedlicher Provenienz finden Eingang in die Arbeit, da daran aufgezeigt werden kann, wie unterschiedlich kulturelle Teilhabe definiert, skizziert und umgesetzt wird. Die Untersuchung verortet sich in dem als Feld bezeichneten interdisziplinären Bereich, der sich mit Kultur einerseits und Bildung andererseits beschäftigt: dem Feld der kulturellen Bildung. Es sind dabei nicht unbedingt die untersuchten Projekte selbst, die diese Verortung vornehmen, sondern kulturelle Bildung als Überbegriff wird als Perspektive genutzt, weil diese, ob explizit oder implizit, diskursiv den Referenzrahmen bildet und deren Prämissen die praktische Arbeit leiten. Dies zeigt sich anhand der angeführten Legitimationsdiskurse, z. B. unter dem Schlagwort Kultur für alle. Daher knüpft die Arbeit an Begrifflichkeiten und Traditionen, Strukturen und Rahmenbedingungen, Argumentations- und Begründungsmuster sowie Diskussionslinien an, die zum Verständnis durchdrungen und explizit aufgezeigt werden. Entsprechend der Vorgehensweise der Grounded Theory wurde nicht mit theoretisch abgeleiteten Hypothesen gearbeitet, um diese zu verifizieren oder zu falsifizieren, sondern durch den induktiven und wechselseitigen Prozess von Datenerhebung und Datenauswertung kristallisierten sich die dem Forschungsgegenstand angemessenen theoretischen Bezüge erst nach und nach. Die Suche nach passenden theoretischen Konzepten, wie sie im Forschungsprozess mit Empowerment und Othering gefunden werden konnten, war somit selbst Teil des Prozesses. Teil II schlüsselt in vier Kapiteln die begriffliche Komplexität auf, die für die Analyse der Praxisprojekte bedeutsam ist:

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Kulturelle Teilhabe durch Musik?

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Kulturelle Bildung Kulturbegriff Transkulturalität Kulturelle Teilhabe

Gleich einer analytischen Archäologiearbeit wird für die verwendeten Begriffe Schicht für Schicht abgetragen, um sie, ihre Konzepte und ihre Verwendungen für die anschließende empirische Untersuchung nutzbar zu machen und als begriffliche Analyseinstrumente bereitzustellen. Mithilfe der Theorie kann das mit der Empirie verbundene dichte Bedeutungsgewebe in Analogie zu Geertz erhellt und in seiner Komplexität durchdrungen werden. Bei der Beschäftigung mit verschiedenen Begriffen und Definitionen ist es wichtig, diese nicht nur zu präzisieren und für die eigene Verwendung zu definieren, sondern im Sinne einer kritischen Begriffsverwendung und -praxis die jeweilige Konstruktion aufzuzeigen und für die gesamte Arbeit mitzudenken: Dies gilt sowohl für alltagssprachlich häufig feststehende und zumeist homogenisierende Begriffe wie Ethnizitäten oder die Konstruktion sogenannter benachteiligter Gruppen. Im Kern schält sich aus diesen Konstruktionen eine dichotome Wir-und-die-Anderen-Struktur heraus, die zudem (wertende) Hierarchien und Machtstrukturen impliziert. Damit eng verbunden ist die philosophisch-soziologische Auseinandersetzung mit dem grundlegenden Verstehen der Beziehung von Eigen  – Fremd in der Tradition von Georg Simmel, Max Weber, Alfred Schütz und Bernhard Waldenfels. Diese kann im Folgenden nur gestreift werden. Gegenstand der Untersuchung ist die Konstruktion der dichotomen Struktur, die tiefliegend und als ein nicht aufzulösendes Dilemma aufscheint. Diese Struktur transparent aufzuzeigen und Erklärungsansätze anzubieten, ist Ziel der Arbeit.

1. K ulturelle B ildung 1.1 Kulturelle Bildung als Theorie-, Praxis- und Forschungsfeld Kulturelle Bildung wird seit einigen Jahren als eigenständiges Theorie-, Praxis- und Forschungsfeld verschiedener Disziplinen mit gemeinsamen Bezugspunkten wahrgenommen. Dabei ist der Terminus kulturelle Bildung an sich erklärungsbedürftig, denn die beiden darin enthaltenen Begriffe beschreiben jeder für sich ein weites und durch unterschiedliche Semantiken geprägtes Feld. Auf den Begriff Kultur in seinen verschiedenen Bedeutungsvarianten wird in Teil II/Kapitel 2 ausführlich eingegangen; wichtig ist zunächst, dass verschiedene Verwendungsweisen des Begriffs eine Rolle spielen. So kann sich

Teil II: Theoretische Grundlagen

der Begriff Kultur beispielsweise ausschließlich auf die Künste beziehen oder auch auf die sogenannte Hochkultur.1 Mit dem Begriff wird jedoch ebenfalls die Lebensweise einer bestimmten Gruppe im Unterschied zu einer anderen beschrieben – ohne sich zwangsläufig auf die Künste zu beziehen. Der Begriff der Bildung beinhaltet Konzepte wie Erziehung, Ausbildung und Lernen.2 Im Anschluss an Wilhelm von Humboldt ist es insbesondere der Fokus auf die Wechselbeziehungen zwischen Subjekt und Welt, die Selbst-Bildung, die den Begriff prägen (Fuchs 1999: 90). Kritisch weiterentwickelt und reformuliert wird dieses Humboldt’sche Bildungsdenken durch den transformatorischen Bildungsbegriff, um das Subjekt in seinen sozialen Bezügen und inmitten von Gesellschaft zu fokussieren und beispielsweise hegemoniale Diskurse reflektieren zu können; dieser Arbeit liegt diese Neubestimmung als Selbst-, Fremd- und Weltverhältnisse zugrunde. Als ein früher Verfechter bildungspolitischer Chancengleichheit kann Johann A. Comenius (1592–1670) mit seiner Forderung nach einer Bildung in allem und für alle gelten (Fuchs 1990: 220). Daran knüpft die BRD3 seit

1 | Der Begriff der Hochkultur wird in der vorliegenden Arbeit in der Unterscheidung zur populären Kultur zwar verwendet und damit auf die nach wie vor etablierte und häufig implizite Dichotomie verwiesen (vgl. ebenfalls die nach wie vor gängige Unterscheidung in ernste Musik und Unterhaltungsmusik, die z. B. bei der GEMA einen Unterschied in der Bezahlung ausmacht). Gleichwohl soll aufgezeigt werden, dass diese Unterscheidung mit der Entwicklung hin zu einem weiten Kulturbegriff sowie mit dem Slogan Kultur für alle diese eigentlich miteinschließt; auch wenn die sogenannte ernste Kultur nach wie vor „Berührungsängste vor der populären Kultur“ (Hornberger/Krankenhagen 2012: 503) hat. 2 | Mit dem Bildungs- und Transformationsforscher Rainer Kokemohr unterscheide ich in dieser Arbeit zwischen Lernen und Bildung: Danach ist Lernen der Prozess, in dem neue Informationen aufgenommen, angeeignet und verarbeitet werden, wobei jedoch der Rahmen stabil bleibt, in dem die Informationsverarbeitung erfolgt. Bildung hingegen ist der Prozess, in dem nicht nur neue Informationen verarbeitet werden, sondern mit dem sich auch der Rahmen verändert. Bedeutsam wird damit die Frage nach den Auslösern von Bildungsprozessen, die, nach Kokemohr und dem Erziehungswissenschaftler Hans-Christoph Koller, durch Krisen und intrasubjektive bzw. intrakulturelle Fremdheitserfahrungen hervorgerufen werden (Koller 2012: 15ff.). 3 | Die vorliegende Arbeit bezieht sich in ihren Rückgriffen auf strukturell wichtige Entwicklungen der Kulturpolitik in der BRD. Wie so viele andere Forschungen auch, werden damit Entwicklungen in der DDR wenig beachtet; dieser Tatsache bin ich mir bewusst. Der Grund dafür ist in den politischen Rahmenbedingungen zu sehen, die nach 1990 von den sogenannten Neuen Bundesländern größtenteils übernommen wurden.

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den 1970er-Jahren durch die „Neue Kulturpolitik“4 an, mit den Schlagworten „Bürgerrecht Kultur“ (Glaser/Stahl 1983) und den durch Hilmar Hoffmann eingebrachten Slogan „Kultur für alle“ (1981). Die auf den Punkt gebrachte Forderung verschiedener Strömungen lautete: Demokratie und Kultur sollten für alle und insbesondere in der neu entstandenen soziokulturellen Ausprägung auch von allen und überall zugänglich sein; ein kulturpolitischer Paradigmenwechsel vollzog sich und wurde zu einem Dogma (Renz 2016: 31). Der zusammengesetzte Terminus kulturelle Bildung lässt sich nach Max Fuchs, der maßgeblich den theoretischen Diskurs, seine Grundlagen sowie die Konstituierung des Feldes geprägt hat, in drei sich gegenseitig überschneidende Bereiche unterteilen. Fuchs greift für sein Verständnis kultureller Bildung zunächst auf die Begriffe künstlerische Bildung und kulturelle Bildung zurück und ergänzt sie durch den Begriff der ästhetischen Bildung (vgl. Fuchs 2008: 111 ff.). Er visualisiert dies anhand von „konzentrischen Kreisen“ (Fuchs 2008: 13) und fügt in späteren Varianten die Unterscheidung zwischen ästhetischer und aisthetischer Bildung seinem „Sortiervorschlag“ hinzu (z. B. Fuchs 2013: 42). Die drei Bereiche lassen sich knapp wie folgt entfalten: • Künstlerische Bildung, mit der sowohl das künstlerische Handwerk als auch eine ästhetische Alphabetisierung angestrebt wird. Die ästhetische Alphabetisierung umfasst dabei einen Lernvorgang, „in dem nicht-sprachliche kulturell produzierte Figurationen in einem historisch bestimmten Bedeutungsfeld lokalisiert, das heißt als bedeutungsvolle Zeichen ,lesbar‘ werden“ (Mollenhauer 1990: 11); • ästhetische/aisthetische Bildung,5 die sich auf Kunstwerke, aber auch auf alle anderen Gegenstände beziehen kann, wobei die ästhetische Perspektive entscheidend ist, die reflexiv und performativ (z. B. durch Sprache) auch auf die eigene Wahrnehmung gerichtet ist (Dietrich et al. 2012). Sie ist

4 | Selbstredend war die Kulturpolitik nicht an sich neu, sondern in Abgrenzung zur bisher betriebenen Kulturpolitik mit dem neu formulierten Anspruch von Kultur als Gesellschaftspolitik, als emanzipatorische Kulturpädagogik (vgl. z. B. Zirfas 2013: 20 ff.). Aber mit „Kultur für alle“ sollte die (bewusste) Steuerung der Kulturpolitik, die Organisation der Teilhabe, die Herstellung der Öffentlichkeit und die Demokratisierung der Künste angestrebt werden, um diese nicht dem Markt zu überlassen (Schneider 2010: 11), was bis heute nichts von seiner „kulturpolitischen Tauglichkeit“ (ebd.: 12) verloren hat. 5 | Die ästhetische Sinnesempfindung unterscheidet sich von der aisthetischen dahingehend, dass sie zwar auf dieser beruhe, aber „das Sinnliche selbst thematisch wird“, wie Dietrich et al. im Rückgriff auf Mollenhauer schreiben (Dietrich et al. 2012: 19). So rechnet Fuchs in die aisthetische Bildung etwa die Spiel- und Zirkuspädagogik, die er nicht zur künstlerischen und ästhetischen Bildung zählt (Fuchs 2013: 57).

Teil II: Theoretische Grundlagen

maßgeblich von Schillers Abhandlung Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen (Schiller 2000) geprägt; • kulturelle Bildung schließlich, die sich übergeordnet auf beide genannten Bereiche bezieht, beinhaltet verschiedene Dimensionen von Kultur und besitzt damit soziale und politische Implikationen, weil sie auf „kulturelle Teilhabe für alle und die Entwicklungen von biografischer Lebenskunst“ abzielt (Reinwand 2012: 112). Bildung ist damit „die subjektive Seite von Kultur und Kultur die objektive Seite von Bildung“ (Fuchs nach Adorno 1999: 221 6); es sind zwei Seiten einer Medaille. Das Bild der Medaille verdeutlicht: Die Begrifflichkeiten Kultur und Bildung sind eng miteinander verbunden, auch wenn nicht beide Seiten gleichzeitig betrachtet werden können. Häufig wird die sehr knappe Definition kultureller Bildung als (lebenslange) Allgemeinbildung im Medium der Künste gegeben, auf die sich zahlreiche Protagonisten beziehen; die Definition wurde von Fuchs erstmals Anfang der 1990er-Jahre eingebracht (vgl. Fuchs 2008: 112). In dieser Definition stellt sich die Frage, ob Kunst ein Medium oder bereits selbst Allgemeinbildung ist (Becker 2013a: 97), bzw. was als Allgemeinbildung aufgefasst wird. Zudem ist zu fragen, ob die oft in den Vordergrund gerückte starke Betonung der kulturellen Bildung für die Persönlichkeitsentwicklung und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht auch kritisch betrachtet werden muss, da dadurch Kunst als Mittel zum Zweck gleich einer Indienstnahme von „Kunst und Kultur als Kitt“ stattfinde (vgl. Becker 2013b: 33). In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, sich zu vergegenwärtigen, dass Kunst bzw. genauer Ästhetik zu einem Medium avanciert, das immer wieder neu zur Lösung und als Mittel gegen gesellschaftliche und individuelle Probleme offeriert und angepriesen wird; diese Versprechungen des Ästhetischen als modernes Bildungsprojekt hat Ehrenspeck rekonstruiert anhand der Schriften von Kant, Schiller, Schelling und Herbart (1998). In der vorliegenden Arbeit wird an Forschungen zur kulturellen Teilhabe angeknüpft, die die Praxis untersuchen: Interessanterweise wird zwar allerorten die Notwendigkeit kultureller Teilhabe festgestellt und durch zahlreiche staatliche Förderprogramme und privatwirtschaftlich getragene Stiftungen unterstrichen (vgl. das folgende Unterkapitel zu Kinder- und Jugendbildung, Teil II/1.2), gleichzeitig besteht jedoch ein Mangel an systematischen For-

6 | Bei Adorno selbst heißt es: „Bildung ist selber nichts anderes als Kultur nach der Seite ihrer subjektiven Zuneigung. Kultur aber hat Doppelcharakter. Er weist auf die Gesellschaft zurück und vermittelt zwischen dieser und der Halbbildung.“ (Adorno 1959: 170).

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schungen,7 insbesondere über Bildungseffekte und Wirkungen von Projekten kultureller Bildung (Rittelmeyer 2012: 21, Reinwand 2013: 119 ff.). Sehr häufig ist unklar, was unter kultureller Teilhabe verstanden wird, wie, wo und wem sie zugute kommt, was sie beinhaltet und was sie für ein Individuum bedeuten kann. Die Praxis kultureller Bildung ist fast ausnahmslos eine „Black box“, wie Fink es treffend formuliert hat (Fink 2012: 11 ff.). Mit dem Begriff der Teilhabe knüpft die vorliegende Untersuchung nicht an Studien über die Nutzung von Kulturangeboten oder das Musikinteresse von Menschen mit Migrationshintergrund an (vgl. Keuchel 2012), weil es weniger um den „Faktor Migration“ (Keuchel 2012: 21) geht als vielmehr darum zu fragen, was mit Teilhabe konkret gemeint ist, und wie eine solche ermöglicht bzw. auch gerade durch kulturelle Angebote verhindert werden kann. Auch Studien, die sich mit öffentlich geförderten Kultureinrichtungen beschäftigen, die ein diverses Publikum, d. h. Menschen aus verschiedenen sozialen Milieus und mit verschiedenen kulturellen Hintergründen, gewinnen möchten und die sich insbesondere mit Methoden für ein Interkulturelles Audience Development (z. B. Mandel 2013) auseinandersetzen  – vorrangig durch Marketing-, PR- und Kulturvermittlungsstrategien –, sind nicht Ausgangspunkt der hier angestellten Überlegungen. Diese Studien fokussieren vor allem Strategien, also Formate, Orte, z.  T. auch Inhalte. Die Perspektive geht dabei von den Kultureinrichtungen aus und erarbeitet, wie diese attraktiver und relevanter für Besucherinnen werden, die bislang wenig oder gar nicht erreicht werden können. In eine ähnliche Richtung verweist Renz (2016), der sich dezidiert mit „Nicht-Besuchern“ auseinandersetzt – allerdings alle, ob mit oder ohne Migrationshintergrund. In der vorliegenden Arbeit hingegen werden vor allem Strukturen und Rahmenbedingungen sowie Prozesse der Ein- und Ausgrenzung untersucht. Im Folgenden wird der Blick deshalb spezifischer auf Teilbereiche der kulturellen Bildung mit ihren Akteuren und aktuellen Diskursen gerichtet, an die mit der vorliegenden Forschungsarbeit angeknüpft wird.

1.2 Kinder- und Jugendbildung Mit der Entscheidung, als Zielgruppe Kinder und Jugendliche für die vorliegende Untersuchung in den Blick zu nehmen,8 müssen im folgenden Unterkapitel die für das Verständnis der empirischen Untersuchung notwendigen Struktu7 | Einen systematischen Überblick zur Forschung im Bereich der kulturellen Bildung in Deutschland seit 1990 liefern Liebau/Jörissen (2014). 8 | Auch wenn mit dem Begriff kulturelle Bildung zumeist Kinder- und Jugendliche als Zielgruppe assoziiert sind, so ist sowohl die Praxis als auch inzwischen die Forschung sehr viel breiter aufgestellt und betrachtet verschiedene Lebensalter.

Teil II: Theoretische Grundlagen

ren der kulturellen Kinder- und Jugendbildung dargelegt werden. Außerdem wird in einer weiteren Ausdifferenzierung des Forschungsgegenstandes der Blick auf kulturelle Teilhabe für Kinder und Jugendliche als nicht nur bildungs- und kulturpolitisch relevanter, sondern auch als sozialpolitischer Legitimationsdiskurs herausgearbeitet – gerade im Bereich musikalischer Praxis.

1.2.1 Strukturen Die Bildung für Kinder und junge Erwachsene bis 27 Jahre in Deutschland kann generell eingeteilt werden in formale, non-formale und informelle Bildung.9 Die formale Bildung bezieht sich dabei auf das staatliche Bildungssystem von der Grundschule bis zur Universität und wird auch kurz als schulische Bildung bezeichnet. Im Gegensatz dazu werden als non-formale Bildung all jene Aktivitäten zusammengefasst, die außerhalb der Schule stattfinden und keinem staatlichen Bildungscurriculum angegliedert sind. Unter informeller Bildung wird in erster Linie die Selbstbildung und Selbstaneignung in nicht-institutionalisierten Kontexten, z. B. in Peergroups bzw. „abseits einer kulturpädagogischen Einflussnahme“ (Schmidt 2012: 819) verstanden. Die vorliegende Arbeit richtet ihren Blick in erster Linie auf die non-formale Bildung und insbesondere auf Kooperationsprojekte. Die gesetzlichen Grundlagen sind das Kinder- und Jugendhilfegesetz § 11 (SGB VIII, § 11 Abs. 3) und die Richtlinien II. 2 des „Kinder- und Jugendplan des Bundes (KJP)“. Im Jahr 2012 wird kulturelle Bildung im Rückgriff auf Textpassagen des KJP von 1994 neu definiert (vgl. Zirfas 2013: 28). Darin wird nicht nur benannt, in welchen Bereichen künstlerische, ästhetische und kulturelle Bildung stattfindet, sondern diese Definition betont auch explizit die soziale Dimension kultureller Bildung durch Mitgestaltung und Teilhabe (Bundesministerium des Innern 2012: 145). Für die Definition sind auch die sogenannten „Prinzipien Kultureller Bildung“ von Relevanz, die im Diskurs durch die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (BKJ) vertreten werden, deren Fachorganisatio-

9 | Vgl. z. B . die Überblicksartikel zu den Rahmenbedingungen und Strukturen kultureller Bildung im Handbuch Kulturelle Bildung zur Bundesebene (Bockhorst 2012), zur Jugendpolitik (Schäfer 2012), zur Bildungspolitik (Hübner 2012) und zur Kulturpolitik (Schneider 2012) sowie zu lokalen Bildungslandschaften (Mack 2012), zu Sozialer Arbeit (Hill 2012) und zu Kinder- und Jugendarbeit in Verbänden sowie Offenen Settings (Sturzenhecker 2012). Das Handbuch wurde als Referenzquelle ausgewählt, weil es sehr viele Autorinnen versammelt, die für die Schnittmenge des Feldes kultureller Bildung als maßgeblich und tonangebend in ihren jeweiligen Bereichen und Disziplinen angesehen werden. Obgleich das Handbuch auf sehr viele Teilbereiche verweist, blendet es andere aus (wie z. B. postkoloniale Zugänge und deren Autorinnen).

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nen überwiegend die außerschulische kulturelle Bildung repräsentieren (BKJ 2009, Braun/Schorn 2012: 131 ff.). Als „Grundprinzipien“ werden bezeichnet: 1. Bezug zu den Künsten 2. Prinzip der Stärkenorientierung 3. Interessenorientierung und Lebensweltbezug 4. Prinzip der Selbstwirksamkeit 5. Prinzip der Partizipation und Freiwilligkeit 6. Prinzip der Ganzheitlichkeit 7. Diversity-Prinzip (Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. 2012)10 Zwischen den Bildungsträgern formaler, d. h. schulischer und non-formaler, d. h. außerschulischer Bildung finden zahlreiche Kooperationen statt.11 Einschneidend für Entwicklungen der jüngeren Zeit waren für beide Bereiche die Ergebnisse der internationalen Schulleistungsstudie PISA (Programme for International Student Assessment) von 2001 der OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development). Sie lösten in der BRD einen Schock über das schlechte Abschneiden Deutschlands im internationalen Bildungsvergleich aus. Insbesondere der enge Zusammenhang von Bildungserfolg und sozioökonomischem Hintergrund des Elternhauses war Anlass für Diskussionen. Schule soll alle Kinder und Jugendlichen voraussetzungslos erreichen und ein „Ort der Gewährung (und Herstellung) von Chancengleichheit“ 10 | Es gibt verschiedene Fassungen der Grundprinzipien; im Vergleich zur Auflistung von 2009 ist die angegebene Fassung von 2012 stärker zusammenfassend und begrifflich erneuert (z. B . Diversity-Prinzip anstelle von „Vielfalt (er)leben“). Inwieweit einzelne Akteure in der Praxis diese (theoretischen) Prinzipien bewusst als solche kennen, wurde nicht erfragt. Im Kontext der vorliegenden Untersuchung gab es vonseiten der Projekte keinerlei Verweise auf sie, gleichwohl scheinen in der künstlerischen Arbeit einiger Dozentinnen viele der Punkte implizit auf. Dazu mehr im empirischen Teil der Arbeit (Teil IV) sowie in der Ergebnisdiskussion (Teil V). 11 | Kooperationsprojekte werden vielfach (als Modellprojekte) gefördert, wie z. B. Jeki  – Jedem Kind sein Instrument (das Nachfolgeprogramm in NRW heißt ab dem Schuljahr 2015/16 Jedem Kind Instrumente, Tanzen Singen (JeKits), vgl. JeKits-Stiftung), Tusch Theater und Schule, Tanz in Schulen, schule@museum, Kultur.Forscher!, Kulturagenten für kreative Schulen (vgl. Berghaus 2012: 419). Seit 2007 werden besonders gute Projekte in dem Wettbewerb Mixed Up der BK J und des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) prämiert. Sie sind vermehrt Gegenstand von Analysen (vgl. der Sammelband von Kelb 2014 oder der Artikel von Josties 2007) – auch in einer kritischen Rezeption der zumeist kurzfristig bzw. einmalig angelegten Projekte, vgl. Eickhoff 2010 und Berghaus 2012.

Teil II: Theoretische Grundlagen

sein (Vogt 2013: 486). Dass dies nicht der Realität entspricht, wurde durch die PISA-Studien empirisch belegt. Die dadurch entbrannten Diskussionen zu Chancengerechtigkeit und besseren Zugangsbedingungen führten zu einem Aufschwung der kulturellen Bildung: In der Folge waren in allen Ressorts der Jugend-, Bildungs- und Kulturpolitik Verbesserungen zu konstatieren (Bockhorst 2012: 350). Allerdings, so muss rückblickend gesagt werden, in zwiespältigem Maße, denn während die Ausgaben für die (langfristige) Grundversorgung im Kultur- und Sozialbereich über die Jahre sanken, wurden Fördermittel für kurzfristige Programme und Projekte aufgestockt. Die künstlerischen Fächer in der Schule sind z. B. zunehmend von hohem Ausfall betroffen (Deutscher Bundestag 2007-Bericht 2007: 377)12, während die außerschulische kulturelle Bildung nach wie vor Gelder erhält (z. B. das Programm Kultur macht stark, das ab 2018 in einer zweiten Förderperiode fortgesetzt wird). Der „Boom“ hält auch weit über ein Jahrzehnt nach PISA noch an (Reinwand 2012: 108). Damit einhergehend werden hohe Erwartungen in die kulturelle Bildung gesetzt und sie wird als Allheilmittel für alle möglichen Problemlagen gepriesen. Ein öffentlichkeitswirksames Beispiel, das diskursrelevant wurde, ist die Einschätzung durch die Enquête-Kommission des Deutschen Bundestags Kultur in Deutschland (Deutscher Bundestag 2007). Unter der Kapitelüberschrift „Bedeutung und Wirkung kultureller Bildung“ proklamierte sie die Hoffnung auf eine Vielzahl von Kompetenzen und zwar so allumfassend und verdichtet, dass die Beschreibung, was kulturelle Bildung vermag, geradezu unglaubwürdig klingt (z. B. eine allgemein bessere Gesundheit).13 Die Zweischneidigkeit der 12 | Das Grundproblem liege dabei vor allem darin, dass keine genauen Aussagen über den Unterrichtsausfall getroffen werden könnten, da keine empirisch belastbaren und repräsentativen Daten für alle Bundesländer vorlägen, wie die Autorengruppe Bildberichterstattung feststellt (2012: 180). Zudem differierten die Definitionen von Unterrichtsausfall, die angewandte Methodik der Untersuchungen etc. (vgl. Bellenberg/ Reintjes 2013 in Liebau 2015: 3). 13 | Im Wortlaut: „Eine ganzheitliche Bildung, die Musik, Bewegung und Kunst einbezieht, führt, wenn diese Komponenten im richtigen Verhältnis stehen, im Vergleich zu anderen Lernsystemen bei gleicher Informationsdichte des Unterrichts für den Lernenden zu höherer Allgemeinbildung. Gleichzeitig werden höhere Kreativität, bessere soziale Ausgeglichenheit, höhere soziale Kommunikationsfähigkeit, höhere Lernleistungen in den nichtkünstlerischen Fächern (Mathematik, Informatik), bessere Beherrschung der Muttersprache und allgemein bessere Gesundheit erreicht. Durch kulturelle Bildung werden grundlegende Fähigkeiten und Fertigkeiten erworben, die für die Persönlichkeitsentwicklung des jungen Menschen, die emotionale Stabilität, Selbstverwirklichung und Identitätsfindung von zentraler Bedeutung sind: Entwicklung der Lesekompetenz, Kompetenz im Umgang mit Bildsprache, Körpergefühl, Integrations- und Partizipationskompetenz und auch Disziplin, Flexibilität, Teamfähigkeit. […] Sie fördert soziale Hand-

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Darstellung ist offenkundig: Die Nennung und Beschreibung der kulturellen Bildung in diesem Dokument machte gewiss weithin auf die kulturelle Bildung aufmerksam und unterstrich ihre Bedeutung. Allerdings sind die zahlreichen Wirkungsbehauptungen kontraproduktiv, weil sie so sehr auf die Wirkung und den Output fokussiert sind – ohne diese empirisch belegen zu können –, dass der Wert kultureller Bildung an sich aus dem Blick gerät. Die Auflistung zeigt aber auch, wie stark sich durch die Debatten um PISA der Legitimationsdruck erhöhte und verschärfte und in der Folge die Forschung zur kulturellen Bildung ihre Relevanz stärker durch Studien unter Beweis zu stellen suchte.14 Bezüglich des Bildungsauftrags von Schule im Kontext kultureller Bildung stellt die Enquête-Kommission fest, dass die kulturelle Bildung in der Schule ein „Umsetzungsproblem“ (Deutscher Bundestag 2007: 384) habe. Durch den nicht nur im Enquête-Bericht erhobenen Befund, dass Schule die Teilhabe an kultureller Bildung aus verschiedenen Gründen nicht gewährleisten könne, erhält die außerschulische kulturelle Bildung die Aufgabe, hier anzusetzen und auszugleichen. Diese Argumentation zieht sich bis in aktuelle Diskussionen um kulturelle Teilhabe hinein (z. B. Liebau 2015: 3): Die außerschulische kulturelle Bildung wird als Mittel zur Teilhabe und gegen Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen empfohlen  – und die Hoffnungen und Versprechungen werden dadurch weiterhin genährt.15

lungskompetenz und Teilhabe und qualifiziert den Menschen für neue gesellschaftliche Herausforderungen: Indem kulturelle Bildung die Möglichkeit bietet, sich interkulturelle Kompetenzen anzueignen, fördert sie die Verständigung zwischen Kulturen im In- und Ausland, baut Vorbehalte von Kindern und Jugendlichen vor dem ‚Fremden‘ ab und verbessert die gegenseitige Akzeptanz in hohem Maße.“ (Deutscher Bundestag 2007: 379, Kapitel 6: Kulturelle Bildung). 14 | Zu nennen ist vor allem die Transferforschung, d. h . Studien, die Kompetenzen, die für andere Fächer von Belang sind, fokussieren (vgl. Rittelmeyer 2012). Ebenso sind die damit in Zusammenhang stehenden und im deutschen Kontext nach PISA zunehmend rezipierten internationalen Vergleichsforschungen zu nennen, die z. T. auch Wirkungsforschungen beschreiben wie von Deasy 2002, Bamford 2006 und Winner et al. 2013. Der Bedeutungszuwachs kultureller Bildung und der fachliche Austausch nimmt auch durch die UNESCO Weltkonferenzen (Lissabon 2006, Seoul 2010) zu, z. B. durch das International Research Network on Arts Education (INRAE) sowie deren kritische Begleitung einer Another Roadmap for Arts Education seit 2011. 15 | Diese Hoffnungen lassen sich z. B. auch an den Aktivitäten und Projekten kultureller Bildung ablesen, die für geflüchtete Menschen seit dem Herbst 2015 initiiert wurden; als Sammelpunkt für einen Überblick zu Projekten, Positionen, Publikationen, Förderungen und Veranstaltungen, vgl. Ziese/Gritschke 2016.

Teil II: Theoretische Grundlagen

1.2.2 Kontext: TeilHabeNichtse In diesem Begründungszusammenhang werden Kinder und Jugendliche in den Blick genommen, die Ausschlüsse und Benachteiligungen stärker erfahren als andere, von Jens Maedler als „TeilHabeNichtse“ bezeichnet (Maedler 2008). Eingeschränkte oder verweigerte Teilhabe kann z. B. erfolgen „durch Armut, durch Rassismus, durch gewaltsame Beeinträchtigung oder durch Stigmatisierung von Menschen mit Handicaps“ (Treptow 2012: 806), wie Rainer Treptow skizziert. Dabei wird durch die Bezeichnung Benachteiligung oder Beeinträchtigung bzw. benachteiligende Lebenslagen oder Milieus16 deutlich gemacht, dass es sich um strukturell-dauerhafte Kontexte handelt, nicht um Ausgrenzungen von kurzer Dauer (ebd.). Für die Charakterisierung von kulturellen Angeboten für Benachteiligte sind Intentionen und Begründungen ebenfalls von Bedeutung, wie Treptow ausführt: Im Unterschied zu selbstorganisierten Aktivitäten – Kinder, die malen, Jugendliche, die Bands gründen – sind es hier zielgerichtete Maßnahmen kulturell Schaffender, die ihr Engagement teils ethisch-moralisch, teils sozialpädagogisch, teils (semi-)therapeutisch begründen. (Treptow 2012: 805)

Diese „Maßnahmen“ sind Bildungsmaßnahmen, die sozial(-pädagogisch) untermauert sind und als solche durchaus ein „Spannungsfeld zwischen Kunst und [Sozial-]Pädagogik“ (Hill 2012: 742) ergeben, denn: Beim Einsatz künstlerisch-kreativer Gestaltungsformen geht es [in diesen Kontexten] selten isoliert um den ästhetischen Ausdruck, sondern überwiegend um die Kommunikation in sozialen Beziehungen und im sozialen Raum. Dafür steht konzeptionell der Begriff „Soziale Kulturarbeit“. (Hill 2004: 145 f.)

16 | Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beruft sich bei der Definition der sogenannten Bildungsbenachteiligten auf den Nationalen Bildungsbericht von 2010. Dazu werden gezählt: Kinder aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil arbeitslos ist; mit einem Wohnort im ländlichen Raum oder in einem Stadtteil, der als sozialer Brennpunkt eingestuft wird; aus bildungsfernen oder einkommensschwachen Familien; Kinder, die bei Alleinerziehenden leben sowie aus Familien mit Migrationshintergrund (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010). Bei diesen Bezeichnungen ist es wichtig, auf die „kategoriale Etikettierung“ (Josties 2015: 205) hinzuweisen, die sehr häufig Zuschreibungen vornimmt: Kinder (und Jugendliche) werden ganz generell und ausschließlich als „Bildungsferne“ oder „Benachteiligte“ bezeichnet. Vgl. auch den Übersichtsartikel von Ellinger zu benachteiligenden Lebenssituationen und Milieus (Ellinger 2013).

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Das Spannungsfeld ist von elementarer Bedeutung für die vorliegende Arbeit, weshalb ich Bezug auf zentrale Diskursstränge der Sozialen Kulturarbeit nehme.17 Der Begriff der Teilhabe verweist auf diesen Zusammenhang und mit ihm der Legitimationsanspruch vieler Projekte. Die Relevanz sozialer Aspekte für kulturelle Teilhabe zeigt sich in der Förderstruktur kultureller Bildung. Ein wesentlicher Fördermittelgeber ist beispielsweise der Fonds Soziokultur e. V., der befristete Vorhaben mit Modellcharakter fördert und „sowohl ästhetische und kommunikative als auch soziale Bedürfnisse und Fähigkeiten aller BürgerInnen aufgreifen und erweitern“ will (vgl. Fonds Soziokultur, Homepage, Unsere Ziele, s. Anhang Teil VII, 2.1). Weiterhin gibt es diverse Förderprogramme, die diese sozial ausgerichtete Form der kulturellen Arbeit stärken wollen, allen voran das bundesweite und aktuell größte Förderprogramm außerschulischer kultureller Bildung in Deutschland, Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung des BMBF. Die Ziele des Programms werden auf der Homepage wie folgt zusammengefasst: • bildungsbenachteiligte Familien erreichen • Bildungschancen eröffnen • gesellschaftliches Engagement stärken: eine neue soziale Bewegung für gute Bildung anstoßen, dadurch ehrenamtliches und bürgerliches Engagement stärken und die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für die Zukunft der jungen Generation schärfen • lokale Zusammenarbeit verbessern: die tragfähige Vernetzung unterschiedlicher Bildungsakteure auf lokaler Ebene fördern (BMBF o. J.) Der bildungsbetonende und normative Duktus, der die Künste selbst wenig in den Blick nimmt, zeigt die Zielsetzung des Programms klar auf: Mithilfe kultureller Angebote sollen Bildungsungerechtigkeiten abgebaut und Teilhabe ermöglicht werden, denn: „Kulturelle Bildung wirkt“ (ebd.), wie ein Absatz in der Selbstdarstellung des Programms überschrieben ist. Benedikt Sturzenhecker hat herausgearbeitet, dass in diesem Programm strukturelle Ursachen von Bildungsarmut außer Acht gelassen würden und Schule nicht als „Miterzeugerin“ von Bildungsungerechtigkeiten thematisiert werde, sondern kulturelle Bildung durch das BMBF-Programm „kompensatorische Funktionen“ erhalte und „ohne ein Bewusstsein von Brüchen und Widersprüchen annektiert und 17 | Auf die Diskussionen um die Unterscheidung in sozialpädagogische Projekte bzw. Projekte der Sozialen Kulturarbeit, die künstlerische Ausdrucksformen verwenden und solchen, die sich in erster Linie als ästhetisch-künstlerische Projekte verstehen und soziale Aspekte einbeziehen, wird hier nicht näher eingegangen. Sie verweisen aber auf unterschiedliche Disziplinen und damit auf unterschiedliche Rahmenbedingungen (vgl. z. B . Josties 2013: 356 f., Hill 2012).

Teil II: Theoretische Grundlagen

damit für die staatliche Programmatik umfunktioniert“ werde (Sturzenhecker 2014). Es stellt sich die Frage, in welchem Bezug kulturelle Teilhabe zu kultureller Bildung steht: Ist kulturelle Teilhabe Voraussetzung oder Ziel von kultureller Bildung? Ist kulturelle Bildung ein Mittel zum Zweck, wenn andere Ziele als der künstlerische Eigensinn und Eigenwert, wie im Programm Kultur macht stark, im Vordergrund stehen? Findet also eine Funktionalisierung der Künste statt, weil anstelle (bildungs-)politischer Veränderungen (etwa im Schulsystem) ausschließlich ein sozialer Legitimationsdiskurs vertreten wird, wie Carmen Mörsch in der Publikation Zeit für Vermittlung (2012) ausführt? Als […] Kritik an dieser Legitimation für Kulturvermittlung wird vorgebracht, dass „kulturelle Teilhabe“ häufig an die Stelle realer politischer Mitbestimmung tritt und Kulturprojekte eher zur Beruhigung und Dekoration und nicht zur Bekämpfung von Problemen dienen. Damit ersetzen sie etwa teurere oder kontroversere politische Eingriffe wie Gesetzesänderungen oder die Umverteilung von Ressourcen. (Mörsch 2012: 148)

Treptow bezeichnet dies als „Doppeldeutigkeit“, da kulturelle Bildung einerseits einen Beitrag leisten solle, soziale Ausgrenzung zu erkennen und zu verringern (Treptow 2010: 42), andererseits komme eine kritische Lesart aber nicht umhin, auch nach dem Anteil kultureller Bildung an der Entstehung sozialer Ausgrenzung zu fragen (ebd.): Kann es nicht sein, dass die Kulturarbeit in eine Kluft zu ihren eigenen Absichten und Selbstverständnissen geraten kann und soziale Ausgrenzung mit befördert, mindestens soziale Ungleichheit reproduziert? (Treptow 2010: 42)

Er verweist damit auf die wichtigen Forschungen des Soziologen Pierre Bourdieu zu Kultur als Distinktionsmerkmal, ein sich über die verschiedenen Kapitalsorten und den Habitus selbst reproduzierendes System zur Gewinnung und Erhaltung sozialer Anerkennung.18 Damit zeigt Treptow auf, dass die komplexen Exklusions- und Inklusionslogiken der verschiedenen gesellschaftlichen Teilsysteme wie Politik, Wirtschaft, Soziales, Bildung etc. nicht durch Kulturprojekte ausgehebelt werden können. Kulturarbeit solle und könne nicht die Versäumnisse anderer Teilsysteme ausgleichen. Dadurch entstehe eine „Kulturalisierung sozialer Probleme“ (Treptow 2010: 46), weil eine wie auch immer definierte Kultur Verantwortung übernehmen solle für soziale Probleme: Kulturprojekte könnten zwar Strukturprobleme aufzeigen, sie aber nicht ursächlich lösen – denn Kulturarbeit solle nicht „zur Trägerin einer im Kern ideologischen Zuweisung von Inklusionsaufgaben“ (ebd.) werden. 18 | Dies wird erneut aufgegriffen im Kapitel zum normativen Kulturbegriff (Teil II/2.1).

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In der vorliegenden Arbeit wird der Blick nicht allgemein auf Kinder und Jugendliche aus sozial-ökonomisch benachteiligenden Lebenslagen oder auf Kinder und Jugendliche mit Behinderungen gerichtet,19 sondern auf Kinder und Jugendliche, die aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit an Projekten teilnahmen. Damit fokussiert die Untersuchung Kontexte, die zumeist als multi-, inter- und transkulturelle Settings beschrieben werden, wie im Kapitel zur Transkulturalität ausgeführt wird (vgl. Teil II/3.).

1.2.3 Kontext: Musik und Teilhabe Der Diskurs um Teilhabegerechtigkeit für Kinder und Jugendliche wird in musikspezifischen Disziplinen bislang nur vereinzelt geführt.20 Für die kulturelle Bildung lieferten in erster Linie das Projekt und der Film Rhythm Is It! You can change your life in a dance class entscheidende Impulse. Im Jahr 2003 erarbeiteten die Berliner Philharmoniker das Musikvermittlungsprojekt zu Igor Stravinskys Ballett „Le Sacre du Printemps“.21 Bis dahin in Deutschland noch wenig vertreten, fand das Projekt viele Nachahmer, und in vielen Konzerthäusern wurden Abteilungen für Konzertpädagogik eingerichtet;22 freilich zumeist als Kür und nicht als Pflichtprogramm. Die Berliner Philharmoniker öffneten nicht nur ihre Vermittlungsabteilung und ihren Spielplan verstärkt für Projekte kultureller Bildung mit verschiedenen Zielgruppen, etwa Gymnasiasten 19 | Vgl. dazu z. B. das Workbook Meine Art – Deine Art. Inklusion und Empowerment in der kulturpädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen (Ameln-Haffke et al. 2010). 20 | Vgl. Busch/Kranefeld (2012: 145), die für die Musikpädagogik nur einen Artikel von Jürgen Vogt zu Gerechtigkeit und Musikunterricht (2009) ausmachen. Der Artikel zu Fragen der Teilhabegerechtigkeit von Busch/Kranefeld selbst (zum Programm Jeki) erschien im Sammelband Soziale Inklusion als künstlerische und musikpädagogische Herausforderung (Greuel/Schilling/Sandvoß 2012). Auch die weiteren dort erschienenen Artikel von Mogge-Grotjahn, von Merkt (Inklusion von Menschen mit Behinderungen) und von Keden (zu einem Projekt inklusiver Musikvermittlung) stehen für die Auseinandersetzung in der Musikpädagogik. Im Kontext der Sozialen Arbeit ist die Verknüpfung von Musik und Teilhabe hingegen eine Konstante (vgl. Hartogh/Wickel 2004, Hill/Josties 2007). 21 | Initiiert und geleitet wurde es von dem damaligen Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker, Sir Simon Rattle, und von dem Choreografen Royston Maldoom (vgl. Dokumentarfilm Rhythm Is It! von Grube/Lansch 2004). 22 | In Anlehnung an die in den USA und Großbritannien bereits wesentlich früher verbreitete Form der Musikvermittlung an und in Konzerthäusern finden sich viele Anglizismen in den Namen der Abteilungen, wie auch insgesamt der Begriff der Education- und Outreachprojekte verdeutlicht (vgl. Mertens 2012: 554, Wimmer 2010).

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und Grundschüler, sondern arbeiteten darüber hinaus dezidiert mit sogenannten Brennpunktschulen.23 Medial rezipiert wurde dies in starken Gegensätzen: Hochkultur trifft Brennpunktschule, Weltklasse-Musiker von höchster Professionalität und Disziplin treffen auf Problemkinder und Laientänzer.24 Die Gegenüberstellung von Hochkultur (als Synonym für die Gebildeten) und Bildungsfernen (als Synonym für das Klientel von Sozialpädagogen) ruft ein „vergleichweise grosses [sic] öffentliches Interesse an Vermittlungsprojekten mit sozialem Legitimationsanspruch“ (Mörsch 2012: 147) hervor und ähnelt der Argumentation, dass Kunst ein für alle Menschen wichtiges Bildungsgut sei (vgl. Mörsch 2012: 144 f.). In der musikpädagogischen Auseinandersetzung mit Benachteiligung und Teilhabe im Kontext von Kultur- und Musikpädagogik zeigt Vogt (2013) anhand verschiedener Gerechtigkeitstheorien auf, dass Teilhabe an musikalischer (musikbezogener) Kultur dadurch ermöglicht [würde], dass alle Kinder und Jugendlichen an gesellschaftlich relevante musikalische Praxen herangeführt werden und die notwendigen musikalischen Kompetenzen (= musikalischen Umgangsweisen) erwerben, die für die erfolgreiche Teilnahme an diesen Praxen notwendig sind. (Vogt 2013: 487)

Damit ist allerdings „noch recht wenig gewonnen“ (ebd.), denn Teilhabe bleibt zu unbestimmt: Woran, wie viel, für wen? Vogt stellt fest, dass Benachteiligung in kulturpädagogischen Diskursen25 als „Ausgrenzung von Jugendlichen 23 | Dies ist auf die Arbeitsweise des Choreografen Maldoom zurückzuführen, der seine tanzpädagogische Arbeit häufig im sozialen Bereich ansiedelte und als Mitbegründer der Community-Dance-Bewegung gilt. Die durch Rhythm Is It! zunehmenden Aktivitäten in der BRD, z. B . Tanz als Schulfach zu etablieren und strukturelle Veränderungen einzuleiten, konnten in den Folgejahren nicht umgesetzt werden; es gibt allerdings weiterhin zahlreiche Modellprogramme wie etwa Chance Tanz als Tanzprogramm von Kultur macht stark. 24 | Bezogen auf die stilisierte Verkürzung von sogenannten „Problemkindern“ hält der Choreograf Maldoom entgegen: „I do not work with problem kids. I work with kids who have problems – and I have never seen a kid without a problem.“ (Maldoom in einer Rede auf dem Tanzkongress, Berlin 2006, zit. n. Foik 2008: 41). Er verweist darauf, dass ihm die Frage ob seine Arbeit nun Kunst oder Sozialarbeit sei, ausschließlich in Deutschland gestellt werde (Foik 2008: 9). 25 | Vogt argumentiert aus einer musikpädagogischen Perspektive und nutzt, wie auch die Herausgeber des Sammelbandes, in dem der Artikel von Vogt erschien, den Terminus Kulturpädagogik für Tätigkeiten und Aktivitäten, die auch in den Bereich kultureller Bildung fallen, etwa die Schnittstelle von Kulturpädagogik und Sozialer Arbeit (vgl. Vogt 2013: 486).

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von der Teilhabe an bestimmten Formen musikalischer Praxis“ (Vogt 2013: 486, Hervorhebung im Original) diskutiert wird und schlussfolgert, dass es sich dann um eine kulturpädagogisch relevante Benachteiligung handelt, wenn Kindern und Jugendlichen „bewusst oder unbewusst die Teilhabe an bestimmten musikalischen Praxen verweigert würde“ (ebd. 486).26 Inwieweit genau diese Benachteiligung in der Praxis kultureller Bildungsprojekte für Roma-Kinder und -Jugendliche festzustellen ist, wird im Hauptteil (Teil IV) zu sehen sein.

2. B edeutungsvarianten des K ulturbegriffs „Kultur ist ubiquitär.“ (D iehm 2010: 67)

Wovon sprechen wir, wenn wir von Kultur sprechen? Kultur ist der erste theoretisch und definitorisch zu untersuchende Begriff, da er im allgemeinen Sprachgebrauch wie auch in den untersuchten Projekten sehr vielfältig und dabei für Unterschiedlichstes verwandt wird – Kultur ist ein „catch-all Konzept“ (Nassehi 1997), ein Container-Begriff (Beck 1997: 49 ff.), weil er als Erklärung, Begründung und Legitimation für alle möglichen Dinge gebraucht und als „Kampf begriff“ (Diehm 2010: 68 ff.) in Stellung gebracht wird. Er ist für die vorliegende Arbeit relevant, weil seine heterogenen und häufig intransparenten Verwendungsweisen eine Vermischung von Ebenen und einen unpräzisen Gebrauch nach sich ziehen, die zu unterschiedlichen Erwartungen und Erklärungsmustern führen können. Dadurch, dass sich die untersuchten Projekte auf den Begriff Kultur beziehen, scheinen sie komplex 26 | Vogt geht detailliert auf die Gerechtigkeitstheorien ein und arbeitet für die Anerkennungsgerechtigkeit nach Axel Honneth und Iris Marion Young heraus, dass mangelnde Anerkennung von z. B. musikalischen Praxen zu einer „Entwürdigung von Gruppen und Individuen sowie zu einer Entsolidarisierung“ führen könne, die potentiell soziale Konflikte nach sich zögen (Vogt 2013: 497): „Dies wäre z. B. der Fall, wenn die bei Kindern und Jugendlichen vorliegenden musikbezogenen Fähigkeiten und Eigenschaften, die sie in unterschiedlichen Praxen außerhalb der Schule erworben haben, im Schulunterricht ignoriert oder sogar negativ bewertet würden, da dort andere Praxen präferiert werden. […] Verweigerte Anerkennung heißt hier, ‚zu erfahren, wie durch die in unserer Gesellschaft herrschenden Werte die besondere Perspektive einer Gruppe unsichtbar gemacht und wie zugleich die eigene Gruppe stereotypisiert und als das Andere gekennzeichnet wird‘“ (Young 2002: 439, zit. n. Vogt 2013: 498). Diese „subtile[n] Formen der Nicht-Anerkennung“ (vgl. ebd.) spielen in den untersuchten drei Projekten der vorliegenden Arbeit eine bedeutsame Rolle, wie in Teil IV aufgezeigt wird.

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und vielschichtig und nicht mehr greif bar, insbesondere wenn die Verwendungen des Begriffs Kultur unterschwellig und/oder teilweise unbewusst geschehen und nicht offen thematisiert und reflektiert werden, aber gleichwohl wirkmächtig sind. Das Feld, in dem die untersuchten Projekte sich verorten, ist noch vor dem Bildungsbereich das Feld der Kultur. Doch was genau wird von den Projekten selbst und von der sie umgebenden Öffentlichkeit unter Kultur verstanden? Werden die Projekte als kulturell bezeichnet, weil das gewählte Gestaltungsmedium – in diesem Fall die Musik – ein ästhetisches ist und als solches gemeinhin zur Kultur gezählt wird? Bezeichnet der Begriff folglich die Künste und findet damit ein sogenannter enger Kulturbegriff Verwendung? Oder aber ist mit Kultur die spezifische Lebensweise einer ethnischen Gruppe – wie in der vorliegenden Arbeit die der Roma – gemeint? Möglicherweise wird damit auch auf die Unterscheidung von Natur und Kultur verwiesen bzw. auf die „menschliche Praxis überhaupt“ (Fuchs 1990: 83) und folglich ein weiter Kulturbegriff zugrunde gelegt. Der Kulturbegriff ist ein Konglomerat verschiedener Bedeutungsebenen, die normalerweise nicht offen zutage treten. Seine unterschiedlichen Varianten und Verwendungsweisen spielen jedoch, meist implizit, in den Konzepten, der Durchführung und der Wahrnehmung der untersuchten Projekte eine wichtige Rolle. Deshalb habe ich eine Ausdifferenzierung des Kulturbegriffs erarbeitet, um die verschiedenen theoretischen Bezüge darzulegen und somit sichtbar und verständlich zu machen, welche geistesgeschichtlichen Traditionslinien den Hintergrund bilden. Die Unterscheidung der verschiedenen Varianten scheint unabdingbar, weil die implizite Verwendung zu unterschiedlichen Erwartungen, Fehlkommunikation und Missverständnissen führen kann. Sie ist somit Grundlage für die Analyse der begleiteten Praxisprojekte wie auch ein Teilergebnis der Arbeit und kann generell für die Analyse kultureller Bildungsprozesse fruchtbar gemacht werden. Neben der häufig auftauchenden, aber wenig differenzierten Unterscheidung in einen engen und weiten Kulturbegriff27 folge ich der historisch-systematischen Einteilung in vier Varianten. Diese Einteilung wird sowohl von Fuchs vertreten (1998, 1999 und weitere Publikationen) als auch von Reckwitz dargelegt, z. B. 2004 im Handbuch der Kulturwissenschaften.28 Auch wenn sich die Einteilungen unterscheiden, sind doch die groben Unterscheidungen 27 | Eine Bewertung dieser Unterscheidung nimmt der Literaturwissenschaftler Eagletons vor, wonach „wir im Augenblick zwischen einem entmutigend weiten und einem quälend engen Kulturbegriff gefangen sind und es unser vordringlichstes Ziel auf diesem Gebiet sein muß, über beide hinauszugelangen.“ (Eagleton 2001: 48). 28 | Entwickelt und das erste Mal vorgestellt hat Reckwitz diese Typologie des Kulturbegriffs bereits 2000.

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vergleichbar, sodass sie im Folgenden gemeinsam für diese Arbeit genutzt werden. Das erscheint deshalb sinnvoll, weil damit zwei analytische Diskurse einbezogen werden können, die in verschiedenen, gleichermaßen für die Arbeit bedeutsamen Disziplinen auftauchen: im Feld der kulturellen Bildung und Kulturpädagogik (Fuchs) sowie in einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Soziologie (Reckwitz). In beiden Diskursen wird der Kulturbegriff in den vier Varianten ausdifferenziert. Die Entstehung und Verbreitung des modernen Kulturbegriffs verorten Reckwitz (z. B. 2004: 3) und Fuchs (z. B. 2011: 11) in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Reckwitz unterscheidet zwischen den folgenden vier Varianten: a) dem normativ-bürgerlichen, b) dem differenzierungstheoretischen, c) dem ethnisch-holistischen oder totalitätsorientierten und d) dem bedeutungsorientierten Kulturbegriff (Reckwitz 2004: 3ff.); ich übernehme die Begriffsvorschläge und verknüpfe sie mit denjenigen von Fuchs, ändere jedoch Reckwitz’ Reihenfolge, weil sich so die Verwendungsweisen im vorliegenden Kontext besser voneinander ableiten bzw. einander gegenüberstellen lassen. Die Grundlage aller Bedeutungsvarianten des Begriffs Kultur ist die in der Antike entstandene Unterscheidung zwischen der Urbarmachung und Pflege des Bodens, also dem Ackerbau, der agricultura, und, darauf auf bauend, aber unterscheidend, die Pflege des menschlichen Geistes, die cultura animi, wie Cicero den Begriff im Sinne einer Bildung prägte.29

2.1 Der normative Kulturbegriff Der erste nach Reckwitz unterscheidbare Typus ist ein normativer Kulturbegriff, der auf die Unterscheidung zwischen Kultur und Natur rekurriert, indem die Verwendungsweise der Antike aufgegriffen und umgestaltet wird, sodass die Verwendung sich nicht mehr nur auf das Individuum, sondern auf ein Kollektiv bezieht. In diesem Verständnis ist Kultur eine erstrebenswerte Lebensweise, über die, kurz und knapp formuliert, im Sinne von gut und schlecht geurteilt werden kann. Im 18. und 19. Jahrhundert entwickelt sich in Deutschland dieses moderne Begriffsverständnis und beschreibt die Lebensweise einer Gruppe in Abgrenzung zu einer anderen. Mit diesem Verständnis untrennbar verbunden, entwickelte sich die Bewertung als normativer Maßstab dieser Lebensweise (Reckwitz 2004: 4). Die Maßstäbe dessen, was als Kultiviertheit und was als ihr Gegenteil bewertet wird, treten zwar als allgemeingültig auf, entsprechen aber der bürgerlichen Kultur. Durch die historischen, gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen in Deutschland erhielt die Kultur im Bürgertum eine identitätsstiftende Funktion und „Kunst und Kultur 29 | Vgl. Bérardi im Rückgriff auf Hannah Arendt (Bérardi 2002: 15) und Meyer-Drawe 2004: 602.

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[fungierten] durchaus als Politikersatz“ für das „politisch erfolglose Bürgertum“ (Fuchs 1999: 218).30 Die stilisierte Autonomie der Künste wird zum „Moment der Emanzipation des Bürgertums“ (ebd.). Daran anknüpfend sind die Analysen des Soziologen Bourdieu relevant, weil dieser mit dem Begriff des Habitus eine wichtige Beschreibungskategorie eingeführt hat, die im Zusammenhang mit der normativ-bürgerlichen Verwendung des Kulturbegriffs bis in die nachbürgerliche Gegenwart des 21. Jahrhunderts hinein nach wie vor wirkmächtig ist. Kultur im normativen Sinne verweist auf das, was als erstrebenswert gilt, was sein soll. In einer weiteren normativen Verwendung des Begriffs argumentiert Fuchs normativ-anthropologisch, dass das Konzept eine „Lebensweise nicht ungewertet hinnimmt, wie sie nun einmal ist, sondern […] Ansprüche wie ‚Menschenwürde‘ […] einklagt“ (Fuchs 1999: 220, Hervorhebung im Original). Damit ist Kultur nach Fuchs „human gestaltete“ Lebensweise (ebd., Hervorhebung im Original). Die Kenntnis des normativ-anthropologischen und normativ-bürgerlichen Verständnisses des Kulturbegriffs ist wichtig, um zu erkennen, wann und für welche Zwecke diese Argumente in Projekten kultureller Bildung eingesetzt werden. So findet sich beispielsweise immer wieder die Argumentation, dass es notwendig und sinnvoll sei, Kindern und Jugendlichen die sogenannte (musikalische) Hochkultur, d. h. einen bestimmten als wertvoll erachteten Kanon nahezubringen. Die normativ-anthropologische Verwendung scheint auch auf, wenn die Menschenrechte als verbrieftes Recht auf Teilhabe angeführt werden.31

2.2 Der differenzierungstheoretische Kulturbegriff Der bei Reckwitz als dritte Variante – hier als zweite Variante beschrieben – und als differenzierungstheoretischer Kulturbegriff charakterisierte Typus ist im Prinzip ein enger Kulturbegriff. Er „bedient sich aus der Erbmasse des normativen Kulturbegriffs“ (Reckwitz 2004: 6), nimmt aber – im Gegensatz zum ethnisch-holistischen Kulturverständnis  – keine Ausdehnung, sondern eine Verengung vor: Kultur bezeichnet nun nicht mehr eine ganze Lebensweise oder die Gesamtheit aller Tätigkeiten einer Gruppe, sondern fokussiert 30 | Fuchs bezieht sich hierbei auf den Historiker Nipperdey, der in seiner Geschichte des 19. Jahrhunderts aufzeigt, dass „die Entwicklung einer nationalen Identität […] hier [in Deutschland] nicht durch Revolutionen oder durch sonstige politische oder militärische Erfolge, sondern auf kulturellem Wege“ (Fuchs 1999: 218) gelang. Als „romantischen Nationalismus“ (Nipperdey zit. in Fuchs, ebd.) bezeichnet Nipperdey diese Suche nach einer nationalen Identität. 31 | Vgl. Teil II/4. zum Begriff der kulturellen Teilhabe.

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die Kunst, die Bildung und die Wissenschaft einer „modernen Gesellschaft, [die] sich auf intellektuelle und ästhetische Weltdeutungen spezialisiert [hat]“ (ebd.). Der normativ-bürgerliche und der differenzierungstheoretische Kulturbegriff lassen sich auch als ein Verständnis auffassen, das sich ausdifferenziert: Für Reckwitz besteht der „semantische Zwischenschritt“ in der Transformation des normativen Verständnisses in eine deskriptive „Identifikation von Kultur und bürgerlicher ‚Hochkultur‘“ (ebd.), wie bei den Ausführungen zum normativ-bürgerlichen Kulturverständnis bereits aufgezeigt. Reckwitz bezeichnet diesen Typus auch als funktionalen Kulturbegriff, weil Kunst und Wissenschaft nicht mehr als Ausdruck der Hochkultur verstanden werden, sondern „als ein spezialisiertes soziales System, das zum Bestand der modernen Gesellschaft bestimmte funktionale Leistungen erbringt“, sie sind Kultur (Reckwitz 2004: 6).32 Als wiederum deutsche Variante hat sich diese Gleichsetzung von Kunst als Kultur im landläufigen Sprachgebrauch in Deutschland im Rückgriff auf Kant und die Unterteilung in Kultur und Zivilisation etabliert. Dieses Kulturverständnis und die implizite Gleichsetzung, teilweise gepaart mit dem normativ-bürgerlichem Verständnis und seinen wertenden Hierarchisierungen, liegen dem Diskurs häufig zugrunde. Die Gleichsetzung führt z. B. zu Konsequenzen bei der Wahl des Repertoires und des Aufführungsortes, aber auch bei der Verwendung bestimmter Schlüsselwörter in Anträgen. Damit einhergehend ist auch ein Qualitätsdiskurs angesprochen, mit dem wertende Aussagen zur künstlerischen Praxis getroffen werden, die dann entweder als künstlerisch wertvoll anerkannt oder aber abgelehnt werden, weil sie dem künstlerischen Anspruch der Betrachterinnen nicht genügen. Statt künstlerischer Kriterien werden dann z. B. sozialpädagogische Ziele hervorgehoben bzw. an diese Stelle gesetzt.

2.3 Der ethnisch-holistische oder totalitätsorientierte Kulturbegriff Im Gegensatz zum engen Kulturbegriff beschreibt die dritte Variante ein weites Verständnis von Kultur. Kultur ist „Lebensweise schlechthin: Kultur ist, wie der Mensch lebt und arbeitet.“ (Fuchs 1999: 220) Zugrunde liegt das altgriechische Wort „Ethnos“ in der Bedeutung von „Volk“ (Gemoll 1991: 241), mit dem deskriptiv, aber nicht normativ die Gesamtheit einer spezifischen Lebensweise einer Gruppe im Unterschied zu einer anderen gemeint ist. Darunter wird hier eine Gemeinschaft, ein Volk, eine Nation oder ein Kulturkreis verstanden, der bzw. die sich über Abstammung definiert. Der Kulturbegriff eignet sich dementsprechend für den Vergleich von verschiedenen Kulturen, 32 | Vgl. dazu die Soziologie Talcott Parsons.

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weshalb der Begriff im Plural verwendet wird. Als holistisch kann er bezeichnet werden, da er die Vielfalt menschlicher Praxen einschließt und diese zueinander in Beziehung setzt: Kultur bezeichnet die Art und Weise, wie der Mensch in einer bestimmten Gemeinschaft zu einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Lebensumfeld lebt. Reckwitz bezeichnet die Gesamtheit menschlicher Lebensweisen als Totalität und fasst in Gegenüberstellung zum normativen Kulturbegriff zusammen: „Der totalitätsorientierte Kulturbegriff entuniversalisiert das Kulturkonzept, er kontextualisiert und historisiert es.“ (Reckwitz 2004: 5) Für die vorliegende Untersuchung ist die Erarbeitung des ethnisch-holistischen Kulturbegriffs aus zwei Gründen besonders notwendig: Zum ersten, weil die Projekte explizit einen ethnischen Bezugsrahmen wählen und sich damit selbst ethnisch konstruieren und labeln. Der zweite Grund liegt darin, dass er fast immer für Identitätskonstruktionen im Sinne einer Dichotomie von einem kulturellen Wir und kulturellen Anderen verwendet wird. Ethnizität spielt bei Mechanismen von Empowerment und Othering eine wichtige Rolle. Der ethnisch-holistische Kulturbegriff ist zudem beim Rückgriff auf historische Bezüge für das Konzept der Transkulturalität (Teil II/3.) von Bedeutung. Meist wird auf Johann Gottfried Herder als wichtigem Wegbereiter des ethnisch-holistischen oder totalitätsorientierten Kulturbegriffs zurückgegriffen (Fuchs 2011: 12, Reckwitz 2004: 5). Im Zuge der romantischen Suche und der Neukonzeptionierung eines homogenen Volkes und eines Nationalgefühls brachte er diesen Kulturbegriff auf den Weg: Die Kultur eines Volkes ist die Blüte seines Daseins, mit welcher es sich zwar angenehm, aber hinfällig offenbaret. Wie der Mensch, der auf die Welt kommt, nichts weiß; er muß, was er wissen will, lernen: so lernt ein rohes Volk durch Übung für sich oder durch Umgang von anderen. Nun hat aber jede Art der menschlichen Kenntnisse ihren eignen Kreis d. i. ihre Natur, Zeit, Stelle und Lebensperiode. (Herder 1989: 571, Hervorhebung im Original)

Herder setzt die Kultur eines Volkes gleich mit ihren sprachlichen und territorialen Grenzen. Er versteht Kulturen als Kugeln gegenüber anderen Kugeln, die sich gegenseitig abstoßen und erklärt: „jede Nation hat ihren Mittelpunkt der Glückseligkeit in sich wie jede Kugel ihren Schwerpunkt“ (Herder 1967: 44 f., Hervorhebung im Original). Damit wird die „‚unvergleichliche‘ Individualität“ (Reckwitz 2004: 5, Hervorhebung im Original) einer Gruppe33 hervorgehoben, um Stärken und Schwächen einer jeden Nation aufzuzeigen. Herders Kulturbegriff scheint auf den ersten Blick zwar nicht normativ, weil er Kulturen als unvergleichlich konzipiert. Dennoch ist auch im Herder’schen Kulturverständnis 33 | Aber durchaus auch des Subjektes, wie Auernheimer nachweist (2013: 152).

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eine normative Konnotation enthalten, da die Kugeln ihren Maßstab in sich selbst tragen und damit für die jeweilige Kultur eine Norm festgelegt werde, so Reckwitz (ebd.). Herder insistiert auf der „Einheit des Menschengeschlechts“ (Auernheimer 2013: 168), einer Einheit in der Vielfalt, womit er „die zu seiner Zeit übliche teleologische und eurozentrische Geschichtsbetrachtung zu überwinden“ (Auernheimer 2013: 154) sucht, wenngleich sich etliche Widersprüche in den Herder’schen Darlegungen finden, wie Auernheimer feststellt.34 Der ethnologische Blick richtet seine Aufmerksamkeit – ganz in der Tradition des Cicero’schen Dualismus von Natur und Kultur – auf alle vom Menschen gestalteten Dinge im Gegensatz zu den von der Natur hervorgebrachten Dingen. Der Begriff umschließt damit sowohl materielle Hervorbringungen wie Technik und Künste als auch geistige Gebilde wie philosophische, religiöse, rechtliche, wissenschaftliche und wirtschaftliche Systeme, ebenso alle Formen des Zusammenlebens sowie Wertvorstellungen und Normen einer Gemeinschaft. Der ethnologisch-holistische Kulturbegriff ist jedoch alles andere als unproblematisch: In dem ethnologischen Konzept von Kultur wird nicht zwangsläufig berücksichtigt, dass Kultur erst durch die soziale Praxis ihrer Akteure entsteht, dass sie folglich kontinuierlichen Veränderungen unterliegt. Kultur wird in diesem Verständnis leicht zum Erklärungsmuster für das Verhalten von Mitgliedern einer Gruppe. Weil Kultur im ethnisch-holistischen Sinne aber Typisches und Allgemeines beschreiben soll, kann Kultur als homogen aufgefasst und als essentialistisch begriffen werden. Über die Individualität der Gruppe gerät die Individualität des Subjektes aus dem Blick (Reckwitz 2004: 6). Kultur wird zum selbsterklärenden und selbstreferentiellen System.35 In der Ethnologie findet die Problematisierung des Begriffs Kultur ihren Höhepunkt in der sogenannten Krise der ethnologischen Repräsentation im Zuge des Cultural Turn.36 Als ein Auslöser dieser Wende gilt Edward Saids Publikation Orientalism (2009). In ihr prangert er die westliche Sichtweise auf 34 | Auernheimer unternimmt eine „Ehrenrettung“ Herders, so der Titel seines Artikels, um aufzeigen, dass die Kritiker Herders in der heutigen Diskussion diesem nicht gerecht werden und viele Urteile klischeehaft seien. Da dies insbesondere für das nachfolgende Kapitel zur Transkulturalität und die starke Kritik Wolfgang Welschs an Herder von Bedeutung ist, werden Auernheimers Erläuterungen dort knapp dargestellt, vgl. Teil II/3.2. 35 | Es ließe sich natürlich argumentieren, dass dies schon immer so war, aber erst mit der Anthropologie und der Ethnologie thematisiert wurde. 36 | Als Cultural Turn werden die Entwicklungen der Geistes- und Sozialwissenschaften verstanden, die zu einer „Wende“ eines engen Kulturverständnisses hin zu einem weiteren in der sich etablierenden Kulturwissenschaft führten. Die verschiedenen Phänomene, die unter dem Begriff im Plural firmieren, sind bei Bachmann-Medick dargestellt (Bachmann-Medick 2006).

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fremde Völker als Herrschaftssystem an, das einen fiktiven Orient zu einem fiktiven Okzident entwirft, um sich mit dem Eigenen von diesem Fremden abgrenzen zu können. Ziel der Etablierung dieser Sichtweise sei die Rechtfertigung für den europäischen Kolonialismus, so Said. Die Publikation wurde als Manifest des Postkolonialismus gewertet (z. B. Castro Varela/Dhawan 2005: 29, Ashcroft et al. 1995: 85 ff.). Wer, so fragt Said, schreibt über und repräsentiert eigentlich die Untersuchten? Im Zuge der Writing-Culture-Debatte der 1980er-Jahre um die ethnografische Autorität wird herausgearbeitet, dass alle Ethnografien zwangsläufig fiktiven Charakters sind, da sie konstruiert seien. Die subjektive Standortgebundenheit der Forscherin entscheidet über Ein- und Ausschließungen und müsse somit auch als Machtausübung verstanden werden. Seit dieser Debatte ist es gängige Praxis, in der ethnologischen Forschung die Konstruktion von Kultur offen zu legen und die subjektiven Kriterien transparent zu machen (z. B. Schiffauer 2004). Bezogen auf den Begriff Kultur kann aus einer ethnologischen Perspektive zusammenfassend gesagt werden: „Kultur erklärt nichts – sie muss selbst erklärt werden.“ (Sökefeld 2004: 17) Denn, so die interpretative Ethnologie, Kultur ist nach Geertz das „selbstgesponnene Bedeutungsgewebe“ des Menschen (Geertz 1983: 9): Nicht die Frage nach der Kultur an sich, sondern nach der Bedeutung einer bestimmten Kultur für jemanden in einer bestimmten Situation ist entscheidend. Diese personen- und kontextbezogene Bedeutungszuweisung erlaubt den Übergang zum nächsten Typus des Kulturbegriffs.

2.4 Der bedeutungsorientierte Kulturbegriff Mit der vierten und letzten Variante des Kulturbegriffs nach Reckwitz kann ein Sinn- und Unterscheidungssystem herausgearbeitet werden, das ein sozialkonstruktivistisches Argument ist. Versatzstücke dieses Kulturbegriffs reichen bis in den deutschen Idealismus zurück, sind aber insbesondere auf diejenigen theoretischen Modelle des 20. Jahrhunderts zurückzuführen, die den Anstoß zum Cultural Turn gegeben haben: Phänomenologie und Hermeneutik; Strukturalismus und Semiotik; Pragmatismus und die Sprachspielphilosophie Wittgensteins (Reckwitz 2004: 7). Es ist die radikale Einsicht des bedeutungsorientierten Kulturbegriffs, dass das, was als normal, rational, notwendig, natürlich erscheint, nur im Verhältnis zu seinen „spezifischen, kontingenten Sinnsystemen“ (Reckwitz 2004: 8) verstehbar ist, wie Reckwitz darlegt.37 37 | Dieses Verständnis geht zurück auf Ernst Cassirer, der in seiner Philosophie der symbolischen Formen (1923 ff.) herausarbeitete, dass die Welt nicht anders erfahrbar ist als über fortwährende und meist implizite Bedeutungen. Damit ist sie ist zwangsläufig „Bedeutungswelt“ (Cassirer nach Reckwitz 2004: 7). Cassirers Philosophie ist ein wesentliches Theorem für die Kulturwissenschaften, weil es die konstitutive Funktion

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Der kontextualisierende, bedeutungsorientierte Kulturbegriff ist in der vorliegenden Untersuchung selten anzutreffen, gerade auch, weil die Klammer der Fallauswahl ein ethnisch fokussierter Kulturbegriff ist. Es lassen sich jedoch Ansätze dieser sozialkonstruktivistischen Haltung z. B. in den Arbeitsweisen einiger künstlerischer Dozentinnen des Kölner Projekts Heimat re-invented finden.

Zusammenfassung Alle vier Bedeutungsvarianten des Kulturbegriffs werden in der vorliegenden Arbeit bei der Analyse der Praxisprojekte eine Rolle spielen. Während von den Akteuren der Projekte zumeist keine explizite Nennung einer Variante vorliegt, so findet sich diese implizit in den Erwartungen und Zielen, mit denen sich die Analyse im Hauptteil auseinandersetzt. Deshalb ist der Rückgriff auf die hier dargelegte Kulturbegriffsgeschichte für die Analyse der Projekte notwendig, um die verschiedenen Varianten aufzuzeigen und so das komplexe Geflecht aus Argumentationen und Begründungen aufzudecken. Die Ausdifferenzierung schafft damit die Voraussetzung, um die verschiedenen Ebenen des Kulturbegriffs und die Konstruktion von Kultur und Standortgebundenheit auseinanderzuhalten, sodass Fragen nach Handlungsmacht, Repräsentation, impliziten Bedeutungen und kultureller Teilhabe untersucht werden können.

3. Tr anskultur alität Im Folgenden wird die ethnisch-holistische Variante aufgegriffen, da die ethnische Dimension eine der Zugangsperspektiven und bei allen untersuchten Projekten konstitutiv ist. Dabei sorgt diese Variante häufig für Missverständnisse, Widersprüche und Ambivalenzen, da sie sich als wenig dynamisch erweist. Bei der Analyse wird deutlich, dass Kultur als Differenzlinie zwischen verschiedenen Gruppen (ein-)gesetzt wird und diese Differenzsetzung im Sinne einer „Differenzbearbeitung“ (Langenohl et al. 2015: 14) erfolgt. Zur Beschreibung des Miteinanders von Kulturen folge ich der Unterscheidung in die drei am häufigsten vertretenen Modelle von Multi-, Inter- und Transkulturalität. Im Verlauf des Forschungsprozesses wurde an verschiedenen Stellen deutlich, dass ein Teil der Untersuchung darauf abzielen muss, herauszufinden, welche Modelle zur Beschreibung von Austauschprozessen und Interaktionen zwischen verschiedenen Kulturen passfähig sind: Welche von Kultur offenlegt. Damit schafft der Mensch in seiner „produktiven Bewältigung seines Lebens zugleich sich selbst. Diesen Prozess kann man ‚Bildung‘ nennen.“ (Fuchs 2008: 41).

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Modelle vertraten die Projekte selbst, mit welchen Begriffen wurde signalisiert, dass es sich um Projekte handelte, die eine oder mehrere bestimmte Ethnien fokussierte? Wurde dies sprachlich explizit benannt oder war es nur implizit erkennbar? Die Frage war, wie die Analyse graduelle Unterschiede herausarbeiten und begrifflich fassen kann. Auf das Konzept der Transkulturalität werde ich dabei besonders eingehen, da sich die untersuchten Projekte von Anspruch und Zielsetzung her als transkulturell beschreiben lassen. Ich werde sowohl die historische Dimension aufzeigen als auch auf die in den letzten Jahren geführten Fachdiskussionen Bezug nehmen. Die beiden anderen Konzepte werden zur Unterscheidung nur knapp skizziert.38

3.1 Abgrenzung zu Multi- und Interkulturalität Kultur in seiner ethnisch-holistischen Bedeutungsvariante beinhaltet nicht nur die Beschäftigung mit dem Eigenen, sondern auch die Auseinandersetzung mit dem Fremden und verweist damit auf die Pluralität der Kulturen. Durch den deutsch-nationalistischen Kulturbegriff des 19. Jahrhunderts jedoch wurden „die Grenzen zwischen [uns] und den anderen stabil errichtet“ (Fuchs 1999: 36) und die Dimension des Multi- und Interkulturellen verschwand überraschenderweise, wie Fuchs feststellt: „Kultur“ als Prozeß des Verstehens (W. Dilthey), „Kultur“ als Prozeß der Verschränkung der Perspektiven (Th. Litt), „Kultur“ als Prozeß des Fremdverstehens (A. Schütz im Anschluß an Husserl) muß also eigentlich immer auch eine Konzeption des Interkulturellen und des Multikulturellen enthalten – selbst dort, wo es nicht um andere Ethnien geht. „Kultur“ als Pluralitätsbegriff ist also nicht neu. (Vgl. Fuchs 1999: 36)

In diesem Sinne können auch die verschiedenen Konzepte von Multi- und Interkulturalität aufgefasst werden. Dabei werden in der vorliegenden Arbeit Multikulturalität (lat. „multus“ für viele, zahlreiche, Stowasser 1991: 290) und Interkulturalität (lat. „inter“ für zwischen, von mehreren, unter, inmitten, mit, untereinander, gegenseitig, Stowasser 1991: 242) mit Göhlich et al. wie folgt verstanden: Während der Begriff Multikulturalität stärker auf das Neben- und Miteinander von mehr oder minder in sich geschlossenen Kulturen und der dafür notwendigen (sozialen, rechtlichen, politischen, moralischen etc.) Rahmenbedingungen abhebt, bezieht sich das Konzept der Interkulturalität in der Pädagogik stärker auf die Begegnungen solcher 38 | Ausführlich zu Multikulturalität z. B. Neubert et al. 2013 und zu Interkulturalität etwa Yousefi/Braun 2011, Moosmüller/Möller-Kiero 2014 und mit Bezug auf die interkulturelle Öffnung und Transformation von Kultureinrichtungen Terkessidis 2010.

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Kulturelle Teilhabe durch Musik? kultureller Gruppierungen und die damit einhergehenden Erfahrungen des Fremden und Anderen. Transkulturalität verweist demgegenüber auf oftmals sehr kleinteilige Phänomene kultureller Mischformen und neuer sozialer Hybridformen, auf (konkrete) Entwicklungen und Überschneidungen in symbolischen und performativen Handlungsvollzügen und Ausdrucksformen diverser kultureller Herkunft. Diese drei pädagogischen Ansätze differieren graduell und nicht substantiell voneinander; sie beziehen sich oftmals auf den gleichen Phänomenbereich (Sprache, Migration, Rituale, Identität, Körper, Verstehen etc.) und akzentuieren dabei – je nach unterschiedlichem Kulturverständnis – stärker den Zusammenhang, die Begegnung oder die Dynamik. (Göhlich et al. 2006: 187)

In diesem Kontext gibt es einige wenige Forschungen und Publikationen, die sich mit der Verknüpfung der ethnisch-holistischen Variante von Kultur einerseits und dem Verständnis von Kultur als Gesamtheit ästhetisch-künstlerischer Ausdrucksformen andererseits beschäftigen: So untersuchen einige Arbeiten z. B. die Dimensionen der Begegnung und des Dialogs sowie deren Institutionalisierung (Welz 1996, Frei 2003, Köhl 2004, BKJ/Smith 2008), andere fokussieren stärker die Dynamik sowie Verflechtungen und Vermischungen (Josties 2010 und 2012, Gaupp 2016). Sie alle haben gemein, dass sie Differenzen, Zuschreibungen und den Umgang damit untersuchen sowie das Zusammenspiel der verschiedenen Felder, etwa der Kulturpolitik, der Migrationspolitik und der Sozialpolitik.

3.2 Transkulturalität: Ein Konzept, eingebracht von Welsch Transkulturalität als Begriff hat in den vergangenen fünfzehn Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen: Ob in der Philosophie (vor allem Wolfgang Welsch), in den Kulturwissenschaften (z. B. Allolio-Näcke et al. 2005, Kimmich/Schahadat 2012, Langenohl et al. 2015), in der Pädagogik (z. B. Datta 2005, Göhlich et al. 2006) oder in transkulturellen Bildungs- und Erziehungswissenschaften (z. B. Josties 2010, Takeda 2012, Klingmann 2012, Sakai 2012) sowie in der musik- und theaterpraktischen Analyse (z. B. Schütz 1998, Klotz 2014, Heeg 2014). Das Konzept ist gleichwohl auch sehr kritisch rezipiert worden (z. B. Mecheril/Seukwa 2006, Josties 2010 und 2012, Mendívil 2012, Binas-Preisendörfer 2012), aber es lässt sich konstatieren, dass der Begriff sowohl in den wissenschaftlichen, praxisbezogenen als auch in den gesellschaftspolitischen Gebrauch Einzug gehalten hat. Das Präfix „trans-“ (lat. jenseits, über, hinüber, quer, darüber hinaus, hindurch, Stowasser 1991: 468) verweist dabei in seinen Denotationen auf „Grenzüberschreitungen oder ein Hindurchgehen durch Grenzen“ (Hühn et al. 2010: 18, Hervorhebung im Original), auf neuartige Phänomene oder Perspektiven und ist damit „nicht einfach ein Mix aus zwei oder mehreren Kulturen, sondern etwas, was sich tatsächlich neu formiert oder konzipiert“ (ebd.). In seinen

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Konnotationen kann „trans-“ auf ein bewusstes Vorgehen verweisen, auf etwas, das fluid und „eine sich stets weiterentwickelnde Perspektive“ ist (ebd.). Der Blick wird gelenkt auf „Vernetzungen, Übergänge und Anverwandlungen der Kulturen untereinander in ihrer spezifischen dynamisch-mobilen Prozesshaftigkeit“ (Kim 2014: 13). Ein Modell von kulturellen Kontakten mit dem Präfix „trans-“ wird von dem kubanischen Ethnologen Fernando Ortiz 1940 unter dem Begriff der Transkulturation in Abgrenzung bzw. Weiterentwicklung des Modells der Akkulturation entworfen (vgl. Méndivil 2012: 53 ff.). Mithilfe des Modells soll gezeigt werden, dass eine neue, vermischte Kultur aus zwei Kulturen hervorgehen könne, in der jedoch nicht eine (Kolonial-)Kultur dominiere. Das Modell setzte sich außerhalb der lateinamerikanischen Ethnologie jedoch nicht durch und wird erst 1992 durch Mary Louise Pratt „einer breiten [d. h. westlichen!] akademischen Öffentlichkeit“ (Kimmich/Schahadat 2012: 7) bekannt. In den 1990er-Jahren wird der Begriff in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen „sukzessive zum Konzept der Transkulturalität weiterentwickelt“ (ebd. 7 f.), und zwar, wie die Autorinnen angeben, im deutschsprachigen Raum insbesondere durch Wolfgang Welsch (Philosophie), Ulrich Beck (Soziologie) sowie Ulf Hannerz (Globalisierungsforschung).39 Im Unterschied zu vorherigen Konzepten wird Transkulturalität von den Autorinnen als „eine Öffnung, Dynamisierung und vielfältige wechselseitige Durchdringung der Kulturen“ (Kimmich/Schahadat 2012: 8) beschrieben. Die Autorinnen erhoffen sich insgesamt  – und dabei eher unkritisch  – von dem Konzept Erklärungsansätze, die als kulturwissenschaftliches Paradigma verstanden werden können, das „sowohl das Konzept der Interkulturalität als auch die Prämissen der Post Colonial Studies“ (Kimmich/Schahadat 2012: 7, Hervorhebung im Original) ablöse. Inwieweit die vorliegende Arbeit dieser Haltung folgen will, wird im Folgenden argumentativ dargelegt. Welsch ist in allen Texten zur Transkulturalität die zentrale Referenz  – auch wenn er das Konzept nicht als erster entwickelte, so vertritt er es in Deutschland seit nunmehr zwei Jahrzehnten sehr entschieden und in starker Gegenüberstellung insbesondere zur Interkulturalität. Er stellt das Konzept der Transkulturalität als neu vor40 und zwar aus dem Eindruck heraus, dass der gängige Kulturbegriff nicht mehr zuträfe bzw. „die zeitgenössischen Kulturen […] eine andere Verfassung angenommen zu haben [scheinen], als unsere Kulturbegriffe noch immer behaupten oder suggerieren“(Welsch 1997:

39 | Beck und Hannerz arbeiten mit anderen Begriffen wie Transnationalismus, Kosmopolitismus und Kreolisierung. 40 | Vgl. die Fußnote Nr. 16 in Welsch 1997: 83.

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67).41 Der Ausgangs- und Kristallisationspunkt seiner Kritik ist das von Herder entwickelte Konzept, in dem er einzelne Kulturen als Kugeln konzeptualisierte. Welsch kritisiert Herders Kugelmodell aus drei Gründen: Erstens strebe es eine soziale Homogenisierung an, zweitens eine ethnische Fundierung in Form von Kultur als „Blüte“ eines „Volkes“ und drittens eine interkulturelle Abgrenzung durch eine jeweils eigene kulturelle Spezifik (Welsch 1997: 68). Insbesondere diese Inkommensurabilität, d. h. die Unvergleichbarkeit der Kulturen durch ihre Individualität, macht er als einen Hauptkritikpunkt fest. Dadurch bauten andere Konzepte wie der Multikulturalismus und die Interkulturalität auf einer falschen Beschreibungsmatrix auf und interkulturelle Kommunikation sei dadurch von vornherein zum Scheitern verurteilt; sie sei eine „Erfolgsunmöglichkeit“ (Welsch 2010b: 50). Er hält „[d]as klassische Kugelmodell […] nicht nur [für] deskriptiv falsch, sondern auch [für] normativ gefährlich“ (Welsch 1997: 69). Seine Kritik differenziert er in späteren Publikationen noch dahingehend aus, dass er sich gegen die Verknüpfung mit territorialen, nationalen und ethnischen Bestimmungen richte. Wie er in einer Fußnote bemerkt, sei Herders Konzept hinsichtlich der inhaltlichen Bedeutung von Kultur zwar zukunftsweisend gewesen, weil es in seiner weiten Definition „gegen die muffige Gegenüberstellung von ‚hoher Kultur‘ und ‚niedriger Zivilisation‘ […] immun war“ (Welsch 2010b: 41, Hervorhebung im Original); ansonsten nutzt er Herder jedoch durchgängig als Negativfolie, um die Neuartigkeit seines Konzepts herauszustellen, das als einziges den „heutigen kulturellen Verhältnissen“ (ebd.: 49) entspräche.42 Im Gegensatz zu Herder will Welschs Konzept der Transkulturalität eine neue Beschreibung liefern, da die „Zukunftsaufgaben […] wohl nur in entschiedener Zuwendung zu dieser Transkulturalität zu lösen“ (Welsch 1997: 80) sein werden. In der Darlegung seines Konzepts unterscheidet er zwischen der gesellschaftlichen Makroebene und der individuellen Mikroebene. Für die Makroebene legt er drei Hauptgründe dar, die kennzeichnend für Transkulturalität seien: 41 | Eine erste Version stellte Welsch 1991 als Vortrag vor, diese wurde 1992 veröffentlicht, vgl. Fußnote Nr. 1, 1997: 81. 42 | Wie bereits in der Erläuterung des Kulturbegriffs (vgl. Teil II/2.3) angedeutet, erarbeitet Auernheimer eine „Ehrenrettung“ Herders, um aufzuzeigen, dass viele Punkte heutiger Kritik – wie z. B. diejenigen von Welsch – aufgrund von pauschalisierenden Darstellungen nicht zutreffend seien (Auernheimer 2013: 165). Denn Herders Argumentation durchziehe eine „uneingeschränkte Achtung der Menschenwürde aller und damit die Verurteilung jeder Form von Unterjochung und Misshandlung, speziell der Sklaverei […]“ (Auernheimer 2013: 168). Allerdings, so Auernheimer, gäbe es diverse Ausnahmen, Relativierungen und Widersprüche bei Herder: „In der Tat scheint bei ihm der humanistische Universalismus mit einem Kulturrelativismus auf sonderbare Weise verknüpft.“ (Auernheimer 2013: 168).

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a) Transkulturalität sei in erster Linie eine Folge der „inneren Differenzierung und Komplexität der modernen Kulturen“. (Welsch 1997: 71, Hervorhebung im Original) b) Die „alte“ Idee der Kultur werde durch die „externe Vernetzung der Kulturen“ (ebd., Hervorhebung im Original) überholt, d. h. die „Lebensformen“ endeten nicht mehr an z. B. nationalstaatlichen Grenzen, sondern gingen darüber hinaus und durch diese hindurch. Diese Verflechtungen seien eine Folge von Migrationsprozessen sowie von weltweiten Verkehrs- und Kommunikationssystemen und ökonomischen Abhängigkeiten (ebd.). c) Weiterhin seien zeitgenössische Kulturen auf der Makroebene generell durch Hybridisierung gekennzeichnet (ebd.: 72, Hervorhebung im Original): Dies gelte auf der Ebene der Bevölkerung, der Waren und der Informationen und werde durch die ständige Verfügbarkeit ermöglicht. Daraus schlussfolgert Welsch, dass es „nichts schlechthin Fremdes […], noch schlechthin Eigenes“ (ebd.) mehr gebe und Authentizität somit zur Folklore geworden sei. Auf der Mikroebene fokussiert Welsch die transkulturelle Prägung der Individuen und stellt fest: „Wir sind kulturelle Mischlinge.“ (Welsch 1997: 72) Diese Mehrfachzugehörigkeit behauptet Welsch in der heutigen Zeit für „jedermann“ (ebd.: 73). In weiteren Ausführungen verweist er darauf, dass Transkulturalität in der historischen Perspektive der Regelfall und nicht die Ausnahme gewesen sei (ebd.: 74), da Transkulturalität ebenso wie andere „Selbstverständigungsbegriffe“ operative Begriffe und somit „Wirkfaktoren“ seien, also die Wahrnehmung der Welt verändern könnten (ebd.: 74 f., Hervorhebung im Original). Das Konzept der Transkulturalität eröffne laut Welsch die Möglichkeit kultureller Anschluss- und Übergangsfähigkeiten. Es gelte, „unseren inneren Kompaß umzustellen: [weg] von der Konzentration auf die Polarität von Eigenem und Fremden“ (ebd.) und hin zu Gemeinsamkeiten und Verbindendem. Für die Zukunft fragt er rhetorisch, ob Transkulturalität die „Heraufkunft einer uniformen Weltzivilisation“ (ebd.: 78) bedeute: Werde es zukünftig eine Uniformierung oder eine neue Diversität geben? Nach Welsch werde es einen neuen Typus von „Vielheit“ (ebd.) geben, wo die Unterscheidungen nicht mehr durch das Nebeneinander klar abgegrenzter Kulturen zustande kämen, sondern sich zwischen kulturellen Netzen entwickelten. So fänden sich sowohl Überschneidungen als auch Unterschiede (Welsch 1997: 78).

3.3 Kritik an Welschs Konzept Eine kritische Lesart des Konzepts von Transkulturalität nach Welsch ist notwendig, weil es m.  E. an einigen Stellen inkonsistent ist und nur Teile des Konzepts für die vorliegende Arbeit fruchtbar gemacht werden können. Dieje-

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nigen Aspekte, die ich bewusst außen vor lassen möchte, werden im Folgenden ausdifferenziert und kritisch hinterfragt. Dabei berufe ich mich auf Autoren unterschiedlicher Fachrichtungen. Welschs Konzept erfährt aus verschiedenen Richtungen heftige Kritik. Transkulturalität ist zu einem Modewort avanciert und kann geradezu als wissenschaftspolitische Marketingstrategie entlarvt werden: Der Begriff wird zwar von Welsch selbst – und in der Folge von fast allen seinen Rezipienten – als neu bezeichnet, ist dies aber keineswegs, wie anhand von Ortiz aufgezeigt werden konnte. Noch problematischer aber ist sein Postulat der Auflösung von Fremd und Eigen. Zunächst geraten durch die Verlagerung des Gewichts auf die Gemeinsamkeiten Unterschiede und Differenzen zwischen Kulturen per se aus dem Blick. Differenzen und damit Grenzen sind aber konstitutiv für Zugehörigkeiten und nicht an sich negativ. Denn, wie der Philosoph Ram A. Mall aus seiner Sicht der interkulturellen Philosophie konstatiert: „Differenzen werden nicht mutwillig von uns gesucht; sie widerfahren uns.“ (Mall 2014: 42) Problematisch wird dieses Aus-dem-Blick-verlieren von Differenzen zusammen mit Welschs geradezu euphorischer Konstruktion der „transkulturellen Verfasstheit“ moderner hybriden Individuen, da er damit Machtverhältnisse konsequent ausblendet. In diesem Sinne könne das Konzept dazu dienen, Differenzen einzuebnen wenn „kulturelle Differenz per se [als] bedrohlich für das gesellschaftliche Zusammenleben“ (Mendívil 2012: 58) suggeriert werde, wie sowohl aus pädagogischer (Göhlich et al. 2006: 189) wie auch aus ethnologischer Perspektive kritisiert wurde. Es sollte nicht darum gehen, kulturelle Differenzen aufzulösen oder zu verschweigen, denn gerade durch Differenzen könnten „andere Welten und damit die Möglichkeit der Divergenz“ (Mendívil 2012: 47) aufgezeigt werden. Vielmehr sollten Differenzen in ihrer Konstruktion und Funktion sichtbar gemacht werden – insbesondere, wenn diese aus normativen und machtpolitischen Gründen gesetzt werden. Ein zweiter Kritikpunkt ist die Frage nach dem von Welsch zugrunde gelegten Kulturbegriff: Mendívil argumentiert, dass Welsch mit Gespenstern diskutiere, da in der Ethnologie und in den Cultural Studies Kultur nicht statisch und als kugelförmig wie bei Herder43 angenommen werde (vgl. Mendívil 2012: 57 f.), weshalb es besonders erstaunlich sei, dass Welsch beide Disziplinen kon43 | Hierzu kann mit Auernheimer angemerkt werden, dass Herders gedachte Kugel-Kulturen „nicht nur aufgrund der fremden Einflüsse nicht statisch“ gedacht werden müssen, denn Herder war sich „der oft fundamentalen kulturellen Transformationen voll bewusst“ (Auernheimer 2013: 164). Herder beziehe sich dabei auch auf den „Wechsel der Lebensweise, z. B. von der nomadischen zur sesshaften“, auf die „lebendige Aneignung der Tradition durch die jeweils neue Generation“ (ebd.). Auernheimer verweist als mir einzig bekannter Autor mit dieser Rezeption darauf, dass auch in Herders Kulturbegriff eine Dynamik vorhanden ist.

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sequent ignoriere (ebd.). Eine dritte Kritik bezieht sich darauf, dass Welsch Hybridität und Vermischungen als positives neues Phänomen beschreibt, die es jedoch schon immer in der Geschichte gegeben habe.44 Welsch differenziert in späteren Texten zwar aus, dass er sich mit der Beschreibung des Neuartigen auf das Ausmaß beziehe, das durch die Globalisierung zustande komme (Welsch 2010b). Diese Charakterisierung bezeichnen Göhlich et al. als „fast kanonisch geworden[e] Beschreibungen“ (Göhlich et al. 2006: 186) und sehen in Transkulturalität ein „Symptom pädagogischen Unbehagens“ (ebd.). Es lässt sich aus dieser Beschreibung die Frage stellen: Wenn alles transkulturell ist, wie kann es dann zu Transkulturalität kommen? Welsch nennt dies einen vermeintlichen Widerspruch, wenn er zwischen reinen und transkulturellen Kulturen als Ausgangspunkt für Transkulturalität unterscheidet und argumentiert damit, dass es sich um eine Zeit des Übergangs handle (s. Welsch, Fußnote 25, 1997: 84, ebenso Welsch 2010a). Auch Göhlich et al. kritisieren, dass Transkulturalität nach Welsch Kulturen als identifizierbare homogene Gestaltungen voraussetzen muss, da eine „reine Prozessualität [und] völlige Verflüssigung“ sich nicht mehr als Kultur (im Singular) beschreiben ließe (Göhlich et al. 2006: 188). Diehm, die zwar den Begriff Transkulturalität, nicht aber die „innere Stimmigkeit des Konzepts“ nach Welsch kritisiert, führt aus, dass eine Fortführung des „methodologische[n] Dilemma[s] von Bezeichnung und Festschreibung“ (Diehm 2010: 78, Hervorhebung im Original), eine „Rückrufaktion“ (ebd.: 79) des „Ineinssetzen von Nationalität und Kultur“ (ebd.) nicht möglich sei. Das Kulturkonzept an sich sei resistent gegen Dynamisierungsversuche: Sowohl Inter- als auch Transkulturalität basierten auf Entitäten, klar abgrenzbaren Einheiten, die überwunden werden sollen (ebd.: 78 ff.). Deshalb fordert sie stattdessen eine komplette begriffliche Umstellung und damit, auf „ein anderes programmatisches und konzeptuelles Gleis“ (ebd.) zu setzen und statt auf Kultur, auf Differenz zu fokussieren.45 Aus einer Bildungsperspektive zeigen Göhlich et al. auf, dass Phänomene der Transkulturalität in der Geschichte ebenso ihre Vorläufer haben wie auch direkt in der pädagogischen Debatte (vgl. Göhlich et al. 2006: 7 ff.): Die Autoren beziehen sich dabei auf die Konzeptionen des Humanismus um die 44 | Zu einer Kritik am Hybriditätsbegriff, der den historischen, d. h . insbesondere kolonialen Kontext außer Acht lässt, sodass die negativen Vermischungen durch die Kolonialherrschaft ausschließlich positiv angeeignet werden, um diese für „postmoderne Verwertungstechniken im Spätkapitalismus“ nutzbar zu machen, vgl. Ha (2005). Weiterhin auch die Arbeiten von Tschernokoshewa, z. B. 2009, 2011, 2013, 2015. 45 | Gleiches fordern Kimmich/Schahadat: „Letztlich provoziert der Transkulturalismus die Frage, ob es nicht das Konzept ‚Kultur‘ selbst ist, das man aufgeben muss, um den Anforderungen der Gegenwart gerecht zu werden“ (Kimmich/Schahadat 2012: 15). Terkessidis vertritt ebenfalls diese Ansicht (Terkessidis 2010).

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Jahrhundertwende zum 19. Jahrhundert (Herder, Humboldt, Goethe, Kant), auf die „Dynamisierung der Humanität in der Reformpädagogik“ (ebd.: 19 f.) zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowie auf den pädagogischen Diskurs seit den 1980er-Jahren (ebd.: 20 ff.). Hierbei arbeiten sie heraus, dass der „Topos eines kulturellen ‚Dazwischen‘ […], der uns heute so wichtig erscheint“ (ebd.: 21) im interkulturell-pädagogischen Diskurs seit den 1980er-Jahren vorkam, sich jedoch nicht durchsetzte.46 Mit Welschs Konzept allerdings hält der Begriff explizit Einzug in den pädagogischen Diskurs, denn es biete eine Perspektive an, in der Pädagogik nicht nur zur bewussten Mitwirkung an den „Prozessen der Identitätsbildung und damit an der Transformation von Identität, sondern auch an der Transformation von Kultur“ (Göhlich et al. 2006: 22) beteiligt sei. Im Verweis auf Identität, die in der Konzeption von Welsch zukünftig nur durch die „transkulturelle Übergangsfähigkeit“ möglich sein wird, offenbart sich für die Autoren das „normative Moment“ (ebd.: 23), durch das „transkulturelle Identität [bei Welsch] zum Bildungsziel“ (ebd.) werde.47 Die sich daraus ergebenden pädagogischen Aufgaben bergen jedoch erhebliche „Risiken des Normativen“, die über ein in der pädagogischen Praxis übliches Maß hinausgingen, so die Autoren. Transkulturalität werde in der pädagogischen Praxis weniger als Ziel, denn als Problem von „Migrantenjugendlichen“ [sic] (Göhlich et al. 2006: 24) wahrgenommen, die sich selbst als „irgendwo dazwischen“ bezeichnen.48 Transkulturalität als Bildungsziel erfährt ebenfalls starke Kritik von den Autoren Paul Mecheril und Louis Henri Seukwa: Sie problematisieren nicht nur die normative Setzung Welschs, sondern verschieben die Perspektive hin zu der Frage „wer von Transkulturalität, von kultureller Vernetzung und Hybridität profitiert und wer nicht“ (Mecheril/Seukwa 2006: 13). Die beiden Autoren zeigen sehr deutlich auf, dass die unterschiedlichen Bedingungen, unter denen Menschen leben, nicht ausgeblendet werden dürfen; nicht zufällig verweisen sie dabei auf den Kontext Migration und Asyl, der nicht nur politisch, 46 | In dieser pädagogischen Traditionslinie sehen Göhlich et al. auch die „Pädagogik der Vielfalt“ von Annedore Prengel, deren Ansatz auf einen egalitären Differenzbegriff abzielt (Prengel 2006). 47 | Zur expliziten Auseinandersetzung von „Transkulturalität und Identität“, der Frage nach Bildungsprozessen zwischen Exklusion und Inklusion, vgl. Datta 2005; zur Frage der Konstruktion von Identitäten insbesondere der Artikel von Datta (ebd.). 48 | Dass die Autoren Transkulturalität als „Dazwischen“ visualisieren, kann die Grafik auf der Titelgestaltung der Publikation von 2006 zeigen, auch wenn der oder die Urheber nicht mehr ausgemacht werden können. Meine Nachfrage bei Verlag, Grafikbüro sowie einem der Herausgeber, Michael Göhlich, ergab, dass die gesamte Titelgestaltung durch den Verlag erfolgte; das ist insofern interessant, als die Grafik m. E . nicht zutreffend ist, die Herausgeber damit aber inhaltlich offensichtlich einverstanden waren.

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sondern auch pädagogisch bedeutsam ist, da in diesem Machtkonstellationen besonders sichtbar werden:49 Die strukturelle Situation von Flüchtlingen zeigt, dass das Lob der Transkulturalität (kulturellen) Milieus vorbehalten ist, die über legitimes kulturelles, juristisches und womöglich auch physiognomisches Kapital verfügen. (Mecheril/Seukwa 2006: 13)

Die beiden Autoren stellen fest, dass erst die Analyse, dann die Kritik sowie die Veränderung der Bedingungen (z. B. des Asylrechts) das Anliegen einer Pädagogik sein muss, die Transkulturalität nicht als Bildungsziel an sich benennen dürfe (Mecheril/Seukwa 2006: 13). Weiterhin geht Welsch sehr unscharf mit Begrifflichkeiten um: So erklärt er z. B. den Unterschied zwischen Transkulturalismus und Transkulturalität nicht. Er bezieht sich erst in späteren Publikationen auf das ähnlich klingende, ältere Konzept von Ortiz, wobei seine eigene Definition von Transkulturalität exakt Ortiz’ Transkulturationskonzept entspricht (Welsch 2010b: 60, Fußnote 18). Selbst an dieser Stelle geht er nicht explizit auf die unterschiedlichen Suffixe ein. Auch interdisziplinäre Bezüge und die selbstverständliche Verwendung von Fachtermini werden nicht dargelegt. Beispielsweise erläutert er die vertikale und horizontale Differenzierung von Gesellschaften undifferenziert, weil er grundlegende sozialwissenschaftliche Kategorien vermischt: Eine Differenzierung erfolgt nicht nach strukturellen, sozialen und kulturellen Aspekten, sondern bleibt bei seiner vertikalen Darstellung (Welsch 1997: 68) implizit nur sozial, weil sie soziale Schichtungen fokussiert, also den unterschiedlichen Zugang zu Ressourcen. Horizontal beschreibt Welsch als Unterschiede verschiedene Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierungen (ebd.); eine unzulässige Verengung, da horizontale Differenzierung die Unterschiedlichkeit in Lebensstilen, Weltanschauungen etc. fasst, also kategoriale Einteilungen, die sich nicht auf den Zugang zu gesellschaftlich relevanten Gütern beziehen und status-, geld- sowie machtunabhängig sind. Als Ergebnis hält er fest, dass Individuen über ihre Zugehörigkeit selbst entscheiden könnten (ebd.: 80)  – eine These, die jegliche Ungleichheiten in den Voraussetzungen und Zugangsmöglichkeiten außer Acht lässt. Ebenso kritisch sind auch Welschs empirische Beweisführungen zu sehen, die anekdotenhaft, dabei methodisch und inhaltlich beliebig erscheinen und teilweise unzulänglich sind; etwa, wenn er einen zeitgenössischen Schriftsteller wie Salman Rushdie ins Feld führt und behauptet, dessen Werke seien transkulturell. Was ehemals nur für „exquisite Subjekte wie Montaigne, 49 | Auch Göhlich et al. weisen darauf hin, dass das Konzept in „geradezu fahrlässiger Weise“ dazu genutzt werden kann, Machtverhältnisse auszublenden (Göhlich et al. 2006: 189).

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Novalis, Whitman, Rimbaud oder Nietzsche“ galt, nämlich eine Mehrfachzugehörigkeit und transkulturelle Prägung, gehöre „heute zur Wirklichkeit von jedermann“ (Welsch 1997: 72 f.). Der Musik bescheinigt Welsch einen „Universalitätsvorteil“, da sie Menschen zusammenführe, „ohne an Sprache und Bildungsunterschiede gebunden zu sein“ (Welsch 2010a: 11). Weitere Erläuterungen und Begründungen folgen nicht. Gegen diese universalistische und vereinfachende Vorstellung wendet sich Elke Josties, die anhand eines deutsch-tunesischen Studentenprojekts in Frage stellt, ob Musik tatsächlich zum Brückenbauen tauge (Josties 2010): Sie beschreibt, wie „Musik sowohl unterscheiden als auch verbinden“ (Josties 2010: 35) könne und zeigt auf, dass Musik sehr wohl als Mittel kultureller und sozialer Distinktion fungiere. Auf diesen Aspekt des Konzepts der Transkulturalität verweisen auch weitere Autorinnen kritisch (vgl. Binas-Preisendörfer 2008, Mendívil 2012: 51 ff., Unseld 2012: 82). Dass es sich in Welschs Beispielen zumeist um Einzelne oder kleine exklusive Gruppen handelt, die Zugang im Sinne von Wissen und Verstehen zu diesen kulturellen Systemen haben, wird von ihm ausgeblendet. Wen er als „man“ und „jedermann“ identifiziert, wird nicht näher spezifiziert. Auch Mecheril/Seukwa finden angesichts der militärischen, politischen und alltagsweltlichen Kämpfe die Behauptung „erstaunlich“, dass die Unterscheidungen von Eigen und Fremd irrelevant sein solle. Abschließend soll Welschs evolutionistische Grundhaltung angesprochen werden, aus der heraus er eine Prozessontologie postuliert. Transkulturalität begünstige seiner Ansicht nach schon von ihrer Struktur her eher Koexistenz als Konflikt (Welsch 1997: 78) und strebe einer friedlichen Weltgesellschaft zu, „dem alten Traum von einer ‚Family of Man‘“ (Welsch 2010b: 63). Problematisch ist diese Zielsetzung, weil Welsch die Transkulturalität damit als höhere Evolutionsstufe der kulturellen Entwicklung beschreibt und sie in Kontrast zu „regressiven Tendenzen“, zu „Ghettoisierung und Kulturfundamentalismus“ setzt (Welsch 1997: 70). Ob mithilfe einer „transkulturellen Verfasstheit“ der Gesellschaft diesen Tendenzen allerdings Einhalt geboten werden kann, darf bezweifelt werden.

3.4 Trotz aller Kritik: Transkulturalität als Analyseinstrument Trotz der zahlreich vorgetragenen Kritik werde ich Teile des Konzepts der Transkulturalität verwenden und für die Analyse fruchtbar machen. Bei aller Kritik darf nicht übersehen werden, dass Welschs Konzept etwas Entscheidendes leistet: Er lenkt den Blick auf Gemeinsamkeiten statt auf Grenzen. Dadurch ermöglicht das Konzept eine Sowohl-als-auch-Perspektive, die sich als relevant und bei der Analyse der Projekte höchst zentral erweist, weil z. B. Zugehörigkeiten oder auch musikalische Artefakte nicht mehr ausschließlich als Entweder-oder-Kategorien zu fassen sind. Das Konzept nimmt stärker als

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andere Konzepte alle Mitglieder einer Gesellschaft in den Blick und fokussiert nicht so sehr auf einzelne Gruppen, die als anders identifiziert werden. Hierin geht das Konzept der Transkulturalität über die Konzepte der Multi- und Interkulturalität hinaus. Allerdings begreife ich Multi- und Interkulturalität nicht als veraltet oder überholt, sondern als Konzepte der Beschreibung, die das vielgestaltige Neben- und Miteinander von Kulturen (Multikulturalität) bzw. die Begegnung und Kommunikation zwischen Kulturen (Interkulturalität) in den Blick nehmen. Transkulturalität wird somit nicht als evolutionistisch gedacht, sondern als ein Konzept, das die Grenzen von Kulturen als durchlässig, dynamisch und offen konzeptioniert und das Verbindende über und durch Grenzen hindurch fokussiert. Ein weiterentwickelter Begriff des Transkulturellen, der situativ und handlungstheoretisch informiert ist, bezieht sich zunächst auf die vier von mir herausgearbeiteten Charakteristika: 1. 2. 3. 4.

Gemeinsamkeiten im Fokus Blick auf Prozesse Etwas Neues entsteht Konflikthafte Momente werden sichtbar gemacht und sind bewusster Teil des Diskurses

Es steht damit auch weniger die Frage im Mittelpunkt, inwieweit die Akteure transkulturell sind oder Transkulturalität erst durch ihre Handlungen schaffen, sondern die theoretische Grundkonzeption kann so bestimmt werden, dass mit Transkulturalität der Fokus auf das Konstruktionshafte, das Prozesshafte, das Durchlässige gelenkt wird. Dadurch lassen sich mithilfe des Konzepts sowohl transkulturelle Momente beschreiben, wie ebenfalls transkulturelle musikalische Gegenstände bestimmbar werden, die in ihrer „Gemachtheit“ wiederum auf transkulturelle Prozesse verweisen. Es ist folglich der gegenseitige Verweis, der das Konzept fruchtbar macht. Somit kann das Konzept der Transkulturalität als ein Analyseinstrument verwendet werden, um herauszuarbeiten, wie die Projekte Gemeinsamkeiten, Vermischungen und etwas Neues gestalten und wo sich gleichzeitig Zuschreibungen und Ausgrenzungen beobachten lassen, ergo: wie das Miteinander von Kulturen in den Projekten als transkulturell erfahrbar wird.50 50 | Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass die Arbeit sich auch noch stärker mit dem „Paradigma der Hybridizität“ (Kim 2014: 19) hätte beschäftigen können, das einen neuen, imaginären Raum konzipiert; vgl. die Diaspora von Stuart Hall, der third space von Homi K. Bhabha und die hybridologische Perspektive von Elka Tschernokoshewa. Auch das Konzept der Intersektionalität nach Kimberlé Crenshaw, das den Kreuzungspunkt und das Zusammenwirken verschiedener Diskriminierungsformen der

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Vor dem Hintergrund meiner Verwendung müssen allerdings folgende Dinge problematisiert und bedacht werden: • Im allgemeinen Sprachgebrauch wird bisweilen von Transkulturalität gesprochen, wenn von Interkulturalität die Rede ist. Transkulturalität wird dann als ein neuer und moderner Begriff genutzt, der synonym für einen älteren gebraucht wird. • Sehr häufig wird Transkulturalität nicht auf alle Mitglieder der Gesellschaft bezogen, sondern gilt eben doch (nur) für bestimmte Gruppen, etwa in migrationsbezogenen Zusammenhängen. Die vorliegende Arbeit ist ein Beispiel für das Changieren zwischen dem Allgemeinen (Kinder- und Jugendbildung) und dem Spezifischen (Roma). Bereits im Titel wird mit dem Adjektiv transkulturell und dann in Verbindung mit der ethnischen Gruppe der Roma sichtbar, dass die Untersuchung sich auf eine bestimmte Zielgruppe bezieht. Die Spezifizierung auf eine ethnische Gruppe kann zeigen, wie Konstruktionen von kulturell Anderen im Sinne eines Doing Ethnicity entstehen. Die Arbeit legt den (vermeintlichen) Widerspruch zwischen der durchlässigen, grenzüberschreitenden Idee von Transkulturalität bei gleichzeitiger notwendiger Einengung bewusst offen. Denn mit der bewussten Fokussierung auf eine ethnische Gruppe kann kritisch hinterfragt werden, „wem […] es zugestanden und ermöglicht [wird] und wem nicht, Kulturen jenseits von Eigenkultur und Fremdkultur zu denken und zu leben“ (Mecheril/Seukwa 2006: 13). Aufzuzeigen, wie sich solche Prozesse in Projekten kultureller Bildung gestalten, darauf sucht die vorliegende Analyse Antwortmöglichkeiten.

4. K ulturelle Teilhabe Kulturelle Teilhabe ist für die vorliegende Arbeit der zentrale Begriff, um den sich alles dreht: Das Ziel der kulturellen Teilhabe ist sowohl ein wesentliches Kriterium als auch die inhaltliche Klammer für die Auswahl der Projekte. Alle drei untersuchten Projekte wollen kulturelle Teilhabe ermöglichen, verwenden dafür jedoch unterschiedliche Begriffe. Während im Konzept des einen Projekts die Vokabel Integration benutzt wird, tauchen im Konzept eines anderen Projekts der Terminus Inklusion bzw. beide Begriffe auf. Ebenso werden Partizipation und Teilhabe, teils synonym, gebraucht. Inwieweit sich die Beverschiedensten Differenzkategorien (nicht nur, aber auch race, class, gender) als eigene Form der Diskriminierung geltend macht, könnte fruchtbar für Anschlussforschungen sein.

