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German Pages 332 Year 2016
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1324
Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen
Von
Arne Dittloff
Duncker & Humblot · Berlin
ARNE DITTLOFF
Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1324
Kommunale Bürger- und Einwohnerbefragungen
Von
Arne Dittloff
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Universität Potsdam hat diese Arbeit im Jahr 2015 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Meinen Eltern
Vorwort Die Arbeit wurde im Februar 2015 eingereicht und von der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam im August 2015 als Dissertation angenommen. Die Disputation fand im September 2015 statt. Gesetzgebung, Literatur und Rechtsprechung wurden bis Januar 2015 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Thorsten Ingo Schmidt, der mir bereits zu Beginn des Vorhabens großes Vertrauen geschenkt und mich auch darüber hinaus fachlich hervorragend betreut hat. Ferner möchte ich Herrn Prof. Dr. Christian Bickenbach für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens danken. Gedankt sei an dieser Stelle auch Dr. Toni Glaser, Maren Klinsing, Dr. Esther Kollar, Johann Schuldt, Philipp Trube, Christopher Wolters und Tobias Zuber. Die gemeinsame Zeit mit euch in der Staatsbibliothek war großartig – ich werde sie ewig in Erinnerung behalten. Herzlichst danke ich schließlich meinen Eltern und meiner Schwester. Ihr habt mich stets unterstützt und gefördert. Euer Rückhalt hat die Entstehung dieser Arbeit erst möglich gemacht. Berlin, im Februar 2016
Arne Dittloff
Inhaltsverzeichnis
1. Teil Thematische Einführung
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§ 1 Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 2 Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
§ 3 Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Befragungen, die nicht von staatlicher Seite initiiert werden . . . . . . . . . . . II. Befragungen auf Bundes- und Landesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25 25 25
§ 4 Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
2. Teil Grundlagen § 1 Das Wesen von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Faktische Bindungswirkung des Befragungsergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Praktische Relevanz der Thematik: Bisher durchgeführte Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick über die Befragungspraxis aller Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . II. Befragungen mit gesetzlicher Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bürgerbefragung zum Ausbau des Eintracht-Stadions in Braunschweig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bürgerbefragung über die Planung und den Bau einer Elbbrücke zwischen Neu Darchau und Darchau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einwohnerbefragung zum Kraftwerksneubau in Ensdorf . . . . . . . . . . . . III. Befragungen ohne gesetzliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bürgerbefragung zur Einräumung eines Abbaurechts für ein Zementwerk in Dettingen/Erms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bürgerbefragung zur EXPO 2000 in Hannover . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einwohnerbefragung zum Ausbau des Godorfer Hafens in Köln . . . . . 4. Bürgerbefragungen in Potsdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30 30 30 34 37 38 40 40 41 42 43 44 45 46 48
10
Inhaltsverzeichnis 5. Bürgerbefragungen im Vorfeld kommunaler Neugliederungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
§ 3 Geschichtliche Entwicklung des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 § 4 Rechtliche Qualifizierung der Befragungsteilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 I. Die Volksbefragungsurteile des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . 58 II. Kernaussagen der Volksbefragungsurteile des Bundesverfassungsgerichts 60 § 5 Funktionen des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung . . . . . . . . . . I. Informationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Teilhabefunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Konsens- und Legitimationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Oppositionsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Kontrollfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63 64 65 66 69 71
§ 6 Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen und kommunale Bürgerumfragen . . . . . . . I. Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Teilnehmerkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gegenstände von Befragungen bzw. Umfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Form der Meinungsäußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Situation im Vorfeld einer Befragung bzw. Umfrage . . . . . . . . . . . . 5. Die Art und Weise der Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Konsens- und Legitimationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71 73 73 73 74 75 76 77 79
§ 7 Zwischenergebnis zum 2. Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
3. Teil Das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung im System kommunaler Beteiligungsrechte
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§ 1 Bürgerbeteiligung als Charakteristikum der kommunalen Selbstverwaltung . . . 81 § 2 Erscheinungsformen der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene . . . . . . . . . . I. Die Verwendung des Begriffs der Bürgerbeteiligung im Sprachgebrauch . II. Die Verwendung des Begriffs der Bürgerbeteiligung in der Literatur . . . . III. Eigenes Begriffsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Letztentscheidungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bürgerbegehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bürgerentscheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ratsbegehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gemeindeversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83 84 85 87 89 90 92 94 95
Inhaltsverzeichnis V.
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Mitwirkungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 1. Bürger- bzw. Einwohnerantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 2. Bürger- bzw. Einwohnerversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3. Einwohnerfragestunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 4. Einwohnerunterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 5. Gemeindliches Petitionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
§ 3 Die Einordnung des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung in das System kommunaler Beteiligungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Bürger- bzw. Einwohnerbefragung als Form der Öffentlichkeitspartizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Bürger- bzw. Einwohnerbefragung als Instrument der Vertretungskörperschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Bürger- bzw. Einwohnerbefragung als aufwendiges Verfahren . . . . . . IV. Die Bürger- bzw. Einwohnerbefragung als Form kollektiver Meinungskundgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Bürger- bzw. Einwohnerbefragung als Instrument hoher Einwirkungsintensität auf eine Vertretungskörperschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Bürger- bzw. Einwohnerbefragung als aussagekräftiges Beteiligungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Die Bürger- bzw. Einwohnerbefragung als Instrument geringen Erkenntnisgewinns für die Befragungsteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
103 103 104 105 105 106 109 110
§ 4 Zwischenergebnis zum 3. Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
4. Teil Zulässigkeit und Erfordernis einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage § 1 Zulässigkeit der Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen . . . . I. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Homogenitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Volksbefragungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . 3. Umkehrschluss aus Art. 28 Abs. 1 S. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Grundsatz des freien Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geltung des Grundsatzes für Mitglieder gemeindlicher Vertretungskörperschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verletzung des Grundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
113 113 114 114 118 118 120 120 121 122
§ 2 Erfordernis einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 I. Auffassung der Niedersächsischen Sachverständigenkommission zur Fortentwicklung des Kommunalverfassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
12
Inhaltsverzeichnis II.
Auffassung der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage ablehnende Ansichten . 2. Das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage bejahende Ansichten . . IV. Meinungsstand in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 12.11.1970 . . . . . . . . . . . 2. Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 14.12.2006 . . . . . . . . 3. Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 08.04.2008 . . . 4. Urteile zur Frage der Zulässigkeit sonstiger Formen der Bürgerbeteiligung ohne gesetzliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 15.03.1979 . . . . . . . b) Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 31.05.1983 . . . c) Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 20.09.1985 . . . . . . . d) Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 22.10.1998 . . . . . . . . . . V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Das Fehlen kommunalverfassungsrechtlicher Verbotstatbestände . . . . . . . VII. Die Qualifizierung der Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Die Wirkungen des Befragungsergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtliche Unverbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Faktische Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Der Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gemeindliche Vertretungskörperschaft als Organ der ausführenden Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Typologie der Gesetzesvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeiner Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Institutioneller Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besteht für die Entscheidung zur Durchführung kommunaler Befragungen ein allgemeiner Vorbehalt des Gesetzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Besteht für die Entscheidung zur Durchführung kommunaler Befragungen ein institutioneller Vorbehalt des Gesetzes? . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verhältnis zwischen der Bürger- bzw. Einwohnerschaft und der Vertretungskörperschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kompetenz der Vertretungskörperschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vorliegen eines innerdienstlichen Hoheitsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Gewährt Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG ein Beteiligungserfindungsrecht? . . . . . . 1. Das Allzuständigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Gesetzesvorbehalt des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzliche Vorschriften zur Bürgerbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . .
129 129 129 131 132 132 133 134 135 135 136 137 138 139 139 140 142 142 143 144 145 146 147 148 150 152 152 155 156 158 160 163 164
Inhaltsverzeichnis b) Umgehung der Vorschriften über die Durchführung von Ratsbegehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Umkehrschluss aus Nichtregelung der Möglichkeit zur Durchführung von Ratsbegehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unzulässiger Eingriff in die Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Randbereich der kommunalen Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Vorbestimmtheit der Modalitäten einer Entscheidungsbildung . . . . . . . . . XII. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anforderungen an die Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sog. Öffnungsklauseln als Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bürger- bzw. Einwohneranhörungen im Rahmen kommunaler Neugliederungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
170 174 176 176 179 181 183 184 185 186
§ 3 Zwischenergebnis zum 4. Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 5. Teil Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
190
§ 1 Zuständigkeit zur Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Initiierung durch die Vertretungskörperschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Initiierung durch die Bürger- bzw. Einwohnerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtliche Vorgaben für die Ausgestaltung einer Initiativberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtspolitische Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
190 190 192
§ 2 Rechtliche Anforderungen an den Beschluss einer Vertretungskörperschaft . . I. Grundsatz: Erfordernis einer Mehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erforderliche Mehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtslage in Schleswig-Holstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtslage in Niedersachsen und im Saarland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erfordernis einer einfachen Mehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zulässigkeit abweichender Satzungsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
197 197 199 199 199 199 200 203
§ 3 Die Form der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtslage in Niedersachsen und im Saarland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Pflicht zum Satzungserlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Praxis des bisherigen Satzungserlasses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Niedersachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Saarland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Ausgestaltung der Pflicht zum Satzungserlass . . . . . . . . . . . . . . . . .
204 205 205 206 206 207 207
193 194
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Inhaltsverzeichnis a) Keine Pflicht zum Erlass einer Grundlagensatzung auf Vorrat . . . . b) Pflicht zum Erlass einer Grundlagensatzung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Satzungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Besonderheit für Befragungen in Ortsteilen und Stadtbezirken . . . . . . . Rechtslage in Schleswig-Holstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
208 209 211 212 212 213
§ 4 Auferlegung einer freiwilligen Selbstverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Praktische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtliche Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
215 216 217 218
II.
§ 5 Das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 § 6 Gegenständliche Eingrenzung des Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einschränkungen des Anwendungsbereichs durch gemeindliche Verbandskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises bzw. Auftragsangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Grundsätzliche Zulässigkeit der Durchführung kommunaler Befragungen zu Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung und Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises bzw. Auftragsangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bundes- und landespolitische Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Beschränkung auf wichtige Angelegenheiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Ausschlusstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtslage in Niedersachsen und im Saarland . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtslage in Schleswig-Holstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Vorbestimmtheit der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einschränkung des Anwendungsbereiches durch Organkompetenz der Vertretungskörperschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 7 Abstimmungsberechtigte Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Beschränkung der Abstimmungsberechtigung auf Gemeindebürger . . . . . II. Erweiterung der Abstimmungsberechtigung auf Einwohner . . . . . . . . . . . . 1. Praktische Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungsgemäßheit einer Teilnahmeberechtigung von Einwohnern . a) Das deutsche Volk als Legitimationssubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Volksbegriff auf kommunaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorgaben des Homogenitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
225 225 226 227 229
232 234 235 239 239 242 243 244 245 247 248 249 249 250 251 252 254 255
Inhaltsverzeichnis
15
d) Vergleich mit der rechtlichen Situation im Rahmen eines Bürgerentscheids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Abstimmungsberechtigung für Unionsbürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Teilnahmeberechtigung aller Bürger bzw. Einwohner . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Mindestalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
256 257 260 262 264
§ 8 Verpflichtung zur Befragungsteilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 § 9 Möglichkeit der Eingrenzung des Abstimmungsgebiets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 I. Sonderfall: Eingrenzung des Abstimmungsgebiets auf Ortschaften, Stadtbezirke und Ortsteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 II. Eingrenzung des Abstimmungsgebiets auf frei gewählte Gemeindeteile . 270 § 10 Befragungen auf Kreisebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 § 11 Informationspflichten im Vorfeld kommunaler Befragungen . . . . . . . . . . . . . . . I. Sinn und Zweck einer Informationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bestehen einer Informationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Umfang und Grenzen der Informationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Art und Weise der Informationserbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
272 272 273 274 276
§ 12 Häufigkeit kommunaler Befragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 § 13 Durchführung kommunaler Befragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anwendung der Wahlrechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Art und Weise der Befragungsteilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zeitpunkt und Zeitraum einer Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz: Gemeindliches Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zusammenlegung kommunaler Befragungen mit Bundestags-, Landtags- oder Kommunalwahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Durchführung während eines laufenden Bürgerbegehrens . . . . . . . . . . . IV. Anforderungen an die Ausgestaltung des Abstimmungszettels . . . . . . . . . 1. Allgemeine Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anforderungen an die Formulierung der Abstimmungsfrage . . . . . . . . a) Deutlichmachung der Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestimmtheit und Neutralität der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antwortmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Koppelung mehrerer Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Befragung zu mehreren selbstständigen Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . .
278 278 279 281 281 282 285 288 288 289 289 291 292 294 297
§ 14 Besonderheiten bei Rechtsschutzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 I. Klage auf Verhinderung der Durchführung einer kommunalen Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 II. Klage auf Durchführung einer kommunalen Befragung . . . . . . . . . . . . . . . 303
16
Inhaltsverzeichnis III. Klage im Nachgang einer kommunalen Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
§ 15 Zwischenergebnis zum 5. Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 6. Teil Schlussbetrachtung und rechtspolitischer Ausblick
308
§ 1 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 § 2 Rechtspolitischer Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. E. a. F. a. M. AEUV AöR Art. Az. Bay BayBgm. BayGLKrWG BayGO BayGVBl. BayLWG BayVBl. BayVerfGH BayVerfGHE BayVGH BbgKVerf BbgKWG BbgLWG Bd. BGB BGBl. BlnLWG BremGBl. BremWG BT-Drs. BT-PlenProt BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE
andere Ansicht am Ende alte Fassung am Main Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Archiv des öffentlichen Rechts (Zs.) Artikel Aktenzeichen Bayrische(r) Der Bayerische Bürgermeister (Zs.) Gesetz über die Wahl der Gemeinderäte, der Bürgermeister, der Kreistage und der Landräte in Bayern Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern Bayrisches Gesetz- und Verordnungsblatt Gesetz über Landtagswahl, Volksbegehren und Volksentscheid in Bayern Bayerische Verwaltungsblätter (Zs.) Bayrischer Verfassungsgerichtshof Entscheidungen des Bayrischen Verfassungsgerichtshofs Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Kommunalverfassung des Landes Brandenburg Gesetz über die Kommunalwahlen im Land Brandenburg Wahlgesetz für den Landtag Brandenburg Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Berliner Landeswahlgesetz Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen Bremisches Wahlgesetz Bundestagdrucksache Plenarprotokolle des Deutschen Bundestages Bundesverfassungsgericht Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundesverwaltungsgericht Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts
18 BW BWahlG BWGO BWKWO BWLWG bzw. CDU CSU DÖV Drs. DVBl. DVP e. V. EGV f./ff. FDP Fn. Gbl. GG GVBl. HessGO HessKWG HessLWG HessVGH HKWP HmbGVBl Hrsg. Hs. HSGZ HStR i.V. m. i. S. d. JA JuS JZ KommJur KommRRefG KritV lit. LKV Ls.
Abkürzungsverzeichnis Baden-Württemberg Bundeswahlgesetz Gemeindeordnung für Baden-Württemberg Kommunalwahlordnung für Baden-Württemberg Gesetz über die Landtagswahlen in Baden-Württemberg beziehungsweise Christlich Demokratische Union Deutschlands Christlich-Soziale Union in Bayern e.V. Die Öffentliche Verwaltung (Zs.) Drucksache Deutsches Verwaltungsblatt (Zs.) Deutsche Verwaltungspraxis (Zs.) Eingetragener Verein Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft folgende Freie Demokratische Partei Fußnote Gesetzblatt Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gesetz- und Verordnungsblatt Hessische Gemeindeordnung Hessisches Kommunalwahlgesetz Gesetz über die Wahlen zum Landtag des Landes Hessen Hessischer Verwaltungsgerichtshof Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt Herausgeber Halbsatz Hessische Städte- und Gemeindezeitung (Zs.) Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland in Verbindung mit im Sinne des Juristische Arbeitsblätter (Zs.) Juristische Schulung (Zs.) Juristenzeitung (Zs.) Kommunaljurist (Zs.) Kommunalrechtsreformgesetz Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (Zs.) littera (= Buchstabe) Landes- und Kommunalverwaltung (Zs.) Leitsatz
Abkürzungsverzeichnis LSAGO LSAKWG LSALWG LT LT-Drs. m.w. N. MVKV-DVO MVKVerf MVLKWG NdsGVBl. NdsVBl. NGO NJW NKomVG NKWG NLWG Nr. NSt-N NVerf NVwZ NWGO NWKWG NWLWG NWVerfGH OVG OVGNW RhPfGO RhPfKWG RhPfLWG Rn. RR RuP RWE S. SaarlKSVG SaarlKWG SaarlLWG SaarlVerf SächsGO SächsKWG
19
Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt Kommunalwahlgesetz für das Land Sachsen-Anhalt Wahlgesetz des Landes Sachsen-Anhalt Landtag(s) Landtagsdrucksache mit weiteren Nachweisen Durchführungsverordnung zur Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern Gesetz über die Wahlen im Land Mecklenburg-Vorpommern Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt Niedersächsische Verwaltungsblätter (Zs.) Niedersächsische Gemeindeordnung Neue Juristische Wochenschrift (Zs.) Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz Niedersächsisches Kommunalwahlgesetz Niedersächsisches Landeswahlgesetz Nummer Niedersächsischer Städtetag – Nachrichten für Städte, Gemeinden, Samtgemeinden (Zs.) Niedersächsische Verfassung Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Zs.) Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen Gesetz über die Kommunalwahlen im Lande Nordrhein-Westfalen Gesetz über die Wahl zum Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen Oberverwaltungsgericht Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Gemeindeordnung für das Land Rheinland-Pfalz Landesgesetz über die Wahlen zu den kommunalen Vertretungsorganen Landeswahlgesetz für Rheinland-Pfalz Randnummer Rechtsprechungs-Report Recht und Politik (Zs.) Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk Satz; Seite Saarländisches Kommunalselbstverwaltungsgesetz Saarländisches Kommunalwahlgesetz Saarländisches Landtagswahlgesetz Verfassung des Saarlandes Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen Gesetz über die Kommunalwahlen im Freistaat Sachsen
20 SächsWG SH SHGKWG SHGO SHKWG SHLWG SHVerf sog. SPD SSW ThürKO ThürKWG ThürLWG u. a. VBlBW VG VGH vgl. VVDStRL VwGO VwVfG ZParl ZRP
Abkürzungsverzeichnis Gesetz über die Wahlen zum Sächsischen Landtag Schleswig-Holstein Gesetz über die Wahlen in den Gemeinden und Kreisen in Schleswig-Holstein Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein Gesetz über die Wahlen in den Gemeinden und Kreisen in Schleswig-Holstein Wahlgesetz für den Landtag von Schleswig-Holstein Verfassung des Landes Schleswig-Holstein sogenannte; sogenannter Sozialdemokratische Partei Deutschlands Südschleswigscher Wählerverband Thüringer Gemeinde- und Landkreisordnung Thüringer Gesetz über die Wahlen in den Landkreisen und Gemeinden Thüringer Wahlgesetz für den Landtag und andere Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg (Zs.) Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Zeitschrift für Parlamentsfragen (Zs.) Zeitschrift für Rechtspolitik (Zs.)
1. Teil
Thematische Einführung § 1 Problemaufriss Spätestens seit den Diskussionen und Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem Verkehrs- und Städtebauprojekt zur Neuordnung des Eisenbahnknotens Stuttgart („Stuttgart 21“ 1) im Jahr 2010 ist der Begriff „Bürgerbeteiligung“ wieder in aller Munde. Das Thema hat nicht nur Eingang in die gesellschaftliche Diskussion2 gefunden, sondern ist auch vermehrt als Schwerpunkt wissenschaftlicher Beiträge3 wiederzufinden. Während die Frage der Einführung plebiszitärer Elemente auf Bundesebene nach intensiven, wenngleich auch im Ergebnis erfolglosen Bestrebungen zunächst in den siebziger4 und sodann in den neunziger Jahren5 sowie um die Jahrtausendwende6 mittlerweile wieder im Be-
1 Eine lesenswerte Darstellung des Ablaufs des Planfeststellungsverfahrens dieses Projekts findet sich bei Schönenbroicher, VBlBW 2010, 466, 466 f. 2 Vgl. nur den Artikel der F.A.Z. vom 21.10.2010 („Bürgerbeteiligung – Lebendige Demokratie“) sowie den Artikel der DIE ZEIT vom 24.11.2011 („Was Parteien von Stuttgart 21 lernen können“). 3 Vgl. nur Hien, DVBl. 2014, 495 ff.; Ziekow, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag 2012, Bd. I; Ziekow, NVwZ 2013, 754 ff.; Frey, VBlBW 2013, 417 ff.; Dolde, NVwZ 2013, 769 ff.; Zenke/Dessau, KommJur 2013, 288 ff.; Sarcinelli, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 2012/I, S. 35 ff.; Stender-Vorwachs, NVwZ 2012, 1061 ff.; Burgi, NVwZ 2012, 277 ff.; Röper, ZRP 2012, 25 ff.; Schütte, ZUR 2011, 169 ff.; Wulfhorst, DÖV 2011, 581 ff.; Schönenbroicher, VBlBW 2010, 466 ff.; vgl. in diesem Zusammenhang auch Thormann, DÖV 2013, 325 ff.; Böhm, DÖV 2013, 1 ff. 4 Schlussbericht der Enquete-Kommission „Verfassungsreform“ vom 09.12.1976, BT-Drs. 7/5924. 5 Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 05.11.1993, BT-Drs. 12/ 6000, S. 83 ff. 6 Nachdem die SPD und das Bündnis 90/Die Grünen in ihrem am 20.10.1998 abgeschlossenen Koalitionsvertrag für die 14. Legislaturperiode („Aufbruch und Erneuerung – Deutschlands Weg ins 21. Jahrhundert“) die Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene vereinbart hatten, brachten die Fraktionen beider Parteien am 13.03.2002 den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in das Grundgesetz in den Bundestag ein, BT-Drs. 14/8503. In der am 07.06.2002 stattgefundenen dritten Beratung im Bundestag kam die für eine Änderung des Grundgesetzes erforderliche Zweidrittelmehrheit jedoch nicht zustande (Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht der 240. Sitzung vom 07.06.2002, Plenarprotokoll 14/240, S. 24032), da die CDU/CSU-Fraktion dem Gesetz mehrheitlich die Zustimmung verweigerte.
22
1. Teil: Thematische Einführung
griff ist, auf die Tagesordnung der politischen Diskussion zu gelangen7, sehen die Kommunalverfassungen der Länder bereits seit Jahrzehnten umfangreiche Regelungen zur Beteiligung der Bürger und Einwohner an der kommunalen Willensbildung vor. Diese Entwicklung entspricht dem Sinn und Zweck kommunaler Selbstverwaltung, der gerade auch darin besteht, den Bürgern „eine wirksame Teilnahme an den Angelegenheiten des Gemeinwesens“ 8 zu ermöglichen. Auf kommunaler Ebene bestehen dementsprechend bereits umfangreiche Erfahrungen mit den kommunalverfassungsrechtlich verankerten Instrumenten der Bürgerbeteiligung. Das Phänomen der Bürgerbeteiligung ist auf kommunaler Ebene damit keine gänzlich neue Erscheinung. Insbesondere Beteiligungsinstrumente wie das Bürgerbegehren und der Bürgerentscheid sind mittlerweile aus dem Alltag bürgerschaftlicher Mitwirkung auf Gemeindeebene nicht mehr wegzudenken und können als etabliert angesehen werden. Dem entspricht es, dass bereits eine Vielzahl umfangreicher wissenschaftlicher Erörterungen9 zu diesen Beteiligungsinstrumenten erschienen sind. Auch über diese als allgemein bekannt anzusehenden Beteiligungsinstrumente hinaus sehen die Kommunalverfassungen einen in der Ausgestaltung ähnlichen, wenngleich nicht identischen Kanon an Beteiligungsrechten der Bürger und Einwohner vor. Als die nach Bürgerbegehren und Bürgerentscheid bekanntesten Beteiligungsinstrumente dürften dabei der Bürgerbzw. Einwohnerantrag sowie die Bürger- bzw. Einwohnerversammlung angesehen werden. In diesen Kanon der gesetzlich geregelten Beteiligungsrechte reiht sich auch das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung ein. Im Unterschied zu den bereits erwähnten Beteiligungsrechten hat dieses Instrument jedoch bisher lediglich in drei Bundesländern Eingang in die Kommunalverfassung gefunden. Auch ist das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung zumindest im Vergleich zu den Instrumenten des Bürgerbegehrens und Bürgerentscheids im rechtswissenschaftlichen Schrifttum bisher kaum behandelt worden. Es fehlt bislang an einer umfassenden Darstellung und wissenschaftlichen Erörterung der im Zusammenhang mit der Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen auftreten7 Vgl. nur den von der Bundestagsfraktion der SPD am 11.06.2013 in den Bundestag eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes um Volksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid und Referendum, BT-Drs. 17/13873; demgegenüber sieht der am 16.12.2013 zwischen den Parteien CDU, CSU und SPD geschlossene Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode („Deutschlands Zukunft gestalten“) keine entsprechenden Vereinbarungen vor. 8 BVerfG, Beschluss vom 23.11.1988 – 2 BvR 1619, 1628/83 –, BVerfGE 79, 127, 150. 9 Vgl. nur Ardelt, Erfahrungen mit Bürgerentscheid und Bürgerbegehren; Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid; Durinke, Bürgerentscheide in der Bauleitplanung; Gebhardt, Direkte Demokratie; Leukart, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid; Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid; Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid; Karr, Institutionen direkter Demokratie; Wessels, Rechtliche Beurteilung der Ausnahmetatbestände.
§ 2 Untersuchungsgegenstand
23
den Probleme und rechtlichen Fragen.10 Dies ist insoweit verwunderlich, als dass dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung durchaus eine praktische Relevanz zukommt. In der Vergangenheit wurde bereits in allen Bundesländern von diesem Instrument Gebrauch gemacht. Insbesondere in den letzten Jahrzehnten kann ein deutlicher Anstieg der Anzahl durchgeführter kommunaler Befragungen verzeichnet werden. Mit dieser Arbeit soll erstmalig eine umfassende Darstellung und wissenschaftliche Untersuchung aller wesentlichen Probleme und rechtlichen Fragen vorgenommen werden, die sich im Zusammenhang mit der Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen auf kommunaler Ebene stellen.
§ 2 Untersuchungsgegenstand Mit den vorausgegangenen Erörterungen wurde bereits das zu untersuchende Themenfeld umrissen: Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind Befragungen der Bürger bzw. Einwohner, die auf kommunaler Ebene durchgeführt und dabei von staatlicher Seite initiiert werden. Das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung hat bisher lediglich in Niedersachsen, im Saarland sowie in SchleswigHolstein eine kommunalverfassungsrechtliche Regelung erfahren. Die gesetzlichen Regelungen lauten im Einzelnen wie folgt: § 35 NKomVG – Bürgerbefragung Die Vertretung kann in Angelegenheiten der Kommune eine Befragung der Bürgerinnen und Bürger beschließen. Satz 1 gilt nicht in Angelegenheiten einzelner Mitglieder der Vertretung, des Hauptausschusses, der Stadtbezirksräte, der Ortsräte und der Ausschüsse sowie der Beschäftigten der Kommune. Einzelheiten sind durch Satzung zu regeln. § 20b SaarlKSVG – Einwohnerbefragung (1) Der Gemeinderat kann beschließen, dass zu wichtigen Angelegenheiten der Gemeinde eine Befragung der Einwohnerinnen und Einwohner durchgeführt wird. (2) Wird eine Befragung durchgeführt, müssen den Einwohnerinnen und Einwohnern zuvor die von den Gemeindeorganen vertretenen Auffassungen in der Form einer öffentlichen Bekanntmachung dargelegt werden. Eine Befragung hat in anonymisierter Form zu erfolgen. Die Teilnahme ist freiwillig. (3) Das Nähere bestimmt eine Satzung. 10 Die bisher umfassendsten Ausführungen finden sich bei Schellenberger, VBlBW 2014, 46 ff.; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 190 ff.; Rommelfanger, Das konsultative Referendum; S. 54 ff., 159 ff., 272 ff.; Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 135 ff.; Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 191 ff.; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 595; Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 120 f.; Knemeyer, BayBgm. 1971, 87 ff.; Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35; Püttner/Jacoby, in: Püttner, HKWP, Bd. II, S. 26, 32 f.; Schmidt, Kommunalrecht, Rn. 599a.
24
1. Teil: Thematische Einführung § 16 c SHGO – Einwohnerfragestunde, Anhörung und Einwohnerbefragung (3) In Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft kann eine konsultative Befragung der Einwohnerinnen und Einwohner durchgeführt werden. In Angelegenheiten eines Ortsteiles nach § 47 a, für welche der Ortsbeirat zuständig ist, kann eine auf das Gebiet des Ortsteils beschränkte konsultative Befragung der Einwohnerinnen und Einwohner durchgeführt werden. Soweit anwendbar, gilt für die Durchführung § 16 g Abs. 1 bis 7 entsprechend mit der Maßgabe, dass an der Einwohnerbefragung in Ortsteilen nur die im Ortsteil wohnenden Einwohnerinnen und Einwohner teilnahmeberechtigt sind und der Ortsbeirat an die Stelle der Gemeindevertretung tritt. Ortsbeirat und Gemeindevertretung sind bei ihren Entscheidungen über den Gegenstand der Befragung an deren Ergebnis nicht gebunden, haben dieses jedoch angemessen zu berücksichtigen. (4) Das Nähere regelt die Geschäftsordnung. § 16 g – Bürgerentscheid, Bürgerbegehren11 (1) Die Gemeindevertretung kann mit einer Mehrheit der gesetzlichen Zahl der Gemeindevertreterinnen und -vertreter beschließen, dass Bürgerinnen und Bürger über Selbstverwaltungsaufgaben selbst entscheiden (Bürgerentscheid).
Den gesetzlichen Regelungen lässt sich unschwer entnehmen, dass die Gesetzgeber in diesen drei Bundesländern entgegen der Vorgehensweise der meisten Kommunalverfassungen in Bezug auf das Instrument des Bürgerbegehrens12 und Bürgerentscheids13 auf eine (Legal)Definition, was genau unter dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung zu verstehen ist, verzichtet haben.14 Auch ohne eine Definition kann den bisher bestehenden gesetzlichen Regelungen jedoch zumindest im Ansatz entnommen werden, worum es bei dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung geht. Aus den gesetzlichen Regelungen folgt insoweit, dass es sich bei einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung um eine von Seiten einer Gemeinde initiierte Abstimmung der Bürger bzw. Einwohner über eine gemeindliche Angelegenheit handelt.
11 Die Erwähnung dieser Vorschrift in diesem Zusammenhang ist notwendig, da § 16c Abs. 3 S. 3 SHGO auf diese Regelung verweist und diese zum Verständnis der Vorschrift über die Durchführung von Einwohnerbefragungen in § 16c Abs. 3 SHGO erforderlich ist. 12 § 21 Abs. 3 S. 1 BWGO; Art. 18a Abs. 1 BayGO; § 15 Abs. 1 S. 1 BbgKVerf; § 8b Abs. 1 HGO; § 20 Abs. 4 S. 1 MVKVerf; § 32 Abs. 1 NKomVG; § 26 Abs. 1 S. 1 NWGO; § 17a Abs. 1 S. 1 RhPfGO; § 21a Abs. 1 S. 1 SaarlKSVG; § 25 Abs. 1 S. 1 SächsGO; § 25 Abs. 1 S. 1 LSAGO; § 16g Abs. 3 S. 1 SHGO; § 17 Abs. 1 S. 1 ThürKO. 13 Art. 21 Abs.1 BayGO; § 15 Abs. 2 S. 1 BbgKVerf; § 20 Abs. 1 S. 1 MVKVerf; § 26 Abs. 1 S. 1 NWGO; § 21a Abs. 1 S. 1 SaarlKSVG; § 24 Abs. 1 S. 1 SächsGO; § 26 Abs. 1 S. 1 LSAGO; § 16g Abs. 1 SHGO. 14 Diese Gegebenheit hat erst kürzlich auch das VG Göttingen, Beschluss vom 08.11. 2013 – 1 B 227/13 –, Rn. 12 (zitiert nach juris), ausdrücklich ausgesprochen.
§ 3 Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands
25
§ 3 Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands Der in diesem Sinne verstandene Untersuchungsgegenstand soll von folgenden Gegenständen abgegrenzt werden, die nicht Gegenstand dieser Arbeit sein werden.
I. Befragungen, die nicht von staatlicher Seite initiiert werden Zunächst werden aus der nachfolgenden Untersuchung solche Befragungen von Bürgern bzw. Einwohnern ausgeklammert, die von Seiten der Bürger bzw. Einwohner, privaten Vereinigungen wie beispielsweise einer Bürgerinitiative oder auch sonstigen Privatrechtssubjekten und damit nicht von staatlicher Seite initiiert werden.15 Auch solche Befragungen werden teilweise etwas missverständlich als Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen bezeichnet. Allen Privatrechtssubjekten steht grundsätzlich das Recht zu, jederzeit eine Befragung von Bürgern bzw. Einwohnern zu gemeindlichen Themen durchzuführen oder eine solche in Auftrag zu geben. Abgesehen von möglicherweise zu beachtenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen begegnet die Durchführung derartiger Befragungen keinen rechtlichen Bedenken. Solange im Rahmen solcher Befragungen hinreichend deutlich gemacht wird, dass es sich nicht um eine von staatlicher Seite initiierte Befragung handelt, können diese ohne gesetzliche Grundlage und ohne Beachtung etwaiger Form- und Durchführungserfordernisse durchgeführt werden.
II. Befragungen auf Bundes- und Landesebene Bereits der Titel dieser Arbeit lässt erkennen, dass sich die vorliegende Untersuchung auf die Erörterung rechtlicher Fragen und Probleme beschränkt, die sich im Zusammenhang mit dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung auf kommunaler Ebene ergeben. Befragungen, die von staatlicher oder privater Seite auf Bundes- und Landesebene durchgeführt werden, sind daher nicht Gegenstand dieser Arbeit. Geht es im Schrifttum um von staatlicher Seite initiierte Befragungen auf Bundesebene, deren Ergebnis für den jeweiligen Initiator der Befragung keine rechtliche Verbindlichkeit entfaltet, wird in diesem Zusammenhang häufig von „konsultativen Referenden“ 16, „imperfekten Referenden“ 17, „Konsultativabstim15 Ähnlich verfährt auch Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 121; auf die Tatsache, dass kommunale Befragungen in der Vergangenheit auch auf private Initiative hin erfolgten, verweist bereits Ardelt, Erfahrungen mit Bürgerentscheid und Bürgerbegehren, S. 242. 16 Vgl. den Titel der Arbeit „Das konsultative Referendum“ von Rommelfanger, den Begriff verwenden auch Pestalozza, Der Popularvorbehalt, S. 26; Pestalozza, NJW
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1. Teil: Thematische Einführung
mungen“ 18, überwiegend jedoch von „konsultativen Volksbefragungen“ 19 gesprochen. Das Instrument der konsultativen Volksbefragung findet im Grundgesetz lediglich in Bezug auf innerstaatliche Gebietsneugliederungen20 vereinzelt Erwähnung. So regelt Art. 29 Abs. 4 GG die Durchführung einer Volksbefragung aufgrund eines entsprechenden Bundesgesetzes zunächst für den Fall, dass in einem zusammenhängenden, abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraum, dessen Teile in mehreren Ländern liegen und der mindestens eine Millionen Einwohner hat, von einem Zehntel der Wahlberechtigten durch Volksbegehren die Herbeiführung einer für diesen Raum einheitlichen Landeszugehörigkeit gefordert wird. Das Nähere in Bezug auf die Durchführung ist in Art. 29 Abs. 5 und 6 GG geregelt.21 Überdies regelt Art. 118 GG, dass über Gebietsneugliederungen in den Ländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern abweichend von den Vorschriften des Art. 29 GG im Falle des Nichtzustandekommens einer Vereinbarung der beteiligten Länder eine Volksbefragung auf Grundlage eines Bundesgesetzes durchgeführt wird. Ferner sieht der später ins Grundgesetz eingeführte Art. 118a GG22 die Möglichkeit der Abhaltung einer Volksbefragung im Rahmen einer Neugliederung der Länder Berlin und Brandenburg vor. Abgesehen von diesen Regelungen sieht das Grundgesetz keine Ermächtigung zur Durchführung konsultativer Volksbefragungen vor. Daher muss die von staatlichen Organen initiierte Durchführung konsultativer Befragungen auf Bundesebene als unzulässig betrachtet werden, da zumindest insoweit auch keine einfachgesetzliche Grundlage hierfür besteht.23 Aufgrund dieser rechtlichen Ausgangslage besteht seit Jahrzehnten im Schrifttum24 Uneinigkeit darüber, ob für 1981, 733, 733; Weber, DÖV 1985, 178, 179; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 36. 17 Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 151; Pestalozza, NJW 1981, 733, 734. 18 Stern, Staatsrecht, Bd. II, S. 16 (dort Fn. 67). 19 So Krause, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. III, § 35 Rn. 23; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. III, Art. 20 Rn. 114; Robbers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, GG, Bd. V, Art. 20 Rn. 3073; Bugiel, Volkswille, S. 395; Hofmann, Verfassungsrechtliche Perspektiven, S. 125; Jürgens, Direkte Demokratie, S. 235; Luthardt, RuP 1988, 40, 48; Wassermann, RuP 1986, 125, 127; vgl. auch Ipsen, Staatsrecht I, Rn. 125. 20 Vgl. hierzu Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 149; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 36 ff. 21 Vgl. hierzu auch das auf Grundlage des Art. 29 Abs. 6 S. 2 GG erlassene Gesetz über das Verfahren bei Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung nach Artikel 29 Abs. 6 des Grundgesetzes vom 30.07.1979 (BGBl. I S. 1317). 22 Eingeführt durch Gesetz vom 27.10.1994 (BGBl. I S. 3146). 23 So ausdrücklich Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Einl. Rn. 260; Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 607; Robbers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, GG, Bd. V, Art. 20 Rn. 3073. 24 Vgl. hierzu die umfassenden Darstellungen bei Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 117 ff.; Bugiel, Volkswille, S. 395 ff.; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 151 ff.
§ 3 Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands
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die Durchführung konsultativer Volksbefragungen auf Bundesebene unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Ausgestaltung des Grundgesetzes der Erlass eines einfachen Bundesgesetzes25 oder aber sogar eine Verfassungsänderung26 erforderlich ist. Dabei wird die letztgenannte Auffassung als noch herrschend angesehen.27 Nach teilweise vertretener Auffassung darf eine konsultative Volksbefragung auf Bundesebene nicht einmal durch Verfassungsänderung eingeführt werden, da es sich bei einer solchen Form der Befragung nicht um eine Abstimmung im Sinne des Art. 20 GG handele.28 Bedingt durch diese gegenwärtige Ausgestaltung des Grundgesetzes haben in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, abgesehen von bereits durchgeführten Territorialabstimmungen, noch keine bundesweiten konsultativen Volksbefragungen stattgefunden.29 Lediglich in zwei Fällen30 wurde im Ergebnis erfolglos die Initiierung einer bundesweiten konsultativen Volksbefragung versucht.31 In Bezug auf die Durchführung konsultativer Volksbefragungen auf Landesebene ergibt sich demgegenüber ein anderes Bild. Selbst unter der Annahme, dass das Instrument der konsultativen Volkbefragung auf Bundesebene nicht ein25 So Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 7 m.w. N.; Grzeszick, in: Maunz/ Dürig, GG, Bd. III, Art. 20 (unter II.) Rn. 114; Dreier, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 11; Bleckmann, JZ 1978, 217, 223; Bugiel, Volkswille, S. 434 ff.; Ebsen, AöR 110 (1985), 2, 20; Pestalozza, NJW 1981, 733, 735; Hofmann, Verfassungsrechtliche Perspektiven, S. 145, 159; Schnurr, Möglichkeiten, S. 177 ff. 26 Robbers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, GG, Bd. V, Art. 20 Rn. 3079; Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Einl. Rn. 260; Badura, Staatsrecht, Teil D Rn. 12; Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 607; Stern, Staatsrecht, Bd. II, S. 16; Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 117 ff., 134 ff.; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 151 ff., 167; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 148; Herbst, ZRP 2005, 29 ff.; Fell, Plebiszitäre Einrichtungen, S. 150; Maurer, Plebiszitäre Elemente, S. 17; Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Elemente, S. 79 ff.; Koenig, DVBl. 1993, 140 ff.; wohl auch Schramm/Schmidt-Troje, Staatsrecht, Bd. I, S. 7; offen gelassen bei Robbers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, GG, Bd. V, Art. 20 Rn. 792, 801; vgl. auch Schneider, in: Grundgesetz und technologischer Wandel, S. 113, 121, der hierfür folgenden Formulierungsvorschlag unterbreitet: „Der Bundestag hat das Recht und auf Antrag eines Drittels seiner Mitglieder die Pflicht, vor der Entscheidung über einen bestimmten Gegenstand der politischen Willensbildung das Volk zu befragen“. 27 So ausdrücklich auch Dreier, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 111; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 7; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 152 (dort Fn. 307), spricht lediglich von einem „leichten Übergewicht“ dieser Auffassung. 28 Krause, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. III, § 35 Rn. 24 m.w. N. (dort Fn. 92). 29 Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 66; Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 152. 30 A.A. Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 152 ff., der davon ausgeht, dass bisher bereits drei Versuche unternommen wurden. Für ihn stellen die Volksbefragungen betreffend die Atombewaffnung der Bundeswehr demnach bundesweite Volksbefragungen dar. Siehe hierzu auch 2. Teil § 4. 31 Vgl. die Darstellung hierzu bei Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 66 f.; vgl. auch die umfangreichere Darstellung bei Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 152 ff.
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1. Teil: Thematische Einführung
mal im Wege einer Änderung des Grundgesetzes eingeführt werden darf, muss für die Landesebene etwas anderes gelten. Das in Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG niedergelegte Homogenitätsprinzip, wonach die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern lediglich den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes entsprechen muss, eröffnet den Ländern die Möglichkeit zur Durchführung und gesetzlicher Einführung solcher Volksbefragungen.32 Insoweit hat bereits das Bundesverfassungsgericht festgehalten, dass von der Gestaltungsfreiheit der Länder auch diejenigen landesrechtlichen Bestimmungen erfasst werden, die die Voraussetzungen der Durchführung von Volksbegehren und Volksentscheiden regeln.33 Da jedoch in keiner Landesverfassung das Instrument der konsultativen Volksbefragung eine Regelung erfahren hat, spricht einiges dafür, dass konsultative Volksbefragungen auch auf Landesebene nicht ohne vorherige Änderung der jeweiligen Landesverfassung durchgeführt werden können.34 Eine hiervon zu unterscheidende Frage ist jedoch, ob für die Durchführung derartiger Befragungen eine einfachgesetzliche Ermächtigung erforderlich ist.35 Entgegen der Praxis auf Bundesebene wurden auf Landesebene in der Vergangenheit bereits vereinzelt konsultative Volksbefragungen durchgeführt.36
§ 4 Gang der Untersuchung Die nachfolgende Untersuchung beginnt mit einem Grundlagenteil, in dem die Besonderheiten des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung dargestellt werden. Überdies wird durch einen Überblick über bisher durchgeführte kommunale Befragungen die bereits eingangs angesprochene praktische Relevanz des Untersuchungsgegenstandes nachgewiesen. Nach einer Darstellung der geschichtlichen Entwicklung des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung wird anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Frage nachgegangen, wie sich die Teilnahme von Bürgern und Einwohnern an kommunalen Befragungen in rechtlicher Hinsicht einordnen lässt. Ferner soll aufgezeigt werden, welche Funktionen das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung zu erfüllen in der Lage ist. Der Grundlagenteil endet mit einer Darstellung des Verhältnisses des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung zu sog. Bür32
Siehe hierzu auch 4. Teil § 2 I. 1. BVerfG, Beschluss vom 24.03.1982 – 2 BvH 1, 2/82, 2 BvR 233/82 –, BVerfGE 60, 175, 208. 34 So auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 168 ff., 172. 35 Diese Frage bejaht Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 172. 36 Vgl. die Beispiele bei Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 157 f.; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 67 ff.; andere Behauptung wohl Jürgens, Direkte Demokratie, S. 235, der insoweit feststellt, dass es „diesbezüglich keine unmittelbaren Ländererfahrungen“ gebe. 33
§ 4 Gang der Untersuchung
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gerumfragen. Im dritten Teil dieser Arbeit wird nach einer Darstellung des Kanons der gesetzlich verankerten Beteiligungsrechte auf kommunaler Ebene der Frage nachgegangen, wie das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung in dieses System der Beteiligungsrechte eingeordnet werden kann. Im vierten Teil der Arbeit geht es zunächst um die Frage, ob die Durchführung von Bürgerbzw. Einwohnerbefragungen im Grundsatz im Einklang mit der Rechtsordnung steht und damit als zulässig angesehen werden kann. Der Schwerpunkt dieses Teils liegt jedoch auf der Untersuchung der Frage, ob die Durchführung kommunaler Befragungen zwingend eine einfachgesetzliche Grundlage in der jeweiligen Kommunalverfassung erfordert oder ob Gemeinden vielmehr auch ohne entsprechende gesetzliche Grundlage kommunale Befragungen durchführen dürfen. Es geht dabei insbesondere um die Frage, inwieweit die gemeindliche Organisationshoheit einen möglicherweise bestehenden Vorbehalt des Gesetzes einzuschränken vermag und ob und inwieweit die gemeindliche Organisationshoheit selber Einschränkungen unterliegt. Diesen Ausführungen schließt sich im fünften Teil der Arbeit eine umfassende Darstellung der rechtlichen Anforderungen an die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen an. Die Arbeit endet mit einem rechtspolitischen Ausblick, in dessen Rahmen das Instrument der Bürgerbzw. Einwohnerbefragung auch einer kritischen Bewertung unterzogen werden wird.
2. Teil
Grundlagen § 1 Das Wesen von Bürgerbzw. Einwohnerbefragungen1 Wurde bereits zu Beginn der Arbeit das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung damit beschrieben, dass es sich hierbei um eine von Seiten einer Gemeinde initiierte Abstimmung der Bürger bzw. Einwohner über eine gemeindliche Angelegenheit handelt, ist mit dieser Beschreibung noch keine Aussage über das eigentliche Wesen kommunaler Befragungen getroffen. Das Wesen des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung zeigt sich vielmehr in den Wirkungen, die von dem Ergebnis einer Befragung ausgehen.
I. Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses Der maßgebliche Wesenszug von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen besteht darin, dass das Ergebnis einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung für eine gemeindliche Vertretungskörperschaft als Initiator kommunaler Befragungen2 zumindest in rechtlicher Hinsicht nicht verbindlich ist. Eine Vertretungskörperschaft kann dem Ergebnis einer Befragung damit Folge leisten, muss dieses jedoch nicht zwingend tun. Dieses Fehlen einer rechtlichen Verbindlichkeit wird auch von Seiten der Literatur uneingeschränkt als wesentliches Charakteristikum kommunaler Befragungen betont.3 Das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung stellt sich da1 Vgl. die ähnliche Überschrift im Zusammenhang mit konsultativen Volksbefragungen auf Bundesebene bei Fell, Plebiszitäre Einrichtungen, S. 148. 2 Nach den bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürgerbzw. Einwohnerbefragungen ist lediglich eine gemeindliche Vertretungskörperschaft zur Initiierung einer Befragung berechtigt; siehe hierzu 5. Teil § 1. 3 Vgl. nur Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 595; Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 325; Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 191; Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 121; Hill, Die Rolle des Bürgers in der Gemeindeverfassung, S. 204; Pröckl, Die unmittelbare Beteiligung der Bürger, S. 20; Schröder, in: Achterberg/Püttner, Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 19 (Rn. 39); Gebhardt, Direkte Demokratie, S. 82; Schefold/Neumann, Entwicklungstendenzen, S. 134; Ardelt, Erfahrungen mit Bürgerentscheid und Bürgerbegehren, S. 242, der insoweit etwas missverständlich ausführt, dass einer Bürgerbefragung keine rechtliche Wirkung zukomme; Wefelmeier, in:
§ 1 Das Wesen von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen
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mit für eine Vertretungskörperschaft als eine Art Entscheidungshilfe bzw. Beratungshilfe dar.4 Mit dem Ergebnis einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung wird im Vergleich zu dem Ergebnis eines Bürgerentscheids5 keine rechtsverbindliche Entscheidung getroffen.6 Damit verbleibt das Letztentscheidungsrecht auch nach erfolgter Durchführung einer kommunalen Befragung stets bei der jeweiligen Vertretungskörperschaft. Das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung kann aufgrund der fehlenden Verbindlichkeit des Befragungsergebnisses als ein „an der Schnittstelle zwischen unmittelbarer und repräsentativer Demokratie“ liegendes Instrument der Bürgerbeteiligung charakterisiert werden.7 Auffallend in diesem Zusammenhang ist jedoch, dass zumindest die bereits vorgestellten gesetzlichen Regelungen in Niedersachen8 und im Saarland9 auf eine ausdrückliche Erwähnung dieses Wesenszugs in Form der Unverbindlichkeit des Ergebnisses kommunaler Befragungen verzichten. Indes kann nicht davon ausgegangen werden, dass beide Gesetzgeber es bei der Schaffung der gesetzlichen Regelungen versäumt haben, eine derartige Klarstellung in den Gesetzestext mitaufzunehmen. Beide Gesetzgeber haben vielmehr bewusst auf eine gesetzliche Klarstellung der Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses verzichtet. Der Grund für diesen Verzicht auf eine diesbezügliche Klarstellung muss darin gesehen werden, dass beide Gesetzgeber es als eine Selbstverständlichkeit angesehen haben, dass dem Ergebnis kommunaler Befragungen keine Verbindlichkeit für eine Vertretungskörperschaft zukommt. Dafür spricht zunächst, dass bereits eine wörtliche Auslegung des von beiden Gesetzgebern verwendeten Begriffs der „Befragung“ nur ein derartiges Ergebnis zulässt.10 Der Begriff der Befragung legt bereits vom Wortlaut her eine Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses nahe. Wäre das Ziel der Gesetzgeber die Regelung der Verbindlichkeit des Befragungsergebnisses gewesen – was in Anbetracht der bereits damals Blum/Häusler/Meyer, NKomVG, § 35 Rn. 2; Koch, in: Ipsen, NKomVG, § 35 Rn. 1; Thiele, NKomVG, § 35 unter 1; Schmidt, Kommunalrecht, Rn. 599a. 4 Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 191; Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 121; Gramke, Praktizierte Bürgernähe, S. 48; Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 16; siehe zu den Funktionen des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung, insbesondere zu der Informationsfunktion 2. Teil § 5. 5 Siehe hierzu 3. Teil § 2 IV. 2. 6 Vgl. auch Karr, Institutionen direkter Demokratie, S. 32, der in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass genaugenommen mit dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung überhaupt keine Sachentscheidung getroffen wird, sondern lediglich die Meinung der Bürger zu einem bestimmten Thema erfragt werde. 7 Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 595. 8 § 35 NKomVG. 9 § 20b SaarlKSVG. 10 Die teilweise in der Literatur verwendete Formulierung „konsultative Bürgerbefragung“ (vgl. nur Ebsen, DVBl. 1984, 1107, 1108; Schröder, in: Achterberg/Püttner, Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 19 (Rn. 39); Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 160, 196, 200, 205) stellt insoweit einen Pleonasmus dar.
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2. Teil: Grundlagen
bestehenden Vorschriften über die Durchführung von Bürgerentscheiden hypothetischer Natur ist –, hätten diese sicherlich nicht den Begriff der Befragung verwendet. Vor diesem Hintergrund kann festgehalten werden, dass eine gesonderte Erwähnung der Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses schlichtweg nicht erforderlich ist. Dass dem Ergebnis einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung keine Verbindlichkeit zukommt, folgt jedoch auch aus den im Rahmen einer Gesetzesauslegung zu berücksichtigenden Gesetzesmaterialien. Die Gesetzesbegründung zum Erlass der Vorschrift zur Durchführung von Bürgerbefragungen in § 22d NGO11 verweist insoweit auf den Bericht der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrecht.12 Die Enquete-Kommission führt insoweit unmissverständlich aus, dass in dem Instrument der Bürgerbefragung lediglich eine „sinnvolle Entscheidungshilfe“ zu sehen sei und das Ergebnis von Bürgerbefragungen daher in rechtlicher Hinsicht unverbindlich sei.13 Aus den Gesetzesmaterialien folgt damit, dass der niedersächsische Gesetzgeber bei der Schaffung der gesetzlichen Regelung zur Durchführung von Bürgerbefragungen eindeutig von der rechtlichen Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses ausgegangen ist. Ein ähnliches Bild ergibt sich in Bezug auf die saarländischen Gesetzesmaterialien. In der Gesetzesbegründung zur saarländischen Regelung heißt es insoweit wörtlich: „Derartige Befragungen präjudizieren nicht die Entscheidung des Gemeinderates“ 14. Diese Aussagen lassen einzig den Schluss zu, dass auch der saarländische Gesetzgeber bei der Schaffung der Regelung zur Durchführung von Einwohnerbefragungen von der Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses ausging. Im Unterschied zu den gesetzlichen Regelungen in Niedersachsen und im Saarland betont die erst im Jahr 2013 in Schleswig-Holstein erlassene Regelung zur Durchführung von Einwohnerbefragungen ausdrücklich, dass eine Vertretungskörperschaft im Rahmen der Entscheidung über die jeweilige Angelegenheit nicht an das Befragungsergebnis gebunden ist.15 Auch ohne diese eindeutige Regelung ließe sich bereits dem vom schleswig-holsteinischen Gesetzgeber verwendeten Begriff der „konsultativen Befragung“ 16 entnehmen, dass es sich bei dem nunmehr gesetzlich verankerten Instrument nur um eine Befragung handeln 11
§ 22d NGO war die Vorgängervorschrift des derzeit geltenden § 35 NKomVG. Gesetzentwurf der Niedersächsischen Landesregierung, „Entwurf eines Gesetzes zur Reform des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts“, LT-Drs. 13/1450, S. 104; siehe hierzu auch 2. Teil § 3. 13 Bericht der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 6260, S. 56. 14 Gesetzentwurf der Regierung des Saarlandes, „Gesetz zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften“, LT-Drs. 11/675, S. 4 der Begründung. 15 § 16c Abs. 3 S. 4 SHGO. 16 § 16c Abs. 3 S. 1 SHGO. 12
§ 1 Das Wesen von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen
33
kann, deren Ergebnis keine Rechtsverbindlichkeit zukommt, denn andernfalls wäre diese ganz und gar nicht konsultativer Natur.17 Ergänzend zu der Feststellung der Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses regelt die schleswig-holsteinische Vorschrift, dass eine Vertretungskörperschaft das Befragungsergebnis jedoch angemessen zu berücksichtigen habe.18 Leider führt der Gesetzgeber dabei nicht näher aus, wann genau von einer angemessenen Berücksichtigung des Befragungsergebnisses durch eine Vertretungskörperschaft ausgegangen werden kann. Da auch die Gesetzesbegründung insoweit lediglich den Gesetzeswortlaut wiederholt19, lässt sich auch aus dieser nicht entnehmen, wann eine Berücksichtigung als angemessen betrachtet werden kann und welchen Zweck der Gesetzgeber letztlich mit der Schaffung dieser ergänzenden Regelung erreichen wollte. Feststehen dürfte insoweit, dass eine Vertretungskörperschaft im Nachgang einer Befragung das Befragungsergebnis zumindest zur Kenntnis nehmen muss. Diese Feststellung ist indes eigentlich derart selbstverständlich wie nicht gesondert erwähnenswert, denn schließlich werden kommunale Befragungen von Seiten einer Vertretungskörperschaft zumindest auch mit dem Ziel der Einholung eines Meinungsbildes der Einwohnerschaft zu einer bestimmten Angelegenheit durchgeführt.20 Eine Vertretungskörperschaft wird damit das Befragungsergebnis stets zumindest in den Entscheidungsfindungsprozess in Bezug auf die jeweilige Angelegenheit miteinfließen lassen. Sie kann dabei dem Befragungsergebnis insoweit Folge leisten, als dass sie sich der geäußerten Mehrheitsmeinung anschließt, sie ist hierzu jedoch nicht verpflichtet. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob in einer bloßen Kenntnisnahme des Befragungsergebnisses bereits eine „angemessene Berücksichtigung“ des Befragungsergebnisses zu sehen ist. Im Gegenzug könnte daher gleichfalls die Frage gestellt werden, in welchen Fällen denn eine „unangemessene“ Berücksichtigung des Befragungsergebnisses vorliegt. Im Ergebnis dürfte es gut vertretbar sein, der gesetzlichen Regelung insoweit keine Bedeutung beizumessen. Hierfür spricht bereits, dass insoweit erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen, da nicht klar ist, wann genau eine angemessene Berücksichtigung des Befragungsergebnisses vorliegt. Demgegenüber könnte jedoch auch argumentiert werden, dass der Gesetzgeber durch die Verpflichtung zur angemessenen Berücksichtigung die eigentlich ausdrücklich geregelte Unverbindlichkeit des Befragungs-
17 Vgl. auch Schliesky/Tischer, Die Gemeinde SH 2013, 62, 63, die aus diesem Grund folgern, dass es sich bei der Regelung der Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses um eine deklaratorische Feststellung handele. 18 § 16c Abs. 3 S. 4 SHGO. 19 Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Abgeordneten des SSW, „Entwurf eines Gesetzes für Bürgerbeteiligung und vereinfachte Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Schleswig-Holsteins Gemeinden und Kreise (Gesetz zur Stärkung der kommunalen Bürgerbeteiligung)“, LT-Drs. 18/310, S. 19. 20 Siehe hierzu 2 Teil § 4 I.
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2. Teil: Grundlagen
ergebnisses abschwächen wollte und das Instrument der Einwohnerbefragung damit in Bezug auf die Wirkungen des Befragungsergebnisses einem Bürgerentscheid annähern wollte. Die Bestimmung kann daher auch dergestalt verstanden werden, dass gerade im Falle eines sehr eindeutigen Befragungsergebnisses eine angemessene Berücksichtigung des Ergebnisses nur so aussehen kann, dass die Vertretungskörperschaft dem Mehrheitsvotum Folge leistet. In einer so verstandenen Art und Weise ginge von der gesetzlichen Regelung jedoch eine zumindest rechtlich fragwürdige Beeinflussung der Mitglieder einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft aus.21 Obgleich die erstgenannte Deutungsmöglichkeit nach der hier vertretenen Auffassung als vorzugswürdig anzusehen ist, bleibt abzuwarten, wie die gesetzliche Regelung in der Praxis von Seiten der Gemeinden ausgelegt wird.
II. Faktische Bindungswirkung des Befragungsergebnisses Von Seiten der Literatur wird vielfach betont, dass aus dem Ergebnis einer kommunalen Befragung trotz rechtlicher Unverbindlichkeit für eine Vertretungskörperschaft zumindest eine „faktische Bindungswirkung“ folge.22 Auch die Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts kam in ihrem Bericht zu dem Ergebnis, dass das Ergebnis einer Bürgerbefragung „trotz seiner rechtlichen Unverbindlichkeit erhebliche tatsächliche Auswirkungen auf die Entscheidungsfreiheit der kommunalen Organe haben kann“.23 Diese Wirkung dürfte sich nach teilweise vertretener Auffassung „bei hinreichender Wahlbeteiligung und hinreichend klarem Ausgang“ kaum von der eines Bürgerentscheids unterscheiden.24 In diesem Zusammenhang wird ferner darauf hingewiesen, dass durch die faktische Bindungswirkung die Entscheidungsfreiheit einer Vertretungskörperschaft zumindest in politischer Hinsicht er21
So auch Schliesky/Tischer, Die Gemeinde SH 2013, 62, 63. Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 121, der in diesem Zusammenhang sogar von der „normativen Kraft des Faktischen“ spricht; Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 16; Schmidt, Kommunalrecht, Rn. 599a; Ebsen, DVBl. 1984, 1107, 1108; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 193 (dort Fn. 19); Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 3; Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 193; Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 137; Schefold/Neumann, Entwicklungstendenzen, S. 134; Wohlfarth, in: Kost, Direkte Demokratie, S. 241; vgl. auch Hill, Die Rolle des Bürgers in der Gemeindeverfassung, S. 204; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 595; Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 325; Scheuner, in: Festschrift Huber, S. 222, 236, der insoweit ausführt, dass „informative Befragungen in einer Demokratie schwer vermeidbare Bindungswirkungen entfalten“. 23 Bericht der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 6260, S. 56. 24 Ebsen, DVBl. 1984, 1107, 1108; Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 3. 22
§ 1 Das Wesen von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen
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heblich eingeschränkt werde.25 Das Bestehen eines „starken Entscheidungsdrucks“ 26 könne schließlich dazu führen, dass eine Vertretungskörperschaft keine vom Befragungsergebnis abweichende Entscheidung treffen wird.27 Teilweise wird sogar dahingehend argumentiert, dass durch die Bindungswirkung („erhebliche tatsächliche Auswirkungen“) die Entscheidungsfreiheit einer Vertretungskörperschaft fast vollständig aufgehoben werde und daher insgesamt ein „vorsichtiger Gebrauch“ der Durchführung kommunaler Befragungen angezeigt sei.28 Auch in der bisher in Bezug auf die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen ergangenen Rechtsprechung29 wird teilweise darauf hingewiesen, dass das Ergebnis einer kommunalen Befragung „aus politisch-moralischen Gründen eine faktische Verbindlichkeit entfalten“ könne.30 Ferner hat das Bundesverfassungsgericht in seinem noch an anderer Stelle dieser Arbeit ausführlich zu erörternden Urteil zu den von Hamburg und Bremen erlassenen Volksbefragungsgesetzen31 bereits darauf hingewiesen, dass konsultative Volksbefragungen in der Lage seien, politischen Druck auf die für die Entscheidung verantwortlichen Akteure auszuüben.32 Auch von Seiten der Literatur wird in Bezug auf konsultative Volksbefragungen auf Bundesebene vielfach vertreten, dass den Ergebnissen solcher Volksbefragungen für das jeweils initiierende Organ eine faktische Bindungswirkung zukomme.33 25 Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 193; Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 137; Schefold/Neumann, Entwicklungstendenzen, S. 134, die lediglich darauf verweisen, dass eine Vertretungskörperschaft unglücklich agierte, sofern diese nach erfolgter Bürgerbefragung gegen die Auffassung der Bürgerschaft entscheidet; vgl. auch Wefelmeier, in: Blum/Häusler/Meyer, NKomVG, § 35 Rn. 2; Hill, Die Rolle des Bürgers in der Gemeindeverfassung, S. 204. 26 So Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 325. 27 Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 138; Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 192; Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 81; Ebsen, DVBl. 1984, 1107, 1108; Schmidt, Kommunalrecht, Rn. 599a; vgl. auch Hill, Die Rolle des Bürgers in der Gemeindeverfassung, S. 204; Scheuner, in: Festschrift Huber, S. 222, 236; vgl. auch Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 3, der darauf hinweist, dass mit dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung häufig eine dem Bürgerentscheid vergleichbare Wirkung erzielt werde. 28 Bericht der Niedersächsischen Sachverständigenkommission zur Fortentwicklung des Kommunalverfassungsrechts, S. 63, 64. 29 Siehe hierzu 4 Teil § 2 IV. 30 VG Potsdam, Beschluss vom 14.12.2006 – Az. 2 L 738/06 –, S. 3 (unveröffentlicht). 31 Siehe hierzu 2. Teil § 4. 32 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE, 8, 104, 111. 33 Vgl. nur Robbers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, GG, Bd. V, Art. 20 Rn. 3079; Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Elemente, S. 79; Ebsen, AöR 110 (1985), 2, 21; Obst, Chancen direkter Demokratie, S. 186 ff.; Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 267, der in diesem Zusammenhang sogar ausführt, dass der Umstand der rechtlichen Unverbindlichkeit „rein theoretischer Natur sei“ und daher konsultative Referenden
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2. Teil: Grundlagen
Dieser Sichtweise muss im Grundsatz zugestimmt werden. Es kann nur schwerlich bestritten werden, dass das Ergebnis einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung bei Vorliegen besonderer Umstände eine faktische Verbindlichkeit für eine Vertretungskörperschaft hervorruft. Im Falle einer hohen Befragungsbeteiligung und eines hinreichend klaren Ausgangs der Befragung wird es einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft kaum bzw. nur mit erheblichem Begründungsaufwand möglich sein, dem Ergebnis der jeweiligen Befragung nicht Folge zu leisten. Dieser Effekt dürfte dabei umso stärker ausfallen, je eindeutiger das Ergebnis und je höher die Teilnahme an der Befragung ausfällt. Bei einer lediglich knappen Mehrheit für oder gegen die betreffende Angelegenheit der Befragung dürfte eine abweichende Entscheidung einer Vertretungskörperschaft noch eher denkbar sein, so dass in diesen Fällen nicht davon ausgegangen werden kann, dass dem Ergebnis der Befragung zwingend eine solche faktische Verbindlichkeit zukommt. Festgehalten werden kann damit, dass dem Ergebnis von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen damit nicht stets, sondern nur bei Vorliegen besonderer Umstände eine faktische Verbindlichkeit zukommt. Von dieser etwaigen faktischen Verbindlichkeit eines Befragungsergebnisses ist jedoch diejenige Wirkung zu unterscheiden, die aus der bloßen Möglichkeit des Einsatzes des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung folgt.34 Sollte die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung als grundsätzlich im Einklang mit der Rechtsordnung angesehen werden35, bietet dieses Instrument bereits einer Minderheit von Mitgliedern einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft sowie auch der Bürger- bzw. Einwohnerschaft die Möglichkeit, auf die Mehrheit der jeweiligen Vertretungskörperschaft Druck auszuüben.36 Besteht nämlich die grundsätzliche Möglichkeit zur Durchführung kommunaler Befragungen, wird die Mehrheit der Mitglieder einer Vertretungskörperschaft durch die von anderen Mitgliedern dieser Vertretungskörperschaft oder auch von Seiten der Bürger- bzw. Einwohnerschaft erhobene Forderung nach Durchführung einer Befragung vor die Alternative gestellt, dieser Forderung nachzukommen oder aber in der jeweiligen Sache eine Entscheidung ohne vorherige Durchführung einer kommunalen Befragung zu treffen.37 In letztgenanntem Fall erscheint es zumindest nicht ausgeschlossen, dass sich die jeweilige Mehrheit der Mitglieder „von ihren Auswirkungen her dezisiven Abstimmungen gleichzustellen“ seien; Pestalozza, NJW 1981, 733, 734, der auch darauf hinweist, dass dieser Einwand nicht von der Hand zu weisen sei; vgl. auch Bugiel, Volkswille, S. 397 m.w. N. (dort Fn. 8 ff.); Wassermann, RuP 1986, 125, 127. 34 Vgl. hierzu bereits Ebsen, DVBl. 1984, 1107, 1110. 35 Siehe hierzu einerseits die Ausführungen zur grundsätzlichen Zulässigkeit von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen (4. Teil § 1) sowie weitergehend die Ausführungen zur Frage des Erfordernisses einer einfachgesetzlichen Grundlage für die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen (4. Teil § 2). 36 Ebsen, DVBl. 1984, 1107, 1110. 37 Vgl. Ebsen, DVBl. 1984, 1107, 1110.
§ 2 Praktische Relevanz der Thematik
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der Vertretungskörperschaft dem öffentlichen Vorwurf ausgesetzt sieht, an der Meinung der Bürger- bzw. Einwohnerschaft in Bezug auf die jeweilige Angelegenheit nicht interessiert zu sein.38
§ 2 Praktische Relevanz der Thematik: Bisher durchgeführte Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen Da mit Ausnahme von Niedersachsen, dem Saarland und Schleswig-Holstein keine weiteren Bundesländer bisher eine einfachgesetzliche Regelung zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen erlassen haben, gilt es zu untersuchen, ob vor diesem Hintergrund in der Vergangenheit kommunale Befragungen lediglich in den genannten drei Bundesländern auf Grundlage einer einfachgesetzlichen Regelung durchgeführt worden sind, oder aber ob auch in Gemeinden der übrigen Bundesländer trotz nicht vorhandener gesetzlicher Regelungen von dem Instrument Gebrauch gemacht wurde. Statistische Erhebungen einzelner Bundesländer zu bisher durchgeführten Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen bestehen dabei nicht. In Bezug auf diejenigen Bundesländer, in denen eine gesetzliche Regelung vorhanden ist, kann diese Tatsache bereits mit dem Fehlen einer gesetzlich geregelten Meldepflicht für durchgeführte Befragungen begründet werden. In Bezug auf die übrigen Bundesländer kann dieses Argument zwar auch als Begründung herangezogen werden, obgleich zu berücksichtigen ist, dass bereits deshalb keine gesetzlich geregelte Pflicht zur Anzeige durchgeführter Befragungen bestehen kann, da das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung in diesen Bundesländern bereits keine einfachgesetzliche Verankerung erfahren hat. Freiwillige Meldungen über durchgeführte Befragungen an ein Landesministerium seitens einer Vertretungskörperschaft erfolgten soweit ersichtlich flächendeckend bisher nicht.39 Eine Bestandsaufnahme über bisher durchgeführte Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen auf kommunaler Ebene kann daher nur mit Hilfe eigener Recherchen erfolgen. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann an die nachfolgende Darstellung mithin nicht gestellt werden. Die Schaffung eines vollständigen Überblicks über die bisherige Durchführungspraxis aller deutschen Gemeinden kann damit nicht gegeben werden.40 Ein solcher Überblick ist indes gleichermaßen auch nicht ge38
Ebsen, DVBl. 1984, 1107, 1110. Gewisse Anhaltspunkte dafür, dass Gemeinden auf freiwilliger Basis durchgeführte Befragungen einer staatlichen Behörde bzw. der Landesregierung melden, bestehen lediglich im Saarland. Dort hatte die saarländische Landesregierung am 30.01. 2013 in einer Antwort zu der Anfrage eines Abgeordneten betreffend die Evaluation der Mitwirkungsrechte auf Gemeindeebene diejenigen Gemeinden genannt, die bisher Einwohnerbefragungen durchgeführt hatten, vgl. LT-Drs. 15/318 (15/201), S. 4. 40 Dies betont bereits Ardelt, Erfahrungen mit Bürgerentscheid und Bürgerbegehren, S. 243. 39
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2. Teil: Grundlagen
wollt wie ebenso wenig erforderlich im Rahmen dieser Arbeit. Die folgenden Beispiele über bisher durchgeführte Befragungen sollen vielmehr einen Einblick in die kommunale Befragungspraxis bieten und damit aufzeigen, auf welche Art und Weise Gemeinden in den verschiedenen Bundesländern bisher von dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung Gebrauch gemacht haben und welche Angelegenheiten dabei Gegenstand einer Befragung gewesen sind. Auch wurden im Rahmen der Durchführung einer Vielzahl der im Folgenden aufgezählten Befragungen rechtliche Probleme virulent, auf die im weiteren Verlauf der Arbeit noch eingegangen werden soll. Überdies soll mit dem folgenden Überblick über bisher durchgeführte Befragungen auch verdeutlicht werden, dass dem vorliegenden Untersuchungsgegenstand entgegen einiger Stimmen in der Literatur41 durchaus eine nicht zu unterschätzende praktische Relevanz zukommt.
I. Überblick über die Befragungspraxis aller Bundesländer Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen wurden bisher überwiegend in denjenigen Bundesländern durchgeführt, die dieses Instrument einfachgesetzlich geregelt haben. Dabei wurden in der Vergangenheit in Niedersachen sowie im Saarland deutlich mehr Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen durchgeführt als in Schleswig-Holstein42, da die schleswig-holsteinische Kommunalverfassung erst im Jahr 2013 um eine Regelung zur Durchführung von Einwohnerbefragungen erweitert wurde43. Jedoch wurden in der Vergangenheit auch in denjenigen Bundesländern, die bisher auf den Erlass einer einfachgesetzlichen Regelung verzichtet haben, Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen durchgeführt.44 In Baden-Württemberg führten in letzter Zeit die Gemeinde Oppenau45 eine Bürgerbefragung sowie die Gemeinden Bad Wildbad, Enzklösterle, Bad Herrenalb, Freudenstadt, Baiersbronn, Seewald und Forbach46 eine gemeinsame Bürgerbefragung durch. In Bay41 So vor allem Koch, in: Ipsen, NKomVG, § 35 Rn. 2, nach dessen Auffassung das Instrument der Bürgerbefragung aufgrund der rechtspolitischen Verfehltheit „zu Recht bedeutungslos geblieben ist“; anschließend an diese Auffassung auch Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 4, der die praktische Bedeutungslosigkeit auch damit begründet, dass eine Vertretungskörperschaft in der Sache auch ohne vorherige Durchführung einer kommunalen Befragung entscheiden könne. 42 Siehe hierzu im Folgenden 2 Teil § 2 II. 43 Siehe hierzu 2. Teil § 3. 44 Die Informationen über die nachfolgend beispielhaft aufgeführten Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen beruhen zum Teil auf Nachfragen bei Gemeinden sowie auf Internetrecherchen. Aus Gründen der Einheitlichkeit wird im Rahmen des folgenden Überblicks auf eine Zitierung von Zeitungsartikeln, Websites etc. verzichtet. 45 Beispielhaft genannt sei die von der Gemeinde Oppenau am 21.07.2013 durchgeführte Bürgerbefragung zu der Errichtung des Nationalparks Nordschwarzwald. 46 Die Bürgerbefragungen hatten die Einrichtung eines Nationalparks im Schwarzwald zum Gegenstand.
§ 2 Praktische Relevanz der Thematik
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ern wurde erst kürzlich eine Bürgerbefragung in Garmisch-Partenkirchen47 sowie in der Gemeinde Büchenbach48 durchgeführt. Auch in Brandenburg führten gemeindliche Vertretungskörperschaften bereits mehrfach Befragungen durch.49 Für das Bundesland Hessen seien beispielsweise die Bürgerbefragung der Gemeinde Freiensteinau50 sowie der Gemeinde Burgwald51 genannt. In Mecklenburg-Vorpommern wurden erst kürzlich in der Gemeinde Holdorf52 sowie in der Gemeinde Liepen53 eine Bürger- bzw. Einwohnerbefragung durchgeführt. Auch in Nordrhein-Westfalen führte bereits die Stadt Köln54 sowie die Stadt Kleve55 eine Bürgerbefragung durch. In Rheinland-Pfalz wurden beispielsweise erst jüngst eine Bürgerbefragung in Piesport56 sowie eine Einwohnerbefragung in Budenheim57 durchgeführt. In Sachsen wurde von der Stadt Pausa-Mühltroff 58 sowie von der Gemeinde Elterlein59 eine Bürgerbefragung durchgeführt. In SachsenAnhalt führte der Ortsteil Glinde der Stadt Barby eine Einwohnerbefragung60 durch. Auch in Schleswig-Holstein führten Vertretungskörperschaften bereits vor Erlass der gesetzlichen Regelung zur Durchführung von Einwohnerbefragungen Bürgerbefragungen ohne entsprechende gesetzliche Grundlage durch.61 In Thü47 Die Bürgerbefragung der Gemeinde Garmisch-Partenkirchen dauerte vom 27.07.– 28.08.2012 und hatte den Standort des Kongresshauses und eines Fünf-Sterne-Hotels sowie die Zukunft des Olympia-Eissportzentrums zum Gegenstand. 48 Die im Dezember 2013 durchgeführte Bürgerbefragung hatte die Dauer der nächtlichen Straßenbeleuchtung zum Gegenstand. 49 Siehe hierzu die Ausführungen zu den Bürgerbefragungen in Potsdam (2. Teil § 2 III. 4.). 50 Beispielhaft genannt sei die von der Gemeinde Freiensteinau am 25.04.2010 durchgeführte Bürgerbefragung, die mehrere Fragen zum Ausbau und zu der Finanzierung von Windkraft zum Gegenstand hatte. 51 Die Bürgerbefragung, die im Ortsteil Bottendorf stattfand, hatte den Bau einer Lagerhalle sowie eines Silos zum Gegenstand. 52 Im Januar 2014 führte die Gemeinde Holdorf eine Bürgerbefragung durch, bei der es um den Zusammenschluss mit zwei anderen Gemeinden ging. 53 In der Gemeinde Liepen wurde im September 2013 eine Einwohnerbefragung durchführt, bei der um die Frage einer möglichen Fusion mit der Gemeinde Neetzow ging. 54 Siehe hierzu 2. Teil § 2 III. 3. 55 Die am 07.06.2009 durchgeführte Bürgerbefragung hatte die Entwicklung der Unterstadt Kleve zum Gegenstand. 56 Die am 22.09.2013 zeitgleich mit der Bundestagswahl durchgeführte Bürgerbefragung hatte den Erhalt bzw. den möglichen Abriss einer Brücke zum Gegenstand. 57 Die im Juni 2012 durchgeführte Einwohnerbefragung hatte den Zusammenschluss mit einer Nachbargemeinde zum Gegenstand. 58 Die im Frühjahr 2014 durchgeführte Bürgerbefragung befasste sich mit der Frage der Errichtung von Windkrafträdern in der Gemeinde. 59 Die Bürgerbefragung über einen Gemeindezusammenschluss wurde am 25.05. 2014 durchgeführt. 60 Bei der Einwohnerbefragung ging es um die zukünftige Nutzung eines Sportparks. 61 Beispielhaft genannt sei die von der Gemeinde Brodersby am 17.01.2010 durchgeführte Bürgerbefragung zur Errichtung einer Freiflächen-Photovoltaikanlage. Der Grund
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2. Teil: Grundlagen
ringen führte erst kürzlich die Stadt Jena62 sowie die Gemeinde Ilm-Kreis63 eine Bürgerbefragung durch.
II. Befragungen mit gesetzlicher Grundlage Während seit der Einfügung einer gesetzlichen Regelung zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen in die niedersächsische und saarländische Kommunalverfassung in diesen Bundesländern bereits eine Vielzahl von Befragungen durchgeführt wurden, haben Gemeinden in Schleswig-Holstein seit der Einfügung des Instruments der Einwohnerbefragung in die schleswig-holsteinische Kommunalverfassung bisher soweit ersichtlich noch nicht von diesem Instrument Gebrauch gemacht. Demgegenüber wurden, wie soeben bereits erörtert, vor dem Erlass der gesetzlichen Regelung auch in Schleswig-Holstein vereinzelt Bürgerbefragungen durchgeführt. 1. Bürgerbefragung zum Ausbau des Eintracht-Stadions in Braunschweig Am 6. Februar 2011 führte die niedersächsische Stadt Braunschweig eine Bürgerbefragung zum Ausbau des Eintracht-Stadions durch.64 Die Bürgerbefragung wurde von der Vertretungskörperschaft der Stadt Braunschweig am 14. Dezember 2010 mit dem Erlass einer Durchführungssatzung beschlossen.65 Die Fragestellung für die Bürgerbefragung umfasste dabei zwei Themenkomplexe66 und lautete „Soll der beschriebene Ausbau des Eintracht-Stadions realisiert und durch die Stadt Braunschweig finanziert werden?“. Teilnahmeberechtigt waren knapp
für den Beschluss der Vertretungskörperschaft für die Durchführung der Befragung war, dass nach § 16g Abs. 2 Nr. 6 SHGO die Durchführung eines Bürgerentscheids über Entscheidungen im Rahmen der Bauleitplanung unzulässig ist. 62 Beispielhaft genannt sei die von der Stadt Jena im März 2014 durchgeführte Bürgerbefragung, bei der es um die Frage der Wiederbebauung eines städtisches Platzes ging; genannt sei auch die von der Gemeinde Benshausen am 23.01.2011 durchgeführte Bürgerbefragung, die Fragen zur Ausgestaltung einer etwaigen Gebietsreform zum Gegenstand hatte. 63 Bei der im Januar 2014 durchgeführten Befragung ging es um die Entsorgung von Baum- und Strauchschnitt. 64 Vgl. hierzu die Informationen der Stadt Braunschweig, abrufbar unter http://www. braunschweig.de/politik_verwaltung/politik/wahlen/abstimmungen/buergerbefragung. html (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 65 Vgl. die „Satzung nach § 22 d NGO zur Durchführung einer Bürgerbefragung über den Ausbau des Eintracht-Stadions“, Amtsblatt für die Stadt Braunschweig Nr. 19 vom 20.12.2010, S. 81; abrufbar unter http://www.braunschweig.de/politik_verwal tung/bekanntmachungen/amtsblatt/amtsblatt_stadt_braunschweig_2010_19.pdf (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 66 Siehe zur Zulässigkeit eines solchen Vorgehens 5. Teil § 13 IV. 2. d).
§ 2 Praktische Relevanz der Thematik
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200.000 Bürger der Stadt Braunschweig. Bei einer Befragungsteilnahme von knapp 33 Prozent der stimmberechtigten Bürger stimmten 60,3 Prozent der teilnehmenden Bürger für und 39,7 Prozent gegen einen Stadionausbau und die entsprechende Finanzierung durch die Stadt Braunschweig. Die Vertretungskörperschaft der Stadt Braunschweig folgte diesem Ergebnis und stimmte für einen von der Stadt Braunschweig finanzierten Bau des Stadions. 2. Bürgerbefragung über die Planung und den Bau einer Elbbrücke zwischen Neu Darchau und Darchau In Niedersachsen führten die Hansestadt Lüneburg und der Landkreis Lüneburg am 20. Januar 2013 parallel zur Landtagswahl eine Bürgerbefragung durch, die die Planung und den Bau einer Elbbrücke zwischen Neu Darchau und Darchau zum Gegenstand hatte.67 Teilnahmeberechtigt waren rund 65.000 Bürger der Hansestadt und des Landkreises Lüneburg. Der Grund für die Durchführung der Befragung lag darin, dass seit der Wiedereingliederung der Gemeinde Amt Neuhaus in den Landkreis Lüneburg im Jahr 1993 der Wunsch nach dem Bau einer Elbbrücke bestand. Durch diese Elbbrücke sollte das Gebiet rechts der Elbe mit dem übrigen Gebiet des Landkreises Lüneburg und des Landes Niedersachsen verbunden werden. Am 16. Juni 2012 verabschiedete der Kreistag eine Durchführungsatzung, die das Verfahren und weiteren Einzelheiten in Bezug auf die Durchführung der Bürgerbefragung regelte.68 Auf die im Rahmen der Befragung gestellte Frage69 konnte dabei nicht nur mit „Ja“ oder „Nein“, sondern alternativ auch mit „Nur dann, wenn der Kostenanteil des Landkreises Lüneburg 10 Millionen A nicht übersteigt“ geantwortet werden. Zudem ließ die Durchführungssatzung keine Briefbefragung zu, wobei jedoch bereits vor dem eigentlichen Abstimmungstermin in den Räumlichkeiten der Hansestadt Lüneburg eine Stimmabgabe möglich war.70 Das Befragungsergebnis ergab, dass 49,5 Prozent der Befragten für die Fortführung der Planungen und des Baus der Elbbrücke stimmten.71 22,4 Prozent der Befragten sprachen sich unter der Bedingung für
67 Vgl. hierzu die Informationen der Stadt Lüneburg, abrufbar unter http://www. landkreis-lueneburg.de/desktopdefault.aspx/tabid-8156/8356_read-47934/(zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 68 Die Durchführungssatzung ist abrufbar unter http://www.lueneburg.de/Portaldata/ 1/Resources/lklg_dateien/lklg_dokumente/allgemein/Anlage1_DurchfueDurchfuehrung. pdf (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 69 Die Frage lautete „Sollen Planung und Bau der Elbbrücke zwischen Neu Darchau und Darchau fortgeführt werden?“. 70 Siehe zur Zulässigkeit eines solchen Vorgehens 5. Teil § 13 IV. 1. 71 Das ausführliche Befragungsergebnis ist abrufbar auf der Homepage der Hansestadt Lüneburg unter http://www.landkreis-lueneburg.de/Home-Landkreis-Lueneburg/ Politik-und-Verwaltung/tabid-8174/tabid-8174_Kopie/buergerbefragung-zur-elbbruecke. aspx (zuletzt abgerufen am 27.01.2015).
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2. Teil: Grundlagen
eine Fortführung aus, dass der Kostenanteil des Landkreises Lüneburg 10 Millionen Euro nicht übersteigt. Gegen den Bau stimmten 28,1 Prozent der Befragten. Der Landkreis Lüneburg folgte diesem Ergebnis insoweit, als dass er ein Raumordnungsverfahren durchführte72 und damit zumindest die Planungen für den Bau der Brücke fortführte. 3. Einwohnerbefragung zum Kraftwerksneubau in Ensdorf Im November 2007 wurde in der saarländischen Gemeinde Ensdorf eine Einwohnerbefragung zum Neubau eines Kraftwerks durchgeführt. Dem vorausgegangen war eine Entscheidung des Energieversorgungskonzerns RWE aus dem Jahr 2006, nach der in der Gemeinde Ensdorf ein Kohlekraftwerk mit einer Gesamtleistung von 1600 MW errichtet werden sollte.73 Die geplanten Investitionskosten sollten dabei ca. zwei Milliarden Euro betragen.74 Die Vertretungskörperschaft der Gemeinde Ensdorf begrüßte diese Pläne und beschloss die von der RWE-Tochter VSE beantragte Verlegung eines Bachs im Bereich des Kraftwerkstandorts, was als Entscheidung für den Kraftwerksneubau gedeutet wurde75. Im Rahmen des Widerstands gegen das geplante Vorhaben wurden gemeinsam von Seiten der Bevölkerung, von Umweltverbänden und Oppositionsparteien verschiedene Bürgerinitiativen mit dem Ziel der Verhinderung des Kraftwerkneubaus ins Leben gerufen.76 Im weiteren Verlauf der Diskussion über das Projekt wurde zudem bekannt, dass für die erforderliche Anlandung von Importkohle der Bau eines neuen Hafenbeckens notwendig wäre. Die Vertretungskörperschaft entschied sich jedoch gegen eine erforderlich gewesene Änderung des Flächennutzungsplans und beschloss aufgrund des wachsenden öffentlichen Drucks die Durchführung einer Einwohnerbefragung. Die Vertretungskörperschaft legte sich dabei auf eine Befolgung des Befragungsergebnisses fest, sofern zwei Drittel der
72 Vgl. die ausführlichen Informationen hierzu unter http://www.landkreis-luene burg.de/desktopdefault.aspx/tabid-8485/14615_read-47603/(zuletzt abgerufen am 27.01. 2015). 73 Vgl. die am 23.11.2006 veröffentlichte Pressemitteilung der RWE AG, abrufbar unter http://www.rwe.com/web/cms/de/37110/rwe/presse-news/pressemitteilungen/ pressemitteilungen/?pmid=4001430 (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 74 Vgl. die am 07.08.2007 veröffentlichte Pressemitteilung der RWE AG, abrufbar unter http://www.rwe.com/web/cms/de/37110/rwe/presse-news/pressemitteilungen/ pressemitteilungen/?pmid=4001760 (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 75 Vgl. den am 29.10.2007 erschienenen Artikel auf http://www.strom-magazin.de/ strommarkt/ensdorf-buerger-sollen-ueber-geplanten-kraftwerksneubau-befragt-werden_ 21350.html (zuletzt abgerufen am 27.01.2015); vgl. auch die am 09.08.2007 veröffentlichte Pressemitteilung der RWE AG, abrufbar unter http://www.rwe.com/web/cms/de/ 37110/rwe/presse-news/pressemitteilungen/pressemitteilungen/?pmid=4001760 (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 76 Vgl. die Informationen auf der Klima Allianz Deutschland, abrufbar unter http:// www.kohle-protest.de/ensdorf/(zuletzt abgerufen am 27.01.2015).
§ 2 Praktische Relevanz der Thematik
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Befragungsberechtigten an der Befragung teilnehmen sollten.77 Auch RWE kündigte im Vorfeld der Befragung an, dass Befragungsergebnis zu akzeptieren und auf etwaige weitere rechtliche Schritte zu verzichten.78 Bei einer Wahlbeteiligung von 70 Prozent der abstimmungsberechtigten Personen stimmten schließlich insgesamt 70,03 Prozent der Befragten gegen den Bau des Kraftwerks.79 Die Vertretungskörperschaft lehnte daraufhin die für den Kraftwerksneubau erforderlich gewesene Änderung des Flächennutzungsplans ab. Unmittelbar nach dieser Entscheidung zog RWE den bereits gestellten Genehmigungsantrag für den Bau des Kraftwerks zurück.80 Die Befragung sowie die daraufhin getroffene Entscheidung der Vertretungskörperschaft fanden bundesweite Beachtung, da erstmalig in Deutschland die Durchführung eines Großvorhabens eines solchen Ausmaßes aufgrund des Ergebnisses einer kommunalen Befragung scheiterte.81
III. Befragungen ohne gesetzliche Grundlage Wie bereits der Überblick über die Befragungspraxis aller Bundesländer gezeigt hat82, wurden in der Vergangenheit Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen von gemeindlichen Vertretungskörperschaften auch ohne eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage in der jeweiligen Kommunalverfassung durchgeführt. Im Folgenden sollen einige Beispiele solcher ohne gesetzliche Grundlage durchgeführter Befragungen angeführt werden. Aufgezeigt werden soll damit, dass auch dieser Form der Durchführung kommunaler Befragungen eine erhebliche praktische Relevanz zugemessen werden kann. Diese Feststellung gewinnt eine besondere Bedeutung für die im weiteren Verlauf der Arbeit zu behandelnde Frage der Rechtmäßigkeit einer ohne gesetzliche Grundlage durchgeführten Bürgerbzw. Einwohnerbefragung.83
77 Vgl. den am 29.10.2007 erschienenen Artikel auf http://www.strom-magazin.de/ strommarkt/ensdorf-buerger-sollen-ueber-geplanten-kraftwerksneubau-befragt-werden_ 21350.html (zuletzt abgerufen am 27.01.2015); siehe zur Zulässigkeit eines solches Vorgehens 5. Teil § 4 II. 78 Vgl. den am 26.11.2007 erschienenen Artikel auf http://www.verivox.de/nachrich ten/rwe-will-sich-an-buergervotum-gegen-kraftwerksbau-in-ensdorf-halten-21490.aspx (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 79 Die Ergebnisse der Einwohnerbefragung sind abrufbar unter http://www.kraft werk-fuer-ensdorf.de/EWO-Befragung.pdf (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 80 Vgl. die am 26.11.2007 veröffentlichte Pressemitteilung der RWE AG, abrufbar unter http://www.rwe.com/web/cms/de/37110/rwe/presse-news/pressemitteilungen/ pressemitteilungen/?pmid=4001918 (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 81 Vgl. hierzu die Informationen des Vereins „Mehr Demokratie e. V.“, Landesverband Bremen/Niedersachsen, abrufbar unter http://bremen-nds.mehr-demokratie.de/bsbefragung0.html. 82 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 2 I. 83 Siehe hierzu 4. Teil § 2.
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2. Teil: Grundlagen
1. Bürgerbefragung zur Einräumung eines Abbaurechts für ein Zementwerk in Dettingen/Erms Bereits im Jahr 1956 wurde in der baden-württembergischen Gemeinde Dettingen/Erms eine Bürgerbefragung durchgeführt, bei der es um die Einräumung eines Abbaurechts an dem im Eigentum der Gemeinde befindlichen Bergrücken „Hörnle“ für ein Zementwerk ging.84 Nachdem die Gemeinde für die Einräumung des Abbaurechts ein „günstiges“ finanzielles Angebot erhalten hatte, beschloss die Vertretungskörperschaft, da es sich ihrer Auffassung nach um ein „schwerwiegendes“ Vorhaben handelte, dass vor dem eigentlichen Beschluss die Meinung der Bürgerschaft eingeholt werden müsse.85 Da jedoch die Voraussetzungen eines zunächst angedachten Bürgerentscheids nicht vorlagen86, entschied sich die Vertretungskörperschaft für die Durchführung einer Bürgerbefragung.87 Dem Befragungsergebnis sollte dabei eine rechtsverbindliche Wirkung für die Vertretungskörperschaft zukommen.88 Dieser Beschluss wurde jedoch von der Rechtsaufsichtsbehörde mit der Begründung beanstandet, dass aufgrund des Nichtvorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen zur Durchführung eines Bürgerentscheids auch eine gesetzlich nicht geregelte Bürgerbefragung in der Form und mit den Rechtsfolgen eines Bürgerentscheids nicht zulässig sei, da eine Umgehung der Vorschriften über die Durchführung eines Bürgerentscheids vorläge.89 Denn eine Bürgerbefragung könne stets nur als Hilfsmittel für die Willensbildung einer Vertretungskörperschaft dienen, dürfe jedoch nicht durch eine freiwillig auferlegte Selbstbindung an das Ergebnis die Verantwortlichkeit einer Vertretungskörperschaft einschränken.90 Gleichzeitig wies die Rechtsaufsichtsbehörde jedoch darauf hin, dass der Durchführung einer lediglich informatorischen Bürgerbefragung keine „tatsächlichen und rechtlichen“ Bedenken entgegenstünden.91 Die Vertretungskörperschaft führte sodann die Bürgerbefragung in der 84 Diese Bürgerbefragung wurde ausführlich untersucht von Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 162 f., dem zu diesem Zweck vom Bürgermeisteramt in Dettingen/Erms die entsprechenden Gemeindeakten zur Verfügung gestellt wurden; vgl. auch Ardelt, Erfahrungen mit Bürgerentscheid und Bürgerbegehren, S. 244 f.; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 73. 85 Vgl. Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 163; Ardelt, Erfahrungen mit Bürgerentscheid und Bürgerbegehren, S. 245. 86 Vgl. § 21 BWGO a. F. 87 Ardelt, Erfahrungen mit Bürgerentscheid und Bürgerbegehren, S. 245. 88 Vgl. Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 163; Ardelt, Erfahrungen mit Bürgerentscheid und Bürgerbegehren, S. 245; die Vertretungskörperschaft hatte beschlossen „das Ergebnis der Bürgerbefragung als Bürgerentscheid zu respektieren und im Voraus als verbindlichen Beschluss der Gemeinderates anzuerkennen“. 89 Ardelt, Erfahrungen mit Bürgerentscheid und Bürgerbegehren, S. 245. 90 Ardelt, Erfahrungen mit Bürgerentscheid und Bürgerbegehren, S. 247. 91 Vgl. Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 164; nach Ansicht des Landratsamtes sei dies dann der Fall, wenn sich die Vertretungskörperschaft einer Bürgerbe-
§ 2 Praktische Relevanz der Thematik
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vom Landratsamt angedachten Form zeitgleich, aber verfahrensmäßig getrennt mit den Bürgermeisterwahlen durch.92 Das Ergebnis der Befragung war eine deutliche Ablehnung der Einräumung der Abbaurechte. Die Vertretungskörperschaft folgte dem Befragungsergebnis insoweit, als dass diese das Eintreten in Verhandlungen mit dem Zementwerk ablehnte.93 2. Bürgerbefragung zur EXPO 2000 in Hannover Besondere Bedeutung im Zusammenhang mit der Entwicklung des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung kommt der Bürgerbefragung zur Veranstaltung der Weltausstellung EXPO 2000 in Hannover zu. Die Vertretungskörperschaft der Stadt Hannover beabsichtigte im Jahr 1992 die Durchführung einer Befragung zu der Frage, ob die Bürger der Stadt Hannover der Vertretungskörperschaft „empfehlen“ sollten, an der Veranstaltung der Weltausstellung EXPO 2000 weiterhin festzuhalten oder aber hierauf zu verzichten.94 Im Vorfeld der Befragung wandte sich die Bezirksregierung Hannover als zuständige Aufsichtsbehörde in einem Schreiben an die Landeshauptstadt Hannover.95 Darin führte die Bezirksregierung aus, dass sie die Durchführung nur dann kommunalaufsichtsrechtlich nicht beanstanden werde, sofern sichergestellt sei, dass das Befragungsergebnis für die Vertretungskörperschaft keine Bindungswirkung entfalte und dies auch bei der Organisation und Durchführung der Befragung den Teilnehmern hinreichend deutlich gemacht werde.96 Dennoch bestünden nach Auffassung der Bezirksregierung insgesamt erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Durchführung der Befragung. Obgleich Befragungen mit „konsultativen Charakter“ im Grundsatz zulässig seien, gelte dies jedoch dann nicht mehr, wenn mit der Befragung Druck auf die eigentlich zuständigen Entscheidungsgremien ausgeübt werden soll.97 Die Bezirksregierung nimmt dabei ausdrücklich Bezug fragung bediene, die „auch in der Form keinen Gesetzesverstoß darstellt und zweifelsfrei Ziel und Zweck der Befragung erkennen lässt“. 92 Vgl. Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 164; die ursprünglich angedachte Fragestellung „Sind sie mit der Einräumung von Abbaurechten am „Hörnle“ an die Zementwerke Nürtingen zu den vom Gemeinderat noch auszuhandelnden Bedingungen einverstanden? Ja – Nein“ wurde verändert und lautete schlussendlich „Sind sie damit einverstanden, dass der Gemeinderat Dettingen/Erms mit dem Zementwerk Nürtingen Verhandlungen mit dem Ziel eines etwaigen Abbaus am „Hörnle“ führt? Ja – Nein“. Die Vertretungskörperschaft wollte verdeutlichen, dass die Befragung einen reinen konsultativen Charakter aufweist und damit in rechtlicher Hinsicht nicht verbindlich ist; vgl. auch Ardelt, Erfahrungen mit Bürgerentscheid und Bürgerbegehren, S. 247. 93 Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 164; Ardelt, Erfahrungen mit Bürgerentscheid und Bürgerbegehren, S. 248. 94 Vgl. die Stellungnahme der Bezirksregierung Hannover, NSt-N 1992, 58. 95 Vgl. die Stellungnahme der Bezirksregierung Hannover, NSt-N 1992, 58. 96 Vgl. die Stellungnahme der Bezirksregierung Hannover, NSt-N 1992, 58. 97 Stellungnahme der Bezirksregierung Hannover, NSt-N 1992, 58.
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2. Teil: Grundlagen
auf die Volksbefragungsurteile des Bundesverfassungsgerichts98.99 In diesem Fall käme die Befragung „faktisch“ einem Bürgerentscheid gleich, dessen Durchführung jedoch nach der damals geltenden Rechtslage unzulässig gewesen wäre.100 In diesem Zusammenhang wies die Bezirksregierung Hannover auch darauf hin, dass darüber hinaus aus Gründen einer etwaigen Verletzung des in der Niedersächsischen Gemeindeordnung verankerten Wirtschaftlichkeits- und Sparsamkeitsgebots kommunalaufsichtsrechtliche Maßnahmen eingeleitet werden könnten.101 Daher betonte die Bezirksregierung Hannover die Notwendigkeit, bei der Durchführung der Befragung jederzeit den „Charakter einer Meinungsumfrage“ deutlich werden zu lassen.102 Vor diesem Hintergrund sei zur Ingangsetzung der Befragung der Erlass einer Satzung „in hohem Maße rechtlich bedenklich“, weshalb letztlich nur ein entsprechender Beschluss der Vertretungskörperschaft gefasst werden dürfe.103 Bei der von der Stadt Hannover schließlich durchgeführten Bürgerbefragung beteiligten sich 61,7 Prozent der teilnahmeberechtigten Bürger. Insgesamt sprachen sich 51,5 Prozent der Abstimmenden für und 48,5 Prozent gegen die Veranstaltung der Weltausstellung EXPO 2000 in Hannover aus.104 Die Vertretungskörperschaft folgte diesem Ergebnis insoweit, als dass sie die Planungen zur Durchführung der EXPO 2000 weiter verfolgte. 3. Einwohnerbefragung zum Ausbau des Godorfer Hafens in Köln Am 10. Juli 2011 führte die Stadt Köln erstmalig eine Einwohnerbefragung durch, bei der es um den Ausbau des Godorfer Hafens ging.105 Der Befragung vorausgegangen war eine politische Auseinandersetzung in dieser Sache: Nachdem sich zunächst die Vertretungskörperschaft der Stadt Köln im August 2007 in einem Grundsatzbeschluss für den Ausbau des Hafens ausgesprochen hatte, leitete 98 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104 ff.; BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 122 ff.; siehe hierzu 2. Teil § 4. 99 Stellungnahme der Bezirksregierung Hannover, NSt-N 1992, 58. 100 Stellungnahme der Bezirksregierung Hannover, NSt-N 1992, 58. 101 Stellungnahme der Bezirksregierung Hannover, NSt-N 1992, 58. 102 Stellungnahme der Bezirksregierung Hannover, NSt-N 1992, 58. 103 Stellungnahme der Bezirksregierung Hannover, NSt-N 1992, 58. 104 Vgl. die Pressemitteilung des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt Hannover vom 01.06.2000, abrufbar unter http://www.presse-hannover.de/pressemeldungen/expo _vor.html (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 105 Vgl. hierzu die Informationen der Stadt Köln, abrufbar unter http://www.stadtkoeln.de/politik-und-verwaltung/mitwirkung/einwohnerbefragung-zum-ausbau-des-go dorfer-hafens (zuletzt abgerufen am 27.01.2015); die nachfolgenden Ausführungen beruhen auf der Beschlussvorlage DS-Nr. 0575/2011 „Bürgerbefragung zum weiteren Ausbau des Godorfer Hafens“, die von der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Köln am 01.03.2011 gestellt wurde. Die Beschlussvorlage ist abrufbar unter http://ratsinforma tion.stadt-koeln.de/vo0050.asp?__kvonr=26703&voselect=6129 (zuletzt abgerufen am 27.01.2015).
§ 2 Praktische Relevanz der Thematik
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diese ein entsprechendes Planfeststellungsverfahren ein. Bereits Ende November 2007 wurde der Stadtverwaltung ein Bürgerbegehren106 mit dem Ziel der Aufhebung dieses Beschlusses übergeben. Obgleich das Bürgerbegehren das erforderliche Quorum erreichte, erklärte die Verwaltung der Stadt Köln das Bürgerbegehren für unzulässig, da es sich bei der dem Begehren zu Grunde liegenden Frage um eine solche mit planungsrechtlichem Bezug handle und die Frage zudem nicht auf eine abschließende Sachentscheidung gerichtet sei. Die Vertretungskörperschaft schloss sich dieser Entscheidung an und auch das von den Vertretern des Bürgerbegehrens angerufene Verwaltungsgericht Köln107 bestätigte diese Sichtweise und erklärte das Bürgerbegehren für unzulässig. Parallel zu diesem Verfahren verhängte das Verwaltungsgericht Köln auf Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung zunächst eine vorläufige Einstellung der Arbeiten zum Ausbau des Hafens und hob sodann mit der Begründung der sachlichen Unzuständigkeit der Bezirksregierung Köln im August 2009 den Planfeststellungsbeschluss auf108. Diese Auffassung wurde im weiteren Eilverfahren vom Oberverwaltungsgericht Münster im Juli 2010 bestätigt109. Auch in der Hauptsache stufte das Oberverwaltungsgericht den Planfeststellungsbeschluss als rechtswidrig ein und hob diesen auf.110 Vor diesem Hintergrund hielt die Vertretungskörperschaft die Durchführung einer Einwohnerbefragung für sinnvoll und beschloss diese am 1. März 2011.111 Diesem Beschluss lag die Rechtsauffassung zu Grunde, dass die Durchführung einer Einwohnerbefragung auch ohne gesetzliche Grundlage zulässig sei, da weder die Kommunalverfassung noch städtische Satzungen Vorgaben für die Durchführung von Einwohnerbefragungen vorsähen und die Stadt daher im Rahmen ihres kommunalen Selbstverwaltungsrechts zur Festlegung von Kriterien zur Durchführung der Einwohnerbefragung nach sachgemäßem Ermessen befugt sei.112 Zudem verpflichtete sich die Vertretungskörperschaft im Rahmen einer sog. freiwilligen Selbstverpflichtung zur Befolgung des Befragungsergebnisses für den Fall, dass sich in der Befragung eine Mehrheit von mindestens 10 Prozent der teilnahmeberechtigten Bürger ergibt.113 Für den Fall des Nichterreichens die106
Das Bürgerbegehren nannte sich „Kein Ausbau des Godorfer Hafens“. VG Köln, Urteil vom 18.09.2008 – 4 K 1670/08 –, (zitiert nach juris). 108 VG Köln, Urteil vom 11.08.2009 – 14 K 4719/06 –, (zitiert nach juris). 109 OVG Münster, Beschluss vom 29.07.2010 – 20 B 1320/09 –, DVBl. 2010, 1512 ff. 110 OVG Münster, Urteile vom 15.03.2011 – 20 A 2147/09 und 20 A 2148/09 –, DVBl. 2011, 767 ff. 111 Die Fragestellung für die Bürgerbefragung lautete „Soll der Godorfer Hafen weiter ausgebaut werden? Ja – Nein“. 112 Siehe zur Frage des Erfordernisses einer einfachgesetzlichen Grundlage für die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen 4. Teil § 2. 113 Siehe hierzu 5. Teil § 4. 107
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2. Teil: Grundlagen
ses Quorums gelte „in der Gesamtthematik der Zustand vor dem Ratsbeschluss zur Befragung“. Das von der Vertretungskörperschaft festgelegte Quorum wurde jedoch nicht erreicht. Die Vertretungskörperschaft folgte dem Befragungsergebnis insoweit, als dass die in dieser Angelegenheit bereits vorliegenden Beschlüsse der Vertretungskörperschaft für den Hafenausbau fortbestehen blieben. 4. Bürgerbefragungen in Potsdam Neben der im Jahr 2012 zur Schwimmbadversorgung in Potsdam durchgeführten Bürgerbefragung114 wurde bereits im Jahr 2006 in Potsdam eine Bürgerbefragung durchgeführt, deren Einzelheiten im Folgenden zumindest in Grobzügen dargestellt werden sollen. Die über einen Zeitraum von zwei Wochen durchgeführte Bürgerbefragung war die erste Bürgerbefragung in Potsdam und hatte die Frage des Standorts für den Landtagsneubau zum Gegenstand.115 Entgegen der bisher gezeigten Praxis der durchgeführten Bürgerbefragungen gab es bei dieser Bürgerbefragung keine mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantwortende Fragestellung. Vielmehr stellte die Landeshauptstadt Potsdam den abstimmenden Einwohnern vier Antwortvarianten zur Verfügung, zwischen denen gewählt werden konnte, wobei jedoch nicht die Möglichkeit der Ablehnung des Vorhabens bestand.116 Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem die Durchführung der Befragung untersagt werden sollte, wurde vom Verwaltungsgericht Potsdam abgelehnt.117 Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass kein Anspruch auf Unterlassung der Befragung bestehe, deutete jedoch gleichzeitig an, dass es Bedenken an der rechtlichen Zulässigkeit der Durchführung einer Bürgerbefragung in der geplanten Form habe.118 Entgegen dieser Zweifel des Verwal114 Vgl. hierzu die Informationen der Stadt Potsdam, abrufbar unter http://www. potsdam.de/sites/default/files/documents/B%C3%BCrgerbefragung_Schwimmbadve Schwimmb.pdf (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 115 Vgl. hierzu die Informationen der Stadt Potsdam, abrufbar unter http://www. potsdam.de/cms/beitrag/10031832/482044/ (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 116 Die Fragestellung der Bürgerbefragung lautete: „Wo sollte Ihrer Meinung nach das Gebäude für den brandenburgischen Landtag in Potsdam gebaut werden? Kreuzen Sie bitte nur eine Antwortmöglichkeit an. 1. Auf dem Grundriss des ehemaligen Stadtschlosses. 2. Am Standort des ehemaligen Palais Barberini an der Alten Fahrt. 3. In der Speicherstadt. 4. Vorschlag für einen anderen Standort: . . .“, zit. aus dem Zeitungsartikel der Berliner Zeitung vom 14.12.2006 mit dem Titel „Bürgerbefragung verfassungswidrig?“, abrufbar unter http://www.berliner-zeitung.de/archiv/gericht-entscheidetueber-die-potsdamer-abstimmung-zum-landtagsneubau-buergerbefragung-verfassungs widrig-,10810590,10441604.html (zuletzt abgerufen am 27.01.2015); vgl. auch die Informationen der Stadt Potsdam, abrufbar unter http://www.potsdam.de/cms/beitrag/ 10031832/482044/ (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 117 VG Potsdam, Beschluss vom 14.12.2006 – Az. 2 L 738/06 –, (unveröffentlicht); siehe hierzu auch 4. Teil § 2 IV. 2. 118 VG Potsdam, Beschluss vom 14.12.2006 – Az. 2 L 738/06 –, S. 3 f. (unveröffentlicht).
§ 2 Praktische Relevanz der Thematik
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tungsgerichts Potsdam an der Rechtmäßigkeit der Bürgerbefragung sah das brandenburgische Ministerium des Innern als oberste Kommunalaufsichtsbehörde keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken in Bezug auf die Durchführung der Bürgerbefragung.119 Das Ministerium begründete seine Auffassung damit, dass trotz der Hinweise auf eine mögliche Verfassungswidrigkeit bereits einzelne Bundesländer gesetzliche Regelungen zur Durchführung von Bürgerbefragungen eingeführt hätten und weiterhin auch eine „gewichtige Literaturmeinung“ die Durchführung von Bürgerbefragungen für rechtlich zulässig erachte. Darüber hinaus verpflichte auch die Brandenburgische Kommunalverfassung die Vertretungskörperschaften zu einer Förderung der Mitwirkung der Einwohner. An der Bürgerbefragung beteiligten sich 46 Prozent der wahlberechtigten Einwohner. Knapp 43 Prozent der Befragungsteilnehmer stimmten für den Standort in der Mitte Potsdams auf dem Grundriss des ehemaligen Stadtschlosses.120 Die Vertretungskörperschaft folgte dem Ergebnis der Bürgerbefragung insoweit, als dass sie die Empfehlung an den brandenburgischen Landtag aussprach, den Neubau des Landtags auf dem Grundstück des ehemaligen Stadtschlosses durchzuführen.121 Dieser Empfehlung folgend hat der brandenburgische Landtag im April 2008 schließlich den Beschluss gefasst, dass der Neubau des Landtags auf dem Standort „Alter Markt“ in der Mitte der Landeshauptstadt Potsdam erfolgt.122 5. Bürgerbefragungen im Vorfeld kommunaler Neugliederungsmaßnahmen In der Vergangenheit wurden zudem häufig kommunale Befragungen im Vorfeld kommunaler Neugliederungsmaßnahmen durchgeführt.123 Vereinzelt wird von Seiten der Literatur sogar die Auffassung vertreten, dass derartige Befragungen zu kommunalen Neugliederungsmaßnahmen den „Hauptanwendungsfall“ 124 119 Zitiert nach dem am 20.12.2006 erschienenen Artikel „Ministerium sieht geringes „Rechtsrisiko“ – Kommunalaufsicht greift Bürgerbefragung nicht an“ der Potsdamer Neueste Nachrichten, abrufbar unter http://www.pnn.de/potsdam/56778/ (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 120 Die Befragungsergebnisse sind abrufbar unter http://www.potsdam.de/sites/de fault/files/documents/Ergebnisse_B%C3%BCrgerbefragung.pdf (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 121 Vgl. die Informationen der Stadt Potsdam, abrufbar unter http://www.potsdam. de/cms/beitrag/10031832/482044/ (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 122 Vgl. LT-Drs. 4/6102(ND)-B. 123 Vgl. die Beispiele bei Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 165 ff.; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 74 ff.; darauf verweist auch Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 191 f.; Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 136 f.; ausführlich hierzu auch Knemeyer, BayBgm. 1971, 87 ff.; vgl. hierzu auch das Urteil des VG Ansbach vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194 ff.; siehe hierzu auch 4. Teil § 2 IV. 1. 124 So ausdrücklich Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 16.
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2. Teil: Grundlagen
kommunaler Befragungen darstellen. Die kommunalen Befragungen im Vorfeld kommunaler Neugliederungsmaßnahmen fanden dabei außerhalb des eigentlichen Anhörungsverfahrens125 bzw. im „Anfangsstadium der Reform“ 126 und damit im Vorfeld kommunaler Neugliederungsmaßnahmen statt. Vertretungskörperschaften verfolgen mit der Durchführung kommunaler Befragungen zu diesen Themen den Zweck, bereits im Vorfeld des eigentlichen Verfahrens zur Neugliederung ein Meinungsbild der Bürgerschaft zur geplanten Neugliederung zu erhalten. Zu unterscheiden127 sind solche im Vorfeld kommunaler Neugliederungsmaßnahmen durchgeführte Befragungen von solchen Bürgerabstimmungen, die im Rahmen des Anhörungsverfahrens bei kommunalen Neugliederungsmaßnahmen angeordnet werden.128 Eine gesetzliche Regelung hierzu findet sich lediglich in Bayern.129 Solche Abstimmungen finden im Gegensatz zu den soeben beschriebenen kommunalen Befragungen erst zu einem recht späten Zeitpunkt des Verfahrens statt.130 Zu diesem Zeitpunkt ist die Entscheidung über die jeweilige Maßnahme jedoch meistens bereits getroffen131, da die entsprechenden Beschlüsse bereits vorliegen oder eine Anhörung der Gemeinde(n) bereits stattgefunden hat.132 In diesen Abstimmungen kann keine gesetzlich geregelte Form kommunaler Befragungen gesehen werden, da es sich um staatliche Abstimmungen handelt, die von einer Landesbehörde133 durchgeführt werden.134 Mittlerweile kommt diesen Abstimmungen in Bayern jedoch keine praktische Bedeutung mehr zu.135 Die Anwendung des Art. 11 Abs. 4 BayGO ist im Zuge der Gebietsreform in Bayern suspendiert worden.136 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass zumindest in Bayern die Gemeinden ein Interesse an der Einholung eines Meinungsbildes im Vorfeld etwaiger Neugliederungsmaßnahmen haben.
125 Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 192; Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 137; siehe hierzu auch 4. Teil § 2 VII. 3. 126 Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 137. 127 Das Bestehen eines Unterschieds betonen auch Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 192; Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 136 f.; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 74. 128 Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 192. 129 Art. 11 ff. BayGO. 130 Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 74. 131 Vgl. Knemeyer, BayBgm. 1971, 87, 88, der hierzu ausführt, dass zu diesem Zeitpunkt „die Würfel für die eine oder andere Lösung bereits gefallen“ seien. 132 Vgl. Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 74. 133 Vgl. Art. 12 Abs. 1 BayGO. 134 Dies betont auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 38 f., 74, 202. 135 So auch Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 161; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 202 (dort Fn. 64). 136 Art. 5 Abs. 1 des Zweiten Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, BayGVBl. 1971 (Nr. 24), S. 450 ff.
§ 3 Geschichtliche Entwicklung
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§ 3 Geschichtliche Entwicklung des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung Auf kommunaler Ebene wurde erstmals in den fünfziger Jahren vereinzelt von dem Instrument der Bürgerbefragung Gebrauch gemacht.137 Jedoch muss davon ausgegangen werden, dass die Existenz des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung zu dieser Zeit unter gemeindlichen Vertretungskörperschaften kaum bekannt war. Zu einer flächendeckenden Anwendung dieses Instruments kam es damit zu dieser Zeit nicht. Diese Erkenntnis muss vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass zur damaligen Zeit in der überwiegenden Anzahl der Bundesländer plebiszitäre Beteiligungsrechte weder gesetzlich verankert noch allgemein bekannt waren. Lediglich in Baden-Württemberg wurden bereits Mitte der fünfziger Jahre erstmalig in Deutschland die Instrumente des Bürgerbegehrens und Bürgerentscheids in eine Kommunalverfassung eingefügt.138 Nachdem daraufhin die baden-württembergischen Gemeinden von diesen Instrumenten regen Gebrauch machten139, begann sodann eine breite Diskussion über die vermehrte Einführung direktdemokratischer Elemente auf kommunaler Ebene.140 Das Ergebnis dieser Diskussion, die sich hauptsächlich in den sechziger und siebziger Jahren141 abspielte, war, dass in der Folgezeit die bis dahin rein repräsentativ ausgestalteten Kommunalverfassungen der Länder dahingehend novelliert wurden, dass die Bürger sich nunmehr stärker an gemeindlichen Entscheidungsprozessen beteiligen konnten.142 Im Rahmen dieser Novellierung wurden zunächst jedoch lediglich Mitwirkungsrechte der Bürger wie beispielsweise das Instrument der Bürgerversammlung, des Bürgerantrags sowie der Bürgerfragestunde in die Kommunalverfassungen einge137 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 2 III. 1.; vgl. auch Ardelt, Erfahrungen mit Bürgerentscheid und Bürgerbegehren, S. 242 f., der zusätzlich über eine im Jahr 1956 von der Gemeinde Niklashausen durchgeführte „informatorische Volksbefragung“ berichtet; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 70 f.; Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 162, 165 f. 138 §§ 20b f. BWGO; vgl. zur Entstehungsgeschichte der gesetzlichen Regelungen Ardelt, Erfahrungen mit Bürgerentscheid und Bürgerbegehren, S. 100 ff.; Ardelt, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 93 ff. 139 Einen lesenswerten Überblick hierzu bieten Ardelt, Erfahrungen mit Bürgerentscheid und Bürgerbegehren, S. 119 ff., Ardelt, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 113 ff., vgl. auch Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 25; Ossenbühl, in: Seiler, Festschrift Rommel, S. 247, 249. 140 Vgl. hierzu auch die Ausführungen bei Rehn, in: von Mutius, Festgabe von Unruh, S. 305, 309 ff. 141 Beispielhaft hierfür genannt sei der Beitrag von Schmitt Glaeser, VVDStRL 31 (1973), 179 ff.; vgl. auch Hendler, Bürgerschaftliche Mitwirkung, S. 1 ff.; Rehn, in: von Mutius, Festgabe von Unruh, S. 305. 142 Vgl. Meissner, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 173 ff.; Karr, Institutionen direkter Demokratie, S. 25.
