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German Pages 214 Year 2015
Kontroversen als Schlüssel zur Wissenschaft?
Wolf-Andreas Liebert (Prof. Dr.) lehrt Sprachwissenschaft an der Universität Koblenz-Landau und ist derzeit Vizepräsident der Universität. Marc-Denis Weitze (Dr. rer. nat.) arbeitet am Forschungsinstitut des Deutschen Museums in München.
Wolf-Andreas Liebert, Marc-Denis Weitze (Hg.)
Kontroversen als Schlüssel zur Wissenschaft? Wissenskulturen in sprachlicher Interaktion
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2006 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Kerstin Kallass (Universität Koblenz-Landau) & Dorothee Messerschmid (Deutsches Museum, München) Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-448-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt Kontroversen als Schlüssel zur Wissenschaft – Probleme, Ideen und künftige Forschungsfelder MARC-DENIS WEITZE/WOLF-ANDREAS LIEBERT Die Dialektik in der kollektiven Konstruktion wissenschaftlichen Wissens MARCELO DASCAL Wissenschaftliche Kontroversen und die politische Epistemologie der Ungewissheit: Diskurstheoretische und diskursanalytische Perspektiven REINER KELLER
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Kontroversen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit: Zum Stand der Diskussion HELMUTH TRISCHLER/MARC-DENIS WEITZE
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Konzeptualisierung von Wissenschaft und Kontroverse bei Schülern und Studierenden KIRSTEN SCHINDLER/KATRIN LEHNEN/EVA-MARIA JAKOBS
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Die gesellschaftliche Einbettung der Biomedizin: Eine Analyse der deutschen Mediendiskurse PETER WEINGART/CHRISTIAN SALZMANN/STEFAN WÖRMANN
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Mediale Inszenierung wissenschaftlicher Kontroversen im Wandel GERD ANTOS/KRISTIN GOGOLOK
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Ein Mehrebenenmodell für naturwissenschaftliche Kontroversen WOLF-ANDREAS LIEBERT
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Kontroversen im Museum: Ideen und Probleme der Wissenschaftskommunikation MARC-DENIS WEITZE
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Keine Innovation ohne Repräsentation: Die Zivilgesellschaft als neuer Akteur in der Wissenschaft WOLFGANG C. GOEDE
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Wissenskonstruktion durch kooperatives Schreiben in Netzwerkmedien CHRISTIAN KOHL/THOMAS METTEN
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Von der »wissenschaftlichen Wahrheit« zur Kartographie von Kontroversen BRUNO LATOUR
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Die Autoren
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Personenregister
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Kontroversenregister
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Kontroversen als Schlüssel zur Wissenschaft – Probleme, Ideen und künftige Forschungsfelder MARC-DENIS WEITZE, WOLF-ANDREAS LIEBERT
»You disagree? Fine!« Während Kontroversen häufig mit Lähmung, verhärteten Standpunkten oder gar Ausweglosigkeit verbunden werden, signalisiert dieser dem Kybernetiker und Konstruktivisten Heinz von Foerster nachgesagte Ausspruch eine andere Auffassung von Kontroversen. Wenn jede Position notwendigerweise blinde Flecken beinhaltet, so ist die Kritik von Anderen die einzige Chance, die eigene Position zu überwinden. Wir brauchen die Kritik unseres Standpunktes, um für uns – aber auch insgesamt mit anderen – einen Erkenntnisfortschritt zu erzielen. In den Naturwissenschaften ist man geneigt, Kontroversen auf das Aufstellen von Hypothesen und Testen durch Experimente zum Entwickeln von Theorien zu reduzieren. Tatsächlich gehen Kontroversen weit über die rein experimentelle Bestätigung oder Widerlegung von Hypothesen hinaus; dies betrifft nicht nur den innerwissenschaftlichen Diskurs, sondern gerade auch die wissenschaftlichen Kontroversen, die in und mit der Öffentlichkeit geführt werden. In einer Zeit, in der wir lang andauernde und zähe gesellschaftliche Debatten über Klonierung, Atomenergie oder Klimawandel führen, bei denen produktive Verläufe unvorstellbar erscheinen, mag eine Auffassung der Kontroverse, die in einen kollektiven Erkenntnisfortschritt mündet, zunächst utopisch klingen. In diesem Buch wird diese Auffassung dennoch von vielen Autoren mit guten Gründen favorisiert. Sie wird in theoretischen und politischen Beiträgen, mit empirischen Untersuchungen, Fallbeispielen und praktischen Anwendungen entwickelt. 7
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Unser Fokus liegt dabei auf naturwissenschaftlichen Diskursen, die wir nicht nur in ihrer internen Struktur, sondern auch in ihren sozialen und kulturellen Kontexten und Vermittlungsformen wie den Massenmedien, aber auch Schulen und Museen erfassen. Ausgangspunkt der Überlegungen soll das Wissen (bzw. das Nicht-Wissen) über Wissenschaft sein.
Wissen über Wissenschaft So komplex die Diskussion und so vielfältig die Klagen über »Scientific Literacy« der Bevölkerung sind – heute scheint ein Konsens zu bestehen, dass Wissen über Wissenschaft in der Öffentlichkeit recht gering ist. Studien wie etwa die des US-amerikanischen National Science Board (2004) zeigen, dass Laien naturwissenschaftliche Aussagen trotz aller Kampagnen und Initiativen zur Wissenschaftspopularisierung kaum verstehen. Und Untersuchungsergebnisse dazu, was Wissenschaft aus Sicht »der Öffentlichkeit« ist, bringen durchweg zum Ausdruck, dass die Mehrzahl der befragten Laien keine klare Vorstellung davon hat, was es heißt, wissenschaftlich zu arbeiten. Die Ursache für solche Vorstellungen ist nicht schwer zu finden: Wissenschaftskommunikation berichtet hauptsächlich von den Ergebnissen aus der Wissenschaft. Ob in der Schule, in universitären Vorlesungen, in Magazinen – Wissenschaft wird als geradlinige Erfolgsgeschichte dargestellt. Dabei führt die Beschränkung der Vermittlung auf Faktenwissen, Ergebnisse und Theorien jedoch dazu, dass Missverständnisse über wissenschaftliche Methoden transportiert werden, und dass die Gültigkeit wissenschaftlicher Ergebnisse für Außenstehende uneinschätzbar ist. Wissen über Wissenschaft ist aber gerade relevant, um Unsicherheiten der Wissensproduktion und die Gültigkeit des wissenschaftlichen Wissens einschätzen zu können. Der Wissenschaftshistoriker Steven Shapin hat darauf hingewiesen, dass man die Produkte von Wissenschaft nur dann einschätzen kann, wenn man etwas über deren Herkunft weiß – so wie bei der Wurst im Supermarkt (Shapin 1993). Das gilt gerade auch dann, wenn nicht nur Grundlagenwissenschaft bzw. Lehrbuchwissen vermittelt wird, sondern aktuelle Forschung, die noch nicht abgeschlossen ist und noch in der gesellschaftlichen Diskussion steht. Dieses Wissen über Wissenschaft betrifft insbesondere Kenntnisse zur Entstehung wissenschaftlichen Wissens: Welche Ziele verfolgen Wissenschaftler? Welche Art von Fragen stellen sie? Auf welchem Weg kommen sie zu Antworten? Wie sind diese Antworten einzuschätzen? In der Öffentlichkeit wird ein Wissenschaftsbegriff vorausgesetzt, der mo8
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nolithisch wahrheitsorientiert und nicht sensitiv für jene Unsicherheiten und Unwägbarkeiten ist, die gerade erst in der Interaktion verschiedener gesellschaftlicher Gruppen ausgehandelt werden. Wissenschaftliches Wissen gilt als ein exaktes und verlässliches, weil ›objektives‹, von partikularen Interessen freies, und deshalb besonders erfolgreiches Mittel zur Bewältigung des größten Teils der Probleme, mit denen es die Menschen zu tun haben (vgl. Weingart 2005: 57). Das Ausblenden diskursiver Prozesse in der Wissenschaftskommunikation hat jedoch problematische Konsequenzen für das Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit. Kontroversen und widersprüchliche Erkenntnisse, z.B. in der Klimaforschung, werden von Politikern und Interessensverbänden aller Lager instrumentalisiert, um Druck auszuüben oder Konsequenzen zu verhindern (vgl. Weingart 2001). Laien wiederum, die von der Wissenschaft gemeinhin eine widerspruchsfreie Darstellung erwarten, werden von massenmedial verstärkten oder zugespitzten Konflikten, von der unverbundenen Abfolge von Expertise und Gegenexpertise, verunsichert (dazu auch Beck 1986). Diese fatale Fehlbewertung von Wissenschaftsgenese als linearem und konsistentem Prozess vergrößert die Kluft und führt letztlich zu einer Glaubwürdigkeitskrise der Wissenschaft (vgl. Collins/Pinch 1999, Liebert 2002). Es geht hier also weniger um eine bloße Verbesserung der gängigen Praxis der »Vermittlung« von Wissenschaft, um Inhalte, die »Laien wissen müssen«, als um kommunikative Kompetenzen, die Wissenschaftler, Lehrer, Journalisten wie »Laien« gleichermaßen besitzen sollten. Dies beinhaltet eine Neujustierung der Zielrichtung für den Bereich der Wissenschaftskommunikation: Nicht allein auf die Erklärung der Inhalte kommt es an, sondern auch auf die Vermittlung kommunikativer Verfahren und Kompetenzen, welche die Zielgruppen unabhängig vom jeweiligen konkreten wissenschaftlichen Thema anwenden können (vgl. Chittenden et al. 2004). Insofern betrachten wir die Aufstellung von einem wie auch immer gearteten Wissenskanon als kritisch (vgl. Collins/Pinch 1999) und gehen vielmehr davon aus, dass die Etablierung solcher kommunikativer Kompetenzen und Verfahren vordringlich ist, damit die jeweiligen Inhalte von den Beteiligten selbst in der jeweiligen Situation aufgebaut werden. Eine dieser Kompetenzen wird darin bestehen, nicht nur die grundsätzliche kontroverse Konstitution von Wissenschaft zu verstehen, sondern auch die kontroverse Struktur aktueller wissenschaftlicher Debatten nachvollziehen zu können. Die bisherigen Darstellungsformen haben sich als wenig geeignet erwiesen. Die für Kontroversen typische Dynamik und Komplexität erfordert neue Formen der Darstellung. Die Diskussion darüber, welche Formen dies sein könnten, beginnt gerade erst. 9
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Eine »Kartographie von Kontroversen« (vgl. den Beitrag von Latour in diesem Band) wird dabei ebenso diskutiert wie eine Lexikographie oder eine Enzyklopädie wissenschaftlicher Kontroversen (Liebert 2001, 2002, 2004a).
Grenzen gegenwärtiger Wissenschaftskommunikation In Transferbereichen wie Schule, Massenmedien und Museen wird der diskursive Charakter von Wissenschaft weitgehend ausgeblendet oder allenfalls am Rande erwähnt. Wenn Kontroversen z.B. bei aktuellen Problemen im Umwelt- oder Gesundheitsbereich thematisiert werden, dann häufig als Vorwurf an »die Wissenschaft« oder »die Wissenschaftler«; Wissenschaft wird hier fälschlich als Produzent von Wahrheit gesehen. Unterschiedliche Meinungen werden miteinander kontrastiert und gegeneinander ausgespielt, in der Annahme, dass nur eine Auffassung richtig sein könne. Gerade die Massenmedien – für die meisten die einzige Informationsquelle zu Wissenschaftsthemen – verbreiten eher Stereotype als differenziertes und prozessorientiertes Wissen über Wissenschaft. Sie berichten hauptsächlich von Ergebnissen. Naturwissenschaftliche Erklärungen und Zusammenhänge werden gemäß der medieneigenen Logik aber auch gerne als »Medienspektakel« inszeniert (Bell 1993, Liebert 2002, Weingart/Engels/Pansegrau 2002). Wenn hier über Irrtümer der Wissenschaft berichtet wird, dann gleich über solche mit katastrophalen Folgen. Meinungsverschiedenheiten unter Wissenschaftlern – etwa bezüglich der Diskussion widersprüchlicher oder falscher Ergebnisse oder bezüglich grundsätzlicherer Kontroversen und Debatten – spiegeln sich hier nur selten. Wesentliche Elemente des diskursiven wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses (Argumentativität, Kontroverse, Instrumentalität) und des Wahrheitsstatus der vorliegenden Erkenntnisse (wahr, falsch, vorläufige Arbeitshypothesen, prinzipielle Unsicherheiten, umstrittene Ergebnisse) werden ausgeblendet oder auf ein einfaches Wissenschafts- und Erkenntnismodell abgebildet, in dem Wissenschaft bloß kumulativ Wissen produziert. Die Institution Schule ist die zentrale gesellschaftliche Vermittlungsagentur für Wissenschaft, da sie für den Großteil der Bevölkerung der einzige intensivere Kontakt mit der Wissenschaft ist. Hier scheint die Diskussion kontroverser Themen bereits an einem Zuständigkeitsproblem zu scheitern: Naturwissenschaften werden als wertfrei wahrgenommen, während Diskussionen in geisteswissenschaftlichen Fächern 10
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wie Ethik und Sozialkunde stattfinden. Diese Defizite in der schulischen Vermittlung und Erklärung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse bleiben nicht ohne Folgen: »Schülerinnen und Schüler, die nach ihrer Schulzeit nichts mehr oder kaum noch etwas mit Naturwissenschaft zu tun haben, halten Naturwissenschaft fälschlicherweise für eindeutig, geradlinig und regelgeleitet anstatt für kreativ, kontingent und historisch gewachsen« (Höttecke 2001: 21). Inzwischen scheinen immerhin die Kriterien zur Verlässlichkeit von wissenschaftlicher Erkenntnis in der Wissenschaftskommunikation zunehmend ein Thema zu werden: Wenn es etwa um widersprüchliche »Expertenmeinungen« geht, die Interpretation von Statistiken oder Betrug in der Wissenschaft. Dann werden Fragen gestellt wie: »Wie funktioniert das peer review-System?« oder »Lässt sich die Gefährlichkeit von elektromagnetischer Strahlung nachweisen?« Es ist noch nicht ausgemacht, ob sich hier ein Wandel in der Wissenschaftskommunikation abzeichnet oder ob solche Fragen lediglich bei der öffentlichen Bewältigung von Skandalen gestellt werden.
Bedeutung von Sprache und Diskurs für die Wissenschaftskommunikation Im Mittelpunkt der in diesem Buch versammelten Studien steht die Vermittlung von Wissenschaft als sprachlichem und diskursivem Prozess – und nicht allein als undurchschaubarem Erzeuger fertiger »Produkte«. Die naturwissenschaftliche Erkenntnisgewinnung, die Vermittlung und Popularisierung des gewonnenen Wissens aber auch die wechselseitige Interaktion von Wissenschaft und Öffentlichkeit sind in wesentlichen Teilen sprachliche Prozesse. Die Bedeutung der sprachlichen Kommunikation innerhalb der Wissenschaft sowie zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit ist bislang allerdings noch wenig erforscht. Es kann dabei freilich nicht darum gehen, eine einheitliche neue Theorie der Wissenschaftskommunikation zu schaffen. Vielmehr soll ein pragmatischer, interdisziplinär ausgerichteter Diskursansatz Grundlage sein für Beiträge zur Debatte um eine nachhaltigere Vermittlung und Erklärung naturwissenschaftlichen Wissens im öffentlichen Raum. Mit dem Begriff des Diskurses verbinden wir hier zweierlei: Zum einen die prinzipielle sprachlich-kommunikative Verfasstheit wissenschaftlicher Erkenntnis- und Vermittlungsprozesse, also die ›Diskursivität‹ der Wissenschaftskommunikation (dazu Liebert 2002). Zum anderen die Organisation dieser kommunikativen Prozesse im Rahmen von komplexen Textzusammenhängen, also von ›Diskursen‹ im Sinne Fou11
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caults (1990a, b, 1994) aber auch neuerer handlungsorientierter Konzepte (Liebert 2002, 2004b). Dabei müssen zumindest vier verschiedenartige Teildiskurse unterschieden werden: x der innerwissenschaftliche Diskurs, x der öffentliche Diskurs über die Wissenschaft und wissenschaftliche Themen, x der politisch-administrative Diskurs zur Wissenschaft(spolitik), d.h. die Implementierung wissenschaftlicher Erkenntnisse in politische Entscheidungsprozesse, x der (Meta-)Diskurs über den Wissenschaftsdiskurs, d.h. die Erforschung und Beurteilung der Wissenschaftskommunikation. Diese Teildiskurse werden von den Autoren dieses Bandes aus verschiedenen Perspektiven behandelt.
Kontroversen als Schlüssel zur Wissenschaft? In einem wissenschaftsphilosophischen und diskurslinguistischen Verständnis ist Wissenschaft ein längerer Prozess, ein Argumentationsdiskurs, der nicht zuletzt Kontroversen beinhaltet (vgl. etwa Dascal 1994) und durch diese erst entscheidend vorangetrieben wird. Wir sind der Ansicht – und das ist der Ausgangspunkt dieses Buches –, dass Kontroversen wesentlich zum Wissen über Wissenschaft gehören, dass sie in der Wissenschaft eine derart zentrale Rolle spielen, dass sie nachgerade ein Schlüssel zur Wissenschaft sein können. Umgekehrt erscheint es uns als wenig überraschend, wenn Wissenschaft jenen verschlossen bleibt, die das nicht wissen. Die Metapher »Kontroversen als Schlüssel zur Wissenschaft« lässt sich dreifach lesen: x methodisch: als Schlüssel zur wissenschaftlichen Erkenntnis für Wissenschaftler, x didaktisch: als Schlüssel zur Wissenschaft für »Laien« (Schüler, Studenten, andere Interessierte) und x politisch: als Schlüssel zur Partizipation an Wissenschaft für die Gesellschaft. In Kontroversen werden die Annahmen und Argumente der Parteien von den jeweiligen Opponenten genauestens unter die Lupe genommen. Vieles von dem, was sonst selbstverständlich ist und unausgesprochen 12
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bleibt, wird nun in Frage gestellt. Bei öffentlichen Kontroversen werden die Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft fassbar. Es sind gerade Kontroversen, die wesentlich die Methoden der Naturwissenschaften und die diskursive Dynamik von Wissenschaft insgesamt ausmachen. Sie erst lassen die wissenschaftlichen Theorien entstehen, die in der Vermittlung noch allzu oft als fertig und abgeschlossen präsentiert werden (sollen). Eine Einsicht in die Notwendigkeit und Produktivität des Streitens um richtige Positionen könnte somit auch das unangemessene Bild von den zerstrittenen und damit unglaubwürdigen Naturwissenschaften korrigieren. Für die Öffentlichkeit sind wissenschaftliche Kontroversen insbesondere dort relevant, wo immer mehr Menschen in ihrem unmittelbaren Lebenszusammenhang von der zunehmenden Kontrolle bisher nichtmanipulierbarer Naturvorgänge und -objekte betroffen sind und gerade hierzu in der Wissenschaft große Unsicherheiten bestehen. Im öffentlichen Wissenschaftsdiskurs werden oft nur Chancen oder Risiken der Forschung angesprochen. Heuristisch produktiv sind Kontroversen aber vor allem, wenn man Chancen und Risiken im Zusammenhang betrachtet und gegeneinander abzuwägen lernt. Ein angemessenes (und positives) Verständnis der Öffentlichkeit von wissenschaftlichen Kontroversen wäre somit konstruktiv für eine »emanzipiertere« Einschätzung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Anwendungen. Solche aktiven, erklärenden, argumentativen, diskursiven und reflexiven Momente im naturwissenschaftlichen Wissenserwerb und -transfer sind entscheidend an Sprache gebunden.
Zu den Beiträgen Die ersten drei Artikel bieten den »theoretischen Kontext« des Bandes: Marcelo Dascal verortet Kontroversen in einem Kontinuum zwischen Diskussion und Disput. Während Diskussionen durch die allgemein anerkannten Methoden der jeweiligen Disziplin geklärt werden können, liegen verschiedenen Standpunkten bei Disputen unvereinbare weltanschauliche Motive zu Grunde. Kontroversen dagegen eröffnen mitunter Lösungen, die zu Beginn gar nicht zur Diskussion standen. Diese Konzeption bietet für viele Beiträge einen Bezugspunkt, mit dessen Hilfe der unklare umgangssprachliche Gebrauch des Begriffs »Kontroverse« ver-
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mieden werden kann.1 Wir haben bereits zu Beginn unserer Einleitung diesen Begriff von Kontroverse präferiert. Ausgehend von Bruno Latour gibt Reiner Keller einen Überblick über verschiedene Formen der Diskursanalyse und zeigt, wie im Rahmen einer »Wissenssoziologischen Diskursanalyse« wissenschaftliche Kontroversen modelliert und analysiert werden können. Helmuth Trischler und Marc-Denis Weitze weisen anschließend auf eine merkwürdige Spannung hin: Kontroversen stehen seit Jahrzehnten im Blickpunkt der Wissenschaftsforschung, sind aber noch immer ein Stiefkind der Wissenschaftskommunikation. Theorie und Praxis der Wissenschaftskommunikation könnten hier viel besser gekoppelt sein. Dieser Band nimmt in diesem Sinne bewusst eine Meta-Ebene ein, bei der nicht Fallstudien zur Wissenschaft im Fokus stehen (siehe dazu Engelhardt/Caplan 1987, Brante et al. 1993, Machamer et al. 2000), sondern Fallstudien zur Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Dass zu kurz gegriffene Vorstellungen über Wissenschaft von der Schule ausgehend bis hinein in die Hochschulen reichen, zeigen Kirsten Schindler, Katrin Lehnen und Eva-Maria Jakobs: Kontroversen werden nicht nur bei Schülern und wissenschaftlichen Laien, sondern sogar noch bei Studenten mit »viel Laberei« in Verbindung gebracht. Erst im Hauptstudium scheint die Sozialisation zu greifen und werden Kontroversen als zentrale Elemente der Wissenschaft erkannt. Die folgenden drei Beiträge blicken aus verschiedenen theoretischen Perspektiven auf konkrete Kontroversen, die in der Wissenschaftskommunikation thematisiert werden: Peter Weingart, Christian Salzmann und Stefan Wörmann analysieren die öffentlichen Auseinandersetzungen über biomedizinische Themen, die in deutschen Zeitungen inszeniert wurden. Bei der Realisierung neuer Technologien in der Gesellschaft spielen die Versprechungen beispielsweise medizinischen Fortschritts eine wichtige Rolle. Inwieweit diese tatsächlich gesellschaftlich eingebettet werden, inwieweit das neue Wissen mit sozialen Werten kompatibel wird, scheint jedoch keinem einfachen Muster zu folgen. Auch Gerd Antos und Kristin Gogolok betrachten die Medien nicht als Popularisierungsinstanz, sondern als Forum. Sie betrachten am Beispiel der KlimaDebatte »unkontrollierte« Medienereignisse (wie einen Bestseller von Michael Crichton) und eine chat-ähnliche Internetplattform. WolfAndreas Liebert zeigt am Beispiel des Ozonlochdiskurses, dass Kontroversen in sich strukturiert sind: Während sie auf der einen Ebene abge1 Allzu oft werden die Begriffe »Kontroverse«, »Diskussion«, »Disput« verwendet, als ob sie austauschbar wären; vielleicht mit gewissen Schattierungen (Diskussion gelten dann im Vergleich zur Kontroverse als »gesitteter«, Dispute als »heftiger«).
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schlossen sein können, mögen sie auf einer anderen Ebene noch in vollem Gange sein. Dadurch entsteht ein komplexes Vermittlungsproblem, das von Medienakteuren bislang hauptsächlich so gelöst wird, dass nur eine Ebene der Kontroverse in der Öffentlichkeit dargelegt wird – wobei das Verdrängte dann jedoch mit Vehemenz in Form einer Glaubwürdigkeitskrise in den öffentlichen Diskurs nachrückt. Es schließen sich drei Aufsätze an, in denen jeweils Medien und Akteure der Wissenschaftskommunikation mit ihren spezifischen Problemen und Möglichkeiten betrachtet werden: Marc-Denis Weitze stellt am Beispiel der Museen heraus, welche spezifischen Probleme Medien mit der Vermittlung von Kontroversen haben können – und wie eine Erweiterung der Kommunikationsformen solche Schwierigkeiten überwinden kann. Wolfgang Goede plädiert für die Zivilgesellschaft als neuen Akteur in der Wissenschaft. Er nennt konkrete Beispiele, wie bürgerliches Engagement zur Schaffung sozial robusten Wissens führen kann. Christian Kohl und Thomas Metten zeigen durch ihre Analyse von Artikeln der Internet-Enzyklopädie Wikipedia, dass Kontroversen als notwendiger Bestandteil kooperativer Wissenskonstruktionsprozesse zu betrachten sind. Auch Bruno Latour betont in seinem Beitrag – der an Stelle eines Epilogs steht – die Spannung zwischen falschen Vorstellungen über Wissenschaft und der Bedeutung von Kontroversen. Wissenschaft muss in diesem Zusammenhang mitunter gegen ihre (falschen) Freunde verteidigt werden. Latour zeigt auf, wie Kontroversen schon vom ersten Semester an in die Hochschullehre einfließen können. Neben einem Personenregister spiegelt ein Register der Kontroversen die Vielfalt an Themen, wobei manche der genannten Kontroversen nur kurz erwähnt werden, andere im Mittelpunkt eines Beitrags stehen. Dieses Buch versteht sich programmatisch nicht als »Ende der Debatte« (zur Rolle von Kontroversen in der Wissenschaftskommunikation), sondern als Anstoß der Diskussion. Wissenschaftliche Kontroversen sind ein Zukunftsmarkt: In Zeiten der Verwissenschaftlichung der Gesellschaft, der kollektiven Wissensproduktion und in Zeiten widersprüchlicher Expertenmeinungen (die jeweils »wissenschaftlich fundiert« sind) in immer mehr Gebieten werden sie eine immer größere Bedeutung und Sichtbarkeit erlangen.
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Danksagung Dieses Buch konnte nur mit der finanziellen Unterstützung der Andrea von Braun-Stiftung entstehen. Diese Stiftung hat auch jene Veranstaltung gefördert, auf der viele Autoren dieses Bandes erstmals zusammengetroffen sind: Den Kongress »Bildung durch Wissenschaft«, der im Februar 2002 am Deutschen Museum in München stattfand. Bei der Übersetzung des Beitrags von Marcelo Dascal aus dem Portugiesischen waren Paula Órfão und Michael Gloning behilflich. Für die Übersetzung des Beitrags von Bruno Latour danken wir Isabelle Mordellet-Roggenbuck und Dorothee Messerschmid. Kerstin Kallass (Universität Koblenz-Landau) und Dorothee Messerschmid (Deutsches Museum München) danken wir für Redaktion und Endredaktion. Jürgen Teichmann war als Leiter der Hauptabteilung Bildung des Deutschen Museums in München Hauptinitiator dieses geistes- und naturwissenschaftlichen Projekts zur Untersuchung von Kontroversen in der Wissenschaftskommunikation. Wir als Herausgeber möchten im Einverständnis mit den Autoren die Gelegenheit nutzen, ihm diesen Band zu widmen und damit für sein Engagement zu danken. Wolf-Andreas Liebert und Marc-Denis Weitze
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Literatur Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Bell, Allan (1993): The Language of News Media (= Language in Society; 17), Oxford, Cambridge/Mass.: Blackwell. Brante, Thomas/Fuller, Steve/Lynch, William (Hg.) (1993): Controversial Science: From Content to Contention, New York: State University of New York Press. Chittenden, David/Farmelo, Graham/Lewenstein, Bruce V. (Hg.) (2004): Creating Connections: Museums and the Public Understanding of Current Research, Walnut Creek u.a.: AltaMira Press. Collins, Harry/Pinch, Trevor (1999): Der Golem der Forschung. Wie unsere Wissenschaft die Natur erfindet, Berlin: Berlin Verlag. Dascal, Marcello (1994): »Epistemology, Controversies and Pragmatics«. Isegoria 12, S. 8-43. Engelhardt, H. Tristram/Caplan Arthur L. (Hg.) (1987): Scientific Controversies: Case Studies in the Resolution and Closure of Disputes in Science and Technology, Cambridge: University Press. Foucault, Michel (1990a): Die Ordnung der Dinge, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Foucault, Michel (1990b): Archäologie des Wissens., Frankfurt/M.: Suhrkamp. Foucault, Michel (1994): Überwachen und Strafen, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Höttecke, Dietmar (2001): »Die Vorstellungen von Schülern und Schülerinnen von der »Natur der Naturwissenschaften««. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften (7), S. 7-23. Liebert, Wolf-Andreas (2001): Demokratisierung wissenschaftlicher Information. Beiträge der ersten Ökonuxkonferenz, Dortmund, 2001. Vortrag (Audiofile) und Internetpublikation unter: http://erste.oekonux-konferenz.de/dokumentation/texte/liebert.html Liebert, Wolf-Andreas (2002): Wissenstransformationen. Handlungssemantische Analysen von Wissenschafts- und Vermittlungstexten (= Studia Linguistica Germanica; 63), Berlin, New York: de Gruyter.. Liebert, Wolf-Andreas (2004a): Diskursive Lexikografie. In: Konerding, Klaus-Peter und Pohl, Inge (Hg.): Stabilität und Flexibilität in der Semantik. Strukturelle, kognitive, pragmatische und historische Perspektiven. Frankfurt/Main u.a.: Lang. S. 325-345. Liebert, Wolf-Andreas (2004b): »Diskursdynamik in der Risikokommunikation. Eine diskurslinguistische Untersuchung der Trierer Luftschadstoff-Debatte 1974-2001«. Deutsche Sprache 32, S. 137-161. 17
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Machamer, Peter/Pera, Marcello/Baltas Aristides (2000): Scientific Controversies: Philosophical and Historical Perspectives, Oxford University Press. National Science Board (Hg.) (2004): Science & Engineering Indicators. Arlington, National Science Foundation. Shapin, Steven (1993): »Why the Public Ought to Understand Sciencein-the-Making«. Public Understanding of Science 1, S. 27-30. Weingart, Peter (2001): Die Stunde der Wahrheit. Zum Verhältnis der Wissenschaft zu Politik, Wirtschaft und Medien in der Wissensgesellschaft, Weilerswist: Velbrück Verlag. Weingart, Peter (2005): Die Wissenschaft der Öffentlichkeit: Essays zum Verhältnis von Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit, Weilerswist: Velbrück. Weingart, Peter/Engels, Anita/Pansegrau, Petra (2002): Von der Hypothese zur Katastrophe. Der anthropogene Klimawandel im Diskurs zwischen Wissenschaft, Politik und Massenmedien, Opladen: Leske & Budrich.
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Die Dialektik in der kollektiven Konstruktion wissenschaftlichen Wissens MARCELO DASCAL
Wissen, insbesondere wissenschaftliches Wissen, befindet sich in steter Entwicklung. Es wächst dank einer kollektiven Arbeit, die auf verschiedenen Ebenen stattfindet: in Forschungsgemeinschaften und Laboratorien, in Zeitschriften, bei Kongressen oder mittels anderer Kontakte zwischen Wissenschaftlern, über Einschätzung der Forschungsprojekte seitens der Geldgeber, über öffentliche Bekanntmachung der Forschungsresultate usw. Der kooperative Charakter der kollektiven Wissenskonstruktion wird oft betont. Aber am wichtigsten, besonders für die Kooperation selbst, ist die kritische Auseinandersetzung über Aussichten, Projekte, Vorgehen, Ziele, Theorien zwischen Wissenschaftlern und Wissenschaftsgruppen. Da Kritik und Auseinandersetzung der Motor des Fortschritts sind, möchte ich im Folgenden vorstellen, wie man diesen Motor untersuchen kann, und wie er zum wissenschaftlichen Fortschritt beiträgt.
Was ist und wie entsteht kollektives Wissen? Wissenschaftliches Wissen ist kollektives Wissen. Was ist damit gemeint? Heutzutage kann man sich kaum einen Wissenszuwachs vorstellen, der nicht kollektiv ist. Im Rahmen der »Big Science« ist dieses Wissen unbedingt kollektiv – angesichts der Größe der Arbeitsgruppen, die die Forschung durchführen, und des Umfangs der Finanzausstattung. Es ist auch kollektiv wegen der immer weitergehenden Spezialisierung und Komplexität der Forschung, die daher meistens auch interdisziplinär ist. 19
MARCELO DASCAL
Diese Arbeit wird von wissenschaftlichen Gemeinschaften durchgeführt und überprüft, die ihre eigene Struktur und Hierarchie besitzen. Die hierfür notwendige Kommunikation zwischen ihren Mitgliedern setzt zudem eine gewisse Transparenz voraus: Schließlich ist die Unternehmung kollektiv, öffentlich und allen fachlich Ausgebildeten zugänglich. Aber die moderne Wissenschaft ist nicht erst seit dem Aufkommen der »Big Science« kollektiv. Man könnte allerdings fragen, ob dieses Wissen eigentlich immer »öffentlich« gewesen ist. Das könnte uns helfen, das komplexe Netz der Bedeutungsdimensionen zu verstehen, die sich auf die kollektive Verfasstheit des wissenschaftlichen Wissens beziehen. Im Mittelalter verkörperten das Kloster und die mittelalterliche Universität das wissenschaftliche Kollektiv. Dies bedeutete aber nicht unbedingt, dass es öffentlich war. Das Geheimnis war von wesentlicher Bedeutung innerhalb der »wissenschaftlichen« Tätigkeit, die sich am Rand des akademischen Wissens entwickelte. Das akademische Wissen wurde seinerseits als etwas Esoterisches betrachtet, d.h. es war für diejenigen nicht verfügbar, die außerhalb des Bereichs standen, in dem es produziert wurde. Was in den privaten Laboratorien der Alchimisten des Mittelalters und der Renaissance sowie in den Laboratorien derjenigen, die es wagten, in die Geheimnisse und die Macht der Natur einzudringen, noch Geheimnis war, hat die wissenschaftliche Revolution des 17. Jahrhunderts in den wissenschaftlichen Gesellschaften zum Diskussionsgegenstand gemacht. Eine wenigstens im Prinzip mögliche Teilnahme der Öffentlichkeit kam dazu. Im 18. Jahrhundert aber nahm die Teilnahme vieler Akteure dank der Verbreitung des wissenschaftlichen Wissens erheblich zu. Erwähnt seien hier die Zuschauer bei den öffentlichen Benennungen neuer Pflanzen durch Linné sowie die wissenschaftlichen Wettbewerbe der Akademien in verschiedenen Ländern, an denen jedermann teilnehmen konnte. Obwohl die vermehrt »öffentliche« und »kollektive« Teilnahme an der Wissenschaft an Bedeutung gewann, war bei der Entstehung wissenschaftlichen Wissens noch immer die folgende epistemologische und ontologische Haltung typisch für die Revolution der modernen Wissenschaft: »Ich vertraue allein auf das, was ›ich‹ entdecken und erklären kann«, so hat es Descartes formuliert. Wie kann man so eine Aussage mit der Vorgehensweise eines kollektiven Wissenserwerbs – »Nur ›zusammen‹ können wir entdecken und erklären« – in Einklang bringen? Welcher Devise soll man folgen? Diese Frage verweist auf eine Passage des Talmud (Bereshit Rabba 8) über die Schöpfung des Menschen. Sollte Gott ihn überhaupt erschaffen oder nicht? Die Ratsversammlung der Engel nahm Stellung dazu. Die Liebe und die Gerechtigkeit waren dafür, die Wahrheit und der Frie20
DIE DIALEKTIK IN DER KOLLEKTIVEN KONSTRUKTION
Frieden waren dagegen. Da es stichhaltige Argumente von beiden Seiten gab, sollte Gott eine Entscheidung erzwingen; er nahm die Wahrheit und warf sie auf den Boden, wobei sie in viele Stücke zerbrach. Daraufhin wurde der Mensch erschaffen – mit zwei Ja-Stimmen und einer NeinStimme. Die Engel wagten, Gott zu fragen, warum Er das getan habe und warum Er sich auf diese Weise von seinem eigenen Symbol, der Wahrheit, losgesagt habe. Gott antwortete: »Die Wahrheit soll aus dem Boden emporkommen«. – Diese Passage kann Anlass zu verschiedenen Überlegungen sein. Bezüglich unseres Themas kann man sich etwa Gedanken darüber machen, was für eine Rolle Konfrontation und Dialog innerhalb der Wissenschaft spielen, von der Ausarbeitung von Kriterien über Entscheidungsfindungen bis hin zu den Interpretationen der Ergebnisse. Die Wahrheit ist kein Zwang »von oben«, sondern sie wächst »von unten« und trägt das »Zeichen des Bodens« auch mit sich, also das Zeichen der täglichen Arbeit und der Praxis. Die Wahrheit ist nicht einfach da. Sie kostet Anstrengung – und zwar eine kollektive. Die Devise »Nur ›zusammen‹ können wir entdecken und erklären« scheint also diejenige zu sein, die uns am ehesten erlaubt, die Wissenschaft zu verstehen. Jedoch läuft man dabei Gefahr, den Begriff »kollektiv« so zu beschränken, dass er lediglich als »kooperativ« verstanden wird. Dass Wissenschaft vornehmlich kollektive Arbeit bedeutet, wird von Wissenschaftssoziologen und -epistemologen schon seit langem herausgestellt. Karin Knorr-Cetina betont z.B. die notwendige Kooperation, damit Wissen aufgebaut werden kann: »Die moderne Wissenschaft ist wesentlich ein kollektives Unternehmen, bei dem Ergebnisse einzelner Wissenschaftler von anderen übernommen werden, die daran anknüpfen« (Knorr-Cetina 1999: 378). Und Aharon Kantorovich betont die Kooperation bei der Wissenskonstruktion: »[...] scientific discovery is a social product. Individual scientists do not, in fact, cannot, make a scientific discovery. In order that a hypothesis, an observation or an experimental result will count as a scientific discovery, it has to be approved by the scientific community. Furthermore, the product of discovery is produced collectively, synchronically (by cooperation) and diachronically (by relying on predecessors).« (Kantorovich 1993: 189).
Kooperation und Kritik Ist Wissenschaft als kollektives Unternehmen auf Kooperation beschränkt? Es ist bekannt, dass Karl Popper viel Wert auf Kritik bei der Entwicklung des Wissens gelegt hat: »Kritik kann entweder Widersprü21
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che aufdecken oder schlichtweg einer Theorie widersprechen. Ohne Widersprüche, ohne Kritik gäbe es keine rationalen Gründe, Theorien zu ändern. Es gäbe keinen intellektuellen Fortschritt« (Popper 1963: 316). Auf diese Weise erhebt Popper den Gegensatz zu etwas Wesentlichem und ist zweifellos im Einklang mit dem, was die Passage aus dem Bereshit Rabba auf einem tiefer liegenden Niveau verdeutlicht: Die gemeinsame Anstrengung, die für die Erkenntnisgewinnung notwendig ist, schließt Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen nicht aus; vielmehr sind dies wesentliche Merkmale der Wissenschaft. Wenn »ich allein auf das vertraue, was ›ich‹ entdecken und erklären kann«, wird die Rolle der Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen zumindest abgeschwächt und auf die Gedankengebilde des »Ich« beschränkt, denen die Kraft fehlt, die Wahrheit aus dem Boden zu treiben. Popper bringt also eine andere Seite der kollektiven Arbeit aufs Tapet: Kritik statt Kooperation. So gesehen könnten wir sogar sagen, dass die echte Kooperation, die zur Entwicklung des Wissens führt, entweder kritisch oder sinnlos ist. Trotzdem beschränkt sich Poppers Analyse der Kritik und ihrer Verfahrensweisen auf ihre logische Seite. Der Teil der Kritik, der tatsächlich viel mehr als eine rein logische Übung ist, wird von Popper ignoriert und als epistemologisch irrelevant betrachtet. Das wissenschaftliche Wissen wird aber genau durch diese Art von Tätigkeit erzeugt, und es entwickelt sich auch dadurch. Kritik ist auch für die Erzeugung von Wissen und den Nachweis rationalen Wissenserwerbs – beides Merkmale der Wissenschaft – unabdingbar. Die wissenschaftliche Rationalität zu analysieren, ohne die Rolle dieser kritischen Tätigkeit zu berücksichtigen, ist so lückenhaft wie die Modelle unserer kognitiven Tätigkeit, die die Eigentümlichkeiten des menschlichen Gehirns nicht berücksichtigen.
Auseinandersetzungen als zentrales Element der Wissenschaft Kritik, dieser wie gesagt zentrale Bestandteil der Entwicklung wissenschaftlichen Wissens, wird im Laufe der Wissenschaftsgeschichte besonders bei Auseinandersetzungen (»polemics«) geübt. Man muss diese Auseinandersetzungen deshalb sorgfältig und systematisch untersuchen, um zu verstehen, wie Wettbewerb zusammen mit Kooperation eine wesentliche Rolle in der kollektiven Konstruktion wissenschaftlichen Wissens spielt. In diesem Sinne spreche ich in Bezug auf die Konstruktion dieses Wissens auch von »Dialektik«. 22
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Ein Blick zurück in die Geschichte zeigt uns, dass Auseinandersetzungen – ganz anders, als es in den Lehrbüchern steht – weit davon entfernt sind, Randphänomene innerhalb der Wissenschaft zu sein. Sie durchziehen die gesamte Wissenschaftsgeschichte – sowohl auf der Mikroebene als auch auf der Makroebene, und von den berühmtesten bis hin zu den heute vergessenen Auseinandersetzungen. Am Anfang der Moderne steht die so genannte »République des Lettres« – jene idealisierte Gesellschaft von Gelehrten, die als Modell für Gespräch und offene, demokratische Kooperation auf internationaler Ebene dient – und die eigentlich eine »Republik des Streits« ist, wo sich jeder um alles mit jedem streitet. Alles wird in Frage gestellt: Die Ergebnisse der Experimente, die astronomischen Beobachtungen, die Methoden, die Argumente, die Berechnungen, die Theorien. Man kann einfach in damaligen Fachzeitschriften blättern, wie z.B. im ›Journal des Sçavans‹, den ›Nouvelles de la République des Lettres‹, den ›Acta Eruditorum‹ und den ›Transactions of the Royal Society‹, um sich der zentralen Rolle der Auseinandersetzungen bei der Entstehung der modernen Wissenschaft und bei der Entwicklung der wissenschaftlichen Rationalität bewusst zu werden. Und obgleich die heutigen Fachzeitschriften umsichtiger und mehr auf Konsens bedacht sein mögen als damals, findet man hier immer noch Konkurrenz und Auseinandersetzungen. Wissenschaftliche Kongresse werden dadurch erst in Schwung gebracht, es wird um die Forschungsfinanzierung gestritten und es gibt ständige Auseinandersetzungen um die Review-Kriterien. Manche sind gegen die Verbreitung solcher Auseinandersetzungen, weil sie eigentlich überflüssig seien, der wissenschaftlichen Arbeit und dem Ruf der Wissenschaftler schadeten. Sie argumentieren aus einer normativen Perspektive auf Wissenschaft. Ich bin dagegen der Meinung, dass Auseinandersetzungen nicht nur typisch für die Wissenschaft als einer sozialen Unternehmung sind, sondern auch von wesentlicher Bedeutung, um den Wissensfortschritt überhaupt zu verstehen. Hier findet man noch eine Polarisierung, die zusammen mit den oben erwähnten epistemologischen Devisen auftritt: »Auseinandersetzungen sind für das Wissen unerheblich« beziehungsweise »Auseinandersetzungen sind unentbehrlich für den Wissensfortschritt«. Um diese Polarisierung zu analysieren, werden wir als erstes versuchen, den Begriff »Auseinandersetzung« zu klären und alle Auseinandersetzungen in eine Typologie zu fassen.
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Diskussion, Disput und Kontroverse Eine Auseinandersetzung ist ein Dialog, an der mindestens zwei Gesprächspartner teilnehmen, die wenigstens bezüglich einer Frage gegensätzliche Auffassungen haben und aneinander Kritik üben, was diese Frage angeht (dabei beschränkt sich der Gegensatz im Allgemeinen nicht nur auf diese eine Frage, die die Auseinandersetzung auslöst). Diese Interaktion lässt sich in eine minimale Struktur bringen, die aus Äußerungen von Proponent und Opponent besteht, wobei diese wenigstens zweimal wechselseitig handeln, so dass man folgende Stufen feststellen kann: P1 = erste Rede seitens des Proponenten O1 = Reaktion des Opponenten auf P1 P2 = Reaktion des Proponenten auf O1 O2 = Reaktion des Opponenten auf P2 Auseinandersetzungen sind durch ihre Ziele, ihren Gegenstandsbereich, ihre Verfahren, ihre Methoden, ihr Ende und ihren kognitiven Gewinn zu unterscheiden. Man kann drei ideale Haupttypen von Auseinandersetzungen identifizieren: Diskussion (vgl. Tabelle 1), Disput (vgl. Tabelle 2) und Kontroverse (vgl. Tabelle 4). Die Dichotomie »DiskussionDisput« wird normalerweise als erschöpfend betrachtet, wobei sie die Möglichkeit einer dritten Alternative ausschließt und eine Reihe von Oppositionen betont (vgl. Tabelle 3). Da man Auseinandersetzungen normalerweise erst hinsichtlich dieser Dichotomie versteht, werden ihre Teilnehmer dazu gebracht, irgendeine ihrer Auseinandersetzungen entweder als Disput oder als Diskussion zu begreifen. Im Folgenden zwei Beispiele: Isaac Newton und Robert Hooke, beide renommierte Wissenschaftler, Mitglieder der Royal Society und Verteidiger der mathematischexperimentellen Methode, beginnen eine erregte Debatte über die theoretische Interpretation des bekannten Prismaexperiments. Nach Newton, der dieses Experiment durchgeführt hat, belegt es seine Theorie des Lichts. Hooke ist zwar mit den Ergebnissen des Experiments Newtons einverstanden, aber er stimmt dessen Theorie nicht zu und zweifelt daran, dass sie die einzige ist, die die Ergebnisse erklären kann. Auch wenn ihre Debatte am Anfang nach dem Modell der Diskussion gestaltet wird, wird sie schnell zu einem heftigen Disput. Hier sind einige Zitate daraus:1 1 Den Briefwechsel kann man bei Newton (1978) finden.
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Tabelle 1: Struktur einer Diskussion Ziel Bereich Verfahren Methode Mögliches Ende Möglicher kognitiver Gewinn
Finden einer Lösung klar umrissenes Thema oder Problem übereinstimmendes Vorgehen der Parteien zur Entscheidungsfindung Beweis, Experiment Lösung (solution) Beseitigung einer falschen Überzeugung
Tabelle 2: Struktur eines Disputs Ziel Bereich
Verfahren Methode Mögliches Ende Möglicher kognitiver Gewinn
Sieg über den Gegner fester Gegensatz, bezieht normalerweise persönliche und gesellschaftliche Gegensätze mit ein es gibt keine Übereinstimmung, was das »innere« Entscheidungsvorgehen betrifft List Auflösung (dissolution) Erkennen unversöhnlicher Auffassung
Tabelle 3: Dichotomie Diskussion – Disput Diskussion Die Wahrheit Die Frage kann gelöst werden Logik rational richtet sich an Inhalte führt zur Meinungsänderung
Disput Meine Wahrheit Die Frage kann nicht gelöst werden Rhetorik irrational richtet sich an Einstellungen führt zu keiner Meinungsänderung
Tabelle 4: Struktur einer Kontroverse Ziel Bereich
Verfahren Methode Mögliches Ende Möglicher kognitiver Gewinn
gegenseitige Überzeugung beginnt mit einer klar umgrenzten Frage, breitet sich jedoch rasch auf andere Fragen aus, sowohl in der Breite als auch in der Tiefe »alles« (jede Vermutung, jedes Vorgehen) kann in Frage gestellt werden Argumente, die gegeneinander aufgewogen werden Auflösung (resolution), kreative Lösung Feststellen eines Gegensatzes, Versöhnung von Gegensätzen, Entstehung neuer Ideen
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P (Newton): »For this is to be decided not by discourse, but by new tryal of the Experiment«; »But this, I conceive, is enough to enforce it, and so to decide the controversy«; »There are yet other Circumstances [i.e., other experiments, MD], by which the Truth might have been decided«. O (Hooke): »But, how certain soever I think myself of my hypothesis (which I did not take up without first trying some hundreds of experiments), yet I should be very glad to meet with one experimentum crucis from Mr. Newton, that should divorce me from it. But it is not that, which he so calls, will do the turn; for the same phaenomenon will be solved by my hypothesis, as well as by his, without any manner of difficulty or straining: nay, I will undertake to shew another hypothesis, differing from both his and mine, that shall do the same thing«.
Descartes und Fermat, zwei der größten Mathematiker aller Zeiten, folgen – wie nicht anders zu erwarten – dem Modell des mathematischen Beweises, d.h. immer wenn sie ihre mathematischen Fragen gegenüberstellen, folgen sie der strengsten Form der Diskussion. Obwohl sie bekunden, die Entscheidung anderer Mathematiker zu akzeptieren, sind sie jeweils ganz sicher, dass der Gegner falsch liegt und von versteckten Absichten erregt ist – d.h. sie führen ihre Auseinandersetzungen, als ob es ein Disput wäre. Hier sind einige ihrer Aussagen (Fermat lässt sich von seinem Freund und Kollegen Roberval vertreten): D (Descartes): »[...] s’il y a quelque animosité particulière entre lui [Fermat] et moi, elle est toute entière de son côté«. (»[...] wenn es irgendeine spezielle Abneigung zwischen ihm [Fermat] und mir gibt, dann liegt sie völlig auf seiner Seite«.) F/R (Fermat/Roberval): »J’avoue que je me suis trompé dans l’écrit que j’ai fait pour lui [Descartes], mais savez-vous en quoi? C’est en ce que je croyais qu’il fut amateur de la vérité, et, au contraire, je reconnais maintenant qu’aussitôt qu’elle ne s’accorde pas à ses pensées, il devient son adversaire et la combat, comme s’il était capable de la vaincre et lui faire changer de parti pour prendre le sien«. (»Ich gebe zu, dass ich mich in dem geirrt habe, was ich ihm [Descartes] geschrieben habe, aber wissen Sie, worin ich mich getäuscht habe? Darin, dass ich glaubte, er liebe die Wahrheit, während ich jetzt – ganz im Gegenteil – merke, dass, immer wenn sie mit seinen Gedanken nicht übereinstimmt, er zu ihrem Gegner wird und sie bekämpft, als ob er sie besiegen könnte und sie auch überreden könnte, die Seite zu wechseln, um auf seine Seite zu kommen«.) D: »Si ce que j’avais écrit de l’Aristarque [de Robervals] [...] n’eut été vrai, il ne serait pas si en colère qu’il est«; »[...] en chaque article de ce qu’il [Fermat] objecte de nouveau, il fait un nouveau paralogisme, ou bien corrompt le sens de mes raisons, et montre ne les pas entendre«. (»Wenn das, was ich über
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Aristarch [de Robervals] geschrieben habe […] nicht wahr gewesen wäre, dann wäre er nicht so zornig wie er ist«; »[…] in jeden Artikel, in dem er [Fermat] neue Einwände erhebt, baut er einen neuen Paralogismus ein, oder aber er verunstaltet den Sinn meiner Argumente und zeigt, dass er sie nicht versteht«.) F/R: » [...] pour faire paraître que M. de Fermat aurait tort, M. Descartes fabriquerait un raisonnement à sa mode, voulant faire croire que ce serait le raisonnement de M. de Fermat; ce qui ne se peut attribuer qu’au défaut de connaissance de M. Descartes, touchant la Méthode dont est question; car nous ne voulons pas soupçonner sa mauvaise foi.« (» […] um es so scheinen zu lassen, dass Herr de Fermat falsch liegt, stellte Herr Descartes eine eigene Argumentation her, wobei er Glauben machen wollte, dass dies die Argumentation von Herrn de Fermat sei; wobei dies nur Herrn Descartes Mangel an Kenntnissen bezüglich der Methode, um die es geht, geschuldet sein kann, da wir ihm keine böse Absicht unterstellen möchten«.)
Es gibt aber eine dritte Spielart, die die Rolle von Auseinandersetzungen innerhalb der Wissenschaft verdeutlicht. Es handelt sich um eine Art von Auseinandersetzung, die ich als »Kontroverse« bezeichne (vgl. Tabelle 4). Die Kontroverse unterscheidet sich vom Disput dadurch, dass kein Teilnehmer a priori davon ausgeht, dass sein Gegner falsch liegt und er selbst richtig. Es gibt also immer die Möglichkeit, den jeweils anderen zu überreden und seine Meinung zu verändern. Auf der anderen Seite unterscheidet sich die Kontroverse von der Diskussion, indem sie sich nicht auf Gegensätze beschränkt, die von allgemeinen Voraussetzungen abhängen, die von beiden akzeptiert werden. Große durchgreifende Uneinigkeiten sind deshalb möglich. Wenn man diese dritte Alternative betrachtet, können die oben erwähnten Auseinandersetzungen ganz anders gesehen werden. Während Newton dem Modell der Diskussion folgt und deshalb der Auffassung ist, erst durch einen experimentellen Beweis könne die Debatte gelöst werden, ist Hooke der Meinung, dass auch ein »experimentum crucis« nicht zwischen seiner Hypothese und der von Newton entscheiden kann. Er weist deshalb auf ein alternatives Modell hin. Das Fehlen einer Entscheidungsmethode (wie z.B. der Beweis, der die Debatte beschließt und die Teilnehmer dazu führt, eine Lösung anzunehmen) ist aber genau eines der bestimmenden Merkmale der Kontroverse. Die Debatte zwischen Fermat und Descartes ist hingegen eine Episode in einer unruhigen Periode der Geschichte der Mathematik, in der neue Symbole, Symbolsysteme und Notationen, neue Methoden und sogar neue Ontologien erfunden werden, damit alte Fragen gelöst werden können, die zu jener Zeit dringend werden, wie zum Beispiel die nach dem Begriff des Un27
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endlichen. Da es kein grundlegendes Einverständnis gab, versuchte jeder dem anderen seine Neuerungen und Kriterien aufzuzwingen und die seiner Gegner für ungültig zu erklären. Dies führte dazu, dass das Modell des Disputs am Ende siegte, genauso wie es schon bei anderen Episoden der frühneuzeitlichen Mathematik passiert war, z.B. bei den Debatten zwischen Hobbes und Wallis oder zwischen Newton und Leibniz. Die Debatte zwischen Descartes und Fermat dient als sehr gutes Beispiel hierfür. Aber man kann auch vermuten, dass solche Dispute rein oberflächliche Äußerungen tiefer Kontroversen waren, die der Mathematik erst den Weg wiesen.