Teil II: Theoretische Grundlagen

griffe auf dazugehörige Konzepte stützen oder verschiedene Wörter synonym für eine nicht näher definierte Haltung und Arbeitsweise genutzt werden, ist nicht immer gleich ersichtlich. Die theoretische Darlegung und Präzisierung des Begriffs kultureller Teilhabe ist für eine Definition notwendig, mit der dann inhaltlich differenzierter vorgegangen werden kann, um Fragen wie die folgenden stellen zu können: Auf welche Konzepte verweist die Verwendung bestimmter Begriffe? An welcher Stelle der Projekte zeigt sich eine inklusive Grundhaltung, an welcher Stelle wird eine Integration angestrebt? Oder aber verhält es sich gerade umgekehrt und eine bestimmte Grundhaltung wird als Ziel beschrieben, in der Praxis lässt sich jedoch eine gegenteilige Umsetzung beobachten, mitunter freilich ganz unbewusst?51

4.1 Teilhabe: Ein populärer Begriff und seine Definitionen Aktuell ist sowohl im öffentlichen als auch im Fachdiskurs vielfach die Rede von kultureller Teilhabe. Die Förderung kultureller Teilhabe für Kinder und Jugendliche in bildungsbenachteiligenden Lebenslagen, sogenannte Bildungsbenachteiligte, hat zunehmend staatliche Unterstützung erfahren, seit die PISA-Studie dem deutschen Bildungssystem erhebliche Zugangs- und Chancenungerechtigkeiten attestiert hat. Förderprogramme wie etwa Kultur macht stark des BMBF zeigen das eindrucksvoll (vgl. Reinwand 2012: 108). Kulturelle Teilhabe ist dabei zu einem äußerst populären Schlagwort avanciert; Lehmann-Wermser und Krupp bezeichnen es gerade deshalb als „schillernd“ (Lehmann-Wermser/Krupp 2014: 21). Zugleich ist der Terminus alles andere als eindeutig oder gar selbsterklärend. Er weist starke Unschärfen und Mehrdeutigkeiten auf – vermutlich liegt gerade darin der Reiz der mitunter inflationären Verwendung. Die rechtliche Grundlage der kulturellen Teilhabe ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948. Sie formuliert das Recht auf Bildung (Art. 26) und Kultur (Art. 27). Allerdings findet sich das Wort Teilhabe nicht explizit als Substantiv, sondern als Verb und nicht bezogen auf Kultur, sondern auf die Wissenschaft. In Artikel 27 heißt es: „Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.“ (UN 1948: Artikel 27, Absatz 1.) Für die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen kann außerdem die Kinderrechtskonvention (CRC) he51 | Unbewusst meint in diesem Zusammenhang ein allgemeines Verständnis, das nicht im Bewusstsein des Verstandes steht und nicht mit einer zielgerichteten Intention einhergeht; es meint nicht unbewusste psychische Vorgänge im Sinne der Psychoanalyse.

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rangezogen werden, in der in den Artikeln 28 und 29 eine, wie Fuchs es ausdrückt, höchstmögliche Bildung (Fuchs 2012: 2) und in Artikel 31 das „Recht auf […] Spiel […] sowie auf freie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben“ (UN 1989: Artikel 31, Absatz a.) rechtlich verbindlich artikuliert werden. Im folgenden Absatz desselben Artikels wird die „Teilnahme“ als „kulturelle und künstlerische Betätigung“ (ebd.: Absatz b.) weiter spezifiziert. Artikel 30 der Konvention, der zwischen den eben genannten und im Zusammenhang mit diesen steht, erläutert unter der Überschrift „Minderheitenschutz“ darüber hinaus das Recht auf Ausübung der eigenen Kultur, Religion und Sprache (UN 1989: Artikel 30).52 Ein weiteres wichtiges Dokument, das Teilhabe rechtlich garantiert und in dessen Folge ein Anstieg der Begriffsverwendung zu verzeichnen ist, ist die Ratifizierung des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen durch Deutschland im Jahr 2007, meist abgekürzt als UN-Behindertenrechtskonvention mit dem Akronym BRK (hier insbesondere der Artikel 30 zur „Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport“, BRK 2014: 46). Die in der Deklaration und in den Konventionen beschriebenen Rechte sind zwar für die Vertragsstaaten bindend, es bleibt jedoch ein großer Interpretationsspielraum, weil die Begrifflichkeiten vage bleiben. Beispielsweise ist es nicht eindeutig, was unter „kulturell“, was unter „künstlerisch“ zu verstehen ist. Auch welche Gemeinschaft, welches kulturelle Leben und welche Künste in den Menschenrechten gemeint sind, bleibt unklar, wie Josties (2013: 359) konstatiert.53 52 | Es ist ein Forschungsdesiderat, diesbezüglich texthermeneutisch vorzugehen und z. B . die Verben wie „frei teilzunehmen“, „zu erfreuen“ und „teilzuhaben“, die in Verbindung mit den Künsten genannt werden, zu untersuchen. Gleiches gilt für die Frage der Übersetzung aus dem englischen Original. Für eine detailliertere Auseinandersetzung von kultureller Teilhabe im Bezug auf die Menschenrechte, vgl. z. B. Fuchs (2008, Kap. 10 „Das Recht auf Teilhabe“ oder auch 2012). 53 | An einem Beispiel der UNESCO zeigt Fuchs auf, wie unterschiedlich das Verständnis von Kultur sein kann und welche Missverständnisse durch die implizite Setzung auf ein bestimmtes Kulturverständnis aufkommen können: Die Geschäftsstelle der UNESCO hatte sich bei der Planung der ersten World Conference on Arts Education 2006 auf die „mitteleuropäischen Traditionskünste“ (Fuchs 2014: 2) konzentriert, was von einigen Teilnehmern nicht geteilt wurde, weil „in ihren Heimatländern ganz andere Kunstformen eine sehr viel wichtigere Rolle spielen (zum Beispiel Haareflechten [sic], Stelzen laufen oder Weben)“ (ebd.). Es ist ersichtlich, dass in der europäischen Auslegung ein bürgerlich-normatives Verständnis von Kultur mit einer Engführung der Künste im Sinne anerkannter Disziplinen durchscheint, also eine implizite Setzung von Kunst verstanden als Hochkultur. Es ist also dringend geboten, detailliert herauszuarbeiten,

Teil II: Theoretische Grundlagen

Wichtig für den vorliegenden Kontext ist, dass mit den Menschenrechten (ebenso wie mit weiteren Konventionen und Deklarationen) ein normativer Rahmen, d. h. ein universell gültiger Maßstab gesetzt wird. Wird sich darauf bezogen, z. B. um kulturelle Teilhabe einzufordern und kulturelle Bildung als Menschenrecht zu legitimieren (vgl. Fuchs, z. B. 2012), so sollte diese normative Setzung für das Verständnis der Argumentationslogik bewusst sein. Für die Definition von Teilhabe ist es hilfreich, sich zu vergegenwärtigen, in welchen wissenschaftlichen Disziplinen er vorrangig Verwendung findet. So sind „Genese und der Bedeutungszuwachs des Teilhabe-Begriffs eng mit der Behindertenpolitik, Selbst- und Behindertenhilfe verbunden“ (Hinz 2012: 8). Auch finden sich in den Politik- und Sozialwissenschaften, insbesondere auf dem Gebiet der sozialen Ungleichheits- und Armutsforschung Publikationen (vgl. Bartelheimer 2007: 4 f.). Teilhabe kann dabei als gesellschaftliche, politische, soziale, ökonomische und eben auch als kulturelle Teilhabe ausdifferenziert werden.54 Eine für die vorliegende Arbeit interessante Auffächerung nimmt Bartelheimer in fünf Anforderungen an diesen vor, um ihn „als praktisch wirksamen, sozialen Rechtsanspruch zu konkretisieren“ (Bartelheimer 2007: 8). Auch wenn der Begriff Teilhabe in der vorliegenden Arbeit nicht juristisch verwendet wird, so ist er für die Analyse doch „praktisch wirksam“, weil er ausdifferenziert und von verschiedenen Seiten hin beleuchtet wird. Diese fünf Anforderungen sind daher als grundlegendes Verständnis für die Arbeit von Bedeutung, und ich verstehe Teilhabe mit Bartelheimer wie folgt (Bartelheimer 2007: 8): 1. Teilhabe ist immer historisch relativ, denn sie lässt sich nur aus ihrem spezifischen Kontext einer bestimmten Gesellschaft mit ihren sozioökonomischen, politischen und auch kulturellen Gegebenheiten verstehen. 2. Teilhabe ist mehrdimensional, denn erst durch das „Zusammenwirken verschiedener Teilhabeformen“ (Bartelheimer 2007: 8), wie beispielsweise Arbeit, Familie oder Sozialstaat, entsteht ein für eine bestimmte Gesellschaft spezifischer „Teilhabemodus“ (ebd.). 3. Teilhabe lässt sich nur in graduellen Abstufungen verstehen, denn „Teilhabe beschreibt kein einfaches ‚Drinnen‘ und ‚Draußen‘“(ebd.). welche Rückschlüsse sich aus den verschiedenen Verwendungen des Kulturbegriffes herausarbeiten lassen, um solchen Missverständnissen vorzubeugen. Fuchs plädiert deshalb für ein „weites Verständnis von ästhetischer Praxis“ (ebd.). 54 | Fuchs orientiert sich in der gleichlautenden Aufzählung (bis auf die gesellschaftliche Teilhabe) an dem Sozialpolitikforscher Franz Xaver Kaufmann, der vier notwendige Voraussetzungen identifiziert, damit soziale Teilhabe realisiert werden kann: Rechtliche, finanzielle, geografische und bildungsrelevante Voraussetzungen. Diese können auch für kulturelle Teilhabe gelten (Fuchs 2008: 229 f.).

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4. Teilhabe ist dynamisch, weil sie sich stetig verändert und nur zu einem bestimmten Zeitpunkt festgehalten werden kann und dann wieder neu untersucht werden muss. 5. Teilhabe ist aktiv, denn sie wird durch „soziales Handeln und in sozialen Beziehungen angestrebt und verwirklicht“ (ebd.). Wichtig für die Einordnung von Bartelheimers Darlegungen ist der theoretische Bezugsrahmen. Um den Grad der Abstufung von Teilhabe ausdifferenzieren zu können bzw. „die verschiedenen Bedingungen gelingender Teilhabe“ (Bartelheimer 2007: 9) aufzuzeigen, greift Bartelheimer in seinen Ausführungen, wie Teilhabe „funktioniert“ (Bartelheimer 2007: 9 in Abbildung 1), auf den Ökonomen Amartya Sen und sein Konzept des „Capability Approach“ zurück.55 Dieses Konzept zeigt auf, dass die materiellen Ressourcen zwar Möglichkeiten zur Teilhabe eröffnen, aber individuelle Fähigkeiten und gesellschaftliche Bedingungen wie Normen und Infrastrukturen benötigen, um Teilhabe zu konkretisieren (vgl. das Modell von Bartelheimer frei nach Sen, 2007: 9). Dabei stärkt das Modell das Individuum, da es nur selbst entscheiden kann, was es für eine gelungene Teilhabe oder, anders ausgedrückt, für ein „gutes Leben“ hält.56 Der Teilhabe-Begriff fokussiert damit die Individualebene, weil er danach fragt, „wer sich auf welche Weise dem ‚gesellschaftlichen Ganzen‘ zugehörig fühlt“ (Bude/Lantermann nach Bartelheimer 2007: 7).57 Zunehmend wird der Ansatz nach Sen auch in pädagogischen Kontexten aufgegriffen und verwendet (z. B. Otto/Ziegler 2010, Schrödter 2012, Lehmann-Wermser/Krupp 2014).58 55 | Bartelheimer verweist zwar nur auf Sen, allerdings sollte im Zusammenhang mit der Entwicklung des Ansatzes auch die Philosophin und Rechtswissenschaftlerin Martha Nussbaum erwähnt werden, die mit Sen gemeinsam für das Konzept steht. 56 | Die Frage nach dem guten Leben wurde und wird im Feld der kulturellen Bildung z. B . auch breit in der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. verhandelt und führte in den 1990er-Jahren zum Modellprojekt „Lernziel Lebenskunst“ (Bockhorst 2013: 46 f.); theoretisch kann dabei verwiesen werden auf John Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit von 1971, grundlegend aber auch auf die Ethik nach Aristoteles. 57 | Dass dies in der sozialwissenschaftlichen Verwendung auch ein Merkmal im Gegensatz zum Begriff der Integration ist, der die Systemebene perspektiviert, wird im noch folgenden Teil zur Integration näher erläutert. 58 | Insbesondere Lehmann-Wermser und Krupp entwickeln im Rückgriff auf den „Capability Approach“, im Rückgriff auf Bartelheimer sowie auf ein weit gefasstes Kulturverständnis ein Modell des „musikalischen Involviertseins“, das die subjektive Einschätzung und die komplexen Begründungsmuster dessen, wie kulturelle Teilhabe als gelungen oder nicht gelungen empfunden und bewertet wird, empirisch fassbar macht. Das Modell konkretisiert, was Teilhabe sein kann und ist damit eines der wenigen Bei-

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Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass dieses Begriffsverständnis hohe Erwartungen an das Individuum stellt: In Kontexten, die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in den Blick nehmen, wird neben dieser Mikroebene stärker die Meso- und Makroebene als gesellschaftliche Ebene fokussiert. Auch Bartelheimer merkt an, dass der Individualismus ein „negatives Vorzeichen“ (Bartelheimer 2008: 18) anzunehmen drohe, wenn sich die politisch Verantwortlichen durch diese Argumentation entlasten könnten – darauf wird im Folgenden zurückzukommen sein, denn, wie Bartelheimer anmerkt, kann so bereits ein „Minimum an Gleichheit der Teilhabeergebnisse“ (ebd.) als Erfolg gewertet und weitere Anstrengungen unterlassen werden. Durch den Rückgriff auf Sen gelingt es Bartelheimer, den Begriff der Teilhabe theoretisch zu fundieren. Er wird damit nicht nur für die Sozial-, sondern auch für die Erziehungs- und Kulturwissenschaften anschlussfähig. Daneben gibt es weitere Begrifflichkeiten, die in Abgrenzung zum Teilhabe-Begriff knapp skizziert werden sollen. Synonym zu dem Begriff Teilhabe wird häufig der Begriff der Partizipation verwendet (z. B. Ermert 2009, Keuchel 2006).59 Ein Blick auf den etymologischen Ursprung der Wörter zeigt die Bedeutungsüberlappung: Partizipation geht zurück auf die Wortstämme der lateinischen Wörter „pars“ für „Teil“ (Stowasser 1991: 324) und „capere“ für „erfassen, nehmen, sich aneignen, fangen“ (vgl. „capio“, Stowasser 1991: 67). In der direkten Übersetzung von „participare“ für „teilnehmen lassen, teilhaben an“ (vgl. „participō, Stowasser 1991: 325) wird diese Überschneidung des Sinngehalts noch klarer.60 Im politischen Kontext wird der englische Begriff participation im Deutschen häufig mit Teilhabe übersetzt, meint aber vor allem die politische Mitbestimmung.61 Fuchs setzt sich mit beiden Begriffen im pädagogischen Kontext auseinander und verweist darauf, dass Partizipation in Deutschland auch eine spezifisch pädagogische spiele für eine empirische Untersuchung, die kulturelle Teilhabe quantitativ und qualitativ ausdifferenziert (Lehmann-Wermser/Krupp 2014). 59 | Eine explizite Unterscheidung zwischen Partizipation und Teilhabe für die kulturelle Bildung suggerieren Schwanenflügel/Walther zwar laut gleichnamigem Artikel (Schwanenflügel/Walther 2012), sie arbeiten dabei allerdings ausschließlich mit einem in der politischen Philosophie gründenden Partizipationsbegriff, gehen auf den Begriff der Teilhabe nicht näher ein und differenzieren die beiden Begriffe nicht aus, beispielsweise als Gegenüberstellung. 60 | Der Duden gibt als Bedeutungsmöglichkeiten an: „das Teilhaben, Teilnehmen, Beteiligtsein“ (vgl. Bibliographisches Institut GmbH). 61 | Aus angloamerikanischen Diskursen wird Partizipation gelegentlich direkt ins Deutsche übernommen, wenn eine stärkere politische Dimension im Sinne von Macht herausgearbeitet werden soll (vgl. den Hinweis von Lehmann-Wermser/Krupp 2014: 22).

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Konnotation aufweist: So gibt beispielsweise das Kinder- und Jugendhilfegesetz explizit Partizipation als Leitprinzip des Arbeitsfeldes kultureller Bildung an (Fuchs 2008: 234).62 Auch werden zumeist solche Praktiken, z. B. in Museen oder Theatern als partizipativ bezeichnet, bei denen die Besucher oder Zuschauer persönlich einbezogen werden (vgl. Renz 2016: 37). Wenngleich folglich der Begriff der Partizipation in seiner zum einen politischen, zum anderen pädagogischen Dimension für die vorliegende Arbeit hätte verwendet werden können, so wird dennoch der Begriff der Teilhabe favorisiert. Er hat sich im deutschsprachigen Raum sowohl im wissenschaftlichen wie auch im politischen Kontext durchgesetzt, da er allgemeiner eingesetzt werden kann und sich nicht auf explizit politische oder pädagogische Zusammenhänge bezieht. Sprachlich kann weiterhin noch unterschieden werden zwischen Teilnahme und Teilhabe. Eine wissenschaftlich eindeutige Abgrenzung der Begriffe findet sich selten, z. B. in Publikationen der Sonderpädagogik.63 Allerdings gibt es die Tendenz, die beiden Begriffe unterschiedlich zu konnotieren: Teilnahme wird eher im passiven Sinne und Teilhabe stärker im aktiven Sinne 64 verwendet. Auch die umgekehrte Verwendung der Begriffe wird diskutiert.65 Lehmann-Wermser/Krupp gehen ohne Verweis auf andere Quellen davon aus, dass Teilnahme die Anwesenheit an sich sei, wohingegen Teilhabe mit weitergehenden Ansprüchen verbunden sei, zumindest im Bildungsdiskurs (Lehmann-Wermser/Krupp 2014: 22). Auch die vorliegende Arbeit nutzt den Begriff der Teilhabe im Sinne einer Involvierung des Subjekts: Der Einzelne hat an etwas teil, wenn er beispielsweise eigene Gestaltungsmöglichkeiten be62 | Im Bereich der außerschulischen Kinder- und Jugendbildung gibt es eine Vielzahl an Literatur, die den Partizipationsbegriff nutzt, z. B . Sachverständigenkommission Zehnter Kinder- und Jugendbericht 1999, Hafeneger et al. 2005, Betz 2010. 63 | In diesem Kontext wird weiterhin der Aspekt der „Teilgabe“ unterschieden, der das reziproke Verhältnis näher bestimmt, da, wie Hinz schreibt, der „Mensch mit Behinderung immer auch ein Gebender ist […] dessen Gabe gesellschaftlich anerkannt und wertgeschätzt werden muss“ (Hinz, zusammengefasst von Lob-Hüdepohl in Hinz 2012: 9). 64 | International findet sich diese Unterscheidung und differenzierter als beim deutschen Teilhabe-Begriff aus der Übersetzung von participation im Sinne von „aktiver Teilnahme“ und attendance im Sinne von „passiver Anwesenheit“, wie Renz feststellt (2016: 35). 65 | Eine solche Verwendung der Begriffe, d. h . Teilnahme als aktiver ausgerichteter Terminus im Vergleich zur Teilhabe, findet sich bei Groni für den juristischen Diskurs (vgl. Groni 2008). Die juristische Auslegung wird auch bei Tiedeken genannt, der eine aktive Mitgestaltung statt einer passiven Teilhabe im Bereich „Kunst und Inklusion“ fordert (Tiedeken 2012).

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kommt, Anerkennung erhält und im Projekt sichtbar wird. Dann nämlich ist Teilhabe mehr als nur Dabeisein. Auf dieser Basis, werde ich den Terminus kulturelle Teilhabe wie folgt verwenden: • Mit Bartelheimer ist Teilhabe historisch relativ und kontextabhängig, mehrdimensional, dynamisch, aktiv und in Abstufungen zu verstehen. • Kulturelle Teilhabe bezieht sich auf ein weites Verständnis von Kultur.66 • Teilhaben kann zwar auch ein Teilnehmen im Sinne bloßer Anwesenheit sein; die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Projekte formulieren als Ziel jedoch vor allem eine darüber hinausgehende aktive Teilhabe. • Teilhabe ist offener als Partizipation und bietet sich deshalb als Begriff für die Untersuchung von Ein- und Ausschlüssen in kulturellen Bildungsprojekten an. Zur Abgrenzung und Definition von Teilhabe ist ein weiterer englischer Begriff zu nennen, der in internationalen Organisationen wie der UN im Deutschen mit Teilhabe übersetzt wird, nämlich der Begriff der inclusion. Die Übersetzung mit Teilhabe und nicht mit dem sprachlich näherstehenden Terminus Inklusion hat zwei Gründe: Zum einen verweist Inklusion in der deutschsprachigen Diskussion auf die stark rezipierte Luhmann’sche Systemtheorie. Zum anderen ist mit Inklusion zwar die Perspektive auf alle Menschen gemeint, spezifisch wird damit aber auf den Einschluss und den Einbezug von Menschen mit Behinderungen in alle gesellschaftlichen Felder verwiesen. Auch ist es begriffshistorisch notwendig, darauf hinzuweisen, dass viele, die von Teilhabe sprechen, eigentlich den Diskurs um Integration und Inklusion in den sonderpädagogischen Disziplinen meinen und weiterführen bzw. wie Feuser meint, „verfälschen“: Er spricht vom „inzwischen nahezu perfekten Dilemma des Umgangs mit den Begriffen der Integration und Inklusion“ (Feuser 2012: 11) und fürchtet, dass dem Begriff der Teilhabe „in Fortsetzung Ähnliches widerfährt und er noch dazu als Decke verwendet werden könnte“ (ebd.), die über eben jenes Dilemma gelegt werde, „um mit etwas, das nicht geklärt ist, das Ungeklärte zu überdecken“ (ebd.). Zudem geht seine Kritik in die Richtung, dass es sich bei Teilhabe um einen von in unserer Gesellschaft wirkmächtigen und von wenig (zugangs-)eingeschränkten Personen definierten Begriff handelt, 66 | Dies erscheint gerade in Bezug auf Teilhabe wichtig, da der Begriff ansonsten einer Engführung gleicht, wie Lehmann-Wermser/Jessel-Campos darlegen: Der enge Begriff kultureller Teilhabe, bezogen auf Definitionen von z. B. Ermert 2009 und die Enquête-Kommission Kultur in Deutschland „taugt“ ihrer Meinung nach nicht, denn mit seiner „impliziten Setzung von ‚hochkultureller‘ Orientierung ist er theoretisch fragil und wird der Beschreibung kindlicher (und mutmaßlich: jugendlicher) Lebenswelt nicht gerecht“ (Lehmann-Wermser/Jessel-Campos 2013: 144).

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der nicht von Selbstvertretern in marginalisierten Lebenssituationen geprägt und ausgestaltet wurde und folglich Aspekte der Handlungsmacht ausblende. Auf die Begriffsverwendungen von Inklusion wird ebenso wie auf die Unterscheidung zwischen Integration und Inklusion in den folgenden Unterkapiteln differenzierter eingegangen, um den Unterschied zu Teilhabe präzise herauszuarbeiten.

4.2 Bildungs- und kulturpolitisches Paradigma: Integration „Kulturelle Bildung ist ein Schlüsselfaktor der Integration, sie öffnet den Zugang zu Kunst und Kultur und zum gesellschaftlichen Leben schlechthin.“ (N ationaler I ntegrationsplan, D ie B eauf tragte der B un desregierung für M igration , F lüchtlinge und I ntegration 2007: 128)

Integration und Inklusion sind zwei politik-, sozial- und erziehungswissenschaftlich – sowie längst auch kulturwissenschaftlich – gebräuchliche Termini. Sie basieren auf unterschiedlichen theoretischen Konzepten und verweisen dabei auf unterschiedliche Denkweisen und Grundhaltungen, weshalb sie auch als Paradigmen der Bildungs- und Kulturpolitik gelten können.67 Integration wurde lange Zeit als ein Schlagwort in der Politik verwendet und galt als vorherrschendes sozialwissenschaftliches und gesellschaftspolitisches Modell für die Einbeziehung von Menschen und Gruppen in ein größeres Ganzes bzw. in ein System, von dem sie bisher ausgeschlossen waren. Vom lateinischen Nomen „integratio“ für „Erneuerung“ (Stowasser 1991: 241) bzw. dem Verb „integrare“ für „wiederherstellen, wiederaufnehmen, erneuern“ (vgl. „integro“, Stowasser 1991: 241) abgeleitet, verweist es auf die Wiederherstellung einer Einheit oder die Vervollständigung zu einem Ganzen (vgl. Bibliographisches Institut GmbH, Stichwort „Integration“). Soziologisch gewendet, versteht man darunter die „Verbindung einer Vielheit von einzelnen Personen oder Gruppen zu einer gesellschaftlichen und kulturellen Einheit“ (ebd.). Mit dem Begriff werden meist Zusammenhänge des sozialen Zusammenhalts einer Gesellschaft in den Blick genommen, da er nicht die Ebene des Individuums fokussiert, sondern die gesellschaftliche Systemebene (vgl. Bartelheimer 2007: 6). Gemeint sind im gesellschaftspolitischen Diskurs allerdings nicht alle Gruppen gleichermaßen, sondern zumeist Minderheiten, die als Randgruppen wahrgenommen werden. Diese Verwendung impliziert, dass sich 67 | Vgl. Hinz 2002. Schumann führt dies für die BRK und die Diskussionen in Deutschland aus, vgl. Schumann 2009, Dannenbeck fordert diesen Paradigmenwechsel bezogen auf kulturelle Teilhabe (2011: 2).

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diese Gruppen einseitig an ein vorherrschendes System und eine Leitkultur anpassen müssen (vgl. Bartelheimer 2007: 7). Zu den Gruppen, die mit dem Terminus Integration besonders in den Blick genommen werden sollen, zählen seit vielen Jahren Menschen mit Behinderungen.68 Durch Integration soll ihre Eingliederung z. B. in den Arbeitsmarkt oder in Regelschulen (anstelle von Sonder- bzw. Förderschulen) erreicht werden; letzteres wurde als sogenannte Integrationspädagogik bezeichnet (vgl. Feuser 1996, Prengel 2006: 158 ff.). Eine weitere Gruppe bilden Menschen, die selbst oder deren Vorfahren nach Deutschland eingewandert sind und die seit einigen Jahren als „Menschen mit Migrationshintergrund“ benannt werden. Für diese Menschen soll durch Integration „Chancengleichheit“ und „Partizipation“ im Sinne sozialer, ökonomischer, politischer und kultureller Teilhabe erreicht werden. Allerdings weisen Hess und Moser darauf hin, dass diese Ebene nur noch „marginal“ wahrzunehmen sei (Hess/Moser 2009: 12), weil die Thematisierung von Defiziten und Problemen zunehmend die positiven Erwartungen verdrängt habe. So ist in der politischen Praxis Integration zu einem Instrument des Förderns und Forderns69 geworden, durch das Migranten die deutsche Sprache und Kultur übernehmen sollen. Integrationsmaßnahmen wurden zunehmend als Kontrollmaßnahmen verstanden (vgl. Lanz 2009: 105). Dadurch sei der Begriff äußerst zwiespältig und kritikwürdig geworden, denn Integration wird zwar

68 | Es gibt differente Argumentationslinien, inwiefern die Begriffe, die das Wort Behinderung verwenden wie Menschen mit Behinderungen, Behindertenpädagogik und auch die Bezeichnung Sonderpädagogik, die auf etwas Besonderes und Anderes als Kontrastfolie zur Norm verweist und auf Defizite rekurrieren, kritikwürdig sind und ersetzt werden sollten. Auch wenn sie zunächst als einschränkende, starre, statische und auch zuschreibende Sichtweise aufgefasst werden können, so orientiere ich mich an Vertreterinnen wie Saskia Schuppener und Monika Schumann, die z. B. Sonderpädagogik bewusst verwenden, um darauf aufmerksam zu machen, dass insbesondere der Bildungsbereich in Deutschland stark auf „Sondersysteme“ setzt und mit anderen Begriffen häufig der Tatbestand der Aussonderung verschleiert wird. Gleichwohl muss dieses offensichtliche Dilemma der Begrifflichkeiten offengelegt werden, da sich durch die Verwendung eine Reproduktion der „Zwei-Gruppen-Theorie“ ergibt (z. B. Hinz 2002: 6 ff.). Dieses „bewusst machen“ fordern Boban et al. in prägnant formulierten Thesen, um eine „inklusionstheoretische Kritik an Kategorisierungen“ stark zu machen (Boban et al. 2014), der ich mich anschließe. 69 | Diese Formulierung als Grundsatz und Prinzip im Umgang mit staatlicher Fürsorgeleistung hat insbesondere durch die Sozialgesetze zum Arbeitslosengeld, den sog. Hartz IV-Gesetzen, eine sprachliche Konjunktur erlangt. Allerdings findet sie sich auch immer wieder im Diskurs zu Migration und Integration.

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mit „Ausgleich und Gerechtigkeit assoziiert[,] [blendet aber gleichzeitig] den Herrschafts- und Kontrollanspruch aus“ (Bodjadzijev/Ronneberger 2001: 20). In dieser Kritik liegt begründet, dass der Integrationsbegriff heute nicht mehr alleinig verwendet wird. Doch auch weitere Faktoren spielen eine Rolle: • Im Bereich der Sonderpädagogik, insbesondere der Forschung, hat das Konzept der Inklusion das der Integration abgelöst – teils nur semantisch, teils auch inhaltlich (z. B. Hinz 2002, ders. 2008, Wansing 2005). • Integration bezieht sich in den Sozialwissenschaften zumeist auf den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft, d. h. auf die gesellschaftliche Systemebene.70 Deshalb ist die Frage nach Zugängen und Teilhabe von Subjekten mit dem Konzept der Integration schwer zu fassen (vgl. Bartelheimer 2007: 6). • Für das Netzwerk Kritische Migrations- und Grenzregimeforschung kann der Begriff keine „Gegenseitigkeit“ erreichen und ist aus drei Gründen nicht zu halten: Integration werde 1.) semantisch mit (Zwangs-)Assimilation gleichgesetzt, impliziere 2.) eine strukturelle Asymmetrie und sei 3.) in der deutschen Ausprägung in erster Linie „ordnungspolitisch“ (vgl. Karakayali/Bodjadzijev 2010: 6 f.). Der Begriff wird in der öffentlichen Diskussion wie auch in wissenschaftlichen Fachdiskursen inzwischen nicht mehr ausschließlich gebraucht und weitere Begrifflichkeiten sind hinzugekommen. So steht Integration für eine andere Form der Einbeziehung als Inklusion. Teilweise scheinen aber nur andere Wörter dieselben impliziten Konnotationen fortzuführen, etwa in Begriffskopplungen mit Teilhabe, Vielfalt und Heterogenität. Ob dies im Lichte eines Paradigmenwechsels anzusehen ist oder nicht, muss im Einzelfall untersucht werden.71 Festgehalten werden kann, dass der Begriff Integration nach wie vor Verwendung findet und mit ihm Konnotationen, die auch – oder gerade – im Be70 | In der Sonderpädagogik bezieht sich Integration nach Hinz (2002, Tabelle) nicht auf die System-, sondern auf die Individualebene, da das einzelne Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Blickwinkel ist, während die Inklusion den Blick auf die systemische Ebene richtet, indem sie eine „Schule für Alle“ fordert (vgl. dazu auch Feuser 2012: 17). 71 | So hieß z. B . die Ideeninitiative der Liz Mohn Stiftung von 2008–2014 „Integration durch Musik“, seit 2015 ist sie umbenannt in „Kulturelle Vielfalt mit Musik“, die Inhalte und Förderrichtlinien sind gleichgeblieben. Wie Hinz bezogen auf Integration und die oftmals neue Namensgebung Inklusion ausführt, braucht es weniger eine semantische Veränderung, die das Bestehende unter anderem Namen weiterführt, als vielmehr einen Paradigmenwechsel, um ein tatsächlich neues Konzept zu implementieren (Hinz 2002).

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reich kultureller Kinder- und Jugendprojekte mitunter problematisch sind. Allzu häufig verbirgt sich dahinter eine Form der Teilhabe, die als gemeinsam, aber nebeneinander beschrieben werden kann: In dieser Perspektive gibt es zwei (vermeintlich homogene) Gruppen, wobei die zu integrierende Gruppe zwar dabei ist, aber unter sich und damit fremd und anders bleibt. Die Gruppe der Mehrheit wird nicht weiter thematisiert, sondern als Norm vorausgesetzt. Ob das der Umsetzung einer Integrationsmaßnahme geschuldet ist oder bereits im Konzept begründet liegt, lässt sich pauschal nicht sagen. Für die Analyse von Praxisprojekten ist es folglich aber notwendig, wie und mit welchem Verständnis Begriffe verwendet werden und sich im Handeln derjenigen widerspiegeln, die die Rahmenbedingungen gestalten können.72

4.3 Bildungs- und kulturpolitisches Paradigma: Inklusion Das Konzept der Inklusion ist ein weiteres Modell des Miteinanders verschiedener Menschen und Gruppen. Die Begriffe Inklusion sowie Exklusion gehen zurück auf Talcott Parsons, der sie in die Soziologie einbrachte, und Niklas Luhmann, der das Modell innerhalb der Systemtheorie weiter ausarbeitete (vgl. Luhmann 1981, Stichweh 2005). Ohne auf die Systemtheorie näher einzugehen, ist für die vorliegende Analyse jedoch von Bedeutung, dass es für Luhmann in „funktional differenzierten Gesellschaften“ (Luhmann 1981: 19) keine vollständige Inklusion geben kann, da Menschen, während sie sich in einem Teilsystem befinden und darin inkludiert sind, nicht gleichzeitig in bestimmten anderen Teilsystemen sein können, dort also exkludiert sind (vgl. dazu auch Farzin 2006 und Dannenbeck/Dorrance 2009). Folglich ist eine Inklusion nicht ohne die komplementäre Exklusion zu denken. Oder, wie Bartelheimer es ausdrückt: „Zur (Teil-)Inklusion in die einen [Funktionssysteme] gehöre als Nebeneffekt die (Teil-)Exklusion aus anderen.“ (Bartelheimer 2007: 6) Dies wird für die Rückbindung der Ergebnisse der Analyse an die Zielsetzungen der Projektkonzepte von Bedeutung sein. Ein weiterer soziologischer Gebrauch des Begriffs Inklusion ist auf dem Gebiet der sozialen Ungleichheitsforschung zu finden (Hradil 2001). Allerdings wird bei diesem Verständnis auf eine umfassende gesellschaftliche Teilhabe abgezielt, d. h. Inklusion wird als anzustrebende Einbeziehung in alle gesellschaftlichen Funktionssysteme verstanden, wodurch sich die Begriffsverwendung von derjenigen der Systemtheorie fundamental unterscheidet. Dieses Verständnis von Inklusion ist normativ, sodass Ungleichheit und Exklusion

72 | Dannenbeck erörtert diese „Integrationslogik“ am Beispiel von Zugängen zu Museen, stellt dieser aber dezidiert die Herausforderung der Inklusion als „innere Haltung“ gegenüber (Dannenbeck 2011: 4).

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nicht tolerierbar sind. So verstanden, findet Inklusion inzwischen starke gesellschaftspolitische Verwendung, auch im kulturellen Bereich: Die Idee der Inklusion bezieht sich dabei konkret auf gesellschaftliche Gruppen, die aufgrund sozialer Ungleichheit wenig Zugang zu Bildung und Wohlstand haben oder in anderer Weise von den Bedürfnis- und Handlungsgewohnheiten der Mehrheitsgesellschaft abweichen, zum Beispiel aufgrund von Behinderungen. Kulturvermittlung wird hier als eine Möglichkeit gesehen, die ungleiche Verteilung von Ressourcen über die Ermöglichung kultureller Teilhabe auszugleichen. (Mörsch 2012: 143)

In Deutschland wird der Begriff der Inklusion in erster Linie mit der Differenzkategorie Behinderung bzw. Menschen mit Behinderungen assoziiert, auch wenn es sich dabei eben nur um ein Unterscheidungsmerkmal neben vielen anderen wie Alter, Geschlecht, ethnischem Hintergrund etc. handelt. Insbesondere durch die auch von Deutschland ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention fand eine bildungspolitische Wende statt (z. B. Schumann 2009, Sliwka 2012: 272 f.), deren Ziel die Chancengleichheit von Menschen mit Behinderungen ist sowie die Möglichkeit der Teilhabe an allen gesellschaftlichen Bereichen (Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen/BRK 2014: 8, Präambel Punkt f). Chancengleichheit ist aber nicht im Sinne einer Gleichheit von Voraussetzungen zu verstehen bzw. an diese gekoppelt. Im Gegenteil: Das Ziel der Realisierung von Chancengleichheit bedeutet eine explizite Berücksichtigung von Differenz und Ungleichheit. (Schuppener et al. 2014: 11)

Interessant ist, dass sich der Begriff Inklusion im Bereich der Sonderpädagogik zwar scheinbar gegenüber dem Terminus Integration durchgesetzt hat (Hinz 2008), dass aber die Frage nach den entscheidenden Unterschieden zwischen den zugrunde liegenden Konzepten im öffentlichen Diskurs nicht unbedingt gestellt wird. Auch ob die Rede von den Konzepten oder von den empirischen Befunden ist, ist nicht immer klar. Im Fachdiskurs werden hitzige Debatten darüber geführt.73 Einige Autorinnen sehen einen rein semantischen Unterschied gegenüber dem Integrationsbegriff (z. B. Rödler 2009), andere argumentieren hingegen, dass es sich um eine Weiterentwicklung im Sinne

73 | So wird im Bereich der Sonderpädagogik wieder zunehmend von Integration gesprochen, da darin Konzept und Realität besser übereinstimmten, weil mit Integration die Öffnung von Institutionen gegenüber einer bestimmten Personengruppe wie z. B. Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf gemeint ist und nicht eine reflexive Auseinandersetzung mit den gesamten Strukturen einer Einrichtung.

Teil II: Theoretische Grundlagen

einer Fortentwicklung handle.74 Gleiches ist auch im gesellschaftspolitischen Sprachgebrauch zu beobachten. Wichtig für die vorliegende Forschungsarbeit ist, dass Integration und Inklusion nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich Unterschiedliches meinen:75 Während Integration darauf abzielt, ein Teil einem Ganzen (wieder) hinzuzufügen, leitet sich Inklusion ab vom Lateinischen und meint „einschließen“ (vgl. „in-cludo“, Stowasser 1991: 226). Damit fokussiert Inklusion nicht unterschiedliche Gruppen, sondern die Gesellschaft an sich und damit alle Gruppen gleichermaßen. Es ist also ein weit gefasstes Verständnis von Inklusion gemeint, das sich auf alle Mitglieder einer Gruppe oder einer Gesellschaft bezieht und Exklusionsmechanismen zu überwinden sucht (vgl. z. B. Tiedeken/Klinger 2015). Dies ist von Bedeutung, wenn es um die Inklusion 74 | Zwei Grafiken können dies verdeutlichen: Zum einen die Grafik von Anne Sliwka mit dem Titel „Von der Homogenität zur Diversität“ (Sliwka 2012: 272), die damit zwar den Paradigmenwechsel im Umgang mit Unterschieden, aber auch eine Entwicklung skizziert (Homogenität: Keine Anerkennung von Unterschieden, Heterogenität: Unterschiedlichkeit als Herausforderung, der man sich stellen sollte (Integration); Diversität: Unterschiede werden als Gewinn und als Lernressource gesehen (Inklusion), ebd.). Zum anderen findet sich auf Wikipedia eine Grafik zum Artikel „Inklusive Pädagogik“, die die verschiedenen Ein- und Ausschlussmechanismen Exklusion, Segregation, Integration und Inklusion als Petrischalen mit bunten und verschiedenen geometrischen Formen visualisiert (vgl. Wikipedia.de: „Inklusive Pädagogik“). Interessant ist diese Grafik, weil sie häufig, zum Teil auch etwas abgewandelt, zitiert wird, allerdings meist ohne Quellenangabe (z. B . Stiftung Sozialpädagogisches Institut Berlin „Walter May“ 2013: 13). Auf der Wikipedia-Seite findet sich allerdings die direkte Angabe des Autors (Robert Aehnelt). Es gibt verschiedene Titel der Grafik, auch weil sich diese ebenfalls auf der Seite „Integrative Pädagogik“ findet. Die Titel variieren, je nachdem, ob man sich auf der Textseite oder auf der direkten Grafik-Seite befindet. Sie zeigen eine evolutionistische Linie sehr stark auf: Vom „Schema der Entwicklungsstufen schulischer Integration“ über „Inklusion im Kontext“ und „Historische Schritte zur Inklusion auf gesellschaftlicher Ebene“ differieren die Titel und verdeutlichen dabei (auch) die semantische Beliebigkeit (vgl. Wikipedia.de: „Inklusive Pädagogik. Schritte zur Inklusion“). Rödler kritisiert diese „falsche Grafik“ heftig und wirft den Vertretern der Inklusiven Pädagogik einen künstlichen Widerspruch zur Integrationspädagogik im Sinne einer Allgemeinen Pädagogik vor (vgl. Rödler 2009). 75 | Wenn man denn diese Auffassung vertritt; ein Gegenbeispiel dazu ist Georg Feuser, der bereits in den 1980er-Jahren ein Verständnis von Integration proklamiert hat, das alle und von Beginn an einschließt, weswegen es seiner Meinung nach keinen neuen Terminus und auch keines neuen Konzepts bedarf, sondern er auf sein Plädoyer für eine „Allgemeine Pädagogik“ verweist, vgl. z. B. Feuser 1989 und 2012. Ähnliches fordert Annedore Prengel mit der „Pädagogik der Vielfalt“, vgl. Prengel 2006.

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einer Gruppe wie beispielsweise der Roma-Kinder und -Jugendlichen in den untersuchten Projekten gehen soll. Denn in einem weiten Inklusionsverständnis steht nicht eine einzelne Gruppe im Fokus, sondern die gesellschaftlichen Strukturen, die diese Gruppe zu einer Einzelnen machen. Deshalb muss im Anschluss an Mörsch kritisch hinterfragt werden, wie das Konzept der Inklusion die bestehenden Strukturen denkt: Problematisch am Inklusionsgedanken ist, dass er Kultur und Institutionen als unveränderliche Grösse [sic] voraussetzt, in die bisher Ausgeschlossene einbezogen werden sollen. Selten wird dabei der gesellschaftliche Kontext, der zur Ungleichbehandlung erst führt, mit reflektiert und in die Arbeit an Veränderungen einbezogen. Zudem wird einseitig definiert, wer es nötig hat, einbezogen zu werden, und was die Norm ist, in die einbezogen werden soll. (Mörsch 2012: 143)

Mörsch vertritt damit eine hegemoniekritische Haltung (ebd. 2012: 161 ff.), die Klepacki im Inklusionsgedanken zwar nicht inhärent, aber dicht angelegt sieht, und zwar als „Aufforderung zu einer Reflexion kultureller Muster, Traditionen, Praxen und Institutionen mit dem Ziel, Mechanismen, Machtverhältnisse und Logiken aufzudecken, die kulturelle Inklusion ermöglichen bzw. erschweren“ (Klepacki 2014: 262). Genauso fordert Josties (vermeintlich) inklusive Konzeptionen und Prozesse der Praxis der kulturellen Bildung kritisch zu reflektieren. Manche angeblich inklusiven Projekte geraten in die Fallstricke essentialistischer Zuschreibungen und zementieren damit (unbewusst) Diskriminierungen bestimmter Adressat_innengruppen. (Josties 2015: 229)

Damit ist die zentrale Frage angesprochen, inwieweit durch Inklusion tatsächlich das Moment einer systemverändernden Transformation umgesetzt wird, durch das machtvolle Zuschreibungen aufgedeckt werden und die Gesellschaft und ihre Strukturen als Ganzes ins Blickfeld rücken können. Oder liegt nur eine semantische Änderung vor, die zudem als „Decke“ (Feuser 2012: 11) über das Begriffsdilemma ausgebreitet wird? Der Begriff der Inklusion zeigt noch deutlicher als der Begriff der Integration die Notwendigkeit der Differenzierung von Diskursen: Erst dadurch wird verständlich, welche Bandbreite an Verwendungen existiert, und dass diese Gleichzeitigkeit von Diskursen Irritationen infolge von Widersprüchlichkeiten hervorruft. So ist es nicht verwunderlich, dass Begriffe in ihrer Verwendung inkonsistent sind. Bedeutsam aber ist, dass Projektziele infolgedessen gleichzeitig als erreicht gelten wie auch sich in ihr Gegenteil verkehren können.

Teil III: Methodik

Im Anschluss an die Begriffsdarlegungen und -definitionen der Theoriekapitel wird in diesem Teil zur Methodik (Teil III) dargelegt, wie kulturelle Teilhabe als Forschungsfrage methodisch bearbeitet werden kann. Wie können Bedeutungen der verschiedenen Begriffsvarianten des Kulturbegriffs und des Verständnisses von Multi-, Inter- und Transkulturalität für die kulturelle Teilhabe herausgearbeitet werden? Wie wird der implizit und explizit verhandelte Diskurs beschreibbar? Diese Fragen können mit kombinierten sozialwissenschaftlichen und ethnografischen Methoden untersucht werden. Sinnvoll ist ein empirisch-qualitativer Zugang, der Detailanalysen sozialer Interaktion möglich macht, um Bedeutungsstrukturen analysieren zu können (vgl. Geertz 1983: 15) und diese in einem interpretativen Verfahren (Strauss/Corbin 1996: 5) zu bearbeiten. Zur Explikation meines Vorgehens legen die folgenden Kapitel die Felderschließung und die verwendeten Methoden dar. Ziel ist die Rekonstruktion des Aushandlungsprozesses, der Kultur als ethnische Differenzlinie sichtbar werden und ein Spannungsfeld entstehen lässt, das die Frage nach kultureller Teilhabe stellt. Dafür wurden Verfahren angewendet, um Hypothesen aus dem Feld heraus zu gewinnen. Es lagen folglich keine aus der Theorie abgeleiteten Hypothesen vor, die im zu erschließenden Feld verifiziert oder falsifiziert werden sollten. Im Folgenden wird dargelegt, welche Daten unter welchen Gesichtspunkten mit welchen Instrumenten erhoben und ausgewertet wurden: Zunächst wird der Feldzugang skizziert (1.), woran sich eine Auseinandersetzung mit der für soziologisch-ethnologische Methoden wichtigen Standortgebundenheit und der Forschungshaltung anschließt (2.), bevor die Erhebungsmethoden erläutert werden (3.). Daran anknüpfend wird die Auswahl der untersuchten Projekte begründet (4.), und die mit einer bestimmten Forschungshaltung verbundenen und deshalb für den gesamten Forschungsprozess wichtigen Auswertungsmethoden werden dargelegt (5.). Zum Schluss wird darauf eingegangen, in welcher Form die empirischen Daten in Teil IV dargestellt werden (6.).

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1. D as F orschungsfeld und seine E rschliessung In allgemeinen gesellschaftspolitischen Diskursen, aber auch in der Forschung wird beim Thema Teilhabe zumeist auf Kinder und Jugendliche rekurriert, weil sie von Bildungsbemühungen mit dem Ziel kultureller Teilhabe besonders häufig in den Blick genommen werden. Um an aktuelle Debatten anknüpfen zu können, habe auch ich mich für diese Zielgruppe entschieden. Die spezifische Zielgruppe der Roma habe ich ausgewählt, weil sie wie wenig andere Gruppen als homogene, ethnisch abgegrenzte Minderheit wahrgenommen wird.76 Die Erschließung des Forschungsfeldes war in einem ersten Schritt von der Suche geleitet, ob es in Deutschland überhaupt Initiativen und Projekte gibt, die Roma-Kinder und -Jugendliche explizit als Zielgruppe benennen. Bemerkenswert ist, dass sich keine Projekte in den ostdeutschen Bundesländern ausfindig machen ließen. Dies verweist zum einen auf die seit dem Porajmos 77 geringe Zahl dort lebender Sinti, die zudem in der DDR nicht als Minderheit anerkannt waren und „tabuisiert“ wurden (Gilsenbach 1993: 8). Zum anderen ist es Ausdruck dafür, dass seit den 1960er-Jahren Bleiberechtssuchende, darunter viele Roma aus (Süd-)Osteuropa wie auch aus dem ehemaligen Jugoslawien, vor allem in westdeutschen Städten lebten bzw. untergebracht wurden (Marushiakova/Popov 2010). So wurden auch die ersten Aktivistengruppen und Vereine in Städten wie Hamburg (Rom und Cinti Union, 1983) und Köln (Rom e. V., 1985) gegründet. Bis heute existiert als Landesverband, also als strukturierte Organisationsform der Minderheit selbst, nur der Gemeinschaftsverband Berlin-Brandenburg in einem ostdeutschen Bundesland.

76 | Ich verwende die Eigenbezeichnung Roma als Begriff für verschiedene Gruppen, die jeweils zusätzlich auch ihren je spezifischen Gruppennamen verwenden. Weltweit hat der Begriff aktuell die größte Akzeptanz. Im deutschen Sprachraum wird das Begriffspaar Sinti und Roma genutzt, das auf zweierlei hinweist: Zum einen sind die Sinti eine historisch alteingesessene Gruppe, zum anderen waren sie vor allem von der Verfolgung und Vernichtung durch das Nazi-Regime betroffen (vgl. Hemetek 1998: 442 f.). In der Arbeit gebrauche ich Sinti und Roma, wenn es sich explizit um diese Gruppen handelt, etwa bei dem Projekt Zukunftsmusik. In meiner Diplomarbeit habe ich mich mit Phänomenen der Akzeptanz und Diskriminierung am Beispiel von Musikern der Roma auseinandergesetzt. Die als kritische Literaturanalyse angelegte Untersuchung arbeitete die ambivalente und paradoxe Spannung des Fremdbilds der Mehrheit als faszinosum und tremendum, als Wunschbild und Angstbild, heraus, die als eine historische Kontinuität in immer neuer Ausprägung angesehen werden kann (Stoffers 2006). 77 | Romanes-Ausdruck für das „große Verschlingen“, die Bezeichnung für den Völkermord an Roma während der NS-Zeit.

Teil III: Methodik

Obwohl es ausgewiesene inter- und transkulturelle Projekte in jeder etwas größeren Stadt in Deutschland gibt, fand ich bezogen auf diese Zielgruppe insgesamt wenige Projektbeispiele. Allerdings konnten in Ballungsräumen und Großstädten wie Berlin, Köln und Frankfurt/Main, wo viele Angehörige der Minderheit leben, einige ausgemacht werden. In einem zweiten Schritt wurde erkundet, wer und was Teil des Forschungsfeldes ist (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008: 54). Akteure waren alle Personen, die in irgendeiner Weise in ein Projekt involviert waren: • • • • •

teilnehmende Kinder und Jugendliche Musikerinnen, die als Dozentinnen und/oder Profimusikerinnen auftraten Projektleitung und Projektkoordinatoren Förderer und Sponsoren Publikum

Dabei spielen nicht nur die genannten Akteure eine Rolle, sondern auch die jeweiligen institutionellen Kontexte sind für die Bedingungen und damit die Erklärbarkeit des Feldes von Bedeutung. Institutionelle Regeln gilt es insbesondere auch bei Kooperationen zwischen schulischen und außerschulischen Trägern zu beachten, da die jeweiligen Institutionen wie Schule, Kultureinrichtungen und Jugendkunstwerkstätten verschiedenen Rahmenbedingungen unterliegen und von unterschiedlichen pädagogischen Haltungen und Erwartungen geprägt sind. Auch die verschiedenen Orte, an denen Aufführungen und Konzerte stattfinden, werden als Teil des Kontextes in der Untersuchung berücksichtigt. Denn Orte sind wichtig für den Habitus, das Auftreten, Gebaren und Verhalten, besonders im Hinblick auf die Bildungsprozesse von Kindern und Jugendlichen. Bei der Felderschließung wurden folglich Projekte in den Radius der Untersuchung einbezogen, • die sich der Musik als künstlerischer Ausdrucksweise bedienten, • die auf transkulturelle Kontexte und dabei speziell auf Roma-Kinder und -Jugendliche ausgerichtet waren und • die in ihrer Konzeption einen Bildungsauftrag zur Teilhabe und Chancengerechtigkeit verfolgten (integrativ, inklusiv). Meine eigenen Kenntnisse der Roma-Musik-Szene, die ich als Liebhaberin verschiedener Musikstile wie der südosteuropäischen Blechblasmusik oder des deutschen Sinti-Swing gesammelt habe, meine Diplomarbeit sowie die Netzwerke als Nachwuchswissenschaftlerin, die ich auf bauen konnte, waren der Ausgangspunkt für die Recherche. Durch diese konnte ich konkreten Hinweisen nachgehen und zielgruppenorientiert Vereine und einzelne Musiker suchen. Von einem mir bekannten Berliner Sinti-Musiker bekam ich z. B.

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den Hinweis auf die Musikschule Zukunftsmusik, die speziell für Sinti- und Roma-Kinder und -Jugendliche gegründet wurde und die an der Neuköllner Werkstatt der Kulturen angesiedelt war. Durch den Frankfurter Förderverein Roma lernte ich den Philharmonischen Verein der Sinti und Roma kennen, dessen Anliegen es unter anderem ist, den musikalischen Nachwuchs zu fördern. Darüber hinaus förderte meine gegenstandsorientierte Suche nach den Schlagworten „Musik und Integration“ die „Ideeninitiative“ der Liz Mohn Stiftung zutage. Dort wurde im Untersuchungszeitraum ein gefördertes Projekt umgesetzt, das den Suchkriterien entsprach: Heimat re-invented in Köln. Der Zugang erfolgte über die Projektleiterinnen, bei denen ich nach der Möglichkeit der Begleitung (als teilnehmende Beobachterin) anfragte und um Interviews bat. Ich wählte den offiziellen Weg über die Institutionen, weil es Anliegen der Forschungskonzeption war, gerade solche Projekte zu untersuchen, die mit ihrer Intention bewusst an die Öffentlichkeit traten. Die Reaktionen auf meine Anfragen waren durchweg sehr freundlich und interessiert. Bei dem Berliner Projekt Zukunftsmusik gab es jedoch massive zeitliche Verzögerungen, die teils durch hohe Arbeitsbelastung der Akteure bedingt waren, teils dadurch, dass das Projekt schon länger keine finanzielle Förderung mehr erhielt und damit die Relevanz meiner Anfrage für die Beteiligten nicht nachvollziehbar war. Neben einer möglicherweise generellen und nicht ungewöhnlichen Skepsis gegenüber Interviews lag diese Verzögerung nicht nur an der Arbeitsbelastung, sondern mir wurde bewusst, dass die Zurückhaltung bei der Kontaktaufnahme möglicherweise mit der Geschichte der Verfolgung der verschiedenen Gruppen der Sinti und Roma in Deutschland zusammenhängen konnte und dass dies ein sehr sensibles Thema ist.78 Ich stellte mich darauf ein, dass Zusagen zu Gesprächen nur durch vorsichtige Annäherung sowie ehrliches und langfristiges Interesse zu erreichen waren. Das Forschungsdesign beinhaltete eine Methodentriangulation in Form der Begleitung vor Ort, d. h. der teilnehmenden Beobachtung der Probenprozesse und der Besuch von Aufführungen und Konzerten, offenen Leitfadeninter78 | Als Begründung für die jahrzehntelange Zurückgezogenheit der Sinti in Deutschland nach 1945 spielen die jahrhundertelange Verfolgungsgeschichte und besonders der Porajmos durch die Nationalsozialisten eine sehr wichtige Rolle im Diskurs. Besonders zu Wissenschaft und Forschung hatten viele ein äußerst misstrauisches Verhältnis. Denn die in deutschen Sinti-Kreisen berühmt berüchtigte Assistentin des sogenannten Wissenschaftlers Dr. Robert Ritter, Leiter der rassenhygienischen Forschungsstelle, Eva Justin, nutzte das ihr entgegengebrachte Vertrauen, das sie sich durch Romanes-Kenntisse erworben hatte, aus. Aufgrund ihrer und Ritters Aufzeichnungen über Verwandtschaftsgrade wurde ein großer Teil der deutschen Sinti deportiert und in den NS-Konzentrationslagern ermordet (vgl. zu Eva Justin z. B. Gilsenbach 1993: 97–133, Vossen 1983: 63–87, Gutmann/Jäckel et al. 1995: 1630–1634, Krausnick 1995, Zülch 1979).

Teil III: Methodik

views sowie das Sammeln verschiedener schriftlicher Präsentationserzeugnisse wie Konzepte, Flyer, Broschüren, Plakate, Evaluationen, Presseartikel etc. (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008: 272).

2. S tandortgebundenheit, me thodisch kontrolliertes F remdverstehen und e thische F orschungshaltung Der Mittelpunkt qualitativ-empirischer Forschung ist die Begegnung zwischen der Forscherin und den sie interessierenden Akteuren eines Feldes. Für den gesamten Prozess der Feldforschung begibt sich die Forscherin in ein Spannungsfeld zwischen Nähe und Distanz: „Ohne Nähe wird man von der Situation zu wenig verstehen, ohne Distanz wird man nicht in der Lage sein, sie sozialwissenschaftlich zu reflektieren.“ (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008: 60) Aus dieser Konstellation heraus ergeben sich drei Implikationen für die Feldforschung: Die erste betrifft meine eigene Verortung als Forscherin im Feld (Standortgebundenheit). Die zweite, davon abgeleitet und darüber hinausgehend, die Frage des methodisch kontrollierten Fremdverstehens, also die grundsätzliche Frage, wie wir unser Gegenüber verstehen können und wie wir Befremden als Erkenntnisinstrument in der Ethnografie nutzen können. Die dritte schließlich betrifft die ethische Haltung als Forscherin gegenüber den sogenannten Erforschten. Als Forscherin im Feld zu sein, heißt, selbst Teil dieser Forschung zu sein. Als Menschen sind unsere Beziehungen zur Welt immer subjektiv und standortgebunden, also abhängig von gemachten Erfahrungen und eigenen Wissensbeständen. Diese grundsätzliche Standortgebundenheit bestimmt, was wir als wichtig erachten, wie wir es einordnen, strukturieren und bewerten. In der sozialwissenschaftlichen Forschung hat sich durchgesetzt, diese Standortgebundenheit systematisch in die Methodologie einzubeziehen und sich nicht, wie in den Naturwissenschaften üblich, von den alltäglichen Erfahrungen zu lösen. Karl Mannheim schreibt dazu: „Die Soziologie hat sich also dieses Ursprungs und ständigen Konnexes mit dem vorwissenschaftlichen ‚ganzen Menschen‘ nicht zu schämen, sondern beides in ihre Voraussetzungen aufzunehmen.“ (Mannheim 1980: 84, Hervorhebung im Original) Der Prozess der Feldforschung beinhaltet folglich, die eigene Position als Voraussetzung transparent zu machen, immer wieder zu reflektieren und zu protokollieren. Daneben braucht es für das soziologische Verstehen den epistemologischen Bruch, d. h. das Hinterfragen der selbstverständlich geltenden Annahmen. Dieses Konzept arbeitet mit der „Heuristik der Befremdung“ (Strübing 2013: 62 ff.) und thematisiert damit das grundsätzliche Dilemma zwischen Eigen- und Fremdverstehen. Der Forschungsansatz der kontrollierten Methode des Fremdverstehens wurde von Fritz Schütze et al. (Schütze 1973, zit. n. Przyborski/Wohl-

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rab-Sahr 2008: 30) entwickelt und nutzt die Fremdheit als Erkenntnismittel. Damit ist gemeint, dass die Forscherin sich dem Untersuchungsfeld immer wieder mit fremdem Blick bewusst und gezielt nähert, um blinde Flecken zu erkennen und eine offene, neue Perspektive herauszufordern. Eine methodisch erzeugte Befremdung ist keine Fremdheit, die als „natürlich gegebene Differenz zwischen Forscherin und Feld aufzufassen [ist], sondern diese Fremdheit [ist] als Modus der Welterfahrung zu methodisieren, indem sie […] gezielt erzeug[t]“ werden soll (Strübing 2013: 64).79 Gleichzeitig bedeutet die Kontrolle des Fremdverstehens, dass Situationen und Akteure aus ihrem jeweiligen Kontext heraus zu verstehen sind. So gestalten die Untersuchungsteilnehmer in den offenen Leitfadeninterviews ihre Darstellung selbst und bei der Auswertung wird von der Kontextuierung der Erforschten und nicht von Vorab-Kontextuierungen der Forscher ausgegangen (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008: 31). Als Methode charakterisiert Strübing sie zum „zentralen methodischen Kunstgriff der kulturanthropologischen Ethnologie“ (Strübing 2013: 62), durch die sich die Ethnografie von der Alltagsbeobachtung unterscheide. Die Beziehung zwischen Forscherin und Erforschten ist zum Gegenstand wichtiger Debatten über Fragen der Perspektivität und Repräsentation in der Ethnologie geworden (vgl. Kapitel II/2.3) und die explizite Bezugnahme auf den Kontext und die Standortgebundenheit sind seither zum Ausdruck eines kritischen Umgangs damit geworden. Als eine Richtung aus der Writing-Culture-Debatte gingen die stark normativ aufgeladenen Postcolonial Studies hervor. Sie treten ein für eine Art „politischer Aktionsforschung, die bewusst Partei nimmt für Unterdrückte und Minderheitenkulturen“ (Strübing 2013: 75).80

79 | Strübing erläutert mehrere Methoden des Fremdverstehens nach Amann/Hirschauer: die professionelle Sozialisation als Soziologinnen oder die spezifische Rolle als ethnografische Beobachterin; die Distanz durch Einsatz technischer Medien und die „rhythmische Unterbrechung der Präsenz im Forschungsfeld“ (Amann/Hirschauer 1997: 28, zit. n. Strübing 2013: 64). Alle Methoden sollen dabei helfen, die Gefahr des going native zu verringern und neue Blickwinkel auf das Feld zu erlauben. Außerdem helfe auch der mikroskopische Blick, das Fokussieren auf Details und Mikroprozesse der Interaktionen (ebd.: 64 f.). 80 | Für den vorliegenden thematischen Kontext hat diese Haltung schon früh und pointiert Ursula Hemetek vertreten. Sie verband die Theorie mit der Praxis, als sie 1992 formulierte, dass neben der Forschung auch Öffentlichkeitsarbeit – z. B. durch Projekte, die Musik vorstellen oder über historische Hintergründe von Minderheiten informieren – ein wichtiger Teil der Projektarbeit sei: „Der eingeschlagene Weg scheint [zum Abbau von Vorurteilen bei der Mehrheitsbevölkerung] der richtige zu sein. Die Forschung hat hier eine gesellschaftspolitische Aufgabe und soll sich dieser Verantwortung auch nicht entziehen. Wir wollen mit diesen Projekten einen Beitrag leisten, zu einer neuen Kul-

Teil III: Methodik

Es bleibt eine Gratwanderung, über Personen zu schreiben, die man im Feld kennen und schätzen gelernt hat, mit denen man bisweilen über die Arbeit hinaus freundschaftlich verbunden ist. Fragen, die sich besonders durch das Niederschreiben ergeben (z. B. zur Anonymität der Erforschten), berühren im Kern Fragen einer forschungsethischen Haltung und Verantwortung. Als Grundsatz muss immer gelten, was einem Anstand und Höflichkeit sowie der reflexive Verstand gebieten: Was kann ich ethisch vertreten, welches über mich Geschriebene könnte ich akzeptieren? Entgegen der in der Sozialforschung üblichen Vorgehensweise habe ich eine Anonymisierung nur teilweise vorgenommen. Anonymisiert wurden die Namen aller beteiligten Kinder und Jugendlichen, weil sie über die Schulen zufällig Zugang zu den Projekten erlangten. In ihrem Fall ist es für die Arbeit nicht entscheidend, wer genau sie sind, sondern sie stehen als Falltypen für verschiedene Handlungsmöglichkeiten.81 Nicht anonymisiert sind die Namen der Erwachsenen, die als Dozenten, Projektleiterinnen etc. involviert waren. Grund für diese Entscheidung war, dass sie mit ihrer Arbeit einen Standpunkt beziehen, den sie durch die Aufführungen im öffentlichen Raum sichtbar machen, mit dem sich nicht nur die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen, sondern auch das Publikum, die Presse und Interessierte auseinandersetzen können. Ein weiterer Entscheidungsgrund liegt darin, dass z. B. Aufführungsorte und die Projekttitel wie Heimat re-invented oder Zukunftsmusik für die Auswertung und Interpretation grundlegend waren. Eine vollständige Anonymisierung hätte zur Folge gehabt, auch diese spezifischen Projekttitel zu ändern, was einer Forschung nach Sinn und Bedeutung in dieser Konstellation widersprochen hätte.

3. E rhebungsme thoden 3.1 Teilnehmende Beobachtung Die ethnografische Methode der teilnehmenden Beobachtung ist mittlerweile ein klassisches und sehr häufig angewandtes Instrument der qualitativen Sozialforschung. Auch in den Kunst- und Kulturwissenschaften kommt es zur Anwendung, denn es lassen sich dadurch Dinge beobachten, die im fertigen tur des Zusammenlebens von Mehrheit und Minderheit in Österreich.“ (Hemetek 1992: 130). 81 | Die Anonymisierung der Kinder und Jugendlichen erfolgt über den ersten Buchstaben des Nachnamens, weil zum einen viele Geschwisterkinder teilnahmen und zum anderen die Anfangsbuchstaben der Nachnamen sich häufig doppeln. Eine Rückverfolgung durch die gewählte Abkürzung ist somit nicht möglich.

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Produkt nicht sichtbar, aber relevant für das Erkenntnisinteresse sind, z. B. für die Rekonstruktion eines Prozesses. Teilnehmend beobachten heißt, die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen ebenso wie die Dozentinnen, ihren Arbeitsstil und ihre Konzepte in ihrem jeweiligen Tun kennenzulernen und Beobachterin bei gruppendynamischen Entscheidungen im Probenprozess sein zu können. Von großer Bedeutung war dies bei Entscheidungen, die im Produkt der Aufführung eine Rolle spielten, aber ohne das tiefe Eintauchen in den Probenprozess unverständlich geblieben wären. Es heißt, ein Gespür zu entwickeln, wie das Feld als Gebilde lebendiger und aktiv gestaltender Akteure funktioniert, wohin es sich ausdehnt, was für Themen eine Rolle spielen, sprich: wie sich das Feld konstituiert. Und schließlich heißt teilnehmende Beobachtung wahrzunehmen, wie aus einer Idee und einem Konzept ein reales Stück für die Aufführung auf einer Bühne entsteht: Welche Änderungen und Anpassungen ergeben sich im Prozess, welche Schwierigkeiten treten auf, welche Herausforderungen gilt es zu meistern? Es heißt, über einen längeren Zeitraum und zu wiederkehrenden Zeitpunkten das Projekt zu begleiten. So lernten mich nicht nur die Projektleiterinnen und Dozenten, sondern auch die Kinder und Jugendlichen kennen und wussten, warum ich da war und was ich hier überhaupt tat.82 Die Beobachtungen und Notizen brachte ich unmittelbar nach, nicht jedoch während einer Probe, Besprechung o. ä. in einem Forschungstagebuch zu Papier.

3.2 Offene Leitfadeninter views Für die Projektleiterinnen, künstlerischen Dozenten, Lehrerinnen und Schulsozialpädagoginnen wurden offene Leitfadeninterviews konzipiert und in einer ersten Phase durchgeführt. Anhand des vorab entwickelten Leitfadens konnte sichergestellt werden, dass alle Fragen des Erkenntnisinteresses thematisiert wurden und somit eine Vergleichbarkeit der Interviews gewährleistet wurde. Als teilstandardisierte Form lässt dieser Interviewtypus eine gewisse Flexibilität und Offenheit für den Gesprächsverlauf zu, um die narrativen Anteile der Befragten so hoch wie möglich zu halten und eine Selbstläufigkeit 82 | Alle Projektbeteiligten waren durch meine häufige Anwesenheit daran gewöhnt, dass ich einfach da war. Für die Kinder und Jugendlichen war dies besonders wichtig, weil ich damit für sie zum Team gehörte und nicht als Fremdkörper wahrgenommen wurde. Dadurch konnte das Prinzip der „Unsichtbarkeit durch Sichtbarkeit“ gewährleistet werden (vgl. dazu Fink 2012: 114 ff.). Ich war in den Proben also stille Beobachterin, weil ich nicht wie die Dozentinnen und Praktikantinnen mit den Schülern interagierte. Trotzdem muss grundsätzlich gesagt werden, dass Forscher niemals nur stille Beobachter sein können, sondern, wie zuvor erläutert, durch ihre schlichte Anwesenheit die Situation beeinflussen.

Teil III: Methodik

zu erzielen , sodass die Befragten die Möglichkeit hatten, ihre Sicht der Dinge darzulegen und nach der eigenen inhaltlichen Relevanzstruktur zu entfalten (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008: 139). In einer zweiten Interviewphase wurden weitere Leitfadeninterviews mit den Förderern per Telefon durchgeführt. Dieser Schritt war nötig, um weiteres Kontextwissen über die Verortung der musikalischen Projekte innerhalb der kulturpolitischen Rahmenbedingungen zu erlangen. Gefragt war nicht das öffentlich zugängliche Wissen, das sich aus Materialien der Selbstpräsentation von Institutionen erfahren lässt, sondern das Insiderwissen, das mit diesem nicht identisch sein muss (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008: 138). Es ging einerseits um Betriebswissen, nämlich um geschriebene, insbesondere aber um ungeschriebene Regeln, die für die Förderpraxis beispielsweise zu der Frage der Zielgruppe von Interesse sind. Andererseits interessierte die Einschätzung zu Entwicklungen und Trends, die diese Befragten deshalb geben konnten, weil sie auf einer Metaebene agierten, die sie als Sachverständige auswies und ihnen damit Deutungsmacht 83 verlieh (ebd.: 132 f.). Zum Abschluss wurden die Befragten aufgefordert, über ihre Erfahrungen hinauszugehen, Einschätzungen vorzunehmen, Schlüsse zu ziehen, Diagnosen zu wagen und Prognosen zu entwickeln, zu verallgemeinern und zu theoretisieren, kurz: Deutungswissen zu generieren (ebd.: 137).84 Neben den mündlichen Interviews wurde bei Heimat re-invented das gesamte Team einschließlich der Praktikantinnen schriftlich um ihre persönliche Einschätzung des Probenprozesses, zur Aufführung und insbesondere zu ihrem Eindruck von dem spezifischen „Roma-Teil“ innerhalb des Stückes gebeten. Damit konnten auch diejenigen in die Erhebung mit eingebunden werden, die während des Probenprozesses zwar wenig oder keine gemeinsame 83 | Deutungsmacht muss hier unbedingt auch konkret verstanden werden: Indem die Befragten der zweiten Phase ausschließlich Personen waren, die an der Verteilung von Fördermitteln und Preisen beteiligt waren, haben sie direkten Einfluss darauf, durch ihre Entscheidungen Dinge zu deuten und Entwicklungen zu beeinflussen. 84 | Aufgrund dieser inhaltlich-formal starken Ausrichtung auf das Betriebs-, Deutungs- und Kontextwissen hätten diese Interviews auch als Experteninterviews geplant sein können. Dass sie nicht als solche geführt werden, liegt in der Arbeitsweise der unter Teil III/5.1 erläuterten Methode der Grounded Theory begründet, die explizit keine Hierarchisierung der Methoden vornimmt. Dies würde aber passieren, würde die zweite Phase ausschließlich als Experteninterviews klassifiziert und damit gleichzeitig den Befragten der ersten Interviewphase unfreiwillig ihr Expertenwissen abgesprochen werden. Damit soll nicht einem unspezifischen Expertenbegriff („Jeder ist ein Experte“) das Wort geredet werden, doch ist die Trennlinie bezogen auf die Wichtigkeit für die Forschungsfragen nicht scharf genug, um eine Unterscheidung vorzunehmen, weshalb alle Interviews als Leitfadeninterviews kategorisiert sind.

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Arbeitszeit mit den Roma-Schülern hatten, aber dennoch durch die intensive Projektarbeit persönliche Eindrücke gewinnen konnten. Hinzu kommen weitere Interviews bzw. nicht aufgezeichnete Gespräche, die sich zufällig durch Recherchen oder Kontakte im Feld ergaben. Dieses Material zielt nicht ab auf eine systematische Erschließung, vielmehr charakterisieren diese zusätzlichen Kontakte die grundsätzliche Forschungshaltung der teilnehmenden Beobachterin, mit den Methoden der Geduld und Disponibilität interessante Begegnungen und Situationen als „Gunst des Augenblicks“ erkennen und nutzen zu können.85 So konnten mit einigen weiteren Personen, die zwar nicht in die Projekte eingebunden waren, aber z. B. als Berufsmusiker wie Markus Reinhardt und Dotschy Reinhardt oder als Schauspieler und Mediator wie Nedjo Osman wichtige Verbindungen zum Feld hatten, aufschlussreiche Interviews und Gespräche geführt werden. Schließlich wurden direkt im Anschluss an die Aufführungen eines Stückes kurze Befragungen unter den teilnehmenden Kindern und Jugendlichen sowie beim Publikum durchgeführt. Dadurch wurden zwar stichprobenartig Einblicke gewonnen, diese können aber nicht als systematische Aussagen verwendet werden. Für eine Publikumsbefragung von ca. 500 Besuchern hätten nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch andere Erhebungsformen und eine andere Organisation gefunden werden müssen. Dennoch konnten sehr unterschiedliche Meinungen und Einschätzungen eingefangen werden, die für eine maximale Kontrastierung von entscheidender Bedeutung sind.

3.3 Dokumentensammlung Alle Projekte veröffentlichten vielfältige Dokumente, die für die Analyse eine eigene Datenkategorie darstellen. Dazu gehören Dokumente, die der Präsentation dienen, wie Flyer, Broschüren, Homepages, Konzertprogramme und Plakate. Außerdem zählen dazu audiovisuelle Dokumente der Dokumentation wie Liveaufnahmen von Aufführungen, Dokumentar- und Werbefilme. Neben den für die Öffentlichkeit bestimmten Materialien wurden mir für meine Forschungszwecke auch nicht öffentlich einsehbare Daten zugänglich gemacht, so z. B. Förderanträge, Projektkonzepte, interne Mailkommunikation sowie selbst durchgeführte Evaluationen. Außerdem enthält diese Datenkategorie Pressematerialien über die Projekte, die in Printmedien, Rundfunk und Fernsehen veröffentlicht wurden.

85 | Vgl. dazu z. B. Okely (2012), die diese Haltung als einen zentralen Bestandteil ethnologischer Feldforschung charakterisiert. Vgl. auch Greverus (2002: 33f.) in Anlehnung an Merton (1968: 157ff.) und Merton/Barber (2004).

Teil III: Methodik

4. E rhebung und S ampling Die Datenerhebung mit den vorgestellten Methoden vereinigte folglich sehr unterschiedliches Material zu einem Datenkorpus. Zugrunde gelegt wurde das Motto „All is data“ (Glaser 2007: 57), zu dessen Spezifika verschiedene Erhebungsformen und unterschiedliches Material gehören. Den Materialien liegen unterschiedliche Konstruktionsprinzipien und -perspektiven von Wirklichkeit zugrunde. In Anlehnung an Derrida wurde jegliches Material als Text begriffen und analysiert. Dabei wird jedoch nur auf die funktionale Perspektive von verschiedenen Materialien als Texte zurückgegriffen.

4.1 Materialkorpus Der Materialkorpus der vorliegenden Arbeit besteht insgesamt aus: • Beobachtungsnotizen der teilnehmenden Beobachtung, festgehalten in einem Forschungstagebuch • 23 offenen Leitfadeninterviews, aufgezeichnet mit einem digitalen Aufnahmegerät 86 in Längen zwischen 10 Minuten und 1 Stunde, 16 Minuten, im Schnitt etwa 45 Minuten lang. Ein Interview wurde auf Bitte der Interviewten ohne Audioaufzeichnung geführt. Die meisten Befragten wurden zweimal interviewt, zu Beginn des Probenprozesses und nach der Aufführung. • 13 schriftlichen Fragebögen • Dokumentensammlung im Umfang von zwei Aktenordnern

4.2 Sampling Die Auswahl der Fälle für die Untersuchung ist eine notwendige Voraussetzung, um die Befunde verallgemeinern zu können und die Gütekriterien qualitativer Forschung einzuhalten (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008: 173), denn: „Der Einzelfall  – so faszinierend er auch sein mag  – wird erst dadurch für die Sozialwissenschaften interessant, dass er für etwas steht, d. h. etwas repräsentiert.“ (Ebd.: 174, Hervorhebung im Original) In der vorliegenden Arbeit wurde das theoretische Sampling angewandt, das in enger Beziehung zur verwendeten Grounded Theory steht, in die sich der gesamte Forschungsprozess einordnet. Der zirkuläre Wechsel von Erhebung, Entwicklung theoretischer Kategorien und weiterer Erhebung erfolgt so lange, bis mittels minimal-maximaler Kontrastierung eine theoretische Sättigung erreicht ist (Przyborski/ Wohlrab-Sahr 2008: 178).

86 | MicroTrack 24/96 der Firma M-Audio.

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Im Verlauf der Erhebung musste allerdings festgestellt werden, dass die untersuchten drei Projekte nicht – wie ursprünglich geplant – miteinander als Typen verglichen werden konnten. Das Material ließ eine systematische Kontrastierung nicht zu, da in zwei Projekten eine längere Vor-Ort-Forschung und teilnehmende Beobachtung nicht möglich waren. Als Gründe können genannt werden, dass ein Projekt im Erhebungszeitraum keine Förderung mehr erhielt und beendet worden war. Ein weiteres Projekt gab sehr regelmäßig Konzerte, darunter aber die Kinder- und Jugendkonzerte nur so sporadisch, dass zwar die Beobachtung von Aufführungen, nicht aber des Probenprozesses möglich war. Das Wechselspiel von minimaler und maximaler Kontrastierung wurde daher durch Methodenkombination und mithilfe von unterschiedlichem Datenmaterial durchgeführt. Die Ausdifferenzierung der Verschriftlichung, also das Auflösungsniveau des Transkripts, richtet sich nach dem Erkenntnisinteresse. Im vorliegenden Fall wurden Lautäußerungen nicht transkribiert, da die Interviews nur als ein Materialtypus unter anderen konzipiert waren. Somit kam den Interviews nicht alleine die Rekonstruktion von Sinn- und Bedeutungsstrukturen zu, sondern erst die Kombination der Methoden erlaubt die inhaltlich wie methodisch angestrebte interdisziplinäre Forschungsperspektive.

5. A uswertungsme thoden In der Auswertung wird die Forschungsperspektive – oder das methodologische Paradigma – besonders deutlich: Der vorliegenden Arbeit geht es darum, den Diskurs über die kulturelle Teilhabe einer bestimmten Zielgruppe, wie er sich in Proben und auf der Bühne, in Gesprächen wie auch in schriftlichen Materialien konstituiert, aufzuzeigen. Dabei wird nicht allein der verbalisierte Diskurs untersucht, also wie über etwas gesprochen wird, sondern ebenso die Handlungen. Damit wird der performative Entstehungsprozess in den Blick genommen. Der diskursanalytische Blickwinkel bestimmte die Herangehensweise an das Thema und ist folglich der theoretische Begründungsrahmen für die daraus abgeleiteten Auswertungsmethoden. Diskurs wird im Anschluss an Foucault verstanden und meint alle explizit sprachlich produzierten wie impliziten Sinnzusammenhänge und Wissensordnungen, die Wirklichkeit – und damit z. B. Differenzlinien – erzeugen und reproduzieren (vgl. Strübing 2013: 172). Die von den Akteuren erschaffene Realität bildet sich nach Foucault nicht einfach in den Diskursen ab, sondern die Diskurse erzeugen Wissensordnungen, die für die soziale Realität konstitutiv sind. Foucault fragt danach, welche Gegenstände und Wissensformationen in Diskursen nach welchen Regeln erzeugt werden. Er interessiert sich dabei vor allem für die „Herstellung und Aufrechterhaltung von Machtverhältnissen

Teil III: Methodik

über Diskurse im Sinne herrschender Wissensordnungen“ (ebd.). Machtverhältnisse sind im Kontext der Fragen nach Differenzlinien und Teilhabe von Bedeutung, etwa bei der Thematisierung, warum z. B. ethnische Differenzlinien überhaupt auf die Bühne gebracht werden. Über einen anderen Weg, nämlich im Anschluss an Edmund Husserls Begriff der Lebenswelt und als Weiterführung dessen, was von Schütz Alltagswissen, common sense, genannt wird, entwickelten Peter L. Berger und Thomas Luckmann ihre Theorie Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit (1966). In den Blick gerieten Prozesse, nach denen das Wissen in der Alltagswelt konstruiert wird und „welches das Verhalten in der Alltagswelt reguliert“ (Berger/ Luckmann 1990: 21). Berger und Luckmann gingen von der Phänomenologie als philosophischer Grundlage der Soziologie aus und interessierten sich weniger für einen wissenschaftstheoretischen oder ideologischen Wissensbegriff. Sie untersuchten vielmehr konsequent das, „was normale Menschen zu ihrer Orientierung im Alltag, im Leben brauchen, und wollten sehen, wie das zustande kommt“ (Luckmann 2010: 84). Eine Brücke zwischen den Ansätzen der Diskurstheorie Foucaults und der von Berger und Luckmann geprägten Wissenssoziologie schlägt Keller mit der Wissenssoziologischen Diskursanalyse (Keller 2011). Die vorliegende Arbeit versteht also Wirklichkeit, wie wir sie erfahren und erfassen, als gesellschaftlich konstruiert. Das meint im gegebenen Kontext beispielsweise, dass Ethnien als definierte Gruppen, die bestimmte Werte und Normen teilen und sich durch ihre gemeinsame Kultur, Sprache oder Religion einander zugehörig fühlen, nicht primordial87 gegeben, sondern gesellschaftlich konstruiert sind. Es wird folglich nicht nach dem (vermeintlichen) Wesen von (ethnischer) Kultur88 und (möglicherweise) essentialisierenden Inhalten gefragt, sondern nach den Entstehungsprozessen dieser Konstrukte und ihrer Akteure. Mithilfe der Wissenssoziologischen Diskursanalyse können also „Effekte von Diskursen und ‚Voraus‘-Setzungen neuer Diskurse“ (Keller 2011: 59) sichtbar gemacht werden. Sie ist für die vorliegende Arbeit weniger ein Forschungsprogramm oder eine konkrete Methode, sondern vielmehr als „Ausgangsperspektive“ (Keller 2011: 61) zu verstehen.

87 | Vgl. dazu die von Clifford Geertz vorgenommene Bezeichnung primordialer Bindungen für das erste soziale Netzwerk, in das jeder Mensch hinein geboren wird. Geertz nutzt dieses Verständnis für die Erklärung, warum ethnische und nationale Vergemeinschaftungen meist erfolgreicher sind als später hinzugekommene Bindungen (Geertz 1994). 88 | Inwiefern dies generell möglich ist und erreicht werden kann, sei grundsätzlich in Frage gestellt.

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5.1 Grounded Theor y Die gleiche Perspektive mitsamt ihren diskursanalytischen Grundannahmen findet sich in der Grounded Theory (GT). Sie ist von ihren Begründern Anselm Strauss und Barney Glaser in den 1960er-Jahren aus der Empirie abgeleitet und im Nachgang theoretisch fundiert worden. Sie wurde als eine hypothesengenerierende Alternative zu ausschließlich hypothesenüberprüfenden Verfahren entwickelt und damit zum Wegbereiter qualitativer Zugänge und Methoden. Die Arbeitsweise der GT extrahiert im Verlauf des Forschungsprozesses Hypothesen aus dem Feld und koppelt diese an die Theorie, sodass eine stete und enge Verschränkung von empirischer Forschung und Theoriebildung stattfindet: Sie trägt den realen Konstellationen im Feld Rechnung, indem sie flexibel darauf reagiert; dies ist ein Spezifikum der Grounded Theory. Die GT enthält Verfahrensgrundsätze und lässt sich auch als Forschungsstil oder als Forschungshaltung verstehen: Methodologisch gesehen ist die Analyse qualitativer Daten nach der Grounded Theory […] keine spezifische Methode oder Technik. Sie ist vielmehr als ein Stil zu verstehen, nach dem man Daten qualitativ analysiert und der auf eine Reihe von charakteristischen Merkmalen hinweist […], um die Entwicklung und Verdichtung […] sicherzustellen. (Strauss, zit. n. Strübing 2013: 112)

Mit dieser Haltung ging ich an das Feld bzw. an den gesamten Forschungsprozess heran: Ich konnte auf Vorannahmen und Vorwissen auf bauen, wollte aber die Offenheit der GT der Empirie gegenüber nutzen und suchte die stete Rückkopplung mit der Theorie. Ich ging mit ersten Annahmen ins Feld, die sich veränderten, teilweise als nicht stichhaltig erwiesen und neue hervorbrachten, was sich insgesamt als sehr fruchtbar erwies. Die virulenten Schwerpunkte sollten zwar aus dem Feld selbst emergieren, gleichwohl sollte das Vorgehen unter wissenschaftlichen Kriterien nachvollziehbar und überprüf bar bleiben. Deswegen folge ich für die Auswertung der von Przyborski/Wohlrab-Sahr (2008) und Strübing (2013) vorgestellten Variante der Grounded Theory nach Strauss/Corbin. Glaser dagegen geht induktiver vor, will auf theoretisches Vorwissen und Hypothesen insgesamt verzichten und vertraut darauf, dass die Daten für sich selbst sprechen (vgl. Strübing 2013: 32) und sich die Theorie aus den Daten selbst entwickelt. Die vorliegende Arbeit geht mit Strübing davon aus, dass Daten nicht von alleine sprechen, sondern zum Sprechen gebracht werden müssen (ebd.) und theoretische Vorannahmen schon aufgrund der eigenen Standortgebundenheit eine Rolle spielen. Im Wechselprozess von Datengewinnung, Datenanalyse und Theoriebildung sind nach Strauss drei wesentliche Prinzipien notwendig: das theoretische Sampling, das theoretische Kodieren und der ständige Vergleich. Die

Teil III: Methodik

verschiedenen parallel stattfindenden Arbeitsschritte beeinflussen und stimulieren sich wechselseitig. Das theoretische Kodieren ist das Interpretationsund Analysewerkzeug der GT und zielt darauf, aus den Daten eine Theorie zu gewinnen. Dafür folgte ich dem „Kodierparadigma“ (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008: 204),89 das sich in drei Schritte unterteilen lässt: Begonnen wird mit dem offenen Kodieren, das ein erstes „Auf brechen“ und theoretisch noch nicht eingeschränkt ist; vergleichbar auch mit der „Methode des freien Assoziierens“ (Muckel 2007: 221). Darunter fallen z. B. erste Zusammenfassungen und vermutete Unterkategorien90 wie zur Auswahl der Musikstücke, zur Dramaturgie einer Szene, zu den Kostümen etc. Daran anschließend folgt das sogenannte axiale Kodieren, bei dem eine Kategorie intensiver analysiert wird, sodass sich die Analyse um die Achse dieser Kategorie dreht und die Beziehungen zwischen dieser und anderen Kategorien ausgelotet wird, z. B. die in dieser Forschungsarbeit entwickelten Kategorien zur Sichtbarkeit und zu Stereotypen bzw. Zuschreibungen. Hat sich eine Schlüsselkategorie herauskristallisiert, fokussiert das selektive Kodieren systematisch auf das, was sich als Kern der Theorie herauszuschälen beginnt, in der vorliegenden Arbeit das Spannungsfeld zwischen Empowerment und Othering. Die Kategorien werden in die Schlüsselkategorie integriert und zu einer gegenstandsverankerten Theorie, einer Grounded Theory, verbunden, die induktiv aus der Untersuchung des Phänomens abgleitet wird, welches sie abbildet und erklären will (Strauss/Corbin 1996: 7). Die Kodierverfahren der GT sollen dafür sorgen, „Dichte, Sensibilität und Integration zu entwickeln, um eine dichte, eng geflochtene, erklärungsreiche Theorie zu generieren, die sich der Realität, die sie repräsentiert, so weit wie möglich annähert“ (ebd.: 39). Erste Auswertungsergebnisse stellte ich in Kolloquien und Vorträgen zur Diskussion (vgl. Strauss/ Corbin 1996: 195 ff.). Als weiteres Grundprinzip der Grounded Theory ist das Schreiben theoretischer Memos zu nennen. Während des gesamten Forschungsprozesses schrieb ich solche Memos. Diese hatten unterschiedliche Inhalte, z. B. erste Ideen für Unterkategorien und Kategorien, weiterführende Fragen zum The89 | Der Begriff „Kodierparadigma“ wird in der Literatur nicht ganz trennscharf verwendet; ich folge hier Przyborski/Wohlrab-Sahr, da ich die Darlegung, die einzelnen Kodierschritte als Paradigma des Verfahrens zu bezeichnen, überzeugend finde (vgl. dazu auch Strübing 2013: 120 und Strauss/Corbin 1996: 78 ff.). 90 | Ich verwende den Begriff „Unterkategorie“ für das, was Strauss selbst als „Konzept“ bezeichnet hat; Strübing weist darauf hin, dass es zu den scheinbar synonym gebrauchten Begrifflichkeiten „Konzept und Kategorie“ in der Literatur zur GT immer wieder Missverständnisse gibt (Strübing 2013: 124). Da ich den Begriff Konzept in verschiedener Hinsicht verwende, wäre er in dieser weiteren Bedeutung zu anfällig für Unklarheiten, was damit gemeint sei.

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menkomplex, Verweise auf angrenzende Diskussionsstränge und passende Literatur sowie Zusammenfassungen. Die Memos dienen der Forscherin dazu, zwischen losen Punkten erste Verbindungslinien herzustellen und nach und nach ein Netz zu schaffen, das die Kontur der Theorie sichtbar macht. Durch diesen „Verschriftlichungszwang“ (Muckel 2007: 220) soll außerdem sichergestellt werden, dass die der GT zugrunde liegende Verschränkung von Datenerhebung und -analyse systematisch reflektiert abläuft; die Forscherin zwingt sich durch die Memos dazu, „theoretisch zu denken“ (Przyborski/ Wohlrab-Sahr 2008: 201).91 Der Prozess des Kodierens, Vergleichens und Kategorisierens wurde in der vorliegenden Arbeit umgesetzt mit einem Zettelkasten. Mithilfe eines mehrfarbigen Karteikartensystems zum Markieren von Unterkategorien wurde  – anstelle eines computergestützten Auswertungsprogramms  – ein haptischer Umgang mit den Daten auf Karteikarten im zentralen Arbeitsschritt der GT bevorzugt. Dies hatte den Vorteil, dass die Karteikarten sehr flexibel umsortiert werden konnten und außerdem  – in verschiedene Reihen gelegt  – verschiedene Diskussionsstränge visualisierten, während gleichzeitig das große Ganze im Blick blieb. Unterstützt wurde der Auswertungsprozess auch durch die menschliche Fähigkeit des Ordnens durch Aussortieren und Vergessen (vgl. z. B. Garling 2013: 76). Durch die Vorgehensweise der GT entstanden immer wieder Pausen im Reflexionsprozess und in der Analyse, in denen sich wichtig erscheinende Aspekte ablagern, die die Prioritätensetzung zusätzlich unterstützen.

5.2 Dichte Beschreibung Die Dichte Beschreibung (DB) trägt als weitere Auswertungsmethode der interdisziplinär kombinierten Herangehensweise Rechnung. Sie rückt zudem eine Aufgabe der Auswertung in den Fokus, die bislang noch nicht spezifisch ausformuliert wurde. Es ist die Aufgabe der Ethnografie, „nicht nur Wissen [über das Feld] zu gewinnen, sondern es auch in eine Schriftform zu bringen, die die Zusammenhänge sichtbar macht, ohne sie zu zerstören“ (Strübing 2013: 72) oder, wie Geertz rhetorisch fragt: „‚Was macht der Ethnograph?‘ Antwort: er schreibt.“ (Geertz 1983: 28) Das Schreiben an sich bekommt in der Ethnografie eine besondere Relevanz, denn sie muss „etwas zur Sprache bringen […], das vorher nicht Sprache war – materielle Settings, wortlose Praktiken, stumme Arbeitsvollzüge, bildhaftes Geschehen. Stimmloses, Vorsprachliches oder gar Sprachunfähiges“ (Hirschauer, zit. n. Strübing 2013: 71). Sie muss die 91 | Muckel bezeichnet das Schreiben von Memos als „Grundlage für ein reflektiertes und über die Zeit transparentes Arbeiten, das den Sprung zum abschließenden Anfertigen einer wissenschaftlichen Arbeit erleichtert“ (Muckel 2007: 220).

Teil III: Methodik

„nicht-expliziten sozialen Praktiken“ (Strübing, ebd.) erschließen und für die wissenschaftliche Analyse und Diskussion zugänglich machen. Das schließt auch die subjektiven Annäherungen und gemachten Erfahrungen der Forscherin mit ein: Mit erfahren ist hier eine innere und leibliche Dimension gemeint, das also, was Anschauen und Miterleben im Ethnographen auslösen und für das es nicht nur eine Sprache zu finden gilt, sondern auch eine, die in wissenschaftlichen Diskursen akzeptiert wird. Der Ethnograph als menschlicher Aufzeichnungsapparat verzeichnet das Erfahrene als Erfahrung notwendig subjektiv, d. h . der Prozess des Schreibens ist der Versuch, dieses Subjektive wieder in eine intersubjektiv nachvollziehbare Form zu bringen […]. (Strübing 2013: 72, Hervorhebung im Original)

Die DB geht zurück auf Clifford Geertz, der sie für die ethnologische Feldforschung etabliert hat, um kulturelle Prozesse verstehbar zu machen. Sie erlaubt eine interpretative Annäherung an soziale und kulturelle Phänomene, denn Geertz spricht mit Max Weber vom Mensch als Wesen, das in „selbstgesponnene Bedeutungsgewebe“ (Geertz 1983: 9) verstrickt ist. Kultur ist dabei dieses Gewebe, das dicht beschreibbar ist und den Kontext bildet, in dessen Rahmen Ereignisse Bedeutungen erlangen und verständlich werden. Die Charakterisierung und das Bild von Kultur als Gewebe, das aus vielen einzelnen Fäden, Verflechtungen und Verknüpfungen besteht und dabei die Bedeutungen in den Blick nimmt, hat sich auch zur Beschreibung explizit künstlerischer Prozesse und Produkte etabliert.92 Jeder, der schon einmal versucht hat, einen künstlerischen Vorgang wie etwa eine Aufführung oder ein Konzert detailgetreu wiederzugeben, weiß von der Schwierigkeit, Bewegungsabläufe oder Töne so zu beschreiben, dass die Atmosphäre des ästhetischen Gehalts und die Dichte eines Kunstwerks eingefangen wird. Dieser Dimension spürt die Methode nach, indem sie Beschreibungen sehr detailliert vornimmt und das Phänomen aus seinem Kontext heraus interpretiert.93 Dichte Beschreibung heißt folglich, ein Gespür und eine Lesart für das jeweilige Phänomen zu entwickeln.

92 | Von Muttenthaler/Wonisch wird die Dichte Beschreibung als Metapher schlechthin für den interpretativen Zugang zu sozialen und kulturellen Phänomenen bezeichnet. Die Autorinnen wenden sie für den Ausstellungskontext und die Frage der Verhandlung der Kategorien Race und Gender an, beziehen ihre Feststellung aber auch auf diverse andere Wissenschaften (Muttenthaler/Wonisch 2006: 50). Auch die Kunsthistorikerin Maren Ziese verwendet die Dichte Beschreibung zur Analyse verschiedener Vermittlungsformate in Themenausstellungen der Bildenden Kunst (2010). 93 | Beispielhaft vorgelegt hat Geertz dies mit seiner Dichten Beschreibung des balinesischen Hahnenkampfes (1983: 202 ff.).

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Die zentralen Merkmale und der Anwendungshorizont der Dichten Beschreibung sind nach Geertz wie folgt: Deutend ist die Methode, weil eine Beschreibung niemals nur objektive Berichterstattung sein kann, sondern immer auch Analyse und Interpretation ist und als solche notwendigerweise subjektiv.94 Ethnografien sind somit immer Interpretationen; die der Beschreibung folgende Interpretation ist eine Interpretation der Interpretation bzw. eine Interpretation zweiter und dritter Ordnung (ebd.: 22 f.). Das Merkmal mikroskopisch steht für eine Analyse in die Tiefe statt in die Breite. Dadurch wird das Untersuchungsfeld zwar auf wenige Ausschnitte reduziert, dafür werden diese dann unter „Berücksichtigung mannigfalter Perspektiven analysiert […], um somit weitreichende Rückschlüsse auf und Aussagen über größere Zusammenhänge treffen zu können“ (Ziese 2010: 40). Der Beschreibungs- und Deutungsvorgang muss mehrmals wiederholt werden, um sich zu verdichten.95 Ein Prozess, der im Prinzip nie abgeschlossen ist: „Die Untersuchung von Kultur ist ihrem Wesen nach unvollständig.“ (Geertz 1983: 41) Auch wenn ich die Methode der Dichten Beschreibung in der gesamten Arbeit nutze, so wird sie doch besonders deutlich anhand der Analyse von Heimat re-invented, die jeweils mit der Beschreibung einer Szene des Stückes beginnen. Diese tagebuchartige Textform wurde gewählt, um die Aufführungsdimensionen in einer stärker ästhetischen und dramaturgischen Form erfahrbar zu machen als dies bei einer ausschließlich tabellenartig gehaltenen Aufzählung der Bühnengeschehnisse möglich gewesen wäre.

6. D arstellung der D aten Bildungsprojekte, die sich ästhetischer Mittel bedienen, werden zur späteren Präsentation, etwa in Vorträgen oder in Publikationen, gerne mit Beispielen aus verschriftlichtem Audiomaterial sowie Bildausschnitten aus Videomaterial versehen. Für die vorliegende Untersuchung stellte sich daher die Frage, ob solch performatives und bewegtes Material verwendet werden oder ob jegliches Material in die Textform überführt werden, also eine Übersetzung stattfinden sollte. Bei Vorträgen auf Symposien und Konferenzen durfte ich zur Veranschaulichung sowohl Fotos als auch Videoausschnitte von Aufführungen zeigen. Ich tat dies, weil das Sprechen über nicht die gleichen rezeptiven Kanäle anspricht wie das Sehen und Hören ästhetischer Produktionen. Mir lag daran, dass sich das Publikum selbst einen Eindruck verschaffen konnte. In der vorliegenden 94 | Vgl. auch den Abschnitt zur Standortgebundenheit, Teil III/2. 95 | Eigentlich ein ähnlicher Vorgang wie die theoretische Sättigung der GT, nur hier bezogen auf die Auswertung.

Teil III: Methodik

Arbeit habe ich mich jedoch gegen eine solche Darstellung der Daten entschieden. Dies betrifft nicht die technischen Herausforderungen und die juristischen Formalitäten wie Einverständniserklärungen und Bildrechte; hierfür gibt es Wege und Möglichkeiten. Die Gründe sind vielmehr forschungsethische und funktionale Probleme, wie sie Fink (2012: 131) benennt. Bei der Veröffentlichung von Bildmaterial ist die vorgenommene Anonymisierung der Kinder und Jugendlichen nur bedingt aufrechtzuerhalten. Damit einhergehend entziehen sich Bilder, einmal veröffentlicht, sehr schnell der Kontrolle. Sie können zu unterschiedlichen Zwecken eingesetzt werden, die, z. B. im Falle von Gesichtserkennung, womöglich den hier verfolgten und verantwortbaren Zielen diametral entgegenstehen.96 Statt also das Bild- und Filmmaterial mehr oder weniger illustrierend einzusetzen, wird bewusst darauf verzichtet. Vorhandene Film- und Bilddaten wie beispielsweise Dokumentationsvideos sind ausgewertet worden und fließen in die Analyse mit ein.

96 | Auch Strübing verweist darauf, dass sich die empirische Forschung der Risiken bewusst sein muss, „dass Sozialforscherinnen bislang noch nicht […] über ein Zeugnisverweigerungsrecht verfügen und daher jederzeit z. B. von Strafverfolgungsbehörden zur Herausgabe ihrer Daten oder zur Preisgabe ihrer Informantinnen gezwungen werden können“ (2013: 190).

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Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

Der folgende Teil wird das empirische Material der drei untersuchten Musikprojekte Heimat re-invented in Köln, Philharmonischer Verein der Sinti und Roma in Frankfurt/Main und Zukunftsmusik in Berlin vorstellen, analysieren und diskutieren. Die Projekte werden zunächst jeweils in einem Steckbrief vorgestellt, um einen ersten Überblick über die Strukturen und Akteurinnen der einzelnen Projekte zu erhalten. Die sich anschließende Darstellung des empirischen Materials entfaltet analytisch die Fragestellung der vorliegenden Arbeit: Wie wird kulturelle Teilhabe durch Musik in den Konzepten und der Realisation von Musikprojekten verhandelt und konkret umgesetzt? Es wird analysiert, welche Prozesse und Elemente eine Rolle spielen in Bezug auf kulturelle Teilhabe: Wie wirken sich diese Prozesse und Elemente auf kulturelle Teilhabe aus und welche Bedeutung haben sie für den Diskurs? In den Kapiteln wird sehr eng am empirischen Material gearbeitet, die Analyse und Diskussion erfolgen in einem einzigen Schritt, nicht in zwei aufeinander folgenden. Wie im Kapitel zur Methodik dargelegt, enthält die Beschreibung des empirischen Materials bereits eine Interpretation, ihre Analyse folglich eine Interpretation zweiter Ordnung. Gleichwohl bleibt die Argumentation durch die eingebetteten Zitate und Datenverweise intersubjektiv nachvollziehbar und überprüf bar (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008: 361). Zunächst werden die durch das zyklische Kodieren nach der Grounded Theory gewonnenen Unterkategorien erläutert und diskutiert. Als Unterkategorien werden Elemente wie z. B. die Dramaturgie, die Auswahl des musikalischen Repertoires oder das Selbst- und Fremdbild bezeichnet, die eine bestimmte Bedeutung für die Frage nach kultureller Teilhabe haben.97 Die Unterkategorien sind dabei nicht zufällig gewählte Ausschnitte, sondern die Auswahl zeigt die Funktion und Bedeutung des einzelnen Details bei der mi97 | Bei dem Projekt in Köln konnte ich deutlich mehr Unterkategorien herausarbeiten als bei den beiden anderen, weil eine teilnehmende Beobachtung durchgeführt und somit deutlich mehr empirisches Material erhoben werden konnte. Vgl. dazu das Kapitel zur Methodik III.

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Kulturelle Teilhabe durch Musik?

kroskopischen Analyse für die Darstellung von Kultur und für die Frage nach Teilhabe auf. Die aus den Unterkategorien generierten Kategorien sowie die Schlüsselkategorie werden in Teil V dargelegt. Daraus kann schließlich eine induktiv gewonnene Theorie abgeleitet werden. Die im Folgenden vorgestellten Unterkategorien weisen also bereits auf das den Projekten immanente Spannungsgefüge hin, das zwischen den Polen Empowerment und Othering oszilliert (Teil V/5.). Die Analyse und Diskussion verfolgen das Ziel, die Projekte und ihre Entstehung in ihrer Prozessualität und Komplexität zu durchdringen. Dies erfolgt durch die Strukturierung des Materials anhand von Unterkategorien, Kategorien und Schlüsselkategorie. Analysiert wird nach folgenden Gesichtspunkten: • Verwendung des Kulturbegriffs • Transkulturalität • Was wird unter kultureller Teilhabe verstanden? Schließlich werden verschiedene Bedeutungsebenen mithilfe der gebildeten Unterkategorien, Kategorien und der Schlüsselkategorie systematisiert. Es lassen sich folgende Bedeutungsebenen unterscheiden: • Inhaltliche Bedeutungsebene bezogen auf die ästhetische Botschaft • Individuelle Bedeutungsebene bezogen auf die Roma-Kinder und -Jugendlichen • Gemeinschaftliche Bedeutungsebene bezogen auf die Roma als ethnische Gruppe • Strukturelle Bedeutungsebene bezogen auf die Kulturinstitutionen und beteiligten Veranstalter • Symbolische Bedeutungsebene bezogen auf gesellschaftliche, politische, soziale und kulturelle Diskurse Wichtig zu betonen ist, dass der vorliegenden Arbeit eine wertschätzende Grundhaltung gegenüber den Projekten zugrunde liegt. Die Untersuchung versteht sich als Beitrag zum Empowerment von Roma-Kindern und -Jugendlichen. Vor dem Hintergrund dieser wertschätzenden Haltung macht es sich die Untersuchung zur Aufgabe, auch kritisch hinter primordiale und wohlmeinende Bewertungen und Kategorien zu blicken: So wird z. B. Selbstessentialisierung als Ausschlussmechanismus thematisiert, d. h. es wird analysiert, inwieweit Personen einer ethnischen Community durch das stolze Präsentieren der eigenen ethnischen Kultur und die Charakterisierung, dass diese so und so sei, dazu beitragen, dass kulturelle Teilhabe nicht ermöglicht, sondern eingeschränkt wird.

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

A. H eimat re - invented (K öln) Steckbrief Hintergrundinformationen 98 Name: Heimat re-invented Ort: Köln Beteiligte Kulturinstitutionen: • KölnMusik GmbH • Jugendkunstwerkstatt für Musik, Kunst, Tanz und Theater, MuKuTaThe e. V. Beteiligte Schulen: • Förderschulen Lernen in Köln Zollstock, Porz und Höhenhaus • Roma-Schulprojekt Amaro Kher des Rom e. V. Struktur: • Kooperationsprojekt formaler und non-formaler Träger mit Laufzeit weniger als einem Jahr Rahmen: • Eingebunden in das Festival MusikTriennale 2–20 der Kölner Philharmonie mit dem Thema Heimat – heimatlos Zielgruppe: • Förderschüler, häufig mit Migrationshintergrund, Schwerpunkt: RomaKinder und -Jugendliche Altersstufe: 6 bis 15 Jahre Zeitliche Länge des Projekts: Februar bis Mai 2010; abgeschlossen Aufführungen: 11. Mai 2010, 29. September 2010 Aufführungsorte: Comedia Theater, Astrid Hage (AH) sowie Internationales Zentrum des Caritasverbandes für die Stadt Köln e. V. Projektleitung: • Andrea Tober (AT), KölnMusik GmbH, Referentin für Kinder- und Jugendprojekte

98 | Die Angaben entstammen den mir zur Verfügung gestellten Materialien wie dem Konzept, den Anträgen, organisatorischen Rundschreiben, Pressemitteilungen etc. Teils divergierende Angaben z. B. zum Alter der teilnehmenden Schüler ergeben sich aus Änderungen während des Projektverlaufs; für die Zusammenstellung wurde die jeweils aktuellste Angabe verwendet. Für die Darstellung habe ich nur diejenigen Personen aufgelistet, die für meine Analyse eine Rolle spielen. Weitere beteiligte Personen wie z. B. einige Pädagoginnen aus Höhenhaus, mit denen ich keinen Kontakt hatte, bleiben dadurch bei mir ungenannt, sind in den jeweiligen Materialien aber aufgelistet.

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• Andrea Riedel (AR), MuKuTaThe e. V., Vorstandsmitglied, Leitung kulturpädagogischer Projekte • Salvador Echevarria (SE), künstlerischer Leiter Künstlerisches Dozententeam: Beata Burakowska (BB), Musik; Salvador Echevarria (SE), Tanz; Sandy Craus (SC), Kunst; André Jolles (AJ), Tanz; Ramesh Shotham (RS), Musik; Beatriz Obert (OB), Kostümdesign Beteiligte Pädagoginnen: • Schulprojekt Amaro Kher: Sibylle Haag (SH), Conny Scholten, beide Lehrerinnen • Förderschule Lernen Zollstock: Tine Graß (TG), Schulsozialarbeit; Tine Flohr (TF), Lehrerin Teilnehmende Praktikantinnen: Julia Wewers (JW), Lisa Baur (LB) Finanzierung: • Eigenmittel MuKuTaThe e. V. • Fonds Soziokultur: Nadja Höll (NH), Kuratoriumsmitglied für den Bundesverband der Jugendkunstschulen und Kulturpädagogischen Einrichtungen e. V. (bjke) • Kämpgen-Stiftung: Ingrid Hilmes (IH), Geschäftsführerin • Liz Mohn Kultur- und Musikstiftung: Nadine Sträter (NStr), Geschäftsführerin • dieGesellschafter.de: Uwe Blumenreich, Leiter Mikroförderung der Aktion Mensch • KölnMusik GmbH • Eigenanteil Schulen Preise und Nominierung: • 3. Preis „Rauskommen! Der Jugendkunstschuleffekt 2010“ vom Bundesverband der Jugendkunstschulen und Kulturpädagogischen Einrichtungen e. V.; Laudatio von und Interview mit Nicolas Grundhewer (NG) sowie Mechthild Eickhoff (ME), ehemalige Geschäftsführerin des bjke • Preis „Kultur prägt“ von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen: Georg Fischer (GF), Jurymitglied • Nominierung für den „Innovationspreis Soziokultur 2010“ des Fonds Soziokultur: Nadja Höll (NH), Kuratoriumsmitglied für den Bundesverband der Jugendkunstschulen und Kulturpädagogischen Einrichtungen e. V.

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

Kurzdarstellung Heimat re-invented 99 In Heimat re-invented kooperierten die Partnerinnen Kölner Philharmonie, Jugendkunstwerkstatt MuKuTaThe sowie vier Schulen. Das Projekt hatte zum Ziel, Kinder und Jugendliche einzubinden, die Ausgrenzungen erfahren, um sie mithilfe des Projekts wieder in die „Mitte unserer Gesellschaft zurückzuholen und sie gesellschaftlich sichtbar zu machen“ (MuKuTaThe 2009: 1). Deshalb wurde das Projekt für drei Förderschulen sowie für ein Roma-Schulprojekt konzipiert. Die Förderschulen haben den Schwerpunkt Lernen, d. h. sie sind auf Schüler spezialisiert, deren Lern- und Leistungsentwicklung in der Regelschule nicht in dem Maße gefördert werden konnte, dass sie im Unterricht mitkamen. Das Roma-Schulprojekt Amaro Kher des Vereins Rom e. V. ist darauf ausgerichtet, bislang nicht beschulte Roma-Flüchtlingskinder zu unterrichten und den Übergang in eine Regelschule vorzubereiten. In Förderanträgen wurde die Zusammenführung der vier Schulen damit begründet, dass sich an Förderschulen überproportional Roma befänden, weshalb auch das Roma-Schulprojekt einbezogen wurde. Während der Laufzeit von vier Monaten arbeiteten sechs künstlerische Dozentinnen aus den Sparten Musik, Tanz und Kunst an allen Schulen mit den Kindern und Jugendlichen. Die Klassenzugehörigkeiten wurden aufgelöst und die Schüler konnten nach Interessenslage die künstlerischen Angebote auswählen. Je nach Anzahl der teilnehmenden Schüler gab es bis zu drei Gruppen an einer Schule. Am Ende des Probenprozesses stand ein Stück mit acht Szenen. Die 45-minütige Aufführung wurde in der Comedia, einem öffentlich finanzierten Kinder- und Jugendtheater, gezeigt und vier Monate später in einer kürzeren Fassung erneut aufgenommen. Das Projekt erfuhr ein sehr positives öffentliches Echo und erhielt drei für den soziokulturellen Bereich wichtige Preise bzw. Nominierungen.

99 | Die Kurzdarstellung ist als erste Einführung zu Heimat re-invented für eine grobe Orientierung zu verstehen. Für die Leserin wäre eine chronologische Vorstellung des Stückes im Folgenden sicherlich einfacher, für die Analyse hingegen ist eine thematische Strukturierung gewählt worden.

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Kulturelle Teilhabe durch Musik?

Übersicht der Szenen von Heimat re-invented Nr.

Szene

Inhalt mit szeneprägenden Requisiten

Akteure auf der Bühne

0.

Prolog

„Dort, wo ich mich wohlfühle, dort ist meine Heimat“: Stimmen vom Band im dunklen Zuschauerraum

Einzelne Kinder aus verschiedenen Schulen

1.a1

Einzug

Einzug durch den Zuschauerraum „Djelem, Djelem“ Lagerfeuer als Videostill auf der Bühnenleinwand

Beata Burakowska Zwei Kinder des Schulprojekts Amaro Kher

1.b

„Roma-Teil“ 2

Aufführung der Lieder: „Čhajorije Šukarije“ „Ti bori“ „Ederlezi“ Lagerfeuer als Videostill auf der Bühnenleinwand

Gesang: Roma-Schulprojekt 3 Amaro Kher Protagonistin (Schülerin der Schule Zollstock)

1.c

„Roma-Teil“

Aufführung Tanz

Roma-Schulprojekt Amaro Kher mit Beata Burakowska

2.a

„Mozart in Ägypten“

Choreografie

Schule Zollstock Schule Höhenhaus Roma-Schulprojekt Amaro Kher

2.b

„Geister-Tanz“

Choreografie mit Tüchern

Protagonistin und Mädchengruppe Schule Zollstock

3.

Video-Clips

Verschiedene Animationsfilme

Filmproduktion: Schule Zollstock und Schule Höhenhaus Protagonistin sitzt vor Leinwand

4.a

„Koffer-Tanz“

Choreografie mit Koffern

Protagonistin und Mädchengruppe Schule Zollstock

4.b

Video-Clip

Animationsfilm und Protagonistin

Filmproduktion: Schule Zollstock und Schule Höhenhaus Protagonistin

5.

„Hut-Tanz“ mit Rap-Song

Choreografie

Jungen mit Hüten (Roma-Schulprojekt Amaro Kher) Rapper und Sängerinnen (Schule Zollstock und Schule Höhenhaus) Trommelgruppe (Schule Zollstock)

6.

„Stuhl-Tanz I“

Choreografie: Schüler zeigen im Stuhlkreis Bewegungsabläufe

Schule Porz

7.

„Stuhl-Tanz II“

Choreografie: Ähnlich des Spiels „Reise nach Jerusalem“

Schule Porz

8.

