Kommunalismus: BAND 1 Oberdeutschland
 9783486831849, 9783486564617

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Kommunalismus Band 1

Peter Blickle

Kommunalismus Skizzen einer gesellschaftlichen Organisationsform Band 1: Oberdeutschland

R. Oldenbourg Verlag München 2000

Die Deutsche Bibliothek-CIP-Einheitsaufnahme

Blickle, Peter: Kommunalismus : Skizzen einer gesellschaftlichen Organisationsform / Peter Blickle. - München : Oldenbourg Oberdeutschland. - 2000 ISBN 3-486-56461-7

© 2000 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet: http://www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere fiir Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Satz: paper-back gbr, München Druck und Bindung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe Druckerei GmbH, München ISBN 3-486-56461-7

Gefördert durch ein Forschungsjahr am Historischen Kolleg in München

VORWORT

Kommunalismus ist ein Wissenschaftsbegriff und als solcher neu. Geborgt ist er absichtlich von dem semantischen Feld des lateinischen communis - communitas und dessen verengender Festlegung in den romanischen Sprachen des Mittelalters auf einen Ort mit eigener Verfassung. Das Wort Kommune in der gemeinten Bedeutung hat den Westen Europas rasch erobert, von commune und communauti sprechen die Franzosen, von comunidad die Spanier, selbst das englische Parlament zitiert es im Namen seiner house of commons genannten Zweiten Kammer. In den Bereich der germanischen Sprachen kommt das Wort später, mit den Kommunordnungen der Territorien eigentlich erst ausgangs der Frühneuzeit, konnte aber dort problemlos an das deutschsprachige Analogon gemein Gemeinde anknüpfen. Der Begriff Kommunalismus hält die drei in den Wortpaaren communis - communitas, gemein - Gemeinde eingelassenen Grundbedeutungen einer Gemeinschaft, die auf einen Ort verdichteter Siedlung mit eigenen Formen der Verfassung bezogen ist, fest. Er geht allerdings in der Konkretisierung darüber hinaus, indem er eine empirische Anreicherung erfährt, die es erst erlaubt vorzuschlagen, ihm den Rang eines Begriffs zu geben. Nämlich so, daß in ihn die dreidimensionale These eingelagert ist, Bauern und Bürger seien erstens hinsichtlich der Verfassung ihres Alltags durch die Institution Gemeinde gleich organisiert, besäßen zweitens eine gemeinsame gesellschaftliche Grundlage darin, daß sie arbeiteten, und hätten drittens ein dieser Gesellschaft und ihren Institutionen kongeniales Wertesystem hervorgebracht. Kommunalismus bleibt somit in seiner zeitlichen Reichweite beschränkt. Ihm vorgängig ist die Strukturierung menschlicher Beziehungen durch die Herrschaft der Sippe, ihm nachfolgend ist die Konstruktion gesellschaftlicher und staatlicher Beziehungen um das Individuum. Insofern ist Kommunalismus ein Epochenbegriff. Er ist es aber auch dadurch, daß er den primären gesellschaftlichen Organisationszusammenhang für die ganz überwiegende Mehrheit der Menschen zum Ausdruck bringt, womit er andere Epochenbezeichnungen wie Humanismus oder Absolutismus an Verbindlichkeit eigentlich übertreffen müßte. Dies vor allem auch deswegen, weil die im Kommunalismus entwickelten Werte wie - um additiv Vorläufiges zu benennen - Gemeiner Nutzen, Friede, Auskömmlichkeit oder Gerechtigkeit bis in die Gegenwart wirken. Die andauernde Diskussion über den communitarianism reicht als Referenz, um das zu belegen. Skizzen sind ausschnitthaft. Sie können im Detail sehr genau ausgearbeitet sein, sie dürfen aber auch den vermittelnden Charakter zwischen Idee und Ausführung haben. In beiden Formen sind Skizzen dazu gedacht, in ein größeres Gesamtbild noch eingearbeitet zu werden. Damit soll zunächst abgrenzend und eingrenzend verdeutlicht werden, daß hier kein Grundriß, geschweige denn ein Handbuch vorgelegt wird, aber auch kein Essay. Sehr genau im Detail sind die Skizzen dort, wo es darum geht zu zeigen, daß es den Kommunalismus überhaupt gegeben hat. Wie die Sache selbst aus den archivalischen Ablagerungen erhoben,

VIII

VORWORT

durch räumlichen und sachlichen Vergleich von den Schlacken befreit und spekulativ zum Begriff hinaufgetrieben wurde, soll ein erster Bogen von Blättern vermitteln. In ihnen drückt sich in der Darstellung die Methode praktisch aus, nicht theoretisch reflektierend. Konsistent als Raum erwies sich Oberdeutschland. Insofern dient Oberdeutschland fxir die Modellbildung (Band 1). Flüchtiger werden die Skizzen dort, wo sie über Oberdeutschland hinausreichen. Kommunalismus bliebe eine rhetorische Figur, ließe er sich nicht über diese Region Raum hinaus, wenn auch in räumlichen und zeitlichen Grenzen, generalisieren. Daß eine Ausweitung ins Europäische denkbar ist, haben Diskussionen unter Historikern bekräftigt, die im Rahmen des Projekts „The Origins of the Modern State" während der fiinf Jahre zwischen 1987 und 1992 geführt wurden, und ältere, bedingt anschlußfähige soziologische, juristische und politologische Arbeiten vermuten lassen. Schon FERDINAND TÖNNIES hat 1887 seine dichotomisch-komplementäre Gegenüberstellung von Gemeinschaft und Gesellschaft keineswegs regional beschränkt. Schon die Art, wie er seine Leitbegriffe einfuhrt, macht aus ihnen Universalien: Der junge Mensch werde gewarnt vor „schlechter Gesellschaft", „schlechte Gemeinschaft" hingegen sei „dem Sprachsinne zuwider". „Man leistet sich Gesellschaft", die Ehe hingegen ist eine „Gemeinschaft" 1 . Konkrete Ausformungen von Gemeinschaft sind für Tönnies „Haus, Dorf und Stadt" 2 , wobei Stadt und Dorf sich nicht allzusehr unterscheiden. Die Demarkationslinie wird vielmehr zwischen Stadt und Großstadt gezogen. Großstadt ist austauschbar gegen Staat und läßt sich nicht mehr mit dem Wort Gemeinschaft, sondern nur noch mit Gesellschaft wiedergeben. Der Soziologe TÖNNIES bleibt wegen seiner, wie man sagen könnte, semantischen Hermeneutik in seiner Arbeitsweise zunächst stark an die Sprache gebunden und damit, des weitergehenden Anspruchs ungeachtet, sehr deutsch. Vor ihm hatte sich OTTO VON GIERKE, auf dem Tönnies fußt, als Jurist jenen Problemkreisen genähert, die hier mit Kommunalismus gemeint sind. Gierke wollte politisch wirken und, soweit er das konnte, nicht darauf verzichten, eine nach seiner Ansicht in die Geschichte Europas tief eingelagerte - freilich dann zunächst doch vornehmlich am deutschen Material exemplifizierte und erst im hohen Alter abstrahierte - Befindlichkeit des Menschen zu retten, ihren Drang zur freien Assoziation, die für die vorindustrielle Zeit von ihm Genossenschaft genannt wird 3 . Dialektisch mit Herrschaft ringend, entfaltet sich die Genossenschaft in der älteren europäischen Geschichte zweimal: in der bis 800 vorherrschenden „ursprünglichen Volksfreiheit" und der von ihr hervorgebrachten „freien Genossenschaft des alten Rechts" einerseits, und in den nach einer vierhundertjährigen Phase der „patriarchalen" Herrschaft entstehenden und bestimmend werdenden „gekorenen Genossenschaften" andererseits, zu denen Städte, Gilden und Zünfte gehören, aber auch Orden, Bruderschaften, Bünde und Stände 4 . Was Gierke unter Genossenschaften subsumiert läßt sich nicht auf Oberdeutschland beschränken, vielmehr

1

2 3

4

F. TÖNNIES, Gemeinschaft, 3.

Ebd., 245.

Ο . V. GIERKE, Genossenschaftsrecht 1.

Ebd., 8-11.

VORWORT

IX

handelt es sich um europäische Formen von Verbänden. Die Anwendung des oberdeutschen Modells auf Europa war damit zwingend (Band 2). Möglicherweise kann man den Kommunalismus - um die weitergehende Perspektive wenigstens anzudeuten - zu einer universalhistorischen Kategorie ausbauen. Das läßt sich mittels zweier ganz unterschiedlicher Quellen stützen. An der Schnittstelle zwischen altständischem Europa und demokratischem Amerika ist das Lebenswerk ALEXIS DE ToCQUEVILLEs angesiedelt, der gelegentlich etwas euphorisch „unter allen Analytikern der politischen Welt der größte seit Aristoteles und Machiavelli"5 genannt wurde. Tocqueville hat mittels seiner analytischen Kraft die Gemeinde als Schoß der amerikanischen Demokratie herausgearbeitet. „Der Einwohner Neuenglands fühlt sich mit seiner Gemeinde verbunden, weil sie stark und unabhängig ist [...]. In diesem begrenzten, ihm zugänglichen Rahmen beginnt er die Gesellschaft zu regieren, er gewöhnt sich an die Formen, ohne die die Freiheit nur durch Revolutionen fortschreitet, er läßt sich von ihrem Geist durchdringen, er gewöhnt sich an die Ordnung, er versteht das Ineinandergreifen der Befugnisse, und endlich eignet er sich klare und brauchbare Gedanken an über das Wesen seiner Pflichten und über das Maß seiner Rechte"6. Diese Gemeinde entdeckte Tocqueville zu seiner großen Überraschung nochmals, als er sich der Französischen Revolution und dem Alten Europa zuwandte, um dort in der „Gemeinde Züge wiederzufinden, die mir einst in den Dorfgemeinden Amerikas aufgefallen waren und die ich damals irrtümlich fur eine besondere Eigentümlichkeit der neuen Welt gehalten hatte"7. Die Gemeinde in Amerika und Europa hatte, das istTocquevilles Einsicht, „in der Tat den selben Ursprung", und damit ließ sich sein pathetischer Satz, „die Gemeinde scheint unmittelbar aus Gottes Hand hervorzugehen"8, bekräftigen. Tocqueville trieb zwar die Gemeinde zu einer gewissermaßen naturrechtlichen Kategorie hinauf, blieb freilich empirisch ganz in einem europäisch-transatlantischen Zusammenhang. Daß aus dem Kommunalen eine Universalie herausgearbeitet werden kann, läßt sich über R O B E R T R E D F I E L D weiter plausibel machen9, der an Mittelamerika zeigen konnte, wie ein Dorf Institutionen, Werte und schließlich ein geschlossenes System aus sich heraus entwickelt und wie daraus durch Vergleich mit Parallelbeispielen aus anderen Kontinenten ein Konzept, von ihm the little community genannt, gemacht werden kann.

5

Das Zitat von Wilhelm Dilthey bei J. P. MAYER im Nachwort zu A. DE TOCQUEVILLE, Amerika, 876.

6

A. DE TOCQUEVILLE, Amerika, 76f. A. DE TOCQUEVILLE, Revolution, 62. A. DE TOCQUEVILLE, Amerika, 67.

7 8

9

ROBERT REDFIELD, The Little Community and Peasant Society and Culture, Chicago-London 1973.

,0

INHALT

ALS EINLEITUNG DIE FRAGE: WIE ENTSTEHT EIN BEGRIFF? . . . . 1

1

INSTITUTIONEN

15

1 . 1 D I E VERFASSTHEIT DES ALLTAGS - BEISPIELE

15

1.1.1 „Man sey nit schuldig den Zechenden zu geben "-ein Verfassungskonflikt in der Reichsstadt Memmingen 15 1.1.2 „Dieweil laider die christenliche religion verloschen "— die Gerichtsordnung von Buxheim 27 1.1.3 Politische Kultur als bäuerlicher Alltag— die Dörfer des Reichsstifts Ottobeuren 34 1.1.4 Seelennöte bäuerlicher Richter - ein Verfassungskonflikt im Kloster Ochsenhausen 36 1 . 2 KOMMUNALE VERFASSUNG - VERALLGEMEINERUNGEN

1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4

2

Gemeindeversammlungen Vierer und Rat Ammann und Bürgermeister Gerichte

40

41 51 56 58

1 . 3 CIVITAS RUSTICA - DIE BÄUERLICHEN BÜRGER IM ALLGÄU

62

1 . 4 . D I E VERFASSTE GEMEINDE - EINE BILANZ

67

GESELLSCHAFT

70

2 . 1 V O N DEN LABORATORES ÜBER DEN GEMEINEN M A N N UND

2.2

3

UNTERTANEN ZUM BÜRGER

70

HAUSVÄTER

76

WERTE UND NORMEN

87

3.1

88

GEMEINER NUTZEN

3.1.1

Vom Stiftsnutz zum Gemeinnutz — zur Etymologie des Nutzens in der Klosterherrschaft St. Gallen 3.1.2 Vom Stadtnutz zum Gemeinnutz—Basel 3.1.3 Gemeinnutz als territorialstaatliche Norm — Tirol 3.1.4 Zusammenfassung 3.2

HAUSNOTDURFT

3 . 3 FRIEDE

89 93 98 101 106 110

3 . 4 GERECHTIGKEIT - UND FREIHEIT

116

3 . 5 ZUSAMMENFASSUNG

128

XII 4

5

INHALT HERRSCHAFT U N D OBRIGKEIT

131

4 . 1 GEMEINDE UND OBRIGKEIT

134

4 . 2 GEMEINDE GEGEN OBRIGKEIT

142

4 . 3 GEMEINDE ALS OBRIGKEIT

151

4 . 4 ZUSAMMENFASSUNG

158

THEORIEN 5 . 1 „WAN EIN KAISER DEN GEMEIN NUTZ SCHIRMPT" -

160 KOMMUNALISMUSTHEORIE

IM RAHMEN DER REICHSREFORM

160

5 . 2 „HALTET OFT GEMEIND UNTEREINANDER" - VERMUMMTE KOMMUNALISMUSTHEORIE IM REVOLUTIONÄREN KLIMA

163

5 . 3 DAS EIGENTUM AM SCHATTEN DES ESELS

167

DIE ANTWORT: KOMMUNALISMUS

175

NACHWORT

181

Abkürzungen

182

Quellen und Literatur

183

Register

191

ALS E I N L E I T U N G D I E F R A G E : W I E E N T S T E H T E I N B E G R I F F ?

Gegenstand der Geschichtswissenschaft ist die Rekonstruktion von Vergangenheit, soweit sie den Menschen in den Mittelpunkt des forschenden Interesses stellt. Diese anthropozentrische Gegenstandskonstituierungist äußerst reich an Perspektiven. Sie erlaubt und verlangt, die materiellen Bedingungen menschlicher Existenz zu untersuchen, wie die intellektuellen Hervorbringungen der Menschen. Dazwischen liegen viele, schier endlos parzellierbare Objektbereiche der Geschichtswissenschaft - von der Militärgeschichte über die Kriminalitätsgeschichte bis zur Körpergeschichte oder die Arten der Vergesellschaftung von Menschen und ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten, das Zusammenleben in großen Verbänden zu organisieren und zu institutionalisieren. Gesellschafts- und Verfassungsgeschichte, die damit namhaft gemacht ist, wird heutzutage versuchen, die Gewinne produktiv zu verarbeiten, die sich aus den geschichtstheoretischen Debatten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts abschöpfen lassen. Wo Geschichte als Wissenschaft betrieben wird, ergibt sich eine geräuschlose Implementierung der theoretischen Positionen in das eigene Werk. Man nennt das üblicherweise Zeitgenossenschaft, um habituell gewordene Selbstverständlichkeiten abzubilden. Was Gegenstand der Geschichtswissenschaft ist, sei nur nochmals in Erinnerung gebracht, weil anders nicht erklärt werden kann, unter welchen Bedingungen ein Begriff entsteht. Und darum geht es beim Kommunalismus. Geschichtswissenschaft arbeitet nicht nur nach den wechselnden theoretischen Festlegungen des legitimen oder zu bevorzugenden Gegenstandsbereich Geschichte, sondern nach kongenialen Methoden, im konstituierten Gegenstandsbereich bestmögliche Erkenntnisse zu erzielen. Die Theorie- und Methodendiskussion, von der die geschichtliche Arbeit seit nunmehr ein bis zwei Generationen begleitet wird, hat sich ganz wesentlich darauf zugespitzt, wie Fragestellungen ausgerichtet werden können, sollen, ja dürfen. Der alten Heuristik wurde ein höheres Problembewußtsein abverlangt. Der Gegenwartsbezug und die Zeitbedingtheit allen historischen Fragens traten nicht nur viel deutlicher als früher ins Bewußtsein und konnten so kritisch zur Bewertung von Forschungsergebnissen schlechthin gemacht werden, daran wurde auch eine Forderung in dem Sinn geknüpft, daß Forschung den Gegenwartsbezug herzustellen habe. Die Frage nach der Kulturbedeutung fur die Gegenwart, die den historisch argumentierenden Soziologen vorrangig interessieren darf, wurde auf die Geschichte erweitert, ja darüber hinausgehend erkenntnisleitendes Postulat fur alle historisch arbeitenden Geistes- und Sozialwissenschaften. MAX WEBER wurde generalisiert. Die berühmte Relevanzfrage diente und dient als Florett auf dem Fechtboden der modernen Geschichtswissenschaft. Was relevant ist, läßt sich generell und umfassend naturgemäß nicht definieren, weil es vom Interesse in seiner ursprünglichen Bedeutung abhängt. Interesse und Relevanz sind längst auseinander getreten, die geschichtstheoretischen Selbstverständlichkeiten, die es JOHANN GUSTAV DROYSEN noch erlaubten, in den „sittlichen Mächten" den vornehmsten Gegenstand geschichtswissenschaftlicher Arbeit zu sehen, sind abgelöst, ersetzt und erweitert

2

D I E FRAGE

durch andere Gewichtungen, Fragestellungen und Prioritäten - materialistische, malthusianische, linguistische, feministische und so fort, um die sich in der Regel rasch Schulen internationalen und interdisziplinären Zuschnitts bilden. Dem verdankt man einerseits ein parasitäres Wachstum des Zeitschriftenmarkts - denn das Feldzeichen der Schule ist das eigene Publikationsorgan - , andererseits eine erfreulich weite Öffnung der Forschung in bislang völlig fremde Landschaften und neben großen auch böse Kontroversen in der jüngeren Geschichtswissenschaft. Wer wollte nicht die Geschichte der Geburt dringlich finden und die Gefechte zwischen Mikro- und Makrohistorikem vergnüglich. Hält man JÖRN RüSEN für eine herausragende Figur unter den Wissenschaftstheoretikern, dann wird man mit der Gewißheit entlassen, der Historismus, dem die deutsche Geschichtswissenschaft über mehr als ein Jahrhundert ihren Glanz und ihre internationale Strahlkraft: verdankte, sei keineswegs durch einen neuen geschichtstheoretischen Entwurf von vergleichbarer Spannweite und Integrationskraft abgelöst worden. Geschichte bewußter aus der Perspektive der Gegenwart und unter dem Gesichtspunkt eines namhaft zu machenden Interesses zu schreiben hat - von der Selbstverständlichkeit dieser Forderung einmal abgesehen - neben allen Vorzügen auch Gefahren. Im Extremfall seziert das Skalpell des Interesses gegen die Anatomie des Quellenkörpers und legt damit, um im Bild zu bleiben, nichts mehr frei, sondern zerstört die Geschichte. Im schlechtesten Fall nimmt sie den Menschen, die vor den heutigen Generationen gelebt haben, ihre Eigenart und damit auch ihre Würde. Davor hatte LEOPOLD VON RANKE Angst. Daß jede Generation ihre Geschichte neu schreibt, ist und bleibt eine Binsenweisheit. Die rhetorische Figur meint die Neuinterpretation großer Zusammenhänge unter veränderter Perspektive und unter Einbezug konkreter neuer Einzelergebnisse der Forschung. Dadurch, daß die Generationen heute rascher aufeinander folgen und selbst die Geschlossenheit früherer Generationen durch deren Auflösung in Gruppen längst der Vergangenheit angehört, ergibt sich ein schnellerer Umschlag von Interpretationen und deren beschränktere Verbindlichkeit. Dem Charme der Dame Klio hat es nichts anhaben können, daß ihre bislang verhülltere Neigung, verfuhrt zu werden, etwas offenkundiger geworden ist. Bezogen auf den Gegenstand ergibt sich aus diesen Bemerkungen, daß Kommunalismus als Begriff erstens eine zeitgenössische geschichtstheoretische Verankerung hat, er folglich in seinem Bereich mehr integrieren will als frühere Arbeiten, und zwar zweitens über neues empirisches Material. Aufgrund der Struktur dieses Materials kann drittens die bisherige anrainende Forschung zu diesem Problemfeld neu zentriert und damit produktiv gemacht werden. Geschichtliche Erkenntnis und geschichtlicher Wandel lagert sich in Begriffen ab. Wenn man schon versucht, einen neuen Begriff einzuführen, empfiehlt es sich, über Begriffsbildung in der Geschichtswissenschaft als Ordnungsstrategie noch einige Worte zu verlieren. Ein Verfahren, Ordnung in die Fülle wissenschaftlicher Erkenntnisse zu bringen, ist die Periodisierung. Daß eine tausendjährige europäische Geschichte in Mittelalter und Neuzeit zerlegt wurde, erfolgte aus der Einsicht, daß sich die Deutung der Dinge von einer theozentrischen auf eine anthropozentrische Ebene verlagerte, das einheitliche christliche Abendland sich in verschiedene Kirchen mit eigenen Kulturen aufspaltete und die auf Europa be-

Wie entsteht ein Begriff

3

schränkte Weitsicht durch die Entdeckungen prinzipiell geöffnet wurde. Mittlerweile hat sich die Neuzeit ihrerseits längst in eine Neuere und Neueste Geschichte getrennt und neben die Zäsur von 1500 eine zweite um 1800 gelegt. Die beiden Epochen trennen Stände und Klassen, Absolutismus und Konstitutionalismus, agrarische und industrielle Welt. Das ist ein generalisierbares Beispiel in dem Sinne, daß Epochengrenzen immer wieder neu gezogen werden. Periodisierungen solcher Art können über ihre krude Zeitangabe neu, mittel, alt hinaus durch einen Merkmalskatalog angereichert werden. Die stärkere Stellung der Könige und Fürsten in der frühen Neuzeit im Vergleich zum Mittelalter, wo sie mit dem Adel und der Kirche konkurrieren mußten, und zum 19. Jahrhundert, wo sie sich einer zunehmenden parlamentarischen Kontrolle ausgesetzt sahen, hat dazu geführt, von absoluter Monarchie oder Absolutismus schlechthin in der Frühneuzeit zu sprechen. Da die Bezeichnung so nahtlos auf die Zeit zwischen 1500 und 1800 nicht passen wollte, hat man sich mit untergliedernden Benennungen wie Früh-, Hoch-, Spät- und aufgeklärter Absolutismus beholfen oder die Epoche nochmals unterteilt in ein Zeitalter der Reformation und Gegenreformation (heute Konfessionalisierung geheißen) und ein solches des Absolutismus. Die Benennungen bringen zum Ausdruck, daß einer Epochenbezeichnungen Signifikantes zugrunde liegen muß, aber auch, daß die Parameter dafür ganz verschieden und nicht kompatibel sein können. Das Zeitalter der Reformation definiert sich über ein Ereignis der Ideen- und Religionsgeschichte, das des Absolutismus über einen Verfassungstypus von Monarchie. Das fuhrt zum Ausgangspunkt zurück: in welchen Bezügen der Mensch gesehen wird entscheidet wesentlich mit darüber, wo Epochen gegeneinander abgegrenzt und wie sie inhaltlich gefüllt werden. Epochenbezeichnungen stehen, wie die letzten Beispiele zeigten, nahe bei wissenschaftlichen Ordnungsbegriffen, die die Historiker oder andere historisch arbeitende Geistes- und Sozialwissenschaftler erfinden. Wie sie das tun, soll etwas ausfuhrlicher an einem Leitbegriff des Mittelalters und der Neuzeit diskutiert werden, der durch lange und heftige Diskussionen unter verschiedenen Disziplinen gehärtet worden ist - Feudalismus. Feudalismus tritt erstmals im 17. Jahrhundert in der französischen Sprache unter dem Wort „fiodaliti" in Erscheinung, und zwar als Begriff der Rechtssprache, verstanden als „das Lehensrecht, die Gesamtheit der lehnrechtlichen Normen" 1 . Durch Montesquieu fand er weitere Verbreitung und war schließlich den Zeitgenossen der Französischen Revolution ganz vertraut. Im berühmten Dekret vom 11. August 1789 beseitigte die französische Nationalversammlung das „regime feodal" völlig. Emmanuel Sieyes, der wortgewaltige Publizist der Französischen Revolution, hatte in seiner bahnbrechenden Schrift „Was ist der Dritte Stand?" von 1789 Adel und Geistlichkeit als „Bevollmächtigte der Feudalität" bezeichnet. Damit wurde Feudalismus in der politischen Rhetorik der Französischen Revolution auf einen negativ aufgeladenen, vornehmlich gegen den Adel gerichteten Kampfbegriff zugespitzt. Sieyes stand wie alle Revolutionäre Frankreichs vor der Frage, wie die Aufhebung der adeligen (und kirchlichen) Privilegien zu rechtfertigen sei. Adelsherrschaft - so seine 1

O. BRUNNER, Feudalismus, 134.

4

D I E FRAGE

Einschätzung - sei durch Eroberung entstanden; folglich sei die Nation auch berechtigt, den Adel wieder in die Wälder zurück zu jagen, aus denen er gekommen sei. Adelige Herrschaft, anders gewendet Feudalismus, hat keine Legitimität. In der so erweiterten und pejorativ verfremdeten Bedeutung wurde er von K A R L M A R X aufgenommen. Marx hat dem Begriff einerseits eine enorme Verbreitung gesichert, weil sein geschichtsphilosophischer Entwurf die Intellektuellen immer wieder fasziniert hat, andererseits aber auch seinen Inhalt maßgeblich geprägt, indem er Feudalismus in den Rang einer Gesellschaftsformation und damit als historische Epoche im welthistorischen Prozeß neben und vor den Kapitalismus stellte. Wie jede Gesellschaftsformation ist auch der Feudalismus primär geprägt durch Produktionsmittel, Produktionsformen und korrespondierende Klassenverhältnisse. Der Feudalismus ist nach der Definition eines einschlägigen marxistischen Handbuchs „eine Produktionsweise, in welcher sich der Hauptteil des Bodens als des wichtigsten Produktionsmittels im Eigentum einer Minderheit befand, während die Mehrheit ohne Eigentum an Land war. Die Minderheit realisierte ihr Eigentum durch Verleihung von Boden an selbständige Bauernwirtschaften gegen persönliche Dienste und Abgaben" 2 . Eigentümer des Bodens war der Adel (und durch Schenkung die Kirche), so daß, insofern Marx die Gesellschaft nach ihrer Verfugung über Produktionsmittel definiert, Adel und Bauern die gesellschaftlichen Gruppen im Feudalismus bilden, terminologisch korrekt gesprochen die Klassen, deren Verhältnis zueinander durch Klassengegensätze bestimmt ist. Stabilisiert hat Marx seine Gesellschaftsformationen und damit auch den Feudalismus durch die geschichtsphilosophische Annahme, Erscheinungen des Überbattswie Recht, Religion oder Staat ließen sich von der Basis der Produktions- und Klassenverhältnisse ableiten. Auch der Liberalismus des 19. Jahrhunderts konnte problemlos an das Feudalismusverständnis des revolutionären Frankreich anschließen. Konzepte wie die Gemeinfreientheorie, wonach Freiheit das Prioritäre, adelige Herrschaft das Nachgeordnete sei, begünstigten das ebenso, wie die Spurensuche der eigenen Vergangenheit, die bei der mittelalterlichen Bürgerfreiheit endete. „So erscheint der .Feudalismus' in diesem Sinn durch die aus der Eroberung, aus Gewalt und Unrecht entstandene Verfugung über das wichtigste Produktionsmittel einer Agrargesellschaft, über Grund und Boden bestimmt und wesentlich mit der Welt der Grundherrschaft identisch" 3 . Eine intellektuell gefällige, die unterschiedlichen Definitionen weitestgehend integrierende und die Gegensätze harmonisierende Umschreibung des Feudalismus hat, wie so oft, M A X W E B E R gefunden, und es ist kein Zufall, daß sie gewissermaßen in die wissenschaftliche Umgangssprache eingegangen ist4. Weber verzahnt die definitorischen Merkmale Adelsherrschaft über Grund und Boden mit der Rechtsfigur des Lehens und dem politischen Ordungssystem als einer gestaffelten Lehenspyramide''. „Da Grundherrschaften das normale Lehens-

2

Handbuch Wirtschaftsgeschichte, hg. vom Institut für Wirtschaftsgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin 1981, 1. Bd., 466.

3

S o O . BRUNNER, F e u d a l i s m u s , 1 4 9 .

4

Ebd., 159.

5

M . WEBER, W i r t s c h a f t , 6 2 7 .

Wie entsteht ein Begriff

5

objekt sind", Grundherrschaft aber adelige-kirchliche Herrschaft über den Boden und die ihn bewirtschaftenden Menschen ist, werden Adel, Boden und Bauern zu kausal aufeinander bezogenen Definitionsmerkmalen von „Feudalgebilden". Diese Feudalgebilde ihrerseits stehen in Beziehung zueinander und sind unter Umständen hierarchisch geordnet, idealiter dem Rechtssatz entsprechend „nulle terre sans seigneur"6. Historiker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben in strenger Anlehnung an das Wort feudum den Feudalismus im technischen Sinn des Lehensrechts auf die Zeit von 900 1250 beschränkt, mit einer zunächst vergleichsweise beschränkten räumlichen Ausdehnung. Ursprungsland war demnach die Gegend zwischen Loire und Rhein und von dort weitete er sich nach Mittel- und Westeuropa, erreichte aber nicht Skandinavien und Ostmitteleuropa. Lediglich M A R C B L O C H , der Begründer der französischen Schule der Annales, hat dem Begriff eine über die Rechtsbeziehung des Lehens hinausgehende Bedeutung gegeben, indem er das grundherrlich-bäuerliche Verhältnis als für den Begriff wesentlich einschätzte und damit die Verbindung zur marxistischen Interpretation stärker aufrechterhalten 7 . Positiv konnotiert hat H E I N R I C H MLTTELS das Lehenswesen - Feudalismus ist ein Begriff, den er eher meidet - , weil es als durchgängiges Prinzip politischer Organisation im Mittelalter gewissermaßen die Vorstufe des modernen Verwaltungsstaates darstellt. Weiter ist die Begriffsbildung nicht gediehen. Die Debatten der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts, flankiert von unzähligen Readern der 1960er und 1970er Jahre, blieben im wesentlichen eine Binnendiskussion unter Marxisten, waren ledern in ihrer hermetischen Geschlossenheit und zirkulär im Austausch der Argumente. Was läßt sich aus der Begriffsgeschichte an Erkenntnissen ziehen? Zunächst die Beobachtung, daß Begriffe eine Verwurzelung im sprachlichen Umfeld des Bezeichneten haben, der Feudalismus im mittelalterlichen Rechtsbegriff des feudum. Soweit Begriffe eine geschichtliche Dimension aufweisen, werden sie mitgeprägt durch die Arbeit des Historikers, der immer von den ihm verfügbaren Quellen ausgeht, in der interpretierenden Verallgemeinerung dann in Grenzen aber durchaus Verschiedenes damit bezeichnen kann, ein Verwaltungssystem oder eine Gesellschaftsordnung. Wo ein Begriff eine ganze Epoche oder ein länger andauerndes Herrschafts- oder Gesellschaftssystem abzubilden verspricht, ist er offensichtlich vom politischen Kampfbegriff schwer zu trennen. Die Begriffsgeschichte von Feudalismus wurde beispielhaft für das prinzipielle Problem der Begriffsbildung in Erinnerung gebracht, weil Kommunalismus aus einer wachsenden Skepsis gegenüber der Repräsentativität von Feudalismus erwachsen ist. Gewachsen ist die Skepsis aufgrund der Arbeit in den Archiven, strenggenommen nur durch sie. Der Weg, der zum Begriff des Kommunalismus führte, läßt sich, soll Methodisches nicht rein theoretisch, sondern forschungspraktisch gesagt werden, ohne eine Archivgeschichte und damit eine Wendung ins Persönliche bedauerlicherweise nicht beschreiben. Je länger ich mich mit dem Spätmittelalter und der Frühneuzeit befaßt habe, desto mehr fand ich die umlaufenden Bezeichnungen, die mit dem Kürzel Feudalismus und analog gebauten Unterbegriffen wie Ab6 7

Ebd., 632. O. BRUNNER, Feudalismus, 128.

6

DIE FRAGE

solutismus abgebildet werden, unzureichend. Die Unlust unter Historikern ist verbreiteter anzutreffen, wo nicht allgemein, wie der Probelauf mit substituierenden Bezeichnungen wie Sozialdisziplinierung als Ersatz für Absolutismus leicht belegen kann8. Vor Jahrzehnten (1964) erhielt ich von der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften einen Forschungsauftrag, im Rahmen des Historischen Atlasses von Bayern den Landkreis Kempten zu bearbeiten. Die Fragestellung des Atlasunternehmens bestand darin, die, wie man damals in der Landesgeschichte sagte, Herrschaftsstruktur oder Landeshoheit am Ende des Alten Reiches kartographisch und statistisch zu erfassen und zu beschreiben, wie es dazu gekommen war. Der konkrete Gegenstand war im vorgegebenen räumlichen Rahmen somit die Herrschaftsgeschichte des reichsunmittelbaren Benediktinerklosters Kempten im Allgäu. Vorarbeiten gab es kaum. Zu bearbeiten waren 6 000 Urkunden und ein ansehnlicher Aktenbestand, was besagen soll, daß geschlossene Quellenkörper über mehrere Jahrhunderte hinweg untersucht werden mußten. Das Ergebnis hieß, in einem Satz zusammengefaßt, die Grundlage der Landeshoheit des reichsunmittelbaren Fürststifts Kempten war die Leibherrschaft. Der eigentliche wissenschaftliche Ertrag dieses Unternehmens lag allerdings auf einer völlig anderen Ebene, nämlich folgender. Im Hochmittelalter verfugte Kempten offensichtlich über sehr wenig Leibeigene, die Gotteshausleute, wie sie auch hießen, besaßen zum Teil die bessere Rechtsstellung der Freizinser, zum Teil waren sie Freie und entrichteten dem Kloster lediglich ein Schutzgeld. Im Spätmittelalter nivellierten die Fürstäbte die Freien und Freizinser auf die rechtliche Ebene der Leibeigenen. Die Motive waren gleichermaßen politische wie fiskalische. Nur Leibherrschaft begründete eine Gerichts- und Wehrhoheit, nur sie lieferte den nötigen Rechtstitel zur Einhebung von Steuern und anderen Abgaben. Deswegen wurde Freizügigkeit verboten, Ehen zwischen Leibeigenen und Freien mit Strafen belegt und die Kinder in den Rechtsstand des schlechter gestellten Elternteils gezwungen. Hunderte, vielleicht Tausende von Bauern, jedenfalls ein namhafter Teil der Untertanen, nach Schätzungen ein Drittel, wurden durch repressive Mittel bis zur Gefangensetzung veranlaßt, sich, ihre Ehepartner und Kinder urkundlich dem Kloster als leibeigen zu verschreiben. Das löste Widerspruch bei den Betroffenen aus, zunächst in Form von Petitionen, dann in Unruhen, die 1525 zum Bauernkrieg eskalierten. Seitdem nahm die Entwicklung des Rechtsinstituts Leibherrschaft eine gegenläufige Richtung. Die Ursachen des Aufstandes wurden in einem Vertrag zwar nicht gänzlich behoben, aber doch gemildert: die Steuern wurden vermindert, die Todfallabgaben herabgesetzt, die Heiratsschranken aufgehoben und die Freizügigkeit hergestellt. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts lösten die Kemptener Untertanen durch eine jährliche pauschale Geldsumme die leibherrlichen Fronen ab, die seitdem entsprechend dem Steueraufkommen der einzelnen Bauern umgelegt wurden. Ein Zeichen persönlicher Unfreiheit war damit als solches nicht mehr zu erkennen. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts verschwand auch, nach mehrfachen Forderungen der Untertanen, der Begriff leibeigen in den amtlichen Dokumenten der Kemptener Kanzlei. 8

Vgl. HEINZ DUCHHARDT, Absolutimsus - Abschied von einem Epochenbegriff?, in: Historische Zeitschrift 2 5 8 ( 1 9 9 4 ) , 1 1 3 - 1 2 2 .

Wie entsteht ein Begriff

7

Der eigentliche wissenschaftliche Ertrag\d.g für mich

in der Möglichkeit, eine zweigliedrige

These zu formulieren, die besagt, daß es erstens auf der realen historischen Ebene eine sich über Jahrhunderte erstreckende Entwicklung von der Leibeigenschaft in die Freiheit gäbe, sie also nicht allein als Produkt der Aufklärung gelten könne, und daß zweitens dieser Prozeß durch die Betroffenen, die Leibeigenen, die Bauern selbst vorangetrieben worden sei. Was ist aus diesem Beispiel zu gewinnen?

Methodisch

die Einsicht, daß ein kompakter ge-

schlossener Quellenbestand durch die Mächtigkeit der Belege eindeutig sein kann und in seiner zeitgenössischen Ablagerung Erkenntnisse zutage fördert, die über ein heutiges gar nicht erfragt werden könnten.

Geschichtstheoretisch

Interesse

die Erkenntnis, daß Herrschaftsbe-

ziehungen stark „von unten" geprägt sein können. Das war eine angesichts des seinerzeitigen Interpretationsstandards über die Entwicklung des frühmodernen Staates oder die Ausgestaltung der Agrarverfassung ganz unübliche Einschätzung. In späthistoristischer Manier galt der Geschichtsprozeß als von Staat und Herrschaft, sowie deren Agenten (Bürokratien, Vasallen, Ministerialen) geprägt, und das mit einer Selbstverständlichkeit, die sich nur durch die Sozialisation der damals fuhrenden Historiker im autoritären Kaiserreich und ihre lebensweldiche Erfahrung mit dem Totalitarismus erklären läßt. A u f die Bedeutung der Gemeinde bin ich erstmals gestoßen, als ich als Beiprodukt der Arbeit am Historischen Atlas des (Kempten benachbarten) Landkreises Memmingen eine der dort zahlreich überlieferten Dorfgerichtsordnungen publiziert habe. Es handelt sich dabei u m jene von Buxheim aus dem 16. Jahrhundert, in der von Gemeindeversammlungen, Vierern, Richtern und Ammännern die Rede ist. D e r Text ließ sich angemessener einordnen und kommentieren, als es vielleicht f ü n f Jahre zuvor möglich gewesen wäre, durch eine plötzlich aufspringende Debatte über das Dorf, die von KARL SIEGFRIED BADERS Studien und zeitgleichen Sammelbänden des Konstanzer Arbeitskreises ausgegangen war 9 . Buxheim als D o r f gewann einen prominenteren Kontext über die „deutsche Landgemeinde", ließ sich also nationalisieren, im Gegensatz zu den Kemptener Ergebnissen, weil Leibeigenschaft nach dem Stand der damaligen Forschung für Herrschaft nichts bedeutete, die Rede von der

Bagatelle

war damals üblich.

Meine Forschungsinteressen führten mich in den Folgejahren zu der Frage der politischen Repräsentation von Bauern in vorparlamentarischen Körperschaften, den sogenannten Landtagen und Landschaften. Die Konstituierung des Gegenstandes war den eigenen Forschungen immanent insofern, als das institutionelle Vehikel, mit dem die Kemptener die Leibeigenschaft bekämpft hatten, die

Landschaft

war, eine Vertretung, die sie selbst zu Be-

ginn des 16. Jahrhunderts erkämpft hatten. Die Landschaft war also eine Repräsentation von Bauern. Folglich war sie an die Ständeforschung zunächst gar nicht anschließbar, die nur die Repräsentation von Adel, Geistlichkeit und Städten wahrgenommen hatte. D i e Atlasarbeiten zu Kempten und Memmingen hatten indessen auch in anderen Herrschaften (Ottobeuren, Trauchburg) vergleichbare

bäuerliche

Landschaften zutage gefördert, so daß es

sich als neu und lohnend geradezu aufdrängte, diese unbekannten Institutionen systemati9

K. S. BADER, Dorf 1 und 2. - Die Anfänge der Landgemeinde und ihr Wesen, 2. Bde. (Vorträge und Forschungen 7, 8) [1964], Sigmaringen 2 1986.

DIE FRAGE

8

scher zu erforschen und sie mit den herkömmlichen Landtagen zu vergleichen. Aus der Distanz von vielen Jahren kann man darin durchaus auch die zeitgebundene Fragestellung erkennen, nämlich das Bedürfnis, über die Erforschung vorparlamentarischer Institutionen, wohl mehr unbewußt als bewußt, demokratische Vorläufer in der eigenen Geschichte zu finden. Ständegeschichtliche Forschung ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sicher nicht zufällig nirgendwo in Europa so nachhaltig betrieben worden wie in Deutschland und Österreich. Emigrierte deutsche Historiker haben nicht zum wenigsten dazu ermuntert und kühn die Parallelen des deutschen Ständewesens zum englischen Parlament ausgezogen FRANCIS L . CARSTEN, DIETRICH GERHARD, HELMUT KOENIGSBERGER.

Die Landschaften legten ein Problem frei, das, gerade weil es nicht in einer generellen und eindeutigen Weise lösbar war, das latente Interesse an der Bedeutung kommunaler Strukturen wachhielt. Offen und strittig nämlich war, ob in den territorialen Repräsentationskörperschaften die Bauern als Untertanen vertreten wurden oder als Gemeinden 10 . Der Quellenbefund ist eindeutig und uneindeutig gleichermaßen, denn auf Landtagen konnten nur Personen erscheinen, die in einem unmittelbaren Verhältnis zum Landesfursten standen, die Einladungsschreiben des Fürsten gingen aber an die Gemeinden beziehungsweise deren Repräsentanten in der Person von Ammännern, Untervögten und Gerichten. In den Landschaften saßen aber nicht nur Bauern, sondern auch Bürger, die fürstlichen Ausschreiben gingen nicht nur an dörfliche Ammänner, sondern auch städtische Bürgermeister. Nicht selten bedurften die Beratungsergebnisse der Landtage der gemeindlichen Ratifizierung. Dorf und Stadt rückten so strukturell näher aneinander. Wie auch immer sich das Problem der Repräsentation schließlich entknoten lassen würde (nach der personalen oder der korporativen Seite hin), klar war damit, daß sich die Gemeinde über die ständische Repräsentation als bestimmender Faktor des Territorialstaats ganz anders in die Geschichte würde einbauen lassen, als dies bislang geschehen war. Zumindest die vorgängigen Dorfstudien waren nämlich mehr oder minder folgenlos geblieben deswegen, weil sie fur den Prozeß der Geschichte nicht produktiv gemacht wurden. Förderlich, um die Bedeutung der Gemeinde für politische Prozesse von nationalem Rang zu messen, wurde eine zunächst eher flüchtige Beschäftigung mit dem Bauernkrieg, die von dem an Kempten elaborierten Problemfeld Leibeigenschaft - Freiheit ausging. Freiheit als die kardinale Forderung der Bauern 1525, die alle anderen deutlich in den Schatten stellte, mußte eine reale Grundlage in einem minderen personenrechtlichen Status haben, um überhaupt erhoben werden zu können. Der unterstellte Zusammenhang von Leibeigenschaft und Freiheit ließ sich dann auch als generell verbindlich für den deutschen Südwesten erheben. Für die Konzeptualisierung des Kommunalismus indessen waren die in den Beschwerden und Artikeln inkarnierten politischen Vorstellungen von größerem Interesse. Sie nämlich, versucht man sie auf ihren kleinsten gemeinsamen Nenner herunterzukürzen, 10

Die Diskussion ist erschließbar über die Beiträge von KARL BOSL und MICHAEL MLTTERAUER, in: Karl Bosl (Hg.), Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation, Berlin 1977, sowie die Studie von GERHARD OESTREICH, Zur Vorgeschichte des Parlamentarismus: Ständische Verfassung, Landständische Verfassung und Landschaftliche Verfassung, in: DERS., Strukturprobleme der frühen Neuzeit. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1980, 2 5 3 - 2 7 1 .

Wie entsteht ein Begriff

9

vertraten ein Konzept von politischer Ordnung, deren Grundlagen Gemeinden sein sollten, und zwar Landgemeinden und Stadtgemeinden gleichermaßen und unterschiedslos. Danach sollten Gemeindeversammlungen in der Stadt und im Dorf ihre Organe bestellen, und diese sollten ihre Gemeinden in größeren politischen Verbänden, seien es nun Bünde oder Landstände, vertreten. Erheblich war diese Einsicht deswegen, weil Stadt und Dorf, zumindest im Selbstverständnis der revoltierenden Bauern und Bürger, nicht mehr als die getrennten Welten in Erscheinung traten, wie sie üblicherweise in der geschichtswissenschaftlichen Literatur vermittelt werden. Von der Agrargeschichte zur Stadtgeschichte und umgekehrt führten keine Brücken. Das hat sich bis heute auch kaum geändert. Die Moderne nistet sich in Gewerbe, Handwerk und Handel, in der Stadt und ihrem Bürgertum ein, die bäuerliche Welt ist agrarisch und - verknüpft mit dem Adel - konservativ und bewahrend. Es lag nicht allzu fern, angesichts der weit besser erforschten Stadt die Kenntnisse über das Dorf dadurch zu verbreitern, daß dafür primäre Quellen in Form der ländlichen Rechtsquellen in umfassender Weise editorisch erschlossen wurden, ein (Gott sei es gedankt) nicht zustande gekommenes Unternehmen, vor dessen gigantischen Ausmaßen auch die großen forschungsfördernden Institutionen zu Recht zurückgeschreckt sind. In Vorbereitung dieses Projekts fand ein, wie man damals gerne sagte, Round-Table-Gespräch statt. Das Referat, das ich selbst dafür übernahm, untersuchte die materialen Schwerpunkte in ländlichen, also dörflichen Rechtsquellen des oberdeutschen Raumes. Dabei war auffallend, welch enorme Bedeutung der Friedewahrung Organen des Dorfes selbst eingeräumt wurde, also den Ammännern, den Richtern, aber auch den Gemeindemitgliedern. Die zweite auffällige Beobachtung bestand darin, daß viele dieser Dorfordnungen offensichtlich ohne erkennbare Beteiligung der Ortsherren oder Grundherren dieser Dörfer erlassen worden waren. Offenbar wurden in den Dörfern gleiche Aufgaben wahrgenommen wie in den Städten. Friedewahrung und Rechtssicherung gelten jedoch als elementare staatliche Funktionen. Angesichts der, mindestens seinerzeit, unbestreitbaren Vorliebe der deutschen Geschichtswissenschaft für den Staat, die in der landesgeschichtlichen Variante in enharmonischer Verwechslung Vogtei, Landesherrschaft und Landeshoheit hieß, war die mit den gemeindlichen Kompetenzen der Dörfer und Städte erkennbare Dezentralisierung der politischen Macht eine anregend neue Einsicht, zumal sie sich zu der Frage zuspitzen ließ, inwieweit hier ein Konzept horizontaler Gewaltenteilung vorläge. Zwei weitere Erfährungen waren schließlich maßgebend, aus den gesammelten Beobachtungen die in solchen Fällen allmählich unausweichlich werdende größere Fragestellung zu machen. Ein erster Impuls kam aus eher zufälligen Gesprächen am Rande des Konstanzer Arbeitskreises mit ROGER SABLONIER, der seinerzeit an einer kleineren Untersuchung über die Entstehung des Dorfes arbeitete. Die Manuskriptfassung war stimulierend deswegen, weil sie fur die Entstehung des Dorfes einen relativ festen Markierungspunkt um 1300 anbot 11 . Die

11

ROGER SABLONIER, Das D o r f im Übergang vom Hoch- zum Spätmittelalter. Untersuchungen zum Wandel ländlicher Gemeinschaftsformen im ostschweizerischen Raum, in: Lutz Fenske u.a. (Hgg.), Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter. Festschrift ftir Josef Fleckenstein, Sigmaringen 1984, 7 2 7 - 7 4 5 .

10

D I E FRAGE

München,

.Kufstein

Vorarll

• •

1. Kreis

tngSW 2. Kreis f

13. Kreis • Α

Abb. 1:

Empirische Grundlage der Modellbildung.

im Text erwähnte Orte Orte zur Orientierung

Wie entsteht ein Begriff

11

Anfänge des Dorfes verflüchtigten sich nicht irgendwo im Hoch- oder Frühmittelalter, vielmehr ließ sich dafür ein Zeitpunkt ausmachen, der um so bemerkenswerter war, als er zusammenfiel mit der Explosion des Städtewesens. Hinzu kam die Einsicht aus der Beschäftigung mit der Reformation, daß sie rezeptionsgeschichtlich nicht hinreichend, wie es lange hieß, als urban event beschrieben werden könne, sondern auf ein dörfliches Ereignis erweitert werden müsse, weil sich die ländliche Gesellschaft vernehmlich in den reformatorischen Prozeß einmischte und sich die reformatorischen Botschaften über die Gemeinde aneignete, nicht individuell. Als komplementär zu dieser Beobachtung erwies sich der Eindruck, die reformatorische Theologie spiegele auch, zumindest in der Ekklesiologie mit ihrer starken Betonung des Gemeindechristentums, der Pfarrerwahl durch die Gemeinde und der Lehrentscheidung durch die Gemeinde, Erfahrungen der spätmittelalterlichen kommunalen Entwicklung. Damit war über die Frage der reformatorischen Ekklesiologie die Theologie erreicht und mit ihr das Problem, ob und wie Zeitgenossen die kommunalen Erscheinungen theoretisch verarbeitet hatten. Was jetzt vorlag, war die Beobachtung, daß Dörfer und Städte, Bürger und Bauern eng zusammengehörten, folglich die breite Masse der Bevölkerung (die Herrenstände Adel und Kirche ausgeschlossen) unter einer bestimmten politischen Figur lebte, die von den Zeitgenossen hier wie dort Gemeinde genannt wurde, für die es keine wissenschaftliche Bezeichnung gab. Die Frage wurde gewiß durch Interesse und Zeitgenossenschafi vorangetrieben, aber in nur sehr eingeengtem Sinn. Die Versteinerungen der Vergangenheit in Form der Archivbestände haben das perpetuum mobile der Heuristik in Gang gesetzt und mit ihren Auskünften neue Fragen gestellt. Der Raum des Argumentierens ergib sich aus der praktischen Arbeit. Er erwies sich als solcher unter den Fragen kommunaler Strukturen als konsistent. Der Erfahrungsraum läßt sich in drei konzentrischen Kreisen beschreiben (Abb. 1), die durch die unterschiedlich starke Abstützung im archivalischen Material gekennzeichnet sind. Den ersten Kreis, für den die Ergebnisse ausschließlich aus archivischem Material erhoben wurden, bilden die reichsunmittelbaren Klöster Ottobeuren und Kempten mit der Reichsstadt Memmingen, deren Territorien und die in sie eingelassenen kleineren Adels- und Klosterherrschaften. Es ist eine Region, die herkömmlicherweise zum Südwesten des Alten Reiches gerechnet wird, womit in der landesgeschichtlichen Historiographie über die räumliche Bezeichnung hinaus territoriale Kleinräumigkeit verbunden mit Reichsunmittelbarkeit gemeint wird, unter anderer Perspektive der kompakte, direkte Zugriff der Landesherren und Grundherren auf die Untertanen. Den zweiten Kreis begrenzen Schwarzwald, Donau, Lech und die südlichen Alpentäler, innerhalb seiner Grenzen liegt Oberschwaben als Ganzes, das strukturell weitestgehend dem ersten Kreis gleicht (heute bilden den Raum die Regierungsbezirke Schwaben und Südwürttemberg-Hohenzollern innerhalb der Länder Bayern und Baden-Württemberg), dann aber auch als größere Komplexe Tirol und Vorarlberg, zwei trotz der gemeinsamen Herrschaft der Habsburger sehr unterschiedliche Räume. Archivisch unterkellert sind für diese Region die Aussagen zur ständischen Repräsentation von Bauern und Bürgern, beziehungsweise ländlichen und städtischen Gemeinden. Tirol gehört zu den Ländern im klassischen Sinn inner-

12

D I E FRAGE

halb des Heiligen Römischen Reiches. Innsbruck wurde und war lange Residenz einer Habsburger Linie und blieb Regierungssitz. Die landesfiirstlichen Rechte waren weitgehend und ertragreich durch Bergregal und Münzregal, die ergiebigen Zölle und die ausgedehnten Grundherrschaften. Der Adel und die Klöster hatten im Spätmittelalter rasch viel von ihrem Einfluß verloren, entsprechend erfolgte die Verwaltung des Landes über Städte, die sich von Kufstein bis Bozen besonders entlang der entscheidenden Verkehrsverbindung über den Brennerpaß auffädelten, und Landgerichte. Früh setzte sich einheitliches Landrecht durch und wurde im 16. Jahrhundert durch eine umfassende Strafrechtskodifikation, einen Vorläufer der kaiserlichen Kriminalgerichtsordnung von 1532, und Landesordnungen weiterentwickelt. Politik im weitesten Sinn vollzog sich im Rahmen einer landständischen Verfassung und sicherte Adel, Prälaten, Vertretern der Städte und Landgerichten mindestens bis ins 17. Jahrhundert eine sehr wirksame Repräsentation auf den Landtagen. Gänzlich anders waren die Verhältnisse in den von den Habsburgern später erworbenen Besitzungen vor dem Arlberg, die den Kernbestand des heutigen österreichischen Bundeslandes Vorarlberg ausmachen. Wiewohl unmittelbar an Tirol angrenzend, hat eine administrative und rechtliche Verschmelzung nicht stattgefunden. Tiroler Landrecht galt in Vorarlberg nicht, die Verwaltung der Hoheitsrechte, unbedeutend wie sie waren, blieb in der Hand von drei habsburgischen Vögten, meist einheimischen Adeligen. Es scheint geradezu zwangsläufig, daß eine Inkorporation auf der Landtagsebene scheitern mußte. Vorarlberg bildete im 16. Jahrhundert eigene Landtage aus, auf denen allein Vertreter der Städte und Gerichte (Landgemeinden) erschienen. Die äußeren Grenzen des dritten Kreises lassen sich lediglich im Westen mit den Vogesen und im Osten mit Bayern scharf ziehen. Nach Norden bleiben die Abgrenzungen im Raum zwischen Franken und Thüringen eher unbestimmt, auch im Süden bildet der Alpenhauptkamm eher eine ungefähre und pragmatische Grenze gegen den italienischen Sprachraum hin. Unter der Frage der Ausformung feudaler Herrschaftsverhältnisse bietet die Ausdehnung eine ungemeine Bereicherung. Der oberrheinische Raum, vornehmlich das Elsaß, hat sich in der Frühneuzeit kaum weiterentwickelt, wie gelähmt zwischen den scharf konkurrierenden und ständig das Land verheerenden Ansprüchen Frankreichs und Deutschlands liegend. Der Versteinerung im Reformationszeitalter verdankt es seinen heutigen Reiz. Kontrastierend damit repräsentiert das Herzogtum Württemberg, was die Geschichtswissenschaft heute mit dem Prozeß der staatlichen Modernisierung verbindet: eine ausgebildete, nach unten in Form einer Amterverfassung durchorganisierte Bürokratie, eine umfassende, wohl nur von Brandenburg-Preußen übertroffene territoriale Polizeigesetzgebung, freilich auch eine andauernde ständische Repräsentation, an die der Landtag des 19. Jahrhunderts wie sonst in keinem der Staaten des Deutschen Bundes anknüpfen konnte. Der räumliche Zugewinn im Norden und Nordosten Württembergs ist mehr quantitativer Art. In vielem prägen Franken ähnliche Züge wie das obere Schwaben. Vom Bodensee rheinaufwärts wandernd, kreuzt man Regionen unterschiedlichsten herrschaftlichen Charakters, was insgesamt eine große Bereicherung darstellt, will man die Vielgestaltigkeit von Herrschaftsformen im Spätmittelalter und der Frühneuzeit möglichst umfassend berücksichtigen. Westwärts des Rheins liegt das mit mehreren eidgenössischen Orten (auch Kantone geheißen) verbündete Gebiet des reichsunmittelbaren Fürststifts St. Gal-

Wie entsteht ein Begriff

13

len, es folgt das Appenzell, zunächst bis um 1 5 0 0 nur ein sogenannter

zugewandter Ort Act

Eidgenossenschaft, mit ihr also nur lose assoziiert. Die Bündner Täler, die dominierend zunächst unter der Herrschaft des Churer Bischofs standen, durchliefen vielleicht hinsichtlich ihrer rechtlichen Stellung den bemerkenswertesten Wechsel. Bis hinüber in den Tiroler Vintschgau und bis hinauf zum Rheinursprung erfolgten Umformungen zu bündischen Strukturen (Graubünden), wie sie auch im angrenzenden Rhönetal des Hochstifts Sitten anzutreffen sind. Konstituieren ließ sich der dritte Kreis einerseits, weil er neben den landschaftlichen Strukturen auch die Revolution von 1 5 2 5 und die Gemeindereformation beherbergt hat, andererseits weil seine analytische Durcharbeitung keine nennenswerten Unterschiede zu den ersten beiden Kreisen erkennen ließ 1 2 . Als sperrig für das Kommunalismus-Konzept erwiesen sich die angrenzen Räume - Lothringen im Westen, Sachsen im Norden, Bayern im Osten und (wegen ihrer Desintegration aus dem Reich) die Eidgenossenschaft im Süden. Oberdeutschland zeichnet sich, betrachtet unter den herkömmlichen Gesichtspunkten der Herrschaftsorganisation, als ein Raum von großen, ja extremen Unterschieden aus. Zuspitzend formuliert lassen sich in ihm alle Formen und Intensitätsstufen von Herrschaft nachweisen. Wenn diese Unterschiede ungeachtet überall ausgeprägte kommunale Strukturen zum Vorschein kommen, dann spricht das für deren Verallgemeinerbarkeit und Generalisierbarkeit. Die Bildung des Raumes ist folglich alles andere als willkürlich. Die Erinnerung an eine Zusammengehörigkeit steckt in dem W o r t

Oberdeutschland,

das vor allem Zeit-

genossen des ausgehenden Mittelalters und der beginnenden frühen Neuzeit gebrauchten und das sie gelegentlich auch gegen

12

hochdeutsche Nation austauschten.

Daß die Bezeichnung

Für den ersten Kreis liegen alle Urkunden und die wichtigeren Hervorbringungen der Verwaltung in Form von Akten und Literalien (wie die bayerische Archiwerwaltung fur Bücher sagt) zugrunde. Für den zweiten Kreis an Archivalien vornehmlich jene, die an der politischen Schnittstelle von Landesherr und Gemeinden in Form der Landtage entstanden sind, und solche, die zur Rekonstruktion der kommunalen Verfassung auskunftsreich waren, von der (auswahlweisen, dann aber systematischen) Durchsicht von gedruckten Urkundenbüchern und Rechtsquellensammlungen abgesehen. Für den dritten Kreis wurden die edierten Quellen nur noch ausschnitthaft erfaßt, doch auch dort Kontrollgänge gemacht, etwa in der flächigen Durcharbeitung der Walliser Rechtsquellen. Was die Gemeinden selbst in Oberdeutschland von ihrer Geschichte archivalisch retten konnten, ist erbärmlich wenig (im ersten Kreis sozusagen nichts vor dem 18. Jahrhundert). Daß die Überlieferung einst besser gewesen sein muß, zeigen Zufallsüberlieferungen (Eglofs bei Wangen im Allgäu) und vor allem der Blick auf die benachbarte Schweiz, wo die Gemeinden dank ihrer Kontinuität auch das Archivgut besser bewahrt haben. Die editorische Erschließung des einschlägigen Materials ist sehr ungleich. Die heute zur Schweiz gehörigen Teile Oberdeutschlands sind durchgängig erheblich besser dokumentiert als diejenigen Deutschlands und Österreichs. Für das Fürststift St. Gallen sind mit dem Urkundenbuch und den einschlägigen Bänden der Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen die wichtigeren Quellen erschlossen (teilweise bis Ende des 18. Jahrhunderts), für das Fürststift Kempten gibt es nicht einmal ein Urkundenbuch [das nur als Beispiel]. Erstaunlicherweise steht das ländliche Statutarrecht umfassender zur Verfugung (Tiroler und Vorarlberger Weistümer, Württembergische Ländliche Rechtsquellen [alle ohne zeitliche Beschränkung]) als das städtische. Selbst die mittelalterlichen Stadtrechte von Reichsstädten sind nur ausnahmsweise ediert, von den Landstädten zu schweigen, fiir die Frühneuzeit fehlen sozusagen alle Quelleneditionen.

14

D I E FRAGE

bis auf den kümmerlichen Rest der oberdeutschen Mundarten aus dem heutigen Sprachhaushalt verschwunden ist, erklärt sich aus der wachsenden Stärke und schließlich auch fur Landschaftsnamen prägenden Kraft der Länder in der frühen Neuzeit - Tirol, Württemberg, Baden. Mit dem Aufbau des Begriffs Kommunalismus - das sollten die knappen Bemerkungen über Gegenstand, Methode und Begriffsbildung in Erinnerung bringen - wird wieder einmal ein historisches Werk vom Optimismus getragen, der Mensch stünde anders und neu im Mittelpunkt des forschenden Interesses. Lektionen in Geschichtstheorie und akademische Erfahrung lehren, daß jedem wissenschaftlichen Optimismus ein Verfallsdatum aufgeprägt ist. In der Liturgie der Wissenschaften hat es die kanonisierte Formel angenommen, wissenschaftlich überholt zu werden sei der Zweck aller Wissenschaft.

1

INSTITUTIONEN

Kommunalismus soll zunächst einen besonderen Aggregatzustand von gefestigten Formen alltäglichen menschlichen Zusammenlebens bezeichnen. Gefestigt sind Formen, wenn sie dem raschen Wandel, etwa der Abfolge der Generationen, entzogen sind und ihre Stabilität vom personalen Wandel nicht berührt wird. Wo das der Fall ist, kann der Alltag als verfaßt gelten. Üblicherweise wird die Verfaßtheit durch Institutionen gewährleistet, so daß man auch von einer Verfassung des Alltags sprechen könnte. Kommunal verfaßt ist der Alltag, wenn sich die Verfassungseinrichtungen aus der Gemeinde heraus entfalten und entwickeln. Die folgenden Beispiele haben den Sinn, den Begriff Kommunalismus, soweit er aus Verfaßtheit des Alltags in einem institutionellen Sinn geformt ist, herzuleiten.

1.1

D I E VERFASSTHEIT DES ALLTAGS - BEISPIELE

1.1.1

„Man sey nit schuldig den Zechenden zu geben " - ein Veifassungskonflikt in der Reichsstadt Memmingen

Eine der zahllosen Städte in dem Raum, aus dem heraus das Kommunalismus-Modell entwickelt wurde, ist Memmingen - eine Reichsstadt bis zur Eingliederung in den bayerischen Staat zu Beginn des 19. Jahrhunderts, hart an der Grenze zum heutigen Bundesland BadenWürttemberg liegend. An einer analytischen Durchdringung eines Ereignisses aus der Reformationszeit läßt sich für diese Stadt zeigen, was konkret mit polirischer Verfaßtheit einer Gemeinde gemeint sein soll. „Man sey nit schuldig, den zechenden zu geben bey einer todsind", soll Christoph Schappeler, der Prädikant an der Pfarrkirche St. Martin in der Reichsstadt Memmingen, Ende 1523 gepredigt haben 1 . Zehntverweigerungen seien keine schwere Sünde, ja durch das Neue Testament sei der Zehnte abgeschafft2. Zehnten wurden von denen entrichtet, die Landwirtschaft betrieben - das taten viele Bürger, denn die Stadt hatte trotz ihrer wirtschaftlichen Fundierung in Handwerk und Handel teilweise noch den Charakter einer Ackerbürgerstadt, und die bäuerlichen Untertanen des Rates im städtischen Territorium. Zehnten wurden als zehnte Garbe vornehmlich in Form des Großzehnten vom Getreide abgegeben, verbreitet war allerdings auch der Kleinzehnt üblich, der zehnte Teil von Rüben, Kraut, Obst, Gemüse, gelegentlich auch von Hühnern und Vieh. Der Zehnt überstieg in der Regel an Wert die grundherrlichen Abgaben und

F. L. Baumann, Akten Bauernkrieg, 1 Nr. 2. - Vgl. auch M. BRECHT, Hintergrund der Zwölf Artikel, 181ff. Die Belege stammen aus den Beständen der Diözese Augsburg bzw. aus der Chronik des St. Galler Fridolin Sicher; zitiert bei B. KROEMER, Reformation, 112.

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1

Institutionen

die Steuern, jedenfalls gilt das fiir die Abgaben, welche die ländliche Bevölkerung zu erbringen hatte3. Der Sinn des Zehnten bestand darin, dem Pfarrer neben seiner Pfründe ein angemessenes Auskommen zu sichern, doch vielfach waren die Zehntrechte im Spätmittelalter verkauft und kommerzialisiert worden. Die Pfarreien und Pfarrer waren nur zum geringsten Teil noch die Berechtigten - Fürsten und Ritter, Städte und Korporationen, Klöster und Spitäler bezogen die Zehnten. Welche Zehntabgaben in Memmingen herkömmlich waren, ist im Detail nicht ganz genau auszumachen - der Großzehnt vom Getreide war gebräuchlich, ansonsten wurden mit Sicherheit Flachs und Hanf, Kraut und Rüben, Erbsen und Hühner verzehntet4. Was hatte Schappeler wirklich gepredigt? Auf die theologischen Einzelheiten kommt es nicht an, als politisch folgenreich sollte sich jedoch herausstellen, daß er an der Zehntpraxis selbst kein gutes Haar ließ. Mit dem Zehnten spielten die Herren „wie die katz mit der mauss, auf die letzt frist sy die mauss gar. Also haben sy auch thon, den Zehenden also am Ersten der Kirchen geben, die diener der Kirchen zu underhalten, darnach auf die pfarhof geschlagen, aufs letzt pfarr und zehenden erwischt unnd gefressenn, also das dem pfarrherrn die spreur peleiben und sy den kerm nemen, ja gar nichts mer darvon bezalten [behalten, P.B.] durften". Zehnten - sollte das wohl heißen - dienten zunächst dem Unterhalt der Priester, wurden dann als Zubehör des Pfarrvermögens betrachtet und als solches wohl von den Patronats- und Lehnsherrn und jenen, die sich Pfarreien inkorporiert hatten, entfremdet. „Darumb sy darneben noch ain ldain Zehenden erdichtet haben als jung höner, gens, schwein, ruben, kraut, opfell, piern etc.". Davon könnten die Pfarrer und Kapläne weder leben noch sterben, und notwendigerweise seien sie auf andere Mittel verfallen, ihre dürftigen Einkünfte aufzubessern. „Daher dan der pfarrer und Caplan, auch ain andern weg mit Vorderbung der Selen (leider gottes) gesucht haben, jres schadens Einzukomen, daher dan kombt alle kremerey was sy biss hiher erdacht und trieben haben". Damit waren die Stolgebühren gemeint, die Fiskalisierung aller seelsorgerischen Handlungen, mit denen den Gläubigen am Vorabend der Reformation Gebühren von der Taufe bis zur Bestattung abgepreßt wurden. Dennoch soll man den Zehnten geben, schließt Schappeler tapfer und inkonsequent - „Gott geb uns sein friede. Amen"5. Die Predigt hatte zur Folge, daß es in Memmingen nach der nächsten Getreideernte im Juni 1524 zu massiven Auseinandersetzungen um den Zehnten kam. Bauern in den Memminger Dörfern Steinheim und Woringen und Bürger in der Stadt verweigerten den Zehnten. Sollte das Beispiel Schule machen, waren damit nicht nur die Einkünfte der beiden städtischen Pfarreien bedroht, sondern auch die Existenz des Memminger Spitals. Zwar feh3 4

5

Vgl. zusammenfassend P. BLICKLE, Gemeindereformation, 60f. Die Angaben nach dem späteren Zehntbuch des Unterhospitals von 1566. StiAM 21/2. O b sich unter der dortigen Rubrik „Kleinzehnt" mehr verbirgt, bleibt unklar, weil der Kleinzehnt schon in eine Geldabgabe umgewandelt ist. Der Text ediert bei Friedrich Braun, Drei Aktenstücke zur Geschichte des Bauernkrieges, in: Blätter fur bayerische Kirchengeschichte 3 (1890), 26-29. Der Text ist anonym und undatiert. Für die personale und zeitliche Zuordnung ebd., 29-32. Mehrheitlich ist die Forschung Braun in diesem Punkt gefolgt. Μ. E. spricht für die Autorschaft Schappelers auch seine ausführliche Begründung des Zehntartikels, den er anläßlich der Memminger Disputation vorgelegt hat. Der Text in KAK, Anlage 102/7,47fF.

1.1

D i e Verfaßtheit des Alltags - Beispiele

17

len bislang genaue Berechnungen über den Anteil der Zehnten an den Gesamteinnahmen des Spitals, doch legen Vergleiche mit anderen Spitälern und Klöstern in Oberschwaben die Vermutung nahe, daß ein Drittel bis die Hälfte aller Einnahmen des Spitals aus dem Zehnt stammte 6 . Auf ihn zu verzichten hätte bedeutet, eine der wichtigsten karitativen Einrichtungen der Stadt lebensunfähig zu machen, sie mindestens in ihrer sozialen Leistungsfähigkeit arg zu schmälern. Der Memminger Rat, der durch Pfleger aus seinen Reihen das Spital verwaltete, konnte schon deswegen keine Renitenz dulden, notwendige politische Rücksichtnahmen nach außen erschwerten ihm darüber hinaus Kompromisse. Denn zu den Zehntberechtigten gehörten nicht nur die Pfarreien und Spitäler in der Stadt, sondern auch auswärtige Klöster und Adelige. Der Fall konnte anderwärts nur unliebsames Aufsehen erregen, denn schon jetzt herrsche „ein geschray", vermerkt das Ratsprotokoll, daß die Memminger „die aller vngehorsamisten, widerspennigsten im Reich seien" 7 . Der Rat verlangte mit unmißverständlicher Deutlichkeit: der Zehnt ist zu entrichten 8 . Die letzten Renitenten wurden am 11. Juli aufs Rathaus bestellt. Schließlich fanden sich alle bereit, ihre Abgaben zu leisten, lediglich Hans Heltzlin, ein Bäckermeister, weigerte sich und wollte gerichtlich klären lassen, ob er den Zehnt bezahlen müsse 9 . Der Rat nahm ihn daraufhin gefangen, und damit begann das beeindruckende Schauspiel einer außerordentlichen Gemeindeversammlung. Wie ein Lauffeuer muß sich die Nachricht von der Verhaftung des Bäckermeisters in der Stadt verbreitet haben; aus allen Gassen liefen die Bürger auf den Markt und bekundeten ihre Empörung. „Ist die gemain [...] auffrurig vnd bewegt worden vnd haben sich also ye mer vnd mer gehaufft vnd zusamen gethan bis schier etlich hundert auf dem marckt zu eynander komen sein", heißt es im Bericht des Ratsschreibers 10 . Doch die Spontaneität des Auflaufs fand rasch in geordnete Bahnen. Ein Ausschuß wurde gebildet, und zwar organisiert nach den Zünften. Mit einer Beschwerdeschrift wurde ein zwölfköpfiger Ausschuß zu Verhandlungen zum Rat geschickt 11 . Verlangt wurde, Heltzlin sofort freizulassen, und daran die generelle Forderung geknüpft, „das eyn Rath hinfuro kein mer der sich zu Recht erput fencklich annemen" solle, 6

CHRISTIAN HEIMPEL, D i e Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben des Heiliggeistspitals zu Biberach an der Riß von 1500 bis 1630 (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 15), Stuttgart 1966, 21 f. - EWALD GRUBER, Geschichte des Klosters Ochsenhausen. V o n den Anfängen bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, Masch. Diss. phil. Tübingen 1956, 116. - WOLFGANG VON HIPPEL, D i e Bauernbefreiung im Königreich Württemberg (Forschungen zur deutschen Sozialgeschichte 1), 1. Bd., Boppard am Rhein 1 9 7 7 , 2 0 9 f . , 2 9 2 . - D i e Zehnteinkünfte belaufen sich für das Unterhospital im Jahr 1548 auf 6 9 5 fl. Vergleichszahlen ftir die Gesamteinnahmen müßten erst errechnet werden. Die oben genannte und andere Zahlen in StiAM 2 1 / 1 .

7

S t a A M 3 4 1 /1, 3. [Das Stück ist unpaginiert, Seitenzählung wurde von mir eingeführt.] Für den ereignisgeschichtlichen Rahmen zusammenfassend W . SCHLENCK, Reformation, 39ff. B. KROEMER, Reformation, 94. StaAM 3 4 1 / 1 , 1 2 . Der Vorgang wird breit berichtet in einem Bericht des Stadtschreibers für den Rat (überliefert in einer Konzeptfassung) v o m 13. Juli 1524. S t a A M 3 4 1 / 1 . Danach die folgenden Zitate aus der Beschwerdeschrift; ebd., I4ff.

8 9 10 11

18

1

INSTITUTIONEN

ausgenommen Malefizsachen. Der Rat, hieß es weiter, solle dafür sorgen, daß „das wort Gottes hell, lautter vnd clar on eynich menschlich Zusatz offenlich gepredigt wurd, nit allain in der pfarr bei sant Martin sonder auch in Unser Frawen pfarr vnd anderen kirchen". In beiden Pfarreien der Stadt sollte die neue Lehre Einzug halten. Folglich wollte die Gemeinde den Rat auch in Pflicht nehmen, Kränkungen und Beleidigungen des fortschrittlichen Prädikanten Schappeler nicht mehr zu dulden. Wer „lust oder begierd het etwas mit im [Schappeler, P.B.] zu disputieren, das er dann das, wie ir doctor der prediger oflft begert vnd sich vilmals erpotten het, an ortten enden vnd mit der maß vnd gestalt thet, wie sichs das gepurt". Zu disputieren, eine Disputation, ein theologisches Streitgespräch, wünschten die Bürger. Am 13. Juli beriet man im Rat über die Forderungen des Gemeindeausschusses über alle Maßen lebhaft und kontrovers. Man argwöhnte, verschiedene Bürger könnten die Stadt verlassen. Ganz Besorgte fürchteten gar, der Kaiser könne eine Besatzung in die Stadt legen, wenn offenkundig würde, daß die Obrigkeit „ir gemain nit mechtig sey". „Es ist auch zu besorgen", war zu hören, „das man [...] ainen vogt von kays. mjt. vnd des rechts wegen in Rat setzen mecht, vnd das da nichtz gehandelt thun oder gelassen wurd on desselben gunst wissen und willen" 12 . Selbst Rücktrittsdrohungen von Räten wurden laut. Solide Mehrheiten für einen Ratsbeschluß ließen sich nicht beschaffen. Sechs von zwölf Zünften unterstützten den Antrag des Ausschusses 13 . Die Pattsituation war gegeben. Der Rat entschied nichts, es war ja auch nichts konkret zu entscheiden. Die Gemeinde mußte sich gestärkt fühlen, zumal Heltzlin sofort aus der Gefangenschaft entlassen wurde. Unter solchen Umständen konnte und mußte die Reformation ihren Fortgang nehmen. Die vom Ausschuß geforderte Disputation wurde immer dringlicher. „Vnnd ist auff den tag Epiphaniae verstört vnd abgethon worden alle christenliche Ordnungen Loblich vnd fleißigelich vns büsher gebraucht und gehalten" 14 . So klagt Jakob Megerich, der Pfarrer an der zweiten Stadtpfarrkirche Unser Frauen, ein tapferer Verteidiger des alten Glaubens fur die einen, ein Ignorant und ewig Gestriger für die anderen, über das Ergebnis des Religionsgesprächs in der Stadt Memmingen, das am Dreikönigstag 1525 zu Ende ging 15 . Megerich war der Katalysator, der die Polarisierung zwischen Altgläubigen und Neugläubigen durch seine kirchentreue Haltung bewirkte. Beleidigungen, Belästigungen und Kränkungen hatte er schon seit geraumer Zeit hinnehmen müssen. Am Weihnachtstag 1524 schließlich nahmen die Dinge den zu erwartenden dramatischen Lauf, der zur offiziellen Einführung der Reformation auf dem Weg des Ratsmandats fuhren sollte. Was im Juli 1524 im Zusammenhang mit dem Zehntstreit die Menge vor dem Rathaus stürmisch verlangt und der Gemeindeausschuß in sein Verhandlungspapier mit dem Rat geschrieben hatte, wurde Ende des Jahres verwirklicht - das Religionsgespräch, die Disputation. 12

13 14 15

D i e Passage zitiert auch B. KROEMER, Reformation, 96. D a s Wort Rechtlm Zitat ist möglicherweise eine Verlesung ftir Reich. B. KROEMER, Reformation, 97. J . MIEDEL, Reformationsgeschichte, 174. D i e M e m m i n g e r Disputation und ihre Vorgeschichte werden behandelt bei J . G . SCHELHORN, Reformations-Historie, 6 1 - 7 6 . - F. L. BAUMANN, Allgäu 3, 3 4 2 - 3 4 5 . - W . SCHLENCK, Reformation, 41ff. - M . BRECHT, Hintergrund der Z w ö l f Artikel, 183ff. - B. KROEMER, Reformation, 1 0 2 - 1 0 8 .

1.1

Die Verfaßtheit des Alltags - Beispiele

19

A m Vorabend des Nikolausfestes, am 5. Dezember 1524, hatte Christoph Schappeler in der Martinskirche zum erstenmal das Abendmahl in beiderlei Gestalt als Brot und Wein den Gläubigen gereicht 16 . D a s galt in vielen Städten als der endgültige Bruch mit dem alten Ritus der Kirche; die Pfarrei St. Martin hatte damit auch symbolisch und demonstrativ den Schritt ins Lager der Reformatoren getan. Unser Frauen war die Pfarrei im Quartier der Armen, vor allem Weber wohnten dort in größerer Zahl 1 7 . Schon im November 1524 setzten sich die Frauen lautstark fur die neuen Riten ein. Der Rat hingegen meinte, wer wolle, könne die Gottesdienste in St. Martin besuchen. „Etlichen bürgerin auss unser frawen pfarr ist gesagt worden, das sy fridlich seien, und wo sy mangel in ainer kirchen haben, sollen sy zu sant Martin geen" 1 8 . Offensichtlich verschärften die Vorgänge in St. Martin den Druck auf den Pfarrer von Unser Frauen, denn jetzt verlangte eine Gesandtschaft der Pfarrgemeinde vom Rat, auch an der Frauenkirche solle das Abendmahl in beiderlei Gestalt gereicht werden und im Weigerungsfall solle sich Megerich in einer Disputation verteidigen 19 . Z u m Eklat kam es am Weihnachtsfest. „So ich herab bin khomen zu St. Jeörgen altar", berichtet Pfarrer Megerich, „hat sich ein gros murmlen erhebt von den luterischen weyb vnnd man, darnach groß auffruhr vnnd aufgeläuff ist worden. Vnd mich inn die Sacristey geiagt vnnd getrüben mit großer ungestümigkhait daselb mit uil Schmechworten gelestert vnd gescholten, mit fäusten geschlagen, ann mein haubt vnd auff die Schultern, mich auch mit den fließen an mein Seiten vnd auff die huff gestosßen, mit steinen Z u mir inn die Sacristei geworffen, die gläßer zerrisßen vnnd erschlagen, die bildtlin an den taflen gebrochen, die amplen erworffen. Kertzen auff dem altar abgebrochen vnnd hinweg getragen, Sollich vnfiihr vnnd gewalt von 4 büs 6 getrüben vnnd gehalten. Vnnd wo Hanns Keller der burgermaister vnnd 6 der Räthe nit khommen, so were ich in der Sacrystei erschlagen worden" 2 0 . Megerichs Befürchtung war so unbegründet nicht, denn selbst der Rat ließ Erkundigungen einziehen „über die, so den pfarrer zu unser frawn erstechen wellen" 2 1 . Nach den Vorfällen in der Kirche nahm der Bürgermeister den bedrohten Megerich in seinem Haus auf und ließ ihn gewissermaßen unter Polizeischutz stellen 22 . Mit den Vorgängen in der Frauenkirche an Weihnachten war entschieden, daß das Religionsgespräch nicht mehr hinausschiebbar war. Der Rat begründete seine Zustimmung zu einer Disputation damit, daß „sich ain Zeitlangher zwischen gaistlichen vnd weltlichen alhie In vnser Statt gros Irrung gehalten also das yeder tail vermaint hat das heilig euangelium

16 17 18 19

20

21 22

J. MlEDEL, Reformationsgeschichte, 171. B. KROEMER, Reformation, 102. Zitiert ebd., 103. Nach Einträgen im Ratsprotokoll von 16. 12. 1524. Vgl. B. KROEMER, Reformation, 102. Für die Spannungen zwischen den beiden Pfarreien vgl. J. G. SCHELHORN, Reformation, 38f. und W. SCHLENCK, Reformation, 34f. Die Quelle ist abgedruckt bei J. MlEDEL, Reformationsgeschichte, 172. - Zur komplizierten Überlieferungsgeschichte des Stücks ebd. B. KROEMER, Reformation, 103. J. MlEDEL, Reformationsgeschichte, 173.

20

1

INSTITUTIONEN

nach sein verstand außzuelägen vnd des andern tails mainung zueverachten. desshalb ainander ketzerej vnd ander schmachwort angehengkt, dardurch das gemain volck In Zwifel gefiert alles zue Verletzung der seien vnd ere gots vnd verer daruff auffrörn entstanden sein mochten". Seine Pflicht, Ordnung und Frieden zu sichern, veranlaßte den Rat zu handeln: „Solhs zue fflrkumen sein wir als die oberkait schuldig vnd verursacht worden si zue baidentailn in solher Irrung gutlich zuverhörn"23. Religionsgespräche, Disputationen, wie sie bald hießen, waren ein häufig angewandtes Verfahren, um in den konfessionell zerstrittenen Städten Eintracht und Friede wiederherzustellen. Bei allen Disputationen ist deutlich zu spüren - gleichgültig, ob sie in Memmingen, Schlettstadt oder Kaufbeuren stattfanden - , daß der Druck der Bürger den Rat veranlaßte oder zwang, das Religionsgespräch herbeizufuhren. Diese Veranstaltungen haben alle als Vorbild die Zürcher Disputation von 1523, wo „etwas wie eine Erfindung gemacht wurde" 24 . Denn bislang waren Disputationen außerhalb der Universitäten und Entscheidungen über theologische Fragen durch Laien ganz unüblich. Der Memminger Rat entschied sich ftir das Religionsgespräch, in „der vnzweyffenlichen hoffnung der allmechtige got wer durch seinen hayligen gaist vnder vnd in denen, so in seinem namen versamlet seind, also wirken [...] damit wir gemainlich der warn gotlich erkantnus geweist, vnd bei im nach disem zeit ewiglich leben werden"25. Am 2. Januar 1525 wurde es eröffnet in Anwesenheit von allen Geistlichen und den vier Doktoren der Stadt, einem Juristen und drei Stadtärzten, sowie allen Ratsherren und Vertretern der Gemeinde - „auß yeder Zunft ainer alls vonn ainer gemain wegen vnnd sein in yeder Zunft durch ain freie Wal dartzu erwellt worden" 26 . Rat und Gemeinde sollten die Religionsfragen entscheiden. Die Religionsparteien wurden einem „Verhör" unterzogen, wie es in den Akten mehrfach heißt, und so konnte das Ergebnis nur ein von der Gemeinde und dem Rat gefälltes Urteil sein. Der Disputation lagen als Diskussionsgrundlage Thesen von Schappeler zugrunde27. In ihnen wurde die Auffassung vertreten, die Messe sei weder ein Opfer noch ein gutes Werk, sondern eine Gedächtnisfeier fur die Vergebung der Sünden durch Christus, und daraus folge auch, daß das Abendmahl in beiderlei Gestalt auszuteilen sei. Die katholische Auffassung von der heilsvermittelnden Funktion der Priester wird ersetzt durch das Priestertum aller Gläubigen. Beichte, Heiligenverehrung, Fegefeuer und Zehnten werden als unbiblisch verworfen. Die Disputation verlief äußerst zäh und lustlos. Megerich wollte überhaupt in keinen theologischen Disput eintreten, vielleicht gewitzigt durch die Erfahrung, daß Argumente angesichts der vorherrschenden Stimmung für die Neugläubigen ohnehin nicht verfangen 23 24

25 26 27

S t a A M 3 4 1 / 5 . „Instrucion der disputaz halb". [2. Januar] 1525. Vgl. auch K A K , Anlage 102/7, lf. BERND MOELLER, Zwingiis Disputationen. Studien zu den Anfängen der Kirchenbildung und des Synodalwesens im Protestantismus, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung fur Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 56 (1970), 2 7 5 - 3 2 4 ; 6 0 (1974), 2 1 3 - 3 6 4 ; das Zitat aus dem 2. Teil des Aufsatzes, 3 0 4 . Zitiert bei B. KROEMER, Reformation, 106. K A K , Anlage 102/7, 13. D i e Thesen und weitere Begleitakten im K A K , Anlage 102/7.

1.1

Die Verfaßtheit des Alltags - Beispiele

21

würden. Seine Mitstreiter verweigerten sich mit dem der bisherigen Praxis geschuldeten Argument, ein Religionsgespräch „gehoer den Concilia vnd den Vniversiteten zu" 2 8 , andere bemängelten an den Thesen die fehlenden Belegstellen aus der Heiligen Schrift. Als sie schließlich von Schappeler nachgetragen worden waren, wurden am vierten Tag der Disputation die altgläubigen Geistlichen einzeln um Stellungnahmen ersucht, doch „vnder allen priestern ist kainer gewest der ettwas darwider furzupringen gehapt, sonder haben das alles ain Rat heinngesetzt vnd beuolhen, wie er das mache, dapei wellen sy pleiben vnd dem nachkomen" 2 9 . Damit war die Disputation, ohne daß eine solche in Wahrheit stattgefunden hätte, beendet. Der Rat fand fiir den Ausgang eine durchaus euphemistische Umschreibung des Sachverhalts: man sei „der sach so wol ains" worden, und „wa es nit zu spat im tag gewest, sy alle mitainannder zu morgen geessen haben wellen" 3 0 . Wenn überhaupt, dann war es eine erzwungene Glaubenseinheit, die in Memmingen am 6. Januar 1525 Einzug hielt. Der altkirchliche Ritus wurde eingestellt, eine Kirchenordnung versprach der Rat nach Einholung von Stellungnahmen auszuarbeiten und zu verabschieden. Zwei Juristen und zwei Theologen wurden von Memmingen als Gutachter bestellt - Dr. Rehlinger und Dr. Peutinger, Konrad Sam von Ulm und Urbanus Rhegius von Augsburg 3 1 - und ihnen folgender Fragenkatalog vorgelegt: „Item ob man den pfaffen zuegeben möcht das si weiber nemen Item ob man In Burgkh vnd Zunfftrecht volgen lassen soll Item ob wir Steur vnd andere dienst wie von anderen Burgern nemen mögen, Item ob die gaistlichen ainen aid wie ander pflrger aflch schwörn mögen Item was wir den pfaffen so von den Messen abstanden volgen lassen soln, Item so ain pfaff alter sterb wie wir es dan mit den pfründen halten soln, ob wir die anderen verlihen oder wahin wir das einkomen wenden söln dergleichen mit den Jartegen Auch mit den Zehenden wie es gehalten werden sol, Item ob man die Siben Zeit zu singen fallen lassen sei" 3 2 . Die Juristen äußerten sich erwartungsgemäß vorsichtig, auch Rhegius, ansonsten ein streitbarer Reformationsanhänger, hielt sich bedeckt 3 3 , lediglich Sam gutachtete ganz im Sinne Schappelers und seiner Freunde 3 4 . Allein die Heilige Schrift, so argumentierte Sam, könne Maßstab der Neuerungen sein: folglich seien die Priester zur Ehe anzuhalten, u m „jede Hurerey zu vermeiden"; die Geistlichen und die Laien gleichzustellen und damit die Priester in das Bürgerrecht und die Bürgerpflicht aufzunehmen, „weil nur ein geistlich Priesterthum seye"; die gestifteten Meßpfründen zur Versorgung der Armen einzuziehen; die Zehnten nur

28 29 30 31 32

Ebd., 7. Ebd., 10. Ebd., 12. Vgl. zusammenfassend). MAURER, Prediger, 392ff. StaAM 341/5. Instrucion der disputaz halb. Druck in Anlehnung an die Vorlage auch bei J. G. SCHELHORN, Reformations-Historie, 65f.

33 34

Sein Gutachten ist abgedruckt bei J. G. SCHELHORN, Reformations-Historie, 71-76. Regestenartig wiedergegeben ebd., 67ff.; danach die Zitate.

22

1

INSTITUTIONEN

dann zu geben, wenn anderenfalls „einer gantzen Gemein ein grosser Schade hierdurch zustehen möchte"; die Messen abzustellen und die Pfarrgemeinden mit geeigneten Predigern zu versorgen. Diesem Gutachten entsprechend wurde in Memmingen verfahren 35 : Die Gottesdienste folgten der reformatorischen Liturgie und Theologie, die Geistlichen wurden in die Zünfte aufgenommen, besteuert, vor das weltliche Gericht gezogen und ihnen der Bürgereid abverlangt, die Bestallung neuer Prediger erfolgte gemeinsam durch den Rat und einen Ausschuß der Zünfte. Der ereignisgeschichtliche Ablauf der Durchsetzung der Reformation in Memmingen kann als tumultuarische Bewegung einzelner Personen und Gruppen in der Stadt beschrieben werden, die mit Hilfe der neuen Lehre ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen verfolgten. Er kann beschrieben werden als das mühsame Durchsetzen einer gereinigten Form des Christentums. So ist er beschrieben worden. In Tat und Wahrheit folgen die tumultuarischen Ereignisse in den Straßen der Stadt der Terrassierung der Stadtverfassung. Folglich lassen sie sich nur als verfassungskonformes Ereignis interpretieren, nicht anders. Nur die Verknüpfung von Ereignis und Struktur entziffert diesen Zusammenhang. Was also läßt sich über die städtische Verfassung sagen? Memmingen gehört zu den zunftverfaßten Städten im Reich 36 , das politische Leben wurde, im Gegensatz zu Städten mit starken Patriziaten wie Nürnberg, von den Zünften geprägt. 1347 war es zu Unruhen unter den Handwerkern gekommen, das Ergebnis war eine grundsätzliche Verfassungsrevision 37 . Eine Zunft war der genossenschaftliche Zusammenschluß von Handwerkern und Gewerbetreibenden eines oder mehrerer verwandter Berufszweige. Uber das gemeinsame wirtschaftliche Interesse hinaus verbanden die Mitglieder ein eigenes Ethos und besondere Formen der Geselligkeit: korrekte Arbeit, gerechter Preis und karitative Einrichtungen für Witwen und Waisen gehörten ebenso zu den Selbstverständlichkeiten des zünftischen Selbstverständnisses wie Feste, Abendvergnügen auf der Zunftstube sowie religiöse Bräuche zum gesellschaftlichen Alltag. Nach der Verankerung der Zünfte in der Stadtverfassung basierten sie nicht mehr auf Freiwilligkeit, sondern auf Zwang 3 8 . Ein Handwerk oder Gewerbe konnte man nur als Mitglied einer Zunft ausüben, und daran war auch das Bürgerrecht gebunden. Die Gesamtheit der Zunftmitglieder war damit identisch mit der Bürgergemeinde. Dem entsprach, daß die Patrizier, die bislang alle politischen Amter bekleidet hatten, gezwungen wurden, sich eben-

35 36

37 38

M . BRECHT, Hintergrund der Zwölf Artikel, 184. - W . SCHLENCK, Reformation, 44. Vgl. zur allgemeinen Charakterisierung E. ISENMANN, Stadt, 299f., 315ff. - Für M e m m i n g e n sind weitere Aufschlüsse von einer im Entstehen begriffenen umfassenden Sadtgeschichte zu erwarten. Für die verfassungsgeschichtliche Entwicklung in der nachreformatorischen Zeit THOMAS WOLF, Reichsstädte in Kriegszeiten. Untersuchungen zur Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte von Isny, Lindau, M e m m i n g e n und Ravensburg im 17. Jahrhundert (Memminger Forschungen 2), M e m m i n g e n 1991, 3 7 f f „ 48ff. K. O . MÜLLER, Oberschwäbische Reichsstädte, 1 1 5 - 1 2 0 . Für Oberschwaben [auch M e m m i n g e n ] vgl. P. EITEL, Reichsstädte, 1 8 - 3 7 .