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2. Teil: Grundlagen
fügt.143 Nachdem Ende der achtziger Jahre erneut eine Diskussion um eine Erweiterung plebiszitärer Beteiligungsrechte auf kommunaler Ebene entfachte144, novellierten in den neunziger Jahren nach und nach immer mehr Bundesländer ihre Kommunalverfassungen insoweit, als dass diesmal Letztentscheidungsrechte in Form von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden flächendeckend Einzug in die Kommunalverfassungen fanden. Dabei fügte Schleswig-Holstein im Jahr 1990 als erstes Bundesland nach Baden-Württemberg die Instrumente des Bürgerbegehrens und des Bürgerentscheids in die Kommunalverfassung145 ein. In der Folgezeit nahmen auch alle anderen Bundesländer entsprechende Beteiligungsinstrumente in die Kommunalverfassung auf.146 Erst diese Entwicklung führte letztlich zum Durchbruch der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene.147 Mittlerweile müssen die Instrumente des Bürgerbegehrens und des Bürgerentscheids als „etablierte Institutionen“ des kommunalen Verfassungsrechts angesehen werden.148 Auch die Entwicklung des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung nahm einen ähnlichen Verlauf: Nachdem in den sechziger und siebziger Jahren vereinzelt immer wieder kommunale Befragungen ohne entsprechende gesetzliche Grundlage durchgeführt wurden149, fanden im Zuge der bereits erwähnten Partizipationsdiskussionen in dieser Zeit in der Literatur vermehrt Diskussionen über die Möglichkeit der Durchführung von Bürgerbefragung statt.150 Beispielhaft hierfür seien folgende Ausführungen genannt: „Auch Bürgerbefragungen erscheinen als ein brauchbares Mittel zur Verbreiterung bürgerschaftlicher Mitwirkung und gleichzeitig als notwendige Informationsquelle für die Träger kommunaler Selbstverwaltung. Sie sind vor allem im Rahmen größerer Planungsvor143 Vgl. die Übersicht bei Karr, Institutionen direkter Demokratie, S. 25 (dort Fn. 2); Meissner, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 174, 175. 144 Vgl. Karr, Institutionen direkter Demokratie, S. 25; Ossenbühl, in: Seiler, Festschrift Rommel, S. 247 (m.w. N.), der davon spricht, dass Fragen der unmittelbaren Bürgerbeteiligung an der Gestaltung kommunaler Politik seit der Wiedervereinigung Deutschlands wieder zu einem „Modethema“ geworden seien; Knemeyer, in: Ziemske/ Langheid/Wilms/Haverkate, Festschrift Kriele, S. 1141, 1143 f.; Blümel, VVDStRL 36 (1977), S. 171, 228 m.w. N. 145 §§ 16f f. SHGO. 146 Vgl. hierzu Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 25; Karr, Institutionen direkter Demokratie, S. 126 f. 147 Knemeyer, in: Ziemske/Langheid/Wilms/Haverkate, Festschrift Kriele, S. 1141, 1145. 148 Ossenbühl, in: Seiler, Festschrift Rommel, S. 247. 149 Das lässt sich aus den Ausführungen von Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 120, schließen; darauf verweist ausdrücklich auch Ziegler, in: Kühne/ Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 136. 150 Vgl. nur Hill, Die Rolle des Bürgers in der Gemeindeverfassung, S. 204 m.w. N.; Knemeyer, BayBgm. 1971, 87 ff.; Knemeyer, in: Hablitzel/Wollenschläger, Festschrift Küchenhoff, S. 557, 567; Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 135 ff.; Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 191 ff.
§ 3 Geschichtliche Entwicklung
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haben von Bedeutung, denn man darf einfach nicht davon ausgehen, dass die Auffassung der Repräsentanten in jedem Fall mit dem wirklichen Willen der Repräsentanten identisch ist oder dass sie wenigstens „von der größeren Einsicht und dem größeren Weitblick“ getragen ist. Vor allen Dingen vermittelt die Durchführung von Bürgerbefragungen dem einzelnen das notwendige Bewusstsein, dass seine Meinung eben nicht nur in der Wahl etwas gilt“.151 Jedoch führten diese Diskussionen nicht dazu, dass es zu einer gesetzlichen Verankerung des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung in den Kommunalverfassungen kam. Der Grund hierfür muss darin gesehen werden, dass im Rahmen der zur damaligen Zeit geführten Diskussion die Auffassung vorherrschte, dass für die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen keine einfachgesetzliche Ermächtigungsgrundlage erforderlich ist.152 Erst nachdem Ende der achtziger Jahre erneut eine Diskussion über die Erweiterung plebiszitärer Beteiligungsrechte auf kommunaler Ebene entfachte und daraufhin vermehrt Letztentscheidungsrechte in Form des Bürgerbegehrens und des Bürgerentscheids eine einfachgesetzliche Regelung erfuhren153, folgte auch das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung diesem Trend. Der Grund hierfür bestand sicherlich auch darin, dass seit dem Beginn der neunziger Jahre vermehrt von dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung Gebrauch gemacht wurde.154 Im Jahr 1996 hat das Instrument der Bürgerbefragung durch die Einführung in die Niedersächsische Gemeindeordnung erstmalig Eingang in eine Kommunalverfassung gefunden. Dem vorausgegangen war ein Streit darüber, ob Bürgerbefragungen auch ohne entsprechende gesetzliche Grundlage durchgeführt werden dürfen. Auslöser dieses Streits war die im Jahr 1992 in Hannover durchgeführte und an anderer Stelle dieser Arbeit bereits ausführlich beschriebene155 Bürgerbefragung zur Frage der Ausrichtung der EXPO 2000 in Hannover. Zum Zeitpunkt der Durchführung dieser Befragung bestanden in Niedersachsen schon seit längerer Zeit Überlegungen in Bezug auf eine Novelle des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts. Zur Überprüfung der Reformbedürftigkeit des Kommunalverfassungsrechts wurde im Januar 1991 auf Antrag aller Fraktionen des damaligen Niedersächsischen Landtags eine Enquete-Kommission eingesetzt, die aus neun Abgeordneten und drei sachverständigen Mitgliedern bestand.156 Auf
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So Knemeyer, in: Hablitzel/Wollenschläger, Festschrift Küchenhoff, S. 557, 567. Siehe hierzu 4. Teil § 2 III. 1. 153 Vgl. Knemeyer, DVBl. 1998, 113, 113. 154 Darauf verweist Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 120. 155 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 2 III. 2. 156 Antrag auf Einsetzung einer Enquete-Kommission zur Überprüfung der Reformbedürftigkeit des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts gemäß § 18a GOLT, LT-Drs. 12/735. 152
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2. Teil: Grundlagen
Grundlage einer Bestandsaufnahme sollte diese Enquete-Kommission unter anderem Möglichkeiten der Weiterentwicklung des Kommunalverfassungsrechts in Bezug auf eine Verstärkung der Bürgerbeteiligung prüfen.157 Der eigentlich bis zum 31. Dezember 1992 vorzulegende Bericht158 wurde von der Enquete-Kommission schließlich am 6. Mai 1994 dem Niedersächsischen Landtag präsentiert.159 In Bezug auf die Verstärkung der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene empfahl die Enquete-Kommission, anders als die bereits im Jahr 1978 eingesetzte Niedersächsische Sachverständigenkommission zur Fortentwicklung des Kommunalverfassungsrechts160, unter anderem mehrheitlich, die „Rahmenbedingungen für die Durchführung kommunaler Befragungen gesetzlich zu regeln“ 161. Aufgrund der zeitlichen Nähe der Erstellung des Berichts der EnqueteKommission und der Ereignisse im Zusammenhang mit der Durchführung der Bürgerbefragung in Hannover liegt der Verdacht nahe, dass die Kommission zumindest auch durch die getätigten Äußerungen der Aufsichtsbehörde in Bezug auf die Zulässigkeit der Durchführung der Befragung in Hannover dazu bewegt wurde, die Einführung einer gesetzlichen Regelung zu empfehlen.162 Dieser Empfehlung ist der niedersächsische Gesetzgeber nachgekommen und fügte im Jahr 1996 neben weiteren Beteiligungsrechten das Instrument der Bürgerbefragung in die Niedersächsische Gemeindeordnung163 ein.164 Durch die Novelle des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts im Jahr 2010165 findet sich die Regelung zur Durchführung von Bürgerbefragungen nunmehr in § 35 NKomVG. Die gesetzliche Regelung wurde in diesem Zusammenhang zudem erweitert um einen Ausschlusstatbestand, nach dem eine Befragung nicht in Angelegenheiten
157 Antrag auf Einsetzung einer Enquete-Kommission zur Überprüfung der Reformbedürftigkeit des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts gemäß § 18a GOLT, LT-Drs. 12/735; vgl. die umfassenden Erörterungen zur Arbeit der Enquete-Kommission Lemmermann, Die Reform der niedersächsischen Kommunalverfassung, S. 113 ff. 158 Vgl. den Antrag auf Einsetzung einer Enquete-Kommission zur Überprüfung der Reformbedürftigkeit des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts gemäß § 18a GOLT, LT-Drs. 12/735. 159 Bericht der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 12/6250. 160 Niedersächsische Sachverständigenkommission zur Fortentwicklung des Kommunalverfassungsrechts, S. 59 ff.; siehe hierzu auch 4. Teil § 2 I. 161 Bericht der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 12/6250, S. 56. 162 Dieses Vermutung äußern auch Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 1; Detjen, Demokratie in der Gemeinde, S. 133 (dort Fn. 174). 163 § 22d NGO. 164 Gesetz zur Reform des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, NdsGVBl. 1996 (Nr. 6), S. 82 ff. 165 Gesetz zur Zusammenfassung und Modernisierung des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, NdsGVBl. 2010 (Nr. 31), S. 576; vgl. hierzu auch Häusler/ Franke/Fischer, Das neue Niedersächsische Kommunalverfassungsgesetz, S. 9 ff.
§ 3 Geschichtliche Entwicklung
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einzelner Mitglieder der Vertretung, des Hauptausschusses, der Stadtbezirksräte, der Ortsräte und der Ausschüsse sowie der Beschäftigten der Gemeinde durchgeführt werden darf.166 Zum Zeitpunkt der Überlegungen des niedersächsischen Gesetzgebers in Bezug auf eine gesetzliche Verankerung des Instruments der Bürgerbefragung gab es auch im Saarland Bestrebungen, zur Stärkung der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene verschiedene Instrumente in das Kommunalverfassungsrecht einzuführen. Dem voraus ging die Empfehlung der im Jahr 1993 vom saarländischen Innenminister eingesetzten Kommission „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“.167 Das Ziel der Arbeit dieser Kommission bestand darin, Problemlagen und Entwicklungstendenzen der kommunalen Selbstverwaltung aufzuzeigen und daran anschließend Lösungsvorschläge zu unterbreiten.168 Als ein zu untersuchender Themenbereich wurde dabei auch die „Stärkung der Bürgerbeteiligung an der demokratischen Willensbildung in der Gemeinde und dem Gemeindeverband“ ausgewählt.169 In Bezug auf die Frage der Verstärkung der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene empfahl die Kommission mehrheitlich, einer Vertretungskörperschaft durch eine gesetzliche Regelung die Möglichkeit einzuräumen, „durch Satzung Bürgerbefragungen für den Stadt-, Gemeinderat und Kreistag einzuführen“.170 Das Instrument der Bürgerbefragung räumte nach Auffassung der Kommission den Gemeindeorganen die Möglichkeit ein, „die stimmberechtigten Bürger zu befragen oder anzuhören, um deren mehrheitliche Meinung zu erfahren und in Rechnung zu stellen“.171 Nachdem zunächst von Seiten der saarländischen Landesregierung keine Reaktion auf diese Kommissionsempfehlungen erfolgte, bekundete die Landesregierung schließlich in einer Regierungserklärung vom 23. November 1994 den Willen, den Empfehlungen der Kommission Gehör zu schenken und den Ausbau der Beteiligungsrechte im Kommunalverfassungsrecht voran zu treiben.172 Hierzu beschloss die Landesregierung schließlich am 3. April 1996 einen entsprechenden Gesetzentwurf. Dieser sah insoweit vor, dass neben weiteren Beteiligungsrechten auch das Instrument der Einwohnerbefragung, das einer Vertretungskörperschaft die Durchfüh166
§ 35 S. 2 NKomVG; siehe hierzu auch 5. Teil § 6 I. 7. a). Vgl. zur Zusammensetzung der Kommission den Bericht und die Empfehlungen der Kommission „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“, S. 10 f. 168 Bericht und Empfehlungen der Kommission „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“, Vorwort, S. III. 169 Bericht und Empfehlungen der Kommission „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“, S. 12. 170 Bericht und Empfehlungen der Kommission „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“, S. 4, 91, (die Empfehlung erfolgte mit einem Votum von 14:1). 171 Bericht und Empfehlungen der Kommission „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“, S. 86. 172 Vgl. den Gesetzentwurf der Regierung des Saarlandes, „Gesetz zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften“, LT-Drs. 11/675, S. 1. 167
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2. Teil: Grundlagen
rung einer Befragung der Einwohner zu wichtigen Angelegenheiten erlaubt, in das Kommunalverfassungsrecht eingeführt wird.173 Am 23. April 1997 wurde das Instrument schließlich in die saarländische Kommunalverfassung eingefügt.174 Erst fünfzehn Jahre nach diesen gesetzgeberischen Entwicklungen in Niedersachsen und im Saarland erfolgten im Jahr 2012 in Schleswig-Holstein neuerliche Bestrebungen eines Bundeslandes dahingehend, das Instrument der Einwohnerbefragung in die Kommunalverfassung aufzunehmen. Im November 2012 brachten die Regierungsparteien175 hierzu einen Gesetzentwurf in den Landtag ein.176 Im Rahmen der Novellierung der Vorschriften über die Bürgerbeteiligung sollte innerhalb der Vorschrift über die Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden geregelt werden, dass in einem Ortsteil unter gewissen Voraussetzungen eine Einwohnerbefragung durchgeführt werden kann. Der Entwurf eines § 16g Abs. 9 SHGO sah dabei folgenden Wortlaut vor: „In einem Ortsteil i. S. § 47a kann eine konsultative Bürgerbefragung durchgeführt werden, wenn es sich um eine Angelegenheit handelt, für welche der Ortsbeirat zuständig ist. Soweit anwendbar, gelten für die Durchführung die Absätze 1 bis 7 entsprechend mit der Maßgabe, dass an der Bürgerbefragung nur die im Ortsteil wohnenden Bürgerinnen und Bürger teilnahmeberechtigt sind und der Ortsbeirat an die Stelle der Gemeindevertretung tritt. Ortsbeirat und Gemeindevertretung sind bei ihren Entscheidungen über den Gegenstand der Befragung an deren Ergebnis nicht gebunden, haben dieses jedoch angemessen zu berücksichtigen.“ 177
Diese Einbindung des Instruments der Einwohnerbefragung in die Vorschrift über die Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden stieß im Rahmen der schriftlichen Anhörung178 zu dem Gesetzentwurf teilweise jedoch auf
173 Gesetzentwurf der Regierung des Saarlandes, „Gesetz zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften“, LT-Drs. 11/675, S. 1, sowie S. 4 der Begründung zum Gesetzentwurf. 174 Gesetz zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften, Amtsblatt des Saarlands 1997, S. 538 ff. 175 Die Regierung besteht seit 2012 aus den Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und den Abgeordneten des SSW. 176 Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Abgeordneten des SSW, „Entwurf eines Gesetzes für Bürgerbeteiligung und vereinfachte Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Schleswig-Holsteins Gemeinden und Kreise (Gesetz zur Stärkung der kommunalen Bürgerbeteiligung)“ vom 01.11.2012, LT-Drs. 18/310. 177 Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Abgeordneten des SSW, „Entwurf eines Gesetzes für Bürgerbeteiligung und vereinfachte Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Schleswig-Holsteins Gemeinden und Kreise (Gesetz zur Stärkung der kommunalen Bürgerbeteiligung)“ vom 01.11.2012, LT-Drs. 18/310, S. 7. 178 Die Benennung der Anzuhörenden erfolgte durch Umdruck 18/526 des schleswig-Holsteinischen Landtags.
§ 4 Rechtliche Qualifizierung der Befragungsteilnahme
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erhebliche Kritik.179 Insbesondere wurde kritisch angemerkt, dass eine Gemeinde auch ohne entsprechende gesetzliche Grundlage zur Durchführung konsultativer Befragungen berechtigt sei.180 Wollte man jedoch trotzdem eine einfachgesetzliche Grundlage schaffen, was legitim sei, empfehle sich aufgrund der nicht vorhandenen rechtlichen Verbindlichkeit des Befragungsergebnisses eine von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden getrennte und darüber hinaus auch flächendeckende und nicht nur auf Ortsteile bezogene gesetzliche Regelung.181 Diese Kritikpunkte fanden beim Gesetzgeber letztlich erfolgreich Gehör. Auf einen Änderungsantrag hin, der eine gesonderte gesetzliche Regelung des Instruments der Einwohnerbefragung und ferner eine Erstreckung des Instruments der Einwohnerbefragung von der Ortsteil- auf die Gemeindeebene vorsah182, gab der zuständige Ausschuss eine entsprechende Beschlussempfehlung ab.183 Die Gesetzesänderungen wurden schließlich am 21. Februar 2013 vom Landtag beschlossen184 und am 28. Februar 2013 verkündet.185 Nicht zuletzt aufgrund dieser nunmehr bestehenden gesetzlichen Regelungen wurde in den letzten Jahrzehnten von deutschen Gemeinden vermehrt von dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung Gebrauch gemacht.186
§ 4 Rechtliche Qualifizierung der Befragungsteilnahme Weiterhin gilt es zu untersuchen, wie sich die Teilnahme von Bürgern bzw. Einwohnern an einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung rechtlich einordnen lässt. Die rechtliche Qualifizierung der Befragungsteilnahme ist für diese Arbeit insoweit von erheblicher Bedeutung, als dass sie die Grundlage für die Beantwortung weiterer Problemkreise bildet, insbesondere für die Frage des Erfordernisses einer einfachgesetzlichen Grundlage für die Durchführung kommunaler Befragun179 Vgl. die Stellungnahme der Informationsstelle Bürgerbegehren, LT-Umdruck 18/ 612, S. 5; Stellungnahme des Lorenz-von-Stein-Institut für Verwaltungswissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, LT-Umdruck 18/608, S. 9 f. 180 Stellungnahme des Lorenz-von-Stein-Institut für Verwaltungswissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, LT-Umdruck 18/608, S. 9; so auch Bracker/ Dehn, SHGO, § 16c, zu Absatz 3 Rn. 1, für die „keine praktische Notwendigkeit“ für die Einführung einer gesetzlichen Regelung zu erkennen war. 181 Stellungnahme des Lorenz-von-Stein-Instituts für Verwaltungswissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, LT-Umdruck 18/608, S. 10. 182 Änderungsantrag zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Bürgerbeteiligung (Drs. 18/310), LT-Umdruck 18/807, S. 2. 183 Bericht und Beschlussempfehlung des Innen- und Rechtsausschusses, LT-Drs. 18/ 501, S. 5. 184 20. Sitzung des Schleswig-Holsteinisches Landtags am 21.02.2013, Plenarprotokoll 18/20, S. 1482. 185 Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein, Ausgabe Nr. 4, 28.2.2013, S. 72 ff. 186 Das betont auch Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 325.
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2. Teil: Grundlagen
gen187. Die Frage der rechtlichen Qualifizierung der Teilnahme an einer konsultativen Volksbefragung war Ende der fünfziger Jahre Gegenstand zweier Urteile des Bundesverfassungsgerichts, auf die im Folgenden ausführlich eingegangen werden soll.
I. Die Volksbefragungsurteile des Bundesverfassungsgerichts Die beiden Volksbefragungsurteile des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juli 1958188 bildeten den Schlusspunkt einer politischen Auseinandersetzung, bei der es um die Frage ging, ob sich die Bundeswehr mit Atomwaffen bewaffnen soll und überdies Atomwaffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland stationiert werden sollen. Dem von seiner Bedeutung her wichtigerem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den von den Bundesländern Hamburg und Bremen erlassenen Volksbefragungsgesetzen189 lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Ausgangspunkt der verfassungsgerichtlichen Auseinandersetzung waren Anträge der Fraktionen der FDP und der SPD im Deutschen Bundestag, mit denen ein Atomwaffenverzicht der Bundesrepublik Deutschland erreicht werden sollte.190 Da die Bundesregierung diese Anträge jedoch abgelehnte191, forderte die SPD öffentlich die Durchführung bundesweiter Volksbefragungen zu der streitigen Frage des Atomwaffenverzichts. Zu diesem Zweck wurde von der Fraktion der SPD ein „Entwurf eines Gesetzes zur Volksbefragung wegen einer atomaren Ausrüstung der Bundeswehr“ 192 in den Bundestag eingebracht. Obgleich dieser Gesetzentwurf keine Mehrheit im Bundestag fand, wurde bekannt, dass die von der SPD regierten Bundesländer Hamburg und Bremen ungeachtet dessen jeweils die Durchführung einer Volksbefragung zu dieser Angelegenheit planten. Zu diesem Zweck hatte die Hamburgische Bürgerschaft bereits am 9. Mai 1958 ein „Gesetz betreffend
187
Siehe hierzu 4. Teil § 2. BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104 ff.; BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 122 ff.; vgl. hierzu bereits Fuß, AöR 83 (1958), S. 383 ff.; Maunz, DÖV 1959, S. 1 ff. 189 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104 ff. 190 Vgl. Umdrucke 34–43; BT-PlenProt. 3/21, S. 1167 ff.; mit den Anträgen sollte die Bundesregierung ersucht werden, eine Aufrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen zu verhindern und sich gegen eine Stationierung und Lagerung von Atomwaffen sowie eine Errichtung von Atomwaffenanlagen auszusprechen. 191 Vgl. BT-PlenProt. 3/21, S. 1152 ff. 192 BT-Drs. 3/303; die nach diesem Gesetzentwurf von den Wahlberechtigten zu beantwortenden Fragen lauteten: „Sind sie damit einverstanden, dass deutsche Streitkräfte mit atomaren Sprengkörpern ausgerüstet werden?“ sowie „Sind Sie damit einverstanden, dass in Deutschland Abschussvorrichtungen für atomare Sprengkörper angelegt werden?“. 188
§ 4 Rechtliche Qualifizierung der Befragungsteilnahme
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die Volksbefragung über Atomwaffen“ 193 und der Bremer Senat am 20. Mai 1958 ein „Gesetz betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen“ 194 erlassen. Die Bundesregierung zog daraufhin vor das Bundesverfassungsgericht und beantragte die Feststellung der Nichtigkeit beider Gesetze. Die Bundesregierung begründete ihr Vorgehen damit, dass die Anordnung der Befragungen einen Eingriff in die Kompetenzverteilung des Bundes darstelle, da von den angeordneten Befragungen hauptsächlich Angelegenheiten der Verteidigung und der auswärtigen Politik betroffen wären, die zur ausschließlichen Gesetzgebungs-, Regierungs- und Verwaltungszuständigkeit des Bundes gehörten.195 Das Bundesverfassungsgericht erließ zunächst eine einstweilige Anordnung, in der es die Durchführung der Volksbefragung in Hamburg aussetzte196, und erklärte schließlich am 30. Juli 1958 die Nichtigkeit beider Gesetze197. Das Bundesverfassungsgericht begründete die Unvereinbarkeit der beiden Gesetze mit dem Grundgesetz im Wesentlichen mit einem Eingriff in die „ausschließliche Gesetzgebungs-, Regierungs- und Verwaltungskompetenz des Bundes“.198 Dem weiteren Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den geplanten Volksbefragungen in den hessischen Gemeinden199 lag ein nahezu identischer Sachverhalt zu Grunde. Angetrieben durch die bereits beschriebene politische Auseinandersetzung zum Thema Atomwaffen in Deutschland fassten mehrere hessische Gemeinden einen Beschluss zur Durchführung kommunaler Volksbefragungen, im Rahmen derer es um diese Frage gehen sollte. Daraufhin versuchte die Bundesregierung zunächst erfolglos, die hessische Landesregierung von einer Aufhebung der Beschlüsse der hessischen Gemeinden zu überzeugen. Gegen diese Weigerung der Aufhebung durch die hessische Landesregierung zog die Bundesregierung im Wege eines Bund-Länder-Streitverfahrens vor das Bundesverfassungsgericht. Auch in diesem Verfahren kam das Bundesverfassungsgericht zu dem Schluss, dass die Weigerung der hessischen Landesregierung, die Beschlüsse der Gemeinden aufzuheben oder aufheben zu lassen, einen Verstoß des
193 HmbGVBl. I 1958 (Nr. 34), S. 141 ff.; das Gesetz sah dabei vor, dass den Wahlberechtigten folgende Fragen gestellt werden: „1. Sind sie für eine Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen? 2. Sind Sie für eine Lagerung von Atomwaffen im Gebiet der Bundesrepublik? 3. Sind Sie für die Errichtung von Abschussbasen für Atomraketen im Gebiete der Bundesrepublik?“. 194 BreGBl. 1958 (Nr. 13), S. 49 ff.; das Gesetz sah vor, dass den Wahlberechtigten folgende Fragen gestellt werden: „1. Sind Sie mit einer atomaren Bewaffnung deutscher Streitkräfte einverstanden? 2. Sind Sie damit einverstanden, dass im Lande Bremen Abschussvorrichtungen für atomare Sprengkörper angelegt werden?“. 195 Vgl. BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104, 108. 196 BVerfG, Urteil vom 27.05.1958 – 2 BvQ 1/58 –, BVerfGE 7, 367 ff. 197 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104, 105. 198 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104, 114 ff. 199 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 122 ff.
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2. Teil: Grundlagen
Landes Hessen gegen den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens darstelle.200
II. Kernaussagen der Volksbefragungsurteile des Bundesverfassungsgerichts201 Neben den aus den vorausgegangenen Erörterungen bereits zu entnehmenden Entscheidungsgründen können den beiden Urteilen des Bundesverfassungsgerichts weitere Aussagen entnommen werden, denen in Bezug auf die vorliegende Arbeit eine besondere Bedeutung zukommt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zu den Volksbefragungen in Hessen202 ausdrücklich festgestellt, dass sich „wahlberechtigte Bürger“ einer Gemeinde, die sich an einer „amtlich angeordneten Volksbefragung“ beteiligen, an der „Willensbildung der Gebietskörperschaft Gemeinde“ teilnehmen.203 Dies stelle nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts eine Betätigung der Bürger als „status activus“ dar.204 Zur Begründung dieser Ansicht verweist das Bundesverfassungsgericht auf das am gleichen Tag ergangene Urteil bezüglich der von Hamburg und Bremen erlassenen Volksbefragungsgesetze.205 In diesem Urteil206 führt das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die rechtliche Qualifizierung der Teilnahme der Bürger an einer Volksbefragung zunächst aus, worin der Unterschied zwischen „öffentlicher Meinung und politischer Willensbildung des Volkes“ und „staatlicher Willensbildung“ liege. Anknüpfungspunkt dieser Argumentation waren die Ausführungen der Bundesländer Hamburg und Bremen, die in dem Verfahren ausgeführt hatten, dass sich die Volksbefragung als ein „in der Demokratie unentbehrliches Mittel der Vorformung des politischen Willens, als ein Stück Bildung der öffentlichen Meinung“ darstelle.207 Diese öffentliche Meinung stehe nach Auffassung beider Bundesländer zudem unter dem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 5 GG.208 Nach Auffassung der Antragsgegner werde somit durch die Teilnahme der Bürger an der Volksbefragung gerade keine Staatsgewalt ausgeübt, sondern lediglich eine Bühne zur Kundgabe der politischen Meinung bereitet.209 200
BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 122 ff. Vgl. hierzu bereits die Ausführungen von Obst, Chancen direkter Demokratie, S. 27 ff. 202 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 122 ff. 203 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 122, 133. 204 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 122, 133. 205 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 122, 133 („Insoweit gilt hier dasselbe, was in dem gleichzeitig verkündeten Urteil betreffend die Volksbefragungsgesetze in Hamburg und Bremen (BVerfGE 8, 104) ausgeführt worden ist; darauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.“). 206 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104 ff. 207 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104, 109. 208 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104, 109. 209 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104, 109. 201
§ 4 Rechtliche Qualifizierung der Befragungsteilnahme
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Das Bundesverfassungsgericht folgte dieser Argumentation im Ergebnis indes nicht. Im Rahmen der Begründung führte das Gericht dabei zunächst aus, worin die besondere Bedeutung der „öffentlichen Meinung“ in einer Demokratie bestehe: „In der modernen Demokratie spielt die öffentliche Meinung eine entscheidende Rolle. Der Freiheit der Bildung dieser öffentlichen Meinung kommt eine so große Bedeutung zu, dass sie mit Fug als durch Art. 5 GG mitgarantiert angesehen wird [. . .]. Das Grundgesetz selbst geht als selbstverständlich von der in der Demokratie bestehenden Notwendigkeit einer „politischen Willensbildung des Volkes“ aus, wenn es in Art. 21 GG von den Parteien sagt, dass sie daran mitwirken. Die in der „öffentlichen Meinung“ zum Ausdruck kommenden Tendenzen und Stellungnahmen zu politischen Fragen mag man als „Vorformung der politischen Willensbildung des Volkes“ bezeichnen.“ 210
Entgegen der Auffassung der Antragsgegner vertritt das Bundesverfassungsgericht jedoch die Auffassung, dass die öffentliche Meinungsbildung in den gesellschaftlich-politischen Bereich zu verorten sei und daher nicht den staatsorganschaftlichen Bereich betreffe: „Öffentliche Meinungsbildung und Vorformung der politischen Willensbildung des Volkes erfahren aber keine Schmälerung und keine Minderung ihrer Bedeutung und ihres Gewichts in der Demokratie, wenn sie ihrem Wesen entsprechend als eine Erscheinung des gesellschaftlich-politischen und nicht des staatsorganschaftlichen Bereichs begriffen werden. In sie gehen ein, ohne dass damit eine erschöpfende Darstellung des Integrationsprozesses gegeben würde, der zur öffentlichen Meinung und politischen Willensbildung des Volkes führt – die vielfältigen, sich möglicherweise widersprechenden, ergänzenden, gegenseitig beeinflussenden Wertungen, Auffassungen und Äußerungen des Einzelnen, der Gruppen, der politischen Parteien, Verbände und sonstigen gesellschaftlichen Gebilde, die ihrerseits von einer Vielzahl von (politisch relevanten) Tatsachen, zu denen auch Entscheidungen des Staates und Äußerungen und Maßnahmen staatlicher Organe gehören, beeinflusst sind. Öffentliche Meinung und politische Willensbildung des Volkes kann aber nicht identifiziert werden mit staatlicher Willensbildung, d. h. der Äußerung der Meinung oder des Willens eines Staatsorgans in amtlicher Form.“ 211
Da die öffentliche Meinung somit nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht den staatsorganschaftlichen Bereich betreffe, könne darin auch keine von Staatsorganen ausgeübte staatliche Willensbildung liegen.212 Zur Begründung dieser Unterscheidung geht das Bundesverfassungsgericht zunächst auf das Verhältnis von Art. 21 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 2 GG ein und folgert daraus, dass es für die Unterscheidung darauf ankomme, in welcher Eigenschaft der Befragte angesprochen und zur Befragung aufgerufen werde.
210 211 212
BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104, 112 f. BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104, 113. BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104, 113.
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2. Teil: Grundlagen „Auch das Grundgesetz geht von dieser Unterscheidung aus: Einerseits handelt Art. 21 Abs. 1 GG von der politischen Willensbildung des Volkes, andererseits handelt Art. 20 Abs. 2 GG von der Bildung des Staatswillens, und zwar von der Ausübung der vom Volk ausgehenden und unter Umständen auch vom Volk selbst als Staatsorgan wahrgenommenen Staatsgewalt. Die entscheidende Frage ist also nicht, ob das Ergebnis der in den beiden Gesetzen angeordneten Volksbefragungen einen Faktor im Prozess der Bildung der öffentlichen Meinung oder der politischen Willensbildung des Volkes darstellt – eine Frage, die natürlich zu bejahen ist –, sondern die, ob sich die Volksbefragung darin erschöpft, und noch genauer die, ob sie eine Veranstaltung des gesellschaftlich-politischen oder des staatsorganschaftlichen Bereichs ist oder – anders ausgedrückt – in welcher Eigenschaft der Befragte angesprochen und zur Beantwortung aufgerufen wird.“ 213
Sodann begründet das Bundesverfassungsgericht anhand der genannten Kriterien ausführlich, warum in der Teilnahme an einer Volksbefragung die Ausübung von Staatsgewalt zu erblicken sei. Der Schwerpunkt dieser Argumentation des Gerichts liegt dabei darauf, dass die Befragungen auf Grundlage einer gesetzlichen Regelung durchgeführt werden sollen und das Staatsvolk sich – vergleichbar der Situation bei einer Wahl zum Parlament – durch eine Stimmabgabe zu der jeweiligen Angelegenheit äußern sollte: „In diesem Zusammenhang ist entscheidend, dass die Länder Hamburg und Bremen als Gliedstaaten der Bundesrepublik auf Grund einer gesetzlichen Regelung die Befragung durchführen, dass die wahlberechtigten Bürger, also das Staatsvolk, sich genau so wie bei verbindlichen Volksabstimmungen, Volksbegehren und Volksentscheiden äußern sollen. Der Aktivbürger soll in derselben Weise und nach denselben Regeln wie bei Wahlen zum Parlament und bei Volksabstimmungen von seinem Stimmrecht Gebrauch machen. Seine Betätigung soll sich unter demselben Schutz vollziehen, den die Rechtsordnung für Wahlen und Abstimmungen des Volkes (vgl. § 108 d StGB) geschaffen hat: Die Stimmabgabe erfolgt geheim; die Bestimmungen des V. Abschnitts des Strafgesetzbuchs über „Verbrechen und Vergehen in Beziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte“ sollen nach übereinstimmender Auffassung aller Verfahrensbeteiligten Anwendung finden.“ 214
Das Bundesverfassungsgericht kommt daher zu folgendem Ergebnis: „Die angegriffenen Gesetze schaffen also die Rechtsgrundlage für eine Betätigung des Bürgers im status activus, für eine Teilnahme des Bürgers als Glied des Staatsvolkes bei der Ausübung von Staatsgewalt; nach den Gesetzen soll das Volk als Verfassungsorgan des demokratischen Staates an der Bildung des Staatswillens teilhaben.“ 215
Nachdem durch diese Argumentation des Gerichts der Grundstein für die These gelegt wurde, dass durch die Abstimmungsteilnahme Staatsgewalt ausgeübt werde, wendet sich das Bundesverfassungsgericht sodann der Frage zu, ob 213 214 215
BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 104, 114. BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 104, 114. BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 104, 114.
§ 5 Funktionen des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung
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dieses Ergebnis auch vor dem Hintergrund Bestand habe, dass dem Ergebnis der Abstimmung keine Rechtverbindlichkeit zukommt. Von Seiten Hamburgs und Bremens wurde in diesem Zusammenhang angeführt, dass durch die rechtliche Unverbindlichkeit des Volksbefragungsergebnisses kein Eingriff in eine ausschließliche Zuständigkeit des Bundes vorliegen könne.216 Das Bundesverfassungsgericht widersprach unter Bezugnahme auf vergleichbare verfassungsrechtliche Bestimmungen dieser Argumentation: „[. . .] nach den Gesetzen soll das Volk als Verfassungsorgan des demokratischen Staates an der Bildung des Staatswillens teilhaben. Dass es daran nicht in einer rechtsverbindlich ,entscheidenden‘ Weise teilhat, spricht nicht gegen die dargelegte Qualifikation der Volksbefragung. Verfassungsorgane handeln organschaftlich, d. h. sie üben Staatsgewalt aus, nicht nur wenn sie rechtsverbindliche Akte setzen, sondern auch, wenn sie von Befugnissen Gebrauch machen, die nicht unmittelbar verbindliche Wirkungen hervorrufen: so z. B. wenn der Bundespräsident dem Bundestag den Bundeskanzler vorschlägt (Art. 63 GG), wenn Bundestag oder Bundesrat eine Maßnahme der Bundesregierung billigt oder missbilligt, wenn das Volk in den Gebietsteilen nach Art. 29 GG abstimmt, wenn ein Land nach Art. 32 Abs. 2 GG zu einem völkerrechtlichen Vertrag des Bundes gehört wird, wenn die Präsidenten des Bundestages und des Bundesrates vom Bundespräsidenten vor der Verkündung des Verteidigungsfalles nach Art. 59a Abs. 2 Satz 2 GG angehört werden, wenn der Bundesrat zu den Gesetzesvorlagen der Bundesregierung nach Art. 76 Abs. 2 GG Stellung nimmt. Bei dieser Rechtslage ist es nicht möglich, allein das Verfassungsorgan Staatsvolk an der Staatswillensbildung nur dann als beteiligt anzusehen, wenn seiner Äußerung rechtlich verbindliche Wirkung, ,entscheidende‘ Bedeutung zukommt“.217
Die Stimmabgabe könne daher nach Ansicht des Gerichts auch nicht lediglich als Ausübung von Grundrechten wie beispielsweise der Meinungsäußerungsfreiheit sowie der Petitionsfreiheit angesehen werden: „In dieser Eigenschaft macht der Bürger nicht von seinen gegen den Staat gerichteten Grundrechten der freien Meinungsäußerung oder des Petitionsrechts Gebrauch. Im Übrigen kann auch schon deshalb keine Rede davon sein, dass die Volksbefragung dem Bürger nur die Möglichkeit verschaffe, von diesen beiden Grundrechten sachgemäß Gebrauch zu machen, weil sowohl die Äußerung einer Meinung als auch die Einreichung einer Petition nicht durch geheime Stimmabgabe erfolgen kann.“ 218
§ 5 Funktionen des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung Das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung erfüllt verschiedene Funktionen.219 Zu unterscheiden sind dabei die Informations-, die Teilhabe- so216
BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 104, 109. BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 104, 114 f. 218 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 104, 115. 219 Vgl. hierzu bereits Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 4; Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 36 ff.; vgl. in Bezug auf 217
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2. Teil: Grundlagen
wie die Konsens- und Legitimationsfunktion kommunaler Befragungen. Darüber hinaus kann dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung im Grundsatz auch eine sog. Oppositionsfunktion zukommen. Im Folgenden werden diese einzelnen Funktionen erörtert und bewertet. Eine randscharfe Abgrenzung der jeweiligen Funktionen zueinander ist dabei nicht möglich, jedoch auch nicht erforderlich, da es lediglich darum gehen soll, die verschiedenen Wirkungsmöglichkeiten des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung aufzuzeigen. Die gewählten Begrifflichkeiten sind damit vielmehr als Versuch einer Kategorisierung der Funktionen zu verstehen.
I. Informationsfunktion Der Hauptzweck220 von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen liegt darin, dass eine Vertretungskörperschaft als Initiator einer Befragung in Bezug auf den jeweiligen Befragungsgegenstand ein Meinungsbild oder zumindest eine Meinungstendenz der Bürger- bzw. Einwohnerschaft erhält.221 Die Durchführung kommunaler Befragungen dient damit hauptsächlich der Meinungs- und Willensbildung einer Vertretungskörperschaft.222 Daher wird in diesem Zusammenhang vielfach auch von einer „Meinungsforschungsfunktion“ 223 des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung gesprochen. Entscheidet sich eine Vertretungskörperschaft zur Durchführung einer kommunalen Befragung, verbessert sich durch die auf diese Art und Weise gewonnenen Informationen die Grundlage, auf der die Vertretungskörperschaft ihre Entscheidung trifft. Das Ergebnis kommunaler Befragungen liefert einer Vertretungskörperschaft dabei in mehrfacher Hinsicht Informationen und Erkenntnisse in Bezug auf die jeweilige Befradie Funktionen der Bürgerbeteiligung bei der Planung und Zulassung von Großprojekten Ziekow, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentages 2012, Bd. I, S. 14 ff. 220 So auch Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 325; Hoffmann, in: Kost, Direkte Demokratie, S. 179; im Ergebnis auch Woellner, in: Muth, Potsdamer Kommentar, BbgKVerf, § 13 Rn. 49. 221 Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 4; Woellner, in: Muth, Potsdamer Kommentar, § 13 BbgKVerf, Rn. 49;. vgl. auch Knemeyer, in: Hablitzel/Wollenschläger, Festschrift Küchenhoff, S. 567, der davon spricht, dass einer Vertretungskörperschaft auf diesem Weg eine „notwendige Informationsquelle“ verschafft werde; Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 37, der betont, dass es bei der Durchführung einer Befragung um die „Erforschung der wahren Volksmeinung“ gehe; Koch, in: Ipsen, NKomVG, § 35 Rn. 1, sieht als Hauptfunktion die „informelle Herstellung eines Meinungsbildes“; Dehn, in: Bracker/Dehn, SHGO, § 16c, zu Absatz 3 Rn. 2; Püttner/Jacoby, in: Püttner, HKWP, Bd. II, S. 32 ff.; Wefelmeier, in: Blum/Häusler/Meyer, NKomVG, § 35 Rn. 1; Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 325; kritisch hierzu in Bezug auf konsultative Volksbefragungen auf Bundes- bzw. Landesebene Jürgens, Direkte Demokratie, S. 236. 222 Dies betont auch der Bericht der Enquete-Kommission zu Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 12/6260, S. 56. 223 Vgl. Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 272; Detjen, Demokratie in der Gemeinde, S. 135.
§ 5 Funktionen des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung
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gungsangelegenheit. Neben dem eigentlichen Ergebnis der Befragung ist auch die Höhe der Befragungsbeteiligung von Interesse für die Meinungsbildung einer Vertretungskörperschaft. Aus der Höhe der Befragungsbeteiligung lassen sich für eine Vertretungskörperschaft insoweit Erkenntnisse ableiten, als dass diese das Interesse der Bevölkerung an der jeweiligen Angelegenheit wiederspiegelt. Eine hohe Befragungsteilnahme dürfte als eindeutiges Zeichen dafür gewertet werden, dass die zur Abstimmung gestellte Angelegenheit aus Sicht der Bürger- bzw. Einwohnerschaft eine besondere Brisanz aufweist. Damit lässt das eigentliche Abstimmungsergebnis auch erst unter Berücksichtigung der Befragungsbeteiligung Rückschlüsse auf das tatsächliche Meinungsbild innerhalb der Bürger- bzw. Einwohnerschaft zu. Das Befragungsergebnis bietet damit einer Vertretungskörperschaft unter mehreren Gesichtspunkten eine wichtige Informationsquelle. Die aus dem Ergebnis zu ziehenden Rückschlüsse stellen eine wichtige Entscheidungshilfe für eine Vertretungskörperschaft dar.224 Dies gilt insbesondere bei der Entscheidung über politisch umstrittene Angelegenheiten sowie bei Angelegenheiten, bei denen absehbar ist, dass die Mehrheitsverhältnisse innerhalb einer Vertretungskörperschaft besonders knapp sind.225
II. Teilhabefunktion Dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung kommt überdies die Funktion zu, den Bürgern bzw. Einwohnern die Teilhabe an der politischen Willensbildung einer Gemeinde und damit zugleich an der gemeindlichen Entscheidungsfindung zu ermöglichen.226 Die Tatsache, dass dem Befragungsergebnis dabei keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt, spricht dabei nicht gegen das Vorhandensein einer Teilhabefunktion kommunaler Befragungen. Denn durch eine Befragung werden die Bürger bzw. Einwohner zumindest vorbereitend in die kommunalen Entscheidungsprozesse einbezogen.227 Dem Instrument der Bürgerbzw. Einwohnerbefragung kommt damit auch eine „Artikulationsfunktion“ zu.228 Den Bürgern bzw. Einwohnern wird durch die Entscheidung zur Durchführung einer Befragung verdeutlicht, dass von Seiten der Vertretungskörperschaft auch 224
Knemeyer, BayBgm. 1971, 87, 89; Detjen, Demokratie in der Gemeinde, S. 135. Bericht der Enquete-Kommission zu Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 12/6260, S. 56. 226 Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 4, Wefelmeier, in: Blum/Häusler/Meyer, NKomVG, § 35 Rn. 1; Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 37, der in diesem Zusammenhang von einer „Partizipationsfunktion“ spricht; vgl. auch Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 231. 227 Bericht der Enquete-Kommission zu Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 12/6260, S. 56; Detjen, Demokratie in der Gemeinde, S. 135. 228 Schneider, in: Grundgesetz und technologischer Wandel, S. 113, 121; Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 38. 225
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2. Teil: Grundlagen
abseits der Wahlen Interesse an ihrer Meinung in Bezug auf eine bestimmte Angelegenheit besteht. Eine auf diese Weise erfolgte Einbeziehung der Bürger bzw. Einwohner in die kommunalen Entscheidungsprozesse dürfte schließlich auch dazu führen, dass das Interesse der Bürger- bzw. Einwohnerschaft an den jeweils aktuellen Entwicklungen in der Gemeinde und damit auch insgesamt an der kommunalen Selbstverwaltung verstärkt wird.229 Eine solche „Belebung und Verstärkung“ 230 des Interesses an der kommunalen Selbstverwaltung dürfte wiederum zur Folge haben, dass die Motivation der Befragungsteilnehmer zu weitergehendem Engagement in Angelegenheiten der Gemeinde steigt.231 Die mehrmalige Durchführung kommunaler Befragungen dürfte sogar zu einer „Stärkung des Bürgerbewusstseins“ 232 führen, da diejenigen, die aufgrund der Befragungsteilnahme sich an einer Entscheidungsfindung beteiligt haben, ein anderes Verhältnis zu der getroffenen Entscheidung aufbauen werden.233 Diesem Aspekt dürfte umso größeres Gewicht zukommen, wenn eine Vertretungskörperschaft dem Mehrheitsvotum Folge leistet. Der Bürger- bzw. Einwohnerschaft wird auf diese Weise von Seiten einer Vertretungskörperschaft aufgezeigt, dass die Teilnahme an kommunalen Befragungen sinnvoll und im Ergebnis auch zielführend sein kann.
III. Konsens- und Legitimationsfunktion234 In engem Zusammenhang mit der soeben beschriebenen Teilhabefunktion steht die Konsens- und Legitimationsfunktion235 des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung. Einer kommunalen Befragung kommt damit auch die Funktion zu, der Entscheidung einer Vertretungskörperschaft eine stärkere Legitimität zukommen zu lassen.236 Dies gilt insbesondere für den Fall, dass es sich bei der jeweiligen Befragungsangelegenheit um eine innerhalb der Bürger- bzw. Einwoh229 Bericht der Enquete-Kommission zu Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 12/6260, S. 56; Hoffmann, in: Kost, Direkte Demokratie, S. 179. 230 Knemeyer, BayBgm. 1971, 87, 88. 231 Bericht der Enquete-Kommission zu Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 12/6260, S. 56; vgl. auch Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 231; Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 4; Hoffmann, in: Kost, Direkte Demokratie, S. 179. 232 So ausdrücklich Knemeyer, BayBgm. 1971, 87, 89, der in diesem Zusammenhang von einem nicht unerwünschten „Nebenprodukt“ spricht. 233 Vgl. zum diesem Aspekt im Zusammenhang mit Bürgerentscheiden Meissner, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 165. 234 Diese Überschrift findet sich bereits bei Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 38. 235 Diese Begrifflichkeit verwenden bereits Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 38; Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 4. 236 Dehn, in: Bracker/Dehn, SHGO, § 16c, zu Absatz 3 Rn. 2; vgl. auch Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 37.
§ 5 Funktionen des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung
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nerschaft besonders umstrittene Frage handelt. Folgt eine Vertretungskörperschaft in ihrer Entscheidung dem Mehrheitsvotum der Bürger bzw. Einwohner, dürfte diese Entscheidung der Vertretungskörperschaft in der Bevölkerung und besonders unter den Befragungsteilnehmern auf eine hohe Akzeptanz stoßen.237 Den teilnehmenden Bürgern bzw. Einwohnern wird damit vermittelt, dass ihre Stimme bei der Entscheidung über die jeweilige Angelegenheit Gewicht hat und damit seitens der Politik nicht einfach „über ihre Köpf hinweg“ entschieden wird. Das Verhältnis der soeben beschriebenen Teilhabefunktion zu der Konsens- und Legitimationsfunktion kann damit dergestalt beschrieben werden, dass die Teilhabe der Bürger bzw. Einwohner an einer Befragung und damit an einem politischen Entscheidungsprozess die notwendige Grundlage dafür bildet, dass eine getroffene Entscheidung auf eine erhöhte Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen kann. Gleichzeitig kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung von einer Vertretungskörperschaft auch zur Absicherung der auf Grundlage eines Befragungsergebnisses zu treffenden Entscheidung verwendet wird. Bestehen nämlich in einer Angelegenheit für eine Vertretungskörperschaft Entscheidungsalternativen, die beide politisch vertretbar sind, kann sich eine Vertretungskörperschaft durch die Durchführung einer kommunalen Befragung insoweit absichern, als dass diese derjenigen Entscheidungsalternative den Vorzug einräumt, für die die Mehrheit der Befragten gestimmt hat. Durch kommunale Befragungen kann eine Vertretungskörperschaft damit ohne die Abgabe von Entscheidungsgewalt die Bürger- bzw. Einwohnerschaft an der Politik beteiligen und damit der Entscheidung in der Sache eine erhöhte Legitimität verleihen. Da diese Legitimität jedoch auch nur soweit reicht, wie die getroffene Entscheidung der Vertretungskörperschaft Bestand hat, wird teilweise diesbezüglich auch von einer „politischen Schlichtung auf Zeit“ 238 gesprochen. In diesem Zusammenhang besteht jedoch stets die Gefahr, dass das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung gleichsam auch zu Akklamationszwecken239 genutzt oder gar missbraucht wird. Gesetzt den Fall, dass eine Vertretungskörperschaft in Bezug auf eine bestimmte Angelegenheit bereits im Vorfeld einer Befragung intern eine Entscheidung gefällt hat und diese auch mit der erforderlichen Mehrheit beschließen könnte, diente eine in dieser Angelegenheit durchgeführte Befragung nicht mehr der Einholung eines Meinungsbildes, sondern vielmehr lediglich der (erhofften) Bestätigung der Mehrheitsmeinung der
237 Dehn, in: Bracker/Dehn, SHGO, § 16c, zu Absatz 3 Rn. 2; Wefelmeier, in: Blum/ Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 4, Woellner, in: Muth, Potsdamer Kommentar, BbgKVerf, § 13 Rn. 2. 238 Pestalozza, Der Popularvorbehalt, S. 27. 239 Vgl. zu der Situation in Österreich Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 273.
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2. Teil: Grundlagen
jeweiligen Vertretungskörperschaft durch die Bürger- bzw. Einwohnerschaft. Ein solches Vorgehen einer Vertretungskörperschaft setzte indes voraus, dass die Vertretungskörperschaft das Stimmungsbild innerhalb der Bürger- bzw. Einwohnerschaft hinreichend sicher einzuschätzen vermag. Weiterhin wird eine Vertretungskörperschaft bei einem solchen Vorgehen versuchen, die Abstimmungsfrage dahingehend zu formulieren, dass die abstimmenden Bürger bzw. Einwohner mit hoher Wahrscheinlichkeit für die beabsichtigte Alternative stimmen werden. Dass durch bestimmte Formulierungen der Abstimmungsfrage eine Lenkung des Abstimmungsergebnisses in eine bestimmte Richtung möglich, wenngleich rechtlich bedenklich ist, wird an anderer Stelle dieser Arbeit erörtert werden.240 In solchen Fällen wird das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung damit als Herrschaftsinstrument gebraucht, um mit dem Befragungsergebnis die „Richtigkeit“ des Beschlusses der Vertretungskörperschaft akklamieren zu lassen.241 Ein solches Vorgehen ist kritisch zu bewerten. Es steht in krassem Widerspruch zu dem eigentlichen Sinn und Zweck kommunaler Befragungen. Obgleich nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine Vertretungskörperschaft das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung tatsächlich für einen derartigen Zweck entfremdet, steht dem jedoch stets das erhebliche Risiko gegenüber, dass das Befragungsergebnis trotz vorheriger Abwägung des Stimmungsbildes sowie geschickter Formulierung der Fragestellung nicht in dem erhofften Sinne ausfällt. Daher dürfte es in der Praxis eher unwahrscheinlich sein, dass eine kommunale Vertretungskörperschaft das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung tatsächlich zu Akklamationszwecken einsetzt. Festgehalten werden kann damit, dass kommunale Befragungen, sofern diese nicht in zweckentfremdender Art und Weise Verwendung finden, der Verständigung zwischen einer Vertretungskörperschaft und der Bürger- bzw. Einwohnerschaft förderlich sein können.242 Zu Recht wird daher von Seiten der Literatur teilweise auch von einem „konsenserzeugenden Verfahren“ 243 gesprochen. Durch die im Vorfeld einer Befragung stattfindende Diskussion, sei es innerhalb der Bevölkerung oder zwischen dieser und der Vertretungskörperschaft, kommt dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung gleichfalls eine streitentschärfende oder bestenfalls sogar eine streitschlichtende Funktion zu.244 Die Ankündigung der Durchführung einer Befragung kann dazu führen, dass Konflikte bereits
240
Siehe hierzu 5. Teil § 13 IV. 2. b). Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 274. 242 Vgl. Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 4. 243 Vgl. Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 39; vgl. allgemein zur Akzeptanz von Entscheidungen auf Grund pluralistisch politischer Einigung Würtenberger, in: Eisenmann/Rill, Jurist und Staatsbewusstsein, S. 92 f. 244 Bracker/Dehn, SHGO, § 16c, zu Absatz 3 Rn. 2; Detjen, Demokratie in der Gemeinde, S. 135; Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 4; Woellner, in: Muth, Potsdamer Kommentar, BbgKVerf, § 13 Rn. 2. 241
§ 5 Funktionen des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung
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im Vorfeld entschärft oder gar beseitigt werden. In diesem Zusammenhang wird daher teilweise gefolgert, dass bereits die Möglichkeit zur Durchführung einer Bürgerbefragung „keine Schwächung, sondern eine Stärkung der repräsentativen Demokratie“ darstelle.245
IV. Oppositionsfunktion Teilweise wird von Seiten der Literatur im Zusammenhang mit konsultativen Volksbefragungen auf Bundesebene betont, dass solchen Volksbefragungen auch eine sog. Oppositionsfunktion zukommen kann. Gemeint ist damit, dass, sofern eine Minderheit des jeweils zur Initiierung einer Befragung zuständigen Kollegialorgans die Durchführung einer Befragung initiieren kann, diese Minderheit die Befragung dazu nutzen kann, zunächst eine „Öffentlichkeit zu erzeugen“ und „Transparenz zu schaffen“ 246, um auf diese Weise, abhängig von dem jeweiligen Befragungsergebnis, politischen Druck auf das für die Entscheidung zuständige Organ ausüben zu können.247 Je nach Zielsetzung einer Volksbefragung könne damit eine „oppositionelle Partizipation“ im Vordergrund stehen, die zu einer Stärkung der Stellung und der Rechte der Opposition führe.248 In diesem Fall gehe es der Opposition letztlich um die konstruktive Mitarbeit und Einflussnahme bei der Entscheidungsfindung durch Einholung eines Meinungsbildes des Volkes.249 Gehe es der Opposition indes lediglich darum, künftige Entscheidungen zu blockieren oder zu verhindern, bestünde das angestrebte Ziel vielmehr in einer „obstruktiven oppositionellen Agitation“.250 Bezweckt werde in diesen Fällen eine geradezu aggressive Beeinflussung der Arbeit der Regierung.251 Ob auch dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung eine solche Oppositionsfunktion zukommen kann, steht und fällt zunächst mit der Frage, welchen gemeindlichen Organen die Befugnis zusteht, eine kommunale Befragung zu initiieren. Liegt, wie es die bestehenden gesetzlichen Regelungen in Niedersachsen, im Saarland sowie in Schleswig-Holstein vorsehen252, die Kompetenz zur Durchführung einer kommunalen Befragung in den Händen einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft, kann nicht davon ausgegangen werden,
245 Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung einer konsultativen Volksbefragung zur Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen (Pershing Il, Cruise Missile) in der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 10/519, S. 3. 246 Schneider, in: Grundgesetz und technologischer Wandel, S. 113, 121. 247 Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 38. 248 Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 38. 249 Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 38. 250 Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 38. 251 Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 38. 252 Siehe hierzu 5. Teil § 1.
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2. Teil: Grundlagen
dass dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung eine Oppositionsfunktion zukommt.253 Für den Beschluss einer Vertretungskörperschaft ist nach allen Kommunalverfassungen stets mindestens eine einfache Mehrheit der abstimmenden Mitglieder einer Vertretungskörperschaft erforderlich.254 Damit ist die Bürger- bzw. Einwohnerbefragung ein Instrument, das lediglich der „regierenden“ Mehrheit zur Verfügung steht.255 Aufgrund dieses Mehrheitserfordernisses für den Beschluss einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft ist es ausgeschlossen, dass alleine von Seiten einer Minderheit von Mitgliedern einer Vertretungskörperschaft die Durchführung einer kommunalen Befragung initiiert wird. Die Opposition könnte mit der Durchführung einer kommunalen Befragung damit lediglich insoweit Druck ausüben, als dass diese einen Antrag für einen Beschluss zur Durchführung einer Befragung stellt. Zu bezweifeln ist indes, dass die Stellung eines derartigen Antrags alleine ausreichend ist, um politischen Druck auf die Mitglieder der Mehrheitsfraktionen einer Vertretungskörperschaft auszuüben. Sofern diese nämlich geschlossen gegen den von der Opposition eingebrachten Antrag stimmen, besteht nicht im Ansatz die Gefahr des Entstehens einer politischen Drucksituation. Daher ist davon auszugehen, dass das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung im Rahmen seiner gegenwärtigen gesetzlichen Ausgestaltung256 von der Opposition nicht zu den genannten Zwecken eingesetzt werden kann.257 Damit bleibt der Opposition lediglich die Möglichkeit der Initiierung eines Bürgerbegehrens.258 Wie im weiteren Verlauf der Arbeit noch aufgezeigt wird259, darf das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung auch de lege ferenda in rechtlich zulässiger Weise nicht als Minderheiteninstrument ausgestaltet werden. Der Erlass gesetzlicher Regelungen, die von dem Erfordernis einer Mehrheit für den Beschluss zur Durchführung einer kommunalen Befragung absehen und dem Instrument damit eine Oppositionsfunktion ermöglichen, begegnete erheblichen rechtlichen Bedenken.
253
So auch Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 193. Vgl. ausführlich hierzu Lange, Kommunalrecht, Kapitel 7 Rn. 165; siehe hierzu auch 5. Teil § 2 I. 255 So ausdrücklich Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 7. 256 Siehe zu den Möglichkeiten einer von diesem Grundsatz abweichenden gesetzlichen Ausgestaltung 5. Teil § 2 III. 257 A. A. wohl Koch, in: Ipsen, NKomVG, § 35 Rn. 2, der betont, dass die Bürgerbefragung „ein typisches Instrument von Fraktionen oder Gruppen [ist], die in der Vertretung nicht die Mehrheit stellen, um eine vermeintliche Mehrheit der Bürger gegen die Mehrheit der Vertretung zu mobilisieren“. 258 Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 7. 259 Siehe hierzu 5. Teil § 2 I. 254
§ 6 Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen und kommunale Bürgerumfragen
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V. Kontrollfunktion Die von Seiten der Literatur zum Teil vertretene Auffassung, dass dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung auch eine Kontrollfunktion zukommen kann260, verdient keine Zustimmung. Es ist nicht ersichtlich, auf welche Art und Weise die Teilnehmer einer von einer Vertretungskörperschaft initiierten kommunalen Befragung durch die Teilnahme an dieser eine Kontrolle des Handelns der Vertretungskörperschaft vornehmen können. Eine entsprechende Kontrolle einer Vertretungskörperschaft dürfte vielmehr lediglich durch die Kommunalwahlen erfolgen.261
§ 6 Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen und kommunale Bürgerumfragen Das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung ist abzugrenzen von sog. kommunalen Bürgerumfragen.262 Kommunale Bürgerumfragen stellen bloße Meinungsumfragen der Gemeinden dar.263 Teilweise werden solche kommunalen Bürgerumfragen in missverständlicher Art und Weise auch als Bürgerbefragungen bezeichnet.264 Bürgerumfragen werden bereits sei den siebziger Jahren von Gemeinden durchgeführt.265 Kommunale Bürgerumfragen werden dabei häufig, wenngleich auch nicht überwiegend als demoskopische Umfragen durchgeführt. Gemeinden führen solche Umfragen mit dem Ziel durch, Informationen über die Zufriedenheit, die Bedürfnisse, die Wünsche, die Erwartungen und Einschätzungen der Bevölkerung in Bezug auf gemeindliche Angelegenheiten zu erhalten.266 260
So Wefelmeier, in: Blum/Häusler/Meyer, NKomVG, § 35 Rn. 1. Vgl. auch Schmitt Glaeser, DÖV 1998, 824, 831. 262 Das betonen auch Thiele, NKomVG, § 35 unter 1.; Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 2; Detjen, Demokratie in der Gemeinde, S. 134; diese Unterscheidung wird selbst in einem Artikel der F.A.Z („Bürgerbefragung mit politischer Bindungswirkung“) vom 28.11.2013 betont, abrufbar unter http://www.faz.net/ aktuell/rhein-main/rathaus-neubau-offen-buergerbefragung-mit-politischer-bindungswir kung-12686208.html (zuletzt abgerufen am 27.01.2015); vgl. in Bezug auf Volksbefragungen auf Bundesebene bereits Schneider, in: Bachof/Drath/Gönnenwein/Walz, Gedächtnisschrift Jellinek, S. 155, 167 ff.; a. A. wohl Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 16, die insoweit ausführt, dass die ohne gesetzliche Grundlage durchgeführten Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen als bloße Meinungsumfrage anzusehen seien; a. A. auch Schramm/Schmidt-Troje, Staatsrecht, Bd. I, S. 7, der demoskopische Umfragen für Volksbefragungen hält. 263 Thiele, NKomVG, § 35 unter 1. 264 Vgl. Thiele, NKomVG, § 35 unter 1.; vgl. auch den Titel der Arbeit von Bretschneider/Roski, Stadtprobleme aus Bürgersicht; auch die Arbeit von Reinecke/Stelter, Partizipative Altersplanung, verwendet als Untertitel „Ergebnisse der Bürgerbefragungen“. 265 Bretschneider/Roski, Stadtprobleme aus Bürgersicht, S. 9. 266 Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz, Bürgerbefragungen in kleineren Kommunen, S. 6; Beispiele für bisher durchgeführte Meinungsumfragen fin261
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2. Teil: Grundlagen
Den gemeindlichen Organen und Behörden können auf diesem Weg Beurteilungsgrundlagen, Orientierungen und Entscheidungshilfen gegeben werden.267 Kommunale Meinungsumfragen stellen damit wichtige und mittlerweile auch unverzichtbare Bausteine für die kommunalen Informationssysteme dar.268 Eine Gemeinde kann mithilfe einer Bürgerumfrage auf relativ einfachem Weg die Bürger bzw. Einwohner zu ihrer Meinung in Bezug auf eine bestimmte Angelegenheit befragen. Einigkeit besteht in der Literatur insoweit, als dass die Durchführung von Bürgerumfragen mit Ausnahme möglicherweise zu beachtenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen keinen rechtlichen Einschränkungen unterliegt.269 Die Durchführung einer Bürgerumfrage erfordert damit auch keine einfachgesetzliche Grundlage in der jeweiligen Kommunalverfassung.270 Auch dienen die bisher bestehenden gesetzlichen Regelungen in Niedersachsen, in Schleswig-Holstein sowie im Saarland nicht als Rechtsgrundlage für die Durchführung von Bürgerumfragen.271 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage der Abgrenzung des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung von dem der Bürgerumfrage.272 Es gilt damit aufzuzeigen, in welchem Verhältnis beide Instrumente zueinander stehen. Zu dieser Frage hat bereits das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zu den von Hamburg und Bremen erlassenen Volksbefragungsgesetzen273 Stellung genommen und ausgeführt, dass zwischen konsultativen Volksbefragungen und demoskopischen Untersuchungen gewisse Unterschiede bestehen.274 Nicht näher eingegangen werden soll im Folgenden auf die häufig diskutierte Frage, ob die den sich bei Roski, Methodik kommunaler Bürgerumfragen; Fischer, Bürgerumfragen; Bretschneider/Roski, Stadtprobleme aus Bürgersicht; Reinecke/Stelter, Partizipative Altersplanung; Bick u. a., Standardindikatoren; Fischer, Städte im Vergleich; Bretschneider, Die Beteiligung an kommunalen Bürgerumfragen; Roski/Lehmann, Lebensbedingungen im Zeitvergleich. 267 Bick u. a., Standardindikatoren, S. 7. 268 Bick/Bretschneider, Lebensqualität und städtische Dienstleistungen aus Bürgersicht, S. 7 ff.; Bick u. a., Standardindikatoren, S. 7. 269 Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 2; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 135; Wohlfarth, Kommunalrecht, Rn. 109; Thiele, NKomVG, § 35 unter 1.; Detjen, Demokratie in der Gemeinde, S. 134. 270 Thiele, NKomVG, § 35 unter 1.; siehe zur Frage des Erfordernisses einer einfachgesetzlichen Grundlage für die Durchführung von Bürger- und Einwohnerbefragungen 4. Teil § 2. 271 A. A. in Bezug auf die niedersächsische Regelung wohl Hoffmann, in: Kost, Direkte Demokratie, S. 178 f. 272 Vgl. bereits zum Verhältnis zwischen konsultativen Volksbefragungen und Meinungsumfragen Fell, Plebiszitäre Einrichtungen, S. 150 ff.; Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 57 f.; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 135 ff. 273 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104 ff.; siehe hierzu bereits 2. Teil § 4. 274 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104, 108.
§ 6 Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen und kommunale Bürgerumfragen
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Durchführung von Meinungsumfragen im System der repräsentativen Demokratie eine Daseinsberechtigung genießt und damit insgesamt als hilfreich und sinnvoll für die staatliche Informationsgewinnung angesehen werden kann.275
I. Gemeinsamkeiten Die wohl bedeutendste Gemeinsamkeit zwischen Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen und Bürgerumfragen besteht darin, dass sowohl den Ergebnissen kommunaler Befragungen wie auch denen von Bürgerumfragen für den jeweiligen Initiator keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt.276 Die Ergebnisse stellen damit keine rechtlich bindende Willensentscheidung der Befragten dar und sind folglich auch ohne unmittelbare rechtliche Folgen.277 Diese wesentliche Gemeinsamkeit wurde auch vom Bundesverfassungsgericht in dem Urteil zu den von Hamburg und Bremen erlassenen Volksbefragungsgesetzen betont.278 Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen kommunalen Befragungen und Bürgerumfragen besteht darin, dass es bei beiden Instrumenten um die Einholung eines Meinungsbildes zu einer bestimmten Angelegenheit geht und damit die Informationsfunktion im Vordergrund steht.279 Dem steht nicht entgegen, dass die Ergebnisse kommunaler Befragungen und in Teilen auch die Ergebnisse von Bürgerumfragen nur Aufschluss darüber geben, wie viel Prozent der Befragten eine bestimmte Frage befürworten oder gar verneinen.280
II. Unterschiede Diesen beschriebenen Gemeinsamkeiten stehen bedeutsame Unterschiede zwischen Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen und Bürgerumfragen gegenüber. 1. Teilnehmerkreis Ein wesentlicher Unterschied liegt in dem Kreis derjenigen Personen, die als zur Teilnahme an einer kommunalen Befragung bzw. einer Bürgerumfrage be275 Für die Durchführung von Meinungsumfragen plädiert Benda, in: Baier/Kepplinger/Reumann, Öffentliche Meinung, S. 96; Benda, JZ 1972, 497, 501; a. A. Hennis, Meinungsforschung und repräsentative Demokratie, S. 32 ff. 276 Dies betonen auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 135; Fell, Plebiszitäre Einrichtungen, S. 154. 277 So in Bezug auf konsultative Volksbefragungen auf Bundesebene Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 57. 278 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104, 112; siehe hierzu bereits 2. Teil § 4. 279 Siehe in Bezug auf das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung bereits 2. Teil § 5 I. 280 Vgl. Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 135; Rommelfanger, Das Konsultative Referendum, S. 58.
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2. Teil: Grundlagen
rechtigt anzusehen sind. Im Rahmen der Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung werden alle Bürger bzw. Einwohner einer Gemeinde zur Stimmabgabe in Bezug auf eine bestimmte Angelegenheit aufgerufen.281 Derartige formale Anforderungen bestehen bei der Durchführung einer Bürgerumfrage nicht.282 Einer Gemeinde steht es frei, wie sie den Teilnehmerkreis einer Bürgerumfrage bestimmt. Sie kann damit alle Einwohner zur Teilnahme berechtigen, muss dies jedoch nicht zwingend tun. Es steht einer Gemeinde damit auch frei, lediglich einen repräsentativ ausgewählten Querschnitt der Einwohnerschaft zu befragen und damit eine demoskopische Umfrage durchzuführen.283 Eine solche Vorgehensweise bietet sich dann an, wenn es einer Gemeinde um die Erlangung eines möglichst repräsentativen Meinungsbildes geht.284 2. Gegenstände von Befragungen bzw. Umfragen Ein weiterer wesentlicher Unterschied liegt in den Angelegenheiten, zu denen kommunale Befragungen bzw. Bürgerumfragen durchgeführt werden. Im Rahmen einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung geht es stets um die Einholung einer Meinung der Bürger- bzw. Einwohnerschaft in Bezug auf eine bestimmte Angelegenheit, der eine besondere örtliche Bedeutung beigemessen wird und die nicht selten politisch besonders umstritten ist.285 Häufig geht es bei einer Bürgerbzw. Einwohnerbefragung um Infrastrukturmaßnahmen oder andere städtebauliche Maßnahmen.286 Demgegenüber steht bei einer Bürgerumfrage keine Frage zu einer konkreten Angelegenheit im Vordergrund, sondern es geht vielmehr um die Einholung einer Meinung in Bezug auf allgemeinere Themen, die von einer Gemeinde frei gewählt werden können. Das Instrument der Bürgerumfrage dient einer Gemeinde dazu, ein Bild von der objektiv ermittelten Zufriedenheit, den Bedürfnissen, den Wünschen, den Erwartungen und Einschätzungen der Bevölkerung in Bezug auf gemeindliche Themen zu erhalten.287 Damit steht im Rah281 So auch Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 3, Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 59; Fell, Plebiszitäre Einrichtungen, S. 153; vgl. in Bezug auf konsultative Volksbefragungen auf Landesebene Lippold, DÖV 1989, 663, 669; Schmidt, Kommunalrecht, Rn. 599a; vgl. auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 136, der dieses Unterscheidungskriterium hingegen ablehnt. 282 Vgl. Fell, Plebiszitäre Einrichtungen, S. 153. 283 Das betont auch Detjen, Demokratie in der Gemeinde, S. 134. 284 Fell, Plebiszitäre Einrichtungen, S. 152; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 137. 285 Vgl. auch Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 161. 286 Das betont auch Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 284. 287 Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz, Bürgerbefragungen in kleineren Kommunen, S. 6; Beispiele für bisher durchgeführte Meinungsumfragen finden sich bei Roski, Methodik kommunaler Bürgerumfragen; Fischer, Bürgerumfragen; Bretschneider/Roski, Stadtprobleme aus Bürgersicht; Reinecke/Stelter, Partizipative Al-
§ 6 Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen und kommunale Bürgerumfragen
75
men einer Bürgerumfrage die Bedarfs-, Erfolgs- sowie Zufriedenheitsmessung im Vordergrund.288 Die Gemeinde als Initiator einer Bürgerumfrage verfolgt mit der Durchführung dieser das Ziel, die Erwartungen der Bevölkerung an das Leistungsspektrum der Verwaltung zu erfahren und gleichzeitig das Leistungsspektrum einer kritischen Bewertung durch die Bürgerschaft zu unterziehen.289 Bürgerumfragen werden daher auch als ein Instrument des sog. äußeren Controllings bezeichnet.290 Soweit ersichtlich wurden in der Praxis bisher noch keine Bürgerumfragen zu Angelegenheiten durchgeführt, zu denen üblicherweise Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen durchgeführt werden. Bürgerumfragen unterliegen damit keinen wie auch immer gearteten rechtlichen Einschränkungen in Bezug auf den sachlichen Anwendungsbereich. Damit können Bürgerumfragen beispielsweise auch zu solchen Angelegenheiten durchgeführt werden, die dem Anwendungsbereich einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung entzogen sind.291 3. Form der Meinungsäußerung Mit dem soeben beschriebenen Unterscheidungsmerkmal geht einher, dass ein weiterer Unterschied zwischen Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen und Bürgerumfragen in der Möglichkeit der Form der Meinungsäußerung liegt.292 Wie an anderer Stelle der Arbeit noch aufgezeigt wird293, kann die im Rahmen von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen zur Abstimmung gestellte Frage im Grundsatz lediglich mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden.294 Erweiterte Antworten oder Antworten unter gewissen Vorbehalten sind nur dann als zulässig anzusehen, sofern diese als Antwortmöglichkeiten auf dem Abstimmungszettel aufgeführt sind.295 Ist dies hingegen nicht der Fall, steht den Befragungsteilnehmern nicht das Recht zu, ihre Meinung zur der jeweiligen Angelegenheit in schriftlicher tersplanung; Bick u. a., Standardindikatoren; Fischer, Städte im Vergleich; Bretschneider, Die Beteiligung an kommunalen Bürgerumfragen; Roski/Lehmann, Lebensbedingungen im Zeitvergleich. 288 Bick/Dobroschke, Verwaltungsreform und verbesserte Berichtssysteme, frankfurter statistische berichte 1’96, S. 9 ff. 289 Roski, Methodik kommunaler Bürgerumfragen, S. 13. 290 Roski, Methodik kommunaler Bürgerumfragen, S. 13. 291 Thiele, NKomVG, § 35 unter 1.; siehe in Bezug auf den sachlichen Anwendungsbereich von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen 5. Teil § 6 I.; vgl. in Bezug auf Volksbefragungen auf Bundesebene Schneider, in: Bachof/Drath/Gönnenwein/Walz, Gedächtnisschrift Jellinek, S. 155, 168. 292 Vgl. hierzu in Bezug auf Volksabstimmungen auf Bundesebene bereits Schneider, in: Bachof/Drath/Gönnenwein/Walz, Gedächtnisschrift Jellinek, S. 155, 169 f. 293 Siehe hierzu 5. Teil § 13 IV. 2. c). 294 Auch das BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104, 112, betont diesen Aspekt, obgleich es dabei auf die rechtliche Ausgestaltung der in Streit stehenden Volksbefragungsgesetze Bezug nimmt. 295 Siehe hierzu 5. Teil § 13 IV. 2. c).
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2. Teil: Grundlagen
Form auf dem Abstimmungszettel festzuhalten. Im Rahmen der Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen ist die Antwort damit abhängig von der gestellten Frage und den gegebenen Antwortmöglichkeiten.296 Gänzlich anders stellt sich die Situation demgegenüber bei einer Bürgerumfrage dar. Hier besteht das Ziel gerade darin, zu einem bestimmten Themenkreis eine unverfälschte und damit nicht durch feststehende Antwortmöglichkeiten bereits vorbestimmte Antwort zu erhalten. Im Rahmen von Bürgerumfragen sind konditionelle Antworten und sonstige weitergehende Antworten mit Einschränkungen oder Vorbehalten erlaubt297, ja sogar erwünscht, da nur auf diese Weise der mit der Durchführung einer Umfrage beabsichtigte Zweck der Einholung eines umfassenden Meinungsbildes in Bezug auf eine Vielzahl von Themen erreicht werden kann. Bei einer Bürgerumfrage geht es gerade um die Stellungnahme zu einer Vielzahl von Teilfragen, von deren Beantwortung wiederum die Stellungnahme zum eigentlichen Gegenstand der Umfrage abhängig ist.298 Anders gesprochen ergeben im Rahmen einer Bürgerumfrage die Stellungnahmen zu den jeweiligen Teilfragen ein umfassendes Meinungsbild zu dem Gesamtthema. Dass bedeutet, dass sich das Ergebnis einer Bürgerumfrage erst auf Grundlage einer umfangreichen und spezifischen Wertung und Bearbeitung der Antworten der Umfrageteilnehmer ergibt.299 4. Die Situation im Vorfeld einer Befragung bzw. Umfrage Wie soeben bereits erörtert, geht es im Rahmen einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung überwiegend um politisch umstrittene Themen, zu denen nicht nur innerhalb der jeweiligen Vertretungskörperschaft, sondern auch innerhalb der jeweiligen Bürger- bzw. Einwohnerschaft konträre Auffassungen bestehen. Einer kommunalen Befragung dürfte somit in der Regel eine länger anhaltende öffentliche Debatte vorausgehen, in der das Für und Wider der jeweiligen Standpunkte diskutiert wird und die letztlich in der Durchführung der Befragung ihren Abschluss findet.300 Die Folge dieser öffentlichen Auseinandersetzung ist, dass bereits im Vorfeld einer Befragung das jeweilige Befragungsthema allgemein bekannt sein und damit für die an der Befragung teilnehmenden Personen keine 296 Vgl. in Bezug auf Volksabstimmungen auf Bundesebene bereits Schneider, in: Bachof/Drath/Gönnenwein/Walz, Gedächtnisschrift Jellinek, S. 155, 169, der in diesem Zusammenhang folgendes Zitat festhält: „Die geistige Unterwerfung vollzieht sich durch Annahme der Fragestellung“. 297 Das BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8,104, 112, spricht in diesem Zusammenhang von einer „nuancierten Stellungnahme“; vgl. in Bezug auf Volksabstimmungen auf Bundesebene bereits Schneider, in: Bachof/Drath/Gönnenwein/Walz, Gedächtnisschrift Jellinek, S. 155, 170. 298 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104, 112. 299 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104, 112. 300 Vgl. Fell, Plebiszitäre Einrichtungen, S. 151.
§ 6 Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen und kommunale Bürgerumfragen
77
inhaltliche Überraschung mehr darstellen dürfte. Das Instrument der Bürgerbzw. Einwohnerbefragung macht sich damit „die Möglichkeiten emotionaler Beeinflussung“ zu Nutzen, die mit der öffentlichen Diskussion einhergehen, um auf diese Weise die Bürger bzw. Einwohner zur Teilnahme an der Befragung zu motivieren.301 Vergleicht man diese Situation mit der im Rahmen einer Bürgerumfrage, tritt ein weiterer Unterschied zwischen dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung und einer Meinungsumfrage zu Tage: Die Situation der Meinungskundgabe im Rahmen einer Bürgerumfrage ist eine deutlich andere, da es bei dieser nicht um derart politisch brisante Themen geht, sondern die Umfrageteilnehmer lediglich ihre Meinung zu einer Vielzahl von Themen preisgeben. Im Rahmen einer Bürgerumfrage stellt sich die Situation im Normalfall dergestalt dar, dass die Teilnehmer unvermittelt und ohne tiefergehende Vorkenntnisse mit der jeweiligen Fragestellung bzw. den jeweiligen Fragestellungen konfrontiert werden.302 Die Themen einer Meinungsumfrage dürften dabei nur den wenigsten Teilnehmern im Vorfeld bekannt sein. Das Instrument der Bürgerumfrage lebt auch insoweit von einer Art „Überraschungsmoment“, als dass die Befragten, insbesondere im Fall demoskopischer Umfragen, in den meisten Fällen keine vorherige Kenntnis darüber haben, dass sie als Teilnehmer ausgewählt wurden.303 Der Meinungskundgabe im Rahmen einer Bürgerumfrage geht damit unter Umständen kein Prozess der intensiven Meinungsbildung voraus.304 Das Ergebnis einer Bürgerumfrage gibt damit lediglich die momentane und zufällige Meinung der Beteiligten wieder. Bürgerumfragen sind damit lediglich „Momentaufnahmen der Wählergunst“.305 Es geht bei einer Bürgerumfrage um die Befragung eines Personenkreises, der in Bezug auf den Themenkreis bisher unberührt von öffentlichen Einflüssen ist.306 5. Die Art und Weise der Durchführung In engem Zusammenhang mit dem soeben genannten Unterscheidungskriterium steht ein weiterer formaler Unterschied zwischen beiden Instrumenten. Dieser betrifft die Art und Weise der Durchführung. Bereits an anderer Stelle dieser Untersuchung wurde ausführlich dargelegt, dass durch die Teilnahme an einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung staatliche Gewalt ausgeübt wird.307 Die Folge
301 302 303 304 305 306 307
Vgl. Fell, Plebiszitäre Einrichtungen, S. 152. Vgl. Fell, Plebiszitäre Einrichtungen, S. 152. Vgl. Fell, Plebiszitäre Einrichtungen, S. 152. Fell, Plebiszitäre Einrichtungen, S. 152. Vgl. Benda, in: Baier/Kepplinger/Reumann, Öffentliche Meinung, S. 96. Vgl. Fell, Plebiszitäre Einrichtungen, S. 152. Siehe hierzu bereits 2. Teil § 4 II.
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2. Teil: Grundlagen
dessen ist, dass es sich bei der Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung um eine amtliche Abstimmung handelt.308 Die befragten Bürger bzw. Einwohner treten bei einer Befragung als Organ der politischen Entscheidungsbildung in Erscheinung.309 Die Befragung wird dabei überwiegend, aber gleichfalls nicht zwingend, in Räumlichkeiten einer Gemeinde in Form der Urnenwahl durchgeführt.310 Vor diesem Hintergrund wird das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung in der Literatur teilweise als „schwerfällig, förmlich und aufwändig“ charakterisiert.311 Demgegenüber werden Bürgerumfragen nicht in Form einer Abstimmung durchgeführt. Überwiegend werden Bürgerumfragen im Auftrag einer Gemeinde von Instituten durchgeführt und müssen damit als eine „nichtamtliche Veranstaltung“ betrachtet werden.312 Im Rahmen einer Bürgerumfrage steht es einer Gemeinde frei, auf welchem Weg sie diese durchführt oder durchführen lässt. Wurde in den achtziger Jahren vielfach noch auf die Methode des persönlichen Interviews zurückgegriffen, bevorzugen Gemeinden heutzutage bei der Durchführung von Bürgerumfragen moderne Umfrageformen.313 Mittlerweile werden Umfragen überwiegend im Rahmen eines persönlichen Gesprächs, mit Hilfe eines Fragebogens auf postalischem Weg, persönlich „vor Ort“ oder aber auch telefonisch durchgeführt.314 Denkbar ist darüber hinaus auch eine Umfrage mit Hilfe des Internets. Im Rahmen der Durchführung kommunaler Befragungen wird damit gezielt die Öffentlichkeit gesucht, während eine Bürgerumfrage eher „hinter geschlossenen Türen“ durchgeführt wird.315 Zu weitgehend dürfte in diesem Zusammenhang jedoch sein, die Durchführung einer Bürgerumfrage als „heimlich“ zu bewerten.316 Zutreffender dürfte insoweit vielmehr sein, einer Bürgerumfrage, insbesondere wenn diese in Form einer demoskopischen Umfrage durchgeführt wird, den Zweck zuzuschreiben, gerade „unter Umgehung der öffentlichen, amtlichen Abstimmung“ die Meinung der Bevölkerung zu erforschen.317
308 So auch Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 2; vgl. in Bezug auf konsultative Volksbefragungen auch Lippold, DÖV 1989, 663, 669, der von einem „förmlichen Verfahren“ spricht. 309 Vgl. Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 59. 310 Siehe hierzu 5. Teil § 13 II. 311 Gramke, Praktizierte Bürgernähe, S. 50. 312 Das BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104, 111, sieht hierin sogar den „wesentlichen Unterschied zwischen beiden Einrichtungen“; vgl. auch Detjen, Demokratie in der Gemeinde, S. 134. 313 Vgl. Roski, Methodik kommunaler Bürgerumfragen, S. 22. 314 Vgl. zu den Möglichkeiten der Art und Weise einer Durchführung einer kommunalen Bürgerumfrage Roski, Methodik kommunaler Bürgerumfragen, S. 22 ff. 315 Vgl. Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 137. 316 Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 137. 317 Vgl. Fell, Plebiszitäre Einrichtungen, S. 151.
§ 7 Zwischenergebnis zum 2. Teil
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6. Konsens- und Legitimationsfunktion Mit Blick auf die bereits angesprochene Konsens- und Legitimationsfunktion des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung318 zeigt sich ein weiterer Unterschied zwischen kommunalen Befragungen und Bürgerumfragen. Den Ergebnissen von Bürgerumfragen kommt eine vergleichbare konsensuale Funktion nicht zu.319 Dies liegt zunächst daran, dass Bürgerumfragen im Unterschied zu kommunalen Befragungen nicht zu dem Zweck eingesetzt werden, in Bezug auf eine bestimmte Fragestellung eine auf einige wenige Antwortmöglichkeiten begrenzte Antwort zu erhalten.320 Daher eignet sich das Instrument der Bürgerbzw. Einwohnerbefragung bereits seiner Natur nach besser dafür, auch eine Konsens- bzw. Legitimationsfunktion wahrzunehmen. Im Rahmen Bürgerumfragen dürfte es den Teilnehmern deutlich schwerer fallen, im Nachgang zu der Umfrage Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie die Gemeinde mit den Ergebnissen der Befragung umgegangen ist. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass es um eine Vielzahl von Fragen zu verschiedenen Angelegenheiten geht und daher auch eine Vielzahl verschiedener Interessen betroffen sind. Das Erlangen von Erkenntnissen darüber, inwieweit die Gemeinde die Ergebnisse einer Umfrage als Anlass für etwaige Veränderungen genommen hat, muss jedoch als Voraussetzung dafür angesehen werden, dass auch einer Bürgerumfrage zumindest im Ansatz eine konsensuale Funktion zugesprochen werden kann.
§ 7 Zwischenergebnis zum 2. Teil Aus den vorausgegangenen Erörterungen folgt zunächst, dass die Besonderheit des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung darin besteht, dass dem Ergebnis einer kommunalen Befragung trotz nicht vorhandener Verbindlichkeit für eine Vertretungskörperschaft dennoch unter bestimmten Umständen eine faktische Bindungswirkung zukommt. Die Bürger- bzw. Einwohnerbefragung stellt sich ferner als ein Instrument dar, dem eine beachtliche praktische Relevanz zukommt, da seit den fünfziger Jahren von Seiten deutscher Gemeinden von diesem Instrument Gebrauch gemacht wird. Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen wurden in der Vergangenheit dabei jedoch nicht nur in Gemeinden derjenigen Bundesländer durchgeführt, die bisher eine einfachgesetzliche Regelung zur Durchführung kommunaler Befragungen erlassen haben. Vielfach wurden kommunale Befragungen damit auch ohne gesetzliche Grundlage durchgeführt. Eine starke Zunahme durchgeführter kommunaler Befragungen lässt sich ab Ende der neunziger Jahre verzeichnen, nachdem mit Niedersachsen und dem Saarland die ersten 318
Siehe hierzu bereits 2. Teil § 5 III. Vgl. Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 58, für den das Bestehen einer solchen Funktion zumindest „sehr zweifelhaft“ ist. 320 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 6 II. 3. 319
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2. Teil: Grundlagen
Bundesländer eine einfachgesetzliche Regelung zur Durchführung von Bürgerbzw. Einwohnerbefragungen in ihre Kommunalverfassung eingefügt haben. Das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung, bei dessen Durchführung die Bürger bzw. Einwohner als „status activus“ an der Willensbildung der Gebietskörperschaft Gemeinde teilnehmen und damit Staatsgewalt ausüben, dient einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft hauptsächlich zu Informationsbzw. Meinungserforschungszwecken. Überdies wird im Rahmen der Durchführung kommunaler Befragungen den Bürgern bzw. Einwohnern die Teilhabe am kommunalen Willensbildungsprozess ermöglicht, was zur Folge hat, dass der auf Grundlage einer durchgeführten kommunalen Befragung getroffenen Entscheidung unter Umständen eine höhere Legitimität zukommt. Bestenfalls kommt diesem Instrument sogar eine streitschlichtende Wirkung zu. Eine Oppositionsfunktion dergestalt, dass die Durchführung einer kommunalen Befragung von einer Minderheit von Mitgliedern einer Vertretungskörperschaft mit dem Ziel der Druckausübung auf die Mehrheit der Mitglieder einer Vertretungskörperschaft initiiert werden kann, kommt dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung nach der gegenwärtigen gesetzlichen Ausgestaltung nicht zu. Das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung ist weiterhin von sog. Bürgerumfragen zu unterscheiden, die von Gemeinden, häufig in Form demoskopischer Umfragen, ohne gesetzliche Grundlage und ohne Beachtung kommunalverfassungsrechtlicher Anforderungen durchgeführt werden können. Beide Instrumente haben gemeinsam, dass aus den Ergebnissen keine rechtliche Verbindlichkeit für das jeweils initiierende Organ folgt. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Instrumenten besteht neben der jeweiligen Angelegenheit einer Befragung bzw. Umfrage darin, dass es im Rahmen einer kommunalen Befragung als amtliche Abstimmung im Gegensatz zu der Situation im Rahmen von Bürgerumfragen stets um eine Befragung aller Bürger bzw. Einwohner der jeweiligen Gemeinde geht.
3. Teil
Das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung im System kommunaler Beteiligungsrechte § 1 Bürgerbeteiligung als Charakteristikum der kommunalen Selbstverwaltung Dass die verschiedenen Formen der Bürgerbeteiligung mittlerweile als Charakteristikum der kommunalen Selbstverwaltung1 angesehen werden müssen, zeigt sich bereits an den umfassenden kommunalverfassungsrechtlichen Regelungen hierzu.2 Bereits das Grundgesetz lässt an einigen Stellen erkennen, dass der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene eine besondere Bedeutung beizumessen ist. Soweit in Art. 28 Abs. 1 S. 4 GG davon die Rede ist, dass an die Stelle einer Vertretungskörperschaft die Gemeindeversammlung treten kann3, deutet das Grundgesetz mit dieser Aussage zumindest eine Offenheit gegenüber der Beteiligung der Bürger an. Ungeachtet dessen folgt jedoch auch aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG, wonach eine Gemeinde die Angelegenheiten „der örtlichen Gemeinschaft“ zu regeln hat, dass die kommunale Selbstverwaltung ihrem Wesen nach auf eine Beteiligung der Bürger angelegt ist.4 Mit diesen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind vornehmlich Angelegenheiten der Bürger gemeint. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG muss damit dergestalt gelesen werden, dass den Gemeinden die Regelung der örtlichen Angelegenheiten der Bürger obliegt. Die Bürger stellen damit nicht nur den „Bezugspunkt“ für die zu regelnden Angelegenheiten dar, sondern sind vielmehr auch an der Bewältigung der eigenen Probleme, in welcher Form auch immer, zu beteiligen.5 Damit muss in der Garantie des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG „die verfassungsrechtliche causa“ der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene gesehen werden.6 Dieses Verständnis einer „bürgerschaftlichen Selbstverwaltung“ hat jedoch bundesweit erst in den achtziger Jahren zu1 Vgl. hierzu bereits Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 6; Burkhardt, Die rechtliche Ordnung des Bürgerentscheids, S. 3; vgl. zum Verhältnis zwischen Demokratie und kommunaler Selbstverwaltung von Unruh, DÖV 1986, 217 ff. 2 Siehe hierzu im Folgenden 3. Teil § 2 IV. 3 Siehe hierzu 3. Teil § 2 IV. 2. 4 So auch Schmidt-Jortzig, Der Landkreis 1994, 11, 13; Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 49. 5 So Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, § 6 Rn. 128; Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 49. 6 Burkhardt, Die Rechtliche Ordnung des Bürgerentscheids, S. 6.
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3. Teil: Bürgerbefragung im System kommunaler Beteiligungsrechte
nehmend Anhänger gefunden7 und wurde letztlich auch durch das Bundesverfassungsgericht in der Rastede-Entscheidung bestätigt.8 In diesem Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht erstmals zur Rolle der Beteiligung der Bürger in der kommunalen Selbstverwaltung Stellung bezogen und hierzu Folgendes ausgeführt: „Die Zurückhaltung, die der Verfassungsgeber bei der Zulassung unmittelbar-demokratischer Elemente auf Bundesebene geübt hat, wird auf der örtlich bezogenen Ebene der Gemeinden ergänzt durch eine mit wirklicher Verantwortlichkeit ausgestattete Einrichtung der Selbstverwaltung, durch die den Bürgern eine wirksame Teilnahme an den Angelegenheiten des Gemeinwesens ermöglicht wird“.9 Das Bundesverfassungsgericht knüpfte mit dieser Aussage an die bereits aus der früheren Rechtsprechung stammende Formulierung an, wonach „Kommunalverfassungsrecht und -wirklichkeit seit dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes von der Tendenz bestimmt sind, unter Zurückdrängung des bürokratisch-autoritativen Elements dem Gedanken des Selbstbestimmungsrechts der Gemeindebürger wieder erhöhte Geltung zu verschaffen“.10 Auch führte das Bundesverfassungsgericht bereits lange Zeit vor dem Rastede-Beschluss zu dem Verhältnis von kommunaler Selbstverwaltung und Bürgerbeteiligung aus, dass „kommunale Selbstverwaltung – wie sie heute verstanden wird – [. . .] ihrem Wesen und ihrer Intention nach Aktivierung der Beteiligten für ihre eigenen Angelegenheiten [bedeutet], die die in der örtlichen Gemeinschaft lebendigen Kräfte des Volkes zur eigenverantwortlichen Erfüllung öffentlicher Aufgaben der engeren Heimat zusammenschließt mit dem Ziel, das Wohl der Einwohner zu fördern und die geschichtliche und heimatliche Eigenart zu wahren“.11 Mit diesen Ausführungen hat das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, dass die kommunale Selbstverwaltung zwingend auf eine Beteiligung der Bürger an den politischen Entscheidungen einer Gemeinde angelegt ist. Festgehalten werden kann damit, dass die Möglichkeiten der Beteiligung der Bürger an politischen Prozessen von der Bundes- über die Landesebene zunehmen, um schließlich auf der Ebene der Gemeinden ihre stärkste Ausbildung zu erfahren.12 Die Gemeinden bieten als kleine und überschaubare Selbstverwal7
Siehe hierzu bereits 2. Teil § 3. BVerfG, Beschluss vom 23.11.1988 – 2 BvR 1619, 1628/83 –, BVerfGE 79, 127 ff.; vgl. zu dieser Entwicklung auch Knemeyer, in: Ziemske/Langheid/Wilms/Haverkate, Festschrift Kriele, S. 1141, 1142. 9 BVerfG, Beschluss vom 23.11.1988 – 2 BvR 1619, 1628/83 –, BVerfGE 79, 127, 150. 10 BVerfG, Beschluss vom 17.10.1957 – 1 BvL 1/57 –, BVerfGE 7, 155, 167; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 12.07.1960 – 2 BvR 373/60, 442/60 –, BVerfGE 11, 266, 275. 11 BVerfG, Beschluss vom 12.07.1960 – 2 BvR 373/60 –, 442/60, BVerfGE 11, 266, 275; das Gericht nahm dabei Bezug auf eine Definition von Peters, Lehrbuch der Verwaltung, S. 292. 12 Hager, VerwArch 84 (1993), 97, 97. 8
§ 2 Erscheinungsformen
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tungskörperschaften von „Natur“ aus die Möglichkeit, dem Bedürfnis der Bürger nach einer stärkeren Beteiligung Raum zu verschaffen.13 Die kommunale Ebene wird daher zutreffend auch als die „Schule der Demokratie“ bezeichnet.14 Ohne ein erforderliches Maß an Bürgerbeteiligung liefe die kommunale Selbstverwaltung Gefahr, den eigentlich bestehenden Unterschied zur Staatsverwaltung aufzugeben und sich somit der Staatsverwaltung anzugleichen.15 Die Folge dessen wäre schließlich ein vollständiger Identitätsverlust der kommunalen Selbstverwaltung.16 Eine kommunale Selbstverwaltung ohne Beteiligung der Bürger stellte im Ergebnis lediglich eine „leere Fassade“ dar.17 Voraussetzung und Selbstverständlichkeit einer funktionierenden kommunalen Selbstverwaltung ist somit, dass die Beteiligung der Bürger rechtlich gesichert und vor allem auch tatsächlich vorhanden ist.18
§ 2 Erscheinungsformen der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene Mit den folgenden Ausführungen soll ein Überblick über die bestehenden Formen der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene gegeben werden.19 Bedingt durch die Demokratisierungsbewegungen der letzten Jahrzehnte20 sehen mittlerweile alle Kommunalverfassungen einen umfangreichen Kanon an Beteiligungsrechten von Bürgern bzw. Einwohnern vor. Die Bürger und Einwohner einer Gemeinde sind damit, sofern sie sich an der kommunalen Willensbildung beteiligen wollen, nicht lediglich auf die Ausübung ihres aktiven Wahlrechts beschränkt. Während es bei der Wahl der Mitglieder einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft um eine Personalentscheidung der Bürger geht, stehen bei den verschiedenen Formen der Bürgerbeteiligung überwiegend Sachentscheidungen im Vorder13 Rommelfanger, Das konsultatives Referendum, S. 54; Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 11; Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 195; Meissner, in: Kühne/ Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 181; vgl. auch Nawiasky, in: Bürgerverantwortung, S. 38. 14 Vgl. nur Frotscher, in: von Mutius, Festgabe von Unruh, S. 127, 127. 15 Meissner, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 163; Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 65; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 55; Burkhardt, Die rechtliche Ordnung des Bürgerentscheids, S. 5. 16 Burkhardt, Die rechtliche Ordnung des Bürgerentscheids, S. 5. 17 Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 65. 18 Seeger, Württembergische Gemeindezeitung 1970, 171, 173; Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 65; vgl. auch Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, § 6 Rn. 129. 19 Vgl. bereits die umfassenden Ausführungen hierzu bei Pröckl, Die unmittelbare Beteiligung der Bürger, S. 7 ff.; Burckhardt, Die rechtliche Ordnung, S. 41 ff.; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 1 ff.; Gern, Deutsches Kommunalrecht, S. 357 ff.; ein umfassender Vergleich der gesetzlichen Regelungen aller Bundesländer findet sich bei Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 83 ff. 20 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 3.
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3. Teil: Bürgerbefragung im System kommunaler Beteiligungsrechte
grund.21 Obgleich die auch als Kommunalwahl bezeichnete Wahl der Mitglieder einer Vertretungskörperschaft als das zentrale Element bürgerschaftlicher Mitwirkung in der repräsentativen Gemeindedemokratie angesehen werden muss22, kommt den verschiedenen Formen der Bürgerbeteiligung eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Die Möglichkeit zur Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung stellt dabei lediglich ein Instrument der Bürgerbeteiligung im weiten Kanon der Beteiligungsrechte auf kommunaler Ebene dar. Die vorhandenen Beteiligungsinstrumente sowie die jeweilige Ausgestaltung dieser Instrumente unterscheiden sich dabei innerhalb der einzelnen Bundesländer zum Teil erheblich. Im Folgenden soll zunächst durch den Versuch einer Kategorisierung Klarheit und vor allem Struktur in die verschiedenen Formen der Beteiligungsrechte gebracht werden.23 Hieran anschließend folgt eine Darstellung der verschiedenen Beteiligungsinstrumente auf kommunaler Ebene. Diese Ausführungen legen den Grundstein für die Einordnung des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung in das System der kommunalen Beteiligungsrechte.
I. Die Verwendung des Begriffs der Bürgerbeteiligung im Sprachgebrauch Der Begriff der Bürgerbeteiligung findet vielerorts Verwendung, sofern es in der Sache um wie auch immer geartete Partizipationsmöglichkeiten der Bürger an politischen Willensbildungsprozessen geht. Darüber hinaus ist der Begriff der Bürgerbeteiligung zum Schlagwort geworden, wenn immer es um die Forderung nach Stärkung der Beteiligungsrechte der Bürger geht.24 Der Begriff kann dabei geradezu als Kampfbegriff der schon lange andauernden Forderung nach stärkerer Einflussnahme der Bürger auf die Entscheidungen der handelnden politischen Organe verstanden werden. Insoweit dürfte zumindest in der „politischen Alltagssprache“ weitestgehend Einigkeit über den Bedeutungsgehalt des Begriffs der Bürgerbeteiligung herrschen.25 Der Begriff der Bürgerbeteiligung wird dabei im 21
So auch Hendler, Der Landkreis 1995, 321, 322. So auch Burkhardt, Die rechtliche Ordnung, S. 41; Ardelt, Erfahrungen mit Bürgerentscheid, S. 28, der in den Wahlen zu den Gemeindeparlamenten die „unmittelbarste und allgemeinste Form der Mitwirkung der Bürger am Geschehen in der Gemeinde“ sieht. 23 Vgl. bereits die „Ansätze zu einer Typologie“ in Bezug auf die verschiedenen Begrifflichkeiten bei Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 15 f. 24 Vgl. nur die jüngsten Artikel der F.A.Z. vom 21.10.2010 („Bürgerbeteiligung – Lebendige Demokratie“), vom 10.01.2012 („Bürgerbeteiligung – Stören erlaubt“) sowie vom 18.05.2013 („Bürgerbeteiligung – SPD macht Druck bei bundesweitem Volksentscheid“). 25 So auch Naumann, in: Rausch/Stammen, Aspekte und Probleme der Kommunalpolitik, S. 231. 22
§ 2 Erscheinungsformen
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politischen wie medialen Sprachgebrauch in einem denkbar weiten Sinne verstanden. Jede Form bürgerschaftlicher Mitwirkung an politischen Willensbildungsprozessen wird danach als Bürgerbeteiligung verstanden.26
II. Die Verwendung des Begriffs der Bürgerbeteiligung in der Literatur Auch in der Literatur ist seit Beginn der Diskussionen über eine Verstärkung der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene ein geradezu inflationärer Gebrauch dieses Begriffs zu verzeichnen. Geht es inhaltlich in welcher Form auch immer um die Beteiligung von Bürgern und Einwohnern an der Kommunalpolitik, legt die Literatur bei der Verwendung entsprechender Begrifflichkeiten eine bemerkenswerte Kreativität an den Tag.27 Letztlich jedoch umschreiben die verwendeten Begrifflichkeiten genau das, was auch der zweifelsohne prägnantere Begriff „Bürgerbeteiligung“ auszudrücken vermag. Vereinzelt wird dieser Begriff von Seiten der Literatur lediglich ergänzt, indem von „unmittelbarer Bürgerbeteiligung“ 28 gesprochen wird. Komplizierter muten hingegen schon Versuche an, den Begriff der Bürgerbeteiligung zu umschreiben mit Begrifflichkeiten wie „unmittelbare Mitwirkung der Bürger“ 29, „bürgerschaftliche Aktivierung und Beteiligung“ 30, „plebiszitäre Beteiligungsformen“ 31, „plebiszitäre Elemente“ 32, „Bürgerpartizipation“ 33, „Bürgermitwirkung“ 34, „bürgerschaftliche Mitwirkung“ 35, 26 So auch Naumann, in: Rausch/Stammen, Aspekte und Probleme der Kommunalpolitik, S. 231. 27 Vgl. nur die Aufzählung bei Naumann, in: Rausch/Stammen, Aspekte und Probleme der Kommunalpolitik, S. 231; Rehn, in: von Mutius, Festgabe von Unruh, S. 305; Pröckl, Die unmittelbare Beteiligung der Bürger, S. 7; Lange, Plebiszitäre Budgetverantwortung, S. 180 f. 28 Vgl. nur den Titel der Untersuchung von Deubert, Direkte Demokratie und unmittelbare Bürgerbeteiligung; vgl. auch Burkhardt, Rechtliche Ordnung des Bürgerentscheids, S. 41; Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 121; Blümel, VVDStRL 36 (1978), S. 171, 228; Ossenbühl, in: Seiler, Festschrift Rommel, S. 247; Püttner, in: Borchmann/Vesper, Reformprobleme, S. 12; Püttner, Kommunalrecht BW, Rn. 194. 29 Ardelt, Erfahrungen mit Bürgerentscheid und Bürgerbegehren, S. 27; vgl. auch Borchmann/Breithaupt/Kaiser, Kommunalrecht Hessen, S. 142. 30 Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 581. 31 Schmidt-Aßmann, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 1. Kap. Rn. 89. 32 Blümel, VVDStRL 36 (1978), S. 171, 229; Schoch, in: Schliesky, Festschrift Schmidt-Jortzig, S. 167; Tettinger/Erbguth/Mann, Besonderes Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 107. 33 Rommelfanger, Das Konsultative Referendum, S. 54; Karr, Institutionen direkter Demokratie, S. 26, der in diesem Zusammenhang von „Partizipation der Bürger“ spricht; den Terminus „Bürgerschaftliche Partizipation“ wählen Fehlau/Neddens, Bürgerinformation, S. 55; dem Begriff der Partizipation wird dabei häufig die Funktion eines „politischen Kampfbegriffs“ vorgeworfen, vgl. nur Schmitt Glaeser, Partizipation
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3. Teil: Bürgerbefragung im System kommunaler Beteiligungsrechte
„direkte Mitbestimmungsmöglichkeiten“ 36, „unmittelbare bürgerschaftliche Mitwirkung“ 37 oder auch „Mitbestimmung der Öffentlichkeit und Demokratisierung der Verwaltung“ 38. Teilweise werden von Seiten der Literatur in diesem Zusammenhang auch allgemeinere Begrifflichkeiten verwendet. Gesprochen wird dann lediglich von Instrumenten, Elementen oder Formen „unmittelbarer Demokratie“ 39 oder „direkter Demokratie“ 40 auf kommunaler Ebene. Bereits diese Vielfalt der verwendeten Begrifflichkeiten, die als Synonym für den Begriff der Bürgerbeteiligung Verwendung finden, lässt erkennen, dass in der Literatur kein einheitliches Verständnis in Bezug auf den Begriff der Bürgerbeteiligung besteht.41 Zum Teil wird in der Literatur in Bezug auf diesen Begriff von einem sehr engen Begriffsverständnis ausgegangen. Von Bürgerbeteiligung könne danach nur dann die Rede sein, wenn die Bürger sich an einem Entscheidungsfindungsprozess beteiligen, ohne jedoch gleichzeitig das Recht zur Letztentscheidung in den Händen zu halten. So ist für manche danach die Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene „die direkte, öffentliche, entscheidungsvorbereitende Kommunikation entweder der Verwaltung oder von Gremien der Vertretungskörperschaft mit Bürgern als Teilen des Publikums“.42 Nach dieser Auffassung ist der Begriff der Bürgerbeteiligung insoweit eng auszulegen, als dass Letztentscheidungsrechte wie das Instrument des Bürgerentscheids keine Form der Bürgerbeteiligung darstellen, sondern vielmehr Erscheinungsformen der unmittelbaren Demokratie sind.
an Verwaltungsentscheidungen, VVDStRL 31 (1973), S. 175 ff., 180; dem Begriff der Bürgerbeteiligung wird demgegenüber häufig eine deutliche stärkere Neutralität zugeschrieben, vgl. Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 15. 34 Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 54; Gebhardt, Direkte Demokratie, S. 76; Meissner, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 161. 35 Knemeyer, in: Hablitzel/Wollenschläger, Festschrift Küchenhoff, S. 562 ff.; vgl. auch Püttner, in: Borchmann/Vesper, Reformprobleme, S. 12. 36 Schiller, in: Schiller, Direkte Demokratie, S. 8. 37 Hennecke, DVBl. 1995, 1064, 1064. 38 Vgl. zum Begriff der Demokratisierung auch Hendler, Der Landkreis 1995, 321, 321. 39 Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, § 6 Rn. 126; kritisch hierzu Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 34; vgl. auch Hager, VerwArch 84 (1993), 97, 97, der lediglich von „unmittelbarer Demokratie“ spricht. 40 Waechter, Kommunalrecht, Rn. 270 ff.; Gebhardt, Direkte Demokratie, S. 76; Schmidt, Kommunalrecht, Rn. 587; Nawiasky, in: Bürgerverantwortung, S. 39 f.; vgl. auch Leukart, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 23 ff., der lediglich von „direkter Demokratie“ spricht. 41 Das betonen auch Rehn, in: von Mutius, Festgabe von Unruh, S. 305; Lange, Plebiszitäre Budgetverantwortung, S. 180; Ziekow, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentages 2012, Bd. I, S. 10. 42 Ebsen, DVBl. 1984, 1107, 1108; Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 55.
§ 2 Erscheinungsformen
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In der Literatur überwiegt jedoch ein anderes Begriffsverständnis deutlich: Unter den Begriff der Bürgerbeteiligung fallen danach auch sog. Letztentscheidungsrechte und damit nicht lediglich Mitwirkungsrechte.43 Bürgerbeteiligung könne danach zum einen in der Form geschehen, dass die Bürger anstelle einer Vertretungskörperschaft mit einer verbindlichen Entscheidung betraut werden. Im Rahmen der Mitwirkungsrechte gehe es demgegenüber lediglich um eine Entscheidungsvorbereitung und somit um das Recht der Teilhabe am Prozess der Entscheidungsfindung.44 Der Begriff der Bürgerbeteiligung wird dabei insofern wörtlich verstanden, als dass der Schwerpunkt auf dem Wort der Beteiligung liegt, unabhängig der rechtlichen Wirkung der Beteiligung. Nach diesem weiten Begriffsverständnis kann Bürgerbeteiligung danach als die „allgemeine Bürgermitwirkung an Verwaltungsentscheidungen oder die Einwirkung auf solche“ 45 oder auch als „unmittelbare Beteiligung von Bürgern und Einwohnern einer Gemeinde an den Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen in einer Gemeinde innerhalb ihrer Zuständigkeiten“ 46 verstanden werden.
III. Eigenes Begriffsverständnis Vor dem Hintergrund dieser „Begriffskonfusion“ 47 in Bezug auf die unterschiedlichen Deutungen des Begriffs der Bürgerbeteiligung in der Literatur soll im Folgenden dargelegt werden, welches Begriffsverständnis der nachfolgenden Darstellung zu Grunde liegt. Grundlage für die sich an diese Erörterung anschließende Darstellung der kommunalen Beteiligungsrechte soll ein denkbar weites Verständnis des Begriffs der Bürgerbeteiligung sein. Bürgerbeteiligung soll da43 Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 16, der jedoch noch weitergehend die Bürgerbeteiligung in Mitwirkungsrechte und Bürgereinwirkung unterteilt; so im Ergebnis auch Deubert, Direkte Demokratie, S. 12; Pröckl, Die Unmittelbare Beteiligung der Bürger an der Gemeindeverwaltung, S. 7 ff.; Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 54 f., der zwischen „kommunaler Entscheidungsfällung“ und „kommunaler Entscheidungsvorbereitung“ unterscheidet; Schefold/Neumann, Entwicklungstendenzen, S. 105 ff.; Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 11 ff.; Gebhardt, Direkte Demokratie, S. 76 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 1. Kap. Rn. 89 f., der zwischen „schlichten Mitwirkungsmöglichkeiten“ und „Mitentscheidungsmöglichkeiten“ unterscheidet; von diesem Verständnis scheint auch Knemeyer, in: Achterberg/Krawietz/Wyduckel, Festschrift Scupin, S. 807, auszugehen; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, § 6 Rn. 131 ff.; von Mutius, Gutachten E zum 53. Deutschen Juristentag, S. 212 ff., 224 ff.; von Arnim, DÖV 1990, 85, 85 ff.; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 581 ff.; Rehn, in: von Mutius, Festgabe von Unruh, S. 305. 44 Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 16. 45 Schefold/Neumann, Entwicklungstendenzen, S. 105 ff. 46 Kromer, DVBl. 1985, 143, 144; Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 83; Hellermann, DVBl. 2011, 1195, 1196. 47 Eine solche Begriffskonfusion kritisieren bereits Stelzenmüller, Direkte Demokratie, S. 31; Karr, Institutionen direkter Demokratie, S. 31.
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3. Teil: Bürgerbefragung im System kommunaler Beteiligungsrechte
nach als die Beteiligung der Bürger bzw. Einwohner einer Gemeinde an den Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen einer Gemeinde verstanden werden. Umfasst von dem Begriff der Bürgerbeteiligung werden damit Mitwirkungsrechte wie auch die beteiligungsintensiveren Letztentscheidungsrechte. Ein solches Begriffsverständnis bringt den Vorteil mit sich, dass auf eine randscharfe Abgrenzung zwischen Entscheidungsrechten und bloßen Mitwirkungsrechten verzichtet werden kann. Verstünde man den Begriff der Bürgerbeteiligung hingegen in dem soeben beschriebenen engen Sinne, stellte sich unweigerlich die Frage, wo Entscheidungsrechte beginnen und wo gleichermaßen Mitwirkungsrechte enden.48 Weiterhin erscheint im Rahmen der hiesigen Untersuchung auch bereits deshalb ein weites Verständnis des Begriffs der Bürgerbeteiligung angebracht, da nur auf diesem Weg ein umfassender Vergleich des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung mit den sonstigen Formen der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene und darauf aufbauend eine Einordung dieses Instruments in das System der Beteiligungsrechte vorgenommen werden kann. Ein solches Vorhaben könnte bereits dann nicht mehr ernsthaft verfolgt werden, wenn man bereits zu Beginn der Darstellung durch ein enges Verständnis des Begriffs der Bürgerbeteiligung den Untersuchungsrahmen stark verengte. Der Begriff der Bürgerbeteiligung soll weiterhin nicht wörtlich verstanden werden und bezieht sich demnach nicht nur auf Beteiligungsrechte, die den Bürgern einer Gemeinde zustehen. Vielmehr umfasst der Oberbegriff der Bürgerbeteiligung auch solche Beteiligungsrechte, die neben den Bürgern den nicht das kommunale Wahlrecht zustehenden Einwohnern zukommen.49 Weiterhin sollen im Folgenden nur solche Formen der Bürgerbeteiligung Erwähnung finden, die als sog. Öffentlichkeitspartizipation angesehen werden können. Die Erscheinungsformen der Bürgerbeteiligung lassen sich grundlegend in Formen der Öffentlichkeits- und Betroffenenpartizipation unterteilen. Der Begriff der Öffentlichkeitspartizipation unterscheidet sich insoweit von dem Begriff der Betroffenenpartizipation, als bei ersterem die jeweiligen Beteiligungsmöglichkeiten allen Personen offenstehen.50 Demgegenüber können sich im Rahmen der sog. Betroffenenpartizipation nur solche Personen beteiligen, die von der jeweiligen Angelegenheit besonders berührt bzw. betroffen sind.51 Bei den Formen der Betroffenenpartizipation sind die sich beteiligenden Personen damit in ihrer Form als Grundrechtssubjekte angesprochen.52 Bei der Betroffenenpartizipation geht es um die Beteiligung der Bürger an förmlichen Verwaltungsverfahren und damit
48 49 50 51 52
Darauf verweist auch Deubert, Direkte Demokratie, S. 12. So verfährt auch Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 15. Hendler, Der Landkreis 1995, 321, 321. Hendler, Der Landkreis 1995, 321, 321. Schmidt-Jortzig, Der Landkreis 1994, 11, 13.