„Ina Meena Dika“

Choreografie und Video-Clips

Alle Schulen

1 | Die Unterteilung einiger Szenen in a), b) und bei der ersten Szene bis c) wurde von mir für die Analyse vorgenommen. Diese Differenzierung ist wichtig für die Untersuchung im Detail; im Programmablauf wurden diese Teile jeweils als eine Szene benannt. 2 | Die in Anführungszeichen gesetzten Titel der Szenen stehen so im Ablaufplan oder wurden von allen Beteiligten des Projekts als Bezeichnung verwendet, z. B . „Roma-Teil“ oder „Roma-Szene“ für die ersten drei Teilszenen (1.a, 1.b und 1.c). 3 | Den Begriff Roma-Schulprojekt setze ich nicht in Anführungszeichen, weil er als Eigenname von Amaro Kher verwendet wird. 4 | Dieses Musikstück wie auch die Stücke der Szenen 4.a und 4.b wurden von Echevarria auf Nachfrage nicht konkreter bestimmt, einige Informationen konnte ich recherchieren; die Angaben sind in der Bibliografie aufgeführt. 5 | Weitere Arbeiten, die in den Kunst-Workshops von Sandy Craus entstanden sind, fanden als Animationsfilme auf der Leinwand, als Plakate auf der Bühne und als Fotos im Foyer des Comedia Theaters Eingang in die Aufführung.

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

Musik (Live/Tonträger)

Verantwortung Salvador Echevarria

Live-Musik: Gesang Solo: Beata Burakowska

Beata Burakowska Sandy Craus

Live-Musik: Gitarre und Gesang: Beata Burakowska Percussion: Ramesh Shotham Kontrabass: Christian Ramond

Beata Burakowska

Musik vom Tonträger: Shantel: Bucovina Club 4

Beata Burakowska

Musik vom Tonträger: Courson/al Maghreby: Mozart in Egypt. Nr. 1: „Ikhtitaf fi Assaraya (Die Entführung aus dem Serail)“

Salvador Echevarria

Fortsetzung der Musik aus 2.a

Salvador Echevarria

Live-Musik: Percussion Solo: Ramesh Shotham

Sandy Craus 5

Musik vom Tonträger: Gotan Project

Salvador Echevarria

Musik vom Tonträger: Solo Gesang, überblendet von F. A. Fleischmann: „Schlafe, mein Prinzchen schlaf ein“

Sandy Craus, Musikauswahl: Salvador Echevarria

Musik vom Tonträger: Julia Zipprick: Ohne Titel

Salvador Echevarria

Live-Percussion: Ramesh Shotham

André Jolles, Ramesh Shotham

Live-Percussion: Ramesh Shotham

André Jolles, Ramesh Shotham

Musik Live und Playback: Timid Tiger: Timid Tiger and the Electric Island. Nr. 8: „Ina Meena Dika (It’s happening Now)“6 Gesang: Keshav PuruShotham von Timid Tiger Percussion: Ramesh Shotham Kontrabass: Christian Ramond

Salvador Echevarria, Videoclips Sandy Craus

6 | Titelgebender Refrain und Melodie sind ein Rückgriff auf einen alten Bollywood-Filmsong aus den 1950er-Jahren. Der Sänger der Kölner Band Timid Tiger hat diesen Song als Kindheitserinnerung mit einem neuen englischen Text versehen: „Das ist eine Zeile aus so einem Bollywood-Schlager, den ich während meiner Kindheit in Indien oft gehört habe. Ich habe mir immer vorgenommen, was aus diesem Song zu machen und jetzt freue ich mich sehr, dass es was geworden ist.“ Der Song erschien auf dem Album Timid Tiger and the Electric Island und wurde als Single „Ina Meena Dika (It’s Happening Now)“ ausgekoppelt (beide 2010). Der Song avancierte zum absoluten Publikumsrenner und mit Fanbeteiligung wurde das offizielle Video dazu gedreht. Zu den Bollywood-Versionen des Songs in dem Film Aasha von 1957 mit Erläuterung zur Entstehung des Songs vgl. die verschiedene Onlinequellen unter Timid Tiger in der Bibliografie.

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1. S elbst- und F remdbild : (R e -)P r äsentationen in A ntr ag , H omepage , E valuation und P resse „Das Eigene im Fremden und das Fremde im Eigenen entdecken  – so lautet die Leitidee des Projekts der Werkstatt MuKuTaThe e. V. in Kooperation mit der MusikTriennale Köln, das speziell für Schüler angeboten wird, die am Rande der Aufmerksamkeit und der sozialen Struktur stehen. Die Schülerinnen und Schüler verschiedener Förderschulen Kölns und Umgebung zeigen bei dieser Abschlussaufführung die Ergebnisse ihrer Arbeit mit Musik, Bewegung und viel Kreativität.“ (Programmheft MusikTriennale 2010: 102)100 „Heimat Re-invented ist Rauskommen in Reinform. Durch die geschickte Vernetzung von Jugendkunstschule, der MusikTriennale Köln und Förderschulen kamen die beteiligten Schüler – im wahrsten Sinne des Wortes – raus. Raus aus der Förderschule und rauf auf die Bühne eines Musikfestivals von internationalem Renommee. Heimat Re-invented schafft kulturellen Zugang und Öffentlichkeit gerade für Kinder und Jugendliche, denen eine positive öffentliche Resonanz häufig verwehrt wird – zu Unrecht, wie dieses Projekt beweist. Besonders beeindruckend sind auch die Disziplin und das Durchhaltevermögen der Kinder und Jugendlichen, die bei einem solch großen Projekt mit 76 Beteiligten von der ganzen Gruppe, aber auch von jedem einzelnen verlangt werden. Auch dies zeigt für die Teilnehmer: ‚Wir schaffen was und wir können etwas auf die Beine stellen!‘ Heimat Re-invented gelingt die Inklusion von Kindern und Jugendlichen ganz unterschiedlicher Herkunft auch durch das Thema Heimat, zu dem jeder etwas zu sagen hat, ohne die eigenen kulturellen und individuellen Wurzeln verstecken zu müssen. Heimat Re-invented ist ein würdiger Rauskommen-Preisträger.“ (Laudatio zum 3. Preis „Rauskommen. Der Jugendkunstschuleffekt“, bjke 2011: 1) Unter dem Gesichtspunkt Selbst- und Fremdbild werden im vorliegenden Kapitel all diejenigen Materialien untersucht, die das Selbstbild (als Blick von innen) sowie das Fremdbild (als Bild von außen) von Heimat re-invented entwerfen und prägen. Diese Bilder sind mit ihren zugrunde liegenden Intentionen von Bedeutung für die kulturelle Teilhabe, weil sie prägend für das Publikum wie auch für die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen sein können: Welche Bilder finden sich z. B. über Roma oder über Benachteiligte, d. h. wie werden Repräsentationen entworfen und wie entfalten sie sich im Diskurs?

100 | Alle Materialien und Interviews sind im Anhang in übersichtlichen Tabellen aufgelistet, Teil VII/2.

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

Selbstbild Unter dem Begriff Selbstbild werden im Folgenden die Materialien subsummiert, die von den Kooperationspartnern erarbeitet und herausgegeben wurden. Das sind zum einen Anträge auf Förderung, zum anderen verschiedene Schriftstücke, die über das Projekt informieren und es bewerben, z. B. in Form von Programmheft und Flyer, aber ebenso auf digitale Weise als Projekthomepage. Weitere Dokumente, die zum Selbstbild gerechnet werden, sind eine von der Jugendkunstwerkstatt erstellte Evaluation sowie eine Dokumentation und ein in Auftrag gegebener Dokumentationsfilm über das Projekt. Anträge: Ein Antrag gibt darüber Auskunft, wie die Projektleitung das Selbstbild vorstellt und argumentiert, um die Geldgeber zu überzeugen. Die Projektleiterin der MuKuTaThe-Werkstatt hat zusammen mit ihrer Projektassistentin insgesamt 11 Anträge bei verschiedenen Förderern gestellt. Davon wurden vier bewilligt (Liz Mohn Kultur- und Musikstiftung, Fonds Soziokultur, Förderprogramm dieGesellschafter.de der Aktion Mensch, Kämpgen Stiftung). Damit hatten sie, in Kombination mit Eigenmitteln, die erforderlichen finanziellen Mittel zusammen, um das Projekt zu realisieren. Für Forschungszwecke wurde mir ein Antrag an den Fonds Soziokultur zur Verfügung gestellt, der nicht öffentlich einsehbar war und der im Folgenden analysiert wird. Strukturell unterstreicht der Antrag die besondere und erstmalige Kooperation von einem „relevanten öffentlichen Kulturträger“ innerhalb eines Festivals von „internationalem Rang“ (Antrag Fonds Soziokultur 2009: 1), der KölnMusik GmbH, mit einer Jugendkunstschule, die als spezifisches Profil die spartenübergreifende Zusammenarbeit der Dozenten hat (ebd.: 2). Inhaltlich wird die Leitidee „Das Eigene im Fremden und das Fremde im Eigenen entdecken“ (ebd.: 1) konkretisiert als „interkulturelle Musikpädagogik und kreativ-musische Projekte“ (ebd.), die an „Brennpunktschulen“ (ebd.) stattfinden werden. Die Zielgruppe wird spezifiziert als Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 14 Jahren mit Migrationshintergrund an Förderschulen, „die Mehrheit besteht aus Roma-und Sinti-Kindern [sic]“ (ebd.: 4), weshalb der Schwerpunkt des Projekts auf „diesem Kulturkreis“ liege (ebd.). Als Ziele werden benannt: • „Kinder und Jugendliche, die in vielen gesellschaftlichen Bereichen bereits ausgegrenzt sind, wieder in die Mitte unserer Gesellschaft zurückzuholen und sie gesellschaftlich sichtbar zu machen.“ (ebd.: 1); • „gelebte Teilhabe am gesellschaftlichen sowie kulturellen Leben, welche die Schüler durch die angestrebte Abschlussaufführung in der Philharmonie erfahren“ (ebd.: 3);

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• „Bewusstseinsbildung für die Belange und Lebenszusammenhänge von Schülern der Förderschule Lernen in der Öffentlichkeit […] und der Verinselung von Förderschülern entgegenwirken“ (ebd.: 3); • „Integration der Schüler und ihrer Interessen sowie die Förderung der interkulturellen Zusammenarbeit in den Förderschulen“ (ebd.); • „Inklusion und gelebte Partizipation der Schüler sind hier die Schlüsselworte, um soziale Ausgrenzung zu bekämpfen!“ (ebd.). In den Fragen, auf die der Antrag eingeht, wurde explizit nach dem Modellcharakter des Projekts gefragt, da dies ein wichtiger Bestandteil der Fördergrundsätze des Fonds Soziokultur ist.101 In der Darlegung von Heimat re-invented ist dieser Modellcharakter so beschrieben, dass die Kooperation die Rahmenbedingungen für ein Projekt dieser „Breitenwirkung“ (ebd.: 3) schaffe, da beide Kooperationspartner ihre jeweiligen Ressourcen einbringen könnten: Die KölnMusik bringe die „notwendige Öffentlichkeit für die Thematik“ mit, die Jugendkunstschule „ihre langjährige Erfahrung mit Förder- und Hauptschulen sowie [die] Fördermittelbeschaffung“ (ebd.). Das Modell sei somit in erster Linie die „vernetzte Zusammenarbeit von Förderschule, Sozialarbeit und Projektpartner“ (ebd.). Dies sei als „Impulsförderung“ (ebd., ebenfalls einer der Förderschwerpunkte des Fonds Soziokultur) zu verstehen, da langfristig „die Entwicklung eines Education Programms zugunsten von Kindern mit Migrationshintergrund und aus sozial schwierigen Stadtteilen“ (ebd.) angestrebt werde. Der Antrag verdeutlicht die konzeptuellen Intentionen der Leitung, ein modellhaftes und in seinen Dimensionen aufwendiges Projekt umzusetzen. Dies zeigt sich in der Bereitschaft neue Kooperationen einzugehen, das Projekt mit einem großen Team und vielen Teilnehmenden zu konzipieren sowie am Umfang begleitender Aktivitäten. Diese waren z. B. die geplante Öffentlichkeitsarbeit (ebd.: 5) inklusive eines eigenen Logos und einer eigenen Projekthomepage, der Sicherung der Projektergebnisse in Form einer Filmdokumentation, begleitender Fotografien einer beauftragten Fotografin sowie einer Evaluierung (ebd.). Sprachlich spielen bestimmte Stichworte wie z. B. Migrationshintergrund, Ausgrenzung und Benachteiligung sowie Brennpunktschule eine Rolle, die die Notwendigkeit des Projekts unterstreichen. Andere Stichworte vergegenwärtigen das künstlerisch aktivierende Potential, das mit dem Projekt 101 | Der Fonds Soziokultur vergibt Projektmittel für zeitlich befristete, soziokulturelle Initiativen und Vereine. Gefördert werden „solche Modelle kultureller Praxis, die die alltägliche Lebenswelt in die Kulturarbeit einbeziehen und zugleich eine Rückwirkung der so entstehenden Formen von Kunst und Kultur in unsere Gesellschaft anstreben.“ (Homepage Fonds Soziokultur, Ziele/Aufgaben, Grundsätze der Förderung). Der Fonds selbst erhält seine Haushaltsmittel von 1 Mio. Euro von der Kulturstiftung des Bundes.

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

angestrebt werde. Die Betonung der Vernetzung mit der Philharmonie, die bislang mit „ihren Projekten keine Haupt- und Förderschulen“ (ebd.: 3) erreiche, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Denn daran wird nicht nur die Rolle der Jugendkunstschule als „Bindeglied“ (ebd.) herausgestellt, sondern dargestellt, wie innovativ und ungewöhnlich die Kooperation sei. Diese auf verschiedene Bildungs- und Kulturfelder hinweisenden Stichworte können als Antragscodes verstanden werden: Bestimmte Stichworte werden wie Zugangscodes verwendet, die erkennen lassen, dass die Antragstellerin weiß, worauf es ankommt und den Diskurs beherrscht. Der Antrag für Heimat re-invented beim Fonds Soziokultur hat die wichtigsten Schlüsselbegriffe aufund ausgeführt, wenn auch nicht trennscharf (z. B. Integration und Inklusion) und war damit erfolgreich. Zum Stichwort Integration erläutert die Antragstellerin und Projektleiterin Riedel, dass die Jugendkunstschule seit einigen Jahren Projekte für „Kinder mit, ja, Benachteiligung“ (AR 100: 5) beantragen würde, da diese Kinder in den fortlaufenden Kursen nicht dabei seien; dies sei der MuKuTaThe-Werkstatt aber als Träger der freien Jugendhilfe ein wichtiges Anliegen. Bezogen auf Heimat re-invented wird Benachteiligung durch die spezifizierte Zielgruppe von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund an Förderschulen definiert. Sie resümiert: „Also diese Projekte mit Migrationshintergrund… die werden vor allen Dingen, also gerade diese Projekte werden auch gefördert.“ (AR 100: 5) Der selbst gesetzte Anspruch an Größe und Modellcharakter des Projekts (die Kooperationspartner und die Zielgruppe betreffend) sowie der Anspruch an übergeordnete Ziele (Integration, Inklusion, gelebte Teilhabe), ist aus strategischen Gründen sehr hoch, dabei aber umsetzungsrealistisch formuliert. Ähnlich taktisch wurde mit der Fördersumme umgegangen (AR 100: 1). Durch die darin dargelegten Intentionen kann der Antrag als Konzept gelesen werden. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Festivalmagazin, Programmheft, Programmflyer zur Aufführung, Evaluation, Homepage, Pressemitteilungen: Die beiden Kooperationspartner KölnMusik und Jugendkunstschule haben im Vorfeld der Bühnenaufführung verschiedene Schriftstücke in Papierform und digital herausgebracht, die sich, im Gegensatz zu den Anträgen, direkt an die Öffentlichkeit richten. Dazu zählen das Programmheft sowie ein Festivalmagazin zur MusikTriennale der Philharmonie und ein Flyer zur Premiere sowie eine spezielle Projekthomepage.102 Die Intention dieser Texte ist zum einen die 102 | Die Homepage der MuKuTaThe-Werkstatt hatte eine extra Projekthomepage eingerichtet, um auch digital über das Projekt zu informieren; während der Projektlaufzeit wurden Fotos, Filme und Berichte aktualisiert. In der Evaluation wurde die Projekthomepage sehr positiv hervorgehoben, in der Auswertung wurde diesbezüglich formuliert:

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Informationsvermittlung als Werbung für die Aufführung, zum anderen geht es um die Aufmerksamkeit, die das Projekt durch die Zusammenarbeit der beiden Partner in den jeweiligen Kontexten bekommen soll. Dabei muss unterschieden werden zwischen den Zielgruppen der einzelnen Kooperationspartner: Die Texte der MusikTriennale kündigen das Projekt an, z. B. im Programmheft der MusikTriennale. Durch die Drucklegung im Januar, noch vor dem Probenbeginn in den Schulen, konzentriert sich dieser Text (vgl. das Zitat zu Beginn des Kapitels) auf die wesentlichen Informationen aus dem Konzept: die „Leitidee“ des Projekts „Das Eigene im Fremden und das Fremde im Eigenen entdecken“ wird ebenso genannt, wie die Kooperationspartner und die Zielgruppe: Förderschüler, „die am Rande der Aufmerksamkeit und der sozialen Struktur stehen“ (Programmheft MusikTriennale 2010: 102). Eine genauere Benennung der Aktivitäten des Projekts erfolgt hier aufgrund der frühen Drucklegung nicht. Auch im überblicksartigen Artikel des Festivalmagazins, das über das Kinder- und Jugendprogramm der MusikTriennale 2–20 berichtet, wird lediglich konzeptuell vorgestellt, welche Angebote zum diesjährigen Festivalmotto für die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen insgesamt bereitgestellt werden (Festivalmagazin MusikTriennale 2010: 60f.), aber auf Heimat re-invented wird nicht näher eingegangen. Man kann aus den Texten eher die konzeptuellen Intentionen und damit die zugrunde liegenden Haltungen der Projektbeteiligten herauslesen als eine konkrete Beschreibung dessen, was die Schülerinnen in dem Projekt tatsächlich künstlerisch umsetzen werden. Es wird auf die Besonderheit des Projekts hingewiesen, nämlich darauf, dass die Philharmonie eine ungewöhnliche und erstmalige Kooperation mit Kölner Förderschulen eingegangen sei, um dieser Schülergruppe einen Raum zu geben. Im Überblickstext über die Kinder- und Jugendprojekte der Philharmonie wird das Motto des Festivals Heimat – heimatlos als Frage an das Publikum gestellt: „Was bedeutet Heimat für mich?“ (ebd.). Diese Frage findet sich etwas weiter ausgeführt auch als Einstiegsfrage im Programmflyer der MuKuTaThe: „Was bedeutet Heimat für mich, für dich, für uns?“ (Flyer MuKuTaThe 2010: 2). In diesem Flyer, der explizit für die Besucherinnen des Bühnenstücks produziert und zu Beginn der Aufführung wie ein Programmzettel verteilt wurde, steht weniger der konzeptuelle Grundgedanke im Vordergrund als vielmehr „Diese positive Zustimmung seitens der Betreuer aus den Schulen zeigt sehr klar, dass auch sie es für sehr relevant und hilfreich halten, solche Medien wie z. B. eine Projekthomepage einzusetzen, um die breite Öffentlichkeit und somit eventuell Sponsoren zu erreichen. Daneben trugen diese Medien dazu bei, eine Plattform für die Förderschulen und deren SchülerInnen zu schaffen, so dass sie dadurch eine erhöhte Aufmerksamkeit für ihre Situation gewinnen konnten.“ (Auswertung Projektevaluierung 2010: 43) Diese Projekthomepage ist inzwischen abgeschaltet.

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

eine sprachlich-anschauliche Beschreibung dessen, was im Projekt erarbeitet wurde: Die Frage nach der Heimat wird zum Ausgangspunkt einer „Spurensuche“. Diese reiche von „indischer Trommelmusik über Mozart und HipHop [bis hin] zum Kurzfilm“ (Flyer MuKuTaThe 2010: 2). Betont wird der partizipativ-egalitäre Aspekt: „Jeder macht mit, alle sind wichtig“ (ebd.). In diesem Text ist nicht von Ausgrenzung und Benachteiligung der Kinder und Jugendlichen die Rede, sondern es geht um „das Zeigen von Stärken, Emotionen und Potentialen“ (ebd.), um eine Potential- und Kompetenzorientierung. Die Zielgruppe des Flyers ist das Publikum, in erster Linie weitere Klassen der teilnehmenden Schulen und Eltern. Die Leitidee, zunächst im ersten Absatz durch die Frage nach Heimat thematisiert, wird im letzten Absatz wieder aufgegriffen: „‚HEIMAT re-invented‘ beleuchtet in einem kreativen Prozess […] das Eigene im Fremden sowie das Fremde im Eigenem [sic], in der eigenen Heimat.“ (Ebd., Hervorhebung im Original) Damit wird angenommen bzw. vorweggenommen, dass es für die Kinder und Jugendlichen etwas Eigenes und etwas Fremdes geben müsse, was klar unterscheidbar sei. Durch Musik, Tanz und Kunst könnten die Kinder und Jugendlichen aus „unterschiedlichsten Kulturkreisen“ (ebd.) ihren „Erfahrungen und Gefühlen“ (ebd.) einen eigenen Ausdruck verleihen und für sich eine „Aufgabe in der Gruppe“ (ebd.) finden. Was „fremd“, was „eigen“ ist, diese „Erfahrungen und Gefühle“ (ebd.) beziehen sich, so scheint es, auf die kulturelle Herkunft; hier wird folglich auf den im Antrag erwähnten Migrationshintergrund vieler Förderschüler rekurriert. Die Frage, was für die Kinder und Jugendlichen fremd ist und was sie in welchem Eigenen entdecken sollen, wird nicht gestellt, der Text verweist in erster Linie auf die ethnische Dimension. Der Programmflyer ist für die Analyse interessant, weil er neben der Betonung der Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen einen deutlich ethnisch implizierten Kulturbegriff enthält. Evaluation: Die MuKuTaThe-Werkstatt führte in der Mitte sowie am Ende des Projekts eine Evaluation durch. Es wurden Fragebögen an die beteiligten Kinder und Jugendlichen und an die Pädagogen verteilt. Die Intention dieser selbst entworfenen und durchgeführten Evaluation war es, „einen repräsentativen Überblick zu erhalten und den Kindern, sowie dem betreuendem Personal [sic] in den Schulen die Chance zu einer schriftlichen Reflexion zu geben“ (Dokumentation MuKuTaThe 2010: 34). Die Evaluation war als „Bestandsaufnahme“ (Evaluierungsbogen MuKuTaThe 2010: 1) konzeptioniert, die als Grundlage und „Basis für die Dokumentation“ (ebd.) dienen sollte. Bereits im Antrag wurde die Evaluation zur „Sicherung der Projektergebnisse“ (Antrag Fonds Soziokultur 2009: 5) genannt. Abgefragt wurde, wie viele Kinder und Jugendliche welche Kunstsparten besuchten, aber auch, wie ihnen der Unterricht in den Gruppen gefällt, was

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besonders viel Spaß macht bzw. was als nicht so gut empfunden wird, wie die Aufführung bewertet wird und schließlich, ob sie an einem solchen Projekt bzw. konkret an dieser Aufführung nochmal teilnehmen würden. Die beteiligten Pädagogen und Schulsozialpädagoginnen wurden ebenfalls zweimal im Verlauf des Projekts befragt. Neben allgemeinen Daten zu den Projektteilnehmern103 und zur Einrichtung (Gruppengröße und -einteilung, Alter der Kinder und Jugendlichen) wurden auch Erwartungen an die, Beobachtungen und Einschätzungen der „Projektentwicklung“ (Evaluierungsbogen MuKuTaThe 2010: 2 f.) abgefragt. So wurde z. B. gefragt, ob die Pädagogen Veränderungen bei den Schülerinnen beobachten konnten und wenn ja, in welchem Bereich: dem motorischen, dem kognitiven (Aufmerksamkeit, Kreativität, Orientierung, Imagination) und/oder den sozialen Kompetenzen (Teamfähigkeit, Selbstvertrauen, Eigenverantwortung, Engagement, Empathie, Toleranz) und, inwiefern sich das Schulklima verbessert habe (Evaluierungsbogen MuKuTaThe 2010: 2 f.). Es wurden weiterhin die Lernziele und deren Wichtigkeit abgefragt (Vermittlung künstlerischer Grundlagen, Erwerb sozialer Kompetenzen, Körpersprache, Vermittlung von Theorie) (ebd.). Schließlich wurde die Zufriedenheit mit den Rahmenbedingungen (Zusammenarbeit mit den Dozenten und den Projektpartnern, Mitarbeit der Schüler, Zeitrahmen des Projekts und eigener Arbeitsaufwand) erhoben. Nach der Abschlussaufführung wurden weitere Fragen zur Zufriedenheit mit der Aufführung, der Organisation des Projekts, dem Aufführungsort und der Öffentlichkeitsarbeit gestellt. Auch die Umfragen unter den Pädagogen beinhalteten die Fragen, ob sie an einer Wiederholung der Aufführung sowie an einer längeren Zusammenarbeit mit der Jugendkunstschule interessiert seien (ebd.). An der Befragung nahmen 55 von insgesamt 76 Kindern und Jugendlichen104 und sieben von neun Pädagogen teil. Es soll im Folgenden keine ausführliche Darstellung der Auswertung erfolgen, sondern es werden nur einige wichtige Ergebnisse zusammengefasst, die für die vorliegende Untersuchung von Interesse sind. Es werden fast durchgängig univariate Diagramme dargestellt, die auf eine Variable Bezug nehmen; nur eine Ausnahme ist bivariat. Bei den Ergebnis103 | Interessant ist, dass in der Auswertung bei drei von vier Schulen die Herkunftsländer der Schüler aufgeschlüsselt werden, es im Fragebogen aber keine diesbezügliche Frage gab. An dieser Stelle soll nicht spekuliert werden, ob die Pädagogen diese Information von sich aus geschrieben haben oder ob die Projektleitung nachgefragt hat; aber es soll darauf hingewiesen werden, dass eine nationale Verortung wichtig erschien, um in die Auswertung aufgenommen zu werden. 104 | Es gibt keine Angaben und konnte von mir nicht in Erfahrung gebracht werden, ob die Kinder und Jugendlichen von Amaro Kher die nur auf Deutsch formulierten Fragebögen ausfüllten bzw. übersetzt bekamen.

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

sen der Kinder und Jugendlichen ist festzuhalten, dass sie zufrieden bis sehr zufrieden mit dem Unterricht sowie den „neuen Lehrern“ und den anderen Schülern sind; auch die Aufführung wird von der Mehrheit positiv bewertet, verstärkt durch das ebenfalls geäußerte Interesse, erneut aufzutreten (Auswertung Projektevaluierung MuKuTaThe 2010: 34–38). Was negativ angemerkt wurde, ist die insgesamt sehr kurze Projektlaufzeit sowie die Überziehung der Zeit bei Haupt- und Generalprobe. Bei der Auswertung der Umfrageergebnisse der Pädagogen wurden keine Diagramme verwendet, sondern ausschließlich erläuternder Text. Zu ihren Aufgaben befragt, geben die Pädagogen an, sie seien Beobachtungs-, Betreuungs- und Ansprechpersonen für jegliche Fragen gewesen, sowie zuständig für die „Motivation schwächerer SchülerInnen“ und das „Eingreifen bei Disziplinproblemen“ (ebd.: 39). Die Frage nach den Erwartungen und deren Erfüllung wurde unterschiedlich beantwortet. Hervorzuheben ist, dass die Lehrerin (SH) von Amaro Kher folgende Einschätzung bezüglich ihrer Schüler trifft: „SchülerInnen […] stärken durch Roma-Lieder ihre Identität“ (Auswertung des Evaluierungsbogens zur Halbzeit des Projekts nach Schulen 2010: 1). Eine andere Einschätzung unterstützt das im Konzept verfolgte Ziel der Sichtbarkeit, nämlich „die Darstellung unserer Schüler über Musik/Tanz in breiter Öffentlichkeit, um Akzeptanz zu schaffen“ (Auswertung Projektevaluierung MuKuTaThe 2010: 39). Die Frage nach den Veränderungen zielte nur auf positive Verbesserungen, die von fast allen Befragten in verschiedenen Bereichen festgestellt werden konnten, sowohl zur Halbzeit als auch nach Beendigung des Projekts; mehrheitlich wurden Verbesserungen der sozialen Kompetenzen genannt. Die Aufführung wurde als sehr positiv eingestuft, die Organisation wurde von drei der sieben Dozenten als gut, von den vier anderen als befriedigend bewertet. Mit den Rahmenbedingungen war die Mehrheit zufrieden bis sehr zufrieden, allerdings wurde das Verhältnis zwischen Arbeitsaufwand und Kürze des Projekts etwas negativer bewertet. Die Auswertungsdarstellung weist einige handwerkliche Schwächen auf: Die Achsen der Grafiken sind beispielsweise nicht benannt und einige Skaleneinheiten sind nicht in ganzen Zahlen angegeben, obwohl die Einheit der Achse die Anzahl der Antworten der Kinder und Jugendlichen ist, es folglich keine rationalen Zahlen, also halbe Nennungen, geben kann.105 Da die Durchführung und Auswertung einer Evaluation jedoch nicht zu den Hauptaufgaben der Jugendkunstwerkstatt gehört, steht hier im Vordergrund, dass die Projekt-

105 | Beispielsweise gab es eine Auswertung getrennt nach Schulen, die in der Gesamtdarstellung zum Teil verknappt und nur sehr verkürzt zusammengefasst wurde (vgl. Evaluierungsbogen MuKuTaThe 2010 und Auswertung Projektevaluierung MuKuTaThe 2010).

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leitung sich ein ehrgeiziges und mutiges106 Projekt vorgenommen hatte, das eine Evaluation mit einschloss. Die Schwächen und Ungenauigkeiten zeigen aber auch, dass die Projektleitung sich womöglich zu viel vorgenommen hatte  – oder meinte, dies aus Legitimationsgründen tun zu müssen. Inhaltlich sticht zum einen die insgesamt sehr positive Bewertung aller Teilnehmenden – Dozentinnen und Kinder und Jugendliche – hervor. Zum anderen zeigt sich eine Tendenz, die fast schon forciert wirkt, jegliche Entwicklungen, Veränderungen und Lernfortschritte der Kinder und Jugendlichen als sichtbar und erreicht zu bezeichnen.107 Dokumentation: Die Projektleitung der MuKuTaThe (Projektleiterin und -assistentin) erarbeitete eine Dokumentation, die mit zahlreichen Fotos, Berichten und Reflexionen einen allgemeinen Überblick über das Projekt gibt. Die 59 Seiten umfassende, geheftete Broschüre enthält Ausführungen von der Idee des Projekts über die Aufführung bis hin zur Finanzierung, Evaluation und Dokumentation. Ein Bericht über die Premiere sowie Informationen zur Umsetzung des Projekts, inklusive einer Vorstellung der teilnehmenden Schulen und der künstlerischen Sparten sind ebenso Teil der Broschüre. Im Folgenden werden nur einzelne Aspekte herausgegriffen, die wichtig für das zugrunde liegende Selbstbild sind. Unter dem Titel „Die Idee, die dahinter steckt“ werden nochmals die Ziele des Projekts genannt: „Die Kinder und Jugendlichen sollten durch die künstlerische Projektarbeit ihre eigene Selbst- und Fremdwahrnehmung schärfen und die Möglichkeit erhalten, ihre erlernten Fähigkeiten einem breiten Publikum zu präsentieren.“ (Dokumentation MuKuTaThe 2010: 11) Dadurch, so wird resümiert, haben sie „auf direkte Art und Weise am gesellschaftlichen sowie kulturellen Leben teilgenommen“ (ebd.). Ein diesem Ziel zugeordneter 106 | Abschlusskommentar einer Pädagogin: „Vielen Dank für den Mut, so ein ‚großes Ding‘ auf die Beine zu stellen!“ (Auswertung Projektevaluierung MuKuTaThe 2010: 44). 107 | Auch ich konnte beobachten, dass die Kinder ihr Verhalten gegenüber den Dozenten im Laufe des Probenprozesses veränderten: So übte der Tanzdozent in Amaro Kher mit drei Jungen ein Solo und sie tanzten es den anderen im Anschluss vor, wofür sie großen Applaus bekamen und sehr stolz waren. In der Pause brachten sie Becher und Wasser für alle Praktikantinnen, den Tanzdozenten und mich und sagten zum Tanzdozenten: „Du bringst uns was bei, wir bringen dir was!“ (Forschungstagebuch, FTB 2010: 37). Gleichwohl darf diese kleine Situation nicht als empirisch gesicherter Beleg für eine Steigerung sozialer Kompetenzen herhalten; ich kann nichts darüber aussagen, ob die Jungen dieses höfliche Verhalten im Projekt gelernt haben oder nicht. Die direkte Zuwendung an den Tanzdozenten fand im Verlauf des Projekts das erste Mal statt, aber womit dies zusammenhängt, kann nicht sicher hergeleitet werden.

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

Aspekt war es, das „Bewusstsein [der Öffentlichkeit] für Förderschulen [zu] stärken“. Ähnlich der Argumentation des Antrags wirke das Projekt bewusst der „Verinselung von Förderschulen“ entgegen, denn es werfe Fragen auf wie „Was passiert mit den Förderschülern nach der Schule? Wo ist ihr Platz in der Gesellschaft? Haben sie überhaupt einen Platz?“ (ebd.). Diese Fragen sind  – die Possessivpronomen zeigen es deutlich – zunächst aus der Perspektive der teilnehmenden Erwachsenen gestellt. Fragen, wie sie sich die Schülerinnen stellen würden, werden an dieser Stelle nicht genannt. Ein weiteres Kapitel der Dokumentation thematisiert, warum „gerade eine Förderung von Förderschulen so dringend erforderlich“ sei (ebd.: 22 f.). Es werden drei Faktoren für eine Benachteiligung der Förderschüler genannt: hoher Anteil an Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund (80 %), deren häufig ungeklärter Aufenthaltsstatus sowie ein überproportional hoher Anteil an Kindern von Hartz IV-Empfängern (deutlich über 50 %). Die Schüler von Förderschulen würden aufgrund nicht ausreichender Mittel häufig nur unzureichend in „ihren Möglichkeiten, Fähigkeiten und Begabungen“ (ebd.) gefördert, sodass „[i]ntegrative Projekte mit Musik, Kunst und Bewegung […] als Chance angesehen [werden], Schule als Lebensraum zu öffnen“ (ebd.: 23). Ein Projekt wie Heimat re-invented sei ein neuer „Rahmen“, in dem sich die Schülerinnen auf „etwas Neues“ (ebd.) einlassen können; eine „Plattform“ für die eigenen Fähigkeiten, die sie dazu befähigen soll, „eine positive Perspektive auf das eigene Leben zu entwickeln“ (ebd.). Dieser Aspekt wird unter „Erfolge und Misserfolge  – Eine Bewertung“ aufgegriffen und der Lernerfolg der beteiligten Schüler herausgestellt: „Vor allem aber ist noch einmal zu betonen, dass die SchülerInnen in so einer kurzen Projektspanne einiges an Schlüsselkompetenzen, die für ihre Persönlichkeit von immenser Bedeutung sind, dazu gelernt haben.“ (Dokumentation MuKuTaThe 2010: 47). Als besonders wichtiger Bestandteil dieses Erfolgs wird die Aufführung gesehen, die durch das professionelle Setting zur Wertschätzung und Sichtbarmachung beitrage und von großer pädagogischer Bedeutung sei (ebd.: 48). Im Schlusskommentar wird dieses Ziel nochmal zusammengefasst: „Die oft sozial benachteiligte Gruppe konnte so eine große Öffentlichkeit erhalten und durch die Teilhabe am kulturellen Leben eine gesellschaftliche Aufwertung erfahren.“ Bei allem dem Projekt zu gönnenden Erfolg  – diese Einschätzungen der eindeutig belegbaren und unmittelbar sich zeigenden sowie langfristig und nachhaltigen Wirkungen, der positiven Veränderungen von Sozialkompetenzen und Persönlichkeitsentwicklung und der durch das Projekt erfolgten Teilhabe am kulturellen Leben bzw. ganz allgemein an der Gesellschaft sind in dem Maße und ohne stichhaltige Belege nicht haltbar. Sie wirken unglaubwürdig. Was genau eine kulturelle Teilhabe ausmacht und woran sich dies festmachen ließe, dazu wird nichts Konkretes genannt.

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Ein Teil der Dokumentation war ein von der MuKuTaThe-Werkstatt in Auftrag gegebener Film. Dieser war bereits vor Beginn der Umsetzungsphase geplant, wie aus dem Antrag an den Fonds Soziokultur hervorgeht (Antrag Fonds Soziokultur 2009: 5). Die Filmemacherin Katrin Schnieders dokumentierte die Proben und die Bühnenpräsentation und begleitete und interviewte zahlreiche Schüler, Lehrerinnen, Schulsozialpädagoginnen und Dozenten im Laufe des gesamten Projekt-Zeitraums. Der Film „dokumentiert das Wachsen des Selbstbewusstseins von 76 FörderschülerInnen bei der gemeinsamen Erarbeitung einer Bühneninszenierung“. Es werde ein tiefer Blick auf die ungleichen Zugangschancen zu Bildung in der Gesellschaft geworfen. Was heißt es, auf eine „Förderschule“ zu gehen? Wie gehen die Kinder damit um, weit unten in einer Gesellschaft zu stehen? Dies sind nur einige Fragen, denen sich der Film stellt. (Dokumentation MuKuTaThe 2010: 25)

Hier wird die Perspektive der Kinder eingenommen, sie bleibt aber der Darstellung verhaftet, dass Förderschüler am Rande der Gesellschaft stehen: Dies mag empirisch nachweisbar sein, aber dennoch ist die Argumentation engführend, weil keine andere Perspektive auf die Kinder und Jugendlichen möglich ist. Diese ausschließende Zuschreibung ist für eine kulturelle Teilhabe problematisch. Der Film kann als eine Mischform zwischen Selbst- und Fremdbild angesehen werden, ist er doch im Auftrag von und nach Absprache mit der Projektleitung entstanden, die endgültige Ausgestaltung lag jedoch bei der Filmemacherin.

Fremdbild Das Fremdbild, d. h. der Blick von außen auf Heimat re-inveted wurde zusammengestellt aus Presseberichten (Zeitungen, Zeitschriften, Radio sowie Fernsehen) und aus Zitaten von Mitarbeiterinnen fördernder, aber für das Projekt externer Institutionen sowie einer Preislaudatio. Presse: Die in der Dokumentationsbroschüre angegebene Übersicht listet 28 Veröffentlichungen auf, darunter auch Rundbriefe und Veranstaltungshinweise der Kooperationspartner sowie den Hinweis eines Förderers (Liz Mohn Kulturund Musikstiftung). Zwei ausgewählte Presseberichte sind in der Broschüre abgedruckt: Sie gehen sehr stark auf die Pressemitteilungen zurück bzw. sind von der Projektleiterin Riedel selbst geschrieben. Es kann also nicht direkt von einem Fremdbild gesprochen werden, da es sich bei den Presseberichten weniger um Rezensionen, d. h. Meinungen von fachkundigen Journalistinnen handelt, als vielmehr um die Bekanntmachung und Verbreitung, also die Ein-

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

ladung zur Aufführung selber sowie deren Sichtbarmachung in der Öffentlichkeit. Texte, die sich nach außen wenden, fallen jedoch standardmäßig unter Fremdbild. Auch wenn sie es in diesem speziellen Fall nur bedingt sind, bleiben sie unter das Fremdbild eingeordnet, weil sie eine Sichtbarkeit nach außen vornehmen und eine Sicht von außen suggerieren. Vonseiten der Förderer wurde die mediale Präsenz des Projekts und dessen professionelle Handhabung auch bei der Informationsweitergabe sehr positiv hervorgehoben und gelobt: Da kam auch alles zusammen, es gehört auch dazu, so medial, die [MuKuTaThe] haben auch über jeden Schritt über Fernsehen und Radio informiert. Ich hab dann eine Mail bekommen: „Wir möchten hier aufmerksam machen...“, das passte auch wirklich gut zusammen.108 (NStr 2_008: 12)

Der von der Projektleiterin Riedel geschriebene Artikel wurde unter dem Titel „Heimat  – Was ist das?“ im infodienst. Magazin für Kulturelle Bildung (Infodienst 2010: 45) veröffentlicht. Was bereits für das Selbstbild und insbesondere für die Analyse des Antrags galt, kann auch hier festgehalten werden: Über sprachliche Versatzstücke, etwa Schlagworte wie Migrationshintergrund und Benachteiligung in Kombination mit dem rahmenden Festival der MusikTriennale und dem Aufführungsort der professionellen Bühne der Comedia soll auf etwas Ungewöhnliches, Neues und geradezu Exotisches hingewiesen werden: „Das ist einmalig.“, heißt es in diesem Artikel, „Kaum jemand hat vorher getanzt oder musiziert, geschweige denn zu indischer Trommelsprache oder Mozartmusik.“ (ebd.): Hier wird versucht, über die Musikbeispiele – Trommelsprache und Mozart – eine größtmögliche Kontrastierung herzustellen. Allerdings weisen die Aussagen der Kinder und Jugendlichen, die ich vor und nach den Aufführungen im Mai sowie im September (Wiederaufnahme einzelner Szenen für die interkulturelle Woche) interviewt hatte, auf andere Vorerfahrungen hin: Einige der Roma-Kinder und -Jugendlichen von Amaro Kher erzählen, dass sie gerne singen, Musik zu Hause machen, teilweise auch in einer musikaffinen Familie aufwachsen, wo andere Familienmitglieder z. B. bei Hochzeiten oder anderen Festivitäten auftreten (S. 116, S./S. 111109). Ein Junge berichtet vor der Aufführung, dass er nicht sehr aufgeregt sei, weil er nicht das erste Mal auf der Bühne auftrete, sondern durch Breakdance schon daran gewöhnt sei (O. 146). Einige Mädchen erzählen, dass sie im Tanzzentrum bzw. 108 | Die Transkriptionsauszüge wurden zur besseren Lesbarkeit hier wie im Folgenden ggf. orthografisch und grammatikalisch bereinigt. 109 | Vgl. die Auflistung der geführten Interviews im Anhang, Teil VII/2.2; die Namen der Kinder sind anonymisiert und nur mit dem ersten Buchstaben des Nachnamens angegeben, vgl. dazu die Erläuterungen im Methodik Kapitel III/2.

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im Jugendzentrum tanzen und gerne auch mit Freunden „zwischendurch zu Hause“ (B./Y. 186). Auch ein am Projekt teilnehmender jugendlicher Rapper, der in einem Fernsehbeitrag von seinen bisherigen Rap-Vorkenntnissen und Erfahrungen berichtet, trägt zu einem wesentlich differenzierteren Bild bei, als es in dem Artikel pauschalisierend gezeigt wird. Es scheint, als ob auf die Stichworte, die aus strategischen Gründen bereits für den Antrag wichtig waren, aus denselben Gründen auch für das Bild nach außen abgehoben werden soll. Es wird ein Bild gezeichnet, das den Kindern und Jugendlichen von Förderschulen bestimmte Erfahrungen pauschal abspricht. Unabhängig davon, ob dies in vielen Fällen tatsächlich der Fall ist, findet hier eine Art Othering statt: Der ethnische Aspekt  – hoher Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund!  – wird gleichgesetzt mit Bildungsferne: „Die meisten Teilnehmer hatten noch nie ein Theater von innen gesehen oder auf einer Bühne gestanden.“ (Infodienst 2010: 45) Für dieses Fremdbild wird nicht näher differenziert, was die Kinder und Jugendlichen an Kenntnissen und Erfahrungen mit kulturellen Aktivitäten mitbringen. Es wird nur festgestellt, dass es eine Ferne von einem bildungsbürgerlichen Kanon (Stichwort: Mozart, Stichwort: Theater und Bühne) gibt. Deshalb sei die Kombination mit einer solchen repräsentativen Institution auch so neuartig und ein „Pilotprojekt“ (Infodienst 2010: 45): Benachteiligten müsse eine Teilhabe an dieser Kultur ermöglicht werden. So gut gemeint dieser Ansatz ist und so richtig die Feststellung, dass Förderschulen zumeist keine Bühne im bildungsbürgerlichen Kulturleben haben, so sollte dennoch vorsichtig mit pauschalisierenden und homogenisierenden Zuschreibungen umgegangen werden, die in letzter Konsequenz ein weiteres Arbeitsfeld für Pädagogen und Künstlerinnen eröffnen, aber den Kindern und Jugendlichen nicht gerecht werden, da sie als die Anderen im Diskurs reproduziert werden und dort verbleiben. Einschätzung durch Förderer: Mit jeweils einer Mitarbeiterin der fördernden Institutionen habe ich Interviews geführt, um von denjenigen eine Einschätzung und einen Blick von außen zu erhalten, die zwar als Förderer über Deutungsmacht sowie über Kenntnisse der Diskurse kultureller Bildung verfügen, aber nicht als gestaltende Akteure innerhalb des Projekts beteiligt waren.110 Allen Einschätzungen

110 | Interviews wurden geführt mit: Nadine Sträter, Geschäftsführerin der Liz Mohn Kultur- und Musikstiftung; Nadja Höll, Kuratoriumsmitglied im Fonds Soziokultur für den Bundesverband der Jugendkunstschulen und Kulturpädagogischen Einrichtungen e. V. (bjke); Ingrid Hilmes, Geschäftsführerin der Kämpgen Stiftung; Uwe Blumenreich, Leiter Mikroförderung der Aktion Mensch, Förderprogramm dieGesellschafter.de.

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

gemein ist, dass das Projekt durchgängig positiv und als erfolgreich bewertet wird. Als Gründe werden genannt: • Verbindung bislang eher ungewöhnlicher Kooperationspartner: Philharmonie, Jugendkunstschule und Förderschulen und damit verbunden der Ort der Aufführung innerhalb eines professionellen Settings • Dimension des Projekts: Größe und Umfang sowie die von Beginn an geplanten Begleitaktivitäten (Projekthomepage, Öffentlichkeitsarbeit, Evaluation, Dokumentation etc.) • Nachhaltigkeit des Projekts: Auf bau eines Netzwerks und eines Education-Programms für die spezifische Zielgruppe • Förderung nicht nur der künstlerischen, sondern auch der sozialen Kompetenzen der benachteiligten Kinder und Jugendlichen Die Geschäftsführerin der Liz Mohn Kultur- und Musikstiftung, Nadine Sträter, drückt aus, was als der gemeinsame Nenner bezeichnet werden kann: Aber mir war irgendwie beim Lesen des Projektantrages auch klar, dass sie genau so, wie sie es schreiben, das auch genau so umsetzen können. Also es war einmal diese Idee der sozialen Integration und kulturellen Integration, also diese Kombination. Aber auch das Konkrete, die Professionalität und dann war die Projektidee auch einfach schön und überzeugend. (NStr 2_008: 3)

Darüber hinaus berichtet Nadja Höll, die als Kuratoriumsmitglied dem Fonds Soziokultur angehört, dass neben den geforderten Kriterien die Kooperation besonders ausschlaggebend für eine Förderung war, auch, weil sie als langfristige Zusammenarbeit angestrebt wurde und realistisch erschien: Dann in punkto Nachhaltigkeit, da gibt es bei diesem Projekt einen sehr konkreten Ansatz. Also vielleicht noch mal ein bisschen weitergefasst: Es ist so, dass viele Projekte das auch gerne reinschreiben: Ja, unser Projekt ist nachhaltig. Aber Heimat re-invented, dadurch dass dieses Education Programm anvisiert war mit der KölnMusik GmbH, fanden wir das dann auch einen besonderen Pluspunkt, den Aufbau dieses Netzwerkes. (NH 2_030: 3)

Rückblickend nennt Höll einen weiteren Punkt, der ebenfalls für alle Förderer von Bedeutung war: Der Aufführungsort war sicherlich auch ein spannender. Das war ja ursprünglich die Kölner Philharmonie. Man musste dann wechseln, in das Comedia Theater. Aber auch dort haben die Kinder und Jugendlichen ja noch sehr professionelle Rahmenbedingungen. Und das fiel uns eben auch auf, dass ein solches Projekt an so einen etablierten Kultur-

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Kulturelle Teilhabe durch Musik? ort geht und natürlich auch der Rahmen der MusikTriennale in Köln. Wodurch die Kinder und Jugendlichen eben eine besondere Wertschätzung erfahren haben. (NH 2_030: 3)

Wettbewerbe und Preise: Wettbewerbe und Preise hängen zwar mit der Förderung nicht unmittelbar zusammen und waren nicht voraussehbar, aber ermöglichen es, Rückschlüsse über die Fremdwahrnehmung zu erhalten. Sie spielen für den Diskurs eine wichtige Rolle, weil ein Projekt durch einen zugesprochenen Preis ggf. nachhaltiger in Erinnerung bleibt. Die Gründe für die Teilnahme an Wettbewerben werden in der Projektdokumentation wie folgt benannt: Erreichen einer breiteren Öffentlichkeit, im besten Fall ein Preisgeld und Anerkennung sowie positive Bestätigung der Arbeit aller Teilnehmenden (Dokumentation 2010: 52). In der Tat waren diese strategischen Bewerbungen erfolgreich: Heimat re-invented gewann zwei für den (sozio-)kulturellen Bereich wichtige Preise; den 3. Preis „Rauskommen! Der Jugendkunstschuleffekt 2010“ vom Bundesverband der Jugendkunstschulen und Kulturpädagogischen Einrichtungen e. V. (bjke) und den Preis „Kultur prägt“ der Landesregierung Nordrhein-Westfalen. Außerdem wurde das Projekt für den „Innovationspreis Soziokultur 2010“ des Fonds Soziokultur nominiert. Wie die Interviews mit den an der Preisvergabe beteiligten Personen111 zeigten, wurde mit dem Preis nicht nur das Stück als solches gewürdigt, sondern vor allem die Tatsache, dass es sich um ein Projekt handele, das „Modellcharakter“ (NH 2_030: 2) für die „Entwicklung der Soziokultur“ (ebd.) habe und innovativ sei. Anders ausgedrückt: Heimat re-invented war ein gelungenes und nachahmenswertes „Pilotprojekt auf der Schnittstelle von künstlerischer und sozialer Arbeit“ (NH 2_030: 6), weil es sich nicht an den Defiziten ihrer AdressatInnen, sondern an deren Fähigkeiten und Begabungen orientiert. Daher auch das Motto der Jugendkunstschulen: „Stärken stärken“. Also insofern finde ich, hat der Projektträger mit diesem Projekt das Motto ganz beispielhaft umgesetzt. (NH 2_030: 4)

Allerdings wird zugleich betont, dass das Projekt lobenswert sei, weil es Kindern und Jugendlichen Zugang zu Orten und einer Kultur eröffne, die ihnen bislang verschlossen blieben. Auch wenn damit keine persönlichen Defizite festgestellt werden, so unterliegt der Grundaussage doch eine Orientierung 111 | Diese Personen waren: Georg Fischer, Jurymitglied für den Preis „Kultur prägt“ von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen; Nicolas Grundhewer, Jurymitglied und Laudator für den Preis „Rauskommen! Der Jugendkunstschuleffekt 2010“ vom bjke und Mechthild Eickhoff, ehemalige Geschäftsführerin des bjke sowie Nadja Höll, Kuratoriumsmitglied im Fonds Soziokultur für den bjke.

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an Defiziten. Diesen Zwiespalt thematisiert die ehemalige Geschäftsführerin des Bundesverbands der Jugendkunstschulen und Kulturpädagogischen Einrichtungen e. V., Mechthild Eickhoff, die ausführt, es gehe bei dem Preis „Rauskommen! Der Jugendkunstschuleffekt 2010“ zwar darum, sogenannte benachteiligte Zielgruppen mit dem Preis zu fördern, aber ich weiß, dass das aus der Ausschreibung so nicht hervorgeht, weil wir keine Lust mehr hatten auf dieses Wording, die Benachteiligten, usw. Sondern wir wollten im Grunde mehr von der Einrichtung her denken, und sagen: „Bewegt euch, öffnet euch für die, die noch nicht bei euch sind, aus ganz, ganz unterschiedlichen Gründen.“ Diese Gründe sind ja nicht nur, man hat eine anatolische Großmutter, sondern möglicherweise auch, man wohnt zu weit weg. Oder der Bus hält nicht vor der Tür. Wir wollten das alles miteinschließen, und wenn man die Zielgruppe nun – und das ist eben dieses klassisch-pädagogische Wording –, wenn man die benachteiligt nennt, dann hat man gleich ein Bild im Kopf, das diese benachteiligten Kinder und Jugendlichen auch irgendwie als defizitär bezeichnet, und da wollten wir raus. Aber: Das liegt da drunter als Folie. Aber wir haben bewusst gesagt, in der Ausschreibung wollen wir das eben nicht sagen, damit nicht wieder was reproduziert wird, was die Kinder und Jugendlichen eigentlich unterfordert, statt die Einrichtung zu fordern, zu sagen, wir müssen etwas Adäquates finden, was diese Kinder und Jugendlichen begeistert. Aber das ist ein kleiner Spagat in der Formulierung der Ausschreibung. (ME 2_017: 3 f.)

Das Projekt habe „viele zusammengeführt [und] das hat uns eigentlich besonders beeindruckt, dass das ein gelungenes Projekt war, wo sehr viele, sehr unterschiedlich zu fördernde Kinder dann auch gefördert worden sind“ (GF 2_019: 6). Damit habe die MuKuTaThe-Werkstatt gezeigt, dass sie „ein Händchen dafür [hat] zu diesem Zeitpunkt das richtige zu tun“ (GF 2_019: 9). Die Jugendkunstschule MuKuTaThe wird als Hauptakteur wahrgenommen, weil sie die Bewerbungsunterlagen eingereicht hat. Und sie wird gelobt, dass sie als Jugendkunstschule auch das Wissen um die Notwendigkeit habe und die Kompetenzen besitze, um die Sichtbarkeit in der Szene der kulturellen Bildung zu erreichen. Für den Innovationspreis des Fonds Soziokultur wurden 12 von 48 geförderten Projekten vorgeschlagen, die zur diesjährigen thematischen Ausrichtung des alle zwei Jahre vergebenen Preises passten: „Kulturelle Strategien und soziale Ausgrenzung“. Das Kuratoriumsmitglied Höll nennt vor allem erneut den Ort und die damit einhergehenden professionellen Rahmenbedingungen, die zur Nominierung geführt hätten. Das Projekt habe kulturelle Strategien gegen soziale Ausgrenzung entwickelt. Das ist das, was ich vorhin schon mit Nachhaltigkeit meinte, und dass eben über das Projekt hinaus da so eine Zusammenarbeit entwickelt werden sollte und auch so ein strategischer Ansatz dahintersteckt. (NH 2_030: 4)

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Laudatio: Was bereits in den Aussagen der Förderer zur Größe und Komplexität sowie zu den professionellen Rahmenbedingungen des Projekts deutlich wird, steht auch in der Laudatio im Vordergrund. Auf der Preisverleihung des Bundesverbands der Jugendkunstschulen und Kulturpädagogischen Einrichtungen e. V. im März 2011 wurde die Laudatio verlesen und zusammen mit einer Urkunde den an der Feier teilnehmenden Mitarbeitern der MuKuTaThe-Werkstatt überreicht; Kinder und Jugendliche des Projekts waren bei der Veranstaltung nicht dabei. In der Laudatio wird die „geschickte Vernetzung“ von Jugendkunstschule, MusikTriennale Köln und Förderschulen positiv hervorgehoben, ebenso wie die Größe und Logistik des Projekts (vgl. Laudatio 2011). Es sei eine neue Dimension deutlich geworden, die Modellcharakter habe, so einer der Juroren. Auch dies sei ein Kriterium für Teilhabe, denn: Was mich auch beeindruckt hat, war diese Kooperation, die Struktur, die geschaffen wurde über drei Partner, was ja unglaublich schwierig ist, immer mit drei Partnern an einem Tisch zu sitzen und an einem Strang zu ziehen und dann mit so einem Partner wie der MusikTriennale, mit einem international und national renommierten Festival zusammen zu arbeiten, das ist schon ne neue Dimension. (NG 2_011: 1)

Ein weiteres Kriterium sei mit dieser Dimension einhergegangen, denn die Schüler seien „Raus aus der Förderschule und rauf auf die Bühne“ gekommen. Dadurch schaffe das Projekt „kulturellen Zugang und Öffentlichkeit gerade für Kinder und Jugendliche, denen eine positive öffentliche Resonanz häufig verwehrt wird – zu Unrecht, wie dieses Projekt beweist“ (Laudatio 2011). Doch der Juror führt aus, dass nicht das Stichwort Benachteiligung ausschlaggebender Grund für die Preisvergabe war: [A]lso es geht bei „Rauskommen!“ nicht ausschließlich um benachteiligte Gruppen im Sinne von der Bildung benachteiligt, sondern es geht auch um Jugendkunstschulen, die neue Wege gehen und die neue Leute erreichen. Das ist natürlich ganz häufig so, dass gerade so Kinder in Förderschulen dafür Zielgruppen sind, […] aber es kann auch wie beim ersten Preisträger sein, dass es da auf die räumliche Umgebung ankommt. (NG 2_011: 1)

Aber das Erstaunen über die Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen findet sich auch in dieser Laudatio: Sie bräuchten „die eigenen kulturellen und individuellen Wurzeln“ (Laudatio 2011) gar nicht zu verstecken, das Projekt beweise das Gegenteil, sodass Heimat re-invented ein „würdiger“ Preisträger sei (ebd.). Auch hier scheint die unausgesprochene Vorstellung zu herrschen, dass Schüler einer Förderschule keine Kompetenzen mitbrächten und nicht über Disziplin und Durchhaltevermögen verfügten. Die Analyse zeigt, wie pater-

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nalistisch der Diskurs ist, weil sich durch Begriffe wie „beweisen“, „würdig“ etc. eine Rhetorik offenbart, die die Schüler ausschließend und immer wieder als die Anderen darstellt. Es wird eine sich reproduzierende Defizitperspektive offenkundig. Die Preisvergaben sind für die Frage nach kultureller Teilhabe sehr aufschlussreich, denn das Projekt wird nicht in erster Linie aufgrund seiner künstlerischen Qualität geehrt, sondern aufgrund seines Modellcharakters. Damit erhalten vor allem die Macher, also die erwachsenen Akteure eine Ehrung, nicht die Kinder und Jugendlichen. Das Bild, das von den Roma-Kindern und -Jugendlichen durch das Projekt entsteht, nämlich das einer homogenen ethnischen Gruppe wird dadurch noch stärker festgeschrieben, denn es erfährt statt Kritik eine positive Bewertung von außen. Das gleiche gilt für das Bild, das von ihnen gesamtgesellschaftlich entworfen wird: nämlich das von kultur- und bildungsfernen, hilfsbedürftigen Kindern und Jugendlichen. Statt eine Gesellschaft in den Blick zu nehmen, die sich aus ganz unterschiedlichen, vielfältigen Kulturen zusammensetzt, wird eine homogene, bildungsbürgerliche Gesellschaft reproduziert, zu der die Kinder und Jugendlichen aus dem Projekt weniger Zugang haben. Die bürgerliche Gesellschaft reproduziert sich so nicht nur selbst, sondern sie legitimiert sich auch immer wieder aufs Neue als Gemeinschaft guter Menschen, die armen, fremden Kindern helfe und sie mit offenen Armen aufnehme. Sie zeigt also die Bereitschaft zur Integration, d. h. die Bereitschaft, andere in ihre Wertegemeinschaft aufzunehmen. Sie zeigt indes keine Bereitschaft, sich selbst auf das andere, vielleicht Fremde einzulassen bzw. ihre eigenen Wertkategorien zu überdenken und ggf. aufzugeben.

Zusammenfassung Die Analyse des Selbstbilds hat gezeigt, dass dieses grundlegend ist für die Darstellung nach außen und somit auch für die Analyse des Fremdbilds. Der strategisch an bestimmten Schlüsselbegriffen orientierte Antrag beim Fonds Soziokultur etwa zeigt, dass eine solche Antragslyrik erfolgversprechend ist. Obwohl beim Selbstbild z. B. in den Pressematerialien eine Entwicklung von einer eher problemorientierten Beschreibung (Brennpunktschulen, Ausgrenzung, Benachteiligung und Migrationshintergrund) hin zu einer Kompetenzbeschreibung (Können, Talente, Notwendigkeit für Bühne, Pilotprojekt) vollzogen wird, so ist doch festzuhalten, dass der Blick auf Förderschüler und Schüler mit Migrationshintergrund ein stark zuschreibender, mitunter exotisierender Blick ist, der Gruppen als die Anderen konstruiert: Der Blick ist zuschreibend, weil er die Kinder und Jugendlichen nicht von Beginn des Projekts mit ihren Kompetenzen und Stärken sieht, sondern zunächst nur die Defizite. Erst durch das Projekt – und dank diesem – werden Kompetenzen festgestellt, über die allseits erstaunte Begeisterung herrscht. Die so gelobten Kinder und

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Jugendlichen bleiben in diesem paternalistischen Diskurs damit auch nach dem Projekt sozial und auch kulturell Benachteiligte; das Bild über sie erscheint nicht vielgestaltig, sondern nach wie vor reduziert. Der Blick auf die Kinder und Jugendlichen ist ebenfalls zuschreibend, was die Engführung auf eine ausschließlich ethnische Perspektive hin betrifft, denn auch hier bleibt es bei dieser einen Perspektive, die sich nicht öffnet oder weitere hinzufügt: Sie repräsentieren nicht sich selbst, sie werden präsentiert. Die sehr häufig hervorgehobenen positiven Veränderungen im Hinblick auf die kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe der Kinder und Jugendlichen verdeutlichen einmal mehr den Legitimationsdruck des Feldes. Geradezu unglaubwürdig werden Wirkungen beschrieben, die empirisch nicht gesichert sind, sondern vielmehr eine konsequente Fortführung der Antragslyrik darstellen. Im Fremdbild wird die Handhabung, das Beherrschen und die Kenntnis der Diskurse und Logiken des Feldes als wichtigste Ressource von Projekten kultureller Bildung offensichtlich: Es sind die erfolgreiche Einwerbung von Finanzmitteln, die Anerkennung durch Preise, die Einschätzungen und Rückmeldungen der Förderer, die ein Projekt erfolgreich, d. h. sichtbar machen. Auch wenn es vordergründig um Sichtbarkeit und Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen und nicht um ihre Defizite geht – unterlagert wird der Diskurs von der gegenteiligen Annahme. Denn erst die Argumentationslogik, die von den Defiziten ausgeht, macht das Projekt konzeptionell plausibel. Damit kann es als „Modellprojekt“ auch bestätigt werden. Das ist aber ein Zirkelschluss, denn ein Projekt wie Heimat re-invented fungiert so als Distinktionsmerkmal zwischen dem Wir – im Sinne der bürgerlichen Hochkultur – und den Anderen – im Sinne der sozial und kulturell Benachteiligten, denen diese Kultur nahegebracht werden müsse. Die Ermöglichung von kultureller Teilhabe erweist sich damit durch das Selbst- und Fremdbild als zumindest fragwürdig.

2. Z ur R ele vanz der D r amaturgie : W er hält die F äden in der H and? Szene 1.a Die Aufführung beginnt. Der Saal ist dunkel. Es herrscht erwartungsvolle Spannung. Ein Lagerfeuer flackert als Video auf einer Leinwand. Hier und da flüstern noch ein paar Schüler im Publikum miteinander, es ist ein wenig unruhig. Dann hört man von der Rückseite des Zuschauerraumes Gesang. Eine Sängerin beginnt mit kräftiger Stimme ein Lied zu singen. Sie singt solo, ohne Begleitung, mit voller Inbrunst. Sie erweitert die Melodie immer wieder durch Melismen, ein starkes Vibrato prägt ihren Klang. Ihre Stimme erfüllt den Saal, durchdringt die Reihen der Zuhörer. Sie durchwandert den Zuschauerraum von hinten nach vorne, geht Stufe

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

für Stufe zur Bühne hinunter. In der Dunkelheit ist sie fast nicht zu sehen. Beim Refrain steigert ihre Stimme mit einem Crescendo die Lautstärke, nimmt sich dann aber durch ein Decrescendo wieder zurück. Applaus, als sie auf die Bühne steigt. Doch das Lied ist noch nicht vorbei, der Refrain wird wiederholt und die Sängerin hebt den Gesang nochmals an. Es ist das Lied „Djelem, djelem“, das die Sängerin singt. Ein Lied, das als Roma-Hymne bekannt geworden ist. Mit der Sängerin auf der Bühne angekommen sind zwei Kinder, ein Mädchen und ein Junge, die mit ihr durch den Publikumssaal auf die Bühne zu gewandert sind, aber nur schemenhaft erkennbar waren. Die Sängerin und das Mädchen haben jeweils ein langes, grün- bzw. lilafarbiges Kleid an, vorn geknöpft, das sie über weißer Kleidung tragen. Farblich passend dazu ein Haarband. Der Junge ist mit einem weißen, kurzärmeligen und kragenlosen Hemd und einer weißen Hose bekleidet, darüber trägt er eine schwarze, offene Weste. Die Kleidung scheint keine moderne Alltagskleidung zu sein, sondern mutet eher traditionell an – Kostüme für das Bühnenstück. Die beiden Kinder gucken ein wenig verlegen zur Seite, scheinen nicht so recht zu wissen, wohin sie schauen sollen; schauspielern sie eigentlich? Dann lächeln sie einigen anderen Kindern und Jugendlichen zu, die nun auf die Bühne kommen und sich etwas weiter weg, direkt vor der Leinwand mit dem Video-Lagerfeuer, aufstellen. Die Sängerin stellt einen Koffer ab, den sie zuvor in der rechten Hand hielt. Er ist etwas abgegriffen und wirkt wie ein älteres Modell, was Form und Farbe betrifft. Das Lied geht jetzt zu Ende. Die Sängerin begrüßt die neu auf die Bühne gekommenen Kinder und Jugendlichen mit einigen Worten in Romanes. Die Sängerin weist dem Mädchen und dem Jungen den Weg zu den anderen Kindern und Jugendlichen, setzt sich auf einen Stuhl und greift zur Gitarre. Das Lagerfeuer im Hintergrund flackert weiter – der erste Teil der Szene ist beendet. Dies ist die Einstiegsszene von Heimat re-invented. Wie allgemein die erste Szene eines Theaterstückes, so vermittelt auch diese den erzählerischen Rahmen, die Atmosphäre und den ersten Eindruck. Der dramaturgische Bogen wird aufgebaut, ein erster Erzählfaden gesponnen. Dem Publikum wird eine erste Annäherung an das Thema des Stückes geboten. Die erste Szene ist dramaturgisch wichtig, denn sie lenkt den Fokus darauf, welche Elemente auf die Bühne gebracht und wie diese damit für das fortlaufende Stück eingeführt werden. Für den Verlauf des Stückes und für die Gesamtaussage ist es folglich von entscheidender Bedeutung, was die Einstiegsszene präsentiert. Das vorliegende Kapitel zeigt auf, welche Rolle die Dramaturgie bei Heimat re-invented für die kulturelle Teilhabe spielt. Dabei wird zum einen analysiert, wer die Verantwortung trug und die Gestaltungsmacht für die künstlerische Ausgestaltung inne hatte, und wie der Umgang mit unterschiedlichen kulturellen Elementen der Einstiegsszene war. Zum anderen wird untersucht, welche Auswirkungen dieser Umgang auf die intendierte Gesamtaussage des Stückes innerhalb der Schulaufführung aber auch in einem größeren Kontext

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hat. Dabei werden folgende Fragen bearbeitet: Welche kulturellen Elemente werden auf der Bühne gezeigt und welches explizite oder implizite Verständnis von Kultur liegt diesen zugrunde, wird Kultur z. B. als bürgerliche Kultur oder als Volkskultur präsentiert oder versteht sich Kultur als ethnisch markiert? Wurde die Rolle der ersten Szene innerhalb der Aufführung und damit in ihrer Bedeutung für den dramaturgischen Gesamtzusammenhang von den Verantwortlichen des Projekts diskutiert?

Wer trägt die künstlerische Verantwortung für das Stück? In den Dokumenten zur Aufführung von Heimat re-invented werden als Projektleitung die zwei Leiterinnen der kooperierenden außerschulischen Institutionen, Andrea Tober (AT) von der Philharmonie und Andrea Riedel (AR) von der MuKuTaThe-Werkstatt, sowie ein künstlerischer Leiter, Salvador Echevarria (SE), genannt. Bei der Frage nach der künstlerischen Verantwortung muss folglich erörtert werden, inwieweit alle drei gleichermaßen für die inhaltlich-künstlerische Gestaltung und die Dramaturgie des Stückes verantwortlich waren oder wem welcher Bereich oblag. Die Projektleiterinnen waren in erster Linie für die organisatorischen Fragen der Kooperation wie z. B. für die Antragstellung, das Fundraising, die Probenpläne, die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die Logistik sowie die Dokumentation und Evaluation zuständig. Da sie aber die inhaltliche Konzeption erarbeitet hatten, u. a. für die Antragstellung und für die Texte in den Programmheften der Philharmonie, waren sie folglich auch für die inhaltliche Ausrichtung des Projekts mitverantwortlich. Die Aufgaben des künstlerischen Leiters erläutert die Projektleiterin Riedel wie folgt: Das war jetzt eigentlich definiert in dem Sinne, dass einer so bisschen die Hand drüber hält […], dass jemand sich kümmert, dass die Kostüme gemacht werden und alles was damit zusammenhängt. Dass da einfach jemand da ist, der die Verantwortung hat. Weil, das ist halt ein Erfahrungswert, nachher macht das keiner und da stehen wir am Schluss da, oh Gott… Und deswegen, um dem vorzugreifen haben wir eine künstlerische Leitung ins Leben gerufen. (AR 172: 7)

Doch was wird von der Projektleiterin unter „Verantwortung“ verstanden? Sind die Aufgaben eines künstlerischen Leiters ausschließlich organisatorischer Art – z. B. sich um Kostüme zu kümmern – oder selbstredend auch inhaltlicher Art? Der als künstlerischer Leiter berufene Echevarria beschreibt sein Verständnis der Aufgabe wie folgt: Ich leite die ganze künstlerische Sache von dem ganzen Projekt. Also ich leite, was die Dozenten mit den Kindern machen und ich versuche alles in ein großes Format zu basteln. (SE 103: 1)

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

Der künstlerische Leiter sah sich durchaus in der künstlerischen Verantwortung, die sowohl inhaltliche als auch organisatorische Bereiche umfasste. Er empfand sich als Zuständiger, um aus den Beiträgen der beteiligten Dozentinnen ein bühnenreifes Stück zusammenzustellen. Für die Projektleiterin Tober von der Philharmonie stellt sich das „Basteln“, das heißt das Zusammensetzen der Szenen allerdings anders dar; sie sieht das Ganze als einen demokratischen Prozess, der gemeinsam erfolgen sollte: Jede Gruppe [d. h . die verschiedenen künstlerischen Gruppen von jeder Schule] hat ihren eigenen Baustein, ihre Konzeptidee, ihre eigene musikalische Gestaltung, aber das Ganze wird ja dann auch noch zusammen gesetzt zu einer gesamten Präsentation und auch das wird sich noch entwickeln müssen, wie die Übergänge sind, ob es noch gemeinsame Projekte gibt, Schnittstellen, mal sehen. […] Das [Zusammensetzen des Stückes] machen wir in einem demokratischen Prozess, alle gemeinsam mit der Projektleiterin Andrea Riedel von der MuKuTaThe-Werkstatt, ich bin dabei, als Referentin von der MusikTriennale, die künstlerischen Dozenten sind natürlich dabei und dann werden wir gemeinsam schauen, was ist da, was braucht es noch an dramaturgischen Schnittstellen, die es zu einer gelungenen Aufführung werden lassen. (AT 077: 3)

Es gab folglich unterschiedliche Auffassungen, die zumindest in den Interviews in ihrer Divergenz deutlich zutage treten: In den Augen der einen Projektleiterin hatte der künstlerische Leiter nur eine organisatorische Verantwortung, für die andere Projektleiterin sollte das Zusammensetzen während der Proben demokratisch, in einem „gemeinsamen Diskussions- und Findungsprozess“ (SC 101: 4) realisiert werden, wie es auch die in das Projekt involvierte Kunstdozentin nannte. Der künstlerische Leiter hingegen verstand sich als verantwortlich für die inhaltlich-künstlerische Gestaltung und für das Zusammensetzen der einzelnen Szenen. Die Verantwortung für die künstlerische Ausgestaltung war damit weder eindeutig einer Person zugeordnet, noch wurde sie in einzelne Bereiche unterteilt und so auf mehrere Personen verteilt. Es blieb der Dynamik während der Projektarbeit überlassen, wie Verantwortung übernommen wurde und wer Entscheidungen traf. Üblicherweise fällt diese Verantwortung bei Bühnenstücken in den Aufgabenbereich einer Dramaturgin. Der Dramaturgie obliegt die Verantwortung über die „Bauprinzipien“ ebenso wie die „Wirkung“ der Aufführung.112 Bei Heimat re-invented wurde jedoch kein Dramaturg benannt. Die Rolle, die diesem am nächsten kam, war die des künstlerischen Leiters. Er selbst verstand seine Aufgaben auch als die eines Dramaturgen und handelte dementsprechend. Al112 | „Dramaturgie: die Lehre von Bau und Gestaltung des Dramas, die dessen Verfertigung (Struktur, Bauprinzipien) bzw. Aufführung (Wirkung) zugrunde liegt.“ (Brockhaus, 2006, Bd.7: 257).

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lerdings war sein Verständnis von dieser Rolle und das der Projektleiterinnen nicht deckungsgleich. Echevarria war jedoch nicht ausschließlich der künstlerische Leiter, sondern hatte eine Doppelfunktion, da er gleichzeitig als einer von sechs künstlerischen Dozenten als Tanzdozent für einzelne Szenen (bzw. Schulen) engagiert war. Im Vergleich zu den anderen Dozentinnen war er allerdings für deutlich mehr Szenen zuständig. Bezogen auf das gesamte Stück gestaltete er insgesamt vier von acht Szenen und damit die Hälfte des Stückes.113 In seiner Rolle als Tanzdozent hatte er bereits einen großen Spielraum für die Ausgestaltung des Stückes. Um im Bild der Kapitelüberschrift zu bleiben: Er hielt bereits als Tanzdozent einige Fäden in der Hand. Bezüglich der Zusammenführung der einzelnen Szenen für die Bühnenaufführung fanden zwischen den Projektleiterinnen und den Dozentinnen Absprachen bei einigen Arbeitstreffen statt. Im Verlauf des Probenprozesses zeigte sich jedoch, dass für die meisten dramaturgischen Schnittstellen der künstlerische Leiter allein verantwortlich zeichnete. Für die Übergänge entwickelte und plante er die Figur einer Protagonistin, die vergleichbar einem roten Faden in verschiedenen Szenen präsent ist: Dargestellt wird diese Figur von einer Schülerin, einem Mädchen mit einem Koffer, das sich von Freunden verabschiedet und abreist, dabei Träume von einer Heimat hat und schließlich irgendwo ankommt. Echevarria hatte somit zwei für die Dramaturgie entscheidende Rollen inne: zum einen die Rolle des Tanzdozenten, zum anderen die Rolle des künstlerischen Leiters, der nicht ausschließlich organisatorische Dinge verantwortete, sondern wie am Beispiel der Protagonistin zu sehen ist auch einige künstlerische Gestaltungselemente. Diese Gestaltungsmacht setzte er in einigen Fragen ein und traf als künstlerischer Leiter wichtige Entscheidungen alleine.114 Dadurch verantwortete er letztlich eindeutig die Struktur und die Bauprinzipien des Stückes und damit die Dramaturgie. Gleichzeitig wird an den unterschiedlichen Auffassungen von der Verteilung der Verantwortlichkeiten deutlich, dass sich die beiden Projektleiterinnen ebenfalls in der Verantwortung für die inhaltlich-künstlerische Ausrichtung des Stückes sahen. Allerdings setzten sie ihre Gestaltungsmacht bezüglich der Dramaturgie weniger ein als Echevarria. Ähnlich war die unklare Verantwortungsteilung auch in Bezug auf andere Szenen und Situationen, wie noch zu zeigen sein wird.

113 | Vgl. die Tabelle zur Übersicht der Szenen von Heimat re-invented zu Beginn von Teil IV/A. 114 | Vgl. das Kapitel zu den Kostümen (Teil IV/A./4.).

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

Der Entstehungsprozess der Szene: Was zeigt und erzählt die Szene? Erster Eindruck über die auditive Wahrnehmung: Die Szene beginnt mit dem Einzug der Sängerin durch den dunklen Zuschauerraum. Das Publikum hört den Gesang, bevor es die Sängerin sieht und, aufgrund der geringeren Körpergröße, etwas später auch die Kinder. Das Publikum nimmt den Beginn des Stückes zunächst in erster Linie auditiv wahr: Das Video-Lagerfeuer bleibt während der gesamten Szene im Bild, aber es ist die Musik, die die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Dadurch, dass die Wahrnehmung nicht wie häufig im Theater über das gleichzeitige Sehen und Hören erfolgt, sondern das Publikum auf das Hören fokussiert wird, wird diese Sinneswahrnehmung intensiviert.115 Es kann angenommen werden, dass die Fantasie stärker dazu angeregt wird, sich durch den Gesang eigene Bilder vorzustellen. Einziger visueller Einfluss ist das Video-Lagerfeuer, das dadurch eine besondere Gewichtung bekommt. Durch die Einführung des Stückes über das Hören wird neben dem Raum für imaginäre Visualisierung zugleich die Musik oder eine besondere Musikalität herausgestellt. Diese wird der Gruppe der Roma häufig als positives Stereotyp zugeordnet.116 Bewegung durch den Raum: Durch den Einzug der Sängerin vom hinteren Zuschauerraum beginnt die Einstiegsszene nicht auf der Bühne, sondern zwischen den Zuschauern. Damit wird der Zuschauerraum ein Teil des Aufführungsortes und -stückes, was im späteren Verlauf der Aufführung keine dramaturgische Wiederholung findet. Die Bewegung durch den Raum ist jedoch nur kurz und die vierte Wand des Theaters, die imaginäre Wand in Richtung der Zuschauer, bleibt erhalten. Der Einzug fokussiert sich daher nicht auf den Raum, sondern auf die Bewegung. Diese erzeugt Assoziationen mit Mobilität, mit Unterwegs-Sein, mit einem fahrenden Volk. Die Roma-Kultur wird durch diesen Einzug auf die Bühne somit auch durch Bewegung beschrieben, wenn nicht sogar in stereotyper Weise charakterisiert. Die Bewegung impliziert jedoch keine Interaktion mit dem Publikum, sondern die Darstellung bleibt in sich geschlossen und die Distanz zwischen Publikum und Aufführenden bleibt bestehen.117 115 | Die auditive Wahrnehmung wird bereits im Prolog des Stückes angesprochen, indem verschiedene Stimmen einen bestimmten Satz auf unterschiedlichen Sprachen sagen und das Ganze auditiv in den Zuschauerraum eingespielt wird. Vgl. dazu das Kapitel zu Titel und Rahmung (Teil IV/A./7.). 116 | Vgl. Stoffers 2006: 15 und 29 f. 117 | Inwiefern hier absichtlich eine Distanz erhalten werden sollte, lässt sich weder aus den teilnehmenden Beobachtungen noch aus den Interviews ableiten; wie zu sehen

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Wie war dieser Einzug auf die Bühne dramaturgisch entstanden? Das Konzept von Heimat re-invented wurde von den Projektleiterinnen bewusst sehr offen gehalten: Die Dozentinnen hatten die künstlerische Verantwortung für ihre jeweiligen Szenen und der künstlerische Leiter sollte für die große Geschichte, für den Überblick und den roten Faden sorgen. Vieles hatte sich erst im Laufe des Probenprozesses entwickelt, so auch die Eingangsszene des Stückes. Der künstlerische Leiter hatte vorgeschlagen, dass die Musikdozentin, Beata Burakowska (BB), selbst eine polnische Romni aus der Gruppe der Lovara, zunächst alleine mit ihrer Gitarre von der Bühnenrückseite auf die Bühne kommen und auf einem Stuhl sitzen sollte, um „etwas zu basteln, zu spielen, ganz kurz“ (BB 167: 4). Dies überzeugte sie nicht und sie schlug eine Abwandlung dieser Idee vor: Und dann ist mir spontan bei den Proben eingefallen, dass ich einfach auf die Bühne komme, singend. D. h ., ich komme und ich singe so, ganz locker einfach, wie die Roma das machen, die reisen, die wandern und die singen immer dabei, mit der Musik, genau. (BB 167: 4)

Auswahl des Liedes: Das vorgetragene Lied klingt wie ein traditionelles (Volks-)Lied: ein Lied, das mündlich überliefert wurde, sich großer und anhaltender Popularität erfreut, damit an einer Tradition festhält und in der (Aus-)Gestaltung variabel ist.118 Der Text wirkt nicht zu schwierig, begünstigt durch Wiederholungen und den Refrain, der als Vokalise gesungen wird. Das Lied besitzt eine große Spannbreite in der Dynamik. Für ein mitteleuropäisch geschultes Gehör ist die orientalisch anmutende melismatische Ornamentik auffällig, die an einen Klagesein wird, entwickelte sich der Einzug durch den Zuschauerraum spontan. Ich nehme an, dass nicht absichtlich eine Distanz gewahrt werden sollte, sondern die Form des Einzugs nachträglich zur bereits bestehenden Auswahl des Repertoires von der Musikdozentin als passend empfunden wurde. 118 | Diese Merkmale können als Charakterisierung traditioneller (Volks-)Lieder gelten, müssen aber nicht immer allesamt zutreffen, vgl. Marianne Bröcker in Die Musik in Geschichte und Gegenwart (Bröcker 1998: Sp. 1735): die „Werteskala“ enthält einen „Katalog von Anforderungen“: „mündliche Vermittlung (Oralität), weite Verbreitung im Volk (Popularität), Gestaltwandel (Variabilität), Unbekanntheit der Autorschaft (Anonymität), ästhetische Qualität (Dignität) und langwährende Tradition (Anciennität und Persistenz)“. Für „Djelem, djelem“ gelten die ersten drei Charakteristika, die Anonymität gilt nur für die Melodie, nicht für die mitunter verschiedenen Liedtexte, insbesondere nicht für den Text, der 1971 von der ersten Roma Welt Konferenz als internationale Hymne der Roma beschlossen wurde und von Jarko Jovanović stammt (vgl. Marushiakova/ Popov 1995: 21 f.).

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

gesang erinnert. Die Entscheidung für dieses Lied stand nicht von Anfang an fest, sondern hat sich erst während der Proben herauskristallisiert, wie Burakoswka beschreibt: „Djelem, djelem“ war am Anfang überhaupt nicht geplant, sondern das ist mir so einfach spontan eingefallen. Und dann hab ich auch festgestellt, es ist das Lied, das am meisten zu dem Projekt passt. Weil es geht [in dem Projekt] um Heimat, es geht darum mit dem Koffer überall auf die Bühne zu kommen […], d. h . es geht ums Reisen und in dem Lied, es geht gerade darum. (BB 167: 5, Hervorhebung im Original)

Der Text des Refrains wird in der Sprache der Roma, dem Romani oder Romanes, gesungen. Da Heimat re-invented als Schulstück aufgeführt wird und das Publikum sich aus Schülern, Lehrerinnen und Eltern zusammensetzt, kennt wahrscheinlich der Großteil des Publikums das Lied nicht; zumindest nicht diejenigen, die nicht selbst Roma sind oder die nicht mit der Musik der Roma vertraut sind. Sie werden auch die Sprache nicht zuordnen können und den Inhalt des Liedes von daher nicht verstehen. Dadurch erhöht sich die Distanz zum Publikum, wie eine erwachsene Zuschauerin beschreibt: Offen gesagt war ich vom Einstieg in das Stück eher befremdet – das Ganze wirkte auf mich wie eine Folklore-Veranstaltung, bei der dem Publikum Kultur- und Liedgut der Roma – zur besseren interkulturellen Verständigung – nahegebracht werden sollte. An sich ist das auch nicht verkehrt, dennoch mir fehlten dazu dann aber auch entsprechende Informationen zu den Liedtexten und der Musik. Es blieb für mich unverständlich und ohne Bezug zum Kontext. Also, bleibt es eher schwierig, so wie es war. (EZ 40: 1)

Einzug als Familie: Die Einstiegsszene war vonseiten der Musikdozentin nicht vorab konzeptuell geplant, sondern sie nahm Anregungen von verschiedenen Seiten auf und entwickelte diese weiter. Bei dem Einstieg präsentierte sie sich nicht allein, sondern mit ihr kamen zwei Kinder im Grundschulalter auf die Bühne.119 Das Festhalten an den Händen kann für Nähe und Zusammenhalt stehen, wie es 119 | Die Musikdozentin erläutert, welche Auswirkungen der spontane Einfall, das Mädchen einzubinden, auf das Kind hatte: „Die S., die mit mir am Anfang auf die Bühne gegangen ist […], die war am Anfang sehr, sehr apathisch, die wollte nicht mitmachen, hat sich nur hingelegt und hatte einfach hatte keine Lust. Und dann gab es einen Moment, wo ich zu ihr gesagt habe, weißt du was: ‚Wir spielen jetzt, dass du meine Tochter bist […], ein Spiel und wir werden jetzt durch die ganze Welt reisen, mit dem Koffer und du stehst jetzt immer neben mir und wir sind eine Familie.‘ Und seitdem hat sie für sich in dem Projekt einen bestimmten Platz gefunden […] und am Ende hat sie alles sehr, sehr gerne mitgemacht.“ (BB 167: 2 f.). Die Anonymisierung der Kinder und Jugendlichen

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in familiären Kontexten üblich ist. Die Musikdozentin erinnert sich daran, wie sich der Einzug vom hinteren Zuschauerraum aus und die Mitnahme zweier Kinder sowie eines Koffers entwickelte: Und die Andrea Tober [Projektleiterin der Philharmonie] sagte, dann lieber komm von hinten auf die Bühne statt hier normal, das wird besser […] du kommst von hinten und dann bekommst du ein Licht und du kommst und singst diese Strophe „Djelem, djelem“. Dann ist mir eingefallen, dann nehme ich ein Kind mit, [also wir sind] eine Familie. […] Und dann hab ich gesagt, dann will ich auch einen Koffer, aber nicht so einen modernen wie die Mädels [in den späteren Szenen], sondern die Roma müssen so was Altes, Kitschiges haben. (BB 167: 5)

Aus der Perspektive von Burakowska ist die Beschreibung des Koffers als „alt“ und „kitschig“ und in Abgrenzung zu den in anderen Szenen des Stückes eingesetzten modernen Rollkoffern ein passendes Requisit für diese Szene. Sie setzt den Koffer zwar bewusst als ein kulturelles Element im Kontrast zu den anderen Koffern ein, aber in erster Linie, weil es sich für sie in das Gesamtbild einfügt und nicht, weil sie dezidiert ein anderes Bild zeichnen will. Damit kann die Abgrenzung höchstens als eine unbewusste 120 interpretiert werden. Kostüme und Requisiten: Die Kleider der Sängerin und der Kinder wirken, wie bereits erwähnt, nicht wie Alltagskleider, sondern im Vergleich zur Kleidung des Publikums wie eine Form traditioneller Kleidung. Sie sind es aber nicht, wie im Kapitel zu den Kostümen ausführlich dargelegt wird. Trotzdem sind sie dramaturgisch von Bedeutung, weil auch durch die Kostüme Distanz zum Publikum hergestellt wird: Sie unterstreichen den Eindruck eines fremden Volkes. Der Koffer, von dem eben schon die Rede war und den die Sängerin trägt, ist ein älteres Modell in beige-braunen Tönen und etwas abgenutzt; er wirkt weder modisch aktuell noch wie ein bewusst eingesetztes Retro-Accessoire. Er steht in starkem Kontrast zu den modernen und grellfarbigen Rollkoffern, die in den folgenden Szenen eingesetzt werden. Zusammen mit der traditionellen Kleidung erweckt der Koffer einen altertümlichen Eindruck, der entweder in die Vergangenheit oder auf einen für die heutige Zeit eher niedrigen Sozialstatus hinweisen soll. Der Koffer ordnet die Trägerin nicht in einen Businesskontext ein, sondern eher in einen beschwerlichen, vielleicht in einen Kontext von Flucht und Migration. In der ersten Szene stehen der Koffer und die Kostüme für etwas Anderes und Fremdes. Dies geschieht nicht in Abgrenzung, sondern um ein stimmiges und erfolgt über das Kürzel des Nachnamens. Gründe für die Anonymisierung der Kinder und Jugendlichen sind im Kapitel zur Methodik erläutert (vgl. Teil III/2.). 120 | Vgl. die knappe Erläuterung in der Fußnote der Einleitung zu Teil II/4.

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

in sich geschlossenes Bild abzugeben, oder wie Burakowska es formuliert: „die Roma müssen so was [gemeint ist der Koffer] haben“ (BB 167: 5). Feuer: Ein weiteres wichtiges Element ist das auf der Leinwand im Hintergrund der Bühne flackernde Lagerfeuer. Noch vor Beginn des Liedes sieht das Publikum diesen Ausschnitt aus einem Video, dessen kurze Sequenz in Dauerschleife wiederholt und während der gesamten Einstiegsszene projiziert wird. Es weckt Assoziationen von Freiheit, Unbeschwertheit und Lagerfeuerromantik. Das Feuer war nicht von der Musikdozentin vorgeschlagen worden, sondern die Idee hatte ein Junge in einer der Kunstgruppen. Die Kunstdozentin Sandy Craus (SC) erinnert sich: Ursprünglich ist die Idee zu einer Darstellung eines Lagerfeuers von einem Schüler aus meiner Zollstockgruppe gekommen – mit dem Hintergrund – „Lagerfeuer mag ich“ […] – Salvador [der künstlerische Leiter] hat das Feuer dann in die Abfolge des Stücks eingebaut, nur war es kein Schülerfeuer mehr […]. Ich habe sowohl bei den Kostümen der Roma – als auch beim Verwenden des Feuers Bedenken geäußert, und auch Beata nochmal angesprochen, ob sie mit dieser Darstellung einverstanden ist, Beata hatte keine Bedenken, worauf ich nicht mehr intervenierte. (SC 037: 3)

Für die Kunstdozentin war es im Rückblick allerdings kein „Schülerfeuer“ mehr, weil in der verwendeten Szene nicht mehr erkenntlich war, dass die Idee von einem Schüler stammte und dass dieser Schüler die Idee in einem anderen Kontext gehabt hatte. Durch die ausschließliche Verwendung im „Roma-Teil“ kann geschlussfolgert werden, dass das Feuer unbeabsichtigt zu einem kulturellen Sinnbild transformiert wurde. Welche Bedeutungen erzeugte die Eingangsszene des Stückes und entsprach sie den Intentionen der künstlerischen Leitung und der beteiligten Musikdozentin? Was wird in dieser Szene dargestellt? Welche kulturellen Bausteine werden eingeführt und was für eine Kultur wird präsentiert? Es scheint, als ob die Geschichte einer unbekannten und fremden ethnischen Gruppe erzählt und präsentiert werden soll. Es wirkt, als ob die erste Szene die Zuschauer darauf vorbereitet, dass das gesamte Stück von ethnischen Kulturen handelt, die sich mit ihrem jeweiligen kulturellen Erbe, ihren kulturellen Ausdruckformen und spezifischen kulturellen Eigenheiten vorstellen. Was hatte die Musikdozentin, die verantwortlich war für die inhaltlich-künstlerische Gestaltung der Szene, für Intentionen? In der Rückschau zur Entstehung der Szene skizziert sie den konzeptuellen Zusammenhang zwischen den einzelnen Elementen und warum sie diese einbrachte:

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Kulturelle Teilhabe durch Musik? So ist das geblieben, dass ich „Djelem, djelem“ singe, bevor ich diesen Weg auf die Bühne mache. Und dann nehme ich diesen Koffer und diese zwei Kinder und dann sieht man, da kommt eine Roma-Familie. Und in dem Lied, du kennst bestimmt den Text, „Ich wandere, ich wandere und treffe die glücklichen Roma“ und dann komme ich auf die Bühne und treffe die Roma, die Kinder, die kommen mir entgegen, ich begrüße die, woher kommt ihr, wohin geht ihr. Ich weiß es nicht, das Publikum hat das bestimmt nicht alles [so verstehen können], wie ich dir das erkläre, so übersichtlich wie ich das jetzt sage, aber das war meine Absicht. (BB 167: 5)

Die Musikdozentin wollte bewusst, dass das Publikum Assoziationen und Eindrücke von einer ethnischen Gruppe bekommt: „Diesen Effekt wollte ich erreichen, dass die schon [durch das Lied Djelem, djelem] hören können, dass jetzt was mit Roma kommt“ (BB 167: 4). Burakowskas Diskurs ist ganz klar und bewusst ein ethnischer, der eine bestimmte Gruppe mit ihren kulturellen Merkmalen präsentieren möchte. Sie verwendet dabei eindeutige kulturelle Grenzen zwischen Minderheit und Mehrheit, wenn sie im Interview beispielsweise sagt, dass die Idee zum Einzug widerspiegelt, „wie die Roma das machen, die reisen, die wandern und die singen immer dabei, mit der Musik“ (BB 167: 4). In einem anderen Interview geht sie auf „unsere Mentalität“ (BB 073: 8) ein, zu der gehöre, dass Tanzen und Singen elementare Teile der Alltagskultur vieler Roma-Familien waren und sind: „Musik ist immer da. Also, die begleitet unser Leben.“ (BB 071: 1 f.) Sie übernimmt dabei die dichotome und allgemein verwendete strukturelle Einteilung in einerseits Roma und andererseits Gadje121. Festgehalten werden kann also zunächst, dass in der Szene verschiedene Elemente gezeigt werden, die zusammen eine ethnische Kultur charakterisieren sollen. Dazu zählen künstlerische Formen wie (Volks-)Musik, aber auch Elemente wie Kostüme und Requisiten ebenso wie eine bestimmte Lebensweise (Nomadentum). Kultur findet folglich in dieser Eingangsszene in einer weiten Definition als ethnisch-holistische oder totalitätsorientierte Bedeutungsvariante eine Verwendung. Als transkulturell lässt sich die Szene nicht bezeichnen, eher als interkulturell, da eine Kommunikation zwischen

121 | Der Begriff „Gadje“ (Plural), bzw. „Gadjo“/„Gadji“ (Singular, m/w), ist aus dem Romani und geht etymologisch wahrscheinlich auf das altindische Wort „gacca“ (Familie) zurück; vielleicht ist es beeinflusst von Rumänisch „gazdă“ (Hausherr, -frau) und Polnisch „gazda“ (Bauer). Es meint alle Fremden und Nicht-Roma (vgl. Gilsenbach 1994: 24). Gronemeyer/Rakelmann übersetzen es mit „Bauer, Knecht, Dummkopf“ (1988: 9). Einige Wissenschaftler, vor allem Ethnologen, haben diesen Begriff aus ihren Feldforschungen in Publikationen übernommen (Okely 1983, Stewart 1997, aber auch Gilsenbach 2000). Die Schreibweise folgt derjenigen Hemeteks in Die Musik in Geschichte und Gegenwart (Hemetek 1998: Sp. 448).

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

verschiedenen Kulturen konzeptuell angestrebt, wenngleich nicht umgesetzt wurde.122 Wie lässt sich die Szene nun im Gesamtkontext lesen? Als selbstbewussten Umgang mit Traditionen, sichtbare Teilnahme und Mitgestaltung einer kulturellen Produktion von in Köln lebenden Personen mit wahrscheinlich-vermeintlichem Migrationshintergrund und einer fremden Kultur (Sprache, Lied, Kostüme)? Oder als einen fremden Blick, einen Blick von außen, womöglich eine homogenisierende Zusammenstellung von Klischees und eine Reproduktion von Stereotypen? Oder aber als einen Blick von innen auf das Außen, eine bewusste Indienstnahme von Stereotypen? Die Fragen lassen sich klären, indem analysiert wird, ob eine Reflexion dieser Fragestellungen von den Verantwortlichen selbst stattgefunden hat oder nicht. Daher ist es an dieser Stelle notwendig, den zuvor dargestellten Aspekt der Verantwortlichkeit zu präzisieren und nochmals konkret zu fragen, wer in dieser Szene für welche Elemente zuständig war.

Die Einstiegsszene im Kontext: Auswirkungen der Dramaturgie auf das gesamte Stück Zunächst lässt sich festhalten, dass Kultur in der Einstiegsszene vonseiten der Musikdozentin bewusst ethnisch dargestellt werden sollte. Die Intention der Musikdozentin war es, die Roma-Kultur mit typischen Charakteristika positiv und selbstbewusst zu präsentieren. So sollte der Einzug auf die Bühne ein Zeichen des Reisens als einer typischen Lebensform der Roma sein; traditionelle Elemente wie die Lieder und später im Stück auch Tänze wurden als Merkmale der Roma-Kultur bewusst eingesetzt. Dies lässt sich als selbstbewusster Umgang mit Traditionen bezeichnen. Hinzu kamen weitere Elemente, die von anderen Dozentinnen eingebracht und entwickelt wurden und die teilweise mit Zuschreibungen arbeiteten (so z. B. bei den Kostümen) bzw. zu solchen wurden (Video-Lagerfeuer). Hier kann von einem Blick von außen gesprochen werden. Es wird noch genauer zu sehen sein, wie der Umgang der verschiedenen Dozentinnen mit Stereotypen sowie einer möglichen Indienstnahme dieser war.123 Die genannten Elemente – Lieder und Tänze, Kostüme und Feuer – verstärkten sich gegenseitig und wirkten zusammengenommen als sehr starke ethnische Präsentation. Das Zusammenkommen verschiedener Elemente wirft die Frage auf, ob die Darstellung bewusst dichotomisierend und essentialisierend sein sollte: 122 | Vgl. dazu ausführlich die folgenden Kapitel zur Auswahl des Repertoires und der Schüler auf der Bühne (Teil IV/A./3.), sowie das Kapitel zu den Kostümen (Teil IV/A./4.). 123 | Beide Aspekte – sowohl die bewusste Sichtbarkeit einer ethnischen Kultur auf der Bühne als auch die (Re-)Produktion von und der Umgang mit Stereotypen und Zuschreibungen – sind zwei der insgesamt vier Kategorien, die in Teil V dargelegt werden.

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Sollten oder wollten sich die Roma als homogene Gruppe mit (scheinbar) eindeutig definierten kulturellen Merkmalen präsentieren? Welche Auswirkungen hat diese Präsentation auf das gesamte Stück? Die Szene war zwar selbstbestimmt von der Musikdozentin gestaltet worden, aber waren ihre Ziele im Kontext des gesamten Stückes mit den anderen Dozenten abgeglichen und die verschiedenen Arbeitsweisen der Dozenten124 aufeinander abgestimmt worden? Entsprachen sie zusammen genommen der Zielsetzung des Projekts? Mit der starken ethnischen Präsentation wurde zunächst der Eindruck erweckt, dass es in Heimat re-invented vor allem um kulturelle Präsentationen ethnischer Art gehen sollte. Die dem „Roma-Teil“ folgenden Szenen der Aufführung präsentierten jedoch keine ethnischen Kulturen, sondern Kultur wurde als Ausdruck verschiedener künstlerischer Formen wie Musik, Tanz, Kunst und Fotografie verstanden. Einige der folgenden Szenen orientierten sich stärker an der Repräsentation jugendkultureller Zeichen, z. B. indem sie HipHop-Elemente wie Rap und Breakdance auf der Bühne zeigten. Im Probenprozess war zu beobachten, dass sich auch einige der Roma-Schülerinnen diesem Genre zuwenden wollten, weil sie eine eindeutige Affinität dazu hatten; so nannten sie mir beispielsweise in der Pause ihre Lieblingsrapper und sangen mir ihre Lieblingslieder vor. Da sie in den entsprechenden Teilen des Stückes jedoch nicht mitspielten, blieben sie von dieser jugendkulturellen Repräsentation auf der Bühne exkludiert. Die „Roma-Szene“ (1.a bis 1.c) fungierte damit als starke Kontrastfolie zu den anderen Szenen, weil sie die einzige ethnisch geprägte Szene war. Im Vergleich zu anderen ethnischen Präsentationen wäre die Szene wahrscheinlich nicht so stark aufgefallen. Zusätzlich unterstreicht die Setzung als erste Szene den Eindruck, dass etwas präsentiert wird, was für den Verlauf des gesamten Stückes eine große Bedeutung hat und weitere Entsprechungen finden wird. Dies ist jedoch nicht der Fall und daher irreführend. Die Aufgabe der Verantwortlichen ist es, diese dramaturgischen Fragen zu reflektieren und vor dem Hintergrund des Gesamtkonzepts zu berücksichtigen. Das Setting der Einstiegsszene und die daraus resultierenden Konsequenzen für das gesamte Stück wurden jedoch von den Projektleiterinnen und vom künstlerischen Leiter nicht thematisiert. Sie umgingen das Thema, indem sie auf die künstlerische Freiheit der Dozenten verwiesen. Eine gemeinsame Reflexion im Dozentinnen-Team während des Probenprozesses zu den intendierten Zielen der jeweils verantworteten Szenen (und Arbeitsweisen) fand nicht statt.125

124 | Vgl. dazu ausführlich das Kapitel zur künstlerischen Arbeitsweise der Dozentinnen (Teil IV/A./5.). 125 | Vgl. das Kapitel zu den Erwartungen und Zielen des künstlerischen und pädagogischen Teams (Teil IV/A./6.).

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

Ebenso wenig wurde thematisiert, dass die verschiedenen Bedeutungen von Kultur implizit und unterschiedlich verwendet wurden. Dadurch, dass die „Roma-Szene“ die einzige ethnische Präsentation im gesamten Stück ist und damit im Gegensatz zu allen anderen eine andere Verwendung von Kultur auf die Bühne gebracht wird, kehrte sich die Intention der Musikdozentin um, die die Roma-Kultur als wertvolle Kultur einer Minderheit auf der Bühne sichtbar zeigen wollte. Es drängt sich der Eindruck auf, dass der Einstieg in seiner Bedeutung für das gesamte Stück vom künstlerischen Leitungsteam unterschätzt wurde: Das dramaturgische Konzept war nicht klar nachvollziehbar, blieb im Prozess unreflektiert und die Aufteilung bzw. das Aushandeln von Verantwortlichkeiten war diffus.

Zusammenfassung Anhand der Eingangsszene kann herausgearbeitet und bereits antizipiert werden, dass die Rolle der Dramaturgie zentral ist sowohl für die Frage nach der kulturellen Teilhabe der Roma-Kinder und -Jugendlichen auf der Bühne, als auch für die symbolische Bedeutung als repräsentative Aussage bezogen auf die Wahrnehmung des Publikums – und damit im größeren Kontext für das Bild der Roma in der Gesellschaft: Neben den Ansätzen des Empowerments, die Burakowska in der Einstiegsszene durch die starke Sichtbarmachung ethnisch-kultureller Elemente einbrachte, fand durch die dramaturgische Entscheidung, die Aufführung mit dieser Szene beginnen zu lassen, zugleich eine Form des Ausschlusses statt. Die komplexe Rollenverteilung bei gleichzeitiger großer Unklarheit der Zuständigkeiten führte dazu, dass sich niemand im Team reflektiert mit den Aussagen des Stückes und einem Abgleich mit dem Konzept auseinandersetzte. So entstand der Eindruck, dass die Roma zwar durch ihre Teilnahme in dem Projekt kulturell integriert wurden, aber nicht wie konzeptuell intendiert, inkludiert.126 Damit bleiben sie die Fremden: Angefangen mit der Auswahl des traditionellen Liedes, der Kostümgestaltung und des Lagerfeuer-Videos bis hin zur unterschiedlichen Verwendung des Kulturbegriffs, den die Musikdozentin ethnisch, der künstlerische Leiter wie auch die Projektleiterinnen jedoch bezogen auf die Künste verstanden. Die Dramaturgie trug zu dieser Form des Othering127 maßgeblich bei.

126 | Vgl. die Unterscheidung zwischen Integration und Inklusion im Theoriekapitel zu kultureller Teilhabe (Teil II/4.). 127 | Die Begriffe Empowerment und Othering werden in der Schlüsselkategorie (Teil V) dargelegt und definiert.

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3. W as wird aufgeführt und wer steht auf der B ühne ? Z ur A uswahl des R epertoires und der Teilnehmenden Szene 1.b Das Lagerfeuer auf der Leinwand flackert weiter, die Sängerin hat die beiden Kinder zu den anderen geleitet und gibt allen ein paar Anweisungen auf Romanes. Insgesamt stehen nun 14 Kinder und Jugendliche, eine erwachsene Frau sowie zwei weitere Musiker auf der Bühne. Verhaltenes Lachen, das die Aufregung der Kinder und Jugendlichen spüren lässt. Die zwei Musiker, ein Kontrabassist und ein Perkussionist, begleiten mit der Sängerin die Gruppe. Sie nimmt auf einem Stuhl Platz und ihre Gitarre zur Hand. Sie stimmt die ersten Akkorde des nächsten Liedes an, zählt auf Romanes „Jek, duj, trin, star“ und sagt den Titel des Liedes an: „Čhajorije Šukarije“. Es erklingt unisono, alle beginnen mit dem Refrain. Laut und fröhlich klingt ihr Gesang, nicht ganz sauber intoniert, aber mit Verve. Man kann hören, dass den Kindern und Jugendlichen die Melodie vertraut ist. Locker stehen sie im Halbkreis um ein Mädchen und zwei Jungen, die als Solisten ein wenig nach vorne an die aufgestellten Mikrofone getreten sind. Die erste Strophe wird von dem Mädchen gesungen. Sie muss sich ein wenig nach unten beugen, das Mikro ist zu tief ausgerichtet. Ihre langen lockigen Haare fallen auf ihre Schultern, ein Stirnband in der Farbe ihres Kleides hält die Haare aus dem Gesicht. Geübt und mit klarer Stimme singt sie, ab und an flicht sie ein Vibrato ein. Die Musikdozentin erweitert die Melodie um eine zweite Stimme in der Terz. Der zweite Teil der Strophe ist ein Wechselgesang zwischen Solistin und Chor: Sie ruft dem Chor etwas zu, dieser antwortet mit großer Geste. Die Kinder und Jugendlichen übernehmen die gesangliche Haltung mit ihren Armen und zeigen nach vorne zur Solistin hin. Den Refrain leitet die Musikerin mit rhythmischen Zwischenrufen ein, den die Kinder und Jugendlichen unisono, sie wiederum in der Terz, singen. Die Melodie des Refrains ist sehr eingängig und besteht aus Vokalisen. „Mitsingen, alle zusammen!“, ruft die Musikerin ins Publikum und fordert so den gesamten Saal auf mitzumachen. Einige folgen ihrem Aufruf. Noch einmal der Refrain. Dann ist der nächste Solist an der Reihe, ein Junge. Auch er wie die übrigen Jungen in weißer Kleidung und mit schwarzer offener Weste. Mit ernster Miene singt er, ganz ruhig ist er dabei. Ab und zu überlässt er sich dem Rhythmus der Musik. Er kennt das Lied ebenfalls sehr gut. Das Mädchen neben ihm schaut wohlwollend zu ihm hinüber. Das Publikum klatscht inzwischen den Grundrhythmus mit. Der nächste Solist beherrscht das Lied ebenso gut, auch er singt ernsthaft und konzentriert. Einige der Kinder und Jugendlichen im Halbkreis singen oder bewegen zumindest die Lippen immer wieder zum Text der Soli. Es scheint, als ob sie sich einfach von der Musik mittragen lassen, nicht, als ob sie vergessen hätten, dass sie eigentlich nicht an der Reihe sind. Ein paar der Kinder und Jugendlichen stehen etwas verhalten und steif auf der Bühne und man merkt ihnen an, dass die gesamte Atmosphäre von Bühne, Publikum und Aufführungssituation auf sie Eindruck macht. Andere hingegen verhalten sich eher lässig, halten

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Blickkontakt miteinander, geben sich gegenseitig Hinweise auf den folgenden Einsatz, und einer stützt sich auf die Schultern seiner Kumpels. Sie haben das „auf der Bühne stehen“ nicht einstudiert und es herrscht eine ungezwungene und lebendige Atmosphäre. Alle Augen der Kinder und Jugendlichen sind nun auf die Musikerin gerichtet, die mit Blickkontakt das vereinbarte Zeichen gibt: Alle klatschen den Rhythmus mit, den der Perkussionist und nun auch die Musikerin durch Klopfen auf den Gitarrenkorpus unterstützen. Am Ende des Liedes klatscht der ganze Saal begeistert mit und applaudiert, Zwischenrufe und Pfiffe inklusive. Weiter geht es mit dem nächsten Lied. Die Solisten, wieder drei, haben bis auf denjenigen, der zuletzt gesungen hat, gewechselt. Die Musikerin nennt den Titel des Liedes „Ti bori“, zählt wieder auf Romanes ein. Auch bei diesem Stück beginnen alle unisono mit dem Refrain, die Musikerin nutzt die Wiederholung für eine zweite Stimme in der Terz über der Melodie. Ein Mädchen aus dem Chor schlenkert ihr farbiges Kleid im Rhythmus, hält sich an den Stoffenden fest. Bei den Soli verlangsamt sich das Tempo beträchtlich, die Musikerin muss mit Stimme, Gitarre und Gesten per Kopf starke Vorgaben machen, damit der Chor zusammenbleibt. Mit Zwischenrufen ermuntert sie den ersten Solisten, der die Strophe stimmlich nicht sehr stark beherrscht, den zweiten Teil der Strophe kräftiger zu singen. Er wirkt etwas fahrig und gleichzeitig sehr konzentriert-angespannt. Mit einem „Hop“-Ruf der Musikerin geht es über in den schnellen Refrain, bei dem das Publikum – diesmal von alleine – den Rhythmus lautstark mitklatscht. Die Kinder und Jugendlichen singen alle mit, sehr unterschiedlich engagiert und präsent. Es folgt ein weiterer Solist: Auch bei ihm formt und unterstützt die Musikerin den Gesang sehr stark, ihre Stimme ist wesentlich besser zu hören als die des Jungen. Dieser steht steif vor dem Mikro, bewegt nicht einmal die Augen. Dann huscht ein kleines Lächeln über sein Gesicht. Während er singt, schaut er über die Schulter zu seinen Freunden. Er lächelt stolz, und wie um die Anspannung aufzulösen, verschränkt er für einen kurzen Moment die Arme hinter dem Kopf. Dann wieder der Refrain, das Publikum klatscht mit. Schließlich das letzte Solo, das deutlich besser gelingt und von der Musikerin mit einem aufmunternden Kommentar auf Romanes gelobt wird. Im Hintergrund müssen einige Kinder und Jugendliche über den Kommentar schmunzeln. Die zwischen den Kindern stehende und mitsingende Frau, bekleidet wie die Mädchen und die Musikerin mit einem weißen Unter- und einem farbigen Überkleid, gibt mit den Händen Anweisungen, was als nächstes folgt: Alle heben die Hände über den Kopf und bewegen die Finger bzw. Hände schnell hin und her, sodass es aussieht, als ob sie winken. Zum Applaus gesellen sich Kichern und Gemurmel aus dem Saal.

Szene 1.c Noch während das Publikum klatscht, wird eine der Jugendlichen, die ebenfalls im Halbkreis gestanden und mitgesungen hat, von den anderen umringt. Sie klopfen ihr auf die Schulter, winken und rufen, verabschieden sie. Mit einem roten Koffer in der Hand verlässt sie die Bühne rückwärtsgehend und winkend. Ein Tremolo der

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Instrumente leitet das nächste Lied ein. Die Kinder und Jugendlichen sortieren sich; dieses Mal stehen insgesamt fünf Solisten in Zweiergruppen bzw. einer alleine vor den Mikros, darunter zwei neue, die noch nicht solistisch aufgetreten sind. Eine sehr freie Melodie wird, mithilfe der Musikerin und mit viel Vibrato, von allen Solisten gemeinsam intoniert: „Ederlezi“. Die beiden neuen Solisten wirken schüchtern und zurückhaltend, singen konzentriert den Text. Das Mädchen steht mit verschränkten Armen da. Der Rhythmus wird weiterhin von den im Wechsel tremolierenden und geschlagenen Instrumenten angegeben. Der Solist, der bereits im ersten Lied aufgetreten ist, trägt Melodie und Text wieder mit der ihm eigenen Ernsthaftigkeit vor, die ihn von den anderen Kindern stark unterscheidet. Die Konzentration scheint insgesamt aber etwas nachzulassen, einige der im Halbkreis stehenden Kinder und Jugendlichen drehen sich unruhig hin und her. Die Melodie verläuft beim Refrain wieder rhythmisch recht frei und wird auf Vokalisen gesungen. Ganz sauber ist der Gesang dabei nicht. Zwei der Solisten, die schon bei den vorherigen Liedern gesungen haben, kichern. Das Mädchen, das ein Solo singt, dreht sich zwischendurch kurz nach hinten zum Chor um, kichert erneut, fängt sich aber sogleich und singt mit verschränkten Armen weiter. Als das Lied endet, regt sie sich lächelnd über etwas auf. Auf Anweisung der Musikerin tragen die Kinder und Jugendlichen die Mikros von der Bühne. Alle Kinder und Jugendlichen stellen sich im Kreis auf und halten sich an den Händen. Das Video-Lagerfeuer wird ausgeblendet. Die Musikerin schließt den Kreis, indem sie das eine Ende bildet und das Kind des anderen Endes an der Hand fasst. Zu einer südosteuropäisch klingenden Blaskappellenmusik vom Band tanzen alle zunächst links herum im Kreis. Dann finden drei Jungen zusammen, die sich zur Melodie der Tuba die Arme um die Schultern legen und in der Mitte der Bühne tanzen. Die anderen verteilen sich im Halbkreis dahinter und klatschen. Beim folgenden schnellen Melodielauf der Trompeten und weiterer Blechbläser nimmt die Musikerin zwei Jungen links und rechts an die Hand. Sie tanzen im kleinen Kreis, dann nach vorne zum Bühnenrand und wieder nach hinten. Dabei schwingen sie die Arme hoch und runter. Die Jungen lächeln etwas zurückhaltend, aber sichtlich begeistert und nicht ohne Bewunderung für die Musikerin in ihrer Mitte. Dann lässt diese die Jungen los und bewegt die Arme und den Oberkörper im orientalischen Bauchtanzstil. Die Jungen klatschen derweil abwechselnd in die Hände und diagonal hinter ihrem Rücken zu ihren Füßen hinzeigend. Als nächstes sucht sich die Musikerin einen Jungen, der – die Arme zur Seite gehoben – sogleich in die Hocke geht und einen Wechselsprung in schnellem Tempo zwischen dem gestreckten und dem angewinkelten Bein ausführt, ähnlich dem Kosakentanz Kasatschok bzw. genauer dem Wechselsprung Prisjadka. Er stiehlt ihr die Schau, das Publikum klatscht und pfeift enthusiastisch. Darauf hin lacht er verlegen, während er aber weiter klatscht und tanzt. Angespornt von der Begeisterung im Saal, lässt er es sich nicht nehmen, noch einmal sein Bestes zu geben, bevor er sich, sichtlich amüsiert, erleichtert und stolz wieder zwischen die anderen Kinder und Jugendlichen einreiht. Mit einem der Mädchen, das sich bisher noch nicht durch Gesangssoli oder

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Tanzen hervorgetan hat, tanzt die Musikerin eine weitere Runde. Das Mädchen lacht etwas peinlich berührt zu ihren Freundinnen hinüber, die als nächstes von der Musikerin in die Mitte geholt werden. Auch die anderen Kinder und Jugendlichen lachen und klatschen mit, schwankend zwischen leichter Scham und Begeisterung. Die beiden Mädchen können nur noch lachen, tanzen nicht mehr konzentriert, sondern schlenkern die Arme hin und her. Schnell flüchten sie in den schützenden Halbkreis. Mit einem weiteren Jungen und klatschenden Handbewegungen beendet die Musikerin die Tanzeinlage. Mit dem Ende der Musik verbeugen sie sich spontan. Dann geht die Musikerin mit zwei Jungen an der Hand unter dem Applaus und den begeisterten Rufen der Zuschauer zum Bühnenrand. Alle anderen folgen, und in einer langen Kette verbeugen sie sich. Der Jubel reißt nicht ab. Diese beiden Teilszenen bilden zusammen mit der Einstiegsszene die erste Aufführungseinheit. Das Schulprojekt Amaro Kher präsentiert sich unter der Leitung von Beata Burakowska (BB) und mit Unterstützung der Lehrerin Sybille Haag (SH). Das Kapitel analysiert und diskutiert anhand dieser ersten Szene (1.a–1.c) wie bedeutend die Auswahl des musikalischen Repertoires sowie die Auswahl der auf der Bühne stehenden Schülerinnen für die kulturelle Teilhabe sind. Die Auswahl der Lieder ist wichtig, weil sie ein Baustein der ethnischen Darstellung sind. Im Folgenden wird detailliert untersucht, warum gerade diese Lieder ausgewählt wurden und wie die Schülerinnen darauf reagierten. Die Auswahl der Schüler, die auf der Bühne den „Roma-Teil“ präsentierten, ist nicht deckungsgleich mit der Auswahl derer, die Teile dieser Szene probten. Deshalb wird untersucht, wie der Auswahlprozess vonstattenging.