Allgegenwart von Kontroversen in den Wissenschaften Auf anderen Forschungsgebieten und in anderen Zeiten der Geschichte der Wissenschaft ist das Modell der Kontroverse deutlich das angemessenste, um Auseinandersetzungen zu beschreiben. Hier seien zwei Beispiele kurz erwähnt. Malthus und Ricardo, die beiden großen Wirtschaftswissenschaftler zu Beginn des 19. Jahrhunderts, hatten verschiedene Auffassungen über grundlegende Begriffe, Methoden und Ziele der Ökonomie (und über die Gesellschaftswissenschaften im Allgemeinen), so wie über die Wirtschaftspolitik, die verfolgt werden sollte. Dies hinderte sie daran, ihre Differenzen zu bereinigen. Trotzdem erkannten sie, dass ihre jahrelange Debatte einen kognitiven Gewinn hatte: nämlich, dass sie wenigstens das Wesen jener Unterschiede erklären konnten, ohne dem jeweils anderen böse Absichten zu unterstellen. Die Kontroverse zwischen Galvani und Volta am Ende des 19. Jahrhunderts scheint zunächst das genaue Gegenteil der Kontroverse zwischen Malthus und Ricardo zu sein. Genauso wie Newton und Hooke stellen Volta und Galvani verschiedene Hypothesen vor, die experimentelle Ergebnisse erklären, die von beiden schon akzeptiert sind. Ganz im Gegensatz zu den beiden Engländern, erweisen sich die Italiener aber einen großen gegenseitigen Respekt, und deshalb wird aus der Auseinandersetzung kein Disput. Während Galvani das Vorhandensein eines »tierischen elektrischen Fluidums« verteidigt, das sich durch die Nervenfasern ausbreitet (so erklärt er die Kontraktion des Froschbeins ohne die Beteiligung »natürlicher« Elektrizität), hält Volta das Froschbein für ein normales Elektroskop, das auf die so genannte »metallische Elektrizität« reagiert, die aus dem Kontakt verschiedener Metalle stammt. Man könnte sagen, es ging um eine typische Diskussion, die 28
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auch auf das Problem beschränkt war, das gelöst werden sollte. Wenn wir uns aber daran erinnern, dass ihren Erklärungen eine Reihe tiefer begrifflicher, methodischer und sogar institutioneller Gegensätze entspricht (bis hin zu einem völlig verschiedenen Verständnis des Belebten und des Unbelebten), dann ist es auch nicht schwer zu verstehen, dass es sich um eine echte Kontroverse handelte. Kontroversen haben u.a. folgende epistemologisch wichtige Merkmale: Thematische Verschiebungen Kontroversen sind nicht auf die Fragen oder Probleme beschränkt, mit denen sie beginnen. Infragestellen von Voraussetzungen Die Ausweitung der Thematik bedeutet, dass auch die sachlichen, methodischen und begrifflichen Voraussetzungen des jeweiligen Opponenten in Frage gestellt werden. Auslegungsschwierigkeiten Fragen der Interpretation sind in Kontroversen allgegenwärtig. Interpretationen stehen immer im Verdacht, bestimmte Annahmen zu enthalten, die die Debatte in eine bestimmte Richtung lenken – daraus will natürlich jede Partei Nutzen ziehen. So wird kaum eine Interpretation unhinterfragt akzeptiert und Re-Interpretationen sind die Regel. Offenes Ende Da das Problem in einer Kontroverse prinzipiell erweiterbar und wandelbar ist, kann das Ende einer Kontroverse meist nicht darin bestehen, dass eine der Positionen die »Lösung« ist. Trotz dieser Offenheit kann man aber immer noch einen erkennbaren »epistemischen Gewinn« erzielen. Flexible Struktur Trotz ihrer ausgeprägten Offenheit sind die Kontroversen nicht anarchisch, sondern weisen eine geordnete argumentative Struktur auf, bei der Argumente und Gegenargumente in der Regel nach Relevanzkriterien aufeinander bezogen werden. ›Weiche‹ Rationalität (soft rationality) Die rationale Überzeugung (das Ziel der Kontroverse) greift auf Argumentationsarten zurück, die diejenigen überschreiten, die von der deduktiven und induktiven Logik zugelassen werden; zu ihren Rationalitätskriterien gehört alles, was in irgendeiner Hinsicht »vernünftig« ist – nicht 29
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nur das Notwendige, auch das Wahrscheinliche; aus diesem Grund ist es eine Rationalität, die auch vom Kontext abhängt, denn Argumente, die in einem gegebenen Zusammenhang rational sind, sind es in einem anderen Zusammenhang vielleicht nicht mehr. Diese Merkmale unterscheiden Kontroversen von der Diskussion und vom Disput und erklären auch ihre Sonderrolle beim Fortschritt wissenschaftlichen Wissens. Zusammen betrachtet erklären sie z.B., was Knorr-Cetina als »epistemische Nachgiebigkeit« (epstemic slack) bezeichnet: »Die empirische Untersuchung der wissenschaftlichen Praxis hat gezeigt, wie stark jeder Aspekt der Forschung das beinhaltet, was ich als epistemische Nachgiebigkeit (epstemic slack) bezeichne: Spielraum und Freiheit bei der Frage danach, was ein Experiment zeigt (›Was sehe ich dort?‹), inwieweit die Ergebnisse gültig (›Ist das ein Fakt oder ein Artefakt?‹) und objektiv sind (›Habe ich die Ergebnisse irgendwie beeinflusst?‹), Flexibilität bezüglich der Wiederholbarkeit (›Was wäre eine gültige Wiederholung des Experiments?‹), der Wahrheit (›Wie stehen die Ergebnisse zu anderen?‹), in der zeitlichen Identität (wie die Resultate von anderen interpretiert werden) und so fort. Genau diese ›Nachgiebigkeit‹ wird bei Kontroversen um den Status wissenschaftlicher Ergebnisse offenbar, von denen wir gelegentlich lesen« (Knorr-Cetina 1999: 382).
Diese »epistemologische Offenheit« lässt uns die enge Beziehung zwischen Kontroverse und Innovation besser verstehen – einer der Aspekte des wissenschaftlichen Fortschritts, der am schwierigsten zu erklären ist (deshalb wird darüber auch so viel diskutiert): »Once started, a controversy has no a priori limits as to where it will stop in its questioning of entrenched beliefs, concepts, methods, modes of interpretation, data, criteria of relevance, norms of formulation, acceptance and rejection of hypotheses, and other components of the scientific enterprise. Such an unrestricted questioning may lead to a situation of radical openness in a given field, which in turn creates conditions that are favorable – and perhaps essential – to the emergence of radical innovation« (Dascal 1998b: 149).
Eine konstruktivistische Position? Wir nehmen an, den Leser schon überzeugt zu haben, dass die Dialektik – besonders die, welche sich durch die Kontroversen äußert – eine wichtige Rolle in der kollektiven Konstruktion wissenschaftlichen Wissens spielt. Wir müssen jetzt noch verdeutlichen, wie aus dieser Dialektik des 30
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kollektiven Wissens auch folgt, dass wir Wissenschaft als eine Konstruktion behandeln müssen. Diese Verdeutlichung ist notwendig, weil dieser Ausdruck ein Bekenntnis zum »radikalen Konstruktivismus« andeuten könnte. Der Ausdruck »Konstruktivismus«, der aus der Ästhetik und der Mathematik stammt, ist inzwischen in weiteren Bereichen gebräuchlich, einschließlich dem der Epistemologie. In der Ästhetik bezieht sich dieser Begriff auf die Bewegung, die 1919 mit den russischen bildenden Künstlern Tatlin und Rodtschenko begann. Ihr Ansatz bestand darin, die Subjektivität der Sinneseindrücke in der bildenden Kunst zu überwinden, indem man sie durch streng geometrisch durchgeführte »Konstruktionen« ersetzte, d.h. durch Elemente, die vom Menschen erfunden wurden. Der mathematische und logische Konstruktivismus, der fest in der intuitionistischen Strömung in der Philosophie der Mathematik verwurzelt ist, beruht auf der ontologischen These, dass die einzigen vorhandenen (mathematischen) Gegenstände diejenigen sind, die wir tatsächlich konstruieren können. Ad-absurdum-Demonstrationen (diejenigen, die Schlussfolgerung nicht positiv darlegen, sondern erst beweisen, dass deren Negation einen Widerspruch impliziert) werden ausgeschlossen, ebenso der Begriff der aktualen Unendlichkeit. Wenn die tatsächliche Konstruktion betont wird, wird auch der dynamische Charakter dieser konstruktiven Tätigkeit betont, die für die mathematischen Gegenstände verantwortlich ist (im Gegensatz zur klassischen Mathematik, die sich auf Gegenstände und Zustände selbst konzentriert). Außer seinem Beitrag zu den Grundlagen verschiedener Fächer (z.B. der Mengenlehre und der Theorie der rekursiven Funktionen), hat der logisch-mathematische Konstruktivismus heutzutage mehrere wichtige Anwendungen, wie z.B. die Untersuchung der Programmieralgorithmen und die Theorie der Komplexität. In der Epistemologie ist der Konstruktivismus gekennzeichnet durch seinen Kampf gegen den Realismus (der manchmal ›naiv‹ genannt wird), der angeblich behauptet, dass Wissen erst wissenschaftlich ist, wenn es der ›sachlichen‹ Wirklichkeit entspricht – und das unabhängig von der Rolle des Wissenschaftlers. Für den Konstruktivisten ist die Rolle des Wissenschaftlers nicht die eines Forschers, der auf der Suche nach den zugrunde liegenden Strukturen einer unerreichbaren Wirklichkeit ist, sondern die eines Baumeisters solcher Strukturen. Das Wissen, das auf diese Weise geschaffen wird, entspricht keinem zuverlässigen Bild der wirklichen Welt, sondern einer Menge Mittel, um Probleme seitens des Menschen im Allgemeinen und des Wissenschaftlers im Einzelnen zu lösen. Der Konstruktivist ist somit der Auffassung, dass nicht nur Theorien konstruiert werden, sondern dass auch ihre Gegenstände 31
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und die Tatsachen konstruiert werden, die durch die Theorien erklärt werden sollen. Den Gegensatz zwischen der Konstruktion von Hypothesen und der Entdeckung von Tatsachen gibt es demnach nicht. Zahlreiche Untersuchungen der wissenschaftlichen Praxis, besonders in den Laboratorien, werden angeführt, um diese Behauptungen zu beweisen. Diese Social Studies of Science wären paradoxerweise der einzige realistische Weg, das wissenschaftliche Wie zu bestimmen, und folglich alle unsere Täuschungen über das wissenschaftliche Was zu beseitigen, d.h. was für ein ›Wissen‹ die Wissenschaft tatsächlich ermöglichen kann. Die naiven (oder vielleicht gar nicht so naiven?) Verteidiger des Realismus argumentieren dagegen und werfen dem Konstruktivismus vor, zum Relativismus zu führen (der nicht erklären kann, warum einige Theorien »funktionieren« und andere nicht), zum gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und geschichtlichen Kontextualismus (der nicht in der Lage ist, den kognitiven Inhalt der Theorien zu begründen), sowie zu anderen schwerwiegenden Beeinträchtigungen des Werts der Wissenschaft als zuverlässige und deshalb natürlich bevorzugte Art des Wissens. Infolgedessen geht es hier um eine philosophische Kontroverse, deren Gegenstand die Objektivität und die Universalität wissenschaftlichen Wissens ist. Natürlich werden wir sie hier nicht im Detail untersuchen können. Wir müssen aber dieser Kontroverse unbedingt noch etwas hinzufügen: Sie zeigt, dass der Ausdruck »Konstruktion« von einer Seite immer überschwänglich gelobt und von der anderen Seite als verdächtig betrachtet wird. Folgende Frage kann deshalb gestellt werden: Wenn wir bei der Beschreibung der Dialektik von »Konstruktion« sprechen, die den kollektiven Aufbau des wissenschaftlichen Wissens verkörpert, sind wir dann Konstruktivisten? Nein. Mein Hauptargument, das ich hier nur skizzenhaft darstelle, besteht darin, dass die Dichotomie von Konstruktivismus und Realismus eine falsche ist. Genauso wie alle falschen Dichotomien geht sie davon aus, dass sie die beiden einzigen möglichen Alternativen enthält, d.h. strikt polar strukturiert ist, während tatsächlich ein Kontinuum von Möglichkeiten vorhanden ist, oder zumindest eine Skala, die zwischen den beiden Polen auch andere Alternativen enthält, die viel plausibler als die Pole sein können. Als ich den Begriff Kontroverse zwischen den beiden Polen Disput und Diskussion einführte, zeigte ich schon, dass diese Argumentationsstrategie, die ich ›das Entdichotomisieren‹ nenne, sehr nützlich ist. Ich versuche jetzt ganz kurz zu beweisen, wie sie falsche Dilemmata im Allgemeinen und auch das hier behandelte lösen kann.
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Kontinuum statt Dichotomie Entdichotomisieren heißt, solche Alternativen zu beseitigen, deren ausschließlicher Charakter es scheinbar unmöglich macht, eine Sammlung von Phänomenen anders zu erklären. Man kann zwei Hauptargumentationslinien im Entdichotomisierungs-Prozess unterscheiden. Man kann zum einen argumentieren, dass die beiden Pole der Dichotomie nicht umfassend sind, weil sie nicht alle Phänomene beschreiben. Der radikale Gegensatz zwischen den Polen der Dichotomie wird daher immer schwächer, was die Anwendungsbreite der Dichotomie negativ beeinflusst. Man stellt deshalb fest, dass es im Prinzip genug Raum zwischen den beiden Polen gibt, damit eine Zwischenposition auftaucht, die ihrerseits in der Lage ist, die Phänomene zu erklären, die von den beiden Polen nicht erklärt worden waren. Darüber hinaus kann man die Pole verändern und ihren Umfang erweitern, um solche Phänomene zu erklären oder die problematischen Phänomene einfach auszuschließen. Der Leser wird sich ohne Probleme denken können, welche Phänomene die Dichotomie Konstruktivismus/Realismus nicht erklärt. Genau: Die Auseinandersetzungen! Diese wichtigen, vielleicht wichtigsten Phänomene, die jede wissenschaftliche Theorie sowohl untersuchen, als auch erklären muss, werden immer noch völlig beiseite gelegt, vielleicht sogar ignoriert – nicht nur auf dem Gebiet der traditionellen Epistemologie, sondern auch auf dem der Social Studies of Science. Genau der dialektische Charakter der wissenschaftlichen Diskussion und der kollektiven Konstruktion des wissenschaftlichen Wissens erlaubt uns, die falsche Dichotomie abzulegen, weil der Weg zu einer anderen Alternative auf diese Weise gezeigt wird. Die zweite Argumentationslinie im Entdichotomisierungs-Prozess beruht auf Folgerungen, die die Verteidiger beider Pole benutzen, um jeweils ihren Gegnern die unhaltbaren Konsequenzen ihrer Positionen vor Augen zu führen. Dabei werden die betreffenden Positionen konsequent weitergeführt, bis etwas Unsinniges, Antiintuitives oder Katastrophales herauskommt. So wird die Unannehmbarkeit der gegnerischen Positionen bewiesen, indem man auf solche Konsequenzen hinweist: Dem Konstruktivisten wird oft radikaler Relativismus und nivellierender Kontextualismus vorgeworfen, genauso wie dem Realisten Naivität vorgeworfen wird, weil er sich die Wissenschaft in normativer Weise vorstellt und ihre Praxis ignoriert. Solche Folgerungen werden oft von Gegnern benutzt und tragen deshalb dazu bei, den dichotomen Gegensatz zwischen den beiden Polen noch weiter zu radikalisieren. Wenn man aber diese Folgerungen sorgfältig betrachtet, findet man heraus, dass sie in den meisten Fällen weder zwingend noch überzeu33
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gend sind. Es sind Folgerungen, die zweifellos eine überzeugende Wirkung haben, ohne dass aber die Negation ihrer Schlüsse einen Widerspruch impliziert. Solche Folgerungen nutzen eine ›weiche‹ (›soft‹) Logik, die die ›strenge‹ deduktive Logik in Misskredit bringt, weil sie ihre Schlussfolgerungen nicht unbedingt von ihren Prämissen ableitet. Sie beruhen auf nicht monotonen Folgerungsregeln, wie z. B. juristischen Vermutungen, Konversationsmaximen oder heuristischen Empfehlungen, die unser Verhalten vernünftigerweise leiten, wenn wir unter ungewissen Umständen eine Entscheidung treffen müssen. Das für diese ›weiche‹ Rationalität geeignete Modell ist nicht das algorithmische Modell, das darauf abzielt, eine Entscheidungsmethode aufzubauen, die immer zu einem einzigen ›richtigen‹ Ergebnis führt. Das geeignete Modell ist das einer Waage, auf der die günstigen und die ungünstigen Bemerkungen ›abgewogen‹ werden, was eine bestimmte Richtlinie betrifft. Obwohl eine Waagschale immer schwerer als die andere ist, bedeutet das nicht, dass unsere Wahl dieser Waagschale anfechtbar ist. Die Einsicht, dass viele Folgerungen, die Dichotomien radikalisieren und verhärten, in Wirklichkeit ›weich‹ sind, ist ein mächtiges Werkzeug, falsche Dilemmata zu entschärfen. Und zwar deshalb, weil man nun durch Kombination der eigentlichen Pole oder jedenfalls von Elementen, die für sie zentral sind, weitere Alternativen hervorbringen kann, so dass sie dann letzten Endes nicht mehr kontradiktorisch sind. Nehmen wir noch einmal das Beispiel der Auseinandersetzungen: Unter den Auseinandersetzungen sind Kontroversen am wenigsten dem radikalen Dichotomisieren ausgesetzt, weil sie normalerweise den Zug des ›Arguments‹ benutzen, das rational überzeugen kann, ohne etwas im strikten Sinne zu beweisen. Auch wenn eine entscheidende Lösung der Gegensätze nicht gefunden wird, können sie vorläufig gelöst werden, z. B. durch die Versöhnung der Gegenseiten – was an sich schon ein bedeutender kognitiver (und manchmal auch politischer) Gewinn ist. Im vorliegenden Fall der Kontroverse ist eine solche Versöhnung anscheinend nicht so schwer zu erreichen. So werden Alternativen konstruiert, die das falsche Dilemma auflösen. Die geschichtlichen (sowie die gesellschaftlichen, kulturellen, technologischen, usw.) Umstände, unter denen die Wissenschaft ausgeführt wird, beeinflussen die Ergebnisse – das ist eine unbestreitbare Tatsache. Daraus lässt sich aber nicht folgern, dass sie sie bestimmen. Allein auf diese Weise können wir verhindern, dass z.B. die ›Relativierung‹ ungerechtfertigt zum ›Relativismus‹ wird. Wenn wir verstehen, dass verschiedene Arten kontextueller Faktoren auch verschiedene Rollen in der kollektiven Konstruktion der Wissenschaft spielen – sagen wir ›externe‹ oder ›interne‹ Rollen –, können wir auch verhindern, dass diese Konstruktion mit einem Reduktio34
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nismus verglichen wird, der entweder externe Faktoren (nach dem Beispiel des »strong program« der Wissenssoziologie) oder interne Faktoren (wie z.B. den Normativismus, der die Kritik auf eine deduktive Aufgabe einschränkt) bevorzugt. Die oben genannten entdichotomisierenden Argumentationslinien können in mehreren Fällen nützlich sein, die innerhalb der heutigen Philosophie und Geschichte der Wissenschaft sehr prominent sind. Auf diese Weise können neue Alternativen zur falschen Polarität Konstruktivismus/Realismus geschaffen werden (andere falsche Dilemmata sind selbstverständlich auch betroffen). Solche Alternativen erlauben uns, den Begriff »soziale Konstruktion von Wissen« zu interpretieren und deshalb auch die Rolle der Auseinandersetzungen innerhalb einer solchen Konstruktion zu erkennen, und sie nicht nur als eine reine Folge des Konstruktivismus zu betrachten. Dafür lassen sich die folgenden Beispiele finden: Kontext & Inhalt Die Erkenntnis des Einflusses des gesellschaftlichen Kontexts auf die Wissenschaft impliziert nicht, dass wir den Inhalt der Wissenschaft auf ihren gesellschaftlichen Kontext reduzieren – man kann aber ihren Inhalt auch nicht auf eine Objektivität reduzieren, die unabhängig von der institutionalisierten Arbeit der Wissenschaftler ist. Normativismus & Deskriptivismus Die wissenschaftliche Auseinandersetzung wird von gewissen Normen geleitet, die jedoch keine ewigen Ausdrücke einer unveränderlichen Rationalität sind, sondern sich in der argumentativen Praxis der Wissenschaftler äußern und die Kontingenz in sich tragen, die jede Praxis enthält. Konsens & Korrespondenz Die ›Wahrheit‹ einer Theorie hängt von ihrer Annahme seitens der entsprechenden ›wissenschaftlichen Gemeinschaft‹ ab, aber nicht nur davon; sie hängt aber auch nicht nur von ihrer ›Entsprechung‹ mit der Welt ›da draußen‹ ab. Widerlegung & Reputation Die Widerlegung widmet sich nicht nur den Inhalten einer Theorie, sondern wird sowohl vom Ruf des Verteidigers als auch vom Ruf des Widerlegers jener Theorie beeinflusst. Die Reputation ist aber nicht nur das bloße Ergebnis des gesellschaftlichen Erfolges von Verteidiger und Widerleger, sondern sie ist auch von der ›Qualität‹ der jeweiligen Arbeit 35
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abhängig, die nach Kriterien eingeschätzt wird, die nicht ausschließlich gesellschaftlich sind. Logik & Rhetorik Die Begründung einer Theorie besteht nicht nur in ihrem logischen oder experimentellen Beweis, sondern auch in ihrer rhetorisch überzeugenden Macht – wenn auch nicht ausschließlich darin. Jede ›Versöhnung‹ in dieser Liste muss noch entwickelt werden, genau so wie ihre Kombinationen, was einige Schwierigkeiten machen wird. Jede Kombination wird ihre eigenen Vorteile und Nachteile haben, die abgewogen werden müssen, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Die Attraktivität der einfachen Oppositionen des dichotomen Denkens geht auf diese Weise zweifellos verloren, aber man bekommt die Möglichkeit, komplexere Untersuchungsgegenstände wie die Wissenschaft auf dem richtigen Niveau zu erörtern.
Schlussfolgerungen Wir schließen mit drei ›praktischen‹ Konsequenzen, die wir ziehen können, wenn wir das dialektische Wesen der kollektiven Konstruktion wissenschaftlichen Wissens anerkennen: (1) Kontroversen sind unverzichtbar für die Bildung, Entwicklung und Überprüfung (wissenschaftlicher) Theorien, weil nur durch sie die Kritik zur Erzeugung, Verbesserung und Kontrolle der ›Wohlgeformtheit‹ und des ›empirischen Gehalts‹ wissenschaftlicher Theorien beitragen kann. (2) Die genaue Untersuchung von Kontroversen ist für eine angemessene Beschreibung der Geschichte und Praxis der Wissenschaft unverzichtbar. Kontroversen sind nämlich der natürliche ›dialogische Kontext‹, in dem Theorien aufgestellt werden und in dem sich ihre Bedeutung langsam festigt. Außerdem erlaubt uns die systematische Untersuchung von Kontroversen, das Wesen der Kuhnschen Krisen, die typische Herde der Kontroversen sind, besser zu verstehen. Insbesondere werden wir dadurch in der Lage sein herauszufinden, inwieweit solche Krisen tatsächlich von ›Inkommensurabilität‹ und ›Irrationalität‹ bestimmt sind. (3) Zu einer angemessenen Ausbildung in der Wissenschaft gehören auch Ausbildung und Training im Argumentieren. Darüber hinaus muss man die angehenden Wissenschaftler zumindest mit den wichtigsten 36
DIE DIALEKTIK IN DER KOLLEKTIVEN KONSTRUKTION
Kontroversen vertraut machen, die in ihrem jeweiligen Feld in Geschichte und Gegenwart ausgetragen wurden.
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MARCELO DASCAL
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Wissenschaftliche Kontroversen und die politische Epistemologie der Ungewissheit: Diskurstheoretische und diskursanalytische Perspektiven REINER KELLER
Kontroversen in der reflexiven Moderne An der französischen Elite-Hochschule für die Ingenieursausbildung, der École des Mines in Paris, wird im laufenden Hochschuljahr 2005 von dem Wissenschafts- und Technikforscher Bruno Latour ein soziologisches Seminar für Ingenieure angeboten, das ›Kontroversen‹ zum Thema hat. Als Kontroversen werden in der Kursbeschreibung Debatten über umstrittenes wissenschaftliches oder technologisches Wissen und dessen mögliche Folgen bezeichnet, beispielsweise über Eigenschaften und Risiken genetisch modifizierter Organismen. Die begleitende, ausführliche Begründung und Erläuterung der Inhalte zeigt an, dass die Beschäftigung mit wissenschaftlichen Kontroversen etwas Ungewohntes hat, zumindest in diesem Rahmen. Warum sollten sich Ingenieure mit solchen Kontroversen beschäftigen? Werden sie nicht dazu ausgebildet, sie zu überwinden, wenn schon nicht mit wissenschaftlichem Wissen, dann durch ›gelungene‹ technische Praxis? Doch gerade an dieser Normalerwartung setzt das Thema an – eben weil die gesamte übrige Ausbildung ›sicheres Wissen‹ fokussiere, sei es dringend notwendig, die künftigen Ingenieure mit instabilen Wissensfeldern, mit der Ungewissheit des wissenschaftlichen und technischen Wissens zu konfrontieren. Denn diese Situation entspreche sehr viel eher dem, was sie in ihrer künftigen Berufspraxis erwarte, als die – bis auf weiteres – beruhigenden Sicherheitsgarantien der etablierten Wissensbestände: 39
REINER KELLER
»[...] mehr und mehr kommt es darauf an, dass sie in der Lage sind, Situationen heftiger Kontroversen zu analysieren (technologische Risiken, wissenschaftliche Ungewissheit, Vielfalt möglicher Szenarien, Wert- und Moralkonflikte), für die es keine vorgefertigte und funktionierende Handhabe gibt, und in denen man gleichwohl entscheiden muss, während sie in einer heißen Phase sind. [...] Denn die grundlegende Erwartung an die Ingenieure besteht nicht mehr darin, dass sie die technische Lösung wählen, die ihnen optimal erscheint, sondern dass sie ihre Auftraggeber darauf vorbereiten, das Gesamt der Lösungen und vor allem der unterschiedlichen sozialen, moralischen, ökonomischen und organisatorischen Reaktionen, die sie mit sich bringen können, in den Blick zu nehmen.«1
Eine solche Einschätzung kann sich nicht nur auf zahlreiche öffentliche Debatten der letzten Jahrzehnte beziehen, sondern auch auf die Entwicklungen der Wissenschaftstheorie und der Wissenschaftsforschung. Dort wird seit längerem auf die Bedeutung von Kontroversen für die ganz normale, ganz alltägliche Praxis der Wissenschaften hingewiesen. Solche Kontroversen zeichnen sich durch in Opposition zueinander stehende Haltungen, Präferenzen, Problem- und Wissenseinschätzungen aus, nicht zuletzt auch dadurch, dass es zwischen den Kontrahenten keine Übereinstimmung über eine Entscheidungsprozedur, einen Lösungsweg gibt (vgl. Dascal 1994). Dennoch spornt das Wetteifern um den ›wissenschaftlichen Sieg‹ die Wissensproduktion ungeheuer an. Kontroversen sind ein notwendiger Motor der Wissensentwicklung, kein bedauerlicher Störfaktor, obwohl dies die öffentliche Wahrnehmung der Wissenschaften in den letzten Jahrzehnten sehr irritiert.2 Wissenschaftlich-technologische Kontroversen sind Konstellationen der Unentscheidbarkeit, der Konkurrenz unterschiedlicher Wissensansprüche. Sie werden im Medium der Sprache vorgetragen, greifen aber auf Handlungskapazitäten sozialer Akteure und alle Arten von Materialitäten zurück. Sie machen auch keineswegs an den Grenzen spezialisierter wissenschaftlicher Handlungsfelder Halt. Die eingangs erwähnte Kursbeschreibung gibt einige Regeln für die Auswahl solcher Kontroversen an, und ebenso für die Art und Weise, wie sie durch die Kursteilnehmer untersucht werden. Man könne beispielsweise mit den aktuellen Seiten von ›Science‹ oder ›Nature‹ beginnen, solle sich aber ein Beispiel suchen, das einen durch unterschiedliche soziale Arenen und Textgattungen (Wissenschaftsblätter, Tageszeitungen, Internetforen, Enquête1
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Dies ist eine eigene Übersetzung der Erläuterung auf der Web-Seite http://controverses.ensmp.fr/ (20.7.2005); vgl. auch den Beitrag von Bruno Latour in diesem Band. Dascal führt diese Eigenschaften ebd. weiter aus; vgl. auch seinen Beitrag in diesem Band.
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kommissionen und anderes mehr) führe und das man über einen gewissen Zeitraum in seinem aktuellen Ablauf beobachten könne. Vorgeschlagen werden weiterhin fünf Ebenen der Analyse solcher Dokumente: So müsse man, beginnend mit den Aussagen, die in den Texten zu einem Wissensgebiet gemacht werden, danach fragen, mit welchen praktischen Mitteln dieses Wissen produziert werde. Dazu zählt beispielsweise die Frage nach den Forschernetzwerken, die daran arbeiten. In einem zweiten Schritt gehe es um die Untersuchung der Beziehungen zwischen diesen Wissensproduzenten und anderen sozialen Arenen und Akteuren, etwa Geldgebern, Massenmedien usw. Ein drittes Moment der vorgeschlagenen Analyse bezieht sich auf die Formen, in denen die Kontroverse durch ihre Protagonisten selbst betrieben wird, beispielsweise in Gestalt von Kampagnen oder öffentlichen Appellen. Dann gelte es, den Verlauf einer Kontroverse zu begleiten, um Veränderungen zu erfassen. Schließlich sollten die zukünftige Entwicklung sowie die möglichen Formen der Beendigung einer solchen Debatte abgeschätzt werden. Dieses Untersuchungsprogramm schließt an Vorschläge an, die Latour schon vor längerer Zeit ganz allgemein für das methodische Vorgehen der Wissenschafts- und Technikforschung vorgetragen hatte – man müsse den Akteuren und Produkten der Wissenschaft durch die Gesellschaft folgen. Er verknüpft sie hier mit neueren theoretischen Überlegungen zur veränderten Rolle von »Mischwesen aus Natur/Technik/ Sozialem« (wie dem Ozonloch, dem Treibhauseffekt oder genetisch veränderten Pflanzen) in den Gegenwartsgesellschaften. Latour plädiert für die Einrichtung eines »Parlaments der Dinge«, in dem die erwähnten und andere Kontroversen ›politisch‹ verhandelt werden können (vgl. Latour 2001). Dabei greift er einige Elemente der Zeitdiagnose der »Risikogesellschaft« (vgl. Beck 1986) auf. Beck und einige seiner Kollegen betrachten die risikogesellschaftlichen Phänomene als Teil einer gesellschaftlichen Transformationsphase von der »ersten« zu einer »zweiten«, oder wie es auch heißt: »reflexiven Moderne«.3 In diesem Prozess der ›Modernisierung moderner Gesellschaften‹ verändert sich die gesellschaftliche Rolle des Wissens und der Wissenschaft. Die Komplexität und Differenziertheit der Wissens- und Technikproduktion, die Entdeckung von immer neuen Nebenfolgen-Zusammenhänge und anderes mehr münden in eine gesellschaftliche Lage, die sich als »politische
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Vgl. etwa Beck/Giddens/Lash (1996); Beck/Bonß (2001); Beck/Lau (2004).
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Epistemologie (und Ökonomie) der Ungewissheit« begreifen lässt.4 Damit sind Wissensverhältnisse bezeichnet, in denen weite Bereiche wissenschaftlicher Wissensbestände Gegenstand von Kontroversen sind und sich die Wahrnehmung ebenso wie die Austragung dieser Wissenskonflikte aus dem Feld der Wissenschaften in die unterschiedlichsten sozialen Arenen hinaus ›entgrenzt‹ hat. Das gilt nicht nur für wissenschaftlich-technisches Faktenwissen, sondern auch für ökonomische oder sozial-wissenschaftliche Wissensformen. Überall gewinnt das Nicht-Wissen – im Sinne einer ungewissen, nicht stabilisierten wissenschaftlichen chen Wissensbasis des Handelns – an Bedeutung (vgl. Wehling 2001). Die Theorie der reflexiven Moderne betrachtet solche Wissensverhältnisse als Element eines tiefgreifenden Prozesses der Entgrenzung von gesellschaftlichen und institutionellen Handlungsroutinen, die in der ersten Phase der modernen Gesellschaften gerade erst mühsam eine gewisse Stabilität und Geschlossenheit erreicht hatten.5 Die beobachtete Entgrenzung befreit jedoch nicht von den allgegenwärtigen Entscheidungszwängen des kollektiven Handelns. Sie erzwingt deswegen soziale und institutionelle Innovationen der Entscheidungsfindung und Gestaltung. Dafür lassen sich in unterschiedlichsten Handlungsfeldern Beispiele finden, in der Dopingbekämpfung ebenso wie in der Klimapolitik, bei der Diskussion über ›Genfood‹ ebenso wie im Für und Wider der Stammzelldebatte.6 Für die gesellschaftliche Selbstverständigung und Entscheidungsfindung unter Bedingungen der politischen Ökonomie der Ungewissheit gewinnt die Untersuchung wissenschaftlicher Kontroversen, ihrer Verläufe, Mechanismen und Implikationen einen zentralen Stellenwert.
Diskurstheoretische und diskursanalytische Zugänge zu Kontroversen Wissenschaftliche Kontroversen werden wesentlich im Medium der Sprache geführt. Dascal (1994) schlägt deswegen vor, sie mit Werkzeugen der sprachwissenschaftlichen Pragmatik zu analysieren. Latour fordert zusätzlich die Berücksichtigung der sozialen Beziehungen und ma-
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Einer der drei Teilbereiche des SFB 536 ›Reflexive Modernisierung‹ widmet sich der Untersuchung dieser politischen Epistemologie der Ungewissheit (vgl. http://www.sfb536.mwn.de/ (6.3.2006)). Ein Beispiel aus einem anderen Bereich wären die Phänomene der Globalisierung und Transnationalisierung, durch welche die zunächst relativ geschlossene Handlungseinheit des Nationalstaates aufgelöst wird. Vgl. z.B. Wehling/Viehöver/Keller (2005).
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teriellen Kontexte außerhalb der eigentlichen Texte. Ein solches Analyseprogramm lässt sich, auch wenn der Begriff nicht fällt, als dasjenige einer sozialwissenschaftlichen Diskursanalyse begreifen. Deren Eignung für die Untersuchung von Kontroversen möchte ich im Folgenden näher erläutern und auf einen spezifischen Ansatz der Diskursforschung, die wissenssoziologische Diskursanalyse fokussieren. Diskurse sind mehr oder weniger erfolgreiche Versuche, gesellschaftliche Wissensfelder und Sinn-Ordnungen zu stabilisieren und dadurch verbindliche Phänomendeutungen und darauf bezogene Handlungsweisen sowie Materialitäten zu institutionalisieren. Diskurstheorien bzw. Diskursanalysen sind wiederum wissenschaftliche Unternehmungen zur Untersuchung der damit angesprochenen Prozesse, Praktiken und Materialitäten: Die sozialwissenschaftliche Diskursforschung beschäftigt sich mit gesellschaftlichen Modalitäten, Ressourcen und Praktiken der Aussageproduktion und der (Re-)Produktion von Wissensordnungen, mit den darin eingebundenen sozialen Akteuren, den diesen Prozessen zugrunde liegenden Regeln und Ressourcen sowie ihren Folgen oder »Machtwirkungen« (Jürgen Link) in sozialen Kollektiven. Mit dem Begriff der Diskursanalyse wird allerdings keine spezifische Methode, sondern eine Forschungsperspektive auf besondere, eben als Diskurse begriffene Forschungsgegenstände bezeichnet. Was darunter konkret verstanden wird, hängt von der spezifischen disziplinären und theoretischen Einbettung ab. Der Begriff des Diskurses bezieht sich deswegen selbst innerhalb des engeren Feldes der Diskursforschung auf sehr Unterschiedliches. Ich möchte im Folgenden vier Begriffsverwendungen unterscheiden und in ihrer Bedeutung für die Analyse von wissenschaftlichen Kontroversen kurz erläutern.7
Diskursethik Eine im deutschen Sprachraum gut etablierte, jedoch im Hinblick auf die Entwicklung der empirischen Diskursforschung sehr missverständliche Verwendungsweise des Diskursbegriffs hat Jürgen Habermas mit seiner Diskursethik vorgelegt (vgl. Habermas 1981). Habermas geht davon aus, dass die menschliche Sprachfähigkeit genau vier Geltungsansprüche impliziert. Diese werden in jedem ernsthaft gemeinten Sprechakt eines sprachkompetenten, vernunftbegabten Sprechers von den Kommunikationsteilnehmern wechselseitig unterstellt. Erst dadurch sei, so Habermas, sprachliche Verständigung überhaupt möglich. So erwarten wir, dass Aussagen verständlich und im Hinblick auf ihren faktischen Gehalt ›wahr‹ sind, dass Sprecher und Sprecherinnen ihr Gegenüber nicht täu7 Vgl. für eine umfangreichere Darstellung Keller (2004; 2005).
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schen, sondern aufrichtig und wahrhaftig sprechen und dass das Geäußerte im normativen Sinne ›richtig‹ ist. Diese Eigenschaften könne man gezielt in der Form von ›Diskursen‹ nutzen, um gesellschaftliche Konflikte zu bearbeiten. ›Diskurse‹ sind hier Fortsetzungen des normalen verständigungsorientierten Handelns mit anderen Mitteln – organisierte Prozesse argumentativer Auseinandersetzungen, an den Geltungsansprüchen orientierte geregelte Diskussionsveranstaltungen. Es handelt sich um einen Verfahrensvorschlag dafür, wie in gesellschaftlichen Kontroversen vernünftigerweise diskutiert werden sollte, um ein Höchstmaß der Entfaltung kommunikativer Vernunft zu gewährleisten, ohne vorzugeben, was, d.h. welche Inhalte in solchen Diskursen verhandelt werden. Diese Idee des Diskurses als eines praktischen Settings zur Auflösung kontroverser Konstellationen hat in Großbritannien, den USA und der Bundesrepublik Deutschland als Deliberation oder deliberative Politik große öffentliche und politisch-praktische Wirkung gezeigt, etwa in Gestalt von Mediationsverfahren in der Umweltpolitik oder dem vergleichsweise berühmt gewordenen Diskursexperiment über Gefahrenpotentiale transgener Pflanzen am Wissenschaftszentrum Berlin. Ein so angelegter Diskursbegriff zielt nicht auf die Analyse, sondern auf die Lösung von Kontroversen. Inwieweit er jedoch eine angemessene Antwort auf das eingangs erwähnte »Unentscheidbarkeitsmoment« der Kontroversen darstellt, ob er sie nicht zuletzt in verkürzte Eindeutigkeiten rücküberführt, ist durchaus umstritten.8 In jedem Fall hat er mit Diskursforschung nichts zu tun, auch wenn solche ›Diskurse‹ selbst diskursanalytisch untersucht werden können.
Diskurstheorien Für die gegenwärtige Konjunktur der sozialwissenschaftlichen Diskursforschung war die von dem französischen Philosophen Michel Foucault entwickelte diskurstheoretische Perspektive einer ›Archäologie‹ und ›Genealogie‹ von ›Macht-Wissen-Regimen‹ bedeutsam.9 Die vorangehend erläuterte Diskursethik unterstellt der gesellschaftlichen Entwicklung des Sprachgebrauchs eine immanente gattungsgeschichtliche Tendenz zur Entfaltung kommunikativer Rationalität. Foucaults Diskurskonzept und seine gesamte wissenschaftsphilosophische Position stehen im Gegensatz zu dieser Annahme. Er bestreitet nicht nur die Bestimmbarkeit von historisch langfristigen Fortschrittsentwicklungen, sondern auch die Idee einer diskursiven Entfaltung kommunikativer Rationalität. Im Unterschied dazu richtet sich seine Verwendung des Diskursbegriffs 8 9
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Vgl. zu einer entsprechenden Kritik Keller/Poferl (2000). Vgl. als einführenden Überblick Keller (2005b).
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gerade auf Regelmäßigkeiten und regulierende Strukturmuster des ›ernsthaften‹ Sprachgebrauchs, denen einzelne Sprecher unweigerlich unterworfen sind. In diesem Sinne geht es ihm um die Macht der Diskurse, der dadurch erzeugten Wissensordnungen und institutionellen Strukturierungen über einzelne Sprecher. Nicht alles, was sich sagen ließe, wird gesagt, nicht überall kann alles gesagt werden, und nicht jedem wird das Recht zugestanden, eine spezifische Sprecherposition einzunehmen und Gehör zu finden. Foucault nennt die Regeln der Diskursstrukturierung Formationsregeln. Sie entwickeln sich aus verstreuten, historisch situierten Aussage- bzw. Wissenspraktiken, gewinnen eine relative Stabilität und strukturieren dann, welche Aussagen überhaupt in einem bestimmten historischen Moment an einem bestimmten Ort erscheinen. Solche diskursiven Formationen leisten keine gegenstandsangemessene Beschreibung außerdiskursiver Objekte, sondern sie stellen diese her: Die »Archäologie des Wissens« ist, so schreibt Foucault, »eine Aufgabe, die darin besteht, [...] die Diskurse als [...] Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen« (Foucault 1988: 74)10. Und an anderer Stelle heißt es in Bezug auf das ergänzende Konzept der ›Genealogie von Macht/Wissen‹: »Heute ist es aber an der Zeit, diese Diskursphänomene [...] als games, als strategische Spiele aus Handlungen und Reaktionen, Fragen und Antworten, Beherrschungsversuchen und Ausweichmanövern, das heißt als Kampf [zu betrachten]. Der Diskurs ist jenes regelmäßige Ensemble, das auf einer Ebene aus sprachlichen Phänomenen und auf einer anderen aus Polemik und Strategien besteht. Diese Analyse des Diskurses als strategisches und polemisches Spiel bildet die zweite Achse der Untersuchung.« (Foucault 2002: 671).11
Für das Foucaultsche Diskursverständnis ist somit die Idee der Wissenskontroversen gleichsam konstitutiv. Seine Schwächen liegen in der fehlenden Übersetzung in die Praxis empirischer Diskursforschung, d.h. in nicht weiter explizierten Fragen der methodischen Vorgehensweise.
Kulturalistische Diskursforschung Ein dritter Strang, die kulturalistische Diskursforschung, hat sich unter anderem im US-amerikanischen Symbolischen Interaktionismus entwi10 Bezieht man diese Diskurskonzeption auf diejenige von Habermas, dann lässt sich hier vielleicht selbst von einer ›Kontroverse‹ sprechen. 11 Auf diskurstheoretische Anschlüsse an diese Perspektive (etwa bei Ernesto Laclau und Chantal Mouffe) kann ich hier nicht eingehen. Vgl. dazu Keller (2004; 2005).
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ckelt, der an die Philosophie des Pragmatismus anschließt und die Bedeutung der interaktiven Aushandlung von Situationsdefinitionen für die soziale Praxis betont.12 In Ausweitung dieses soziologischen Paradigmas auf die Arenen, Ebenen und Prozesse kollektiver Definitionen von sozialen Problemen wurden die konflikthaften Auseinandersetzungen zwischen kollektiven Akteuren – wenn man so will: öffentliche Kontroversen – als Diskurse begriffen. ›Public discourse(s)‹ werden von den beteiligten Akteuren nicht nur über Argumente, sondern über unterschiedlichste praktische sowie symbolisch-rhetorische Strategien und im Rückgriff auf unterschiedlichste Ressourcen ausgetragen. Auch die Cultural Studies haben mehrere Diskursbegriffe entwickelt, an prominenter Stelle einen, der dem gerade geschilderten durchaus ähnelt, auch wenn er im Anschluss an die Foucault’sche Tradition ausgearbeitet wurde. Stuart Hall schlägt so beispielsweise vor, Diskurse zu begreifen als »ways of referring to or constructing knowledge about a particular topic of practice: a cluster (or formation) of ideas, images and practices, which provide ways of talking about, forms of knowledge and conduct associated with, a particular topic, social activity or institutional site in society.« (Hall 1997: 4). Diskurse sind Einsätze im gesellschaftlichen Machtspiel um die Etablierung hegemonialer Wissensordnungen. Ähnlich wie in der Foucault’schen Perspektive spielt auch hier die Konflikthaftigkeit der Wissensprozesse eine zentrale Rolle. Doch auch in den kulturalistischen Diskursperspektiven finden sich kaum Hinweise auf ihre methodische Operationalisierung.
Discourse analysis Discourse analysis ist ein Sammelbegriff für ein breites interdisziplinäres Feld der Gesprächs- und Textanalyse als ›Sprachgebrauchsforschung‹. Der in diesen Ansätzen benutzte Diskursbegriff bezeichnet im Anschluss an den angelsächsischen alltagssprachlichen Gebrauch vorwiegend konkrete Gesprächsverläufe, aber auch die Untersuchung einzelner Textgattungen. Disziplinübergreifend charakterisiert der niederländische Sprachwissenschaftler Teun van Dijk das Projekt der discourse analysis durch das Ziel einer Analyse von Sprachgebrauch als Realprozess im gesellschaftlichen Kontext: »text and talk in action«.13 Zentrale Fragen richten sich darauf, wer in einem kommunikativen Ereignis 12 Vgl. z.B. die Anwendungen auf die Analyse der Umweltberichterstattung bei Brand/Eder/Poferl (1997) oder auf die Hausmüll-Kontroversen der 1980er und 1990er Jahre bei Keller (1998). 13 Vgl. dazu insgesamt Van Dijk (1997a; b; c); für eine deutschsprachige Überblicksdarstellung Deppermann (1999).
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wie, warum und wann Sprache gebraucht: »Discourse analysis thus moves from macro to micro levels of talk, text, context or society, and vice versa. It may examine ongoing discourse top down, beginning with general abstract patterns, or bottom up, beginning with the nitty-gritty of actually used sounds, words, gestures, meanings or strategies.« (van Dijk 1997c: 32)14 In der Praxis der discourse analysis überwiegen Analysen des konkreten Sprachgebrauchs im situativen Kontext, typischerweise als Untersuchung der Ablaufprozesse von Gesprächen, von sozialen Faktoren im Kommunikationsverhalten oder von Grundmustern mündlicher Kommunikationen (etwa zwischen Lehrern und Schülern, Männern und Frauen). Auch richten sich Forschungsinteressen auf formale Produktionsregeln und Gattungsstrukturen von Texten und Äußerungen, z.B. auf die Struktur von Nachrichten in Printmedien. Die ›situationale‹ Orientierung unterscheidet die discourse analysis von den vorangehend in den Punkten zwei und drei angesprochenen Diskurskonzepten, die auf sozialräumlich und historisch weiter ausgreifende Strukturierungen des Sprachgebrauchs zielen. Mitunter bringt sie ihr auch den Vorwurf der Kontextlosigkeit, d.h. einer naiven Verkürzung der Analyse auf die situativen Momente des Gesprächs ein. Umgekehrt verfügt die discourse analysis im Unterschied zu den beiden anderen Perspektiven über einen ausgearbeiteten Methodenkanon. Die Bedeutung der Sprache im Prozess der Herstellung naturwissenschaftlichen Wissens wurde bereits in den 1970er Jahren insbesondere von Michael Mulkay und Harry Collins mit ihrem ›Diskursmodell‹ innerhalb der sozialwissenschaftlichen Wissenschaftsforschung, der Social Studies of Science betont.15 Mulkay und Collins analysierten die Rolle der Kommunikations- und Konsensbildungsprozesse innerhalb der wissenschaftlichen Erkenntnisgenese. Die Erzeugung wissenschaftlichen Wissens wird hier als Ergebnis der sprachlich-interaktiven Aushandlung begriffen (Mulkay 1979: 60f.). Entsprechende Untersuchungen orientierten sich zunächst an der Theorie der Symbolischen Interaktion, später dann stärker an der sprachwissenschaftlichen bzw. ethnomethodologisch informierten discourse analysis. Knorr-Cetina und Mulkay sprechen diesbezüglich von einem ›linguistic turn‹ der Wissenschaftsforschung 14 Auf weitere Ansätze, bspw. die Critical Discourse Analysis von Norman Fairclough oder die Kritische Diskursanalyse von Siegfried Jäger, in denen diskurstheoretische Überlegungen mit Vorgehensweisen der empirischen Sprachforschung in ideologiekritischer Absicht verknüpft werden, kann ich hier nicht eingehen. Vgl. dazu Keller (2004). 15 Auch in den Arbeiten Latours spielt der wissenschaftliche Sprachgebrauch eine wichtige Rolle (vgl. Latour 1987).
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(Knorr-Cetina/Mulkay 1983b: 9). In einem Plädoyer für die discourse analysis wissenschaftlichen Sprachgebrauchs heißt es: »The central feature distinguishing discourse analysis from previous approaches to the sociology of science is that, in the now familiar phrase, it treats participants’ discourse as a topic instead of as a resource [...] What it may be able to do instead is to provide closely documented descriptions of the recurrent interpretative practices employed by scientists and embodied in their discourse; to show how these interpretative procedures vary in accordance with variations in social context; and to reveal with increasing clarity how the secondary, analytical literature on science is largely derived from, as well as constrained by, the discursive practices constitutive of scientific culture.« (Mulkay/Potter/Yearly 1983: 196f.).
Allerdings wurde auch gegen die in den Social Studies of Science praktizierte discourse analysis der Vorwurf des Reduktionismus erhoben. In einer systematisierenden Zusammenfassung schlägt Jan Golinski (1998: 103ff.) deswegen die Erweiterung um semantische, semiotische und narrative Dimensionen sowie die Infrastrukturen (Netzwerke) der Erzeugung spezifischen Wissens, die »Konstruktions-Regime« (Golinski 1998: 172ff.) vor. Diese Forderung lässt sich unmittelbar mit der eingangs vorgestellten Perspektive auf Kontroversen verknüpfen. Dies möchte ich nachfolgend für das Forschungsprogramm der Wissenssoziologischen Diskursanalyse ausführen.
Wissenssoziologische Diskursanalyse Mit der Wissenssoziologischen Diskursanalyse habe ich eine Perspektive der Diskursforschung vorgeschlagen, die ihren Ausgangspunkt in der soziologischen Wissenstheorie von Peter Berger und Thomas Luckmann nimmt und von dort aus einen Brückenschlag zwischen den weiter oben erwähnten kulturalistischen Ansätzen der Diskursforschung und den Diskurstheorien, insbesondere derjenigen von Michel Foucault vornimmt. Diese Einbettung der Diskursanalyse geht einher mit einer stärkeren methodischen Konkretisierung der Vorgehensweisen durch den Anschluss an Traditionen der qualitativen Sozialforschung. Im Unterschied zur discourse analysis nimmt die Wissenssoziologische Diskursanalyse umfassendere Strukturierungsprozesse des Sprachgebrauchs in den Blick und richtet ihr Analyseinteresse nicht auf die situative Organisation und Ordnung der Sprachverwendung, sondern auf die damit behaupteten Wissensordnungen (vgl. Keller 2005). Sie untersucht die gesellschaftlichen Prozesse der kommunikativen Konstruktion, Stabilisie48
DISKURSTHEORETISCHE UND DISKURSANALYTISCHE PERSPEKTIVEN
rung und Transformation symbolischer Ordnungen sowie deren Folgen: Gesetze, Statistiken, Klassifikationen, Techniken, Dinge oder Praktiken beispielsweise sind in diesem Sinne Effekte von Diskursen und ›Voraus‹-Setzungen neuer Diskurse. Das schließt unterschiedliche Dimensionen der Rekonstruktion ein: diejenige der Bedeutungsproduktion ebenso wie diejenige von Handlungspraktiken, institutionellen/strukturellen und materiellen Kontexten sowie gesellschaftlichen Folgen. Akteure formulieren die kommunizierten Beiträge, aus denen sich Diskurse aufbauen; sie orientieren sich dabei in ihren (diskursiven) Praktiken an den verfügbaren Ressourcen sowie den Regeln der jeweiligen Diskursfelder. Die Wissenssoziologische Diskursanalyse beschäftigt sich mit Prozessen und Praktiken der Produktion und Zirkulation von Wissen auf der Ebene der institutionellen Felder (wie beispielsweise Wissenschaften, Öffentlichkeit) der Gegenwartsgesellschaften. Diskurse werden dabei als analytisch abgrenzbare Ensembles von Praktiken der Wissensproduktion und -zirkulation betrachtet. Der Methodenreichtum der Soziologie erlaubt hier eine weitergehende empirische Fundierung der Diskursforschung, als dies den allein sprachwissenschaftlich oder diskurstheoretisch verankerten Zugängen zu Diskursen möglich ist. Als empirische Sozialwissenschaft kann sie die Praktiken der Diskursproduktion nicht nur durch Texte erschließen, sondern in actu beobachten, Regeln und (ungleich verteilte) Ressourcen, die Rolle kollektiver Akteure sowie die konkret-situativen Bedingungen wie auch darüber hinaus gehende gesellschaftliche Kontextlagen in die Diskursanalyse einbeziehen. Fragestellungen reichen von der Ebene einzelner diskursiver Ereignisse, Praktiken und institutioneller ›Infrastrukturen‹ (Dispositive) bis zu allgemeinen Prozessen der diskursiven Strukturierung symbolischer Ordnungen und den Mechanismen des sozialen Wandels. Dazu zählen auch Fragen nach der historischen Genealogie von Diskursen, nach ihren mehr oder weniger spezifischen Akteuren, Praktiken und Ressourcen, nach ihren Beziehungen zu anderen Diskursen, nach den darin und dadurch konstituierten Wissens- und Praxisfeldern bzw. Machteffekten und anderem mehr. Den besonderen methodischen Vorteil einer solchen, hier nur knapp skizzierten wissenssoziologischen Perspektive der Diskursforschung sehe ich in ihrer unmittelbaren Anschlussfähigkeit an Methodenvorschläge aus der qualitativen Sozialforschung. Dem möchte ich nachfolgend insbesondere im Hinblick auf die Analyse von Wissen nachgehen.16
16 Vgl. ausführlicher dazu Keller (2004; 2005).
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Die wissenssoziologische Diskursanalyse wissenschaftlich-technischer Kontroversen Die Untersuchung von wissenschaftlichen Kontroversen im eingangs erläuterten Sinne ist ein Anwendungsfeld der Wissenssoziologischen Diskursanalyse. Bei ihrer Untersuchung ist zunächst die analytische Unterscheidung von ›materialen‹ Elementen der Wissenszirkulation (also: Akteure, soziale Netzwerke, Arenen, soziale Kontexte, Praktiken, materielle und finanzielle Ressourcen, Verbreitungswege) und der Ebene des Sprachgebrauchs hilfreich. Kontroversen entfalten sich in der konkreten Gestalt einzelner Aussageereignisse. Ein wichtiger erster Untersuchungsschritt bezüglich dieser Aussageereignisse besteht in der Analyse ihrer historischen und sozialen Situiertheit und Kontexteingebundenheit. Dabei kann von der Frage ausgegangen werden, wer wie wo und für wen eine Aussage produziert. Festgehalten werden materiale Voraussetzungen und Erscheinungsweisen der Aussagen, Positionen und Relationen von Aussageproduzenten und -rezipienten; die institutionellen Settings und deren Regeln; inszenierte und ›naturwüchsige‹ Ereignisse, die zu Anlässen für die Aussagenproduktion werden (z.B. Katastrophen, parlamentarische Entscheidungsprozesse und andere ›Problemdringlichkeiten‹); mediale Kontexte ihres Erscheinens (z.B. Fachbücher, populärwissenschaftliche Bücher, Zeitungen, Diskussionen, Fernsehreportagen, Internet); allgemeinere gesellschaftliche Kontexte (ökonomische, wissenschaftliche, soziokulturelle Konjunkturen); schließlich auch bestehende Machtkonstellationen eines diskursiven Feldes. Eine wissensanalytisch profilierte Diskursperspektive benötigt darüber hinaus sondierende Konzepte zur Analyse der Wissensebene der Kontroversen. Sie kann sich dabei an Vorschlägen der wissenssoziologischen Tradition orientieren und unterscheiden zwischen Deutungsmustern, Klassifikationen, Phänomenstrukturen und narrativen Strukturen, die zusammen das diskurstypische Interpretationsrepertoire bilden. Bedeutungen liegen in den Diskursen nicht als lose Zeichenpartikel, sondern in Gestalt von Deutungsmustern vor. Deutungsmuster sind sinnstiftende Typisierungen, die heterogene Aussagebestandteile zu einer kohärenten Sinnfigur verknüpfen. Ein Beispiel dafür ist das Deutungsmuster ›technisches Risiko‹ (oder ›riskante Technologie‹), das in unterschiedlichen wissenschaftlich-technischen Kontroversen zum Einsatz kommt und dabei auch in unterschiedlicher konkreter Gestalt erscheint. Deutungsmuster werden in der wissenssoziologischen Tradition als kollektive Produkte, als typisierte Elemente des gesellschaftlichen Wissensvorrats vorgestellt. Sie sind unmittelbar mit Vorstellungen angemessener Handlungsweisen verknüpft. 50
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Eine zweite inhaltliche Erschließung von Diskursen besteht in der Untersuchung der Klassifikationen (und dadurch: der Qualifikationen) von Phänomenen, die in ihnen und durch sie vorgenommen werden. Wie jeder Sprachgebrauch klassifiziert auch die Sprachverwendung in Diskursen die Welt, teilt sie in bestimmte Kategorien auf, die ihrer Erfahrung, Deutung und Behandlung zugrunde liegen. In und zwischen Diskursen finden im Rahmen von Kontroversen Wettstreite um solche Klassifikationen statt, beispielsweise darüber, wie (potenzielle) technische Katastrophen zu interpretieren sind, welche Klassifikation weltlichen Phänomenen angemessen ist etc. (Keller 2003). Ihre Wirkung hängt letztlich davon ab, ob sie in Gestalt entsprechender Dispositive Handlungspraxis anleiten. Das Konzept der Phänomenstruktur erlaubt einen dritten und komplementären Zugang zur Ebene der inhaltlichen Strukturierung von Diskursen. Es bezieht sich darauf, dass Diskurse in der Konstitution ihres referenziellen Bezuges (also ihres ›Themas‹) unterschiedliche Elemente oder Dimensionen ihres Gegenstandes benennen und zu einer spezifischen Gestalt, einer Phänomenkonstellation verbinden. Damit sind keineswegs Wesensqualitäten eines Diskurs-Gegenstandes bezeichnet, sondern die entsprechenden diskursiven Zuschreibungen. Ein letztes Moment der inhaltlichen Gestalt von Diskursen bilden narrative Strukturen. Damit werden diejenigen strukturierenden Momente von Aussagen und Diskursen bezeichnet, durch die verschiedene Deutungsmuster, Klassifikationen und Dimensionen der Phänomenstruktur zueinander in spezifischer Weise in Beziehung gesetzt werden. Die Erschließung der narrativen Strukturen – oder plots, story lines, rote Fäden – kann Hauptvon Nebensträngen der Handlung, allgemeine oder generalisierende Narrationen von illustrierenden Beleg- oder Beweisgeschichten unterscheiden. Narrative Strukturen konstituieren Weltzustände als Erzählungen, in denen es handelnde Akteure und Aktanten, Ereignisse, Herausforderungen, Erfolge und Niederlagen, ›Gute‹ und ›Böse‹ etc. gibt.