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nicht um die Mitgestaltung des gemeindlichen Willensbildungsprozesses durch die Bürger, wie es im Rahmen der Öffentlichkeitspartizipation der Fall ist. Zudem finden im Folgenden nur solche Beteiligungsrechte Erörterung, die eine gesetzliche Verankerung in einer oder mehreren Kommunalverfassung/en gefunden haben. Solche Beteiligungsrechte können als institutionalisierte Formen der Bürgerbeteiligung bezeichnet werden. Neuere, gesetzlich bisher nicht geregelte Formen der Bürgerbeteiligung53, wie beispielsweise der Bürgerhaushalt54, Bürgerinitiativen, Bürgerforen, Bürgerwerkstätten, Planungszellen, Bürgerpanel, Anwaltsplanung oder Agenda 21, sind damit nicht Gegenstand der folgenden Erörterung. Aufgrund einer fortschreitenden Demokratisierung von Staat und Gesellschaft insbesondere auf kommunaler Ebene vollzieht sich die bürgerschaftliche Mitwirkung immer häufiger auch in Formen außerhalb der gesetzlich verankerten Beteiligungsrechte.55 Diese Formen der Bürgerbeteiligung werden häufig in Abgrenzung zu den gesetzlich geregelten Beteiligungsrechten als sog. Beteiligungsmöglichkeiten bezeichnet. Bei diesen Beteiligungsmöglichkeiten geht es im Unterschied zu den Beteiligungsrechten nicht um eine entscheidungsvorbereitende Kommunikation, sondern vielmehr um die Herstellung einer kommunikativen Ebene zwischen der Bürger- bzw. Einwohnerschaft und einer Gemeinde.56
IV. Letztentscheidungsrechte Letztentscheidungsrechte zeichnet aus, dass die Bürger bzw. Einwohner bei der Durchführung dieser nicht lediglich an einem Entscheidungsprozess mitwirken, sondern anstelle der eigentlich für die Entscheidung zuständigen Vertretungskörperschaft die Entscheidung treffen.57 Wegen dieses Charakteristikums ist in der Literatur in diesem Zusammenhang häufig von „echten“ Formen der unmittelbaren Demokratie die Rede.58 Durch das Recht, eine Letztentscheidung zu treffen, wird den Bürgern die unmittelbare Teilnahme an der staatlichen Entscheidungsgewalt ermöglicht.59 Zu den Letztentscheidungsrechten gehören das Bürgerbegehren, der Bürgerentscheid, das Ratsbegehren sowie das in praktischer Hinsicht eher zu vernachlässigende Instrument der Gemeindeversammlung. Das 53
Vgl. hierzu auch die Ausführungen bei Detjen, Demokratie in der Gemeinde, S. 177 ff. 54 Vgl. hierzu nur Lange, Plebiszitäre Budgetverantwortung; Thormann, DÖV 2013, 325 ff.; Hellermann, DVBl. 2011, 1195 ff. 55 Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 595a. 56 Vgl. zur begrifflichen Unterscheidung zwischen Beteiligungsrechten und Beteiligungsmöglichkeiten Detjen, Demokratie in der Gemeinde, S. 57. 57 von Mutius, Kommunalrecht, Rn. 614, bezeichnet diese Rechte missverständlich als unmittelbare Mitwirkungsrechte. 58 Detjen, Demokratie in der Gemeinde, S. 51; Karr, Institutionen direkter Demokratie, S. 28. 59 Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 13.
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3. Teil: Bürgerbefragung im System kommunaler Beteiligungsrechte
Instrument des Bürgerbegehrens und das Instrument des Ratsbegehrens werden im Rahmen dieser Arbeit als Letztentscheidungsrechte betrachtet, da diese auf die Herbeiführung einer Letztentscheidung gerichtet sind. Letztentscheidungsrechte existieren lediglich als institutionalisierte Beteiligungsrechte. Eine von einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft ohne einfachgesetzliche Grundlage initiierte Beteiligung der Bürger, die sich auf eine Letztentscheidung richtet, ist unzulässig. Da die Einflussmöglichkeiten dieser Beteiligungsformen sehr weitreichend sind, haben die Gesetzgeber die Anforderungen an die Durchführung dieser Instrumente entsprechend strenger und ausführlicher geregelt, als dies bei bloßen Mitwirkungsrechten der Fall ist.60 1. Bürgerbegehren Das Instrument des Bürgerbegehrens bezeichnet einen Antrag der Bürgerschaft auf Durchführung eines Bürgerentscheids.61 Mit einem Bürgerbegehren wird damit in der jeweiligen Angelegenheit noch keine verbindliche Entscheidung getroffen. Vielmehr stellt das Bürgerbegehren ein notwendiges Zwischenziel für die Durchführung eines Bürgerentscheids dar.62 Die zulässigen Gegenstände eines Bürgerbegehrens entsprechen damit denen eines Bürgerentscheids. Ein Bürgerbegehren muss schriftlich eingereicht werden.63 Erforderlich ist dabei, dass das Bürgerbegehren die zur Entscheidung zu bringende Frage und überdies auch eine Begründung enthält.64 Ein Bürgerbegehren ist weiterhin nur dann zulässig, wenn die jeweilige Frage mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden kann65 und zugleich 60
Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 18. § 21 Abs. 3 S. 1 BWGO; Art. 18a Abs. 1 BayGO; § 15 Abs. 1 S. 1 BbgKVerf; § 8b Abs. 1 HGO; § 20 Abs. 4 S. 1 MVKVerf; § 32 Abs. 1 NKomVG; § 26 Abs. 1 S. 1 NWGO; § 17a Abs. 1 S. 1 RhPfGO; § 21a Abs. 1 S. 1 SaarlKSVG; § 25 Abs. 1 S. 1 SächsGO; § 25 Abs. 1 S. 1 LSAGO; § 16g Abs. 3 S. 1 SHGO; § 17 Abs. 1 S. 1 ThürKO. 62 Darüber hinaus besteht in einigen Bundesländern auch die Möglichkeit, dass ein Bürgerentscheid durch eine Entscheidung der Vertretungskörperschaft herbeigeführt wird; siehe hierzu 3. Teil § 2 IV. 3. 63 § 21 Abs. 3 S. 3 Hs. 1 BWGO; Art. 18a Abs. 4, 5 BayGO; § 15 Abs. 1 S. 2 BbgKVerf; § 8b Abs. 3 S. 1 Hs. 1 HessGO; § 20 Abs. 5 S. 1 MVKVerf; § 32 Abs. 3 S. 4, Abs. 5 S. 1 NKomVG; § 26 Abs. 2 S. 1 NWGO; § 17a Abs. 3 S. 1 Hs. 1 RhPfGO; § 21a Abs. 2 S. 1 Hs. 1 SaarlKSVG; § 25 Abs. 1 S. 1 SächsGO; § 25 Abs. 2 S. 1 LSAGO; § 16g Abs. 3 S. 2 SHGO; § 17 Abs. 3 S. 1 ThürKO (in Thüringen besteht die Besonderheit, dass vor Einreichung des Bürgerbegehrens ein gesonderten Zulassungsantrag gestellt werden muss, § 17 Abs. 3 S. 9 ThürKO). 64 § 21 Abs. 3 S. 4 BWGO; Art. 18a Abs. 4 S. 1 BayGO; § 15 Abs. 1 S. 4 BbgKVerf; § 8b Abs. 3 S. 2 HessGO; § 20 Abs. 5 S. 1 MVKVerf; § 32 Abs. 3 S. 2 NKomVG; § 26 Abs. 2 S. 1 NWGO; § 17a Abs. 3 S. 2 RhPfGO; § 21a Abs. 2 S. 2 SaarlKSVG; § 25 Abs. 2 S. 1 SächsGO; § 25 Abs. 2 S. 4 LSAGO; § 16g Abs. 3 S. 2 SHGO; § 17 Abs. 3 S. 4 Hs. 1, § 17a Abs. 2 S. 1, § 17b Abs. 2 S. 1 ThürKO. 65 § 53 Abs. 3 i.V. m. § 52 Abs. 2 S. 2 BWKWO; Art. 18a Abs. 4 S. 1 BayGO; § 15 Abs. 4 S. 1 BbgKVerf; § 55 Abs. 3 HessKWG; § 14 Abs. 1 S. 1 MVKV-DVO; § 32 Abs. 3 S. 1 NKomVG; § 26 Abs. 7 S. 1 NWGO; § 17a Abs. 3 S. 2 RhPfGO; § 21a 61
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hinreichend bestimmt formuliert ist.66 In allen Bundesländern mit Ausnahme von Bayern und Nordrhein-Westfalen ist darüber hinaus auch die Einreichung eines sog. Kostendeckungsvorschlags erforderlich.67 Im Rahmen der Durchführung von Bürgerbegehren ist zwischen solchen zu unterscheiden, die sich gegen den Beschluss einer Vertretungskörperschaft richten (sog. kassatorische Bürgerbegehren) und solchen, mit denen die Initiative zu neuen Entscheidungen ergriffen wird (sog. initiierende Bürgerbegehren).68 Diese Unterscheidung ist insoweit von rechtlicher Bedeutung, als dass kassatorische Bürgerbegehren außer in Bayern sowie in Schleswig-Holstein von den Initiatoren innerhalb einer relativ kurzen Frist einzureichen sind.69 Ein Bürgerbegehren muss, um zulässig zu sein, ein bestimmtes Unterschriftenquorum erreichen und damit von einer bestimmten Anzahl von Bürgern einer Gemeinde unterzeichnet werden. Einwohner einer Gemeinde zählen damit nicht zum potentiellen Unterstützerkreis eines Bürgerbegehrens. Der Grund hierfür liegt darin, dass der mit dem Bürgerbegehren angestrebte Bürgerentscheid dem Beschluss einer Vertretungskörperschaft gleichsteht und lediglich Bürger, nicht jedoch auch Einwohner, zur Wahl der Vertretungskörperschaft berechtigt sind.70 Das jeweils erforderliche Quorum an Unterschriften ist abhängig von der Ausgestaltung der jeweiligen Kommunalverfassung und liegt zwischen 2 und 15 Prozent der Bürger einer Gemeinde.71 Die Entscheidung über die Zulässigkeit eines
Abs. 2 S. 2 SaarlKSVG; § 25 Abs. 2 S. 1 SächsGO; § 25 Abs. 2 S. 3 LSAGO; § 17 Abs. 3 S. 6 ThürKO. 66 Vgl. hierzu VGH Mannheim, Urteil vom 13.04.1993 – 1 S 1076/92 –, NVwZ-RR 1994, 110, 110; OVG Lüneburg, Beschluss vom 11.08.2008 – 10 ME 204/08 –, Rn. 22 (zitiert nach juris). 67 § 21 Abs. 3 S. 4 BWGO; § 15 Abs. 1 S. 4 BbgKVerf; § 8b Abs. 3 S. 2 HessGO; § 20 Abs. 5 S. 1 MVKVerf; § 32 Abs. 3 S. 2 NKomVG; § 26 Abs. 2 S. 5 NWGO; § 17a Abs. 3 S. 2 RhPfGO; § 21a Abs. 2 S. 2 SaarlKSVG; § 25 Abs. 2 S. 2 SächsGO; § 25 Abs. 2 S. 4 LSAGO; § 16g Abs. 3 S. 2 SHGO; § 17 Abs. 3 S. 4 Hs. 2, § 17a Abs. 2 S. 1, § 17b Abs. 2 S. 1 ThürKO. 68 Vgl. zu den Begrifflichkeiten nur Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 150 ff.; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 52 ff.; von Danwitz, DVBl. 1996, 134, 136. 69 § 21 Abs. 3 S. 3 GOBW; § 15 Abs. 1 S. 3 BbgKVerf; § 8b Abs. 3 S. 1 Hs. 2 HessGO; § 20 Abs. 4 S. 2 MVKVerf; § 32 Abs. 5 S. 5 NKomVG, § 26 Abs. 3 S. 1 NWGO; § 17 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 RhPfGO; § 21a Abs. 2 S. 1 Hs. 2 SaarlKSVG; § 25 Abs. 3 S. 3 SächsGO; § 25 Abs. 2 S. 5 LSAGO; § 17 Abs. 3 S. 3 ThürKO; vgl. hierzu auch Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 54 (dort Fn. 170). 70 Schmidt, Kommunalrecht, Rn. 592. 71 § 21 Abs. 3 S. 5 BWGO; Art. 18a Abs. 6 BayGO; § 15 Abs. 1 S. 5 BbgKVerf; § 8b Abs. 3 S. 3 HessGO; § 20 Abs. 5 S. 3 MVKVerf; § 32 Abs. 4 S. 1 NKomVG; § 26 Abs. 4 S. 1 NWGO; § 17a Abs. 3 S. 3 RhPfGO; § 21a Abs. 3 SaarlKSVG; § 25 Abs. 1 S. 1 SächsGO; § 25 Abs. 3 LSAGO; § 16g Abs. 4 SHGO; § 17a Abs. 1, § 17b Abs. 1 ThürKO.
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3. Teil: Bürgerbefragung im System kommunaler Beteiligungsrechte
Bürgerbegehrens steht je nach Bundesland der Vertretungskörperschaft72, dem Hauptausschuss73 oder der Kommunalaufsichtsbehörde74 zu. Um zu vermeiden, dass eine Vertretungskörperschaft im Zeitraum bis zur Durchführung eines Bürgerentscheids Entscheidungen trifft, die der Angelegenheit des Begehrens zuwiderlaufen, sehen einige Kommunalverfassungen entsprechende Sperrwirkungen vor. Danach darf die jeweilige Vertretungskörperschaft bis zur Durchführung des Bürgerentscheids keine entgegenstehenden Entscheidungen mehr treffen und entsprechende Handlungen vornehmen.75 2. Bürgerentscheid Wird ein Bürgerbegehren für zulässig erklärt und kommt die jeweilige Vertretungskörperschaft dem Verlangen des Begehrens nicht nach76, wird ein Bürgerentscheid durchgeführt. Bei einem Bürgerentscheid treffen die Bürger anstelle einer Vertretungskörperschaft selbst die Entscheidung über eine zur Abstimmung gestellte Angelegenheit. Ein Bürgerentscheid ist dann erfolgreich, wenn die Mehrheit der Abstimmungsberechtigten mit „Ja“ gestimmt hat und die jeweils nach Landesrecht erforderliche Mindestbeteiligung erreicht oder überschritten wurde.77 Dem Ergebnis eines Bürgerentscheids kommt in diesem Fall Entscheidungskraft zu, da das Ergebnis eines Bürgerentscheids dem Beschluss einer Vertretungskörperschaft gleichsteht.78 Das Ergebnis eines Bürgerentscheids ist damit für die jeweilige Vertretungskörperschaft verbindlich. Durch das Instrument des Bürgerentscheids wird damit ein „zweiter, paralleler kommunaler Entscheidungsweg“ eröffnet.79 Der Bürgerentscheid stellt damit das „schärfste Schwert“ 80 bzw. 72 § 21 Abs. 4 S. 1 BWGO; Art. 18a Abs. 8 S. 1 BayGO; § 15 Abs. 2 S. 1 BbgKVerf; § 8b Abs. 4 S. 2 HessGO; § 20 Abs. 5 S. 4 MVKVerf; § 26 Abs. 6 S. 1 NWGO; § 17a Abs. 4 S. 2 RhPfGO; § 21a Abs. 5 S. 1 SaarlKSVG; § 25 Abs. 4 S. 1 SächsGO; § 25 Abs. 4 S. 1 LSAGO; § 17 Abs. 4 S. 1, 3 ThürKO. 73 § 32 Abs. 7 S. 1 NKomVG. 74 § 16g Abs. 5 S. 1 SHGO. 75 Art. 18a Abs. 9 BayGO; § 15 Abs. 2 S. 5 BbgKVerf; § 26 Abs. 6 S. 5 NWGO; § 25 Abs. 4 S. 5 SächsGO; § 25 Abs. 5 LSAGO; § 16g Abs. 5 S. 2 SHGO; § 17 Abs. 5 S. 1 ThürKO. 76 Die Möglichkeit hierzu regeln § 21 Abs. 4 S. 2 BWGO; § 8b Abs. 4 S. 2 HessGO; § 32 Abs. 6 S. 1 NKomVG; § 20 Abs. 5 S. 6 MVKVerf; § 18 Abs. 5 RhPfGO; § 21 Abs. 5 S. 1 SaarlKSVG; § 25 Abs. 4 S. 4 LSAGO; § 16g Abs. 5 S. 2 SHGO. 77 § 21 Abs. 6 BWGO; Art. 18a Abs. 12 BayGO; § 15 Abs. 4 S. 2 BbgKVerf; § 8b Abs. 6 HessGO; § 20 Abs. 6 MVKVerf; § 33 Abs. 3 S. 3 NKomVG; § 26 Abs. 7 S. 2 NWGO; § 17a Abs. 7 RhPfGO; § 21a Abs. 6 SaarlKSVG; § 24 Abs. 3 SächsGO; § 26 Abs. 4 LSAGO; § 16g Abs. 7 SHGO; § 17 Abs. 6 S. 4 ThürKO. 78 So ausdrücklich § 21 Abs. 7 S. 1 BWGO; Art. 18a Abs. 13 S. 1 BayGO; § 15 Abs. 5 S. 1 BbgKVerf; § 8b Abs. 7 S. 1 HessGO; § 33 Abs. 4 S. 1 NKomVG; § 17a Abs. 8 S. 1 RhPfGO; § 21a Abs. 7 S. 1 SaarlKSVG; § 24 Abs. 4 S. 1 SächsGO; § 26 Abs. 4 S. 1 LSAGO; § 17g Abs. 8 S. 1 SHGO; § 17 Abs. 8 S. 2 ThürKO. 79 Schmidt, Kommunalrecht, Rn. 591. 80 Deubert, Direkte Demokratie, S. 28.
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die „effektivste Form“ 81 der Bürgerbeteiligung dar, das bzw. die den Bürgern durch die Kommunalverfassungen an die Hand gegeben wird. Bürgerentscheide können nur in Bezug auf solche Angelegenheiten durchgeführt werden, in denen der Gemeinde die Verbandskompetenz zusteht und damit nur in Angelegenheiten der Gemeinde.82 Sofern eine Kommunalverfassung zwischen dem eigenen und dem übertragenen Wirkungskreis einer Gemeinde unterscheidet, sehen gesetzliche Regelungen eine Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs auf Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises vor.83 Unter denjenigen Bundesländern, die diesem Verständnis nicht folgen, sehen Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen und Sachsen ausdrückliche Regelungen vor, wonach Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung nicht Gegenstand eines Bürgerentscheids sein können.84 Lediglich Nordrhein-Westfalen und SchleswigHolstein verzichten auf eine solche Regelung. So man Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung als Selbstverwaltungsaufgaben betrachtet85, ist in diesen Bundesländern die Durchführung eines Bürgerentscheids auch zu solchen Angelegenheiten zulässig.86 Weiterhin darf ein Bürgerentscheid nur zu solchen Angelegenheiten durchgeführt werden, die in die Organkompetenz einer Vertretungskörperschaft fallen.87 Damit kommt die Durchführung eines Bürgerentscheids in Bezug auf solche Angelegenheiten nicht in Betracht, die von Gesetzes wegen dem Verwaltungsorgan vorbehalten sind.88 Darüber hinaus schränken einige Kommunalverfassungen den sachlichen Anwendungsbereich auf wichtige Angelegenheiten ein89, wobei in Sachsen-Anhalt sogar ein Positivkatalog mit wichti81 Knemeyer, in: Ziemske/Langheid/Wilms/Haverkate, Festschrift für Martin Kriele, S. 1141, 1147. 82 § 21 Abs. 3 S. 1 BWGO; Art. 18a Abs. 1 S. 1 BayGO; § 15 Abs. 1 S. 1 BbgKVerf; § 8b Abs. 1 HessGO; § 20 Abs. 1 S. 1 MVKVerf; § 32 Abs. 1 NKomVG; § 26 Abs. 1 S. 1 NWGO; § 17a Abs. 1 S. 1 RhPfGO; § 21a Abs. 1 S. 1 SaarlKSVG; § 24 Abs. 1 S. 1 SächsGO; § 25 Abs. 1 LSAGO; § 16g Abs. 1 SHGO; § 17 Abs. 1 S. 1 ThürKO. 83 Art. 18a Abs. 1 BayGO; § 20 Abs. 1 S. 1 MVKVerf; § 32 Abs. 2 S. 1 NKomVG; § 17a Abs. 2 Nr. 1 i.V. m. § 47 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 RhPfGO; § 21a Abs. 4 Nr. 8 i.V. m. § 34 SaarlKSVG; § 26 Abs. 3 Nr. 1 LSAGO; § 17 Abs. 1 S. 1 ThürKO. 84 § 21 Abs. 2 Nr. 1 BWGO; § 15 Abs. 3 Nr. 1 BbgKVerf; § 8b Abs. 2 Nr. 1 HessGO; § 24 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 SächsGO. 85 Siehe hierzu 5. Teil § 6 I. 2. 86 So auch Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 79. 87 § 21 Abs. 1 BWGO; Art. 18a Abs. 13 S. 1 BayGO; Art. 15 Abs. 1 S. 1 BbgKVerf; § 8b Abs. 7 S. 1 HessGO; § 20 Abs. 1 S. 1 MVKVerf; § 32 Abs. 2 S. 1, § 33 Abs. 4 S. 1 NKomVG; § 26 Abs. 1 S. 1, Abs. 8 S. 1 NWGO; § 17a Abs. 8 S. 1 RhPfGO; § 21a Abs. 1 S. 1 SaarlKSVG; § 24 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 S. 1 SächsGO; § 26 Abs. 4 S. 1 LSAGO; § 17 Abs. 8 S. 2 ThürKO. 88 So ausdrücklich § 21 Abs. 2 Nr. 1 BWGO; Art. 18a Abs. 3 BayGO; § 8b Abs. 2 Nr. 1 HessGO; § 17a Abs. 2 Nr. 1 RhPfGO; § 21a Abs. 4 Nr. 8 SaarlKSVG; § 26 Abs. 3 Nr. 1 LSAGO, § 17 Abs. 2 Nr. 1 ThürKO. 89 § 8b Abs. 1 HessGO; § 20 Abs. 1 S. 1 MVKVerf; § 25 Abs. 1 S. 1, § 26 Abs. 1 LSAGO; § 16c Abs. 1, Abs. 3 S. 1 SHGO; § 17 Abs. 1 S. 1 ThürKO.
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3. Teil: Bürgerbefragung im System kommunaler Beteiligungsrechte
gen Angelegenheiten geregelt ist90. Weiterhin finden sich in allen Kommunalverfassungen sog. Negativkataloge, in denen Angelegenheiten aufgezählt werden, über die ein Bürgerentscheid nicht durchgeführt werden darf.91 3. Ratsbegehren In vielen Bundesländern kann ein Bürgerentscheid nicht lediglich über den Weg eines Bürgerbegehrens, sondern vielmehr auch durch einen entsprechenden Beschluss einer Vertretungskörperschaft herbeigeführt werden.92 Mit Ausnahme der gesetzlichen Regelungen in Nordrhein-Westfalen („Ratsbürgerentscheid“ 93) sowie in Mecklenburg Vorpommern („Vertreterbegehren“ 94) sehen die Kommunalverfassungen keine Bezeichnung dieses Verfahrens vor. Demgegenüber wird in der Literatur in diesem Zusammenhang vereinzelt von einem „Ratsbürgerentscheid“ 95 oder einem „Ratsreferendum“ 96, überwiegend jedoch von einem „Ratsbegehren“ 97 gesprochen. Im Rahmen dieser Arbeit soll dieser Vorgehensweise gefolgt werden und der Begriff des Ratsbegehrens Verwendung finden. Entsprechend der rechtlichen Situation im Rahmen der Durchführung eines Bürgerbegehrens bedarf auch ein Ratsbegehren einer schriftlichen Vorlage, aus 90
§ 26 Abs. 2 LSAGO. § 21 Abs. 2 BWGO; Art. 18a Abs. 3 BayGO; § 15 Abs. 3 BbgKVerf; § 8b Abs. 2 HessGO; § 20 Abs. 2 MVKVerf; § 32 Abs. 2 S. 2 NKomVG; § 26 Abs. 5 S. 1 NWGO; § 17a Abs. 2 RhPfGO; § 21a Abs. 4 SaarlKSVG; § 24 Abs. 2 S. 2 SächsGO; § 26 Abs. 3 LSAGO; § 16g Abs. 2 SHGO; § 17 Abs. 2 ThürKO; vgl. hierzu auch die ausführlichen Darstellungen bei Wessels, Rechtliche Beurteilung der Ausnahmetatbestände, S. 225 ff.; Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 200 ff.; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 85 ff.; Karr, Institutionen direkter Demokratie, S. 190 ff.; Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 55 ff.; Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 186 ff.; Leukart, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 118 ff.; Gebhardt, Direkter Demokratie, S. 198 ff.; Pröckl, Die unmittelbare Beteiligung der Bürger, S. 102 ff. 92 § 21 Abs. 1 BWGO; Art. 18a Abs. 2 BayGO; § 20 Abs. 3 S. 1 MVKVerf; § 26 Abs. 1 S. 2 NWGO; § 17a Abs. 1 S. 2 RhPfGO; § 21a Abs. 1 S. 2 SaarlKSVG; § 24 Abs. 1 SächsGO; § 26 Abs. 1 LSAGO; § 16g Abs. 1 SHGO; in Brandenburg besteht die Besonderheit, dass ein von der Vertretungskörperschaft initiierter Bürgerentscheid lediglich für die Entscheidung über einen Gemeindezusammenschluss (§ 6 Abs. 5 BbgKVerf) sowie zur Änderung eines Bürgerentscheids innerhalb der Sperrfrist von zwei Jahren (§ 15 Abs. 5 S. 2 BbgKVerf) möglich ist. Eine solche Regelung gilt nach § 33 Abs. 4 S. 2 NKomVG auch in Niedersachsen. 93 Vgl. die Legaldefinition in § 26 Abs. 1 S. 2 NWGO. 94 Vgl. die Legaldefinition in § 20 Abs. 3 S. 1 MVKVerf. 95 Hellermann, DVBl. 2011, 1195, 1197; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 130. 96 Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, Rn. 224; Knemeyer, in: Ziemske/Langheid/Wilms/Haverkate, Festschrift Kriele, S. 1141, 1148; Engelken, DÖV 2000, 881, 886. 97 Vgl. nur Ossenbühl, in: Seiler, Festschrift Rommel, S. 247, 250 (dort Fn. 9); Burckhardt, Die rechtliche Ordnung, S. 65; Rehmet/Weber/Pavlovic, in: Schiller, Direkte Demokratie, S. 118. 91
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der die zur Entscheidung zu bringende Fragestellung entnommen werden kann.98 Die Angelegenheiten, die einem Ratsbegehren zugänglich sind, entsprechen denen eines Bürgerentscheids. Abhängig von der jeweiligen landesrechtlichen Ausgestaltung muss das Ratsbegehren entweder mit einer einfachen99 oder aber mit einer qualifizierten Mehrheit in Form einer Zweidrittelmehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl100 oder auch einer Mehrheit der Mitglieder einer Vertretungskörperschaft101 beschlossen werden. Sofern gegen das Instrument des Ratsbegehrens vereinzelt von Seiten der Literatur verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht wurden102, vermögen diese im Ergebnis nicht zu überzeugen. Sofern die Landesgesetzgeber durch die Ausgestaltung der Kommunalverfassungen bereits eine Übertragung der Entscheidungskompetenz auf die Bürgerschaft mittels eines zulässigen Bürgerbegehrens erlauben, sind keine Gründe dafür ersichtlich, warum nicht auch eine Vertretungskörperschaft selber einen auf eine bestimmte Angelegenheit beschränkten Verzicht auf ihre Entscheidungsbefugnis beschließen darf.103 4. Gemeindeversammlung Eine weitere Form der Bürgerbeteiligung, bei der die Bürgerschaft eine verbindliche Letztentscheidung trifft, stellt die Gemeindeversammlung dar. Normativer Anknüpfungspunkt dieses Instruments ist Art. 28 Absatz 1 Satz 4 GG, wonach in Gemeinden an die Stelle einer gewählten Vertretungskörperschaft die Gemeindeversammlung treten kann. Das entscheidende Charakteristikum einer Gemeindeversammlung ist, dass eine aus allen Bürgern einer Gemeinde bestehende Versammlung an die Stelle der eigentlichen Vertretungskörperschaft tritt und diese damit ersetzt. Bei dem Instrument des Bürgerentscheids treffen zwar auch die Bürger anstelle einer Vertretungskörperschaft eine Letztentscheidung, dies jedoch nur in Bezug auf eine bestimmte Angelegenheit und damit nicht fortwährend. Das Instrument der Gemeindeversammlung wird daher zu Recht als „ursprünglichste Form unmittelbarer Demokratie“ 104 bzw. als die „Maximalfigur auf einer Skala unterschiedlich intensiver Beteiligungsformen“ 105 bezeichnet. 98 Eine diesbezügliche Regelung findet sich lediglich in § 20 Abs. 3 S. 2 MVKVerf sowie in § 26 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 1 NWGO; vgl. auch Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 130. 99 Art. 18a Abs. 2 BayGO; § 15 Abs. 5 S. 2 BbgKVerf; § 33 Abs. 4 S. 2 NKomVG; § 17a Abs. 1 S. 2 RhPfGO; § 21a Abs. 1 S. 2 SaarlKSVG. 100 § 21 Abs. 1 BWGO; § 26 Abs. 1 S. 2 NWGO; § 24 Abs. 1 SächsGO; § 26 Abs. 1 LSAGO. 101 § 20 Abs. 3 S. 1 MVKVerf; § 16g Abs. 1 SHGO. 102 von Mutius, Gutachten E zum 53. Deutschen Juristentag 1980, S. 226; vgl. auch Hendler, Der Landkreis 1995, 321, 324. 103 Vgl. hierzu Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 114 f. 104 Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 12. 105 Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, § 6 Rn. 127.
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Ungeachtet dieser grundsätzlichen partizipatorischen Bedeutung des Instruments der Gemeindeversammlung kommt diesem keine praktische Relevanz mehr zu.106 Das liegt zunächst daran, dass eine einfachgesetzliche Regelung zur Gemeindesversammlung gegenwärtig lediglich in der schleswig-holsteinischen Kommunalverfassung besteht.107 Diese gesetzliche Regelung betrifft jedoch nur Gemeinden, die weniger als 70 Einwohner haben. Bei derart kleinen Gemeinden kommt die Wahl einer Vertretungskörperschaft nicht in Betracht, da der hierfür erforderliche Verwaltungsaufwand nicht in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit ihr verbundenen Nutzen steht.108 Jedoch ist auch in Schleswig-Holstein die Vorschrift zur Gemeindeversammlung nahezu bedeutungslos, da einhergehend mit den verschiedenen Gebietsreformen eine Vergrößerung vieler Gemeinden erfolgte und es dadurch kaum noch Gemeinden gibt, für die die entsprechende Regelung überhaupt einschlägig ist.109
V. Mitwirkungsrechte Diejenigen Formen der Bürgerbeteiligung, bei denen es lediglich um die Ausübung von Mitwirkungsrechten geht, werden in der Literatur teilweise auch als „unechte“ Formen unmittelbarer Demokratie bezeichnet.110 „Unecht“ sind diese Formen der unmittelbaren Demokratie deshalb, weil bei diesen Formen die Letztentscheidungsbefugnisse in den Händen der jeweiligen Vertretungskörperschaft bleiben und nicht auf die Bürger übertragen werden.111 Es geht somit nicht um Entscheidungsrechte, sondern um bloße Mitwirkungs- und Beratungsrechte im Vorfeld der eigentlichen Entscheidung.112 Bei diesen Formen der Bürgerbeteiligung steht damit das Recht der Teilhabe am Prozess der Entscheidungsfin-
106 Hennecke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Art. 28 Rn. 39; Dreier, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 84; Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 12; von Mutius, Gutachten E zum 53. Deutschen Juristentag 1980, S. 213; Waechter, Kommunalrecht, Rn. 279b. 107 § 54 SHGO; das betont auch Hömig, in: Hömig, GG Art. 28 Rn. 7; a. A. insoweit Hellermann, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 28 Rn. 19; Dreier, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 84. 108 Vgl. Tettinger/Schwarz, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 117. 109 Nierhaus, in: Sachs, GG, Art. 28 Rn. 23; Hennecke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art.28 Rn. 39; Knemeyer, Bürgerbeteiligung, S. 45; Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 12; von Mutius, Gutachten E zum 53. Deutschen Juristentag 1980, S. 213. 110 v. Arnim, DÖV 1990, 85, 88; Kost, Direkte Demokratie, S. 38; Kost, in: Kost/ Wehling, Kommunalpolitik, S. 390; Koch, in: Ipsen, NKomVG, Vorb. Zu §§ 31–35 Rn. 2; Woellner, in: Muth, Potsdamer Kommentar, BbgKVerf, § 13 Rn. 1. 111 v. Arnim, DÖV 1990, 85, 88; Kost, Direkte Demokratie, S. 38; Kost, in: Kost/ Wehling, Kommunalpolitik, S. 390. 112 Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 13.
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dung113 bzw. die „direkte, öffentliche, entscheidungsvorbereitende Kommunikation“ 114 im Vordergrund. 1. Bürger- bzw. Einwohnerantrag In allen Bundesländern mit Ausnahme von Hessen hat das Instrument des Bürger-115 bzw. Einwohnerantrags116 eine einfachgesetzliche Regelung erfahren. Dieses Instrument stellt innerhalb der gemeindlichen Mitwirkungsrechte dasjenige mit der weitgehendsten Einflussmöglichkeit der Bürger bzw. Einwohner dar.117 Durch dieses Instrument können die Bürger bzw. Einwohner eine Vertretungskörperschaft und teilweise auch andere Gemeindeorgane verpflichten, innerhalb einer bestimmten Frist in einer öffentlichen Sitzung eine Beratung über die im Antrag bezeichnete gemeindliche Angelegenheit abzuhalten.118 Auf diese Weise kann von Seiten der Bürger- bzw. Einwohnerschaft zumindest erreicht werden, dass eine bestimmte Angelegenheit auf die Tagesordnung einer Sitzung der Vertretungskörperschaft gesetzt wird.119 Einige Kommunalverfassungen verpflichten darüber hinaus eine Vertretungskörperschaft auch dazu, eine Entscheidung in der jeweiligen Angelegenheit zu treffen.120 Eine Vertretungskörperschaft ist dabei jedoch nicht an den Antrag gebunden, sondern kann vielmehr unabhängig vom Antrag entscheiden.121 Die Bürger- bzw. Einwohnerschaft greift damit in keiner Form in die Entscheidungsverantwortung einer Vertretungskörperschaft ein. Die Entscheidungsverantwortung und damit die Frage des „Wie“ der Entscheidung verbleiben stets in vollem Umfang bei einer Vertretungskörperschaft. Das Instrument des Bürger- bzw. Einwohnerantrags gewährt den Bürgern bzw. Einwohnern damit keine Mitentscheidungsrechte122 und wird aus diesem Grund zur besseren Veranschaulichung teilweise auch als „Bürgerbegehren auf Ratsbefassung und/oder Ratsentscheid“ 123 bezeichnet. Diese Form der Bürgerbeteili-
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Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 16. Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 55. 115 § 20b BWGO; Art. 18b BayGO. 116 § 14 BbgKVerf; § 18 MVKVerf; § 31 NKomVG; § 25 NWGO; § 17 RhPfGO; § 21 SaarlKSVG; § 23 SächsGO; § 24 LSAGO; § 16f SHGO; § 16 ThürKO. 117 Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 14. 118 § 20b Abs. 3 S. 2 BWGO; Art. 18b Abs. 5 BayGO; § 14 Abs. 7 S. 1 BbgKVerf; § 14 Abs. 3 MVKVerf; § 31 Abs. 5 S. NKomVG; § 25 Abs. 7 S. 2 NWGO; § 17 Abs. 6 S. 3 RhPfGO; § 21 Abs. 1 SaarlKSVG; § 23 S. 1 SächsGO; § 24 Abs. 1 S. 1 LSAGO; § 16f Abs. 1 SHGO; § 16 Abs. 1 ThürKO. 119 Schmidt, Kommunalrecht, Rn. 590. 120 § 14 Abs. 7 S. 1 BbgKVerf; § 25 Abs. 7 S. 2 NWGO; § 17 Abs. 6 S. 3 1 RhPfGO; § 21 Abs. 1 SaarlKSVG; § 16f Abs. 1 SHGO; § 16 Abs. 1 ThürKO. 121 Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 128. 122 Müller-Rubisch, ZParl 1991, 210, 213. 123 Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 128. 114
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3. Teil: Bürgerbefragung im System kommunaler Beteiligungsrechte
gung eröffnet den Bürgern bzw. Einwohnern die Möglichkeit, Einfluss auf die Arbeit einer Vertretungskörperschaft zu nehmen.124 Die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Bürger- bzw. Einwohnerantrags unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland. Die wohl wichtigste Zulässigkeitsvoraussetzung muss in der Mindestanzahl der für einen Bürger- bzw. Einwohnerantrag erforderlichen Unterschriften gesehen werden.125 Überdies wird überwiegend geregelt, dass in der jeweiligen Angelegenheit innerhalb des letzten Jahres nicht bereits ein zulässiger Bürger- bzw. Einwohnerantrag gestellt worden sein darf.126 Teilweise wird abweichend hierzu auch geregelt, dass dem Antrag nicht entsprochen zu werden braucht, sofern dieselbe Angelegenheit innerhalb der laufenden Wahlzeit der Vertretungskörperschaft bereits Gegenstand eines zulässigen Einwohnerantrags gewesen ist.127 Über die Zulässigkeit eines Bürger- bzw. Einwohnerantrags entscheidet überwiegend die jeweilige Vertretungskörperschaft128, teilweise auch der Hauptausschuss129, der Bürgermeister130 oder die Kommunalaufsichtsbehörde. Lediglich in den Bundesländern, in denen mit Bürger- bzw. Einwohneranträgen neben der Vertretungskörperschaft auch andere gemeindliche Organe verpflichtet werden können, hat teilweise das jeweilige Organ die Zulässigkeitserklärung vorzunehmen.131 2. Bürger- bzw. Einwohnerversammlung Bei dem Instrument der Bürger-132 bzw. Einwohnerversammlung133 handelt es sich um eine Art beratende Zusammenkunft der Bürger bzw. Einwohner.134 Über124 Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 91, der das Instrument des Bürger- bzw. Einwohnerantrags sogar als „Mitentscheidungsmöglichkeit“ einordnet; Gramke, Praktizierte Bürgernähe, S. 27. 125 § 20b Abs. 2 S. 4 BWGO; Art. 18b Abs. 3 S. 1 BayGO; § 14 Abs. 3 BbgKVerf; § 18 Abs. 2 S. 2 MVKVerf; § 31 Abs. 2 S. 5 NKomVG; § 25 Abs. 3 NWGO; § 17 Abs. 3 RhPfGO; § 21 Abs. 2 S. 1 SaarlKSVG; § 23 S. 2 i.V. m. § 22 Abs. 2 S. 3 SächsGO; § 24 Abs. 4 LSAGO; § 16f Abs. 3 SHGO; § 16 Abs. 2 S. 2, 3 ThürKO. 126 § 20b Abs. 1 S. 2 BWGO; Art. 18b Abs. 1 S. 2 BayGO; § 14 Abs. 4 BbgKVerf; § 18 Abs. 1 S. 2 MVKVerf; § 31 Abs. 1 S. 3 NKomVG; § 25 Abs. 5 NWGO; § 14 Abs. 4 RhPfGO; § 24 Abs. 1 S. 3 LSAGO; § 16f Abs. 4 SHGO. 127 § 17 Abs. 1 S. 2 RhPfGO. 128 § 20b Abs. 3 S. 1 BWGO; § 14 Abs. 6 S. 2 BbgKVerf; § 18 Abs. 2 S. 3 MVKVerf; § 25 Abs. 7 S. 1 NWGO; § 17 Abs. 6 S. 1 RhPfGO; § 24 Abs. 5 S. 1 LSAGO; § 16f Abs. 5 S. 1 SHGO; § 16 Abs. 3 S. 1 ThürKO. 129 § 31 Abs. 5 S. 1 NKomVG. 130 § 21 Abs. 3 S. 1 SaarlKSVG. 131 Art. 18b Abs. 4 BayGO. 132 § 20a BWGO, Art. 18 BayGO, § 8a HessGO (§ 8a Abs. 2 S. 3 HessGO regelt jedoch, dass zu Bürgerversammlungen auch nichtwahlberechtigte Einwohner zugelassen werden können). 133 § 13 S. 2 BbgKVerf, § 16 Abs. 1 S. 2 MVKVerf; § 85 Abs. 5 S. 4 NKomVG; § 23 Abs. 2 S. 2 NWGO; § 16 RhPfGO, § 20 Abs. 1 S. 2 SaarlKSVG, § 22 SächsGO, § 27 Abs. 1 LSAGO; § 16b SHGO; § 15 Abs. 1 S. 2 ThürKO.
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wiegend regeln die Kommunalverfassungen daher, dass die Versammlung der Unterrichtung der Bürger bzw. Einwohner dient.135 Abweichend hiervon sehen einige Kommunalverfassungen den Zweck einer Versammlung auch in der Erörterung gemeindlicher Angelegenheiten.136 Inhaltlich dürften sich trotz dieser sprachlichen Differenzierungen keine Unterschiede ergeben. Der Bürger- bzw. Einwohnerschaft wird durch dieses Instrument ermöglicht, Angelegenheiten der Gemeinde „im wechselseitigen Informationsaustausch“ 137 gemeinsam mit Vertretern der Gemeinde zu erörtern und dadurch Einfluss auf den gemeindlichen Willensbildungsprozess zu nehmen.138 Aus Sicht einer Vertretungskörperschaft dient das Instrument der Kontaktpflege139 sowie als Informationsquelle in Bezug auf die Stimmungslage innerhalb der Bürger- bzw. Einwohnerschaft. Als Gegenstand einer Versammlung kommen lediglich (wichtige) Angelegenheiten der Gemeinde in Betracht.140 In Bezug auf die rechtlichen Anforderungen an die Durchführung einer Versammlung ähneln sich die Bestimmungen der Kommunalverfassungen stark, obgleich sie bei weitem nicht inhaltsgleich sind. Einige Kommunalverfassungen verzichten dabei gänzlich auf eine nähere gesetzliche Ausgestaltung des Instruments und belassen es vielmehr bei der Aussage, dass zum Zweck der Unterrichtung der Einwohner über allgemein bedeutsame Angelegenheiten der Gemeinde Einwohnerversammlungen abgehalten werden sollen141, können142 bzw. müssen143. Zuständig für die Einberufung einer Bürger- bzw. Einwohnerversammlung ist entweder die jeweilige Vertretungskörperschaft144, der Bürgermeister145 bzw. der Hauptverwaltungsbeamte146 oder der 134
Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 146; Püttner/Jacoby, in: Püttner, HKWP, Bd. II,
S. 28. 135 § 13 S. 1 BbgKVerf, § 8a Abs. 1 S. 1 HGO, § 16 Abs. 1 S. 1 MVKVerf; § 85 Abs. 5 S. 1 NKomVG; § 23 Abs. 2 S. 1 NWGO; § 16 Abs. 1 S. 1 RhPfGO; § 20 Abs. 1 S. 1 SaarlKSVG; § 15 Abs. 1 S. 1 ThürKO. 136 § 20a Abs. 1 S. 1 BWGO; Art. 18 Abs. 1 S. 1 BayGO; § 22 Abs. 1 S. 1 SächsGO; § 27 Abs. 1 S. 1 LSAGO, § 16b Abs. 1 S. 1 SHGO. 137 So ausdrücklich Gebhardt, Direkte Demokratie, S. 78. 138 Püttner/Jacoby, in: Püttner, HKWP, Bd. II, S. 28. 139 Deubert, Direkte Demokratie, S. 24; Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 14. 140 § 20a Abs. 1 S. 1 BWGO; Art. 18a Abs. 1 S. 1 BayGO; § 13 S. 1 BbgKVerf; § 8a Abs. 1 S. 1 HessGO; § 16 Abs. 1 S. 1 MVKVerf; § 85 Abs. 5 S. 1 NKomVG; § 23 Abs. 1 S. 1 NWGO; § 16 Abs. 1 S. 1 RhPfGO; § 20 Abs. 1 S. 1 SaarlKSVG; § 22 Abs. 1 S. 1 SächsGO; § 27 Abs. 1 S. 1 LSAGO; § 16b Abs. 1 S. 1 SHGO; § 15 Abs. 1 S. 1 ThürKO. 141 § 13 S. 2 BbgKVerf; § 16 Abs. 1 S. 2 MVKVerf; § 85 Abs. 5 S. 4 NKomVG. 142 § 23 Abs. 2 S. 2 NWGO; § 20 Abs. 1 S. 1 SaarlKSVG. 143 § 15 Abs. 1 S. 2 ThürKO. 144 § 20a Abs. 1 S. 1 BWGO; § 13 BbgKVerf; § 23 Abs. 2 S. 2 NWGO; § 22 Abs. 1 S. 2 SächsGO. 145 Art. 18 Abs. 1 S. 1 BayGO; § 16 Abs. 1 MVKVerf; § 16 Abs. 2 S. 1 RhPfGO; § 20 Abs. 1 SaarlKSVG; § 27 Abs. 1 S. 1 LSAGO; § 15 Abs. 1 S. 2 ThürKO. 146 § 85 Abs. 5 S. 4 NKomVG.
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3. Teil: Bürgerbefragung im System kommunaler Beteiligungsrechte
Vorsitzende der jeweiligen Vertretungskörperschaft147. Überwiegend enthalten die Kommunalverfassungen Regelungen, wonach eine Bürger- bzw. Einwohnerversammlung mindestens einmal im Jahr einzuberufen ist.148 In einigen Bundesländern ist darüber hinaus geregelt, dass auf Antrag einer bestimmen Anzahl von Bürgern bzw. Einwohnern die Vertretungskörperschaft bzw. der Bürgermeister verpflichtet ist, eine Bürgerversammlung anzuberaumen.149 Sofern das Recht zur Einberufung einer Bürger- bzw. Einwohnerversammlung nicht originär der Vertretungskörperschaft zufällt, enthalten diese Kommunalverfassungen jedoch Vorschriften, wonach eine Vertretungskörperschaft die unverzügliche Einberufung einer Einwohnerversammlung beschließen kann.150 Die Intensität der Einflussnahme der Bürger bzw. Einwohner durch die Versammlung ist abhängig vor der jeweiligen landesrechtlichen Ausgestaltung. Einige Länder stärken die Möglichkeit der Beteiligung der Bürger bzw. Einwohner dadurch, dass Vorschläge, Anregungen und Empfehlungen der Versammlung zwingend innerhalb einer bestimmten Frist von der Vertretungskörperschaft zu behandeln sind.151 Dadurch wird eine gewisse Einflussmöglichkeit der Versammlung auf den kommunalen Entscheidungsfindungsprozess garantiert.152 Eine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit der Vertretungskörperschaft durch eine Bindung an diese Vorschläge oder Empfehlungen erfolgt indes nicht. Im Unterschied zur Gemeindeversammlung besitzt die Bürger- bzw. Einwohnerversammlung keine „Beschlusskompetenz“, sondern hat vielmehr nur eine Art Mitberatungsfunktion.153 Dem „Ergebnis“ einer Bürger- bzw. Einwohnerversammlung kommt somit für eine Vertretungskörperschaft keine rechtliche Verbindlichkeit zu. Anzunehmen sein dürfte jedoch, dass eine nicht zu unterschätzende „politische-faktische“ Bindungswirkung von dem Ergebnis einer Bürger- bzw. Einwohnerversammlung ausgehen dürfte154 bzw. die in einer Bürger- bzw. Einwohnerversammlung getroffenen Empfehlungen ein „politisches Gewicht“ haben können.155
147 § 8a Abs. 2 S. 1 HessGO (im Benehmen mit dem Gemeindevorstand); § 16b Abs. 1 S. 3 SHGO. 148 § 20a Abs. 1 S. 2 GOBW; Art. 18 Abs. 1 S. 1 BayGO; § 8a Abs. 1 S. 1 HessGO; § 16 Abs. 1 S. 1 RhPfGO; § 22 Abs. 1 S. 2 SächsGO; § 27 Abs. 1 S. 1 LSAGO; § 15 Abs. 1 S. 2 ThürKO. 149 § 20a Abs. 2 BWGO; Art. 18 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BayGO; 22 Abs. 2, 3 SächsGO. 150 § 16 Abs. 1 S. 3 RhPfGO; § 27 Abs. 1 S. 1 LSAGO; § 16b Abs. 1 S. 1 SHGO. 151 § 20a Abs. 4 BWGO; Art. 18 Abs. 4 S. 1 BayGO; § 22 Abs. 4 S. 1 SächsGO; § 16b Abs. 2 SHGO. 152 Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 125. 153 Pagenkopf, Kommunalrecht, Bd. I, S. 207. 154 So auch Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 122, 123; Knemeyer, in: Ziemske/Langheid/Wilms/Haverkate, Festschrift Kriele, S. 1141, 1142, der betont, dass ein klares Votum faktisch eine hohe Bindungswirkung entfalte. 155 Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 125.
§ 2 Erscheinungsformen
101
Damit ähnelt die Bürger- bzw. Einwohnerversammlung in dieser Form stark dem Bürger- bzw. Einwohnerantrag. Zu unterscheiden ist das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerversammlung von dem bereits erörterten Instrument der Gemeindeversammlung156. Trotz gewisser sprachlicher Ähnlichkeiten beider Beteiligungsinstrumente bestehen zwischen beiden erhebliche Unterschiede. 3. Einwohnerfragestunde Die Möglichkeit zur Durchführung einer Einwohnerfragestunde ist nicht in allen Kommunalverfassungen vorgesehen.157 Sofern dieses Beteiligungsinstrument überhaupt eine gesetzliche Regelung erfahren hat, sieht diese keine umfassenden rechtlichen Anforderungen an die Durchführung vor.158 Durch das Instrument der Einwohnerfragestunde erhalten die Einwohner die Möglichkeit, im Rahmen der Sitzung einer Vertretungskörperschaft ihr Anliegen mitzuteilen und dadurch aktiv an der jeweiligen Sitzung teilzunehmen.159 Entgegen der teilweise in der Literatur vertretenen Auffassung handelt es sich bei diesem Instrument nicht um eine Form des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung.160 4. Einwohnerunterrichtung In enger Verbindung mit dem bereits erörterten Instrument der Bürger bzw. Einwohnerversammlung und dem Instrument der Einwohnerfragestunde steht das allgemeinere Instrument der Einwohnerunterrichtung161. Dieses Instrument, das teilweise auch als Bürgerinformation bezeichnet wird, dient der Förderung des allgemeinen Interesses an der Gemeindeverwaltung und beruht auf der Erkenntnis, dass eine umfassende Informationsgrundlage Voraussetzung für eine Beteiligung der Bürger bzw. Einwohner ist.162 Eine allgemeine Unterrichtungspflicht 156
Siehe hierzu bereits 3. Teil § 2 IV. 4. § 33 Abs. 4 S. 1 BWGO; § 13 S. 2 BbgKVerf; § 17 Abs. 1 MVKVerf; § 62 Abs. 1 NKomVG; § 48 Abs. 1 S. 3 NWGO; § 16a RhPfGO; § 20a SaarlKSVG; § 44 Abs. 3 SächsGO; § 27 Abs. 2 LSAGO; § 16c Abs. 1 SHGO. 158 Vgl. § 13 S. 2 BbgKVerf; § 62 Abs. 1 NKomVG; § 48 Abs. 1 S. 2 NWGO; § 16a RhPfGO; § 20a SaarlKSVG; § 44 Abs. 3 SächsGO; § 27 Abs. 2 LSAGO. 159 Vgl. § 17 Abs. 1 S. 1 MVKVerf; § 20a SaarlKSVG; § 27 Abs. 2 LSAGO; § 16c Abs. 1 S. 1 SHGO. 160 So aber wohl Schröder, in: Achterberg/Püttner, Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 19 (Rn.39); so zumindest in Bezug auf die Rechtslage in Rheinland-Pfalz auch Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 196. 161 § 20 BWGO; § 13 S. 1 BbgKVerf; § 16 MVKVerf; § 85 Abs. 5 S. 1 NKomVG; § 23 NWGO; § 15 RhPfGO; § 20 SaarlKSVG; § 11 SächsGO; § 16a SHGO; § 15 Abs. 1 S. 1 ThürKO. 162 Stober, Kommunalrecht, S. 117. 157
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3. Teil: Bürgerbefragung im System kommunaler Beteiligungsrechte
dergestalt, dass eine Vertretungskörperschaft bzw. das Verwaltungsorgan163 die Einwohner über allgemein bedeutsame Angelegenheiten der Gemeinde zu unterrichten hat, ist bisher lediglich in sieben Bundesländern geregelt.164 Einige Kommunalverfassungen sehen insoweit vor, dass die Einwohner bei wichtigen Planungen und Vorhaben der Gemeinde, welche für die Einwohner von nachhaltiger Bedeutung sind, frühzeitig unterrichtet werden sollen.165 Dabei wird teilweise auch geregelt, dass die Einwohner Gelegenheit zur Äußerung haben müssen, sofern dafür ein besonderes Bedürfnis besteht.166 Nach anderen Kommunalverfassungen ist die Unterrichtung stets so vorzunehmen, dass die Einwohner die Gelegenheit zur Äußerung und zur Erörterung erhalten.167 Auf welche Art die Unterrichtung der Einwohner zu erfolgen hat, findet in den Kommunalverfassungen keine Erwähnung. Lediglich vereinzelt wird in diesem Zusammenhang geregelt, dass eine Unterrichtung auch im Wege einer Einwohnerversammlung168 oder einer Einwohnerfragestunde169 erfolgen kann bzw. soll. Darüber hinaus ist eine Unterrichtung der Einwohner denkbar im Wege von Einwohnerbriefen, Informationsständen, Internetangeboten, öffentlichen Informationsveranstaltungen und Anhörungen und Flugblattaktionen.170 5. Gemeindliches Petitionsrecht In einigen Kommunalverfassungen ist das Recht der Einwohner verankert, Anregungen und Beschwerden an eine Vertretungskörperschaft zu richten.171 Dieses Recht wird als gemeindliches Petitionsrecht bezeichnet.172 Petitionen müssen von 163 Aufgrund der unterschiedlichen Bezeichnungen der Kommunalverfassungen des Verwaltungsorgans („Bürgermeister“, „erster Bürgermeister“, „Gemeindevorstand“) soll hier der allgemeine Begriff des Verwaltungsorgans Anwendung finden; so auch Lange, Kommunalrecht, Kapitel 8 Rn. 2 ff. 164 § 20 Abs. 1 BWGO; § 13 S. 1 BbgKVerf; § 16 Abs. 1 S. 1 MVKVerf; § 85 Abs. 5 S. 1 NKomVG; § 23 Abs. 1 S. 1 NWGO; § 15 Abs. 1 RhPfGO; § 20 Abs. 1 S. 1 SaarlKSVG; § 11 Abs. 1 SächsGO, § 16a Abs. 1 SHGO; § 15 Abs. 1 S. 1 ThürKO. 165 § 20 Abs. 2 S. 1 BWGO; § 16 Abs. 2 S. 1 MVKVerf; § 85 Abs. 5 S. 2 NKomVG; § 23 Abs. 1 S. 2 NWGO; § 11 Abs. 2 SächsGO; § 16a Abs. 2 S. 1 SHGO. 166 § 20 Abs. 2 S. 2 BWGO; § 16a Abs. 2 S. 2 SHGO. 167 § 16 Abs. 2 S. 3 MVKVerf § 85 Abs. 5 S. 3 NKomVG; § 23 Abs. 2 S. 1 NWGO; § 15 Abs. 1 S. 1, 2 ThürKO. 168 § 13 S. 2 BbgKVerf; § 8a HessGO; § 16 Abs. 1 S. 2 MVKVerf; § 85 Abs. 5 S. 4 NKomVG; § 23 Abs. 2 S. 2 NWGO; § 13 S. 2 RhPfGO; § 20 Abs. 1 S. 1 SaarlKSVG; § 15 Abs. 1 S. 2 ThürKO. 169 § 13 S. 2 BbgKVerf. 170 Vgl. die Aufzählung bei Hellermann, DVBl. 2011, 1195, 1197; Woellner, in: Muth, Potsdamer Kommentar, BbgKVerf, § 13 Rn. 24. 171 § 16 BbgKVerf; § 34 Abs. 1 S. 1 NKomVG; § 14 Abs. 1 S. 1 MVKVerf; § 24 Abs. 1 NWGO; § 16b RhPfGO; § 12 SächsGO; § 16e SHGO. 172 So beispielsweise Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 558; ausführlich hierzu Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, § 6 Rn. 136–138; von Mutius, Kommunalrecht, Rn. 591 ff.
§ 3 Einordnung in das System kommunaler Beteiligungsrechte
103
Gemeinden nur dann entgegengenommen werden, wenn diese in schriftlicher Form verfasst sind. Dem gemeindlichen Petitionsrecht kommt die Funktion eines „Notrufrechts“ zu, um sich auf einfache und schnelle Weise Zugang zu staatlichem Gehör verschaffen zu können. Dabei ist allgemein anerkannt, dass sich das gemeindliche Petitionsrecht bereits aus dem in Art. 17 GG sowie den in einigen Landesverfassungen geregelten allgemeinen Petitionsrecht ergibt.173 Das Recht zur Einreichung einer Anregung und Beschwerde besteht somit auch ohne gesonderte einfachgesetzliche Regelung in den Kommunalverfassungen, weshalb die einfachgesetzlichen Regelungen der Kommunalverfassungen lediglich deklaratorischer Natur sind.174
§ 3 Die Einordnung des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung in das System kommunaler Beteiligungsrechte Anschließend an diese Darstellung des Kanons der Beteiligungsrechte auf kommunaler Ebene stellt sich die Frage, wie das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung in dieses System einzuordnen ist. Dargestellt werden soll im Folgenden das Verhältnis des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung zu den sonstigen Formen der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene. Den Ausgangspunkt dieser Darstellung bildet die insoweit unstreitige Feststellung, dass es sich bei dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung um eine Form der Bürgerbeteiligung handelt.175
I. Die Bürger- bzw. Einwohnerbefragung als Form der Öffentlichkeitspartizipation Bereits aus dem Wortlaut176 der gesetzlichen Vorschriften zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen folgt unmissverständlich, dass es sich bei diesem Instrument um eine Form der Öffentlichkeitspartizipation handelt. Die Einordnung als Form der Betroffenenbeteiligung setzte demgegenüber voraus, dass lediglich solche Personen an einer Befragung teilnehmen dürften, die einen gewissen Berührungspunkt in Bezug auf die jeweilige Angelegenheit der 173 So auch Lange, Kommunalrecht, Kapitel 4 Rn. 230; vgl. auch Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 558; Gnatzy, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Art. 17 Rn. 11 m.w. N.; Brocker, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 17 Rn. 20; Hömig, in: Hömig, GG, Art. 17 Rn. 5; Hellermann, DVBl. 2011, 1195, 1197. 174 So auch Koch, in: Ipsen, NKomVG, § 34 Rn. 1; Detjen, Demokratie in der Gemeinde, S. 125. 175 So ausdrücklich auch Ebsen, DVBl. 1984, 1107, 1109; Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 325; Gebhardt, Direkte Demokratie, S. 82. 176 Siehe hierzu bereits 1. Teil § 2.
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3. Teil: Bürgerbefragung im System kommunaler Beteiligungsrechte
Befragung aufweisen und damit von dieser unmittelbar betroffen sind. Ohne bereits an dieser Stelle der Arbeit auf die Einzelheiten in Bezug auf die Berechtigung zur Teilnahme an kommunalen Befragungen einzugehen177, kann zumindest festgehalten werden, dass stets alle Bürger bzw. Einwohner einer Gemeinde zur Teilnahme an Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen berechtigt sind. Die Teilnahmeberechtigung der Bürger bzw. Einwohner gilt damit unabhängig von einer etwaigen Betroffenheit oder einem etwaigen Bezugspunkt zu der jeweiligen Angelegenheit einer Befragung. Verstünde man das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung indes als Form der Betroffenenpartizipation und gestaltete man das Instrument gesetzlich gleichfalls so aus, stünde eine solche Ausgestaltung in deutlichem Widerspruch zu den bereits erläuterten Funktionen178 dieses Instruments. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Funktion der Einholung eines umfangreichen Meinungsbildes der Bürger- bzw. Einwohnerschaft. Eine solche umfassende Informationsfunktion des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung wäre nicht mehr gewährleistet, wenn lediglich diejenigen Bürger bzw. Einwohner teilnahmeberechtigt wären, die eine Betroffenheit in Bezug auf die jeweilige Befragungsangelegenheit aufwiesen.179
II. Die Bürger- bzw. Einwohnerbefragung als Instrument der Vertretungskörperschaft Aus den gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen folgt ferner, dass kommunale Befragungen lediglich von Seiten der Vertretungskörperschaft initiiert werden können. Der Bürger- bzw. Einwohnerschaft ist es damit nach gegenwärtiger Rechtslage verwehrt, die Durchführung kommunaler Befragungen ins Leben zu rufen.180 Durch dieses Charakteristikum unterscheidet sich das Instrument der Bürgerbzw. Einwohnerbefragung deutlich von anderen Beteiligungsformen. Zu nennen ist auch hier zunächst das Instrument des Bürgerentscheids. Dieser kann in einigen Bundesländern zwar auch im Wege eines Ratsbegehrens von einer Vertretungskörperschaft initiiert werden.181 Seine in praktischer Hinsicht viel bedeut177
Siehe hierzu 5. Teil § 7. Siehe hierzu bereits 2. Teil § 5. 179 Siehe hierzu 5. Teil § 7 III. 180 Siehe hierzu 5. Teil § 1 II. 181 § 21 Abs. 1 BWGO; Art. 18a Abs. 2 BayGO; § 20 Abs. 3 MVKVerf; § 26 Abs. 1 S. 2 NWGO; § 17a Abs. 1 S. 2 RhPfGO; § 21a Abs. 1 S. 2 SaarlKSVG; § 24 Abs. 1 SächsGO; § 26 Abs. 1 LSAGO; § 16c Abs. 1 SHGO; in Brandenburg besteht die Besonderheit, dass ein von der Vertretungskörperschaft initiierter Bürgerentscheid lediglich für die Entscheidung über einen Gemeindezusammenschluss (§ 6 Abs. 5 BbgKVerf) sowie zur Änderung eines Bürgerentscheids innerhalb der Sperrfrist von zwei Jahren (§ 15 Abs. 5 S. 2 BbgKVerf) möglich ist. Eine solche Regelung gilt nach § 33 Abs. 4 S. 2 NKomVG auch in Niedersachsen. 178
§ 3 Einordnung in das System kommunaler Beteiligungsrechte
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samere Ausprägung findet der Bürgerentscheid jedoch darin, dass er durch ein im Vorfeld durchgeführtes Bürgerbegehren auch von Seiten der Bürgerschaft initiiert werden kann. Auch Beteiligungsinstrumenten wie dem Bürger- bzw. Einwohnerantrag, der Bürger- bzw. Einwohnerversammlung sowie den sonstigen individuellen Mitwirkungsrechten kommt die Gemeinsamkeit zu, dass die Initiative zur Durchführung dieser Instrumente zumindest auch von der Bürger- bzw. Einwohnerschaft ausgehen kann. Das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung ist damit das einzige Beteiligungsinstrument, deren Durchführung nicht zumindest auch von Seiten der Bürger- bzw. Einwohnerschaft initiiert werden kann.
III. Die Bürger- bzw. Einwohnerbefragung als aufwendiges Verfahren Da im Rahmen der Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung stets alle Bürger bzw. Einwohner zur Abgabe einer Stimme aufgerufen werden, handelt es sich bei diesem Beteiligungsinstrument in der Regel um ein in zeitlicher wie auch finanzieller Hinsicht aufwendiges Massenabstimmungsverfahren.182 Der für die Durchführung einer kommunalen Befragung erforderliche Aufwand dürfte lediglich vergleichbar sein mit dem Aufwand, der für die Durchführung eines Bürgerentscheids erforderlich ist. Demgegenüber ist im Rahmen der gemeindlichen Mitwirkungsrechte kein vergleichbarer Aufwand erforderlich. Vor allem erfordern die gemeindlichen Mitwirkungsrechte nicht die Durchführung eines derart aufwendigen Massenabstimmungsverfahrens. Nicht zuletzt das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerversammlung ermöglicht ohne die Einhaltung etwaiger Formalitäten den direkten Austausch und die Diskussion der Bürger bzw. Einwohner untereinander sowie mit den Mitgliedern einer Vertretungskörperschaft.183 Auch Instrumente wie der Bürger- bzw. Einwohnerantrag, die Einwohnerfragestunde sowie die Einwohnerunterrichtung sind in der Praxis im Vergleich zu kommunalen Befragungen deutlich einfacher zu realisieren.
IV. Die Bürger- bzw. Einwohnerbefragung als Form kollektiver Meinungskundgabe Im Rahmen der Durchführung kommunaler Befragungen werden stets alle Bürger bzw. Einwohner zur Abgabe einer Stimme aufgerufen. Das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung ist damit seiner zugedachten Funktion nach auf die Hervorbringung einer Mehrheitsmeinung innerhalb der Bürger- bzw. 182 Vgl. zu dieser Begrifflichkeit im Zusammenhang mit Bürgerentscheiden Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 15. 183 Vgl. Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 15.
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3. Teil: Bürgerbefragung im System kommunaler Beteiligungsrechte
Einwohnerschaft gerichtet.184 Es geht bei der Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung damit um eine kollektive Meinungskundgabe. Eine vergleichbare Situation ist lediglich im Rahmen der Durchführung eines Bürgerentscheids sowie eines Bürgerbegehrens gegeben. Auch bei diesen Instrumenten geht es um die kollektive Meinungskundgabe und damit um die Ermittlung einer Mehrheitsmeinung. Grundlegend anders gestaltet sich die Situation jedoch im Rahmen der bürgerschaftlichen Mitwirkungsrechte auf gemeindlicher Ebene. Bei diesen Formen der Bürgerbeteiligung geht es aus Sicht einer Vertretungskörperschaft nicht um die Ermittlung einer Mehrheitsmeinung, sondern es steht vielmehr die Erlangung eines differenzierteren, aus einigen wenigen Meinungen bestehenden Meinungsbildes im Vordergrund. Eine aussagekräftige Mehrheitsmeinung könnte beispielsweise im Falle eines Bürger- bzw. Einwohnerantrags lediglich dann hervorgebracht werden, wenn dem jeweiligen Antrag eine außergewöhnlich hohe Zahl von Unterschriften zugrunde liegt.185 In der Praxis dürfte dies jedoch selten bis nie der Fall sein. Auch im Rahmen einer Bürger- bzw. Einwohnerversammlung dürfte die Beteiligung in der Regel nicht hoch genug sein, um von einer kollektiven Meinungskundgabe und damit aus Sicht einer Vertretungskörperschaft von der Erlangung einer Mehrheitsmeinung sprechen zu können. Je nach Anzahl der teilnehmenden Bürger bzw. Einwohner kann jedoch gleichfalls nicht ausgeschlossen werden, dass auch durch eine Bürger- bzw. Einwohnerversammlung einer Vertretungskörperschaft ein aufschlussreiches Bild über die Stimmungslage innerhalb der Bürger- bzw. Einwohnerschaft in Bezug auf eine bestimmte Angelegenheit gegeben wird.
V. Die Bürger- bzw. Einwohnerbefragung als Instrument hoher Einwirkungsintensität auf eine Vertretungskörperschaft Bereits zu Beginn dieser Arbeit wurde erläutert, dass dem Ergebnis einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung für die jeweilige Vertretungskörperschaft zumindest keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt.186 In diesem Punkt unterscheidet sich das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung damit wesentlich von einem Bürgerentscheid. Das Ergebnis eines erfolgreich durchgeführten Bürgerentscheids ist für eine Vertretungskörperschaft verbindlich und steht damit in rechtlicher Hinsicht dem Beschluss einer Vertretungskörperschaft gleich. Im Rahmen einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung verbleibt die Entscheidungskompetenz stets bei der Vertretungskörperschaft, wohingegen im Rahmen eines 184 Ebsen, DVBl. 1984, 1107, 1110; Gramke, Praktizierte Bürgernähe, S. 48 ff.; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 595; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 61. 185 Darauf verweist auch Ebsen, DVBl. 1984, 1107, 1110. 186 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 1 I.
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Bürgerentscheids eine Delegation der Entscheidungsgewalt auf die Bürgerschaft erfolgt.187 Ein Bürgerentscheid kann damit, abgesehen von der in der Praxis zu vernachlässigenden Gemeindeversammlung, als die einwirkungsintensivste Form gemeindlicher Bürgerbeteiligung angesehen werden. Etwas anderes folgt insbesondere auch nicht daraus, dass dem Ergebnis einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung bei Vorliegen bestimmter Umstände eine faktische Verbindlichkeit zukommt.188 Sofern in diesem Zusammenhang von Seiten der Literatur teilweise vertreten wird, dass zwischen dem Instrument der Bürgerbzw. Einwohnerbefragung und dem des Bürgerentscheids im Ergebnis kein wesentlicher Unterschied bestünde, da sich die Wirkung des Befragungsergebnisses auf die jeweilige Vertretungskörperschaft bei hinreichender Wahlbeteiligung und hinreichend klarem Wahlausgang nur unerheblich von der Wirkung eines Bürgerentscheids unterscheide189, ändert dies nichts daran, dass in Bezug auf die Einwirkungsintensität des Befragungsergebnisses eine faktische Verbindlichkeit von einer rechtlichen Verpflichtung zur Befolgung eines Ergebnisses unterschieden werden muss.190 Ein Unterschied ist insoweit vorhanden, als dass bei einer rechtlichen Verbindlichkeit eine Vertretungskörperschaft dem Ergebnis zwingend Folge zu leisten hat, bei Bestehen einer faktischen Bindungswirkung dies zwar auch in vielen Fällen tun wird, jedoch keinesfalls hierzu verpflichtet ist. Im Rahmen der Durchführung kommunaler Befragungen besteht in jedem Fall und damit nicht nur in theoretischer Hinsicht die Möglichkeit der Nichtbefolgung eines Befragungsergebnisses. Das unterscheidet das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung von einem Bürgerentscheid. Zu Recht wird daher teilweise in der Literatur betont, dass es sich bei dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung lediglich um eine „dem Bürgerentscheid ähnliche Form der Abstimmung“ 191 bzw. um eine „dem Bürgerentscheid verwandte Form bürgerschaftlicher Mitwirkung“ 192 handelt. Festgehalten werden kann damit, dass dem Ergebnis eines Bürgerentscheids aufgrund der Rechtsverbindlichkeit trotz gewisser Ähnlichkeiten zum Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung eine höhere Einwirkungsintensität auf die jeweilige Vertretungskörperschaft zukommt. Die Einflussmöglichkeit im Rahmen eines Bürgerentscheids ist damit deutlich höher anzusiedeln.
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Vgl. auch Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 1. Siehe hierzu bereits 2. Teil § 1 II. 189 Ebsen, DVBl. 1984, 1107, 1110; Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 3. 190 A. A. wohl Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 269 („Der Umstand der rechtlichen Unverbindlichkeit ist rein theoretischer Natur. Konsultative Referenden sind von ihren Auswirkungen her dezisiven Abstimmungen gleichzustellen.“). 191 Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 188. 192 Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 121. 188
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3. Teil: Bürgerbefragung im System kommunaler Beteiligungsrechte
Vergleicht man das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung dagegen mit den kommunalen Mitwirkungsrechten anhand der rechtlichen und faktischen Wirkungen, die von diesen ausgehen, stellt sich das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung als ein Beteiligungsinstrument mit hoher Einwirkungsintensität des Abstimmungsergebnisses auf eine Vertretungskörperschaft dar.193 Obgleich dem Ergebnis kommunaler Befragungen keine Verbindlichkeit zukommt, kann das jeweilige Befragungsergebnis unter bestimmten Umständen zumindest einen erheblichen politischen Druck auf die jeweilige Vertretungskörperschaft ausüben.194 Keines der gemeindlichen Mitwirkungsrechte vermag einen solchen „spezifischen Legitimationsdruck“ 195 auf eine Vertretungskörperschaft auszuüben. So gestaltet sich die Situation im Rahmen eines Bürger- bzw. Einwohnerantrags dergestalt, dass die Bürger bzw. Einwohner eine Vertretungskörperschaft zwar unter besonderen Voraussetzungen verpflichten können, sich in einer öffentlichen Sitzung mit einer bestimmten Angelegenheit zu befassen und teilweise auch in dieser Sache eine Entscheidung herbeizuführen.196 Eine Einwirkungsmöglichkeit auf den Inhalt der Entscheidung der Vertretungskörperschaft besteht jedoch nicht. Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich eine Vertretungskörperschaft alleine durch einen erfolgten Bürger- bzw. Einwohnerantrag gewissen inhaltlichen Bindungen in Bezug auf die jeweilige Angelegenheit ausgesetzt sieht. Dies gilt selbst für den Fall, dass der Vertretungskörperschaft die inhaltliche Intention des jeweiligen Antrags bewusst ist. Durch einen Bürgerbzw. Einwohnerantrag kann somit lediglich eine erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit in Bezug auf eine Angelegenheit geschaffen werden, da die Vertretungskörperschaft zumindest verpflichtet ist, sich mit dieser auseinanderzusetzen.197 Dies kann jedoch in keinem Fall mit einer faktischen Verbindlichkeit gleichgesetzt werden, die unter Umständen aus dem Ergebnis einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung erwächst. Ähnlich dürfte sich die Situation auch in Bezug auf die sonstigen Mitwirkungsrechte wie der Bürger- bzw. Einwohnerversammlung, der Einwohnerfragestunde und dem gemeindlichen Petitionsrecht darstellen. Obgleich auch im Rahmen einer Bürger- bzw. Einwohnerversammlung anerkannt ist, dass aus den dort gemachten Anregungen unter bestimmten Umständen eine gewisse faktische Bindungswirkung für eine Vertretungskörperschaft folgt198, kann diese jedoch kei193 194 195 196 197
Ähnlich auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 60. Siehe hierzu bereits 2. Teil § 1 I. So ausdrücklich Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 60. Siehe hierzu bereits 2. Teil § 2 V. 1. Ebsen, DVBl. 1984, 1107, 1110; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen,
S. 60. 198 So auch Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 122, 123; Knemeyer, in: Ziemske/Langheid/Wilms/Haverkate, Festschrift Kriele, S. 1141, 1142, der betont, dass ein klares Votum faktisch eine hohe Bindungswirkung entfalte.
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nesfalls mit denjenigen Wirkungen verglichen werden, die unter Umständen aus dem Ergebnis einer kommunalen Befragung folgen. Insoweit muss Beachtung finden, dass die Beteiligung im Rahmen einer Bürger- bzw. Einwohnerversammlung in der Regel deutlich geringer sein dürfte als im Rahmen einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung. Die Einwirkungsintensität der sonstigen Mitwirkungsrechte auf die Willensbildung der Vertretungskörperschaft muss damit als sehr gering eingestuft werden. Keines der gemeindlichen Mitwirkungsrechte ist imstande, eine solche Drucksituation für die Vertretungskörperschaft aufzubauen, wie dies durch die „spezifische Legitimität der Mehrheitsmeinung“ 199 im Rahmen einer kommunalen Befragung der Fall ist. Ähnlich wie bereits im Falle des Bürgerbzw. Einwohnerantrags zeichnet auch diese Instrumente lediglich aus, dass sie unter bestimmten Umständen einem Anliegen eine erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit verschaffen können, die eine Vertretungskörperschaft im besten Fall dazu bewegen wird, sich aufgrund des dadurch erzeugten öffentlichen Drucks mit der Angelegenheit auseinanderzusetzen.200 Nach alledem ist das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung im Kanon der Beteiligungsrechte ein Instrument mit hoher Einwirkungsintensität auf eine Vertretungskörperschaft.
VI. Die Bürger- bzw. Einwohnerbefragung als aussagekräftiges Beteiligungsinstrument In engem Zusammenhang mit den soeben erfolgten Ausführungen steht die Frage, welche Aussagekraft in Bezug auf die jeweilige Angelegenheit ein Befragungsergebnis für eine Vertretungskörperschaft aufweist. Diese Frage gewinnt vor dem Hintergrund an Bedeutung, dass Bürgerbeteiligung nicht nur dazu dient, den Bürgern bzw. Einwohnern eine Beteiligung am gemeindlichen Willensbildungsprozess zu ermöglichen, sondern überdies auch dazu, einer Vertretungskörperschaft Informationen über das Stimmungsbild der Bürger- bzw. Einwohnerschaft in Bezug auf eine bestimmte Angelegenheit zu gewähren.201 Stellt man sich vor diesem Hintergrund die Frage, welche Informationen und Erkenntnisse eine Vertretungskörperschaft in Bezug auf den jeweiligen Befragungsgegenstand aus dem Ergebnis einer kommunalen Befragung ziehen kann, muss zunächst Berücksichtigung finden, dass auf die jeweilige Frage lediglich mit „Ja“ oder „Nein“ bzw. mit einer einschränkenden oder erweiterten Antwortmöglichkeit geantwortet werden kann.202
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Ebsen, DVBl. 1984, 1107, 1110. Ebsen, DVBl. 1984, 1107, 1110. 201 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 5. 202 Siehe zu den rechtlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten diesbezüglich 5. Teil § 13 IV. 2. c). 200
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3. Teil: Bürgerbefragung im System kommunaler Beteiligungsrechte
Die Folge dieser rechtlichen Vorgaben ist, dass eine Vertretungskörperschaft im Rahmen einer kommunalen Befragung lediglich ein sehr eingeschränktes Meinungsbild in Bezug auf die jeweilige Angelegenheit erhält. Eingeschränkt ist das auf diesem Weg erlangte Meinungsbild insoweit, als dass es sich strikt in den von der Vertretungskörperschaft vorgegebenen Antwortmöglichkeiten bewegt. Überdies muss jedoch Berücksichtigung finden, dass dem Ergebnis kommunaler Befragungen auch insoweit eine Aussagekraft zukommt, als dass neben der prozentualen Verteilung der „Ja“ und „Nein“ Stimmen auch die Befragungsteilnahme Rückschlüsse darauf zulässt, inwiefern die jeweilige Angelegenheit innerhalb der Bürger- bzw. Einwohnerschaft von Interesse ist. Eine Vertretungskörperschaft erhält durch das Befragungsergebnis damit kein umfassendes, sondern vielmehr ein eingeschränktes Meinungsbild in Bezug auf die zur Abstimmung gestellte Frage. Die Erlangung eines umfassenden Meinungsbildes setzte vielmehr voraus, dass keine zwingende Bindung an eine „Ja“/„Nein“-Fragestellung gegeben ist. Eine solche Bindung ist jedoch im Rahmen kommunaler Befragungen vorhanden. Da auch im Rahmen eines Bürgerentscheids lediglich mit „Ja“ oder „Nein“ abgestimmt werden kann, unterscheidet sich das Ergebnis eines Bürgerentscheids in Bezug auf die Aussagekraft nicht von dem kommunaler Befragungen. Anders hingegen gestaltet sich die Situation im Rahmen der kommunalen Mitwirkungsrechte. Im Rahmen der Unterrichtung der Einwohner können sich alle Einwohner zu einer bestimmten Angelegenheit äußern. In diesem Zusammenhang sind Äußerungen keine inhaltlichen Grenzen gesetzt. Auch im Rahmen einer Bürger- bzw. Einwohnerversammlung steht die Diskussion der Vertretungskörperschaft mit den Teilnehmern im Vordergrund. Auch hier ist damit eine intensive Auseinandersetzung mit der jeweiligen Angelegenheit möglich, die einer Vertretungskörperschaft viele Erkenntnisse in Bezug auf das Stimmungsbild der Teilnehmer bringt. Eingeschränkt wird die Aussagekräftigkeit dieser Beteiligungsformen lediglich dadurch, dass der Kreis der beteiligten Bürger bzw. Einwohner im Vergleich zur Durchführung kommunaler Befragungen sowie Bürgerentscheiden in der Regel deutlich geringer sein dürfte.
VII. Die Bürger- bzw. Einwohnerbefragung als Instrument geringen Erkenntnisgewinns für die Befragungsteilnehmer Vor dem Hintergrund, dass das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung auch dazu dient, die Bürger bzw. Einwohner an gemeindlichen Entscheidungsprozessen teilhaben zu lassen, stellt sich die Frage, welchen Erkenntniswert die Befragungsteilnehmer durch die Teilnahme an einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung in Bezug auf die jeweilige Angelegenheit erlangen. Insoweit muss festgehalten werden, dass aus der bereits an anderer Stelle dieser Arbeit beschrie-
§ 4 Zwischenergebnis zum 3. Teil
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benen Teilhabefunktion203 nicht gleichzeitig folgt, dass im Rahmen der Durchführung kommunaler Befragungen den Teilnehmern zugleich umfangreiche Informationen in Bezug auf die Befragungsangelegenheit vermittelt werden. Das Gewähren von Informationen an die Befragungsteilnehmer stellt nicht den Hauptzweck204 einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung dar. Die Befragungsteilnehmer erhalten lediglich im Vorfeld einer Befragung gewisse Informationen, die notwendig sind, um sich ein Bild von der jeweiligen Angelegenheit machen zu können und demensprechend auch abstimmen zu können. Diese Informationen sind dabei jedoch lediglich insoweit Mittel zum Zweck, als dass sie die Voraussetzung für die Teilnahme an einer Befragung sind. Anders hingegen stellt sich die Situation im Rahmen kommunaler Mitwirkungsrechte dar. Die Gewährung von Informationen zu gemeindlichen Angelegenheiten steht insbesondere im Rahmen der Unterrichtung der Bürger bzw. Einwohner und im Rahmen einer Bürger- bzw. Einwohnerversammlung205 im Vordergrund. Bei diesen Instrumenten geht es damit nicht nur darum, dass die jeweilige Vertretungskörperschaft durch die Teilnahme von Bürgern bzw. Einwohnern ein Meinungsbild der Teilnehmer in Bezug auf eine bestimmte Angelegenheit erhält.
§ 4 Zwischenergebnis zum 3. Teil Betrachtet man das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung, das als Form der Bürgerbeteiligung der Öffentlichkeitspartizipation zugerechnet werden muss, vor dem Hintergrund des umfangreichen Kanons der Beteiligungsrechte der verschiedenen Kommunalverfassungen, zeigt sich die Sonderstellung dieses Instruments. Neben diesem sehen die Kommunalverfassungen kein Beteiligungsrecht vor, dessen Durchführung einen vergleichbaren Aufwand erfordert, dessen rechtliche Wirkungen jedoch derart gering sind. Obgleich im Rahmen der Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung die Bürger- bzw. Einwohnerschaft in ihrer Gesamtheit zur Abstimmung über eine gemeindliche Angelegenheit aufgerufen wird, kommt dem Ergebnis einer kommunalen Befragung im Unterschied zum dem Ergebnis eines Bürgerentscheids keine Verbindlichkeit zu. Mit dem Instrument des Bürgerentscheids, dessen Ergebnis für eine gemeindliche Vertretungskörperschaft unter bestimmten Umständen verbindlich sein kann, weist das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung aufgrund der etwai203
Siehe hierzu bereits 2. Teil § 5 II. Soweit an anderer Stelle dieser Arbeit bereits von der „Informationsfunktion“ des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung die Rede war (siehe hierzu 2. Teil § 5 I.), so ging es dabei im Unterschied zu der hiesigen Fragestellung darum, dass eine Vertretungskörperschaft durch die Durchführung einer kommunalen Befragung in Bezug auf den Befragungsgegenstand ein Meinungsbild der Befragungsteilnehmer erhält. Dies stellt den eigentlichen Hauptzweck kommunaler Befragungen dar. 205 So ausdrücklich Waechter, Kommunalrecht, Rn. 275. 204
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3. Teil: Bürgerbefragung im System kommunaler Beteiligungsrechte
gen faktischen Verbindlichkeit des Befragungsergebnisses jedoch gewisse Ähnlichkeiten auf. Im Vergleich zu den gemeindlichen Mitwirkungsrechten muss die Einwirkungsintensität des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung aufgrund der etwaigen faktischen Bindungswirkung als hoch angesehen werden. Obgleich dem Ergebnis einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung keine Verbindlichkeit zukommt, entspricht der für die Durchführung einer kommunalen Befragung erforderliche Aufwand dem Aufwand, der für die Durchführung eines Bürgerentscheids erforderlich ist. Die Durchführung gemeindlicher Mitwirkungsrechte ist demgegenüber bei weitem nicht so aufwendig wie die Durchführung einer kommunalen Befragung als Massenabstimmungsverfahren. Eine Sonderstellung gegenüber den sonstigen kommunalen Beteiligungsrechten kommt dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung überdies insoweit zu, als dass dieses Instrument lediglich von Seiten einer Vertretungskörperschaft initiiert werden kann. Bürger bzw. Einwohner haben damit im Unterschied zu der Situation im Rahmen der gemeindlichen Mitwirkungsrechte nicht das Recht der Initiierung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung.
4. Teil
Zulässigkeit und Erfordernis einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage § 1 Zulässigkeit der Durchführung von Bürgerbzw. Einwohnerbefragungen Im Folgenden geht es um die Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit der Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen. Untersucht werden soll damit, ob die Durchführung im Grundsatz mit verfassungsrechtlichen wie auch einfachgesetzlichen Bestimmungen im Einklang steht. Behandelt wird an dieser Stelle der Arbeit nicht die Frage, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen die Durchführung kommunaler Befragungen als zulässig erachtet werden kann.1 Es geht ferner bei den nachfolgenden Ausführungen nicht darum, inwieweit aus verfassungsrechtlichen wie auch einfachgesetzlichen Bestimmungen Vorgaben dahingehend abgeleitet werden können, dass eine Bürger- bzw. Einwohnerbefragung nur auf Grundlage einer einfachgesetzlichen Ermächtigung der jeweiligen Kommunalverfassung erfolgen darf. Diese Frage wird im weiteren Verlauf der Arbeit behandelt.2 Entgegen der häufig in der Literatur3 und Rechtsprechung4 vorzufindenden Vorgehensweise ergibt sich die Notwendigkeit einer getrennten Erörterung beider Problemkreise aus folgenden Erwägungen: Obgleich zwischen beiden Fragen in inhaltlicher und argumentativer Hinsicht Überscheidungen vorhanden sind, kann die Frage des Erfordernisses einer einfachgesetzlichen Grundlage für die Durchführung kommunaler Befragungen keinesfalls gleichgesetzt werden mit der Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit der Durchführung. Selbst wenn das Ergebnis der nachfolgenden Untersuchung die grund-
1
Siehe hierzu 5. Teil. Siehe hierzu 4. Teil § 2. 3 Vgl. nur Ebsen, DVBl. 1984, 1107, 1108, der von der Frage spricht, „ob das Prinzip der „repräsentativen Demokratie“ Vertretungskörperschaften hindert, über die expliziten Regelungen der jeweiligen Gemeindeordnungen hinaus zusätzliche Partizipationsformen einzuführen“; ähnlich auch Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 29 ff. 4 Vgl. nur VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194, 194; ähnlich auch das VG Potsdam, Beschluss vom 14.12.2006 – 2 L 738/06 –, S. 3 f. (unveröffentlicht). 2
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4. Teil: Zulässigkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage
sätzliche Zulässigkeit der Durchführung kommunaler Befragungen sein sollte, ist damit noch keine Aussage dazu getroffen, ob die im Grundsatz zulässige Durchführung kommunaler Befragungen auch ohne entsprechende gesetzliche Ermächtigung in Betracht kommt.
I. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen verfassungsrechtlich zulässig ist. Dass auch die Durchführung kommunaler Befragungen an verfassungsrechtliche Vorgaben gebunden ist, ist dabei so selbstverständlich wie eigentlich nicht gesondert erwähnenswert. Allein das mit der Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen verbundene Ziel der Stärkung der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene5, mag dieses auch noch so begrüßenswert sein, entbindet nicht von der Beachtung zwingender verfassungsrechtlicher Vorgaben.6 Ein etwaiger „demokratischer Mehrwert“ des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung kann damit nicht zu einem teilweisen oder auch vollständigen Dispens von verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Grundsätzen führen.7 Bei der nachfolgenden Erörterung sollen dabei nur Bestimmungen des Grundgesetzes mit in Bezug genommen werden. Bestimmungen in den Landesverfassungen, die der Durchführung kommunaler Befragungen entgegenstehen könnten, sind insoweit nicht ersichtlich.8 1. Das Homogenitätsprinzip Wenig überraschend dürfte zunächst die Tatsache sein, dass das Grundgesetz selber keine ausdrücklichen Aussagen zu der Frage der Zulässigkeit plebiszitärer Elemente auf kommunaler Ebene enthält.9 Den Ausgangspunkt der Beantwortung der Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Durchführung kommunaler Befragungen bildet damit der als Homogenitätsgebot10 oder auch als 5
Siehe hierzu bereits 2. Teil § 5 II. So auch Schulz/Tischer, KommJur 2012, 281, 282; vgl. auch Streinz, Die Verwaltung 16 (1983), S. 293, 299 („Nicht alles, was rechtspolitisch erwünscht [. . .] ist, ist auch verfassungsrechtlich zulässig oder gar geboten [. . .]“). 7 Steinberg, Die Verwaltung 16 (1983), 465, 469 ff. m.w. N.; Schmitt Glaeser, DÖV 1998, 824, 827. 8 So in Bezug auf Bürgerbegehren und Bürgerentscheid auch Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 35. 9 Darauf verweisen auch Huber, AöR 126 (2001), 165, 175; Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 190; Hendler, Bürgerschaftliche Mitwirkung, S. 137. 10 Vgl. hierzu nur Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 704 ff.; die Charakterisierung als Homogenitätsprinzip geht wohl zurück auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27.04.1959 (2 BvF 2/58 – BVerfGE 9, 268, 279), in dem das Gericht erstmals „eine gewisse Homogenität“ fordert. 6
§ 1 Zulässigkeit der Durchführung von Bürgerbefragungen
115
Homogenitätsprinzip11 bezeichnete Grundsatz des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG, wonach die verfassungsgemäße Ordnung in den Ländern und damit auch in den Gemeinden als Teil der Landesverwaltung den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes entsprechen muss. Nach überwiegender Ansicht handelt es sich bei Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG um eine sog. Normativbestimmung.12 Das Homogenitätsprinzip setzt damit im Unterschied zu sog. Durchgriffsnormen nicht unmittelbar in den Ländern verbindliches Recht, sondern stellt lediglich eine normative Vorgabe für die Länder dar.13 Bezugspunkt des Homogenitätsgebots ist die verfassungsgemäße Ordnung in den Ländern. Damit gemeint ist jedoch nicht lediglich das in den Verfassungen der Länder niedergelegte Recht, sondern vielmehr das gesamte Landesrecht.14 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fordert Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG von den Ländern keine Konformität oder gar Uniformität ihrer verfassungsmäßigen Ordnung mit den genannten Grundsätzen, sondern lediglich das Vorhandensein von Homogenität, wobei diese auch nur in einem Mindestmaß erreicht werden muss.15 Da also Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG lediglich ein Mindestmaß an grundsätzlicher Übereinstimmung verlangt, kann von den Ländern keine vollständige Identität des Landesrechts mit den Strukturprinzipien des Art. 20 GG sowie den Grundsätzen des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG verlangt werden.16 Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sind landesrechtliche Regelungen im Falle eines Verstoßes gegen das Homogenitätsprinzip nichtig.17 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob eine landesgesetzliche Regelung zur Durchführung kommunaler Befragungen ein Mindestmaß an grundsätzlicher Übereinstimmung mit den Grundprinzipien des Grundgesetzes, insbesondere mit dem Demokratieprinzip, aufweist. Indem Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG auf die demokratischen Grundsätze Bezug nimmt, werden auch die Länder auf das in Art. 20 Abs. 2 GG niedergelegte Demokratieprinzip verpflichtet. Soweit das Grundgesetz insoweit vorgibt, dass alle Staatsgewalt vom Volke auszugehen hat 11 So Vogelgesang, in: Friauf/Höfling, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 11; Sander, NVwZ 2002, 45, 47. 12 BVerfG, Urteil vom 23.01.1957 – 2 BvF 3/56 –, BVerfGE 6, 104, 111; BVerfG, Beschluss vom 15.02.1978 – 2 BvR 134, 268/76 –, BVerfGE 57, 252, 272; Dreier, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 59 m.w. N.; Nierhaus, in: Sachs, GG, Art. 28 Rn. 9; Paus/Schmidt, JA 2012, 48, 52. 13 Aus diesem Grund findet im Zusammenhang mit dem Homogenitätsgebot häufig Erwähnung, dass dieses nicht in den Ländern, sondern für die Länder Geltung beanspruche; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 23.01.1957 – 2 BvF 3/56 –, BVerfGE 6, 104, 111. 14 Vgl. nur BVerfG, Urteil vom 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/89 –, BVerfGE 83, 27, 57; Dittmann, in Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. VI, § 127 Rn. 11 m.w. N. 15 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. nur BVerfG, Urteil vom 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/89 –, BVerfGE 83, 37, 58 m.w. N. 16 Vgl. Tettinger/Schwarz, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 38. 17 BVerfG, Urteil vom 27.04.1959 – 2 BvF 2/58 –, BVerfGE 9, 268, 277 f., 291.
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4. Teil: Zulässigkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage
(Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) sowie dass die Staatsgewalt vom Volke in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt wird (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG), sind damit auch die Länder bei der rechtlichen Ausgestaltung des Kommunalverfassungsrechts zumindest im Grundsatz an diese demokratischen Prinzipien gebunden. Dabei braucht die Frage, ob, wie von der ganz herrschenden Meinung behauptet, das Grundgesetz aufgrund der von Art. 20 Abs. 2 GG verwendeten Formulierungen tatsächlich „streng repräsentativ“ 18 bzw. „prononciert antiplebiszitär“ 19 ausgestaltet ist20, im hiesigen Zusammenhang keiner näheren Betrachtung unterzogen werden. Eine Entscheidung in dieser Frage ist nämlich für die hier interessierende Fragestellung der grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Durchführung kommunaler Befragungen schlichtweg nicht erforderlich.21 Es geht im vorliegenden Zusammenhang um die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines kommunalen Beteiligungsinstruments und damit nicht um die Einführung von Elementen direkter Demokratie auf Bundesebene22. Lediglich im Zusammenhang mit der Frage der Zulässigkeit direktdemokratischer Elemente auf Bundesebene kommt es entscheidend auf die Frage an, inwiefern den grundgesetzlichen Bestimmungen eine Offenheit gegenüber solchen Elementen entnommen werden kann. Selbst unter der Annahme, dass das Grundgesetz sich in seiner gegenwärtigen Form gegen die Möglichkeit der Durchführung von Volksbegehren, Volksbefragungen und Volksentscheiden entschieden haben sollte, beschränkte dies gleichfalls nicht den „plebiszitären Entfaltungsspielraum“ der Länder.23 So wurde bereits ausgeführt, dass Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG lediglich in dem Sinne zu verstehen ist, dass auch die Länder sicherzustellen haben, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht und die Ausübung der Landesstaatsgewalt auf allen Ebenen durch eine ununterbrochene Legitimationskette auf das Volk zurückgeführt werden kann. Die in Art. 20 Abs. 2 GG getroffene Grundentscheidung für die Volkssouveränität und die daraus folgenden Grundsätze der demokratischen Organisation und Legitimation von Staatsgewalt sind damit auch für die verfassungsgemäße Ordnung in den Ländern verbindlich.24 Jedoch fordert Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG von den Ländern lediglich die Schaffung eines gewissen Maßes an Homogenität. Damit geht es aus Sicht der Länder bei der Ausgestaltung der kommunalen Selbstverwaltung nicht um die Anforderungen der Demo18 Vgl. Hofmann, Verfassungsrechtliche Perspektiven, S. 148 ff.; Jürgens, Direkte Demokratie, S. 263 m.w. N.; Hager, VerwArch 84 (1993), 97, 97. 19 Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 608; Hofmann, Verfassungsrechtliche Perspektiven, S. 148. 20 Vgl. hierzu nur Hofmann, Verfassungsrechtliche Perspektiven, S. 148 ff.; Gebhardt, Direkte Demokratie, S. 29 ff. 21 Darauf verweist auch Erbguth, DÖV 1995, 793, 796. 22 Vgl. ausführlich hierzu Jürgens, Direkte Demokratie, S. 263 ff. 23 Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 130 m.w. N. 24 Dittmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. VI, § 127 Rn. 17.
§ 1 Zulässigkeit der Durchführung von Bürgerbefragungen
117
kratie schlechthin, sondern lediglich um die Grundstrukturen des demokratischen Prinzips.25 Die Länder sind durch Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG insbesondere nicht verpflichtet, sich strikt an die repräsentative Form der grundgesetzlichen Demokratie auf Bundesebene zu orientieren.26 Das repräsentative Prinzip des Grundgesetzes gehört nicht zu dem unerlässlichen Mindestmaß an struktureller Homogenität zwischen Bund und Ländern.27 Dass bedeutet, dass plebiszitäre Beteiligungsrechte auf Landesebene und damit auch auf kommunaler Ebene stärker oder schwächer als auf Bundesebene ausgestaltet sein dürfen.28 Nach alledem kann festgehalten werden, dass die plebiszitären Beteiligungsrechte auf kommunaler Ebene29 und damit auch das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung30 nicht mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes kollidieren sowie nicht dem Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG zuwiderlaufen. Soweit das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung bisher überhaupt Gegenstand untergerichtlicher Entscheidungen war31, wurden in diesen keine Zweifel an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Durchführung dieses Instruments geäußert. Beachtet werden muss jedoch, dass stets ein Vorrang des repräsentativen Systems bestehen und damit die Leitungsfunktion der kommunalen Vertretungskörperschaft gewahrt bleiben muss. Dass diese Voraussetzungen im Rahmen der Durchführung kommunaler Befragungen gewahrt bleiben, bedarf keiner näheren Erörterung. 25
Tettinger/Schwarz, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 41. Dittmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. VI, § 127 Rn. 17. 27 Vgl. BVerfG, Urteil vom 22.02.1994 – 1 BvL 30/88 –, BVerfGE 90, 60, 84. 28 Vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 24.03.1982 – 2 BvH 1, 2/82, 2 BvR 233/82 –, BVerfGE 60, 175, 208. 29 So auch Huber, AöR 126 (2001), S. 165 ff.; Schmidt-Jortzig, Der Landkreis 1994, 11, 13; Muckel, NVwZ 1997, 223, 227; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, § 6 Rn. 127, 135; Dreier, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 67; Tettinger/Schwarz, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 47; Hennecke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Art. 28 Rn. 15; Nierhaus, in: Sachs, GG, Art. 28 Rn. 15; Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 83 f.; Burckhardt, Die rechtliche Ordnung, S. 77 m.w. N. („keine ernsthaften verfassungsrechtlichen Bedenken“); Hill, Die Rolle des Bürgers in der Gemeindeverfassung, S. 209 f.; Rehn, in: von Mutius, Festgabe von Unruh, S. 305, 319; Hendler, Der Landkreis 1995, 321, 322 f.; Schoch, in: Schliesky, Festschrift Schmidt-Jortzig, S. 167; Stargardt, DVP 1994, 407, 410. vgl. auch VG Schleswig, Urteil vom 15.03.1979 – 6 A 165/77 –, Die Gemeinde 1979, 186, 189, das hierzu ausführt, dass „der Grundsatz der repräsentativen parlamentarischen Demokratie“ einer Einführung von plebiszitären Elementen nicht im Wege stehe. 30 So auch Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 191; Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 139; Ebsen, DVBl. 1984, 1107, 1108; Püttner/Jacoby, in: Püttner, HKWP, Bd. II, S. 26; Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 121; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 22; Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 284; in Bezug auf Einwohnerbefragungen Woellner, in: Muth, Potsdamer Kommentar, BbgKVerf, § 13 Rn. 49; a. A. in Bezug auf konsultative Volksbefragungen auf Bundesebene Krause, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. III, § 35, Rn. 23 f. 31 Siehe hierzu auch 5. Teil § 2 IV. 26
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4. Teil: Zulässigkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage
2. Volksbefragungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Keine Aussagen zu der Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Durchführung kommunaler Befragungen hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zu den von Hamburg und Bremen erlassenen Volksbefragungsgesetzen sowie in der Entscheidung zur geplanten Volksbefragung in Hessen getroffen.32 Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage in beiden Entscheidungen vielmehr offen gelassen.33 Obgleich das Bundesverfassungsgericht die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Durchführung kommunaler Befragungen bzw. von Befragungen auf Landesebene über das Einfallstor des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG durchaus hätte überprüfen können, wurde ein solches Vorgehen vom Bundesverfassungsgericht bewusst unterlassen.34 Der Grund hierfür muss darin gesehen werden, dass das Bundesverfassungsgericht in beiden Entscheidungen vorher bereits einen kompetenzrechtlichen Verstoß festgestellt hatte und sich die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit somit nicht mehr als entscheidungserheblich darstellte.35 Überdies plagten das Bundesverfassungsgericht zu dem damaligen Zeitpunkt erhebliche zeitliche Zwänge. Das Bundesverfassungsgericht hat in der zu den von Hamburg und Bremen erlassenen Volksbefragungsgesetzen ergangenen Entscheidung insoweit ausgeführt: „Nach dem bisher Dargelegten kommt es nicht mehr darauf an, ob gegen die beiden Gesetze noch weitere verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht werden könnten, ob sie etwa im Widerspruch stehen zur repräsentativen Ausprägung der demokratischen Ordnung im Grundgesetz [. . .]. Auf Prüfung und Entscheidung dieser Fragen musste im vordringlichen Interesse einer raschen Entscheidung des Rechtsstreits verzichtet werden.“ 36 3. Umkehrschluss aus Art. 28 Abs. 1 S. 4 GG Keine Rückschlüsse bei der Beantwortung der Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen lassen sich aus Art. 28 Abs. 1 S. 4 GG ableiten. Nach dieser Bestimmung kann in Gemeinden an die Stelle der Vertretungskörperschaft eine Gemeindeversammlung treten. Diese Gemeindeversammlung tritt dabei vollständig in die Rechte und Pflichten der Vertretungskörperschaft ein. Nach Auffassung von Teilen der Literatur folgt aus einem Umkehrschluss aus dieser Vorschrift die Zulässigkeit plebiszitärer Elemente auf kommunaler Ebene.37 Denn sofern das Grundgesetz 32
Siehe hierzu bereits 2. Teil § 4 I. Vgl. hierzu bereits Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 99. 34 Vgl. Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 99. 35 Das Bundesverfassungsgericht hätte insoweit lediglich von der Möglichkeit des Ausspruchs eines obiter dictums Gebrauch machen können. 36 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104, 121 f. 37 Vgl. Waechter, Kommunalrecht, Rn. 271; Pagenkopf, Kommunalrecht, Bd. I, S. 204 ff.; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, § 6 Rn. 70; Frotscher, in: von Mutius, Fest33
§ 1 Zulässigkeit der Durchführung von Bürgerbefragungen
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bereits die Bildung einer Gemeindeversammlung ermögliche, könne nicht gleichzeitig auch die Einrichtung anderer Formen der Bürgerbeteiligung als unzulässig betrachtet werden. Dürften die Bürger danach bei sämtlichen Sachentscheidungen anstelle der Vertretungskörperschaft entscheiden, müsse dies doch erst recht auch für den Einzelfall und damit für einen Bürgerentscheid und letztendlich auch für das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung gelten.38 Dieser Auffassung kann jedoch nicht gefolgt werden.39 Sofern in Art. 28 Abs. 1 S. 4 GG die Rede davon ist, dass an die Stelle der jeweiligen Vertretungskörperschaft eine Gemeindeversammlung treten kann, sagt dies nichts über die rechtliche Zulässigkeit eines Nebeneinanders von entscheidungsbefugter Vertretungskörperschaft und gesetzlich geregelten Formen der Bürgerbeteiligung aus.40 Nach der Vorstellung des Art. 28 Abs. 1 S. 4 GG ersetzt die Gemeindeversammlung die jeweilige Vertretungskörperschaft und tritt damit nicht als bloßes Beteiligungsinstrument neben diese. Insoweit besteht ein erheblicher Unterschied zwischen Ersetzung und bloßer Ergänzung des repräsentativen Systems.41 Bei Art. 28 Abs. 1 S. 4 GG handelt es sich letztlich um eine in der Praxis bedeutungslose Ausnahmevorschrift für Kleinstgemeinden.42 Wie sich aus der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes entnehmen lässt, sollte mit dieser Regelung bezweckt werden, in Kleinstgemeinden auf ein Repräsentativorgan verzichten zu können und vielmehr den Bürgern die Entscheidungsverantwortung zukommen zu lassen.43 Ein Rückschluss auf die generelle Zulässigkeit von Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene kann daraus jedoch nicht gezogen werden.44 Jedoch erscheint es vertretbar, dass in der Regelung zumindest ein Indiz für die grundsätzliche Vereinbarkeit plebiszitärer Elemente mit dem Selbstverwaltungsmodell des Grundgesetzes gesehen werden kann.45 gabe Unruh, S. 127, 145 (dort Fn. 88); Rehn, in: von Mutius, Festgabe Unruh, S. 305, 319; Hendler, Bürgerschaftliche Mitwirkung, S. 140; Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 190; Hill, Die Rolle des Bürgers in der Gemeindeverfassung, S. 211; Meissner, in: Kühne/ Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 176; Pestalozza, Der Popularvorbehalt, S. 15; von Mutius, Gutachten E zum 53. Deutschen Juristentag 1980, S. 213, der in diesem Zusammenhang von einer „Öffnung der Verfassung [. . .] zugunsten gewisser unmittelbar-demokratischer Strukturen der Gemeindeverfassung“ spricht. 38 So ausdrücklich Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 22. 39 So auch Burkhardt, Die rechtliche Ordnung des Bürgerentscheids, S. 88; Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 34 f.; Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 60; Streinz, Die Verwaltung 16 (1983), 293, 301. 40 So auch Erbguth, DÖV, 1995, 793, 797. 41 Streinz, Die Verwaltung 16 (1983), 293, 301. 42 Dreier, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 84; Streinz, Die Verwaltung 16 (1983), 293, 301. 43 Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 59. 44 Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 35; Streinz, Die Verwaltung 16 (1983), 293, 301. 45 So auch Dreier, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 84.
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4. Teil: Zulässigkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage
4. Zwischenergebnis Nach den vorausgegangenen Ausführungen kann festgehalten werden, dass die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen verfassungsrechtlich zulässig ist. Eine hiervon abweichende rechtliche Beurteilung ist insbesondere nicht aufgrund des Demokratieprinzips des Grundgesetzes geboten. Dieses Ergebnis deckt sich mit dem Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur.
II. Der Grundsatz des freien Mandats Gegen die grundsätzliche Zulässigkeit der Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen könnte jedoch sprechen, dass mit der Durchführung unter bestimmten Umständen eine Verletzung des Grundsatzes des freien Mandats46 einhergeht47 bzw. eine Verletzung dieses Grundsatzes im Rahmen der Durchführung kommunaler Befragungen zumindest nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. Argumentiert werden könnte insoweit, dass durch die faktische Verbindlichkeit, die unter bestimmten Umständen aus einem Befragungsergebnis folgt48, die Mitglieder einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft in der jeweiligen Angelegenheit gerade nicht mehr frei und ohne Zwang entscheiden können, sondern sich vielmehr an das Befragungsergebnis gebunden fühlen. Bei der nachfolgenden Erörterung soll es dabei zunächst nur um die Frage gehen, ob der Grundsatz des freien Mandats der Durchführung kommunaler Befragungen bereits im Grundsatz entgegensteht. Verneinte man diese Frage, stellt sich die im weiteren Verlauf der Arbeit zu behandelnde Frage49, ob darüber hinaus auch eine sog. freiwillige Selbstverpflichtung einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft, mit der diese sich bei Eintritt bestimmter Voraussetzung zur Befolgung des Befragungsergebnisses verpflichtet, im Einklang mit dem Grundsatz des freien Mandats steht.
46 Vgl. ausführlich zum freien Mandat Klein, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. III, § 51 Rn. 1 ff.; Badura, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, GG, Bd. VII, Art. 38 Rn. 48 ff.; der Begriff des freien Mandats, der weder vom Grundgesetz noch von anderen Gesetzen verwendet wird, findet beispielsweise Erwähnung bei Hofmann, Verfassungsrechtliche Perspektiven, S. 140; kritisch zu diesem Begriff Achterberg/Schulte, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 38 Rn. 33, die der in ihren Augen ungenauen Bezeichnung des „freien Mandats“ die Bezeichnung „repräsentatives Mandat“ vorziehen. 47 Vgl. ausführlich zu dieser Frage in Bezug auf konsultative Referenden auf Bundesebene Bugiel, Volkswille, S. 406 ff.; Obst, Chancen direkter Demokratie, S. 183 ff. 48 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 1 II. 49 Siehe hierzu 5. Teil § 4.
§ 1 Zulässigkeit der Durchführung von Bürgerbefragungen
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1. Geltung des Grundsatzes für Mitglieder gemeindlicher Vertretungskörperschaften Im Vorfeld der Erörterung der Frage, ob der Grundsatz des freien Mandats der Durchführung kommunaler Befragungen grundsätzlich entgegensteht, gilt es zunächst zu untersuchen, ob sich Mitglieder einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft überhaupt auf den Grundsatz des freien Mandats berufen können. Zumindest die Regelung in Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, wonach Abgeordnete des Bundestages Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind, ist auf Mitglieder einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft nicht unmittelbar anwendbar. Dieses Ergebnis folgt bereits aus dem Wortlaut von Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG. Auch das Bundesverwaltungsgericht teilt diese Auffassung.50 Soweit darüber hinaus auch die Landesverfassungen mit Ausnahme der hessischen Landesverfassung Bestimmungen vorsehen, wonach für die Abgeordneten des jeweiligen Landtags der Grundsatz des freien Mandats gilt51, sind auch diese Vorschriften aufgrund ihres insoweit eindeutigen Wortlauts nicht unmittelbar auf Mitglieder einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft anwendbar. Indes sehen mit Ausnahme von Bayern und Schleswig-Holstein auch die Kommunalverfassungen vergleichbare Bestimmungen vor.52 Diese Bestimmungen lehnen sich in ihrer Ausgestaltung an die Rechtsstellung der Mitglieder des Bundestages und der Landtage an.53 Ungeachtet der fehlenden Regelungen diesbezüglich in Bayern und Schleswig-Holstein können sich indes auch in diesen Bundesländern die Mitglieder gemeindlicher Vertretungskörperschaften auf den Grundsatz des freien Mandats berufen. Rechtliches Einfallstor hierfür ist das in Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG verankerte Homogenitätsprinzip.54 Danach findet Art. 38 50
BVerwG, Urteil vom 27.03.1992 – BVerwG 7 C 20.91 –, BVerwGE 90, 104, 105. Art. 13 S. 2 BVerf; Art. 27 Abs. 3 S. 2 BWVerf; Art. 56 Abs. 1 S. 1 BbgVerf; Art. 83 Abs. 1 S. 3 BremVerf; Art. 7 Abs. 1 S. 2 HmbVerf; Art. 22 Abs. 1 MVVerf; Art. 12 S. 2 NdsVerf; Art. 30 Abs. 2 NWVerf; Art. 79 Abs. 2 S. 2 RhPfVerf; Art. 66 Abs. 2 S. 1 SaarlVerf; Art. 39 Abs. 3 S. 2 SächsVerf; Art. 41 Abs. 2 S. 2 LSAVerf; Art. 11 Abs. 1 S. 2 SHVerf; Art. 53 Abs. 1 S. 2 ThürVerf. 52 Art. 32 Abs. 3 S. 2 BWGO; § 30 Abs. 1 S. 2 BbgKVerf („Sie sind an Aufträge nicht gebunden.“); § 35 Abs. 1 HessGO („[. . .]an Aufträge und Wünsche der Wähler nicht gebunden.“); § 23 Abs. 3 S. 2 MVKVerf („Sie sind an Aufträge und Verpflichtungen [. . .] nicht gebunden.“); § 54 Abs. 1 S. 2 NKomVG („Sie sind nicht an Verpflichtungen gebunden [. . .].“); § 43 Abs. 1 Hs. 2 NRWGO („Sie sind an Aufträge nicht gebunden.“); § 30 Abs. 2 Hs. 2 RhPfGO („Sie sind an Weisungen oder Aufträge ihrer Wähler nicht gebunden.“); § 30 Abs. 1 S. 3 SaarlKSVG („Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden.“); § 35 Abs. 3 S. 2 SächsGO („An Verpflichtungen und Aufträge [. . .] sind sie nicht gebunden.“); § 42 Abs. 1 S. 2 LSAGO („Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden“); § 24 Abs. 1 S. 2 ThürKO („Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden.“). 53 Vgl. Koch, in: Ipsen, NKomVG, § 54 Rn. 2. 54 So auch Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 61 m.w. N.; siehe zum Homogenitätsprinzip bereits 4. Teil § 1 I. 1. 51
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4. Teil: Zulässigkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage
Abs. 1 S. 2 GG insoweit entsprechende Anwendung, als dass diese Regelung die Rechtsstellung der Mitglieder einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft in ihren Grundzügen vorzeichnet.55 Die von dem Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG geforderte grundsätzliche Geltung des Demokratieprinzips auch für die Länder ist in Bezug auf die gemeindliche Ebene nur dann gewährleistet, wenn auch den Mitgliedern einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft die Berufung auf den Grundsatz des freien Mandats zuerkannt wird.56 Damit müssen im Ergebnis die einschlägigen Vorschriften des Landesverfassungsrechts entsprechende Anwendung auf Mitglieder einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft finden.57 Denn auch auf Ebene des Landesverfassungsrechts ist der Grundsatz des freien Mandats Ausdruck der repräsentativen Demokratie und eine Vertretungskörperschaft auf kommunaler Ebene verkörpert in gleicher Weise das System der repräsentativen Demokratie wie ein Landtag auf Landesebene58. Auch die Mitglieder einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft sind demokratisch legitimierte Vertreter der Gemeindebürger. Daher findet der Grundsatz des freien Mandats auch auf Mitglieder einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft Anwendung.59 Soweit die Kommunalverfassungen den Grundsatz des freien Mandats einfachgesetzlich ausgeformt haben, sind diese Bestimmungen lediglich deklaratorischer Natur.60 Mitglieder einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft können sich damit unabhängig des Bestehens einer diesbezüglichen einfachgesetzlichen Regelung auf den Grundsatz des freien Mandats berufen. 2. Verletzung des Grundsatzes Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen gilt es zu erörtern, ob durch die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung der Grundsatz des freien Mandats verletzt wird. Von Seiten der Rechtsprechung wurde diese Frage bisher noch nicht umfassend aufgegriffen. Lediglich das Oberverwaltungsgericht Koblenz äußerte sich in einer Entscheidung zu der Frage, ob die Durchführung einer Bürgerbefragung für den Fall noch mit dem Prinzip des freien Mandats als vereinbar angesehen werden kann, dass sich die Mitglieder einer Vertretungskörperschaft bereits vor Durchführung der Befragung zur Befolgung des Befra-
55
BVerwG, Urteil vom 27.03.1992 – BVerwG 7 C 20.91 –, BVerwGE 90, 104, 105. BVerwG, Urteil vom 27.03.1992 – BVerwG 7 C 20.91 –, BVerwGE 90, 104, 105. 57 BayVerfGH, Entscheidung vom 23.07.1984 – Vf. 15 – VII/83 –, NVwZ 1985, 823, 823. 58 Vgl. Wurzel, Gemeinderat als Parlament, S. 38. 59 BayVerfGH, Entscheidung vom 23.07.1984 – Vf. 15 – VII/83 –, NVwZ 1985, 823, 823. 60 So auch Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 61; vgl. auch Wurzel, Gemeinderat als Parlament, S. 37 m.w. N. (dort Fn. 4). 56
§ 1 Zulässigkeit der Durchführung von Bürgerbefragungen
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gungsergebnisses verpflichten.61 In dieser Verpflichtung zur Befolgung des Befragungsergebnisses sah das Gericht eine Verletzung des Prinzips des freien Mandats.62 Damit tätigte das Gericht jedoch gerade keine Aussage in Bezug auf die im vorliegenden Zusammenhang interessierende Frage, ob der Grundsatz des freien Mandats die Durchführung kommunaler Befragungen bereits im Grundsatz verhindert. Jedoch wird von Seiten der Literatur durchaus vertreten, dass durch die etwaige faktische Verbindlichkeit des Befragungsergebnisses die Durchführung kommunaler Befragungen dem Prinzip des freien Mandats zuwiderlaufe.63 Auch ein im Jahr 1983 vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages erstelltes Gutachten kommt in Bezug auf konsultative Volksbefragungen auf Bundesebene zu dem Ergebnis, dass eine Durchführung dieser wohl nur schwerlich als mit dem Grundsatz des freien Mandats vereinbar angesehen werden könne.64 Denn nach Auffassung des Gutachtens werde die durch das Prinzip des freien Mandats verbürgte „Freiheit, die die Verantwortung des Abgeordneten konstituiert, [. . .] erheblich beschnitten, wenn ihm in wesentlichen Fragen die Entscheidung zwar formal nicht abgenommen werde, ihm aber bewusst und zielgerichtet vor Augen gehalten würde, was die Mehrheit der Bevölkerung will [. . .]“.65 Das Gutachten kommt daher zu dem Schluss, dass das Prinzip des freien Mandats dadurch jedenfalls „in seinem Wert entscheidend geschmälert und teilweise zurückgenommen“ werde.66 Im Ergebnis überzeugender dürfte demgegenüber jedoch die Sichtweise sein, dass in der Durchführung kommunaler Befragungen keine Verletzung des Prin-
61 OVG Koblenz, Urteil vom 15.01.1991 – Az. 7 A 11123/90 –, NVwZ-RR 1991, 500 ff. 62 OVG Koblenz, Urteil vom 15.01.1991 – Az. 7 A 11123/90 –, NVwZ-RR 1991, 500, 502. 63 Vgl. Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 81, die diesbezüglich zumindest „eine Gefährdung des unabhängigen Mandats der gewählten Vertreter“ erblickt; vgl. in Bezug auf konsultative Befragungen auf Bundesebene Greifeld, Volksentscheid durch Parlamente, S. 70 ff.; Scheuner, in: Rausch, Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation, S. 404; Scheuner, in: Festschrift Huber, S. 222, 236, der die Auffassung vertritt, dass die Durchführung einer Befragung „eine der Verfassung widersprechende Einschränkung der freien, nur durch die Verfassung gebundenen Entscheidungsbefugnis des Parlaments“ bedeute. 64 Dach, Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutsches Bundestages vom 22.08.1983 (WF III – 136/83), S. 6 (zitiert nach Obst, Chancen direkter Demokratie, S. 181 f. [dort Fn. 6]). 65 Dach, Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutsches Bundestages vom 22.08.1983 (WF III – 136/83), S. 6 (zitiert nach Obst, Chancen direkter Demokratie, S. 181 f. [dort Fn. 6]). 66 Dach, Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutsches Bundestages vom 22.08.1983 (WF III – 136/83), S. 6 (zitiert nach Obst, Chancen direkter Demokratie, S. 181 f. [dort Fn. 6]).