Was wird aufgeführt? Auswahl des musikalischen Repertoires Die Lieder, die in diesen beiden Teilszenen aufgeführt werden, scheinen  – ebenso wie das Lied der Eingangsszene – aus einem traditionellen Repertoire zu stammen. In der vorgetragenen Weise, mit Gitarre, Kontrabass und Percussion als akustischer Begleitung, wirken sie zumindest nicht wie ein aktuelles Stück Popmusik. Überlegungen und Kriterien, nach denen die Lieder ausgewählt wurden, beschreibt die verantwortliche Musikdozentin Burakowska: [I]ch hab mir überlegt, dass das vor allem fröhliche Lieder sein müssen, die zu den Kindern passen, also nicht nur vom Rhythmus, von der Melodie, sondern auch vom Text. Also hab ich mir gedacht, dass „Čhajorije Šukarije“ ein so bekanntes Lied ist, dass die Kinder das auch gerne singen. Und „Ederlezi“, natürlich, die kannten das sehr gut, weil bei denen ist es [Ederlezi,] ein Feiertag, ein Fest [zu Ehren des Heiligen Georg]. Aber die zwei anderen Lieder kannten [die Kinder] nicht und „Ederlezi“ hatte ich am Anfang überhaupt nicht geplant […]. (BB 167: 3)

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Die Musikdozentin wählte die Stücke so aus, dass die Kinder und Jugendlichen auf bereits vorhandene Kenntnisse ihrer familiär-musikalischen Lebenswelt zurückgreifen konnten. Das war einerseits für die Dozentin von Vorteil, weil sie auf Vorwissen auf bauen konnte, andererseits war es für die Schülerinnen ein leichter Einstieg, weil sie mit den Liedern etwas anfangen konnten. So erzählt z. B. ein Junge, dass er „Čhajorije Šukarije“ zwar nicht in der Familie singt, aber in der alten Heimat der Familie, in Ex-Jugoslawien, schon im Radio gehört hat (Gruppeninterview 086: 1). Ein Mädchen kennt die Lieder ebenfalls aus dem Radio; sie hat aber auch einige auf dem Handy gespeichert und besitzt eine CD mit diesen Liedern. Während einer Probenpause auf dem Schulhof erzählen sie und ihre Freundin etwas von ihren musikalischen Vorlieben: Ich höre HipHop. Gangsters, also [sie macht Beatboxing mit dem Mund] die singen so schlimme Worte, manche singen nicht so Schlimmes, manche auch auf Englisch, das macht mir Spaß, ich liebe einfach diese Musik! Manchmal singe ich auch meine Lieder. [NS: Was meinst du damit?] Unsere Sprache [NS: Also Romanes?] Ja. (S./S. 111: 1)

Ihre Freundin erläutert ebenfalls, woher sie die Lieder kennt und erzählt, was sie sonst noch für Musik hört: „Ederlezi“ singt man bei uns beim Feiertag, Essen mit Fleisch... „Čhajorije Šukarije“ höre ich immer, mein Vater singt auch […] [ich singe] auch deutsche Lieder, englische Lieder, Bushido [sie beginnt den Song: „Sie liegt in meinen Armen“ von Muhabbet, einem deutsch-türkischen Sänger aus Köln]. [NS: Singst du gerne?] Ja, mein Vater hat auch Mikrofon, meine Mutter hat so... der hat Internet, da sing ich immer. [NS: und dein Vater singt auch?] Ja, auch meine Brüder... (S./S. 111: 1)

Die Kinder bestätigen die Annahme der Dozentin, dass sie die ausgewählten Lieder aus dem familiär-kulturellen Umfeld kennen. Dabei erläutern sie, welche Musiken sie neben Roma-Liedern ebenfalls hören und singen  – wie etwa Songs von Bushido oder Muhabbet. Die Lehrerin der Schülerinnen, Sybille Haag, sieht die Kinder ganz anders involviert, wenn sie Lieder aus der Roma-Musikkultur singen und zieht einen Vergleich zu ihrer pädagogischen Arbeit im alltäglichen Schulablauf: Ich mach mit den Kindern auch Musik, aber das ist halt deutsch geprägte Musik, weil anderes kann ich halt nicht und hier [im Projekt] merke ich, wie sehr das ihre Wurzeln berührt, diese Roma-Lieder, die sie zum Teil von zu Hause oder von CDs kennen, da zeigen sich einige Kinder plötzlich als ganz andere, viel stärkere Persönlichkeiten, wenn sie mit ihrer Roma-Kultur hier auf der Bühne oder allein auch in den Proben stehen können. (SH 110: 1)

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Diese Bestärkung wollte auch die Musikdozentin mit ihrer Liedauswahl erreichen: Die Lieder sollten stolz und sichtbar zeigen, was die Roma-Musikkultur zu bieten hat. Die Liedauswahl selbst war für Burakowska eine Form und Möglichkeit der Repräsentation der eigenen Kultur und sie nutzte sie als Empowerment: Ich hab mich damals am Anfang sowieso gefreut, dass die Kinder von Amaro Kher sogar drei Lieder singen können, dass wir soviel Zeit auf der Bühne bekommen haben. (BB 167: 4)

Als weitere Motivation nennt Burakowska einen Aspekt, der zunächst nichts mit der Auswahl der Lieder zu tun zu haben scheint: Das heißt, für die Kinder ist das immer eine sehr große Motivation, dem Publikum zu zeigen: Das sind wir, wir sind nicht nur die Klau-Kids oder sind nicht nur immer die Dreckigen, sondern wir können was. Und das wollen wir euch zeigen und auch mit euch teilen. (BB 072: 6 f.)

Mit ihrer Arbeit will sie einen öffentlich sichtbaren Kontrast setzen beispielsweise zur stereotypen Medienberichterstattung über bettelnde Roma-Kinder in Köln.128 Allerdings lässt sich vor dem Hintergrund dieser Motivation nicht auf die von Burakowska ausgewählten Lieder schließen, es hätten auch andere Stücke sein können. Ob z. B. das durch den Balkanbrass-Trend bekannt gewordene Lied „Čhajorije Šukarije“ ausgewählt wurde, weil es möglicherweise auch dem Gadje-Pubikum bekannt ist, kann nur spekuliert werden. Ganz abwegig ist das nicht, weil Burakowska schon seit knapp zehn Jahren mit ihrer Gruppe Romano Trajo auftritt und dadurch Erfahrungen und Einschätzungen mit Publikum und Repertoire hat (BB 072: 2). Am zweiten Projekttag in Amaro Kher wurde die Liedauswahl zum Gespräch zwischen Burakowska und dem künstlerischen Leiter. Dieser schlug vor, dass die Kinder auch ein Lied auf Deutsch singen sollten. Die Musikdozentin verwies darauf, dass deutsche Lieder nicht zu ihrem Repertoire gehören. Dem künstlerischen Leiter schwebte allerdings eine andere Arbeitsweise vor, er hatte die Idee, ein Playback zu einem bekannten Popstück zu singen und einen eigenen deutschen Text, z. B. einen Rap, zu schreiben. Er wollte damit bewusst etwas Neues für das Stück kreieren. Die Musikdozentin wollte jedoch bei den von ihr ausgewählten Liedern bleiben, woraufhin der künst128 | Der Kölner Express titelte 2002 in einer reißerischen Darstellung „Die Klau-Kids von Köln“ und illustrierte die Titelgeschichte mit 53 Polizeifotos im Fahndungsstil. Es gab bundesweite Empörung und der Herausgeber des Blatts entschuldigte sich; das reißerische Schlagwort von den „Klau-Kids“ findet sich aber immer wieder in den Medien.

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lerische Leiter sich zwar einverstanden erklärte, aber auf „mehr Entwicklung“ drängte (FTB: 15). Diese Aushandlung der Auswahl zeigt, dass es unterschiedliche Vorstellungen bezüglich des musikalischen Repertoires gab: Während die Musikdozentin von ihren Kompetenzen und den Kenntnissen der Kinder und Jugendlichen ausging und die Darstellung als Möglichkeit zur bewusst positiven Selbstdarstellung der eigenen Kultur versteht, sieht der künstlerische Leiter Möglichkeit in der Szene, verschiedene Musikvorlieben der Kinder und Jugendlichen einzubringen. Zudem orientiert er sich mit seinem Vorschlag, ob bewusst oder unbewusst, am transkulturellen Konzept des Projekts, nämlich gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen etwas Neues speziell für die Aufführung zu schaffen.129 Im Antrag auf Projektförderung heißt es: Je nach Schwerpunkt experimentieren sie [die Kinder und Jugendlichen zusammen mit den Dozenten] mit Klängen, mit Bewegungen oder mit Kunstobjekten und bringen so auf ihre Art und Weise musikalische Traditionen ein, entwickeln aber auch neue Ausdrucksmöglichkeiten. (Antrag Fonds Soziokultur 2009: 4)

Trotz der möglicherweise verschiedenen Auffassungen vom musikalischen Repertoire für die „Roma-Szene“ des Stückes, arbeiteten die Musikdozentin und der künstlerische Leiter sehr produktiv zusammen. In folgendem Zitat beschreibt sie, wie die Entscheidung für das dritte Lied fiel und warum es sehr gut in die Szene passt: „Ederlezi“ ist mir spontan eingefallen, als der Salvador [der künstlerische Leiter] mir erzählt hat, da kommt eine traurige Szene, wo das Mädchen sich von den Kindern verabschiedet mit dem Koffer und da hab ich mir gedacht, es wäre nicht schlecht, jetzt nach den zwei fröhlichen Lieder, ein bisschen Luft dem Publikum zu geben und was Ruhiges, Melancholisches [zu singen], was gerade zu dieser Szene passt, wo das Mädchen sich verabschiedet und weiter reist. […] Und als ich gesehen habe, dass die Kinder sich sehr gefreut haben über dieses Lied, die identifizieren sich sehr stark mit dem Lied „Ederlezi“, haben wir zusammen mit Salvador beschlossen, dass das keine schlechte Idee ist.“ (BB 167: 3)

Im Probenverlauf bleibt es bei den von der Musikdozentin vorgeschlagenen Roma-Liedern.

129 | Vgl. hierzu das Kapitel zu Titel und Rahmen, wo dieser Aspekt des Neuerschaffens diskutiert wird (Teil IV/A./7.).

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Nach der Vorführung befragte ich die Kinder zur Liedauswahl im „RomaTeil“.130 Die Kinder, die daran teilgenommen hatten, sagten, dass ihnen das Projekt und die Aufführung sehr viel Spaß gemacht habe. Allerdings hätten sie lieber modernere Roma-Lieder gesungen, denn die aufgeführten wären „nicht so gut, weil altes Lied“ (H./H. 187). Einige hätten auch nicht unbedingt Roma-Musik, sondern „gerne auch Gangster-Lieder“ (D./S. 189) wie z. B. von Eminem und 50Cent gesungen. Die Tanzszene im „Roma-Teil“ würden die Kinder bei einem Folgeprojekt mehrheitlich nicht nochmal aufführen. Für zwei Jungen sei der Tanz zwar ein „typischer“ Roma-Tanz gewesen, nicht aber ein „traditioneller“, sondern ein „behinderter Tanz“ (H./H. 187); mit letzterem Begriff rekurrieren die Jugendlichen auf ein Schimpfwort, um aufzuzeigen, dass der Tanz für sie uncool war. Sie hätten lieber Tänze wie den „Hut-Tanz“ gemacht, „aber mit anderen Kostümen, wie Smoking“ (H./H. 187). Ein Mädchen findet hingegen, dass der Tanzstil nicht passte, denn es sei ein „jugoslawischer“ Stil gewesen, sie sei aber albanischer Herkunft (D./D. 188). Zwei andere Jungen sagten, dass solche Tänze zwar auf Familienfesten getanzt würden, nicht aber von ihnen, denn „da sind so viele Leute und dann lache ich und dann habe ich keinen Bock zu gehen [zu tanzen]“ (D./H. 190). Ein anderer wiederum hätte gerne Breakdance auf der Bühne getanzt wie der S. von der Schule in Köln-Zollstock, den er kenne und der ihm einige Figuren beigebracht habe (D./S. 189).

130 | Die Befragung in Amaro Kher, einige Wochen nach der zweiten Aufführung durchgeführt, hatte zum Ziel, mit den teilnehmenden Kindern rückblickend zu reflektieren, wie ihnen das Projekt gefallen habe. Es wurde versucht mithilfe von Fotos, Musikausschnitten und Traumreisen die Kinder zu motivieren, selbst etwas zu zeichnen, zu singen etc. Damit sollte die Befragung nicht ausschließlich auf der sprachlichen Ebene geführt, sondern verschiedene kreative Möglichkeiten zur Kommunikation mit den Kindern ausprobiert werden. Insgesamt lag die Teilnahmequote bei n= 6 von insgesamt 15 teilnehmenden Schülern bei der Aufführung, was verschiedene Gründe hatte: Drei der Jungen waren zum neuen Schuljahr auf eine Regelschule gewechselt, die restlichen sechs Kinder waren zum Zeitpunkt der Befragung nicht in der Schule anwesend. Die Befragung funktionierte methodisch nicht mit allen Kindern und ist nicht aussagekräftig. Dennoch können einige Aussagen eine Tendenz aufzeigen, z. B. zu den Präferenzen der Musikauswahl und zur Einordnung des Feuers sowie der Kostüme. Vor allem aber zeigt sie auf, dass es lohnend wäre, die Kinder direkt über ihre Eindrücke und Meinungen zu befragen bzw. mit anderen Mitteln diese zu reflektieren.

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Wer steht auf der Bühne? Auswahl der Schülerinnen für die Bühnenaufführung Die Musikdozentin Burakowska war, wie der künstlerische Leiter, nicht nur bei Amaro Kher als Dozentin tätig, sondern auch in einer weiteren Schule. Eines der von ihr für das Projekt ausgewählten Stücke, das Lied „Čhajorije Šukarije“, studierte sie auch mit den Schülern der Schule in Köln-Zollstock ein. Sowohl die Dozentin als auch die Schüler probten das Lied in der Erwartung, dass sie das neu einstudierte Stück auf der Bühne zusammen mit den Schülern von Amaro Kher aufführen würden. Dazu kam es jedoch aufgrund einer Entscheidung nicht, wie im Folgenden dargelegt wird. An der Förderschule in Köln-Zollstock kamen die Kinder und Jugendlichen aus Familien mit sehr verschiedenen kulturellen Hintergründen; unter anderem waren zwei Roma-Jungen in der Klasse. Bei der ersten Probe wandte sich die Dozentin an diese beiden Jungen, die sie bereits kannte, und bat sie um die Übersetzung des Liedes. Die zwei zierten sich zunächst, den anderen Kindern die Bedeutung des Romanes-Textes zu erklären oder ihn vorzusingen, waren dann jedoch sichtlich stolz, als sie ihren Mitschülerinnen Wörter aus dem Romanes übersetzen und beibringen konnten. Der Musikdozentin gelang durch die Auswahl eines populären Liedes auf Romanes die aktive Einbindung der beiden Roma-Jungen in die Liedprobe. Die beiden waren, obwohl anfänglich nicht willens, dann aber doch motiviert, ihre Sprachkenntnisse ebenso wie ihre Kenntnis des Liedes zu zeigen. Dadurch konnten sie ganz nebenbei diese Kompetenzen vor ihren Mitschülerinnen zeigen. Durch Rückfragen der Musikdozentin auf Romanes baute diese eine besondere Verbindung auf, die für alle anderen Schüler wie auch für die anwesende Lehrerin sowie für die Schulsozialpädagogin sichtbar war: Dadurch verschaffte die Dozentin den beiden Schülern eine exklusive Position, in der sie ihren Mitschülern etwas beibringen konnten (FTB: 61 f.). Während der Probentage probte sie mit den Schülerinnen nicht nur den Text und die Melodie, sondern auch den Rhythmus des Stückes. Alle sollten in einer Proberunde auf Conga-Trommeln zeigen, ob das Trommeln etwas für sie wäre. Sie erläuterte zunächst: Erst mal gucken wir, wer am besten zu diesem Lied trommeln kann. Wer das nicht kann, das heißt nicht, dass ihr nicht trommeln könnt, sondern da sind fremde Rhythmen für euch und das kann passieren, dass man nicht direkt die Rhythmen trommeln kann. (BB 120: 1, Hervorhebung NS)

Sie stellt heraus, dass die Rhythmen des Liedes „fremd“ für die Schülerinnen seien, was nicht hieße, dass man diese nicht lernen könne. Sie selbst könne beispielsweise auch nicht so gut trommeln, obwohl sie Rhythmusgitarre spiele, führte sie im Anschluss aus (BB 120: 1). Indem sie mit diesem Hinweis

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den Schülern die Vorführangst nehmen will, beschreibt sie die Roma-Kultur nicht beispielsweise als neu oder (noch) unbekannt, sondern als fremde (Lied-) Kultur. Ähnlich bezeichnet sie Romanes als „fremde Sprache“, wenn sie im Rückblick die Proben in Köln-Zollstock reflektiert: Ich war dreimal in Zollstock, dreimal habe ich mit den Kindern getrommelt, den Rhythmus geübt und dann im zweiten Teil habe ich mit den Kindern gesungen, da habe ich nur zwei Lieder geschafft […]. Die Kinder haben mehr Zeit als die Kinder von Amaro Kher gebraucht, weil es [das Romanes] für sie eine total fremde Sprache ist. […] Die Kinder von Zollstock kannten die [Lieder] überhaupt nicht. Dann musste ich erst mal die Texte gut auswendig mit den Kindern lernen und übersetzen, was das heißt und die Aussprache und dann die Melodie und die ganzen Lieder. (BB 167: 10, Hervorhebung NS)

Sie bewertet die Proben in der Schule als sehr positiv, weil der Vertrauensaufbau sehr schnell und sehr gut geklappt habe, sodass die Kinder und Jugendlichen Spaß an den Liedern hatten und gut gelernt haben: Ja, also die Kinder haben sich total gefreut, haben sehr gerne mitgemacht. Und ich muss dir sagen: die zweite Probe war noch besser! Weil dann die Mädchen und überhaupt die Kinder hatten schon andere Beziehung zu mir gehabt: „Ah, da ist die Beata und jetzt machen wir die Roma-Lieder!“ (BB 167: 10)

Das Ziel der Musikdozentin war es, dass alle Kinder und Jugendlichen von Amaro Kher und Zollstock, die dieses Lied geprobten hatten, es auch auf der Bühne gemeinsam singen sollten. Bereits zu Beginn des Projekts hatte sie diese Absicht gehabt, wie aus einem Interview hervorgeht: [N]achher treten die [Roma-]Kinder mit anderen Kindern auf, nicht nur mit Roma-Kindern. Das sind verschiedene Schulen, die sich an dem Projekt beteiligen und es geht auch, um es kurz zu sagen, um: Integration. Das ist gerade für Roma-Kinder sehr wichtig. Ich glaub nicht nur für Roma-Kinder, für uns alle ist das sehr wichtig, dass man dann später guckt oder lernt: Durch Musik kommen wir zusammen! Da sind paar Lieder und die machen wir zusammen. Dann gehen wir auf die Bühne und unabhängig von der Farbe, ob ich schwarz oder weiß bin, welche Haare habe ich, das spielt keine Rolle. Jetzt es ist nur wichtig, wir machen das zusammen. Und das verbindet uns, die Musik verbindet uns. Und die Kinder lernen dabei auch mit anderen Kindern in der Gruppe zusammen zu arbeiten, zusammen zu kommen. (BB 073: 8 f.)

Burakowska wollte durch den gemeinsamen Auftritt die Vielfalt der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen zeigen. Sie wollte zeigen, dass ein einstudiertes Lied, unabhängig davon, ob bereits bekannt oder neu, unterschiedliche Kinder und Jugendliche zusammenführen kann, dass aus der gemeinsamen

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(Proben-)Arbeit auch ein gemeinsamer Auftritt und somit eine gemeinsame Erfahrung werden kann. Die Soli sollten von den Kindern von Amaro Kher gesungen werden, damit diese in jedem Fall qualitativ gelingen und keine Überforderung für diejenigen darstellten, die das Lied ganz neu lernten: [A]ber den Chor, den Refrain, dass sie den alle mitsingen. Und die Kinder haben sich total gefreut, haben die Idee sofort akzeptiert. (BB 167: 10 f.)

Das entsprach der Konzeption des Projekts, wie es in Anträgen an Förderungsinstitutionen, z. B. an den Fonds Soziokultur, vorgestellt wurde. [Mit dem Projekt] soll erreicht werden, dass man sie [die teilnehmenden Kinder und Jugendliche] mit ihren Ideen, Fähigkeiten und besonders mit ihren eigenen kulturellem Hintergrund [sic] ernstnimmt. Während der Projektlaufzeit sollen sie innerhalb der Gruppe die Gelegenheit haben, mit anderen Kulturen gemeinsam an einem Thema zu arbeiten, um soziale Kompetenzen aufzubauen und Eigenverantwortlichkeit zu stärken. (Antrag Fonds Soziokultur 2009: 3)

Obwohl der gemeinsame Auftritt der Schülerinnen von Amaro Kher und von Zollstock ein von der Musikdozentin gewünschter Teil war und dem integrativen Konzept des Projekts entsprach (Antrag Fonds Soziokultur 2009: 3), konnte ein gemeinsamer Auftritt für die Bühnenfassung nicht umgesetzt werden. Die Dozentin erläutert den Grund: Aber leider, Salvador war [mit dem gemeinsamen Auftritt] nicht einverstanden. Grund war, dass die Kinder von Zollstock ganz andere Kleider haben und das war der einzige Grund, dass das nicht zusammenpasst. (BB 167: 10)

So durften die Kinder und Jugendlichen bei der Aufführung das einstudierte Lied überraschenderweise nicht mitsingen. Der künstlerische Leiter hatte sich dagegen entschieden und als Begründung die Gesamtdramaturgie genannt: Da die beiden Schulen unterschiedliche Kostüme anhätten und kein Geld für weitere Kostüme mehr zur Verfügung stand,131 wäre ein gemeinsames Auftreten in diesem Teil nicht sinnvoll, so erklärte er auch auf meine Nachfrage. Die Musikdozentin akzeptierte die Entscheidung und vermittelte sie ihren Schülern:

131 | Eine Ausnahme gab es: Die Protagonistin mit dem roten Koffer bekam ein Kostüm wie die Mädchen von Amaro Kher und sang das einstudierte Lied mit. Ihre Teilnahme an der ersten Szene war für den künstlerischen Leiter offenbar dramaturgisch so notwendig, dass sie ein extra Kostüm bekam.

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte [D]ie Kinder waren traurig und sie sind zu mir gekommen und haben mich gefragt: „Beata, was ist los, wir wollen auch mitsingen!“ Und mit Salvador haben wir das geklärt, [dass es] wegen der Kleider ist und dann haben die das akzeptiert, aber trotzdem waren die auch traurig. (BB 167: 10)

Allerdings gab es in anderen Szenen, in denen verschiedene Schulen gemeinsam auftraten, auch keine szenenspezifischen Kostüme.

Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Schüler das musikalische Repertoire, das von der Musikdozentin für die Aufführung ausgewählt wurde, zwar gerne sangen bzw. dazu tanzten, im Vergleich zu den anderen Szenen des Stückes jedoch auch gerne andere musikalische Genres ausprobiert und aufgegriffen hätten, so wie der künstlerische Leiter es vorgehabt hatte. Sehr deutlich wird, dass die Kinder und Jugendlichen verschiedene musikalische Stilvorlieben haben und damit auch verschiedene musikalische Heimaten zum Ausdruck bringen. Dies wird jedoch auf der Bühne nicht deutlich, was für die Frage nach Teilhabe deutliche Konsequenzen hat. Dadurch, dass es in diesem Teil der Aufführung letztlich keinen gemeinsamen Auftritt der beiden Schulen gab, wurde der Eindruck verstärkt, dass das Roma-Schulprojekt sich als ethnische Gruppe mit ihren Traditionen selbst darstellen wollte oder sollte. Warum wurde die Entscheidung des künstlerischen Leiters nicht von den beiden Projektleiterinnen, die ihre Verantwortung ebenfalls inhaltlich-künstlerisch für das Stück sahen, mit den Projektzielen abgeglichen und kritisch hinterfragt, ob diese für das Stück insgesamt und von seiner Aussage her tragfähig wäre? Die Chance, inhaltlich integrativ zu arbeiten, wurde damit in diesem Teil verspielt.

4. K ostüme und R equisiten Szene 5.: „Hut-Tanz“ mit Rap-Song Neue Musik, Spot auf die Protagonistin, die neben ihrem Koffer eingeschlafen ist. Ein weiterer Spot auf einige Jungen in weißen Anzügen und mit bunten Baseballkappen, die rechts neben der Bühne an großen Conga-Trommeln sitzen. Sie waren bislang noch nicht in einer Szene zu sehen. Sie unterstützen die Percussion, die im Gegensatz zur sanft geschwungenen Klaviermelodie einen straffen Takt vorgibt. Ein Junge aus der „Roma-Szene“ kommt auf die Bühne gelaufen, bleibt in der Mitte stehen, guckt sich um, schaut auf seine (nicht vorhandene) Uhr, verschränkt die Arme und wartet. Da kommt ein weiterer Junge, sie tauschen per Faust jugendliche Begrüßungszeichen aus. Weitere Jungen folgen, alle dem Publikum bekannt durch die erste Szene. Alle begrüßen sich. Der Anführer der Jungen erblickt den roten Koffer

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des Mädchens, er und seine Freunde gehen neugierig darauf zu. Er öffnet den Koffer, sie finden darin schwarze Hüte in der Form eines Trilby oder Fedora, eines typischen britischen bzw. US-amerikanischen Männerhutes des frühen 20. Jahrhunderts, der Teil des Geschäfts- und Gesellschaftsanzugs war. Er erinnert auch an die Mafiaszene der Prohibitionsära in den USA. Der Junge verteilt an die anderen jeweils einen Hut. Warum die Jungen an den Koffer gehen und die Hüte hervorholen, wird nicht ganz klar, vielleicht sind die Hüte ein dramaturgisches Element. Inzwischen ist ein weiterer Junge auf die Bühne gekommen. Er ist etwas älter als die Jungen mit den Westen, trägt Jeans, ein weißes Polohemd, darüber eine beigefarbene Strickweste und Turnschuhe. Seine Haare sind mit Gel nach hinten frisiert und dort etwas länger, in der Hand hält er ein Mikrofon. Links und rechts von ihm positionieren sich zwei Mädchen, die bereits in einer vorhergehenden Szene auf der Bühne waren. Sie haben weiße Hemden und Stoff hosen mit farbigen geometrischen Figuren an. Auch sie sind etwas älter, lächeln sich zu, wie um sich gegenseitig Mut zu machen, und halten sich an den Mikrofonen fest. Die sieben Jungen mit den Hüten beginnen eine Choreografie: Sie stehen in einem Dreieck, die Spitze nach vorn, die Hüte leicht in die Stirn gezogen. An diese tippen sie wechselseitig mit den Händen, um sich mit dem Rhythmus kopfnickend nach links und nach rechts zu bewegen. Dann beschreiben sie einen Halbkreis mit dem Oberkörper nach vorne. Halbe Rechtsdrehung nach hinten, nach vorn aufgestellter rechter Fuß. Gehüpfter Fußwechsel nach hinten und zur linken Seite. Dann gehen sie ein paar Schritte zum Bühnenrand, machen dabei Pumpbewegungen mit den Armen vor dem Körper, schnipsen mit den Fingern zum Rhythmus. Parallel zum Tanz hat der Jugendliche mit der gegelten Frisur seinen Rap-Song begonnen. Es geht  – wie könnte es bei diesem Musikstil auch anders sein  – ums Kämpfen, ums big business und um den Rapper selbst, der sich gleich als „König der Mikrofone“ bezeichnet. Noch ein wenig unsicher schaut er mal ins Publikum, mal auf den Boden. Er beschreibt, wie er auf der Bühne auftritt, „in Fitness“ trainiert und sich hier alle „Fighter“ nennen. Die Tänzer drehen sich alle mit dem Rücken zum Publikum, strecken die Arme hoch über dem Kopf aus, umschließen die Hände. Die Faust wird nach unten vor die Brust gezogen. Dann strecken sie die Arme zur Seite, lassen sie langsam herabsinken. Alle gehen dicht hintereinander, schließlich rennen sie, beschreiben dabei einen Kreis. Sie lösen sich zu einer Reihe auf, stehen seitwärts zum Publikum. Sie drehen sich gemeinsam zum Publikum, gehen in die Hocke und stützen sich im Takt mit den Armen auf den Knien ab, ein Bein aufgestellt. Wieder auf gemeinsames Kommando blicken sie ins Publikum und nicken diesem rhythmisch zu. Ebenso im Takt, dabei aber sehr lässig, nehmen sie ihre Anfangspositionen ein – die Choreografie beginnt von vorne. Die Bewegungen wirken wie abgeschaute Haltungen aus der Geschäfts- oder aus der Gangsterwelt. Die Jungs tippen sich cool, aber sehr bestimmt an ihre Hüte, vollziehen Kreise und Schrittfolgen, von denen jede so aussieht, als ob sie exakt so ausgeführt werden müsste. Sie schnipsen und nicken im Rhythmus. Der

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Junge, der der Anführer ist, tanzt sehr präzise, voller Ernst. Fast schafft er es, über den Charakter einer Schulaufführung hinauszuwachsen. Die anderen schauen immer wieder zu ihm, setzen ein, wenn er einsetzt, folgen ihm. Einige von ihnen lachen immer wieder, reden, albern. Jetzt besingt der Rapper im Refrain seine Liebe zum Rap und fordert die Zuhörer auf, sich von ihm anstecken zu lassen. Halb verlegenes, halb stolzes Lächeln, die zwei Mädchen neben ihm wippen im Rhythmus mit ihren Köpfen. In den Pausen des Rap-Songs wird die Aufmerksamkeit durch die Scheinwerfer auf die sechs Trommler gelenkt. Nicht alle sind ganz im Rhythmus. Den zweiten Teil des Refrains singen die Mädchen, aber nicht in gesprochener Textform, sondern als Melodie. Auch sie richten sich ans Publikum: an Eltern, Freunde und andere Leute. Sie sollen ihnen zuhören, denn sie wollen zeigen, dass das Zusammenleben funktionieren kann. Sie empfinden die Stadt Köln und die ganze Welt als ihre Heimat. Als ihr Part endet, schauen sie sich rückversichernd an, lächeln sich zu. Nach dreimaligem erneuten Refrain des Rappers und einer weiteren Wiederholung der Choreografie endet das Stück, lässig wie es begonnen hat: Die Sängerinnen stützen sich mit ihren Ellenbogen auf den Schultern des Rappers ab, die Jungen mit den Hüten stehen seitwärts zum Publikum, verschränken die Arme vor der Brust und drehen ihren Kopf nacheinander rhythmisch zum Publikum, eine Abschlussgeste. Applaus und Jubel vom Publikum, das sich auch zwischendrin mit begeisterten Rufen bemerkbar gemacht hat. Die Tänzer, die Sängerinnen und der Rapper verbeugen sich, etwas unkoordiniert und nicht gemeinsam. Die letzten Takte sind noch nicht ganz verklungen, da reden die Jugendlichen miteinander, etwas betreten blicken sie drein. Die Jungen mit den Hüten hüpfen erleichtert und auch miteinander redend zum roten Koffer, legen die Hüte hinein. Ein letztes „Yeah!“ vom Sänger in cooler Pose, dann gehen alle von der Bühne ab. Nun erwacht die Protagonistin. Im Hintergrund sind Straßen- und Verkehrsgeräusche zu hören, sie zieht mit ihrem Koffer noch eine Runde über die Bühne, dann verschwindet auch sie. Es ist dunkel. Nochmals Applaus.

Die Kostüme Kostüme haben für ein Bühnenstück eine wichtige Aufgabe, weil sie zum visuellen Eindruck eines Stückes in hohem Maß beitragen. Zum Kostüm zählt die Kleidung, aber auch Schmuck sowie Frisuren o. ä. Anhand der Szene des „Hut-Tanzes“ werde ich nun exemplarisch untersuchen, inwieweit der visuelle Eindruck Assoziationen aufkommen ließ, die Stereotype begünstigen. Auch sollen die Kostüme auf den Entstehungsprozess und ihren Einsatz im Stück, auf Besonderheiten und Reaktionen hin untersucht werden. Für das Projekt gestaltete die Kostümdesignerin Beatriz Obert (BO) für jede Schule eigene Kostüme auf der Grundlage weißer Kleidung: Auf den T-Shirts der Schule in Zollstock befanden sich bunte blumenartige Formen;

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die Schule in Höhenhaus hatte ebenfalls bunte, aber geometrische Formen auf den T-Shirts und die Schüler aus Porz waren mit bunt gesprenkelten T-Shirts bekleidet. Die Hosen waren jeweils weiß. Das Roma-Schulprojekt fiel aus diesem Rahmen: Die Jungen trugen Westen, die gewendet werden konnten. Diese waren auf der einen Seite schwarz für die „Roma-Szene“, auf der anderen Seite bunt für den „Hut-Tanz“ und die letzte Szene der Aufführung. Die Mädchen und Frauen waren mit langen, bunten Kleidern mit farblich passendem Stirnband für die offenen Haare gekleidet. Alle Kinder und Jugendlichen trugen bunte elastische Armbänder in unterschiedlichen Längen. Die Projektleiterin der Jugendkunstschule erläutert den Entstehungshintergrund der Kostüme: Wir wollten Kostüme – wir müssen ja auch wirtschaftlich denken –, die wir später noch mal einsetzen können. Und was Helles als Untergrund und dann so Farben halt, also sehr viel Farbe und was auch [ein] bisschen die kulturellen Unterschiedlichkeiten von den Kindern halt unterstreicht. (AR 168: 5)

Die Kostümdesignerin setzte die Vorgabe, dass die Kostüme wieder verwendbar sein sollten, um, indem sie die weiße Grundfarbe bei allen Kostümteilen dominant verwendete, sodass eine spätere Veränderung der Kostüme z. B. durch Färbung möglich blieb. Während jedoch bei den drei Förderschulen bunte Farben in unterschiedlichen Formen auf den T-Shirts zum Unterscheidungsmerkmal für ihre jeweilige Schule wurden, wiesen die Kleider für das Roma-Schulprojekt in eine andere Richtung. Die Kostümdesignerin Obert: Salvador [der künstlerische Leiter], Andrea [Riedel] [Projektleiterin von MuKuTaThe] und ich trafen uns, um die Gestaltung zu besprechen, und so entstanden viele Ideen. Bei den [Roma-]Mädchen habe ich deren traditionelles Gewand abstrahiert in ein klares Tanzkleid, bei den Westen von den Jungs ist es auch so. (BO 032: 1)

Im Fall von Amaro Kher zeigten die Kostüme nicht nur an, dass es sich um eine weitere Schule handelte, sondern die Kostüme sollten, so die Intention der Kostümdesignerin, zusätzlich einen traditionellen Eindruck erwecken. Gemeinhin ist traditionelle Kleidung Teil und Ausdruck der Lebensweise und Kultur z. B. einer bestimmten Ethnie oder eines Volkes. Die drei an dieser Entscheidung beteiligten Personen brachten somit eine kulturelle Komponente ins Spiel, indem die bewusst als traditionell entworfenen Gewänder eine ethnische Kultur markierten. Die Kostüme hatten in erster Linie gestalterisch die Funktion, eine eindeutige und eingängige Unterscheidung der Schulen voneinander zu gewährleisten. So konnte das Publikum zum einen leichter erkennen, welche Schule gerade auf der Bühne auftrat und zum anderen sehen, wie die Schulen in

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den gemeinsamen Szenen miteinander interagierten (z. B. Szene 2: „Mozart in Ägypten“ und Szene 8: „Ina Meena Dika“). Die Kostümdesignerin fasst zusammen: „Am Ende war es wichtig, eine Einheit zu bilden und trotzdem den Unterschied der jeweiligen Schulen [ab]zubilden.“ (BO 32: 1) Durch die ökonomischen Rahmenbedingungen und die Vorgabe, die Kostüme nach Schulen zu trennen, durften (weitere) inhaltliche und dramaturgische Gesichtspunkte für die Gestaltung der Kostüme keine Rolle mehr spielen, wie sich an dem Beispiel des Liedes „Čhajorije Šukarije“ zeigte (vgl. Kapitel IV/A./3.). Die Kostüme wurden zur Grenzziehung zwischen den Schulen genutzt, jedoch nicht in neutraler Weise für alle, denn das Roma-Schulprojekt stach durch die ethnische Markierung deutlich hervor. Die bunten Farben und Formen der Kostüme sollten laut Projektleiterin Andrea Riedel generell auf die „kulturellen Unterschiedlichkeiten“ (AR 168: 5) der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen hinweisen. Gemeint sind damit die verschiedenen Herkunftsländer bzw. -kulturen, auf die bereits in den Anträgen um Förderung sowie in den Eigendarstellungen hingewiesen wurde: „Alle teilnehmenden Schüler stammen aus unterschiedlichsten Kulturkreisen“ (Antrag Fonds Soziokultur 2009: 1). Die Kostüme erfüllten also eine weitere Funktion, sie sollten die „kulturelle Vielfalt“ (Antrag Fonds Soziokultur 2009: 4), d. h. verschiedene ethnische Kulturen darstellen. Dies geschah allerdings nur bei dem Schulprojekt Amaro Kher. Diese Differenzierung in verschiedene Kulturen wurde bei den Förderschulen nicht vorgenommen, folglich wurden über deren Kostüme keine weiteren ethnischen Unterschiede sichtbar. Dadurch waren die Kinder und Jugendlichen des Schulprojekts Amaro Kher doppelt markiert: Als klar ethnisch-traditionelle und als in sich homogene Gruppe. Durch dieses Alleinstellungsmerkmal standen sie in starkem Kontrast zu den anderen, die bloß als Schulen, nicht als ethnische Gruppe wahrgenommenen wurden. Die Kostüme nahmen eine asymmetrische Unterscheidung der beteiligten Schulen vor.

Vergleich zur Alltagskleidung Kostüme sind ein selbstverständlicher Bestandteil von Bühnenproduktionen. Üblicherweise schlüpfen die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen erst kurz vor der Aufführung in die Kostüme. Die meiste, wenn nicht die gesamte Probenzeit, tragen sie ihre Alltagskleidung  – oder wie im Fall der Schule in Porz – bewegungsfreundliche Kleidung für das Tanztraining. Vergleicht man nun die Alltagskleidung der Schülerinnen von Amaro Kher mit der Kleidung der Schüler der anderen Schulen, so fällt auf, dass eine Unterscheidung, wie sie die Kostüme vornehmen, gar nicht möglich ist, denn alle tragen eine für dieses Alter übliche Jugendkleidung bestimmter Marken und Moden. Die Kostüme, die bei Heimat re-invented das erste Mal zur Generalprobe angezogen wurden, nahmen eine starke Unterscheidung vor, die ohne diese überhaupt

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nicht gegeben war. Dadurch wurden die Roma-Kinder und -Jugendlichen ethnisch markiert und es wurde ihnen zugleich ihre Einbettung in die Jugendkultur, der sie sich im Alltag durch ihre Kleidung zugehörig zeigen, verweigert. Die ethnische Kultur dominierte und schloss eine weitere Zugehörigkeit aus. Der durch die Kostüme entstandene Kontrast zwischen den drei Förderschulen und dem Roma-Schulprojekt wird am Beispiel des „Hut-Tanzes“ besonders augenfällig. In dieser Szene, die im Gegensatz zu dem Roma-Lieder-Teil keine traditionellen (im Sinne ethnisch-kultureller) Elemente in der Auswahl der Musik und der Tanzchoreografie aufweist, werden die Jungen ausschließlich durch die Kostüme als ethnische Gruppe gekennzeichnet. Es sind insbesondere die Westen, die diesen Eindruck erwecken. Von der Choreografie her gab es keinen Verweis auf eine ethnische Kultur, man hätte sich diverse andere Kostüme vorstellen können. Oder war es das Anliegen, eine moderne Choreografie bewusst in Beziehung zu traditioneller Kleidung zu setzen? Vergegenwärtigt man sich die Vorgaben und ökonomischen Rahmenbedingungen, so waren erstens weitere Kostüme für diese Szene vom Budget her nicht möglich und zweitens, und darauf wird im folgenden Kapitel einzugehen sein, weist in der künstlerischen Herangehens- und Arbeitsweise des Choreografen nichts auf eine solche bewusste Brechung hin. Vergleicht man die Bilder dieser Szene, in denen die Jungen in ihrer Alltagskleidung tanzen mit Bildern der Aufführung, in denen sie in Kostümen zu sehen sind, so wird der durch die Kostüme unbewusst vorgenommene Kontrast offensichtlich: Es lässt sich ganz eindeutig ein Othering über die Kostüme feststellen. Interessanterweise tritt in der vorgestellten Szene ein Junge auf, der kein Kostüm zu tragen scheint: der Rapper. Er hat keine Kleidung an, die auf seine Schule in Zollstock hin verweist und sein Outfit sieht nicht anders aus als in den Proben – er tritt höchstens etwas stärker herausgeputzt als sonst auf die Bühne, mit viel Gel im Haar. Bei der Generalprobe hatte er noch das Kostüm seiner Schule an. In der Aufführung hat er dieses verweigert und trägt nun seine selbst gewählten Kleider. Damit hat er nicht nur den künstlerischen Leiter und die Kostümdesignerin sowie die Projektleiterin gegen sich aufgebracht, sondern er war auch der Einzige aller teilnehmenden Kinder und Jugendlichen, der kein Kostüm trug.132 Auf der Bühne stellt er einen visuellen Gegenpol zu den beiden mit ihm singenden Mädchen sowie den Jungen des „Hut-Tanzes“ dar und steht für ein pubertär-provozierendes, aber auch für ein individuelles und exklusives Verhalten.

132 | Auf diesen Jungen wird in Kapitel 6. (Teil IV/A./6.) noch eingegangen, da er als Protagonist für einen TV-Beitrag des WDR und somit als ein Repräsentant für die teilnehmende Schülerschaft ausgewählt wurde.

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Reaktionen, Eindrücke und Bewertungen der Kostüme Wie wurden die Kostüme insgesamt und die Kostüme für die „Roma-Szene“ im Speziellen vom Dozententeam, von den Kindern und Jugendlichen und vom Publikum beurteilt? Die Spannbreite der Reaktionen war groß: Es gab einige, die die Kostüme für gelungen hielten, etwa weil sie „neutral“ (SE 36: 1) oder „passend“ (LB 34: 2) waren, „Farbe ins Programm gebracht“ haben (LB 34: 2) und die bunten Farben im Scheinwerferlicht ein gut aufeinander abgestimmtes Gesamtbild ergaben. Die Projektleiterin Riedel berichtet, dass gerade die Roma-Kinder und -Jugendlichen ihre Kostüme gut fanden (AR 172: 6 f.), was auch die Praktikantin Lisa Baur bestätigt (LB 34: 2). Ein Grund für die positive Reaktion vieler Kinder und Jugendlicher ist in den professionellen Rahmenbedingungen zu sehen. Sie bekamen Kostüme, gingen in die Maske, d. h. sie wurden von angehenden Maskenbildnerinnen geschminkt und frisiert.133 Zusammen mit dem Aufführungsort, einem echten und professionellen Theater – nicht einer Schulaula – nahmen sie dies als Wertschätzung wahr: Sie durften hier auftreten und mit ihnen wurde genauso ernsthaft und professionell umgegangen wie mit erwachsenen und echten Schauspielern. Die Kostüme stellten folglich ein Symbol für das professionelle Setting dar: „Kostüme ist wie Theater“, resümiert ein Junge von Amaro Kher (H./H. 187) und ein Mädchen aus Zollstock stellt rückblickend fest: „Ich hätte auch erst nie gedacht, dass es so riesig groß ist, dass wir zweimal ins Fernsehen kommen und dass wir auch so profimäßig geschminkt und frisiert werden.“ (B. 145) Zwei jugendlichen Mädchen einer anderen Schule gefielen die Kostüme ebenfalls, „aber dass die Oberteile so angemalt und breit waren, das fand ich […] nicht so gut“ (B./Y. 185); möglicherweise waren ihnen die Kostüme zu kindlich und zu wenig geschlechtsspezifisch. Inwieweit die speziellen Kostüme der Roma traditionell oder authentisch waren, auch darüber gingen die Eindrücke und Meinungen sehr auseinander: Einige assoziierten sie mit traditionell, andere meinten, dass gar keine „typischen Roma-Kleider“ intendiert waren (JW 33: 2) und dass sie solche Kleider bei Roma noch nie gesehen hätten, nur in der Türkei (D./D. 188) bzw. dass die Westen nicht typisch für Roma seien (H./H. 187). Auf die Frage, ob sie bei einer weiteren Aufführung die Kostüme verändern würden, sagten zwei Roma-Jungen, dass die Kostüme der anderen Schulen nicht gut gewesen seien, sondern alle die gleichen Kostüme haben sollten und zwar die Kostüme von Amaro Kher (mit geringfügigen Änderungen wie z. B. anderen Farben bei den Westen) oder aber Smokings (H./H. 187). Anderen Kindern gefielen die Kostüme nicht so gut, sie beklagten z. B. die Hosen unter den Kleidern oder dass sie barfuß auftraten (D./D. 188). Der Projektleiterin Riedel wurde zugetragen, 133 | In der Dokumentationsbroschüre wird dem Team der angehenden Maskenbildnerinnen namentlich gedankt (Dokumentation MuKuTaThe 2010: 57).

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dass im Publikum anwesende Roma die Kostüme von Amaro Kher für nicht so gut befanden: „Die sahen irgendwie aus wie Bauern oder mit ihren Hüten und Westen irgendwie... wie so ’ne ungarische Folklore“ (AR 172: 6 f.). Die Kostüme, die den Roma als „ethnisch passend“ zugewiesen wurden, sind nur noch Kostüm und stellen damit zugleich einen Identifikationsbruch dar. Eine weitere Kritik bezog sich auf den Entwicklungsprozess der Kostüme, denn es waren zwar drei Personen an der künstlerischen Entscheidung beteiligt, die betreffenden Schüler waren jedoch nur für die Wahl der Farben eingebunden (BO 32). Eine Dozentin resümiert den Arbeitsprozess: „Ich fand die Kostümentwicklung von außen eh nicht optimal, das hätte auch in Zusammenarbeit mit den Kindern stattfinden können  – als Teil des Projekts.“ (SC 37: 2) Auffallend bei der Bewertung der Kostüme ist, dass die Barfüßigkeit der auftretenden Kinder und Jugendlichen immer wieder angesprochen wurde. Alle auftretenden Kinder und Jugendlichen agierten barfuß auf der Bühne. Eine Ausnahme bildete nur der Rapper, der sich bereits mit seiner Alltagskleidung gegen die von den Dozenten vorgeschlagene Kostümierung wehrte.134 Die auftretenden erwachsenen Musiker trugen alle Schuhe. Während eine Praktikantin berichtete, dass die Kinder und Jugendlichen der Schule in Porz durch die pädagogische und künstlerische Arbeit und Haltung des Choreografen sehr schnell einsahen, dass man in Sportkleidung und barfuß am besten tanzen kann (JW 33: 1), fanden einige Kinder und Jugendliche bei Amaro Kher den Auftritt ohne Socken und Schuhe eher befremdlich und ganz und gar nicht „typisch“ (D./D. 188). Es verstärkte bei ihnen die Assoziationen, dass die Kostüme an Bauern erinnerten. Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang, inwieweit sich die Dozenten Gedanken darüber gemacht haben, was für ein Bild die Barfüßigkeit transportiert. Wurde sie aus tanzpädagogischen Überlegungen heraus verlangt? Wirkt der Aufritt professioneller, weil im modernen Tanz häufig barfuß getanzt wird? Sollte sie kindlich wirken und damit einhergehend als ein Symbol der Unschuld dienen? Oder sollte sie womöglich auf Armut hinweisen? Das Tanzen ohne Schuhe wurde von den beiden Choreografen eingeführt und praktiziert: Während in den Proben auf Socken (Jolles) oder sowohl auf Socken als auch in Schuhen (Echevarria) geprobt wurde, waren während der Aufführung auf der Bühne alle barfuß. Der einzige Teil, in dem nicht getanzt wurde, 134 | Die beiden ihn begleitenden Mädchen hatten in der Szene des „Hut-Tanzes“ zwar ebenfalls Schuhe an wie auch ein Junge aus der Schule aus Porz beim „Stuhl-Tanz I“. Da diese allerdings in der Abschlussszene alle barfuß zu sehen sind, gehe ich davon aus, dass es eigenwillige oder auch besprochene Ausnahmen gab; in jedem Fall halten sich die Jugendlichen an die Regeln im Gegensatz zu dem Rapper, der auch bei der Abschlussszene sowie beim Verbeugen in Schuhen zu sehen ist.

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

sondern in dem die Kinder und Jugendlichen vor dem Mikrofon sangen, war die zweite Teilszene des „Roma-Teils“. Da dieser Teil aber auch mit einem Tanz endete und direkt in die zweite Szene, der Choreografie „Mozart in Ägypten“ überging, war es womöglich eine pragmatisch-organisatorische Entscheidung des künstlerischen Leiters Echevarria, die Kinder und Jugendlichen das gesamte Stück über barfuß auftreten zu lassen. Konzeptionelle Überlegungen zu den Assoziationen, die die Barfüßigkeit auslösen kann, scheint es keine gegeben zu haben. Die Kostüme waren ein bedeutender Baustein zur visuellen Charakterisierung der Roma. Sie trugen wesentlich dazu bei, dass die Roma in erster Linie als eine ethnische und noch dazu sehr geschlossene und homogene Gruppe und in Abgrenzung zu anderen Gruppen wahrgenommen wurden. Durch diese einseitige Hervorhebung wurden sie deutlich als Andere präsentiert. Eine Frau aus dem Publikum, direkt nach der Aufführung befragt, beschrieb ihren Eindruck der ersten Szene: „Die Kostüme der Kinder unterstützten diesen folkloristischen Eindruck sehr stark. Ich fand das eher unpassend, weil es meiner Meinung nach das Trennende, das Fremde eher unterstrich.“ (NN 40: 1) Auch die Projektleiterin der Philharmonie, Tober, reflektiert die Kostüme der Roma und kommt dabei auf Klischees zu sprechen: Ja, also, auch die Kostüme haben so einen [klischeehaften] Gestus gehabt natürlich […] mit den Hüten, mit den Jacken und bunt und so. Und ich hätte mir […] auch vorstellen können, dass so ein Schritt passiert, ok, das ist Kostüm und jetzt komm ich als Kind hier, jetzt komm ich mit meinen T-Shirts von H&M, ja so, dass so ein Transfer passiert. So. Das hätt ich mir gewünscht. (AT 168: 5)

Die Projektleiterin der Philharmonie greift den Unterschied zwischen Alltagskleidung und Kostümen auf. Sie regt an, direkt bei den Kindern und Jugendlichen selbst und ihrer Lebenswelt, in diesem Fall ihrer Alltagskleidung, anzusetzen. So könne ein „Transfer“ von der Alltagskleidung zu den Kostümen stattfinden, der seinen Ursprung jedoch bei den Kleidern der Kinder und Jugendlichen hat. Auf die Frage nach Klischees bezogen, wird hier deutlich, dass es sinnvoll ist, sich nicht (nur) von (vermeintlichen) traditionellen Vorstellungen, Bildern und Assoziationen leiten zu lassen, die im Zweifel zwar als „passend“, aber eben auch als nicht zutreffend, sondern als Klischees eingestuft werden.

Mehr als eine Requisite: Koffer Ein für die Aufführung sehr wichtiges Requisit sind die in verschiedenen Szenen eingesetzten Koffer. Dabei lassen sich drei Varianten unterscheiden: In der Eingangsszene wird ein älteres Modell in gedeckter Farbe gezeigt „die Roma müssen so was Altes, Kitschiges haben“ (BB 167: 5), im „Koffer-Tanz“ sind mo-

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derne Rollkoffer in knalligen Farben Teil der Choreografie und schließlich bildet die Protagonistin mit ihrem roten (Roll-)Koffer den dramaturgischen roten Faden.135 Die Koffer treten in Erscheinung als Symbol für Reisen, aber auch für Abschiede, Weggehen-Müssen und möglicherweise auch für eine Flucht, auf die nur wenige Dinge mitgenommen werden können. Eine weitere symbolische Verwendung zielt in die gleiche Richtung, ist aber stärker und geht darüber hinaus: Der Koffer als Symbol steht für das (stereotype) Bild des (vermeintlichen) Nomadentums der Roma. Wie wurde der Koffer zu einem so bedeutenden Bestandteil des Stückes? Die Projektleiterin Riedel: Also mit dem Koffer …, die Idee fand ich schon mal gut, weil „Heimat – heimatlos“, unter dem Motto [stand die] MusikTriennale 2010. [Ich] denke, da war der Koffer ganz gut angesiedelt, weil die Kinder hatten vorher mit Salvador und Sandy irgendwie so ein Spiel geprobt, ich verreise und packe in den Koffer ein, was mir wichtig ist, was nehme ich mit, wenn ich weggehe. Und [der Koffer] war so das Sinnbild dafür, wenn ich weggehe, ne. […] man ist auf Reisen und man orientiert sich neu. (AR 172: 5)

Der Koffer kristallisierte sich während des Spiels als Symbol heraus und stand sinnbildlich für das Motto der MusikTriennale Heimat – heimatlos. Damit entwickelte sich der Koffer zu einem dramaturgisch wie auch choreografisch zentralen Objekt und wurde zur leicht wiedererkennbaren Hauptrequisite der Protagonistin. Den choreografisch größten Auftritt hat der Koffer in der 4. Szene: Die Protagonistin und sechs weitere Mädchen in den Kostümen der Schule Zollstock präsentieren eine Choreografie, die sich ausschließlich um die Koffer dreht (4.a). Darin sind die Gepäckstücke nicht nur Requisiten, sondern der Mittelpunkt der Choreografie, sie werden gerollt, getragen und durch die Luft geschwungen. Mal ziehen die Mädchen die Koffer lässig hinter sich her, mal schieben sie sie vor sich her. Im zweiten Teil der Szene 4.b) ist die Protagonistin alleine auf der Bühne, sie holt einen Bilderrahmen aus ihrem Koffer, drückt ihn ans Herz und fällt, begleitet von der ersten Strophe von „Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein“ (Komposition Friedrich Anton Fleischmann) vom Tonträger schließlich in Schlaf. Der Koffer dient aber nicht nur als roter Faden, sondern auch als dramaturgisches Mittel, um Requisiten zu transportieren. So werden z. B. Kostümelemente und andere Dinge, die in der jeweiligen Szene gebraucht werden – wie der Bilderrahmen oder die Hüte für den „Hut-Tanz“ (5. Szene) – aus ihm hervorgeholt.

135 | Der rote Koffer findet in sechs Teilszenen Verwendung auf der Bühne: Abschied der Protagonistin vor dem Lied „Ederlezi“ (1.b), „Geister-Tanz“ (2.b), Video-Clips (3.), „Koffer-Tanz“ (4.a), Video-Clip (4.b) und „Hut-Tanz“ (5.).

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Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Kostüme und der Koffer zentrale Elemente zur Darstellung der Roma-Kinder und -Jugendlichen als Andere sind: Die bewusst ethnische und (vermeintlich) traditionelle Kleidung stellt einen deutlichen Kontrast her zwischen dem Roma-Schulprojekt einerseits und den drei Förderschulen andererseits, der vorher durch die Alltagskleidung nicht wahrnehmbar und sichtbar war. Diese asymmetrische Unterscheidung macht die Roma zu einer nach außen hin homogenen Gruppe, die jedoch von den anderen deutlich abgegrenzt ist. Die ethnischen sowie nationalen Zugehörigkeiten der anderen Schüler bleiben hingegen unsichtbar. Obgleich die Kostüme insgesamt zu einem bunten Bild beitragen und nicht durchgängig von den Schülerinnen und vom Publikum abgelehnt, sondern durchaus als positiv empfunden wurden, bleibt das Bild doch einseitig, da die Roma-Schüler ausschließlich als ethnisch-traditionell inszeniert werden, nicht aber auch als Vertreter einer bestimmten Jugendkultur o. ä. Durch die einseitige und ausschließende Darstellung der Roma-Kinder und -Jugendlichen wurde der Beitrag der Kostüme und Requisiten für das Ziel der kulturellen Teilhabe verfehlt.

5. W er arbeite t wie ? D ie A rbeitsweisen der künstlerischen D ozentinnen Szene 2.a: „Mozart in Äg ypten“ Musik setzt ein, dieses Mal vom Band. Es ertönt ein für europäische Hörgewohnheiten nicht einfach einzuordnendes Blasinstrument, der arabische Arghul. Das Instrument spielt eine Melodie sowie einen tiefen Halteton, einen Bordun. Die Roma-Kinder und -Jugendlichen schauen sich wie suchend um, reden miteinander, einige wissen scheinbar nicht, wie es weitergeht, andere fangen an, sich umzuziehen: Die Musikerin und die Lehrerin, die noch von der vorangegangenen „Roma-Szene“ auf der Bühne sind, nehmen den Mädchen die farbigen Oberkleider ab. Die Jungen wenden ihre Westen, sodass diese nun nicht mehr schwarz sind, sondern der zum Vorschein kommende Satinstoff in jeweils einer anderen Farbe für jeden Jungen vor den weißen Hemden geradezu leuchtet. Die beiden Frauen verschwinden hinter dem Vorhang. Beim Einsetzen von Trommeln und Schellenkranz laufen ungefähr drei Dutzend weitere Kinder in verschiedenen Reihen aneinander vorbei auf die Bühne. Sie haben ebenfalls weiße Hemden und Hosen an, darauf verschiedenfarbige geometrische Formen auf Vorder- und Rückseite. Alle nehmen ihre Position ein, ein Tanzstück beginnt. Eine eingängige Melodie erklingt, die man zu kennen meint. Die Kinder sind noch ein wenig unkonzentriert, schauen zu den anderen, ob sie richtig stehen, kichern. Dann spielt ein Sinfonieorchester vom Band den Beginn der Ouverture aus Mozarts „Entführung aus dem Serail“, weiterhin unterlegt mit arabischer Perkussion. Es ist diese Hauptmelodie, die der Arghul zuvor bereits

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eingeleitet hatte. Die Kinder machen dazu verschiedene Armbewegungen, beugen in kleinen Gruppen die Knie, richten sich wieder auf, sodass aus der Perspektive des Publikums Wellenbewegungen wie Wave-Moves entstehen. Bei den Läufen der Streicher rollen alle ihre Hände vor dem Körper von links nach rechts, übersetzen das schnelle Tempo in Bewegung. Die Choreografie belässt die Schulen jeweils für sich, ihre räumlichen Bewegungssequenzen werden aber miteinander verschränkt. So läuft eine Gruppe um die andere herum, während diese Lauf bewegungen auf der Stelle macht. Die folgenden, sehr melodiösen Takte werden choreografisch wieder mit Bewegungen des Kopfes, der Schultern sowie der Arme am Platz ausgeführt. Die erneuten schnellen Streicherläufe werden auch von den Bewegungen her wiederholt. Viele Kinder schauen sich allerdings hilfesuchend um und wissen nicht, welche Bewegungssequenzen folgen. Die Schlusstakte der Ouvertüre sind klar erkennbar. Deren Pausen nutzt die arabisch klingende Perkussion mit Rasseln, und die Kinder unterstreichen sie mit schüttelndem Oberkörper – so als ob das Rasseln in sichtbare Bewegung übersetzt wird. Alle Kinder stehen zum Publikum gewandt. Die linke Hand führen sie in rhythmischer, fast zackig-militärischer Haltung von der Hüfte über die Seite bis zum Kopf, wo die Hand in einer Geste schräg zum Kopf endet. Begeisterter Applaus. Alle Kinder gehen von der Bühne.

Szene 6.: „Stuhl-Tanz I“ Im Dunkeln klappert es auf einmal, man erkennt schemenhaft, wie zwei Figuren auf die Bühne kommen. Licht an, aber keine Musik. Zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, sind mit je einem Stuhl in die Mitte der Bühne gekommen, haben darauf Platz genommen und blicken erwartungsvoll und aufgeregt ins Publikum. Das Mädchen schlenkert mit dem Fuß. Zwei weitere Kinder kommen, wieder je mit einem Stuhl, wieder ein Junge und ein Mädchen. Wieder kommen zwei, diesmal setzt sich der Junge nicht an den Rand, sondern reiht sich zwischen zwei bereits Sitzende ein. Alle haben wie die anderen Kinder und Jugendlichen weiße Hosen und kurzärmelige Hemden an, die Oberteile sind aber bunt gesprenkelt. An den Unterarmen tragen sie elastische farbige Bänder. Die Arme halten sie gestreckt und stützen sich auf den Oberschenkeln ab. Die Kinder sitzen in einer langen Reihe am hinteren Bühnenrand. Im Hintergrund läuft eine Videoanimation: Aus Holzklötzen werden Häuser gebaut, zerstört, wieder neue Varianten aufgebaut. Die Klötze sind dem Spiel „Jenga“ entnommen, bei dem man, ohne den Turm zum Einsturz zu bringen, einen Klotz hervorziehen muss. Ein weiteres Mädchen kommt auf die Bühne, schaut sich suchend um, findet in der Reihe aber keinen Platz mehr. Sie nimmt ihren Stuhl und stellt ihn geräuschvoll vor den anderen ab. Sie guckt sehr bestimmt in den Zuschauerraum und lächelt. Die beiden Kinder, die als erste die Bühne betreten haben, ziehen ihre Stühle nun ebenfalls vor die anderen. Weitere folgen ihnen, sie rutschen immer eine Reihe weiter nach vorne, bis die Kinder im ganzen Bühnenraum bis nahe am Bühnenrand verteilt sind. Die meisten von ihnen sind sehr konzentriert und schaffen es, in aufrechter Haltung ihre Position auf den Stühlen

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

zu halten. Einige wenige flüstern, spielen mit den Händen, lächeln ihren Freunden zu. Plötzlich beginnt ein Trommelwirbel, alle nehmen ihre Stühle und bilden damit einen großen Halbkreis. Alle Kinder und Jugendlichen klatschen nun zum einsetzenden Trommelrhythmus von Ramesh, dem Musikdozenten der Schule in Porz. Ein Junge löst sich aus dem Stuhlhalbkreis, geht in die Mitte der Bühne und zeigt ein paar Breakdance-Figuren. Dann läuft er zu einem sitzenden Mädchen, zieht es mit der Hand hoch. Dieses rennt zu einem anderen Mädchen, das es wiederum hochzieht. So geht es ein paar Mal zwischen den Kindern und Jugendlichen hin und her, bis ein etwas größerer und älter wirkender Junge ebenfalls Breakdance-Figuren vorführt: Sofort geht er in einen einarmigen Handstand, verharrt kurz mit den Beinen in der Luft. Begeisterte Rufe aus dem Publikum. Dann tänzelt er auf der Stelle, dreht sich um sich selbst und landet nach dem nächsten Handstand wieder hockend auf den Beinen. Nach ein paar weiteren Moves auf dem Boden und noch ein paar Handständen, holt er den nächsten Jungen in die Mitte. Einige Kinder und Jugendliche folgen, ohne dabei spezielle Bewegungen aufzuführen. Wieder ein Junge mit Breakdance-Figuren, inzwischen ist der Rhythmus fast doppelt so schnell geworden. Der Rhythmus scheint das Signal gewesen zu sein, dass nun nacheinander jedes Kind bzw. jeder Jugendliche in der Mitte eine eigene Bewegungssequenz vorzeigt: Ein Mädchen geht in die Hocke, dreht sich anschließend um sich selbst, ein anderes springt abwechselnd links, dann rechts in die Höhe, klatscht dazu in der Luft in die Hände. Vom Drehen im Kreis über Bewegungen der Arme um den Körper bis hin zum Radschlagen, zeigen die Kinder ganz verschiedene Sequenzen. Erneut der Junge, der die Breakdance-Figuren sehr gut beherrscht. Immer wieder muss er die locker geschnürte Hose nach oben ziehen, um die Bewegungen ausführen zu können. Aber auch einige andere können einige Positionen und Figuren gut, z. B. indem sie sich auf dem Ellenbogen abstützen und das Gewicht des ganzen Körpers nah am Boden halten, die Beine in die Luft strecken und sich um die eigene Achse drehen. Verschiedene Figuren und viele eingefrorene Bewegungen, Freezes. Das Publikum klatscht mit und feuert die Vorführenden an. Ein etwas schüchtern wirkendes Mädchen mit Brille hält die Arme nach links und rechts angewinkelt am Körper wie in einer Geste der Anbetung, dreht sich schnell um sich selbst, lächelt. Es dauert lange, bis alle 13 Kinder ihre Bewegungen vorgetanzt haben, einige von ihnen sind mehrmals in der Mitte. Großer Applaus. Diese zwei Szenen stehen für die unterschiedlichen Arbeitsweisen der künstlerischen Dozenten. Das Kapitel untersucht, welche künstlerischen, aber auch welche pädagogischen Arbeitshaltungen der Dozenten in Heimat re-invented zu finden sind. Gemeint sind damit die teils sehr unterschiedlichen Stile, Methoden und Techniken, die die fünf Dozentinnen bei ihrer Arbeit verwendeten. Zum einen war eine für die Schüler rezeptiv-reproduzierende Variante zu beobachten, bei der die Lehrenden sehr viele Vorgaben machten und z. B. Lieder oder Choreografien mitbrachten, die die Schülerinnen bühnenreif ein-

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studieren sollten. Zum anderen fand eine aktiv-produzierende Variante Verwendung, bei der die Dozentinnen mithilfe künstlerischer Techniken Angebote machten, um mit den Kindern und Jugendlichen gemeinsam einen Prozess in Gang zu setzen, an dessen Ende ein künstlerisches Produkt stehen sollte. Diese unterschiedlichen Methoden und Techniken lassen Rückschlüsse zu auf die zugrunde liegenden Haltungen im Sinne von künstlerischen, aber auch pädagogischen Überzeugungen, Prinzipien und Konzepten, auf die sich die Dozenten bei ihrer Arbeit – implizit wie explizit – stützen. Die Untersuchung der Arbeitsweisen legt dar, wie künstlerische und pädagogische Methoden und Techniken selbst zu Elementen werden, die für die Frage nach kultureller Teilhabe von Bedeutung sind, weil sie darauf Einfluss haben.

5.1 Rezeptiv-reproduzierende Arbeitsweise Die Szene 2.a, die im Projekt – abgeleitet von der verwendeten Musik – auch „Mozart in Ägypten“ genannt wurde, dient als erstes Beispiel für die rezeptiv-reproduzierende Variante. Der Tanzdozent Echevarria hatte die Choreografie weitestgehend vorgegeben. Er hatte einfache Bewegungen ausgewählt, um den teilnehmenden Kindern und Jugendlichen ein starkes Erfolgserlebnis auf der Bühne zu ermöglichen und sie nicht zu überfordern: Man muss [be]denken, wie Kinder sich bewegen können – Kinder ohne Tanzerfahrungen! Dann musst du ein bisschen wie Kinder denken, also wie ich ohne viel Erfahrung Bewegungen machen kann […] einfache Choreografien, Koordination, solche Sachen. So einfach wie möglich, [aber] auch ein bisschen schwierig, dass sie […] den Kopf [be] nutzen. (SE 104: 1)

Die Oper „Entführung aus dem Serail“ von Wolfgang Amadeus Mozart hatte der Tanzdozent ausgewählt, um den Schülern etwas Neues anzubieten. Dabei war er zum einen davon ausgegangen, dass die Kinder und Jugendlichen mit dieser Art der Musik bislang nicht vertraut waren und keine Berührungspunkte in ihrem Alltag dazu hatten (SE 103: 1). Zum anderen sollten die Kinder und Jugendlichen sie kennenlernen, weil der Dozent die Musik als wichtig und bedeutend ansieht. Ich habe gedacht, dass die Kinder klassischer Musik noch nicht [so häufig] begegnet sind. Ich glaube für die Kinder, das ist wichtig, dass sie auch ein bisschen klassische Musik kennen [lernen]. (SE 103: 1)

Der Choreograf wählte diese Musik auch aus, weil sie aus tanzpädagogischer Sicht sinnvoll sei: Der Kombination aus Mozart und arabischer Perkussion

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könnten die Tanzenden sehr gut folgen, weil der Rhythmus markant, eindeutig und eingängig sei, so Echevarria (SE 104: 3). Mit einer ähnlichen Haltung und Vorgehensweise ging auch die Musikdozentin Burakowska an das Projekt heran:136 Auch sie gab das Repertoire vor, das die Schülerinnen erlernten und vorführten. Sie griff dabei bewusst auf solche Lieder zurück, die den Kindern und Jugendlichen vertraut waren.137 Auch sie erarbeitete mit ihnen Lieder, die bereits fertig vorlagen; sie entwickelten kein eigenes musikalisches Material. In den Proben lernten die Schülerinnen, die den Text noch nicht kannten, den Text auswendig und alle probten vor allem die Durchläufe mit den sich abwechselnden Soli und Choreinlagen. Die Auswahl der Solisten nahm die Dozentin vor. Sie berücksichtigte dabei, wer von den Schülerinnen Interesse zeigte. Einige wollten unbedingt ein Solo singen und drängten darauf, gewählt zu werden, andere schlug die Dozentin vor, gerade weil sie – z. B. aus Schüchternheit – nicht auf sich aufmerksam gemacht hatten. In den Proben hatte sich die Dozentin immer wieder neben verschiedene Schülerinnen gesetzt, um wie nebenbei herauszuhören, wer ihrer Meinung nach stimmlich und aus künstlerischer Sicht in der Lage war, ein Solo zu singen. Sie konnte zudem auf Hintergrundwissen zu den Kindern und Jugendlichen zurückgreifen, denn sie kannte einige Familien durch ihre Zugehörigkeit zur Roma-Community in Köln und wusste, in welchen Familien musiziert wurde. Außerdem hatte sie schon länger bei Amaro Kher als Mediatorin und Sozialpädagogin gearbeitet und mit den Kindern Musik gemacht. Dadurch kannte sie einige Schüler sowie die Lehrerinnen. Sie schlug zum Beispiel den Jungen S. vor, der das Lied „Čhajorije Šukarije“ nicht nur sicher beherrschte, sondern darüber hinaus das Lied in einer eigenen Interpretation vortrug. Er hatte im familiären Kreis musikalische Erfahrungen, u. a. mit Vorsingen gemacht. Ein anderes Mädchen, D., die im Klassenverband sehr schüchtern und zurückhaltend ist, wurde ebenfalls von der Musikdozentin vorgeschlagen. Während der ersten Probe, die vor dem Mikrofon stattfand, machte sie sich ganz klein, als wolle sie zurücktreten und unsichtbar werden. Sie negierte ihre Kompetenzen und wollte nicht vor den anderen singen. Doch die Dozentin blieb bei ihrer Auswahl und ermutigte sie, selbstbewusst das Lied vorzusingen, das sie so gut konnte. Die das Projekt begleitende Lehrerin Haag resümiert während der Probenzeit: Wenn der kleine S., der ist seit einem halben Jahr bei uns, und fängt jetzt erst an wirklich regelmäßig zur Schule zu kommen, und der steht jetzt plötzlich mit seiner enormen Stimme im Mittelpunkt, das verschafft ihm ne ganz andere Stellung in der Klasse. Genauso D., die leistungsmäßig sehr schwach ist, und am Anfang mussten die Kinder alle 136 | Vgl. die Übersicht der Szenen, Szene 1.a-c. 137 | Vgl. das Kapitel zur Auswahl des musikalischen Repertoires (Teil IV/A./3.).

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Kulturelle Teilhabe durch Musik? sehr viel gucken, wer ist denn das, die ist schon so groß, aber die kann so wenig, und dann präsentiert sie sich vor dem Mikro, hat keine Scheu sich da hin zu stellen und ich sehe direkt, wie sie in der Achtung der anderen Kinder wächst. (SH 110: 1 f.)

Mit der Auswahl der Lieder wollte die Dozentin bewusst eine als ethnisch erkennbare Kultur vorstellen. Mit diesem stolzen Zeigen wollte sie diese Kultur sichtbar machen, ihr einen Platz geben und diese damit als wichtig und bedeutsam kenntlich machen. Durch die Verwendung bereits bekannten Materials vollzog sich ein Empowerment: Die Kinder und Jugendlichen präsentierten stolz und wie selbstverständlich die Lieder und ihre Roma-Kultur. Der Dozent und die Dozentin, die eine reproduktiv-reproduzierende Herangehensweise wählten, griffen aus verschiedenen Gründen auf vorhandenes Material zurück. Sie wollten: • Kinder und Jugendliche ohne künstlerische Vorerfahrungen einbinden (z. B. einfache Choreografie) • sie mit einem Bildungs- und Kulturkanon vertraut machen (Oper Mozarts) • an Kenntnisse der Kinder und Jugendlichen anknüpfen (Roma-Lieder) • ein stolzes Zeigen der Roma-Kultur auf der Bühne erreichen Ein weiteres Merkmal dieser Arbeitsweise bei Heimat re-invented war die Verwendung von Musik, die nicht im Projekt entstand, sondern von außen hereingeholt wurde: Beide Dozenten banden einerseits Profimusiker mit in die von ihnen verantworteten Szenen ein und verwendeten andererseits Musik vom Tonband. Der Tanzdozent griff bei allen von ihm gestalteten Szenen auf Musik vom Band zurück. Er ließ sich dabei von spontanen Einfällen und Zufällen inspirieren. Die Musik, die für die Schlussszene eingesetzt wurde, brachte Ramesh Shotham, der Musikdozent einer anderen Schule, mit: Ich hatte schon eine Idee, ein bisschen Rap, HipHop-mäßige Musik zu nehmen. Und dann an diesem Tag hatte er [Ramesh Shotham] diese Musik mitgebracht und hat gesagt, guck mal, ich möchte gern, dass du diese Musik hörst. Das kam wie vom Himmel gefallen, das ist perfekt! Ich hatte schon einen Teil vom Tanz und das passte hervorragend dazu. (SE 104: 4)

Letztlich wurde dieses Stück instrumental vom Band gespielt und der eingeladene Sänger der Band Timid Tiger sang den Song mit den Kindern und Jugendlichen gemeinsam auf der Bühne. Die Musikdozentin Burakowska verwendete nur für den Tanz im „Roma-Teil“ Musik vom Band. Den Tanz hatte sie ursprünglich nur als Übung in die Proben mitgebracht. Als sie feststellte, dass er den Kindern und Jugendli-

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

chen viel Spaß bereitete, übernahm sie ihn zur Aufführung in die Bühnenpräsentation (BB 167: 4). Für die Begleitung der einstudierten Lieder war sie selbst als Gitarristin und Leadsängerin mit zwei weiteren Profimusikern auf der Bühne. Einer der beiden Musiker war ein weiterer Musikdozent, der Percussionist Shotham, der andere Musiker ein eigens dafür engagierter Kontrabassist. Die Lehrerin der Schüler unterstützte sie in stimmlicher und disziplinarischer Hinsicht ebenfalls auf der Bühne. Die Profimusiker und die Musik vom Band waren bei dieser künstlerischen Arbeitsweise ein unverzichtbarer Teil der jeweiligen Szene. Ohne sie wäre die Choreografie bzw. die Darbietung der Lieder nicht realisierbar gewesen. Durch die Präsenz der Erwachsenen entstand eine Differenz auf der Bühne zwischen den Kindern und Jugendlichen einerseits und den Erwachsenen andererseits, eine Grenzziehung zwischen Laien und Professionellen. Hatten die Profis die Funktion künstlerischer Zugpferde und pädagogischer Drillmeister, wie eine Zuschauerin es empfand? [D]iese Darbietung [gemeint ist der „Roma-Teil“ mit Liedern und Tanz] [wirkte] streckenweise sehr aufgesetzt, die beiden erwachsenen Frauen auf der Bühne waren mir zu präsent, quasi wie Zugpferde, die die Kinder „antrieben“ sich im Kreis mit Tanz und Gesang zu präsentieren. (EZ 40: 1)

Meiner Beobachtung nach wurden die Kinder durch die Anwesenheit der Künstlerinnen auf der Bühne eher angespornt als angetrieben. Insbesondere zusammen mit einem jungen, aber professionellen Sänger auf der Bühne zu stehen,138 fanden die Kinder und Jugendlichen „toll“. Dank der Musik aus der „Konserve“, wie sie kritisierend bezeichnet wurde (SC 037: 1, EZ 040: 1), konnte ein Ergebnis erreicht werden, das sie in der kurzen Probenzeit nicht selbst hätten entwickeln können. Dennoch, durch die anwesenden Erwachsenen wurde eine klare Differenzlinie gezogen. In ihrem Resümee kommt die Lehrerin der Schüler zu einem positiven Ergebnis: Ich hab später gehört, dass der andere Tanzdozent ganz anders gearbeitet hat, mit viel mehr Ausprobieren und selber Entwickeln. Dadurch wird sicher die Kreativität der Kinder stärker angesprochen – Roma-Kinder haben hier oft ein sehr eingeschränktes Repertoire. Leichter war es sicher für die Kinder so, wie Salvador es gemacht hat: Vormachen und Nachmachen. Dadurch haben die SchülerInnen im Lauf der Zeit eine Sicherheit entwickelt, weil sie genau wussten, was von ihnen erwartet wurde. (SH 038: 1)

138 | Auf den Song „Ina Meena Dika“ wird in der Übersichtstabelle der Szenen eingegangen.

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Dass die Lehrerin ihren Roma-Schülern ein eingeschränktes Kreativitätsrepertoire attestiert, mag zunächst zuschreibend und paternalistisch wirken. Im Gesprächskontext wurde jedoch klar, dass sie der Ansicht war, das Potential der Schüler werde häufig genug nicht gefördert und entwickelt. Dem Dozenten hingegen gelang mit seiner Arbeitsweise genau diese Förderung.

5.2 Aktiv-produzierende Arbeitsweise Die Arbeitsweise, die im Projekt eine andere Variante künstlerisch-pädagogischer Möglichkeiten aufzeigte, war eine Vorgehensweise, die sehr wenig vorgab und auf eine gemeinsame Entwicklung setzte. Die Ergebnisse dieser Methode waren in den Szenen zu sehen, die zum einen die Kunstdozentin Sandy Craus, zum anderen der Tanzdozent André Jolles gemeinsam mit dem Musikdozenten Ramesh Shotham verantworteten.139 Die Kunstdozentin beschreibt ihre Arbeitsweise folgendermaßen: [I]ch arbeite im Prinzip so, dass ich mit den Kindern erst mal Gespräche führe und so eine Art Forschung betreibe, was eigentlich für sie Heimat bedeutet. Dabei muss man schon sagen, dass der Heimatbegriff an sich eher was Abstraktes ist, was die Kinder jetzt nicht so gut transportiert kriegen, aber, wenn man sie fragt, wo sie sich wohl fühlen, was sie gerne machen, wann sie glücklich sind, dann wissen sie schon, was ihnen dazu einfällt. Also, sie wissen dann einfach, was ihnen gut tut. Und darauf gehe ich dann ein und versuche dann auch das ganz auszurollen. (SC 101: 1)

Diese Suche, die die Kunstdozentin zwar anleitet, in die sie aber gleichzeitig selbst involviert ist, wird in einigen Ergebnissen sichtbar, so z. B. in den Videoanimationen, die während der letzten Szene (Nr. 8) auf der Leinwand im hinteren Teil der Bühne gezeigt werden:140 Im Hintergrund sind auf der Leinwand animierte Hände zu sehen, die sich öffnen und schließen. Auf den Innenseiten sind Wörter geschrieben wie Heimat, Liebe, Glück, Familie und Freunde. Es wird aber auch ganz Konkretes benannt, so z. B. Mama, Papa, einzelne Namen, die Stadt Köln, der lokale Fußballverein (1. FC Köln), verschiedene Länder (Montenegro, Marokko, Türkei, Indien) und ethnische Gruppen (Roma), der Titel des aktuell aufgeführten Songs und das Tanzen. […] Die Hände formen mit den Fingern immer wieder neue Haltungen, zählen, legen sich um- und übereinander, verschränken sich ineinander, formen einen Stern. Jetzt be139 | Vgl. die Übersicht der Szenen: Szene 6. und 7. in der Verantwortung von Jolles und Shotham, Videomaterial in den Szenen 1.a, 3., 4.b sowie 8 in der Verantwortung von Craus. 140 | Vgl. die Tabelle zur Übersicht der Szenen von Heimat re-invented, Teil IV/A.

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zieht sich die Animation auf den Song, der gerade auf der Bühne aufgeführt wird und der Refrain mit dem Nonsense-Text „Ina Meena Dika“ wird wie ein Untertitel gezeigt: Aus Streichhölzern sind die Worte geformt, untermalen in teilweise atemberaubendem Tempo den Song. Die Textteile, die die Kinder und Jugendlichen singen, blitzen wie mit Stroboskoplicht beleuchtet auf. Zur nächsten Strophe folgt ein Trickfilm, in dem selbstgebastelte Figuren aus Modelliermasse, die Monstern ähneln, auftreten. Sie spielen vor einer Europakarte in einem durch eine (Streichholzschachtel-)Mauer geschützten Bereich, an dessen einer Ecke „Rock it!“ steht. Doch dann werden sie von einem großen Hasen umgeworfen. […] Zum letzten Refrain werden gezeichnete Bilder eingeblendet: […] Eine Liebeserklärung an Deutschland, die Buchstaben bunt nachkoloriert, aber ohne „t“, also Deuschland. Das Ganze ist umrahmt von roten Herzen, Rosen und mehreren Flaggen, teils in Herzform. Dann ein ähnliches Bild in rot-weiß gehalten, dem türkischen Fußballverband gewidmet: Das Logo mit Halbmond und Stern befindet sich im Zentrum des Bilds, darunter das Wort „Türkei“ und darum herum die Wörter einiger Lebensmittel: Döner, Mais, Türkisch Pizza, Pommes, Dolma (mit Reis, Gemüse und Fleisch gefüllte Weinblätter). Die nächste Collage zeigt ein schneebedecktes Bergdorf mit Kirche im Abendlicht, auf dem ein Strichmännchen tanzt. Daneben steht, durch den abgeschnittenen Rand nicht ganz lesbar: „Das ist/isst Deuschland … meine freunde, Alfo Philipp Marcel Cahah … Das macht mich froh und meine Familie auch.“ Auf einem letzten Bild ist in orange-grün „India“ geschrieben, darunter sieht man Girlanden in den gleichen Farben. Die Animationen bedienen sich verschiedener Materialien wie der Hände der Kinder und Jugendlichen, Bildcollagen, Figuren, Streichhölzer etc. Ganz deutlich wird in den Animationen die Arbeit der Kunstdozentin, die den Kindern und Jugendlichen verschiedene Materialien und Formen für ihre Suche nach einer Bedeutung des Wortes Heimat zur Verfügung gestellt hat. Als Ergebnis tauchen häufig Personen wie Familie und Freunde, aber auch Orte (Köln), Institutionen (Fußballverein) und verschiedene Länder, (Essens-)Spezialitäten und Aktivitäten wie das Tanzen oder der parallel aufgeführte Song „Ina Meena Dika“ auf. Die Produkte der Kinder und Jugendlichen werden nicht nachkorrigiert, sondern bleiben so, wie sie entworfen wurden – auch mit Rechtschreibfehlern. Zusammengenommen zeigen sich mehrere Assoziationsfelder zu Heimat, die eine unterschiedliche Bedeutung und Relevanz für das einzelne Individuum besitzen. Bei ihrer Arbeit hatte die Kunstdozentin weniger ein konkretes Produkt als vielmehr den Prozess selbst vor Augen. Der inhaltliche Aufhänger war die Rahmung durch die MusikTriennale mit dem Begriffspaar Heimat – heimatlos:

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Kulturelle Teilhabe durch Musik? [F]ür mich ist das auch kein Arbeiten zu wissen, was am Ende bei rauskommt. Ich möchte ja mit den Kindern etwas erarbeiten. Wenn ich vorher schon weiß, was auf der Bühne sein soll, dann gebe ich ihnen zu viel vor. Und dann kann ich auch nicht auf das eingehen, was sie bringen. Und in den Projekten, die ich bisher gemacht habe, habe ich das immer so gehalten, dass ich Anregungen und Impulse gegeben habe, auch sehr gern mit den Kindern gesprochen und diskutiert habe, also das geht natürlich mal mehr mal weniger gut. Manchmal beschweren sich die Kinder auch, dass sie reden müssen [Lachen] und überhaupt, dass sie nachdenken müssen, weil alle denken immer: In der Kunst, das ist schöne Bildchen malen! [Lachen] Aber letzten Endes sind wir dann immer zu sehr spannenden Ergebnissen gekommen. (SC 101: 3)

Sie betont, dass ihre Methode aufgrund der Anpassung an Ideen, Vorstellungen sowie die Fähigkeiten der Schülerinnen sehr viel Vorbereitungs- und Nachbereitungszeit bedeute: [I]ch habe damit natürlich sehr viel Arbeit, weil ich eben so flexibel arbeite und eben auch die Impulse von den Kindern aufnehme und mir natürlich dann wieder überlegen muss, was könnte ich jetzt da für Material einsetzen, damit sie das weitertreiben können. Was könnte ich mitbringen, damit sie da nochmal eine Anregung bekommen. Also, ich habe […] natürlich eine ganze Menge [Arbeit] dadurch, dass ich nicht weiß, was am Ende auf die Bühne kommt. (SC 101: 3)

Für die Kunstdozentin ist die Frage der Methode und Technik eine Frage der Überzeugung, wie Lernprozesse am besten gelingen können: Nach wie vor [bin] ich der Überzeugung, dass die Kinder mehr lernen, wenn sie selbst mit an der Entstehung arbeiten und dann auf ihre Fähigkeiten im Prozess eingegangen wird. (SC 037: 2)

Der Tanzdozent André Jolles und der Musikdozent Ramesh Shotham gehen in ihrer Arbeitsweise noch einen Schritt weiter zurück und arbeiten zunächst an einer „konsequenten Struktur“, die überhaupt erst das Zusammenarbeiten ermögliche (AJ 31: 1). Diese Struktur unterstütze die Schüler, sich zu konzentrieren und „den Fokus“ zu behalten (RS 35: 1).141 Beide agierten eher instinktiv, so AJ (AJ 31: 1), und brachten den Schülerinnen bestimmte Techniken bei:

141 | Nicht nur sprachlich, auch von der Arbeitsweise her erinnert diejenige des Tanzdozenten Jolles stark an die tanzpädagogische Arbeitsweise des Choreografen Maldoom (vgl. Dokumentarfilm Rhythm Is It! von Grube/Lansch 2004), der mit Sir Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern Stravinskys Ballett „Le Sacre du Printemps“ aufführte (vgl. Teil II/1.2.3 zum Kontext von Musik und Teilhabe); inwieweit dies ein be-

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte Zu Beginn der Arbeitsphase haben wir verschiedene Tanz- und Rhythmus-Übungen mit den Kindern erarbeitet und geübt. Durch die südindische Trommelsprache „Konakol“ haben die Kinder spielerisch ein neues Gefühl für Rhythmus und Rhythmen entwickelt. (RS 35: 1)

Die Trommelsprache „Konakol“, die auf südindischen Rhythmustraditionen basiert, stellt einzelne Rhythmusbausteine zur Verfügung. Diese werden mit den Kindern und Jugendlichen durch Händeklatschen und Sprechgesang trainiert.142 Shotham setzte die Rhythmen als Übungsmethode ein, um einen stark den Körper einbeziehenden, leiblichen Zugang als Grundstein für die gemeinsame Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen zu haben. Im „Stuhl-Tanz II“ fanden die eingeübten Rhythmen Eingang in die Aufführung (Szene 7.): Die anderen, im Halbkreis sitzenden Kinder und Jugendlichen haben mit dem Percussionisten einen rhythmischen Sprechgesang „Taka dimi taka jonu“ begonnen, werden lauter und lauter. Als der Musiker auf der Trommel einen Rhythmus zum Sprechgesang beginnt, laufen die Kinder und Jugendlichen nach links und rechts, hüpfen auf jeder Seite klatschend in die Höhe. Eine plötzliche Unterbrechung der Musik sorgt dafür, dass der zuvor als Beginn der Szene inszenierte Streit endet, ohne dass die beiden Streithähne ihre Auseinandersetzung beilegen konnten. Alle Kinder suchen sich blitzschnell einen Stuhl, zwei Mädchen stellen sich auf die Sitzflächen und balancieren auf einem Bein. Mit dem Ruf des Percussionisten „Takita, takita, takita“ und dem erneuten Einsetzen des Trommelrhythmus’ rennen alle wieder durcheinander. Erneuter Musikstopp, alle Kinder stellen sich auf die Stühle. Wieder Trommelrhythmus. Ein paar Stühle werden zu kleinen Inseln zusammengestellt, auf denen in der Musikpause jeweils ein Kind bzw. Jugendlicher liegend Platz nimmt. Die geringer gewordene Anzahl an Stühlen, die nun nur noch zur Verfügung steht, nutzen die anderen so, dass sie zu zweit, zu dritt auf einem Stuhl stehen wusster oder unbewusster Einfluss von Maldoom bzw. der Rezeption von Rhythm Is It! ist oder nicht, kann nicht beurteilt werden. 142 | In den einschlägigen Lexika (Die Musik in Geschichte und Gegenwart, The New Groove, The Oxford Dictionary of Music sowie im Continuum Encyclopedia of Popular Music oft the World, Vol. V: Asia and Oceania) ließen sich keine Einträge zu der von Shotham beschriebenen Trommelsprache finden. Allerdings finden sich im Internet, z. B. auf der Homepage von Shotham selbst und in der englischsprachigen Internetenzyklopädie Wikipedia weiterführende Informationen. Shotham beschreibt die Methode unter „GlobalTala“ wie folgt: „Es geht um das Lernen und Verstehen von ungeraden Rhythmen, um die Unterteilung des Pulses in unübliche Kombinationen, um metrische Bausteine und schlussendlich um die Verinnerlichung rhythmischer Phrasen und Kompositionen. Beispiel: Takita (3) Taka Takita (5) Taka Dimi Takita (7) Taka Taka Dimi Takita (9)…“ (vgl. Homepage Shotham).

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und sich gegenseitig festhalten. Wieder Musik. Inzwischen liegen vier Kinder auf jeweils drei Stühlen und bleiben dort auch, während die anderen auf immer weniger Stühlen zusammen einen Halt finden müssen: zu neunt schaffen sie es, sich so auf drei Stühlen zu stellen und festzuhalten, dass sie oben bleiben. Applaus. Die Kinder und Jugendlichen fassen sich an den Händen und verbeugen sich gemeinsam. In den beiden Szenen, die Jolles und Shotham verantworteten und die als „Stuhl-Tanz I“ und „Stuhl-Tanz II“ von der Schule in Porz aufgeführt werden, zeigen die Schülerinnen ihre in den Proben erarbeiteten Bewegungssequenzen. Es zeigt sich, dass beide Dozenten mit kleinen Bausteinen arbeiten – einzelnen Bewegungen und Rhythmen –, die individuell zusammengesetzt werden bzw. die als Ausgangspunkt für die Suche nach einer eigenen Bewegung genutzt werden (vgl. Dichte Beschreibung zu „Stuhl-Tanz I“ am Beginn dieses Kapitels). Zum Einsatz kommen weniger klassisch tänzerische als vielmehr solche Bewegungen, die die Alltagswelt der Kinder und Jugendlichen widerspiegeln: So wird z. B. das Spiel Reise nach Jerusalem eingebaut, bei dem die Musikpausen eine Zäsur markieren, in der die Stühle stetig weniger werden, sodass ein Teilnehmer nach dem anderen keinen Stuhl mehr findet und ausscheiden muss. Auch Bewegungen wie (Bock-)Springen, in die Hocke gehen, Rad schlagen und Breakdance-Figuren sind aus der Alltagswelt der Kinder und Jugendlichen entliehen. Die Arbeit der beiden Dozenten lässt sich dahingehend charakterisieren, dass beide neben der Vermittlung kleiner Bausteine großen Wert auf eine gute Arbeitsatmosphäre und das Miteinander legten. Während des Probenprozesses beobachtete eine der unterstützenden Praktikantinnen, dass der Tanzdozent es durch seine Arbeitsweise schnell schaffte, den Schülerinnen „die anfängliche Unsicherheit zu nehmen und ihre Kreativität in der improvisatorischen Tanzbewegung zu fördern“ (JW 33: 1). Auch der Musikdozent unterstreicht die Techniken, die grundlegend für diese Form der Arbeit sind: André [Jolles] hat die Kinder immer wieder dabei unterstützt, konzentriert zu sein und den Fokus zu behalten. Bewegung und Flexibilität des Körpers und die Wahrnehmung des Körpergefühls waren wichtige Bestandteile des Arbeitsprozesses. (RS 35: 1)

Der Choreograf Jolles betont, dass es bei Förderschülern besonders wichtig sei, auf das häufig defizitäre Selbstbewusstsein einzugehen, indem die Schülerinnen ermutigt werden, „die eigene Kreativität zuzulassen.“ (AJ 31: 1). Auf die Suche nach der „eigenen Kreativität“ zu gehen und eine eigene Bewegung zu finden, in der man sich wohlfühlt, war Ziel des Prozesses. Es lässt sich resümierend sagen, dass Bewegungen des Körpers in diesem Projekt so zu einer Art Heimat wurden.

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

Bei der Arbeitsweise von Craus, Jolles und Shotham wurde die aktiv-produzierende Erarbeitung und Entwicklung künstlerischen Materials in den Mittelpunkt des Probenprozesses gestellt: • Erarbeitung von Techniken, nicht von fertigen Produkten: Bewegungen, Trommelsprache oder handwerkliche Methoden wie das Erstellen eines Animationsfilms • Förderung von pädagogisch intendierten (Sozial-)Kompetenzen wie: fokussieren, eigene Ideen und Kreativität verfolgen, sich konzentrieren, das Durchhaltevermögen steigern und das Miteinander der Schülerinnen stärken Im Vergleich zur rezeptiv-reproduzierenden Variante arbeiteten die Dozenten der aktiv-produzierenden Arbeitsweise fast ausschließlich mit Live-Musiken, die speziell für die entsprechenden Szenen entstanden: In der 3. Szene, in der die Videoanimationen gezeigt werden, untermalt der Percussionist mit verschiedenen Instrumenten die Filme; in den zwei Szenen, die Jolles als Dozent verantwortete, begleitet ebenfalls der Percussionist und teilweise klatschen die Kinder und Jugendlichen den Sprechgesang, den sie erlernt haben, selbst mit (Szene 7.). Auch hier ist also ein Profimusiker auf der Bühne anwesend und ein unverzichtbarer Bestandteil der Szene. Ebenso wie die Musikdozentin Burakowska war auch der Musikdozent Shotham Teil des Probenprozesses und Teil des Aufführungsprodukts. Im Vordergrund stand dabei, dass alle Elemente der Bühnenaufführung selbst entwickelt wurden, einschließlich der begleitenden Musik.

Vergleich der Arbeitsweisen und der zugrunde liegenden Bildungsund Kultur verständnisse Die beiden Dozenten Echevarria und Burakowska gehen von einem hierarchisch geprägten Lehr-Lern-Verhältnis aus: Sie geben Material vor und die Kinder und Jugendlichen erarbeiten z. B. ein Musikstück, eine Choreografie etc. Die Kinder und Jugendlichen haben keinen starken Anteil an künstlerischen Entscheidungen, sie setzen sich in dieser Variante rezeptiv und reproduzierend, nicht aktiv mit Kunst auseinander. Beide Dozenten haben allerdings Anregungen der Kinder und Jugendlichen aufgenommen und umgesetzt und sensibel darauf geachtet, welches vorgeschlagene Material bei den Kindern und Jugendlichen ankommt und welches nicht. So übernahm z. B. Echevarria die Anregung der Kinder und Jugendlichen, typische Tanzschritte von Michael Jackson in die Choreografie des „Hut-Tanzes“ einzubauen (vgl. JW 33: 1). Beide nutzen vorhandenes Material und binden damit etwas ein, was als allgemein anerkanntes Kulturgut gilt – sie pflegen das kulturelle Erbe: Burakowska zeigt Elemente einer Roma-Kultur, Echevarria verwendet eine Oper von Mozart aus

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dem bürgerlichen musikalischen Bildungskanon. Diese ist allerdings durch die Kombination mit dem als arabisch kenntlich gemachten Kulturraum (Titel, typische Instrumente und deren Verwendung) eine besondere Variante, die möglicherweise ebenjenen Kanon auf brechen und transkulturell wirken soll. Beide Dozenten greifen auf einen kulturellen Kanon zurück: Bereits vorhandenes Material zu nehmen, zeugt von der Wertschätzung dieser bestimmten Kultur. Dieses Verständnis beruht auf einem normativen und differenzierungstheoretischen Kulturbegriff. Gleichzeitig wird Kultur aber auch im ethnischen Verständnis verwendet, allerdings hauptsächlich bezogen auf die Gruppe der Roma, nicht auf andere Ethnien. Es werden also offensichtlich zwei unterschiedliche Auffassungen von Kultur vermischt, was den Kontrast von einerseits Roma-Kultur und andererseits Hochkultur verstärkt. Daraus ergibt sich eine nicht intendierte Abwertung dessen, was nicht zum Kanon gehört, folglich der Roma-Kultur. Die Dozenten Craus, Jolles und Shotham haben ein anderes künstlerisch-pädagogisches Verständnis. Ihr Konzept und ihre Haltung basieren stark auf der aktiven Teilhabe der Kinder: Arbeiten diese nicht mit, entsteht kein Material. Erste Ideen der Dozenten liegen zwar vor, der Schwerpunkt der Arbeit liegt aber auf einer gemeinsamen Suchbewegung. Das Material, das zu einem Aufführungsprodukt führt, wird gemeinsam entwickelt und erarbeitet. Es ist ein weniger stark hierarchisch geprägtes Verhältnis, bei dem die Kinder und Jugendlichen zu einer produktiven Auseinandersetzung mit Kunst angeregt werden sollen. Beide Dozenten nutzen Techniken (Animation, moderner Tanz etc.), aber vermitteln keinen Kanon, sondern einen bestimmten Zugang: Sie agieren mit einem bedeutungsorientierten Kulturbegriff, denn der Bedeutungsgehalt z. B. der Bewegungssequenzen oder der animierten Videos als künstlerisches Produkt wird durch den Rahmen verliehen – in diesem Fall einem Kooperationsprojekt zwischen schulischen und außerschulischen Trägern, das in einem professionellen Theater öffentlich aufgeführt und daher als Kunst wahrnehmbar wird. Die aktiv-produzierende Arbeitsweise fokussiert stärker den Prozess und legt diesem eine konstruktivistische Haltung zugrunde.

Zusammenfassung Was folgt aus den unterschiedlichen Arbeitsweisen für die Frage nach der kulturellen Teilhabe? Zunächst ist wichtig festzuhalten, dass die Arbeitsweisen und -haltungen prinzipiell nicht gegeneinander aufgewogen werden sollten. In beiden Varianten finden sich zwar unterschiedliche, aber dennoch eindeutige Handlungskompetenzen, die auf unterschiedliche Ziele abheben. Die rezeptiv-reproduzierende Arbeitsweise will Erfolgserlebnisse auf der Bühne durch einfache Choreografien und den Rückgriff auf die Kenntnisse der Kinder und Jugendlichen ermöglichen. Durch die Einbindung eines Werkes von Mozart  – in der Annahme, dass dieses Werk den Kindern und

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Jugendlichen bislang unbekannt war  – sollen sie etwas aus dem kulturellen Kanon kennenlernen. Weniger freilich, um detaillierte Kenntnisse über das Stück selbst oder über Mozart zu erlangen, als vielmehr um durch die Proben und das Tanzen mit der Musik vertraut zu werden. Auch das stolze Zeigen der eigenen ethnischen Kultur ist als Beitrag für ein Erfolgserlebnis auf der Bühne und eine Stärkung des Selbstbewusstseins der Minderheit zu verstehen; auch hier wird ein Kanon vermittelt. In der aktiv-produzierenden Arbeitsweise wurde der Schwerpunkt auf die Erarbeitung von künstlerischen und sozialen Techniken gelegt. Darüber hinaus wurde gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen nach Antworten auf die durch das Projekt gestellten Fragen wie z. B. „Was ist Heimat?“ gesucht. Es sollte Raum gelassen werden für individuelle (künstlerische) Annäherungen. Die beiden Arbeitsweisen widersprechen sich zwar nicht, verweisen aber auf unterschiedliche Prioritäten bei der Zielsetzung: Die eine Arbeitsweise will stärker einen Kanon vermitteln, d. h. etwas, das für eine Gruppe als bedeutsam erachtet wird, soll als sichtbares Erbe gepflegt werden. Die andere Arbeitsweise hat stärker die individuelle Auseinandersetzung und das Erlernen von Techniken im Blick. Durch diese verschiedenen Herangehensweisen innerhalb eines Stückes entsteht eine Uneindeutigkeit, weil während des gesamten Stückes nicht klar wird, ob die unterschiedlichen Ziele und Arbeitsweisen in Konkurrenz zueinander stehen oder nicht. Dies wäre dann unproblematisch, wenn es sich nur um einen Kanon für alle handeln würde, etwa den bildungsbürgerlichen Kanon, zu dem die Mozart-Oper gehört. Dadurch, dass mit der „Roma-Szene“ jedoch ein Kanon aufgerufen wird, der in erster Linie die ethnische Gruppenzugehörigkeit der Roma betont, präsentieren sich die Roma-Kinder und -Jugendlichen als Gruppe und es bleibt die Frage, warum sie sich nicht (auch) als Individuen zeigen dürfen. Diese Betonung entsteht allerdings erst im Verlauf des Stückes durch verschiedene Bausteine und zu diesen können die unterschiedlichen Arbeitsweisen gerechnet werden. Denn erst im Vergleich der Arbeitsweisen während des Probenprozesses wie auch des Produkts in Gestalt des Bühnenstückes, schält sich dieser Kontrast heraus. Die ethnische Gruppendarstellung der Roma wirkt neben anderen künstlerischen, nicht-ethnischen und teils individuellen Präsentationen nicht als eine Möglichkeit unter vielen, sich künstlerisch darzustellen, sondern eher homogen und geschlossen. Dies widerspricht jedoch den in der Konzeption genannten Projektzielen, z. B. musikalische Traditionen zu integrieren, die durch das Entwickeln neuer Ausdrucksmöglichkeiten aufgebrochen werden sollen (vgl. Antrag Fonds Soziokultur 2009: 4).

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6. F ür wen ist das P rojek t ? E rwartungen und Z iele aus künstlerischen und pädagogischen P erspek tiven Szene 8.: Ina Meena Dika Erneut werden die Stühle umpositioniert, einige in die Mitte gestellt. Die Kinder und Jugendlichen, die gerade getanzt haben, bleiben auf der rechten Bühnenseite nebeneinander stehen. Auf die Bühne strömen nun auch alle anderen Kinder und Jugendlichen, die in vorangegangenen Szenen auf der Bühne waren: In der Mitte nehmen auf acht Stühlen die Mädchen Platz, die bereits den „Geister-Tanz“ und den „Koffer-Tanz“ aufgeführt haben, sowie ein kleiner, etwas schmächtiger Junge, der leicht in sich zusammen gesackt dasitzt. Dann kommen die Roma-Kinder aus dem Liederteil der ersten Szene der Aufführung: Die Jungen haben die Westen auf die bunten Seiten gedreht, die Mädchen kommen ohne die farbigen Kleider, in weißen T-Shirts und weißen Stoff hosen. Sie setzen sich an den Bühnenrand, reden, lachen, winken und zeigen ins Publikum. Auf der linken Seite der Bühne haben sich die Jungen und Mädchen aufgereiht, auf deren Hemden sich geometrische Figuren bzw. farbige Formen befinden, außerdem der Rapper und die beiden Sängerinnen des Rap-Songs. Auch sie alle stehend. Jetzt fällt auf, dass alle bunte Elastikarmbänder tragen. Die Musik setzt ein, vom Band. Synthesizer-Klang erfüllt den Raum, Bass und Schlagzeug kommen dazu. Das Licht wird abgeschwächt und alle Kinder und Jugendlichen nicken mit dem Kopf im Rhythmus. Während des instrumentalen Intros starten die Acht in der Mitte eine Choreografie im Sitzen: die Hände zuerst seitlich nach unten ausgestreckt, werden sie anschließend als angedeuteter Rahmen vor das Gesicht gehalten, bevor sie zur anderen Seite wieder nach unten genommen werden. Nun heben die Acht ihre Arme stufenweise nach oben, formen die Hände zu einer Faust, die vor dem Körper wieder heruntergezogen wird. Zum Rhythmus bewegen alle den Oberkörper nach links und rechts, klatschen in die Hände. Dann kommen die Beine ins Spiel. Drehbewegung des linken Beines seitwärts, dann drehen alle ihren gesamten Körper nach links. Hebelbewegungen mit den Armen nach unten, Drehung zurück in die Mitte, Arme in Wellenbewegung zuerst nach rechts, dann nach links seitwärts auf Schulterhöhe. Ein im Dandy-Stil mit Weste und Schiebermütze gekleideter Sänger kommt auf die Bühne, deutlich älter als die Kinder und Jugendlichen, aber jünger als die bisher aufgetretenen Musiker. Er läuft zwischen den Tanzenden hindurch, singt ihnen zu. Alle Kinder und Jugendlichen, die am Rand stehen und am Bühnenrand sitzen, machen beim Einsetzen des Sängers ebenfalls Wellenbewegung mit den Armen nach links und nach rechts. Dann beginnt der Refrain. War der Strophentext noch auf Englisch, so folgen nun aneinander gereihte, lautmalerische Wortgruppen, ein Nonsense-Text in Frage-Antwort-Manier. Der Sänger ruft „Ina Meena Dika“, alle Kinder und Jugendlichen antworten ihm mit der gleichen Zeile. Dabei zeigen sie auffordernd zum Publikum, das animiert wird, den Refrain mitzusingen. Den zweiten Teil des Refrains singt der Sänger alleine, während die am Bühnenrand

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sitzenden Kinder viermal in die Hände klatschen, zweimal auf die Oberschenkel, erneut zweimal in die Hände und schließlich zweimal auf die eigenen Schultern. Die letzte Zeile singen wieder alle lautstark mit, dabei zeigen sie in cool-lässiger Pose zum Publikum. Die Tanzenden in der Mitte haben zum Refrain ebenfalls in einer bestimmten Abfolge auf Oberkörper und Oberschenkel eine Choreografie geklatscht – auch während sie einmal pro Takt aufgestanden sind und sich wieder hingesetzt haben. Am Ende des Refrains wechseln sie ihre Stühle in Uhrzeigerrichtung, bleiben beim nächsten mit einem auf der Stuhlfläche abgestützten Bein stehen, verschränken die Arme und schauen schräg zum Publikum. Nächste Strophe. Die an den Rändern der Bühne Stehenden und Sitzenden nicken wieder zum Rhythmus, machen Wellenbewegungen mit den Armen vor dem Körper, setzen nacheinander ein. Insgesamt entsteht so für die Zuschauenden eine große Wellenbewegung auf der Bühne. Die Tanzenden in der Mitte klatschen auf das abgestützte Bein, steigen auf den Stuhl. Anschließend springen sie so runter, dass sie wieder zum Sitzen kommen. Die nächsten Achtel werden auf die Stuhlfläche zwischen den Beinen geklatscht, die folgende Viertel in die linke Hand. Wieder Refrain. Diesmal nehmen sie beim zweiten Teil des Refrains ihre Stühle, drehen diese in der Luft und stellen sie mit der Lehne zum Publikum wieder ab. Alle setzen sich mit dem Gesicht nach vorne, verschränken die Arme auf der Lehne. Kopfnicken zum Rhythmus und Klatschen auf die Stuhllehne. Dann ein kurzer gesanglicher Einschub des Sängers, den alle Kinder und Jugendlichen mit Wellenbewegungen ihrer Arme begleiten. Bei der Wiederholung des Refrains heben die Tänzerinnen und der Tänzer in der Mitte ein Bein über die Lehne, drehen sich auf der Stuhlfläche um 180 Grad, wieder heben sie ein Bein über die Lehne. Dann wird der Stuhl wieder mit der Fläche nach vorne gedreht, Stuhlwechsel. Nochmals der Refrain, das Publikum klatscht inzwischen mit. Die Abschlusspose ist für alle gleich: Mit vor dem Oberkörper verschränkten Armen und einem Blick aus schräg gehaltenem Kopf zum Publikum endet diese letzte Szene. Das Publikum klatscht.

Zugabe Alle Kinder und Jugendlichen auf der Bühne verbeugen sich, teils stürmisch, erleichtert und glücklich. Sie stehen nun so, dass in der Bühnenmitte ein freier Platz ist und einzelne Jungen nutzen diesen für eine Breakdance-Einlage. Gleich als zweiten schieben seine Freunde den schmächtigen Junge nach vorne, der mit den Mädchen die Choreografie der letzten Szene getanzt hat. Für die tänzelnde Einleitung, den einarmigen Handstand und eine Drehung auf dem Rücken (Backspin) wird er lautstark bejubelt. Der große Breakdancer, der schon im „Stuhl-Tanz I“ aufgefallen war, lässt es sich nicht nehmen, ebenfalls ein paar Moves zu zeigen, besonders der Handstand mit Bewegungen der Beine in der Luft beeindruckt das Publikum. Weitere Jungen folgen. Das Publikum ruft inzwischen lautstark nach einer Zugabe. Der schmächtige Junge geht erneut nach vorne, zeigt diesmal mehr Fußarbeit und Bewegungen der Arme um den eigenen Körper. Dann folgt ein einarmiger Handstand,

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der fast zur Brücke wird. Die ersten Takte des letzten Songs setzen derweil ein, der Junge beendet schnell seine Choreografie, rennt zu den anderen. „Ina Meena Dika“ beginnt erneut. […] Die abschließende Verbeugung fällt wieder etwas unkoordiniert aus, einzelne kleine Gruppen verbeugen sich alleine. Dann verteilen zwei Praktikantinnen an alle Kinder und Jugendlichen Rosen und Gutscheine für DVDs mit der Video-Aufnahme der Aufführung, Blumensträuße an die Dozenten und Musiker, die alle auf die Bühne gekommen sind. Das Publikum klatscht die ganze Zeit. Alle reden glücklich und wild durcheinander. Der künstlerische Leiter ruft den Zuschauern ein „Dankeschön“ zu, alle winken. Die Vorstellung auf der Bühne ist zu Ende. Dies ist die Abschlussszene von Heimat re-invented. Alle Kinder und Jugendlichen des Projekts nahmen an dieser letzten Szene teil. In den mit den künstlerischen Dozenten und Pädagoginnen geführten Interviews wird anhand dieser Szene deutlich, wie unterschiedlich die Erwartungen und Ziele waren hinsichtlich der Frage, für wen das Projekt und insbesondere die Förderung durch eine besondere Rolle gedacht war. Es zeigt sich, dass in einem Kooperationsprojekt die Projektdurchführenden nicht zwangsläufig die gleiche Zielgruppe vor Augen haben müssen, auch wenn diese in Konzepten und Anträgen benannt wurde. Im Folgenden wird herausgearbeitet, welche Sichtweisen, Erwartungshaltungen und Zielvorstellungen in das Projekt vom künstlerischen und pädagogischen Team eingebracht wurden und wie sich ihre Zusammenarbeit gestaltete. Die unterschiedlichen Perspektiven sind von Bedeutung, da sie ein Bestandteil der künstlerischen und pädagogischen Konzeptionen, Haltungen und Handlungen sind und dementsprechend Auswirkungen darauf haben, wie kulturelle Teilhabe aufgefasst, definiert und umgesetzt wird. Für wen das Projekt intendiert war und welche unterschiedlichen Perspektiven sich dazu finden, lässt sich insbesondere an zwei Roma-Jungen erläutern, deren besondere Rolle im Projektverlauf Anlass für Diskussionen im Projektteam war.