1.1

Die Verfaßtheit des Alltags - Beispiele

23

falls in einer Zunft, mindestens in einer Gesellschaft, zu organisieren. In Memmingen entstand so die Großzunft. Die Zunftverfassung in Memmingen konkretisierte sich in einem äußerst komplizierten Verfahren39 der Bestellung der politischen Organe in der Stadt - von Bürgermeister und Rat, Ammann und Gericht (vgl. Abb. 2). Von der Verfassungskonstruktion her lag die politische Macht beim Rat. Er besorgte, präsidiert vom Bürgermeister, die laufenden Verwaltungsgeschäfte, erließ Mandate und Satzungen, er war Gerichtsinstanz für Übertretungen der Satzungen und übte die Zivilgerichtsbarkeit aus. Nicht ganz klar ist die Kompetenzabgrenzung zum Gericht, dem der Ammann vorsaß. Analogien zu anderen Städten erlauben es anzunehmen, das Stadtgericht sei die auf das Weichbild der Stadt reduzierte Landgerichtsbarkeit, Gericht über Erb und Eigen also, auch über schwere Fälle, die seit dem 13. Jahrhundert mit Todes- und Körperstrafen gesühnt wurden. Das hohe Alter des Stadtgerichts ergibt sich aus der lange üblichen formalen Einsetzung des Ammanns durch den kaiserlichen Landvogt in Schwaben und die Verleihung des Bannes durch den Kaiser. Das Schloß freilich nicht aus, daß das Gericht vom Rat beherrscht wurde - er bestellte die Richter. Im Rat saßen 12 Zunftmeister und 12 sogenannte Ratgeben, mit dem Bürgermeister also 25 Personen. Für die Zunftmeisterwahlen wurden 36 Kandidaten, drei aus jeder Zunft, den Mitgliedern der jeweiligen Zunft zur Wahl gestellt40. Für die Ratgeben schlug jede Zunft einen Kandidaten, der allerdings nicht notwendigerweise aus ihren Reihen stammen mußte 41 , vor, der von der Gemeinde gewählt, genauerhin bestätigt wurde. Erhielt er nicht die Mehrheit der Stimmen, konnte die vorschlagsberechtigte Zunft eine weitere Nomination unterbreiten. Der Rat war somit durch und durch zünftisch. Die Wahlen, wie sie genannt wurden, ohne freilich viel mit Wahlen für moderne Parlamente gemein zu haben, fanden in der Regel jährlich statt, entsprechend waren auch die Amtszeiten üblicherweise auf ein Jahr beschränkt. Termingleich mit der Ämterbesetzung versprachen die Bürger auf einer Gemeindeversammlung den neu gewählten Organen der Stadt den schuldigen Gehorsam, was mit einem Eid bekräftigt wurde. Der Schwörtag hat daher seinen Namen. Anläßlich solcher Gemeindeversammmlungen wurden aber auch besonders wichtige Entscheidungen getroffen, markante Änderungen des Stadtrechts beispielsweise, ursprünglich scheint die Gemeinde vereinzelt auch als Gericht fungiert zu haben. In dieser Konstruktion nistete ein latenter Konflikt: der Rat mußte das Alltägliche regeln und dafür Mandate und Ordnungen erlassen, kurzum Recht setzen. Der Gemeinde konnte das mißfallen, wenn sie ihre eigene Rechtsschöpfungskompetenz mißachtet sah. Die Gefahr, daß sich der Rat vom politischen Willen der Gemeinde entfernte, war durch die Ehrenamtlichkeit aller städtischen Amter gegeben42. Weder ein Ratsmitglied noch der 39

Für Einzelheiten vgl. ebd., 23, 38, 67, 69, 72, und B. KROEMER, Reformation, 17-19.

40

B. KROEMER, R e f o r m a t i o n , 17ff.

41

Das ergibt sich aus der Tatsache, daß unter den Ratgeben einzelne Zünfte über- oder unterrepräsentiert waren. Die Wahlmodalitäten im einzelnen sind in der einschlägigen Literatur nicht eindeutig klar beschrieben. Allgemein E. ISENMANN, Stadt, 139.

42

24

1

INSTITUTIONEN

Die Verfassung der Reichsstadt Memmingen

t

Wahl / B e s t e l l u n g d u r c h V o r s i t z in

Bürgermeister Kleiner Rat

Ammann

z: Gericht

Rat

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

Patrizier

9.

10.

11.

GEMEINDE

GEMEINDE

RAT

GERICHT

Zusammensetzung alle Bürger / Mitglieder einer Zunft

Zusam mensetzu ng 12 Zunftmeister 12 Ratgeben

Zusammensetzung 13 Mitglieder (schwankend)

Funktionen Rechtsetzung (in wichtigen Angelegenheiten)

Funktionen Verwaltung Erlaß von Mandaten Strafgerichtsbarkeit Zivilgerichtsbarkeit (soweit nicht beim Gericht)

Funktionen Zivilgerichtsbarkeit in erster Instanz

Häufigkeit der Versammlungen jährlich

AMMANN

KLEINERRAT

BÜRGERMEISTER

Zusam mensetzung 3 Zunftmeister 3 Ratgeben

Funktionen Vorsitz im Gericht Vorsitz im Gericht (bei Gerichtssachen) Blutbann (Hochgerichtsbarkeit) Notariat

Funktionen Außenpolitik Geheime Sachen

Funktionen Vorsitz in allen Gremien (außer Gericht)

Abb. 2: Die Verfassung der Reichsstadt Memmingen. Quellengrundlage:

P. ELTEL, Reichsstädte, 23, 38, 67, 69, 72; B. KROEMER, Reformation,

17-19.

1.1

Die Verfaßtheit des Alltags - Beispiele

25

Bürgermeister bezogen ein Gehalt. Das begünstigte naturgemäß die Reichen, und nicht zufällig stellte die Großzunft rund die Hälfte aller Bürgermeister 4 3 . Damit verbundene Tendenzen der Oligarchisierung verstärkten sich noch, als u m die Mitte des 15. Jahrhunderts der Kleine Rat eingerichtet wurde 4 4 , ein vom Bürgermeister aus dem Rat ernanntes sechsköpfiges Gremium, die eigentliche politische Behörde, zuständig für die Außenpolitik und Geschäfte, die geheim zu halten waren, daher gelegentlich auch der N a m e Geheimer Rat. Hier ließen sich Entscheidungen, die im Rat zu verhandeln waren, vorbesprechen und vielleicht auch vorentscheiden, ohne daß die Kontrolle der Zünftler oder der Gemeinde gewährleistet war. Die Zunftverfassung war in Memmingen gewiß in der Absicht eingeführt worden, politische Entscheidungen auf eine breite gesellschaftliche Grundlage zu stellen. Das erwies sich auf lange Sicht als schwer praktikabel. Wirtschaftliche Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten vor der Reformation vertieften die Gräben zwischen den Reichen und den Armen. Memmingens Wirtschaft fußte in hohem Maße auf der Textilherstellung, für die Handwerker wie die Fernhändler gleichermaßen 45 . Mindestens 2 0 % der Bevölkerung lebten von der Weberei, die Bleicher, Färber, Tuchscherer, Wollschläger, Garnsieder und Spinnerinnen nicht berücksichtigt 46 . 2 0 0 Webermeister gab es in der Stadt. Deren wirtschaftliche Lage verschlechterte sich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts dramatisch. Die Versuche der Weberzunft, die Landweber vom städtischen Markt fernzuhalten - begleitet von ständigen Beschwerden der Bauern an den Rat und Unruhen in der Stadt —, sind dafür nur ein besonders bezeichnender Ausdruck. Trotz verschiedener prohibitiver Maßnahmen des Rates zugunsten der Stadtweber war das Problem nicht befriedigend zu lösen, weil die Memminger Kaufleute und Fernhändler an der billigeren Produktion der Landweber wegen ihrer Exportmöglichkeiten interessiert waren. Immer mehr gerieten die Weber in die Zwänge des Verlagssystems, das heißt, sie wurden von den Zulieferungen und den Abnahmen der Kaufleute abhängig, und diese diktierten die Preise und Löhne. Sie - die Vöhlin, Besserer, Zangmeister, Sättelin und Funk - betrieben einen blühenden Handel, ihre Faktoreien standen in vielen Städten des Reiches, aber auch in Lyon und Barcelona. Die Weber hingegen verarmten zusehends. Das Vermögen eines Webers lag um 1450 noch bei der Hälfte eines statistisch durchschnittlichen Memminger Haushalts, fiel jedoch bis 1521 auf ein Sechstel 4 7 . Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil der sogenannten Habenichtse von 3 1 % auf 5 5 % . Dagegen erwirtschafteten die hundert reichsten Memminger Bürger 1450 7 4 % des städtischen Steueraufkommens, 1521 sogar 8 2 % , ein deutliches Zeichen für die Vermögenskonzentration in den Händen weniger 4 8 . D a s hatte Rückwirkungen

43

44

45

46

47 48

B. KROEMER, Reformation, 64. P. EITEL, Reichsstädte, 57. Eindrücklich beschrieben zuletzt bei R. KIEßLING, Stadt, 4 7 9 - 5 0 4 . Für Einzelheiten auch B. KROEMER, Reformation, 5 3 - 5 9 . B. KROEMER, Reformation, 53.

Ebd., 63. Die Zahlen ebd., 60f.

26

1

INSTITUTIONEN

auf die politische Repräsentation: die Weberzunft: stellte nur 6% aller Ratgeben in den 100 Jahren zwischen rund 1450 und 1550 49 . Die Verfassung Memmingens läßt sich in drei Sätzen zusammenfassen: 1. Die Organisation des Alltäglichen - und das heißt konkret, Mandate, Gebote und Verbote zu erlassen, sie durch eigene Organe zu überwachen und die Übertretungen der Mandate zu ahnden - erfolgt durch den Rat. Diesen Funktionen verdankt er sein Gepräge als Obrigkeit. Von der nominellen Stadtherrschaft des Kaisers ist wenig zu spüren, weil eine institutionelle Repräsentation in Form von Amtern, die von ihm vergeben worden wären, fehlt. 2. Der obrigkeitliche Charakter des Rates verstärkt sich zweifellos durch die Ehrenamtlichkeit der politischen Amter. Das begünstigt die Reichen und fiihrt naturgemäß zu Oligarchisierungen. 3. Dessen ungeachtet bleibt die Vorstellung, der Rat repräsentiere die Gemeinde, durch die Modalitäten der Ämterbesetzung erhalten. Alle politischen Ämter der Stadt werden in verhältnismäßig komplizierten Verfahren direkt oder indirekt durch die Zünfte oder die Gemeinde besetzt. In der personellen Zusammensetzung sind die Gemeindeversammlung und die Gesamtheit der Zunftmitglieder identisch. Gemeindemitgliedschaft setzt Zunftmitgliedschaft voraus und umgekehrt. Wahlen aus den Zünften sollen sicherstellen, daß möglichst alle Handwerke und Gewerbe einer Stadt in den politischen Gremien vertreten sind, Wahlen durch die Gemeindeversammlung sollen gewährleisten, daß das städtische Interesse hinter dem zünftischen nicht gänzlich verblaßte. Was war vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund die Reformation? Es war der Rat, der die Reformation schließlich einführte. Das freilich kann nicht die Einsicht verdecken, daß die Gemeinde als Institution der Verfassung die Reformation in Memmingen durchgesetzt hat. Ihr strategisches und taktisches Instrument war der Ausschuß. Ein Gemeindeausschuß, ein Ausschuß der Bürger oder - was das gleiche ist, wie man jetzt sagen darf - der Zünfte, zwang den Rat anläßlich des Zehntstreits im Sommer 1524 seine Maßnahmen rückgängig zu machen, ein Gemeindeausschuß urteilte im Januar 1525, daß Schappeler die besseren Argumente auf seiner Seite habe, ein Gemeindeausschuß besetzte künftig die Pfarr- und Predigerstellen in der Stadt. Der Rat vollzog offenbar lediglich die von der Gemeinde gewollte Reformation. Im Augenblick der Krise tritt die Gemeinde als Inhaberin des Gewalts, wie die Zeitgenossen oft den Sitz der politischen Macht umschreiben, deutlicher in Erscheinung als in ruhigen Zeiten, wo es die Stadt nur zu verwalten gilt. Die Reformationsgeschichte Memmingens zeigt, daß der Rat ein repräsentatives Organ der Gemeinde ist. Uber eine andere Legitimität verfugt er nicht.

49

Ebd., 64.

1.1

Die Verfaßtheit des Alltags - Beispiele

1.1.2

27

„Dieweil laider die christenlich religion verloschen "-die Gerichtsordnung von Buxheim

Nicht weit entfernt von Memmingen, erreichbar in einem knapp zweistündigen Fußmarsch westwärts, der Iiier zu, liegt Buxheim, ein Dorf, das um 1800 etwa 20 Höfe und annähernd gleichviel Sölden, also kleine, ursprünglich handwerkliche Betriebe, zählte50. Die Ortsherrschaft über das Dorf - ein Begriff, den die Landesgeschichte gerne verwendet - wurde vom Prior und Konvent der Kartause Buxheim wahrgenommen. Die Stiftungs- und Gründungsgeschichte der Kartause läßt sich nicht recht aufhellen, denn deren Archiv hat eine abenteuerliche Geschichte erlebt, viel ist mit der Säkularisation im frühen 19. Jahrhundert verloren gegangen, die Reste kamen erst 1963 von Wiesbaden wieder ins Allgäu, ins Klosterarchiv Ottobeuren, und liegen dort als ein nur vorläufig repertorisierter Haufen. Gegründet wurde die Kartause um 1200, eine solide wirtschaftliche Basis sicherte sie sich mit dem Kauf von Gütern und Herrschaftsrechten in und um Buxheim erst um und nach 1400. Die Herrschaftstitel von Prior und Konvent hatten im wesentlichen zwei Wurzeln, die wissenschaftsterminologisch mit Grundherrschaft und Leibherrschaft wiedergegeben werden müßten. Die Höfe und Sölden waren in unterschiedlichen Rechtsformen von der Kartause an die Bauern vergeben. Als Erblehen blieben sie mit gleichen Abgabenbelastungen in der Familie, im Falle der Leibfälligkeit fielen sie beim Tod des Inhabers an Prior und Konvent zurück, für die übrigen Güter mußten die Beständer jährlich an St. Martin bei der Kartause um eine Verlängerung einkommen. Der persönliche Rechtsstatus Buxheimer Hintersassen war die Leibeigenschaft mit den in der Region üblichen Folgen, nämlich in der Eheschließung, der Freizügigkeit und der Vererbung des Vermögens Schranken zu unterliegen51. In der Grund- und Leibherrschaft wurzelte zweifellos die Ortsherrschaft, die später mit der Vogtei, Steuerhoheit und einer weitergehenden Gerichtsbarkeit okuliert wurde; zuvor hatten sie die kaiserlichen Landvögte in Schwaben und die Reichsstadt Memmingen, um deren Schutz die Kartause 1402 gebeten hatte, ausgeübt. Die Kompetenzen des oberschwäbischen Landvogts und des Memminger Rates lassen sich bis heute nicht säuberlich separieren. Daß sie konfligierender Natur waren, zeigte sich schließlich im 16. Jahrhundert: Memmingen wollte aufgrund seiner Schutzherrschaft in Buxheim die Reformation einfuhren - ein Absicht, hinter der der Anspruch auf Landeshoheit stand - , wurde daran aber nach dem Sieg Kaiser Karls V. über die Protestanten im Schmalkaldischen Krieg gehindert. In dieser Situation, in der nach einer Klage der Kartäuser „laider [...] die christenlich religion verloschen", ist die erste umfassendere Gerichtsordnung für Buxheim ausgearbeitet und 1553 rechtskräftig gemacht worden. Sie trägt eindeutig den Stempel einer von der Obrigkeit erlassenen Ordnung, denn als Aussteller firmieren „Wir Theodoricus, der zeitt Prior

50

51

P. BLICKLE, Memmingen, 317-322; dort auch die wichtigsten Daten zur Herrschaftsstruktur. Klosterarchiv Buxheim Literale 10. Edition: Die Dorfgerichtsordnung von Buxheim vom Jahre 1553, in: Memminger Geschichtsblätter Jahresheft 1965, 1966, 15-89. Die Belege im folgenden nach der edierten Fassung. Die O r d n u n g selbst ebd., 46-89. Für die Rechtsformen der Güter und die Rechtsstellung der Personen ebd., 63.

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1

INSTITUTIONEN

unnd das Convent, deß gotzhaws alhie zu Buchshaim, CartKus Ordenns, alls, an disem ortt und ennd (durch gottes gnedige verhenngnus, durch Ro: Ko: mt. unnsers allergnedigsten herrn, übergebnen gewallts) rechte, ordenliche, in gott, ainfälltige demüettige oberkhait" 52 . In diesem Text sollen die kommunalen Elemente gesucht und freigelegt werden, was sich bei flüchtiger Lektüre keineswegs aufdrängt. Oberdeutschland kannte vermutlich Hunderte, wenn nicht Tausende solcher Ordnungen, ohne daß daraus weiterreichende Konsequenzen fiiir die klassifikatorische Erfassung der Zeit oder der ländlichen Gesellschaft und ihres Zusammenlebens gezogen worden wären. Die Präambel zwingt nicht dazu, terminologische Umschreibungen wie Herrschaft oder Grundherrschaft o&ex Feudalismus unbrauchbar zu nennen. Die Begründung für die Ausarbeitung dieser Ordnung gibt die Präambel. Sie tut es in einer Amtssprache, die man poetisch nennen möchte, was man möglicherweise ihrem pastoralen Charakter verdankt. Die langen Zitate entschlüsseln nicht nur das politische Argument, sondern auch den moralischen Impetus, dem die Dorfordnung von Buxheim ihre Existenz verdankt. „Nach dem unnd dann, der zeitt gelegenhait. Auch hohe nottwenndigkaitt eraischt, das gericht alhie, jetzzuweilen zuernewern, zu reformieren, unnd nach unnserm verstannd, ob gottwill, dermassen zufursehen, Das der Reich mit dem Armen, der Arm mit dem Reichen, ainträchtiglich, unnd ainhälliglich hinkommen unnd beysamen wonen, wanndien und hanndien, auch ain jeder nach billichen göttlichen dingen, sein verwalltung, deß anndernhalb ungeengt, verrichten möge. Insonderhait, dieweil laider, nun ettliche unselige jar her, schier, nit allain die christenlich religion verloschen, sonnder auch alle bürgerliche sitten, tugenndten, brüederliche liebe, trew, freund, und nachpaurschafft, zucht, lob unnd ehr, in Verachtung unnd windschlagung gerathen, alle Ordnungen, polliceyen, unnd Statuten, geschwächt, zu ruck geworffen, unnd in abganng und verklainerung laider gefallen: Doher dann, sich niemandts befrembden soll, warumb doch gott der herr, vil jar her, mit so manchen plagenn unnd straffenn, allenthalben die wellt haimgesucht, und gezüchtigt, unnd es on zweivel (wo nit bekerung von mißthatten erscheinen wirt) ftirohin auch nit ungestraft wirdet hinschleichen lassen". Die chrisdiche Religion ist „schier" erloschen - durch die neue Lehre der Reformation meint der Prior, ohne es ausdrücklich zu sagen - , und damit sind auch alle guten Ordnungen in Abgang gekommen. Breit und selbstsicher drängt sich der Glaube an die Providenz in den Text. Gott straft und züchtigt die Ungläubigen und Ungehorsamen. „Uß denn unnd andern merklichen vilfälltigen Ursachen haben wir unns, getrewer vätterlicher wolmainung furgenommen, euch zu dem gotzdiennst unnd forcht gottes (dardurch wir zeittlich und ewige wolfart und hail erlanngen mögen) von aller erst zuermanen. Z u m anderen, ettlich Ordnungen unnd Satzungen, damit man in rhuo, ainigkait, frid unnd erbarkait, beyainander leben mög, zusetzen. Unnd sonnst auch zum dritten, abermaln, nach unnserm brauch und herkommen, ainen Amman, Vierer 53 , hauptleütt, bittel, unnd ganntz gericht anzusetzen. Seyen auch deß enndtlichen, verhoffenlichen/ unnd unzweifenlichen 52 53

Ebd., 46. Ebd., 47: Von anderer Hand: Hailgenpfleger.

1.1

Die Verfaßtheit des Alltags - Beispiele

29

vorsehenns und geströstenns ir alle besamdt und besonders werden dieselben Ordnungen, Satzungen, gebott unnd verbott nit, wie bisher beschehen, verachten unnd in wind schlagen sonnder dennselben, als gehorsamen unnderthonen vor gott und der wellt zusteht, mit allem ernnst unnd eifer, gehorsamlich nachkommen, geloben, unnd kains wegs darwider hanndien noch streben. Dann sollte es furohin nit annderst vollnzogen werden, wurde sich ainjeder wol Innen, was er daran, gutts oder böß, verlust oder gewinn, sonnder freylich verdiennte straff empfahen sollt". Es bereitet den Kartäusermönchen wenig Mühe, die Unbotmäßigkeiten der Buxheimer mit den Katastrophen der Geschichte zu verknüpfen. „So ist auch meniglichen wol wissend, was die halsstarrigen, widerspennstigen, so sich irer Oberkaitt zuwider gehallten, guts darvon getragen, oder der bawrenkrieg auch Jüngste baid, die schmalkaldisch und marggräfisch empörungen, wider die Ro: Kay.Mjt. unnsern allergnedigsten herrn (des wir mit laid sprechen) fruchtbars gebornn hab" 54 . Der Bauernkrieg, der Schmalkaldische Krieg, der Markgrafenkrieg sind Folge der unordentlichen Zeiten. Nur durch ein wahrhaft christliches Wesen und ein geordnetes Alltagsleben lassen sich die „zeitliche" und die „ewige" Wohlfahrt erlangen. Ihr soll die neu erlassene Ordnung dienen. Krisenstimmung herrscht in Buxheim. Selbst in den einzelnen Artikeln der Ordnung hat sich das niedergeschlagen. Sie nämlich lassen erkennen, daß offensichtlich starke Veränderungen auch in der Verfassung des Dorfes mit der Niederschrift der Gerichtsordnung erfolgten. Zugedeckt, ja verkleistert von einer Rhetorik der Belehrung, Ermahnung und Drohung und einem geradezu metrischen Gebrauch von „es gebeutt unnd verbeutt auch die herrschafft" läßt sich die Verfassung von Buxheim erst unter Abtragung solcher Schichten in ihrer ursprünglichen Form - unvollkommen und unbefriedigend genug - freilegen. Die Verfassung von Buxheim ist auf den ersten Blick einfach. An Institutionen gibt es die Gemeindeversammlung, die Vierer55, das Gericht56 und den Ammann. Die Gemeindeversammlung setzte sich aus jenen Bauern und Söldnern im Dorf zusammen, die ihr Anwesen von der Kartause zu Lehen trugen. Erwachsene Kinder, die im Haushalt ihrer Eltern lebten, oder Knechte waren keine Gemeindemitglieder im vollen Sinn. Sie sollen, verfugt die Gerichtsordnung, „kain stimm an kainer gemaind haben noch geben, dann nur allein, die von der herrschafft mit güettern deß gotzhaws belehnet seind" 57 . Das heißt wohl nicht, daß ihnen der Zutritt zu Gemeindeversammlungen verwehrt war, zumal die Gemeindebeschlüsse ja allen bekannt gemacht werden mußten, weil sie für alle Bewohner des Dorfes verbindlich waren. Wie oft die Gemeinde einberufen wurde, bleibt unklar. Deutlich wird, daß Prior und Konvent ihre früher offenbar weiterreichende Autonomie beschränkten. „Es ist auch hie54 55

56

57

Ebd., 47. Die Gerichtsordnung erwähnt auch zwei Hauptleute. Sie versehen Funktionen, die ursprünglich wohl von den Vierern wahrgenommen wurden. Damit erübrigt es sich, sie als eigenes Organ der Verfassung aufzunehmen. Auch das Amt eines Büttels und dessen Funktionen werden erwähnt. Als ein dem Gericht zugeordnetes und untergeordnetes Amt wird es hier nicht als eigene Institution aufgenommen und behandelt. Ebd., 58.

30

1

INSTITUTIONEN

beyneben, uß bewögendenn Ursachen, der herrschafft ernnstlich bevelch unnd gebott, das nun hinfuro kain gemaind zusamen beruoffen, versamelt und gehallten werd, es geschehe dann mit vorwissen unnd bewilligen des amans im namen des gotzhaws auch der vierer in namen der gemaind" 58 . Folglich dürfte es vor 1553 ein Selbstversammlungsrecht der Gemeinde gegeben haben, und offenkundig diente die Gemeindeversammlung auch dazu, vor allem wenn Ammann oder Vierer ausgeschlossen wurden, durch Beschlüsse den Umgang mit der Herrschaft zu koordinieren, vielleicht auch Protest und Widerstand gegen sie zu organisieren. Anläßlich der Gemeindeversammlungen wurden auch die Amter besetzt, welche das Dorf zu vergeben hatte - die Hirten wurden bestellt, offenbar auch der Müller, der Schmied, der Bader und der Schneider. Nicht eindeutig ist die Formulierung für den Modus der Bestellung von Ammann, Richtern und Vierern. „Item ain ammann, die vier und der pittel, so jederzeit erwölt und sein werden" 59 , sagt der Text der Ordnung. Wählen muß nicht unbedingt als Wahlverfahren im modernen technischen Sinn der repräsentativen Demokratie verstanden und somit bei der Gemeindeversammlung lokalisiert werden, es könnte auch das Ernennungsverfahren von Prior und Konvent bezeichnen, wie etwa heute noch die Regierungen Schweizer Kantone etwa Professoren auf Vorschlag der Fakultäten wählen. Mit der gebotenen Vorsicht wird man dennoch eine Wahl durch die Gemeinde oder deren Beteiligung bei der Bestellung fur wahrscheinlich halten dürfen, weil hinsichtlich der Ernennung der Richter eine ganz andere sprachliche Wendung gebraucht wird, wenn es heißt, „dz die herrschaft, dz gericht nun hinftiro jederzeit selbert an, und absetzen soll"60. Diese Formulierung läßt darauf schließen, daß bislang auch die Besetzung des Gerichts nicht ausschließlich in der herrschaftlichen Kompetenz gelegen haben muß - neben Wahl- wären auch Kooptationsverfahren denkbar - , was die Vermutung bekräftigt, daß die Vierer, vielleicht auch der Ammann von der Gemeinde gewählt oder in Vorschlag gebracht wurden. Das schließt nicht aus, daß die Herrschaft Wahlen bestätigen mußte, zumal Ammann, Vierer, Richter auch im herrschaftlichen Interesse amteten. Überhaupt erwecken die fur heutige Begriffe weichen, um nicht zu sagen schlampigen sprachlichen Fassungen hinsichtlich der Prozeduren der Amtervergabe den Eindruck, Wahl durch die Gemeinde oder Einsetzung durch die Herrschaft seien fur die Zeit keine sich strikt ausschließenden Alternativen gewesen. Die doppelte Verpflichtung gegenüber Herrschaft und Gemeinde, aus der man auch auf eine Beteiligung beider Parteien bei der Bestellung schließen könnte, kommt auch in den Amtseiden zum Ausdruck. „Item, alls bald der Amman, vierer, richter, hailligenpfleger, haubtleütt unnd gepittel erwölet seind worden, von ainer herrschafft gesatzt, so seind sie

58 55

60

Ebd., 61. Ebd., 60f. Der Text ist etwas unklar; die grammatikalische Konstruktion erlaubt mindestens den Verdacht, auch Müller, Schmied usw. seien von der Gemeinde gedingt worden. „Item es wollen innen auch die würdigen herrn und vätter [Prior und Konvent, P.B.] vorgehalten haben, das sie denn vertrawlichen arbaitten den gemaind und des gotzhaus, auch desselben hindersässen unnd underthanen alls müller, schmid, Schneider, bader und auch den anndern von ainer gemaind gedingten tag und nacht löhnern als küe, roß und sawhüerten, ob sach war, das sie die leütt ubernämend [...] das alls dann die herrschafft [...] die übertretter strafen mag". Ebd., 63.

1.1

Die Verfaßtheit des Alltags - Beispiele

31

schuldig ainer herrschafft, dem hailligen unnd gemaind iren nutz zufiirdern unnd schaden zuwennden nach allem irem vermögen, trewlich unnd ungevarlich, nach lautt ihrer aid, so sie hernacher schwören werden" 61 . Die Vierer, deren Name sich von der Vierzahl der Amtsträger ableitet, amteten in erster Linie fur die Gemeinde und damit ursprünglich wohl auch in deren Auftrag. „Item die erwölten Vier", heißt es in der Gerichtsordnung, „sollen zu deß Dorffs gemaind, und anderem vleissig lugen, unnd thun, alls Innen von des Ampts wegen zuostaht, unnd darlnn auch trew und gewer sein, ainem alls dem annderen, nach Irer bössten verstenndtnus" 62 . Dazu gehörte auch die Überwachung der Wassergräben oder die zweimalige jährliche Kontrolle aller Feuerstätten; dazu gehörte, wie aus dem Amtseid hervorgeht, die Kontrolle von Weg und Steg, Wunn und Weide, Trieb und Tratt. Um ihre Aufgabe wahrnehmen zu können, verfügten sie über ein Gebotsrecht, konnten also, gestützt auf ihr Amt, Verfügungen erlassen, deren Ubertretungen mit Geld gebüßt oder vor Gericht abgestraft wurden. Doch sie sollten, schärft ihnen die Ordnung ein, „bey Irenn Aiden gedenncken, dz sy Ire bott unnd verbott, so sie der gemaind Jederzeit, nach notdurft, von gemains nutzes wegen thun werden, selbst auch unverbrochen hallten, unnd voranhe ganngen, dann wo Irn Ainer oder mer, dz überfueren, und die bott, so sie anndern thätten selbs nit hiellten, alls dann so werden und sollen sy, mit zwifacher straff, gebüeßt unnd gestrafft werden" 63 . Falls die Vierer ihr Amt namens der Gemeinde ausgeübt haben sollten, mußten sie ihr Gebotsrecht von der Gemeinde delegiert erhalten haben - folglich hätte die Gemeindeversammlung Statuten erlassen können. Die verstreuten Bemerkungen über die Vierer nähren den Verdacht, daß ihre Gebots- und Verbotsgewalt keine Delegation herrschaftlicher Kompetenzen war, vielmehr in der genossenschaftlichen Regelung der Wald-, Feld- und Weideordnung ihren Ursprung hatte. Auch über die Verwendung der Bußen fuhrt die Spurensicherung in Bereiche kommunaler Satzungstätigkeit. Wenn Bußen über 1 fl. an die Herrschaft gingen, Bußen unter 1 fl. an den Kirchenheiligen und den Ammann, deutet das darauf hin, daß es einen korrespondierenden gemeindlichen Gebots- und Verbotsbereich gab. Die Richter, zwölf an der Zahl aus der Gemeinde, übten die Zivilgerichtsbarkeit aus und die Strafgerichtsbarkeit bis zur Aburteilung schwerer Körperverletzungen. Für Beleidigungen oder kleinere Schlaghändel waren standardisierte Geldbußen festgesetzt, für schwerere Vergehen hingegen setzte das Gericht die Strafen fest. „Ob aber ainer dem Anndern, mehr dann ein bluttflissige, oder mer dann ain bainschröte, oder mer dann ain lämige wunden schlieg, der soll Im frävel, mehr unnd höher Angesehen unnd gestrafft werden: Nach dem dann ain sach Ir selbs groß, auf frävel unnd beschwärlich ist". Solche Schlägereien also, die zu blutenden Wunden, zerschlagenen Gliedern oder Lähmungen führten, sollten abgeurteilt werden durch „die Richter, auff Ire Aid [...], was sie nach gstallt der Sachen erfinden, groß oder klain" 64 .

61 62 63 64

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

68. 70. 71. 65.

32

1

INSTITUTIONEN

Der Ammann führte den Vorsitz in allen Gremien, im Gericht, wo er den Stichentscheid bei Stimmengleichheit geben konnte, und im Kollegium der Vierer, mit dem zusammen er die Gebots- und Verbotsgewalt ausübte. Die sogenannte freiwillige Gerichtsbarkeit, Schuldverschreibungen und Verkäufe etwa, wurden von ihm rechtskräftig gemacht. Die Janusgesichtigkeit des Amtes wird in dieser Doppelfunktion deutlich, denn die Richter waren eher herrschaftliche, die Vierer eher gemeindliche Organe, und sie wiederholt sich in den Bestimmungen, daß der Ammann einerseits eine Gebots- und Verbotskompetenz besaß, die über die der Vierer hinausging, andererseits auf der Gemeindeversammlung Beschlüsse gegen die Herrschaft zu verhindern hatte. „Unnd was alls dann, in sollicher versamlung, wider die herrschafft oder das gotzhaws gehanndelt oder practiciert werden wolle, das soll der Aman nit darein bewilligen" 65 . Uber die Amtsdauer fehlen in der Gerichtsordnung alle Angaben. Das methodische Problem bei der Dechiffrierung kommunaler Strukturen in Buxheim besteht darin, daß man zur Rekonstruktion der Verfassung nur über herrschaftlich erlassene Satzungen verfügt, nicht aber auch die von den Gemeindeversammlungen selbst oder von den Vierern und Ammännern erlassenen Mandate. Die Gemeindearchive, wo es sie überhaupt noch gibt, sind in Deutschland in einem desolaten und erbärmlichen Zustand, was sich aus der politischen Bedeutungslosigkeit der Gemeinden seit dem Ende des alten Reiches erklärt. Festzuhalten ist für Buxheim, 1. daß es einen genuin kommunalen Zuständigkeitsbereich gibt, der sich summarisch mit dörflicher Wirtschaft umschreiben läßt. Alle Arten kollektiver oder genossenschaftlicher Bewirtschaftung - Wald, Allmende, Zufahrtswege zu den Feldern, öffentliche Einrichtungen wie Schmieden und Badstuben - fielen in die Kompetenz der Gemeinde und der von ihr dafür eigens bestimmten Organe. Zu ihnen gehören mit größter Wahrscheinlichkeit die Vierer, möglicherweise auch der Ammann. Herauszuheben ist 2. daß es einen zweiten Kreis im Dorf ausgeübter Funktionen gibt, die im wesentlichen vom Gericht wahrgenommen werden, und zwar als delegierte Aufgaben der Kartause. Denn eindeutig setzt sie die zivil- und strafrechtlichen Normen fest, nicht die Gemeinde. Das ist nicht ganz uneinsichtig, weil es zum wesentlichen Geschäft von Herrschaft gehört, Ordnung zu stiften und Recht zu gewährleisten. Freilich ist auch hier nicht ganz außer acht zu lassen, daß das Gericht offensichtlich auch Übertretungen von Satzungen der Vierer und der Gemeindeversammlung ahndet. Auf einen letzten und 3. Bereich ist abschließend noch aufmerksam zu machen, der bislang nicht berührt und enorm schwer interpretatorisch einzuordnen ist. Gemeint sind die in der Gerichtsordnung enthaltenen detaillierten Bestimmungen über die Friedenssicherung im Dorf. Bei Schlägereien, Messerstechereien, Gewalttätigkeiten aller Art war jedes Gemeindemitglied berechtigt und verpflichtet, den Frieden herzustellen, den Frieden zu bieten, wie es in verschiedenen Wendungen in der Quelle heißt. „Ob aber erwerffung, auffstöß, unnd unAi65

Ebd., 61.

1.1

Die Verfaßtheit des Alltags - Beispiele

33

nigkait sich erhieben, ainer wider den Anndern, oder Ain parthey wider die Anndere, Wöllcher darbey ist, er sey Ammann, Vierer, hauptleütt, oder Ain anndrer, wer der ist, der soll bey sein Aid frid bietten, Wie in bedunckt gutt zusein, an 5 Pfund h an 10 Pfund h, oder an 10 fl. Auch wo nott, an laib unnd an gutt, unnd alls hoch ain Herrschafft zugebietten hat". Der Friede soll also in der Weise hergestellt werden, daß Geldstrafen, ja Güterkonfiskation und Leibesstrafen von denen angedroht werden, die Zeugen militanter Gewalt werden. „Wöllcher dann der ist, der die bott Ains oder mer überfiier, unnd nit gehalitten hett, wie Im dann gebotten worden wär, so will die herrschafft, dz gelitt, deß botts, von ainem Jettlichen nemen on alle gnad". Mit großer Dringlichkeit wird auf diese Verpflichtung hingewiesen, die alle Bauern und Söldner mit einem Eid beschworen hatten, ja hohe Geldstrafen werden fiir den Fall angedroht, daß sich einer dieser gewiß oft lästigen, auch gefährlichen Verpflichtung entziehen wollte. „Unnd wölcher bey ainer sollichen empörung wär, und nit frid bötte, da zuvor kain annderer frid gebotten hett, und darvon gieng, der soll zu büß gebenn 1 guldin". Geradezu dramatisch wird der Friede beschworen, wenn die Schlichtungspflicht es sogar erlaubt, mit Waffengewalt gegen den Friedbrecher vorzugehen. „Ob aber ainer oder mehr nit frid hallten und geben wollten, so sollen all, wer dabei ist, und darzu laufft unnd kompt, si nötten unnd zwingen, mit anlegenden wöhrenden hennden, Unnd wie hart ainer geschlagen wirt, der den frid, so lanng und so vil nit geben wollet, on gar zu todt, da fräveltt niemanndt an" 66 . Es bleibt nach dem Text unklar, ob die Friedenssicherung durch alle Dorfeinwohner eine herrschaftlich delegierte Funktion ist oder aus den Bedürfnissen der dörflichen Gemeinschaft herausgewachsen ist. Wo die Friedenssicherung ihre Wurzeln hat, ist freilich äußerst wichtig, weil sie nach allgemeiner Einschätzung zu den zentralen Aufgaben des Staates und damit eines jeden politischen Verbandes gehört. Wäre Friedewahrung eine genuin kommunale Aufgabe, gäbe das der Gemeinde ein enorm hohes Maß an staatlicher Qualität. Die Eide, welche die Buxheimer Untertanen leisten, erlauben eine Auslegung nach beiden Seiten. Neben dem Gehorsam der Herrschaft gegenüber schwören sie nämlich „deß gotzhaws unnd [Hervorhebung P.B.] gemains flecken nutz und fromben" zu fördern und „deß gotzhwas und flecken schaden, nachthail oder gfahr" abzuwenden67. Den Buxheimer Alltag organisierten die Buxheimer. Knapp vierzig Häuser 68 hatten die ehrenamtlichen Positionen des Gerichtsammanns, des Büttels, der Vierer, der zwei Hauptleute, der zwei Heiligenpfleger und der zwölf Richter zu versehen. 22 Positionen waren zu besetzen, die wohl jeden Bauern und Söldner mit politischen Verantwortlichkeiten beluden, auch wenn mancher zwei Amter übernommen hatte 69 .

66 67 68

69

Ebd., 65. Ebd., 76. Die Zahl läßt sich nicht präzisieren, weil zeitgleiche Urbare fehlen, die Ämter teilweise auch in benachbarte Weiler vergeben wurden. Die Dorfgerichtsordnung nennt die Namen für 1563 ebd., 73f. Möglicherweise waren alle Vierer auch Richter.

34

1

1.1.3

INSTITUTIONEN

Politische Kultur als bäuerlicher Alltag - die Dörfer des Reichsstifts Ottobeuren

Wendet man sich von Memmingen ostwärts, kommt man nach einem knapp zweistündigen Fußmarsch nach Benningen. Das D o r f strahlt jene Behäbigkeit aus, die Oberschwaben dort eigen ist, wo es früher vom Ackerbau lebte. Breit stehen die großen Höfe im Dorf, zu denen Grund und Boden von 80, ja auch 100 Tagwerk gehörten - der Ammannbauer und der Fuggerbauer, der Biermichel und der Peterbauer, der Ammannhansbauer und der Wirt, der Müller und der Maierbauer, der Kotterer und der Dreierhof 7 0 . Rund 3 0 landwirtschaftliche Betriebe (über 10 Tagwerk) hatte das D o r f um 1700 und 16 Häusler, von denen die Hälfte über weniger als ein Tagwerk Boden verfugte 71 . Benningen gehörte bis 1802 zum Reichskloster Ottobeuren, zu seinen Dorfichafien,

wie der Ort in der Verwaltungssprache des Klo-

sters genannt wurde, im Gegensatz zu den Hauptmannschaften,

die meist im spät erschlosse-

nen Rodungsgebiet nordwärts, den Voralpen näher, lagen und als Siedlungsform die Weiler und Einöden bervorzugten. Eine ordentliche Ottobeurer Dorfschaft verfugte über einen Ortsvorsteher, Ammann

ge-

nannt, über Vierer mit Verwaltungsaufgaben und ein mit ursprünglich wohl acht Richtern besetztes Gericht. Die Funktionsbereiche entsprachen denen der Buxheimer Amtsträger, was Wiederholungen entbehrlich macht 7 2 . Dank einer singulären Quelle, dem „Register, darinnen begriffen des ehrwürdigen Gottshaus Ottenbeüren, Ambtleüth und GerichtsPersonen, wie dieselbigen zu gewonlichen BaudingsZeiten verordnet werden" 73 , erhält man einen sonst nicht oder schwer zu gewinnenden Einblick in die Dorfpolitik nach der formalen Seite hin. Denn fur die Zeit von 1581 bis 1802 sind hier sämtliche Amtsinhaber fiir alle O t tobeurer Dorfschaften und Hauptmannschaften verzeichnet 74 . Dabei „zeigt sich, daß praktisch jeder Hofstellenbewirtschafter [...] im Laufe seines Lebens ein Amt ausübte" 75 . Von den 1690 in Benningen genannten 2 9 Hofinhabern - Bauern und Söldner heißen sie im Gegensatz zu den Taglöhnern - hatten lediglich acht kein dörfliches Amt inne, dafür kamen jedoch zwei Richter und ein Vierer aus der unterbäuerlichen Schicht der Häusler und Kleinststellenbesitzer 76 . Die Familie Rauch - vorausgesetzt es verbergen sich hinter den Familiennamen keine gänzlich verschiedenen Familienstämme — besetzte von 1581 bis 1738 ohne Unterbrechung mindestens eines der Ämter, allerdings in

70 71

P. BLICKLE, M e m m i n g e n , 7 0 f f . H . LÜDI, Führungsschicht im D o r f , 5 0 . F ü r die Festlegung der Kategorien, ebd., 4 6 f f . D i e als Landwirtschaftsbetriebe bezeichneten Anwesen hatten auch alle Pferde, ein gutes Kriterium, sie zu den Bauern zu rechnen.

72

D i e O t t o b e u r e r Uberlieferung ist hinsichtlich der Aufgabenumschreibung der A m t e r schlecht. Lediglich die Amtseide sind bekannt. D o k u m e n t i e r t bei H . LÜDI, Führungsschicht im D o r f , 8 1 - 8 5 . Sie entsprechen s i n n g e m ä ß den B u x h e i m e r Amtseiden, die ihrerseits dem fiir Schwaben bekannten Bild folgen.

73

Klosterarchiv O t t o b e u r e n , Reg. L. 4 - 1 3 .

74

Gelegentlich sind die Register, vielleicht bedingt durch Kriege oder Pestenzüge, unsorgfältig ge-

75

H . LÜDI, Führungsschicht im D o r f , 6 7 .

76

Ebd., 6 9 .

fuhrt.

1.1

Die Verfaßtheit des Alltags - Beispiele

35

200 Jahren nur einmal das Ammannamt. „Der Rauch" oder „der Maierbauer", wie er wohl häufiger genannt wurde, bewirtschaftete mit dem Maierhof ein Anwesen von über 100 Tagwerk, hielt aber nicht den größten Hof im Dorf. Matheus war Richter von 1581 bis 1595 und anschließend 13 Jahre Vierer, Georg hatte, bevor er 1639 fiir 22 Jahre das Ammannamt übernahm, zwei Jahre als Vierer geamtet, Michael bekleidete seine Stelle als Vierer von 1714 bis 1728 77 . Daraus ergibt sich, daß die Verweildauer in den Amtern lang war. Ammänner waren öfter bis zu 15 Jahren im Amt, mit den Tätigkeiten als Vierer und Richter ergaben sich gelegentlich Amtszeiten von 20 bis 30 Jahren. Ämterkumulation allerdings war unbekannt. War es in Buxheim offenbar möglich wo nicht üblich, daß ein Vierer gleichzeitig auch Mitglied des Gerichts war, so herrschte in Bennningen strikte Ämtertrennung 78 . Die dörflichen Amter stellten Positionen unterschiedlicher Dignität dar. Von den 37 Vierern, die von 1581 bis 1714 in Benningen nachweisbar sind, waren 23 zuvor als Richter tätig 79 . Alle Benninger Ammänner hatten zuvor ein anderes Amt bekleidet; umgekehrt amtete ein Altammann nie mehr als Richter oder Vierer. Daraus ergibt sich eine eindeutige Hierarchie der dörflichen Amter - vom Ammann über den Vierer zum Richter 80 . Möglicherweise hängt die geringere Wertschätzung des Richteramtes mit einem Funktionsverlust zusammen - die Zahl der Richter schrumpfte in Benningen ständig, von sieben im Jahr 1653 auf vier im Jahr 1691 81 , was möglicherweise mit einer Erweiterung der Zuständigkeit des nahen Ottobeurer Hofgerichts oder der Zusammenlegung von Gerichten erklärt werden kann 82 . Ein Amt im Dorf auszuüben, gehörte offenbar fiir Bauern und Söldner zu den Selbstverständlichkeiten ihres Alltags. Die politische Kultur des Dorfes drückt sich in dieser breiten Repräsentation aus. Allerdings waren die Amtszeiten unterschiedlich lang, so daß es offensichtlich durchaus Wahlmöglichkeiten bei der Besetzung der Amter gab. Interessanterweise - und auch das charakterisiert die politische Kultur im Dorf - gab es keine signifikante Korrelation von Amt und Hofgröße oder Amt und Vermögen. Abgesehen von der offensichtlich selbstverständlichen Voraussetzung, daß nur Bauern und Söldner Ämter übernehmen konnten - Kleinststelleninhaber, und das heißt Lohnwerker, waren in der Regel ausgeschlossen - streuen die Ämter durch das gesamte Spektrum der Benninger Hofgrößen. Ein Urbar von 1690 verzeichnet 29 Hofinhaber mit Hofgrößen zwischen 108,25 und 12,75 Tagwerk. Ordnet man sie nach der Größe des Hofes hierarchisch, so be77

78 79 80 81 82

Ebd., 64f. Die Angaben unter dem Vorbehalt, daß die Zuordnung der Namen zu einer Familie richtig ist. Ebd., 31f. Ebd., 28. Ebd., 28-32. Ebd., 21 f. Veränderungen in der Rechtspflege haben in der Frühneuzeit sicher stattgefunden, sind aber bislang sehr unzulänglich untersucht und lassen sich möglicherweise auch nicht mehr rekonstruieren, weil die Akten des Baudings (die es gegeben haben muß) nur noch fragmentarisch und zufällig im Klosterarchiv überliefert sind. Die Archiwerwaltung des Königreichs Bayern, welche die Urkunden und Akten zu Beginn des 19. Jahrhunderts übernommen hat, hielt die Bestände offensichtlich fiir vergleichsweise wertlos.

36

1

INSTITUTIONEN

setzten: der Ammann die Position 8 (77,50 Tagwerk), die Vierer die Positionen 3 (92,95 Tagwerk), 15, 16 und 24 (32,50 Tagwerk) und die Richter die Positionen 5 (90,50 Tagwerk), 17, 18 und 28 (14,75 Tagwerk) 83 . Die Verhältnisse ändern sich auch kaum, wenn man über Steuerbücher die Amter zu den Vermögen ihrer Inhaber in Beziehung setzt. Bildet man vier Steuerklassen84, dann zeigt sich, daß die Ammänner zwar immer aus der Schicht der Bauern stammen, nie jedoch in die höchste Steuerklasse gehören; die Vierer finden sich eher in den Klassen 1 und 2, die Richter eher in den Klassen 2 und 3. Je höher das Ansehen des Amtes, desto größer der Hof, doch von einer dörflichen Aristokratie kann nicht im entferntesten die Rede sein. Die Besitz- und Vermögensgruppen sind alle angemessen in den Ämtern repräsentiert, eine Ausnahme machen lediglich die Inhaber der Ehaften, die Wirte, die Schmiede und Müller, die im Verhältnis zu ihrer Zahl vergleichsweise viele Amtsträger stellten85. Benningen ist ein Einzelbeispiel, gänzlich unrepräsentativ dürfte es nicht sein. Zehn Dorfschaften und acht Hauptmannschaften bestellten auf wohl ähnliche Weise ihre Amtsträger. Deren Funktionen gleichen, stützt man sich auf die Amtseide, denen der Buxheimer. Ammann und Vierer wurden eidlich darauf verpflichtet, dem Abt und ihrem Dorf „getreü und dienstfertig zu seyn", die Richter hingegen allein auf eine unparteiische Rechtspflege und absolute Verschwiegenheit eingeschworen86.

1.1.4

Seelennöte bäuerlicher Richter - ein Verfassungskonflikt im Kloster Ochsenhausen

In der Buxheimer Gerichtsordnung steht der Satz, „ain herrschafft" behalte sich das Recht vor, von den erlassenen Artikeln „ainen oder mehr außer Innen, alls offt notwenndig, und sy fur gutt ansieht über kurz oder lanng zumindern, zumehren oder zuverenndern" 87 . Das fand offensichtlich wenig Beifall in Buxheim, was die Vermutung stützt, Satzungen wären früher anders redigiert worden, vielleicht durch die Gemeinde oder mindestens durch die Beiziehung ihrer Repräsentanten. Prior und Konvent der Kartause hielten es jedenfalls für dringlich, Widerspruch erst gar nicht aufkommen zu lassen. „Derohalben nun hinftiro ain jeder Richter, wer der sey, sich nit beschwären, murmlen oder böse außzügige wortt außwerffen soll (wie bisher vil und dick beschehen)" 88 . Die Richter wollten offensichtlich nicht nach herrschaftlichen Satzungen Recht sprechen. Illuminieren läßt sich das hier durch die Kürze des Quellentextes etwas im Dunkeln liegende Problem über einen um 1500 mehrere Jahre sich hinziehenden Rechtsstreit zwischen Bauern und ihrer Obrigkeit in der anrainenden Klosterherrschaft Ochsenhausen. 83 84

85 86

87

88

Ebd., 50. Ebd., 53. Lüdi bildet folgende Steuerklassen: A. Vermögen über 2000 fl., B. Vermögen 1 0 0 0 - 2 0 0 0 fl., C. Vermögen 5 0 0 - 1 0 0 0 fl. D . unter 500 fl. Ebd., 60f. Die Eide (in der Fassung von 1742) ebd., 8 1 - 8 5 . - LÜDI hat neben Benningen Attenhausen und Niederrieden untersucht und kommt in allen Fällen zu ähnlichen Ergebnissen. Die Dorfgerichtsordnung von Buxheim vom Jahre 1553, in: Memminger Geschichtsblätter Jahresheft 1 9 6 5 , 1 9 6 6 , 77. Ebd.

1.1

D i e Verfaßtheit des Alltags - Beispiele

37

Dort hatten die Dörfer - wie üblich wohl durch ihre „gesannten verordnotten Maier" 8 9 zunächst mündlich beim Abt um Bereinigung ihrer Beschwerden nachgesucht, bald aber eine förmliche Klage formuliert, die nach Repliken, Dupliken, Tripliken und Quadrupliken endlich 1502 entschieden wurde. Die Dichte der Schriftsätze erlaubt faszinierend tiefe Einblicke in den Problemkreis Recht und Satzung, orales Recht und geschriebenes Recht, kommunal entwickeltes Recht und herrschaftlich erlassenes Statut. „Item [...] clagt der richter", heißt es sprachlich etwas unbeholfen im ersten Schriftsatz der Bauern, denn gemeint sind alle Richter in den Ochsenhauser Dörfern, „er mieß schweren uff etlich brieff, die man inleg in das gericht, und halt in daby für, was verlesen werd, daruff werden sy schweren, dzselbig by irn kreften zfi blybenlaussen und dzselbig zfl recht sprechen" 9 0 . Briefe, Gebote und Verbote, Satzungen mit anderen Worten, ließ der Abt im Gericht hinterlegen und verlangte von den Richtern eidlich, nach diesen Satzungen zu urteilen. „Nun wyssend die erber richter nit", heißt es in dem Klageartikel weiter, „ob es gründt im rechten sy oder nit, damit sy ir seien und eren gnöng tätten, wan sy wollten gern thfin als from knecht". Das Problem war damit auf dem Tisch - wer stellt fest, ob eine Satzung Recht ist oder Unrecht, Abt und Konvent mittels Briefen oder die Richter mit ihrem Gewissen. Darum nämlich geht es, wie der Nachsatz lehrt: die Richter bitten den Abt, daß er „sy lauß belyben by irer gewyssne oder inen furbring, dz sy wissen dz es grundt sy im rechten" 9 1 . Der Abt fand die Argumentation erwartungsgemäß nicht zwingend. „Dann wann ain richter urtailt nach gemainem rechten", ließ er antworten, „oder uff ain Satzung, so an aim ort gemacht ist, oder uff ain alt leidenlich gewonhait und herkomen, wiewol die baide, nämlich die Satzung und gewonhait dem gemainen rechten widerwertig wärn, als er denn schuldig ist, so tßtt er im selbs und yederman gnäg und mag dz mit gott und eren verantwurten" 9 2 . Unterstellt man dem Kloster nicht, daß es den Sachverhalt sprachlich absichtlich verdunkelt hat, dann war Ochsenhausen der Auffassung, Richter seien verpflichtet, nach Satzungen und Gewohnheiten zu urteilen, sie täten damit ihre Pflicht und belüden keineswegs ihr Gewissen. Für nicht schriftlich geregelte Fälle, die dem Gericht zu entscheiden zu schwer fielen, bleibe die Möglichkeit, ein Urteil „by frumen, wysen, verstendigen lüten" zu holen. 89

90

91 92

H S t A S t , Β 4 8 1 Urkunde 2 3 5 . Bei der Urkunde handelt es sich u m ein Notariatsinstrument von 1525. Meier können Hofinhaber aber auch Ammänner heißen. D i e Dorfverfassung ist im Ochsenhauser Territorium jedenfalls ausgebildet, so daß es naheliegt, dorfweise Delegation und Repräsentation anzunehmen. H S t A S t , Β 481 Bü 10, fol. 66'. D i e Q u e l l e ist nach Abschluß des Manuskripts ediert worden [Peter Blickle - Andre Holenstein (Hgg.), Agrarverfassungsverträge. Eine Dokumentation zum Wandel in den Beziehungen zwischen Herrschaften und Bauern a m Ende des Mittelalters (Quellen u n d Forschungen zur Agrargeschichte 42), Stuttgart 1996, 6 3 - 1 0 2 ] ; die Belege nach den Archivalien. Für die Zusammenhänge vgl. GOTTLOB EGELHAAF, Ein Vorspiel des Bauernkriegs, in: DERS., Analekten zur Geschichte, Stuttgart 1886, 2 1 2 - 2 6 0 , bes. 2 1 7 - 2 4 7 . - E. GRUBER, Ochsenhausen, 1 3 4 - 1 4 4 . - P. BLICKLE, Landschaften, 1 1 2 - 1 1 6 . - H . - M . MAURER, Territorialgewalt, 161, 168. D a s Problem als generelles oberschwäbischer Klosterherrschaften erörtert ANDRFI HOLENSTEIN, Äbte u n d Bauern. V o m Regiment der Klöster im Spätmittelalter, in: Peter Blickle - Andr^ Holenstein (Hgg.), Politische Kultur in Oberschwaben, Tübingen 1 9 9 3 , 2 4 3 - 2 6 8 , bes. 257f. HStASt, Β 4 8 1 Bü 10, fol. 66'. Ebd., fol. 64'.

38

1

INSTITUTIONEN

Das war freilich kein praktikabler Ausweg, denn die Relation von Statuten, Herkommen und gemeinem Recht blieb praktisch unbeantwortet. Die Bauern wurden in ihrer nächsten Antwort denn auch deutlicher. „Abt Symon [hab] ain bflch der frävel, pott, verpott und ander stuck halben gemacht und die richter darzfl gehalten, das sy haben nüssen schwern, allain nach sölhem bflch zfl sprechen" 93 . Abt und Konvent hatten also eine Frevel- und Gerichtsordnung erlassen - mit festen Bußensätzen für jedes Vergehen, wie das üblich war, auch die Kartäuser in Buxheim waren so verfahren - , was die Richter „unleydenlich" fanden, weil „sy umb yeden frävel pöss oder verschulden sprechen mügen was sy nach irer gwissen und gfitt beduncken achten das ainer verwürckt oder verschuldt hab". Die Richter vertraten somit den Standpunkt, eine dem Gewissen verpflichtete Rechtsprechung habe den Fall einzeln und den Umständen entsprechend angemessen zu prüfen und folglich differenzierte Urteile zu fällen anstatt einer mechanischen Bestrafung. Folgt man den Argumenten der bäuerlichen Seite, hatte das Kloster tatsächlich die Absicht, sich eine Interpretationshoheit über das in seinem Territorium herrschende Recht zu vindizieren. Die Richter hätten bislang sich Urteile, die zu schöpfen ihnen selbst zu schwer gefallen sei, in der benachbarten Reichsstadt Ulm geholt, mit der das Kloster auch in einem Burgrecht stand, doch „hab sey abt Symon davon trungen, also dz sy kain urtail weder hie noch an andern orten holen sollen, das inen irem herkomen und prauch, auch irer notturft nach mercklich beschwerd sey" 94 . Eine prinzipielle Zuspitzung erfuhr der Konflikt dadurch, daß Abt und Konvent - wiederum nach Auskunft eines Schriftsatzes der Bauern - ihre Satzungstätigkeit nicht auf strafrechtliche Tatbestände beschränkten, sondern mancherlei, vielleicht auch vielerlei kriminalisierten. So waren offensichtlich erst kürzlich „etlich gepott, nämlich so ir vich zfl schaden gang, och etliche andere gepott", vom Kloster erlassen und den Richtern eidlich auferlegt worden, sie durchzudrücken. „Nun begebe sich", antworteten darauf die Bauern, „das etwen bi ir Vernunft und gwißne wyse, das sie sölhe gepott nit schuldig syen zfl handthaben", denn - und jetzt wird das schon vorgebrachte Argument nochmals reformuliert und präzisiert urteilen sie „nach ludt desselben gepots oder Verbots, thuyen sy wider ire gwißninen und vernünften, thuyen si aber das nit, sy in der uffgelegt ayd darwider und werden also an strick gelegt irer seelen" 95 . Die daraus gezogene Folgerung heißt kategorisch: die Urteilsfindung hat den Kriterien von Gewissen und Vernunft der Richter zu entsprechen und wo sie sich unsicher sind, holen sie sich anderwärts ein Urteil. Das Kloster beharrte auf seinem Satzungsrecht mit dem Argument, nach dem Urteil von beigezogenen Gelehrten, also Juristen, und des Rats (womit möglicherweise Sitzungen von Abt, Konvent und Vogt gemeint sind) käme es dem Kloster und seinen Armen Leuten zugute, „das sie mit erbern billichen Stattuten und Ordnung versehen würden". Die statutarische Tätigkeit des Klosters aber kannte nach Einschätzung der Richter keine Ufer und überschwemmte alle Lebensbereiche, „es sie mit erbfällen, es sie mit burgschaft, es sey mit pfan93 94 95

Ebd., fol. 62'. Ebd., fol. 63. Ebd., fol. 48'f.

1.1

Die Verfaßtheit des Alltags - Beispiele

39

dung oder anders". Das Recht sei damit „verloren und ligend wir unden dem pott näch". Das kräftige Bild, durch das beanspruchte klösterliche ius statuendi „unden" zu liegen, beschreibt eindrücklich die Angst vor Neuerungen, die irreversibel sein würden, wenn man das Prinzip dulden würde, auf dem sie fußten. Damit, klagten die Untertanenvertreter, „verliessen und komen wir umb unsere gerechtigkaiten und werden uns dardurch innbrüch und nüwerungen gemacht". In den Satzungen des Abtes - so brachten sie den Kasus auf den moralischen Punkt - würde nicht „angesehen der gemain, sonder der aygenutz" 96 . Als schließlich am 14. September 1502 Jörg Abt von Kempten, Jörg von Freiberg, EglofF von Riethaim, sowie als Beauftragte der Reichsstädte Ulm und Memmingen Jakob Ehinger, Konrad Vöhlin und Mattäus Lupin zwei gleichlautende Urkunden besiegelten, mit denen der „Handel" durch einen „Vertrag" in schiedsgerichtlicher Form beigelegt wurde 97 , war weder vom Satzungsrecht des Klosters noch von der Form der Urteilsfindung der Gerichte die Rede. Der heikle Punkt wurde ausgespart. Mit dem Vertrag war allerdings dem beanspruchten ius statuendi won Abt und Konvent ein kanalisiertes Bett zugewiesen worden. Denn für die Beziehungen zwischen der Herrschaft und ihren Untertanen stiftet der Vertrag dauerhaftes Recht, dem „hinfuro zfl ewigen zyten von baiden parthyen allen iren nachkomen, erben und mitverwandten also vestigclich, trüwlich on all außzüg, ein- und widerred gehalten, voltzogen und dem aufrecht und redlich gelebt und nachgefolgt werden soll" 98 . Den Auftrag haben beide Parteien 300 Jahre lang erfüllt 99 . Der Satzungshoheit des Klosters waren seitdem Ansprüche, die aus der Grundherrschaft und der Leibherrschaft heraus entwickelt werden konnten und wurden, entzogen - das Erbrecht an der liegenden und fahrenden Habe, das Eherecht, Fronen, Allmendnutzung und Holzbezüge, kurzum der weite Bereich der Agrarverfassung. Das jahrelange Verfahren, strittige Rechtsansprüche zwischen Herrschaft und Untertanenschaft zu klären, hatte allerdings auch zu einer bemerkenswerten institutionellen Transformation gefuhrt. Korporativer und genossenschaftlicher Bezugspunkt der Armenleute, der Gotteshausleute, der Untertanen, Hintersassen und Gerichtsleute 100 waren nicht mehr nur die Dörfer, sondern auch die Landschaft101. Sie sorgte dafür, daß der Vertrag von 1502 über alle Anfechtungen hinweg in Geltung blieb. Die Definitionshoheit über das in der Klosterherrschaft geltende Recht lag nicht allein bei Abt und Konvent, aber auch nicht allein auf der kommunalen Ebene der Gemeinden. Die von ihren Gemeinden gewählten und vom Abt bestätigten Ammänner und Vierer der rund 20 Ochsenhauser Dörfer waren in ihren Zu-

96 97

98 99 100 101

Ebd., fol. 38f. HStASt, Β 481 Urkunde 233. Die Begriffe sind mit Bedacht aus der Urkunde übernommen. Druck nach unterschiedlichen Vorlagen bei G. Franz, Quellen Bauernkrieg, 28-36. - P. Gehring, Oberschwaben, 307-315. - Zur Interpretation E. GRUBER, Ochsenhausen, 154-161. HStASt, Β 481 Urkunde 233, fol. 6'. Vgl. P. BLICKLE, Landschaften, 115f. Das alles sind in den Schriftsätzen und im Vertrag synonym gebrauchte Begriffe. Den Begriff verwendet erstmals HStASt, Β 481 Bü 10, fol. 32. Die Anwälte „der armenlut Ochsenhausen" nennen ihre Mandanten die „gemain landtschaft".

L

40

INSTITUTIONEN

ständigkeiten offenbar auf Bürgeraufnahmen, kommunale Rechnungsführung und Sicherheitsvorkehrungen (Feuerschau, Wachtdienst) beschränkt, einschließlich der dafür erforderlichen Gebots- und Verbotshoheit 102 .

1.2

KOMMUNALE VERFASSUNG - VERALLGEMEINERUNGEN

Verknüpfbar sind die Ereignisse und Verhältnisse in Memmmingen, Buxheim, Benningen und Ochsenhausen insofern, als hinter ihnen eine institutionelle Formation erkennbar wird, welche die Veifaßtheit des Alltags in der Stadt wie auf dem Land gleichermaßen prägt. Zwar wölbt sich über dem Alltag die Herrschaft, doch es wäre ganz unzureichend, mit diesem Begriff sowie analogen und differenzierenden Bezeichnungen {Stadtherrschaft, Ortsherrschaft:, Grundherrschaft, Gerichtshenscha.fi) die Realität abbilden zu wollen. Uberall gibt es einen Fokus für die Organisation des Zusammenlebens, der nicht von Herrschaft abgeleitet werden kann - die Gemeinde. Darin liegt das gemeinsame institutionelle Substrat von Stadt und Dorf. Die Gemeinde spricht sich in Gemeindeversammlungen (1) politisch aus, sei es durch Gemeindebeschlüsse, voluntaristische Akte, die schließlich die Form von Satzungen annehmen können, sei es, daß sie ihr Recht, das Alltägliche zu organisieren, an eigens dafür geschaffene Institutionen delegiert. Räte und Vierer (2) und die ihnen vorstehenden Bürgermeister und Ammänner (3) haben ihr Mandat direkt oder indirekt aus der Gemeinde. Wie immer man die geometrische Figur beschreiben will, die daraus hervorgeht, sie ist eher elliptisch als kreisförmig. Die unterschiedliche Kraft der beiden Pole Herrschaft und Gemeinde bestimmt ihr Aussehen. Entscheidend ist zunächst nur, den Gesichtspunkt hervorzuheben, daß in der Gemeinde legitime politische Macht lokalisiert ist. Da Herrschaft zweifellos auch legitim war, entstanden zwischen diesen beiden Legitimitäten Diskurse und Konflikte um die Interpretationshoheit des öffentlichen Raumes. Der Abtausch der Argumente in Ochsenhausen zwischen Abt und Bauern legt das Problem mit mikroskopischer Schärfe frei. Damit kommt das Gericht (4) ins Spiel der Institutionen, das nicht nur von Urteil zu Urteil schreitet, sondern die normativen Grundlagen mit verantwortet, nach denen es urteilt, folglich über die Verfassung wacht. „Beschlußorgan [...] der Dorfgemeinde ist die Gemeindeversammlung, vielfach kurzerhand selbst als gmeind bezeichnet" 103 . Von KARL SIEGFRIED BADER stammt diese Feststellung, die den Gewalt, um ein deutsches Surrogat für Souveränität zu gebrauchen, in der verfaßten Bauernschaft des Dorfes lokalisiert. Die bündige Aussage verdient Beachtung deswegen, weil hier der beste Kenner der ländlichen Verfassungsgeschichte Oberdeutschlands spricht 104 . Einer der besten Kenner der reichsstädtischen Verfassung stellte im 18. Jahrhun-

102

P. Gehring, Oberschwaben, 3 1 7 - 3 4 5 [Statuten 1603, besonders Artikel 69, 71, 81, 100-103]. K . S . BADER, Dorf 2, 291. 104 Zweifellos hat K. S. BADER Bahnbrechendes mit seinen drei Bänden zum mittelalterlichen Dorf geleistet. Es war ganz zutreffend, wenn er 1961 noch feststellen konnte: „Die herkömmliche Literatur 103

1.2

Kommunale Verfassung - Verallgemeinerungen

41

dert apodiktisch fest, „daß die Landeshoheit und Reichsstandschaft einem Reichsstädtischen Magistrat auch in einer Aristokratischen Verfassung nicht als ein eignes Recht zustehe, sondern vielmehr auf der ganzen Gemeinheit und Bürgerschaft hafte, und dem Magistrat von der letztern nur die eingeschränkte Administration übertragen sey" 1 0 5 . JOHANN JACOB MOSER, ein Jurist von europäischem Rang, wollte diese Einschätzung eher als theoretische Möglichkeit einstufen 106 , räumte aber ein, „Rath und Burgerschafft zusammen machen die Reichsstatt und dessen politischen Cörper und Landesherrschafft aus" 1 0 7 . Wie groß auch immer die Unterschiede zwischen Stadt und D o r f gewesen sein mochten, als politische Körper gemeinsam hatten sie die

1.2.1

Gemeinde108.

Gemeindeversammlungen

Üblicherweise wurde die Gemeinde einmal im Jahr einberufen, und zwar zu einem feststehenden Termin. Schwörtag hieß die Zusammenkunft in den Städten, der in Ulm als Volks-

105

106

107

108

zur allgemeinen Kommunalgeschichte begnügt sich, von wenigen eindringlichen Spezialarbeiten abgesehen, mit reichlich unbestimmten und eher abwertend generalisierenden Angaben über die Funktion der älteren Dorfgemeinde" (K. S. BADER, Dorf 2, 322). Durch seine Arbeit und weitere Detailstudien hat sich erst ein empirisch akzeptables Bild von den Kompetenzen der Gemeinde ergeben. Darauf aufbauend spätere Handbücher, etwa G. FRANZ, Bauernstand, 50-58. - Vgl. weiter W. LEISER, Baden, 3 5 4 - 3 7 3 , sowie die Beiträge in dem Sammelband von Peter Blickle (Hg.), Deutsche Ländliche Rechtsqueüen. Probleme und Wege der Weistumsforschung, Stuttgart 1977. - Zuletzt vor allem die auf die Schweiz, Süddeutschland und Österreich orientierenden Beiträge von RUDOLF ENDRES, SERGIJ VILFAN und PETER BIERBRAUER in: P. Blickle, Landgemeinde. J. F. MALBLANK, Abhandlungen, 38. Das sei, wie er rechtfertigend ergänzt, „ein durch Reichsgesetze, Kaiserliche Privilegien, Reichsgerichtliche Erkenntnisse, ja durch die Magistrate eigenes Bekenntniß längst entschiedener Satz". J. J. MOSER, Regiments-Verfassung, 523. „Wann schon der Magistrat Superioritatem territorialem administrirt; so constituiret doch die Burgerschafft das eigentliche Corpus der Reichsstatt, um dessentwillen der Magistrat da ist und es gubernirt". Die Aussage wird durch einen umständlichen Konditionalsatz eingeleitet. J. J. MOSER, Regiments-Verfassung, 534. - OTTO BRUNNER, Souveränitätsproblem und Sozialstruktur in den deutschen Reichsstädten der frühen Neuzeit, in: DERS., Wege, 294-321, hat diese These über die Analyse von Hamburger Material neu entdeckt und bestätigt. Die Gemeinsamkeiten von Stadt und Dorf hat fur den deutschen Kulturbereich besonders nachhaltig zuletzt K. S. BADER (Dorf 1), vertreten. Er stipuliert die Gemeinsamkeiten vornehmlich über den räumlichen Friedensbereich (inner Etters) (ebd., bes. zusammenfassend 230-264), nicht jedoch über die Gemeinde. - Der Unterschied zwischen Reichsstadt und Landstadt in Oberdeutschland wird von der Forschung als eher gering eingeschätzt. Vgl. JORGEN SYDOW, Landesherrliche Städte des deutschen Südwestens in nachstaufischer Zeit, in: Bernd Diestelkamp (Hg.), Beiträge zum spätmittelalterlichen Städtewesen (Städteforschung 12), Köln-Wien 1982, 18-33 [zusammenfassend und Ansätze einer Typologie aufzeigend, ebd., 32f.]. Als Einzeluntersuchung R. SEIGEL, Tübingen [besonders hinsichtlich der Ausbildung der Institutionen]. - Generell M. WALKER, Home Towns, 19f., der jedoch den von ihm German Home Towns genannten Städten ein scharfes Profil (in Abgrenzung zu Groß- und Reichsstädten einerseits und Dörfern andererseits) geben will, und zwar mit folgenden Kriterien: Größe nicht über 2000 Bürger, kein ausgebildetes Patriziat, wirtschaftliche Autarkie, geringe soziale Mobilität der Bevölkerung (ebd., 27-31). In Prozentzahlen ausgedrückt lebten in Deutschland um 1800 in Großstädten 7%, auf dem Land ca. 65%, die restlichen 2 5 - 3 0 % in den Home Towns (ebd., 32f.).

42

1

INSTITUTIONEN

fest bis heute überlebt hat. Landsgemeinde heißen die heute noch bestehenden letzten Reste in der bäuerlichen Welt, etwa im ostschweizerischen Appenzell. Kommunale Politik war damit, wer immer auch sie betrieb oder bestimmte, einer öffentlichen und regelmäßigen Kontrolle ausgesetzt. Darüber hinaus konnte die Gemeinde auch zusammentreten, wenn besondere Umstände das erforderten, auf dem Dorf, um „über Beginn der Heu- oder Getreideernte oder über die Bannzeiten zu beschließen" 109 , in der Stadt, um mittels Abstimmungen „in Ansehung der Stadt-Einkünfte" die Steuerveranlagung des Rates zu billigen 110 . Zur Gemeindeversammlung riefen die Glocken von der Kirche oder vom Rathaus zusammen 111 ; man traf sich an herkömmlichen Plätzen, unter der Linde, vor der Kirche oder im städtischen Münster, auf dem Anger, dem Marktplatz oder in der Rathaushalle. Wilde Gemeindeversammlungen waren nie gänzlich zu unterdrücken, sie gingen jedoch in der Neuzeit deutlich zurück, nachdem feste Regularien ftir die Einberufung durchgesetzt worden waren. Gewitzigt durch die Erfahrung der spätmittelalterlichen Bürgeraufläufe, Bauernrevolten und den Bauernkrieg von 1525, die ohne die koordinierende Tätigkeit der Gemeindeversammlungen zu nichts gefuhrt hätten, waren Dorfherren und Stadtherren dazu übergegangen, das Zusammentreten der Gemeinde von einer Einladung von Bürgermeister und Ammann abhängig zu machen, öfters sogar von der Teilnahme eines herrschaftlichen Vogtes 112 . Auf der Gemeindeversammlung zu erscheinen war Pflicht für jene, die das Gemeinderecht besaßen - Bauern und Söldner auf dem Land 113 , Handwerksmeister und Kaufleute in der Stadt. Gelegentlich tauchen vor allem im Dorf Klagen auf, man solle nicht die Frauen und die Kinder zur Gemeindeversammlung schicken. Darin drückt sich immerhin die Er-

109

K. S. BADER, Dorf 2, 293. Ein schönes Beispiel für die Orte des Amtes Stuttgart bei F. Wintterlin, Remstal, 87. „Item wann die fruchten vor erndtzeiten besichtigt werden, ob die zu schneiden reif genug seien oder nit, so sollen vom schulthaissen und gerichtsleut auß dem gericht und den geschworenen oder auß der gemeind nach irm guten bedünken verordnet werden, doch nit überflissige personen als vier, fünf oder sechs nach gestalt der flecken und felder die früchten zu besichtigen, was befunden fur ein gericht bracht, dariber erkanntnus zu thon".

110

J . F . MALBLANK, A b h a n d l u n g e n , 9 9 .

111

Generell werden die Belege im folgenden selektiv und repräsentativ geboten: das lokale und regionale Schrifttum wird nur dort verzeichnet, wo es wichtige Ergänzungen zu den größeren zusammenfassenden Darstellungen liefert, die Quellenbelege versuchen den oberdeutschen Raum in Auswahl angemessen abzudecken. Zur Gemeindeversammlung: K. S. BADER, Dorf 2, 2 9 1 - 2 9 7 . - H.

112

K.S. BADER, Dorf 2, 295. Alle von Bader herangezogenen Belege liegen zeitlich nach dem Bauernkrieg von 1525, was kein Zufall sein dürfte. - Für Baden A. STROBEL, Agrarverfassung, 165f. - W o Herrschaft schwach bleibt oder gar geschwächt wird, fallen solche Beschränkungen naturgemäß weg. So fur die Gemeinden im Engadin; Belegmaterial bei A. Schorta, Rechtsquellen Graubünden Oberengadin, 493ff. K. S. BADER, Dorf2, 293. - R. ENDRES, Rechtsquellen, 171. - Einzelbeispiele für prozentuale Anteile der Gruppen bei M. SCHAAB, Obrigkeit, 132. - Die politische Attraktivität der Gemeindeversammlungen war offenbar unterschiedlich [das Problem ist nicht systematisch untersucht]; Gemeindestatuten ldagen gelegendich über schlechten Besuch. Vgl. I. V. Zingerle - K. Th. v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 2,168f.

E . SPECKER, A m t s s t ä d t e , 5 .

113

1.2

K o m m u n a l e Verfassung - Verallgemeinerungen

43

Wartung aus, daß aus jedem Haus jemand zur Versammlung zu kommen habe 1 1 4 . Die Beschlüsse der Gemeinde sollten breit abgesichert sein, deswegen klammerte man sich wohl bis in die Frühneuzeit an akklamatorische Verfahren oder Einstimmigkeit 115 , sie sollten freilich auch Unstimmigkeiten bereinigen und den gemeindlichen Willen in Form von Statuten umsetzen. Noch im 18. Jahrhundert wurden in Weikersbach Vogt und Gericht für ihre Nachlässigkeit bei der Abstrafung von Frevel getadelt oder im Nachbardorf die Aufnahme der Taglöhner in den Kreis der Dorfrichter eingeklagt 116 . Da Gemeindeversammlungen konfligierende Veranstaltungen sein und werden konnten 1 1 7 , standen sie unter einem erhöhten Schutz und Sonderfrieden: Waffentragen und aufwendiger Kleiderluxus waren verboten 1 1 8 . Selbst wo rigid autokratische Regimente in der Neuzeit die Oberhand gewannen, wie in den patrizisch verfaßten Reichsstädten, ließen sich die Gemeindeversammlung und deren Wille durch Ausschüsse repräsentieren, gleichgültig ob sie institutionalisiert waren oder sich ad hoc konstituierten. „Die allgemeinen Rechte eines solchen Ausschusses bestehen wohl allezeit darin", meint der für verfassungsrechtliche Definitionen zuständige MOSER, „daß derselbige auf der gemeinen Burgerschafft Rechte und deren Erhaltung Acht habe, auch in anderen Sachen das Corpus der gesammten Bürgerschaft vorstelle" 119 . Es gehört zu den prominenten Befugnissen der Gemeinde, „ihr eigenes Recht zu bewahren u n d d u r c h n e u e s S a t z u n g s r e c h t f o r t z u b i l d e n " , h a t KARL SIEGFRIED BADER m i t B l i c k a u f

das Dorf festgestellt, diese Aussage aber in einem Atemzug sachlich eingeschränkt und institutionell auf jede Art von Kommune erweitert. „Zunächst sei betont, daß es sich, wo nur immer über der Gemeinde ein ordnendes Staatswesen steht, niemals um volle Satzungsautonomie handeln kann. Solche Autonomie haben nicht einmal die im Reichsverband verbliebenen Reichsstädte, die an Recht und Observanz des Reiches gebunden waren, noch viel weniger die landesherrlichen Städte erlangt" 120 . In Oberdeutschland waren Recht und Gesetz konsenspflichtig. Dem Mittelalter war eine solche Vorstellung geläufig 121 , aber selbst im 18. Jahrhundert hat siesich nicht gänzlich ausrotten lassen 122 . Die grundbuchähnlichen Urbare und Zinsbücher erfuhren ihre Niederschrift aufgrund von Kundschaften der Bauern: die Äbtissin von Wald erstellte die Gerichtssatzung für ihre Herrschaft in Form eines Vertrags mit den „ältesten und erfarinsten ires

114

115 116

117 118 119 120 121 122

D i e hausweise Beschickung der Gemeindeversammlung ist das Übliche, doch es gibt Ausnahmen: In Rötteln - Sausenberg (P. BLICKLE, Landschaften, 14 lf.) hängt das Gemeinderecht an der Wehrfähigkeit, wie übrigens auch in der Ostschweiz, teilweise auch in Vorarlberg. - Weibergemeinden (Hebammenwahl) bei K. S. BADER, D o r f 2, 2 9 7 . K. S. BADER, D o r f 2 , 2 9 4 . Ε. E. WEBER, Rottweil, 2 8 7 . Die wichtige Funktion der Gemeindeversammlung „liegt in der öffentlichen Austragung sozialer, politischer und auch privater Konflikte" (ebd., 286). A. MAISCH, Unterhalt, 4 2 8 . Einiges bei K. S. BADER, D o r f 2 , 2 9 3 f . J . J . MOSER, Regiments-Verfassung, 103. K. S. BADER, D o r f 2, 334f. Zuletzt J . WEITZEL, Dinggenossenschaft. Belege bei Ε. E. WEBER, Rottweil, 2 7 4 .

44

1

INSTITUTIONEN

Gotzhauß Amptlütt, Richter und Hindersäsen" und erfragte über sie „ires Gotzhuß Bruch, alt Harkhommen, gutte Gwonhaitten, Satzungen, recht und Gerechtigkayt" 123 . Nicht anders war das in der Stadt. 1276 bestätigte Rudolf von Habsburg den cives von Augsburg, zur Sicherung der „pax" und „pro communi utilitate omnium" die Rechtsgewohnheiten in einen Stadtrechtscodex niederlegen und durch neue Statuten „sub debito juramenti" erweitern zu dürfen. Das daraufhin verfaßte sogenannte Stadtbuch, berühmt geworden durch seine enge Verwandtschaft mit Sachsen- und Schwabenspiegel und als eines der frühesten Rechtsdenkmäler in mittelhochdeutscher Sprache, umschreibt Rechte, die der Stadt als solcher zukommen, genauerhin der Bürgerschaft, denn „mit der Aufzeichnung und Bestätigung des Stadtrechts hörte die Stadt endgültig auf, bischöfliches Herrschaftsgebiet zu sein" 124 . So kann man häufig, wo lokales Recht kodifiziert wird, dessen Qualität als kommunalbaeidmen. Das Satzungsrecht der dörflichen Gemeinde erstreckte sich naheliegenderweise zunächst auf die Nutzung der Flur, der Allmende und des Waldes 125 und die Regulierung des komplementären, geschickt austarierten Systems von landwirtschaftlichen und handwerklichgewerblichen Betrieben. Die Seiden genannten Anwesen im Dorf lieferten die handwerklichen Erzeugnisse, beispielsweise der Schmied die Sensen, Sicheln, Pflüge und Äxte, die auf dem einzelnen bäuerlichen Betrieb schwer hergestellt werden konnten; sie stellten die erwünschten Dienstleistungen bereit, etwa der Bader; sie bildeten schließlich in den saisonalen Spitzenzeiten der Heu- und Getreideernte für die Bauern die erforderliche Reserve an Arbeitskräften. Die Höfe hingegen mit ihren Gespannen pflügten und eggten die wenigen 123

M . KUHN-REHFUS, Wald, 3 7 0 [ O r d n u n g gültig bis 1806], - Parallele Fälle bei H . - M . MAURER, Territorialgewalt, 176. Zur Illustration aus Oberschwaben die D o r f o r d n u n g von Oberwachingen bei P. Gehring, Oberschwaben, 4 5 5f. [Satzungsrecht der Gemeinde, herrschaftliche Bestätigung erforderlich, zum Jahr 1574]. — Ahnliche A b k o m m e n zwischen dem Herzog von Tirol und den Gemeinden im Unterengadin; vgl. A. Schorta, Rechtsquellen Graubünden Unterengadin, 586ff. Ergänzend A. MEULI, Oberengadin, 34ff. - Für das St. Galler Territorium sind entsprechende Verträge zwischen Abt und Gemeinden ftir das 15./16. Jahrhundert bezeugt. Vgl. M . G m ü r , Rechtsquellen St. Gallen Alte Landschaft, 13, 4 3 , 4 7 , 107, 116, 159, 174 und anderwärts, mit der vorherrschenden Formulierung „aman, richtet und ain ganzte gemaind" (ebd., 43). - D i e „gemain Tartsch" spricht noch 1 7 1 6 von ihrem „peierlichen recht". I. V. Zingerle - K. T h . v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 3, 33. Ahnliche Wendungen verzeichnet für viele Gemeinden im Vinschgau (ebd., 6 0 , 7 7 , 104, 106, 131, 174, 2 7 9 etc.). - Systematisch erörtert von H . OTT, D a s Urbar als Q u e l l e fur die Weistumsforschung, in: P. Blickle, Rechtsquellen, 1 0 3 - 1 1 5 .

124

E. LIEDL, Gerichtsverfassung u n d Zivilprozeß der Freien Reichsstadt Augsburg (Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg 12), Augsburg 1958, 2 2 [das Zitat]; die Quellenzitate bei P. B L I C K L E - R . BLICKLE, Schwaben, 158. Allein dieser Bereich k o m m t bei K. S. BADER, D o r f 2, 3 4 1 , ausführlicher zur Sprache. - Ergänzend DERS., Einflüsse, 4 1 8 . - Gemeindliches Zwing- und Bannrecht noch 1760 in der badischen C o m m u n o r d n u n g verankert, vgl. A. STROBEL, Agrarverfassung, 166. - Beispiele fiir Satzungstätigkeit: P. Fried - F. Genzinger, Rechtsquellen aus den pfalz-neuburgischen Ämtern, 4 6 , 57. - F. Wintterlin, Landesteile, 118, 123 [Auswahl für Nordwürttemberg]. - I. V. Zingerle - K. T h . v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 1, 62, 8 1 f f „ 1 9 5 - 1 9 9 , 2 2 7 , 2 6 7 - 2 7 4 ; ebd., 2, 85f. - Über Einzelsatzungen der Gemeinde entsteht das Dorfrecht von Nüziders. Text bei Κ. H . Burmeister, Vorarlberger Weistümer, 2 3 4 - 2 3 7 . - Ein besonders instruktives Beispiel der Fortschreibung einer solchen O r d n u n g durch die Gemeindeversammlung für Perfuchs im Oberinntal bei I. V. Zingerle - K. T h . v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 2, 2 0 2 - 2 0 9 ; ergänzend ebd., 2 1 4 - 2 3 4 .

125

1.2

Kommunale Verfassung - Verallgemeinerungen

45

Äcker der Seidner. Was hier zu regulieren war, gehörte offenbar nahezu ausschließlich in die Zuständigkeit der Gemeindeversammlung126. Der spätmittelalterliche Verdorfungsprozeß des Landes schuf neue Sicherheits- und Ordnungsprobleme. Damit eröffnete sich ein neuer, weiter Bereich der Reglementierung von der Feuerpolizei bis zu den Öffnungszeiten der Wirtshäuser. Uber Gebote und Verbote, über Zwing und Bann, über Statuten bildete die Dorfgemeinde einen eigenen Rechtskreis aus. So konnte das zur Grundherrschaft des Klosters Bebenhausen gehörende Altdorf 1408 auf sein „ius civile de villa Altdorf' verweisen, und dessen Richter urteilten schon 1372 nach „des dorffs in Altdorff reht"127. In Vorarlberg gab es Landsbrauch genannte, seltener ius statutarium geheißene, umfangreiche Rechtskodifikationen, die nicht einmal immer der herrschaftlichen Bekräftigung bedurften; im angrenzenden Engadin, herrschaftlich dem Hochstift Chur zugeordnet, muß man mindestens seit dem 16. Jahrhundert von einer faktischen Satzungsautonomie der dortigen Großgemeinden sprechen128. „Obschon das Regimen quasi Aristocraticum, sintemahlen Jus potestas und die judicatur bey dem Magistrat", urteilte ein Jurist im 18. Jahrhundert über eine Vorarlberger Gemeinde angesichts der Rechte von Landammann und Rat, „so hat selbes und participiret jedoch was vom Regimine democratico, massen dißer ohne das gemaine volkh kein gesäze zumachen berechtiget ist"129. Wo das kommunale Statutarrecht endete, konnte das ius comune beginnen130, es sei denn, Territorialrecht füllte die Lücke. Daß es ein eigenes Dorfrecht oder ländliches Recht gab ist ungeläufig, daß es ein eigenes Stadtrecht gib, ist unstrittig. Allerdings wurde bislang der Anteil der Bürgerschaft relativ gering eingeschätzt mit dem Argument, sie sei lediglich zum eher formalen Akt des jährlichen 126

127 128

129

130

Ein anschauliches Beispiel ist der Vertrag zwischen der Gemeinde Ingenried im Allgäu und ihrem Bader. Gedruckt bei P. BLICKLE - R. BLICKLE, Schwaben, 367f. - Den gesamten Bereich kommunaler Ordnungstätigkeit behandelt K. S. BADER, Einflüsse, 420ff. - Sonderfälle sind die Rottordnungen (Warentransporte) der Gemeinden an den internationalen Fernstraßen über die Alpen. Beispielsfall: „ain gemain zu Imbst" kodifiziert 1485 ein „Rodbuch". I. V. Zingerle - K. Th. v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 2, 163-168; ergänzend 175. - N. Grass - K. Finsterwalder, Tirolische Weistümer 5, 209fF„ 300ff. G. STEGMAIR, Bebenhausen, 421. Κ. H. BURMEISTER, Weistümer Vorarlbergs, 395. - Das umfassende Landrecht von Sonnenberg wird erstmals im 17. Jahrhundert der habsburgischen Herrschaft zur Bestätigung vorgelegt. Text bei Κ. H. Burmeister, Vorarlberger Weistümer, 2 0 8 - 2 1 5 , besonders die Präambel 208. Noch 1756 erlassen „Wür Geschworne und samentliche Gemeindsleuth zur Stuben am Arlberg" eine Dorfordnung (ebd., 239ff.). - Zusammenfassend P. BLICKLE, Landschaften, 2 9 8 - 3 0 3 . Zitiert bei P. BLICKLE, Landschaften, 301. Über die Redaktionsvorgänge ausführlich Κ. H. BURMEISTER, Weistümer Vorarlbergs, 398ff. - Für das Engadin A. Schorta, Rechtsquellen Graubünden Oberengadin, 55 [Präambel zu den leges et statuta civilia von 1544], 117-129 (Verfassungsrecht der Gemeinde Engadin Sur Pont Ota mit den Zuständigkeiten der Nachbarschaften 1563, darüber hinaus Erneuerung der Leges von 1544], sowie A. Schorta, Rechtsquellen Graubünden Unterengadin, 99 [Die Statuten des „Mittern Grichts" werden 1618 erlassen „in Namen und durch Bevelch gemainer Stimb und Willen aller Gemeindten und gegeben schriftlichen Gewalt auf einen gehalten Gemainstag zu Zernetz"]. - Die Gemeinde Langwies erstellt Ordnungen bereits, bevor sie sich von der habsburgischen Herrschaft freigekauft hat, so etwa die Erbrechtsordung von 1558 (E. MeyerMarthaler, Rechtsquellen Graubünden Langwies, 163) und die Landbücher genannten Landrechte seit 1517 (ebd., 166, 182, 206 [Art. 8], 208 [Art. 24]). W . LEISER, Baden, 359. - Κ. H. BURMEISTER, Weistümer Vorarlbergs, 404.