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4. Teil: Zulässigkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage
zips des freien Mandats erblickt werden kann.67 Ungeachtet der sich teilweise unterscheidenden Formulierungen des Grundsatzes des freien Mandats in den verschiedenen Kommunalverfassungen68 soll der Grundsatz für die folgenden Ausführungen dergestalt verstanden werden, dass Mitglieder einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und vielmehr nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Dies entspricht der Formulierung in Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, die nach der hier vertretenen Auffassung zwar nicht unmittelbar, jedoch zumindest entsprechend anwendbar ist.69 Bevor jedoch auf die Frage eingegangen werden kann, ob in dem Ergebnis einer kommunalen Befragung tatsächlich ein Auftrag oder gar eine Weisung erblickt werden kann, stellt sich zunächst die Frage nach dem richtigen Verständnis des Prinzips des freien Mandats. Soweit nämlich das Prinzip des freien Mandats dergestalt verstanden werden muss, dass Mitglieder einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft an Aufträge und Weisungen nicht gebunden sind, lässt diese Formulierung zunächst zwei Deutungsmöglichkeiten zu.70 Zunächst kann diese Aussage dergestalt verstanden werden, dass die Erteilung von Aufträgen und Weisungen zwar erlaubt ist, diese jedoch gegenüber den Mitgliedern einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft keine verbindliche Wirkung entfalten und damit von diesen auch nicht befolgt zu werden brauchen.71 Demgegenüber könnte auch argumentiert werden, dass nicht nur keine Verpflichtung zur Befolgung von Aufträgen und Weisungen besteht, sondern darüber hinaus bereits die Adressierung von solchen Aufträgen und Weisungen an Mitglieder einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft unzulässig ist.72 Für die letztgenannte Sichtweise dürfte streiten, dass damit im Ergebnis verhindert wird, dass die Mitglieder einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft überhaupt erst in die missliche Situation kommen, darüber entscheiden zu müssen, wie sie mit einem Auftrag oder einer Weisung tatsächlich umzugehen haben. Dennoch erscheint die erst genannte Deutungsmöglichkeit, wonach Aufträge und Weisungen zwar im Grundsatz erlaubt sind, jedoch keine Verpflichtungen gegenüber den Mitgliedern einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft entfalten, im Ergebnis vorzugswürdig. 67 A. A. Scheuner, in: Festschrift Huber, S. 222, 236, der die Auffassung vertritt, dass die Durchführung einer Befragung „eine der Verfassung widersprechende Einschränkung der freien, nur durch die Verfassung gebundenen Entscheidungsbefugnis des Parlaments“ bedeute. 68 Siehe hierzu bereits 4. Teil § 1 II 1. 69 Siehe hierzu bereits 4. Teil § 1 II. 2. 70 Vgl. hierzu bereits Bugiel, Volkswille, S. 406 ff.; Obst, Chancen direkter Demokratie, S. 189 ff. 71 Vgl. Achterberg/Schulte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 38 Rn. 39; vgl. auch die Nachweise bei Bugiel, Volkswille, S. 407 (dort Fn. 59). 72 Vgl. in Bezug auf das Verständnis des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG Badura, in: Dolzer/ Vogel/Graßhof, GG, Bd. VII, Art. 38 Rn. 53 f.; Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. IV, Art. 38 Rn. 194; Trute, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. I, Art. 38 Rn. 87 m.w. N.
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Bereits der Wortlaut von Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG bzw. der Wortlaut der insoweit teilweise identischen Bestimmungen einiger Kommunalverfassungen legen ein solches Verständnis nahe.73 Das von diesen Regelungen intendierte Ergebnis, dass eine rechtliche Bindung gerade nicht eingegangen werden darf, setzt voraus, dass Aufträge und Weisungen überhaupt erst erteilt werden dürfen. Wäre dagegen das Erteilen von Aufträgen und Weisungen gänzlich verboten, bedürfte es keiner gesonderten Erwähnung, dass eine Bindung an Aufträge und Weisungen nicht besteht. Das Erteilen von Aufträgen und Weisungen ist demnach rechtlich nicht angreifbar, indes dürfen diese nicht befolgt werden und es besteht daher auch kein Anspruch auf Befolgung.74 Andernfalls hätten der Verfassungsgeber bzw. die Landesgesetzgeber die Vorschriften dergestalt formuliert, dass Aufträge und Weisungen nicht erteilt werden dürfen.75 Im Ergebnis kommt dieser Frage nach dem Verständnis des Prinzips des freien Mandats im vorliegenden Zusammenhang jedoch keine entscheidende Bedeutung zu, da nach beiden der genannten Deutungsmöglichkeiten kein Verstoß gegen das Prinzip des freien Mandats ausgemacht werden kann. Es bestehen nämlich bereits erhebliche Zweifel daran, ob in dem Ergebnis einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung überhaupt ein Auftrag oder gar eine Weisung erblickt werden kann.76 Diese Zweifel gründen im Ergebnis darauf, dass dem Ergebnis kommunaler Befragungen in keinem Fall eine rechtliche Verbindlichkeit zukommt, sondern lediglich unter bestimmten Umständen eine faktische Bindungswirkung.77 Ob indes das etwaige Bestehen einer faktischen Bindungswirkung ausreicht, um das Befragungsergebnis als Auftrag oder Weisung charakterisieren zu können, erscheint mehr als fraglich.78 Bereits der Wortlaut der Begriffe legt ein Verständnis dahingehend nahe, dass einem Auftrag bzw. einer Weisung stets ein verpflichtendes Moment inne wohnt.79 Von einem „Auftrag“ bzw. einer „Weisung“ kann richtigerweise immer nur dann die Rede sein, wenn diesen eine verpflichtende Wirkung zukommt. Eine solche Wirkung kommt dem Ergebnis einer kommunalen Befragung indes gerade nicht zu. Der Sinn und Zweck des Grundsatzes des freien Mandats muss nämlich gerade darin gesehen werden, dass einem Mitglied einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft gegenüber keine rechtlichen Bindungen in Bezug auf das Abstimmungsverhalten herbeigeführt werden können.80 73
Vgl. Obst, Chancen direkter Demokratie, S. 190. Vgl. Bugiel, Volkswille, S. 407. 75 So auch Bugiel, Volkswille, S. 408. 76 Dies bezweifelt in Bezug auf Volksabstimmungen auch Obst, Chancen direkter Demokratie, S. 182. 77 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 1 II. 78 Vgl. hierzu ausführlich Obst, Chancen direkter Demokratie, S. 184 f. 79 Obst, Chance direkter Demokratie, S. 184; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 160. 80 Vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 38 Rn. 41. 74
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4. Teil: Zulässigkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage
Rechtliche Bindungen im Zusammenhang mit einem Abstimmungsverhalten können sich jedoch unmöglich bereits aus etwaigen faktischen Bindungen ergeben. Daher spricht bereits einiges dafür, dass aus den genannten Gründen im Falle der Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung bereits kein Auftrag oder eine Weisung vorliegt.81 Dem entspricht es, dass einige Kommunalverfassungen den Grundsatz des freien Mandats dergestalt einfachgesetzlich ausgestaltet haben, dass die Mitglieder gemeindlicher Vertretungskörperschaften nicht an etwaige Verpflichtungen gebunden sind.82 Damit kann festgehalten werden, dass die Durchführung kommunaler Befragungen aufgrund der nicht vorhandenen rechtlichen Verbindlichkeit des Befragungsergebnisses die Entscheidungsfreiheit der Mitglieder einer Vertretungskörperschaft nicht antastet. Ein Verstoß gegen das Prinzip des freien Mandats liegt damit nach der hier vertretenen Auffassung nicht vor.83
§ 2 Erfordernis einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage Nach den vorausgegangenen Ausführungen steht fest, dass die Durchführung kommunaler Befragungen im Grundsatz im Einklang mit der Rechtsordnung steht. Damit ist jedoch noch keine Aussage über die Frage der Zulässigkeit der Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung im Einzelfall getroffen. Gesetzliche Rahmenbedingungen zur Durchführung kommunaler Befragungen wurden bisher lediglich in Niedersachsen, im Saarland sowie in Schleswig-Holstein erlassen. Ungeachtet dieser Gegebenheit werden jedoch auch in den übrigen Bundesländern, die bisher auf eine einfachgesetzliche Verankerung des Instruments verzichtet haben, kommunale Befragungen durchgeführt.84 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage der Zulässigkeit eines solches Vorgehens.85 Anders gesprochen geht es um die Frage, ob für die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen stets eine einfachgesetzliche Regelung erforderlich ist oder aber einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft vielmehr eine „Partizipationserfindungskompetenz“ 86 zukommt mit der Folge, dass eine einfachgesetzliche Regelung zur Durchführung kommunaler Befragungen gerade nicht erfor81
Vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 38 Rn. 41. § 23 Abs. 3 S. 2 MVKV; § 54 Abs. 1 S. 2 NKomVG; § 35 Abs. 3 S. 2 SächsGO. 83 So im Ergebnis auch Woellner, in: Muth, Potsdamer Kommentar, BbgKVerf, § 13 Rn. 54; in diese Richtung tendierend wohl auch Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 127 f.; Bugiel, Volkswille, S. 409. 84 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 2 I. 85 Vgl. zur allgemeineren Frage der Zulässigkeit gesetzlich nicht geregelter Partizipationsformen bereits Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 80 f. 86 So Ebsen, DVBl. 1984, 1107, 1108. 82
§ 2 Erfordernis einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage
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derlich ist. Da die Entscheidung zur Durchführung einer Befragung entweder mit dem Erlass einer Satzung oder aber mit dem Erlass eines Beschlusses einer Vertretungskörperschaft verbunden ist, gilt es im Folgenden zu erörtern, ob eine Vertretungskörperschaft hierfür eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage benötigt.87 Dieser Frage kommt im Rahmen der vorliegenden Arbeit eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Gesetzt den Fall, dass die Durchführung kommunaler Befragungen zwingend eine einfachgesetzliche Regelung erforderte, hätte dies zur Folge, dass die Durchführung kommunaler Befragungen in Gemeinden derjenigen Bundesländer, die bisher keine einfachgesetzliche Ermächtigung erlassen haben, rechtswidrig wäre. Damit könnten lediglich in Niedersachsen, im Saarland sowie in Schleswig-Holstein in zulässiger Art und Weise kommunale Befragungen durchgeführt werden. Darüber hinaus gewinnt die Fragestellung auch insoweit an Brisanz, als dass in einigen Bundesländern, in denen bisher keine einfachgesetzliche Regelung zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen erlassen wurde, ein Bürgerentscheid nicht auch auf Initiative einer Vertretungskörperschaft im Wege eines sog. Ratsbegehrens durchgeführt werden kann.88 Im Falle der Unzulässigkeit der Durchführung kommunaler Befragungen ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage gäbe es damit, nimmt man die insoweit zu vernachlässigenden kommunalen Mitwirkungsrechte89 einmal aus, für eine Vertretungskörperschaft abgesehen von der Durchführung einer kommunalen Bürgerumfrage90 keine Möglichkeit, Informationen über das Meinungsbild der Bürger- bzw. Einwohnerschaft zu erhalten.91 Die Bedeutung der im Folgenden zu behandelnden Fragestellung zeigt sich weiterhin auch darin, dass von Seiten der Literatur und Rechtsprechung hierzu häufig Stellung bezogen wurde und die Frage damit als äußerst umstritten92 angesehen werden kann. Die bisherigen Ausführungen in Literatur und Rechtsprechung gehen dabei größtenteils jedoch über eine klare Positionierung in dieser Frage nicht hinaus.93 Im Folgenden sollen zunächst die zu dieser Frage in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Ansichten vorgestellt werden. Im Anschluss daran erfolgt eine ausführliche Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Auffassungen und Argumenten. Aufgezeigt werden soll dabei, dass es im Ergebnis 87 Vgl. zu der Frage, ob der Vorbehalt des Gesetzes auch für die Rechtssetzungsbefugnis der Gemeinden gilt Bussalb, Vorbehalt des Gesetzes. 88 Siehe hierzu bereits 3. Teil § 2 IV. 3. 89 Siehe hierzu bereits 3. Teil § 2 V. 90 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 5 IV. 91 Darauf verweist auch Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 80. 92 So ausdrücklich auch Thiele, Das neue kommunale Verfassungsrecht, Rn. 138. 93 Vgl. nur die Ausführungen bei von Arnim, DÖV 1990, 85, 89; Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 121.
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4. Teil: Zulässigkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage
überzeugender sein dürfte, das Erfordernis einer einfachgesetzlichen Grundlage für die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen zu bejahen.
I. Auffassung der Niedersächsischen Sachverständigenkommission zur Fortentwicklung des Kommunalverfassungsrechts Bereits die Niedersächsische Sachverständigenkommission zur Fortentwicklung des Kommunalverfassungsrechts setzte sich im Jahr 1978 in ihrem Gutachten mit der Frage auseinander, ob die Durchführung einer Bürgerbefragung eine einfachgesetzliche Grundlage erfordert.94 Diese Frage wurde von der Kommission verneint. Zunächst kam die Kommission jedoch zu dem Ergebnis, dass im Grundsatz die Entscheidung über die zur Verfügung stehenden Formen der Bürgerbeteiligung nicht den einzelnen Gemeinden überlassen werden dürfe, sondern vielmehr eine diesbezügliche Entscheidung des Landesgesetzgebers erforderlich sei.95 Diesem obläge es, die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene in einer für die Gemeinden verbindlichen Art und Weise im Grundsatz zu regeln.96 Begründet wurde diese Auffassung damit, dass lediglich auf diese Weise gewährleistet sei, dass allen Bürgern innerhalb eines Bundeslandes identische Beteiligungsmöglichkeiten eingeräumt werden.97 Einschränkend hierzu führte die Kommission jedoch aus, dass eine Bürgerbefragung wegen ihres lediglich konsultativen Charakters auch ohne gesetzliche Grundlage durchgeführt werden könne.98 Dafür spreche nach Ansicht der Kommission auch, dass eine kommunale Befragung als ein partizipationsförderndes Instrument der Kommunalpolitik anzusehen sei.99 Eine gesetzliche Regelung sei insbesondere auch deshalb nicht erforderlich, weil eine solche wegen der vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten dieses Instruments bei der Anwendung einer Befragung eher entgegenstünde.100
94 Niedersächsische Sachverständigenkommission zur Fortentwicklung des nalverfassungsrechts, S. 59 ff. 95 Niedersächsische Sachverständigenkommission zur Fortentwicklung des nalverfassungsrechts, S. 59. 96 Niedersächsische Sachverständigenkommission zur Fortentwicklung des nalverfassungsrechts, S. 59. 97 Niedersächsische Sachverständigenkommission zur Fortentwicklung des nalverfassungsrechts, S. 59. 98 Niedersächsische Sachverständigenkommission zur Fortentwicklung des nalverfassungsrechts, S. 63. 99 Niedersächsische Sachverständigenkommission zur Fortentwicklung des nalverfassungsrechts, S. 63. 100 Niedersächsische Sachverständigenkommission zur Fortentwicklung des nalverfassungsrechts, S. 63.
KommuKommuKommuKommuKommuKommuKommu-
§ 2 Erfordernis einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage
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II. Auffassung der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts Im Jahr 1992 äußerte sich zudem die Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts101 in ihrem Bericht umfassend zu der Frage des Erfordernisses einer einfachgesetzlichen Regelung für die Durchführung einer Bürgerbefragung. Entgegen der bereits dargestellten Auffassung der Niedersächsischen Sachverständigenkommission kommt die EnqueteKommission zu dem Ergebnis, dass die Durchführung einer Bürgerbefragung zwingend einer gesetzlichen Regelung bedürfe.102 Im Rahmen der Begründung nahm die Enquete-Kommission ausdrücklich Bezug auf die bereits erörterte Volksbefragungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts103 und führte insoweit aus, dass es sich bei einer Bürgerbefragung aus verfassungsrechtlicher Sicht um ein Instrument zur Kundgabe des Bürgerwillens handele und die Teilnahme an einer Befragung daher als Ausübung von Staatsgewalt anzusehen sei.104 Die Entscheidung über die Durchführung einer Befragung könne daher nicht in das Belieben einer Vertretungskörperschaft gestellt werden, sondern bedürfe vielmehr einer klaren gesetzlichen Regelung.105
III. Meinungsstand in der Literatur Diese Uneinigkeit in Bezug auf die Frage des Erfordernisses einer gesetzlichen Regelung lässt sich auch in der Literatur wiederfinden. Eine klare Tendenz in der Literatur für eine Sichtweise in dieser Frage ist dabei nicht erkennbar. Im Folgenden soll das Spektrum der in der Literatur zu der vorliegenden Fragestellung vertretenen Ansichten zumindest in Grundzügen dargestellt werden. 1. Das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage ablehnende Ansichten Von Seiten der Literatur wird einerseits vertreten, dass für die Durchführung kommunaler Befragungen keine einfachgesetzliche Rechtsgrundlage erforderlich 101 Bericht der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen munalverfassungsrechts, LT-Drs. 12/6260; siehe hierzu bereits 2. Teil § 3. 102 Bericht der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen munalverfassungsrechts, LT-Drs. 12/6260, S. 56. 103 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 3. 104 Bericht der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen munalverfassungsrechts, LT-Drs. 12/6260, S. 56. 105 Bericht der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen munalverfassungsrechts, LT-Drs. 12/6260, S. 56.
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4. Teil: Zulässigkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage
ist.106 Diese Ansicht wird überwiegend mit der Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses für eine Vertretungskörperschaft begründet.107 Gerade diese fehlende rechtliche Verbindlichkeit des Befragungsergebnisses führte dazu, dass die Kompetenzen einer Vertretungskörperschaft formal nicht angetastet werden.108 Vereinzelt wird als Argument für diese Sichtweise auch ausdrücklich hervorgehoben, dass die Durchführung kommunaler Befragungen nirgends verboten sei.109 Angeführt wird weiterhin, dass eine Gemeinde durch die grundgesetzlich gewährte Selbstverwaltungsgarantie, insbesondere durch den Grundsatz der Allzuständigkeit110, nach eigenem Ermessen die Grundlagen für ihre Entscheidungen schaffen könne und somit auch nicht auf eine einfachgesetzliche Grundlage für die Durchführung kommunaler Befragungen angewiesen sei.111 In diesem Zusammenhang wird teilweise auch angeführt, dass es über eine „selbstverständliche Befugnis“ hinaus sogar die Pflicht einer Gemeinde sei, im Rahmen einer Sachentscheidung eine umfassende und lückenlose Information sicherzustellen.112 106 von Arnim, DÖV 1990, 85, 89; Ardelt, Erfahrungen mit Bürgerentscheid und Bürgerbegehren, S. 242, der darauf hinweist, dass die Gemeinden „selbstverständlich“ jederzeit die Möglichkeit zur Durchführung von Bürgerbefragungen hätten, da diese schließlich nicht „verboten“ seien; Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbare Demokratie, S. 137 f.; Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 193; Püttner, Kommunalrecht BW, Rn. 199; Thaysen, Bürgerinitiativen, S. 168; Knemeyer, BayBgm. 1971, 87, 90; Gramke, Praktizierte Bürgernähe, S. 48; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, § 6 Rn. 140, 141; Woellner, in: Muth, Potsdamer Kommentar, BbgKVerf, § 13 Rn. 49 ff.; Pröckl, Die unmittelbare Beteiligung der Bürger, S. 20; vgl. auch Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 151 ff., nach dem „konsultative Befragungen“ trotz Fehlens einer einfachgesetzlichen Grundlage in allen Bundesländern erlaubt seien; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 25, der diese Aussage jedoch auf solche Befragungen beschränkt, bei der die Angelegenheit in die „eigenen Zuständigkeit“ der Gemeinde fällt; im Ergebnis auch Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 325; Gebhardt, Direkte Demokratie, S. 82; in Bezug auf konsultative Volksbefragungen auf Bundesebene Pestalozza, NJW 1981, 733, 735. 107 Gramke, Praktizierte Bürgernähe, S. 48; angedeutet bei Stiel, Möglichkeiten und Grenzen der Bürger- und Einwohnerbeteiligung, S. 117; Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 136 f.; Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 194; Thaysen, Bürgerinitiativen, S. 168. 108 Gramke, Praktizierte Bürgernähe, S. 48. 109 Ardelt, Erfahrungen mit Bürgerentscheid und Bürgerbegehren, S. 242; Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 137. 110 So ausdrücklich Knemeyer, BayBgm. 1971, 87, 91. 111 Gramke, Praktizierte Bürgernähe, S. 48; Stiehl, Möglichkeiten und Grenzen der Bürger- und Einwohnerbeteiligung, S. 117; Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 136 f.; Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 194. 112 Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, § 6 Rn. 141, der in diesem Zusammenhang auch darauf hinweist, dass auch andere Vorschriften über eine Bürgerunterrichtung wie beispielsweise Bürger- und Einwohnerversammlungen lediglich deklaratorischer Natur seien (Rn. 129). Begründet wird diese Auffassung damit, dass eine funktionierende Kommunikation zwischen Verwaltung und Bürgern bereits Voraussetzung sowie Selbstverständlichkeit einer jeden gesunden Selbstverwaltung sei.
§ 2 Erfordernis einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage
131
2. Das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage bejahende Ansichten Demgegenüber wird in der Literatur auch vertreten, dass die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen zwingend eine einfachgesetzliche Regelung erfordere.113 Teilweise wird diese Sichtweise damit begründet, dass die gesetzlich geregelten Formen der Bürgerbeteiligung abschließend seien und es Gemeinden damit verwehrt sei, eigenständig über eine darüber hinausgehende Beteiligung der Bürger zu entscheiden.114 Weiterhin wird von der Literatur angeführt, dass das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung abzugrenzen sei von Veranstaltungen, die alleine die Verbesserung der Kommunikation zwischen Bürgerschaft und Gemeindevertretung zum Ziel haben und damit auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage durchgeführt werden dürfen.115 Von solchen Veranstaltungen unterscheide sich das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung jedoch insoweit, als bei einer amtlich durchgeführten kommunalen Befragung stets der Anspruch bestünde, dass das Ergebnis befolgt werde und diesem somit für eine Vertretungskörperschaft eine Verbindlichkeit zukomme.116 Im Zusammenhang mit der im Vergleich zur vorliegenden Fragestellung allgemeineren Frage der Zulässigkeit gesetzlich nicht geregelter Formen der Bürgerbeteiligung auf Gemeindeebene wird von der Literatur vereinzelt sogar vertreten, dass jede Tätigkeit der Verwaltung eine gesetzliche Ermächtigung erfordere.117 Dieses Ergebnis folge aus dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und dem „Gedanken des Gesetzesvorbehalts“.118 Aus diesen Prinzipien könne letztlich der Schluss gezogen werden, dass der Verwaltung alles verboten sei, was ihr nicht ausdrücklich erlaubt ist.119 Das Rechtsstaatsprinzip verbiete nach dieser Auffassung einer Vertretungskörperschaft im Rahmen von Verwaltungsentschei113 Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 194; Everts, JuS 2004, 899, 903; in diese Richtung tendierend wohl auch Thiele, Das neue kommunale Verfassungsrecht, Rn. 138, obgleich dieser ausdrücklich darauf hinweist, dass diese Frage umstritten sei; Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 284; im Ergebnis wohl auch Kodolitsch, Kommunale Beteiligungspolitik, S. 49; Schmidt, Kommunalrecht, Rn. 599a; in Bezug auf die Rechtslage in Hessen Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 81 f.; ähnlich auch Glaser, BayGO, Art. 17 Rn. 3; vgl. auch Streinz, Die Verwaltung 16 (1983), 293, 305, der eine Modifikation der gemeindlichen Organisationsstruktur durch Plebiszite nur durch Landesgesetz für zulässig erachtet; wohl auch Erbguth, DÖV 1995, 793, 795; ohne Begründung Weber, DÖV 1985, 178, 185, der lediglich darauf verweist, dass eine Konsultativbefragung durch die jeweilige Verfassung ausdrücklich vorgesehen sein sollte; ohne Begründung auch Schefold/Neumann, Entwicklungstendenzen, S. 134. 114 Erbguth, DÖV 1995, 793, 795; vgl. auch Blum, NdsVBl. 1995, 1 ff. 115 Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 81. 116 Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 81. 117 Wohlfarth, VR 1983, 181 ff. 118 Wohlfarth, VR 1983, 181, 181. 119 Wohlfarth, VR 1983, 181, 181.
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4. Teil: Zulässigkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage
dungen „jede die Regelungen der Gemeindeordnung überschreitende Form von Bürgerbeteiligung“.120
IV. Meinungsstand in der Rechtsprechung In der Rechtsprechung erfolgte bisher lediglich in drei Urteilen eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen zwingend eine einfachgesetzliche Grundlage erfordert. Erstmals äußerte sich das Verwaltungsgericht Ansbach121 im Jahr 1970 zu der beschriebenen Problematik. Nach Auffassung des Gerichts sei die Durchführung gemeindlicher Bürgerbefragungen auch ohne eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage zulässig. Dieser Ansicht widersprach im Jahr 2006 das Verwaltungsgericht Potsdam122 ausdrücklich und kam zu dem Ergebnis, dass eine Bürgerbefragung nur auf Grundlage einer einfachgesetzlichen Ermächtigung durchführbar sei. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen123 kam im Jahr 2008 wiederum zu dem gegenteiligen Ergebnis, dass die Durchführung einer Bürgerbefragung auch ohne gesetzliche Grundlage zulässig sei. 1. Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 12.11.1970 Dem Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach124 vorausgegangen war ein Beschluss einer mittelfränkischen Gemeinde über die Durchführung einer geheimen Abstimmung in Form einer Bürgerbefragung. Gegenstand der Befragung war die geplante Eingemeindung dieser Gemeinde in eine andere Gemeinde. Die Durchführung der Bürgerbefragung wurde jedoch von der Rechtsaufsichtsbehörde untersagt, da die baden-württembergische Kommunalverfassung keine rechtliche Grundlage für die Durchführung einer solchen Befragung beinhalte und die geplante Abstimmung daher unzulässig sei.125 Gegen diesen Bescheid legte die Gemeinde bei der Regierung im Ergebnis erfolglos Widerspruch ein, fand jedoch schließlich mit der daraufhin eingereichten Klage vor dem Verwaltungsgericht erfolgreich Gehör.126 Nach Auffassung des Gerichts sei die Durchführung einer gemeindlichen Bürgerbefragung wie in der streitgegenständlichen Form stets zulässig.127 Begründet wurde diese Sichtweise zunächst damit, dass aus den die 120 121 122 123
Wohlfarth, VR 1983, 181, 181. VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194 ff. VG Potsdam, Beschluss vom 14.12.2006 – Az. 2 L738/06 –, (unveröffentlicht). VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 08.04.2008 – Az. 15 L 428/08 –, (zitiert nach
juris). 124 125 126 127
VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194 ff. VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194, 194. VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194, 194. VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194, 194.
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Beteiligung der Bürger an der gemeindlichen Selbstverwaltung regelnden Vorschriften der Kommunalverfassung kein Verbot für die Durchführung einer Bürgerbefragung folge.128 Da die Kommunalverfassung die Beteiligung von Bürgern an der gemeindlichen Selbstverwaltung jedoch umfassend geregelt habe, sei es den Gemeinden verwehrt, den Bürgern eigenständig weitergehende Mitwirkungsbefugnisse einzuräumen.129 Etwas anderes müsse nach Ansicht des Gerichts jedoch für kommunale Befragungen gelten. Bei einer Bürgerbefragung gehe es nämlich nicht um die Ausübung von Mitwirkungsbefugnissen, da das Ergebnis einer Befragung nicht bindend sei und der Bürgerschaft damit „nicht unmittelbar Entscheidungsrechte“ eingeräumt werden.130 Eine kommunale Befragung diene lediglich zur „Vorbereitung der eigenen Beschlussfassung“.131 Hieraus folgert das Gericht, dass es sich bei der durchgeführten Befragung lediglich um eine rechtlich zulässige „bloße Bürgerumfrage“ handele und dass eine Gemeinde zur Durchführung keine „ausdrücklich gesetzliche Ermächtigung“ benötige.132 Vielmehr sei eine Gemeinde bereits aufgrund des Allzuständigkeitsprinzips befugt, „sich die für die Bildung ihrer Meinung notwendige Grundlage selbst zu verschaffen“.133 2. Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 14.12.2006 Gegenstand des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Potsdam134 war eine im Dezember 2006 durchgeführte Bürgerbefragung in Potsdam, bei der es um den Neubau des Landtages ging135. Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung136 begehrte der Antragssteller die Untersagung der Durchführung der geplanten Bürgerbefragung. Das Gericht folgte dem Antrag jedoch nicht und begründete dies damit, dass dem Antragsteller unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Unterlassung der Durchführung der geplanten Bürgerbefragung zustehe.137 Es sei nach Auffassung des Gerichts insoweit nicht ersichtlich, dass eine mögliche Verletzung subjektiver Rechte des Antragsstellers durch die geplante Bürgerbefragung gegeben sei.138 In einem obiter dictum („im 128
VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194, 194. VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194, 194. 130 VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194, 194. 131 VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194, 194. 132 VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194, 195. 133 VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194, 195. 134 VG Potsdam, Beschluss vom 14.12.2006 – Az. 2 L 738/06 –, (unveröffentlicht). 135 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 2 III. 4. 136 Vgl. § 123 Abs. 1 VwGO. 137 VG Potsdam, Beschluss vom 14.12.2006 – Az. 2 L 738/06 –, S. 2 f. (unveröffentlicht). 138 VG Potsdam, Beschluss vom 14.12.2006 – Az. 2 L 738/06 –, S. 3 (unveröffentlicht). 129
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Übrigen“) äußerte sich das Gericht ausdrücklich zu der Frage der Zulässigkeit der Durchführung einer Bürgerbefragung ohne gesetzliche Grundlage.139 Nach Auffassung des Gerichts sei die Durchführung von Bürgerbefragungen, die in die Entscheidungskompetenz einer Vertretungskörperschaft fallende Angelegenheiten betreffen, ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung unzulässig.140 Das Gericht begründete seine Sichtweise damit, dass das Ergebnis einer amtlich durchgeführten Bürgerbefragung für die Vertretungskörperschaft zwar rechtlich unverbindlich sei, dem Ergebnis jedoch trotzdem eine „faktische Verbindlichkeit“ zukomme.141 Diese faktische Bindungswirkung resultiere aus „politisch-moralischen Gründen“, die in einer Demokratie unvermeidbar seien.142 Das Gericht wollte sich damit den in der Literatur geäußerten „Bedenken gegen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von amtlichen Bürgerbefragungen in der hier vorliegenden Art“ anschließen.143 3. Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 08.04.2008 Auch das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat sich in einem Beschluss144 mit Frage auseinandergesetzt, ob Bürgerbefragungen ohne gesetzliche Grundlage durchgeführt werden dürfen. Dem Beschluss ging ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung voraus, mit dem der Antragsteller die geplante Durchführung einer Bürgerbefragung der Vertretungskörperschaft der Stadt Waltrop zum Neubau der Bundestraße B 474 zu verhindern versuchte.145 Die Vertretungskörperschaft hatte zuvor die Durchführung der Bürgerbefragung beschlossen, obgleich die nordrhein-westfälische Kommunalverfassung keine diesbezügliche Regelung vorsah146. Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag auf Erlass einer 139 VG Potsdam, Beschluss vom 14.12.2006 – Az. 2 L 738/06 –, S. 3 ff. (unveröffentlicht). 140 VG Potsdam, Beschluss vom 14.12.2006 – Az. 2 L 738/06 –, S. 3 (unveröffentlicht). 141 VG Potsdam, Beschluss vom 14.12.2006 – Az. 2 L 738/06 –, S. 3 (unveröffentlicht). 142 VG Potsdam, Beschluss vom 14.12.2006 – Az. 2 L 738/06 –, S. 3 (unveröffentlicht). 143 VG Potsdam, Beschluss vom 14.12.2006 – Az. 2 L 738/06 –, S. 4 (unveröffentlicht). 144 VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 08.04.2008 – Az. 15 L 428/08 –, (zitiert nach juris). 145 Vgl. die Pressemitteilung des VG Gelsenkirchen vom 08.04.2008, abrufbar unter http://www.vg-gelsenkirchen.nrw.de/presse/pressemitteilungen/archiv/2008/04_080408/ index.php (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 146 An dieser Rechtslage hat sich bis heute nichts geändert. Auch in der derzeit gültigen Fassung enthält die nordrhein-westfälische Kommunalverfassung keine Regelung zur Möglichkeit der Durchführung kommunaler Befragungen.
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einstweiligen Anordnung jedoch ab und begründete dies zunächst mit dem Nichtvorliegen einer Antragsbefugnis.147 Darüber hinaus bejahte das Gericht die Frage der Zulässigkeit der Durchführung einer kommunalen Befragung ohne gesetzliche Grundlage, da die Kommunalverfassung kein entsprechendes Verbot zur Durchführung von Bürgerbefragungen vorsehe.148 Daher bestehe zumindest in Nordrhein-Westfalen auch keine Rechtsgrundlage, auf die sich der Antrag auf Untersagung der geplanten Bürgerbefragung stützen ließe.149 4. Urteile zur Frage der Zulässigkeit sonstiger Formen der Bürgerbeteiligung ohne gesetzliche Grundlage Ferner ergingen bisher auch einige Urteile, die sich zwar nicht mit der Frage des Erfordernisses einer einfachgesetzlichen Grundlage für die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen auseinandersetzten, sondern vielmehr die Frage zum Gegenstand hatten, inwieweit eine Vertretungskörperschaft ohne eine entsprechende gesetzliche Grundlage ein Fragerecht der Bürger im Rahmen der Sitzung der Vertretungskörperschaft durch Geschäftsordnung regeln dürfe.150 Aufgrund der insoweit vergleichbaren Thematik erscheint eine Erörterung dieser Urteile im hiesigen Zusammengang angebracht, da zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich aus diesen Entscheidungen Rückschlüsse, Parallelen oder zumindest gewisse Orientierungshilfen in Bezug auf die Frage der Zulässigkeit der Durchführung kommunaler Befragungen ohne gesetzliche Grundlage ziehen lassen. a) Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 15.03.1979 Das Verwaltungsgericht Schleswig151 hat in einem Urteil die Geschäftsordnungsbestimmung einer Vertretungskörperschaft für unzulässig erklärt, in der unter dem Titel „Stellungnahme und Fragen der Zuhörer zu Beratungsgegenständen“ die Gewährung eines zu diesem Zeitpunkt gesetzlich nicht geregelten Rederechts für Zuhörer innerhalb der Behandlung eines Tagesordnungspunktes im Rahmen der Sitzung einer Vertretungskörperschaft vorgesehen war.152 Der Innen147 VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 08.04.2008 – Az. 15 L 428/08 –, Rn. 5 (zitiert nach juris). 148 VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 08.04.2008 – Az. 15 L 428/08 –, Rn. 6 (zitiert nach juris). 149 VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 08.04.2008 – Az. 15 L 428/08 –, Rn. 6 (zitiert nach juris). 150 Vgl. bereits ausführlich zu diesen Urteilen Blum, NdsVBl. 1995, 1 ff. 151 VG Schleswig, Urteil vom 15.03.1979 – 6 A 165/77 –, Die Gemeinde 1979, 186 ff. 152 VG Schleswig, Urteil vom 15.03.1979 – 6 A 165/77 –, Die Gemeinde 1979, 186, 186 f.; in der Bestimmung der Geschäftsordnung heißt es hierzu: „Im allgemeinen soll
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minister von Schleswig-Holstein sah in dieser Bestimmung eine Verletzung des Prinzips der repräsentativen Demokratie und wies daraufhin den Bürgermeister an, die in Frage stehende Bestimmung der Geschäftsordnung zu beanstanden.153 Gegen diese Beanstandung setzt sich die Gemeinde im Ergebnis erfolglos vor dem Verwaltungsgericht zur Wehr. Nach Auffassung des Gerichts dürfe eine Gemeinde ihre Angelegenheiten zwar durch Geschäftsordnung selber regeln, jedoch sei sie bei der Ausübung dieses Rechts stets an die Vorschriften der Kommunalverfassung gebunden.154 Aus diesen Vorschriften ergäbe sich jedoch, dass eine Beteiligung der Bevölkerung an den Entscheidungen der Gemeindevertretung nicht zulässig sei.155 b) Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 31.05.1983 Auch dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg156 lag die Geschäftsordnungsbestimmung einer Vertretungskörperschaft zu Grunde, mit der den in der Sitzung einer Vertretungskörperschaft anwesenden Bürgern das Recht eingeräumt wurde, im Anschluss an die Sachdebatte zu jedem Tagesordnungspunkt Fragen an die Mitglieder der Vertretungskörperschaft zu stellen. Ein gegen diese Geschäftsordnungsbestimmung vom Bürgermeister eingereichter Widerspruch wurde von der Vertretungskörperschaft zurückgewiesen, woraufhin der Innenminister von Schleswig-Holstein den in Frage stehenden Beschluss der Vertretungskörperschaft auf Erlass der Geschäftsordnungsbestimmung beanstandete. Gegen diese Beanstandung klagte die Gemeinde erfolglos vor dem Verwaltungsgericht Schleswig.157
den Zuhörern Gelegenheit gegeben werden, zu den einzelnen Tagesordnungspunkten Stellung zu beziehen oder Fragen zu stellen. [. . .] Ist ein Tagesordnungspunkt aufgerufen, so berät zunächst der Rat. Liegen keine Wortmeldungen mehr vor, so unterbricht der Ratsvorsitzende die Sitzung und gibt den Zuhörern Gelegenheit, Fragen zu stellen und Stellung zu beziehen. [. . .] Danach eröffnet der Ratsvorsitzende die Sitzung wieder. Der Rat tritt in seine abschließende Beratung ein. 153 VG Schleswig, Urteil vom 15.03.1979 – 6 A 165/77 –, Die Gemeinde 1979, 186, 187. 154 VG Schleswig, Urteil vom 15.03.1979 – 6 A 165/77 –, Die Gemeinde 1979, 186, 188. 155 VG Schleswig, Urteil vom 15.03.1979 – 6 A 165/77 –, Die Gemeinde 1979, 186, 188. 156 OVG Lüneburg, Urteil vom 31.05.1983 – 5 A 101/82 –, Die Gemeinde 1983, 336 = HSGZ 1987, 67; von 1949 bis 1991 war das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg das gemeinsame Verwaltungsgericht für Niedersachsen und Schleswig-Holstein. 157 VG Schleswig, Urteil vom 28.05.1982 – 6 A 8/80 –, Die Gemeinde 1982, 240 ff.; die Urteilsgründe, auf denen dieses Urteil beruht, basieren im Wesentlichen auf den bereits dargelegten Gründen des Urteils des VG Schleswig vom 15.03.1979 – 6 A 165/ 77 –, Die Gemeinde 1979, 186 ff.
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Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung wies das Oberverwaltungsgericht mit der Begründung ab, dass der Vertretungskörperschaft die Zuständigkeit zum Erlass einer solchen Regelung fehle.158 Das Gericht betonte dabei, dass der Vertretungskörperschaft zwar das Recht eingeräumt werde, die inneren Angelegenheiten und dabei insbesondere den Ablauf der Sitzungen durch eine Geschäftsordnung zu regeln.159 Diese Befugnis stehe jedoch „unter dem Vorbehalt des kommunalen Verfassungsrechts des Landes Schleswig-Holstein“, weshalb allein der Gesetzgeber befugt sei, neue Formen der Bürgerbeteiligung zu regeln.160 Das Gericht führt hierzu aus: „Der Umfang der Beteiligung von Bürgern im Rahmen von Sitzungen der kommunalen Vertretungskörperschaften ist aber eine Frage des Kommunalverfassungsrechts, dessen Regelung dem Landesgesetzgeber obliegt. Eine Beteiligung der Bürger an der kommunalen Aufgabenbewältigung in Form eines Fragerechts hat die Gemeindeordnung nicht vorgesehen“.161 Die insoweit vorhandene Regelungslücke könne mangels entsprechender Kompetenz nicht von einer Vertretungskörperschaft geschlossen werden, sondern lediglich vom zuständigen Landesgesetzgeber.162 c) Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 20.09.1985 Dieses Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig163 knüpft an das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg an. Nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg änderte die Vertretungskörperschaft erneut ihre Geschäftsordnung, die nunmehr eine Bestimmung vorsah, wonach die Sitzung nach Aufruf eines Tagesordnungspunktes durch den Bürgervorsteher zur Erläuterung der Angelegenheit unterbrochen werden konnte, sofern „sich zu dieser Angelegenheit aus der Zuhörerschaft offensichtlich Fragen“ ergeben. Nach der Geschäftsordnungsbestimmung hatten die anwesenden Bürger während dieser Unterbrechung die Möglichkeit, „zu dem Inhalt des Tagesordnungspunktes Fragen an den Bürgervorsteher, einzelne Gemeindevertreter und den Bürgermeister [zu]stellen“.
158 OVG Lüneburg, Urteil vom 31.05.1983 – 5 A 101/82 –, Die Gemeinde 1983, 336 = HSGZ 1987, 67. 159 OVG Lüneburg, Urteil vom 31.05.1983 – 5 A 101/82 –, Die Gemeinde 1983, 336 = HSGZ 1987, 67. 160 OVG Lüneburg, Urteil vom 31.05.1983 – 5 A 101/82 –, Die Gemeinde 1983, 336 = HSGZ 1987, 67. 161 OVG Lüneburg, Urteil vom 31.05.1983 – 5 A 101/82 –, Die Gemeinde 1983, 336 = HSGZ 1987, 67. 162 OVG Lüneburg, Urteil vom 31.05.1983 – 5 A 101/82 –, Die Gemeinde 1983, 336 = HSGZ 1987, 67. 163 VG Schleswig, Urteil vom 20.09.1985 – 6 A 232/85 –, NVwZ 1986, 1052 ff. = Die Gemeinde 1986, 25 f.
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Die gegen die Beanstandung durch den Landrat eingereichte Klage der Gemeinde wurde vom Verwaltungsgericht mit der Begründung abgewiesen, dass die Beschlüsse der Vertretungskörperschaft das kommunale Verfassungsrecht verletzten, da sie „in unzulässiger Weise eine Beteiligung der Bürger [. . .] an den Sitzungen der Gemeindevertretung“ regelten.164 Nach Auffassung des Gerichts fehle der Gemeinde die Kompetenz zur Regelung der Beteiligung von Bürgern in der Geschäftsordnung, da die Kommunalverfassung ein derartiges Beteiligungsrecht nicht vorsehe.165 Die Gemeinde habe durch die in Frage stehenden Beschlüsse ihre Regelungsbefugnis insoweit überschritten, als dass die Regelungen den Bürgern eine über das in der Kommunalverfassung vorgesehene Maß hinausgehende Möglichkeit der Mitwirkung an den Sitzungen der Vertretungskörperschaft ermöglichen.166 Auch das Verwaltungsgericht Schleswig betonte in diesem Zusammenhang, dass lediglich der Gesetzgeber neue Formen der Bürgerbeteiligung regeln dürfe.167 Aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung folge nach Auffassung des Gerichts, dass gemeindliche Organe lediglich in dem ihnen durch Gesetz eingeräumten Umfange tätig werden dürfen und keine darüberhinausgehende eigene Zuständigkeit besitzen.168 Die Einführung neuer Formen der Bürgerbeteiligung durch die Gemeinde erfordere daher eine ausdrückliche gesetzliche Regelung.169 d) Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 22.10.1998 Auch dem Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen170 lag ein Beschluss einer Vertretungskörperschaft zu Grunde, mit dem diese die Geschäftsordnung um ein sog. Bürgerfragerecht erweiterte. Mit dem Ziel der Unterlassung der Durchführung einer solchen Bürgerfragestunde wurde daraufhin von mehreren Personen ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eingereicht. Das Verwaltungsgericht gab dem Antrag mit der Begründung statt, dass ein Bürgerfragerecht unzulässig sei, da ein solches Instrument von der hessischen Kommunalver164 VG Schleswig, Urteil vom 20.09.1985 – 6 A 232/85 –, NVwZ 1986, 1052 Die Gemeinde 1986, 25, 26. 165 VG Schleswig, Urteil vom 20.09.1985 – 6 A 232/85 –, NVwZ 1986, 1052 Die Gemeinde 1986, 25, 26. 166 VG Schleswig, Urteil vom 20.09.1985 – 6 A 232/85 –, NVwZ 1986, 1052 Die Gemeinde 1986, 25, 26. 167 VG Schleswig, Urteil vom 20.09.1985 – 6 A 232/85 –, NVwZ 1986, 1052 Die Gemeinde 1986, 25, 26. 168 VG Schleswig, Urteil vom 20.09.1985 – 6 A 232/85 –, NVwZ 1986, 1052 Die Gemeinde 1986, 25, 26. 169 VG Schleswig, Urteil vom 20.09.1985 – 6 A 232/85 –, NVwZ 1986, 1052 Die Gemeinde 1986, 25, 26. 170 VG Gießen, Beschluss vom 22.10.1998 – 8 G 1766/98 –, (zitiert nach juris).
ff. = ff. = ff. = ff. = ff. = ff. =
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fassung nicht vorgesehen sei.171 Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts habe der hessische Gesetzgeber die Beteiligungsrechte der Bürger bzw. Einwohner abschließend geregelt.172
V. Zwischenergebnis Festgehalten werden kann zunächst, dass sich zumindest in der Literatur in Bezug auf die Frage der Zulässigkeit der Durchführung kommunaler Befragungen ohne gesetzliche Grundlage keine klare Linie herauslesen lässt. In der zu dieser Frage bisher ergangenen Rechtsprechung lässt sich demgegenüber eine leichte Tendenz dahingehend erkennen, dass die Rechtsprechung die Durchführung kommunaler Befragungen ohne gesetzliche Grundlage für zulässig erachtet. Soweit die Rechtsprechung bisher zu der vergleichbaren Thematik Stellung bezog, ob eine Vertretungskörperschaft ohne entsprechende gesetzliche Grundlage ein Fragerecht der Bürger in Sitzungen der Vertretungskörperschaft durch Geschäftsordnung regeln darf, forderten die Gerichte hierfür eine eindeutige gesetzliche Grundlage. Anknüpfend an die zum Teil bereits von Literatur und Rechtsprechung vorgebrachte Argumentation soll im Folgenden die Frage des Erfordernisses einer einfachgesetzlichen Grundlage einer ausführlichen rechtlichen Betrachtung unterzogen werden.
VI. Das Fehlen kommunalverfassungsrechtlicher Verbotstatbestände Diejenigen Kommunalverfassungen, die bisher auf den Erlass einer einfachgesetzlichen Regelung zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen verzichtet haben, sehen keine Vorschriften vor, die die Durchführung kommunaler Befragungen ausdrücklich verbieten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob bereits aus dieser Tatsache die rechtliche Konsequenz gezogen werden kann, dass kommunale Befragungen ohne gesetzliche Grundlage durchgeführt werden dürfen. Das Verwaltungsgericht Ansbach hat in der bereits erörterten Entscheidung173 gerade diese Gegebenheit als Argument für die Begründung herangezogen, dass eine Gemeinde eine Bürgerbefragung auch ohne entsprechende gesetzliche Grundlage durchführen dürfe. Das Gericht führte insoweit aus, dass sich aus „den positiven Vorschriften“ der Kommunalverfassung kein Verbot der Durch171
VG Gießen, Beschluss vom 22.10.1998 – 8 G 1766/98 –, Rn. 19 (zitiert nach ju-
ris). 172
VG Gießen, Beschluss vom 22.10.1998 – 8 G 1766/98 –, Rn. 20 (zitiert nach
juris). 173 VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194 ff.; siehe hierzu bereits 4. Teil § 2 IV. 2.
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4. Teil: Zulässigkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage
führung einer Bürgerbefragung ergebe.174 Dieser Argumentation folgte auch das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen in seinem Beschluss und begründete die Zulässigkeit der Durchführung der geplanten Bürgerbefragung mit dem Nichtvorhandensein eines entsprechenden Verbots in der nordrhein-westfälischen Kommunalverfassung.175 Folgte man dieser Argumentation beider Verwaltungsgerichte, käme man in der Tat zu dem Ergebnis, dass die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen auch in denjenigen Bundesländern zulässig wäre, die bisher von dem Erlass einer entsprechenden einfachgesetzlichen Regelung abgesehen haben. Da in diesen Bundesländern ersichtlich keine Vorschriften bestehen, die einer Vertretungskörperschaft die Durchführung kommunaler Befragungen ausdrücklich verbieten, wäre eine solche auch ohne entsprechende gesetzliche Grundlage zulässig. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Zunächst widerspricht diese Argumentation der Regelungstechnik der Kommunalverfassungen. Diese lässt sich dergestalt beschreiben, dass in den Kommunalverfassungen in Bezug auf die Bürgerbeteiligung lediglich Tatbestände aufgenommen worden sind, die einen (zum Teil auch deklaratorischen176) Erlaubnistatbestand für eine Vertretungskörperschaft oder die Bürger bzw. Einwohnerschaft vorsehen. In keiner Kommunalverfassung finden sich jedoch Vorschriften, die ausdrücklich solche Beteiligungsformen aufzählen, deren Durchführung in jedem Fall unzulässig ist. Insoweit verwundert es, dass diese Argumentation als Begründung für die Zulässigkeit der Durchführung kommunaler Befragungen ohne entsprechende gesetzliche Grundlage herangezogen wird. Festgehalten werden kann somit, dass alleine aus dem Nichtvorhandensein entsprechender kommunalverfassungsrechtlicher Verbotstatbestände nicht die Zulässigkeit der Durchführung kommunaler Befragungen ohne gesetzliche Grundlage folgt.
VII. Die Qualifizierung der Befragungsteilnahme als Ausübung von Staatsgewalt Soweit in diesem Zusammenhang ferner vertreten wird, dass sich das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage bereits aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergebe, wonach die Befragungsteilnehmer durch die Teilnahme 174
VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194, 194. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 08.04.2008 – Az. 15 L 428/08 –, Rn. 6 (zitiert nach juris); siehe hierzu bereits 4. Teil § 2 IV. 3.; vgl. hierzu auch die insoweit ähnliche Argumentation der hessischen Landesregierung in dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, die insoweit argumentierte, dass „Volksbefragungen innerhalb von Gemeinden“ nach hessischem Recht zulässig seien, BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 122, 127; vgl. hierzu auch Bätge, in: Bogner, Beratungs- und Beschlussfassungsverfahren, S. 66. 176 Dies gilt beispielsweise für die Vorschriften der Kommunalverfassungen zum gemeindlichen Petitionsrecht; siehe hierzu bereits 3. Teil § 2 V. 5. 175
§ 2 Erfordernis einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage
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an einer kommunalen Befragung Staatsgewalt ausüben177, muss dieser Ansicht widersprochen werden. Von den Vertretern dieser Auffassung wird dabei nicht näher ausgeführt, warum alleine aus dieser rechtlichen Qualifizierung der Teilnahme der zwingende Schluss abgeleitet werden muss, dass für die Durchführung kommunaler Befragungen eine gesetzliche Regelung erforderlich ist. In diesem Zusammenhang kann zunächst festgehalten werden, dass sich das Bundesverfassungsgericht in den besagten Urteilen178 nicht ausdrücklich zu der Frage geäußert hat, ob für die Durchführung konsultativer Volksbefragungen auf Landesebene sowie auf kommunaler Ebene eine gesetzliche Grundlage erforderlich ist.179 Eine Aussage in dieser Hinsicht lässt sich insbesondere nicht daraus ableiten, dass das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt hat, dass das „Tätigwerden als Staatsorgan – gleichgültig in welcher Form und mit welcher Wirkung es geschieht – im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat durch Kompetenznormen verfassungsrechtlich begrenzt ist“.180 Mit den Kompetenznormen meint das Bundesverfassungsgericht lediglich solche Vorschriften, die das Handeln eines staatlichen Organs in kompetenzrechtlicher Hinsicht beschränken. Es geht dabei nicht um etwaige Beschränkungen, die sich aus gesetzlichen Regelungen in Bezug auf Handlungsoptionen staatlicher Organe ableiten lassen. Damit kann dieser Aussage des Bundesverfassungsgerichts auch nicht entnommen werden, dass eine „konsultative Befragung des Gesamtvolkes“ nur dann erlaubt ist, wenn sie in der Verfassung vorgesehen ist.181 Das hat das Bundesverfassungsgericht mit der oben zitierten Aussage erkennbar nicht gemeint. Aus dieser Aussage des Bundesverfassungsgerichts kann damit nicht gefolgert werden, dass eine gemeindliche Vertretungskörperschaft für die Durchführung einer kommunalen Befragung zwingend eine einfachgesetzliche Ermächtigung benötigt. Überdies lässt sich jedoch auch aus der vom Bundesverfassungsgericht vorgenommen rechtlichen Qualifizierung der Teilnahme an einer kommunalen Befragung kein rechtlicher Schluss dahingehend ziehen, dass die Durchführung derartiger Befragungen stets eine einfachgesetzliche Grundlage erfordert. Es ist insoweit kein Rechtssatz ersichtlich, wonach die Ausübung von Staatsgewalt stets eine gesetzliche Ermächtigung hierfür erfordert. Staatliche Organe üben vielmehr in vielen Situationen Staatsgewalt aus, ohne dass sie ihr jeweiliges Handeln auf eine entsprechende gesetzliche Ermächtigung stützen können.
177 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 122, 133; vgl. auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 210, der in diesem Zusammenhang von der Ausübung „kommunaler Hoheitsgewalt“ spricht. 178 Siehe bereits 2. Teil § 4. 179 Dies betont auch das VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194, 194 ausdrücklich. 180 BVerfGE, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104, 115, 116. 181 So aber Fell, Plebiszitäre Einrichtungen, S. 150 m.w. N.
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4. Teil: Zulässigkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage
VIII. Die Wirkungen des Befragungsergebnisses Erkenntnisse in Bezug auf die vorliegende Fragestellung könnten jedoch daraus gewonnen werden, dass das Ergebnis einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung für eine Vertretungskörperschaft keine rechtliche, sondern unter bestimmten Umständen allenfalls eine faktische Verbindlichkeit begründet.182 Zu unterscheiden ist insofern zwischen zwei möglichen rechtlichen Anknüpfungspunkten: Neben der fehlenden Verbindlichkeit des Befragungsergebnisses könnte möglicherweise auch die bestehende faktische Bindungswirkung das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für die Durchführung kommunaler Befragungen begründen. 1. Rechtliche Unverbindlichkeit Entgegen der von Teilen der Literatur183 sowie der Niedersächsischen Sachverständigenkommission zur Fortentwicklung des Kommunalverfassungsrechts184 vertretenen Auffassung führt alleine die fehlende rechtliche Verbindlichkeit des Befragungsergebnisses nicht dazu, dass die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen auch ohne entsprechende gesetzliche Grundlage als zulässig erachtet werden muss.185 Folgte man dieser Auffassung, wären mit Ausnahme des insoweit rechtlich verbindlichen Bürgerentscheids alle bisher in den Kommunalverfassungen vorhandenen Regelungen zur Bürgerbeteiligung deklaratorischer Natur. Aufgrund der nicht vorhandenen rechtlichen Verbindlichkeit dieser Instrumente stünde es einer Vertretungskörperschaft nach dieser Auffassung ohnehin frei, diese auch ohne gesetzliche Grundlage durchzuführen. Überdies spricht gegen die genannte Auffassung, dass durch das Ergebnis einer kommunalen Befragung trotz fehlender rechtlicher Verbindlichkeit politischer Druck auf eine Vertretungskörperschaft ausgeübt werden kann und damit unter Umständen von dem Befragungsergebnis eine faktische Verbindlichkeit ausgehen kann. Dieser Punkt bleibt von den Vertretern dieser Auffassung gänzlich unberücksichtigt. Aus der fehlenden rechtlichen Verbindlichkeit des Befragungsergebnisses einer kommunalen Befragung folgt daher nicht, dass Vertretungskörperschaften kommunale Befragungen auch ohne entsprechende gesetzliche Regelungen durchführen können. 182
Siehe hierzu 2. Teil § 1. Gramke, Praktizierte Bürgernähe, S. 48; angedeutet bei Stiehl, Möglichkeiten und Grenzen der Bürger- und Einwohnerbeteiligung, S. 117; Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 136 f.; Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 194; Thaysen, Bürgerinitiativen, S. 168. 184 Niedersächsische Sachverständigenkommission zur Fortentwicklung des Kommunalverfassungsrechts, S. 63, die der Auffassung ist, dass bereits der lediglich konsultative Charakter einer Bürgerbefragung für dieses Ergebnis streite; siehe hierzu bereits 4. Teil § 2 I. 185 So auch Schröder, in: Achterberg/Püttner, Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 19 (Rn. 39). 183
§ 2 Erfordernis einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage
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2. Faktische Bindungswirkung In engem thematischen Zusammenhang zu der soeben erörterten Problematik steht die Frage, welche rechtlichen Konsequenzen sich in Bezug auf die vorliegende Fragestellung daraus ergeben, dass einem Befragungsergebnis unter bestimmten Umständen eine faktische Bindungswirkungt186 zukommt. Diese Frage unterscheidet sich dabei wesentlich von der soeben erörterten Fragestellung. Insoweit kann insbesondere nicht argumentiert werden, dass aus dem soeben gefundenen Ergebnis, wonach die fehlende Verbindlichkeit eines Befragungsergebnisses das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage nicht zu begründen vermag, der (Umkehr)Schluss gezogen werden müsse, dass bei Annahme einer etwaigen faktischen Verbindlichkeit natürlich das Gegenteil gelte, mithin eine einfachgesetzliche Grundlage für die Durchführung kommunaler Befragungen erforderlich sei. Gegen eine solche Sichtweise spricht Folgendes: Die Aussage, dass dem Ergebnis einer kommunalen Befragung keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt, ist ebenso richtig wie unangreifbar. Durch diese Aussage ist jedoch gleichzeitig noch keine Aussage darüber getroffen worden, ob einem Befragungsergebnis nicht eine über die rechtliche Unverbindlichkeit hinausgehende Wirkung in Form einer etwaigen faktischen Bindungswirkung zu Teil wird. Diese Sachlage erfordert eine eigenständige Bewertung, die unabhängig von der bereits beantworteten Frage der rechtlichen Folgen der Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses zu erfolgen hat. Das Erfordernis einer einfachgesetzlichen Grundlage für die Durchführung kommunaler Befragungen könnte sich somit daraus ergeben, dass durch das Befragungsergebnis für eine Vertretungskörperschaft unter bestimmten Umständen eine Drucksituation entsteht, die einer faktischen Bindungswirkung gleichkommt. Von Seiten der Rechtsprechung187 wird dieser Gesichtspunkt teilweise zur Begründung des Erfordernisses einer einfachgesetzlichen Grundlage herangezogen. Zugestimmt werden kann dieser Auffassung zumindest insoweit, als dass das Problem einer etwaigen faktischen Bindungswirkung eines Befragungsergebnisses im Rahmen der Frage des Erfordernisses einer rechtlichen Grundlage für die Durchführung kommunaler Befragungen relevant wird. Ebenso wie das Problem der faktischen Bindungswirkung nicht zur grundsätzlichen Unzulässigkeit der Durchführung kommunaler Befragungen führt188, kann hiermit isoliert betrachtet nicht das Erfordernis einer einfachgesetzlichen Grundlage für die Durchführung kommunaler Befragungen begründet werden. Entscheidende Bedeutung kommt damit vielmehr der Frage zu, ob das Problem der faktischen Bindungswirkung nicht im Zusammenhang mit anderen rechtlichen Faktoren zur Begrün186 187
Siehe hierzu 2. Teil § 1 II. VG Potsdam, Beschluss vom 14.12.2006 – Az. 2 L 738/06 –, S. 3 (unveröffent-
licht). 188
Siehe hierzu bereits 4. Teil § 1 II.
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4. Teil: Zulässigkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage
dung des Erfordernisses einer einfachgesetzlichen Grundlage herhalten kann. Dies dürfte vor allem in Bezug auf die Frage gelten, ob durch die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung die gesetzlichen Vorschriften über die Durchführung eines Ratsbegehrens umgangen werden. Diese Frage wird jedoch nicht an dieser Stelle, sondern im weiteren Verlauf der Arbeit zu behandeln sein.189 Festgehalten werden kann an dieser Stelle, dass die faktische Verbindlichkeit, die einem Befragungsergebnis unter Umständen zukommt, isoliert betrachtet nicht das Erfordernis einer einfachgesetzlichen Grundlage begründen kann.
IX. Der Vorbehalt des Gesetzes Möglicherweise lassen sich jedoch in Bezug auf die Frage, ob für die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung eine gesetzliche Regelung erforderlich ist, Erkenntnisse aus dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes190 ableiten. Die grundsätzliche Aussage des Vorbehalts des Gesetzes besteht darin, dass staatliches Handeln in bestimmten grundlegenden Bereichen durch ein förmliches Gesetz legitimiert wird.191 Umrissen werden damit Sachbereiche und Gegenstände, die dem „Gesetz vorbehalten“ sind und damit der eigenständigen Regelung durch die Verwaltung entzogen sind.192 Dies hat zur Folge, dass Maßnahmen der Verwaltung ohne die dafür erforderliche gesetzliche Ermächtigung rechtswidrig sind.193 Der Vorbehalt des Gesetzes gilt dabei als rechtsstaatlicher Grundsatz unabhängig von einer etwaigen Regelung in den Landesverfassungen über das Homogenitätsprinzip des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG auch für die Länder.194 Dieser Grundsatz soll den Ausgangspunkt der nachfolgenden Erörterung bilden. Im Zusammenhang mit der allgemeineren Fragestellung, ob gemeindliche Vertretungskörperschaften über die bereits in der jeweiligen Kommunalverfassung geregelten Formen der Bürgerbeteiligung hinaus selbstständig neue Formen der Beteiligung „erfinden“ dürfen, wird der Vorbehalt des Gesetzes teilweise zur Begründung der Unzulässigkeit einer eigenständigen Partizipationserfindung herangezogen. Diese Argumentation lässt sich beispielsweise in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg aus dem Jahr 1983195 sowie in dem Urteil des 189
Siehe hierzu 4. Teil § 2 X. 2. b). Vgl. ausführlich zum Vorbehalt des Gesetzes Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. V, § 101 Rn. 11 ff.; Robbers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, GG, Bd. V, Art. 20 Rn. 2000 ff.; vgl. in Bezug auf die kommunale Selbstverwaltung auch Bethge, NVwZ 1983, 577 ff.; Bussalb, Vorbehalt des Gesetzes. 191 BVerfG, Urteil vom 14.07.1998 – 1 BvR 1640/97 –, BVerfGE 98, 218, 251. 192 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. V, § 101 Rn. 11. 193 BVerfG, Beschluss vom 27.01.1976 – 1 BvR 2325/73 –, BVerfGE 41, 251, 266; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 44. 194 Dittmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. VI, § 127 Rn. 22. 195 OVG Lüneburg, Urteil vom 31.05.1983 – 5 A 101/82 –, Die Gemeinde 1983, 336 = HSGZ 1987, 67. 190
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Verwaltungsgerichts Schleswig aus dem Jahr 1985196 wiederfinden. Beide Gerichte betonen ausdrücklich, dass der Landesgesetzgeber für den Bereich des Kommunalverfassungsrechts eine umfassende Kompetenz besitze und es einer Gemeinde deshalb verwehrt sei, eigenständig die Durchführung gesetzlich nicht vorgesehener Formen der Bürgerbeteiligung zu beschließen.197 Auch in der Literatur wird der Vorbehalt des Gesetzes vereinzelt ausdrücklich zur Begründung des Erfordernisses einer einfachgesetzlichen Grundlage für die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung angeführt.198 Im Folgenden gilt es daher zu untersuchen, ob der Vorbehalt des Gesetzes eine gemeindliche Vertretungskörperschaft tatsächlich daran hindert, auch ohne eine entsprechende gesetzliche Regelung die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung zu beschließen. Diese Frage ist in Bezug auf die tatsächlichen Handlungsspielräume von Gemeinden von erheblicher Bedeutung, da es letztlich um die Frage geht, ob eine Vertretungskörperschaft in Bezug auf die Bürgerbeteiligung eigenständig Regelungen treffen darf, die über das hinausgehen, was in der jeweiligen Kommunalverfassung eine einfachgesetzliche Verankerung erfahren hat.199 1. Gemeindliche Vertretungskörperschaft als Organ der ausführenden Gewalt Obgleich gewisse Ähnlichkeiten zwischen einem Parlament und einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft bestehen, handelt es sich bei einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft nicht um ein Organ der gesetzgebenden Gewalt200, sondern vielmehr um ein Organ der ausführenden Gewalt201. Für diese Zuord196 VG Schleswig, Urteil vom 20.09.1985 – 6 A 232/85 –, NVwZ 1986, 1052 ff. = Die Gemeinde 1986, 25 f. 197 Vgl. auch Blum, NdsVBl. 1995, 1, 3. 198 Wohlfarth, VR 1983, 181, 181, der jedoch sogar die Auffassung vertritt, dass der Verwaltung alles verboten sei, was ihr nicht ausdrücklich erlaubt ist. 199 Bussalb, Vorbehalt des Gesetzes, S. 7. 200 Die Zuordnung als gesetzgebende Gewalt wird mit überwiegend mit dem Hinweis auf die Entwicklung der gemeindlichen Vertretungskörperschaft vom Exekutivausschuss zu einem echten Parlament sowie mit der historischen Vorreiterrolle insbesondere für die Anerkennung des freien Mandats begründet, vgl. Dreier, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 76 m.w. N.; Ott, Der Parlamentscharakter der Gemeindevertretung, S. 86 ff., 214, 279 ff.; auch das Bundesverfassungsgericht ging in seiner frühen Rechtsprechung von einer Zuordnung zur gesetzgebenden Gewalt aus, vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.12.1966 – BvR 33/64 –, BVerfGE 21, 54, 62 f. 201 BVerfG, Beschluss vom 22.11.1983 – 2 BvL 25/81 –, BVerfGE 65, 283, 289; BVerfG, Beschluss vom 21.06.1988 – 2 BvR 975/83 –, BVerfGE 78 344, 348; BVerwG, Urteil vom 27.03.1992 – BVerwG 7 C 20.91 –, BVerwGE 90, 104, 105; Wurzel, Gemeinderat als Parlament, S. 170 f.; Röhl, in: Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht, Rn. 59; Dreier, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 76; Schmidt-Aßmann, Die kommunale Rechtsetzung, S. 7; Pröckl, Die unmittelbare Beteiligung der Bürger, S. 14; vgl. auch ausführlich zu den zwischen gemeindlicher Vertretungskörperschaft und Parlament be-
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nung spricht bereits, dass durch die in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG vorhandene Formulierung „im Rahmen der Gesetze“ deutlich wird, dass in Bezug auf das Handeln einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft eine Gesetzesbindung besteht. Das Handeln einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft unterfällt damit zumindest im Grundsatz202 auch dem Vorbehalt des Gesetzes. 2. Typologie der Gesetzesvorbehalte203 Der Begriff des Vorbehalts des Gesetzes beschreibt in verfassungsrechtlicher Hinsicht zunächst einmal ein Kompetenzproblem dergestalt, dass es um die Frage der Abgrenzung der Wirkungsbereiche von gesetzgebender und ausführender Gewalt geht.204 Der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes findet dabei in Art. 20 GG nicht ausdrücklich Erwähnung. Das Bundesverfassungsgericht geht indes davon aus, dass sich seine Geltung zumindest aus Art. 20 Abs. 3 GG ergibt.205 Demgegenüber finden sich in der Literatur in Bezug auf die dogmatische Herleitung des Vorbehalts des Gesetzes eine Vielzahl von vertretenen Auffassungen.206 Diese Thematik soll jedoch im hiesigen Zusammenhang nicht Gegenstand der Erörterung werden, da zumindest die Existenz des Vorbehalts des Gesetzes allgemein anerkannt ist. Weiterhin besteht auch über die Frage, welche Reichweite und Intensität dem Vorbehalt des Gesetzes zukommen soll, seit mittlerweile mehr als einem halben Jahrhundert in Rechtsprechung und Literatur eine lebhafte Auseinandersetzung und damit einhergehend zumindest in Teilen Uneinigkeit.207 Auch diese Thematik sowie die damit einhergehende Entwicklung des Verständnisses des Vorbehalts des Gesetzes208 soll jedoch in den folgenden Ausführungen nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden.
stehenden Unterschieden Schröder, Grundlagen und Anwendungsbereich des Parlamentsrechts, S. 337 ff.; Paus/Schmidt, JA 2012, 48, 52. 202 Im Einzelfall können sich hiervon abweichende Ergebnisse aufgrund der in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG geregelten Garantie der kommunalen Selbstverwaltung ergeben; siehe zu der Frage, ob sich im vorliegenden Zusammenhang etwas anderes aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG ergibt 4. Teil § 2 X. 203 Diese Überschrift findet sich bereits bei Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. V, § 101 Rn. 35. 204 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. V, § 101 Rn. 11. 205 BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 –, BVerfGE 49, 89, 126 m.w. N. 206 Vgl. nur Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 273. 207 Vgl. hierzu Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. V, § 101 Rn. 18 ff.; Robbers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, GG, Bd. V, Art. 20 Rn. 2011 ff. m.w. N. (Fn. 433); Schnapp, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. I, Art. 20 Rn. 73; Bethge, NVwZ 1983, 577, 577. 208 Vgl. zur historischen Entwicklung vor Entstehung des Grundgesetzes Herzog/ Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. III, Art. 20 (unter VI.) Rn. 77 ff. m.w. N. (Fn. 1).
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Gegenstand der nachfolgenden Erörterungen sollen vielmehr lediglich diejenigen Ausprägungen des Vorbehalts des Gesetzes sein, die von vornherein in Bezug auf die eingangs aufgeworfene Fragestellung von Relevanz sein könnten. Eine nähere Betrachtung verdienen danach allein der sog. allgemeine und darüber hinausgehend der sog. organisationsrechtliche Vorbehalt des Gesetzes. a) Allgemeiner Vorbehalt des Gesetzes Der „allgemeine (ungeschriebene)“ 209 Vorbehalt des Gesetzes, der zum Teil auch als „rechtsstaatlicher“ 210 bzw. „demokratisch-rechtsstaatlicher“ 211 Vorbehalt des Gesetzes bezeichnet wird, verlangt, dass „der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen muss“ 212. Das Bundesverfassungsgericht hat mit dieser Bestimmung des Vorbehalts des Gesetzes von seinem bis dahin vorherrschenden Verständnis, wonach lediglich staatliche Eingriffe in „Freiheit und Eigentum“ 213 einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, Abstand genommen.214 Der Grund für diese Abkehr lag darin, dass nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts dieses herkömmliche Verständnis einer demokratischen-parlamentarischen Staatsverfassung wie der des Grundgesetzes nicht mehr gerecht werde.215 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt nunmehr also das Merkmal der Wesentlichkeit das entscheidende Kriterium bei der Frage dar, wie der Vorbehalt des Gesetzes bestimmt werden kann. Der Gesetzgeber ist danach verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und sie damit nicht anderen Normgebern zu überlassen.216 Eine allgemeine Formel dafür, was genau im Sinne der Recht-
209 Diesen Begriff benutzen Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Art. 20 Rn. 69; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 278; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 47; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 106; Herzog/Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. III, Art. 20 (unter VI.) Rn. 97; vgl. auch Bethge, NVwZ 1983, 577, 577, der sogar von einem „allgemeinen rechtsstaatlichen“ Gesetzesvorbehalt spricht. 210 Robbers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, GG, Bd. V, Art. 20 Rn. 2013; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 113; Schnapp, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. I, Art. 20 Rn. 73; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, S. 130. 211 Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 278. 212 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 –, BVerfGE 49, 89, 126 f. m.w. N. 213 Vgl. zu dieser herkömmlichen Umschreibung BVerfG, Beschluss vom 06.05.1958 – 2 BvL 37/56, 11/57 –, BVerfGE 8, 155, 166 ff. 214 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 107 m.w. N. (dort Fn. 522). 215 BVerfG, Beschluss vom 28.10.1975 – 2 BvR 883/73 und 379, 497, 526/74 –, BVerfGE 40, 237 249. 216 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. nur BVerfG, Urteil vom 06.07.1999 – 2 BvF 3/90 –, BVerfGE 101, 1, 34 m.w. N.
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sprechung des Bundesverfassungsgerichts als wesentlich anzusehen ist, besteht indes nicht.217 Entscheidende Bedeutung bei der Beurteilung der Frage der Wesentlichkeit kommt jedoch dem jeweiligen Sachbereich sowie der Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes zu.218 Als wesentlich angesehen werden muss insbesondere das, was „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte“ ist.219 Sind Grundrechte betroffen, liegt danach stets eine wesentliche Entscheidung vor. Dennoch kann von einer wesentlichen Entscheidung auch dann ausgegangen werden, wenn ein Grundrechtsbezug nicht gegeben ist. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sind nämlich die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien lediglich „in erster Linie“ bzw. „insbesondere“ den im Grundgesetz anerkannten und verbürgten Grundrechten zu entnehmen.220 Ein Ausschließlichkeitsverhältnis besteht damit nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht. b) Institutioneller Vorbehalt des Gesetzes Vom soeben beschriebenen allgemeinen bzw. rechtsstaatlichen Vorbehalt des Gesetzes unterschieden werden muss der sog. „institutionelle“ 221 bzw. „organisationsrechtliche“ 222 Vorbehalt des Gesetzes.223 Dieser existiert neben den im Grundgesetz ausdrücklich geregelten staatsorganisationsrechtlichen Gesetzesvorbehalten224. Diese Regelungen des Grundgesetzes sind damit nicht abschließend, sondern werden vielmehr ergänzt um weitere ungeschriebene institutionelle Ge217 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 113 m.w. N. (dort Fn. 542). 218 BVerfG, Urteil vom 14.07.1998 – 1 BvR 1640/97 –, BVerfGE 98, 218, 251. 219 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. nur BVerfG, Urteil vom 14.07.1998 – 1 BvR 1640/97 –, BVerfGE 98, 218, 251 m.w. N. 220 BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 –, BVerfGE 49, 89, 127; BVerfG, Urteil vom 14.07.1998 – 1 BvR 1640/97 –, BVerfGE 98, 218, 251 m.w. N. 221 Hierzu allgemein Burmeister, Herkunft, Inhalt und Stellung des institutionellen Gesetzesvorbehalts; Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 95 ff.; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, S. 130 f.; der Begriff „institutioneller Gesetzesvorbehalt“ wurde wohl erstmals verwendet von Köttgen, VVDStRL 16 (1958), S. 161; den Begriff des institutionellen Gesetzesvorbehalt verwenden auch Wißmann, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 15 Rn. 35 f.; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 283; Schnapp, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. I, Art. 20 Rn. 77. 222 So Reimer, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 9 Rn. 37; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 144; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 27.06.2002 – 2 BvF 4/98 –, BVerfGE 106, 1, 22, das von einem „organisatorischen Gesetzesvorbehalt“ spricht. 223 Vgl. zu beiden Gesetzesvorbehalten auch Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, § 2 Rn. 30, 31; Bugiel, Volkswille, S. 439 f.; diese Begrifflichkeiten verwendet auch das OVG Münster, Urteil vom 27.09.1979 – XVI A 2693/78 –, NJW 1980, 1406, 1407. 224 Art. 84 Abs. 1 S. 2, 85 Abs. 1 S. 1, 87 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, 87d Abs. 1 GG; vgl. hierzu auch die Übersicht bei Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 124.
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setzesvorbehalte.225 Argumentiert werden kann insoweit, dass die Frage der Wesentlichkeit eines Entscheidungsgegenstandes und damit auch die Frage des Erfordernisses einer gesetzlichen Regelung unabhängig von der Frage bestehen, ob das Grundgesetz ausdrücklich einen Gesetzesvorbehalt vorsieht.226 Anerkannt ist insoweit jedoch, dass zumindest kein allgemeiner institutioneller bzw. organisationsrechtlicher Vorbehalt des Gesetzes besteht, wonach das Verfahren und die Zuständigkeiten der Verwaltung bis in alle Einzelheiten durch eine gesetzliche Regelung vorgezeichnet werden müssen.227 Der institutionelle bzw. organisationsrechtliche Vorbehalt des Gesetzes erfordert eine gesetzliche Regelung damit nur für Angelegenheiten, bei denen es um „Grundfragen des Verwaltungsaufbaus“ geht.228 Konkreter gesprochen folgt aus dem institutionellen bzw. organisationsrechtlichen Vorbehalt des Gesetzes, dass „bestimmte organisatorische Einrichtungen als solche, aus politischen oder verfassungsstrukturellen Gründen, in ihrer Bildung und Errichtung“ dem Gesetzgeber vorbehalten werden müssen.229 Zu diesen institutionellen Gesetzesvorbehalten zählen insbesondere die notwendigen institutionellen Vorbehalte, die sich aus dem Verfassungssystem ergeben und damit keine ausdrückliche Erwähnung in der Verfassung erfordern.230 Hinter den notwendigen institutionellen Gesetzesvorbehalten steckt letztlich der Gedanke, dass die vollziehende Gewalt von sich aus „keine Veränderungen in der Substanz der staatlichen Hoheitsrechte und in ihrem eigenen verfassungsrechtlichen Status“ vornehmen kann.231 Daraus folgt gleichfalls, dass der vollziehenden Gewalt auch die Schaffung von Organisationsregelungen untersagt ist, die den „Gesamtaufbau, die politische-soziale Grund-
225 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 126; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 283; a. A. wohl Hofmann, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Art. 20 Rn. 70, der insoweit ausführt, dass man „zutreffend [. . .] den Gesetzesvorbehalt immer nur dann annehmen [kann], wenn es um Einschränkungen von grundrechtlichen Freiheiten oder um den Ausgleich zwischen kollidierenden Grundrechten geht.“; vgl. auch Schnapp, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. I, Art. 20 Rn. 77. 226 So auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 126. 227 BVerfG, Beschluss vom 28.10.1975 – 2 BvR 883/73 und 379, 497, 526/74 –, BVerfGE 40, 237, 250 ff.; Herzog/Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. III, Art. 20 (unter VI.) Rn. 120; Wißmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 15 Rn. 35; Reimer, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 9 Rn. 37; SchulzeFielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 127; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 52; Bugiel, Volkswille, S. 437. 228 Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 283. 229 Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 95; Köttgen, VVDStRL 16 (1958), S. 162, 165 f.; vgl. auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 144; so auch OVG Münster, Urteil vom 27.09.1979 – XVI A 2693/78 –, NJW 1980, 1406, 1407. 230 Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 95. 231 Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 96; Bugiel, Volkswille, S. 439.
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ordnung des Gemeinwesens“ betreffen bzw. verändern.232 Mit der Grundordnung des Gemeinwesens ist dabei die Verfassung im materiellen Sinn gemeint.233 Dem so verstandenen Gesetzesvorbehalt unterfallen damit all diejenigen organisatorischen Regelungen, die die institutionelle Grundordnung des Gemeinwesens, welche durch die verfassungsgestaltenden Grundentscheidung konstituiert wurde, berühren.234 Überträgt man diese Überlegungen auf die gemeindliche Ebene, folgt aus dem institutionellen bzw. organisationsrechtlichen Gesetzesvorbehalt für die gemeindliche Ebene, dass die „Ausgestaltung, Berührung und Veränderung“ der gemeindlichen Grundstruktur nur durch Gesetz erfolgen darf.235 Damit betrifft der institutionelle bzw. organisationsrechtliche Gesetzesvorbehalt in Bezug auf die gemeindliche Ebene auch bereits „organisatorische Änderungen“ sowie „Einzeleingriffe“.236 In Bezug auf die gemeindliche Ebene besteht der institutionelle bzw. organisationsrechtliche Gesetzesvorbehalt eigenständig und damit unabhängig von dem in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verankerten Gesetzesvorbehalt.237 3. Besteht für die Entscheidung zur Durchführung kommunaler Befragungen ein allgemeiner Vorbehalt des Gesetzes? Mit Blick auf die beiden soeben vorgestellten Ausprägungen des Vorbehalts des Gesetzes stellt sich zunächst die Frage, ob es sich bei der Entscheidung über die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung um eine wesentliche Entscheidung handelt. Bejahte man diese Frage, bestünde ein Vorbehalt des Gesetzes in seiner Ausprägung als allgemeiner Vorbehalt des Gesetzes mit der Folge, dass die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen ohne gesetzliche Grundlage rechtswidrig wäre. In Bezug auf konsultative Volksabstimmungen auf Bundesebene wird von Seiten der Literatur in diesem Zusammenhang teilweise vertreten, dass die Entscheidung für die Einräumung einer solchen Abstimmungskompetenz des Volkes aufgrund der erheblichen faktischen Verbindlichkeit des Abstimmungsergebnisses 232 Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 96; vgl. auch Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, S. 130. 233 Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 96. 234 OVG Münster, Urteil vom 27.09.1979 – XVI A 2693/78 –, NJW 1980, 1406, 1407; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, S. 130, der als Beispiel hierfür ausdrücklich die Organisation von Gemeinden anführt. 235 Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, § 2 Rn. 30. 236 Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, § 2 Rn. 30. 237 Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, § 2 Rn. 31, der im Zusammenhang mit dem in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG normierten Gesetzesvorbehalt von einer „gesetzlichen Rahmenziehungsermächtigung für die kommunale Selbstverwaltungsfunktion“ spricht.
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eine wesentliche Entscheidung darstelle und demnach dem Gesetzgeber vorbehalten sei.238 Eine Übernahme dieser Argumentation in Bezug auf kommunale Befragungen erscheint auf den ersten Blick unter dem Gesichtspunt vertretbar, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch von dem Ergebnis kommunaler Befragungen eine gewisse faktische Verbindlichkeit ausgehen kann und durch das Befragungsergebnis damit ein erheblicher politischer Druck auf eine Vertretungskörperschaft aufgebaut werden kann239. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der „demokratischen Legitimität“, die einem Befragungsergebnis bei entsprechend hoher Teilnahme unzweifelhaft innenwohnen dürfte. Jedoch lassen sich auch gewichtige Argumente dafür anführen, dass es sich bei der Entscheidung für die Durchführung kommunaler Befragungen nicht um eine wesentliche Entscheidung handelt und sich damit zumindest mit Blick auf den allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes nicht das Erfordernis einer einfachgesetzlichen Grundlage für die Durchführung kommunaler Befragungen begründen lässt. An dem Vorliegen einer wesentlichen Entscheidung bestehen insoweit Zweifel, als dass mit der Entscheidung einer Vertretungskörperschaft für die Durchführung einer kommunalen Befragung nicht ansatzweise der grundrechtlich geschützte Bereich der Bürger bzw. Einwohner berührt wird.240 Die Berührung grundrechtlich geschützter Positionen wird vom Bundesverfassungsgericht jedoch in der überwiegenden Anzahl der Entscheidungen als Kriterium bei der Herleitung des Vorliegens einer wesentlichen Entscheidung verwendet.241 Jedoch muss berücksichtigt werden, dass der Grundrechtsbezug nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zwar als hinreichendes, wenn gleichsam nicht als zwingend notwendiges Kriterium für das Vorliegen einer wesentlichen Entscheidung angesehen wird. Das Vorliegen einer wesentlichen Entscheidung kann damit auch dann angenommen werden, wenn keine Berührung grundrechtlich geschützter Positionen gegeben ist. Dennoch kommt in Bezug auf die Frage, ob eine wesentliche Entscheidung vorliegt, der Berührung grundrechtlich geschützter Positionen eine gewisse Indizwirkung zu. Anders formuliert müssen im Falle des Nichtvorliegens einer Berührung grundrechtlich geschützter Positionen besondere Voraussetzungen vorliegen, um eine Entscheidung als wesentlich anzusehen. 238 Ebsen, AöR 110 (1985), 2, 21; in diese Richtung wohl auch Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 136, der eine Herleitung „unter vorsichtiger und entsprechender Heranziehung der Gedanken der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten „Wesentlichkeitstheorie“ bejaht. 239 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 1 II. 240 So auch in Bezug auf konsultative Referenden auf Bundesebene Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 136; Ebsen, AöR 110 (1985), 2, 21; Bugiel, Volkswille, S. 439; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 144. 241 Siehe hierzu bereits 4. Teil § 2 IX. 2. a).
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Festgehalten werden kann damit, dass es durchaus vertretbar erscheint, in der Entscheidung über die Durchführung kommunaler Befragungen eine wesentliche Entscheidung zu sehen und diese damit dem allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes zu unterstellen. Jedoch liegt dieses Ergebnis keinesfalls derart auf der Hand, als dass es in jedem Fall als die vorzugswürdige Sichtweise betrachtet werden kann. Naheliegender dürfte vielmehr sein, die Entscheidung über die Durchführung kommunaler Befragungen trotz etwaiger faktischer Bindungswirkung des Befragungsergebnisses nicht als wesentliche Entscheidung anzusehen. 4. Besteht für die Entscheidung zur Durchführung kommunaler Befragungen ein institutioneller Vorbehalt des Gesetzes? Möglicherweise lässt sich ein Vorbehalt des Gesetzes jedoch aus dem institutionellen bzw. organisationsrechtlichen Vorbehalt des Gesetzes herleiten. Im Rahmen der folgenden Ausführungen lassen sich dabei gewisse Überschneidungen in Bezug auf die soeben bereits vorgebrachten Argumentationsansätze nicht vermeiden. Das liegt daran, dass es sich bei der Frage, ob der institutionelle bzw. organisationsrechtliche Vorbehalt des Gesetzes das Erfordernis einer einfachgesetzlichen Grundlage zu begründen vermag, lediglich um einen in dogmatischer Hinsicht anderen, wenngleich auch ähnlichen Ansatzpunkt handelt. Bewertet man die Entscheidung zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen mit Blick auf diese Ausprägung des Vorbehalt des Gesetzes, stellen sich folgende Fragen: Geht mir der Entscheidung einer Vertretungskörperschaft zur Durchführung kommunaler Befragungen eine Veränderung in der Substanz der gemeindlichen Hoheitsrechte einher? Nimmt eine Vertretungskörperschaft mit der Entscheidung zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen eine Veränderung ihrer eigenen kommunalverfassungsrechtlichen Stellung vor? Werden mit der Entscheidung einer Vertretungskörperschaft zur Durchführung einer kommunalen Befragung Organisationsregelungen geschaffen, die den Gesamtaufbau, mithin die politisch soziale Grundordnung des Gemeinwesens betreffen oder auch verändern? Diese Fragen gilt es im Folgenden zu untersuchen. a) Verhältnis zwischen der Bürger- bzw. Einwohnerschaft und der Vertretungskörperschaft Bezugspunkt im Rahmen der Beantwortung der Frage, ob mit der Entscheidung einer Vertretungskörperschaft zur Durchführung kommunaler Befragungen Organisationsregelungen geschaffen werden, die die Grundordnung der jeweiligen Kommunalverfassung betreffen oder auch verändern, soll zunächst das Verhältnis zwischen der Bürger- bzw. Einwohnerschaft und der gemeindlichen Vertretungskörperschaft sein.
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Hierbei muss zunächst Folgendes Beachtung finden: Wie bereits an anderer Stelle ausführlich erörtert wurde, nehmen die Bürger bzw. Einwohner durch die Teilnahme an einer kommunalen Befragung an der Willensbildung innerhalb der Gemeinde teil und üben dadurch Staatsgewalt aus.242 Jedoch wird durch die Entscheidung einer Vertretungskörperschaft, die Bürger- bzw. Einwohnerschaft durch die Teilnahme an einer Befragung Staatsgewalt ausüben zulassen, kein neues gemeindliches Organ geschaffen.243 Dass das Volk für die Ausübung von Staatsgewalt zuständig ist, folgt bereits ausdrücklich aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. Bezogen auf die gemeindliche Ebene verleihen die verschiedenen Kommunalverfassungen durch die Regelungen zur Beteiligung der Bürger bzw. Einwohner244 diesen einen Organcharakter. Die „organschaftlichen Willensbildungsprozesse“ innerhalb einer Gemeinde spielen sich damit innerhalb dieser gesetzlich festgesetzten Grenzen ab.245 Je nach Bundesland wurden die Möglichkeiten der Beteiligung der Bürger bzw. Einwohner an der kommunalen Willensbildung unterschiedlich ausgestaltet.246 Die Landesgesetzgeber haben ihre Befugnis zur gesetzlichen Regelung der äußeren Kommunalverfassung insbesondere auch dahingehend ausgeübt, dass sie das Verhältnis der gemeindlichen Organe zueinander geregelt haben.247 Dafür, dass durch die Entscheidung zur Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung eine Organisationsregelung geschaffen wird, die die Grundstruktur der jeweiligen Kommunalverfassung in Bezug auf das Verhältnis der Bürger- bzw. Einwohnerschaft zur Vertretungskörperschaft verändert, spricht folgender Punkt: Mit der von einer Vertretungskörperschaft beschlossenen Durchführung einer kommunalen Befragung wird die Bürger- bzw. Einwohnerschaft in ihrer Gesamtheit zur Abgabe einer Stimme in Bezug auf eine bestimmte Angelegenheit aufgerufen. Das Ergebnis dieser Befragung entfaltet für die initiierende Vertretungskörperschaft dabei keine rechtliche Verbindlichkeit, sondern ruft unter bestimmten Umständen allenfalls eine faktische Bindungswirkung hervor. Beachtung finden muss in diesem Zusammenhang nun jedoch, dass denjenigen Bundesländern, in denen keine gesetzliche Grundlage für die Durchführung kommunaler Befragungen besteht, ein solches Instrument mit den soeben beschriebenen Besonderheiten gerade fremd ist. Eine Vertretungskörperschaft erschafft durch die Entscheidung zur Durchführung einer Befragung mithin ein in seinen Wirkungen weitreichendes Beteiligungsrecht, das die jeweilige Kommunalver242 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 122, 133; siehe hierzu bereits 2. Teil § 4. 243 Vgl. in Bezug auf konsultative Volksbefragungen auf Bundesebene Bugiel, Volkswille, S. 439 f.; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 147. 244 Siehe hierzu bereits 3. Teil § 2 IV. 245 Vgl. Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 200. 246 Siehe hierzu bereits 3. Teil § 2 IV. 247 Pagenkopf, Kommunalrecht, Bd. I, S. 204.
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fassung nicht vorsieht. Aus diesem Grund muss durch die Entscheidung zur Durchführung die Schaffung einer Organisationsregelung erblickt werden, durch die die kommunalverfassungsrechtliche Grundstruktur in Bezug auf das Verhältnis zwischen Bürger- bzw. Einwohnerschaft und Vertretungskörperschaft verändert wird. Etwas anderes folgt insbesondere nicht daraus, dass den Kommunalverfassungen mit dem Instrument des Bürgerentscheids zumindest ein ähnliches Instrument bekannt ist. An dieser Stelle sei nochmals klargestellt, dass es im Rahmen eines Bürgerentscheids zwar auch um eine Abstimmung geht, zu deren Teilnahme die gesamte Bürgerschaft aufgerufen wird und bei der die Abstimmungsteilnehmer staatliche Gewalt ausüben. Jedoch kommt dem Ergebnis eines Bürgerentscheids im Gegensatz zum Ergebnis kommunaler Befragungen Verbindlichkeit zu. Obgleich das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung von vielen zu Recht als eine „dem Bürgerentscheid verwandte Form bürgerschaftlicher Mitwirkung“ 248 bezeichnet wird, sind beide Instrument aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen Wirkungen dennoch wesensverschieden. Nichts anderes gilt letztlich auch in Bezug auf das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerversammlung249. Bei diesem geht es bereits nicht um eine Abstimmung aller Bürger bzw. Einwohner einer Gemeinde. Indes ist auch bei dieser Beteiligungsform anerkannt, dass ähnlich der Situation im Rahmen einer kommunalen Befragung aus den dort gemachten Anregungen eine gewisse faktische Bindungswirkung für die jeweilige Vertretungskörperschaft folgen kann250, die jedoch im Ergebnis deutlich geringer sein dürfte als im Rahmen kommunaler Befragungen. Damit spricht auch die Existenz dieses Beteiligungsinstruments nicht dagegen, dass mit der Entscheidung für die Durchführung kommunaler Befragungen eine Veränderung der Grundstruktur der jeweiligen Kommunalverfassung einhergeht. Damit kann festgehalten werden, dass die Kommunalverfassungen aller Bundesländer mit Ausnahme von Niedersachsen, dem Saarland und Schleswig-Holstein keine Regelungen vorsehen, die eine in Bezug auf das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung vergleichbare Mitwirkung der gesamten Bürger- bzw. Einwohnerschaft an einer kommunalen Sachentscheidung ermöglicht. Die Entscheidung über die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung stellt in all diesen Ländern damit eine Veränderung der Grundstruktur der jeweiligen Kommunalverfassung dar.251
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Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 121. Siehe hierzu bereits 3. Teil § 2 V. 2. 250 So auch Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 122 f.; Knemeyer, in: Ziemske/Langheid/Wilms/Haverkate, Festschrift Kriele, S. 1141 f., der betont, dass ein klares Votum faktisch eine hohe Bindungswirkung entfalte. 251 Vgl. in Bezug auf konsultative Volksbefragungen auf Bundesebene Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 136. 249
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Überdies kommt es durch die Entscheidung zur Durchführung einer kommunalen Befragung auch zu einer „Gewichtsverschiebung“ 252 in Bezug auf das beschriebene Kompetenzgefüge zwischen Bürger- bzw. Einwohnerschaft und der jeweiligen Vertretungskörperschaft.253 Die tatsächliche Folge einer durchgeführten Bürger- bzw. Einwohnerbefragung ist nämlich, dass das Volk faktisch in einem größeren Umfang an der kommunalen Politik und damit auch an der Staatswillensbildung beteiligt ist, als die jeweilige Kommunalverfassung dies vorsieht.254 Anders gewendet bedingt die Entscheidung zur Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung überhaupt erst das Tätigwerden der Bürgerbzw. Einwohnerschaft als gemeindliches Organ.255 Damit liegt gleichzeitig auch eine Veränderung in der Substanz der gemeindlichen Hoheitsrechte vor. Diese Entscheidung muss jedoch aufgrund der Anforderungen des institutionellen bzw. organisationsrechtlichen Vorbehalts des Gesetzes zwingend dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.256 b) Kompetenz der Vertretungskörperschaft Ein weiterer Bezugspunkt im Rahmen der Beantwortung der Frage, ob die Entscheidung über die Durchführung kommunaler Befragungen dem institutionellen bzw. organisationsrechtlichen Vorbehalt des Gesetzes unterfällt, ist die Kompetenz einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft. Die Grundstruktur der Kommunalverfassungen unterliegt durch die Entscheidung zur Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung auch insoweit einer Veränderung, als dass eine durchgeführte Befragung die Kompetenz und damit die Entscheidungsverantwortung einer Vertretungskörperschaft schmälert und damit zumindest faktisch beeinträchtigt.257 Der Grund hierfür liegt darin, dass von dem Ergebnis einer kom252 So in Bezug auf konsultative Volksbefragungen auf Bundesebene Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 136. 253 Vgl. in Bezug auf konsultative Volksbefragungen auf Bundesebene Ebsen, AöR 110 (1985), 2, 21; Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 136. 254 Vgl. in Bezug auf konsultative Referenden auf Bundesebene Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 136; vgl. in diesem Zusammenhang auch die zutreffende Argumentation des Landratsamts in dem Fall, der dem Urteil des VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194 ff., zugrunde liegt. Das Landratsamt führte dabei aus, dass die Gemeinde von den gesetzlichen Organen, dem Gemeinderat und dem ersten Bürgermeister verwaltet werde. Die Mitwirkung der Bürger beschränke sich lediglich auf die Wahl dieser Organe. Daher stünde den Bürgern auch kein unmittelbares Mitspracherecht bei Entscheidungen dieser Organe zu. 255 Vgl. in Bezug auf konsultative Volksbefragungen auf Bundesebene Bugiel, Volkswille, S. 440. 256 Dies bejaht in Bezug auf konsultative Volksbefragungen auf Bundesebene Bugiel, Volkswille, S. 441. 257 Vgl. in Bezug auf konsultative Volksbefragungen auf Bundesebene Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 136; vgl. in diesem Zusammenhang auch Schröder, in: Achterberg/Püttner, Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 19 (Rn. 39).
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munalen Befragung bei Vorliegen bestimmter Umstände eine faktische Verbindlichkeit ausgeht.258 Dabei wird nicht etwa verkannt, dass im Rahmen der Durchführung einer kommunalen Befragung im Vergleich zum Instrument des Bürgerentscheids gerade keine Verlagerung der Entscheidungskompetenz von der Vertretungskörperschaft auf die Bürger- bzw. Einwohnerschaft erfolgt und damit die Entscheidungskompetenz der Vertretungskörperschaft zumindest in formaler Hinsicht auch nicht angetastet wird.259 Dennoch kann unter bestimmten Umständen durch das Ergebnis einer Befragung erheblicher Druck auf die jeweilige Vertretungskörperschaft ausgeübt werden. Dies ist in jedem Fall als ausreichend anzusehen, um zumindest eine faktische Schmälerung der Kompetenz einer Vertretungskörperschaft anzunehmen. In ähnlicher Art und Weise argumentierte auch der im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Einführung des Instruments der Bürgerbefragung in Niedersachsen260 angehörte Deutsche Beamtenbund, der aufgrund einer mit der Durchführung von Bürgerbefragungen einhergehenden „Entmachtung des Rats“ sogar für die Unzulässigkeit des Instruments der Bürgerbefragung plädierte.261 Festgehalten werden kann damit, dass durch die Durchführung kommunaler Befragungen die Kompetenz einer Vertretungskörperschaft zwar nicht in rechtlicher, jedoch in faktischer Hinsicht erheblich beeinträchtigt wird. Die Entscheidung darüber, ob eine solche etwaige Kompetenzbeeinträchtigung einer Vertretungskörperschaft im Rahmen der Durchführung einer kommunalen Befragung in Kauf genommen wird, steht indes nur dem jeweiligen Landesgesetzgeber zu. Die Tatsache, dass die Durchführung des Instruments mit dem Einverständnis der jeweiligen Vertretungskörperschaft erfolgt, ändert an diesem Ergebnis nichts.262 Aus dem Vorbehalt des Gesetzes in seiner Ausprägung als institutioneller bzw. organisationsrechtlicher Vorbehalt des Gesetzes folgt damit, dass die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung zwingend eine einfachgesetzliche Grundlage erfordert. 5. Vorliegen eines innerdienstlichen Hoheitsaktes Im Zusammenhang mit der Frage, ob die Entscheidung über die Durchführung kommunaler Befragungen einem Vorbehalt des Gesetzes unterfällt, wird in der Literatur teilweise angeführt, dass ein Vorbehalt des Gesetzes in diesem Zusammenhang bereits aus dem Grund nicht greifen könne, da der Vorbehalt des Gesetzes die Tätigkeit der Verwaltung nicht lückenlos betreffe, sondern nur für nach 258
Siehe hierzu bereits 2. Teil § 1 II. Das betont auch Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 121. 260 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 3. 261 Gesetzentwurf des Niedersächsischen Landesregierung, „Entwurf eines Gesetzes zur Reform des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts“, LT-Drs. 13/1450, S. 104. 262 Vgl. Gramke, Praktizierte Bürgernähe, S. 48. 259
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außen wirksame Entscheidungen einer Verwaltungsbehörde einschlägig sei.263 Der Vorbehalt des Gesetzes habe damit keine Auswirkungen auf den für das Zustandekommen der Entscheidung verantwortlichen „verwaltungsinternen Verfahrensweg“.264 Bei der Entscheidung einer Vertretungskörperschaft für die Durchführung einer kommunalen Befragung handelt es sich nach dieser Auffassung damit um eine verwaltungsinterne Entscheidung, der keine Außenwirkung zukommt. Dieser Auffassung kann nicht zugestimmt werden. Es handelt sich bei der Entscheidung einer Vertretungskörperschaft über die Durchführung einer Bürgerbzw. Einwohnerbefragung nicht lediglich um einen Beschluss mit ausschließlich gemeindeinterner Wirkung.265 Ein gemeindeinterner Beschluss liegt nur dann vor, wenn durch diesen keine subjektiv-öffentlichen Rechte von außerhalb der Gemeinde stehenden Personen betroffen werden, sondern allenfalls Organrechte.266 Dies ist bei der Entscheidung einer Vertretungskörperschaft für die Durchführung einer kommunalen Befragung indes nicht der Fall. Vielmehr wirkt ein dahingehender Beschluss einer Vertretungskörperschaft bereits auf die Rechte der Bürger bzw. Einwohner ein, da es bei dem entsprechenden Beschluss einer Vertretungskörperschaft letztlich um die Frage geht, ob den Bürgern bzw. Einwohnern die Teilnahme an einer kommunalen Befragung und damit an einem Beteiligungsrecht, dass in dieser Form in der jeweiligen Kommunalverfassung keine gesetzliche Verankerung erfahren hat, ermöglicht wird. Die Gegebenheit, dass das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung lediglich von Seiten einer Vertretungskörperschaft initiiert werden kann, spricht nicht dagegen, dass im Rahmen der Durchführung einer kommunalen Befragung auch Rechte der Bürger bzw. Einwohner betroffen sind. Insoweit wurde bereits an anderer Stelle dieser Arbeit ausgeführt, dass eine wesentliche Funktion des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung in der Teilhabe der Bürger bzw. Einwohner am gemeindlichen Willensbildungsprozess besteht.267 Für die Sichtweise, dass einem derartigen Beschluss Außenwirkung zukommt, streitet auch ein Vergleich mit der rechtlichen Situation im Rahmen eines Bürgerbegehrens. In diesem Zusammenhang ist allgemein anerkannt, dass die Entscheidung über die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens einen Verwaltungsakt darstellt und damit Außenwirkung entfaltet.268 Dieses Beispiel verdeutlicht, dass ein ge263
Blum, NdsVBl. 1995, 1, 3. Blum, NdsVBl. 1995, 1, 3. 265 Vgl. zur Innen- und Außenwirkung von Beschlüssen Lange, Kommunalrecht, Kapitel 7 Rn. 239 f. 266 Lange, Kommunalrecht, Kapitel 7 Rn. 240. 267 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 5 II. 268 VGH Mannheim, Urteil vom 14.11.1983 – 1 S 1204/83, NVwZ 1985, 288 ff.; OVG Greifswald, Beschluss vom 24.07.1996 – 1 M 43/46 –, NVwZ 1997, 306, 307; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 122 m.w. N. (dort Fn. 330). 264
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meindlicher Beschluss, bei dem es um die Frage der Durchführung von Beteiligungsformen der Bürger bzw. Einwohner geht, grundsätzlich auch deren Rechtskreis berührt und damit Außenwirkung entfaltet. Zugestimmt werden kann der oben genannten Auffassung damit lediglich insoweit, als dass es sich bei einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung um ein Verfahren im Vorfeld der eigentlichen gemeindlichen Entscheidung handelt. Dies ändert im Ergebnis jedoch nichts daran, dass der Entscheidung einer Vertretungskörperschaft über die Durchführung einer kommunalen Befragung Außenwirkung zukommt. Die eingangs genannte Auffassung vermag damit nicht das Erfordernis einer einfachgesetzlichen Grundlage für die Durchführung kommunaler Befragungen begründen.
X. Gewährt Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG ein Beteiligungserfindungsrecht? Mit den vorausgegangenen Erörterungen kann festgehalten werden, dass aus dem Vorbehalt des Gesetzes, zumindest in seiner Ausprägung als institutioneller bzw. organisationsrechtlicher Vorbehalt des Gesetzes, folgt, dass die Entscheidung einer Vertretungskörperschaft zur Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung nur auf Grundlage einer einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage erfolgen darf. Ein von dieser Erkenntnis abweichendes Ergebnis könnte sich nunmehr lediglich daraus ergeben, dass einer Vertretungskörperschaft möglicherweise bereits durch das in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG garantierte gemeindliche Selbstverwaltungsrecht und das insoweit gewährleistete Prinzip der Allzuständigkeit die Möglichkeit offen stehen muss, die Entscheidung über die Durchführung kommunaler Befragungen auch ohne entsprechende einfachgesetzliche Grundlage zu treffen. Der Vorbehalt des Gesetzes kann grundsätzlich in solchen Angelegenheiten eine inhaltliche Begrenzung erfahren, die den verfassungsrechtlich garantierten Bereich der kommunalen Selbstverwaltung betreffen.269 Die Entscheidung für die Durchführung einer kommunalen Befragung läge dann unabhängig des Bestehens einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage einzig in den Händen einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft. Die Legitimationsgrundlage für die Durchführung kommunaler Befragungen wäre dann lediglich in Art. 28 Art. 2 S. 1 GG zu erblicken.270 Den normativen Bezugspunkt eines solchen Argumen269 So auch Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. V, § 101 Rn. 70; ähnlich auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 197; vgl. in diesem Zusammenhang auch Herzog/Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. III, Art. 20 (unter VI.) Rn. 123, die insoweit ausführen, dass der Gesetzesvorbehalt in den verfassungsrechtlichen Regelungen zur kommunalen Selbstverwaltung „ein argumentatives Gegengewicht [findet], das in Richtung einer Zuordnung zur Exekutive wirkt“. 270 So Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 595; Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 325.
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tationsansatzes stellt folglich Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG dar, der den Gemeinden das Recht gewährleistet, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Im Zusammenhang mit diesem Gedanken steht auch die von der Literatur271 und Rechtsprechung272 teilweise vertretene Auffassung, wonach die Durchführung kommunaler Befragungen bereits durch das einer Vertretungskörperschaft zustehende Informationsrecht gedeckt und eine einfachgesetzliche Ermächtigungsgrundlage daher nicht erforderlich sei. Das Verwaltungsgericht Ansbach273 spricht in diesem Zusammenhang von einem „umfassenden Recht auf Information“, welches einer Vertretungskörperschaft nicht durch eine hoheitliche Maßnahme genommen oder eingeschränkt werden könne.274 Einer Vertretungskörperschaft stehe es nach Auffassung des Gerichts damit frei, sich die „Grundlagen für seine Entscheidung nach freiem Ermessen“ selbst zu verschaffen.275 Daher sei eine Befragung der Bürger im Vorfeld einer Entscheidung in vielen Fällen „zweckmäßig, verschiedentlich sogar geboten“.276 Leider geht das Gericht dabei nicht näher auf die insoweit entscheidende Frage ein, woraus sich ein solches Informationsrecht herleitet. Vertretbar dürfte in diesem Zusammenhang zumindest sein, dass sich ein solches Recht unmittelbar aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG herleiten lässt. Überdies erscheint es auch vertretbar, das Informationsrecht einer Vertretungskörperschaft als ungeschriebenes Recht anzuerkennen277, das seinen dogmatischen Anknüpfungspunkt in der Sachkompetenz (sog. Annexkompetenz278) der Vertretungskörperschaft in Bezug auf die jeweilige Angelegenheit findet.279 Im Folgenden gilt es zu untersuchen, ob der im Grundsatz bestehende Vorbehalt des Gesetzes für die Durchführung kommunaler Befragungen eine Einschränkung durch das in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gewährleistete gemeindliche Selbstverwaltungsrecht erfährt.
271 Knemeyer, BayBgm. 1971, 87 ff.; Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 205; Gramke, Praktizierte Bürgernähe, S. 49; Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 193, nach dem die Bürgerbefragung eine „Konkretisierung“ des umfassenden Informationsrechts der Vertretungskörperschaft darstelle; Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 138; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, § 6 Rn. 141; Pröckl, Die unmittelbare Beteiligung der Bürger, S. 20. 272 VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194, 194. 273 Siehe hierzu bereits 4. Teil § 2 IV. 1. 274 VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194, 194. 275 VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194, 194. 276 VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194, 195. 277 In diesem Sinne auch Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, § 6 Rn. 141. 278 Vgl. in Bezug auf konsultative Volksbefragungen auf Bundesebene Hofmann, Verfassungsrechtliche Perspektiven, S. 159. 279 Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 195.
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1. Das Allzuständigkeitsprinzip Zunächst stellt sich die Frage, ob die Entscheidung zur Durchführung kommunaler Befragungen überhaupt von dem in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verankerten Grundsatz der Allzuständigkeit bzw. Universalität280 erfasst ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sichert dieser Grundsatz den Gemeinden „einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich sowie die Befugnis zu eigenverantwortlicher Führung der Geschäfte in diesem Bereich“.281 In seiner Rastede-Entscheidung282 hat das Bundesverfassungsgericht grundlegend zu der Frage Stellung genommen, was unter Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu verstehen ist. Nach Auffassung des Gerichts seien dies „diejenigen Bedürfnisse, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindebürgern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen“.283 Indes handelt es sich bei dem in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG niedergelegten Allzuständigkeitsprinzip lediglich um eine verfassungsrechtliche Zuständigkeitsvermutung für die Allzuständigkeit der Gemeinden. Eine Konkretisierung des Prinzips der Allzuständigkeit erfolgt vielmehr erst durch die sog. Gemeindehoheiten284. Zu diesen Gemeindehoheiten gehört auch die sog. Organisationshoheit.285 Die Organisationshoheit ermöglicht den Gemeinden, Abläufe und Entscheidungszuständigkeiten für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben im Einzelnen festzulegen und damit auch über Gewichtung, Qualität und Inhalt ihrer Entscheidungen zu bestimmen.286 Den Gemeinden muss daher stets ein gewisser organisatorischer Freiraum gewährleistet sein.287 Will eine Gemeinde die gemeindlichen Angelegenheiten „in eigener Verantwortung“ regeln, wie es Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG vorsieht, muss dieser auch zwingend eine gewisse Selbständigkeit bei der Organisation der Aufgabenwahrnehmung zugestanden werden.288 Es stellte überdies einen 280 So ausdrücklich Tettinger/Schwarz, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 168. 281 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 236 m.w. N. 282 BVerfG, Beschluss vom 23.11.1988 – 2 BvR 1619, 1628/83 –, BVerfGE 79, 127 ff. 283 BVerfG, Beschluss vom 23.11.1988 – 2 BvR 1619, 1628/83 –, BVerfGE 79, 127, 151 f. 284 Vgl. hierzu nur Lange, Kommunalrecht, Kapitel 1 Rn. 57 ff. 285 BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 236 m.w. N.; das Gericht leitet die Organisationshoheit dabei dogmatisch aus der Befugnis zur eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte her; ausführlich hierzu auch SchmidtJortzig, Kommunale Organisationshoheit; Herbert, NVwZ 1995, 1056, 1056. 286 BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 236. 287 BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 238. 288 BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 238.
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krassen Widerspruch dar, wenn das Grundgesetz den Gemeinden auf der einen Seite eigene Aufgabenbereiche zur selbständigen Erledigung überträgt, auf der anderen Seite jedoch die Organisation der Aufgabenbereiche bis in interne Verfahrensabläufe hinein der umfassenden Steuerung durch den Gesetzgeber oder die staatliche Verwaltung überließe.289 Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen zum Grundsatz der Allzuständigkeit und der geschützten Organisationshoheit der Gemeinden erscheint es auf den ersten Blick naheliegend, die Entscheidung über die Einführung plebiszitärer Elemente und damit auch über die Durchführung kommunaler Befragungen als eine von Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG geschützte gemeindliche Angelegenheit aufzufassen. Die Durchführung einer kommunalen Befragung zu einer die Gemeinde betreffenden Angelegenheit weist einen gemeindlichen Bezug auf und wurzelt daher auch in der örtlichen Gemeinschaft. Die von der Gemeinde zu erledigende Angelegenheit ist bei genauer Betrachtung zwar nicht die kommunale Befragung als solche, sondern die hinter der Befragung stehende Sachmaterie. Indes muss die Befragung als untrennbarer Verfahrensbestandteil dieser Aufgabenerledigung angesehen werden. Demgegenüber erscheint es in dogmatischer Hinsicht auch vertretbar, die Entscheidung über die Einführung plebiszitärer Elemente und damit auch die Einführung des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung nicht als gemeindliche Angelegenheit anzusehen, die eine Gemeinde eigenverantwortlich erledigen darf. Argumentiert werden kann insoweit, dass die Entscheidung über die Einführung plebiszitärer Elemente bereits nicht der geschützten Organisationshoheit unterfällt. In diesem Zusammenhang muss nämlich Berücksichtigung finden, dass die Organisationshoheit nach allgemeiner Auffassung den Gemeinden nur die Befugnis zur Regelung und Ausgestaltung der Angelegenheiten ihrer inneren Verwaltungsorganisation bzw. der inneren Kommunalverfassung verleiht.290 Der Begriff der inneren Kommunalverfassung umfasst indes lediglich „die Gesamtheit der Normen [. . .], die sich über deren innere Organisation verhalten und sich
289 BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 238; vgl. zum Umfang der Organisationshoheit auch Pagenkopf, Kommunalrecht, Bd. I, S. 68 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 414; Schmidt-Jortzig, Kommunale Organisationshoheit, S. 33 ff., 123 ff. 290 BVerfG, Beschluss vom 27.11.1986 – 2 BvR 1241/82 –, NVwZ 1987, 123, 123; OVG Münster, Urteil vom 17.02.1984 – 15 A 2626/81 –, Städte und Gemeinderat 1984, 373, 374; so auch Löwer, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. I, Art. 28 Rn. 79; vgl. auch Kühne, in: Frank/Langrehr, Festschrift Faber, S. 46; Herbert, NVwZ 1995, 1056, 1057; Bethge, Die Verwaltung 15 (1982), 205, 218; Schmidt, Kommunalrecht, Rn. 67; BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 236, das insoweit ausführt, dass „insbesondere in der Weimarer Republik unbestritten“ war, dass „jedenfalls die Regelung der äußeren Kommunalverfassung ohne weitere Maßgaben Sache des Gesetzgebers sei“; Hegele/Ewert, Kommunalrecht Sachsen, S. 31; a. A. Stober, Kommunalrecht, S. 78.