Pädagogische Maßnahme des künstlerischen Dozenten: Rauswurf eines Schülers aus der Probe Die Choreografie der letzten Szene (Szene 8.) war so gestaltet, dass nur ein Teil der Kinder und Jugendlichen in der Mitte der Bühne mit vollem Körpereinsatz tanzte; der Großteil hatte während der gesamten Szene einen festen Platz und bewegte ausschließlich die Arme und Köpfe. Die sieben Schülerinnen und der eine Schüler dieser Choreografie waren von der Schule in Zollstock. An dieser Schule wurde für Heimat re-invented insgesamt sehr viel choreografisches Material erarbeitet. Für den Tanz zu „Ina Meena Dika“ probten zunächst immer wieder verschiedene Kinder und Jugendliche die Choreografie. Schließlich wählte der Choreograf Echevarria die Schülerinnen aus, die Interesse zeigten,

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teilweise auf Vorerfahrungen auf bauen konnten143 und die regelmäßig zum Proben bereit waren. Seine Entscheidung beruhte auf Erfahrungen, die er in anderen Projekten bereits gesammelt hatte und seine Auswahl gründete auf künstlerischen Gesichtspunkten. Die sieben Mädchen waren kontinuierlich bei den Proben anwesend und beherrschten die im Vergleich zu den anderen Szenen deutlich anspruchsvollere Choreografie nach einigen Proben recht sicher. Hin und wieder tanzte auch ein Junge mit. Er war im Vergleich zu den Mädchen sehr unruhig und zappelig und ließ sich leicht ablenken. Während der zweiten Intensivprobentage gab es eine Auseinandersetzung zwischen dem Tanzdozenten und diesem Schüler; die Beschreibung dieser Probe zur 8. Szene „Ina Meena Dika“ ist dem Forschungstagebuch entnommen: In der Tanzgruppe ist gerade ein großer Streit um S. im Gange […] Er hat wohl sehr gestört und Salva und der Gruppe gegenüber keinen Respekt gezeigt. Salva ist ziemlich wütend, schimpft mit ihm. Dann redet er mit der Lehrerin und mit der Schulsozialpädagogin, die zwar zustimmend nicken, aber auch hilflos wirken, weil sie keine Lösungsvorschläge machen. Auf Salvas ausdrückliche Aufforderung geht schließlich die Lehrerin mit dem Jungen raus und Salva macht mit den anderen Kindern und Jugendlichen weiter mit der Choreografie. […] Nach der Probe spricht Salva mit Tine, der Schulsozialpädagogin: Er regt sich über die Lehrerin auf, die seiner Ansicht nach den Jungen zu sehr in Schutz nehme und damit seine Autorität nicht respektiere. […] Das Gespräch wird auf dem Weg zum Lehrerzimmer weitergeführt, jetzt zusammen mit der Lehrerin und den beiden Praktikantinnen. Die Lehrerin stimmt allem zu, was Salva sagt, rechtfertigt sich aber, dass sie seine Anweisung anders verstanden habe, nämlich dass S. nur nicht mehr mittanzen, aber noch im Raum bleiben dürfe, Salva verneint dies. (FTB: 35–36, 53)

Die Positionen sind konträr: Die Lehrerin schätzt die Situation des Schülers anders ein, weil sie ihn und seinen familiären Kontext kennt. Sie will ihn schützen, indem sie pädagogisch als Korrektiv gegenüber dem Choreografen auftritt und den Schüler im Raum belassen möchte. Der Choreograf handelt jedoch nach eigenen pädagogischen Regeln und wirft den störenden Schüler nicht nur aus der Probenszene, sondern auch aus dem Raum. Er möchte als uneingeschränkte und alleinige Autorität – auch in pädagogischer Hinsicht – verstanden werden. Der Choreograf hat hier einerseits die Perspektive eines Außenstehenden, der den Schüler ganz anders einschätzt als die Klassenlehrerin, die tagtäglich mit ihm zu tun hat. Andererseits ist der Choreograf für den Zeitraum des Kooperationsprojekts durch seine Rolle als künstlerischer Dozent sehr involviert und füllt diese Rolle nicht nur künstlerisch, sondern 143 | Dies bestätigt eine Schülerin, die angab, dass sie schon bei anderen Projekten und in einem Tanzzentrum getanzt habe. Einige ihrer Mitschülerinnen hätten ebenfalls bereits Erfahrungen im Tanzen gesammelt, andere jedoch noch nicht. (B./Y. 185).

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auch pädagogisch aus. Er reagiert in der Situation mit einer gänzlich anderen pädagogischen Handhabung, die offensichtlich für Irritationen sorgt und auf Widerstand stößt. Die Schulsozialpädagogin Tine Graß (TG) schätzt die Situation so ein: Also die Frau Flohr [die Klassenlehrerin] kennt den S. besser. Aber ich sage jetzt mal so meine Meinung dazu, und die ist, dass das ganz wichtig war für den S., dass der Dozent ihm aufgezeigt hat, bis hierhin und nicht weiter. Hier sind meine Grenzen, und sobald du die überschreitest, bist du nicht mehr dabei. Und das denke ich, ist eine ganz einfache Regel, aber für unsere Schüler oft so schwierig. (TG 135: 4)

Die Schulsozialpädagogin kann sowohl die Perspektive der Lehrerin als auch die des Choreografen nachvollziehen.144 Sie verweist darauf, dass der von außen kommende Künstler in einem Kooperationsprojekt die Möglichkeit hat, eine pädagogische Handhabung auszuprobieren, die in der Schule ansonsten nicht so schnell und leicht angewendet werden darf; schließlich dürfen Lehrer ihre Schüler aufgrund des Betragens nicht einfach aus dem Unterricht werfen. Der Streit mit dem Schüler kann beigelegt werden und S. entschuldigt sich, wie ein Eintrag aus dem Forschungstagebuch wiedergibt: Bei den nächsten Intensivprobetagen erzählt mir Salva, als wir mit der U-Bahn zu einer Probe fahren, dass S. sich bei ihm entschuldigt habe und wieder mittanze. Nach der Probe habe er ihn zu sich gerufen und S. habe aggressiv gefragt: „Was hab ich gemacht?“ Salva darauf: „Nichts, ich wollte dir sagen, dass ich mich freue, dass du mittanzt, das macht mich glücklich!“ Salva meint, dass S. ein intelligenter Junge sei, dessen Energie über Aggression rausgehe. Außerdem wisse er genau, wie er bei den Erwachsenen durchkomme und so verwöhnen ihn die Erwachsenen und erlauben immer Ausnahmen. Eigentlich aber, sagt Salva, helfe ihm das überhaupt nicht. (FTB: 53)

Auch in der Rückschau auf die Situation kritisiert der Choreograf die pädagogische Vorgehensweise der Lehrerin: Er findet nicht, dass es sinnvoll ist, den Schüler aus Rücksicht auf seine schwierige Situation zu Hause vor strengen Regeln und Konsequenzen zu schützen, weil ihm dies seiner Meinung nach

144 | Ihre Aufgabe als Schulsozialpädagogin definiert sie als „Scharnierfunktion“, die sie im schulischen Alltag zwischen Jugendhilfe, Schule und Familie innehat (TG 135: 1). Sie betont aber auch die Netzwerk- und Vermittlungsarbeit, die sie zwischen Schulen und Institutionen vorantreibt, weil Lehrer dafür keine Zeit haben (TG 135: 1 f.). Sie war es auch, die als Ideengeberin an die Philharmonie herangetreten ist, um ein Kooperationsprojekt zu initiieren (vgl. TG 135: 3).

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langfristig nichts nütze.145 Die Bewertung der Situation durch die Schulsozialpädagogin verdeutlicht zum einen, welche Auswirkungen der Streit ihrer Meinung nach auf den Schüler hatte. Zum anderen geht sie in der Rückschau noch einen Schritt weiter, vollzieht nicht nur die konträren Positionen nach, sondern sieht in dem Streit und dem Verweis aus dem Raum eine Schlüsselerfahrung nicht nur für den Schüler, sondern auch für die Zusammenarbeit der künstlerischen und pädagogischen Dozenten im Projekt und damit für den Projektprozess insgesamt. Sie kann somit der pädagogischen Vorgehensweise des Choreografen etwas abgewinnen, gerade weil diese ganz anders war als bisherige pädagogische Strategien. Und der S. hat das gespürt, jetzt kann es ernst werden […]. Ich denke, dass das ganz wichtig war für den Projektprozess, dass es mal geknallt hat. Und jetzt hat S. sich auch zusammengerissen, und hat gemerkt: „Hey, mir ist das wichtig, ich will nämlich tanzen und eigentlich mag ich auch den Salva und warum soll ich mich jetzt hier mit dem anlegen.“ […] das war eine ganz, ganz wichtige Erfahrung. Ich bin froh, dass das passiert ist, wenn auch alle irgendwie gelitten haben, aber es war wichtig für den Prozess. (TG 135: 4)

Die Schulsozialpädagogin kann Stärke und Sinn in den schwierigen und heiklen Situationen eines Kooperationsprojekts sehen, weil aus diesen Momenten alle sehr viel lernen könnten. Sie bewertet den „Knall“ nicht als Scheitern, sondern als durchaus förderlich für den Projektprozess. Dennoch war der Streit nicht Auslöser für ein gemeinsames Reflektieren der künstlerischen und pädagogischen Herangehensweisen im Probenverlauf. Der Schulsozialpädagogin wurde aber gerade durch den Streit deutlich, dass es genau dieser Reflexion der Perspektiven bedarf, dass es gerade bei Kooperationsprojekten wichtig ist, pädagogische Fragen nicht nur mit den Lehrerinnen, sondern im Probenverlauf auch gemeinsam mit den Künstlern zu thematisieren und zu reflektieren.

Aushandlungen der Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Pädagoginnen Im Probenprozess des Projekts Heimat re-invented zeigen sich an der pädagogischen Handhabung des Streits um diesen Schüler die unterschiedlichen Rahmenstrukturen der schulischen und außerschulischen Träger eines Kooperationsprojekts: Während die Teilnahme am Schulunterricht in Deutschland verpflichtend geregelt ist, steht bei außerschulischen Bildungsangeboten 145 | Einige dieser Informationen stammen nicht aus geführten Interviews, sondern aus Gesprächen, die sich zwischen Echevarria und mir während der Probenarbeit oder zum Beispiel auf dem Weg zur nächsten Schule ergeben haben. Deshalb sind nicht alle Informationen mit einer Quellenangabe aus einem Interview versehen.

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die Freiwilligkeit im Vordergrund.146 Obwohl dieser grundlegende Unterschied prinzipiell allen Beteiligten klar gewesen sein dürfte, wurde die sich daraus ergebende unterschiedliche pädagogische Handhabung während des Projekts nicht thematisiert. Fragen nach pädagogischen Methoden und Strategien wurden von der Projektleitung in den gemeinsamen Sitzungen ebenso wenig auf die Tagesordnung gesetzt wie Erwartungen, Vorstellungen und Ziele des künstlerischen und pädagogischen Teams. Durch den Streit zwischen dem Tanzchoreografen und dem Schüler mussten sich die Beteiligten in der Schule in Zollstock allerdings zwangsläufig damit auseinandersetzen, dass sie nach unterschiedlichen pädagogischen Methoden handelten. Während der Proben kristallisierte sich heraus, wer eine Entscheidung für sich durchsetzen konnte. Dass dies der Choreograf für sich alleine beanspruchte, blieb nicht ohne Folgen. Die Schulsozialpädagogin beschloss nach Projektende, dass sie zukünftig anders mit pädagogischen Fragen im Projektteam umgehen werde: Aber ich muss sagen, ich war da immer sehr diplomatisch und wollte da auch nicht irgendwie mal was hochkochen lassen. Also, wir haben schon gewisse Dinge irgendwie kritisiert oder komisch gefunden, aber das würde ich jetzt auch beim nächsten Projekt eigentlich direkt zum Ausdruck bringen und das nicht so [r]unterkochen lassen. Weil das geht dann auch immer nach hinten los. (TG 174: 6)

Sie beschreibt damit, wie schwierig – bei allem Respekt voreinander und aller Sympathie füreinander – sich das Verhältnis zwischen Pädagogen und Künstlerinnen gestalten kann: Fragen und Probleme aus dem pädagogischen Bereich werden nur mit den jeweiligen Kolleginnen besprochen, aber nicht mit denjenigen, die es besonders betrifft, hier also mit den Künstlern. Gleiches gilt für künstlerische Fragen: So berichtete die Schulsozialpädagogin, dass die teilnehmenden Schüler aus Zollstock schon häufiger Erfahrungen mit inter146 | Durch die Schulpflicht hat jeder Schüler nicht nur die Pflicht, sondern auch das Recht auf einen Schulbesuch. Die Schule hat zwar die Möglichkeit, die Schulpflicht „ruhen zu lassen“, einen Schüler zeitweilig zu befreien oder als „nicht beschulbar“ einzustufen – dies sind allerdings Ausnahmen, die nur in besonders begründeten Ausnahmefällen gerechtfertigt sind und die immer wieder zu einer Rückkehr zum Schulbesuch führen sollen. Die Freiwilligkeit außerschulischer Projekte der kulturellen Bildung (vgl. die sogenannten „Prinzipien Kultureller Bildung“, z. B. BK J 2009) gilt in Kooperationsprojekten dabei nur teilweise: Dadurch, dass das Projekt im schulischen Rahmen stattfand, d. h . während der Schulzeit und die Schule als Ort für die Proben genutzt wurde, war die Freiwilligkeit eingeschränkt. Alle Schülerinnen mussten mitmachen, allerdings gab es die Möglichkeit, nicht auf der Bühne, sondern in anderen Rollen wie die des DJs, an den Trommeln etc. am Projekt teilzunehmen.

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kulturellen Liedern gemacht haben und diese nicht neu für sie waren: „Also, ich sag mal so klassische Integration, wir singen jetzt hier irgendwie ein Roma-Lied oder so, das konnten die [Schüler].“ (TG 174: 14) Es wäre also auch für die Musikdozentin interessant gewesen, zu erfahren, was die Schüler dieser Schule bereits für Vorerfahrungen hatten. Im Schulprojekt Amaro Kher reflektierte die Lehrerin Sibylle Haag (SH) ebenfalls die Zusammenarbeit zwischen den Pädagoginnen und den künstlerischen Dozenten. Sie war vor Probenbeginn sehr skeptisch, ob „Leute von außen […] die Aufmerksamkeit der Kinder einen ganzen Vormittag lang halten können“ (SH 38: 1). Sie war sehr positiv überrascht von der Arbeitsweise des Tanzdozenten Echevarria und der Musikdozentin Burakowska. Ihre Skepsis verflog, als sie merkte, wie beide sehr zugewandt auf die Schüler eingehen konnten. Beide haben inhaltlich einen guten Zugang gehabt: einmal durch die Lieder, die den Schülern irgendwie sehr vertraut sind und bei denen sie viel mehr als sonst im Schulalltag sie selbst sein konnten, einmal durch die Begeisterung vor allem der Jungs am Tanzen, was ich vorher so auch noch nicht wusste. Persönlich haben beide eine sehr direkte Ansprache an die Kinder gewählt mit sehr positiver Ausstrahlung, die übergesprungen ist. (SH 38: 1)

Die ersten Tage des Projekts waren bestimmt von einer gegenseitigen Annäherung und Tests vonseiten der Schüler, wie weit sie gehen können. Die Dozenten mussten sich ebenfalls zunächst ein- und zurechtfinden, sich und ihre Arbeitsmethoden austesten, wie der Tanzdozent beschreibt: Am Anfang ist [es] ein bisschen schwierig, [denn] die Kinder sind ein bisschen schüchtern. Wir [Dozenten] sind total fremd, und [die Kinder fragen sich] was machen sie denn da? Und dann langsam [geht es] und wir machen das Eis kaputt und dann [wird] die Sache ein bisschen lockerer. (SE 104: 2)

Abgeleitet von dieser Erfahrung kam der Prozess der Vertrauensbildung in Gang. Die Lehrerin beobachtete und reflektierte die pädagogischen Methoden des Tanzdozenten und der Musikdozentin und die Reaktion der Schüler darauf: Salvador musste sich, glaub ich ein bisschen gewöhnen an die Sprunghaftigkeit der Kinder und die zeitweise Disziplinlosigkeit, anfangs hat er rigider reagiert als später dann. Beide Dozenten konnten aber – und das war glaub ich wesentlich für den ganzen Probenprozess – von Anfang an deutlich machen, dass es Regeln gibt, die ohne Diskussion einzuhalten sind. (SH 038: 1)

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Im Probenverlauf kam es auch an dieser Schule zum Ausschluss einiger Kinder. Dies betraf sowohl die Tanzgruppe des Choreografen als auch die Musikgruppe von Burakowska. Allerdings wurde die Entscheidung des Ausschlusses von der Probenarbeit gemeinsam mit ihr getroffen, wie die Lehrerin Haag beschreibt: Leider gab’s aber auch zwei Kinder, die es nicht geschafft haben: S. haben wir schon beim Probenprozess irgendwann ausgeschlossen, weil sie es einfach nicht schafft, sich in die Gruppe einzufügen und H. hat im Moment eine fürchterliche häusliche Situation, verwahrlost total äußerlich wie innerlich, und hat es bei der Generalprobe überhaupt nicht geschafft, sinnvoll mitzumachen. Für diese beiden Kinder war das Ganze natürlich eine frustrierende Erfahrung. (SH 038: 1)

Inwieweit diese beiden Kinder pädagogisch aufgefangen wurden oder ihre Teilnahme am Projekt mit einer Frustrationserfahrung endete, kann an dieser Stelle nicht festgestellt werden, weil beide in den Proben nicht mehr anwesend waren und die beteiligten Personen in den Interviews von sich aus nichts darüber erzählten.147 An den Schulen Zollstock und Amaro Kher verlief die Zusammenarbeit zwischen den künstlerischen Dozenten und den Pädagoginnen unterschiedlich. Wahrscheinlich spielt es eine Rolle, dass Burakowska neben ihrer Tätigkeit als künstlerische Dozentin auch Sozialpädagogin ist (BB 72: 3) und dadurch bereits selber schwerpunktmäßig pädagogisch gearbeitet hatte. Außerdem leitete sie bereits einmal pro Woche eine Chor-Arbeitsgemeinschaft bei Amaro Kher und war durch diese Zusammenarbeit sowohl den Schülern als auch den Lehrerinnen bekannt und vertraut. Bei Amaro Kher waren die beiden beteiligten Lehrerinnen und die beiden künstlerischen Dozenten ein stark gemeinsam agierendes Team. Das kann daran liegen, dass das Schulprojekt keine Regelschule ist und ohnehin ein großes Engagement der Lehrenden einfordert. Im Gegensatz zu den Schülern der Regelschulen waren viele der Schüler von Amaro Kher erst dabei, Deutsch zu erlernen. Dadurch war der Tanzdozent zum einen immer wieder auf die Hilfe der Lehrerinnen angewiesen, die ihre Schüler gut kannten und so Einschätzungen geben konnten. Zum anderen waren sowohl der Tanzdozent als auch die Lehrerinnen auf die Musikdozentin angewiesen, die Romanes beherrschte und übersetzen konnte. Die

147 | Es ist ebenfalls bezogen auf den Aspekt Schulpflicht – Freiwilligkeit darauf hinzuweisen, dass die Pädagoginnen von Amaro Kher die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen im Vorfeld des Projekts auswählten und es einige gab, die nicht an dem Projekt teilnehmen durften (SH 110: 4); allerdings ist das Roma-Schulprojekt auch eine Ausnahme, da es keine Regelschule ist.

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vier waren sich über die pädagogische Handhabung sehr viel einiger als die Beteiligten an der Schule in Zollstock. Für die Schulsozialpädagogin von Zollstock liegen aber gerade in den unterschiedlichen pädagogischen Methoden und Haltungen die Chancen eines Kooperationsprojekts: Also ich merke, dass die Schüler häufig anders auf die Dozenten reagieren als jetzt [auf] Lehrer oder auch auf mich. Ich nehme jetzt noch mal den Streit mit dem S.: Der Salvador ist einfach ganz anders damit umgegangen, als alle vorher hier in der Schule. Und daraufhin ist, glaube ich, so ein bisschen mal ein Stein ins Rollen gekommen und hat mal eine andere Perspektive [aufgezeigt]. (TG 135: 7)

Für sie liegt die positive Rezeption der künstlerischen Dozenten nicht nur in der Person des Künstlers begründet, sondern auch im „System Schule“ (TG 135: 4). Damit weist die Schulsozialpädagogin Graß auf etwas hin, das in Berichten von Kooperationsprojekten immer wieder eine Rolle spielt: Die Schule wird durch ein Projekt in eine Art Ausnahmezustand versetzt, Tagesrhythmen und Pläne, Regeln und Bezugspersonen verändern sich und es sticht als singuläres Ereignis, geradezu als Event, aus dem Schulalltag heraus. Dass diese veränderten Rahmenbedingungen einen Einfluss auf die Schülerinnen und damit auch auf die Wirkweisen der Dozenten haben, zeige sich im Verhalten der Schüler, so stellt Graß fest.

Er wartungen an das Projekt aus pädagogischer Perspektive Die Thematisierung und Aushandlung von pädagogischen Fragestellungen, Methoden, Haltungen und Zielsetzungen fand bei Heimat re-invented nicht gezielt und bewusst statt, sondern deren Notwendigkeit ergab sich während des Probenprozesses. Sie sind aber wichtig, weil sich aus pädagogischen Fragen häufig Fragen der Teilhabe ergeben, wie z. B. im Streit um die Teilnahme des Schülers S. Aus Sicht der Schulsozialpädagogin aus Zollstock fehlte es insgesamt an einer methodisch-didaktischen Struktur: So gab es zu Beginn der jeweiligen Intensivprobentage keine Rituale oder ähnliches, die es den Schülern und den beteiligten Pädagogen, aber auch den künstlerischen Dozenten selbst erleichtert hätten, in die gemeinsame Projektarbeit einzusteigen bzw. die vorangegangene Arbeit nach längerer Pause148 wieder aufzunehmen (TG 174: 1). Auch die Wartezeiten während der gemeinsamen Proben (Haupt- und Generalprobe), besonders aber die Wartezeiten während der Aufführung des Stückes, stellten eine starke Belastung sowohl für die teilnehmenden Schüler als auch für die begleitenden Lehrer und Praktikantinnen dar. Die Pausen wa148 | Zwischen den Probetagen lagen üblicherweise zwischen einer und zwei Wochen Pause; bedingt durch die Osterferien gab es auch eine längere Pause.

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ren pädagogisch schlicht nicht bedacht worden. Die Lehrerin aus Amaro Kher schildert: Die beiden Tage im Theater gehören für mich zu den anstrengendsten Arbeitstagen, die ich in letzter Zeit hatte. Nicht wegen der Momente auf der Bühne, sondern weil unglaublich viel Warten dazu gehörte. Wir waren immer endlos hinter der Bühne im Garderobenraum, durften nichts Falsches anfassen, mussten leise sein...und natürlich waren die Schüler auch enttäuscht, dass sie den Rest [des Stückes] nicht [als Zuschauer] sehen durften. (SH 038: 1 f.)

Die Kinder und Jugendlichen selber konnten sich die Aufführung erst auf der später erschienenen DVD ansehen, weil sie während der Proben und der Aufführung im Backstage-Bereich bleiben mussten. Grund für die fehlende methodisch-didaktische Struktur ist aus Sicht der Schulsozialpädagogin aus Zollstock die Profession der Künstler: „[E]s sind Künstler […], das sind jetzt keine Pädagogen, die sich Gedanken machen, was ist eigentlich, wenn die [Kinder und Jugendlichen] da jetzt vier Stunden rumsitzen.“ (TG 174: 2) Dies zeige sich auch daran, dass der Abschluss der Vorstellung auf der Bühne in ihren Augen nicht geglückt war: [E]s war ja gar kein richtiger Abschluss. Und dafür sind die Schüler natürlich sehr sensibel und wussten jetzt nicht so richtig, was ist denn jetzt, und wie, warum. Also jeder hat dann ein Blümchen in die Hand bekommen. Aber irgendwie war das nicht so klug gemacht, sage ich mal. Also es war wieder nicht so richtig durchdacht, wie machen wir das eigentlich, komm wir holen alle dann nochmal auf die Bühne, wir danken den Dozenten. Es war ja dann Musik aus, Licht an, Ende aus. […] die Sandy [die Kunstdozentin], die hat ja gar keiner mitbekommen. Sodass man da jeden noch mal so ein bisschen persönlich aufgerufen hätte und sich dann noch mal verbeugt und so. Also, das war mir zu chaotisch. (TG 174: 4)

Die Schulsozialpädagogin stellt fest, dass es vonseiten der künstlerischen Dozenten keinen vorbereiteten Abschluss gab, dass dieser dadurch auch nicht vorgelebt wurde (TG 174: 3). Auch für das gesamte Projekt gab es im pädagogischen Sinne keinen Abschluss, bei dem die künstlerischen Dozenten sich verabschiedet oder das Projekt gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen beendet hätten. Im Gegenteil, mit dem Ende der Vorstellung war auch das Projekt zu Ende; es gab keine weiteren geplanten Begegnungen. Wie schon zuvor, so führt die Schulsozialpädagogin diese „rein pädagogische Frage“ (TG 174: 3) auf die Künstlerprofession zurück: „Ja gut, die [künstlerischen Dozentinnen] haben sich jetzt nicht wirklich was bei gedacht, aber dann hätte man vielleicht sich überlegen müssen, wie kriegen wir das hin.“ (TG 174: 4) Zwei Aspekte sind hier von Interesse: Zum einen die Rollenzu-

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schreibung wie Künstler sind, die als solche pädagogische Fragen nicht (so sehr) im Blick hätten.149 Zum anderen formuliert Graß, dass es für die Auseinandersetzung mit diesen Fragen das gesamte Team brauche. Sie benennt in ihrer kritischen Rückschau ein Wir und meint das gesamte Team. Damit spricht sie den Kern der Zusammenarbeit von Künstlerinnen und Pädagogen an: In einem Kooperationsprojekt zwischen schulischen und außerschulischen Trägern sollten verschiedene Aspekte, also unbedingt auch pädagogische Richtlinien, gemeinsam erarbeitet werden. Auch bzw. gerade dann, wenn sich das pädagogische Team als zweitrangig für das Projekt, als beratend und assistierend einschätzt. Graß stuft die aufgeworfenen pädagogischen Fragen zwar als „vielleicht nur meine Wahrnehmung“ (TG 174: 3) ein, war damit jedoch nicht alleine – es fand dazu allerdings kein Austausch statt.150 Pädagogische Fragen brauchen ebenso einen Raum, in dem sie offen verhandelt werden können, wie künstlerische Fragen. Wie der Probenprozess von Heimat re-invented zeigt, handeln die künstlerischen Dozenten auf die eine oder andere Weise ohnehin pädagogisch, nur war nicht konzeptuell geklärt, wer Entscheidungen in letzter Konsequenz trifft. Gerade, weil in solch einem Projekt unterschiedliche Professionen aufeinanderträfen, dürfe nicht unterschätzt werden, was für unterschiedliche Einstellungen die Leute mitbrächten, so Graß (TG 174: 14). Die betreuenden Pädagogen und Schulsozialarbeiter müssten mit ihrem Wissen und ihren Kompetenzen in die Projektarbeit ein149 | Auf diesen Aspekt wird im Folgenden nicht weiter eingegangen, es wäre aber sicherlich erhellend für die Projektpraxis, den Zuschreibungen verschiedener Partner von Kooperationsprojekten nachzugehen. 150 | Die Schulsozialpädagogin einer anderen Schule argumentiert zur unterschiedlichen Einschätzung dessen, was pädagogisch notwendig sei, folgendermaßen: Einige Monate nach der Aufführung im Mai wird dem Team von der Projektleiterin Riedel in einer Rundmail mitgeteilt, dass das Projekt einen Preis zugesprochen bekommen hat. Die Schulsozialpädagogin verleiht ihrer Enttäuschung Ausdruck, dass sie als Schulen zwar informiert, aber nicht zur Preisverleihung eingeladen würden. Sie unterstreicht, dass die Zusammenarbeit mit den Schulen nur durch den Einsatz der Schulsozialpädagoginnen geklappt habe, da diese das Arbeitsfeld für die Künstler vorbereitet und für Betreuung und Organisation gesorgt hätten. Als sie von zwei Künstlern aus dem Team eine Rückmeldung erhält, in der diese fragen, warum sie sich nicht über den Preis für und mit den Kindern freuen könne, möchte sie nicht eine Wertschätzung für die eigene Arbeit erhalten, sondern verweist darauf, dass es pädagogisch sinnvoll gewesen wäre, die Kinder und Jugendlichen in die Preisverleihung miteinzubinden. Diese seien von der Gesellschaft schon aussortiert worden und lernten in erster Linie, dass Lob und Anerkennung andere bekämen, egal wie sie sich anstrengen würden. An einer besonderen Auszeichnung für besondere Leistung könnten die Kinder wachsen, weshalb sie diese Einbindung fordert.

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bezogen werden, z. B. in gruppendynamischen Prozessen, in Zeiten, in denen nicht alle Beteiligten proben oder auf der Bühne stehen, aber auch bei Schwierigkeiten im Probenprozess sowie für die Gestaltung von Ritualen am Anfang und beim Abschluss. Obwohl bereits der organisatorische und logistische Aufwand eines solchen Kooperationsprojekts in der Regel sehr hoch ist, so sollten doch die grundsätzlichen Fragen der tatsächlichen Zusammenarbeit nicht ausgeblendet, sondern bereits von Beginn an mitgedacht werden.

Für welchen Typ Schüler ist ein Projekt wie Heimat re-invented? Unter Einbeziehung der Perspektiven der Schulsozialpädagoginnen und Lehrerinnen wird deutlich, dass die verschiedenen Professionen unterschiedliche Erwartungen und Zielvorstellungen in ein Projekt einbringen bzw. dass diese unausgesprochen eine Rolle spielen. Bezogen auf alle teilnehmenden Schüler gab es ebenfalls unterschiedliche Auffassungen, für wen ein solches Projekt sein sollte. Für die Schulsozialpädagogin Graß war das Projekt weniger für die Mädchengruppe gedacht, die im Projekt schlussendlich den Hauptteil der Choreografien tanzte, auch wenn diese „dadurch einen Schub bekommen“ und das Projekt ihnen viel an „Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein gegeben“ (TG 174: 12) habe.151 Die Schwierigkeit der Frage, für wen die Förderung durch ein solches Projekt am wichtigsten, aber auch am effektvollsten sei (TG 174: 9), besteht darin, dass man mit einer Auswahl immer auch zugleich einen Ausschluss vornehmen müsse.152 Der Tanzchoreograf hatte die Mädchen nach künstlerischen Gesichtspunkten ausgewählt, auch, weil sie sehr regelmäßig und ohne größere Störungen mitprobten. Dennoch, in den Augen der Schulsozialpädagogin war das Projekt nicht in erster Linie für diese Mädchengruppe, sondern für die pädagogisch schwierigen Schüler gedacht. Sie hatte sich erhofft, dass gerade Schüler, die auffällig sind und die mit den analytisch-intellektuellen Anforderungen der Schule Schwierigkeiten haben, dass gerade diese von einem künstlerisch-leiblichen Zugang zu einem Thema besonders profitieren könnten. Dieser Ansatz

151 | Graß stellt nach der Aufführung aber auch fest, dass auch diese Mädchengruppe nicht die Wertschätzung erfahren habe, die sie für ihre sehr gute Leistung verdient hätte; z. B . ist die Protagonistin nicht auf dem Frontcover der DVD mit der Aufführung zu sehen, was die Schulsozialpädagogin sehr bedauert (TG 174: 4 f.). 152 | Dass ein solches Projekt gleichbedeutend mit einer Förderung sei, davon sind alle Beteiligten überzeugt; es wäre allerdings interessant im Sinne einer Worst-Practice-Untersuchung empirisch der Frage nachzugehen, wie solche Schülerinnen die Projekte im Rückblick bewerten, die im Probenverlauf ausgeschlossen wurden, die auf der Bühne kein Erfolgserlebnis für sich verbuchen konnten. Meines Wissens gibt es keine Forschungen, die in diese Richtung arbeiten.

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

wird auch von der Projektleiterin Tober geteilt, wenn sie im Interview zu Beginn des Probenprozesses erläutert, dass solch ein Projekt eine Zugangsmöglichkeit zur Musik [ist], wo die Kinder auf eine ganz andere Weise, spielerische Weise, Musik entdecken können und sich zu Musik bewegen können. (AT 077: 1)

Für solche Schüler mache die Schulsozialpädagogin auch ein Kooperationsprojekt wie Heimat re-invented: „Ich hatte die Vorstellung und Christine [Flohr, die Klassenlehrerin] auch, dass gerade für solche Schüler [wie den S.] so ein Projekt ist.“ (TG 174: 7) Gleichzeitig ist ihr bewusst, dass dieser Schüler für den Tanzdozenten aufgrund seines Sozialverhaltens nicht die erste Wahl war. Ein anderer Schüler war ebenfalls im Fokus der Schulsozialpädagogin, der Rapper aus der fünften Szene: Er ist einer der Schüler, der uns hier gerade abrutscht und ich wegen so einem Schüler eigentlich so ein Projekt gemacht habe. Aber ich glaube, da bin ich auf meinem Sozialpädagogenposten die einzige. Weil, ich sag mal, dem Salva oder auch den anderen [Dozenten] haben so Schüler unheimlich viele Nerven gekostet. (TG 174: 15)

Dieser Schüler warf für die Schulsozialpädagogin ebenfalls große pädagogische Fragen auf: Er hatte nicht nur im Projekt selbst eine Solistenrolle als Rapper mit selbstgeschriebenem Text bekommen, sondern wurde zusätzlich für einen WDR-Fernsehbeitrag porträtiert – repräsentativ für das gesamte Projekt. Der Aufhänger des Beitrags war die drohende Abschiebung, da er und seine Familie nur einen Duldungsstatus im Asylverfahren hatten. In dem Fernsehbeitrag wird A. in seinem Alltag begleitet und reflektiert unter anderem über seine Heimat und seinen selbstgeschriebenen Song. Die Schulsozialpädagogin wertet das Porträt als einen Beitrag zum Nachdenken „über Schüler am Rande unserer Gesellschaft“ (TG 174: 15), aber nicht unbedingt als Werbung für das Projekt selbst. Der Schulleiter der Förderschule und die Lehrerin Flohr hingegen sind mit dem Beitrag nicht zufrieden: Ausgerechnet dieser Schüler, bei dem nach dem Projekt der erhoffte positive Schub ausblieb und für den im Gegenteil noch eine Konferenz einberufen werden musste, weil er nach Projektende zu häufig der Schule fernblieb und ein „aggressives Verhalten gegenüber den Lehrern hier an den Tag [ge]legt“ hat (TG 174: 7), bekam eine der größten Rollen. Für den Schuldirektor und das Kollegium war der Projektnutzen zwiespältig, wenn sich jemand wie A. nach einem Projekt dermaßen falsch verhielt. Auch die Schulsozialpädagogin fragt sich, ob es pädagogisch richtig war, dass er so eine große Rolle bekommen hatte (TG 174: 7): [A]lso das ist natürlich auch eine Illusion zu denken, wenn die jetzt auf einmal tanzen oder Musik machen, haben die mehr Lust in die Schule zu kommen. Da bin ich natürlich

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Kulturelle Teilhabe durch Musik? jetzt auch aus dem Traum aufgewacht. Das ist nun mal… es ist immer noch mal Schule. Vielleicht[,] […] hätte man das Projekt in einem Jugendzentrum gemacht, wären die Folgen der Jugendlichen andere gewesen. Da hätten sie mehr eine Anbindung. Es bleibt halt immer wieder Schule. (TG 174: 7)

Zusammenfassung Bei der übergeordneten Fragestellung dieses Kapitels, für wen ein Kooperationsprojekt eigentlich gedacht sei, können unterschiedliche Antworten festgehalten werden, die es gleichermaßen zu berücksichtigen gilt: Waren die beiden Roma-Schüler S. und A. zwar einerseits Auslöser für schwierige Situationen und damit für pädagogischen Gesprächsbedarf, so zeigte sich daran zugleich, dass nicht nur künstlerische Fragen die kulturelle Teilhabe beeinflussen, sondern ganz entscheidend auch pädagogische Fragen. Die Schulsozialpädagogin wurde sich allerdings auch durch eben diese beiden Schüler der Illusion bewusst, dass sich Motivation und Leistung in Bezug auf das Projekt nicht unbedingt auf die Schule auswirken und übertragen lassen, ja, dass es ein „Traum“ gewesen sei, dass das Projekt viel für den schulischen Alltag – im Sinne von Transferwirkungen – leisten könne. Interessant ist, dass die Mädchengruppe, denen der Tanzdozent eindeutig nach künstlerischen Gesichtspunkten die Solistenrollen gegeben hatte, nach Beobachtungen der Schulsozialpädagogin stärker sichtbare Erfolge vorweisen konnte; dieser Typ von Schülerinnen stand aber nicht so sehr im Fokus der Pädagoginnen und wurde im Übrigen auch nicht in den Konzepten und Förderanträgen als Zielgruppe benannt oder gar stark gemacht. Es lässt sich noch allgemeiner feststellen, dass es sehr unterschiedliche Erwartungen, Hoffnungen und Ziele gab, für welche Schüler ein Projekt wie Heimat re-invented gedacht, konzipiert und beantragt wird. Dabei verlaufen die Haltungen und Positionen teilweise, aber nicht zwingend entlang von Professionszugehörigkeiten. Vor allem wird deutlich, dass die unterschwellig bestimmenden Erwartungen und Positionen zwar nicht offen dargelegt und verhandelt wurden, aber implizit mitschwangen  – einen Aushandlungsraum dafür gab es jedoch nicht. Ebenfalls kann festgehalten werden, dass erhoffte positive Auswirkungen auf die Motivation der Schüler durch ein (!) Projekt nicht als kurzfristige und sichtbare Erfolge empirisch zu sichern sind. Die in den Anträgen benannten positiven und nachhaltigen Ergebnisse solcher Projekte müssen daher vielmehr als Antragscodes bezeichnet werden: Ob sie tatsächlich umsetzbar sind oder nicht, ist für die Anträge zunächst zweitrangig; in jedem Fall erhöhen sie die Hoffnung und steigern den Legitimationsdruck, dass die Projekte Erfolgsergebnisse liefern. Bezogen auf kulturelle Teilhabe heißt das zweierlei: erstens, dass pädagogische Fragen und Aushandlungen stark mitbestimmen, für wen eine Teilhabe über-

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haupt anvisiert wird und zweitens, dass die erhofften nachhaltigen Erfolge und Transferwirkungen als Bausteine einer Teilhabe gedacht werden, auch wenn die empirische Überprüf barkeit von vornherein als völlig ungesichert gelten muss.

7. Titel und R ahmen Prolog Es geht los: eine kurze technische Panne, dann ein Lichtspot auf die Bühne. Begleitet von Gemurmel aus dem Publikum, spricht der Intendant der Kölner Philharmonie, Louwrens Langevoort: Er erwähnt die Rahmendaten, stellt das Festival mit seinem Motto „Heimat – heimatlos“ kurz inhaltlich vor und dankt namentlich den Dozentinnen des Projekts „Heimat re-invented“. Dann stellt er die verschiedenen Schulen vor. Bei der Nennung von „Amaro Kher“ jubeln einige aus dem Publikum, was Louwrens Langevoort zu dem augenzwinkernden Kommentar veranlasst, dass diese Schule wohl die größte Fangemeinde mitgebracht habe. Er nennt die Sponsoren und stellt schließlich die Kooperation mit der MuKuTaThe-Werkstatt vor. Der organisatorische Auftakt ist beendet, der Saal wieder dunkel. Eine Mädchenstimme wird über Lautsprecher eingespielt, sie sagt einen Satz in einer fremden Sprache. Daran schließt sich ein weiteres Mädchen an, sagt wieder einen Satz, allerdings in einer anderen Sprache. Es folgt eine Jungenstimme. Manche Sprachen klingen vertrauter als andere, einige können die meisten wohl zuordnen und verstehen. Zehn Stimmen hört das Publikum, zum Schluss folgt der Satz auf Deutsch: „Dort, wo ich mich wohlfühle, dort ist meine Heimat.“ Szenenapplaus. Im Folgenden wird ein Aspekt analysiert, der bislang nur in Nebensätzen beachtet werden konnte, der aber für die Frage, wie kulturelle Teilhabe ermöglicht werden soll, von Bedeutung ist. Das Projekt agiert in verschiedenen Feldern, die hier als Rahmen begriffen werden. Damit ist eine Verortung in verschiedene kulturelle Handlungsfelder mit seinen jeweiligen Strukturen und Kontexten gemeint, die Auswirkungen auf das Projekt, seine Umsetzung und seine öffentliche Wahrnehmung haben. Der Prolog veranschaulicht diesen Aspekt: Mit der kurzen öffentlichen Einführung durch den Intendanten der Kölner Philharmonie wird deutlich, dass es sich bei Heimat re-invented nicht um eine reine Schulaufführung handelt, sondern dass das Projekt in einen übergeordneten Rahmen eingebettet ist: Es ist Teil des Festivals MusikTriennale mit seinem speziell auf Kinder und Jugendliche ausgerichteten Programm MusikTriennale 2–20. Dadurch ist ein Rahmen vorgegeben, der sich in Aufführungsort und -uhrzeit, aber auch im Titel ausdrückt. Der daraus ableitbare Anspruch des Projekts, der für dessen Konzeption grundlegend ist, wird im folgenden Kapitel herausgearbeitet.

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In erster Linie wird folglich der Rahmen, der durch die Institution Philharmonie sichtbar wird, untersucht; die beiden weiteren Rahmen, die Jugendkunstschule und die Schulen, werden in diesem Kapitel nur gestreift, weil zu ihnen bereits in den vorhergehenden Kapiteln einiges gesagt wurde.

Festival und Titel Das Festival: Der Begriff Heimat im Titel und als inhaltlich-programmatischer Ausgangspunkt war nicht speziell und ausschließlich für dieses Projekt konzeptioniert worden. Den organisatorischen und inhaltlichen Rahmen des Projekts bildete das Festival MusikTriennale, ein, wie der Name schon sagt, alle drei Jahre stattfindendes Programmformat, an dem die Kölner Philharmonie zusammen mit anderen großen Trägern wie der Stadt Köln und dem WDR beteiligt ist. Jede Triennale hat ein übergreifendes Motto, wie die Referentin für Kinder- und Jugendprojekte und Projektleiterin Tober erläutert: Dieses Jahr steht dieses Festival unter dem Motto Heimat – heimatlos. Wir hatten die Aufgabe, zu den Konzerten [des Festivals] dann eben Projekte zu entwickeln, die unterschiedliche Zielgruppen ansprechen sollen. (AT 077: 1)

Dieses Motto wurde auch für das Kooperationsprojekt zum Ausgangs- und Bezugspunkt der inhaltlichen Arbeit. Allerdings wurde nur mit dem ersten Teil des Mottos gearbeitet. Der Titel Heimat re-invented stand schon zu Beginn fest und war dadurch sowohl in Anträgen als auch in Präsentationserzeugnissen des Projekts von Beginn an zu finden. Er ist in Anlehnung an ein sogenanntes Bezugskonzert formuliert worden, das am Vorabend der Schulaufführung in der Philharmonie mit dem Dirigenten Kristjan Järvi und seinem Absolute Ensemble unter dem Titel „Absolute Bach re-invented“ stattfand. Die Angliederung an das Bezugskonzert geschah vor einem pädagogischen Hintergrund, wie die Projektleiterin Tober erklärt: Mit den [Vermittlungs-]Projekten beziehen wir uns immer auf ein Konzert, was im normalen Programm zu finden ist. Kinderkonzerte gibt es ja viele, die speziell eben auf diese Zielgruppe zugeschneidert sind. Unsere Aufgabe oder unser Anliegen ist, auch Konzerte, die normalerweise für Erwachsenen sind, eben auch für Kinder und Jugendliche zu erschließen. Und wir versuchen über verschiedene Vermittlungswege, das zu erreichen. (AT 077: 2 f.)

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Das Absolute Ensemble geht vom Werk Johann Sebastian Bachs aus, insbesondere von drei Inventionen,153 kreuzt und mischt aber verschiedene Musikgenres und -richtungen und dafür typische Instrumente. Denn es geht „nicht um strenge Werktreue, sondern um neue Zugänge“ (Programmheft MusikTriennale 2010: 101), um „Reinventions“, wie die musikalischen Stücke des Absolute Ensembles genannt werden; eine Hommage an Bach und eine „Wieder-Erfindung“ (Programmheft MusikTriennale 2010: 101) des Komponisten. Das Bezugskonzert verdeutlicht die Folie, vor der das Projekt stattfindet: Durch die Institution der Philharmonie werden ein bestimmter Kulturbegriff, ein bestimmtes Repertoire und ein musikalischer Kanon aufgerufen. Mit dem Bezugskonzert hatte das Projekt jedoch keinerlei Berührungspunkte – etwa, dass die Schülerinnen das Konzert von Järvi und dem Absolute Ensemble gehört oder sich damit inhaltlich auseinandergesetzt hätten. Weder Bach noch das Absolute Ensemble wurden z. B. musikalisch thematisiert und auch die Dozenten wussten nicht genau, was es mit dem Bezugskonzert auf sich hatte; es spielte im Projekt keine Rolle. Titel: Der Titel des Schulprojekts ist eine Anknüpfung an das Festivalmotto sowie an den Titel des Bezugskonzerts. Aber nicht die musikalische Wiederentdeckung und das Neu-Zusammensetzen des Repertoires eines bestimmten Komponisten wird für das Projekt zum Ausgangspunkt, sondern das Festivalmotto. Das Programmheft der MusikTriennale beschreibt in der Einleitung Heimat als einen „dynamische[n] innere[n] Zustand“. Weiter heißt es dort: Heimat ist nicht Stillstand, sie ist fortgesetzte Bewegung und Begegnung, ist dauernder Austausch. Sie ist nicht nur da, wo wir herkommen, sie ist immer auch da, wo wir hin wollen. (Programmheft MusikTriennale 2010: 8)

Dadurch erhebt Heimat re-invented einen konzeptuell-programmatischen Anspruch: Die Fragen nach Heimat sind zwar der Ausgangspunkt, allerdings soll daraus etwas entstehen, das wieder oder sogar neu erfunden, d. h. gedacht, definiert, benannt oder konstruiert werden soll. Und das ist sozusagen der Ausgangspunkt auch für das Projekt, dieser Ansatz, die Wurzel zu finden und damit spielerisch umzugehen und selber eine Definition zu finden. (AT 77: 2)

153 | Es handelt sich dabei um die Inventionen Nr. 1 in C-Dur (BWV 772), Nr. 4 in D-Moll (BWV 775) und Nr. 8 in F-Dur (BWV 779). Vgl. die dem Konzert gleichnamige CD, die 2013 bei Sony erschien.

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Damit wird intendiert, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was Heimat ist – von Begriff und Bedeutung, aber auch von seiner subjektiven und individuellen Verankerung her. Die Suche soll dabei durchaus spielerisch gestaltet werden, um etwas „wieder zu erfinden“ (vgl. die kreative, wenngleich nicht ganz logische Wortschöpfung des Absolute Ensembles). Der Titel Heimat re-invented verweist darauf, dass Heimat etwas (Neu-)Zusammengesetztes, etwas (Wieder-)Erfundenes oder auch Gefundenes ist. Er verweist auf eine akteurzentrierte Perspektive der (Neu-)Konstruktion; auf eine neue Perspektive der Beteiligten, die im Projekt angestrebt wird. Der Titel suggeriert somit ein Bewusstsein der Konstruktion des Heimat-Begriffs und eine reflektierte Grundhaltung; er weist – auch vor dem Hintergrund des Bezugskonzerts – mit dieser Haltung bereits auf einen als transkulturell zu bezeichnenden Anspruch hin, der sich konzeptuell auf das Projekt überträgt. Kam diese reflektierte Grundhaltung im Projekt zum Ausdruck? Wie wurde der spielerisch-experimentelle Ansatz in den Proben verhandelt? Haben sich Dozentinnen, Kinder und Jugendliche reflektiert mit Heimat auseinandergesetzt? Haben sie das Alte aufgebrochen und etwas Neues konstruiert? Die Auseinandersetzung mit dem Schlüsselwort Heimat wird im Prolog durch den in verschiedenen Sprachen eingespielten Satz thematisiert: Die sprachliche Bandbreite der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen wird wie ein Kaleidoskop aufgefächert; sie bringen ihre sprachlichen Kompetenzen ein, und man hört den Satz auf Arabisch, Armenisch, Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Romanes, Rumänisch, Serbisch, Spanisch und Türkisch. Der Satz „Dort, wo ich mich wohlfühle, dort ist meine Heimat.“, der vom künstlerischen Leiter vorgegeben wurde, fasst zusammen, wie im Projekt der abstrakte Heimatbegriff übersetzt wurde: Das Abstraktum Heimat wird zum Konkretum Zuhause-Sein, ein Ort, an dem man sich „wohlfühlt“. Dieser Ort ist nicht zwangsläufig regional und geografisch zu verstehen, sondern emotional-situativ, meistens auch biografisch. Gleichzeitig soll mit den verschiedenen Sprachen noch vor Beginn der ersten Szene auf die vielseitigen kulturellen Hintergründe des Projekts hingewiesen werden. In den unterschiedlichen Arbeitsweisen und -haltungen der Dozentinnen ist ein unterschiedlicher Umgang mit spielerisch-experimentellen Ansätzen zu erkennen: Mit einigen Dozenten erarbeiteten sich die Kinder und Jugendlichen mithilfe verschiedener Techniken und Methoden Bausteine, mit denen sie einen individuellen Ausdruck zum Thema Heimat experimentell erproben konnten (aktiv-produzierende Arbeitsweise). Andere Dozenten gaben Material vor – zwar in empathischer Abstimmung mit den Kindern und Jugendlichen –, aber sie rekurrierten stärker auf einen bestimmten Kanon (rezeptiv-reproduzierende Arbeitsweise).154 Dementsprechend fiel die künstlerische Interpreta154 | Vgl. das Kapitel zu den Arbeitsweisen der künstlerischen Dozenten (Teil IV/A./5.).

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tion der dem Titel inhärenten Grundhaltung unterschiedlich aus. Dies war für die künstlerische Gesamtaussage unter dem Blickwinkel der kulturellen Teilhabe nicht unproblematisch. In der „Roma-Szene“ wurde das Bewusstsein, dass Heimat eine Konstruktion ist, nicht thematisiert oder reflektiert, wie die Projektleiterin Tober im Rückblick feststellt: [D]as ist jetzt einfach eine Kritik natürlich an der künstlerischen Umsetzung: Bilder, mit denen gespielt wurde, die mir jetzt persönlich ein bisschen zu eindimensional waren. Und nicht über sich hinaus sozusagen eine Perspektive gezeigt haben. Es blieb so in dieser Kultur der Roma, und ich hätte mir gewünscht, z. B., dass es vielleicht eine Verzahnung mit anderen Kindern gegeben hätte. Um zu zeigen, ok, Roma-Kultur, aber... jetzt passiert was. Wir sind hier und wir integrieren uns hier und wir sind mit anderen Menschen zusammen und es gibt etwas Gemeinsames. Das z. B. hätte für mich eine Möglichkeit sein können, das [Thema] noch weiter zu entwickeln. (AT 168: 5)155

Die Kinder und Jugendlichen wurden durch das Projekt dazu angeregt, sich auf die Suche nach Antworten zu begeben, was für sie denn Heimat sei. Dadurch, dass der Begriff vom Konzeptuellen her sehr offen gedacht war, war er unabhängig vom Alter oder anderen Differenzlinien wie Geschlecht, Nationalität oder religiöser Zugehörigkeit theoretisch für alle zugänglich. Damit sollte das Projekt auch für Jugendliche Anknüpfungspunkte bieten, die sich Fragen nach Identität und Zugehörigkeit in der Adoleszenz verstärkt stellen. Für das Projektkonzept war diese offene inhaltliche Ausrichtung sehr sinnvoll, denn so konnten die unterschiedlichen Klassenstufen, die an dem Projekt teilnahmen, zusammenfinden. Neben den Antworten, die die Kinder und Jugendlichen für sich fanden und auf der Bühne, z. B. in den Bewegungen des „Stuhl-Tanzes I“ oder den Produkten der Kunstgruppen, zeigten, sind im Programmflyer Zitate zu finden: „Hier ist meine Heimat“, „Wo man wohnt“, „Heimat ist meine Familie“, „Wo ich mich wohlfühle und geliebt werde“, „Meine Heimat ist Deutschland. Das Land, wo ich geboren und aufgewachsen bin.“ Nimmt man diese Aussagen zusammen mit den künstlerischen Aussagen, so ergibt sich folgendes Bild: Sehr häufig werden Bausteine wie Familie und Freunde, manchmal auch die Schule und bestimmte Aktivitäten genannt; es finden sich weniger Nennungen von Orten und Ländern als vielmehr von Personen und Gemeinschaften (z. B. der Fußballverein, ein Jugendzentrum oder die freiwillige Feuerwehr). Die ursprüngliche Idee des künstlerischen Leiters, dass Köln als gemeinsame 155 | Aber sie verweist gleich im nächsten Satz auf die Schwierigkeiten der (organisatorischen und logistischen) Umsetzung eines Kooperationsprojekts dieser Größe. Außerdem würdigt sie die Leistungen der Kinder und Jugendlichen, die trotz dieser Kritik an der künstlerischen Umsetzung im Vordergrund ihrer Reflexion stehen (AT 168: 5).

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Schnittmenge aller teilnehmenden Kinder und Jugendlichen fungieren könnte, findet sich in den Antworten nicht wieder. Im Gegenteil, gerade bei den Roma-Kindern und -Jugendlichen tauchen Köln oder Deutschland nicht als Heimat auf, sondern die Kinder verweisen auf die Familie, auf Freunde und darauf, wo sie zu Hause sind – aber wo das ist, wissen sie teilweise selbst nicht so genau (BB 167: 5). Damit kommt (unbewusst) auch der zweite Aspekt des Festivalmottos Heimat – heimatlos in das Stück hinein. Offensichtlich spielte er bei vielen unterschwellig eine Rolle. Darüber hinaus wurde das Projekt selbst zur Heimat, zumindest auf Zeit und für einige der teilnehmenden Schüler (AR 172: 6, AJ 031: 2). Es zeigte sich, dass sowohl die Dozentinnen als auch die Kinder und Jugendlichen mit einem abstrakten Heimatbegriff teilweise nichts anzufangen wussten, stattdessen aber andere Begriffe wie Geburtsort, Familie oder auch eine klare Vorstellung davon, was Heimat kulturell z. B. für die Roma bedeutet, einbrachten. Damit wird deutlich, dass Kriterien wie Geburtsort und Nationalität, ethnische und familiäre Zugehörigkeit als häufige Antworten sehr präsent sind. Sie können als quasi objektiv bezeichnet werden, denn sie werden wenig hinterfragt und als primordial gegeben, als identitätsstiftend angenommen. Interessant wäre zu untersuchen, warum dies so ist; festhalten lässt sich bereits an dieser Stelle, dass diese Aspekte des Heimatbegriffs stark und virulent sind. Ein reflexiver Umgang mit dem Begriff Heimat fand z. B. in der „Roma-Szene“ nicht statt, wie durch den Vergleich mit den anderen Szenen offenkundig wurde.

Aufführungsort und -uhrzeit Ort: Die organisatorische Einbettung des Projekts war ebenfalls durch die Kooperation mit der Philharmonie und durch den Festivalrahmen gegeben. Die Projektleiterin Tober erläutert, warum die Aufführung in der Comedia stattfindet: Und das Besondere an diesem Projekt ist, dass es eine richtige Aufführung gibt, eine professionelle Aufführung, eben nicht nur im schulischen Rahmen, in der Schulaula oder Turnhalle, sondern ein richtiger professioneller Auftrittsort gefunden wurde, das ist in der Comedia hier in der Südstadt, die neben vielen Theateraufführungen und Kabarettaufführungen eben auch Kinderballett anbieten. Das ist also ein etablierter Ort für solche Art von Veranstaltungen, den wir dafür gewinnen konnten. Sodass wir am 11. Mai dann eine richtige Aufführung haben können von einer dreiviertel Stunde und den großen Saal dann eben mit einem hoffentlich großen Publikum erfreuen können! (AT 77: 2)

Dadurch, dass die Aufführung im Rahmen der MusikTriennale und in einem professionellen Theater stattfand, sollte das Versprechen eingelöst werden,

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

Kinder und Jugendliche, die „am Rande der Aufmerksamkeit und der sozialen Struktur stehen“ (Programmheft MusikTriennale 2010: 102), mit ihren Talenten sichtbar im Rahmen einer Institution wie der Philharmonie oder der Comedia zu zeigen. Die Kooperation mit Förderschulen war sowohl für die Philharmonie als auch für die Comedia neu. Für die Projektleiterin Tober bestand ein Aspekt von gelungener kultureller Teilhabe darin, dass Veranstaltungsorte ihre Verpflichtung, auch für Förderschüler eine Bühne zu sein, wahrnehmen würden, wie es durch das Projekt geschehen sei: [D]er Veranstaltungsort Comedia Köln, [der] hatte richtig Angst vor diesem Projekt [Lachen]. So viele Kinder haben die selten, als Aufführende. Und dann natürlich mit einer Schülergruppe, die sie schwer einschätzen können, weil einfach natürlich Klischees Förderschule, oh Gott. So, klar, es gibt immer Unwägbarkeiten, es gibt immer an entscheidenden Stellen keinen, der aufpasst. Das ist normal. Aber das ist nicht nur bei Förderschulen so. Wir waren uns einig, so aufregend und schwierig und problematisch das zwischendurch auch war für die Veranstalter vor Ort, dass die solche Projekte auch machen wollen und auch sehen, dass die solche Projekte machen müssen. (AT 168: 6)

Die Verantwortliche der Comedia, daraufhin befragt, bestätigte den Willen, ein solches Projekt mit vielen Kindern – und vor allem mit Förderschulen – zu wiederholen (AH 165: 1). Alle beteiligten Projektpartner strebten nach Ende von Heimat re-invented eine dauerhafte Zusammenarbeit an;156 dies war auch bereits in den Anträgen als ein Aspekt der Nachhaltigkeit benannt worden. Uhrzeit: Organisatorisch angekoppelt war das Projekt an die Programmschiene Lunch, ein kostenloses Angebot der Philharmonie in der Mittagszeit. Während des Lunch gab es im Konzerthaus und anderen Spielstätten die Möglichkeit für das Publikum, an zumeist halbstündigen Begleit- und Ergänzungsprogrammen des Festivals teilzunehmen, aber auch Einblicke in die Probenarbeit zu bekommen. Lunch ist eine eigenständige Programmschiene, sozusagen ein musikalischer Appetithappen, wie das Programmheft zu diesem Format schreibt: Musik statt Mittagessen, ist das sinnvoll? Und ob! Und nicht nur als Diät-Programm. Zum MusikTriennaleLunch steht musikalische Vollwertkost auf dem Menü. Das Angebot reicht von exotischen Delikatessen bis zu Spezialitäten aus der Region; nicht aus der 156 | Die Projektpartner realisierten in den Folgejahren soweit mir bekannt ist, zwar keine weitere Kooperation in der gleichen Zusammenstellung der Institutionen, aber es gab sowohl ein Folgeprojekt der MuKuTaThe mit der Philharmonie und Förderschulen im Jahr 2012 als auch Projekte von einzelnen Förderschulen mit einzelnen Künstlern in den Jahren 2011 und 2012 (vgl. NRW Landesbüro Tanz e. V.).

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Kulturelle Teilhabe durch Musik? Konserve, alles wird frisch zubereitet, und durchweg fair gehandelt, denn bei freiem Eintritt kommt jeder auf seine Kosten. Es ist sogar ein nachhaltiger Gewinn für alle Beteiligten zu erwarten. Also lieber mal eine Butterstulle eingepackt und an der Kantine vorbeigemogelt, um mit einer ausgewogenen Zwischenmahlzeit den Kulturhunger zu stillen. (Programmheft MusikTriennale 2010: 18, Hervorhebung im Original)

In dieses Programmformat wurde Heimat re-invented eingereiht und damit war der zeitliche Rahmen fixiert: Die Aufführungsuhrzeit wurde auf die Mittagszeit (12.30 Uhr) festgelegt. Diese Uhrzeit beeinflusste die Zusammensetzung des Publikums entscheidend: Der Saal war gefüllt mit Schulklassen der jeweiligen Schulen, Familienmitgliedern der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen und nur vereinzelt mit Besucherinnen, die beispielsweise auf Empfehlung von teilnehmenden Dozentinnen gekommen waren. Durch die Programmschiene war außerdem der kostenfreie Eintritt vorgegeben, auch wenn es sich bei der Aufführung nicht um einen Einblick in die Probenarbeit oder ein Begleitangebot handelte, sondern um die fertige und im Rahmen der MusikTriennale einzige Aufführung. Die Anbindung an die Programmschiene Lunch war für die Ziele des Projekts wie auch für die Publikumszusammensetzung nicht sehr sinnvoll. So verweist auch die Geschäftsführerin der Kämpgen Stiftung,157 die das Projekt förderte, auf die Publikumszusammensetzung: [D]as geht mir leider häufig bei solchen Aufführungen so, man erlebt doch das so im Publikum, also die Hoffnung ist ja, da auch Leute zu erreichen, die so mit dem Bereich nichts zu tun haben, wenn Sie dann aber dort sitzen, dann sind es doch die Angehörigen, die Leute aus den Wohnhäusern. Und das kam mir bei dem Projekt da auch so vor, das waren die Schulen natürlich, so das Inklusive, dass wirklich auch Menschen aus der Gesellschaft darauf aufmerksam werden, die eigentlich mit den Projekten und Personengruppen nichts zu tun haben, ist in meinen Augen schwierig, dadurch zu erreichen. (IH 2_028: 2)

Das Ziel von Heimat re-invented war es u. a., die Kinder und Jugendlichen „gesellschaftlich sichtbar zu machen“ (Antrag Fonds Soziokultur 2009: 1), d. h. sie herauszubringen aus den ihnen vertrauten Orten und (Schul-)Settings. Damit ist ebenfalls intendiert, ein anderes Publikum als die bislang üblichen (wie z. B. die Elternschaft) zu erreichen. Durch die Uhrzeit wurde die Möglichkeit eines breiten Publikumszugangs allerdings sehr stark eingeschränkt. Vielmehr wurde die Aufführung damit in erster Linie an den Rahmen Schule gekoppelt – auch wenn die Entscheidung anders, nämlich mit der Programmschiene Lunch begründet wird. Obwohl eine Aufführung am Abend keine Garantie für 157 | Die Kämpgen-Stiftung finanzierte als zweitbedeutendster Förderer das Projekt, weil es sich an Förderschüler richtet und einen inklusiven Anspruch verfolgt (IH 2_028: 1).

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

eine andere Publikumszusammensetzung sein muss, so blieb doch der Eindruck, dass die Schülerinnen zwar von der Einrichtung als einem etablierten Kulturort profitierten, eine Öffentlichkeit jenseits der Eltern und weiterer Klassen der beteiligten Schulen aber nicht erreicht wurde. Deutlich wird, dass der Ort als Rahmen der Hochkultur und der professionellen Bedingungen gewählt und gewonnen werden konnte. Durch die Aufführungszeit wurde dieses Ziel jedoch wieder stark eingeschränkt.

Zusammenfassung Die Kooperation mit der Kölner Philharmonie und die Anbindung an den Festivalrahmen mit seinen Implikationen war bei der Konzeption des Projekts sowohl für die inhaltliche Ausgestaltung als auch für die Rahmenstruktur grundlegend: Die Rahmung durch das Festival mit seiner inhaltlichen Ausrichtung auf das Motto Heimat – heimatlos war für die Projektbeteiligten, insbesondere für die Kinder und Jugendlichen ein nicht ganz einfaches Thema, weil sie es für sich erst einmal konkret fassen mussten. Das Thema ließ unterschiedliche Auslegungen zu. Während das Bezugskonzert ganz klar nach einer musikalischen Heimat fragt und diese bei einem spezifischen Komponisten findet (Bach), spielt diese Interpretation von Heimat im Projekt Heimat re-invented nur eine nachgeordnete Rolle. Zwar stellte sich auch hier die Frage, bei welchen Genres und Stücken sich die Kinder und Jugendlichen wohlfühlen, doch fand dies eher implizit statt und war keine zentrale Fragestellung. Wäre es allerdings eine zentrale Fragestellung gewesen, wöge es noch schwerer, dass die Roma-Kinder und Jugendlichen auf Roma-Lieder festgelegt wurden und nicht die Möglichkeit bekamen, ihre viel vielfältigere und individuellere musikalische Heimat abzubilden (Roma-Lieder, Rap etc.). Eine Verbindung zu dem Bezugskonzert gab es in der Projektumsetzung nicht, sodass sich eine Diskrepanz zum Anspruch auftat, der sich durch die konzeptuelle Verknüpfung mit dem Bezugskonzert ergab. Auch wenn diese Diskrepanz nur ein kleiner Baustein der Frage nach Titel und Rahmen ist, so ist er wichtig für die Bedeutung und die Verwendung des Begriffs Kultur. Die Heimatfrage wird im Projekt nicht nur musikalisch verhandelt, sondern auch auf Kinder und Jugendliche bezogen, in deren Familien Erfahrungen von Flucht und Migration vorhanden und prägend sind. Dadurch verschob sich der Kulturbegriff von einem engen Verständnis, das auf die Künste rekurriert, zu einem weiten Verständnis. Der Kulturbegriff wurde zunehmend totalitätsorientiert, d. h. er bezog sich auf die Lebensweise im ethnischen Sinne. Sowohl die „Roma-Szene“ als auch Elemente in den Videoanimationen und das Requisit des Koffers zeugen von diesem Kulturverständnis. Gleichzeitig wird durch den Rahmen der Hochkultur und die Einbettung in das Festival der Philharmonie wiederum ein enges differenzierungstheoretisches Kulturverständnis aufgerufen, d. h. Kultur wird gleichgesetzt mit bürgerlicher Hochkul-

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tur. An dieses Verständnis knüpft z. B. der Tanzdozent Echevarria mit seiner Choreografie zu Mozarts „Entführung aus dem Serail“ an. Die Verwendung des Kulturbegriffs oszilliert zwischen diesen unterschiedlichen Polen und bleibt uneindeutig. Durch den programmatisch ausgerichteten Titel wurde ein inhaltlich-konzeptioneller und transkultureller Anspruch erhoben, dem das Projekt allerdings nur teilweise gerecht werden konnte. Mit der Auswahl des Ortes wurde die Sichtbarkeit der Kinder und Jugendlichen angestrebt, die durch die mittägliche Uhrzeit nur bedingt erreicht werden konnte. Zwar wurden sie im Programm sichtbar, ein neues Publikum konnte jedoch nicht gewonnen werden. Es lässt sich festhalten, dass durch die Verflechtung der verschiedenen Rahmen eine Komplexität entsteht, die in beide Richtungen wirkt: Einerseits gibt es viele Partner, die neue Sichtbarkeiten eröffnen, andererseits kann der Rahmen aber auch Entscheidungen zur Folge haben, die für die Projektziele kontraproduktiv sind.

8. E xkurs : D er U mgang mit K lischees und S tereot ypen Im folgenden Exkurs – und damit letzten Kapitel zum Projekt Heimat re-invented – werde ich untersuchen, wie die Projektteilnehmenden die „Roma-Szene“ bezogen auf Klischees einschätzen. Das erscheint sinnvoll, um beurteilen zu können, inwieweit Stereotypen bei Fragen nach kultureller Teilhabe eine Rolle spielen und inwieweit sie zu Ein- und Ausgrenzungsmechanismen beitragen können. Zudem dient der Exkurs als Voruntersuchung für die Kategorie Zuschreibungen (Teil V/3.). Alle Darstellungen, nicht nur solche von ethnischen Kulturen, arbeiten notwendigerweise mit der Auswahl und der Reduktion komplexer Sachverhalte. Dass es dabei zu vereinfachenden und verallgemeinernden Bildern kommt, ist Teil des Prinzips von Auswahl und Präsentation. Einfache Bilder helfen, zu begreifen, was man noch nicht kennt und bieten zunächst ganz allgemein eine Orientierung. Werden besonders charakteristische und typische Merkmale hervorgehoben, so stellen sich zugleich Fragen nach Repräsentation158,

158 | Fragen danach, wer das Mandat zur Repräsentation hat, stellen sich im kulturellen Bereich vielleicht nicht so stark wie im politischen (vgl. die Vertretung von Minderheiten), berühren aber ebenfalls die Frage nach der Legitimität der Vertretung.

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nach Authentizität159 und nach Stereotypen160. Problematisch wird es dabei, wenn Bilder zu stark schematisieren und begrenzen, sodass unzulässige oder verkürzte (Vor-)Urteile begünstigt werden. Solche Darstellungen können determinierend für die Mitglieder der stereotypisierten Gruppe sein und einen exkludierenden Mechanismus unterstützen. Damit spielen Stereotype eine wichtige Rolle für Fragen der kulturellen Teilhabe. Die „Roma-Szene“ war bereits im Verlauf des Projektprozesses, insbesondere aber in den reflektierenden Interviews nach Abschluss von Heimat re-invented Anlass für Fragen, inwieweit klischeehafte Bilder und stereotype Darstellungen auf der Bühne präsentiert wurden. In einigen der vorherigen Kapitel wurde die Frage einer klischeehaften Darstellung angesprochen, z. B. bezogen auf das Feuer-Videostill und die Kostüme sowie bei Umsetzung der Konzeptidee.161 Die erwachsenen Beteiligten am Projekt – Leiterinnen, künstlerische Dozenten, Praktikantinnen, Lehrerinnen und Schulsozialpädagoginnen – äußerten sich alle zum Aspekt der Klischees und Stereotype. Beispielhaft für ein Argumentationsmuster ist die Meinung einer Praktikantin, dass einzelne Elemente wie die Kostüme oder das Feuer-Videostill „passend“ waren und „Farbe ins Programm“ gebracht haben, wobei „ganz klar die Klischees präsentiert [wurden], aber nur positiv“ (LB Nr. 34: 1). Sie bewertet dies zugleich, indem sie ausführt: Ich sehe es auch nicht als problematisch an, sich so darzustellen. Es handelt sich doch um eine eigene Kultur und dabei gibt es meist auch traditionelle Kleidung. […] Daher finde ich es gut, diese positiven Merkmale auch zu zeigen. Hätten sich die Kinder dafür geschämt, wäre es eine andere Sache gewesen. (LB 34: 2) 159 | Hier müsste danach gefragt werden, was und für wen authentisch ist und ob Authentizität nicht immer an einen bestimmten Kontext gebunden ist, nämlich in der Richtung, was für glaubwürdig und echt gehalten und definiert wird, vergleichbar etwa mit dem bedeutungsorientierten Kulturbegriff. 160 | Ich folge bei der synonymhaften Verwendung der Begriffe Klischee und Stereotyp dem Duden sowie Langenscheidts Fremdwörterbuch: Klischee: Vorurteil, pauschale, festgefahrene Vorstellung (Langenscheidt Management GmbH); eingefahrene, überkommene Vorstellung (Bibliographisches Institut GmbH); Stereotyp: vereinfachendes, verallgemeinerndes, stereotypes Urteil, [ungerechtfertigtes] Vorurteil über sich oder andere oder eine Sache; festes, klischeehaftes Bild (Bibliographisches Institut GmbH). Ebenfalls wird in der Definition und Verwendung auf das Lexikon der Psychologie zurückgegriffen (Six-Materna/Six 2000); im Kapitel zur Kategorie Zuschreibungen wird darauf ausführlicher eingegangen (Teil V/3.). 161 | Vgl. das Kapitel zur Relevanz der Dramaturgie (Teil IV/A./2.), das Kapitel zu den Kostümen (Teil IV/A./4.) sowie das Kapitel zu Titel und Rahmen (Teil IV/A./7.).

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Damit setzt sie das Präsentieren einer „eigenen Kultur“ mit ihren „positiven Merkmalen“ in eins mit positiven Klischees. Diese hätten ihre Berechtigung, weil sie jene Kultur zeigten und über diese sichtbare und stolze, nicht beschämende Präsentation den Auftrag erfüllten, den Zuschauern etwas von der Kultur nahezubringen und damit das Ziel der Teilhabe (der Roma) unterstützen. In die gleiche Richtung zielt die Bewertung von der Lehrerin Haag des Roma-Schulprojekts: Das Feuer auf der Leinwand habe ich selber nur kurz wahrgenommen, zusammen mit den Klamotten war es sicher klischee-bedienend. Wie ich das finden soll, weiß ich gar nicht genau. Für die Zuschauer waren die Klischees sicher hilfreich, um zu verstehen, was da gerade geboten wird; ich müsste mal mit Roma selber sprechen, um zu erfahren, wie sie das empfinden. Die Kinder haben da keinerlei Bemerkung zu gemacht. Vielleicht verstehen sie es auch gar nicht. (SH 38: 2)

Die Lehrerin versteht den Einsatz von „klischee-bedienenden“ Elementen als Mittel zum Zweck und im Sinne eines Heranführens an eine fremde Kultur. Sie sieht darin eine orientierungsgebende und ordnende Struktur, die sie zunächst weder als positiv noch negativ noch als Klischee oder Stereotyp wertet. Eine weitere Lehrerin von einer anderen Schule fügt ein weiteres Argument hinzu: Die ROMA-[Szene] war anfangs sehr klischeehaft, doch den Zuschauern und auch den zusehenden ROMA hat es SEHR gefallen. (TF 039: 1, Hervorhebung im Original)

Auch aus dem Publikum kam die Rückmeldung, dass der „Roma-Teil“ sehr authentisch gewesen sei und „gut für die Roma“, wie es ein Roma-Familienvater ausdrückte, dessen Sohn beim Projekt mitgemacht hatte (Publikum 155: 1). In dieser Argumentation werden einige Elemente der Darstellung zwar eindeutig als Klischees bezeichnet, aber als positive Klischees, die nicht „problematisch“ seien und damit für ein besseres Verständnis der Roma eingesetzt werden. Somit könnten klischeehafte Elemente oder eine Indienstnahme von Klischees auch als Instrument zur kulturellen Verträglichkeit verstanden werden, um einen Einstieg für Leute mit wenig Kenntnissen und Hintergrundwissen zu ermöglichen. Die Lehrerin gleicht die Szene mit ihrem Wissen ab bzw. den im gesellschaftlichen Diskurs vorherrschenden Bildern über Roma – der Einschätzung der „schwierigen Situation“ der Roma allgemein und der Charakterisierung der eigenen Kultur als Rückzugsort: Insgesamt als Teil von 45 min. fand ich es [die „Roma-Szene“] dann gerade am Anfang der Vorführung wieder gut (Thema Heimat – heimatlos), denn die Situation der ROMA ist ja so schwierig. Sie werden vertrieben/geduldet, haben letztendlich fast nur sich und

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte ihre Lieder und Kultur... Einige Zuschauer erzählten mir von Gänsehautfeeling. (TF 39: 1, Hervorhebung im Original)

Inwieweit dies zutreffend ist oder nicht, ist nicht Gegenstand der vorliegenden Analyse, sondern es wird vielmehr untersucht, wie eine Argumentationsstruktur gebildet wird, die in der Darstellung klischeehafte Bilder erkennt oder nicht. Für den künstlerischen Leiter, der die Idee zu dem Feuer-Hintergrundbild hatte, sollte das Bild allerdings „nur eine Lagerfeuer-Atmosphäre herstellen, wenn man so gemütlich zusammensitzt und singt und tanzt“ (SE 36: 1). Dies sei in „jedem Kulturkreis“ (ebd.) so und deshalb sei beispielsweise das Feuer im Hintergrund auch kein Klischee. Eine andere Dozentin bemerkte dazu, dass dies aber im Zusammenhang mit der Gruppe der Roma Bilder aufrufe, die dann schließlich „nah dran am Klischee“ seien, was „natürlich Wahres beinhaltet – die Vergangenheit, das Hadern mit der seßhaften Existenz“162 (SC 37: 2). Auch hier wird die Frage nach klischeehaften Bildern mit eigenem Wissen abgeglichen und überprüft, ob es sich um ein Klischee handelt oder nicht. Die Musikdozentin schließlich, selbst Romni und verantwortlich für die Szene, argumentiert in die gleiche Richtung und spricht sich für eine Indienstnahme positiver Klischees aus: Manche wollen genau die Roma-Musik hören, die sie sich vorstellen, dann sind das Klischees. […] Aber wenn das die positiven Klischees sind, warum sollen wir die dann nicht erfüllen? (BB 167: 6)

Sie bringt einen weiteren Aspekt ein, dass nämlich Stereotype nur im Kontext zu verstehen sind: Sie erläutert dies anhand des Liedes „Djelem, djelem“, das sie für die Eingangsszene ausgesucht hatte. Dass das Lied als internationale Hymne der Roma einen ernsten, geradezu „pathetischen“ (BB 167: 6) Charakter haben kann, wird den meisten Gadje nicht bewusst gewesen sein. Die im Publikum anwesenden Roma wüssten laut der Musikdozentin, dass

162 | Es ist historisch zu klären, ob etwas Wahres an dem Klischee dran ist, dass Roma mit einer sesshaften Existenz gehadert haben oder ob das nicht in erster Linie auf Verbote, Edikte und Gesetze zurückzuführen ist, die gegen „fahrendes Volk“ erlassen wurden und somit eine Niederlassung schlicht nicht möglich machten, vgl. z. B. Gilsenbach: „Nichts ist in der Geschichte der Roma so vollständig dokumentiert, wie die Flut der Mandate, Verordnungen, Gesetze, die je nach dem Zeitstil auf Ausrottung, Abschiebung, Seßhaftmachung, ‚Sittigung‘ oder Assimilierung der Roma abzielten und abzielen.“ (Gilsenbach 1994: 9).

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Kulturelle Teilhabe durch Musik? „Djelem, djelem“ ganz locker von den Roma gesungen [wird], nicht [so ernst] wie bei anderen Ländern, […] sondern die Roma singen das, während sie z. B. Fleisch aufs Feuer legen […]. Und so habe ich es auch selbst betrachtet, […] quasi wie Leute im Garten arbeiten und dazu pfeifen oder wenn Männer sich rasieren vor dem Spiegel und pfeifen […] ich gehe ganz locker und ich singe mir ein Lied, damit das Leben ein bisschen fröhlicher wird. (BB 167: 6)

Sie argumentiert, dass erst dadurch, dass das Publikum bestimmte Bilder oder Musikstücke erwarte, Klischees aufgerufen würden. So könnte das Lied ein Klischee bedienen, wenn ein Großteil des Publikums wüsste, dass es sich um eine Hymne handelt. Da das Lied aber ganz locker und wie nebenbei und gerade nicht wie eine gewichtige und ernste Angelegenheit daherkomme, sorge dieser Umstand dafür, dass das Lied nicht zum Klischee werde. Nein, ich hatte keine Angst vor Klischees, weil bei Roma kannst du nie feststellen, was ein Klischee ist und was nicht. Bei Roma ist das so unterschiedlich, hängt von der konkreten Situation ab. (BB 167: 5)

Nicht ganz klar wird indes, was die Szene aus Burakowskas Sicht zu einer klischeehaften Darstellung gemacht hätte. Der Verweis auf die Kontextabhängigkeit bringt in der Frage nach Stereotypen und Klischees einen weiteren wichtigen und bislang noch nicht in die Diskussion eingeführten Aspekt mit sich: Wenn etwas vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen eingebracht wird und damit als echt und authentisch empfunden und legitimiert wird, kann es kein Klischee sein, so Burakowska. Da Burakoswka in einer, wie sie sagt, traditionellen Roma-Familie aufgewachsen ist, die bis Ende der 1960er-Jahre mit dem Wohnwagen durch ganz Polen, aber auch durch Europa gewandert ist (BB 71: 1), sind z. B. das Wandern und die Zubereitung des Essens am Lagerfeuer für Burakowska kein Klischee, sondern erlebte Wirklichkeit. Auch beschreibt sie, wie Musik für sie als Kind ein selbstverständlicher und gelebter Teil des Alltags war und ganz nebenbei passierte, genauso wie sie ihre Herangehensweise für das Lied „Djelem, djelem“ auch versteht: Und meine Eltern, meine Mutter hat mir immer erzählt, als die noch im Wohnwagen gelebt haben, [dass] jeder Tag immer mit Musik am Abend endete. Die haben immer dieses Lagerfeuer gemacht und haben sich da gesammelt und Musik gemacht mit sehr verschiedenen Instrumenten. Meistens war das eine Gitarre oder zwei und viel Rhythmus, z. B . mit Holzlöffel mit Brett, mit Waschbrett und so was, weil die manchmal keine anderen Instrumente hatten, aber die Musik hat die immer jeden Tag begleitet. Und die Musik war damals, aber auch heute, immer eine Art Therapie für die Roma. (BB 71: 2)

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Vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen ist der Aufzug der ersten Szene, in der sie mit zwei Kindern an der einen und einem Koffer an der anderen Hand auf die Bühne kommt, kein Rückgriff auf ein veraltetes, romantisierendes oder sogar verfälschtes (Geschichts-)Bild, sondern ein Teil ihrer Familiengeschichte und Sozialisation. Gleichwohl ist es gerade dieses Bild der Roma, das als veraltet, romantisierend, exotisierend und, weil nicht für alle zutreffend, auch als verfälschend eingesetzt wird. Entscheidend ist, dass im Projekt dieses Bild als die einzige Form von Traditionen und Lebensweise auf der Bühne präsentiert wird. Sind folglich positive Stereotype womöglich nur die andere Seite der Medaille von negativen Stereotypen, da sie genau wie negative Stereotype mit schablonenhaften und festgefahrenen Vorstellungen arbeiten? Die Schulsozialpädagogin vertritt in der Diskussion eine andere Position. Da sie sich seit über zehn Jahren in verschiedenen Arbeitsverhältnissen, Projekten, Engagements sowie in ihrer sozialpädagogischen Diplomarbeit mit Roma beschäftigt hat, hat sie „einen anderen Background [als ihre Kolleginnen]“ (TG 135: 7) und Wissen, weil sie sich viel mehr mit der Herkunft und Geschichte, vor allem aber mit in Köln lebenden Roma beschäftigt hat. Vor dem Hintergrund ihrer Erfahrung war die „Roma-Szene“ nicht sehr innovativ: Ich fand es [die „Roma-Szene“] teilweise zu klischeehaft. Zu illustriert. […] dass sie da in diesen Kleidern [auftreten] und Roma-Lieder singen […]. Es ist jetzt nichts Besonderes. Also, ein Lied hätte gereicht in der Muttersprache oder auch zwei. Aber es war so typisch. Also, ich fand, das war jetzt so stereotypisch: Roma – und alle haben lange Kleidchen an und die Jungs so Westen. Also, ich weiß nicht, ob man das transportieren wollte an das Publikum. Habe ich mich so im Nachhinein gefragt. (TG 174: 12)

In ähnlicher Weise argumentiert die Projektleiterin der Philharmonie, Tober, die gerne eine Brechung dieses „eindimensional[en]“ (AT 168: 5) Bilds gesehen hätte. Gleichwohl verweist sie aber darauf, dass für sie etwas anderes im Vordergrund gestanden hätte, nämlich das Selbstbewusstsein der Kinder: Die Aufführung [der „Roma-Szene“] hatte ja eher was Folkloristisches. Was ich in Ordnung fand, was ich glaube für die Kinder auch gut war sich mit so einem Selbstbewusstsein mal zu präsentieren. Und auch selber ihre Kultur zu pflegen. Das fand ich schon gut. (AT 168: 4)

Die Schulsozialpädagogin stellt in ihrer Argumentation die Schlüsselfrage, was die künstlerisch Verantwortlichen mit der Szene an sich bzw. der Szene im Gesamtkontext aussagen wollten und ob die Präsentation zwischen der verantwortlichen Musikdozentin und dem Leitungsteam abgestimmt gewesen sei. Wie bereits im Kapitel zur Relevanz der Dramaturgie (Teil IV/A./2.) aufgezeigt wurde, führten uneindeutige Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten

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innerhalb des künstlerischen Leitungsteams dazu, dass die Präsentation im Ganzen nicht abgestimmt war, gleiches gilt für den Umgang mit Stereotypen. Einzelne kulturelle Elemente als Bausteine oder Versatzstücke können leicht als positives oder negatives Stereotyp wahrgenommen werden; eine dahingehende Interpretation scheint abhängig von den eigenen Erfahrungen und dem „Kontext“-Wissen. Vor dem Hintergrund der Gesamtaussage ist aber immer die Summe aller eingebrachten Elemente von großer Bedeutung, nicht das einzelne Versatzstück. Denn nur so kann danach gefragt werden, inwieweit eine Darstellung zur kulturellen Teilhabe beiträgt oder diese im Gegenteil schmälert oder verhindert.

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte B: P hilharmonischer Verein der S inti und R oma (F r ankfurt/M ain) C: Z ukunftsmusik (B erlin) Mit zwei weiteren Projekten wird die Analyse und Diskussion des empirischen Materials fortgesetzt. Für den Philharmonischen Verein der Sinti und Roma (Frankfurt/Main) und für die Zukunftsmusik (Berlin) wurden die gleichen Materialsorten erhoben, allerdings war eine teilnehmende Beobachtung in beiden Fällen nicht durchführbar. Dies lag in Frankfurt daran, dass nur ein Kinderund Jugendkonzert in den Untersuchungszeitraum fiel und in Berlin daran, dass das Projekt zum Zeitpunkt der Erhebung aus finanziellen Gründen bereits beendet worden war. Deshalb ist eine ähnliche Darstellung von Bühnenaufführungen, wie sie zu Beginn der Kapitel von Heimat re-invented gegeben wurde, für die folgenden zwei Projekte nicht möglich. Die beiden Projekte werden als flankierende Analysen einbezogen. Erst dadurch wird eine Kontrastierung von Heimat re-invented und damit eine Sättigung möglich, auf deren Grundlage sich aufschlussreiche Aussagen für die Frage nach kultureller Teilhabe von Roma-Kindern und -Jugendlichen treffen lassen. Alle drei Projekte verbindet die Charakterisierung, die sich in den Auswahlkriterien zeigt: 1.) Musikprojekte, 2.) speziell ausgerichtet für Roma-Kinder und -Jugendliche und 3.) Bildungsziele und Begrifflichkeiten wie Integration, Inklusion, kulturelle Teilhabe. Allerdings unterscheiden sich die Konzeptionen der im Folgenden analysierten Projekte grundsätzlich: War Heimat re-invented von Nicht-Roma für Roma und Nicht-Roma konzipiert, so kann die Zukunftsmusik als ein Projekt von Roma für Roma und das philharmonische Orchester als von Roma für Roma und Nicht-Roma bezeichnet werden. Die Analyse erfolgt wie bereits zuvor durch die Unterkategorien: • Titel und Rahmen • Auswahl des Repertoires und der Teilnehmenden • Selbst- und Fremdbild

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Auch bei diesen beiden Projekten wird die Verwendung des Kulturbegriffs, die Handhabung einer transkulturellen Ausrichtung sowie die alles umspannende Frage nach den Elementen kultureller Teilhabe und ihrer Bedeutung für den Diskurs untersucht.

B. P hilharmonischer Verein der S inti und R oma (F r ankfurt/M ain) Steckbrief Hintergrundinformationen 163 Name: Philharmonischer Verein der Sinti und Roma Frankfurt/Main e. V. Ort: Frankfurt/Main Beteiligte Institutionen am Schulkonzert: • Philharmonischer Verein der Sinti und Roma Beteiligte Schulen am Schulkonzert: Verschiedene Frankfurter Grundschulen sowie die Kindertagestätte Schaworalle des Förderverein Roma e. V. Struktur: • Schulkonzert formaler und non-formaler Träger Rahmen: • Schulkonzert im Rahmen der Roma und Sinti Musik- und Kulturtage Zielgruppe: Grundschüler verschiedener Frankfurter Schulen, Kita und Schulprojekt Schaworalle Altersstufe: 6–14 Jahre Zeitliche Länge: Bislang vier Schulkonzerte; nicht abgeschlossen, da Vereinsarbeit des Orchesters langfristig angelegt ist Konzert: 4. November 2010; ansonsten min. jährliche Konzerte, aber nicht ausschließlich als Schulkonzerte o. ä. für Kinder und Jugendliche Aufführungsort: Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt/ Main Projekt- und musikalische Leitung: Riccardo M Sahiti (RMS)164 Pädagogische Konzeption und Moderation des Schulkonzerts: Prof. Dr. Ulaş Aktaş

163 | Die Angaben entstammen den öffentlich zugänglichen sowie mir eigens für die Arbeit zur Verfügung gestellten Informationsmaterialien, aufgelistet in der dem Steckbrief folgenden Kurzdarstellung sowie im Anhang in der Materialauflistung. 164 | Der Dirigent selbst schreibt den mittleren Initialbuchstaben seines Künstlernamens ohne Punkt, was für die Arbeit übernommen wird.

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Unterstützung und Finanzierung:165 • Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt/Main • Amt für multikulturelle Angelegenheiten Frankfurt/Main • Kulturamt Frankfurt/Main • Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma (Heidelberg) • Dr. Hoch’s Konservatorium der Musikakademie Frankfurt/Main • Förderverein Roma e. V. (Frankfurt/Main) • Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst Wiesbaden • Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt/Main • Landesverband Deutscher Sinti und Roma Hessen

Kurzdarstellung des Philharmonischen Vereins der Sinti und Roma 166 Der Philharmonische Verein der Sinti und Roma in Frankfurt/Main ist vom Dirigenten Riccardo M Sahiti 2001 mit dem Ziel gegründet worden, das musikalische Erbe der Roma167 zu pflegen. Verschiedene kleinere Ensembles sollen in ein philharmonisches Orchester einfließen und als Institution dauerhaft tätig sein, so das Hauptziel des Vereins. Eine weitere Aufgabe wird in der Nachwuchsförderung gesehen, weshalb der Verein für die vorliegende Untersuchung ausgewählt wurde. Alle Musiker der Ensembles sind professionelle Musiker und spielen in Berufsorchestern in verschiedenen europäischen Ländern wie Deutschland, Polen, Frankreich, Russland, Ungarn, Tschechien und Rumänien. Deshalb ist das Orchester ein Projekt- oder Telefonorchester – es findet sich nur für die Konzerte des Philharmonischen Vereins zusammen. Im Rahmen der Untersuchung wurden zwei Konzerte besucht: Ein Konzert am Abend des 3. November 2010 in Heidelberg und ein Schulkonzert „Rodin und seine Zauberfidel“ am 4. November 2010 in Frankfurt/Main. Für die Analyse wurde folgendes Material zusammengetragen und ausgewertet: Die Homepage des Vereins, alle Konzertprogramme seit Beginn des Gründungskonzerts,168 alle Unterlagen das Schulkonzert betreffend wie das drama165 | Ich beziehe mich auf den Flyer des besuchten Schulkonzerts, die Auflistungsreihenfolge entspricht der Reihenfolge der Nennung im Flyer. 166 | Informationen für diese Kurzdarstellung wurden der Homepage des Vereins entnommen (Homepage Philharmonischer Verein der Sinti und Roma Frankfurt/Main e. V.). 167 | Der Verein verwendet die in Deutschland übliche Doppelbezeichnung Sinti und Roma, die von mir dann angegeben wird, wenn es sich um direkte Zitate handelt. Ansonsten verwende ich weiterhin den Oberbegriff Roma, der alle Gruppierungen umschließt (vgl. die Erläuterungen in Teil III/1.). 168 | Im Anhang sind in einer Übersichtstabelle (Teil VII/3.4) alle Konzerte vom Gründungskonzert bis zum derzeit letzten aufgeführten Konzert im Januar 2016 sowie alle

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turgische Regiebuch bzw. die Partitur sowie eine eigens zum Kinderkonzert erstellte Nachlese; außerdem Interviews mit dem Dirigenten, Eintragungen aus meinem Forschungstagebuch, Presseartikel aus dem Zeitraum von 2002 bis 2015 sowie weitere Unterlagen, die für eine Einbettung in den spezifischen Kontext notwendig erschienen, wie z. B. die Jahresberichte des Schulprojekts Schaworalle des Fördervereins Roma aus Frankfurt/Main.169

1. Titel und R ahmen Der Philharmonische Verein der Sinti und Roma verortet sich über seinen Namen in zwei verschiedenen Rahmen: Zum einen verweist er auf die organisatorische wie inhaltliche Form eines philharmonischen Orchesters und damit auf einen institutionalisierten philharmonischen Konzertbetrieb. Zum anderen benennt er durch die Spezifizierung „Sinti und Roma“170 eine ethnische Dimension. Inwiefern diese Rahmen für die Fragen nach kultureller Teilhabe eine Bedeutung für den Diskurs haben, wird im Folgenden dargelegt.

Der Rahmen nationalstaatlicher Orchester- und Konzertstruktur Als Rahmen wird eine Reihe verschiedener Aspekte verstanden, die eine Verortung und einen Vergleich zu ähnlichen philharmonischen Orchestern ermöglichen. Diese ergeben sich aus den Namen, den Aufführungsorten sowie der Aufführungsstruktur und dem Publikum. Der Name des Vereins trägt zur Verortung im bürgerlichen Konzertbetrieb bei, ein Vergleich mit nationalstaatlichen Orchestern ist durchaus gewollt, so der Dirigent: [Es ist] das erste Mal in der Geschichte, dass dieses Orchester einfach am Leben ist. Genau wie es die Berliner Philharmoniker für das deutsche Volk gibt, oder sagen wir die New York Philharmoniker [für das US-amerikanische Volk]. Einfach jedes Land hat ein klassisches [Orchester] und Roma haben dies seit Generationen nicht. Und das ist

auf der Homepage ausgewiesenen Pressematerialien aufgelistet. 169 | Das Schulprojekt Schaworalle steht in Kooperation mit dem Philharmonischen Verein und ist für die Nachwuchsförderung des Vereins von Bedeutung. Die Bezeichnung „Kindertagesstätte“ ist bei Schaworalle der Oberbegriff für das Haus mit seinen verschiedenen Gruppen wie Krippe, Kindergarten und mehreren schulischen Gruppen aller Altersstufen. Im Schulprojekt befindet sich u. a. eine Grundschule, vgl. Jahresberichte Schaworalle 2008 und 2013. 170 | Häufig ist auch die umgekehrte Reihenfolge „Roma und Sinti“ in Konzertprogrammen des Orchesters zu finden.

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte das erste! Ich denke, es [das Orchester] soll etwas für die kulturelle-musikalische Welt geben, ja. Das ist die Botschaft. (RMS 193: 4)

Die Aufführungen des Philharmonischen Vereins finden an verschiedenen Orten statt, die zum Großteil dem bürgerlichen Konzertbetrieb zugeordnet werden können: Säle in Konservatorien, Hochschulen und Konzerthäusern, z. B. dem Clara-Schumann-Saal des Dr. Hoch’s Konservatorium, dem Großen Saal der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (beide Frankfurt/Main), dem Friedrich-von-Thiersch-Saal des Kurhauses Wiesbaden, der Beethovenhalle, dem Rudolfinum in Prag (Tschechien), dem Konzertsaal des Palace of Arts in Budapest (Ungarn), der Alten Oper in Frankfurt/Main sowie der Berliner Philharmonie. Das Orchester tritt ebenfalls in Kirchen (z. B. der Nieuwe Kerk in Amsterdam, der Frauenkirche in Dresden) und dem Sendesaal des Hessischen Rundfunks auf und musizierte in öffentlichen Räumen, die für repräsentative Veranstaltungen genutzt werden, wie dem Spiegelsaal im Palais Prinz Carl in Heidelberg. Eine sehr häufige Spielstätte war das Bockenheimer Depot, eine Bühne des Schauspiel Frankfurt. Die Struktur der Konzerte ist vom Auf bau und Ablauf her wie die eines Sinfonieorchesters: Von der Sitzanordnung der Instrumente über die gediegen schwarz-weiße Kleidung der Musiker und des Dirigenten im Frack bis hin zum Prozedere. Die Musiker ziehen unter Applaus in den Raum ein, der Dirigent zuletzt. Zwischen einzelnen Konzertsätzen wird nicht geklatscht, die Verbeugung wird vom Dirigenten eingeleitet, der zunächst die Solisten, dann die Instrumentengruppen hervorhebt. Es findet die übliche Vorgehensweise bei den Zugaben statt, d. h. der Dirigent verlässt das Podium, kehrt gegebenenfalls zurück, während das Orchester stehen bleibt und eine (geplante) Zugabe gespielt wird. Die Adressaten und das Publikum dieser Veranstaltungen sind Konzertgänger, die Orte und Repertoire171 durch ihr Vorwissen und ihr kulturelles Kapital kennen bzw. einzuordnen wissen. Verschiedene Konzertrezensionen weisen z. B. darauf hin, dass die Programme aufgrund des Repertoires bei „Musikfreunden einiges Interesse erregen“ dürften (Wiesbadener Kurier, 5.9.2009). Andererseits merkt der Dirigent an, es kämen Menschen, die sehr viel Musik lieben. Und ein unterschiedliches Publikum: So kommt nicht immer bei klassischer Musik und Opernmusik so ein gemischtes Publikum! Und das ist auch sehr, sehr interessant. (RMS 193: 3)

171 | Zum Repertoire erfolgt gesondert das nachfolgende Kapitel (Teil IV/B./2.).

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Der ethnische Rahmen Die klare ethnische Verortung des Vereins findet sich im Namen und weist damit auf eine zweite Verwendung des Kulturbegriffs hin: Kultur verstanden als ethnisch-holistischer Begriff, mit dem auf die Kultur der Roma und damit auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe verwiesen wird. Der Name lässt assoziativ offen, ob die Musiker des Orchesters dieser ethnischen Gruppe angehören, ob sie Werke von Roma spielen und ob sie für ein Roma-Publikum auftreten. Durch die Anbindung an eine bestimmte Volksgruppe stellt der Name des Orchesters zugleich einen Bezug zu anderen Orchestern her, die als nationale bzw. als staatliche Orchester tituliert werden oder namentlich bestimmten Regionen oder Städten zugeordnet sind. Der Rahmen weist also nicht nur von der (philharmonischen) Struktur, sondern auch von der an die Nationenidee gebundenen Form auf einen eindeutigen Vergleichsrahmen hin, wie der Dirigent erläutert: Ich denke [in den vergangenen] Jahrhunderten waren kleine Ensembles, Trio, Quartett, Quintett, Sextett oder so, aber professionelle Berufsmusiker der Roma und Sinti, dass sie ernste Musik und Roma-Musik und inspirierte Werke und neue Musik spielen, das war noch nicht. Das ist das erste Mal, dass im 21. Jahrhundert […] 12 Millionen Roma und Sinti ein Berufsorchester haben als Symbol für die Jahrhunderte, für die Öffentlichkeit, ja. (RMS 193: 1)

Als Aufführungsorte können keine charakteristischen Orte verzeichnet werden, die die ethnische Dimension verdeutlichen; durch das Repertoire sowie die Struktur des Philharmonischen Vereins findet eine eindeutige Verortung im klassischen Konzertbetrieb statt. Denkt man an Sinti-Jazz-Darbietungen oder Präsentationen von Volksliedern, die im Repertoire ebenfalls zu finden sind, wären andere Orte typischer; dass dies beim Orchester nicht der Fall ist, hängt mit dieser Verortung zusammen, die sich vom persönlichem Verständnis des Initiators, des Dirigenten Sahiti, ableitet: „[I]ch bin, denke ich, ein klassischer Dirigent, aber Roma-Musik liebe ich und ernste Musik, Beethoven, Tschaikowsky… meine Bibel!“ (RMS 2_002: 11) Von der Struktur her zeigt die Kooperation mit dem Förderverein Roma die bewusste Anknüpfung an die Ethnie: Der Förderverein unterstützt das Orchester mit einem Büroplatz und stellt Räume für Versammlungen zur Verfügung (RMS 2_002: 9). Auch mit dem Dokumentations- und Kulturzentrum der Sinti und Roma in Heidelberg pflegt das Orchester einen regen Austausch. Der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma in Deutschland, Romani Rose, ist häufig Schirmherr von

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Konzerten.172 Ansonsten spiegelt sich die ethnische Dimension darüber hinaus nicht in der Struktur wider; der übergeordnete Rahmen ist, wie ausgeführt, der eines Konzertbetriebs. Ein spezifisches Publikum bezogen auf die Ethnizität des Orchesters wird vom Dirigenten nicht erwähnt. Die Nachwuchsförderung speziell für Roma-Kinder und -Jugendliche ist aber in dieser Hinsicht interessant, finden doch regelmäßig Kooperationen mit der Kindertagesstäte Schaworalle statt.173 Allerdings geht es dem Dirigenten nicht ausschließlich um Nachwuchsförderung von Roma-Kindern und -Jugendlichen, sondern generell darum, junge Menschen zur Musik hinzuführen: Es ist sehr wichtig, dass junges Publikum aus der Stadt Frankfurt/Main, von Grundschulen usw., dass sie auch entdecken eine Liebe zu Musik und dass sie auch sehen, wie Musik ein Beruf werden [kann] und auch einen Kontakt zwischen Orchester, Instrumenten, usw. [herstellen kann] und dass sie auch über die Roma-Kultur und klassische Musik eine Offenheit haben und dass sie einfach sehen: Wenn man einen Beruf hat, er wird es auch schaffen; dass sie lernen, egal, welche Nationalität ein Mensch hat usw., d. h . das muss jeder Mensch fähig sein, dass er gut lernt und dann einen Beruf hat. Und wenn er das hat getan, dann wird er auch eine Zukunft haben. (RMS 2_002: 8)

Sahiti weist hier auf einen weiteren Aspekt hin: Das junge Publikum – aber nicht nur dieses, wie in anderen Ausführungen deutlich wird – soll durch das Konzert eine „Offenheit“ der Roma-Kultur – aber auch der klassischen Musik gegenüber  – entwickeln. Durch die Konzerte will der Verein die öffentliche Wahrnehmung schärfen, indem er die Anerkennung der Kultur der Roma fördern und Klischees über Roma entgegenwirken will, insbesondere in der Mehrheitsbevölkerung. Dies sind die bildungspolitischen und pädagogischen Aufgaben, die sich der Verein gestellt hat – gerade aufgrund seiner ethnischen Verortung.

Standortbestimmung über die Rahmen Die Verortung in unterschiedlichen Rahmen hat Auswirkungen auf die Wahrnehmung und die Anerkennung in den jeweiligen Feldern. Dies wird z. B. an der Strategie des Vereins deutlich, öffentlich angesehene Persönlichkeiten zur ideellen Unterstützung hinzuzuziehen; auf der Homepage sind repräsentativ aufgelistet: Romani Rose (s.  o.), Roby Lakatos (Violonist, Brüssel), Prof. Jiří Stárek (Dirigent, Frankfurt/Main), Prof. Dr. em. Micha Brumlik (Fachbereich 172 | Im Falle einer Auflösung des Vereins fällt das Vermögen zu gleichen Teilen an diese beiden Institutionen (vgl. Satzung, § 3). 173 | Zu der Kooperation mit dem Schulprojekt sowie zum Schulkonzert, vgl. ausführlich im folgenden Kapitel (Teil IV/B./2.).

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Erziehungswissenschaft, Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, ehemaliger Direktor des Fritz-Bauer-Instituts, Frankfurt/Main). Auch die Unterstützung der Stadt Frankfurt, die Proben- und Auftrittsräumlichkeiten (Dr. Hoch’s Konservatorium, Bockenheimer Depot) zur Verfügung stellt, ist für die Sichtbarkeit des Vereins von Bedeutung. Die künstlerische Unterstützung durch bekannte Solisten, die auf ihre Gage verzichten, z. B. Roby Lakatos, Martha Argerich und Geza Housszu-Legocky, ist eine weitere Form, für Bekanntheit zu sorgen. Die öffentliche Aufmerksamkeit für den Verein beispielsweise in Presseberichten schwankte über die Jahre, ist jedoch deutlich gestiegen, seit das Orchester nicht mehr nur als Streich- oder Kammerorchester, sondern auch als philharmonisches Orchester beim Beethovenfest auftreten konnte (2011). Durch die internationale (Ur-)Aufführung und Tournee des „Requiem für Auschwitz“ (2012) nahm die Aufmerksamkeit noch weiter zu. Das hat zur Folge, dass seitdem Fürsprecher leichter zu gewinnen sind – denn diese erklären sich offensichtlich eher zu einer ideellen Unterstützung bereit, wenn z. B. ein etabliertes Festival als Garant für Qualität und Güte steht. Wer eine gewisse Aufmerksamkeit erlangt hat, wer in einem Feld drin ist, dem gelingt es leichter, wichtige Leute für sich zu gewinnen: Durch den Zutritt zu diesem Kreis vermehrt sich das soziale Kapital. Oder wie es der Komponist des Requiems, Roger Moreno Rathgeb, beschreibt: Mit Volksmusik erreicht man auch Leute. Leute, die uns wohlgesonnen sind. Aber die können uns nicht weiterhelfen. Mit klassischer Musik, da kommen Leute: Minister, da kommen Bundeskanzler. Und dann hat man plötzlich Leute, die in einer Machtposition stecken. Die in einer Position sind, die für uns etwas zum Besseren verändern können, die auch etwas für unser Volk bewegen können. (DLF 2013: 16)

Roger Moreno Rathgeb legt einen normativen Kulturbegriff an und fokussiert dezidiert die bürgerliche Kultur und den klassischen Kulturbetrieb. Das wirkt sich folgendermaßen aus: Da bürgerliche Kultur als legitime Kultur gilt und entsprechend hoch bewertet wird, sind die Auswirkungen auf die kulturelle Teilhabe groß. Dem Orchester wird Aufmerksamkeit zuteil und es erhält Anerkennung und Geld. Dadurch kann seine Arbeit viel weitere Kreise ziehen als z. B. ein einmaliges Schulprojekt in kleinem Rahmen.

2. A uswahl des R epertoires und der Teilnehmenden Die Auswahl der Stücke ist wichtig, weil sie etwas über das Selbstverständnis und die Selbstverortung des philharmonischen Orchesters im Allgemeinen und für das Schulkonzert im Besonderen aufzeigen. Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über das Repertoire des Philharmonischen Vereins der Sinti

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und Roma gegeben. Im Anschluss daran wird das Programm des Schulkonzerts näher beleuchtet und analysiert, warum gerade diese Stücke ausgewählt wurden und wie die Schülerinnen die Werke und das Konzert insgesamt aufnahmen.

Das Repertoire im Überblick Die vom Philharmonischen Verein aufgeführte Literatur ist äußerst vielfältig. In der ersten Dekade seit Gründung der Roma und Sinti Kammerphilharmoniker im Jahr 2002 fanden 19 Auftritte174 in verschiedenen Formationen und mit verschiedenen Gastmusikerinnen statt.175 Darüber hinaus wurden einige Konzerte in Musik- und Kulturtage eingebettet, bei denen Instrumental- und Tanzworkshops angeboten wurden (2007, 2010); zweimal fand ein wissenschaftliches Symposium bzw. eine internationale Konferenz statt (2007, 2012). Sieht man sich das gesamte Repertoire bis 2016 an, so lassen sich verschiedene Auswahlkriterien für die Konzertprogramme festhalten, die der Verein selbst wie folgt beschreibt: Die „Roma und Sinti Kammerphilharmoniker“ wurden im September 2002 mit dem Ziel gegründet, besonders jene musikalischen Werke aufzuführen, die in der Kultur der Roma und Sinti verwurzelt sind. Die Existenz des Orchesters soll auch Komponisten und Künstler dazu anregen, Werke zu schaffen, die sich mit der Kultur der Roma und Sinti befassen oder von ihr inspiriert werden. Die Roma und Sinti Kammerphilharmoniker sind der Grundstein für ein späteres Philharmonisches Orchester der Roma und Sinti. (Faltblatt Konzertprogramm 2010: 2)

Dementsprechend werden Stücke aufgeführt, die entweder „in der Kultur der Roma und Sinti verwurzelt sind“ (ebd.) oder die „von ihr inspiriert werden“ (ebd.), d. h., die von zeitgenössischen Komponisten – zum Teil explizit für den Philharmonischen Verein – geschaffen werden. Die Konzertprogramme greifen folglich auf sehr unterschiedliche Werke und Genres zurück. Es finden sich zum einen Stücke von Komponisten, deren Werk einen direkten oder indirekten Bezug zur Musik der Roma bzw. einer Roma-Kultur haben. Teilweise zeigt sich dies bereits im Titel oder in einer Spielanweisung wie „Alla zingarese“, was auf eine wie auch immer verstandene „Spielweise der Zigeuner“ hinweisen soll. Inwieweit die Komponisten wie z. B. Brahms, Liszt oder Verdi Kenntnisse von Roma-Musikern oder -Musiken hatten und diese Kenntnis die Stücke 174 | Im Archiv des Vereins werden nicht alle Auftritte als Konzerte bezeichnet, kammermusikalische Nachmittage oder ein Sinti-Musikabend werden z. B. nicht als Konzerte geführt (vgl. Homepage Philharmonischer Verein). 175 | Vgl. die ausführliche Tabelle im Anhang über die einzelnen Programme (Teil VII/3.4).

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beeinflusste und prägte, oder inwieweit sie Melodien, Tänze und dergleichen aufgriffen und umgestalteten, ist nicht Gegenstand der Untersuchung, es soll aber auf Literatur verwiesen werden, die sich damit auseinandersetzt.176 Werke, die aus diesem Spektrum stammen, sind zahlreich und werden vom Philharmonischen Verein immer mal wieder auf das Programm gesetzt. Im Folgenden seien die bekanntesten aufgeführt:177 • • • • • •

Béla Bartók: „Rumänische Volkstänze“ Pablo de Sarasate: „Zigeunerweisen“ Maurice Ravel: „Tzigane“ Giuseppe Verdi: „La Zingara“ Franz Liszt: „Ungarische Rhapsodien“ Rodion Schtschedrin: „Carmen-Suite“ nach Georges Bizet

176 | Vgl. hierzu insbesondere den überblicksartigen Artikel von Max Peter Baumann „Roma im Spiegelbild europäischer Kunstmusik“ (2000). Er rollt z. B. den „Topos der Zigeunerinnen Preciosa, Mignon, Esmeralda und Carmen“ (ebd.: 394) in Literatur und Kunstmusik auf und zeigt in verschiedenen Tabellen zur Umsetzung in Singspiel und Oper vom 18. bis zum 20. Jahrhundert die große Popularität des Themas. Problematisch sind die Opern, die in großer Zahl im 19. Jahrhundert entstanden, vor allem deshalb, weil sie musikalisch „dem Klischeebild verhaftet [bleiben], das nicht-zigeunerischen Quellen entspringt. […] Die Opernkomponisten haben sich in der Regel kaum mit der tatsächlichen Musik der Zigeuner auseinandergesetzt. Geige, Tamburin oder Kastagnetten sind eher klischeehafte Versatzstücke, die über literarische Topoi, über Zeichnungen und Bilder ein romantisches Requisit abgaben.“ (Baumann 2000: 406 f.) Baumann untersucht detailliert Liszts Auseinandersetzung mit der „Zigeunermusik“ sowie seine kompositorische Adaption, ebenso diejenige von Brahms in den Rhapsodien und Tänzen (ebd.: 420). Er widmet sich weiteren Kompositionen und Komponisten, die sich mit ihrem Schaffen dem Topos der „Zigeuner“ gewidmet haben, z. B. Sarasate, Johann Strauss jr., Manuel de Falla und Maurice Ravel. Schließlich beschäftigt er sich mit dem Einfluss der ethnomusikologischen Forschung auf Bartók und Kodály, deren Namen im Zuge dieses Überblicks – auch als Komponisten – nicht fehlen dürfen. Ralph P. Locke arbeitet in seiner Publikation Musical Exoticism. Images and Reflections heraus, wie wenig sich die Musikwissenschaft bislang mit exotisierenden Darstellungen „of the Other“ und Stereotypen in Opern beschäftigt hat und diese nur wenig hinterfragt. Er widmet sich in einem Kapitel der Oper „Carmen“ von Bizet und interpretiert die dargestellten „Gypsies“ als „internal others“ der europäischen Kunstmusik (Locke 2009: 150–174 sowie die Rezension von Stoffers 2010). Zur Frage, inwieweit Komponisten durch die Virtuosität berühmter Roma-Musiker inspiriert wurden, z. B. durch die Violinistin Panna Czinka (vermutlich 1711–1772) und János Bihari (1764–1827), vgl. Sárosi 1977. 177 | In der Reihenfolge ihres Erscheinens in den Programmen seit Gründung des Philharmonischen Vereins.