46

L

INSTITUTIONEN

Schwörtags zusammengetreten 13 '. Genauere Analysen der Stadtrechtsbücher korrigieren diesen Eindruck freilich. Von 2 7 9 Artikeln des Leutkircher Stadtrechts lassen sich 69 hinsichtlich des redaktionellen Vorgangs näher bestimmen 132 . Unter der Wendung, „es ist och gesetzet von den burgern gemainlich", wurden acht Statuten erlassen133, „der rat und die gemaind" werden für 27 Artikel als verantwortlich ausgewiesen134, „der rat und die zwaintzig" für 33 Artikel 135 . Einen Artikel erlassen „der burgermaister, der rat und die zwaintzig und die gemaind" 136 . Schon die Tatsache, daß mehr als 2 0 0 Artikel auf jeden redaktionellen Hinweis verzichten, könnte als Indiz dafür gewertet werden, daß die Modalitäten der Verabschiedung eher unerheblich waren. Der Eindruck verstärkt sich angesichts der Beobachtung, daß manche Rechtsmaterien sowohl durch Satzungen der Gemeinde als auch durch solche von Rat und Gemeinde geregelt wurden, beispielsweise Unzucht 137 , Pfandschaften138 und Botendienste für die Stadt 139 . Dennoch ergeben sich zumindest Tendenzen hinsichtlich der Kompetenzbereiche der rechtssetzenden Gremien. Rat undZwanzigKgAn

mehrheitlich Fragen der Ämterbesetzung

und der Amtsführung, die Gemeinde selbst Steuern, Ungeld und Abgaben. Was von größerer Wichtigkeit ist, verabschieden offensichtlich Rat und Gemeinde. Dazu gehören die friedenssichernden Maßnahmen 140 , Aufnahmen ins Bürgerrecht 141 , die Ordnung des 131

H . - C . PEYER, Verfassungsgeschichte, 4 9 .

132

Ediert bei K. O . MOLLER, Oberschwäbische Stadtrechte. - Unglücklicherweise läßt sich die Argumentation nicht Uber M e m m i n g e n selbst fuhren. Das M e m m i n g e r Stadtrecht liegt nur in F o r m einer Stadtrechtserneuerung von 1 3 9 6 vor, in der natürlich a u f redaktionelle Hinweise bei den einzelnen Statuten verzichtet werden konnte. Für die Rechtsrenovation liegt folgender Beschluß zugrunde: „Wir der Burgermaister, die Rautgeben vnd Zunfftmayster gemainlich der Stat ze M e m mingen, sien mit der gemaind ze Raut worden von vnsers Buochs wegen [...]". D i e Renovation erstellen „di wisosten, die wir j n vnser R i t e n vnd ouch vsserhalb vnser R i t gehaben m o c h t e n " . D r u c k bei Maximilian Frh. v. Freyberg (Hg.), S a m m l u n g historischer Schriften und Urkunden, 5. Bd., S t u t t g a r t - T ü b i n g e n 1 8 3 6 , 2 4 1 - 3 2 4 , das Zitat 2 4 9 .

133

K. O . Müller, Oberschwäbische Stadtdrechte, 3 9 [Nr. 5 7 des Stadtrechts] das Zitat. D i e Belege ebd., Nrr. 1, 3 5 , 5 7 , 6 1 , 6 8 , 8 7 , 1 7 4 , 1 8 0 .

134

Ebd., Nrr. 8 2 , 8 5 , 9 7 , 1 2 9 , 1 5 0 , 1 5 2 , 1 9 3 , 2 0 8 , 2 1 9 . Zusätze Nrr. 3 , 4 , 5, 6 , 9 , 1 3 , 2 0 , 2 2 , 2 3 , 2 5 , 26,27,28,30,31,32,33.

135

E b d . Nrr. 8 6 , 9 6 , 9 9 , 1 0 4 , 107, 1 0 8 , 1 1 2 , 1 1 5 , 1 3 1 , 1 3 2 , 1 3 5 , 1 3 6 , 1 3 8 , 1 3 9 , 1 5 4 , 1 7 9 , 1 9 5 , 2 0 5 , 2 0 7 , 2 1 0 , Zusätze Nrr. 1 , 2 , 7 , 8 , 11, 12, Statuten aus Anhang Nrr. 3, 4 , 5 , 6 , 11, 15.

136

Ebd., N r . 2 1 1 .

137

Ebd., N r . 1 (S. 2 4 ) und Zusätze 3, N r . 9 0 (S. 9 6 ) .

138

Ebd., N r . 6 1 (S. 4 0 f . ) ; 6 8 (S. 4 2 ) und N r . 9 7 (S. 5 0 ) , 1 2 9 (S. 6 0 ) .

139

E b d . N r . 1 8 0 (S. 7 6 f . ) und N r . 3 4 (S. 1 0 8 ) .

140

E b d . N r . 8 5 (S. 4 7 ) : „Wir haben och gesetzt ainhelleclich baidiilrät und och gemaind mit redlicher bedahtnilBse: wer der were, dem wir haben ze gebieten, der ainen frid frevenlich breche und uberfür, den der rät oder sust ieman an dez ratz statt gemacht hett, oder sust ihtzit dez gelichs tete und dberffire, daz der selb frefler und fridbrecher, ir si denn ainer oder mer, denhain urtail weder in dem rat noch an dem geriht niemer mer sol geben noch feilen, die kraft oder maht siille oder rraige gehaben in denhain wise; und sol darüber ze pen iliiser stat verfallen sin ze geben hundert phunt haller gflter und genger äne gnad. H e t t aber er nit so vil ze bezalen, so sol er verfallen sin ain hand ze pen und die sol man defl dem frefler und fridbrecher abhöwen und abschlahen ane gnad." Weitere Friedensbestimmungen N r . 1 5 2 (S. 67f.), Zusätze N r . 5 (S. 9 7 ) .

141

Ebd., Zusätze Nrr. 2 6 , 2 7 (S. 104f.).

1.2

Kommunale Verfassung - Verallgemeinerungen

47

Zunftwesens 142 und die Sicherung der rechtlichen Autarkie durch das Verbot der Appellation143 und des Verkaufs von Liegenschaften an Auswärtige144. Das Stadtrecht der benachbarten Reichsstadt Isny läßt sich nicht in gleicher Weise sezieren. Von den dort verzeichneten 201 Artikeln werden zwar 134 von Rat und Gemeinde erlassen, doch ist die Trennschärfe zu anderen Artikeln gering, wenn als deren Redakteure Zunftmeister, Elfer, Großer und Kleiner Rat, mithin alle Verfassungsorgane der Stadt genannt werden 145 . Dennoch zeigt sich, daß friedenssichernde Maßnahmen hauptsächlich von Rat und Gemeinde erlassen werden, kaum von anderen Gremien 146 . Diese Beobachtungen lassen sich oft machen 147 und in den verallgemeinernden Satz bringen, daß „in wichtigen Fällen die ,Gemeinde' gehört werden" mußte 148 . In den städtischen Schwörbriefen von Ulm von 1345 und 1397 wird gesagt, daß „stark, hefftig Sachen", beispielsweise die Entscheidung über Kriegszüge, die Abfertigung von Gesandtschaften und Bestimmungen über städtische Güter vor die Gemeindeversammlung gehören 149 . Unter Gemeinde verstehen die Ulmer Quellen die gesamte Bürgerschaft, gelegentlich sind die Patrizier aus dem Gemeindebegriff ausdrücklich ausgeschlossen. In Rottweil wurde die Gemeinde beigezogen beim Abschluß von Bündnissen, bei Strafrechtskodifikationen, bei der Normierung des Gerichtsverfahrens und bei Verfassungsänderungen 150 . In Konstanz heißt es 1510, „ob aber ainiche pündtnis, verainigung oder verenderung halben der statt etwas fürgenommen wurde, daz soll durch groß und klein rähte an die zünft und gemeind gelangen, und on ir alle oder der merern thails wissen und willen nit beschlossen werden" 151 . Ein generell nicht hinreichend befriedigend erforschtes Problem ist die Frage, wie diese verfassungsrechtlich verankerten Rechte der Gemeinde realisiert wurden. Zweifellos herrschte ein großer Reichtum an Möglichkeiten, Statuten zu erlassen. Nicht immer mußte die Gemeindeversammlung einberufen werden, die Stimmen konnten auch durch das Herum142

Ebd., Zusätze Nr. 27 (S. 104f.). Ebd., Zusätze Nr. 20 (S. 102f.). Der Artikel verbietet den Bürgern die Appellation nach Lindau, mit dessen Stadtrecht Leutkirch begabt war. 144 Ebd., Zusätze Nr. 22 (S. 103). 145 Das Isnyer Stadtrecht ebd., S. 141-283. 146 Ebd., Nrr. 155,163,169, 176, 177, 2 1 3 , 2 2 2 , 2 2 3 , 2 2 5 , 2 3 4 ; friedenssichernde Satzungen anderer Gremien Nrr. 171, 276. 147 Für Ulm C. MOLLWO, Das rote Buch, 24ff. - Für Ravensburg K. O. MOLLER, Oberschwäbische Reichsstädte, 85f. - Für die Landstädte H. BUCK, Waldsee, 56ff. [Beteiligung u.a. bei Bürgerrechtsverleihungen, beim Abschluß von Verträgen, Stadtrechtsbestätigungen, Territorialpolitik]. 148 K. O. MOLLER, Oberschwäbische Reichsstädte, 85. „Darunter ist aber", fiigt er hinzu, „wohl nicht oder wenigstens nicht immer die ganze Gemeinde zu verstehen, sondern vermutlich ein eine größere Anzahl von Bürgern umfassender Ausschuß derselben". - Vgl. H. BUCK, Waldsee, 58 [fur eine Landstadt]. - Gleiche Beobachtungen kann man ausnahmsweise auch für den ländlichen Raum machen. In einem Vertrag zwischen dem Herzog von Österreich und der Gemeinde Bürs (1698) wird unter anderem die „gemaind", die bisher alle Männer umfaßte, auf 24 gewählte Vertreter eingeschränkt. Text bei Κ. H. Burmeister, Vorarlberger Weistümer, 218. Zur Praxis im 18. Jahrhundert ebd., 225. 149 E. ISENMANN, Städtische Gemeinde, 242f. - H. RABE, Rat, 119-123. 150 E. ISENMANN, Städtische Gemeinde, 237f. 151 Zitiert ebd., 233. 143

48

1

INSTITUTIONEN

gehen bei den Zünften gesammelt werden 1 5 2 . Das freilich galt dann nicht, wenn alle Bürger einen Eid leisten mußten, etwa anläßlich des Bündnisses zwischen Augsburg, Ulm und Nördlingen 1 3 4 8 . „Wir die burger gemainclich der stat ze Augspurg und wir die burger gemainclich der stat ze Ulme und wir die burger gemainclich der stat ze Nerdlingen veriehen alle gemainclich und offenlich für uns und fär alle unser nachkommen", ein Friedens- und Hilfsbündnis abgeschlossen zu haben, und bestätigen, „ze den hailigen gelert ayde gesworn [zu haben] mit ufgeboten vingern, dise puntnfizze mit allen vorgeschriben stucken und bänden steit ze halten" 1 5 3 . Die politische Bedeutung der Gemeindeversammlung schwankte, im D o r f wie in der Stadt. Beide mußten aus den hofrechtlichen Verbänden erst herauswachsen. Das geschah in Oberdeutschland zeitlich im Spätmittelalter und sachlich mit der Ausbildung einer hausbezogenen Wirtschaft der Bauern und Handwerker. W o daraus politische Weiterungen resultierten, wurde aus der dörflichen Nachbarschaft die Dorfgemeinde und aus der Gesamtheit der städtischen Handwerker das Zunftregiment. Die Zunftverfassung charakterisiert das Städtwesen Oberdeutschlands 154 und beruht „auf einem korporativen Gemeindeprinzip, demzufolge Regiment und Gemeinde der Idee nach nicht prinzipiell geschieden sind, sondern eine Selbstregierung der Gemeinde unter anderem durch den Rat oder durch die Gemeindeversammlung selbst stattfindet" 155 . Die fur Oberdeutschland so typischen Großen Räte oder Großräte, auch Gemeinde

152

153 154

155

die bezeichnenderweise oft

heißen, wurden immer als Repräsentation der gesamten Bürgerschaft ver-

1379 soll in Rottweil die Verfassung geändert werden, die Bürgermeister meinen, das gehöre vor die Gemeinde. Der Rat stimmt dem zu. Die Stellungnahme der Bürger wird allerdings zunftweise eingeholt. J.LEIST, Rottweil, 83. - Ähnliche Fälle sind aus Straßburg bekannt, vgl. Hans Virck (Hg.), Politische Correspondenz der Stadt Strassburg im Zeitalter der Reformation, 1. Bd. (Urkunden und Akten der Stadt Strassburg 2), Strassburg 1882, 150-155. - Allgemein K. O. M Ü L L E R , Oberschwäbische Reichsstädte, 411. Ders., Oberschwäbische Stadtrechte. - Die Unterschiede zu Landstädten sind offenbar eher gering. So ist die Beiziehung der Gemeinde in Tübingen bei der städtischen Satzungstätigkeit breit belegt, sowohl für viele Sachbereiche als auch über den gesamten Zeitraum hinweg bis ins 18. Jahrhundert. R. S E I G E L , Tübingen, 121—126 (mit abweichender Interpretation). Christian Meyer (Hg.), Urkundenbuch der Stadt Augsburg, 2. Bd., Augsburg 1874, 1 Iff. Ε. N A U J O K S , Zunftverfassung, 56f. - T H . B L E N D I N G E R , Zunfterhebung, 76. - K. O. M Ü L L E R , Oberschwäbische Reichsstädte, 411 [zusammenfassend], So E. I S E N M A N N , Städtische Gemeinde, 2 4 6 . - Großräte stehen typischerweise mit dem Aufkommen der Zünfte in engstem Zusammenhang. Vgl. H . R A B E , Rat, 1 3 8 und E. N A U J O K S , Zunftverfassung, 58. - In Basel sind es 6 aus den 15 Zünften, und da man auch alte und neue Sechser einzuberufen pflegt, ein Gremium von 180 Mitgliedern, das bis ins 18. Jahrhundert auf 282 ansteigt (A. M Ü L L E R , Ratsverfassung in Basel, 1 3 ) . Rottweil kennt schon 1 3 1 6 8 0 Große Räte (J- L E I S T , Rottweil, 3 6 F F ) . - In Lindau sitzen nach Einfuhrung der Zunftverfassung 8 8 Personen im Großen Rat (E. MASCHKE, Stadt in Oberdeutschland, 316). - Für die begriffliche Austauschbarkeit von Großem Rat und Gemeinde oder Gemein vgl. A. M Ü L L E R , Ratsverfassung Basel, 3 6 . - In Rottweil heißt es im Roten Buch von 1440, daß „furohin allweg die dry, die fiinff und die zwölff in ainer yegklichen zunfft ain gemainde ze Rotwil haissen und sind sollen" (J. L E I S T , Rottweil, 8 2 ) . Man hat hier einen dynamischen Großrat vor sich, der je nach Bedeutung der Geschäfte (Außenpolitik, Steuern, Rechtsbesserungen sind belegt) wohl mit drei, fünf oder 12 Vertretern jeder Zunft beschickt wurde. V g l . H . RABE, Rat, 1 3 8 .

1.2

K o m m u n a l e Verfassung - Verallgemeinerungen

49

standen. Selbst die Regimentsordnung Karls V. für Augsburg hat dies in ihrer Drei-StändeLehre festgehalten. Es gibt Geschlechter, Mehrer und Gemeinde*''6. Die Fürsten, der Adel und die ihm nahestehenden Patriziate haben diese Form der Verfassung aus schierem Pragmatismus geduldet, doch nie aus Überzeugung anerkannt. Wo immer sich die Möglichkeit bot und die politischen Machtverhältnisse es erlaubten, wurden die Kompetenzen adelsnaher Gruppen, der Patriziate also, und zahlenmäßig kleiner Gremien, also der Räte, gestärkt. Kaiser Karl V. hat nach seinem Sieg über die deutschen Protestanten im Schmalkaldischen Krieg den konfessionell überwiegend lutherischen und verfassungsmäßig von den Zünften geprägten Reichsstädten zwangsweise eine patrizische Verfassung aufoktroyiert 157 . Zwischen 1548 und 1558 wurden auf diese Weise 27 süddeutsche Reichsstädte reformiert, und zwar mit dem etwas legalistisch anmutenden Argument der Stadtherrschaft des Kaisers. Daß dahinter aristokratische Politikvorstellungen standen, bezeugte König Ferdinand, der den Reichsstädten 1555 das ius reformandi mit dem Argument bestritt, daß „doch gleich über seinesgleichen keinen gewalt hat" 1 5 8 . Flugs machten sich die Patrizier eine solche Auffassung zu eigen. Der Augsburger Hans Paumgartner echote, Rinder könnten nicht von Rindern geweidet und Ziegen nicht von Ziegen gehütet werden 159 . Schon die griechische und römische Geschichte lehrten, daß „die Natur der Gemeind mehr und hitziger zu dem Krieg und Ungehorsam geneigt" sei und es dort, wo „die Gemeinde ihr Regiment hat, übel zugegangen" 1 6 0 . Praktisch waren die Folgen der Verfassungsrevisionen so dramatisch nicht, wie der Kaiser gehofft haben mochte. Die juristischen und politologischen Traktate noch des 18. Jahrhunderts argumentierten selbstverständlich mit der Souveränität der Gemeinde 1 6 1 , die Bürgerschaften haben sie über Aufstände immer wieder erfolgreich eingeklagt 162 und die Oligarchien haben sich dann immer rasch befleißigt, ihrer Gemeinde oder deren Vertretung zu versichern, sie habe „neue Statuta und unseres Standes Fundamentalgesetze de novo anzuordnen" 1 6 3 . Nahezu alle Stadtunruhen waren mitverursacht durch tatsächliche oder vermeintliche Unregelmäßigkeiten in der Finanzverwaltung 164 , die Rechnungslegung und Rechnungsprüfung wurde immer wieder als ein elementares Recht der Gesamtgemeinde eingeklagt. Es sei unstrittig, meinte ein Jurist im 18. Jahrhundert, „daß die Bürgerschaft eine Concurrenz und Theilnehmung an dieser Gewalt [Steuerhoheit, P.B.] begehren könne, sobald der Magistrat 156 157 158 159 160 161

162

163

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J . BATORI, Augsburg, 24f. D a s Nötigste bei E. ISENMANN, Städtische Gemeinde, 2 4 3 . Zitiert ebd., 244. Ebd., 2 4 4 . D i e Belege ebd., 245. N e b e n der eingangs schon zitierten Literatur des 18. Jahrhunderts ergänzend E. NAUJOKS, Zunftverfassung, 74ff. Für einen ersten Überblick P. BUCKLE, Unruhen, 4 1 - 5 0 . - D e n Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts sind rebellierende Gemeinden etwas Geläufiges. Vgl. T . L. U . JÄGER, Juristisches Magazin, 86—105. A. MÜLLLER, Ratsverfassung Basel, 17. - Für Ravensburg ähnliche Definitionen; vgl. T . L. U . JÄGER, Juristisches Magazin, 116ff. P. BUCKLE, Unruhen, 46f., 53.

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1

INSTITUTIONEN

die Absicht der ihm ertheiltenn Vollmacht nicht ganz erfüllt [oder] das gemeine Beste nicht vor Augen hat" 165 . Entsprechend war auch die Rechnungsabhör in den Dörfern „das wichtigste und häufigste Geschäft der Gemeindeversammlung" 166 . Damit stößt man auch auf einen rechtlich äußerst interessanten Vorgang, den K A R L SIEGFRIED B A D E R „das allmähliche Hinübergleiten aus einem überwiegend genossenschaftlich-privatrechtlichen in einen körperschaftlich-öffentlichrechtlichen Aufgabenbereich" genannt hat 167 . Die kommunalen Finanzen speisten sich aus Steuern, die auf dem Land meist Umlagen hießen 168 , aus den Zinsen von gemeindlichen Liegenschaften, aus den Einzugsgeldern für Neubürger und den Abzugsgeldern für Wegziehende, schließlich auch aus Bußen für Gesetzesübertretungen. Den Gewalt in der Gemeindeversammlung zu lokalisieren verlangt nicht nur die Art des ius statuendi, sondern auch die Art der Vergabe gemeindlicher Amter. Die Gemeindeversammlung des Dorfes wählte „ihre Vierer, den Dorfmeister, den Hirten, Geschworene und Richter" 169 , soweit ihr das zustand. Bei deren Bestellung wirkte die Ortsherrschaft in unterschiedlichem, regional und zeitlich stark variierendem Maße mit. In der Stadt, vornehmlich dort, wo die Zünfte politisch hoch organisiert waren, kamen die Räte, oft auch die Bürgermeister 170 durch - zugegebenermaßen komplizierte - Wahlverfahren in der Gemeinde beziehungsweise den Zünften ins Amt 171 . Das gilt anerkanntermaßen als oberdeutsche Eigentümlichkeit 172 . Als wichtig ist zweierlei hervorzuheben, nämlich erstens die Tatsache, daß alle kommunalen Amtsträger aus der Gemeinde kommen, in keinem Fall also von außen eingesetzte Beamte sind, und zweitens die Beobachtung, daß die Vierer und Räte in höherem Maße von der Gemeindeversammlung bestimmt sind als die Richter. Solange der 165

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J. F. MALBLANK, Abhandlungen, 99. - Die Zuständigkeit der Gemeinde in Steuersachen wird bestätigt durch eine aus Freiburg i. Br. 1476 bekannte Episode. Der Rat stellte Überlegungen an, ob er eine Gesandtschaft über den Modus der Steuerveranlagung in andere Städte schicken sollte. Deswegen verhandelte er „mit edel, doctoren, unedeln und denen, die nit zünfftig sind, mitsampt den echttewern". „Des haut sich", heißt es im Protokoll, „die gemeind genomen zü bedencken, und sind uff fiytag darnach widerumb zü samen komen, und nach vil red und verhörung alter verschribungen" hat sich ein Mehr von 140 Männern für die Gesandtschaft entschieden. Tom Scott (Hg.), Die Freiburger Enquete von 1476 (Veröffentlichungen aus dem Archiv der Stadt Freiburg im Breisgau 20), Freiburg i. Br. 1986, 3f. K. S. BADER, Dorf 2, 295. - Für die Führung und Kontrolle der Gemeinderechnungen ein anschauliches Beispiel bei P. Fried - F. Genzinger, Rechtsquellen aus den pfalz-neuburgischen Amtern, 128f. Ebd., 437. Den Begriff Steuer muß man fur das Dorf nicht unbedingt meiden (so die Forderung von K. S. BADER, Dorf 2, 441). K. S. BADER, Dorf 2, 296f. - Ergänzend A. LEISER, Baden, 365. - R. ENDRES, Rechtsquellen, 171. - Breites Belegmaterial in allen Sammlungen ländlicher Rechtsquellen. Vgl. z.B. I. V. Zingerle - K. Th. v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 2, 346ff. J. LEIST, Rottweil, 83. Das Wichtigste bei Ε. ISENMANN, Stadt, 134. - Die Tatsache, daß es sich bei den Zünften in der Regel um politische Zünfte handelt, die den Zusammenhang mit verwandten Wirtschaftszweigen nicht immer aufweisen müssen, hat E. MASCHKE (Stadt in Oberdeutschland, 294ff.) mit Nachdruck hervorgehoben. - Einzelarbeiten A. MOLLER, Ratsverfassung Basel, 12ff. - J. LEIST, Rottweil, 60ff. E. ISENMANN, Städtische Gemeinde, 201.

1.2

Kommunale Verfassung - Verallgemeinerungen

51

Stadtherr politisch das Sagen hatte, war er es, der den stärksten Einfluß auf die Bestellung der Richter nahm, auf dem Land haben die adeligen oder geistlichen Ortsherren besonders hartnäckig und lange an ihrem Recht der Richterbestellung oder -bestätigung festgehalten. Was - das sei zum Schluß gefragt - konstituiert die städtische Gemeinde 173 ? Die „coniuratio" lautet die Antwort fur den städtischen Bereich heute. Die Bewohner einer handwerklich-kaufmännisch wirtschaftenden Siedlung verschwören sich gegenseitig - wie in Augsburg - mit dem vorrangigen Ziel der Friedenssicherung. „Ihrem Zweck nach war die coniuratio eine eidlich begründete pax, wie sie gelegentlich auch genannt wird, ein persönlicher Friede zwischen den Eidgenossen", der jährlich im Schwörtag erneuert und nicht nur eine „bestärkende, sondern eine rechts- und verfassungsbegründende Kraft" hatte 174 . Im Akt der coniuratio wird Recht geschafFen, Friedensrecht, und zwar durch alle coniurati, und das erklärt, weshalb im Prinzip die Rechtssetzung allen coniurati, allen Bürgern, der Gemeinde also zukam. Da Friedbruch auch bestraft werden mußte, mag sich aus diesem Umstand erklären, daß gelegentlich, beispielsweise in der Reichsstadt St. Gallen, schädliche Leute von der ganzen Gemeinde abgeurteilt wurden 1 7 5 . „Eine Schwurgenossenschaft: ist aber die Dorfgemeinde nicht" 176 . Damit wird herkömmlicherweise ein distingierendes Merkmal gegenüber der Stadt benannt. O b das richtig ist, mag zunächst ganz vorsichtig mit dem Verweis auf das „Bürgerbuch" des Dorfes Gebersheim, angelegt in der Mitte des 18. Jahrhunderts, in Frage gestellt werden. Dort steht auf dem Vorsatzblatt von der Hand des Schulmeisters: „Wan ein fremder will herein, muß er erst Bürger werden, darauf? soll er beflißen seyn, Fleckhens Schaden und Beschwerden wenden ab nach möglichkeit, wie Ihme zeigt der Bürger Ayd, dessen Nutzen jeder Zeit zu befördern seyn bereit. Wer diß thut, Gott förcht auff Erden wird ein Himmels Bürger werden" 177 .

1.2.2

Vierer und Rat

Vierer ist die verbreitetste Bezeichnung für eine Art kollegialer Regierungsbehörde in den Dörfern, Rat ist die häufigste Benennung für das entsprechende Organ in der Stadt. Das Verwaltungs- oder Regierungskollegium in den Dörfern Vierer zu nennen soll nur der 173 174

175

176

Vgl. dazu grundsätzlich E. ISENMANN, Stadt, 90f. Die Zitate ebd., 90, 92. - Ergänzend O. FEGER, Richtebrief, 42*, auch 26*, 41* [detailliert fur Konstanz], UB St. Gallen 617 Nr. 3580; 1430 XII. 1. „Wenne man verlewmundt, schedliche lüte daselbst by in in der stat gefengnüß bracht hat oder brengen mocht, daz man dann soliche schedliche und verlewmundt lüte für der ganzten gemeynde brechte und ubersibenden mäste, also das die gemeynde als wol als die bürgere des rates über solich lüte urteil sprachen". So das entschiedene Urteil von K. S. BADER, Dorf 2, 272. - Dagegen (allerdings ohne Belege) H. WUNDER, G e m e i n d e , 6 6 .

177

A. MAISCH, Unterhalt, 432. - Weitere Hinweise bei P. Gehring, Oberschwaben, 490. Uttenweiler 1570: „[...] die andern [sollen] bey iren aiden, damit sie zu dem gericht verbunden, und in bester ir jedes verstendnuß deß gemainen flecken nutz ansehen und beförderen".

52

1

INSTITUTIONEN

sprachlichen Vereinfachung dienen. Es k o m m e n auch Dreier, Fünfer, Sechser, Zehner u n d andere Bezeichungen v o r 1 7 8 , Heimburgen

ersetzen die Vierer e b e n s o 1 7 9 wie Räte180.

D o c h zwei-

fellos sind die Vierer die verbreitetste Erscheinung. Bei ihnen „tritt der genossenschaftliche A u f t r a g h e r v o r " 1 8 1 , u n d zwar durch die verbreitete Wahl seitens der G e m e i n d e v e r s a m m l u n g deutlicher als bei anderen Ä m t e r n . Z u d e m repräsentieren sie die gesellschaftlichen Schichten i m D o r f , nachweislich zumindest in schwäbischen D ö r f e r n , weil zwei Vierer aus der Bauernschaft, zwei aber aus der Seidnerschaft gewählt werden m u ß t e n 1 8 2 . Keines der dörflichen O r g a n e war so fest in der G e m e i n d e verwurzelt wie das der Vierer. Selbst i m A b s o l u t i s m u s sind den Ortsherren keine bemerkenswerten E i n b r ü c h e bei der Bestellung dieser Amtsträger g e g l ü c k t 1 8 3 . Legitimatorisch a u f ihren Amtseid, z u m „Besten der C o m m u n " zu w i r k e n 1 8 4 , gestützt, haben auch die Vierer selbst wesentlich zur Petrifizierung ihres A m t e s in der G e m e i n d e beigetragen. D e r Rat 'm der Stadt war eine Institution, die sich i m 13. J a h r h u n d e r t entfaltete. Zwischen 1 2 5 1 u n d 1 2 9 0 treten consules in Esslingen, Giengen, H a g e n a u , Heilbronn, Isny, Lind a u , M e m m i n g e n , M ü l h a u s e n i m Elsaß, N ö r d l i n g e n , Pfullendorf, Ravensburg, Reutlingen, Rottweil, Schlettstadt, Schwäbisch G m ü n d , Uberlingen u n d U l m in E r s c h e i n u n g 1 8 5 . „Seine autogene, nicht v o m Stadtherrn hergeleitete Legitimation bezieht der Rat aus d e m genossenschaftlichen G e m e i n d e g e d a n k e n " , seine Gebots-, Zwangs- u n d Strafgewalt hat den E i d der Bürgerschaft zur Voraussetzung 1 8 6 , so daß m a n von „politischer - i m Konsulat institu-

178 179

180

181 182

183

184

185

186

K. S. BADER, Dorf 2, 309ff. - G. FRANZ, Bauernstand, 55-58. Für die Vielfalt auf kleinstem Raum [im Rahmen eines heutigen Landkreises] vgl. M. SCHAAB, Obrigkeit, 131. - Für Änderungen der Bestellung und Zuständigkeit über die Jahrhunderte M. KUHNREHFUS, Wald, 372. - Zu den schwierigen terminologischen Abgrenzungen K. S. BADER, Dorf 2, 307-312. Bondorf kennt sechs Räte Α.. MAISCH, Unterhalt, 427. - Räte auch in Neckarhausen, vgl. D. W. SABEAN, Neckarhausen, 67. - P. Gehring, Oberschwaben, 539 (Rat in Ertingen). K . S . BADER, Dorf 2, 312. StiAM 26/4 und StiAM Fol. Bd. 56 a. Belegmaterial für Dörfer des Spitals Memmingen. Breites Belegmaterial für die Dörfer der Reichssstadt Rottweil bei Ε. E. WEBER, Rottweil. - Für das nördliche Schwaben F. Wintterlin, Landesteile, 4. - Für Sonderformen in Tirol I. V. Zingerle - K. Th. v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 1,68. - Neben einer breiten sozialen wird offenbar auch eine angemessene regionale Repräsentation angestrebt. In größeren Gemeinden (Alpenländer) müssen die Vierer aus den verschiedenen Teilen der Gemeinde kommen. Vgl. I. V. Zingerle - K. Th. v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 3, 24ff. K. S. BADER, Dorf 2 , 3 1 2 . - Allerdings gibt es auch die Wahl durch die Mit-Vierer (oder Räte) und die Richter; vgl. A. MAISCH, Unterhalt, 427. - I.V. Zingerle - K.Th. v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 2, 202, A. MAISCH, Unterhalt, 432. - E. GROLL-KLEBINGER, Roggenburg, 45. - P. Gehring, Oberschwaben, 343, als eine fiir viele der dort abgedruckten Dorfordnungen, aus denen mehrheitlich hervorgeht, daß Ammann und Vierer eidlich verpflichtet waren, der Herrschaft: „gehorsam" zu sein „und einer ganzen gemeind ehr, würden, notturft und gemeinen nutz jederzeyt zue befördern" (Zitat ebd.). Weitere Belege ebd., 613, 634, 741, 780. - 1 . V. Zingerle - K.Th. v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 2, 31ff. - I.V. Zingerle - J. Egger, Tirolische Weisthümer 4, 70. H. RABE, Stadien, 3. - Hingegen bilden nicht alle Landstädte Räte aus; vgl. R. SEIGEL, Württembergische Stadt, 182, 185. - Ergänzend Η. E. SPECKER, Amtsstädte, 7. E. ISENMANN, Stadt, 131.

1.2

Kommunale Verfassung - Verallgemeinerungen

53

tionalisierter - Selbständigkeit" der Stadt gesprochen hat187. „Der Rat setzt", um den Sachverhalt nochmals in die markanten Worte des derzeit führenden deutschen Stadthistorikers zu kleiden, „die Gemeindebildung durch eine Schwurgenossenschaft oder in anderer Form voraus; er fungierte als leitender Ausschuß der Gemeinde, die ihn wählte und ermächtigte"188. Der Rat in der Stadt ist folglich ein Repräsentativorgan der Gemeinde, was Hunderte von Amtseiden bekräftigen. „Dem gemeinen Wesen und den Bürgern gemeinlich, armen und reichen, beholfen und beraten [zu] sein" und „die Bürger, bei allen ihren wohlhergebrachten Rechten, Gerechtigkeiten und Freiheiten [zu] handhaben, auch jedermann zu seinem Rechten förderlich [zu] verhelfen und der Stadt Nutz und Ehre fördern und Schaden wenden [zu] wollen", schwören die Räte in Basel189. Der Rat, von dem hier die Rede ist, muß scharf und sauber unterschieden werden von anderen, auch Räte genannten städtischen Institutionen, einerseits dem Großen Rat als einer nicht regelmäßig amtierenden Vertretung der Gesamtgemeinde und andererseits dem Geheimen Rat als eines vom Bürgermeister berufenen kleinen Gremiums zur Beratung außenpolitischer Fragen. Verbreitet bestand der Rat aus 12 Mitgliedern190, er konnte aber auch die doppelte und dreifache Mitgliederzahl aufweisen. Doch wie bei den Vierern im Dorf gab es auch beim Rat einen relativ festen numerischen Kern. Ursprünglich wurde der Rat durch die Gemeindeversammlung oder die Gesamtheit der Zünfte gewählt. Wo sich die zünftische Verfassung behauptete, blieb „ein genossenschaftliches, in einem eingeschränkten Sinne sogar demokratisches Verfassungselement erhalten"191. Die verfassungstheoretische Grundannahme, die der Institution zugrundelag, öffnete das Ratsamt prinzipiell jedem Bürger192. Da das explosionsartige Wachsen der Städte im Spätmittelalter hohe Anforderungen an die ordnungsstiftende Funktion der Räte stellte, waren tägliche Ratssitzungen bald keine Seltenheit mehr. Die ärmeren, von ihrer Arbeit lebenden Handwerker193 blieben, weil sie nicht täglich abkömmlich waren, schlecht informiert, und folglich gewannen die MüßiggängerJ94, die alten Geschlechter der Patrizier und Fernkaufleute, einen großen, so nicht vorgesehenen Einfluß im Rat. Die Professionalisierung der Politik und die Ehrenamtlichkeit der Ratsämter setzte größere Vermögen voraus. Oligarchisierungen machten sich so breit und begünstigten Kooptationsverfahren195, die auch dort schwer vermieden werden konnten, wo die Amtszeiten nicht lebenslänglich, sondern auf ein Jahr beschränkt waren. 187

H. RABE, Stadien, 9. - Ergänzend K. O. MÜLLER, Oberschwäbische Reichsstädte, 5 Iff., 76f., 115f., 41 Of.

188

Ε . ISENMANN, S t a d t , 1 3 6 .

189

A. MÜLLER, Ratsverfassung Basel, 32f.

190

M . WALKER, H o m e t o w n s , 4 4 . - Ε. ISENMANN, S t a d t , 134FF.

191

E . ISENMANN, S t a d t , 1 3 2 .

192

Deswegen setzt das passive Wahlrecht oft eine gewisse Verweildauer in der Stadt voraus. Vgl. A. MÜLLER, Ratsverfassung Basel, 6-10. In Augsburg mußte sie der Rat, wie es in einer Denkschrift ftir Kaiser Karl V. heißt, „gar in pfründen, leibding und spital nemen und ernören". Zitiert bei E. MASCHKE, Stadt in Oberdeutschland, 439. E. MASCHKE, Stadt in Oberdeutschland, 328. In kleinen Landstädten wohl immer vorherrschend. H. BUCK, Waldsee, 47ff.

193

194 195

54

1

INSTITUTIONEN

Dennoch hat die Gemeinde nie die Vorstellung preisgegeben, der Rat repräsentiere sie und habe folglich auch ihren Willen zu vertreten. Die zahlreichen Stadtunruhen im Mittelalter und der Frühneuzeit hatten immer auch den Zweck, Eigenmächtigkeiten des Rates rückgängig zu machen und künftig zu verhindern 196 . Noch 1794 reagierte auf den Webertumult in Augsburg der Rat mit der Einrichtung einer mit weitestgehenden politischen Kompetenzen ausgestatteten „Deputation", in der sechs Ratsherren und 16 zu wählende Abgeordnete der Bürgerschaft vertreten sein sollten, mit dem Argument, damit erfüllt zu haben, „was gutdenkenden und rechtschaffenen Bürgern nach dieser Stadt Verfassung zu wünschen übrig bleibt" 1 9 7 . Damit anerkannten die Regimentsinhaber ein Prinzip, das im 13. Jahrhundert mit der Schaffung des Augsburger Stadtrechts entwickelt worden war: die Definitionshoheit über Politik gehört letztlich der Gemeinde. Gleiche Probleme kannte das Dorf naturgemäß nicht, zumindest nicht in dieser Schärfe, wiewohl es auch hier zu einer Überbürdung mit Geschäften kommen konnte und dann dörfliche Amter von Seidnern und Bauern mit mittleren Betrieben wohl eher ungern übernommen wurden. Dennoch überstieg die Zahl der Kandidaten die der zu vergebenden Amter 1 9 8 , freilich waren die zeitaufwendigeren Positionen mit den Reicheren, den Wirten etwa, besetzt 199 . Oligarchisierungen lassen sich, verglichen zur Stadt, erst spät ausmachen. In Bondorf nahm 1688 noch jeder fünfte Bürger ein Amt ein, 100 Jahre später ist es nur jeder Zwölfte 2 0 0 . Die Aufgaben der dörflichen Vierer waren vielfältig. Offenbar machten sie regelmäßig Flurumgänge und kontrollierten den gemeindlichen Wald, waren also dafür zuständig, daß Grundstücke nicht durch Uberackern geschmälert und das Gemeindevermögen nicht durch eigenmächtiges Schlagen von Holz gemindert wurde. Sie überprüften die öffentlichen Einrichtungen, Wirtshäuser und Badstuben, Mühlen und Backstuben. Sie waren dafür zuständig, daß die Feuerstellen in den Häusern ordentlich aufgemauert wurden. Noch im 18. Jahrhundert sorgten sie in den Rottweiler Dörfern dafiir, daß Feuerspritzen angeschafft, kommunale Wachhäuser gebaut und Nachtwächter angestellt wurden 2 0 1 . Die Sorge vor Dorfbränden trieb die Reglementierung soweit, daß in Bondorf die Männer zum Tabakrauchen in der Schmiede zusammenstehen mußten 2 0 2 . Beliebig belastbar freilich waren die Vierer nicht, weil sie ihre Amter wie die städtischen Räte ehrenamtlich wahrnahmen. Daraus resultieren nun allerdings zwei wichtige Weiterungen. Waren die Verwaltungsaufgaben umfangreich, mußten sie auf mehrere Dörfler verteilt werden, das Gremium der Vierer wuchs dann naturgemäß zu Sechsern, Zwölfern oder Vier196 197 198 199 200

201 202

P. BUCKLE, Unruhen, 101 [zusammenfassend]. I. BATORI, Augsburg, 138. A. MAISCH, Unterhalt, 4 2 7 . Ebd., 428. Ebd., Unterhalt, 4 2 8 . - Parallele Beispiele bei D . W. SABEAN, Neckarhausen, 69f. - Ε. E. WEBER, Rottweil, 292ff. Ansonsten gilt die fur Ottobeurer Dörfer belegte Beobachtung, daß je höher das A m t in der dörflichen Hierarchie steht, desto größer ist der H o f des Amtsinhabers. Eindrücklich breites Belegmaterial für das 18. Jahrhundert ebd., Rottweil, 2 9 2 - 2 9 6 . Ε. E. WEBER, Rottweil, 2 7 7 . A. MAISCH, Unterhalt, 442.

1.2

K o m m u n a l e Verfassung - Verallgemeinerungen

55

undzwanzigern. Ließen sich die Verwaltungsaufgaben nicht mehr ehrenamtlich wahrnehmen, entstanden daraus eigene, jetzt auch besoldete Amter: die Überwachung der Flur und Allmende wurde einem Bannwart übertragen - als „Flurhai", „Eschhai", „Flurer", „Schütz" und „Flurschütz" begegnet er in den Quellen - , der gemeindeeigene Forst einem Forstwart, die Grenzbegehung und Anzeige von Grenzverletzungen einem Untergänger, die Überwachung der feuerpolizeilichen Bestimmungen dem Feuerschauer und die Bewachung des Dorfes vor allem während der Nacht dem Wächter. Die Grenzen zwischen ehrenamtlicher, nebenamtlicher und hauptamtlicher Tätigkeit wurden so fließend. Der gemeindliche Bezug blieb allerdings bei allen funktionsspezifischen Amtern erhalten, weil sie alle von der Gemeindeversammlung vergeben wurden 203 . Ursprünglich nahm der Rat in der Stadt durchaus spezielle, auf die Wirtschaft der Stadt und das Zusammenleben in der Stadt gerichtete Aufgaben wahr204, nicht anders als die Vierer die Landwirtschaft und das Zusammenleben im Dorf ordnend überwachten. Der Rat gewährleistete einen geordneten Ablauf des Marktes: Das hieß die Preise überwachen, die Qualität der Waren kontrollieren, die Hygienevorschriften durchsetzen, die Mengen nachmessen, die Geschäftsabschlüsse prüfen und anderes mehr. Der Rat amtete als Bauamt: Das hieß Brandschutzverordnungen ausarbeiten, Kamine inspizieren und Brandmauern auf ihre Brauchbarkeit prüfen; das hieß die Wasserversorgung gewährleisten, ein Abwassersystem einrichten, eine Straßenreinigung organisieren, Bauschutt beseitigen und die entsprechenden Ordnungen erlassen. Der Rat war Lebensmittelpolizei: Das hieß darüber wachen, daß der Wein im Wirtshaus nicht mit Wasser gestreckt wurde, das Bier nicht verdorben war und das zum Verkauf angebotene Fleisch und Brot den Hygienevorschriften entsprach. Zum Geschäft des Rates gehörte allerdings auch, vornehmlich aufgrund seiner obrigkeitlichen Funktion, den Frieden in der Stadt zu sichern und damit eine entsprechende Gerichtsbarkeit aufzubauen und die Verteidigung nach außen zu organisieren. Hier werden Zuständigkeiten greifbar, die sachlich weitergehend waren als die der Vierer. Das hat seinen einsichtigen Grund. In den Städten kamen vielfach die stadtherrlichen Rechte in Abgang, und die in ihnen inkarnierten Funktionen gingen an den Rat über. Entsprechend der Ehrenamtlichkeit wurde es dringlich, bestimmte Funktionen der Ratsherren zu professionalisieren, ohne daß dabei freilich der Rat als Kollegium seine alleinige Entscheidungskompetenz preisgegeben hätte. So entstanden eine mehr oder minder ausgebildete Steuer- und Finanzverwaltung aus Steuereinnehmern, Umgeldeinziehern, Münz-, Zoll- und Waagmeistern; eine Gesundheitsbehörde bestehend aus Ärzten, Apothekern und 203

Reiches Belegmaterial noch für das Funktionieren der gemeindlichen Verwaltung im 18. Jahrhundert bei Ε. E. WEBER, Rottweil, 2 8 0 - 2 8 3 , aus dem sich auch erschließen läßt, daß große Teile der Dorfbewohner Amtsfunktionen wahrgenommen haben müssen. - Hochdifferenziert auch die institutionellen Ausprägungen in der Gemeinde Engadin: Großer Gemeinderat (cumoengrand), Kleiner Gemeinderat (cummoen pitschen) und Nachbarschaften (vschinaunchia), vgl. A . Schorta, Rechtsquellen Graubünden Oberengadin, 4 9 2 - 5 0 6 .

204

Breites Belegmaterial bei E. ISENMANN, Stadt, 1 4 6 - 1 6 0 . - M . WALKER, H o m e towns, 4 4 - 5 2 [mit Referenz auf Rottweil]. - Einzelfallstudie UTA LLNDGREN, Stadtrecht als Ursache und W i r k u n g der Verfassung. Über die Entwicklung von Verwaltungsformen im mittelalterlichen Augsburg, in: Historisches Jahrbuch 9 9 ( 1 9 7 9 ) , 1 3 3 - 1 6 0 .

1

56

INSTITUTIONEN

Hebammen; eine Militärbehörde aus reitenden Söldnern, Infanteristen, Büchsenmeistern, Turm- und Außenwächtern und eine Justizverwaltung mit Bütteln, Stadtknechten, Gefängnishütern, Folterknechten und Henkern. Die Verwandtschaft von Vierern und Räten ist unübersehbar, was ihre Legitimation, ihre Bestellung, ihre Aufgaben betrifft, einschließlich der Entwicklungslinien zu Oligarchisierung, Professionalisierung und Differenzierung. Die Amter reagieren auf spezifische Bedürfnisse der Gemeinde, „die aus der Entfaltung und Sicherung der städtischen Lebensformen und Interessen unter bestimmten Zeitumständen resultierten"205. Unschwer erkennt man, daß die Ratsherrschaft in der Stadt und die Viererherrschaft im Dorf und die um sie ausgebildete Verwaltung die moderne Bürokratie vorwegnehmen. Rat und Vierer sind Hervorbringungen des Spätmittelalters, und damit läßt sich die These unterftittern, die Bürokratie komme genetisch aus der Administration kommunaler Verbände. Die Autorität der Räte und Vierer wurde und war dadurch gesichert, daß sie über Gebot und Verbot, wie es mehrheitlich auf dem Land heißt, verfügten, beziehungsweise über das Recht, Statuten zu erlassen, wie die Stadt sagt. Das bedeutete konkret, daß sie nach kollegialer Beschlußfassung Anordnungen treffen konnten, deren Übertretungen mit einer Geldbuße geahndet wurden. Sie wurden dem Ammann oder Bürgermeister angezeigt und - falls der Verstoß offenkundig war - in einem summarischen Verfahren durch die Zahlung der Buße erledigt, ähnlich heutigen Regelwidrigkeiten im Straßenverkehr. Vermutlich wurde nur in seltenen Fällen ein gerichtsähnliches Verfahren durchgeführt und nur in gleichermaßen groben und unklaren Fällen das Gericht eingeschaltet. Dorfordnungen und Stadtrechte belegen, daß das Gebotsrecht der Vierer und Räte durch festgelegte Bußenhöhen beschränkt war und sachlich den Geltungsbereich des Landrechts aussparte - lange Zeit jedenfalls. Erb und Eigen, Stock und Galgen lagen im Kompetenzbereich der Gerichte, in der Stadt und auf dem Land gleichermaßen. Um die Satzungen der Räte und Vierer bildete sich eine Art eigenständige Gerichtsbarkeit aus, die, wie die Satzungstätigkeit auch, eine von der Gemeindeversammlungde\e.giette Gewalt darstellte. Daraus könnte man schließen, die Vierer und die Räte substituierten lediglich die Gesamtheit aller Gemeindemitglieder, die man bei einem Zunehmen von Ordnungsproblemen nicht beliebig oft einberufen konnte.

1.2.3

Ammann und Bürgermeister

An der Spitze einer ländlichen Gemeinde stand der Ammann, gelegentlich auch Schultheiß oder Vogt geheißen206. Alle drei Benennungen belegen den ursprünglich herrschaftlichen Charakter des Amtes. Der Ammannn ist der Amtmann eines Herrn, der Vogt der advocatus, der in einem bestimmten Gebiet Schutz und Schirm gewährt, und der Schultheiß der scul-

205 206

So in der Umschreibung von E. ISENMANN, Stadt, 136. D i e Vielfalt der Benennungen und ihre regionale Verteilung bei K. S. BADER, D o r f 2, 2 9 8 - 3 0 4 ; dort auch die Funktionsbereiche. - Wahlmodi der Rottweiler Dörfer im 18. Jahrhundert bei Ε. E. WEBER, Rottweil, 2 9 4 - 3 0 0 . - Ergänzend D . W . SABEAN, Neckarhausen, 67.

1.2

Kommunale Verfassung - Verallgemeinerungen

57

tetus als Vorsteher eines herrschaftlichen Gerichts. „Der Vogt ist verantwortlich fiir den Dorffrieden", urteilt K A R L SIEGFRIED B A D E R und folgert, „von dieser Aufgabe dürften seine weiteren Aufsichtsbefugnisse entwicklungsgeschichtlich abzuleiten sein" 207 . Daraus erklärt sich problemlos, daß er dem örtlichen Gericht vorsitzt. In den dörflichen Urkunden wird er häufig ganz formelhaft an erster Stelle vor Richtern, Dorfgeschworenen und Bauernschaft genannt und gibt sich damit auch als Repräsentant der Gemeinde zu erkennen. In diese Aufgabe dürfte er mit der Herausbildung der Dorfgemeinde hineingewachsen sein, deren Gemeindeversammlung er schließlich auch präsidiert. Seitdem fungiert er auch als Vorsitzender des Kollegiums der Vierer und teilt mit ihnen deren Verordnungsbann. So erklärt sich die Janusgesichtigkeit des Amtes, die nur dort zugunsten der Gemeinde verloren ging, wo deren Autonomie sich der von Reichsstädten annäherte. Das ist in Gemeinden Vorarlbergs der Fall und vorzüglich im St. Gallischen Appenzell. Um 1350 vollzieht sich dort der entscheidende Wechsel: zuvor sind die Ammänner in den Appenzeller Gemeinden St. Galler Ministeriale, danach kommen sie aus den einheimischen Familien und gleichzeitig Urkunden die Gemeinden auch unter eigenen Siegeln 208 . In der Frühneuzeit kommt der Ammann immer aus der Bauernschaft des Ortes, in dem er amtet. Schon daraus läßt sich schließen, daß die Möglichkeiten der Gemeinde, bei seiner Bestellung mitzuwirken, gewachsen waren. Wiewohl herrschaftliche Einsetzung vorherrschte, war ein Einspruchsrecht der Gemeinde nicht unüblich, gelegentlich kam ihr sogar eine Art Präsentationsrecht gegenüber dem Herrn zu, das sich in einem Dreier- oder Vierervorschlag äußern konnte 2 0 9 . Die Wahlen in das Amt konnten öffentlich oder geheim sein, wurden, wie es in Vorarlberg heißt, nach dem laufenden Mehr oder dem stillen Mehr vorgenommen. Das konnte dramatische Formen annehmen und bis zu Körperverletzungen reichen, wenn, wie in Mittelberg, die Kandidaten auf dem Dorfplatz in verschiedenen Ecken postiert wurden und die Dorfbewohner ihrem Kandidaten zulaufen mußten 2 1 0 . Unbeschadet der im Ammannamt inkarnierten herrschaftlichen Funktionen und des damit auf den Amtsinhabern lastenden obrigkeitlichen Drucks haben sie häufig die Interessen ihrer Gemeinden gegen die Herrschaft vertreten. Egli Graf, der Ammann von Rorschach am Bodensee, stand 1489 an der Spitze der Aufständischen, die den neu errichteten Klosterbau stürmten 2 1 1 . 1525 führte er für seine Gemeinde die Verhandlungen zwischen Abt und den Klosteruntertanen. In seiner zweiten Amtszeit zwischen 1533 und 1546 hatte er zahllose Zusammenstöße mit Abt Diethelm Blarer von Wartensee wegen der Ausübung der Religion 207 208

209

K. S. BADER, Dorf 2, 302f. - Vgl. G. STEGMAIR, Bebenhausen, 426. Appenzeller Geschichte. Zur 450-Jahrfeier des Appenzellerbundes 1513-1973, [Appenzell 1964], 119. - UB St. Gallen 4, 195 Nr. 1771; 610 Nr. 2211. Vgl. M. Gmür, Rechtsquellen St. Gallen Toggenburg, 162f„ 269-274, 405-408, 464-468, 512-518 [die Belege auch fiir andere Kompetenzen der Gemeinde]. - I.V. Zingerle - K.Th. v. Inama-Stemegg, Tirolische Weisthümer 2, 185. (Ebd., 236ff. ein instruktives Beispiel von 1771 für die Uberbürdung des gemeindlich gewählten Dorfvorstehers mit staatlichen Aufgaben.) - Umgekehrte Verfahren, d.h. Dreier- oder Vierervorschlag der Herrschaft belegt bei Κ. H. Burmeister, Vorarlberger Weistümer, 210. - M. Gmür, Rechtsquellen St. Gallen Alte Landschaft, 116.

210

P . BLICKLE, L a n d s c h a f t e n , 3 0 3 - 3 0 8 .

211

P. BUCKLE, St. Gallen, 283f.

58

1

INSTITUTIONEN

und der Kompetenzen der Gemeinde. Sein Amtsnachfolger Kolumban Bertschi führte gegen das Kloster 1 5 5 8 einen Prozeß wegen angeblich unberechtigter Leibeigenschaftsansprüche des Abtes. Was Wunder, daß der Abt darauf drängte, den Ammann einzusetzen und damit stärker unter seine Kontrolle zu bringen. Auch in der Stadt stand ursprünglich an der Spitze der noch nicht geschiedenen Verwaltung und Rechtspflege ein A m m a n n , Vogt oder Schultheiß 2 1 2 . Die Begriffe umschreiben die nämlichen Funktionsbereiche wie die korrespondierenden Bezeichnungen auf dem Land. Das heißt, daß die Stadt einen ausgeprägt herrschaftlichen Charakter hatte. Das änderte sich in vielen, wo nicht den meisten Städten im Verlauf des Spätmittelalters. Jetzt wurde er von der Gemeinde oder dem Rat gewählt 2 1 3 und rückte im Rang hinter den Bürgermeister 2 1 4 . In dem M a ß e wie städtisches Satzungsrecht herkömmliches Landrecht überwucherte, wurde mit dem Bedeutungsverlust des Stadtgerichts zugunsten der Ratsgerichtsbarkeit auch das Schultheißenamt ein solches, das dem des Bürgermeisters nachgeordnet war. D e n n o c h blieb die komplementäre Form der Amter erhalten. Wer als Richter „an oder aufgenomen unnd gesezt wurdet", heißt es in Tirol, „ist schuldig, ainem Burgermaister im Namen gemainer Statt unnd entgegen ain Burgermaister ime Lanndtrichter die Pflicht zu t u n " 2 1 5 . D e r Bürgermeister gewinnt überall seine Autorität aus seiner Präsidialfunktion im Rat. D e r Rat bringt geradezu das neue Amt des Bürgermeisters hervor, der Rat und häufige Wahlen durch die Bürgerschaft oder die Z ü n f t e 2 1 6 sind die Legitimationsgrundlagen des Amtes. „Item so sol ain Purgermeister von dem Rat und der ganzen Gemain erweit und gesetzt werden", heißt es im Stadtbuch der Südtiroler Gemeinde Sterzing 2 1 7 . D e r Vergleich von städtischem Bürgermeister und ländlichem Ammann zeigt, daß beider Funktionen mit dem Vorsitz in allen politisch entscheidenden Gremien gleich waren, die Stadt jedoch im Bürgermeister ein Organ in Konkurrenz zum stadtherrlichen Beamten ausgebildet hatte, während das Land die Kompetenzen des grundherrlichen Amtsträgers um gemeindliche ergänzt hatte. D a ß im Grunde parallele Entwicklungen vorliegen, zeigt das allerdings nur regional verbreitete Amt des Bauermeisters oder Dorfineisters118,

das schon

sprachlich eine Entsprechung zum Bürgermeister darstellt. 1.2.4

Gerichte

Die Lokalisierung des Gerichts zwischen Herrschaft und Genossenschaft gehört zu den schwierigsten Problemen der Rechtsgeschichte. Das hängt damit zusammen, daß überall dort, wo sich gesellschaftliche Beziehungen in einer gesteigerten Form verdichten, formali-

212

E . ISENMANN, S t a d t , 1 3 3 f .

213

H.RABE, Stadien, 11.

214

Vgl. K. O. MOLLER, Oberschwäbische Reichsstädte, 50f„ 84f., 106f., 112ff., 128ff„ 409f. - H. BUCK, Waldsee, 59. Zitiert bei F.-H. HYE, Städte Tirols, 156. P. EITEL, Reichsstädte, 66ff. F.-H. HYE, Städte Tirols, 155f. K. S. BADER, Dorf 2, 303f. - Weiter verbreitet in Tirol. Belege bei I.V. Zingerle - J. Egger, Tirolische Weisthümer 4, 3 9 - 5 1 , 62, 68.

215 216 217 218

1.2

Kommunale Verfassung - Verallgemeinerungen

59

sieren und institutionalisieren, anerkannte Regelungen für die Beilegung von Konflikten geschaffen werden müssen. Dafür wurden Gerichte entwickelt, in den Universitäten und den Zünften, in den Grundherrschaften und Königreichen. Das Gericht wurzelt im Bedürfnis nach Ordnung und Friede. „Gerichtsbarkeit", heißt es bei KARL SIEGFRIED BADER, „ist im Mittelalter ein Hoheitsrecht, das, in mehrere Stufen aufgespalten, einen Herrschaftsträger voraussetzt. Auch in den Städten ist es ja ursprünglich der Stadtherr, der im städtischen Exemtionsbereich gerichtsherrliche Rechte ausübt" 219 . Eine solche Interpretation kann man mit neueren Uberzeugungen auch anfechten, etwa mit JORGEN WEITZELS Auffassung von der in der Dinggenossenschaft residierenden Gerichtsbarkeit und der daraus erwachsenden „Interpretationsherrschaft" des Rechts durch das Volk 220 . Solche unterschiedlichen Wertungen muß man prinzipiell nennen. In ihrer Ausprägung unterschieden sich das Gericht im Dorf und das Gericht in der Stadt wenig 221 . Beide setzten sich aus „Richtern und Urteilern" zusammen 222 , das heißt, die gerichtliche Entscheidung wurde von einem Gremium gefällt, den Urteilern im strengen Sinn des Wortes, und vom Vorsitzenden des Gerichts, dem Richter, lediglich verkündet223. Besonders häufig war das Gericht mit zwölf Urteilern besetzt224, die lebenslänglich oder fur eine bestimmte Zahl von Jahren im Amt waren und durch Wahl, Kooptation oder Einsetzung in ihr Amt kommen konnten 225 . Immer allerdings stammten sie aus dem Geltungsbereich des Rechts, nach dem sie zu richten hatten, waren in der Stadt also Bürger ihrer Gemeinde und auf dem Land Bauern ihres Dorfes oder Gerichtsbezirks. Das Bestellungsverfahren, die Gerichtsbesetzung, war in der Regel kompliziert und versuchte, der Tatsache Rechnung zu tragen, daß die angemessene Anwendung des Rechts im weitesten Sinn in der Verantwortung der Gesellschaft selbst lag, seine Durchsetzung jedoch der obrigkeitlichen Autorität bedurfte. Das erklärt die kombinierten Verfahren der Besetzung durch Genossenschaft und Herrschaft.

219

K. S. BADER, Dorf 2, 343f.

220

J . WEITZEL, D i n g g e n o s s e n s c h a f t , 6 1 , 9 5 .

221

Die räumlichen Zuständigkeitsbereiche können schwanken, auf dem Land stärker als in der Stadt. Zunächst findet wohl ein Kontraktionsprozeß der gerichtlichen Zuständigkeit von der mehr personal organisierten Villikation auf das lokal organisierte Dorf statt, später wird die Gerichtsbarkeit gelegentlich neu in mehrere Dörfer umfassenden Verbänden organisiert. A. LEISER, Baden, 360. H.-M. MAURER, Territorialgewalt, l68f. - M. KUHN-REHFUS, Wald, 371f. - Auch in der Stadt kann der ummauerte Bereich gerichtlich mit dem Hinterland über den Stadtherrn verknüpft sein. So etwa in württembergischen Amtsstädten. Vgl. H. SPECKER, Amtsstädte, 2.

222

K . S . BADER, D o r f 2 , 3 4 9 .

223

Die Bezeichnungen sind uneinheitlich. Die Urteiler werden oft Richter genannt, die Richter treten als Ammann, Schultheißoder Vogt in Erscheinung. Dazu und zur Herkunft der dörflichen Gerichte K. S. BADER, Dorf2, 350f. - Für oberschwäbische Städte P. EITEL, Reichsstädte, 69-74. Ergänzend

224

Häufig belegt. Für Regularien und Abweichungen in einer Herrschaft vgl. etwa M. KUHN-REHFUS, Wald, 371. Für die Stadt H. RABE, Rat, 165.

H . RABE, R a t , 1 6 2 . - J . LEIST, Rottweil, 1 1 7 - 1 2 3 .

225

K . S. BADER, D o r f 2 , 3 5 0 f f . - A . MEULI, O b e r e n g a d i n , 4 3 f . - K . STEGMAIR, B e b e n h a u s e n , 4 2 2 . -

M. GMÜR, Rechtsquellen St. Gallen 2, 162f„ 269-274, 405-408, 464-468, 512-518 [Urteiler werden in Toggenburg von Herrschaft und Gemeinde mit wechselseitiger Zustimmung bestellt].

60

1

INSTITUTIONEN

In Klosterdörfern setzten öfters der Abt und der Vogt je zwei Urteilet, wogegen die Gemeinde allerdings Einspruch erheben konnte. Das setzte dann die Wiederholung des Verfahrens in Gang. Die so bestimmten vier Urteiler kooptierten weitere vier, welche die Zustimmung von Abt und Vogt benötigten. Diese jetzt acht Urteiler wählten weitere vier hinzu, die der Bestätigung von Abt, Vogt und der Gemeinde bedurften 226 . So war schließlich das zwölfköpfige Gericht konstituiert. Ahnliche Verfahren galten fiiir das Stadtgericht. Solange der Einfluß des Stadtherrn groß war, ernannte er vielfach die Richter oder zum wenigsten die ersten zwei oder vier. Allerdings kam das Stadtgericht im Zuge der wachsenden Autonomie der Gemeinde zunehmend unter die Kontrolle des Rates. Es wurde „zum richterlichen Organ des Rates" 2 2 7 und oft vom Rat in der Weise besetzt, daß Richter und Ratsherren personal identisch waren 228 . Doch herrschte auch in den Städten ein großer Reichtum an Formen der Gerichtsbesetzung. In Überlingen wählte jede Zunft einen Richter, in Memmingen wurden alle Richter durch den Rat gewählt und in Lindau bestellten sie die alten und den neuen Bürgermeister und die alten und neuen Zunftmeister 2 2 9 . Von Gerichtssitzungen wurde verlangt, daß „volle Öffentlichkeit garantiert" 230 sei. Damit war als Tagungsort der Kirchplatz, der Dorfplatz, der Marktplatz oder die Reichsstraße vorgegeben, allenfalls zog man sich unter die Lauben des Rathauses oder den überdachten Eingang der Kirche zurück. Erst seit dem späteren 16. Jahrhundert tagte das Gericht in festen Räumen, in der Stadt naturgemäß im Rathaus, im Dorf im Wirtshaus oder Spielhaus. Die Zuständigkeiten der Gerichte wurzelten einerseits in den je spezifischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnungsproblemen des Dorfes und der Stadt, andererseits in den gemeinsamen friedenssichernden Anstrengungen, die ein erstaunlich uniformes Maß strafrechtlicher Normen hervorbrachten. Spezifisch bäuerlich war der Bereich der Landwirtschaft 2 3 1 , spezifisch bürgerlich der des Marktes 2 3 2 . Auf dem Land reguliert das Gericht angesichts seiner intimen Lokalkenntnis den Liegenschaftsverkehr und erreicht selbst „bei der Anlage von Urbaren, Zinsbüchern und Berainen eine ungewöhnlich weitreichende Kompetenz" 2 3 3 , womit auch herrschaftliche Ansprüche in Schranken gehalten werden konnten. Das Stadtgericht 234 urteilt analog über Erb und Eigen 2 3 5 . Darüber hinaus stand den Gerich226

D a s Beispiel bei K . S. BADER, D o r f 2, 354, A n m . 386. - Quellenbelege aus Oberschwaben fur gleiche Verfahren bei P. Gehring, Oberschwaben, 468, 6 8 7 .

227

E. ISENMANN, Stadt, 1 6 1 . - Auch der A m m a n n oder Schultheiß, der als stadtherrlicher Beamter oft von außen kam, wird schließlich durch einen Bürger verdrängt. Breite Belege für Süddeutschland bei J. LEIST, Rottweil, 7 2 - 7 5 . - P. BLICKLE - R. BLICKLE, Schwaben, 1 1 5 - 1 1 9 . - H . RABE, Stadien, 1 Of. H.RABE, Rat, 1 6 1 . - J . LEIST, Rottweil, 125. W o es keine Gemeinde u n d keinen Rat gibt, neigt das Gericht zur Oligarchisierung, so in Württemberg. Vgl. R. SEIGEL, Württembergische Stadt, 182f. Die Belege bei P. EITEL, Reichsstädte, 72. K. S. BADER, D o r f 2, 357. K. S. BADER, D o r f 2, 3 5 9 - 3 6 2 . - A . MEULI, Oberengadin, 4 3 . K. O . MÜLLER, Oberschwäbische Reichsstädte, 55, 8 0 f „ 134, 401f. K. S. BADER, D o r f 2, 3 6 0 . D a s Wesentliche knapp bei E. ISENMANN, Stadt, 161 f. U n d unterstreicht damit seinen einst landgerichtlichen Charakter, vgl. J . LEIST, Rottweil, 135. Auch nachhaltig herausgehoben von K. S. BADER, D o r f 1, 247.

228

229 230 231 232 233 234 235

1.2

Kommunale Verfassung - Verallgemeinerungen

61

ten die Strafgerichtsbarkeit zu, sie prüften und urteilten über Beleidigungsklagen, „über bainschrötte, fließende und lähmige Wunden", wie es in der bildreichen Sprache der Gerichtsordnungen heißt, und schließlich - in den städtischen Gerichten mehr als in den ländlichen - über todeswürdige Verbrechen. Die Rechtsprechung orientierte sich einerseits und zunächst vornehmlich am ungeschriebenen Herkommen und an der Gewohnheit, deswegen wandten sich die Gerichte nicht selten an Oberhöfe, eine benachbarte größere Stadt meist, um sich in komplizierten oder ungeläufigen Fällen ein Urteil zu erbitten 236 ; sie urteilten andererseits aufgrund von Rechtsbüchern und dem örtlichen Statutarrecht und wurden deswegen - als Dorfgerichte zuständig für die Entscheidung privatrechtlicher Klagen wegen Überackerns, Ubermähens oder Überzäunens und anderem. Formal ergibt sich aus dem Umstand, daß mündlich tradiertes Recht durch die Urteilsfindung des Gerichts weiter entwickelt wurde, ein Normenkontrollverfahren des Gerichts gegenüber Satzungen. Das blieb nicht nur ein Anspruch, wie in Ochsenhausen, sondern läßt sich auch als Realität belegen237. Wo das geschah, rückte das örtliche Gericht in den Rang eines Verfassungsgerichtshofes. Im Lauf der Zeit wurde die Zuständigkeit der örtlichen Gerichte immer exklusiver. Die Städte sicherten sich Exemtionsprivilegien von fremden Gerichten und mit der Durchsetzung des Wohnorts des Beklagten als zuständige Instanz auch die Dörfer beziehungsweise die ihnen übergeordneten Grundherren 238 . Unbeschadet der sachlich begründeten analogen Organisation und Kompetenz des ländlichen und des städtischen Gerichts, scheint es eine Differenz in der Gerichtsorganisation zwischen Stadt und Dorf zu geben, nämlich durch die Ratsgerichtsbarkeit. Das bedeutet, daß die vom Rat und der Gemeinde erlassenen Statuten auch vom Rat abgeurteilt wurden 239 . Das Ratsgericht war zuständig „für das städtische Willkürrecht" 240 . Somit konnten Verstöße gegen den Stadtfrieden, Verletzungen der Grundregeln des städtischen Lebens - Steuerhinterziehung beispielsweise - oder Polizeisachen in einem allgemeineren Sinn vom Rat abgeurteilt werden 241 . Das Pendant zur Ratsgerichtsbarkeit in Form einer Vierergerichtsbarkeit wartet noch auf seine Erforschung, falls es eine solche gegeben haben sollte. Wieviel Einsicht und Wahrheit beherbergt das Rechtssprichwort „Einen burger und einen gebör, scheit nicht me wen ein czuhen und ein mär" 242 ? 236 237

238 239

240 241

242

Instruktive Einzelbeispiele bei G. STEGMAIR, Bebenhausen, 427, 431. P. Gehring, Oberschwaben, 355f. Die Ummendorfer Richter erkennen 1366 „uff den ait, daz dü vor geschriben reht dü an diesem brieff gescriben sint, von alter rect sint". Bei den „Rechten" handelt es sich um acht friedenssichernde Artikel. Die Artikel sind noch 1603 in Kraft (ebd.). Breites Belegmaterial bei P. Gehring, Oberschwaben, 771 [auswahlweise]. Für die Städtelandschaft: in Niederschwaben vgl. H . RABE, Rat, 224. - Für Landstädte Η . E. SPECKER, Amtsstädte, 4. E. ISEMANN, Stadt, 160. Auf die drei Funktionsbereiche der Ratsgerichtsbarkeit verweist besonders H. RABE, Stadt, 244f. Amtsträger in der Stadt hatten Ordnungsverstöße anzuzeigen. Der Rat befand dann über den Fall nach Anhörung des Beschuldigten und entschied daraufhin. E. ISENMANN (Stadt, 160) sieht in einem solchen Vorgang eher einen „Verwaltungsakt", wie er das in Anlehnung an Wilhelm Ebel nennt. Zitiert bei K. S. BADER, Dorf 1, 234.

62

1

1.3

CLVITAS RUSTICA -

INSTITUTIONEN

DIE BÄUERLICHEN BÜRGER IM ALLGÄU

Der Landschaftsname Allgäu, der unverdientermaßen zur ungefähren Lokalisierung des verkitschten Neuschwanstein des Bayernkönigs Ludwig II. dient, ist nichts anderes als die Regionalisierung einer Bezeichnung für einen alten Personenverband, ftir die im Mittelalter zur Grafschaft im Alpgau gehörenden Menschen. Sie fanden in Eglofs, heute ein bescheideneres Dorf an der Grenze zwischen Württemberg und Bayern, ihren administrativen Mittelpunkt. Die Eglofser hatten es dahin gebracht, daß sie in kaiserlichen Urkunden cives und ihre dorfähnliche Siedlung oppidum genannt wurden. Hätten sich Juristen im ausgehenden Mittelalter über Eglofs und seine Urkunden gebeugt, sie hätten das Gemeinswesen eine civitas rustica nennen können. Es geht nicht darum, die staatsrechtlichen Kuriositäten Oberdeutschlands um eine neue Variante zu bereichern, sondern die hier fällige Zusammenfassung der kommunalen Institutionen durch ein Beispiel zu ersetzen, das zeigt, daß unter günstigen Voraussetzungen ländliche und städtische Gemeinde alle Unterscheidungsmerkmale verlieren konnten. Damit wird dem Modell Kommunalismus eine zusätzliche Verstrebung eingezogen. 1827 richteten die Eglofser eine Adresse an König Ludwig I. von Bayern, in der es heißt: „Wir erkennen, daß man uns bei unseren landeshoheitlichen Rechten nicht belassen konnte, und haben daher gegen das Aufhörern unserer Hoheitsrechte niemals eine Unzufriedenheit geäussert; aber dieß fällt uns schwer und rechtsverletzend, daß man uns die Gleichheit der Rechte mit den überigen Unterthanen Bayerns und insbesondere mit jenen Reichsständen und reichsunmittelbaren Herren versagt, welche der Krone Bayern mit oder vor uns unterworfen wurden" 243 . Das Königreich Bayern war 1805 entstanden, und im Prozeß seines Entstehens waren ihm viele reichsunmittelbare geistliche und weltliche Fürsten unterworfen worden - die Bischöfe von Augsburg, Würzburg, Eichstätt, Bamberg und Freising, die Fürsten von Hohenlohe und Waldburg, die Fugger und die T h u m und Taxis. In diese illustre Galerie reihten sich die Eglofser ein, wenn sie auf ihre „landeshoheitlichen Rechte" pochten. Eine historische Ausleuchtung dieses Schreibens ergibt folgendes. 1243 stellte Kaiser Friedrich II. eine Urkunde aus, in der mitgeteilt wird, er habe von Hartmann von Grüningen die Grafschaft im „Albegowe" „cum Castro Megelolues, hominibus, possesionibus et omnibus pertinentiis suis" gekauft 244 . Den Kauf hatten die Eglofser mitfinanzieren helfen, indem sie von der Kaufsumme von 3 200 Mark selbst 1000 Mark übernahmen. Viele der später ausgestellten Privilegienbestätigungen begründen damit das Ver-

243

244

F. L. BAUMANN, Allgäu 3, 311. - Die Darstellung fußt wesentlich auf archivischem Material. Zur Zitierweise ist folgende Vorbemerkung erforderlich: Die Ordnungsarbeiten im GAE und WGA waren zum Zeitpunkt der Bearbeitung beider Archive (1982 bzw. für Nachträge 1993) nicht abgeschlossen. Es wird zum Teil nach alten Signaturen zitiert (gilt vornehmlich fiir das WGA, wo früher ein dreigliedriges System nach arabischen Ziffern befolgt wurde), zum Teil nach neuen Signaturen (für GAE die beiden Rubriken Kaiserurkunden und Verschiedene Urkunden). Der Aktenbestand ist weitgehend unverzeichnet; für WGA gibt es die Signatur „Vorläufige Büschel". Wirtembergisches Urkundenbuch, 4. Bd., Stuttgart 1883, 54 Nr. 1004. - Vgl. dazu auch F. L. BAUMANN, Alpgau, 2l4f.

1.3

Civitas rustica - die bäuerlichen Bürger im Allgäu

63

sprechen der deutschen Kaiser und K ö n i g e , die Eglofser b e i m Reich zu behalten, sie nicht zu verkaufen u n d nicht zu v e r p f ä n d e n 2 4 5 . M i t d e m K a u f Friedrichs II. wurden die Eglofser reichsunmittelbar. Was hatte der Kaiser d a m i t gewonnen? Allenfalls einen Z u w a c h s an politischer M a c h t , k a u m j e d o c h einen an finanziellen E i n k o m m e n . D e n n die Leistungen der Eglofser fur das Reich waren bescheiden. Einmal jährlich, i m Herbst, zahlten sie eine pauschale Steuer an das Reich, u n d jährlich leisteten sie filr das Reich „ain dienst", möglicherweise z u m baulichen Unterhalt der B u r g Eglofs u n d der darunter vorbeiziehenden Reichsstraße 2 4 6 . In Kriegszeiten freilich, so d a r f m a n a n n e h m e n , hatten sie m i t d e m kaiserlichen A u f g e b o t a u s z u r ü c k e n 2 4 7 . A u c h fur die Eglofser kann der G r u n d , 1 0 0 0 M a r k Silber für den Wechsel ihres H e r r n aufzubringen, nur ein politischer gewesen sein 2 4 8 . U n m i t t e l b a r d e m Reich zu unterstehen hieß zuallererst, keinem Fürsten, Adeligen, Bischof oder A b t aus der Region Untertan zu sein. M a n m a g das politische Freiheit nennen, was die Eglofser veranlaßte, eine derart gewaltige S u m m e aufzubringen. Zwei Generationen später wurde den Eglofsern durch K ö n i g R u d o l f von H a b s b u r g 1 2 8 2 das Stadtrect von L i n d a u verliehen 2 4 9 . D a s Recht der Bürger von L i n d a u bestand darin, daß Rechtsstreitigkeiten u m ihre G ü t e r nur vor d e m eigenen Stadgericht verhandelt werden

245

246

247

248

249

Erstmals die Urkunde Albrechts von 13001.27. Druck Wirtembergisches Urkundenbuch, 11. Bd., Stuttgart 1913,363f. Nr. 5423. 1 3 5 5 I. 13 bestätigen die Brüder Helfenstein, Landvögte in Oberschwaben, „daß wir sie [die Freien, P. B.] erblich by aim dienst sulen lausen bliben, also datz sy denselben dienst, und auch stüer von des reichs wegen richten und geben sunt allerwegent und jerlich ze herbst und nit anders". W G A 3.2.43. - 1382 IX. 6 bestätigt Wenzel die Privilegien von 1353 und fügt hinzu, „ut et ipsi et eorum successores sub solita steure solutione stet et pacifice permittantur". Vgl. Lupberger, Regesten Eglofs, Nr. 9. - Die Steuer soll nicht erhöht werden, bestätigt Ruprecht 1404 X. 15. Lupberger, Regesten Eglofs, Nr. 10. Aus Quellen des 15. Jahrhunderts ergibt sich, daß neben der pauschalen Steuer des Verbandes (gelegentlich auch Tigensteuer geheißen) die Bewilligungen der Reichstage von den Freien mitfinanziert werden mußten, ob aufgrund der Reichsunmittelbarkeit oder aufgrund der Umlage der Pfandherrn ist unklar. - Als Zeichen ihrer besonderen Freiheit setzten sie die Leistungen im Todesfall, in den Kaiserprivilegien mehrfach „Hauptrecht" genannt, die vielleicht ans Reich zu liefern waren, selbst und mit einer Summe von 2 Schilling auch recht niedrig fest. GAE, Kaiserurkunden Nr. 1. [wegen Beschädigung zitiert nach Kopie Kaiserurkunden 16]: Wir, Kaiser Ludwig der Bayer, tun kund, „das wir den burgern zu dem Megelholfs unsern und des reichs getrewen, allem dem gedigen, das dartzu gehöret, ire gewondliche haubtrecht bestetten und geben mit diesem brieve, die sy vor ir tode setzen, als sy und ir vordem an uns haben bracht, und wellen nicht, das in die yemand zerbrech oder dheinen wege daran laidigen noch beswere". Kopie aus dem 18. Jahrhundert auch in WGA, Vorläufiges Büschel 1035, in der Fromulierung „iri gewohnlich hauptrecht bestäten, und geben mit disem brief, die si vor iri tode sezent, als si und ir forde[r]n an uns haben bracht". Eine letztlich schlüssige Interpretation der Texte steht noch aus. 1000 Mark Silber war das Zehnfache dessen, was das Kloster St. Gallen, eines der reichsten in Mitteleuropa, jährlich an Steuern an das Reich zahlte und das 15fache dessen, was die Reichsstadt Bern aufbrachte. 100 Mark Silber entsprach im 13. Jahrhundert dem Gegenwert der Vogtrechte über 40 Dörfer im Bodenseegebiet. Vgl. Günther Franz (Hg.), Quellen zur Geschichte des Bauenrstandes im Mittelalter, Berlin 1967, 322ff. Wirtembergisches Urkundenbuch, 8. Bd., Stuttgart 1903, 346f. Nr. 3144.

64

1

INSTITUTIONEN

durften, Adelige und Klöster jedoch nicht fähig waren, die Erbschaft von Liegenschaften der Lindauer anzutreten 250 , und das Bürgerrecht erhalten sollte, wer über Jahr und Tag in der Stadt wohnte 251 . Sicherte die Urkunde von 1243 den Eglofsern die Zugehörigkeit zum Reich, so sicherte ihnen die von 1282 die Freiheit. Sie läßt sich nach drei Seiten definieren: Die Güter waren frei und nicht einer adeligen oder kirchlichen Grundherrschaft unterworfen. Die langfristige Sicherung der Freiheit dieser Güter sollte dadurch gewährleist werden, daß sie in den bäuerlichen Familien und unter den Eglofsern blieben und Ansprüche an sie nur vor einem eigenen Gericht der Eglofser verfochten werden konnten. Schließlich, wer sich unter den Eglofsern haushäblich niederließ und bei ihnen über „Jahr und Tag" lebte wurde frei, weil die Eglofser, wie König Albrecht 1300 versichert, „liberi dicuntur" 252 . Cives, Bürger, nennt die Urkunde von 1282 die Eglofser. Das mag damit zusammenhängen, daß sie das Lindauer Recht erhalten hatten. Die kaiserliche Kanzlei machte aber aus den Eglofser Bauern nicht nur Eglofser Bürger, sie machte aus Eglofs auch eine Stadt. „Cives oppidi in Megelholfs", Bürger der Stadt Eglofs, nennt sie König Albrecht im Jahre 1300, und diese Anrede ist in den Urkunden von König Heinrich 253 und König Wenzel 254 geblieben, und seit die Kaiserurkunden für Eglofs deutsch ausgefertigt sind, werden sie „dem Rathe und den Burgern der Stadt zu Meglofs" ausgestellt, wie Kaiser Sigmund 1413 sagt255, oder „unseren und des reichs lieben getrewen, richter, rate und gemainden der statt zum MeglofF', wie es in einer Urkunde Kaiser Karls V.256 von 1526 heißt. Bereits die politischen Organe des Eglofser Verbandes zeigen eine erstaunlich Ähnlichkeit mit denen von Reichsstädten. Es gab einen Ammann, vier Räte und acht Richter 257 . Gewählt wurden Ammann und Räte von der „Gemeinde" „geheim" 258 , und zwar jedes Jahr am Aschermittwoch. Anläßlich dieser Gemeindeversammlung wurde auch das geltende Recht in Erinnerung gebracht, vermutlich wurden hier auch neue Statuten gemacht, jedenfalls kann als gesichert 250

251 252

253

254 255 256 257

258

Durch Erbgang Adeligen oder Geistlichen zugefallener Besitz mußte innerhalb eines Jahres an einen Lindauer Bürger wieder verkauft werden. Das Lindauer Stadtrecht zitiert und kommentiert bei F. L. BAUMANN, Alpgau, 243. Wirtembergisches Urkundenbuch, 11. Bd., Stuttgart 1913, 363f. Nr. 5423. - Der Freienstatus wird vielfach angefochten, von den Königen und Kaisern aber bis zu Maximilian I. bestätigt. BayHStA, Königsegg- Rotenfels, Urkunde 53 [insieriert in Urkunde 466; 1696 II. 17] Lupberger, Regesten Eglofs, Nr. 7. So auch 1309 Heinrich VII. GAE, Vorläufiges Büschel 1035 [Kopie], Lupberger, Regesten Eglofs, Nr. 9. 1382 IX. 6. WGA 3.1.12 und GAE, Kaiserurkunden. - Lupberger, Regesten Eglofs, Nr. 13. WGA, Vorläufiges Büschel 1035. GAE, Verschiedene Urkunden 18 und 19 [eine weitere Abschrift ohne Signatur findet sich in den noch ungeordneten Akten]. In den großen Verträgen mit den Pfandherren, den Montfortern und der Reichsstadt Wangen, werden zwei Räte von der Gemeinde, zwei von der Pfandherrschaft bestimmt. Das scheint umstritten gewesen zu sein, so daß man schließen darf, hier handele es sich um eine von den Pfandherren durchgedrückte Neuerung.

1.3

Civitas rustica - die bäuerlichen Bürger im Allgäu

65

gelten, daß Gesetze im Bereich der Strafrechtspflege zu erlassen in die Kompetenz „aines radts und gerichtz" 259 als repräsentativen Organen der Gemeinde fiel. Die Zuständigkeit des Gerichts war weitgehend, sie umfaßte, modern gesprochen, jene eines heutigen deutschen Amtsgerichts im ganzen Umfang, teilweise die eines Landgerichts. Konkret: über die Güter der Freien, also Übergaben, Erbschaften und Verkäufe wurde vor dem Eglofser Gericht verhandelt, auch über Personen, etwa Aufnahmen in den Freienverband, über Ehen außerhalb der Freiengenossenschaft oder über Entlassungen. Offenbar waren die Geschäfte recht zahlreich, wenn es etwa 1521 heißt, daß „wir täglichs von unsern aignen gfiter wegen radt und gemaind zu halten notdurftig sein" 260 . In Strafsachen war das Gericht zuständig für die sogenannten kleineren, mittleren und großen Frevel261, die gestaffelte Geldbußen von 3 Schilling , 5 Schilling und 60 Schilling Heller nach sich zogen. Was darunter zu verstehen ist, beschreibt äußerst anschaulich ein Schriftsatz der Eglofser, mit dem sie gegenüber der Reichsstadt Wangen die Zuständigkeiten ihres Gerichts darlegten. Es „sollen alle bürgerlich fräfel, unzuchten vnd müsshandlungen, so sich hinfuro [...] in der graufschaft Megloffs begeben und verlauffen, wie hernach stat abzulegen und zfl bfissen geurteilt und gestrauft werden, nämlich ain schältwort umb zehen schilling pfennig, ain ungewaufneter handstreich oder schlag umb zehen schilling pfennig, ain messer zuckhen umb ain pfund pfennig. Welcher oder welche ain anderen mit gewaufneter hand wund oder schadhaft schlahen, umb ain pfundt pfennig. Welcher zu lofft [und] die zwitracht ergert und nit bessert, ain pfundt pfennig. Welcher frid versagt, umb drey pfund pfennig". Besonders hoch werden strafrechtliche Delikte in den „Ehehäftinen" geahndet - und zwar durchgängig mit der höchsten Strafe von 3 Pfund Pfennig - , und zu den Ehaften gehören der „fleckhen zum Megloffs", sowie Mühlen, Tavernen, Badstuben, Schmiedem und der Forst 262 . Offenbar wurden auch schwere Kriminaldelikte in Eglofs verhandelt, zumindest fanden hier die Voruntersuchungen statt, denn, schrieben die Eglofser zu Beginn des 16. Jahrhunderts, „es ist auch schinbar vor äugen und landtwyssen, das die graveschaft zum Megletz von römischen Kaysern und kinigen mit regalien, gnad und freyhaiten hoch- und nidergerichten begabt und convermiert und bisher der bruch gewesen, so iemend die vengknus verschult, dieselben in der graveschaft zum Egletz enthalten" 263 . Im Rahmen der skizzierten Kompetenz hatte das Eglofser Gericht auf niemanden Rücksicht zu nehmen. War den Richtern der Fall zu kompliziert oder unvertraut, um ein Urteil zu fällen, wandten sie sich nach Lindau, ihren sogenannten Oberhof seit 1282 und ließen sich dort fur ein angemessenes Urteil beraten. 259

260

Herausgezogen aus GAE, Verschiedene Urkunden 8/2 [zitiert nach einer vorhandenen, aber nicht mit einer Signatur ausgestatteten Kopie]. GAE, Beschwerden von 1521. Eine verbesserte, also modifizierte Fassung in WGA mit dem Titelvermerk auf der Rückseite: „Item artickel der beschwerden und trengnuß vor dem wolgebornen herren her Jergen Truchslß gegen denen von Wangen fürtragen von wegen der fryen lit von Meglofs in klags wise".

261

F. L . BAUMANN, A l p g a u , 2 4 7 .

262

GAE, Verschiedene Urkunden 18 und 19 [hier zitiert nach der nicht mit Signatur ausgestatteten Abschrift], Artikel 8. GAE, Verschiedene Urkunden Nr. 18 und 19.

263

66

1

INSTITUTIONEN

Der Aschermittwoch war in Eglofs der jährliche Höhepunkt des politischen Lebens. Aus dem Jahr 1465 ist dazu ein Protokoll überliefert, das aufs schönste illustriert, welche Bedeutung diesen Gemeinde- und Gerichtsversammlungen zukam 264 . Feierlich wurden folgende Dokumente verlesen: 1. die Königsprivilegien von 1300, 1309, 1330, 1332, 1353, 1382, 1449 und 1455, 2. ein Buch mit Rechten und Pflichten der Eglofser; 3. ein „Buch in pergament", das Bestimmungen über das sogenannte „Hauptrecht" enthielt, vermutlich eine Abgabe im Todesfall an das Reich; 4. die Statuten über die Einsetzung von Ammann, Gericht und Rat und 5. die Zuständigkeiten „aines radts und gerichtz". Wahrscheinlich wurde nach dieser feierlichen Verlesung der Privilegien und Rechte, die in ihrer Gesamtheit das Eglofser Recht ausmachten, weitere Statuten beschlossen und anschließend Gericht gehalten. Eglofs wurde früh an Adelige in der Region verpfändet. Das geschah erstmals 1330 durch Kaiser Ludwig den Bayern, und dabei ist es bis zum Ende des Alten Reiches 1806 geblieben 265 . Lediglich die Reichsstädte, reich und vermögend wie sie waren, konnten diese Verpfändungen öfter rückgängig machen, indem sie den Kaisern die Geldsummen zur Verfugung stellten, die nötig waren, um das Pfand auszlösen. Die Eglofser haben das auch einmal 1332 266 getan, dann aber offensichtlich nicht mehr die nötigen Mittel besessen oder auch nicht mehr das nötige politische Interesse, die Entwicklung aufzuhalten. Rechtlich hätten sie es gekonnt, denn noch 1516 mußten sie zur Verpfändung an die Reichsstadt Wangen ihre Zustimmung geben 267 . Um ihre Freiheiten und Rechte gegen Ubergriffe des heimischen Adels zu sichern, suchten die Eglofser den Weg der Verburgrechtung und des Schutzbündnisses mit benachbarten Reichsstädten. 1434 erlaubte ihnen Kaiser Sigismund, Schutz und Schirm bei Bürgermeister, Rat und Bürgern der Stadt Isny zu suchen. Das hieß konkret, daß Isny den Freien gerichtlich und militärisch Beistand zu gewähren hatte 268 . 1449 wurde das Privileg bestätigt und auch auf die Reichsstadt Kempten ausgeweitet. „Wir haben auch denselben freyen luthen zum Megloffs und iren nachkomen", heißt es dort, „darumb, das sy hinfiir von menniglichen ungehindert und ungeirrt by unß und dem rieh beleiben mögen, die besondere gnad geton, [...] das sy hinfür als oft und dickh sy nottdurft und bedunckhen würdet, unser und des richs lieben getreuen der burgermaister, räthe und burger der stett Kempten und Ysnin schuz und schirm an sich nemen sollen und mögen von allermeinglich ungehindert" 269 . Aufgrund einer dürren Notiz ist bekannt, daß bereits 1436 Eglofser und Isnyer gemeinsam

264

GAE, Verschiedene Urkunden 8/2 [Kopie vorhanden], Eine brauchbare Sammlung aller Verpfändungen verzeichnet WGA, Kopialbuch I [ohne Signatur]. 266 Kaiser Ludwig bestätigt die Freiheiten der Vorgänger und versichert, sie nie vom Reich zu trennen, „weil sie sich mit ihrem eigenen Geld von dem von Schellenberg an das Reich gelöst haben". Lupberger, Regesten Eglofs, Nr. 5 und 6. 1332 V. 19. Lupberger meint, es handele sich bei dem Hinweis auf die Schellenberger um ein Versehen, in Wahrheit beziehe sich der Vermerk auf 1243. Immerhin sind die Schellenberger als Verwalter der Grafschaft bekannt. Vgl. F. L. BAUMANN, Allgäu 2, 185f. 267 WGA, Beschwerden der Eglofser gegen die Pfandherrschaft Wangen. 268 WGA 3.2.9; 1434 IV. 1. 269 WGA, Vorläufiges Büschel 1035 [alte Signatur: 3.2.11], 265

1.4

Die verfaßte Gemeinde - eine Bilanz

67

„mit offenem Panier" gegen Graf Wilhelm von Montfort gezogen waren 2 7 0 . Es herrschte also Krieg. 1455 und 1494 wurden die Insyer vom Kaiser nochmals ausdrücklich ermahnt, diesen Schutz auch auszuüben 2 7 1 . Es kann nur an solchen Eingriffen und Übergriffen, auch solcher der Pfandherren, gelegen haben, daß sich die Eglofser auch am Bauernkrieg von 1525 beteiligten. Auch fur sie wurde 1525, wie für die meisten Bauern Oberdeutschlands, ein traumatisches Jahr 2 7 2 . Im Archiv des Eglofser Rathauses liegt ein Zettel, geschrieben an Pfingsten 1525, der das bekundet. Er datiert alle Kaiserurkunden nach dem Bauernkriegsjahr. „1. Rudolfus dei gratia romarum rex 243 alt. 2. Henricus dei gratia Romarum rex alt 216. 3. Wir Ludwig von gottes gnaden imperator alt 194", und so geht es fort bis zu „15. Maximiiianus 3 1 " 2 7 3 .