Risikodiskurse, Kontroversen und sozialer Wandel Die besondere Eignung der Diskursforschung zur Untersuchung der mit der Idee einer politischen Epistemologie und Ökonomie der Ungewissheit und mit der Betonung der gewachsenen Bedeutung von (wissenschaftlichen) Kontroversen angesprochenen Prozesse sozialen Wandels und gesellschaftlicher Modernisierung lässt sich im Rekurs auf das Konzept der ›Definitionsverhältnisse‹ zusammenfassen, das Ulrich Beck im Kontext seiner Risikoanalyse und in expliziter Analogie zum Marx51
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schen Begriff der Produktionsverhältnisse eingeführt hatte: »Gemeint sind damit Regeln, Institutionen und Ressourcen, welche die Identifikation und Definition von Risiken bestimmen. Es handelt sich dabei um die rechtliche, epistemologische und kulturelle Matrix, in welcher Risikopolitik organisiert und praktiziert wird.« (Beck 1999: 328) Während damit eine bestehende Wissens-Ordnung bezeichnet ist, kann man von Wissenspolitiken sprechen, um die Rolle der Prozesse und Akteure mit ihren Interessen und Strategien zu erfassen, die dieses Gefüge durchlaufen, stabilisieren oder verändern. Kontroversen sind ein wichtiges Beispiel für solche Wissenspolitiken. Insoweit hat die auf »Risikodiskurse« (vgl. Lau 1989) bezogene sozialwissenschaftliche Diskursforschung der letzten eineinhalb Jahrzehnte bereits einige Erkenntnisse zur gesellschaftlichen Bedeutung von Kontroversen zusammengetragen, auch wenn sie diesen Begriff nicht systematisch benutzte (vgl. Keller 2005: 273ff.). Bereits 1994 begründete Karen Litfin (1994) in ihrer Studie über die ›Ozondiskurse‹ die Prominenz der Diskursansätze innerhalb dieses Forschungsfeldes mit der gewachsenen Bedeutung des Wissens in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen über Risiken und Gefahren. Herbert Gottweis fasst die Argumente für einen diskursanalytischen Zugang zur Analyse von Kontroversen exemplarisch zusammen: »[...] I interpret the genetic engineering controversy as a process that was inseparable from the mapping – the social construction – of the political, economic and scientific worlds. [...] That is, I argue that there is a need to examine how discourses and narratives – stories that create meaning and orientation – constitute the policy field of genetic engineering.« (Gottweis 1998: 3).17
Eine Zusammenschau entsprechender Diskursstudien zeigt, dass in den vergangenen Jahrzehnten in mehrfacher Hinsicht ›Bewegung‹ in die gesellschaftlichen Definitionsverhältnisse gekommen ist. Im Einzelnen handelt es sich dabei um Veränderungen der Rolle und Wahrnehmung des wissenschaftlichen Wissens in öffentlichen Arenen (Ungewissheit), die Entstehung neuer Sprecherpositionen und Orte der Wissensproduktion, die Multiplikation von Diskursarenen, die Unterschiedlichkeit länderspezifischer Diskursverhältnisse als Ursache für divergente Verläufe wissenschaftlich-technischer Kontroversen und Prozesse der zunehmenden Transnationalisierung von Diskursen. Diskursanalysen bieten hier nicht nur Rekonstruktionen der Verläufe von Kontroversen, sondern auch Erklärungen dafür, warum und wie sich die Verschränkung zwi17 Vgl. neben Gottweis und Litfin etwa Hajer (1995) über den Sauren Regen, Keller (1998) zum Hausmüllproblem oder Viehöver (1997) zur Klimadebatte.
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schen Definitionsverhältnissen und gesellschaftlichem Wandel je unterschiedlich gestaltet. Als erklärende Faktoren werden etwa ›überlegene‹ Leitmetaphern und ›story lines‹ (vgl. Viehöver 1997), unterschiedliche Strukturen der Öffentlichkeit (vgl. Keller 1998) oder das Beharrungsvermögen der bestehenden institutionellen Apparate (vgl. Hajer 1995) herausgearbeitet. Ein wissenssoziologisch-diskursanalytischer Zugang zu wissenschaftlich-technischen Kontroversen hilft nicht nur, den gegenwärtigen gesellschaftlichen Wandel besser zu verstehen. Er könnte auch dazu beitragen, unsere ›einfach modernen‹ Vorstellungen von wissenschaftlich-technischen Gewissheiten einer überfälligen Revision zu unterziehen und, wie im eingangs angeführten Ausbildungsprogramm anvisiert, entsprechende Kompetenzen des Umgangs mit und der Entscheidungsfindung unter Bedingungen einer dauerhaften politischen Ökonomie der Ungewissheit auszubilden.
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Kontroversen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit: Zum Stand der Diskussion HELMUTH TRISCHLER, MARC-DENIS WEITZE
So vielfältig, ja ausufernd Kontroversen selbst häufig verlaufen, so umfangreich ist die Forschung zu Kontroversen, die sich aus zahlreichen Wissenschaftsdisziplinen speist. Sprach- und kommunikationswissenschaftliche, wissenschaftstheoretische und wissenschaftsphilosophische, soziologische und historische Perspektiven charakterisieren die Kontroversen-Forschung als transdisziplinäres Forschungsfeld, das in besonderem Maße vertiefte Einblicke in die epistemische und soziale Struktur der Wissensgesellschaft ermöglicht. Im Fokus der Betrachtung stehen meist Themen der Naturwissenschaft und Technik, wobei gerade auch in der geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung die Kontroverse eine zentrale Rolle spielt. In diesem Beitrag sollen anhand von Beispielen aus der Frühen Neuzeit und dem 20./21. Jahrhundert typische Merkmale von wissenschaftlichen Kontroversen beleuchtet werden. Dabei interessieren primär solche Kontroversen, die die Öffentlichkeit auf unterschiedliche Weise integrieren.
Kontroversen als Objekte der Wissenschaftsforschung Wie Marcelo Dascal (vgl. seinen Beitrag in diesem Band) betont, sind Kontroversen wesentlich für den Verlauf der Wissenschaft. Eine eingehendere Untersuchung dieses Phänomens ist mithin nicht nur eine wichtige Voraussetzung für ein fundiertes Verständnis von Wissenschaft als
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epistemischer und sozialer Prozess, sondern auch für erfolgreiche Wissenschaftskommunikation. Dabei geht es bei Kontroversen wohl selten darum, »die richtige Lösung« (die richtige Interpretation oder Theorie) zu finden: Wie Philip Kitcher betont, entstehen Kontroversen »not because there are large numbers of perfect solutions, but because there are alternative imperfect solutions, possible modifications of practice that point toward some further systematization that will navigate between the Scylla of lost, or disunified, explanations, and the Charybdis of inconsistency« (Kitcher 2000: 29). Die Erwartung, dass mehr Forschung wissenschaftliche Konflikte beenden und Kontroversen schließen könnte, ist nicht von ungefähr immer wieder enttäuscht worden. Denn die Wissenschaftsforschung der letzten Jahrzehnte hat deutlich gemacht, dass in der Wissenschaft neben epistemischen Faktoren auch andere, etwa institutionelle Faktoren, zur Wissenserzeugung beitragen. So wird auch der Verlauf von Kontroversen auf vielfältige Weise durch nicht-epistemische, gesellschaftliche Faktoren bestimmt. In der sozialwissenschaftlichen Wissenschaftsforschung ist die Untersuchung von Kontroversen für lange Zeit das forschungsleitende Paradigma schlechthin gewesen. Die Analyse von Kontroversen hat den Boden für die Abkehr vom wissenschaftlichen Positivismus und für ein vertieftes Verständnis von wissenschaftlichem Wissen als sozial konstituiertem Wissen bereitet, das im Prozess der Forschung von den Wissenschaftlern ausgehandelt wird (vgl. Latour 1999; Pestre 2004). In Kontroversen wird demnach der soziale Konstitutionscharakter von Wissenschaft auf plastische Weise manifestiert.1
Die Suche nach Typologien Sucht man nach Merkmalen und Modellen von Kontroversen, so findet man statt eines Idealtyps eine Skala, auf der sich Kontroversen bewegen. Marcelo Dascal verortet Kontroversen auf dem Kontinuum zwischen Diskussion und Disput. Kontroversen ›bewegen‹ sich in der Weise, dass sie im Allgemeinen nicht ihren Platz auf diesem Kontinuum halten, sondern ihn in ihrem Verlauf wechseln. Parallel zu Dascals Kontinuum un1
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Die streng symmetrische Perspektive dieser Untersuchungen, die wissenschaftliche Positionen jeweils als gleichberechtigt betrachtet und damit normative Dimensionen a priori ausgeblendet hat, ist mittlerweile jedoch auf Kritik gestoßen und der Forderung nach eine Rückkehr des provokativen Elements bzw. der normativen Orientierung von sozialwissenschaftlicher Wissenschaftsforschung gewichen (vgl. Woolgar 2004; Pestre 2004).
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terscheidet Philip Kitcher (2000) zwei Sichtweisen auf Wissenschaft, die sich auch auf Kontroversen anwenden lassen: ›Rationalistische Modelle‹, denen zufolge man durch wissenschaftliche Untersuchungen eine richtige Antwort findet. Im einfachsten Fall kann ein »Experimentum crucis« Kontroversen um Theorien entscheiden: Dabei macht jede der konkurrierenden Theorien Vorhersagen, die durch geeignete Experimente bestätigt oder widerlegt werden, und wie an einem Wegkreuz weist die »Befragung der Natur« den richtigen Weg. So wurde Newtons Theorie der Zusammensetzung von Licht durch ein Experiment zur Lichtbrechung bestätigt; Einsteins spezielle Relativitätstheorie durch das Experiment von Michelson und Morley. In der Dascal’schen Terminologie hätten wir es hier mit einer ›Diskussion‹ zu tun. »Anti-rationalistische Modelle«, so Kitcher, betonen dagegen »Entscheidungsprozesse«, für die auch außer-wissenschaftliche Faktoren relevant sind. Es gibt demnach keine universellen (d.h. rein wissenschaftsinternen) Entscheidungsstandards. Ein Musterbeispiel hierfür ist die Kontroverse zwischen Robert Boyle und Thomas Hobbes um das experimentelle Programm der Royal Society, die sich an Experimenten um die Natur des Vakuums entzündet (siehe unten). Diese Art von Auseinandersetzungen entspricht bei Dascal dem »Disput«. Rationalistische und antirationalistische Modelle stoßen in ihrer reinen Form jeweils auf eine Vielzahl von Problemen2, die nahe legen, dass sich Wissenschaft – und auch Kontroversen – auf dem Kontinuum dazwischen verorten lassen. ›Eine‹ Kontroverse entpuppt sich bei näherer Betrachtung oftmals als Menge von Kontroversen. Geht es etwa um den Einsatz von Medikamenten bei der öffentlichen Gesundheitsvorsorge, ist eine Fragestellung, welches Gewicht wissenschaftliche Hinweise auf die (Neben-) Wirkungen des Medikaments haben, eine andere, inwieweit der Einsatz eines Medikaments überhaupt politisch zu regulieren ist. Dabei ist die Trennung der einzelnen Kontroversen nicht immer leicht möglich – und so ist auch das Ende ›der‹ Kontroverse schwer bestimmbar (Engelhardt/Caplan 1987: 22). Aber wie können Kontroversen überhaupt enden? Giere (1987: 127, FN6) bemerkt, dass seit den 1970er Jahren im Rahmen der Science and Technology Studies merkwürdigerweise viel mehr Fallstudien dem Ende bzw. der Klärung der Kontroversen ihre Aufmerksamkeit schenken als deren Beginn und Verlauf. Eigentlich sollte man erwarten, dass Beginn, Verlauf und Ende gleichgewichtig untersucht werden, aber möglicherweise – so vermutet Giere – werden eher wissenschaftliche Projekte ge2 Rationalistische und anti-rationalistische Modelle beschrieben nicht nur Kontroversen, sondern sind – wenig überraschend – auch Gegenstand von (etwa wissenschaftsphilosophischen) Kontroversen (vgl. Kitcher 2000).
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fördert, die ein Wiederherstellen eines Konsenses im Blick haben. Was auch immer die Gründe hierfür sein mögen – immerhin scheint bezüglich der Terminologie zum Ende von Kontroversen eine gewisse Einigkeit zu bestehen (McMullin 1987: 77ff): x »resolution« (Lösung eines Problems): Konsens der Parteien nach gegenseitiger Überzeugung oder Finden einer Synthese; hier entscheiden die epistemischen Aspekte den Ausgang. x »closure« (Schluss einer Debatte): Ende durch einen (externen) ›Schiedsspruch‹, etwa durch eine politische Instanz oder die Verteilung von Fördergeldern; es entscheiden also nicht-epistemische Faktoren, und die Meinungsverschiedenheit bleibt auch nach dem Schiedsspruch bestehen. x »abandonment«: Manche Kontroversen kommen zu einem Abschluss, indem die Protagonisten einer Seite ›verschwinden‹, also sterben oder selbst das Interesse an der Diskussion verlieren. Wenn die Terminologie auch eine andere ist, entsprechen »resolution« und »closure« dem Ende von »Diskussion« bzw. »Disput« im Dascalschen Sinn.3 Parallel dazu liegen Versuche der Typologisierung, die nach den Ursprüngen von Kontroversen fragen. So unterscheidet etwa Dorothy Nelkin (1987) als Ursprünge von öffentlichen Kontroversen, die politische oder ethische Aspekte umfassen, die Angst vor hohem Risiko (bei den Kontroversen um Kernenergie und Gentechnik), Angst vor Missbrauch (Soziobiologie, Gentechnik), moralische und ethische Implikationen (Genforschung als »Eingriff in die Natur«), Fragen der Ressourcenverteilung (Allokation von Forschungsgeldern; wo sollen Flughäfen oder Kraftwerke gebaut werden?) sowie mögliche Einschränkungen der individuellen Freiheit (z.B. bei der Trinkwasser-Fluoridierung).
Fallbeispiele Die vergleichende Betrachtung von Fallbeispielen hilft, prototypische Merkmale von Kontroversen zu verdeutlichen. Aus dem überreichen Angebot möglicher Fallbeispiele werden im Folgenden vier Kontroversen näher beleuchtet, die sich besonders dafür eignen, die Ausgangsfra-
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Dascal (1998: 153, FN1) weist allerdings darauf hin, dass diese Typologie nicht jene Fälle von Kontroversen erfasst, in deren Verlauf sich die Fragestellung ändert.
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ge nach der Rolle und Bedeutung der Öffentlichkeit in und für wissenschaftliche Kontroversen zu beleuchten.
Die Boyle-Hobbes-Kontroverse Wie gewinnt man wissenschaftliches Wissen? Wie sicher ist dieses Wissen? Der Beginn der modernen Naturwissenschaft in der Wissenschaftlichen Revolution der Frühen Neuzeit ist durch zahlreiche Kontroversen gekennzeichnet, die sich häufig auf solche denkbar fundamentalen Fragen beziehen (vgl. Shapin 1996). Hier sei die Kontroverse4 zwischen Boyle und Hobbes betrachtet, in der es um das experimentelle Programm der Royal Society geht. Steven Shapin und Simon Schaffer beleuchten diese Kontroverse in ihrem Buch »Leviathan and the AirPump: Hobbes, Boyle, and the Experimental Life« (1985) und nutzen sie, ganz im Sinne von Dascal, als Mittel, um Selbstverständliches zu hinterfragen – in diesem Fall die experimentelle Praxis. »Our goal is to break down the aura of self-evidence surrounding the experimental way of producing knowledge« (Shapin/Schaffer 1985: 13).5 Im Anschluss an diese bahnbrechende Studie hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten eine besonders fruchtbare Forschungsrichtung zu Experimentalsystemen und Experimentalkulturen entwickelt. Die Kontroverse nahm ihren Ausgang bei den Luftdruckexperimenten von Evangelista Torricelli, der das Quecksilberbarometer erfand und den Raum in seiner Quecksilbersäule als Vakuum erkannte. Luftdruckexperimente konnten wenig später systematisch mit der Vakuumpumpe durchgeführt werden, die Ende der 1650er Jahre von Robert Boyles Assistenten Robert Hooke erfunden wurde. Ein großes Glasgefäß, dem mit einer Pumpe – d.h. durch geeignete Betätigung von Kolben mit Ventil und Absperrhahn – Luft entzogen wurde, bot Raum für Experimente. Vorgängerinstrumente, wie die Pumpe von Otto von Guericke, taugten zwar zur Erzeugung von Vakuum, jedoch nicht zu weiteren Experimenten im leeren Raum. Die Vakuumpumpe (und die damit durchgeführten Experimente) diente als Modell für das richtige Vorgehen in der experimentellen Na4 5
Die Begriffe »controversy« und »dispute« werden bei Shapin und Schaffer freilich nicht unterschieden. Tatsächlich wurde diese Kontroverse bis in die 1980er Jahre eher als Nebenschauplatz abgetan: Der relevante Text von Hobbes wurde anscheinend kaum rezipiert, Hobbes selbst war als Naturphilosoph bereits Ende des 18. Jahrhunderts ›vergessen‹. Es lässt sich mutmaßen, dass Hobbes gerade deswegen lange von der Wissenschaftsgeschichte vergessen wurde, weil er sich ausgerechnet mit Robert Boyle, dem ›Helden‹ der Royal Society angelegt hat (Shapin/Schaffer 1985: 8).
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turphilosophie, wie sie von der 1660 gegründeten Royal Society – namentlich durch die Experimente und Publikationen ihres einflussreichen Mitglieds Boyle – propagiert wurde. Insbesondere bot sie im Prinzip die Möglichkeit der Replizierung und öffentlichen Vorführung. Das experimentelle Programm der Royal Society mit den Versuchsreihen, künstlich hervorgerufenen Effekten und Kommunikationsformen – heute in der Wissenschaft völlig selbstverständlich und meist unhinterfragt – war im 17. Jahrhundert etwas Neues und hatte auch Kritiker, von denen Thomas Hobbes einer der vehementesten war. Den Streit um das Vakuum und den Gegensatz von Plenisten und Vakuisten, der Mitte des 17. Jahrhunderts die gesamte europäische Philosophie und Naturphilosophie beherrschte, wollte Boyle mit seinen Experimenten beenden und dabei die zugrunde liegenden ›metaphysischen‹ Fragen für unzulässig erklären. Seine Experimente sollten zeigen, dass es Vakuum gibt und welche Wirkungen der Luftdruck hat. Er hatte aber nicht den Anspruch, die Ursachen des Luftdrucks ausfindig machen.6 Auch verwendete Boyle den Begriff »Vakuum« in streng experimenteller Weise, etwa in konkretem Bezug auf sein luftentleertes Glasgefäß: Damit wollte er den Fehler vermeiden, den er den Plenisten vorwarf, nämlich mit Begriffen zu operieren, die metaphysisch beladen und in die bereits viele Vorstellungen hineinprojiziert sind – jener horror vacui, der die zeitgenössischen Diskussionen um das Phänomen des Vakuums zu einer causa publica machte. Im Mittelpunkt von Boyles Naturphilosophie stand das Experiment, das prinzipiell Jedem zugänglich sein sollte. Die experimentelle Naturphilosophie suchte auf diese Weise nach sicherem Wissen; dabei waren Meinungsverschiedenheiten um Tatsachen und Experimente freilich vorprogrammiert, aber diese sollten nach allgemein verbindlichen Regeln geführt werden. Diese Vorgehensweise grenzte sich einerseits gegen radikal individualisiertes Wissen ab, das keine allgemeinen Standards kennt, und andererseits gegen die scholastischen Philosophen, die durch ihre permanente ›Streitsucht‹ nach außen hin kaum als stabile und verlässliche Instanz wirken konnten (Shapin/ Schaffer 1985: 72f.).
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Zulässig waren in der experimentellen Naturphilosophie nach Boyle allenfalls vorsichtige Hypothesen zu Ursachen, etwa: »The corpuscles of air might have a structure like ordinary coiled metallic springs« (Shapin 1996: 104). Die Uhren-Metapher der mechanistischen Philosophie verdeutlicht diese Trennung der Erkenntnismöglichkeiten in »Tatsachen« und »Theorien«: Vergleicht man die Natur mit einer Uhr, so mag die Zeigerstellung ablesbar sein; aber der Mechanismus (also Fragen zur Kausalität) bleibt im Verborgenen.
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Thomas Hobbes vertrat in seinen Schriften seit den 1640er Jahren eine plenistische Auffassung. Im »Leviathan« führt er weiter aus, dass die Idee vom Vakuum nicht nur falsch sei, sondern auch gefährlich (Shapin/Schaffer 1985: 108f.). Die Kritik Hobbes’ an Boyle, die sich gleichzeitig gegen das experimentelle Programm der Royal Society richtete, war denkbar vielfältig. So hob Hobbes die beschränkte Zugänglichkeit der Experimente hervor. In der Praxis waren die Experimente auf wenige Augenzeugen und Nachahmer beschränkt. Längst nicht Jedermann durfte den ›öffentlichen‹ Experimenten beiwohnen. Hobbes betonte zudem die verschiedenen Vorgehensweisen von Philosophen und Experimentatoren: Während Experimentatoren Phänomene nur sichtbar machen, ohne nach deren Ursachen zu suchen, sollte derjenige, der Naturphilosophie betreibt – wie es ja auch Boyle vorgab – die Ursachen nicht ausklammern. Weitere Kritikpunkte von Hobbes betrafen experimentelle Details und Begrifflichkeiten, insbesondere den operationalisierten Vakuum-Begriff von Boyle. Boyle verteidigte das experimentelle Programm der Royal Society auf ähnlich vielen Ebenen, wie die Einwände von Hobbes vorgebracht wurden. Er lieferte eine Vielfalt von experimentell-technischen bis hin zu theologischen Entgegnungen. Zudem nutzte er die Gelegenheit zu zeigen, wie solche Kontroversen um Experimente zu führen seien. Nicht Personen, sondern Ergebnisse sollten Gegenstand einer Auseinandersetzung sein. Ziel müsse es sein, auf Basis experimenteller Ergebnisse gemeinsam zur Wahrheit zu kommen, nicht aber die Bloßstellung des Opponenten. Literarisch zeigt sich Boyles Einstellung etwa in seinem »The Sceptical Chymist« (1661), für das er die Form einer wissenschaftlichen Konferenz mit vier Teilnehmern wählte, in deren Gespräch die Wahrheit entsteht – während Hobbes seinen »Dialogus Physikus‹« (1661), in dem er Boyle kritisierte, als »Sokratischen Dialog« verfasste, bei dem ein »Hüter der Wahrheit« eben diese weitergibt (Shapin/Schaffer 1985: 143f.). Die Auseinandersetzung zwischen Boyle und Hobbes fand erst mit Hobbes Tod im Jahr 1679 ein Ende – ein durchaus typisches Verlaufsmuster von wissenschaftlichen Kontroversen. Tatsächlich scheint sich Hobbes’ Kritik an Boyle und dem Programm der Royal Society im Lauf dieser jahrelangen Auseinandersetzung eher erhärtet zu haben (Shapin/Schaffer 1985: 112, FN7).
Die nukleare Kontroverse Die Debatte um die friedliche Nutzung der Kernenergie ist vor mittlerweile zwei Jahrzehnten als eine ›wirkliche Kontroverse‹, als »der größte 63
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und gedankenreichste öffentliche Diskurs« in der Geschichte der Bundesrepublik bewertet worden (Radkau 1987: 307). Zeitgleich, im Gefolge des Reaktorunfalls von Tschernobyl im April 1986, ist die Frage aufgeworfen worden, ob mit dieser Kontroverse bereits das »Ende des Atomzeitalters‹« eingeläutet worden sei (vgl. Hermann/Schumacher 1987). Tatsächlich aber hat das Desaster des außer Kontrolle geratenen Kernreaktors in der Ukraine die nukleare Kontroverse angeheizt, und der Diskurs um die Kernenergie wird seither nicht nur, aber insbesondere in Deutschland mit unverminderter Intensität geführt. Die Debatte um die Kernenergie ist eine überaus komplexe und unübersichtliche Kontroverse, die die gesamte Gesellschaft durchzieht: Politik und Parteien, Wirtschaft und Verbände, Kirchen, Vereine und Medien gleichermaßen. Sie ist zumindest aber auch, wenn nicht gar in ihrem Kern, eine wissenschaftliche Kontroverse, oder genauer formuliert: ein ganzes Bündel wissenschaftlicher Dispute, die sich in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer, zu der nuklearen Kontroverse verdichtet haben. Von Seiten der Wissenschaft ist denn auch vielfach die Politisierung der wissenschaftlichen Diskussion und deren Polarisierung entlang politisch-weltanschaulicher Positionen beklagt worden. Eine Exkursion in die Prähistorie dieser Kontroverse sieht die Wissenschaft im Mittelpunkt der Diskussion, jedoch niemals allein. Als Bundeskanzler Konrad Adenauer und Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß 1956/57 die atomare Bewaffnung der Bundeswehr betrieben, stellten sich in der »Erklärung der 18 Atomwissenschaftler«, die als »Göttinger Manifest« bekannt wurde, prominente Kernphysiker wie Carl-Friedrich von Weizsäcker, Werner Heisenberg, Max Born, Walther Gerlach, Otto Hahn, Max von Laue und Fritz Strassmann an die Spitze der antiatomaren Bewegung (nachdem sie sich im Jahr zuvor bereits dem Einstein-Russell-Appell und der »Mainauer Kundgebung« gegen Atomwaffen angeschlossen hatten). Zum Antipoden der Göttinger 18 in der Kontroverse um die Nuklearbewaffnung der Bundeswehr stieg der Kernphysiker Pascual Jordan auf, der 1957 in den Bundestag gewählt und von Adenauer und Strauß in den öffentlichen Debatten gezielt als Gegenspieler eingesetzt wurde. In den »Physikalischen Blättern« versuchte Jordan, seine Kollegen über »die Notwendigkeit des Umdenkens in den modernen Entwicklungen der Physik« aufzuklären, und erntete eine scharfe Replik Max Borns (vgl. Jordan 1957; Born 1958). Born versuchte in der Folgezeit, seinen Disput mit Jordan auf die wissenschaftliche Diskursebene zurück zu transferieren – in der Hoffnung, so eine nachweislich ›richtige‹ Lösung der Meinungsverschiedenheiten zu finden; allerdings scheiterten diese Versuche (vgl. Schirrmacher 2005).
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Wie kein anderes Forschungs- und Technologiefeld nahm die Kernenergie für Jahrzehnte einen prominenten Platz auf der öffentlichen Agenda ein. Als ab den 60er- und verstärkt seit den 70er-Jahren über die zivile Nutzung der Kernenergie gestritten wurde, blieben die Kontroversen der Wissenschaftler hochgradig politisch aufgeladen. Die Debatten um die natürliche und anthropogene Strahlenexposition der Bevölkerung, um genetische Strahlenwirkungen beim Menschen und das daraus resultierende Krebsrisiko wurden mitunter auch wissenschaftsintern von Naturwissenschaftlern, Biologen und Medizinern geführt. Dabei ging es aber immer auch um politische Fragen und politische Entscheidungen: um die Festlegung von Grenzwerten und um die Ausgestaltung des Strahlenschutzgesetzes, zumal als rechtlicher Rahmen für die Betreiber von Kernkraftwerken. »Nuclear Fear« hat der amerikanische Physikhistoriker Spencer Weart den langen Angstdiskurs betitelt, der die Geschichte der Kernenergiediskussion durchzieht, und sein Kollege Bart Hacker hat das schöne Bild vom Schwanz des Drachens geprägt, um die Kontroverse über die Strahlengefährdung zu visualisieren (vgl. Weart 1988; Hacker 1987). Ähnliches gilt für die hitzigen Debatten um die Wiederaufbereitung und Endlagerung nuklearer Abfälle, die seit den 70er-Jahren auf der Basis der ihnen zugrunde liegenden wissenschaftlichen Kontroversen zu einem Kernfeld politisch-gesellschaftlicher Auseinandersetzungen in der bürgerlichen Zivilgesellschaft geworden sind. Wie unterschiedlich Kontroversen um wissenschaftlich-technologische Konzepte im internationalen Vergleich dabei verlaufen können, zeigt besonders deutlich das Beispiel der Technologie des »Schnellen Brüters«. In Deutschland scheiterte dieses von dem Nuklearforscher Wolf Häfele seit den 60er-Jahren vehement vertretene Konzept der Energiegewinnung in Brutreaktoren, in denen Uran in Plutonium umgewandelt wird, zu guter Letzt 1991, als das Kernforschungszentrum Karlsruhe das Entwicklungsprojekt SNR 300 einstellen musste. Neben finanziellen Erwägungen und dem gravierenden Problem der internationalen Kontrolle des in Brütern produzierten Plutoniums, das für Atomwaffen genutzt werden kann, resultierte das Aus für die Brütertechnologie, das sich schon seit längerem abgezeichnet hatte, nicht zuletzt aus der ungelösten Endlagerungsfrage. Als Häfele in der Enquete-Kommission »Zukünftige Kernenergiepolitik« des Bundestages im Februar 1980 erklärt hatte, »Kernenergie richtig betrieben«, heiße für ihn, »viele Gorleben schaffen«, hatte der Wissenschaftler bei den Parlamentariern neben reichlich Gelächter bereits verständnisloses Kopfschütteln geerntet (zit. nach Radkau 1988: 360). Demgegenüber war die Brütertechnologie in Frankreich lange Zeit ein nationales Symbol für die wissenschaftlich-technische Leistungsfähig65
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keit der Grande Nation, auch und gerade gegenüber der drohenden Dominanz der USA in Wissenschaft und Technik. Noch 1986 legte Frankreich, nachdem der Brutreaktor »Super-Phénix« mit einer Leistung von 1240 Megawatt ans Netz gegangen war, das ambitiöse Programm für weitere vier Großreaktoren dieses Typs auf – kurze Zeit später allerdings wurde das Programm gestoppt, und 1989 musste der Super-Phénix vom Netz genommen werden (vgl. Hecht 1998; 2001). Der Technikhistoriker Joachim Radkau hat bereits Ende der 80erJahre die Frage gestellt, inwieweit die Kontroverse über die Kernenergie als paradigmatisch für den Verlauf von öffentlich geführten Diskursen über naturwissenschaftliche Forschung gelten kann (vgl. Radkau 1988). In der Tat stechen viele Parallelen zwischen der nuklearen Kontroverse und der Kontroverse etwa um die Genforschung oder jüngst die Nanowissenschaft ins Auge. Was in der Atomforschung die Göttinger 18 waren, war in der Genforschung Erwin Chargaff, einer der Begründer der modernen Molekularbiologie, der in den späten 70er-Jahren einen biblischen Fluch über die Genmanipulation durch den Menschen verhängte (vgl. Chargaff 1979). Und für die Nanowissenschaftler gibt es heute kein schlimmeres Szenario, als dass ihr Forschungsgebiet in ähnlicher Weise in den Mittelpunkt einer öffentlich geführten Kontroverse geraten könne, wie es in der Kernforschung und der Genforschung der Fall war. Radkau hat das paradigmatische Element der nuklearen Kontroverse darin gesehen, dass die tendenzielle Entgrenzung des Risikos eine kritische Öffentlichkeit auf den Plan ruft und die wissenschaftliche Kontroverse zur Gesellschaft hin öffnet. In der Tat sind es meist gerade die hochfliegenden Visionen der Naturwissenschaftler, ihre mächtigen Bilder vom Anbruch eines neuen nuklearen bzw. biologischen Zeitalters, die den Diskurs um die Riskanz dieser Forschungsfelder freisetzten. Peter Weingart hat mit Recht darauf verwiesen, dass die Überbietungsdynamik, die Naturwissenschaftler im Kampf um öffentliche Anerkennung und finanzielle Ressourcen freisetzen, mittel- und langfristig auf die jeweiligen Forschungsfelder zurückschlägt, und sie auf krisenhafte Weise mit den hohen Erwartungen konfrontiert, die sie einst geweckt haben (vgl. Weingart 2001; 2005). Im Anschluss an Weingart lässt sich eine weitere wichtige Lehre aus der nuklearen Kontroverse für den Verlauf von öffentlich geführten Debatten um naturwissenschaftliche Fragen in der modernen Wissensgesellschaft ziehen. Wenn es Max Born nicht gelang, den Disput mit Pascual Jordan auf die Ebene wissenschaftsimmanenter Debatten zu begrenzen, so verweist dies auf die enge Koppelung zwischen Wissenschaft und Politik, die in der zutiefst von naturwissenschaftlichtechnischem geprägten Wissensgesellschaft aufeinander verwiesen sind. 66
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In vielen Entscheidungsprozessen ist die Politik auf das Expertenwissen der Wissenschaftler angewiesen, und umgekehrt gewinnt die Wissenschaft einen Gutteil ihrer Ressourcen und ihrer Reputation dadurch, dass sie der Politik ihr Expertenwissen zur Verfügung stellt. Im unter den Augen der Öffentlichkeit geführten Krieg der wissenschaftlichen Gutachter aber, bei dem sich üblicherweise für jeden Experten ein Gegenexperte findet, verliert die Wissenschaft an Vertrauen und Glaubwürdigkeit als Legitimationsinstanz. Für diesen strukturellen Vertrauensverlust steht die Kontroverse um Grenzwerte nuklearer Strahlung ebenso wie die Debatte um gentechnische Freilandversuche oder das Klonen embryonaler Stammzellen.
Kalte Fusion Bei der Kalten Fusion geht es nach der Dascal`schen Klassifikation zwar weniger um eine Kontroverse als um eine Diskussion (weil die Ergebnisse eines klar definierten Experiments im Mittelpunkt stehen), aber es handelt sich dabei um ein Musterbeispiel für die Kopplung von Wissenschaft und (Massen-)Medien (vgl. Weingart 2001: 254ff), die wiederum für Kontroversen relevant ist. Ein lineares Kommunikationsmodell, nach dem Informationen von der Wissenschaft an die Massenmedien und die Öffentlichkeit gegeben werden, ggf. in geeigneter ›Übersetzung‹, greift hier nicht. Wissenschaft und deren Popularisierung sind – das ist in diesem Beispiel besonders offensichtlich – nicht klar zu trennen (Lewenstein 1995: 408). Bruce Lewenstein (1995) hat die ›Saga‹ der Kalten Fusion in vier Phasen unterteilt. Es begann mit der Pressekonferenz der Universität von Utah am 23. März 1989, auf der die Elektrochemiker Martin Fleischmann und Stanley Pons über ihre angebliche Kernverschmelzung in einem Glasgefäß bei Raumtemperatur berichteten. Sie umgingen damit den üblichen Weg der wissenschaftlichen Publikation und den damit verbunden peer review-Prozess beziehungsweise griffen diesem voraus. Mit derart einfachen Mitteln eine schier unerschöpfliche Energiequelle zu erzeugen – das wäre die wissenschaftliche Sensation. Auf die Pressekonferenz folgten (nach Lewenstein die »zweite Phase«) etwa zwei Monate »völliges Durcheinander« von Behauptungen und Gegenbehauptungen – sei es auf wissenschaftlichen Tagungen, in der Tageszeitung oder in der abendlichen Fernsehsendung. Zwischen Sommer und Herbst 1989 klärte sich die Situation allmählich: wissenschaftliche Detailinformationen wurden publiziert, und die einzelnen wissenschaftlichen Positionen wurden klarer. Forscher konnten nun konkrete Projekte identifizieren. Vor allem konnten sie daran gehen, die Experimente von 67
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Fleischmann und Pons zu replizieren, eine Aufgabe, die vor allem in den USA für einige Wochen und Monate ganze Großforschungseinrichtungen im Bereich der Fusionsenergieforschung absorbierte. Allmählich aber verlor die überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler – wie der größte Teil der Öffentlichkeit – das Interesse an der Sache. In einer weiteren Phase, die bis in die 1990er Jahre dauerte, entstanden klare Lager von Anhängern und Skeptikern der Kalten Fusion, die seither weitgehend ohne Austausch nebeneinander her leben. Den Massenmedien kommt – zumal in der Anfangsphase dieses Beispiels – offensichtlich nicht nur die Rolle des Übersetzers und Vermittlers zu, sondern sie werden Teil des Geschehens, ›Informationsquelle und -makler in einem Kommunikationsprozess, der eigentlich nur der Wissenschaft zugehört‹ (Weingart 2001: 255). Er fragt sich, ob durch derartige Medienhysterie, die einem peer review voran geht, statt dessen Ergebnisse zu referieren, einfach nur ›schlechte‹ (weil zunächst unprüfbare und ungeprüfte) Wissenschaft entsteht, oder ob eine derartige offene Diskussion und Unsicherheit die Wissenschaft menschlicher und zugänglicher macht, und dadurch gar jene gesellschaftlich ›robuste‹ Wissenschaft entstehen kann, die sich zahlreiche Sozialwissenschaftler für die Zukunft erhoffen (vgl. Nowotny/Scott/Gibbons 2001). Für die meisten Wissenschaftler ist die Kalte Fusion längst erledigt: Eines jener Experimente, die von den wissenschaftsinternen Kontrollsystemen als »nicht reproduzierbar« eingestuft sind. Diesen Fall einfach als Beispiel für fehlgeleiteten Medienwirbel abzutun, wäre aber zu einfach: Bis heute arbeiten einzelne Wissenschaftlergruppen an der Fusion im Labormaßstab und könnten damit im Prinzip doch noch den Keim einer wissenschaftlichen Revolution pflegen. »Das lange Leben der Kalten Kernfusion erinnert daran, dass solche Revolutionen nicht aus dem Herzen der normalen Wissenschaft kommen, sondern von ihren verachteten Rändern«, hat der Wissenschaftsjournalist Michael Springer resümiert (vgl. Springer 2003). Für den Verlauf und die Bedeutung von Kontroversen in der modernen, massenmedialen Gesellschaft ist die Kalte Fusion in einer weiteren Hinsicht besonders aufschlussreich. Das Beispiel zeigt, wie Wissenschaftler in fachlichen Auseinandersetzungen die Öffentlichkeit als Ressource nutzen können Vermittelt über die Massenmedien suchen sie den direkten Weg in die Öffentlichkeit und umgehen damit die Peers als Instanz wissenschaftlicher Legitimation und Qualitätssicherung. Für Fleischmann und Pons hat sich diese Strategie kurzfristig durchaus ausgezahlt, sicherte es ihnen doch hohe öffentliche Aufmerksamkeit ebenso wie erhebliche Forschungsgelder. In langfristiger Perspektive läuft der Rekurs auf die Massenmedien häufig aber ins Leere, denn deren domi68
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nanter Handlungsmodus ist die Vermittlung von Neuigkeiten. Neuigkeiten konnten auch Fleischmann und Pons nur über Wochen und allenfalls einige Monate hinweg bieten. Seither sehen sie sich in der Kontroverse um die Kalte Fusion wieder auf den Handlungsmodus der Wissenschaft verwiesen: die Produktion von Wahrheit, die im Diskurs der Peers verhandelt wird.
Zeithistorische Kontroversen Verlaufen Kontroversen in den Geisteswissenschaften anders als in den Naturwissenschaften? Welche epistemische und sozio-kulturelle Qualität hat der Dissens in der Kultur der Geisteswissenschaften? Der vergleichende Blick auf die Geisteswissenschaften hilft dabei, die Rolle und Bedeutung der Kontroverse in den Naturwissenschaften zu schärfen. Hier liegt es nahe, jene Disziplin zu betrachten, in der Kontroversen, noch dazu öffentlich ausgetragene Kontroversen, eine besonders große Rolle spielen: die Geschichtswissenschaft, die jüngst nicht von ungefähr als »zankende Zunft« charakterisiert worden ist (vgl. Große Kracht 2005). Der Vergleich macht zunächst deutlich, dass die Bedeutung von Kontroversen für den disziplinären Problemhaushalt der Geschichtswissenschaften in den letzten Jahren stark angestiegen ist. Mit Hartmut Lehmann lässt sich beobachten, dass »Clios streitbare Priester« mittlerweile systematisch thematisieren, auf welche Weise Kontroversen den Arbeits- und Erkenntnisprozess der Historiker beeinflussen, welche Rolle Dispute für das Selbstverständnis der beteiligten Wissenschaftler spielen und welche Rückschlüsse die Analyse von Kontroversen auf die wissenschaftliche Kultur der einzelnen Teilfelder der Disziplin erlaubt (Lehmann 2000: 9f.).7 Im Verlauf der letzten Jahre sind Falluntersuchungen zu zentralen Kontroversen der Geschichtswissenschaften zu einem konstitutiven Element der selbstreflexiven Analyse der Disziplin geworden, auch und insbesondere in der Zeitgeschichte (siehe auch La7
Lutz Niethammer (1989) hat sich bereits 1989 im Anschluss an den sog. »Historikerstreit« an einer Typologie historischer Kontroversen versucht. Er unterscheidet drei Grundtypen: erstens den Typus der »Legendenkiller«, bei dem es um die Widerlegung von kulturell weit verbreiteten Sachverhalten über die Vergangenheit geht, die jedoch empirisch nicht haltbar sind; zweitens den Typus der »Horizontverschiebung«, bei dem Dispute über methodische und methodologische Innovationen im Vordergrund stehen; drittens den Typus der »Arbeit am Mythos«, die sich um die Reinterpretation von Mythen über den Ursprung historischer Entitäten oder Prozesse (etwa der Französischen Revolution oder der Geschichte der Bundesrepublik) drehen und damit Identität begründen.
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mont 1998; Dotterweich 1998; Elvert/Krauß 2003; Sabrow/Jessen/Große Kracht 2003). Zwei Kontroversen, die in den letzten Jahren besonders intensiv untersucht worden sind, bilden zentrale Funktionen von Kontroversen im geisteswissenschaftlichen Erkenntnisprozess ab: die Fischer-Kontroverse und die Goldhagen-Debatte. Erstere steht im Sinne der Systematik von Dascal für die Erkenntnis stimulierende, neue Forschungsparadigmen eröffnende Bedeutung von Kontroversen; letztere lässt sich im Anschluss an den Wissenschaftssoziologen Thomas Gieryn als akademisches boundary work verstehen, in dem es um die professionelle Deutungshoheit über den Gegenstandbereich der Geschichte, die Arbeit an den Grenzbefestigungen der Disziplin und um das Ziehen von Demarkationslinien zwischen guter und schlechter Wissenschaft ging (vgl. Gieryn 1983). Die Fischer-Kontroverse entzündete sich an einem Aufsatz des Hamburger Historikers Fritz Fischer im führenden Organ der Disziplin, der ›Historischen Zeitschrift‹, aus dem Jahr 1959 und mehr noch an seinem 1961 vorgelegten, 900 Seiten starken Werk »Griff nach der Weltmacht« (vgl. Fischer 1961). Fischer stellte darin die These auf, dass Deutschland 1914 bis 1918 keineswegs einen Verteidigungskrieg geführt, sondern mit weitreichenden Expansionszielen in den Ersten Weltkrieg gegangen sei. Die Provokation des Buches lag in der Behauptung, die annexionistischen Kriegsziele seien nicht nur von nationalistischen Kreisen der Rechten, sondern von der Reichsregierung unter der Leitung von Reichskanzler Bethmann-Hollweg, ja von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen worden, der von den Konservativen über die Liberalen bis zum rechten Flügel der SPD gereicht habe. Die führenden deutschen Historiker lehnten das Buch als töricht und völlig missraten ab. Fischers Thesenkonstrukt sei spekulativ und sein methodisches Vorgehen falsch. Die Kontroverse schien mit dem eindeutigen Sieg der etablierten Historiker beendet, als 1964 anlässlich des 50. Jahrestags des Beginns des Ersten Weltkriegs Rudolf Augstein zur Feder griff und seine vehemente Verteidigung der Thesen Fischers im ›Spiegel‹ den Satz voranstellte: »Ich muß mal wieder das eigene Nest beschmutzen« (zit. nach Große Kracht 2005: 55). Als das Auswärtige Amt Fischer auf eine Intervention des führenden Historikers der älteren Generation, Gerhard Ritter, bei Bundesaußenminister Gerhard Schröder die ursprünglich zugesagten Finanzmittel für eine Vortragsreise in die USA verweigerte, wurde die Kontroverse zu einem öffentlichen Politikum. In einer Phase, in der sich der Handlungsspielraum der Bundesrepublik auf der Bühne der internationalen Politik auszuweiten begann, war Fischers These, dass die deutsche Politik nicht nur am Zweiten Weltkrieg, sondern auch am 70
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Ersten Weltkrieg die Hauptschuld trage, politisch fatal. Nicht nur das Auswärtige Amt, sondern auch Bundestagspräsident Eugen Gerstenmeier und Bundeskanzler Ludwig Erhard traten der Kriegschuldthese Fischer entgegen. Vollends zur öffentlichen Figur wurde Fischer auf dem Historikertag 1964, den die etablierte Historikerzunft zu einer Generalabrechnung mit dem die ungeschriebenen Regeln der Disziplin brechenden Kollegen nutzen wollte. Die ›Zeit‹ stellte wenige Tage nach der öffentlichen Podiumsdiskussion die Frage, wann es das je in Deutschland gegeben habe, dass wissenschaftliche Kontroversen »vor einem Forum von mehr als 1500 Zuhörern, vor laufenden Fernsehkameras und Rundfunkmikrophonen ausgetragen wurden«, und kommentierte, dass die Kontroversen »wie Gladiatorenkämpfe in einer überhitzten Arena« geführt worden seien, »bei denen eine Claque auf der Galerie jeden Sieg und jede Niederlage bejubelt« habe (zit. nach Große Kracht 2005: 61). Die Geschichtswissenschaft war erstmals in der Bundesrepublik zu einer public science geworden, die ihre Kontroversen unter den Augen der Öffentlichkeit führte. Weitreichender aber waren die Konsequenzen der Kontroverse für das Forschungsprogramm der Disziplin selbst. Um ihre scharfe Kritik an den Thesen Fischers zu validieren, sahen sich seine Gegner zu einer kritischen Sichtung des vorhandenen Quellenmaterials und mehr noch zur systematischen Erschließung neuer Quellen gezwungen. Vor allem aber formierte sich eine Generation jüngerer Historiker, die Fischers theoretisches Konzept vom »Primat der Innenpolitik‹« teilte und eine innovative, sich als besonders fruchtbar erweisende Forschungsrichtung eröffnete. Rund um die systematische Untersuchung der politischen und gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen des Deutschen Kaiserreichs, die die Fischer-Kontroverse angestoßen hatte, entwickelte sich ein neues Paradigma von Geschichte als historische Sozialwissenschaft, die das tradierte Paradigma des Historismus ablegte und sich zu einer Struktur- und Gesellschaftsgeschichte erweiterte (vgl. Böhme 2000). Auch die Goldhagen-Debatte kreiste um die Frage nach Schuld und Verantwortung Deutschlands für die Katastrophen des 20. Jahrhunderts, und auch in dieser Kontroverse war die Geschichtswissenschaft eine public science. Ausgelöst wurde die Kontroverse durch das im März 1996 erschienene Buch »Hitler’s Willing Executioners« (vgl. Goldhagen 1996) des amerikanischen Politologen Daniel Goldhagen, das den bis dahin völlig unbekannten Autor auf einen Schlag zu einem Medienstar machte – und nicht zuletzt auf einen Lehrstuhl der Harvard University hievte. Binnen weniger Monate wurden allein in Deutschland 340.000 Exemplare des Buches verkauft, und sein ebenso smart wie jugendlich
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wirkender Autor war über Wochen hinweg Gast in Talkshows und brechend vollen Vortragssälen. Peter Weingart und Petra Pansegrau haben eine detaillierte Analyse dieser Kontroverse unternommen. Sie zeigen auf, dass die Debatte zwar unter Beteiligung fast aller führenden Zeithistoriker stattfand, aber in den Medien und nicht in den wissenschaftlichen Fachorganen ausgetragen wurde (vgl. Weingart/Pansegrau 1999). Im Programm des im Sommer 1996 in München abgehaltenen Historikertages taucht die Kontroverse nicht auf – nach massiver Kritik der Medien beraumte der bundesdeutsche Historikerverband zwar flugs noch eine Diskussionsveranstaltung an, die aber ganz offensichtlich als bloßes Zugeständnis an die Medien gedacht war. Denn die Zunft der Historiker war sich einig in ihrer Ablehnung des Buches. Goldhagens These eines eliminatorischen Antisemitismus in Deutschland, der von Kant und Nietzsche geradezu zwangsläufig hin zu Hitler und dem Holocaust geführt und die »ganz gewöhnlichen Deutschen« zu Tätern gemacht habe, wurde als falsch, weil monokausal argumentierend verworfen. Zudem wurden zahlreiche methodische Mängel und empirische Fehler ins Feld geführt. Während die professionelle Holocaust-Forschung die moralisierende Geschichtsschreibung Goldhagens, der fachliche Belege durch Werturteile ersetzte, als unwissenschaftlich kritisierte, hoben die Medien gerade dies als Stärke des Buches hervor. »Erst wenn der Schrecken Namen und Gesichter erhält, wenn er fassbar wird, packt er die Menschen an der Seele, wie es Abertausende von Fußnoten nicht schaffen können«, kommentierte die ›Süddeutsche Zeitung‹ auf dem Höhepunkt der Debatte (zit. nach Weingart 2001: 269). Die mediale Glaubwürdigkeit Goldhagens speiste sich vor allem auch aus der Tatsache, dass er als Nachfahre von im Holocaust umgekommenen Juden a priori über ein enormes Kapital an moralischer Autorität verfügte, das er der wissenschaftlichen Autorität seiner Kritiker entgegenhalten konnte. Demgegenüber klagte Eberhard Jäckel als Doyen der bundesdeutschen NS-Forscher über die Ungerechtigkeit der Medienwelt, die eine »durch und durch mangelhafte, misslungene Dissertation« auf den Thron hebe und dadurch den Medienwald erzittern lasse, »als sei ein Komet eingeschlagen« (zit. nach Weingart 2001: 271). Die Goldhagen-Debatte lässt sich als eine Kontroverse verstehen, die nicht in der Wissenschaft, sondern zwischen der Wissenschaft und der medialen Öffentlichkeit ausgefochten wurde. Über Monate hinweg dominierte dabei das Kriterium der medialen Prominenz über das der wissenschaftlichen Reputation. Als der Neuigkeitswert des GoldhagenBuches aufgezehrt war, verschob sich diese Relation wieder zugunsten der Definitionsmacht des wissenschaftlichen Diskurses. Nachdem der 72
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prominente amerikanische Politologe Norman Finkelstein eine vehemente Kritik Goldhagens veröffentlicht hatte – im Vorgriff auf seinen 2001 folgenden Essay »Die Holocaust-Industrie« (vgl. Finkelstein 2001) –, begann der Stern von Goldhagen am Medienhimmel vollends zu sinken. Am Ende hatten die Zeithistoriker die Deutungshoheit über ihren wissenschaftlichen Gegenstandbereich, die jüngere deutsche Geschichte, wieder gewonnen. In öffentlich geführten Kontroversen werden mithin, so lässt sich die Goldhagen-Debatte resümieren, immer auch wissenschaftliche Grenzen und die disziplinäre Definitionsmacht verhandelt.
Wissenschaftliche Kontroversen in der Öffentlichkeit – öffentliche Kontroversen mit wissenschaftlichem Gehalt Brante (1993: 181f.) grenzt Kontroversen um wissenschaftliche Tatsachen, die vorwiegend für die Wissenschaft selbst von Interesse sind, ab von Kontroversen, die von der Wissenschaft ausgehen und in der Öffentlichkeit verhandelt werden: Bei Kontroversen um ›wissenschaftliche Fakten‹, also beispielsweise um die Frage, ob es Higgs-Bosonen gibt oder ob Neutrinos eine Masse besitzen, wird um konkrete wissenschaftliche Tatsachen gestritten. Dabei spielt unter anderem die Verlässlichkeit von Instrumenten (z.B. der Vakuumpumpe) eine Rolle. Die Auseinandersetzung wird durch neue wissenschaftliche Untersuchungen voran gebracht. Solche Kontroversen interessieren Nicht-Wissenschaftler nur zu einem geringen Teil. Anders wissenschaftsbasierte Kontroversen (»science based« controversies), etwa diejenige um die Kernenergie: Diese schließen neben wissenschaftlichen Fakten typischerweise ethische und politische Aspekte mit ein und werden nicht allein von wissenschaftlichen Experten geführt, sondern auch von Nicht-Wissenschaftlern. Häufig geht es dabei um Risikofragen, um politische Handlungsoptionen, um ethische Fragestellungen (»Ist etwas richtig oder falsch?«). Je komplexer die Fragestellung und je widersprüchlicher die Expertenmeinungen (z.B. um Grenzwerte und Risiken), umso schwieriger sind solche Kontroversen zu führen. »The problem is how to move from a gray world of scientific findings and uncertainties to a more black-andwhite world of public policy, and of how to resolve the controversies that such passages involve« (Brante 1987: 18). Auch bei Brantes Unterscheidung zwischen Kontroversen um wissenschaftliche Fakten und wissenschaftsbasierten Kontroversen handelt es sich freilich um zwei Idealtypen, zwischen denen de facto ein Kontinuum besteht. Kontroversen mögen sich in ihrem Verlauf entlang dieses 73
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Kontinuums bewegen. Für eine eingehende Analyse wäre jedoch im Einzelfall zu präzisieren, welche (Teil-)Öffentlichkeiten in die Kontroversen jeweils involviert sind. So erregt die Kontroverse um mögliche Gefahren von Nanoteilchen derzeit nur ein geringes öffentliches Interesse, was sich freilich rasch ändern könnte. Damit lassen sich Kontroversen auf zwei Skalen verorten (vgl. Abb.1): einerseits auf dem Kontinuum von Dascal bzw. Kitcher, das die Bedeutung epistemischer und nicht-epistemischer Faktoren berücksichtigt und nach McMullin spezifische Lösungen offeriert, andererseits auf der Unterscheidung von Brante nach ihrer Relevanz für die Öffentlichkeit. Könnte es für das Verständnis von Kontroversen nützlich sein, sich jeweils klar zu machen, wo man sich auf diesem zweidimensionalen Feld befindet? Lassen sich die vielfältigen Kontroversen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit auf diese Weise sinnvoll sortieren? Abbildung 1: Ein Feld von Kontroversen Diskussion
Æ Kontroverse
Æ
Disput
(nach Dascal) rationalistisches Modell Æ Å anti-rationalistisches Modell (nach Kitcher) Relevanz epistemischer Æ ÅRelevanz nicht-epistemischer Faktoren Faktoren
geringes öffentliches Interesse
Elementarteilchen Boyle vs. Hobbes Nanotechnologie
Å Æ
(Brante »scientific fact«)
hohes öffentliches Interesse
Arten von Elektrizität (historisch)
Zeithistorische Kontroversen
Hirnforschung & freier Wille
Gentechnik Kernenergie
Kalte Fusion
»Elektrosmog« anthropogener Klimawandel
Kreationismus & Intelligent Design
(Brante »science based«)
Die in diesem Kapitel ausführlich diskutierten Fallbeispiele sind fett gedruckt. Weitere Stichworte sollen einladen, dieses Feld als heuristisches Instrument bei der Verortung von Kontroversen einzusetzen.
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Kontroversen und Wissenschaftskommunikation: Ein Fazit Seit es Diskussionen zu PUS, PUSH oder PUR gibt, wird gestritten, auch in Deutschland, wie das ›U‹ darin, also das ›Understanding‹ auszulegen sei (vgl. etwa Trischler 2001: 185): Bedeutet es eine Vertiefung von schulischem Wissen, oder zielt es darauf ab, Orientierungsfähigkeit in einer zunehmend komplexeren Wissensgesellschaft zu liefern, indem die Wissenschaftskommunikation etwa den sozialen Konstruktionscharakter von Forschung herausarbeitet? Für letztere Auslegung erscheinen Kontroversen als Thema der Wissenschaftskommunikation geradezu ideal – eben als »Schlüssel zur Wissenschaft«. Kontroversen sind in verschiedenen Disziplinen und zu verschiedenen Zeiten allgegenwärtig und werden – so schwer zu fassen und zu typologisieren sie auch sein mögen – von der Wissenschaftsforschung untersucht. Ihr didaktischer Nutzen in der Wissenschaftskommunikation (z.B. in Schule, Universität oder Museum) besteht darin, ›Selbstverständliches‹ (z.B. Grundannahmen, Methoden eines Faches) zu hinterfragen. Zudem bieten sie eine Möglichkeit, gerade das Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit, zusätzlich auch die Rolle von Massenmedien und Politik, in den Blick zu nehmen. Angesichts der Allgegenwärtigkeit und der Relevanz von Kontroversen ist es umso überraschender, dass sie in der Wissenschaftskommunikation bislang kaum adäquat thematisiert werden. Zwar ist »Zoff im Elfenbeinturm« (vgl. Hellmann 2000) für die Medien durchaus von hohem Interesse, noch dazu wenn er gerade nicht nur im Elfenbeinturm, sondern auch in der Öffentlichkeit ausgetragen wird. Sobald der Neuigkeitsund Aufmerksamkeitswert aufgezehrt ist, erschöpft sich dieses Interesse aber üblicherweise. Den Schlüsselcharakter von Kontroversen für ein vertieftes Verständnis der Forschung selbst, von Forschung als sozialem Prozess und der damit einhergehenden Offenheit und Unabgeschlossenheit des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses (vgl. Field/Powell 2001; Hauser 2005), hat die Wissenschaftskommunikation noch kaum realisiert, geschweige denn praktisch genutzt. Wie mühsam und langwierig es ist, Erkenntnisse etwa aus der Wissenschaftsforschung auf die Wissenschaftskommunikation zu übertragen, hat besonders deutlich die Abkehr vom Defizitmodell zum Dialogmodell der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit gezeigt: War es in den 1990er Jahren in der Wissenschaftsforschung längst allgemein anerkannt, dass das Defizitmodell für ein gedeihliches Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit nicht taugt, fand es zeitgleich in der Praxis der Wissenschaftskommunikation immer neue Aus75
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prägungen. Nicht nur in Deutschland, sondern auch international sucht man heute daher nach wie vor nach Konzepten, wie ein ›echter Dialog‹ zu führen sei (vgl. etwa Weitze 2006). Entsprechendes gilt für die wissenschaftliche Kontroverse: Seit Jahrzehnten das Paradigma in der sozialwissenschaftlichen Wissenschaftsforschung, hat die Kontroverse den Weg in die Praxis der Wissenschaftskommunikation noch nicht gefunden. Unser Plädoyer für eine gezielte Nutzung des wissenschaftsdidaktischen und kommunikativen Potenzials der Kontroverse bietet zugleich den willkommenen Nebeneffekt, die Wissenschaftskommunikation auf diesem Wege aus der Empirie herauszuführen und ihrerseits zu verwissenschaftlichen. Kurz: Für eine reflektierte, wissenschaftlich fundierte Wissenschaftskommunikation ist die Kontroverse ein wichtiges Schlüsselelement, das seinen Platz findet neben anderen Schlüsselelementen wissenschaftlicher Erkenntnis wie etwa Modellen, Analogien, Erklärungen oder Metaphern.