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• Johannes Brahms: „Ungarische Tänze“ • Zoltán Kodály: „Tänze aus Galánta“ Es finden sich eine Reihe weiterer Stücke von Komponisten in den Programmen, deren Werke nicht offensichtlich – durch den Titel oder Regieanweisungen  – einen Bezug zu Roma haben, z. B. Stücke von Sibelius, Mozart, Bach, Dvořák, Léhar, de Falla, Janáček, Piazolla, Puccini, Beethoven, Schumann, Haydn, Porumbescu, Kodály, Saint-Saëns und Tschaikowsky.178 Die zweitwichtigste Stelle in den Programmen haben solche Kompositionen, die von zeitgenössischen Komponisten geschrieben wurden, weil sie sich mit der „Kultur der Roma und Sinti befassen oder von ihr inspiriert werden“ (Faltblatt Konzertprogramm 2010: 2). Häufig sind diese Werke speziell für den Philharmonischen Verein geschrieben und werden durch seine Klangkörper uraufgeführt. Teilweise sind die Komponisten selber Roma. Auch diese Werke, von denen es inzwischen seit Gründung des Vereins acht Stücke gibt, werden immer wieder auf das Programm gesetzt. Es handelt sich um die folgenden Stücke: • Kálmán Csèki: „Falling Dance“, Roma-Komponist aus Ungarn, Uraufführung (UA) 2006 • Stanko Šepić: „Variation für Streichorchester auf ein Roma-Lied“, gewidmet dem Streichorchester der Roma und Sinti, ehemaliger Professor des Dirigenten, UA 2008 • Kálmán Csèki: „Werk für Streichorchester auf ein Roma-Lied“, gewidmet dem Streichorchester der Roma und Sinti, UA 2008 • Hartmut Jentzsch: „Zwischen Himmel und Erde“, gewidmet den Roma und Sinti Kammerphilharmonikern, Absolvent der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt/Main, UA 2010 • Stanislav Rosenberg: „Hommage à la Rhapsodie hongroise no. 2 de Franz Liszt“, Absolvent der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt/Main, UA 2010 • Stanislav Rosenberg: „Evening of the Second Sunday“, UA 2011 • Roger Moreno Rathgeb: „Requiem für Auschwitz“, Sinto-Musiker aus der Schweiz, UA 2012 • Roger Moreno Rathgeb: „From darkness to heaven“ op. 11 (In Memoriam Ursuleasa) für Orchester, UA 2015

178 | Diese Stücke sind ebenfalls in der Reihenfolge ihres Erscheinens in den Programmen aufgeführt.

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Neben zahlreichen weiteren zeitgenössischen Komponisten gibt es auch Musiker, die eigene Kompositionen im Rahmen der Konzerte aufführen, wie z. B. Roby Lakatos (2002), Aaron Weiss (2005) und Ferenc Snétberger (2008). Weitere aufgeführte Werke  – sowie eingeladene Gäste  – sind eher den Genres traditioneller Musik bzw. dem Swing zuzuordnen. Ebenso findet sich immer wieder Filmmusik im Programm des Philharmonischen Vereins wie z. B. „Schindler’s List“ von John Williams (2002). Aufgeführt wurden z. B. „traditionelle Roma-Musik aus Rumänien und Ungarn“ (Konzertprogramm vom 6.11.2007 sowie vom 4.10.2008) sowie Roma-Volkslieder verschiedener Länder (vgl. das Kammerkonzert mit Vokal- und Instrumentalmusik der Sinti und Roma vom 6.6.2004). Des Weiteren fand ein Sinti-Musikabend statt (2008). Das Repertoire des Philharmonischen Vereins setzt sich folglich aus Werken unterschiedlicher Komponisten zusammen und ist sehr genreübergreifend angelegt. Sahiti beschreibt die Auswahl für ein Konzertprogramm: Ja, wir diskutieren sehr lang […] mit dem Orchestervorstand des Philharmonischen Vereins. […] und dann reden wir mit Kollegen und dann schlagen sie vor und ich selbstverständlich auch mit meinem Professor Jiří Stárek und mit meinen Dirigenten-Kollegen. Und interessant, wenn ich so zurücksehe, wir machen so eine neue Stil von Konzert: Wir beginnen mit einem klassischen Werk, und dazwischen Roma-Musik, Volksmusik und dann wieder klassische Musik. Und das war noch nie so etwas. Das ist jetzt so eine neue Stilrichtung von Roma. Dass es immer ist zusammen sehr modern, sehr klassisch und auch Roma-Musik. Ja, Volksmusik sagen wir, so haben wir mit Roby Lakatos gemacht, auch mit der Hochschule, das war 2007 eine Kooperation. Im ersten Teil war ungarische traditionelle Roma-Musik, und dann klassische Musik mit Orchester und dann rumänische traditionelle Musik. Und das war eine Kombination, Kombination Gesang, Instrumente, alles war das. Und immer so, ja. (RMS 193: 2)

Der Zusammenstellung des Repertoires liegt eine bestärkende Intention zugrunde, die die sichtbare Teilhabe der Roma an der (europäischen) Musikgeschichte und die „Pflege des musikalischen Erbes der Sinti und Roma“ (Konzept 2001: 1) zum Ziel hat. Es steht nicht das einzelne Individuum oder der einzelne Musiker im Fokus, sondern die Gruppe der Roma. Durch die Verortung im Konzertbetrieb kann die Intention als Empowerment-Strategie bezeichnet werden: Im Vordergrund steht zwar die Aufführung der Musik, aber die bewusste Positionierung als ethnische Gruppe fungiert als rahmende Komponente, z. B. bei der Auswahl des Repertoires sowie bei der Verknüpfung verschiedener Genres für ein Konzert. Bei der Auswahl des Repertoires wird die bewusste ethnische Verortung deutlich; der Verein labelt sich damit selbst, schließt aber Nicht-Roma als Musiker und als Publikum nicht aus, im Gegenteil, diese werden als aufzuklärende Zielgruppe begriffen. Die bewusste Indienstnahme von Stereotypen im Sin-

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ne eines typischen, d. h. am Publikumsgeschmack und dessen Erwartungen orientierten Repertoires (Liszt, Sarasate) kann allerdings als eine Strategie der kulturellen Verträglichkeit interpretiert werden. Durch die bewusste Verortung im ethnischen Kontext und durch die gleichzeitige Einbettung in das klassisch-hochkulturelle europäische Musikrepertoire entsteht weniger eine starre Darstellung, die in Mehrheit – Minderheit einteilt, sondern vielmehr werden damit die komplexen Bezüge zwischen Mehrheit und Minderheit sowie zwischen klassisch-hochkultureller Musik und Roma-Musik wachgerufen. Besonders durch die immer wieder neu komponierten Stücke werden stets neue Facetten von Roma-Musik entworfen und in der Programmauswahl präsentiert. Es wird zu prüfen sein, wie das Orchester in der Presse dargestellt wird, und ob diese neuen Facetten an alte Klischees wie z. B. dem des leidenschaftlichen und gefühlsbetonten Musikers geknüpft werden oder ob die Darstellung der Anderen auch bei Repertoirefragen eine Rolle spielt.

Das Schulkonzert Der Philharmonische Verein hat seinen Schwerpunkt auf den Auf bau einer Orchesterstruktur gelegt (vgl. Konzept 2001: 1). Daneben ist die Förderung des musikalischen Nachwuchses eines der erklärten Ziele des Vereins (ebd.), jedoch sind Konzerte für Kinder und Jugendliche nicht das Hauptanliegen. Das analysierte Schulkonzert des Philharmonischen Vereins ist ein Konzert für Schüler und nicht wie bei Heimat re-invented ein Konzert von Schülern. Allerdings waren auch im Vorfeld des Konzerts einige Klassen eingebunden und einige Schüler standen auf der Bühne. Der für das Schulkonzert pädagogisch Verantwortliche, Ulaş Aktaş, erläutert, dass Schulkonzerte, also die pädagogische Arbeit für Kinder und Jugendliche, immer in zeitlicher Nähe zu und in Anlehnung an Konzerte des Philharmonischen Vereins geplant wurden. In den Konzertprogrammen werden die Schulkonzerte jedoch nicht gesondert aufgeführt; auch das von mir besuchte Schulkonzert vom 4.11.2010 findet sich nicht in der Liste der Konzerte.179 Das besuchte Schulkonzert fand im Großen Saal der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt/Main von 11 bis 12 Uhr statt. Das Orchester trat als Streichorchester mit Auszügen aus dem Konzert auf, das am Abend vorher in Heidelberg sowie am selbigen Abend in Frankfurt auf dem Programm stand.180 Das Konzertprogramm der Abende bestand aus:

179 | Vgl. die Übersichtstabelle im Anhang, Teil VII/3.4. 180 | Vgl. das Konzertprogramm vom 3.11.2010 sowie das Programm der „Roma und Sinti Musik & Kulturtage“ vom 4.11.2010.

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• Kálmán Csèki: „Falling Dance“181 • Joseph Haydn: „Konzert für Violoncello und Orchester C-Dur, Hoboken VII: 1 • Hartmut Jentzsch: „Zwischen Himmel und Erde“, UA • Stanislav Rosenberg: „Hommage à la Rhapsodie hongroise no. 2 de Franz Liszt“, Uraufführung • Pablo de Sarasate: „Zigeunerweisen“ op. 20 für Violoncello und Streichorchester (Bearbeitung: Thomas Regel) Für das Schulkonzert spielte das Streichorchester jeweils ein- bis zweiminütige Auszüge aus dem Konzertprogramm: Czèkis „Falling Dance“, Sarasates „Zigeunerweisen“ op. 20 und Rosenbergs „Hommage à la Rhapsodie hongroise no. 2 de Franz Liszt“. Aktaş bereitete die Konzerteinführung auf Grundlage einer Kindergeschichte von Janosch, „Der Josa mit der Zauberfiedel“, vor. Die Geschichte hatte er abgewandelt für den solistisch auftretenden Cellisten des Schulkonzerts, Rodin Moldovan, Solocellist des MDR-Rundfunkorchesters Leipzig: „Rodin und seine Zauberfidel“ [sic]. Der echte Rodin des Orchesters verkörperte den Protagonisten der Geschichte. Das Schulkonzert war so konzeptioniert, dass sich die Geschichte von Janosch mit der Musik des Orchesters abwechselte.182 Der Erzähler in der Person von Moderator Aktaş alternierte mit einigen Kindern, die auf der Bühne Sprecherrollen für alle Personen des Stückes übernahmen. Außerdem wurden Zeichnungen zur Geschichte auf eine Leinwand im hinteren Bereich der Bühne projiziert, die die geladenen Schulklassen als Vor181 | Statt der „Harmonies du Soir“ op. 31 für Quartett und Streichorchester von Eugène Ysaÿe wurde der Csèki gespielt, weil das im Programm genannte Stück nach Aussage des Dirigenten für dieses Konzert noch nicht aufführungsreif einstudiert werden konnte (RMS 2_002: 4). 182 | Die Geschichte „Der Josa mit der Zauberfiedel“ von Janosch handelt von einem kleinen Jungen, der aufgrund seiner geringen Körpergröße nicht die Nachfolge seines Vaters, eines Köhlers, antreten kann. Sein Freund, der Vogel, schenkt ihm eine kleine Geige, die Zauberkräfte besitzt, da ihre Musik die Menschen groß und mächtig oder klein zaubern kann, je nachdem ob eine bestimmte Melodie vorwärts oder rückwärts gespielt wird. Im Verlauf der Geschichte durchwandert Josa die Welt, weil er für seinen Vater den Mond verzaubern möchte, um ihm zu zeigen, dass er auch zu etwas fähig ist (Regiebuch 2010: 4). Als der König von der Zauberfiedel erfährt, möchte er durch sie wachsen und größer und mächtiger werden. Er lässt Josa einfangen. Diesem gelingt es aber durch das Rückwärtsspielen der Melodie, dass der König schrumpft, bis er klein wird wie eine Laus. Schließlich gelangt Josa ans Ziel seiner Suche, ans Ende der Welt, wo er fortan den Mond manchmal größer und manchmal kleiner zaubert. Dies kann sogar sein Vater, der Holzfäller, in seinem Wald sehen (vgl. Regiebuch).

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bereitung auf das Konzert angefertigt hatten. Der Ablauf des Schulkonzerts sah abwechselnd den Erzähler und die Sprecherrollen vor, dann das Orchester mit den Auszügen ihres Programms. Eine aktive Einbindung des Publikums – ein Hinweis dazu erfolgte bereits auf dem Programmzettel – wurde mithilfe verschiedener Mittel vollzogen. So gab es zu Beginn der Veranstaltung eine kurze Orchester- und Instrumenteneinführung, bei der die Musiker ihre Instrumente und deren spezifische Klangfarbe durch kurzes Anspielen einer bekannten Melodie vorführten, etwa „Alle meine Entchen“ (auf der Geige gestrichen und gezupft), „Guten Abend, gute Nacht“ (Cello) oder der Elefant aus Saint-Saëns „Karneval der Tiere“ (Kontrabass und Pauken). Die Kinder aus dem Publikum kannten die gespielten Stücke offensichtlich, denn sie riefen dem Moderator die Titel der Stücke zu. Auch der auf den Inhalt der Geschichte umgedichtete Kanon „Hejo, spann den Wagen an“ wurde als Teil der Geschichte von Rodin gemeinsam mit dem Publikum intoniert; das Orchester improvisierte dazu.183

Auswahl der Teilnehmenden am Schulkonzert Das Publikum des Schulkonzerts setzte sich aus Grundschülerinnen verschiedener Frankfurter Grundschulen sowie aus Schülern des Schulprojekts Schaworalle zusammen. Der Kontakt zu den Grundschulen auf institutioneller Ebene erfolgte durch die enge Vernetzung des pädagogischen Leiters und Moderators des Konzerts, Aktaş, mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt/Main. Durch seine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kooperationsprojekt „Primacanta  – Jedem Kind seine Stimme“, einem musikpädagogischen Programm für Grundschulen, konnten über die Projektkontakte mehrere dritte Schulklassen zu dem Konzert eingeladen werden (vgl. FTB 89 f.). Im Publikum waren neben den Grundschülern, die durch die musikpädagogische Kooperation eingeladen wurden, auch Kinder des Schulprojekts Schaworalle. Dieses Schulprojekt existiert seit 1999184 und ist ein „in formaler und rechtlicher Hinsicht anerkannter Unterrichtsort“.185 Der Name des Ver183 | Aktaş kritisierte im Gespräch mit mir, dass das Format trotz der Elemente der Einbindung eine dennoch stark frontal ausgerichtete Vermittlung war; aufgrund der Kürze der Vorbereitungszeit – ursprünglich sollten mehrere 10. Klassen an dem Konzert teilnehmen, dieses Konzept musste jedoch aufgrund mangelnden Interesses verändert werden – war eine stärkere Beteiligung oder eine andere Form jedoch nicht möglich (FTB 89 f.). 184 | Die erste staatliche Lehrerstelle wurde 2000 eingerichtet, vgl. Jahresbericht Schaworalle 2013: 6. 185 | Vgl. Jahresbericht Schaworalle 2013: 16. Die Anerkennung durch das Schulamt erfolgt über zwei Lehrer, die vom Schulamt Frankfurt abgeordnet und zwei Kooperations-

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eins ist aus dem Romanes und bedeutet „Hallo Kinder“ (vgl. Jahresbericht 2008: 3). Der Philharmonische Verein arbeitet mit Schaworalle im Sinne seiner Förderung des musikalischen Nachwuchses zusammen und lud die Kinder und Jugendlichen von Schaworalle zum Schulkonzert ein. Vier Jahre lang bot der Dirigent einmal wöchentlich musikalische Früherziehung für die Kindergarten- und Vorschulkinder von Schaworalle an (Jahresbericht Schaworalle 2008: 7); dies ist ihm leider aufgrund seiner vielfältigen anderen Tätigkeiten als Dirigent und Manager des Philharmonischen Vereins inzwischen nicht mehr möglich (RMS 2_002: 9).186 In der Satzung des Vereins ist festgehalten, dass die musikalische Bildung des Nachwuchses auch vom Verein finanziell unterstützt werden soll (z. B. in Form von Reisekosten o.  ä.) (RMS 2_002: 7). Die Vision des Dirigenten ist es, dass bei einem festen Haus des Orchesters jeder engagierte Musiker eine Patenschaft für ein Kind übernehmen soll, damit viele Roma-, aber auch Nicht-Roma-Kinder und -Jugendliche sich für den Beruf des Musikers entscheiden können (RMS 2_002: 7). Insgesamt nahmen 150 Grundschulkinder am Schulkonzert auf der Bühne und im Publikum teil (vgl. Nachlese Schulkonzert 2010: 2).

Titel und Rückmeldungen der Kinder Die Entscheidung, ein Schulkonzert durchzuführen, lässt sich als Nachwuchsförderung verstehen. Auch der selbstgegebene Aufklärungsauftrag, der die „Sinti- und Roma-Musik auch einem größeren Kreis von Musikliebhabern und Musikliebhaberinnen bekannt“ (Konzept 2001: 1) machen möchte, dient der Nachwuchsförderung. So sollen gerade Kinder und Jugendliche der Mehrheitsgesellschaft das „musikalische Erbe“ der Roma kennen- und schätzenlernen (Konzept 2001: 1). Der Bildungsauftrag der Nachwuchsförderung trifft im Speziellen auf die Kinder und Jugendlichen zu, die von Schaworalle aus teilnahmen. Sie hatten die Möglichkeit, Kultur zu erleben, die sich als musikalische Ausdrucksweise eines bestimmten Repertoires verstand und gleichzeitig ethnisch gerahmt war durch die Zugehörigkeit der meisten Musiker zur Roma-Minderheit. Dadurch fungierte das Orchester als Vorbild, nicht nur was das musikalische Können anbetrifft, sondern auch bezogen auf die Bildungsund Arbeitskarrieren der Musiker. Der Auftritt des Orchesters im Rahmen schulen zugeordnet sind. Die Beschulung findet aber nicht an diesen Schulen statt, sondern diese entsenden die Lehrer im Rahmen des Programms „Besondere Projekte“ des staatlichen Schulamts an Schaworalle, wo der Unterricht mit weiteren pädagogischen Mitarbeitern erfolgt (ebd.). 186 | Ein kleiner Einblick in die Arbeit Sahitis mit den Kindern von Schaworalle findet sich in der TV-Produktion „Willi wills wissen“, die für Kinder bis 13 Jahre konzipiert ist, und in der die Musiker des Orchesters für die 82. Folge der Sendung befragt werden: „Wie lustig ist das Zigeunerleben wirklich?“ (Bayrischer Rundfunk vom 16.7.2005).

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des Schulkonzerts hatte eine Vorbildrolle und damit eine Bedeutung für die Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit.187 Die bewusste Verortung im professionellen Konzertbetrieb und -repertoire verweist auf eine Kompetenzorientierung des Orchesters, denn die Musiker zeigen auf der Bühne ihr Können und bewegen sich selbstverständlich in diesem Setting. Beim Schulkonzert machten die Profimusiker auf die Kinder großen Eindruck, wie zahlreiche und begeisterte Rückmeldungen der Kinder in Bild- und Textform belegen. Sie wurden in einer Nachlese zusammengefasst. So schreibt z. B. eine Schülerin: Lieber Ulaş [Aktaş]! Vielen, vielen vielen Dank.... das [sic] du uns dieses bezaubernde Konzert ermöglicht hast. Es hat mir soooo... viel Spaß gemacht dort zuzuhören. Und wie Stress frei [sic] du mit den Kindern gearbeitet hast. Und Danke das [sic] du unsere Bilder auf der Leinwand gezeigt hast. Also ich schwebe immer noch in der Musik von euch. (Nachlese, Briefe an das Orchester 2010: 8)

Die eingeladenen Kinder der Grundschulen waren nach der Einschätzung von Aktaş Konzerteinführungen dieser Art gewohnt und ein geschultes Publikum bzw. „Profis im Auftreten“ (FTB 89 f.), was sich daran zeige, dass die Kinder alle sehr engagiert waren. Dies gilt sowohl für die Kinder auf der Bühne als auch für die Kinder im Publikum. Weil sie offensichtlich vergleichbare Veranstaltungen bereits kannten, können die starken Rückmeldungen als großes Kompliment für das Orchester gewertet werden. „Die Musiker waren wunderbar“, schreibt ein Kind und ein weiteres stellt neben einem gemalten Herz mit der Inschrift „Musik“ fest: Das war das schönste Konzert, das ich je gesehen habe. Ich hätte nie gedacht, das dass [sic] so gut und toll werden könnte. […] Ich find eure Musik war besser als von Stars. Das war das beste Konzert der Welt. (Nachlese, Briefe an das Orchester 2010: 19)

Auch der Dirigent wird mit Extralob bedacht: Lieber Dirigent du hast schon fast getanzt, aber es sah schwirig [sic] aus. Und das Orchester spielte gut und ich muss eigentlich noch mal klatschen. Ich sage noch viel Glück in der Welt. (Nachlese, Briefe an das Orchester 2010: 12)

187 | Sahiti beschreibt seine Rolle im Orchester folgendermaßen: „Ich gehe so ein bisschen voran, so zwei, drei Schritte und ich sehe hinter mir steht das Orchester und ich ziehe das wie einen Wagen oder etwas, und alle diese Schwierigkeiten muss ich lösen: Links und rechts, links und rechts und dann gehen wir vorwärts.“ (RMS 2_002: 9).

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In den Zeichnungen werden vielfach Musiker, Instrumente und Noten dargestellt, aber auch mehrfach Preisbänder und Urkunden. In der Nachlese wird resümiert: Die Musiker der Roma und Sinti Kammerphilharmoniker, allen voran ihr Dirigent Riccardo M. Sahiti, waren glücklich, dass das pädagogische Konzept so perfekt aufgegangen war: Für viele Mädchen und Jungen schien die Begegnung eine Initialzündung zu sein, klassische Musik als begeisterungsfähige Leidenschaft zu erleben – zu erleben, wie unmittelbar Musik Gefühle auszudrücken im Stande ist und wie stilistisch vielfarbig Orchestermusik sein kann. (Nachlese 2010: 4)

Und weiter heißt es unter dem Titel „Bestnoten der jungen Zuhörer“: Der Stolz der als Sprecher und Maler am Projekt beteiligten Kinder mischte sich in einer unkomplizierten Kommunikation mit der Erfahrung, dass klassische Musik doch eigentlich so nah an der eigenen Gefühlswelt liegt, wie manch ein junger Zuhörer das zuvor sicher nicht für möglich gehalten hätte. (Nachlese 2010: 5)

Anhand der Rückmeldungen der Kinder wird deutlich, dass sie das konzertpädagogische Angebot begeistert aufgenommen haben, vielleicht auch sich gegenseitig motiviert haben, Komplimente zu schreiben, weil es offensichtlich eine betreute Aufgabe war, darüber zu schreiben und zu malen, wie ihnen das Konzert gefallen hat (vgl. die vielfach ähnlichen Äußerungen in den Rückmeldungen). Die Anerkennung gilt den beteiligten Musikern, dem Dirigenten, dem Moderator, den auf der Bühne auftretenden Kindern, aber auch der Musik selbst. Ob das Schulkonzert die erste Begegnung mit einem klassischen Orchester war, wie in der Nachlese vermutet wird, oder nicht, wie es der pädagogische Leiter vermutet, darüber lassen sich ohne eine Befragung der beteiligten Lehrerinnen und Schüler keine Aussagen treffen. Das Schulkonzert betonte die ethnische Komponente nicht, sie wurde vielmehr ausschließlich implizit z. B. über den Namen des Orchesters vermittelt. Gerade die so gewonnene Beiläufigkeit des ethnischen Aspektes sowie die Selbstverständlichkeit des Kontextes können als Empowerment für die Roma interpretiert werden. Die öffentliche Sichtbarkeit kann gelingen, nicht nur durch die Rezeption in der Presse,188 sondern auch durch die Bildungsarbeit selber, die das Orchester als eines unter vielen zeigt, sodass die Kinder professionelle Musiker kennen lernen, die auch Roma sind. So gelingt es dem Dirigenten Sahiti ganz nebenbei und selbstverständlich zu zeigen, dass es eben auch Roma gibt, die als Dirigenten im Frack ein Orchester leiten.

188 | Vgl. das folgende Kapitel zum Fremdbild in den Medien (Teil IV/B./3.).

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Dem Schulkonzert liegt eine bestärkende Intention im Sinne des Empowerments zugrunde: Durch das professionelle Setting und das Einbeziehen der Kinder – sowohl im Vorfeld als auch während des Konzerts –, nahmen sie an der Musik im Rahmen des klassischen Konzertbetriebs teil. Inwieweit sie dadurch eine Offenheit bezogen auf das Repertoire, die ethnische Dimension oder gar eine richtungsweisende Persönlichkeitsprägung erlebt haben, kann an dieser Stelle nur spekuliert werden. Allerdings lässt sich auch erkennen, dass der Nachwuchsförderung bislang kein nachhaltiges Konzept zugrunde liegt: So wurde das Konzept für das Konzert sehr kurzfristig erstellt, bei den Musikern herrschte Chaos im Vorfeld des Schulkonzerts und es findet bislang keine Archivierung der Schulkonzertprogramme statt, sodass eine Kontinuität sichtbar wäre (vgl. Homepage des Philharmonischen Vereins). Die Nachwuchsförderung als ein zentrales Anliegen des Philharmonischen Vereins, aber nicht nur in Form der Kooperation mit Schaworalle, ist mit den geringen Mitteln und Kapazitäten, die dem Verein zur Verfügung stehen, nicht stärker und aufwendiger zu leisten. Gerade weil sie noch deutlich ausbaufähig ist, zeigt sich, dass diese Arbeit nicht allein zu Lasten des Dirigenten gehen kann, sondern dass sich jemand eigens darum kümmern müsste, so wie es beim untersuchten Schulkonzert der pädagogische Verantwortliche übernahm.

3. S elbst- und F remdbild Selbst- und Fremdbilder sind wichtig, weil diese eine Bedeutung haben für das Selbstverständnis der teilnehmenden Musiker, für das Bild, das das Publikum vermittelt bekommt und weil sie in starkem Maße konstitutiv sind für den Diskurs. Zum Selbstbild lässt sich beim Frankfurter Projekt (im Vergleich zum Kölner Projekt Heimat re-invented) nur wenig finden, dafür aber eine Reihe an Pressematerialien, die für das Fremdbild ausgewertet werden konnten. Dieses ist, wie im Kapitel Titel und Rahmen bereits angedeutet, von großer Bedeutung für die Arbeit und die erklärten Ziele des Vereins. Denn die Außenwirkung der Konzerte, also die Wahrnehmung und Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit werden in erster Linie durch das Bild in den Medien bestimmt.

Selbstbild Die vom Verein herausgebrachten Materialien, die etwas über das Selbstbild aussagen können, sind im Fall des Philharmonischen Vereins sehr überschaubar. Das dem Verein zugrunde liegende Konzept ist sowohl auf der Homepage als auch in der Satzung festgehalten. Unter Paragraf 2 der Satzung sind der Zweck, die Aufgaben und die Arbeitsweise festgehalten:

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Kulturelle Teilhabe durch Musik? Zweck des Vereins ist die Pflege des musikalischen Erbes der Sinti und Roma. Zur Erreichung des Vereinszweckes sieht der Verein seine Aufgabe insbesondere darin, 1. verschiedene Ensembles von Sinti- und Roma-Musikern und -Musikerinnen zu bilden, 2. ein Streich- oder Kammerorchester zu gründen, aus dem schließlich ein philharmonisches Orchester entwickelt werden soll, 3. einen Sinti- und Roma-Chor zu gründen und 4. allen diesen Gruppen die Gelegenheit zu öffentlichen Auftritten zu geben, um so die Sinti- und Roma-Musik auch einem größeren Kreis von Musikliebhabern und Musikliebhaberinnen bekannt zu machen 5. die Ausbildung dieser Musiker und Musikerinnen zu fördern 6. auch bereits vergessene Musik wieder bekannt zu machen und 7. den musikalischen Nachwuchs zu fördern. (Satzung des Philharmonischen Vereins der Sinti und Roma 2001: 1)

Neben diesen, seit der Gründung des Vereins auf der ersten Seite der Homepage stehenden Zielen, gibt es keine weiteren Schriftstücke wie z. B. eine Broschüre oder eine Dokumentation o.  ä., die das Selbstbild beschreiben. Allerdings findet sich in den Konzertprogrammen jeweils ein erläuternder Absatz über die Aufgaben und Ziele des Philharmonischen Vereins der Sinti und Roma. Da die Hauptaufgabe des Vereins aber das Musizieren ist und Sahiti Dirigent, künstlerischer Leiter und Manager in Personalunion ist, außerdem zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit und die Mittelakquise, können die Konzerte und Auftritte selbst als Selbstbild gelesen werden. Das Konzept stand von Beginn an sehr klar und eindeutig fest und wurde nicht weiter präzisiert oder überarbeitet. Als Vereinszweck wird die „Pflege des musikalischen Erbes“ genannt, die sich in verschiedene Aufgaben untergliedert: Erstens die Bildung verschiedener musikalischer Formationen (Punkte 1 bis 3), die sich von zunächst kleineren Gruppierungen zu einem großen philharmonischen Orchester entwickeln sollen. Hier ging es in erster Linie um Kapazitäts- und finanzielle Grenzen. Zweitens soll den verschiedenen Ensembles die Möglichkeit für öffentliche Auftritte geboten werden und drittens soll der Kreis derjenigen vergrößert werden, die die Sinti- und Roma-Musik noch nicht kennen- (und schätzen-) gelernt haben (beides Punkt 4). Dabei wirft Punkt 4 einige Fragen auf, die einer näheren Untersuchung bedürfen: Was ist mit „Sinti- und Roma-Musik“ gemeint und welche Zielgruppe soll als „Kreis von Musikliebhabern und Musikliebhaberinnen“ angesprochen werden, der vergrößert werden soll? Es wird nicht genauer erklärt oder definiert, ob mit der Bezeichnung „Sinti- und Roma-Musik“ beispielsweise ein eigenes musikalisches Genre gemeint ist, das sich durch einen bestimmten Stil, analysierbare Charakteristika und spezifische Kriterien auszeichnet. Oder ob es sich um

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Musik handelt, die von Sinti und Roma komponiert und/oder aufgeführt wird. Schließlich könnte es auch um solche Musik gehen, von der das Publikum lediglich annimmt, dass es sich – aufgrund von bestimmten Versatzstücken – um Sinti- und Roma-Musik handelt (vgl. Rădulescu 2003: 81). Tatsächlich liegt das letztgenannte Verständnis der Programmauswahl zugrunde, sodass „Sintiund Roma-Musik“ zum spartenübergreifenden Label wird: „Dahinter verbirgt sich ein (bewusst) nicht näher präzisiertes Sammelsurium, das Klischees und Stereotypen [entsprechen kann]. Vielfach machen sich [auch Gadje-]Musiker diese Bilder zunutze.“ (Stoffers 2006: 11) Vom Philharmonischen Verein werden solche Musikstücke aufgeführt, die laut ihren Titelbezeichnungen auf Melodien zurückgehen, deren Ursprünge in der Roma-Kultur verortet werden (Bartók, Liszt). Oder Musik wird in das Programm aufgenommen, die (angeblich) etwas mit der Roma-Kultur zu tun hat, wie das Beispiel der Oper „Carmen“ zeigt. Es wird aber auch Musik ausgewählt, die nicht der gezeigten, sondern der gelebten Kultur 189 der Roma entstammt, Musik also, die üblicherweise nicht für ein Publikum, sondern im privaten Rahmen gespielt wird. Dazu gehören z. B. traditionelle Volkslieder und -tänze. Ein nicht geringer Teil des Repertoires sind schließlich Kompositionen, die zum Teil von Roma selbst, in jedem Fall aber dezidiert für das Orchester geschrieben wurden (Czèki, Rathgeb); auch diese Stücke können als „Sinti- und Roma-Musik“ bezeichnet werden. Wen versteht der Verein nun als Zielgruppe, der die Musik bekannt gemacht werden soll? Sahiti beschreibt das Publikum der Konzerte als sehr gemischt, ein Publikum, das man sonst bei „klassischer Musik oder Opernmusik“ (RMS 193:3) nicht unbedingt zusammen sehe. Die Einladung der Konzerte gelte allen Menschen, insbesondere solchen, die generell bislang noch nicht mit Roma-Musik in Berührung gekommen sind. Einerseits können sich die Begriffe im Konzept auf Roma beziehen, die die Musiken bislang (noch) nicht in einem Konzerthaus, sondern eher im familiären Kreis, als Dienstleistung oder aber als von bzw. für Nicht-Roma gespielte Musik kannten. Andererseits richten sie sich aber auch an Nicht-Roma, die bislang (noch) nicht wussten, welche Werke z. B. durch Roma inspiriert und beeinflusst oder von Angehörigen dieser Minderheit geschrieben wurden. Der Dirigent spricht ein offenes Angebot für alle aus, er wendet sich in erster Linie an alle Musikliebhaber. Darüber hinaus hat er aber auch ein politisches Anliegen, er will in einem aufklärerischen Sinne zeigen, dass wir als Roma, wo wir es überall schwierig haben, ja, dass wir […] trotzdem ein Orchester haben und dass wir auch zeigen, wir können und möchten, dass diese Orchesterkultur, dieses musikalische Erbe der Sinti und Roma für alle bekannt ist und dass man es pflegt und interpretiert. Und dass wir auch zeigen, auch wenn einige denken, dass die Roma 189 | Vgl. die ausführliche Abhandlung von Jacobs (2014: 96 f.).

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Kulturelle Teilhabe durch Musik? nicht in die Schule gehen, dass sie keinen Beruf haben und dass sie nur andere Sachen machen – dieses Orchester zeigt, dass es auch ganz andere Sachen gibt, dass jeder Mensch, wenn er eine Begabung und ein Talent hat, dass er in die normale Musikschule gehen muss, in der Hochschule lernen, eine Ausbildung erlernen und dass er dann auch einen Beruf haben kann. Das zeigt eine andere, wahre Geschichte. (RMS 2_002: 8)

Deutlich wird im Selbstbild, dass die Roma-Musik-Kultur in der öffentlichen Wahrnehmung als sehr reich und vielfältig und als wertvolles Element der Musikgeschichte und des musikalischen Kanons verstanden werden möchte. Offensichtlich besteht die Notwendigkeit, auf ihren Anteil und Verdienst aufmerksam zu machen, weil ihr diese Anerkennung z. B. in der Musikgeschichtsschreibung sowie im Diskurs (bislang) versagt bleibt. Es geht dem Verein um Sichtbarkeit, um Anerkennung und Akzeptanz im Konzertbetrieb. Er beansprucht einen eigenen Platz sowie eine anderen Klangkörpern vergleichbare Förderung, die die kulturelle Identität unterstützen soll (RMS 2_002: 10).

Fremdbild Grundsätzlich ist zu fragen, von wem und wo über das Orchester als Fremdbild geschrieben wird und welcher Art die Artikel sind. Es wird analysiert, welche Akzente in der Presse gesetzt werden, was thematisiert wird und ob z. B. die ethnische Rahmung eine (besondere) Rolle spielt. Diesbezüglich soll auch untersucht werden, wie mit etwaigen Stereotypen umgegangen wird und ob eine Reproduktion stattfindet. Auf der Homepage des Vereins findet sich eine Zusammenstellung von Artikeln und Beiträgen in verschiedenen Medien, die fortlaufend ergänzt wird. Die folgende Analyse bezieht sich auf diese Artikel, beginnend mit dem ersten Artikel, der die Vorstellung des neuen Vereins im Jahr 2002 beschreibt bis hin zu einem Beitrag aus dem Jahr 2015. Eine grobe Sichtung ergibt folgendes Bild: In den ersten Jahren nach der Vereinsgründung erscheinen im Schnitt zwei bis drei Artikel pro Jahr – zunächst eher weniger. Nach der Einladung des Orchesters zum Beethovenfest (2011) sowie ab 2012 nach der Uraufführung des Werkes „Requiem für Auschwitz“ erscheinen etwas mehr. Die Überschriften und Inhalte der Beiträge sind, so lässt sich zusammenfassend sagen, in erster Linie an der Musik orientiert, die ethnische Rahmung wird in keinem Artikel ausgelassen. Mit den Aufführungen  – insbesondere des Requiems –, die eine deutlich überregionale Presseresonanz erfuhren, wird in den Beiträgen verstärkt der Fokus auf das Projekt an sich und den Aspekt „Musik gegen Klischees“ (Ronny Blaschke, SZ 27.11.2012190) gerichtet. Die Beiträge sind in verschiedenen Medien erschienen: Am häufigsten finden sich Artikel in regionalen bzw. überregionalen Zei190 | Wo es aufgeführt war, habe ich die Namen der Journalisten angegeben.

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tungen wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), der Frankfurter Neuen Presse (FNP) und der Frankfurter Rundschau (FR), weniger in nationalen oder internationalen Zeitungen wie der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ). Ebenso gibt es Artikel in der bundesweiten Fachpresse, z. B. in der Neuen Musikzeitung (NMZ), der Opernnetz.de oder der Newess, dem Magazin des Dokumentationsund Kulturzentrums sowie des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma. Konzertankündigungen ebenso wie Rezensionen sind in erster Linie im Kulturteil bzw. im Feuilleton einer Zeitung abgedruckt, teilweise aber auch im Lokalteil zu finden. Radio- und Fernsehbeiträge, z. B. vom Deutschlandfunk (DLF) und arte/RBB werden verlinkt im Pressearchiv festgehalten.191

Was und wie wird berichtet? Inhaltlich lassen sich die Beiträge unterteilen in solche, die in erster Linie eine musikalische Rezension des aufgeführten Konzerts bieten und solche, die den Verein und seine Ziele porträtieren, insbesondere den Dirigenten Sahiti. Musikalische Rezensionen: Die Konzertbesprechungen arbeiten mit dem Bezugs- und Vergleichsrahmen des klassisch-bürgerlichen Konzertbetriebs. So heißt es z. B. in der Rezension des Gründungskonzerts, dass das Streichorchester seine „Reifeprüfung“ bestanden habe (FAZ, 6.11.2002) und mit der Einladung zum Beethovenfest hätten die Musiker den „Ritterschlag“ empfangen (evangelisch.de/Chrismon, 26.11.2011). Im Vordergrund stehen das musikalische Repertoire und das handwerkliche Können der beteiligten Musiker, positive Kritiken dominieren dabei insgesamt deutlich. In jeder musikalischen Rezension ist zwar im Namen des Orchesters auch ein Verweis auf den ethnischen Aspekt enthalten, aber darauf wird nicht unbedingt Bezug genommen, wie der Artikel mit dem Titel „Herbstliches Programm“ zeigt: Anders als der sachliche Titel vermuten ließe, klingt die zweisätzige „Normalmusik für vier Stimmen“ („Normalna Muzika u Cetiri Glasa“) des 1941 geborenen Belgrader Musikhochschulprofessors Stanko Šepić in neoromantischem Ton sehr gefühlsbetont und elegisch. Bei der Uraufführung im siebten Konzert des „Roma und Sinti Streichorchesters“ unter der Leitung von Riccardo Sahiti, für das die Oper Frankfurt wieder das Bockenheimer Depot zur Verfügung stellte, fügte sich das als Auftakt gut zum insgesamt 191 | Allerdings habe ich, gerade was Fernsehbeiträge betrifft, noch weitere Berichte gefunden, die nicht auf der Homepage des Vereins aufgeführt werden, z. B.: Ein Bericht über den Musik- und Kulturtag (ARD, Nachtmagazin, Natalia Bachmayer, 6.11.2007), ein Bericht über das Konzert im Kurhaus Wiesbaden mit Geza Hosszu-Legocky und Martha Argerich (Hessischer Rundfunk, „Hauptsache Kultur“, Alexander C. Stenzel, 12.9.2009), ein Porträt Riccardo M Sahitis (ZDF, Martin Leutke, 16.12.2010).

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Kulturelle Teilhabe durch Musik? nachdenklich­e rnsten herbstlichen Programm. Im homogenen und intonatorisch sauberen Vortrag des 2002 gegründeten, vom „Philharmonischen Verein der Sinti und Roma Frankfurt“ getragenen Streichorchesters schlossen sich so die „Canzonetta“ op. 62a und mit klangvoll gespielten Soli „Rakastava“ op. 14 von Jean Sibelius nahtlos an. Wie eng sich dessen finnisch-nordische Gefühlswelt mit einer italienischen Elegie verband, erstaunte: Puccinis Quartettsatz „Crisantemi“ bekam dazwischen ähnliches Sentiment. In Pablo de Sarasates „Zigeunerweisen“ op. 20 für Solovioline und Orchester, ebenfalls für Streichorchester bearbeitet, betonten Sahiti und der ausgezeichnete Solist Geza Hosszu-Legocky im ersten Teil in bewusst langsam gewähltem Tempo die melancholischen Züge. Das musikantisch Ausgelassene kam am Ende aber nicht zu kurz, ebenso wenig wie – mit dem Orchester allein – in den kurzen, bearbeiteten „Rumänischen Volkstänzen“ von Béla Bartók. Einen Höhepunkt des Abends setzte der erst 22 Jahre alte, weltweit mit Musikern wie Martha Argerich, Gidon Kremer und den Brüdern Capucon sowie renommierten Orchestern konzertierende Solist, der sich als gebürtiger Roma gewinnen ließ, schon zuvor: mit Ravels Konzert-Rhapsodie „Tzigane“ in vollem, expressivem Ton, vom Streichorchester flexibel begleitet. (Guido Holze, FAZ, 27.10. 2008)192

Anders klingt ein weiterer Artikel zu dem gleichen Konzert, in dem die Besonderheit des Orchesters herausgestrichen wird. Darauf verweist bereits der Titel „Farbige Normalmusik“: Ein nuancenreiches Programm mit folkloristischer Einfärbung präsentierte das Streichorchester, das zu Recht mehr und mehr Selbstbewusstsein im Frankfurter Musikleben entwickelt. Zunächst stand die Uraufführung eines Werks des zeitgenössischen Kroaten Stanko Šepić auf dem Programm. Die knapp viertelstündige „Normalmusik für vier Stimmen“ hat zwar einen recht nüchternen Titel, zeichnet sich aber durch satte Streicherklangfarben aus. Das von Riccardo M. Sahiti souverän geleitete Orchester verfügte über einen dicht angelegten Apparat, der auch in Sibelius’ introvertierter „Canzonetta“ zuverlässig zur Stelle war.
Der aus der Schweiz stammende Roma-Musiker Geza Hosszu-Legocky war als Solo-Violinist in Ravels Konzert-Rhapsodie „Tzigane“ sowie bei Sarasates „Zigeunerweisen“ nach der Pause engagiert zur Stelle. Besonders die Zigeunerweisen erhielten aus der Hand dieses Solisten einen besonderen Charakter. In diesem Sinne erschienen auch die sieben kompakten „Rumänischen Volkstänze“ Bartóks, die in der kraftvollen Interpretation des Orchesters aus einem Guss hervortraten.
Zwischendurch hatte das Publikum Gelegenheit, Puccini in einem ungewöhnlichen Licht zu erleben – die Orchesterfassung seines Streichquartetts „Chysantemi“ zeigte erneut Dichte und Geschlossenheit der Roma-Streicher, denen der Applaus sicher war. (FNP, 24.10.2008)

192 | Auf der Homepage des Philharmonischen Vereins sind in diesem Artikel einige kleinere Satzzeichen- sowie grammatikalische Fehler, die in der FAZ vom 27.10.2008, S. 44 nicht zu finden sind. Ich habe die Fehler bereinigt, um das Zitat wiederzugeben.

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

Da der Artikel sowohl eine musikalische Rezension ist wie auch ein Porträt des Orchesters, wird die Interpretation des Zitats im folgenden Unterkapitel vorgenommen. Porträts des Orchesters: Die Artikel, die das Orchester und seinen Dirigenten porträtieren, beschäftigen sich ausführlicher mit der ethnischen Zugehörigkeit und Verortung. Das liegt auch daran, dass der Dirigent auf die Frage, worin der Unterschied zwischen einem traditionellen philharmonischen und seinem Orchester liege, mit dem Hinweis auf die ethnische Zugehörigkeit vieler Musiker im Orchester antwortet. Neben der Zusammensetzung des Ensembles sei es aber auch die Gestaltung des Repertoires, die das Neue und Besondere ausmache, eine „Mischung zwischen absolut klassischer Literatur in sinfonischer Besetzung und folkloristisch-traditionellem Spiel mit kleinen Kapellen“ (Sahiti in Pressemitteilung (PM) Wetteraukreis 22.9.2008).193 Als Charakteristika einer von Roma gespielten Musik beschreibt er die folgenden: Eindeutig zu nennen ist [sic] dann eine nur schwer in Worte zu fassende Art von interpretatorischem Temperament, ein unverwechselbares Spiel zwischen Melancholie und ungezügelter Spielfreude und Virtuosität, unverkopft und doch auf hohem technischen Niveau. Markante, oft tänzerische Rhythmen und ausgiebige Temposchwankungen (rubati) sind ebenso typisch für unsere Musik. (Sahiti in PM Wetteraukreis, 22.9.2008)

Entscheidend ist nicht, welche Charakteristika er nennt, sondern dass er der von Roma gespielten Musik eindeutige und unverwechselbare Charakteristika zuschreibt. Ihm zufolge gibt es also eine musikalische Identität, die über das Repertoire hinausgeht. Denselben Gedanken erweitert der Musiker des Philharmonischen Vereins, Lyubomir Aleksandrovic, wenn er sagt, dass das Charakteristikum die sogenannte Zigeunertonleiter sei: „Unsere Musik besteht aus Ganztönen, es gibt keinen Halbtonabstand.“ (Canan Topçu, FR, 2.11.2002) Inwieweit die genannten musikalischen Charakteristika für alle als Roma-Musik aufgefassten musikalischen Richtungen bzw. Genres gelten kann194 und

193 | Diese Pressemitteilung findet sich nicht auf der Homepage des Vereins, liegt jedoch als Dokument vor. 194 | Darunter könnte man zählen: Die sogenannte Ungarische Zigeunermusik (Sárosi 1977, Tari 1996), den spanischen Flamenco der Gitanos (Leblon 1997, Papapavlou 2000, Papenbrok-Schramm 1998), die russische Roma-Musik (Lemon 2000), die Musik der bulgarischen Zurnacies (Peycheva/Dimov 2002) und der rumänischen Lăutari (Beissinger 1991), den Sinti-Swing und -Jazz (Litterst 1997) sowie als eine der jüngsten Entwicklungen die Roma-Club-Musik (Stoffers 2011).

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ob musikwissenschaftliche Analysen dies untermauern können, dazu fehlen verlässliche Nachweise.195 Im Gegensatz zu dieser Eigenperspektive von Musikern des Orchesters aktualisiert die Fremddarstellung in der Presse offenbar eher Klischees („Besonders“, „anders“, „authentisch“ etc.), ohne aber die Musik als eigenes Genre neben andere Genres zu stellen oder ihr einen Platz in der bürgerlichen Kultur zuzuweisen. So wird das Orchester häufig als „Orchester der besonderen Art“ (Deutsche Welle (DW), 29.9.2011) oder als „ganz besonderes Orchester“ (FR, 11.8.2009), als „authentisch“ (FNP, 8.11.2007) und mit einem „eigene[n] Sintiund Roma-Sound“ (Wetterauer Zeitung (WZ), 6.10.2008) beschrieben. Einige Artikel verweisen mit dem Wort „einzigartig“ nicht auf die Spielweise und musikalische Charakteristika, sondern auf die Philosophie des Orchesters: Die Vision Sahitis sei eine „weltweit einzigartige Idee“, weil das Orchester sich auf den langen Weg „hin zu einem institutionell fest verankerten Ensemble“ (Newess 1/2012: 4) mache. Denn: „Nirgendwo sonst gibt es einen Klangkörper, der nur aus Musikern dieser Minderheit besteht.“ (Hans Riebsamen, FAZ, 30.11.2012); das Orchester sei ein „Zeichen dafür, dass sie [die Minderheit der Sinti und Roma] auch kulturell [von der Mehrheit] angenommen wird.“ (Ebd.) Ein philharmonisches Orchester mit einer politischen Vision ist vielleicht nicht neu,196 in dieser speziellen Ausprägung aber schon. Denn Sahiti hat nicht nur die Idee eines institutionell gesicherten und ständigen philharmonischen Orchesters, sondern auch eine politische Vision: Das Internationale Beethovenfest in Bonn erlebte eine berührende Premiere: den ersten Auftritt der Sinti und Roma Philharmoniker. Die Musiker wollen ein Bewusstsein für die Bedeutung der „Zigeunermusik“ für die europäische Kultur schaffen – denn nicht nur Haydn, Mozart, Brahms und Beethoven bedienten sich ihrer Stilelemente. Die Vision 195 | Hemetek nennt zwar im Lexikon Die Musik in Geschichte und Gegenwart Gemeinsamkeiten für die meisten Roma-Musikstile, aber das sogenannte Zigeunermoll findet sich nicht darunter (1998: Sp. 454). Das Zigeunermoll – eine Variante des harmonischen Moll mit zweitem Leitton aufwärts zur Dominante – konnte z. B. Katrin Steinbrinker in den Aufnahmen und Analysen der Vlach-Roma aus den 1970er-Jahren aus Ungarn nicht feststellen (Steinbrinker 1982: 56). Es wäre überdies aber zunächst zu klären, was unter Roma-Musik verstanden werden soll; eine Auflistung der musikwissenschaftlich relevanten Argumente sowie unterschiedlichen Bedeutungsebenen findet sich in meiner Diplomarbeit (vgl. Stoffers 2006: 10 ff.). 196 | Ähnlich von der Idee her, Musik als verbindende Brücke zu nutzen, ist eines der prominentesten Beispiele, das allerdings in der Struktur der Besetzung, der medialen Rezeption und vom Radius der Tourneen völlig anders aufgestellte West-Eastern Divan Orchestra, das von dem Dirigenten Daniel Barenboim und dem Literaturwissenschaftler Edward Said 1999 gegründet wurde.

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte aber ist, die Ausgrenzung der Sinti und Roma zu überwinden – auch mit Hilfe der Musik. […] In Sahitis Projekt ist diese Perspektive, die gezielte Aktion gegen Entwürdigung und Diskriminierung, angelegt. (Ralf Siepmann, evangelisch.de, 26.11.2011)

Es sei Sahitis persönliches Anliegen „‚vom klassischen Stehgeiger-Klischee wegzukommen‘, zu zeigen, dass Sinti und Roma auch große symphonische Werke interpretieren können“, wie ein Journalist schreibt (kein Autor angegeben, FNP, 23.10.2003). Deshalb führe das Orchester einen „beständige[n] Kampf gegen Klischees“ (ARD, 6.11.2007). Doch mitunter werden in manchen Artikeln klischeehafte Bilder aufgerufen, wenn z. B. die Rede ist von „Teufelsgeiger[n]“ (Manfred Merz, WZ, 6.10.2008, PM des Wetteraukreises, 22.9.2008), die Spielweise als dramatisch und „temperamentvoll“ charakterisiert wird (vgl. die folgenden Artikel: Volker Milch, Wiesbadener Kurier (WK), 14.9.2009, Volker Milch, WK, 5.9.2009; gui, FNP, 15.11.2007; BJH, FR, 28.11.2006; gui, FAZ, 13.11.2005; gui, FAZ, 12.11.2004; ter, FAZ, 11.6. 2004; Christian Ekowski, FAZ, 6.11.2002). Hervorgehoben werden auch die Haare des Dirigenten, die als „pechschwarz“ bezeichnet werden  – ohne ersichtliche Notwendigkeit für die Rezension oder das Porträt. Der Dirigent bediene im Übrigen selber nicht das „Klischee des exzentrischen Dirigenten“ (kein Autor angegeben, FNP, 23.10.2003), wie es in einem Artikel heißt. Und selbstverständlich ist mit der G-Saite ein Teil der Violine gemeint, aber durch die Beschreibung, dass der Solist die Saite „dunkel glühen“ (Volker Milch, WK, 14.9.2009) lässt, werden durchaus Assoziationen hervorgerufen, die an Klischees und Stereotype wie der feurigen Zigeunerin, etwa im Carmen-Topoi, anknüpfen. Weil das Orchester das „Vorurteil über ‚Zigeunermusik‘“ (Canan Topçu, FR, 2.11.2002) zu durchbrechen versuche, schreiben manche Journalisten stereotyp, das Orchester spiele „Mehr als ‚Zigeunermusik‘“ (Marcel Malachowski, Neue Zürcher Zeitung (NZZ), 8.4.2013). Damit wird (ungewollt, unbewusst) eine undifferenzierte Trennlinie zwischen der bürgerlich-klassischen Hochkultur und einer unterhaltenden Volksmusikkultur gezogen, die – so zeigen es die Programme und so erläutert es der Dirigent – überhaupt nicht dem Anliegen des Orchesters entsprechen. Was aber viel gravierender ist, ist die Sicht auf Roma im Allgemeinen, wie das folgende Zitat zeigt: Auch die Roma-und-Sinti-Philharmoniker haben mit ihren Aufführungen in ganz Europa bewiesen, dass sie ein Teil dieses kultivierten Kontinents sind.“ (Marcel Malachowski, NZZ 5./8.4.2013)

Der Artikel unterstellt, dass Roma erst beweisen müssen, dass auch sie kultiviert sind, d. h. dazugehören. Diese Sichtweise verweist auf tiefsitzende stereo-

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type Zuschreibungen und antiziganistische Ressentiments, die gerade durch ihre Reproduktion immer wieder Ausschlüsse produzieren.197 Wenn also in der Presse wohlmeinend geschrieben wird, dass sich die Musiker des Orchesters „wie selbstverständlich auf dem Niveau der besten Orchester in der Welt bewegen, auf Augenhöhe“ (Opernnetz 2015: 2), und beim „Requiem für Auschwitz“, dem bislang größten Projekt des Orchesters, kein gewöhnliches Konzertpublikum im Rudolfinum in Prag sitzt, weil das Konzert als Bildungsprojekt vermarktet wird und der Eintritt kostenlos ist, damit der Saal nicht leer bleibt; wenn die Roma medial als Exoten dargestellt (wie ein Beitrag im Deutschlandfunk resümiert, vgl. Ronny Blaschke, DLF 2013: 16 f.) und die Solistin „nicht als Musikerin beschrieben, sondern als eine Exotin, die aus einem Volk von Exoten herausrage“ (ebd.: 17), dann wird die politische Botschaft ad absurdum geführt, die Musik zum Feigenblatt. Es wird ein Mechanismus deutlich, der vor allem etwas über das – oft indirekte und implizite – Funktionieren von Ausgrenzungen durch die Mehrheitsgesellschaft aussagt: Durch die Betonung des Selbstverständlichen wird das eigentlich Selbstverständliche in sein Gegenteil verkehrt – es wird herausgehoben.198

197 | Vgl. zur Geschichte der Darstellung der „Zigeuner“ in der europäischen Literatur und Kunst Uerlings/Patrut 2008 und Bogdal 2011, zum Antiziganismus Kalkuhl/Solms 2005 und End 2013 sowie speziell zu Roma-Musikern Stoffers 2006. 198 | Ein außerordentliches Zeichen für die gesellschaftspolitische Akzeptanz und Anerkennung des Orchesters, seiner Person und vielleicht auch der Roma-Musik und -Kultur im Allgemeinen, ist die Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an Riccardo M Sahiti durch Joachim Gauck am Tag der Deutschen Einheit, 3. Oktober 2016 im Schloss Bellevue. Im Kontrast dazu steht die spärliche finanzielle Unterstützung seitens staatlicher Förderer.

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C. Z ukunftsmusik (B erlin) Steckbrief Hintergrundinformationen 199 Name: Initiative Zukunftsmusik Ort: Berlin Beteiligte Institutionen: • Werkstatt der Kulturen (WdK) • Landesverband Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg e. V. Struktur: • Kooperationsprojekt non-formaler Träger mit zwei Laufzeiten jeweils über mehrere Jahre Rahmen: Wöchentliches Angebot Zielgruppe: Kinder und Jugendliche der deutschen Sinti und Roma und der nach Deutschland immigrierten Roma und Sinti200 Altersstufe: 8–25 Jahre Zahl der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen: 1. Laufzeit: 20 Kinder und Jugendliche, 2. Laufzeit: 12 Kinder und Jugendliche201 Zeitliche Länge des Projekts: 1997–2000, 2002–2005; abgeschlossen Aufführungen: Zweimal jährlich Aufführungsort: Club der Werkstatt der Kulturen Leitung und Koordination: 1. Laufzeit: Ferenc Snétberger (Künstlerische Leitung), 2. Laufzeit: Oana Chițu (OC) (Leitung und Koordination) Kontaktperson der Werkstatt der Kulturen: Anette Heit (AH)

199 | Die Angaben entstammen den öffentlich zugänglichen sowie mir eigens für die Arbeit zur Verfügung gestellten Informationsmaterialien, aufgelistet in der dem Steckbrief folgenden Kurzdarstellung. Teilweise differieren die Daten der Laufzeit; ich habe nach bestem Wissen und Gewissen Inkongruenzen zu vermeiden versucht. 200 | Die Reihenfolge der Gruppen Sinti und Roma erfolgt im Steckbrief wie in der ersten Broschüre dargestellt (Broschüre 1: 3): Zuerst werden die Sinti als die seit dem 14. Jahrhundert in Deutschland ansässige Gruppe genannt, dann die Roma, deren Gruppen vor allem seit dem 19. Jahrhundert nach Deutschland einwanderten, insbesondere aus Südosteuropa (vgl. Vossen 1983, Stoffers 2006). In der zweiten Broschüre werden unter den eingewanderten Gruppen nur noch die Roma erwähnt (Broschüre 2: 2). 201 | Die Zahl ist eine ungefähre Schätzung, da keine absoluten Zahlen mehr vorliegen (AH 2_002: 7). Der Lehrer Dejan Jovanović erwähnt 26 Schüler, die zusammen einige Lieder bei einer Aufführung gespielt haben und die Gesamtheit aller Kinder und Jugendlichen darstellten (Chițu/Jovanović 2_028: 8).

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Kontaktperson des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma:202 Petra Rosenberg (PR) Lehrer: Ferenc Snétberger (Gitarre), Oana Chițu (OC) (Gesang), Dejan Jovanović (DJ) (Akkordeon), Ulli Bartel (Geige)203 Ehemaliger Schüler:204 Janko Lauenberger (JL) (Gitarre) Unterstützung und Finanzierung:205 • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Teilprojekt entimon – Gemeinsam gegen Rechtsextremismus und Gewalt des Aktionsprogramms „Jugend für Toleranz und Demokratie  – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ • Private Spenden

Kurzdarstellung der Initiative Zukunftsmusik: Die 1997 mit dem Namen Zukunftsmusik gegründete Musikschule richtet sich an Kinder und Jugendliche aus Sinti- und Roma-Familien, die in Berlin leben. Methodisch-didaktisch soll daran angeknüpft werden, was die Kinder und Jugendlichen bereits durch mündliche Weitergabe im Familienkreis erlernt haben. Das Ziel lautet: „Die Musikkultur der in Berlin lebenden Sinti und Roma soll belebt, gestärkt und zu Neuem inspiriert werden.“ (Broschüre 2: U2) Die Lehrer der Initiative sind „professionelle Musiker mit Hochschulabschlüssen

202 | Petra Rosenberg ist in der ersten Broschüre mit allen anderen Beteiligten gemeinsam aufgelistet, sie wird im Steckbrief dennoch als Ansprechpartnerin für den Landesverband genannt, da sie selber diese Position vertritt und sie in den mit verschiedenen Beteiligten geführten Interviews in dieser Position benannt wurde, auch wenn ihr Name in der zweiten Broschüre nicht mehr aufgeführt ist; dies gilt im Übrigen auch für die anderen Personen, bis auf Oana Chițu, die dort als Koordinatorin genannt wird. 203 | Aufgelistet nach der Reihenfolge der Nennung in der ersten Broschüre (Broschüre 1: 6). Kürzel wurden nur für die Personen verwendet, mit denen ich Interviews geführt habe. 204 | Janko Lauenberger ist der einzige Schüler, mit dem ich ein Interview geführt habe. Dadurch, dass das Projekt einige Jahre vor den ersten Recherchen für die vorliegende Arbeit beendet werden musste und der Schwerpunkt meiner Untersuchung nicht auf der Befragung der Teilnehmer lag, wurden auch keine weiteren Schüler recherchiert. Das Interview mit dem zudem bekannten Solo-Gitarristen der Band Sinti Swing Berlin sowie Mitglied weiterer Formationen ist für die Arbeit somit exemplarisch und beispielhaft erfolgt. 205 | Die Reihenfolge ist den beiden Broschüren entnommen. Im Vergleich zum Philharmonischen Verein hatte die Berliner Initiative keine ideellen Unterstützer, ausführlicher wird darauf im Kapitel zum Selbst- und Fremdbild eingegangen (Teil IV/C./3.).

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

und persönlicher Erfahrung mit der Musikkultur der Roma und Sinti“ (Broschüre 1: 6). Für die vorliegende Untersuchung konnten weder Unterricht noch Proben oder Aufführungen besucht oder teilnehmend beobachtend werden. Dennoch wurden mir diverse Materialien für die Analyse zur Verfügung gestellt, weshalb das Projekt schließlich in die Untersuchung einbezogen werden konnte. Folgendes Material wurde für die Analyse zusammengetragen und ausgewertet: Homepage der Initiative, die eine Zeit lang noch zugänglich war206 Zwei von der Initiative herausgebrachte Broschüren207 Ein kurzer Film zur Sponsorenakquise Ein Dokumentarfilm über Janko Lauenberger Eine wissenschaftliche Studie zu dem Bundesprogramm entimon, die unter anderem das Projekt Zukunftsmusik untersucht hat 208 • Mehrere von mir durchgeführte Interviews • Eintragungen aus meinem Forschungstagebuch • • • • •

1. Titel und R ahmen Das Projekt Zukunftsmusik verortet sich ebenso wie das Frankfurter Projekt in zwei eindeutigen Rahmen: Zum einen ist durch die Struktur sowie die inhaltliche Ausrichtung des regelmäßigen Instrumental- bzw. Gesangsunterrichts der Vergleich zu staatlich wie privat getragenen Musikschulen, also außerschulischen Bildungseinrichtungen, gegeben. Zum anderen wird zwar nicht direkt durch den Namen der Initiative, aber durch die Kooperationspartner und die Ausrichtung auf eine bestimmte Zielgruppe deutlich, dass eine eindeutig ethnische Verortung gewollt ist. Im Folgenden werden, wie bereits für die beiden vorangegangenen Projekte, der Titel bzw. der Name sowie deren

206 | Die Unterseite der Homepage der Werkstatt der Kulturen konnte bis ins Jahr 2012 abgerufen werden, danach war dies nicht mehr möglich und es erschien bei der Überprüfung der Adresse nur eine Fehlermeldung. 207 | In den Broschüren ist kein dezidiertes Impressum angegeben, auch das genaue Jahr der Herausgabe ist nicht notiert, kann aber von den jeweiligen Laufzeiten des Projekts abgeleitet werden: Broschüre 1 (2000), Broschüre 2 (2005); es ist das jeweilige Ende der Laufzeiten angegeben. 208 | Die einzelnen Berichte, die in mehrere Zwischen- und einen Abschlussbericht gegliedert sind sowie eine digitale Datenbank beinhalten, sind im Anhang detailliert aufgeführt, vgl. Teil VII/4.1.

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Kulturelle Teilhabe durch Musik?

Rahmungen dahingehend untersucht, was sie für eine Bedeutung im Diskurs um kulturelle Teilhabe haben.

Die Rahmen: Der ethnische Rahmen und der Rahmen der außerschulischen Musikschulstruktur Als Rahmen werden auch bei der Berliner Initiative, wie schon zuvor bei dem Frankfurter Verein, verschiedene Aspekte untersucht, die eine Verortung und einen Vergleich zu einem bestimmten Bereich der Musikstrukturen zulassen – in diesem Fall Musikschulen staatlicher oder privater Träger. Da Zukunftsmusik eine stärkere ethnische Betonung aufweist als das Frankfurter Projekt, und da die beiden Rahmen, der ethnische Rahmen und der Rahmen der außerschulischen Musikschulstruktur, stark miteinander verwoben sind, werden die Aspekte gemeinsam analysiert. Name: Der Name ist Programm: Die Musik, die in der Musikschule Zukunftsmusik unterrichtet und vermittelt wird, soll Musik der Zukunft sein. Einen Hinweis auf eine Ethnizität wird dort nicht formuliert. Der Text der von der Initiative herausgebrachten zweiten Broschüre verweist auf die in Berlin existierende Musikkultur der Sinti und Roma und die Hoffnung, dass diese durch das Projekt gefördert wird; die verwendeten Verben wie „beleben, stärken, inspirieren“ zeigen diese Perspektive deutlich auf. Ähnlich wie bei Heimat re-invented spielt der Aspekt des Neuen bzw. der Inspiration zu Neuem eine Rolle, hier wird auf das „musikalische Erbe“ (Broschüre 2: 1) verwiesen, deren Geist sich die Initiative „jenseits von Fixierungen auf Traditionen und Klischees“ verpflichtet fühlt, um ihm „neuen, zukunftsweisenden Ausdruck [zu] verleihen“ (ebd.). Dadurch macht die Broschüre bereits auf der ersten Seite die ethnische Dimension des Projekts sehr deutlich: Sinti und Roma werden sowohl als Zielgruppe („musikalisch talentierte Kinder und Jugendliche aus Sinti- und Romafamilien in Berlin“, Broschüre 1: 1), als auch als Publikum angesprochen. Auch die unterrichtenden Lehrer sind zum Großteil Roma bzw. haben „persönlich[e] Erfahrung mit der Musikkultur der Roma und Sinti“ (Broschüre 1: 6). Ob diese Fokussierung auch auf das Repertoire zutrifft, wird im nachfolgenden Kapitel zu sehen sein. Wie schon beim Philharmonischen Verein, so findet auch bei Zukunftsmusik eine Kooperation mit einem Partner statt, der dezidiert eine ethnische Verwurzelung vertritt: der Landesverband Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg e. V., der in Interviews auch „natürlicher“ Partner genannt wird (AH 2_006: 2, OC/DJ 2_028: 2). Struktur: Die Struktur der Musikschule orientiert sich von Inhalt und Auf bau her an einer öffentlich oder privat getragenen Musikschule: Wöchentlich findet Unter-

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

richt an verschiedenen Instrumenten statt, diese können ausgeliehen werden, es gibt Ensemblearbeit und regelmäßige Präsentationen des Erlernten. In Zukunftsmusik ist der Unterricht didaktisch-methodisch jedoch angepasst an die Bedürfnisse und die Vorkenntnisse innerhalb der Sinti- und Roma-Familien, denn: Bei Sinti und ebenso bei Roma erfährt die musikalische Begabung der Kinder in den Familien besondere Beachtung. Musiker dieser Minderheit spielen in großen Konzertsälen und kleinen Clubs der Welt, auch in vielen namhaften Orchestern (oftmals nicht als Angehörige der Minderheit bekannt) eine hervorragende Rolle. Für die meisten von ihnen begann die musikalische Erziehung in ihren Familien. (Broschüre 2: 2) 209

Allerdings, so der Text weiter, finden Sinti- und Roma-Kinder und -Jugendliche in den meisten „herkömmlichen Musikschulen keinen oder nur schwer Zugang“ und die dort beschäftigten Lehrer sind „fachlich nicht darauf vorbereitet, mit dem eigenen Unterricht an die musikalische Früherziehung“ (ebd.) in den Sinti- und Roma-Familien anzuknüpfen. Diese Lücke will die Musikschule Zukunftsmusik schließen: [S]ie baut auf dem auf, was die Kinder in den Familien gelernt haben, was sie von dort an Talent und Können schon mitbringen; sie bietet die Anregungen und vermittelt das Wissen, das notwendig ist, um die Begabungen der jungen Menschen in einem größeren Horizont zu entfalten; und sie will die Schüler in ihrer Entwicklung stärken und ihnen durch erworbenes Können Selbstbewusstsein vermitteln, damit sie lernen, sich heute und morgen in den Schulen, in der Öffentlichkeit und auf den Bühnen der Welt zu behaupten. (Broschüre 2: 4)

Die Musikschule gibt sich somit einen doppelten Bildungsauftrag: Es sollen nicht nur musikalische Kompetenzen gefördert werden, sondern explizit auch das Selbstbewusstsein der jungen Menschen. Diese sollen ihren Platz behaupten können, nicht nur musikalisch auf der Bühne, sondern auch als Roma in anderen Bildungseinrichtungen wie der Schule und in der Öffentlichkeit. Das Zitat verdeutlicht, dass die Initiative auf die bereits durch Unterricht und mündliche Überlieferung in den Familien vorhandenen Potentiale musikalischen Könnens eingeht, neben bzw. mit der musikalischen Ausbildung aber auch die Stärkung der Persönlichkeitsentwicklung im Blick hat.

209 | Hier wird ähnlich wie beim Philharmonischen Verein in Frankfurt darauf verwiesen, dass viele professionelle Musiker in verschiedenen musikalischen Sparten Angehörige der Sinti und Roma sind – aber ihre ethnische Herkunft aus Angst vor Diskriminierung verschweigen.

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Aufführungsorte: Die regelmäßigen Vorführungen der Schüler finden nicht ausschließlich, wie es bei der musikalischen Weitergabe in der Familie häufig der Fall ist, im familiären Kreis, z. B. bei Familienfeiern und im privaten Raum, statt,210 sondern an einem öffentlichen Ort. Diese Konzerte auf der Kleinen Bühne bzw. im Club der Werkstatt der Kulturen wurden sehr gut besucht, wie die Projekt-Kontaktperson der Werkstatt der Kulturen, Anette Heit (AH), berichtet: Ja, die sind super angenommen worden. Also, das war jedes Mal so gänsehautmäßig. Die Winterkonzerte waren dann unten bei uns im Club, der fasst so hundert Personen. Da hatten wir dann eine Bühne aufgebaut und die Eltern waren alle da. Wir haben dann geguckt, dass wir das so ein bisschen gemütlich machen, also mit Kaffee und Kuchen etc. Und das ist natürlich der Effekt, dass die Kinder bejubelt werden. Auch wenn dann Fehler sind oder so, das ist dann ganz egal. (AH 2_006: 3)

Das Publikum der Konzerte besteht in erster Linie aus den Eltern und Verwandten der teilnehmenden Schüler, aber auch weitere Interessierte waren unter den Gästen. Der Akkordeonlehrer Dejan Jovanović (DJ) fügt darauf bezogen hinzu, die Schülerauftritte seien für ihn sehr wichtig gewesen, um die verschiedenen Gruppen der Sinti und der Roma zusammenzubringen: Die Musik war halt ein Mittel, dass man das so schnell schaffen kann, dass die Eltern sich auch treffen. Es war für uns das Wichtigste, aber im Projekt war das sozusagen [nur] ein Teil von dem ganzen Projekt. (DJ 2_028: 3) 211

210 | Es berichten alle der im Verlauf der gesamten Untersuchung interviewten Musiker, dass sie die ersten musikalischen Kenntnisse in ihren Familien erlangten und dass ihre Väter, Onkel, Tanten und weitere Verwandte ihre ersten Lehrer waren. Stellvertretend kann der Kölner Violonist Markus Reinhardt zitiert werden mit seiner Antwort auf die Frage, wie er zur Musik gekommen sei: „Ja, ich bin zur Musik gekommen, wie ein Zigeuner zur Musik kommt: Wenn man so als kleines Kind aufwächst in einer Zigeunerfamilie, dann sind meistens Leute da, die Musik machen. Und wir Zigeuner lernen ja Musik, wie Kinder reden lernen. […] Also vom Gucken, Zuhören und Nachmachen und Mitmachen. Und so bin ich an diese Musik gekommen. Und bei uns muss man sagen, war ständig Musik. Ich bin stellenweise mit Musik eingeschlafen und bin auch damit wieder aufgestanden. Weil, bei uns feiert man viel und es sind immer viele Leute, viel Verwandtschaft und Familie da, die kommen dann zusammen. Wenn sie zusammen sind, dann gibt es immer meistens so ein kleines Fest. Und das passiert dann in der Woche zwei Mal.“ (MR 074: 1). 211 | Das Interview mit den beiden Lehrern Oana Chițu und Dejan Jovanović ist mit dem Kürzel OC/DJ gekennzeichnet. Sofern ein Zitat direkt einer der beiden Personen

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

Die Gesangslehrerin Oana Chițu (OC) führt weiter aus: Naja, man muss ja schon sagen, dass diese zwei Gruppen [die Sinti und die Roma] sehr unterschiedlich sind und miteinander nichts zu tun haben. Und das war schon ziemlich verrückt, so etwas machen zu wollen, dass die beiden Gruppen in einem Projekt kommen. […] Aber eigentlich war ein sehr wichtiges Ziel auch die Integration – also vor allem auch für Roma. Weil ich glaube Sinti sind einigermaßen integriert, auch wenn sie sehr geschlossen leben. Aber die Roma, die hierher kommen, die fühlen sich bestimmt nicht integriert, also die versuchen dann auch so zu leben wie dort, woher sie kommen und wir haben ja auch damit versucht, dass sie durch die Musik einfach Anerkennung bekommen. Und ich glaube, das haben wir auch geschafft... die haben dann Lieder bei uns gelernt und zweimal im Jahr haben wir halt diese Schülerauftritte organisiert und da kamen sehr viele Leute, um das zu hören. (OC 2_028: 4)

Im Interview diskutieren die beiden Lehrer, inwieweit es der „Sinn von dem Projekt“ (DJ 2_028: 3) war, die Roma und die Sinti zusammenzubringen oder „nicht die Roma und Sinti zusammen, sondern dass sie sich hier integrieren.“ (OC 2_028: 4). Sie kommen überein, dass beides in ihren Augen als Ziel des Projekts zu bezeichnen ist. Dieses Aushandlungsmoment der Beiden über den Sinn des Projekts und die Frage, wer und wohin integriert werden soll, macht eine wichtige Differenzierung der ethnischen Dimension sichtbar, die in den Broschüren nicht thematisiert, höchstens angedeutet wird, wenn von den „deutschen Sinti und Roma“ und „der nach Deutschland immigrierten Roma“ unterschieden wird (Broschüre 2: 2). Es eröffnet die Sichtweise darauf, wie abhängig die Perspektive der Sprechenden vom Kontext ist: Sprechen Sinti, sprechen Roma, sprechen Gadje und in welcher Situation und Position? Wer ist in einer spezifischen Situation zugehörig und hat welche Absichten und Ziele? Das Beispiel des Aushandlungsmoments verdeutlicht das wenig starre, sondern fluide Gebilde ethnischer Gruppen: Eine In-Group konstituiert sich immer in Gegenüberstellung zu einer Out-Group, in diesem Fall zunächst die Roma gegenüber den Gadje, dann Sinti gegenüber Roma, es folgen die deutschen Sinti gegenüber den österreichischen usw., die westdeutschen Sinti gegenüber den ostdeutschen Sinti mit ihren je spezifischen Erfahrungen und Sozialisationen (z. B. was das politische System der beiden deutschen Staaten bis 1989 anbelangt), bis zu einer Unterscheidung über die Familie abc gegenüber der Familie xyz und schließlich zu einer Unterscheidung zwischen dem einen Individuum und einem anderen Individuum.

zugeordnet werden kann, wird nur das jeweilige Kürzel verwendet, die Interviewnummer bleibt gleich.

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Kulturelle Teilhabe durch Musik?

Standortbestimmung über die Rahmen Die Initiative Zukunftsmusik ist ein Kooperationsprojekt von zwei non-formalen Trägern: Die Werkstatt der Kulturen definiert sich als Kultureinrichtung mit einem dezidierten Fokus auf Transkulturalität und Diversität und versteht darunter die „Vielfalt migrantischer und minoritärer Kultur- Kunst- und Aktionsformen“ (Homepage Werkstatt der Kulturen, Über uns). Der Landesverband Deutscher Sinti und Roma e. V. ist eine regionale Selbstorganisation einer der vier anerkannten nationalen Minderheiten in Deutschland. Der Landesverband bildet die bürgerrechtliche Vertretung der Minderheit in Berlin und Brandenburg und hat als solche die soziale und gesellschaftliche Gleichstellung und Integration der Minderheit zum Ziel. Sie fördert z. B. durch Kooperation mit anderen Institutionen und Initiativen den „Austausch zwischen Angehörigen der Minderheit und der Mehrheitsgesellschaft“ (Homepage Landesverband Deutscher Sinti und Roma e. V., Über uns). Bei der Präsentation der Partner in den Broschüren wird allerdings nicht deutlich, dass es sich um ein Kooperationsprojekt handelt: Der Landesverband tritt in den Broschüren nur implizit auf und wird nicht klar als Kooperationspartner unter der Rubrik Kontakt genannt. Die Vorsitzende Petra Rosenberg (PR) stellt fest, dass der Landesverband falsch bzw. unterrepräsentiert ist. Zwar entspreche die Broschüre dem, was sie erwartet hätten, sie hätte aber anders ausgesehen, wenn sie stärker beteiligt worden wären. Das Projekt sei mit dem Anspruch und „Slogan“ angetreten „Musik von Sinti und Roma für Sinti und Roma“ (PR 2_034: 1) zu sein. Sie betont jedoch – diese Feststellung ist ihr wichtig –, dass das keine Kritik an der Werkstatt der Kulturen sei. Die Präsentation hat  – ob gewollt oder nicht  – den Nebeneffekt, dass das Projekt stark an die Strukturen der Mehrheitsgesellschaft angebunden ist und auch dort verortet wird. Daraus wird deutlich, dass es eine Rolle spielt, in welchem Rahmen sich Projekte wie Zukunftsmusik präsentieren, d. h. wo und wie sie sichtbar werden. Neben den Kooperationspartnern trägt auch die Finanzierung des Projekts zur Wahrnehmung bei: Durch die Förderung von entimon – Gemeinsam gegen Gewalt und Rechtsextremismus im Rahmen des Aktionsprogramms „Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend war das Projekt eindeutig in einem (bildungs-)politischen, nicht in einem kulturellen Diskurs verortet. Interessanterweise ist die Finanzierung der Werkstatt der Kulturen ganz ähnlich: Sie ist ein Ort der „traditionellen und kontemporären Kulturpraktiken und Künste“ (Homepage Werkstatt der Kulturen, Über uns) und setzt dabei „konsequent und unbeirrt auf die Sichtbarmachung migrantischer, Schwarzer und PoC [People of Colour] Perspektiven in Kunst, Kultur und Aktion“ (ebd.). Damit ist die Werkstatt der Kulturen sowohl

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

ein transkulturelles Zentrum in ethnisch-holistischem Verständnis212 als auch eine Kultureinrichtung, die auf Kultur als Kunst rekurriert. Dennoch erhält sie für ihre Infrastruktur ausschließlich Zuwendungen vom Büro der Beauftragten des Senats von Berlin für Integration und Migration (Homepage Werkstatt der Kulturen, Über uns) und nicht aus dem Kulturetat.213 Als einen ersten Rahmen lässt sich somit derjenige aufzeigen, in dem das Projekt durch seine Kooperationspartner sowie durch die Finanzierung sichtbar wird: ein klar ethnisch ausgerichteter Rahmen, der aber ebenso deutlich die Künste fokussiert. Diese Kombination ist für entimon förderungswürdig gewesen. Ein weiterer Antrag für ein Bildungsprojekt zur Hausaufgabenhilfe wurde hingegen abgelehnt; für Rosenberg hat sich damit die Vermutung bestätigt, dass „Musik als kulturelle Eigenheit, als positives Vorurteil gerne genutzt“ (PR 2_034: 2) und auch finanziert werde. Allerdings werde sich dieses Engagement zwar gerne „auf die Fahne geschrieben“, so Rosenberg, aber: „Bewirken kann man mit Musikprojekten gar nichts.“ (Ebd.) Ein weiterer Rahmen von Zukunftsmusik ist die Verortung als Musikschule. Dies ist insofern wichtig, als sie sich damit als sichtbar und strukturell vergleichbar mit den unterschiedlichen, öffentlichen wie privaten Musikschulen in Deutschland präsentiert. In den Broschüren wird dies daran deutlich, dass die in den Familien erworbenen musikalischen Kompetenzen und nicht mögliche Defizite der Kinder und Jugendlichen erwähnt und ausdrücklich als musikalische Früherziehung bezeichnet werden. Dadurch erhält die familiäre Weitergabe eine positive, wertschätzende Konnotation.

2. A uswahl des R epertoires und der Teilnehmenden Das folgende Kapitel analysiert die Auswahl des Repertoires und die im Unterricht verwendeten Methoden sowie die Auswahl der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen. Dies wird anhand des Prozesses, auf welche Weise welche Schüler für die Musikschule gewonnen wurden, dargelegt, weil es für eine Einordnung, die nur rückblickend erfolgen konnte, sinnvoll erschien. Dabei wird auf die beiden Broschüren, auf einen Werbefilm der Initiative sowie auf die geführten Interviews mit verschiedenen Beteiligten eingegangen. Die Ma-

212 | Der Trägerverein Brauerei Wissmannstraße e. V. firmiert als „internationales Begegnungszentrum“, vgl. Homepage Werkstatt der Kulturen, Trägerverein. 213 | Aus welchen Finanzierungsetats die Werkstatt der Kulturen Drittmittel erhält, konnte nicht ausfindig gemacht werden; dies ist für das Projekt Zukunftsmusik aber auch nicht relevant, weil es von öffentlicher Hand ausschließlich durch entimon finanziert wurde.

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terialien werden daraufhin untersucht, wie kulturelle Teilhabe sich konkret gestaltet.

Auswahl des Repertoires Die Musikschule sieht sich in einer Brückenfunktion: Sie will talentierten Kindern und Jugendlichen aus Sinti- und Roma-Familien, die häufig bereits in ihrer Familie musikalische Früherziehung erhalten, aber schwer Zugang zu Musikschulen finden, den Schritt in die Strukturen der Mehrheitsgesellschaft ebnen – im Sinne anerkannter Ausbildungswege und durch akademische Ausbilder legitimierter Professionalisierung. Das Repertoire und die Unterrichtsmethoden stellen dabei ein Spezifikum der Musikschule Zukunftsmusik dar, weil sie das bewusste Anknüpfen an die familiäre Weitergabe musikalischer Kompetenzen erlauben. Deshalb werden diese im Folgenden auf ihr Potential und ihren Beitrag zur kulturellen Teilhabe hin untersucht. Unterrichtsmethoden: Ein erstes Merkmal des Unterrichts in der Musikschule Zukunftsmusik ist, dass die Lehrerinnen anknüpfen an die „Tradition der oralen Weitergabe“ (Broschüre 2: 5), dass also das Spielen und Lernen nach Gehör ein didaktisch-methodisches Handwerkszeug ist und als solches Verwendung findet. Ebenso soll im Unterricht auf „die besonderen Anforderungen frei improvisierter Musik in der Kultur der Roma und Sinti“ (Broschüre 2: 5) eingegangen werden, das heißt, auch das Improvisieren wird als eine Lernmethode spezifiziert. Der Musiker und Akkordeonlehrer Jovanović beschreibt seinen Unterricht wie folgt: Also, der Unterricht ist sowieso ein bisschen anders, weil die [Schüler] haben auch sehr viel nach Gehör gespielt, aber […] die Schüler haben eigentlich auch alle nach Noten gelernt. Das heißt, sie haben das, was man in normalen staatlichen Musikschulen in Berlin lernen würde, das haben sie auch gemacht. Aber die haben zusätzlich auch ihre eigene Musik und viel nach Gehör und zusammen gespielt und Improvisation dann natürlich sowieso. Weil das ist sehr wichtig für diese Musik, ja. (DJ 2_028: 8)

Bevor im folgenden Abschnitt auf das Repertoire und das, was Jovanović mit „ihre eigene Musik“ beschreibt, eingegangen wird, soll ein weiterer didaktisch-methodischer Aspekt des Unterrichts thematisiert werden, der im Zitat ebenfalls angesprochen wird: das Noten Lesen. In der Broschüre wird beschrieben, dass die „Erfahrungen“ aus dem familiären Lernumfeld mit dem „notwendigen praktischen und theoretischen Basiswissen (im Bereich Spielund Gesangstechnik, Notierung, Repertoire, Harmonielehre, Rhythmik, Improvisation) untermauert“ werden soll (Broschüre 2: 5). Besonders das Lernen der Noten sei wichtig, da die Schüler dann, so Jovanović, „selbstständiger wer-

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

den und bisschen mehr lernen“ (DJ 2_028: 9).214 Ein weiteres Spezifikum der Musikschule ist die Einbeziehung der Eltern: Die Bedeutung der Familien für die musikalische Förderung ihrer Kinder anerkennend, werden die Angehörigen bei entsprechendem Interesse in den alltäglichen Unterrichtsprozeß einbezogen. (Broschüre 2: 6)

In der ersten Broschüre zeigt ein Foto eine solche Situation: Drei Gitarrenschüler verschiedenen Alters spielen vor ihrem Lehrer Ferenc Snétberger (der Klavier spielt). Ein älterer Mann ist im Hintergrund zu sehen, wie er neugierig auf die Fingerhaltung des jüngsten Schülers schaut (Borschüre 1: 2). Die Vorsitzende des Landesverbandes der Sinti und Roma Berlin-Brandenburg, Rosenberg, berichtet, dass Eltern, die Instrumente spielen, auch teilweise in den Unterricht mitkamen, um sich bei den Lehrern z. B. neue Gitarrengriffe abzugucken (PR 2_034: 2). Die Wertschätzung der Eltern für die Zukunftsmusik drückte sich nicht nur im regen Zuspruch zu den halbjährlichen Konzerten, sondern – zumindest teilweise – auch in deren Interesse an den Kompetenzen der Lehrer für ihr eigenes musikalisches Vorankommen aus. Auch kamen Kinder und Jugendliche teilweise gemeinsam zum Unterricht, wie Jovanović erzählt: Also es war sehr viel Einzelunterricht, aber es war auch so, dass die Kinder oder Jugendlichen dann auch gerne zusammen kommen. Weil, die leben da zusammen, dann kommen sie zusammen zum Unterricht und dann haben sie doppelte Zeit vom Unterricht und da sind sie zusammen. Und je nach dem, manchmal sind sie zu dritt gekommen und dann hat man ein Stück gemacht im Trio und so. (DJ 2_028: 9)

Es wird an verschiedenen Stellen in der Broschüre wie auch in den Interviews deutlich, dass Musik für viele Familien ein wichtiger Bestandteil des alltäglichen Lebens ist und dass das gemeinsame Musizieren von großer Bedeutung ist.215 Schließlich wird in der Broschüre auf eine dritte Besonderheit der Musikschule hingewiesen, die zunächst nicht unbedingt spezifisch wirken mag: Auftrittsmöglichkeiten in Konzerten. Die Konzerte, die in halbjährlichem Rhythmus stattfinden, sind aus Sicht der Konzeptbeteiligten ein wichtiger pädagogischer Baustein von Zukunftsmusik, weil auch darin eine Spezifik zum Ausdruck kommt: 214 | In der ersten Broschüre ist ein Foto abgebildet, auf dem zwei Schüler unter der Anleitung von Jovanović an einer schriftlichen Aufgabe mit einem Notenblatt arbeiten (Broschüre 1: 8). Dieses Foto taucht wie alle anderen Fotos der ersten Broschüre, in der zweiten Broschüre nicht mehr auf; dafür wurden neue Fotos gemacht. 215 | Vgl. DJ 2_028: 6 und PR 2_034: 1.

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Kulturelle Teilhabe durch Musik? Auch darin folgt die Schule einer bewährten Tradition der Sinti und Roma, wo in der größeren Gemeinschaft der jungen Generation der notwendige Schutz und die gebührende Beachtung zuteil wird, um sich zu erproben und an den selbst gestellten Aufgaben zu wachsen. (Broschüre 2: 7)

Ein wichtiges Moment wird in diesem Zitat angesprochen: Die Musikschule ist als eine Art größerer Gemeinschaft zu verstehen, die gleichsam wie in einem Schutzraum den Schülern das Ausprobieren und Wachsen ihrer Selbstsicherheit ermöglicht. Sprachlich wird durch die Adjektive „notwendig“ und „gebührend“ unterstrichen, dass es eines solchen Raumes bedarf. Repertoire: Die in der Broschüre mehrfach erwähnte Anschlussfähigkeit an bereits im Familienkreis Erlerntes bezieht sich ebenfalls auf das Repertoire. Denn, so Jovanović, an staatlichen Musikschulen könnten die Kinder und Jugendlichen nicht „ihre Musik“ (DJ 2_028: 6, 8) lernen. Dennoch lag den Lehrenden sehr viel daran, nicht nur Roma- bzw. Sinti-Musik zu spielen – hier definiert durch die Verortung der Lehrenden in der Tradition der südosteuropäischen Roma-Musik bzw. der mittel- und westeuropäischen Tradition des Sinti-Swing oder -Jazzes. Jovanović charakterisiert: Also, ich habe nicht nur Roma-Musik gemacht, weil ich finde das für den Unterricht ein bisschen zu wenig. Weil die sind Anfänger und die müssen noch viel mehr lernen. Und deshalb haben sie auch andere Musik im Unterricht gelernt. (DJ 2_028: 8)

Der Schüler Janko Lauenberger (JL), der bei dem Gitarristen Ferenc Snétberger Unterricht hatte, reflektiert, wie er sich durch den Unterricht eine neue musikalische Welt erschlossen hat, die er bis dato nicht auf der Gitarre spielen konnte: Das war so, ich bin halt nur mit Django-Reinhardt-Musik groß geworden vor Ferenc [Snétberger]. Und wie schon gesagt, moderne Musik – ich bin z. B. auch Fan von Michael Jackson gewesen, […] auch von Stevie Wonder –, aber [ich] konnte mir diese Musik niemals auf Gitarre rüber ziehen. Das war ein Problem mit Django-Reinhardt-Erfahrung. Und dann kam […] Ferenc und nach Ferenc konnte […] man die Sachen von Michael Jackson oder Stevie Wonder auf einmal spielen. […] Ein riesen Tor ist da nochmal aufgegangen, ein riesen Tor! Und so konnte ich die beiden Musikrichtungen miteinander verbinden, diesen Swing/Jazz mit dieser modernen […] Musik, ist ein riesen Lichtweg! (JL 2_033: 3)

Die Auswahl des Repertoires von den Lehrenden beruhte nicht streng entlang vermeintlicher Genregrenzen, sondern wurde sehr offen gehandhabt. So soll-

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ten z. B. auch aktuelle Entwicklungen in der Musik aufgezeigt werden (Broschüre 2: 5). Dabei kamen die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen nicht zu kurz, wie die Sängerin und Gesangslehrerin Oana Chițu beschreibt: [W]ir sind auch stark nach diesen Bedürfnissen gegangen, weil ich kenne das selber, wenn ich, als ich klein war, irgendein blödes kommunistisches Lied singen [musste], hat mir das gar keinen Spaß gemacht. Und wir wollten auch, dass die Kinder Spaß dabei haben. Und deswegen, wir haben die Lieder dann zusammen ausgesucht. Also, ich hab sie schon ein bisschen versucht zu überzeugen, bestimmte Lieder zu lernen, aber dann hatten sie auch Spaß dabei, weil es gab immer etwas, was denen gefallen hat. Also, als ich gesehen habe, ein Lied geht nicht, dann habe ich das sein lassen und wir haben dann gemeinsam etwas anderes ausgesucht. (OC 2_028: 7)

Einen kleinen Einblick in das vielseitige Repertoire, das in der Musikschule gespielt wurde, erhält man aus einem zweieinhalbminütigen Film, der zur Sponsorensuche während der zweiten Laufzeit des Projekts produziert wurde. Es werden Ausschnitte eines Konzerts gezeigt, in dem das Repertoire sehr vielfältig ist: Es reicht von einer Version des Volksliedes „Hänschen klein“ über Stücke aus verschiedenen Genres und Traditionen, wie der im Film als traditionelle Balkanmusik bezeichneten Musik, der Klassik und des Jazz (z. B. „Autumn Leaves“). Verschiedene Schüler sind zu sehen, unter anderem Lauenberger, der mit zwei Sinti-Swing-Titeln vertreten ist.216

Auswahl der Teilnehmenden: Wie erreicht und gewinnt man Schüler für ein solches Projekt? Mit der Idee der Musikschule war ein Anliegen für eine bestimmte Zielgruppe verknüpft: Es sollten speziell solche musikalisch talentierten Kinder und Jugendlichen gefördert werden, die im staatlichen Bildungsbetrieb wenig Chancen haben. In der Broschüre heißt es unter der Überschrift „Wer kann mitmachen?“: „Das Angebot richtet sich an Kinder und Jugendliche der deutschen Sinti und Roma und der nach Deutschland immigrierten Roma im Alter zwischen 8 und 25 Jahren.“ (Broschüre 2: 2) Rosenberg vom Landesverband erzählte, dass ihr Vater, Otto Rosenberg, der langjährige Vorsitzende des Verbandes schon lange die Idee und das Anliegen eines solchen Musikprojekts gehabt habe, ebenso wie der Gitarrist Ferenc Snétberger (PR 2_034: 1). Snétberger trug die Idee einer Gründung bei der Werkstatt der Kulturen vor, wo er bei dem damaligen Leiter, Andreas Freudenberg, sowie bei Anette Heit auf offene Ohren stieß. Heit erinnert sich an das Anliegen Snétbergers:

216 | Es konnte allerdings rückwirkend keine komplette Liste erstellt werden, weshalb es auch im Anhang keine Übersichtstabelle dazu gibt.

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Kulturelle Teilhabe durch Musik? Ferenc Snétberger ist ein bekannter Gitarrist. […] Er hat große Konzerte hier [in der Werkstatt der Kulturen] gespielt mit unterschiedlichen Musikern und kam dann eines Tages zu uns mit dieser Idee, er möchte eigentlich eine Musikschule gründen für Sintiund Roma-Kinder. Es ging ihm darum, diese Benachteiligung, also es war damals – an das Jahr kann ich mich nicht mehr genau erinnern –, aber der Krieg in Ex-Jugoslawien spielte natürlich eine Rolle und es gab sehr viele Flüchtlingskinder hier: Flüchtlingsfamilien aus Bosnien, Serbien etc. und die lebten in Heimen und waren natürlich so in diesem schulischen Betrieb auch immer etwas benachteiligt, was Kulturveranstaltung etc. anging und für Ferenc war das ein ganz großes Anliegen, weil er weiß, da gibt es eine ganz starke Musikalität gerade bei den Kindern und er wollte das unterstützen mit einer Musikschule für diese Kinder und Jugendliche, um sie, ja, aus dieser Enge der Heime rauszuholen. Um ihnen ganz stark eine Motivation zu geben, ja, ein positives Lebensgefühl einfach, [um] ihr Selbstbewusstsein zu stärken, indem sie ein Instrument lernen, indem sie ihre Musikalität ausleben können. (AH 2_006: 1)

Die zugrunde liegende Intention von Snétberger hatte sozialpädagogische Maßgaben zum Ziel: Die Kinder und Jugendlichen sollten durch ein auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenes musikalisches Angebot befähigt und bestärkt werden, ihrer aktuellen Lebenssituation mit einem „positive[n] Lebensgefühl“ begegnen zu können. Dabei fokussierte die Idee ganz klar die Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen. Statt auf Defizite wie z. B. Sprachkenntnisse im Deutschen abzuheben, wollte sie vorhandene musikalische Talente weiter ausbauen. Rosenberg begründet das Anliegen der Musikschule mit Blick auf Privilegien: Ein spezielles Projekt für diese Zielgruppe sei sinnvoll und in den Augen Rosenbergs vor allem notwendig, weil es „genug Angebote für Kinder aus der Mehrheitsgesellschaft [gibt], aber nicht für Kinder der Minderheit [der Sinti und Roma]“ (PR 2_034: 2). Deshalb sei das Projekt auch nicht als ausgrenzend gegenüber Gadje konzipiert, sondern die Perspektive richte sich von der Minderheit aus in erster Linie auf die Förderung von Kindern und Jugendlichen der Minderheit; nicht eine Ausgrenzung ist demnach intendiert, sondern eine Stärkung durch Gewährung eines Schutzraums. Mit beiden Zielsetzungen kann der Ansatz der Musikschule Zukunftsmusik eindeutig als Empowerment verstanden werden. Um interessierte und geeignete Teilnehmende für die Musikschule zu finden, war es von Bedeutung, dass einige der Lehrer sowie Rosenberg selbst Angehörige der Sinti bzw. der Roma sind. Ihre Zugehörigkeit stand einerseits für Wissen um spezifische kulturelle Aspekte, aber auch für Seriosität und Vertrauen. Der Weg zu den Familien lief über persönliche Kontakte, Mund-zu-Mund-Propaganda und Empfehlungen. Jovanović berichtet vom Beginn des Projekts:

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte Und am Anfang war das erst mal so schwierig, ja, was wollen wir eigentlich? Weil, da fragt man sich auch so, jetzt kommen diese Leute und was wollen sie von uns? Aber wenn man da halt, weil ich auch selber Rom bin, dann ist es ein bisschen einfacher, dass sie denken, ok, das ist eine Schule. (DJ 2_028: 5 f.)

Und Chițu ergänzt: Ich glaube auch, anders wäre es sehr schwer gewesen. Also die [Roma] haben Vertrauen natürlich zu den eigenen Leuten und wenn du nicht dazu gehörst, dann ist es sehr schwierig, dorthin zu gehen und zu sagen: „Ich will dein Kind unterrichten!“ Und dann sind sie misstrauisch, dann werden sie dir das Kind nicht anvertrauen. (OC 2_028: 6)

Die Zitate zeigen, dass die Roma-Zugehörigkeit eine enorme Rolle für das Vertrauen spielt, damit die Eltern das Projekt verstehen und einschätzen können. Auch Lauenberger hat über die Mund-zu-Mund-Propaganda zur Musikschule gefunden: Zur Musikschule bin ich gekommen über meinen Cousin und zwar hat er was gehört von dieser Zukunftsmusikschule der Werkstatt der Kulturen und da bin ich natürlich auch hin. Und da war ein super Gitarrenlehrer […] und wer da nicht hingeht, ist selbst dran schuld. (JL 2_033: 2)

Er berichtet, dass er gerne auf eine Musikschule bzw. eine Musikhochschule gegangen wäre, er aber dort aufgrund seines nicht besonders guten Schulzeugnisses und weil er zum damaligen Zeitpunkt keine Notenkenntnisse hatte (JL 2_033: 2), wahrscheinlich keinen Zugang gefunden hätte. Er ist sich sicher, dass die Ausbildung bei Snétberger, dem „Supergitarristen“ (JL 2_033: 2) und bei Zukunftsmusik einem akademischen Abschluss gleichkomme: Ich denke im Großen und Ganzen, den Abschluss, den ich bei Ferenc gemacht habe in der Werkstatt der Kulturen wäre derselbe Abschluss gewesen, den ich auf der Hanns Eisler [Hochschule für Musik Hanns Eisler], oder sagen wir mal, auf der HdK [seit 2001 Universität der Künste, UdK] gemacht hätte. […] ich spiel manchmal mit Lehrern aus der HdK und die können es gar nicht fassen, dass ich da [an der Musikhochschule] nicht war. (JL 2_033: 3)

Lauenberger konnte seinen Kindheitswunsch, Musiker zu werden, verwirklichen.217 Er spielt als Solo-Gitarrist in der Band seines Vaters sowie seiner On217 | Auf die Frage, ob er schon immer Musiker werden wollte, antwortet Lauenberger im Interview: „Natürlich, man muss sich vorstellen, ich bin halt da rein gewachsen, ich war klein, 7, 8 Jahre und da fing die Band an, gerade Erfolg zu haben, Sinti Swing in den

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kel, der Band Sinti Swing Berlin.218 Außerdem spielt er mit anderen Musikern in Formationen unterschiedlicher Genres sowie in einem Jazz-Trio.219 Lauenberger bezeichnet diese als für ihn notwendige Standbeine, deren verschiedene Genres er dank der Professionalisierung an der Musikschule Zukunftsmusik spielen und bedienen kann. Es sei aber nicht nur eine Frage dessen, was z. B. beim Publikum ankomme, sondern er brauche diese verschiedenen Richtungen auch für sich: Das ist wie Tag und Nacht. Man ist gerne am Tag und man ist gern in der Nacht. Ich bevorzuge alles beides. Da gibt es keines, was ich lieber tue. Wenn ich eine Zeit lang mit Fabian und Toni moderne Musik spiele, sehnt es mich danach Django-Musik zu spielen, wenn ich Django-Musik eine Zeit lang spiele, dann habe ich irgendwann den Hals voll und muss dann wieder moderne Musik spielen – ich brauche alles beides. (DL 2008: 7)

Auch wenn vielleicht nicht alle ehemaligen Schüler so von der Musikschule profitiert haben und so erfolgreich sind wie Lauenberger,220 so kann doch fest[19]80-er Jahren, 83, 84. Ich war halt bei den Proben bei, ich war bei vielen Auftritten bei, ich hab gesehen, wenn die Männer, wenn die sich darüber unterhalten haben, wie es jetzt mit der Platte weitergeht, dieses ganze Hinter-der-Bühne, Hinter-der-Band-Informationen, die hab ich als Kind alle mitbekommen und hab dann angefangen, auch Gitarre zu spielen und dann war es mir klar: Ich werd auch Musiker, natürlich. Klarer Fall.“ (JL 2_033: 3). 218 | Vgl. die Homepage von Sinti Swing Berlin. Bezogen auf die Kompetenzen, die Lauenberger durch den Unterricht bei der Zukunfsmusik erworben hat, und wodurch er als Musiker auftreten kann, ist es von trauriger Relevanz, dass die Musiker von Sinti Swing Berlin in der DDR zwar einen Berufsausweis ohne akademischen Abschluss hatten, aber nur, weil die Eltern von Janko damit erpresst wurden, im Osten zu bleiben (DL 2008: 6). 219 | Auf dieses Trio wird in einem Dokumentarfilm „Djangos Lied“ über Janko Lauenberger eingegangen, worauf sich die vorliegenden Informationen beziehen: Es ist eine Band, die aus Freunden von Lauenberger besteht und zwar aus ihm, Tony Snétberger (dem Sohn von Ferenc Snétberger), Fabian Leu (dem Sohn eines evangelischen Pfarrers in Neuenhagen, der sich seit den 1980er-Jahren für Sinti und Roma engagiert) und Micha (einem weiteren Freund aus Kindertagen) (vgl. DL 2008: 10 f.). 220 | Der Akkordeonlehrer Jovanović und die Sängerin Chițu haben Kontakt zu einigen der ehemaligen Schüler und sie berichten von einer Band, die von Schülern gegründet wurde und die immer noch zusammen spielen (OC/DJ 2_028: 12). Auch Ferenc Snétberger berichtet in einem Interview: „Ich habe ihnen [Sinti und Roma in Berlin] in Neukölln Gitarrenunterricht angeboten. Die Werkstatt der Kulturen hat das ermöglicht. Und ich bin sehr glücklich, dass mehrere meiner Studenten heute anerkannte Musiker sind. Das hat mich in den Gedanken bestärkt, das Snétberger Musik Talent Center zu gründen.“ (Muray-Klementisz 2014, Hervorhebung im Original). Das Interview erschien unter

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

gehalten werden, dass die Idee eines Schutzraums für Roma-Kinder und -Jugendliche, die ein spezifisches musikalisches Angebot erhalten, das auf „ihre Bedürfnisse“ (Broschüre 2: U2) zugeschnitten ist, für mehrere Aspekte bei der Frage nach kultureller Teilhabe von Bedeutung ist: • Die Musikschule arbeitet kompetenzorientiert; • Auftritte und Ensemblemöglichkeiten in einem offiziellen und professionellen Rahmen dienen der Entwicklung nicht nur musikalischer Bühnenpräsenz, sondern auch persönlichkeitsstärkender Aspekte; • mit dem besonderen Angebot gehen eine öffentliche Sichtbarkeit und der Verweis auf die Notwendigkeit eines solchen Angebots einher; • das Projekt arbeitet dezidiert mit dem Ansatz des Empowerments, indem der ethnische Aspekt stark gemacht und zur Ausgangsbegründung der Musikschule wird. Inwieweit die Thematisierung und Fokussierung des Besonderen und Spezifischen nicht nur eine Begründung für das Projekt und seine Ausgestaltung ist, sondern auch in Richtung Essentialisierung und Othering wirkt, wird im folgenden Kapitel zum Selbst- und Fremdbild detaillierter untersucht.

3. S elbst- und F remdbild Wie bei den zuvor untersuchten Projekten in Köln und Frankfurt/Main, so wurde auch für das Berliner Projekt eine Analyse des Selbst- und Fremdbilds vorgenommen, um die Bedeutungen zu untersuchen, die diese Bilder nach sich ziehen bzw. auf die kulturelle Teilhabe haben. Durch zwei von der Initiative herausgegebene Broschüren lässt sich ein detailliertes Selbstbild zeichnen, für das Fremdbild kann jedoch nur auf zwei unterschiedliche Materialien zurückgegriffen werden, die zwar keinen systematisch-repräsentativen Überblick ermöglichen, aber doch klar erkennbare Tendenzen zeigen.

Selbstbild Was kann als Konzept und im vorliegenden Verständnis als Selbstbild der Initiative bezeichnet werden? Das Selbstverständnis der Initiatoren und Mitwirkenden von Zukunftsmusik ist in zwei Broschüren sowie auf der Projekthomepage dargelegt. Die beiden Broschüren enthalten Informationen über die folgendem Titel – man beachte die Reihenfolge der Auflistung dessen, wie Snétberger bezeichnet wird: „Wissen, wie sich Ausgrenzung anfühlt. Ferenc Snétberger ist Roma, Jazzgitarrist, Lehrer – und neuerdings Botschafter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Ein Gespräch über Deutschland.“ (Ebd.).

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Struktur des Projekts, über Inhalte, Zielgruppen und Lehrer sowie über die Träger; ebenso enthalten sie aber auch Erläuterungen dazu, warum diese Initiative gestartet wurde, welche Ziele sie hat und was das Besondere daran ist. Einige relevante Informationen aus den Broschüren sind notwendigerweise bereits in die vorangegangenen Kapitel eingeflossen, z. B. zur Verortung (Struktur des Projekts und ethnische Dimension), zu den spezifischen Voraussetzungen (z. B. orale Weitergabe) und des daraus abgeleiteten Angebots (Unterrichtsmethoden, Repertoire). Anhand dessen konnte bereits aufgezeigt werden, mit welcher Argumentation die Zielgruppe (musikalisch talentierte Kinder und Jugendliche von in Berlin lebenden Sinti- und Roma-Familien) spezifiziert wurde und welche Ziele der Initiative benannt wurden (z. B. musikalische Förderung der Kinder und Jugendlichen, Stärkung der Musikkultur). Im Folgenden soll über diese Informationen hinaus der Fokus auf das konzeptuelle Selbstverständnis gerichtet werden, wie es in den Broschüren, in einem kurzen Film zur Sponsorenakquise und in den geführten Interviews deutlich wird. Ein kurzer Vergleich der beiden Broschüren ist an dieser Stelle interessant, weil er die Fortschreibung und Weiterentwicklung des Konzepts aufzeigen kann. Beim ersten Durchblättern unterscheiden sich die Broschüren durch eine andere Farbgebung (Broschüre 1: gelb, Broschüre 2: magenta) und durch unterschiedliche Fotos. Vom Umfang her sind sie hingegen gleich (jeweils 12 Seiten sowie Umschlagseiten). Textlich entspricht die zweite Broschüre weitestgehend der ersten. Jedoch sind neben notwendig gewordenen Aktualisierungen, z. B. zu den Mitarbeitenden, einige Veränderungen vorgenommen worden, beispielsweise Unterüberschriften neu eingesetzt, passive in aktive Verben umgewandelt, Aspekte präzisiert oder konkretisiert. Auch werden einige inhaltliche Neuerungen aufgeführt, z. B. sollen gemeinsame Konzertbesuche das „Interesse [wecken] für die vielfältigen musikalischen Traditionen, Stile und Klangfarben“ (Broschüre 2: 6), fortgeschrittene Schülerinnen können bei Festen und kulturellen Events im Stadtteil ihre Konzerterfahrungen vertiefen (Broschüre 2: 7). Als das „bedeutendste Ereignis“ (ebd.: 8) für die Schüler wird der Moment bezeichnet, wenn sie „ihre Lehrer auf ein Konzert begleiten und vielleicht sogar einen Titel im Ensemble der Profis mitspielen dürfen. Hier erleben sie hautnah, was es heißt, ein Musiker zu sein.“ (Ebd.) Mit dieser Neuausrichtung setzt die Musikschule konsequent um, was zuvor in der Broschüre als „bewährte Tradition der Sinti und Roma“ (ebd.: 7) bezeichnet wurde: Die jüngere Generation geht ihre ersten Schritte nicht alleine, sondern im Schutze der älteren, d. h. beide spielen Konzerte vor dem Publikum gemeinsam und in schützender Gemeinschaft. Damit wird dem Schutzraumkonzept der Initiative ein weiterer Baustein hinzugefügt. Es lässt sich also feststellen, dass sich das Grundkonzept der Initiative nicht wesentlich verändert hat, sondern die Neuauflage nur an einigen Stellen

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

präzisiert und konkretisiert wurde. Einige Bausteine wurden hinzugefügt, die sich in das bestehende Konzept einfügen und dessen konsequente Fortführung darstellen. Die Projekthomepage unter dem Titel „Eine Musikschule für Sinti- und Romakinder“ weist eine sehr große Übereinstimmung mit beiden Broschüren auf. Es finden sich leichte Abwandlungen in der Wortwahl sowie neue, den Text gliedernde Zwischentitel und Zusammenfassungen; bis auf wenige kleine und unerhebliche Veränderungen entsprechen die Textbausteine allerdings der ersten Broschüre. Die Projekthomepage war noch einige Jahre nach dem Ende der zweiten Laufzeit zugänglich, dann erfolgte bei Abruf nur eine Fehlermeldung (vgl. auch Angaben dazu im Steckbrief des Projekts). Im Folgenden werden die Broschüren für eine Analyse des Selbstverständnisses untersucht. Von Bedeutung sind dabei die vorgenommenen Verortungen in Rahmen und die jeweiligen Begründungen. Dafür werden die Gründungsgeschichte, die in den Broschüren eingefügten Zitate sowie die als Besonderes benannten Spezifika der Musikschule in den Blick genommen.

Selbstverständnis In der Erinnerung an die Gründung bzw. daran, wer die Idee zu einer Musikschule dieses Formats hatte, zeigt sich das Selbstverständnis: In den Interviews mit den Kooperationspartnerinnen und den Dozenten sowie in der Broschüre wird berichtet, dass verschiedene Personen über einen längeren Zeitraum ähnliche Ideen entwickelt hatten. In der ersten Broschüre heißt es: Ausgangspunkt der Initiative „Zukunftmusik“ sind persönliche Erfahrungen von Ferenc Snétberger als Schüler bzw. Studierender und als Lehrer mit dem ungarischen Modell einer musikalischen Förderung von Kindern und Jugendlichen der Roma-Bevölkerung. (Broschüre 1: 6) 221

Snétberger brachte „praktisch[e] Erfahrungen“ (Broschüre 2: U2) in das Projekt ein und sah die damals aktuelle Notwendigkeit einer solchen Struktur für die in Berlin lebenden Kinder und Jugendlichen aus Roma-Flüchtlingsfamilien. Das „ungarische Modell“ wird nicht näher ausgeführt, sondern zeigt sich in der Struktur und im Auf bau der Musikschule. Neben Otto Rosenberg (vgl. PR 2_034: 1) hatten auch die Dozenten Chițu und Jovanović die Idee für ein solches Projekt „schon immer“ (OC 2_028: 1) und kannten Kinder, die Interesse hatten; ihnen fehlte allerdings die Erfahrung, Anträge zu schreiben (ebd.). Mithilfe der Werkstatt der Kulturen konnten die Ideen der verschiedenen Per221 | Snétberger eröffnete 2011 in Ungarn das von ihm gegründete Snétberger Music Talent Center, das auf dem gleichen Modell der musikalischen Förderung beruht (vgl. die Homepage des Snétberger Music Talent Center).

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sonen gebündelt und umgesetzt werden: Die Werkstatt unterstützte die Idee, indem sie erfolgreich einen Antrag auf Finanzierung im Aktionsprogramm entimon – Gemeinsam gegen Gewalt und Rechtsextremismus des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend einreichte sowie die Infrastruktur (Technik und Räume) zur Verfügung stellte (vgl. AH 2_006: 1). So standen Otto Rosenberg und Ferenc Snétberger „Pate“ (Broschüre 2: U2) für das Projekt, das von mehreren Personen sehr engagiert getragen wurde. Dieses Engagement beruhte auf ihrer starken Verbundenheit und ihrer gemeinsamen Überzeugung, dass ein solches Projekt nötig sei. Eine weitere Argumentationslinie, die das Selbstverständnis der Initiative zeigt, wird anhand der in die Broschüren eingefügten Zitate sichtbar. Sie beginnen mit einem Zitat von Günter Grass: Europa hat eine gemeinsame, wenn auch widerspruchsvolle und allzu oft in Krieg und Gewalt umschlagende Geschichte; seit dem fünfzehnten Jahrhundert sind die Gitanes, Gypsies, Zigeuner dieser Geschichte zugehörig, oft genug als Leidtragende und Verfolgte. Europa in seiner Vielgestalt hat eine sich wechselseitig inspirierende Kultur; wer wollte leugnen, daß insbesondere die Musik von der Musikalität der Roma beeinflußt worden ist. (Broschüre 1: U2) 222

Im Anschluss folgt ein Zitat von Heinz Galinski: Jeder zweite Rom oder Sinto in Europa hat die Todesmaschinerie der Nazis nicht überlebt. (Broschüre 1: U2, zit. n. Heinz Galinski, 9. Juni 1983)

Beide Zitate verweisen auf die jahrhundertelange europäische Verfolgungsgeschichte und den Massenmord an den Sinti und Roma durch die Nazis. Mithilfe der Zitate wird die Initiative eingebettet in den Kontext der Geschichte der Sinti und Roma in Deutschland und Europa. Zum einen wird hingewiesen auf die „sich wechselseitig inspirierende Kultur“ (ebd.), d. h. auf die Beeinflussung „der Musik“ in Europa durch die „Musikalität der Roma“ (ebd.). Diese Argumentation gleicht dem Selbstverständnis des Philharmonischen Vereins der Sinti und Roma, der die Pflege des musikalischen Erbes als Ziel fokussiert und einen selbstbewussten und sichtbaren Platz in der Musikgeschichte einfordert. Zum anderen wird durch das Zitat von Galinski ein neuer Aspekt aufgeworfen: die Verantwortung der Deutschen. Im Rahmen der Musikschulbroschüre ist die Setzung des Zitats ohne Erläuterung im Textverlauf ein Zeichen, das für sich steht. Indem es die Geschichte des Porajmos aufruft, mahnt es die Schuld ebenso wie die Verantwortung der Deutschen gegenüber den Sinti und Roma 222 | In den Broschüren ist nur der Titel des Buches von Grass angegeben, die genauen Quellenangaben konnten jedoch von mir recherchiert werden (2000: 39 f.).