1.4

D I E VERFASSTE G E M E I N D E - EINE BILANZ

Die scharfe Trennung einer städtischen von einer dörflichen Welt, einer bürgerlichen von einer bäuerlichen Gesellschaft ist in allen historisch arbeitenden Geistes- und Gesellschaftswissenschaften üblich. Dafür gibt es viele Gründe: die unterschiedliche Größe der Siedlungen, die verschiedenen Formen des Wirtschaftens, die divergierenden Grade der Freiheit und Rechtsautonomie und (was vermutlich in den Vordergrund gerückt werden muß) das rückblickende Selbstverständnis einer bürgerlichen Wissenschaft. Die Unterschiede zwischen Stadt und Land sind indessen eher gradueller als prinzipieller Art. Die wenigsten Städte haben eine Größe vom Zuschnitt Straßburgs, eine auf Fernhandel orientierte Wirtschaft wie Augsburg und eine Rechtsautonomie wie Ulm. Vielmehr sind viele, namentlich landesherrliche Städte oft nur um ein Weniges größer als die Dörfer in den fruchtbaren Gebieten des Elsaß oder Oberschwabens, ihre Wirtschaft ist nicht selten noch stark agrarisch und von einer allgemeinen Freiheit kann, namentlich bei landesherrlichen Städten, keine Rede sein. Mißt man Stadt und D o r f mit dem Kriterium der ihnen eigenen Verfassung - und Verfassungen als verdichtete und institutionalisierte Form von gesellschaftlichen Realitäten sind dafür ein optimaler Parameter - , ergibt sich ein hohes Maß an Ubereinstimmung von Stadt und Land, an der in erster Linie überraschend ist, daß sie bislang nicht aufgedeckt wurde. Der Begriff Kommunalismus

zieht seine erste wesentliche Begründung - freilich keinesfalls

seine einzige, wie die nachfolgenden Kapitel zeigen werden - aus den korrespondierenden Formen der Organisation des Alltags im städtischen und ländlichen Raum. Es kürzt umständliche Wiederholungen ab, wenn man die getanen analytischen Schritte graphisch zusammenfaßt (Abb. 3).

270

271

272

273

F. L. BAUMANN, Alpgau, 246.

WGA 3.3.1. - WGA, Vorläufiges Büschel 1035. - Lupberger, Regesten Eglofs, Nr. 17. - WGA 3.1.15. F. L. BAUMANN, Allgäu 3 , 2 2 f .

GAE, Verschiedende Urkunden 20,2 (von Kreisarchivar Dr. Eisele auf 1525 datiert).

68

L

INSTITUTIONEN

Wahl / Bestellung durch Vorsitz in ] Bestätigung *

Bärger·

Kleiner Rat

Ammann

Gericht

Gericht



2.

3.

6.

7.

9.

10.

1 Patrizier

!

GEMEINDE

RAT / VIERER

GERICHT

Zusa m mensetzung Inhaber des Gemeinderechts (Haushaltsvorstände)

Zusammensetzu ng Vertreter der Gemeinde / Untergliedemngen der Gemeinde

Zusammensetzung Vertreter der Gemeinde / Untergliederungen der Gemeinde

Funktionen Satzungen - Frieden - Allmende und Wald - Gerichtsverfassung Steuer / Umlagen Ämterbeserzung Appcllationsinstanz ftir Gerichtsurteile

Funktionen Satzungen konkurrierend mit / delegiert von Gemeinde Polizeisachen

Funktionen Zivil- und Strafsachen im Bereich kommunaler Satzung und (teilweise) des Landrechts

Häufigkeit der Versammlungen jährlich oder auf Anfordern

Abb. 3:

Der institutionelle Aufbau der Gemeinde.

BÜRGERMEISTER/ AMMANN

Funktionen Vorsitz im Gericht und / oder Gemeinde Exekutive Annahme von Klagen Einzug von Bußen

1.4

Die verfaßte Gemeinde - eine Bilanz

69

Allen Formen von Gemeinde sind Gemeindeversammlungen eigen, die sich aus den Bürgern (wie gelegentlich schon seit dem 16. Jahrhundert auch Bauern hinsichtlich ihrer staatsrechtlichen Stellung heißen), also Einwohnern mit gesichertem Gemeinderecht, zusammensetzen. Für die Gemeindeversammlung definitorisch ist erstens ihr periodisches, festen Regularien und Terminen folgendes Zusammentreten, das niemand außer Kraft setzen kann, weder die Herrschaft noch die Gemeinde selbst, zweitens ihre Fähigkeit zu statuieren, und zwar gerade im Bereich alltäglicher Ordnungsprobleme (die herrschaftliche Interessen nicht notwendigerweise berühren müssen) und drittens ihre Repräsentationsfähigkeit. Es gibt einen Ordnungsbereich des gesellschaftlichen Zusammenlebens neben, unter oder über der Herrschaft (die Zuordnung ist eine Frage der Perspektive), über den die Gemeindeversammlung den Gewalt hat. Isoliert man die Zuständigkeiten von Gemeinden von solchen der Herrschaft, dann läßt sich dieser Satz über zwei Beobachtungen mühelos befestigen: politisch wichtige Geschäfte entscheidet die Gemeindeversammlung und und ursprünglich ist sie Appellationsinstanz für Urteile des Gerichts. Der Gewalt, der in der Gemeinde als solcher residiert, kann delegiert werden, daraus entstehen Räte und Vierer sowie Gerichte, zumindest wachsen den Gerichten Zuständigkeiten zu, die sie ohne die Gemeinde nicht hätten. Räte und Vierer repräsentieren die statutarischen Kompetenzen der Gemeindeversammlung, das erklärt auch ihr (in der Regel begrenztes) Gebots- und Verbotsrecht und ihre Ordnungsfunktionen. Modern und damit ungenau gesprochen sind in ihrer Hand die administrativen Kompetenzen der Gemeinde. Gerichte sind durchgängig mit Urteilern (Schöffen) aus der Gemeinde besetzt, fiir die sie amten. Es gibt Mischzonen gemeindlicher und herrschaftlicher Zuständigkeiten, die sich vornehmlich in den Kompetenzen der Richter (Gericht) und dem lokalen politischen Spitzenamt (Ammann) ausdrücken. Als Institutionen sind Gerichte und Ammänner älter als Kommunen, es sind Organe zur Gewährleistung herrschaftlicher Interessen. Deswegen ist die Beteiligung der Herrschaft bei ihrer Bestellung in der Regel unstrittig. Mit der Kommunalisierung indessen integrieren sie in ihrem Amt zusätzliche Aufgaben - die Richter die Urteile über die strittige Verletzung kommunaler Normen, die Ammänner die organisatorische Führung von Gemeindeversammlungen und solchen von Räten/Vierern. Der Kommunalismus erträgt also Herrschaft, aber er leitet sich nicht von Herrschaft ab. Folglich gibt es keinen systemischen und damit auch keinen logischen Zusammenhang zwischen Feudalismus (um das einleitend gebrauchte Kürzel zu verwenden) und Kommunalismus.

2

GESELLSCHAFT

Kommunalismus als Begriff mußte zunächst über den genetischen Code von analogen Institutionen bäuerlicher und bürgerlicher Gemeinden herausgearbeitet werden, weil die Wortbildung selbst aus der Gemeinde, der Kommune entwickelt ist, die als politischer Körper sich über ihre Verfassung definiert. Daß bäuerliche und bürgerliche Gemeinde zusammengehören, läßt sich auch über das gesellschaftliche Substrat verdeutlichen, auf dem sie ruhen.

2.1

V O N DEN LABORATORES ÜBER DEN GEMEINEN MANN UND UNTERTANEN ZUM BÜRGER

Die österreichische Regierung in Innsbruck sprach in ihren Korrespondenzen mit den Amtleuten in den habsburgischen Vorlanden im Frühjahr 1525 häufiger von einer „Empörung des Gemeinen Mannes", um dortige Vorgänge zu beschreiben, die schließlich in den Bauernkrieg münden sollten1. Etwas neutraler drückte sich Markgraf Philipp von Baden aus, wenn er im gleichen Jahr von einer „samblung des gemeinen manns" sprach. Einer der großen reflektierenden Berichte über den Bauernkrieg, Johannes Stumpfs Reformationschronik, beginnt mit dem Satz, „anno domini 1525, in anfang diß jars, entstund eine grosße, ungehörte entpörung des gemeynen manns allenthalben in gantzem Germanien"2. Die Aufständischen selber hatten gegen den Begriff Gemeiner Mann nichts einzuwenden - offenbar fehlte ihm der eher pejorative Beigeschmack, der ihm heute eigen ist - , denn sie bezeichneten sich zur selben Zeit häufiger mit dem Kollektivsingular der Gemeine Mann. Im Frühjahr 1525 schickten die Schwarzwälder einen Brief an die Stadt Villingen, in dem es heißt, dem „armen gemeinen Man in Stetten und uf dem Lande" seien die gegenwärtigen politischen Verhältnisse unerträglich. Um das zu beseitigen, sollte nach den Vorstellungen der fränkischen Bauern in Heilbronn ein Bauernlandtag abgehalten werden, mit dem Ziel, einen Vergleich zwischen dem „gemeinen Mann" und den „Fürsten, Herren und Edlen" herbeizufuhren. Dem zuletzt zitierten Beleg läßt sich entnehmen, daß der Gemeine Mann auf die regierenden Schichten, Fürsten, Herren und Adel, kurzum auf Herrschaft polarisiert. Das bestätigt der nämliche Text insofern, als er Gemeiner Mann und Untertanen synonym verwendet. Das ist die erste und allgemeinste Bedeutung, die sich aus der Ereignisgeschichte des Jahres 1525 in Oberdeutschland ergibt - der Gemeine Mann probt die Beseitigung seiner

Alle Belege zum Begriff selbst sind, soweit keine anderen Nachweise erfolgen, entnommen P. BLICKLE, Revolution, 192. Ernst Gagliardi u.a. (Hgg.), Johannes Stumpfs Schweizer- und Reformationschronik, 1. Teil (Quellen zur Schweizer Geschichte, Neue Folge, Abt.: Chroniken 5), Basel 1952, 261.

2.1

Laboratores - Gemeiner Mann - Bürger

71

Herren. So hat das schon der Kurfürst von Sachsen gesehen. „Will es Gott also haben", so kommentierte er den Aufstand von 1525, „so wird es also hinausgehen, daß der gemeine Mann regieren soll"3. Aus den zitierten Nachweisen ergibt sich aber auch eine weitere Möglichkeit der Präzisierung - der Gemeine Mann lebt in den Städten und auf dem Lande, wie es im Schreiben an die Villinger heißt. Bauern und Bürger sind, heruntergekürzt auf ihren gemeinsamen begrifflichen Nenner, der gemeine Manrft. Semantische Analysen des Materials der Reformationsund Bauernkriegszeit erlauben es, eine schärfere Abgrenzung innerhalb der städtischen und ländlichen Bevölkerungsschichten zu gewinnen5. Ausgeschlossen scheinen auf dem Land die Geistlichen, Amtleute, Juden, Zigeuner und das Gesinde zu sein, in der Stadt die Patrizier, die Juden, Zigeuner, Bettler und unehrliche Leute6. Gemeiner Mann ist somit keinesfalls zu übersetzen mit Bevölkerung oder Volk. Gesellschaftsgruppen, die sich durch ihre Nähe zur politischen Macht definieren (Patrizier•) stößt der Gemeine Mann ebenso aus, wie städtische oder ländliche Unterschichten (Gesinde) oder Randgruppen (Juden, Bettler). Es ist gewiß verführerisch, angesichts der Gravitation des Begriffs auf Bauern und Handwerker den Gemeinen Mann gegen den „Gemeindsmann" auszuwechseln und folglich im Gemeinen Mann das vollwertige Mitglied der Gemeinde zu sehen7. Trotz der engen etymologischen Verwandtschaft von Gemein und Gemeinde ist diese Herleitung nicht zwingend. Gemeiner Mann orientiert wie gemeine Christenheit oder gemeiner Nutzen auf etwas Allgemeines, aber nicht auf die Gemeinde. Dennoch gibt es einen engeren Konnex von Gemeiner Mann und Gemeinde, weil, wie die Aussonderung von Randgruppen zeigt, der Gemeine Mann eng mit definierten beruflichen Tätigkeiten im Rahmen einer selbständigen Wirtschaftseinheit (Hof,Haus) verknüpft wird, die ihrerseits die Grundlage des Gemeinderechts darstellt. Für die Gegenstandskonstituierung Kommunalismus ist die Beobachtung nicht ganz belanglos, daß der Begriff Gemeiner Mann offensichtlich vornehmlich im oberdeutschen Raum vorkommt 8 . Im 16. Jahrhundert wird er äußerst häufig verwendet, hält sich aber noch bis ins 18. Jahrhundert, obwohl ihm der Untertan ernsthaft Konkurrenz macht. Ver3 4

5 6

7 8

Zitiert bei P. BLICKLE, Revolution, 194. So schon in Korrespondenzen der Eidgenossenschaft des 15. Jahrhunderts, die „Obrigkeit" und „den gemeinen Mann" polar aufeinander beziehen. Vgl. K. Klüpfel (Hg.), Urkunden zur Geschichte des schwäbischen Bundes, 1. Teil, Stuttgart 1846, 284. Vgl. R. H. LUTZ, Gemeine Mann, besonders 39. Für den städtischen Bereich H. R. SCHMIDT, Reichsstädte, 32 f. Interessanterweise deckt danach der Begriff in den zunftverfaßten Städten einen weiteren Kreis als in solchen mit Ratsverfassung. So die etymologische Herleitung bei R. H. LUTZ, Gemeine Mann, 50—76. Das erbringen jedenfalls die lexikalischen Auswertungen bei R. H. LUTZ, Gemeine Mann, 5. Eine mehrhundertseitige Materialsammlung bei R. BÜCHNER, Der „gemeine Mann". Untersuchungen zu einem problematischen Begriff, Masch. Habil. phil. Innsbruck 1986 [auskunftsreich besonders die Belege ebd., 1 8 , 2 9 , 3 2 , 3 5 , 4 6 , 8 6 , 1 1 6 , 151,153 f., 1 6 9 ] . - E s wäre noch zu prüfen, ob der Begriff nicht mit der sich zunehmend nach Norden ausdehnenden hochdeutschen Sprache schließlich seine generelle Verbreitung in Deutschland findet. - Die Diskussion über die Brauchbarkeit des Begriffs wurde bislang hauptsächlich im Umfeld von Bauernkrieg und Reformation geführt, was die räumliche Einschränkung erklären könnte.

72

2

GESELLSCHAFT

folgt man das Begriffspaar Gemeiner Mann - Untertanen durch das 16. Jahrhundert hindurch und ins 17. Jahrhundert hinein, so ergeben sich bemerkenswerte Wandlungen 9 . Der Gemeine M a n n der ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts, zweifellos ein Begriff aus der politischen Sphäre, wird in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts einerseits zum „Gemeinen M a n n und Untertanen" und wechselt in der Regel als „Untertan" in das 17. Jahrhundert, andererseits zum „Gemeinen hartschaffenden Mann", zum „Gemeinen unverständigen M a n n " , zum „Gemeinen Mann auf dem Land, in Flecken und Dörfern" und wird damit schließlich eine Bezeichnung ausschließlich fiir Bauern. Daneben gibt es im frühen 16. Jahrhundert auch die Bezeichnung „Armer Mann", die im Gegensatz zu Gemeiner M a n n eher der sozialen Sphäre zuzuordnen ist, wiewohl damit nicht primär wirtschaftliche Armut umschrieben wird, sondern eher politische Machtlosigkeit. Daraus könnte sich das nicht seltene Kompositum .Armer und Gemeiner M a n n " erklären. Aus dem Armen Mann wird in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts einerseits der nun tatsächlich arme Mann im ökonomischen S i n n - d e r Begriff lebt in der Pluralform Arme Leute im 17. und in den Folgejahrhunderten weiter - , andererseits der „Arme Untertan", der schließlich mit dem „Gemeinen M a n n und Untertan" im 17. Jahrhundert zum Untertanen verschmilzt. Untertanen sind in der politischen Sprache überwiegend die Bauern und Bürger, äußerst selten die landsässigen Adeligen und Prälaten. Der Polizeitheoretiker GEORG OBRECHT stellte eine enge Beziehung zwischen Untertanen und Steuerpflichtigen her und grenzte damit, weil landsässiger Adel und Geistlichkeit in der Regel von der Steuerpflicht eximiert blieben, die Untertanen auf Bauern und Bürger ein 1 0 . JOHANN JOACHIM BECHER folgte ihm, wenn er explizit Bauern, Handwerker und Kaufleute zu den Untertanen zählte 11 , die den übertriebenen Luxus nicht nur der Obrigkeiten, sondern aller Adeligen begleichen müßten. „Wo ist manchen Obrigkeit nun mehr begriffen/ sambt ettlich Edelleuten/ als umb Gelt einzufordern [...]. Darbey bleibt es noch nicht/ die Hoffart will gesehen seyn/ in Essen/ Kleiden/ Dienern/ Music/ Tantzen/ Kutschen/ Pallästen/ und tausenderley andern unnötigen Anhängen/ welche alle der arme Underthan bezahlen muß" 1 2 .

9

10

11

12

Die Belege zur Begriffsgeschichte von Gemeiner Mann entstammen ganz überwiegend - editionsbedingt - württembergischen Quellen. Vgl. PETER BLICKLE, Untertanen in der Frühneuzeit. Zur Rekonstruktion der politischen Kultur und der sozialen Wirklichkeit Deutschlands im 17. Jahrhundert, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 70 (1983), 483-522 [dort Einzelnachweise für die Begriffe]. GEORG OBRECHT, Politische Bedencken und Discurs: Von Verbesserung Land vnnd Leuten/Anrichtung guter Policey [...]: Allen Hohen und Nideren Oberkeiten/besonders des Heyligen Römischen Reichs Ständen/in diesen letzten vnd hochbetrangten Zeiten/zum besten gestellt, o.O. 1617, 10. JOHANN JOACHIM BECHER, Polititische Discurs von den eigentlichen Ursachen des Auff- und Abnehmens der Stadt/Länder und Republicken/in specie, Wie ein Land Volckreich und Nahrhafft zu machen/und in eine rechte Societatem Civilem zu bringen, Frankfurt a. M. 2 1673, 98 ff. - Vgl. die vom Steuerzahler her mögliche Entwicklung des Bürger-Begriffs bei P.-L. WEINACHT, Staatsbürger, 49. J. J. BECHER, Moral Discurs von den eigentlichen Ursachen des Glücks und Unglücks, Frankfurt a. M. 1699,44,49.

2.1

73

Laboratores - Gemeiner M a n n - Bürger

Irgendwann 13 , mit Sicherheit im 18. Jahrhundert, erhielt der Untertan im

Bürger

einen

Konkurrenten, dem er sich schließlich längerfristig nicht gewachsen zeigte. Auch hier bleibt zunächst die bemerkenswerte Tatsache festzuhalten, daß die etymologische Herkunft des Wortes die Herrenstände Adel und Geistlichkeit ausschließt. Der in der deutschen Sprache an die (am Fuß einer Burg entstandene) Stadt gebundene Bürger wurde jetzt generalisiert und auf die bäuerlichen Schichten erweitert. Besonders frühe Beispiele stammen aus dem Elsaß, wo schon im 16. Jahrhundert in Huldigungseiden von Bauern das Untertanenverhältnis mit „Burgerschaft" wiedergegeben wird 14 . In der württembergischen Landesordnung von 1621 sind „Burger und Undertonen" analoge Begriffe, „diejenig Manns- und Frauenpersonen, so in den Stätten oder Flecken Burgerrecht begehren", dürfen keinen Leibherren haben und werden in ein eigenes „Burgerbuch" eingetragen 15 . Baden überträgt 1622 Elemente der städtischen Gemeindeverfassung in die Landesordnung, womit das Dorfrecht zum „Bürgerrecht" und der Dorfgenosse zum „Bürger" werden 16 . So konnten sich dann in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entsprechend generalisierende Formulierungen selbst in Lexika festsetzen: „Unterthanen [...] heissen diejenigen, welche einer Obrigkeit unterworfen, und deren Gesetzen und Befehlen zu gehorchen verbunden sind. Das Wort Bürger ist bisweilen eben das" 1 7 . Seit Gemeiner Mann und Untertan amalgamierten, hat die ursprünglich eher wertfreie Bezeichnung Gemeiner Mann eine ins Negative spielende Bedeutung erhalten. Das war dort anders, wo Bauern und Bürger fürstliche und adelige Herrschaft ganz abstreifen konnten, wie in Graubünden. In einer offiziösen Veröffentlichung der sogenannten Drei Bünde, geschrieben zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges und übersetzt in die wichtigeren europäischen Sprachen, heißt es programmatisch: „Die form vnsers Regiments ist Democratisch: vnnd stehet die erwellung vnnd entsetzung der Oberkeiten/allerley Amptleüten/Richtern vnd Befelchshabern/so wol in vnsern befreyten vnnd herrschenden Landen/als auch vber die/so vns vnderthenig sind/bey vnserem

gemeinen man

[Hervorhebung P.B.]: welcher

macht hat/dem mehren nach/Landsatzungen zümachen/vnd wider abzöthfln/Pündtnussen mit frömbden Fürsten vnd Stenden aufzörichten/vber Krieg vnd Fried zfl disponieren/vnd

13

D i e fehlende zeitliche Präzisierung trägt dem U m s t a n d Rechnung, daß nicht untersucht ist, wie weit der Bürgerbegriff auch als Bezeichnung für Bauern in frühere Jahrhunderte zurückreicht. Für die Verwendung in der politischen Literatur Belege bei P.-L. WEINACHT, Staatsbürger, 45. - Vgl. die knappe Übersicht bei M . STOLLEIS, Untertan - Bürger - Staatsbürger. Bemerkungen zur juristischen Terminologie im späten 18. Jahrhundert, in: R u d o l f Vierhaus (Hg.), Bürger und Bürgerlichkeit im Zeitalter der Aufklärung (Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung 7), Heidelberg 1981, 65-99.

14

P. K. WEBER, Lichtenberg, 2 2 2 . - Ähnliche Belege für die Klosterherrschaft Marchtal 1578 („Wann der gemain mann oder burger diser herrschaft [...]". P. Gehring, Oberschwaben, 3 8 8 ) , Uttenweiler 1760 (ebd., 4 6 5 ) , Kloster Heiligkreuztal 1705 (ebd., 532), Dorfbrauch Erringen 1683 (ebd., 548), Gerichtsordnung Emerkingen 1672 (ebd., 6 2 1 ) , Gerichtsordnung Markt Laupheim 1622 (ebd., 782).

15

G . K . Schmelzeisen, Landesordnungen, 4 3 1 f . Vgl. A. STROBEL, Agrarverfassung, 168; ergänzend ebd., 123. [Zedier,] Universal-Lexicon, 49. Bd., Sp. 2 2 5 3 . - Für das U m f e l d M . RIEDEL, Bürger, 6 8 1 ff.

16 17

74

2

GESELLSCHAFT

alle andere der hohen vnd mindern Oberkeit gebürende Sachen zöverhandlen" 18 . In Deutschland ist vom Gemeinen Mann in einem positiven Sinn zeitgleich und im 18. Jahrhundert eher selten die Rede. Interessanterweise kommen die wenigen Belege aus dem süddeutschen R a u m . JOHANN JACOB MOSER hielt es 1769 für nötig zu sagen, die Erfahrung

lehre, dal? es von „wichtigen Staats-Sachen offt heisset: Vox Populi, vox Dei; und wie die gesunde Bauren-Philosophie in Praxi offt vil brauchbarer ist, als die spizfiindigste Cartesianische, Thomasische, Wolfische etc. so urtheilet auch Act gemeine Mann [Hervorhebung P.B.] und ein mit keinen sonderlichen Staats-Leuten beseztes Landschaftliches Collegium auch in Staats-Sachen, wie es der Erfolg beweiset, zuweilen vil gründlicher, als ein durch ein übertriebene Ambition, andere Affecten, oder das Interesse etc. angetriben- verleitet- und verblendeter Regent, samt seinem ganzen Staats-Ministerio" 19 . Man darf annehmen, daß Moser Süddeutschland im Auge hatte, denn anderwärts gab es keine Landschaften mit bäuerlicher Beteiligung, wohl aber gab es sie in Tirol, in Württemberg und in Vorderösterreich. Der Gemeine Mann hat eine weit ins späte Mittelalter zurückreichende Wurzel und ist wohl auch oft - wie die verbreitete Redeweise vom „armen gemeinen Mann" zeigt - austauschbar mit dem Armen Mann. Beides fuhrt wiederum zurück auf die wohl ursprüngliche Bedeutung von nicht-herrschaftsfähig. Der Gemeine Mann des 14. Jahrhunderts ist eine Figur der Schiedsgerichtsbarkeit, ein in Oberdeutschland besonders beliebtes Verfahren des gerichtlichen Ausgleichs 20 . Üblicherweise wählten die streitenden Parteien je zwei, drei oder mehr Schiedsleute, die je nach der getroffenen Vereinbarung gütlich oder rechtlich den vorliegenden Konflikt entscheiden konnten. Bei Stimmengleichheit der Richter ergänzten sie sich um einen Gemeinen Mann, der den Stichentscheid gab. Der Gemeine Mann in diesem Kontext ist kein Richter aufgrund adeliger Standesqualitäten, vielmehr ersetzt er als letztrichterliche Instanz den König und den Fürsten. Ein Bedeutungswandel scheint allmählich stattgefunden zu haben, doch

18

19

20

Grawpündtnerisch Handlungen deß M.DC.XVIII.jahrs. Gedruckte Flugschrift [vorhanden Kantonsbibliothek Graubünden]. Den Text hat mir freundlicherweise Randolph C. Head zur Verfügung gestellt. Zur Interpretation vgl. dessen Arbeit Social Order, Politics and Political Language in the Rhaethian Freestate (Graubünden) [UMI Dissertation Information Service], 1992, 502 ff. Die französische Fassung [vorhanden Schweizerische Landesbibliothek, Bern, 149/K 139] gibt gemeiner Mann mit „peuple" wieder, die englische [The Proceedings of the Grisons, in the Yeere 1618, Nachdruck Amsterdam 1971] mit „people" und „commons", die italienische [Fatti de Grisoni nell'Anno 1618, vorhanden Schweizerische Landesbibliothek Κ 41, 987] mit „popolo". Schon früher bildet sich offenbar im militärischen Bereich eine ähnliche Auffassung aus, denn es sei dahin gekommen, heißt es in einer St. Galler Chronik, „das ainer als vil gilt als der ander, ritter und knecht, hoptman und gemain man all zflglich", Emil Egli - Rudolf Schoch (Hgg.), Johannes Kessler Sabbata, St. Gallen 1902, 321. J. J. MOSER, Von der Teutschen Reichs-Stände Landen, Frankfurt-Leipzig 1769 [Nachdruck 1977], 497 f. Die Schweizer Eidgenossenschaft hat diese Form des Konfliktaustrags besonders hoch entwickelt und bis ins ausgehende 18. Jahrhundert bewahrt. - Einer der ältesten Belege im Ulmer Schwörbrief von 1397: Der Bürgermeister soll ein „gemain man" sein dem Armen und Reichen; C. Mollwo, Das Rote Buch, 264.

2.1

Laboratores - Gemeiner Mann - Bürger

75

ist schon in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wiederholt - auch in der Sprache des Reichstags 21 - vom Gemeinen Mann im Sinne von Untertanen die Rede 22 . In die gleiche Richtung weist auch der arme Mann, der im Spätmittelalter nicht nur den Armen im wirtschaftlichen Sinn meint, sondern den zur Herrschaft nicht Befähigten. Es spricht viel dafür, das Begriffspaar Arm und Reich, das in den Städten anläßlich der Zunftkämpfe häufiger begegnet und dort die herrschende patrizische Oberschicht einerseits und die vom Stadtregiment ausgeschlossenen Handwerker andererseits bezeichnet, als Fortsetzung der mittelalterlichen Redeweise von potens und pauper zu verstehen, die Herrschaftsfähigkeit und Herrschaftsunterworfenheit begrifflich abbilden 23 . Pauperes in diesem Sinne sind substituierbar durch laboratores. Als laboratores jedoch bezeichnet die geläufige Ständelehre jene, die den Dritten Stand ausmachen. Damit sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, daß sich eine funktionale Sonderung von Heilsverwaltern (oratores), Kriegern (bellatores) und Produzenten (laboratores) herausgebildet hatte 24 . Der Sachverhalt wurde als Gesellschaftstheorie von geradezu göttlicher Dignität ideologisch verfestigt und bis ins revolutionäre Zeitalter von jenen, denen sie diente, festgehalten. „Gott hat driu leben geschaffen", hieß die deutsche Variante, „ritter, geburen und Pfaffen". Das sollte heißen, der Adel schützt durch seine Waffenfähigkeit die Priester und die Bauern. Die Priester vermitteln das Heil den Laienständen Adel und Bauern. Die Bauern schließlich ernähren mittels ihrer Arbeit die Herrenstände Adel und Priester. Die Realität paßte nicht fugenlos, aber doch weitgehend zu diesem theoretischen Konstrukt. Aufgabe des Adels war es, Schutz zu gewähren. Der Schutz ist der Kern der Herrschaft. Sie wird ausgeübt über Grund und Boden und die den Boden bebauenden Menschen, sowie mittels einer aus beiden Rechtstiteln abgeleiteten Gebots- und Strafgewalt. Priester rückten in die Kategorie des Herrenstandes ein, soweit sie über Grund und Boden im größeren Umfange verfügten, wiewohl sie sich zur Ausübung ihrer weldichen Funktionen häufig des Adels bedienen mußten (Vogtei). Diese allerdings im wesentlichen mittelalterliche Figur verschwand im Lauf der Frühneuzeit, als die Vögte der geistlichen Institutionen mehr und mehr zu Beamten wurden, die von den Bischöfen und Prälaten nach Belieben eingesetzt werden konnten 21

22

23

24

Ε. A. Koch, Reichs-Abschiede 1, 25 [zu 1495], 89 [zu 1500], Im 16. Jahrhundert sind die Belege dann zahllos, sowohl in den Reichstagsabschieden als auch in den Reichstagsakten. Summarisch als Beleg: CHRISTIAN GOTTLIEB BUDER, Nützliche Sammlung verschiedener meistens ungedruckter Schriften, Berichte, Urkunden, Briefe, Bedencken, welche zu Erläuterung der Natur und Völcker besonders Teutschen Staats- und Lehn-Rechten auch Kirchen-Politischen und gelehrten Historien dienen können, Frankfurt-Leipzig 1735, 384, 391, 393, 397,398. Auf territorialer Ebene so schon 1424 in Württemberg. Vgl. A. L. Reyscher, Sammlung altwürttembergischer Statutar-Rechte, Tübingen 1834, 244 [zu Besigheim 1424]. - A. L. Reyscher, vollständige, historisch und kritisch bearbeitete Sammlung württembergischer Gesetze, 17. Bd., Stuttgart 1848, 10 [1470 Ordnung, wie die Schätzung einzubringen]. Seit spätestens 1490 ist der Begriff ein fester Bestandteil der Landesordnungen und Mandate in Württemberg. Für die gemeinte Bedeutung von Arm und Reich Belegmaterial für Ulm bei C. Mollwo, Das rote Buch, 258-264. K. BOSL, Potens. - K. F. WERNER, Volk, 253 f. OTTO G. OEXLE, Die funktionale Dreiteilung der „Gesellschaft" bei Adalbero von Laon, in: Frühmittelalterliche Studien 12 (1978), 1-54. - DERS., Dreiteilung, 46 f., zum Zusammenhang von Gemeiner Mann und Dritter Stand.

76

2

GESELLSCHAFT

und zunehmend aus dem Bürgertum kamen, also ihre ursprünglich erforderliche Adelsqualität abstreiften. Der Stand der laboratores definiert sich explizit, wie das Wort sagt, durch Arbeit und implizit dadurch, daß er nicht über Herrschaft verfugt. Damit sind als laboratores in einer zweifachen Herleitung Bauern und Bürger namhaft gemacht. Das ist ftir die Konzeptualisierung des Kommunalismus eine äußerst wichtige Einsicht. Offenbar ließen sich differenziertere Theorien sozialer Gliederung, die Bürger und Bauern als je eigene gesellschaftliche Großgruppen getrennt hätten, gedanklich nicht entwickeln beziehungsweise nicht durchsetzen. Der Schritt von einer Dreiständelehre zu einer Vierständelehre wurde zwar gelegentlich versucht, doch er blieb in den Entwürfen von Gesellschaft eher ein Seitenweg 25 . Nennenswerte gesellschaftliche Veränderungen wurden immer und offenbar erfolgreich theoretisch der Drei Stände-Lehre eingepaßt. Die Reformation machte aus den oratores den Lehrstand, der Prediger und Lehrer umfaßte, und aus den bellatores den Regierstand, dem die Fürsten und ihre beamteten Bürokratien zugeordnet werden konnte. Die laboratores sind geblieben, was sie immer waren, die Handarbeiter. Die Differenzierung in Bürger und Bauern machte aus ihnen keine eigenen Stände, wie auch die extremen Unterschiede zwischen Kurfürsten und Rittern den Adel als Stand nicht aufzulösen vermochten. Die in der Stadt und auf dem Land lebenden Menschen - so wird man aus diesen Belegen und Analysen schließen dürfen und müssen — wurden in einer prinzipielleren Weise gesellschaftstheoretisch nie getrennt, im Gegenteil über 500 Jahrhunderte in vier zeitlich unterscheidbaren Sequenzen mit den Bezeichnungen Laboratores, Gemeiner Mann, Untertanen und Bürger immer gemeinsam erfaßt. In allen drei Benennungen stecken die immer gleichen zwei definitorischen Merkmale - Arbeit ja, Herrschaft nein.

2.2

HAUSVÄTER

Städtische und ländliche Kommunen verbindet ein herrschaftssoziologisches Kriterium das kollektive Regiment der Hausväter. Männer haben bis weit in die Moderne herein jede Art von politischem und öffentlichem Leben bestimmt und beherrscht. Das gilt auch für die kommunale Politik: Gemeindeversammlungen im Dorf und in der Stadt werden in der Regel von Männern beschickt, es gibt Vierer und Räte, aber keine Viererinnen und Rätinnen, es gibt Ammänner und Bürgermeister, aber keine Amtmänninen und Bürgermeisterinnen. Dennoch ist die Redeweise von der Männerherrschaft streng genommen ungenau, weil bei der Hausherrschaft kein biologisches Prinzip zugrunde liegt, sondern ein rechtliches. Das dem Spätmittelalter und der

25

K. BOSL, Potens, 131. - M . RIEDEL (Bürger, 6 7 6 - 6 8 3 ) räumt dem Bürger die Qualität eines eigenen status ein. Hingegen arbeitet die Französische Revolution noch ganz selbstverständlich mit den drei Ständen (vor allem auch in der revolutionären Bildpropaganda). Vgl. auch K. F. WERNER, Volk, 255 ff., 276. - Für die Möglichkeiten, den Begriff (im Spätmittelalter) weiter zu entwickeln, generell O . G . OEXLE, Dreiteilung, 4 1 - 4 6 .

2.2

Hausväter

77

Frühneuzeit eigene Verständnis vom Haus bringt die entsprechenden Formen von Herrschaft hervor. Politische Rechte sind ohne die dingliche Basis eines Hauses nicht denkbar. Läge ein biologistisches Verständnis der Männerherrschaft zugrunde, hätten alle erwachsenen Männer politische Rechte ausüben müssen - das aber war nicht der Fall. Was ist das Haus? Die Semantik von Haus reicht über die Wohnstätte weit hinaus. „Die Begriffe Familie u n d H a u s g e h ö r e n e n g z u s a m m e n " 2 6 , h a t KARL SIEGFRIED BADER m i t Blick

auf seine südwestdeutschen Quellen festgestellt. Um so auffallender ist es, daß die deutsche Sprache kein eigenes Wort für eine so wichtige Sache wie die Familie zur Verfugung stellt, sondern sich mit dem lateinischen Lehnwort familia begnügt 27 . Zur Familie gehören neben Mann, Frau und Kindern auch Knechte und Mägde und sonstige Mitbewohner des Hauses. JOHANN FISCHART, ein äußerst aufmerksamer und kritischer Zeitgenosse aus Straßburg, hat diesen Sachverhalt bestätigend 1591 in den knappen Satz gebracht: „Inn der Haußhaltung ist viererley Volck. Eins gebietet vnd herschet, als der Haußvatter: Daß ander gehorsamet, als das Weib: Daß dritt ist ein anmütige zugehfilffe deß geschlechts vnnd deß Haußgesinds, als die Kind. Daß vierte ist vnterthinig, als knecht und Migd" 28 . Den sentimentalen Sinn von heute erhält das Wort Familie erst im 18. Jahrhundert, und zwar durch die Übernahme des französischen Wortes famille ins Deutsche 29 . Was ist das Haus, wird man nochmals genauer fragen müssen, nachdem es sich der Familie in so hohem Maße überlegen zeigt30? „Organisatorischer Mittelpunkt und rechtliches Bezugszentrum der Herrschaft' , antwortete OTTO BRUNNER, gestützt auf österreichisches Quellenmaterial 31 . Die Einsicht gehört zu den bedeutenderen der Geschichtwissenschaft und ermöglichte, was sich Brunner auch nicht hat entgehen lassen, das Haus als strukturierendes Prinzip von Gesellschaft und Macht zum Proprium Alteuropas hinaufzuinterpretieren 32 . Herrschaft ist fur ihn vor allem, wie der Wortsinn nahelegt, auf einen Herrn, einen Adeligen, bezogen, und folglich stehen adelige Häuser, Burgen, Festen und Schlösser, im Vordergrund seines Interesses, vom Haus Württemberg^^ zur casa d'Austria33. Häuser sind mehr als bloße Wohnstätten. Mit dem adeligen Haus hat das Haus auf dem Land und in der Stadt gemeinsam, daß es einen besonderen Friedensbezirk darstellt. Der Bauer soll so „fridtbar sein in seinem haus als der herzog in seiner bürg", heißt es in einem österreichischen Weistum, und vom Bürger sagt ein österreichisches Stadtrecht, „domus sua pro munitione sit"3,4. Haus assoziiert noch heute die Vorstellung von Friede. Es ist Hausfrie26

K . S.BADER, D o r f 1 , 2 1 8 .

27

Vgl. O . BRUNNER, Haus, 110 f. - Inwieweit Ehe das W o r t Familie ersetzt, ist im Diskussionszusammenhang von Haus und Familie nicht geprüft worden. JOHANN FISCHART, Das Philosophisch Ehezuchtbächlin oder die V e r n u n f t gemäse Naturgescheide Ehezucht, sampt der Kinderzucht, Straßburg 1591, fol. Κ 8 b. H . J. TEUTEBERG, Familienforschung, 21. Die Forschungsüberblicke sind mittlerweile schier unzählbar. Auswahlweise H . J. TEUTEBERG, Fa-

28

29 30

m i l i e n f o r s c h u n g , 2 1 - 3 5 . - D . W . SABEAN, N e c k a r h a u s e n , 8 8 - 1 2 3 . 31 32 33 34

O . BRUNNER, Land, 254. O. BRUNNER, Haus. O. BRUNNER, Land, 254 ff. Die Zitate ebd., 256 f. [auch Fußnote].

78

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GESELLSCHAFT

densbruch, wenn sich die Polizei ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl in eine Wohnung drängt, und die ersten Hausbesetzer der 1970er Jahre hatten sich selbst bei der Inbesitznahme leerstehender Häuser nicht selten wegen Hausfriedensbruchs zu verantworten. Das sind letzte Relikte einer alten Tradition. In der schmucklosen und kurzen Form, die Juristen lieben, heißt ein zentraler Satz des Lebenswerks von KARL SIEGFRIED BADER: „Im Hause herrscht Friede" 3 5 . Durch den Hausfrieden werden alle im Haus lebenden und wohnenden Menschen geschützt 3 6 . Weil der Friede nur durch Macht gesichert werden kann, hat BRUNNER diese Einsicht weiter generalisieren müssen und folglich jedem Haus bestätigt, „die unterste Stufe originärer Gewalt" zu sein 3 7 . Weitere Folgerungen zu ziehen, hielt er offensichtlich nicht für besonders dringlich. Darin darf man einen Mangel sehen, weil die Formen horizontal organisierter Macht, wie sie in der Stadt und im D o r f durch Gemeinden ausgeübt werden konnten, systemisch nicht erfaßt werden. Folglich spielen sie auch im Werk von Brunner keine nennenswerte Rolle 3 8 . Was ist das Haus in Stadt und Land? In der gravitätischen Sprache, die das 19. Jahrhundert gelegentlich liebt, hat OTTO VON GIERKE den Satz geschrieben: „Im Gehege der Hofstätte findet die Hausherrschaft des selbständigen Mannes ihr dingliches Abbild" 3 9 . Ehofitatt nennen oberdeutsche Quellen das zusammengehörende Ensemble von Haus, Hofstatt und Garten, das oft durch einen Etter eingehegt war. Die durch e qualifizierte Hofstatt gibt sich als eine gesetzliche, rechdiche, vollberechtigte Einheit zu erkennen 4 0 . Alle Rechtsansprüche auf die Flur und die Allmende sind an der Ehofstatt angekoppelt und so auch alle politischen Rechte. Wenn die Quellen davon sprechen, das Gemeinderecht hänge an „Feuer und Rauch", dann kommt damit lediglich der Sachverhalt zum Ausdruck, daß das Haus innerhalb der Hofstatt der fur das Leben der Menschen zentrale Platz ist. Wo das deutsche Ehofstatt latinisiert werden mußte, erscheint es als area*1. Hofstatt und area nun gibt es nicht nur im Dorf, sondern auch in der Stadt. Wie das Dorf nur eine bestimmte, den landwirtschaftlichen Ressourcen angemessene und damit recht stabile Zahl von Hofstätten duldet, so die Stadt eine solche, die den handwerklich-kaufmännischen Möglichkeiten entspricht. Daß „kein newe hoffstatt gebawen" werde, gebietet der Ulmer Rat für seine Dörfer 4 2 . Es gibt, sagt dieser eindeutige Beleg, eine feste Zahl von Ehofstätten, auf ihnen dürfen Häuser errichtet werden und sonst nirgends. Wie die dörfliche Hofstatt

33 36

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K. S.BADER, D o r f 1 , 2 1 8 . W o die Friedensgrenze endet, am Dachtrauf oder a m Etter, ist zwischen O . BRUNNER, Land, 2 5 6 , und K. S. BADER, D o r f 1, 2 2 1 [hier knapp zusammenfassend; die ganze Arbeit befaßt sich zentral mit den verschiedenen Formen von Etterfrieden] strittig, möglicherweise nur deswegen, weil unterschiedliche historische R ä u m e das empirische Material fiir die Generalisierungen liefern. O . BRUNNER, Haus, 109 f. Z u m Teil ist das sicher dem (inner- u n d nieder-) österreichischen Quellenmaterial anzulasten; T i rol und Vorarlberg, wo Gemeinden hoch entwickelt sind, werden von Brunner (Land) eher beiläufig herangezogen. Zitiert bei K. S. BADER, D o r f 1 , 5 2 A n m . 3. Belege und deren kritische Diskussion ebd., 52 ff. Ebd., 52. Ebd., 236. - P. Gehring, Oberschwaben, 44.

2.2

Hausväter

79

kann die städtische eingehegt sein, „innwendic dez ringes sines huses oder sines hofes" genießt der Straßburger Bürger einen besonderen Schutz. Wie zur Hofstatt des Bauern der Stall und die Scheune gehören, so zu der des Bürgers die nötigen berufsspezifischen Nebengebäude, freistehende Backstuben fiir den Bäcker, Essen und Geräteschuppen für den Schmied. An der Hofstatt hängt das Allmendrecht auch in der Stadt, das man sich angesichts des ackerbürgerlichen Charakters der meisten Städte Oberdeutschlands keineswegs als bedeutungslos denken darf 4 3 . Der enge Zusammenhang von Hofstatt, Wirtschaft, Arbeit und Familie hat der Interpretation aufgeholfen, das Haus sei Produktions- und Konsumtionseinheit gewesen, Arbeitsplatz und Wohnplatz seien in ihm in eins zusammengefallen 44 . Die Vergleichbarkeit des Hauses auf dem Land mit dem Haus in der Stadt läßt sich auch über die Hausforschung sichern. Für Franken ist gezeigt worden, daß sich das Fachwerkhaus im Dorf von dem in der Stadt nicht signifikant unterscheidet: die Raumabfolge kennt „Vorderhaus mit Wohnung, Seitenflügel mit Hof dazwischen und Rückgebäude"; „eine Unterscheidung in ,Bauernstube' und .Bürgerstube' ist kaum möglich", jedenfalls nicht vor dem 19. Jahrhundert 45 . Bezeichnenderweise sondert sich von der bäuerlich-bürgerlichen Bevölkerung die sozial herausgehobene Patrizierschicht ab: sie baut in Stein. Diese Beobachtungen gelten offenbar auch fiir den alemannischen Bereich, und durch neueste Untersuchungen „schält sich der gesamte oberdeutsche Raum vom Elsaß, der Nordschweiz über Schwaben bis Franken (und wohl auch Südthüringen) als einheitliche Hausbauregion heraus" und zwar so, „daß hier städtisches und ländliches Bauwesen eng zusammengehören, ja eine deut43

Für alle Quellen die Belege bei K. S. BADER, D o r f 1, 2 3 5 ff. - Für die Stadt ist in Rechnung zu stellen, daß der Besitz der Ehofstatt als Geltungsgrund für das Bürgerrecht durch die coniuratio verdrängt werden kann. Vgl. E. ISENMANN, Städtische Gemeinde, 2 0 7 f.

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Grundlegend O . BRUNNER, Haus, 109 f. D a s Konzept ist zuerst entwickelt worden von Karl Bücher 1893 und wurde dann weitergeführt von A. Chayanov. Vgl. zur Forschungsgeschichte D . W . SABEAN, Neckarhausen, 9 4 f. - Der sich Historische Anthropologie nennende Zweig der deutschen Geschichtswissenschaft hat diesen bekannten Sachverhalt im Z u g e der Entdeckung des Alltags neuerlich stark in den Vordergrund gestellt. „ D i e Hausgemeinschaft", so hat RICHARD VAN DÜLMEN ein Buch über „Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit" begonnen und damit wohl Programmatisches sagen wollen, „vom Beginn des 16. bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts läßt sich nicht mit einer Wohngemeinschaft, ja nicht einmal mit einer Familie im modernen Sinn vergleichen. Sie bildete eine Lebensordnung eigener Art; eine Lebensordnung, die den sozialen u n d wirtschaftlichen Verhältnissen ebenso entsprach wie den herrschaftlichen Bedingungen der vorindustriellen Gesellschaft. H a u s und Familie bildeten eine Schutz- und Lebensgemeinschaft, in der Arbeit u n d Leben nicht - wie in späteren Zeiten - voneinander geschieden waren. Allein durch ihre enge Verknüpfung war das soziale und wirtschaftliche Überleben gesichert. D i e uns heute längst vertraute Individualität innerhalb der Familie kannte der Mensch damals nicht: er lebte eingebunden in der patriarchalisch bestimmten Struktur des Hauses und tat, was ihm geheißen wurde innerhalb einer strengen, a u f überlieferten N o r m e n beruhenden Hausordnung. Aber auch die Hausgemeinschaft selbst war keineswegs eine autonome soziale Einheit. Sie war vielmehr ihrerseits in die Arbeits- u n d Normenwelt der Dorf- und der Stadtgesellschaft eingebunden u n d hatte fiir deren Sicherung und Uberleben einen wichtigen Beitrag zu leisten". R. VAN DOLMEN, Haus, 7.

45

K. BEDAL, Fachwerkbauten, 18 [die Zitate], - Vgl. K . BEDAL, Bäuerliche und bürgerliche Wohnkultur Nordostbayerns in Inventaren des 16. u n d 17. Jahrhunderts, in: Günter Wiegelmann (Hg.), Kulturelle Stadt-Land-Beziehungen in der Neuzeit, Münster 1978, 1 7 5 - 2 0 9 .

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lieh gemeinsame Grundlage besitzen" 46 . Das ergäbe eine hohe Übereinstimmung mit dem Raum des Kommunalismus. Interessanterweise besteht auch eine weitgehende zeitliche Ubereinstimmung. Süddeutschland - Bayern ausgenommen - baut in der nämlichen Weise von 1300 bis ins 18. Jahrhundert 47 . Die normative Kraft des Hauses innerhalb der Gemeinde und der Stadt ist so stark, daß sie alle nicht Haushäblichen zu marginalen Gruppen werden läßt. Nicht selten sind sie der poveL, in die Sprache der Moderne übersetzt der Pöbel, der von der übrigen dörflichen und städtischen Gesellschaft scharf getrennt wird, die sich ihrerseits zur Abgrenzung Ehrbarkeit nennt. Die scharfe Gegenüberstellungen hat sich im Zusammenhang mit bäuerlichen und städtischen Unruhen herausgebildet, den Bundschuhaufständen am Oberrhein, dem Aufstand des Armen Konrad in Württemberg und Baden und schließlich auch mit dem Bauernkrieg von 1525. Es sind vor allem die oft so genannten Empörerordnungen der Territorien, welche rasch auch in Landesordnungen und Reichsabschiede eingearbeitet wurden, die eine Distinktion von Pöbel und Ehrbarkeit vornehmen. Seit Unruhen im Reich verfolgt werden, müssen die Wirtshäuser um 8 Uhr, spätestens 9 Uhr abends geschlossen werden 48 , allenfalls ist es der Ehrbarkeit erlaubt dort „bey nichtlicher weil" zu sitzen, wohingegen der Pöbel von denTafernen und damit auch vom Kartenspielen, Zutrinken, leichtfertigen Frauen, Fluchen und Schwören ferngehalten werden soll. Aufruhr ist in den Augen der Obrigkeit das Werk des povels, wohingegen die Ehrbarkeit treu den obrigkeitlichen Maßnahmen folgt. Eine numerisch breite Schicht wird aus dem Beziehungsgefiige Obrigkeit-Untertanen ausgegliedert und deren Verfolgung mit ihren weitreichenden Folgen für das alltägliche Leben bildet ein Hauptaugenmerk der Obrigkeiten. Im Gefolge der Bundschuhaufstände wird Landsknechten, Reisläufern und Bettlern der Aufenthalt in einem Territorium nicht länger als einen Tag gestattet, und „was lewt weren, die nichts hetten und nit arbeiten, sonder zerten und hofften stettigs, durch anderer unfall zu reichtumb zu komen: das man die ustreib" 49 , weil sie die Hefe ftir Unruhe darstellten. „Argwönige müssiggenger" sollen nach Auskunft der badischen Landesordnung von 1495 „nit geherbergt oder uffgehalten" werden 50 .

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K. BEDAL, Der vollendete Anfang im Mittelalter - Unzeitgemäßer Versuch einer Generalisierung, in: Hausbau im Mittelalter III, Sobernheim 1988, 9-29; die Zitate 23, 26. K. BEDAL, Fachwerkbauten, 6. - DERS., Fachwerk, 91. - In der zum Vergleich herangezogenen norddeutschen Landschaft Westfalen fehlt diese Kontinuität gänzlich. Vgl. K. BEDAL, Fachwerk, 50.

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Auswahlweise JEAN ROTT, Documents inidits sur le „Bundschuh" et la guerre des paysans en Alsace, in: Revue d'Alsace 105 (1979), 62. - Der Fürstlichen Graffschaft Tirol Landsordnung. 1526 [Staatsbibliothek München J. austr. 39], Titel 22. - Ordnung den Frid im Stiflft vnnd Land Saltzburg zuhandthaben vnd Empörung vnd aufstand zufürkomen [Die Ordnung datiert vom 26. 11. 1526 und liegt in zeitgenössischen Drucken vor. Zitiert nach einem gedruckten Exemplar im BayHStA, Hochstift Salzburg, Literalien 586], Titel 25 und 26. ALBERT ROSENKRANZ, Der Bundschuh. Die Erhebung der südwestdeutschen Bauern in den Jahren 1493-1517, 1. Bd.: Darstellung, 2. Bd.: Quellen, Heidelberg 1927, hier: 2. Bd., 112. RUDOLF CARLEBACH, Badische Rechtsgeschichte, 1. Bd., Heidelberg 1906, 108 f.

2.2

Hausväter

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Die hier zitierten territorialen Maßnahmen wurden begleitet durch Reichsgesetze, hatten die Reichsstände doch in den unkontrollierbaren und keiner Herrschaft unterworfenen Reisigen und Fußknechten eine entscheidende Voraussetzung fur die Gefährdung des Landfriedens gesehen 51 . Eine breite unterständische Schicht wird seitdem in den oberdeutschen Landesordnungen verfolgt und von Territorium zu Territorium geschoben - von den Savoyern über die Schotten, die Spielleute bis zu den Landsknechten, wie es in der Salzburger Empörerordnung\on 1526 heißt 5 2 . Pöbel sind im wesentlichen die fahrenden Leute, die nicht Seßhaften, die Reisläufer und Landsknechte, die Aufrührer und Unruhestifter 53 . Als soziales Problem trat der Pöbel offensichtlich besonders stark in Süddeutschland in Erscheinung. SEBASTIAN FRANCK jedenfalls hielt es fvir angezeigt, um 1535 einen „Traktat wider Herrn Omnes, d. i. wider den Pöbel" zu publizieren 54 , der in einer theologisch-heilsgeschichtlichen Perspektive polemisch, hierin Luther folgend und ihn vergröbernd 55 , dem Pöbel alle jene zuschlägt, die in seinem Verständnis keine wahren Christen sind. Das war eine gewiß einseitige und durchaus eigenwillige Verwendung des Wortes in diffamierender Absicht. In Wahrheit blieb die Kernbedeutung Pöbel in Oberdeutschland immer eng verknüpft mit nicht ansässig, nicht haushäblich, nicht in ordentliche Herrschaftsbeziehungen eingebunden. JOHANN JAKOB MOSER hielt, vermutlich unter dem Eindruck bäuerlicher und bürgerlicher Repräsentation in süddeutschen Ständeversammlungen, an dieser Bedeutung fest. „Hingegen seynd die Land-Stände privilegirte und solche Unterthanen, welche der Regent nicht mit dem Pöbel zu vermengen [...] hat" 56 . Die Ehrbarkeitbxngigtn sind die Eingesessenen 57 , sind diejenigen, die man im Dorf und in der Stadt kennt und auf die sich die Obrigkeit verlassen kann. Ehrbar und bieder sind im Oberschwäbischen vom 15. bis ins 18. Jahrhundert geradezu austauschbare Begriffe. Nach „erkantnus biderleüten" wird in Laupertshausen der Schaden an verwüsteten Bäumen geschätzt, anderwärts übernehmen die gleiche Aufgabe „erber mann" 5 8 . „Erbar bschaiden taugenlich mann" sollen in den Ulmer Dörfern als Armenvögte bestellt werden 59 . Ein Bieder-

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52 53 54

Heinz Angermeier (Hg.), Deutsche Reichstagsakten unter Maximlian I., 5. Bd.: Reichstag von Worms 1495 (Deutsche Reichstagsakten, Mittlere Reihe 5), 368. Wormser Reichslandfriede: „Und als vil raisig und fiiesknecht sind die einsteils ganz kein herrschaft haben [...] ordnen [...] wir, das [..] sy mit eyden und burgschaften nach notdurft verbunden werden". — Ε. A. Koch, Reichs-Abschiede 2, 201. Ordnung den Frid im Stifft vnnd Land Saltzburg zuhandthaben, Titel 23, 24. E. SCHUBERT, Mobilität, 133-143, breites Belegmaterial aus Süddeutschland. SEBASTIAN FRANCK, Traktat wider Herrn Omnes, d. i. wider den Pöbel, [um] 1 5 3 5 . Vgl. die Hinw e i s e b e i W . CONZE, P r o l e t a r i a t , 3 1 .

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58 59

Die Zusammenhänge zeigt W. CONZE, Proletariat, 29 ff. Von der teutschen Reichs-Stände Landen, Frankfurt-Leipzig 1769, 840; das Zitat erschlossen bei W. CONZE, Proletariat, 33. I. V. Zingerle - K. Th. v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 3, 242. - Allgemein E. SCHUBERT, Mobilität, 144-164. P. Gehring, Oberschwaben, 160 und 217. Ähnlich ebd., 408,427, 433,453, 484, 746,776. Ebd., 2.

JOHANN JAKOB MOSER,

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2

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mann verziehet auf beleidigende Schimpfworte wie „dyeb, verredter, beßwicht, schelm" 6 0 . Besonders häufig wird ftir die Gerichtsbesetzung verlangt, „zwölf erber man" zu bestimmen, gelegentlich werden die Qualitätsanforderungen näher spezifiziert mit „fromen, erbarn, verstendigen, ehelich gebornen und unverleumbten personen" 61 . Biederleute und ehrliche Leute können - Zeichen ihrer herausragenden Stellung - auch außergerichtliche Vergleiche stiften, also eine Art Schiedsgerichtsbarkeit wahrnehmen 62 , was erklären helfen mag, daß in württembergischen Quellen schon im 16. Jahrhundert Ehrbarkeit nicht mehr sauber von Obrigkeit getrennt werden kann 6 3 . Politisch verantwortliche Positionen nimmt die Ehrbarkeit ein. Gelegentlich wird dem „biderman" im gleichen Atemzug ein „erlichs weibsbild" beigesellt 64 . Die Vorherrschaft von Haus gegenüber Familie oder analogen Wortbildungen reicht nicht beliebig weit ins Mittelalter zurück. Vor dem Spätmittelalter läßt sich das skizzierte semantische Umfeld von Haus nicht belegen 65 . Soweit es die Familie abbilden soll, kennen die dem Spätmittelalter vorangehenden früheren Jahrhunderte andere analoge Bildungen, vornehmlich Sippe, Magschaft und Freundschaft. Aber auch als Produktions- und Konsumtionseinheit konnte das Haus erst in Erscheinung treten, seitdem sich die Villikationen aufgelöst hatten, jene Großbetriebe, die unter der Leitung eines Villikus oder Maiers landwirtschaftliche und gewerbliche Erzeugnisse herstellten. Es dürfte schwerlich Zufall sein, daß zeitgleich das Haus seine Qualität prinzipiell ändert, aus der Fahrhabe wird die Liegenschaft, aus dem aus Brettern notdürftig zusammengefügten Dach über dem Kopf, das abschlagbar und mitfuhrbar war, das auf Steinfundamenten sitzende feste Haus 6 6 . Diesen Feststellungen spiegelbildlich ist die Beobachtung, daß das Haus gegen das 18. Jahrhundert viel von seiner normprägenden Kraft verliert, der duale Zusammenhang von Produktions- und Konsumtionseinheit sich auflöst und auch die durch das Haus ausgeübte Herrschaft geschwächt wird. Wo mehr als die Hälfte der Haushalte nicht mehr genug Land besaß, um sich ohne Nebenerwerb oder andere Tätigkeiten durchzubringen 67 , wo Mietverhältnisse stark zunahmen, kann man die Frage stellen, ob die fortdauernde Redeweise vom 60 61 62

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Ebd., 476; ähnlich 530. Ebd., 238 und 265. Ähnlich ebd., 564, 5 6 8 , 6 8 7 . Ebd., 752 f. - Für eine herausgehobene Stellung beim Friedgebot vgl. J. Grimm, Weisthümer 5, 128. Strafen werden 1514 angedroht für Aufrührer „wider die herschafft, irer fürstlichen gnaden rät, amptleut, diener, prelaten, gaistlichait, burgermaister, gericht, rat oder sunst wieder die erberkait". Text bei Werner N ä f (Hg.), Herrschaftsverträge des Spätmittelalters (Quellen zur neueren Geschichte, hg. vom Historischen Seminar der Universität Bern 17), Bern 2 1975, 74 f. - 1526 so auch auf Reichsebene: „Empörung der Untertanen [...] gegen die Ober- und Erbarkeit". Ε. A. Koch, Reichs-Abschiede 1, 274. P. Gehring, Oberschwaben, 708. D . SCHWAB, Familie 2, 2 5 3 - 3 0 1 ; und kommentierend D. W. SABEAN, Neckarhausen, 92. J. Grimm, Weisthümer 1 , 4 2 . „Es sollent ouch in den genannten zwingen vnd gerichten, hüsser fiir ligent gut gehept unnd gehalten werden, vnd nit fur varent gutt" [Öffnung 1468]; ergänzend ebd., 45, 277. J. Grimm, Weisthümer 4, 498, 512. - Generell R. SABLONIER, Dorf. D . W. SABEAN, Neckarhausen, 97.

2.2

Hausväter

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Haus nicht mehr oder minder zum ideologischen Konstrukt verkommen sei, das nur noch der Staat ftir seine Steuerbedürfnisse und die Kirchen zur Sicherung ihrer Moralvorstellungen nutzen 6 8 . Für das Kommunalismusmodell sind das wichtige Feststellungen. Das Haus als Friedensund Rechtsbereich, als ökonomische und gesellschaftliche Grundfigur fällt zeitlich zusammen mit der Existenz städtischer und ländlicher Gemeinden. An das Haus ist eine Herrschaftsgewalt gebunden, und derjenige, der diese Gewalt ausübt, haftet auch nach außen dafür, daß von ihr ein angemessener Gebrauch gemacht wird. Der Sachverhalt wird in den Quellen meist damit umschrieben, daß vom Hausherrn und seiner Hauiherrschafi gesprochen wird. Vom Hausvater ist erst später und dann vornehmlich in literarischen oder anderen reflektierenden Texten die Rede, weniger in den Rechtsquellen. U m zu illustrieren, daß Herrschaft an das Haus gebunden ist, sei nochmals ein Blick in die Buxheimer Dorfgerichtsordnung geworfen. „Es soll auch ain Jeder hausvatter unnd hausmutter, bey der hievorgesetzten straff [...] schuldig und verbunden sein, sein kind ehallten knecht oder mägt, alle und Jede fest unnd feyrtag, in die kirchen zu gohn zuermanen, und vom bött aufifzuwöckend, Auch wann man dz bett leytte, niederzuknüeen und gott den herrn umb frid zubitten" 6 9 . Die Herrschafitsgewalt beschränkte sich aber keineswegs auf religiöse Angelegenheiten; sie war umfassend und reichte bis zum Züchtigungsrecht der Frau, der Kinder und des Gesindes 70 . Delikte, soweit sie im Haus begangen wurden, hatte der Hausherr abzustrafen - allerdings nach festen, eingespielten und anerkannten Regeln 7 1 ; das Strafen an sich war nicht in sein Belieben gestellt, sondern gehörte zu seinen Pflichten 7 2 . Juristen haben das „die herrschaftliche Gewalt des Ehemannes" genannt, „der hier gleichsam zum Richter über seine Frau berufen wurde" 7 3 . Treffender dürfte der Sachverhalt als Gerichtsbarkeit des Herrn im Haus umschrieben sein. Familiäre Verhältnisse lieferten dafür keine Rechtsgrundlage, wie der Umstand belegt, daß das Züchtigungsrecht des Hausherrn zwischen den Kindern und dem Gesinde im M a ß der Strafe keine Unterscheidung trifft 7 4 . Im Begriff des Hausherrn oder Hausvaters ist das Haus, nicht der Herr und Vater zu unterstreichen. Die Buxheimer Ordnung bürdet Hausvater und Hausmutter gleiche Verantwortlichkeiten fur die Erfüllung der religiösen Pflichten auf, und in ähnlicher Weise äußert sich das bayerische Landrecht im 18. Jahrhundert. „Derjenige, welcher der Familie vorsteht,

Ebd., 92 f. Er stützt sich dabei vor allem auf die Arbeiten von Hermann Rebel (Oberösterreich) und Thomas Robisheaux (Hohenlohe). ® Zitiert nach Memminger Geschichtsblätter Jahresheft 1965, 1966, 52. 7 0 O. BRUNNER, Haus, 108. - H. FEHR, Rechtsstellung der Frau, 101. - Stadtrechte begrenzen gelegentlich die Strafkompetenz nach oben; die Züchtigung darf nicht zu blutenden Wunden fuhren. „Wer öch sinen gedingoten ehalten kneht aid mjgde schilt, schleht, stosset aid röffet an fliezzent wunden, der verschult da mit nit gen inen noch gen dem griht". K. O. Müller, Oberschwäbische Stadtrechte, 79. 71 Ungerechte Behandlung der Frau und mangelhafte Erziehung der Kinder kosteten einen Appenzeller Bauern für drei Jahre seine Ehre, das heißt seine bürgerlichen Rechte. Vgl. H. FEHR, Rechtsstellung der Frau, 60. 72 Ebd., 58 f. 73 Ebd., 59. 74 Vgl. die Belege ebd., 104 ff. 68

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wird der Haus-Vatter (Pater familias) oder wenn es eine Weibs-Person ist, die Haus-Mutter (Mater familias) genannt. Sowol eins als das andere, vorzüglich aber Jener, hat denen bey ihm lebenden Haus-Genossen (Domesticis) in Haus-Sachen zu gebieten, wohingegen diesen theils besondere, theils der Haus-Genossenschaft überhaupt anklebende gemeine Rechten und Pflichten zukommen" 7 5 . Offensichtlich war eine solche Auffassung allgemein geworden. Das bekannteste und berühmteste Lexikon des 18. Jahrhunderts bezeichnet zwar den Hausvater als „die Haupt-Person" eines Hauses, spricht der Frau aber eine Art Mitregentschaft zu. „Das Recht [...], der Familie oder dem Hauswesen vorzustehen, kommt dem Haus-Vater principaliter und hauptsächlich zu, als welcher gleichsam ein König und Fürst in seinem Hause ist; Secundario aber, und weil die Frau, als Hauß-Mutter, dem Haußwesen gleichfalls mit vorstehen, und selbiges verwalten helffen soll, kann ihr einiges Recht zugeschrieben werden" 76 . In den beiden letzten Belegen wird eine graduelle Abstufung vorgenommen, die sich anderwärts darin äußern konnte, daß erst das gerichtliche Zeugnis von zwei Frauen dem eines Mannes entsprach 77 , doch verbreiteter dürfte nach der Auskunft eines der besten Kenner der Rechtsstellung der Frau „ein dem Hausherrn ebenbürtiges, privilegiertes Beweisrecht" der Frau gewesen sein 78 . Neben dem Recht gab es unter bestimmten Voraussetzungen sogar eine Pflicht für die Frau, am Gericht teilzunehmen. In einer Ordnung fur Hofen und Büren im Elsaß heißt es, „alle die güt inn dem banne hant [...], die sint verbunden dem gerichte so man in gebutet, es sie frowe oder man" 7 9 . Wer einen H o f besitzt, ist gerichtspflichtig. Am Hof hängt das Recht der Gerichtsstandschaft. Dementsprechend war es auch nicht ganz unüblich, daß Frauen den Mann vertraten, wenn er krank, außer Landes oder unabkömmlich war 80 . In dieser Unentschiedenheit - zwischen Rechtsgleichheit und Rangabstufung von Hausherr und Hausfrau - verbleiben die quellenmäßigen Belege. Offensichtlich konkurrieren zwei Ordnungsprinzipien, deren Genealogie analytisch noch nicht freigelegt ist. Das Funktionieren des Hauses steht im Vordergrund aller auch rechtlichen Abgrenzung zwischen dem Hausherrn und der Haufrau. Und nicht anders ist es um das Haus als Wirtschaftseinheit beschaffen. Im städtischen Haushalt verlief die Grenze zwischen den Aufgaben der Frau und des Mannes in der Regel zwischen Küche und Kammern einerseits und Werkstatt andererseits. Dennoch war die Frau äußerst wichtig für das Gesamteinkommen des Handwerkerhaushaltes, weil in ihm Lehrlinge, oft auch Gesellen lebten, hier Kost und Logis erhielten, wofür die Frau zuständig war. Dennoch half sie im Betrieb häufig mit, vor allem bei gewerblichen Un75 76 77 78

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Zitiert nach R. VAN DOLMEN, Haus, 13. Zitiert nach ebd., 39. H . FEHR, Rechtsstellung der Frau, 54. Ebd., 12. - Fehr argumentiert nur mit ländlichen Rechtsquellen. Ahnlich fiir die Reichsstadt Leutkirch, vgl. K. O . Müller, Oberschwäbische Stadtrechte, 2 8 f. H . FEHR, Rechtsstellung der Frau, 7 9 f. - Ähnlich fiir H ö n g g : „ U n d wer der ist, er sig dorfman oder usserthalb d e m dorf gesessen, er sig man oder frow, der von erbrecht des gotzhus gut von Zürich hat siben schlich lang oder breit, der sol an denselben tädingen sich antwurten und komen für den probst oder fiir sin Statthalter in den meigerhof des dorfes Hfingg und sol da antwurten den, die in beklagent u m b sinu gfiter, die er hat von der kilchen ze Zürich" (ebd. A n m . 1). D i e (allerdings wenigen) Belege ebd., 80.

2.2

Hausväter

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ternehmungen wie Bäckereien oder Metzgereien. Weniger eindeutig war die Aufgabentrennung auf dem Land 8 1 . D a ß die Frau nur im Haus, der M a n n nur außerhalb des Hauses gearbeitet hätten, ist nicht zutreffend, der Rhythmus der landwirtschaftlichen Arbeiten selbst war erheblich wichtiger. So findet man in den saisonalen Spitzenzeiten der Landwirtschaft die Frau auch beim Ernten und Heuen, wiewohl überwiegend der M a n n mit den Knechten sich um die Felder kümmerte. D e n n o c h gab es eine starke Bindung der Frau an das Haus, die vornehmlich damit zusammenhing, daß die Frauen in den entscheidenden Lebensjahren „fast immer schwanger waren und Säuglinge zu versorgen hatten" 8 2 . Deswegen kümmert sich die Bäuerin auch öfters um das Vieh. Es „soll den frawen erlaubt sein", heißt es in einem österreichischen Weistum, das die Fronarbeit für den Herrn regelt, „abents desto zeytlicher widder anheyms zu geen, damit sie ire kinder und viehe versorgen m ö g e n " 8 3 . Aus solchen Sachverhalten erklärt sich, daß dem M a n n und der Frau in der zeitgenössischen Bildsprache funktionsspezifische Arbeitsgeräte zugeordnet werden - dem M a n n die Harke, der Frau die Spindel und der Schlüsselbund (vgl. Abb. 4 ) . Die skizzierten Formen der Arbeitsorganisation entstanden mit den Dörfern und Städten 8 4 . Sie sind als „Famiiiarisierung" bezeichnet worden 8 5 , erklären sich aber eher aus der wenn man schon einen wissenschaftlichen Kunstbegriff schaffen will - Verhäuslichung der Arbeit. Die Art des Betriebes, gleichgültig ob es sich um einen bäuerlichen H o f oder einen städtischen Gewerbebetrieb handelt, entscheidet darüber, wie Arbeit aufgeteilt und wem sie zugeteilt wird. W o die Größe des Hofes die Beschäftigung von Knechten verlangt, ist die Frau weniger auf dem Feld, und wo der Bäcker keinen Lehrling hat, wird seine Frau eher die Brote in die Häuser der Kunden tragen. N o c h einmal - die Frau steht einerseits, wie spätmittelalterliche Quellen gerne sagen, unter der M u n t des Mannes 8 6 . Daraus folgt keine Rechtlosigkeit, aber doch ein Ausschluß von bestimmten öffentlichen Funktionen, vornehmlich aus dem Heer und dem Gericht. Die Frau steht andererseits funktional gesehen und auf das Haus bezogen, als Hausfrau also, mit ihrem M a n n , dem Hausherrn, auf einer Stufe. „Ein M a n n ohne Frau ist wie ein Herd ohne

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Dazu zusammenfassend R. VAN DOLMEN, Haus, 39. Ebd., 44. Zitiert bei H. FEHR, Rechtsstellung der Frau, 12. - In St. Galler Quellen werden bei Gerichtsverhandlungen Frauen bevorzugt berücksichtigt: „Item an ainem jargericht sol man zeerst richten umb erb und umb aigen, darnach witwen und waisen, darnach den frowen, darnach den gesten, und dann den hofgnossen, und dann ainem vogtherren" (ebd., 11 f.). - Möglicherweise schließt auch die stärkere Bindung an das Haus die Frau in höherem Maße von dem Marktgeschehen aus. Nach ländlichen Rechtsquellen dürfen Frauen nur bis zu einer gewissen Geldsummenhöhe Geschäfte tätigen. Korrespondierend sind die Bußen und Strafen niedriger als jene, die Männer bei gleichen Delikten zu zahlen haben: als Norm kann gelten, daß die Frau nur die Hälfte oder ein Drittel der Summe zahlt, die der Mann zu entrichten hatte (ebd., 25). H. WUNDER, Sonn, 96 ff. Ebd., 96. H. FEHR, Rechtsstellung der Frau, 52. - Das macht sich vor allem im ehelichen Güterrecht bemerkbar (ebd., 26).

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Abb. 4:

GESELLSCHAFT

Initiale Α aus dem Codex des oberschwäbischen Klosters Zwiefalten aus dem 12. Jahrhundert. Adam und Eva ausgestattet mit den für Mann und Frau typischen Symbolen. Quelle: Bildarchiv Foto Marburg, Marburg.

Feuer" 87 , sagen die Schwaben. Da es ein Sprichwort ist, dürfte es breit anerkannte Überzeugungen spiegeln. Da es sich um ein altes Sprichwort handelt, dürfte es herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen der vorindustriellen Zeit nicht widersprechen. Gemeiner Mann, Haus und Herrschaft sind keine beliebig aneinandergekoppelten Begriffe, sie sind vielmehr durch ihre jeweilige Bedeutung eng miteinander verbunden. Der Gemeine Mann als deutsche Begriffsbildung für laboratores und damit den Stand derjenigen, die Handarbeit leisten, ist auf das Haus insofern bezogen, als dieses die Organisationseinheit ftir Arbeit darstellt. Das trennt das bürgerliche und bäuerliche Haus von dem des adeligen und geistlichen Herrn. Gemeinsam ist ihm mit den Häusern aller übrigen Stände hingegen, daß es die Auffassung von der Herrschaft aus dem Haus teilt. „Es soll niemand an die gemeind gehn dann die, so aigen- oder belehnetin heüsser haben [...]. Welche an die gemeind nit gehören, die sollen auch in den gemeinen wählen keine stimmen zue geben haben" 88 . Dieser Satz aus der Polizeiordnung für die Ulmet Dörfer von 1639 mag als verallgemeinerbar am Ende dieser Überlegungen stehen und nochmals den engen Bezug zur Gemeinde und ihren Institutionen untermauern. 87

88

Nachweis H. WUNDER, Sonn, 58 f., mit ausführlicher Interpretation und Varianten des Sprichworts. P. Gehring, Oberschwaben, 44. Ahnliche Belege bei F. Wintterlin, Landesteile, 27. - Die Ordnungen umschreiben selten den Kreis der Gemeindemitglieder im engeren Sinn genauer; er wird offenbar als selbstverständlich vorausgesetzt, gelegentlich nur dahingehend präzisiert, daß Fremde ausdrücklich ausgeschlossen werden. In der Tendenz geht die Entwicklung in der Frühneuzeit dahin, Gemeindeversammlung und Einwohnerschaft gleichzusetzen.

3

WERTE UND NORMEN

Politische Identität wird - so sagt man heute gelegentlich - nicht allein durch die Sprache, die Nation oder die Region gestiftet, sondern auch durch die Verfassung. Dieser Uberzeugung verdankt man das Wort Verfassungspatriotismus. Der Begriff unterstellt die Zustimmung zu bestimmten Grundfiguren des Politischen: demokratische Wahlen, institutionalisierte Kontrolle der Macht, breiter Diskurs des Politischen durch gesellschaftliche Gruppen. Mit anderen Worten wird damit zum Ausdruck gebracht, daß die Organisation der politischen Macht, wo sie sich bewährt, bestimmte Wertvorstellungen befestigen hilft, etwa - um beim gewählten Beispiel zu bleiben - die Überzeugung, politische Entscheidungsprozesse müßten öffentlich erfolgen. Das erlaubt die Frage, ob die institutionellen Ausformungen des Kommunalismus, die sich in der Stadt und auf dem Land in so erstaunlichem Maße gleichen, gemeinsame Grundüberzeugungen unter Bauern und Bürgern haben hervorbringen helfen. Es ist eine geläufige Annahme, daß sozial kohärente Gruppen bestimmte Normvorstellungen entwickeln. Zu den trivialeren Beispielen gehört der Hedonismus der Toskana-Fraktion der politischen Klasse Deutschlands, zu den anspruchsvolleren der Appell an mehr Steuergerechtigkeit seitens der linken Parteien Europas. Gruppen können durch Alter, Geschlecht, politische Interessen oder berufliche Zusammengehörigkeit bestimmt sein. Wenn sich in der begrifflichen Abbreviatur von laboratores, Gemeiner Mann, Untertanen eine soziale Zusammengehörigkeit von Bauern und Bürgern, von ländlicher und städtischer Gesellschaft ausdrückt, dann darf angenommen werden, daß sich hieraus gemeinsame Grundüberzeugungen entwickelt haben. In den bisherigen Überlegungen wurde bereits gelegentlich, wenn auch nicht explizit, auf solche Vorstellungen aufmerksam gemacht. Beispielsweise war im Zusammenhang der Ausbildung der Stadtgemeinden davon die Rede, daß die von den Bürgern gestifteten coniurationes dem Frieden in der Stadt dienen sollten. Bei der Beschreibung der Funktionen der kommunalen Amtsträger in Stadt und Land war festzustellen, daß sie öfter auf den gemeinen Nutzen eidlich verpflichtet wurden. Über den Eid erfolgt eine „Sakralisierung"1 von Frieden und gemeinem Nutzen, wodurch sich beide als Werte von hoher Dignität zu erkennen geben. Unumstrittene Definitionen der Begriffe Norm und Wert haben sich bis heute nicht etabliert2. Verbreitet gilt die Norm dem Wert als nachgeordnet. Beiden Begriffen ist jedoch eigen, daß sie Richtungen und Imperative für Handeln und Verhalten anzeigen, wobei die Norm selbst einen höheren Abstraktionsgrad aufweist als das konkrete Gebot oder Gesetz. Die relative Offenheit der Begriffe gibt dem Historiker das Recht, Werte und Normen zu 1 2

Der Begriff ist geborgt von A. HOLENSTEIN, Seelenheil. Vgl. H. HOFMANN - W. H. SCHRÄDER - REDAKTION, Norm, in: Joachim Ritter - Karlfried Gründer (Hgg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, 6. Bd., Basel-Stuttgart 1984, 906-920.

88

3

WERTE UND NORMEN

benennen und hierarchisch zu ordnen, die ihm als solche durch ihre häufige Nennung auffallen und durch die Dringlichkeit, Entschiedenheit und Ehrfurcht, mit der das geschieht. Im Einzelfall ergeben sich vergleichsweise zwingende Zuordnungen von Wert und Norm, wobei auch ein Wert selbst die Form einer Norm annehmen kann und umgekehrt. Gemeiner Nutzen, eine verbreitete Redeweise in der Stadt, kann als Wert namhaft gemacht werden, dem als Norm der Friede untergeordnet ist. Andererseits kann der Friede selbst zum Wert werden, der sich nur über eine hoch entwickelte Gerechtigkeit in der Rechtsprechung sichern läßt. Auf diese Weise läßt sich ein Geflecht von Werten und Normen herausarbeiten, das der kommunalen Lebensform Sicherheit und Form gegeben hat. Liest man sich durch die ländlichen und städtischen Quellen, so tauchen als gemeinsame Leitbegriffe, denen man versuchsweise die attributive Bezeichnung Wert zuordnen kann,

auf- Gemeiner Nutzen (1), Hausnotdurft (2), Friede (3), Freiheit und Gerechtigkeit (4).

3.1

GEMEINER NUTZEN

Landrechte und Stadtrechte, Mandate der dörflichen Vierer und der städtischen Räte, kleiden ihre profanen Regelungen in den legitimierenden Mantel des Gemeinen Nutzens. Um 1500 scheint er zum Zweck politischen Handelns und staatlicher Tätigkeit schlechthin zu werden. Die religiös aufs höchste erregten Menschen sakralisieren den Gemeinen Nutzen geradezu, denn durch ihn wird die Ehre Gottes gefördert. ,.Allein die Ehr Gottes auch gemeinen Nutz" zu bedenken und den Eigennutz hintanzustellen3, verlangen die württembergischen Bauern und Bürger 1 5 1 4 von ihrem Herzog. Dem Begriff Gemeinnutz methodisch angemessen beizukommen erweist sich als schwierig, weil er auf sehr verschiedenen Ebenen Verwendung findet - Nikolaus von Kues benützt ihn, um das ethische Ziel politischen Handelns zu beschreiben, und die Bergbauern in seinem Hochstift Brixen verwenden ihn, um damit die Abgrenzung der Weiderechte unter sich zu rechtfertigen. Zwischen einem staatstheoretischen Traktat und einem Dorfbuch liegen viele Schichten von Textsorten, die bislang weder umfassend bearbeitet noch in ein erkennbar sinnvolles Verhältnis zueinander gesetzt wurden 4 . Um freizulegen, was und wieviel der Begriff Gemeinnutz den kommunalen Strukturen verdankt, muß man seine Verwendung sowohl in den Gemeinden selbst, als auch in den größeren politischen Verbänden, in denen die Gemeinden standen, klären. Die Klärung muß über Quellen erfolgen, die nicht theoretischer Natur sind, sondern die konkreten rechtlichen Verhältnisse wiedergeben. Für den oberdeutschen Raum bieten sich aufgrund der editorischen Erschließung5 einschlägigen Materials das Urkundenbuch des Stifts St. Gallen (1), das Urkundenbuch der Stadt Basel (2) und die Weistümer Tirols (3) an. Herr-

3

G. Franz, Quellen Bauernkrieg, 50.

4

Vgl. als umfassenden Forschungsbericht P. HLBST, Utilitas Publica, 4 6 - 1 1 7 .

5

Begriffsgeschichte kann man zwar auch über Archivalien betreiben, nicht aber bei einem derart häufig verwendeten Wort wie Gemeinen Nutzen.

3.1

Gemeiner Nutzen

89

schaftliche Beziige sind in allen Fällen in ausgeprägtem Maße gegeben - in St. Gallen durch die Herrschaft des Fürstabts, in Basel durch die Stadtherrschaft des Bischofs und die spätere Zugehörigkeit zum Reich und zur Eidgenossenschaft, in Tirol durch die habsburgischen Fürsten - , so daß erwartet werden darf, daß der Gemeinnutz hinreichend auch dann zur Sprache kommt, wenn er außerhalb kommunaler Bezüge Verwendung findet6. 3.1.1

Vom Stiftsnutz zum Gemeinnutz - zur Etymologie des Nutzens in der Klosterherrschaft St. Gallen

Nutzen wurde zunächst und besonders häufig naheliegenderweise im Sinne von Einkünften verwendet. Als Ulrich von Sax 1320 die Wildenburg mit den dazugehörenden Gütern an die Grafen von Toggenburg verkaufte, tat er dies „mit allem rechte, es sien lüte oder göt, holz oder velt, wunne oder weide, wasser, wase oder zwi, aid swie alle die nüzze geheissen sint". Die erlöste Summe wurde von ihm „verkeret in unsern gflten nuz"7. Dieser Gebrauchsmodus ist naturgemäß sehr allgemein und häufig8 und konnte so auch subjektbezogen als der „kilchen liechtes nutz" und bei Jahrzeitstiftungen als Seelennutz9 in Erscheiung treten 10 oder objektbezogen als der „nutz des selben ungeltes"11. In einer erweiterten Redefigur der Urkunden wurde von Rechte, Nutzen und Gewohnheiten gesprochen12, die an Liegenschaften, Personen und Rechtstiteln hängen konnten. Die Äbtissin von Schännis übergab 1356 dem Grafen Friedrich von Toggenburg eine „frouven [...] fur aigen mit allen den rehten, nützen und gewonhaitten, so zftder selben frouven hört aider gehören sol von reht oder gewonhait"13. Das Kloster St. Gallen verkaufte und versetzte Güter, Personen oder Einkünfte zum Gotteshausnutz. 1320 versetze Abt Hiltbold von St. Gallen an Christian von Mammerthofen Einkünfte aus mehreren Gütern, um den in Silber gezahlten Kaufpreise „in üsers gozhus offenbern nüz" zu verwenden14. Der Gotteshausnutzen blieb seitdem eine häufig verwendete rhe-

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7 8

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10 11 12

13 14

Dennoch ist das Verfahren nicht gänzlich befriedigend, weil Urkunden per se nicht in der wünschenswerten Breite argumentieren, einen Begriff also nur bedingt entfalten. Akten einzubeziehen, verbietet die Arbeitsökonomie kategorisch. Schon die systematische Auswertung der drei Quellenkörper (deren Indices den Begriff Gemeinnutz nicht oder oft nur ungenau auswerfen) grenzte wegen des zeitlichen Aufwandes und der Eintönigkeit der Arbeit an Unverantwortlichkeit denen gegenüber, die außer dem Autor damit befaßt waren [vgl. Nachwort]. UB St. Gallen 3,428 Nr. 1268. UB St. Gallen 3, 429 Nr. 1268, 432 Nr. 1272, 437 Nr. 1279, 439 Nr. 1281, 463 Nr. 1313, 475 Nr. 1329,477 f. Nr. 1332; UB St. Gallen 4, 91 Nr. 1665. Walther von Englaberg stiftet mit seiner Frau eine Jahrzeit 1359 „durch [fur, P. B.] iro und durch iro vordem seilen nutz und hailes willen". UB St. Gallen 3, 676 Nr. 1550. UB St. Gallen 3, 509 Nr. 1374. UB St. Gallen 3, 549 Nr. 1422. UB St. Gallen 3, 475 Nr. 1329, 488 Nr. 1344, 489 Nr. 1346, 498 Nr. 1358; UB St. Gallen 4, 93 f. Nr. 1666, 289 Nr. 1880. UBSt. Gallen 3 , 6 3 3 Nr. 1513. UBSt. Gallen 3,424 Nr. 1263.

90

3

WERTE UND NORMEN

torische Figur bis 1500 1 5 . Allerdings konnte der Klosternutzen auch als Vorwand schierer Interessen dienen und wurde dann als Eigennutz diskriminiert. Der Bischof von Konstanz verbot 1435 der Stadt St. Gallen, sich vom Abt visitieren zu lassen, weil die Klosterleute nicht „des closters nutz oder eer, sonder iren aigen nutz hierinn sftchend" 16 . Wo der Empfänger von Abgaben, Kapitalien oder Rechten ein Adeliger war, blieb es häufig einfach bei „minen nutz" 1 7 . So veräußerte Ritter Amor von Luterberg an Friedrich von Toggenburg seinen Anteil an seinen Eigenleuten 1351 „in minen gflten nutz" 1 8 . Die verschiedenen Nutzen, die im 14. Jahrhundert in Umlauf waren, geben sich mehrheitlich als solche zu erkennen, die den Herren dienten. Auch in die Huldigungsformel war der Herrennutz eingearbeitet. Die Appenzeller, Holden des Klosters St. Gallen, waren um die Mitte des 14. Jahrhunderts durch ihren Eid gehalten, Abt und Konvent „sinü reht", gemeint sind wohl die Abgaben, zukommen zu lassen, „sinen und sines gotzhus nutz und ffromen ze fürderren und sinen schaden ze wennden" und dem Kloster seine Rechte zu weisen und es zu schirmen 19 . In dem Maße, wie die Autonomie der Appenzeller Gemeinde wuchs, stiegen die Schwierigkeiten des Klosters, diesen Eid einzuwerben. 1379 bedurfte es erst eines ausdrücklichen Befehls der Bodenseestädte - mit ihnen waren die Appenzeller verbündet 20 - , bis sich die Bauern bereit fanden, wie herkömmlich dem Abt eidlich zu versprechen, „sinen und sins gotzhus nutz und fromen ze fürderent und sinen schaden ze wendent" 21 . Ein bemerkenswerter Wechsel im Verwendungsmodus von Nutzen ergab sich um 1400, als der Abt eine Entscheidung der Bodenseestädte annehmen mußte, in Appenzell nur Ammänner einzusetzen, die „in den lendern sessehaft sigen". Daraus wurde gefolgert, daß die Ammänner „sinem gotzhus und den lendern nutzlich" sein mußten 22 . In ersten vorläufigen Konturen tritt ein Landnutz in Erscheinung. Zeitgleich sind Bündnisse belegt, die ländliche Gemeinden aus dem Rheintal mit den Appenzellem eingingen - „dem amman und den lantlüten gemainlich", wie die Urkunde sagt - und die sie mit der Versicherung bekräftigten, den Appenzellem „ir nutz ze fürderen, iro schaden ze wenden, so verre wir mugen" 2 3 . Ganz ähnliche Entwicklungen lassen sich für die Stadt St. Gallen aufzeigen. Die Autonomie der an das Kloster angrenzenden Landstadt war ursprünglich bescheiden. Sie wuchs

15

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20 21 22 23

Vgl. auswahlweise U B St. Gallen 3 , 4 2 5 N r . 1 2 6 4 , 4 2 6 N r . 1265, 530 N r . 1 4 0 1 , 6 1 3 N r . 1489, U B St. Gallen 4, 57 N r . 1620, 120 N r . 1668, 2 8 9 N r . 1880, U B St. Gallen 5, 21 N r . 2 5 4 5 , 2 7 N r . 2 5 5 8 , 3 8 9 N r . 3 2 3 1 , U B St. Gallen 6, 3 0 7 N r . 5300. U B St. Gallen 5, 7 3 2 N r . 3 8 5 2 . U B St. Gallen 3, 6 3 9 N r . 1520; U B St. Gallen 4, 7 7 N r . 1645. U B St. Gallen 3, 6 0 6 N r . 1481. U B St. Gallen 3, 8 0 6 N r . 7 5 [Anhang], - Häufiger belegt, vgl. U B St. Gallen 6, 9 7 f. N r . 4 6 4 8 . Hier liegt eine Grundfigur des Selbstverständnisses des Mittelalters [und teilweise der Frühen N e u zeit] vor, die im vorliegenden Z u s a m m e n h a n g nicht erörtert werden kann. Das T h e m a behandelt umfassend u n d mit neuen Perspektiven A. HOLENSTEIN, Huldigung, 1 4 9 - 2 1 6 . Ereignisgeschichtliche Zusammenhänge bei P. BLICKLE, St. Gallen, 2 1 8 ff. U B St. Gallen 4 , 2 2 5 N r . 1806. U B St. Gallen 4, 6 2 6 N r . 2 2 2 6 . U B St. Gallen 4, 7 5 8 f. N r . 2 3 4 2 . D i e Versicherung gilt auch für die Stadt St. Gallen.

3.1

Gemeiner Nutzen

91

aber zusehends im 14. Jahrhundert, so daß 1381 die Intervention der Bodenseestädte nötig war, um dem Abt zur Bestätigung seiner Rechte durch die Bürger zu verhelfen. „Der burgermaister und der rat und alle burger gemainlich" schworen schließlich „also das si hern Cfln, abt dez gotzhus ze Sant Gallen, als getrüw und als hold sin sond, als ain man sinem herren sin sol, sin und sins gotzhus nutz und fromen ze fürderent und sinen schaden ze wendent" 24 . Wenig später jedoch konkurriert mit dem Gotteshausnutz bereits der Stadtnutz. Branthoch von Sax und Hänni Bäbi von Frümsen traten 1390 für einen Monat in den Dienst der Stadt und versprachen, „der selben stat nutz, er und fromen furderren und iro schaden wenden" zu wollen 25 . Der 13 Jahre später als Hilfspriester an St. Lorenz vom Rat angestellte Johann Mangold versichert, „gemainer stat ze Sant Gallen nutz ze fiirderenn, ir schaden ze wendenn, so verre ich kan" 2 6 . Dieses Formular findet sich später schließlich bei Bürgeraufnahmen 2 7 und Urfehden 28 . Im Verlauf des frühen 15.Jahrhunderts kam, nicht ohne daß zwischen Kloster und Bürgern lang darum gerungen worden wäre, der Huldigungseid an den Abt in Abgang und der Bürgereid gegenüber dem Rat in Übung 2 9 . Damit verdrängte der Stadtnutz

den

Gotteshausnutz.