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Konzeptualisierung von Wissenschaft und Kontroverse bei Schülern und Studierenden KIRSTEN SCHINDLER, KATRIN LEHNEN, EVA-MARIA JAKOBS1
Einleitung Am 31. Oktober 2005 kommentiert Spiegel online, Katie Melua, eine 21-jährige britische Popsängerin, habe sich in einem ihrer Songs einen ›kosmischen Schnitzer‹ geleistet, indem sie das Alter des Universums auf 12 Milliarden Jahre geschätzt habe. Diese Schätzung, so Spiegel online, habe den Bestsellerautor und Physiker Simon Singh empört. Nicht nur, so Singh, dass das Alter des Universums präzise mit 13,7 Milliarden Jahren bezifferbar sei, in der Schätzung würde sich auch die inzwischen weit verbreitete Tendenz zeigen, wissenschaftliche Ergebnisse als subjektive Vermutungen abzutun und damit auch die Rolle des Wissenschaftlers »ständig zu entwerten«.2 Singh beklagt die falsche Einschätzung wissenschaftlichen Wissens in der Öffentlichkeit. Bemerkenswert sind die Implikationen seiner Argumentation: Sie impliziert erstens, dass in der Öffentlichkeit eine Auseinandersetzung mit Wissenschaft stattfindet, die durch eine bewusste Be- bzw. Abwertung wissenschaftlicher Ergebnisse gekennzeichnet ist (wissenschaftliche Ergebnisse als subjektive Vermutungen abtun) und zweitens, dass wissenschaftliche Ergebnisse unantastbar sind (das Alter des Universums ist präzise mit 13,7 Milliarden Jahren bezifferbar). Die Wissenschaft erscheint in der Zuspitzung Singhs – bzw. in der journalistischen Zuspitzung durch die Presse – abgeriegelt: Wissenschaft ist un-
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Danke an Jörg Jost für die anregende Diskussion in Vorbereitung dieses Beitrags. http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,382464,00.html/ (11.11.2005).
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fehlbar; die Dynamik, die Prozesshaftigkeit und der kontroverse Charakter wissenschaftlicher Erkenntnisbildung werden ausgeblendet, ebenso die Frage, wie es zu der Tendenz kommt, »wissenschaftliche Ergebnisse als subjektive Vermutungen abzutun«. Ersteres verhindert eine angemessene Darstellung von Wissenschaft und wissenschaftlichen Akteuren in der Öffentlichkeit; sie wäre aber Voraussetzung, um ein tieferes Verständnis von Wissenschaft und damit gesellschaftliche Teilhabe am wissenschaftlichen Erkenntnisprozess zu ermöglichen. Zweiteres verhindert eine systematische Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen von Wissenschaftsvermittlung. Die Ermittlung der Faktoren, die eine spezifische Einstellung gegenüber Wissenschaft bei nicht-wissenschaftlichen Akteuren erzeugen, ist – so der Ausgangspunkt unserer Ausführungen – zentral für die Entwicklung von Konzepten, die eine produktive Auseinandersetzung mit Wissenschaft bewirken. Dies gilt insbesondere mit Blick auf jüngere Generationen, die den gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Nachwuchs bilden. Gerade für diese Gruppen wäre zu klären, welche Vorstellungen und Alltagskonzepte ihren Umgang mit Wissenschaft prägen – und wie sie zustande kommen. Geht es also darum, die Fähigkeit auszubilden, wissenschaftliches Wissen beurteilen und nutzen zu können und damit auch zu einer Partizipation an gesellschaftlichen Diskursen zu befähigen (vgl. Felt 2003; Durant 1993), dann sind Fragen des Zugangs zu wissenschaftlichem Wissen hochrelevant. In jüngster Zeit ist dies v. a. mit Blick auf die Fähigkeit zu kontroversem Denken diskutiert worden. Kontroversen bilden ein konstitutives Denk- und Arbeitsprinzip wissenschaftlicher Erkenntnisbildung (vgl. den Beitrag von Marcelo Dascal in diesem Band). Der diskursive Charakter wissenschaftlicher Arbeitsprozesse ist in einschlägigen Vermittlungskontexten aber kaum Gegenstand (vgl. für den Lernort Museum den Beitrag von Marc-Denis Weitze in diesem Band). Ausgehend davon, dass Kontroversen ein zentrales Prinzip wissenschaftlicher Praxis repräsentieren, sind sowohl die Darstellung wissenschaftlicher Kontroversen als auch ihre Einübung als diskursive Praxis zentral für die Vermittlung, Aneignung und Anwendung wissenschaftlichen Wissens. Dies gilt besonders für den schulischen Kontext (Unterricht), aber auch für Massenmedien oder spezifische Lernorte (Museen, Schülerlabore u. a.). Wenn die Annahme zutrifft, dass die Vermittlung kontroversen Denkens zentral ist für die Teilhabe an wissenschaftlichem Wissen, dann muss untersucht werden, ob und wie wissenschaftliche Kontroversen von Zielgruppen außerhalb der Wissenschaft wahrgenommen und konzeptuell verankert werden. Nur dann lassen sich gruppenspezifische Vermittlungsformen ableiten, die eine nachhaltige Aneignung wissenschaftlicher Wissensbestände unterstützen und systema82
KONZEPTUALISIERUNG VON WISSENSCHAFT UND KONTROVERSE
tische Interventionen hin zu einer Ausbildung von Kontroversefähigkeit erlauben. Es ist zu fragen: x Welche Vorstellungen von wissenschaftlicher Forschung und wissenschaftlichen Kontroversen gibt es in welchen Alters- und Ausbildungsstufen? x Wie kommen diese Vorstellungen zustande? x Welche Größen beeinflussen und fördern ein bestimmtes Verständnis von Kontoverse? x Welche Barrieren behindern das Vermitteln eines bestimmten Verständnisses von Kontroversen? Wann und warum entstehen diese Barrieren? Der Beitrag versucht erste Antworten zu geben. Er formuliert ein Forschungsinteresse, das sich auf die empirische Rekonstruktion des Wissenschaftsverständnisses und Kontroversekonzepts von Schülern3 und Studierenden richtet. Die Diskussion stützt sich auf Daten einer ersten empirisch-explorativ angelegten Analyse. Der Beitrag stellt exemplarisch erste Befunde der Analyse vor. Zuvor werden bestehende Ansätze kritisch auf das Forschungsinteresse geprüft. Der Beitrag zieht abschließend ein kurzes Fazit.
Vermittlung und Aneignung wissenschaftlicher Diskurspraktiken Die PISA-Studien von 2000 und 2003 belegen, dass deutsche Schüler weniger in der Lage sind, ihr in der Schule erworbenes Wissen zu reflektieren, kritisch zu bewerten und auf Alltagssituationen anzuwenden als Gleichaltrige in Europa. Sie haben Probleme, wissenschaftliche Modelle zu entschlüsseln, Werturteile zu begründen und neue Informationen zu verarbeiten (vgl. OECD 2001; Baumert et al. 2001; Prenzel et al. 2005). Eine funktionelle Scientific Literacy (naturwissenschaftliche Grundbildung)4 als Grundlage der Teilhabe (Partizipation) an wissen-
3 Die in dem Beitrag verwendete männliche Sprachform schließt Frauen und Männer ein. 4 Naturwissenschaftliche Grundbildung wird als »ein Verständnis grundlegender naturwissenschaftlicher Konzepte […], Vertrautheit mit naturwissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweisen sowie die Fähigkeit, dieses Konzept- und Prozesswissen vor allem bei der Beurteilung naturwissenschaftlich-technischer Sachverhalte anzuwenden« definiert (Stanert et al. 2001: 6f.).
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schaftsbasierten Diskussionen ist bei deutschen Schülern nicht bzw. nur unzureichend gegeben. Ausgelöst durch den PISA-Schock wird durch eine breite Palette von Maßnahmen versucht, das wissenschaftliche, insbesondere naturwissenschaftliche Verständnis und Wissen von Schüler zu fördern. Neben der Konzeption von alternativen (multi-modalen) Lehr- und Lernmaterialien, der Gestaltung von außerschulischen Lernorten (z.B. Mathematikum in Gießen, Phänomenta in Flensburg, – das Deutsche Museum bietet ein eigenes ›Kinderreich‹ an; zunehmend werden Schülerlabore eingerichtet) hat auch die Hochschule die Zielgruppe der Schüler entdeckt. Zielgruppengerechte Veranstaltungen für Mädchen (z.B. beim Girls’ Day) oder für Grundschüler (in der ›Kinderuni‹, vgl. Janßen/Steuernagel 2003) stoßen auf ein breites Interesse. Was bislang fehlt, ist die wissenschaftliche Reflexion dieser Maßnahmen im Hinblick auf ein tieferes Verständnis davon, wie sich im Verlauf der Sozialisation durch Schule, Berufsausbildung und das gesellschaftlich-kulturelle Umfeld die Annäherung und Aneignung von Denk- und Arbeitsformen vollziehen und welche biographischen bzw. personenbezogenen Faktoren (z.B. Geschlechtsspezifik) dabei eine Rolle spielen. Es gibt zwar eine Reihe von Studien, die Einstellungen verschiedener Alters-, Geschlechts- und Sozialisationsgruppen u.a. zu Naturwissenschaft (und Technik) erheben und damit Hinweise auf Studienentscheidungen liefern. Diese Studien geben aber wenig Aufschluss über die Motive und Voraussetzungen dieser Einstellungen (vgl. Gloede/Bücker-Gärtner 1988; Jaufmann 1988; Noelle-Neumann 1988; Pfennig/Renn/Mack 2002; Tacke 1988; Zwick/Renn 2000; Hennen 2002; Lobbenmeier 2003). Was fehlt, sind insbesondere qualitative Studien, die einen tieferen Einblick in das komplexe Beziehungsgefüge ermöglichen, das die Aneignung und Herausbildung von Kontroverse-Konzepten bestimmt. Eben diese Einsichten sind jedoch notwendig, um gezielt intervenieren zu können. Vermittlungskonzepte und Maßnahmen, die ein besseres Verständnis von Wissenschaft unterstützen und zur Beurteilung wissenschaftlicher Ergebnisse befähigen, sind mit Blick auf die Voraussetzungen zu prüfen, auf denen sie aufsetzen. Ergebnisse der Studie »Technophil oder technophob?« (vgl. Jakobs 2005; Jakobs/Schindler/Straetmans 2005; Schindler/Jakobs 2006) deuten darauf hin, dass das Interesse der Schüler an Wissenschaft und wissenschaftlichen Forschungstätigkeiten gering ist – die Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Themen gilt als unattraktiv. Wissenschaft und Wissenschaftler haben in der Wahrnehmung der meisten Befragten ein schlechtes Image. Das negative Bild bleibt von persönlichen Erfahrungen – beispielsweise als positiv erfahrene 84
KONZEPTUALISIERUNG VON WISSENSCHAFT UND KONTROVERSE
Projektarbeit in der Schule oder Schnupperstudium an der Hochschule – seltsam unberührt. Weitere Forschungsdefizite betreffen die Fragen, woher die (stereotypen) Vorstellungen über Wissenschaft kommen, durch welche Quellen (Schule, Bücher, Fernsehen etc.) sie gespeist werden und in welcher Form sie mit (anderen) Erfahrungen interagieren. Nicht erforscht ist bisher, mit welchen Methoden sich die Zusammenhänge von Stereotypen in Medien und ihre Verankerung bzw. Konzeptualisierung bei unterschiedlichen Gruppen untersuchen lassen. Einen interessanten Ansatz bilden z.B. die in der Forschergruppe um Holly entwickelten Methoden zur Medienaneignung (gemeinsames Sprechen vor dem Fernsehen; vgl. Holly/Püschel/Bergmann 2001), etwa unter dem Aspekt, welche Eigenschaften von Wissenschaft zur Kenntnis genommen und wie sie bewertet werden. Oder umgekehrt: wie sich Darstellungsformate und -formen auf die Ausbildung von Vorstellungen und Konzepten auswirken. Geht es einerseits um die Klärung der Voraussetzungen bei denjenigen, die sich in schulischen Lernkontexten bewegen, so setzt die Entwicklung geeigneter Vermittlungskonzepte andererseits Wissen darüber voraus, wie Diskursfähigkeiten in akademischen Lernkontexten (Universität) erworben werden. Welche Kompetenzen werden gebraucht, um fachliche Kontroversen zu registrieren, nachzuvollziehen und (allmählich) als Diskursmuster in die eigene Studienpraxis zu übernehmen? Wie, bei welchen Anlässen, werden diese Kompetenzen typischerweise erlangt? Wertvolle Anknüpfungspunkte liefern Ansätze der Textproduktionsforschung. Sie liefern Hinweise auf die Bedeutung der sprachlichen, fach- und kulturspezifischen Sozialisation, so z.B. Spivey/King (1989), Jakobs (1999) und Feilke/Steinhoff (2003). Sie beschreiben die fachliche Sozialisation als allmähliche Internalisierung von Denk- und Kommunikationsformen, die disziplinär geprägt sind. Arbeiten zur wissenschaftlichen Textproduktion von Studienanfängern, fortgeschrittenen Studierenden und Wissenschaftlern, die über die Methode des kooperativen Schreibens gewonnen wurden, zeigen, wie das Diskutieren und interaktive Aushandeln von wissenschaftlichen Positionen zum Teil des fachlichen Textproduktions- und Lernprozesses wird (vgl. Lehnen 2000). Welche Rolle und welchen Anteil wissenschaftliche Kontroversen im fachgebundenen Sozialisationsprozess haben, wird in keiner Arbeit systematisch untersucht. Was fehlt sind insbesondere empirisch abgesicherte Aussagen zur Herausbildung und Genese von (Alltags-)Konzepten des Phänomens Kontroverse.
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Das Bild von Wissenschaft bei Schülern und Studierenden Die folgenden Ausführungen stützen sich auf eine erste explorative Studie sowie eine ergänzende Stichprobe. Tabelle 1: Korpus der Untersuchung Studie
Schüler (11./12. Jgst.) 10 Interviews
Stichprobe
Studierende der Ingenieurwiss. (Hauptstudium) 10 Interviews
Studierende der Geisteswiss. (Grundstudium) 3 Interviews
Studierende der Geisteswiss. (Hauptstudium) 4 Interviews
In der Studie (vgl. »Technophil oder technophob?«, Jakobs/Schindler/ Straetmans 2005) wurden Gymnasiasten (11./12. Jahrgangsstufe) und Studierende der Ingenieurwissenschaften zu Einstellungen und Umgang mit Technik sowie zu ihrer Lebens- und Berufsplanung per Interviews und Fragebögen befragt. Die hier geführten Diskussionen stützen sich auf die Interviewdaten. Die Studie liefert, wenngleich der Fokus auf technikbezogenen Fragen lag, interessante Hinweise auf die Vorstellungen der Befragten, hier insbesondere der Schüler, zur Praxis wissenschaftlicher Forschung. Sie erschöpfen sich im Wesentlichen im Stereotyp des einsamen, verrückten Wissenschaftlers im Labor, der nur seine Forschung im Kopf hat, und von der Gesellschaft, hier reduziert auf Politik, kontrolliert werden muss.5 Diese und weitere Beobachtungen haben uns veranlasst, gezielt Vorstellungen von Studierenden anderer Fachrichtungen und in verschiedenen Phasen des Studiums zu erheben. In der ergänzenden Stichprobe wurden Studierende der Fächer Germanistik, Kommunikationswissenschaft und Technik-Kommunikation6 nach ihrem Verständnis von Wissenschaft und Kontroverse befragt. Die Interviews mit den Studierenden richteten sich auf Eigenschaften und Besonderheiten wissenschaftlichen Arbeitens (z.B. wissenschaftliche Arbeitsweisen; Alltag eines Wissenschaftlers; Unterschiede zwischen Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften; Rolle von Kontroversen in der Wissenschaft). Die Stichprobe berücksichtigt Sozialisationseffekte, hier Studienanfänger (Grundstudium) vs. Fortgeschrittene (Hauptstudi5 Die von den Schülern geäußerten Vorstellungen deuten auf ein Wissenschaftsbild hin, das Weingart (2003) in seiner Analyse von Wissenschaftsbildern in Spielfilmen als »mad scientist« identifiziert hat. 6 Technik-Kommunikation ist ein interdisziplinärer Studiengang an der RWTH Aachen. Die Studierenden studieren im 1. Hauptfach Kommunikationswissenschaft und im 2. Hauptfach ein technisches Fach.
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um). Die Unterscheidung folgt der Annahme, dass die zunehmende Sozialisation im Studienfach Folgen für die Konzeptualisierung von Arbeits- und Denkprinzipien hat. Bezogen auf die Kontroverse wäre zu wünschen oder – weniger pessimistisch formuliert – zu erwarten, dass mit zunehmender fachlicher Sozialisation ein stärkeres Bewusstsein bzw. eine eigene Praxis im Umgang mit Kontroversen entsteht, d.h. es wäre davon auszugehen, dass Alltagskonzepte zunehmend durch Fachkonzepte abgelöst werden. Die Interviews wurden in Studie und Stichprobe als Doppelinterviews (gemeinsame Befragung von 2 Personen) geführt. Die Datenauswertung erfolgt mit (gesprächs-)linguistischen Methoden; sie konzentriert sich auf sprachliche Darstellungen der Konzeptualisierungen von Wissenschaft und Kontroverse. Die Auswertung fokussiert folgende Überlegungen: Aus der Sicht der Institution Hochschule umfasst die Entscheidung, ein Studium aufzunehmen, auch die Entscheidung für Wissenschaft, d.h. für eine theoriegeleitete, methodenbasierte und im Kern kontroverse Auseinandersetzung mit Wissen. Die Institution setzt voraus, dass Schulabgänger auf Anforderungen wissenschaftlichen Arbeitens vorbereitet sind, d.h. dass sie in der Lage sind, sich Wissen anzueignen, etwa wissenschaftliche Ansätze zu vergleichen und kritisch zu reflektieren. Es wird vorausgesetzt, dass Schüler mit diskursiven Verfahren der Produktion und des Umgangs mit Wissen durch den schulischen Kontext vertraut sind wie auch mit dem Postulat »Wissenschaft als zweckfreie Forschung«. Die Aufnahme eines Studiums bedingt die Entscheidung für ein Fach und damit für disziplinenspezifische Gegenstände, Methoden und Fragestellungen. Im Verlauf des Studiums eignen sich die Beteiligten – so das Konzept der Institution – nach und nach ›typische‹ Denk- und Arbeitsformen ihres Faches an. Sie werden fachlich sozialisiert. Letzteres umfasst Kontroversefähigkeit. Kontroversefähigkeit beinhaltet die Internalisierung, Kontextualisierung und Versprachlichung von disziplinenspezifischen Denk- und Diskursmustern. In der Analyse der Interviews zeichnet sich ab, dass diese Annahmen und Konstrukte nur sehr bedingt zutreffen: Schüler denken anders.
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Zweckrationale Konzepte von Wissenschaft, Forschung und Studium (Schülersicht) Die von uns in der Studie zu Technikeinstellungen befragten Schüler bemessen Qualität und Sinn wissenschaftlicher Forschung an ihrem erkennbaren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen. ›Gute‹ wissenschaftliche Forschung ist zweckgebunden, produktorientiert und von Motiven außerhalb der Wissenschaft bestimmt (Marktkriterien). Aufgabe der Forschung sei die Entdeckung innovativer Verfahren wie auch die Entwicklung und Vermarktung neuer Produkte. Diese Leistung mache Forschung zu einem wichtigen wirtschaftlichen Produktivitätsfaktor und Standortvorteil. Forschung ohne erkennbaren praktischen Nutzen ist nach Ansicht der Schüler irrelevant, mehr noch: sie ist riskant und sollte weitgehend kontrolliert und eingeschränkt werden. Bemerkenswert ist u.a., dass die Befragten zweckfreie bzw. ›nicht verwertbare‹ Forschung (»Forschung als Selbstzweck«) mit Gefahren bzw. dem Bild des gefährlichen Wissenschaftlers verbinden. Dazu zwei exemplarische Interviewbelege. Beispiel 1: Forschen, forschen, forschen – ja wofür denn? B1: Ich denke zum Beispiel bei Gentechnologie oder so was, das sind ja auch einigermaßen Grenzen in Deutschland. Aber da sind Grenzen wichtig […]. B2: Ja bei [Gentechnologie], finde ich auch, weil häufig ist es irgendwie so ein Selbstzweck und dann will man nur noch forschen, forschen, forschen auf alle Kosten und dann fragt man sich, ›ja wofür denn‹? B1: Ja, weil man der Menschheit irgendwie schaden kann. B2: Dann hat es doch überhaupt keinen Sinn, dann bringt das doch gar nichts, dann hat man nichts entdeckt, fertig! (Studie Schüler; B1, 18 Jahre; B2, 20 Jahre) Beispiel 2: Irgendwann verrückt werden, dann nur noch forschen B1: […] in die Kammer sich verziehen und dann doch weitermachen und oder sich zusammentun irgendwelche Wissenschaftler und ich finde es ganz schwierig […] B2: Ja ich (find auch) zum Beispiel gerade beim Klonen, dass dann viele so in diesen Wahn geraten, gleich Gott zu spielen. Und das ist ja eigentlich bei vielen Menschen die Mentalität, dass die irgendwann ja verrückt werden, dann nur noch forschen, ja zum Beispiel, dass wirklich Bekloppte, so richtig Verrückte daraus werden, dass das dann nicht mehr auf einer richtigen Bahn verläuft, sondern nur noch irgendwie ›Hauptsache, ich erreich mein Ziel‹. (Studie Schüler; B1, 18 Jahre; B2, 19 Jahre)
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Die Einstellung zu Forschung hat Konsequenzen für die Studienorientierung. Zwei Drittel der befragten Schüler in der Studie (hier: Interviewund Fragebogenerhebung) strebt eine akademische Laufbahn an, eine wissenschaftliche Tätigkeit wird bei der Frage nach Berufsplänen nicht angegeben. Die Haltung setzt sich bei den von uns befragten Ingenieurstudierenden fort. Auch sie begreifen ihr Studium primär als Berufsausbildung. Nur wenige interessieren sich für den Bereich Forschung.
Aneignung fachgeprägter Kontroversekonzepte (Studierendensicht) Befragt nach ihren Erwartungen an die Ausbildung an einer Universität erklären die von uns in der Stichprobe befragten Studierenden der Geisteswissenschaften (Grund- und Hauptstudium) mehrheitlich, dass sie das Studium mit falschen Erwartungen aufgenommen hätten und auf Prinzipien wissenschaftlicher Auseinandersetzung (durch die Schule) nicht vorbereitet gewesen seien. Gerade am Anfang des Studiums (bis zur Zwischenprüfung) sei ihnen unklar gewesen, wozu und wie sie sich mit Theorien, Literatur und Methoden auseinandersetzen müssten. Der Inhalt des Stoffes sei ihnen ebenso wenig verständlich gewesen wie seine Relevanz und Anwendbarkeit. Erst mit der Zwischenprüfung sei ihnen nicht nur die Verknüpfung von Theorie und Praxis geglückt, ihr Verständnis vom wissenschaftlichen Arbeiten habe sich verändert. Wissenschaft verstünden sie nun als hypothesengeleitete Auseinandersetzung; wissenschaftliche Ergebnisse als kontrovers und Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion. Ihre Vorstellung von Wissenschaft entrücke sie damit beispielsweise den Vorstellungen ihrer nicht durch ein Studium sozialisierten Eltern. Beispiel 3: Immer verschiedene Theorien und unterschiedliche Positionen B1: Das ist, denke ich, auch etwas, das ich durchs Studium gelernt habe, dass es eigentlich immer verschiedene Theorien gibt und verschiedene Haltungen und unterschiedliche Positionen, die teils miteinander vereinbar sind, teils aber auch überhaupt nicht, und dass es nicht unbedingt die Wahrheit gibt. Und das ist bestimmt etwas, was ich vorher nicht so wusste, und wo mich auch die Tatsache, jahrelang zu studieren, geschult hat […] Was beispielsweise mich von meinen Eltern unterscheidet, wie ich mit Dingen umgehe. Meine Eltern haben beide nicht studiert und ich glaube, es ist ein großer Unterschied, dass mir klar ist, es gibt immer verschiedene Haltungen und das ist in Ordnung so. Man kann auch nicht unbedingt sagen, die eine ist falsch. […] Das ist in der Wissenschaft durchaus so, dass wissenschaftliche Theorien nebeneinander stehen. Wobei meine Mutter da ein viel absoluteres Bild hat, so ›es gibt die
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Wahrheit, es gibt die richtige Haltung, es gibt die richtige Theorie‹ und auch dementsprechend falsche. (Stichprobe Hauptstudium, B1, 24 Jahre)
Während Kontroversen im Grundstudium mit »viel Laberei« und »Beliebigkeit« assoziiert werden, verstehen Studierende im Hauptstudium selbige als zentrales Denk- und Diskursmuster (geistes-)wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung. Eine zweite Beobachtung ist die disziplinenspezifische Wahrnehmung von Kontroversen. Disziplinen wie Geistes- und Sozialwissenschaften (die Fächer der Befragten) werden per se mit Kontroversen identifiziert, ganz anders dagegen die Naturwissenschaften, die als Fächer mit interpretationsfreien Gegenständen gelten, die objektive Ergebnisse hervorbringen. Die (allmähliche) Internalisierung von Kontroverse-Konzepten für die eigene Fachdisziplin steht in einigen Fällen stark im Gegensatz zu Vorstellungen über wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung in technisch-naturwissenschaftlichen Fächern. Beispiel 4: In den Naturwissenschaften, da gibt es nicht viel zu diskutieren I: Wie unterscheiden sich denn aus Ihrer Sicht Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften in Bezug auf Arbeitsweisen und Methoden, Ziele und gesellschaftliche Relevanz? B1: […] Der prägnanteste Unterschied ist, dass in der Naturwissenschaft Fakten geschaffen werden, da gibt es nicht viel Interpretationsspielraum. Da hat man Zahlen, Werte, Graphen. Und bei uns hat man erstmal jede Menge Fragen und Interpretationsspielräume […] Wir können auch Ergebnisse haben, die diskutierbar sind und in den Naturwissenschaften hat man ja irgendwie ne Zahl fünf als Ergebnis und da gibt es nicht viel zu diskutieren. Die hat man und fertig. (Stichprobe Hauptstudium, B1, 25 Jahre)
Bezogen auf die Vermittlung von Kontroversefähigkeit wäre es u.a. wichtig zu prüfen, ob Studierende der Ingenieur- und Naturwissenschaften diese Einschätzung teilen, oder ob sie eine ähnliche Sozialisation – hin zur Aneignung fachgeprägter Kontroversekonzepte – erleben. Interessant wäre insbesondere die Betrachtung von Studienkombinationen, die Denkwelten und -kulturen wie die der Geistes- und Ingenieurwissenschaften verbinden. Uns scheint, dass die Vorstellung von Natur- und Technikwissenschaften stärker als die der Geistes- und Sozialwissenschaften durch stereotype und verfestigte Vorstellungen geprägt ist (vgl. Höttecke 2001), wie sie aus fiktiven Darstellungen (Spielfilmen, Litera-
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tur) bekannt sind7 (andererseits scheinen Geistes- und Sozialwissenschaften weniger attraktiv für Filmemacher zu sein). Die Korrektur solcher Vorstellungen dürfte schwierig und langwierig sein. Beispiel 5: Der im Labor Hokuspokus macht B1: Das Komische ist, wenn man mich fragt, wie ist das Bild eines Wissenschaftlers, dann habe ich wahrscheinlich das im Kopf, was alle im Kopf haben, nämlich irgendeinen, der im Labor Hokuspokus macht und es pifft und pufft und pafft irgendwie. B2: Das habe ich nicht mehr. B1: Es ist ja eigentlich gar nicht so, trotzdem ist das Bild immer als erstes da, weil es einfach mit dem Wort so stark verbunden ist, aber dann nicht mehr inhaltlich [passt]. (Stichprobe Hauptstudium; B1, 24 Jahre; B2, 27 Jahre)
Fazit Konzepte und Maßnahmen, die sich auf die Vermittlung von Fähigkeiten der Aneignung, Beurteilung und Nutzung wissenschaftlichen Wissens richten, setzen empirisches Wissen über Nutzungsbedingungen der Zielgruppe voraus. Qualitativ ausgerichtete Arbeiten, die sich auf Einschätzungen und Befindlichkeiten, also auf die Sicht der Zielgruppe stützen, helfen, ein tieferes Verständnis der Voraussetzungen zu gewinnen, die die Wahrnehmung von Wissenschaft und wissenschaftlichen Kontroversen prägen. Untersuchungen wie die hier vorgestellte zeigen, dass Annahmen über Zugangsvoraussetzungen nur bedingt zutreffen. Schüler sind – salopp formuliert – weit davon entfernt, Kontroversen als konstitutives Prinzip innerhalb der Wissenschaft wahrzunehmen. Kontroversen sind, so könnte man in aller Vorsicht aus den Interviews schließen, auch gar nicht erwünscht. Sie stehen der zweckrationalen Zuschreibung wissenschaftlicher Forschungsaufgaben entgegen. Dieser Befund, der aus einer ersten Analyse der Daten erwächst, wäre allerdings systematisch für größere Stichproben zu untersuchen. Die Analyse der Interviews mit Studierenden der Geisteswissenschaft ergibt ein anderes Bild: Die Sicht auf das eigene Studium wird hier u. a. von der Wahrnehmung von Kontroversen geprägt, sie gilt aber vornehmlich für Studierende im Hauptstudium. Sie wäre – ebenfalls in aller Vorsicht – als Sozialisationseffekt zu interpretieren. Allerdings be7 Die Aussage der Studentin in dem Beispiel deckt sich im Übrigen mit der Haltung, die in dem einleitenden Beispiel durch den Wissenschaftler Singh zum Ausdruck gebracht wurde.
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schränkt sich diese Wahrnehmung bei den Befragten auf die eigenen Studienfächer und kontrastiert mit der Sicht auf naturwissenschaftliche Fächer, für die andere wissenschaftliche Denk- und Arbeitsformen angenommen werden. In weiteren Analysen wäre u.a. zu klären, woran die Befragten Kontroversen im Einzelnen bemessen. Dies setzt die systematische Untersuchung des Zusammenhangs unterschiedlicher Faktoren (Disziplin, Ausbildungsphase, etc.) sowie größere Stichproben voraus.
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Die gesellschaftliche Einbettung der Biomedizin: Eine Analyse der deutschen Mediendiskurse PETER WEINGART, CHRISTIAN SALZMANN, STEFAN WÖRMANN1
Die Einbettung neuen Wissens und neuer Technologien durch Mediendiskurse Öffentliche Diskussionen spiegeln den schwierigen Einbettungsprozess der neuen Forschung und der mit ihr generierten Techniken wider. In besonderen Fällen, in denen die eröffneten Optionen grundlegende Werte und ethische Überzeugungen betreffen – z.B. die Menschenwürde des Embryos – sind diese Diskussionen entscheidend für den ›Erfolg‹ des Einbettungsprozesses. Ziel der Analyse, deren Ergebnisse hier vorgestellt werden, war es, die argumentativen Ressourcen und die diskursiven Mechanismen zu identifizieren, die eingesetzt werden, wenn neues Wissen mit sozialen Werten in Konflikt gerät. Die Ausgangshypothese war, dass Diskurse in solchen Fällen einem bestimmten Muster folgen: Weitreichende Versprechungen, sogar futuristische Visionen der Implikationen der neuen Forschungslinien treffen auf wertbezogene Widerstände. Im weiteren Verlauf der Debatte werden diese Widerstände dadurch überwunden, dass die Forschungsergebnisse auf individuelle Interessen bezogen werden – allen voran die Gesundheit. So kommt es zu einer Neubestimmung der ethischen Grenzen des technisch Machbaren, entsprechend dem Mechanismus, dass Vorstellungen von der Unantast1
Der Artikel basiert auf einem Forschungsprojekt, welches vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in der Förderinitiative »Forschung zu den ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten der Molekularen Medizin« gefördert wurde. – Wir danken Miriam Voss für kritische Hinweise.
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barkeit der menschlichen Natur nur solange gelten, »wie die moralischen Schranken, die sie aufrichten, zugleich auch technische Grenzen sind. Unter dem Eindruck neuer Technik veraltet die bestehende Moral« (Daele 1985: 205). In den Massendemokratien findet dieser Prozess in der Gestalt öffentlicher Debatten statt, die in und von den Medien inszeniert werden. Die Medien haben hier die Funktion eines Forums, das die breite öffentliche Meinung spiegelt und organisiert (Neidhardt 1993). Die Massenmedien sind keine reine Vermittlungsinstanz zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, wie es das klassische Popularisierungsmodell unterstellt. Vielmehr beobachten und bewerten sie die Forschung selektiv. Die Medien besitzen eine Schlüsselstellung für die Legitimierung politischer Entscheidungen, vor allem durch die Inszenierung von Diskursen und die Präsentation verschiedener Positionen und die Bereitstellung von Argumenten (Neidhardt 1993). Die legitimatorische Funktion medialer Diskurse betrifft nicht nur die Politik, sondern auch Wissenschaft und Technik. Wertbestimmte Widerstände können bestimmten Forschungslinien die rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen entziehen und so die entsprechenden technischen Entwicklungen verhindern (Gregory/Miller 1998). Die Bedeutung der von den Massenmedien inszenierten öffentlichen Diskurse zu umstrittenen Themen macht diese zu einem zentralen Mechanismus der ›Einbettung‹ neuen Wissens in die Gesellschaft. In diesem Kontext bezeichnet der Begriff des Diskurses »öffentlich geführte Kommunikationen von Akteuren über Themen, darauf bezogene Positionen und Begründungen sowie Kommunikationen über andere Akteure« (Gerhards/Lindgens 1995: 1). Forschungen zu derartigen Diskursen über verschiedene Themen wie Kernenergie (Gamson/Modigliani 1989), Abtreibung (Gerhards et al. 1998), die Legalisierung von Drogen (Weßler 1999) und Klimawandel (Weingart et al. 2002) lassen eine Reihe von Schlussfolgerungen über die Dynamik dieser Diskurse zu. x So folgen massenmediale Diskurse nicht dem Idealtypus des Ringens um das bessere Argument (Gerhards et al. 1998). Vielmehr handelt es sich hier um ein Diskursforum, das unter den Randbedingungen der Massenmedien operiert. x Die in kontroversen Fragen eingebrachten Argumente und deren dahinter stehende Wertbezüge kommen in der Regel nur in ›bits and pieces‹ vor (Weßler 1999: 70). Die verkürzten und fragmentarischen Argumentationsaussagen lassen sich, nicht zuletzt aufgrund der permanenten Bezugnahme auf bereits gemachte Aussagen, analytisch
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nur in der Zusammenschau größerer Textmengen fassen (Entman 1993). x Nur wenige kommunizierte Ereignisse provozieren hinreichend Reaktionen von betroffenen Akteuren, die wiederum Gegenreaktionen zeitigen, so dass sich ein ›Klimadiskurs‹ oder ein ›Freigabediskurs‹ entwickelt, der für einige Zeit auf Dauer gestellt ist und den Medien als eigenständiger Nachrichtenwert erscheint (Weßler 1999: 226). Während der ersten Hälfte der 1990er Jahre widmeten die deutschen Medien dem Thema ›Gentechnik‹ erhöhte Aufmerksamkeit (Hampel et al. 1998)2. Mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms nahm der Umfang der Berichterstattung in den Medien noch weiter zu. Nicht nur die medizinischen und wissenschaftlichen Implikationen wurden diskutiert, sondern auch die mit ihnen verbundenen gesellschaftlichen, ethischen und rechtlichen Aspekte. Im Fall der Stammzellforschung wurden insbesondere das Problem der Menschenwürde und damit verbunden Probleme der Forschungsfreiheit und des Rechts auf Gesundheit erörtert. Der Diskurs über die embryonale Stammzellenforschung wurde derart intensiv geführt, dass eine seit Frühjahr 2000 vor allem im Feuilleton der ›FAZ‹ angestoßene Debatte über die ethischen Implikationen humangenetischer Forschung den damaligen Präsidenten der Max-PlanckGesellschaft zu der politisch umstrittenen These von »dem biopolitisch gleichgeschalteten Gesamtbioethikrat deutscher Tageszeitungen« (Markl 2001: 11) verleitet hat. Die Vielschichtigkeit der Debatte ist der Qualität der Gentechnik als Querschnittstechnologie geschuldet (Dolata 1998: 144), die unterschiedliche Anwendungsfelder miteinander verknüpft. Für den Bereich der Biomedizin lässt sich dies anhand verschiedener medizinischer Optionen verdeutlichen. So werden die bei der künstlichen Befruchtung hergestellten Embryonen, die nicht in den Uterus übertragen werden, als eine Grundlage für die Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen angeführt. Die Technik der künstlichen Befruchtung ist wiederum eine Voraussetzung für die Präimplantationsdiagnostik (PID), die 1990 erstmals erfolgreich klinisch umgesetzt wurde (Handyside et al. 1990). Die Diskussion über PID und andere genetische Testverfahren ist eng mit den Fortschritten im Rahmen des Humangenomprojekts verbunden, das seinerseits die Grundlage für die Entdeckung von ›Krankheitsgenen‹ bereitstellt. In der Diskussion über die Stammzellenforschung wird wiederum auf die Möglichkeiten des therapeutischen Klonens verwiesen.
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Die Studie von Hampel et al. (1998) zeigt dies für die gesamte Biotechnologie, während wir hier nur die Biomedizin behandeln.
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Das reproduktive Klonen fungiert seit 1997 in Gestalt des geklonten Schafs Dolly als wichtiger Bezugspunkt der öffentlichen Debatte über die Gentechnologie, weil damit die Möglichkeit der Klonierung des Menschen ein Stück näher gerückt ist (Mieth 1998).
Methodisches Vorgehen Die empirische Grundlage der Untersuchung ist die Berichterstattung über die Biomedizin in zehn Tages- und Wochenzeitungen3 im Zeitraum 1995 bis 2004. Die quantitative Analyse basiert auf einem Satz von Keywords, mit dem die elektronischen Datenbanken durchsucht wurden. Sie liefert relevante Informationen über die Medienaufmerksamkeit für die Biomedizin über den gesamten Zeitraum. Gleichzeitig bildet sie die Basis für die Identifikation von Kontroversen. Diese Kontroversen sind themenspezifische Kommunikationen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, in unterschiedlichen Medien erscheinen und eine hinreichende Anzahl von Artikeln umfassen. Zudem umfassen Kontroversen einen relativ hohen Anteil von meinungsorientierten Artikeltypen wie z.B. Kommentare und Interviews. Offensichtlich deckt die operationale Definition einer Kontroverse nicht den gesamten Diskurs über jedes der drei Themen ab, sondern nur die Zeitspanne, für die die intensive Medienberichterstattung beobachtet werden konnte. Die Debatten über das Klonen reichen wenigstens in die späten 1970er Jahre zurück, als Fortschritte in der Molekularbiologie fiktive Berichte über die erfolgreiche Klonierung eines Menschen ausgelöst hatten (Rorvik 1978). Dasselbe gilt für das Humangenomprojekt, wenngleich in anderer Form. Visionen der Identifizierung spezifischer Gene und ihrer Funktionen reichen bis zu Mendels Entdeckung der Vererbung zurück. Viele Autoren haben Widerstand gegen die betreffenden Techniken formuliert, bevor diese tatsächlich verfügbar waren (z.B. Etzioni 1973). Diese Vorläufer der rezenten Kontroversen in der Medienberichterstattung werden von unserer Untersuchung nicht erfasst, obgleich einige Aspekte der Muster, nach denen wir suchen – wie etwa die utopischen Versprechungen und die dystopische Opposition gegen sie – zu jener Zeit tatsächlich zu beobachten gewesen wären. Das muss bedacht werden, wenn die Muster der Aufmerksamkeitszyklen interpretiert werden, die wir unten vorstellen. Alle Artikel der identifizierten Kontroversen wurden mit einer quantitativen Inhaltsanalyse untersucht. Die an3
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Süddeutsche Zeitung (›SZ‹), Frankfurter Allgemeine Zeitung (›FAZ‹), Die Welt, die tageszeitung (›taz‹), Handelsblatt, Westdeutsche Allgemeine Zeitung (›WAZ‹), ›BILD‹, ›DIE ZEIT‹, ›DER SPIEGEL‹, ›Focus‹.
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schließende qualitative Inhaltsanalyse orientierte sich an folgenden Leitfragen: x Durch welche wissenschaftlich technische Innovation werden Kontroversen ausgelöst? x Welches sind die zentralen Streitpunkte der Kontroversen? x Welche Argumente werden von Pro- und Contra-Seite angeführt? x Welche Akteure sind zu identifizieren – welche Meinungslager? x Welche Wertbezüge sind zu finden? x Sind Muster im Verlauf der Kontroverse erkennbar? Die These ist, dass Kontroversen ein gemeinsames Muster aufweisen: Der Beginn einer Kontroverse ist durch einen allgemeinen, ethisch begründeten Widerstand gegen neues Wissen/neue Technologie charakterisiert. In der Folge wird der Konflikt zwischen ethischen Werten und dem neuen Wissen allmählich durch den Verweis auf detaillierte Probleme wie z.B. konkrete Formen der Implementierung aufgelöst. Die Technologie bzw. das Wissen wird nicht zurückgewiesen, sondern stattdessen werden die infragestehenden Werte angepasst.
Ergebnisse Ein erster Überblick zeigt, dass die Aufmerksamkeit der Medien für die Biomedizin um das Jahr 2000 dramatisch ansteigt. Auf der Grundlage des Vorkommens von vier Keywords – Biomedizin, Stammzellen, Klonen und Humangenom-Projekt (mit den entsprechenden Trunkierungen) – zeigen die Kurven den Anstieg der Aufmerksamkeit um das Jahr 2000 (und den nachfolgenden Rückgang) (Abb. 1). Die Unterschiede sind ebenfalls instruktiv. Es ist zu erkennen, dass die Intensität der Berichterstattung in den Fällen der Stammzellforschung und des Klonens höher ist und bleibt, als im Fall des HGP.4 Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Sensibilität der Medien gegenüber dem Themenbereich zugenommen hat, oder anders ausgedrückt: Der Nachrichtenwert der Biomedizin hat sich erhöht, so dass vergleichsweise kleine Ereignisse es
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Klonen ist allerdings ein besonderer Fall. Der Begriff unterscheidet sich insofern von den anderen Keywords, als er als vielfältig verwandte Metapher in anderen Zusammenhängen Eingang in die Medien gefunden hat. Hierdurch ist zu erklären, dass nach 1997 eine große Anzahl der Artikel zu finden ist, in denen das Wort Klonen vorkommt.
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Abbildung 1: Medienaufmerksamkeit
Abbildung 2: Kontroversen über das Klonen
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Abbildung 3: Kontroversen über das Humangenomprojekt
Abbildung 4: Kontroversen über die embryonale Stammzellenforschung
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schaffen, Eingang in die Medien zu finden. Um Kontroversen zu identifizieren wurden die Häufigkeitskurven für fünf Keywords – Stammzellen, Klonen, Bioethik, Nationaler Ethikrat und PID5– in Zwei-WochenIntervallen betrachtet. So können Peaks in einem klar abgrenzbaren Zeitraum identifiziert werden. Diese sind die Basis für die Annahme, dass in diesem Zeitraum eine Kontroverse zu finden ist. Erst die Durchsicht der konkreten Artikel ermöglicht die endgültige Identifikation einer Kontroverse. Drei Kontroversen haben wir ausgemacht: das ›Klonschaf Dolly‹ (1997; Abb. 2), die Entschlüsselung des menschlichen Genoms (HGP in Kurzform genannt – 2000; Abb. 3) und die Stammzellforschung (19982002, mit Schwerpunkt auf dem Zeitraum von 2001-2002; Abb. 4). 6 Die Verlaufskurven der drei Kontroversen zeigen unterschiedliche Muster. Die Klon-Kontroverse (Abb. 2) entspricht am ehesten dem erwarteten Muster. Der erste Peak spiegelt die mediale Präsentation des ›Klonschafs‹ Dollys wieder, gefolgt von kleineren Peaks, die durch verschiedene politische Ereignisse ausgelöst wurden. Mit der einstimmigen Entscheidung des Deutschen Bundestages, das Klonen vom Menschen zu verbieten, endet die Kontroverse vorläufig. Allerdings folgen zwei weitere Ereignisse, die erhöhte Resonanz in den Medien erzeugen. Genauere Analysen zeigen, dass einzelne Akteure für die Option des therapeutischen Klonens zur Heilung von Krankheiten votieren. Dies kann als ein erstes Signal gesehen werden, dass mit dem Gesundheitsargument zukünftige Kontroversen über das Klonen ausgelöst werden können. Die Kontroverse über das Humangenomprojekt (Abb. 3) zeigt ein etwas anderes Muster. Der Peak Anfang April 2000 wurde durch die Pressemitteilung von Craig Venter ausgelöst, in der er verkündet, dass er 99% des Humangenoms entschlüsselt habe. Die erhöhte Medienresonanz wurde nicht durch einen möglichen Wertekonflikt des neuen Wissens ausgelöst, sondern vielmehr durch die Konkurrenz zwischen privat und öffentlich finanzierter Forschung. Der zweite signifikante Peak im Juni 2000 wurde durch die Pressekonferenz ausgelöst, an der Bill Clinton und Tony Blair verkündeten, dass alle Daten zum Humangenom öffentlich einsehbar sein werden. Bezüge zu ethischen Aspekten werden selten hergestellt. Sie kommen im Rahmen der Diskussion über die Patentierung von Gensequenzen des Menschen oder der Regulierung von Genchips vor. 5
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HGP wurde ausgelassen, da wir ausreichende Daten über die Kontroverse von einem kooperierenden Projekt erhalten haben. Dafür danken wir Jürgen Gerhards. Bei der Kontroverse über die Stammzellforschung konzentrieren wir uns aufgrund der hohen Anzahl der Artikel auf zwei Leitmedien ›SZ‹ und ›FAZ‹.
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Die Kontroverse über die Stammzellforschung (Abb. 4) zeigt wiederum ein anderes Muster. Sie ist charakterisiert durch eine Vielzahl an einzelnen Peaks, die eine hohe Medienaufmerksamkeit gegenüber dem Thema über einen längeren Zeitraum vermuten lässt. Anfang und Ende der Kontroverse sind klar bestimmbar. Die Bundestagsdebatte zur Regulierung des Imports von embryonalen Stammzellen markiert das Ende der Kontroverse, was die enge Verknüpfung der Kontroverse zur Regulierung anzeigt.
Klonen Am 23. Februar 1997 trat der britische Wissenschaftler Ian Wilmut mit der Erklärung an die Öffentlichkeit, das erste Säugetier aus einer ausdifferenzierten Zelle kloniert zu haben. Mit dieser Innovation war die Überzeugung widerlegt, dass aus differenzierten Zellen kein neues Leben geschaffen werde könne. Wilmuts öffentliche Vorstellung von Dolly löste 1997 eine Mediendebatte aus. Schon der erste Bericht in der ›BILD‹ stellte die Verbindung zum Klonen von Menschen her, das in der Folge zum Horrorszenario wurde, um das sich die gesamte Kontroverse entwickelte. Die Klonierungsdebatte ist insofern ein Sonderfall, als die utopische Vision des Klonens in den Augen so gut wie aller Teilnehmer an der Debatte tatsächlich eine Dystopie war, wie die folgenden Zitate illustrieren. »Die Wissenschaft ist dem Traum von der Reproduktion des Lebens nähergerückt. EIN ALPTRAUM!« (›BILD‹, 24.02.1997) »Die Geburt des Schafs Dolly ist ein Fanal wie die erste Kernexplosion. Den geklonten Menschen darf es nicht geben.« (›Handelsblatt‹, 27.02. 1997: 2) »›Jetzt wird alles machbar‹. Mit dem Auftritt des geklonten Schafs ›Dolly‹ scheint ein Damm gebrochen: Erbgleiche Kopien auch von Menschen werden sich künftig in beliebiger Zahl herstellen lassen.« (›Der Spiegel‹ 10/1997: 216, 03.03.1997) Wilmut selbst gestand ein, dass die Möglichkeit des Klonens von Menschen real geworden war und nach »eindeutigen Gesetzen« verlangte, um dies zu verhindern (›Der Spiegel‹ 10/1997: 220). Tatsächlich eröffnete sein Erfolg die Tür zu einer High-Tech Eugenik. Eine Option hätte deshalb sein können, das Klonieren mit einer eugenischen Perspektive 103
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zu lancieren. Stattdessen war die Ablehnung des Klonens von Menschen einhellig, weil es im Konflikt zu Menschenwürde und Individualität steht. Demgegenüber sind die Argumente schon seltener, wonach das Klonen negative Folgen für die Gesellschaft hätte, wenn nur die Guten, Schönen und Reichen geklont würden. Wenn dies geschähe, so das Argument, würde die Entwicklung bei Huxleys Brave New World enden. »Die Schimäre einer gräßlichen Kreatur geht um, so widerlich wie Frankensteins Monster und so bedrohlich wie Godzilla: Menschliche Klone, haben wir erfahren, könnten binnen zwei Jahren erzeugt werden. Die Vorstellung ist allen entsetzlich.« (›FAZ‹, 11.04.1997: 35) Es gibt nur sehr wenige Befürworter der Technologie, und sie propagieren auch nicht das Klonen von Menschen. Sie argumentieren vielmehr gegen ein absolutes Verbot, weil es die Tür zum therapeutischen Klonen mit seinen zahlreichen Optionen der Heilung von Krankheiten verschließen würde. Dieser Bezug auf medizinische Anwendungen des Klonens und die Zweifel der Journalisten, ob ein solches absolutes Verbot über einen langen Zeitraum zu stabilisieren sei, sind bereits Signale dafür, in welche Richtung die Einbettung des therapeutischen Klonens sich entwickeln könnte. »In der Medizin gerät die moralische Phantasie in Schwierigkeiten. Die Phantasien verlieren einen Teil ihrer Bedrohlichkeit wenn es um die Heilung oder auch nur um die Eindämmung von Krankheiten geht.« (›FAZ‹, 27.02.1997: 39) »Alles falscher Alarm? Niemand denke daran, Menschen zu klonen? Wir sollten uns nicht zu schnell beschwichtigen lassen. Es könnten sich, wie schon so oft, ›Anwender‹ finden, die das Machbare so lange propagieren, bis wir es für das Wünschbare halten – und für unentbehrlich zur Sicherung des Standortes!« (›SZ‹, 26.02.1997: 4) Die Ablehnung des Klonens wird von Kommentaren von Journalisten begleitet, wonach die neue Technik schließlich auch gegen den Widerstand realisiert werde, sei es durch verrückte Wissenschaftler und/oder totalitäre Staaten. ›Der Spiegel‹ kommentierte, dass das Verbot des Klonens von Menschen im Angesicht therapeutischer Reproduktionsentscheidungen im Fall weiblicher Unfruchtbarkeit nicht leicht aufrecht zu erhalten sein wird, und dass die Forscher den ideologischen Boden für den ›Menschen nach Maß‹ mit der Postulierung der Macht der Gene vorbereitet hätten (›Der Spiegel‹ 10/1997, 222f.). 104
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»Eine wirksame, weltweite Ächtung des Klonens von Menschen wird sich kaum erreichen lassen. Dazu gibt es zu viele potentielle Kunden, die von dieser Idee fasziniert sind und beträchtliche Summen für einen Klon bezahlen würden. Darauf lassen nicht nur die begeisterten Anrufe schließen, von denen deutsche und britische Forscher nach Bekanntgabe des Dolly-Experiments berichteten. Im Jahrhundert der Ökonomie und der Globalisierung werden sich dann Firmen und Forscher finden, die sich die Erfüllung des Wunsches bezahlen lassen.« (›SZ‹, 30.04.1997: 4) »›Das Klonen wird sich nicht aufhalten lassen‹, erklärt der US-Biologe Lee Silver. ›Jetzt wird alles machbar, alle Grenzen sind gefallen.‹« (›Der Spiegel‹
10/1997: 219, 03.03.1997) »Die Frage aller Fragen aber lautet: Halten gesetzliche Schranken, die ohnehin löchrig sind, wirklich dauerhaft, wird sich die Gesellschaft und deren Auffassung vom Erlaubten oder zu Erlaubenden in ein bis zwei Jahrzehnten nicht so weit wandeln, daß zum Beispiel das deutsche Embryonenschutzgesetz aus dem Jahr 1990 als nicht mehr ›zeitgemäß‹ beurteilt werden wird? [...] Den geklonten Menschen wird es in diesem Jahrtausend nicht geben – aber das nächste dauert recht lange.« (›FAZ‹, 26.02.1997: 1)
Humangenomprojekt Die Kontroverse um das Humangenomprojekt unterscheidet sich insofern von den beiden anderen Kontroversen, als die Entschlüsselung des menschlichen Genoms weitgehend einmütig als eine wissenschaftliche Leistung gefeiert wurde. Der Beginn der Kontoverse ist nicht die Pressekonferenz, auf der der endgültige Erfolg bekannt gegeben wurde. Sie begann vielmehr bereits Anfang 2000 mit den ersten Ankündigungen von Craig Venter, dass sein Unternehmen Celera 99 Prozent des Humangenoms entschlüsselt habe. Anschließend wurden vier Aspekte zu diesem Thema in den Medien diskutiert: 1. Inwiefern ist Craig Venters Aussage glaubwürdig und wie ist die Qualität seiner Daten einzuschätzen? 2. Inwieweit dürfen Teile des menschlichen Genoms patentiert werden. 3. Was sind die Implikationen der Konkurrenz zwischen privat und öffentlich finanzierter Wissenschaft? 4. Im Rahmen der Diskussion über Gentests bzw. den Genchip: Wie soll mit dem Wissen um die eigenen Gene in Bezug auf Versicherungen und Arbeitgeber umgegangen werden? Auf der erwähnten Pressekonferenz am 26.6.2000 erklärten Präsident Clinton und Premierminister Tony Blair das Ende des Wettlaufs von privat und öffentlich finanzierter Forschung und versprachen 105
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weitere Kooperationen für die Zukunft. In der Folgezeit wurde vorwiegend die Frage diskutiert, wie mit dem neuen Wissen umgegangen werden solle. Von vielen Seiten wurde eine ethische Begleitforschung gefordert, die es ermöglichen würde, frühzeitig Folgeprobleme des Wissens zu erkennen und darauf reagieren zu können. Die Argumentation fokussierte im Verlauf der gesamten Kontoverse auf zwei Aspekte: Die Kritiker des neuen Wissens warnten vor einer neuen Eugenik, die sich durch individuelle Nachfrage nach der neuen Technologie ausbreiten werde. Mit der Zeit, so die Argumentation, steige der Druck auf ›genetisch Kranke‹, sich für ihre Krankheit rechtfertigen zu müssen. Gleichzeitig wurde auf die Gefahr hingewiesen, dass mit dem Wissen um das menschliche Genom die Bereitschaft wächst, in den Genpool des Menschen einzugreifen. Dies wird allgemein als Verstoß gegen ethische Prinzipien gewertet. »Leider haben wir schon eine ganze Generation von Kindern für eine eugenische Ära vorbereitet, indem wir ihnen eingeimpft haben: Ihr seid eure Gene. Zwischen fünf und 20 Prozent aller Kinder in den USA nehmen Medikamente gegen so genannte genetisch bedingte Stimmungskrankheiten – und das vermittelt ihnen und ihren Eltern die falsche Botschaft. Sie glauben an die zwingende Logik: Medizin, Gentherapie, Keimbahn-Therapie.« (Jeremy Rifkin in der ›SZ‹, 09.08.2000: 15) »Und was die ›ethischen Herausforderungen‹ angeht, so ist in unserer pluralistischen Welt eine Einigung über so existenzielle Fragen wie die nach dem Recht der Menschen auf selbstbestimmte Fortpflanzung illusorisch. Vorläufig hält die Barriere gegen das Klonen von Menschen und Eingriffe in die Keimbahn – aber gegen Letztere wird bereits lautstark protestiert.« (Jens Reich in ›DIE ZEIT‹ 27, 29.06.2000: 1) »Einst Gottesbild, nun Gen-Konstrukt. […] Noch ist kaum vorstellbar, wie eine Gesellschaft funktionieren könnte, in der gleichsam die intimsten Daten eines Menschen einmal relativ leicht verfügbar sein werden. Nur extreme Kontrolle und Disziplin könnten verhindern, (sic!) das Menschen dann möglicherweise aufgrund ihres Genoms diskriminiert würden. Hier harren noch viele offene Fragen einer Antwort – die zu suchen wir weniger Zeit haben, als wir vielleicht hoffen.« (›WELT‹, 08.04.2000: 10)
Die Befürworter führen an, dass mit dem Wissen um das menschliche Genom neue Therapien zur Heilung von Krankheiten, insbesondere eine individualisierte Medikamentierung, entwickelt werden könnten.