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an. Das Zitat spannt einen weiten Bogen und verknüpft die Musikschule über die Musik hinaus mit der Vergangenheit. Gerade weil keine erläuternden Worte hinzugefügt wurden, setzt das Zitat ein starkes Zeichen im Sinne mahnender Worte. Eine Analyse des Zitats von Grass ist noch in weiterer Hinsicht lohnenswert: Grass definiert als Zugehörigkeit zu Europa in einer dichotomen Einteilung, die unterscheidet in ein klares Wir, d. h. die homogene Gadje-Mehrheitsbevölkerung und in ein klares Ihr, d. h. eine homogene Sinti- und Roma-Minderheit. Auch der Titel seines Buches „Ohne Stimme. Reden zugunsten des Volkes der Roma und Sinti“ zeugt von dieser stark unterscheidenden Perspektive. Ein zweites Zitat von Grass findet sich am Ende der Broschüre und darin tritt die Dichotomie zwischen „ihnen“ und „uns“ noch deutlicher hervor: Vielleicht zum Schluß doch noch ein Hinweis auf die besonders ausgeprägte und von aller Welt belobigte Musikalität der Sinti und Roma. Ihren Kindern den Zugang zu unseren weitberühmten Musikhochschulen zu öffnen gäbe... die Möglichkeit, als Förderer ins Konzertprogramm zu kommen: mit Zukunftsmusik. (Broschüre 1: 12, zit. n. Grass 2000: 95)

Ein weiteres Zitat weist in eine ganz andere Richtung, nämlich der Musik eine Brückenfunktion bei der Vermittlung zwischen den Kulturen zuzuschreiben: Mit der Musik haben die Roma und Sinti zwischen den Nationen und sozialen Gruppen nachhaltend vermittelt... Die Musik der Sinti und Roma ist längst ein Teil deutscher, spanischer, russischer, rumänischer oder ungarischer Kultur... Eine musikalische Minderheit hat die Mehrheit in der Geschichte der Musik entscheidend mitgeprägt: Die Musik der Sinti und Roma. (Broschüre 1: 1, zit. n. Programmheft Kulturtage Sinti und Roma, Landesverband Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg)

Das Zitat entstammt dem Programmheft der Veranstaltung „Musik- und Kulturtage der Cinti und Roma“, die gemeinsam von der Cinti Union Berlin e. V. (heute: Landesverband Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg e. V.) und des Internationalen Instituts für traditionelle Musik e. V. vom 1. bis zum 11. Oktober 1992 im Podewil, Tempodrom und im Haus der Kulturen der Welt in Berlin veranstaltet wurde. Das Zitat ist ein Auszug aus einem Text von Max Peter Baumann, dem damaligen Direktor des Internationalen Instituts für traditionelle Musik (vgl. Cinti Union Berlin e. V./Internationales Institut für Traditionelle Musik e. V. 1992: 9, eigene Paginierung).

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Interessant an den Zitaten für den vorliegenden Kontext ist, dass sie prominente Paten, Fürsprecher und Multiplikatoren für die Initiative einbinden.223 Damit werden diese als Pfeiler des Selbstverständnisses  – ähnlich wie beim Frankfurter Projekt – benannt; nicht zuletzt wichtig für die Aufmerksamkeit und Legitimation über einen kleinen Kreis hinaus. So prominent und wichtig der Schriftsteller Grass und der Musikethnologe Baumann als Fürsprecher sicher sind, so ist doch der Duktus ihrer Zitate von einer sehr stark homogenisierenden und dichotomisierenden, fast schon paternalistischen Haltung geprägt. Diese Haltung wird darin deutlich, dass die Mehrheitskultur zwar von der Minderheit „beeinflußt“ (Grass) und „geprägt“ (Baumann) wurde, aber eindeutig eine andere verbleibt – eine derart starke und starre Gegenüberstellung findet sich ansonsten in der Broschüre nicht. Auch die Broschüre argumentiert mithilfe des Konstrukts Minderheit  – Mehrheit und benennt Charakteristika der Musik sowie Besonderheiten der Musikkultur. Sie argumentiert dabei aber nicht ausschließend und in zwei Welten trennend wie Grass und Baumann. Z. B wird als charakteristisch für die „vielfältigen Musiktraditionen der Sinti und Roma in ganz Europa“ (Broschüre 2: 1) genannt: • unabhängig von Zeit und Ort die Offenheit ihrer Musik für neue Einflüsse und die Fähigkeit zur Integration verschiedener musikalischer Richtungen und Stile • der Wille zu kultureller Selbstbehauptung und die darin begründete große Gestaltungskraft • die hohe Schule der Improvisation als dem zentralen Medium musikalischer Integration (Broschüre 2: 1) Im Anschluss daran folgt der Hinweis, dass sich die Initiative dem Geist eines „eigenständigen musikalischen Erbes“ verpflichtet sieht und diesem „jenseits von Fixierungen auf Traditionen und Klischees neuen, zukunftweisenden Ausdruck verleihen“ (Broschüre 1: 1) möchte. Damit wird zwar ein eigenständiger Platz durch gemeinsame Schnittmengen für die verschiedenen Musiktraditionen und -richtungen eingefordert, gleichzeitig ist die Perspektive aber offen und nicht darauf festgelegt, was Roma-Musik genau sei.224 223 | In zwei weiteren Zitaten wird der damalige Bundespräsident Johannes Rau genannt, der sich mit „Perspektiven“ für junge Menschen und „Gerechtigkeit und gleiche Lebenschancen“ auseinandersetzt (Broschüre 1: 6 und 10, zit. n. Johannes Rau „Dialog der Kulturen – Kultur des Dialogs“). 224 | Erneut könnte man musikanalytisch auf empirischem Material basierend diskutieren, inwieweit eine solche Einteilung bei den verschiedenen Genres sinnvoll ist bzw. welche Kriterien für eine Einteilung in verschiedenen Kontexten genannt werden, vgl. die

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Dieses Selbstverständnis des klaren, geradezu bekenntnishaften Hervorhebens eigener Charakteristika durchzieht die beiden Broschüren gleichermaßen. Am deutlichsten wird dies bei der Überschrift „Was ist das Besondere?“, unter der unter anderem auf die Lehrer,225 auf die Unterrichtsmethoden sowie auf das familiäre Umfeld eingegangen wird. Es stellt sich auch hier und immer wieder die Frage: Warum wird das Besondere thematisiert? Anhand der Broschüren wird deutlich: Das Besondere liefert Begründungen, warum es ein solches Projekt braucht  – eben gerade, weil es sich dadurch von „herkömmlichen“ (Broschüre 1: 3) Musikschulen absetzt und unterscheidet. Im letzten Abschnitt von „Was ist das Besondere?“ heißt es unter dem Unterkapitel „Zeichen setzen“: Wenn die Kinder und Jugendlichen der Initiative „Zukunftsmusik“ zeigen, wie intensiv sie an einer auf ihre Interessen zugeschnittenen Musikschule lernen und für alle sichtbar ihr Talent entfalten können, dann durchbrechen sie selbst mit dem, was sie tun, das unaufgeklärte Außenbild der Minderheit. […] ihre Konzertauftritte [haben] eine positive, ermutigende Signalwirkung nach innen wie nach außen. (Broschüre 2: 8)

Das Projekt will also – hier wird es präzise benannt – nicht nur musikalische Fähigkeiten vermitteln, sondern ein Signal, ein Zeichen der Aufklärung setzen. Zwischen den beiden Broschüren ist gerade an diesem Absatz eine wichtige Entwicklung abzulesen: In der zweiten Borschüre wird die neue Unterüberschrift „Zeichen setzen“ programmatisch eingeführt und im zitierten Absatz werden die Verben vom Passiv ins Aktiv umgewandelt; besonders prägnant und interessant ist dabei, dass die Kinder und Jugendlichen nun selbst „das unaufgeklärte Außenbild“ durchbrechen. Zuvor war es der „Eindruck“ eines Konzerts, der dies vermögen könne (Broschüre 1: 10). An dieser konzeptuellen Entwicklung zeigt sich ein gewachsenes Selbstbewusstsein. Die Broschüren kennzeichnet eine klare Haltung: Sie positionieren die Initiative mit einer klaren, selbstbewussten ethnischen Verortung in der Öffentlichkeit. Die Sichtbarkeit dieses Selbstverständnisses macht sich fest an den genannten Besonderheiten wie den Unterrichtsmethoden, dem Repertoire bereits beim Frankfurter Projekt diskutierte Frage: Was ist Roma-Musik? (Teil IV/B./3., Analyse der Porträts des Orchesters). 225 | In der ersten Broschüre werden die Lehrer namentlich und mit Nationalität ihres Geburtslandes erwähnt sowie Einzelporträts abgebildet; in der zweiten Broschüre erfolgt nur eine Zusammenfassung, dass es sich bei den Lehrern um „professionell ausgebildete Musiker, die aus persönlicher Erfahrung und intensiver Beschäftigung mit der Musikkultur der Roma und Sinti eng verbunden sind“ handelt (Broschüre 2: 4); hervorgehoben werden die Professionalität und die Kenntnisse und Erfahrungen mit der „Musikkultur“.

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bzw. noch konkreter an der mündlichen Weitergabe und der musikalischen Früherziehung. Sprachlich rekurrieren diese Begriffe dezidiert auf die Sprache des Bildungssektors. Damit beansprucht das Projekt, an professionellen Maßstäben gemessen zu werden und nicht  – wie häufig wenn es z. B. um mündlich weitergegebene Kompetenzen geht – in den Maßstäben eines Laientums.226 Gleichzeitig wird der Blick auf die Kompetenzen gerichtet und nicht auf die vermeintlichen Defizite; z. B. wird so das Lernen über Nachahmung und Gehör hervorgehoben und nicht, inwieweit die Schüler Noten lesen können oder nicht. Das langfristig angestrebte Ziel der Initiative ist die Etablierung als „kontinuierlich arbeitende Schule“ (Broschüre 1: 11) und damit einer Anerkennung in den Strukturen der Mehrheitsgesellschaft. Dem Selbstbild von Zukunftsmusik liegt eine Empowerment-Perspektive zugrunde, die die Musikschule als Schutzraum begreift, da sie die Selbstbefähigung und Stärkung des Selbstbewusstseins der Einzelnen, aber auch der Gruppe der Sinti und Roma beabsichtigt. Könnte man die starke Betonung des Besonderen und des Schutzraums aber gleichzeitig auch als eine leichte Form des Othering verstehen? Vor allem in den Interviews wird deutlich, dass das Konzept, auch wenn es sich um ein Angebot für Sinti- und Roma-Kinder und -Jugendliche handelt, recht offen und durchlässig war, wie Lauenberger betont: Also, die Werkstatt der Kulturen […] Das war extra für Sinti und Roma gedacht, aber ich glaube, Ferenc und Dejan und die anderen Musiker hätten nichts dagegen gehabt, wär ein Nicht-Sinto gekommen und hätte da mitgelernt. Außerdem haben wir ja bei Ferenc nicht zigeunerspezifisch gelernt, sondern Handwerk der Musik. Und was du daraus machst, ist ja dein Ding, du hättest ja auch Rocker werden können, oder Klassiker gar. (JL 2_033: 8)

Der Akkordeonlehrer Jovanović unterrichtete nach Beendigung des Projekts Zukunftsmusik einige Schüler weiter227 und hat sie mit den Schülern seiner 226 | Als Vergleich dient hier z. B. ein Zitat aus einem Programmheft der Musik- und Kulturtage der Cinti und Roma in Berlin-Brandenburg von 1992: „Die Musiker [gemeint sind die Mitglieder vom Internationale Sam Roma Ensemble] halten in der Regel an der improvisatorischen und nicht niedergeschriebenen Form der musikalischen Überlieferung fest, auch wenn sie inzwischen nicht selten im westlich-klassischen Sinne eine musikalische Ausbildung hinter sich haben und auf professionelle Weise überall in Konzerten, in Cafés, Restaurants […] auftreten, […] aber auch in Philharmonien, Theatern, im Hörfunk und Fernsehen.“ (Cinti Union Berlin e. V./Internationales Institut für Traditionelle Musik e. V. 1992: 9, Hervorhebung NS). 227 | Dies geschah ehrenamtlich und zeigt nochmals das große Engagement der beteiligten Lehrer; auch Rosenberg vom Landesverband Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg bemerkte, dass Snétberger für seine Arbeit als Lehrer nur „ein Ta-

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte

Akkordeonschule, viele davon Nicht-Roma, „vereint“ (DJ 2_028: 13). Er resümiert diese Verbindung: Und dann haben Roma und die Nicht-Roma zusammen gespielt und haben alle diese Konzerte mitgemacht. Und das war eine sehr gute Erfahrung für beide, einfach so miteinander zu spielen und überhaupt da zusammen zu sein, ja. […] dieses Ensemble, wo sie dann miteinander spielen[,] das finde ich optimal. (DJ 2_028: 13 f.)

Fremdbild Das Fremdbild des Projekts Zukunftsmusik kann, wie bereits beschrieben, durch die bereits erfolgte Beendigung des Projekts nicht auf Presseberichte (wie beim Kölner und Frankfurter Projekt) oder auf Interviews mit Förderern, Reden zur Preisverleihung (Kölner Projekt) oder andere Dokumentationen zurückgreifen. Das Programm, mit dem das Projekt gefördert wurde – entimon – wurde jedoch wissenschaftlich begleitet und die Datenbanken, Zwischen- und Abschlussberichte erlauben zumindest einen kleinen Einblick. Zudem kann ein Dokumentarfilm über den ehemaligen Schüler Lauenberger einen weiteren Einblick liefern. Die entimon-Studie: Das Deutsche Jugendinstitut e. V. (DJI) hat das Teilprogramm entimon  – Gemeinsam gegen Gewalt und Rechtsextremismus des Aktionsprogramms „Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ im Rahmen des „Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt“, gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), wissenschaftlich begleitet. Als Ziele des Teilprogramms entimon werden benannt: Durch das Programm entimon sollen modellhafte Projekte mit nachhaltigen Strukturen, die Beteiligungsprozesse in den Vordergrund stellen und Netzwerkcharakter haben bzw. entwickeln, gefördert werden. Dabei sollen die in den Programmleitlinien festgelegten Ziele wie Einübung in Toleranz, Bekämpfung von Gewalt, Integration von Menschen mit Migrationshintergrund, Übernahme von Verantwortung im Gemeinwesen, Entwicklung und Stärkung von demokratischem Handeln und Zivilcourage sowie verlässliches politisches Grundwissen, erreicht werden. Bis 2006 werden durch das BMFSFJ ca. 63 Mio. EUR zur Verfügung gestellt. (Zwischenbericht (ZB) entimon 2001–2003: 7)

Aus insgesamt 913 eingegangenen Anträgen wurden im Jahr 2002 von entimon 240 ausgewählt (ZB entimon 2001–2003: 17), darunter das Projekt Zuschengeld“ (PR 2_034: 1) erhielt und alle sehr angetan waren, dass er sich als Lehrer zur Verfügung stellte.

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kunftsmusik, das sich auch eine Fortführung sichern konnte (ebd.: 24). In den während der Laufzeit jährlich aktualisierten Datenbanken lässt sich eine interessante Entwicklung der Einordnung ablesen: Als methodischer Ansatz wird zunächst in Abgrenzung zu verschiedenen anderen das Projekt als „kulturpädagogisch“ typologisiert und als Projekttyp wird es sowohl als „Kulturprojekte“ als auch als „außerschulische Bildungsarbeit“ bezeichnet (Datenbank (DB) entimon 2002).228 Im Jahr 2003 fällt das letzte Stichwort des Projekttyps weg, im Jahr 2004 wird als methodischer Ansatz zusätzlich zum kulturpädagogischen noch der interkulturelle Ansatz genannt und als Projekttyp noch die „Jugend(sozial)arbeit“ hinzugefügt (DB entimon 2004). Schließlich wird im letzten Jahr der Förderung, 2005, als Projekttyp nur noch Kulturprojekte genannt, wie zuvor aber die zwei methodischen Ansätze (interkulturell und kulturpädagogisch, DB entimon 2005). Die wechselnde Klassifikation des DJI verdeutlicht die schwankende Einordnung in verschiedene Bereiche (und Rahmen); konstant bleibt dabei der Bezug zur Kultur und der interkulturellen Ausrichtung, veränderlich hingegen ist das Projekt in der Typologie als Bildungsbzw. Sozialarbeit. Die wissenschaftliche Begleitung untersuchte mit einer quantitativen Datenanalyse, woraus u. a. die Datenbanken resultieren, und mit einer qualitativen Typologie, welche Aussagen zur Zielkonsistenz, zu geplanten und realisierten Handlungsstrategien und Beteiligungsformen, zur Umsetzung des Programmziels sowie zu den Entwicklungsperspektiven insgesamt getroffen werden können (ZB entimon 2004: 17). Dadurch, dass die wissenschaftliche Begleitung alle geförderten Projekte analysierte, Zukunftsmusik aber nicht zu den 24 Projekten gehörte, die qualitativ und damit detaillierter untersucht wurden, gibt es auch keine spezifischen Untersuchungsergebnisse. Allerdings sind einige der allgemeinen Ergebnisse für die vorliegenden Projekte insgesamt und übergreifend interessant, weshalb einige davon vorgestellt werden. Im ersten Zwischenbericht wird z. B. Folgendes festgehalten: Die bisherigen Erfahrungen aus der Umsetzung des Programms und die aktuelle Diskussion zu diesem Themenbereich [zeigen] überdeutlich den Bedarf an transkultureller Arbeit, an einer Erhöhung des faktischen Wissens über andere Kulturen und Religionen sowie eine entsprechende Haltung zur Integration von Menschen mit unterschiedlicher Herkunft und zur Verbesserung des Zusammenlebens miteinander […]. (ZB entimon 2001–2003: 9, Hervorhebung NS)

Bezogen auf die Klassifikation der „interkulturellen Kulturarbeit“ heißt es zusammenfassend im zweiten Zwischenbericht:

228 | Alle Datenbanken sind je nach Jahrgang einzusehen auf der Homepage des DJI.

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte Kulturarbeit wird von einigen Projekten mit dem Ziel verbunden, Migrantenkulturen und ihre Vertreter/innen sichtbar und die verschiedenen Kulturen, Lebensgeschichten und Erfahrungen zum normalen Gegenstand (und Subjekt) von Museums- und Ausstellungsarbeit, Kulturarbeit sowie der Berichterstattung in Zeitungen etc. zu machen. (ZB entimon 2004: 125, Hervorhebung NS)

Schließlich wird im Abschlussbericht auf die Zusammensetzung der Teams eingegangen. Das ist auch im Hinblick auf das Kölner Projekt von Interesse, weil nicht nur die eigentliche Zielgruppe der Projekte in den Blick kommt, sondern auch die Lehrenden als Mitglieder einer ethnischen Gruppe: Eine gelungene, gleichberechtigte Integration von Fachkräften mit Migrationshintergrund in das Team war selten, sicherte aber dort, wo sie vorlag, vielfach den mehrperspektivischen Blick auf die eigene Arbeit und in vielen Fällen den Zugang zu gewünschten Zielgruppen mit Migrationshintergrund. (Abschlussbericht (AB) entimon 2002–2006: 47, Hervorhebung NS)

Ebenfalls im Abschlussbericht wird der Aspekt aufgegriffen, dass mit dem bundesweiten Bündnis des BMFSFJ vor allem Modellprojekte gefördert wurden. Es wird bezogen auf Erwartungen an die pädagogische Arbeit, die nicht geradlinig und vorhersehbar verlaufen könne, zusammenfassend festgehalten: Die Projekte können und dürfen nicht allein an ihrem Erfolg in Bezug auf die Bekämpfung von Rechtsextremismus, bzw. die Förderung von Toleranz und Demokratie vor Ort beurteilt werden. Vielmehr muss in einem Programm mit Modellcharakter auch die Erfahrung möglich sein, dass sich ein bestimmter Ansatz unter bestimmten Bedingungen nicht oder nur sehr beschränkt bewährt. Können die Gründe dafür nachvollzogen werden, hat sich die Investition trotzdem gelohnt. (AB entimon 2002–2006: 47)

Die ausgewählten Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung von entimon bleiben sehr allgemein – und unterstützen dennoch einige konkrete Feststellungen, die auch in dem vorliegenden empirischen Material deutlich werden. Das Fremdbild des Projekts Zukunftsmusik ist dadurch zwar nach wie vor rudimentär und lückenhaft, aber es bestätigen sich die verschiedenen Verortungen, die vor allem den kulturellen, aber auch den bildungs- und sozialpädagogischen Rahmen stützen. Die ganz große Klammer bleibt jedoch die mit dem Projekt aufgerufene (bildungs-)politische Arbeit. Ein Resümee, das für das positiv wahrgenommene Fremdbild stehen kann, zieht Arnold Mengelkoch, Migrationsbeauftrager des Bezirksamts Neukölln in Berlin auf der Fachtagung „Rroma im Kontext. Rroma-Familien in Kinder-

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und Jugendhilfe, Gesundheits- und Bildungsbereich“,229 die 2010 in der Werkstatt der Kulturen stattfand: Roma brauchen symbolische Projekte und kulturelle Symbole, die wiedererkennbar sind. Der Workshop „Zukunftsmusik“ hier in der „Werkstatt der Kulturen“ war hierfür ein großer Erfolg. (Mengelkoch in Ambulante sozialpädagogische Erziehungshilfe (AspE) e. V. 2011: 46)

„Djangos Lied. Eine Sinti-Jugend in Deutschland“ Als weiterer Blick von außen wurde ein Dokumentarfilm über Janko Lauenberger in die Untersuchung einbezogen, der 2008 im Auftrag des MDR entstand.230 Der Film ist in erster Linie ein sehr sensibles Porträt des ehemaligen Schülers, nicht jedoch der Musikschule Zukunftsmusik. Da der Film jedoch sehr differenziert aufzeigt, was Besonderheit, was Normalität und Selbstverständlichkeit für einen Sinto wie Lauenberger in Deutschland bedeutet, wird der Film in die Analyse des Fremdbilds mit einbezogen. Der Film begleitet den Protagonisten Janko Lauenberger und lässt ihn dabei ausführlich zu Wort kommen. Es geht z. B. darum, wie das System der DDR mit Minderheiten umging – diese waren offiziell nicht anerkannt – und Lauenberger berichtet von Stigmatisierungen und Diskriminierungen in der DDR und heute. Die Sichtweise von Lauenberger bleibt stets im Vordergrund und der Film bezieht dadurch klar Stellung, weil er Lauenberger seine Perspektive zeigen lässt. Dies zeigt sich z. B., als Lauenberger das Kinderheim in Thüringen besucht, in das ihn der Staat zur Umerziehung zwangsweise einwies, weil seine Eltern einen Ausreiseantrag gestellt hatten. Im Film wird diese Reise in die Vergangenheit wie folgt eingeführt: 6:11 Off+O-Ton [Janko Lauenberger auf einer Kassette im Alter von elf Jahren, die der befreundete Journalist Reimar Gilsenbach aufgenommen hatte]: Ick war mal dunkel. Schön dunkel. Manchmal haben sie mich auch Kubaner genannt oder Neger. Jude, Zigeuner, Türke. Kanacke. Und da war mal ein großer Bengel. Da waren wir zu laut. Und mich hat er auf einmal am lautesten gehört und hat mich so unterm Arm genommen und hat mich am Wasserhahn gehalten. Und dann hat er gesagt, wenn du jetzt noch einen Ton sagst, dann vergase ich dich, dann dreh ich den Hahn auf. Dann sollte ich denken, das war ein Gashahn. (danach Pause)

229 | In einigen Zusammenhängen wird Roma mit doppeltem „Rr“ geschrieben, es handelt sich nicht um einen Rechtschreibfehler. 230 | Ein Film von Andreas Kuni Richter und Tom Franke, produziert von armadafilm, im Auftrag des MDR, vgl. Richter/Franke 2008.

Teil IV: Transkulturelle Musikprojekte Sprecher: Nicht der Mitschüler, der Janko bedroht, wird dafür bestraft sondern Janko! „Er stört“ – heißt es in den Akten. Sprecher: Janko auf dem Weg ins thüringische Bad Langensalza, in die Vergangenheit. Micha, sein bester Freund, begleitet ihn. Janko hat Angst vor der Reise – zurück ins schlimmste Kapitel seines Lebens. (ganz kurze Pause) Janko setzt sich in seiner Schulzeit gegen die rassistischen Übergriffe zur Wehr. Er behauptet sich vor Anfeindungen und Ignoranz. Die DDR-Jugendhilfe sperrt den andersartigen Jungen weg. Jankos Eltern sind hilflos. Ihnen fehlen Wissen und Bildung, sich zu wehren. Der Jugendhilfeausschuss in Ostberlin weist an: Isolationsstrategie zur Umerziehung. Der Sintu-Junge, der „Sonderling“, er soll „kollektivfähig“ gemacht werden. (Djangos Lied (DL) 2008: 3, Hervorhebung im Original)

Lauenberger kann das Kinderheim nach einem halben Jahr wieder verlassen – weil Reimar und Hannelore Gilsenbach drohen, die grundlose Einweisung, untermauert durch die Tonbänder, publik zu machen. Der Film blickt aber nicht nur in die Vergangenheit, sondern er porträtiert auch die „DDR-Kultband“ Sinti Swing (DL 2008: 6) und den Familien- und Freundeskreis von Janko. So zeigt er auf unverkrampfte Weise wie nebenbei, wie Lauenberger als Berliner Sinto seine Kultur lebt: Dass ihm Familienbande, gemeinsame Essen und Feste wichtig sind, dass man in der Kultur der Sinti speziellen Regeln folgt und dass diese Kultur „ganz anders“ (ebd.: 8) ist. Immer wieder zeigt Lauenberger im Film auf, dass es im gesellschaftlichen Diskurs nur ein Entweder-Oder und keine Normalität und Selbstverständlichkeit zu geben scheint, ein Sowohl-als-auch zu leben, doch für ihn ist klar: Er ist sowohl Sinto als auch Deutscher: 30’42 O-Ton: (Janko) Wenn man nun die Frage bekommt, na wie fühlt ihr euch, eher als Sintu oder als Deutscher, für mich in meinem Kopf gibt es eine einfache Erklärung: ich bin hier geboren in Deutschland, meine Verwandtschaft auch. Ich spreche deutsch, man geht zur Schule, man ging in den Kindergarten. Natürlich bin ich deutsch. Das muss man schnell kapiert haben, wenn nicht, interessiert mich auch nicht weiter, wer das nicht weiß, wer das nicht nachfühlen kann, wie man sich fühlt in einer Situation, wie wir das sind – ja, weiß ich auch nicht. Ist für mich eine Gripssache irgendwie. (DL 2008: 13)

Im Interview, das ich mit Janko Lauenberger geführt habe, sprechen wir auch über die Dokumentation und ich frage ihn, ob er inzwischen auch genervt sei von den Fragen nach seiner (gefühlten) Zugehörigkeit. In seiner Antwort blitzt ein Selbstverständnis als Vorbild auf, gekoppelt mit einem Verantwortungsbewusstsein, das auch für das Projekt Zukunftsmusik stehen kann:

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Kulturelle Teilhabe durch Musik? Nein, eben gerade nicht, weil es ist noch soviel ungeklärt, weißt du. Man geht mit falschen oder zweierlei Gefühlen trifft man sich gegenüber. Merk ich auch am Publikum: Obwohl sie kommen, unsere Musik zu hören, haben sie immer noch diese zwei Haltungen. Und so lang wie das nicht unter den Tisch gekehrt ist, bin ich froh, dass die Leute mir Fragen stellen, verdammt, das ist meine Aufgabe in meiner Zeit. Ist meine Aufgabe für meine Generation. So wie Schnuckenack [Reinhardt] und Häns’che Weis früher den Weg für uns geebnet haben, ob die die Schnauze voll hatten oder nicht, sie haben es getan [Die beiden genannten Musiker sind die bedeutendsten deutschen Sinti-Jazzmusiker in der Tradition Django Reinhardts, die in der BRD in den 1960er-Jahren erstmalig nach dem Krieg mit einem Konzertprogramm unter dem Titel „Musik deutscher Zigeuner“ wieder an die Öffentlichkeit gegangen sind]. Uns tut es heutzutage gut, also glaube ich, tut es mir auch gut, immer noch aufzuklären für die kommende Generation, z. B. für meine Tochter, dass die einen klaren Weg hat. Na klar, gerne. (JL 2_033: 11)

Teil V: Im Spannungsfeld von Empowerment und Othering

Ziel dieses Kapitels ist es, Erklärungen für das Spannungsfeld zwischen Empowerment und Othering zu finden, das die kulturelle Teilhabe für Roma-Kinder und -Jugendliche in transkulturellen Musikprojekten changieren lässt zwischen Ermöglichung und Ausgrenzung und sich mitunter als Dilemma darstellt. Im folgenden Teil der Arbeit (Teil V) werden die empirischen Ergebnisse, die in den vorangegangenen Kapiteln vorgestellt wurden, auf der nächsten Abstraktionsstufe diskutiert, d. h. sie werden vom Konkreten ins Abstrakte gehoben, um vergleichende Schlüsse ziehen zu können. Damit verbindet das vorliegende Kapitel die Ergebnisse der drei analysierten Projekte und führt sie im Sinne der Generierung einer Theorie weiter: Die Untersuchung des empirischen Materials in Unterkategorien hat unterschiedliche Aushandlungen und Darstellungen von Kultur als Differenzlinie zum Vorschein gebracht, die als vergleichbare Phänomene gebündelt zu Kategorien weiterentwickelt werden konnten. Durch den kontinuierlichen Vergleich der Projekte, der minimal-maximalen Kontrastierung des Kölner Projekts mit den flankierenden Projekten in Frankfurt/Main und Berlin konnten die Phänomene eng miteinander in Verbindung gebracht und so für die Robustheit der Kategorien gesättigt werden. Es werden vor allem die drei Unterkategorien, die direkt miteinander vergleichbar waren, auf die nächste Abstraktionsstufe gehoben und zusammengefasst, die weiteren Unterkategorien231 aus dem Kölner Projekt finden aber ebenso Eingang in die Zusammenschau. Durch die Überführung in Kategorien entsteht jeweils eine „Theorie-Miniatur“ (Strübing 2013: 121), die einen Erklärungsbaustein zur Forschungsfrage liefert, um dann gemeinsam in die abschließende Schlüsselkategorie integriert zu werden. 231 | Das sind die Unterkategorien zur Relevanz der Dramaturgie, zu den Kostümen, zu den Arbeitsweisen, zu den Erwartungen und Zielen sowie der Exkurs zum Umgang mit Stereotypen (vgl. Teil IV/A.).

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Kulturelle Teilhabe durch Musik?

Die in Teil II erarbeiteten theoriegrundierten und geschärften Analysewerkzeuge, d. h. die Begrifflichkeiten Kultur, Transkulturalität und kulturelle Teilhabe werden im Folgenden angewendet, sodass die Prämissen des Theorieteils explizit erkennbar sind. Die Verbindungen der Kategorien zur Schlüsselkategorie erscheinen zunächst als asymmetrisch, verkreuzt und ambivalent, denn sie alle können – in unterschiedlicher Ausprägung – sowohl zu dem einen Pol des Spannungsfeldes, dem Empowerment, als auch zu dem anderen Pol, dem Othering, beitragen. Die Schlüsselkategorie integriert die ambivalente Grundspannung der Projekte. Diese Spannung ist zu verstehen als die Bandbreite, innerhalb derer sich die Fragestellung der kulturellen Teilhabe entfaltet und oszilliert. Je nachdem, wie stark die Ausprägung zu dem einen oder dem anderen Extrem auf dieser Bandbreite tendiert, desto deutlicher bestimmt der Ausschlag den Grad der kulturellen Teilhabe. Anders ausgedrückt: desto stärker gelingt oder misslingt die Teilhabe. Im Verlauf des Forschungsprozesses haben sich die folgenden vier Kategorien herauskristallisiert, die zum Überblick skizziert werden: 1. Sichtbarkeit: Die erste Kategorie behandelt das Phänomen, dass in den Projekten eine eigene Repräsentation sichtbar wird, die mittels der öffentlichen Wahrnehmung zur Anerkennung eines selbstverständlichen Platzes in der Gesellschaft führen soll. Insbesondere die Sichtbarkeit der ethnischen Zugehörigkeit ist von konstitutiver Bedeutung für alle Projekte. Sie trägt neben der Sichtbarkeit als stolze Selbstbehauptung auch zu einer Hervorhebung bei, die die angestrebte Selbstverständlichkeit ad absurdum führt. 2. Kompetenzorientierung: In der zweiten Kategorie wird der pädagogischkünstlerische Ansatz fokussiert, bei dem die Kompetenzen und nicht die Defizite der Kinder und Jugendlichen in den Blick genommen werden, um ihnen auf der Bühne Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. Auch bei dieser Kategorie spielt die ethnische Dimension eine wichtige Rolle, da mit der Betonung von ethnischen Besonderheiten essentialisierende Aspekte gestärkt werden, die für Fragen der Handlungsmacht Bedeutung erlangen können. 3. Zuschreibungen: Unter dem Phänomen, das als dritte Kategorie gefasst wurde, können Zuschreibungen verschiedener Formen ausgemacht werden: In allen Projekten ließen sich Stereotype, Essentialisierungen und Kulturalisierungen im Sinne vereinfachender und verallgemeinernder Aussagen ausmachen, die sich an verschiedene Adressaten wandten und in verschiedene Richtungen wiesen. So konnten neben Zuschreibungen von außen auch die Indienstnahme positiver Stereotype sowie Selbst-Essentialisierungen festgestellt werden, die eines gemeinsam haben: die Reproduktion der Zuschreibungen.

Teil V: Im Spannungsfeld von Empowerment und Othering

4. Musik als Mittel zum Zweck?: In der vierten und letzten Kategorie werden die Aushandlungsprozesse zwischen stärker künstlerisch orientierten und stärker pädagogisch orientierten Zielsetzungen der Projekte in den Blick genommen. Es wird gezeigt, dass Musik als Mittel zum Zweck und für Legitimationen außerhalb des künstlerischen Selbstzwecks, wie z. B. der Stärkung der Persönlichkeitsentwicklung begriffen wird. Auch wird offengelegt, dass diese Gegenüberstellung teilweise ein künstlich aufgebauter Gegensatz ist. Ein weiterer Fragekomplex der vierten Kategorie ist, inwieweit mit den Projekten soziale und politische Zielsetzungen umgesetzt und z. B. soziale Ungerechtigkeiten abgebaut werden sollen.

1. S ichtbarkeit Ein Phänomen, das in allen drei Projekten eine zentrale Rolle spielte, konnte mit der Kategorie der Sichtbarkeit gefasst und in zwei Richtungen ausdifferenziert werden: • Zum einen wird Sichtbarkeit angestrebt, indem etwas (z. B. eine Zielgruppe, eine ethnische Kultur etc.) öffentlich präsentiert, gezeigt, benannt, visualisiert, vielleicht auch als neuartig vorgestellt wird. Die Sichtbarkeit sorgt – in welcher Form auch immer, z. B. als Aufführung, im Programmheft, auf der Homepage oder in Pressetexten – dafür, dass etwas Raum bekommt, für alle sichtbar wird und somit in die öffentliche Wahrnehmung und ins Bewusstsein rückt. Vielfach kann in den untersuchten Projekten Sichtbarkeit als ein bestärkendes und selbstbehauptendes Vorgehen beschrieben werden. • Zum anderen und zugleich erfährt etwas (eine Zielgruppe, eine Kultur, ein bestimmter Aspekt) durch diese Sichtbarkeit eine starke Hervorhebung, die aber erst durch die Sichtbarkeit entsteht. Sichtbarmachung und Benennung führen folglich zu einer Besonderung. Dieser Begriff wird für die vorliegende Arbeit in Anlehnung an Feuser verwendet, der ihn im Kontext der integrativen Pädagogik gebraucht, wenn im Vergleich und im Gegensatz zu einer vermeintlichen „Normalität“ das „Besondere und Spezielle“ von Menschen mit Behinderungen hervorgehoben wird (vgl. Feuser 1989: 20). Auch Mecheril verwendet diesen Begriff und zwar für „Menschen, die in der Migrationsgesellschaft als Andere gelten“ (z. B. Mecheril 2015: 4), auch hier wird damit die gesetzte Normalität als Kontrastfolie dekonstruiert. Mit der Besonderung entsteht gleichsam das Dilemma, auf etwas aufmerksam machen zu wollen, das mitunter gar nicht extra hervorgehoben werden und eigentlich keine spezifische Betonung erhalten sollte.

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Bereits hier wird deutlich, dass Sichtbarkeit nicht automatisch und per se zu einem Empowerment führt, sondern dass die Frage, welche Verbindungen die Kategorie zur Schlüsselkategorie herstellt, ein komplexes Phänomen ist, das der Ausdifferenzierung bedarf. Gleichwohl kann für diese Kategorie die Tendenz angezeigt werden, dass sie tendenziell eher in Richtung eines Empowerments wirkt; nicht zuletzt, weil Empowerment als ein anzustrebendes Ziel aller Projekte zwar nicht explizit genannt wird, wie aber durch die Analyse unter verschiedenen Gesichtspunkten gezeigt werden konnte, doch implizit die Projekte unterlagert. Diese Verkreuzungen werden im Folgenden nach den drei vergleichenden Unterkategorien (Titel und Rahmen, Auswahl des Repertoires sowie der Teilnehmenden und Selbst- und Fremdbild) ausdifferenziert.

1.1 Titel und Rahmen Für die Sichtbarkeit ist die Verortung der Projekte anhand der Titel und Rahmen, ihre Einbettung in bestimmte Strukturen, Kontexte und Szenen von Bedeutung, weil durch sie Sichtbarkeit bewirkt wird. Heimat re-invented, Köln Die Verortung des Kölner Projekts im Rahmen der Philharmonie, des sogenannten klassischen und hochkulturellen Konzertbetriebs zeigt sich in der (Festival-)Struktur und im gesamten Setting sowie in der Aufführungsuhrzeit, die sich aus der Einbettung der Aufführung in eine bestimmte Programmschiene des Hauses ergibt. Da bei der Organisation und der Umsetzung die Jugendkunstschule federführend war, ist das Projekt zudem im Feld der außerschulischen kulturellen Kinder- und Jugendbildung mit ihren spezifischen Diskursen verortet. Schließlich ist die Kooperation mit Förderschulen eine weitere Verortung, die wiederum auf andere Felder und Diskurse verweist. Das Projekt wird folglich in verschiedenen Feldern und Diskursen sichtbar. Im Titel Heimat re-invented wird ein Ansatz deutlich, der  – ausgehend vom Bezugskonzert – einen programmatisch-konzeptionellen Anspruch zum Ausdruck bringt: Im Titel kommt die Konstruktion des Heimat-Begriffs als transkulturell zum Ausdruck, dem eine reflektierende Haltung zugrunde liegt. Dieser Ansatz wurde in den einzelnen Szenen durch die unterschiedlichen Arbeitsweisen der künstlerischen Dozenten verschieden umgesetzt. Dadurch wurde in der Gesamtaussage etwas sichtbar, was in der Form konzeptuell nicht angelegt und auch nicht beabsichtigt war: Das teilnehmende Roma-Schulprojekt wurde als ausschließlich ethnisch-kulturell homogene und als multi-, nicht transkulturell sich präsentierende Gruppe sichtbar. Die Darstellung wird hier als multikulturell bezeichnet, weil keine als interkulturell zu definierende Kommunikation auf der Bühne erkennbar ist und auch kein gemeinsam entwickeltes und durch verschiedene Grenzen hindurchgehendes transkultu-

Teil V: Im Spannungsfeld von Empowerment und Othering

relles Neues entstand.232 Unterstützt wird dies durch die Analyse von Dramaturgie, Kostüme und Arbeitsweisen, weil die „Roma-Szene“ im Gesamtbild als Kontrastfolie zu den anderen Szenen fungierte, die, weil in ihrer Darstellung nicht-ethnisch, in dieser Dimension geradezu unsichtbar verblieben. In Heimat re-invented werden die Roma-Kinder und -Jugendlichen bzw. die Roma durch die Titel und Rahmen einerseits sichtbar als sich homogen präsentierende ethnische Gruppe. Andererseits sind sie gemeinsam mit den anderen Schülerinnen sichtbar als Teil einer Gruppe, die in öffentlich geförderten, klassisch-hochkulturellen und bürgerlichen Kulturbetrieben wie der Philharmonie und dem Aufführungsort Comedia nicht sehr häufig präsent und vertreten sind. Vielmehr gelten sie in einem solchen Kontext üblicherweise als Außenseiter und Benachteiligte. Durch das Projekt haben die Philharmonie und die Comedia diese Schülergruppe in ihren Kontexten und Strukturen sichtbar werden lassen. Außerdem haben sie für sich eine Verantwortung für diese Schülergruppe daraus geschlussfolgert. Philharmonischer Verein der Sinti und Roma, Frankfurt/Main Die Verortung des Orchesters erfolgt ganz eindeutig in einer bildungsbürgerlichen Konzertstruktur, mit ihren ausgeprägten und typischen Strukturen, Orten sowie einem spezifischen Publikum. Weiterhin verortet sich das Orchester durch seinen Namen sehr sichtbar in einem ethnischen Rahmen und arbeitet mit einem ethnisch-holistischen Kulturbegriff. Dabei lässt der Name allerdings einige Varianten offen: Der Vergleichsrahmen ist national gedacht, wenngleich die Mitglieder des Orchesters unterschiedliche Nationalitäten haben und sich über Grenzen hinweg durch die ethnische Verbundenheit dem Orchester zugehörig fühlen. Das Orchester fungiert als ein Symbol der Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit und seine Existenz soll ein Zeichen setzen. Die Kooperation mit dem Förderverein Roma und dem Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma zeigt dabei die bewusste Anbindung an diesen Rahmen. Diese stellt wiederum ein Signal an die eigene ethnische Community dar, die durch dieses Vorbild zur Nachwuchsförderung angeregt werden soll. Eine weitere Strategie der Sichtbarkeit ist die Vermehrung sozialen Kapitals – und damit teils auch symbolischen Kapitals –, indem öffentlich bekannte und mit Prestige ausgestattete Personen und Institutionen das Orchester ideell unterstützen. Dies kann beispielsweise erfolgen, indem etablierte Institutionen Proben- und Aufführungsorte für die Konzerte zur Verfügung stellen oder Solisten gemeinsam mit dem Orchester konzertieren und auf ihre Gage verzichten. Es wird dadurch eine sichtbare Wahrnehmung erreicht, was wiede-

232 | Vgl. zu den Definitionen von Multi-, Inter- und Transkulturalität im Theoriekapitel zur Transkulturalität (Teil II/3.1).

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rum weitere Aufmerksamkeit und Interesse nach sich zieht, wie die Einladung zum renommierten Beethovenfestival erkennen lässt. Zukunftsmusik, Berlin Das Berliner Projekt Zukunftsmusik verortet sich ebenfalls in zwei Rahmen: Zum einen ist es angelehnt an und vergleichbar mit der Struktur einer außerschulischen Bildungseinrichtung. Zum anderen wird die starke Sichtbarkeit einer ethnischen Verortung sowohl in den Broschüren deutlich als auch durch die Kooperationspartner wie den Landesverband Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg e. V. Die Anbindung an die Werkstatt der Kulturen als einer transkulturell arbeitenden Kulturstätte, verortet das Projekt sowohl in einem engen Kulturbegriff, der dezidiert die Künste und ihre Praktiken fokussiert, wie auch in einer ethnisch-holistischen Rahmung. Anliegen ist aber nicht nur die Sichtbarkeit im Sinne einer Selbstbehauptung, mit der ein selbstverständlicher Platz der Minderheit z. B. im musikalischen Kanon gefordert wird, sondern auch eine Zusammenarbeit und Zusammenführung verschiedener Gruppierungen innerhalb der heterogenen Minderheit (Sinti und Roma). Mit diesem Anliegen und Anspruch wird deutlich, dass das Projekt sowohl Signale nach außen wie auch nach innen sendet. Über die Förderung durch das Programm entimon wird das Projekt sichtbar im Kontext präventiver Politik gegen Rechtsextremismus und der politischen Zielsetzung einer Integration minoritärer Gruppen. Wichtig für die Diskussion ist, dass ein Großteil der Förderung nicht aus Fördermitteln des Kulturbereichs, sondern des sozialen Bereichs bezogen werden. Explizit werden diese unterschiedlichen Bereiche und Akteure in den Broschüren genannt und auf die Bedeutung und Verantwortung der Selbstorganisation der Minderheit, der staatlichen Instanzen der Politik sowie des bürgerschaftlichen Engagements der Zivilgesellschaft hingewiesen.

1.2 Auswahl des Repertoires und der Teilnehmenden Auswahl des Repertoires Bezogen auf das Repertoire wird zusammengefasst, an welchen Punkten sich in den einzelnen Projekten Sichtbarkeit manifestierte. Heimat re-invented, Köln Das ausgewählte Repertoire des Kölner Projekts sollte in der sogenannten „Roma-Szene“ stolz und sichtbar zeigen, was die Roma-Musikkultur zu bieten hat. Für die Musikdozentin war dieser Teil der Aufführung eine Möglichkeit der bewusst positiven Selbstdarstellung der eigenen Kultur. Was dabei in der Aufführung nicht sichtbar wurde, die Roma-Kinder und -Jugendlichen mir gegenüber jedoch in Interviews und in der nachfolgenden Befragung äußerten,

Teil V: Im Spannungsfeld von Empowerment und Othering

sind ihre verschiedenen musikalischen Stilvorlieben. Auch wenn eingewandt werden kann, dass die Roma-Jungen zwar in der Szene des „Hut-Tanzes“ mit einem anderen musikalischen Genre auf der Bühne standen, so muss differenziert werden, dass sie zwar tanzten, aber nicht sangen. Dies macht in Bezug auf die Sprache der vorgetragenen Lieder, dem Romanes, einen Unterschied, da beispielsweise ein weiteres Lied, vorgetragen auf Deutsch oder Englisch, auch die Verortung in einer Jugendkultur – und darüber hinaus die Sprachkenntnisse von mehr als einer Sprache – deutlich auf der Bühne präsentiert hätten. Dadurch, dass die Roma-Kinder und -Jugendlichen auf der Bühne in erster Linie ethnisch gelabelt wurden und vom gesungenen musikalischen Repertoire her ausschließlich eine Volks- bzw. Populärkultur präsentierten, bestand ihre Sichtbarkeit in einer stark essentialisierenden, weil die Vielfalt der musikalischen Repertoire-Vorlieben ausklammernden Darstellung. Philharmonischer Verein der Sinti und Roma, Frankfurt/Main Bei der Auswahl des Repertoires für das Orchester in Frankfurt/Main ist es ein entscheidendes Kriterium, inwieweit ein musikalisches Stück die Bedeutung der Roma-Musikkultur für die europäische Musikkultur aufzeigt. Als wichtiger Repertoirebaustein können neu komponierte Werke bezeichnet werden, die extra für das Orchester geschrieben und von der Roma-Kultur inspiriert wurden. Durch solche Uraufführungen soll eine dynamische, aktuelle Roma-Musikkultur aufgezeigt werden, die neben den sogenannten Klassikern und selten gespielten Werken zu Gehör gebracht wird. Bei beiden Anliegen wird der selbst gegebene Aufklärungsauftrag als Bildungsauftrag für die Öffentlichkeit sowie für den Nachwuchs deutlich. Etwas konkreter heißt das, dass das Repertoire sichtbar machen soll, dass es nicht wenige sogenannte klassische Werke in der europäischen Kunstmusik, insbesondere in Singspielen und Opern gibt, die von Roma-Musikern, Sujets und Topoi inspiriert wurden und sich auf das vermeintliche Leben von Roma beziehen – bzw., die sich auf Assoziationen, Fantasien und die Faszination für die als exotisch stilisierten Anderen beziehen. Die Erkenntnis, dass Roma längst Teil der – in diesem Fall europäischen – Musikkulturen sind, aber der Minderheit diese Anerkennung bisher weitestgehend versagt bleibt, war einer der Beweggründe für die Gründung von Verein und Orchester. Die Zusammenstellung der Programme für die untersuchten Konzerte und das Repertoire insgesamt zeigen, dass das Orchester auf eine sichtbare Teilhabe der Roma an der europäischen Musikgeschichte aufmerksam machen will, um sich selbst eines Platzes zu bemächtigen. Dies wird ihnen bislang in der von der Mehrheit dominierten Musikgeschichtsschreibung nicht zugestanden, anders als es z. B. der Fall ist beim Sinti-Swing. Gerade durch das Repertoire wird deutlich, dass es dem Frankfurter Verein darum geht, als anerkannte und gleichwertige Formation im Konzertbetrieb wahrgenommen zu werden, Mitspieler und Teil des Feldes zu sein. Die

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ethnische Komponente, konstitutiv auch für die Auswahl des Repertoires, ist das Spezifikum des Orchesters und kann als transkulturell bezeichnet werden, denn das Orchester schafft mit seiner Programmzusammenstellung (Verknüpfung verschiedener Genres und Rahmen) etwas Neues im bürgerlichen Konzertbetrieb. Damit geht eine Besonderung einher, die bewusst angestrebt wird. Musikschule Zukunftsmusik, Berlin Die Musikschule in Berlin weist ein sehr vielfältiges Repertoire sowohl im Unterricht als auch bei den Vorspielen auf: Es wird sichtbar, dass sowohl traditionelle Sinti- und Roma-Musik gespielt wurde, dass damit aber oft ganz Unterschiedliches gemeint war, je nachdem was die Lehrerin oder der Schüler darunter verstand. Es gab ein flexibles, durchlässiges, geradezu experimentelles Konzept, mit fluiden Vorstellungen davon, was in der Musikschule an Musik gespielt wurde. Das Berliner Projekt ist damit in noch stärkerem Maße offen und genreübergreifend als das Frankfurter Orchester, weil es selbstbewusst unterschiedliches musikalisches Material nebeneinanderstellt und Sinti- und Roma-Musik als einen selbstverständlichen Teil einbringt, statt diese zum Ausschlusskriterium für die Repertoiregestaltung zu machen. Damit geht in diesem Fall mit der Repertoireauswahl keine Besonderung einher, weil die Auswahl sehr stark von Schülerinteressen geleitet ist und der Auswahl insgesamt ein Lernkonzept zugrunde liegt, bei dem das Gestalten einer förderlichen Lernumgebung stärker im Vordergrund steht als ein bestimmtes Genre.

Auswahl der Teilnehmenden Mit der Unterkategorie der Auswahl wurde nicht nur das musikalische Repertoire untersucht, sondern auch, welche Kinder und Jugendlichen für die Präsentation auf der Bühne ausgewählt wurden. In den Blick genommen wurde ebenfalls, welche Kinder und Jugendlichen als Publikum eingeladen waren, da dies bei allen Projekten Teil der Konzeption war, z. B. durch die zeitliche Festlegung (Köln: Programmschiene Lunch, Frankfurt: Kinderkonzert um die Mittagszeit). Mit dieser Unterkategorie wurde insbesondere der Frage nachgegangen, ob das Projekt als Zielgruppe ausschließlich Roma-Kinder und -Jugendliche fokussierte und auf die Bühne brachte, inwieweit es bewusst von und für Roma konzipiert war oder – implizit oder explizit – für Roma und Gadje gemeinsam. Heimat re-invented, Köln Bei der teilnehmenden Beobachtung des Kölner Projekts konnte eine starke Diskrepanz zwischen Konzept und Aufführung festgestellt werden, die für die Analyse der Kategorie Sichtbarkeit von großer Bedeutung ist: In den Anträgen

Teil V: Im Spannungsfeld von Empowerment und Othering

und im Konzept des Projekts werden nicht verschiedene ethnische Gruppen benannt, sondern Förderschüler allgemein. Gleichzeitig wird jedoch die Gruppe der Roma besonders herausgestellt, weil sie die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund an Förderschulen ausmachen, wie es im Antrag heißt.233 Dennoch wurde das Projekt nicht als ein interkulturelles beispielsweise zwischen Roma und anderen ethnischen Gruppen umgesetzt, sondern als eines, das auf der einen Seite Förderschüler allgemein und nicht ethnisch markiert im Blick hat, auf der anderen Seite aber im Besonderen dann doch die Roma. Bereits im Antrag wird also eine problematische Einteilung vorgenommen, die auch durch ihre Uneindeutigkeit im Probenprozess folgenreiche Konsequenzen hat. Diese zeigt sich z. B. darin, dass das Konzept mit dem Anspruch angetreten war, dass die Schülerinnen in dem Projekt voneinander lernen und gemeinsam etwas Neues in einem transkulturellen Sinne entwickeln. Dadurch, dass es bei der „Roma-Szene“ auf der Bühne keine Verschränkung der Schulen gab, konnte auf der Bühne jedoch nicht gezeigt werden, dass es überhaupt gemeinsame Proben gegeben hatte und dass die Gadje-Schülerinnen von den Roma-Schülern die Lieder gelernt hatten – und diese gerne auf der Bühne gesungen hätten. Zum anderen wurde suggeriert, die Roma seien eine kulturell homogene Gruppe. Dies verstärkte sich vor allem durch den starken Gegensatz zu den anderen Gruppen, die sich eben nicht als ethnisch markiert präsentierten. Zum Teil lag dies sicherlich an der Arbeitsweise der künstlerischen Dozenten, zum Teil aber auch schlicht daran, dass für das Projekt ethnisch heterogene Schulen (Förderschulen) und eine sich als ethnisch definierende (Projekt-)Schule ausgewählt wurden. Damit wurden die Roma des Roma-Schulprojekts als kulturell Andere markiert, weitere kulturelle Identitäten und Nationalitäten verblieben hingegen unsichtbar. Obgleich der zu Beginn der Aufführung in verschiedenen Sprachen präsentierte Satz „Dort, wo ich mich wohlfühle, dort ist meine Heimat.“ nahelegte, dass viele Kulturen beteiligt waren, spielten sie im Fortgang der Aufführung keine Rolle. Der Gegensatz von ethnisch-markiert einerseits und nicht-ethnisch-markiert andererseits, wurde dadurch besonders hervorgehoben. Durch die innerhalb des Festivals vorgegebene Uhrzeit der Aufführung waren fast ausschließlich weitere Klassen der am Projekt teilnehmenden Schulen im Publikum vertreten sowie vereinzelt Familienangehörige und weitere Inte233 | In der „Studie zur aktuellen Bildungssituation deutscher Sinti und Roma“ werden 2011 erstmalig Zahlen empirisch erhoben und ausgewertet. Als ein Ergebnis wird festgehalten, dass insgesamt 10,7 % der Befragten eine Förderschule besuchten, im Vergleich zu 4,9 % aller Schüler aus der Mehrheitsbevölkerung (Strauß 2011: 101). Damit ist allerdings noch nichts über das Verhältnis verschiedener ethnischer Gruppen an Förderschulen selbst ausgesagt, aber es wird deutlich, dass mehr als doppelt so viele Roma im Vergleich zu Nicht-Roma Förderschulen besuchen (müssen).

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ressierte. Dadurch war die Sichtbarkeit des Projekts im Angebot der Konzertlandschaft sehr eingeschränkt, weil es nur eine bestimmte Klientel ansprach, das zur Aufführungsuhrzeit kommen konnte. Philharmonischer Verein der Sinti und Roma, Frankfurt/Main Bei dem untersuchten Kinderkonzert in Frankfurt waren die anwesenden Kinder und Jugendlichen sowohl von der vom Kooperationspartner Förderverein Roma getragenen Kita Schaworalle als auch von weiteren (Regel-)Grundschulen in Frankfurt/Main. Auch hier war die Zielgruppe für das Publikum durch die Uhrzeit auf Schulen festgelegt. Im Hinblick auf die Nachwuchsförderung verfolgt das Orchester eine Empowerment-Strategie, indem die einzelnen Musiker als Vorbilder für Bildungs-, Arbeits- und Karrierewege gelten sollen. Dadurch, dass der Verein die ethnische Zugehörigkeit spezifiziert, sie aber dennoch kein Ausschlusskriterium für Musiker wie auch für teilnehmende Kinder des Kinderkonzerts ist, sondern – gerade was das Publikum angeht, die Einladung zu den Konzerten an alle Interessierte klassischer Musik richtet, ist das Konzept insgesamt zwar eindeutig auf Roma fokussiert, gleichzeitig aber auch sehr offen. Eine Besonderung findet im Sinne eines bestärkenden, nicht ausschließenden Ansatzes statt. Musikschule Zukunftsmusik, Berlin Mit dem besonderen Angebot der Musikschule für Sinti- und Roma-Kinder und Jugendliche geht eine öffentliche Sichtbarkeit einher, die bei dem Berliner Projekt auch die Notwendigkeit eines solchen Angebots unterstreichen soll. Dies wird deutlich, wenn die Vorsitzende des Berliner Verbandes deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg e. V., Petra Rosenberg, stark betont, dass es für Kinder und Jugendliche der Mehrheit bereits ausreichend und gut besuchte Angebote an Musikschulen gäbe, für Kinder und Jugendliche der Minderheit hingegen nicht. Hier zeigt sich der klar formulierte Anspruch, dass es spezielle Angebote geben müsse; ähnlich dem vergleichenden Hinweis des Dirigenten des Philharmonischen Vereins, dass ein nationales Orchester auch – oder gerade?  – für Roma von Bedeutung sei und dieses dann auch für alle sichtbar sein müsse. Einige Lehrer der Musikschule unterrichten in anderen Formationen Roma und Gadje gemeinsam und waren einer solchen Unterrichtsform gegenüber sehr aufgeschlossen. Diese Haltung verdeutlicht sich im Konzept des Projekts, das zwar auf eine spezifische Zielgruppe ausgerichtet war, in dem Ausnahmen aber willkommen waren. Auch die Auftritte der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen Seite an Seite mit den Lehrenden in deren professionellen Formationen stellen eine Form von Sichtbarkeit dar.

Teil V: Im Spannungsfeld von Empowerment und Othering

1.3 Selbst- und Fremdbild Im Vergleich des Selbst- und Fremdbilds der drei Projekte in der Kategorie Sichtbarkeit kann zunächst festgehalten werden, dass ein ethnischer Bezug im Fremdbild immer benannt und dieser im Selbstbild teils auch forciert wurde; insbesondere wenn es darum ging, zu benennen, was denn ein Alleinstellungsmerkmal und das Besondere am Projekt, dem Orchester oder der Musikschule sei. Dies ist sicherlich auch der Argumentation und den Antragsregularien bei der Bewerbung um Fördermittel geschuldet, die Spezifika und bestimmte Schlüsselwörter teils explizit, teils implizit verlangen. Heimat re-invented, Köln Beim Kölner Projekt lässt sich sagen, dass das Fremdbild in großen Teilen auf dem Selbstbild gründet, weil es vor allem auf vom Projekt herausgegebenen Pressemitteilungen beruht. So geht es dem Projekt beispielweise explizit darum, Kinder und Jugendliche durch das Projekt gesellschaftlich sichtbar zu machen und dadurch zu stärken. Der Antrag formuliert mit dem normativ-bildungsbürgerlichen Kulturverständnis gleichsam einen (politischen) Auftrag an das Projekt – nämlich, dass Projekte kultureller Bildung die Versäumnisse der Schulen aufzufangen in der Lage sind. Ebenfalls wird die Forderung unterstrichen, dass diese Kinder und Jugendlichen einen Anspruch auf die Bühne und die damit einhergehende Sichtbarkeit hätten sowie darauf, ihre Kompetenzen zeigen zu können. Vonseiten der Förderer wurde die Sichtbarkeit durch die Medienpräsenz, z. B. mit einer eigenen Projekthomepage und einer von Beginn an geplanten Filmdokumentation positiv und lobend unterstützt. Die Teilnahme an Wettbewerben und die verliehenen Preise sind (symbolische) Zeichen, die das Projekt in einem breiten Rahmen und den legitimierten Strukturen der kulturellen Bildung verorten und öffentlich wahrnehmbar machen sollen. Diese könnten allerdings ebenfalls als ein Bestandteil von Klischeebildung und Othering gelesen werden. Philharmonischer Verein der Sinti und Roma, Frankfurt/Main Im Vordergrund des Orchesters steht der Wunsch nach öffentlicher Wahrnehmung, Anerkennung der Verdienste und Akzeptanz im Konzertbetrieb. Dies geschieht vor dem Hintergrund, die eigene ethno-kulturelle Identität zu fördern, zu stärken und sich einen angemessenen Platz im Kulturbetrieb einzufordern. Die Existenz des Orchesters, die Wahrnehmung in der Presse, die positiven Berichte (Fremdbild), die Einladung zum Beethovenfestival und der Bundesverdienstorden an den Dirigenten sind Zeichen dafür, dass das Orchester zunehmend akzeptiert und angenommen wird. Allerdings steht dieses in starkem Kontrast zur sehr spärlichen institutionellen Förderung. Der

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Anerkennung und Sichtbarkeit des Selbstbilds stehen die Exotisierungen und Zuschreibungen im Fremdbild gegenüber und verweisen in Richtung eines Otherings. Musikschule Zukunftsmusik, Berlin Die zwei Broschüren und die Projekthomepage der Zukunftsmusik erlauben in ihrer Gesamtschau ein selbstbewusstes und bestärkendes Selbstbild. Dazu tragen auf den ersten Blick auch Zitate prominenter Fürsprecher bei (Grass, Galinski, Rau, Baumann); eine nähere Betrachtung verweist jedoch bei einigen stärker in eine essentialisierende Richtung, die als Othering eingestuft werden kann – die Sinti und Roma verbleiben die Anderen, die dominante dichotome Struktur wird reproduziert, nicht aufgebrochen oder dekonstruiert.

Zusammenfassung Mit der Kategorie Sichtbarkeit kann in allen untersuchten Projekten ein wesentliches Phänomen fokussiert und erklärt werden: Über die sichtbare Verortung in verschiedenen Rahmen, insbesondere durch die Kooperation mit Partnern, die sich in unterschiedlichen Feldern als jeweils kompetente Partner verstehen, und die damit einhergehende Aufmerksamkeit in der öffentlichen Wahrnehmung und in verschiedenen Feldern erreichen, lässt sich eine stolze Selbstbehauptung und Repräsentation der eigenen Kultur beschreiben, die mittels dieser Sichtbarkeit einen (selbstverständlichen) Platz einfordert. Dieser Platz ist je nach Kontext unterschiedlich angesiedelt, z. B. als Platz auf den Bühnen der öffentlich geförderten Hochkultur wie im Konzert- und institutionalisierten Musikschulbetrieb und als Platz im Sinne von Wissen, Anerkennung und Wertschätzung innerhalb der europäischen Musikgeschichte, wie auch ganz allgemein als Platz in der Gesellschaft. Dadurch arbeiten alle Projekte mehr oder weniger ausgeprägt mit einem aufklärenden Bildungsanspruch, der die Projekte alle in den Status eines Vorbildes und Modells hebt – als Signal nach innen an die eigene Community wie auch nach außen an die Mehrheitsbevölkerung. Diese Perspektive der Sichtbarkeit verweist in Richtung einer empowernden, weil (be-)stärkenden Handlungsmacht für kulturelle Teilhabe. Zugleich konnte mit der Kategorie Sichtbarkeit herausgearbeitet werden, dass gerade durch sie eine Hervorhebung und Besonderung erfolgt, die Begründungsargumentationen mit normativen Zuschreibungen und Exotisierungen Vorschub leistet. So können durch die sichtbar gemachten Repräsentationen des Eigenen mitunter starke dichotome Strukturen mit essentialisierenden Elementen entstehen. Insofern kann die Kategorie Sichtbarkeit unter dieser Perspektive ebenfalls in Richtung eines Otherings wirken.

Teil V: Im Spannungsfeld von Empowerment und Othering

2. K ompe tenzorientierung In allen Projekten zeigte sich eine Orientierung darauf, die Kompetenzen und nicht die Defizite der Kinder und Jugendlichen in den Fokus zu stellen; alle Dozentinnen zeigten diese Haltung. Gleichwohl wird in der zweiten Kategorie Kompetenzorientierung auch untersucht, inwiefern implizit auf Defizite rekurriert wird. Als Kompetenzen werden sowohl solche Fähigkeiten der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen bezeichnet, die in die Projektarbeit eingebracht wurden, als auch neu entwickelte Kenntnisse.

2.1 Titel und Rahmen Eine Gemeinsamkeit aller drei Projekte ist darin zu sehen, dass sie ein professionelles Setting in den Rahmenbedingungen für die Umsetzung ihrer Ziele anstrebten. Die Aufführungen fanden unter echten Bedingungen, d. h. an öffentlichen Aufführungsorten samt der damit zusammenhängenden Infrastruktur statt und waren durch Pressearbeit in der Öffentlichkeit sichtbar. Dadurch entstand der Anspruch, die Kinder und Jugendlichen als kompetente Darsteller auf der Bühne ernst zu nehmen. Für die Aufführungen gab es keinen Schonraum im Sinne eines Schutzraums wie für die Zeit der Proben, sondern das Heraustreten aus der Schulumgebung und -wahrnehmung als Kontrasterfahrung ist ein Bestandteil der Kompetenzorientierung.234 Heimat re-invented, Köln Die Konzeption des Kölner Projekts Heimat re-invented gründet auf einer Kompetenzorientierung: In der darin angelegten Reflexion über das Motto Heimat – heimatlos sollte als Grundlage damit gearbeitet werden, was die Kinder und Jugendlichen an Ideen und Erfahrungen mitbrachten. Allerdings war die Umsetzung des für die Kinder und Jugendlichen abstrakten Mottos sehr unterschiedlich ausgeprägt und abhängig von der Arbeitsweise der Dozentin234 | Auf diesen wichtigen Bestandteil kultureller Projekte verweist auch Henning van den Brink: „Diese Anerkennung löst positive Rückwirkungen auf das Selbstbild und -bewusstsein dieser Kinder aus. Vor allem liegt für sie darin eine große Chance, aus schulischen Stigmatisierungs- und Selektionsprozessen auszubrechen, die im deutschen Schulsystem schon früh das Bildungsschicksal vieler Schüler besiegeln.“ (Brink 2010: 21) Vgl. dazu auch Brink zu den psychosozialen Wirkungen von Kulturarbeit (Brink/ Strasser 2008: 19 ff.) sowie Fink, der ebenfalls an das Selbstwirksamkeitskonzept des Sozialpsychologen Albert Bandura anknüpft und diese im Kontext von künstlerischen Projekten als „Darstellerische Selbstwirksamkeitserfahrung“ charakterisiert, die als „zentrale Bildungsmöglichkeit von Tanz- und Theaterprojekten und damit auch als entscheidendes Qualitätskriterium“ begriffen werden können (Fink 2012: 387 f.).

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nen. Die Rahmenbedingungen des Projekts sind dabei für die Kategorie Kompetenzorientierung aufschlussreich, weil dadurch Verortungen entstehen und analysierbar werden, die die zugrunde liegenden und impliziten Orientierungen und Haltungen verdeutlichen. Wie im Kapitel zu den Arbeitsweisen der Dozenten aufgezeigt (Teil IV/A./5.), konnten unterschiedliche Stile ausgemacht werden, denen je eine kompetenzorientierte Perspektive zugrunde lag: • Rezeptiv-reproduzierende Arbeitsweise: Choreografien wurden beispielsweise so entwickelt, dass ein Erfolgserlebnis auf der Bühne unabhängig von den tänzerischen Kenntnissen der Kinder und Jugendlichen realistisch war. Ebenso verhielt es sich mit den durch die Musikdozentin ausgewählten Liedern, mit denen sie auf den Kenntnissen der Kinder und Jugendlichen auf baute und die die eigene Roma-Kultur pflegen und stärken sollten. Damit setzt sie den sehr häufig diskriminierenden Pauschalisierungen über Roma z. B. in der Presse oder bei Umfragen zu Bevölkerungseinstellungen eine andere Sichtweise entgegen. Mit diesem Hinweis kontextualisiert sie gleichzeitig, mit welchen Negativbildern die Projektarbeit mit Roma sich (zwangsläufig) auseinandersetzen muss bzw. sie sich herausgefordert fühlte, dies zu tun. Ihre Arbeitsweise orientiert sich damit am Empowerment-Ansatz, der Stärkung einer selbstverantwortlichen und selbstbestimmten Präsentation, hier einer ethnischen Kultur. • Aktiv-produzierende Arbeitsweise: Die Dozentinnen knüpften sehr stark an die Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen an, indem sie Materialien zum Anfertigen von handwerklichen Tätigkeiten bereitstellten und Bewegungsbeispiele für eigene Bewegungssequenzen vorschlugen. Die Ideen kamen von den Teilnehmenden selbst. Die Suche nach einem eigenen Ausdruck manifestiert sich durch die künstlerische Anleitung in Kompetenzen, die auf der Bühne gezeigt werden. Durch diese Arbeitsweise soll das Selbstbewusstsein der Kinder und Jugendlichen in zweierlei Hinsicht gestärkt werden: zum einen bezogen auf die Darstellung auf der Bühne, zum anderen aber auch auf den Mut, überhaupt die eigenen Ideen und Inhalte zu präsentieren. Insgesamt wurden im Projekt Heimat re-invented unter Kompetenzen aber nicht nur künstlerische Techniken verstanden, sondern ebenso soziale Kompetenzen, wie in den Interviews und auch in der Evaluation der MuKuTaTheWerkstatt deutlich wird. Philharmonischer Verein der Sinti und Roma, Frankfurt/Main Auch für das Frankfurter Orchester kann das professionelle Setting als wesentlicher Bestandteil der Kategorie Kompetenzorientierung ausgemacht wer-

Teil V: Im Spannungsfeld von Empowerment und Othering

den: Die Verortung durch den Rahmen der nationalstaatlichen Konzert- und Orchesterstruktur, einschließlich des dazugehörigen Repertoires, verweist auf das Selbstverständnis, das die Kompetenzen des Orchesters als professionelles Orchester mit professionellen Musikern in den Fokus rückt – sie treten in erster Linie nicht als interkulturell gelabeltes Orchester auf, etwa mit Bühnenauftritten an Orten und in Kontexten der ethnischen Zugehörigkeit. Die ethnische Dimension des Orchesters ist präsent, gleichwohl wird die Kompetenz des Orchesters nicht über eine ethnische Zugehörigkeit definiert. Der Anschluss an diesen Rahmen lässt sich sowohl aus dem Werdegang des Dirigenten ablesen als auch an seiner Haltung, die nicht nur in Interviews deutlich wird, sondern auch z. B. in der Repertoiregestaltung. Ein sich aus der Betrachtung der Rahmen anschließender Punkt ist die Vorbildfunktion, denn durch die Existenz und Präsenz des Orchesters können die Musiker nicht nur musikalisch kompetente Vorbilder sein, sondern auch darin, dass sich durch Ausbildung und Beruf gesellschaftliche Anerkennung erfahren lassen. Sahiti und seine Musiker selbst sind somit Beispiele dafür, wie der Philharmonische Verein mit Sichtbarkeit und dem Fokus auf die Kompetenzen Aufklärung betreiben und einer Klischeebildung entgegenwirken will. So banal diese Feststellung sein mag, sie ist eben gerade keine Selbstverständlichkeit. Die Kompetenzorientierung im Frankfurter Projekt gilt jedoch nicht nur für die einzelnen Musiker, sondern gerade auch für die Gruppe der Roma und steht damit als ein Element des Empowerments. Musikschule Zukunftsmusik, Berlin Das Berliner Projekt verortet sich ebenfalls über den Vergleich mit einer etablierten (Mehrheits-)Struktur  – der außerschulischen (Ausbildung an einer) Musikschule. Das Spezifikum der Zukunftsmusik ist dabei die Orientierung an vorhandenem Können einschließlich bestimmter Lernmethoden wie z. B. orale Wissensweitergabe und Improvisation. Diese Kompetenzen werden als solche in Konzept und Öffentlichkeitsarbeit des Projekts benannt und darauf auf bauend unterrichtet. Damit erfährt die in Familien oftmals tradierte mündliche Weitergabe von musikalischen Kompetenzen eine Wertschätzung, die bislang in der Öffentlichkeit nicht sichtbar und anerkannt wurde. Gleichzeitig wird damit auf die Form einer privat und nicht öffentlich stattfindenden musikalischen Ausbildung verwiesen und somit ein Perspektivwechsel angestrebt: Nicht die Roma-Schülerinnen müssen auf ihre Defizite z. B. im Noten Lesen als gängiger Lernmethode an öffentlichen Musikschulen hingewiesen werden, sondern in der Zukunftsmusik werden die Fähigkeiten hervorgehoben und sichtbar gemacht, die sie bereits in der Familie erworben haben. Damit gibt sich das Berliner Projekt selbst einen Bildungsauftrag, der zum einen die musikalischen Kompetenzen, zum anderen aber auch das Selbstbewusstsein der Schüler zum Ziel hat. Als übergeordnetes Ziel ergibt sich daraus, mit der

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Musikschule Bausteine des Empowerments zur selbstbewussten Teilhabe an der Gesellschaft bereit zu stellen. Als mögliches Moment der Selbst-Exklusion könnte die Betonung des Spezifikums gelesen werden, da damit eine Betonung als Andere erfolgt.

2.2 Auswahl des Repertoires und der Teilnehmenden Heimat re-invented, Köln Die von der Musikdozentin ausgewählten Lieder knüpften bewusst an die vorhandenen Sprach- und Musikkenntnisse der Kinder und Jugendlichen und ihrer familiär-musikalischen Lebenswelt an. Diese bewusste Entscheidung, als Ausdruck der Arbeitsweise der Musikdozentin, nutzt die Fokussierung auf die Kompetenzen als bewusste Sichtbarmachung der meist als selbstverständlich gehandelten und eher als Defizit denn als Kompetenz wahrgenommenen Mehrsprachigkeit sowie die Kenntnis verschiedener Musikgenres. Bei der rezeptiv-reproduzierenden Arbeitsweise wurden diejenigen für die Bühne ausgewählt, die beispielsweise sehr schnell lernten oder ein stimmliches Talent mitbrachten. Dies warf die Frage auf, für wen das Projekt eigentlich gedacht sei. Vor der Folie der Kompetenzkategorie zeigt sich, dass die Defizite der Kinder und Jugendlichen in der Aushandlung der Auswahl eine bestimmende Rolle spielten und somit implizit zugrunde gelegt wurden. Philharmonischer Verein der Sinti und Roma, Frankfurt/Main In der Zusammenstellung der Konzertprogramme und der Auswahl des Repertoires des Frankfurter Orchesters kommt die Kompetenzorientierung darin zum Ausdruck, dass es neben der bewussten Verortung im Konzertbetrieb (Strukturen und Repertoire) zwei Stränge bei der Programmgestaltung verfolgt: Zum einen die Pflege des musikalischen Erbes, zum anderen ganz bewusst neue und speziell für das Orchester geschriebene Kompositionen von zeitgenössischen Roma- und Gadje-Komponisten. Die Zusammenstellung des Repertoires ruft eine selbstbewusste und bestärkende Haltung auf, die dem professionellen Konzertbetrieb aufzeigen soll, das Orchester als professionelle und gleichwertige Formation im Feld anzuerkennen und darüber auch deutlich zu machen, welche strukturellen Exklusionen – und individuellen Diskriminierungen – auch im Konzertbetrieb Gang und Gäbe sind.235

235 | Vgl. die Schwierigkeiten des Dirigenten Sahiti, eine Anstellung zu bekommen: „Er bewarb sich bei Orchestern um eine Anstellung. Immer wieder bekam er Absagen. Der Direktor einer Musikschule sagte ihm einmal: ‚Sie haben großes Talent, aber Sie passen nicht zu uns.‘ Sahiti fragte, ob die Abweisung mit seiner Roma-Herkunft zu tun habe, eine Antwort erhielt er nicht.“ (SZ, 27.11.2012) Auch dass viele Musiker ihre ethnische

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Musikschule Zukunftsmusik, Berlin Die Kompetenzorientierung des Berliner Projekts verdeutlicht sich im Hinblick auf die Auswahl der Teilnehmenden sowie des Repertoires: Der Unterricht in der Zukunftsmusik wurde nicht nur angepasst an die mitgebrachten Interessen und Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen, sondern auch an die mitgebrachten spezifischen Kompetenzen, den Einbezug der Eltern in den Unterricht und vielfältige Auftrittsmöglichkeiten. Das Repertoire betreffend, beschreibt der Gitarrist und ehemalige Schüler, Janko Lauenberger, dass er durch die dortige Ausbildung den Zugang zu verschiedenen Genres erlernt habe, was ihm vorher nicht möglich gewesen sei. Insgesamt kam die Zeit an der Musikschule für ihn einer Hochschulausbildung gleich, wenn auch ohne Zertifikat, da die Auswahl des Repertoires nicht ausschließlich auf eine spezielle Sinti- und Roma-Musik ausgerichtet war, sondern die Musikschule fundamentale und weiterführende musikpraktische Kompetenzen vermittelte.

2.3 Selbst- und Fremdbild Heimat re-invented, Köln Die Materialien des Kölner Projekts sind sprachlich sehr kompetenzorientiert formuliert, wie es sich etwa im Programmflyer, in der Filmdokumentation und in der Auswertung zeigt, wenn auf die bestärkende Wirkung des Repertoires für die Identität der Roma-Schülerinnen verwiesen wird. Es wird auf das Können und die auf der Bühne präsentierten Talente der Kinder und Jugendlichen abgehoben und auch organisatorisch wird diese Haltung durch das professionelle Setting deutlich und findet seinen Ausdruck in der vielgestaltigen medialen Begleitung des Projekts. Gleichzeitig muss konstatiert werden, dass sowohl im Selbst- als auch und noch stärker im Fremdbild eine Defizitperspektive erkennbar ist: Bereits dem Antrag liegt eine Beschreibung der Schüler und ihres Lebensumfeldes zugrunde, das die Defizite dezidiert in den Blick nimmt. Aus dieser Defizitorientierung leitet sich gemäß der Antragslogik die Notwendigkeit und der Bedarf für ein solches Vorhaben ab; allerdings muss differenziert werden, dass die ursprüngliche Idee zu dem Projekt von der Schulsozialpädagogin Grass nicht in diese Richtung zielte, sondern darauf, auch für ihre Schülerinnen einen Platz gerade an einer Institution wie der Philharmonie einzufordern. Das Fremdbild offenbart, dass die leitende Argumentation für ein Projekt wie Heimat re-invented häufig von einer impliziten paternalistischen Haltung durchzogen ist. Deutlich wird dies z. B. auch in der Preislaudatio, worin das Erstaunen über die auf der Bühne zur Schau gestellten Kompetenzen, die FörZugehörigkeit aus Angst vor Vorurteilen und Diskriminierungen verschweigen, wird vielfach erwähnt (vgl. ebd.).

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derschüler wider Erwarten präsentierten, offenkundig wird. Eine reproduzierende Defizitperspektive gegenüber Benachteiligten wird hier vollzogen, die in Richtung eines sozialen, nicht ethnischen Otherings verweist. Philharmonischer Verein der Sinti und Roma, Frankfurt/Main Das Selbstbild des Frankfurter Projekts präsentiert sich sehr selbstbewusst: Die Roma-Musik-Kultur wird als reich, vielfältig und wertvoll verstanden und es wird auf den Verdienst und Anteil an der europäischen Musikgeschichtsschreibung aufmerksam gemacht. Der Verein fordert, wie bereits beschrieben, einen Platz in der kulturellen Konzertlandschaft und damit verbunden auch eine Förderung; allerdings engagiert sich der Initiator, Dirigent und Motor des Projekts in erster Linie nicht (politisch) kämpferisch, sondern leidenschaftlich für die Musik. Sein jahrelanges Bemühen um Aufmerksamkeit für das Orchester ist getragen von einer Vision. Beim Fremdbild des Orchesters zeigt sich, dass in allen untersuchten Presseartikeln die ethnische Rahmung des Orchesters Eingang findet; ebenso kommen die meisten Artikel nicht ohne den Verweis auf das Besondere aus  – teils auch angeregt durch das Vokabular des Dirigenten oder Musiker des Orchesters selbst. Mitunter arbeiten die Artikel direkt mit Exotismen. Die politische Dimension dessen tritt beispielsweise im häufig thematisierten Umgang mit und im Kampf gegen Klischees und Stereotypen zutage. Musikschule Zukunftsmusik, Berlin Die Zukunftsmusik zeigt ein im Tonfall bestärkendes und kompetenzorientiertes Selbstbild. Der Einbezug von Zitaten prominenter Fürsprecher in den Broschüren, die sich gerade in der Frage der Kompetenz- oder Defizitorientierung als nicht unproblematisch erweisen, kann als Akkumulation sozialen und kulturellen Kapitals bezeichnet werden. Zwar von einer solidarischen Geste geprägt, zeugen die Zitate von Grass und Baumann doch von einer homogenisierenden und dichotomisierenden Sichtweise, die von einer starren Gegenüberstellung von Minderheit und Mehrheit ausgeht. Eine transkulturelle Beschreibung hingegen wäre es, hätte Grass die Gemeinsamkeiten dieser Musikschule mit herkömmlichen Musikschulen hervorgehoben, beispielsweise dass es hier wie da um professionelle Ausbildungssettings und eine Kompetenzweitergabe geht, dass also der Bildungswille der Eltern da ist, die ihren Kindern eine musikalische Alphabetisierung angedeihen lassen wollen. Auch könnte man den Prozess deutlich machen, in dem sich alle Teilnehmenden eines Konzerts, einer Musikschule o. ä. befinden – unabhängig davon, ob sie Roma oder Gadje sind. Dass die Präsentation ebenfalls die Besonderheiten des Projekts hervorhebt, ist ebenso wie bei dem Frankfurter Orchester ein Grundmerkmal und notwendige Begründung für die Existenz der Projekte. Die Musikschule will dabei nicht nur musikalische Fähigkeiten vermitteln, sondern

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auch einerseits empowernde, andererseits aufklärerische Bildungsziele verfolgen, was zum Repertoire des kompetenzorientierten Selbstbilds gehört. Der Wertschätzung des Projekts z. B. durch die Kooperation mit der Werkstatt der Kulturen und durch das finanzierende Bundesprogramm entimon - Gemeinsam gegen Gewalt und Rechtsextremismus steht eine weitgehend fehlende Lobby, d. h. fehlende Finanzierung im kulturellen Bereich gegenüber.

Zusammenfassung Die zweite Kategorie Kompetenzorientierung gibt über ein Phänomen Auskunft, das vermeintlich auf pädagogische Kontexte verweist, allerdings nicht nur diese beeinflusst: In einer ersten Perspektive im Sinne eines Empowerments war ein elementarer Bestandteil aller Projekte das professionelle Setting. Dadurch konnten Erfolgserlebnisse auf öffentlichen Bühnen und in einem von professionellen Strukturen begleiteten Rahmen (Technik, Ausstattung, aber auch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Wertschätzung und Anspruch) umgesetzt werden. Die Arbeitsweise aller unterrichtenden Dozentinnen orientierte sich an den von den teilnehmenden Kindern und Jugendlichen in das Projekt eingebrachten Fähigkeiten auf künstlerischer, sprachlicher und sozialer Ebene. Dies gilt in gleicher Weise für das jeweilige Selbstbild der Projekte (Broschüren, Homepages etc.), das bestärkend und selbstbewusst die Kompetenzen in den Mittelpunkt rückte. Für Teile der Projekte kann von einem Schutzraum-Konzept gesprochen werden, in dem sich weitere Fähigkeiten in einem geschützten Rahmen und ohne Angst ausbilden konnten, um diese im Anschluss kompetent der Öffentlichkeit präsentieren zu können. Die bereits in der Kategorie Sichtbarkeit angesprochene Repräsentation der eigenen Kultur zeigt sich auch in der Kategorie Kompetenzorientierung, hier allerdings anders konnotiert: Die präsentierten Kompetenzen definieren sich nicht, zumindest nicht ausschließlich, über die ethnische Zugehörigkeit (z. B. als interkultureller Zusammenschluss, Verein etc.), sondern über Fähigkeiten im musikalischen Bereich. Die Betonung von Spezifika weist denn auch (zumindest teilweise) in eine essentialisierende Richtung, die Dichotomien präsent macht. Da dies zum Teil einhergeht mit dem Ziel, das Andere selbstverständlich zu machen, verkehrt es sich in sein Gegenteil und trägt zu einer Form des Otherings bei. Gleiches schwingt dort unterschwellig mit, wo eine Defizitanalyse die Grundlage für die Auswahl von Teilnehmenden ist. Daran knüpft sich auch die Offenlegung struktureller Exklusionen: Wo (explizit) darauf hingewiesen wird, dass Exklusion stattfindet, wird gleichzeitig (und ungewollt) diese Zuschreibung reproduziert. Aus der Kategorie Kompetenzorientierung kann zunächst der Schluss gezogen werden, dass diese in dem ihr gegebenen Rahmen – und nicht nur pädagogisch – stattfindet und damit eine grundlegende Veränderung von Perspek-

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tiven und Strukturen von allen drei Projekten angestrebt wird. Die gewählte Form der Handlungsmacht ist aber nicht so stark, dass sie ein Auf brechen der darunter liegenden Dominanzstruktur, bezogen auf die sich als sehr wirkmächtig herausstellende Dichotomie eines Wir und Ihr, herausfordern würde. Die Projekte funktionieren innerhalb der von der Mehrheitsgesellschaft geprägten Strukturen (Vereins-, Musikschul-, Nationalstruktur sowie damit zusammenhängender Diskurse), die sie verändern, aber nicht grundsätzlich und radikal in Frage stellen wollen.

3. Z uschreibungen In allen drei Projekten spielten Zuschreibungen auf allen Ebenen und an verschiedene Adressaten immer wieder eine Rolle: Zuschreibungen von außen aber auch von innen, an einzelne Szenen und an das Projekt als Ganzes, an die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen sowie an die künstlerischen wie pädagogischen Dozentinnen und das Leitungsteam. Zunächst gilt es, diese Zuschreibungen nicht per se in eine positive oder negative Richtung einzuordnen – etwa insofern als Zuschreibungen, z. B. in Form von Stereotypen, eine zumeist einschränkende und fixierende und damit im Hinblick auf kulturelle Teilhabe eher eine negative Bedeutung annehmen. Es muss aber gleichwohl festgehalten werden, dass die signifikantesten Zuschreibungen in diese Richtung gehen; insbesondere in einer Weise, die sich mit der ethnischen Zugehörigkeit beschäftigen. Das ist nicht weiter verwunderlich, da die vorliegende Arbeit von Beginn diese Perspektive fokussierte und den Vergleichsrahmen ethnisch setzte. Inwieweit diese für die Untersuchung konstituierende Perspektive zu einem Dilemma führt, weil sie – entgegen der Zielsetzungen – selbst Zuschreibungen reproduziert, wird an verschiedenen Stellen diskutiert und ist Teil der Forschungsfrage. Dennoch muss darauf hingewiesen werden, dass zu Beginn der empirischen Untersuchung nicht abzusehen war, welchen Umfang der ethnische Aspekt einnehmen würde. In dieser Hinsicht ließen sich erst im Verlauf der Untersuchung verschiedene Varianten von Zuschreibungen festmachen, die alle ethnische Aspekte hervorhoben: Stereotype, Essentialisierungen sowie Kulturalisierungen.

3.1 Stereotype, Essentialisierungen und Kulturalisierungen Wie bereits im Exkurs über Stereotype im Kölner Projekt Heimat re-invented knapp ausgeführt, so sind diese zunächst einmal Kategorisierungen, die dem Menschen das alltagspraktische Handeln erleichtern. Durch Typisierung wird, nach Alfred Schütz, die Umwelt in Sinnschemata wahrgenommen, um sie zu reduzieren und damit zu strukturieren. Erst durch diese Vereinfachungen

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wird Orientierung, Identität und Handeln möglich. Stereotype sind auf diese Typisierungen auf bauende, die Komplexität reduzierende und dadurch schablonenartige, teils auch überspitzte oder falsch verallgemeinernde Vorstellungen von Eigenschaften und Verhaltensweisen bestimmter Personengruppen. Diese sind zunächst nicht zwingend negativ, es kann auch positive Stereotype geben, so wie z. B. den Roma häufig eine besondere Musikalität zugeschrieben wird. Stereotype werden für diese Arbeit verstanden als „sozial geteilte Überzeugungen“ (Six-Materna/Six 2000), d. h. Vorstellungen, Bilder und Assoziationen in Bezug auf eine Personengruppe, die nicht nur einem Individuum zugesprochen werden, sondern die auch im gesellschaftsöffentlichen Diskurs zu finden sind. Entscheidend für den vorliegenden Kontext ist nicht nur der bewertende Gehalt von Stereotypen, sondern dass Stereotype etwas zuschreiben, das sich als starr und relativ unveränderlich („Stereotype“ abgeleitet von griechisch „stereos“ – starr, hart, fest und „typos“ – feste Norm, charakteristisches Gepräge, vgl. Six-Materna/Six 2000) über Jahrhunderte halten kann – und damit determinierend für die stereotypisierte Gruppe etwa in Form von Stigmatisierungen sein kann.236 Für die meisten europäischen Länder gibt es beispielsweise zahlreiche sogenannte Ethnophaulismen, also abwertende Bezeichnungen für ethnische Gruppen und Völker. Parallel dazu gibt es aber ebenso positive Stereotypen. Für die Gruppe der Roma hingegen sind nur wenige positive Stereotype verbreitet, und wenn, dann sind sie häufig als romantisierend und exotisierend einzustufen. Als Teil der Kategorie Zuschreibungen sind Stereotype für die vorliegende Analyse zumeist als Fremdstereotypen etwa in Rezensionen und anderen Pressetexten zu finden. Es können aber auch Eigen- oder Autostereotype ins Spiel kommen, die für die Frage des Beitrags zur kulturellen Teilhabe ebenfalls eine Rolle spielen. Als eine weitere Zuschreibungsvariante werden Essentialisierungen begriffen. Zugrunde gelegt ist die Auffassung, dass Entitäten sowohl notwendige als auch kontingente Eigenschaften besitzen. Eine Gruppe zu essentialisieren bezieht sich auf den Vorgang, diese Gruppe auf bestimmte Eigenschaften zu reduzieren, den vermeintlichen Kern oder die Essenz, homogenisierend auf alle Mitglieder z. B. einer Ethnie zu übertragen. Damit ist Ethnizität keine kulturelle Identität, welche sich gemeinsam konstitutiert (Max Weber) und der kein dynamisches Konzept (wie etwa bei Stuart Hall) zugrunde liegt, sondern primordial und unveränderlich. Die Individuen einer Ethnie werden bei einer 236 | Publikationen mit einer Analyse zu den jahrhundertelangen antiziganistischen Vorurteilen finden sich z. B. bei Hund 1996, Wippermann 2000, End 2014. Insbesondere die Darstellungen von Bogdal zur Erfindung der „Zigeuner“ als „Kehrseite der Selbsterschaffung des europäischen Kultursubjekts“ (Bogdal 2011: 14) sind für den vorliegenden Kontext von großem Interesse; zu Vorurteilen und Diskriminierungen speziell von Roma-Musikern, vgl. Stoffers (2006: 44 ff.).

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ethnischen Essentialisierung auf die typisierten Zuschreibungen reduziert und auf diese festgeschrieben. Ähnlich wie bei Stereotypen sind diese meistens Fremdbeschreibungen. Möglich sind auch Selbst-Essentialisierungen, z. B. wenn diese Zuschreibungen in Dienst genommen werden, etwa im Kontext von Dienstleistungen. Ähnlich wie die Essentialisierung ist die Kulturalisierung ein Vorgang, bei dem Kultur als die zentrale Erklärung für individuelle Handlungen, Einstellungen, Eigenschaften und Verhaltensweisen herangezogen wird; dabei wird Kultur meist verstanden und festgeschrieben als klar abgrenzbare ethnische Kultur. Individuen werden ausschließlich auf ihre Ethnizität, ihre Zugehörigkeit zu einer Ethnie reduziert, weil andere Zugehörigkeiten ebenso wie Erklärungsmodi untergeordnet werden oder gar keine Rolle spielen: Kultur wird in der Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse zur „determinierende[n] Erklärung“ (Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e. V., Begriff „Kulturalisierung“). Insbesondere Fragen zur sozialen Ungleichheit werden durch Kulturalisierungen zu ausschließlich kulturellen Fragen erklärt und es gibt nur noch dieses eine Erklärungsmuster: Die Kultur ist für alles verantwortlich. So werden soziale Ungleichheiten als kulturelle Ungleichheiten bzw. Differenzen verfestigt (Seefranz 2012: 293). Im Vergleich der drei Projekte konnte fortlaufend festgestellt werden, dass der beständige Bezug und die Argumentation zur Roma-Kultur ein konstitutives Element aller Projekte war und immer wieder gestärkt wurde. Damit einhergehend stellt sich im Verlauf der Analyse immer wieder die Frage, inwieweit Zuschreibungen als Stereotype, Essentialisierungen und Kulturalisierungen stattfanden und inwiefern diese zu Empowerment und Othering beitrugen.

3.2 Der Umgang mit Zuschreibungen in den Projekten Im Folgenden wird der Vergleich der drei Projekte nicht wie in den zwei Kategorien zuvor einzeln und nacheinander in der Unterstruktur Titel und Rahmen, Auswahl sowie Selbst- und Fremdbild verglichen, sondern die Projekte werden bezogen auf die Kategorie Zuschreibungen in ihren verschiedenen Ausformungen zusammenfassend diskutiert. Dies erscheint sinnvoll, weil sich durch die Vorstellungen in den vorangegangenen Kategorien im Folgenden Redundanzen ergeben hätten, die in einer zusammenfassenden Darstellung vermieden werden können. Heimat re-invented, Köln Das Kölner Projekt war durch die Einbindung in das Festival und dessen Motto Heimat – heimatlos geradezu herausfordert, etwas zu gestalten, was im Sinne von Heimatsuche eine ethnisch verstandene Kulturperspektive mit sich brachte. In erster Linie entschied sich jedoch über die künstlerische Arbeitsweise

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der Dozenten, wie, mit welchem Material und mit welchem Reflexionsgrad die Kinder und Jugendlichen das Heimatthema des Festivals bearbeiteten. Die Musikdozentin intendierte, wie detailliert dargelegt, ein stolzes Zeigen im Sinne einer Sichtbarkeit und Kompetenzorientierung, das aufzeigt, wie reich die Roma-(Musik-)Kultur ist. Folgerichtig fand aus ihrer Perspektive ein selbstbewusster Umgang mit Traditionen statt, der an real gemachte Erfahrungen anknüpft und nicht eine Reproduktion von Zuschreibungen ist. Daher vertritt sie auch die Meinung, dass Musiker die Erwartungen und Klischees des Publikums bedienen könnten, wenn nur die Zuschreibungen positiv seien. Eine Indienstnahme von positiven Stereotypen kann sich für sie folglich als sinnvoll herausstellen, wenn diese dem Ziel dienlich sind (vgl. Kapitel Teil IV/A./8. zum Umgang mit Stereotypen). Gleichzeitig jedoch zeigen die Analysen (Dramaturgie, Kostüme, Auswahl des Repertoires und der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen auf der Bühne sowie Arbeitsweise) in der Gesamtschau ein Bild, das erst in der Summe dieser einzelnen Elemente zu einem stereotypen Bild wurde und damit als Essentialisierung gelesen werden kann. Durch das Ineinandergreifen von (positiven) Stereotypen, Selbst-Essentialisierungen und Kulturalisierungen zeigt sich nicht mehr nur Typisches, sondern dieses Typische wird nicht variiert und knüpft damit an jahrhundertealte und starre Vorurteile gegenüber Roma an: einerseits an die Romantisierung und Exotisierung bei andererseits starker Stigmatisierung und Diskriminierung. Diese ambivalente Spannung gegenüber dem Fremden ist als Wirkmechanismus von faszinosum und tremendum, als Faszination und Verachtung, in der Fremdheits- und Stereotypenforschung sowohl allgemein wie auch bezogen auf Roma einschlägig bekannt und wird bei dem Kölner Projekt z. B. im Selbst- und Fremdbild sichtbar (vgl. zu diesem Wirkmechanismus Hölz 2002, Stoffers 2006, Bogdal 2011) Eine Kulturalisierung findet dort statt, wo die Zuschreibungen direkt an z. B. als sozial schwierig eingestufte Stadtteile gebunden werden und eine Verschiebung von sozialen Merkmalen auf kulturelle Merkmale von Bevölkerungsgruppen wie z. B. denjenigen mit Migrationshintergrund entsteht. Philharmonischer Verein der Sinti und Roma, Frankfurt/Main Das Frankfurter Projekt sucht mit seiner ethnischen Rahmung die Anbindung an diese Dimension. Allerdings wird die Auseinandersetzung mit Zuschreibungen nicht an erster Stelle geführt. Es findet aber beispielweise als Strategie der kulturellen Verträglichkeit eine bewusste Indienstnahme von Stereotypen über die Auswahl des Repertoires statt und es bleiben bestimmte, als für Roma-Musik typisch markierte Stücke wie diejenigen von Liszt und Sarasate konstant im Konzertprogramm. Dies kann als ein selbstbewusster Umgang mit dem Repertoire gesehen werden, da im Verlauf der Konzertprogramme jeweils eine neue Dramaturgie mit neuen Stücken, teils als Uraufführung, gesetzt wird.

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Damit wird eine Reproduktion des immer gleichen Bilds gebrochen; zumindest wird dies ersichtlich, wenn man die Programme über einen längeren Zeitraum untersucht und nicht nur ein einziges Konzert besucht. Diese Zusammenstellung und damit neue Mischung des Repertoires kann als Merkmal des Orchesters gelten. Mit seinen Konzerten will der Verein eine Vorbildrolle einnehmen und Aufklärungs- sowie Bildungsarbeit leisten. Darin sowie in der Analyse des Fremdbilds formuliert sich indirekt der Anspruch, mithilfe der Musik auch ein politisches Ziel zu verfolgen, d. h. durch Wissen Stereotypen entgegenzuwirken. Im Fremdbild wird diese politische Mission mitunter vor die musikalische gestellt, teils wird sie auch schlicht konterkariert, z. B. indem das Orchester als Exot in den Konzerthäusern der Hochkultur bezeichnet wird. Damit werden Stereotype reproduziert. Das gleiche gilt allerdings, auch wenn es versteckter passiert, z. B. durch das erstaunte Benennen der Musiker als Profimusiker. Durch die Betonung des Selbstverständlichen wird das Selbstverständliche in sein Gegenteil verkehrt und zum Othering: Die Roma-Musiker bleiben trotz vermeintlicher Normalität die Anderen. Zum Teil wird dieses Bild unterstützt von selbst-essentialisierenden Argumenten des Dirigenten oder anderer Musiker: Eine klar dichotome Darstellung von Minderheit und Mehrheit wird skizziert, in der Zuschreibungen allenthalben zur Argumentationslogik dazugehören. Damit ist ein Faktum, möglicherweise auch ein Dilemma beschrieben, das aus der ureigenen Beschäftigung mit dem Verhältnis von Eigen und Fremd herrührt und im Verlauf der Arbeit immer wieder hervortritt: Die (selbstbewusste) Verortung einer eigenen Kultur geht einher mit der Abgrenzung von anderen Kulturen und markiert eine Grenze, die das Anders-Sein, das Besondere betont. Der Dirigent Sahiti vertritt und formuliert einerseits die ethnische Besonderheit des Orchesters ganz explizit, andererseits ist er ebenso explizit in seiner Betonung, dass die Konzerte und auch das Orchester offen für alle Menschen sind. Das Orchester stellt sich damit einer Kulturalisierung entgegen, indem es durch seinen Bildungsauftrag aufzeigen will, dass soziale Probleme nicht direkt auf eine Kultur übertragen werden könnten, sondern dies meist mit fehlenden finanziellen und sozialen Ressourcen in Verbindung gebracht werde müsse. Zukunftsmusik, Berlin Auch die Berliner Musikschule setzt sich von Beginn an und konzeptionell mit Zuschreibungen auseinander und will dezidiert Aufklärung leisten: Die Initiative fühlt sich zwar dem musikalischen Erbe verpflichtet, will ihm aber „jenseits von Fixierungen auf Traditionen und Klischees“ (Broschüre 2: 1) neuen Ausdruck verleihen. Das Projekt wolle Klischees entgegensteuern und – ebenso wie das Frankfurter Orchester zeigen –, dass Roma nicht nur in der U-Bahn Musik spielen, sondern auch auf Konzertbühnen. Die Musikschule setzt ganz

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bewusst auf die Entwicklung einer musikalischen Bühnenpräsenz und darauf, den Schülern vielfältige Konzerterfahrungen zu ermöglichen. Durch die Ausbildung an der Musikschule kann – so die Hoffnung und das Ziel – das „unaufgeklärte Außenbild der Minderheit“ (ebd.) durchbrochen und Stereotypen etwas entgegengesetzt werden. Durch die sehr große Bandbreite des Repertoires spielten Klischees keine große Rolle. Wenn der Lehrer Jovanović bestätigt, was auch die Kölner Musikdozentin Burakowska zu positiven Klischees ansprach, so bezieht er sich auf ein Profi-Ensemble, in dem er mitspielt: Das Publikum will und erwarte die Indienstnahme von Klischees und diese werden von der Band erfüllt. Er spricht aber nicht nur den Dienstleistungsaspekt an, sondern verweist zusätzlich auf einen gänzlich anderen Aspekt: Dass es nämlich sehr viel Spaß mache, diese Musik zu spielen. Die Freude am Spielen wird hier als Motivation, durchaus auch als Rechtfertigung genutzt, mit der die Reproduktion von Klischees in Kauf genommen wird. Vielleicht geht es ihm auch darum, dass man das Publikum nicht unterschätzen sollte, genau dies zu verstehen? Die Frage, ob die Indienstnahme positiver Klischees und Stereotype künstlerisch legitim sei oder nicht, wird unterschiedlich beurteilt und gehandhabt: Einige der in den Projekten involvierten Roma beziehen die Position, dass dies nicht nur eine künstlerische Haltung sei, sondern vor allem mit dem Dienstleistungsaspekt von Künstlern generell zu tun habe und damit die Frage nach Abhängigkeit und Unabhängigkeit von Auftraggebern und Konsumenten generell aufgerufen werde.237 Wenn sich eigene Erfahrungen in von anderen als klischeehafte Bilder empfundenen Darstellungen wiederfinden, die als wahr empfunden werden, dann sind dies für diese Person keine Stereotype. Der Umgang mit den Bildern kann als ein selbstbewusster Umgang mit den entsprechenden Zuschreibungen – von außen! – betrachtet werden. Allerdings, so könnte man zusammenfassend sagen, wäre dann eine weitere Differenzierung notwendig: In Musik, die für ein Publikum gespielt wird als gezeigte Kultur und solche, die vornehmlich für sich selbst gespielt wird – als gelebte Kultur (vgl. Jacobs 2014: 96 f.). Von Bedeutung sind in jedem Fall die Stärke der stereotypen Darstellung sowie der jeweilige Kontext: Denn ob sich positive Klischees als die andere Seite der Medaille zu negativen Stereotypen verhalten und ob sie damit Essentialisierungen Vorschub leisten oder nicht, muss im Einzelfall durch Differenzierung und Kontextualisierung geklärt werden.

237 | Dieser Aspekt wird auch von Lauenberger ausgeführt: „Wir haben zum Schluss [des heutigen Konzerts] einen Csárdás gespielt. Ich bin gar kein Csárdás-Fan und ich will auch gar keinen Csárdás spielen, aber wir wissen, dass die Leute das hören wollen. Und dann spielen wir das und die Leute gehen los! Und dann behält man es drin [im Programm].“ (JL 2_033: 8).

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Zusammenfassung Als dritte Kategorie wurden verschiedene Aspekte wie Stereotype, Klischees, Essentialisierungen und Kulturalisierungen untersucht, die unter dem Phänomen Zuschreibungen subsummiert und näher beleuchtet wurden, um einen weiteren Baustein zur Entfaltung einer die Forschungsfrage erklärenden Theorie zu entwickeln. Es konnte herausgearbeitet werden, dass der selbstbewusste Umgang mit Stereotypen und Klischees, als eine Form von Zuschreibungen, mit der damit einhergehenden Sichtbarkeit als ein Modus von Empowerment betrachtet werden kann. Mithilfe von Stereotypen kann Aufklärungsarbeit geleistet werden, wenn diese aufgebrochen und das Vorgehen aufgezeigt wird. Wenn die Musikdozentin ihre Arbeitsweise auf eigene Erfahrungen gründet und selbstbewusst Traditionen präsentiert, dann rekurriert sie nicht auf Zuschreibungen von außen, sondern will Wissen vermitteln. Mit dieser Indienstnahme positiver Klischees werden freilich gleichzeitig Stereotype reproduziert – auch wenn sie mit dem Ziel der Aufklärung und des Empowerments verwendet werden. Ob dies eher zu einem Empowerment oder eher zu einem Othering beiträgt, ist kontextabhängig (z. B. vom Publikum). Sie beinhalten – bei allem augenzwinkernden Selbstbewusstsein  – die Gefahr einer vereinfachenden Generalisierung. Gerade durch die verschiedenen Formen von Zuschreibungen zeigt sich, dass diese ineinandergreifen und sich dadurch verstärken können als starre, vereinfachende und homogenisierende Bilder. Durch Essentialisierungen und Kulturalisierungen von Nicht-Roma sowie Selbst-Essentialisierungen von Roma selber ergibt sich, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile (Aristoteles) – als eine pädagogisch-künstlerisch ermöglichte Form238 des Otherings.

4. M usik als M it tel zum Z weck ? Die folgende und letzte Kategorie Musik als Mittel zum Zweck? nimmt die Aushandlungsprozesse zwischen einerseits ästhetisch-künstlerischen und andererseits sozialen und politischen Zielsetzungen in den Blick: Wird Kunst in den Projekten als Mittel zum Zweck begriffen, quasi als sozialpädagogische Integrationsmaßnahme, die Ungerechtigkeiten auszugleichen sucht und Benachteiligten zu mehr kultureller Teilhabe verhilft? Oder verstehen sich die Projekte als in erster Linie künstlerische Projekte, deren Nebeneffekt darin besteht, dass sie auch eine soziale und politische Dimension haben? Die Projekte in Köln, Frankfurt/Main und Berlin arbeiten und bewegen sich in unter238 | In Anlehnung an Mecheril, vgl. ausführlich dazu das Kapitel zur Schlüsselkategorie V/5.

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schiedlichen (Diskurs-)Feldern und damit in verschiedenen Logiken. Ob sie dies aber so verhandeln oder ob damit ein künstlicher Gegensatz aufgebaut wird, wird ebenso zu sehen sein, wie die Handhabungen und Haltungen dazu. In den Konzepten aller drei Projekte ist die Zielsetzung der Integration, Inklusion oder Teilhabe ein Bestandteil; die vierte Kategorie Musik als Mittel zum Zweck? knüpft damit an das Fragezeichen im Titel der Arbeit an und nimmt darauf direkt Bezug. Die Projekte sollen als „Brücke“ (Berlin) fungieren, ausgegrenzte Kinder und Jugendliche „wieder in die Mitte unserer Gesellschaft zurückholen“ (Köln) sowie „Klischees bekämpfen“ (Frankfurt/Main). Damit werden Fragen danach verbunden, was ein künstlerisches Projekt leisten kann, und es werden Wirkungsversprechen aufgerufen: Teilhabe soll – so die Hoffnung (und Forderung?!) – soziale Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten verringern und abschwächen. Die Kategorie erscheint notwendig, weil in den Projekten teils unbewusst, teils stärker strukturiert eine Unterscheidung in sozial versus künstlerisch getroffen wird und sie auch Teil eines virulenten (Qualitäts-)Diskurses ist, insofern als dass damit z. B. die Argumentationslogik von Förderstrukturen in Zusammenhang steht. Durch die Analyse der drei Projekte konnte festgestellt werden, wie die Akteure innerhalb dieses Diskurses agieren und interagieren, welche Positionen und Aussagen aus ihrem Handeln und Auftreten, aus den Materialien und Präsentationen sich dazu finden lassen. Dazu wird im Folgenden wie bereits in der dritten Kategorie Zuschreibungen jeweils eine Zusammenfassung pro Projekt gegeben. Zunächst wird knapp skizziert, was unter der Kategorie Musik als Mittel zum Zweck? verstanden wird. Im Prinzip knüpft die Debatte an den Grundsatz der Autonomie der Kunst, festgehalten im deutschen Grundgesetz, an: „Kunst […] [ist] frei“ (Grundgesetz, Artikel 5, Absatz 3). Damit sollte vor dem Hintergrund des Missbrauchs der Kunst für ideologische Zwecke im nationalsozialistischen Deutschland verhindert werden, dass die Kunst an sich instrumentalisiert werden könne für politische Ziele. Der Selbstzweck der Kunst soll gewährleistet sein und einer „zweckrationalen Verwertbarkeit“ (Fink et al. 2012: 12) entgegenwirken. In der aktuellen Debatte um Legitimationen von Kunst und Kultur, beispielsweise in den internationalen Zusammenhängen der UNESCO (vgl. Roadmap for Arts Education) ist dies eine unter vielen Argumentations- und Legitimationslinien (vgl. Winner et al. 2013, Reinwand-Weiss/ Stoffers 2015). Inwiefern damit ein normativ gesetztes, im Kern bildungsbürgerliches Kulturverständnis gestützt wird, das als Distinktionsmerkmal fungieren soll, wird zu sehen sein. In jedem Fall gilt es, diese Legitimationen auch als Ausdruck von Machtstrukturen kritisch zu beleuchten.

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Heimat re-invented, Köln Das Konzept von Heimat re-invented lässt sich als kultur- und sozialpädagogisch orientiert analysieren, denn es verfolgt die Zielsetzung der Stärkung der Kinder und Jugendlichen, indem soziale Kompetenzen aufgebaut und die Eigenverantwortlichkeit gestärkt werden sollen; diese Zielsetzungen sind auch Elemente der Grundprinzipien kultureller Bildung. Als weiteres Hauptziel wird aufgrund einer vorgenommenen Defizitanalyse die Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung mittels Inklusion und gelebter Partizipation benannt, was ebenfalls als sozialpädagogische Ausrichtung gelten kann. Bei dem Projekt zeigen sich durch die Beteiligung verschiedener Kooperationspartner sehr deutlich die unterschiedlichen Sichtweisen und Erwartungen auf und an das Projekt. So konnte gezeigt werden, dass zur Frage, für welche der beteiligten Schüler das Projekt sei und wer ausgewählt wurde, z. B. Soli zu singen oder etwas anspruchsvollere Choreografien zu tanzen, unterschiedliche Meinungen herrschten: Die Positionen bewegten sich zwischen einerseits dem Standpunkt, Talente zu entdecken und Schülerinnen zu fördern, die diszipliniert und ehrgeizig sowie mit wenig Störpotential mitmachten und andererseits dem Standpunkt, dass besonders schwierigen und störauffälligen Schülern das Projekt dahingehend zugutekommen sollte, dass sie durch eine neuentdeckte Freude am Projekt diese auf die Schule und damit ihre Lernmotivation transferieren sollten. Dies hat teilweise, aber nicht ausschließlich etwas zu tun mit den unterschiedlichen Professionen der unterrichtenden Dozentinnen des Kooperationspartners Jugendkunstschule sowie den begleitenden Schulsozialpädagoginnen. Diese unterschiedlichen Positionen zwischen sozialpädagogischen und künstlerischen Zielsetzungen changierten zwar und lagen teils konträr zueinander, dennoch war für alle beteiligten Dozenten und Pädagoginnen der integrative Aspekt dieser Schülerinnen eine klare Bezugsgröße. Durch den Status als Projekt, das zwar, zumindest für die Proben, die Räumlichkeiten der Schule nutzt, sich aber gleichwohl außerhalb des schulischen Rahmens bewegt, wird der außergewöhnliche und damit einhergehende Eventcharakter und die Hoffnung eines diffusen Wirkungsversprechens noch bestärkt. Das Projekt wird damit als ein Mittel zum Zweck begriffen, das vor allem sozialpädagogische Ziele in den Blick nimmt. Dies gilt nicht nur für die Sozialpädagoginnen, sondern zeigt sich auch in der Befragung aller Dozentinnen durch die Jugendkunstschule, die insbesondere die Einschätzungen nach Prägung, Wirkung und Nachhaltigkeit abfragte. Ein weiterer wichtiger Bestandteil wird im Kölner Projekt offenkundig: das normative Verständnis bildungsbürgerlicher Hochkultur, das beispielsweise mittels der gewählten Rahmen, hier: des Kooperationspartners Philharmonie, aber ebenso in der Haltung und Arbeitsweise einiger Dozenten zum Ausdruck kommt. Von einigen Dozenten wird in Anschlag gebracht, dass die Kinder und Jugendlichen einen bildungsbürgerlichen Bildungs- und Kulturkanon  – d. h.