Der Gemeine Nutz als geprägter Begriff kommt im Korpus der St. Galler Urkunden erstmals 1327 vor. „Die räte und die burger gemainlichen der stette" Mainz, Worms, Speyer, Straßburg, Basel, Freiburg, Konstanz, Zürich, Lindau, Uberlingen, Bern, St. Gallen und Graf Eberhard von Kiburg schlossen ein befristetes Friedensbündnis „durch [zu, P.B.] nütz und fride unser unser burger und lüte gemainlichen und des landes" 30 . Die Bünde, vornehmlich handelt es sich um Städtebünde in wechselnder Zusammensetzung, gelegentlich auch mit fürstlicher Beteiligung, die in rascher Folge durch das 14. Jahrhundert hindurch geschlossen wurden, wählen verschiedene Wendungen: „Dur vridez willen und dur gemeinen nutz" 3 1 oder - in der erweiterten Form - „durch gemeinen frid und nutz und ouch durch schirme unser burger und Stetten, liben und götes" 3 2 oder schließlich in umgekehrter Reihung „durch gemeines nuczes und frides willen" 33 werden die Bünde geschlossen 34 .

24 25 26 27 28

29

30

31 32 33 34

U B St. Gallen 4 , 2 5 6 Nr. 1835. U B St. Gallen 4 , 4 0 3 Nr. 2007. U B St. Gallen 4 , 6 7 6 Nr. 2275. U B St. Gallen 4, 917 Nr. 2477; U B St. Gallen 5, 415 Nr. 3298; U B St. Gallen 6, 291 Nr. 5268. Lienhart Pfeifer von Gebertswil schwört nach der Entlassung aus dem Gefängnis, „der stat und den bürgern ze Sant Gallen trüw und warhait, ir nutz und fromen ze fiirderenn, ir schaden ze wendenn, so verre ich mag". U B St. Gallen 4, 694 Nr. 2294 und U B St. Gallen 5, 298 Nr. 3046. Regestenartig bei CARL MOSER-NEF, Die freie Reichsstadt und Republik Sankt Gallen. Geschichte ihrer Verfassung und staatsrechtlichen Entwicklung, 2. Bd., Zürich-Leipzig 1931, 533. U B St Gallen 3, 463 Nr. 1314. - Dem Abt wird der Huldigungseid letztmals 1429 geschworen (UB St. Gallen 5, 594 Nr. 3515), wiewohl es offenbar schon 1413 nicht leicht war, ihn einzuwerben (ebd., 28 Nr. 2558). U B St. Gallen 3 , 4 7 3 f.Nr. 1326. U B St. Gallen 3, 577 Nr. 1448. Ergänzend U B St. Gallen 4, 25 f. Nr. 1585. U B St. Gallen 4, 567 f. Nr. 2167. U B St. Gallen 4, 25 f. Nr. 1585, 260 Nr. 1842; ähnlich 699 Nr. 2299, 744 Nr. 2334, 773 Nr. 2253, 776 Nr. 2354.

92

3

W E R T E UND NORMEN

Der Gemeine Nutzen hat somit eine hohe Affinität zum Frieden und entstammt einem sozialen Milieu, den städtischen Bürgerschaften, die an ihm besonders interessiert sein mußten. In diesem Zusammenhang muß wohl auch ein kaiserliches Privileg für St. Gallen von 1430 gelesen werden, das um „gemeynes nuczes" willen die gerichtliche Zuständigkeit über landschädliche Leute von der Gemeinde von St. Gallen auf den Rat verlagerte35. Der Gemeine Nutzen speist sich aber auch aus dem kommunalen Wirtschaftsleben. 1522 legte „ein gnossami zu Schenis" ihre Wälder in den Bann zu „der gemein nutz"36. Schon 1482 wurden in einer benachbarten Gemeinde Allmenden aufgeteilt mit dem Argument, die bisherige Praxis verfehle den „gemeinen nutz"37. Mit der Legitimationsfigur des Gemeinen Nutzens wurden Fischereiordnungen für den Walensee38 und den Bodensee39 erlassen, Getreidehandelsabkommen zwischen Lindau und St. Gallen getroffen40 oder Gewichte, Maße und Währungen „der ganczen gemainde daselbs, reicher und armer, gemainer nucz und frumen" zugute vereinheitlicht41. Der Gemeine Nutzen wird, wie die Beispiele zeigen, legitimatorische Grundlage kommunaler Satzungstätigkeit in der Stadt und auf dem Land. Der Gemeinde Utzwil wurde 1420 durch die Klosterherrschaft St. Gallen bestätigt, „was ouch gmain nachburen durch des gmainen nutz willen fürnement und ansehent und was potten sy daruf haissent setzen, die mag ain herr abt nemen und sol sy daby schirman"42. Die Satzungskompetenz der Dorfgemeinde ist anerkannt, der Abt erhält von den mit Bußen geahndeten Übertretungen seine ihm als Herrn zustehenden Anteile und schützt dafür mit seiner und seines Vogtes Autorität die Satzung selbst. Seine Beziehung zur Friedensbewegung - um darauf nochmals zurückzukommen machte den Gemeinen Nutzen auch verwendbar fur den Adel. 1407 Schloß die Ritterschaft in Schwaben einen Bund gegen die seit 1403 aufständigen Appenzeller „durch nutz und frommen herren und aller ritterschaft und gemeines landes" 43 , der wenig später eine ausführlichere Begründung dahingehend erfuhr, „das der fursatz gütlicher wishait, gebut und geschribne rechten das wisten und Seiten, daz menglich gebunden were und sölte sin, den gemainen nutz ze fürderen und den schaden des gemainen gfites ze

35 36 37 38 39 40 41 42 43

UB St. Gallen 5, 617 Nr. 3580; ähnlich 620 Nr. 3588. F. Elsener, Rechtsquellen St. Gallen, 248 Nr. 157. Ebd., 337 Nr. 236. Ebd., 15. UB St. Gallen 6, 371 Nr. 5495. UB St. Gallen 5, 834 Nr. 4004: „durch gemains lands nutz" willen. UBSt. Gallen 6, 317 f. Nr. 5325. UB St. Gallen 5, 1042 Nr. 2892 a. UB St. Gallen 4, 826 Nr. 2404; ergänzend 851 Nr. 2420. Nach Abschluß des Manuskripts sind die Stadtbücher von St. Gallen (14.-17. Jahrhundert) ediert worden. Sie sind erwartungsgemäß voll mit Belegen zum Stadtnutz und Gemeinen Nutzen, wie eine kursorische Durchsicht [Begriffe sind in den Registern nicht ausgeworfen] ergeben hat. Auf eine Auswertung wurde verzichtet, weil sie die hier erfolgte Herleitung des Begrifft bestätigen. Vgl. Magdalen Bless-Grabher (Hg.), Die Rechtsquellen des Kantons St. Gallen, 2. Teil: Die Stadtrechte von St. Gallen und Rapperswil, 1. Reihe: Die Rechtsquellen der Stadt St. Gallen, 1. Bd.: Die Stadtbücher des 14. bis frühen 17. Jahrhunderts (Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen 14), Aarau 1995.

3.1

Gemeiner Nutzen

93

wenden, frid und gnad ze machen" 4 4 . Die zeitgleichen Bemühungen König Ruprechts, einen Vergleich zwischen den Appenzellem und St. Gallern einerseits und ihren Gegner anderseits zu stiften, wurden unter dem Eindruck geführt, die Appenzeller hätten „den gemeinen nutze der lande großlichen" geschädigt 45 . Das war von einer Seite gesprochen, die es nahelegte, auch „des reichs [...] eren und nutz" ins Spiel zu bringen 46 ; entsprechend sprach der Bischof von Kostanz, der zeitweise die Verhandlungen mit den Appenzellem führte, vom „gemainen nutz der gantzen cristenhait" 47 . Alle Belege kann man mit dem Landfrieden in Verbindung bringen. Er war durch die Rebellion gestört worden - die Appenzeller hatten Dutzende von adeligen Burgen gebrochen und mühelos die Bauern bis nach Tirol und ins Allgäu zum Anschluß bewegen können - , und die Anstrengungen von Rittern, König und zuständigem Bischof richteten sich darauf, ihn durch Ausgleichsverhandlungen und Pazifizierungen wieder herzustellen und zu sichern. Eine letzte, allerdings erst seit den 1420er Jahren anzutreffende und eher wenig verbreitete Wendung verknüpft den Nutzen mit der Ehre. 1421 stifteten die Schweizer Eidgenossen einen Vergleich zwischen dem Abt von St. Gallen und den Appenzellem, was, wie sie versichern, den Eidgenossen zu „nutz und ere" 48 diene. Mit einem ähnlichen Argument schließt Schwyz 1437 ein Landrechtsbündnis mit dem Abt von St. Gallen, näherhin um „derselben amman, landlüten und gemeins landes zö Swicz nucz und ere zfi fordern"49. Drei Bedeutungen von Gemeinem Nutzen lassen sich aus dem St. Galler Material herausheben und als verbreitet sichern: den Frieden stiftende, das heißt den gerichtlichen Ausgleich fördernde Bemühungen dienen dem Gemeinen Nutzen, die ordnungsstiftende Tätigkeit ländlicher und städtischer Gemeinden in Form von Statuten dient dem Gemeinen Nutzen, ja die raison d'etre der Kommunen scheint der Gemeine Nutzen zu sein, wenn auf ihn die Bürger eidlich verpflichtet werden. 3.1.2

Vom Stadtnutz zum Gemeinnutz - Basel

Das Urkundenbuch der Stadt Basel hat, wiewohl es sich auf „politische Urkunden" (Politik, Verfassung und Verwaltung) beschränkt und „Urkunden über kirchliche, gewerbliche und privatrechtliche Verhältnisse" ausdrücklich ausnimmt und einer späteren Publikation vorbehält 50 , den Vorzug, daß es bis ins ausgehende 18. Jahrhundert reicht. Damit läßt sich das semantische Feld von Gemeinnutz se.it seinem ersten Auftreten im frühen 14. Jahrhundert

44 45 46 47

48 49

50

U B St. Gallen 4, 878 Nr. 2441. U B St. Gallen 4, 838 Nr. 2411. U B St. Gallen 5, 650 Nr. 3656; ähnlich U B St. Gallen 6 , 2 3 7 Nr. 5102, 249 Nr. 5144. So der Bischof von Konstanz 1428 in einem Einladungsschreiben zu Verhandlungen wegen der Appenzeller. U B St. Gallien 5, 510 f. Nr. 3421. U B St. Gallen 5, 301 Nr. 3050. U B St. Gallen 5, 825 Nr. 3991. - Ähnlich: 1424 wollen Zürich und St. Gallen gemeinsam Münzen prägen und beraten „waz üwer, unser, der ünsern und gemeines landes nutz und ere" wäre. U B St. Gallen 5, 365 Nr. 3192; ergänzend 378 Nr. 3202. U B Basel 4 [Vorwort],

94

3

WERTE UND NORMEN

bis zur Auflösung der Ständeordnung gut rekonstruieren, wiewohl der Ausschluß von Gewerbe und Privatrecht natürlich eine merkliche Einschränkung bedeutet. Er nämlich verbietet eine quantitative Auswertung des Materials, weil gerade im wirtschaftlichen Bereich besonders häufig mit dem Gemeinnutz operiert wurde. Die Einsichten, die über das St. Galler Material zu gewinnen waren, lassen sich über das Basier Quellenkorpus teils bestätigen, teils ergänzen. Offenkundig ist, daß der Gemeine Nutzen seine Entfaltung und Ausgestaltung im 14. und 15. Jahrhundert erfährt und seit dem 16. Jahrhundert gefestigt in der Urkundensprache und damit der Rechtssprache verankert ist. Vorauszuschicken ist, daß der Nutzen wie in St. Gallen die unterschiedlichsten Verbindungen eingehen kann: Konzile dienen dem „grSsser nucz in der cristenheit" 51 , Frieden in großen Regionen sind „dem gantzen lande ze nutze und ze tröste" 52 oder gar „dem heiligen romischen rieh tutzscher nacion und aller erberkeit zfleren nutz und frommen" 53 , der König hält es für seine Pflicht, „unserr und des richs undertanen und getrfien nfiez und fr&mmen ze meren" 54 und begründet damit das der Stadt verliehene Recht zur Einhebung von Steuern und Umgeld. Alle diese Belege stammen aus dem 15. Jahrhundert, als das Argumentieren mit dem Gemeinen Nutzen schon eine gewisse Beliebtheit erlangt hatte. Zunächst läßt sich die äußerst enge Verkoppelung von Gemeinnutz und Friede bestätigen und sichern. Die - zeitlich immer befristeten - Friedensbündnisse, die Basel seit dem frühen 14. Jahrhundert mit den oberrheinischen oder eidgenössischen Orten einging, gelegentlich auch mit den Fürsten und Herren im Elsaß und im Breisgau benutzen zur Begründung ein standardisiertes Formular, nämlich „durch nutz notdorft friden und fromen unsere, unserre stette und bürgere gemeinlichen" 55 oder „durch nütz und friden unsere, unserre bürgere und lüte gemeinlichen und dez landes"56. Zwar dominiert zunächst die Verbindung von Frieden und Nutzen, doch schon um 1350 wechselt der Nutzen in den Gemeinen Nutzen hinüber, etwa im Bündnis des Bischofs von Straßburg, des Abts von Murbach, der Gräfin von Mömpelgard, der Landgrafen im Elsaß, der elsässischen Städte, sowie der Städte Freiburg und Basel. „Durch [zu, P.B.] unsern und

51 52 53 54 55 56

UB Basel 6 , 3 1 2 Nr. 309. UB Basel 6, 260 Nr. 244. UB Basel 9, 117 Nr. 134; ähnlich 127 Nr. 150, 131 Nr. 153. UB Basel 6, 286 Nr. 285; ähnlich 339 Nr. 321. UB Basel 4, 54 Nr. 59. UB Basel 4. 58 Nr. 61; ähnlich 73 f. Nr. 76, 76 Nr. 77, 87 Nr. 88,100 Nr. 108,101 Nr. 110 [Standardabweichung: „durch got und durch nutze und notdurft lender und lite", vermutlich veranlaßt durch den wahrscheinlichen Initiator des Landfriedensbündnisses, den österreichischen Pfleger im Sundgau], 103Nr. 111, 119Nr. 125, 128 Nr. 137, 141 Nr. 150, 144 Nr. 153, 151 Nr. 159, 161 f. Nr. 173, 176 Nr. 190 [Standardabweichung ähnlich Nr. 110 oben, Bündnispartner: die Pfleger Österreichs im Elsaß und Sundgau], 189 Nr. 201, 206 Nr. 223, 211 Nr. 224, 226 Nr. 247, 261 Nr. 291, 266 Nr. 295, 271 Nr. 296, 272 Nr. 297, 282 Nr. 307, 321 Nr. 340, 326 Nr. 341. UB Basel 5, 243 Nr. 235, 370 Nr. 363. UB Basel 6, 66 f. Nr. 64, 70 f. Nr. 67, 103 f. Nr. 114, UB Basel 9, 198 Nr. 272 [„zu unser aller nutz und nottdurfft"; allgemein werden die Formeln schon seit der Mitte des 15. Jahrhunderts schlanker].

3.1

Gemeiner Nutzen

95

des landes gemeinlichen nutz und notdurft gemeinlich" 57 , heißt hier die Begründung, eine Wendung, die in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts allgemein an Boden gewinnt 58 . In dieser Bedeutung verwendet auch der König den Gemeinnutz. In einem in den Basler Beständen liegenden Landfriedensentwurf von 1438, der aus der königlichen Kanzlei stammen dürfte, heißt es, daß durch landschädliche Leute „gemeiner nutze gröszlich geirret geswecht und undergetriickt wirt", und deswegen habe sich der König entschlossen, „von der biirdy wegen unsers klinglichen ampts, die wir gott zülobe dem riche zfieren und durch gemeines nutzes willen uf uns genomen haben", einen neuen Landfrieden zu befördern 59 . Eigenmächtige Gewalt gilt als Fehde und Friedbruch, und so wird auch den Westfälischen Femegerichten vorgeworfen, daß durch sie „gemeiner nutz und fride in dem heiligen riche nit wenig gekrenckt und geirret' ' werde 60 . Wo sich die Friedensbemühungen räumlich auf die Stadt konzentrierten, konnte an die Stelle des Gemeinen Nutzens auch der Stadtnutz treten. Die große Einung'm Basel, die 1339 zwischen dem Bischof und dem Domkapitel einerseits und den Bürgern andererseits gestiftet wurde und den Stadtfrieden mit drakonischen Maßnahmen sicherte - auf Totschlag beispielsweise stand fünfjähriger Stadtverweis - , wurde „dur [zu, P. B.] unser stette nutze und ere, dur göt und frides willen" gemacht und „mit geswornem eide" aller Bürger bekräftigt 61 . Ein anderes Motiv freilich hatten Bischof und Domkapitel: sie traten der Einung bei „durch friden und durch unser stift und der pfaffeheit nutz und ere" 62 . Der Stifisnutz in Basel entspricht dem Gotteshausnutz in St. Gallen und läßt sich solange belegen, als das Hochstift Rechte in der Stadt oder ihrem Hinterland ausübte 63 . Soweit bischöfliche und städtische Rechte sich kreuzten, konnten sich Stiftsnutz und Stadtnutz komplementär ergänzen. 1354 erlaubte der Bischof auf Bitten der Stadt den Fischern und Schiffleuten, eine Zunft zu errichten, „unser stift und der stat ze nutze und ze eren" 64 . Ganz selten - falls bei der Bearbeitung des elfbändigen Urkundenbuchs kein Beleg verlorengegangen ist, nur ein einziges Mal - wird der Stiftsnutz auch als Gemeinnutz ausgewiesen. Der Bischof verkaufte das jenseits des Rheins liegende Kleinbasel 1391 an die Reichsstadt zu des „bistflms und der stift kuntlichen gemeinen nucze" 65 . Der Stadtnutz verdankt seine Verwendung in hohem Maße der Bemühung der Bürgerschaft um Frieden. Der Einungsbrief von 1339 gehört zu den frühesten Urkunden, die das belegen, und er liegt zeitlich eher vor als nach den Friedensbündnissen mit den Nachbarn, 57 58

59 60 61 62 63

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UB Basel 4, 153 Nr. 163. UB Basel 7, 1 f. Nr. 2, 56 f. Nr. 45. UB Basel 5 , 2 3 Nr. 17, 4 6 f. Nr. 32, 140 Nr. 135, 194 f. Nr. 181, 206 f. Nr. 196. UB Basel 7, 5 1 6 f. Nr. 402. UB Basel 8, 251 f. Nr. 326. UB Basel 6, 4 2 7 Nr. 443. UB Basel 8, 142 Nr. 177. UB Basel 4, 132 Nr. 140. UB Basel 4, 190 Nr. 202. UB Basel 4, 204 Nr. 2 1 9 , 2 9 0 Nr. 3 1 1 , 343 Nr. 360. UB Basel 5, 51 ff. Nr. 4 1 , 6 0 Nr. 54, 188 Nr. 1 7 2 , 2 0 4 Nr. 194. UB Basel 6, 397 Nr. 397. UB Basel 9, 393 Nr. 4 4 2 [Belege stellen eine Auswahl dar], UB Basel 4, 196 Nr. 208; ähnlich UB Basel 5, 2 2 0 Nr. 2 1 5 . UB Basel 5, 167 Nr. 155.

96

3

WERTE UND NORMEN

die anfänglich ohnehin auf städtische Initiativen zurückgehen, denen sich die oberrheinischen Herren und schließlich der König recht spät anschließen. Der Stadtnutz dient aber auch als Begründung infrastruktureller Maßnahmen - Wasserversorgung 6 6 und Brückenbau über den Rhein 6 7 werden ausdrücklich genannt - und der damit zusammenhängenden Anstellung von Fachleuten. Sie alle verpflichten sich in der Regel, „der statt Basel und der iren nutz und ere ze werben und iren schaden ze wenden" 6 8 , und diese gängige Formel wird schließlich auch üblich im Amtseid der Vögte im Basler Territorium 6 9 und bei Bürgeraufnahmen schlechthin 70 . Die weitgehende Austauschbarkeit von Stadtnutz und Gemeinnutz zeigt sich zunächst darin, daß Wasserversorgung, Brückenbau und Straßenbau auch mit dem Gemeinen Nutzen begründet wurden 7 1 . Als die Stadt Basel von Österreich gerügt wurde, im nahen Forst Hard Eichen gefällt zu haben, wehrte sie sich mit dem Argument, das „nit umb eygenen, aber gmeines nutzes willen" getan zu haben, um die durch den Forst fuhrende Straße fur die Basier Bürger und auch die österreichischen Untertanen besser befahrbar zu machen 7 2 . Auch der Verkauf städtischer Güter wird mit Stadtnutz und Gemeinem Nutzen begründet. Als Bürgermeister und Rat den Karthäusern den alten Bischofshof zu Kleinbasel 1401 verkauften, taten sie es „durch linser stette gemeynes nutz und notdurft willen" 7 3 . Es ist danach kaum verwunderlich, daß auch der Gesamtbereich des Münzwesens schon seit dem mittleren 14. Jahrhundert über den Gemeinnutz seiner Ordnung zugeführt wird: Münzkonventionen werden mit ihm begründet 7 4 , die Anstellung städtischer Münzmeister 7 5 , Verträge mit den Münzgenossen 7 6 und die Einrichtung eines Wechsels, also einer Art Bank 7 7 . 66

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Erstmals 1317: Die Stadt trifft ein Übereinkommen mit dem Stift St. Leonhard über Wasserleitungen „dur unserre stette nutz unde vürderunge". U B Basel 4, 32 Nr. 37. Ergänzend 260 f. Nr. 290. (1317 heißt eine entsprechende lateinische Version „ob utilitatem publicam civitatis Basiliensis". U B Basel 4, 39 f. [VIII].) U B Basel 9 , 3 4 8 Nr. 379. Zitat nach U B Basel 7, 532 Nr. 427; ähnlich U B Basel 8, 98 Nr. 141, 354 Nr. 444, 378 Nr. 484, 385 Nr. 494, 390 f. Nr. 502,398 f. Nr. 507 [alle späteren Belege eigens zu nennen würde eine langfädige Kette ergeben, da in der 2. Hälfte des 15. und im 16. Jahrhundert viele in Dienste der Stadt treten]. Auswahlweise für das 16. Jahrhundert U B Basel 9, 347 Nr. 378. U B Basel 10, 333 Nr. 305, 455 Nr. 427. Die Belege im wesentlichen unter der vorstehenden Anmerkung. Abweichendes Formular in U B Basel 9, 326 Nr. 353, 378 Nr. 418. U B Basel 9, 379 f. Nr. 420; ähnlich 401 f. Nr. 458. U B Basel 7, 17 Nr. 16. U B Basel 9, 245 Nr. 302, 378 Nr. 417. U B Basel 10, 569 Nr. 581. U B Basel 10, 256 Nr. 226. U B Basel 5, 315 Nr. 292. Vgl. U B Basel 6, 132 f. Nr. 151. Münzkonvention 1344 zwischen Basel (Bischof und Stadt), Zürich (Äbtissin und Stadt) und Herrschaft Österreich 1344 „durch gemeinen nutz und notdurft dez landes und unserr Stetten". U B Basel 4, 148 Nr. 158. Ähnlich ebd., 182 Nr. 192. U B Basel 5, 100 Nr. 94, 318 Nr. 302. U B Basel 6, 201 Nr. 199. U B Basel 10, 163 Nr. 145. U B Basel 6, 347 Nr. 331. UB Basel 8, 155 Nr. 195, 333 Nr. 426, 465 Nr. 595. U B Basel 9, 217 Nr. 289. U B Basel 9, 368 f. Nr. 403. U B Basel 9, 257 f. Nr. 314.

3.1

Gemeiner Nutzen

97

Im 15. Jahrhundert wird der Gemeine Nutzen schließlich zur umfassenden Begründungsfigur der gesamten städtischen Innenpolitik, ja der städtischen Verfassung schlechthin. Als 1406 das Gremium der Neuner geschaffen wurde, erfolgte das „durch linser und gemeiner stat nutz und eren willen" 78 . Der Bannwart von St. Alban, den „ein probst und die gemeind järlich umb sant Laurenzyen tag setzen", mußte in seinem Amtseid schwören, „der ganzen gemeindt ir aller schaden zfi wenden und nutz ze fördern", und zwar, wie es pleonastisch und bekräftigend nochmals heißt, zur Beförderung des „gemein nütz" 79 . 1449 fand diese Praxis eine interessante Bestätigung durch den Basler Bischof, der jetzt der Stadt bestätigte, daß „die von Basel als wol als andere stett umb gemeines nutzes willen wol ze setzen" hätten, ihnen also ein Satzungsrecht - ohne erkennbare Einschränkung - zukäme 80 . 1488 erhielt diese Zuständigkeit das Gütesiegel eines Freiheitsbriefs Kaiser Friedrichs III., in dem es unter Artikel 7 heißt, „das sy in der stat Basel und iren gebieten nu hinfür ewigclich alles und yeglichs, das sy bey iren eyden erkennen, das ir und gemeiner stat nütz notdurfft und güt und doch unns, dem heiligen reiche und dem rechten nit widerwertig noch schedlich ist, zä ordnen setzen und zfl enntsetzen on allermenigklichs irrung und widersprechen", befugt sein sollen 81 . Spätestens seitdem ist der Gemeine Nutzen die umfassendste Begründungsfigur in der Stadt. 1525 verzichtete der Rat gegenüber den Bauern auf der Basler Landschaft auf Zoll und Umgeld, „daruß unser stat und der gemeinde nutz zum theil erhalten" werde 82 . 1529 übergaben die Schwestern des Klosters Engental ihr Haus an die Stadt „zfl gottes lob, trost der armen, nuz unnd wolffart gmeiner unser statt Basel" 83 . Der Gemeine Nutzen hat, um auf die eingangs gemachten Überlegungen zurückzukommen, seit dem 16. Jahrhundert keine erkennbare weitere Entwicklung mehr durchlaufen. Allenfalls wird er weiter generalisiert und damit auch verflacht, wenn im 17. Jahrhundert Verträge über den Postdienst mit Straßburg oder Handelsvereinbarungen mit Zürich über den italienischen Warenverkehr „dem gemeinnutzigen commerciren" 84 oder dem „gemeinen kauffmännischen nutzen" dienen sollen 85 . Ohne auf eine Auswertung im Detail hier einzugehen - sinnvoll kann sie ohnehin nur im oberdeutschen Raum insgesamt erfolgen — kann als wichtig festgehalten werden, daß der Stiftsnutz im Prinzip keine Verbindung mit dem Gemeinnutz eingeht, wohl aber der Stadtnutz. Mit anderen Worten, der Stadtherr von Basel - und, soweit sich sehen läßt, gilt das auch fur den Bischof als Landesherrn des Hochstifts - leistet fur die Ausbildung des Gemei-

78 79 80

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UB Basel 5, 359 Nr. 346. UB Basel 8, 350 Nr. 441. UB Basel 7, 375 Nr. 214. Der Text bringt zum Ausdruck, daß die Basler „irer statt Ordnung umb gemeines nutzes willen" gemacht hätten, er belegt also eine gängige Praxis und geläufige Begründung. UB Basel 9, 59 f. Nr. 73. UB Basel 10, 37 Nr. 381. UB Basel 10, 194 Nr. 164. UB Basel 11, 93 Nr. 113; ähnlich UB Basel 11, 143 Nr. 175, 227 Nr. 278. UB Basel 11, 134 Nr. 169.

98

3

W E R T E UND N O R M E N

nen Nutzens nichts. Die Stadt jedoch tut es: der Gemeine Nutzen leitet die ordnungspolitischen Maßnahmen der Stadt, zunächst im Bereich der städtischen Infrastruktur, schließlich in generalisierender Weise fur das Verfassungsleben der Stadt.

3.1.3

Gemeinnutz als territorialstaatliche Norm - Tirol

Die Mitarbeiter der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien machten ihre eindrücklichsten Funde bei der Sammlung der Weistümer des Landes Tirol in den Gemeindetruhen und Gemeindearchiven. Aus den dort lagernden Dorfbriefen, Nachbarschaftsordnungen und Ehaften ergibt sich ein relativ klares Bild vom Verständnis dessen, was vornehmlich die Bauern in Tirol unter Gemeinnutz verstanden. Uber alle Jahrhunderte hinweg, von den ersten Belegen im 15. Jahrhundert bis zu den letzten im 19., läßt sich ein Bedeutungswandel kaum feststellen. „In gemeinsachen", heißt es in der Gemeindeordnung von Haid 1798, „muß man den eigenen nutzen vergeßen und blos auf den gemeinen sehen, weil ohne arbeit und ohne eigene Unkosten nie ein gemeinnutzen, woran iedem insbesondere jederzeit daranliegt, kann befördert werden" 86 . Gemeiner Nutzen ist hier ganz streng auf die Gemeinde bezogen, und diesen Zusammenhang halten alle Dorf-, Markt- und Stadtordnungen Tirols fest. Die Gemeinde Lorenzen verweist auf einen alten Brief aus dem „verschinen funfcehenhundert und neunten jar", als „ain ersame bürgerliche nachperschaft des markts zu Sand Lorenzen im landgericht Michelspurg mit hilf und rath der landgerichts-obrigkait zu Michelspurg vonwegen befürderung und erhaltung gemaines nuz ain pollicei und Ordnung, wies in der nachperschaft mit Verordnung aines haubtmans, aufnemung aines mezgers, waidnung und behüetung des vichs, erhaltung der hirten und einnemung der ingeheusen und in anderweg solte gehalten werden, furgenomen, aufgericht, auch in brief und sigl verfasst worden" 8 7 . Gemeiner Nutzen umschließt hier drei verschiedene Bedeutungen - die Nutzungsrechte der Mitglieder der Gemeinde (Realgerechtigkeit), die Satzung beziehungsweise Legitimation der Satzungstägigkeit der Gemeinde und die Verpflichtung gemeindlicher Amtsinhaber. Die Realgerechtigkeit konnte, wie es im Gemeindebrief von Buch von 1483 heißt, fur die „angessnen paumans- und lehensleuten [...] in irem viechbsuch, panwaldern und an gemain nutzen" bestehen 88 , in Altenburg und in Lienz im Bezug der Bürgeraufnahmegelder 89 . In Inzing gehören zum Gemeinnutz die Weide- und Holznutzungsrechte 90 und in Moos die Brunnennutzung 91 . Was die Genossenschaft als solche nutzen kann, ist der Gemeine Nutzen.

86 87 88

89

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I. V . Zingerle - K. T h . v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 2, 3 4 7 . I . V . Zingerle - J . Egger, Tirolische Weisthümer 4, 4 5 7 f. I . V . Zingerle - K. T h . v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 1, 163 f.; ähnlich 199 [für Absam Kopialbuch 17. Jahrhundert: gemeiner N u t z sind Holznutzungsrechte], 2 0 9 [für T h a u r 1460], I. V . Zingerle - J . Egger, Tirolische Weisthümer 4, 2 8 8 . In Lienz (15. Jahrhundert) geht das Bürgereinkaufgeld in „einen gemainen nuz der Stadt". Ebd., 598. I. V . Zingerle - K. T h . v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 2, 22. I. V . Zingerle - J . Egger, Tirolische Weisthümer 4, 4 6 2 f.

3.1

Gemeiner Nutzen

99

Der Gemeinnutz m u ß auch die Richtschnur sein, an der sich die gemeindlichen Satzungen auszurichten haben. „Nachdem und dieweil die gmain zu Rüffian etlich vil jar her kain dorfbuch nit gehabt, daraus man bericht und nachperliche Ordnung, inmassen wie in andern dergleichen gmainen, het nemen mügen, aus solichem mangl ist in berüerter gmain vil undordnung [...] eingerissen [...]. Zu abstellung solcher unordnung [hat, P. B.] ain ersame gmain samentlichen, als man dorfrecht gehalten auf der gassen altem prauch nach, an sant Jörgen tag dies regierenden funfzehenhundert neynundachtzigisten jars, sich mitainander ainhöllig veraint und beratschlagt, von gmain nuz und gueter Ordnung wegen widerumben ain dorfpuech aufzurichten für guet angesehen" 92 . Die von „der nachperschaft und gemain [...] fiirgenomne Satzung, Ordnung und ehehaft" sind von allen Mitgliedern streng zu beobachten, heißt es häufig, weil sie „der ganzen gemain zu nutz und guetem geraicht" 93 . In Texten des 17. und 18. Jahrhunderts wurde der Gemeine Nutzen nahe an die gute Polizei gerückt. In der gemeinsamen Dorfordnung von Niedermais, Hagnach, Labers und Freienberg im Landgericht Meran seien verschiedene Artikel mangelhaft, „welches in diser gemainschaft grosse confusiones, zwitracht und verhinterung des gemainen nutzens causiert, derowögen die hegste notturft erforder, dass obgemelte alte gemainsordnung zu erhaltung gueter policei, frid und ainigkait, befiirderung des gemainen nutzens und also allen wesen zum pesten corrigiert" werde 94 . Und schließlich wurde der Gemeine Nutzen 1818 in der Dorfordnung von Flirsch zum Gemeinwohl. „Der zweck der gegenwärtigen gemeindsordnung ist einzig und allein bloß dahin gerichtet, daß das wohl der gemeinde befördert und der häusliche frieden erzielt werde. Weit entfernt ist dahero die absieht dieses gemeinnützigen Unternehmens, als daß etwa durch eine weither gesuchte und falsche mißdeutung dadurch denen rechten, öffentlichen gesetzen und freiheiten nur im geringsten ein abbruch gethan werde, oder selbe dadurch gekränket oder auch nur im geringsten praejudicieret werden" 95 . 92

93

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Ebd., 67 - [Für Gemeindearbeiten: 1555 hatten die „Müllner, Holzleuter und Orter höfe im Erwald, des gerichts Erenberg, fur sich, all ir iedes erben und nachkomen umb erlangung und fiirderung willen ires merern gemainen nutz und frumben, auch damit zwischen ir lang zeit guete nachperschaft, frid und einigkeit erhalten und gepflanzt werde" darüber befunden, wie es mit der Bestellung der Dreier gehalten werden solle, die unter anderem das Recht haben, „gemainnutzes arbeiten", also Gemeindedienste, anzuordnen. I. V. Zingerle - K. Th. v. Inama-Stemegg, Tirolische Weisthümer 2,140 und 142]. I.V. Zingerle - K. Th.v. Inama-Stemegg, Tirolische Weisthümer 1, 240-242. - Ebenso und ähnlich ebd., 1, 60 [Unter-Langkampfen 1585] und 2, 38 und 49 [Silz 1616], 91 [Wildermiemingen 1691], 133 [Biechlbach 1575], 248 [Nasserein 1656], 304 [Kauns 1624, mit Rückverweis auf alte unverständliche Dorfordnungen], 320 [Reschen 1794] und 3, 104, 120, 122 [Taufers 1568]. - I. V. Zingerle - J. Egger, Tirolische Weisthümer 4, 513 [Gaiss 1668], 542 [Niederdorf 1782], 581 [Sillian 1801],-N. Grass-K. Finsterwalder, Tirolische Weistümer 5, 186-189 [Thaur 1548], I. V. Zingerle - J. Egger, Tirolische Weisthümer 4, 130. I. V. Zingerle - K. Th. v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 2, 238 f. Ergänzend: Im Gemeindearchiv von St. Jakob (Nasserein) findet sich eine Dorfordnung von 1656, in der es heißt, „wann ain dorfvogt, paumaister oder fierer ain gmain zusamen begert und berueft, soll man zu erscheinen schuldig sein und ir notdurft anhören, hierauf alle guete anstalt, was zu dem gmainen nutzen geraicht, beschlossen und in allweg gueten gehorsamb erhalten" werden (ebd., 2, 249), ein Text, der 1802 folgende Modifikation erfahren hat: „Die absieht dieser gegenwärtigen dorfordnung anbelangend, soll die gegenwärtige zu verfassende gemeindsordnung nur auf jenes zu wirken haben, was das gemeine wohl betrifft" (ebd., 273).

100

3

WERTE UND NORMEN

Wenn die Satzung dem Gemeinen Nutzen dienen sollte, dann hatten verständlicherweise auch die Amtsträger der Gemeinde ihm zu dienen, weshalb er auch häufig als Verpflichtung ausdrücklich genannt und in die Amtseide eingearbeitet wurde. Das galt selbst für solche Amter, die auch die herrschaftlichen Interessen bedienten. Schon 1423 wird in Schenna als Herkommen bezeichnet, „das die herschaft sol ain präbst setzen auf Schennan, doch mit der gemain will und wort, der der herschaft und der gemain nutz sei"96, und in Bruneck schwören nach einem Text des 15. Jahrhunderts die Räte der Stadt einen Eid, „das sie wellen furnemen, das einem herren von Brixsen, dem gotshaus und der stat nutz und guet sei"97. Hier erscheint als Stadtnutz, was in den ländlichen Rechtsquellen Gemeinnutz heißt. So haben beispielsweise in Telfs die Viertelmeister die Aufgabe, „in allen firfallenheiten, was zu erhaltung des gemainen nutzens und gueter pollizei firstendig und thunlichen sein wirdet, ihr fleissig und getreies aufsechen zu haben"98. 1460 bat die Stadtgemeinde von Lienz den Landesherrn, nach ihren Vorschlägen die Bürgeraufnahmen, die Siegelgebühren, die Gewerbe von den Bäckern bis zu den Wirten, die Maße und Gewichte, Ausfuhr und Einfuhr und schließlich die Winkelehen einer umfassenden Reglementierung zu unterwerfen, „daraus dann eurn furstleich gnaden, auch uns ain gemainer nutz entspringen mecht"99. Der Brief stellt gewissermaßen das städtische Gegenstück zum Dorfbrief von Lorenzen von 1509 dar. Tirol verfugt über einen ganz unzweideutigen Sprachgebrauch - Gemeinnutz ist, was der Gemeinde dient. Gemeiner Nutzen gehört zur geläufigen Sprechweise, wenn Bauern und Bürger Satzungen machen, andere Begründungen lassen sich in ihrer alltäglichen Lebenswelt kaum finden. Für die Tiroler Geschichte ist das von größter Bedeutung geworden, weil der Gemeine Nutzen schließlich zur leitenden Norm der Gesetzgebungstätigkeit des Landesherrn geworden ist100. Tirol besaß von seiner Verfassung her insofern gute Voraussetzungen, Werte der Bauern und Bürger zur Geltung zu bringen, als Vertreter der Landgerichte und Städte, bäuerliche und bürgerliche Repräsentanten, wenn man so will, im Tiroler Landtag Sitz und Stimme hatten. Zu den Spielregeln des Landtags gehörte es, landesfurstliche Forderungen 96

I. V. Zingerle - J. Egger, Tirolische Weisthümer 4, 105. Ebd., 473. 98 I. V. Zingerle - K. Th. v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 2, 7. So oder ähnlich ebd., 16 [Oberpfuss 16. Jahrhundert], 31 [Scharnitz 1789], 146 [Biberwier 1598], 160 [Imst 17. Jahrhundert], 328 [Graun 1617] und I. V. Zingerle - K.Th. v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 3, 24 ff. [Mals 1538], 33 f., 41 [Tartsch 1716], 60 [Burgeis 1575], 95 f. [Laatsch 1546], 174 f. [Tschengeis 1611], 261 [Latsch 1607]. - 1 . V. Zingerle-J. Egger, Tirolische Weisthümer 4,41, 44 [Algund 1648], 49 f. [Algund 1587], 527 [Zell], 776 [Alsack und Ulten o. D.]. 99 I. v. Zingerle - J. Egger, Tirolische Weisthümer 4, 594-601; Zitat 600. Ähnlich ebd., 602 ff. [Lienz 1479], 604-616 [Lienz 1596], - J. W. PLCHLER (Necessitas, 65-72) spricht bei ähnlichen Fällen vom „verkehrsbezogenen Gemeinwohl". 100 Wiewohl die Taidinge mehrheitlich zeitlich später abgefaßt sind, erlaubt doch die Gleichförmigkeit der Wortwahl über alle Jahrhunderte hinweg, den Gemeinnutz als Wert neben den ausdrücklichen Nennungen als verbindlich auch fur das 15. Jahrhundert anzunehmen. Belegmaterial gibt es auch aus Vorarlberg, das zu dieser Zeit noch die Tiroler Landtage beschickt. So nach Ordnungen von 1456, 1482 und 1506 bei K.-H. Burmeister, Vorarlberger Weistümer 177, 250 ff, 277 f., 288. 97

3.1

Gemeiner Nutzen

101

mit Beschwerden zu beantworten. Wieder und wieder haben die Tiroler den Gemeinen Nutzen als leitende Begründungsfigur in ihre Gravamina geschrieben und damit naheliegenderweise genau jene Vorstellungen verbunden, die sie in ihren Gemeinden selbst entwickelt hatten. Die Umgehung des Marktzwangs, heißt es dann in den Beschwerdesätzen, soll verboten werden, „weil solhs zu abpruch vnd hyndrung gemains nutz raicht". Preise für Mehl, Brot, Fleisch, Fische und Wein sollen „zü fiirdrung gemains nötz" festgelegt werden. Adel und Prälaten zu den Steuern des Landes heranzuziehen, dient dem Gemeinen Nutzen 101 . Der Fürst und seine Regierung geraten zunehmend unter Druck, dem Gemeinen Nutzen als normativer Regel mehr Raum zu gönnen. Die größte Beschwerdeschrift, welche die Tiroler Bauern und Bürger je formuliert haben, die 96 Meraner-Innsbrucker Artikel von 1525, schließen mit der Forderung an Erzherzog Ferdinand von Österreich, er solle die Artikel „S[einer] Fürstlichen] D[urchlaucht] und gemainer lanndschaft zu gut und furdrung gemaines nutz gnedigklich annemen und bestatten" 102 . „Zu furdrung des gemainen vnd vnserer Lanndschafft frumen vnd nutzen" wurde die Landesordnung im folgenden Jahr erlassen und im Druck publiziert 103 . Als umfassendes und erstes großes Gesetzgebungswerk ist sie bis ins 19. Jahrhundert, wenn auch vielfach redaktionell überarbeitet, in der Substanz jedoch unverändert, in Geltung geblieben. Der Gemeine Nutzen als Wert hatte sich im ganzen Land durchgesetzt (Abb. 5).

3.1.4

Zusammenfassung

Die Gegenwart besitzt zur Begründung politischen Handelns kein ähnlich umfassendes Wort, „wie es der Begriff des gemeinen Nutzens vom späten Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert hinein war" 1 0 ! Aufgebaut wurde er im wesentlichen im Spätmittelalter 105 und offenbar vorzüglich im oberdeutschen Raum 106 . Seit dem 16. Jahrhundert scheint der Begriff gefestigt und entwickelt sich nicht weiter, allerdings kann er in den Mantel von guter Polizei oder Wohlfahrt schlüpfen. Das zeigt, daß er für die Entwicklung des modernen Sozialstaates nicht ganz bedeutungslos war 107 . Zur Genealogie des Gemeinen Nutzens läßt sich abschließend folgendes generalisierend sagen.

101

102 103

LRATI, Landtagsakten Fasz. 1, fol. 31-36 und Codex 597, 14, 15, 19 [letzterer Ordnungen enthaltend, die auf Landschaftsbeschwerden zurückgehen]. H. Wopfner, Bauernkrieg Deutschtirol, 67. Der Fürstlichen Grafschaft Tirol Landsordnung 1526 (Staatsbibiliothek München J. austr. 39), 3.

104

W . SCHULZE, E i g e n n u t z , 5 9 7 .

105

W. EBERHARD, Legitimationsbegriff des „Gemeinen Nutzens", 246. - P. HLBST, Utilitas Publica, 25-120, zusammenfassend 218. - A . DLEHL, Gemeiner Nutzen, 311-315. A. DLEHL, Gemeiner Nutzen, 314, bezugnehmend auf die Akten zur Geschichte des Bauernkriegs in Mitteldeutschland, wo keine Belege für den Gemeinen Nutzen zu finden seien. Die Überlegungen sind anschlußfähig an die Arbeit von GERHARD A. RITTER, Entstehung und Entwicklung des Sozialstaates in vergleichender Perspektive, in: Historische Zeitschrift 243 (1986), 1-90, bes. 14-26.

106

107

102

Abb. 5:

3

W E R T E UND N O R M E N

„Das ist der Gmain Nutz". Titelholzschnitt oder Flugblatt von 1487, gedruckt in der Offizin von Albert Künne in Memmingen. Im Mittelpunkt der Darstellung der pflügende Bauer und zwei Handwerker (Weber und Zimmermann), flankiert links und rechts von einem Bannerherrn und einem Ritter. Darüber Richter und Ratgeb, die möglicherweise einen Bürgermeister beraten, schließlich darüber abgeschnitten und beschädigt Fürst und eine weitere Person. Die Legende am rechten Rand ist unvollständig und bezieht sich auf den Adel, die am linken, vielleicht auch am oberen Rand abgeschnitten. Quelle: Das beschädigte Blatt ist eingebunden in einen Band der Hofbibliothek der Fürsten Thum und Taxis in Regensburg.

3.1

Gemeiner Nutzen

103

1. Die Landesherren, Fürsten, Bischöfe und Prälaten tragen zur Ausarbeitung des Gemeinen Nutzens nichts bei, jedenfalls sind sie daran nicht erkennbar beteiligt. Die Urkundensprache bleibt im Fürstbistum Basel und im Kloster St. Gallen beim Stiftsnutz und Gotteshausnutz und entwickelt sie nicht zum Gemeinen Nutzen weiter. Tirol, wo der Gemeinnutz das Landrecht und Territorialrecht legitimiert, verdankt ihn den ländlichen und städtischen Gemeinden, die ihn mittels des Landtags durchsetzen 108 . Diese Beobachtung paßt zu dem für Oberdeutschland ja nicht unerheblichen Befund, den man aus der Arbeit OTTO BRUNNERs gewinnen kann. Sein ausdrücklich begriffsgeschichtlich angelegtes Hauptwerk „Land und Herrschaft" liefert keinen Hinweis, der es erforderlich machen würde, dem Gemeinen Nutzen auf der Ebene der spätmittelalterlichen Territorien Reverenz zu erweisen, herrschaftslegitimierend sind vielmehr Schutz und Schirm und nichts sonst 109 . 2. An der Herausarbeitung des Gemeinen Nutzens sind hingegen Kommunen ganz wesentlich beteiligt, und zwar auf zweifache Weise. Wo gesellschaftliche Gruppen sich kommunal verfestigen, tritt je nach Autonomiegrad neben oder an die Stelle des Stiftsnutzes, Gotteshausnutzes oder allgemein gesprochen des Herrennutzes der Gemeinnutz. Die dem Lehnsrecht verpflichtete Formel des Herren Nutzen zu fordern und seinen Schaden zu wenden wird kommunal uminterpretiert. Wie die Holden dem Herrn, so werden die Genossen auf die Gemeinde verpflichtet. Im Bürgereid drückt sich das am klarsten aus, doch auch die Eide kommunaler Amtsträger bezeugen das. Die sich ständig ausweitende kommunale Satzungstätigkeit wird mit dem Gemeinen Nutzen begründet, und sie kann sich je nach Zuständigkeit des gemeindlichen Verbandes unterschiedlich weit erstrecken: auf Weidgang und Holznutzung bei einer bäuerlichen Nachbarschaft, auf Straßen, Brücken, Münzen, Gewerbe und Handel in einer Stadt. Entscheidend ist wohl, daß Statutarrecht und Gesetz generell durch den Gemeinen Nutzen ihre offenbare Dignität erhalten, wie das ältere Recht durch seine göttliche Stiftung 110 . Das er108 OTTO STOLZ (Die Ausbreitung des Deutschtums in Südtirol im Lichte der Urkunden, 3. Bd., 2. Teil, München-Berlin 1932, 18) zitiert das Tiroler Landrecht von 1282, das zur „gepesserunge unde gemeinen nutz aller leuite gemeinlich" ergangen sein soll. V o m Landrecht sind deutsch nur Fragmente überliefert, von denen zweifelhaft sein dürfte, ob sie zeitgenössisch sind oder ob es sich um spätere Ubersetzungen der ursprünglich lateinischen Vorlage handelt. Die Durchsicht der Quellen bis zur Landesordnung von 1525 haben jedenfalls keinerlei Hinweise auf einen kontinuierlichen Gebrauch des Gemeinen Nutzens erbracht. Vgl. P. BLICKLE, Landschaften, 1 9 0 - 2 0 0 . 109

110

O . BRUNNER, Land, der alle österreichischen Länder, somit auch Tirol und Vorarlberg in seine Argumentation mit einbezieht. - Schon A. DLEHL (Gemeiner Nutzen, 314) hat gemeint, „der gemeine Nutzen erscheint als Zweck und Ziel politischen Wollens und Handelns zunächst jeweils da, wo politischer Zusammenschluß, Staatsbildung erfolgt [sie] nicht von oben durch die Macht eines Fürsten, sondern von unten durch den Willen des Volkes, in der Eidgenossenschaft, in den deutschen Städten und ihren Bünden. Innerhalb der Städte wird der gemeine Nutzen besonders hervorgehoben nach Versöhnung und Ausgleich zwischen den Ständen". Literaturhinweise da und dort begünstigen die Vermutung, daß es sich um eine generalisierbare These handelt. „Das wir umb gemeyns nutz und notdurft willen Statut gesetze und Ordnung bey uns fürneme mögen", schreibt 1478 der Nürnberg Rat; die Quelle bei MICHAEL ToCH, „ U m b gemeyns nutz und nottdurfft willen". Obrigkeitliches und jurisdiktionelles Denken bei der Austreibung der Nürnberger Juden 1498/99, in: Zeitschrift für Historische Forschung 11 (1984), 21. Möglicherweise werden so auch die Gemeinnutzbelege in den Präambeln der Landesordnungen

104

3

W E R T E UND N O R M E N

klärt, weshalb der Begriff sich zur Emotionalisierung eignet und in Zeiten großer religiöser Erregung wie der Reformationszeit geradezu sakrale Qualität gewinnen konnte. Da kommunales politisches Handeln sich generell in Statutarrechten materialisiert, unterliegen die gemeindlichen Verbände bis hin zu ihren verfassungsrelevanten Satzungen, etwa hinsichtlich der Bestellung der kommunalen Amter, dem Kriterium des Gemeinen Nutzens. 3. Möglicherweise hängt damit die enge Verknüpfung von Gemeinem Nutzen und Frieden zusammen. Frieden verbietet die Fehde, schließt also jede Selbsthilfe aus und erzwingt den Austrag von streitigen Rechtsansprüchen vor dem Gericht. Alle Frieden sind gesatzt oder gewillkürt, gleichgültig, ob es sich um den Frieden in einer Stadt handelt oder um ein städteübergreifendes Friedensbündnis. Satzung aber scheint legitimationsbedürftig. Von diesen formalen Überlegungen abgesehen waren natürlich Bauern und Bürger als minder Wehrfähige und weniger Kriegslustige am Frieden interessiert, und es bleibt eine noch genauer zu erörtende Frage, ob die breit daherkommende Gemeinnutz-Rhetorik in den Landfrieden ihre Quellen nicht in den bürgerlichen Kommunen und bäuerlichen Nachbarschaften hat. Wo König und Fürsten mit dem Gemeinen Nutzen argumentieren, tun sie es vornehmlich als Beteiligte eines Landfriedens, und insoweit mag man von einer „an Recht und Frieden orientierten Erstbedeutung" von Gemeinem Nutzen sprechen 111 . Die Basler Urkunden verwenden allerdings den Gemeinen Nutzen als Begründungsfigur friedensstiftender Maßnahmen seit den 1320er Jahren und folglich sehr früh, das Reich und damit Kaiser, Könige und Fürsten deutlich später 112 . Jenseits der Landfrieden wird Gemeiner Nutzen auf Reichsebene selten verwendet. Wenn 1427 die Reichssteuer des Gemeinen Pfennigs dazu verwendet werden soll, Kriegsknechte zum „gemeinen nuz" zu werben 113 , dann dient das ebenso dem Frieden, wie wenn die Femegerichte mit Verweis auf den gestörten „gemeinen nutz" 114 verboten werden. Ja

111

112

113

114

um 1 5 0 0 erklärlich. Für Baden RUDOLF CARLEBACH, Badische Rechtsgeschichte, 1. Bd., Karlsruhe 1906, 93 f. [Landesordnung 1495]. - Häufig tritt der Gemeine Nutzen zusammen mit der Notdurft auf. J. W . PLCHLER (Necessitas) zieht daraus den Schluß, „daß die Rechtsveränderung grundsätzlich ohne die Notwendigkeit als Rechtserzeugungsgrund nicht auskommt" (ebd., 65), was in dieser Generalisierung mit den Belegen auf den „Rechtserzeugungsgrund" Gemeiner Nutzen bestritten werden kann. Notdurft ist allerdings rechtsbegründend für die Sicherung des Hauses im territorialen Recht, wovon Pichler nicht spricht. W . SCHULZE, Eigennutz, 597, Überlegungen von HANS MAIER aufnehmend. Weitere ähnliche Urteile in der Literatur bei P. HLBST, Utilitas Publica, 52, 58, 88 f. Erster deutlicher Beleg 1 3 8 9 für den Landfrieden von Eger. Ε. A. Koch, Reichs-Abschiede 1, 95: „Auch sol diser Lantfrieden der nu zu gemeinem nutze erdacht ist [...]". Seit 1 3 8 9 dann regelmäßiger verwendet; so 1 3 9 8 (ebd., 100), 1 4 4 2 (ebd., 1 7 0 f.), 1 4 6 6 (ebd., 198), 1 4 6 7 (ebd., 225), 1471 (ebd., 245), 1 4 7 4 (ebd., 2 6 1 ) und 1 4 9 5 (Ε. A. Koch, Reichs-Abschiede 2, 6, 11, 13, 17, 19, 25), 1521 (ebd., 194, 202, 2 3 0 , 256). Vgl. W . EBERHARD, Gemeiner Nutzen, 2 0 3 - 2 0 6 , mit Hinweis auf verwandte lateinische Bezeichnungen, ansonsten ähnlich argumentierend. Ε. A. Koch, Reichs-Abschiede 1, 125. In der gleichen Bedeutung 1 4 3 1 (ebd., 142). 1 5 0 0 wird der Gemeinnutz auch in die Amtseide der Hauptleute von Reichskontingenten eingearbeitet. Ε. A. Koch, Reichs-Abschiede 2, 86. Ε. A. Koch, Reichs-Abschiede 1, 158.

3.1

Gemeiner Nutzen

105

auch dort, wo sich der Kaiser programmatisch dazu bekennt, die Bürde des königlichen Amtes „Gott zu Lobe, dem heiligen Reich zu Ehren, unnd durch gemeines Nuz willen" auf sich genommen zu haben, kann eine solche Aussage im Kontext landfriedenssichernder Satzungen stehen 115 . Selbst die prominente Begründung der Strafzumessung nach den Kategorien „Lieb der Gerechtigkeit und gemeiner Nutz" in der Carolina, die schon König Albrecht als Herrschaftslegitimation dient, kann in diesen Zusammenhang eingeordnet werden, weil eine angemessene Rechtssprechung die Fehde verhindern und damit den Frieden sichern hilft 116 . Erst um 1500 werden Mandate des Reiches in Wirtschaftsfragen - Weinverfälschung 1 17 , Münzen 1 1 8 , Monopole 1 1 9 - regelmäßiger mit dem Gemeinen Nutzen begründet, aber auch die Regimentsordnung 120 oder die Notariatsordnung des Reiches 121 . Falls der Reichstag die Sprechweise der Städter nicht gar kopiert hat, dann benutzte er jedenfalls den Gemeinen Nutzen erst zu einem Zeitpunkt, als dieser sich in der bürgerlichbäuerlichen Welt längst durchgesetzt hatte. Zieht man diese Belege ab, wird es ausgesprochen schwer, zu behaupten, „daß es allein Pflicht und Recht des Herrschers war, Entscheidungen über das Gemeinwohl zu treffen, es auszulegen und zu repräsentieren" 122 , zumal selbst die großen Verfassungsdokumente des spätmittelalterlichen Reiches ihn nicht kennen. Offenbar erlaubt erst die Ausweitung seines Gebrauchs um 1500, ihn in die Präambel der Wahlkapitulation für Karl V. von 1519 aufzunehmen 123 . Möglicherweise schleppte das Sacrum Imperium Romanum den Gemeinen Nutzen, wo es ihn - selten genug—verwendet, aus der lateinischen Antike in das Spätmittelalter mit 1 2 4 , verbandsbegründend für das Reich

115

Ebd., 170. Vgl. ergänzend die Belege bei W . MERK, Gedanke des gemeinen Nutz, 4 9 4 ff. - In diesem Z u s a m m e n h a n g vielleicht auch die W e n d u n g „propter b o n u m reipublice et c o m m u n e m utilitatem" als Begründung Karls 1349, M a i n z und Köln zu schützen. M G H Constitutiones 9, Weimar 1974-83,123.

116

Vgl. G . RADBRUCH, Lieb der Gerechtigkeit, 7 0 f. [mit besonderer Akzentuierung der Kontinuitätslinien zu Cicero, ebd., 84 f.]. - Albrecht äußert in einem Schirmbrief fiir Zürich 1439, als K ö n i g habe er es auf sich genommen, „die gerechtikeit fiirzuwenden u n d g e m e y n e n nutz zu meren [...], sy [Zürich] und meinidich bey gleich und rechte zu hanthaben". H a n s Koller (Hg.), Das Reichsregister König Albrechts II., Wien 1955, 177 f. - Ahnlich S i g m u n d 1411 [„gerechtikait und gemeinen nucz ... furwenden", aber auch allgemeiner]. D . Keller (Hg.), Deutsche Reichstagsakten, 7. Bd., Göttingen 2 1 9 5 6 , 56 f.

117

Ε. A. Koch, Reichs-Abschiede 2, 54 [zu Weinordnung 1498], Ebd., 7 8 . - Früher, soweit sich sehen läßt, im Z u s a m m e n h a n g mit Zöllen; so Ruprecht 1401. J . Weizsäcker (Hg.), Deutsche Reichstagsakten, 4. Bd., Göttingen 2 1 9 5 6 , 2 4 5 . Ε. A. Koch, Reichs-Abschiede 2, 144. Ebd., 59; ergänzend 9 5 , 2 6 2 , 265. Ebd., 86, 152, 157. V o m N o t a r wird gesagt, daß er ein „Diener ist gemeines Nutzens" (ebd., 157). W . EBERHARD, Legitimationsbegriff des „Gemeinen Nutzens", 2 4 6 . August Kluckhohn, Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V., 1. Bd. (Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe 1), G o t h a 1893, 8 6 5 N r . 387. - Für frühere Belege E. SCHUBERT, König und Reich, 2 8 4 , bes. A n m . 56. - D i e Dichte der Belege bei Karl Zeumer (Hg.), Q u e l l e n s a m m l u n g zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, T ü b i n g e n 2 1 9 1 3 , ist vor 1500 eher gering (ebd., 2 1 6 , 2 2 2 , 2 2 4 , 2 3 5 , 2 5 1 , 260).

118

119 120 121 122 123

124

W . EBERHARD, Legitimationsbegriff des „Gemeinen Nutzens", 2 4 7 .

106

3

W E R T E UND NORMEN

ist er in der Sprache der praktischen Politik vor 1500 nicht geworden 125 . Daß die politische Theorie in ihrer Abhängigkeit von der antiken Philosophie andere Wege gehen konnte und gegangen ist, sei damit nicht bestritten 126 .

3.2

HAUSNOTDURPT

Kamen Fuhrleute und Säumer nach Kufstein, um Getreide zu verkaufen, sollten sie „alles ir getrait, so si in der wochen zur schrannen bringen, unter die gmain, wer dessen begert und zu seiner hausnotturft betierftig, unverwaigert umb gebürlichen pfening geben und ervolgen zu lassen schuldig sein" 127 . Erst nachdem die Kufsteiner ihre Hausnotdurft gedeckt hatten, konnte der freie Verkauf beginnen. In Sarnthein hatten die Dorfbewohner ein Vorkaufsrecht auf Nahrungsmittel gegenüber den Händlern, was die Dorfordnung damit begründete, „hausnotturften" seien höher zu stellen als „fuirkauf und aigennuzungen" der Krämer 128 . Im Passeiertal besaßen die Bewohner die Freiheit, „das si weder von wein noch salz noch ander geprauchung, die si zu iren heusern um iren geprauch zugfiirt haben", verzollen mußten 129 . Lebensmittel ftir den eigenen Hausbedarf haben unter den marktüblichen Preisen zu liegen, sollte das heißen. In Altenburg durfte niemand Brennholz zum Verkauf schlagen, sondern nur soviel, als er „auf ain jar lang zu sein selbs haushaben bedarf' 130 . In Lüsen teilte der von der Gemeinde gewählte Waldmeister das Holz jedem Bauern zu, so viel er „zu seiner hauses not [...] betürftig sein würdet" 131 . Der Wald sollte, so geht aus diesen Belegen hervor, geschont werden, 125

126

127 128 129

130 131

Belege für die Verwendung des Gemeinnutzes als politisches Argument der Kurfürsten ebd., 250 fiF. Mit den gleichen Stellen arbeitet auch A. DLEHL, Gemeiner Nutzen, 306 ff. - Für konstitutiv fiir das Reich hält den Begriff W. EBERHARD, Gemeiner Nutzen, 202; so auch W. MERK, Gedanke des gemeinen Besten [auch mit den germanischen Stammesrechten argumentierend in der Absicht, eine germanische neben der römischen Tradition freizulegen]. Vgl. W. EBERHARD, Gemeiner Nutzen, 195-201. - Breit P. HLBST, Utilitas Publica. - Die meisten Belege bei E. SCHUBERT, König und Reich, 282 ff., sind politiktheoretischen Traktaten entnommen. - Den klassischen Necessitas-BegrifF der lateinischen Antike diskutiert THEODOR MAYER-MALY, Gemeinwohl und Necessitas, in: Hans-Jürgen Becker u.a. (Hgg.), Rechtsgeschichte als Kulturgeschichte. Festschrift für Adalbert Erler, Aalen 1976, 135-145. - Eine eigene Gemeinnutztheorie (vorgängig zur Polizeitheorie) wird dann in Deutschland im späteren 16. Jahrhundert gelegentlich entwickelt. Vgl. BRITA ECKERT, Der Gedanke des gemeinen Nutzen in der Staatslehre des Johannes Ferrarius, in: Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung 26 (1975), 157-209. I. V. Zingerle - K. Th. v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 1, 25. I. V. Zingerle - J. Egger, Tiroiische Weisthümer 4, 268. Ebd., 4, 92. - Zollfreiheit für die Hausnotdurft auch belegt bei I. V. Zingerle - K. Th. v. InamaSternegg, Tirolisches Weisthümer 2, 318 f. I. V. Zingerle - J. Egger, Tirolische Weisthümer 4, 287. Ebd., 373; ähnlich ebd., 525, 547, 568, 778, 782 und I. V. Zingerle - K. Th. v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 1, 129, 265 f., 266, 287, 288, 291 f. - I. V. Zingerle - K. Th. v. InamaSternegg, Tirolische Weisthümer 2, 24, 39, 82, 382. - I. V. Zingerle - K. Th. v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 3,48, 65 f. 135, 146,253,315.

3.2

Hausnotdurf

107

doch der Hausbedarf mußte gewährleistet sein. Ähnliche Kriterien galten auch für die Weiderechte. In Silian durfte gekauftes Vieh, dessen ein Bauer „zu hausnothdurft bedürftig" war, nur auf die schlechteren Weiden getrieben werden 132 . „Zu irer hausnotturft und nit zu verkauffen" sollten die Bauern in Kastelbell ihr Jagd- und Fischereirecht ausüben 133 . Wald, Weide und offene Gewässer machten die Allmende aus. Das Kriterium für ihre Nutzung war die Hausnotdurft. Das galt nicht nur für den ländlichen, sondern auch fur den städtischen Bereich. „Laubholz mag ainer zimlich zu seins haushabens notdurft wol slagen" 134 , sagt um 1600 das Innsbrucker Stadtrecht. Der Verwendungsmodus mag erklären, daß auch die Tiroler Landesordnung von 1525 die Hausnotdurft als Norm beim Erwerb von Lebensmitteln und bei der Nutzung der Allmende erwähnt und akzeptiert 135 . Daß Hausnotdurft als Wort entdeckt und zum wissenschaftlichen Begriff ausgearbeitet wurde, verdankt man RENATE BLICKLE136. Sie konnte die Bezeichung in Bayern auf den verschiedensten Uberlieferungsebenen sichern. Die Ergebnisse sollen knapp zusammengefaßt werden. Eine erste Annäherung an den Inhalt des Begriffs Hausnotdurft erfolgte über die Auseinandersetzungen um die Fronen zwischen Bauern und Hofmarksherren, wie die adeligen und geistlichen Grundherren in Bayern hießen. In einem Kommentar zum bayerischen Landrecht aus dem ausgehenden 17. Jahrhundert wird als „allgemeine Regul" ausgegeben, „daß die Bauern mit denen ungemessnen Frohn-Diensten also zu tractieren seyen, damit sie doch ihrer und der ihrigen Nahrungsunterhalt abwarthen und ihrem Feld-Bau mit äckern, schneiden, einfuhren, auch andern Hauß-Nothdurfiften vorstehen können". Caspar von Schmid, der den Kommentar zum Landrecht verfaßte, gibt folglich der bäuerlichen Hausnotdurft Vorrang vor Fronforderungen durch die Herrschaft, und zwar mit der Begründung, „unsere Bauern seynd freye Leuth, und keiner Dienstbarkeit oder Servitut unterworffen, und also nicht auf Böhmische Arth zu tractiren, und auf das Bluth auszusaugen" 137 . Zwar versuchten die Hofmarksherren wieder und wieder, mit den Frondiensten der Bauern ihre Eigenwirtschaft zu erweitern, ihre Bierbrauereien und Ziegelbrennereien umzutreiben oder Stadthäuser zu bauen. Solche Vorhaben scheiterten allerdings mehrheitlich, einmal am energischen Widerspruch der Bauern, dann aber auch an der Unterstützung, die diese von landesfurstlicher Seite erhielten. Die Eigenwirtschaft durfte dort, wo es „nicht so viel um die herrschaftliche Nothdurft als den Gewinn und Nutzen zu thun" war, nicht mittels Fronen umgetrieben werden, die bäuerliche Arbeitskraft konnte auch nicht für gewerbliche

132 133 134 135

136 137

I. V. Zingerle - J. Egger, Tirolische Weisthümer 4, 575. I. V. Zingerle - K. Th. v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 3, 320. I. V. Zingerle - K. Th. v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 1, 234. ,Λίη yedtlicher Lanndtman/ mag zu seines Haußhabens notdurft/ inner Lanndes Traid kauften/ vnnd on menigkliches Irrung/ in sein behausung haimfueren/ von Stett vnd Gerichten vnaufgehalten". Der Fürstlichen Grafschaft Tirol Landesordnung 1526, fol. d 4'; ergänzend f 8 [Flußauen nutzen; Fischen „zu jres hauß notdurßt"]. R. BLICKLE, Hausnotdurft. Zitiert ebd., 45.

108

3

WERTE UND NORMEN

Vorhaben in Anspruch genommen werden mit dem Argument, „auß der Scharwerch [dürfe] kain gelt geschlagen werden", Stadthäuser würden - so hieß es am Hof - „nur um mehrerer Commodität, Nutzen oder auch Gewinn willen, dann Nothwendigkeit halber" gebaut und erhalten, was es verbiete, die Fronen der Hintersassen dafür in Anspruch zu nehmen. Was jenseits der Hausnotdurft lag, war Übermaß, Luxus, ja Wucher. Der Hofrat des bayerischen Herzogs fand hübsche Grenzziehungen: den Schloßgarten konnte der Herr mit Fronen bewirtschaften lassen, sofern dort Sorten angebaut wurden, „so man täglich zur kuchen braucht", was hingegen am Schloßgarten „Lustgarten" war, mußte von den Untertanen nicht besorgt werden 138 . Als wichtig ist festzuhalten, daß die Hausnotdurft: des Bauern vor jener des Herrn Vorrang hatte 139 . Verallgemeinerungsfähig wurden solche Beobachtungen schließlich über eine Analyse der Allmend- und Waldnutzungsrechte. Auf die gemeine Weide, die nicht in Sondernutzung stand, durfte ein Bauer nur so viel Vieh treiben, „als vil er zu seiner Haußnotturft bedürftig". Vieh, das für den Verkauf gehalten und aufgemästet wurde, auf die Allmende zu treiben, war den Bauern und den Hofmarksherren gleichermaßen verboten. Der Holzschlag richtete sich „nach gelegenheit seines besitzenden Guets...zu seiner Haußnotturft" 1 4 0 . Das erklärt, weshalb einerseits Bau- und Brennholz, wo nicht umsonst, so doch zu einem Preis, der deutlich unter dem des marktüblichen lag, bezogen werden konnte, andererseits aber das Fällen des Holzes zum Verkauf verboten war 1 4 1 . Notdurft als Norm galt nicht nur fur das Haus des Bauern und des Herrn, sondern auch für das des Bürgers. Bürger konnten auf dem Markt ihren Bedarf an Lebensmitteln decken, bevor er förmlich eröffnet wurde, auch Metzger und Wirte hatten ein Vorkaufsrecht und waren nicht dem Marktzwang unterworfen. Die holzverarbeitenden Gewerbe in der Stadt durften Holz aus dem Wald bevorzugt beziehen. „Gewerbe und Handel wurden weitgehend", so kann daraus gefolgert werden, „dem Ideal der Hausnotdurft verpflichtet" 142 . Die gesamte Wirtschaft erfolgte nicht nach der Maßgabe des Gewinns, sondern nach jener der Hausnotdurft. Die Norm Hausnotdurft war in Bayern unbestritten, wie sich über Beschwerden, Gerichtsakten, Landtagsverhandlungen, Landesordnungen und Landrechtskommentare erschließen läßt. Angesichts der ständischen Gliederung des Landes ist es nicht weiter verwunderlich, daß die Hausnotdurft eine standesgemäße zu sein hatte. Das war im einzelnen schwer abzugrenzen, aber allgemein scheint ein weitgehender Konsens über die entspre138 139

Alle Belege ebd., 4 7 - 5 0 . Das bestätigte auch eine genauere Analyse der Ausgestaltung des Gesindezwangsdienstes. Das Kloster Ettal beispielsweise konnte sein Vormietrecht auf die Dienste der Kinder seiner Untertanen nur geltend machen, falls die Bauern sie „in anderweeg zu ihrer hausnotturfft selbst nit vonnöthen hab e n " . R . BLICKLE, H a u s d n o t d u r f t , 5 1 .

140

Beide Belege bei R. BLICKLE, Nahrung, 81.

141

R . BLICKLE, H a u s n o t d u r f t , 5 1 f.

142

Ebd., 53. - Bei der Untersuchung von Marktordnungen wird das Problem kurz berührt bei WOLFHAGEN KRAUTH, Wirtschaftsstruktur und Semantik. Wissenssoziologische Studien zum wirtschaftlichen Denken in Deutschland zwischen dem 13. und 17. Jahrhundert (Soziologische Schriften 42), Berlin 1984, 68 f.

3.2

Hausnotdurf

109

chende Angemessenheit bestanden zu haben. „Der Vogel [wird] nach dem Nest geurtheilet", argumentierte metaphorisch ein bayerischer Jurist, die landrechtliche Norm Hausnotdurft kommentierend, „und also müssen die Adeliche, die ein kleines Haußwesen und Famiii haben, ihr Hauß-Nothdurft nicht über die Gebühr erstrecken" 143 . Die Notdurft, zur Norm gemacht, erfüllte zwei ganz wichtige Aufgaben. Als „rechterzeugende Kraft" prägte sie sich dem Landrecht ein, als ethische Kategorie von „Bedarf sicherte sie einer an Ressourcen knappen Gesellschaft ein angemessenes Leben 1 4 4 . Die im Begriff aggregierten Beobachtungen zeigen auch bemerkenswerte Parallelen zu modernen Grundrechten. „Eine strukturelle Analogie erscheint insofern gegeben, als die Grundrechte wie die Hausnotdurft gedanklich an die Basiseinheit der jeweiligen Staatsform gebunden werden, hier an das Individuum und dort an das Haus. Auch die Abwehrsubstanz' läßt sich durchaus vergleichen, das Grundrecht bildet einen Schutzraum gegenüber dem Staat, Hausnotdurft einen Schutzraum gegenüber Herrschaft. Inhaltlich steht Hausnotdurft den ökonomischen oder den sozialen Grundrechten nahe, liberale Züge fehlen ihr selbstverständlich, allenfalls ist sie auf,materielle' Freiheit ausgerichtet" 145 . Die am bayerischen Material vorgenommenen Untersuchungen sind sehr breit angelegt, was es erlaubt, die zeitliche Erstreckung des Begriffes abzuschätzen. Die Hausnotdurft ist an das Haus gebunden. Der Satz ist nur scheinbar banal: Bezeichnenderweise kommt das Wort in der geprägten Form erst am Ende des Spätmittelalters auf und verliert seine Prägnanz im 18. Jahrhundert, wo „Notdurft, Bequemlichkeit und der Wohlstand" additiv aneinandergereiht werden. Dafür lassen sich Gründe anfuhren. Vor dem 15. Jahrhundert gibt es das Haus als rechtliche und soziale Einheit kaum - die Quellen antworten, wie gezeigt, zögerlich und unentschieden, ob sie es zu den Liegenschaften oder zur Fahrhabe rechnen sollen —, nach der Mitte des 18. Jahrhunderts wird es im Zuge von Freiheitspathos und Eigentumsideologie 146 und der mit beiden verschwisterten Individualisierung aufgelöst. Bayern liegt außerhalb des Raumes, aus dem heraus das Modell Kommunalismus entwickelt wurde und wird. Dennoch sind die Überlegungen zum Begriff Hausnotdurft zur Rekonstruktion der Wertvorstellungen kommunal geprägter Gesellschaften erhellend. Der Vergleich mit dem Bayern nicht ganz unähnlichen Tirol beweist zunächst die überregionale Verbreitung des Wortes selbst und eine Übereinstimmung in der Bedeutung insofern, als die Hausnotdurft den Zugriff auf die Allmende erlaubt, eine kommerzielle Nutzung dieser Allmende aber wegen der Sicherung der Hausnotdurft verbietet. Der Begriff ist auch der Tiroler Landesordnung nicht fremd, die ihn als Norm beim Erwerb von Lebensmitteln und der

143 144

145 146

R. BLICKLE, Hausnotdurft, 54. Ebd., 56 f. - Ansätze, ähnliches in der Wirtschaftstheorie des 15. und 16. Jahrhunderts ausfindig zu machen, finden sich bei JOSEPH HöFFNER, Wirtschaftsethik u n d M o n o p o l e im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert (Freiburger Staatswissenschaftliche Schriften 2), J e n a 1941, der auch u m die „Idee der N a h r u n g " kreist (ebd., 7 8 - 8 4 ) . R. BLICKLE, Hausnotdurft, 64. Vornehmlich über die Auflösung der Waldnutzung aufgewiesen bei R. BLICKLE, Nahrung, 8 7 - 9 3 .

3

110

WERTE UND NORMEN

Nutzung von Allmenden akzeptiert147. Wenn von Fronen für den Herrn und Arbeit für das Haus in Tirol nicht die Rede ist, so deswegen, weil sie angesichts der im Spätmittelalter arg geschwächten Hofmarken keine Rolle mehr spielten. Dieser Befund läßt sich fur Oberdeutschland weitgehend verallgemeinern. Fronen waren nicht nur gemessene., also dem Belieben des Herrn entzogene, sie beschränkten sich auch auf wenige, soweit sich sehen läßt höchstens insgesamt zwei bis drei Wochen im Jahr 1 4 8 . Daraus wird man nicht den Schluß ziehen können, daß die Hausnotdurft in Oberdeutschland keine Bedeutung hatte, sondern umgekehrt, daß sie im kommunalen Bezugsrahmen nicht problemaisiert werden mußte, weil sie selbstverständlich war und die Statutarrechte ihr in weitem Maße Rechnung trugen, indem sie die Hausnotdurft gewährleisteten - beispielsweise durch die Beschränkung des Zuzugs auf die verfügbaren Ehofstätten.

3.3

FRIEDE

Innerhalb Etters herrscht Frieden, im Dorf und in der Stadt. KARL SIEGFRIED BADER hat den Etterfrieden für Oberdeutschland in einer aufwendigen Monographie nachgewiesen und gewürdigt 149 . Bei der Stadt „handelt es sich um einen aus Landgericht und Landrecht herausgelösten städtischen Immunitätsbezirk" 150 , auf dem Land sollen, heißt es im Schwabenspiegel, „alle tage und alle zit [...] fride haben [...] ieglich dorf hinder sinem zune" 151 . Die Wurzeln dieses Friedens können im Markt und der Burg, in der Kirche und im Herrenhof liegen, sie können auch eine Ausweitung und Steigerung des Hausfriedens sein. Wie Menschen über den Frieden denken, hat BADER nicht zum Thema seiner Untersuchung gemacht. Zur Formulierung des Problems sei zunächst ein Blick in ein relativ geschlossenes Korpus von ländlichen Rechtsquellen getan. Es handelt sich um jene aus dem nördlichen Oberschwaben 152 . Im einzelnen hatten bei auftretenden Streitfällen im Dorf die Gemeindemitglieder Frieden zu bieten. Offensichtlich kam die Pflicht zum Friedebieten zunächst dem Ammann, dann den Richtern und letztlich allen Gemeindemitgliedern zu. So heißt es in den Statuten von Heggbach: „Item sezen und wollen wir, daß unser hoffmaister, aman oder püttel und ob deren kainer da wäre, ain jeder geschworner richter, und ob kain richter auch da were, ain ieder unser einsaß und gerichtsgehöriger, ob aufrüeren und gezanck [...] entstienden, früd zu 147

148

149 150 151 152

„Ain yedtlicher Landtman/ mag zu seines Haußhabens notdurft / inner Lanndes Traid kauften/ vnnd on menigklichs Irrung/ in sein behausung haimfueren/ von Stett vnd Gerichten vnaufgehalten". Der Fürstlichen Graffschaft Tirol Landsordnung 1526, fol. d4'; ergänzend f8 [Flußauen nutzen; Fischen „zu jres hauß notdurfft"]. StiAM 35/6. Fol. Bd. 2 0 [Memmingen]. - HStASt, B V 123 (II) Bü 171 [Montforter Herrschaften]. - E. GRUBER, Ochsenhausen, 126. - G. Franz, Quellen Bauernkrieg, 9 - 1 2 [Steingaden]. HStAM, Abt. I, Klosterukrunden Ursberg 164/1. K. S. BADER, D o r f l . Ebd., 247. Zitiert ebd., 124. P. Gehring, Oberschwaben.

3.3

Friede

111

gebieten haben" 1 5 3 . Offensichtlich hatte die größere Autorität der Amtsträger hier zu einer Hierarchisierung der Pflicht, Friede zu bieten, geführt. Friedenssicherung jedoch war zweifellos eine Pflicht aller; häufig genug findet sich wie in der Ordnung von Dieterskirch von 1600 noch die allgemeine Bestimmung: „Item ob aufruor und zwytrachtigkait zue Dieterskürch und derselben zwing und bännen entstienden, so soll ein jeder, so zue seinen tagen kommen, zulaufen, dieselben helfen zue friden und recht bringen und geloben lassen oder inen bey dem ayd frid bieten" 1 5 4 . Das Friedensgebot war gestaffelt, richtete sich nach der Schwere der Auseinandersetzung und nach ihrer Dauer. „So sich zwischen haimbischen oder frembden hinfuro schlaghandlungen oder uffruehren begeben und zutragen wurden", heißt es in der Ordnung von Dietenheim von 1588, „so soll alßdann dem- oder denselben durch den amptman oder geschwornen richter oder, wo deren keiner zugegen, durch yeglichen richter, erstlich bei 5 Pfd, zum andern mal bei 10 Pfd und, da daß nit verfallen, bei leib und guet frid gebotten werden, do sich aber yemand so frevenlich und unfridlich erzaigen und ye kainen frid halten wolt, soll meniglich erlaubt sein, gegen ime fürzunemben, damit er zu frid und ruehe gebracht werde. Doch soll man die rechte maß nit uberschreiten" 155 . Wo ungeachtet solcher Bemühungen „ainer oder mehr das bott verachten und nit frid halten woltend", hält die Gerichtsordnung von Alberweiler fest, „so sollen all einsäßen und gerichtsgehörige bey iren glüpten und aiden ohne verzug und fiirwort zueylen und helfen, den oder die, so dem gebotten nit gehorsam sein und nit frid geben wolten, annemen und fahen. Und ob sich der oder die ungehorsamen nit gefangen geben wolten, welcher dann den oder die ungehorsamen schlecht, stoßt oder sonst beschädiget, ußgenomen den todschlag, daran hat auch niemand gefrevelt" 156 . Die Belege stammen aus den Territorien der Reichsstädte Ulm und Biberach, der Grafen Fugger und Stadion, der Klöster Buchau, Gutenzell, Heggbach, Heiligenkreuztal, Kaisheim, Marchtal, Ochsenhausen, Söflingen und Wiblingen. Es gibt außerhalb des nördlichen Oberschwaben mehrere Regionen, die das Friedensproblem in den ländlichen Rechtsquellen, wenn auch nicht immer in der gleichen Breite, behandeln 157 . Für die große Mehrzahl der Dörfer muß die Friedenssicherung als ein zentrales Problem gelten, das vom Spätmittelalter bis zum Ende des Alten Reichs aktuell blieb 158 , wiewohl langfristig Erfolge offenbar nicht ausblieben. Es gibt aus dem 18. Jahrhundert Nachrichten, die eine starke Ideologisierung des Friedensgedankens im dörflichen Alltag Schwabens erkennen lassen, mit der Folge,

153 154 155 156 157

158

Ebd., 2 4 6 . Ebd., 4 2 2 . Ebd., 576. Ebd., 6 3 5 f. Für Abweichungen und deren Begründung bei P. BuCKLE, Funktion, 2 1 7 f. - Wenig Belege fiir Tirol vgl. I. V . Zingerle - K . T h . v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 1, 168, 174, 179, 187, 198, 2 0 5 , 2 1 1 . - 1 . V. Zingerle - J . Egger, Tirolische Weisthümer 4 , 4 1 0 , 4 4 7 . - Große Belegdichte hingegen fiir den Bodenseeraum; vgl. M . G m ü r , Rechtsquellen St. Gallen [allgemein] und J . G r i m m , Weisthümer 5, 128, 142, 165, 2 1 5 , 2 1 8 , 2 2 2 . Die Ordnungen, soweit sie die Friedenssicherung behandeln, wurden in der Zeit zwischen 1473 und 1712 abgefaßt.

112

3

W E R T E UND N O R M E N

daß Konflikte unter den Menschen lange ungelöst blieben, weil niemand als Friedensstörer und unruhiger K o p f gelten wollte 1 5 9 . Die Quellen erlauben den Schluß, daß die ländliche Gesellschaft praktisch immer wieder selbst für die Friedenssicherung eintrat. O b sie aus der Gemeinde heraus erfolgt ist oder als herrschaftliches G e b o t den Gemeindemitgliedern auferlegt wurde, läßt sich am oberschwäbischen Material nicht eindeutig und schlüssig beantworten. Die Texte datieren mehrheitlich aus der Frühneuzeit und entstammen damit ländlichen Rechtsquellen, die nach Ausweis der Präambeln von den Ortsherrschaften erlassen wurden. O b damit eine friedensstiftende Gesetzgebungstätigkeit der Gemeinden generell anzuschließen ist, bleibt noch offen. Die Frage als solche wurde von der Forschung bislang nicht gestellt, so daß Quellen auch nicht erschlossen wurden. Einiges, wenn auch weniges, läßt sich aus den Verhältnissen des Dorfes U m m e n d o r f bei Biberach an der R i ß ableiten. 1 4 9 4 wurde ein schon länger schwelender Konflikt zwischen dem Kloster Weißenau und „aman, gericht und gantzer gemaind zü UmbendorfF' 1 6 0 von kaiserlichen Schiedsrichtern unter anderem dahingehend entschieden, daß die „richter und ain jeder inwoner von der gemaind zü UmbendorfF und unseren nachkommen sollen och schuldig sein, in abwesen des ammans frid zügebietten, und sollen die getätter von sölhen gepotten zü halten schuldig sein glicher wyse als ob die durch den aman bescheen w e m " 1 6 1 . Die Friedensgebotsgewalt des Ammanns und stellvertretend aller Dorfbewohner war nach oben unbeschränkt, denn Frieden konnte „by lip und by gfltt" geboten werden 1 6 2 . Rund 2 0 Jahre zuvor war das Gebotsrecht des Ammanns im D o r f offensichtlich noch umstritten. „So zfl Umendorff uffriiren werden und ain amman gebüt die frävel zu hanthaben", heißt es in einem Urteilsbrief Georgs Truchseß von Waldburg, „so bietten etlich zu Umendorff recht und wellen den botten nit gehorsam sin". Auch die Richter würden sich weigern, in Abwesenheit des Ammanns den Frieden zu bieten und wenn sie ihn böten, würden ihn die Friedbrecher nicht halten 1 6 3 . D e r Hintergrund dieses Konflikts läßt sich nur bedingt aufhellen. Fraglos und naturgemäß war auch der Dorfgemeinschaft am Frieden gelegen, offenbar waren aber die Kompetenzen des Ammanns und seine Satzungsgewalt strittig. „So haben die von Umendorff vermaint", heißt es im Entscheid des Truchseßen, des Klosters Weißenau „amptlüt sollen das erst pott danselbs nymen höher tön denn an drey schilling pfenning". Vermutlich beanspruchte das D o r f selbst die Gebotsgewalt, denn diese wurde ihm jetzt ausdrücklich mit dem Satz abgesprochen, „das die von Umendorff die pott nit haben uffzelegen" 1 6 4 . Eine solche Gebotsgewalt könnte der Dorfgemeinde ursprünglich zugestanden haben, denn 1 3 6 6 wurde von den zwölf Urteilern von U m m e n d o r f eine Frevelordnung als altes, geltendes Recht beschworen, die Friedbrüche von der Heimsuchung bis zu Schlaghändeln mit festen Bußensätzen be-

159

A . MAISCH, U n t e r h a l t , 4 3 3 .

160

P. Gehring, Oberschwaben, 359. Ebd., 361. So die Umschreibung der Gebotsgewalt des Ammanns ebd., 360. „Wenn der amman nit anhaimsch ist und sich uflfrüren begeben, so wellen, die richter nit frid bietten, auch, so si frid biitten, so weiten die tätter davon nütz halten". P. Gehring, Oberschwaben, 357. Die Zitate ebd., 357 f.

161 162 163

164

3.3

Friede

113

legte. Es handele sich, sagten die Urteiler, „umb dü reht, die ze Ummendorff sint die ünser vordem än üns braht hänt und och von älter reht da ist", „und ist da bi gesessen ünser genSdiger her Hainrich von Schellenberg, der ünser vogt und herr ist, und ist mit siner gunst und willen geschehen" 165 . Treibt man die Interpretation bis zur möglichen äußersten Grenze, was ihr mehr als eine gewisse Plausibilität nicht sichern kann, dann hätte die Gemeinde aus der Rechtweisung heraus Satzungen geschaffen, und zwar friedensstiftender Art. Das Friedegebot der Ummendorfer, ihrer Urteiler und ihres Ammanns hätte sich in diesem Fall aus der Gemeinde legitimiert. Der Abt von Weißenau, der das Dorf 1373 käuflich von den Schellenbergern erworben hatte, hätte seinerseits versucht, die Legitimität der Friedenssicherung in seiner Herrschaft zu begründen und das Friedegebot des Ammanns, der Urteiler und der Ummendorfer als delegierte Funktion zu interpretieren. Schützt der Dorfherr lediglich die Satzung, welche die Gemeinde macht? Und darf man, falls dies zuträfe, folgern, der Friede als dörfliche Satzung sei eidlich beschworen worden, wie in anderen Fällen gemeindliche Satzungen gelegentlich beschworen wurden, etwa die Gemeindeordnung von Pflaumloch bei Nördlingen von 1480 1 6 6 . Fußt der Friede im Dorf auch auf einer coniuratio wie in der Stadt? In den älteren und besser überlieferten Stadtrechtsquellen ist der Friede viel stärker als gemeindliche Hervorbringung nachzuweisen. „Wir die gemainde der antwerk ze Ulme", heißt ein Eintrag im Roten Buch der Stadt Ulm zum Jahr 1376, „veriehen offenlich mit disem brief, wan sich die burger hie ze Ulme die nit der antwerk sint, erkent hant, daz unfrid und unzuht ane der gemaind gebott und gesetzt nieman wol gestillen noch geschlichten mag, darumb hant die burger zögevaren, die nit der antwerk sint, mit gfltem frien willen unbetwingenlich und hant hinder uns gemain antwerklut zflden hailigen gelert aide gesworn mit uferbotten handen, stett ze halten und ze haben ungevarlich, waz wir erdenken kdnnen und mügen, davon fnWschaft zucht und fride riehen und armen gemainlich bekomen mag" 1 6 7 . Was liegt hier vor? Die zwei großen Gruppen der Stadt, die Bürger genannten Patrizier 168 und die Handwerker verpflichten sich wechselseitig eidlich, einen dauerhaften Frieden in der Stadt zu schaffen und zwar mittels geeigneter Gesetze der Gemeinde. Der generelle Friede, der offenbar militante Auseinandersetzungen zwischen „rieh und arm" 1 6 9 beilegen sollte, wurde statutarisch dadurch gesichert, daß Friedbrecher 10 0 0 0 Ziegel an die Stadt zur Buße entrichten mußten und für einen MoEbd., 3 5 5 f. - Eine verwandte Situation könnte in Zöbingen bei Ellwangen gegeben sein. Vgl. die Texte bei F. Wintterlin, Landesteile, 107. 166 ρ Wintterlin, Landesteile, 16. Wegen der Einmaligkeit sei dieser Eid auszugsweise zitiert. „Und das dem allem und jedem so hievor geschriben stat nun fürohin ewigklichen nachgangen und gehalten werde, so haben des reich und arm so jetz zu Pflaumloch wesenlich und haushäblich sitzen für sy all, ir erben und nachkoumen bey iren hand gebenden trewen an geschworner aydesstat zueinander verpflichtet und verbunden, also immerwerende zö beleiben". 165

167

C . Mollwo, Das rote Buch, 24. - Die Begriffe selbst sind tautologisch. Im Ulmer Stadtrecht wird Unzucht mit Friedbruch auch anderwärts gleichgesetzt.

168

Vgl. E. ISENMANN, Städtische Gemeinde, 2 4 3 .

169

Neuer Eintrag im Stadtrecht vgl. C . Mollwo, Das rote Buch, 2 4 .