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»Wir sehen den Tag kommen, da Therapien wie Bestrahlung und Chemotherapie, mit ihren tückischen Nebeneffekten und ihrer Unsicherheit, medizinische Anachronismen sein werden. Dieser Tag wird nicht morgen oder nächstes Jahr da sein. Und es kann ihn nicht eine einzige Person, Firma oder Organisation herbeiführen. Die Revolution braucht mehr als einen Soldaten.« (Craig Venter in ›FAZ‹, 08.04.2000: 43)
Wiederum liegt die Betonung darauf, dass das neue Wissen den individuellen Gesundheitsinteressen dient. Diese Argumentation steht der Kritik an den kollektiven Maßnahmen gegenüber, die den Kern der dystopischen Vorstellungen bilden.
Stammzellen Die Hochphase der Kontroverse über die Stammzellforschung erstreckt sich vom 4. Mai 2001 bis zum 2. Februar 2002. Allerdings stand die Technologie der Vervielfältigung bzw. Kultivierung von Stammzellen als technischer Kern des neuen Wissens bereits seit dem Herbst 1998 zur Verfügung. Seit dieser Zeit wurde auf zahlenmäßig niedrigem Niveau über verschiedene Probleme der Stammzellforschung in den Medien diskutiert. Schon zu dieser Zeit finden sich verschiedene positive und kritische Stimmen in den Medien, die sich in der Struktur der Argumente von der Hochphase der Debatte ab Mai 2001 nicht wesentlich unterscheiden. Diese Phase der Debatte wurde durch die Stellungnahme der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ausgelöst, die in ihrer Stellungnahme zur Stammzellforschung den Gesetzgeber aufforderte, »den Import von im Ausland hergestellten pluripotenten Stammzelllinien […] zu gestatten«.7 In der Folgezeit war der zentrale Streitpunkt der Kontroverse, ob an embryonalen Stammzellen geforscht werden dürfe, und damit verbunden; ob sie für die Forschung hergestellt oder importiert werden dürfen. Die Kritiker argumentieren einhellig, dass der menschliche Embryo einen moralischen Status hat und nicht ›produziert‹ werden könne, nur um später gebraucht und beseitigt zu werden. Das menschliche Leben beginne mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, somit dürfe nicht an Embryonen geforscht werden.
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DFG (2001): DFG-Stellungnahme zur Forschung mit menschlichen Stammzellen: Pressekonferenz 03.05.2001 in Bonn. http://www.dfg.de /aktuelles_presse/reden_stellungnahmen/download/statement_winnacker_ 03_05_01.pdf
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›SZ‹-Interview mit der Bundesjustizministerin: »Die Forschungsfreiheit ist nicht grenzenlos«. Herta Däubler-Gmelin sagt, für vage künftige Heilungsaussichten dürfe von der Wissenschaft kein Embryo geopfert werden. (›SZ‹, 12.05.2001: 8) Die Befürworter führen eine Reihe von Argumenten an. Eine Argumentationslinie appelliert an wirtschaftliche Gründe: die Verhinderung der Stammzellforschung würde Deutschlands Stellung in einer globalisierten Wirtschaft gefährden. Eine andere Strategie ist der Bezug auf bestehende Regulierungen und Praktiken der Abtreibung und anderer Techniken der Reproduktionsmedizin. Die Hauptargumentationslinie ist jedoch wiederum der Verweis auf die Gesundheitsinteressen. Wenn auch mit einiger Vorsicht wird eine Revolution in der Medizin versprochen. Wenn die Stammzellforschung zur Reife kommt, wird die individualisierte Therapie von Organen möglich. »Weil die Stammzellen flexibel sind, könnten Gehirn-, Nieren- oder Herzzellen aus ihnen gezüchtet und für die Reparatur geschädigter Organe genutzt werden. Vielleicht müßte dann kein Patient mehr sterben, während er auf der Warteliste für Spenderorgane steht.« (›FAZ‹, 24.01.2001: 11)
Diskussion Der Vergleich zwischen den drei Kontroversen zeigt eine Reihe von Gemeinsamkeiten und Unterschieden auf. Biomedizinische Forschung hat Nachrichtenwert. Die Medienaufmerksamkeit für die Biomedizin ist signifikant gestiegen, und auch die Kontroversen über besondere Aspekte der biomedizinischen Techniken sind intensiver geworden. Die größte Aufmerksamkeit gilt dem Klonieren und der Stammzellforschung, ein Befund, der von einer parallelen Untersuchung über die Biomedizin in den TV – Nachrichten gestützt wird (Ruhrmann/ Milde 2006). Der Grund liegt wahrscheinlich in der konflikthaften Natur dieser beiden Technologien. Die Kontroversen fokussieren alle Konflikte zwischen neuem Wissen und institutionalisierten Werten, aber dennoch unterscheiden sich ihre Foki. Nicht in allen Fällen war die Ankündigung neuen Wissens bzw. einer neuen Technologie der tatsächliche Grund für den Beginn der Debatte. Die Stammzellkontroverse in den Medien wurde durch die DFG Erklärung betreffend den Import der Stammzellen ausgelöst. Obgleich die Versprechen medizinischer Anwendungen vergleichsweise konkret erscheinen, gründete die ethische Opposition auf noch konkreteren Argumenten gegen die Verletzung des Prinzips der Unverletzlichkeit des Menschen, die im deutschen Fall durch bestehende 108
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Gesetze gedeckt sind. Das mag erklären, weshalb diese Kontroverse intensiver geführt wurde als die anderen beiden. Im Fall des HGP war der Konfliktgegenstand die ›Patentierbarkeit des Lebens‹, der zu einem Thema in den Medien wurde. Dies ist darin begründet, dass Craig Venter, der die Entschlüsselung des menschlichen Genoms bekannt gab, als Vertreter der Privatwirtschaft gesehen wird. Eine damit verbundene Angst richtete sich auf die Vision des ›GenChips‹, der das Solidaritätsprinzip und das Recht auf Selbstbestimmung zu verletzen droht. Das utopische Szenario einer ›Eugenik von unten‹ ist zumindest ambivalent. Den Versprechungen einer individualisierten Medizin, die an das Genom des Patienten angepasst ist, wird mit Ängsten begegnet, dass Krankheit zu einem biologischen Schicksal wird und die Unglücklichen gezwungen werden, ihre Verfassung zu rechtfertigen. Das HGP löst deutlich weniger ethische Besorgnis aus als die beiden anderen Technologien. Möglicherweise erschienen die mit ihm verbundenen medizinischen Versprechungen überzeugender. Die ›Dolly-Kontroverse‹ dreht sich um die zukünftigen Implikationen des Klonens. In diesem Fall war die Trennlinie der utopischen Vision des Klonens von Menschen zu ihrem dystopischen Gegenbild zu schmal. Argumente zur Verteidigung der Technik, die auf die möglichen Anwendungen zur Heilung von Erbkrankheiten verweisen, sind selten. Der Schrecken der Verdoppelung von Menschen und des Verlusts der Menschenwürde ist (noch) größer als die entfernten und unsicheren Heilungsversprechen mithilfe des therapeutischen Klonens, von Eingriffen in die Keimbahn ganz zu schweigen. Es kann spekuliert werden, dass die Kontroverse um das Klonen noch in einer frühen Phase ist. Die Zahl und Herkunft der teilnehmenden Akteure ist von Kontroverse zu Kontroverse verschieden. Darin spiegeln sich die involvierten Interessen, zu einem gewissen Maß auch die Öffentlichkeiten und der Umfang ihres Engagements. In der Stammzellkontroverse war eine größere Anzahl von Wissenschaftlern und Politikern involviert, dagegen bezogen nur eine geringere Zahl von Vertretern der Kirchen und anderer sozialer Organisationen Stellung. Die ›Dolly-Kontroverse‹ wurde demgegenüber primär von Politikern geprägt, während vergleichsweise nur wenige Wissenschaftler teilnahmen. Die stärkere Rolle der Wissenschaftler in der Stammzelldebatte mag eine Erklärung dafür sein, dass die Medienberichterstattung in diesem Fall sehr ausgeglichen ist. Ein Indikator des Stands einer Kontroverse sind Erklärungen in den Medien über die zu erwartenden gesellschaftlichen Reaktionen auf das betreffende neue Wissen bzw. die neuen Technologien. Diese Spekulationen verweisen auf die Mechanismen, durch die die Widerstände schließlich überwunden werden und darauf, in welcher Weise sich die 109
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Werte verändern werden. Das Argument der ›schiefen Ebene‹ (slipperyslope) begleitet typischerweise fast alle umstrittenen Technologien und signalisiert schon den möglichen Zusammenbruch der Werte, die ihnen im Wege stehen. Dieses Argument kennzeichnet eine frühe Phase der Einbettung neuen Wissens, in der die Dichotomie von Utopie und Dystopie noch die Hauptkonfliktlinie ist. Wenn die Debatte sich zu detaillierten und konkreten Problemen weiterentwickelt hat, ist das ›schiefe Ebene‹-Argument nicht mehr angemessen. Dann werden Fragen der Regulierung vorherrschend. Das bedeutet nicht, dass bereits dann Konsensus herrscht. Vielmehr gilt, dass je dringender die Regulierung wahrgenommen wird, desto konkreter auch die Argumente für die Forschung oder die Technologie sind. In dieser Phase vollziehen sich tatsächlich die Erosion der Werte und der Wertewandel. Dies deckt sich auch mit den Befunden der Analyse der Biomedizin in den TV-Nachrichten, in der der Wechsel der Akteure von den Wissenschaftlern zu den Politikern und Ethikern sowie von der Berichterstattung über die Vorteile zu der über die Risiken eine zunehmende Politisierung und eine wachsende Sorge über die Risiken der neuen Techniken nahe legt (Ruhrmann/Milde 2006). Unsere Ausgangshypothese, derzufolge die gesellschaftliche Einbettung neuen Wissens und neuer Technologien grundsätzlich demselben Muster folgen würden, erweist sich als zu einfach. Von den drei hier untersuchten Kontroversen kommt nur die über das Klonen (›Dolly‹) dem angenommenen Muster nahe. Ein Teil der Erklärung ist wahrscheinlich das Design der Untersuchung selbst. Die Kontroversen, die wir so untersucht haben, wie sie in der Medienberichterstattung erschienen, waren möglicherweise in unterschiedlichen Phasen ihrer Entwicklung und erstrecken sich über einen längeren Zeitraum als den hier erfassten. Immerhin gibt es eine offensichtliche Gemeinsamkeit zwischen allen drei Debatten: In allen wird der Weg zur Realisierung der fraglichen Technologien durch die Versprechen medizinischer Fortschritte geebnet. Sie werden als die Ursache dafür wahrgenommen, dass letztendlich die ethischen Barrieren unter ihrem Ansturm fallen werden.
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Mediale Inszenierung wissenschaftlicher Kontroversen im Wandel GERD ANTOS, KRISTIN GOGOLOK
Lebt Wissenschaft vom Widerspruch? Eine aktuelle Kontroverse »Wir haben es versäumt, der Öffentlichkeit klarzumachen, daß Wissenschaft vom Widerspruch lebt«, so wird der amerikanische Klimaforscher James Hansen vom Goddard-Institut der NASA in New York in einem Artikel der ›Welt‹ vom 06.07.2005 zitiert.1 Unter der Schlagzeile »Die Klimaforschung wird politisch instrumentalisiert« heißt es dazu weiter: »Die Klimaforscher sind in einem Dilemma: ›Wir erscheinen wie Anwälte mit festgelegten Positionen‹, klagt Hansen. Dabei revidieren Klimatologen ihre Ergebnisse ebenso häufig wie andere Forscher. Doch unter diesem selbstverständlichen Prozeß leidet die Glaubwürdigkeit der Klimatologen. Schuld daran sind nicht nur die Medien mit ihrer Neigung zur Zuspitzung« (Bojanowski 06.07.05).
Die Relativierung der Warnungen bezüglich eines abrupten, anthropogenen Klimawandels ist – anders als dies der Artikel suggeriert – nicht neu: Bereits ab Mitte der 1990er Jahre häufen sich Studien, die das zunächst prognostizierte Ausmaß eines Klimawandels abschwächen. Wie der Wissenschaftssoziologe Peter Weingart zeigt, reagieren darauf die Medien mit einer Infragestellung ihrer bislang vorherrschenden Strategie der Krisen- bzw. Angstkommunikation (zur Risikokommunikation vgl. Peters 1994 und Weingart 2005: Kap. »Kassandras Klimawandel«). Die 1
Die mit einem Tagesdatum versehenen Quellen sind Zeitungsartikel, die am Ende dieses Beitrages in einem eigenen Verzeichnis aufgeführt sind.
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bis dahin »erfolgreiche Koppelung« von Wissenschaft, Politik und Medien in der Klimadebatte in Deutschland zerbricht, so Weingart (2005: 164). Damit verbunden ist eine weit verbreitete »Skepsis und der Verlust der Glaubwürdigkeit« der Wissenschaft in den Medien. Betrachtet man den seit etwa 1985 tobenden Streit über den globalen Klimawandel etwas genauer, so lassen sich in der »Medialisierung« dieses Phänomens drei Phasen in den Medien unterscheiden, die man nach Weingart, Engels und Pansegrau (2002) schematisch so zusammenfassen kann: x Das Katastrophenszenario (1970er Jahre bis 1995) Die Befürworter eines anthropogenen Klimawandels warnen vor der unmittelbar bevorstehenden Klimakatastrophe. Wissenschaftliche Warnungen werden übertrieben und dramatisiert. Wissenslücken und Unsicherheiten werden verschwiegen. x Die skeptische Gegenposition (Ende der 1990er Jahre) Die Skeptiker des anthropogenen Klimawandels kommen zu Wort. Oben erwähnte Unsicherheiten relativieren die Katastrophen-Theorie. Es kommt nicht nur zu einer Korrektur, sondern sogar zu einer Abwertung der etablierten These über den anthropogenen Klimawandel als Betrug oder Hysterie. Gegenseitige Schuldzuweisungen. x Mediale Aufmerksamkeitswelle ebbt ab Gewöhnungseffekt an wissenschaftliche Bedrohungsszenarien und deren Relativierung. Aus der Sicht der Medien gibt es wenig Neues und Aufmerksamkeitsrelevantes. Diese drei Phasen scheinen sich in immer kürzeren Abständen und mit geringeren Ausschlägen (in Folge des Gewöhnungseffekts) ständig zu wiederholen; wir sprechen hier von einem Wellenmodell (Abb. 1). Abbildung 1: Mediale „Aufmerksamkeitswelle“ Klimawandel
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MEDIALE INSZENIERUNG WISSENSCHAFTLICHER KONTROVERSEN
Das am Anfang stehende Katastrophenszenario wird nach verheerenden Naturkatastrophen (z.B. Flut, Hurrikan) oder auch nach der Veröffentlichung wissenschaftlicher Ergebnisse immer wieder heraufbeschworen. Entsprechend der zweiten Phase provozieren neue wissenschaftliche Untersuchungen oder andere relevante Medienereignisse alte bzw. neue Gegenpositionen. Viele Wissenschaftler und auch Teile der Öffentlichkeit erleben diese Welle der Gegenpositionen als »Verfall der Glaubwürdigkeit« von Wissenschaft. Dies hat aber auch sein Gutes: Denn viele Wissenschaftler lassen sich offensichtlich zu leichtfertig von den Medien und der Politik einspannen (vgl. Hornig/Mascolo/Traufetter, 01.10. 05). Verantwortlich für den Abschwächungstrend der Welle ist der Gewöhnungseffekt. Das Thema ist nicht mehr relevant für den Leser, so lange jedenfalls, bis neue Ereignisse (Überschwemmungen 2002 in Deutschland, Monster-Hurrikane 2005 in der Karibik) die Diskussion neu entfachen. In diesem Beitrag wollen wir den prinzipiell kontroversen Charakter von Wissenschaft in der Öffentlichkeit beleuchten. Anhand der Analyse von Medienberichten über den anthropogenen Klimawandel wollen wir versuchen, differenzierende Sichtweisen zu dem Wellenmodell herauszuarbeiten. Im Mittelpunkt steht dabei die Legitimierung von wissenschaftlichen Kontroversen als Mittel des wissenschaftlichen Wissenserwerbs und gleichzeitig als deren »Medialisierung«. Kontroversen scheinen dabei ein geeignetes Mittel zu sein, um einerseits den Medien zu geben, was Medien verlangen: nämlich Aufmerksamkeit. Andererseits sind Kontroversen aber auch eine Diskursform, in der Wissenschaften das angemessen und offen thematisieren können, womit sie sich in ihrer Forschung ständig konfrontiert sehen. In dem Beitrag soll aber auch deutlich werden, dass die Akzeptanz von Kontroversen als legitimes Mittel wissenschaftlicher Kommunikation in den Medien und in der Öffentlichkeit auf deutliche Vorbehalte stößt – obwohl die mediale Darstellung von Kontroversen in anderen Bereichen (Politik, Sport usw.) durchaus ein gängiges und erfolgreiches Mittel der Medialisierung ist.
Agonale Wissenschaft Aus linguistischer Perspektive lässt sich Wissenschaft durch kommunikative Eigenschaften charakterisieren: So kann Wissenschaft als ein »autopoetisches« System verstanden werden, das sich selbst durch interne Kommunikationsformen und -prozesse weitgehend autonom steuert. Obwohl also die Diskursivität in den Wissenschaften eine zentra115
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le Rolle spielt, scheint sie zugleich ihr »blinder Fleck« zu sein – sieht man einmal von der Bedeutung der Fachsprachen in den Disziplinen ab. Aus einer an Popper und Kuhn geschulten Perspektive erscheint der Prozess des Fortschritts als eine agonale Veranstaltung. Wie in den Platonischen Dialogen anschaulich beschrieben, wird eine (gemutmaßte) Erkenntnis im öffentlichen Raum (z.B. auf dem Marktplatz) präsentiert, gegen konkurrierende Meinungen vertreten, begründet und gegebenenfalls auch korrigiert. Gegenüber Wissenschaftskonzepten anderer Zeiten und Kulturen ist das (spätestens seit Galileo wirksam werdende) »agonale Wissenschaftsverständnis« durch den Wettkampf um richtige Methoden, Theorien und begründbare Erkenntnisse gekennzeichnet. Im Popper’schen Falsifikationsprinzip (»Tötet Theorien«, vgl. Popper 1966) hat es seine klassische wissenschaftstheoretische Begründung erfahren und mit Kuhn können unterschiedliche Formen des Wissenschaftstreibens als »Paradigmenkonflikte« verstanden werden. Wenn man also will, könnte man die moderne Wissenschaft typologisch als »agonale Wissenschaft« verstehen. Zentral für dieses Wissenschaftsverständnis ist in kommunikativer Hinsicht nun das, was Marcelo Dascal (2003; vgl. auch dessen Beitrag in diesem Band) als Trias von »Diskussion«, »Disput« und »Kontroversen« kennzeichnet. Den Zusammenhang zwischen agonalem und kommunikativem Wissenschaftsverständnis fasst Dascal mit folgenden Stichworten zusammen (Dascal 2003): »complexity of science requires ›collectiveness‹«, »collective construction of science«, »scientific community needs communication«, »research has to be controversial«. Dass dieses scheinbar so selbstverständliche agonale Wissenschaftsverständnis gleichwohl kaum eine tragende Rolle (auch im expliziten Selbstverständnis vieler Wissenschaftler) zu spielen scheint, hat einen einfachen Grund: Agonale Wissenschaft widerspricht fundamental den (durchaus miteinander konkurrierenden) Bildern und Mythen, die sich die breite Öffentlichkeit von der Wissenschaft macht. Obwohl die Öffentlichkeit sich längst an widersprechende Expertisen (vgl. dazu die Ausführungen in Beck 1986) und Wissenschaftler-Meinungen gewöhnt hat, scheint eine Konzeptualisierung von Wissenschaft als »Wettkampf« noch außerhalb einer breiten Akzeptanz zu liegen. Damit würde Wissenschaft kategorial der Politik (»Streit um den besten Weg«) oder der Wirtschaft (»Wettbewerb«) gleichgestellt. Etwas salopp gesagt: Wissenschaftler als »Streit-Hähne« sind schon für viele eine Zumutung; aber Wissenschaft gar als Wettkampf-Veranstaltung akzeptieren zu sollen, zehrt für weite Teile der Öffentlichkeit an dem verbliebenen Nimbus dieser Institution. Dass daher wissenschaftliche Kontroversen so weit
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wie möglich nicht zur Kenntnis genommen, ausgeblendet oder in ihrer Bedeutung marginalisiert werden, erscheint daher nur allzu konsequent.
Wissenschaft: Mythen und Konzeptualisierungen in der Öffentlichkeit Dass das agonale Wissenschaftsverständnis nur schwer Eingang in die Öffentlichkeit findet, hängt aber auch mit populären Mythen zusammen, die offensichtlich das Bild der Wissenschaft in der Öffentlichkeit bis heute tief greifend bestimmen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sollen hier nur zwei exemplarisch genannt werden, die – wenn man will – den Anfang und den vorläufigen Endpunkt in der öffentlichen Konzeptualisierung von Wissenschaft bilden. Sie können vielleicht ein Schlaglicht auf die Frage werfen, warum das agonale Wissenschaftsverständnis – aller Schul- und Universitätsausbildung sowie aller PR-Strategien zum Trotz – bislang kaum in das Wissenschaftsverständnis der Öffentlichkeit diffundiert ist. Wissenschaft als vermeintlicher Produzent »ewiger Wahrheiten« wird – so scheint es – nach wie vor in die Nähe einer säkularisierten Religion gerückt bzw. als Religionsersatz konzipiert. Populär gehalten wird diese Konzeptualisierung von Wissenschaft in der Literatur und im Film – neben dem Genie-Mythos – am auffälligsten durch die Gestalt des »mad scientist« (Dr. Frankenstein, Dr. Jekyll, Dr. Caligari)2. Das ist natürlich zunächst eine Kritik an der Hybris der modernen Wissenschaft. In diesen Gestalten wird aber zugleich auch immer die Konzeptualisierung vom »Wissenschaftler als Gott« mit zitiert. Diese Ambivalenz wird treffend in der Frage: »Sind Wissenschaftler Götter oder Scharlatane?« von Collins und Pinch (1999: 178) deutlich, die sich in ihrem Buch »Der Golem der Forschung« mit der heutigen Wissenschaftsauffassung der Öffentlichkeit auseinandersetzen. Im Zusammenhang mit der heute durchaus absehbaren künstlichen Erschaffung menschlichen Lebens erlebt dieser Mythos vom gottgleichen Wissenschaftler eine neue, durchaus brisante Aktualität. Dass Wissenschaft heute nicht mehr nur ein Mittel der Problemlösung ist, sondern selbst zu einem kaum mehr lösbaren Problem, ja zu einem unabsehbaren Risiko geworden ist, steht im Widerspruch zu den (religiös motivierten) Verheißungen, die die Öffentlichkeit weithin mit Wissenschaft verbindet.
2 Vgl. hierzu den Überblick von Peter Weingart: »Von Menschenzüchtern, Weltbeherrschern und skrupellosen Genies. Das Bild der Wissenschaft im Spielfilm« (in: Weingart 2005).
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Es ist klar: Ein solches mythologisch vorgeprägtes Verständnis ist kaum vereinbar mit der Vorstellung, dass wissenschaftlicher Fortschritt durch ein fortgesetztes Falsifizieren (im Sinne Poppers) bzw. Revidieren von Erkenntnissen vorangetrieben wird. Und sie ist kaum vereinbar mit einem Ansatz, den z.B. die genannten Autoren Collins und Pinch mit ihrem (offenkundig populär gewordenen) Buch verfolgen: Darin zeigen sie, dass der wissenschaftliche Erkenntnisprozess gerade durch Subjektivität und Fehlbarkeit in den Wissenschaften vorangetrieben wird. Konsequent wird dabei die »gescheiterte« Wissenschaft neben die erfolgreiche gestellt, die heute als allgemeingültige Wissenschaft in die Lehrbücher eingeht. Auf diese Weise wird der kontroverse und subjektive Charakter der Wissensproduktion in den Wissenschaften betont und somit den Laien ein differenzierteres Wissenschaftsverständnis vermittelt. Der vorläufige Endpunkt der Konzeptualisierung von Wissenschaft bildet eine gegenwärtig erfolgreiche Sichtweise, auf die auch im Eingangszitat dieses Beitrags ganz unverhohlen angespielt wird: Die Forderung des in diesem Artikel zitierten Vorsitzenden des Energieausschusses im Repräsentantenhaus an Wissenschaftler, »ihre Arbeitsweise zu rechtfertigen und ihre Geld- und Datenquellen offen zu legen« (Bojanowski 06.07.05; Hervorhebung durch GA/KG) offenbart ein prekäres, aber offensichtlich inzwischen gängiges Verständnis von »Big Science«. Im Sinne der Metapherntheorie von Marc Johnson und George Lakoff (Lakoff/Johnson 1980) beruht es auf einem so genannten »metaphorischen Konzept«, das man je nach Pointierung so umschreiben könnte: »Wissenschaft ist wie Wirtschaft« bzw. »Wissenschaft ist käuflich«. Auch wenn diese beiden Konzeptualisierungen nur exemplarisch als Repräsentanten für weitere Mythen von Wissenschaft zu verstehen sind, so werfen sie doch die Frage auf: Wie ist es in einer verwissenschaftlichten Welt möglich, dass sich die Öffentlichkeit Bilder von Wissenschaft macht, die kaum mit dem Selbstbild von Wissenschaftlern kompatibel sind – und das bei Menschen, die zudem in ihrer großen Mehrheit zumindest in der Schule mit Wissenschaft in Berührung gekommen sind? Peter Weingart gibt darauf eine – wenn man sie recht bedenkt – verblüffende und alarmierende Antwort: »Die Wissenschaft durchdringt und prägt zwar praktisch alle Lebensbereiche, doch trotz dieser Allgegenwart erscheint sie fremd, weil sie sowohl institutionell als auch kommunikativ von der Gesellschaft separiert ist. Was sich in den Labors abspielt, wie Forschung funktioniert, was die Wissenschaftler miteinander kommunizieren, bleibt der ›Laienöffentlichkeit‹ unbekannt und verschlossen. Oft kann sie nicht einmal erkennen, worin die besonderen Leistungen der Wissenschaft bestehen, weil ihr die Kenntnisse zur spezifischen Zu-
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rechnung fehlen. Die Wissenschaft ist eine in vieler Weise fremde Welt, über die umso mehr Klischees gehandelt und Mythen gebildet werden« (Weingart 2005: 21).
Wer – wie etwa in der PUSH (Public Understanding of Science and Humanities)-Bewegung – eine Öffentlichkeit für Wissenschaft interessieren will, sollte neben dem unbestreitbaren Einfluss der Medialisierung von Wissenschaft (im Sinne von Weingart) zumindest zwei sozialpsychologische bzw. wissenssoziologische Einflussfaktoren berücksichtigen: Die Sozialpsychologie hat in den 1970er Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass Bilder von Wissenschaft in der Öffentlichkeit ohne die Berücksichtigung von sog. »lay theories« (Furnham 1988) zu kurz greifen. Laien-Theorien spielen in der Politik, im Gesundheits- oder im Sozialwesen, aber auch in der »Laien-Linguistik« (Antos 1996) als vermeintliche Alternativen zu wissenschaftlichen Erkenntnissen eine kaum zu überschätzende Rolle. Warum jemand zum Alkoholiker bzw. zum Drogenabhängigen wird, warum jemand arbeitslos bleibt oder warum bestimmte Therapien Erfolg haben (oder auch nicht) – darüber hat die Öffentlichkeit weithin feste, durch wissenschaftliche Erkenntnisse kaum erschütterbare Vorstellungen. Laien-Theorien sind daher in weit größerem Umfang als wissenschaftliche Theorien falsifikationsresistent und damit immunisierungsanfällig. Im Sinne der Vermeidung von »kognitiver Dissonanz« (Festinger 1957) selektieren und fokussieren Laien vornehmlich dabei jene Phänomene, die in ein schon etabliertes Glaubenssystem passen. So erklärt sich die Kumulation und Verfestigung von Vorurteilen auch und gerade gegenüber Wissenschaften. In wissenschaftssoziologischen und linguistischen Studien der jüngsten Zeit wird versucht, den Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit differenzierter zu fassen. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass heute viele Laien beruflich mit Wissenschaft oder mit Erkenntnissen bzw. Produkten zu tun haben. Ob Krankenschwester, Sozialarbeiter, Techniker oder Lehrer: Sie alle werden ständig mit neuen Erkenntnissen der Wissenschaften konfrontiert. Deutlich wird dies u.a. an der Revision von Wissenstransfer-Modellen. Nicht untypisch war bis vor kurzem eine Auffassung, die man mit Beck/Bronß (1989) mit dem Modell »Rieseln im Stundenglas« metaphorisieren könnte: »Dabei ist die obere Hälfte des Glases angefüllt mit den Sandkörnern der wissenschaftlichen Erkenntnis, die allmählich in die gesellschaftlichen Praxisfelder hineinrieseln. [...] Solange der Sand durchläuft, gibt es keine Probleme. Hingegen führen Verstopfungen und Blockaden in dem jeweiligen Praxisfeld
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zu Problemen, die dann notwendigerweise als Verständigungsprobleme, Rezeptionswiderstände und Selektionsfilter ausgemacht werden« (Dewe 2005: 369).
Diesem Transfermodell wird nun ein Transformationsmodell gegenübergestellt, das die »Strukturdifferenz von wissenschaftlichem und handlungspraktischem Wissen« (Dewe 2005: 370) betont. Praxis ist »[...] nicht als ein verdorrtes Feld aufzufassen [...], das von dem wissenschaftsbasierten Wissen zu bewässern wäre. Praktisches Handlungswissen und Wissenschaftswissen sind vielmehr zwei Formen gesellschaftlicher Wirklichkeitskonstruktion, die nicht individual- oder motivationspsychologisch, sondern sozialstrukturell divergent geformt sind« (Dewe 2005: 370).
Wollen Wissenschaften darauf adäquat reagieren, so müssen sie sich von der Stundenglas-Vorstellung eines (popularisierten oder selektiven) Transfers, sozusagen »von oben nach unten«, verabschieden. Notwendig wird eine die Strukturdifferenz berücksichtigende adressatenspezifische »Transformation« von Wissen (vgl. dazu aus linguistischer Sicht Liebert 2002). Fazit: Wissenschaft ist »zum Gegenstand medialer Dauerbeobachtung geworden« (Weingart 2005). Diese durch »Medialisierung« konstruierte neue »Öffentlichkeit der Wissenschaft« darf aber einerseits nicht den autopoetischen Grundcharakter der Wissenschaft übersehen. Sie darf andererseits jedoch auch nicht immanente Parameter der Laienöffentlichkeit vernachlässigen. Dazu gehören neben der fortdauernden Wirkung von populären Wissenschafts-Mythen zum einen der Einfluss von Laien-Theorien und zum anderen eine Strukturveränderung des Verhältnisses von Laien und Experten.
Mediale Inszenierung der Klima-Debatte Kritik an den Medien muss sich nicht nur an guten Argumenten, sondern auch daran messen lassen, inwiefern für Alternativen in einem System argumentiert wird. Anderenfalls reduziert sich Kritik sehr schnell auf ein folgenlos bleibendes Moralisieren. Wie im letzten Abschnitt deutlich wurde, gehört die Darstellungsform Kontroverse durchaus zu den medialen Instrumentarien – ja, sogar zu den (außerhalb der WissenschaftsDarstellung gängigen) Darstellungsformen. Insofern ist es nicht abwegig, für diese Darstellungsform zu argumentieren.
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Die Unkontrollierbarkeit der Medien hat sich in der Klima-Debatte in den Jahren 2004 und 2005 spektakulär an zwei Medienereignissen manifestiert:
The Day After Tomorrow Roland Emmerichs »Klimaschocker« der das unwahrscheinliche Katastrophenszenario, einer Blitz-Eiszeit thematisierte, provozierte eine Verbindung zur real (in den Medien) existierenden Kontroverse über den bevorstehenden Klimawandel. Grundtenor der wissenschaftlichen Kommentierung: Wissenschaftlich sei der Film natürlich grober Unfug, aber er verfüge über einen wahren Kern. Es bestehe die Möglichkeit, dass sich der Golfstrom abschwächt oder versiegt – bloß nicht so abrupt. Jenseits seiner Übertreibungen wird der Film für seine realitätsnahe Darstellung des Milieus Klimaforschung gelobt. Dazu Stefan Rahmstorf, Wissenschaftler am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam: »Zumindest die Arbeitsweise der Wissenschaftler und das Geschacher auf Umweltkonferenzen seien erstaunlich gut getroffen.« (Stampf 24.05.04). Insgesamt wird also ein positives Fazit gezogen: »Trotz seiner unsinnigen Abläufe, hofft Rahmstorf, könnte sogar der Emmerich-Thriller dazu beitragen, die Menschen aufzurütteln«. Dies wird in einer wissenschaftlichen Studie zur Wirkung des Films bestätigt. Demnach habe der Film zu einem steigenden Interesse für den Klimawandel beigetragen (vgl. dazu Reusswig 2004; Reusswig/Schwarzkopf/Pohlenz 2004). Dass gute Motive die Mittel nicht heiligen, stellt hingegen Gero von Randow in der ›Zeit‹ in den Vordergrund seiner Argumentation (27.05.2004): »Darf man für eine gute Sache übertreiben bis zum Schwindeln?« Am Beispiel von übersteigerten Berichten über das Waldsterben, die der Glaubwürdigkeit der Umweltschützer enorm geschadet hätten, zeigt er, dass Alarmismus wenig Effekte bringt. Sein Urteil: »Die Vorstellung, man sei im Besitz der Wahrheit und dürfe ihr zuliebe Übertriebenes, also Unwahres verbreiten, verachtet das Wissen und die Demokratie gleichermaßen«. Derart kritische Einstellungen über die mediale Inszenierung des bevorstehenden Klimawandels sind selten. Wie gefährlich Übertreibungen sind, zeigen Artikel mit dem Tenor: »Golfstrom-Simulation. Eiszeit in USA und Europa abgesagt«: »Könnte der Golfstrom versiegen und die USA sowie Mitteleuropa in eine neue Eiszeit stürzen? Aufwendige Simulationen entzaubern jetzt das auch von Hollywood beschworene Horrorszenario. In den nächsten 150 Jahren wird es demnach nirgendwo kälter.« (Mrasek 30.06.05).
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State of Fear Einen weiteren Gipfel der medialen »Überbietungsdynamik« brachte dann der Thriller von Michael Crichton, in dem Öko-Terroristen einen Tsunami auslösen. Nicht zuletzt durch seinen (pseudo-)wissenschaftlichen Anhang gibt sich Crichton als Skeptiker der These einer anthropogenen Erderwärmung zu erkennen. Wie fließend inzwischen die Grenzen zwischen Wissenschaft und Unterhaltung bzw. Pseudo-Wissenschaft geworden sind, belegt die Einladung, die Crichton immerhin vom USSenat erhielt: »In einer offiziellen Pressemitteilung des Umweltausschusses des US-Senats hieß es, dass man statt der kritischen Ansichten von Ökohysterikern auch einmal grundsolide Wissenschaftler zu Gehör kommen lassen wolle. Und ließ Crichton als Klimaexperten vor dem Ausschuss seine Ansichten darlegen.« (gsl 30.09.05). Auch in Deutschland stieß dieses Buch auf ein großes Medienecho. Die mehrheitliche Meinung verurteilte zwar das Buch. Einigen Tageszeitungen, wie z.B. der ›taz‹ und der ›SZ‹ war das Thema jedoch mehr als ein Artikel in einer Ausgabe wert. Der Roman, selbst eine Inszenierung einer innerwissenschaftlichen Kontroverse über den Klimawandel, löste eine erneute Gegenüberstellung der alten Kontrahenten aus. Aus unserer Perspektive ist interessant, dass die Klima-Kontroverse in der ›SZ‹ als mediale Kontroverse, also in Form von gegenüberstellenden Pro- und Contra-Artikeln dargestellt wurde: x Pro: »Der unglückliche Positivist. Michael Crichton erzählt die Geschichte der korrumpierten Empirie.« (Riechelmann 20.01.2005) x Contra: »In Öko-Gewittern. Michael Crichton bekämpft die ›Klimalüge‹ mit heißer Luft und unlauteren Mitteln.« (Illinger 20.01.2005)
Das Medienecho: Das Wissenschaftsforum bei ›Spiegel Online‹ Die sich abzeichnende Darstellung von Kontroversen als Kontroversen ist in einem abseitigen, aber nicht unwichtigen medialen Teilsystem bereits die Regel. Gemeint sind Leserbriefe und heute – im Internet – auch Chat-ähnliche Plattformen (Foren). Hier können Leser direkt ihre Meinungen veröffentlichen und miteinander diskutieren. Wichtig an dieser Form der »dialogischen« Auseinandersetzung sind aber nicht nur die Schreiber, sondern auch die Leser, insbesondere die Journalisten selber, die sich aus der Leser-Resonanz ein Bild über das machen können, wovon sie bislang nur mutmaßen konnten, dass es aufmerksamkeits122
MEDIALE INSZENIERUNG WISSENSCHAFTLICHER KONTROVERSEN
relevant sei. Am Beispiel des Forums »Klimaforschung – Ende der Endzeit-Szenarien« bei ›Spiegel online‹ soll zum Schluss die Reaktion der Leser auf die Kontroverse in der Wissenschaft und in den Medien exemplarisch dargestellt werden. 3 Bereits der Einstieg in die Diskussion thematisiert die Kontroverse in der Klimaforschung: »In der Diskussion um die Klimaentwicklung auf unserem Planeten herrschten lange Zeit die Horror-Szenarien um Erderwärmung, anschwellende Ozeane und Verschiebung der Vegetationszonen vor. Jetzt interpretieren immer mehr Wissenschaftler aktuelle Wetterphänomen nicht mehr notwendig als Menetekel eines bevorstehenden Kollapses. Waren die Warnungen vor einem baldigen, weltweiten Klimawandel nur aufgebauschte Übertreibungen und Denkmodelle? Haben die Szenarien gar der Anliegen des Umweltschutzes geschadet? Oder ist eine drastische Darstellung die einzige Möglichkeit, um überhaupt Reaktionen und Nachdenken zu provozieren?« (Administrator 08.03.2005).
Die Chat-Beiträge fokussieren einige von uns dargestellte Aspekte, die in Kontroversen einfließen oder sie bestimmen: Methodische Angemessenheit
Kritik an Wissenschaft
Das ändert aber überhaupt nichts daran dass im theoretischen Unterbau der Modelle und in deren dynamisierter Form erhebliche prinzipielle Mängel stecken die den Aussagewert erheblich relativieren. Es ist daher schlicht irreführend wenn behauptet wird man hätte durch das fragliche Verfahren das Ausmaß der menschlichen Einflusses erhärten können (M. Michaelis, 7) 4 Das ganze Geld fließt aber heute in die Klimaforschung, die immer wieder dasselbe behauptet und sich streng davor hütet Katastrophenszenarien zu verbannen, obschon alles darauf hin deutet, dass das Klima schneller auf natürliche Art schwanken kann, als man bisher angenommen hat. Was wollen die Modelle dann aber heute noch beweisen? (Yeph, 17) Der Klimakatastrophismus, ist die unsinnige Aufrechterhaltung eines Status Quo. Bisher haben alle, sich darauf beziehenden Prognosen immer ge-
3 http://forum.spiegel.de/showthread.php?t=17&highlight=klimaforschung (Zugriff 7.2.2006) 4 Die Zahl hinter dem Namen des Forumbenutzers kennzeichnet die Reihenfolge des Beitrags im Forum.
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ANTOS/GOGOLOK
Kritik an Medien
irrt, und werden in jedem Jahrzehnt um ein Jahrzehnt weiter verschoben. (Luc, 600) Ebenso würde unspektakuläre, wissenschaftliche und nicht sensationsheischende Medienberichterstattung viele Gelder sparen, die im Notfall bereit stünden Leben zu retten. […] Alle Klimahorrornachrichten lauten: Es könnte sein, Wissenschaftler schließen nicht aus, Wissenschaftler warnen usw... Wenn man die Artikel dann genau liest, sieht man dass meistens NICHTS dahinter ist. Siehe zwei letzten Ausgaben vom »Spektrum der Wissenschaft«. Die Laien glauben schon lange nichts mehr, aber der Medienapparat warnt lustig weiter und der Staat verschleudert Steuergelder um zu beweisen, was sowieso eintrifft oder eben nicht. (Yeph, 25)
Im Gegensatz zu den Medien nehmen einige Chat-Teilnehmer von dem (ergebnislosen) Abwägen von Pro und Contra Abstand und fordern Taten – trotz des unsicheren Kenntnisstandes: Handlungsaufforderungen ... an die Politik
Das Hauptproblem liegt darin dass man unter der Tatsache einer unklaren Kausalität und Prognose die effizienteste Lösung in einer sukzessiven Anpassung an Klimaveränderungen liegen statt Ressourcen für Vermeidungsstrategien zu verschwenden (M. Michaelis, 13) ... an die Öffentlichkeit (hier: Die Welt verändert sich, und wir müssen an die Forumteilnehmer) uns irgendwie darauf einstellen. Und was ich vor allem sagen wollte war, dass wir lieber nicht die Hände in den Schoß legen und einfach abwarten sollten, bis die schlimmsten Prognosen eingetreten sind. Denn manche dieser Vorgänge würden die Erde unwiderruflich und sehr zu unserem Nachteil verändern. (C_Kulmann, 5) Sie sind also der Meinung, solange nicht alle Klimaforscher der Welt ein Dokument unterschreiben, das uns garantiert, dass eine menschgemachte Katastrophe vorliegt, tut man besser nichts? Und wenn man das tut, dann nur dort, wo es ökonomisch mög-
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lich ist, also gerade mal bei mit zwei Händen abzuzählenden Industriestaaten? Der Rest ist selber schuld, wenn er nicht die finanziellen Mittel zum Bau von Deichen und Schleusen aufbringt? (Peter Königsdorfer, 83)
Fazit Die Darstellung von wissenschaftlichen Themen in den Medien wird zunehmend erweitert durch einflussreiche, aber höchst problematische Inszenierungsformen (Filme, Thriller usw.). Dies gilt auch für die mediale Inszenierung von wissenschaftlichen Kontroversen, die im Einzelfall unabhängig, ja sogar gegen den Rationalitätsanspruch von Wissenschaften erfolgen kann. Dennoch könnte die Darstellung von wissenschaftlichen Kontroversen im Einklang mit den Erfordernissen der Medien stehen. Insbesondere Foren sind eine Darstellungsform, in denen der agonale Charakter wissenschaftlicher Dynamik kommunikativ verdeutlicht wird. Bei einer solchen Sichtweise muss man sich allerdings von der Forderung verabschieden, dass Medien die Aufgabe hätten, wissenschaftliche Kontroversen gleichsam zu »popularisieren«.
Literatur Antos, Gerd (1996): Laienlinguistik. Studien zu Sprach- und Kommunikationsproblemen im Alltag; am Beispiel von Sprachratgebern und Kommunikationstrainings, Tübingen: Niemeyer. Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft: Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Beck, Ulrich/Bronß, Wolfgang (Hg.) (1989): Weder Sozialtechnologie noch Aufklärung. Analysen zur Verwendung sozialwissenschaftlichen Wissens Frankfurt/M.: Suhrkamp. Collins, Harry/Pinch, Trevor (1999): Der Golem der Forschung. Wie unsere Wissenschaft die Natur erfindet. Berlin: Berlin Verlag. Crichton, Michael (2005): Welt in Angst, München: Karl Blessing Verlag. Dewe, Bernd (2005): »Von der Wissenstransferforschung zur Wissenstransformation: Vermittlungsprozesse – Bedeutungsveränderungen.« In: Gerd Antos/Sigurd Wichter (Hg.), Wissenstransfer durch Sprache als gesellschaftliches Problem, Frankfurt/M.: Lang. S. 365-379.
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ANTOS/GOGOLOK
Dascal, Marcelo (2003): »Epistemology, Controversies, and Pragmatics«. (http://www.tau.ac.il/humanities/philos/dascal/papers/dascal3. htm (02.09.2004)). Dürrenmatt, Friedrich (1980): Die Physiker. Neufassung, Zürich: Diogenes. Festinger, Leon (1957): A Theory of Cognitive Dissonance, Stanford: University Press. Furnham, Adrian (1988): Lay Theories. Everyday Understanding of Problems in the Social Sciences. Oxford: Pergamon Press. Huxley, Aldous (1977): Brave New World (Reprint). London: Grafton. Kuhn, Thomas S. (1973): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Liebert, Wolf-Andreas (2002): Wissenstransformationen. Handlungssemantische Analysen von Wissenschafts- und Vermittlungstexten. Berlin, New York: de Gruyter. Peters, Hans Peter (1994): »Risikokommunikation in den Medien«. In: Klaus Merten/Siegfried J. Schmidt/Siegfried Weischenberg (Hg.), Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft, Opladen: Westdeutscher Verlag. S. 329-351. Popper, Karl (1966): Logik der Forschung: Zur Erkenntnistheorie der modernen Naturwissenschaft. 2. erw. Auflage, Tübingen: Mohr (Siebeck). Reusswig, Fritz (2004): The International Impact of The Day After Tomorrow. In: Environment, 47, 3, S. 41-43. Reusswig, Fritz/Schwarzkopf, Julia/Pohlenz, Philipp (2004): Double Impact. The Climate Blockbuster The Day After Tomorrow and its Impact on the German Public. PIK-Report No. 92., Postdam. Weingart, Peter (2005): Die Wissenschaft der Öffentlichkeit: Essays zum Verhältnis von Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit, Weilerswist: Velbrück. Weingart, Peter/Engels, Anita/Pansegrau, Petra (2002): Von der Hypothese zur Katastrophe. Der anthropogene Klimawandel im Diskurs zwischen Wissenschaft, Politik und Massenmedien, Opladen: Leske & Budrich.
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Zeitungsartikel5 Bojanowski, Axel (06.07.05): »Die Klimaforschung wird politisch instrumentalisiert«. ›Die Welt‹: http://www.welt.de/data/2005/07/06/ 741682.html/ (18.01.06). Hornig, Frank/Mascolo, Georg/Traufetter, Gerald (01.10.05): »Klima. Kann das noch Zufall sein?« ›Der Spiegel‹ 40/2005. Illinger, Patrick (21.01.05): »In Öko-Gewittern. Contra: Michael Crichton bekämpft die ›Klimalüge‹ mit heißer Luft und unlauteren Mitteln«. ›Süddeutsche Zeitung‹: http://www.sueddeutsche.de/kultur/ artikel/414/46368/ (18.01.06). Mrasek, Volker (30.06.05): »Golfstrom-Simulation. Eiszeit in USA und Europa abgesagt«. ›Spiegel online‹, http://www.spiegel.de/wissen schaft/erde/0,1518,362979,00html/ (18.02.2006). Rahmstorf, Stefan (10.02.05): »Das ungeliebte Weder-noch. Was die Klimadebatte so schwierig macht: Medien wollen von den Wissenschaftlern vor allem Sensationen und Katastrophenwarnungen hören.« ›Die Zeit‹ 7/2005, S. 33. http://www.zeit.de/2005/07/Klimawandel/ (18.01.06). Randow, Gero von: »Falscher Klima-Alarm. Ein Film darf mit der Katastrophe spielen, Umweltpolitik muss ehrlich sein.« ›Die Zeit‹ 23/ 2004, http://www.zeit.de/2004/23/01__leit_2_23/ (17.11.05). Riechelmann, Cord (21.01.05): »Der unglückliche Positivist. Pro: Michael Crichton erzählt die Geschichte der korrumpierten Empirie«. ›Süddeutsche Zeitung‹: http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/ 414/46368/ (07.02.06). Stampf, Olaf (24.05.04): »Kälteschock im Treibhaus«. ›Der Spiegel‹ 22/2004. Storch, Hans von/Stehr, Nico (24.01.05): »Klima inszenierter Angst«, ›Der Spiegel‹ 4/2005. Wetzel, Daniel (26.01.05): »Klimakatastrophe: Wahrheit oder Panikmache?« ›Die Welt‹: http://www.welt.de/data/2005/01/26/417695.html (18.01.06).
5 Für die kostenfrei im Internet verfügbaren Artikel sind Links angegeben (die Angebote von ›Spiegel online‹ sind kostenpflichtig).
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Ein Mehrebenenmodell für naturwissenschaftliche Kontroversen WOLF-ANDREAS LIEBERT
Einleitung und Fragestellung Als Atmosphärenforscher bei Messungen Mitte der 80er Jahre drastisch abnehmende Ozonwerte feststellten, erhob sich die Frage nach einer Erklärung des Phänomens, d.h. nach einem adäquaten Kausalmodell. Mit dem Ausdruck »Ozonloch« war schnell ein durchschlagender, wenn auch nicht unumstrittener Fachterminus gefunden. Die Darstellung der Ursachen des Ozonlochs wurden im fachlichen und öffentlichen Diskurs jedoch deutlich anders beschrieben, ja man kann sagen, dass die Beschreibung der Ursachen des Ozonlochs in der Öffentlichkeit eine Art Eigenleben führte. Insbesondere wurde in der Öffentlichkeit der innerwissenschaftliche Dissens um die Ursachen zurückgedrängt und die innerwissenschaftliche Diskursposition, die die zunehmende FCKWProduktion als Ursache für die Ozonverluste annahm, dominant gesetzt. Im Folgenden soll Wissenschaft als Diskurs betrachtet werden, in dem unterschiedliche Diskurspositionen miteinander semantische Kämpfe austragen. Kontroversen werden damit als konstitutiv für Wissenschaft betrachtet. Dies ist wahrscheinlich für die Linguistik überraschender als für andere Disziplinen. Betrachtet man die wissenschaftsphilosophische Diskussion der letzten Jahrzehnte, so gilt es mittlerweile als Konsens, dass Kontroversen konstituierend für den wissenschaftlichen Diskurs sind. Dies trifft zum einen auf die „Logik der Forschung“ im Sinne Poppers (1934) zu, wird aber mittlerweile auch in einem viel weiteren Kontext gesehen: Dascal (1995) beispielsweise unterscheidet den wissenschaftlichen Diskurs in die drei Grundtypen Diskussion, Dis-
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WOLF-ANDREAS LIEBERT
put und Kontroverse (vgl. auch Dascals Beitrag in diesem Band). Die Diskussion zielt auf die approximative Natur der wissenschaftlichen Argumentation, die mit wissenschaftlichen Experimenten bzw. ihren Ergebnissen beendet wird. Mit Disput wird die Form der Auseinandersetzung definiert, die institutionell entschieden wird (per Gericht oder andere berechtigte Institutionen), die Kontroverse wird dagegen als die Auseinandersetzung definiert, die durch Überzeugung des Anderen beendet wird. Im folgenden Artikel soll in Anlehnung an Bourdieu (1998) und Dascal (1995) zunächst ein weiter Begriff naturwissenschaftlicher Kontroversen eingeführt werden, dann aber auf die Diskussions-Aspekte naturwissenschaftlicher Diskurse sowie auf Diskussions-KontroversenÜbergänge fokussiert werden: Dabei wird sich zeigen, dass der Dascalsche Kontroversenbegriff weiter differenziert werden muss: Am Beispiel der Ozonlochdiskussion soll gezeigt werden, dass die wissenschaftliche Diskussion nicht aus einem einfachen Für und Wider besteht, das durch ein entscheidendes Experiment beendet wird, sondern dass die Diskussion auf mehreren Ebenen betrachtet werden muss, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten einen unterschiedlichen Diskussionsstand aufweisen. Diese Unterteilung ist deshalb von besonderer Relevanz, weil sich in der Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte an die Öffentlichkeit gezeigt hat, dass Medienakteure die komplexe innerwissenschaftliche Diskussion, die auf einer Ebene abgeschlossen ist, so verstehen und vermitteln, als sei die innerwissenschaftliche Diskussion insgesamt abgeschlossen, obwohl sie tatsächlich auf anderen Ebenen nach wie vor kontrovers sein mag.
Überlegungen zur Charakteristik naturwissenschaftlicher Diskurse Wissenschaft hat nach Bourdieu (1998) zwei Seiten, die des Eigennutzes und die der Uneigennützigkeit: »So sind die Strategien der Akteure in gewisser Weise immer doppelgesichtig, interessengeleitet und interessenlos, beseelt von einer Art Eigennutz der Uneigennützigkeit, der völlig gegensätzliche, aber gleichermaßen falsche, weil einseitige Beschreibungen zulässt, die eine hagiographisch und idealisierend, die andere zynisch und reduktionistisch.« (Bourdieu 1998: 28)
Wissenschaftler sind in ein Spannungsfeld von politischen, wirtschaftlichen und medialen Akteuren eingebunden. Wenn sie etwa als Gutachter 130
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bestellt werden, müssen sie auch auf ihre Interessen hin befragt werden. Aber auch innerhalb der Wissenschaft selbst sind sie Bestandteil einer sozialen Organisation und unterscheiden sich deshalb nicht grundsätzlich von anderen Berufsgruppen. Ein idealisierendes Bild der Wissenschaft, in dem etwa Forschern nur selbstlose Motive unterstellt werden, wird deshalb »durch alles Lügen gestraft [...], was man von der Wirklichkeit der Forschung kennt: geistigen Diebstahl, Kämpfe um Erstentdeckungen, alles Praktiken, die so alt sind, wie die Wissenschaft selbst. Gelehrte haben Interessen, sie wollen die Ersten sein, die Besten, die Außergewöhnlichsten.« (Bourdieu 1998: 28).
Im Diskurs, speziell im naturwissenschaftlichen Aufsatzdiskurs, sind die wissenschaftlichen Akteure jedoch auf bestimmte Handlungsmuster beschränkt: »Paradoxerweise bringen aber wissenschaftliche Felder gleichzeitig jene mörderischen Antriebe und eine Kontrolle dieser Antriebe hervor. Wenn Sie einen Mathematiker ausstechen wollen, muss es mathematisch gemacht werden, durch einen Beweis oder eine Widerlegung. Natürlich gibt es immer auch die Möglichkeit, dass ein römischer Soldat einen Mathematiker köpft, aber da ist ein ›Kategorienfehler‹, wie die Philosophen sagen. [...] Soziale Zwänge nehmen hier immer mehr die Form logischer Zwänge an und umgekehrt: Um sich Geltung zu verschaffen, muss man Gründe geltend machen, um den Sieg davonzutragen, müssen Beweise und Gegenbeweise triumphieren.« (Bourdieu 1998: 28).