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auf die Arten und Aufgaben der verschiedenen Gemeindeorgane, ihre Bildung und Zusammensetzung, ihr Verhältnis zueinander und ihre Zuständigkeit für die kommunale Willensbildung beziehen“.291 Damit umfasst die Organisationshoheit gerade nicht die Regelung der äußeren Kommunalverfassung.292 Zu diesen Regelungen der äußeren Kommunalverfassung zählt jedoch neben der Ausgestaltung des Kommunalverfassungssystems auch die Entscheidung über die Zulassung von Formen der Bürgerbeteiligung.293 Vor diesem Hintergrund erscheint es in dogmatischer Hinsicht durchaus vertretbar, die Entscheidung über die Durchführung kommunaler Befragungen bereits als nicht vom Allzuständigkeitsprinzip und damit auch nicht von der geschützten Organisationshoheit erfasst anzusehen, da die Frage der Beteiligung der Bürger die äußere Verwaltungsorganisation und damit nicht die geschützte innere Organisation betrifft. Folgt man dieser Auffassung, kann sich eine gemeindliche Vertretungskörperschaft in denjenigen Bundesländern, die bisher auf den Erlass einer gesetzlichen Regelung für die Durchführung kommunaler Befragungen verzichtet haben, im Rahmen einer Entscheidung für die Durchführung einer Befragung nicht darauf berufen, dass ihr das in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verbürgte Allzuständigkeitsprinzip ein derartiges Vorgehen auch ohne gesetzliche Ermächtigung ermöglicht. Vertritt man dagegen die Auffassung, dass die Entscheidung über die Durchführung kommunaler Befragungen vielmehr den geschützten Bereich der inneren Gemeindeorganisation betrifft und die Entscheidung einer Vertretungskörperschaft hierüber damit vom Allzuständigkeitsprinzip des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG erfasst ist, steht Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG dem Erfordernis einer einfachgesetzlichen Grundlage für die Durchführung kommunaler Befragungen zunächst einmal entgegen. Dasselbe gilt auch für den Fall, dass man die Frage der Einführung plebiszitärer Elemente zwar auch dem Bereich der äußeren Verwaltungsorganisation zuordnet, diese Frage indes in dogmatischer Hinsicht erst im Rahmen der Prüfung eines Eingriffs in die Selbstverwaltungsgarantie aufwirft.294 Wie noch im weiteren Verlauf der Arbeit zu zeigen sein wird, verfolgt das Bundesverfassungsgericht wohl einen derartigen dogmatischen Ansatz.295 Daher gilt es im 291
Pagenkopf, Kommunalrecht, Bd. I, S. 203. Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 239, wonach die Entscheidung über die äußeren Grundstrukturen der Gemeinde in allen Ländern stets als Sache des Gesetzgebers angesehen wurde; vgl. auch Pagenkopf, Kommunalrecht, Bd. I, S. 69. 293 BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 239; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 174; a. A. wohl Herbert, NVwZ 1995, 1056, 1057. 294 So wohl Pagenkopf, Kommunalrecht, Bd. I, S. 68, der zunächst ausführt, dass die Gemeinden „ihre innere und äußere Organisation“ selbst ordnen könnten, indes der Gesetzgeber die äußere Organisation der Gemeinden einheitlich gestalte; ähnlich auch Stober, Kommunalrecht, S. 78 f. 295 BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 238 ff. 292
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Folgenden zu prüfen, ob Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG möglicherweise aus anderen Gründen nicht zur Begründung dafür herangezogen werden kann, dass eine gemeindliche Vertretungskörperschaft auch ohne entsprechende gesetzliche Grundlage die Durchführung kommunaler Befragungen beschließen darf. Etwas anderes könnte sich insoweit aus dem in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verankerten Gesetzesvorbehalt ergeben. Nach diesem ist die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nicht schrankenlos gewährleistet, sondern vielmehr lediglich „im Rahmen der Gesetze“. 2. Der Gesetzesvorbehalt des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG Mit der Formulierung „im Rahmen der Gesetze“ in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG hat der Verfassungsgeber deutlich gemacht, dass Einschränkungen des eigenverantwortlich zu führenden gemeindlichen Aufgabenbereichs nicht völlig ausgeschlossen sind, jedoch stets einer gesetzlichen Grundlage bedürfen.296 Hinter dieser grundgesetzlichen Bestimmung steht der Gedanke, dass die Einrichtung der gemeindlichen Selbstverwaltung grundsätzlich einer „gesetzlichen Ausgestaltung und Formung“ bedarf.297 Aus der Formulierung „im Rahmen der Gesetze“ folgt dabei zunächst, dass die Gemeinden sich bei der Selbstverwaltungstätigkeit an die gesetzlichen Vorschriften halten müssen. Dem Gesetzgeber wird somit ausdrücklich erlaubt, die gemeindliche Selbstverwaltungsgarantie durch gesetzliche Regelungen einzuschränken.298 Daraus folgt gleichfalls, dass auch die gemeindlichen Organisationsbefugnisse durch die Vorgaben des Gesetzgebers gebunden sind.299 Das Grundgesetz räumt damit dem Gesetzgeber eine starke Stellung gegenüber den Gemeinden ein, da ihm die Entscheidung darüber zusteht, was zum Inhalt des kommunalen Selbstverwaltungsrechts gehört.300 Der Gesetzesvorbehalt kann als die „Crux der rechtlichen Gewährleistung“ 301 der kommunalen Selbstverwaltung angesehen werden. Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung findet ihre Schranke in den verfassungskonformen staatlichen Außenrechtsnormen302 und damit insbesondere auch in förmlichen Landesgesetzen303. Zuständig für die nähere Ausgestal296 297
Vgl. auch Tettinger/Erbguth/Mann, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 62. BVerfG, Beschluss vom 23.11.1988 – 2 BvR 1619, 1628/83 –, BVerfGE 79, 127,
143. 298
Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 78. So ausdrücklich BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 238. 300 Vogelgesang, in: Friauf/Höfling, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 134. 301 Erbguth, DÖV 1995, 793, 797. 302 Hennecke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Art. 28 Rn. 64. 303 Dreier, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 118. 299
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tung der kommunalen Selbstverwaltung ist vor allem der Landesgesetzgeber.304 Der in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG geregelte Gesetzesvorbehalt umfasst trotz des insoweit mehrdeutigen Wortlauts sowie der Wortstellung nicht nur die Art und Weise der Erledigung der örtlichen Angelegenheiten, sondern ebenso die gemeindliche Zuständigkeit für diese Angelegenheiten.305 Dementsprechend sind auch die grundsätzlich in den Händen der Gemeinden liegenden Organisationsbefugnisse durch die Vorgaben der Landesgesetzgeber gebunden und damit gleichfalls Gegenstand des Gesetzesvorbehalts.306 Vor diesem Hintergrund gilt es im Folgenden zu untersuchen, ob gesetzliche Regelungen bestehen, aus denen unmittelbar oder mittelbar folgt, dass eine gemeindliche Vertretungskörperschaft kommunale Befragungen gerade nicht ohne entsprechende gesetzliche Grundlage durchführen darf. Anders gesprochen geht es um die Frage, ob den Gemeinden ein originäres „Beteiligungserfindungsrecht“ 307 bzw. eine „Partizipationserfindungskompetenz“ 308 zusteht, dessen normative Verankerung in diesem Fall einzig in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG zu erblicken wäre.309 a) Gesetzliche Vorschriften zur Bürgerbeteiligung Entsprechende gesetzliche Regelungen, die die Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung insoweit einschränken, als dass sie den Gemeinden das Recht zur eigenständigen „Beteiligungserfindung“ absprechen, könnten in den bereits bestehenden Vorschriften der Kommunalverfassungen zur Bürgerbeteiligung erblickt werden.310 Anerkannt ist nämlich, dass den Gemeinden insoweit die Befugnis zur Eigengestaltung der Gemeindeorganisation genommen ist, wie der Regelungsgehalt der jeweiligen Kommunalverfassung gerade diesen Organisations-
304 305
Vogelgesang, in: Friauf/Höfling, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 129. BVerfG, Beschluss vom 23.11.1988 – 2 BvR 1619, 1628/83 –, BVerfGE 79, 127,
143. 306 BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 238 m.w. N.; so auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 199. 307 Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 200. 308 Ebsen, DVBl. 1984, 1107, 1108. 309 Siehe hierzu bereits 4. Teil § 2 X. 310 Darauf verweist auch Ebsen, DVBl. 1984, 1107, 1108; vgl. auch Everts, Plebiszitäre Einrichtungen, S. 199; Streinz, Die Verwaltung 16 (1983), 293, 304; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 7 Rn. 25, der Regelungen über Bürgerbeteiligung in einer Geschäftsordnung für zulässig erachtet, sofern „dies nicht durch eine höherrangige abschließende Regelung der Bürgerbeteiligung in der Gemeindeordnung ausgeschlossen ist“; vgl. auch Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 33, die jedoch insoweit auf die gesetzliche Regelung der „gemeindeinternen Kompetenzverteilung“ Bezug nimmt; vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil vom 20.07.1999 – 10 K 4836/97 –, Rn. 36 (zitiert nach juris).
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gegenstand bereits abdeckt.311 Die Organisationshoheit findet damit ihre Grenzen in den gesetzlichen Regelungen, da alle Zuständigkeiten der Verwaltung unter der Vorrangwirkung vorhandener Gesetze stehen und die Gemeinden damit ihre Organisationshoheit nur im Rahmen der Organisationsregelungen des Kommunalverfassungsrechts ausüben können.312 Der verfassungsrechtlich geschützten kommunalen Organisationshoheit steht damit die Kompetenz der Länder zur Regelung der gemeindlichen Organisation gegenüber.313 Damit ist es eine Frage des jeweiligen Landesrechts, ob die jeweils geregelten Formen der Bürger- bzw. Einwohnerbeteiligung abschließend verstanden werden müssen oder nicht.314 Daraus folgt letztlich, dass den Gemeinden die Einführung von bisher gesetzlich nicht erfassten Beteiligungsrechten freisteht, solange diese nicht mit den bestehen gesetzlichen Regelungen zur Bürgerbeteiligung kollidieren.315 In diesem Zusammenhang muss indes zunächst Beachtung finden, dass alleine aus der Tatsache, dass bisher lediglich die Kommunalverfassungen von Niedersachsen, dem Saarland sowie Schleswig-Holstein einfachgesetzliche Regelungen zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen vorsehen, nicht der Umkehrschluss gezogen werden kann, dass die übrigen Bundesländer bewusst von dem Erlass entsprechender gesetzlicher Regelungen dieses Rechtsinstituts abgesehen haben und die Durchführung kommunaler Befragungen in diesen Bundesländern daher unzulässig ist. Anders argumentierte indes das Verwaltungsgericht Gießen in dem bereits erörterten Urteil316: Das Verwaltungsgericht begründete die Unzulässigkeit der Durchführung einer gesetzlich nicht geregelten Bürgerfragestunde unter anderem auch damit, dass die Kommunalverfassungen von insgesamt acht Bundesländern im Unterschied zur hessischen Kommunalverfassung gemeindlichen Vertretungskörperschaften ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet haben, den Bürgern ein Fragerecht gegenüber Gemeindeorganen einzuräumen.317 Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Das Vorliegen ei311 OVG Münster, Urteil vom 17.02.1984 – 15 A 2626/81 –, Städte- und Gemeinderat 1984, 373, 373; so auch Herbert, NVwZ 1995, 1056, 1057. 312 Pagenkopf, Kommunalrecht, Bd. I, S. 70. 313 Vgl. Herbert, NVwZ 1995, 1056, 1057; Bethge, Die Verwaltung 15 (1982), 205, 219. 314 Schröder, in: Achterberg/Püttner, Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 19 (Rn. 39); Ebsen, DVBl. 1984, 1107, 1108; Herbert, NVwZ 1995, 1056, 1057 m.w. N.; vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil vom 20.07.1999 – 10 K 4836/97 –, Rn. 36 (zitiert nach juris). 315 Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 189, der in diesem Zusammenhang jedoch daraufhin weist, dass die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten der Beteiligung von Bürgern und Einwohnern an der gemeindlichen Willensbildung im Grundsatz als abschließend zu betrachten seien. 316 VG Gießen, Beschluss vom 22.10.1998 – 8 G 1766/98 –; siehe hierzu bereits 4. Teil § 2 IV. 4. d). 317 VG Gießen, Beschluss vom 22.10.1998 – 8 G 1766/98 –, Rn. 25 (zitiert nach juris).
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ner Regelungslücke in einer Kommunalverfassung bedeutet nicht automatisch eine abschließende (Nicht-)Regelung der jeweiligen Materie.318 Erforderlich ist vielmehr, dass sich zusätzliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Verzicht gerade aus dem Grund erfolgte, um diese Regelungsmaterie etwaigen kommunalen Organisationsentscheidungen zu entziehen.319 Vor diesem Hintergrund stellt die Annahme, dass in Anbetracht der bereits bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Durchführung kommunaler Befragungen die übrigen Bundesländer bewusst auf eine gesetzliche Verankerung dieses Instruments verzichtet haben und die Durchführung kommunaler Befragungen damit unzulässig ist, im Ergebnis nicht mehr als eine bloße Vermutung dar, aus der in Bezug auf die vorliegende Fragestellung keine Erkenntnisse gewonnen werden können. Bei genauerer Betrachtung erweist sich die Annahme zudem als zirkulär. So kann in diesem Zusammenhang nämlich gleichfalls das Argument vorgebracht werden, dass alle Bundesländer mit Ausnahme von Niedersachsen, dem Saarland sowie Schleswig-Holstein lediglich aus dem Grund bisher auf den Erlass einer gesetzlichen Regelung diesbezüglich verzichtet haben, da sie von der vertretbaren Annahme320 ausgegangen sind, dass die Durchführung kommunaler Befragungen auch ohne entsprechende einfachgesetzliche Grundlage zulässig ist. Somit kann aus der Tatsache der Nichtregelung des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung nicht ohne weiteres ein Argument für das Erfordernis einer einfachgesetzlichen Grundlage für die Durchführung kommunaler Befragungen hergeleitet werden. Auch muss in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden, dass auch ein Vergleich der gesetzlichen Ausgestaltung der verschiedenen Kommunalverfassungen nichts daran ändert, dass die Frage der Zulässigkeit der Durchführung kommunaler Befragungen ohne gesetzliche Regelung stets anhand des jeweiligen Landesrechts zu beantworten ist.321 Jedoch muss davon ausgegangen werden, dass durch die umfassenden Vorschriften zur Beteiligung der Bürger bzw. Einwohner in den Kommunalverfassungen jeweils abschließende Regelungen zur Frage der bürgerschaftlichen Mitwirkung auf kommunaler Ebene getroffen wurden.322 Dies hat zur Folge, dass
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Herbert, NVwZ 1995, 1056, 1057. Herbert, NVwZ 1995, 1056, 1057. 320 Siehe insoweit zum Meinungsstand 4. Teil § 2 III. 1. 321 Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 209; siehe hierzu bereits 4. Teil § 2 X. 2. a). 322 So ausdrücklich auch Everts, Plebiszitäre Einrichtungen, S: 200; angedeutet wird dieser Gedanke auch bei Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 193, obgleich dieser diesen nicht konsequent weiterführt; vgl. auch Streinz, Die Verwaltung 16 (1983), 293, 304, der ausführt, dass die Kommunalgesetzes nicht nur den Aufgabenkreis, sondern auch die Organisationsstruktur der Gemeinden gesetzlich festgelegt hätten; a. A. in Bezug auf die Errichtung von Seniorenbeiräten Schulz/Tischler, KommJur 2012, 281, 284, die insoweit der Auffassung sind, dass eine Nennung von Gremien in einer Kommunalverfassung 319
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über diese gesetzlichen Regelungen hinaus kein Raum für eine eigenständige Kompetenz der Gemeinden zur Beteiligungserfindung besteht.323 Der Gesetzesvorbehalt des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG muss demnach dergestalt verstanden werden, dass die bereits bestehenden gesetzlichen Vorschriften der Kommunalverfassungen zur Bürgerbeteiligung die Gemeinden zunächst insoweit in ihrem Recht zur Selbstverwaltung einschränken, als dass diese über die geregelten Beteiligungsrechte hinaus keine weiteren Formen der Bürgerbeteiligung eigenmächtig durchführen dürfen. Diese Auffassung wird auch von der Rechtsprechung geteilt. Am deutlichsten lässt sich diese Argumentation in einem neueren Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen wiederfinden.324 Das Verwaltungsgericht Gießen hielt die von der Vertretungskörperschaft veranlasste Durchführung einer Bürgerfragestunde für unzulässig, da ein solches Beteiligungsinstrument von der hessischen Kommunalverfassung nicht vorgesehen sei.325 Insoweit könne auch keine Regelungslücke erblickt werden, da „der hessische Gesetzgeber die Beteiligungsrechte der Einwohner bzw. Bürger abschließend geregelt hat“.326 In vergleichbarer Art und Weise argumentierte auch das Verwaltungsgericht Ansbach in seinem Urteil.327 Nachdem das Gericht das Vorhandensein eines ausdrücklichen Verbots verneinte, führte das Gericht weiter aus, dass der Gesetzgeber in der Kommunalverfassung das Gemeindeverfassungsrecht „umfassend geordnet und gleichzeitig auch die Beteiligung von Bürgern an der gemeindlichen Selbstverwaltung“ geregelt habe.328 Obgleich das Gericht dies nicht ausdrücklich erwähnt, kann aus diesen Ausführungen gefolgert werden, dass das Gericht insoweit von einer (vorerst) abschließenden Regelung der Beteiligungsrechte der Bürger in der Bayerischen Kommunalverfassung ausgeht. Nur so lässt sich auch die weitere Feststellung des Gerichts einordnen, wonach den Gemeinden eine Einräumung weiterer Mitwirkungsrechte, die über die bisher gesetzlich geregelten Rechte hinausgehen, versagt ist.329 Folgerichtig führt das Gericht als Beispiel nur dann als abschließend angesehen werden könne, wenn diesen Gremien eine Entscheidungszuständigkeit zufällt; a. A. auch Stober, Kommunalrecht, S. 124. 323 Vgl. auch Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 189, der eine Schaffung weiterer Beteiligungsmöglichkeiten durch eine Gemeinde insoweit für zulässig erachtet, als dass diese nicht mit bestehenden Rechtsvorschriften kollidieren. 324 VG Gießen, Beschluss vom 22.10.1998 – 8 G 1766/98 –; siehe hierzu bereits 4. Teil § 2 IV. 4. d). 325 VG Gießen, Beschluss vom 22.10.1998 – 8 G 1766/98 –, Rn. 19 (zitiert nach juris). 326 VG Gießen, Beschluss vom 22.10.1998 – 8 G 1766/98 –, Rn. 21 (zitiert nach juris). 327 VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194 ff.; siehe hierzu bereits 4. Teil § 2 IV. 1. 328 VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194, 194. 329 VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194, 194.
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hierfür an, dass die durch die Gemeinde veranlasste Durchführung eines Bürgerbegehrens oder eines Gemeindeentscheids daher rechtswidrig wäre.330 Leider jedoch führt das Verwaltungsgericht Ansbach diesen Gedanken nicht konsequent weiter. Darüber hinaus leitet das Gericht sogar Schlüsse aus diesem ab, die zumindest nach dem dieser Arbeit zugrundliegenden Verständnis nur schwer vertretbar sein dürften: Nach Ansicht des Gerichts stelle die geplante Bürgerbefragung lediglich eine „bloße Bürgerumfrage“ dar.331 Eine solche Umfrage sei stets zulässig, da die Vertretungskörperschaft diese „zur Vorbereitung der eigenen Beschlussfassung“ durchführe und den Einwohnern aufgrund der fehlenden Bindungswirkung des Befragungsergebnisses auch keine „unmittelbaren Entscheidungsrechte“ einräume.332 Eine vergleichbare, wenngleich inhaltlich deutlich ausführlichere Argumentation lässt sich auch der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg entnehmen.333 Auch das Oberverwaltungsgericht Lüneburg nimmt auf den in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG geregelten Gesetzesvorbehalt Bezug und führt insoweit zunächst aus, dass die Befugnis einer Gemeinde zur Regelung der eigenen Angelegenheiten unter dem „Vorbehalt des kommunalen Verfassungsrechts“ stehe.334 Daraus ergibt sich nach Auffassung des Gerichts, dass der „Umfang der Beteiligung von Bürgern“ im Rahmen von Sitzungen der Vertretungskörperschaft eine Frage des Kommunalverfassungsrechts sei, das jedoch eine Beteiligung der Bürger in Form eines Fragerechts nicht vorsehe.335 Etwaige Regelungslücken könnten allenfalls vom insoweit zuständigen Landesgesetzgeber geschlossen werden.336 Auch das Oberverwaltungsgericht Lüneburg vertritt somit die Auffassung, dass eine Gemeinde an die gesetzlich geregelten Formen der Bürgerbeteiligung gebunden ist und mangels entsprechender Kompetenz nicht eigenständig neue Formen der Beteiligung erfinden kann. An diese Argumentation des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg knüpft das Verwaltungsgericht Schleswig in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1985 an.337 330
VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194, 194. VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194, 194; siehe zur Abgrenzung des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung und einer bloßen Bürgerumfrage bereits 2. Teil § 6. 332 VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194, 194. 333 OVG Lüneburg, Urteil vom 31.05.1983 – 5 A 101/82 –, Die Gemeinde 1983, 336 = HSGZ 1987, 67; siehe hierzu bereits 4. Teil § 2 IV. 4. b). 334 OVG Lüneburg, Urteil vom 31.05.1983 – 5 A 101/82 –, Die Gemeinde 1983, 336 = HSGZ 1987, 67. 335 OVG Lüneburg, Urteil vom 31.05.1983 – 5 A 101/82 –, Die Gemeinde 1983, 336 = HSGZ 1987, 67. 336 OVG Lüneburg, Urteil vom 31.05.1983 – 5 A 101/82 –, Die Gemeinde 1983, 336 = HSGZ 1987, 67. 337 VG Schleswig, Urteil vom 20.09.1985 – 6 A 232/85 –, NVwZ 1986, 1052 ff. = Die Gemeinde 1986, 25 f.; siehe hierzu bereits 4. Teil § 2 IV. 4. c). 331
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Auch in diesem Urteil kommt das Gericht zu dem Schluss, dass eine Regelung über die Beteiligung von Bürgern an der Sitzung einer Vertretungskörperschaft als Teil des Kommunalverfassungsrechts dem Gesetzgeber vorbehalten sei.338 Der Gesetzgeber habe über die bereits bestehenden Beteiligungsrechte hinaus den Bürgern keine weiteren Rechte eingeräumt und daher bestehe auch keine Kompetenz der Vertretungskörperschaft zur Regelung einer solchen Frage.339 Damit ist es auch nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Schleswig einer Gemeinde in jedem Fall verwehrt, über die gesetzlich geregelten Beteiligungsmöglichkeiten hinaus neue Formen der Bürgerbeteiligung einzuführen. Diese Aufgabe bleibe vielmehr dem Gesetzgeber vorbehalten. Der Gedanke, dass die gesetzlich geregelten Beteiligungsrechte der Bürger abschließend sind, klingt auch in dem früheren Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig aus dem Jahr 1979340 an, wenngleich auch weniger deutlich als in den Urteilen des Verwaltungsgerichts Ansbach, des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg sowie des Verwaltungsgerichts Schleswig aus dem Jahr 1985. Das Verwaltungsgericht Schleswig führt in seinem ersten Urteil zum Thema Bürgerfragestunden aus, dass sich die Absicht des Gesetzgebers, kein Rederecht der Zuhörer zuzulassen, an mehreren gesetzlichen Regelungen festmachen lasse.341 Aus dem Unterlassen des Gesetzgebers, eine Regelung zu erlassen, könne geschlossen werden, dass er nur die Möglichkeit des Zuhörens geben wollte.342 Der Gesetzgeber habe in der Kommunalverfassung die Möglichkeit einer Mitwirkung von Nichtmitgliedern eines Gemeindegremiums „jeweils ausdrücklich und für den Einzelfall“ geregelt.343 Auch in diesen Ausführungen klingt somit der Gedanke an, dass das, was ein Gesetzgeber in Bezug auf die Bürgerbeteiligung regelt, umfassend und damit abschließend ist. Diesen Urteilen muss insoweit, als dass sie die in den Kommunalverfassungen geregelten Formen der Bürgerbeteiligung als abschließende Regelungen und damit als für die jeweilige Vertretungskörperschaft verbindlich ansehen, zugestimmt werden. Die Landesgesetzgeber haben damit in Ausübung ihrer Organisationsgewalt den Bereich der Bürgerbeteiligung als Organisationsgegenstand 338 VG Schleswig, Urteil vom 20.09.1985 – 6 A 232/85 –, NVwZ 1986, 1052, 1053 = Die Gemeinde 1986, 25, 26. 339 VG Schleswig, Urteil vom 20.09.1985 – 6 A 232/85 –, NVwZ 1986, 1052, 1053 = Die Gemeinde 1986, 25, 26. 340 VG Schleswig, Urteil vom 15.03.1979 – 6 A 165/77 –, Die Gemeinde 1979, 186 ff.; siehe hierzu bereits 4. Teil § 2 IV. 4. a). 341 VG Schleswig, Urteil vom 15.03.1979 – 6 A 165/77 –, Die Gemeinde 1979, 186, 188. 342 VG Schleswig, Urteil vom 15.03.1979 – 6 A 165/77 –, Die Gemeinde 1979, 186, 188. 343 VG Schleswig, Urteil vom 15.03.1979 – 6 A 165/77 –, Die Gemeinde 1979, 186, 188.
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4. Teil: Zulässigkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage
ausgeschöpft und abschließend geregelt.344 Daraus folgt im Ergebnis, dass ein Gesetzesvorbehalt i. S. d. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG in den gesetzlichen Regelungen der Kommunalverfassungen zur Bürgerbeteiligung gesehen werden muss. Denn aus der Formulierung „im Rahmen der Gesetze“ folgt nicht nur, dass der Gesetzgeber die gemeindliche Selbstverwaltung durch gesetzliche Regelungen einschränken darf, sondern vielmehr auch, dass sich die Gemeinden im Rahmen ihrer Selbstverwaltung an die gesetzlichen Vorschriften der jeweiligen Kommunalverfassung halten müssen. b) Umgehung der Vorschriften über die Durchführung von Ratsbegehren Ein weiterer Gesetzesvorbehalt i. S. d. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG könnte in den gesetzlichen Regelungen einiger Kommunalverfassungen zur Durchführung von Ratsbegehren gesehen werden. In insgesamt zehn Kommunalverfassungen finden sich mittlerweile Regelungen, wonach ein Bürgerentscheid nicht nur auf Grundlage eines vorherigen Bürgerbegehrens durchgeführt werden kann, sondern vielmehr im Wege eines sog. Ratsbegehrens auch von Seiten einer Vertretungskörperschaft initiiert werden darf.345 Die gesetzlichen Regelungen zur Durchführung eines Ratsbegehrens könnten nun jedoch dadurch umgangen werden, dass eine Vertretungskörperschaft eigenständig und damit ohne gesetzliche Regelung die Durchführung einer Bürgerbzw. Einwohnerbefragung beschließt.346 Die Entscheidung eines Landesgesetzgebers für die Einführung einer gesetzlichen Regelung zur Durchführung von Ratsbegehren muss dergestalt interpretiert werden, dass dieser damit gemeindlichen Vertretungskörperschaften die Möglichkeit eröffnen wollten, eigenständig und damit ohne vorherige Durchführung eines Bürgerbegehrens über die Delegation der Entscheidungsverantwortung auf die Bürgerschaft zu entscheiden. Es muss also davon ausgegangen werden, dass ein Landesgesetzgeber die Entscheidung zur Einführung des Instruments des Ratsbegehrens vor dem Hintergrund der bestehenden Problematik getroffen hat, dass eine Vertretungskörperschaft auf der
344 Vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 17.02.1984 – 15 A 2626781 –, Städte- und Gemeinderat, 373, 374. 345 § 21 Abs. 1 BWGO; Art. 18a Abs. 2 BayGO; § 20 Abs. 3 S. 1 MVKVerf; § 26 Abs. 1 S. 2 NWGO; § 17a Abs. 1 S. 2 RhPfGO; § 21a Abs. 1 S. 2 SaarlKSVG; § 24 Abs. 1 SächsGO; § 26 Abs. 1 LSAGO; § 16g Abs. 1 SHGO; in Brandenburg besteht die Besonderheit, dass ein von der Vertretungskörperschaft initiierter Bürgerentscheid lediglich für die Entscheidung über einen Gemeindezusammenschluss (§ 6 Abs. 5 BbgKVerf) sowie zur Änderung eines Bürgerentscheids innerhalb der Sperrfrist von zwei Jahren (§ 15 Abs. 5 S. 2 BbgKVerf) in Betracht kommt. Eine solche Regelung gilt nach § 33 Abs. 4 S. 2 NKomVG auch in Niedersachsen; siehe hierzu bereits 3. Teil § 2 IV 3. 346 Vgl. hierzu bereits ausführlich Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 206 f.; Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, Rn. 224.
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einen Seite in Bezug auf bestimmte Angelegenheiten ein berechtigtes Interesse an der Einholung eines Meinungsbildes der Bürgerschaft hat, auf der anderen Seite jedoch die Entscheidungsverantwortung in Bezug auf die jeweilige Angelegenheit innehat. Diese Entscheidungsverantwortung durfte zumindest nach damals geltender Rechtslage nicht eigenständig auf die Bürgerschaft übertragen werden. Vor diesem Hintergrund haben sich die Landesgesetzgeber für eine in Bezug auf den soeben erörterten Interessenskonflikt sehr weitgehende Regelung entschieden: Eine Vertretungskörperschaft darf danach die Bürger nach ihrer Meinung befragen, muss jedoch gleichzeitig unter bestimmten Umständen auf die Entscheidungskompetenz in dieser Angelegenheit verzichten. Diese geht in diesem Fall auf die Bürger- bzw. Einwohnerschaft über mit der rechtlichen Folge, dass das Ergebnis eines aufgrund eines Ratsbegehrens durchgeführten Bürgerentscheids für eine Vertretungskörperschaft verbindlich ist. Mit der Einführung des Instruments des Ratsbegehrens haben sich die jeweiligen Landesgesetzgeber damit in partizipatorischer Hinsicht für eine sehr weitgehende Lösung entschieden. Damit führt bereits das Bestehen einer gesetzlichen Regelung zur Durchführung eines Bürgerentscheids auf Initiative einer Vertretungskörperschaft dazu, dass es als unzulässig angesehen werden muss, wenn eine Vertretungskörperschaft zwecks Einholung einer Meinung der Bürgerschaft in ihrer Gesamtheit nicht von dem Instrument des Ratsbegehrens Gebrauch macht, sondern vielmehr die Durchführung einer gesetzlich nicht vorgesehenen Bürger- bzw. Einwohnerbefragung beschließt.347 Bei einer solchen kommt es nämlich trotz unter Umständen vorhandener faktischer Verbindlichkeit des Befragungsergebnisses348 in rechtlicher Hinsicht nicht zu einer Übertragung der Entscheidungskompetenz auf die Bürger- bzw. Einwohnerschaft. Es stellte damit eine Umgehung der Vorschriften über die Durchführung von Ratsbegehren dar, wenn man einer Vertretungskörperschaft darüber hinaus erlaubte, die Durchführung einer gesetzlich nicht geregelten kommunalen Befragung zu beschließen.349 Dafür, dass bei einem solchen Vorgehen einer Vertretungskörperschaft ein Umgehungstatbestand in Bezug auf die Vorschriften über die Durchführung von Ratsbegehren vorliegt, spricht überdies auch Folgendes: Überwiegend sehen die Vorschriften zur Durchführung von Ratsbegehren vor, dass die Entscheidung für die Durchführung eines Bürgerentscheids mit einer qualifizierten Mehrheit der Mitglieder einer Vertretungskörperschaft beschlossen werden muss.350 Der
347 So in Bezug auf die bayerische Regelung in Art. 18 a Abs. 2 BayGO Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, Rn. 224. 348 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 1 II. 349 Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, Rn. 224. 350 § 21 Abs. 1 BWGO; § 20 Abs. 3 S. 1 MVKVerf; § 26 Abs. 1 S. 2 NWGO; § 24 Abs. 1 SächsGO; § 26 Abs. 1 LSAGO; § 16g Abs. 1 SHGO; siehe hierzu bereits 3. Teil § 2 IV. 1.
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rechtspolitische Gedanke hinter diesen Vorschriften dürfte auf der Hand liegen: Eine Übertragung der Entscheidungskompetenz auf die Bürgerschaft soll nur bei überwiegender Einigkeit innerhalb der jeweiligen Vertretungskörperschaft erfolgen. Eine Übertragung der Entscheidungsgewalt in einer Angelegenheit soll eher die Ausnahme als den Regelfall darstellen. Kommunale Vertretungskörperschaften sollen damit im Grundsatz ihrer Pflicht zur kommunalen Selbstverwaltung und damit auch der Pflicht zur Wahrnehmung der Entscheidungszuständigkeit Folge leisten. Den gesetzlichen Regelungen liegt damit der Gedanke zugrunde, dass einem Ratsbegehren ein dem Bürgerbegehren vergleichbarer Stellenwert eingeräumt wird. Denn auch ein Bürgerbegehren stellt sich als ein Instrument dar, das aufgrund der hohen rechtlichen Hürden351 für eine Zulässigkeitserklärung nicht immer erfolgreich verläuft. An dieses Grundverständnis wurde von den Gesetzgebern bei der Schaffung der Regelungen zum Ratsbegehren überwiegend angeknüpft. Einige Kommunalverfassungen sehen durch das Erfordernis einer qualifizierten Abstimmungsmehrheit hohe Hürden für die Durchführung eines Ratsbegehrens vor.352 Diese Voraussetzungen würden nun jedoch umgangen werden, sofern man es als zulässig erachtete, dass eine Vertretungskörperschaft trotz vorhandener Möglichkeit zur Durchführung eines Ratsbegehrens und weiterhin ohne gesetzliche Ermächtigung hierzu die Durchführung einer kommunalen Befragung beschließt. Da gerade keine gesetzliche Regelung für die Durchführung kommunaler Befragungen und damit auch keine Regelung in Bezug auf die für die Entscheidung erforderliche Mehrheit innerhalb der jeweiligen Vertretungskörperschaft besteht, reichte eine einfache Mehrheit aus, um die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung zu beschließen.353 Ein solches Verhalten stellte damit eine evidente Umgehung der gesetzlichen Vorschriften über die Durchführung von Ratsbegehren dar. Ein Umgehungstatbestand liegt jedoch auch in Bezug auf diejenigen gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Ratsbegehren vor, die für den Beschluss zur Durchführung eines Bürgerentscheids keine qualifizierte Mehrheit354 vorschreiben. Insbesondere kann aus diesen Vorschriften kein Erst-Recht-Schluss abgeleitet werden in dem Sinne, dass die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung im Verhältnis zu der eines Ratsbegehrens ein Minus darstellt und damit bereits in der gesetzlichen Regelung zum Ratsbegehren enthalten ist.355 Richtigerweise handelt es sich nämlich bei dem Instrument der Bürger- bzw. Ein351
Siehe hierzu bereits 3. Teil § 3 IV. 2. Siehe hierzu bereits 3. Teil § 2 IV. 3. 353 So auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 207. 354 Art. 18a Abs. 2 BayGO; § 15 Abs. 5 S. 2 BbgKVerf; § 33 Abs. 4 S. 2 NKomVG; § 17a Abs. 1 S. 2 RhPfGO; § 21a Abs. 1 S. 2 SaarlKSVG. 355 So auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 207. 352
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wohnerbefragung und dem Ratsbegehren in rechtlicher Hinsicht um wesensverschiedene Instrumente. Obgleich beide Instrumente insoweit in einem Stufenverhältnis stehen mögen, als dass das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung plakativ formuliert als der „kleine Bruder“ des Bürgerentscheids und damit auch des Ratsbegehrens angesehen werden muss, bestehen dennoch zwischen beiden Instrumenten wesentliche Unterschiede.356 Gegen einen Erst-RechtSchluss spricht auch das Beispiel des Art. 18a Abs. 2 BayGO. Dieser sah bis 1999 vor, dass der Beschluss zur Durchführung eines Bürgerentscheids einer qualifizierten Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder einer Vertretungskörperschaft bedarf. Der Gesetzgeber begründete die Änderung357 dieser Vorschrift damit, dass einer Vertretungskörperschaft die Möglichkeit erleichtert werden solle, strittige Angelegenheiten des Selbstverwaltungsbereichs der Gemeinde unmittelbar den Gemeindebürgern zur Entscheidung vorzulegen.358 Aus dieser Änderung kann gefolgert werden, dass der bayerische Gesetzgeber zwar einer Vertretungskörperschaft die (verbindliche) Beteiligung von Bürgern erleichtern wollte, dies jedoch nicht auf dem Weg, dass er die Möglichkeit zur Durchführung kommunaler Befragungen eröffnete. Der bayerische Gesetzgeber hat sich also bewusst dafür entschieden, dass eine Vertretungskörperschaft die Möglichkeit zur Einholung eines Meinungsbildes haben muss, von dieser jedoch nur dann Gebrauch machen kann, wenn die Vertretungskörperschaft auch gleichzeitig die Entscheidungsverantwortung auf die Bürger überträgt.359 Die ausweislich der genannten Gesetzesbegründung beabsichtigte Erleichterung der Einbeziehung der Bürger in die jeweilige Entscheidung hätte auch dadurch geschehen können, dass der Gesetzgeber alternativ oder auch kumulativ einer Vertretungskörperschaft die Möglichkeit einräumt, eine kommunale Befragung durchzuführen. So aber muss davon ausgegangen werden, dass sich der bayerische Gesetzgeber bewusst gegen die Einführung einer entsprechenden gesetzlichen Regelung entschieden hat. Dies gilt erst Recht vor dem Hintergrund, dass die Regelung in § 22d der damaligen niedersächsischen Gemeindeordnung über die Durchführung einer Bürgerbefragung bereits drei Jahre zuvor eingeführt wurde.360 Auch dem bayerischen Landtag dürfte dies bei der Schaffung der Regelung bekannt gewesen sein.361 356 Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 207, der in diesem Zusammenhang von einem „Aliud-Verhältnis“ spricht. 357 Änderung durch § 1 des Gesetzes zur Änderung der Gemeindeordnung und der Landkreisordnung, BayGVBl. 1999 (Nr. 7), S. 86 ff. 358 Gesetzentwurf der Abgeordneten Glück, Dr. Weiß, Dr. Kempfler und Fraktion CSU zur Änderung der Gemeindeordnung und der Landkreisordnung, LT-Drs. 14/133, S. 9. 359 Vgl. auch Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, Rn. 224; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 207. 360 Eingeführt durch das Gesetz zur Reform des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, NdsGVBl. 1996 (Nr. 6), S. 82 ff. 361 Dies vermutet auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 208.
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Weiterhin darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass einige gesetzliche Regelungen, die die Durchführung eines Bürgerentscheids auch auf Initiative einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft zulassen, einen Positivkatalog vorsehen, in dem Sachbereiche geregelt sind, zu denen Bürgerentscheide nicht durchgeführt werden dürfen.362 Darüber hinaus sehen eine Kommunalverfassungen auch vor, dass Ratsbegehren nur zu wichtigen Gemeindeangelegenheiten durchgeführt werden dürfen. Beide Regelungen würden in evidenter Art und Weise umgangen werden, wenn es einer Vertretungskörperschaft trotz vorhandener Möglichkeit zur Durchführung eines Ratsbegehrens erlaubt wäre, ohne gesetzliche Regelung die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung zu beschließen.363 Festgehalten werden kann damit, dass auch aus den bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Durchführung eines Ratsbegehrens gefolgert werden kann, dass die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen ohne eine entsprechende gesetzliche Grundlage nicht zulässig ist.364 c) Umkehrschluss aus Nichtregelung der Möglichkeit zur Durchführung von Ratsbegehren In engem Zusammenhang mit den vorausgegangenen Erörterungen steht der Gedanke, dass möglicherweise gleichfalls ein Umkehrschluss aus der gesetzgeberischen Entscheidung der Nichtregelung des Instruments des Ratsbegehrens gezogen werden kann. Die Möglichkeit zur Durchführung eines Bürgerentscheids durch Beschluss einer Vertretungskörperschaft besteht gegenwärtig lediglich in zehn Bundesländern.365 Die übrigen Bundesländer haben auf eine gesetzliche Regelung diesbezüglich verzichtet. Die Folge dessen ist, dass die Durchführung von Bürgerentscheiden auf Initiative einer Vertretungskörperschaft in diesen Bundesländern unzulässig ist. Vor diesem Hintergrund wird in der Literatur teilweise vertreten, dass in dem gesetzgeberischen Verzicht auf den Erlass einer entsprechenden Regelung eine 362 § 21 Abs. 2 BWGO; Art. 18a Abs. 3 BayGO; § 20 Abs. 2 MVKVerf; § 26 Abs. 5 S. 1 NWGO; § 17a Abs. 2 RhPfGO; § 21a Abs. 4 SaarlKSVG; § 24 Abs. 2 S. 2 SächsGO; § 26 Abs. 3 LSAGO; § 16g Abs. 2 SHGO. 363 So auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 207, der jedoch lediglich von der „Gefahr einer mittelbaren Aushöhlung“ spricht. 364 So auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 206; Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, Rn. 224. 365 § 21 Abs. 1 BWGO; Art. 18a Abs. 2 BayGO; § 20 Abs. 3 S. 1 MVKVerf; § 26 Abs. 1 S. 2 NWGO; § 17a Abs. 1 S. 2 RhPfGO; § 21a Abs. 1 S. 2 SaarlKSVG; § 24 Abs. 1 SächsGO; § 26 Abs. 1 LSAGO; § 16g Abs. 1 SHGO; in Brandenburg besteht die Besonderheit, dass ein von der Vertretungskörperschaft initiierter Bürgerentscheid lediglich für die Entscheidung über einen Gemeindezusammenschluss (§ 6 Abs. 5 BbgKVerf) sowie zur Änderung eines Bürgerentscheids innerhalb der Sperrfrist von zwei Jahren (§ 15 Abs. 5 S. 2 BbgKVerf) in Betracht kommt. Eine solche Regelung gilt nach § 33 Abs. 4 S. 2 NKomVG auch in Niedersachsen; siehe hierzu bereits 3. Teil § 2 IV. 3.
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bewusste Entscheidung dahingehend gesehen werden muss, dass eine Befragung aller Bürger zu einer bestimmten Angelegenheit und damit einhergehend auch eine Übertragung der Entscheidungsgewalt auf die Bürgerschaft lediglich von Seiten der Bürgerschaft über den Weg eines zulässigen Bürgerbegehrens initiiert werden kann. Die Landesgesetzgeber hätten mit dieser Entscheidung damit ihre ablehnende Haltung nicht nur gegenüber solchen Formen der Bürgerbeteiligung zum Ausdruck gebracht, in denen eine Vertretungskörperschaft die Entscheidungsverantwortung auf die Bürgerschaft überträgt, sondern gleichzeitig auch gegenüber solchen Instrumenten, in denen aufgrund der Entscheidung einer Vertretungskörperschaft eine konsultative Abstimmung aller Bürger bzw. Einwohner über eine gemeindliche Angelegenheit in Form einer kommunalen Befragung erfolgt.366 Eine solche gesetzgeberische Entscheidung würde jedoch erheblich konterkariert und damit umgangen werden, wenn man einer Vertretungskörperschaft die Durchführung einer gesetzlich nicht geregelten Bürger- bzw. Einwohnerbefragung erlaubte.367 Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Bereits an anderer Stelle dieser Arbeit368 wurde dargelegt, dass alleine aus der Tatsache, dass bisher lediglich die Kommunalverfassungen von Niedersachsen, dem Saarland sowie Schleswig-Holstein einfachgesetzliche Regelungen zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen vorsehen, nicht der Umkehrschluss gezogen werden kann, dass die übrigen Bundesländer bewusst von dem Erlass entsprechender gesetzlicher Regelungen dieses Rechtsinstituts abgesehen haben und die Durchführung kommunaler Befragungen in diesen Bundesländern daher unzulässig ist. Entsprechend dieser Argumentation muss auch in diesem Zusammenhang angeführt werden, dass das Vorliegen einer Regelungslücke in einer Kommunalverfassung nicht automatisch eine abschließende (Nicht-)Regelung der jeweiligen Materie bedeutet.369 Erforderlich ist vielmehr, dass sich zusätzliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Verzicht gerade aus dem Grund erfolgte, um diese Regelungsmaterie etwaigen kommunalen Organisationsentscheidungen zu entziehen.370 Solche Anhaltspunkte sind in Bezug auf die hier vorliegende Situation nicht ersichtlich. Festzuhalten bleibt damit, dass alleine aus dem Nichtbestehen von gesetzlichen Regelungen zur Durchführung eines Ratsbegehrens nicht der Schluss gezogen
366 So auch Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 81; a. A. in Bezug auf die Rechtslage in Brandenburg Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 168. 367 So ausdrücklich auch Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 82. 368 Siehe hierzu bereits 4. Teil § 2 X. 2. a). 369 Herbert, NVwZ 1995, 1056, 1057. 370 Herbert, NVwZ 1995, 1056, 1057.
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4. Teil: Zulässigkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage
werden kann, dass die Durchführung kommunaler Befragungen ohne entsprechende gesetzliche Grundlage unzulässig ist. 3. Unzulässiger Eingriff in die Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung? Dieser Gesetzesvorbehalt des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG kann jedoch unweigerlich zur „Achillesferse“ 371 der gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie werden, sofern diesem nicht gleichfalls Grenzen gesetzt werden. Aus diesem Grund nimmt das Bundesverfassungsgericht an, dass durch die Formulierung „im Rahmen der Gesetze“ in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG auch gleichzeitig eine Aussage dahingehend getroffen wird, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung und Formung der gemeindlichen Selbstverwaltung nicht gänzlich frei ist und ihm diese damit nicht beliebig überlassen worden ist.372 Der Gesetzesvorbehalt des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG ist daher nicht schrankenlos gewährleistet, da andernfalls die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung ins Leere zu laufen drohte.373 Die sich stellende Frage lautet daher, ob durch die Annahme, dass die gesetzlichen Regelungen zur Bürgerbeteiligung abschließend sind und es den Gemeinden damit ohne eine entsprechende gesetzliche Regelung verwehrt ist, eigenständig die Durchführung kommunaler Befragungen zu beschließen, in unzulässiger Weise in die von Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG garantierte gemeindliche Selbstverwaltung eingegriffen wird. a) Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung Diese Frage wäre in jedem Fall zu bejahen, sofern durch die abschließenden gesetzlichen Regelungen zur Bürgerbeteiligung der Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung374 angetastet bzw. ihr Wesensgehalt ausgehöhlt wird. Bereits der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich hat im Jahr 1929 festgestellt, dass die gemeindliche Selbstverwaltung nicht dergestalt eingeschränkt werden dürfe, dass „sie innerlich ausgehöhlt wird, die Gelegenheit zu kraftvoller Betätigung verliert und nur noch eine Schattendasein führen kann“.375 Diesen Grundsatz hat das Bundesverfassungsgericht in seiner ersten Entscheidung zur Reichweite des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG übernommen376 und in der Folge dahingehend 371 Schmidt-Aßmann, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 1. Kap. Rn. 20. 372 BVerfG, Beschluss vom 23.01.1988 – 2 BvR 1619, 1628/83 –, BVerfGE 79, 127, 143. 373 Vogelgesang, in: Friauf/Höfling, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 135. 374 Die Begriffe „Kernbereich“ und „Wesensgehalt“ werden vom Bundesverfassungsgericht synonym gebraucht, vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 23.01.1988 – 2 BvR 1619, 1628/83 –, BVerfGE 79, 127, 143. 375 RGZ 126, Anh. S. 14 ff., 22. 376 BVerfG, Urteil vom 20.03.1952 – 1 BvR 267/51 –, BVerfGE 1, 167, 175.
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weiterentwickelt, dass die gemeindliche Selbstverwaltung einen „Kernbereich“ 377 beinhalte, in den der Gesetzgeber unter keinen Umständen eingreifen dürfe.378 Der Gesetzgeber sei daher verpflichtet, „die überkommenen identitätsstiftenden Merkmale – den sog. Wesensgehalt – der gemeindlichen Selbstverwaltung zu beachten“.379 Bereits diese Formulierungen lassen erkennen, dass das Bundesverfassungsgericht bei der Bestimmung des Kernbereichs insbesondere der geschichtlichen Entwicklung und den verschiedenen Erscheinungsformen der Selbstverwaltung Rechnung trägt.380 In diesem Zusammenhang betont das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich, dass das, „was herkömmlich das Bild der gemeindlichen Selbstverwaltung in ihren verschiedenen historischen und regionalen Erscheinungsformen durchlaufend und entscheidend geprägt hat, weder faktisch noch rechtlich beseitigt werden [darf]“.381 In Bezug auf die Frage, ob vorliegend tatsächlich ein Eingriff in den Kernbereich kommunaler Selbstverwaltung angenommen werden kann, muss zunächst Beachtung finden, dass nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Kernbereich gerade nicht die „grundsätzlich freie Bestimmung“ über die Organisation der Gemeinde gehöre.382 Daraus folgt wiederum, dass neben der Entscheidung über die äußeren Grundstrukturen der Gemeinde383 vor allem auch die Entscheidung über „plebiszitäre Beteiligungsmöglichkeiten“ der Bürger nicht vom Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie erfasst wird.384 Dieses Ergebnis lässt sich überdies auch anhand der historischen Herangehensweise des Bundesverfassungsgerichts herleiten. Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses von der Reichweite des Kernbereichs der kommunalen Selbstverwaltung kann nicht davon ausgegangen werden, dass durch die Annahme, dass die in den Kommunalverfassungen geregelten Formen der Bürgerbeteiligung abschließend sind und daher den Gemeinden kein Recht zur eigenständigen Beteiligungserfindung zusteht, der Wesensgehalt der kommunalen Selbstverwaltung berührt wird.385 Unstreitig dürfte insoweit sein, dass die Formen der Bürgerbeteiligung 377
Vgl. hierzu ausführlich Kühne, in: Frank/Langrehr, Festschrift Faber, S. 35 ff. Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 238 m.w. N. 379 BVerfG, Beschluss vom 07.02.1991 – 2 BvL 24/84 –, BVerfGE 83, 363, 381 m.w. N. 380 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 238 m.w. N. 381 BVerfG, Beschluss vom 07.02.1991 – 2 BvL 24/84 –, BVerfGE 83, 363, 381. 382 BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 238 f. 383 Siehe hierzu bereits 4. Teil § 2 X. 1. 384 BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 239; das Bundesverfassungsgericht zeigt damit, dass es die Frage, ob die Einführung kommunaler Beteiligungsrechte von der Organisationshoheit erfasst ist, in dogmatischer Hinsicht im Rahmen der Eingriffsprüfung behandelt. 385 So auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 200 f. 378
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nur schwerlich als seit jeher zum vorhandenen Kernbestand der gemeindlichen Selbstverwaltung gehörend angesehen werden können.386 Dieses Ergebnis folgt bereits aus der Tatsache, dass die verschiedenen Beteiligungsrechte der Bürger erst über Jahrzehnte von den Bürgern erkämpft werden mussten und in der gegenwärtig vorhandenen Form bedingt durch diese Demokratisierungsbewegungen Eingang in die Kommunalverfassungen gefunden haben.387 Sähe man indes die Frage der Beteiligung der Bürger bzw. Einwohner am kommunalen Willensbildungsprozess als vom Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung erfasst an, hätten die Demokratisierungsbewegungen, die mit dem Ziel der Erweiterung der Beteiligungsrechte durchgeführt worden sind, in Anbetracht dieses Ziels keine wirkliche Existenzberechtigung gehabt. Die Gemeinden hätten in diesem Fall zu jeder Zeit eigenständig und ohne Rücksichtnahme auf den jeweiligen Landesgesetzgeber die Beteiligung der Bürger bzw. Einwohner erweitern können.388 Damit wäre es den Gemeinden beispielsweise auch möglich gewesen, einen im Ergebnis die Vertretungskörperschaft verpflichtenden Bürgerentscheid einzuführen. Tatsächlich jedoch ist es den Gemeinden bereits damals in rechtlicher Hinsicht verwehrt gewesen, eigenständig neue Formen der Bürgerbeteiligung einzuführen. Der Einführung der Instrumente des Bürgerbegehrens und Bürgerentscheids in die einzelnen Kommunalverfassungen gingen vielmehr langjährige Diskussionen und intensive Machtkämpfe voraus. Damit kann in Bezug auf die Beteiligungsrechte der Bürger nicht die Rede davon sein, dass diese das Bild der kommunalen Selbstverwaltung bereits seit jeher geprägt haben. Von „überkommenden identitätsstiftenden Merkmalen“ kann somit in Bezug auf die Formen der Bürgerbeteiligung und damit auch in Bezug auf das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung nicht die Rede sein. Da somit der Bereich kommunaler Bürgerbeteiligung nicht vom Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung erfasst wird, kommt es auch nicht mehr auf die Frage an, ob durch die gesetzlichen Regelungen zur Bürgerbeteiligung die „eigenständige organisatorische Gestaltungsfähigkeit“ einer Gemeinde erstickt wird.389 Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts muss in diesem Fall stets ein Eingriff in den Kernbereich kommunaler Selbstverwaltung bejaht werden.390 Im Übrigen dürfte jedoch auch nicht davon auszugehen sein, dass lediglich dadurch, dass den Gemeinden das Recht zur eigenständigen Beteiligungserfindung abgesprochen wird, die organisatorische Gestaltungsfähigkeit der Gemeinden erstickt wird. 386
Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 200 f. Siehe hierzu bereits 2. Teil § 3; vgl. auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 201. 388 Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 201. 389 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 239. 390 BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 239. 387
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Festgehalten werden kann damit, dass in der Annahme, dass die gesetzlich geregelten Formen der Bürgerbeteiligung abschließend sind und den Gemeinden damit kein darüber hinaus gehendes Beteiligungserfindungsrecht einräumen, kein Eingriff in den geschützten Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung gesehen werden kann. b) Randbereich der kommunalen Selbstverwaltung Überdies gilt es jedoch zu beachten, dass nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts dem Gesetzgeber auch im Vorfeld der Sicherung des Kernbereichs kommunaler Selbstverwaltung bei der Ausgestaltung der kommunalen Selbstverwaltung Grenzen gesetzt sind.391 In Frage steht damit, ob durch die Annahme, dass die gesetzlichen Regelungen der Kommunalverfassungen zur Bürgerbeteiligung als umfassende und abschließende Regelungen zu verstehen sind und den Gemeinden damit kein über diese Regelungen hinausgehendes Beteiligungserfindungsrecht zusteht, ein Eingriff in den Randbereich392 der kommunalen Selbstverwaltung vorliegt. Auch diese Frage ist im Ergebnis jedoch zu verneinen. Anknüpfend an die Ausführungen an anderer Stelle dieser Arbeit zu der Frage, ob die Einführung von Formen der Bürgerbeteiligung bereits als von der Organisationshoheit geschützt angesehen werden kann393, muss spätestens an dieser Stelle der Prüfung festgehalten werden, dass dem Gesetzgeber der Erlass abschließender Regelungen zur Bürgerbeteiligung unabhängig von der Frage, ob plebiszitäre Elemente der inneren oder äußeren Gemeindeorganisation zuzurechnen sind, stets erlaubt ist. Berücksichtigung finden muss nämlich, dass nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die Organisationshoheit gerade kein „Prinzip der Eigenorganisation der Gemeinde“ gilt und daher der Gesetzgeber für den Erlass organisatorischer Vorgaben auch keiner spezifischen Rechtfertigung bedarf.394 Die gemeindliche Organisationshoheit ist damit nur „relativ“ gewährleistet und steht der Gestaltung durch staatliche Regelungen offen.395 Denn das in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verankerte Prinzip der Allzuständigkeit findet auf die hier in Frage stehende Organisationshoheit bereits keine Anwendung, da andernfalls die Gemeinden im Grundsatz über alle Fragen ihrer Organisationshoheit sel391 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.1988 – 2 BvR 1619, 1628/83 –, BVerfGE 79, 127, 147; BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 239. 392 Vgl. hierzu auch Löwer, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. I, Art. 28 Rn. 55 f.; Ipsen, Niedersächsisches Kommunalrecht, § 1 Rn. 12. 393 Siehe hierzu bereits 4. Teil § 2 X. 1. 394 BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 240; diesem Verständnis folgt auch Dreier, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 133. 395 BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 240.
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ber entscheiden könnten und dieser Bereich somit einem Zugriff des Gesetzgebers entzogen wäre.396 Sofern Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ erwähnt, die die Gemeinden im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung regeln dürfen, betrifft dies nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts allein die örtlichen Angelegenheiten und damit die sachlichen Aufgaben der Gemeinde.397 Daraus wird deutlich, dass gerade die Organisation der Gemeinde, und damit auch die Frage des Ausmaßes einer Beteiligung der Bürger, nicht Bezugspunkt des Prinzips der Allzuständigkeit ist.398 Unter Berücksichtigung dieser vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze bestehen keine Zweifel daran, dass durch eine umfassende und abschließende Regelung der Formen der Bürgerbeteiligung in den einzelnen Kommunalverfassungen nicht in den Randbereich der geschützten Organisationshoheit eingegriffen wird. Durch die lediglich relativ gewährleistete Organisationshoheit ist der Gesetzgeber zu umfassenden und abschließenden gesetzlichen Organisationsregelungen befugt und bedarf dafür nicht einmal einer besonderen Rechtfertigung. Selbst wenn man entgegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für das Vorgehen eines Gesetzgebers eine Rechtfertigung forderte, muss berücksichtigt werden, dass organisatorische Vorgaben des Gesetzgebers auch mit dem „Ziel der Verwaltungsvereinfachung sowie der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltung“ begründet werden können.399 Insoweit ließe sich durchaus argumentieren, dass gerade die letztgenannten Erwägungen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltung auf die Entscheidung derjenigen Landesgesetzgeber zutreffen, die sich gegen die Einführung des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung entschieden haben. Obgleich Erwägungen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltungsführung keinen Einfluss auch die Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit der Durchführung kommunalen Befragungen haben400, kann dennoch angenommen werden, dass solche Erwägungen bei der Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine Einführung des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung eine wesentliche Rolle gespielt haben. Ein hiervon abweichendes Ergebnis ergibt sich auch nicht daraus, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Entscheidung über die Organisation der Gemeinde nicht dem Gesetzgeber alleine zustehe, sondern vielmehr der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Gemeindeorganisation den Gemeinden eine Mitverantwortung für die organisatorische Bewältigung der Aufga396
BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 240. BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 240. 398 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 240; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 63. 399 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 240. 400 Siehe hierzu 5. Teil § 5. 397
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ben einzuräumen habe.401 Den Gemeinden müssen stets „nennenswerte organisatorische Befugnisse“ verbleiben und müsse überdies ein „hinreichender organisatorischer Spielraum“ bei der Wahrnehmung der jeweiligen Aufgaben offengehalten werden.402 Festzuhalten ist insoweit zunächst, dass es bei der Frage der Einführung plebiszitärer Elemente nicht um die Bewältigung einer gemeindlichen Aufgabe geht. Ungeachtet dessen wird jedoch auch kaum argumentiert werden können, dass durch die gesetzlichen Regelungen zur Bürgerbeteiligung die Gemeinden aus ihrer Verantwortung gedrängt werden und ihnen mithin keine nennenswerten organisatorischen Befugnisse mehr verbleiben. Trotz der Regelung der plebiszitären Elemente durch den Gesetzgeber verbleiben den Gemeinden hinreichende organisatorische Befugnisse. Einer Gemeinde werden durch die gesetzlichen Regelungen eine Vielzahl von Beteiligungsmöglichkeiten an die Hand gegeben, mit Hilfe derer sich die Bürger bzw. die Einwohner an kommunalen Entscheidungsprozessen beteiligen können. Dieser Kanon der Beteiligungsrechte kann nicht lediglich deshalb als unvollständig und damit als im Ergebnis unzureichend bezeichnet werden, weil das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung keine gesetzliche Regelung erfahren hat. Die Landesgesetzgeber haben mit den Regelungen zur Bürgerbeteiligung hinreichend Rücksicht auf die Mitverantwortung der Gemeinden in Bezug auf die organisatorische Gestaltung der gemeindlichen Abläufe genommen. Insoweit muss davon ausgegangen werden, dass den Gemeinden noch hinreichend Raum zu selbstverantwortlichen Maßnahmen verbleibt. Ist dies gegeben, findet nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts eine Kontrolle darüber, ob die vom Gesetzgeber getroffenen Organisationsentscheidungen auf hinreichend gewichtigen Zielsetzungen beruhen, nicht statt.403 Festgehalten werden kann damit, dass die Landesgesetzgeber mit den gesetzlichen Regelungen zur Bürgerbeteiligung abschließende Regelungen getroffen haben, deren Existenz und die damit verbundene Unzulässigkeit der Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen ohne entsprechende gesetzliche Grundlage keinen wie auch immer gearteten Eingriff in die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung darstellt.
XI. Vorbestimmtheit der Modalitäten einer Entscheidungsbildung Zum Teil wird von Seiten der Literatur als Argument für das Erfordernis einer einfachgesetzlichen Grundlage für die Durchführung konsultativer Volksbefragungen auf Bundesebene404 angeführt, dass ohne eine entsprechende gesetzliche 401 402 403 404
BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 241. BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 241. BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, 241. Siehe hierzu 1. Teil § 3 II.
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Grundlage dem Volk die Modalitäten einer Entscheidungsbildung im Rahmen der jeweiligen Befragung nicht allgemein bekannt seien.405 Daher bedürfe die Durchführung einer konsultativen Volksbefragung zwingend einer gesetzlichen Grundlage, um den Befragungsteilnehmern die Befragungsmodalitäten bereits im Vorfeld einer Befragung zugänglich zu machen.406 Zu diesen regelungsbedürftigen Modalitäten zählten danach beispielsweise die Frage nach der Abstimmungsberechtigung, nach den Anforderungen an die Fragestellung der Abstimmung sowie nach dem Zeitraum zwischen Entscheidung über eine Abstimmung und der eigentlichen Abstimmung.407 Insbesondere die Anforderungen an die Formulierung der Abstimmungsfrage erforderten aufgrund der vorhandenen Möglichkeiten der Einflussnahme eine eindeutige und unmissverständliche gesetzliche Regelung.408 Überlasse man hingegen den jeweiligen Initiatoren der Befragung eine eigenständige Ausarbeitung der Fragestellung, bestehe zumindest die Möglichkeit der Manipulation.409 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und wenn ja inwieweit diese Argumentation auf die vorliegende Fragestellung des Erfordernisses einer einfachgesetzlichen Grundlage für die Durchführung kommunaler Befragungen übertragen werden kann. In diesem Zusammenhang vermag zunächst das Argument, dass die Befragungsteilnehmer ohne eine entsprechende gesetzliche Regelung keine Kenntnis der Modalitäten der Entscheidungsbildung im Rahmen einer Befragung hätten, nicht zu überzeugen. Auch einer ohne entsprechende gesetzliche Grundlage durchgeführten kommunalen Befragung geht üblicherweise ein Informationsprozess voraus, durch den die Bürger hinreichend über die Modalitäten der Befragung aufgeklärt werden. Insbesondere ist davon auszugehen, dass im Rahmen dieses Prozesses auf die Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses hingewiesen wird. Soweit bisher in Gemeinden Befragungen ohne gesetzliche Grundlage durchgeführt wurden, wurde auch bei diesen im Vorfeld der Befragung ausreichend über die Modalitäten der Entscheidungsbildung aufgeklärt. Ferner kann nicht angeführt werden, dass eine gesetzliche Regelung insoweit zwingend erforderlich ist, da andernfalls die Bürger bzw. Einwohner keine Kenntnis von der Existenz dieses Instruments hätten. Gegen eine solche Argumentation spricht bereits, dass die Bürger- bzw. Einwohnerbefragung nach den bestehenden gesetzlichen Regelungen ein Instrument ist, das lediglich von Seiten einer Vertretungskörperschaft initiiert werden kann.410
405 406 407 408 409 410
Ebsen, AöR 110 (1985), 2, 22. Ebsen, AöR 110 (1985), 2, 22. Ebsen, AöR 110 (1985), 2, 22. Ebsen, AöR 110 (1985), 2, 22. Ebsen, AöR 110 (1985), 2, 22. Siehe hierzu im Folgenden 5. Teil § 2 I. 1.
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Weiterhin verdient die genannte Argumentation auch in Bezug auf die regelungsbedürftigen Modalitäten keine Zustimmung. Überträgt man diesen Gedanken auf kommunale Befragungen, hieße das, dass alle genannten Modalitäten Gegenstand einer gesetzlichen Regelung werden müssten und somit kein Raum mehr bliebe für eine eigenständige Ausgestaltung einer Befragung durch die jeweilige Gemeinde im Rahmen von Satzungen oder Beschlüssen. Damit beraubte man das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung jedoch einem seiner Wesenszüge, der gerade darin zu sehen ist, dass Gemeinden im Rahmen der zwingenden rechtlichen Anforderungen411 die Einzelheiten einer Befragung eigenständig regeln können. Überdies bestehen erhebliche Zweifel daran, ob ein derartiges Vorgehen überhaupt unter Gesichtspunkten der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Wesentlichkeitsrechtsprechung412 erforderlich ist. Bereits die Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts empfiehlt in ihrem Bericht, dass der Gesetzgeber ein „möglichst wenig formalisiertes Verfahren“ vorsehen sollte, damit einer kommunalen Befragung nicht der „Charakter einer Ersatzwahl“ zukomme.413 Den Gemeinden müsse vielmehr die Möglichkeit gegeben werden, im Rahmen der Durchführung einer Befragung die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen.414 Dies spricht im Ergebnis gegen eine derart umfangreiche gesetzliche Regelung.415 Etwaige Manipulationen durch geschickte Formulierungen von Abstimmungsfragen unterliegen zudem der gerichtlichen Kontrolle. Nach alledem vermag die genannte Argumentation von Seiten der Literatur nicht überzeugen und kann daher auch isoliert betrachtet nicht das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für die Durchführung kommunaler Befragungen begründen.
XII. Schlussfolgerungen Die hier vertretene Auffassung, dass für die Durchführung kommunaler Befragungen zwingend eine einfachgesetzliche Grundlage erforderlich ist, hat für die kommunale Praxis erhebliche Auswirkungen. Da bisher lediglich die Gesetzgeber in Niedersachsen, im Saarland sowie in Schleswig-Holstein einfachgesetzliche Regelungen zur Durchführung kommunaler Befragungen erlassen haben, ist in 411
Siehe hierzu im Folgenden 5. Teil. Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. nur BVerfG, Urteil vom 06.07.1999 – 2 BvF 3/90 –, BVerfGE 101, 1, 34 m.w. N.; siehe hierzu auch 4. Teil § 2 XII. 1. 413 Bericht der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 12/6260, S. 57. 414 Bericht der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 12/6260, S. 57. 415 Siehe zu der Frage, welche Anforderungen an die Ausgestaltung einer gesetzlichen Grundlage vor dem Hintergrund der Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu stellen sind, 4. Teil § 2 XII. 1. 412
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den übrigen Bundesländern die Durchführung kommunaler Befragungen durch eine Vertretungskörperschaft unzulässig. Damit steht gleichzeitig fest, dass auch kommunale Befragungen, die ohne gesetzliche Grundlage lediglich auf Grundlage einer gemeindlichen Satzung durchgeführt werden, nach der hier vertretenen Auffassung nicht zulässig sind.416 1. Anforderungen an die Rechtsgrundlage Dieses Ergebnis eröffnet den Weg zu der weitergehenden Frage, welche rechtliche Qualität die erforderliche Rechtsgrundlage aufweisen muss. Aus den vorausgegangenen Erörterungen folgt insoweit bereits, dass es sich in jedem Fall um ein Gesetz im formellen Sinne und damit um ein Parlamentsgesetz handeln muss. Aus Sicht der Praxis viel entscheidender dürfte jedoch die Frage sein, welche inhaltlichen Anforderungen an die Rechtsgrundlage zu stellen sind. Diese Frage lässt sich anhand der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Wesentlichkeitsrechtsprechung beantworten. Aus dieser folgt nämlich nicht nur, dass alle wesentlichen Fragen durch Gesetz geregelt werden müssen, sondern vielmehr auch, dass alle wesentlichen Fragen gerade in dieser Vorschrift eine Regelung erfahren müssen.417 Daraus folgt ein Delegationsverbot für den Gesetzgeber für wesentliche Fragen. Eine Rechtsgrundlage für die Durchführung von Bürgerbzw. Einwohnerbefragungen hat damit alle wesentlichen Fragen im Zusammenhang mit der Durchführung kommunaler Befragungen zu erfassen. Als wesentlich anzusehen ist dabei zuvörderst die Frage nach der Zuständigkeit zur Durchführung einer Befragung. Überdies ist die Frage nach dem Kreis der zur Abstimmung berechtigten Personen sowie nach den zulässigen Angelegenheiten einer Befragung als wesentlich anzusehen. Ferner muss auch zwingend Erwähnung finden, dass es sich bei der zu regelnden Beteiligungsform um das Instrument der Befragung handelt und das Ergebnis der Befragung damit für eine gemeindliche Vertretungskörperschaft keine Rechtsverbindlichkeit entfaltet. Insoweit kann entsprechend der Ausgestaltung der gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen in Niedersachsen und im Saarland jedoch nicht gefordert werden, dass eine ausdrückliche Klarstellung dahingehend zu erfolgen hat, dass einem Befragungsergebnis für eine Vertretungskörperschaft keine Verbindlichkeit zukommt. Als ausreichend muss vielmehr die Feststellung angesehen werden, dass es sich um das Instrument der Befragung handelt. Eine weitergehende Regelung ist nicht erforderlich, da sich aus dem Gesamtzusammenhang, insbesondere aus dem Verhältnis zum Instrument des Bürgerentscheids, zwingend ergibt, dass es sich bei dem Instrument der Befragung 416
So auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 194. Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 –, BVerfGE 48, 89 129 m.w. N. 417
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nur um eine Abstimmung handeln kann, bei der im Gegensatz zum Instrument des Bürgerentscheids dem Ergebnis gerade keine Verbindlichkeit zukommt.418 Vor diesem Hintergrund werfen die bisher bestehenden gesetzlichen Regelungen insoweit keine verfassungsrechtlichen Bedenken auf. Diese regeln die soeben genannten Regelungsgegenstände umfassend und stellen damit eine taugliche Rechtsgrundlage für die Durchführung kommunaler Befragungen dar. 2. Sog. Öffnungsklauseln als Rechtsgrundlage Von größerer wissenschaftlicher wie auch praktischer Bedeutung dürfte jedoch die Frage sein, ob auch sog. Öffnungsklauseln, die den Gemeinden in abstrakt formulierter Weise die Beteiligung oder Unterrichtung der Einwohner erlauben, diesen rechtsstaatlichen Anforderungen an eine taugliche Rechtsgrundlage genügen. Eine Öffnungsklausel, die eine Gemeinde nicht lediglich zur Unterrichtung, sondern auch zur Beteiligung der Einwohner ermächtigt, besteht gegenwärtig lediglich in Brandenburg419 und lautet wie folgt: § 13 Beteiligung und Unterrichtung der Einwohner Die Gemeinde beteiligt und unterrichtet die betroffenen Einwohner in wichtigen Gemeindeangelegenheiten. Zu diesen Zwecken sollen Einwohnerfragestunden, Einwohnerversammlungen oder andere Formen kommunaler Öffentlichkeitsarbeit durchgeführt werden. Die Formen der Einwohnerbeteiligung regelt die Hauptsatzung, Einzelheiten können auch in einer gesonderten Satzung geregelt werden.
Soweit auch in den übrigen Kommunalverfassungen Öffnungsklauseln vorzufinden sind, beziehen sich diese lediglich auf die Unterrichtung, nicht jedoch auch auf die Beteiligung der Einwohnerschaft. Solche Öffnungsklauseln bestehen in Baden-Württemberg420, Mecklenburg Vorpommern421, Nordrhein-Westfalen422, Schleswig-Holstein423, Rheinland-Pfalz424 sowie Sachsen425. Im Unterschied zur Öffnungsklausel in Brandenburg sind diese Klauseln damit deutlich enger gefasst, da sie sich lediglich auf die Unterrichtung der Einwohnerschaft beziehen. Als mögliche Rechtsgrundlage für die Durchführung kommunaler Befragungen kommen zunächst überhaupt nur solche Öffnungsklauseln in Betracht, die sich zumindest neben der Unterrichtung auch ausdrücklich auf die Beteiligung der Einwohnerschaft beziehen. Bei dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohner418 419 420 421 422 423 424 425
Siehe hierzu bereits 2. Teil § 1 I. § 13 BbgKVerf. § 20 Abs. 1 BWGO. § 16 Abs. 1 MVKVerf. § 23 NWGO. § 16a Abs. 2 SHGO. § 15 RhPfGO. § 11 Abs. 1, 2 SächsGO.
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befragung handelt es sich nämlich nicht um ein Instrument der gemeindlichen Unterrichtung, sondern vielmehr um ein Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbeteiligung. Dies wurde bereits an anderer Stelle der Arbeit ausführlich dargelegt.426 Eine Unterrichtung ist insoweit von einer Beteiligung der Einwohnerschaft zu unterscheiden, als dass es im Rahmen einer Unterrichtung lediglich zu einem einseitigen Informationsaustausch kommt, wohingegen eine Beteiligung der Einwohner auf einen kommunikativen Austausch zwischen Einwohnerschaft und Gemeinde gerichtet ist. Daher stellt sich lediglich in Bezug auf die brandenburgische Öffnungsklausel die Frage, ob diese den oben skizzierten rechtlichen Anforderungen genügt, die an eine Rechtsgrundlage für die Durchführung kommunaler Befragungen zu stellen sind. Diese Frage muss im Ergebnis verneint werden.427 Die Öffnungsklausel trifft lediglich insoweit eine Regelung, als dass sie die Zuständigkeit für die Entscheidung der Beteiligung der Einwohnerschaft in die Hände der Gemeinde legt und gleichzeitig vorschreibt, dass es sich um wichtige Angelegenheiten der Gemeinde handeln muss. Damit fehlt es dieser Öffnungsklausel bereits an einer Regelung, welches gemeindliche Organ konkret eine Beteiligung der Einwohner vornehmen darf. In Bezug auf die etwaige Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung wird damit aus dieser gesetzlichen Regelung nicht deutlich, ob lediglich eine Vertretungskörperschaft oder beispielsweise auch andere gemeindliche Organe die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen beschließen können. Auch lässt sich der Öffnungsklausel nicht entnehmen, ob kommunale Befragungen auch von Seiten der Bürger- bzw. Einwohnerschaft initiiert werden können. Überdies bleibt auch gänzlich unerwähnt, dass die Beteiligung der Einwohner im Rahmen einer Befragung stattfinden darf. 3. Bürger- bzw. Einwohneranhörungen im Rahmen kommunaler Neugliederungsmaßnahmen Aus den vorausgegangenen Erörterungen folgt zudem, dass kommunale Befragungen auch nicht auf Grundlage einer gesetzlichen Regelung durchgeführt werden dürfen, die lediglich zu einer Anhörung der Bürger bzw. Einwohner ermächtigt. Eine solche gesetzliche Regelung regelt gerade nicht die bereits genannten 426
Siehe hierzu bereits 3. Teil § 2 V. 5. A. A. Woellner, in: Muth, Potsdamer Kommentar, BbgKVerf, § 13 Rn. 49; auch der entsprechende Gesetzentwurf der brandenburgischen Landesregierung, „Gesetz zur Reform des Kommunalverfassung und zur Einführung der Direktwahl der Landräte sowie zur Änderung sonstiger kommunalrechtlicher Vorschriften (Kommunalrechtsreformgesetz – KommRRefG)“, LT-Drs. 4/5056, S. 143, geht davon aus, dass es sich bei dieser Öffnungsklausel um eine taugliche Rechtsgrundlage für die Durchführung von Bürgerbefragungen handelt („Neue Formen der Einwohnerbeteiligung (z. B. die Ermöglichung und Ausgestaltung von Bürgerbefragungen) können sich nach Einschätzung des Gesetzgebers so besser entwickeln“). 427
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und als wesentlich anzusehenden Regelungsgegenstände des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung. Solche Vorschriften finden sich in vielen Kommunalverfassungen im Zusammenhang mit der Beteiligung betroffener Bürger bzw. Einwohner im Rahmen kommunaler Neugliederungsmaßnahmen428. Die Kommunalverfassungen sprechen in diesem Zusammenhang von „Gebietsänderungen“. Solche Gebietsänderungen umfassen dabei neben einer Änderung der Gemeindegrenzen und einer Auflösung von Gemeinden auch die Neubildung von Gemeinden. Gesetzliche Regelungen zur Anhörung der Bürger im Rahmen eines Gebietsänderungsverfahrens finden sich außer in Nordrhein-Westfalen429, Rheinland Pfalz430, Schleswig-Holstein431 und im Saarland432 in allen Kommunalverfassungen.433 Dabei ist zunächst zu beachten, dass die Bürgeranhörung lediglich dann von einer beteiligten Gemeinde durchzuführen ist, sofern es sich um Neugliederungsmaßnahmen handelt, die durch Vereinbarung der beteiligten Gemeinden mit Genehmigung der Kommunalaufsichtsbehörde beschlossen werden.434 Sofern entsprechende Maßnahmen gegen den Willen einer Gemeinde durch Gesetz durchgeführt werden435, handelt es sich bei der Bürgeranhörung bereits nicht um eine kommunale Maßnahme, sondern vielmehr um eine Maßnahme, die von Landesbehörden initiiert wird. In diesen Fällen stimmen die betroffenen Bürger damit als Teil des jeweiligen Landesvolkes ab, da Landesbehörden „in Ausübung von Landesstaatsgewalt keinen wie auch immer gearteten Kommunalvolkswillen“ zur Entfaltung bringen können.436 Die vom Gesetz vorgesehenen Bürgeranhörungen werden von Gemeinden teilweise in Form kommunaler Befragungen durchgeführt. Beispielhaft hierfür genannt sei die Praxis in Brandenburg. Die auf Grundlage des § 6 Abs. 8 S. 3 BbgKVerf erlassene Anhörungsverordnung437 regelt insoweit, dass eine Anhö428 Vgl. hierzu nur Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 200 ff.; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 2 Rn. 39 ff. 429 §§ 17 f. NWGO. 430 §§ 10 f. RhPfGO. 431 §§ 14 f. SHGO. 432 §§ 14 f. SaarlKSVG. 433 § 8 Abs. 2 S. 3 BWGO; § 6 Abs. 8 S. 1 BbgKVerf; § 16 Abs. 3 S. 3 HessGO; § 11 Abs. 1 S. 2 MVKVerf; § 25 Abs. 4 S. 1 NKomVG; § 8a Abs. 1 SächsGO; § 17 Abs. 1 S. 8, Abs. 2 S. 3 LSAGO; § 9 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 2 ThürKO. 434 § 8 Abs. 2 BWGO; Art. 11 Abs. 1 BayGO; § 6 Abs. 2, 3 BbgKVerf; § 16 Abs. 3 HessGO; § 11 Abs. 2 S. 1 MVKVerf; § 25 Abs. 1 S. 2 NKomVG; § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SächsGO; § 17 Abs. 1 S. 1 LSAGO; 9 Abs. 2 ThürKO. 435 § 8 Abs. 3 BWGO; Art. 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BayGO; § 6 Abs. 6, 7 BbgKVerf; § 16 Abs. 4 HessGO; § 11 Abs. 2 S. 1 MVKVerf; § 25 Abs. 1 S. 1 NKomVG; § 8 Abs. 1 S. 1 SächsGO; § 17 Abs. 2 LSAGO; § 9 Abs. 3 ThürKO. 436 Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 202 f. 437 Verordnung zur Regelung des Verfahrens der Anhörung der Bürger bei Gebietsänderungen (AnhV) vom 03. Januar 2002 (GVBl. II/02, [Nr. 03], S.99), zuletzt geändert durch Art. 33 des Gesetzes vom 23. September 2008 (GVBl. I/08, [Nr. 12], S. 202, 210).
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4. Teil: Zulässigkeit einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage
rung unter anderem auch in Form einer brieflichen Befragung durchgeführt werden darf 438. Auch in Baden-Württemberg wird die Anhörung in Form einer kommunalen Befragung durchgeführt. Nach § 40 BWKomWG, der das Verfahren der Bürgeranhörung regelt439, finden die Bestimmungen für die Wahl des Bürgermeisters440 entsprechende Anwendung. Die Anhörung wird damit als Abstimmung durchgeführt, deren Ergebnis keine Verbindlichkeit entfaltet.441 Eine solche Praxis ist nach der hier vertretenen Auffassung unzulässig, da keine taugliche einfachgesetzliche Regelung hierfür besteht.
§ 3 Zwischenergebnis zum 4. Teil Aus den vorausgegangenen Erörterungen folgt, dass die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen im Grundsatz im Einklang mit der Rechtsordnung steht. Insbesondere bestehen keine verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes, die der Durchführung kommunaler Befragungen entgegenstehen. Aufgrund der Homogenitätsprinzips des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG steht es den Ländern frei, in Abweichung zur gegenwärtigen Ausgestaltung des Bundesrechts in den Kommunalverfassungen Beteiligungsrechte wie das Instrument der Bürgerbzw. Einwohnerbefragung einfachgesetzlich zu verankern. Auch widerspricht die Durchführung kommunaler Befragungen zumindest im Grundsatz nicht dem Prinzip des freien Mandats. Soweit dieses auf Mitglieder gemeindlicher Vertretungskörperschaften anwendbare Prinzip überhaupt dergestalt verstanden werden kann, dass bereits die Erteilung von Aufträgen und Weisungen an Mitglieder gemeindlicher Vertretungskörperschaften unzulässig ist, kann nach der hier vertretenen Auffassung das Ergebnis einer kommunalen Befragung nicht als Auftrag oder Weisung angesehen werden, da diesem gerade keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt. Weiterhin bleibt festzuhalten, dass entgegen der Praxis vieler Gemeinden in denjenigen Bundesländern, die bisher auf den Erlass einer einfachgesetzlichen Regelung zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen verzichtet haben, eine Durchführung kommunaler Befragungen lediglich auf Grundlage einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage zulässig ist. Das Erfordernis einer einfachgesetzlichen Grundlage für die Durchführung folgt zumindest aus dem Vorbehalt des Gesetzes in seiner Ausprägung als institutioneller bzw. organisationsrechtlicher Vorbehalt des Gesetzes. Vertretbar dürfte es jedoch auch sein, in 438
§ 6 Abs. 3 AnhV. § 8 Abs. 5 BWGO regelt insoweit, dass das Nähere über die Anhörung der Bürger, die in dem unmittelbar betroffenen Gebiet wohnen, durch das Kommunalwahlgesetz geregelt wird. 440 §§ 2 ff. BWKomWG. 441 Vgl. hierzu ausführlich Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 160. 439
§ 3 Zwischenergebnis zum 4. Teil
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der Entscheidung über die Durchführung kommunaler Befragungen eine wesentliche Frage zu sehen und damit das Bestehen eines allgemeinen Vorbehalts des Gesetzes zu bejahen. Ein hiervon abweichendes Ergebnis folgt insbesondere nicht aus der von Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG garantierten gemeindlichen Organisationshoheit. Sofern man die gemeindliche Entscheidung über die Durchführung kommunaler Befragungen überhaupt als von der Organisationshoheit erfasst ansieht, folgt jedenfalls aus dem Gesetzesvorbehalt des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG, dass den Gemeinden gerade kein eigenständiges Beteiligungserfindungsrecht zusteht. Der Gesetzesvorbehalt des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG hat durch die bestehenden kommunalverfassungsrechtlichen Vorschriften der Kommunalverfassungen zur Bürgerbeteiligung insoweit eine Ausformung erfahren, als dass diese Vorschriften als abschließende Regelungen des Regelungsgegenstands der Bürgerbeteiligung zu betrachten sind. Ferner bedeutete die Durchführung einer kommunalen Befragung ohne gesetzliche Grundlage eine Umgehung der Vorschriften über die Durchführung von Ratsbegehren. Nach alledem obliegt es einzig den jeweiligen Landesgesetzgebern, neue Formen der Bürgerbeteiligung einfachgesetzlich zu verankern. Da nach den Grundsätzen der Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine einfachgesetzliche Grundlage zur Durchführung kommunaler Befragungen zumindest neben dem Teilnehmerkreis einer Befragung regeln muss, welches gemeindliche Organ zur Initiierung einer Befragung berechtigt ist und zu welchen Gegenständen eine Befragung durchgeführt werden darf, muss die sog. Öffnungsklausel der Brandenburgischen Kommunalverfassung zur Beteiligung der Einwohner als unzureichende Rechtsgrundlage für die Durchführung kommunaler Befragungen angesehen werden. Auch können kommunale Befragungen in zulässiger Art und Weise nicht auf Grundlage einer gesetzlichen Regelung durchgeführt werden, die lediglich zur Anhörung von Bürgern bzw. Einwohnern ermächtigt.
5. Teil
Rechtliche Anforderungen an die Durchführung Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen durchgeführt werden dürfen. Dabei werden jeweils die bestehenden gesetzlichen Regelungen in Niedersachsen, im Saarland und in Schleswig-Holstein in Bezug genommen. In diesem Zusammenhang geht es damit zum einen um die Frage, inwiefern aus diesen gesetzlichen Regelungen Vorgaben in Bezug auf die Durchführung kommunaler Befragungen folgen. Überdies soll jedoch auch der Frage nachgegangen werden, welche rechtlichen Anforderungen an die Durchführung kommunaler Befragungen abseits der genannten gesetzlichen Bestimmungen bestehen.
§ 1 Zuständigkeit zur Durchführung Zunächst stellt sich die Frage der Zuständigkeit zur Entscheidung über die Durchführung kommunaler Befragungen. Es gilt damit zu untersuchen, welche gemeindlichen Organe als berechtigt anzusehen sind, die Durchführung kommunaler Befragungen zu initiieren. Da Gegenstand dieser Arbeit nicht solche Befragungen sind, die von privaten Institutionen oder Organisationen durchgeführt werden, sind als mögliche Initiatoren einer Befragung nur eine gemeindliche Vertretungskörperschaft, das Verwaltungsorgan sowie die Bürger- bzw. Einwohnerschaft zu betrachten.
I. Initiierung durch die Vertretungskörperschaft Die gesetzliche Regelung zur Durchführung von Bürgerbefragungen in Niedersachsen1 sowie die Regelungen zur Durchführung von Einwohnerbefragungen im Saarland2 und in Schleswig-Holstein3 bestimmen jeweils, dass die Zuständigkeit für den Beschluss zur Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung in den Händen der jeweiligen Vertretungskörperschaft liegt.4 Da es sich somit um eine Angelegenheit handelt, die kraft Gesetzes der Vertretungskörperschaft zur 1
§ 35 S. 1 NKomVG. § 20b Abs. 1 SaarlKSVG. 3 § 16c Abs. 3 S. 3 i.V. m. § 16g Abs. 1 SHGO. 4 Vgl. auch Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 16, die für eine ausschließliche Zuständigkeit der Vertretungskörperschaft plädiert. 2
§ 1 Zuständigkeit zur Durchführung
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Entscheidung übertragen wurde, kann eine Vertretungskörperschaft die Entscheidung in dieser Angelegenheit nicht auf ein anderes gemeindliches Organ übertragen. Die Folge dessen ist, dass nach geltender Rechtslage die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen nicht von Seiten des Verwaltungsorgans initiiert werden kann. Weiterhin folgt aus dieser gesetzlichen Ausgestaltung, dass die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung nicht von Seiten der Bürger- bzw. Einwohnerschaft beschlossen werden kann.5 Die gesetzlichen Regelungen sind insoweit unmissverständlich, als dass sie die Zuständigkeit zur Durchführung kommunaler Befragungen ausdrücklich der Vertretungskörperschaft übertragen. Damit widersetzte sich insbesondere der niedersächsische Gesetzgeber kritischen Stimmen, die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens geäußert wurden und die eine Ausweitung der Initiativberechtigung auf die Bürgerbzw. Einwohnerschaft forderten. So wies beispielsweise ein Abgeordneter des Niedersächsischen Landtages in einer Stellungnahme im Bericht der EnqueteKommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts6 im Ergebnis erfolglos darauf hin, dass eine Einführung des Instruments der Bürgerbefragung lediglich dann Sinn ergebe, wenn diese auch von Seiten der Bürgerschaft initiiert werden könne.7 In diesem Punkt unterscheidet sich das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung damit wesentlich von einem Bürgerentscheid8. Dieser kann über den Weg eines im Vorfeld für zulässig erachteten Bürgerbegehrens auch von Seiten der Bürgerschaft und damit von nicht-staatlicher Seite aus ins Leben gerufen werden. Unabhängig dieser rechtlichen Ausgestaltung bleibt es den Bürgern bzw. Einwohnern jedoch unbenommen, eine Vertretungskörperschaft zur Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung anzuregen, beispielsweise im Rahmen einer Bürger- bzw. Einwohnerversammlung oder im Wege einer Bürgerinitiative. Von derartigen Anregungen gehen jedoch keine rechtlichen Wirkungen für eine Vertretungskörperschaft aus. Die Letztentscheidung über die Durchführung einer kommunalen Befragung verbleibt stets in den Händen der Vertretungskörperschaft. Mit dieser gesetzlichen Ausgestaltung geht auch einher, dass im Vorfeld einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung keine gesonderte Entscheidung über die Zulässigkeit der Befragung erforderlich ist. Da lediglich eine gemeindliche Vertretungskörperschaft die Durchführung kommunaler Befragungen initiieren kann, 5 So auch Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 135, der in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass eine Bürgerbefragung kein Antragsverfahren bedürfe, sondern vielmehr von Amts wegen anberaumt werde. 6 Bericht der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 12/6260. 7 Bericht der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 12/6260, S. 57. 8 Siehe hierzu bereits 3. Teil § 2 IV. 2.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
wäre eine erneute Prüfung der Zulässigkeit einer Befragung durch die Vertretungskörperschaft oder einen gemeindlichen Ausschuss nicht sinnvoll. Damit steht fest, dass auch einer Aufsichtsbehörde im Vorfeld kommunaler Befragungen mit Ausnahme der Wahrnehmung der allgemeinen Kommunalaufsicht keine besondere Funktion zukommt.9 Damit unterscheidet sich die Situation im Rahmen kommunaler Befragungen von der im Vorfeld eines Bürgerbegehrens. Bei diesem hat die jeweilige Vertretungskörperschaft oder der Hauptausschuss der Gemeinde über die Frage der Zulässigkeit des geplanten Bürgerbegehrens zu entscheiden.10 Der Sinn und Zweck dieser Regelungen liegt ersichtlich darin, dass ein Gemeindeorgan abschließend und verbindlich die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben für die Durchführung eines Bürgerbegehrens überprüfen soll. Denn ungeachtet der Pflicht zur Anzeige eines geplanten Bürgerbegehrens an die Gemeindeverwaltung wird ein Bürgerbegehren lediglich von Seiten der Bürgerschaft ohne Mitwirkung der jeweiligen Vertretungskörperschaft organisiert und durchgeführt. Eine Vertretungskörperschaft hat insoweit keine Möglichkeit der Einflussnahme. Erforderlich ist deshalb eine gesonderte Prüfung der Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens.
II. Initiierung durch die Bürger- bzw. Einwohnerschaft Nach geltender Rechtslage kann eine kommunale Befragung damit nicht von Seiten der Bürger- bzw. Einwohnerschaft initiiert werden.11 Jedoch sind keine rechtlichen Argumente ersichtlich, die gegen den Erlass entsprechender gesetzlicher Regelungen bzw. gegen eine entsprechende Änderung der bestehenden gesetzlichen Regelungen streiten. Erachtet man entsprechend der gesetzlichen Ausgestaltung aller Kommunalverfassungen die Initiierung eines Bürgerentscheids über den Weg eines erfolgreich durchgeführten Bürgerbegehrens durch die Bürgerschaft für zulässig, können gleichfalls keine rechtlichen Argumente gegen die Möglichkeit der Initiierung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung durch die Bürger- bzw. Einwohnerschaft angeführt werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich einerseits die Frage nach einer möglichen rechtlichen Ausgestaltung einer solchen gesetzlichen Regelung. Überdies gilt es auch zu untersuchen, inwiefern die Möglichkeit der Initiierung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung durch die Bürger- bzw. Einwohnerschaft aus rechtspolitischen Gesichtspunkten als sinnvoll erachtet werden kann. 9 Im Zusammenhang mit der Durchführung von Bürgerbegehren ist lediglich in Schleswig-Holstein vorgesehen, dass die Erklärung der Zulässigkeit durch die Kommunalaufsichtsbehörde zu erfolgen hat, § 16g Abs. 5 S. 1 SHGO. 10 Siehe hierzu bereits 3. Teil § 2 IV. 1. 11 A. A. in Bezug auf Einwohnerbefragungen in Brandenburg Woellner, in: Muth, Potsdamer Kommentar, BbgKVerf, § 13 Rn. 62; nach der hier vertretenen Auffassung ist die Durchführung kommunaler Befragungen in Brandenburg jedoch mangels entsprechender gesetzlicher Grundlage unzulässig; siehe hierzu bereits 4. Teil § 2 XII. 2.
§ 1 Zuständigkeit zur Durchführung
193
1. Rechtliche Vorgaben für die Ausgestaltung einer Initiativberechtigung Einigkeit dürfte zunächst insoweit bestehen, als dass die Entscheidung für die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung stets von einem Großteil der Bürger bzw. Einwohner einer Gemeinde getragen werden müsste. Wollte man ein Initiativrecht der Bürger- bzw. Einwohnerschaft einfachgesetzlich verankern, wäre dafür, vergleichbar der rechtlichen Situation im Rahmen eines Bürgerbegehrens, die Festlegung eines Unterschriftsquorums, dessen Erreichen Voraussetzung für die Durchführung einer Befragung wäre, in jedem Fall erforderlich. Nur so kann verhindert werden, dass die Durchführung einer kommunalen Befragung lediglich zur Durchsetzung etwaiger Partikularinteressen initiiert wird. Entscheidende Bedeutung bei der Frage einer etwaigen rechtlichen Ausgestaltung der Möglichkeit der Initiierung kommunaler Befragungen durch die Bürger- bzw. Einwohnerschaft kommt somit der Höhe des erforderlichen Unterschriftenquorums zu. Überlegungen zu dieser Frage wurden von Seiten der Literatur bisher nicht aufgestellt. Mit dieser Problematik setzte sich jedoch erst kürzlich der Landesverband Thüringen des Vereins „Mehr Demokratie e. V.“ ausführlich auseinander.12 Dieser veröffentlichte eine „Muster-Satzung für Einwohnerbefragungen“, die den Gemeinden eine Hilfestellung bei der Durchführung von Befragungen bieten und gleichsam die Unsicherheiten vieler Gemeinden beseitigen sollte, auf welchem Wege eine Befragung zu organisieren sei.13 Nach den Vorstellungen des Vereins soll eine Befragung auch durch einen sog. Befragungsantrag initiiert werden können. Ein solcher Antrag setzt nach Ansicht des Vereins voraus, dass drei Prozent der Einwohner, höchstens jedoch 3.000 Einwohner, einen entsprechenden Antrag unterschrieben haben. Nach Angaben des Vereins bewege sich diese Hürde etwa in der Mitte der nach der saarländischen Kommunalverfassung für einen Einwohnerantrag festgeschriebenen Hürde von einem Prozent und der für ein Bürgerbegehren erforderlichen Hürde von sieben Prozent.14 Vor dem Hintergrund dieser „Muster-Satzung“ stellt sich die Frage, inwiefern das Recht – nicht die Rechtspolitik15 – Vorgaben in Bezug auf die Bestimmung der Höhe eines Quorums vorgibt. Rechtliche Vorgaben bestehen lediglich insoweit, als dass durch ein entsprechendes Quorum stets gewährleistet sein muss, 12
Die Website des Vereins ist abrufbar unter http://thueringen.mehr-demokratie.de/. Die Muster Satzung ist abrufbar auf der Homepage des Vereins „Mehr Demokratie e. V.“ Landesverband Thüringen unter http://thueringen.mehr-demokratie.de/index.php? eID=tx_nawsecuredl&u=0&file=uploads/media/Muster-Satzung_fuer_Befragungen.pdf &t=1374773518&hash=58779343be2599df05d8626dab4d43f615e190dd. 14 Vgl. hierzu auch die weiteren Informationen auf der Homepage des Vereins „Mehr Demokratie e. V.“ Landesverband Thüringen unter http://thueringen.mehr-demokratie. de/8286.html?&tx_ttnews%5BbackPid%5D=6801&tx_ttnews%5Btt_news%5D=12981 &cHash=14f059ebf76723b502a1d9a8d2c024b1. 15 Siehe hierzu im Folgenden 5. Teil § 1 II. 2. 13
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
dass nicht durch eine zu häufige Durchführung von Befragungen, die von Seiten der Bürger- bzw. Einwohnerschaft initiiert werden, die Arbeit einer Vertretungskörperschaft beeinträchtigt wird. Bereits an anderer Stelle dieser Arbeit wurde ausgeführt, dass die grundsätzliche Entscheidung zur Durchführung von Bürgerbzw. Einwohnerbefragungen auch Auswirkungen auf das Verhältnis der Bürgerbzw. Einwohnerschaft zur jeweiligen Vertretungskörperschaft haben kann.16 Ein entsprechendes Quorum muss damit zwingend so ausgestaltet werden, dass von dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung von Seiten der Bürgerbzw. Einwohnerschaft lediglich in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht wird. Obgleich entgegen der Ansicht des Vereins aus den bereits an anderer Stelle dieser Arbeit genannten rechtlichen Erwägungen die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen aufgrund einer fehlenden gesetzlichen Ermächtigung in Thüringen derzeit nicht zulässig ist17, kann dem Vorschlag des Vereins zumindest insoweit zugestimmt werden, als dass das erforderliche Unterschriftenquorum in jedem Fall über dem jeweiligen Quorum eines Bürger- bzw. Einwohnerantrags zu liegen hat. Die Wirkungen, die von dem Ergebnis kommunaler Befragungen ausgehen, können in keiner Weise mit den Auswirkungen eines Bürger- bzw. Einwohnerantrags verglichen werden. Ferner geht es im Rahmen eines Bürger- bzw. Einwohnerantrags nicht um die Durchführung eines Massenabstimmungsverfahrens. Ein Bürger- bzw. Einwohnerantrag dient lediglich dazu, eine Vertretungskörperschaft zur Auseinandersetzung mit einer bestimmten Angelegenheit zu verpflichten. Auch spricht einiges dafür, dass das erforderliche Unterschriftenquorum nicht nur marginal, sondern vielmehr deutlich über dem jeweiligen Quorum eines Bürger- bzw. Einwohnerantrags liegt und sich damit eher in Richtung desjenigen Quorums bewegt, dass jeweils für ein Bürgerbegehren erforderlich ist. Wie hoch das Quorum bei Beachtung dieser Grundsätze im Einzelfall genau ist, ist eine rechtspolitische Frage. Festgehalten werden kann damit, dass, sofern man die Möglichkeit zur Initiierung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung durch die Bürger- bzw. Einwohnerschaft gesetzlich verankern wollte, hierfür die Regelung eines Unterschriftenquorums zwingend erforderlich ist. 2. Rechtspolitische Stellungnahme Betrachtet man die Frage einer etwaigen Erweiterung der Initiativberechtigung im Rahmen einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung auf die Bürger- bzw. Einwohnerschaft aus rechtspolitischen Gesichtspunkten, streiten gewichtige Erwägungen gegen eine dahingehende Änderung der bestehenden Vorschriften bzw. gegen den Erlass entsprechender gesetzlicher Regelungen. Der Grund für die in 16 17
Siehe hierzu bereits 4. Teil § 2 IX. 4 a). Siehe hierzu bereits 4. Teil § 2.
§ 1 Zuständigkeit zur Durchführung
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den bestehenden gesetzlichen Regelungen vorgesehene Alleinzuständigkeit einer Vertretungskörperschaft in Bezug auf die Durchführung kommunaler Befragungen dürfte darin liegen, dass die Kommunalverfassungen den Bürgern durch die Möglichkeit zur Durchführung eines Bürgerbegehrens eine ausreichende Möglichkeit eröffnen, sich insoweit an der Kommunalpolitik beteiligen zu können, als dass diese im Fall eines erfolgreichen Bürgerentscheids anstelle einer Vertretungskörperschaft eine Sachentscheidung treffen. Weiterhin ermöglichen verschiedene andere kommunale Beteiligungsrechte den Bürgern bzw. Einwohnern die Teilnahme am gemeindlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess. Zu nennen sind hier insbesondere der Bürger- bzw. Einwohnerantrag, die Bürgerbzw. Einwohnerversammlung sowie die Einwohnerfragestunde.18 Eine von der Bürger- bzw. Einwohnerschaft initiierte kommunale Befragung müsste demnach, um als sinnvolle Alternative zu den bereits bestehenden Beteiligungsinstrumenten angesehen werden zu können, gegenüber diesen einen gewissen Mehrwert, nicht zuletzt in partizipatorischer Hinsicht, aufweisen. Zwar kann nicht bestritten werden, dass das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung aufgrund des Charakters als Massenabstimmungsverfahren gegenüber den gemeindlichen Mitwirkungsrechten einen erheblichen partizipatorischen Mehrwert aufweist. Nimmt man jedoch zusätzlich die Instrumente des Bürgerbegehrens sowie des Bürgerentscheids mit in Bezug, so ergibt sich ein anderes Bild. Beide Instrumente weisen gewisse Ähnlichkeiten zu dem Instrument der Bürgerbzw. Einwohnerbefragung auf. Insbesondere mit Blick auf die Möglichkeit zur Durchführung eines Bürgerbegehrens stellte eine von Seiten der Bürger- bzw. Einwohnerschaft initiierte kommunale Befragung nur dann einen unter partizipatorischen Gesichtspunkten vorhandenen Mehrwert dar, wenn die rechtlichen Voraussetzungen zur Durchführung kommunaler Befragungen deutlich geringer wären als bei einem Bürgerbegehren. Bestimmte jedoch ein Landesgesetzgeber das erforderliche Unterschriftenquorum entsprechend oder marginal niedriger und damit vergleichbar den Bestimmungen für die Durchführung eines Bürgerbegehrens, gäbe es von Seiten der Bürger- bzw. Einwohnerschaft wohl kaum Bestrebungen, eine Bürger- bzw. Einwohnerbefragung zu initiieren. Die Durchführung einer solchen Befragung böte der Bürger- bzw. Einwohnerschaft aus partizipatorischen Gesichtspunkten keinen nennenswerten Vorteil gegenüber der Durchführung eines Bürgerbegehrens. Das Ergebnis einer kommunalen Befragung ist im Gegensatz zu dem Ergebnis eines Bürgerentscheids, auf deren Durchführung ein jedes Bürgerbegehren gerichtet ist, für eine Vertretungskörperschaft nicht verbindlich. Somit ist das Instrument des Bürgerbegehrens aus Sicht der Bürgerschaft stets das durchsetzungsstärkere Beteiligungsinstrument. Sollte daher eine Kommunalverfassung die Möglichkeit zur Initiierung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung durch die Bürger- bzw. Einwohnerschaft neben der Möglichkeit zur 18
Siehe hierzu bereits 3. Teil § 2 V.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
Durchführung eines Bürgerbegehrens vorsehen und bestehen in beiden Fällen vergleichbare Unterschriftenquoren, muss davon ausgegangen werden, dass von Seiten der Bürgerschaft stets das im Ergebnis durchsetzungsstärkere und damit beteiligungsintensivere Instrument des Bürgerbegehrens vorgezogen wird. Soll eine durch die Bürger- bzw. Einwohnerschaft initiierte kommunale Befragung einen partizipatorischen Mehrwert gegenüber der Durchführung eines Bürgerbegehrens aufweisen, müsste das Unterschriftenquorum für die Durchführung einer kommunalen Befragung deutlich niedriger als bei einem Bürgerbegehren gewählt werden. Eine solche rechtliche Ausgestaltung, deren Zulässigkeit je nach Höhe des Quorums rechtliche Fragen aufwirft, dürfte jedoch unweigerlich zur Folge haben, dass es zu einem deutlichen Anstieg durchgeführter kommunaler Befragungen kommt. Dies wiederum hätte enorme finanzielle Belastungen der jeweiligen Gemeinde zur Folge.19 Wichtiger als diese Tatsache sind jedoch die politischen Auswirkungen, die mit der Möglichkeit der Initiierung einer Befragung durch die Bürger- bzw. Einwohnerschaft bei Anwendung eines moderaten Quorums, deren Höhe deutlich unter dem eines Bürgerbegehrens liegt, einhergingen. In diesem Fall kann zumindest nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass die Bürger- bzw. Einwohnerschaft mit der Initiierung einer Befragung einzig und allein das Ziel verfolgt, politischen Druck auf eine Vertretungskörperschaft auszuüben und auf diese Weise die Arbeit der Vertretungskörperschaft beeinflusst. Sofern Entscheidungen einer Vertretungskörperschaft politisch umstritten sind, könnte demnach von Seiten der Bürger- bzw. Einwohnerschaft auf vergleichsweise einfachem Weg die Durchführung einer Befragung beschlossen werden. Unabhängig des Ergebnisses der Befragung könnte sogar schon die bloße Ankündigung der Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung ausreichen, um in der jeweiligen Angelegenheit politischen Druck auf die Vertretungskörperschaft auszuüben. Durch den mit der Befragung ausgeübten politischen Druck dürfte eine Vertretungskörperschaft in ihrer Entscheidungsfreiheit erheblich beeinträchtigt werden, da diese stets damit rechnen müsste, dass bereits eine Minderheit von Bürgern bzw. Einwohnern von der Möglichkeit der Initiierung einer Befragung Gebrauch macht. Gegen die Wahl eines eher niedrigen Unterschriftenquorums streitet zudem, dass eine Vertretungskörperschaft nur dann einen Mehrwert aus einer durchgeführten Bürger- bzw. Einwohnerbefragung ziehen kann, wenn dem Befragungsergebnis auch eine gewisse Aussagekraft zukommt.20 Erforderlich dafür ist wiederum eine recht hohe Befragungsteilnahme. Ob eine solche hohe Befragungsteilnahme jedoch erreicht werden kann, wenn bereits das erforderliche Quorum
19
Siehe hierzu 5. Teil § 5. Vgl. hierzu auch Woellner, in: Muth, Potsdamer Kommentar, BbgKVerf, § 13 Rn. 65. 20
§ 2 Rechtliche Anforderungen
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für die Initiierung einer Befragung durch die Bürger- bzw. Einwohnerschaft eher niedrig angesetzt ist, erscheint fraglich. Festgehalten werden kann damit, dass ein Quorum, das deutlich niedriger bemessen ist als bei einem Bürgerbegehren, aus rechtspolitischen Gesichtspunkten abzulehnen ist. Überdies muss auch hinterfragt werden, ob die Einführung einer von Seiten der Bürger- bzw. Einwohnerschaft initiierten Bürger- bzw. Einwohnerbefragung vor dem Hintergrund sinnvoll ist, dass dadurch im Ergebnis innerhalb von kurzer Zeit eine doppelte Befragung der Bürger bzw. Einwohner stattfände.21 Der möglicherweise hiergegen vorgebrachte Einwand, dass eine solche doppelte Befragung auch im Rahmen eines durch ein Bürgerbegehren initiierten Bürgerentscheids gegeben ist, vermag dabei nicht zu überzeugen. Eine doppelte Befragung stellt einen immensen Verwaltungsaufwand dar, der in Bezug auf das Instrument des Bürgerentscheids seine Rechtfertigung darin findet, dass dessen Ergebnis unter bestimmten Umständen für eine Vertretungskörperschaft verbindlich ist. Dass sich die Situation im Rahmen einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung anders darstellt, wurde bereits ausführlich dargelegt.22
§ 2 Rechtliche Anforderungen an den Beschluss einer Vertretungskörperschaft Mit den vorausgegangenen Erörterungen steht fest, dass nach derzeitiger Rechtslage Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen lediglich durch den Beschluss einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft initiiert werden können.
I. Grundsatz: Erfordernis einer Mehrheit Durch das Erfordernis eines Beschlusses einer Vertretungskörperschaft haben die Gesetzgeber in Niedersachsen, im Saarland sowie in Schleswig-Holstein gleichzeitig eine Entscheidung dahingehend getroffen, dass für die Entscheidung zur Durchführung einer Befragung zumindest eine einfache Mehrheit der anwesenden Mitglieder einer Vertretungskörperschaft erforderlich ist. Damit ist nach geltender Rechtslage eine Minderheit von Mitgliedern einer Vertretungskörperschaft nicht in der Lage, die Durchführung kommunaler Befragungen zu initiieren. Dieser Schluss ist eigentlich derart selbstverständlich, dass er keiner gesonderten Erwähnung bedürfte. Erwähnung finden soll diese rechtliche Folge der gesetzlichen Ausgestaltung jedoch trotzdem, da damit feststeht, dass nach geltender Rechtslage das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung nicht als 21 Darauf verweist auch Woellner, in: Muth, Potsdamer Kommentar, BbgKVerf, § 13 Rn. 65. 22 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 1.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
Mittel zur politischen Druckausübung der Opposition verwendet werden kann.23 Dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung kann damit bei Befolgung der gesetzlichen Regelungen keine Oppositionsfunktion zukommen, da für einen Beschluss stets das Mehrheitserfordernis gilt. Dies schließt zwar nicht aus, dass ein Beschluss über die Durchführung einer Befragung auch von Stimmen der Opposition getragen wird, jedoch ist diese ohne Mithilfe von Mitgliedern der Mehrheitsfraktionen nicht in der Lage, die Durchführung einer Befragung zu initiieren. Vor diesem Hintergrund verwundert es, dass von Seiten der Literatur teilweise vorgebracht wird, das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung sei „ein typisches Instrument von Fraktionen oder Gruppen, die in der Vertretung nicht die Mehrheit stellen, um eine vermeintliche Mehrheit der Bürger gegen die Mehrheit der Vertretung zu mobilisieren“ 24. Dieser Ansicht muss in aller Deutlichkeit widersprochen werden, da sie die rechtlichen Rahmenbedingungen verkennt. Sie suggeriert, dass nach geltender Rechtslage eine Minderheit von Mitgliedern einer Vertretungskörperschaft die Durchführung kommunaler Befragungen beschließen kann. Dies ist jedoch nicht der Fall, da für den Erlass eines Beschlusses zur Durchführung einer kommunalen Befragung mindestens eine einfache Mehrheit der abstimmenden Mitglieder einer Vertretungskörperschaft erforderlich ist. Eine rechtliche Ausgestaltung, die auf dieses Mehrheitserfordernis verzichtete, begegnete erheblichen rechtlichen Bedenken.25 Verzichtete man auf das Erfordernis einer Stimmenmehrheit, beeinträchtigte dies die eigentliche Arbeit der jeweiligen Vertretungskörperschaft in erheblicher Art und Weise. Das auch auf Ebene der Gemeinden vorherrschende System der repräsentativen Demokratie fordert insoweit, dass die Mehrheit von Mitgliedern einer Vertretungskörperschaft als gewählte Vertreter der Bürgerschaft während der Legislaturperiode ihre Politik verwirklichen kann.26 Die Erfüllung dieser Aufgabe wäre jedoch nicht oder nur schwer möglich, wenn eine Minderheit der Mitglieder einer Vertretungskörperschaft als Druckmittel stets die Möglichkeit der Initiierung einer Befragung zur Verfügung stünde. Das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung könnte auf diesem Weg als „politisches Kampfmittel“ der Opposition eingesetzt werden.27
23
A. A. jedoch wohl Koch, in: Ipsen, NKomVG, § 35 Rn. 2. So ausdrücklich Koch, in: Ipsen, NKomVG, § 36 Rn. 2. 25 Vgl. hierzu auch Meissner, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 178. 26 Meissner, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 178. 27 So ausdrücklich Meissner, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 178. 24
§ 2 Rechtliche Anforderungen
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II. Erforderliche Mehrheit Vor dem Hintergrund der vorausgegangenen Ausführungen stellt sich die weitergehende Frage, welche Art von Mehrheit erforderlich ist. Denkbar wäre beispielsweise das Erfordernis einer lediglich einfachen Mehrheit oder aber auch einer qualifizierten Mehrheit. Eine solche qualifizierte Mehrheit fordern einige Kommunalverfassungen für die Durchführung eines Ratsbegehrens.28 1. Rechtslage in Schleswig-Holstein Lediglich die gesetzliche Regelung zur Durchführung von Einwohnerbefragungen in Schleswig-Holstein regelt durch einen Verweis auf die Vorschriften über die Durchführung von Bürgerentscheiden ausdrücklich, dass für den Beschluss zur Durchführung einer Einwohnerbefragung eine qualifizierte Mehrheit in Form der Mehrheit der gesetzlichen Zahl der Mitglieder einer Vertretungskörperschaft erforderlich ist.29 Die gesetzliche Zahl der Mitglieder einer Vertretungskörperschaft ergibt sich aus § 31 Abs. 2 SHGO i.V. m. § 8 SHGKWG. Vor dem Hintergrund des § 16c Abs. 3 S. 4 SHGO, wonach das Nähere in Bezug auf die Durchführung einer Einwohnerbefragung durch Geschäftsordnung zu regeln ist, könnte wiederum die Auffassung vertreten werden, dass eine Vertretungskörperschaft insoweit abweichende Regelungen erlassen darf. Aus systematischen Erwägungen folgt jedoch, dass der Erlass abweichender Geschäftsordnungsbestimmungen als unzulässig betrachtet werden muss. § 39 Abs. 1 S. 1 SHGO regelt insoweit unmissverständlich, dass Beschlüsse einer Vertretungskörperschaft stets mit Stimmenmehrheit gefasst werden, soweit nicht das Gesetz etwas anderes vorsieht. Das Gesetz sieht mit den Regelungen in § 16c Abs. 3 S. 3 i.V. m. § 16g Abs. 1 SHGO diesbezüglich jedoch „etwas anderes“ vor, da mit diesen Regelungen für den Beschluss zur Durchführung einer Einwohnerbefragung eine qualifizierte Mehrheit vorgeschrieben wird. Vor diesem Hintergrund besteht damit kein Raum für abweichende Bestimmungen im Rahmen einer Geschäftsordnung. 2. Rechtslage in Niedersachsen und im Saarland a) Erfordernis einer einfachen Mehrheit Entgegen der Rechtslage in Schleswig-Holstein sehen die Vorschriften in Niedersachsen sowie im Saarland keine ausdrückliche Regelung in Bezug auf die erforderliche Mehrheit für den Beschluss zur Durchführung kommunaler Befragungen vor. In beiden Bundesländern folgt jedoch aus allgemeineren Vorschrif28 29
Siehe hierzu bereits 3. Teil § 2 IV. 3. § 16c Abs. 3 S. 3 i.V. m. § 16g Abs. 1 SHGO.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
ten der Grundsatz, dass Beschlüsse einer Vertretungskörperschaft mit einfacher Mehrheit der anwesenden Mitglieder einer Vertretungskörperschaft zu fassen sind. In Niedersachsen ist dieser Grundsatz in § 66 NKomVG geregelt.30 Danach werden Beschlüsse einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft mit der Mehrheit der auf „Ja“ oder „Nein“ lautenden Stimmen gefasst, soweit durch Gesetz oder in Angelegenheiten des Verfahrens durch die Geschäftsordnung nichts anderes bestimmt ist. Entsprechend der niedersächsischen Regelung besteht auch für das Saarland in § 45 Abs. 1 SaarlKSVG eine Regelung, wonach für Beschlüsse einer Vertretungskörperschaft stets eine einfache Stimmenmehrheit erforderlich ist.31 Auch dieser Grundsatz gilt jedoch nur insoweit, wie die Kommunalverfassung keine gegenteiligen Regelungen enthält. Aus den Regelungen beider Bundesländer folgt damit, dass Beschlüsse über die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen lediglich mit einfacher Mehrheit der anwesenden Mitglieder einer Vertretungskörperschaft gefasst werden müssen, da in beiden Kommunalverfassungen keine hiervon abweichenden gesetzlichen Regelungen bestehen. b) Zulässigkeit abweichender Satzungsregelungen Jedoch stellt sich die Frage, ob in Niedersachsen und im Saarland gemeindliche Vertretungskörperschaften Satzungsregelungen erlassen dürfen, die von diesem Grundsatz abweichen. So könnte beispielsweise entsprechend der gesetzlichen Ausgestaltung in Schleswig-Holstein das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit satzungsmäßig geregelt werden. Rechtliches Einfallstor für die Zulässigkeit abweichender Satzungsregelungen könnte die in beiden Kommunalverfassungen vorgesehene Ermächtigung sein, wonach Vertretungskörperschaften „die Einzelheiten“ 32 bzw. „das Nähere“ 33 in Bezug auf die Durchführung von Bürgerbzw. Einwohnerbefragungen durch Satzung zu regeln haben. Die Frage der Zulässigkeit eines solchen Vorgehens ist durchaus von praktischer Relevanz, da im Saarland bereits vereinzelt entsprechende Satzungsregelungen erlassen wurden. Geregelt wird insoweit, dass der Beschluss der jeweiligen Vertretungskörperschaft einer qualifizierten Mehrheit von mindestens der Hälfte der gesetzlichen Zahl der Mitglieder dieser Vertretungskörperschaft bedarf.34 Die bisher in Nie30 Vgl. hierzu auch Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 7. 31 Nach der Fiktion in § 45 Abs. 1 S. 2 SaarlKSVG gilt der Antrag bei Stimmengleichheit als abgelehnt. 32 § 35 S. 3 NKomVG. 33 § 20b Abs. 3 SaarlKSVG. 34 Die gesetzliche Zahl der Mitglieder der gemeindlichen Vertretungskörperschaft ergibt sich aus der Regelung in § 32 Abs. 2 SaarlKSVG und ist abhängig von der Einwohnerzahl in der jeweiligen Gemeinde.