114

3

WERTE UND NORMEN

nat aus der Stadt gewiesen wurden. „Buntnizz" 170 innerhalb der Stadt, also geschworene Einungen zur Verfolgung partieller Interessen, die sich des Kampfmittels der Fehde durchaus bedienten, wurden mit einjährigem Stadtverweis und 50 000 Ziegeln bestraft. Schließlich macht die Strafandrohung „lib und göt sol der gemaind verfallen sin", wenn ein Bürger der Stadt schaden sollte, „ez wer von heren wegen oder von anderer liit wegen" 171 ziemlich deutlich, daß in Ulm die Anfänge der Herausbildung einer autonomen Gemeinde mit der Bekämpfung der Fehde in Zusammenhang stehen dürften. Der Verweis auf die Herren kann als recht sicheres Indiz dafür gewertet werden, daß die Patrizier, die ja selbst adelig und mit den Rittern auf dem Land versippt waren, sich deren kriegerischer Hilfe bedienten und ihnen Hilfe leisten mußten, was den Krieg ungewollt in die Stadt ziehen konnte. Weitere friedenssichernde Maßnahmen stellen die erste Kohorte der Satzungen des Ulmer Stadtrechts dar 172 . Auf diesen Absprachen zwischen Reich und Arm, wie es wiederkehrend im Stadtrecht heißt, zwischen ehemals herrschenden Patriziern und herrschaftsunterworfenen Handwerkern, wie man diese Wendung wird übersetzen dürfen, wurde schließlich 1397 der Ulmer Schwörbrief aufgebaut, der mit der Konstituierung und Funktionsabgrenzung von Bürgermeister, Großem Rat, Kleinem Rat und Gemeinde die erste geschriebene Verfassung der Stadt darstellt 173 . Der Befund für Ulm läßt sich verallgemeinern174. „Im Spätmittelalter", so stellt E B E R H A R D I S E N M A N N fest, „war der städtische Friede generell und absolut. In dieser Form", fährt er fort, „war er jedoch nicht von Anfang an in Erscheinung getreten. Auf älteren örtlichen Frieden (Burg- und Marktfriede) aufbauend, wurde er vom Stadtherrn geschützt, im Zusammenhang mit der Gemeindebildung aber als ein geschworener Friede (pax iurata) des Bürgerverbandes als einer Schwurgenossenschaft: intensiviert und kommunalisiert. Dieser geschworene Friede galt zunächst nicht dauerhaft, sondern er wurde in zeitlichen Intervallen wiederholt, stabilisierte sich aber zu einem immerwährenden Frieden" 175 . Der Anteil der Bürgerschaften an diesem Prozeß ist erheblich höher als der des Stadtherrn. An vielen Städten ließe sich das belegen. In Straßburg verbietet das älteste Stadtrecht jede Selbsthilfe; verletzt ein Bürger den Frieden, gilt das als Eidbruch mit der Folge, daß er verbannt und sein Haus niedergebrannt wird. Solche Bestimmungen gehen in Straßburg von Bürgerschaft und Rat aus, sie sind gewillkürtes Recht und dessen Verletzung fällt in den Bereich der Ratsgerichtsbarkeit. Mit dem wachsenden Einfluß des Rates auf das ältere stadtherrliche Gericht, das gleichfalls und konkurrierend zum Rat über strafrechtliche Delikte zu entscheiden hatte, konnte die Stadt nun wirklich ernst machen mit der Durchsetzung der peinlichen Gerichtsbarkeit, die an Leib und Leben ging. Das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit, um mit M A X W E B E R ZU sprechen, hatte sie damit durchgesetzt 176 . 170 171 172 173 174 175 176

Ebd., 26 f. Ebd., 27. Ebd., 24-33. Druck ebd., 258-264. Vgl K. O. Müller, Oberschwäbische Stadtrechte, 24-29. Dazu generell E. ISENMANN, Stadt, 74 ff. E. ISENMANN, Stadt, 74. Ebd., 75.

3.3

Friede

115

Wie die Bauern, so waren auch alle Bürger gehalten, entstehende Feindseligkeiten und gewaltsame Auseinandersetzungen sofort zu schlichten „und die Parteien durch das Friedegebot zur Friedensbereitschaft, zum Abschluß eines eidlich gelobten Handfriedens und damit zum Streitaustrag auf friedlichem Wege, d.h. auf gütlichem oder gerichtlichem Wege, zu zwingen" 1 7 7 . Rechtsgrund war der Eid, den jeder Bürger geleistet hatte. .Amman, burgermaister und radt" der Landstadt Waldsee „gebieten allen burgern und einwonem auf den aid: Wa ain schray oder das die leut mit ainandern zertragen wurden, es were mitt worten als mitt werckhen, wer dann söllichs hört, sycht oder darumb ist, der soll zfllaufen und den handel nach seinem besten vermögen widerlegen und stillen. Und wer das nitt thätte, den wurden amman, burgermaister und radt nach ybersehung seins aidtz mercklich darumb straffen" 1 7 8 . Wer die friedenssichernden Maßnahmen nicht akzeptieren wollte, hatte die Stadt zu verlassen. Patrizier, Nachfahren von Ministerialen oft und damit dem Adel ständisch gleichgestellt, taten sich schwer, auf ihr Fehderecht zu verzichten, mußten jedoch, wollten sie die Fehde praktizieren, das Bürgerrecht aufgeben, um die Stadt nicht in unliebsame und unkalkulierbare kriegerische Verwicklungen zu ziehen. Die Parallelen zwischen ländlichen und städtischen Gemeinden hinsichtlich der Friedenssicherung sind offenkundig. In den Rechtskodifikationen, gleichgültig ob es sich um städtisches oder ländliches Recht handelt, nehmen sie einen prominenten Platz ein. In den städtischen und ländlichen Statuten stehen die friedenssichernden Maßnahmen, Bestimmungen über die Behandlung von Mördern, Dieben und Brandstiftern und anderen landschädlichen Leuten, ferner die Strafen für Messerstechereien, Verwundungen und Beleidigungen eindeutig im Zentrum. Der Friede nimmt immer eine prominente Stelle ein, sowohl hinsichtlich der Breite, in der diese Probleme erörtert werden, als auch hinsichtlich der Reihung: in der Regel stehen die Maßnahmen zu seiner Sicherung am Beginn der Rechtsbücher. Jeder Bürger und jeder Bauer war für den Frieden in seiner Kommune verantwortlich. Und dies in mindestens zweifacher Weise - er hatte den Frieden zu gebieten, die streitenden Parteien zu versöhnen oder vor Gericht zu bringen, und zwar unter Einsatz seiner ganzen Person, was unter Umständen ja durchaus lebensbedrohende Formen annehmen konnte, und er hatte an der Urteilsschöpfung im Gericht mitzuwirken, denn er konnte, wenn er für ein Richteramt nominiert wurde, ein solches nicht ablehnen. Allerdings ergeben sich auch Unterschiede zwischen Stadt und Land. In der Stadt war der Friede gewillkürte, eidlich befestigte Satzung durch die Gemeinde, auf dem Land läßt sich bislang das Friedegebot nicht eindeutig in der Gemeinde lokalisieren, es erscheint mehrheitlich als herrschaftliche Satzung. Auch in ländlichen Gemeinden war das Friedegebot eng mit dem Eid verknüpft, um welche Art von Eid es sich handelt, bleibt allerdings offen. Bei Gewalttätigkeiten im st. gallischen Gebhardswil mußte zunächst jedes anwesende Gemeindemitglied bei 10 Pfd. h Strafe den Frieden bieten, wurde er nicht gehalten, wurde der Friede 177 178

Ebd., 75.

H. BUCK, Waldsee, 175 f.

116

3

WERTE UND NORMEN

nochmals geboten „an den aid, und ob ainer das alles iiberfert, dann so sollen der amptman oder die nachpuren, oder wer zuogegen ist, bim aid gebieten zuo im ze grifen und den dem vogtherren ze antwürten" 1 7 9 . „Item", heißt es in einer Nachbargemeinde, „ob sich fuogti, das zengk und zwitracht sich in dem gericht zwischen ieman machti, er sige insäsz oder gast, frou oder man, so mag ain iegklicher insäsz frid pieten; und weihet nit frid geben weit, so mag der fridpieter andern insässen gebieten und sü anrüfen bi dem aid, im hierin hilflich zuo sinde, damit frid gemacht und ain herr mit trostung zem rechten umb den fräfel uszgericht werd" 180 . Eide schwören Bauern, soweit man weiß, nur ihren Herren 181 , nicht nur ihren Landesherrn in der Frühneuzeit, sondern auch ihren Grundherren in den mittelalterlichen Hofverbänden 1 8 2 . Dennoch sind die Formulierungen in den vorliegenden und anderen vergleichbaren Fällen nicht eindeutig genug, um eine coniuratio auf gemeindlicher Grundlage ganz auszuschließen 183 .

3.4

GERECHTIGKEIT - UND FREIHEIT

Der Friede sollte die Fehde ersetzen. Seitdem wird der in der Fehde sich ausdrückende und auslebende Rechtsanspruch gerichtlich eingehegt. Das Gericht muß, soll es anerkannt werden, Gerechtigkeit üben. Uber Gerechtigkeit als Wert in der Stadt und auf dem Land umfassend und verbindlich zu sprechen, ist angesichts einer bislang auf normative Texte und rechtstheoretische Debatten spezialisierten Forschung schwer möglich. Nirgends sind in Oberdeutschland Akten ausgewertet worden, die darüber genauer Auskunft geben könnten. Die folgenden Erörterungen dienen somit als Surrogat. Sie nehmen mit der Verkoppelung der Begriffe Gerechtigkeit und Freiheit eine ungewöhnliche Perspektive ein, die allerdings etwas vom Reichtum der Werte und Normen und vor allem von ihrer wechselseitigen Verschränkung und Bedingtheit erkennen läßt. Gemeiner Nutzen, Hausnotdurft und Friede dürften die prioritären gemeindlichen Werte sein, was nicht ausschließt, daß sie durch andere vielfach gestützt und gesichert wurden. In Oberdeutschland hängen Freiheit und Gerechtigkeit aufs engste zusammen, und zwar so, daß ein Mehr an Freiheit ein Mehr an Gerechtigkeit begünstigt, zumindest gilt das hin-

179

]. Grimm, Weisthümer 5, 159. Ebd., 169. 181 Die bekannte Ausnahme sind die ländlichen Gemeinden der Innerschweiz. 182 A. HOLENSTEIN, Seelenheil, 15 f. - Breiter DERS., Huldigung, 147-216. Eindeutige Belege für die Friedenspflicht als delegiertes Herrenrecht aus Tirol. „Item, ob sich etwo im gericht, es sei, wo es woll, ain gefächt erhueb, mag ain ieder angesessner gerichtsman in abwesen und in namen der herrschaft frid pieten und sezen und soll kreftig sein". I. V. Zingerle - J. Egger, Tirolische Weisthümer 4, 703. Ahnlich I. V. Zingerle - K. Th. v. Inama-Sternegg, Tirolische Weisthümer 1, 73. 183 Hinzuweisen ist auf die Formulierung in Tiroler Quellen, denen zufolge der gebotene Friede ein Jahr Gültigkeit hat, was möglicherweise mit den jährlich stattfindenden Baudingen (die ja auch als Gemeindeversammlungen eingestuft werden können) in Verbindung gebracht werden darf. „Item, wann ain frid geboten wird, der soll weren ain jar". I.V. Zingerle - J. Egger, Tirolische Weisthümer 4, 222. Vgl. ebd., 410. 180

3.4

Gerechtigkeit - und Freiheit

117

sichtlich des subjektiven Rechtsempfindens. Das läßt sich vorausgreifend und beispielhaft damit verdeutlichen, daß Klagen über Ungerechtigkeiten in den Dörfern (die adeliger und klösterlicher Herrschaft unterstanden) häufiger zu hören sind als in Städten. Kommunal vermittelt ist der Problemzusammenhang dadurch, daß Gerechtigkeit durch Rechtsgleichheit und Gerichtsverfahren gestiftet wird, was im Gehäuse von Kommunen erfolgen kann. Abweichend vom bisherigen methodischen Verfahren, Begriffe aus Quellenkörpern zu dechiffrieren, die eine zeitlich große Erstreckungsbreite haben, werden Gerechtigkeit und Freiheit gleichsam durch ein Teleobjektiv betrachtet und dieses auf die Zeit nach 1500 eingestellt. Das Vorgehen selbst ist quellenbedingt, vielleicht ist es auch zeitbedingt. Krisenzeiten und die von ihnen hervorgebrachten Quellen legen Wertvorstellungen eher frei als der normale Alltag. Nach 1500 werden Gerechtigkeit und Freiheit in der städtischen und ländlichen Welt sehr grundsätzlich erörtert, was dem stimulierenden und aufgeregten Klima geschuldet ist, das mit der Reformation entstand. Rückgriffe und Vorgriffe in das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit bleiben knapp gehalten und dienen lediglich dem Nachweis, daß es sich nicht ausschließlich um zeitgebundene, sondern dem Kommunalismus eigentliche Werte handelt. Daß Ungerechtigkeit herrsche, war verbreitet zu hören, namentlich unter Bauern. Mit der Forderung nach Freiheit (und Abschaffung der Leibeigenschaft) gehört die nach Gerechtigkeit τη den zentralen der Zeit. Es empfiehlt sich, zur Positionierung des Problems nochmals auf den Fall Ochsenhausen zurückzukommen, der unter dem Aspekt kommunaler Rechtsordnung schon berührt wurde. Die Bauern der rund 30 Dörfer und Weiler der oberschwäbischen Klosterherrschaft verlangten um 1500 fur ihre Kinder das Erbrecht, und zwar gleichermaßen an den Höfen, die sie bewirtschafteten, als auch am mobilen Nachlaß. Der Zugriff des Abtes auf ihre Hinterlassenschaft basiere auf „gewallt vnnd dhainem Recht". Das ergäbe sich schon aus dem Umstand, daß die Erbschaftsansprüche „von der gemain zfl Ochsenhusen, oder merer taill der selbigen nie gewilligt oder vergünstigt" 184 worden seien. Recht muß von den Rechtsgenossen aktive Zustimmung erfahren, soll es verbindlich sein. Aktiver Konsens ist fur die Ochsenhauser Bauern die erste Voraussetzung fur eine Rechtsordnung, die Gerechtigkeit stiften will. Konfliktstoff gab es auch noch auf einer weiteren Ebene, nämlich der angeblich veränderten Urteilsgrundlagen wegen, die der Abt einzuführen versuchte. Die Rechtsprechung erfolgte durch bäuerliche Laienrichter aus allen Klosterdörfern aufgrund von mündlich tradierten Rechtsgewohnheiten, vermutlich Landrecht (Schwabenspiegel) und vorgängigen Fallentscheidungen; gelegentlich holte man sich Urteile auch in der Reichsstadt Ulm 1 8 5 . Der Abt hatte neuerdings allerdings verlangt, Urteile entsprechend seinen (neuen) Satzungen (von einem klösterlichen Frevelbuch ist die Rede) zu fällen, beispielsweise sollten nicht termingerecht bezahlte Abgaben von den Höfen nicht nur über das Gericht eingetrieben, sondern auch strafrechtlich als Gebotsübertretungen verfolgt werden. Die bäuerlichen Richter verweigerten das mit im wesentlichen zwei Argumenten - sie hätten erstens jeden Fall 184 185

HStASt, Β 4 8 1 Bü 10, fol. 38. HStASt, Β 4 8 1 Bü 10, fol. 32.

118

3

WERTE UND NORMEN

einzeln zu bewerten (Urteilen nach Vernunft) und zweitens ausschließlich nach ihrem Gewissen. Das hätten sie eidlich geschworen, folglich würden Verfahrensänderungen nicht nur Ungerechtigkeiten produzieren, sondern darüber hinaus sie um ihr Seelenheil bringen 186 . Die normativen Grundlagen fiir das Verfahren schafft sich das Gericht selbst, das ist die zweite Voraussetzung für eine gerechte Rechtsordnung nach Meinung der dortigen Richter. Der Ochsenhauser Fall legt es nahe, das Problem der Gerechtigkeit nach vier Seiten hin zu erörtern. Sachverhalte des Zivilrechts wie grundherrliche Abgaben wurden wie strafrechtliche Fälle behandelt (1). Mit Mandaten und Satzungen wurde das Strafrecht positiviert und mit bestimmten Bußgeldern belegt, die offenbar mehr oder minder nach Belieben der Obrigkeit festgesetzt werden konnten (2). Weiter griff die Herrschaft stark in die herkömmlichen Verfahren des Gerichts ein (3). Und viertens wurde die Herstellung der Rechtsgrundlage fiir die Arbeitsweise der Gerichte durch Satzungen, modern gesprochen Gesetze, ausgestaltet, an denen nicht der Inhalt selbst, sondern ihr Zustandekommen gerügt wurde, nämlich der nicht eingeholte Konsens der Gemeinde (4). (1) In einer 62 Artikel umfassenden Beschwerdeschrift vor dem Reichskammergericht rügten die Stühlinger Bauern, daß „bürgerlich Hendel fiir malefizisch Hendel" angezogen, also Zivilsachen wie Straftaten behandelt würden. Selbst der Nachbar, der „heuslich oder heblich unter inen sitzt" und folglich im Dorf bekannt sei, werde wegen Schulden ins Gefängnis geworfen, und die Amtleute „laßen inen ligen, bis er sich mit inen vertragen nach irem Willen" 1 8 7 . Die benachbarten Klettgauer bestätigten diesen Sachverhalt und wollten nicht „liden, daß man uns ein Biedermann, der das Recht vertrösten mag, fahen und in den Diebsthurn lege", ausgenommen es handele sich um ein wirklich schweres kriminelles Vergehen. Mord, Totschlag, schwerer Diebstahl und Brandstiftung sollten die Demarkationslinie bilden, die allein es erlauben sollte, Menschen ins Gefängnis zu stecken 188 . Die Erfurter mit ihrem bäuerlichen Hinterland, der Landschaft, verlangten, „das man keinem vorpflichten burger noch landsassen gefenglich einsetzen soll, sondern ein iglichen zu seiner antwort kommen lassen, es sei dan, das einer am leib zu straffen sei" 1 8 9 . Die Klage wurde auch von Bauern des Reichsstifts St. Gallen erhoben. Konkret ging es in St. Gallen um Ansprüche des Klosters an den Liegenschaften und dem mobilen Nachlaß, die offenbar als Befehle (Gebote) ausgefertigt wurden. Widersetzte sich der betroffene Bauer diesem Anspruch, wurde er wegen Übertretung eines Gebotes festgenommen. Diese Praxis verbot ein Schiedsspruch der Eidgenossen. Künftig sollten solche Verfahren vor die örtlichen Gerichte kommen, wo sie früher üblicherweise als zivilgerichtliche Fälle zu verhandeln waren. In allen anderen Fällen empfahlen die Eidgenossen eine zügige gerichtliche Entscheidung 190 .

186 187 188 189

190

HStASt, Β 4 8 1 Bü 10, fol. 64'. G . Franz, Quellen Bauernkrieg, 1 0 1 - 1 2 3 [die Zitate 102], H . Schreiber, Bauernkrieg Urkunden 2, 1 7 9 - 1 8 4 [das Zitat 181]. Waither Peter Fuchs (Hg.), Akten zur Geschichte des Bauernkriegs in Mitteldeutschland, Bd. II, Jena 1 9 4 2 , 2 5 1 . Beschwerden und Schiedsspruch ediert von Walter Müller (Hg.), Die Rechtsquellen des Kantons St. Gallen, 1. Teil: Die Rechtsquellen der Abtei St. Gallen, 2. Reihe, 1. Bd.: Die allgemeinen Rechtsquellen der Alten Landschaft (Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen l 4 ) , A a r a u 1 9 7 4 , 1 5 5 - 2 5 2 .

3.4

Gerechtigkeit - und Freiheit

119

Das Vertrauen in das Recht war zweifellos gestört. Bislang waren privatrechtliche Ansprüche nach Herkommen und Billigkeit im gerichtlichen Verfahren durch Urteiler (Schöffen) entschieden worden. Jetzt wurden privatrechtliche Ansprüche der Herrschaft schriftlich als Gebote oder Verbote ausgefertigt, etwa feste Termine für die Lieferung des Getreides (Gebot) oder Einschränkungen der Ehe (Verbot) festgesetzt, und deren Übertretungen als Vergehen verhandelt, die mit Strafen geahndet werden konnten. (2) Das Strafrecht selbst nahm von den Friedensbemühungen des Mittelalters seinen Ausgang. Mord, Brand, Diebstahl und Notzucht wurden öffentlich kriminalisiert und auch in Form der Fehde immer weniger geduldet. Es lag in der Logik dieser Entwicklung, vorbeugend auch geringere Gewalttätigkeiten wie Schlägereien oder Verbalinjurien, die zu grober Gewalt führen konnten, zu verbieten und deren Übertretung (mit Geldbußen) zu ahnden. Die Gesetzgebung beginnt wesentlich in diesem Raum gesellschaftlich anerkannter Grundwerte. Inwieweit die Kommunen daran Anteil hatten, deren Dorfordnungen diese Bestimmungen festhalten, ist, wie gezeigt, im Einzelfall schwer nachzuweisen, weil die Überlieferung zu einem Zeitpunkt einsetzt, wo die Ordnungen den Präambeln zufolge bereits von den Herrschaften erlassen, zumindest von ihnen sanktioniert wurden. Offenbar wurden seitens der Herrschaften die Bußgelder ständig erhöht. O b das einer wachsenden Kriminalität geschuldet war (was unwahrscheinlich ist, weil Bürger und Bauern stark am Frieden interessiert waren) oder einer wachsenden Fiskalisierung im Interesse der Herren, ist bislang unklar. Die Bauern jedenfalls monierten - und in Tirol, Salzburg und anderwärts auch die Bürger - die ständig steigenden Sätze. „Wenn zwen miteinander in Unfrieden kommen, dörfen sie nit drus kon, ohn unser Herren Wissen und Willen" 191 , rügten die Klettgauer. Gütliche, außergerichtliche Schlichtungen waren gar nicht mehr erlaubt, sollte das heißen. Die Stühlinger brachten den Reichskammerrichtern zur Kenntnis, daß früher auf „Maulstraich" eine Strafe von drei oder fünf Schilling stand, jetzt sei daraus ein großer Frevel gemacht worden. Als solcher würde er von den Vögten und Oberamtleuten festgesetzt und eingezogen, zuvor seien indessen Unteramtleute, Schultheißen und Ortsvögte einzugsberechtigt gewesen, die Strafgebühren seien im Dorf geblieben und hätten also ftir dessen Belange verwendet werden können 1 9 2 . Wo immer Zahlen vorliegen, sind die Steigerungen spürbar. „So einer den andern blutrissig macht, ist an ettlichen Orten acht Pfund, war vor nit mehr denn drei Pfund", das war immerhin eine Verdoppelung der Strafsumme. Die Fiskalisierung der Strafrechtspflege war auch dem Verfahren geschuldet. Offenbar wurde derjenige, der die Bußen verhängte und die Strafgebühren einzog, in der Regel der Vorsitzende des Gerichts, nicht nur daraus bezahlt, sondern daran prozentual beteiligt. Richter sollen an den Strafgeldern „kain interesse oder genies haben", war die einhellige Meinung der bäuerlichen Landgerichte und bürgerlichen Stadtgerichte in der Grafschaft Tirol, sondern auf feste Besoldung gesetzt werden, „damit wirt verhuet die unpillichen penen

191 192

H. Schreiber, Bauernkrieg Urkunden 2, 180. G. Franz, Quellen Bauernkrieg, 109.

120

3

WERTE UND NORMEN

und der aigennutz"193. In Salzburg verlangten die Stadtgerichte und Landgerichte auf dem Landtag 1519 von ihrem Landesherrn Verfügungen, „das nit erung oder schankung genomen werd, das zu zeiten die gerechtigkait mocht verkert werden"194. (3) Hinsichtlich des Gerichtsverfahrens vollzog sich offensichtlich vor, um oder nach 1500 ein starker Wandel, der gewissermaßen als Ouvertüre zur staatlichen Gerichtsorganisation verstanden werden kann. Herkömmlicherweise wurde, wie Ochsenhausen gezeigt hat, Recht im Gericht gefunden, gewiesen, geöffnet (oder wie sonst die Dialekte sagen), also durch Verfahren im Beisein von Klägern und Beklagten entschieden, und zwar auf dem Land wie in der Stadt durch Urteiler (Schöffen würde man sie heute nennen). Diese waren Laien, urteilten also nach Herkommen, Erfahrung, Vernunft und Gewissen. Dabei wollten die Gemeinden bleiben. In den Worten der Stühlinger flöß das in den Artikel, „uns bi unsern Gerichten, darunter wir geseßen, pleiben zu laßen und on Erkanntnus des Gerichts in kein Weis zu strafen" 195 . Das habe für zivilgerichtliche und kriminalgerichtliche Fälle gleichermaßen zu gelten. Unkenntnis des lokalen Rechts und der individuellen Umstände führe zu ungerechten Urteilen, ja solchen von schierer Willkür. Der Gemeine Mann verfugte, spitzt man die spätmittelalterlichen Verfahren zu, über die Interpretationshoheit des Rechts. Mit Beginn der Neuzeit machten die Herrschaften aus Rechtsfragen Machtfragen insofern, als sie auch in der Rechtsprechung eine Superiorität reklamierten. Hatten sie sich zuvor mit der Gewährleistung von Recht durch den Schutz des Gerichts und die Exekution der Urteile zufriedengegeben (Vogtei), so verlangten sie jetzt, unterstützt von den am römischen Recht ausgebildeten Juristen ihrer Kanzleien, das Recht schriftlich zu positivieren (Gesetz) und die Entscheidung über Gesetzesübertretungen mehr und mehr an Professionelle zu übertragen, nämlich Amtleute, Obervögte und Räte, die zunehmend juristisch ausgebildet waren. Aus St. Blasien wird berichtet, der Abt habe fur ihn ungünstige Urteile vor den örtlichen Gerichten seiner Untertanen nicht angenommen, vielmehr die Fälle an die nächsthöhere Instanz, nämlich sein Kammergericht gezogen, das zur Hälfte „mit seinen Vögten und Dienern" und fremden Urteilern besetzt war 196 . In den Nachbartälern Schönau und Todtnau wurden die örtlichen Wochengerichte von vornherein mit „mit parteischen und verdächtigen Personen"197, die dem Kloster in hohem Maße verpflichtet waren, besetzt. Die Besetzung der Gerichte erfolgte offenbar nicht mehr im einvernehmlichen Zusammenwirken von Gerichtsherrschaft und Gerichtsgenossen, sondern vornehmlich durch die Obrigkeit. Ließ sich das nicht durchsetzen, schwächte man die Autorität der Gerichte, indem man ihnen die Fälle entzog. Ja die lokalen Richter wurden sogar vor das übergeordnete Landgericht geladen und dort angeklagt, „sie haben nit recht geurteilt"198, und dafür auch noch bestraft. Das untergrabe die bisherige Urteilsgrundlage nach Gewissen und Verstand. Die Gemeinde muß 193 194 195 196 197 198

H. Wopfner, Bauernkrieg Deutschtirol, 39. G. Franz, Bauernkrieg Aktenband, 127. G. Franz, Quellen Bauernkrieg, 102. Ebd., 9 8 - 1 0 1 [Zitat 100], Ebd., 101. Ebd., 105.

3.4

Gerechtigkeit - u n d Freiheit

121

bei der Bestellung eines Richters beteiligt sein, hieß es in Salzburg, anderenfalls gingen diese „auf den Stelzen" und machten sich mit „Schinten und Schaben" über den Gemeinen Mann her 199 . In Tirol sollten die Gerichte mit verständigen, des Landrechts kundigen Einheimischen „als vom adl, Stetten und gerichten und nicht von äussern oder gaistlichen leutten noch doctores besetz werden", und es soll „mundtlich und nicht schriftlich procediert werden" 200 . (4) Die örtlichen Urteilergerichte ließen sich auf vielfache Weise schwächen, durch das Einsetzen gefälliger Richter, durch die Aufhebung von Urteilen in der zweiten Instanz, durch Eingriff in die laufenden Verfahren zugunsten der übergeordneten Gerichte. Wichtig und zukunftsweisend war letztlich die Verschriftlichung des Rechts mittels obrigkeitlicher Satzungen. Die Dörfer des Klosters Maulbronn an der Grenze zwischen Württemberg und Baden klagten, „das kain armer man mer belyben mag by eynes yetlichen flecken gewonheiten, gebrauch und gerechtigkeit"201. Untertanen des Grafen von Katzenellenbogen aus Menzigen beschwerten sich bei ihrem Landesfürsten, Landgraf Philipp von Hessen, man hätte bisher an den herkömmlichen Gerichtstagen „des dorfs gerechtigkeit" durch den Richter verkündet. „Dises loblich altherkommen und gebrauche hat uns unser herschaft verbotten und dem entsetzt" 202 . Das periodische Verlesen des Dorfrechts wurde von der Herrschaft also untersagt, zweifellos in der Absicht, ihre eigenen Satzungen durchzudrücken. Das bestätigt die Klage der Menzinger, ihr Herr habe ihnen verboten, komplizierte Rechtsfälle nach Bretten, ihren Oberhof, zu ziehen. So war auch den Ochsenhausern verboten worden, sich der Ulmer Räte als Rechtsberater zu bedienen. Prinzipiell modernisierungsfeindlich und damit gegen jedes landesherrliche Statutarrecht waren die Gemeinden nicht, im Gegenteil, die seit kurzem Policeyen genannten Gesetze wurden sogar gewünscht. Die Tiroler verlangten über die Vertreter ihrer Landgerichte und Stadtgerichte von Erzherzog Ferdinand, „daz an kainem ort auch niemandts, was stanndts er sey nit gestatt werde, dieihenigen, so unehelichen bey ainannder sytzen, beleiben zu lassen" und auch „die eeprecher und eeprecherin, gotzlestrer und zuetrinker" nicht zu dulden seien203. Eine Landesordnung sollte dafür den Rechtsrahmen schaffen. Also wollten die Bauern und Bürger Ordnungen, soweit sie überkommunale Probleme betrafen, aber solche, die nicht die herkömmlichen Verfahren auf den Kopf stellten und nicht nur herrschaftliche Interessen berücksichtigten. Brauchbare Verfahren gab es offenbar in Vorarlberg. Im Montafon wurde der Landsbrauch 1545 von den ältesten Geschworenen und Nachbarn der Hofiünger, wie die Bewohner dort hießen, aufgeschrieben und dem Vogt, Märk Sittich von Hohenems, vorgelesen. Der hat „anstatt der obrigkait sölichs beleiben lassen und ouch etlich neuw artickel, wie die hernach begriffen, mit rauth und bewilligung der

199 Ebd., 2 9 5 - 3 0 9 [das Zitat 306]. 200 j_j W o p f n e r , Bauernkrieg Deutschtirol, 53. 201 G. Franz, Bauernkrieg Aktenband, 107. 202 Ebd., 135, 139. 203 H . W o p f n e r , Bauernkrieg Deutschtirol, 55.

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3

W E R T E UND N O R M E N

gemainen Hofjüngern in ewig zeit für Satzungen und preuch stet und fest ze halten etc. fiirgenomen" 204 . Erbrecht, Wehrpflicht, Freizügigkeit, Besetzung der Gerichte sowie Nutzung der Alpen, Seen, Flüsse und Wälder regelte die Nachbarschaft, Polizeien über die Kirchweih, das Wirtshaus, den Weinausschank und die Aufnahme von Kapitalien regelte der Vogt einvernehmlich mit seinen Untertanen. Wo Recht und Gesetz so ihren Fortgang nahmen, gab es nachweislich auch keinen Bauernkrieg. In den zitierten und referierten Quellen (Beschwerden, Suppliken, Artikelbriefe und Gravamina zumeist) sprechen sich Gemeinden aus, für die es selbstverständlich war, daß es eine örtliche Gerichtsbarkeit für zivil- und strafrechtliche Fälle gab, nämlich so, daß heimische Laienrichter als Kollegium im Rahmen herkömmlicher Gewohnheiten den lokalen und individuellen Umständen entsprechend angemessene Urteile fällten. Sie hatten sicher auch präjudizierenden Charakter und entwickelten so das Recht weiter. Normen - in der Regel eben ungeschriebene - erwuchsen so aus dem Gericht, und so entstanden sicher auch teilweise lokale Satzungen. Gerechtigkeit, das jedenfalls war die Uberzeugung auf dem Land und in der Stadt in Oberdeutschland, wird verfehlt, wenn diese Grundlagen zerstört werden. Appellationsverfahren waren damit keineswegs ausgeschlossen und fürstliche und reichische Gerichte keineswegs unerwünscht. Von den königlichen Hofgerichten und dem Gericht des Schwäbischen Bundes haben die Gemeinden ja durchaus Gebrauch gemacht. Auch das Reichskammergericht, eine im frühen 16. Jahrhundert auch von Bürgern und Bauern lebhaft begrüßte junge Institution, an die sich viele Erwartungen knüpften, war prinzipiell anerkannt. Die fränkischen Bauern wünschten freilich seine Reorganisation: es sollte dort „nit pompisch, stolzirlich, spatziglich oder zerlich" zugehen, vielmehr sollten Pomp, Stolz, Zeitverschwendung und Zehrkosten dadurch vermieden werden, daß das Gericht „mit vleissigen Leuten besetzt" wurde, genauerhin sollten unter den 16 vorgesehenen Kammerrichtern vier Bauern und sechs Bürger sein. Und vor allem sollte das „gotlich und naturlich Recht" anstelle des bisher gebrauchten „weltlich Recht" zur Anwendung kommen 205 . Ein derart genereller Uberblick wäre unvollständig, würde er auf jede Differenzierung verzichten. Gerechtigkeit ist in der Stadt viel weniger ein Thema als auf dem Land 206 , jedenfalls gilt das für die Reichsstädte oder, genauer gesprochen, für die mit Autonomie und Autokephalie ausgestatteten. Unter den Normen und Werten der bürgerlichen Gesellschaft tritt Gerechtigkeit hinter Frieden und Gemeinwohl stark zurück 207 . Gerechtigkeit in der Stadt war nicht belastet mit dem Problem des Alten Herkommens und den alten Gerechtigkeiten, dafür waren die Städte viel zu jung. Gerechtigkeit in der Stadt war eine iustitia lega-

204 205 206 207

Κ. H . Burmeister, Vorarlberger Weistümer, 58. G . Franz, Quellen Bauernkrieg, 3 7 0 - 3 7 4 ; Zitat 373. Empirisches Material quantifizierend ausgewertet bei P. BLICKLE, Revolution, 72. HANS-CHRISTOPH RUBLACK, Political and Social N o r m s in Urban Communities in the Holy Roman Empire, in: Kaspar von Greyerz (ed.), Religion, Politics and Social Protest, London 1984, 2 4 - 6 0 . Mit anderer Schwerpunktsetzung des Ensembles der bürgerlichen Normen DERS., Grundwerte in der Reichsstadt im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Horst Brunner (Hg.), Literatur in der Stadt. Bedingungen und Beispiele städtischer Literatur des 15. bis 17. Jahrhunderts, Göppingen 1982, 9 - 3 6 . - Vgl. H . R. SCHMIDT, Reichsstädte, 202, 208.

3.4

Gerechtigkeit - und Freiheit

123

Iis, ausgedrückt im Stadtrecht. Das Stadtrecht eignete sich vom Ansatz der städtischen Verfassung her nicht dazu, Ungerechtigkeit zu produzieren oder das Bewußtsein von Ungerechtigkeit aufkommen zu lassen, weil es von der Gemeinde oder dem Rat als seinem repräsentativen und damit anerkannten Organ erlassen worden war. Das Stadtrecht als gewillkürtes Gesetz oder als Einung, wie es genannt wurde, verfugte genau über die Qualität, welche die Bauern am Gesetz ihrer Herren vermißten - es war konsentierte Satzung. In der Stadt herrschte Rechtsgleichheit vor dem Gesetz, unabhängig vom ständischen Status wurde eine Rechtsanwendungsgleichheit befolgt. Zwischen einfachen Zunftmitgliedern und Patriziern wurde nicht unterschieden, ganz im Gegensatz zu den Herrenständen, die ihre je eigenen Gerichtshöfe hatten, vom geistlichen Gericht fur die Prälaten bis zum Reichskammergericht fiir die Fürsten. Wenn in der Stadt Mißstände beklagt wurden - und das kam selbstverständlich häufig genug vor - , dann solche der Rechtsprechung mit dem Argument, der Nepotismus in den Räten verhindere gleiche Urteile für Arm und Reich 208 . Entsprechend war, was die ländliche Gemeinde über ihr Gebots- und Verbotsrecht statuierte, soweit sich sehen läßt, nicht dem Vorwurf der Ungerechtigkeit ausgesetzt. Damit werden die kommunalen Rechtsverhältnisse nicht in eine gefällige Weise komponiert, es wird lediglich - um im Bild zu bleiben - zwischen Dur und Moll als zwei unterscheidbaren, dennoch zusammengehörigen und sich komplementär ergänzenden Tonarten unterschieden. Freiheit ist in Oberdeutschland mit Gerechtigkeit mittelbar verknüpft. Und zwar ist sie es so, daß Leibherrschaft (die Umkehrung der Freiheit) dem Herrn eine Gebotshoheit, also eine Gesetzgebungskompetenz über seine Leibeigenen einräumt. Zwar schreibt die Geschichtswissenschaft in der demokratischen Bundesrepublik laufend Geschichten der Staufer, Wittelsbacher, Württemberger und Habsburger, auch solche über das Reich und jedes Territorium - eine Geschichte der Freiheit indessen fehlt. Das ist auch so für Oberdeutschland209. Also empfiehlt es sich, nochmals von einem konkreten Fall auszugehen und seine Generalisierbarkeit210 wenigstens zu skizzieren. Es trifft sich gut, daß sich über Ochsenhausen der gemeinte Zusammenhang von Gerechtigkeit, Recht und Freiheit aufbauen läßt. Als die Bauern des Klosters Ochsenhausen verlangten, „so sollt ainer den andern erben liegends vnd farends für vnd für" 211 , wehrten sie damit gegen eine Praxis, derzufolge das Kloster die Güter nach dem Tod der Inhaber nach Belieben neu vergab und die Kinder von der Erbschaft ausschloß. Unter die Rechtsgründe, die das Kloster dafür geltend machte, zählte auch die Leibeigenschaft. Dem Kloster „mit vnsern üben find gät mit aigenschafft zfl 208 Vgl. OTTO BRUNNER, Souveränitätsprobleme und Sozialstruktur in den deutschen Reichsstädten der frühen Neuzeit, in: DERS., W e g e , 2 9 6 . 209

D i e einzige nennenswerte M o n o g r a p h i e von C . ULBRICH, Leibherrschaft [deckt das Oberrheingebiet].

210

D a f ü r stütze ich mich a u f eine Reihe von eigenen Arbeiten zur Leibeigenschaft, die teils in einer Aufsatzsammlung [Bauernstand], teils in reformationsgeschichtlichen

Diskussionszusammenhän-

gen (Bezug Luthers Freiheitsbegriff) entstanden sind [auswahlweise: Freiheit und Gerechtigkeit. Ethische Fragen der D e u t s c h e n an die T h e o l o g e n der Reformation, in: Lutherjahrbuch 6 2 ( 1 9 9 5 ) , 8 3 - 1 0 3 ] . D i e Ausführungen und Belege werden mit Rückverweis a u f diese Arbeiten hier knapp gehalten. 211

H S t A S t , Β 4 8 1 B ü 10, fol. 6 6 .

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3

WERTE UND NORMEN

gehoeren" 212 läßt sich als Formel nachweisen, mit der Bauern ihr Verhältnis zum Kloster umschreiben. Die Eigenschaft am Gut, die das Kloster für sich stipulierte, konnte keine Erbrechte des Bauern begründen. Das Kloster verbot auch, daß seine Untertanen andere als Ochsenhauser Gotteshausleute heirateten. Kam eine solche Verbindung (ungenoßsame Ehe) dennoch zustande, wurde sie mit hohen Strafen belegt. Von 4 0 Gulden, grob geschätzt der äquivalente Geldwert für 10 Stück Großvieh, ist die Rede 2 1 3 . Das war Ausdruck der klösterlichen Eigenschaft am Leib. Wollte man diesen Zustand ändern, wie es die Ochsenhauser taten, dann votierte man damit für Freiheit - auch wenn der Begriff nicht explizit in den Ochsenhauser Quellen auftaucht, mußte das die begriffliche Konsequenz sein. Es gab - das sollte einleitend und dem eigentlichen Problemfeld Gerechtigkeit-Freiheit vorauseilend gesagt werden - lebensweltliche Gründe individueller Natur, Freiheit als Wert auszubilden. Bis hierher ist die Freiheit nicht mit der Gemeinde in Verbindung zu bringen. Ein solcher Konnex wird allerdings über die Gerechtigkeitsvorstellungen der Bauern gestiftet. Dazu gehörte auf der verfahrensrechtlichen Seite der Rechtspflege eine Autonomie der Richter, die über die Urteile Recht schufen und damit einen zunächst ungeschriebenen Kanon von Gewohnheiten stifteten. Verschriftlichte man ihn, hatte man Satzungen. Solche Satzungen zu erlassen beanspruchte jedoch, um immer noch mit Ochsenhauser Material zu arbeiten, das Kloster. Dafür gab es sogar einen Rechtstitel, denn der Bauer bestätigte, wie Urkunden belegen, bei der Hofubernahme leibeigen zu sein und aufgrund eben dieser Leibeigenschaft „des gotzhus gebotten gehorsam zfi sind" 2 1 4 . Leibeigenschaft - zur Verdeutlichung muß man nochmals sagen: das Fehlen der Freiheit als personenrechtlicher Status schließt ein, sich der Satzung des Herrn zu unterwerfen. Die Leibherrschaft diente auch anderwärts der Stabilisierung und Festigung eines herrschaftlichen Anspruchs, zunächst auf eine ausschließliche Gerichtshoheit, der bald der Anspruch auf eine konkurrenzlose Satzungshoheit folgen sollte. Die Bürger der Stadt Vaihingen schworen ihrem Stadtherrn, keinen „andern schirm noch frid [zu] sfkhen [...], weder mit steht, mit burgerreht noch mit keinen den Sachen, geistlichen noch weltlichen, die ietzo sint oder die noch von ieman erdaht, uffgesetzt oder funden m6hten werden" 215 . Gesichert wurde dieses Versprechen durch einen Eid. Wer flüchtete, verlor alle seine Güter, seine gesamte Habe und als Meineidiger auch, wie man heute sagen würde, seine bürgerlichen Ehrenrechte. Untertanen des Klosters Weingarten verzichteten darauf, weltliche oder geistliche Gerichte in Anspruch zu nehmen, Hof- oder Landgerichte anzulaufen, selbst Papst und Kaiser

212

HStASt, Β 4 8 1 Urkunde 2 1 8 .

213

H S t A S t , Β 4 8 1 B ü 10, fol. 3 8 .

214

HStASt, Β 4 8 1 Urkunde 218.

215

H . - M . MAURER, Masseneide, 6 6 . Aus zahlreichen württembergischen Amtsstädten liegen U r k u n den vor, in denen die Bürger versprechen, „daz wir uns von dem hochgebornen unserm gnedigen herren grave Eberhard von W i r t e m b e r g noch von sinen erben n o c h von der herrschaft ze W i r t e m berg niimmer geziehen noch entfremden stillen n o c h wellen weder m i t unsern lieben, wiben, kinden noch giiten n o c h mit dehainen Sachen n o c h in diehein wise". D a s Zitat bei H . - M . MAURER, Masseneide, 6 8 .

3.4

Gerechtigkeit - und Freiheit

125

wurden ausdrücklich ausgenommen 216 . Schussenrieder Gotteshausleute, die, wie sie versicherten, „alle der übe recht aigent sigent", versprachen urkundlich, sich ausschließlich Schussenrieder Recht zu unterwerfen 217 . Das sind drei Beispiele, die für Hunderte, vielleicht Tausende stehen mögen. Solche Verzichtserklärungen waren von den Herren erzwungen und sicherten ihnen, weil den Holden in allen Fällen verboten wurde, fremdes Recht und fremde Gerichte in Anspruch zu nehmen, jedenfalls gegenüber außen eine exklusive Strafkompetenz (Gerichtsbarkeit), in der notwendigerweise eine Gebotskompetenz nistete. Leibeigenschaft konnte so zur Rechtsgrundlage des Territorialstaats werden 218 , zumal der Territorialstaat vorzüglich über Gesetze sich selbst seine Kompetenzbereiche aufbaute und sie mittels der notwendigen Verwaltung sicherte. Leibeigenschaft als Rechtsgrundlage für fürstliche Satzungshoheit stipulieren in Oberdeutschland neben den hier exemplarisch detaillierter beschriebenen Fällen die Markgrafschaft Baden 219 , das Herzogtum Württemberg 220 und die Kurpfalz 221 . Sie tun das meist an prominenter Stelle, in den Landesordnungen oder Huldigungseiden. Damit wird aber auch die Frage, ob frei oder leibeigen, zu einer eminent politischen. Wo Unfreiheit herrscht, setzt die Herrschaft das Recht, wo Freiheit herrscht, muß Recht konsentiert werden. Man kann das Problem der Freiheit im kommunalen Kontext auch von einer zweiten Seite aufrollen, nämlich über die der Stadt zugeschriebene Stadtfreiheit. Mit den zuvor erörterten Gesetzen und Rechten ist es insoweit sachlich verknüpft, als das Stadtrecht aus den Einwohnern und den Zuzüglern, die aus dem Hinterland kamen, über Jahr und Tag Bürger machte. Frei wurden diese Bürger freilich nur dort, wo die Stadtherrschaft faktisch keine Rolle mehr spielte. So ist auch der Satz Stadtluft macht frei kein zeitgenössisches Sprichwort, sondern ein Merkvers der Juristen des 19. Jahrhunderts mit sehr enger, - um summarisch zu verfahren - auf die Reichsstädte beschränkter Gültigkeit. Die Reichsstädte zogen, wo solche Verhältnisse rechtlicher Autonomie herrschten, naturgemäß die Bauern aus dem Umland an, ob allein aus Gründen des wirtschaftlichen Fortkommens oder wegen des besseren personalen und rechtlichen Status als Freie, hat die Forschung noch nicht geklärt. Daß letzteres der Fall sein könnte, belegen die vielen Ausbürger. Betrachtet man das Problem komparatistisch und wählt zum Vergleich die Schweizer Stadtstaaten, die mit Zürich, Bern, aber auch (der Landstadt!) Luzern über respektable Territorien 216

217

218 219 220

221

Das Dorf Hagnau verzichtet gegenüber dem Kloster Weingarten „aller und jed[er] gaistlicher und weltlicher recht, gerechtigkeiten, gnaden, freyhaiten, gesatz, gebott, verbott, hof und landtgericht, sy raichen vom hayligen stuel zu rom, römisch[en] kaiser, künigen, forsten, herrn oder and[er] dar ganz überall nichts ausßgenommen". HStASt, Η 14/15 Nr. 273, fol. 182 f. HStASt, Β 505 Urkunde 391. „Dehain frihait pundtnust noch gesetzte der heren der stette noch des landes noch dehain gericht weder gaistlichez noch weltlichez noch Statreht noch gemainlichen dehaine ander sache" soll sie künftig schützen. Breites Belegmaterial (über das Register bequem zu erschließen) bei A. HOLENSTEIN, Huldigung. G. K. Schmelzeisen, Landesordnungen, 141 f. [Landesordnung]. A. L. Reyscher (Hg.), Vollständige, historisch und kritisch bearbeitete Sammlung der württembergischen Gesetze, 12. Bd., Tübingen 1841, 9 f. [1. Landesordnung 1495], 26 [2. Landesordnung]. Zahlreiche Belege in den pfälzischen Weistümern. Vgl. Karl Kollnig (Hg.), Die Weistümer der Zenten Eberbach und Mosbach, Stuttgart 1985, 43, 146, 153.

126

3

WERTE UND NORMEN

verfugten, dann zeigt sich, daß diese Städte ihr Hinterland dadurch gewannen, daß sich zu Tausenden Bauern ins Bürgerrecht der Städte verfugten222. Damit war für den Bauern kein Wechsel des Wohn- und Aufenthaltsortes verbunden, vielmehr nahm er nach Bedarf den Rechtsschutz der Stadt gegen seinen Grundherrn und Landesherrn in Anspruch. Man tat lediglich so, als würde man Bürger, indem man anstelle des an sich erforderlichen Hauses in der Stadt, das wie gezeigt allein das Bürgerrecht begründete, bei der Stadt ein Geldäquivalent fur das Haus hinterlegte (schweizerisch Udat) und wie andere Bürger Steuern zahlte. In der Schweiz war das der letzte Grund fur die Habsburger, ihre dortigen Positionen im 15. Jahrhundert vollends zu räumen, weil ihnen keine Herrschaftsrechte mehr verblieben - weil ihnen, anders gesprochen, über die verburgrechteten Bauern das Herrschaftsobjekt abhanden kam. Wirtschaftliche Vorteile fiir die Bauern in den Schweizer Stadtstaaten sind aber nicht zu erkennen, jedenfalls bis jetzt nicht zwingend aufgezeigt worden. Den Status der Ausbürger gab es auch im Hinterland der Städte im Reich (im engeren Sinn), namentlich dem der Reichsstädte. Das führte zu Klagen des betroffenen Herrn an die aufnahmebereite Stadt, daß sie „gar große zahl der seinen zu bürgere empfingen, die doch nicht recht burger da würden, sondern allein spottburgere oder pfalburgere waeren; dann sie mit ihrem leib und gut ausßwendig im land hinder ihm und anderen herrschafften sessen, gericht und recht, auch wunn und weid, almend und waeld bruchten und den herrschafften, darunter sie gesessen, daran spotteten und verließen sich auf der statt [...] freyheiten, welche doch ihm und allen herrschafften unleidlich und beschwerlich waeren"223. Hinter solchen Klagen standen auch fiskalische Interessen der Herren, die denen des Ochsenhauser Abtes an der Erbschaft seiner Eigenleute entsprechen. Der Graf von Lichtenberg beschwerte sich beim Straßburger Rat über die Aufnahme von fünf seiner Untertanen ins Bürgerrecht, wodurch ihm steuerbare Vermögen von 60 000 fl. entzogen worden seien224. Solche indirekten Verweise auf den Reichtum der Bauern, wie er hier und im Einkauf ins Bürgerrecht eidgenössischer Städte (Hauswert) sichtbar wird, sollten nicht ganz unbeachtet bleiben. Offenbar waren auch Bauern im Rahmen ihrer kommunalen Organisation reich geworden, zuvor im System der Villikation waren sie es offenbar nicht. Nicht nur die Stadt prosperiert im Spätmittelalter, es prosperiert auch das Dorf. Pfalbürger sind demnach Bauern, die als solche auf dem Land leben und einerseits die Vorzüge von Dorfgenossen, andererseits die Freiheiten der Stadt in Anspruch nehmen. Sie sind keine echten, sondern falsche Bürger - cives falsi. Man wird das eine doppelte Staatsbürgerschaft nennen können: ständisch-politisch gesprochen handelt es sich um bäuerliche Bürger. Ständisch waren sie Bauern, weil sie Landwirtschaft betrieben und einen Grundherrn hatten, politisch waren sie Bürger, weil sie dem Stadtrecht unterstanden und den Schutz der Stadt in Anspruch nehmen konnten. Damit haben viele Territorien ihre Städte

222

D a s Material fiir Bern bei P. BIERBRAUER, G e m e i n d e im Berner O b e r l a n d , 1 0 0 - 1 0 8 ; für Luzern GUY P. MARCHAL, S e m p a c h 1 3 8 6 . V o n den Anfängen des Territorialstaates Luzern. Beiträge zur Frühgeschichte des K a n t o n s Luzern, Basel 1 9 8 6 .

223

M . G . SCHMIDT, Pfalbürger, 2 6 5 f.

224

P. K . WEBER, Lichtenberg, 1 6 3 , A n m . 4 8 9 .

3.4

Gerechtigkeit - und Freiheit

127

aufgebaut. Für den Straßburger Bischof nahm das Problem der bäuerlichen Bürger so dramatische Ausmaße an, daß er auf dem Metzer Reichstag Kaiser Karl IV. fur das Reichsgrundgesetz der Goldenen Bulle von 1356 einen eigenen Paragraphen abtrotzte, der dem ein Ende machte 225 . Damit war der Weg, über den Status eines bäuerlichen Bürgers die Freiheit zu erlangen, zunächst einmal blockiert. Indessen ging die Landflucht unverändert weiter und verstärkte sich wohl noch im 15. Jahrhundert, namentlich in Oberdeutschland. Die eben geschilderten Maßnahmen der Herren, Freizügigkeit und Ehefreiheit zu unterbinden, wurzeln allein in dieser Entwicklung. Die gegenseitigen Ansprüche schürzten sich mehr und mehr zu einem unentwirrbaren Knoten, den die Bauern 1525 durchschlugen, indem sie die Freiheit mit der Begründung der Erlösung der Menschheit durch den Kreuzestod Christi in Anspruch nahmen 2 2 6 und dafür zu Tausenden ihr Leben ließen. Jetzt waren die Herren doch irritiert und erörterten im Reichstag (1526) die Frage, „ob nit Mittl zu finden weren, wie sich die Leibeigenen abkaufen mochten". Man sah in der Leibeigenschaft wohl auch ein ethisches Problem, wie in der Mahnung zum Ausdruck kommt, daß „jede Oberkeit hirinen irer Selen Heil selbst bedenken" solle 227 . Grundrechte zu formulieren und zu proklamieren, und zwar unter dem Druck Oberdeutschlands verbindlich für das Reich als Ganzes, lag nicht gänzlich außerhalb des Horizonts der 1520er Jahre. Daraus ist freilich nichts geworden, zumal die Reformatoren sich geweigert haben, Freiheit in der von Bauern und Bürgern gemeinten Bedeutung theologisch zu legitimieren. Es fehlte der Druck der Intellektuellen, der politische Entscheidungen hätte erzwingen können. Dessen ungeachtet ist weder die Freiheit noch die mit ihr lose verknüpfte Gerechtigkeit aus der Diskussion gänzlich verschwunden. Durch permanente Vexationen der Bauern wurde in kleinen Schritten die Leibherrschaft weiter entwertet, was freilich die obrigkeitliche Satzungskompetenz kaum mehr gefährden konnte. Immerhin meinte der Staatsrechtler 225

M . G . SCHMIDT, P f a l b ü r g e r , 2 4 1 - 3 0 2 .

226

Alfred Götze (Hg.), Die zwölf Artikel der Bauern 1 5 2 5 , kritisch herausgegeben, in: Historische Vierteljahrschrift 5 (1902), 8 - 1 5 . „Seyen auch onzweyfel jr [die Herren, P.B.] werdendt vnß der aigenschafft als war vnnd recht Christen geren endtlassen oder vns jm Euangeli des berichten dz wirß seyen". Herkommen und Altes Recht können sich jetzt nicht mehr halten, „angesehen das vns Christus all mitt seynem kostparlichen plütvergössen, erl6ßt vnnd erkaufft hat". - Auf einer rechtstheoretischen Ebene hatte diese Argumentation durchaus Vorläufer, wenngleich sich die Realität darum wenig bekümmerte und der breite gesellschaftliche Nachhall fehlte. Der Schwabenspiegel, das von seiner Verbreitung her wichtigste Rechtsbuch Oberdeutschlands im Spätmittelalter, bestritt die Legitimität der Unfreiheit mit dem eher naturrechtlichen Argument, „daz wirt in der heiligen schrift nit funden, daz ymant des andern eigen seye mit rehte". Karl August Eckhardt (Hg.), Schwabenspiegel Langform Μ (Bibliotheca rerum historicarum, Studia 5), Aalen 1 9 7 1 , 2 9 4 . Erasmus von Rotterdam hat beide Argumentationsweisen gebündelt und sie um die Kategorie der christlichen Nächstenliebe erweitert: „Dieweyl die natur alle menschen f r y hat geborn und eygenschaft wider natur ist eingeführt, [...] so gedenk, wie gar es nit gezimt, das ein christ gwalt bruch über ander christen, [...] die Christus von aller eygenschaft erlösst hat". Zitiert bei WALTER MOLLER, Wurzeln und Bedeutung des grundsätzlichen Widerstandes gegen die Leibeigenschaft im Bauernkrieg 1525, in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 93 (1975), 1 - 4 1 , hier 25.

227

Zitate nach der Vorlage bei G. Franz, Quellen Bauernkrieg, 595 ff.

128

3

WERTE UND NORMEN

JOHANN JACOB MOSER feststellen zu können - und seine Feststellungen haben als empirische Evidenz oft, wenn nicht immer süddeutsche Verhältnisse für sich - , daß dort, wo „die Leibeigenschafft leidentlich ist [...], sich [...] zwischen Freyen und Leibeigenen ordendicher Weise kein Unterschid [...] findet"228. Gerechtigkeit im Sinne einer an den Wertvorstellungen des Gemeinen Mannes orientierten Gesetzgebung und Rechtspflege ist immer und im 18. Jahrhundert nochmals in prinzipiell neuer Weise gefordert worden. Die alten Stadt- und Dorfrechte sollten jetzt gedruckt werden, damit, wie es im Toggenburg 1 7 0 3 hieß, „jeder Ehrlicher Landmann selbsten lesen und wfissen m6ge/ was ey[g] entlich der Inhalt der Toggenburggerischen Land-Rechts-Briefen seye". Wo, wie in Basel, Oligarchisierungstendenzen sich breit gemacht hatten und eine Arkanpolitik des Rates praktiziert wurde, konnte es dann heißen, „so bringt es die Natur des demokratischen und Popularstands et praesumpta populi voluntas von sich selbsten mit, daß, wo Sachen von höchster Importanz vorfielen, da einem jeglichen Bürger insonderheit daran gelegen, [...] hierüber der gesamten Bürgerschaft Will und Meinung eingeholt, und ohne dieselbe von dem Magistrat nichts

beschlossen

werde" 2 2 9 .

3.5

ZUSAMMENFASSUNG

Die elaborierten Werte in eine Hierarchie zu bringen, ist schwierig und bleibt, versucht man es, unbefriedigend, weil sie wechselseitig material und formal verschwistert und verwandt sind. Zunächst lohnt es sich nochmals festzuhalten, daß Gemeiner Nutzen, Hausnotdurft und Friede aus der bäuerlich-bürgerlichen Lebenswelt herauswachsen. Jedenfalls handelt es sich nicht um Werte, die man mühelos auch dem Adel zuordnen könnte. Im Gegenteil scheint der Gemeine Nutzen gegen den Herrennutz, die Hausnotdurft gegen Repräsentations- und Luxusbedürfnisse der fuhrenden Schichten und der Friede gegen die Fehde und die der mittelalterlichen Gesellschaft insgesamt eigene Neigung zur Gewalt durchgesetzt worden zu sein. Gemeiner Nutzen und Hausnotdurft stellen sich als wirtschaftsethische Werte dar, die der Struktur der Kommunen genau entsprechen: Gemeiner Nutzen legitimiert die Organisationsform der Gemeinde und Hausnotdurft die des Hauses als Subsystem der Gemeinde. Sie sind in dem Sinne komplementär, daß ein über die Auskömmlichkeit hinausgehender Verbrauch dem Gemeinen Nutzen schaden würde und umgekehrt die am Gemeinen Nutzen orientierte Politik der städtischen Räte und dörflichen Vierer, auf die sie in Amtseiden ja eigens verpflichtet werden, die Auskömmlichkeit erst sicherstellt. Empirisch besonders gut sichern ließ sich dieser Zusammenhang über die am Hausbedarf abgemessenen und orientierten Rechte an der Allmende, die ihrerseits dem Gemeinen Nutzen zu dienen hat. Der Gemeine Nutzen verfugt über eine Prägekraft, die offensichtlich weit über den wirtschaftsethischen Bereich, in dem man das Wort beim ersten Hören verortet, hinausweist. 229

Zitiert b e i A . WüRGLER, Öffentlichkeit, 1 1 8 , 122.

3.5

Zusammenfassung

129

Der Gemeine Nutzen fordert Frieden. Frieden schaffen und stiften ist jedenfalls immer ein Geschäft, das dem Gemeinen Nutzen dient. In den frühen Stadtrechtsquellen sind Friede und Gemeiner Nutzen wechselseitig austauschbare politische Zwecksetzungen, ja sie sind geradezu verfassungsbegründend, wenn es gilt, den Bürgerschaften gegenüber dem Stadtherrn und den Handwerkern gegenüber den Patriziern politische Rechte einzuräumen und zu sichern. Die — spitz gesagt - Verfassungsurkunden der Städte sichern den Bürgern als individuelle Freiheitsrechte, analogisch gesprochen, Leib und Gut, und zwar durch die Herausbildung einer ordentlichen Friedensgerichtsbarkeit, und sie zerlegen mit dem Argument des Gemeinen Nutzes die politische Macht zwischen Bürgermeistern, Räten und Gemeinden. Der Gemeine Nutzen legitimiert überhaupt erst Satzung, Gebot und Verbot, das iusstatuendi, und zwar das der ländlichen und städtischen Gemeinde gleichermaßen. Darin liegt seine dynamisierende Kraft. Möglicherweise verdankt er es dieser Eigenschaft, daß er schließlich seit dem 16. Jahrhundert auch von den Fürsten als Begründung für die territorialen Landes- und Polizeiordnungen in Anspruch genommen wird. Der vorgängige Gebrauch in kommunalen Zusammenhängen ist nicht zu bestreiten, so daß die Frage gestellt werden muß, inwieweit der Fürstenstaat sein Satzungsrecht auch auf ursupatorischem Weg erweitert, oder die Gemeinde, wie in Tirol, es ihm delegiert, allerdings mit Vorgabe des materialen Gehalts dessen, was gesetzt werden muß. Dem Gemeinen Nutzen, der Hausnotdurft und dem Frieden fehlt jede theoretische Präfiguration, wenn man darunter eine elaborierte Sozialethik, Wirtschaftstheorie und Politiktheorie versteht. Es sind Werte, die sich aus dem Alltag, seiner Praxis und dem Bedürfnis von Menschen ergeben, die arbeiten. Allfränkisch klingen sie deswegen, weil sie in der Moderne weitestgehend ihre Funktion verloren haben und abgestorben sind. Mit dem, zugegebenermaßen ganz unvollständigen Seitenblick auf die den leitenden Werten beigeordneten, nachgeordneten oder untergeordneten Normen werden lediglich Zusammenhänge aufgedeckt, die in die Moderne führen, und zwar, wie man zeigen kann, in einer aufregenden Weise. Es erübrigt sich nämlich, wenn man die hier gelegten Spuren weiterverfolgt, der Reduktionismus auf Französische Revolution oder Industrielle Revolution, auf Aufklärung und Kapitalismus. Der Friede, verstanden als Aufkündigung und Verbot der Fehde und gewaltsamen Selbsthilfe, kann sich seine Autorität nur mittels Gerechtigkeit sichern, sowohl in der Ausgestaltung des materialen Rechts wie des Gerichtsverfahrens. Friede ist ohne Gerechtigkeit nicht zu haben. Das Gefühl der Gerechtigkeit wird in dem Maße wachsen, wie die dem Recht Unterworfenen an der Rechtssetzung und Urteilssprechung beteiligt sind. Die kommunale Lebenswelt war in diesem Punkt der herrschaftlichen immer überlegen. Daraus erklärt sich auch, daß die Redeweise von der Gerechtigkeit, wo sie von Bauern und Bürgern gebraucht wird, extrovertiert ist - sie richtet sich an die Herren. Freiheit läßt sich deswegen so eng an Gerechtigkeit rücken, weil sie als personenrechtlicher Status enorm resistent gegen obrigkeitliche Satzung ist. Das Freiheitspathos der Bauern und der Bürger dort, wo die Stadtherrschaft aus ihnen eher Eigenleute machte als Freie, nährt sich keineswegs nur aus dem materiellen Interesse der erhofften geringeren Fronen oder besseren Erbrechte, aus ihnen freilich

130

3

W E R T E UND NORMEN

auch, sondern ebenso aus den zu gewinnenden rechtlichen und politischen Spielräumen. Wie ein Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Freiheit aufgezeigt werden kann, der freilich keineswegs der einzige mögliche Zusammenhang ist, so können auch von Gemeinem Nutzen und Hausnotdurft Derivate abgeleitet werden. D a ß Gemeiner Nutzen zu Gemeinwohl weiterentwickelt werden und von dort die Richtung zu Wohlfahrt und Sozialstaat einschlagen konnte, wurde erwähnt, wenn auch nicht ausgeführt. Gleiches ließe sich über die Hausnotdurft zeigen. Sie war am besten gesichert, wenn - um in der bäuerlichen Welt zu bleiben - die Verfügungsgewalt des Hofinhabers über Grund und Boden möglichst weitgehend war: wenn die Abgaben langfristig kalkulierbar waren und nicht jährlich neu festgesetzt wurden, wenn die nachfolgende Generation der Kinder wirtschaftlich gesichert war und nicht von der Gunst des Herrn oder der Ungunst der Wirtschaftslagen abhängig war. In der Fluchtlinie der Hausnotdurft lag es, daß sich die Rechtsform der Liegenschaftsnutzung auf Druck der Bauern kontinuierlich verbesserte - von der jährlich befristeten Leihe auf die Leibfälligkeit, von der Leibfälligkeit zum Erbrecht. Und vom Erbrecht zum Eigentum war es schließlich nur noch ein kleiner Schritt. Um den inneren Ring der kommunalen Werte von Gemeinem Nutzen, Hausnotdurft und Friede lagert sich ein äußerer von Gerechtigkeit, Freiheit (und Eigentum) (Abb. 6).

4

HERRSCHAFT U N D OBRIGKEIT

Kommunalismus ist nicht Republikanismus. Die Formen gemeinschaftlicher und politischer Organisation auf dem Land und in der Stadt, wie sie sich in Oberdeutschland herausgebildet haben, lassen sich nicht in herkömmliche staatstheoretische oder römischrechtliche Begriffe kleiden. Die Bürger und Bauern haben bezeichnenderweise mit dem Wort Republik wenig anfangen können, jedenfalls haben sie sich sehr spät erst und ganz vereinzelt nur des Wortes bedient, um sich in der politiktheoretischen Diskussion der Frühneuzeit selbst zu lokalisieren. Bürger und Bauern arbeiten vielmehr mit dem Wort Gemeinde und gemein. Kommunalismus als Wissenschaftsbegriff kann jetzt, nachdem die institutionellen, gesellschaftlichen und normativen Grundlagen vermessen sind, zusammenfassend und vorläufig definiert werden. Vorläufig deswegen, weil sich über die Kontrastierung mit anderen Formen gesellschaftlicher und politischer Organisation noch weitere Aspekte der Präzisierung ergeben werden. Der Kommunalismus umfaßt gesellschafilich gesprochen Menschen, die arbeiten. Die mittelalterliche ständische Terminologie hat diese Gruppe mit einem eigenen Wort markiert - laboratores. Den Zusammenhang hat auch die deutsche Sprache nie aufgegeben, sie hält ihn im Gemeinen Mann ebenso fest, wie in dem aus dem Französischen geborgten Wort des Dritten Standes. Der Kommunalismus zieht seinen Namen aus den Institutionen, die von den arbeitenden Menschen geschaffen werden. Die Gemeinde und ihre fallweise Aktualisierung in Form der Gemeindeversammlung ist eine Einrichtung, die voluntaristisch im Gehäuse der Stadt, des Dorfes oder eines gößeren Siedlungsverbandes geschaffen wurde. Die Stadt mag in einem herrschaftlichen Akt gegründet sein, die Gemeinde ist es nicht. Sie definiert sich geradezu dadurch, daß sie von der Herrschaft, in deren Rahmen und Umfeld sie entsteht, nicht abgeleitet ist. Im Rahmen vorgängiger Organisationsformen des Gesellschaftlichen und Politischen ist sie gänzlich neu und insofern, wenn man will, auch illegitim. Mit der Gemeinde entstehen in ihrem Reichtum kunstvolle politische Organisationen, die ihre Ästhetik ihrer Sachgemäßheit und der durchgehaltenen Architektur verdanken, nach der sie ausgeführt sind. Bei aller Vielfalt sind Räte und Vierer (und die ihnen präsidierenden Bürgermeister und Ammänner) ihre tragenden Säulen. Legitimiert sind sie durch die Gemeindeversammlung, die ihnen ihr Mandat erteilt, und sie legitimieren ihre Politik, indem sie zum Nutzen der Gemeinde amten, dem Gemeinen Nutzen dienen, wie sie in ihrem Amtseid versprechen. Die kommunale Politik in diesem präzisen und nicht anders gemeinten Sinn spricht sich vorzüglich in Satzungen aus. Sie können, verständlicherweise angesichts des kommunal gebundenen Mandats, von den Räten und Vierern oder den Gemeinden erlassen sein. Gesetze müssen justitiabel sein. Daraus ergeben sich die engen Verbindungen zum Gericht. Abgesehen von der beweisbaren Ratsgerichtsbarkeit und der vermutbaren Vierergerichtsbarkeit als abgekürzten Formen einer Rechtspflege, die pragmatisch den rituellen und finanziellen Auf-

132

4

HERRSCHAFT UND OBRIGKEIT

wand des ordentlichen Gerichtsverfahrens mied, wurden die Gerichte, die immer älter waren als die Gemeinden, in dem Sinne in den Kommunalisierungsprozeß mit einbezogen, daß sie einerseits die Satzungen auf ihre Rechtsförmigkeit hin zu prüfen hatten, andererseits deren Übertretung auch abzuurteilen hatten. Das erklärt sich aus dem materialen Gehalt der Satzungen. Sie nämlich richteten sich mit ihren strafrechtlichen Bestimmungen auf den Frieden in der Stadt, und ihn zu wahren gehörte auch in die Kompetenz der Landgerichtsbarkeit, die in einer lokalen Reduzierung auf Stadt, Dorf oder einen größeren Bezirk von den Gerichten wahrgenommen wurde. Die Materialisierung politischen Handelns in Form der Satzungen wurde mit dem Gemeinen Nutzen legitimiert. Er läßt sich, Mißverstädnisse abwehrend, zunächst dadurch definieren, daß er mit dem bonum comune in der Rhetorik der antiken und antikisierenden Politiktheorie nichts zu tun hat. Sein Profil gewinnt er als instrumenteil eingesetzter Gegenbegriff zum Herrennutz. Die ordnungsstiftende Tätigkeit der Gemeinden in Form der Satzungen rechtfertigt sich damit, daß sie nicht dem Nutzen des Stadtherrn oder des Dorfherrn dient. Das Anspruchsniveau des Gemeinen Nutzens kommt am deutlichsten darin zum Ausdruck, daß es einer alten herrschaftslegitimierenden Eidformel, nämlich des Herren Nutzen zu mehren und seinen Schaden zu wenden, ihr Proprium nimmt, indem sie den Herren durch Gemeinde oder gemein ersetzt. Seine ethische Auffüllung erhält der Gemeine Nutzen dadurch, daß er einereits dem Frieden dient, insofern sind Frieden und Gemeiner Nutzen wechselseitig referentiell, und andererseits die Auskömmlichkeit sichern hilft, insofern hat er zunächst wenig zu tun mit Wohlfahrt, geschweige denn Wohlstand. Einer Ökonomie, der Wachstum fremd ist, kann Gemeiner Nutzen zunächst keine dynamisierende Kategorie sein. Gemeiner Nutzen ist ein Verteilungsparameter, der sich extrovertiert gegen die Herren wendet und introvertiert am Kriterium der Hausnotdurft bemißt. Eine die Bedürfnisse des Hauses nicht überschreitende Ökonomie dient dem Gemeinen Nutzen, wie es gemeinnützig ist, die Hausnotdurft sicherzustellen. Nach diesem Mechanismus verwaltet man Allmenden und richtet die Ehaften Mühle, Schmiede, Backstube, Badstube und Taverne aus. So wie sich Gemeiner Nutzen zu Hausnotdurft auf der wirtschaftsethischen Ebene verhält, so verhält sich die Gemeinde zum Haus generell. Die kommunale Binnenstruktur gründet auf Häusern. Die Topographie inner Etters von Stadt und Dorf wird geprägt von areae und den daraufstehenden Häusern, die gesellschaftliche Schichtung folgt dem Haus und dem Haushalt. Insofern jedes Haus durch seinen Sonderfrieden einen eigenen Rechtsbereich darstellt, sind zunächst alle Häuser gleich, die Differenzierung nach dem Umfang der Haushaltungen bleibt theoretisch sekundär. Das prägt die Zusammensetzung der kommunalen Institutionen. In der Gemeindeversammlung soll jedes Haus vertreten sein. Da im Haus der Wirt oder Herr amtet, geht er auf die Gemeindeversammlung und sitzt in den Ratsstuben und unter den Gerichtslauben. Das Haus ist nicht nur kommunalen Strukturen eigentümlich, und folglich gibt es auch offene Grenzen zu stärker herrschaftlich geprägten Räumen. Daraus erklärt sich die Schwierigkeit, den Kommunalismus kartographisch abzubilden. Gemeinde und Haus begegnen sich wesentlich im Frieden. Ob man den Frieden im Dorf und in der Stadt als einen gesteigerten Hausfrieden interpretiert oder umgekehrt dem verwill-

4

Herrschaft und Obrigkeit

133

kürten Frieden der Gemeinde konstitutive Bedeutung einräumt, ändert nichts an dem Sachverhalt, daß sich die Gemeinde und mit ihr alle Häuser eidlich auf den Frieden verpflichten. Mit Verweis auf seinen Eid kann jedes Gemeindemitglied verpflichtet werden, sich für den Frieden einzusetzen. Mit Verweis auf den vassalitischen Eid konnte kein Adeliger verpflichtet werden, fur den Frieden einzutreten. Im Gegenteil, er verpflichtete ihn zum Krieg. Was mit Kommunalismus gemeint ist, hat in der bisherigen begrifflichen Abbildung der Epoche, fur die er gelten soll, keine erkennbare Aufnahme gefunden. Der bis heute umfassendste, wenn auch nie als ganz unproblematisch empfundene und mittlerweile dank der politischen Entwicklung aus der Mode gekommene Universalbegriff heißt Feudalismus. Blickt man auf die Lebenswelt des Gemeinen Mannes und seine institutionellen und normativen Hervorbringungen, dann erweist er sich vollends als einseitig und wenig geeignet, die Wirklichkeit angemessen zu spiegeln. Feudalismus als Begriff speist sich aus dem lehensrechtlichen feudum und bezeichnet damit eine Gesellschaft als stark hierarchisiert angesichts der gestaffelten Vasallitätsverhältnisse, die zum Lehenswesen gehören; er speist sich aus dem französischen feodaliti als Kampfbegriff gegen die Herrschaft der privilegierten Herrenstände Adel und Geistlichkeit über Grund und Boden und die ihn bebauenden Menschen; er speist sich aus dem generalisierenden Gebrauch, den neben Hegel und Weber vor allem Marx von ihm machte, indem er ihn zur Gesellschaftsformation zwischen Kapitalismus und Sklavenhaltergesellschaft verdichtete. Aber selbst den marxistischen System- und Epochenbegriff tragen als Säulen Adel und Bauern einerseits, ausgedrückt als die den Feudalismus prägenden Klassen, und hierarchische Über- und Unterordnungsverhältnisse andererseits, ausgedrückt im Konzept der Ausbeutung1. Das Bürgertum der Städte bringt es im Marxismus nur zur Nebenklasse, die Dörfer bleiben definitionsirrelevant, weil deren Bewohner, die Bauern, allein als Ausgebeutete der aristokratischen Klasse wahrgenommen werden. Vom Kommunalismus zu behaupten, er wäre „integrativer Bestandteil" des Feudalismusbegriffs2, wie das von Autoren behauptet worden ist, die für sich in Anspruch nehmen, die Definition des Feudalismus mitgeprägt zu haben3, ist etymologisch wie semantisch verfehlt. Folglich wird man dabei bleiben müssen, daß Feudalismus, gleichgültig ob man seine lehensrechtliche, herrschaftliche oder ökonomische Komponente betont, auf vertikal organisierten, den Adel (Kirche) begünstigenden und den Bauern belastenden gesellschaftlichen Beziehungen beruht4. Kommunale Elemente schließt der Begriff als solcher aus, es sei denn man setzt ihn mit Mittelalter und Frühneuzeit gleich, was ihn dann aber auch gänzlich entwertet. 1 2 3

4

O . BRUNNER, Feudalismus, bes. 129, 129, 135, 146, 149. H . WUNDER - C . - H . HAUPTMEYER, Feudalismusbegriff, 97. Ebd., bezugnehmend auf HEIDE WUNDER, Einleitung: Der Feudalismus-Begriff. Überlegungen zu Möglichkeiten der historischen Begriffsbildung, in: DIES. (Hg.), Feudalismus, München 1974, 1 0 - 7 6 . W o dieser Aufsatz über den bis dahin erreichten Diskussionsstand hinausweist, ist offenbar schwer zu erkennen. Vgl. OTTO BRUNNER (Feudalismus, in: DERS. u.a., Grundbegriffe 2, 3 3 7 - 3 5 0 ) , der darauf verzichtet, auf ihn auch nur anmerkungsweise einzugehen, wiewohl er ihn nach Ausweis des Literaturverzeichnisses kennt. Folglich halte ich auch die Kritik von WUNDER und HAUPTMEYER an meinen Verwendungsmodi von Feudalismus (vgl. ebd., 97) fur arrogant, zumal die Belege nur aus einer meiner Arbeiten gezogen sind, wohingegen alle detaillierteren Gegenüberstellungen der Begriffe Feudalismus und K o m -

134

4

HERRSCHAFT UND OBRIGKEIT

Nie wurde behauptet, Feudalismus solle und müsse durch Kommunalismus ersetzt werden, vielmehr wurde der komplementäre Charakter der Sachverhalte betont, die sich hinter den beiden Begriffen verbergen. Folglich ist es für eine umfassendere Definition des Kommunalismus unentbehrlich, die Beziehungen zu Herrschaft und Obrigkeit näher zu prüfen. Das kann und m u ß auf drei Ebenen erfolgen. Es gibt nämlich eine Zusammenarbeit von Ge-

meinde und Obrigkeit (1) im politischen Alltag, es besteht freilich auch ein konfligierendes Gemeinde gegen Obrigkeit (2), und schließlich kann sich unter besonders günstigen Konstellationen auch die Gemeinde als Obrigkeit (3) konstitutieren.

Verhältnis von

4.1

GEMEINDE UND OBRIGKEIT

Herrschaft und Obrigkeit sind in der oberdeutschen politischen Sprache verwandte, aber nicht identische Begriffe 5 . Obrigkeit umschreibt eher abstrakt ein Ensemble von Funktionen, das man in der Moderne mit Staat wiedergeben würde, Herrschaft hingegen ist, jedenfalls von der Herkunft her, eher ein ständischer Begriff, der die Funktionen, die auch er analog zu Obrigkeit abbildet, einem Herrn zuordnet. Die

Herr,

natürliche Herrschaft,

der

natürliche

ist eine Redeweise des Spätmittelalters und der Frühneuzeit und bezieht sich immer

auf einen Adeligen oder einen geistlichen Herrn. Herrschaft und Obrigkeit üben

Hoheit

aus. Sie kann sachbezogen sein und sich in be-

stimmten Einzelberechtigungen ausdrücken und tritt als solche als Militärhoheit,

hoheit

5

oder

Steuerhoheit

Gerichts-

in Erscheiung, sie kann raumbezogen sein und nennt sich dann

munalismus nicht berücksichtigt wurden [vgl. Der Kommunalismus als Gestaltungsprinzip zwischen Mittelalter und Moderne, in: Nicolai Bernard - Quirinus Reichen (Hgg.), Gesellschaft und Gesellschaften. Festschrift zum 65. Geburtstag von Ulrich Im Hof, Bern 1982,95-113, dort vor allem die äußerst nahe an den vier von Wunder und Hauptmeyer erwähnten „Varianten" angesiedelte Beschreibung von Feudalismus, besonders 96 und 109 f., sowie Kommunalismus, Parlamentarismus, Republikanismus, in: Historische Zeitschrift 242 (1986), 529-556, wo die Affinitäten der kommunal organisierten Gesellschaft zur Republik, ebd., 546-555, begründet sind]. Für die allgemeinen, hier auf das Wesentliche beschränkten Darlegungen wird auf Belege im einzelnen verzichtet. Die deutsche, österreichische und schweizerische Landesgeschichte hat die Kraft von Generationen von Wissenschaftlern in Anspruch genommen, um die Herrschaftsformen in der vorkonstitutionellen Zeit freizulegen. Davon zeugen beispielsweise die Atlasarbeiten der landesgeschichtlichen Kommissionen. Geprägt sind die folgenden Überlegungen, von eigenen Arbeiten abgesehen [vgl. Memmmingen (Historischer Atlas von Bayern, Teil Schwaben 4), München 1967; Kempten (Historischer Atlas von Bayern, Teil Schwaben 6), München 1968. P. BLICKLE - R. BUCKLE, Schwaben], vor allem durch die Arbeiten von: O. BRUNNER, Land [soweit Tirol betreffend]. - DERS., Wege. - KARL BOSL, Frühformen der Gesellschaft im mittelalterlichen Europa. Ausgewählte Beiträge zu einer Strukturanalyse der mittelalterlichen Welt, München - Wien 1964. - ADOLF GASSER, Entstehung und Ausbildung der Landeshoheit im Gebiet der schweizerischen Eidgenossenschaft. Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte des deutschen Mittelalters, Aarau - Leipzig 1930 [soweit heutige Ostschweiz betreffend], - H. MAIER, Staats- und Verwaltungslehre. - G. OESTREICH, S t r u k t u r p r o b l e m e . - RENATE BLICKLE, „ S p e n n u n d I r r u n g " i m „ E i g e n " R o t t e n b u c h .

Die Auseinandersetzungen zwischen Bauernschaft und Herrschaft des Augustiner-Chorherrenstifts, in: Peter Blickle u.a., Aufruhr und Empörung? Studien zum bäuerlichen Widerstand im Alten Reich, München 1980, 6 9 - 1 4 5 [soweit die schwäbischen Teile der Grundherrschaft betreffend].

4.1

Gemeinde und Obrigkeit

135

Landeshoheit. Auf dem Weg zur Neuzeit wurden die einzelnen Hoheitsrechte immer stärker an den geschlossenen Raum gebunden, so daß sich die Landeshoheit in der Militär-, Gerichts- und Steuerhoheit geradezu ausspricht. Der mittelalterliche Ausgangspunkt der verschiedenen neuzeitlichen Hoheiten ist die Vogtei, die advocatia, die ursprünglich allein vom Adel wahrgenommen wurde und als Pflicht ausgedrückt Schutz und Schirm heißt. Schutz und Schirm materialisierte sich nach außen in der Verteidigung, wozu der Herr die Hilfe der von ihm Beschützten in Anspruch nehmen konnte, was Reispflicht und Wehrpflicht nach sich zog. Spätere Jahrhunderte nennen das Militärhoheit. Weil die Reispflicht ersatzweise von anderen geleistet werden konnte, Söldnern beispielsweise, konnte an ihre Stelle die Steuer treten und davon leitet sich ursprünglich die Steuerhoheit ab. Nach innen konkretisierte sich Schutz und Schirm in der Gewährleistung eines funktionierenden gerichtlichen Austrags von Rechtsansprüchen. Das steckt hinter der Bezeichnung Gerichtshoheit. Es ging in der Tat um die Gewährleistung von Recht, nicht um die Urteilsfindung und die Rechtssetzung. Der Herr als Vogt schützte das Gericht und exekutierte seine Urteile, er lieh ihm seine Autorität, die Urteile selbst fällten indessen die Rechtsgenossen. In Notlagen kam ihm eine Banngewalt zu, die mit den Regalien eng verknüpft war, und sich so als Blutbann oder Forstbann ausdrücken konnte und auch in einem weiteren Sinn wirtschaftliche Regulierungen über Münzen, Zölle oder Bergwerke erlaubte. Der obrigkeitliche Schutz und Schirm in dieser doppelten Ausgestaltung galt den Untertanen im weitesten Sinn, die in der Regel durch personale und dingliche, von ihrer Herkunft her meist lehenrechtliche Verhältnisse zusätzlich an den Herrn gebunden waren. Für die Bürger und Bauern ist daraus jene Beziehung entstanden, die in die Wissenschaftssprache als Grundherrschaft und Leibherrschaft eingegangen ist, wohingegen die zeitgenössische Quellensprache Leibeigenschaft und Gutseigenschaft bevorzugt. Herrschaft und Eigenschaft stellt eine mittelalterliche Grundfigur von Beziehungen dar, sie verpflichtete den Eigenmann zu Natural-, Geld- oder Dienstleistungen an den Herrn. Oberdeutschland bildete dafür eigens feste Tage im Jahr aus, an denen auch Höfe neu vergeben, unfähige Bebauer ausgewechselt und die Mißachtung der Rechte des Herrn gerügt wurden - das jährlich stattfindende Bauding. Grund- und Leibherrschaft wurden im halben Jahrtausend ihres Bestehens mehr und mehr geschwächt, in der Stadt früher und weitergehend als auf dem Land. Die Bürger brachten es öfter, keineswegs immer, zu Freiheit und Eigentum, bäuerliche Leibeigenschaft verflachte oft zum schieren Namen ohne besonders konkret faßbare Folgen, und Grundherrschaft reduzierte sich letztlich auf steuerähnliche Geldabgaben von den Höfen. Die Kosten für die Ausübung obrigkeitlicher oder staatlicher Funktionen wurden mehr und mehr über Steuern finanziert. Soweit waren die Verhältnisse mittelalterlich. In der Frühneuzeit wurden sie umgebaut, und zwar in der Art, daß aus der ursprünglichen, nur in Fällen akuter Bedrohung erhobenen Reissteuer eine regelmäßige Steuer wurde, eingehoben Jahr fur Jahr und in ihrer Höhe schließlich orientiert an Vermögen und Einkommen. Dieser Entwicklung verdankt der frühneuzeitliche Staat seine gelegentliche Präzisierung auf Steuerstaat oder Finanzstaat. Die Gewährleistung des Rechts wurde im fürstlichen Interesse in der Weise intensiviert, daß Apellations- und Instanzenzug verbessert und ausgebaut wurden, wobei verfahrensrechtlich

136

4

HERRSCHAFT UND OBRIGKEIT

die Urteilergerichte zusehends durch den akademisch am Römischen Recht ausgebildeten Einzelrichter ersetzt wurden, jedenfalls an den Oberhöfen. Das alte Bauding wurde öfter dezentralisiert und dauerhaft institutionalisiert in Form einer Amterorganisation. Der dem Amt vorstehende Amtmann oder Vogt zog die Abgaben ein, übernahm gelegentlich den Vorsitz in den regionalen oder lokalen Gerichten seines Amtsbezirks und brachte die Anordnungen seines Herrn zur Anwendung. Sie sind in einer exzessiven Ausweitung der Banngewalt in Landesordnungen oder Polizeiordnungen, wie sie auch heißen, niedergelegt worden, was dazu gefuhrt hat, den frühmodernen Staat Verwaltungsstaat zu nennen und die sich theoretisch mit ihm auseinandersetzende Wissenschaft Polizeiwissenschaß. Vergleicht man die Funktionen von Obrigkeiten und Gemeinden, lassen sich, metaphorisch gesprochen, zwei große Flöze ausmachen, die zusammen das Gebirge des Staatlichen darstellen und die angesichts ihrer großen Erstreckungsbreite eine durchaus unterschiedliche Mächtigkeit annehmen, auch abbrechen und an anderer Stelle wieder zu Tage treten können. Es ist die Kombination von Gericht und Bann, die einmal mehr in kommunaler, das andere Mal mehr in obrigkeitlicher Hand sein konnte. Gebot und Verbot, oder anders formuliert das Recht der Satzung und Gesetzgebung, das ius statuendi, wie es romanisierend genannt wurde, ist, sachlich unterschiedlich weitreichend, immer in kommunaler Hand gewesen und geblieben. Ein Gesetzgebungsmonopol hat sich Obrigkeit in Oberdeutschland nicht aneignen können. Mit dem Gericht ist es ähnlich, wiewohl der Herrschaft hier größere Einbrüche in die kommunalen Bereiche gelungen sind. Die Stärke der Stadt liegt darin, daß sie Gericht und Bann räumlich zur Deckung bringen konnte, was ihre Autonomie enorm beförderte. Die Schwäche des Dorfes liegt darin, daß es nicht immer auch zum eigenen Gerichtsbezirk geworden ist, vielmehr Teil eines in der Regel größeren, mehrere ländliche Siedlungen umfassenden Gerichtssprengeis war. Dennoch ist es erst der moderne bayerische, württembergische, österreichische Staat der napoleonischen Zeit, der den Kommunen ihre älteren Kompetenzen ganz entzieht und sie ihnen allenfalls delegationsweise als staatliche Auftragsverwaltung neu zuweist. In den beiden Ämtern der Herrschaft: Bregenz, zur Ländermasse Habsburgs gehörend und folglich vom absolutistischen Regierungsstil gewiß nicht verschont, hatten die eingesetzten Amtmänner noch 1740 „kein andere jurisidiction [...], alß wann selben eine strittsach von dem oberamt delegieret wird, ansonsten aber allein die cameralia [...] zu verwalten". Die Amter zogen also in erster Linie die obrigkeitlichen Revenuen ein. Hingegen bestanden 12 Gerichte und „hat ein jedes gericht seinen besonderen niedergerichtsstaab, welcher bestehet in einem amman und 12 gschwohrnen gerichts männeren". Die Gerichtsstäbe hatten traditionsgemäß unterschiedlich weitgehende Kompetenzen, gelegentlich verfügten sie über „die völlige erste instanz". Das Herkommen hatte keinesfalls einem nivellierenden Polizeirecht weichen müssen, vielmehr waren „in dißen herrschafften vile merckhwürdige gewohnheiten vorhanden", die anderswo als in der kommunalen Satzungstätigkeit ihre Wurzeln gar nicht haben konnten 6 . 6

Ediert von Victor Kleiner (Hg.), Die Beschreibung der vorarlbergischen Herrschaften aus dem Jahre 1740, in: Alemania. Zeitschrift für Geschichte, Heimat- und Volkskunde Vorarlbergs 3/6 (1935), 135 ff.