Wenn im Folgenden der schriftliche naturwissenschaftliche Fachdiskurs, wie er sich etwa in ›Nature‹ oder ›Science‹ manifestiert, charakterisiert wird, so muss diese Darstellung zwangsläufig als idealisierend erscheinen, denn wir können damit nur den rationalen bzw. rationalisierten Teil des Gesamtdiskurses erfassen. Im Sinne von Dascal (1995) erfassen wir damit nur die »discussion«. Der naturwissenschaftliche Aufsatzdiskurs wird von der Naturwissenschaft selbst als die verbindlichste Form des Diskussionsstands der verschiedenen Disziplinen betrachtet. Dass dieses Selbstbild trügerisch ist, ist in der Wissenschaftsforschung seit langem bekannt. Deshalb erscheint gerade der Aufsatzdiskurs – der gemäß dem Selbstbild der Naturwissenschaften ihr verbindlichster Kern ist – besonders für die Analysen von Kontroversen geeignet. Im Folgenden wird mit der Kategorie des sprachlichen Handlungsmusters gearbeitet. Es kann hier keine umfassende Auseinandersetzung
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mit diesem Begriff geleistet werden, sondern lediglich eine Kurzcharakterisierung: Der Begriff des sprachlichen Handlungsmusters ist in den siebziger Jahren aus der Sprachphilosophie Wittgensteins und der Sprechakttheorie hervorgegangen und wurde vor allem von Heringer (1974), Wimmer (1979), Holly/Kühn/Püschel (1984), von Polenz (1988), Faber (1994), Holly (2001) und Bergmann/Holly/ Püschel (2001) entwickelt. Sprachliches Handeln wird danach als regelgeleitet betrachtet. Der Begriff Handlungsmuster ist als Regel, nach der einzelne Handlungen erfolgen können, definiert. Handlungsmuster können durch Relationen verbunden sein, dann liegen komplexe Handlungsmuster vor. Die wichtigste Relation stellt die Indem-Relation dar (neben den geläufigen Relationen der Gleichzeitigkeit, der Sequenzierung u.a.; vgl. dazu Liebert 2002). Ein Beispiel für Handlungsmuster, die durch eine Indem-Relation verbunden sind, lautet: GRÜSSEN indem »Guten Tag!« ÄUSSERN Dieses einfache Beispiel macht den eigenständigen Charakter der Indem-Relation deutlich, da es den Unterschied zur Relation der Gleichzeitigkeit einerseits (vgl. das fragliche Muster: GRÜSSEN und gleichzeitig »Guten Tag!« ÄUSSERN) und zur Relation der Sequenzierung andererseits (vgl. GRÜSSEN und anschließend »Guten Tag!« ÄUSSERN) verdeutlicht. Handlungen werden als Interpretationskonstrukte betrachtet, Beschreibungen von Handlungen und Handlungsmustern als Interpretationen von Interpretationskonstrukten. Um den Interpretationscharakter zu verdeutlichen, werden Handlungsmuster in Großbuchstaben notiert. Beachtet man diese Einschränkungen und Bedingungen, so kann der schriftliche naturwissenschaftliche Fachdiskurs als Argumentationsprozess beschrieben werden. Als grundlegendes Handlungsmuster wurde für Argumentationen in der Nachfolge Poppers (1934) immer wieder das Aufstellen von begründeten Behauptungen eines Proponenten und begründeten Erwiderungen eines Opponenten genannt (vgl. auch den Beitrag von Dascal in diesem Band). Das sprachliche Handlungsmuster NATURWISSENSCHAFTLICHES ARGUMENT EINBRINGEN kann erfasst werden als eine Handlungsmustersequenz, bei der zunächst der Erkenntnisgegenstand X in seiner Existenz behauptet, dann beschrieben und schließlich erklärt wird. Je nachdem, was zum Zeitpunkt einer aktuellen fachlichen Diskussion als Konsens gilt, können einzelne Handlungsmuster von anderen Fachdiskursteil132
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nehmern akzeptiert oder bestritten werden. Gilt etwa die Existenz von X als sicher, so wird seine Existenz auch nicht mehr bestritten. Ebenso kann man sich über die Charakteristik von X einig sein, während man über seine Erklärung noch debattiert. Der Opponent kann je nachdem an der Existenzbehauptung, an der Beschreibung oder an der Erklärung von X ansetzen. Die Erwiderungsmöglichkeiten sollen am Beispiel der Erwiderung eines Opponenten auf eine Erklärung, warum X gerade so und nicht anders ist, d.h. auf das Handlungsmuster ERKLÄREN, dargestellt werden: Wenn ein Proponent eine Erklärung für die Art und Weise von X vorgelegt hat (etwa indem er ein Ursache-Wirkungsmodell aufgestellt hat), wird ein Opponent diese Erklärung zunächst überprüfen. Je nachdem, wie die Überprüfung ausfällt, wird er die Erklärung danach entweder bestätigen oder zurückweisen oder er wird die Erklärung zurückweisen, zeigen, dass sich X auf andere Weise verhält (X BESCHREIBEN) und eine alternative Erklärung vorschlagen (X ERKLÄREN) . Diese Alternativen (ERKLÄRUNG1 BESTÄTIGEN oder ERKLÄRUNG1 ZURÜCKWEISEN oder ERKLÄRUNG2 VORSCHLAGEN) sind grundsätzlicher Natur. Zweifellos sind noch mehrere Formen der Erwiderung denkbar, einige davon werden im Verlauf der Textanalysen vorgestellt werden. Der Fachdiskurs ist im Unterschied zu vielen anderen Argumentationen durch ein gemeinsames Ziel der beteiligten Akteure gekennzeichnet. Das gemeinsame Ziel der naturwissenschaftlichen Argumentation besteht darin, zu Erklärungen zu gelangen, deren Gültigkeit nicht auf den engen Fachdiskurs begrenzt ist, sondern die Allgemeingültigkeit beanspruchen (vgl. dazu den Beitrag von Bruno Latour in diesem Band). Man findet hier also gleichzeitig, aber auf verschiedenen Ebenen, kooperative und kompetitive Züge: kooperativ in Bezug auf das gemeinsame Ziel Allgemeingültigkeit, kompetitiv in Bezug darauf, welche Person oder Forschergruppe als erste diese Allgemeingültigkeit entdeckt oder den Weg dazu weist. Es herrscht also eine »Einigkeit der Konkurrenten über die Grundsätze der Bewahrheitung von ›Realität‹, über gemeinsame Methoden der Bestätigung von Thesen und Hypothesen, kurz: über den stillschweigenden, untrennbar politischen und kognitiven Vertrag, der die Arbeit der Objektivierung begründet und beherrscht.« (Bourdieu 1998: 28, Herv. im Orig.)
Wenn ein Fachdiskurs als Argumentationssequenz verstanden wird, so muss er auch einen Anfang und ein (zumindest vorläufiges) Ende haben. Der Beginn kann in der Regel genau lokalisiert werden, da meist ein in133
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dividueller Text ausgemacht werden kann, der die Existenz eines Objekts, eines Sachverhalts oder einer Gesetzmäßigkeit zum ersten Mal behauptet und dadurch eine mehr oder weniger lang andauernde Diskussion eröffnet. Ein solcher Text soll »Initialtext« genannt werden. Ein Beispiel für einen solchen »Initialtext« ist der Artikel von Farman et al. (1985) in der Zeitschrift ›Nature‹, der die bis heute andauernde wissenschaftliche und öffentliche Diskussion um den Abbau der Ozonschicht und das Ozonloch ausgelöst hat. In diesem Artikel werden zum ersten Mal Beobachtungen des Abbaus der Ozonschicht über der Antarktis beschrieben und als Erklärung wird ein Ursache-Wirkungsmodell vorgeschlagen, nach dem FCKWs den Abbau der Ozonschicht bewirken.1 Der Initialtext thematisiert in der Regel auch die grundsätzliche Relevanz der Erforschung von X. Diese Relevanz muss bei den Folgeartikeln nicht mehr explizit bestätigt werden, denn dies geschieht stillschweigend einfach dadurch, dass an den Diskurs angeknüpft wird. Die Relevanz der Erforschung von X kann dagegen zu Beginn oder im Verlauf der Diskussion explizit in Frage gestellt werden. Das Anknüpfen an den Initialtext oder die Folgetexte geschieht meist explizit, indem auf einige oder alle Artikel verwiesen wird, die bereits im Fachdiskurs zu dieser Frage publiziert wurden und damit Teil der fachlichen Argumentationssequenz sind. Es gibt aber auch Zusammenfassungen der bisherigen Argumentationssequenz des Fachdiskurses, die auch die Darstellung einzelner Diskurspositionen einschließen können. In einem naturwissenschaftlichen Artikel findet sich dieses Handlungsmuster am Beginn eines Artikels, aber auch dort wo die Handlungsmustersequenz des Handlungsmusters ARGUMENTIEREN abgearbeitet wird, also auch bei den Schritten X BESCHREIBEN und X ERKLÄREN. Die Handlungsmuster X BESCHREIBEN und X ERKLÄREN können weiter detailliert werden. So besteht die bevorzugte Möglichkeit in der Naturwissenschaft, X zu beschreiben, darin, Daten von X zu gewinnen und zu beschreiben (X BESCHREIBEN indem DATEN VON X BESCHREIBEN). X wird in der Naturwissenschaft bevorzugt dadurch erklärt, dass man die von X gewonnenen Daten bzw. Datenbeschreibungen interpretiert (X ERKLÄREN indem DATEN VON X INTERPRETIEREN). Die beiden Relationen, die hier angegeben werden, die Handlungsmuster X BESCHREIBEN indem DATEN VON X BESCHREIBEN und X ER1
Genau genommen beziehen sich Farman et al. (1985) auf die vorangegangene Diskussion, die in den siebziger Jahren von Molina/Rowland (1974) ausgelöst wurde und von denen sie auch die FCKW-These »geborgt« haben. Dies soll hier aus Raumgründen nicht entfaltet werden; vgl. dazu Liebert 2002.
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KLÄREN indem
DATEN VON X INTERPRETIEREN, bilden die zentralen Bestandteile eines naturwissenschaftlichen Artikels. Naturwissenschaftliche Artikel besitzen daher in der Regel einen Teil, in dem Daten, die von oder über X gewonnen wurden, dargestellt und beschrieben werden, bevor sie in einem separaten Teil interpretiert werden. Diese Handlungsmuster können noch in weitere Handlungsmuster zerlegt werden, die hier lediglich aufzählend und unsystematisiert genannt werden sollen. Deshalb werden sie auch nicht in Großbuchstaben gesetzt. Das Handlungsmuster X BESCHREIBEN indem DATEN VON X BESCHREIBEN kann weiter zerlegt werden. In naturwissenschaftlichen Aufsätzen werden Objekte und/oder Sachverhalte charakterisiert, indem Daten von ihnen beschrieben werden und dies geschieht u.a. durch folgende Handlungen: x x x x x x x x
Objekte in Raum und Zeit identifizieren Objekte in ihren Interaktionen charakterisieren Identifizierungsinstrumente benennen und erläutern Messmethode erläutern mögliche Probleme diskutieren Datenerhebung erläutern Messwerte in Tabellen darstellen Messreihen analysieren
Das Handlungsmuster X ERKLÄREN indem DATEN VON X INTERPRETIEkann ebenfalls weiter spezifiziert werden. In naturwissenschaftlichen Aufsätzen werden Objekte und/oder Sachverhalte erklärt, indem die über sie gewonnenen Daten interpretiert werden und dies geschieht, indem Ursache-Wirkungsmodelle aufgestellt, Fakten gefolgert und/oder Voraussagen gemacht werden. Eine zentrale Handlung ist die Überprüfung. Die Überprüfung ist nicht Bestandteil eines Aufsatzes; im Aufsatz wird über eine erfolgte Überprüfung lediglich berichtet. Eine mögliche Zerlegung des Handlungsmusters ÜBERPRÜFUNG EINES URSACHE-WIRKUNGSMODELLS besteht darin, dass aus einem Ursache-Wirkungsmodell Folgerungen gezogen werden, die besagen, dass bestimmte Fakten ebenfalls gelten müssen, wenn das Modell stimmen soll. Es wird dann versucht, diese vom Modell gefolgerten Fakten experimentell nachzuweisen. Auf der Grundlage dieses Versuchs und seiner Ergebnisse wird dann im Aufsatz dargestellt, ob das in Frage stehende Ursache-Wirkungsmodell bezweifelt oder gestärkt wird. Dieses Verfahren der Überprüfung soll nun etwas genauer charakterisiert werden. REN
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Eine Person oder Personengruppe, die mit Diskursposition posi bezeichnet werden soll, beschreibt einen Phänomenzusammenhang der physikalischen Realität und präsentiert ein System von Annahmen, d.h. ein (idealisierendes) Modell, das den beschriebenen Phänomenzusammenhang kausal erklären soll. Aus dem erklärenden Modell lassen sich nun über die Erklärung des Phänomenzusammenhangs hinaus bestimmte Fakten ableiten, die ebenfalls bestehen müssen, wenn das Erklärungsmodell stimmen soll. Nun werden von posi oder einer anderen Gruppe Versuche unternommen, um zu zeigen, dass diese Fakten, die dem Modell entsprechend zwangsläufig bestehen müssen, tatsächlich auch bestehen. Natürlich kann man auch auf solche Fakten stoßen, ohne direkt danach gesucht zu haben (etwa im Zuge von Langzeitmessungen). Gerade die Entdeckung des Ozonlochs ist von dieser Art.2 Wenn die Existenz dieser Fakten nachgewiesen wird, ist dies ein Argument für das Erklärungsmodell, das durch den Nachweis abgesichert und erweitert wird. Wenn die Existenz dieser Fakten nach einem oder mehreren geeigneten Versuchen nicht nachgewiesen wird, dann ist dies ein Argument gegen das Modell. In diesem Fall ist die Person oder Personengruppe berechtigt, das Annahmensystem zu modifizieren oder ein neues Modell aufzustellen, so dass es den bisher beschriebenen Phänomenzusammenhang erklärt, ohne dass daraus die Existenz von Fakten abgeleitet werden kann, die in der Realität nicht nachgewiesen werden können. Wird nun tatsächlich ein zu posi entgegengesetztes Modell vorgetragen, so entsteht eine alternative Diskursposition posj. Die Diskurspositionen posi und posj können nun in Konkurrenz treten, denn aus dem neuen Erklärungsmodell von posj kann nun seinerseits die Existenz bestimmter (anderer) Fakten abgeleitet werden, die bestehen müssen, wenn das Modell stimmen soll. Ob diese Fakten tatsächlich bestehen, kann nun wieder von einer der beiden Diskurspositionen oder einer anderen Gruppe oder Person geprüft werden. Die Diskurspositionen können nun insbesondere auch überprüfen, ob bestimmte Schlüsse in einem der Modelle falsch sind, ob vielleicht Messfehler vorliegen oder bestimmte Modellrechnungen falsch oder nicht plausibel sind.
2 Mit den hier angestellten Überlegungen sollen keine Vermutungen aufgestellt werden, wie der Entdeckungsprozess oder der Prozess der Durchsetzung wissenschaftlicher Positionen vonstatten geht. Es soll lediglich der argumentative Charakter der Fachkommunikation aufgezeigt werden.
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Innerhalb dieser Argumentationen, die sich meist über einen längeren Zeitraum erstrecken, aber in der Regel zu einem Abschluss kommen3 entstehen unterschiedliche Aussagetypen. Eben wurden zwei zentrale Handlungsmuster der Argumentation in der naturwissenschaftlichen Fachkommunikation formuliert: eine, die auf die Deskription von Daten abzielt und eine zweite, die sich auf eine Interpretation der beschriebenen Daten bezieht. Die Datendeskription betrifft die unmittelbare Gegenstandskonstitution: Hier finden sich Handlungen, in denen die zu erforschenden Gegenstände raum-zeitlich lokalisiert und in das Bezugssystem eingeordnet werden. Weiterhin werden die Messmethoden genannt, sowie eventuell auftretende Probleme oder Unsicherheiten der Messung. Hier finden sich auch Diagramme von Messwerten. Die Dateninterpretation betrifft die Aufstellung von Ursache-Wirkungsgefügen und auch Prognoseverfahren, die erklären, warum die Erkenntnisobjekte sich so und so verhalten oder diese oder jene Charakteristika aufweisen müssen. Die Aussagen, die im Zuge der Datendeskription oder der Dateninterpretation getroffen werden, können hinsichtlich ihres Status unterteilt werden in abschließend überprüfte, in der Überprüfung befindliche und nicht überprüfte Aussagen. Abschließend überprüfte Aussagen sind solche, deren Wahrheit oder Falschheit bei allen Diskurspositionen des Fachdiskurses als bewiesen gilt. Bei in der Überprüfung befindlichen und nicht überprüften Aussagen steht der Wahrheitsgehalt noch nicht fest, die Aussagen erscheinen aber mehr oder weniger plausibel und zumindest überprüfenswert. Unterschiedliche Diskurspositionen können einzelnen Aussagen auch einen unterschiedlichen Status zukommen lassen: Während posi die Wahrheit einer Aussage für erwiesen hält, führt posj gerade ein Experiment durch, um diese Aussage erst zu überprüfen. Dadurch ergibt sich der Status einer im Fachdiskurs umstrittenen Aussage, der häufig dem Aussagetyp Dateninterpretation zukommt, wenn es darum geht, die Plausibilität von (Kausal-)Modellen zu belegen. Während abschließend überprüfte Aussagen also als nicht mehr hinterfragte Basis der Argumentation dienen, bilden die nicht überprüften und die umstrittenen Aussagen den Inhalt wissenschaftlicher Kontroversen. Dabei wird von den Teilnehmern am Fachdiskurs nicht nur jederzeit eingeschätzt, welcher Status einzelnen Aussagen zukommt, sondern im 3 Es gibt natürlich auch wichtige Ausnahmen, bei denen unklar ist, ob die Argumentation abgeschlossen werden wird, z. B. bei der Erforschung der Ursachen von Krebs.
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Falle von umstrittenen Aussagen auch, welchen Diskurspositionen sie zuzuordnen sind. Die Gegenstandskonstitution verläuft im naturwissenschaftlichen Diskurs also nicht einheitlich, in dem Sinne, dass hier ein System »Wahrheit produziert«, die dann unumstößlich ist, sondern indem diskursiv gehandelt, häufig auch im fachlichen Dissens4 argumentiert wird. Für die Vermittlungskommunikation bedeutet dies, dass die Gegenstandskonstitution nicht erfasst werden kann, wenn dieser diskursive Charakter nicht erfasst wird. Um die Gegenstandskonstitution im fachlichen Diskurs zu vermitteln, ist es also notwendig, den fachlichen Argumentationsgang zu rekonstruieren.5 Dies soll nun am Beispiel der Ozonlochdiskussion gezeigt werden.
Exemplarische Analyse der Anfänge der fachlichen Ozonlochdiskussion Im Folgenden soll der wissenschaftliche Diskurs um das Ozonloch in seinen Anfängen untersucht werden. Es sei noch einmal betont, dass allein auf der Grundlage dieser Konzeption über eine Reihe von Eigenschaften des naturwissenschaftlichen Diskurses keine Aussagen getroffen werden können, etwa darüber, wie Erkenntnisprozesse in der Wissenschaft funktionieren; auch nicht darüber, welche politisch-gesellschaftlichen Konstellationen bestimmte Forschungsfelder fördern oder absterben lassen.
Die Entdeckung großer Ozonverluste über der Antarktis (Farman et al. 1985) Oben wurde für den Fachdiskurs ein argumentatives Handlungsmuster angenommen. Dies zeigt auch der Artikel »Large Losses of Total Ozone in Antarctica Reveal Seasonal ClOx/NOx Interaction« von Farman et al., der 1985 in ›Nature‹ erschienen ist. Dieser Text ist der Initialartikel der bis in die Gegenwart andauernden wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion um die Gefahr für die Ozonschicht. Der Artikel von Farman et al. (1985) stellt eine Wiederaufnahme einer in den siebziger Jahren scheinbar abgeschlossenen Diskussion dar: Wird durch eine Zunahme der FCKW-Produktion die Ozonschicht in der Stratosphäre abgebaut 4 Gabriele Graefen (1997: 89) gebraucht dafür den Begriff »pluralistische Wissenschaft«. 5 Die Handlungsmuster, die dazu notwendig sind, sind in Liebert 2002 dargestellt.
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(vgl. Molina/Rowland 1974)? Diese Position im Fachdiskurs soll im Folgenden auch als »Ozonverlust durch FCKW« bezeichnet werden. Bei verschiedenen Ozonmessungen waren allerdings gleichbleibende oder tendenziell steigende Werte herausgekommen, so dass die These des Ozonabbaus durch FCKWs angezweifelt wurde. Diese Position im Fachdiskurs soll als »stabile Ozonschicht« bezeichnet werden. Durch die Entdeckung von Farman et al. (1985) erhält nun die Position »Ozonverlust durch FCKW« wieder große Plausibilität, während die Position »stabile Ozonschicht« in ihrer einfachen Form nicht mehr aufrechterhalten werden kann und in der Folge auch stark modifiziert wird.
Der erste kontroverse Beitrag (Stolarski et al. 1985) Der Text von Stolarski et al., der noch im selben Jahr (1985) erschienen ist, ist kein Fachaufsatz, sondern eine 33 Zeilen lange Fachnachricht im NASA-Organ EOS (Earth Observing System). Der Teil der Datendeskription besteht aus einer kurzen Bestätigung der Ozonverluste über der Antarktis durch Daten von Satellitenmessgeräten; die eigentlichen Messwertreihen werden aber nicht präsentiert, sondern lediglich angekündigt. Nachdem im Text keine Datendeskription publiziert, sondern lediglich angekündigt wird, werden einige Dateninterpretationen genannt. Es handelt sich um die folgenden, im Fachdiskurs diskutierten Ursachen: x FCKWs (»chlorine effect from fluorocarbons«) x Vulkanausbruch des El Chichon (Der Vulkan El Chichon brach am 4.4.1982 aus.) x Transport ozonarmer/-reicher Luft durch so genannte »planetare Wellen« Schließlich werden Hypothesen aufgestellt, welche Messungen der Ozonwerte welche Ursache-Wirkungsmodelle bzw. Diskurspositionen plausibel machen würden: »If the effect is really due to fluorocarbons, it would be expected to continue to intensify and this would be apparent in the Spring 1985 data starting in October. If the effect is either related to El Chichon or a manifestation of interannual variability then there should be a tendency back toward a more normal situation.« (Stolarski et al. 1985: 838)
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Dies lässt sich mit den folgenden Argumentationsschemata darstellen: Diskursposition »Ozonverlust durch FCKW« 1. FCKWs verursachen das Ozonloch. 2. Es werden immer mehr FCKWs produziert. Schlussregel: Je mehr FCKWs produziert werden, desto mehr stratosphärisches Ozon wird zerstört. Schlussfolgerung/Vorhersage: Wenn die Ursache des Ozonlochs FCKWs sein sollten, so müsste sich das Ozonloch in den nächsten Jahren vergrößern. Diskursposition »Ozonverlust durch Naturereignis (Vulkanausbruch oder planetare Wellen)« 1. Vulkanausbrüche oder planetare Wellen bringen einmalig mehr Chlor in die Stratosphäre über der Antarktis. 2. Nach einem Abbau dieses Chlors ist wieder weniger Chlor in der Stratosphäre. Schlussregel: Je weniger Chlor in der Stratosphäre ist, desto weniger stratosphärisches Ozon wird zerstört. Schlussfolgerung/Vorhersage: Wenn die Ursache ein Naturereignis war (Vulkanausbruch El Chichon oder planetare Wellen), dann müsste das Ozonloch wieder kleiner werden. Wichtig ist es hier festzuhalten, dass bereits in den ersten Reaktionen auf den Fachartikel von Farman et al. (1985) unterschiedliche Diskurspositionen thematisiert wurden, während die ersten populärwissenschaftlichen Artikel ab dem Jahr 1986 zunächst nur eine Erklärung publizierten: »Ozonverlust durch FCKW« (vgl. Liebert 2002).
Fachliche Fortführung der Ursachenkontroverse (Stolarski et al. 1986) Der ›Nature‹-Artikel »Nimbus 7 Satellite Measurements of the Springtime Antarctic Ozone Decrease« von Stolarski et al. (1986) stellt einen wichtigen Beitrag für die fachliche Diskussion um das Ozonloch dar. Zwar wurden seit dem Erscheinen des Artikels von Farman et al. (1985) einige Fachaufsätze mit Interpretationen des Phänomens publiziert, eine Bestätigung des Phänomens und vor allem eine Beantwortung der Frage, ob es sich um ein regionales oder ein globales Phänomen handelte, standen noch aus. Diese Fragen werden nun im Aufsatz von Stolarski et al. (1986) beantwortet. Dort werden nicht nur Messwertreihen über Halley 140
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Bay, sondern auch über einem größeren Teil des Südpols präsentiert, die das Phänomen der Ozonverluste bestätigen und es als regionales Phänomen ausweisen, d.h. die Ozonschicht hat eine Zustandsveränderung an einer bestimmten Stelle, nämlich über der Antarktis, erfahren. Insgesamt argumentiert der Artikel von Stolarski et al. (1986) äußerst vorsichtig, vor allem, was die Ursachen des Ozonlochs angeht. Insbesondere die Diskursposition »Ozonverlust durch FCKW« wird sehr kritisch und als ein Konkurrenzmodell unter vielen betrachtet. Obwohl die Daten von Farman et al. (1985) nun bestätigt werden, gilt es trotz der eindeutigen Messwertreihen über Halley Bay nicht als ausgemacht, ob auf eine dauerhafte Veränderung der Ozonschicht geschlossen werden kann, d.h. ob tatsächlich eine dauerhafte Zustandsänderung des Objekts Ozonschicht stattgefunden hat. Es wird empfohlen, weitere Messungen abzuwarten. Es wird weder Alarm geschlagen noch sonst eine Form der Katastrophe angekündigt. Nachdem weitere Rahmenbedingungen genannt worden sind, wird auch auf bisherige Dateninterpretationen eingegangen: »Various ideas have been proposed, involving combinations of chlorine chemistry, heterogeneous chemistry taking place in polar stratospheric clouds, bromine chemistry and dynamical elevation of the polar stratosphere.« (Stolarski et al. 1986: 810, Sp. 2).
Mit dem Ausdruck »dynamical elevation of the polar stratosphere« beziehen sich Stolarski et al. (1986) auf die Diskursposition »Dynamische Ozonschicht«, die in einem Aufsatz von Tung et al. (1986) im unmittelbaren Anschluss an den Artikel publiziert wird. Diese Diskursposition ist eng verwandt mit der Diskursposition »stabile Ozonschicht« bzw. »Ozonverlust durch natürliche Ursachen«: Diskursposition »Ozonverlust durch Atmosphärendynamik« 1. Im antarktischen Frühling wird ozonarme Luft aus unteren Luftschichten in die Stratosphäre transportiert. 2. Diese Atmosphärendynamik ist die Ursache dafür, dass in manchen Jahren Ozonverluste gemessen wurden. Schlussregel: Wenn die Ursache der gemessenen Ozonverluste in der Atmosphärendynamik liegt, dann waren die gemessenen starken Ozonverluste lediglich Extremwerte einer natürlichen Variation der Ozonkonzentration.
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Schlussfolgerung/Hypothese: Das Ozonloch müsste unabhängig von der Menge der FCKWs in den folgenden Messjahren wieder kleiner werden. Dies ist nun insofern bemerkenswert, als auch bei Stolarski et al. (1986) diese Diskursposition als ernst zu nehmende, fachliche Diskursposition behandelt wird, während die Diskursposition »Ozonverlust durch Atmosphärendynamik« im öffentlichen Diskurs (etwa bei Ewe 1986) als »Sprüche« abgetan wird (vgl. Liebert 2002). Aus den Verweisen im Fachtext sieht man auch, dass diese Diskursposition durchaus »aktiv« ist, zum damaligen Zeitpunkt sogar nicht nur ein ernst zu nehmender Konkurrent war, sondern sogar die besseren Argumente hatte. In den meisten Popularisierungen, gerade auch in den ersten Beiträgen für die Öffentlichkeit (vgl. etwa der erste deutschsprachige Artikel in ›Bild der Wissenschaft‹ (Ewe 1986)), werden die Fachdiskurspositionen und der Stand der Argumentation nicht dargestellt, es werden auch weder Argumentationsmuster erläutert noch der Sicherheitsgrad der Aussagen über den Erkenntnisgegenstand wiedergegeben. Diese Unterlassungen führen dazu, dass der Eindruck einer einheitlichen Wissenschaft entsteht. Es kann hier also kaum von »Transfer« gesprochen werden, denn die Ursache für das Ozonloch konnte im Fachdiskurs damals nicht ausgemacht werden, es wurden Ursachen diskutiert, die sich aus Ursache-Wirkungsmodellen ergaben, die aus der Sicht bestimmter Positionen im Fachdiskurs erstellt worden waren. Wenn man die Vermittlungshandlungen etwa in ›Bild der Wissenschaft‹ (vgl. Ewe 1986) charakterisieren will, so sind dies eher Transformationen als Transferhandlungen: Wissen wird transformiert, indem die Vielfalt von Diskurspositionen des Fachdiskurses nicht dargestellt wird und stattdessen eine, hier die FCKW-Hypothese, als einzige ausgegeben wird. Dies wird insbesondere deutlich, wenn Stolarski et al. (1986) die fachliche Diskursposition »Ozonverlust durch FCKW« behandeln, eben diejenige, die in der Öffentlichkeit (z.B. bei Ewe 1986) als einzige Fachdiskursposition hingestellt wird. Stolarski et al. (1986) argumentieren, dass eine Schwierigkeit dieses Ursache-Wirkungsmodells darin liege, dass, um die gemessenen Ozonverluste zu erzielen, nahezu alles in der dortigen Atmosphäre befindliche, aus FCKW-Umwandlungen stammende Chlor aktiviert sein müsste: »We estimate that in order for chlorine chemistry at 1983 concentrations to cause the 0.6% per day decline in September, virtually all of the chlorine must be in its active state.« (Stolarski et al. 1986: 810, Sp. 2).
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Daraus wird die folgende Bedingung an die Diskursposition »Ozonverlust durch FCKW« abgeleitet: »Therefore any proposed chlorine mechanism must be able to remove most of the chlorine from both the HCL and ClONO2 reservoirs and to tie up NOx probably as HNO3. Such a mechanism could involve the cold temperatures and/or polar stratospheric clouds that form within the polar vortex.« (Stolarski et al. 1986: 811, Sp. 1).
Dann wird ausdrücklich und mit strikter Modalität eine Aussetzung des Ursache-Wirkungsmodells der fachlichen Diskursposition »Ozonverlust durch FCKW« gefordert, bis ein Ursache-Wirkungsmodell formuliert wird, das die genannten Bedingungen erfüllt, und bis weitere Beobachtungen der Ozonschicht über der Antarktis die Beständigkeit der Zustandsänderung bestätigen. Stolarski et al. (1986) schränken sogar noch weiter ein: »Any conclusions concerning the implications of the observed Antarctic decreases in total ozone for predictions of the effects of chlorine from chlorofluorocarbons must await a proven mechanism and continued observations to verify the persistence of the phenomenon. Only then will we be able to evaluate clearly the relative roles of chemistry, radiation and dynamics in contributing to the observed decrease.« (Stolarski et al. 1986: 811, Sp. 1).
Wenn hier gefordert wird, man müsse warten, bis sich die Dauerhaftigkeit des Beobachteten verifizieren lasse, so wird damit die Existenz des Ozonlochs als eigenständiges, abgrenzbares Phänomen wieder in Frage gestellt. Damit werden zwar die Messungen von Farman et al. (1985) bestätigt, gleichzeitig wird aber davor gewarnt, x das Ozonloch vorschnell als dauerhaftes Phänomen anzunehmen x FCKWs bereits jetzt als Ursache für das Ozonloch darzustellen. Die Position »Ozonverlust durch FCKW« wird also nicht nur als eine unter vielen Diskurspositionen diskutiert, sie wird auch kritisiert, indem erstens Problempunkte benannt werden, indem zweitens gefordert wird, zu erklären, wie das gesamte Chlor in der Atmosphäre über dem Südpol aktiviert werden kann und drittens sogar eine Art Warnung ausgegeben wird, diese Position zum damaligen Zeitpunkt eben nicht zu vertreten. Gerade der Artikel von Stolarski et al. (1986) zeigt, wie sich innerhalb einer Diskussion eine Kontroverse darüber entspinnt, wie bestimm143
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te Diskurspositionen mit ihren Erklärungsmodellen einzuschätzen seien, welche man bereits vertreten und welche man eben noch nicht vertreten könne.
Zusammenfassung der Ergebnisse und Konsequenzen Naturwissenschaftliche Diskurse haben eine kontroverse Natur: Sie setzen sich aus alternativen Diskurspositionen zusammen, die in Fachtexten argumentierend aufeinander Bezug nehmen. Sie können auf verschiedenen Ebenen zugleich im Konsens und Dissens liegen. Aussagen werden dabei differenziert nach dem Grad ihrer Abgesichertheit. Dies hat sich nicht nur aus den theoretischen Überlegungen zur Struktur und Dynamik naturwissenschaftlicher Diskurse ergeben, sondern konnte auch in exemplarischen Analysen von Wissenschaftstexten als Diskursfragment gezeigt werden. In der Analyse wurde gezeigt, dass Farman et al. (1985) als erste die Ozonverluste über der Antarktis entdeckten und ein Ursache-Wirkungsmodell aufstellten, das als Diskursposition »Ozonverlust durch FCKW« rekonstruiert werden konnte. Stolarski et al. (1986) bestätigten die Ozonverluste und ermöglichten eine genaue raumzeitliche Identifizierung der Ozonverluste durch Satellitenmessdaten für die gesamte südliche Hemisphäre sowie die Einbeziehung der Messdaten anderer Forschungsstationen. Darüber, dass massive Ozonverluste über der Antarktis aufgetreten waren, herrschte Konsens. Gleichzeitig stellten Stolarski et al. (1986) aber das UrsacheWirkungsmodell von Farman et al. (1985) in Frage und nannten alternative Ursache-Wirkungsmodelle. Stolarski et al. (1986) sprachen sogar eine Warnung aus, das Ursache-Wirkungsmodell als gültig anzunehmen, solange das Modell keinen Mechanismus zur Freisetzung einer großen Menge Chlor aus der Stratosphäre enthielte. Die Analyse zeigt, wie Kontroversen sich innerhalb von Diskussionen konstituieren (hier im Sinne von Dascals »discussions« also von fachlichen Debatten, die durch Experimente entschieden werden können). Es mag unter den Beteiligten am Forschungsprozess Konsens bestehen, welche Kriterien ein Experiment erfüllen muss, um eine Hypothese zu widerlegen oder zu stärken oder auch, welche Kriterien UrsacheWirkungsmodelle erfüllen müssen, um als angemessene Erklärungen zu gelten. Die offene Frage lautet dennoch: Bis diese Experimente vorliegen, bis eine Theorie gefunden ist: Was lässt sich in der Zwischenzeit 144
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Vernünftiges sagen? Dieses Vernünftige ist nicht durch Experimente auffindbar, es ist das Ergebnis einer Kontroverse, die gerade auch in den Fachzeitschriften geführt wird. Diese komplexe Struktur verschiedener Diskurspositionen, von Experimental-Diskussion und fachlicher Kontroverse mit einer beinahe tastenden Bewertung insbesondere von Erklärungen wird bei der Vermittlung in die Öffentlichkeit in der Regel stark vereinfacht. In den ersten populärwissenschaftlichen Texten des öffentlichen deutschen Ozonlochdiskurses wurde etwa nur eine fachliche Diskursposition beschrieben, die Diskursposition »Ozonverlust durch FCKW«. So entstand in der Öffentlichkeit der Eindruck, es gäbe eine einheitliche wissenschaftliche Haltung, nämlich dass als Erklärung für das Ozonloch einzig und allein die FCKW-Hypothese in Frage komme, und also sei die Diskursposition »Ozonverlust durch FCKW« die einzige fachliche Diskursposition. Es handelt sich um eine »Harmonisierungstransformation« (vgl. Liebert 2002), durch die ein verzerrtes, weil nicht-diskursives Bild der Wissenschaft entsteht, die als homogene Einheit Tatsachen herausfindet und erklärt. Daraus lässt sich die Konsequenz ableiten, dass es nicht sinnvoll ist, danach zu fragen, ob in einem Fach Konsens oder Dissens herrscht; vielmehr müssen unterschiedliche Diskursebenen identifiziert werden, auf denen jeweils zu einem gegebenen Stand des Diskurses Konsens oder Dissens bestehen können. Schließlich kann die Konsequenz gezogen werden, dass es wenig Sinn ergibt, wissenschaftliche Aussagen in einer Dichotomie wahr/ falsch oder faktisch/fiktional zu betrachten. Vielmehr müssen wissenschaftliche Aussagen nach ihrem Status in der laufenden Argumentation (Hypothese, Arbeitshypothese, innere Kontroverse etc.) und nach ihrem Grad der Abgesichertheit differenziert werden.
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Kontroversen im Museum: Ideen und Probleme der Wissenschaftskommunikation MARC-DENIS WEITZE
Einleitung Kontroversen sind für die Wissenschaft zentral und sollten dementsprechend auch in der Wissenschaftskommunikation thematisiert werden. Aber es scheint für Wissenschaftsmuseen mit ihrem Hauptmedium, den Ausstellungen, schwierig zu sein, Dascals Empfehlung (vgl. seinen Beitrag in diesem Band) nachzugehen, Wissenschaft nicht nur in ihren Ergebnissen, sondern auch mit ihren Kontroversen dazustellen. Wissenschaft wird in Museumsausstellungen noch all zu oft als Erfolgsgeschichte gezeigt, ohne die Ergebnisse aus der Wissenschaftsforschung der letzten Jahrzehnte zu berücksichtigen, wie Arnold (1996: 61) feststellt: »The legacy of [...] positivistic philosophy […] is still embodied in the standard museum presentation of much science and technology […]. Commonly, the only story told is that of progress […]«. Erinnert sei an Adornos Diktum, das Wissenschaftsmuseen wie Kunstmuseen trifft: »Museum und Mausoleum verbindet nicht bloß die phonetische Assoziation«. Der didaktische Nutzen von Wissenschaftsgeschichte verkehrt sich in sein Gegenteil, wenn museale Gegenstände »mehr aus historischer Rücksicht aufbewahrt [werden] als aus gegenwärtigem Bedürfnis« (Adorno 1977: 177). Zum überwiegenden Teil werden – gleichsam Trophäen – nur die Ergebnisse der Wissenschaft präsentiert, und zwar mit einem Ansatz, bei dem »seit mehr als zwei Jahrhunderten die Wissenschaftler den Diskurs über die Wissenschaft auf allen Ebenen, von der Politik bis zum Schulunterricht« kontrollieren (Scrive 2001: 149). Demgegenüber scheinen Kontroversen in den Massenmedien (vgl. Weingart 2001 und den Beitrag von Weingart et al. in diesem 149
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Band) regelmäßig thematisiert zu werden, bieten sie doch zugkräftige Schlagzeilen. Allerdings fehlt es hier an durchgehender Berichterstattung (vgl. Liebert 2002 und seinen Beitrag in diesem Band). Könnten sich für die Museen nicht besondere Chancen eröffnen, wenn sie Kontroversen bewusst thematisieren? Willard Boyd (1999: 185f.) erinnert daran, wie die Museen im 19. Jahrhundert weltbildstiftende und damit per se ›kontroverse‹ Themen bearbeitet haben. So sammeln und zeigen naturhistorische Museen die Belege der Darwinschen Evolution und standen im 19. Jahrhundert mit diesen Belegen – explizit oder implizit – im Zentrum der Kontroverse. »If a museum is to be a marketplace of ideas and public discourse, it will inevitably be a center of controversy« (Boyd 1999: 223). Es gibt zwei offensichtliche Gründe dafür, dass kontroverse Themen eher selten den Weg in Museumsausstellungen finden: Die Positionen wandeln sich – zumindest bei aktuellen Kontroversen – rasch, es kommen ständig neue Fakten und Meinungen hinzu. Dagegen haben Ausstellungen einen langen Planungsvorlauf und eine lange Lebensdauer. So wird sich ein Ausstellungsmacher fragen, ob das Thema noch aktuell ist, wenn die Ausstellung fertig ist – und damit jene Themen ausschließen, die tagesaktuell sind. Permanente Ausstellungen zumal haben üblicherweise eine Jahrzehnte währende Lebensdauer, die mit den kurzlebigen Zyklen öffentlicher Aufmerksamkeit nicht korrespondiert. Wenn die Ausstellungsstrategie eine klare, eindeutige Nachricht verlangt (zumal bei Ausstellungen, die sich an ein ›breites Publikum‹ wenden), sind kontroverse Themen mit ihren widersprüchlichen Informationen zumindest schwierig darzustellen. Dies gilt freilich auch für andere Medien, die Wissenschaft in dieser Weise popularisieren. Aber gibt es nicht doch Möglichkeiten, Kontroversen mit dem Medium Ausstellung zu thematisieren? Was können (ausstellungsbegleitende) Diskussionsforen oder Theaterinszenierungen bewirken? Beispiele aus verschiedenen Museen illustrieren Probleme und Möglichkeiten.
Beispiele Dauerausstellung »Food for Thought« (Science Museum, London, seit 1989) Die Dauerausstellung »Food for Thought: The Sainsbury Gallery« im Science Museum wurde im Oktober 1989 nach einer Planungszeit von etwa zwei Jahren eröffnet. Das Thema ist Ernährung. Das Ausstellungsteam wurde während der Vorbereitung von einer Anthropologin beglei150
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tet, die anhand dieser Fallstudie untersucht, wie Museumsausstellungen entstehen (vgl. MacDonald 2002). Es zeigte sich auch an diesem Beispiel, dass Ausstellungen, die sich um ein ›Public Understanding of Science‹ bemühen, besondere Schwierigkeiten haben, Kontroversen – hier definiert als Themen, bei denen in der Wissenschaft keine Einigkeit über die ›Fakten‹ besteht – darzustellen: »the way in which the complex processes involved in putting science on display inevitably shape the finished product, and not always in ways that its makers might have intended« (MacDonald/Silverstone 1992: 70). In dieser Ausstellung sollten jedoch von Anfang an ›kontroverse‹ Aspekte berücksichtigt werden. »The gallery should not be afraid to tackle controversial matters of public concern such as world food problems – shortages, food mountains (witness Band Aid), and additives« (zitiert aus der »Feasibility study« der Ausstellung nach MacDonald/Silverstone 1992: 71). Ende des Jahres 1988, als die Ausstellungsplanung abgeschlossen war und die Umsetzung begann, kursierten die ersten Meldungen über Lebensmittelvergiftungen. Zunächst ging es um salmonelleninfizierte Eier; im Lauf der nächsten Jahre sollte das Ganze in der BSE-Krise gipfeln. Die Kontroverse um die Eier betraf die Frage, ob es einen Anstieg der Verunreinigungen gab oder nur häufiger darüber berichtet wurde. Die Wissenschaft konnte hierzu – glaubt man damaligen Medienberichten – keine unvoreingenommene Aussage liefern. Das Thema sollte jedenfalls noch in die Ausstellung, deren Planung freilich schon weit fortgeschritten war, eingebaut werden. Was wurde in der Ausstellung aus diesem Thema? Es gab nur noch wenig Platz: für fünf Tafeln und ein Exponat (dabei handelt es sich um Kochgeschirr, auf dem bei UV-Bestrahlung die ›Kontaminierung‹ mit Bakterien sichtbar wird). Nur eine der Tafeln geht auf die aktuelle Frage ein »Why is poisoning increasing?«, die übrigen vier beschreiben eher allgemein Ursachen und Folgen von Lebensmittelverunreinigungen, geben Definitionen und Ratschläge. Betont wird die Verantwortung des Verbrauchers, nicht die der Nahrungsmittelindustrie oder der Politiker. MacDonald bemerkt, dass im Gegensatz etwa zu den Massenmedien die Kontroverse hier in den Hintergrund rückt (MacDonald/Silverstone 1992: 77). Und ausgerechnet diese eine Tafel »Why is poisoning increasing?«, die auf die eigentliche Kontroverse eingeht, fällt aus dem Rest der Ausstellung vollständig heraus: Die Wissenschaft tritt hier nicht mehr nur als Sammlung von Fakten auf (wie sonst in dieser Ausstellung und in anderen Ausstellungen des Science Museum): »food poisoning cases are ›reported‹, scientists are ›convinced‹; they ›argue‹ and ›say‹. The science here is unlike that represented in the rest of this area of the
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exhibition, and in this way controversy is marked off as different from other scientific knowledge« (MacDonald/Silverstone 1992: 77). MacDonald sieht dieses Beispiel als Beleg dafür, dass es prinzipiell schwierig ist, mit populärwissenschaftlichen Ausstellungen (zumal Dauerausstellungen mit ihren langen Standzeiten – »Food for Thought« ist noch heute, im Jahr 2005, zu besichtigen) rasch auf Kontroversen einzugehen: »some of the exhibition strategies specifically selected to help make the exhibition attractive and accessible to a lay audience, such as those of simplifying text and using hands-on exhibits, themselves create problems for representing controversy« (MacDonald/Silverstone 1992: 71). Mit klaren, einfachen Botschaften könne man vielleicht ein breites Publikum erreichen, aber kaum Kontroversen thematisieren (ebd: 82; vgl. MacDonald 2002: 177ff.). Schließlich erweise sich hier auch die Akribie vieler Ausstellungsmacher geradezu als problematisch: Eine intensive Recherche führe tendenziell dazu, dass kontroverse Positionen nicht mehr wahrgenommen werden: »During the research undertaken as part of an exhibition’s making, a wide range of scientific contacts will be made. This of itself – in contrast to the polarized selection method of the news media – tends to diffuse controversy« (MacDonald/Silverstone 1992: 83).
Sonderausstellung »Klima. Das Experiment mit dem Planeten Erde« (Deutsches Museum, München, 7. November 2002 bis 30. November 2003) Das »Zentrum Neue Technologien« im Deutschen Museum testet seit 2002 Präsentationsformen, szenographische Ansätze und Neue Medien mit dem Ziel, rascher als bisher auf aktuelle Entwicklungen in Forschung und Gesellschaft zu reagieren und kontroverse Themen aufzugreifen (vgl. Hauser 2005). Die Klima-Ausstellung, die die Frage nach dem Einfluss des Menschen auf das Klima aufwirft – genauer gesagt: positiv beantwortet – und dieses »Experiment mit ungewissem Ausgang« beleuchtet, ist ein Beispiel. Hier geht es um Zukunftsfragen im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik, mithin einem Feld, das prädestiniert ist für die Thematisierung von Kontroversen. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion wurde diese Sonderausstellung rezensiert. Hier ist ein kurzer Ausschnitt der Diskussion wiedergegeben, in dem auch die Thematisierung kontroverser Aspekte (hier: anthropogene Ursachen des Klimawandels) angesprochen wurde.1 1
Die Diskussion wurde moderiert von Reiner Klingholz (›GEO‹), die beiden Rezensenten waren Klaus Vogel (Deutsches Hygienemuseum, Dres-
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Müller-Jung: Mich hätte noch interessiert, inwieweit die ›neue Skepsis‹ hier aufgenommen worden ist, die Mitte der 1990er Jahre aufkam, man denke etwa an den Dänen Bjørn Lomborg. Hauser: Die Skeptiker-Debatte haben wir auch absichtlich nicht in die Ausstellung hinein genommen, weil wir die Skeptiker dann doch zu stark hervorgehoben hätten – was ihrer tatsächlichen Rolle nicht entspricht. Solch ein inszenierter Dialog wäre auch wieder eine Zuspitzung gewesen. Klingholz: Kann es ein Museum überhaupt leisten, ausgehend von der Wissensvermittlung, auch Optionen für die Zukunft und den politischen Diskurs darüber zum Thema zu machen? Vogel: Die EXPO hat im Themenpark deutlich gezeigt, wie schwierig es ist, etwas auszustellen, das in die Zukunft reicht. Eine Ausstellung darf, kann und soll durchaus zuspitzen und mitunter sogar ärgern. Ob es bei dieser Ausstellung sein muss, weiß ich jedoch nicht. Eine der unterschwelligen Botschaften lautet ja durchaus, dass man nicht so recht weiß, wie es werden wird. Dann darf man natürlich nicht sagen: Es wird so und so. Da geht die vorher genannte französische Ausstellung einen ganz anderen Weg, den ich auch akzeptieren kann. Bei den Handlungsoptionen am Ende der Münchner Ausstellung ist es mir allerdings zu wenig, wenn die einzelnen Aspekte nur so nebeneinander abgestellt werden – Inszenierung findet da ja nicht mehr statt. Da wäre mir etwas mehr Führung des Besuchers lieb gewesen. Gerber: Der technische Grund dafür, dass die Themeninseln am Ende der Ausstellung an den Rand gedrängt werden, liegt in unserem Forum mit der Bühne. Hier soll Diskussion ermöglicht werden, hier endet das Medium Ausstellung. Klingholz: Gab es diese Diskussionen, die wir hier führen, eigentlich auch bei der Vorbereitung der Ausstellung, oder haben die Wissenschaftler des Beirates da gleich abgewunken? Hauser: Solche Diskussionen fanden vorwiegend innerhalb des MuseumsTeams statt, etwa was die Inszenierung von Szenarien angeht. Da haben wir uns bewusst – im Gegensatz zu den Dramatisierungen etwa in den Printmedien – für Zurückhaltung entschieden, die uns in der gegenwärtigen Debatte als wirkungsvoller erschien. (Weitze 2003: 112f.)
den) und Joachim Müller-Jung (›FAZ‹), die Seite der Ausstellungsmacher vertraten Walter Hauser und Sabine Gerber (beide Deutsches Museum).
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Obgleich ein ›Forum‹ in die Ausstellung integriert ist und damit im Ansatz unterschiedlichen Positionen das Feld bereitet ist, hat man sich thematisch gegen eine ›Dramatisierung‹ und gegen die Hervorhebung einzelner Skeptiker in der Ausstellung entschieden. Die Kontroverse tritt hinter das Bemühen des Museums zurück, anstelle von Dramatik eine objektivierte, gleichsam autoritative Position zu beziehen.
Sonderausstellung »Evolution. Wege des Lebens« (Deutsches Hygienemuseum Dresden, 24. September 2005 bis 23. Juli 2006) In dieser Ausstellung zum Thema Evolution fällt auf, dass die sich in letzter Zeit wieder verstärkt zu Wort meldenden Evolutionskritiker nicht thematisiert werden. Im Saal »Die Entstehung des Menschen« wird auf der Eingangstafel »Schöpfungsbericht und Evolution« diese Kontroverse angesprochen, die aber angeblich keine ist: »Heute herrscht zwischen den großen christlichen Kirchen und den Wissenschaftlern weitgehend Einigkeit, dass die Evolutionstheorie nicht im Widerspruch zum biblisch offenbarten Schöpfungsglauben steht.« Auf einer weiteren Tafel »Was sagen Kirche und Wissenschaft?« wird nochmals darauf hingewiesen, dass Naturwissenschaft und Theologie die Welt auf unterschiedliche Weise interpretieren – also kein kontroverses Thema? »Man fragt sich, wie eine Ausstellung es schaffen kann, ihre aktuellen Bezüge so zielgerichtet zu umschiffen. ›Wir wollen zeigen: Das ist Evolution!‹, sagt Vogel [...]. Seine Projektleiterin Schmitz hätte zwar gerne das ID-Konzept [Intelligent Design] als heutigen Widerstand gegen die von Darwin begründete Wissenschaft aufgenommen, scheiterte aber beim Versuch, ›das Thema zu visualisieren‹. Sie wollte nicht das kreationistisch gefärbte Pseudolehrbuch des Münchner Biologieprofessors Scherer zwischen Bibel und Darwin-Manuskripten präsentieren. ›Das hätte ihm zu viel Gewicht gegeben. Und indem wir das weglassen, signalisieren wir: Evolution ist kein Streitobjekt.‹« (Willmann 2005).
Wie im Fall der »Klima«-Ausstellung im Deutschen Museum wollten auch die Verantwortlichen des Dresdener Hygienemuseums Positionen, die von der allgemeinen Meinung abweichen, kein Gewicht geben. Als Reaktion auf solche Ausstellungs-Rezensionen wurde aber dann doch nachträglich eine Tafel »Die Debatte um Kreationismus und Intelligent Design« im genannten Saal angebracht, auf der vier Zeitungsartikel (!)
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reproduziert sind.2 Nun wird diese Kontroverse anhand der neuen Tafel explizit auch in Führungen angesprochen, wobei die Kreationisten und ID-Anhänger als ›gefährlich‹ dargestellt werden, die mit vorgeblich wissenschaftlichen Argumenten ihre Ideologie verbreiten. Und natürlich werden im Begleitprogramm auch Vorträge dazu angeboten. So fügt es sich, dass die TU Dresden eine Ringvorlesung zum Thema »Schöpfung und Evolution« anbietet. Aber wirklich glücklich kann man mit dieser Lösung, die Kontroverse um den Kreationismus in der Ausstellung zu thematisieren, nicht sein. Die Nachbesserung ist ja nur der Versuch, Aktualität in Ausstellungen zu bringen, indem Zeitungsartikel an die Wand gehängt werden. Das Medium »Ausstellung« scheint hier zu kapitulieren. Die neu angebrachte Tafel fällt zudem in Material und Farbe aus dem übrigen Ausstellungsdesign heraus – so wie in der o.a. Ausstellung »Food for Thought« erscheint die Kontroverse als etwas für die Wissenschaft bzw. Wissenschaftskommunikation Ungewöhnliches.
»Enola Gay« als Ausstellungsobjekt (Smithsonian Institution, Washington, D.C.) Ausstellungen müssen nicht explizit von Kontroversen handeln, um solche hervorzubringen. Ein in Museumskreisen geradezu traumatisches Beispiel dafür, wie eine Ausstellung selbst unbeabsichtigt (wenn auch vorhersehbar) ins Zentrum einer Kontroverse geriet, trägt den Namen des US-Bombers, von dem die erste Atombombe abgeworfen wurde, die Hiroshima zerstörte: Enola Gay. Dieses Flugzeug sollte im Jubiläumsjahr 1995 im National Air and Space Museum der Smithsonian Institution (Washington, D.C.) im Rahmen einer Ausstellung gezeigt werden, die Atombombenabwürfe und das Ende des Zweiten Weltkriegs thematisiert. »Von Anfang an bestand die Absicht, dem Publikum auf sehr sachliche Weise die neuesten [historischen] Forschungsergebnisse zu präsentieren; eine unreflektierte Verherrlichung der Geschehnisse sollte vermieden werden.« (Goldberg 1996: 24). Doch Veteranenverbände reagierten entrüstet auf das Ausstellungskonzept, das u.a. als »revisionistisch« gebrandmarkt wurde. In dem Konzept wurde nämlich nicht einfach die amerikanische Volksmeinung präsentiert, nach der die Atombombe aus quasi humanitären Beweggründen zur Beendigung des Weltkriegs eingesetzt wurde, sondern das Thema wurde komplexer dargestellt. Was in der (historischen) Wissenschaft an sich nicht kontrovers war, aber gegen die herrschende öffentli2
›Zeit‹ vom 11.8.2005, ›FAZ‹ vom 20.7.2005, ›Tagesspiegel‹ vom 12.3.2005, ›SZ‹ vom 12.7.2005.
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che Meinung stand, erregte die öffentliche Kontroverse. Die Veteranen drängten das Museum zur Überarbeitung des Konzepts, in dem sich die kritische Analyse immer mehr zu einer unreflektierten Bestätigung der herrschenden Meinung wandelte. Schließlich blieb nur noch der Rückzug des Museums auf eine gänzlich unkontroverse Mini-Ausstellung ohne Hintergrundinformationen übrig; ein Rückzug mit hohen sozialen Kosten für das Museum: Der verantwortliche Direktor Martin Harwit reichte seinen Rücktritt ein und die Definitionsmacht des Museums über die Geschichte der (amerikanischen) Luftfahrt litt enormen Schaden (vgl. Harwit 1996).
Interskriptum: Ausstellungen als Produkt oder als Prozess? Die Diskussion um »Public Understanding of Science« (PUS) versus »Public Understanding of Research« (PUR), inwieweit also Wissenschaft als Produkt oder als Prozess präsentiert wird, kann man auf Museumsausstellungen übertragen. »Exhibitions tend to be presented to the public rather as do scientific facts: as unequivocal statements rather than as the outcome of particular processes and contexts. The assumptions, rationales, comprises and accidents that lead to a finished exhibition are generally hidden from public views: they are tided away along with the cleaning equipment, the early drafts of text and the artefacts for which no place could be found« (MacDonald 1998: 2).
Wenn Wissenschaft die Religion ist, sind Museen ihre Kathedralen. Dabei gibt es durchaus Alternativen dazu, Ausstellungen jahre- oder jahrzehntelang unverändert stehen zu lassen. Damit sind hier nicht die eher hilflosen Versuche gemeint, Aktualität in Ausstellungen hinein zu bringen, indem Zeitungsausschnitte an die Wand gehängt werden. Modelle dafür sind vielmehr Science Center wie das Exploratorium (San Francisco) und das Techniquest (Cardiff, Wales), deren Experimentierstationen permanent verändert und ausgetauscht werden. Dieser Werkstattcharakter innerhalb der Ausstellung mag zwar zunächst einfach eine wartungstechnische Notwendigkeit gewesen sein, hat sich aber als passende Botschaft an die Besucher entpuppt: So wie die Wissenschaft nicht statisch ist, ändert sich auch die Ausstellung fast täglich und ist anpassungsfähig. Auch Ideen wie diejenige von John Durant zu einem Nachrichtendienst für Museen gehen in diese Richtung: »What we need, surely, is the museum equivalent of the new media's wire services« (Durant 2004: 58). 156
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Damit könnten Museen rasch auf aktuelle Themen der Forschung, beispielsweise Kontroversen, eingehen und sich über jeweils geeignete Darstellungsformen austauschen. Die Vitrinen hätten gar keine Zeit, Staub anzusetzen. Ein Ansatzpunkt, Ausstellung als Prozess zu begreifen, sind auch Erfahrungen mit »discussion exhibits« im Science Museum (London), bei denen Besucher ihre Meinungen und Fragen hinterlassen können. Diese Methode, Besucher einzubeziehen, funktioniert besonders gut bei kontroversen und emotionalen Themen (vgl. Gammon/Mazda 2000). Die Ausstellung ändert sich durch die Besucher. Freilich ist zu überlegen, wie man diese Flexibilität derart gestalten kann, dass sie über Textkommentare hinausgeht. Ein weiteres Beispiel dazu, wie Ausstellungen als Prozess präsentiert werden können, liefert das ›Alimentarium‹ (Vevey, Schweiz). Dieses Museum der Ernährung nahm im Jahr 2002 die umfassende Neugestaltung seiner Dauerausstellung zum Anlass, einen Blick zurück auf seine Vergangenheit zu werfen, und zwar anhand von Wanderungen zwischen ausgewählten Elementen der 1985 konzipierten Ausstellung. In dem Ambiente eines »Zwischenlagers« wurden einzelne Exponate mit Texttafeln museologisch kommentiert und dabei die enge Beziehung zwischen Besuchern und Ausstellungsobjekten hervorgehoben (vgl. Schärer 2002). Die »ausgestellte Ausstellung« sollte zu Überlegungen darüber anregen, wie das Thema Ernährung in einem Museum präsentiert werden kann. Solche Reflexionen, die unter Museumsleuten selbstverständlich sein mögen, aber darüber hinaus im Allgemeinen kaum diskutiert werden, können dazu beitragen, Ausstellungen weniger statisch und Museen weniger kathedralenhaft erscheinen zu lassen. Die Anonymität von Ausstellungen – im Gegensatz zu journalistischen Artikeln treten die Ausstellungsmacher namentlich nicht hervor – scheint auch den Status von Ausstellungen als statisches Produkt, also deren ›Zeitlosigkeit‹ (anstelle eines Prozesscharakters) zu unterstreichen. Neutralität – die Idee des Museums als Forum oder Bühne für die Wissenschaft – mag ursprünglich mit dieser Anonymität impliziert werden. Allerdings wurde auch gerade diese Neutralität von Museen als Illusion beschrieben: Es gibt keine neutrale Darstellung, man sollte sich auch als Ausstellungsmacher dessen bewusst sein und Konsequenzen daraus ziehen – etwa durch namentliche Kennzeichnung der Beiträge (vgl. MacDonald 1998).