§ 2 Rechtliche Anforderungen
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dersachsen erlassenen Satzungen sehen soweit ersichtlich diesbezüglich keine abweichenden Regelungen vor. Jedoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch niedersächsische Vertretungskörperschaften zukünftig derartige Regelungen erlassen werden. Den Ausgangspunkt bei der Beantwortung der Frage der rechtlichen Zulässigkeit abweichender Satzungsregelungen in Niedersachsen stellt § 66 NKomVG dar, wonach eine einfache Mehrheit nur dann erforderlich ist, soweit durch Gesetz oder in Angelegenheiten des Verfahrens durch die Geschäftsordnung nichts anderes bestimmt ist. Zunächst kann festgehalten werden, dass eine Satzungsregelung weder eine gesetzliche Regelung darstellt, noch als Bestimmung einer Geschäftsordnung angesehen werden kann. Beachtung finden muss jedoch, dass entsprechende Satzungen in Niedersachsen auf Grundlage der Satzungsermächtigung in § 35 S. 3 NKomVG erlassen werden. Damit stellt sich die Frage, wie die gesetzliche Formulierung „durch Gesetz“ in § 66 NKomVG zu verstehen ist. Anders gewendet geht es um die Frage, ob diese Bestimmung tatsächlich so zu verstehen ist, dass Regelungen, die von diesem Grundsatz abweichen, nur durch Gesetz getroffen werden können, oder aber ob es ausreichend ist, dass, wie im vorliegenden Fall, diese lediglich auf Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung getroffen werden. Geht man dabei lediglich vom Wortlaut der Vorschrift aus, muss diese Frage dahingehend beantwortet werden, dass die abweichenden Regelungen tatsächlich durch Gesetz festgelegt werden müssen und Satzungsregelung, die auf Grundlage einer gesetzlichen Regelung getroffen werden, nicht als zulässig angesehen werden können. Erkenntnisse bei der Beantwortung der vorliegenden Frage könnten sich in systematischer Hinsicht aus den Bestimmungen des Grundgesetzes ergeben. Das Grundgesetz regelt in seinem Grundrechtsteil im Zusammenhang mit den Gesetzesvorbehalten, dass eine Beschränkung des jeweiligen Grundrechts „durch Gesetz“ 35 oder auch lediglich „auf Grund eines Gesetzes“ 36 bzw. sogar „durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes“ 37 zulässig ist. In diesem Zusammenhang ist zunächst allgemein anerkannt, dass, sofern lediglich eine Einschränkbarkeit „aufgrund eines Gesetzes“ vom Grundgesetz vorgesehen ist, damit gleichzeitig auch ein Eingriff in das jeweilige Grundrecht „durch Gesetz“ möglich ist.38 Etwas anderes muss jedoch für den Fall gelten, dass lediglich eine Einschränkbarkeit „durch Gesetz“ geregelt ist. In einem solchen Fall darf nicht gleichfalls „aufgrund eines Gesetzes“ in das jeweilige Grundrecht eingegriffen werden.
35
Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG; Art. 6 Abs. 3 GG; Art. 10 Abs. 2 S. 1 GG; Art. 13 Abs. 7 GG; Art. 16 Abs. 1 S. 2 GG. 37 Art. 8 Abs. 2 GG; Art. 11 Abs. 2 GG; Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG; Art. 12a Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1, Abs. 5 S. 2, Abs. 6 S. 1 GG; Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG. 38 Vgl. nur Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vor Art. 1 Rn. 42 m.w. N. 36
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
Festgehalten werden kann damit, dass in Bezug auf die Begrifflichkeiten des Grundgesetzes die Formulierung „durch ein Gesetz“ ein Gesetz im formellen Sinne und damit ein Parlamentsgesetz meint, während die Formulierung „aufgrund eines Gesetz“ auch Verwaltungsakte oder untergesetzliche Normen und damit Gesetze im materiellen Sinne miteinschließt. Folgt man diesem Begriffsverständnis des Grundgesetzes und wendet diese Grundsätze auf die vorliegende Problematik an, streiten damit auch systematische Erwägungen für eine wörtliche Auslegung des § 66 NKomVG. Dieses Ergebnis hat darüber hinaus auch Bestand, wenn man den Willen des niedersächsischen Gesetzgebers in die Auslegung miteinbezieht. Den Gesetzesmaterialien kann entnommen werden, dass sich der niedersächsische Gesetzgeber bei der Schaffung der insoweit identischen Vorgängervorschrift in § 22d NGO39 bewusst für das Erfordernis einer einfachen Mehrheit entschieden hat.40 Dies geht aus dem Bericht der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts hervor, auf den die Gesetzesbegründung zu § 22d NGO ausdrücklich Bezug nimmt.41 Aus dem Kommissionsbericht ist zu entnehmen, dass innerhalb der Enquete-Kommission auch über das Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit diskutiert wurde.42 So widersprach ein Kommissionsmitglied ausdrücklich der Forderung nach einer einfachen Mehrheit und vertrat vielmehr die Auffassung, dass Bürgerbefragungen mit einer qualifizierten Mehrheit, wie beispielsweise einer Zweidrittelmehrheit, zu beschließen seien.43 Diesem Vorschlag folgte jedoch weder die Enquete-Kommission noch schließlich der Gesetzgeber. Im Rahmen einer Auslegung der Vorschrift des § 66 NKomVG streiten damit gewichtige Argumente dafür, dass eine Satzungsregelung, die auf Grundlage einer gesetzlichen Regelung erlassen wurde, nicht als eine Regelung „durch Gesetz“ angesehen werden kann. Daraus folgt, dass in Niedersachsen keine Satzungsregelungen erlassen werden dürfen, die von dem Erfordernis einer einfachen Mehrheit abweichen.44 Damit bleibt es bei der in § 66 NKomVG getroffenen Regelung, wonach Beschlüsse einer Vertretungskörperschaft zur Durchführung von Bürgerbefragungen mit der Mehrheit der auf „Ja“ oder „Nein“ lautenden Stimmen gefasst werden. 39
Siehe zur historischen Entwicklung der niedersächsischen Vorschrift bereits 2. Teil
§ 3. 40 Darauf verweist auch Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 7. 41 Gesetzentwurf der Niedersächsischen Landesregierung, „Entwurf eines Gesetzes zur Reform des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts“, LT-Drs. 13/1450, S. 104; siehe hierzu auch 2. Teil § 3. 42 Bericht der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 6260, S. 57. 43 Bericht der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 6260, S. 57. 44 So auch Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 4.
§ 2 Rechtliche Anforderungen
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Soweit für das Saarland § 45 Abs. 1 S. 1 SaarlKSVG regelt, dass eine einfache Stimmenmehrheit einer Vertretungskörperschaft nur dann erforderlich ist, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, sprechen auch diesbezüglich gewichtige Argumente dafür, dass eine Satzungsregelung nicht als eine Bestimmung „des Gesetzes“ angesehen werden kann. Den Gesetzesmaterialien 45 lassen sich diesbezüglich keine Aussagen entnehmen. In Bezug auf eine wörtliche und systematische Auslegung der Vorschrift lassen sich die für Niedersachsen gefundenen Erkenntnisse jedoch auf die saarländische Regelung übertragen. Damit kann festgehalten werden, dass sowohl in Niedersachsen als auch im Saarland keine Satzungsregelungen erlassen werden dürfen, die vom Erfordernis der einfachen Mehrheit für den Beschluss zur Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung abweichende Regelungen vorsehen.
III. Stellungnahme Zu begrüßen ist zunächst, dass nach geltender Rechtslage eine Minderheit von Mitgliedern einer Vertretungskörperschaft nicht in der Lage ist, die Durchführung kommunaler Befragungen zu initiieren. Ermöglichte man entgegen der geltenden Rechtslage ein solches Vorgehen, hätte dies für die Durchführungspraxis erhebliche Auswirkungen. Mit der Möglichkeit der Initiierung einer Befragung durch eine Minderheit von Mitgliedern einer Vertretungskörperschaft erführe die Oppositionsfunktion kommunaler Befragungen eine deutlich stärkere Akzentuierung. Auf diese Weise könnte das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung bewusst als politisches Druckmittel eingesetzt werden.46 Kommt es beispielsweise zu Meinungsverschiedenheiten innerhalb einer Vertretungskörperschaft und entschließt sich darauf eine Minderheit von Mitgliedern einer Vertretungskörperschaft zur Initiierung einer Befragung, kann durch diese Befragung erheblicher Druck auf die Mehrheitsfraktionen der jeweiligen Vertretungskörperschaft ausgeübt werden. Ein solches Vorgehen begegnet nicht nur erheblichen rechtlichen Bedenken, sondern stellt sich auch aus praktischen Gesichtspunkten als ein Vorgehen dar, welches erhebliche Nachteile mit sich bringen kann. Vor dem Hintergrund der sich unterscheidenden Rechtslage in Schleswig-Holstein auf der einen Seite und in Niedersachsen und dem Saarland auf der anderen Seite stellt sich überdies die Frage, welcher rechtlichen Ausgestaltung in Bezug auf die erforderliche Mehrheit der Vorzug einzuräumen ist. Für das Erfordernis einer einfachen Mehrheit streitet zunächst, dass mit einer solchen rechtlichen Ausgestaltung nicht allzu hohe Anforderungen an die Durchführung kommunaler 45 Gesetzentwurf der Regierung des Saarlandes, „Gesetz zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften“, LT-Drs. 11/675, S. 4 der Begründung. 46 Vgl. zu der insoweit ähnlichen Situation bei der Durchführung eines Bürgerbegehrens und anschließenden Bürgerentscheids Meissner, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 178.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
Befragungen gestellt werden. In praktischer Hinsicht dürfte dies die Konsequenz haben, dass durch die vergleichsweise niedrige rechtliche Hürde vermehrt von dem Instrument Gebrauch gemacht wird. Für das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit streitet demgegenüber, dass damit eine höhere Hürde für einen Beschluss zur Durchführung kommunaler Befragungen bestünde und damit letztlich im Ergebnis von dem Instrument seltener Gebrauch gemacht werden dürfte als bei dem Erfordernis einer einfachen Mehrheit. Eine solche rechtliche Ausgestaltung könnte auch mit Blick auf die erheblichen, für die Durchführung einer Befragung erforderlichen Kosten eine Rechtfertigung finden. Argumentiert werden könnte insoweit, dass die Kosten für eine Abstimmung, deren Ergebnis aus rechtlicher Sicht nicht verbindlich ist, zumindest dann noch im Ansatz rechtfertigt werden könnten, wenn die Entscheidung für die Durchführung der Befragung nicht lediglich von einer einfachen, sondern von einer qualifizierten Mehrheit der Vertretungskörperschaft getragen wird. In diesem Zusammenhang muss jedoch auch Berücksichtigung finden, dass der Frage der aufzuwendenden Kosten im Zusammenhang mit der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene keine entscheidende Bedeutung zuzumessen ist.47 Das gewichtigere Argument für das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit dürfte jedoch sein, dass auf diesem Wege ein möglicher Missbrauch des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung zu akklamatorischen Zwecken erschwert wird.48
§ 3 Die Form der Entscheidung Mit den vorausgegangenen Erörterungen steht fest, dass die Zuständigkeit für die Entscheidung zur Durchführung kommunaler Befragungen nach den bestehenden gesetzlichen Regelungen in den Händen einer Vertretungskörperschaft liegt und darüber hinaus stets eine Mehrheitsentscheidung erforderlich ist. Damit ist jedoch noch keine Aussage darüber getroffen, in welcher Form die Entscheidung zur Durchführung einer kommunalen Befragung zu erfolgen hat. Der gesetzlichen Regelung in Niedersachsen ist insoweit lediglich zu entnehmen, dass Einzelheiten in Bezug auf die Durchführung einer Bürgerbefragung durch Satzung zu regeln sind.49 Auch die gesetzliche Regelung im Saarland enthält eine ähnliche Bestimmung und sieht vor, dass das Nähere durch eine Satzung bestimmt wird.50 Demgegenüber sieht die schleswig-holsteinische Regelung vor, dass das Nähere durch Geschäftsordnung geregelt wird.51
47
Siehe hierzu 5. Teil § 5. So auch Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 285; siehe hierzu bereits 2. Teil § 5 III. 49 § 35 S. 3 NKomVG. 50 § 20b Abs. 3 SaarlKSVG. 51 § 16c Abs. 4 SHGO. 48
§ 3 Die Form der Entscheidung
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I. Rechtslage in Niedersachsen und im Saarland In Bezug auf die gesetzlichen Regelungen in Niedersachsen und im Saarland stellt sich die Frage, ob vor der Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung zwingend eine Satzung erlassen werden muss und, bejahendenfalls, auf welche Art und Weise eine Vertretungskörperschaft dieser Verpflichtung nachzukommen hat. 1. Pflicht zum Satzungserlass Die gesetzlichen Regelungen in Niedersachsen und im Saarland können nur dergestalt verstanden werden, dass für die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung zwingend ein vorheriger Satzungserlass erforderlich ist.52 Eine Befragung, die damit lediglich auf Grundlage eines einfachen Beschlusses einer Vertretungskörperschaft durchgeführt wurde, ist demnach unzulässig. Dementsprechend betont zumindest auch die Gesetzesbegründung zum Erlass der saarländischen Regelung, dass der Durchführung einer Befragung zwingend der Erlass zumindest einer Satzung vorauszugehen hat.53 Da nach der hier vertretenen Auffassung in denjenigen Bundesländern, die bisher auf den Erlass einer einfachgesetzlichen Regelung zur Durchführung kommunaler Befragungen verzichtet haben, die Durchführung kommunaler Befragung mangels einfachgesetzlicher Grundlage unzulässig ist54, stellt sich auch in Bezug auf die Gemeinden in diesen Bundesländern nicht die Frage, ob für die Durchführung einer Befragung ein vorheriger Satzungserlass erforderlich ist oder aber bereits ein einfacher Beschluss einer Vertretungskörperschaft ausreichend ist. Zu klären ist jedoch, wie sich die rechtliche Situation in einem Bundesland darstellte, in dem zwar die Möglichkeit zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen einfachgesetzlich geregelt wurde, diese Regelung jedoch in Bezug auf die vorliegende Fragestellung keine Aussage trifft. Damit gemeint sind beispielsweise Regelungen, die, angelehnt an die bisherigen gesetzlichen Regelungen, lediglich vorschreiben, dass eine gemeindliche Vertretungskörperschaft in Angelegenheiten der Gemeinde eine Befragung der Bürger bzw. Einwohner durchführen darf. Bei einer derartigen weitestgehend offen gehaltenen Regelung stellte sich die Frage, in welcher Form die Entscheidung einer Vertretungskörperschaft zur Durchführung einer kommunalen Befragung zu ergehen hätte. Diese Frage kann dergestalt beantwortet werden, dass, sofern die gesetz52 So auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 194, 208; bejahend in Bezug auf die niedersächsische Regelung auch Thiele, Das neue kommunale Verfassungsrecht, Rn. 138; Thiele, NKomVG, § 35 unter 2.; Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/ Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 8. 53 Gesetzentwurf der Regierung des Saarlandes, „Gesetz zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften“, LT-Drs. 11/675, S. 4 der Begründung. 54 Siehe hierzu bereits 4. Teil § 2.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
liche Ermächtigung hierzu keine zwingende Festlegung enthält, es im Ermessen einer Vertretungskörperschaft steht, in welcher Form sie die Entscheidung zur Durchführung einer Befragung trifft.55 Klargestellt sei jedoch nochmals, dass dies nur dann gilt, sofern die einfachgesetzliche Ermächtigung zur Durchführung einer Befragung in dieser Hinsicht keine zwingenden Vorgaben enthält. 2. Praxis des bisherigen Satzungserlasses Mit der folgenden Darstellung der bisherigen Praxis des Satzungserlasses soll zunächst ein Überblick darüber verschafft werden, wie die Verpflichtung zum Satzungserlass von Vertretungskörperschaften beider Bundesländer interpretiert wird. Denkbar wäre einerseits eine Auslegung der Verpflichtung dahingehend, dass lediglich einmalig eine Satzung für die Durchführung kommunaler Befragungen erlassen werden muss (sog. Grundlagensatzung). Möglich erscheint jedoch auch ein Verständnis dahingehend, dass stattdessen oder gar darüber hinausgehend für jede einzelne Befragung eine gesonderte Satzung zu erlassen ist (sog. Durchführungssatzung). a) Niedersachsen In Niedersachsen haben bereits viele Gemeinden auf Grundlage der Satzungsermächtigung56 Satzungen erlassen, die die Einzelheiten in Bezug auf die Durchführung einer Bürgerbefragung regeln. Die genaue Zahl der bisher erlassenen Satzungen in Niedersachsen ist nicht bekannt. Die Praxis des Satzungserlasses in Niedersachsen kann dergestalt beschrieben werden, dass die Gemeinden überwiegend neben einer Grundlagensatzung auch eine Durchführungssatzung erlassen haben. Die Grundlagensatzungen nehmen dabei inhaltlich auf die gesetzliche Regelung in § 35 S. 1 NKomVG Bezug und regeln darüber hinaus Einzelheiten in Bezug auf den Zeitpunkt, den Ort, die Dauer und die Form der Befragung, das Abstimmungsgebiet, den Gegenstand der Befragung, die Beantwortung der Fragen, die Teilnahmeberechtigung sowie in Bezug auf die Leitung und Überwachung des Befragungsverfahrens. Die Grundlagensatzungen legen darüber hinaus fest, dass die weiteren Einzelheiten in Bezug auf die jeweilige Bürgerbefragung in einer gesonderten Satzung zu bestimmen sind. Zum Teil wird dabei explizit von einer zu erlassenden Durchführungssatzung gesprochen. Die Durchführungssatzungen wiederum regeln die Einzelheiten in Bezug auf die jeweils geplante Bürgerbefragung. Die niedersächsischen Gemeinden legen die gesetzliche Pflicht zum Satzungserlass somit dergestalt aus, dass neben einer Grundlagensatzung zusätzlich eine weitere Durchführungssatzung zu erlassen ist.
55 56
So auch Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 595. § 35 S. 3 NKomVG.
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b) Saarland Im Saarland haben bisher mindestens 16 Gemeinden Satzungen über die Durchführung von Einwohnerbefragungen erlassen.57 Die Praxis des Satzungserlasses im Saarland unterscheidet sich dabei erheblich von der soeben beschriebenen Praxis in Niedersachsen. Bei den bisher von saarländischen Gemeinden erlassenen Satzungen handelt es sich ausnahmslos um Grundlagensatzungen. Entgegen der Bezeichnungen der Satzungen („Satzung über die Durchführung einer Einwohnerbefragung in der Stadt xy“) geht es damit nicht um Satzungen, die die Einzelheiten in Bezug auf die Durchführung einer konkreten Einwohnerbefragung regeln. Vielmehr regeln diese Satzungen lediglich die Grundlagen in Bezug auf die Durchführung von Einwohnerbefragungen. Obgleich die einzelnen Satzungen der saarländischen Gemeinden nicht identisch sind, enthalten die Satzungen überwiegend ausführliche Angaben zum Gegenstand von Befragungen, zu den im Vorfeld einer Befragung erforderlichen Maßnahmen, zu den teilnahmeberechtigten Personen und zum eigentlichen Verfahren der Befragung. Die Vorschrift in § 20b Abs. 3 SaarlKSVG, wonach das Nähere durch Satzung zu bestimmen ist, wird demnach von saarländischen Gemeinden dahingehend ausgelegt, dass lediglich eine Satzung in Form einer Grundlagensatzung zu erlassen ist. Die einzelnen Grundlagensatzungen regeln daher auch lediglich, dass die Entscheidung für die Durchführung einer Einwohnerbefragung einen Beschluss der jeweiligen Vertretungskörperschaft erfordert, nicht jedoch gleichzeitig, dass dieser Beschluss auf den Erlass einer gesonderten Durchführungssatzung gerichtet sein muss. Neben diesen Grundlagensatzungen existieren somit im Saarland keine gesonderten Durchführungssatzungen. 3. Die Ausgestaltung der Pflicht zum Satzungserlass Die aufgezeigte Praxis des Satzungserlasses verdeutlicht, dass die Verpflichtung zum Satzungserlass von den Gemeinden beider Bundesländer auf unterschiedliche Art und Weise interpretiert wird. Die grundsätzlich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten für die Gemeinden sollen an dieser Stelle nochmals zusammengefasst werden: Zunächst kann die Verpflichtung zum Erlass einer Satzung in der Weise interpretiert werden, dass jede Gemeinde, unabhängig von einer bestehenden Absicht zur Durchführung einer Befragung, zum Erlass einer Grundlagensatzung verpflichtet ist. Demgegenüber kommt auch ein Ver57 Das ergibt sich aus einer Antwort vom 30.01.2013 des saarländischen Landtags auf eine Anfrage eines Abgeordneten betreffend die Evaluation der Mitwirkungsrechte auf Gemeindeebene (LT-Drs. 15/201), LT-Drs. 15/318. Danach wurden bisher in den Gemeinden Blieskastel, Namborn, Dillingen, Ottweiler, Ensdorf, Quierschied, Heusweiler, Riegelsberg, Illingen, Saarbrücken, Kleinblittersdorf, Schwalbach, Losheim am See, St. Ingbert, Marpingen und Weiskirchen Satzungen über die Durchführung von Einwohnerbefragungen erlassen.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
ständnis der Verpflichtung zum Satzungserlass dahingehend in Betracht, dass die Gemeinden für die geplante Durchführung einer Befragung und damit im Unterschied zum soeben genannten Fall nicht unabhängig von einer bestehenden Absicht zur Durchführung einer Befragung eine Grundlagensatzung zu erlassen haben. Bejahte man letzteres, stellt sich weitergehend die Frage, ob zusätzlich zu dieser Grundlagensatzung für jede geplante Befragung eine Durchführungssatzung zu erlassen ist oder aber die Entscheidung für die Durchführung einer Befragung durch einen einfachen Beschluss der jeweiligen Vertretungskörperschaft getroffen werden kann. Des Weiteren könnte die Verpflichtung zum Satzungserlass jedoch auch dahingehend ausgelegt werden, dass eine Gemeinde, die im Begriff ist eine Befragung durchzuführen, für diese geplante Befragung lediglich eine sog. Durchführungssatzung zu erlassen hat. Im Folgenden gilt es daher aufzuzeigen, welche rechtlichen Anforderungen sich diesbezüglich aus den gesetzlichen Vorschriften ergeben. a) Keine Pflicht zum Erlass einer Grundlagensatzung auf Vorrat Zunächst soll der Frage nachgegangen werden, ob Gemeinden in Niedersachsen und im Saarland auch unabhängig von einer bestehenden Absicht zur Durchführung einer Befragung zwingend eine Satzung „auf Vorrat“ 58 zu erlassen haben. Dem Wortlaut beider gesetzlichen Regelungen lassen sich keine Hinweise darauf entnehmen, dass die Pflicht zum Satzungserlass in einem derartigen Sinne verstanden werden muss.59 Auch streitet eine am Sinn und Zweck orientierte Auslegung beider Vorschriften dafür, dass keine Verpflichtung zum Erlass einer Grundlagensatzung auf Vorrat besteht. Mit dem Erlass einer Grundlagensatzung auf Vorrat ginge ein erheblicher Verwaltungsaufwand einher, der sich als gänzlich nutzlos erwiese, sofern es in der jeweiligen Gemeinde zukünftig nicht zu der Durchführung einer Befragung kommen sollte.60 Der Anteil der Gemeinden in Niedersachsen bzw. im Saarland, die bisher eine Bürger- bzw. Einwohnerbefragung durchgeführt haben, ist in Bezug auf die Gesamtzahl der bestehenden Gemeinden als gering anzusehen. Vor diesem Hintergrund stellte sich die Verpflichtung zum Erlass einer vorsorglichen Grundlagensatzung für die meisten Gemeinden als nutzlos und daher als vermeidbarer Verwaltungsaufwand dar. Damit streiten bereits Effizienzgesichtspunkte gegen das Bestehen einer Pflicht zum vorsorglichen Erlass einer Grundlagensatzung. Im Ergebnis sprechen damit ge58
Diese Formulierung findet sich bereits bei Koch, in: Ipsen, NKomVG, § 35 Rn. 3. So in Bezug auf die Regelung in Niedersachsen auch Koch, in: Ipsen, NKomVG, § 35 Rn. 3; Wefelmeier, in: Blum/Häusler/Meyer, NKomVG, § 35 Rn. 4; Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 4; in diese Richtung tendierend wohl auch Thiele, NKomVG, § 35 unter 2. 60 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 8, der auf die seiner Auffassung nach geringe der Bedeutung der Bürgerbefragung verweist. 59
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wichtige Gründe gegen eine Pflicht zum Erlass einer Grundlagensatzung auf Vorrat. Darüber hinaus begegnete die Verpflichtung zum Erlass einer Satzung auf Vorrat auch erheblichen rechtlichen Bedenken, da darin ein unzulässiger Eingriff des Landesgesetzgebers in die vom Grundgesetz garantierte gemeindliche Selbstverwaltung erblickt werden könnte. Nach allem kann festgehalten werden, dass eine Verpflichtung zum Erlass einer Satzung nur dann besteht, wenn eine Gemeinde tatsächlich die Durchführung einer Befragung ins Auge gefasst hat. b) Pflicht zum Erlass einer Grundlagensatzung? Weiterhin stellt sich die Frage, ob die Verpflichtung zum Satzungserlass so zu verstehen ist, dass eine Gemeinde im Vorfeld einer geplanten Bürger- bzw. Einwohnerbefragung stets eine Grundlagensatzung zu erlassen hat. Bejahte man diese Frage, stellte sich die weitergehende Frage, ob die Durchführung der geplanten Befragung den Erlass einer Durchführungssatzung erforderlich machte oder aber auf Grundlage eines einfachen Beschlusses der Vertretungskörperschaft durchgeführt werden könnte. Verneinte man indes die Pflicht zum Erlass einer Grundlagensatzung, stünde damit fest, dass eine Vertretungskörperschaft im Vorfeld einer geplanten kommunalen Befragung zwingend eine Durchführungssatzung erlassen müsste. Auch in Bezug auf diese Frage lassen sich keine Rückschlüsse aus dem Wortlaut sowie den Gesetzesbegründungen beider gesetzlicher Regelungen entnehmen. Aufgrund der Offenheit der gesetzlichen Regelungen diesbezüglich muss davon ausgegangen werden, dass es einer Vertretungskörperschaft im Falle der geplanten Durchführung einer Befragung frei steht, ob sie eine Grundlagensatzung und darüber hinaus eine Durchführungssatzung oder aber lediglich eine Durchführungssatzung erlässt. Zwar lassen sich durchaus Gründe anführen, die für oder gegen die jeweilige Möglichkeit zur Ausgestaltung der Verpflichtung zum Satzungserlass streiten. Diese Gründe sind jedoch lediglich rechtspolitischer Natur und können daher nicht zu einer rechtlich zwingenden Auslegung der gesetzlichen Regelungen führen. Für den Erlass einer Grundlagensatzung könnte zunächst streiten, dass dadurch der für eine geplante Befragung erforderliche Verwaltungsaufwand deutlich geringer ausfällt als ohne Bestehen einer Grundlagensatzung. Argumentiert werden könnte insoweit, dass durch das Bestehen einer Grundlagensatzung bereits ausführliche Regelungen in Bezug auf die rechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung einer Befragung vorhanden sind. Der nachfolgende Beschluss zur Durchführung der Befragung bzw. zum Erlass einer Durchführungssatzung müsste daher nur noch die Einzelheiten der jeweiligen Befragung regeln. Der Erlass einer Grundlagensatzung könnte damit insgesamt zu einer zeitlichen Straffung der Vorbereitung einer Befragung führen, da durch das Vorhandensein bereits einer Satzung nicht zwingend noch eine weitere Durchführungssatzung er-
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
lassen werden müsste. Auf Grundlage einer bereits vorhandenen Satzung wäre grundsätzlich auch ein Beschluss der jeweiligen Vertretungskörperschaft ausreichend, sofern nicht die Grundlagensatzung diesbezüglich gegenteilige Aussagen enthält. Eine solche Argumentation bietet jedoch vielerlei Angriffspunkte: So kann dem zuvörderst entgegengesetzt werden, dass es sich bei einer kommunalen Befragung in der Praxis nicht um ein Verfahren handelt, welches unter erheblichem zeitlichen Druck steht und daher möglichst schnell durchgeführt werden muss. Die bisherige Praxis kommunaler Befragungen zeigt, dass alleine zwischen der endgültigen Entscheidung zur Durchführung einer Befragung (Erlass der Durchführungssatzung bzw. Beschluss der Vertretungskörperschaft) und der Befragung selbst eine Zeitspanne von mindestens sechs Wochen liegt. Teilweise erfolgte die eigentliche Befragung auch erst ca. sechs Monate nach der Entscheidung zur Durchführung der Befragung. Weiterhin muss beachtet werden, dass bereits im Vorfeld der Entscheidung zur Durchführung einer Befragung weitreichende vorbereitende, zeitintensive Maßnahmen erforderlich sind. Ohne eine derartige Vorbereitung könnte eine Durchführungssatzung gar nicht erlassen werden bzw. ein entsprechender Beschluss einer Vertretungskörperschaft über die Durchführung einer Befragung nicht ergehen. Der Zeitraum zwischen den ersten Überlegungen in Bezug auf die Durchführung einer Befragung und der eigentlichen Befragung ist nach alledem auf mindestens ein Jahr zu beziffern. Weiterhin dürfte das Argument der Zeitersparnis auch deshalb nicht durchgreifend sein, da eine Vertretungskörperschaft auch im Fall einer bereits bestehenden Grundlagensatzung zumindest noch einen gesonderten Beschluss zur Durchführung der jeweiligen Befragung erlassen müsste, in dem die Einzelheiten in Bezug auf die durchzuführende Befragung geregelt sind. Zu bezweifeln ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass ein solcher Beschluss einer Vertretungskörperschaft schneller zustande kommt als ein Beschluss über den Erlass einer Satzung für die Durchführung einer Befragung. Diese Erwägungen sprechen im Ergebnis dagegen, dass der Erlass einer Grundlagensatzung für Gemeinden als vorteilhaft anzusehen ist. Für den Erlass einer Grundlagensatzung könnte überdies jedoch sprechen, dass auf diese Weise der Erlass der erforderlichen Satzung unabhängig eines konkreten Befragungsvorhabens erfolgt. Durch diese Trennung könnten die Interessen der Bürger und Einwohner insoweit stärker Beachtung finden, als dass die Satzung aus informatorischen Gesichtspunkten für die Bürger- bzw. Einwohnerschaft einen Mehrwert aufweist. Rechtliches Einfallstor für eine solche Argumentation wäre der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gedanke der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit61. Für einen zwingenden Erlass einer Grundlagen61 Vgl. nur Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 141 ff. m.w. N.; Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 20 Rn. 181 ff.; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 122 ff.; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Art. 20 Rn. 88 ff.
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satzung könnte damit angeführt werden, dass gerade durch den Erlass einer solchen Satzung insoweit Rechtssicherheit eintritt, als dass die Bürger bzw. Einwohner sich darüber informieren könnten, unter welchen Voraussetzungen die von ihnen gewählte und ihre Interessen repräsentierende Vertretungskörperschaft eine Befragung durchführen kann. Überdies könnte der Erlass einer sorgfältig ausgearbeiteten Grundlagensatzung für eine Vertretungskörperschaft auch insoweit vorteilhaft sein, als dass im Falle der mehrmaligen Durchführung kommunaler Befragungen das Vertrauen der Bürger bzw. Einwohner dadurch gewonnen wird, dass Befragungen stets nach demselben Muster ablaufen. Dies könnte unter Umständen zu einer Verstärkung des Vertrauens der Bürger bzw. Einwohner in dieses Beteiligungsinstrument führen. Mit einer solchen Verstärkung des Vertrauens der Bürger könnte möglicherweise mittelfristig auch eine Erhöhung der Beteiligung an Befragungen einhergehen. Festgehalten werden kann damit, dass sowohl Argumente für als auch gegen den Erlass einer Grundlagensatzung streiten. In rechtlicher Sicht steht es einer Vertretungskörperschaft jedoch frei, ob sie im Vorfeld einer geplanten Befragung eine Grundlagensatzung oder aber stattdessen nur eine Durchführungssatzung erlässt. c) Zwischenergebnis Nach diesen Ausführungen kann festgehalten werden, dass die gesetzlich geregelte Pflicht zum Erlass einer Satzung in Bezug auf die eingangs aufgeworfene Frage keine zwingende Auslegungsmöglichkeit nahelegt und daher in rechtlich zulässiger Weise auf verschiedene Art und Weise verstanden werden kann. Damit liegt es im Ermessen einer Vertretungskörperschaft, ob sie im Vorfeld der Durchführung einer Befragung eine einmalige Grundlagensatzung erlässt und darauf aufbauend die Einzelheiten in Bezug auf die Befragung im Wege einer weiteren Durchführungssatzung oder aber lediglich durch einen einfachen Beschluss bestimmt. Eine Gemeinde kann jedoch auch auf den Erlass einer Grundlagensatzung verzichten und lediglich für jede geplante Befragung eine gesonderte Durchführungssatzung erlassen. Zwingend ist insoweit lediglich, dass vor der Durchführung einer Befragung mindestens eine Satzung erlassen wird. Soweit in diesem Zusammenhang von Seiten der Literatur die saarländische Regelung dergestalt verstanden wird, dass zwingend die Einzelheiten des Verfahrens durch Satzung „als abstrakt-genereller Standard für eine Vielzahl von Befragungen“ und damit in Form einer Grundlagensatzung zu regeln sind62, widerspricht diese Sichtweise der hier vertretenen Auffassung. Überzeugend begründen lässt sich weiterhin auch nicht eine Auslegung der gesetzlichen Regelungen dergestalt, dass eine Verpflichtung zum Erlass einer 62
Wohlfarth, Kommunalrecht, Rn. 109.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
Grundlagensatzung auf Vorrat besteht. Sofern eine Gemeinde nicht die Durchführung kommunaler Befragungen beabsichtigt, ist sie auch nicht zum Erlass einer Grundlagensatzung verpflichtet. Beide gesetzlichen Regelungen sind insgesamt in Bezug auf die Frage der Ausgestaltung des Satzungserlasses unklar und damit als gesetzgeberisch missglückt anzusehen. 4. Satzungsinhalt Beiden gesetzlichen Bestimmungen lassen sich keine Aussagen in Bezug auf den Inhalt der zu erlassenden Satzungen entnehmen. Eine Gemeinde ist damit in Bezug auf die inhaltliche Ausgestaltung insoweit frei, als dass sie im Rahmen des Zulässigen darüber entscheiden kann, welche Inhalte sie in die Satzung oder in die Satzungen aufnehmen möchte. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang teilweise darauf verwiesen, dass sich die Gemeinden hinsichtlich des zu regelnden Satzungsinhalts am jeweiligen Kommunalwahlgesetz orientieren könnten.63 Dieser Sichtweise kann zugestimmt werden. 5. Besonderheit für Befragungen in Ortsteilen und Stadtbezirken In Bezug auf die Form der Entscheidung besteht in Niedersachsen eine Besonderheit für solche Bürgerbefragungen, die nach § 93 Abs. 3 NKomVG in Ortschaften oder Stadtbezirken durchgeführt werden. Dort können der Orts- bzw. der Stadtbezirksrat die Durchführung einer Befragung beschließen, sofern es sich um eine Angelegenheit handelt, deren Bedeutung über die Ortschaft bzw. den Stadtbezirk nicht hinausgeht.64 In diesem Zusammenhang besteht insoweit eine Besonderheit, als dass § 93 Abs. 3 S. 2 NKomVG lediglich eine Verweisung auf § 35 S. 2 NKomVG enthält. § 35 S. 2 NKomVG beschränkt den sachlichen Anwendungsbereich von Bürgerbefragungen.65 Eine Verweisung auf § 35 S. 3 NKomVG, wonach die Einzelheiten in Bezug auf die Durchführung einer Befragung durch Satzung zu regeln sind, sieht § 93 Abs. 3 NKomVG indes nicht vor. Aus den Gesetzesmaterialien lässt sich entnehmen, dass es sich hierbei um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers handelte.66 Damit darf die Entscheidung für die Durchführung einer Bürgerbefragung nicht im Wege eines Satzungs63 So in Bezug auf die niedersächsische Regelung Thiele, NKomVG, § 35 unter 2.; Wefelmeier, in: Blum/Häusler/Meyer, NKomVG, § 35 Rn. 4; Wefelmeier, in: Blum/ Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 8. 64 § 93 Abs. 3 S. 1 NKomVG; siehe hierzu 5. Teil § 9 I. 65 Siehe hierzu 5. Teil § 4. 66 Schriftlicher Bericht zum Entwurf eines Gesetzes zur Zusammenfassung und Modernisierung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 16/3147, S. 15.
§ 3 Die Form der Entscheidung
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erlasses erfolgen.67 Dieses Ergebnis folgt bereits daraus, dass die niedersächsische Kommunalverfassung einem Orts- bzw. Stadtbezirksrat keine Befugnis zum Erlass einer Satzung einräumt.68 Nach § 58 Abs. 1 Nr. 5 NKomVG darf lediglich eine Vertretungskörperschaft Satzungen erlassen. Der Orts- bzw. Stadtbezirksrat hat die Einzelheiten zur Durchführung einer Bürgerbefragung vielmehr durch einfachen Beschluss zu bestimmen.69
II. Rechtslage in Schleswig-Holstein Demgegenüber sieht die schleswig-holsteinische Regelung zur Durchführung von Einwohnerbefragungen keine Pflicht zum Erlass einer Satzung vor. Vielmehr findet Erwähnung, dass „das Nähere“ in Bezug auf die Durchführung von Einwohnerbefragungen durch die Geschäftsordnung geregelt wird.70 Entsprechend der bereits erörterten Auslegung der gesetzlichen Regelungen in Niedersachsen und im Saarland kann auch diese Regelung nur dahingehend interpretiert werden, dass die Vorschrift als Verpflichtung zur Regelung der Einzelheiten innerhalb der jeweiligen Geschäftsordnung zu verstehen ist. Weiterhin kann diese Vorschrift nur in einer Weise verstanden werden, dass die Pflicht zur Regelung der Einzelheiten zur Durchführung von Einwohnerbefragungen nur für den Fall greift, dass eine Vertretungskörperschaft die Durchführung einer Befragung beabsichtigt. Auch in Schleswig-Holstein besteht damit keine Pflicht zum Erlass entsprechender Geschäftsordnungsbestimmungen auf Vorrat. Anders als im Rahmen der Auslegung der Vorschriften in Niedersachsen und im Saarland stellt sich in diesem Zusammenhang jedoch nicht die Frage, auf welche Art und Weise dieser Verpflichtung von Seiten einer Vertretungskörperschaft nachgekommen werden muss. Beabsichtigt eine Vertretungskörperschaft die Durchführung einer Einwohnerbefragung, hat sie im Vorfeld der Befragung die Einzelheiten in Bezug auf die Durchführung der Befragung in die jeweilige Geschäftsordnung aufzunehmen. In Bezug auf den Inhalt der Geschäftsordnungsbestimmungen besteht wie auch in Niedersachsen und im Saarland ein Ermessen. Unabhängig dieser insoweit unstreitigen Auslegung der gesetzlichen Regelung stellt sich jedoch die Frage, warum der schleswig-holsteinische Gesetzgeber in diesem Zusammenhang die Geschäftsordnung71 und nicht eine gemeindliche Satzung als dasjenige Medium auserwählt hat, in dem die Einzelheiten zur Durchführung einer Einwohnerbefragung zu regeln sind. Eine Geschäftsordnung regelt 67
So aber wohl Thiele, NKomVG, § 93 unter 5. Darauf verweisen auch Blum/Häusler/Meyer, NKomVG, § 93 Rn. 22. 69 So auch Blum/Häusler/Meyer, NKomVG, § 93 Rn. 22; a. A. Thiele, NKomVG, § 93 unter 5. 70 § 16c Abs. 4 SHGO. 71 Vgl. hierzu ausführlich Schmidt-Aßmann, Die kommunale Rechtsetzung, S. 33 ff.; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 7 Rn. 3 ff. 68
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
die inneren Angelegenheiten72 und damit die innere Organisation einer Vertretungskörperschaft und den Ablauf ihrer Meinungs- und Willensbildung73. Die Bestimmungen einer Geschäftsordnung konkretisieren die organschaftlichen Mitgliedschaftsrechte74 und regeln damit im Unterscheid zu anderen ortsrechtlichen Bestimmungen wie beispielsweise Satzungsregelungen nicht das Verhältnis zwischen Staat und Bürger75. Vor diesem Hintergrund verwundert es zunächst, dass die gesetzliche Regelung eine Pflicht zur Regelung der Einzelheiten zur Durchführung von Einwohnerbefragungen in der Geschäftsordnung vorsieht. Dies gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass in der schleswig-holsteinischen Kommunalverfassung beispielsweise im Rahmen der Vorschrift über die Durchführung von Einwohnerversammlungen76 geregelt ist, dass „das Nähere“ hierzu in der jeweiligen Hauptsatzung und damit nicht in der Geschäftsordnung zu regeln ist. Jedoch ist anerkannt, dass eine Vertretungskörperschaft unter bestimmten Voraussetzungen auch Außenrechtssätze wie beispielsweise Regelungen zur Bürgerbeteiligung in die Geschäftsordnung aufnehmen darf.77 Da es sich hierbei jedoch nicht um Regelungen handelt, deren Schwerpunkt die Regelung innerer Angelegenheiten einer Vertretungskörperschaft betrifft und die damit eigentlich nicht Niederschlag in einer Geschäftsordnung finden dürften, muss in diesem Fall die jeweilige Geschäftsordnung in Satzungsform erlassen werden.78 Dass Geschäftsordnungen auch in Form gemeindlicher Satzungen erlassen werden können, ist allgemein anerkannt.79 In diesem Fall handelt es sich bei den Regelungen der jeweiligen Geschäftsordnung jedoch nicht mehr um bloßes Innenrecht, da nicht lediglich die Rechte und Pflichten der Mitglieder der jeweiligen Vertretungskörperschaft geregelt werden.80
72 So die ausdrückliche Formulierung in § 36 Abs. 2 BWGO; § 60 Abs. 1 S. 1 HessGO; § 22 Abs. 6 MVKVerf; § 38 Abs. 2 SächsGO; § 51a LSAGO; § 34 Abs. 2 SHGO. 73 BVerwG, Beschluss vom 15.09.1987 – 7 N 1/87 –, NVwZ 1988, 1119, 1120; vgl. auch Schmidt-Aßmann, Die kommunale Rechtsetzung, S. 33. 74 Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 261. 75 BVerwG, Beschluss vom 15.09.1987 – 7 N 1/87 –, NVwZ 1988, 1119, 1120. 76 § 16b Abs. 3 SHGO. 77 Lange, Kommunalrecht, Kapitel 7 Rn. 25; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 261; vgl. auch Ehlers, in: Mann/Püttner, HKWP, Bd. I, § 21 Rn. 46. 78 Lange, Kommunalrecht, Kapitel 7 Rn. 25; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 261. 79 HessVGH, Urteil vom 07.06.1977 – II OE 95/75 –, DVBl. 1978, 821, 822; Ehlers, in: Mann/Püttner, HKWP, Bd. I, § 21 Rn. 46; Schmidt-Aßmann, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Kapitel 1 Rn. 64; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 7 Rn. 14; Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, Rn. 270. 80 Lange, Kommunalrecht, Kapitel 7 Rn. 7.
§ 4 Auferlegung einer freiwilligen Selbstverpflichtung
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§ 4 Auferlegung einer freiwilligen Selbstverpflichtung Bereits zu Beginn dieser Arbeit wurde das Wesen des Instruments der Bürgerbzw. Einwohnerbefragung damit beschrieben, dass dem Befragungsergebnis für eine Vertretungskörperschaft keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt.81 Im Folgenden gilt es nun zu erörtern, ob eine Vertretungskörperschaft bei der rechtlichen Ausgestaltung der Durchführung einer Befragung von diesem Grundsatz insoweit abweichen darf, als dass sie sich dazu verpflichtet, dem Ergebnis der Befragung bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen Folge zu leisten. Durch die Auferlegung einer solchen sog. freiwilligen Selbstverpflichtung umginge eine Vertretungskörperschaft die sich aus den gesetzlichen Regelungen ergebende bzw. abzuleitende Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses. Durch die Auferlegung einer freiwilligen Selbstverpflichtung wahrte eine Vertretungskörperschaft den Charakter einer kommunalen Befragung als eine im Ergebnis unverbindliche Befragung, verpflichtete sich jedoch gleichzeitig unter bestimmten Umständen zur Befolgung des Befragungsergebnisses. Die ohnehin schon bestehende Nähe zwischen dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung und dem Instrument des Bürgerentscheids82 erführe auf diese Weise eine erhebliche Schmälerung und würde damit nahezu konterkartiert werden. Die Auferlegung einer freiwilligen Selbstverpflichtung birgt für eine Vertretungskörperschaft demgegenüber jedoch den Vorteil, dass sich dadurch das Interesse der Bürger bzw. Einwohner an einer Befragung merklich vergrößern dürfte, was wiederum im Vergleich zu einer Befragung, die ohne eine derartige freiwillige Selbstverpflichtung einer Vertretungskörperschaft durchgeführt wird, zu einer höheren Befragungsbeteiligung führen dürfte.83 Wird nämlich dem Teilnehmerkreis einer kommunalen Befragung signalisiert, dass eine hohe Teilnahme an der Befragung insoweit honoriert wird, als dass diese unter Umständen die Bindungswirkung des Befragungsergebnisses zur Folge haben kann, dürfte dies mehr Bürger bzw. Einwohner zur Teilnahme an einer Befragung motivieren als bei einer Befragung, bei der eine solche Selbstverpflichtung nicht besteht.84 Die Möglichkeit der Verbindlichkeit des Befragungsergebnisses für eine Vertretungskörperschaft lässt aus Sicht der Bürger bzw. Einwohner die Befragung in einem anderen Licht erscheinen und wertet diese aus partizipatorischen Gesichtspunkten deutlich auf. Indes führen diese durchaus nachvollziehbaren praktischen sowie rechtspolitischen Erwägungen nicht zu einem Dispens von etwaigen ein-
81
Siehe hierzu bereits 2. Teil § 1 I. So ausdrücklich auch Wohlfarth, in: Kost, Direkte Demokratie, S. 241. 83 Vgl. auch Ziekow, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentages 2012, Bd. I, S. 80. 84 Vgl. in Bezug auf konsultative Befragungen auf Bundes- bzw. Landesebene Jürgens, Direkte Demokratie, S. 237. 82
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
schränkenden gesetzlichen Bestimmungen. Im Gegenteil: Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, ist ein solches Vorgehen einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft rechtswidrig.
I. Praktische Relevanz Aus der Praxis der bisher durchgeführten Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen sind einige Fälle bekannt, in denen sich eine Vertretungskörperschaft eine freiwillige Selbstverpflichtung auferlegt hat. Als Beispiel für die Auferlegung einer Selbstverpflichtung soll zunächst die in Köln im Jahr 2011 durchgeführte Einwohnerbefragung zum Ausbau des Godorfer Hafens dienen.85 Vor Durchführung der Befragung verpflichtete sich die Vertretungskörperschaft der Stadt Köln auf einer freiwilligen Basis zur Befolgung des Befragungsergebnisses, sofern aus der Befragung eine Mehrheit hervorgeht, für die mindestens 10 Prozent der teilnahmeberechtigten Einwohner gestimmt haben.86 Für den Fall des Nichterreichens dieses Quorums gelte in der Gesamtthematik der Zustand vor dem Beschluss der Vertretungskörperschaft zur Befragung.87 Die Vertretungskörperschaft begründete die auferlegte Selbstverpflichtung damit, dass das Befragungsergebnis „eine politische Bindungswirkung in Hinsicht auf den Fortbestand eines bestehenden Ratsbeschlusses“ entfalte.88 Aus verfassungsrechtlicher wie kommunalverfassungsrechtlicher Sicht sei daher ein Quorum erforderlich, aus dem sich „repräsentativ und verlässlich“ die Willensbildung der Einwohnerschaft herleiten lasse.89 Um einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip sowie den Grundsatz der repräsentativen Demokratie zu vermeiden, sei es erforderlich, dass das Befragungsergebnis den mehrheitlichen Willen der Einwohner wiedergebe.90 Eine Beeinträchtigung des Grundsatzes des freien Mandats könne darin nach Auffassung der Vertretungskörperschaft nicht erblickt werden, denn trotz der Selbstverpflichtung sei jedes Mitglied der Vertretungskörperschaft in seiner Entscheidung frei, ob es sich der Verpflichtung anschließen möchte oder nicht.91 Diese Entscheidung wurde von Teilen der Opposition stark kritisiert, da in einem solchen Vor-
85
Siehe hierzu bereits 2. Teil § 2 III. 3. Vgl. die Niederschrift des Beschlusses des Rats vom 01.03.2011, S. 26, abrufbar unter http://ratsinformation.stadt-koeln.de/getfile.asp. 87 Beschlussvorlage zur Bürgerbefragung zum weiteren Ausbau des Godorfer Hafens, Vorlage-Nr. 0575/2011, S. 5. 88 Beschlussvorlage zur Bürgerbefragung zum weiteren Ausbau des Godorfer Hafens, Vorlage-Nr. 0575/2011, S. 5. 89 Beschlussvorlage zur Bürgerbefragung zum weiteren Ausbau des Godorfer Hafens, Vorlage-Nr. 0575/2011, S. 5. 90 Beschlussvorlage zur Bürgerbefragung zum weiteren Ausbau des Godorfer Hafens, Vorlage-Nr. 0575/2011, S. 5. 91 Beschlussvorlage zur Bürgerbefragung zum weiteren Ausbau des Godorfer Hafens, Vorlage-Nr. 0575/2011, S. 5. 86
§ 4 Auferlegung einer freiwilligen Selbstverpflichtung
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gehen ein Verstoß gegen die Kommunalverfassung zu sehen sei.92 Diese Sichtweise wurde mit Hinweis auf ein in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten begründet.93 Ferner legte sich auch die Vertretungskörperschaft der saarländischen Gemeinde Ensdorf im Vorfeld der Durchführung der Einwohnerbefragung zum Kraftwerksneubau in Ensdorf auf die Befolgung des Befragungsergebnisses fest, sofern zwei Drittel der Befragungsberechtigten an der Befragung teilnehmen sollten.94 Auch die Vertretungskörperschaft der Stadt Remscheid verpflichtete sich im Vorfeld einer Bürgerbefragung zur Befolgung des Befragungsergebnisses, sofern sich in der Befragung eine Mehrheit ergibt, die mindestens 10 Prozent der Stimmberechtigten beträgt.95 Ein solches Vorgehen ließ sich auch bei der erst jüngst durchgeführten Bürgerbefragung in der bayrischen Gemeinde Büchenbach erkennen.96 Auch im Vorfeld dieser Befragung verpflichtete sich die Vertretungskörperschaft von Büchenbach, dem Mehrheitsvotum der Bürger Folge zu leisten.97
II. Rechtliche Wirkungen Bevor auf die Frage der rechtlichen Zulässigkeit der Auferlegung einer freiwilligen Selbstverpflichtung einer Vertretungskörperschaft eingegangen werden kann, soll der Blick zunächst auf die Frage der rechtlichen Wirkungen einer solchen Selbstverpflichtung gerichtet werden. In diesem Zusammenhang soll auf den bereits an anderer Stelle der Arbeit erwähnten Grundsatz des freien Mandats Bezug genommen werden, der auch für Mitglieder einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft Anwendung findet.98 Nach diesem Grundsatz sind Mitglieder 92 Vgl. die Pressemitteilung der CDU Köln, abrufbar unter http://www.cdu-koeln.de/ home/aktuelle-meldungen/582-rechtsgutachten-buergerbefragung-verstoesst-gegen-ge meindeordnung (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 93 Das Rechtsgutachten führte hierzu wörtlich aus: „Der angestrebte Beschluss über eine Befragung der Bürgerinnen und Bürger verbunden mit einer freiwilligen Selbstverpflichtung des Rates, an diesen im Fall eines bestimmten Quorums gebunden zu sein, begegnet erheblichen rechtlichen Bedenken und dürfte – soweit dadurch tatsächlich eine Bindung des Rates durch den Beschluss eintreten soll – unzulässig sein. Dann würde der vorgeschlagene Beschluss des Rates gegen Paragraph 26 Absatz 5 der Gemeindeordnung des Landes NRW verstoßen“, abrufbar auf der Homepage der CDU Köln unter http://www.cdu-koeln.de/home/aktuelle-meldungen/582-rechtsgutachten-buergerbefra gung-verstoesst-gegen-gemeindeordnung (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 94 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 2 II. 3. 95 Vgl. hierzu die Informationen der Stadt Remscheid, abrufbar unter http://ratsin fo.remscheid.de/sessionnet/bi/vo0050.php?__kvonr=1243 (zuletzt abgerufen am 27.01. 2015). 96 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 2 I. 97 Vgl. hierzu den am 14.11.2013 erschienenen Artikel auf nordbayern.de, abrufbar unter http://www.nordbayern.de/region/schwabach/nachtabschaltung-der-strassenlam pen-burger-entscheiden-1.3277652 (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 98 Siehe hierzu bereits 4. Teil § 1 II.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
einer Vertretungskörperschaft nur ihrem Wissen und Gewissen verpflichtet und an Weisungen und Aufträge gerade nicht gebunden. Vor diesem Hintergrund kann das Ergebnis auf die eingangs gestellte Frage nur lauten, dass einer freiwilligen Selbstverpflichtung jegliche Form von Verbindlichkeit für die Mitglieder einer Vertretungskörperschaft abgesprochen werden muss.99 Sofern sich die Mitglieder einer Vertretungskörperschaft verpflichten, unter bestimmten Voraussetzungen dem Ergebnis einer kommunalen Befragung bei kommenden Entscheidungen Folge zu leisten, ändert dies nichts daran, dass auch bei zukünftigen Entscheidungen jedes dieser Mitglieder der Vertretungskörperschaft in seiner Entscheidung vollkommen frei ist und somit auch eine Position vertreten darf, die nicht dem jeweiligen Mehrheitsvotum der Befragung entspricht.100 Auch die Bezirksregierung Köln als Kommunalaufsichtsbehörde kam im Rahmen der Kölner Befragung zum Hafenausbau zu dem Ergebnis, dass eine freiwillige Selbstverpflichtung im Ergebnis wirkungslos sei, da die Verpflichtung eines Mitglieds einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft mit dem Grundsatz des freien Mandats nicht vereinbar sei.101
III. Zulässigkeit Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob sich Mitglieder gemeindlicher Vertretungskörperschaften dennoch eine freiwillige Selbstverpflichtung auferlegen dürfen. Es geht damit um die Frage, ob ein solches Vorgehen überhaupt als rechtlich zulässig angesehen werden kann. Die Beantwortung dieser Frage hat anzusetzen am Wortlaut der gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen. Da zumindest die gesetzlichen Regelungen in Niedersachsen und im Saarland die Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses nicht ausdrücklich vorschreiben102, könnte insoweit argumentiert werden, dass beide Gesetzgeber durch diesen Verzicht einer ausdrücklichen Anordnung der Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses die Entscheidung über eine etwaige Verbindlichkeit des Befragungsergebnisses den gemeindlichen Vertretungskörperschaften überlassen wollten. Untermauert werden könnte diese Sichtweise durchaus mit dem Hinweis auf die von beiden Gesetzgebern geregelten Ermächtigungen zum Satzungserlass. Gegen eine solche Sichtweise spricht jedoch, dass beide Gesetzgeber bei der Schaffung der Vorschriften ersichtlich vom Leitbild eines unverbindlichen Befra-
99
Vgl. Badura, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, GG, Bd. VII, Art. 38 Rn. 55. So auch Woellner, in: Muth, Potsdamer Kommentar, BbgKVerf, § 13 Rn. 54. 101 Vgl. die Presseinformation 041/2011 der Bezirksregierung Köln vom 17.05.2011, freundlicherweise zur Verfügung gestellt von der Bezirksregierung Köln. 102 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 1 I. 100
§ 4 Auferlegung einer freiwilligen Selbstverpflichtung
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gungsergebnisses ausgingen. Dies wurde an anderer Stellt dieser Arbeit bereits ausführlich dargelegt.103 Demgegenüber enthält die schleswig-holsteinische Regelung zur Durchführung von Einwohnerbefragungen eine ausdrückliche Regelung der Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses. Damit spricht bereits die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung in den genannten drei Bundesländern dafür, dass es einer Vertretungskörperschaft nicht erlaubt ist, das Ergebnis einer Befragung unter bestimmten Umständen für verbindlich zu erklären. Auf diese Weise würde dem Leitbild der gesetzlichen Regelungen widersprochen werden. Eine gegenteilige Auffassung in dieser Frage vertrat indes die Bezirksregierung Köln im Zusammenhang mit der Durchführung der Bürgerbefragung in Köln. Ihrer Meinung nach könne nicht von einer Unzulässigkeit einer freiwilligen Selbstverpflichtung ausgegangen werden, da diese für die Mitglieder einer Vertretungskörperschaft ja gerade keine verpflichtende Wirkung entfalte.104 Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Durch die Auferlegung einer Selbstverpflichtung wird den Befragungsteilnehmern etwas versprochen, was aus den bereits dargelegten Gründen rechtlich nicht durchsetzbar ist. Eine im Vorfeld der Befragung öffentlich kommunizierte freiwillige Selbstverpflichtung dürfte unweigerlich zu einer stärkerer Mobilisierung der Bürger bzw. Einwohner führen und damit mehr Personen zur Teilnahme an der jeweiligen Abstimmung bewegen, als dies bei einer kommunalen Befragung ohne entsprechende Selbstverpflichtung der Fall wäre. Eine solche Vorspiegelung falscher Tatsachen ist jedoch unlauter und kann keinesfalls von der Rechtsordnung gebilligt werden. Überdies dürfte die Unzulässigkeit der Auferlegung einer freiwilligen Selbstverpflichtung auch daraus folgen, dass auf diese Weise eine Umgehung der bestehenden gesetzlichen Regelungen über die Durchführung von Ratsbegehren105 stattfände. Sofern sich eine Vertretungskörperschaft im Rahmen der Durchführung einer kommunalen Befragung eine freiwillige Selbstverpflichtung auferlegt, entspricht die durchgeführte Bürger- bzw. Einwohnerbefragung faktisch einem Bürgerentscheid, der im Wege eines Beschlusses einer Vertretungskörperschaft initiiert wird. An den Beschluss zur Durchführung eines im Wege eines Ratsbegehrens initiierten Bürgerentscheids sowie in Bezug auf die zulässigen Angelegenheiten eines Bürgerentscheids sind jedoch im Vergleich zu dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung teilweise höhere rechtliche Anforderungen gestellt.106 103
Siehe hierzu bereits 2. Teil § 1 I. Vgl. die Presseinformation 041/2011 der Bezirksregierung Köln vom 17.05.2011, freundlicherweise zur Verfügung gestellt von der Bezirksregierung Köln. 105 Siehe hierzu bereits 3. Teil § 2 IV. 3. 106 Siehe zu der vergleichbaren Argumentation im Rahmen der Frage, ob durch die Durchführung kommunaler Befragungen eine Umgehung der Vorschriften über die Durchführung von Ratsbegehren vorliegt, 4. Teil § 2 X. 2. b); insoweit findet vorliegend ein Erst-Recht-Schluss Anwendung. 104
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
Die Unzulässigkeit einer freiwilligen Selbstverpflichtung folgt überdies auch daraus, dass in der Praxis eine Befolgung der Selbstverpflichtung durch Mitglieder einer Vertretungskörperschaft trotz rechtlicher Unverbindlichkeit durchaus denkbar erscheint. Insoweit kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass Mitglieder einer Vertretungskörperschaft keine Kenntnis von der tatsächlichen Rechtslage haben und damit entgegen der tatsächlichen Rechtslage die auferlegte Selbstverpflichtung für verbindlich halten. Der Eintritt einer solchen Situation lässt sich nur dadurch vermeiden, dass bereits die Möglichkeit zur Auferlegung einer Selbstverpflichtung dadurch unterbunden wird, dass sie als rechtlich unzulässig qualifiziert wird. Selbst unter der Annahme, dass die Mitglieder einer Vertretungskörperschaft Kenntnis von der tatsächlichen Rechtslage und damit von der Unverbindlichkeit der Selbstverpflichtung haben, muss der erhebliche faktische Druck Beachtung finden, der von einer auferlegten Selbstverpflichtung für Mitglieder einer Vertretungskörperschaft ausgeht oder zumindest ausgehen kann. Das Bestehen einer solchen Drucksituation muss zwingend im Rahmen der Frage der Zulässigkeit einer Selbstverpflichtung Beachtung finden.107 Eine vergleichbare Argumentation hat auch das Oberverwaltungsgericht Koblenz in einem Urteil vorgebracht, bei dem es um die Anfechtung von Ortbeiratswahlen ging.108 Im Vorfeld dieser Wahlen hatten die in der Vertretungskörperschaft vertretenen politischen Gruppen und Fraktionen vereinbart, dass die Wahlentscheidung der Mitglieder sich an einer vorher durchgeführten Bürgerbefragung zu orientieren habe. Bei der Abstimmung folgte tatsächlich die Mehrheit der Mitglieder der Vertretungskörperschaft dem Ergebnis der Befragung. Das Gericht sah in dieser Vereinbarung eine Verletzung des in der Kommunalverfassung109 geregelten Grundsatzes des freien Mandats und erklärte die vereinbarte Selbstverpflichtung für unzulässig.110 Darüber hinaus erklärte das Gericht auch die aufgrund der unzulässigen Selbstverpflichtung vorgenommene Abstimmung für unwirksam.111 Das Gericht begründete seine Auffassung damit, dass „bei lebensnaher Betrachtung“ nicht bezweifelt werden könne, dass die Selbstverpflichtung und der durch die Befragung erzeugte Druck geeignet gewesen ist, eine Bindung an das Ergebnis der Befragung herbeizuführen.112 Eine solche Bindung
107 In diese Richtung argumentierend wohl auch Bätge, in: Bogner, Beratungs- und Beschlussfassungsverfahren, S. 67. 108 OVG Koblenz, Urteil vom 15.01.1991 – Az. 7 A 11123/90 –, NVwZ-RR 1991, 500 ff. 109 § 30 Abs. 1 RhPfGO. 110 OVG Koblenz, Urteil vom 15.01.1991 – Az. 7 A 11123/90 –, NVwZ-RR 1991, 500, 501 f. 111 OVG Koblenz, Urteil vom 15.01.1991 – Az. 7 A 11123/90 –, NVwZ-RR 1991, 500, 502. 112 OVG Koblenz, Urteil vom 15.01.1991 – Az. 7 A 11123/90 –, NVwZ-RR 1991, 500, 502.
§ 5 Das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit
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solle aber gerade durch das Prinzip des freien Mandats verhindert werden.113 Im Ergebnis müsse nämlich jedes sich nicht an die Selbstverpflichtung haltende Mitglied der Vertretungskörperschaft nicht nur mit dem „öffentlichen, politisch schwer belastenden Verdikt einer Missachtung des klar und eindeutig geäußerten Bürgerwillens“ rechnen, sondern überdies auch mit dem „internen, moralisch abwertenden Vorwurf unsolidarischen Bruchs“ der getroffenen Vereinbarung.114 Vereinzelt wird in diesem Zusammenhang von Seiten der Literatur eine differenzierte Betrachtungsweise an den Tag gelegt, wonach die Zulässigkeit einer freiwilligen Selbstverpflichtung von dem konkreten Inhalt der Vereinbarung abhänge und daher lediglich eine Vereinbarung dahingehend zulässig sei, dass das Befragungsergebnis umfassende Berücksichtigung bei der Entscheidung zu finden habe.115 Ein solcher Ansatz ist jedoch im Rahmen der Beantwortung der vorliegenden Frage wenig zielführend. Eine Vereinbarung in der geforderten Form, die unzweifelhaft rechtlich zulässig ist, hat keine Berührungspunkte mit der im hiesigen Zusammenhang interessierenden freiwilligen Selbstverpflichtung einer Vertretungskörperschaft, sondern stellt vielmehr den Normalfall kommunaler Befragungen dar. Der Sinn und Zweck des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung besteht gerade darin, dass eine Vertretungskörperschaft sich ein Meinungsbild von der Bürger- bzw. Einwohnerschaft in Bezug auf eine bestimmte Angelegenheit einholt und dieses im Rahmen der Entscheidungsfindung berücksichtigt. Festgehalten werden kann damit, dass ungeachtet nicht vorhandener rechtlicher Wirkungen einer freiwilligen Selbstverpflichtung bereits die Auferlegung einer solchen Selbstverpflichtung unzulässig ist.
§ 5 Das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Weiterhin stellt sich die Frage, ob der Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen etwaige gemeindehaushaltsrechtliche Aspekte116 entgegenstehen können. Unbestritten sein dürfte nämlich, dass mit der Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung eine erhebliche finanzielle Belastung der jeweiligen Gemeinde einhergeht, die der Belastung im Rahmen einer Kommunalwahl bzw. eines Bürgerentscheids entsprechen dürfte.117 So mussten beispiels113 OVG Koblenz, Urteil vom 15.01.1991 – Az. 7 A 11123/90 –, NVwZ-RR 1991, 500, 502. 114 OVG Koblenz, Urteil vom 15.01.1991 – Az. 7 A 11123/90 –, NVwZ-RR 1991, 500, 502. 115 So Bätge, in: Bogner, Beratungs- und Beschlussfassungsverfahren, S. 66 f. 116 Vgl. hierzu auch die umfassende Darstellung zum Gemeindehaushaltsrecht bei Lange, Kommunalrecht, Kapitel 16. 117 Darauf verweist auch Wohlfarth, in: Kost, Direkte Demokratie, S. 241.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
weise von der Stadt Köln für die Durchführung der Einwohnerbefragung in Köln zum Ausbau des Godorfer Hafens118 Aufwendungen in Höhe von über einer Millionen Euro getätigt werden. Auch die Kosten für die Durchführung der Bürgerbefragung in Braunschweig beliefen sich auf ca. 200.000 Euro.119 Insoweit stellt sich die Frage, inwieweit eine Vertretungskörperschaft im Rahmen der Entscheidung für die Durchführung einer kommunalen Befragung etwaige haushaltsrechtliche Vorgaben zu berücksichtigen hat und ob sich daraus möglicherweise Grenzen für die Entscheidung zur Durchführung einer kommunalen Befragung ergeben. So wies beispielsweise bereits die Bezirksregierung Hannover im Vorfeld der Bürgerbefragung zur EXPO 2000 darauf hin, dass auch aus Gründen einer etwaigen Verletzung des in der Niedersächsischen Kommunalverfassung verankerten Wirtschaftlichkeits- und Sparsamkeitsgebots kommunalaufsichtsrechtliche Maßnahmen eingeleitet werden könnten.120 Zunächst kann jedoch festgehalten werden, dass einer Vertretungskörperschaft die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen aus gemeindehaushaltsrechtlichen Aspekten nicht im Grundsatz verwehrt werden kann.121 Daher stellt sich lediglich die Frage, ob gemeindehaushaltsrechtliche Aspekte der Durchführung kommunaler Befragungen im Einzelfall Grenzen setzen. Das rechtliche Einfallstor hierfür bildet der in allen Kommunalverfassungen geregelte Haushaltsgrundsatz122 der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit123. Die gemeindlichen Haushaltsgrundsätze sind für die Gemeinden als zwingendes Recht verbindlich und die Beachtung dieser Grundätze kann gerichtlich vollumfänglich überprüft werden.124 Auch in den Kommunalverfassungen von Niedersachsen125, dem Saarland126 und von Schleswig-Holstein127 wird einheitlich geregelt, dass
118
Siehe hierzu bereits 2. Teil § 2 III. 3. Vgl. die Beschlussvorlage des Verwaltungsausschusses des Braunschweiger Rates, Drs. 7549/03, S. 3, abrufbar unter http://gruene-braunschweig.de/wordpress/wpcontent/uploads/Verwaltungsvorlage-Satzung-f%C3%BCr-B%C3%BCrgerbefragungenRat-25.02.03.pdf. 120 Stellungnahme der Bezirksregierung Hannover, NSt-N 1992, 58. 121 In der Richtung tendierend auch VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 08.04.2008 – 15 L 428/08 –, Rn. 6 (zitiert nach juris). 122 Einen Überblick über alle Haushaltsgrundsätze findet sich bei Lange, Kommunalrecht, Kapitel 16 Rn. 51 ff. 123 § 77 Abs. 2 GOBW; Art. 61 Abs. 2 S. 1 BayGO; § 63 Abs. 2 BbgKVerf; § 92 Abs. 2 HessGO; § 43 Abs. 4 MVKVerf; § 110 Abs. 2 NKomVG; § 75 Abs. 1 S. 2 NWGO; § 93 Abs. 3 RhPfGO; § 82 Abs. 2 SaarlKSVG; § 72 Abs. 2 S. 1 SächsGO; § 90 Abs. 2 LSAGO; § 75 Abs. 2 SHGO; § 53 Abs. 2 S. 1 ThürKO. 124 Lange, Kommunalrecht, Kapitel 16 Rn. 51; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 21.06.1988 – 2 BvR 602/83 –, BVerfGE 78, 331, 342. 125 § 110 Abs. 2 NKomVG. 126 § 82 Abs. 2 SaarlKSVG. 127 § 75 Abs. 2 SHGO. 119
§ 5 Das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit
223
die Haushaltswirtschaft sparsam und wirtschaftlich zu führen ist. In Bezug auf die Auslegung und Anwendung dieser Grundsätze hat sich mittlerweile eine gefestigte Rechtsprechung gebildet. Die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit finden danach nicht nur Anwendung im Rahmen der gemeindlichen Haushaltswirtschaft in ihrer Gesamtheit, sondern sind bei jeder einzelnen Maßnahme einer Gemeinde zu beachten.128 Damit steht fest, dass eine gemeindliche Vertretungskörperschaft auch im Rahmen der Entscheidung über die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung den Haushaltsgrundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten hat. Die entscheidende Frage lautet damit, inwiefern dieser Grundsatz auch der Durchführung einer Befragung im Einzelfall entgegenstehen kann. Die Wirtschaftlichkeit einer Maßnahme bestimmt sich nach dem Verhältnis ihres Nutzens zu ihren Kosten.129 Die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung muss danach als unwirtschaftlich angesehen werden, wenn zwischen dem verfolgten Zweck und den einzusetzenden Mitteln eine ungünstige Relation besteht.130 Der Grundsatz der Sparsamkeit verpflichtet demgegenüber dazu, im Rahmen der Kosten-Nutzen-Ermittlung jeweils die geringsten Kosten zu veranschlagen.131 Jedoch streiten gewichtige Gründe dafür, dass diese Anforderungen an die Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nicht unmittelbar auf die Entscheidung einer Vertretungskörperschaft über die Durchführung einer kommunalen Befragung übertragen werden können. In diesem Zusammenhang hat bereits das Bundesverfassungsgericht in seinem Rastede-Beschluss ausgeführt, dass die Verwaltung „in vielerlei Hinsicht rationeller und billiger“ arbeiten könne, jedoch „die Verfassung [. . .] diesen ökonomischen Erwägungen [. . .] den politisch-demokratischen Gesichtspunkt der Teilnahme der örtlichen Bürgerschaft an der Erledigung ihrer öffentlichen Aufgaben“ entgegensetze und diesem den Vorzug einräume.132 Aus diesen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts folgt, dass die Entscheidung einer Vertretungskörperschaft zur Beteiligung der Bürger bzw. Einwohner im Rahmen einer kommunalen Befragung grundsätzlich höher wiegt als die mit der Durchführung einer Befragung verbundenen finanziellen Aufwendungen.133
128 OVG Münster, Beschluss vom 26.10.1990 – 15 A 1099/87 –, NVwZ-RR 1991, 509, 509; VGH München, Urteil vom 18.03.1998 – 4 B 97.3249 –, NVwZ-RR 1999, 137, 138; VGH Mannheim, Urteil vom 29.11.1982 – 1 S 1415/81 –, VBlBW 1983, 313, 314. 129 Lange, Kommunalrecht, Kapitel 16 Rn. 54. 130 Vgl. VGH München, Urteil vom 18.03.1998 – 4 B 97.3249 –, NVwZ-RR 1999, 137, 138. 131 Lange, Kommunalrecht, Kapitel 16 Rn. 56. 132 BVerfG, Beschluss vom 23.11.1988 – 2 BvR 1619, 1628/83 –, BVerfGE 79, 127, 153. 133 So auch Woellner, in: Muth, Potsdamer Kommentar, BbgKVerf, § 13 Rn. 64.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
Ungeachtet dieser Tatsache muss auch Beachtung finden, dass nach ständiger Rechtsprechung einer Gemeinde im Rahmen der Entscheidung, ob eine geplante Maßnahme mit dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit vereinbar ist, ein weiter Entscheidungsspielraum zukommt.134 Ein solcher Entscheidungsspielraum müsse jeder Gemeinde aufgrund des vom Grundgesetz garantierten kommunalen Selbstverwaltungsrechts zustehen.135 Folglich kann nach Ansicht der Rechtsprechung ein Überschreiten der Schwelle zur Rechtswidrigkeit auch erst dann angenommen werden, wenn eine Gemeinde ihre Entscheidungsbefugnis „in nicht mehr vertretbarer Weise“ 136 ausgeübt habe bzw. wenn die Entscheidung der Gemeinde in Bezug auf die genannten Haushaltsgrundsätze „schlechthin unvereinbar“ 137 sei. Anknüpfend an diese von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze wird auch von Seiten der Literatur teilweise vertreten, dass die Durchführung einer kommunalen Befragung erst dann als nicht mehr zulässig angesehen werden könne, wenn die erforderlichen Aufwendungen außer Verhältnis zur Beteiligung der Bürger- bzw. Einwohnerschaft in der jeweiligen Angelegenheit stünden.138 Ein etwaiges Einschreiten der jeweiligen Rechtsaufsichtsbehörde kommt nach diesen Grundsätzen nur dann in Betracht, wenn die von der Rechtsprechung gesetzten Grenzen von einer Vertretungskörperschaft überschritten wurden. Damit steht gleichzeitig fest, dass eine Rechtsaufsichtsbehörde die Entscheidung einer Gemeinde über die Durchführung einer Befragung nicht bereits aus dem Grund als rechtswidrig beanstanden lassen kann, dass der mit der Befragung verfolgte Zweck der Einholung eines umfassenden Meinungsbildes auch wirtschaftlicher, beispielsweise im Rahmen der Durchführung einer Bürgerumfrage139, hätte erreicht werden können.140 Obgleich dem Ansatz der Rechtsprechung, dass einer Vertretungskörperschaft im Rahmen der Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ein erheblicher Beurteilungsspielraum zugestanden werden muss, im Grund134 BVerfG, Beschluss vom 21.06.1988 – 2 BvR 602/83 –, BVerfGE 78, 331, 342; NWVerfGH, Urteil vom 13.08.1996 – VerfGH 23/94 –, NVwZ-RR 1997, 249, 250; OVG Münster, Beschluss vom 26.10.1990 – 15 A 1099/87 –, NVwZ-RR 1991, 509, 509 m.w. N.; VGH München, Urteil vom 27.05.1992 – 4 B 91.190 –, NVwZ-RR 1993, 373, 375; VGH München, Urteil vom 18.03.1998 – 4 B 97.3249 –, NVwZ-RR 1999, 137, 138; VG Köln, Urteil vom 19.03.2004 – 4 K 3720/03 –, NVwZ 2005, 1341, 1342. 135 Vgl. VGH München, Urteil vom 18.03.1998 – 4 B 97.3249 –, NVwZ-RR 1999, 137, 138. 136 OVG Münster, Beschluss vom 26.10.1990 – 15 A 1099/87 –, NVwZ-RR 1991, 509, 509. 137 VGH München, Urteil vom 27.05.1992 – 4 B 91.190 –, NVwZ-RR 1993, 373, 375; VGH München, Urteil vom 18.03.1998 – 4 B 97.3249 –, NVwZ-RR 1999, 137, 138. 138 Woellner, in: Muth, Potsdamer Kommentar, BbgKVerf, § 13 Rn. 64. 139 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 5 IV. 140 Vgl. VGH München, Urteil vom 27.05.1992 – 4 B 91.190 –, NVwZ-RR 1993, 373, 375; vgl. auch Lange, Kommunalrecht, Kapitel 16 Rn. 55.
§ 6 Gegenständliche Eingrenzung des Anwendungsbereichs
225
satz nur zugestimmt werden kann141, wirft dieser Ansatz aus praktischer Sicht auch Fragen auf. Aus Sicht einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft, die die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung ins Auge fasst, könnte zu Recht die Frage aufgeworfen werden, ab welcher Schwelle von einer „nicht mehr vertretbaren“ bzw. „schlechthin als unvereinbar“ anzusehenden Entscheidung gesprochen werden muss. In dieser Hinsicht geben die sehr weit formulierten Vorgaben der Rechtsprechung keine klare Antwort und werfen damit aus Sicht einer Vertretungskörperschaft mehr Fragen auf, als dass sie den Gemeinden verlässliche Aussagen zu den gemeindehaushaltsrechtlichen Grenzen der Durchführung kommunaler Befragungen an die Hand geben. Beachtung finden muss in diesem Zusammenhang jedoch, dass es bisher soweit ersichtlich noch keine aufsichtsrechtlichen Beanstandungen, die auf einer Verletzung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit beruhten, gegeben hat. Daher kann davon ausgegangen werden, dass alle gewöhnlichen Kosten, die für die Durchführung einer Befragung erforderlich sind, von einer Rechtsaufsichtsbehörde als vertretbar und damit als nicht schlechthin unvereinbar mit dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit angesehen werden.
§ 6 Gegenständliche Eingrenzung des Anwendungsbereichs Weiterhin stellt sich die Frage, zu welchen Angelegenheiten Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen durchgeführt werden dürfen. Im Folgenden gilt es aufzuzeigen, welche Angelegenheiten nach den gesetzlichen Regelungen in Niedersachsen, im Saarland sowie in Schleswig-Holstein kommunalen Befragungen zugänglich sind. Es geht dabei um die Frage, ob sich Grenzen in Bezug auf den sachlichen Anwendungsbereich kommunaler Befragungen aus der Verbandskompetenz der Gemeinden und darüber hinaus auch aus der Organkompetenz einer Vertretungskörperschaft ergeben und, bejahendenfalls, wo diese Grenzen zu ziehen sind.
I. Einschränkungen des Anwendungsbereichs durch gemeindliche Verbandskompetenz Zunächst gilt es zu untersuchen, inwiefern die gemeindliche Verbandskompetenz dem sachlichen Anwendungsbereich kommunaler Befragungen Grenzen setzt.142 In diesem Zusammenhang regelt bereits Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG, dass den Gemeinden das Recht zur Erledigung aller Angelegenheiten lediglich inso141
So auch Lange, Kommunalrecht, Kapitel 16 Rn. 55. Vgl. hierzu in Bezug auf Bürgerbegehren und Bürgerentscheid bereits Ossenbühl, in: Seiler, Festschrift Rommel, S. 247, 260. 142
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
weit gewährleistet ist, als dass es sich um Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft handeln muss. Hieran anknüpfend bestimmen auch die gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen, dass Befragungen lediglich zu gemeindlichen Angelegenheiten durchgeführt werden dürfen. Die gesetzliche Regelung in Niedersachsen beschränkt sich dabei auf die Formulierung, dass eine Bürgerbefragung in „Angelegenheiten der Kommune“ 143 von einer Vertretungskörperschaft beschlossen werden kann. Ähnlich der niedersächsischen Regelung sieht auch die saarländische Regelung zur Durchführung von Einwohnerbefragungen eine sachliche Eingrenzung des Befragungsgegenstandes auf „Angelegenheiten der Gemeinde“ 144 vor. Für die Durchführung von Einwohnerbefragungen in Schleswig-Holstein ist insoweit geregelt, dass es sich um „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ 145 handeln muss. Die Tatsache, dass von den Gesetzgebern insoweit unterschiedliche Formulierungen verwendet werden, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei den Begriffen lediglich um Synonyme für Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft handelt.146 Vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Ausgestaltung stellt sich die Frage, welche Konsequenzen hieraus in Bezug auf den sachlichen Anwendungsbereich von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen zu ziehen sind. Insbesondere gilt es zu untersuchen, ob Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen auch zu Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises bzw. zu Auftragsangelegenheiten sowie zu Angelegenheiten, die als Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung anzusehen sind, durchgeführt werden dürfen. Weiterhin stellt sich auch die Frage, ob eine Vertretungskörperschaft kommunale Befragungen zu bundes- bzw. landespolitischen Themen gestattet ist. 1. Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises Keine der drei gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen führt näher aus, was genau unter „Angelegenheiten der Kommune“ 147, „Angelegenheiten der Gemeinde“ 148 bzw. „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ 149 zu verstehen ist. Eine solche Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs ist jedoch bereits aus den Regelungen aller Kommunalverfassungen zur Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden
143 144 145 146 147 148 149
§ 35 S. 1 NKomVG. § 20b Abs. 1 SaarlKSVG. § 16c Abs. 3 S. 1 SHGO. Vgl. Wessels, Rechtliche Beurteilung der Ausnahmetatbestände, S. 242. § 35 S. 1 NKomVG. § 20b Abs. 1 S. 1 SaarlKSVG. § 16c Abs. 3 S. 1 SHGO.
§ 6 Gegenständliche Eingrenzung des Anwendungsbereichs
227
bekannt.150 Auch im Rahmen dieser Regelungen ist auf eine Definition hinsichtlich des Begriffs der Angelegenheiten der Gemeinde verzichtet worden, da der Begriff im Laufe der Jahre insbesondere durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine hinreichende Verfestigung erfahren hat. Das Bundesverfassungsgericht versteht in ständiger Rechtsprechung unter Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft „diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben“ 151. Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen dürfen damit zumindest in Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises durchgeführt werden. Unter Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises werden solche kommunalen Aufgaben verstanden, die bei den Kommunen verbleiben und durch kommunale Organe wahrgenommen werden.152 Der sachliche Anwendungsbereich beschränkt sich dabei nicht lediglich auf die sog. freiwilligen Selbstverwaltungsangelegenheiten, sondern auch auf die sog. pflichtigen Selbstverwaltungsangelegenheiten.153 Überdies hat das Bundesverfassungsgericht in dem Urteil zu den geplanten Volksbefragungen in Hessen154 klargestellt, dass eine gemeindliche Vertretungskörperschaft kommunale Befragungen auch zu solchen Angelegenheiten durchführen dürfe, die zwar über den eigenen Wirkungskreis hinausgehen, die jedoch die jeweilige Gemeinde in besonderer Art und Weise betreffen.155 Es handelt sich dabei also um eine ungeschriebene Zuständigkeit. Diese Zuständigkeit werde nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts erst dann überschritten, wenn eine Gemeinde kommunale Befragungen zu „allgemeinen, überörtlichen, [. . .] hochpolitischen Fragen“ durchführt.156 Dies dürfte dann der Fall sein, wenn die Befragung eine Angelegenheit zum Gegenstand hat, die zwar auch die jeweilige Gemeinde betrifft, darüber hinaus jedoch auch weitere Gemeinden sowie die Allgemeinheit.157 2. Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung Weiterhin stellt sich die Frage, ob Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen auch zu sog. Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung durchgeführt werden dürfen. 150 Vgl. hierzu auch Schröder, in: Achterberg/Püttner, Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 8 (Rn. 13). 151 Vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 23.11.1988 – 2 BvR 1619, 1628/83 –, BVerfGE 79, 127, 151. 152 Vgl. nur Schmidt, Kommunalrecht, Rn. 230. 153 Vgl. hierzu nur Tettinger/Erbguth/Mann, Besonderes Verwaltungsrecht, § 5 Rn. 197 ff.; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 11 Rn. 7 ff. 154 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 4. 155 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 122, 134. 156 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 122, 134. 157 Vgl. BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 122, 134.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
Die Kommunalverfassungen derjenigen Länder, die in Bezug auf die gemeindlichen Aufgaben dem sog. monistischen Modell des Weinheimer Entwurfs158 folgen, sehen die Aufgabenkategorie der Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung vor.159 Hierbei handelt es sich um Aufgaben, die zwar ursprünglich staatlicher Natur waren, die jedoch durch die Übertragung auf die Gemeinden von gemeindlichen Organen nunmehr als gemeindliche Aufgaben wahrgenommen werden.160 Diesem monistischen Modell liegt der Gedanke zugrunde, dass die Gemeinden möglichst alle ihr zukommenden Aufgaben in Selbstverwaltung erfüllen sollen.161 Die Wahrnehmung von Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung zeichnet sich dadurch aus, dass zusätzlich zu der Rechtsaufsicht eine Fachaufsicht dergestalt besteht, dass den Gemeinden allgemeine Weisungen der Fachaufsicht erteilt werden können.162 Teilweise findet in den Kommunalverfassungen insoweit ausdrücklich Erwähnung, dass sich die Weisungen auf allgemeine Anordnungen beschränken und damit in der Regel nicht in die Einzelausführung eingreifen sollen.163 Die Fachaufsicht ist damit im Vergleich zu der rechtlichen Situation bei den Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises bzw. bei Auftragsangelegenheiten deutlich abgeschwächt.164 In Bezug auf diejenigen Bundesländer, die das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung bisher gesetzlich geregelt haben, sieht lediglich die Kommunalverfassung in Schleswig-Holstein die Aufgabenkategorie der Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung vor. Niedersachsen und das Saarland folgen nicht dem monistischen, sondern vielmehr dem traditionellen dualistischen Modell mit der damit einhergehenden Unterscheidung zwischen Selbstverwaltungsaufgaben bzw. Aufgaben des eigenen Wirkungskreises und solchen des übertragenen Wirkungskreises bzw. Auftragsangelegenheiten. Daher stellt sich in Bezug auf Niedersachsen und das Saarland auch nicht die Frage, ob Pflichtaufgaben zur
158 Vgl. zu den unterschiedlichen gemeindlichen Aufgabenmodellen Dehmel, Übertragener Wirkungskreis, S. 37 ff.; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 11 Rn. 2 ff.; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 227 ff.; Knemeyer, DÖV 1988, 397 ff.; Pagenkopf, Kommunalrecht, Bd. I, S. 168 ff.; Püttner, Kommunalrecht BW, Rn. 324 ff.; Stober, Kommunalrecht, S. 32 ff.; Vietmeier, DVBl. 1993, 190 ff. 159 § 2 Abs. 3 BWGO; § 2 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 2, 3 BbgKVerf; § 4 Abs. 1 HessGO; § 3 Abs. 1 MVKVerf; § 3 Abs. 2 NWGO; § 2 Abs. 3 SächsGO; § 3 Abs. 1 SHGO. 160 Schmidt, Kommunalrecht, Rn. 236. 161 Schmidt, Kommunalrecht, Rn. 235. 162 Schmidt, Kommunalrecht, Rn. 237; vgl. auch § 2 Abs. 3 Hs. 2 BWGO; § 2 Abs. 4 S. 2, 3 BbgKVerf; § 4 Abs. 1 S. 1, 2 HessGO; § 3 Abs. 1 MVKVerf; § 3 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 NWGO; § 2 Abs. 3 S. 2, 3 SächsGO; § 3 Abs. 1 SHGO. 163 § 4 Abs. 1 S. 2 HessGO; § 2 Abs. 3 S. 3 SächsGO; vgl. auch § 3 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 NWGO, wonach der Umfang des Weisungsrechts in der Regel zu begrenzen ist. 164 Schmidt, Kommunalrecht, Rn. 237.
§ 6 Gegenständliche Eingrenzung des Anwendungsbereichs
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Erfüllung nach Weisung zulässiger Gegenstand von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen sein können. Die schleswig-holsteinische Kommunalverfassung regelt insoweit, dass den Gemeinden durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes durch Verordnung Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung übertragen werden können.165 Da jedoch die Vorschrift zur Durchführung von Einwohnerbefragungen insoweit lediglich vorschreibt, dass Befragungsgegenstand eine „Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft“ 166 sein muss, steht und fällt die Beantwortung der Frage, ob die Kommunalverfassung in Schleswig-Holstein die Durchführung von Einwohnerbefragungen zu Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung zulässt, mit der rechtlichen Qualifizierung dieser Aufgabenkategorie. Seit langer Zeit besteht in der Rechtsprechung und Literatur Uneinigkeit darüber167, ob es sich bei der Aufgabenkategorie der Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung um Aufgaben des eigenen Wirkungskreises, um Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises und damit um staatliche Aufgaben oder aber um kommunale Aufgaben eigener Art handelt. Folgt man hier der Auffassung, dass es sich bei den Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung um Selbstverwaltungsaufgaben handelt, so eröffnet die Kommunalverfassung in Schleswig-Holstein den Weg zur Durchführung von Einwohnerbefragungen zu Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung.168 Damit ist jedoch noch keine Antwort auf die im weiteren Verlauf der Arbeit zu erörternde Frage gegeben, ob eine solche Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs auch im Grundsatz im Einklang mit der Rechtsordnung steht.169 3. Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises bzw. Auftragsangelegenheiten Überdies stellt sich die Frage, ob Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen auch in Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises bzw. zu Auftragsangelegenheiten durchgeführt werden dürfen. Diese Aufgabenkategorie ist nur in den Kommunalverfassungen derjenigen Bundesländer vorgesehen, die dem sog. dualistischen Aufgabenmodell folgen.170 In Bezug auf diejenigen Bundesländer, die bisher eine gesetzliche Regelung zur Durchführung kommunaler Befragungen er-
165
§ 3 Abs. 1 SHGO. § 16c Abs. 3 S. 1 SHGO. 167 Vgl. hierzu nur die Nachweise bei Schmidt, Kommunalrecht, Rn. 236; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 11 Rn. 44; Pagenkopf, Kommunalrecht, Bd. I, S. 174 f. 168 A. A. Dehn, in: Bracker/Dehn, SHGO, §16c Rn. 3, der insoweit ausführt, dass Aufgaben zur Erfüllung nach Weisungen „nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift“ Einwohnerbefragungen entzogen seien. 169 Siehe hierzu 5. Teil § 6 I. 4. 170 Art. 8 BayGO; § 6 NKomVG; § 2 Abs. 2 RhPfGO; § 6 SaarlKSVG; § 5 LSAGO; § 3 ThürKO. 166
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
lassen haben, folgen Niedersachsen und das Saarland dem sog. dualistischen Modell. Dieses Aufgabenmodell unterscheidet zwischen Selbstverwaltungsaufgaben auf der einen Seite und Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises bzw. Auftragsangelegenheiten auf der anderen Seite. Dieser Unterscheidung liegt die Vorstellung zugrunde, dass der gesellschaftliche Bereich, dem die Gemeinden zuzuordnen sind, strikt vom staatlichen Bereich getrennt werden muss.171 Unter Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises bzw. Auftragsangelegenheiten versteht man solche Angelegenheiten, die ursprünglich als staatliche Aufgaben konzipiert waren, den Gemeinden jedoch nunmehr übertragen wurden und daher als weiterhin staatliche Aufgaben durch gemeindliche Organe wahrgenommen werden.172 In Niedersachsen werden solche Aufgaben als Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises bezeichnet. Es handelt sich dabei um staatliche Aufgaben, die den Gemeinden durch Rechtsvorschrift auf Grundlage der Niedersächsischen Verfassung173 übertragen werden174 und die die Gemeinden nach Weisung der Fachaufsichtsbehörden ausführen175. Demgegenüber werden solche Aufgaben im Saarland als Auftragsangelegenheiten bezeichnet. Auch hierbei handelt es sich um übertragene staatliche Aufgaben, die die Gemeinden nach Weisung der zuständigen Behörden zu erfüllen haben.176 Bei der Wahrnehmung von Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises bzw. von Auftragsangelegenheiten sind die Gemeinden an staatliche Weisungen sowohl hinsichtlich der Rechtsmäßigkeit wie auch der Zweckmäßigkeit gebunden.177 Im Unterschied zu den Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung besteht bei dieser Aufgabenkategorie ein in alle Einzelheiten gehendes Weisungsrecht.178 Die Frage, ob die Kommunalverfassungen in Niedersachsen und im Saarland die Durchführung kommunaler Befragungen zu Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises bzw. zu Auftragsangelegenheiten zulassen, muss nach der gegenwärtigen Ausgestaltung beider Kommunalverfassungen bejaht werden.179 Die Regelungen beider Kommunalverfassungen bestimmen insoweit, dass kommunale Befragungen lediglich zu gemeindlichen Angelegenheiten durchgeführt werden dürfen. Eine weitere Einschränkung erfolgt nicht. Zu den Angelegenheiten der Gemeinde zählen jedoch nicht nur die gemeindlichen Selbstverwaltungs171
Lange, Kommunalrecht, Kapitel 11 Rn. 3. Schmidt, Kommunalrecht, Rn. 233. 173 Art. 57 Abs. 4 NVerf. 174 § 6 Abs. 1 S. 1 NKomVG. 175 § 6 Abs. 2 S. 1 NKomVG. 176 § 6 Abs. 1 SaarlKSVG. 177 Lange, Kommunalrecht, Kapitel 11 Rn. 30. 178 Vgl. Pagenkopf, Kommunalrecht, Bd. I, S. 172. 179 So auch Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 5; vgl. auch Detjen, Demokratie in der Gemeinde, S. 134; wohl auch Thiele, NKomVG, § 35 unter 1. 172
§ 6 Gegenständliche Eingrenzung des Anwendungsbereichs
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angelegenheiten, sondern vielmehr auch die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises bzw. die Auftragsangelegenheiten.180 Für Niedersachsen folgt dieses Ergebnis bereits aus § 4 S. 1 NKomVG, wonach eine Gemeinde ihre Aufgaben im eigenen und übertragenen Aufgabenkreis erfüllt. Zu den Angelegenheiten der Gemeinde zählen damit beide genannten Aufgabenkreise. Für das Saarland folgt dieses Ergebnis aus den Regelungen in § 5 und § 6 SaarlKSVG. Danach zählen zu den Angelegenheiten der Gemeinde nicht nur Selbstverwaltungsangelegenheiten, sondern vielmehr auch staatliche Auftragsangelegenheiten. Dieses Ergebnis hält auch einer weitergehenden systematischen Betrachtungsweise stand. Nimmt man die kommunalverfassungsrechtlichen Vorschriften über die Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in Niedersachsen und im Saarland in Bezug, wird deutlich, dass auch diese Vorschriften den sachlichen Anwendungsbereich von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden zunächst lediglich auf Angelegenheiten der Gemeinde beschränken.181 Im weiteren Verlauf beider Vorschriften folgt jedoch insoweit eine weitere Einschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs, als dass Gegenstand eines Bürgerbegehrens und Bürgerentscheids nur Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises sein können. Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises werden damit ausdrücklich aus dem sachlichen Anwendungsbereich für die Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden ausgenommen. In Bezug auf Niedersachsen folgt dieses Ergebnis ausdrücklich aus § 32 Abs. 2 S. 1 NKomVG. Für das Saarland bestimmt § 21a Abs. 4 Nr. 8 SaarlKSVG, dass die Durchführung eines Bürgerbegehrens und Bürgerentscheids über solche Angelegenheiten unzulässig ist, für die eine Vertretungskörperschaft keine gesetzliche Zuständigkeit hat. § 34 SaarlKSVG bestimmt insoweit, dass saarländische Vertretungskörperschaften einerseits für Selbstverwaltungsangelegenheiten zuständig sind und bei anderen Angelegenheiten wie Auftragsangelegenheiten nur für den Fall, dass andere gesetzliche Vorschriften dies zulassen. Da jedoch die Vorschriften der saarländischen Kommunalverfassung die Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden zu Auftragsangelegenheiten gerade nicht zulassen, verbleibt es bei der Grundregel des § 59 Abs. 4 SaarlKSVG, wonach der Bürgermeister die der Gemeinde übertragenen Auftragsangelegenheiten erledigt. Im Gegensatz zu dieser rechtlichen Situation im Rahmen von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden haben die Gesetzgeber beider Bundesländer im Rahmen der gesetzlichen Ausgestaltung des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung auf Regelungen verzichtet, die eine vergleichbare Einschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs aussprechen. Vor diesem Hintergrund muss davon ausgegangen werden, dass es sich um eine bewusste Entscheidung beider
180 181
So auch Lange, Kommunalrecht, Kapitel 11 Rn. 32. § 32 Abs. 1 NKomVG; § 21 a Abs. 1 S. 1 SaarlKSVG.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
Gesetzgeber handelt. Damit streiten im Ergebnis auch systematische Erwägungen dafür, dass zu den Angelegenheiten einer Gemeinde, zu denen Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen durchgeführt werden dürfen, neben den Angelegenheiten des eigenen auch solche des übertragenen Wirkungskreises zählen.182 Festgehalten werden kann damit, dass in Bezug auf den sachlichen Anwendungsbereich die gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen deutlich weiter gefasst sind als die gesetzlichen Vorgaben zur Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden.183 Entsprechend den Ausführungen zu den Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung gilt auch hier, dass mit diesem Ergebnis die Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit der Durchführung kommunaler Befragungen zur Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises bzw. Auftragsangelegenheiten nicht beantwortet wurde.184 4. Grundsätzliche Zulässigkeit der Durchführung kommunaler Befragungen zu Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung und Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises bzw. Auftragsangelegenheiten Mit den vorausgegangenen Ausführungen zu der Frage der einfachgesetzlichen Zulässigkeit der Durchführung kommunaler Befragungen zu den genannten Aufgabenkategorien wurde noch keine Aussage dazu getroffen, ob eine solche Vorgehensweise auch im Grundsatz im Einklang mit der Rechtsordnung steht. Es stellt sich damit die Frage, ob gesetzliche Regelungen gemeindlichen Vertretungskörperschaften überhaupt die Durchführung kommunaler Befragungen zu den genannten Aufgabenkategorien erlauben dürfen. Diese Frage muss dahingehend beantwortet werden, dass zumindest erhebliche Zweifel an der grundsätzlichen Zulässigkeit bestehen.185 Beachtung finden muss insoweit, dass es sich ungeachtet der Frage nach der rechtlichen Qualifizierung der Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung bei beiden Aufgabenkategorien um Aufgaben überörtlichen Charakters handelt.186 Insoweit erscheint die Annahme vertretbar, dass eine Vertretungskörperschaft mit der Durchführung kommunaler Befragungen zu solchen Angelegenheiten in die Kompetenz der Landesverwaltung eingreift.187 182
A. A. im Ergebnis Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 595. Das betont in Bezug auf die niedersächsische Regelung auch Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 5. 184 Siehe hierzu im Folgenden 5. Teil § 6 I. 4. 185 Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 595, vertritt insoweit die Auffassung, dass die Durchführung kommunaler Befragungen zu Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises bzw. zu Auftragsangelegenheiten in jedem Fall unzulässig sei. 186 Wessels, Rechtliche Beurteilung der Ausnahmebestände, S. 257; Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 47. 183
§ 6 Gegenständliche Eingrenzung des Anwendungsbereichs
233
Zu den Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises bzw. den Auftragsangelegenheiten zählen beispielsweise die Gefahrenabwehr, die Bauaufsicht, das Gesundheits- und Veterinärwesen, die Überwachung des Straßenverkehrs, die Gewerbeüberwachung, der Umweltschutz sowie der Katastrophenschutz, das Personenstands- und Namenswesen sowie Staatsangehörigkeitsangelegenheiten.188 Auch im Rahmen der Erledigung von Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung werden von den Gemeinden überwiegend solche Aufgaben wahrgenommen, die in denjenigen Bundesländern, die dem dualistischen Modell folgen, als Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises bzw. als Auftragsangelegenheiten anzusehen sind.189 Bereits diese beispielhafte Aufzählung verdeutlicht, dass die Durchführung kommunaler Befragungen zu solchen Themen bereits nicht nur wenig sinnvoll erscheint, sondern darüber hinaus auch rechtlich unzulässig sein dürfte. Bürgerschaftliche Mitwirkung an gemeindlichen Entscheidungen kann nur bei solchen Angelegenheiten als rechtlich zulässig angesehen werden, bei denen eine Gemeinde auch tatsächlich Gestaltungsspielräume besitzt. Nur wenn dies der Fall ist, ist eine Gemeinde in der Lage, auf die Anregungen, Wünsche und Interessen der Bürger einzugehen.190 Vor diesem Hintergrund erscheinen beide Aufgabenkategorien191 als rechtlich ungeeignet, um als Angelegenheiten kommunaler Befragungen in Betracht zu kommen, da in diesem Bereich starke rechtliche Bindungen vorherrschen und die Gemeinden damit in ihrer Gestaltungsfähigkeit stark eingeschränkt sind. Gestaltungsspielräume bestehen damit weitestgehend nicht. Damit spricht bereits der Sinn und Zweck des Instruments der Bürger- und Einwohnerbefragung – die Einholung eines Meinungsbildes der Bürger- bzw. Einwohnerschaft, um auf dieser Grundlage eine Entscheidung in der jeweiligen Sache treffen zu können – gegen die Zulässigkeit der Durchführung einer kommunalen Befragung zu Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung und Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises bzw. Auftragsangelegenheiten. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Tatsache, dass das Weisungsrecht im Rahmen der Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung teilweise unbeschränkt 187 So in Bezug auf rechtliche Situation im Rahmen eines Bürgerentscheids Wessels, Rechtliche Beurteilung der Ausnahmetatbestände, S. 257; Erbguth, DÖV 1995, 793, 796. 188 Angelehnt an die Aufzählung bei Lange, Kommunalrecht, Kapitel 11 Rn. 47; vgl. auch die Aufzählung bei Pagenkopf, Kommunalrecht, Bd. I, S. 137; Wessels, Rechtliche Beurteilung des Ausnahmetatbestände, S. 246 f.; Stober, Kommunalrecht, S. 36 f. 189 Lange, Kommunalrecht, Kapitel 11 Rn. 47; vgl. auch Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 47 (dort Fn. 246), die betont, dass in der Praxis kein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Modellen bestehe. 190 Vgl. Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 176. 191 Vgl. auch Erbguth, DÖV 1995, 793, 796, der betont, dass es in diesem Zusammenhang nicht auf die Frage eines monistischen oder dualistischen Aufgabenverständnisses ankomme.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
ist, teilweise aber auch lediglich in beschränkter Form besteht.192 Obgleich den Gemeinden damit bei der Wahrnehmung von Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung durchaus ein eigener Entscheidungsspielraum verbleiben kann193, dürfte auch die Durchführung kommunaler Befragungen zu solchen Angelegenheiten unzulässig sein, da das staatliche Weisungsrecht stets überwiegt. Nach diesen Ausführungen erscheint es damit vorzugswürdig, die gesetzlichen Regelungen zur Durchführung kommunaler Befragungen in Niedersachsen und im Saarland teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass kommunale Befragungen nicht zu Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises bzw. zu Auftragsangelegenheiten durchgeführt werden dürfen. Sofern Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung als Selbstverwaltungsangelegenheiten angesehen werden sollten, ist auch in Schleswig-Holstein eine solche einschränkende Auslegung der gesetzlichen Regelung zur Durchführung von Einwohnerbefragungen angezeigt. 5. Bundes- und landespolitische Angelegenheiten Aus der Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen auf gemeindliche Angelegenheiten folgt ferner, dass es einer Vertretungskörperschaft in jedem Fall verwehrt ist, eine Befragung zu bundes- und landespolitischen Themen durchzuführen. Ungeachtet der bereits erwähnten einfachgesetzlichen Anknüpfungspunkte lässt sich dieses Ergebnis auch mit verfassungsrechtlichen Erwägungen begründen. Durch die Teilnahme an einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung handeln die Bürger bzw. Einwohner als „status activus“ und üben damit als Organ der Gemeinde Staatsgewalt aus.194 Ein solches Tätigwerden ist jedoch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts „durch Kompetenznormen verfassungsrechtlich begrenzt“.195 Eine solche verfassungsrechtliche Kompetenzbegrenzung muss für die gemeindliche Ebene ungeachtet der einfachgesetzlichen Regelungen bereits in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG erblickt werden. Den Gemeinden steht danach lediglich das Recht zu, diejenigen Angelegenheiten in eigener Verantwortung zu regeln, die der örtlichen Gemeinschaft und damit dem örtlichen Wirkungskreis zuzurechnen sind. Unter solchen Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises versteht das Bundesverfassungsgericht solche Aufgaben, „die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf die
192 Darauf verweist auch Schmidt-Aßmann, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 1. Kapitel Rn. 38; vgl. auch Tettinger/Erbguth/Mann, Besonderes Verwaltungsrecht, §. 5 Rn. 210. 193 Karr, Institutionen direkter Demokratie, S. 187. 194 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 122, 133; siehe hierzu bereits 2. Teil § 4. 195 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104, 115, 116; siehe hierzu bereits 4. Teil § 2 VII.
§ 6 Gegenständliche Eingrenzung des Anwendungsbereichs
235
örtliche Gemeinschaft einen spezifischen Bezug haben“ 196. Daraus folgt letztlich, dass sich eine Gemeinde in Bezug auf die Angelegenheiten kommunaler Befragungen an die gemeindlichen Zuständigkeiten halten muss.197 Führt eine Gemeinde eine Befragung zu bundespolitischen Themen und damit zu außerhalb der gemeindlichen Zuständigkeit liegenden Angelegenheiten durch, überschreitet sie damit „die ihr gesetzten rechtlichen Schranken“ 198. Gegen eine solche kompetenzrechtliche Einschränkung kann insbesondere nicht eingewandt werden, dass es sich bei einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung im Vergleich zum Instrument des Bürgerentscheids um ein Beteiligungsinstrument handelt, dessen Ergebnis keine rechtliche Verbindlichkeit entfaltet. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zu den von Bremen und Hamburg erlassenen Volksbefragungsgesetzen insoweit ausdrücklich klargestellt, dass die kompetenzrechtliche Schranke bei der Ausübung von Staatsgewalt durch das Staatsvolk unabhängig der Form oder der Wirkung des Tätigwerdens als Staatsorgan bestehe.199 Aus denselben Gründen, die einer Gemeinde Befragungen zu bundespolitischen Themen verwehren, sind auch Befragungen zu landespolitischen Angelegenheiten unzulässig. Einer Gemeinde steht damit nicht die Kompetenz zu, kommunale Befragungen zu landespolitischen Angelegenheiten durchzuführen. Dies stellte einen Eingriff in die Kompetenz der jeweiligen Landesbehörde bzw. des jeweiligen Landesgesetzgebers dar. 6. Beschränkung auf wichtige Angelegenheiten? Weiterhin stellt sich die Frage, ob auch im Rahmen der Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen eine Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs auf wichtige gemeindliche Angelegenheiten erfolgt. Einige Kommunalverfassungen schränken auf diese Art und Weise den Anwendungsbereich von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden ein und schreiben insoweit vor, dass die Durchführung nur unter der Voraussetzung des Vorliegens einer wichtigen Gemeindeangelegenheit in Betracht kommt.200 Eine entsprechende Einschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs kommunaler Befragungen sieht jedoch lediglich die saarländische Regelung zur Durchführung von Einwohnerbefragungen vor. § 20b Abs. 1 SaarlKSVG bestimmt insoweit, dass Befragungen nur zu
196
BVerfG, Beschluss vom 23.11.1988 – 2 BvR 1619, 1628/83 –, BVerfGE 79, 127,
151 f. 197
Vgl. BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 122, 133. BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 122, 134. 199 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104, 115. 200 § 8b Abs. 1 HGO; § 20 Abs. 1 S. 1 KVMV; § 26 Abs. 1 GO LSA; § 17 Abs. 1 S. 1 ThürKO. 198
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
„wichtigen Angelegenheiten“ der Gemeinde durchgeführt werden dürfen. Damit kann festgehalten werden, dass in Bezug auf Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen, die in Niedersachsen und Schleswig-Holstein durchgeführt werden, keine Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs auf wichtige Angelegenheiten besteht. Der saarländische Gesetzgeber hat mit der Einschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs erkennbar an die kommunalverfassungsrechtlichen Regelungen in Bezug auf die Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden angeknüpft. Keine Aussage trifft die saarländische Regelung jedoch zu der Frage, was genau unter wichtigen Angelegenheiten der Gemeinde zu verstehen ist. Es fehlt sowohl an einer Definition wie auch einer positiven Aufzählung von Angelegenheiten, die als wichtige Angelegenheiten der Gemeinde anzusehen sind. In letztgenanntem Punkt unterscheidet sich die Regelung in § 20b Abs. 1 SaarlKSVG insbesondere von der gesetzlichen Regelung über die Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in Sachsen-Anhalt201, die neben der Voraussetzung einer wichtigen gemeindlichen Angelegenheit zugleich einen Positivkatalog von Angelegenheiten vorsieht, die als wichtig anzusehen sind. Damit stellt sich die Frage, wann eine gemeindliche Angelegenheit als wichtig anzusehen ist und damit als ein zulässiger Gegenstand von Einwohnerbefragungen angesehen werden kann. Aus den bereits genannten Gründen kann diese Frage nur im Rahmen einer Auslegung der Vorschrift des § 20b Abs. 1 SaarlKSVG beantwortet werden. Eine am Wortlaut der gesetzlichen Regelung orientierte Auslegung bringt dabei keine Erkenntnisse zu Tage. Der Begriff „wichtig“ kann in unterschiedliche Richtungen verstanden werden und ist damit zu unbestimmt, als dass sich eine Auslegungsmöglichkeit besonders in den Vordergrund drängte. Auch die Gesetzesmaterialien 202 geben keine Auskunft darüber, was genau als wichtige gemeindliche Angelegenheit anzusehen ist. Ferner lassen sich nur bedingt Erkenntnisse anhand einer systematischen Auslegung innerhalb der saarländischen Kommunalverfassung gewinnen. Im Unterschied zu anderen Kommunalverfassungen sieht die saarländische Kommunalverfassung keine Regelung vor, wonach Bürgerbegehren und Bürgerentscheide lediglich zu wichtigen Angelegenheiten der Gemeinde durchgeführt werden dürfen. Jedoch ist in § 20a SaarlKSVG geregelt, dass der Bürgermeister in Bezug auf wichtige Angelegenheiten der Gemeinde eine Unterrichtung der Bürger durchführen soll. Da jedoch auch hier nicht definiert ist, was als wichtig anzusehen ist, sind diese systematischen Erwägungen wenig zielführend bei der Beantwortung der Frage, wie der
201 § 26 Abs. 2 LSAGO; vgl. ausführlich hierzu Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 52 ff.; Hager, VerwArch 84 (1993) 97, 105 ff.; Karr, Institutionen direkter Demokratie, S. 190. 202 Gesetzentwurf der Regierung des Saarlandes, „Gesetz zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften“, LT-Drs. 11/675, S. 4 der Begründung.
§ 6 Gegenständliche Eingrenzung des Anwendungsbereichs
237
Begriff „wichtig“ im Rahmen der Vorschrift zur Durchführung von Einwohnerbefragungen zu verstehen ist. Erkenntnisse für die Beantwortung dieser Frage könnten sich jedoch unter Rückgriff auf die Bestimmungen anderer Kommunalverfassungen ergeben, die den Gegenstand von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden auf wichtige Angelegenheiten der Gemeinde beschränken. In diesem Zusammenhang ist anerkannt, dass durch diese Begrenzung des Anwendungsbereichs das Ziel verfolgt werden soll, dass eine Delegation der Entscheidungsgewalt auf die Bürgerschaft nicht in jeder beliebigen gemeindlichen Angelegenheit und damit insbesondere nicht bei kommunalen Alltagsfragen203 in Frage kommt. Andernfalls entstünde ein unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand, der erhebliche Kosten verursachte und Verwaltungsressourcen unnötigerweise bindete.204 Die Beschränkung auf wichtige Angelegenheiten findet ferner eine Begründung in dem Grundsatz der repräsentativen Demokratie, nach welchem die Entscheidungen von den gewählten Mitgliedern einer Vertretungskörperschaft zu treffen sind und daher eine Delegation der Entscheidungsverantwortung auf die Bürgerschaft nur in absoluten Ausnahmefällen erfolgen darf.205 Für den Fall, dass die Kommunalverfassungen keinen Positivkatalog derjenigen Angelegenheiten vorsehen, die als wichtig anzusehen sind, ist allgemein anerkannt, dass die Wichtigkeit einer Angelegenheit anhand der objektiven Bedeutung für die Gemeinde und damit einhergehend anhand der spürbaren Auswirkungen auf das örtliche Gemeinwesen bestimmt wird.206 Dabei sind nicht nur die generelle Bedeutung für die Gemeinde entscheidend, sondern auch die einzelnen Umstände des Anwendungsfalls.207 Teilweise werden als wichtige Angelegenheiten solche angesehen, „die für die Bürger einer Gemeinde bedeutsam sind und vor allem (u.a) kulturelle Belange der Einwohner der Gemeinde berühren“ 208. Zum Teil wird eine Angelegenheit erst dann als wichtig angesehen, „wenn sie sich nach ihrer generellen Bedeutung unter Berücksichtigung der jeweiligen örtlichen Verhältnisse und Bedürfnisse im Einzelfall als so wichtig darstellt, dass sie jedenfalls Gegenstand der Beschlussfassung der Ge-
203
Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 83; Ritgen, NVwZ 2000, 129, 132. Schoch, in: Schliesky, Festschrift Schmidt-Jortzig, S. 167; Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 52; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 83. 205 Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 52; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 83; Humpert, DÖV 1990, 999, 1003; Seeger, ZParl 1988, 516, 519. 206 Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 54 m.w. N.; Ritgen, NVwZ 2000, 129, 132; vgl. auch Hager, VerwArch 84 (1993), 97, 105, der darauf abstellt, dass „eine besondere Bedeutung für das örtliche Gemeinschaftsleben“ vorliegen müsse; anders Karr, Institutionen direkter Demokratie, S. 188, der betont, dass objektive wie auch subjektive Kriterien zugrunde gelegt werden müssten. 207 Seeger, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 106. 208 VGH Kassel, Beschluss vom 02.06.1995 – 6 TG 1554/95 –, NVwZ 1996, 722, 723; in diese Richtung argumentierend auch Hager, VerwArch 84 (1993), 97, 106; Karr, Institutionen direkter Demokratie, S. 188. 204
238
5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
meindevertretung sein kann“ 209. Einigkeit besteht lediglich insoweit, als dass der etwaige finanzielle Aufwand für eine Angelegenheit zwar einen Aspekt bei der Beurteilung darstellen kann, jedoch allein nicht ausschlaggebend ist.210 Diese Versuche einer Entwicklung entsprechender Kriterien für die Bestimmung, was als wichtige Angelegenheit angesehen kann, wirken jedoch überwiegend eher hilflos und erweisen sich bei genauerer Betrachtung teilweise auch als zirkulär.211 Der Erkenntnisgewinn einer Aussage, wonach als wichtige Angelegenheiten solche Angelegenheiten angesehen werden müssen, die für die Bürger einer Gemeinde bedeutsam sind, dürfte sich in Grenzen halten. Aus diesen Gründen ist im Zusammenhang mit der Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden allgemein anerkannt, dass die Beschränkung auf wichtige Angelegenheiten zumindest für den Fall, dass keine Positivliste gesetzlich geregelt ist, weitestgehend sinnlos ist.212 Begründet wird dieses Ergebnis damit, dass in denjenigen Bundesländern, die das Vorliegen einer wichtigen Angelegenheit fordern, jedoch keine Positivliste vorsehen, ohnehin nur solche Angelegenheiten Gegenstand eines Bürgerbegehrens und Bürgerentscheids sein können, die in die Organzuständigkeit einer Vertretungskörperschaft fallen.213 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob dem Erfordernis der wichtigen gemeindlichen Angelegenheit auch im Rahmen der Durchführung von Einwohnerbefragungen im Saarland keine praktische Bedeutung zukommt. Die Beantwortung dieser Frage steht und fällt mit der Frage, ob auch im Rahmen der Durchführung von Einwohnerbefragungen im Saarland der Befragungsgegenstand auf solche Angelegenheiten beschränkt ist, die in die Organkompetenz der Vertretungskörperschaft fallen. Wie im weiteren Verlauf der Arbeit noch aufgezeigt wird214, ist dies der Fall. Daher kommt auch der im Saarland geregelten Voraussetzung, dass eine Einwohnerbefragung nur zu wichtigen Angelegenheiten der Gemeinde durchgeführt werden darf, keine praktische Bedeutung zu. Selbst wenn man dies anders sähe, muss Berücksichtigung finden, dass eine Vertretungskörperschaft letztlich frei und eigenständig darüber entscheiden darf, was
209
OVG Greifswald, Beschluss vom 24.07.1996 – 1 M 43/46 –, NVwZ 1997, 306,
307 f. 210 Hager, VerwArch 84 (1993), 97, 106; Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 54 m.w. N.; a. A. wohl Karr, Institutionen direkter Demokratie, S. 188. 211 Ähnlich auch Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 83; vgl. auch Karr, Institutionen direkter Demokratie, S. 188, der die „Unschärfe“ des Begriffs kritisiert. 212 Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 83; so im Ergebnis auch Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 54 f.; Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 200, nach der zumindest der hessischen Regelung „kein eigenständiger Regelungsgehalt“ zukomme; vgl. auch Ritgen, NVwZ 2000, 129, 132, der „nicht unerhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten“ als Folge sieht. 213 Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 83. 214 Siehe hierzu im Folgenden 5. Teil § 6 II.