4.1

Gemeinde und Obrigkeit

137

Die unbestreitbare Verdichtung obrigkeitlicher Kompetenzen kommt symbolisch und rituell in den Huldigungen zum Ausdruck, die Untertanen ihrem Herrn bei dessen Regierungsantritt leisten mußten. In einer äußerst gelungenen Formulierung ist die Huldigung als „Verfassung in actu" gekennzeichnet worden 7 , weil durch sie Herrschafts- und Rechtsverhältnisse als legitim eidlich bekräftigt wurden, gelegentlich aber auch in der verzögerten oder verweigerten Huldigung gerügt wurden. Dörfler leisten in der Frühneuzeit in der Regel einen Untertaneneid 8 , Städter einen Bürgereid. Räte in den Städten und Vierer auf dem Dorf leisten aber einen Amtseid auf die Gemeinde, und das kommunale Statutarrecht wird nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land, nachweisbar bis jetzt nur vereinzelt, beschworen 5 . In Oberdeutschland gehen Obrigkeit und Gemeinde besondere, fur den Raum typische Verbindungen ein, und zwar in Form einer kommunalen Repräsentation auf der territorialen Ebene, die mehrheitlich Landschaft genannt wird. Als das Fürststift Kempten zugunsten Bayerns säkularisiert worden war, wurde 1806 ein Gutachten über die „landständische Verfassung" im reichsunmittelbaren Fürststift Kempten erstellt. Sie verdiene, heißt es dort, schon deswegen eine besondere Würdigung, „als sie nach dem langwierigen Kampfe des Landes mit seinen Fürsten hervorgegangen ist". Das Gutachten bezog sich dabei auf die Auseinandersetzungen zwischen Äbten und Untertanen um 1500, die schließlich 1526 in einem umfassenden Vertrag beigelegt worden waren, der vornehmlich den personenrechtlichen Status der Bauern und die Verteilung und Aufbringung der Steuern regelte. Seitdem ist der Begriff Landschaft 'im Kemptischen für die institutionelle Vertretung der Untertanen belegt. Worin bestand die Besonderheit der Regierungsnormen? „Die [...] gewählten und von der Landesherrschaft bestätigten Landausschüsse machten stehts das Grund-Gesetz der Verfaßung im Auge - der Regierung zu jeder Zeit heilsame auf das Beste des Landes abzielende Vorschläge, achteten auf die Verfügungen der Regierung, halten selbe gegen die errichtete Landes-Verträge, vergleichen sie mit ihrem, und dem bäuerlichen Intereße Aller, berathen sich hierüber mit Männern, die vorzügliche Sachkenntniß haben, und denen sie ihr Zutrauen schenken können". Die Landschaft bildete demnach in den Ausschüssen ein Repräsentationsgremium aus, das verfassungskontrollierende und gesetzesinitiierende Kompetenzen hatte. „Vorzüglich in wichtigen Angelegenheiten" pflegten diese Ausschüsse „Rücksprache mit ihren Gemeinden" und sollte sich ergeben, „daß die von der Regierung getroffenen Verfugungen mit den Verträgen des Landes oder dessen Wohlfahrt überhaupt contrastieren; so machen sie dagegen gegründete schriftliche oder mündliche Vorstellungen, und bitten um Remedur, und im Falle ihnen dieses versagt würde, nehmen sie ihren Rekurs zu den [...] Justizstellen", gemeint waren Reichshofrat und Reichskammergericht, von deren Urteil es abhing, „ob die Regierung die landschaftlichen Vorschläge zu genehmigen hat, oder ob sie solche modifizieren, oder gar verwoerfen kann; ob

7 8 9

A. HOLENSTEIN, Huldigung, bes. 5 0 5 - 5 1 8 . Ebd., 2 1 7 - 4 7 8 . Vgl. die Literaturnachweise ebd., 33.

138

4

HERRSCHAFT UND OBRIGKEIT

einmal erlassene Verfügungen der Regierung aufzuheben, oder in ihren ganzen Weßen zu belassen sind" 10 . Das Gutachten spricht offenkundig die Sprache des frühliberalen Konstitutionalismus, vermittelt aber gerade deswegen eine wichtige Erfahrung. Im frühen 19. Jahrhundert konnte man offensichtlich dem Zusammenwirken von Obrigkeit und Gemeinde in der institutionalisierten Form der Landschaft parlamentarische Qualitäten zubilligen und älteren Verträgen Verfassungsrang zusprechen. Singularität kommt dem beschriebenen Fall keineswegs z u " . Landschaften nach dem Muster Kemptens gab es in den Adelsherrschaften Altshausen, Eglofs, Rothenfels, Tettnang, Trauchburg, Wolfegg, Wurzach und Zeil, in den Klosterherrschaften Buchau, Gutenzell, Ochsenhausen, Rot an der Rot, Rottenmünster, Weingarten, Weißenau, Zwiefalten und St. Gallen, sowie vereinzelt auch in den Territorien der Reichsstädte. Bäuerliche und bürgerliche Vertreter lassen sich in den Landtagen der habsburgischen Länder Tirol, Vorderösterreich und Schwäbisch-Österreich, in den Hochstiften Salzburg, Chur und Sitten, im Herzogtum Württemberg und den badischen Markgrafschaften nachweisen, wo sie je für sich oder gemeinsam eine Kurie neben Geistlichkeit und Adel bildeten. Auffällig ist die weitgehende räumliche Kongruenz von ständischer Repräsentation von Bürgern und Bauern und entwickelten kommunalen Strukturen. Ob in den ständischen oder ständeähnlichen Versammlungen überall Gemeinden vertreten waren, ist nicht restlos geklärt, so daß gewissermaßen noch offen ist, ob es sich um eine Untertanenrepräsentation oder um eine Gemeinderepräsentation handelt12, wenn nicht überhaupt mit dieser Alternative ein Scheinproblem diskutiert wird. Die bäuerlichen und bürgerlichen Vertreter in den badischen Markgrafschaften sind nach Ausweis der Landtagsabschiede einmal von ihren Amtern, das andere Mal von ihren Städten und Dörfern, dann von Flecken und Amtern delegiert worden. In der badischen Herrschaft Rötteln-Sausenberg wurde im 17. Jahrhundert zur Bestellung des Landtagsboten „die ganze Gemeind von Manns Personen, welche in der Ehe sind" 13 einberufen. Das Beispiel zeigt schön, daß man interpretatorisch den Akzent sowohl auf Gemeinde als auch auf Ehemänner, die Haushäblichen also, legen kann. In Tirol, Vorarlberg und Salzburg gehen die Einladungschreiben des Landesfursten zum Landtag an die Gerichte oder Landgerichte, die in den österreichischen Alpenländern am weitesten verbreitete Form der ländlichen Gemeinde. Teilweise gilt entsprechendes fur kleinere Herrschaften in Schwaben. In der Klosterherrschaft Ochsenhausen werden die Delegierten der Landschaft gemeindeweise bestimmt. 10 11

12

13

StAA, Regierung 3 0 6 5 a. Die folgende Darstellung kompromiert Material und Interpretationen, die ich in meinen Landschaften vorgelegt habe; belegt werden im folgenden nur Zitate und neuere Einsichten, die zeitlich nach dieser Arbeit entwickelt wurden. Vgl. dazu KARL BOSL, Repräsentierte und Repräsentierende. Vorformen und Traditionen des Parlamentarismus an der gesellschaftlichen Basis der deutschen Territorialstaaten vom 16. bis 18. Jahrhundert, in: Ders., Parlamentarismus, 9 9 - 1 2 0 . G L A K 120/910.

4.1

Gemeinde und Obrigkeit

139

Die Unsicherheiten, welche Art Repräsentation bei den Landschaften vorliegt, resultieren aus einer unbefriedigenden archivischen Dokumentation. In der Regel sind in den überlieferten Matrikeln oder Landtagsabschieden nur die Namen der Landtagsteilnehmer vermerkt, was aufwendige Rekonstruktionen über Urbare, Steuerbücher oder andere Quellen verlangt. Soweit den Namen eine Amtsbezeichnung beigegeben ist, handelt es sich um Ammänner, Untervögte, Bürgermeister, Geschworene oder wie immer sie heißen mögen. Wiewohl derartige Amtsinhaber von der Herrschaft eingesetzt worden sein konnten, läßt sich über gelegentlich gut dokumentierte Fälle belegen, daß auf kommunaler Ebene entschieden wurde, wer auf den Landtag geschickt wurde 14 . Bürgermeister oder Ammänner hatten somit ein kommunales Mandat und wurden wahrscheinlich wegen ihrer vergleichsweise großen politischen Erfahrungen als Landtagsboten bestimmt. Die Formen der Institutionalisierung und die Modalitäten der Verhandlungen waren fiir die Einflußnahme der Gemeinden von größter Bedeutung. Der klassische Landtag wurde vom Fürsten einberufen und geschlossen - das war so in Salzburg, Tirol, Vorarlberg, Schwäbisch-Österreich, Vorderösterreich, Württemberg und Baden. Verhandelt wurde aufgrund einer Proposition des Landesherrn, der üblicherweise Steuerforderungen vorlegte, die der Landtag im Rahmen eingespielter Normen regelmäßig mit Beschwerden beantwortete. Die Verhandlungen endeten mit einem Vergleich, dem Landtagsabschied, der in Form eines Kompromisses dem Fürsten die geforderten Mittel in stark gekürztem Umfang zubilligte und mindestens teilweise die Beschwerden durch entsprechende Mandate ausräumte. Allerdings konnte auch politischer Druck den Fürsten zwingen, die Stände einzuberufen, und in solchen Fällen waren sie es, welche die Verhandlungsgegenstände bestimmten und oft auch ihre Interessen durchsetzten. Ein illuminierendes Beispiel liefert das Bauernkriegsjahr 1525, in dem zur Krisenbewältigung zahlreiche Landtage einberufen wurden - selbst in Territorien, wo sie bislang nicht üblich waren - , die beispielsweise in Tirol, Salzburg und im Markgräflerland Landesordnungen verabschiedeten, was zeigt, daß es verfehlt wäre, alle politischen Initiativen beim Fürsten zu suchen. Die politischen Techniken, nach denen Landtage abliefen, sicherten den Gemeinden Einflußmöglichkeiten, die enorm dadurch gestärkt wurden, daß ein freies Mandat ursprünglich unbekannt war. Die kommunalen Repräsentanten mußten die Landtagsabschiede hinter sich bringen oder wie es anderwärts hieß ad referendum nehmen, also von ihren Auftraggebern, den Gemeinden, ratifizieren lassen. Es fanden folglich nach dem Landtag nochmals Gemeindeversammlungen statt, ohne deren Zustimmung kein Landtagsabschied Rechtskraft erlangen konnte. Es dauerte Monate, oft Jahre bis die Landtagsabschiede in allen Gemeinden ratifiziert waren. Das gilt, um auswahlweise zu sprechen, fiir die Malefizgerichtsordnung Kaiser Maximilians von 1499 in Tirol oder den Tübinger Vertrag von 1514 in Württemberg.

14

Es ist nicht ganz auszuschließen, daß die Landtagsboten ämterweise abgefertigt wurden. Herrschaftlichen Interessen könnte das entsprochen haben, weil die Ämter obrigkeitlicher Einflußnahme gegenüber weniger resistent waren - Württemberg ausgenommen, wo das Amt auch eine Genossenschaft darstellt - als Städte und Dörfer.

140

4

HERRSCHAFT UND OBRIGKEIT

Die Gemeinden hatten ihre guten Gründe, auf das imperative Mandat und das Referendum nicht zu verzichten. Häufig und stereotyp wurden die fürstlichen Steuerforderungen mit dem Argument heruntergehandelt, daß „sy [die Deputierten] solichs bei Iren gemaynden nit wissen zuerheben noch zu veranntwurten" 15 , und die Statuten „zu abbruch unnsern pruchen und altem herkhomen Raichen und dienen" könnten 16 . Es lag in der Logik dieser Politik, den Gewalt des Landtagsboten zu beschränken und alle Weiterungen an die gemeindliche Ratifikation zu binden. Erst im 17. Jahrhundert wurde allmählich und mühsam genug dieser prinzipielle Vorbehalt beseitigt, freilich eher aufgrund des massiven fürstlichen Drucks als aus Einsicht der Gemeinden. Die Landschaften kleinerer Territorien haben einerseits einen geringen, andererseits einen höheren Grad von Institutionalisierung erreicht. Landtage in der herkömmlichen Form waren nicht üblich, vielmehr kam es zu Verhandlungen mit dem Landesherrn häufig auf Druck der Landschaft selbst. Oft ging es um wichtige Fragen der Agrarverfassung, die einer Regelung bedurften, und so war das Ergebnis solcher Versammlungen meist ein verfassungsrechtlich wichtiges Dokument in Form eines Vertrags. Wo solche Verträge verletzt wurden, suchte man über die Gerichte eine Klärung der konkurrierenden Ansprüche herbeizufuhren, was seinerseits zu einer Reihe landtagsähnlicher Zusammenkünfte führte. Organisatorische Stabilität erhielten die Landschaften kleiner Territorien vornehmlich durch die Tage der Rechnungsabhör, auf denen die Rechnungsführung des Landschaftskassiers von den Landschaftsvertretern und der Obrigkeit geprüft wurde. Das war eine Plattform fur periodische, in der Regel jährliche Aussprachen, allerdings fehlen die Protokolle dieser Rechnungstage gänzlich. Die Repräsentation der Gemeinden läßt sich angesichts der Prinzipien, auf denen ständische Vertretung in Europa weitestgehend fußte, hinreichend plausibel erklären. Die anerkannte personale Berechtigung von Adel und hoher Geistlichkeit wurde früh schon von qualifiziertem Besitz, sprich Herrschaftsrechten abhängig gemacht. Nicht alle Fürstensöhne hatten Reichsstandschaft, um es kurz zu sagen, die Herzöge von Österreich nur insofern, als sie auch über Länder regierten. Das herrschaftlich-funktionale Moment tritt hier vor das ständisch-personale. Naheliegenderweise konnten damit auch Kommunen, wo sie analoge Funktionen ausübten, in die Landtage einrücken 17 . Das geschah seit 1400 mit wachsender Beschleunigung, nachdem sich die Gemeinden durch Satzungstätigkeit, Verwaltung und Gericht politische Funktionen gesichert hatten, und die so geschaffenen Rechtskreise verdienten respektiert zu werden, solange Territorialrecht als subsidiär gegenüber lokalem Recht galt. Landesordnungen mußten somit konsentiert werden. Das währte regional unterschiedlich lange, selten über das 17. Jahrhundert hinaus, bis Ausschußtage die Landtage mehr und mehr verdrängten und das imperative Mandat dem freien Mandat weichen mußte. Die Chronologie paßt nahezu nahtlos auf jene Epoche, die man als ausgeprägt kommunalistisch bezeichnen kann.

15 16 17

GLAK 79/1659. VLAB, Urkunde 6431. Gewaltbrief von Ammann und Gericht von Damüls von 1531. MICHAEL MITTERAUER, Grundlagen politischer Berechtigung im mittelalterlichen Ständewesen, in: K. Bosl, Parlamentarismus, 11—41.

4.1

Gemeinde und Obrigkeit Landschaften,

141

wie die Vertretungskörperschaften in großen und kleinen Territorien

Oberdeutschlands unterschiedslos heißen, verhandelten über Steuern, die Landesverteidigung und das territoriale Recht. O h n e landschaftliche Bewilligung ließen sich keine Steuern einziehen. Sie wurden immer in festen Höhen bewilligt, immer zweckgebunden und behielten immer den Charakter von Notsteuern

in extrem schwierigen Lagen des Landes. Deswegen die bevorzugte Bewilli-

gung fur Kriegszwecke, die Auslösung des Fürsten aus der Gefangenschaft, die Abwendung von Verpfändungen und Staatsbankrott. Daraus entstanden landschaftliche Finanzverwaltungen, die gigantische Transaktionen mit Anleihen und Steuervorfinanzierungen vornahmen und letztlich auch die Anerkennung und den Beifall des konstitutionellen Staates fanden, gerühmt als „Staatsbank oder Landes-Creditkasse" und als „die wohltätigsten Institute" 1 8 . Die Landesverteidigung, auf kleinste herrschaftliche Räume ursprünglich beschränkt - was es etwa den Toggenburgern erlaubte, ihrem Abt von St. Gallen die Heerfolge zur Befreiung Kaiser Maximilians mit dem Argument zu verweigern, es sei „zweifelhaftig, ob sie schuldig oder nit, iussu domini außerhalb der Grafschaft zu ziehen" 19 - , bedurfte des Konsenses, um sinnvoll organisiert zu werden. Deswegen sind alle großen Landesdefensionsordnungen mit ihren Aufmarschplänen, Verteidigungsanlagen, Alarmsystemen und gestaffelten Mannschaftsstärken Hervorbringen der Landtage. Die Landesordnung entstand in einem diskursiven Verfahren zwischen Landschaft und Obrigkeit, oft eingeleitet durch die ständischen Gravamina, die dann durch gemeinsame Kommission von Landtagsvertretern und fürstlichen Räten ausgearbeitet wurden. D i e Tiroler Landesordnung von 1 5 2 6 spiegelt die städtischen und ländlichen Gravamina, die auf einem Landtag in Innsbruck im Juni 1 5 2 5 verhandelt wurden, und über Landtagsberatungen erfolgten die Revisionen von 1 5 3 2 , 1 5 7 3 und 1 6 0 3 . D e r bayerische Landeskommissar, der 1 8 0 6 in seinem Gutachten die Verhältnisse Kemptens kommentierte, hat vielleicht nur scheinbar im Horizont der Diskussion um eine Verfassung des Königreiches Bayern argumentiert und war den konkreten Verhältnissen näher als man auf den ersten Blick glauben möchte. Das 18. Jahrhundert nämlich sah die Verhältnisse nur wenig anders und eröffnet damit bislang wenig bekannte Kontinuitäten. Die Deputierten der Kemptener Landschaft wurden nämlich in ihrem Amtseid darauf verpflichtet, darauf zu achten, daß den alten Verträgen „der mindeste abbruch nicht geschehe, sondern starcklich nachgelebt werde", und sie sollten weiter „alles das jenige thuen und verbindtlich handien, was des gesambten Landts Nuzen und Wohlfahrt erfordert. Gleichergestalten in sehr wichtigen Landts Angelegenheiten dem Landt die Eröffnung darvon thun, und solche in gemeinsambe Überleg- und Berathschlagung ziehen" 2 0 . Ein weiteres Prinzip des Parlamentarismus wurde insofern beachtet, als die Deputierten wegen ihrer Aufgaben „mit kei-

18

Zitiert P. BLICKLE, Landschaften, 521.

19

PAUL BOESCH, Das toggenburgische Militärwesen zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, In: Zeitschrift fur schweizerische Geschichte 24 (1944), 40. StAA, Klosterliteralien Kempten (Münchener Bestand) 219 1/5, fol. 1-3.

20

142

4

HERRSCHAFT UND OBRIGKEIT

nen Herrschaftlichen Aembteren und Stellen beladen seyn sollen" 2 1 . Repräsentanten der Landschaft können keine Beamten des Fürstabts sein.

4.2

GEMEINDE GEGEN OBRIGKEIT

„Also werdet ir sweren", heißt es im Bürgereid der Stadt Nördlingen von 1481, „burgermaistern und raten hie gehorsam zu sein, ihre gesetzt, ihre gepott und Ordnung zu halten". In fast gleichen Wendungen sind die Bürgereide in den meisten Städten bis ins 18. Jahrhundert abgefaßt. Die bäuerlichen Untertanen geloben ihrem Herrn gewöhnlich, „gehorsam vnnd gewertig zfl sein", wie der Huldigungseid in der elsässischen Grafschaft Hanau-Lichtenberg lautet, oder sie „schwören einen Aydt", wie das Huldigungsprotokoll des Hochstifts Augsburg von 1650 berichtet, dem „gnedigsten Fürsten und Herren [...] Bischoven zu Augspurg [...] getreu, pottmessig, gerichtbar, steuerbar, raißbar, dienstbar und gehorsam [zu] sein" 2 2 . Bürger und Bauern versprechen ihren Magistraten, ihren Obrigkeiten, ihren Herrschaften den Gehorsam, und sie unterstreichen die Ernsthaftigkeit dieses Versprechens durch einen Eid. Dennoch gibt es einen breiten Strom von Klagen der Obrigkeiten über ihre „ungehorsamen" Untertanen, die „eidvergessen", „meineidig", „treulos" an ihrer Obrigkeit gehandelt hätten. Ungehorsam ist vom 14. bis 18. Jahrhundert der allgemeinste begriffliche Nenner fur das, was die Quellen auch als „Spenn und Irrung",

„ A u f r u h r

u

n

t

j

Empörung" bezeichnen. Uber die

Kategorie Ungehorsam lassen sich Erscheinungen aufeinander beziehen und als zusammengehörig beschreiben, die in der wissenschaftlichen Diskussion völlig getrennt behandelt werden: Bürgerprotest und Bauernunruhen. Durch die eidliche Bekräftigung des Gehorsams läßt sich aus dem breiten Strom von Widersetzlichkeiten, den es immer gegeben hat, eine Zeit als relativ geschlossen aussondern, die vom 14. bis ins 18. Jahrhundert reicht und in der die Legitimität von Obrigkeit durch Eid begründet und bekräftigt wird. Ungehorsam bricht auf an der Nahtstelle von Obrigkeit und Gemeinde. Städtische Revolten, um mit ihnen zu beginnen, sind eine verbreitete Erscheinung in der Geschichte Oberdeutschlands. Sie quantitativ zu erfassen bleibt schwierig, weil bislang keine eindeutigen Kriterien dafür entwickelt wurden, wann Widerspruch, Widersetzlichkeiten, Unruhen als Revolten zu qualifizieren seien. Die Schätzungen für das Reich insgesamt schwanken zwischen 200 Stadtrevolten fur das gesamte Spätmittelalter und 2 0 0 Aufständen allein fur die Frühphase der Reformation 2 3 . Für die Frühneuzeit fehlen genauere Zahlen, allein für das 17. Jahrhundert sind 30 größere Stadtrevolten gezählt worden 2 4 . 21

22

23 24

Confirmation Caesarea Über den Haupt-Vergleich- U n d Neben-Receß Zwischen dem HochFürstl. Stifft Kempten, und dessen Unterthanen de A n n o 1732 & 1737, [Kempten 1737], Artikel 14. - D o r t auch eine Funktionsbeschreibung der Deputierten und Ausschüsse, die möglicherweise in die Amtseide eingearbeitet wurde. D i e vorliegende Confirmatio Caesarea hat fiir das Fürststift Kempten Verfassungsrang. Viele Belege bei A. HOLENSTEIN, Huldigung [durchgehend]. D i e Zitate SAARBRÜCKER ARBEITSGRUPPE, Huldigungseid und Herrschaftsstruktur im Hattgau (Elsaß), in: Jahrbuch fiir westdeutsche Landesgeschichte 6 (1980), 1 1 7 - 1 5 5 . - P. BUCKLE - R. BLICKLE, Schwaben, 4 4 7 . Zahlen aus Literatur komprimiert in meinen Unruhen, 8. C h . R. Friedrichs, T o w n Revolts, 4 0 - 5 1 .

4.2

Gemeinde gegen Obrigkeit

143

Zwei Beispiele sollen verdeutlichen, was beim „Bürgerprotest" konkret vorliegt. In Straßburg kam es 1 3 0 8 , wie ein Chronist berichtet, zu ,,ein[em] gescholle zwischen! den edeln und dem gediegenen zft Strasburg", das damit endet, daß „die edeln [...] des gedigenen 16 erschlugent". D e r „Gedigen", die Gemeinde also, hatte sich gegen die „Edlen", die Adeligen aus der ehemals staufischen und bischöflichen Ministerialität und die Fernhändler, erhoben. Ein zweiter Aufstand 1 3 3 2 war erfolgreicher: Eine Chronik kommentiert das Ergebnis mit dem Satz: „Sus [so] kam der gewalt us der herren hant an die antwerke" 2 5 . Die Bürgerschaft, organisiert in Handwerke oder politische Zünfte, hatte sich während des Aufstandes der Schlüssel der Stadttore bemächtigt und damit verhindert, daß die Straßburger Geschlechter Hilfe von ihren adeligen Verwandten im Elsaß erhielten, und sie hatten das Stadtsiegel und das Stadtbanner an sich genommen und damit Symbole der städtischen Herrschaft usurpiert. D e r Aufstand von 1 3 3 2 führte schließlich zu einem tiefgreifenden Verfassungswandel. D e r neue Rat umfaßte 5 0 Mitglieder, die je zur Hälfte von den 2 5 Zünften und den bislang fuhrenden Familien gestellt wurden. Damit war die bislang exklusiv adeligpatrizische Herrschaft gebrochen. Z u den besonders spektakulären Stadtrevolten der Frühneuzeit gehört, falls ein Blick an den Rand des oberdeutschen Raumes erlaubt sein sollte, der „Fettmilch"-Aufstand von 1 6 1 2 - 1 6 1 4 in Frankfurt 2 6 . Seinen Namen verdankt er einer der herausragenden Personen der Bewegung, Vinzenz Fettmilch, seine Bedeutung der besonderen Gewaltsamkeit, der langen Dauer und den komplizierten Konfliktebenen. Anläßlich der Wahl von Matthias zum deutschen Kaiser 1 6 1 2 in Frankfurt wurden Rat und Bürgerschaft eidlich auf die Gewährleistung der Sicherheit des Königs oder der Kurfürsten verpflichtet, widrigenfalls - so ein Passus in der Eidformel - der Stadt die Privilegien entzogen würden. D i e Bürgerschaft verlangte die Verlesung der Privilegien und verknüpfte damit Beschwerden - gegen den W u cher der Juden und die hohen Kornpreise. Sie unterstrich die Ernsthaftigkeit ihrer Forderungen auf zweifache Weise: indem sie sich an den Kaiser wandte und bewaffnete Patrouillen die Straßen kontrollieren ließ. Das führte einerseits zur Einsetzung einer kaiserlichen Kommission, andererseits zur Bildung eines Bürger-Ausschusses. I m Verlauf der Verhandlungen erweiterte sich der Beschwerdekatalog der Bürgerschaft. Uber die Arroganz der Patrizier, ihre Cliquenwirtschaft, ihre Pflichtverletzungen wurde geklagt. Zünfte seien am Regiment stärker zu beteiligen, die städtischen Finanzen zu überprüfen, das Steuerwesen neu zu gestalten. Die kaiserliche Kommission erarbeitete als Kompromiß einen „Bürgervertrag", wie er genannt wurde. Sieben eigens vereidigten Bürgerdeputierten sollten die städtischen Privilegien verlesen werden, die Hälfte der 3 6 Ratsmitglieder war künftig von der Bürgerschaft zu ernennen, Zinsen durften eine H ö h e von 8 % nicht übersteigen. D o c h der Kompromiß der kaiserlichen Kommission erwies sich als schwer praktikabel. Anläßlich der Bürgermeisterwahl 1 6 1 4 wurden einzelne Ratsmitglieder gefangengenom-

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Zitiert bei K. CZOK, Zunftkämpfe, 137 f.

26

MATTHIAS MEYN, Die Reichsstadt Frankfurt vor dem Bürgeraufstand von 1 6 1 2 bis 1614. Struktur und Krise, Frankfurt a. M . 1 9 8 0 . - GERALD L. SOLIDAY, Α Community in Conflict. Frankfurt So-

ciety in the 17th and the Early 18th Century, Hannover 1974.

144

4

HERRSCHAFT UND OBRIGKEIT

men, der alte Rat insgesamt zum Rücktritt gezwungen und gedrängt, die Stadt zu verlassen. Der Kaiser reagierte auf diese Vorgänge damit, daß er die Acht über Fettmilch und seine Anhänger verhängte. Das führte zum Umschwung in der Stadt. Die Zünfte distanzierten sich nach und nach von den Führern des Aufstands, nach einem halben Jahr konnten die alten Räte zurückberufen und in ihre Amter wieder eingesetzt werden, Fettmilch und seine Anhänger wurden gefangengesetzt27. Wie lassen sich solche Ereignisse deuten? Zwei Beispiele taugen allenfalls zur Illustrierung, naturgemäß nicht zur Generalisierung. Doch mittlerweile weiß man, daß es offenbar eine große Kontinuität innerstädtischer Unruhen vom ausgehenden Hochmittelalter bis ins 18. Jahrhundert gab. Die Bürgerschaften von Straßburg und Frankfurt verlangen eine verfestigtere politische Repräsentation. Generell kommt es bei einer wirklichen oder vermeintlichen Mißwirtschaft des Rates, bei exorbitanten finanziellen Mehrbelastungen oder bei Eingriffen in das Marktgeschehen zu Unruhen. Ziel ist eine stärkere Finanzkontrolle durch die Gemeinde und die Eingrenzung der Macht des Rates28. Elaborierte Theorien liegen solchem Handeln nicht zugrunde, im Gegenteil reifen und präzisieren sich die Ziele erst im Verlauf eines Aufstandes, ausgehend vom amorphen Protest einzelner städtischer Gruppen über die Artikulation des Protestes in der Gemeinde zur Institutionalisierung des artikulierten Protestes mittels eines Gemeindebeschlusses29. Weniger kategorisch und mehr praktisch formuliert: die Bürgerschaft läuft zusammen, besetzt die Stadttore, bildet einen Ausschuß, der beim Rat in Verhandlungen die Forderungen durchdrückt und kehrt dann über eine neuerliche Eidesleistung der Gemeinde wieder zu den normalen Verhältnissen zurück. Zwar besteht zwischen Rat und Bürgerschaft ein wechselseitiges Verhältnis von Schutz und Gehorsam, doch die Gemeinde sieht im Rat immer und zuerst ihr repräsentatives Organ, nicht ihre Obrigkeit, und insofern galt selbst bei den Zeitgenossen der Auflauf der Gemeinde als „legitim"30. Die Häufigkeit der Unruhen, ihre gleichbleibende Stoßrichtung, im Rahmen der bestehenden städtischen Verfassung politische Repräsentation sozial zu verbreitern, nicht aber die Verfassung zu stürzen und schließlich die Legitimität des Protestes haben dazu gefuhrt, den Begriff Zunftrevolution gegen Bürgerkämpfe auszuwechseln31. Gänzlich befriedigend ist weder die ältere, noch die jüngere Benennung, weil das Grundproblem darin lag, angesichts

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30

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Das Ergebnis interpretiert bei RAINER KOCH, Grundlagen bürgerlicher Herrschaft. Verfassungsund sozialgeschichtliche Studien zur bürgerlichen Gesellschaft in Frankfurt am Main ( 1 6 1 2 - 1 8 6 6 ) (Frankfurter Historische Abhandlungen 27), Wiesbaden 1983, 10 f. K. CZOK, Städtische Volksbewegungen, 5, 44. Ergänzend explizit für den norddeutschen Raum, dennoch weitgehend generalisierbar WILFRIED EHBRECHT, Hanse und spätmittelalterliche Bürgerkämpfe in Niedersachsen und Westfalen, in: Niedersächsisches Jahrbuch 48 (1976), 87. OTTHEIN RAMMSTEDT hat diese Sequenzen scharf herausgearbeitet und in den größeren Rahmen einer „Theorie der sozialen Bewegung" eingebettet. Vgl. DERS., Soziale Bewegung, Frankfurt a.M. 1978. - DERS., Stadtunruhen 1525, in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Der Deutsche Bauernkrieg 1 5 2 4 - 1 5 2 6 , Göttingen 1975, 2 3 9 - 2 7 6 . Herausgearbeitet vor allem WILFRIED EHBRECHT, Bürgertum und Obrigkeit in den hansischen Städten des Spätmittelalters, in: Wilhelm Rausch (Hg.), Die Stadt am Ausgang des Mittelalters, Linz 1974, 2 7 6 f. Zur Debatte K. CZOK, Städtische Volksbewegungen, 7 2 und E. MASCHKE, Städte, 21.

4.2

Gemeinde gegen Obrigkeit

145

des Repräsentationsverständnisses, das allein das Regiment des Rates legitimierte, Verfahren für die Ratsbesetzung zu finden, welche Patrizier und Oligarchen nicht übermächtig werden ließen. Das freilich war angesichts der Ehrenamtlichkeit aller Amter und der beschränkten Abkömmlichkeit der Handwerker praktisch nicht zu haben 3 2 . Insoweit können die innerstädtischen Auseinandersetzungen als prinzipiell unlösbare Verfassungskonflikte verstanden werden, was ihre Permanenz erklären hilft. Die Ehrenamtlichkeit ist ein Infektionsherd jeder Stadtverfassung, weit über den oberdeutschen Bereich hinaus. Umgekehrt erlaubt das allerdings auch, eine Einsicht von OTTO BRUNNER, die er an Hamburg und Wien gewonnen hat, zu regionalisieren, nämlich „daß es Auseinandersetzungen zwischen Rat und Bürgergemeinde von der Art der sogenannten .Zunftrevolutionen' in allen Jahrhunderten vom 14. bis ins 18. Jahrhundert gegeben hat [...]. Auch kehren dieselben Streitpunkte, wie Widerspruch gegen die Außenpolitik des Rates, Verweigerung der Steuern, Vorwürfe der lässigen Amtsführung, der Bestechlichkeit, der Mißbräuche in der Rechtsprechung und der Cliquenwirtschaft häufig wieder" 33 . Brunners Interesse galt der Frage, wie vor dem Horizont der europäischen Souveränitätsdebatte die Städte ihre inneren Probleme lösten, und er kommt schließlich zu der Überzeugung, entsprechend ihren im Mittelalter ausgebildeten Verfassungsstrukturen hätten die Städte die an sich widersinnige Konstruktion einer auf zwei Träger, Rat und Bürgerschaft, verteilten Souveränität geschaffen 34 . Auch in der politischen Klimazone des europäischen Absolutismus gelingt es nicht, die Gemeinde von der Souveränität wegzudrängen. Bauernunruhen sind mindestens so zahlreich wie Stadtunruhen. Darunter lassen sich so unterschiedliche ausmachen wie der Appenzellerkrieg mit seiner weitreichenden Perspektive, eine parallele politische Organisation zur Schweizer Eidgenossenschaft schaffen zu wollen, oder die regional beschränkte Erhebung in der elsässischen Grafschaft Pfirt 35 . Nach einer Unterbrechung durch den Bauernkrieg von 1525 gehen die Unruhen in der Frühneuzeit unvermindert weiter. Für Hessen lassen sich zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und der Französischen Revolution mehr als 50 Erhebungen registrieren; für Oberösterreich sind zwischen 1500 und 1800 48 Revolten errechnet worden; nahezu zahllos scheinen die im Gemenge mit den Unruhen liegenden Prozesse vor fürstlichen Hofgerichten und Reichsgerichten 36 . Viele Herrschaften waren über lange Zeiträume hinweg von Unruhen betroffen. Nimmt man umfassendere prinzipielle Beschwerdeschriften zum Kriterium, dann kam es beispielsweise in der Herrschaft Triberg auf dem Schwarzwald zu größeren Konflikten 1486,1493,1495,1498,1504, 1517,1525,1620-1630,1654-1658,1680-1683,1706-1717,1730-1740 und 1767-1771 37 . Einige Fälle seien herausgegriffen, um nicht nur den quantitativen, sondern auch den

32 33

34 35 36

E. MASCHKE, Städte, 21. O . BRUNNER, Souveränitätsproblem, 2 9 6 .

Ebd., 320. Überblick P. BIERBRAUER, Bäuerliche Revolten, 62-65. RENATE BLICKLE - CLAUDIA ULBRICH - PETER BIERBRAUER, L e s m o u v e m e n t s p a y s a n s d a n s l ' E m p i r e

allemand 1648-1806, in: Jean Nicolas (ed.), Mouvements populaires et conscience sociale XVIe-XIXe socles, Paris 1985, 21-29. 37

C . ULBRICH, Triberg.

146

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HERRSCHAFT UND OBRIGKEIT

qualitativen Aspekt bäuerlichen Widerstandes zu erfassen. In der Klosterherrschaft Ochsenhausen - ein immer wieder hervorziehbares Prunkstück, um den Perspektivenreichtum des Kommunalismus zu demonstrieren - verlangten 1496 die Dorfgemeinden vom Abt eine Verbesserung ihrer Rechtsstellung. Lastensteigerung und Rechtsminderung wurden dem Kloster vorgeworfen: der Einzug der Erbschaft als Neuerung, die Heiratsbeschränkungen als unkanonisch. D a das Kloster die Beschwerde als unberechtigt abwies, verweigerten die Bauern 1498 die Huldigung, 1501 schlossen sie „bey nächtlicher weyl" eine Einung, sperrten dem Kloster die Abgaben und drohten dem Klostervogt mit militärischem Vorgehen. Jetzt griff der Schwäbische Bund militärisch ein und erzwang die Unterwerfung der Bauern. Allerdings vermittelte er auch jenen schon erwähnten Vergleich, der zu einer erheblichen Verbesserung der bäuerlichen Rechtsstellung führte: die Klostergüter wurden von Fall- in Erblehen umgewandelt; die Kinder konnten nach Abzug einer zehnprozentigen Abgabe und nach Entrichtung von Besthaupt (bestes Stück Vieh im Stall) und Gewandfall (bestes Kleid) an das Kloster das elterliche Vermögen erben 3 8 . Lange blieb die Interpretation von GÜNTHER FRANZ verbindlich, bei Bauernunruhen handele es sich um die Auseinandersetzung zwischen dem werdenden Territorialstaat und den auf ihren alten Rechten beharrenden Gemeinden 3 9 . Damit wurde ihnen ein konservierender, bewahrender Charakter unterlegt. Das Beispiel Ochsenhausen, das freilich nur sehr ausschnitthaft die perspektivische Weite bäuerlichen Widerstandes einfängt, zeigt, daß mit dieser Interpretation nicht auszukommen ist, obschon sie einen zentralen Nerv des zugrundliegenden Problems trifft. „Das politische Handeln der Bauern erscheint weit weniger als defensive Reaktion auf herrschaftliche Herausforderungen und weit stärker als ein nach vorwärts gerichtetes Ringen um eine angemessene Beteiligung bei der Gestaltung der politischen und sozialen Verhältnisse" 40 . Dieses Urteil ist vornehmlich durch eine genauere Untersuchung des Revoltenverlaufs und die Modalitäten seiner Beilegung abgestützt worden 4 1 . Der Revolte gehen Gemeindeversammlungen voraus, innerhalb der Gemeinden vollzieht sich der Willensbildungsprozeß und im Erfolgsfall geht die Gemeinde gestärkt aus einer Unruhe hervor. Der Erfolgsfall ist dann gegeben, wenn ein Konflikt, wie in Ochsenhausen, durch Vertrag oder Schiedsspruch beendet wird. Als Urkunde ausgefertigt und dem Zugriff der Herrschaft dadurch entzogen, daß sie in der nächsten Reichsstadt oder in einer fernen Kirche deponiert wird, gehört der Vertrag zu den elementaren bäuerlichen Rechtsbeständen und seine Verletzung wird bis zum Ende des Alten Reiches immer wieder von den Bauernschaften bei den höchsten Territorial- oder Reichsgerichten eingeklagt 4 2 . Inhaltlich gravitie-

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K n a p p P. BLICKLE, Landschaften, 1 1 2 - 1 1 6 . D a s Urteil ist von ihm am Bauernkrieg von 1525 analytisch entwickelt, aber auch auf die vorgängigen und nachfolgenden Aufstände ausgedehnt worden. GÜNTHER FRANZ, Der deutsche Bauernkrieg, Darmstadt 1 0 1 9 7 5 . - DERS., Bauernstand, 1 3 2 - 1 3 6 , 1 8 3 - 2 0 0 . P. BIERBRAUER, Bäuerliche Revolten, 4 0 f. - Sein empirischer Aufweis erfolgte besonders über DERS., Gemeinde im Berner Oberland. I m wesentlichen belegt im S a m m e l b a n d von PETER BUCKLE - PETER BIERBRAUER - RENATE BLICKLE - CLAUDIA ULBRICH, Aufruhr und Empörung? Studien zum bäuerlichen Widerstand im Alten Reich, M ü n c h e n 1980.

4.2

147

G e m e i n d e gegen Obrigkeit

ren solche Verträge auf Fragen der bäuerlichen Besitzrechte und des persönlichen Rechtsstatus der Bauern, tendenziell gehen sie dahin, die zeitlich beschränkte Leihe des Hofes hin zum Erbrecht zu verbessern und scharfe Ausprägungen der Leibeigenschaft durch Verringerung der Erbschaftsabgaben, Erweiterung der Freizügigkeit und Ausdehnung der Heiratskreise zu entschärfen. In der Neuzeit wird das Prozessieren, dank des Ausbaus der Gerichtsinstanzen im Reich und in den Territorien und wegen des fursdichen Interesses, durch gerichtliche Entscheidungen politische Macht zu akkumulieren, immer üblicher und gewinnt geradezu eine modische Qualität. WINFRIED SCHULZE hat das die „Verrechtlichung sozialer Konflikte" genannt 43 . Zwar prozessieren seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nicht mehr nur Gemeinden, sondern auch Syndikate. Dennoch bleibt der gemeindliche Rückbezug von Unruhen bis ins 18. Jahrhundert sehr ausgeprägt. Regional mögen Knabenschaften und Frauen für den bäuerlichen Widerstand wichtig gewesen sein, unerläßlich freilich scheint der Rückhalt in der Gemeinde. Vom Streik der Industriegesellschaft trennt den bäuerlichen Widerstand, „daß offenbar soziökonomische Ungleichheits- und Schichtungsmerkmale [...] nicht in dem Ausmaße Achsen sozialen Widerstandshandelns darstellen, wie dies [...] im 19. und 20. Jahrhundert mehr und mehr der Fall ist" 4 4 . Zwanzig Jahre lang sind städtische und ländliche Konflikte erforscht worden, unter europäischer, nationaler und regionaler Perspektive. Der Interpretationsrahmen war vornehmlich ein ökonomischer. Jahrelang wurden Debatten geführt, ob Unruhen wegen der Erhöhung grundherrlicher Abgaben oder staatlicher Steuern ausbrechen. Für Marxisten waren Bauernunruhen angesichts der Klassengegensätze im Feudalismus dieser so genannten Gesellschaftsformation immanent und somit letztlich gar nicht erklärungsbedürftig. Konfliktverursachend ist „im Grunde jede Maßnahme, die zur Intensivierung der Ausbeutung, zur Verstärkung der Abhängigkeit, zur Verschärfung der Herrschaft fiihrte". Damit handelt es sich von Seiten der Bauern vorwiegend um „Abwehrreaktionen",

U

m „Sicherung der Exi-

stenz- und Reproduktionsbedingungen kleiner Warenproduzenten" . Bauernunruhen sind 45

folglich hinsichtlich des historischen Prozesses neutral. Bei Stadtunruhen liegen die Dinge prinzipiell anders, denn bei ihnen geht es „um die Aufhebung oder Eingrenzung feudaler Rechte und Abhängigkeiten und um ökonomische, politische und rechtliche Autonomie".

42 43

44

45

P. BLICKLE, Landschaften. Erstmals sinngemäß WINFRIED SCHULZE, D i e veränderte Bedeutung sozialer Konflikte im 16. und 17. Jahrhundert, in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Der Deutsche Bauernkrieg 1 5 2 4 - 1 5 2 6 , Göttingen 1975, 2 8 1 . Elaboriert DERS., Bäuerlicher Widerstand, 141. - Empirisch breit belegt von WERNER TROßBACH, Bauernbewegungen im Wetterau-Vogelsberg-Gebiet 1 6 4 8 - 1 8 0 6 . Fallbeispiele zum bäuerlichen Widerstand im Alten Reich, Darmstadt-Marburg 1985. - DERS., Soziale Bewegung und politische Erfahrung. Bäuerlicher Protest in hessischen Territorien 1 6 4 8 - 1 8 0 6 , Weingarten 1987. ANDREAS SUTER, Die Träger bäuerlicher Widerstandsaktionen beim Bauernaufstand im Fürstbistum Basel 1 7 2 6 - 1 7 4 0 : Dorfgemeinde- Dorffrauen - Knabenschaften, in: W. Schulze, Aufstände, 90. GÜNTER VOGLER, Bäuerlicher Klassenkampf als Konzept der Forschung, in: W . Schulze, Aufstände, 36.

148

4

HERRSCHAFT UND OBRIGKEIT

Im Erfolgsfall stiften sie neue Eigentumsverhältnisse - bürgerliches Eigentum an beweglichen Sachen zuerst, dann an Grund und Boden. Damit war eine andere Form des Eigentums geschaffen, als sie „die auf feudalem Grundeigentum beruhende Produktionsweise in der Regel aufwies", und somit beginnt sich neben Feudaladel und Bauern eine „eigene Klasse" auszubilden46. Es ist sicher richtig, die ökonomischen Belastungen in Form von Steuern, Abgaben und Fronen nicht zu vernachlässigen. Man darf aber auch den, keineswegs nur von Marxisten vertretenen ökonomischen Erklärungsansatzung reduktionistisch finden, weil er mit einer Anthropologie arbeitet, die der Moderne verdächtig nahe steht. Fronen konnten auch bekämpft werden, weil sie einem Menschenbild widersprachen47, das Leibeigenschaft nicht mehr duldete. Es ist erwiesen, daß die Leibherrschaft viel öfter und prinzipieller angegriffen wurde als die Grundherrschaft oder Vogtei, zwei in ihren wirtschaftlichen Folgen fur den einzelnen viel spürbarere Rechtstitel. Abgaben und Steuern konnten angefochten werden, weil sie die Hausnotdurft gefährdeten und dem Gemeinen Nutzen nicht dienten. Untertanen bestritten ihrer Obrigkeit in der Regel nicht, zur Sicherung von Frieden und Recht und zur angemessenen Repräsentation die nötigen Mittel einzuheben, sie fanden aber überbordenden Luxus oder Kriege ganz entbehrlich48. Die Bedeutung der Unruhen läßt sich über die sie beendenden Verträge messen. Der Inhalt dieser Verträge berührt die persönliche Rechtsstellung der Bauern und die Rechtsform der Güter, die Kompetenzen der Gemeinde und die Gerichtsverfassung. Für das Land und die Stadt sind sie mit Verweis auf ihre „verfassungsähnliche Qualität" gewürdigt worden49. Langfristig gesehen verbessern sich die Rechtsformen der Liegenschaftsnutzung und verringern sich die Folgen der Unfreiheit. Die Gemeinde stärkend sind sie nicht immer, sondern nur zeitenweise gewesen. Ausgangs des Spätmittelalters konnten Unruhen zur dauerhaften politischen Repräsentation von Gemeinden in Form der Landschaft führen - in Salzburg, Berchtesgaden, Kempten und anderen kleineren Herrschaften. Sie konnten die Gemeinde aber auch zur Republik weiterentwickeln wie in Appenzell, Graubünden und Wallis, wie gleich zu zeigen sein wird. Zu den Gemeinsamkeiten gehört, daß Unruhen Auseinandersetzungen zwischen Ge-

46

47 48

49

GÜNTER VOGLER, Probleme der Klassenentwicklung in der Feudalgesellschaft, in: Zeitschrift fur Geschichtswissenschaft 21 (1973), 1183, 1187, 1191. - Ergänzend generell DERS., D i e Dialektik von Klassenentwicldung und sozialen und politischen Bewegungen in der Feudalgesellschaft Mittel- und Westeuropas vom 1 1 . - 1 8 . Jahrhundert, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 20 (1972), 1 2 3 4 - 1 2 4 0 . Die folgenden Argumente zusammengestellt in P. BLICKLE, Unruhen, 9 6 - 1 0 9 . Basierend stark auf RENATE BLICKLE, Agrarische Konflikte und Eigentumsordnung in Altbayern 1 4 0 0 - 1 8 0 0 , in: W . Schulze, Aufstände, 1 6 6 - 1 8 7 . - Der empirisch breiteste Beleg ist die Arbeit von HARTMUT ZÜCKERT, Soziale Grundlagen der Barockkultur in Süddeutschland (Quellen und Forschungen zur Argargeschichte 33), Stuttgart-New York 1988. Begriff von WINFRIED SCHULZE, „Geben Aufruhr und Aufstand Anlaß zu neuen heilsamen Gesetzen". Beobachtungen über die Wirkungen bäuerlichen Widerstandes in der Frühen Neuzeit, in: Ders., Aufstände, 2 7 6 . - Für die Stadt sinngemäß E. MASCHKE, Städte.

4.2

Gemeinde gegen Obrigkeit

149

meinden und Obrigkeiten sind. Das ist auf den ersten Blick für die Stadt stringenter zu belegen als für das Land. Die klassische Konfliktlage in der Stadt heißt Gemeinde versus Rat. Der Satz gilt mit einem deutlichen Vorbehalt, weil bislang nur Reichsstädte in der wünschenswerten Breite untersucht worden sind. Wo Unruhen in landesherrlichen Städten stattfinden, ist der Stadtherr beziehungsweise der ihn vertretende Vogt immer auch Adressat des Protestes50. Die Grenzen zum bäuerlichen Widerstand werden damit eher fließend. Von Bauernrevolten sollte man nur sprechen, wenn alle Untertanen einer Herrschaft oder eine erkennbare Mehrheit sich daran beteiligen. Nicht jeder Konflikt zwischen einer Gemeinde und ihrem Grundherrn ist eine Revolte. Dennoch bleibt der Tatbestand hervorzuheben, daß den Unruhen Gemeindeversammlungen vorausgehen, die institutionell unerläßlich sind für die Willensbildung und ökonomisch für die Finanzierung eines Aufstands. Haben Unruhen die historische Entwicklung beeinflußt? Was folgt aus der Beobachtung, daß die in den Städten ausgebildeten Kategorien persönliche Freiheit und Eigentum ein abgeschwächtes, aber vernehmliches Echo in der bäuerlichen Sphäre im Abbau der Leibeigenschaft und dem Fortschreiten des Erbrechts haben? Führt die Spurensicherung des Wohlfahrtsstaats in Deutschland auch in den Bereich von Gemeinem Nutzen und Auskömmlichkeit? Arbeitet der staatsbürgerlichen Gleichheit die rechtliche Gleichstellung des adeligen Herrn und seiner Bauern vor dem fürstlichen Hofrat, dem Reichshofrat oder dem Reichskammergericht vor? WINFRIED SCHULZES These von der Verrechtlichung sozialer Konflikte seit dem Bauernkrieg von 1525 ist selbstredend zur Moderne hin offen, wie auch seine Auffassung, Revolten hätten in Deutschland die Diskussion um die Menschenrechte gefördert 51 . Welche Brückenfunktion die Unruhen für den Übergang vom altständischen 18. Jahrhundert in die Moderne übernehmen können, hat ANDREAS WÜRGLER gezeigt 52 . Die städtischen und ländlichen Unruhen zwischen 1691 und 1784 in den Städten und Territorien Basel, Bern, Frankfurt am Main, Freiburg im Breisgau, Fribourg, Hanau-Lichtenberg, Kempten, Toggenburg und Zürich 53 , anders gesprochen die Unruhen des 18. Jahrhunderts, gewinnen ihr eigenes Profil durch eine bislang ganz unbekannte Publizität. Allein im Zusammenhang mit den Toggenburger Wirren von 1699 bis 1718 - einem Konflikt zwischen dem Abt von St. Gallen und seinen Untertanen in der Grafschaft: Toggenburg - sind über 79 Flugschriften und Broschüren entstanden, die in Augsburg, Bern, Köln, Konstanz, Regensburg, St. Gallen, Zürich und Zug gedruckt wurden. Die Toggenburger hatten 1703 vom Landvogt die Einsicht in ihre alten Rechte gefordert und erbrachen, als ihnen dies verweigert wurde, das Archiv. Damit ein „jeder Ehrlicher Landmann selbsten lesen und wfissen möge/ was

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KLAUS GERTEIS, Repräsentation und Zunftverfassung. Handwerkerunruhen und Verfassungskonflikte in südwestdeutschen Städten vor der Französischen Revolution, in: Zeitschrift fur die Geschichte des Oberrheins 2 2 (1974), 2 7 5 - 2 8 7 . WINFRIED SCHULZE, D e r bäuerliche Widerstand und die „Rechte der Menschheit", in: Günter Birtsch (Hg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft u n d Geschichte (Veröffentlichungen zur Geschichte der Grund- u n d Freiheitsrechte 1), Göttingen 1981, 4 1 - 5 6 . A. WÜRGLER, Öffentlichkeit. Ebd., 4 6 - 1 1 5 .

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4

HERRSCHAFT U N D OBRIGKEIT

ey[g] entlich der Inhalt der Toggenburggerischen Landt-Rechts-Briefen seye" wurden sie flugs „in Truck" gegeben und im folgenden Jahr propagandistisch für die bäuerlichen Rechte mit der Flugschrift „Unvorgreiffliche und eylfertige Untersuchung der Toggenburgischen Landts-Freyheiten" geworben 54 . Uber die Berner Henziverschtvörungvon 1749 - um kurz einen Blick auf die bei Würgler besonders gut dokumentierten Schweizer Städte zu werfen - berichteten, neben anderen, Zeitungen in Berlin, Hamburg, Wien, Frankfurt, Leiden und Avignon. 122 (in Worten: einhundertzweiundzwanzig) Artikel erschienen über dieses Ereignis in insgesamt 14 Presseorganen, davon 13 außerhalb der Schweiz. Ahnliche Unruhen hatte es schon früher in Zürich gegeben. Bezeichnenderweise forderten 600 Männer, zwei Drittel der Aktivbürgerschaft, „zu höchst nöthiger reformation eine gemeind zum großen münster" einzuberufen. Dort hatte man schon im 14. Jahrhundert in Verbindung mit dem Bürgereid in Form der Geschworenen Briefe Verfassungstexte beraten, geschrieben und beschlossen. Es ist so auch wenig verwunderlich, wenn der theoretische Kontrapunkt zum Aufruhr lautet, es „stehet undisputierlich der höchste Gewalt, bey dem Burger-Meister, denen Klein und Großen Rähten, und gantzer Gemeindt der Stadt Zürich, welchem ganzen Leib, dann zustehet das Recht, Krieg, Frid, Pündtnußen, und Gesetze zflmachen, wie auch die Regiments-Form, je nach Beschaffenheit der Zeiten abzuenderen" 55 . „Fundamentalgesätz" werden sie an anderer Stelle genannt, deren Druck schließlich auch durchgesetzt wurde. Angeblich haben nicht nur Zeitungen in Zürich, sondern auch in Bern und Den Haag es fur Wert gehalten, über die Vorgänge zu berichten. Damit kann W Ü R G L E R die Entstehung der Öffentlichkeit mit einer neuen These anders als bislang üblich begründen. „Was die Aufklärer im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts zu praktizieren begannen, das hatten die Prozeß- und Streitschriften zu den Unruhen seit mindestens hundert Jahren vorexerziert: die an das richtende Publikum adressierte öffentliche politische Kritik" 56 . Die aus der Kritik sich ergebenden Ziele waren Publizität des Politischen anstelle der bisher praktizierten Arkanpolitik, Versammlungsfreiheit anstelle der bisher verbotenen oder nur mit obrigkeitlicher Zustimmung erlaubten Gemeindeversammlungen und breitere politische Partizipation für Bauern und Bürger anstelle ihrer Monopolisierung durch Fürsten und deren bürokratische Klientel oder städtische Oligarchen. Es ist ohne weiteres einsichtig, daß solche Ergebnisse an die Geschichte des 19. Jahrhunderts anschlußfähig sind 57 . Wenn im Verlauf der Unruhen von Bürgern verlangt wird, die alten mittelalterlichen Stadtrechte zu publizieren, und von Bauern, die alten Weistümer und Offnungen in den Druck zu geben, dann wird man hierin Vorläufer der im frühen 19. Jahrhundert lebhaft geführten Debatte um eine Konstitution sehen müssen 58 . Denn Stadtrechte und Offnungen verfugen im

54 55 56 57

Zitate und Belege ebd., 118. Zitiert ebd., 80. Ebd., 187f. Reizvoll auch der Vergleich mit L. GALL, Liberalismus.

4.3

Gemeinde als Obrigkeit

151

Rahmen vorkonstitutioneller Verhältnisse ganz zweifellos über eine verfassungsrechtliche Qualität 59 .

4.3

G E M E I N D E ALS O B R I G K E I T

1401 schlossen zwölf Gemeinden im Appenzell im Herrschaftsgebiet des reichsunmittelbaren Klosters St. Gallen mit der Reichsstadt St. Gallen ein befristetes Bündnis 60 , sich wechselseitig politischen, rechtlichen und militärischen Beistand zu leisten, sollte einer der Bündnispartner befehdet oder in seinen Rechten gekränkt werden. Kaum verhohlen richtete sich das Bündnis gegen das Stift St. Gallen, denn, gestützt auf eher schwache Rechtstitel, verlangten die Appenzeller Freizügigkeit, Erbrecht, Steuerreduktion und Beteiligung bei der Einsetzung der Ammänner. Weder die Forderungen noch das Bündnis konnte das Kloster dulden. Aus dem angemeldeten Widerspruch entwickelte sich ein förmlicher Prozeß mit dem Ergebnis, daß die Unrechtmäßigkeit des Bündnisses gerichtlich festgestellt wurde. Die Appenzeller folgten dem Urteilsspruch allerdings nicht, militärische Auseinandersetzungen waren die Folge. In zwei Schlachten wurden wohlgerüstete Heere der klösterlichen Verbündeten durch die Appenzeller geschlagen: das der schwäbischen Reichsstädte und das des Herzogs von Österreich. Zwei Wochen nach der letzten Schlacht erneuerten die Appenzeller und die Stadt St. Gallen ihr Bündnis, dem nun rasch und begeistert städtische und ländliche Gemeinden der Nachbarschaft beitraten. „Es war in den selben tagen ein louf in die puren komen", berichtet eine Chronik, „dass sie alle Appenzeller woltent sin und wolt sich nieman gegen inen weren". Kaum drei Monate vergingen, bis der Bund den Thurgau und Vorarlberg und Teile des westlichen Tirols und des südlichen Allgäus umfaßte. Im „Bund ob dem See"61 fand das Unternehmen eine wohl gewollt programmatische Bezeichnung in Anlehnung an den „Oberen Bund", wie die schweizerische Eidgenossenschaft zu dieser Zeit nicht selten genannt wurde. Die Verfassung des Bundes läßt sich angesichts einer verständlichen Quellenarmut nur in

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A. WÜRGLER, Öffentlichkeit, 318-321. - Vgl. zu den Zielen des 19. Jahrhunderts L. GALL, Liberalismus, 324-356, hier 325. Ein Überblick über die völlig anders fragende, aus dem 19. Jahrhundert kommende Protestforschung bei LOTHAR GALL, Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft (Enzyklopädie deutscher Geschichte 25), München 1993, 93-97. UB St. Gallen 4, 6 1 0 - 6 1 3 Nr. 2211. BENEDIKT BILGERI, Der Bund ob dem See. Vorarlberg im Appenzellerkrieg, Stuttgart 1968 [Belege für den Namen 86-90], - WALTER SCHLAFFER, Die Appenzeller Freiheitskriege, in: Appenzeller Geschichte. Zur 450-Jahrfeier des Appenzellerbundes 1513-1963, Appenzell 1964, 121-226. [Nach Abschluß des Manuskripts sind zwei Studien erschienen, die einerseits den Bund ob dem See als bürgerlich-bäuerlichen Zusammenschluß gegen Fehden erklären, andererseits eine detailliertere I n n e n a n s i c h t d e r g e m e i n d l i c h e n E n t w i c k l u n g i m A p p e n z e l l g e b e n . KARL HEINZ BURMEISTER, D e r

Bund ob dem See, in: Peter Blickle - Peter Witschi (Hgg.), Appenzell - Oberschwaben. Begegnungen zweier Regionen in sieben Jahrhunderten, Konstanz 1997, 65-83, und STEFAN SONDEREGGER, Die Aufnahme der Appenzeller „lendlin" in den Schwäbischen Städtebund, in: ebd., 33-64.]

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4

HERRSCHAFT UND OBRIGKEIT

Umrissen erkennen. Zwischen 1405 und 1408 dürften um die 15 Bundestage stattgefunden haben, zu denen die ländlichen und städtischen Gemeinden ihre Ammänner und Bürgermeister schickten. Mit Mehrheitsbeschlüssen wurden hauptsächlich militärische und steuerliche Fragen entschieden, fur Weiterreichendes war, ähnlich dem Verfahren auf Landtagen, das Hintersich bringen, gemeindliche Ratifizierung also, unerläßlich. Differenzen unter den Bundesgliedern schlichtete oder entschied ein Gericht, wie es auch Landfriedensbünde kannten. Eine institutionelle Verfestigung hat der Bund nicht erfahren. Der aufgeschreckte schwäbische Adel, der zahllose Burgen verloren hatte, organisierte sich selbst in der Gesellschaft mit St. Jörgenschildhün&isch und besiegte schließlich bei Bregenz die Appenzeller. An diesem Ereignis ist zweierlei bemerkenswert: die Aggressivität der Appenzeller und die rasche Ausbreitung des Bundes auf die umliegenden Regionen. Beides erklärt sich aus derselben Wurzel, der hohen politischen Autonomie der Gemeinden. Damit läßt sich beweisen, was an anderen Regionen bekräftigt werden soll: Der Kommunalismus als politische Organisationsform des Alltags zeigt eine hohe Affinität zur freistaatlichen Republik als Staatsform. Für das Appenzell läßt sich belegen, daß in den letzten 50 Jahren vor der Gründung des Bundes ob dem See die Rechte der dortigen Gemeinden erkennbar wuchsen. Formal belegt das schlaglichtartig die Untersuchung der Urkunden: noch in den 1370er Jahren war keine einzige Gemeinde im Appenzell siegelfähig, um 1400 waren es bereits alle größeren62. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts lassen sich letztmals St. Galler Ministeriale als Ammänner in Appenzell nachweisen, seitdem besetzten die einheimischen Geschlechter die Amter. 1377 traten die fünf Gemeinden Appenzell, Hundwil, Urnäsch, Gais und Teufen dem schwäbischen Städtebund bei. Das fuhrt zu einer neuen und vom Kloster gänzlich unabhängigen Institution in Form eines von den Bauern des ganzen Landes gewählten dreizehnköpfigen Landsrats zur Organisation der steuerlichen und militärischen Verpflichtungen gegenüber dem Bund. Der rasche Zusammenbruch der adeligen, klösterlichen, ja selbst der habsburgischen Herrschaft im östlichen Bodenseeraum war spektakulär. Er hat den König und die Fürsten noch im 15. Jahrhundert lange beschäftigt. Es hatte nur einer gestürmten Burg bedurft, um Dutzende von Gemeinden und Tausende von Bauern und Bürger gegen ihre Herrschaften zu mobilisieren. Der Raum war, wie in den vorangehenden Kapiteln mehrfach belegt wurde, in hohem Maße kommunalisiert. Rund 100 Jahre später vollzogen sich ähnliche Vorgänge in den angrenzenden Herrschaften des Hochstifts Chur, allerdings weniger gewaltsam, dafür mit um so dauerhafteren Folgen und Erfolgen. Formlose Verhandlungen zwischen dem Bischof einerseits und dem Domka-

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Die Corroboratio zu UB St. Gallen 4, 195 Nr. 1771 sagt deutlich, daß die klösterlichen Ammänner für die Gemeinden Appenzell, Hundwil, Urnäsch, Gais und Teufen siegeln, „won wir aigner insigel niht hattent". - Nach einer Urkunde von 1401 (UB St. Gallen 4, 612 Nr. 2211) haben „die lender, dörfer und gegninen Appacell, Huntwile, Trogen, Goss&v und Herisftv iekliches besunder ir aigen insigel offenlich gehenkt an disen brief'.

4.3

Gemeinde als Obrigkeit

153

pitel, dem ministerialischen Adel, der Stadt Chur und den Großgemeinden in den umliegenden Alpentälern Domleschg, Schams, Oberhalbstein, Bergeil, Oberengadin und Unterengadin lassen sich seit etwa der Mitte des 14. Jahrhunderts nachweisen 63 . Man kann das landtagsähnliche Versammlungen nennen, die 1367 allerdings eine bemerkenswerte Veränderung und institutionelle Verfestigung in Form der Gründung des sogenannten Gotteshausbundes «rfuhren. Als Kanzler Kaiser Karls IV. weilte der Bischof häufig außer Landes, was die Stände veranlaßt haben mag, politisch enger zusammenzurücken. Der Bundesbrief von 1367 verlangt die Zustimmung des Gotteshausbundes bei der Bestellung der Administratoren des Hochstifts und bei der Veräußerung von Gütern 6 4 . Seitdem gewannen die Boten der Gemeinden und Täler zunehmend Einfluß auf die Politik des Landes, denn die Ministerialen fehlen bald in den Matrikeln und das Domkapitel tritt gleichfalls in den Hintergrund 6 5 . Gotteshaustage zur Steuerbewilligung und zur Beratung politischer Fragen bürgerten sich ein, die von Seiten der Gemeinden durch Boten mit einem imperativen Mandat beschickt wurden. Hinter sich bringen war also auch hier wie bei den Tagsatzungen des Bundes ob dem oder den Landtagen im benachbarten Tirol oder Vorarlberg erforderlich 66 . Die sich allmählich verschiebenden politischen Gewichte führten 1524 und 1526 zu verfassungsrechtlichen Friktionen. Der Gotteshausbund vereinigte sich mit dem benachbarten ZehngerichtebundnnA dem Grauen Bundzxi den Drei Bünden oder, wie es bald heißen sollte, Graubünden und kündigte dem Bischof und dem Domkapitel die wichtigsten Herrschaftsrechte 67 . Diese zwangsweise Säkularisation wurde dadurch formal rechtsförmig gemacht, daß die Gemeinden um lächerliche Summen dem Stift seine Herrschaftstitel abkauften. Politisch folgenreich war zweierlei: die Aufhebung des bischöflichen Gerichts als oberste Appellationsinstanz und die Aufstockung der gerichtlichen Zuständigkeiten der Gemeinden bis zur Hochgerichtsbarkeit 68 . Die nach der Gründung erfolgten Wahlkapitulationen für den Bischof wurden jetzt nicht mehr vom Domkapitel, sondern von den Gemeinden geschrieben und waren ein probates Druckmittel, den erreichten Zustand durch das bischöfliche Plazet absichern zu lassen. Die rechtsgeschichtliche Forschung Graubündens spricht deswegen von einer „Demokratie" 69 , die sich in Graubünden seit dem 16. Jahrhundert entwickelt habe, beziehungsweise von einer Verlagerung der „Souveränitätsrechte ganz auf die Gesamtheit der Gemeinden des gemeinen Gotteshauses" 70 . Das ist, will man mit neuzeitlichen Kategorien überhaupt arbeiten, sicher richtig, und widerspricht auch nicht zeitgenös-

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O . CLAVUOT, G o t t e s h a u s b u n d , 5 2 9 - 5 3 2 .

64

Ebd., 529 f. - E. MEYER-MARTHALER, Rechtsentwicklung, 98 f. O. CLAVUOT, Gotteshausbund, 540-544. - E. MEYER-MARTHALER, Rechtsentwicklung, 103.

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E. MEYER-MARTHALER, R e c h t s e n t w i c k l u n g , 1 0 7 - 1 1 5 . PETER LIVER, D i e staatliche E n t w i c k l u n g

im alten Graubünden, in: Zeitschrift für Schweizerische Geschichte 13 (1933), 206-248, hier 208. Die beiden sogenannten Ilanzer Artikelbriefe druckt Constanz Jecklin (Hg.), Urkunden zur Verfassungsgeschichte Graubündens, in: 13. Jahresbericht der historisch-antiquarischen Gesellschaft von Graubünden, Chur 1883, 83-95. OSKAR VASELLA, Die bischöfliche Herrschaft in Graubünden und die Bauernartikel von 1526, in: Zeitschrift fur Schweizerische Geschichte 22 (1942), 1-86, bes. 53, 56, 66 f. P. LlVER, Demokratie [Die Untersuchung, 1929 erschienen, arbeitet bemerkenswerterweise stark mit Kategorien Max Webers und einem reflektierten Demokratie-Begriff.].

154

4

HERRSCHAFT UND OBRIGKEIT

sischen Einschätzungen. J E A N B O D I N zählte die Drei Bünde zu den „am stärksten demokratisch geprägten Ländern", die freilich durch ihre Lust zu „seditions" und „pleine liberte" ständig an der Grenze zur Anarchie manövrieren würden 71 . Richtig und wichtig bleibt die Feststellung, daß die Gerichts-, Militär- und Steuerhoheit fortan bei den 48 Gemeinden des Landes lag72. Der Umsetzung des reichsunmmittelbaren Hochstifts Chur 7 3 auf eine Republik ging ein Prozeß der Kommunalisierung voraus, der verschiedene Wurzeln hatte. Ausgangspunkt waren politische Großgemeinden wie das Unterengadin und deren Unterteilungen, im vorliegenden Fall Terzen geheißene Wirtschaftsgemeinden 74 . Der politische Autonomiebereich beider Korporationen verstärkte sich durch die Auswaschung älterer hofrechtlich organisierter Grundherrschaften mittels der schrittweisen Durchsetzung des Erbrechts an Liegenschaften, eine Entwicklung, die einerseits durch die Walser begünstigt wurde, die, aus dem Rhonetal kommend, in der Regel zu besonders guten Besitzrechten angesiedelt wurden, andererseits durch gezielte Freikäufe der Gemeinden erreicht wurde 75 . Der adelige Einfluß ging so nach und nach zurück und wirkte sich politisch in einer wachsenden statutarischen Tätigkeit der Kommunen aus76. Ein starker Beleg für diese Entwicklung ist die fur das Unterengadin verschriftlichte und erlassene Hoch- und Niedergerichtsordnung von 1519. An ihr waren als Landesherr der Bischof von Chur, Kaiser Maximilian als Landesfiirst von Tirol mit ansehnlichen Besitztiteln im Engadin und schließlich „alle comeunern des undern Engadeins" beteiligt77. Die Bildung einer Republik aus kommunalen Wurzeln läßt sich dank rechtshistorischer und hervorragender volkskundlicher Arbeiten besonders gut am Wallis verfolgen, das noch 1521 als ein Hochstift des Reiches in der Matrikel gefuhrt wird, von dessen Bewohnern es jedoch 100 Jahre später heißt, sie „vermeinendt, ein fry Volk zu sein, als in einer fryen Republic" 78 . Als Graubünden benachbarte Region mag es als am weitesten nach Süden vorge-

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E. MEYER-MARTHALER, Rechtsentwicklung, 105. - [Seit kurzem liegt für die Verfassungsverhältnisse, namentlich auch das Spannungsverhältnis zwischen Bund und Gemeinden im 16. Jahrhundert eine innovatorische Arbeit vor von RANDOLPH C. HEAD, Early Modern Democracy in the Grisons. Social Order and Political Language in a Swiss Mountain Canton, 1470-1620, Cambridge 1995. Neuester summarischer Überblick bei JON MATHIEU, Geschichte der Alpen 1500-1900. Umwelt, Entwicklung, Gesellschaft, Wien-Köln-Weimar 1998, 158-163.] JEAN BODIN, Les six Livres de la R^publique, Paris 1583 [Nachdruck Aalen 1961], 340. Zusammenfassend PETER STADLER, Das Zeitalter der Gegenreformation, in: Handbuch der Schweizer Geschichte, 1. Bd., Zürich 1972,612. Chur wird in den Reichsmatrikeln des 15. Jahrhunderts geführt und teilt die Höhe seines Steueranschlags in der Regel mit dem der Hochstifte Augsburg und Basel. Auf Einzelheiten einzugehen verbieten die zahlreichen regionalen Varianten und die je eigene Begrifflichkeit, die jede Detailbeschreibung notwendigerweise sehr weitläufig machen müßte. Die Zusammenhänge deckt auf PETER LIVER, Geschichtliche Einleitung zu A. Schorta, Rechtsquellen U n t e r e n g a d i n , 1 3 - 6 9 , bes. 2 1 , 4 5 - 4 9 .

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P. LLVER, Demokratie, 61, 82. - Ein interessanter Einzelfall des schrittweisen Freikaufs beschrieben für die Gemeinde Schams bei O. CLAVUOT, Gotteshausbund, 541. E. MEYER-MARTHALER, Rechtsentwicklung, 125 f. A. Schorta, Rechtsquellen Unterengadin, 600-618.

4.3

Gemeinde als Obrigkeit

155

schobener Außenposten Oberdeutschlands noch mit in die Überlegungen einbezogen werden. Die Schweizer Eidgenossenschaft bleibt damit immer noch ausgespart. Im Hochstift Sitten tritt seit dem frühen 14. Jahrhundert ein consilium terrae Vallesii in Erscheinung, das im 17. Jahrhundert als Landrat die Regierung übernommen hat. 300 Jahre, mit einer dramatischen Beschleunigung um 1500, dauert der Prozeß der Umformung zur Republik. W i e sich das consilium generale zusammensetze, läßt sich einem von ihm 1428 erlassenen Hexenmandat entnehmen. Der Bischof war vertreten durch seinen „balliuus Vallesii", das Land „per patriotas Vallesii cum communitatibus tarn Alamanorum quam etiam Romanorum cum plena potestate desenorum patrie Vallesii" 79 . Communitas und desena sind verschiedene Institutionen, was etwa durch die Wendung „nuncii et procuratores omnium communitatum et desenorum" bekräftigt wird 80 . In den, allerdings erst spät einsetzenden deutschsprachigen Quellen, heißen sie Gemeinden und Zenden. Als Landrat erließen sie 1435 mit dem Vertreter des Bischofs eine Gerichtsverfassung, arbeiteten 1446 ein Landrecht aus und erzwangen gewaltsam dessen Publikation 81 . Seitdem lassen sich Verteter der Gemeinden und Zenden bei der Ausarbeitung aller Rechtskodifikationen, Satzungen und Mandate belegen 82 . Rechtsfortschreibungen und Satzungen wurden offenbar um 1500 zunehmend zu politischen Auseinandersetzungen zwischen dem Bischof und dem Landrat. Als „communitates omnium desenorum patrie Vallesii in vnum" erließen sie Mandate 8 3 . 1517 wurde ein sogenannter Landfrieden „durch rat und gemeinden der landtschaft Wallis" beraten und verabschiedet und offenbar gewaltsam gegen bischöfliche Interessen durchgesetzt. „Gewaltiglich mit allen banneren" waren die sieben Zenden deswegen nach Sitten vor die bischöfliche Residenz gezogen. Der Text, dessen Redaktion offensichtlich unter Ausschluß von Bischof und Domkapitel erfolgt war, gewann über die landrechtlichen Materien hinaus Verfassungsqualität dadurch, daß die Wahlmodalitäten fur den Bischof festgelegt wurden. Neben das Domkapitel trat jetzt die Landschaft als Wahlgremium 8 4 . Rechtskräftig wurde die Landfrieden genannte Verfassung dadurch, daß die später gewählten Bischöfe sich über die Wahlkapitulationen zu deren Anerkennung verpflichten mußten. 1571 fand die Verlagerung politischer Kompetenzen auf den Landrat darin ihren Abschluß, daß er zur obersten Gerichtsinstanz des Landes wurde, Appellationen an den Bischof also ausgeschlossen waren 85 . Symbolisch

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79 80 81

Zitiert bei W . A. LIEBESKIND, Referendum, II. - Die Beziehungen zum Reich beschreibt GR£GOIRE GHIKA, L'indipendence du Valais ä l'^gard du Saint-Empire, in: Annales valaisannes 2 3 ( 1 9 4 8 ) , 389-448. Ediert bei A. Heusler, Rechtsquellen Wallis, Nr. 15. Ebd., Nr. 16. Ebd., Nr. 16, Nr. 18. Zur Interpretation L. CARLEN, Landrecht, 3 ff. - Die gewaltsame Durchsetzung ergibt sich aus D. Imesch, Walliser Landraths-Abschiede, 381.

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L . CARLEN, L a n d r e c h t .

83

A. Heusler, Rechtsquellen Wallis, Nr. 2 1 . Text D. Imesch, Walliser Landrats-Abschiede, 3 7 8 - 3 8 3 Nr. 108. - Interpretation L. CARLEN, Landrecht, 19-22.

84

156

4

HERRSCHAFT UND OBRIGKEIT

fand dieser Machtwechsel seinen Ausdruck darin, daß die Gemeinden und Zenden dem Bischof seit dem 17. Jahrhundert nicht mehr huldigten und der Landrat durch den Landeshauptmann anstelle des Bischofs einberufen wurde86. Näher zu klären bleibt, inwiefern die Republik Wallis Gemeinden zur Voraussetzung hat und auf ihnen aufruht. Der Walliser Landrat, ursprünglich mit größter Wahrscheinlichkeit ein bischöfliches Ratskollegium, dem neben den nachweisbaren Domkapitularen auch Adelige angehört haben können, setzte sich zuletzt nur mehr aus Vertretern der Zenden und Gemeinden zusammen. Deren Vertreter treten als nuntii, Ratsboten und Gesandte in Erscheinung und verfugten über ein imperatives Mandat. Entsprechend mußten, wie es seit dem späteren 17. Jahrhundert heißt, die Landräte die Landtagsberatungen „ad referendum" nehmen. Erst die Zustimmung der Korporationen, welche die Boten delegiert hatten, verlieh einem Abschied Rechtskraft87. So konnten die Walliser die Landratssitzungen „souveränische Session" nennen und von „Räte und Gemeinden als dem höchsten Gewalt" sprechen88. Bei den Zenden, sieben waren es insgesamt, handelt es sich mutmaßlich um ursprüngliche Gerichtsbezirke mit der damit üblicherweise verbundenen militärischen Hoheit. Der Zenden Goms entschied beispielsweise am 30. Juni 1549 über die Anwendung des Landrechts und die Bezahlung der Kriegsdienste89. Der hier auf rechtliche und militärische Funktionen zugespitze Kompetenzbereich läßt sich über die Amter sichern, die schon seit dem 14. Jahrhundert durch Wahl vergeben wurden. Den Vorsitz im Gericht führte ein Kastlan oder Meier, ein Hauptmann befehligte das Aufgebot, das offenbar zendenweise erfolgte90. Falls der Zenden auf ein älteres placitum zurückgehen sollte, fand er jedenfalls im gut belegten Zendenrat seinen Nachfolger. Für eine Kontinuität spricht die Periodizität der 85 86

87

88

89

90

L. CARLEN, Landrecht, 4 9 . L. CARLEN, G o m s , 2 1 . - W . A. LIEBESKIND, Referendum, 4 2 . - Gelegentlich wurde d e m Landeshauptmann schon im 16. Jahrhundert der Gehorsam geschworen. D i e Belege lassen sich als Regesten über die Dokumentation der Landratsabschiede erschließen (dort über die Register unter Bischof u n d Landeshauptmann und den Unterbegriff Gehorsamsentgegennahme). Vgl. Hans-Robert A m m a n n (Hg.), D i e Walliser Landrats-Abschiede seit dem Jahr 1500, 7. Bd., Brig 1988, 3 3 8 f. [als Beispiel], Auch bei den großen Rechtskodifikationen fand dieses Verfahren Anwendung. Sie sind als Beilagen den Abschieden mitgegeben u n d galten als deren integrale Bestandteile. Dazu W . A. LLEBESKIND, Referendum, 6 7 . - BERNARD TRUFFER, Les Reces de la Difcte valaisanne, source primordiale de l'histoire de notre pays du 16e au 18e sifccle, in: Annales valaisannes 5 7 (1982), 1 4 5 - 1 5 5 . Zitiert bei W . A. LlEBESKIND, Referendum, 23. - Ergänzend GREGOIRE GHIKA, La fin de l'itat corporatif en Valais et l'itablissement de la souveraineti des dizains au X V I I i m e siecle (University de Geneve, Faculty de droit 4 5 0 ) , Sion 1947. L. CARLEN, G o m s , 19. - D i e Zendenversammlung beschließt darüber hinaus, beim Glauben der römischen Kirche zu bleiben. Für andere Sitzungen ist belegt, daß auf ihnen Bündnisse (etwa mit Innerschweizer Orten) beschlossen wurden. Vgl. P. ARNOLD, Bündnisse und Verträge der Walliser mit den Eidgenossen 1 2 5 2 - 1 8 1 5 , in: Blätter aus der Walliser Geschichte 14 (1865/66), 5 - 7 3 , bes. 7 - 3 0 . L. CARLEN, G o m s , 19. - DIONYS IMESCH, Der Zenden Brig bis 1798, in: Blätter aus der Walliser Geschichte 7 (1934), 1 4 4 - 1 4 7 , 2 0 2 ff. - D i e Zendenarchive sind nach Auskunft von W . A. LIEBESKIND (Referendum, 26) nicht sehr reichhaltig, die Untersuchungen entsprechend wenig aufschlußreich.

4.3

G e m e i n d e als O b r i g k e i t

157

Sitzungen, zu denen ad hoc einberufene Zendenversammlungen vor und nach Landtagen traten. Was Gemeinden waren läßt sich über eine politische Anekdote entschlüsseln. 1361 wurde das Wallis verpflichtet, dem Grafen von Savoyen eine Kriegsentschädigung von 13 0 0 0 fl zu zahlen. Zahlreiche Gemeinden, darunter etwa Münster oder Zermatt, weigerten sich, ihre Anteile zu entrichten mit dem Argument, sie seien an den Friedensverhandlungen nicht beteiligt worden. Als der Bischof ins obere Wallis ritt, um die ausstehenden Summen einzutreiben und seine Autorität zu sichern, wurde er kurzerhand von den Gemeinden elf Wochen gefangengesetzt 91 . Münster und Zermatt waren keine Zenden, sondern eher Wirtschaftsgemeinden. Seit dem 13. Jahrhundert tauchen solche unter dem Namen

communitas

auf. Sie verfugten über Prokuratoren, die auch syndici, custodes und gubernatores heißen, und hatten ein Satzungsrecht, allerdings offenbar nur im wirtschaftlichen und polizeilichen Bereich. Spätestens seit dem 15. Jahrhundert besaß jede Gemeinde ihr frei gewillkürtes Dorfrecht, dem auch die herrschaftliche Approbation meistens fehlt, weil sie gar nicht gesucht werden mußte 9 2 . Allein im Zenden Goms sind 4 7 solcher gewillkürter Dorfrechte nachgewiesen. Inhaltlich umschreiben sie den weiten Bereich dessen, was im Wallis noch heute Gemeinwerk heißt, „Gmeinwärch" ist der Ausdruck in den frühneuzeitlichen, „opus comune" in den spätmittelalterlichen Texten. Die Gemeinde war demnach eine Institution, die auf gemeinsamer Arbeit, gemeinsamer Beschlußfassung und gemeinsamen Festen aller Gemeindemitglieder gründete. Das komplizierte System der Bewässerung der Wiesen durch Ableitung der Gletscherbäche über Holzaquädukte entlang der Felsen, das Abernten der Gemeindeäcker, der Weinbau an Steilhängen, die Bestoßung der Alpen und die Unterhaltung der Wälder als Schutz gegen Lawinen konnten nur im Gemeinwerk bewältigt werden. Es gab Gemeinden, in denen an einem bestimmten Tag im März alle Männer von 18 bis 65 Jahren aufgeboten wurden, Mist in die Rebberge zu fuhren und wo jeder Mann in der Gemeinde einen Tagwan für den Hausbau des Nachbarn leistete 93 . Nur in Katastrophenfällen wurden alle Männer aufgeboten. Üblicherweise wurde das Gemeinwerk häuserweise geleistet, noch um 1900 wurde so zur Arbeit aufgeboten. Die naturbedingten Schwierigkeiten des Wirtschaftens setzten jedem ökonomischen Individualismus engste Grenzen. Freilich gab es Eigentum und individuelle Nutzung, aber notwendigerweise stand das kollektive Arbeiten im Vordergrund. Tausch erfolgte nicht mittels Geld, sondern durch Arbeitsleistungen, Entlohnung, soweit sie überhaupt herkömmlich war, durch Brot, Käse und Wein, so daß sich mühelos um die Arbeitskultur eine Festkultur entwickelte. In den Weinbergen die Trauben unter dem Spiel von Pfeifern und Trommlern zu lesen, war nicht unüblich. So war jeder, vom Kind bis zum Greis, der „Dorf-

51

LOUIS CARLEN, G e r i c h t u n d G e m e i n d e im G o m s vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution (Arbeiten aus dem juristischen Seminar der Universität Freiburg/Schweiz 3 1 ) , Freiburg/Schweiz 1967, 57.

92

JOSEF BIELANDER, D i e Bauernzünfte als D o r f r e c h t , in: Blätter aus der Walliser Geschichte 5 ( 1 9 4 4 ) , 5 0 9 - 5 8 8 . - Ergänzend LOUIS CARLEN, Dorfgerichte im Wallis, in: Zeitschrift für Walliser Rechtsprechung 1 ( 1 9 6 9 ) , 1 - 1 2 . - Grundlegend A. NIEDERER, G e m e i n w e r k .

93

Alle Belege bei A. NIEDERER, Gemeinwerk, 12, 3 6 , 7 2 , 7 9 f.

158

4

HERRSCHAFT UND OBRIGKEIT

depp" eingeschlossen, seinen physischen Fähigkeiten entsprechend nützlich, denn die erforderlichen Arbeiten waren fiir alle erlernbar und von allen beherrschbar. Kraft und Geschicklichkeit schufen gesellschaftliche Differenzierungen, im wesentlichen beförderte das Gemeinwerk das Egalitäre, das sich bis in den institutionellen Rahmen der Arbeitsorganisation fortpflanzte - ins Dorf. Amter zu übernehmen, war Pflicht, deswegen gingen sie oft von Hof zu Hof, verhinderten so Oligarchisierungen und Machtverklumpungen. Das Gemeinwerk als Institution hat die revolutionären Umbrüche um 1800 mühelos überstanden. Bis in die 1950er Jahre waren die Veränderungen trotz der Industrialisierung im Rhönetal bescheiden. Die Frühgeschichte der Fotographie liefert dafür beeindruckendes Bildmaterial 94 . Aus Arbeit, Alltag und Fest im Wallis folgt, „man war niemals allein", doch was die Menschen als Zwang empfinden mochten, wurde durch das Fehlen eines Mangels mehr als aufgewogen, denn „man war auch nie einsam" 95 .

4.4

ZUSAMMENFASSUNG

Kommunalismus erträgt Herrschaft. Das ist das wichtigste Ergebnis des Hin- und Herwendens des Zusammenhangs von Gemeinde und Herrschaft. Allerdings begünstigt er fürstliche, adelige und geistliche Herrschaft nicht. Das Verhältnis zwischen beiden ist das einer latenten Spannung, die, falls sich Auflösungen im Sinne der Gemeinden anbieten, zugunsten der Republik als Staatsform fallen. Der Satz besteht seine Probe auch in der Umkehrung. Absolutistische Regimentsformen setzen sich durch, indem sie die Gemeinde politisch entmachten. Oberdeutschland hat dem Landesfiirstentum, was heute vorzeitig rasch mit frühmodern gleichgesetzt wird, wenig Entwicklungsmöglichkeiten gegönnt. Ob man das rückständig nennen muß, ist nicht erwiesen. Eine Rekapitulation jener Prinzipien, die in die Moderne des 19. Jahrhunderts weisen, lassen daran jedenfalls berechtigte Zweifel aufkommen. Appenzell, Graubünden und das Wallis sind politisch glatter in die moderne Gegenwart gekommen als Preußen oder Bayern. Mediatisierung, Säkularisierung und Bauernbefreiung waren dort jedenfalls nicht nötig, um einen modernen Staat zu schaffen. Wo Gemeinde als Obrigkeit auftritt, pflastert sie Wege in die Moderne mit einem soliden Belag. Forderungen nach einer Konstitution sind längst vor dem 19. Jahrhundert laut geworden, und zwar immer dort, wo die autoritativen Züge zu stark wurden, das monarchische Muster der Arkanpolitik zu plan kopiert und damit die kommunale Verfassung der Gesellschaft Gefahr lief, in ihrem Lebensnerv getroffen zu werden. Auch wo Gemeinde gegen Obrigkeit auftritt, läßt sich daraus ein Gewinn an Modernisierung ziehen. Aus der zeitgenössischen Definition der Landschaften ergibt sich - nicht nur soweit deren gemeindliche Vertreter sprechen, auch der Kaiser bedient sich über seine Kommissare der nämlichen Terminologie - ein Verständnis von politischer Repräsentation, das dem des Parlamentarismus 94

V g l . A . NIEDERER, A l p i n e A l l t a g s k u l t u r ,

95

Ebd., 367.

388^68.

4.4

Zusammenfassung

159

des 19. Jahrhunderts ähnelt, wo nicht gleicht. Wo Gemeinde und Obrigkeit m einem synthetisierenden Ausgleich fanden, konnten Repräsentativkörperschaften der Kommunen zu Initiatoren von Gesetzen werden und zu Hütern der Verfassung. In fürstlichen Diensten durften deren Vertreter nicht stehen, Beamte konnten sie nicht sein. Der Kommunalismus, so wird man daraus schließen dürfen, steht der Moderne erheblich näher als der Feudalismus oder wie immer man das Wort auch sonst und gefälliger umschreiben mag. Auch wenn keine Kontinuitäten des Verlaufs vom Ulmer Schwörbrief von 1397 zur Verfassung Württembergs von 1806 gegeben sind und ebensowenig vom Reichstag des Königreichs Bayern zur Landschaft Kempten, so liegen den Verfassungen und den Parlamenten doch Kontinuitäten der Prinzipien zugrunde. Auch das 19. Jahrhundert hat trotz Aufklärung, Französischer Revolution und Liberalismus das Rad nicht neu erfunden. Das heißt keineswegs, daß die Demokratisierung der Moderne die Fortsetzung der altständischen Kommunalisierung wäre.

5

THEORIEN

Auf der Reflexionsebene der politischen Theorie - wenn man das große Wort überhaupt verwenden will - haben die oberdeutschen kommunalen Verhältnisse scheinbar nicht zu viel Beachtung gefunden. Das ist ein erster Eindruck, der sich nicht bestätigen muß, allerdings nicht ganz unerklärlich wäre, weil politische Theorie von ihrem Anspruch her eher universal als regional ist. Das freilich hätte nicht ausgeschlossen, die oberdeutsche Erfahrung zu generalisieren. Vielleicht hat Georg Wilhelm Friedrich Hegel das getan, als er in seinen frühen Verfassungsschriften mit analytischer Schärfe die Vergangenheit zerlegt und seine Einsicht spekulativ in die Zukunft verlängert hat. Seit dem Mittelalter, so seine Auffassung, organisiert sich Politik mehr und mehr um „einen Mittelpunkt, der in dem Monarchen und Ständen [besteht], d. h. einem Teile der Nation, der teils als Adel und Geistlichkeit für sich selbst persönlich mitspricht, teils als dritter Stand ein Repräsentant des übrigen Volkes ist". Wo anders als in Oberdeutschland hätte Hegel die Erfahrung vom Dritten Stand als Repräsentation des Volkes machen können? „Dies System der Repräsentation , fährt er fort, „ist das System aller neueren europäischen Staaten [...]. Es macht Epoche in der Weltgeschichte"1. Mit dem Problem, ob und wie solche Sätze reduziert werden dürfen, wird man sich nicht beladen müssen, es sollte aber auf die Möglichkeit hingewiesen werden, daß der Kommunalismus in der gebrochenen Form der politischen Theorie im 19. Jahrhundert weiterwirken könnte. Drei Beispiele seien herausgegriffen, um zu zeigen, daß die kommunalen Verhältnisse durchaus zu prinzipielleren Reflexionen Anlaß geben konnten.

5.1

„ W A N E I N KAISER D E N G E M E I N N U T Z S C H I R M P T " -

KOMMUNALISMUS-

THEORIE IM R A H M E N DER REICHSREFORM

„Wan ein keisser den gemein nutz schirmpt, so töt er noch dem willen gottes"2. Dieser programmatische Satz, der die kaiserliche Herrschaft aus der Verpflichtung fur den Gemeinen Nutzen legitimiert, stammt aus der Feder eines anonym gebliebenen Reichsreformers. Er hat um 1500 wohl im Elsaß gelebt, und, weil seine Reformvorstellungen immer als revolutionär empfunden wurden, hat man ihn den Oberrheinischen Revolutionär genannt 3 . Ein ungemein komplizierter Traktat, der Theologie, Jurisprudenz, Astrologie, Geschichte und Mythen mit eigenen Beobachtungen und scharfer Kritik vermengt, ist sein Vermächtnis, das Zeit seines Lebens ungedruckt blieb4. 1

2 3

GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL, Frühe Schriften (Werke 1), hgg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt a. M. 1971, 533. A. Franke - G. Zschäbitz, Buch der Hundert Kapitel, 492. Die Argumente für einen möglichen Autor breit unter Diskussion der älteren Positionen bei Κ. H. LAUTERBACH, G e s c h i c h t s v e r s t ä n d n i s , 2 6 1 - 2 9 8 .

4

Alle früheren interpretatorischen Bemühungen sind überholt durch das gelehrsame Werk von K. H. LAUTERBACH, Geschichtsverständnis.

5.1

Kommunalismustheorie im Rahmen der Reichsreform

161

„Gemeiner nuz", „gerechtikeit" und „göttliches recht" sind als leitende Parameter der Zwecksetzung politischer Ordnung im Werk des Oberrheinischen Revolutionärs herausgearbeitet worden 5 . Sie sind eng miteinander gekoppelt, ja, was bei derart abstrakten Begriffen auch nicht verwunderlich ist, gegeneinander austauschbar. Vorausgeschickt wird als Zustandsbeschreibung, daß „do ist kein fürst oder herr, der den gemein nutz mit truwen mernde vnd die beschwerikeit abstelt"6. Landesftirstliche Herrschaft und Gemeiner Nutzen sind nicht vermittelbar, wie sie es auch in den städtischen Quellen des nahen Basel nicht waren. Gemeiner Nutzen verwendet der Oberrheiner zunächst im Sinne von Allmende, ganz wie die Bauern das in ihren Rechtsquellen auch taten, dann aber bald und ausführlicher in Gegenüberstellung zum Eigennutz. Das wird mit vielen Beispielen, von den überhöhten Abgaben bis zur fiskalistischen Verwertung der Rechtspflege, begründet, und auf diesem Weg wird auch die Verbindung zu Gerechtigkeit gefunden. Nur wo Gerechtigkeit geübt wird, kann der Gemeine Nutzen gefördert werden. Gerechtigkeit ist Gesetzestreue und -erfüllung im Sinne von „gottes gebott", sie ist „wie einen Spiegel den gemein nutz zflhandt haben" 7 . Wie muß eine Verfassung beschaffen sein, die solche Staatszwecksetzungen zu erfüllen imstande ist? Der Kaiser regiert, so entwickelt der Oberrheinische Revolutionär seine utopisch verkleideten Vorstellungen im 19. Kapitel, mit einem „consistorium imperiale". Das Konsistorium wählt auch den König, und daraus mag sich auch erklären, daß es ihn kontrolliert, schlechtestenfalls auch absetzt8. Im Rahmen der Reichsreformdebatte, soweit Oberdeutschland daran beteiligt war, ist dies der bislang originellste bekannte Entwurf hinsichtlich der Eingliederung der Bauern und Bürger und ihrer Gemeinden in den Reichsverband. Das Consistorium imperiale setzt sich nämlich nicht, wie man aufgrund der späteren tatsächlichen Zusammensetzung der Reichsregimente erwarten würde, aus Kurfürsten, Fürsten und Reichsstädten zusammen. Zwar bleibt die Repräsentationsgrundlage ständisch, doch was Stand sei, wird neu definiert. Es gibt einen Stand „von der gburt", womit die regierenden Fürsten der vornehmen Geschlechter gemeint sind 9 , einen „von den gbären", den Bauern also, und einen „von der gmein, als von hantwurten" 10 . Sie bestimmen - wie bleibt unklar - „vmb daß gemeinen nutz willen" fur das Konsistorium je einen Vertreter, der seinerseits von je fünf Beigeordneten unterstützt wird 11 . Dieses achtzehnköpfige Gremium wird ergänzt durch 12 Richter, vier aus jedem Stand , nämlich „vier ritter, vier, die do wissend z&dem bw τΟ/ regierend, wie man daß feld buwen solt, vnd vier von der gemein, die 5

Κ . H . LAUTERBACH, G e s c h i c h t s v e r s t ä n d n i s , 2 1 2 - 2 2 9 .