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Jenseits von Ausstellungen Kontroversen werden in Ausstellungen also kaum explizit thematisiert – die Gründe reichen von den Produktionsbedingungen, insbesondere dem Zeitrahmen von Ausstellungen, über den Wunsch nach klaren Botschaften bis hin zum Bestreben, eine Diskussion ausgewogen darzustellen – und damit gerade die Skeptiker (die naturgemäß in der Minderzahl sind) nicht überzubetonen bzw. gar nicht zu thematisieren. Sicherlich können auch solche Ausstellungen zumindest die Basis für eine informierte Teilhabe an Kontroversen bilden. Wie können sie aber ergänzt werden? Wie kann die typischerweise unidirektionale Kommunikation in Ausstellungen erweitert werden? In den letzten Jahren und Jahrzehnten ging der Trend weg von Museen als Institutionen, die »Sammeln und Bewahren« als ihre Hauptaufgabe gesehen haben. Er ging hin zur Besucherorientierung mittels diverser Programme zur Erschließung von Themen und Sammlungen – auch mit Hilfe aktueller Ausstellungen (vgl. Durant 1993; Farmelo 2001). Dialog ist dabei ein Stichwort, das zunehmend an Bedeutung und Gehalt gewinnt. So sind Dialogformate besonders geeignet, Kontroversen zu thematisieren, und umgekehrt sind Kontroversen – zumal bei emotionalen Themen – geeignet, einen Dialog in Gang zu setzen. Nehmen in den Massenmedien (Print, TV) aktuelle Wissenschaft und Forschung, insbesondere Themen mit Alltagsbezug (Umwelt, Medizin), einen immer breiteren Raum ein, so ist auch die Hinwendung der Wissenschafts- und Technikmuseen zur aktuellen Forschung als Ausdruck dieser Besucherorientierung zu verstehen (z.B. Farmelo 2004). Dabei werden zunehmend Themen relevant, an denen (noch) geforscht wird, und Fragen, auf die »die Wissenschaft« (noch) keine Antwort geben kann.3
Wissenschaftstheater Eine mittlerweile etablierte Methode, Ausstellungen zu verlebendigen, ist das Wissenschaftstheater. So können im Science Museum (London) die Besucher einem schwangeren Mann (!) begegnen, der sie in ein Gespräch über medizinische Möglichkeiten und gesellschaftliche Auswirkungen seiner Situation zieht. Solche theatralischen Szenen können Exponate und Ausstellungsteile als Anknüpfungspunkte und Kulisse einbeziehen. Auf diese Weise lässt sich ein breites Publikum auch emotional 3
Freilich waren der Gegenwartsbezug gemeinsam mit der historischen Orientierung bereits in den Grundkonzeptionen der großen europäischen Technikmuseen strukturell angelegt (vgl. Füßl/Trischler 2003).
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ansprechen. Im Deutschen Museum wird Wissenschaftstheater genutzt, um historische Debatten nachzuspielen: Dabei geht es beispielsweise um die Entstehung wissenschaftlichen Wissens (zu einer »Debatte um das Alter der Erde« vgl. Stinner/Teichmann 2003) oder um Prioritätsstreitigkeiten (etwa die Entdeckung des Sauerstoffs, vgl. Weitze 2001). Wissenschaftstheater passt aber auch in Vitrinen hinein: Ein Ausstellungsteil des »Museums Mensch und Natur« (München), der in die Entstehungsgeschichte der Erde einführt, nutzt Mittel des Wissenschaftstheaters auf einer Puppenbühne: Herodot, Ptolemäus, Galilei und eine Wissenschaftlerin aus dem 20. Jahrhundert erläutern die unterschiedlichen Weltbilder ihrer Zeit.4
Diskussionsveranstaltungen Podiumsdiskussionen sind ein bewährtes Mittel zur ›öffentlichen‹ Diskussion kontroverser Themen. Wie aber kann man hier gezielt auch ›das Publikum‹ einbeziehen? Am Science Museum wollte man sich – auch nach den beschriebenen Erfahrungen – nicht mehr damit begnügen, kontroverse Themen eher ›zufällig‹ in Ausstellungen zu bringen, sondern solche Themen gezielt planen. Das »Dana Centre« bietet dort seit Ende 2003 öffentliche Abendveranstaltungen zu kontroversen Wissenschaftsthemen. Kontroversen werden dabei ganz im Sinne von Marcelo Dascal verstanden, indem die Aktivität betont wird. Das Mission Statement lautet: »To be a lively venue that encourages the public and scientists to engage in open, challenging dialogue about contemporary issues of public interest.«5 Um die Öffentlichkeit für Wissenschaft zu interessieren und darüber zu reden, sind Kontroversen gute Ausgangspunkte. Verglichen mit den meisten der obigen Beispielen ist bei diesem Ansatz die Strategie also umgekehrt: Kontroversen sind ein Mittel, um ein anderes Ziel (nämlich Interesse an Wissenschaft) zu erreichen. Eine Veranstaltungsreihe an der ETH Zürich6 wollte mit dem Ziel einer Selbstreflexion »Wissenschaft Kontrovers« behandeln und sich dabei von den üblichen Podiumsdiskussionen abgrenzen. Wie sollte das gelingen?
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Eine weitere Art von Wissenschaftstheater, die zunächst unabhängig von Ausstellungen ist, sind eigenständige Theaterstücke, etwa von Büchner, Brecht oder Frayn, die Wissenschaft zum Thema haben. http://www.danacentre.org.uk/ (22.3.06). Hierbei handelt es sich freilich nicht um ein Museum. Das Beispiel sei aber ergänzend aufgeführt um zu zeigen, dass auch andere Institutionen über die Darstellbarkeit von Kontroversen nachdenken und dabei auf ähnliche Probleme wie Museen stoßen.
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»Bei einer Begehung des Auditorium maximum kam die zündende Idee. Da die auf ein Podium gerichtete Bestuhlung nun einmal nicht verändert werden konnte, beschloss das Komitee, eine Videokamera auf das Publikum zu richten und die Bilder auf eine Leinwand zu projizieren. Das Dilemma, keine spontaneitätsfördernde, debattierfreundliche Runde erzeugen zu können, keinen Raum für Vielstimmigkeit vorzufinden, sollte durch Bespiegelung des Auditoriums zumindest abgemildert werden – auch die eingeladenen Experten sollten im Auditorium Platz nehmen« (Orland 2005: 22f.).
Diese Inszenierung wurde allgemein als originell empfunden, aber zu wenig genutzt. Das Publikum wechselt nicht so rasch vom Rang ins Parkett.
Konsensuskonferenzen Konsensuskonferenzen sind mehrtägige Zusammenkünfte von Bürgern und Experten, teilweise mit dem Ziel der Politikberatung in Form eines Bürgervotums. Typischerweise kommen hier rund ein Dutzend Laien zu einem kontroversen Thema zusammen, die mit Experten Fragen und Meinungen diskutieren, bis sie zu einem »consensus statement« in schriftlicher Form kommen (Joss/Durant 1995: 9). Entstanden in Dänemark und Großbritannien, hat dieses Format vor wenigen Jahren auch Deutschland erreicht. Eine Evaluation der »Bürgerkonferenz Streitfall Gendiagnostik« (Deutsches Hygienemuseum, Dresden)7 zeigte, dass es sich dabei um ein geeignetes Instrument der Wissensaneignung, der Meinungsbildung und der Meinungsfestigung handelt – freilich um ein sehr aufwändiges. Das erarbeitete Bürgervotum fand leider nur mäßige Resonanz in der Presse und in der Politik. Tatsächlich stellt sich (auch international) die Frage: Wie kann es im Anschluss an derartige Dialogveranstaltungen zu einem Transfer von Ergebnissen und Voten kommen?
Fazit Selbst bei Themen, die von den Massenmedien und in der Öffentlichkeit fast ausschließlich kontrovers dargestellt und diskutiert werden, ›gelingt‹ es Ausstellungsmachern oft, die kontroversen Aspekte auszulassen. Dies mag teilweise den Eigenheiten des Mediums Ausstellung geschuldet sein – angefangen von den Recherchemethoden über die Pro-
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http://www.buergerkonferenz.de/ (22.3.06).
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duktionsbedingungen bis hin zu der langen Lebensdauer der Ausstellungen –, hängt aber auch mit den Einstellungen der Ausstellungsmacher zusammen: Themen, die ›an sich‹ kontrovers sind, sollen nicht dramatisiert werden. Das Ideal einer ›neutralen, ausgewogenen‹ Darstellung, auch der Wunsch nach einer ›klaren Botschaft‹, führt mitunter nur zur Darstellung der herrschenden Meinung unter Ausblendung von abweichenden Meinungen. Das Ganze scheint aber nicht allein ein Problem der Museen zu sein, da diese ja auch auf die nach wie vor in der Öffentlichkeit dominierende Nachfrage nach der Vermittlung von autoritativem Wissen reagieren, das angeblich über den kontroversen Standpunkten der Wissenschaftler angesiedelt ist. Wie lassen sich Kontroversen gezielt mit Mitteln der Ausstellungen thematisieren? Die Frage ist noch offen, erste Ideen stehen im Raum. Ein Ansatzpunkt mögen die »discussion exhibits« sein, bei denen Besucher ihre Kommentare hinterlassen können. Viele der bislang zu beobachtenden Versuche, mit denen Aktualität und Kontroverse in Ausstellung gebracht werden sollen, wirken jedoch allzu oft kontraproduktiv: Sie nutzen nicht die spezifischen Möglichkeiten von Ausstellungen und fallen allein deshalb aus dem Rest der Präsentationen heraus – und kennzeichnen Kontroversen mithin als ungewöhnlich. Freilich lassen sich Ausstellungen ergänzen mit Wissenschaftstheater oder Diskussionsveranstaltungen. Diese Darstellungs- und Kommunikationsformen sind ein bereits besser etablierter Weg zu Dialog und Kontroverse.
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Keine Innovation ohne Repräsentation: Die Zivilgesellschaft als neuer Akteur in der Wissenschaft WOLFGANG C. GOEDE1
»Was bringt es, alles über eine Kuh zu wissen, nur nicht, dass sie eine Kuh ist? Unsere Aufgabe kann nicht sein, Menschen mit noch mehr akademischen Details in den Bildungswahnsinn zu treiben. Sondern sie für das Faszinosum Zukunft zu begeistern, für die großen Entwürfe, für die Baupläne künftiger Gesellschaften [...] Wir müssen den Menschen helfen, ihre Lethargie, ihr Misstrauen, ihre Angst zu überwinden und die Welt wieder mitzugestalten. Die Fragen nach den Details kommen dann ganz von alleine.« (Frank Schätzing, Wissenschaftsautor2)
Dieser Beitrag geht den ideologischen Grundbedingungen von Wissenschaft nach, ihrer Einbindung in Religion, Politik und Wirtschaft, was auch die Frage nach ihrer Wertfreiheit im Kontext der großen gesellschaftlichen Mächte aufwirft. Es wird deutlich, dass Wissenschaft auch in demokratisch verfassten Gesellschaften erhebliche Partizipationsdefizite aufweist, die durch die Zivilgesellschaft ausgeglichen werden könnten.
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Viele Artikel des Autors zum Thema Zivilgesellschaft sowie deren Verzahnung mit der Wissenschaft finden sich unter http://www.empower haus.de Rede »Zukunft der Wissensgesellschaft« auf der P.M. Gala InnovationsOffensive/Partner für Innovation, Berlin, November 2005.
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Voraussetzungen Teilnahme am öffentlichen Leben, die Betonung der Individualität des Menschen sowie seine kritische Auseinandersetzung mit den Autoritäten hat im Abendland eine 2500 Jahre alte Tradition. Es sind besonders diese Qualitäten, die unseren Kulturkreis an die Spitze der kulturelltechnologischen Evolution geführt haben – bei allen Rückschlägen und Widersprüchen, die dabei immer wieder aufgetreten sind. Das diskursive Miteinander-Umgehen findet seinen Niederschlag in den Sälen der Parlamente, in denen Volksvertreter über Pro und Contra politischer Maßnahmen streiten; in den Gerichten, in denen Ankläger und Verteidiger um Gerechtigkeit streiten, die Schöffen und Geschworene von ihrer Auslegung der Gesetze überzeugen müssen; dieses Ringen findet auch statt zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die über die Entlohnung, wirtschaftliche Teilhabe und Rechte verhandeln, diese notfalls mit Kampfmaßnahmen durchsetzen oder verhindern. In den angelsächsischen Ländern hat die öffentlich geführte Debatte einen Platz auch in der Schule sowie in den Universitäten, an denen Debatten rhetorisch und argumentativ brillant mit dem Florett ausgefochten werden. Im Londoner »Dana Centre« werden sogar aktuelle wissenschaftliche Themen wie Gentechnik und Internet-Zensur von Laien und Experten öffentlich diskutiert (vgl. Weitze 2006). Es spricht für die Demokratiekultur in Deutschland, dass Debattierclubs an den Hochschulen allmählich heimisch werden, ja auch Bürger im öffentlichen Raum engagierte Debatten über politische Themen führen (vgl. Goede 2005b). Antworten auf Probleme gibt es viele, kein Monopolist ist Träger einer einzigen Wahrheit, sondern erst der ritualisierte Meinungsstreit, hauptsächlich von Experten, aber zunehmend auch von Laien und selbst Betroffenen entscheidet darüber, welche der vielen Antwortgeber und Wahrheitsinterpreten die besten und überzeugendsten Fakten präsentieren und welche sich als mehrheitsfähig herausschälen. Das ist eine gewaltige Kulturleistung unserer Zivilisation, in die sich die undogmatische Popper’sche Definition über die Begrenztheit wissenschaftlicher Wahrheit nahtlos einfügt: dass jede Theorie nur so lange gilt, bis sie widerlegt wird; und dass, wie Marcelo Dascal postuliert, die Wissenschaftsgeschichte von ihrer Natur her eine Sequenz von Kontroversen ist, in deren Verlauf sich die Validität von Theorien zunehmend schärfer herauskristallisiert, wie auch deren rationale Elemente untermauert und ihre irrationalen Anteile ausgeschieden werden, bis lupenreine neue Gedanken formuliert sind, die Teile unserer Wirklichkeit so solide erklären, dass sie auch der experimentellen Überprüfung standhalten. Dieser von Keinem direkt kontrollierte Prozess, der die Welt als ein grundlegend of166
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fenes hypothetisches Konstrukt begreift, nötigt Demut ab und erfordert gleichzeitig intellektuellen Sportsgeist: Denn nur indem wir den tradierten Thesen über die Entstehung unserer Welt und dem Phänomen des Lebens gut begründete Antithesen gegenüberstellen, entsteht Spannung – für viele Akteure in dieser Auseinandersetzung oft nur schwer erträglich und mit hohen Risiken verbunden. Daraus gehen neue Synthesen hervor, die eine noch genauere Erklärung vorlegen und die dabei die alte oft auf den Friedhof der Wissenschaft befördern. Die Ergebnisse wissenschaftlichen Forschens müssen kommuniziert und verbreitet werden, damit ein Austausch darüber entstehen kann. Hier obwaltet eine formelhafte Fachsprache, die von Nicht-Experten sowieso nicht verstanden wird, aber auch Experten aus benachbarten Disziplinen immer häufiger Schwierigkeiten bereitet – die Öffentlichkeit bleibt ausgeschlossen. Das mag in früheren Zeiten in Ordnung gewesen sein, als Wissenschaftler noch der Hauch eines Zaubers umwehte und ihre Erkenntnisse noch nicht so bedeutsam für die Gesellschaft waren. In modernen Demokratien ist aber nicht nur die Politik, sondern auch die zum großen Teil von Steuergeldern finanzierte Forschung dem Bürger gegenüber rechenschaftspflichtig, und zwar in einer Sprache, die jeder versteht. Das stellt Forscher vor große kommunikative Herausforderungen – nicht nur sie: In hochtechnisierten Gesellschaften, in denen Wissenschaft und Forschung immer mehr zum herausragenden Wirtschaftsfaktor wird, müssen auch die Medien akkurat und verstehbar über komplizierte Sachverhalte berichten, die Prozesse wie in der Politik kritisch begleiten, potenzielle Nutzen und etwaige Schäden herausarbeiten. Hier wird Wissenschaftskommunikatoren, Forschern und Journalisten gleichermaßen eine hohe Kompetenz abverlangt, in der erzählerische und analytische Komponenten eine erhebliche Rolle spielen. Optimierte Kommunikationsformen stellen sicher, dass wichtige Forschungsergebnisse über die Massenmedien einen großen Teil der Öffentlichkeit erreichen und dem Meinungsbildungsprozess unterworfen werden. Damit wird auch ein Teil der Gesellschaft einbezogen, der sich Zivil- oder Bürgergesellschaft nennt. Das ist weder Exekutive, Legislative noch Judikative, weder ein Teil der politischen Parteien noch des ökonomischen Systems, sondern umfasst alle freien Vereinigungen von Menschen außerhalb dieses Politik und Wirtschaft konstituierenden Zentralbereichs eines Staatswesens. Dazu gehören traditionell Sportund Schrebergärtnervereine, in neuerer Zeit Bürger- und Umweltinitiativen sowie die im letzten Jahrzehnt boomartig gewachsene Selbsthilfebewegung, u.a. im Gesundheitswesen, und die ehrenamtliche Arbeit. Zu dieser Bürgergesellschaft gehören in Deutschland mehrere Millionen Menschen – mehr als die politischen Parteien Mitglieder zählen –, 167
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die Jahr für Jahr der Volkswirtschaft ein Vermögen von vielen Milliarden Euro erarbeiten. Ein Teil dieser Organisationen, gerade wenn sie in ihrer Arbeit die nationalen Grenzen überschreiten, werden auch Nichtregierungs-Organisationen oder Nongovernment Organizations (NGOs) genannt. In Politik und Wissenschaft setzt sich zunehmend die Auffassung durch, dass die Aktivbürger durch ihr vielfältiges Engagement und durch ihren demokratischen Geist ein tragender Teil der Gesellschaft sind, vielleicht sogar ihre dritte Säule, und dass ihnen in Zukunft in einem schlanker werdenden Staat weitere Aufgaben zuwachsen werden (vgl. Dettling 2001; Goede 2001). Diese Bürgergesellschaft dürfte auch für die Wissenschaft, neben Politik und Wirtschaft, zu einem prominenten Ansprech- und Kooperationspartner werden.
Hintergründe, Beispiele, Tendenzen Kirche, Staat, Markt – und die Wissenschaft Wissenschaft vermittelt von sich das Bild einer objektiven und wertneutralen Geistesdisziplin. Doch sie operiert nie im luftleeren Raum, sondern ist Bestandteil eines spezifischen Machtgefüges, entweder selber konstitutives Element davon oder außerhalb liegend: ein herausfordernder, Spannung generierender Antipol, der mit dem die Gesetze festlegenden System in den Clinch gerät, mittel- oder langfristig verändernd wirkt und dabei oft selber ein Teil des Systems wird. Klassisches Beispiel dafür ist die Himmelskunde. Über tausend Jahre lang besaß im Abendland das Christentum, selber aus einer Sekte entstanden und lange Zeit verfolgt, das Wahrheitsmonopol. Die katholische Theologie galt als unumstrittene Königswissenschaft, die das irdische Leben sowie den Kosmos in allen Nuancen erklärte und interpretierte. Eine Sonne, die morgens im Osten aufging und abends im Westen unterging, konnte sich aller Logik nach nur um die Erde drehen, alles andere wäre auch der biblischen Schöpfungsgeschichte diametral entgegengestanden. Und da behauptete im 16. Jahrhundert Galileo Galilei, er hätte unwiderlegbare Himmelsbeweise, dass das heliozentrische Weltbild wissenschaftlicher Unsinn sei. Galilei kam 1633 vor die kirchliche Inquisition und wurde verbannt (vgl. Hellmann 2000). Seine wissenschaftliche Wahrheit ließ sich nicht an die Leine legen, im Gegenteil, gerade wegen dieser Maßregelung breitete sie sich aus und legte den Grundstein für das Gebäude der modernen Naturwissenschaften, die auf Beobachtung und Empirie, Sammeln von Daten und Ableiten von Gesetzen sowie experimentellem Überprüfen beruhen. Damit hatte das alte Macht- und 168
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Ordnungssystem Kirche selber zu seiner Relativierung und Säkularisierung beigetragen. In der Folgezeit büßte sie immer mehr ihre Deutungshoheit ein und musste sie an die mit neueren Methoden arbeitenden Wissenschaften abtreten. Als über 200 Jahre später, 1859, der zweite wissenschaftliche Großangriff auf die angeblichen Gewissheiten des christlichen Glaubens erfolgte, war dieser Erosionsprozess schon so weit vorangeschritten, dass die Reaktion matt ausfiel. Der englische Naturforscher Charles Darwin begründete die moderne Abstammungslehre und Evolutionsbiologie, nach der die Arten sich durch einen zufälligen Prozess der Auslese und Anpassung entwickelten, was von modernen Genetikern und Paläoanthropologen bestätigt wird. »Ist der Mensch nun Affe oder Engel?«, fragte nach Darwins Veröffentlichung pikiert der englische Premierminister Disreali. Während der Einfluss der Kirche schwand, schwoll der des Staates an. Diese Entwicklung kulminierte in den großen ideologischen Kreuzzügen des 20. Jahrhunderts, in denen die Naturwissenschaften sowie deren technologisch-militärische Innovationskraft eine Schlüsselrolle spielten (vgl. Goede 2004). Im Dritten Reich erkannten das rasch viele Forscher, die einerseits durch Kollaboration mit den Nazis ihre Karrieren und Forschungsziele ehrgeizig vorantrieben, die sich andererseits willig vom Regime für dessen fanatische Rassen- und Kriegspolitik einspannen ließen. Auch die Gegner Nazi-Deutschlands hatten sich mit Wissenschaft und Technik verbündet. Die Atombombe besiegelte den Sieg der Alliierten über die Achsenmächte im Zweiten Weltkrieg; im sich anschließenden Kalten Krieg konnte Amerika psychologisch mit seinen Erfolgen im Weltraumflug punkten und mit immer leistungsfähigeren Nuklearwaffen die Sowjetunion schließlich zur Kapitulation zwingen. Der Fall der Berliner Mauer 1989 bereitete den Boden für Neoliberalismus und Globalisierung, in der Wirtschaft und Markt über alle Grenzen hinweg machtvoll regieren, während der Staat sich auf Sparflamme zurückzieht und wichtige Funktionen in den Markt auslagert. Folgerichtig gewinnt dieser auch mehr und mehr Einfluss auf Forscher. In ihrem Buch »Trust us. We’re Experts!« beschreiben die beiden US-Autoren Sheldon Rampton und John Stauber, wie Tabakhersteller mit großzügigen Spenden angesehene Wissenschaftler dazu brachten, in Briefen an Medizinfachzeitschriften die Wirkung von Nikotin zu verharmlosen (vgl. Rampton/Stauber 2001). »Und wie sicher sind neue Medikamente?«, fragen die Verfasser. Rampton und Stauber fanden heraus, dass im renommierten »New England Journal of Medicine« 19 von 40 Artikel über Arzneien von Mitarbeitern der Industrie verfasst worden waren und zu positiveren Ergebnissen kamen als unabhängige Recher169
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cheure. Profit wird zum Maß aller Dinge, auch in der Wissenschaft. Geld hat Neugier als Motor der Forschung ersetzt, zitieren die Autoren den US-Biochemiker und Nobelpreisträger Kary B. Mullis. Redakteure des Wissenschaftsteils der New York Times klagen unterdessen, dass sie kaum mehr Sachverständige finden, die wissenschaftliche Entwicklungen beurteilen können, ohne dass sie mit diesen finanziell liiert wären.
Vom Defizit zum sozial robusten Wissen Ein neuer Wind weht unterdessen aus England, wo sich seit Ende des 20. Jahrhunderts kritische Wissenschaftsforscher darum bemühen, die akademischen Elfenbeintürme zu schleifen. John Durant verlangte das »Ende der Expertenherrschaft« und postulierte: »Die Allgemeinverständlichkeit der Wissenschaft ist ein Grundrecht der Öffentlichkeit.« Sein Kollege Brian Wynne erklärte den traditionellen Weg der Wissenschaftskommunikation von oben nach unten zum »Defizit-Modell« und stellte diesem das »Demokratie-Modell« entgegen (vgl. British Council 2001), das auch die Gegenrichtung, den Weg von unten nach oben, einbezieht und normale Bürger, »Laien-Experten«, zu Wort kommen lässt. Das hat die Wissenschaftsphilosophin Helga Nowotny in ihrem Buch »Imaginierte Laien« aufgegriffen, in dem sie die Öffentlichkeit als »KoProduzentin« des Wissens verstanden wissen will. Erst im Dialog zwischen Experten und Laien werde neues Wissen »sozial robust« und gesellschaftlich angenommen, was auch positive wirtschaftliche Auswirkungen hat (vgl. Nowotny 2004). Es waren all diese Gedanken, die in die Popularisierungs-Kampagne »Public Understanding of Science« (PUS) einflossen, die in England geboren und die in Deutschland unter dem Namen PUSH aufgegriffen wurde (vgl. Weitze 2001). Sie stellt die Wissenschaft idealiter auf den Marktplatz, wo sie Rede und Antwort stehen muss. Das brachte auch hierzulande neue Dialogformen (Wissenschaftsjahre, Wissenschaftssommer) hervor, in denen Wissenschaftler und Bürger auf gleicher Augenhöhe einander treffen und als Teile einer Community begreifen (vgl. Goede 2003).
Bericht aus Brüssel Die Frage, wie sich der Wissenschaft demokratisch-transparentere Strukturen einziehen lassen, beschäftigt auch die Europäische Commission (EC). Sie rief im März 2005 in Brüssel ein dreitägiges Forum
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»Science in Society« ein3, bei dem sich EU Kommissar Janez Potoþnik für eine stärkere Partizipation der Bürger in der Wissenschaft aussprach. Wissenschaft müsse als Teil des sozialen Gewebes unserer Gesellschaft gesehen werden. Das wurde von Jan Figel, EU Kommissar für Kultur und Bildung, unterstützt. Wenn Europa seine sozialen und ökologischen Standards behaupten wolle, müssten seine Wissenszentren mehr in Wettbewerb treten, sei doch die Forschung für die Hälfte des Wirtschaftswachstums verantwortlich. Um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu gewinnen, müssten Wissenschaftler ihre Daten klarer als je zuvor präsentieren. »Kommunikation muss die Menschen einbeziehen und Vertrauen aufbauen«, forderte Wilhelm Krull, Generalsekretär der Volkswagenstiftung. Die Forscher müssten überzeugende Geschichten anbieten sowie die Dinge dahinter bedeutungsvoll machen. Bernard Chevassus-au-Louis, Präsident des französischen »Musée National d'Histoire Naturelle«, ging noch weiter. »Innovation ist für Jeden, weshalb wir viel mehr den ›Dritten Sektor‹, die Nichtregierungs-Organisationen beteiligen – und sie zum Motor der Innovation machen müssen«, regte er an. Massimiano Bucchi von der italienischen Trento Universität würdigte die Tatsache, dass Bürgerorganisationen häufig selber die Forschung unterstützten, zum Beispiel bei Krebs sogar deren Finanzierung. Ulrike Felt von der Universität Wien machte klar: Zum Überprüfen wissenschaftlicher Hypothesen sei die Öffentlichkeit unverzichtbar. Tiefer in das Thema stieg ein Runder Tisch ein mit dem Thema: »Zivilgesellschaft und Wissenschaft: mehr Gewicht für NichtregierungsOrganisationen (NGOs)?« Als NGO-Vertreter saßen u.a. auf dem Panel: Greenpeace, die Europäische Senioren Plattform, die Europäische AidsBehandlungs-Gruppe. Sie arbeiteten heraus, dass die Bürgerorganisationen eine wichtige Ergänzung zu den gewählten Institutionen sind. Bei der Diskussion ging es zum großen Teil um die Beziehung dieser Gruppen zu den pharmazeutischen Firmen. Als Verbraucher der von der Pharmaindustrie hergestellten Medikamente fühlen sie sich nicht ernst genug genommen. Die Vertreter der Aids-Kranken wollen mit dabei sein, wenn klinische Versuchsreihen mit neu entwickelten Mitteln anlaufen, um die Erfahrung ihrer Klientel einfließen zu lassen. Die Senioren fühlen sich ›eingesperrt‹, weil sie keinen Einfluss darauf haben, was ihnen für typische Alters-Krankheiten verschrieben wird – »Keiner biete unabhängige und verlässliche Informationen an«, so die Klage. Eine Partnerschaft zwischen den Forschern und den von ihnen bedienten Bevölkerungsgruppen sei während des gesamten Forschungsprozesses nö3
European Commission: Science in Society, Forum 2005, Brussels, March 9-11, http://www.eu.int/comm/research/conferences/2005/forum2005/docs /questions_sciences_en.pdf/ (8.3.2006).
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tig, besonders auch bei der Diskussion und Bewertung der Forschungsergebnisse. Die Expertise der Betroffenen und Kranken müsse viel mehr von den Forschern abgefragt werden und in die Testreihen einfließen. »Wir stellen Fragen, die Andere nicht stellen«, strich der Greenpeace-Vertreter die Stärke der NGOs heraus. Deren Rolle sei vierteilig: Sie sind Aufpasser, überprüfen Befunde, schlagen Prioritäten vor und entwickeln Lösungen für die Probleme. In Frankreich werden zivilgesellschaftliche Gruppen bereits aktiv in die Forschung einbezogen. Zukünftige Felder der Beteiligung sind Gesundheit, Umwelt, Landwirtschaft, Energie, Diskriminierung. Darin soll es zur engen Zusammenarbeit zwischen Forschung, Politik und Betroffenen kommen. Am weitesten ist das gediehen bei den Senioren. Sie sind Gegenstand einer »European Research Area«, in der 14 verschiedene nationale Altersforschungsprogramme zusammenfließen, um die Ergebnisse miteinander vergleichen zu können, Synergieeffekte zu nutzen und Doppelungen zu vermeiden. Es wurde betont, dass Wissenschaftsläden ein gutes Bindeglied zwischen den Communities sowie Universitäts- und Forschungsbetrieb seien. Auf kommunaler Ebene könnten eigene unabhängige Forschungen betrieben werden, die so genannte »Community-Based Research«. Diese kann, wie in England bereits der Fall, von »Community Research Councils« gebündelt und an »Community Universities« weitergegeben werden. Solche Hochschulen werden besonders in Kanada gefördert. Dort gibt es seit 1999 die Community-University Research Alliances (CURAs)4 mit einem Gesamtbudget von 20 Millionen Dollar; nach diesem Vorbild entsteht derzeit in Frankreich das Partenariats InstitutionsCitoyens pour la Recherche et l'Innovation (PICRI).5 Auch in Italien existieren ähnliche Forschungsstätten, die besonders Menschen mit nichtakademischem Hintergrund unterstützen (vgl. Vargiu 2005). Eine lange Tradition hat das amerikanische Loka Institute (vgl. Sclove 1995), und Chicagos Community Organizations trainieren die Menschen in ihren Nachbarschaften schon lange darin, ihre eigenen Daten zu erheben und sich nicht auf die amtlichen zu verlassen, besonders bei Umweltproblemen (vgl. Trapp 1979).
Beispiele und Visionen Von der britischen Insel kam im Jahr 2005 ein Vorstoß, Licht in die umstrittene Nanotechnologie zu bringen. Sie wird vielfach als Wundermittel gepriesen, das Krebs ausrotten und Energieprobleme lösen wird – 4 http://www.sshrc.ca/web/apply/program_descriptions/cura_e.asp (8.3.2006) 5 http://www.iledefrance.fr/ (8.3.2006)
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doch keiner weiß etwas über gesundheitliche Risiken durch diese molekülgroßen Teilchen, die zum Teil künstlich hergestellt werden und möglicherweise leicht in Organismen geraten können. Um dieses heiße Thema offensiv und unparteiisch anzugehen, taten sich drei unterschiedliche Gruppen zusammen: die angesehene Tageszeitung ›Guardian‹, Wissenschaftler der Cambridge Universität sowie Greenpeace. Sie organisierten ein Gremium aus 20 Bürgern, die von Nanotechnologie keine Ahnung hatten und wochenlang Experten interviewen durften. Anschließend tat diese Nano-Jury der Öffentlichkeit ihre Meinung kund und gab Empfehlungen ab.6 Diese waren einfach und fanden so großen Widerhall, dass bereits die Umsetzung in Arbeit ist: Alle Artikel, die Nanopartikel enthalten, sollen gekennzeichnet werden, sodass der Verbraucher selber entscheiden kann, ob er sich darauf einlassen will. Zuvor muss allerdings noch über die tolerierbaren Grenzwerte entschieden werden. Ein ähnliches Laien-Gremium hat sich auch in Deutschland hervorgetan. Anfang 2004 berief das Berliner Max-Delbrück-Centrum eine Bürgerkonferenz ein, während der Laien Empfehlungen zur umstrittenen Stammzellenforschung machten. Stammzellen sind Urzellen, die sich immer wieder erneuern und die zur Therapie von Herz- und Hirninfarkten herangezogen werden könnten. Sie werden erwachsenen Menschen wie auch wenige Tage alten Embryos entnommen, die darüber allerdings zugrunde gehen – deshalb ist Stammzellenforschung ethisch kontrovers. 20 Laien, aus einem Kreis von 14 000 Bürgern ausgewählt, wollten nach intensiver Auseinandersetzung die embryonale Forschung nicht völlig verbieten. Die Konferenz und ihre vielschichtigen Ergebnisse wurden zu einem Konzept erweitert, wie Bürger künftig in die Diskussion um wissenschaftliche Fragen einbezogen werden können (vgl. Tannert/Wiedemann 2004). Die Autoren gehen davon aus, dass Laien oft viel besser als Experten die Schwachstellen komplexer System erkennen: »Nichtexperten nehmen Umfeldfaktoren häufig besser wahr, betrachten eher ganzheitlich und urteilen unbefangener« (Tannert/Wiedemann 2004: 62); und dass nur der öffentliche Dialog Gewähr dafür bietet, dass Ergebnisse der Wissenschaft »in humanitärem Fortschritt münden« (Tannert/Wiedemann 2004: 60). Darauf aufbauend, müssten Bürgerkonferenzen – die in Skandinavien eine lange Tradition haben – ausgeweitet werden. Die Publikation empfiehlt drei konkrete Wege. Analog zu Sabine Christiansens Polit-Talk könnte ein TV-Format eingeführt werden, bei dem Bürger Politik und Wissenschaft einer öffentlichen Befragung unterziehen. Des Weiteren sollten Bürgerkonferenzen in Gestalt einwöchi6
siehe http://www.nanojury.org (28.3.2006)
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ger Projektwochen in Schulen und Universitäten stattfinden, um deren Resultate dann in öffentlichen Foren vorzustellen. Schließlich sollte ein ständiger Bürgerrat gegründet werden, der Voten zu Zukunftsfragen erarbeitet, die vom Parlament berücksichtigt werden müssten – was an das Beratungsgremium erinnert, das NGOs der Europäischen Kommission zur Seite stellen möchten. Die Verfasser berufen sich bei diesem Katalog auf den Zukunftsforscher Robert Jungk, für den der Gang zur Wahlurne der erste Schritt zur Demokratie gewesen war, die sich erst im breiten öffentlichen Diskurs über die Streitfragen der Zeit vollende. Diese Vorschläge wurden auch auf der Robert-Jungk-Tagung »Tatort Zukunft« aufgegriffen7, die im November 2005 an der evangelischen Akademie in Bad Boll stattfand und die der ersten Zukunftswerkstatt des Wissenschaftsforschers vor 35 Jahren gedachte. Es wurde die Idee eines »Talks im Elfenbeinturm« geboren, eines seriellen Talkshow-Hearings, bei dem Bürger Angehörige des »Sci-Betriebs« zu wissenschaftlichen Reizthemen befragen. Ein Informatiker schlug vor, nach dem Vorbild der Open Source-/Open Access-Software neueste Forschungsergebnisse direkt ins Netz zu stellen, wo die kollegiale Begutachtung (Peer Review) vermutlich genau so hieb- und stichfest sei wie in den wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Der Wunsch von Tagungsteilnehmern, die Tageszeitungen mögen mehr auf den Titelseiten über wissenschaftliche Ereignisse berichten, wurde Weihnachten 2005 erfüllt – allerdings negativ. Die ›Süddeutsche Zeitung‹ machte am 24. Dezember ihre Weihnachtsausgabe mit der Schlagzeile auf: »Fälscher Hwang erschüttert die Wissenschaft. Der südkoreanische Professor hat Daten seiner weltweit beachteten KlonExperimente manipuliert.« Später stellte sich heraus, dass er sich sogar Mitarbeiter durch Erpressung dienstbar machte. Lug und Trug im Labor, das ist unter Wissenschaftlern anscheinend verbreitet. Bei der Deutschen Forschungsgesellschaft wurden im Jahr 2004 immerhin 45 Betrugsfälle gemeldet. Nachdenklich macht auch: Die renommierte Wissenschaftszeitschrift ›Science‹ hatte Hwangs Fälschungen veröffentlicht; nach nur zwei Monaten der Überprüfung durch Gutachter, während normalerweise die doppelte Zeit erforderlich ist. »Wer hat hier versagt, die Redaktion, das Gutachtersystem?«, fragte der Leiter der Wissenschaftsredaktion der ›Süddeutschen Zeitung‹, Patrick Illinger. Die Zeitschrift hat sich bereits wiederholt geirrt. 2002 stellte sich heraus, dass nahezu alle wesentlichen Arbeiten des zuvor bereits als Nobelpreiskandidat gehandelten
7
Robert-Jungk-Tagung 2005: Tatort Zukunft – Wie Bürger zu Partnern der Wissenschaft werden. Bad Boll November 2005, http://www.zw2003.de/ Boll/Datas/Tatort-Zukunft-Buerger-Partner-Wissenschaft.pdf/ (8.3.2006).
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deutschen Physikers Jan Hendrik Schön gefälscht waren. Mehr als zwei Dutzend hatte ›Science‹ abgedruckt. Das alles macht journalistische Arbeit und Kommunikation über Wissenschaft nicht einfacher. Journalisten sollen kritisch sein, eine gesellschaftlichen Kontrollinstanz darstellen, aber solche Machenschaften zu entlarven bedarf großer investigativer Fähigkeiten, die nur wenige in der Branche beherrschen. Das müsste in der Ausbildung, im Studium gefördert werden, wofür sich die Bertelsmannstiftung (vgl. Goede 2005a) einsetzt. Ein anderes Problem vieler Wissenschaftsjournalisten ist, dass sie es oft nicht schaffen, komplexe Themen und Fachsprache so herunterzubrechen, dass sie für einen Laien lesbar werden. Hier fehlt Vielen die Erzählkunst, die in den oft langen akademischen Ausbildungswegen auf der Strecke bleibt. Um dieses Thema will sich der Weltverband der Wissenschaftsjournalisten kümmern. Er wird im Jahr 2006 ein Peer-to-Peer-Mentorenprogramm launchen, in dem das narrative Element eine bedeutende Rolle spielt (vgl. Goede 2005c). Damit soll besonders Journalisten in Ländern der Dritten Welt, speziell in Afrika und im Mittleren Osten, das schreiberische Handwerkszeug vermittelt werden, Wissenschaftsthemen aus ihren Regionen aufzugreifen und einem meist wenig gebildeten Laienpublikum zu erklären. Beim Sichten der Befunde, die die zentrale These dieses Beitrags untermauern sollen, dass die Menschen und insbesondere die Zivilgesellschaft mehr in die Wissenschaft eingebunden werden sollten, kommen wir zum Ende – und kehren an den Anfang zurück, in die Zeit, als die Neuzeit das Mittelalter ablöste. Der Glaubensreformer Martin Luther war einer ihrer wesentlichen Protagonisten, der wie Galilei den Konflikt mit den Mächtigen nicht scheute und das kontroverse Element von Wissenschaft, in diesem Fall als Theologe, beispielhaft vorlebte. Gleichzeitig verstand er sich auf die zweite Komponente, die Sprachkompetenz, mit der er sich bei der Bibelübersetzung ein bleibendes Denkmal setzte. Die Deutschen haben viele vorbildliche Kommunikatoren und eine hervorragende Tradition: von Luther, über Alexander von Humboldt bis Wolfgang Heckl. Der Nanophysiker und Generaldirektor des Deutschen Museums in München wurde im Jahr 2004 mit dem europäischen Descartes Prize for Science Communication ausgezeichnet. Sein Rezept: Belehr nicht, bombardier die Menschen nicht mit Fakten, sondern erweck Neugier – erzähl Geschichten!
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Schluss Wir leben in einer hoch entwickelten Expertenkultur. Dass NichtWissenschaftler Partner der Wissenschaftler sind – mitunter unbequeme, die in den Forschungsprozess einbezogen werden und in einem kontroversen Spannungsfeld über die Gültigkeit von Forschungsergebnissen mitbestimmen wollen, sogar müssen –, ist ein für Viele schwer verstehbarer Gedanke, der ihre Welt auf den Kopf stellt. Dieser Paradigmenwechsel wurde von dem Münchner Sozialpsychologen Heiner Keupp 1998 auf der Tagung »Qualität durch Partizipation und Empowerment« so zusammengefasst: Die Laien sind mit ihren wichtigen Alltagserfahrungen die Experten der Praxis, die studierten Experten treten in den Hintergrund und übernehmen Beratungs-Funktion – Fachexperten coachen Praxisexperten. In den letzten acht Jahren sind viele Sozialpädagogen diesem Berufsverständnis näher gekommen. Von Fachkräften geführte Altersheime sind zu teuer, sich selber betreuende Seniorenwohngemeinschaften werden mittlerweile von vorausdenkenden Kommunen finanziell gefördert und Sozialarbeiter vermitteln Interessierten das Know-how dafür. Psychisch Kranke werden nicht mehr in Anstalten gesteckt, stattdessen werden sie gecoacht, wie sie Restaurants selbsttätig betreiben können – mit dem Erfolg, dass sie weniger Medikamente benötigen. Der Düsseldorfer Soziologe Norbert Herriger hat das zu einem ›kategorischen Imperativ‹ zusammengefasst: Menschen dabei unter die Arme zu greifen, das Regiebuch für ihr eigenes Lebens zu verfassen. Dass diese Diskussion jetzt aus dem engeren Bereich der sozialen Arbeit, des Gesundheitswesens und der Medizin auf die Naturwissenschaften übergreift, ist ein deutliches Signal. Wie künftige Kooperationen zwischen Wissenschaftern und Nicht-Wissenschaftlern aussehen, welche Art von Kontroversen darin ausgetragen werden und mit welchen sprachlichen Mitteln, mit solchen Fragen öffnen wir ein neues spannendes Kapitel der Wissenschaftskultur. »Wenn keine Brücken von Forschung und Hochschulen zu den Bürgern geschlagen werden, dann leisten sie im Grunde unwissenschaftliche Arbeit, denn sie lassen die Dimensionen der öffentlichen Akzeptanz oder Ablehnung aus und sind dazu verurteilt, eine inhumane Wissenschaft voranzutreiben, die letztlich in Katastrophen enden muss.« (Robert Jungk, Zukunftsforscher8)
8
Zitiert nach WILA inform (Wissenschaftsladen Bonn), Nr. 45, 04/2004, S.9, http://www.wilabonn.de/650_155.htm?h604
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Wissenskonstruktion durch kooperatives Schreiben in Netzwerkmedien CHRISTIAN KOHL/THOMAS METTEN
Einleitung Dieser Beitrag beschreibt Wissenskonstruktion durch kooperatives Schreiben in Netzwerkmedien am Beispiel des Wikipedia-Eintrags zum Stichwort »Philosophie«. Spezifische Strukturen und Prozesse der Internet-Enzyklopädie Wikipedia bilden die Voraussetzungen für die Entstehung einer medialen Wissenskultur, deren Prozesse der Texterstellung unabgeschlossen und kontrovers sind. Bevor anhand des Beispiels aufgezeigt wird, wie Wissenskonstruktion in Wikipedia abläuft, werden zunächst die technischen Voraussetzungen und Besonderheiten von Wikipedia beschrieben sowie der Begriff des »kooperativen Schreibens« präzisiert. Anhand des Fallbeispiels »Philosophie« werden kooperative Schreibprozesse sowie die sprachlichen Interaktionen der Akteure im Rahmen einer Handlungsmuster-Analyse dargestellt. Abschließend werden einige Überlegungen zum Einsatz der Wiki-Software in der Schreibdidaktik vorgestellt. Kontroversen bieten in dieser Hinsicht einen Schlüssel zur Wissensaneignung der am kooperativen Schreiben beteiligten Akteure.
Netzwerkkommunikation und Wikipedia Als Netzwerkmedien verstehen wir alle primär im Internet existierenden Medien. Dies schließt nicht aus, dass diese Medien auch in anderer Form, in anderen Kanälen Verbreitung finden (Wikipedia gibt es inzwischen auch auszugsweise als DVD und Printprodukt). Wichtig ist jedoch 179
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allein, dass der Konstruktions- und Kooperationsprozess im Internet stattfindet.1
Die Internet-Enzyklopädie Wikipedia Die Internet-Enzyklopädie Wikipedia2 ist aus drei Gründen schwierig zu beschreiben: Erstens existiert bislang kaum wissenschaftliche Literatur dazu, so dass wir uns auf journalistische Arbeiten, Beiträge in Diskussionsforen oder auf Mailinglisten sowie natürlich Wikipedia selbst stützen müssen. Zweitens existiert ein Großteil der (nicht wissenschaftlichen) Publikationen über Wikipedia vornehmlich im Internet, weshalb die Verwendung dieser Quellen problematisch ist: Es kann nicht garantiert werden, dass die Links oder Inhalte unverändert bleiben. Drittens schließlich ist Wikipedia kein homogenes Gebilde mit klar definierten Strukturen und Prozessen, sondern an vielen Stellen im stetigen Wandel. Wikipedia bezeichnet sich selbst als die freie Enzyklopädie, die jeder editieren kann.3 Eine präzise Definition des eigenen Enzyklopädieverständnisses fehlt allerdings, was ein Auszug aus dem Selbstverständnis der Wikipedia zeigt: »Wie andere Enzyklopädien verfolgt auch Wikipedia das Ziel, die Gesamtheit des Wissens unserer Zeit in lexikalischer Form anzubieten. [...] Welche Themen aufgenommen werden und in welcher Form, entscheidet die Community in einem offenen Redaktionsprozess. [...] Im Zweifel wird über den Einzelfall diskutiert. Empfindet ein Benutzer ein Thema als ungeeignet oder einen Artikel als dem Thema nicht angemessen, kann er einen so genannten Löschantrag stellen [...].«4 1 2
3 4
Vgl. zur Netzwerkkommunikation auch Bucher (2005). Zu Entstehungsgeschichte von Wikipedia vgl. Sanger (2005), Kohl/Liebert (2004) und http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Geschichte_der _Wikipedia/ (4.1.2006). http://en.wikipedia.org/wiki/Main_Page/ (4.1.2006). http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia/ (4.1.2006); Hervorhebungen i.O. –An diesem Ausschnitt zeigen sich gleich mehrere grundlegende Probleme von Wikipedia, die in diesem Beitrag zwar nicht thematisiert werden können, aber dennoch kurz Erwähnung finden sollen: Erstens werden häufig unscharfe Begriffe wie etwa »die Community« verwendet, generell fehlt es im Selbstverständnis von Wikipedia an präzisen Definitionen der Ziele, Strukturen und Prozesse. Zweitens ist die »Community«, auf Grund der Tatsache, dass sich ja jeder beteiligen kann, sehr heterogen zusammengesetzt, was dazu führt, dass es innerhalb der Autorenschaft unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, was ein Artikel werden soll und auch wie er geschrieben werden soll. Beide Punkte zusammen führen dazu, dass letztlich niemand abschließend Verantwortung für die Inhalte übernimmt. Drittens sind die Formulierungen häufig ungenau oder unpas-
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Zentrale Eigenschaften von Wikipedia Technische Grundlage Wikipedia basiert auf einer so genannten Wiki-Software (vgl. Leuf/ Cunningham 2001), woraus sich auch der Name »Wikipedia« ableitet. Ein Wiki5 ermöglicht den Teilnehmern auf einfache Art und Weise das kooperative Erstellen und Bearbeiten von Hypertexten im Internet. Dabei stehen Einfachheit und Offenheit im Vordergrund. Dem Nutzer soll es ohne technische Kenntnisse ermöglicht werden, zu partizipieren, mit anderen Nutzern gemeinsam Inhalte zu bearbeiten. Typischerweise sind alle Seiten eines Wikis für alle Nutzer lesbar und editierbar. Durch diese extreme Offenheit und den fast6 völligen Verzicht auf Zugangskontrollen und komplizierte Rechtevergabesysteme erhalten die Nutzer viele Rechte, werden aber auch gleichzeitig zu einem respektvollen Umgang mit fremden Inhalten verpflichtet. Bislang existieren allerdings noch keine umfassenden Studien zum Verhalten der Nutzer in Wikis oder speziell Wikipedia. Wagner (2006) zeigt, dass Wikis als Tools im Wissensmanagement zumindest das Wachstum der Wissensmenge befördern, er muss jedoch auch einräumen, dass die Messung der Qualität dieser Wissensmengen problematisch ist. Eine abschließende Beurteilung, ob dieses Prinzip der Offenheit funktioniert, kann also zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorgenommen werden. Erfahrungswerte zeigen allerdings, dass zumindest für kleine, relativ homogene Benutzergruppen Wikis durchaus funktionieren.7 (Leuf/Cunningham 2001: 327ff.; Hennicken/Zahiri 2003). Offenheit Ein wichtiges Merkmal von Wikipedia ist Offenheit, dies manifestiert sich auf zweierlei Weise: x Die Mitarbeit steht jedem offen: Es gibt prinzipiell keine Zugangsbeschränkung.8
5 6 7
8
send, hier macht sich das Fehlen eines professionellen Lektorats bemerkbar. Für eine ausführlichere Kritik an der heutigen Wikipedia vgl. auch Sanger (2005). Technisch exakt formuliert müsste es heißen: Eine Website, die eine WikiSoftware einsetzt. »Fast« deshalb, weil zumindest das Impressum im Regelfall nur vom Betreiber geändert werden kann, schon allein aus rechtlichen Gründen. Deshalb werden Wikis zunehmend auch in Firmennetzwerken (corporate intranets) eingesetzt, vgl. dazu die Liste und Erfahrungsberichte unter http://twiki.org/cgi-bin/view/Main/TwikiSuccessStories/ (17.02.2006). Zwar wird gerade eine Zugangsbeschränkung für einige Artikel eingeführt, aber die Anmeldedaten werden weiterhin nicht authentifiziert, es kann also weiterhin jeder unter beliebigen Pseudonymen mitarbeiten.
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x Die Inhalte der Wikipedia stehen unter einer Open Source bzw. Open Content Lizenz.9 Damit soll sichergestellt werden, dass das angesammelte Wissen nachhaltig kostenlos verfügbar sein wird.
Selbstorganisation und der neutrale Standpunkt Das Projekt unterscheidet sich ferner dadurch von anderen Enzyklopädien, dass es keine Redaktion gibt und damit auch keine institutionalisierte Qualitätskontrolle (Kohl/Liebert 2004: 136ff.). Das System lebt somit von der Selbstorganisation seiner Nutzergemeinschaft10. Die einzige von den Gründern der Wikipedia vorgegebene Regel ist die des »neutralen Standpunkts«, den die Autoren beim Schreiben ihrer Beiträge einnehmen sollen. Diese Regel ist, neben Allgemeinplätzen wie »Respektiere die Mitbenutzer« und »Beachte das Urheberrecht«, die einzige übergeordnete »Grundregel«. Um dem neutralen Standpunkt gerecht zu werden, soll der Artikel demnach nicht die Position eines Einzelnen widerspiegeln, vielmehr sollen die Auffassungen verschiedener Akteure Eingang finden.11 Bei der Lektüre dieser »Regeln« wird offensichtlich, dass sie, in Verbindung mit der Heterogenität der Benutzergruppe, ein enormes Konfliktpotenzial bergen, da sie unscharf formuliert und auf verschiedene Art interpretierbar sind. Dementsprechend sind im Verlauf des Projekts diverse interne Strukturen zur Konfliktbewältigung entstanden: u.a. gibt es zu jedem Artikel eine Diskussionsseite sowie übergeordnete Mediations-Seiten. Außerdem verfügt eine kleine Anzahl Mitarbeiter als Administratoren über Sonderrechte, mit denen Artikel gelöscht oder zeitweilig gesperrt und Benutzer blockiert werden können. Fehlende Qualitätssicherung Trotz aller gewachsenen Strukturen gibt es bislang keine systematische Qualitätskontrolle. Es wird vielmehr angenommen, dass das aus dem Open Source Softwareentwicklungsprozess übernommene »1000Augen-Prinzip« (vgl. Grassmuck 2002: 242ff.) gleich gut wie oder besser als ein klassischer Redaktionsprozess funktioniert. Dies kann zum jetzigen Zeitpunkt weder bewiesen noch widerlegt werden. Für den wissenschaftlichen Autor hat die Offenheit u.a. auch zur Folge, dass seine Beiträge nicht als Publikation zählen, da Artikel nicht eindeutig einer 9
»GNU Freie Dokumentationslizenz« bzw. »Creative Commons CC-by-sa Lizenz«. Zu Open Source und Open Content Lizenzen vgl. Grassmuck (2002: 394ff.). 10 Für eine Fallstudie von Wikipedia-Autoren vgl. Bryant/Forte/Bruckman (2005). 11 http://de.wikipedia.org/wiki/NPOV/ (28.01.2006).
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Person bzw. einer Gruppe zuzuordnen sind und eben auch keinen wissenschaftlichen peer review-Prozess durchlaufen haben.
Artikel in Wikipedia Artikel in Wikipedia sind Hypertexte (vgl. Kuhlen 1991) und stark untereinander vernetzt.12 Ein einzelner Artikel darf daher nicht isoliert analysiert werden, stattdessen müssen alle Texte des zugehörigen Textverbunds (Liebert 2002: 128ff.) zusammen betrachtet werden. In Wikipedia besteht dieser Textverbund in der Regel aus dem Artikel selbst, der Diskussionsseite und der Versionsgeschichte des Artikels13 sowie den im Artikel und in der zugehörigen Diskussion über Hyperlinks referenzierten Seiten. Ein Artikel an sich ist typischerweise ein modular aufgebauter Text, mit wenigstens folgenden Elementen bzw. Informationseinheiten: x x x x
Überschrift, Unterüberschriften Inhaltsverzeichnis (kann vom Nutzer ein- oder ausgeschaltet werden) Bild Artikeltext
Für einige Artikeltypen gibt es auch vorgegebene Strukturmerkmale, so haben etwa alle Einträge zu Städten einen optisch hervorgehobenen Kasten mit Daten.