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im Einzelfall als wichtige Angelegenheit anzusehen ist. Bei dem Begriff „wichtig“ handelt es sich insoweit um einen unbestimmten Rechtsbegriff 215. In dieser Entscheidung ist eine Vertretungskörperschaft jedoch nur insoweit frei, als dass diese Entscheidung der vollen und nicht lediglich eingeschränkten216 gerichtlichen Kontrolle unterliegt. 7. Ausschlusstatbestände a) Rechtslage in Niedersachsen und im Saarland Anders als die gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden217 sehen die gesetzlichen Regelungen zur Durchführung kommunaler Befragungen in Niedersachsen und im Saarland keine umfangreichen Negativlisten vor, die in abschließender Form Gegenstände aufzählen, zu denen die Durchführung kommunaler Befragungen in jedem Fall unzulässig ist. Der Grund hierfür dürfte darin liegen, dass aufgrund der nicht vorhandenen rechtlichen Verbindlichkeit des Befragungsergebnisses eine gegenständliche Begrenzung entsprechend den Vorschriften zur Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden von vornherein nicht erforderlich ist.218 Trotz dieser gesetzlichen Grundentscheidung bleibt es einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft unbenommen, hiervon abweichend beispielsweise im Wege eines Satzungserlasses Negativlisten zu bestimmen. In der Praxis haben bereits einige Gemeinden von diesem Recht Gebrauch gemacht. Eine einschränkende gesetzliche Regelung zum sachlichen Anwendungsbereich von Bürgerbefragungen findet sich lediglich in Niedersachsen.219 Bürgerbefragungen dürfen danach nicht in Angelegenheiten einzelner Mitglieder der Vertretung, des Hauptausschusses, der Stadtbezirksräte, der Ortsräte und der Ausschüsse sowie der Beschäftigten der Gemeinde durchgeführt werden. Der Hauptgrund für diese erst im Jahr 2010 in die Kommunalverfassung eingefügte Einschränkung220 bestand darin, dass nach Ansicht des niedersächsischen Gesetz215
So auch Karr, Institutionen direkter Demokratie, S. 188. Vgl. zu den anerkannten Fallgruppen, bei denen unbestimmte Rechtsbegriffe nur der eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegen Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 478 ff. 217 Vgl. die ausführliche Darstellung hierzu bei Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 200 ff.; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 85 ff.; Karr, Institutionen direkter Demokratie, S. 190 ff.; Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 55 ff.; Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 186 ff.; Leukart, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 118 ff.; Gebhardt, Direkte Demokratie, S. 198 ff.; Pröckl, Die unmittelbare Beteiligung der Bürger, S. 102 ff. 218 Vgl. Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 229. 219 § 35 S. 2 NKomVG. 220 Der Ausschlusstatbestand geht zurück auf die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Sport in Bezug auf den Gesetzentwurf der Landesregierung 216
240
5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
gebers die berechtigten Interessen der Betroffenen an der Geheimhaltung ihrer Verhältnisse einer Diskussion von Personalangelegenheiten in der Öffentlichkeit in der Regel entgegenstünden.221 Ferner seien derartige Angelegenheiten auch deshalb nicht als Gegenstand kommunaler Befragungen geeignet, da bereits das Kommunalverfassungs-, das Beamten- und das Tarifrecht in Bezug auf diese Rechtsverhältnisse umfassende und insgesamt ausreichende Regelungen beinhalten.222 Der Grund für das Tätigwerden des niedersächsischen Gesetzgebers waren bekannt gewordene Bestrebungen einer niedersächsischen Gemeinde, eine Bürgerbefragung durchzuführen, die die Frage einer etwaigen Abwahl eines Hauptverwaltungsbeamten zum Thema haben sollte.223 Der Ausschlusstatbestand ist identisch mit § 32 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 NKomVG, wonach die Durchführung eines Bürgerbegehrens über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Vertretung, des Hauptausschusses, der Stadtbezirksräte, der Ortsräte und der Ausschüsse sowie der Beschäftigten der Kommune unzulässig ist. In Bezug auf die Frage der Auslegung dieses Ausschlusstatbestandes kann damit auf die umfangreiche Literatur hierzu verwiesen werden.224 Obgleich die gesetzlichen Regelungen in Niedersachen und im Saarland keine weiteren Ausschlusstatbestände regeln, stellt sich die Frage, ob nicht möglicherweise die gesetzlichen Ausschlusstatbestände für die Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden entsprechend angewendet werden müssen. Hierfür könnte streiten, dass das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung als eine im Vergleich zum Bürgerentscheid verwandte Form der Bürgerbeteiligung anzusehen ist. Gewisse Ähnlichkeiten beider Instrumente sind nicht von der Hand zu weisen. Gegen eine Anwendung dieser Ausschlusstatbestände auch auf Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen sprechen jedoch gewichtige Gründe. In Bezug auf die gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen beider Bundesländer kann nicht davon ausgegangen werden, dass insoweit eine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Das Vorliegen einer sol-
eines Gesetzes zur Zusammenfassung und Modernisierung des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 16/3110. 221 Schriftlicher Bericht zum Entwurf eines Gesetzes zur Zusammenfassung und Modernisierung des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 16/3147, S. 6. 222 Schriftlicher Bericht zum Entwurf eines Gesetzes zur Zusammenfassung und Modernisierung des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, LT-Drs. 16/3147, S. 6. 223 Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 6. 224 Vgl. nur Wessels, Rechtliche Beurteilung der Ausnahmetatbestände, S. 225 ff.; Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 200 ff.; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 85 ff.; Karr, Institutionen direkter Demokratie, S. 190 ff.; Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 55 ff.; Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 186 ff.; Leukart, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 118 ff.; Gebhardt, Direkter Demokratie, S. 198 ff.; Pröckl, Die unmittelbare Beteiligung der Bürger, S. 102 ff.
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chen planwidrigen Regelungslücke ist jedoch Voraussetzung für die Bildung einer Analogie. Bereits bei Betrachtung des Wortlauts beider gesetzlicher Vorschriften wird unmissverständlich deutlich, dass beide Gesetzgeber es bewusst unterlassen haben, einen den Regelungen über die Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden vergleichbaren Katalog an Ausschlusstatbeständen in die jeweilige gesetzliche Regelung mit aufzunehmen. In Bezug auf die saarländische Regelung zur Durchführung von Einwohnerbefragungen zeigt sich dies bereits daran, dass der Gesetzgeber neben der Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs auf gemeindliche Angelegenheiten geregelt hat, dass Gegenstand einer Befragung eine wichtige gemeindliche Angelegenheit sein muss.225 Diese Tatsache lässt einzig den Schluss zu, dass sich der saarländische Gesetzgeber mit der Frage einer etwaigen Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs befasst hat, diese jedoch gerade nicht derart weitreichend wie bei den gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden ausgestalten wollte. Auch der niedersächsische Gesetzgeber hat, nachdem die niedersächsische Regelung zur Durchführung von Bürgerbefragungen zunächst keine Ausschlusstatbestände vorsah, im Jahr 2010 mit der Einfügung des Ausschlusstatbestands in § 35 S. 2 NKomVG zumindest eine gewisse einschränkende Regelung getroffen.226 Der Gesetzgeber hat offenbar ein Defizit der gesetzlichen Regelung erkannt und entsprechend gehandelt. Eine Änderung der gesetzlichen Regelung war seiner Meinung nach jedoch nur insoweit erforderlich, als dass lediglich ein einziger Ausschlusstatbestand, nicht jedoch ein umfassender, den Regelungen zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden vergleichbarer Katalog an Ausschlusstatbeständen aufgenommen wurde. Das Vorgehen beider Gesetzgeber lässt damit einzig den Schluss zu, dass beide bewusst auf umfangreichere Regelungen in Bezug auf etwaige Ausschlusstatbestände verzichtet haben. Obgleich den Gesetzesmaterialien keine Rückschlüsse diesbezüglich entnommen werden können, muss angenommen werden, dass beiden Gesetzgebern zum Zeitpunkt des Erlasses der gesetzlichen Regelungen die Rechtslage in Bezug auf die Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden bekannt gewesen ist. Wäre es somit die Absicht beider Gesetzgeber gewesen, auch in Bezug auf die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen einen vergleichbaren Katalog an Ausschlusstatbeständen vorzusehen, wäre beiden Gesetzgebern die Einfügung vergleichbarer Ausschlusstatbestände oder aber ein Verweis auf die gesetzlichen Vorschriften zur Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden möglich gewesen.
225
§ 20b Abs. 1 SaarlKSVG. Eingefügt durch Gesetz zur Zusammenfassung und Modernisierung des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, NdsGVBl. 2010 (Nr. 31), S. 576 ff. 226
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
b) Rechtslage in Schleswig-Holstein Auch die gesetzliche Regelung zur Durchführung von Einwohnerbefragungen in Schleswig-Holstein sieht keine ausdrückliche Regelung von Ausschlusstatbeständen vor. Fraglich ist jedoch, ob nicht die in Bezug auf die Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden geregelten Ausschlusstatbestände der schleswig-holsteinischen Kommunalverfassung227 entsprechende Anwendung auf die Durchführung von Einwohnerbefragungen finden. Begründet werden könnte eine solche Anwendung durch einen Verweis im Rahmen der gesetzlichen Regelung zur Durchführung von Einwohnerbefragung.228 Nach diesem Verweis finden unter dem Vorbehalt der Anwendbarkeit die Vorschriften in § 16g Abs. 1– 7 SHGO über die Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden entsprechende Anwendung auf die Durchführung von Einwohnerbefragungen.229 Insoweit wird von Seiten der Literatur jedoch teilweise vertreten, dass diese Verweisung, zumindest soweit sie § 16g Abs. 2–5 und 7 SHGO betreffe, auf einem gesetzgeberischen Versehen beruhe, da die genannten Absätze keine Verbindung zu der Durchführung von Einwohnerbefragungen aufwiesen.230 Ungeachtet der Frage, ob dieser Ansicht möglicherweise in Bezug auf § 16g Absatz 3–5 und 7 SHGO zugestimmt werden kann, sind zumindest keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es sich bei dem Verweis auf die Ausschlusstatbestände in § 16g Abs. 2 SHGO um ein Versehen des schleswig-holsteinischen Gesetzgebers handelt. Beachtung finden muss in diesem Zusammenhang in jeden Fall, dass der Gesetzgeber in § 16c Abs. 3 S. 3 SHGO die Verweisung ausdrücklich unter den Vorbehalt der Anwendbarkeit der Vorschriften gestellt hat. In Bezug auf die Ausschlusstatbestände in § 16g Abs. 2 SHGO sind jedoch keine Gründe dafür ersichtlich, warum diese nicht auch auf die Durchführung von Einwohnerbefragungen anwendbar sein sollten. Die Frage, ob dieser Verweis als gesetzgeberisch durchdacht und geglückt angesehen werden kann, darf in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen. Damit muss auch der etwaige Einwand, dass aufgrund der nicht vorhandenen rechtlichen Verbindlichkeit des Ergebnisses einer Bürgerbzw. Einwohnerbefragung eine gegenständliche Begrenzung entsprechend den Vorschriften zur Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden von vornherein nicht erforderlich sei231, in diesem Zusammenhang unbeachtet bleiben. Es handelt sich zumindest bei dem Verweis auf § 16g Abs. 2 SHGO um eine gesetzgeberische Entscheidung, die unabhängig der Erforderlichkeit dieses Verweises zwingend Beachtung finden muss. Damit finden die Ausschlusstatbe227
§ 16g Abs. 2 SHGO. § 16c Abs. 3 S. 3 SHGO. 229 Wörtlich heißt es hierzu in § 16c Abs. 3 S. 3 SHGO „Soweit anwendbar, gilt für die Durchführung § 16 g Abs. 1 bis 7 entsprechend [. . .]“. 230 So Dehn, in: Bracker/Dehn, SHGO, § 16c, zu Absatz 3 Rn. 6. 231 So Ziegler, Bürgerbeteiligung, S. 229. 228
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stände des § 16g Abs. 2 SHGO232 auch auf die Durchführung von Einwohnerbefragungen Anwendung. 8. Vorbestimmtheit der Entscheidung Weiterhin wurde von Seiten der Literatur teilweise vertreten, dass die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung nur dann in Frage komme, wenn für die jeweilige Vertretungskörperschaft in der betreffenden Angelegenheit tatsächlich Entscheidungsmöglichkeiten bestünden.233 Stünde aus Sicht einer Vertretungskörperschaft bereits fest, dass bedingt durch Sachzwänge eine weitgehende Festlegung der Entscheidung gegeben ist, sei die Durchführung einer Befragung sinnlos und daher zu unterlassen.234 Als Voraussetzung für die Durchführung kommunaler Befragungen gelte somit, dass zumindest nach Abwägung aller relevanten Gesichtspunkte eine Möglichkeit zur Realisierung des Befragungsergebnisses bestehen müsse. Begründet wird diese Sichtweise mit der Problematik, die entstehe, wenn eine von dem Ergebnis der Befragung abweichende Entscheidung getroffen werde.235 Im Rahmen einer Bewertung dieser Sichtweise stellt sich zunächst die Frage, ob dieser Ansicht eine konkrete rechtlich Forderung innewohnt oder ob von dieser lediglich ein politischer Apell dahingehend ausgehen soll, dass eine Vertretungskörperschaft bei der Wahl des Befragungsthemas dahingehend Augenmaß wahren soll, als dass in der betreffenden Angelegenheit auch tatsächlich ein Entscheidungsspielraum bestehen muss. Sieht man in der genannten Ansicht eine rechtliche Forderung, kann zunächst festgehalten werden, dass die bisher bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen keine Bestimmungen enthalten, wonach einer Vertretungskörperschaft in einem solchen Fall die Durchführung einer kommunalen Befragung verwehrt ist. Überdies stellt sich jedoch die Frage, wie eine solche Forderung rechtlich geregelt werden und in der Praxis durchgesetzt werden könnte. Zumindest Letzteres dürfte nur schwer möglich sein. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass kaum zu beweisen sein dürfte, dass eine Vertretungskörperschaft tatsächlich bereits eine Entscheidung in der Sache getroffen hat und damit die Befragung lediglich zu akklamatorischen Zwecken236 durchführen möchte. Die Führung eines solchen Beweises dürfte in der Praxis zu erheblichen Problemen führen. Zu beachten ist jedoch auch, dass eine Vertretungskörperschaft wohl kaum eine Befra-
232
Vgl. hierzu die Kommentierung bei Dehn, in: Bracker/Dehn, SHGO, § 16g. So Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 140; Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 285. 234 Vgl. Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 285. 235 Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 140. 236 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 5 III. 233
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
gung durchführen wird, sofern ihr bekannt ist, dass die Rechtslage in dieser Sache keine Entscheidungsmöglichkeiten eröffnet. Zuzustimmen ist der genannten Ansicht damit lediglich insoweit, als dass der praktische Nutzen einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung äußerst gering ausfallen dürfte, sofern die Entscheidung einer Vertretungskörperschaft in der jeweiligen Angelegenheit tatsächlich bereits feststeht oder aber zumindest weitestgehend vorbestimmt ist. Die Gründe dafür, warum eine Vertretungskörperschaft tatsächlich eine Befragung ins Leben rufen sollte, obgleich bereits eine (Vor-) Entscheidung in der jeweiligen Angelegenheit getroffen ist, sind nicht derart fernliegend. Ein solches Vorgehen kann durchaus begründet werden mit der Erwartung oder auch der Hoffnung einer Vertretungskörperschaft, dass diese durch das erhoffte Befragungsergebnis eine Bestätigung ihrer Politik erfährt. Bestätigt nämlich das Ergebnis der Befragung die Ansicht der Vertretungskörperschaft, kommt dieser Entscheidung eine höhere Legitimität zu. So lassen sich in der Vergangenheit durchaus konsultative Volksbefragungen finden, die lediglich zu diesem Zweck durchgeführt wurden.237 Gleichwohl läuft eine Vertretungskörperschaft bei einem derartigen Vorgehen stets Gefahr, dass die Befragungsteilnehmer nicht in der erhofften Weise entscheiden und somit das Dilemma entsteht, dass sich die Vertretungskörperschaft einem Mehrheitsvotum der Bürger bzw. Einwohner widersetzen muss. Festzuhalten bleibt damit, dass für eine Vertretungskörperschaft keine rechtlichen Vorgaben dahingehend bestehen, dass diese eine Befragung lediglich dann initiieren darf, wenn in der jeweiligen Angelegenheit auch tatsächlich Entscheidungsalternativen bestehen.
II. Einschränkung des Anwendungsbereiches durch Organkompetenz der Vertretungskörperschaft Weiterhin stellt sich die Frage, ob der sachliche Anwendungsbereich von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen durch die Organkompetenz der für die Entscheidung zuständigen Vertretungskörperschaft238 begrenzt ist. Bejahte man diese Frage, wäre die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen nur in solchen Angelegenheiten zulässig, die in den Zuständigkeitsbereich einer Vertretungskörperschaft fallen. Eine Befragung zu Angelegenheiten, die in den Zuständigkeitsbereich anderer Gemeindeorgane fallen, wäre danach nicht zulässig. Derartige Regelungen lassen sich in allen Kommunalverfassungen in Bezug auf die Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden finden. Deren Durchführung ist auf solche Angelegenheiten beschränkt, die in die Organkom-
237 238
Vgl. hierzu Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 273 f. Siehe hierzu bereits 5. Teil § 1.
§ 6 Gegenständliche Eingrenzung des Anwendungsbereichs
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petenz der jeweiligen Vertretungskörperschaft fallen.239 Daher ist die Durchführung eines Bürgerbegehrens sowie eines Bürgerentscheids insbesondere unzulässig über Angelegenheiten, die durch eine entsprechende gesetzliche Regelung dem Verwaltungsorgan vorbehalten sind.240 1. Gesetzliche Ausgestaltung Entgegen dieser gesetzlichen Ausgestaltung enthalten die gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen in Niedersachsen und in Schleswig-Holstein keine Einschränkungen dahingehend, dass Gegenstand kommunaler Befragungen nur solche Angelegenheiten sein dürfen, die in die Organkompetenz der Vertretungskörperschaft fallen. In beiden Vorschriften findet insoweit lediglich Erwähnung, dass es sich um eine gemeindliche Angelegenheit handeln muss. Etwas anderes gilt insbesondere auch nicht für die Regelung zur Durchführung von Einwohnerbefragungen in Schleswig-Holstein, die unter der Voraussetzung der Anwendbarkeit die Vorschriften über die Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in § 16g Abs. 1–7 SHGO für entsprechend anwendbar erklärt.241 Denn anders als die sonstigen kommunalverfassungsrechtlichen Vorschriften zur Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden schränkt die schleswig-holsteinische Kommunalverfassung242 den sachlichen Anwendungsbereich eines Bürgerbegehrens und Bürgerentscheids gerade nicht auf solche Angelegenheiten ein, die in die Organkompetenz der Vertretungskörperschaft fallen. Damit gilt auch für die Durchführung von Einwohnerbefragungen in Schleswig-Holstein, dass diese Angelegenheiten betreffen können, die in die Kompetenz eines anderen gemeindlichen Organs fallen. Damit eröffnen zumindest die gesetzlichen Regelungen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein die Möglichkeit, dass kommunale Befragungen auch zu Angelegenheiten durchgeführt werden, die in die ausschließliche Zuständigkeit anderer ge239 Vgl. § 21 Abs. 1 BWGO; Art. 18a Abs. 13 S. 1 BayGO; § 8b Abs. 7 S. 1 HessGO; § 20 Abs. 1 S. 1 MVKVerf; § 32 Abs. 2 S. 1, § 33 Abs. 4 S. 1 NKomVG, § 26 Abs. 1 S. 1, Abs. 8 S. 1 GO NWGO; § 17a Abs. 8 S. 1 RhPfGO; § 21a Abs. 1 S. 1 SaarlKSVG; § 24 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 S. 1 SächsGO; § 26 Abs. 4 S. 1 LSAGO; § 17 Abs. 8 S. 2 ThürKO; etwas anderes gilt lediglich für Schleswig-Holstein, vgl. hierzu auch Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 81 f. 240 So ausdrücklich geregelt in § 21 Abs. 2 Nr. 1 BWGO; Art. 18a Abs. 3 BayGO; § 8b Abs. 2 Nr. 1 HessGO; § 17a Abs. 2 Nr. 1 RhPfGO; § 21a Abs. 4 Nr. 8 SaarlKSVG; § 26 Abs. 3 Nr. 1 LSAGO; § 17 Abs. 2 Nr. 1 ThürKO; vgl. zu der Frage, ob ein Bürgerbegehren und Bürgerentscheid auch zu solchen Angelegenheiten zulässig ist, die von der Vertretungskörperschaft auf ein anderes Organ übertragen wurden Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 50 f.; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 80 ff. 241 § 16c Abs. 3 S. 3 SHGO („Soweit anwendbar, gilt für die Durchführung § 16g Abs. 1 bis 7 entsprechend [. . .]“). 242 § 16g SHGO.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
meindlicher Organe fallen oder anderen Organen übertragen wurden und für die damit keine Organkompetenz der Vertretungskörperschaft besteht.243 Zwar lässt sich anhand der Gesetzesbegründungen nicht feststellen, ob diese Konsequenz der gesetzlichen Ausgestaltung den Gesetzgebern beider Bundesländer bei der Schaffung der Vorschriften bewusst und von diesen gewollt gewesen ist. Zumindest in Bezug auf die Regelung in Niedersachsen muss jedoch in Anbetracht der insoweit eindeutigen gesetzlichen Regelungen in Bezug auf die Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden bei lebensnaher Betrachtung davon ausgegangen werden, dass diese Regelungen dem niedersächsischen Gesetzgeber bei der Schaffung der Vorschrift zur Durchführung von Bürgerbefragungen bekannt gewesen sind und damit auch die rechtliche Ausgestaltung der Regelungen zur Durchführung von Bürgerbefragungen diesbezüglich eine bewusste Entscheidung darstellt. In Bezug auf die schleswig-holsteinische Regelung kann argumentiert werden, dass der Gesetzgeber durch den umfassenden Verweis auf die Vorschriften zur Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden bewusst eine Regelung dahingehend getroffen hat, dass Einwohnerbefragungen auch zu Angelegenheiten durchgeführt werden dürfen, die nicht in die Organkompetenz der Vertretungskörperschaft fallen. Andernfalls hätte der Gesetzgeber – was rechtlich und rechtsetzungstechnisch möglich gewesen wäre – von einem derart weit gefassten Verweis Abstand genommen. Da somit sowohl in Niedersachen wie auch in Schleswig-Holstein von einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers ausgegangen werden muss244, scheidet ferner auch eine teleologische Reduktion der Vorschrift aus. Vor dem Hintergrund der vorausgegangenen Ausführungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzestext beider Kommunalverfassungen insoweit in planwidriger Art und Weise zu weit geraten ist. Die Folge der gesetzlichen Ausgestaltung beider Kommunalverfassungen – die Zulässigkeit der Durchführung kommunaler Befragungen zu nicht in der Organkompetenz der Vertretungskörperschaft liegenden Angelegenheiten – wiederspricht damit nicht der inneren Teleologie des Gesetzes. Ein solcher Widerspruch ist jedoch Voraussetzung für die Vornahme einer teleologischen Reduktion. Damit verbleibt es bei dem Ergebnis, dass in Niedersachen und Schleswig-Holstein kommunale Befragungen auch zu solchen Angelegenheiten durchgeführt werden dürfen, die nicht in die Organkompetenz der Vertretungskörperschaft fallen. Etwas anderes gilt jedoch für die Durchführung von Einwohnerbefragungen im Saarland. § 20b Abs. 1 SaarlKSVG schreibt insoweit vor, dass Einwohnerbefra243 Dies bejahen in Bezug auf die niedersächsische Regelung Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 23; Wefelmeier, in: Blum/Häusler/Meyer, NKomVG, § 35 Rn. 3; Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 5; vgl. auch Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 325. 244 So im Ergebnis auch Detjen, Demokratie in der Gemeinde, S. 134.
§ 6 Gegenständliche Eingrenzung des Anwendungsbereichs
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gungen lediglich zu wichtigen Angelegenheiten245 der Gemeinde durchgeführt werden dürfen. Durch diese Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs auf wichtige Angelegenheiten können Einwohnerbefragungen nur zu solchen Angelegenheiten durchgeführt werden, die ohnehin in die Zuständigkeit der Vertretungskörperschaft fallen.246 Im Saarland ist eine gemeindliche Vertretungskörperschaft für alle Selbstverwaltungsangelegenheiten einer Gemeinde zuständig, soweit diese nicht dem Bürgermeister, einem Ausschuss, einem Bezirksrat oder einem Ortsrat übertragen worden sind.247 In Bezug auf eine wichtige Angelegenheit kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass eine Vertretungskörperschaft diese zur Erledigung auf die genannten Organe überträgt. Auch eine originäre Zuständigkeit eines Bürgermeisters kann nicht angenommen werden, da eine solche lediglich für Geschäfte der laufenden Verwaltung besteht248 und eine wichtige gemeindliche Angelegenheit wohl kaum als Geschäft der laufenden Verwaltung angesehen werden kann. Festgehalten werden kann damit, dass lediglich im Saarland der sachliche Anwendungsbereich von Einwohnerbefragungen insoweit eingeschränkt ist, als dass nur Befragungen zu Angelegenheiten zulässig sind, die in die Organkompetenz der jeweiligen Vertretungskörperschaft fallen. In Niedersachsen sowie in Schleswig-Holstein bestehen demgegenüber keine entsprechenden Einschränkungen des sachlichen Anwendungsbereichs. 2. Stellungnahme Sofern in Bezug auf die Rechtslage in Niedersachsen sowie in Schleswig-Holstein von Seiten der Literatur teilweise darauf hingewiesen wird, dass eine derartige rechtliche Ausgestaltung gewisse Risiken birgt, da eine Vertretungskörperschaft durch eine Befragung zu Angelegenheiten, die nicht in ihre Organkompetenz fallen, Druck auf das jeweilige Gemeindeorgan ausüben und damit in die gesetzlich geregelte Kompetenzverteilung eingreifen könne249, kann diesen Bedenken im Grundsatz zugestimmt werden. Teile der Literatur folgern daher auch, dass der Gegenstand einer Befragung zwingend in die Organkompetenz der Vertretungskörperschaft fallen müsse, da andernfalls aufgrund der tatsächlichen Auswirkungen ein unzulässiger Eingriff in eine fremde Kompetenz vorläge.250
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Siehe hierzu bereits 5. Teil § 6 I. 6. So auch Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 24. 247 § 34 S. 1 SaarlKSVG. 248 § 59 Abs. 3 S. 1 SaarlKSVG. 249 So Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 5; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 23; Hoffmann, in: Kost, Direkte Demokratie, S. 178. 250 Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 138; wohl auch Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 325. 246
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
Gründe dafür, warum eine Vertretungskörperschaft eine Befragung zu Angelegenheiten initiieren darf, für die diese keine Organkompetenz besitzt, sind nicht ersichtlich. Die kommunalverfassungsrechtlich vorbestimmte Kompetenzverteilung legt vielmehr nahe, dass dasjenige Organ, das kompetenzrechtlich zuständig ist, auch darüber entscheidet, ob und ggf. auf welchem Wege Informationen eingeholt werden. So aber eröffnet eine derartige rechtliche Ausgestaltung einer Vertretungskörperschaft die Möglichkeit, durch das Ergebnis einer Befragung Druck auf das jeweils zuständige Gemeindeorgan auszuüben. Vor diesem Hintergrund erscheint die gesetzliche Ausgestaltung in Niedersachsen und SchleswigHolstein rechtlich fragwürdig. Dass ein solches Vorgehen einer Vertretungskörperschaft bisher soweit ersichtlich in der Praxis noch nicht Realität geworden ist251, mag zwar im Ergebnis die Stichhaltigkeit der vorgebrachten rechtlichen Bedenken abschwächen, ändert im Ergebnis jedoch nichts daran, dass sich die derzeitige rechtliche Ausgestaltung in Niedersachsen und Schleswig-Holstein offen für eine solche Vorgehensweise zeigt. Soweit gegen die hier vorgebrachte Kritik eingewendet werden sollte, dass das Ergebnis einer kommunalen Befragung jedenfalls keine rechtliche Verbindlichkeit entfalte, vermag eine solche Argumentation nicht zu überzeugen. Eine solche Auffassung verkennt, dass eine Besonderheit des Instruments der Bürgerbzw. Einwohnerbefragung in der etwaigen faktischen Verbindlichkeit eines Befragungsergebnisses liegt.252 Eine solche faktische Bindungswirkung beträfe, sofern die Befragung zu Angelegenheiten durchgeführt wird, die in die Organkompetenz eines anderen Gemeindeorgans fallen, jedoch dann gerade auch das jeweilige Gemeindeorgan.
§ 7 Abstimmungsberechtigte Personen Im Unterschied zu der Rechtslage im Rahmen der Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden sind zur Teilnahme an einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung entsprechend der Bezeichnung dieses Beteiligungsinstruments nicht lediglich Gemeindebürger, sondern vielmehr auch Einwohner einer Gemeinde berechtigt. Mit dieser Erstreckung der Teilnahmeberechtigung auf Einwohner gehen einige praktische und rechtliche Fragen einher, deren Beantwortung die folgenden Ausführungen dienen. Insbesondere stellt sich auch die im Folgenden zu behandelnde Frage, ob tatsächlich alle Einwohner einer Gemeinde als teilnahmeberechtigt anzusehen sind und damit auch solche Einwohner, die nicht Inhaber der deutschen Staatsangehörigkeit sind. Zu differenzieren sein wird dabei zwischen sog. Unionsbürgern und solchen Einwohnern, die nicht Inhaber 251 So in Bezug auf die Befragungspraxis in Niedersachsen Hoffmann, in: Kost, Direkte Demokratie, S. 179. 252 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 1 II.
§ 7 Abstimmungsberechtigte Personen
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der Unionsbürgerschaft sind. Überdies soll der Frage nachgegangen werden, ob es ein Mindestalter gibt, das für die Teilnahme an einer kommunalen Befragung erreicht werden muss.
I. Beschränkung der Abstimmungsberechtigung auf Gemeindebürger Nach der niedersächsischen Regelung zur Durchführung von Bürgerbefragungen253 können lediglich Bürger an einer Befragung teilnehmen und damit nur diejenigen Einwohner, die kommunalwahlberechtigt sind254. Um Bürger einer Gemeinde zu sein und damit an einer Bürgerbefragung teilnehmen zu dürfen, sind zwei Voraussetzungen kumulativ zu erfüllen. Die jeweilige Person muss zunächst Einwohner der Gemeinde sein und damit in dieser Gemeinde ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt haben.255 Zudem müssen die weiteren Voraussetzungen für die aktive Wahlberechtigung vorliegen. Erforderlich dafür sind zunächst das Innehaben der deutschen Staatsangehörigkeit oder der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union, ein Mindestalter von 16 Jahren sowie ein seit mindestens drei Monaten bestehender Wohnsitz in der jeweiligen Gemeinde.256 Die niedersächsische Regelung zur Durchführung von Bürgerbefragungen knüpft in Bezug auf die Teilnahmeberechtigung damit an die gesetzlichen Bestimmungen zur Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden an.257 Auch bei dieser ist die Teilnahme den Bürgern einer Gemeinde vorbehalten.
II. Erweiterung der Abstimmungsberechtigung auf Einwohner Den gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Einwohnerbefragungen im Saarland258 sowie in Schleswig-Holstein259 liegt demgegenüber ein erweitertes Verständnis in Bezug auf die Teilnahmeberechtigung zugrunde. Beide Regelungen erweitern den Kreis der teilnahmeberechtigten Personen auf Einwohner einer Gemeinde. Während das Innehaben eines Bürgerstatus von der Wahlbe253
§ 35 S. 1 NKomVG. § 28 Abs. 2 NKomVG. 255 § 28 Abs. 1 S. 1 NKomVG. 256 § 48 NKomVG. 257 Siehe hierzu bereits 3. Teil § 2 IV. 1. 258 § 20b Abs. 1 SaarlKSVG; der saarländische Gesetzgeber schloss sich damit nicht der Empfehlung der Kommission „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“ an, die eine Beschränkung der Teilnahmeberechtigung auf „stimmberechtigte Bürger“ vorsah, Bericht und Empfehlungen der Kommission „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“, S. 86; siehe hierzu 4. Teil § 2 I. 259 § 16c Abs. 3 S. 1 SHGO. 254
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
rechtigung abhängt, ist Einwohner einer Gemeinde bereits derjenige, der unabhängig seines Alters und seiner Nationalität seinen Wohnsitz in dem entsprechenden Gemeindegebiet hat.260 Bevor im Folgenden auf die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer solchen Erstreckung der Teilnahmeberechtigung auf Einwohner eingegangen wird, sollen zunächst die praktischen Auswirkungen einer solchen Erweiterung der Teilnahmeberechtigung erläutert werden. 1. Praktische Auswirkungen Eine isolierte Betrachtung der gesetzlichen Regelungen im Saarland und in Schleswig-Holstein in Bezug auf die Teilnahmeberechtigung führt zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass jeder Einwohner einer Gemeinde, unabhängig des Alters sowie der Staatsangehörigkeit, zur Teilnahme an einer kommunalen Befragung berechtigt ist. Die gesetzlichen Regelungen ermöglichen damit beispielsweise auch die Befragungsteilnahme von Kleinkindern261 sowie von Einwohnern, die nicht Inhaber der deutschen Staatsangehörigkeit sind. Vor diesem Hintergrund wirft die Erstreckung der Teilnahmeberechtigung auf Einwohner einer Gemeinde mit Blick auf die Informationsfunktion kommunaler Befragungen erhebliche Fragen auf. Wie bereits an anderer Stelle der Arbeit dargelegt wurde, muss die Hauptfunktion kommunaler Befragungen gerade darin erblickt werden, einer Vertretungskörperschaft in Bezug auf eine bestimmte Angelegenheit ein umfassendes Meinungsbild der Bürger- bzw. Einwohnerschaft zu verschaffen.262 Fraglich ist jedoch, ob ein solches Ziel tatsächlich erreicht werden kann, wenn durch die gesetzliche Ausgestaltung auch Kleinkinder und damit Personen, die offensichtlich aufgrund ihres Reifegrades noch nicht in der Lage sind, in Bezug auf eine bestimmte Angelegenheit eine fundierte Meinung zu bilden, die Teilnahme an einer Befragung ermöglicht wird. Berücksichtigung finden muss in diesem Zusammenhang jedoch, dass zumindest im Saarland die erlassenen Grundlagensatzungen überwiegend einschränkende Regelungen in Bezug auf die Teilnahmeberechtigung vorsehen und insoweit ein Mindestalter für die Teilnahme an einer Befragung vorsehen. Der Erlass derartiger einschränkender Regelungen ist jedoch keinesfalls zwingend. Die gesetzlichen Regelungen im Saarland sowie in Schleswig-Holstein können insoweit nur dergestalt ausgelegt werden, dass eine Pflicht zum Erlass einer Satzung bzw. zur Regelung der Einzelheiten in der jeweiligen Geschäftsordnung besteht.263 Der Inhalt der Regelungen steht demge260 Vgl. ausführlich zur Rechtsstellung von Bürgern und Einwohnern Mann, in: Mann/Püttner, HKWP, Bd. I, § 17; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 2 Rn. 7 ff. 261 Vgl. hierzu auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 210, der in diesem Zusammenhang betont, dass durch die im Rahmen der Befragung von Kleinkindern notwendige Beantwortung durch die Eltern eine „problematische Stimmwertverzerrung“ eintrete. 262 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 5. 263 Siehe hierzu 5. Teil § 3 I. 1.
§ 7 Abstimmungsberechtigte Personen
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genüber jedoch im Ermessen der jeweiligen Gemeinde. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist damit, dass die gesetzlichen Regelungen im Saarland und in Schleswig-Holstein den Gemeinden die Möglichkeit eröffnen, auch Kleinkinder sowie Einwohner, die nicht Inhaber der deutschen Staatsangehörigkeit sind, zur Teilnahme an einer Befragung zu berechtigen. 2. Verfassungsgemäßheit einer Teilnahmeberechtigung von Einwohnern Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit gesetzlicher Regelungen, die die Teilnahmeberechtigung an kommunalen Befragungen auf Einwohner einer Gemeinde erstrecken.264 Wie soeben bereits angedeutet wurde, sind etwaige einschränkende Satzungs- bzw. Geschäftsordnungsbestimmungen für die Beantwortung dieser Frage nicht von Relevanz, da diesbezügliche Regelungen von einer Vertretungskörperschaft freiwillig erlassen werden. Eine gesetzliche Pflicht zum Erlass einschränkender Regelungen besteht nicht. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang lediglich, dass die saarländische und die schleswig-holsteinische Regelung zur Durchführung von Einwohnerbefragungen eine Vertretungskörperschaft ermächtigen, eine Befragung aller Einwohner durchzuführen. Soweit diese Problematik bisher von Seiten der Literatur erörtert wurde, findet dabei lediglich Erwähnung, dass sich die Teilnahmeberechtigung für kommunale Befragungen auch auf Einwohner der Gemeinde erstrecken sollte.265 Eine argumentative Untermauerung findet diese Auffassung lediglich zum Teil darin, dass eine Beteiligung von Einwohnern an kommunalen Befragungen aufgrund der fehlenden Verbindlichkeit des Befragungsergebnisses für eine Vertretungskörperschaft zulässig sein dürfte.266 Zum Teil wird die „rechtliche Unbedenklichkeit“ einer Erstreckung der Teilnahmeberechtigung auf Einwohner auch damit begründet, dass zu den örtlichen Gemeinschaften, deren Angelegenheiten eine jede Gemeinde zu regeln hat, nicht nur die Bürger gehörten, sondern alle in dieser Gemeinde lebenden Menschen und damit auch die Einwohner.267 Dieser Sichtweise kann jedoch nicht gefolgt werden. Im Ergebnis muss die Frage der Zulässigkeit einer gesetzlichen Regelung, die die Teilnahmeberechtigung an kommunalen Befragungen auf Einwohner erstreckt, verneint werden.268 264 Vgl. hierzu auch den rechtspolitischen Beitrag von Röper/Sieveking, ZAR 2011, S. 131 ff. 265 Schefold/Neumann, Entwicklungstendenzen, S. 134; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, § 6 Rn. 141. 266 Schefold/Neumann, Entwicklungstendenzen, S. 134. 267 Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 24. 268 So im Ergebnis auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 210; Schmidt, Kommunalrecht, Rn. 599a.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
Berücksichtigung finden muss in diesem Zusammenhang, dass die Bürger bzw. Einwohner durch die Teilnahme an einer kommunalen Befragung Staatsgewalt ausüben. Dies hat das Bundesverfassungsgericht für konsultative Volksbefragungen auf kommunaler Ebene ausdrücklich klargestellt.269 Die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung stellt damit trotz des in rechtlicher Hinsicht unverbindlichen Befragungsergebnisses eine Abstimmung i. S. v. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG dar.270 Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG bildet damit den normativen Anknüpfungspunkt und gleichfalls das rechtliche Einfallstor für die Begründung der hier vertretenen Auffassung, dass die Erweiterung des Kreises der abstimmungsberechtigten Personen auf Einwohner evident verfassungswidrig ist. Ob sich ein hiervon abweichendes Ergebnis möglicherweise in Bezug auf diejenigen Einwohner ergibt, die Inhaber der sog. Unionsbürgerschaft sind, soll im Anschluss an die Frage der grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Abstimmungsberechtigung von Einwohnern Erörterung finden.271 a) Das deutsche Volk als Legitimationssubjekt 272 Art. 20 Abs. 2. S. 2 GG führt in unmissverständlicher Deutlichkeit aus, dass die vom Volk ausgehende Staatsgewalt auch genau von diesem Volk in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt wird. Was genau unter dem verwendeten Begriff „Volk“ zu verstehen ist, wird vom Grundgesetz nicht näher ausgeführt. Im Schrifttum273 sowie verfassungsrechtlicher Rechtsprechung274 ist jedoch allge-
269 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 122, 133; siehe hierzu bereits 2. Teil § 4. 270 Vgl. auch Dreier, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 103; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 4; Robbers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, GG, Bd. V, Art. 20 Rn. 3073; in diese Richtung wohl auch Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. III, Art. 20 (unter II.) Rn. 111 f.; a. A. Krause, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. III, § 35 Rn. 24, der hierzu Folgendes ausführt: „Die hybride Natur einer unverbindlichen Volksbefragung schließt es zwar aus, den Bastard als Abstimmung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 GG zu werten, steht aber seiner Einordnung [. . .] als Ausübung der Staatsgewalt nicht entgegen [. . .]“ (dort Fn. 91). 271 Siehe hierzu 5. Teil § 7 III. 272 Diese Überschrift findet sich bereits bei Dreier, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 94. 273 Vgl. nur Dreier, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 94 m.w. N.; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 148 m.w. N.; Leisner, in: Sodan, GG, Art. 20 Rn. 8; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 4; Schnapp, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. I, Art. 20 Rn. 24; Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 20 Rn. 66; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. III, Art. 20 (unter II.) Rn. 79; Isensee, KritV 1987, 300 ff.; Huber, DÖV 1989, 531 ff.; Karpen, NJW 1989, 1012 ff.; Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 330, 348 ff.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 207 f.; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, S. 168 f.; Grawert, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. II, § 16 Rn. 31 ff., 20 ff.; Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. II, § 24 Rn. 26 ff.; vgl. zur a. A. die
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mein anerkannt, dass darunter das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland und damit die Aktivbürgerschaft als Gesamtheit aller wahlberechtigten Bürger zu verstehen ist. Das Volk, das die Staatsgewalt ausübt, wird nach dem Verständnis des Grundgesetzes damit von den deutschen Staatsangehörigen und den ihnen nach Art. 116 Abs. 1 GG gleichgestellten Personen gebildet.275 Daraus folgt wiederum, dass das Legitimationssubjekt Volk nicht mit der in Deutschland lebenden oder sich lediglich aufhaltenden Bevölkerung gleichgesetzt werden darf.276 Das Bundesverfassungsgericht begründet seine Auffassung damit, dass die Staatsangehörigkeit die rechtliche Voraussetzung für den staatsbürgerlichen Status bilde, der nicht nur gleiche Pflichten, sondern vielmehr auch die Rechte begründe, „durch deren Ausübung die Staatsgewalt in der Demokratie ihre Legitimation erfährt“.277 Weiterhin führt das Bundesverfassungsgericht zur Begründung insoweit systematische Erwägungen an, als dass die Regelung in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG im Zusammenhang mit anderen grundgesetzlichen Vorschriften zu verstehen sei und daher kein Zweifel daran bestehe, dass mit dem vom Grundgesetz verwendeten Begriff „Volk“ nur das deutsche Volk gemeint sein könne.278 Neben der Präambel des Grundgesetzes, die ausdrücklich das deutsche Volk erwähnt, seien dies insbesondere die Vorschriften in Art. 33 GG, Art. 56 GG, Art. 65 Abs. 2 GG und Art. 146 GG.279 Festgehalten werden kann damit, dass zumindest die Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen auf Bundesebene die Zugehörigkeit zum deutschen Staatsvolk voraussetzt. Diesem Zustand kommt jedoch keine Ewigkeitsgarantie zu. Das Grundgesetz eröffnet über die Regelung in Art. 73 Abs. 1 Nr. 2 GG dem Gesetzgeber die Möglichkeit, die Voraussetzungen für den Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit und damit auch die Kriterien, nach denen sich die Zugehörigkeit zum deutschen Volk näher bestimmt, zu regeln.280 Sofern der Gesetzgeber jedoch keine Änderung des Staatsangehörigenrechts vornimmt, ist ein Wahlund Stimmrecht insbesondere für Personen, die nicht Inhaber der deutschen Staatsangehörigkeit sind, verfassungswidrig.281
Nachweise bei Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 150 (dort Fn. 17). 274 Vgl. nur BVerfG, Urteil vom 31.10,1990 – 2 BvF 2, 6/89 –, BVerfGE 83, 37, 50 f. 275 BVerfG, Urteil vom 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/89 –, BVerfGE 83, 37, 51. 276 Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 148. 277 BVerfG, Urteil vom 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/89 –, BVerfGE 83, 37, 51. 278 BVerfG, Urteil vom 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/89 –, BVerfGE 83, 37, 51. 279 BVerfG, Urteil vom 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/89 –, BVerfGE 83, 37, 51. 280 Darauf verweist auch das BVerfG in dem Urteil vom 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/ 89 –, BVerfGE 83, 37, 51. 281 So auch Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 151.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
b) Der Volksbegriff auf kommunaler Ebene Nichts anderes gilt letztlich auch für die kommunale Ebene. Das soeben gefundene Ergebnis findet damit gleichfalls Geltung für den kommunalen Bereich, da für diesen kein eigenständiger „Kommunalvolksbegriff“ besteht.282 Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass auch der in Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG verwendete Begriff „Volk“ so verstanden werden müsse, dass hiervon nur Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG gemeint seien.283 Denn nach Ansicht des Gerichts weise schon der Wortlaut der Norm, der den Begriff „Volk“ einheitlich für Länder, Kreise und Gemeinden verwendet, daraufhin, dass es sich auch hier ausschließlich um diejenigen Deutschen handele, die jeweils das Volk bilden und dessen Vertretung wählen.284 Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts könne Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG entnommen werden, dass im Sinne einer „Einheitlichkeit der demokratischen Legitimationsgrundlage“ die „Grundentscheidungen der Verfassung für die Prinzipien der Volkssouveränität und der Demokratie sowie für ein demokratisches Wahlverfahren“ auch in Gemeinden und Gemeindeverbänden Anwendung finden müssen und damit nicht auf die Anwendung auf Bundes- und Landesebene beschränkt sind.285 Damit finde das in Art. 20 Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG für die staatliche Ebene verankerte demokratische Prinzip durch Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG seine Ausgestaltung für die Gemeinden und Kreise.286 Was jedoch für Kommunalwahlen gilt, muss auch gleichzeitig für kommunale Abstimmungen wie beispielsweise Bürger- und Einwohnerbefragungen gelten.287 Daraus folgt letztlich, dass eine gesetzliche Regelung, die den Einwohnern die Teilnahme an einer kommunalen Befragung und damit an einer Abstimmung im Sinne des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ermöglicht, als nicht im Einklang mit den Vorgaben des Grundgesetzes angesehen werden muss. Die gesetzlichen Regelungen im Saarland sowie in Schleswig-Holstein eröffnen auch Personen, die nicht Inhaber der deutschen Staatsangehörigkeit sind, die Möglichkeit zur Teilnahme an kommunalen Befragungen. Dies ist mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes schlechthin nicht vereinbar. Wollte man in verfassungsrechtlich zulässiger 282 BVerfG, Urteil vom 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/89 –, BVerfGE 83, 37, 53; Tettinger/Schwarz, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 74; Dreier, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 70; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 28 Rn. 6; Löwer, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. I, Art. 28 Rn. 26; Hennecke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Art. 28 Rn. 22; Nierhaus, in: Sachs, GG, Art. 28 Rn. 26; Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 127; Isensee, KritV 1987, 300, 306 f.; von Mutius, Kommunalrecht, Rn. 53 ff. 283 BVerfG, Urteil vom 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/89 –, BVerfGE 83, 37, 53. 284 BVerfG, Urteil vom 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/89 –, BVerfGE 83, 37, 53. 285 BVerfG, Urteil vom 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/89 –, BVerfGE 83, 37, 53. 286 BVerfG, Urteil vom 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/89 –, BVerfGE 83, 37, 55. 287 So im Ergebnis auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 210.
§ 7 Abstimmungsberechtigte Personen
255
Weise auf Landesebene eine Erstreckung der Teilnahmeberechtigung bei Abstimmungen auf Einwohner und damit auch auf solche Einwohner, die nicht Inhaber der deutschen Staatsangehörigkeit sind, einführen, setzte dies zunächst eine Änderung des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG voraus. Solange dies jedoch nicht geschehen ist, bleiben derartige landesgesetzliche Regelungen wie die Regelung zur Durchführung von Einwohnerbefragungen im Saarland sowie in Schleswig-Holstein verfassungswidrig. c) Vorgaben des Homogenitätsprinzips Ein hiervon abweichendes Ergebnis ergibt sich insbesondere auch nicht mit Blick auf das in Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG normierte Homogenitätsprinzip288. Aus diesem folgt, dass das Grundgesetz den Ländern bei der Ausgestaltung des Landesrechts einen „breiten Gestaltungsspielraum“ 289 belässt, da das Landesrecht lediglich den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes entsprechen muss. Das Homogenitätsprinzip fordert dabei keine Konformität oder Uniformität, sondern lediglich ein gewisses Maß an Homogenität.290 Betrachtet man nun jedoch die Möglichkeiten eines Landesgesetzgebers zur gesetzlichen Ausgestaltung der Teilnahme an kommunalen Abstimmungen, besteht der im Grundsatz von Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG eröffnete Spielraum nur in den eng umrissenen Grenzen des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG.291 Der erste Satz des Art. 28 Abs. 1 GG muss demnach zwingend im Zusammenhang mit der Aussage des Satzes 2 gelesen werden, wonach auch in Gemeinden eine vom Volk gewählte Vertretung bestehen muss.292 Dieser Satz 2 ergänzt das in Satz 1 geregelte Homogenitätsprinzip in seinem Aussagegehalt und bestimmt darüber hinaus „für seinen Regelungsgegenstand das zu wahrende Minimum an Homogenität“.293 Daher ist es einem Landesgesetzgeber verwehrt, die Berechtigung zur Teilnahme an kommunalen Befragungen auch auf Einwohner und damit insbesondere auf solche Einwohner, die nicht Inhaber der deutschen Staatsangehörigkeit sind, auszuweiten. Soweit teilweise in Bezug auf die rechtliche Zulässigkeit einer Erstreckung der Teilnahmeberechtigung auf Einwohner angeführt wird, dass auch Einwohner zu den örtlichen Gemeinschaften gehörten, deren Angelegenheiten die Gemeinde regeln294, muss diesem Gedanken zwar zugestimmt, den aus diesem Gedanken 288
Siehe hierzu bereits 4. Teil § 1 I. 1. So ausdrücklich BVerfG, Urteil vom 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/89 –, BVerfGE 83, 37, 45. 290 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. nur BVerfG, Urteil vom 31.10.1990 – 2 BvF 2 –, 6/89, BVerfGE 83, 37, 58 m.w. N. 291 BVerfG, Urteil vom 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/89 –, BVerfGE 83, 37, 58. 292 Vgl. BVerfG, Urteil vom 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/89 –, BVerfGE 83, 37, 58. 293 BVerfG, Urteil vom 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/89 –, BVerfGE 83, 37, 58. 294 So Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 24. 289
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
gezogenen rechtlichen Konsequenzen jedoch deutlich widersprochen werden. Aus oben genannten Gründen kann es nicht lediglich darauf ankommen, dass auch Einwohner Bestandteil einer örtlichen Gemeinschaft sind, deren Meinung eine Vertretungskörperschaft im Wege einer Befragung einholen möchte. d) Vergleich mit der rechtlichen Situation im Rahmen eines Bürgerentscheids Ein weiterer Aspekt, der im Rahmen der Frage der Verfassungsgemäßheit einer Einbeziehung von Einwohnern im Rahmen einer kommunalen Befragung Erörterung finden soll, ist der Vergleich zu der rechtlichen Situation im Rahmen der Durchführung eines Bürgerentscheids. Auch bei einem Bürgerentscheid üben die Teilnehmer Staatsgewalt aus, da es sich bei einem Bürgerentscheid um eine Abstimmung i. S. d. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG handelt.295 Im Rahmen der Durchführung eines Bürgerentscheids dürfte jedoch unstreitig sein, dass eine Einbeziehung von Einwohnern in den Kreis der abstimmungsberechtigen Personen verfassungsrechtlich nicht zulässig wäre. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, warum in Bezug auf die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung eine andere rechtliche Beurteilung angebracht sein sollte. Auch bei der Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung handelt es sich um eine Abstimmung i. S. d. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG296, in deren Rahmen die Befragungsteilnehmer Staatsgewalt ausüben.297 Insoweit kann auch nicht die fehlende rechtliche Verbindlichkeit des Ergebnisses einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung als Argument für die rechtliche Zulässigkeit einer Einbeziehung von Einwohnern angeführt werden. Abzulehnen ist daher auch die teilweise von Seiten der Literatur vertretene Auffassung, wonach eine Beteiligung von Einwohnern an kommunalen Befragungen bereits auf Grund der fehlenden Verbindlichkeit des Befragungsergebnisses als zulässig anzusehen ist.298 Nach dieser Auffassung ist das entscheidende Kriterium für die Frage der rechtlichen Zulässigkeit der Erstreckung des Teilnehmerkreises auf Einwohner, ob dem Ergebnis einer kommunalen Befragung eine rechtliche Verbindlichkeit zukommt und von Seiten der Abstimmenden damit unter Umständen eine Letztentscheidung getroffen wird. Diese Auffassung verkennt jedoch, dass der Frage des Bestehens einer rechtlichen Verbindlichkeit des Abstimmungser295
Vgl. nur Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 4. Vgl. auch Dreier, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 103; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 4; Robbers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, GG, Bd. V, Art. 20 Rn. 3073; in diese Richtung wohl auch Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. III, Art. 20 (unter II.) Rn. 111 f. 297 BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 122, 132; BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvF 3, 6/58 –, BVerfGE 8, 104, 113; siehe hierzu bereits 2. Teil § 4. 298 Schefold/Neumann, Entwicklungstendenzen, S. 134. 296
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gebnisses für die rechtliche Qualifizierung der Teilnahme an einer konsultativen wie auch dezisiven Befragung keine Bedeutung zukommt. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in dem Urteil zu den von Hamburg und Bremen erlassenen Volksbefragungsgesetzen ausdrücklich betont.299 3. Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit Festgehalten werden kann damit, dass eine Teilnahme von Einwohnern an kommunalen Befragungen verfassungsrechtlich nicht zulässig ist. Damit steht zugleich fest, dass die saarländische und die schleswig-holsteinische Regelung zur Durchführung von Einwohnerbefragungen gegen das in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG sowie in den jeweiligen Landesverfassungen300 verankerte Demokratieprinzip verstoßen.301 Die Gesetzgeber im Saarland sowie in Schleswig-Holstein haben sich damit bei dem Erlass dieser Regelungen über die in Art. 20 Abs. 3 GG vorgeschriebene Bindung an die verfassungsmäßige Ordnung hinweggesetzt. Mit der verfassungsmäßigen Ordnung ist nach allgemeiner Auffassung der gesamte Normenbestand des Grundgesetzes gemeint.302 Da der Vorrang der Verfassung einen Geltungsvorrang und nicht lediglich einen bloßen Anwendungsvorrang darstellt, ist nach der ganz herrschenden Meinung in der Rechtsprechung und Literatur ein gegen die Verfassung verstoßendes Gesetz grundsätzlich ipso iure, ex tunc und auf Dauer nichtig.303 Die Nichtigkeit gilt jedoch nur für den Umfang der Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz.304 Soweit die Literatur eine ex tunc Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze ipso iure teilweise ablehnt305, wird diese Auffassung zumeist damit begründet, dass der Grund für die Annahme einer solchen Rechtsfolge unter Geltung des Grundge299
BVerfG, Urteil vom 30.07.1958 – 2 BvG 1/58 –, BVerfGE 8, 104, 114 f. Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SHVerf; Art. 61 Abs. 1 SaarlVerf. 301 So in Bezug auf die saarländische Regelung im Ergebnis auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 210; vgl. auch Schmidt, Kommunalrecht, Rn. 599a. 302 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 32. 303 Vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 16.01.1996 – 2 BvL 4/95 –, BVerfGE 93, 373, 376; Beschluss vom 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91 –, BVerfGE 93, 1, 25; Urteil vom 10.01.1995 – 1 BvF 1/90, 1 BvR 342, 348/90 –, BVerfGE 92, 26, 27; Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 33; Robbers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, GG, Bd. V, Art. 20 Rn. 3298; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 256; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 84 m.w. N.; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 95 m.w. N.; Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 20 Rn. 168; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Art. 20 Rn. 58; vgl. allgemein hierzu C. Böckenförde, Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze; Söhn, Anwendungspflicht oder Aussetzungspflicht; Moench, Verfassungswidriges Gesetz und Normenkontrolle. 304 Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 95; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 84; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Art. 20 Rn. 58. 305 Vgl. nur Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. III, Art. 20 Rn. 44 m.w. N. 300
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setzes – auch mit Blick auf die Rechtslage unter der Weimarer Reichsverfassung306 – wegen der ausführlichen Zuständigkeiten und der effektiven Kontrollmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts weggefallen sei.307 Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Der Grundsatz, dass ein Gesetz im Falle eines Verstoßes gegen das Grundgesetz ipso iure und ex tunc nichtig ist, lässt sich aus einer Vielzahl grundgesetzlicher Bestimmungen308 herleiten.309 Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts, das seinen grundgesetzlichen Anknüpfungspunkt in Art. 100 Abs. 1 GG hat. Aus diesem Monopol folgt lediglich, dass einzig dem Bundesverfassungsgericht das Recht zukommt, ein formelles Gesetz verbindlich für verfassungswidrig zu erklären. Das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts dient lediglich der „wirksamen Durchsetzung des Vorrangs der Verfassung“ 310. Art. 100 Abs. 1 GG steht damit der Auffassung der ex tunc Nichtigkeit verfassungswidriger Normen ipso iure nicht im Wege. Beide Kommunalverfassungen sind damit, soweit sie einer Vertretungskörperschaft die Durchführung von Einwohnerbefragungen und allen Einwohnern damit die Teilnahme an diesen Befragungen erlauben, teilnichtig.311 Eine Fortgeltung beider verfassungswidrigen Gesetze kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Die Voraussetzungen dafür – ein deutliches Überwiegen der Nachteile einer Nichtigkeit gegenüber den Nachteilen einer begrenzten Fortgeltung312 – liegen hier nicht vor. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass mit der Nichtigkeit beider Normen überhaupt (schwerwiegende) Nachteile für Vertretungskörperschaften beider Bundesländer entstehen. Beiden Gesetzgebern bleibt es unbenommen, auf diesen Zustand insoweit umgehend zu reagieren, als dass sie ein verfassungsgemäßes Gesetz erlassen. Ferner sei an dieser Stelle auch angemerkt, dass eine verfassungskonforme Auslegung der beiden gesetzlichen Vorschriften vorliegend nicht in Betracht kommt. Die Möglichkeit einer solchen Auslegung endet stets dort, „wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde“ 313. Dies wäre vorliegend aufgrund des insoweit eindeutigen Wortlauts beider kommunalverfassungsrechtlichen Vorschriften der Fall.
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Vgl. hierzu Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. III, Art. 20 Rn. 44. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. III, Art. 20 Rn. 45. 308 Art. 1 Abs. 3, 19 Abs. 4 S. 1, 20 Abs. 3, 93 Abs. 1, 100, 123. 309 A. A. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. III, Art. 20 Rn. 45 m.w. N. 310 Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 257. 311 Den Begriff der Teilnichtigkeit verwenden auch Robbers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, GG, Bd. V, Art. 20 Rn. 3301; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 33. 312 Vgl. hierzu nur Robbers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, GG, Bd. V, Art. 20 Rn. 3299; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 256. 313 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. nur BVerfG, Urteil vom 14.12.1999 – 1 BvR 1327/98 –, BVerfGE 101, 312, 329 m.w. N. 307
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Nach vorzugswürdiger, wenngleich auch nicht unumstrittener Auffassung darf die vollziehende Gewalt Gesetze dann nicht mehr anwenden, sofern das jeweilige Rechtsanwendungsorgan das Gesetz für verfassungswidrig hält.314 Für diese Sichtweise spricht bereits die Regelung des § 76 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG, nach der ein Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG nur zulässig ist, wenn der Antragsteller Bundes- oder Landesrecht wegen seiner förmlichen oder sachlichen Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz oder dem sonstigen Bundesrecht für nichtig hält.315 Die damit eingeräumte Prüfungskompetenz wäre hinfällig, wenn für den Fall, dass eine Vorschrift für verfassungswidrig gehalten wird, nicht auch ein Recht zur Nichtanwendung der betreffenden Vorschrift bestünde. Soweit von der Gegenauffassung in diesem Zusammenhang die in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Gesetzesbindung der Verwaltung als Argument herangezogen wird, so vermag dies nicht zu überzeugen. Aus der Bindung der vollziehenden Gewalt an Recht und Gesetz kann gleichzeitig auch eine Befugnis abgeleitet werden, im Falle der Nichtigkeit einer Norm diese nicht anzuwenden.316 Auch in der Nichtanwendung einer Norm äußert sich die Bindung an Recht und Gesetz. Ferner führt der in diesem Zusammenhang zur Untermauerung der Argumentation häufig verwendete Art. 100 Abs. 1 GG317 an dieser Stelle nicht weiter. Die verbindliche Verwerfung einer Norm muss von der bloßen Nichtanwendung unterschieden werden. Die Nichtanwendung einer Norm durch die Verwaltung hat nicht die verbindliche Verwerfung zur Folge. Die mit der Nichtanwendung durch die Verwaltung möglicherweise einhergehende Nichteinheitlichkeit der Rechtsanwendungspraxis muss in diesem Zusammenhang hingenommen werden, da der vollziehenden Gewalt nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Art. 20 Abs. 3 GG die Anwendung einer für verfassungswidrig befundenen Norm schlechthin nicht zugemutet werden kann. Beachtet werden muss jedoch, dass der Streit um die Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit formeller Gesetze in Bezug auf die hier interessierende kommunale Praxis keine Auswirkungen haben dürfte. Trotz der ex tunc Nichtigkeit einer 314 OVG Lüneburg, Beschluss vom 15.10.1999 – 1 M 3614/99 –, NVwZ 2000, 1161, 1162; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 33; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 84, Robbers, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, GG, Bd. V, Art. 20 Rn. 3298; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 97 m.w. N.; a. A. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 98 m.w. N. (im Widerspruch zu Rn. 84); Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 257; Huster/Rux, in: Epping/ Hillgruber, GG, Art. 20 Rn. 168; Gärditz, in: Friauf/Höfling, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 108 ff.; vgl. zu diesem Meinungsstreit auch Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. III, Art. 20 Rn. 49; allgemein hierzu Söhn, Anwendungspflicht oder Aussetzungspflicht. 315 Darauf verweist auch Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 97. 316 Vgl. auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 15.10.1999 – 1 M 3614/99 –, NVwZ 2000, 1161, 1162. 317 Vgl. nur Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 20 Rn. 257.
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verfassungswidrigen Norm ipso iure dürfte in der kommunalen Praxis erst eine diesbezügliche Entscheidung eines Verfassungsgerichts eine Nichtanwendung der entsprechenden Normen zur Folge haben. Andernfalls erwartete man von einer Vertretungskörperschaft, dass diese selber über die Verfassungsmäßigkeit einer sie begünstigenden Norm befinden müsste. Aus diesem Grund ist nicht zu erwarten, dass eine Vertretungskörperschaft zu der Auffassung der Verfassungswidrigkeit der jeweiligen gesetzlichen Regelung zur Durchführung von Einwohnerbefragungen gelangt und diese Vorschrift trotz des sie begünstigenden Charakters folglich nicht mehr anwendet. Obgleich ein solches Verhalten vor dem Hintergrund der im Rahmen dieser Arbeit vertretenen Rechtsauffassung wünschenswert wäre, erscheint es wenig realistisch. Die Erklärung der Verfassungswidrigkeit der jeweiligen gesetzlichen Norm könnte einerseits durch den Saarländischen Verfassungsgerichtshof bzw. das Schleswig-Holsteinische Landesverfassungsgericht im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle318 erfolgen. Da jedoch gleichfalls durch die Verletzung des in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verankerten Demokratieprinzips auch Bestimmungen des Grundgesetzes betroffen sind, ist auch das Bundesverfassungsgericht im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle319 zuständig. Festzuhalten bleibt damit, dass nach der hier vertretenen Auffassung der Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelungen im Saarland sowie in SchleswigHolstein beide Regelungen nichtig sind. Diese dürfen, sofern Vertretungskörperschaften die Auffassung der Verfassungswidrigkeit teilen, von diesen nicht mehr angewendet werden.
III. Abstimmungsberechtigung für Unionsbürger Nach den vorausgegangenen Erörterungen streiten gewichtige Gründe dafür, dass eine Teilnahmeberechtigung von Einwohnern und damit auch zumindest von solchen Einwohnern, die nicht Inhaber einer Unionsbürgerschaft sind, nicht mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes bzw. der Landesverfassungen vereinbar ist. Fraglich ist jedoch, ob nicht etwas anderes für solche Einwohner einer Gemeinde gilt, die Inhaber einer sog. Unionsbürgerschaft sind. Unionsbürger ist nach Art. 20 Abs. 1 S. 2 AEUV jede Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzt. Die Unionsbürgerschaft tritt nach Art. 20 Abs. 1 S. 3 AEUV neben die jeweilige nationale Staatsbürgerschaft und ersetzt diese damit nicht. Unionsbürgern steht nach Art. 20 Abs. 2 lit. b AEUV insbesondere das Recht zur Teilnahme an Kommunalwahlen in dem Mitgliedsstaat zu, in dem sie ihren Wohnsitz haben. In Bezug 318 319
Art. 97 Nr. 2 SaarlVerf; Art. 44 Abs. 2 Nr. 2 SHVerf. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG.
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auf die Ausübung dieses Wahlrechts gelten dieselben Bedingungen wie für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats. Diese Regelung, die vor den Änderungen durch den Vertrag von Lissabon in Art. 17 EGV beheimatet war, hat in Deutschland ihre verfassungsrechtliche Ausformung in Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG320 gefunden. Danach sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe des Rechts der Europäischen Gemeinschaft kommunalwahlberechtigt. Betrachtet man zunächst lediglich die einfachgesetzlichen Vorgaben in Niedersachsen, im Saarland sowie in Schleswig-Holstein, muss die Teilnahmeberechtigung von Einwohnern, die Inhaber der Unionsbürgerschaft sind, an Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen als zulässig erachtet werden. In Bezug auf Einwohnerbefragungen im Saarland sowie in Schleswig-Holstein folgt dieses Ergebnis bereits daraus, dass durch die Erstreckung des Kreises der teilnahmeberechtigten Personen auf Einwohner alle in einer Gemeinde lebenden Personen zur Teilnahme berechtigt sind und damit auch Unionsbürger. Auch in Niedersachsen sind nach den kommunalverfassungsrechtlichen Vorgaben Unionsbürger zur Teilnahme an Bürgerbefragungen berechtigt. § 28 Abs. 2 NKomVG knüpft insoweit das Innehaben des Bürgerstatus an die Wahlberechtigung. Nach § 48 Abs. 1 S. 1 NKomVG sind jedoch auch solche Personen wahlberechtigt, die die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzen und damit Unionsbürger sind. Vor dem Hintergrund der insoweit eindeutigen Regelung in Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, der die Teilnahmeberechtigung von Unionsbürgern lediglich auf Kommunalwahlen, nicht jedoch auch auf Abstimmungen und damit gemeindliche Beteiligungsinstrumente wie die Bürger- bzw. Einwohnerbefragung erstreckt, stellt sich die Frage, ob eine einfachgesetzliche Ausgestaltung, die Unionsbürgern die Teilnahme an kommunalen Befragungen ermöglicht, verfassungsrechtlich zulässig ist.321 Im Schrifttum wurde über einen langen Zeitraum eine kontroverse Diskussion über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einfachgesetzlicher Regelungen geführt, die die Teilnahmeberechtigung von Unionsbürgern an kommunalen Beteiligungsinstrumenten wie Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden vorsahen. Eine gewichtige Anzahl von Stimmen in der Literatur vertreten dabei die Auffassung, dass die Teilnahme von Unionsbürgern an kommunalen Abstimmungen verfassungsrechtlich nicht zulässig sei.322 Begründet wird diese Auffassung vornehmlich damit, dass Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG als eine das Wahlvolk erweiternde 320 Eingefügt durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 21.12.1992, BGBl. I S. 2086. 321 Vgl. ausführlich hierzu Engelken, NVwZ 1995, 432 ff. 322 Vogelgesang, in: Friauf/Höfling, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 76; Tettinger/Schwarz, in: von Mangold/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 121; Maunz/Scholz, in: Maunz/ Dürig, GG, Bd. IV, Art. 28 Abs. 1 Rn. 41 f.; Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 184; Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 70 ff.; Karr, Institutio-
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Ausnahmevorschrift eng und damit nicht über den Wortlaut hinaus ausgelegt werden dürfe.323 Demgegenüber dürfte es mittlerweile jedoch der weit überwiegenden Auffassung entsprechen, dass einfachgesetzliche Regelungen, die die Teilnahme von Unionsbürgern an kommunalen Abstimmungen erlauben, aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden sind.324 Dafür streitet insbesondere ein ErstRecht-Schluss aus der Regelung in Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG. Aus dieser Grundentscheidung des Verfassungsgebers muss gefolgert werden, dass auch eine einfachgesetzlich geregelte Beteiligung von Unionsbürgern an kommunalen Beteiligungsinstrumenten mit dem Homogenitätsprinzip des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar ist. Erst kürzlich wurde diese Sichtweise auch vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof bestätigt.325 Gegenstand der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs war eine Popularklage, die sich gegen die kommunalverfassungsrechtlichen Regelungen richtete, durch die ausländischen Unionsbürgern das Recht zur Teilnahme an kommunalen Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden eingeräumt wird. Der Verfassungsgerichtshof hielt die Popularklage jedoch für unbegründet, da die angegriffenen Regelungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden seien.326 Festgehalten werden kann damit, dass der Teilnahmeberechtigung von Einwohnern einer Gemeinde, die Inhaber der Unionsbürgerschaft sind, sowohl in einfachgesetzlicher wie auch verfassungsrechtlicher Hinsicht keine Bedenken entgegenstehen.
IV. Teilnahmeberechtigung aller Bürger bzw. Einwohner Unabhängig von der Frage, ob bei kommunalen Befragungen lediglich Bürger oder weitergehend sogar Einwohner teilnahmeberechtigt sind, muss aus den gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen zwingend gefolgert werden, dass sich kommunale Befragungen stets an alle nen direkter Demokratie, S. 133 ff.; Meyer-Teschendorf/Hofmann, ZRP 1995, 290 ff.; Burkholz, DÖV 1995, 816 ff. 323 So ausdrücklich Maunz/Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. IV, Art. 28 Abs. 1 Rn. 41 f. 324 So Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 28 Rn. 8; Löwer, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. I, Art. 28 Rn. 33; Dreier, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 28 Rn. 81; Hellermann, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 28 Rn. 18; Hömig, in: Hömig, GG, Art. 28 Rn. 6; Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 28 Rn. 28; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 32; Engelken, NVwZ 1995, 432 ff.; Engelken, DÖV 1996, 737 ff.; Spies, Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, S. 156 ff.; Pröckl, Die unmittelbare Beteiligung der Bürger, S. 112. 325 BayVGH, Entscheidung vom 12.06.2013 – Vf. 11-VII-11 –, Ls. 3 (zitiert nach juris). 326 BayVGH, Entscheidung vom 12.06.2013 – Vf. 11-VII-11 –, Rn. 111 ff. (zitiert nach juris).
§ 7 Abstimmungsberechtigte Personen
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Bürger bzw. Einwohner einer Gemeinde zu wenden haben. Soweit in Niedersachsen von einer „Befragung der Bürgerinnen und Bürger“ 327 die Rede ist, hat der Gesetzgeber damit verdeutlicht, dass sich der Teilnehmerkreis einer Befragung auf alle Bürger einer Gemeinde bezieht und damit nicht lediglich auf einen ausgewählten Kreis von Gemeindebürgern.328 Selbiges ergibt sich auch aus der Vorschrift zur Durchführung von Einwohnerbefragungen im Saarland, in der von einer „Befragung der Einwohnerinnen und Einwohner“ 329 die Rede ist. Auch diese Formulierung lässt nur den Schluss zu, dass sich eine Befragung an alle Einwohner einer Gemeinde zu richten hat. Auch die schleswig-holsteinische Regelung spricht von einer „konsultativen Befragung der Einwohnerinnen und Einwohner“ 330 und sieht damit eine entsprechende Formulierung vor. Einer Gemeinde ist es damit verwehrt, im Rahmen einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung lediglich einen bestimmten Personenkreis zur Teilnahme zu berechtigen und damit nicht alle Bürger bzw. Einwohner der jeweiligen Gemeinde zur Teilnahme an der Befragung aufzurufen.331 Dies gilt unabhängig davon, ob die Beschränkung auf eine bestimmte Gruppe als willkürlich anzusehen ist oder aber ein sachlicher Grund für die Beschränkung vorliegt. Eine Einschränkung des Teilnehmerkreises ist damit auch dann als unzulässig anzusehen, wenn die Befragung einen bestimmten und damit klar abgrenzbaren Bereich von Personen betrifft. Die Unzulässigkeit einer Einschränkung des Kreises der teilnahmeberechtigten Personen folgt daraus, dass es in der Praxis kaum gemeindliche Angelegenheiten geben wird, bei denen der Kreis der betroffenen Personen wirklich so eindeutig festgelegt werden kann, dass auch nur diese Personen als von der Angelegenheit betroffen angesehen werden können. Da insbesondere häufig Infrastruktur- oder auch andere Baumaßnahmen zum Gegenstand kommunaler Befragungen gemacht werden, muss alleine aufgrund der im Zusammenhang mit diesen Baumaßnahmen entstehenden Kosten ein Interesse und damit auch eine Betroffenheit aller Bürger bzw. Einwohner in Bezug auf die jeweilige Angelegenheit bejaht werden. Ferner rückte die Möglichkeit der Beschränkung der Teilnahmeberechtigung auf bestimmte Personen das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung in die Nähe zur Betroffenenpartizipation. Wie eingangs dieser Arbeit jedoch bereits dargelegt wurde, handelt es sich bei dem Instrument der Bürgerbzw. Einwohnerbefragung um ein Instrument der Öffentlichkeitspartizipation.332
327
§ 35 S. 1 NKomVG. Thiele, NKomVG, § 35 unter 1.; Detjen, Demokratie in der Gemeinde, S. 134; so wohl auch Koch, in: Ipsen, NKomVG, § 35 Rn. 1. 329 § 20b Abs. 1 SaarlKSVG. 330 § 16c Abs. 3 S. 1 SHGO. 331 A. A. Woellner, in: Muth, Potsdamer Kommentar, BbgKVerf, § 13 Rn. 57. 332 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 3 I. 328
264
5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
Dass bedeutet, dass unabhängig von einer etwaigen Betroffenheit ausnahmslos alle Bürger bzw. Einwohner zur Teilnahme an einer kommunalen Befragung berechtigt sind.
V. Mindestalter Ein Mindestalter für die Teilnahme an kommunalen Befragungen besteht lediglich in Niedersachsen, da hier die Teilnahmeberechtigung für Bürgerbefragungen im Gegensatz zum Saarland und zu Schleswig-Holstein auf Bürger und damit auf Personen beschränkt ist, die kommunalwahlberechtigt sind. Die Berechtigung zur Teilnahme an einer Kommunalwahl ist in Niedersachsen jedoch unter anderem daran geknüpft, dass ein Mindestalter von 16 Jahren erreicht werden muss.333 Damit dürfen in Niedersachsen an einer kommunalen Befragung nur Bürger teilnehmen, die am Wahltag mindestens 16 Jahre alt sind.334 Eine solche Einschränkung des Grundsatzes der Allgemeinheit der Wahl335 ist rechtlich zulässig, da eine verantwortliche Abstimmungsentscheidung im Rahmen einer kommunalen Befragung lediglich bei einer entsprechenden Urteilsfähigkeit gewährleistet ist.336 Aus diesem Grund erscheint die Festsetzung eines nicht zu niedrig festgesetzten Mindestalters sogar geboten.337 Etwaige Abweichungen vom diesen Grundsatz im Wege einer Satzungsregelung müssen daher als unzulässig betrachtet werden. Demgegenüber besteht für die Durchführung von Einwohnerbefragungen im Saarland und in Schleswig-Holstein kein Mindestalter. In beiden Bundesländern sind nicht nur Bürger, sondern auch Einwohner und damit alle Personen mit einem Wohnsitz in der jeweiligen Gemeinde zur Teilnahme an einer Befragung berechtigt. Dafür, dass es sich bei dieser Folge der gesetzlichen Ausgestaltung um eine bewusste Entscheidung beider Landesgesetzgeber handelt, streitet ein Vergleich mit den gesetzlichen Regelungen des Instruments des Einwohnerantrags beider Kommunalverfassungen. In diesem Zusammenhang haben beide Gesetzgeber einschränkend geregelt, dass ein Einwohnerantrag lediglich von Einwohnern eingereicht werden kann, die das vierzehnte338 bzw. das sechzehnte Lebensjahr339 vollendet haben. Vor dem Hintergrund dieser Regelungen kann nicht da333
§ 48 Abs. 1 S. 1 NKomVG. Vgl. den Rechtsgedanken aus § 187 Abs. 2 S. 2 BGB, wonach bei der Berechnung des Lebensalters der Tag der Geburt mitgerechnet wird. 335 Vgl. hierzu nur Meyer, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. III, § 46 Rn. 1 ff. 336 Vgl. Koch, in: Ipsen, NKomVG, § 48 Rn. 5; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 23.10 1973 – 2 BvC 3/73 –, BVerfGE 36, 139, 141; ausführlich hierzu Meyer, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. III, § 46, Rn. 12 f. 337 Vgl. Wefelmeier, in: Blum/Häusler/Meyer, NKomVG, § 48 Rn. 4; Koch, in: Ipsen, NKomVG, § 48 Rn. 5. 338 § 16f Abs. 1 SHGO. 339 § 21 Abs. 1 SaarlKSVG. 334
§ 8 Verpflichtung zur Befragungsteilnahme
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von ausgegangen werden, dass beide Gesetzgeber es im Rahmen der Regelung zur Durchführung von Einwohnerbefragungen versäumt haben, eine entsprechende Einschränkung vorzunehmen. Nimmt man damit lediglich die gesetzlichen Bestimmungen im Saarland sowie in Schleswig-Holstein in Bezug, können alle Einwohner unabhängig ihres Alters an kommunalen Befragungen teilnehmen. Vor diesem Hintergrund bestehen erhebliche rechtliche Bedenken an der Zulässigkeit einer solchen Erstreckung des Teilnehmerkreises auf alle Einwohner. Ungeachtet der Frage der Zulässigkeit beider gesetzlicher Regelungen sollten Gemeinden diese Regelungen zumindest einschränkend dahingehend auslegen, dass zur Teilnahme an einer Befragung lediglich Einwohner berechtigt sind, die zumindest das vierzehnte Lebensjahr vollendet haben. Insoweit steht es Gemeinden auch frei, im Rahmen einer zwingend340 im Vorfeld einer kommunalen Befragung zu erlassenden Satzung341 bzw. im Rahmen der zu erlassenden Geschäftsordnungsbestimmungen342 ein Mindestalter festzusetzen, das erreicht werden muss, um an einer Befragung teilnehmen zu dürfen.
§ 8 Verpflichtung zur Befragungsteilnahme Bei der Durchführung kommunaler Befragungen geht es zumindest aus Sicht einer Vertretungskörperschaft auch um die Einholung von Informationen und damit um die Erlangung eines möglichst aussagekräftigen Meinungsbildes der Bürger- bzw. Einwohnerschaft in Bezug auf eine bestimmte Angelegenheit.343 Die Auferlegung einer Verpflichtung zur Teilnahme der Bürger bzw. Einwohner an einer kommunalen Befragung hätte daher den Vorteil, dass durch die Befragung ein repräsentatives Meinungsbild zu der jeweiligen Angelegenheit erlangt werden könnte. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob Bürgern bzw. Einwohnern die Teilnahme an einer kommunalen Befragung verpflichtend auferlegt werden könnte. Eine solche Verpflichtung könnte dabei zum einen gesetzlich geregelt werden oder aber von einer Vertretungskörperschaft durch Satzung, Geschäftsordnungsbestimmung oder einfachen Beschluss auferlegt werden. Festzuhalten ist zunächst, dass die gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen eine derartige Verpflichtung nicht vorsehen. Auch war soweit ersichtlich eine derartige Verpflichtung bisher noch nie Gegenstand eines Beschlusses einer Vertretungskörperschaft zur Durchführung einer Befragung oder einer entsprechenden Satzung oder Geschäftsordnungsbestimmung.
340 341 342 343
Siehe hierzu bereits 5. Teil § 3 I. 1. § 20b Abs. 3 SaarlKSVG. § 16c Abs. 4 SHGO. Vgl. hierzu bereits 2. Teil § 5.
266
5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
Gegen eine verpflichtende Teilnahme an kommunalen Befragungen streiten jedoch gewichtige Gründe. Wie im Folgenden noch erörtert werden wird, finden die Wahlrechtsgrundsätze auch für die Durchführung von Bürger- und Einwohnerbefragungen Anwendung.344 Zu diesen Wahlrechtsgrundsätzen zählt auch der Grundsatz der freien Wahl345. Nach zutreffender, wenn auch nicht unumstrittener Auffassung346 steht der Grundsatz der freien Wahl einer einfachgesetzlichen Einführung einer Wahlpflicht entgegen.347 Nichts anderes kann letztlich auch für kommunale Abstimmungen gelten. Aus dem Grundsatz der freien Wahl folgt zunächst, dass die Abgabe einer Stimme frei sein muss und daher kein unzulässiger Druck auf die Teilnehmer einer Abstimmung ausgeübt werden darf. Ferner folgt aus diesem Grundsatz, dass den teilnahmeberechtigen Bürgern bzw. Einwohnern auch die Entscheidung über das „Ob“ der Teilnahme frei stehen muss. Mit diesem Grundsatz ist es folglich unvereinbar, wenn durch eine gesetzliche Regelung oder eine Entscheidung einer Vertretungskörperschaft den Bürgern bzw. Einwohnern die Pflicht zur Teilnahme an einer kommunalen Befragung auferlegt wird. Das für die Vereinbarkeit einer Wahlpflicht mit dem Grundsatz der freien Wahl teilweise vorgebrachte Argument der Möglichkeit der Enthaltung der Stimme bzw. der Abgabe eines ungültigen Stimmzettels348 vermag in diesem Zusammenhang nicht zu überzeugen.349 Es wäre schlichtweg unverhältnismäßig, einen jeden Wahlberechtigten vor diesem Hintergrund zum Wahlgang zu zwingen.350 Da somit jegliche Regelungen, die eine wie auch immer geartete Verpflichtung zur Teilnahme an einer kommunalen Befragung auferlegen, rechtlich nicht haltbar sind351, kann auch die Frage offen bleiben, ob einer Gemeinde der Erlass einer solchen Regelung noch aus anderen rechtlichen Erwägungen verwehrt bleiben muss. So wird teilweise von Seiten der Literatur in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass eine Gemeinde bereits aufgrund des Gesetzesvorbehalts und da344
Siehe hierzu 5. Teil § 13 I. Vgl. ausführlich hierzu Meyer, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. III, § 46 Rn. 23 ff. 346 Für die Zulässigkeit einer Wahlpflicht plädieren Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Art. 38 Rn. 26; Silberkuhl, in: Hömig, GG, Art. 38 Rn. 8, der die Auffassung der Zulässigkeit einer Wahlpflicht sogar als h. M. ansieht; vgl. auch die Nachweise bei Trute, in: von Münch/Kunig, GG. Bd. I, Art. 38 Rn. 39 (dort Fn. 176). 347 Morlock, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 38 Rn. 83 m.w. N.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38 Rn. 16; Achterberg/Schulte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 38 Rn. 125; Trute, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. I, Art. 38 Rn. 39 m.w. N.; Magiera, in: Sachs, GG, Art. 38 Rn. 85; Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. IV, Art. 38 Rn. 108; Schreiber, in: Friauf/Höfling, GG, Bd. III, Art. 38 Rn. 99; Butzer, in: Epping/ Hillgruber, GG, Art. 38 Rn. 58. 348 So Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Art. 38 Rn. 26. 349 So ausdrücklich auch Schreiber, in: Friauf/Höfling, GG, Bd. III, Art. 38 Rn. 99. 350 So auch Morlok, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 38 Rn. 83. 351 Vgl. auch Knemeyer, BayBgm. 1971, 87, 91. 345
§ 9 Eingrenzung des Abstimmungsgebiets
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mit wegen des Fehlens einer speziellen Ermächtigungsgrundlage in der Kommunalverfassung eine derartige Verpflichtung nicht aussprechen dürfe.352 Ob diese Begründung indes alleine ausreichend ist, um die rechtliche Unzulässigkeit einer Verpflichtung zur Teilnahme an der Befragung zu untermauern, darf bezweifelt werden. Aus der bereits an anderer Stelle hergeleiteten Unzulässigkeit der Durchführung kommunaler Befragungen ohne entsprechende gesetzliche Grundlage353 folgt nicht gleichzeitig, dass die erforderliche gesetzliche Grundlage auch umfassende Regelungen zu allen Einzelheiten in Bezug auf die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen enthalten muss.354 Festgehalten werden kann damit, dass die Teilnahme an kommunalen Befragungen stets freiwillig sein muss und damit jede entgegenstehende gesetzliche oder auch gemeindliche Regelung, sei es in Form eines einfachen Beschlusses, einer Satzungsregelung oder aber einer Geschäftsordnungsbestimmung, rechtswidrig ist.
§ 9 Möglichkeit der Eingrenzung des Abstimmungsgebiets Die gesetzlichen Regelungen zur Durchführungen von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen enthalten keine Regelungen, die eine Vertretungskörperschaft zur räumlichen Eingrenzung des Abstimmungsgebiets ermächtigen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob eine Vertretungskörperschaft im Rahmen einer Satzung oder eines Beschlusses zur Durchführung einer Befragung das Abstimmungsgebiet einer Befragung einschränken kann. Eine solche Vorgehensweise hätte die Folge, dass die Befragung lediglich in einem Teil des Gemeindegebietes durchgeführt wird und damit auch lediglich diejenigen Bürger bzw. Einwohner zur Teilnahme berechtigt sind, die in diesem Teil der Gemeinde ihren Wohnsitz haben. Soweit ersichtlich wurde bei allen bisher durchgeführten Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen von Seiten einer Vertretungskörperschaft das Abstimmungsgebiet entsprechend dem jeweiligen Gemeindegebiet festgelegt. Damit wurden in der Vergangenheit soweit ersichtlich noch keine kommunalen Befragungen durchgeführt, bei denen das Befragungsgebiet eingegrenzt wurde. Die Frage der rechtlichen Zulässigkeit einer Eingrenzung des Befragungsgebiets wurde jedoch virulent im Zusammenhang mit einer im Vorfeld der Lüneburger Bürgerbefragung355 vom Kreistag Lüneburg im Mai 2012 erlassenen Grundlagensatzung.356 Diese 352
Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 595. Siehe hierzu bereits 4 Teil § 2. 354 Siehe hierzu bereits 4. Teil § 2 XII. 1. 355 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 2 II. 2. 356 Die sog. „Rahmensatzung“ ist abrufbar auf der Homepage der Hansestadt Lüneburg unter http://www.hansestadtlueneburg.de/Portaldata/1/Resources/lklg_dateien/lk 353
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
Satzung sah eine Regelung vor, wonach Bürgerbefragungen auch in Teilgebieten des Landkreises Lüneburg durchgeführt werden dürfen. Diese Satzungsbestimmung wurde vom Kreistag im Juli 2012 dahingehend abgeändert, dass sich das Abstimmungsgebiet nunmehr auf das gesamte Gebiet des Landkreises Lüneburg zu beziehen hat.357 Der Grund für diese Änderung war eine auf Nachfrage des Kreistages geäußerte Rechtsauffassung des Niedersächsischen Innenministeriums, wonach die gesetzliche Regelung zur Durchführung von Bürgerbefragungen nur dergestalt ausgelegt werden könne, dass stets alle Bürger der jeweiligen Gemeinde teilnahmeberechtigt sind, da es bei der Durchführung einer Befragung um das Votum der gesamten Bürgerschaft gehe.358
I. Sonderfall: Eingrenzung des Abstimmungsgebiets auf Ortschaften, Stadtbezirke und Ortsteile Im Zusammenhang mit der Beantwortung der Frage der rechtlichen Zulässigkeit einer räumlichen Eingrenzung des Abstimmungsgebiets soll zunächst auf diejenigen gesetzlichen Regelungen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein eingegangen werden, die ausdrücklich die Durchführung einer kommunalen Befragung in Ortschaften, Stadtbezirken oder Ortsteilen zulassen. In Niedersachsen wird insoweit geregelt, dass der Ortsrat einer Ortschaft bzw. der Stadtbezirksrat eines Stadtbezirks in Angelegenheiten, deren Bedeutung über die Ortschaft bzw. den Stadtbezirk nicht hinausgeht, eine Befragung der Bürger in der Ortschaft bzw. in dem Stadtbezirk beschließen kann.359 Ähnlich dieser Regelung besteht in Schleswig-Holstein eine Bestimmung, wonach auch eine auf das Gebiet eines Ortsteils beschränkte Einwohnerbefragung durchgeführt werden darf, sofern es sich um eine Angelegenheit des Ortsteils handelt und der Ortsbeirat für diese zuständig ist.360 Ergänzend hierzu wird geregelt, dass im Rahmen einer Einwohnerbefragung in Ortsteilen nur die im Ortsteil wohnenden Einwohner teilnahmeberechtigt sind.361 lg_dokumente/allgemein/RahmenRahmens_-_Lesefassung.pdf (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 357 Vgl. hierzu die „Satzung zur Änderung der Rahmensatzung des Landkreises Lüneburg für Bürgerbefragungen nach § 35 NKomVG“, Amtsblatt für den Landkreis Lüneburg vom 09.08.2012, S. 212; vgl. hierzu auch die Beschlussvorlage 2012/184 des Landrates des Landkreises Lüneburg, abrufbar unter http://www.landkreis-lueneburg. de/Portaldata/1/Resources/lklg_dateien/lklg_dokumente/allgemein/2012_184_Buerger befragung_SSatzun.pdf (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 358 Die Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport ist abgedruckt in der Beschlussvorlage 2012/184 des Landrates des Landkreises Lüneburg, abrufbar unter http://www.landkreis-lueneburg.de/Portaldata/1/Resources/lklg_dateien/ lklg_dokumente/allgemein/2012_184_Buergerbefragung_SSatzun.pdf (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 359 § 93 Abs. 3 S. 1 NKomVG. 360 § 16c Abs. 3 S. 2 SHGO.
§ 9 Eingrenzung des Abstimmungsgebiets
269
Streng genommen handelt es sich bei diesen gesetzlichen Regelungen jedoch nicht um Fälle einer räumlichen Eingrenzung des Abstimmungsgebiets. Von einer räumlichen Eingrenzung des Abstimmungsgebiets kann immer nur dann die Rede sein, wenn eine Befragung lediglich in einem Teilgebiet desjenigen Gebiets stattfindet, für das die gemeindliche Vertretungskörperschaft als Initiator der jeweiligen Befragung die Kompetenz zur Durchführung besitzt. Eine Eingrenzung des Abstimmungsgebiets könnte in dem oben genannten Zusammenhang damit nur dann erblickt werden, sofern die Zuständigkeit für die Durchführung der Befragungen in den genannten Gemeindebereichen bei der jeweiligen Vertretungskörperschaft der Gemeinde verbliebe. Dies ist jedoch nach den gesetzlichen Regelungen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein nicht der Fall. Zuständig für die Entscheidung zur Durchführung einer Befragung in einer Ortschaft, einem Stadtbezirk bzw. einem Ortsteil ist vielmehr der Ortsrat, der Stadtbezirksrat bzw. der Ortsbeirat. Beschließt jedoch ein Ortsrat, ein Stadtbezirksrat bzw. ein Ortsbeirat eine Befragung auf dem Gebiet der jeweiligen Ortschaft, des Stadtbezirks bzw. des Ortsteils, kann darin keine Eingrenzung des Abstimmungsgebiets erblickt werden. Die gesetzlichen Regelungen in Niedersachsen sowie in Schleswig-Holstein sehen damit insoweit lediglich eine Erweiterung der Zuständigkeit zur Initiierung kommunaler Befragungen auf den Ortsrat, den Stadtbezirksrat bzw. den Ortsbeirat vor. Beide gesetzlichen Regelungen enthalten damit gleichfalls die Aussage, dass die auf eine Ortschaft, einen Stadtbezirk bzw. einen Ortsteil beschränkte Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung nur dann als rechtlich zulässig angesehen werden kann, sofern der Ortsrat, der Stadtbezirksrat bzw. der Ortsbeirat selber die Durchführung einer solchen Befragung beschließt und die Bedeutung der jeweiligen Befragung nicht über diesen räumlichen Bereich der jeweiligen Gemeinde hinausgeht. Im Saarland besteht demgegenüber keine vergleichbare Vorschrift. In Bezug auf Gemeindebezirke362 sieht § 74 SaarlKSVG eine abschließende Aufzählung derjenigen Vorschriften vor, die sinngemäß auf den Ortsrat eines Gemeindebezirks anzuwenden sind. In diesem Zusammenhang findet jedoch lediglich das Instrument der Einwohnerfragestunde363 Erwähnung364, nicht jedoch auch das Instrument der Einwohnerbefragung. Die Folge dieses Fehlens einer Verweisung ist, dass im Saarland der Ortsrat eines Gemeindebezirks nicht die Durchführung von Einwohnerbefragungen, die sich auf das Gebiet des jeweiligen Gemeindebezirks beschränken, beschließen darf.
361 362 363 364
§ 16c Abs. 3 S. 3 SHGO. Regelungen zu den Gemeindebezirken befinden sich in den § 70 ff. SaarlKSVG. § 20a KSVG; siehe hierzu bereits 3. Teil § 2 V 3. § 74 Nr. 1 SaarlKSVG.
270
5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
II. Eingrenzung des Abstimmungsgebiets auf frei gewählte Gemeindeteile Nach den vorausgegangenen Erörterungen stellt sich damit nach wie vor die Frage, ob eine gemeindliche Vertretungskörperschaft beschließen kann, dass die Durchführung einer kommunalen Befragung lediglich in einem bestimmten abgrenzbaren Bereich der Gemeinde stattfindet mit der Folge, dass lediglich diejenigen Bürger bzw. Einwohner teilnahmeberechtigt sind, die in diesem Bereich ihren Wohnsitz haben. Ausdrückliche gesetzliche Regelungen diesbezüglich bestehen nicht. Jedoch kann insoweit auf die bereits erwähnten Regelungen Bezug genommen werden, die die Durchführung von Befragungen in Ortschaften, Stadtbezirken bzw. Ortsteilen zum Gegenstand haben. Wie soeben bereits erörtert wurde, enthalten diese Regelungen keine Aussagen in Bezug auf die vorliegende Fragestellung. Denn es handelt sich bei diesen Vorschriften gerade nicht um Regelungen, durch die die Vertretungskörperschaft einer Gemeinde zu einer Beschränkung des Befragungsgebietes ermächtigt wird. Jedoch kann aus diesen Regelungen zumindest insoweit ein Umkehrschluss gezogen werden, als dass es in Niedersachsen und in Schleswig-Holstein einer Vertretungskörperschaft verwehrt ist, die Durchführung einer Befragung zu beschließen, bei der sich das Abstimmungsgebiet lediglich auf eine Ortschaft, einen Stadtbezirk bzw. einen Ortsteil bezieht. Eine solche Entscheidung muss zwingend vom jeweiligen Ortsrat, dem Stadtbezirksrat bzw. dem Ortsbeirat getroffen werden. Überdies kann aus beiden gesetzlichen Regelungen auch gefolgert werden, dass beide Gesetzgeber das Problem gesehen haben, dass im Rahmen der Durchführung kommunaler Befragungen durchaus das Interesse nach einer Eingrenzung des Abstimmungsgebiets bestehen kann. Diese Problematik wurde von beiden Gesetzgebern jedoch in der bereits beschriebenen Art und Weise gelöst, dass bei einer Beschränkung des Befragungsgebiets auf Ortschaften, Stadtbezirke bzw. Ortsteile die Befragung auch von dem jeweiligen Ortsrat, dem Stadtbezirksrat bzw. dem Ortsbeirat beschlossen werden muss. Damit ist es der Vertretungskörperschaft einer Gemeinde nicht gestattet ist, dass Abstimmungsgebiet auf andere Art und Weise einzuschränken. Ähnlich argumentierte auch das niedersächsische Innenministerium im Vorfeld der Bürgerbefragung in Lüneburg365: Nach Auffassung des Ministeriums gehe es sowohl bei der in Frage stehenden Befragung in Teilen eines Landkreises sowie
365 Die Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport ist abgedruckt in der Beschlussvorlage 2012/184 des Landrates des Landkreises Lüneburg, abrufbar unter http://www.landkreis-lueneburg.de/Portaldata/1/Resources/lklg_dateien/ lklg_dokumente/allgemein/2012_184_Buergerbefragung_SSatzun.pdf (zuletzt abgerufen am 27.01.2015).
§ 9 Eingrenzung des Abstimmungsgebiets
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bei Befragungen in Ortschaften bzw. Stadtbezirken um Belange der jeweiligen Gemeinde, der jeweiligen Ortschaft bzw. des Stadtbezirks und damit um den eigenen Zuständigkeitsbereich.366 Im Unterschied zu Ortschaften und Stadtbezirken besäße der Teil eines Landkreises jedoch keine eigenen Zuständigkeiten.367 Da in Niedersachsen für die Kreisebene eine entsprechende gesetzliche Regelung zur Durchführung kommunaler Befragungen fehle, sei eine Teilbefragung auf Kreisebene unzulässig.368 Gegen die rechtliche Zulässigkeit der beliebigen Eingrenzung des Abstimmungsgebiets streitet ferner, dass es in der Praxis erhebliche Probleme bereiten dürfte, das Abstimmungsgebiet derart einzugrenzen, dass tatsächlich nur diejenigen Bürger bzw. Einwohner an der Abstimmung teilnehmen, die von der jeweiligen Angelegenheit betroffen sind. Rechtliche Bedenken bestehen in diesem Zusammenhang auch insoweit, als dass es in der Praxis nur wenige Angelegenheiten geben dürfte, die nicht mit einer finanziellen Belastung der jeweiligen Gemeinde verbunden sind und die damit keine Haushaltsrelevanz aufweisen. Geht es jedoch um die Frage einer etwaigen finanziellen Belastung einer Gemeinde, sind von dieser Angelegenheit stets alle Bürger bzw. Einwohner der jeweiligen Gemeinde betroffen. Diese generelle Betroffenheit besteht unabhängig davon, ob die eigentliche Angelegenheit der Befragung unmittelbar nur einen in räumlicher Hinsicht einschränkbaren Teil der Bürger- bzw. Einwohnerschaft trifft. Überdies stellt sich in Bezug auf Niedersachsen und Schleswig-Holstein auch die Frage nach dem Bedürfnis einer Eingrenzung des Abstimmungsgebiets. In beiden Bundesländern eröffnen die gesetzlichen Regelungen dem Ortsrat, dem Stadtbezirksrat bzw. dem Ortsbeirat bereits die Möglichkeit, die Durchführung einer kommunalen Befragung innerhalb der jeweiligen Ortschaft, des jeweiligen Stadtbezirks bzw. des jeweiligen Ortsteils zu initiieren. Festgehalten werden kann damit, dass es einer Vertretungskörperschaft verwehrt ist, im Rahmen einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung eine räumliche Eingrenzung des Befragungsgebietes vorzunehmen. Sofern von Teilen der Literatur in diesem Zusammenhang aus der gemeindlichen Organisationshoheit das Recht einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft hergeleitet wird, auch „kleinräumigere Befragungen“ nach einem „sinnvoll erscheinenden Zuschnitt“ vornehmen zu dürfen369, verdient diese Ansicht aus den bereits dargelegten Gründen keine Zustimmung.
366 367 368 369
Beschlussvorlage 2012/184 des Landrates des Landkreises Lüneburg. Beschlussvorlage 2012/184 des Landrates des Landkreises Lüneburg. Beschlussvorlage 2012/184 des Landrates des Landkreises Lüneburg. So Bracker/Dehn, SHGO, § 16c, zu Absatz 3 Rn. 4.
272
5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
§ 10 Befragungen auf Kreisebene Von dem Instrument der Bürgerbefragung können in Niedersachsen auch Landkreise370 Gebrauch machen. Da in § 35 S. 1 NKomVG lediglich Erwähnung findet, dass eine Vertretungskörperschaft in Angelegenheiten der Kommune eine Befragung der Bürger beschließen kann, gilt diese Vorschrift nicht nur für Gemeinden, sondern auch für Kreise. Insoweit folgt aus der Legaldefinition in § 1 Abs. 1 NKomVG, dass auch Landkreise als Kommunen anzusehen sind.371 Auch im Saarland können Einwohnerbefragungen nicht nur auf Gemeindeebene, sondern auch auf Kreisebene durchgeführt werden.372 Demgegenüber muss die Durchführung von Einwohnerbefragungen auf Kreisebene in Schleswig-Holstein als unzulässig angesehen werden. Die gesetzlichen Regelungen der Kreisordnung zur Bürgerbeteiligung373 sehen insoweit nicht die Möglichkeit zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen vor.374
§ 11 Informationspflichten im Vorfeld kommunaler Befragungen Im Vorfeld der Durchführung eines Bürgerentscheids ist eine Vertretungskörperschaft verpflichtet, die Bürger über die zur Abstimmung gestellte Angelegenheit zu informieren.375 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob vergleichbare Informationspflichten auch für eine Vertretungskörperschaft bestehen, die im Begriff ist, ein Bürger- bzw. Einwohnerbefragung durchzuführen.
I. Sinn und Zweck einer Informationspflicht Eine effektive Beteiligung der Bürger bzw. Einwohner im Rahmen kommunaler Befragungen setzt voraus, dass im Vorfeld einer Befragung eine entsprechende Unterrichtung des Kreises der teilnahmeberechtigten Personen erfolgt.376 Insoweit unterscheidet sich die Situation im Rahmen eines Bürgerentscheids nicht von der im Rahmen der Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefra370
Vgl. § 3 NKomVG. Aus § 35 S. 1 i.V. m. § 1 Abs. 1 NKomVG folgt damit auch, dass auch Samtgemeinden und die Region Hannover Bürgerbefragungen durchführen dürfen. 372 Nach § 153a SaarlKSVG gelten die Vorschriften der Gemeindeordnung über die Einwohnerbefragungen entsprechend auch für die Landkreise. 373 §§ 16a ff. SHKO. 374 Siehe zu dem Erfordernis einer einfachgesetzlichen Grundlage für die Durchführung kommunaler Befragungen 4. Teil § 2. 375 Vgl. hierzu ausführlich Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 238 ff.; Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 161 ff. 376 Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 88. 371
§ 11 Informationspflichten im Vorfeld kommunaler Befragungen
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gung. Auch hierbei können die Bürger bzw. Einwohner nur dann in einer sinnvollen Art und Weise von ihrem Beteiligungsrecht Gebrauch machen, wenn ihnen vorab seitens der Vertretungskörperschaft umfassende Informationen in Bezug auf die jeweilige Angelegenheit zur Verfügung gestellt worden sind. Die Wichtigkeit der Gewährung von Informationen zeigt sich somit darin, dass sich die Befragungsteilnehmer ohne ein entsprechendes Hintergrundwissen keine fundierte Meinung zu der jeweiligen Angelegenheit bilden und demnach auch keine sachgerechte Entscheidung treffen können.377 Lediglich auf Grundlage umfassender Informationen kann seitens der Bürger- bzw. Einwohnerschaft die erforderliche Abwägung der wesentlichen Vor- und Nachteile in Bezug auf die jeweilige Angelegenheit vorgenommen werden.378 Überdies dürfte die Bereitstellung von Informationen seitens einer Vertretungskörperschaft auch dazu führen, dass viele Bürger bzw. Einwohner überhaupt erst Kenntnis von der jeweiligen Angelegenheit bekommen und damit einhergehend auch eine Sensibilisierung für diese Angelegenheit erfahren. Auch kann nicht ausgeschlossen werden, dass einige Bürger bzw. Einwohner aufgrund der Informationsgewährung überhaut erst die Entscheidung zur Teilnahme an der jeweiligen Befragung treffen. Eine umfassende Bereitstellung von Informationen im Vorfeld einer Befragung kann daher auch eine mobilisierende Wirkung entfalten.
II. Bestehen einer Informationspflicht Eine ausdrückliche gesetzliche Verankerung einer Informationspflicht der Vertretungskörperschaft im Vorfeld kommunaler Befragungen besteht lediglich im Saarland379 sowie in Schleswig-Holstein380. Die niedersächsische Regelung zur Durchführung von Bürgerbefragungen enthält demgegenüber keine vergleichbare Informationspflicht. Ungeachtet der fehlenden gesetzlichen Verankerung muss jedoch auch in Niedersachsen das Bestehen einer Informationspflicht für eine Vertretungskörperschaft im Vorfeld kommunaler Befragungen bejaht werden. Eine Gemeinde ist im Rahmen ihrer allgemeinen kommunalen Öffentlichkeitsarbeit381 angehalten und sogar verpflichtet, im Vorfeld kommunaler Befragung den Bürgern bzw. Einwohnern Informationen über den jeweiligen Befragungsgegenstand zur Verfügung zu stellen. Die kommunale Öffentlichkeitsarbeit stellt einen
377 Vgl. in Bezug auf die vergleichbare Situation bei Bürgerentscheiden auch Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 162. 378 So in Bezug auf die vergleichbare Situation im Vorfeld eines Bürgerentscheids Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 239. 379 § 20b Abs. 2 S. 1 SaarlKSVG. 380 § 16c Abs. 3 S. 3 i.V. m. § 16g Abs. 6 S. 1 SHGO. 381 Vgl. ausführlich hierzu Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 88 f.; siehe bereits 3. Teil § 2 V. 4. zur Einwohnerunterrichtung.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
Ausfluss des Demokratieprinzips dar und ist damit wesentlich für eine effektive Bürgerbeteiligung.382
III. Umfang und Grenzen der Informationspflicht In Bezug auf den Umfang der Informationspflicht ist im Saarland geregelt, dass den Einwohnern vor Durchführung einer Befragung die von den Gemeindeorganen vertretenen Auffassungen in der Form einer öffentlichen Bekanntmachung dargelegt werden müssen.383 Der Wortlaut dieser Vorschrift ist insoweit eher eng formuliert, als dass er keine umfassende Informationspflicht einer Vertretungskörperschaft regelt. Die Vorschrift ist jedoch ergänzend und damit über den Wortlaut hinausgehend dahingehend auszulegen, dass zusätzlich zu der Darlegung der vertretenen Auffassungen auch Informationen zur Angelegenheit der Befragung zur Verfügung gestellt werden müssen. Ohne eine solche Darstellung der eigentlichen Sachlage wäre eine Darlegung der vertretenen Meinungen hierzu geradezu nutzlos, da es am erforderlichen Sachzusammenhang mangelte. Die Praxis des bisherigen Satzungserlasses im Saarland lässt sich dergestalt beschreiben, dass einige Grundlagensatzungen es lediglich bei einer Wiederholung des Wortlauts der gesetzlichen Regelung belassen, andere Satzungen wiederum zwar auf die gesetzliche Bestimmung Bezug nehmen, darüber hinausgehend jedoch auch fordern, dass neben der aus einer Abstimmung hervorgegangenen Mehrheitsmeinung der Vertretungskörperschaft auch die jeweils von den Fraktionen vertretenen Auffassungen zu veröffentlichen sind, sofern die Fraktionen ihre jeweilige Auffassung innerhalb einer bestimmten Frist vorlegen. Einer solchen Erweiterung des gesetzlich geregelten Umfangs der Informationspflicht stehen keine rechtlichen Bedenken gegenüber. Indem der saarländische Gesetzgeber den Gemeinden das Recht zur Ausgestaltung der Einzelheiten zur Durchführung einer Befragung durch Satzung eingeräumt hat384, ermächtigt er sie gleichfalls auch zur Erweiterung der Informationspflichten. Lediglich eine Einschränkung der gesetzlichen Informationspflicht durch Satzungsregelungen wäre unzulässig. In Schleswig-Holstein ist der Umfang der Informationspflicht durch einen Verweis im Rahmen der Vorschrift über die Durchführung von Einwohnerbefragung auf die Vorschriften zur Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden gesetzlich geregelt.385 Nach den entsprechend anwendbaren Vorschriften zu den Informationspflichten im Rahmen eines Bürgerentscheids müssen die Einwohner im Vorfeld einer Einwohnerbefragung über den Gegenstand der Be382 Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 165 m.w. N. (dort Fn. 801); Knemeyer, Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, S. 88. 383 § 20b Abs. 2 S. 1 SaarlKSVG. 384 § 20b Abs. 3 SaarlKSVG. 385 § 16c Abs. 3 S. 3 i.V. m. § 16g Abs. 6 S. 1 und 2 SHGO.
§ 11 Informationspflichten im Vorfeld kommunaler Befragungen
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fragung sowie die Auffassung der Vertretungskörperschaft zur jeweiligen Angelegenheit informiert werden. Trotz fehlender gesetzlich geregelter Informationspflicht wird auch für Niedersachsen zu fordern sein, dass eine Vertretungskörperschaft im Vorfeld einer Befragung die Bürgerschaft umfassend informiert. Obgleich einer jeden Vertretungskörperschaft, die im Begriff ist, eine Bürgerbefragung durchzuführen, aufgrund der insoweit fehlenden gesetzlichen Regelung ein Ermessensspielraum bei der Ausgestaltung des Umfangs der Informationspflicht gegeben ist, bietet sich eine Orientierung an der gesetzlichen Vorschrift zur Durchführung von Einwohnerbefragungen in Schleswig-Holstein an. Im Unterschied zur Satzungspraxis im Saarland sehen in Niedersachsen nur wenige Grundlagensatzungen ausführliche Regelungen in Bezug auf die Informationspflicht vor. Lediglich vereinzelt finden sich Vorschriften, wonach die im Vorfeld der Befragung zu erfolgende Bekanntmachung auch den Inhalt der Befragung umfasst. Überwiegend findet lediglich Erwähnung, dass in dem Beschluss zur Durchführung der Befragung bzw. in der zu erlassenden Durchführungssatzung der Anlass und das Vorhaben als solches festzulegen sind. Zum Teil wird auch gefordert, dass zusammen mit der Versendung der Abstimmungsbenachrichtigung Erläuterungen zum Thema der Befragung zu übermitteln sind. Unabhängig von der Frage, in welchem Umfang eine Vertretungskörperschaft der bestehenden Informationspflicht nachzukommen hat, muss von dieser bei der Erstellung der Informationen stets das Gebot der Sachlichkeit gewahrt werden.386 Aus diesem Sachlichkeitsgebot folgt auch eine Wahrheitspflicht.387 Das in Bezug auf die Informationstätigkeit bei Wahlen geltende Neutralitätsgebot für die handelnden Staatsorgane388 findet im Rahmen von kommunalen Abstimmungen jedoch keine Anwendung.389 Der Grund hierfür liegt darin, dass bei kommunalen 386 BayVGH, Entscheidung vom 19.01.1994 – Vf. 89-III-92, Vf. 92-III-92 –, BayVBl. 1994, 203, 205; BayVGH, Beschluss vom 17.03.1997 – 4 ZE 97.874 –, BayVBl. 1997, 435 f.; BayVGH, Beschluss vom 08.02.1996 – 4 CE 96.420 –, BayVBl. 1996, 597 f.; vgl. in Bezug auf die vergleichbare Situation bei einem Bürgerentscheid auch Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 162 f. 387 Ein Beispiel hierfür bietet die bereits erörterte Bürgerbefragung in Lüneburg. Im Vorfeld der Befragung beanstandete das Niedersächsische Innenministerium Aussagen auf dem Stimmzettel und dem Merkblatt zur Bürgerbefragung. Beanstandet wurde insoweit, dass die Aussage, dass „Steigerungen der bisher veranschlagten Kosten von 45 Mio. Euro allein vom Landkreis Lüneburg getragen werden müssen“ nicht dem Sachlichkeitsgebot genüge, da dies nicht der Wahrheit entspreche; vgl. hierzu die Informationen unter http://www.lgheute.de/landkreis/menu-landkreis-politik-und-verwal tung/2835-buergerbefragung-nach-aenderung-zulaessig.html (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 388 Vgl. nur BVerfG, Urteil vom 02.03.1977 – 2 BvE 1/76 –, BVerfGE 44, 125 (Ls. 1). 389 Vgl. BayVGH, Entscheidung vom 19.01.1994 – Vf. 89-III-92, Vf. 92-III-92 –, BayVBl. 1994, 203, 208.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
Abstimmungen eine umfassende Informationstätigkeit zur Gewährleistung einer reflektierten Entscheidung der Abstimmungsteilnehmer ja gerade zwingend erforderlich ist.390 Darüber hinaus muss Beachtung finden, dass die Auferlegung einer Neutralitätspflicht auch mit der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nicht in Einklang zu bringen wäre, da es einer Gemeinde insoweit offen stehen muss, zu allen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft Stellung zu beziehen.391 Anstelle eines Neutralitätsgebotes haben die Gemeinden jedoch zwingend das Gebot der Sachlichkeit zu wahren, wonach jede Form unmittelbarer Beeinflussung des Abstimmungsvorgangs und damit einhergehend jede ernstliche Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit der Abstimmenden unzulässig ist.392 Die Schwelle zur unzulässigen Beeinflussung muss dann als überschritten angesehen werden, wenn die Informationen wertende Äußerungen im Sinne einer Abstimmungsempfehlung enthalten.393
IV. Art und Weise der Informationserbringung Obgleich die gesetzlichen Regelungen im Saarland sowie in Schleswig-Holstein eine Informationspflicht vorschreiben, fehlen beiden Vorschriften Aussagen in Bezug auf die Art und Weise der Informationserbringung. In beiden Bundesländern steht es gemeindlichen Vertretungskörperschaften damit frei, auf welche Art und Weise sie der Bürger- bzw. Einwohnerschaft die erforderlichen bzw. die für wesentlich erachteten Informationen zukommen lassen.394 Neben einer öffentlichen Bekanntmachung oder öffentlichen Auslegung der Informationen kommt vor allem die Möglichkeit in Betracht, der Abstimmungsbenachrichtigung entsprechende Informationsunterlagen beizufügen. Eine solche Praxis wird häufig im Rahmen von Bürgerentscheiden und Volksentscheiden auf Landesebene angewandt.395 Aufgrund der fehlenden gesetzlichen Regelung in Niedersachsen besteht auch für Vertretungskörperschaften in Niedersachsen ein Ermessen bei der Frage der Art und Weise der Informationserbringung. In Niedersachsen ist zum Teil die Praxis vorzufinden, dass bereits die erlassenen Durchführungssatzungen entsprechende Informationen zur Angelegenheit der Befragung beinhalten. Überdies 390 Vgl. in Bezug auf die vergleichbare Situation bei einem Bürgerentscheid Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 240. 391 BayVGH, Beschluss vom 08.02.1996 – 4 CE 96.420, BayVBl. 1996, 597 f.; so auch Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 167. 392 Vgl. in Bezug auf die vergleichbare Situation bei einem Bürgerentscheid Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 240. 393 Vgl. in Bezug auf die vergleichbare Situation bei einem Bürgerentscheid Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 240. 394 Vgl. in Bezug auf die vergleichbare Situation bei einem Bürgerentscheid Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 240. 395 Vgl. auch Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 161.