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eine Oper Mozarts als Ausdruck klassischer Musik – kennenlernen sollen, weil es als sinnvoll und gut und als ein Mittel zum Zweck für die Vermittlung hochkultureller Bildung angesehen wird. In der Umsetzung wurden allerdings einige Entscheidungen stärker zugunsten ästhetisch-künstlerischer Argumente als bezogen auf sozialpädagogische Zielsetzungen getroffen (z. B. bei den Besetzungen von Soli und Choreografien). Insbesondere die „Roma-Szene“ wurde nicht so umgesetzt wie konzeptionell angedacht, sodass gerade in dieser Szene das Ergebnis der integrativen Proben nicht auf der Bühne umgesetzt werden konnte. Betrachtet man den Verlauf vom Konzept über die Proben bis hin zur Umsetzung, so zeigt sich, dass das Projekt geradezu überfrachtet war mit hoch gesteckten Zielsetzungen, Erwartungen und Hoffnungen. Es sollte hohe Ansprüche erfüllen in sowohl künstlerischer als auch in sozialer Hinsicht. Durch diese starke Mehrfachorientierung war die Musik (bzw. waren die Künste) sowohl Selbstzweck als auch Mittel zum Zweck – mit der schwierigen Situation, dass die Orientierung des Projekts mal zur einen Seite, mal zur anderen Seite schlingerte, sodass die Zielsetzung immer weniger deutlich wurde. Damit ist das Kölner Projekt ein Beispiel für eine unklare Verortung, das verschiedene Seiten bedient, damit Ambivalenzen und Widersprüche hervorruft und sich dadurch die angestrebten Ziele in ihr Gegenteil zu verkehren drohen. Philharmonischer Verein der Sinti und Roma, Frankfurt/Main Das Orchester in Frankfurt/Main ist sowohl ein musikalisches als auch ein politisches Projekt: Es bringt Profimusiker zusammen, die sich für eine Reihe von Konzerten als Orchester zusammenfinden, das mit seiner ethnischen Dimension eine Spezifik enthält, die wiederum eine soziale und politische Zielsetzung beinhaltet. Das Orchester dient als Mittel zum Zweck, um eine stolze Selbstbehauptung öffentlich zu machen, damit Stereotypen zu widersprechen und andere Bilder aufzuzeigen, um „mit pädagogischer Kultur bessere Menschen zu werden“ (RMS 193: 1). Mithilfe der Musik in Form des Orchesters sollen Ausgrenzung überwunden und eine Integration gefördert werden; die sozialpädagogischen Ansätze samt den Wirkungsversprechen sind offenkundig. Auch im Fremdbild wird diese „Mission“ (Opernnetz 2015) vielfach betont und das Orchester wird als ein „Musikalischer Botschafter“ (PM Wetteraukreis, 2008) gerühmt – und ebenfalls teilweise exotisiert. Bei tiefergehender Analyse stellt sich heraus, dass die Verortung, die vor allem mit der Person des Dirigenten Riccardo M Sahiti zusammenhängt, zwar auch, und insbesondere im Fremdbild, stark unterstrichen wird, aber die Orientierung in erster Linie der Musik als Selbstzweck gilt. Sahiti hat den Verein nicht gegründet, weil es eines interkulturellen Ortes bedarf, an dem auch musiziert wird, er ist nicht Musiker, weil er Roma ist, sondern genau umgekehrt: Weil er die Musik liebt, hat er das Orchester gegründet; es ist die

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Beiläufigkeit der ethnischen Dimension, die konstitutiv ist, sodass beides unweigerlich zusammen wahrgenommen wird. Zukunftsmusik, Berlin Zu einem anderen Ergebnis führt die Analyse der Berliner Musikschule. Eine Defizitanalyse der Situation von in Berlin lebenden und vor dem Krieg in Ex-Jugoslawien in den 1990er-Jahren geflüchteten Roma sowie die Besonderheiten der familiären musikalischen Früherziehung in Roma-Familien führte zur Begründung, warum es eine spezielle Musikschule in Abgrenzung zu anderen Musikschulen geben sollte. Das Projekt verstand sich von Beginn an nicht nur als musikalisches Projekt, sondern auch als Anlaufstelle für soziale Probleme. Für die Kooperationspartnerin Rosenberg sollten die Kinder und Jugendlichen über Musik an Bildung herangeführt werden – das Projekt war eine Brücke und hatte eine Scharnierfunktion zu fest verankerten Kooperationspartnern inne: Musik war ein Mittel zur Integration, und dies auch innerhalb der Minderheit selber, d. h. zwischen den Alteingesessenen (meist Sinti) und den neu Hinzugekommenen (meist Roma) (vgl. Chițu und Jovanović 2_028: 3). Die schwierige Suche nach Förderung war mit der politischen Zielsetzung erfolgreich, denn das Projekt warb Gelder über ein Programm zur antirassistischen Arbeit ein; von einer Förderung über Gelder aus Kulturetats konnte keine Unterstützung gewonnen werden. Hierin zeigt sich die fehlende Wahrnehmung, Anerkennung und Lobby im Kulturbetrieb und aufseiten der institutionellen Förderung  – Ausdruck für eine Form des Otherings, da die Musikschule  – wie auch ähnlich beim Frankfurter Orchester  – in erster Linie als interkultureller Akteur wahrgenommen wird und so auch nur darüber Unterstützung erhält. Das Berliner Projekt lässt sich insgesamt als eines verorten, das sich der Aufklärung und dem Bildungsdiskurs verschrieben hat und das Integration als erstes Ziel setzt. Die musikalischen Zielsetzungen sind Grundlage des Projekts, erscheinen aber in der Gesamtschau und im Vergleich zu den anderen Projekten etwas nachgeordneter.

4.1 Haltungen in drei Variationen Die Projekte stehen als Beispiele für drei unterschiedliche Handhabungen und Haltungen: • Heimat re-invented, Köln: Unentschlossene Haltung und Pendeln zwischen Musik als Selbstzweck und Musik als Mittel zum Zweck; teilweise Gegensatz zwischen sozialen und künstlerischen Zielen

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• Philharmonischer Verein der Sinti und Roma, Frankfurt/Main: Klare Haltung Musik als Selbstzweck; kein Gegensatz zwischen sozialen und künstlerischen Zielen • Zukunftsmusik, Berlin: Klare Haltung Musik als Mittel zum Zweck; kein Gegensatz zwischen sozialen und künstlerischen Zielen Bei den Projekten in Frankfurt/Main und Berlin wird deutlich, dass die vermeintlich gegensätzlichen Felder und Diskurse zusammengehören und das explizite Ziel formuliert wird, die Öffentlichkeit aufzuklären. Diese Repräsentation im Sinne von sowohl Selbstdarstellung (Präsentation) als auch (Eigen-) Vertretung (Repräsentation) kann als Baustein zu einem Empowerment gelesen werden. Bei diesen beiden Projekten wird ebenfalls deutlich, dass die wenige bzw. verweigerte Anerkennung als künstlerisch wahrgenommenes Projekt systemtheoretisch und institutionell eine Form der Ausgrenzung darstellt: Sie dürfen sich als interkulturelle Akteure sichtbar zeigen, als in erster Linie kulturelle Akteure wird ihnen allerdings keine bis wenig finanzielle Unterstützung zuteil. Für das Kölner Projekt kann festgehalten werden, dass sich durch die unklare Verortung und die ausschließliche Markierung als Ethnie das Ziel der transkulturellen Inklusion aller beteiligten Kinder und Jugendlichen nicht erfüllt, sondern in sein Gegenteil verkehrt wird: Die Roma sind zwar im Projekt sozial inkludiert, aber kulturell exkludiert. Dazu tragen das Schwanken, die Überfrachtung und die unklare Linie zwischen Selbstzweck und Mittel zum Zweck bei. In den verschiedenen Handhabungen der Projekte spielen unterschiedliche Legitimationen eine Rolle: Durch die Hervorhebung der Bedürftigkeit und mit dem Aufrufen sozialpädagogischer Ziele werden Roma (teilweise) als Andere in einer paternalistischen, unterlegenen Position in einem hierarchischen Gefüge konstruiert. Über die Hierarchisierung gesellschaftlicher Gruppen erfolgt eine strukturelle Exklusion, mit der wiederum argumentiert wird, dass diese Ausgrenzung und Ungleichheit überwunden werden müsse; beispielsweise mit Projekten zur kulturellen Teilhabe. Aber ist ein Minimum an Teilhabe nicht bereits eine raffinierte Form der Exklusion und zugleich eine Erweiterung des Aufgaben- und Arbeitsfeldes von privilegierteren gesellschaftlichen Gruppen, wie Vogt im Rückgriff auf Bartelheimer bemerkt (Vogt 2013: 487, Bartelheimer 2007: 18)? Die Anderen dürfen bzw. müssen am mehrheitsgesellschaftlichen System teilhaben (Kulturbetrieb, Förderstruktur, Wettbewerbe) – deutlich wird damit die machterhaltende Funktion von Legitimationen sowie im Kern die Legitimationsfigur von Kultur als Distinktionsmerkmal. Werden zuvorderst künstlerische Ziele ausschließlich zum Selbstzweck, kann wiederum außer Acht gelassen werden, dass es unterschiedliche und ungleiche Zugangsvoraussetzungen gibt  – dass künstlerische Bildung voraussetzungsvoll

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ist (Josties 2013: 356). Und das wiederum tritt deutlicher hervor, wenn die den Diskurs inkorporierten Machtstrukturen analysiert werden, wie es mittels des Spannungsfeldes Empowerment und Othering unternommen wird.

5. S chlüsselk ategorie : D as S pannungsfeld von E mpowerment und O thering Im Anschluss an die Darlegung der Kategorien wird nun die Schlüsselkategorie vorgestellt, die die analysierten Teilergebnisse in verdichteter Form zusammenfasst. Sie nimmt diese auf, setzt sie miteinander in Beziehung und hebt als „plausible[s] Zusammenhangsmodell“ (Strübing 2013: 126) die Auswertung auf die nächste Abstraktionsebene. Strauss und Corbin beschreiben diesen zentralen Schritt der Grounded Theory damit, einen klaren roten Faden der Geschichte „zu erstellen und diesen in eine analytische Geschichte zu übersetzen“ (Strauss/Corbin 1996: 117). Auf den ersten Blick wirken die vier einzelnen Kategorien im Verhältnis zueinander asymmetrisch, verkreuzt oder zumindest ambivalent. Sie erscheinen so, können aber im Spannungsfeld integriert das Dilemma aufzeigen, das die Widersprüchlichkeit des Ergebnisbefunds erklärt. Denn die untersuchten Projekte oszillieren zwischen einerseits dem Empowerment als selbtbehauptende und eigenmächtige Handlung und andererseits dem Othering als marginalisierendem und zuschreibendem Vorgang. Diese Grundspannung kann als ein Kontinuum beschrieben werden, das durch diese zwei Pole charakterisiert wird. Freilich finden sich zwischen den Ausformungen in ihren Extremen Zwischenabstufungen. Dabei zeigt das Spannungsfeld vermeintliche Widersprüche auf, z. B. indem die Kategorie Sichtbarkeit zu Empowerment beiträgt, in Maßen aber auch zum Othering; gleiches gilt für die Kategorie Kompetenzorientierung. Wenngleich die Kategorie Zuschreibungen offensichtlich stärker zum Othering beiträgt, so finden sich darunter auch Aspekte, die dem Empowerment zugerechnet werden können etc. Die zentralen Begrifflichkeiten des Spannungsfeldes – Empowerment und Othering – werden für ihre Verwendung zunächst definiert. Dies erfolgt erst an dieser Stelle innerhalb der Schlüsselkategorie, da beide Begriffe erst im Verlauf des Forschungsprozesses als wesentliche Elemente des Spannungsfeldes auftauchten und zunehmend an Bedeutung gewannen. Eine in der Arbeit an früherer Stelle vorgenommene Darlegung, etwa innerhalb der theoretischen Grundlagen, hätte womöglich den Eindruck vermittelt, dass die Bestandteile des Spannungsfeldes im Vorhinein, also vor der empirischen Untersuchung, festgestanden hätten und auf sie zu geforscht worden wäre. Da dies aber dem induktiven Verfahren der Grounded Theorie widerspricht, weil nicht mit aus der Theorie abgeleiteten Hypothesen ins Feld gegangen wurde, so kann erst

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an dieser Stelle eine Erläuterung zum Spannungsfeld – und folglich auch zu seinen zentralen Begriffen – erfolgen. Die beiden Begriffe Empowerment und Othering entstammen Diskursen um Emanzipation von (Fremd-)Herrschaft- und Ohnmachtsverhältnissen: In beiden Fällen geht es um Macht, wer diese hat und wie bzw. wozu sie eingesetzt wird, sowie um Hierarchien zwischen verschiedenen Gruppen. Beide Begriffe sind geprägt von ihrer politischen Dimension und Tragweite, die Veränderungen des Status Quo, d. h. der Machtverhältnisse, anstreben. Eine historische Einordnung führt bei Empowerment zu neueren sozialen Bewegungen in den USA, vor allem zur Schwarzen Bürgerrechtsbewegung, aber auch zum Feminismus, zu Selbsthilfe- und Nachbarschaftsbewegungen wie der Gemeindepsychologie (Herriger 1997: 18 ff.); sie werden in der Folge von den Disziplinen der Psychologie, der Betriebswirtschaft und der Sozialen Arbeit aufgegriffen (ebd. 1997: 217). Das Konzept des Othering entstammt postkolonialen Theorien (Gayatri Chakravorty Spivak und Edward Said), durch deren Analysen koloniale Herrschaftszeugnisse und ihre Zuschreibungen auf Kolonialisierte aufgezeigt werden konnten. Sie deckten auf, dass mithilfe der Konstruktion der Anderen ein Selbstbild entworfen wurde, das Herrschaftsverhältnisse legitimierte und stabilisierte. Rezipiert werden diese Theorien in den wissenschaftlichen Diskursen in Deutschland deutlich später als im angloamerikanischen Wissenschaftsraum, was zumeist damit erklärt wurde, dass Deutschland keine Kolonialmacht gewesen sei.239 Die postkoloniale Theorie untersucht nicht nur direkte Verbindungen zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten, sondern auch kolonialistische Diskurse und die Produktion epistemischer Gewalt (Castro Varela/Dhawan 2005: 8) und damit alle Beteiligten sowie Bereiche der Wissensproduktion des Westens. Die Auseinandersetzung mit dem Konzept Othering bietet eine Analyse, mit der Zuschreibungen in Bezug auf Machtverhältnisse untersucht werden können. In den Diskurs der kulturellen Bildung wird das Konzept allerdings erst in den letzten Jahren hineingetragen und zwar jeweils von Wissenschaftlerinnen, die interdisziplinär bzw. mindestens in noch einem anderen Wissenschaftszweig arbeiten (vgl. z. B. Mecheril 2013, Trunk 2011, Gaupp 2012, Stoffers 2015, Josties 2015, Kolland 2015). Beispielsweise hat Lisa Gaupp in ihrer ebenfalls interdisziplinären musikethnografischen Feldforschung zur Verbindung von Musikvermittlung, Kulturpolitik und (zugeschriebenen) Identitätskonstruktionen von Jugendlichen im urbanen Kontext der Stadt Hamburg sogenannte „imaginäre Identitätsmythen“ herausgearbeitet, die auf exotisierenden Othering-Prozessen, z. B. durch Kulturpolitik, beruhen (Gaupp 2016). 239 | Dies widerspricht historischen Tatsachen wie Castro Varela/Dhawan darlegen (2005: 11–16).

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Sowohl Empowerment als auch Othering nehmen Prozesse in den Blick, die Selbst- und Fremdbilder auf Machtverhältnisse hin untersuchen. Dies erweist sich für die Schlüsselkategorie als fruchtbar, weil damit zugrunde liegende Strukturen aufscheinen, die wesentlich an der Herstellung und Reproduktion von Teilhabe beteiligt sind.

5.1 Schlüsselbegriff: Empowerment Empowerment hat als Begriff zunächst eine offene, normative Form, da er für allerlei Interpretationen zugänglich und nutzbar ist (Herriger 1997: 11).240 Vom Wortstamm power ausgehend differenziert Norbert Herriger den Begriff in vier verschiedenen Annäherungen sowohl für individuelle als auch für kollektive Prozesse aus (Herriger 1997: 12 ff.): 1. Politische Definition: Konflikthafter Prozess der Umverteilung von politischer Macht, d. h. von Strukturen und Verteilung aufgrund von Ungerechtigkeiten 2. Lebensweltliche Definition: Gelingende Mikropolitik des Alltags, d. h. „das Vermögen von Menschen, die […] Belastungen ihres Alltags in eigener Kraft zu bewältigen, eine eigenbestimmte Lebensregie zu führen und ein nach eigenen Maßstäben gelingendes Lebensmanagement zu realisieren“ (Herriger 1997: 13) 3. Reflexive Definition: Aktive Aneignung von Macht, Kraft und Gestaltungsvermögen durch die von Machtlosigkeit und Ohnmacht Betroffenen selbst, d. h. eine Selbst-Bemächtigung 4. Transitive Definition: Aspekte des Ermöglichens, Unterstützung und Förderung von Selbstbestimmung durch andere, d. h. Rahmenbedingungen und Ressourcen bereitstellen Diese Definitionen verdeutlichen, dass das Konzept des Empowerments in erster Linie im Bereich der Sozialen Arbeit Verwendung findet. Im Folgenden wird vor allem auf die reflexive Definition (3.) der „Selbst-Bemächtigung“ in Kombination mit der transitiven Definition (4.) abgestellt. Es wird für die vorliegende Arbeit der englische Begriff Empowerment verwendet, der stärker als die deutsche Übersetzung die historische Herkunft und die entsprechenden

240 | Kritiken an dem Begriff sind daher auch vielfältig, dass dieser „von einem Mangel an begrifflicher Schärfe, konzeptueller Differenziertheit und methodischer Prägnanz“ durchzogen sei (vgl. Herriger 1997: 8). Umso notwendiger ist eine eigenständige Definition und Verortung.

Teil V: Im Spannungsfeld von Empowerment und Othering

Diskurse verdeutlicht und zudem einige sprachliche Uneindeutigkeiten umschifft.241 Die Ausrichtung und Verwendung von Empowerment im Rahmen anti-rassistischer Arbeit in Deutschland ist für die vorliegende Arbeit ebenfalls von Bedeutung, da in diesem Kontext Maßnahmen erarbeitet werden, die gezielt jungen Menschen, die Erfahrungen haben mit Zuschreibungen, Ausschlüssen, mit Diskriminierung und „Anderssein“ (Bolla-Bong 2015: 19), ein Bewusstsein dafür geben wollen, dass sie mit ihren Erfahrungen nicht alleine sind. Die Handreichung „Diversitätsbewusste (internationale) Jugendarbeit“ (Drücker et al. 2015) ist ein Beispiel für diese Arbeit. Es geht um die „Aneignung der Definitionsmacht“ (Mukiibi/Sinoplu 2015: 33), sowohl zur Stärkung der Autonomie von Individuen wie auch auf kollektiver Ebene. Empowerment ist politisch eine Emanzipationsbewegung, die eine Umverteilung von Macht für marginalisierte Gruppen anstrebt (ebd.). So verstanden, soll Empowerment Handlungsoptionen eröffnen, die selbstbestimmt und selbstbehauptet sind und somit Dominanzstrukturen Widerstand entgegensetzen. Dabei ist im Verständnis der Autoren ein „allgemeingültiges Empowermentkonzept“ für alle Zielgruppen nicht möglich und muss dementsprechend für spezifische Belange angepasst werden (ebd. 2015: 34). Für den vorliegenden Kontext heißt dies, dass die als marginal gelabelte Gruppe der Roma ebenso wie Roma als Individuen, die Diskriminierungserfahrungen (auch im kulturellen Bereich) haben, in erster Linie selbst diesen Prozess des Empowerments anstreben. Das zeigt sich darin, dass die Definitions- und Deutungsmacht in bestimmten Rahmen selbst in die Hand genommen wird, z. B. durch die Initiierung der Projekte in Frankfurt/ Main und Berlin. Empowerment wird im Folgenden verstanden als ein individueller wie kollektiver Prozess, der sich an den Stärken und Ressourcen der Menschen und nicht an ihren Schwächen und Defiziten orientiert, auf die Veränderung von (Macht-)Strukturen hinarbeitet und das Selbst stärkt.242 Es ist ein offener Begriff, dessen normative Aspekte kritisch begleitet werden müssen. 241 | Der englische Begriff wird im sozialpädagogischen Diskurs dem deutschen Begriff Selbstermächtigung teilweise vorgezogen, da dieser sprachlich historisch belastet sei, weil er zu nah am Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten sei, der dadurch eine Konnotation des Machtmissbrauches enthält, die der englische Begriff nicht aufweise (vgl. Gerischer 2012: 243). Gleichwohl ist der Begriff, oder die Verwendung beider Begriffe durchaus gängig, z. B. in der Anti-Rassismusarbeit (vgl. Drücker et al. 2015). 242 | Es wäre allerdings zu fragen, inwieweit der von Herriger postulierte Ansatz, das „systematische Gefälle“ zwischen Klient und Helfer zu überwinden, um einen „Beziehungsmodus partnerschaftlicher Verständigung“ (Herriger 1997: 198) zu installieren, tatsächlich erreicht werden kann, oder ob nicht bereits ein Setting, das auf Empowerment abzielt, an einer Defizitanalyse ansetzt und die zugrunde liegende Asymmetrie

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5.2 Schlüsselbegriff: Othering Immer wieder tauchte während der gesamten Analyse ein Aspekt auf, der auf eine hierarchische und dichotome Wir-und-die-Anderen-Struktur verwies. Wie aus den Kategorien immer deutlicher hervorstach, ging es dabei um Fremdbilder und Zuschreibungen, mit denen die konstruierten Anderen „(ver)besondert“, bzw. die erst durch das „Different-Machen“ (Castro Varela/Dhawan 2005: 60 in Anlehnung an Spivak) als Andere überhaupt sichtbar und markiert wurden. Zentral ist, dass darin Fragen der Macht eingeschrieben sind, da die Anderen nicht gleichwertige Andere, sondern unterlegene Andere sind (bei Spivak als „inferior“ bezeichnet). Spivak untersucht die Praxen der britischen Kolonialmacht in Indien und beschreibt systematisch, wie die Konstruktion des Anderen durch ein Selbstbild der Kolonialmacht aufgebaut wird, das nur auf Kosten dieser Anderen erreicht werden kann. Damit ist nicht ein Sich im Anderen Erkennen, also ein wenig hierarchiestarkes Eigen und Fremd gemeint, sondern ein durch Machtintentionen dominiertes und charakterisiertes Verhältnis. Othering ist, wie Mecheril es ausdrückt, die Unterscheidung zwischen „Anderen und Nicht-Anderen“ (Mecheril 2005: 317). Damit kann z. B. die Kategorie Sichtbarkeit auch zutage fördern, dass diejenigen, die nicht sichtbar gemacht werden als Nicht-Andere, als Norm unsichtbar bleiben. Das bedeutet eine privilegierte Position, weil sie sich nicht zu erklären braucht. Der Begriff Othering wird für das Spannungsfeld zur Schärfung von Exklusionsprozessen verwendet, die eine Grenzziehung vornehmen, indem hierarchisch und mittels stereotyper, essentialisierender und marginalisierender Zuschreibungen zwischen einem Wir und den Anderen unterschieden wird. Diese Anderen werden different gemacht, d. h. konstruiert und reproduziert. In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff aber nicht nur verwendet, wenn Othering-Prozesse durch eine Mehrheit, die qua Zugehörigkeit mehr Macht zwischen Klienten und Experten gerade nicht in Frage stellt. Bezogen auf die hier untersuchten Projekte ist damit zu fragen, inwieweit „eine Beziehung des wechselseitigen Lernens und Sich-Veränderns“ (Herriger 1997: 216) auch für die als Bildungsräume mit klarem hierarchischen Verständnis zwischen erwachsenen Lehrpersonen und lernenden Kindern und Jugendlichen gilt oder ob eine Beleuchtung der Projekte auch dahingehend vonnöten wäre, die einer Benachteiligung im Sinne von Adultismus nachgeht. Vgl. dazu auch den in die gleiche Richtung gehenden warnenden Hinweis, das diversitätsbewusste Bildungsarbeit das sogenannte Powersharing zum Ziel haben müsse (Drücker et al. 2015: 35). In diese Richtung verweist sprachlich auch das in Kooperationskontexten z. Zt. häufig zitierte Arbeiten auf Augenhöhe – ob das allerdings im Sinne eines Powersharing angestrebt wird, darf bezweifelt werden; m. E. soll damit eher zum Ausdruck gebracht werden, dass sich alle Akteurinnen mit Respekt begegnen sollten, eigentlich ein Grundsatz jeder pädagogischen Arbeit.

Teil V: Im Spannungsfeld von Empowerment und Othering

besitzt, in Gang gesetzt oder reproduziert werden. Das Konzept findet auch dahingehend Anwendung, dass diese Prozesse z. B. durch Selbst-Essentialisierungen auch von Minderheiten selbst in Form eines Selbst-Otherings entstehen können. Damit ist gemeint, dass schon durch die dichotome Gegenüberstellung von Minderheit und Mehrheit Formen der Selbstrepräsentation herausgefordert werden, die einen Essentialismus produzieren können, der nicht nur die andere Gruppe, sondern auch die eigene mit klaren Zuschreibungen skizziert. Dies findet z. B. dann statt, wenn sehr stark auf Charakteristika der eigenen Gruppe in der Gegenüberstellung und im Gegensatz zu einer anderen Gruppe rekurriert wird und Charakterisierung des Eigenen stark über die Abgrenzung eines Anderen funktioniert.243 Mecheril verwendet „Selbst-Othering“ als Begriff im Zusammenhang mit der „Repräsentationsfrage“ (Mecheril 2005: 316), die im interkulturellen Diskurs in Deutschland nach wie vor von Mehrheitsangehörigen dominiert werde (ebd.). So sehr es unumgänglich sei für die Interkulturelle Pädagogik, „Selbstrepräsentationen ‚der Anderen‘“ (ebd.: 317) anzuerkennen, so sehr werden damit jedoch „die Anderen als Andere bestätigt und ratifiziert“ (ebd.). Er kommt zu dem Schluss: „Man könnte dies als pädagogisch ermöglichte Form des Selbst-Otherings bezeichnen.“ (Ebd.) Damit verweist er auf etwas, das für die vorliegende Arbeit zentrale Bedeutung hat: Der Rahmen sowie die beurteilenden Maßstäbe der pädagogisch-kulturellen Aushandlung von Teilhabe werden von der kulturell dominanten Mehrheit gesetzt, die Konstruktion des Anderen erfolgt dann in einem durchaus wechselseitigen Prozess von Essentialisierung und Othering. Inwiefern die Anderen in dem Rahmen überhaupt für sich selbst sprechen können, ist eine zentrale Auseinandersetzung Spivaks mit Machtverhältnissen: Sie verneint dies mit der These, dass die Subalterne nicht sprechen kann bzw. – nicht gehört werde (Spivak 2008).244

5.3 Das Spannungsfeld von Empowerment und Othering Die Verbindungslinien der vier Kategorien in Bezug auf die zentralen Begriffe Empowerment und Othering können als verschiedene Fäden begriffen werden, durch deren Interagieren die Schlüsselkategorie entsteht. Dabei fallen im Folgenden Aspekte weg, die in der empirischen Analyse herausgearbeitet 243 | Dieser analytische Zugriff, d .h. die Verwendung im Sinne eines Selbst-Otherings findet wahrscheinlich nicht die Zustimmung derjenigen, die den Begriff als Kampfbegriff in der politischen Debatte um Zugehörigkeiten, Selbstorganisationen o. ä. verwenden und argumentieren könnten, dass nur Angehörige einer diskriminierten Gruppe, einer Minderheit o. ä. den Begriff für sich nutzen dürften. 244 | Spivaks Kritik an den Argumenten von Deleuze und Foucault kann hier nicht nachgegangen werden, vgl. Castro Varela/Dhawan 2005: 73 f.

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wurden; allerdings kann in der alles zusammenbündelnden Schlüsselkategorie „nur die wichtigst[e] analytische Botschaft“ (Strauss/Corbin 1996: 200) von ggf. mehreren vermittelt werden. Im Spannungsfeld: Sichtbarkeit Wie in der Kategorie Sichtbarkeit deutlich wurde, sind das Einfordern und die selbstbewusste, sichtbare Vertretung (Repräsentation) eines eigenen Platzes für die ethnische Gruppe und ihre Kultur in einem zunächst multi- oder interkulturellen Verständnis als Element von Empowerment-Prozessen zu sehen. Durch den damit einhergehenden aufklärerischen Bildungsanspruch der Projekte fungieren diese als öffentlich wahrnehmbare Vorbilder und Modellprojekte. Mit dieser Sichtbarkeit geht gleichzeitig eine Besonderung einher, die durch die normativ gesetzte Repräsentation problematisch wird und in der Konsequenz zu einem Othering beiträgt. Bezogen auf die Ausführungen von Spivak heißt das, dass im Kölner Projekt Heimat re-invented das ästhetische Porträt der Roma durch das Wirken der Musikdozentin, ein Sprechen von im Sinne ihrer Darstellung durch traditionelle Lieder und Tänze ineins fällt mit der Vertretung der Roma als Sprechen für durch die Zugehörigkeit der Musikdozentin zur Minderheit der Roma. Damit ist sie eine anerkannte Vertreterin und Expertin qua Zugehörigkeit mit automatischer Repräsentanz. Problematisch ist dies im Hinblick auf die Ausschließlichkeit der gezeigten Bilder auf der Bühne. In den drei Projekten werden verschiedene Ausformungen einer ethnischen Sichtbarkeit deutlich: Während diese Sichtbarkeit für das Frankfurter Orchester wichtig, aber nachgeordnet ist, steht sie für die Berliner Musikschule an erster Stelle. Das Kölner Kooperationsprojekt hingegen produziert ein (ungewolltes) Othering dadurch, dass nur die Roma sichtbar sind – im Kontrast zu den Nicht-Anderen. Im Spannungsfeld: Kompetenzorientierung Für die zweite Kategorie Kompetenzorientierung sind das professionelle Setting, die Arbeitsweisen der künstlerischen und pädagogischen Dozentinnen, die Darstellung in der Öffentlichkeit (Selbstbild) und das Rekurrieren auf die Ausbildung der musikalischen Kompetenzen eindeutige Bausteine für ein Empowerment, das bestärkend und die Definitionsmacht gewinnend angelegt ist. Gleichwohl ist auf der Grundlage einer zuvor gegebenen Defizitanalyse (z. B. in Konzepten, in Anträgen etc.) auch hier genau in dieser Betonung der Spezifika festzustellen, dass damit keine Selbstverständlichkeit oder Normalisierung von Verschiedenheit einhergeht, sondern ein Othering. Ein Auf brechen der Dominanzstruktur bezogen auf die gegebenen Rahmen und Systeme ist bei keinem der Projekte zu beobachten.

Teil V: Im Spannungsfeld von Empowerment und Othering

Im Spannungsfeld: Zuschreibungen Bei der Kategorie, die sich mit verschiedenen Formen von Zuschreibungen beschäftigt, verweisen die dominantesten Linien  – anders als in den beiden Kategorien zuvor – als Essentialisierungen und Kulturalisierungen auf Othering-Prozesse. Dies betrifft zum einen Zuschreibungen von Gadje auf Roma, zum anderen aber auch die Indienstnahme von Stereotypen im Sinne einer Selbst-Essentialisierung: So wird die Roma-Kultur, wie z. B. die Sprache oder die Rhythmen, von einigen als fremd und anders dargestellt, die sich selbst der ethnischen Gruppe zugehörig fühlen. Durch den Diskurs entsteht, in Anlehnung und Erweiterung an Mecheril, eine pädagogisch-künstlerisch ermöglichte Form des Selbst-Otherings. Die Repräsentation wird angenommen und aktiv gestaltet, aber verbleibt in einer essentialisierenden Zuschreibung. In eine andere Richtung, hin zu einem Empowerment, kann die Indienstnahme von Klischees verweisen, wenn sie als (selbst-)bewusster Umgang erfolgt. Damit trägt auch die Kategorie Zuschreibungen zu beiden sich zunächst als ausschließend gedachten Polen von Empowerment und Othering bei. Im Spannungsfeld: Musik als Mittel zum Zweck? Die letzte Kategorie Musik als Mittel zum Zweck? verweist in ihren Aspekten ebenfalls stärker in Richtung eines Otherings als eines Empowerments: Kultur, so wird hier deutlich, wird als ein Distinktionsmerkmal genutzt, indem z. B. soziale Ziele in andere Ressorts und Zuständigkeiten verwiesen werden als genuin künstlerische. Die Frage danach, wie ein Projekt hauptsächlich ausgerichtet ist – künstlerisch oder sozial –, wird im deutschen Diskurs vornehmlich als Binarität, als sich ausschließend bzw. gegensätzlich und als in jedem Fall different sowie widersprüchlich diskutiert. So kommt es, dass ein Projekt gleichzeitig als sozial inkludierend und kulturell exkludierend bezeichnet werden kann. Allerdings, das muss ebenfalls erwähnt werden, wird deutlich, dass einige Projekte sich auch und gerade über die Binarität des Diskurses hinwegzusetzen versuchen, indem sie die Gleichwertigkeit von sozialen und künstlerischen Zielen anstreben.

Zusammenfassung Durch die Zusammenführung dieser Verbindungslinien und Verkreuzungen, die vermeintliche Widersprüche transportieren, kann mithilfe der Schlüsselkategorie als Ergebnis der Arbeit formuliert werden: Im Kontext transkultureller Kinder- und Jugendbildung für Roma liegt ein Spannungsfeld vor, das am einen Ende des Kontinuums Prozesse von Empowerment fördert, am anderen Ende aber zugleich Othering-Prozesse in Gang setzt. Diese Gleichzeitigkeit von Empowerment und Othering, oder anders formuliert, von Inklusion und Exklusion, zeitigt das Ergebnis einer inkludierenden Exklusion dieser Projekte. Zugleich wird durch die vorgenommene Analyse deutlich, dass es sich kei-

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nesfalls nur um eine Widersprüchlichkeit und ein Dilemma handelt, sondern dass es sich – und dies ist als grundlegender Teil der hier vorgestellten Theorie zu bezeichnen  – um ein grundlegendes, geradezu konstituierendes Element von Projekten solcherart handelt. Dieses Ergebnis kommt freilich einer analytischen Trivialität gleich, vergegenwärtigt man sich die theoretischen Grundlagen zu Inklusion und Exklusion sowie zur kulturellen Teilhabe: Denn nach Luhmann ist Inklusion in einzelne Teilbereiche ohne eine Exklusion aus anderen nicht möglich – allein, der Diskurs im Feld der kulturellen Bildung und insbesondere zu kultureller Teilhabe blendet dies fast vollständig aus. Sinnvoll erscheint diese theoretische Ausdifferenzierung insbesondere deshalb, weil sie als begriffliche Analysewerkzeuge auch solche Verwendungen von Begriffen wie Kultur, Transkulturalität und kultureller Teilhabe ans Licht bringt, die in den Projekten nicht explizit thematisiert werden, durch deren implizite Wirkmacht sich die intendierten Ziele der Projekte (Empowerment, Inklusion, ermöglichte Teilhabe) jedoch in ihr Gegenteil (Othering, Exklusion, eingeschränkte Teilhabe) verkehren konnten.

Teil VI: Fazit und Ausblick

Der Ausgangspunkt der Arbeit lag in der Verwunderung über die vielfältigen Versprechungen und Wirkungsbehauptungen, mit denen Projekte im Feld der kulturellen Bildung zur Stärkung der Persönlichkeitsbildung wie auch als probates Mittel zur Bekämpfung von Ungleichheiten im Diskurs verhandelt werden. Im Fokus stehen dabei insbesondere Zielgruppen, die mittels Musik als Medium kultureller Bildung integriert werden und denen dadurch eine kulturelle Teilhabe ermöglicht werden sollte, die also als „TeilHabeNichtse“ (Maedler 2008) kategorisiert sind. Die Arbeit fragt deshalb, was kulturelle Teilhabe in den untersuchten Projekten eigentlich genau ist, aus welchen konkreten ästhetisch-künstlerischen und pädagogischen Bausteinen sie sich zusammenfügt. Sie fragt weiterhin in einem praxeologisch-prozessualen Sinne (doing culture), wie kulturelle Teilhabe diskursiv entsteht – ontologische Was-Fragen werden in epistemologische Wie-Fragen verwandelt.245 Dabei liegt dem Ausgangspunkt der Arbeit die Annahme zugrunde, dass der Diskurs zwar explizit Einschlüsse verhandelt, weil die sogenannten benachteiligten Kinder und Jugendlichen an etwas teilhaben sollen, aber im Diskurs gleichzeitig und implizit Mechanismen wirken, durch die Ausschlüsse produziert werden und die nicht Teil des (verbalisierten) Diskurses sind. Diese Binnenstruktur herauszuarbeiten, war Ziel der Untersuchung. Als Analyseinstrumente wurden in einer definitorischen und theoretischen Aneignung die Begriffe Kultur, Transkulturalität und kulturelle Teilhabe ausgeleuchtet. So sind die Bedeutungsvarianten des Kulturbegriffs (Teil II/2.) von zentraler Bedeutung, fragt man danach, für wen kulturelle Teilhabe konzipiert wird: Welcher Kulturbegriff wird – häufig implizit – zugrunde gelegt 245 | Die sozialen Interaktionen können durch die Methode der teilnehmenden Beobachtung dargelegt und im Anschluss an Luhmann als „Beobachtungen zweiter Ordnung“ (Luhmann 1990: 86 f.) rekonstruiert werden, denn es handelt sich um die „Beobachtung der (Art und Weise der) Beobachtung und ihrer Explikation“ (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008: 34); vgl. dazu auch das Kapitel zur Methodik in der Darlegung der Diskursanalyse, Kap. III/5.

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Kulturelle Teilhabe durch Musik?

und welche Implikationen hat dieser auf die kulturelle Teilhabe? Es konnte festgestellt werden, dass Kultur in der ethnisch-holistischen Verwendung als Differenzlinie fungiert und ein Spannungsfeld mit starken Auswirkungen auf den Diskurs evoziert. In stärkerem Maße als die Konzepte der Multi- und der Interkulturalität verdeutlicht das weiterentwickelte Konzept der Transkulturalität (Teil II/3.)246 wie kulturelle Teilhabe entworfen wird: im Sinne von Überschreitungen der (Genre- und Repertoire-)Grenzen, durch Verknüpfungen und Vermischungen (z. B. verschiedener institutioneller Felder) sowie als Suche nach einem gemeinsam gestalteten Neuen. Mithilfe dieses Konzepts konnte analysiert werden, inwiefern sich eine solche Haltung nicht nur in den Konzepten der untersuchten Projekte, der dort formulierten Ansprüche und in der künstlerischen Arbeitsweise findet, sondern ob tatsächlich etwas Neues geschaffen oder nicht vielmehr nur die kulturell Anderen benannt und reproduziert wurden. Denn das Augenmerk bei Transkulturalität nicht nur auf das Neue, sondern auch auf die Aushandlungsprozesse zu richten und Zuschreibungen zu dekonstruieren, heißt zugleich, Welschs Harmonisierung (z. B. von Musik als universalverständlich und positivistisch) als naiv und fahrlässig zurückzuweisen (vgl. Teil II/3.3). Das Konzept der Transkulturalität ist damit gerade für Aushandlungen von Differenzsetzungen in vermeintlich unpolitischen musikalischen Kontexten fruchtbar. Mit der Klammer der kulturellen Teilhabe (Teil II/4.) schließlich wurden die bildungs- und kulturpolitischen Paradigmen der Integration (II/4.2) sowie der Inklusion (II/4.3) entfaltet. Dadurch konnten die Ziele der Projekte begrifflich gefasst und dahingehend untersucht werden, welche Formen von Ein- und Ausschlüssen (re-)produziert werden. Der grundlegende, dabei normative Bezug auf kulturelle Teilhabe als Menschenrecht wird in der politischen wie auch wissenschaftlichen Argumentation für kulturelle Bildung vielfach angebracht  – nur die Frage der rechtlichen Konsequenz für fehlende oder verhinderte Teilhabe ist damit (scheinbar) nicht verbunden. Ebenfalls problematisch 246 | Zusammenfassende Charakteristika sind: 1. Gemeinsamkeiten im Fokus, 2. Blick auf Prozesse, 3. Etwas Neues entsteht und 4. Konflikthafte Momente werden sichtbar gemacht und sind Teil des Diskurses. Dabei steht weniger die Frage im Mittelpunkt, inwieweit die Akteure transkulturell sind oder Transkulturalität erst durch ihre Handlungen schaffen, sondern die theoretische Grundkonzeption kann so bestimmt werden, dass mit Transkulturalität der Fokus auf das Konstruktionshafte, das Prozesshafte, das Durchlässige gelenkt wird. Dadurch lassen sich mithilfe des Konzepts transkulturelle Momente beschreiben und es werden transkulturelle musikalische Gegenstände bestimmbar – die in ihrer Gemachtheit wiederum auf transkulturelle Prozesse verweisen. Es ist folglich der gegenseitige Verweis, der das Konzept als gewinnbringend erscheinen lässt.

Teil VI: Fazit und Ausblick

ist, dass mit dem Konzept der Inklusion häufig auf eine Gruppe wie z. B. Roma-Kinder und -Jugendliche fokussiert wird, obgleich mit dem Konzept die Gesellschaft als Ganzes in den Blick genommen werden müsste, um machtvolle und exkludierende Strukturen aufzudecken. Die empirischen Daten der drei ausgewählten Projekte Heimat re-invented (Köln), Philharmonischer Verein der Sinti und Roma (Frankfurt/Main) und Zukunftsmusik (Berlin) wurden durch eine interdisziplinäre Forschungsperspektive analysiert: zunächst aus musiksoziologischer Sicht, die die Frage nach der sozialen (Interaktions-)Praxis, nach Funktionen und sozialen Handlungsstrukturen stellt. Gleichwohl hat eine interdisziplinäre Perspektive den Gegenstand in seiner Spezifität zu erfassen, und zwar nicht nur als Bestandteil von analysierten Verhältnissen, die von außen einwirken, sondern auch über eine Bestimmung des Gegenstands. Hier kommt die musikethnologische Sichtweise dazu, die nicht den musikalischen Gegenstand von der Forscherin her definiert, sondern aufnimmt, wie dies die Akteure im Feld tun. Dadurch lassen sich sowohl diese Gegenstände als auch Interaktionen rekonstruieren, z. B. in der Frage, ob Prozesse oder Produkte mehr Bedeutung erhalten sollten; in Projekten kultureller Bildung kommen nur wenige ohne die obligatorische Aufführung, das Konzert oder einen anderen produktähnlichen Gegenstand aus, auf den zielförmig hingearbeitet wurde. Schließlich sind es bildungswissenschaftliche Zugänge, die notwendig sind, weil sich die untersuchten Musikprojekte im Spannungsfeld von Kunst und (Sozial-)Pädagogik bzw. der Sozialen Kulturarbeit bewegen. Durch einen qualitativen Zugang mittels teilnehmender Beobachtung, offener Leitfadeninterviews und einer Dokumentensammlung konnte das empirische Material erhoben und mithilfe der Grounded Theory und der Dichten Beschreibung ausgewertet werden (Teil III). Die diskursanalytische Forschungsperspektive ist dabei grundlegend, um die Konstruktion etwa von Ethnien oder auch Benachteiligten und die diesbezüglichen Machtverhältnisse des Diskurses aufzuzeigen. So können nicht nur bereits konstitutive Elemente des Diskurses herausgearbeitet werden, sondern auch neu entstandene „‚Voraus‘-Setzungen neuer Diskurse“ (Keller 2011: 59), die etwa für anschließende Forschungen von Bedeutung sind. Die Analyse und Interpretation des reichhaltigen empirischen Materials wurde in Teil IV für alle zentralen Aspekte vorgenommen, diskutiert und in Teil V weiter zusammengefasst: Die Ergebnisse aus den drei Projekten wurden in den vier Kategorien 1. Sichtbarkeit, 2. Kompetenzorientierung, 3. Zuschreibungen und 4. Musik als Mittel zum Zweck? abstrahiert, die für sich genommen jeweils einen Teilerklärungsansatz zur Forschungsfrage liefern. Aber erst durch ihre Zusammenführung in der Schlüsselkategorie fügen sich die auf den ersten Blick asymmetrisch-verkreuzten und widersprüchlich erscheinenden Verbindungen zu einer gegenstandsverankerten („grounded“) Theorie (Kapitel

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Kulturelle Teilhabe durch Musik?

V/5.): Das Spannungsfeld von Empowerment und Othering ist konstitutives Faktum und paradoxes Dilemma des Diskurses zugleich, denn es offenbart die inkludierende Exklusion der Roma-Kinder und -Jugendlichen in den untersuchten transkulturellen Musikprojekten. Um den Geltungsbereich der vorgestellten Ergebnisse abzustecken, wird an die zu Beginn der Arbeit dargelegten Forschungsansätze angeknüpft. Mit der Einordnung der vorliegenden Untersuchung in das Forschungsfeld kultureller Bildung (II/1.) wird der kulturpolitische Slogan „Kultur für alle“ als kulturpolitisches Dogma sichtbar, das erstaunlicherweise als sozialdemokratische und normative Forderung bis heute in gesellschaftspolitischen wie in Fachdiskursen wirksam ist (vgl. Renz 2016: 29). Die im Diskurs in diesem Kontext wirkmächtigen Versprechungen des Ästhetischen (Ehrenspeck 1998), die empirisch nicht untermauert und „erstaunlich enttäuschungsresistent“ (Lenzen in Ehrenspeck 1998: 12) sind, kehren als pädagogisch-philosophisches Konstrukt immer wieder, z. B. als Vorstellung von „Kunst und Kultur als Kitt“ (Becker 2013b: 33) und werden, so zeigen die in dieser Arbeit vorgestellten empirischen Ergebnisse, weitgehend unhinterfragt kolportiert. Sowohl Leuchtturmprojekte wie Rhythm Is It!, die das Engagement einzelner Kultureinrichtungen brauchen, als auch groß angelegte (bildungs-)politische Förderprogramme wie Kultur macht stark des BMBF sowie Initiativen und Projekte einzelner kultureller Akteure, finden sich als „Modellprojekte“ (z. B. unterstützt durch den Fonds Soziokultur) zwar zunehmend, sie verbleiben aber häufig, was die Förderung und Antragslogik provoziert: Ausnahmen.247 Sie sollen zum Abbau von Bildungsungerechtigkeiten beitragen, verkennen dabei aber, dass Schule auch „Miterzeugerin“ (Sturzenhecker 2014: 3) dieser strukturellen Ungerechtigkeiten ist.248 Damit wird aufgezeigt, was für das Feld der kulturellen Bildung gleichermaßen gelten kann, dass nämlich eine „Doppeldeutigkeit“ (Treptow 2010: 42) implizit das Feld durchzieht, die aber selten bis gar nicht explizit verhandelt wird. Die Untersuchung konnte zeigen, dass Projekte kultureller Bildung bei einer detaillierten Analyse eine „raffinierte Form potentieller Exklusion“ (Vogt 2013: 487) darstellen können, gerade weil es sich bei diesen nur um ein „Mini-

247 | Die Frage ist dabei: Was wird aus den Modellen, werden sie irgendwann gängige Praxis oder verbleiben sie als Beispiele, die ggf. noch wissenschaftlich untersucht werden, aber dennoch in der Schublade verschwinden? 248 | Als Hintergrund der Diskussionen um die Ungerechtigkeiten des deutschen Bildungssystems seit den 1960er-Jahren und durch die Renaissance im Nachgang der PISA-Erhebungen verweist Vogt darauf, dass die pädagogische Diskussion die Gerechtigkeitstheorien als normativen Hintergrund erstaunlich wenig zur Kenntnis genommen habe (vgl. Vogt 2013: 488).

Teil VI: Fazit und Ausblick

mum an Teilhabe“ (ebd., Hervorhebung im Original) handelt.249 Auch Maedler verweist auf diesen Aspekt, wenn er fordert Kulturelle Teilhabe darf nicht reduziert werden auf den Ausnahmefall des einmaligen Events, sondern ist elementarer Bestandteil gelingender Sozialisations- und Bildungsprozesse. (Maedler 2008: 111)

Mit der vorliegenden Arbeit kann – recht banal – zunächst einmal nicht aufgezeigt werden, dass die Teilnahme an Projekten per se sinnvoll ist und zur kulturellen Teilhabe beiträgt. Im Gegenteil zeigt die Arbeit, dass Projekte kulturelle Teilhabe durchaus einschränken, und mehr noch, zu kulturellen Exklusionen beitragen können. Für den Diskurs kultureller Bildung ist dies ein zu häufig nicht beachteter, intransparenter Aspekt, quasi die zweite Seite der Medaille des Diskurses. Projekte kultureller Bildung können nicht alleinig Lösungen zu Fragen des sozialen Zusammenhalts oder des interkulturellen Zusammenlebens anbieten – dies hängt elementar damit zusammen, dass die Logik und die Teilsysteme und somit auch die Inklusions- und Exklusionsmechanismen dieser Teilsysteme bestehen bleiben (vgl. Treptow 2010: 46). Dieser Befund kann mit den empirischen Untersuchungen der vorliegenden Arbeit untermauert werden. Flächendeckende staatliche Programme können keine Abhilfe schaffen, denn, so Maedler: „Auch ein Höchstmaß an kultureller Teilhabe ist nicht dazu in der Lage, gesellschaftliche Ungleichheiten aufzuheben oder zu egalisieren.“ (Maedler 2008: 111) Gerade im Kontext Benachteiligung werden die vielfach im Antragslegitimationsdiskurs beschworenen Wirkungen, Prägungsmöglichkeiten und Nachhaltigkeit von Projekten als Illusionen offenkundig. Es ist daher festzustellen, dass Projekte kultureller Bildung allzu häufig den scheinheiligen Wirkungsversprechen erliegen (müssen), um sich finanziell abzusichern. Die teilweise vorgefundene Kulturalisierung sozialer Probleme erweist sich jedoch als fatal, wie die Arbeit offenlegen konnte: Denn wenn Kultur, verstanden als ethnische Kultur, zur zentralen Differenzlinie wird, dabei aber die Kontrastfolie der Nicht-Anderen strukturell uneindeutig in der Präsentation bleibt, kann es zu Othering-Prozessen kommen, die auch pädagogisch-künstlerisch ermöglichte Selbst-Othering-Mechanismen wie (Selbst-)Essentialisierungen und Kulturalisierungen enthalten (vgl. dazu die Kapitel V/3 sowie V/5.2 und V/5.3). Dies kann für das Projekt Heimat re-invented (Köln) aufgezeigt werden, bei dem der aristotelische Satz „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Tei249 | Dieses Minimum an Teilhabe wird im Projekt Heimat re-invented in der Konzeption u. a. wie folgt definiert: „gelebte Teilhabe am gesellschaftlichen sowie kulturellen Leben, welche die Schüler durch die angestrebte Abschlussaufführung in der Philharmonie erfahren“ (ebd.: 3).

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le“ das Ergebnis benennt: Trotz vieler künstlerisch-pädagogischer Bausteine, die zum Empowerment beitragen, finden sich auch solche, die in der Summe das Gegenteil, eine inkludierende Exklusion, bewirken (vgl. Kapitel V/3.2). Eine schwächere Form dieses Ergebnisses liegt bei den Projekten Philharmonisches Orchester der Sinti und Roma (Frankfurt/Main) und Zukunftsmusik (Berlin) vor, da in diesen ein klares Konzept die Konstruktionsprozesse von Differenz eindeutig verhandelt. Dadurch ist eine Binnendifferenzierung bzw. heterogene Darstellung, z. B. zwischen den Gruppen der Sinti und Roma ebenso wie zwischen Mehrheit und Minderheit, möglich und erscheint verständlicher als grundlegende Beziehung zwischen Eigen und Fremd. Durch die Praxisbeispiele können verschiedene Variationen der Aushandlung zwischen Eigen und Fremd und ihrer Prioritätensetzung aufgezeigt werden (vgl. Kapitel V/4.1): • Die Musikschule Zukunftsmusik (Berlin) arbeitet mit einem SchutzraumKonzept, das als Von Roma für Roma charakterisiert werden kann, aber sehr offen und durchlässig war für Ausnahmen: Aufhänger und wichtigstes Ziel der Musikschule ist das Signal an die Mehrheitsgesellschaft, dass es Strukturen braucht, die an den durch die musikalische Frühförderung in den Familien erworbenen Kompetenzen ansetzt, um die musikalischen Ziele als kulturelle Teilhabe im Rahmen der bürgerlichen Hochkultur sichtbar zu erreichen; Musik ist hier Mittel zum Zweck. • Der Philharmonische Verein der Sinti und Roma (Frankfurt/Main) begreift sich als Projekt Von Roma für Nicht-Roma: Die musikalischen Ziele sind oberste Priorität, die Aufklärung der Mehrheitsgesellschaft sowie ein politisches Signal sind wichtig, aber nachgeordnet. Auch bei diesem Projekt erfolgt eine sehr eindeutige Setzung: Musik ist Selbstzweck. • Bei Heimat re-invented (Köln), das als Projekt Von Nicht-Roma für Roma bezeichnet werden kann, obwohl die Musikdozentin als Romni durchaus gestalterische Bausteine für ein Empowerment erarbeiten konnte, zeigt sich eine Überladung mit konkurrierenden Zielen und Erwartungen: Diese sind vielgestaltig und wollen sowohl musikalisch-künstlerisch überzeugende Präsentationen bieten als auch sozialpädagogisch orientierte Ziele (Stärkung des Selbstbewusstseins, Förderung besonders schwieriger Schüler etc.) erreichen. Dadurch entsteht ein hochgradig komplexes und im Projektprozess wenig reflektiertes Konglomerat, das sehr uneindeutig bleibt; Musik changiert hier zwischen Selbstzweck in der aktiv-produzierenden Arbeitsweise und Mittel zum Zweck in der rezeptiv-reproduzierenden Arbeitsweise.

Teil VI: Fazit und Ausblick

I nkludierende E xklusion 250 Die Gleichzeitigkeit von Inklusion und Exklusion, die sich als Spannungsfeld von Empowerment- und Othering-Prozessen beschreiben lässt, ist das paradoxe Gesamtergebnis der Arbeit: Die Roma-Kinder und -Jugendlichen bzw. die Roma als ethnische Gruppe verbleiben in der inkludierenden Exklusion die stereotypisierten und reproduzierten Anderen, teils vor der Kontrastfolie der als Norm gesetzten Nicht-Anderen, die nicht benannt oder gezeigt werden.251 Allerdings muss hinzugefügt werden, dass eine sichtbare (Re-)Präsentation der ethnischen Dimension nicht zwangsläufig als Besonderung exkludierende Mechanismen zur Folge haben muss, wie mit den Projekten in Frankfurt/Main 250 | Ich habe von einer Verschränkung der Begriffe Inklusion und Exklusion das erste Mal 2009 von der Ethnologin Elisabeth Tauber gehört. Sie begann ein Forschungsprojekt, das 2012 mit dem Titel „‚The integrated exclusion‘ How do public institutions practice ‚integration‘ of Romani people? An anthropological study“ an der freien Universität Bozen fertig gestellt wurde (Tauber). Die gleiche Begrifflichkeit und eine ähnlich strukturelle Analyse wie meine unternimmt auch der Literaturwissenschaftler Herbert Uerlings in seinem Artikel „Inkludierende Exklusion. Zigeuner und Nation in Riefenstahls Tiefland und Jelineks Stecken, Stab und Stangl“ (2008). Er untersucht den Film Tiefland von Leni Riefenstahl, in dem die Regisseurin Sinti als Komparsen verpflichtet hatte, die im Anschluss nahezu alle in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und dort umgebracht wurden (Gilsenbach 1993: 167). Elfriede Jelineks Stück Stecken, Stab und Stangl wird ebenfalls untersucht, das den Mord an vier im Burgenland lebenden Roma von 1995 thematisiert. Im Bereich kultureller Bildung hat sich Klepacki (2014) mit dem Begriffspaar auseinandergesetzt. Allerdings lassen sich bislang keine empirischen Arbeiten finden, die eine Verknüpfung wie die der vorliegenden Arbeit vornehmen. 251 | Stichweh (2009: 40) beschreibt dieses Phänomen nicht als paradox, sondern als eine Form von Inklusion und Exklusion in der Gesellschaft. Für den vorliegenden Kontext sind es jedoch gerade die Versprechungen des Diskurses kultureller Bildung, die diesen als widersprüchlich bis fadenscheinig erscheinen lassen. In dem von Patrut/Uerlings herausgegebenen Band Inklusion/Exklusion und Kultur (2013) wird Inklusion/Exklusion als eine kulturwissenschaftliche Analysekategorie (2013: 12) verstanden, die historisch-gesellschaftliche Strukturen und Prozesse wie künstlerische Repräsentationen untersucht. Die Herausgeber stellen fest: „Das Exklusionsregime prägt in allen Gesellschaften die ihnen zugrunde liegenden Strukturen und Semantiken; am Inklusionsregime zeigen sich die Regeln gesellschaftlicher Normalisierung.“ Der Band formuliert die These, dass „Inklusion/Exklusion selbst gesellschaftliche Strukturen und Semantiken [modellieren] und […] neue Muster der Öffnung und Schließung [generieren].“ Sie erarbeiten eine Modifikation des Luhmann’schen Modells, weil dieses nicht allein abhängig von vorherrschenden Differenzierungsformen ist, „sondern [es] auch umgekehrt neue Differenzierungsformen anstieß“ (2013: 46, Hervorhebung im Original).

301

302

Kulturelle Teilhabe durch Musik?

und Berlin aufgezeigt werden konnte. Dennoch lassen sich „subtile Formen der Nicht-Anerkennung“ (Vogt 2013: 498) feststellen.252 Interessanterweise verbleiben alle untersuchten Projekte in den vorgefundenen Strukturen; eine Gegenstruktur, z. B. als exkludierende Inklusion, wie sie Stichweh für verschiedene „institutionelle Muster“ (Stichweh 2009: 40) explorativ begonnen hat, ist nicht erkennbar.253 Eine solche Gegenstruktur zu durchdenken, provoziert für den vorliegenden Kontext die Frage, ob es solche Projekte bislang gibt und wie sie mit dem Spannungsfeld von Empowerment und Othering umgehen könnten. Die Erkenntnis der inkludierenden Exklusion kommt zwar einer analytischen Trivialität gleich – allerdings wird das Dilemma im Diskurs kultureller Bildung zu einem ernstzunehmenden Ergebnis, weil es Konsequenzen für die kulturelle Teilhabe der Kinder und Jugendlichen nach sich zieht. Deshalb muss das Dilemma, so zeigen die Ergebnisse der Untersuchung, als konstitutives und systemrelevantes Element transparent gemacht werden (vgl. Kapitel V/5.3), um die Struktur zum einen zu erkennen, zum anderen dagegen angehen zu können. Das Spannungsfeld der generalisierbaren Theorie kann neben der ethnischen Dimension von Diversität auch auf andere Dimensionen von Diversität wie z. B. Alter, Gender oder körperliche und mentale Verfasstheit übertragen werden. Das lässt weitere Untersuchungen in diesem Feld äußerst lohnend erscheinen. Das Differenzierungsdilemma indes bleibt bestehen, weil es sich um einen dynamischen Prozess handelt, der immer wieder neu vergegenwärtigt und reflektiert wird – gerade in künstlerisch-pädagogischen Aushandlungsprozessen für die Bühne. Deshalb bedarf es einer reflexiven inklusiven Perspektive, wie der Soziologe Clemens Dannenbeck und die Integrations- und Inklusionspädagogin Carmen Dorrance feststellen, die (sozial-)pädagogisches Handeln gegen die „entpolitisierte Forderung nach Inklusion“ (Dannenbeck/Dorrance 2009: 7) stark machen: Eine reflexive inklusive Perspektive heißt vor allem, sich der Dynamik der sozialen [und kulturellen] und gesellschaftlichen Konstruktionsprozesse von Differenz(en) zu stellen. Anerkennung von Vielfalt ist die eine Seite der Medaille, die Dekonstruktion von Differenzsetzungen ist deren Kehrseite. Denn Heterogenität ist nicht einfach da, sondern wird durch praktisches Handeln, durch Unterscheidung, Differenzierung und Kategorisierung immer auch erst hergestellt. Letzteres erfolgt über die machtvolle Durchsetzung 252 | Vgl. dazu die Ausführungen von Vogt im Kapitel zur kulturellen Bildung, insbesondere den Kontext Musik und Teilhabe (Teil II/1.2.3). 253 | So stellt Stichweh beispielsweise als inkludierende Exklusion die Jugendhilfe der exkludierenden Inklusion der Jugendbande gegenüber (Stichweh 2009: 40).

Teil VI: Fazit und Ausblick von Lesarten, die es erforderlich macht, sich der Analyse der Machtprozesse, die den Kampf um die Bedeutung von bestimmten Differenz(en) (und deren Wechselwirkung) maßgeblich bestimmen, zu stellen. (Dannenbeck/Dorrance 2009: 6)

Nicht nur sinnvoll, sondern zwingend notwendig erscheint es, dass die Perspektive auf die Strukturen dieser Herstellungsprozesse, der „Dekonstruktion von Differenzsetzungen“ (ebd., vgl. auch Mecheril 2005), gerichtet werden muss, um nicht die Einzelnen mit ihren Teilhabeproblemen, dem Misslingen oder Gelingen der Teilhabe allein zu lassen (vgl. Bartelheimer 2007: 18). Die Kulturanthropologin Gisela Welz hat bereits in den 1990er-Jahren zur Repräsentation von Migranten und ethnischen Minderheiten in Museen und Festivals als Inszenierungen kultureller Vielfalt (Welz 1996) festgestellt: Im Extremfall operiert Kultur so, daß sie den Betroffenen selbst die Schuld für ihre soziale Situation gibt und gleichzeitig behauptet, da ihr Problem kulturelle Ursachen habe, entziehe es sich strukturellen Lösungsversuchen. [Damit wird] soziale Ungleichheit in und zwischen Gesellschaften konstant [gesetzt]. (Welz 1996: 129)

Und auch Mark Terkessidis weist sehr explizit auf die Bedeutung struktureller Probleme in einem „gesellschaftlichen ‚Apparat‘ hin, in dem Menschen überhaupt erst zu Fremden gemacht werden“ (Terkessidis 2010: 88). Deshalb fordert er eine Transformation der Institutionen als „interkulturelle Öffnung“ (ebd.: 172), damit diese zu „Kulturinstitutionen für alle“ (ebd.: 169 ff.) werden (können). Er verweist auf den Bericht der Enquête-Kommission Kultur in Deutschland (Deutscher Bundestag 2007) und kritisiert, dass das „Thema Interkultur“ (ebd.: 179) nur marginalisiert unter der Rubrik „Förderbereiche von besonderer Bedeutung“ (Kapitel 3.5.5) (Deutscher Bundestag 2007: 210–215) auftauche. Terkessidis fordert, dass das „Thema Interkultur“ stattdessen als „Prinzip für die gesamte Gesellschaft: [als] die berühmte Querschnittsaufgabe“ (Terkessidis 2010: 179) gelten müsse. Dieses Prinzip fasst er wie folgt zusammen: Es ist egal, woher die Menschen, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Polis aufhalten, kommen und wie lange sie sich dort aufhalten. Wenn erst einmal die Zukunft im Vordergrund steht, dann kommt es nur noch darauf an, dass sie jetzt, in diesem Moment anwesend sind und zur gemeinsamen Zukunft beitragen. (Terkessidis 2010: 220)

Damit beschreibt Terkessidis eine Selbstverständlichkeit und Normalität in einem gemeinsamen Raum, den auch die untersuchten Projekte anstreben und teils mehr, teils weniger erreichen.

303

304

Kulturelle Teilhabe durch Musik?

A usblick Es wäre sicherlich lohnenswert, das von mir erhobene Datenmaterial vor dem Hintergrund der Theorie transformatorischer Bildungsprozesse nach Koller auszuwerten.254 Dann ließe sich auch danach fragen, inwieweit die von mir beschriebenen und rekonstruierten Prozesse überhaupt als Bildungsprozesse zu bewerten sind, denn auch hier stellt sich nicht die Frage was Bildung ist, sondern wie Bildung möglich ist. Sehr wahrscheinlich müsste aber nicht nur in den untersuchten Projekten, sondern darüber hinaus im Feld der kulturellen Bildung kritisch reflektiert werden, wie und ob überhaupt Bildungsprozesse angestoßen werden können – zumal bei der Kurzfristigkeit und Einmaligkeit vieler Projekte. Denn in Konzeptionen und Förderausschreibungen geht es zu einem großen Teil nicht um Bildung, sondern um Lernkulturen (vgl. z. B. Fink 2012). Weiterführende Fragen wären dann auch, wer einen Bildungsprozess definiert: ich als Forscherin, die Pädagoginnen oder das Subjekt selbst? Problematisch ist aber, dass die kulturelle Bildung nur allzu gern grundlegende Transformationen und operationalisierbare Merkmale und Kompetenzen für die Persönlichkeitsentwicklung verspricht. Zu fragen ist in diesem Kontext, wozu eigentlich Persönlichkeitsentwicklung ermöglicht werden soll: Geht es darum Subjekte damit gesellschaftsfähig zu machen, dienen Emanzipation und Empowerment neoliberalen Aktivierungsstrategien? „Die Legitimationskrise der Bildung ist insbesondere eine Krise ihrer Teilhabemöglichkeiten“, schreiben Ingrid Miethe und Anja Tervooren in dem 2017 erschienenen Tagungsband „Bildung und Teilhabe. Zwischen Inklusionsforderung und Exklusionsdrohung“ (Miethe/Tervooren 2017: 3), denn „[w]eder vermag Bildung noch angemessen gesellschaftliche Teilhabe zu garantieren noch gilt, dass Bildung allen gleichermaßen offen steht“ (ebd.: 2). Eine Möglichkeit, die verschiedenen darin verstrickten Strategien transparent zu machen, zeigt die sich selbst so bezeichnende Sonderpädagogin Mai-Anh Boger mit ihrer Theorie der trilemmatischen Inklusion auf (Boger 2017): Es gäbe zwar keinen Weg, dass sich Inklusion als Empowerment, Inklusion als Normalisierung und Inklusion als Dekonstruktion miteinander verbinden ließen, aber es komme in erster Linie auf die Zielsetzung an, wann welche Strategie eingesetzt werde. Damit könne schließlich auch eine (Re-)Politisierung des Inklusionsbegriffs umgesetzt werden, so Boger. Es lässt sich schlussfolgern: Projekte, die im Bereich kultureller Bildung arbeiten und sich mit den Logiken und Verstrickungen des Diskurses auseinandersetzen, sollten nicht Versprechungen aufstellen, die sie nicht halten können, um die Verfehlungen anderer Systeme auszugleichen. Inwiefern sie 254 | Nach Ingrid Miethe wären die methodologischen Voraussetzungen, wie Grounded Theory und Bildungstheorie verbunden werden können, gegeben (vgl. Miethe 2012).

Teil VI: Fazit und Ausblick

neben kultureller Teilhabe auch soziale und politische Teilhabe bewirken können, kann schwer abgemessen werden (vgl. Maedler 2008: 111, Dannenbeck/ Dorrance 2009: 7, Mörsch 2012: 148). Wichtig erscheint indes, dass Einrichtungen, die „ein Mehr an kultureller Teilhabe anstreben, sich auch anwaltlich auf verschiedenen Ebenen für die Bereitstellung entsprechender Ressourcen einsetzen“, wie Maedler formuliert (2008: 111). Denn wenn nicht auch politische Teilhabe gefordert und erkämpft wird, dann sind kulturelle Projekte nicht viel mehr als die schillernde Ausnahme, Leuchtturmprojekte, die keine strukturellen Änderungen bewirken, sondern die zur „Beruhigung und Dekoration“ (Mörsch 2012: 148) im sozialen Legitimationsdiskurs eine Rolle spielen. Somit kann abschließend festgehalten werden, dass der Diskurs um kulturelle Teilhabe in seiner nur auf Inklusion und nicht auch auf Exklusion ausgerichteten Perspektive den Blick verdeckt auf Probleme, die in anderen Bereichen gelöst werden müssten. Der Diskurs unterliegt der Gefahr, dass Kulturprojekte als Deckmantel fungieren, die nicht vor politischen Vereinnahmungen gefeit sind und damit Politik entlasten und für eine staatliche Programmatik umfunktioniert werden können (vgl. Sturzenhecker 2014, Dannenbeck/Dorrance 2009). Denn es wäre fahrlässig, sich mit kultureller Teilhabe anstelle politischer Mitbestimmung zufrieden zu geben. In der Untersuchung, wie kulturelle Teilhabe auch zu politischer Teilhabe führen kann, liegt folglich das dringendste Desiderat.

305

Teil VII: Anhang

M aterial auflistung und A bkürzungsverzeichnis 1. A llgemein FTB: Forschungstagebuch 2010–2012, 97 Seiten

2. P rojek t A: H eimat re - invented (K öln) 2.1 Materialien Bezeichnung

Jahr

Art des Dokuments

Antrag Fonds Soziokultur

2009

Antrag auf Projektförderung an den Fonds Soziokultur

Programmheft MusikTriennale

2010

Herausgegeben von der MusikTriennale Köln GmbH

Festivalmagazin MusikTriennale

2010

Herausgegeben von der Kölner Philharmonie, KölnMusik GmbH

Flyer MuKuTaThe

2010

Herausgegeben von der Werkstatt für Musik, Kunst, Tanz, Theater e.V.

Projekthomepage Heimat re-invented

2010–2013

Eingerichtet von der Werkstatt für Musik, Kunst, Tanz, Theater e.V.

Dokumentation MuKuTaThe

2010

Titel: Musik-, Kunst- und Tanzprojekt mit Kölner Förderschule und dem Schulprojekt „Amaro Kher“ des Rom e.V., herausgegeben von der Werkstatt für Musik, Kunst, Tanz, Theater e.V.

Infodienst

2010

infodienst. Magazin für Kulturelle Bildung, herausgegeben vom Bundesverband der Jugendkunstschulen und Kulturpädagogischen Einrichtungen e.V. (bjke), Unna, S. 45

Evaluation Heimat re-invented

2010

Durchgeführt von der Werkstatt für Musik, Kunst, Tanz, Theater e.V.

308

Kulturelle Teilhabe durch Musik? Bezeichnung

Jahr

Art des Dokuments

Evaluierungsbogen MuKuTaThe

2010

Ausgeteilt an die Projektteilnehmer zur Halbzeit des Projekts, März 2010 (vierseitiger Bogen für die Dozentinnen, einseitiger Bogen für die Schülerinnen)

Auswertung des Evaluierungsbogen zur Halbzeit des Projekts nach Schulen

2010

Nicht-öffentliches Dokument, das mir zur Verfügung gestellt wurde

Auswertung Projektevaluierung MuKuTaThe

2010

In: Dokumentation MuKuTaThe (2010: 34–44)

Laudatio zum 3. Preis „Rauskommen. Der Jugendkunstschuleffekt“

2011

Verliehen am 24.3.2011 in Berlin vom bjke, Preisübergabe durch Mechthild Eickhoff, Redner der Laudatio: Nicolas Grundhewer

2.2 Auflistung der geführten Inter views In der folgenden, nach dem Anfangsbuchstaben alphabetisch aufgeführten Auflistung finden sich alle geführten Interviews, die im Laufe des Projekts, d. h. während der Probenzeit sowie vor und nach den Aufführungen geführt wurden. Angegeben ist jeweils das Datum sowie die Länge (in Minuten und Sekunden) des geführten Interviews; im Haupttext der Arbeit sind zur besseren Orientierung die Textseiten des jeweiligen Transkripts angegeben. Nummer255

Name

Funktion

Datum

Länge (Min:Sek)

AH 165

Astrid Hage

Leiterin Öffentlichkeitsarbeit Comedia

11.5.2010

1:17

AJ 031

André Jolles

Dozent für Tanz

19.5.2010

Schriftlich

AR 100

Andrea Riedel

Projektleiterin der MuKuTaThe

13.4.2010

14:35

AR 172

S.o.

21.6.2010

31:44

AT 077

Andrea Tober

13.4.2010

16:46

Projektleiterin der KölnMusik

255 | Die Nummern sind dem Aufnahmegerät entnommen; das erste geführte Interview hatte nicht die Ordnungsnummer eins, sondern 70, sodass die Nummern zwar fortlaufend sind, aber nach der Nummer 200 die Zählung von vorne erneut mit der eins begann. Um Missverständnisse zu vermeiden, wurden diese Interviews fortlaufend mit 2_001 etc. bezeichnet. Da ich neben den Interviews auch Aufnahmen von Proben sowie von der Aufführung gemacht habe, sind die Nummern nicht zwangsläufig nachfolgend, sondern es finden sich Lücken. Nach der Aufführung habe ich einige Befragungen schriftlich an diejenigen Dozenten sowie an die Praktikantinnen verschickt, mit denen ich im Projekt nicht soviel zu tun hatte oder die keine Zeit mehr für ein Interview hatten.

Teil VII: Anhang Nummer

Name

Funktion

Datum

AT 168

S.o.

B. 145

Länge (Min:Sek)

21.6.2010

28:11

Schülerinnen (Zollstock) vor Aufführung

Schülerinnen

11.5.2010

1:24

BB 070–073

Beata Burakowska

Dozentin für Musik

15.3.2010

44:43

BB 167

S.o.

31.5.2010

75:43

BO 032

Beatriz Obert

Kostümdesignerin

18.5.2010

Schriftlich

B./Y. 185–186

Schülerinnen (Zollstock) nach 2. Aufführung

Schülerinnen

29.9. 2010

4:11

D./D. 188

Befragung Kinder (Amaro Kher)

Schüler

30.9.2010

24:35

D./H. 190

Befragung Kinder (Amaro Kher)

Schüler

30.9.2010

6:21

D./S. 189

Befragung Kinder (Amaro Kher)

Schülerinnen

30.9.2010

21:26

EZ 040

Erwachsene Zuschauerin, befragt nach der Aufführung

Publikum

11.5.2010

Schriftlich

H./H. 187

Befragung Kinder (Amaro Kher)

Schüler

30.9.2010

30:23

GF 2_019

Georg Fischer

Jurymitglied des Preises „Kultur prägt“ der Landesregierung Nordrhein-Westfalen

19.12.2011

41:57

Gruppeninterview 086

Gruppeninterview (Amaro Kher)

Schüler

13.4.2010

5:40

IH 2_018

Ingrid Hilmes

Geschäftsführerin Kämpgen-Stiftung

16.12.2011

JW 033

Julia Wewers

Praktikantin

18.5.2010

Schriftlich

LB 034

Lisa Baur

Praktikantin

18.5.2010

Schriftlich

ME 2_017

Mechthild Eickhoff

Ehemalige Geschäftsführerin bjke

12.12.2011

23:38

MR 074–075

Markus Reinhardt

Sinto-Musiker, nahm nicht am Projekt teil

16.3.2010

70:22

NG 2_011

Nicolas Grundhewer

Jurymitglied bjke

24.3.2011

3:54

NH 2_030

Nadja Höll

Kuratoriumsmitglied für den Fonds Soziokultur

9.3.2012

50:15

309

310

Kulturelle Teilhabe durch Musik? Nummer

Name

Funktion

Datum

Länge (Min:Sek)

NStr 2_008

Nadine Sträter

Geschäftsführerin Liz Mohn Kultur- und Musikstiftung

22.2.2011

62:56

O. 146

Schüler (Porz)

Schüler

11.5.2010

2:22

Publikum 155

Publikumsstimmen nach der Aufführung

Publikum

11.5.2010

3:23

RS 035

Ramesh Shotham

Dozent für Musik

25.5.2010

Schriftlich

S. 116

Schüler (Amaro Kher) erzählt und singt

Schüler

13.4.2010

3:42

SC 101

Sandy Craus

Dozentin für Kunst

13.4.2010

15:05

SC 2_037

S.o.

18.5.2010 25.5.2010

Schriftlich

SE 103–104

Salvador Echevarria

Künstlerischer Leiter und Dozent für Tanz

14.4.2010

13:12

S./S. 111

Gespräch in der Pause (Amaro Kher)

Schülerinnen

14.4.2010

7:51

SH 110

Sybille Haag

Lehrerin Amaro Kher

14.4.2010

10:31

SH 2_038

S.o.

21.5.2010

Schriftlich

TF 039

Tine Flohr

Lehrerin Zollstock

19.5.2010

Schriftlich

TG 135–136

Tine Graß

Schulsozialarbeit Zollstock

14.4.2010

28:31

TG 174

S.o.

19.7.2010

47:11



Nedjo Osman

28.9.2010

Nicht aufgezeichnetes Gespräch

Schauspieler, Mediator

Teil VII: Anhang

3. P rojek t B: P hilharmonischer Verein der S inti und R oma (F r ankfurt/M ain) 3.1 Materialien Bezeichnung

Jahr

Art des Dokuments

Konzept und Satzung des Vereins

2001

Vgl. Homepage

Jahresberichte Schaworalle

2008, 2013

Herausgegeben vom Förderverein Roma

Faltblatt Konzertprogramm

2010

Konzert vom 3.11.2010

Programm Schulkonzert

2010

Herausgegeben vom Philharmonischen Verein der Sinti und Roma

Regiebuch

2010

Konzept Ulaş Aktaş

Nachlese, Briefe an das Orchester

2010

Zusammenstellung Ulaş Aktaş

Nachlese Schulkonzert

2010

Zusammenstellung Ulaş Aktaş

3.2 Auflistung der geführten Inter views Nummer

Name

Funktion

Datum

Länge (Min:Sek)

RMS 193

Riccardo M Sahiti

Dirigent

3.11.2010

15:04

RMS 2_002

S.o.

21.3.2011

76:22

3.3 Abkürzungen Presseberichterstattung DLF Deutschlandfunk DW Deutsche Welle Evangelisch.de/Chrismon ohne Abkürzung FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FNP Frankfurter Neue Presse FR Frankfurter Rundschau NZZ Neue Zürcher Zeitung ohne Abkürzung Opernnetz PM WTK Pressemitteilung Wetteraukreis NMZ Neue Musikzeitung Newess ohne Abkürzung SZ Süddeutsche Zeitung WZ Wetterauer Zeitung WK Wiesbadener Kurier (online)

311

312

Kulturelle Teilhabe durch Musik?

3.4 Übersicht Konzertprogramme und Presseberichterstattung Hinweise: • Zeitraum der Übersichtstabelle: Gründung 2002 bis einschließlich Januar 2016 • Alle Angaben sind der Homepage des Orchesters entnommen. Medienberichte aus anderen Ländern, insbesondere zur Aufführung des „Requiems für Auschwitz“ wurden nicht in der Tabelle aufgelistet, sondern sind auf der Requiem-Homepage (www.requiemforauschwitz.eu) zu finden. • Bei allen Konzerten ist der Dirigent Riccardo M Sahiti der künstlerische Leiter und Dirigent (bis auf eine Ausnahme). • Bei den Angaben wurde der Schreibweise und der Reihenfolge der Homepage gefolgt, weshalb es ggf. Inkongruenzen geben kann (z. B. die Reihenfolge in der Aufzählung „Roma“ und „Sinti“, die bei dem Verein die Sinti voranstellt, bei den Konzertprogrammen die Roma). • Auf der Homepage des Orchesters sind nicht alle für die Analyse genutzten Presseberichte aufgeführt; durch Recherchen konnte ich weitere ausfindig machen, die in der Materialauflistung für das Frankfurter Orchester gelistet sind.

314

Kulturelle Teilhabe durch Musik? Datum

Art

Ort

Repertoire

03.11.2002

Gründungskonzert

Clara-Schumann-Saal, Dr. Hoch’s Konservatorium, FFM

Ivo Csampai: „Memory Of Bihari“, „Hejre Kata“ Stanko Šepić: „Erinnerung“ für Streichorchester Robert Fuchs: Serenade e-Moll für Streichorchester Nr. 3 Op. 21 Miklos Rozsa: Waltz, „Madame Bovary“ Roby Lakatos: Symphony „Bird In The Dust“ John Williams: „Schindler’s List“ Nino Rota: Love Theme „Il Padrino“ Leo Weiner: Divertimento nach alten ungarischen Tänzen für Streichorchester Nr. 1 Op. 20

18.05.2003

Zweites Konzert

Clara-Schumann-Saal, Dr. Hoch’s Konservatorium, FFM

Ferenc Farkas: Piccola musica di concerto für Streichorchester Dag Wiren: Serenade für Streichorchester Op. 11 IV Evergreens: Solo Szakcsi Lakatos Szakcsi Lakatos: Concertino für Saxophon, Klavier und Streichorchester Miklos Kocsar: „Pozsonyi Tancok“ für Streichorchester Jean Sibelius: Romanze in C Op. 42 für Streichorchester Tony u. Szakcsi Lakatos: „Memory of Django“, Duo Saxophon und Klavier Jakov Gotovac: „Lied u. Tanz aus dem Balkan“ Op. 16 für Streichorchester Béla Bartók: Rumänische Volkstänze (Bearbeitung: Arthur Willner)

30.11.2003

Kammermusik am Nachmittag

Clara-Schumann-Saal, Dr. Hoch’s Konservatorium, FFM

Pablo de Sarasate: „Zigeunerweisen“ Op. 20 Maurice Ravel: „Tzigane“ Johann Sebastian Bach: „Willst du dein Herz mir schenken“ (Istvan Kuruc) Johann Sebastian Bach: Allemanda, Corrente aus der Partita Nr. 2 Wolfgang Amadeus Mozart: „Schon lacht der holde Frühling“, KV 580 Camille Saint-Saëns: Introduktion und Rondo capriccioso a-Moll Op. 28 Ferdinand Poliakin: „Le Canari“ Giuseppe Verdi: „La Zingara“ Antonin Dvorák: Duette op. 32 Nr. 1 und Nr. 3

Teil VII: Anhang Besetzung

Gäste

Presse

Roma und Sinti Streichorchester

Roby Lakatos (Geige)

Frankfurter Rundschau (FR), 02.11.2002 Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 06.11.2002

Schirmherrschaft: Petra Roth (Oberbürgermeisterin FFM) Grußworte: Nedjo Osman Dr. Albrecht Magen Romani Rose Prof. Dr. Micha Brumlik

Roma und Sinti Streichorchester

Tony Lakatos (Saxophon) Szakcsi Lakatos (Klavier)

FAZ, 21.05.2003

Roma und Sinti Streichorchester (Duo und Trio)

Begrüßung: Claudia Molnár

Frankfurter Neue Presse (FNP), 23.10.2003 (Ankündigung)

315

316

Kulturelle Teilhabe durch Musik? Datum

Art

Ort

Repertoire

06.06.2004

Kammerkonzert mit Vokal- und Instrumentalmusik

Gallus Theater, FFM

Volkslied russischer Roma: „Zwiozdoczka“ Gedicht von Papusha Wajs: „Meine Erde, mein Wald...“ Ballade polnischer Roma: „Pasho sveto me phirdziem“ Volkslied österreichischer Roma: „Opre phirdem“ Daumenickel Triska: „Tu dshajal“ Joszka Feco: „Dikhlom les“ Reggie Jonas: Suite for Strings Quartet and Piano Volkslied finnischer Roma: „Phenel amenge“ Volkslied russischer Roma: „Rutschejok“ Volkslied russischer Roma: „Kajone“

06.11.2004

Drittes Konzert

Clara-Schumann-Saal, Dr. Hoch’s Konservatorium, FFM

Béla Bartók: Rumänische Volkstänze (Bearbeitung: Arthur Willner) Franz Lehár: Ilona Lied, Csárdás Vitorio Monty: Csárdás Emmerich Kálman: „Komm Tzigane“, Romanze, Csárdás Goerge Boulanger: „Die Geige weint“ Manuel de Falla: „Malagueñe ung Dizy Fingers“ [sic] Nikolaie Pantazie: „La Cules des Cucuruz“ Grigoras Dinicu: „Die Lerche“ Nasser K. Jahromi: Musikalische Skizzen für Streichorchester (Uraufführung) Jean Sibelius: Andante Festivo Leoš Janaček: Suite für Streichorchester

Teil VII: Anhang Besetzung

Gäste

Presse

Quartett des Roma und Sinti Streichorchesters

Katjusha Kozubek Ensemble Reggie Jonas (Klavier)

FAZ, 11.06.2004

Begrüßung: Claudia Molnár

Roma und Sinti Streichorchester

Marius und Nicu Turcitu & Romania Ensemble Schirmherrschaft: Romani Rose

FAZ, 12.11.2004

317

318

Kulturelle Teilhabe durch Musik? Datum

Art

Ort

Repertoire

11.11.2005

Viertes Konzert

Bockenheimer Depot, FFM

Béla Bartók: Vier kleine Tanzstücke und sechs ungarische Volkslieder (Bearbeitung: Gábor Darvas) Franz Liszt: Ungarische Rhapsodie Nr. 12 in cis-Moll Stanko Šepić: „Erinnerung“ für Streichorchester Johann Sebastian Bach: Konzert c-Moll für zwei Klaviere und Streichorchester BWV 10 60 Aaron Weiss: „Impromptus II“ f-Moll Stanko Šepić: Musik für Klavier und Streichorchester Peter Tschaikowsky: Suite aus „Die Jahreszeiten“ Op. 37a Streicher

13.11.2005

Viertes Konzert

Palais Prinz Carl, Heidelberg

s.o.

29.11.2006

Fünftes Konzert

Bockenheimer Depot, FFM

Kálmán Csèki: „Falling Dance“ (Uraufführung) Astor Piazolla: „Cuatro estaciones portenas“ für Violine und Streichorchester (Bearbeitung: Leonid Desyatnikov) Zwei Roma-Lieder für Singstimme und Ensemble Rodion Schtschedrin: „Carmen-Suite“ nach Georges Bizet für Streichorchester und Schlagzeug

06.11.2007

Sechstes Konzert und Kulturtag (Symposium und ViolinWorkshop)

Foyer und großer Saal der HfMDK FFM

Traditionelle Roma-Musik aus Rumänien: Marius Banica & Ensemble Russischer Roma Tanz: Katjusha Kozubek Stanko Šepić: „Erinnerung“ für Streichorchester Kálmán Cséki: „Falling Dance“ Pablo de Sarasate: „Zigeunerweisen“ Op. 20 (Bearbeitung für Streichorchester) Béla Bartók: „Rumänische Volkstänze“ Traditionelle Roma-Musik aus Ungarn: László Vadász & Ensemble aus Ungarn Edward Debicki: „Phenel Amenge“ Roma-Lied aus Polen

Teil VII: Anhang Besetzung

Gäste

Presse

Roma und Sinti Streichorchester

Aaron Weiss (Klavier) Jerôme Weiss (Klavier)

FAZ, 13.11.2005

Begrüßung: Claudia Molnár

s.o.

s.o.

Roma und Sinti Streichorchester

Béla Nagy (Violine) Rossiana Popova (Tanz) Mitglieder der Hochschule für Musik Ffm (Schlagzeug)

FR, 28.11.2006 (Ankündigung) FR, 01.12.2006 FAZ, 06.12.2006

Schirmherrschaft: Romani Rose Begrüßung: Claudia Molnár

Roma und Sinti Streichorchester

Marius Banica & Ensemble Laslo Vadász & Ensemble Béla Nagy (Violine) Elena Ion (Gesang) Katjusha Kozubek (Gesang) Schirmherrschaft: Petra Roth Begrüßung: Thomas Rietschel (Präsident der HfMDK FFM) Claudia Molnár

hr2 Kultur 01.11.2007 (Ankündigung) FNP, 08.11.2007 FNP, 15.11.2007

319

320

Kulturelle Teilhabe durch Musik? Datum

Art

Ort

Repertoire

27.05.2008

Sinti-Musikabend

Clara-SchumannSaal, Dr. Hochs Konservatorium, FFM

Kein Programm online

04.10.2008

Konzert

Dankeskirche, Bad Nauheim

Stanko Šepić: „Erinnerung“ für Streichorchester Traditionelle Roma-Musik aus Rumänien: Marius Banica & Ensemble aus Rumänien Kálmán Cséki: „Falling Dance“ Astor Piazzolla: „Cuatro estaciones porteñas“ Pablo de Sarasate: „Zigeunerweisen“ Op. 20 Béla Bartók: „Rumänische Volkstänze“

22.10.2008

Siebtes Konzert

Bockenheimer Depot, FFM

Jean Sibelius: Canzonetta Op. 62 Rodion Schtchedrin: „Russische Photographien für Streichorchester“ Maurice Ravel: „Tzigane“ Giacomo Puccini: „Alla Memoria di Amadeo di Savoja Duca D’Aosta Chrisantemi“ Jean Sibelius: „Rakastava“ Op. 14 für Streichorchester Pablo de Sarasate: „Zigeunerweisen“ Op. 20 für Violine und Orchester (Bearbeitung: Thomas Regel) Stanko Šepić: Uraufführung einer Variation für Streichorchester auf ein Roma-Lied, gewidmet dem Streichorchester der Roma und Sinti

16.12.2008

Achtes Konzert

Bockenheimer Depot, FFM

Giacomo Puccini: „Alla Memoria di Amadeo di Savoja Duca D’Aosta Crisantemi“ Kálmán Cséki: Uraufführung eines neuen Werkes für Streichorchester auf ein Roma-Lied, gewidmet dem Streichorchester der Roma und Sinti Ferenc Snétberger: „For My People“ für Gitarre und Streichorchester Ottorino Respighi: Antiche Danze ed Arie per Liuto, Suite III

06.06.2009

Eröffnungskonzert Kultursommer Mittelhessen

Kloster Engelthal, Altenstadt

Werke von Bartók, Piazolla und Schteschedrin (kein detailliertes Programm online)

Teil VII: Anhang Besetzung

Gäste

Rigo Winterstein Swingtett

Lisa Weiss (Gesang) Katjusha Kozubek (Gesang)

Roma und Sinti Streichchor

Marius Banica & Ensemble aus Rumänien

Presse

Wetterauer Zeitung, 06.10.2008

Begrüßung: Claudia Molnár

Roma und Sinti Streichorchester

Géza Hosszu-Legocky (Violine) Begrüßung: Claudia Molnár

Roma und Sinti Streichorchester

Ferenc Snétberger (Gitarre) Schirmherrschaft und Begrüßung: Romani Rose

Roma und Sinti Philharmoniker

Géza Hosszu-Legocky (Violine)

FNP, 24.10.2008 FAZ, 27.10.2008

321

322

Kulturelle Teilhabe durch Musik? Datum

Art

Ort

Repertoire

12.09.2009

Konzert „Roma und Sinti Kammerphilharmoniker Meet Friends“

Friedrich-vonThiersch-Saal, Kurhaus Wiesbaden

Ludwig van Beethoven: „Coriolan“ Op. 62 Ouvertüre Romanze F-Dur Op. 50 für Violine und Orchester „Tripelkonzert“ C-Dur Op. 56 für Klavier, Violine, Violoncello und Orchester Robert Schumann: Sonate für Violine und Klavier Nr.1 a-Moll Op. 105 John Williams: „Schindler’s List“ für Violine und Orchester Max Bruch: „Kol Nidrei“ Op. 47 für Violoncello und Orchester Traditionelle Roma-Musik: Géza Hosszu-Legocky und The 5 DeVils

04.11.2010

Roma und Sin- Großer Saal der ti Musik- und HfMDK FFM Kulturtage (VioloncelloWorkshop)

Eugène Ysaÿe: „Harmonies du Soir“ Op. 31 für Quartett und Streichorchester Joseph Haydn: Konzert für Violoncello und Orchester C-Dur Hoboken VIIb: 1 Hartmut Jentzsch: „Zwischen Himmel und Erde“ für Streichorchester, gewidmet den Roma und Sinti Kammerphilharmonikern (Uraufführung) Franz Liszt/Stanislav Rosenberg: „Hommage à la Rhapsodie hongroise no. 2 de Franz Liszt“ für Streichorchester (Uraufführung) Pablo de Sarasate: „Zigeunerweisen“ Op. 20 für Violoncello und Orchester

21.04.2011

Neuntes Konzert

Stanislav Rosenberg: „Evening of the Second Sunday“ für Streichorchester (Uraufführung) Ciprian Porumbescu: Ballade für Violine und Streichorchester Giovanni Bottesini: Gran duo concertante, Konzert für Kontrabass, Violine und Streichorchester Henryk Gorecki: Three pieces in old style für Streichorchester Stanko Šepić: „Erinnerung“ für Streichorchester Anna-Lena Laurin: „Autumn fields“ für Violine und Streichorchester Witold Lutoslawski: „Trauermusik“ für Streichorchester in memoriam Béla Bartók

Bockenheimer Depot, FFM

Teil VII: Anhang Besetzung

Gäste

Presse

Roma und Sinti Kammerphilharmoniker

Martha Agerich (Klavier) Géza Hosszu-Legocky (Violine) Rodin Moldovan (Violoncello) Thomas Benke (Klavier) Michael Guttmann (Gastdirigent) Bernhardt Scheidt (Gastdirigent) The 5 DeVils Ensemble

FR, 11.08.2009 (Ankündigung) Wiesbadener Kurier (Online Ausgabe), 05.09.2009 Wiesbadener Kurier, 14.09.2009

Schirmherrschaft: Romani Rose Begrüßung: Björn Hadem Romani Rose

Roma und Sinti Kammerphilharmoniker

Rodin Moldovan (Violoncello)

FNP, 06.11.2010 FAZ, 06.11.2010

Schirmherrschaft: Romani Rose

Roma und Sinti Kammerphilharmoniker Béla Nagy (Violine) Julian Dedu (Violine) Marius Banica (Violine) Antal Rácz (Kontrabass) Rodin Moldovan (Violoncello)

Schirmherrschaft: Romani Rose

FNP, 26.04.2011 FAZ, 02.05.2011

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324

Kulturelle Teilhabe durch Musik? Datum

Art

Ort

Repertoire

24.09.2011

Konzerte auf dem Beethovenfest Bonn im Rahmen der „LisztNacht“: „Musik aus der Heimat“ „Weg vom Klischee“

Beethovenhalle, Bonn

„Musik aus der Heimat“: Rodion Schtschedrin: „Carmen Suite“ nach Georges Bizet für Streichorchester und Schlagzeug „Weg vom Klischee“: Franz Liszt: „Mephisto-Walzer“ Nr. 1 für Orchester S 110/2 Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 Es-Dur S 124 Zoltán Kodály: „Galántai Táncok“ („Tänze aus Galanta“) für Orchester Camille Saint-Saëns: Introduction und Rondo capriccioso a-Moll Op. 28 Giovanni Bottesini: Grand Duo concertante für Kontrabass, Violine und Orchester Franz Liszt: „Ungarische Rhapsodie“ Nr. 2 für Orchester S 359/2

25.09.2011

Galakonzert in Kooperation mit dem Beethovenfest Bonn

hr-Sendesaal, FFM

Rodion Schtschedrin: „Carmen-Suite“ nach Georges Bizet für Streichorchester und Schlagzeug Franz Liszt: „Mephisto-Walzer“ Nr. 1 für Orchester S 110/2 Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 Es-Dur S 124 Zoltán Kodály: „Galántai Táncok“ („Tänze aus Galanta“) für Orchester Camille Saint-Saëns: Introduction und Rondo capriccioso a-Moll Op. 28 Giovanni Bottesini: Grand Duo concertante für Kontrabass, Violine und Orchester Pablo de Sarasate: „Zigeunerweisen“ Op. 20 Franz Liszt: „Ungarische Rhapsodie“ Nr. 2 für Orchester S 359/2 (Bearbeitung: Karl Müller-Berghaus)

03./ 04.05.2012

Aufführung des „Requiem voor Auschwitz“ International Conference

De Nieuwe Kirk, Amsterdam Concertzaal Theaters, Tilburg

Roger Moreno Rathgeb: „Requiem voor Auschwitz“ g-Moll Op. 4 für Soli, Chor, Orgel und Orchester (Uraufführung)

04.11.2012

Aufführung des Requiems

Rudolfinum, Prag

Roger Moreno Rathgeb: „Requiem für Auschwitz“ g-Moll Op. 4 für Soli, Chor, Orgel und Orchester

Teil VII: Anhang Besetzung

Gäste

Presse

Roma und Sinti Philharmoniker

Mihaela Ursuleasa (Klavier) Géza Hosszu-Legocky (Violine) Roman Patkoló (Kontrabass)

General-Anzeiger, 13./14.08.2011 (Porträt und Ankündigung) Bonner GeneralAnzeiger, 26.09.2011 evangelisch.de, 26.09.2011 DW-World.de, 30.09.2011, 07.10.2011, 10.10.2011 (9 Podcasts) Newess, 1/2012

Schirmherrschaft: Romani Rose

Roma und Sinti Philharmoniker

Mihaela Ursuleasa (Klavier) Géza Hosszu-Legocky (Violine) Roby Lakatos (Violine) Roman Patkoló (Kontrabass) Schirmherrschaft: Günther Grass (Vorsitzender der Stiftung zugunsten des Romavolks)

Roma und Sinti Philharmoniker

Unterschiedliche Besetzung in den verschiedenen Aufführungsstädten

Für Presse außerhalb Deutschlands, vgl. die Homepage des Requiems

S.o.

S.o.

Süddeutsche Zeitung (SZ), 27.11.2012 FR, 29.1.2013 Deutschlandfunk, 03.09.2013

325

326

Kulturelle Teilhabe durch Musik? Datum

Art

Ort

Repertoire

06.11.2012

Aufführung des Requiems

Palace of Arts, Budapest

Roger Moreno Rathgeb: „Requiem für Auschwitz“ g-Moll Op. 4 für Soli, Chor, Orgel und Orchester

28.11.2012

Aufführung des Requiems

Alte Oper, FFM

Roger Moreno Rathgeb: „Requiem für Auschwitz“ g-Moll Op. 4 für Soli, Chor, Orgel und Orchester (Deutschlandpremiere) Johannes Brahms: „Ihr habt nun Traurigkeit“ aus „Ein Deutsches Requiem“ Op. 45 Max Bruch: „Kol Nidrei“ für Violoncello und Orchester

27.01.2013

Aufführung des Requiems

Karol Szymanowski Philharmonic, Krakau

Roger Moreno Rathgeb: „Requiem für Auschwitz“ g-Moll Op. 4 für Soli, Chor, Orgel und Orchester

29.01.2013

Aufführung des Requiems

Berliner Philharmonie, Berlin

Roger Moreno Rathgeb: „Requiem für Auschwitz“ g-Moll Op. 4 für Soli, Chor, Orgel und Orchester Max Bruch: „Kol Nidrei“ für Violoncello und Orchester

22.08.2014

classic nights I

Abtei Brauweiler

Rodion Schtschedrin: „Carmen-Suite“ nach Georges Bizet für Streichorchester und Schlagzeug Johannes Brahms: „Ungarischer Tanz Nr. 17“ fis-Moll (Bearbeitung: Antonín Dvórak) Vittorio Monti: Csárdás für Violine und Orchester John Williams: „Schindler’s List“ für Violine und Orchester Richard Wagner: Vorspiel zur Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ (Meistersinger-Ouvertüre) Franz Liszt: „Ungarische Rhapsodie Nr. 2“ für Orchester (Arrangiert von Karl Müller-Berghaus)

02.12.2014

arte Filmpremiere: „Ein Dirigent und sein Traum: Die Roma und Sinti Philharmoniker“

KörberForum, Hamburg

Filmpremiere und Gespräch mit dem Dirigenten und der Filmautorin

Teil VII: Anhang Besetzung

Gäste

Presse

S.o.

S.o.

S.o.

S.o.

S.o.

FNP, 30.11.2012 FAZ, 30.11.2012 (Zwei Artikel) FR, 1./2.12.2012 DW, 15.12.2012

Schirmherrschaft: Petra Roth (Ehemalige Oberbürgermeisterin FFM) Grußworte: Romani Rose Zoni Weisz S.o.

S.o.

S.o.

S.o.

S.o.

Neue Zürcher Zeitung, 07.04.2013 das Orchester, 5/2013 Allgemeine Zeitung Mainz, 10.03.2015

Roma und Sinti Philharmoniker

Roby Lakatos (Violine)

Wiesbadener Tagblatt, 24.01.2015 arte Magazin, 01/2015 (Ankündigung) Opernnetz.de, 22.02.2015

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Kulturelle Teilhabe durch Musik? Datum

Art

Ort

Repertoire

08.04.2015

Konzert Heidelberger Frühling

Stadthalle Heidelberg

Johannes Brahms: „Ungarischer Tanz Nr. 17“ fis-Moll (Bearbeitung: Antonín Dvórak) Rodion Schtschedrin: „Carmen-Suite“ nach Georges Bizet für Streichorchester und Schlagzeug Zoltán Kodály: Tänze aus „Galánta“ für Orchester John Williams: „Krakow Geto Winter 1941“ aus „Schindler’s List“ für Violine und Orchester Roger Moreno Rathgeb: „From darkness to heaven“ Op. 11 (In Memoriam Mihaela Ursuleasa) für Orchester Camille Saint-Saëns: Introduction et Rondo capriccioso für Violine und Orchester a-Moll Op. 28 Franz Liszt: „Ungarische Rhapsodie Nr. 2“ (Bearbeitung: Karl MüllerBerghaus)

09.04.2015

Konzert

HfMDK FFM

Werke von Bizet, Dvorák, Schtschedrin, Saint-Saëns, Liszt, Kodály, Williams, Roger Moreno Rathgeb, Sarasate (kein detailliertes Programm online)

27.01.2016

Aufführung des Requiems

Frauenkirche, Dresden

Roger Moreno Rathgeb: „Requiem für Auschwitz“ g-Moll Op. 4 für Soli, Chor, Orgel und Orchester

Teil VII: Anhang Besetzung

Gäste

Roma und Sinti Philharmoniker

Roma und Sinti Philharmoniker

Presse Rhein-Neckar-Zeitung, 10.04.2015

Sarah Mehnert (Mezzosopran) Clara Graf (Violine) Gheorghe Urziceanu (Violine) Péter Foskolos (Violine) Schirmherrschaft: Peter Feldmann (Oberbürgermeister FFM)

FNP, April 2015 (keine genaue Datumsangabe) FAZ, April 2015 (keine genaue Datumsangabe) Allgemeine Zeitung, 08.04.2015

Einführung: Prof. Dr. Peter Ackermann Roma und Sinti Philharmoniker

S.o.

MDR 1, MDR Figaro, 25.01.2016 (Ankündigung) evangelisch.de, 26.01.2016 (Ankündigung) Dresdner Neueste Nachrichten, 29.01.2016

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Kulturelle Teilhabe durch Musik?

4. P rojek t C: Z ukunftsmusik (B erlin) 4.1 Materialien Bezeichnung

Jahr

Broschüre 1

1997–2000

Art des Dokuments 256

Broschüre

Broschüre 2

2002–2005

Broschüre

Homepage

Bis 2012

Homepage der Initiative

Sponsorenfilm

Keine Angabe Film zur Sponsorenakquise

DL

2008

Film-Manuskript „Djangos Lied“, Porträt Janko Lauenberger von Richter/Franke

ZB entimon

2001–03

Zwischenbericht, 60 Seiten; herausgegeben vom Deutschen Jugendinstitut e.V. (DJI)

ZB entimon

2004

Zwischenbericht, 169 Seiten; herausgegeben vom DJI

ZB entimon

2006

Zwischenbericht, 50 Seiten, herausgegeben vom DJI

AB entimon

2007

Abschlussbericht, 80 Seiten, herausgegeben vom DJI

DB entimon

2002–2005

Datenbankarchiv, herausgegeben vom DJI

4.2 Auflistung der geführten Inter views Nummer

Name

Funktion

Datum

Länge (Min:Sek)

AH 2_006

Anette Heit

Kontaktperson der Werkstatt der Kulturen

15.2.2011

25:17

OC/DJ 2_028

Oana Chițu und Dejan Jovanović (gemeinsames Interview)

Gesangslehrerin, Leitung und Koordination (2. Laufzeit), Akkordeonlehrer

15.1.2012

41:14

JL 2_033

Janko Lauenberger

Ehemaliger Schüler der Zukunftsmusik

8.7.2012

33:16

PR 2_034

Petra Rosenberg

Kontaktperson des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma

24.3.2011

Ohne Aufnahme, schriftliches Protokoll



Dotschy Reinhardt

Musikerin

17.12.2010

Schriftliche Fragen



Slaviša Marković

Gründer und Schauspieler des Rroma Aether Klub Theater

15.2.2011

Informelles Gespräch

256 | Die genaue Drucklegung der Broschüren 1 und 2 konnte von den beteiligten Personen nicht genannt werden, weshalb zur Orientierung die zeitliche Länge, d. h . die Förderperioden genannt sind.

Teil VIII: Bibliografie

Absolute Ensemble/Dinnerstein, Simone/Järvi, Kristjan (2013): Bach Re-Invented. Sony Classical. CD. Adorno, Theodor W. (1959): Theorie der Halbbildung. In: Soziologie und moderne Gesellschaft. Verhandlungen des 14. Deutschen Soziologentages vom 20. bis 24. Mai 1959 in Berlin. Berlin. S. 169–191. Allolio-Näcke, Lars/Kalscheuer, Britta/Manzeschke, Arne (Hg.) (2005): Differenzen anders denken. Bausteine zu einer Kulturtheorie der Transdifferenz. Frankfurt a.M./New York. Ambulante sozialpädagogische Erziehungshilfe (AspE) e.V. (Hg.) (2011): Dokumentation der AspE-Fachtagung. Rroma im Kontext. Online verfügbar. http://www.aspe-berlin.de/download/romaimkontext.pdf. Letzter Abruf am 21.3.2017. Ameln-Haff ke, Hildegard/Herrmann, Beate/Müller, Rabea/Zielbauer, Sisko (Hg.) (2010): Meine ART – Deine ART. Inklusion und Empowerment in der kulturpädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Workbook. Köln. Another Roadmap for Arts Education (o. J.): Online verfügbar. http://colivre.net/ another-roadmap http://colivre.net/another-roadmap. Letzter Abruf am 21.3.2017. Ashcroft, Bill/Griffiths, Gareth/Tiffin, Helen (Hg.) (1995): The post-colonial studies reader. London/New York. Auernheimer, Georg (2013): Das Multikulturalismusverständnis bei Herder: Versuch einer Ehrenrettung. In: Neubert, Stefan/Roth, Hans-Joachim/ Yildiz, Erol (Hg.): Multikulturalität in der Diskussion. Neuere Beiträge zu einem umstrittenen Konzept. Wiesbaden. S. 149–176. Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2010): Bildung in Deutschland 2012. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zur kulturellen Bildung im Lebenslauf. Online verfügbar. http://www.bildungsbericht. de/de/bildungsberichte-seit-2006/bildungsbericht-2010/pdf-bildungsbericht-2010/bb-2010.pdf. Letzter Abruf am 21.3.2017.

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Kulturelle Teilhabe durch Musik?

Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2012): Bildung in Deutschland 2012. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zur kulturellen Bildung im Lebenslauf. Online verfügbar. http://www.bildungsbericht.de/ de/bildungsberichte-seit-2006/bildungsbericht-2012/pdf-bildungsbericht2012/bb-2012.pdf. Letzter Abruf am 21.3.2017. Awosusi, Anita (Hg.) (1996): Die Musik der Sinti und Roma. Band 1: Die ungarische „Zigeunermusik“. Heidelberg. Awosusi, Anita (Hg.) (1997): Die Musik der Sinti und Roma. Band 2: Der SintiJazz. Heidelberg. Awosusi, Anita (Hg.) (1998): Die Musik der Sinti und Roma. Band 3: Der Flamenco. Heidelberg. Bachmann-Medick, Doris (2006): Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Reinbek. Bamford, Anne (2006): The wow-factor. Global research compendium on the impact of the arts in education. Münster. Bartelheimer, Peter (2007): Politik der Teilhabe. Ein soziologischer Beipackzettel. In: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hg.): Forum. Analysen und Kommentare. Berlin. Bartelheimer, Peter (2008): Was bedeutet Teilhabe? In: Maedler, Jens (Hg.): TeilHabeNichtse. München. S. 13–19. Baumann, Max Peter (2000): Roma im Spiegelbild europäischer Kunstmusik. In: Ders. (Hg.): Music, language, and literature of the Roma and Sinti. Berlin. S. 393–444. Bayrischer Rundfunk (o. J.): Willi wills wissen: „Wie lustig ist das Zigeunerleben wirklich?“ Nicht mehr online verfügbar. http://www.br-online.de/ imperia/md/content/kinder/tv/folgen_01_172_gesamt.pdf. Letzter Abruf am 20.2.2015. Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen (Hg.) (2014): Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (BRK). Online verfügbar. http://www.behindertenbeauftragte.de/ SharedDocs/Downloads/DE/UebereinkommenueberdieRechtevonMenschenmitBehinderungen.pdf?__blob=publicationFile. Letzter Abruf am 21.3.2017. Becker, Helle (2013a): Mut zur Freiheit! Eine Provokation. In: Kulturelle Bildung. Reflexionen. Argumente. Impulse. 50 Jahre BKJ. 50 Jahre für Jugend, Bildung, Kultur. Heft 11. S. 96–97. Becker, Helle (2013b): Kulturelle Bildung nach Plan oder: Die dunkle Seite des Hypes. In: Kulturpolitische Mitteilungen. Heft III. S. 32–35. Beck, Ulrich (1998): Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus, Antworten auf Globalisierung. Frankfurt a.M. Beissinger, Margaret H. (1991): The Art of the Lăutar. The Epic Tradition of Romania. New York/London.

Teil VIII: Bibliografie

Bérardi, Jean-Charles (2002): Esthétiques de la Médiation culturelle de l’Art. Universitätsskript. Université d’Aix-Marseille I. Berger, Peter L./Luckmann, Thomas (1966): Die soziale Konstruktion der Wirklichkeit. Frankfurt a.M. Berger, Peter L./Luckmann, Thomas (1990): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt a.M. Berghaus, Mareike (2012): Von Modellen zu Strukturen – zur Bedeutung von Modellprojekten in der Kulturellen Bildung. In: Bockhorst, Hildegard/ Reinwand, Vanessa-Isabelle/Zacharias, Wolfgang (Hg.): Handbuch Kulturelle Bildung. München. S. 414–419. Betz, Tanja (Hg.) (2010): Partizipation von Kindern und Jugendlichen: Forschungsergebnisse, Bewertungen, Handlungsmöglichkeiten. Bonn. Bhabha, Homi K. (1994): The Location of Culture. London/New York. Bibliographisches Institut GmbH (Hg.) (o.J.): duden.de. Online verfügbar. http://www.duden.de/service/impressum. Letzter Abruf am 21.3.2017. Bielenberg, Ina (Hg.) (2001): Kultur, Jugend, Bildung: Kulturpädagogische Schlüsseltexte 1970–2000. Remscheid. Binas-Preisendörfer, Susanne (2012): Mozart, Sting und Marsimoto – zur Bedeutung klanglicher Repräsentationen des „Orients“ in „westlicher“ Musik. In: Binas-Preisendörfer, Susanne/Unseld, Melanie (Hg.): Transkulturalität und Musikvermittlung. Möglichkeiten und Herausforderungen in Forschung, Kulturpolitik und musikpädagogischer Praxis. Frankfurt a.M. S. 21–41. Boban, Ines/Hinz, Andreas/Plate, Elisabeth/Tiedeken, Peter (2014): Inklusion in Worte fassen – eine Sprache ohne Kategorisierungen? In: Schuppener, Saskia/Hauser, Mandy/Bernhard, Nora/Poppe, Frederik (Hg.): Inklusion und Chancengleichheit. Diversity im Spiegel von Bildung und Didaktik. Bad Heilbrunn. S. 19–24. Bockhorst, Hildegard (2012): Überblick für die Bundesebene: Rahmenbedingungen, Zuständigkeiten und Förderschwerpunkte von Jugend-, Kulturund Bildungspolitik. In: Bockhorst, Hildegard/Reinwand, Vanessa-Isabelle/Zacharias, Wolfgang (Hg.): Handbuch Kulturelle Bildung. München. S. 348–355. Bockhorst, Hildegard (2013): Lebenskunst lernen! Die 90er Jahre: Wachstum, Selbstreflexion und Qualitätsdiskurs. In: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V. (Hg.): Kulturelle Bildung. Reflexionen. Argumente. Impulse. 50 Jahre BKJ. 50 Jahre für Jugend, Bildung, Kultur. Heft 11. S. 46–47. Bockhorst, Hildegard/Reinwand, Vanessa-Isabelle/Zacharias, Wolfgang (Hg.) (2012): Handbuch Kulturelle Bildung. München. Bogdal, Klaus-Michael (2011): Europa erfindet die Zigeuner. Eine Geschichte von Faszination und Verachtung. Berlin.

333

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Kulturelle Teilhabe durch Musik?

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Kulturmanagement Patrick S. Föhl, Patrick Glogner-Pilz

Kulturmanagement als Wissenschaft Grundlagen – Entwicklungen – Perspektiven. Einführung für Studium und Praxis 2017, 174 S., kart. 19,99 € (DE), 978-3-8376-1164-9 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-1164-3

Birgit Mandel (Hg.)

Teilhabeorientierte Kulturvermittlung Diskurse und Konzepte für eine Neuausrichtung des öffentlich geförderten Kulturlebens 2016, 288 S., kart. 27,99 € (DE), 978-3-8376-3561-4 E-Book: 24,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3561-8

Oliver Scheytt, Simone Raskob, Gabriele Willems (Hg.)

Die Kulturimmobilie Planen – Bauen – Betreiben. Beispiele und Erfolgskonzepte 2016, 384 S., kart., zahlr. farb. Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-2981-1 E-Book: 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2981-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Kulturmanagement Armin Klein, Yvonne Pröbstle, Thomas Schmidt-Ott (Hg.)

Kulturtourismus für alle? Neue Strategien für einen Wachstumsmarkt 2017, 352 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3528-7 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3528-1

Maren Ziese, Caroline Gritschke (Hg.)

Geflüchtete und Kulturelle Bildung Formate und Konzepte für ein neues Praxisfeld 2016, 440 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3453-2 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3453-6

Steffen Höhne, Martin Tröndle (Hg.)

Zeitschrift für Kulturmanagement: Kunst, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Jg. 3, Heft 2: Evaluation im Kulturbereich II 2017, 228 S., kart. 34,99 € (DE), 978-3-8376-3825-7 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3825-1

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