Kontroversen als notwendiger Bestandteil kooperativer Wissenskonstruktionsprozesse Anhand der oben beschriebenen Eigenschaften wird deutlich, dass es sich bei Wikipedia um das vielleicht größte öffentliche kooperative Schreibprojekt handelt. Die Teilnehmer konstruieren gemeinsam Wissen, indem sie Enzyklopädieeinträge anlegen, bearbeiten und löschen. 12 Auch für die Erstellung von Hyperlinks gibt es keine festen Regeln in Wikipedia, es ist deshalb teilweise zumindest fraglich, ob die Links wirklich hilfreich sind oder die Lesbarkeit eher einschränken. Auch dies kann hier allerdings nicht thematisiert werden – eine Untersuchung von Wikipedia aus dem Blickwinkel der Hypertexttechnologie (vgl. Rehm 2004; Storrer 2001; 2004) wäre aber sicherlich wünschenswert, handelt es sich doch um den vielleicht größten frei verfügbaren Hypertextkorpus momentan. 13 Zu jedem Artikel existieren eine Diskussionsseite und eine Versionsgeschichte. Erstere bietet den Autoren Platz für den Austausch über den Artikel, für Kommentare und die Klärung inhaltlicher Differenzen. In der Versionsgeschichte werden alle vorherigen Versionen eines Artikels festgehalten, ältere Fassungen sind damit stets einsehbar. Damit kann der Entstehungsprozess nachvollzogen werden, es können auch einzelne Fassungen miteinander verglichen werden.
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Die Größe und Heterogenität der Autorenschaft, die Anonymität sowie das Fehlen eines Projektmanagements und weitgehende Abwesenheit oder Unschärfe von Regeln bereiten die Basis dafür, dass Kontroversen auf zwei Ebenen zu erwarten sind: Einmal auf der Meta-Ebene, wenn es darum geht, was im Sinne des Projekts ist und was nicht. Und einmal eben auf fachlicher Ebene. Wir betrachten im Folgenden nur Kontroversen fachlicher Natur, obwohl eine scharfe Trennung nicht immer möglich ist. Kontroversen werden vor allem durch die Regel des neutralen Standpunkts quasi institutionalisiert: Diese Regel sorgt dafür, dass prinzipiell alle Standpunkte zum Thema im Artikel wiedergegeben werden sollen, jedoch nicht unbedingt eine Synthese dieser Standpunkte gebildet wird. Damit liegt der Artikelentstehung eine Auseinandersetzung zu Grunde, die – je nach Thema und Beteiligten – in dem Kontinuum zwischen Kontroverse und Disput anzusiedeln ist (vgl. den Beitrag von Marcelo Dascal in diesem Band). Weitere Dynamik und Vielfalt gewinnen die Diskussionen und Artikel durch die Tatsache, dass in Wikipedia sowohl Fachleute als auch Laien gleichberechtigt zusammen an den Artikeln arbeiten.14
Fallbeispiel »Philosophie« Im Folgenden wird der Wikipedia-Eintrag »Philosophie« als Fallbeispiel verwendet, um eine erste qualitative Analyse der diesen kooperativen Schreibprozess konstituierenden Handlungen vorzunehmen und um die Bedeutung, die Kontroversen in diesen Mustern zukommt, zu ermitteln. Die Teilhandlungen der Akteure15 werden abschließend in das Handlungsmuster KOOPERATIVES SCHREIBEN IN WIKIPEDIA16 überführt. Problematisch bei der Entwicklung des Handlungsmusters ist die Identifikation der relevanten Handlungen. Die Entwicklung ist daher auf eine verstehende Interpretation angewiesen, welche die für einen kontroversen Entstehungsprozess relevanten Teilhandlungen zu rekonstruieren versucht (vgl. Klemm 2000; Liebert 2002 und den Beitrag von Wolf14 Zur Kritik dieses Ansatzes vgl. Sanger (2005). 15 Liste aller Versionen/Autoren des Artikel »Philosophie«: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Philosophie&action=history (7.1.2006). 16 Der Zusatz »in Wikipedia« soll hier verdeutlichen, dass in einer anderen Umgebung Kooperatives Schreiben durchaus anders aussehen kann. Zur Notation der Handlungsmuster: Gemäß linguistischer Konvention werden Handlungen in Großbuchstaben notiert. Wir werden an dieser Stelle, wie bereits Michael Klemm (2000), Kapitälchen zur besseren Lesbarkeit verwenden.
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Andreas Liebert in diesem Band). Rückschlüsse auf die Intentionen der Akteure können aus dem Kontext gewonnen werden. Die OnlineEnzyklopädie besitzt den Vorteil, dass die verlinkten Webseiten zur Diskussion17 sowie die Profile der User einen direkt zugänglichen Kontext bieten und so Rückschlüsse zulassen, da auf diesen Seiten die Texthandlungen teilweise expliziert werden. Die folgende Darstellung versucht, in gebotener Kürze einen Einblick in die textkonstitutiven – und vor allem kontroversen – Handlungen der Akteure zu geben, ohne die vielfältigen und detaillierten Strategien angemessen darstellen zu können.
Exemplarische Analyse Die Auswahl zur fallbasierten Analyse orientiert sich an der Entstehungsgeschichte des Beitrags. Um die kooperativen Prozesse des Schreibens untersuchen zu können, haben wir uns für einen Beitrag entschieden, der bereits eine detaillierte Struktur besitzt. Der WikipediaEintrag »Philosophie« weist zum Untersuchungszeitpunkt eine dreijährige Versionsgeschichte auf. Der Eintrag entsteht am 4. Mai 2002. Die zu Beginn der Analyse vorliegende Version besteht aus einer kurzen Einleitung, dem Inhaltsverzeichnis sowie 14 Haupt- und 8 Unterkapiteln. Die Analyse erfolgt über einen Zeitraum vom 1. Juli bis zum 1. September 2005.
Beschreibung der Teilhandlungen Der Vergleich der Versionen vom 1. und 25. Juli kennzeichnet zentrale Aspekte der Texterstellung. Betrachten wir die Überarbeitung des einleitenden Abschnitts zur Begriffsbestimmung der Philosophie: Ein User (SLB18) fügt anstelle des zweiten Satzes der Version vom 1. Juli eine neue Passage ein. Es folgt Satz drei der vorhergehenden Version. Satz vier wird wiederum gegen eine neue Passage ausgetauscht. SLB führt die Änderungen mit der Absicht aus, eine »mehrheitsakzeptable Definition« der Philosophie beizutragen. Seine Intention formuliert er auf den Diskussionsseiten. Zugleich werden dort die Änderungen von SLB kontrovers besprochen. SLB fügt daher eine ausführliche Begründung bei, die allerdings keine Akzeptanz bei den weiteren Akteuren findet. MM reagiert wie folgt: »Darum stelle ich den Anfang des Artikels wieder her, weil er kompakter, treffender und neutraler ist als Deine Sichtweise. 17 Diskussionsseite zum Artikel »Philosophie«: http://de.wikipedia.org/wi ki/Diskussion:Philosophie (7.1.2006). 18 Für den Beitrag werden nur Kürzel der teilweise vollständig in der Wikipedia benannten Namen verwendet.
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Prophylaktisch sei gleich angemerkt, dass meine eigene Meinung, die von der des Artikels erheblich abweicht, hierbei keine Rolle spielt.«19 Die vorgenommenen Änderungen werden vollständig revidiert und mit der Bitte verbunden, umfassende Eingriffe künftig vorab zu diskutieren.20 Wie jedoch ist SLB vorgegangen? Der User löscht die Passage nicht vollständig, sondern übernimmt bestehende Textelemente in die überarbeitete Version. Diese Strategie wollen wir INTEGRATIVES SCHREIBEN nennen. Die Änderungen sind verbunden mit dem argumentativen Stützen der Position auf der Diskussionsseite (POSITIONEN ARGUMENTATIV STÜTZEN). Beide Strategien sind Teilhandlungen, die letztlich zu der angestrebten mehrheitsakzeptablen Darstellung führen (MEHRHEITSAKZEPTABEL DARSTELLEN). Diese Form der Darstellung entspricht dem in der Wikipedia formulierten Grundsatz des »neutralen Standpunkts«. Da eine neutrale Darstellung offensichtlich kaum möglich ist, hat sich in diesem Fall in der Praxis der Akteure eine Darstellungsform etabliert, die einerseits Ausdruck der heterogenen »Community« ist und andererseits den neutralen Standpunkt fokussiert. Kontroverse Positionen der Akteure werden so auf den Diskussionsseiten ausgehandelt (KONTROVERSEN AUSHANDELN) und in den Beitrag integriert. Kooperatives Schreiben – dies zeigt sich – hängt mit kontroversen Prozessen zusammen, die nicht der Intention einzelner Akteure zugeordnet werden können, sondern die in der Interaktion der Akteure als Effekt kollektiver Handlungen wirksam werden. Das argumentative Stützen der Positionen, welches dem Begründen von Änderungen oder Änderungsvorschlägen dient, bietet zugleich eine Kontextualisierung der Handlungen zur Texterstellung und schafft Transparenz. Aufgrund der erwähnten Handlungen soll bereits hier eine Aufteilung in die beiden Handlungsfelder INTEGRATIVES SCHREIBEN und KONTROVERSEN AUSHANDELN erfolgen. Betrachten wir weiter die Textgenese im Detail. Die folgende Tabelle fasst einige Beispiele der Textüberarbeitung im Vergleich zweier Versionen zusammen:
19 Interessant erscheint, wie der User die eigene Position erhöht, indem er vorgibt, »über den Dingen zu stehen«. Kriterien zur Neutralität werden jedoch nicht thematisiert. Implizit scheint bei den Akteuren ein Textmusterwissen »Enzyklopädieeintrag« vorhanden. Die Anmerkungen auf den Diskussionsseiten zeigen, dass die Akteure sich an den Einträgen des Brockhaus, des Handwörterbuchs der Philosophie und des Philosophischen Wörterbuchs orientieren. 20 Eine wiederholte wechselseitige Revision kommt in der Wikipedia regelmäßig vor und wird als »Edit-War« oder »Bearbeitungskrieg« bezeichnet.
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Bsp. Version 3. August 2005 1. […] Philosophie ist nicht in eine feste Definition zu bringen […] 2. Philosophisch gebildete Menschen unterscheiden sich darum von den Nicht-Philosophen nicht darin, dass sie mehr Wissen zur Verfügung hätten. Sie wissen in der Regel allerdings viel eher, warum sie etwas nicht wissen bzw. nicht wissen können und warum etwas falsch ist.
3. 4. 5.
6. 7. 8. 9. 10.
11.
12.
[…] Denkern wie Platon, Aristoteles oder Kant […] […] sind voneinander […] trennbar […] […] die herausragenden philosophischen Autoren und Schriften […] […] nicht fest eingrenzen lässt […] […] Was ist Bewusstsein, […] […] Geist der vom Körper verschieden ist […] […] Besitzen wir eine (unsterbliche) Seele […] Die Erkenntnistheorie fragt nach den Möglichkeiten und Grenzen, Erkenntnisse erlangen zu können. Zum Ende der Antike erscheint der schon in das Mittelalter hineinweisende Neuplatonismus. Worin besteht aber der Sinn der systematischen Philosophie? Diese beschäftigt sich v. a. mit zwei Gegenständen: […]
Version 27. August 2005 […] Philosophie ist nicht in eine allgemeingültige feste Definition zu bringen […] Philosophisch gebildete Menschen unterscheiden sich darum von den übrigen nicht darin, dass sie mehr (verwertbares) Wissen zur Verfügung hätten. Sie besitzen allerdings in der Regel einen besseren Überblick über die Argumente, die in einer philosophischen Debatte über einen bestimmten Diskussionsgegenstand bereits vorgebracht wurden. […] Denkern wie Platon, Thomas von Aquin oder Kant […] […] sind voneinander […] abgrenzbar […] […] die Schriften herausragender philosophischer Autoren […] […] in gewissem Sinne nicht fest eingrenzen lässt […] […] Was ist Bewusstsein und Selbstbewusstsein […] […] Geist der vom Körper bzw. Leib verschieden ist […] […] Besitzen wir eine (unsterbliche) Seele bzw. Geist […] Die Erkenntnistheorie fragt nach den Möglichkeiten und Grenzen, Erkenntnisse erlangen zu können (z.B. ob die Existenz Gottes bewiesen werden kann). In der Spätantike erscheinen der Neuplatonismus und die schon auf das Mittelalter hinweisende Lehre Augustins. Der Sinn der systematischen Philosophie besteht vor allem in der Beschäftigung mit zwei Gegenständen: […]
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Die Beispiele 7, 8, 9 und 11 können als Differenzierung der vorhergehenden Passage gelesen werden auf (DIFFERENZIEREN). Beispiel 1 und 6 relativieren bestehende Textpassagen (AUSSAGEN RELATIVIEREN). Beispiel 4, 5 und 12 sind stilistische Veränderungen. In Beispiel 2 und 10 wird der dargestellte Inhalt EXPLIZIERT, was in 10 durch ein Beispiel erfolgt. Die Explikation des Sachverhalts, die differenzierte Darstellung sowie die Relativierung der Aussage werden dem ›integrativen Schreiben‹ zugeordnet. Aussagen werden so oftmals durch geringfügige Änderungen in ihrer Relevanz neu bewertet. Während umfassende Änderungen vorab zur Diskussion gestellt werden müssen, sind solche detaillierten Änderungen jederzeit möglich. Positionen werden darin abgeschwächt und gestärkt oder neue Aspekte eingeführt. Die Beispiele zeigen, dass kontroverse Prozesse auch in Detail-Veränderungen des Textes stattfinden. Zu den Besonderheiten des Mediums Hypertext zählen die Möglichkeiten zur Verlinkung von Webseiten. Links sind thematische Verweise, deren Bedeutung für den Eintrag ausgehandelt wird. Insofern sind sie Teil des kontroversen Prozesses der Wissenskonstruktion. Die Überarbeitung der Links im Beispiel »Philosophie« erfolgt zeitweise in sehr kurzen Abständen.21 So arbeitet am 21. Juli ein User einen externen Link ein, der bereits drei Stunden später von einem anderen User wieder entfernt wird. An anderer Stelle wird ein Link bereits 26 Minuten nach der Ergänzung durch einen weiteren User entfernt mit der Begründung »semiprofessioneller Weblink«. Diese knappe Begründung dient ebenfalls als Indikator zur Rekonstruktion der Intentionen und verweist auf die spezifischen Qualitätsvorstellungen der User. Detaillierte Änderungen unterliegen zudem offensichtlich gleichermaßen der kritischen Beobachtung anderer Akteure – erinnert sei hier an das »1000-AugenPrinzip« – und können jederzeit revidiert werden. Kontroverse Prozesse finden daher explizit auf den Seiten zur Diskussion statt und zugleich direkt innerhalb des Beitrags. Diese Texthandlungen sind allerdings stärker interpretationsbedürftig, da sie weniger explizit sind. Die den Beitrag begleitende Diskussion lässt weitere Rückschlüsse zu. Sie zeigt zugleich, dass die Autoren dem allgemeinen Standpunkt der Neutralität eine hohe Bedeutung zumessen. MM schreibt in der Diskussion: »Besonderen Wert habe ich auf eine möglichst neutrale und von den meisten philosophischen „Richtungen“ akzeptable Darstellung gelegt […]«. Wiederum tritt der Aspekt des MEHRHEITSAKZEPTABLEN DARSTELLENS in den Vordergrund. Inhaltliche und formale Neuerungen, 21 Wir werden im Folgenden nicht für jede beschriebene Änderung eine URL ausweisen. Die in der Wikipedia dokumentierte Versionsgeschichte ermöglicht einen detaillierten Nachweis.
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welche MM eingearbeitet hat, gehen auf kritische Anmerkungen des Nutzers AvS zurück (KRITISCH KOMMENTIEREN). Die Änderungen werden unter folgendem Aspekt durchgeführt: so dass der Beitrag »[…] sprachlich auch den Anfängern möglichst entgegenkommt.« AvS erläutert seine Absichten im Nutzerprofil: »Mein enzyklopädischer Anspruch besteht darin, das Allgemeine – gerne auch das Populäre – eines Themas unter den Schichten der Wissenschaften freizuschaufeln.« Die Anmerkungen von AvS zeigen, dass der Stil des Beitrags ebenso der Diskussion unterzogen wird. OS beschreibt seine Vorstellung der Erstellung eines Beitrags wie folgt: »In der Definition sollte alles so geschehen, dass der Leser im Prinzip nicht hinübersehen muß in die anderen Artikel. Eine Definition sollte zu Konzepten des Lesers kommen und zwar auf kürzestem Wege.« Der Beitrag soll allgemeinverständlich und in knapper Form verfasst sein.22 Die Autoren verhalten sich zudem entsprechend den Grundsätzen der Wikipedia kooperativ (KOOPERATIV HANDELN). MM an SBL: »Im übrigen werde ich versuchen, wenigstens einige Deiner Anregungen aufzunehmen und einzuarbeiten«. SBL wiederum zu MM: »Herr Müller, der mir aufgrund einiger Ausführungen hier bei Wikipedia sehr glaubwürdig erscheint […].«
Handlungsmuster »VERFASSEN EINES WIKIEINTRAGS« Fassen wir kurz zusammen: Die Inhalte des Beitrags werden durch Prozesse des Schreibens verschiedener Autoren kooperativ verändert. Massive Veränderungen sind nicht möglich und müssen ggf. vorab zur Diskussion gestellt werden. Die Diskussionsseiten belegen, wie Akteure Konflikte vermeiden und eigene Qualitätsvorstellungen vertreten. Bestehende Passagen werden bei der Überarbeitung im Text häufig übernommen, wenn auch zum Teil stark verändert. Der Grundsatz der neutralen Darstellung bildet einen zentralen Ausgangspunkt des enzyklopädischen Schreibens. In der Praxis findet sich dieser Grundsatz in der Forderung nach einer »mehrheitsakzeptablen Darstellung« wieder. Dem AUSHANDELN DER KONTROVERSE können die Teilhandlungen KRITISCH KOMMENTIEREN, ÄNDERUNGEN VORSCHLAGEN und POSITIONEN ARGUMENTATIV STÜTZEN zugeordnet werden. Der kontroverse Prozess wird zugleich durch integrative Handlungen des Schreibens begleitet. Die 22 Insbesondere die hier angeführten Äußerungen der Akteure verweisen darauf, dass die Beiträge durch vielfältige Handlungen entstehen, die u.a. auch den Stil (stilistisch angemessen schreiben) sowie die Adressaten (adressatenorientiert schreiben) im Blick haben. Diese Handlungen werden hier bloß am Rande thematisiert und bleiben im abschließenden Handlungsmuster unbeachtet, da die kontroversen Prozesse im Fokus der Aufmerksamkeit stehen.
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beiden Handlungsfelder KONTROVERSE AUSHANDELN und INTEGRATIV SCHREIBEN sind daher essentieller Bestandteil des Handlungsmusters KOOPERATIVES SCHREIBEN IN WIKIPEDIA. Das Handlungsmuster fasst die benannten Teilhandlungen zusammen. Die Verknüpfung der verschiedenen Handlungsebenen erfolgt durch so genannte indem-Relationen:
Kooperatives Schreiben in Wikipedia MEHRHEITSAKZEPTABEL DARSTELLEN x INTEGRATIV SCHREIBEN AUSSAGEN RELATIVIEREN AUSSAGEN DIFFERENZIEREN SACHVERHALTE EXPLIZIEREN x KONTROVERSE AUSHANDELN KRITISCH KOMMENTIEREN ÄNDERUNGEN VORSCHLAGEN POSITIONEN ARGUMENTATIV STÜTZEN KOOPERATIV HANDELN Die parallele Darstellung der Handlungsfelder INTEGRATIVES SCHREIsowie KONTROVERSE AUSHANDELN erfolgt aufgrund der Möglichkeiten, Änderungen weiterhin direkt im Text vornehmen zu können. D.h. die Kontroverse findet zwar großteils auf der Diskussionsseite, zugleich allerdings auch im Beitrag statt. Da die Analyse der Texterstellung nur beispielhaft Strategien des kooperativen Schreibens aufzeigen kann, stehen weiterhin die Fragen offen, inwiefern die vorgestellten Texthandlungen regelmäßig in anderen Beiträgen auftreten und wie sich dies auf die Qualität auswirkt. Eine umfassende Analyse verschiedener Beiträge scheint daher sinnvoll, um mögliche Vorteile des kooperativen Schreibens und der damit verbundenen kontroversen Prozesse zu erkennen.
BEN
Wikis – Werkzeuge für die Schreibdidaktik? In der Betrachtung wird – mit Bezug auf das Konzept des »epistemischen Schreibens« – allerdings eine zusätzliche Möglichkeit deutlich: Wikis können als Werkzeuge in der Schreibdidaktik Anwendung finden. Alexander Renkl (2005: 194) versteht unter dem Konzept des ›epistemischen Schreibens‹ ein »Schreiben, um damit sein Wissen zu ordnen, zu klären und zu erweitern«. Burkhard Priemer und Lutz-Helmut Schön führen weiter aus: »Das Schreiben von Texten gilt insbesondere deshalb 190
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als sinnvoll, weil es durch Explikation und Strukturierung eine intensive Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand erfordert« (vgl. Priemer/Schön 2005: 199). Die Prozesse des kooperativen Schreibens, das kontroverse Aushandeln von Formulierungen, Strukturen und Inhalten, scheint eine intensive Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema zu fördern. Neben den Prozessen der Revision, des nicht-linearen Schreibens und des Formatierens – die als lernfördernd angenommen werden – tritt beim kooperativen Schreiben ein weiterer Aspekt hinzu: die reflektierende Auseinandersetzung mit den Positionen anderer Akteure. Der kontroverse Prozess der Textgenese bildet die Grundlage einer Wissenskultur, die nicht bloß medial konstituiert ist, sondern zugleich auf schriftsprachlicher Interaktion basiert. Wikis als Werkzeuge des kooperativen Schreibens fördern so Medienkompetenz und vermitteln zugleich spezifische Erfahrungen der Texterstellung, die als Handlungswissen und insofern als Kompetenz beschreibbar sind.
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Von der »wissenschaftlichen Wahrheit« zur Kartographie von Kontroversen BRUNO LATOUR
»Ich habe lange gebraucht, um einzusehen, dass die Philosophie ein Bestandteil der Literatur ist, und dass die Literatur keinen Wahrheitsanspruch geltend machen kann. Einzig und allein die Wissenschaft sagt die Wahrheit. Und ihre Wahrheit ist zwingend.« So stellt sich dieser berüchtigte Romanschriftsteller die Forschung im Bereich der Naturwissenschaften und der Technik vor. Und damit alles klar wird, fügt er hinzu: »Es tut mir Leid [...], aber es ist die Wissenschaft, die die Wahrheit sagt. Punkt.«1 Etwas schockiert – trotz ihrer scheinbaren Bewunderung – von diesem Unfehlbarkeitsdogma aus dem Munde eines bekennenden Nihilisten fragt die Journalistin, nicht ohne einen gewissen Humor, warum sich unser armer Houellebecq (denn um den handelt es sich) nicht am Labortisch befinde, statt Romane zu schreiben, die nach diesen eigenen Aussagen nur perfekte Lügen sein können. Worauf der Autor antwortet, er könne nichts anderes! Vor allem dieses »Punkt.« ist bewundernswert... Vorher gibt es also nichts: Die Wissenschaft fällt aus heiterem Himmel wie das himmlische Manna. Und es gibt nichts danach: Wenn sie gesprochen hat, muss geschwiegen werden. Wenn auch gute Gefühle noch keine gute Literatur machen, so macht man eine solche jedoch eben so wenig mit einer so scheußlichen Epistemologie. Die respektvolle Stille, die laut unserem Weihrauchschwinger der Verlautbarung der »wissenschaftlichen Wahrheit« folgt, die sich allen »auferlegt«, dürfte nicht sehr dazu beitragen die Schwierigkeiten, die Fehler, das Zögern, die Unsicherheiten und vor allem das 1 Michel Houellebecq, Le Monde 21.-22. August 2005, S. 18.
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eigentliche Interesse (und die eigentliche Bedeutung) der Forschung zu verstehen. Was die Agnostiker bei der Religion, der Politik oder dem Recht niemals akzeptieren würden, das verschlingen sie gierig als Evidenz, wenn es sich um das Klonen handelt! Man kann von Glück sagen, dass andere, weniger den Dogmen unterworfene Schriftsteller in den Wissenschaften eine viel tiefere Quelle für literarische Neuerungen gesehen haben.2 Nun könnten Forscher, Techniker, Innovatoren und Unternehmer versucht sein, sich durch eine solche Unfehlbarkeit geschmeichelt zu fühlen. Träumen sie nicht im Grunde alle insgeheim von diesem »Punkt.«? »Ach«, sagen sie sich, »könnte sich doch bloß meine Innovation, mein Forschungsprogramm, meine Software ohne Diskussion durchsetzen wie eine absolute Wahrheit, vor der die Skeptiker nieder knien würden!« Es wäre jedoch ganz falsch, sich solchen Illusionen hinzugeben. Außer einigen »Literaten« vom Schlage Houellebecqs, ist niemand mehr bereit, die Edikte und Bullen der Wissenschaft wie undiskutierbare Fakten hinzunehmen, denen nichts vorausgeht und nichts folgt. Anders gesagt, ist die Wissenschaft nicht mehr Ausdruck einer transzendenten Macht, da sie nicht mehr die Macht besitzt, wie eine solche »einfach so« »gültig« zu sein. Ein Blick in die Zeitungen genügt, um sich davon zu überzeugen: Sobald die wissenschaftliche Wahrheit gesprochen hat, kommt es, statt zu dem großen Schweigen, nach dem sich unser Romanschriftsteller anscheinend sehnt, zu einem merkwürdigen Phänomen: Die Auseinandersetzung geht weiter, ja wird sogar noch hitziger wieder aufgenommen. Wir brauchen nur an Asbest, genetisch veränderte Organismen, die Stammzellen, das Châtelperronien,3 die Autobahn A-514, die Geländewagen in der Stadt5 zu denken, um festzustellen, wie bemerkenswert ohnmächtig die Experten sind, wenn es darum geht, eine Beendigung der Debatte zu erreichen und Schweigen zu »gebieten«. Bevor wir uns über diese »Zunahme des Irrationalen« und über den Verlust an Vertrauen in die Experten empören, sollten wir uns vor Augen führen, wie sehr Houellebecq irrt, wenn er behauptet, er arbeite 2 3
4
5
Z.B. Powers (2000) oder Frayn (2001). Es geht hier um die in jüngster Zeit aufgekommenen Zweifel daran, ob die jungpaläotlithischen Werkzeuge der industrieähnlichen Kultur des Châtelperronien wirklich etwas mit den Neandertalern zu tun haben, was hieße, dass die Neandertaler längst nicht so weit entwickelt gewesen wären, wie man bisher dachte (Anm. d. Übers.). Gemeint sind langjährige Bürgerproteste gegen die Konstruktion einer Autobahn zwischen Grenoble und Sisteron im Departement Hautes-Alpes, vgl. Abb. 4 (Anm. d. Übers.). Hier geht es um Partikelfilter und Feinstaubbelastung (Anm. d. Übers.).
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nicht in einem Labor. Tatsächlich ist es so, dass wir alle durch die schiere Ausdehnung der Wissenschaften und der Technik in – freiwillige oder unfreiwillige – Teilnehmer an großen Experimenten verwandelt werden, von denen einige den ganzen Kosmos betreffen. Die einen sind als Forscher, andere als Geldgeber, wieder andere als Zeugen, und wieder andere schließlich als Versuchskaninchen im Labor. Ob es um die globale Erwärmung, um die Pläne zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, um Handys, um das Passivrauchen, um Geschwindigkeitsradars auf der Autobahn, um die Ölreserven oder um die europäische Verfassung geht – wir alle haben uns auf Experimente eingelassen, für die wir manchmal vergeblich das Forschungsdesign suchen. Die künstliche und fragile Sphäre, in der wir, wie Peter Sloterdijk uns erklärt, leben, braucht die kontroverse Teilnahme aller ihrer Mitglieder (Sloterdijk 2004). Wenn die wissenschaftliche Wahrheit nicht mehr zwingend ist, liegt es also nicht daran, dass das gute Volk irrational geworden wäre, sondern dass es zum Mitforschenden avanciert ist. Wenn es schon im Versuchslabor ist, dann kann das Volk auch die Wahrheiten ablehnen, die sich ohne Debatte »aufzwingen« wollen – und die es vielleicht auf dem Labortisch opfern würden. Kurz, die unhinterfragbaren Fakten sind diskutierbar geworden, und damit ist doch einiges für die Rationalität gewonnen. Das Problem rührt daher, dass wir noch nicht über die Mittel, die Reflexe, die Werkzeuge, die Denkgewohnheiten verfügen, die es uns erlauben würden, uns inmitten dieser fortan diskutierbaren Fakten wohl zu fühlen. Noch getränkt mit Houellebecqscher Epistemologie, wenden wir uns an die Lehrbücher wie an einen Katechismus. Wie Fundamentalisten sind wir schnell schockiert, wenn wir feststellen, dass wir uns nicht mehr an Dogmen, sondern an Kontroversen werden gewöhnen müssen. Wir nehmen Anstoß an dieser Freiheit, an dieser freien Forschung. Wir sehen darin einen Verlust und noch keinen Gewinn. Ein berühmter Chirurg, ein Rückenspezialist, der mir eine schmerzhafte Operation vorschlug, und dem zu sagen ich mir erlaubte, dass »mehrere Versionen eben dieser Krankheit existieren«, nachdem ich mich in Paris über die unterschiedlichen Lösungen informiert hatte, antwortete mir voller Hochmut: »Herr Latour, es gibt keine anderen ›Versionen‹: da sind Sie schlecht informiert worden...« Auch er dachte, dass die Wahrheit zwingend sei und dass die indiskutierbaren Fakten seinem Skalpell einen Rücken unterwerfen müssten – wobei dieser sich zum Glück dank einer anderen »Version«, die sich völlig von der unterschied, die er für mich ausersehen hatte, schließlich sehr gut aus der Affäre ziehen sollte. Eine neue Frage stellt sich daher uns allen – Forschern, Konsumenten, Geldgebern, einfachen Bürgern, Studenten oder Journalisten: Wie 197
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soll man die konkurrierenden Versionen naturwissenschaftlicher und technischer Streitfälle darlegen, die zu allen allgemein interessierenden Gebieten unsere Aufmerksamkeit und unsere Überlegung erfordern? Anders ausgedrückt, wie könnte man zu einer Objektivität zurückfinden, die nicht mehr auf einem bewundernden Schweigen beruht, sondern auf dem Spektrum gegensätzlicher Meinungen, die auf Grund entgegengesetzter Versionen derselben Fragestellungen entstehen? Wie könnte man es erreichen, dass diese Versionen miteinander verknüpft werden, damit wir uns ein Urteil bilden können? Das ist der Kern dessen, was ich als Kartographie der wissenschaftlichen und technischen Kontroversen bezeichne (vgl. Abb. 1-4). Glücklicherweise ermöglichen es die neuartigen Informationstechniken, das aus Informationen, Gerüchten, Nachrichten bestehende Chaos teilweise zu beseitigen, in das uns dieselben Techniken zunächst gestürzt hatten. Abbildung 1: »Shaken-baby-syndrome«, Karte der Akteure
Ausführung: Olivier Stenneler, Fabrice Neyrolles, Martin Labrune, Louise Durant, im Rahmen eines Seminars an der École des Mines (2003-2004) unter Benutzung der »issue crawlers« aus http//:www.govcom.org.
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Ein ganz einfaches Beispiel veranschaulicht die Nützlichkeit dieser Medien (vgl. Abb. 1): Nehmen wir an, Sie sind Mutter, zweimal hintereinander verlieren Sie ein Kind; die Sozialarbeiterinnen, dann die Polizei, schließlich der Richter klagen Sie an, Ihr Kind misshandelt zu haben und letzterer schickt sich an, Sie ins Gefängnis zu werfen; der vom Gericht bestellte medizinische Sachverständige bestätigt die Anklage. Nun bringt aber die Kartographie der Kontroversen eine sehr viel differenziertere Landschaft zu Tage. Die englische Medizinforschung führt unter dem Namen »Shaken-baby-syndrome« nicht ein Verbrechen, sondern eine Krankheit, deren Ursprung genetisch sein könnte. Was in Frankreich eine Wahrheit ist, ist auf der anderen Seite des Kanals ein Irrtum. Geht es um zwei unterschiedliche Versionen? Ganz bestimmt. Sollte man Gefallen am Relativismus finden und beide Versionen gleichermaßen zurückweisen? Auf gar keinen Fall, denn heutzutage ist es möglich, diese angelsächsischen Forscher ausfindig zu machen, ihre Artikel zu finden, zu erörtern, inwieweit man ihnen Glauben schenken kann, und diese Karte von Kompetenzen mit der französischen Lage zu vergleichen. Es gibt also eine »Relativierung« des alleinigen französischen Experten. Dessen Macht, seine Diagnostik durchzusetzen, wird von dem Anwalt, der über die englischen Forschungen informiert ist angefochten. Wer wird es wagen, bei einem Freispruch der Mutter zu sagen, es handle sich hier um eine Schwächung der Macht der Wissenschaft und der Vernunft? Wer wird es wagen zu behaupten, es wäre besser gewesen, wenn man der Angeklagten und ihren Anwälten die Existenz eines so kontrastierenden Forschungsfeldes vorenthalten hätte? Wir müssen uns damit abfinden: Die Anforderungen der Vernunft sind komplexer als der gute Herr Houellebecq glaubt. Die Größe und auch die Bedeutung der Wissenschaften besteht gerade darin, dass sie diskutiert werden – und dies nicht nur von den Forschern. Da Wissenschaft und Technik ihren Geltungsbereich auf das ganze Alltagsleben ausgedehnt haben, ist es überaus wichtig, dass andere Informationsmedien die voreilige Beendigung von Auseinandersetzungen, die unser Allgemeingut geworden sind, verhindern.
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Abbildung 2: »Ist ein Zusammenleben mit dem Wolf möglich?«
Darstellung der juristischen Probleme, die vom Wolf ausgelöst werden (Erläuterungen zu der Abbildung: Äußerer Kreis: Assemblée Nationale et Sénat = die zwei Kammern des französischen Parlaments; écoles et universités = Schulen und Universitäten; élus locaux = Stadtratsmitglieder; MAAPAR = Landwirtschaftsministerium; syndicats agricoles et associations d’éleveurs = Landwirtschaftsgewerkschaften und Züchterverbände. Mittlerer Kreis: MEDD = Umweltministerium; groupe de travail national sur le loup = Arbeitsgruppe auf nationaler Ebene zur Problematik des Wolfes; associations d’étude et de protection des loups = Verbände zur Erforschung und zum Schutz der Wölfe). Ausführung: Stéphanie Saunier, Fleur Montandon, Pierre Perdiguier, Mathieu Schumann, Sophie Bernard (2003-2004).
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KARTOGRAPHIE VON KONTROVERSEN
Abbildung 3: »Das Pestizid Gaucho und die Biene«
Chronologie der Kontroverse. (Gaucho ist ein Pestizid, das in Verruf steht, Bienen bei der Honigproduktion zu beeinträchtigen. Die französische Regierung hat dessen Einsatz bis 2006 verboten.). Ausführung: Simon Le Moal, Céline Piolot, Sebastien D., Claire Philippe, Agnès Hercouet (2004-2005).
Abbildung 4: »Zur Autobahn A-51«
Darstellung der Chronologie und der unterschiedlichen Trassen. Ausführung: Pierre Hanania, Guillaume Rivelon, Quang Vong, Emmanuel Dumont (2004-2005).
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BRUNO LATOUR
Literatur Frayn, Michael (2001): Kopenhagen, Göttingen: Wallstein. Powers, Richard (2000): Plowing the Dark, New York: Farrar, Strauss and Giroux. Sloterdijk, Peter (2004): Sphären III. Schäume, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Aus dem Französischen übersetzt von Isabelle Mordellet-Roggenbuck. Originaltitel: Latour, Bruno: »Pourquoi faudrait-il apprendre à cartographier les controverses?«. Rubrique: cartographie des controverses scientifiques et techniques, Technology Review, numéro 0. CSI, Ecole des mines, Paris. Alle Beispiele sind der Homepage der Erstsemester im Rahmen des Seminars »Kartographie der Kontroversen« entnommen worden, deshalb liegen die Abbildungen nicht in hoch auflösender Qualität vor. Sie wurden dennoch abgebildet, um das Verfahren zu illustrieren. Jede Kontroverse wurde von einer Gruppe von vier bis fünf Studenten bearbeitet, die aus einem Projektleiter, einem Webmaster, einem Verantwortlichen für die quantitativen Methoden und ein oder zwei Berichterstattern bestand; Seminarleitung: Dominique Linhardt.
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Die Autoren Gerd Antos ist Professor für germanistische Sprachwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Forschungsschwerpunkte: Kommunikation in der Wissensgesellschaft (Wissenskommunikation), Text- und Gesprächslinguistik, Angewandte Linguistik. Von 1998 bis 2000 war er Präsident der »Gesellschaft für Angewandte Linguistik«. Marcelo Dascal ist Professor für Philosophie an der Universität in Tel Aviv. Studium der Philosophie und Elektrotechnik an der Universität São Paulo und der Linguistik und Erkenntnistheorie in Aix-en-Provence; Promotion an der Hebrew University of Jerusalem von Yehoshua BarHillel. Er ist Präsident der New Israeli Philosophical Association und der International Association for the Study of Controversies sowie Herausgeber der Buchreihe »Controversies« und der Zeitschrift »Pragmatics & Cognition« (beide bei Benjamins, Amsterdam). Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der Kontroversenforschung, der Philosophie von Leibniz, der Sprachphilosophie, der Pragmatik und der Kognitionswissenschaft. Wolfgang C. Goede, M.A., ist Kommunikationswissenschaftler und Politologe. Er arbeitet als leitender Redakteur beim Wissens-Magazin P.M. und ist Mitbegründer der World Federation of Science Journalists sowie Mitglied im Science Think Tank des British Council. Sein Ziel ist eine moderne Wissenschaftskommunikation in Theorie und Praxis, die Wissenschaftler, Journalisten und Rezipienten als Community begreift und in der sich alle Teilnehmer auf gleicher Augenhöhe begegnen. Kristin Gogolok, Sprachwissenschaftlerin, ist Doktorandin am Germanistischen Institut der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Verwaltungssprache, Wissenskommunikation und Lehrbuchforschung. 203
DIE AUTOREN
Eva-Maria Jakobs, Prof. Dr. phil., lehrt und forscht seit 1999 am Institut für Sprach- und Kommunikationswissenschaft der RWTH Aachen mit den Schwerpunkten Textlinguistik, Technik- und Unternehmenskommunikation, Textverständlichkeit/Usability und Schreibforschung (Schreiben im Beruf). Sie koordiniert den interdisziplinären Studiengang »Technik-Kommunikation«. Reiner Keller, PD Dr. phil., Oberassistent am Lehrstuhl für Soziologie und Wirtschaftssoziologie der Universität Augsburg; Mitarbeit im SFB 536 »Reflexive Modernisierung«. Arbeitsgebiete: Sozial- und Gesellschaftstheorie, Diskurstheorie und Diskursforschung, Wissens- und Kultursoziologie, qualitative Sozialforschung. Christian Kohl, M.A., ist Doktorand an der Forschungsstelle Wissenstransfer der Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz. Er ist tätig als Projektverantwortlicher »Elektronisches Publizieren« beim Verlag Walter de Gruyter/Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind Wissenskonstruktion in Netzwerkmedien, kooperatives Schreiben und semantische Netze/Topic Maps. Bruno Latour ist Professor für Wissenschaftssoziologe und lehrt am Centre de sociologie de l’innovation der École Nationale Supérieure des Mines in Paris und am Sciences-Po, Paris. Studium der Philosophie und Anthropologie. Feldstudien in Afrika und Kalifornien, Analyse der Arbeitsweisen von Wissenschaftlern und Ingenieuren. Publikationen u.a.: Laboratory Life. The Social Construction of Scientific Facts. (Princeton University Press 1979), Science in Action (Harvard University Press 1987) und The Pasteurization of France (Harvard University Press 1988), Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie (Akademie Verlag 2002), Der Berliner Schlüssel. Erkundungen eines Liebhabers der Wissenschaften (Akademie Verlag 1996), Die Hoffnung der Pandora, (Suhrkamp 2000), Das Parlament der Dinge. Für eine politische Ökologie (Suhrkamp, 2001). Katrin Lehnen, Dr. phil., Studium Deutsch und Philosophie (Lehramt) in Bielefeld, 2000 Promotion in der Linguistik (Thema: Kooperative Textproduktion), seit 2000 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sprach- und Kommunikationswissenschaft der RWTH Aachen (Abteilung Technik-Kommunikation); Arbeitsschwerpunkte: Textproduktion, Elektronische Medien, Usability Forschung, Kommunikationsanalyse; seit 2003 Fachstudienberatung Technik-Kommunikation.
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DIE AUTOREN
Wolf-Andreas Liebert, Dr. phil., Studium der Germanistik und Politischen Wissenschaft, Promotion 1991 an der Universität Heidelberg, Habilitation 2001 an der Universität Trier. Seit 2002 Professor für germanistische Linguistik am Institut für Germanistik der Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz, seit 2004 Vizepräsident der Universität Koblenz-Landau. Arbeitsschwerpunkte: Diskurslinguistik, Metaphernforschung, Wissenschaftskommunikation, Organisationslinguistik, Erforschung kollaborativer Kommunikation mit Neuen Medien. Thomas Metten, M.A., Referent für Öffentlichkeitsarbeit an der Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Projekts »Kompetenzen für die Wissenschaftskommunikation und Öffentlichkeitsarbeit« am Institut für Germanistik, Abteilung Sprachwissenschaft der dortigen Universität. Zugleich ist er Doktorand an der Forschungsstelle Wissenstransfer. Seine Forschungsschwerpunkte sind Wissensvermittlung in Neuen Medien, Ästhetische Erfahrung und Bildtheorie. Christian Salzmann ist Diplomsoziologe und assoziiertes Mitglied des Graduiertenkollegs »Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft« am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung der Universität Bielefeld. Seine Forschungsschwerpunkte sind Wissenschaftsforschung, Medienanalysen und die Popularisierung von Wissenschaft. Kirsten Schindler, Dr. phil., Studium der Geschichtswissenschaft, Geschichte des 19./20. Jahrhunderts, Romanistik und Wirtschaftswissenschaften in Bielefeld, Rouen und Köln. 2003 Promotion in Linguistik zur »Adressatenorientierung beim Schreiben«. Seit 2004 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sprach- und Kommunikationswissenschaft der RWTH Aachen (Abteilung Technik-Kommunikation). Arbeitsschwerpunkte: Textproduktion (Schreiben in den Ingenieurwissenschaften), Technik-Kommunikation und Experten-Laien-Kommunikation. Helmuth Trischler ist Forschungsdirektor des Deutschen Museums und Professor für Neuere und Neueste Geschichte sowie Technikgeschichte an der LMU München. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Wissenschafts- und Technikgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sowie die historische Innovationsforschung. Peter Weingart ist Professor für Soziologie und Direktor des Instituts für Wissenschafts- und Technikforschung (IWT) an der Universität Bie205
DIE AUTOREN
lefeld. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Wissenschaftliche Expertise und Politikberatung, Wissenschaft, Medien & Öffentlichkeit sowie die Evaluation der Forschung. Marc-Denis Weitze, Dr. rer. nat, studierte Chemie, Physik und Philosophie in Konstanz und München. Promotion in Theoretischer Chemie. Er ist assoziiertes Mitglied des Forschungsinstituts des Deutschen Museums. Forschungsgebiet: Die Verknüpfung von Theorie und Praxis in der Wissenschaftskommunikation. Arbeitsschwerpunkte sind Dialog, Kontroversen, Erklärungen und Metaphern. Stefan Wörmann ist Diplomsoziologe und assoziiertes Mitglied des Graduiertenkollegs »Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft« am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung der Universität Bielefeld. Seine Forschungsschwerpunkte sind Wissenschaftsforschung, politische Kommunikation und Experten in den Medien.
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Personenregister
Adenauer, Konrad 64 Adorno, Theodor W. 149 Arnold, Ken 149 Augstein, Rudolf 70 Beck, Ulrich 41, 51, 52 Berger, Peter 48 Blair, Tony 102, 105 Born, Max 64, 66 Bourdieu, Pierre 130, 131, 133 Boyle, Robert 59, 61, 62, 63 Brante, Thomas 73, 74 Bucchi, Massimiano 171 Chargaff, Erwin 66 Chevassus-au-Louis, Bernhard 171 Clinton, Bill 102, 105 Collins, Harry 47, 117, 118 Crichton, Michael 122 Darwin, Charles 169 Dascal, Marcelo 59, 60, 61, 67, 70, 74, 116, 129, 130,132, 144 Descartes, René 20, 26, 27, 28 Dijk, Teun van 46, 47 Durant, John 156, 158, 160, 170 Einstein, Albert 59, 64 Emmerich, Roland 121 Erhard, Ludwig 71 Farman, Joseph 130, 131, 133, 139, 140, 141, 143, 144
Felt, Ulrike 171 Fermat, Pierre de 26, 27, 28 Finkelstein, Norman 73 Fischer, Fritz 70, 71 Fleischmann, Martin 67, 68, 69 Foerster, Heinz von 7 Foucault, Michel 44, 45, 46, 48 Galilei, Galileo 168 Galvani, Luigi 28 Gerlach, Walther 64 Gerstenmeier, Eugen 71 Giere, Ronald 59 Goldhagen, Daniel 70, 71, 72, 73 Golinski, Jan 48 Gottweis, Herbert 52 Graefen, Gabriele 138FN Guericke, Otto von 61 Habermas, Jürgen 43 Hacker, Bart 65 Häfele, Wolf 65 Hahn, Otto 64 Hall, Stuart 46 Hampel, Jürgen 97 Harwit, Martin 156 Heckl, Wolfgang 175 Heisenberg, Werner 64 Herriger, Norbert 176 Hobbes, Thomas 59, 61, 62, 63 207
PERSONENREGISTER
Hooke, Robert 24, 26, 27, 28, 61 Jäckel, Erhard 72 Johnson, Marc 118 Jordan, Pascual 64, 66 Jungk, Robert 174, 176 Kantorovich, Aharon 21 Keupp, Heiner 176 Kitcher, Philip 58, 59, 74 Knorr-Cetina, Karin 21, 30, 47 Krull, Wilhelm 171 Kuhn, Thomas 116 Lakoff, George 118 Latour, Bruno 39, 41, 42, 58 Laue, Max von 64 Lehmann, Hartmut 69 Lewenstein, Bruce 67 Liebert, Wolf-Andreas 120, 185 Luckmann, Thomas 48 Luther, Martin 175 MacDonald, Sharon 151, 152, 156, 157 Malthus, Thomas Robert 28 Markl, Hubert 97 McMullin, Ernan 60, 74 Mulkay, Michael 47, 48 Nelkin, Dorothy 60 Newton, Isaac 24, 26, 27, 28, 59 Nowotny, Helga 170 Pansegrau, Petra 72 Pestre, Dominique 58 Pinch, Trevor 117, 118 Pons, Stanley 67, 68, 69 Popper, Karl 21, 22, 116, 118, 129, 132, 166 Potoþnik, Janez 171 Radkau, Joachim 64, 65, 66 Ricardo, David 28 Ritter, Gerhard 70 Schätzing, Frank 165 Schaffer, Simon 61, 62, 63 Schröder, Gerhard 70 Shapin, Steven 8, 61, 62, 63 208
Singh, Simon 81 Springer, Michael 68 Stolarski, Richard 134, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144 Strassmann, Fritz 64 Strauß, Franz Josef 64 Torricelli, Evangelista 61 Venter, Craig 102, 105, 107, 109 Volta, Alessandro 28, 29 Weart, Spencer 65 Wehling, Peter 42 Weingart, Peter 113, 114, 118, 119, 120 Weizsäcker, Carl Friedrich von 64 Wilmut, Ian 103 Wittgenstein, Ludwig 132 Wynne, Brian 170
Kontroversenregister In diesem Register sind Kontroversen aufgeführt, die in den Beiträgen erwähnt bzw. unter verschiedenen Gesichtspunkten diskutiert werden. Die Kontroversen sind hier zur Übersichtlichkeit grob nach den Wissensgebieten geordnet, denen sie entspringen.
Physik, Astronomie, Mathematik Alter der Erde 159 Elektrizität (Galvani, Volta) 28f. Higgs-Teilchen 73 Kalte Fusion 67-69 Kernenergie 60, 63-67, 73, 96 Licht (Prismaexperiment; Newton, Hooke) 24, 26, 59 Mathematik (Descartes, Fermat) 26f. Nanotechnik 66, 172f. Neutrinomasse 73 Relativitätstheorie 59 Vakuum (Boyle, Hobbes) 59, 61-63, 73 Weltbilder 168 Biologie Biotechnologie 97FN Evolutionstheorie 154-155, 169 Gentechnik 39, 41, 42, 60, 67, 97, 196 Humangenomprojekt 102, 105-107, 109 Klonen 67, 98, 102, 103-105, 108, 109 Nahrungsmittel 150-152 Soziobiologie 60 Stammzellen 42, 67, 97, 102, 107-108, 173, 196
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KONTROVERSENREGISTER
Medizin Abtreibung 96 Biomedizin 95-112 Dopingbekämpfung 42 Drogenlegalisierung 96 Künstliche Befruchtung (Schwangerer Mann) 154 Gesundheitsvorsorge 59, 60 Pharmaforschung 171 Shaken-baby-syndrome 198f. Umwelt Großbaustellen (Flughäfen usw.) 60, 196, 201 Hausmüll 52FN Klimawandel 42, 52FN, 96, 113-115, 120-125, 152-154 Ozonloch 41, 52, 129, 134, 136, 138-145 Pestizid Gaucho 201 Saurer Regen 52FN Umweltprobleme 172, 196 Wolf (Probleme des Zusammenlebens) 200 Sonstige Ausstellungsobjekt »Enola Gay« 155f. Châtelperronien 196 Forschungsgeldern (Allokation) 60 Ökonomie (Grundlagen; Malthus, Ricardo) 28 Zeithistorische Kontroversen 69-73
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Sozialtheorie Tatjana Zimenkova Die Praxis der Soziologie: Ausbildung, Wissenschaft, Beratung Eine professionstheoretische Untersuchung
Heiner Keupp, Joachim Hohl (Hg.) Subjektdiskurse im gesellschaftlichen Wandel Zur Theorie des Subjekts in der Spätmoderne
Dezember 2006, ca. 300 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN: 3-89942-519-7
Oktober 2006, ca. 220 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 3-89942-562-6
Susanne Krasmann, Michael Volkmer (Hg.) Michel Foucaults »Geschichte der Gouvernementalität« in den Sozialwissenschaften Internationale Beiträge
Jochen Dreher, Peter Stegmaier (Hg.) Zur Unüberwindbarkeit kultureller Differenz Grundlagentheoretische Reflexionen
Dezember 2006, ca. 260 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN: 3-89942-488-3
Oktober 2006, ca. 260 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 3-89942-477-8
Reinhard Heil, Andreas Kaminski, Marcus Stippak, Alexander Unger, Marc Ziegler (Hg.) Tensions Technological and Aesthetic (Trans)Formations of Society
Max Miller Dissens Zur Theorie diskursiven und systemischen Lernens
November 2006, ca. 350 Seiten, kart., ca. 31,80 €, ISBN: 3-89942-518-9
Ulrike Gerhard Global City Washington, D.C. Eine politische Stadtgeographie
Benjamin Jörissen Beobachtungen der Realität Die Frage nach der Wirklichkeit im Zeitalter der Neuen Medien November 2006, 230 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN: 3-89942-586-3
Oktober 2006, ca. 280 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN: 3-89942-484-0
Oktober 2006, 280 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN: 3-89942-497-2
Sacha-Roger Szabo Rausch und Rummel Attraktionen auf Jahrmärkten und in Vergnügungsparks. Eine soziologische Kulturgeschichte Oktober 2006, 230 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 26,80 €, ISBN: 3-89942-566-9
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de
Sozialtheorie Heiner Depner Transnationale Direktinvestitionen und kulturelle Unterschiede Lieferanten und Joint Ventures deutscher Automobilzulieferer in China Oktober 2006, ca. 210 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 3-89942-567-7
Florian Feuser Der hybride Raum Chinesisch-deutsche Zusammenarbeit in der VR China Oktober 2006, ca. 320 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 3-89942-581-2
Lutz Hieber, Paula-Irene Villa Images von Gewicht Soziale Bewegungen, Queer Theory und Kunst in den USA September 2006, ca. 150 Seiten, kart., ca. 16,80 €, ISBN: 3-89942-504-9
Amalia Barboza, Christoph Henning (Hg.) Deutsch-jüdische Wissenschaftsschicksale Studien über Identitätskonstruktionen in der Sozialwissenschaft
Martin Voss Symbolische Formen Grundlagen und Elemente einer Soziologie der Katastrophe September 2006, ca. 320 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN: 3-89942-547-2
Martin Voss, Birgit Peuker (Hg.) Verschwindet die Natur? Die Akteur-Netzwerk-Theorie in der umweltsoziologischen Diskussion September 2006, ca. 180 Seiten, kart., ca. 22,80 €, ISBN: 3-89942-528-6
Ingrid Jungwirth Zum Identitätsdiskurs in den Sozialwissenschaften Eine postkolonial und queer informierte Kritik an George H. Mead, Erik H. Erikson und Erving Goffman September 2006, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 3-89942-571-5
Andrej Holm Die Restrukturierung des Raumes Stadterneuerung der 90er Jahre in Ostberlin
September 2006, ca. 280 Seiten, kart., ca. 28,80 €, ISBN: 3-89942-502-2
August 2006, ca. 300 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN: 3-89942-521-9
Christoph Wulf Anthropologie kultureller Vielfalt Interkulturelle Bildung in Zeiten der Globalisierung
Sebastian Linke Darwins Erben in den Medien Eine wissenschafts- und mediensoziologische Fallstudie zur Renaissance der Soziobiologie
September 2006, ca. 145 Seiten, kart., ca. 16,80 €, ISBN: 3-89942-574-X
August 2006, ca. 240 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 3-89942-542-1
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de
Sozialtheorie Mark Hillebrand, Paula Krüger, Andrea Lilge, Karen Struve (Hg.) Willkürliche Grenzen Das Werk Pierre Bourdieus in interdisziplinärer Anwendung August 2006, ca. 220 Seiten, kart., ca. 23,80 €, ISBN: 3-89942-540-5
Christian Berndt, Johannes Glückler (Hg.) Denkanstöße zu einer anderen Geographie der Ökonomie August 2006, ca. 150 Seiten, kart., ca. 15,80 €, ISBN: 3-89942-454-9
Lutz Leisering, Petra Buhr, Ute Traiser-Diop Soziale Grundsicherung in der Weltgesellschaft Monetäre Mindestsicherungssysteme in den Ländern des Südens und des Nordens. Weltweiter Survey und theoretische Verortung August 2006, ca. 200 Seiten, kart., ca. 18,80 €, ISBN: 3-89942-460-3
Helen Schwenken Rechtlos, aber nicht ohne Stimme Politische Mobilisierungen um irreguläre Migration in die Europäische Union August 2006, ca. 350 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 3-89942-516-2
Christian Kellermann Die Organisation des Washington Consensus Der IWF und seine Rolle in der internationalen Finanzarchitektur Juli 2006, 326 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 3-89942-553-7
Ivo Mossig Netzwerke der Kulturökonomie Lokale Knoten und globale Verflechtungen der Film- und Fernsehindustrie in Deutschland und den USA Juli 2006, 228 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-523-5
Renate Grau Ästhetisches Engineering Zur Verbreitung von Belletristik im Literaturbetrieb Juli 2006, 322 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN: 3-89942-529-4
Ulrich Heinze Hautkontakt der Schriftsysteme Japan im Zeichen der Globalisierung: Geldflüsse und Werbetexte Juli 2006, 208 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-513-8
Wolf-Andreas Liebert, Marc-Denis Weitze (Hg.) Kontroversen als Schlüssel zur Wissenschaft? Wissenskulturen in sprachlicher Interaktion Juli 2006, 206 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 3-89942-448-4
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de
Sozialtheorie Shingo Shimada, Christian Tagsold Alternde Gesellschaften im Vergleich Solidarität und Pflege in Deutschland und Japan Juni 2006, 178 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN: 3-89942-476-X
Martin Nonhoff Politischer Diskurs und Hegemonie Das Projekt »Soziale Marktwirtschaft« Juni 2006, 426 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 3-89942-424-7
Andréa Belliger, David J. Krieger (Hg.) ANThology Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie Juni 2006, 584 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 3-89942-479-4
Alexander Peine Innovation und Paradigma Epistemische Stile in Innovationsprozessen Januar 2006, 274 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-458-1
Sabine Brombach, Bettina Wahrig (Hg.) LebensBilder Leben und Subjektivität in neueren Ansätzen der Gender Studies Januar 2006, 308 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 26,80 €, ISBN: 3-89942-334-8
Sina Farzin Inklusion/Exklusion Entwicklungen und Probleme einer systemtheoretischen Unterscheidung Januar 2006, 124 Seiten, kart., 13,80 €, ISBN: 3-89942-361-5
Niels C. Taubert Produktive Anarchie? Netzwerke freier Softwareentwicklung
Matthias Otten Interkulturelles Handeln in der globalisierten Hochschulbildung Eine kultursoziologische Studie
März 2006, 250 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 3-89942-418-2
Januar 2006, 318 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 3-89942-434-4
Stephen Kalberg Max Weber lesen Februar 2006, 150 Seiten, kart., 11,00 €, ISBN: 3-89942-445-X
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de