6

A. Franke - G. Zschäbitz, Buch der Hundert Kapitel, 522. Zitiert bei Κ. H. LAUTERBACH, Geschichtsverständnis, 219. Die entscheidenden Textpassagen bei A. Franke - G. Zschäbitz, Buch der Hundert Kapitel, 243. Textverbesserungen teilweise bei Κ. H. LAUTERBACH, Geschichtsverständnis, 243. (Soweit bei den Zitaten nicht die Edition von Franke - Zschäbitz benutzt wird, wird das eigens vermerkt.) So die Interpretation von Κ. H. LAUTERBACH, Geschichtsverständnis, 241. Die Terminologie bei A. Franke - G. Zschäbitz, Buch der Hundert Kapitel, 243. Was die zahlenmäßige personelle Besetzung betrifft, folgt die Darstellung Κ. H. LAUTERBACH, Geschichtsverständnis, 241. Der Quellentext selbst ist an vielen Stellen dunkel und würde wohl auch andere numerische Zurechnungen erlauben.

7 8

9 10 11

162

5

THEORIEN

sich von den fryen handtwurten verstönden" 12 . Trotz der undeudichen Sprechweise des Oberrheiners wird man sein ständisches Gliederungskonzept mit Adel, Handwerkern und Bauern wiedergeben können. Das ist ständetheoretisch gewiß eine neue Konzeption, weil sie die Geistlichkeit aus ihr aussondert, allerdings keineswegs beseitigt, und die laboratores in einer dem Grad der gesellschaftlichen Differenzierung entsprechenden Weise in Bauern und Handwerker trennt. Der funktionalistische Gesichtspunkt macht sich auch bei der Definition des Adels geltend, dessen Prägung als Geburtsstand stark zurücktritt. Wer dem Gemeinen Nutzen nicht dient und nicht Kriegsdienst leistet, dem soll man den Adel „abnemmen vnd darnach verwisen in das eilend" 13 . In welcher Form die ständischen Vertreter im Regiment bestimmt werden, bleibt unklar, „daß dies durch Wahl geschieht, geht allerdings aus dem weiteren Kontext hervor" 14 . Das Konsistorium teilt die Aufgaben mittelalterlicher consilia regis in Europa als politisches Beratungs- und Entscheidungsgremium einerseits, als oberstes Gericht andererseits. Letztinstanzlich landen alle Appellationen vor dem Konsistorium, nachdem sie zuvor vor dem „Sent" verhandelt worden sind. Mit dem Sendgericht kommt jene zweite Institution ins Spiel, die eine kommunale Erfahrung generalisiert und in ein umfassenderes Konzept von Rechtstheorie integriert. Das Rechtsverständnis des Oberrheinischen Revolutionärs soll hier nicht im einzelnen breit erörtert werden, hervorzuheben ist vielmehr die verfahrensrechtliche Seite der Rechtsprechung. Das Sendgericht wird, wie der Name schon nahelegt, auf der Basis der Pfarrei lokalisiert und in der Pfarrkirche abgehalten 15 . So gibt es ein Gericht „in einer iedlichen statt", im Wortsinn von Stätte. Es vereinigt die Kompetenzen des geistlichen und weltlichen Gerichts, was sich auch in der Zusammensetzung der Richter spiegelt, die paritätisch geistlichen und weltlichen Standes sein müssen. Es tagt jährlich und zitiert damit mittelalterliche Verhältnisse. Zwar gab es in der Rechtspraxis der Zeit noch das ungebotene Ding, doch längst schon war das nicht mehr ausreichend, und die Gerichte wurden, auch die auf dem Land, außerhalb der alten Ehaftgerichte zu Sitzungen einberufen. Dörfer und Städte deckten sich in Oberdeutschland oft, wenn auch keineswegs immer, mit Pfarreien. Damit wird auf der institutionellen Ebene der Gerichtsorganisation das neue Staatskonzept bestätigt, das sich ständisch in der Gleichwertigkeit von Handwerkern und Bauern ausdrückt. „Herrschaftsausübung ist", so sind die unendlich mühsam zu rekonstruierenden politischen Leitlinien des Oberrheiners zusammengefaßt worden, „an den Konsens der .Beherrschten' gebunden. Herrschaftsübertragung geschieht nicht mehr in einer Designation und Wahl des Herrschers durch einige dazu privilegierte Fürsten, sondern durch ein aus dem Volk hervorgegangenes Gremium, in dem alle Stände repräsentiert sind. Der verfassungsmäßig gewährleistete Konsens bedeutet dauernde Mitsprache, dauernde Kontrolle 12

13 14 15

A. Franke - G. Zschäbitz, Buch der Hundert Kapitel, 243. - Κ. H. LAUTERBACH, Geschichtsverständnis, 242, sieht alle 12 Richter aus dem Adelsstand kommen, eine Interpretation, die von der Quelle nicht unbedingt gedeckt wird. A. Franke - G. Zschäbitz, Buch der Hundert Kapitel, 252. Κ. H. LAUTERBACH, Geschichtsverständnis, 242. Ebd., 243 ff.

5.2

Kommunalismustheorie im revolutionären Klima

163

herrschaftlicher Amtsausübung und in letzter Konsequenz Absetzungsrecht des Wahlgremiums, das im Sinne sachkompetenter Rechts- und Verwaltungsaufsicht das Anliegen des gemein nutz' vertreten muß" 1 6 .

5.2

„ H A L T E T OFT G E M E I N D UNTEREINANDER" - VERMUMMTE KOMMUNALISMUSTHEORIE IM REVOLUTIONÄREN KLIMA

In dem Jahr, als in der Reichsstadt Memmingen die Entscheidung fur die Reformation fiel und die oberschwäbischen Bauern dort ihre Programme schrieben, darunter „Dye Grundtlichen Vnd rechten haupt Artickel, aller Baurschafft vnnd Hyndersessen der Gaistlichen vnd Weltlichen oberkayten, von wölchen sy sich beschwert vermainen" 17 , antwortete darauf eine Flugschrift betitelt „An die versamlung gemayner Pawerschafft/ so in Hochteütscher Nation/ vnd vil anderer ort/ mit empörung vnd auffrär entstanden" 18 . Der Autor vermummte sich mit Anonymität, was sich angesichts der politisch brisanten Situation sicher empfahl. Der Text ringt um eine Politiktheorie, in der das gemeindliche Regiment angemessen untergebracht werden konnte. Obrigkeit ist grundsätzlich von Gott gesetzt. „Wer sich dem gewalt widersetzt/ der widerstrebt gottes Ordnung/ vnnd wirt darumb die vrtayl vber sich empfahen/ dann der gewalt tregt das schwert nit vergebens" 19 . Obrigkeit amtet als „Schaffner gottes" 20 , heißt es an anderer Stelle bekräftigend. Obrigkeit ist eingesetzt, um die Frommen zu schützen und die Bösen zu strafen. „Ich waiß", versichert der Anonymus in einer Diktion, die von Martin Luther stammen könnte, „daß den frommen kayn gesatz geben ist/ sonder nur den bösen" 21 . Das heißt nicht, daß alles so bleiben muß, wie es ist, im Gegenteil hat sich Obrigkeit dadurch auszuweisen, daß sie auf Perfektibilität drängt, denn „ayn yede Oberkayt ist ain gesatz dem land zfi besserung/ vnd nit zur böserung" 22 . Das klingt in der Tat sehr oberdeutsch, denn nachhaltig hatte etwa Huldrich Zwingli wieder und wieder gefordert, die weltliche Gerechtigkeit der göttlichen Gerechtigkeit anzunähern und so die Welt zu bessern. Eine Verzeitlichung der im Jenseits zu erwartenden göttlichen Gerechtigkeit ist Zwingli nicht ganz fremd, und diese Überzeugung teilt mit ihm der Autor der Flugschrift. Obrigkeit legitimiert sich konkret, indem sie das Land beschirmt, den gemeinen Nutzen fördert und öffentliche Aufgaben wahrnimmt, was allerdings mit der Wendung, sie habe

16 17

18

19 20 21 22

Ebd., 245. Alfred Götze, Die zwölf Artikel der Bauern 1525. Kritisch herausgegeben, in: Historische Vierteljahrschrift 5 (1902), 1-33, hier 8. H. Buszello, Bauernkrieg, druckt im Anhang seiner Arbeit (153-192) den Text buchstabengetreu ab. Danach die folgenden Belege mit Zeilenangaben [Z], Ebd., 154 Z. 24-28. Ebd., 159 Z. 9 f. Ebd., 158 Z. 30-32. Ebd., 161 Z. 16 ff.

164

5

THEORIEN

„weg vnd steg" zu bauen, eher angedeutet wird 23 . Aus dem Repertoire kommunaler Werte wird ein Begriff gezogen, der den Herrn darauf verpflichtet, ein guter „Haushalter" zu sein. Das Wort wird gelehrsam als Eindeutschung aus dem lateinischen dominus terrae abgeleitet. „Dominus terre/ verteütschet sich ain haußhalter. Dann das wort Dominus fleüst daher/ von dem wörtlein domus/ das hayst ain hauß. Darumb welcher sich seins Titels also bewürdiget/ ain trewer haußuatter ist seins lands" 24 . Friede, Gemeinnutz und Hausherrschaft sind die definitorischen Elemente, um die der anonyme Autor seine Legitimationsvorstellungen gruppiert. Herrschaft verliert ihre Legitimität, wenn sie tyrannisch entartet. Dafür wird zunächst ein theologischer Parameter namhaft gemacht, nämlich die Mißachtung der Gesetze Gottes. „Du solt dir meine gebot in deiner handt sein lassen/ wie ain winckelmeß", verlange Gott vom Amtsinhaber, „darnach du dich richten söllest/ aber nit nebent sich hynauß/ weder gelincks noch gerechts"25. Gottes Gesetz, das hatte schon der Zürcher Reformator Huldrich Zwingli der Obrigkeit eingeschärft, „mfiß din schnflr sin, by dero du hinhowen solt; und soltu die schnflr nit machen, sunder nun by der schnör hinhowen. Darumb, findstu dine gesatzt dem götlichen nit glychförmig, so how nit darby hin" 26 . Mißachtet wird Gott auch, wenn sich das Evangelium nicht frei entfalten kann. „Dannen har gwüß ist", sagt Zwingli, „das die nüt dann tyrannen sind, die das euangelium Christi nit wellent under irem volck lassen predgen" 27 , und der Flugschriftenautor echot, daß die Herren wegen ihres Geizes und ihrer Prunksucht „das lautter gotß wort so gantz freuenlich vndtergetruckt" haben 28 . Eigenmächtigkeit und Willkür beweisen die Herren, indem sie „ain newe beschwSrde vber die anndern auff arm lewt richtent" 29 . Der letztes Jahr gutwillig geleistete Frondienst ist heuer eine Schuldigkeit; bei schönem Wetter wird für den Herrn gefront, auf seine eigenen Felder und Wiesen kommt der Bauer erst, wenn die Ernte durch den Regen schon verfault ist; den Armen werden Steuern, Abgaben und Zinsen auferlegt fvir die Herren, „die da v611er seind/ dann die kotzende hundt" 30 . „Ja", so schließt die Aufzählung mißbräuchlicher Handhabung der Obrigkeit, „sy seind wahrhafftig abgesagt feyndtschaffter jrer aygner landtschafft" 31 . Tyrannen erkennt man folglich an ihrer Gottlosigkeit und ihrer Menschenschinderei. Formen der Beseitigung tyrannischer Herrschaft erörtert die Flugschrift systematisch unter dem Titel, „ob ayn Gemayn jr Oberkayt möge entsetzen oder nit" 32 . Mit historischen, biblischen und naturrechtlichen Argumenten nähert sie sich schrittweise, zögerlich und nicht

23 24 25 26 27 28 29 30 31 32

Alle Belege ebd., 159 f. Ebd., 159 Z. 24-30. Ebd., 162 Z. 24-29. HULDRICH ZWINGLI, Sämtliche Werke, 2. Bd., Leipzig 1908, 324. Ebd., 331. H. Buszello, Bauernkrieg, 167 Ζ. 26 f. Ebd., 162 Z. 37 f. Ebd., 163 Z. 23. Ebd., 164 Z. 6 ff. Ebd., 175 Z. 41 f.

5.2

Kommunalismustheorie im revolutionären Klima

165

ohne Mühen ihrem Ja. Aus der Geschichte der Antike und des Mittelalters könne man lernen, wie oft Könige, Kaiser, auch Päpste ihres Amtes entsetzt worden seien. Besonders breit wird in dieser fleißig zusammengesuchten Beispielsammlung die Entstehungsgeschichte der Schweizer Eidgenossenschaft als Befreiung vom „vermessen aygen gewalt vom Adel" interpretiert, der „mit vnchrisdicher tyrannischen vergwaltigung den gemaynen man teglich vnuerschont wider alle billigkait tringent und zwingent" 33 . Das Alte Testament wird gleichfalls zur historischen Quelle fiir Absetzungen tyrannischer Könige durch das Volk, und daraus wird gefolgert, es gefalle Gott, daß Tyrannen gestürzt werden34. „Daß aber ain Landtschafft/ oder ain gemaynde macht hab jren schedlichen herren zfientsetzen, will ich auß der g6tlichen Juristrey [...] einffiren" 35 . Nochmals marschieren die Argumente auf, die zuvor zur Beschreibung eines guten Regiments gedient hatten, freilich jetzt in transvestitischer Verkleidung: Regieren nach dem eigenen Kopf, die Welt verschlechtern, die Hausgenossen nicht richtig versorgen, die Gläubigen um ihr Seelenheil bringen - das rechtfertigt die Vertreibung des Tyrannen. „Wann ain gemayne landtschaft lang zeyt jrs herren mötwillen vnd verderben verduldet/ sonder hoffnung ainer besserung bey jme, So es aber nit sein will/ so soll ain gemayne landtschaft sich kecklich bewapnen mit dem schwert" 36 . Und zwar mit dem Ziel, den gemeinen Landfrieden und die christliche Freiheit zu sichern. „Daß ayn gantze Commun ainem aynigen kopff solt gentzlich vnderworffen sein"37, ist dem Autor eine befremdliche Vorstellung, und spätestens hier gewinnen seine Argumente ein rudimentär republikanisches Profil. Schon aus Verantwortung gegenüber den nachfolgenden Generationen muß der Tyrann beseitigt werden, denn es gibt schier keine Belastung und Bestrafung, die der Herr nicht steigern kann: das Morden wird zunehmen, die Fronen werden ins Unermeßliche wachsen, die Kinder werden die Egge übers Feld ziehen müssen, für Wildfrevel wird man Menschen künftig nicht blenden, sondern pfählen, wer heute leibeigen ist, wird morgen Sklave sein. Tyrannei darf und muß bekämpft werden, doch wer darf und muß sie bekämpfen - die gemeine Landschaft oder die ganze Kommun oder beide? Was tritt an die Stelle der tyrannischen Herren? Der Autor greift wieder zum historischen und biblischen Argument, um die beste Regimentsform zu finden. „Da die Römer regierten mit ZunfFtmaystern vnd Rathe ayns gemaynen Regiments/ da häuflet sich teglich die mechtigkaitjres grossen gewalts vber die gantze weit" 38 . Als sie vom „gemaynem Regiment" 39 abfielen und eine Monarchie errichteten, begannen „Unheil" und „Zerstörung", nicht anders als in Israel, denn solange „die Israheliter ain gemayn Regiment ffirten/ vnd kain konig hetten/ do wonet got hertzlich bey jnen" 40 . 33 34 35 36 37 38 39 40

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

165 Z. 176 Z. 177 Z. 179 Z. 171 Z. 167 Z. 167 Z. 172 Z.

8-24. 30 f. 12-16. 40-180 Z. 2. 29-31. 32-37. 38 f. 17-20.

166

5

THEORIEN

Solche Überlegungen waren keineswegs gegen den Kaiser gerichtet, der Begriff des Königtums eignete sich lediglich besonders gut dazu, im Rahmen europäischer widerstandstheoretischer Traditionen das Tyrannenproblem zu erörtern. Ganz im Gegenteil wird der gemeinen Bauernschaft geraten, sich „wie ander fromm Reychstet dem kayser imm namen der Christlichen Ordnung" zu unterwerfen, aber auch „on alles mittels"41. Das sollte gewiß adelige und geistliche Herrschaft ausschließen, aber die Fixierung des besten Regiments über Kategorien, wie es nicht sein soll, gelingt allemal besser als der konkrete Entwurf. Der Autor arbeitet gelegentlich mit einer Analogie, wenn er, auf Vorbilder der römischen Republik verweisend, meint, über zehn Männern müsse ein Rottmeister stehen und über zehn Rottmeistern ein Zenturio und über zehn Zenturionen ein Kapitän usw. Der Hinweis auf die Reichsstädte läßt vermuten, daß der Autor kommunale Modelle im Blick haben könnte. Jedenfalls sind Handwerker und Bauern schließlich gleichberechtigt diejenigen, welche die neue politische Ordnung schaffen und repräsentieren werden. Nichts ist es mehr mit dem ,Alten Herkommen", Herrschaft legitimiert sich nur dadurch, daß sie das Land beschirmt und den gemeinen Nutzen mehrt. „Vnd ob jr yetz gleych Schneyder, Schfister/ oder Pawern zur Oberkayt auffwürffen", heißt es an einer Stelle arg abrupt, aber doch wie ein politisches Vermächtnis, wo „die euch trewlich vorstfinden/ in aller brüderlicher trew/[...] den selbigen haltent fur könig vnd kayser in aller gehorsamkayt"42. Doch „haltent offt Gemayndt vnderainander/ dann nichts behandtuestigt vnd behelt den gemaynen hauffen hertzlicher zfisamen"43. Der Autor muß als intimer Kenner von Zwingiis Schiften gelten, deswegen wurden die Ubereinstimmungen etwas genauer herausgearbeitet, als es im Rahmen kommunalismustheoretischer Erörterungen nötig wäre. Der Autor ist bestens vertraut mit der gängigen Interpretation der Entstehung der Eidgenossenschaft durch die Schweizer Chronisten. Der Autor arbeitet mit zwei Zentralbegriffen, Landschaft und Gemeinde, die so und in dieser Kombination nicht überall im deutschen Sprachraum nachzuweisen wären. Kurzum - es handelt sich um eine Kommunalismustheorie, die aus dem oberdeutschen Raum heraus geschrieben sein muß 44 . Und es handelt sich um Überlegungen, die den Namen Theorie im 41 42 43 44

Ebd., 188 Z. 4 1 - 4 4 . Ebd., 161 Z. 7 - 1 4 . Ebd., 188 Z. 3 8 - 4 1 . Die Frage nach dem Autor ist nach wie vor unbeantwortet. H. BUSZELLO (Bauernkrieg) ist mit guten Gründen zurückhaltend, den Autor identifizieren zu wollen. SIEGFRIED HOYER sucht den Autor räumlich in Oberschwaben und theologisch im Umfeld Zwingiis [Siegfried Hoyer - Bernd Rüdiger (Hgg.), An die Versammlung gmeiner Bauernschaft. Eine revolutionäre Flugschrift aus dem Deutschen Bauernkrieg (1525), Leipzig 1975,48]. Die jüngste Diskussion wurde durch CHRISTIAN PETERS ausgelöst, der in Andreas Bodenstein von Karlstadt den Verfasser sehen will [An die Versammlung gemeiner Bauernschaft (1525). Ein Vorschlag zur Verfasserfrage, in: Zeitschrift fur bayerische Kirchengeschichte 54 (1985), 15-28], was SIEGFRIED HOYER [Karlstadt: Verfasser der Flugschrift „An die Versammlung gemeiner Bauernschaft", in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 35 (1987), 128-137] abgelehnt hat, ohne mit seinen Argumenten CHRISTAN PETERS ZU überzeugen [An die Versammlung gemeiner Bauernschaft (1525). Noch einmal - zur Verfasserfrage, in: Zeitschrift fur bayerische Kirchengeschichte 57 (1988), 1—7]. - Nach Abschluß des Manuskripts habe ich im Zusammenhang mit anderen Arbeiten den Anonymus als Christoph Schappeler identifiziert.

5.3

Das Eigentum am Schatten des Esels

167

Rahmen des politischen Denkens im Reich zu Beginn des 16. Jahrhunderts auch verdienen. Der Anonymus muß sicher nicht bescheiden hinter ähnlichen Traktaten, etwa denen Zwingiis, zurücktreten.

5.3

DAS EIGENTUM AM SCHATTEN DES ESELS

In die Weltliteratur ist ein fiktiver Prozeß eingegangen, der um den Schatten eines Esels gefuhrt wurde. Er ist eingearbeitet in CHRISTOPH MARTIN WlELANDs .Abderiten", die nach seinem eigenem Urteil außerordentlich erfolgreich waren. Erfolgreich wodurch? Durch ihre Verarbeitung von geschichtlicher Erfahrung, in der sich die Leser, die Eliten Deutschlands, die Zeitgenossen der Französischen Revolution und des versinkenden Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, wiedererkennen konnten. Die Abderiten lassen sich mit guten Argumenten als eine politische Theorie lesen, mit der Wieland die oberdeutsche Erfahrung an die Moderne vermittelt. Die Geschichte selbst ist rasch erzählt. Ein Bürger von Abdera, Zahnarzt von Beruf, mietete sich in der Stadt einen Esel, um auf einen benachbarten Markt zu reiten. Der Weg wurde wegen der großen Hitze und der unbarmherzig herabbrennenden Sonne beschwerlich. An eine Rast im kühlenden Schatten war nicht zu denken, ging der Weg doch über eine bäum- und strauchlose Heide. Verdrossen machte der Zahnarzt halt, „stieg ab, und setzte sich in den Schatten des Esels" 4 5 . Der ihn begleitende Eselstreiber erhob Einspruch: „Ich vermietete euch den Esel, aber des Schattens wurde mit keinem Wort dabei gedacht", und verlangte einen angemessenen Aufpreis, den der Zahnarzt mit dem Argument, „der Schatten geht mit dem Esel", nicht zu zahlen bereit war. Die unterschiedlichen Auffassungen ließen sich nicht beilegen, kaum kam man an einer Schlägerei vorbei. Also kehrten beide in die Stadt zurück, um „die Sache bei dem Stadtrichter anhängig zu machen" 4 6 . Der, ein gleichermaßen redlicher wie versöhnlicher Mann, rang um einen Kompromiß, vergeblich, wie man schon erwartet hatte. Der Eselstreiber hielt es fur angemessen, fur den Schatten die Hälfte des Mietpreises for den Esel zu verlangen, was der Zahnarzt kategorisch ablehnte. „Wenn der Esel mein ist", räsonierte der Treiber vor dem Stadtrichter, „so ist der Schatten auch mein, und ich kann damit als mit meinem Eigentum schalten und walten; und weil der Mann da nichts von Recht und Billigkeit hören will: so verlang ich itzt das Doppelte, und will sehen, ob noch Justiz in Abdera ist" 4 7 . Zwei hinzukommende Rechtsanwälte vereitelten vollends eine außergerichtliche Lösung, indem sie sich des Falles annahmen, der eine in Kenntis der Vermögensverhältnisse des Zahnarzts, der andere mit Blick auf den wohlgenährten Esel auf die Zahlungsfähigkeit des Eselstreibers spekulierend.

45

46

47

Den Zitaten liegt die Ausgabe von Fritz Martini und Hans Werner Seiffert zugrunde (CHRISTOPH MARTIN WIELAND, Werke, 2. Bd., M ü n c h e n 1966). CH. M . WIELAND, Werke 2 , 3 0 8 f. Ebd., 311 f.

168

5

THEORIEN

So wurde der Prozeß vor das Gericht der Zwanziger gezogen, wo er auch hingehörte. Allerdings wurde die Verhandlung sofort durch die komplizierten gesellschaftlichen und verfassungsrechtlichen Verhältnisse in Abdera empfindlich gestört. Der Zahnarzt mobilisierte die Schusterzunft, zu der er deswegen gehörte, weil in ihr „alle Arten von Flickern" zusammengeschlossen waren - nicht nur die Schuster und Schuhflicker, sondern auch jene, die Menschen zusammenflickten und dazu rechneten offenbar auch die Zahnärzte

und fand

in deren Zunftmeister Pfriem, „dessen patriotischer Eifer fur die Constitution der Republik niemanden unbekannt" war, einen beredten Verteidiger seiner Rechtsauffassung. „Billigkeit [...] ist das höchste Recht", ereiferte der sich, wer sich in den Schatten des Rathauses setze, müsse auch nicht dafür bezahlen. Bekäme der Zahnarzt nicht Recht, wäre „weder Freiheit noch Eigentum mehr in Abdera" 4 8 . Der Eselstreiber indessen versicherte sich der Unterstützung des Erzpriesters des Jasontempels, indem er sich dessen Gunst gegen das Versprechen erotischer Gegenleistungen einer fernen Bekannten erkaufte, ein probates Mittel, sich den zölibatär lebenden Hüter des Jasonkults geneigt zu machen, der ansonsten als weltläufig und kunstfreudig galt und an seinem Kult mehr das Fest als das D o g m a schätzte. Das beförderte das Eingreifen des Erzpriesters, der freilich dazu rechtlich ohnehin verpflichtet gewesen wäre, stand doch der Eselstreiber „als Schutzverwandter [...] unter der unmittelbaren Gerichtsbarkeit des Erzpriesters", weil er „in dem Bezirke des Jasontempels" lebte. Mittlerweile nahm das Verfahren vor den Zwanzigern seinen Fortgang und wurde zugunsten des Zahnarzts entschieden, was den Verteidiger des Eselstreibers sofort veranlagte, „an den großen Rat von Abdera zu appellieren". Das wäre angesichts der Geringfügigkeit des Streitwerts nicht möglich gewesen, hätte der Fall nicht Eigentumsfragen betroffen, die gesetzlich nicht geregelt waren und „folglich, vermöge der Natur der Sache, vor den Gesetzgeber selbst gebracht werden müsse" 4 9 , also den Großen Rat. Das nun war die Stunde des Jasonpriesters, der, noch nicht ganz in den Genuß der erhofften erotischen Gefälligkeiten gelangt, jetzt mit großem Ernst die Sache des Eselstreibers verfocht und den Ratsherren vor Augen stellte, daß ein weiterer Sieg des demagogischen Zunftmeisters Pfriem „die Aristokratie gänzlich über den Haufen zu werfen" 5 0 drohe. Solidarität der patrizischen Partei war jetzt dringlich, denn im Großen Rat hatten die Zünftler eine numerisch starke Vertretung. Solche Ermahnungen konnten ihren Eindruck bei dem großen Ansehen des Priesters nicht verfehlen und ihre Wirkung auch nicht, bekannten sich doch gerade die vornehmen Ratsherren zum Jasonkult. Die politischen Aktivitäten, die vom Jasontempel ausgingen, weckten den begründeten Verdacht der Priesterschaft der Latona, des zweiten in Abdera beheimateten Kultes, dem das „gemeine Volk" anhing. Dessen Oberpriester hatte, „wie viele seines gleichen, ausfindig gemacht, daß eine in Falten gelegte Miene und ein steifes Wesen unfehlbare Mittel sind, bei dem großen Haufen für einen weisen und unsträflichen Mann zu gelten". Daß er sich als

48 49 50

Ebd., 314 f. [Belege abschnittsweise zusammengefaßt]. Ebd., 322. Ebd., 324.

5.3

Das Eigentum am Schatten des Esels

169

„erklärter Freund der Demokratie" 5 1 gab, konnte niemanden wundern, gebot das doch die Popularität, die er in der Stadt bei den Zünften genoß, ebenso, wie der Neid gegenüber seinem jasonitischen Amtskollegen. Nachdem der an sich geringe Streit so prominente Beachtung durch die Priester beider Kulte in Abdera gefunden hatte, die Patrizier und Zünftler im Großen Rat sich mit ihm befassen mußten und das Volk sich leidenschaftlich an dem Streit beteiligte, kam es bald dahin, daß die Stadt gänzlich in zwei Parteien zerfiel - , „Esel" wurden jene genannt, die auf Seiten des Eselstreibers und seines mächtigen Beschützers, des Priesters des Jasonkultes, standen, „Schatten" die Parteigänger des Zahnarzts, die Zünftler und die Gemeinde der Latona 5 2 . Das Feuerwerk, das Wieland mit diesen beiden Wörtern abbrennt, umfaßt ungemein viele vergnügliche Seiten. Männer mußten bekennen, Esel zu sein, um von ihrer Angebeteten erhört zu werden, und die Senatoren gaben sich besorgt über den Schatten, der auf ihre gerühmte Republik durch diesen Prozeß fallen könnte. Der Senat hatte zu entscheiden, ob dem Antrag auf Verhandlung vor dem Großen Rat stattgegeben werden sollte oder nicht. Damit waren, weil man sich an Präzedenzfälle nur ungenau erinnern konnte, die Auskünfte der Urkunden und Akten gefragt. Bekümmert steigt der Historiker mit Wieland hinab zu den „sehr dumpfen und feuchten Gewölben", wo, wie beide entsetzt feststellen, die Archivalien „aus Mangel der Luft verschimmelten, vermoderten, von Motten gefressen, und nach und nach ganz unbrauchbar wurden" 5 3 . Die kaum überraschende Unordnung erlaubte es nicht, ein Präjudiz zu finden, an dem man sich hätte orientieren können. Ohnehin neigten die angesehensten patrizischen Senatoren dazu, den Fall an den Gesetzgeber, den Großen Rat, zu verweisen, denn „wo kein Gesetz sey, finde auch kein gerichtliches Verfahren Statt", alles andere sei „offenbarste Tyranney" und „das Ende der Freyheit von Abdera" 5 4 . Während der entscheidenden Sitzung des Senats lief plötzlich „eine große Anzahl gemeiner Bürger von der Schattenpartei" vor dem Rathaus zusammen - Zünftler also, Anhänger des Latonakultes und Parteigänger des Zahnarztes - , unterstützt „durch eine Menge herbeigelaufnen Pöbels von der niedrigsten Gattung". „Auf einmal schallte ein brüllendes Geschrei zu den Fenstern des Rathauses hinauf: Freiheit, Freiheit! Es lebe der Zunftmeister Pfrieme! Weg mit den Eseln! Weg mit den Jasoniden! u.s.w.". Mit der Drohung, das Rathaus zu stürmen, wurde verlangt, „die Sache dem großen Rat und dem Volk anheim[zu]stellen", mit dem Geschrei wurde aber auch die Eselspartei auf den Marktplatz gelockt. Der bürgerkriegsähnliche Tumult veranlaßte die Senatoren, rasch und einhellig zu beschließen, „aus Liebe zum Frieden und u m des gemeinen Bestens willen" 5 5 dem Großen Rat den Fall zur Entscheidung zu überlassen. Der Große Rat hatte vierhundert Mitglieder, galt als „Repräsentation der gesammten Bürgerschaft", und, weil die Hälfte der Räte wirklich aus Krämern und Handwerkern be51 52 53 54 55

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

326 ff. 331. 335. 333. 339 f.

170

5

THEORIEN

stand, „so glaubte sich jeder gemeine Mann durch die vermeinte Absicht, die Vorrechte desselben einschränken zu wollen, persönlich beleidigt" 56 . Zu sagen hatte er in normalen Zeiten wenig, da „es beinahe gänzlich" im Ermessen des patrizisch beherrschten Kleinen Rates stand, ihn einzuberufen oder nicht, doch bei wichtigeren Entscheidungen und schweren stadtinternen Konflikten konnte man ihn nicht umgehen. Des Jasonpriesters Aufgabe mußte es jetzt sein, sich zusätzlich Parteigänger fur die bevorstehenden Entscheidungen im Großen Rat zu sichern. Also lud er die Unentschiedenen des Kleinen Rates noch am Abend des Tumults in sein Haus, da man letztlich doch „mehr Staat auf sie machen konnte, als auf das übrige Volk". Dank seiner Fähigkeit, „seiner Politik einen Firniß von Offenheit und aufrichtigem Wesen anzustreichen" und mit der Behauptung, er habe die zusammengelaufene Gemeinde befriedet, wo er sie in Wahrheit doch nur mit dem kostenlosen Ausschank von Wein und dem Verteilen von Brot bestochen hatte, zog er sie auf seine Seite. Daß die Herren des Rates das nicht einmal merkten, sich vielmehr für die in Wahrheit Unparteiischen hielten, war nicht zuletzt dem „vortrefflichen Weine, womit er sie bei der Abendmahlzeit beträufte" 57 , zu danken. Der Tag, an dem der Große Rat der Vierhundert als höchste Appellationsinstanz das Urteil zu sprechen hatte, kam rasch näher, freilich nicht so rasch, daß Wieland nicht Zeit gehabt hätte, alle Amtsträger, ihren Funktionen und ihrem Temperament entsprechend, geschickt unter die beiden Parteien der Esel und Schatten aufzuteilen und süffisant Histörchen über abderitische Providenzvorstellungen und massiven Aberglauben einzuflechten. Die heiligen Tiere der Latona gaben gänzlich unübliche Geräusche von sich, was die fiir solche Orakel zuständigen Priester zum Entsetzen der ganzen Stadt als ein bevorstehendes fürchterliches Strafgericht der Götter auszulegen wußten. Die schließliche Gerichtsverhandlung fand traditionsgemäß im Freien statt. Auf einem eigens errichteten Podium saßen die Vierhundert, auf dem Marktplatz drängte sich die Gemeinde. Die Anwälte hielten ihre Plädoyers und zogen mit ihren spitzfindigen Argumenten, die sie rhetorisch geschickt einzukleiden wußten, wechselweise das Volk auf die eine oder andere Seite, wie sie auch die Urteilskraft des Großen Rates merklich lahmten. Im Augenblick der höchsten Erregung und Ratlosigkeit löste ein Zufall den Prozeß, indem der Prozeßgegenstand in des Wortes wahrster Bedeutung gegenstandslos wurde. Die Stallbediensteten von Abdera, die seit Beginn des Verfahrens den Esel zu versorgen gehabt hatten, waren auf die Idee gekommen, ihn bekränzt und geschmückt auf den Marktplatz zu fuhren. Das löste einen unerwarteten Tumult aus. Die Bürger stürzten sich plötzlich auf den Esel, zerrissen ihn in Tausend Stücke, eilten mit den eroberten Anteilen in die benachbarten Gassen und ihre Häuser. Im Nu war der Marktplatz wie leergefegt, allein standen die Vierhundert da - „und brachen allesamt, gleich den Göttern im ersten Buch der Ilias, in ein unauslöschliches Gelächter aus". Das Verfahren wurde niedergeschlagen, die Prozeßkosten übernahm die Stadtkasse, „dem armen Esel aber [wurde] auf gemeiner Stadt Kosten ein 56 57 58

Ebd., 342. Ebd., 345 ff. Ebd., 385 f.

5.3

Das Eigentum am Schatten des Esels

171

Denkmal aufgerichtet [...], das zugleich uns und unsern Nachkommen zur ewigen Erinnerung diene, wie leicht eine große und blühende Republik sogar um eines Esels Schatten willen hätte zu Grunde gehen können"58. Der ganze Prozeß entlarvt sich somit schließlich als eingestandene Torheit. „Die Abderiten", so lautet die bislang maßgebliche Interpretation des Werkes durch die Germanisten, „denken, reden, handeln konsequent - unter der Voraussetzung ihrer unveränderlichen und ihnen unbewußten Verkehrtheit"59, der Roman stelle „die erste, künstlerisch durchgestaltete Dokumentation einer bürgerlichen Selbstkritik"60 dar. Aber was wird kritisiert? Wieland beschreibt eine Republik. Folglich ist es ein analytisch angemessener Zugang, sie mit einer Brille zu lesen, deren Gläser auf die Wahrnehmung politischer Theorie eingeschliffen sind. Der Prozeß um den Schatten des Esels durchläuft alle Instanzen der Republik Abdera. Er beginnt vor dem Stadtrichter, der ihn gütlich nicht beilegen kann, und wird deswegen vor das Gericht der Zwanziger gezogen, wo Eigentumsfragen zuständigerweise verhandelt werden. Gegen dessen Urteil appelliert die unterlegene Partei an den Großen Rat der Vierhundert, doch der geringe Streitwert verlangt eine Vorentscheidung durch den Senat, der die Zuständigkeit des Großen Rates schließlich auch bestätigt, weil dieser für den konkreten Fall erst die gesetzlichen Grundlagen schaffen muß. Genau betrachtet, wird keine einzige Institution der Republik Abdera von Wieland kritisiert, geschweige denn der Lächerlichkeit preisgegeben. Selbst die Amtsinhaber machen, soweit sie in Ausübung ihrer Funktionen tätig sind, eine gute Figur, jedenfalls handeln sie angemessen und korrekt. Der Stadtrichter sucht der Geringfügigkeit des Falles durch einen gütlichen Vergleich gerecht zu werden. Die Zunftmeister im Kleinen Rat verzichten darauf, die Gemeinde flir ihre Interessen zu mobilisieren, wiewohl ihnen dies „ein Leichtes gewesen sein [würde], mittelst ihres Ansehens über einen fanatischen Haufen Volkes, welcher größtenteils bei gänzlicher Zerrüttung der Republik mehr zu gewinnen als zu verlieren hatte"61. Die Senatoren - und bemerkenswerterweise sind es die Partrizier in Senat - schlagen den Prozeß nicht wegen Geringfügigkeit nieder, sondern beharren auf einer durch Gesetz gesicherten Verfahrensgrundlage und überweisen deswegen den Fall vor den Großen Rat der Vierhundert, in dem numerisch die Zünftler überwiegen, also der Gemeine Mann das Sagen hat. Wen trifft nun eigentlich der Spott, die Ironie, der Sarkasmus Wielands? Man legt das Buch ja aus der Hand im Bewußtsein, einer gigantischen Groteske beigewohnt zu haben, einer auf tragische Weise verkehrten Welt. Die Skurrilität des Falles inszeniert Wieland auf der bäum- und strauchlosen Heide vor Abdera. Der Streit um den Schatten des Esels zwischen dem Zahnarzt und dem Eselstreiber ist ein solcher um das Eigentum an diesem Schatten. Durch die Verdoppelung der Metapher - der Schatten steigert gewissermaßen die Attribute des Esels dumm und störrisch - wird der Eigentumsanspruch als völlig hybrid entlarvt. Er bedroht geradezu das Wesen der Repu-

59 60

61

F. MARTINI, Wieland: .Geschichte der Abderiten, 183. Ebd., 167. - Ergänzend VOLKER KLOTZ, Die erzählte Stadt. Ein Sujet als Herausforderung des Romans von Lesage bis Döblin, München 1969, 66-90. C H . M . WIELAND, W e r k e 2 , 3 6 3 .

172

5

THEORIEN

blik, zumal er umgehend mit Freiheit verknüpft wird. „Wo, zum Henker, soll es mit unsrer Freiheit hinkommen, wenn einem zünftigen Bürger von Abdera nicht einmal frei stehen soll, sich in den Schatten eines Esels zu setzen?"62 Es spielt keine Rolle, wem Wieland solche Reden in den Mund legt. Indem Eigentum und Freiheit als Bürgerrechte sich am Schatten eines Esels bewähren müssen, gewinnen sie einen bedrohlichen Charakter für die Republik. Ein Rechtsanspruch kann noch so töricht sein, meint Wieland, er wird immer Juristen finden, die daraus einen Fall zu machen verstehen, den sie nach Belieben in die Länge und die Breite ziehen, sei es, um sich für die Zukunft eine Klientel zu sichern, sei es aus schierer Lust an der eigenen rhetorischen Brillanz. Jeder Prozeß ist immer und prinzipiell ein Geschäft, denn im schlechtesten Fall werden die Prozeßkosten, wie in Abdera, schließlich von der Staatskasse übernommen. In das Feuer, das der Streit um des Esels Schatten entfacht, blasen auch kräftig die Priester der beiden in Abdera beheimateten Kulte, beide um ihre Macht in der Stadt zu festigen, wo nicht zu erweitern. Der eine korrumpiert mit - je nach Stand - großen und kleinen Zuwendungen das Volk und die Ratsherren und empfängt in barockem Ornat auf einem erhöhten Thron die Gesandtschaft des Senats, während im Kabinett die Mätresse auf ihn wartet. Der andere arrangiert wissentlich und willentlich ein zu erwartendes Strafgericht der Götter und bringt damit die Bürger an den Rand der Hysterie. Und beide tun es gestützt auf ihr traditionales Charisma, das ihnen beim Volk aus dem Umgang mit dem Heiligen zuwächst. Die Götter haben diese Tempel längst verlassen, es sind Hülsen ohne Inhalt, Religionen ohne Gott. Zwei Religionen in einer Stadt ruinieren moralisch die Republik63. Sechs von sechzehn Kapiteln widmet Wieland den Machenschaften der beiden Kulte. Der Streit um Eigentum und Freiheit und die schmarotzerische Ausbeutung des Streites durch die Juristen und die Priester beider Kulte spaltet die Stadt in zwei Parteien. Solange das Parteienwesen lediglich die Heiratschancen halbiert und die Esel die Schattenwirtschaften meiden, tritt der komische Aspekt hervor, der aber rasch durch den tragischen verdrängt wird, wo aus dem Parteienstreit die „Revoluzion" hervorgeht und es unter den Bürgern zu militanten Auseinandersetzungen kommt. Die Parteien treiben die Republik in den Bürgerkrieg, die Parteien zerstören den Frieden. Aus der Kritik am Umgang mit Eigentum, Freiheit, Recht und Religion erwächst der kaustische Spott Wielands. Nicht die Institutionen und damit auch nicht die Verfassung von Abdera werden kritisiert, sondern der Verlust der Werte, auf denen diese Verfassung fußen muß, soll sie funktionieren. Was Abdera fur seine Gesundung bräuchte, wäre Gemeinnutz statt Eigennutz, einfache gerichtliche Verfahren statt rabulistischer Spitzfindigkeiten, eine bürgerliche Religion statt der beiden rivalisierenden Kulte und Friede statt Parteiungen. Der Republik ist das abhanden gekommen, was sie zur Republik macht, die Tugend. Wie Wieland in Abdera die Republik darstellt, könnte seine oberschwäbischen Erfahrungen spiegeln, wo seine Familie seit Jahrhunderten verwurzelt war und er seine Kindheit 62 63

Ebd., 315. Vgl. auch WOLFGANG MAUSER, Eine Grammatik des politischen Skandals. Wielands „Geschichte der Abderiten", in: Neue Zürcher Zeitung. 7. August 1992 [Femausgabe Nr. 180, Seite 28].

5.3

Das Eigentum am Schatten des Esels

173

und Jugend verbracht hatte. Die Vermutung ist nicht neu. Abdera sei das verfremdet abkonterfeite Biberach an der Riß, wo Wieland von 1760 bis 1769 als Senator amtierte, sagen die Germanisten 6 4 , jedenfalls sei es Biberach dort, wo über diesen Prozeß berichtet wird 6 5 . Insoweit dient eine oberschwäbische Reichsstadt Wieland als Modell 6 6 . Freilich muß dieses Modell nicht unbedingt in einer konkreten Stadt gesucht werden. Zwei Kulte, „zwei Konfessionen in einer Stadt", gab es neben Biberach auch in Augsburg, Ravensburg und Dinkelsbühl. Es gab sie auch im thüringischen Erfurt, wo Wieland von 1769 bis 1771 lehrte, mit der bemerkenswerten Besonderheit, daß die Diener des dort amtierenden Vertreteres des Erzbischofs von Mainz als Stadtherrn infolge ihrer mittelalterlichen Immunität von ihrem geistlichen Fürsten rechtlich besonders geschützt wurden 6 7 . Stadtunruhen gab es nicht nur in Biberach, sondern auch in Leutkirch und Wangen, darüber hinaus auch in Zürich und Bern, wo Wieland in den 1750er Jahren lebte. M a n kann weiter geltend machen, daß Wielands Erfahrung nicht nur eine solche der Stadt, sondern auch eine solche des flachen Landes war. Er selbst stand durch sein Elternhaus der dörflichen Welt nahe, durch sein Amt in Biberach war er mit der Verwaltung der Dörfer eines reichstädtische Territoriums vertraut, und durch einen Aufenthalt in Appenzell, wohin ihn Freunde zu gehen gedrängt hatten, waren ihm die dortigen republikanischen Verfassungsverhältnisse der beiden Landsgemeinde-Kantone Appenzell-Innerrhoden und Appenzell-Außerrhoden bekannt geworden 6 8 . Sowohl in ihren Institutionen wie in den Werten, die diese Institutionen trugen, zeigen Stadt und Land in Oberdeutschland - der Raum zwischen Alpen und Thüringer Wald eine Reihe von Ähnlichkeiten. Bezieht man die Abderiten auf den folgenden,,»Antwort" g e 64

65 66

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68

FRIEDRICH SENGLE, Wieland, Stuttgart 1949, 338. - H. ZüCKERT, Wielands Abderiten', 221 f. Dort auch eine Zusammenstellung von Äußerungen Wielands über Biberach selbst. F. MARTINI, Wieland: .Geschichte der Abderiten', 159. Die Anregung, das Beispiel aufzunehmen, verdanke ich der Arbeit von HARTMUT ZÜCKERT, Wielands Abderiten'. - Die Bezüge von Wielands Roman zur Realität ließen sich detaillierter herausarbeiten über neuere Studien zu innerstädtischen Konflikten in Biberach. Vgl. VOLKER PRESS, Biberach - Reichsstadt im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Dieter Stievermann (Hg.), Geschichte der Stadt Biberach, Stuttgart 1991, 21-64, bes. 54-60, sowie ANDREA RLOTTE, Die paritätische Stadt: Biberach 1649-1806, ebd., 309-366. PAUL WARMBRUNN, Zwei Konfessionen in einer Stadt. Das Zusammenleben von Katholiken und Protestanten in den paritätischen Reichsstädten Augsburg, Biberach, Ravensburg und Dinkelsbühl von 1548 bis 1648 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 111), Wiesbaden 1983. - PETER WLLLICKS, Die Konflikte zwischen Erfurt und dem Erzbischof von Mainz am Ende des 15. Jahrhunderts, in: Ulman Weiß (Hg.), Erfurt 742-1992. Stadtgeschichte, Universitätsgeschichte, Weimar 1992, S. 225-240. - Von Wielands Zeitgenossen wurde generell auch auf die Residenzstädte als Modell verwiesen, was aber nach der hier vorgenommenen Rekonstruktion wenig wahrscheinlich ist. „Ich irre mich", schreibt Friedrich David Gräter 1797, ein Gespräch mit Wieland referierend, „daß seinen Abderiten die Reichsstadt Biberach zu Grunde liege. Den Stoff dazu hätten die Residenzstädter gegeben". TH. C. STARNES, Wieland 2, 604; vgl. auch ebd., 3 , 1 4 0 . Die Beziehungen Wielands zur Schweiz dargestellt bei A. WÜRGLER, Unruhen, 166, 187, 231, 305 [fur die Schweizer Städte], und DERS., Verfassungstourismus. Der reisende Republikaner Michael Afsprung aus Ulm im Appenzellerland (1782), in: Peter Blickle - Peter Witschi (Hgg.), Appenzell - Oberschwaben. Die Begegnung zweier Regionen in sieben Jahrhunderten, Konstanz 1997, 201-230, hier 202 [fur Appenzell].

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5

THEORIEN

nannten Grundriß von Kommunalismus, dann können die Abderiten als theoretische Verarbeitung erfahrener politischer Verhältnisse gelesen werden. Der Schatten des reichsstädtischen, vielleicht darf man sagen des kommunalistischen Esels schlägt in die nationale Verfassungsdiskussion des 19. Jahrhunderts?

DIE ANTWORT: KOMMUNALISMUS

Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts, soweit sie ein Gespür fur politische Veränderungen hatten, ist bewußt geworden, daß spätestens mit der Französischen Revolution und der Durchsetzung ihrer Prinzipien ein Europa untergegangen war oder im Untergehen begriffen war, das über mehrere Jahrhunderte als eine angemessene Form gesellschaftlicher und politischer Organisation menschlicher Beziehungen gegolten hatte. Das Räsonieren über Vorzüge und Nachteile der rasch verfallenden ständischen und korporativen Ordnung, wahrnehmbar vor allem im Bereich der Wirtschaft und der Politik, führte die Debatten auch immer wieder zurück auf die Frage nach der organisatorischen Leistungsfähigkeit und politischen Wünschbarkeit von Verfaßtheiten, wie sie hier beschrieben wurden. In diesem Zusammenhang wurde dann, mit einem Zentrum in Süddeutschland, in besonders leidenschaftlicher Weise die Frage nach dem Bezugsrahmen des Bürgers diskutiert. Auskunftsreich ist der grenzüberschreitende Blick in die Schweiz, die, soweit sie wie die Gegend um den Vierwaldstättersee über solide kommunale Strukturen verfugte, nach dem Zusammenbruch der napoleonischen Herrschaft wie selbstverständlich zu den alten politischen Verhältnissen zurückgekehrt ist. Der Freiburger Karl Theodor Welcker verhandelte das Problem zwischen Rechtsstaat und Despotie. Klar sei, „daß im allgemeinen das repräsentativ-collegialische System", und darunter verstand er Gemeinderäte und Volksvertretungen, „dem Rechtsstaate, das autokratische und büreaukratische System dagegen der Despotie entspricht"1. Zugespitzt hieß die Frage, ob der Bürger zuerst Mitglied einer Gemeinde und dann Mitglied eines Staates sei oder umgekehrt. Die deutsche Geschichte hat sich für die Priorität des Staates entschieden. Seitdem bestimmen legislative Organe über die Kompetenz der Gemeinde, ja über deren schiere Existenz, wie die Gemeinde- und Gebietsreformen gezeigt haben. Uber Jahrhunderte hinweg war das anders. Wie anders es war, will der Begriff Kommunalismus abbilden, zunächst mit einem auf Oberdeutschland beschränkten Geltungsanspruch. Der regionale Aspekt verdient eine nachdrückliche Betonung. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und eine Stadt noch keinen Kommunalismus. Oberdeutschland ist ein politisch konsistenter Raum nur durch die flächige kommunale Durchdringung, betrachtet über die Vielfalt der Herrschaftsverhältnisse ist er es nicht. Kommunalismus umschließt Stadtgemeinden und Landgemeinden als fiinktional und institutionell im Prinzip analog aufgebaute Verbände, geprägt durch Satzungskompetenz der Gemeinde beziehungsweise ihrer repräsentativen Organe, Verwaltung im Rahmen des von den Satzungengedeckten Kompetenzbereichs und Rechtsprechung im Rahmen desgesatzten Rechts. Das Satzungsrecht der Gemeinde, ausgeübt durch die Gemeindeversammlung oder ihre Organe, ist nicht herrschaftlich oder obrigkeitlich delegiert. Es ist ein Produkt wilder Asso1

Zur Einordnung BERND WUNDER, Verwaltung, Amt, Beamter, in: O. Brunner - W. Conze - R. Koselleck, Grundbegriffe, 7, 6 9 - 8 5 ; das Zitat 77.

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ziation und steht mit den mittelalterlichen Formen der Herrschaftsorganisation, die das Gebot als natürlich und angeboren dem Adel vindizierten, in keiner Beziehung. Falls es überhaupt Traditionen für die gemeindliche Selbstverwaltung gibt, dann reichen sie in die Gerichtsorganisation zurück. Satzung stünde dann in der Kontinuität der gerichtsförmigen Auslegung des Rechts. Recht und Satzung stehen in einem wissenschaftlich nicht befriedigend gelösten Verhältnis zueinander. Satzung antwortet auf ein aktuelles, konkretes Problem und wird damit gerade das Recht des Neuen, das die Städte und Dörfer darstellen. Der bürgerliche und bäuerliche Alltag reguliert sich aus sich selbst. Die Stadtrechte und Dorfrechte sind die übriggebliebenen beeindruckenden Monumente. Ihre Kontrahenten werden zunehmend die obrigkeitlich erlassenen Territorialrechte. Konkurrenzlos war kommunale Satzung indessen nie, weil sie Interessen der Herren berühren konnte. Das gilt sogar für die Organisation der Landwirtschaft, weil die Herren nicht nur an Abgaben, sondern auch an der Art der Abgaben interessiert waren, aus Gründen der Selbstversorgung oder der Vermarktung. Das größte Unternehmen der Agrarmodernisierung vor der agrarischen Revolution, die von Ottobeurer und Kemptener Bauern im 16. Jahrhundert eingeleitete Vereinödung mit der beabsichtigten Umstellung auf Grünlandwirtschaft, kam wegen des Widerspruchs der Grundherren eher schleppend voran und wurde raumprägend vom Schwarzwald bis zum Lech erst im 19. Jahrhundert. Interessen trafen sich auch auf der Allmende, ein geradezu klassisches Feld kommunalen Statutarrechts, in das Herrschaft über den Rechtstitel Forsthoheit immer wieder eingreifen konnte. Konflikte in den Gemeinden und unter den Gemeinden bedurften gelegentlich der obrigkeitlichen Autorität, um beigelegt werden zu können. Das war ein weiteres Einfallstor fur die obrigkeitliche Gesetzgebungstätigkeit, mit der schließlich der Territorialstaat seine Legitimität überhaupt begründete 2 . Das moderne Recht als gesatztes Recht kommt jedenfalls aus zwei Wurzeln, der kommunalen und der herrschaftlichen.

Kommunalismus ist eine Hervorbringung des Standes der laboratores (Gemeiner Mann) aufgrund eines grundsätzlichen Wandels der Arbeitsorganisation von der auf den Herrenhof (Villikation) orientierten zu einer an das Haus gebundenen individuell-genossenschaftlichen Wirtschaftsweise einerseits, einer Siedlungsverdichtung in Form von Stadt, Markt, Dorf andererseits. Nicht, daß Stadt, Markt und Dorf nicht einen Herrenhof als Ausgangspunkt haben könnten, doch beruht deren Binnenorganisation aufvoluntaristischen Akten derjenigen, die in den Städten, Märkten und Dörfern leben. Der Übergangsprozeß ist archivalisch schlüssig nicht zu belegen, deswegen konkurrieren seit einem halben Jahrhundert mehrere Thesen miteinander. Sie in eine Richtung auflösen zu wollen, würde den Ehrgeiz übersteigen, der dem vorliegenden Buch zugrundeliegt. Solange sich der Begriff Gemeiner M a n n hält, hält auch die Solidarität zwischen Bürgern und Bauern, mindestens wo sie in Opposition zu ihrer Herrschaft treten. Das ist zugegebenermaßen im Spätmittelalter häufiger der Fall als in der Neuzeit, doch in den Landtagen 2

H . MAIER,

Staats- und Verwaltungslehre.

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macht der Dritte Stand auch in der Frühen Neuzeit gemeinsame Politik. Eine hermetisch geschlossene Klasse muß man deswegen aus ihm keineswegs machen. Von Kommunalismus kann man sprechen, obwohl es merkliche Gegensätze zwischen Städten und Dörfern geben konnte 3 , genauso wie niemand Katholiken, Lutheranern und Reformierten den Namen Christen wird absprechen wollen. Der Binnenraum der Gemeinde wird durch Häuser gegliedert. An ihnen hängen die politischen Rechte der Bürger und Bauern und auf ihnen lasten die Pflichten. Gemeindliche Amter werden deswegen ausschließlich von Hausvätern, nicht von Taglöhnern oder Knechten wahrgenommen. Damit fehlt dem Kommunalismus das Gütesiegel der Demokratie, was gelegentlich vorwurfsvoll vermerkt wird, als hätten die Städter und Dörfler permanent Verfassungsbruch begangen4. Wichtig ist, nicht aus dem Auge zu verlieren, daß das Haus keine genuin kommunale Institution war. Da im Haus Herrschaft eingelagert war, konnte sich ein Zeitgeist, der zu Monokratie und Autokratie tendierte, dort einnisten, mit der Folge neuer Solidaritäten zwischen Landesherren, Grundherren und Hausherren, was in der Tat den kommunalen Zusammenhalt lockern mußte 5 . Solche Vorgänge verstärken sich im 17. Jahrhundert, an dessen Ende nicht nur eine grundsätzlichere Orientierungslosigkeit, sondern eine Erosion der alten Ordnung als Ganzer steht. Bis jetzt sind es nur wenige Zeichen, aber starke, daß die Epochenzäsur möglicherweise hundert Jahre vorverlegt werden muß und das 18. Jahrhundert zum langen Korridor mit zunächst ganz ungewissem Ausgang wird. Die Indizien mehrheitlich an der Peripherie des oberdeutschen Raumes erhoben - sind die Verlagerung von einer Nutzungsgesellschaft zu einer Eigentumsgesellschaft6, die Verflachung von Verfassungsakten im Zeremoniell7 und die Implosion des christlichen Lebens8. Das alles geschieht um 1700 und wartet auf seine Erklärung. Gemeindliches Zusammenleben, vermittelt durch Häuser und Arbeit, stiftet Werte und Normen, die Bauern und Bürger verbinden. Zu ihnen gehören Gemeiner Nutzen, Hausnotdurft, Frieden, Gerechtigkeit sowie möglichstfreieVerfügbarkeit über die eigene Arbeitskraft und den Arbeitsertrag was im vorgegebenen herrschaftlichen System zu persönlicher Freiheit und Eigentum tendiert. Die Herkunft der Werte aus der Praxis läßt sich fast überall nachweisen. Dem Gemeinen Nutzen fehlt zunächst jede theoretische Begründung und erst recht jedes moralische Pathos

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DIE ANTWORT

wie dem Frieden auch. In ihnen drücken sich Strategien des Überlebens aus, weil Landwirtschaft und Handwerk keine martialische Durchsetzung von Rechtsansprüchen duldeten. Der Kommunalismus hat viel für die Ausbildung einer ordentlichen, funktionierenden und mit Autorität ausgestatteten Rechtspflege geleistet und mühsam, beharrlich und hartnäckig flankierend ein Strafrecht zur Sicherung des Friedens durchgesetzt. Die frühzeitig in den Städten realisierte persönliche Freiheit, wenn sie auch nur der Rechtsschutz des städtischen Rechtskreises gegen Ansprüche von außen nach Jahr und Tag war, hat aus ökonomischen oder ideellen Motiven die Bauern in die Stadt gezogen, was ein Leichtes war, solange die Häuser, wie ihre Rechtsqualität als Fahrhabe zeigt, abgeschlagen, auf den Wagen geladen und mit dem Vieh bei Nacht und Nebel fortgebracht werden konnten. Das mußte auf das Land zurückwirken und konnte zur Verbesserung der Besitzrechte an den Höfen fuhren, die sich dann als zinsbelastete Erbrechtsgüter wenig von den städtischen Liegenschaften unterschieden. Freiheit ist mit der Gemeinde verknüpft: in dem Sinne, daß sie deren Satzungskompetenz stärkt. Umgekehrt verfugt die herrschaftliche Satzungs- und Gerichtshoheit in der Leibherrschaft über einen Rechtstitel, der den Ausbau von Untertanenschaften befördert. Untertan wird man wesentlich dadurch, daß man herrschaftliche Gebote befolgen und sich für deren Übertretung vor einem herrschaftlichen Gericht rechtfertigen muß. Ansonsten darf der Zusammenhang von Freiheit, Eigentum und Gemeinde nicht über Gebühr strapaziert werden. Der Kommunalismus als Form der Organisation des Alltäglichen zeigt eine Affinität zum Republikanismus als Staatsform. Erst als die Städte sich eine Zunftverfassung angemessen hatten, lösten sie sich mit eiligeren Schritten aus der Vormundschaft ihres Stadtherrn. Als die Herrschaft der Montforter an die Habsburger überging, war angesichts der mittlerweile erstarkten Kommunen von Innsbruck aus wenig zu regieren vor dem Arlberg, das Engadin und das Münstertal waren den Habsburgern ohnehin gänzlich abhanden gekommen. Die politische Perspektive bestand im Revolutionsjahr 1525 darin, den Kommunalismus in einen Republikanismus zu transformieren, in Tirol nicht anders als im Elsaß. Ob Stadt oder Dorf spielte dabei keine Rolle, wie auch nicht hundert Jahre zuvor im Bund ob dem See. Freilich erträgt der Kommunalismus auch einen herrschaftlichen Überbau in Form der Monarchie oder des Territorialstaats, dem er sich langfristig aber doch unterlegen zeigt, falls es nicht gelingt, gemeindliche Strukturen über die Landschaften und Landstände fest in der Verfassung einzubauen. Das erklärt die unterschiedlich lange, praktisch nicht verallgemeinerbare Lebensdauer des Kommunalismus. In der politiktheoretischen Literatur, beginnend mit dem Oberrheinischen Revolutionär und endend mit Wieland, werden kommunale Erfahrungen immer wieder verarbeitet und kritisch gegen jene Theorien gekehrt, die einseitig zugunsten monarchischer und aristokratischer Herrschaft argumentieren. Nie hat sich Kommunalismustheorie in Oberdeutschland eindeutiger ausgedrückt als in der Theologie und Ethik der Reformationszeit. Aus dem Arsenal der kommunalen Werte

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nehmen Huldrich Zwingli und seine Anhänger in Süddeutschland den Gemeinen Nutzen, machen aus ihm einen Parameter, an dem christliche Lebensführung gemessen wird und kehren ihn schließlich kritisch gegen den Eigennutz der Mächtigen und Herren, die umstandslos mit den Gottlosen gleichgesetzt werden. Hier findet eine Sakralisierung eines bislang recht pragmatisch verwendeten Begriffes statt. Das könnte erklären, weshalb sich seitdem die Obrigkeiten damit legitimieren wollen. Die Reformation liefert den Bauern und den Bürgern theologische Argumente, das Christentum als Universalkirche ganz in den kommunalen Strukturen aufzulösen - Gemeindekirche gegen Amtskirche - , ein freilich gescheitertes Projekt, aber ein Manifest fur die Vitalität des kommunalen Geistes. Ein produktives Spannungsverhältnis prägt die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Geschichte Oberdeutschlands, bis die kommunale Ordnung und die sie überwölbenden Formen herrschaftlicher Organisation im 18. Jahrhundert erodieren und schließlich im erzwungenen Nachvollzug der Französischen Revolution als Revolution von oben aufgekündigt werden. Die als gegliedert gedachte und als solche mit politischen Rechten ausgestattete Gesellschaft, von Juristen gelegentlich societas

civilis

cum imperio

geheißen, wird durch die

allgemeine Staatsbürgerschaft in dem Sinne entpolitisiert, daß die Gemeinden zu untersten Verwaltungsbehörden des Staates werden und damit Auftragsverwaltung wahrnehmen. Politische Kreativität und normative Wertschöpfung erfolgen seitdem nicht mehr aus den Kommunen, sondern nur in Formen sehr viel abstrakterer Repräsentation über die Parlamente. Das ist das Ende des Kommunalismus. An ihm festzuhalten wäre keineswegs wünschenswert gewesen, weil die Bedingungen seiner Existenz nicht mehr gegeben waren. Womit nicht gesagt ist, daß er folgenlos gewesen wäre. Im Laboratorium des 18. Jahrhunderts treffen sich alte ständische Strukturen mit modernen parlamentarischen, Forderungen nach Respektierung alter Verfassungen mit modernem Konstitutionalismus, kommunale Gemeindeversammlung mit moderner Versammlungsfreiheit, Perhorreszierung der Leibeigenschaft mit modernen Menschenrechten und so fort. Empirisch lassen sich die Verkoppelungen nur punktuell aufweisen, und folglich gibt es auch kein Fortleben des Kommunalismus in der Moderne. Insofern ist Kommunalismus keine generelle, sondern eine historische Kategorie. Das schließt nicht aus, daß Grunderfahrungen, seien sie politiktechnischer oder normativer Art, in die Moderne weitergegeben wurden durch reflexive Verarbeitung. Vermittelt werden konnten sie am leichtesten in politischer Theorie. Doch das läßt sich nur in größerem Rahmen beantworten. Die Brauchbarkeit des Begriffs wächst mit seiner Generalisierbarkeit. Das lenkt den Blick auf Europa.

NACHWORT

Die ersten Ansätze, den Kommunalismus über einen ungefähren Entwurf hinaus genauer zu konzeptualisieren, fielen in die ersten Jahre meiner akademischen Tätigkeit an der Universität Bern. Das war eine Zeit fruchtbarer Diskussionen mit meinen Assistenten, vornehmlich Peter Bierbrauer und Heinrich R. Schmidt, die sich in die Doktorandenkolloquien und Seminare hinein verlängert haben. Naheliegenderweise hat das Konzept durch den beruflichen Standort in der Schweiz an Faszination gewonnen. Die Ausweitung meiner Quellenkenntnisse in den Raum der heutigen Schweiz erfolgte schrittweise und an die mir vertrauten Regionen anschliessend, erreichte also die Alte Eidgenossenschaft (Zentralschweiz) nicht, beschränkte sich vielmehr auf das an Tirol und Vorarlberg benachbarte Graubünden und an das daran anschließende Wallis. Umfassende empirische Arbeiten erfolgten im Anschluß an den Internationalen Historikertag in Stuttgart 1985 aufgrund der dort diskutierten Zusammenhänge von Kommunalismus, Parlamentarismus und Republikanismus. Die für Fragen kommunaler Wertvorstellungen notwendige Durchsicht von Urkundenbüchern und gedruckten Rechtsquellensammlungen verdanke ich der Mitarbeit meiner Assistenten in der Mitte der 1980er Jahre, vor allem Heinrich R. Schmidt, aber auch Andreas Würgler und zu kleineren Teilen Beat Kümin. Das Material blieb wegen anderweitiger Verpflichtungen in der fragmentarischen Form liegen und wurde nur eklektisch benutzt, um Kongresse auf Schloß Reisensburg und Spiez am Thunersee 1989 beziehungsweise eine Sektion auf dem Internationalen Historikertag in Madrid vorzubereiten. Sein konzeptionelles Profil und seine ganz vorläufige Manuskriptfassung hat der hier vorliegende erste Band als Vorlesung im Sommersemester 1991 erhalten. Interpretatorisch geht die jetzige Fassung über den damals erreichten Stand nicht hinaus, lediglich da und dort wurde besonders wichtige Literatur nachgetragen und der Text sprachlich auf ein angemesseneres Niveau gebracht. Kritisch hat den Text der revidierten Fassung Andre Holenstein gelesen, dessen Sorgfalt ich sprachliche und gedankliche Präzisierungen verdanke. Daß die endgültige Manuskriptfassung in einer vergleichsweise knappen Zeit geschrieben werden konnte, verdanke ich den optimalen Rahmenbedingungen am Historischen Kolleg in München, das vom Stifterverband fiir die Deutsche Wissenschaft getragen wird, aber auch der hervorragenden technischen Zusammenarbeit mit Ursula Schatz, Thomas Albert, Peter Kissling und Philipp Dubach. München, im Frühjahr 1994

ABKÜRZUNGEN

BayHStA

Bayerisches Hauptstaatsarchiv München

GAE

Gemeindearchiv Eglofs

GLAK

Badisches Generallandesarchiv Karlsruhe

HStASt

Hauptstaatsarchiv Stuttgart

KAK

Evangelisches Kirchenarchiv Kaufbeuren

LRATI

Landesregierungsarchiv für Tirol Innsbruck

StAA

Staatsarchiv Augsburg

StaAM

Stadtarchiv Memmingen

StiAM

Stiftungsarchiv Memmingen

UB Basel

Urkundenbuch der Stadt Basel, Bd. 4—11, bearbeitet von Rudolf Wackenagel, August Huber, Johannes Haller, RudolfThommen, Basel 1899-1910.

UB St. Gallen

Urkundenbuch der Abtei Sanct Gallen, Teil 3-6, bearbeitet von Hermann Wartmann, P. Büttler, Traugott Schiess, P. Stärkle, St. Gallen 1882-1955.

VLAB

Vorarlberger Landesarchiv Bregenz

WGA

Fürstlich Windschgrätz'sches Archiv Siggen

QUELLEN U N D LITERATUR

Das Quellen- und Literaturverzeichnis enthält nur mehrfach zitierte Arbeiten. Die im Text benützten Kurztitel sind durch Kursive kenntlich gemacht. Die übrigen Titel sind mit allen notwendigen bibliographischen Angaben in den Anmerkungen verzeichnet. Autorennamen sind durch KAPITÄLCHEN gekennzeichnet.

ARCHIVE Badisches Generallandesarchiv Karlsruhe Bayerisches Hauptstaatsarchiv München Gemeindearchiv Eglofs Evangelisches Kirchenarchiv Kaufbeuren Fürstlich Windischgrätz'sches Archiv Siggen Hauptstaatsarchiv Stuttgart Klosterarchiv Buxheim [im Klosterarchiv Ottobeuren] Klosterarchiv Ottobeuren Landesregierungsarchiv fur Tirol Innsbruck Staatsarchiv Augsburg Stadtarchiv Memmingen Stiftungsarchiv Memmingen Vorarlberger Landesarchiv Bregenz

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REGISTER

D a s Register verzeichnet L a n d s c h a f t s - , O r t s - u n d P e r s o n e n n a m e n sowie Sachbetreffe. D i e O r t s n a m e n w e r d e n d u r c h historische L a n d s c h a f t s n a m e n (oder b e n a c h b a r t e größere Städte) lokalisiert. Bei d e n Seitenverweisen ist zwischen seitenübergreifenden B e z ü g e n (z.B. 3 7 f . ) u n d sachlich u n t e r b r o c h e n e n B e z ü g e n ( 3 7 , 3 8 ) unterschieden.

Absolutismus 3 Adelsherrschaft 4 Agrargeschichte 9 Albersweiler, Oberschwaben 111 Allmende 3 9 , 4 4 , 5 5 , 7 8 , 7 9 , 9 2 , 9 8 , 107, 108, 109, 161, 176 Altdorf bei Bebenhausen 45 Altenburg, Tirol 98,106 Altshausen, Oberschwaben 138 Ammann 42, 56ff., 69, 90, 110, 112, 131, 136, 1 3 9 , 1 5 2 Amtmann 136 Amtseid 53, 100, 128, 137 Amtsorganisation 136 Appenzell 1 3 , 4 2 , 57, 90, 93, 148, 151f., 158, 173 - Appenzellerkrieg 145 -Landsrat 152 Armer Konrad 80 Armer Mann, Arme Leute 3 8 , 3 9 , 7 2 , 74, 75 Augsburg 4 4 , 4 8 , 4 9 , 51, 54, 67, 173 -Hochstift 142 Ausbürger 125f. Ausschuß 140, 144

Backstube 54 Baden 73, 1 2 5 , 1 3 8 , 139 - Philipp von 70 Bader, Karl Siegfried 7 , 4 3 , 50, 57, 59, 77, 78, 110 Badstube 54 Banngewalt 135 Bannwart 55 Basel 48,53,91,93-98,128,149 - Bischof 93 - Landschaft 97 - Neuner 97 - St. Alban 93 Bauding 135 Bauermeister 58

Bauernkrieg 8 , 4 2 , 6 7 , 7 0 , 80, 139 Bauernschaft 52 Bauernunruhen 42, l45ff., 149 Bayern 108f. -Hofrat 108 Becher, Johann Joachim 72 Begriffsbildung 1-14 Benningen bei Memmingen 34f. - Ammann 34, 35 - Richter 34, 35 -Vierer 34,35 Berchtesgaden, Bayern 148 Bergell, Graubünden 153 Bern 91, 1 2 5 , 1 4 9 , 173 - Henziverschwörung 150 Bertschi, Kolumban 58 Biberach an der Riß 173 - Territorium 111 Biedermann 81,118 Billigkeit 119 Blickle, Renate 107 Bloch, Marc 5 Bodensee 92 Bodin, Jean 154 Bondorf, Württemberg 54 bonum commune 132 Bregenz, Herrschaft 136 Bretten, Baden 121 Brixen, Hochstift 88 Bruneck, Tirol 100 Brunner, Otto 3ff., 7 7 , 7 8 , 103, 145 Buch, Tirol 98 Buchau, Kloster 111,138 Büren, Elsaß 84 Bürgereid 91, 103, 137 - von Bauern 51, 73 Bürgerfreiheit 4 Bürgerkämpfe l44f. Bürgermeister 42, 53, 56, 58, 131, 139, 152 Bürgerrecht - v o n Bauern 126f.

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REGISTER

Bürgerschaft 4 3 , 4 4 , 58, 7 3 , 7 6 , 1 1 3 , 1 1 4 , 115, 1 2 8 , 1 4 3 , 1 4 4 Bürs, Vorarlberg 47 Bund ob dem See 151f., 178 Bundschuhaufstände 80 Buße 56,119 Buxheim, Oberschwaben 7, 2 7 - 3 3 , 83 -Ammann 30,32,36 -Gemeinde 31,32 - Gemeindeversammlung 29f. - Gericht 39 - Karthause 30 -Richter 31f., 36 -Vierer 30,31,32,36 -Wahlen 30 Carsten, Francis L. 8 Chur, Hochstift 138, 152ff. commun, communitas 155, 157, 165 coniuratio 51,116 consistorium imperiale 161f. Damüls, Vorarlberg 140 Demokratie 73, 128, 153f-, 169, 177 Dieterskirch, Oberschwaben 111 Dinggenossenschaft 59 Dinkelsbühl 173 Domleschg, Graubünden 153 Dorfmeister 58 Dorfrecht 45, 121, 157, 176 Dreier 52 DritterStand 75,176 Droysen, Johann Gustav

1

Eberhard von Kyburg 91 Eglofs bei Wangen im Allgäu 6 2 - 6 7 , 138 - Ammann 64, 66 - Gemeindeversammlung 64f., 66 -Gericht 65,66 - Rat 64, 66 Ehaften 36, 65, 132 Eherecht 39 Ehinger, Jakob 39 Ehofstatt s. Hofstatt Ehrbarkeit 80,81 Ehre 93 - Gottes 88 Ehrenamtlichkeit 55, 145 Eid 23, 52, 90, 91, 103, 115, 132, 142, 144 Eidgenossenschaft s. Schweiz Eigennutz 39, 90, 96, 161, 172, 178 Eigenschaft 124, 135 Eigentum 109, 130, 135, 148, 149, 157, 168,

171, 172, 1 7 7 , 1 7 8 Einung 95, 123 Elsaß 12, 6 7 , 7 3 , 94, 143, 178 Emerkingen bei Biberach 73 Empörerordnung 80 Engadin 45,55 Epochenbezeichnung 2 Erbrecht 39, 117, 124, 147, 149, 178 Erfurt 173 -Landschaft 118 Esslingen 52 Etter 41,78,110,132 Familie 77,82 Fehde 95, 104, 105, 114, 115, 116, 119, 128 Ferdinand von Österreich, König 49, 101, 121 Feudalismus 3ff., 69, 132, 134, 147, 159 feudum 5 Feuerschauer 55 Feuer und Rauch 78 Fettmilch, Vinzenz l43f. Fischart, Johann 77 Flirsch, Tirol 99 Flur 44, 5 4 , 7 8 Franck, Sebastian 81 Frankfurt am Main l43f. Franz, Günther 146 Französische Revolution 3 Frauen 42 Freiberg, J ö r g von 39 Freiburg i. Br. 50,91,94,149 Freiheit 8, 64, 109, 1 1 6 - 1 2 8 , 135, 149, 165, 169, 172, 177, 178 Freundschaft 82 Frevelordnung 38,119 Fribourg, Schweiz 149 Friedbruch s. Fehde Friede 9, 3 2 f „ 4 1 , 4 6 , 51, 55, 57, 77f., 92, 9 4 f f „ 104, 1 1 0 - 1 1 6 , 119, 128, 129, 132, 133,164,172,177 Friedrich II., Kaiser 62, 63 Friedrich III., Kaiser 97 Fronen 39, 85, 107, 110, 164, 165 Fugger, Grafen von 111 Fünfer 52 Gais, Appenzell 152 Gebot und Verbot 37, 38, 52, 56, 75, 118, 129 Gemeindeversammlung 41—51, 53, 56, 57, 69, 115, 1 2 0 f „ 131, 132, 139, 146, 149 Gemeinderecht 42, 69, 78

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Gemeiner Mann 70f., 7 2 , 7 3 , 7 4 f „ 76, 86, 132,170,176 Gemeiner Pfennig 104 Gemeines Recht 37 Gemeinfreientheorie 4 Gemeinnutz, Gemeiner Nutzen 39, 88-106, 128,129,132,148,149,161,163,164, 166,172,177,178 Gemeinwerk 157, 158 Gemeinwohl 99 Gerechtigkeit 116-128,161,163,177 -göttliche 163 Gerhard, Dietrich 8 Gericht 39, 56, 58-62, 69, 8 4 , 1 0 4 , 1 1 8 , 1 3 6 - Gerichtsbesetzung 59, 82, 120 - Gerichtsverfahren 120,129,131 Gerichtshoheit 134, 135 Gerichtsleute 39 Gesellschafts- und Verfassungsgeschichte 1 Gesetz s. Satzung Gewalt 50, 69, 78, 95, 140 Gewissen als Urteilsgrundlage 37, 38, 118, 120 Gewohnheit 37,61 Giengen 52 Gierke, Otto 78 Goldene Bulle 127 Goms, Wallis 156,157 Gotteshausbund 153 Gotteshausleute 39 Gotteshausnutz 89f., 95, 103 Graf, Egli 57f. Graubünden 13,73, 148,153,158 Grauer Bund, Graubünden 153 Grundherrschaft 4f„ 27, 39, 135, 148,154 Grundrechte 109, 127, 149 Gutenzell, Kloster 111,138 Gute Policey s. Polizei Gutseigenschaft 135 Hagnau, Bodensee 125 Haid, Tirol 98 Hanau-Lichtenberg, Elsaß 142, 149 Handel 39 Handwerker 113, 143, 145, 166 Haus 43, 77f., 82, 83, 8 6 , 1 0 9 , 1 1 4 , 1 2 6 , 1 6 4 , 176, 177 - als Gebäude 79f. Hausfriede Iii., 83, 132 Hausherr, Hausherrschaft 78, 83, 84f„ 164 Hausmutter, Hausfrau 84f. Hausnotdurft 106-110, 128, 130, 132,148, 177

Hausvater 76-86, 177 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 133, 160 Heggbach, Kloster 110,111 Heilbronn 52,70 Heiligkreuztal, Kloster 73, 111 Heltzlin, Hans 17,18 Herkommen 37,38,44,61,119,120,122,166 Herrennutz 90, 103, 128, 132 Herrschaft 86,135,139,158,164 - natürliche 134 Hessen 145 Hintersassen 39 Hinter-sich-bringen 139, 152, 153 Hof 4 4 , 7 8 f „ 158 Huldigung 90, 91, 125, 137, 142 Hundwil, Appenzell 152 Imperatives Mandat 153,156 Ingenried, Allgäu 45 Innsbruck 107 Inzing, Tirol 98 Isenmann, Eberhard 114 Isny, Reichsstadt 47, 52, 66 ius statuendi s. Satzung Kaisheim, Kloster 111 Kapitalismus 4 Karl V., Kaiser 4 9 , 5 3 , 1 0 5 Kempten 6, 66, 149, 176 - A b t Georg 39 - Landschaft 137f., I 4 l f „ 148 Kinder 42 Klettgau, Grafschaft 118,119 König, Kaiser 95,105,158 Koenigsberger, Helmut G. 8 Konstanz 4 7 , 9 1 Konstitution 158 Kooptation 59 Kues, Nikolaus von 88 Kufstein, Tirol 106 laboratores 75,76, 86, 131,162,176 Landeshoheit 135 Landesordnung 139, 141 Landesverteidigung 141 Landfriede 81, 104f„ 155, 165 Landgericht 138 Landnutz 90 Landrat 155, 156 Landrecht 56,58,88,107,109,155 Landsbrauch 45, 121f. Landschaft 7f., 39f., 74, 137f., 139, 141, 148, 155,158f„ 164,165,166,178

194 Landsgemeinde 42 Landstadt 41,49 Landtag 8, 100f„ 139, 140, 157 Landtagsabschied 139 Landvogtei Oberschwaben 27, 63 Langwies, Graubünden 45 Lanertshausen, Oberschwaben 81 Laupheim bei Ulm 73 Lehnswesen 4f. Leibeigenschaft 6f„ 58,123f., 125, 127, 128, 135,147,148,149 Leibherrschaft 6f„ 27, 39, 123, 135, 148, 178 Leutkirch, Reichsstadt 46f., 173 - Gemeinde 46 - Rat und Gemeinde 46 - Rat und Zwanzig 46 Liberalismus 4 Lichtenberg, Grafen von 126 Lienz, Tirol 98,100 Lindau 48,52,60,63,91,92 Lorenzen, Tirol 98 Ludwig der Bayer, Kaiser 62, 63, 66 Lüsen, Tirol 106 Lupin, Mattäus 39 Luther, Martin 81,163 Luzern 125 Magschaft 82 Mainz 91 Marchtal, Kloster 73, 111 Marx, Karl 4, 133 Maulbronn, Kloster 121 Maximilian I., Kaiser 139,141 Megerich, Jakob 18,19,20 Memmingen, Reichsstadt 15-26,27,46, 52,60 - Disputation 18, 20 - Gemeinde 20, 22, 26 -Gemeindeausschuß 17,18,26 - Gemeindeversammlung 17, 18, 23, 26 - Gericht 23 - Kleiner Rat 25 - Patriziat 22f. -Rat 17, 18, 19f.,23,26 -Spital 16f., 52 -Wahlen 23 -Zünfte 18,22,23,25 Menschenrechte s. Grundrechte Menzingen, Hessen 121 Militärhoheit 134, 135 Mitteis, Heinrich 5 Mittelberg, Vorarlberg 57 Mömpelgard, Elsaß 94 Montafon, Vorarlberg 121

REGISTER

Montesquieu, Charles de Secondat 3 Montfort, Grafen von 67 Moos, Tirol 98 Moser, Johann Jacob 41, 43, 74, 81, 128 Mühle 54 Mülhausen im Elsaß 52 Münster, Wallis 157 Münze 96f. Müßiggänger 53,80 Murbach im Elsaß, Kloster 94 Nachbarschaft 48, 122 Nördlingen 48, 52, 142 Nüziders, Vorarlberg 44 Nutzen 89,94 Oberdeutschland als Raum 13f. Oberengadin, Graubünden 153 Oberhalbstein, Graubünden 153 Oberösterreich 145 Oberrheinsicher Revolutionär 160-163, 178 Oberschwaben 11, 67 Oberwachingen, Oberschwaben 44 Obrecht, Georg 72 Obrigkeit 71, 80, 82, 134-159, 163f., 179 Ochsenhausen 3 7 ^ 0 , 111,117f., 123, 146 - Abt Symon 38 - Abt und Konvent 37,38 - Ammann 39 - Landschaft 39, 138 - Maier 37 - Vierer 39 Öffnung 150f. Ottobeuren 176 - Reichsstift 34ff. Parlamentarismus 159 Passeier, Tirol 106 Patriziat 49,71,113,114,123 Paumgartner, Hans 49 pauperes 75 Perftichs, Tirol 44 Periodisierung 2f. Peutinger, Konrad 21 Pfalbürger 126f. Pfirt, Sundgau 145 Pflaumloch bei Nördlingen 113 Pfullendorf 52 Pöbel 80,81,169 Polizei 99, 100, 101, 121, 122, 136 Randgruppen 71 Ranke, Leopold von

2

REGISTER Rat

49, 50, 5 2 f f „ 55, 56, 58, 6 9 , 1 3 1 , 1 4 3 , 144,145,165 - G r o ß e r Rat 53,168,169,170 - K l e i n e r Rat 53,170 Rathaus 60 Ratsgerichtsbarkeit 58, 6 1 , 1 1 4 , 1 3 1 Rauch, Georg 35 Rauch, Matheus 35 Rauch, Michael 35 Ravensburg 52, 173 Rechnungsabhör 50, 140 Recht 37, 3 9 , 4 3 , 4 4 , 51, 1 0 3 , 1 2 4 , 1 2 5 , 1 4 1 , 172,176 -göttliches 161 Rechtsbuch 61 Rechtsweisung 113 Referendum 139, 140, 156 Reformation 11 Reich 105f. Reichshofrat 137 Reichskammergericht 122,137 Reichsreform 160-163 Reichsstadt 38,41,43,49,166 Reispflicht 135 Republik, Republikanismus 131,148,152, 154,155,158,165,171f., 173,178 Reutlingen 52 Revolution 172 Rhegius, Urbanus 21 Rheintal, Vorarlberg 90 Richter 3 7 , 4 5 , 50f., 59, 6 0 , 6 9 , 110, 117, 118, 120, 124 Riethaim, EglofFvon 39 Ritterschaft in Schwaben 92f. Römisches Recht 136 Rötteln-Sausenberg, Baden 138 Rot an der Rot, Kloster 138 Rottweil 47, 48, 52 -Territorium 52,54 Rudolf von Habsburg, König 63 Rüsen, Jörn 2 Ruprecht, König 93

Sablonier, Roger 9 Salzburg, Erzstift 119,121,138 - Land- und Stadtgerichte 120 -Landtag 139 Sam, Konrad 21 Sankt Blasien, Kloster 120 Sankt Gallen 51,118,138 -Kloster 89-93,151 -Stadt 9 0 f . , 9 2 . 151

195 - Gemeinde 92 -Rat 92 Sarntein, Tirol 106 Satzung 3 7 , 3 9 , 4 3 , 4 4 , 4 5 , 4 7 f . , 50, 5 6 , 6 1 , 69, 92, 97, 9 8 , 1 0 0 , 103, 1 1 2 , 1 1 3 , 115, 121,124,125,129,131,132,136, 157,176 Schams, Graubünden 153, 178 Schappeler, Christoph 15, 16, 18, 19, 20, 21 Schlettstadt 52 Schmid, Caspar von 107 Schönau, Schwarzwald 120 Schultheiß 5 6 f „ 58 Schulze, Winfried 147, 149 Schussenried, Kloster 125 Schutz und Schirm 56,75,135,163,166 Schwabenspiegel 110, 117, 127 Schwäbisch G m ü n d 52 Schwäbischer Bund 146 Schwäbisch-Österreich 138 Schweiz 93,155,165,175 Schwörtag 4 l f „ 46, 5 1 , 1 1 4 Schwyz 93 Sechser 52,54 Seide, Seidnerschaft 44, 45, 52 Sendgericht 162 Sieyfcs, Emmanuel 3f. Sigismund, Kaiser 66 Silan, Tirol 107 Sippe 82 Sitten, Hochstift 138,155 Söflingen, Kloster 111 Souveränität 49 Sozialdisziplinierung 6 Speyer 91 Spielhaus 60 Stadion, Herren von 111 Stadtfriede s. Friede Stadtgericht 58,60 Stadtherr 5 0 , 6 0 , 114 Stadtnutz 91,93-98 Stadtrecht 45, 56, 8 8 , 1 2 3 , 1 5 0 f „ 176 Stadtunruhen 49f., 54, l 4 2 f f „ I47f., 173 Statuten s. Satzung Steinheim bei Memmingen 16 Sterzing, Tirol 58 Steuer 50, 141, 1 4 8 , 1 6 4 Steuerhoheit 134 Steuerstaat 135 Stiftsnutz 89, 95, 97, 103 Strafgerichtsbarkeit 61,119 Straßburg 6 7 , 7 9 , 91, 114, 1 2 6 , 1 4 3 - Bischof 94, 127 Stühlingen, Herrschaft 118, 119, 120

196 Stumpf, Johannes Stuttgart 42

REGISTER

70

Tagwan 157 Telfs, Tirol 100 Terz 154 Tettnang, Oberschwaben 138 Teufen, Appenzell 152 Tirol 1 If-, 58, 74, 98-101, 119f., 138, 178 - Landesordnung 107, 109f., 121, 141 - Landgerichte und Stadtgerichte 119f., 121, 153 -Landtag 139 Todtnau, Schwarzwald 120 Toggenburg, Grafschaft 128,141, 149 - Toggenburger Wirren 149f. Trauchburg, Allgäu 138 Triberg, Schwarzwald 145 Tübingen 48 Tübinger Vertrag 139 Tyrannen 164ff„ 169 Überlingen 52,91 Ulm 4 l f . , 4 7 , 4 8 , 52,67, 113f. -Stadtrecht 114 -Territorium 78,81,86,111 Umlage 50 Ummendorf bei Biberach 61, 112f. Ungehorsam 142 Ungenoßsame Ehe 124 Unterengadin, Graubünden 153 Untergänger 55 Untertanen 70ff., 76, 81, 135, 137, 178 Urnäsch, Appenzell 152 Urteiler 59,69,113,119,120 Utzwil, St. Gallen 92 Vaihingen, Württemberg 124 Vereinödung 176 Vernunft als Urteilsgrundlage 38,120 Vertrag 39,148 Vierer 50, 51f., 54, 55, 56, 57, 69, 131 Vierergerichtsbarkeit 61, 131 Vierundzwanziger 54f. Villikation 82, 126, 176 Villingen 70 Vöhlin, Konrad 39 Vogt, Vogtei 42, 56, 58, 75, 120, 135, 148 Volk 71, 169, 170

Vorarlberg 12,45, 57, 138, 139, 153 Vorderösterreich 74, 138, 139 Wächter 55 Wahlen 57, 58, 59 Wald 39,44, 54, 92, 98, 106f. Wald, Kloster 43 Waldburg, Truchsessen von 112 Waldsee 115 Walensee 92 Wallis 148,154f„ 156,158 -Landrat 155f. -Landrecht 155 -Landschaft 155 Walser 154 Wangen im Allgäu 65, 66, 173 Weber, Max 1,4,114,133 Weide s. Allmende Weikersbach bei Rottweil 43 Weingarten, Kloster 124f„ 138 Weißenau, Kloster 112,113,138 Weistum 150f. Weitzel, Jürgen 59 Welcker, Theodor 175 Wiblingen, Kloster 111 Wieland, Christoph Martin 167-174, 178 Wirtshaus 54,60 Wohlfahrt 101 Wolfegg, Oberschwaben 138 Worms 91 Würgler, Andreas 149, 150 Württemberg 12, 73,74, 138, 139 Wurzach 138 Zehner 56 Zehngerichtebund, Graubünden 153 Zehnt 15f. Zeil, Allgäu 138 Zenden 155, 156 Zermatt, Wallis 157 Zernetz, Graubünden 45 Zürich 9 1 , 1 2 5 , 1 5 0 , 173 Zunft 48, 53, 5 8 , 1 2 3 , 1 4 3 , 1 6 5 , 1 6 9 - Zunftregiment 48 -Zunftrevolution l44f. - Zunftverfassung 48, 53, 168, 178 Zwiefalten, Kloster 138 Zwing und Bann s. Satzung Zwingli, Huldrich 163,164,166, 178 Zwölfer 54