§ 12 Häufigkeit kommunaler Befragungen
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kann auch eine im Vorfeld einer Befragung durchgeführte Bürger- bzw. Einwohnerversammlung der Unterrichtung des Teilnehmerkreises in Bezug auf die Angelegenheit der Befragung dienen. Die Durchführung einer solchen Versammlung ist jedoch keinesfalls zwingend. Sofern dies aus Gründen der Gewährleistung einer umfassenden Information der Bürger bzw. Einwohner teilweise in der Literatur vertreten wird396, kann dem nicht zugestimmt werden. Die vorherige Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerversammlung wäre nur dann zwingend erforderlich, wenn das Bedürfnis der Bürger bzw. Einwohner nach einer umfassenden Informationsgrundlage für ihre Entscheidung lediglich auf diesem Weg Befriedigung finden könnte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Dem Informationsbedürfnis der Bürger- bzw. Einwohnerschaft kann auf verschiedene Art und Weise Genüge getan werden. Insoweit ist nicht ersichtlich, inwieweit lediglich die vorherige Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerversammlung dem Teilnahmerkreis gegenüber anderen Formen der Informationserbringung einen informatorischen Mehrwert bietet. Festgehalten werden kann damit, dass gemeindlichen Vertretungskörperschaften bei der Frage der Art und Weise der Informationserbringung ein Ermessensspielraum zukommt.
§ 12 Häufigkeit kommunaler Befragungen Vor dem Hintergrund der faktischen Verbindlichkeit, die bei Vorliegen bestimmter Umstände aus dem Ergebnis einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung folgt, wird von Seiten der Literatur vereinzelt die Forderung erhoben, dass eine Vertretungskörperschaft bei dem Einsatz des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung Zurückhaltung üben sollte.397 Gefordert wird damit von Seiten der Literatur eine Einschränkung der Häufigkeit der Durchführung kommunaler Befragungen. Offen gelassen wird von den Vertretern dieser Sichtweise dabei jedoch, ob es sich bei dieser Forderung lediglich um einen politischen Apell handelt oder ob und gegebenenfalls wie eine rechtliche Umsetzung dieser Forderung nach zurückhaltender Anwendung des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung aussehen könnte. Betrachtet man den möglichen rechtlichen Kern einer solchen Forderung, kann zunächst festgehalten werden, dass die bisher bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen sowie auch die sonstigen Bestimmungen der Kommunalverfassungen den Gemeinden keine Vorgaben in Bezug auf die Häufigkeit der Durchführung kommunaler Befragungen unterbreiten. Der Grund für das Nichtbestehen entsprechender gesetzlicher Rege396 So Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 284 („Um den Bürger umfassend zu informieren, ist es weiterhin erforderlich obligatorisch die vorherige Durchführung einer Bürgerversammlung zu verlangen“). 397 Gern, Deutsches Kommunalrecht, S. 368; Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 325.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
lungen dürfte sein, dass sich solche Regelungen zu Recht dem Vorwurf der willkürlichen Einschränkung verfassungsrechtlich zulässiger Formen der Bürgerbeteiligung ausgesetzt sähen. Eine willkürliche Einschränkung der Durchführungspraxis dürfte nicht mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG niedergelegten Rechtsstaatsprinzip vereinbar sein. Die von der Literatur erhobene Forderung nach einer restriktiven Anwendung des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung könnte in zulässiger Weise lediglich durch gesetzliche Bestimmungen umgesetzt werden, die den Anwendungsbereich von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen in sachlicher Hinsicht einschränken oder aber die Voraussetzungen für einen Beschluss einer Vertretungskörperschaft zur Durchführung einer Befragung erhöhen. Derartige Regelungen hätten zwar nicht unmittelbar zur Folge, dass eine Vertretungskörperschaft in der Entscheidung, wie oft diese von dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung Gebrauch macht, eingeschränkt wird. In praktischer Hinsicht ist jedoch davon auszugehen, dass die genannten gesetzlichen Änderungen genau zu dem gewünschten Ergebnis führten. Es wäre damit gewährleistet, dass von dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung seitens einer Vertretungskörperschaft nur in Ausnahmefällen und damit gleichfalls mit der geforderten Zurückhaltung Gebrauch gemacht wird. Festgehalten werden kann damit, dass die bestehenden gesetzlichen Regelungen keine Vorgaben in Bezug auf die Häufigkeit der Durchführung kommunaler Befragungen vorsehen. Der eingangs von der Literatur erwähnten Auffassung kann damit lediglich insoweit eine politische Apellwirkung zugerechnet werden, als dass gemeindliche Vertretungskörperschaften von dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung nicht zuletzt aufgrund der erheblichen Kosten, die für die Durchführung einer Befragung anfallen, eher zurückhaltend Gebrauch machen sollten.
§ 13 Durchführung kommunaler Befragungen Waren Gegenstand der bisherigen Erörterungen lediglich die rechtlichen Rahmenbedingungen im Vorfeld der Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen, soll es im Folgenden um die rechtlichen Anforderungen gehen, die an die eigentliche Durchführung kommunaler Befragungen zu stellen sind.
I. Anwendung der Wahlrechtsgrundsätze Für die Behandlung der im Zusammenhang mit der Durchführung kommunaler Befragungen auftretenden rechtlichen Fragen ist von besonderer Relevanz, ob die in Art. 38 GG sowie in den verschiedenen Landesverfassungen verankerten Wahlrechtsgrundsätze398 auch für die Durchführung kommunaler Befragungen 398
Vgl. ausführlich hierzu Meyer, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. III, § 46 Rn. 1 ff.
§ 13 Durchführung kommunaler Befragungen
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Anwendung finden. Diese Frage weist dabei nicht lediglich eine wissenschaftliche Relevanz auf, sondern hat auch für die Praxis eine nicht zu unterschätzende Bedeutung, wie das nachfolgende Beispiel einer im Jahr 2010 durchgeführten Bürgerbefragung in Garmisch-Partenkirchen399 zeigt. Ein Mitglied der dortigen Vertretungskörperschaft hatte nach durchgeführter Bürgerbefragung Beschwerde bei der Rechtsaufsichtsbehörde mit der Begründung eingereicht, dass die erfolgte nicht-öffentliche Auszählung der Abstimmungszettel unzulässig sei. Die Aufsichtsbehörde wies diese Beschwerde jedoch zurück und führte in diesem Zusammenhang aus, dass die Vertretungskörperschaft im Vorfeld der Befragung nicht die Anwendung der demokratischen Wahlrechtsgrundsätze des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes beschlossen hatte. Daher verstoße nach Auffassung der Aufsichtsbehörde die nicht-öffentliche Auszählung der Stimmzettel „weder gegen gesetzliche Vorgaben, noch gegen Vorgaben der Gemeindegremien“. Folgte man dieser Auffassung, fänden die Wahlrechtsgrundsätze bei der Durchführung kommunaler Befragungen stets nur dann Anwendung, wenn eine Vertretungskörperschaft die Anwendung dieser Grundsätze im Vorfeld der Befragung ausdrücklich anordnet. Diese Auffassung verdient jedoch keine Zustimmung. Vielmehr entspricht es der allgemeinen Auffassung, dass die Wahlrechtsgrundsätze auch auf kommunale Abstimmungen und damit gleichfalls auf Bürgerbzw. Einwohnerbefragungen Anwendung finden.400 In Bezug auf die insoweit vergleichbare Situation im Rahmen der Durchführung von Kommunalwahlen folgt dieses Ergebnis bereits aus Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG. Die Wahlrechtsgrundsätze finden damit auf die Durchführung kommunaler Befragungen unabhängig davon Anwendung, ob eine Vertretungskörperschaft die Anwendung im Vorfeld einer Befragung ausdrücklich bestimmt hat.
II. Art und Weise der Befragungsteilnahme Zunächst stellt sich die Frage, inwiefern eine Vertretungskörperschaft bei der Art und Weise der Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung rechtliche Vorgaben zu beachten hat. Die bisherige Durchführungspraxis stellt sich dergestalt dar, dass Befragungen sowohl im Wege einer klassischen Urnenbefragung als auch im Wege einer Briefbefragung durchgeführt wurden. Bei der überwiegenden Mehrheit der bisher durchgeführten kommunalen Befragungen bestand 399 Vgl. hierzu die Pressemitteilung der Gemeinde Garmisch-Partenkirchen vom 07.09.2012, abrufbar unter http://buergerservice.gapa.de/de/b81c5b6d-1fab-4db0-f2e0ac9a9b492523.html (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 400 BVerfG, Beschluss vom 15.02.1978 – 2 BvR 134, 268/76 –, BVerfGE 47, 253, 276 f.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 38 Rn. 7; Magiera, in: Sachs, GG, Art. 38 Rn. 77; Morlok, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 38 Rn. 60; Schreiber, in: Friauf/Höfling, GG, Bd. III, Art. 38 Rn. 81; Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 8.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
dabei zumindest auch die Möglichkeit der Stimmabgabe im Rahmen einer Urnenbefragung. Bemerkenswert dabei ist jedoch, dass bisher vereinzelt auch Befragungen stattgefunden haben, die auf die Möglichkeit einer solchen Urnenbefragung gänzlich verzichteten. Anstelle der üblichen Urnenbefragung bestand bei diesen Befragungen lediglich die Möglichkeit zur Briefabstimmung.401 Auffällig ist überdies auch, dass es, spiegelbildlich zur eben genannten Situation, bei einigen bisher durchgeführten Befragungen, anders als bei Bundestags-, Landtagsund Kommunalwahlen, nicht immer möglich war, anstelle der angebotenen Urnenbefragung auch eine Abstimmung per Brief vorzunehmen. Den gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen können diesbezüglich keine zwingenden Vorgaben entnommen werden. Überdies sind auch keine verfassungsrechtlichen Vorgaben oder allgemeine Rechtsgrundsätze ersichtlich, die eine gewisse Art und Weise der Durchführung kommunaler Befragungen vorschreiben. Vertretungskörperschaften sind damit frei in ihrer Entscheidung, auf welche Art und Weise sie eine Befragung durchführen. Keine rechtlichen Bedenken bestehen damit gegenüber der beschriebenen Praxis einiger Gemeinden, neben der Urnenbefragung auf die Zulassung einer Briefbefragung zu verzichten.402 Eine Pflicht der Gemeinden, den Bürgern bzw. Einwohnern auch die Möglichkeit zur Briefabstimmung anzubieten, lässt sich insbesondere nicht aus den Grundsätzen der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl403 ableiten. Denn diese verfassungsrechtlichen Prinzipien können nicht dahingehend verstanden werden, dass eine Vertretungskörperschaft aktiv dafür Sorge zu tragen hat, dass tatsächlich jeder der Abstimmungsberechtigten die Möglichkeit zur Teilnahme an einer Befragung erhält.404 Die Grenze des zulässigen gemeindlichen Gestaltungspielraums muss jedoch dann als überschritten angesehen werden, wenn teilnahmeberechtigte Bürger bzw. Einwohner bewusst von der Teilnahme an einer Befragung ausgeschlossen werden. Weiterhin kann es einer Gemeinde in rechtlicher Hinsicht auch nicht verwehrt werden, anstelle einer Urnenbefragung lediglich eine schriftliche Befragung mitsamt der Möglichkeit zur Abgabe des Abstimmungszettels in Räumen der jeweiligen Gemeinde zuzulassen. Ungeachtet dieses vorhandenen gemeindlichen Gestaltungsspielraums muss jedoch davon ausgegangen werden, dass bei Zulassung der Möglichkeit einer 401 Von einer Briefabstimmung soll in diesem Zusammenhang auch dann die Rede sein, wenn eine Gemeinde den Bürgern- bzw. Einwohnern die Möglichkeit zur persönlichen Abgabe des Briefes einräumt. 402 Vgl. zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Briefbefragungen BVerfG, Beschluss vom 24.01.1981 – 2 BvC 1/81 –, BVerfGE 59, 119, 124 f. 403 Vgl. ausführlich hierzu Meyer, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. III, § 46 Rn. 1 ff. 404 VG Düsseldorf, Beschluss vom 25.04.1996 – 1 L 1477/96 –, BeckRS 2008, 33532; vgl. zur Rechtslage bei Wahlen auf Bundesebene BVerfG, Beschluss vom 24.01. 1981 – 2 BvC 1/81 –, BVerfGE 59, 119, 125 ff.
§ 13 Durchführung kommunaler Befragungen
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Briefabstimmung eine deutlich höhere Befragungsteilnahme erreicht wird als im Rahmen einer bloßen Urnenbefragung.405 Der Grund hierfür dürfte nicht nur darin zu sehen sein, dass manchen Befragungsteilnehmern aus Alters- oder Gesundheitsgründen der Gang ins Abstimmungslokal verwehrt ist, sondern auch darin, dass die Abstimmung per Brief die bequemlichere Abstimmungsvariante darstellt. Dieses Argument findet nicht zuletzt Bestätigung durch die sehr hohe Zahl von Briefwählern im Rahmen der Bundestagswahl im Jahr 2013.406 Aus diesen Gründen muss die vereinzelt vorzufindende Befragungspraxis, wonach eine Abstimmung per Brief nicht zugelassen wird, aus partizipatorischen Gesichtspunkten kritisch beurteilt werden. Mag eine solche Vorgehensweise aus gemeindehaushaltsrechtlichen Gründen noch im Ansatz verständlich erscheinen, ist diese jedoch mit Blick auf das mit der Durchführung kommunaler Befragungen verbundene Ziel der Erlangung eines möglichst aussagekräftigen Meinungsbildes der Bürger- bzw. Einwohnerschaft abzulehnen. Eine andere Sichtweise wäre nur dann angebracht, wenn die jeweilige Befragung von einer, gemessen an der Anzahl der Bürger bzw. Einwohner, sehr kleinen Gemeinde durchgeführt wird. In diesem Fall dürfte davon auszugehen sein, dass aufgrund der örtlichen Gegebenheiten eine hohe Abstimmungsteilnahme auch ohne die Möglichkeit einer Abstimmung per Brief erreicht wird. Nach alledem erscheint es empfehlenswert, dass im Rahmen einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung sowohl die Möglichkeit einer Urnen- wie auch Briefabstimmung eröffnet wird.
III. Zeitpunkt und Zeitraum einer Befragung Neben der Frage der Art und Weise der Teilnahme an kommunalen Befragungen stellt sich ferner die Frage, ob einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft bei der Wahl des Zeitpunkts einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung rechtliche Grenzen gesetzt sind und ob für die Durchführung einer Befragung auch ein längerer Zeitraum bestimmt werden kann. 1. Grundsatz: Gemeindliches Ermessen Die gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen enthalten keine zwingenden Vorgaben in Bezug auf die Frage, ob eine Befragung lediglich an einem Tag stattzufinden hat oder aber auch über einen längeren Zeitraum abgehalten werden kann. Damit steht auch die Wahl des Zeitpunkts bzw. des Zeitraums einer Befragung im Grundsatz im Ermessen einer 405 So in Bezug zur vergleichbaren Situation im Rahmen eines Bürgerentscheids Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 177. 406 Vgl. nur den Artikel der DIE ZEIT vom 15.09.2013 „Zahl der Briefwähler auf Rekordhoch“, abrufbar unter http://www.zeit.de/politik/deutschland/2013-09/briefwahlbundestagswahl (zuletzt abgerufen am 27.01.2015).
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
Vertretungskörperschaft.407 Rechtlich verpflichtende Vorgaben führten im Ergebnis dazu, dass eine Vertretungskörperschaft nicht mehr ihre berechtigten Interessen in diesem Zusammenhang verfolgen könnte. Wird von einer Vertretungskörperschaft beschlossen, dass eine Befragung nicht lediglich an einem Tag, sondern vielmehr über einen längeren Zeitraum stattfindet, geschieht dies vor dem Hintergrund, dass sich eine Vertretungskörperschaft von dieser Maßnahme eine im Vergleich zu einer an lediglich einem Tag durchgeführten Befragung höhere Befragungsteilnahme erhofft. Die Länge des gewählten Zeitraums sollte dabei jedoch stets angemessen und damit so bemessen sein, dass der mit der längeren Durchführung der Befragung verbundene finanzielle Aufwand in einer angemessenen Relation zu dem damit verbundenen Mehrwert, der in der Möglichkeit zur zeitlich flexibleren Befragungsteilnahme gesehen werden muss, steht. Daraus folgt, dass eine vierwöchige Befragungsdauer letztlich wohl nur schwerlich als noch angemessen bezeichnet werden kann. Eine Befragungsdauer zwischen sieben und vierzehn Tagen ist letztlich als ausreichend anzusehen. Etwas anderes wiederum muss für solche Befragungen gelten, bei denen seitens einer Vertretungskörperschaft von vornherein nur die Möglichkeit zur Briefabstimmung zugelassen wurde. In diesem Fall dürften durch den längeren Befragungszeitraum keine bzw. lediglich geringe Mehrkosten entstehen, da die Gemeinde keine kostenintensive Infrastruktur wie beispielsweise Wahlhelfer oder Wahlkabinen zur Verfügung stellen muss, sondern lediglich den ordnungsgemäßen Eingang der Briefe unter Beachtung der Wahlrechtsgrundsätze gewährleisten muss. Im Fall einer Befragung ohne Urnenabstimmung dürfte damit auch ein längerer Zeitraum als zwei Wochen noch als angemessen zu bewerten sein. 2. Zusammenlegung kommunaler Befragungen mit Bundestags-, Landtags- oder Kommunalwahlen In der Vergangenheit wurden Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen teilweise zeitgleich mit einer Bundestags-, Landtags oder Kommunalwahl durchgeführt. Die Vorteile eines solchen Vorgehens liegen dabei auf der Hand: Findet eine kommunale Befragung zeitgleich mit einer Wahl statt, ist tendenziell mit einer höheren Befragungsteilnahme zu rechnen. Zudem spart eine Gemeinde durch die zeitgleiche Durchführung Kosten.408 Gleichzeitig birgt ein solches Vorgehen jedoch auch Risiken. Durch die zeitgleiche Durchführung einer kommunalen Befragung mit einer Wahl steigt für eine Vertretungskörperschaft die Gefahr, dass
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So auch Everts, Plebiszitäre Unterschriftenaktionen, S. 208. Vgl. auch Hahlen, in: Schreiber, BWahlG, § 16 Rn. 7, der dieses Argument für vorgeschoben hält, da seiner Meinung nach eher „parteipolitisch motivierte“ Gründe den Ausschlag geben dürften. 408
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das Befragungsergebnis im Vergleich zu einer isoliert durchgeführten Befragung an Aussagekraft verliert und damit der mit der Durchführung einer kommunalen Befragung verfolgte Zweck der Einholung eines möglichst aussagekräftigen Meinungsbildes verfehlt wird. Es dürfte davon auszugehen sein, dass im Rahmen einer isoliert durchgeführten Befragung nur diejenigen Bürger bzw. Einwohner an der Befragung teilnehmen, die ein besonderes Interesse an der jeweiligen Befragungsangelegenheit haben und die sich daher auch im Vorfeld der Befragung mit der Thematik hinreichend auseinandergesetzt haben. Wird eine kommunale Befragung jedoch zeitgleich mit einer Wahl durchgeführt, erscheint es zumindest nicht ausgeschlossen, dass auch Bürger bzw. Einwohner durch die wahlbedingte Anwesenheit im Wahllokal die Möglichkeit zur Teilnahme an der Befragung nutzen, die ansonsten nicht an der Befragung teilgenommen hätten. Bei solchen spontanen Befragungsteilnehmern kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass diese sich vorab ausführlich und kritisch mit der jeweiligen Befragungsangelegenheit auseinandergesetzt haben. Daher besteht die Gefahr, dass solche Befragungsteilnehmer eher der (vermeintlich) naheliegenden Antwort ihre Stimme geben. Im Vorfeld der Entscheidung über die zeitgleiche Durchführung einer kommunalen Befragung mit einer Wahl hat eine Vertretungskörperschaft somit die beschriebenen Vor- und Nachteile eines solchen Vorgehens abzuwägen. Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass die beschriebenen Vorteile die genannten Nachteile überwiegen dürften. Zur Frage der rechtlichen Zulässigkeit einer solchen Zusammenlegung kommunaler Befragungen mit Wahlen können den Kommunalverfassungen keine Aussagen entnommen werden. Einen rechtlichen Anknüpfungspunkt für die Beantwortung der Frage der Zulässigkeit der gleichzeitigen Durchführung einer kommunalen Befragung mit einer Bundestagswahl bietet jedoch das Bundeswahlgesetz. Nach § 32 Abs. 1 BWG sind während der Wahlzeit jede Beeinflussung der Wähler durch Wort, Ton, Schrift oder Bild sowie jede Unterschriftensammlung in und an dem Gebäude, in dem sich der Wahlraum befindet, sowie unmittelbar vor dem Zugang zu dem Gebäude verboten. Der Sinn und Zweck dieser Vorschrift liegt in der Sicherung des ungehinderten Zugangs zum Wahllokal und der ungehinderten Stimmabgabe im Wahllokal und damit insgesamt in der freien Ausübung der Wahl.409 Insbesondere sollen die Wähler vor Beeinflussungen geschützt werden, die geeignet sind, ihre Entscheidungsfreiheit bei der Wahl zu beeinträchtigen.410 § 32 Abs. 1 BWG konkretisiert damit in einfachgesetzlicher Weise den in Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG garantierten Grundsatz der Freiheit der Wahl.411 Das Bundesverfassungsgericht folgert in ständiger Rechtspre409
Hahlen, in: Schreiber, BWahlG, § 32 Rn. 5. VG Göttingen, Beschluss vom 10.06.1999 – Az. 1 B 1282/99 –, Rn. 4 (zitiert nach juris). 411 Hahlen, in: Schreiber, BWahlG, § 32 Rn. 5; vgl. auch VG Göttingen, Beschluss vom 10.06.1999 – Az. 1 B 1282/99, Rn. 4 (zitiert nach juris). 410
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chung aus diesem Grundsatz, dass jeder Wähler sein Wahlrecht ohne Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussung von Außen ausüben darf.412 Der Wähler soll dabei bereits vor solchen Beeinflussungen geschützt werden, die geeignet sind, seine Entscheidungsfreiheit trotz des bestehenden Wahlgeheimnisses ernstlich zu beeinträchtigen.413 Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 32 Abs. 1 BWG das Ziel verfolgt hat, jegliche Form von politischer Werbung im Wahllokal oder in der Nähe des Wahllokals zu verbieten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung als Unterschriftensammlungen im Sinne von § 32 Abs. 1 BWG angesehen werden kann. Voraussetzung dafür wäre, dass mit der Durchführung einer kommunalen Befragung eine Beeinflussung der Wähler einherginge und damit eine unzulässige „Wahlpropaganda“ vorläge. Diese Frage kann nur verneint werden. Die gleichzeitige Durchführung einer kommunalen Befragung mit einer Bundestagswahl verfolgt hauptsächlich den Zweck der Kostenersparnis und Entlastung der Verwaltung bzw. der Wahlhelfer. Eine wie auch immer geartete Beeinflussung von Wählern durch die gleichzeitige Durchführung einer kommunalen Befragung ist in keiner Weise ersichtlich. Etwas anderes folgt auch nicht aus einem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, der eine unzulässige Wahlbeeinflussung bereits darin gesehen hat, dass eine Partei während der Durchführung einer Kommunalwahl, bei der auch diese Partei zur Wahl stand, vor einem Wahllokal eine Bürgerbefragung durchgeführt hat.414 Denn die Besonderheit des dem Urteil zugrundeliegenden Sachverhalts bestand darin, dass den Wahlberechtigten allgemein bekannt war, dass die Bürgerbefragung von der entsprechenden Partei durchgeführt wurde. Daher bejahte das Gericht auch eine unzulässige Wahlbeeinflussung. Festgehalten werden kann damit, dass vom Anwendungsbereich des § 32 Abs. 1 BWG nicht solche Unterschriftensammlungen erfasst werden, die als amtliche Veranstaltung aus bereits genannten Gründen zeitgleich mit einer Bundestagswahl durchgeführt werden.415 Des Weiteren dürfte die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung auch bereits deshalb nicht als vom Anwendungsbereich des § 32 Abs. 1 BWG erfasst anzusehen sein, da im Rahmen einer kommunalen Befragung keine Unterschriftensammlung erfolgt, sondern vielmehr eine Abstimmung abgehalten wird, bei der die Befragungsteilnehmer im Grundsatz lediglich mit „Ja“ oder „Nein“ abstimmen können.416
412 Vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 15.02.1978 – 2 BvR 134, 268/76 –, BVerfGE 47, 253, 282. 413 BVerfG, Beschluss vom 03.06.1975 – 2 BvC 1/74 –, BVerfGE 40, 11, 41. 414 HessVGH, Urteil vom 06.12.1990 – Az. 6 UE 1488/90 –, NVwZ 1991, 702 ff. 415 Vgl. Schreiber, NJW 1985, 1433, 1439. 416 So auch Hahlen, in: Schreiber, BWahlG, § 32 Rn. 5.
§ 13 Durchführung kommunaler Befragungen
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Auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 32 Abs. 1 BWG bestehen gegen die Zusammenlegung einer kommunalen Befragung und einer Bundestagswahl keine rechtlichen, insbesondere verfassungsrechtlichen Bedenken.417 Insbesondere berührt eine zeitgleiche Durchführung nicht die in Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG garantierten Grundsätze der formalen Wahlgleichheit und der Chancengleichheit der beteiligten Wahlvorschlagsträger. Bei dem Instrument der Bürgerbzw. Einwohnerbefragung geht es stets um die Abstimmung um eine Sachfrage und damit nicht um eine personenorientierte Abstimmung.418 Damit unterscheidet sich die hier in Frage stehende Situation auch deutlich von der Situation, die bei einer zeitgleichen Durchführung zweier Wahlen gegeben ist. Lediglich in diesem Fall besteht die Gefahr, dass dieselben Wahlvorschlagsträger zu verschiedenen Wahlen antreten und dadurch eine Verwechslungsgefahr einhergehend mit einer gegenseitigen Beeinflussung der unterschiedlichen Wahlkämpfe entstehen könnte.419 Festgehalten werden kann somit, dass eine Zusammenlegung einer Bürgerbzw. Einwohnerbefragung und einer Bundestagswahl zulässig ist und die Entscheidung darüber in das Ermessen einer Vertretungskörperschaft fällt. Dieses Ergebnis kann auf die insoweit vergleichbare Problematik der gleichzeitigen Durchführung einer kommunalen Befragung und einer Landtags- bzw. Kommunalwahl übertragen werden. Auch auf Landesebene420 sowie kommunaler Ebene (mit Ausnahme von Baden-Württemberg)421 bestehen Wahlgesetze, in denen Vorschriften enthalten sind, die die unzulässige Wahlbeeinflussung verbieten. Bei der rechtlichen Auslegung dieser Vorschriften ergeben sich insoweit keine Unterschiede zu der oben genannten Rechtsauffassung im Zusammenhang mit der Auslegung des Bundeswahlgesetzes. 3. Durchführung während eines laufenden Bürgerbegehrens Weiterhin stellt sich die Frage, ob eine Bürger- bzw. Einwohnerbefragung auch zeitgleich zu einem bereits laufenden Bürgerbegehren durchgeführt werden darf, 417
Hahlen, in: Schreiber, BWahlG, § 16, Rn. 7. Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.03.2001 – Az. 1 S 531/01 –, Rn. 6 (zitiert nach juris). 419 Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.03.2001 – Az. 1 S 531/01 –, Rn. 6 (zitiert nach juris). 420 § 35 Abs. 1 BWLWG; Art. 12 Abs. 1 BayLWG; § 28 BlnLWG; § 35 Abs. 1 BbgLWG; § 27 Abs. 1 BremWG; § 30 Abs. 1 HessLWG; § 28 Abs. 1 MVLKWG; § 24 Abs. 2 NLWG; § 25 Abs. 2 NWLWG; § 18 Abs. 1 RhPfLWG; § 29 Abs. 1 SaarlLWG; § 31 Abs. 1 SächsWG, § 30 Abs. 1 LSALWG; § 38 Abs. 1 SHLWG; § 33 Abs. 1 ThürLWG. 421 Art. 20 Abs. 1 BayGLKrWG; § 42 Abs. 1 BbgKWG; § 17a Abs. 1 HessKWG; § 28 Abs. 1 MVLKWG; § 33 Abs. 2 NKWG; § 24 Abs. 3 NWKWG; § 35 Abs. 1 RhPfKWG; § 34 Abs. 1 SaarlKWG; § 17 Abs. 1 SächsKWG; § 35 Abs. 2 LSAKWG; § 30 Abs. 1 SHKWG; § 10 Abs. 1 ThürKWG. 418
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
sofern die Befragung und das Bürgerbegehren eine identische oder zumindest nahezu identische Angelegenheit zum Gegenstand haben sollten. Auch in Bezug auf diese Frage kann zunächst festgehalten werden, dass die gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen keine Aussagen hierzu treffen. Hieraus könnte der Schluss gezogen werden, dass kommunale Befragungen auch während eines laufenden Bürgerbegehrens durchgeführt werden dürfen. Eine solche Sichtweise begegnet jedoch erheblichen rechtlichen Bedenken. Erlaubte man einer Vertretungskörperschaft, zeitgleich zu einem laufenden Bürgerbegehren eine Befragung in identischer oder nahezu identischer Angelegenheit durchzuführen, konterkarierte dies den mit der Durchführung eines Bürgerbegehrens von den Initiatoren des Begehrens verfolgten Sinn und Zweck. Der Sinn und Zweck eines Bürgerbegehrens besteht zunächst einmal darin, einen Bürgerentscheid herbeizuführen, durch den eine verbindliche Entscheidung in der Sache getroffen werden kann. Die Durchführung eines Bürgerentscheids setzt jedoch voraus, dass das jeweils nach Landesrecht erforderliche Unterschriftenquorum erreicht wird und sich damit eine gewisse Anzahl von Bürgern durch die Abgabe ihrer Unterschrift dem Begehren angeschlossen hat. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Initiatoren eines Bürgerbegehrens die Bürger über die jeweilige Angelegenheit umfassend informieren und damit Werbung in eigener Sache betreiben. Nur auf diese Art und Weise kann im Rahmen eines Bürgerbegehrens eine Sensibilisierung der Bürger in Bezug auf die jeweilige Angelegenheit gelingen und hieran anknüpfend schließlich auch eine Mobilisierung zur Abgabe der Unterschrift. Gelingt es den Initiatoren eines Bürgerbegehrens indes nicht, die Bürger ausreichend zu informieren und für das Thema zu sensibilisieren, dürfte das erforderliche Quorum nur schwerlich zu erreichen sein. Diesen Informations- und Sensibilisierungsprozess im Rahmen eines Bürgerbegehrens störte eine Vertretungskörperschaft durch die zeitgleiche Durchführung einer kommunalen Befragung erheblich. Überdies würde das Informationsund Mobilisierungsverfahren letztlich auch gänzlich ausgehebelt werden, da den Bürgern durch eine Entscheidung zur Durchführung einer Befragung in identischer oder nahezu identischer Angelegenheit der Eindruck vermittelt werden würde, eine staatliche Stelle habe sich der jeweiligen Angelegenheit angenommen und ist nun an der Einholung eines Meinungsbilds der Bürger interessiert. In einem solchen Fall dürfte davon auszugehen sein, dass eine erhebliche Anzahl von Bürgern der irrigen Annahme unterläuft, die jeweilige Vertretungskörperschaft habe sich die Angelegenheit des Bürgerbegehrens zu Eigen gemacht und führe das Begehren nunmehr fort. Die Tatsache, dass es sich bei einer Bürgerbzw. Einwohnerbefragung und einem Bürgerbegehren bzw. dem sich möglicherweise anschließenden Bürgerentscheid in rechtlicher Hinsicht um unterschiedliche Beteiligungsinstrumente handelt, dürfte dabei nicht allen Bürgern bekannt sein. Alleine durch die amtliche Bekanntmachung der Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung dürfte für viele Bürger der fälschliche Eindruck
§ 13 Durchführung kommunaler Befragungen
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entstehen, dass das eigentliche Bürgerbegehren von nun an durch die kommunale Befragung abgelöst wird. Diese möglicherweise vorhandene Vorstellung dürfte dadurch verstärkt werden, dass der Befragung durch die Tatsache, dass sie von staatlicher Stelle initiiert wird, der Anschein einer „seriöseren“ Befragung zukommen dürfte. Ließe man die Durchführung kommunaler Befragungen zeitgleich zu einem bereits laufenden Bürgerbegehren zu, bestünde weiterhin die Gefahr, dass eine Vertretungskörperschaft die zeitgleiche Durchführung einer Befragung immer dann beschließt, wenn sie den Eindruck erlangt, dass das Bürgerbegehren möglicherweise erfolgreich verlaufen könnte, sie dieses jedoch aus politischen Gründe gerne verhindern würde. Eine Vertretungskörperschaft könnte damit das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung dergestalt zweckentfremden, dass sie diese als bewusstes „Störfeuer“ gegen ein laufendes Bürgerbegehren einsetzt. Verwerflich wäre ein solches Verhalten insbesondere deshalb, da davon auszugehen ist, dass die Ankündigung der Durchführung einer kommunalen Befragung den Initiatoren eines Bürgerbegehrens die für ihr Begehren notwendige Aufmerksamkeit entzieht. Dadurch wäre es für die Initiatoren des Bürgerbegehrens deutlich schwieriger, wenn nicht gar unmöglich, das erforderliche Unterschriftenquorum zu erreichen. Für die Unzulässigkeit der Durchführung einer kommunalen Befragung zeitgleich zu einem bereits laufenden Bürgerbegehren streiten auch diejenigen Bestimmungen der Kommunalverfassungen, die eine Vertretungskörperschaft ermächtigen, trotz des Bürgerbegehrens die Durchführung der vom Begehren verlangten Maßnahme zu beschließen422 bzw. die einer Vertretungskörperschaft untersagen, nach Erklärung der Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens eine dem Bürgerbegehren entgegenstehende Entscheidung zu treffen oder mit dem Vollzug einer derartigen Entscheidung zu beginnen.423 Auch aus diesen gesetzlichen Regelungen lässt sich eindeutig der Rechtsgedanke ziehen, dass eine Vertretungskörperschaft all diejenigen Maßnahmen zu unterlassen hat, die die Durchführung und damit auch den etwaigen Erfolg eines Bürgerbegehrens gefährden. Die Durchführung einer kommunalen Befragung zeitgleich mit einem bereits laufenden Bürgerbegehren zu identischer oder nahezu identischer Angelegenheit begegnet daher unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten erheblichen Bedenken und muss daher als unzulässig angesehen werden. Damit ist es einer Vertretungskörperschaft verwehrt, eine Bürger- bzw. Einwohnerbefragung zeitgleich mit einem bereits laufenden Bürgerbegehren durchzuführen. 422 § 21 Abs. 4 S. 2 BWGO; § 8b Abs. 4 S. 2 HessGO; § 32 Abs. 6 S. 1 NKomVG; § 20 Abs. 5 S. 6 MVKVerf; § 18 Abs. 5 RhPfGO; § 21 Abs. 5 S. 1 SaarlKSVG; § 25 Abs. 4 S. 4 LSAGO; § 16g Abs. 5 S. 2 SHGO. 423 Art. 18a Abs. 9 BayGO; § 15 Abs. 2 S. 5 BbgKVerf; § 26 Abs. 6 S. 5 NWGO; § 25 Abs. 4 S. 5 SächsGO; § 16g Abs. 5 S. 2 SHGO; § 17 Abs. 5 S. 1 ThürKO.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
IV. Anforderungen an die Ausgestaltung des Abstimmungszettels Der Ausgestaltung des Abstimmungszettels kommt im Rahmen der Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen eine wichtige Bedeutung zu. Insbesondere in Bezug auf die Frage der Rechtmäßigkeit einer Befragung gewinnt dieser Aspekt eine besondere Brisanz.424 1. Allgemeine Anforderungen An anderer Stelle dieser Arbeit wurde bereits erörtert, dass die Wahlrechtsgrundsätze auch auf die Durchführung kommunaler Befragungen anzuwenden sind und es einer Vertretungskörperschaft damit verwehrt ist, die Bürger bzw. Einwohner zur Teilnahme an einer Befragung zu verpflichten.425 Vor diesem Hintergrund sollte auch die Ausgestaltung des Stimmzettels in einer Art und Weise erfolgen, die bei den Befragungsteilnehmern nicht den fälschlichen Eindruck erwecken kann, dass die Teilnahme an der Befragung verpflichtend sei.426 Die Freiwilligkeit der Befragungsteilnahme sollte sich damit ausdrücklich oder aber zumindest konkludent aus der Ausgestaltung des Stimmzettels ergeben. Auf welche Art und Weise diesem Erfordernis im Einzelfall nachgekommen wird, steht im Ermessen einer Vertretungskörperschaft. Nicht zwingend erforderlich ist dabei der ausdrückliche Hinweis auf eine nichtbestehende Verpflichtung zur Befragungsteilnahme. Ein solcher ausdrücklicher Hinweis erfolgt in der Praxis auch nicht bei Wahlen oder sonstigen Abstimmungen. Überdies sollte durch die sprachliche Ausgestaltung des Stimmzettels bereits verdeutlicht werden, dass das Befragungsergebnis lediglich einen informatorischen Charakter aufweist und von diesem damit keine Verbindlichkeit für die jeweilige Vertretungskörperschaft ausgeht. Obgleich hierzu keine rechtliche Verpflichtung besteht427, erscheint eine solche Gangart insbesondere zur Vermeidung etwaiger Verwechslungen mit dem Instrument des Bürgerentscheids angebracht. Auf diese Weise kann klargestellt werden, dass die Letztentscheidung in jedem Fall bei der jeweiligen Vertretungskörperschaft verbleibt.428 Der rechtliche Status einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung als rein beratende Abstimmung sollte daher durch eine entsprechende Ausgestaltung des Stimmzettels hinrei-
424
So auch Knemeyer, BayBgm. 1971, 87, 91. Siehe hierzu bereits 5. Teil § 8. 426 Knemeyer, BayBgm. 1971, 87, 91. 427 Im Gegensatz zu der Ausgestaltung der konkreten Fragestellung, siehe hierzu 5. Teil § 13 IV. 2. a). 428 So auch Ziegler, in: Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie, S. 138; Gramke, Praktizierte Bürgernähe, S. 49. 425
§ 13 Durchführung kommunaler Befragungen
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chend zum Ausdruck kommen.429 Auf diese Weise kann auch möglicherweise entstehenden Unstimmigkeiten im Nachgang einer Befragung vorgebeugt werden, sofern einige Befragungsteilnehmer der irrigen Vorstellung unterlegen sein sollten, dass es sich bei dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung um ein Letztentscheidungsrecht handelt. Eine solche Vorstellung könnte bei einigen Befragungsteilnehmern insbesondere aus dem Grund vorherrschen, da in den Medien häufig keine randscharfe Abgrenzung zwischen dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung und dem Instrument des Bürgerentscheids vorgenommen wird. 2. Anforderungen an die Formulierung der Abstimmungsfrage Im Folgenden soll erörtert werden, welche rechtlichen Anforderungen an die Formulierung der Abstimmungsfrage zu stellen sind. Da auch insoweit die bisher bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen keine Vorgaben beinhalten, können im Folgenden nur allgemeine Grundsätze für die Formulierung einer Abstimmungsfrage aufgestellt werden.430 Die Frage, wie genau die Formulierung der Abstimmungsfrage erfolgt, löst in der Praxis häufig Kontroversen innerhalb der jeweiligen Vertretungskörperschaft und zugleich auch in der Öffentlichkeit aus, da eine Formulierung der Abstimmungsfrage in die eine oder andere Richtung das Ergebnis einer Befragung maßgeblich beeinflussen kann.431 Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich zunächst, für die Festlegung der Abstimmungsfrage ein transparentes Verfahren zu wählen.432 a) Deutlichmachung der Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses Soeben wurde bereits erwähnt, dass es im Ermessen einer Vertretungskörperschaft steht, ob diese bereits bei der Gestaltung der Informationen auf dem Stimmzettel die Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses betont. Grundlegend anders stellt sich die rechtliche Situation im Rahmen der Ausgestaltung der Abstimmungsfrage dar. Eine Vertretungskörperschaft hat die Abstimmungsfrage so zu formulieren, dass nicht der Eindruck einer rechtlichen Verbindlichkeit des Befragungsergebnisses entsteht. Es muss damit sprachlich hinreichend deutlich gemacht werden, dass die Vertretungskörperschaft nicht an das Befragungsergebnis gebunden ist.433 Durch die Formulierung der Abstimmungsfrage darf damit 429
Gramke, Praktizierte Bürgernähe, S. 49. Vgl. hierzu auch Woellner, in: Muth, Potsdamer Kommentar, BbgKVerf, § 13 Rn. 51. 431 Woellner, in: Muth, Potsdamer Kommentar, BbgKVerf, § 13 Rn. 59. 432 Woellner, in: Muth, Potsdamer Kommentar, BbgKVerf, § 13 Rn. 59. 433 So auch Knemeyer, BayBgm. 1971, 87, 91. 430
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
bei den Befragungsteilnehmern nicht der fälschliche Eindruck entstehen, dass durch die Abstimmung und insbesondere durch das Abstimmungsergebnis die Entscheidung der Vertretungskörperschaft in der jeweiligen Angelegenheit bereits „festgelegt, ersetzt oder auch präjudiziert“ 434 ist. Vor diesem Hintergrund erscheint es fraglich, ob die in der Vergangenheit vielfach von Vertretungskörperschaften verwendete Formulierung „Soll die Gemeinde XY [. . .]? Ja/Nein.“ diesen Erfordernissen genügt.435 Insoweit könnte durchaus vertreten werden, dass durch die Verwendung der Formulierung „Soll“ der fälschliche Eindruck der Verbindlichkeit des Befragungsergebnisses erweckt wird.436 Eine derartige „Soll“-Formulierung lag auch dem bereits erwähnten Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach437 zugrunde. Das Gericht ging in seiner Entscheidung jedoch leider nicht näher auf die Frage der Zulässigkeit einer solchen Formulierung ein. Das Gericht beließ es insoweit lediglich bei der Feststellung, dass dem Wortlaut des Beschlusses der Vertretungskörperschaft und dem Inhalt des Stimmzettels zu entnehmen seien, dass dem Ergebnis der Bürgerbefragung gerade keine Bindungswirkung zukomme und die Befragung daher lediglich der Vertretungskörperschaft zur Vorbereitung seiner eigenen Beschlussfassung diene.438 Das Urteil enthält keine weiteren Informationen dazu, inwiefern dem Inhalt des Stimmzettels ungeachtet der Abstimmungsfrage weitere Informationen zu der Unverbindlichkeit des Abstimmungsergebnisses zu entnehmen sind. Soweit das Verwaltungsgericht Ansbach diesbezüglich auf den Wortlaut des Beschlusses der Vertretungskörperschaft verweist, dürfte dieser Hinweis in der Sache wenig zielführend sein. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass jedem Befragungsteilnehmer der Inhalt des entsprechenden Beschlusses der Vertretungskörperschaft bekannt ist, geschweige denn, dass die Befragungsteilnehmer tatsächlich an der Sitzung der Vertretungskörperschaft teilgenommen haben und somit Kenntnis von der Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses erlangt haben.439 Festgehalten werden kann damit, dass eine solche „Soll“-Formulierung im Rahmen der Abstimmungsfrage im Grundsatz geeignet ist, bei einigen Befragungsteilnehmern den Eindruck einer Verbindlichkeit des Befragungsergebnisses für die jeweilige Vertretungskörperschaft entstehen zu lassen. Dieser Schluss ist jedoch bei weitem nicht derart naheliegend, als dass er für jedermann zwingend angesehen werden kann. Aus diesem Grund muss eine solche Formulierung als zulässig erachtet werden, obgleich die Verwendung aus den genannten Gründen 434 435 436 437 438 439
Knemeyer, BayBgm. 1971, 87, 91. Kritisch hierzu auch Knemeyer, BayBgm. 1971, 87, 91. So Knemeyer, BayBgm. 1971, 87, 91. VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194 ff. VG Ansbach, Urteil vom 12.11.1970 – 9178-V/70 –, BayVBl. 1971, 194, 194. So auch Knemeyer, BayBgm. 1971, 87, 91.
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nicht empfehlenswert ist. Da ein Gericht eine solche Formulierung der Abstimmungsfrage möglicherweise für unzulässig befinden wird, kann die Verwendung einer „Soll“-Formulierung die Rechtmäßigkeit einer Befragung durchaus in Frage stellen.440 Die Verwendung entsprechender Formulierungen ist daher nicht ratsam. Die Grenze zur Rechtswidrigkeit müsste in jedem Fall dann als überschritten angesehen werden, wenn die Formulierung der Abstimmungsfrage unmissverständlich darauf hindeutet, dass das Ergebnis der Befragung eine Verbindlichkeit für die jeweilige Vertretungskörperschaft nach sich zieht. Als Beispiel zu nennen hierfür wäre die Formulierung „Soll die Vertretungskörperschaft im Anschluss an diese Befragung [. . .] beschließen?“. Vorzugswürdig erscheint daher die Verwendung solcher Formulierungen, die nicht den Eindruck zulassen, als sei die Vertretungskörperschaft an das Befragungsergebnis gebunden. Dies wäre unter anderem bei den Formulierungen „Halten Sie [. . .] für wünschenswert? Ja/Nein.“ 441, „Wollen Sie, dass die Gemeinde [. . .]? Ja/Nein.“, „Befürworten Sie, dass [. . .]? Ja/Nein.“ oder „Sind Sie dafür, dass die Gemeinde [. . .]? Ja/Nein.“ der Fall. Bei der Verwendung solcher Formulierungen läuft eine Vertretungskörperschaft nicht Gefahr, dass ein Gericht die verwendete Fragestellung für unzulässig erklärt. b) Bestimmtheit und Neutralität der Fragestellung Entsprechend der rechtlichen Situation im Rahmen der Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden muss auch die Fragestellung bei einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung hinreichend bestimmt sein.442 Eine gesetzliche Regelung diesbezüglich ist nicht erforderlich, da sich das Erfordernis der Bestimmtheit der Fragestellung bereits aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen ergibt.443 Der Sinn und Zweck dieses Bestimmtheitserfordernisses besteht darin, dass die Teilnehmer einer Befragung erkennen können müssen, worum es bei einer kommunalen Befragung genau geht und für oder gegen was sie ihre Stimme abgeben können.444 Weitere Anforderungen an die Formulierung der Fragestellung ergeben sich aus der Pflicht einer Vertretungskörperschaft zur Neutralität.445 Die Abstimmungsfrage darf damit nicht dergestalt formuliert werden, dass sich bereits an440
Vgl. auch Knemeyer, BayBgm. 1971, 87, 91. So auch Knemeyer, BayBgm. 1971, 87, 91. 442 Darauf verweist auch Woellner, in: Muth, Potsdamer Kommentar, BbgKVerf, § 13 Rn. 59. 443 Vgl. hierzu in Bezug auf die Fragestellung eines Bürgerbegehrens OVG Greifswald, Beschluss vom 24.07.1996 – 1 M 43/46 –, NVwZ 1997, 306, 307. 444 Vgl. Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 71. 445 Vgl. in Bezug auf Volksbefragungen auf Bundesebene Schneider, in: Bachof/ Drath/Gönnenwein/Walz, Gedächtnisschrift Jellinek, S. 155, 171. 441
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
hand der Fragestellung eine Tendenz bei der Beantwortung der Frage ergibt. Den Befragungsteilnehmern muss stets eine unvoreingenommene Beantwortung der Frage möglich sein. Dies ist jedoch dann nicht mehr der Fall, wenn durch eine geschickte Formulierung der Frage zumindest der Versuch einer Lenkung der Teilnehmer in eine bestimmte Richtung unternommen wird. Die Wichtigkeit des Bestehens rechtlicher Anforderungen an die Formulierung der Fragestellung zeigt sich insbesondere durch die bestehende „Definitionsherrschaft“ 446 bei der Fragestellung. Denn eine Vertretungskörperschaft als Initiator einer Befragung hat es in der Hand, durch eine entsprechende Formulierung den Ausgang einer kommunalen Befragung maßgeblich zu beeinflussen.447 c) Antwortmöglichkeiten Wirft man zunächst einen Blick auf die bisherige Praxis durchgeführter Bürger- und Einwohnerbefragungen, stellt sich die rechtliche Ausgestaltung der Antwortmöglichkeiten bei der überwiegenden Anzahl der durchgeführten Befragungen dergestalt dar, dass auf die gestellte Frage lediglich mit „Ja“ oder „Nein“ geantwortet werden konnte. Indes sind aus der Vergangenheit auch Befragungen bekannt, in denen eine Vertretungskörperschaft zusätzlich zu den Antwortmöglichkeiten „Ja“ und „Nein“ noch eine dritte Antwortmöglichkeit zur Abstimmung stellte. Diese dritte Antwortmöglichkeit zeichnete dabei aus, dass sie die zur Abstimmung gestellte Frage lediglich unter Einschränkungen bejahte. Entsprechend einer behördlichen Nebenbestimmung448 ist die dritte Antwortmöglichkeit damit auf ein „Ja, aber [. . .].“ ausgerichtet. Eine solche Erweiterung der Antwortmöglichkeiten fand beispielsweise bei der Anfang 2013 durchgeführten Bürgerbefragung im Landkreis Lüneburg zu der Planung und dem Bau einer Elbbrücke zwischen Neu Darchau und Darchau statt.449 Auf die Frage „Sollen Planung und Bau der Elbbrücke zwischen Neu Darchau und Darchau fortgeführt werden?“ konnten die Bürger nicht nur mit „Ja“ oder „Nein“ antworten, sondern ihnen stand darüber hinaus auch die Antwortmöglichkeit „Nur dann, wenn der Kostenanteil des Landkreises Lüneburg 10 Millionen A nicht übersteigt.“ zur Auswahl. Ferner ist eine Gestaltung der Abstimmungsfrage auch dergestalt denkbar, dass den Befragungsteilnehmern mehrere inhaltlich ausgestaltete Antwortvarianten (keine bloße „Ja“ oder „Nein“ Beantwortung) zur Verfügung stehen, zwischen denen gewählt werden kann. Eine solche Fragestellung lag der bereits an anderer Stelle erwähnten Bürgerbefragung im Potsdam zum Standort des Landtagsneubaus zu Grunde.450 446 447 448 449 450
So ausdrücklich Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 79. Vgl. Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 79. Vgl. § 36 VwVfG. Siehe hierzu bereits 2. Teil § 2 II. 2. Siehe hierzu bereits 2. Teil § 2 III. 4.
§ 13 Durchführung kommunaler Befragungen
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Vor diesem Hintergrund der unterschiedlichen Möglichkeiten einer Gestaltung der Fragestellung stellt sich die Frage, ob von einer Vertretungskörperschaft in diesem Zusammenhang rechtliche Vorgaben zu beachten sind. Solche Vorgaben ergeben sich zumindest nicht aus den gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen. In Bezug auf die Antwortmöglichkeiten im Rahmen von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden bestehen insoweit gesetzliche Vorgaben, als dass die jeweilige Frage lediglich mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden darf.451 In Bezug auf die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung sind indes keine Gründe dafür ersichtlich, warum eine Vertretungskörperschaft in der Ausgestaltung der Antwortmöglichkeiten eingeschränkt werden sollte.452 Eine Beschränkung einer Vertretungskörperschaft in Bezug auf die Ausgestaltung der Antwortmöglichkeiten dahingehend, dass die Abstimmungsfrage zwingend lediglich mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden darf, besteht damit nicht.453 Der mit der Durchführung einer Befragung beabsichtigen Informationserlangung der Vertretungskörperschaft läuft es nicht zuwider, wenn die Befragungsteilnehmer zwischen mehreren Antwortalternativen auswählen können. Weiterhin sprechen auch praktische Erwägungen gegen eine rechtlich verpflichtende Ausgestaltung der Antwortmöglichkeiten lediglich mit „Ja“ und „Nein“. Das Beispiel der Potsdamer Bürgerbefragung zum Landtagsneubau zeigt eindrucksvoll, dass es in der Praxis durchaus relevante Fragen geben kann, auf die nicht ohne weiteres lediglich mit „Ja“ oder „Nein“ geantwortete werden kann. In diesem Zusammenhang sind keine rechtlichen Gründe ersichtlich, warum derartige Fragestellungen per se vom Anwendungsbereich des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung ausgeklammert werden sollten. Überdies könnte ein Verbot der Verwendung mehrerer Antwortvarianten auch dadurch umgangen werden, dass stattdessen einfach mehrere mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantwortende Fragestellungen im Rahmen einer kommunalen Befragung zur Abstimmung gestellt werden. Ein solches Vorgehen begegnet, wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird454, keinen rechtlichen Bedenken. In Bezug auf die Bürgerbefragung in Potsdam hätten somit statt der einen Fragestellung auch mehrere Fragen zu einzelnen Standortvarianten gestellt werden können, die dann jeweils mit „Ja“ oder „Nein“ hätten beantwortet werden können. Die Aus451 § 53 Abs. 3 i.V. m. § 52 Abs. 2 S. 2 BWKWO; Art. 18a Abs. 4 S. 1 BayGO; § 15 Abs. 4 S. 1 BbgKVerf; § 55 Abs. 3 HessKWG; § 14 Abs. 1 S. 1 MVKV-DVO; § 32 Abs. 3 S. 1 NKomVG; § 26 Abs. 7 S. 1 NWGO; § 17a Abs. 3 S. 2 RhPfGO; § 21a Abs. 2 S. 2 SaarlKSVG; § 25 Abs. 2 S. 1 SächsGO; § 25 Abs. 2 S. 3 LSAGO; § 17 Abs. 3 S. 6 ThürKO; vgl. auch Burkhardt, Die rechtliche Ordnung des Bürgerentscheids, S. 236; Karr, Institutionen direkter Demokratie, S. 141; Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 172. 452 Vgl. auch Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 8.; Schneider, in: Bachof/Drath/Gönnenwein/Walz, Gedächtnisschrift Jellinek, S. 155, 170. 453 So im Ergebnis auch Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 8; Woellner, in: Muth, Potsdamer Kommentar, BbgKVerf, § 13 Rn. 49. 454 Siehe hierzu im Folgenden 5. Teil § 13 IV. 2 e).
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
sagekraft des Ergebnisses bei beiden Formen der Ausgestaltung der Befragung wäre identisch gewesen. Auch das Niedersächsische Innenministerium befand im Nachgang zu der Bürgerbefragung im Landkreis Lüneburg, dass eine derartige Ausgestaltung der Antwortmöglichkeiten keinen Verstoß gegen die Kommunalverfassung darstelle und daher rechtlich zulässig sei.455 Das Ministerium begründete seine Auffassung damit, dass das Instrument der Bürgerbefragung auf Grund der rechtlichen Unverbindlichkeit für die Organe des Kreises im Vergleich zu einem Bürgerentscheid „weit unbeschränkter durchführbar“ sei.456 Festgehalten werden kann damit, dass es im Ermessen einer Vertretungskörperschaft steht, wie sie die Antwortmöglichkeiten ausgestaltet. Eine rechtliche Grenze findet dieses Ermessen lediglich insoweit, als dass eine Gemeinde zwingend Antwortmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen hat. Das bloße Stellen einer Frage, auf die die Befragungsteilnehmer frei antworten können, wäre rechtlich nicht zulässig. Die Möglichkeit zur freien Beantwortung der Frage verfälschte den Charakter einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung als Massenabstimmungsverfahren so stark, dass nicht mehr von einer klassischen kommunalen Befragung gesprochen werden könnte. Möchte eine Gemeinde von der Bürger- bzw. Einwohnerschaft auf eine Frage eine freie und damit nicht durch Antwortmöglichkeiten vorbestimmte Antwort erhalten, steht ihr vielmehr das Instrument der Bürgerumfrage457 zur Verfügung. d) Koppelung mehrerer Fragen Weiterhin stellt sich die Frage, ob die Fragestellung im Rahmen einer Bürgerbzw. Einwohnerbefragung auch mehrere Angelegenheiten betreffen darf. Gemeint sind damit Fälle, in denen mit einer Frage mindestens zwei Angelegenheiten zur Abstimmung gestellt und damit verbunden werden. Die Folge einer solchen Ausgestaltung der Abstimmungsfrage ist, dass die Befragungsteilnehmer nur einheitlich mit „Ja“ oder „Nein“ abstimmen können.458 Eine Ablehnung der einen bei gleichzeitiger Bejahung der anderen Angelegenheit bzw. eine lediglich partielle Ablehnung oder Befürwortung ist den Befragungsteilnehmern damit verwehrt. 455 Vgl. hierzu die Pressemitteilung der Stadt Lüneburg, abrufbar unter http://www. gastgeber-lueneburg.de/desktopdefault.aspx/tabid-4431/8859_read-47993/(zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 456 Zitiert nach dem Artikel „Bürgerbefragung nach Änderung zulässig“ aus LGheute, abrufbar unter http://www.lgheute.de/landkreis/menu-landkreis-politik-undverwaltung/2835-buergerbefragung-nach-aenderung-zulaessig.html (zuletzt abgerufen am 27.01.2015). 457 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 5 IV. 458 Vgl. hierzu auch Schneider, in: Bachof/Drath/Gönnenwein/Walz, Gedächtnisschrift Jellinek, S. 155, 170.
§ 13 Durchführung kommunaler Befragungen
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Ein prägnantes Beispiel für eine Kopplung zweier Fragen innerhalb einer Fragestellung stellt die Bürgerbefragung zum Ausbau des Braunschweiger Stadions459 dar. Laut der von der Vertretungskörperschaft der Stadt Braunschweig erlassenen Durchführungssatzung lautete die Fragestellung für die Bürgerbefragung „Soll der vorbeschriebene Ausbau des Eintracht-Stadions realisiert und durch die Stadt Braunschweig finanziert werden? Ja – Nein“. Bei dieser Bürgerbefragung ging es damit um zwei Fragen: Neben der eigentlichen Frage nach der Realisierung des Stadionausbaus auch um die damit verbundene Frage der entsprechenden Finanzierung des Vorhabens. Da auf diese Frage jedoch nur einheitlich mit „Ja“ oder „Nein“ geantwortet werden konnte, war es den Befragungsteilnehmern verwehrt, für eine Realisierung des Stadionausbaus zu stimmen, gleichzeitig jedoch eine entsprechende Finanzierung durch die Stadt abzulehnen. Im vorliegenden Fall hätten, die rechtliche Zulässigkeit eines solchen Vorgehens vorausgesetzt460, anstatt der genannten einheitlichen Fragestellung auch zwei getrennte Fragen gestellt werden können. So hätte zunächst gefragt werden können, ob grundsätzlich eine Realisierung des Stadionausbaus gewünscht wird und hieran anschließend in einer zweiten, eigenständigen Frage, ob die Finanzierung dieses Stadionausbaus von der Stadt Braunschweig getragen werden soll. Letztere Frage hätte dabei mit der Formulierung „Für den Fall, dass Frage 1 mit „Ja“ beantwortet wurde, [. . .].“ eingeleitet werden können.461 Eine Erörterung der Zulässigkeit einer solchen Koppelung mehrerer Fragen im Rahmen einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung erfolgte von Seiten der Literatur und Rechtsprechung bislang nicht. Lediglich im Zusammenhang mit der Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden wurde dieses rechtliche Problem von Seiten der Literatur bereits erörtert, vielfach beschrieben als Problem der „Einheit der Materie“ 462 oder des „Kopplungsverbotes“ 463. Im Rahmen dieser Erörterungen wird überwiegend auf die hierzu ergangene Rechtsprechung Bezug genommen. Die Rechtsprechung steht einer derartigen Koppelung mehrerer Fragestellungen im Rahmen eines Bürgerentscheids im Grundsatz sehr kritisch gegenüber, lässt jedoch unter besonderen Voraussetzungen die Koppelung mehrerer Fragestellungen zu. Nach Auffassung der Gerichte erfordere das demokrati459
Siehe hierzu bereits 2. Teil § 2 II. 1. Siehe hierzu im Folgenden 5. Teil § 13 IV. 2. e). 461 Vgl. zu dieser möglichen Ausgestaltung der Fragestellung bei einem Bürgerentscheid Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 173. 462 So Burkhardt, Rechtliche Ordnung des Bürgerentscheids, S. 239; Karr, Institutionen direkter Demokratie, S. 137. 463 So beispielsweise Karr, Institutionen direkter Demokratie, S. 137; vgl. auch Leukart, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 84 f.; Engelken, DÖV 2000, 881, 891; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 75, der jedoch lediglich von einer „Koppelung“ zweier Fragestellungen spricht; vgl. in Bezug auf Volksbefragungen auf Bundesebene auch Schneider, in: Bachof/Drath/Gönnenwein/Walz, Gedächtnisschrift Jellinek, S. 155, 171, der in diesem Zusammenhang von „Koppelungsfragen“ spricht. 460
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
sche Prinzip, dass den Bürgern im Rahmen der Abstimmungen „ein Höchstmaß an Abstimmungsfreiheit“ gegeben wird und die Bürger daher ihren Willen „so differenziert wie möglich“ zur Geltung bringen können.464 Diese Abstimmungsfreiheit wäre nach Auffassung der Rechtsprechung indes dann tangiert, wenn Teilnehmer eines Bürgerentscheids aufgrund der entsprechenden Fragestellung gezwungen wären, über mehrere sachlich nicht zusammenhängende Regelungsvorschläge „im Paket“ abzustimmen.465 Ist die Äußerungsmöglichkeit auf Zustimmung oder Ablehnung beschränkt, könne der „wahre Wille des Volkes“ nur dann zutreffend ermittelt werden, wenn man die einzelnen Sachfragen getrennt zur Abstimmung stellte.466 Aus diesen Ausführungen folgt zunächst, dass eine Koppelung mehrerer Fragestellungen im Rahmen eines Bürgerentscheids im Grundsatz unzulässig ist. Eine Ausnahme hiervon gilt jedoch für den Fall, dass beide Fragestellungen in einem „inneren Zusammenhang“ stehen und eine „einheitliche, abgrenzbare Materie“ bilden.467 Die Frage, wann ein derartiger innerlicher Zusammenhang besteht, ist nach Auffassung der Rechtsprechung einzig nach materiellen Kriterien zu beurteilen.468 Unzulässig sei eine Koppelung von Fragen bereits dann, wenn eine „bloße formale Verbindung unter dem Dach einer Fragestellung“ vorliege oder aber auch eine „Verknüpfung durch ein gemeinsames allgemeines Ziel oder ein politisches Programm“.469 Dies gelte erst recht für den Fall, dass mit der Koppelung erkennbar der Zweck verfolgt werde, eine sachgerechte und differenzierte Bildung des Willens der Bürger bzw. Einwohner zu verhindern.470 Erfor-
464 VGH München, Urteil vom 28.05.2008 – 4 BV 07.1981 –, Rn. 26; Beschluss vom 10.01.2007 – 4 ZB 06.1224 –, Rn. 26; Urteil vom 25.07.2007 – 4 BV 06.143, Rn. 47 (jeweils zitiert nach juris); VG Regensburg, Urteil vom 02.02.2005 – 3 K 04.01408 –, LKV 2005, 365, 366; jeweils unter Bezugnahme auf das Urteil des BayVerfGH, Entscheidung vom 31.01.2000 – Vf. 112-IX-99 –, BayVerfGHE 53, 23 = NJW 2000, 2809 ff. 465 VGH München, Urteil vom 28.05.2008 – 4 BV 07.1981 –, Rn. 26; Urteil vom 25.07.2007 – 4 BV 06.1438 –, Rn. 47 (jeweils zitiert nach juris); VG Regensburg, Urteil vom 02.02.2005 – 3 K 04.01408 –, LKV 2005, 365, 366. 466 VGH München, Urteil vom 28.05.2008 – 4 BV 07.1981 –, Rn. 26; Urteil vom 25.07.2007 – 4 BV 06.1438 –, Rn. 47 (jeweils zitiert nach juris). 467 VGH München, Urteil vom 25.07.2007 – 4 BV 06.1438 –, Rn. 48; Beschluss vom 03.04.2009 – 4 ZB 08.2205 –, Rn. 17; Urteil vom 28.05.2008 – 4 BV 07.1981 –, Rn. 27 (jeweils zitiert nach juris); Urteil vom 10.12.1997 – 4 B 97.89-93 –, NVwZ-RR 1999, 141, 142; Entscheidung vom 01.06.2005 – 4 B 97 89, 4 B 97 90, 4 B 97 91, 4 B 97 92, 4 B 97 –, NVwZ-RR 1999, 141, 142; VG Regensburg, Urteil vom 02.02.2005 – 3 K 04.01408 –, LKV 2005, 365, 366. 468 VGH München, Urteil vom 25.07.2007 – 4 BV 06.1438 –, Rn. 48; Urteil vom 28.05.2008 – 4 BV 07.1981 –, Rn. 27 (jeweils zitiert nach juris). 469 VGH München, Urteil vom 25.07.2007 – 4 BV 06.1438 –, Rn. 48; VG Regensburg, Urteil vom 11.07.2012 – RN 3 K 12.424 –, Rn. 45 (jeweils zitiert nach juris). 470 VG Augsburg, Beschluss vom 31.05.2006 – Au 7 E 06.552 –, Rn. 29 (zitiert nach juris).
§ 13 Durchführung kommunaler Befragungen
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derlich ist damit nach Auffassung der Rechtsprechung, dass beide Fragen in sachlicher Hinsicht denselben Gegenstand betreffen.471 Diese Rechtsprechung kann auf die entsprechende Problematik im Rahmen der Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen übertragen werden. Auch hierbei ist eine Vertretungskörperschaft damit gehalten, Koppelungen von Fragen zu vermeiden, es sei denn, dass zwischen beiden Fragen ein innerer sachlicher Zusammenhang besteht. Sofern diese von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen eingehalten werden, begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass diejenigen Befragungsteilnehmer, die die eine Frage bejahen, die andere jedoch verneinen möchten, letztlich eine Entscheidung dahingehend treffen müssen, beide Fragen entweder einheitlich mit „Ja“ oder jedoch mit „Nein“ zu beantworten.472 Zugemutet werden kann den Befragungsteilnehmern damit eine Abwägung, welcher der beiden gebotenen Alternativen sie den Vorrang einräumen möchten. Bei Einhaltung der von der Rechtsprechung gesetzten Grenzen besteht damit nicht die Gefahr, dass der Wählerwille verfälscht wird, da die Befragungsteilnehmer gezwungen werden, über verschiedene Angelegenheiten einheitlich entscheiden zu müssen.473 Überträgt man diese Grundsätze auf die Bürgerbefragung zum Ausbau des Braunschweiger Stadions, muss die für diese Befragung gewählte Fragestellung als zulässig erachtet werden. Zwischen der Frage nach der Realisierung des Stadionausbaus und der Frage einer etwaigen Finanzierung dieses Ausbaus durch die Stadt Braunschweig besteht ein hinreichender innerer Zusammenhang. Es ist in diesem Fall sogar davon auszugehen, dass der Zusammenhang zwischen beiden Fragen im Sinne eines Ausschließlichkeitsverhältnisses ausgestaltet ist. Denn eine Realisierung des Ausbaus des Stadions kommt nur für den Fall in Betracht, dass die Stadt Braunschweig eine entsprechende Finanzierungszusage erteilt. e) Befragung zu mehreren selbstständigen Fragen Keinen rechtlichen Bedenken begegnet es demgegenüber, wenn eine Vertretungskörperschaft zwei Fragen zu unterschiedlichen Angelegenheiten im Rahmen einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung zur separaten Abstimmung stellt. Im Unterschied zur soeben beschriebenen Problematik der Koppelung mehrerer Fragen zeichnet sich ein solches Vorgehen dadurch aus, dass auf beide Fragen jeweils mit „Ja“ oder „Nein“ geantwortet werden kann. Das Entstehen einer et-
471 So ausdrücklich OVG Münster, Urteil vom 19.02.2008 – 15 A 2961/07 –, NVwZRR 2008, 636, 637. 472 So in Bezug auf Bürgerentscheide auch VGH München, Urteil vom 10.12.1997 – 4 B 97.89-93 –, NVwZ-RR 1999, 141, 142. 473 Vgl. in Bezug auf Volksbefragungen auf Bundesebene auch Schneider, in: Bachof/Drath/Gönnenwein/Walz, Gedächtnisschrift Jellinek, S. 155, 171.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
waigen Zwangslage wie bei der Koppelung mehrerer Fragen im Rahmen einer Fragestellung ist daher nicht zu befürchten. Eine Erörterung dieses sog. „Huckepackverfahrens“ 474 erfolgte in der Literatur bisher lediglich im Zusammenhang mit der Durchführung von Bürgerentscheiden.475 Ein solches Vorgehen im Rahmen eines Bürgerentscheids wird für zulässig erachtet. Gegen eine Übertragung dieser Grundsätze auf die Durchführung von Bürgerbzw. Einwohnerbefragungen könnte lediglich eingewandt werden, dass damit einer Vertretungskörperschaft die Möglichkeit eröffnet wird, die für eine geplante Befragung vorgesehene Fragestellung, welche nach Einschätzung der Vertretungskörperschaft möglicherweise keine hohe Befragungsteilnahme nach sich ziehen dürfte, mit einer deutlich brisanteren und erfahrungsgemäß eine höhere Befragungsbeteiligung auslösenden Fragestellung zu verbinden. Eine solche Verbindung zweier Fragestellungen im Rahmen einer kommunalen Befragung könnte dazu führen, dass es zu einer deutlich höheren Befragungsbeteiligung als bei isolierter Durchführung der Befragung zu der weniger brisanten Angelegenheit kommt. Die Hinzufügung einer weiteren Frage könnte von einer Vertretungskörperschaft damit als eine Art „Lockmittel“ genutzt werden, um auch bei der Befragung zu einer weniger brisanten Angelegenheit eine aussagekräftige Befragungsbeteiligung zu erreichen.476 Solche Bedenken gegen die Durchführung eines derartigen „Huckepackverfahrens“ vermögen jedoch im Ergebnis nicht zu überzeugen. Zunächst ist bereits nicht ersichtlich, dass die Benutzung einer brisanten Fragestellung als „Lockmittel“ eine Verfälschung des Abstimmungsergebnisses zur Folge haben könnte.477 Selbst unter der Annahme, dass es durch die Verbindung zweier Fragen tatsächlich zu einer höheren Befragungsteilnahme kommen sollte, kann darin bei weitem noch keine Verfälschung des Abstimmungsergebnisses erblickt werden. Wie bereits ausgeführt wurde, besteht die Hauptfunktion des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung in der Einholung eines Meinungsbildes der Bürger- bzw. Einwohnerschaft. Ein Meinungsbild wird jedoch auch dann eingeholt, wenn Bürger bzw. Einwohner an einer Befragung teilnehmen, an der sie ohne die beschriebene „Motivationshilfe“ seitens der Vertretungskörperschaft nicht teilgenommen hätten. Darüber hinaus sprechen für die Zulässigkeit eines solchen „Huckepackverfahrens“ auch praktische sowie finanzielle Erwägungen.478 Gesetzt den Fall, dass ohne die Verbindung der Fragen im Rahmen einer 474
So ausdrücklich Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 172. Vgl. nur Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 172. 476 Vgl. hierzu auch Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 172. 477 So aber Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 172; Burkhardt, Die Rechtliche Ordnung des Bürgerentscheids, S. 241. 478 So in Bezug auf die Situation beim Bürgerentscheid auch Dustmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, S. 172; Burkhardt, Rechtliche Ordnung des Bürgerentscheids, S. 240; Sapper, VBlBW 1983, 89, 92. 475
§ 14 Besonderheiten bei Rechtsschutzfragen
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Befragung tatsächlich mehrere Befragungen durchgeführt worden wären, hätte dies einen erheblichen finanziellen Mehraufwand zur Folge. Letztlich führt das „Huckepackverfahren“ in einem solchen Fall zu einer erheblichen Verwaltungsvereinfachung.
§ 14 Besonderheiten bei Rechtsschutzfragen Im Rahmen der Erörterung etwaiger im Zusammenhang mit der Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen auftretender Rechtsschutzfragen soll lediglich derjenige Rechtsschutz Erörterung finden, der von privater Seite und damit von einzelnen Bürgern bzw. Einwohnern im Zusammenhang mit der Durchführung kommunaler Befragungen begehrt wird. Nicht Gegenstand der nachfolgenden Erörterungen sind damit etwaige Rechtsfragen, die sich stellen, sofern sich eine Gemeinde gegen eine aufsichtsbehördliche Maßnahme479, die sich gegen die Durchführung einer kommunalen Befragung richtet, gerichtlich zur Wehr setzt. Ferner geht es im Folgenden auch nicht um solche Rechtsfragen, die sich im Rahmen etwaiger Kommunalverfassungsstreitigkeiten480 im Zusammenhang mit der Durchführung kommunaler Befragungen stellen. In Bezug auf beide letztgenannten Konstellationen ergeben sich im Zusammenhang mit der Durchführung kommunaler Befragungen keine Besonderheiten, die eine Erörterung an dieser Stelle erforderlich machten.
I. Klage auf Verhinderung der Durchführung einer kommunalen Befragung Im Zusammenhang mit demjenigen Rechtsschutz, der von privater Seite im Zusammenhang mit der Durchführung kommunaler Befragungen begehrt wird, stellt sich zuvörderst die Frage, ob einzelne Bürger bzw. Einwohner gegen die Entscheidung einer Vertretungskörperschaft zur Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung gerichtlich mit dem Ziel der Verhinderung der Durchführung einer Befragung vorgehen können. Vor dem Hintergrund, dass mit der Durchführung kommunaler Befragungen den Bürgern bzw. Einwohnern die Teilhabe an der kommunalen Willensbildung ermöglicht wird, könnte durchaus die Auffassung vertreten werden, dass in der Praxis aus Sicht der Bürger- bzw. Einwohnerschaft kein Interesse an der Verhinderung geplanter Befragungen bestünde und die vorliegende Frage daher lediglich von wissenschaftlichem Interesse sei. Dem ist jedoch nicht so. Die bereits an anderer Stelle dieser Arbeit erwähnten
479 Vgl. ausführlich zur Kommunalaufsicht Brüning/Vogelgesang, Kommunalaufsicht; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 17. 480 Vgl. ausführlich hierzu Bleutge, Kommunalverfassungsstreit; Lange, Kommunalrecht, Kapitel 10.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Potsdam481 und des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen482 sowie nicht zuletzt ein erst kürzlich vom Verwaltungsgericht Göttingen erlassenes Urteil483 zeigen, dass dieser Frage durchaus eine praktische Relevanz zukommt. Da zwischen der Entscheidung einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft zur Durchführung einer Befragung und der eigentlichen Befragung ein relativ kurzer Zeitraum liegt484, kommt lediglich das Verfahren der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zur Durchsetzung eines Verlangens nach Verhinderung der Durchführung einer geplanten Befragung in Betracht. Auch das Verfahren der einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass dem jeweiligen Antragsteller ein subjektives Recht und damit ein Anspruch auf das begehrte Verhalten in Form der Unterlassung der Durchführung der geplanten Befragung zusteht. Fraglich in diesem Zusammenhang ist zunächst, woraus im Rahmen eines solchen Antrags das Erfordernis der Antragsbefugnis eines Antragsstellers folgt. Nach überwiegender Auffassung gilt auch für eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO, dass ein Antragsteller in analoger Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO das Vorliegen einer Antragsbefugnis geltend machen muss.485 Ein Antragssteller ist danach als antragsbefugt anzusehen, sofern er geltend macht, durch das behördliche Handeln in Form der Entscheidung für die Durchführung der Befragung in eigenen Rechten verletzt oder gefährdet zu sein. Erforderlich dafür ist das Vorhandensein einer Schutznorm, die ausschließlich oder jedenfalls neben den mit ihnen verfolgten allgemeinen Interessen zumindest auch dem Schutz von Individualinteressen zu dienen bestimmt ist.486 In diesem Zusammenhang hat erst kürzlich das Verwaltungsgericht Göttingen in einem Verfahren auf Erlass einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO entschieden, dass die niedersächsische Vorschrift zur Durchführung von Bürgerbefragungen487 auch den Interessen der Bürger zu dienen bestimmt sei und dieser Vorschrift damit ein drittschützender Charakter zukomme.488 Verstöße gegen diese Vorschrift könnten damit als Verletzung eigener Rechte geltend ge481 VG Potsdam, Beschluss vom 14.12.2006 – Az. 2 L 738/06 –, S. 4. (unveröffentlicht); siehe hierzu bereits 4. Teil § 2 IV. 2. 482 VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 08.04.2008 – Az. 15 L 428/08 –; siehe hierzu bereits 4. Teil § 2 IV. 3. 483 VG Göttingen, Beschluss vom 08.11.2013 – 1 B 227/13 –, (zitiert nach juris). 484 Die Praxis der bisher durchgeführten Befragungen zeigt, dass dieser Zeitraum in der Regel nicht länger als sechs Monate beträgt; siehe hierzu bereits 2. Teil § 2. 485 Statt vieler Kopp/Schenke, VwGO, § 123 Rn. 20. 486 Ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. nur die Nachweise bei Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 83 (Fn. 166). 487 § 35 NKomVG. 488 VG Göttingen, Beschluss vom 08.11.2013 – 1 B 227/13 –, Rn. 10 (zitiert nach juris).
§ 14 Besonderheiten bei Rechtsschutzfragen
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macht werden.489 Das Verwaltungsgericht hat diese Auffassung damit begründet, dass die gesetzliche Regelung zur Durchführung von Bürgerbefragungen neben anderen Zielen auch der stärkeren Einbeziehung der Bürger in die kommunalen Entscheidungsprozesse diene, um auf diese Weise das Interesse der Bürger an der kommunalen Selbstverwaltung zu erhöhen und diese zu weitergehendem Engagement in Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu motivieren.490 Folgte man dieser Auffassung, könnten Bürger bzw. Einwohner die Durchführung geplanter Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen durch ein Verwaltungsgericht untersagen lassen, sofern im Rahmen einer kommunalen Befragung gesetzliche Voraussetzungen oder sonstige ungeschriebene Anforderungen nicht eingehalten bzw. erfüllt werden. Dieser Auffassung kann jedoch nicht zugestimmt werden. Zwar kann dem Verwaltungsgericht Göttingen zunächst insoweit zugestimmt werden, als dass als Schutznorm lediglich die jeweilige gesetzliche Ermächtigung zur Durchführung kommunaler Befragungen in Betracht kommt. Auch entspricht es der im Rahmen dieser Arbeit vertretenen Auffassung, dass eine der Funktionen des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung in der Teilhabe der Bürger bzw. Einwohner an der politischen Willensbildung der Gemeinde liegt.491 Insoweit ist die Annahme, dass die gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen neben den Interessen der Allgemeinheit auch den Interessen der Bürger bzw. Einwohner zu dienen bestimmt sind, rechtlich nicht angreifbar. Zutreffend ist damit, dass diese gesetzlichen Regelungen durchaus in der Lage sind, subjektive Rechte zu begründen. Diese Annahme führt indes nicht dazu, dass Bürgern bzw. Einwohnern in jedem Fall ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Befolgung der gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen und der darüber hinaus geltenden allgemeinen Rechtsgrundsätze durch die jeweilige Vertretungskörperschaft zusteht.492 Entscheidend ist vielmehr, ob die Bürger bzw. Einwohner durch das angegriffene Handeln einer Vertretungskörperschaft auch tatsächlich in ihren subjektiven Rechten verletzt sind. Sofern eine Verletzung eines subjektiven Rechts bereits unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten ausgeschlossen werden kann493, fehlt einem Antragsteller bereits die Klage489
VG Göttingen, Beschluss vom 08.11.2013 – 1 B 227/13 –, Rn. 10 (zitiert nach
juris). 490 VG Göttingen, Beschluss vom 08.11.2013 – 1 B 227/13 –, Rn. 10 (zitiert nach juris); siehe zu dieser sog. Teilhabefunktion des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung bereits 2. Teil § 5 II. 491 Siehe hierzu bereist 2. Teil § 5 II. 492 Vgl. in Bezug auf den Rechtsschutz gegen die Zulassung einer Bürgerbegehrens Lange, Kommunalrecht, Kapitel 9 Rn. 162, der insoweit ausführt, dass Rechte des Bürgers, die durch die Zulassung eines die gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht erfüllendes Bürgerbegehrens verletzt sein könnten, nicht ersichtlich seien. 493 Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 26.11.2003 – 9 C 6.02 –, BVerwGE 119, 245, 249.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
befugnis. Das Verwaltungsgericht Göttingen verkennt insoweit, dass die Beeinträchtigung subjektiver Rechte eines Antragsstellers durch die angegriffene Entscheidung der jeweiligen Vertretungskörperschaft zur Durchführung der Befragung zumindest im Bereich des Möglichen liegen muss und daher nicht ausgeschlossen sein darf. In dem Fall, der dem Beschluss des Landgerichts Göttingen zugrunde lag, hatte eine Vertretungskörperschaft eine Befragung (nach Auffassung der Vertretungskörperschaft handelte es sich um eine bloße Meinungsumfrage) aller Bürger beschlossen, ohne vorher eine Satzung diesbezüglich erlassen zu haben.494 Das Verwaltungsgericht wertete die geplante Meinungsumfrage als Bürgerbefragung i. S. d. § 35 NKomVG und folgerte aus dem Nichterlass einer entsprechenden Satzung und dem damit vorliegenden Verstoß gegen § 35 S. 3 NKomVG, dass die geplante Befragung rechtswidrig sei.495 Das Verwaltungsgericht verkennt damit, dass für das Vorliegen einer Klagebefugnis und damit auch für die Bejahung eines Anspruchs auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO einem Antragsteller nicht nur ein subjektives Recht zustehen muss, auf das dieser den Antrag stützt, sondern vielmehr auch eine Verletzung dieses subjektiven Rechts nach dem Vorbringen des Antragsstellers zumindest möglich sein muss. Eine solche Verletzung ist jedoch in dem Fall, der dem Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen zugrunde liegt, nicht ersichtlich. Ein einzelner Bürger bzw. Einwohner wird durch die Durchführung einer Befragung, die nicht auf Grundlage einer entsprechenden Satzung erfolgt, in keiner Weise in seinen subjektiven Rechten beeinträchtigt. Anders läge der Fall lediglich dann, wenn eine Vertretungskörperschaft Informationspflichten, Pflichten an die Ausgestaltung der Fragestellung oder ähnliche die Bürger- bzw. Einwohnerschaft schützenden Anforderungen an die Durchführung kommunaler Befragungen missachtete. So aber statuiert das Verwaltungsgericht Göttingen einen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch, der dem deutschen Verwaltungsrecht fremd ist. Selbst wenn eine Vertretungskörperschaft mit einem Beschluss zur Durchführung einer Befragung von zwingenden gesetzlichen Vorschriften abweichen sollte, ändert dies im Grundsatz nichts an der Tatsache, dass auch durch eine solche Bürger- bzw. Einwohnerbefragung den Bürgern bzw. Einwohnern die Teilhabe an der kommunalen Willensbildung ermöglicht wird. Es ist damit nicht ersichtlich, inwieweit die Bürger bzw. Einwohner dadurch in ihren subjektiven Rechten verletzt sein sollen. Damit kann festgehalten werden, dass in den meisten Fällen einem Antragsteller in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO bereits die Klagebefugnis fehlen dürfte. Während das Vorliegen einer 494
VG Göttingen, Beschluss vom 08.11.2013 – 1 B 227/13 –, Rn. 1 (zitiert nach
juris). 495
juris).
VG Göttingen, Beschluss vom 08.11.2013 – 1 B 227/13 –, Rn. 16 (zitiert nach
§ 14 Besonderheiten bei Rechtsschutzfragen
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Klagebefugnis in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam noch offen gelassen wurde496, kam das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen in seinem Beschluss ausdrücklich zu dem Ergebnis, dass das Vorliegen einer Klagebefugnis nicht bejaht werden könne497. Jedoch hat auch das Verwaltungsgericht Potsdam festgestellt, dass der Antragsteller „unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt“ einen Anspruch auf Unterlassung der Durchführung der Bürgerbefragung habe.498 Insoweit sei nach Auffassung des Gerichts nicht ersichtlich, dass „der Antragsteller durch die geplante Durchführung der Bürgerbefragung in subjektiven Rechten verletzt sein könnte“.499 Aus diesen Ausführungen folgt, dass das Gericht in der Sache auch von dem Nichtvorliegen einer Klagebefugnis ausgeht. In Bezug auf ein etwaiges Hauptsacheverfahren, das mit dem Ziel der Verhinderung der Durchführung einer kommunalen Befragung angestrebt wird, ergeben sich insoweit keine Unterschiede zu den vorausgegangenen Ausführungen. Auch eine allgemeine Leistungsklage in Form der Unterlassungsklage ist nur dann zulässig, wenn eine Verletzung subjektiver Rechte des Klägers zumindest nicht ausgeschlossen werden kann. Sofern von Seiten einzelner Bürger bzw. Einwohner die Feststellung der Unzulässigkeit einer bereits durchgeführten kommunalen Befragung begehrt werden sollte, dürfte einem Kläger bei einer solchen Feststellungsklage bereits das erforderliche Feststellungsinteresse fehlen. In jedem Fall folgt die Unzulässigkeit der Feststellungsklage aufgrund der fehlenden Klagebefugnis, die nach ständiger Rechtsprechung auch für die Zulässigkeit einer Feststellungsklage erforderlich ist500. Auch hier gilt jedoch etwas anderes für den unwahrscheinlichen Fall, dass tatsächlich im Rahmen der Durchführung einer kommunalen Befragung subjektive Rechte einzelner Bürger bzw. Einwohner verletzt worden sein sollten.
II. Klage auf Durchführung einer kommunalen Befragung Überdies stellt sich die Frage, ob von Seiten einzelner Bürger bzw. Einwohner vor dem Verwaltungsgericht ein Anspruch auf Durchführung einer kommunalen Befragung geltend gemacht werden kann. Ein Interesse einzelner Bürger bzw. Einwohner, die Durchführung einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung gericht496
VG Potsdam, Beschluss vom 14.12.2006 – Az. 2 L 738/06, S. 2 (unveröffent-
licht). 497 VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 08.04.2008 – Az. 15 L 428/08, Rn. 5 (zitiert nach juris). 498 VG Potsdam, Beschluss vom 14.12.2006 – Az. 2 L 738/06, S. 3 (unveröffentlicht). 499 VG Potsdam, Beschluss vom 14.12.2006 – Az. 2 L 738/06 –, S. 3 (unveröffentlicht). 500 Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 28.06.2000 – 11 C 13/99 –, BVerwGE 111, 276, 279 f.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
lich durchzusetzen, könnte beispielsweise in folgenden Konstellationen gegeben sein: Einerseits ist denkbar, dass es seitens einer Vertretungskörperschaft Überlegungen zur Durchführung einer kommunalen Befragung gab, ein entsprechender Beschluss der Vertretungskörperschaft jedoch nicht die erforderliche Mehrheit fand. Ferner ist auch der Fall denkbar, dass der Forderung einer Bürgerinitiative, die sich mit dem Ziel der Durchführung einer kommunalen Befragung gebildet hat501, nicht entsprochen wurde. Da es sich bei dem Beschluss über die Durchführung einer kommunalen Befragung nicht um einen Verwaltungsakt502 handelt, ist die allgemeine Leistungsklage die statthafte Klageart. Eine mit dem Ziel der Durchführung einer kommunalen Befragung eingereichte Leistungsklage dürfte jedoch bereits unzulässig sein, da einem Kläger stets die erforderliche Klagebefugnis503 fehlt. Einem einzelnen Bürger bzw. Einwohner steht kein subjektives Recht auf Durchführung einer kommunalen Befragung zu. Bei dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung handelt es sich um eine Form der Öffentlichkeitspartizipation.504 Die Teilnahmeberechtigung an einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung folgt einzig aus der rechtlichen Stellung als Bürger bzw. Einwohner einer Gemeinde und damit – im Unterschied zu der Betroffenenpartizipation – unabhängig von einer etwaigen Betroffenheit in Bezug auf die jeweilige Befragungsangelegenheit. Bei der Entscheidung über die Durchführung einer Befragung handelt es sich um eine politische Entscheidung einer Vertretungskörperschaft, die gerichtlich nicht überprüfbar ist.
III. Klage im Nachgang einer kommunalen Befragung Ferner stellt sich die Frage, welche prozessualen Möglichkeiten die Rechtsordnung einem einzelnen Bürger bzw. Einwohner zur Verfügung stellt, um im Nachgang einer durchgeführten Bürger- bzw. Einwohnerbefragung vor Gericht die Umsetzung des Befragungsergebnisses durch die jeweilige Vertretungskörperschaft durchzusetzen. Einer solchen Klage könnte beispielsweise folgender Sachverhalt zugrunde liegen: Eine Vertretungskörperschaft führt eine kommunale Befragung durch, deren Ergebnis dergestalt ausfällt, dass eine deutliche Mehrheit der Befragungsteilnehmer für eine der Antwortmöglichkeiten abgestimmt hat. Die jeweilige Vertretungskörperschaft lässt dieses Befragungsergebnis im Rahmen ihrer Entscheidung jedoch insoweit unberücksichtigt, als dass sie sich nicht dem Mehrheitsvotum anschließt. 501
Siehe hierzu bereits 5. Teil § 1 I. § 35 S. 1 VwVfG. 503 Ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. nur BVerwG, Urteil vom 05.09.2013 – 7 C 21/12 –, BVerwGE 147, 312, 313 f. 504 Siehe hierzu bereits 2. Teil § 3 I. 502
§ 15 Zwischenergebnis zum 5. Teil
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Eine gegen dieses Vorgehen einer Vertretungskörperschaft mit der Ziel der Umsetzung eines Mehrheitsvotums eingereichte allgemeine Leistungsklage ist jedoch bereits unzulässig, da ein einzelner Bürger bzw. Einwohner insoweit kein subjektives Recht geltend machen kann. Einzelne Bürger bzw. Einwohner können die Umsetzung des Befragungsergebnisses nicht insoweit gerichtlich einfordern, dass die jeweilige Vertretungskörperschaft dem Mehrheitsvotum der Teilnehmer Folge zu leisten hat. Die erforderliche Klagebefugnis ist damit bereits nicht gegeben. Wie bereits zu Beginn der Arbeit ausführlich dargelegt wurde, kommt dem Ergebnis einer kommunalen Befragung keine Verbindlichkeit für eine Vertretungskörperschaft zu.505 Etwas anderes ergibt sich auch nicht in Bezug auf die Rechtslage in Schleswig-Holstein, nach der das Ergebnis einer Befragung von der jeweiligen Vertretungskörperschaft angemessen zu berücksichtigen ist506. Dieser vom Gesetzgeber verwendeten Formulierung ist aufgrund ihrer Unbestimmtheit keine Bedeutung beizumessen. Aufgrund der Tatsache, dass eine jede Vertretungskörperschaft im Nachgang einer durchgeführten Befragung das Befragungsergebnis in ihre Entscheidung mit einbeziehen wird, ist der gesetzliche Hinweis auf die angemessene Berücksichtigung vielmehr lediglich deklaratorischer Natur und verleiht damit keine subjektiven Rechte.
§ 15 Zwischenergebnis zum 5. Teil Die Durchführung kommunaler Befragungen kann nach der gegenwärtigen gesetzlichen Ausgestaltung lediglich von Seiten einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft beschlossen werden. Insbesondere der Bürger- bzw. Einwohnerschaft ist es damit nicht möglich, die Durchführung kommunaler Befragungen zu initiieren. Während für den Beschluss zur Durchführung einer kommunalen Befragung in Schleswig-Holstein eine Mehrheit der gesetzlichen Zahl der Mitglieder einer Vertretungskörperschaft erforderlich ist, sehen die Kommunalverfassungen in Niedersachsen und im Saarland insoweit lediglich das Erfordernis einer einfachen Mehrheit der anwesenden Mitglieder einer Vertretungskörperschaft vor. Von diesen Anforderungen kann nicht durch etwaige Satzungsregelungen bzw. Regelungen einer Geschäftsordnung abgewichen werden. Obgleich der Beschluss zur Durchführung einer kommunalen Befragung in Niedersachsen sowie im Saarland nicht auf den Erlass einer Satzung gerichtet sein muss, haben Vertretungskörperschaften in beiden Bundesländern zwingend vor der erstmaligen Durchführung einer kommunalen Befragung eine Satzung zu erlassen. Diese muss jedoch nicht auf Vorrat und damit unabhängig von einer bestehenden Absicht zur Durchführung einer kommunalen Befragung und auch nicht in Form einer Grundlagensatzung erlassen werden. In Schleswig-Holstein hat vor der 505 506
Siehe hierzu bereits 2. Teil § 1. § 16c Abs. 3 S. 4 SHGO.
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5. Teil: Rechtliche Anforderungen an die Durchführung
Durchführung einer Einwohnerbefragung eine Änderung der jeweiligen Geschäftsordnung zu erfolgen. Im Rahmen des Beschlusses zur Durchführung einer Befragung ist es einer Vertretungskörperschaft untersagt, sich eine freiwillige Selbstverpflichtung dergestalt aufzuerlegen, dass die Vertretungskörperschaft unter bestimmten Umständen dem Befragungsergebnis Folge leistet. Ungeachtet dessen gehen von einer auferlegten Selbstverpflichtung keine rechtlichen Wirkungen für die Mitglieder einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft aus. Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen dürfen lediglich zu Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises einer Gemeinde durchgeführt werden. Obgleich die Kommunalverfassungen in Niedersachsen und im Saarland auch die Durchführung kommunaler Befragungen zu Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises bzw. zu Auftragsangelegenheiten zulassen, muss die Durchführung kommunaler Befragungen zu solchen Angelegenheiten als unzulässig angesehen werden. Nichts anderes gilt auch für die Durchführung kommunaler Befragungen zu Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung in Schleswig-Holstein. Je nach rechtlicher Einordnung der Aufgabenkategorie der Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung ist die Durchführung kommunaler Befragungen zu solchen Angelegenheiten bereits aufgrund der Ausgestaltung der schleswig-holsteinischen Kommunalverfassung unzulässig. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit dürfte der Durchführung einer kommunalen Befragung gewöhnlich nicht entgegenstehen, da einer Vertretungskörperschaft bei der Beurteilung der Frage der Angemessenheit von finanziellen Aufwendungen für eine Befragung ein Ermessen zukommt. Im Vorfeld einer Befragung hat eine Vertretungskörperschaft die Bürger bzw. Einwohner umfassend zumindest über die jeweilige Angelegenheit der Befragung zu informieren. Für die eigentliche Durchführung kommunaler Befragungen bestehen seitens der gesetzlichen Regelungen kaum rechtlich zwingende Vorgaben. Die Folge dessen ist, dass die Gemeinden im Rahmen der Ausgestaltung der Durchführung einer kommunalen Befragung einen Gestaltungsspielraum besitzen. Vorgaben bestehen lediglich insoweit, als dass eine kommunale Befragung sich stets an alle Bürger bzw. Einwohner einer Gemeinde richten muss und die Durchführung damit nicht auf bestimmte Gruppen von Bürgern bzw. Einwohnern und auch nicht auf Teilgebiete einer Gemeinde beschränkt werden darf. Soweit im Saarland sowie in Schleswig-Holstein auch Einwohner einer Gemeinde zur Teilnahme an einer Befragung berechtigt sind, ist diese gesetzliche Ausgestaltung verfassungswidrig, da durch die Teilnahme an einer Befragung Staatsgewalt ausgeübt wird und diese nur vom Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland ausgeübt werden darf. Etwas anderes gilt lediglich für Einwohner, die Inhaber der Unionsbürgerschaft sind. Besondere Bedeutung kommt ferner der Gestaltung der Abstimmungsfrage zu. Eine Vertretungskörperschaft ist im Rahmen der Gestaltung nicht auf eine „Ja“/„Nein“ Fragestellung beschränkt. Jedoch hat die Formulierung der
§ 15 Zwischenergebnis zum 5. Teil
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Abstimmungsfrage zwingend so zu erfolgen, dass für die Befragungsteilnehmer nicht der fälschliche Eindruck entsteht, dass die jeweilige Vertretungskörperschaft an das Ergebnis der Befragung gebunden ist. Während der zeitgleichen Durchführung einer kommunalen Befragung mit einer Wahl keine rechtlichen Bedenken entgegenstehen, ist die Durchführung einer kommunalen Befragung zeitgleich zu einem bereits laufenden Bürgerbegehren in identischer bzw. nahezu identischer Angelegenheit unzulässig. Rechtsschutz einzelner Bürger bzw. Einwohner gegen die Durchführung einer geplanten Befragung ist nur unter der Voraussetzung möglich, dass die Verletzung eines subjektiven Rechts gegeben ist, was in der Praxis eher selten der Fall sein dürfte. Auch Klagen auf Durchführung einer kommunalen Befragung sowie Klagen im Nachgang einer kommunalen Befragung auf Umsetzung eines Mehrheitsvotums dürften stets unzulässig sein. Ein allgemeiner Anspruch der Bürger bzw. Einwohner auf Einhaltung der rechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung kommunaler Befragungen durch die jeweilige Vertretungskörperschaft im Sinne eines Gesetzesvollziehungsanspruchs besteht damit nicht.
6. Teil
Schlussbetrachtung und rechtspolitischer Ausblick § 1 Schlussbetrachtung Mit dem Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung, das bisher lediglich in drei Bundesländern eine einfachgesetzliche Verankerung erfahren hat, stellt die Rechtsordnung gemeindlichen Vertretungskörperschaften ein Beteiligungsinstrument zur Verfügung, mit dem diese die Gesamtheit der Bürger bzw. Einwohner einer Gemeinde zur Abstimmung über eine gemeindliche Angelegenheit aufrufen können, um auf diese Weise ein Meinungsbild der Bürger- bzw. Einwohnerschaft in Bezug auf die jeweilige Befragungsangelegenheit zu erhalten. Da es sich bei einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung um eine amtliche Abstimmung aller Bürger bzw. Einwohner handelt, üben die Befragungsteilnehmer durch die Teilnahme an einer Befragung Staatsgewalt aus. Die Besonderheit des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung, dem eine nicht zu unterschätzende praktische Relevanz zukommt, besteht darin, dass dem Ergebnis einer kommunalen Befragung für eine Vertretungskörperschaft im Unterschied zu dem Ergebnis eines Bürgerentscheids keine Verbindlichkeit zukommt. Sofern eine Vertretungskörperschaft sich in Umgehung dieses Charakteristikums des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung eine freiwillige Selbstverpflichtung auferlegen sollte, ist ein solches Vorgehen unzulässig. Da jedoch aus dem Ergebnis einer kommunalen Befragung unter bestimmten Umständen für eine Vertretungskörperschaft eine faktische Verbindlichkeit erwächst, ist der Unterschied, der zwischen Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen und Bürgerentscheiden besteht, als gering anzusehen. Das Instrument der Bürgerbzw. Einwohnerbefragung stellt sich nach alledem als eine Form kommunaler Bürgerbeteiligung dar, deren Durchführung zwar im Grundsatz im Einklang mit der Rechtsordnung steht, jedoch zwingend aufgrund des auch für gemeindliche Vertretungskörperschaften anwendbaren Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes eine einfachgesetzliche Grundlage in der jeweiligen Kommunalverfassung erfordert. Insbesondere folgt aus der von Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG garantierten gemeindlichen Organisationshoheit nicht, dass gemeindliche Vertretungskörperschaften auch ohne eine entsprechende gesetzliche Regelung kommunale Befragungen durchführen dürfen. Soweit gegenwärtig auch von gemeindlichen Vertretungskörperschaften derjenigen Bundesländer, die bisher auf den Erlass einer einfach-
§ 2 Rechtspolitischer Ausblick
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gesetzlichen Regelung zur Durchführung kommunaler Befragungen verzichtet haben, Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen durchgeführt werden, ist ein solches Vorgehen rechtswidrig. Überdies stellen gesetzliche Regelungen, die einer Gemeinde lediglich in abstrakt formulierter Weise die Beteiligung oder die Anhörung von Bürgern bzw. Einwohnern erlauben, keine taugliche Rechtsgrundlage für die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen dar. In Bezug auf die Durchführung kommunaler Befragungen enthalten die gesetzlichen Regelungen kaum zwingende rechtliche Vorgaben. Soweit keine zwingenden rechtlichen Vorgaben bestehen, steht es im Ermessen der Gemeinden, wie sie die Durchführung einer kommunalen Befragung gestalten. Zwingend zu beachten ist jedoch, dass die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen lediglich von einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft und damit im Unterschied zu einem Bürgerentscheid nicht auch von Seiten der Bürger- bzw. Einwohnerschaft initiiert werden darf. Führt eine Gemeinde erstmals eine kommunale Befragung durch, hat dieser erstmaligen Durchführung zwingend der Erlass einer Satzung vorauszugehen. Überdies darf eine kommunale Befragung lediglich zu Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises durchgeführt werden. Berechtigt zur Teilnahme an einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung sind stets alle Bürger bzw. Einwohner einer Gemeinde. Soweit die gesetzlichen Regelungen im Saarland sowie in Schleswig-Holstein die Teilnahmeberechtigung auf Einwohner erstrecken, steht diese Ausgestaltung in evidentem Widerspruch zum Homogenitätsprinzip des Grundgesetzes und ist damit verfassungswidrig.
§ 2 Rechtspolitischer Ausblick Soweit von Seiten der Literatur das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung vereinzelt als rechtspolitisch verfehlt bewertet wird1, verdient diese Auffassung uneingeschränkte Zustimmung. Zwar kann nicht bestritten werden, dass das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung für die Bürger und Einwohner einer Gemeinde einen partizipatorischen Mehrwert darstellt. Die Durchführung kommunaler Befragungen eröffnet diesen die Möglichkeit zur Kundgabe ihrer Meinung in Bezug auf bestimmte Angelegenheiten und ermöglicht damit die Teilnahme am kommunalen Willensbildungsprozess. Überdies erscheint die Durchführung kommunaler Befragungen auch gemeindlichen Vertretungskörperschaften auf den ersten Blick lediglich Vorteile zu verschaffen. Eine Vertretungskörperschaft erhält auf diesem Wege ein je nach Ausgang der Befragung mehr oder weniger aussagekräftiges Meinungsbild in Bezug auf die Befragungsangelegenheit, das die Vertretungskörperschaft in ihre Entscheidung miteinbeziehen kann.
1
So ausdrücklich Koch, in: Ipsen, NKomVG, § 35 Rn. 2.
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6. Teil: Schlussbetrachtung und rechtspolitischer Ausblick
Die rechtspolitische Verfehltheit des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung gründet jedoch darin, dass die Rechtsordnung mit dem Bürgerentscheid, der im Wege eines Ratsbegehrens initiiert wird, ein Instrument bereit hält, das im Grundsatz alle der soeben erwähnten Charakteristika einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung aufweist, im Unterschied zu diesem Instrument jedoch der Bürgerschaft eine deutlich stärkere Beteiligung am kommunalen Willensbildungsprozess ermöglicht. Das Ergebnis eines Bürgerentscheids, der aufgrund des Beschlusses einer Vertretungskörperschaft durchgeführt wird, ist für diese verbindlich, sofern die Voraussetzungen der Kommunalverfassungen in Form der entsprechenden Quoren eingehalten werden. Demgegenüber ist eine Vertretungskörperschaft zumindest in rechtlicher Hinsicht nicht verpflichtet, sich an das Ergebnis einer kommunalen Befragung zu halten. Das Befragungsergebnis kann damit von Seiten einer Vertretungskörperschaft auch insoweit umgesetzt werden, als dass diese sich einem etwaigen Mehrheitsvotum widersetzt. Sollte eine Vertretungskörperschaft in Bezug auf eine bestimmte Angelegenheit tatsächlich an der diesbezüglichen Meinung der Bürger- bzw. Einwohnerschaft interessiert sein, stellt der Bürgerentscheid, der im Wege eines Ratsbegehrens initiiert wird, das vorzugswürdige Beteiligungsinstrument dar. Initiiert eine Vertretungskörperschaft die Durchführung eines Bürgerentscheids, signalisiert diese damit den teilnahmeberechtigten Personen, dass sie nicht nur an deren Meinung interessiert ist, sondern überdies unter bestimmten Umständen auch zur Befolgung der mehrheitlich geäußerten Auffassung in Bezug auf die Befragungsangelegenheit bereit ist. Die gesetzlich verankerten Quoren verhindern dabei, dass eine Abstimmung im Rahmen eines Bürgerentscheids lediglich zur Durchsetzung etwaiger Partikularinteressen benutzt wird. Für den Fall, dass im Rahmen eines durch ein Ratsbegehren initiierten Bürgerentscheids das erforderliche Quorum nicht erreicht werden sollte, dient die durchgeführte Abstimmung der jeweiligen Vertretungskörperschaft dennoch dazu, ein Meinungsbild der Bürgerbzw. Einwohnerschaft in Bezug auf die Befragungsangelegenheit zu erhalten. Insoweit ergeben sich keine Unterschiede zum Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung. Anders gewendet: In einem Bürgerentscheid steckt immer auch eine Bürger- bzw. Einwohnerbefragung. Überdies spricht für die Durchführung eines durch ein Ratsbegehren initiierten Bürgerentscheids anstelle einer Bürger- bzw. Einwohnerbefragung, dass die Abstimmungsteilnahme im Rahmen eines Bürgerentscheids stets deutlich höher ausfallen dürfte. Durch die Möglichkeit, eine verbindliche Letztentscheidung zu treffen, werden gewöhnlich deutlich mehr Bürger zur Teilnahme an einer Abstimmung motiviert. Nach alledem kann festgehalten werden, dass im Rahmen eines Vergleichs der Instrumente des Bürgerentscheids sowie der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung keine Argumente ersichtlich sind, die für die Durchführung kommunaler Befra-
§ 2 Rechtspolitischer Ausblick
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gungen sprechen. Das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung kann damit als entbehrlich betrachtet werden.2 Mit diesen Ausführungen ist jedoch keinesfalls eine Aussage in Bezug auf das Für und Wider direkter Demokratie auf gemeindlicher Ebene verbunden. Es ist eine politische Frage, ob von Seiten eines Landesgesetzgebers gemeindlichen Vertretungskörperschaften die Möglichkeit eröffnet wird, die Bürger- bzw. Einwohnerschaft in ihrer Gesamtheit zur Abstimmung über eine bestimmte Angelegenheit aufrufen zu können. Die mit den vorausgegangenen Ausführungen geübte Kritik richtet sich vielmehr gegen die Art und Weise der gesetzlichen Ausgestaltung dieser von Seiten der Politik getroffenen Grundentscheidung. Sofern ein Landesgesetzgeber eine politische Entscheidung dahingehend trifft, dass den Gemeinden die Möglichkeit zur Abstimmung aller Bürger bzw. Einwohner in Bezug auf eine bestimmte Angelegenheit eröffnet werden soll, hat eine Ausgestaltung der diesbezüglichen gesetzlichen Regelungen so zu erfolgen, dass das die jeweilige Abstimmung initiierende Organ unter bestimmten Umständen dem geäußerten Mehrheitsvotum der Bürger bzw. Einwohner zwingend Folge zu leisten hat. Eine solche grundsätzliche Entscheidung dafür, dass Vertretungskörperschaften eine Abstimmung aller Bürger bzw. Einwohner initiieren dürfen, haben all diejenigen Länder getroffen, in deren Kommunalverfassungen das Instrument des Ratsbegehrens und/oder das Instrument der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung eine gesetzliche Regelung erfahren hat. Im Rahmen einer abschließenden rechtspolitischen Bewertung des Instruments der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung kann damit der von Krause getroffenen Aussage beigepflichtet werden: „[Die Durchführung konsultativer Volksbefragungen] ist nur in einem Staat denkbar, der – horribile dictu – den Grundsatz nicht mehr anerkennt, dass seine gesamte Gewalt vom Volk ausgeht. Sie bedeutet keine Verstärkung des republikanischen und des demokratischen Prinzips, sondern eine Kampfansage [. . .] an sie. Sie schließt die Möglichkeit der Verdrängung des artikulierten (!) Volkswillens durch ,Repräsentativorgane‘ ein; sie nimmt das Volk, indem sie ihm Gelegenheit zur Äußerung gibt,
2 Diese Auffassung teilen Wefelmeier, in: Blum/Baumgarten/Freese u. a., NKomVG, § 35 Rn. 4; Koch, in: Ipsen, NKomVG, § 35 Rn. 2; vgl. in Bezug auf konsultative Volksbefragungen auf Bundesebene auch Stern, Staatsrecht, Bd. II, S. 16, der es als „verfassungspolitisch fragwürdig“ betrachtet, „das Volk abstimmen zu lassen und zugleich zu betonen, dass seine Äußerung keine Bindungskraft hätte“; Luthardt, RuP 1988, 40, 48, der das Instrument als „überflüssig“ ansieht; Jürgens, Direkte Demokratie, S. 239, der das Instrument als „generell nicht sinnvoll“ erachtet; Krause, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. II, § 35 Rn. 24, sieht in dem Instrument das „hybride Ergebnis einer künstlichen Züchtung, ein der demokratischen Republik in unzulässiger Weise unterschobener Wechselbalg“; Lippold, DÖV 1989, 663, 669, der das Instrument als „verfehlt“ ansieht, da es sich bei diesem um eine „Volksbefragung unter falschem Etikett“ handele; Wassermann, RuP 1986, 125, 127, für den das Instrument „weder Fisch noch Fleisch“, im Ergebnis jedoch „besser als nichts“ sei; so im Ergebnis auch Rommelfanger, Das konsultative Referendum, S. 281.
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6. Teil: Schlussbetrachtung und rechtspolitischer Ausblick
nicht ernst, sie billigt ihm nur Gehör, aber nicht Entscheidung zu [. . .]. Das ist allenfalls paternalistisch, aber nicht demokratisch [. . .].“ 3
In Bezug auf etwaige politische bzw. gesetzgeberische Maßnahmen, die aufgrund dieser rechtspolitischen Bewertung getroffen werden könnten, muss zunächst Beachtung finden, dass lediglich im Saarland und in Schleswig-Holstein die Kommunalverfassungen ein Nebeneinander der Instrumente des Bürgerentscheids, der durch den Beschluss einer Vertretungskörperschaft initiiert werden kann, sowie der Bürger- bzw. Einwohnerbefragung vorsehen. Da nach der im Rahmen dieser Arbeit vertretenen Auffassung die Durchführung kommunaler Befragungen wie auch von Bürgerentscheiden unter dem Vorbehalt einer entsprechenden einfachgesetzlichen Grundlage steht, können auch nur in diesen beiden Bundesländern gemeindliche Vertretungskörperschaften zwischen beiden Instrumenten wählen. Die Gesetzgeber beider Bundesländer sollten durch die Abschaffung der gesetzlichen Regelungen zur Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen verdeutlichen, dass gemeindliche Vertretungskörperschaften anstelle der Durchführung einer kommunalen Befragung von dem Instrument des Bürgerentscheids Gebrauch zu machen haben, sofern sie die Bürgerschaft in ihrer Gesamtheit zur Abstimmung über eine bestimmte Angelegenheit aufrufen möchten. Solange jedoch die Kommunalverfassungen beider Länder die Durchführung beider Instrumente erlauben, sollten Vertretungskörperschaften aus den bereits dargelegten Gründen von der Durchführung kommunaler Befragungen Abstand nehmen. In Bezug auf die Niedersächsische Kommunalverfassung sollte der Gesetzgeber die Möglichkeit zur Initiierung eines Bürgerentscheids durch den Beschluss einer Vertretungskörperschaft gesetzlich verankern und gleichzeitig durch die Abschaffung der Regelung zur Durchführung von Bürgerbefragungen verdeutlichen, dass die Durchführung eines durch ein Ratsbegehren initiierten Bürgerentscheids der einzige zulässige Weg ist, auf dem eine Vertretungskörperschaft die Bürgerschaft in ihrer Gesamtheit zur Abstimmung über eine bestimmte Angelegenheit aufrufen darf. In Bezug auf diejenigen Kommunalverfassungen, die zwar die Möglichkeit zur Durchführung eines im Wege eines Ratsbegehrens initiierten Bürgerentscheids, nicht jedoch auch die Möglichkeit zur Durchführung kommunaler Befragungen vorsehen, empfiehlt sich eine ausdrückliche gesetzgeberische Klarstellung dahingehend, dass ein Ratsbegehren die einzige zulässige Möglichkeit zur Einholung eines Meinungsbildes aller Bürger darstellt und damit die Durchführung von Bürger- bzw. Einwohnerbefragungen unzulässig ist. Lediglich in Bezug auf diejenigen Kommunalverfassungen, in denen bisher keines der beiden Instrumente eine einfachgesetzliche Regelung erfahren hat, 3
Krause, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. III, § 35 Rn. 23.
§ 2 Rechtspolitischer Ausblick
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soll keine konkrete Handlungsempfehlung ausgesprochen werden. Soeben wurde bereits erwähnt, dass es sich bei der Frage, ob einer gemeindlichen Vertretungskörperschaft die Durchführung einer Abstimmung aller Bürger bzw. Einwohner zu einer bestimmten Angelegenheit ermöglicht werden soll, um eine politische Entscheidung handelt. Insoweit lässt jedoch die Ausgestaltung der Kommunalverfassungen dieser Länder einzig den Schluss zu, dass gemeindlichen Vertretungskörperschaften eine solche Kompetenz gerade nicht eingeräumt werden soll. Diese legitime politische Entscheidung ist zu akzeptieren. Nur für den Fall, dass in diesen Bundesländern Überlegungen in Richtung einer Änderung der Kommunalverfassung dahingehend angestellt werden sollten, dass gemeindlichen Vertretungskörperschaften nunmehr doch eine Kompetenz zur Durchführung von Abstimmungen der Bürger in ihrer Gesamtheit eingeräumt werden soll, sollte lediglich die Möglichkeit zur Durchführung eines Bürgerentscheids im Wege eines Ratsbegehrens eine gesetzliche Regelung erfahren. Die gesetzliche Ausgestaltung sollte dabei in einer Weise erfolgen, die den Gemeinden hinreichend verdeutlicht, dass die Durchführung einer Abstimmung, deren Ergebnis keine Verbindlichkeit entfaltet, unzulässig ist.
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Sachwortverzeichnis Abstimmungsberechtigte Personen 248 – Einwohner 249 – Gemeindebürger 249 – Mindestalter 264 – Unionsbürger 260 – Verfassungsgemäßheit einer Teilnahmeberechtigung von Einwohnern 251 Abstimmungsgebiet 267 – Eingrenzung 267 – Gemeindeteile 270 – Ortschaften, Stadtbezirke und Ortsteile 268 Allzuständigkeitsprinzip 160 Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises bzw. Auftragsangelegenheiten 229 Befragungen auf Kreisebene 272 Befragungsergebnis 30, 142, 143 – faktische Bindungswirkung 34, 143 – Unverbindlichkeit 30, 142 Befragungspraxis 38 – Befragungen mit gesetzlicher Grundlage 40 – Befragungen ohne gesetzliche Grundlage 43 Befragungsteilnahme – Art und Weise 279 – rechtliche Qualifizierung 57 – Verpflichtung 265 – Volksbefragungsurteile 57 Beschluss zur Durchführung 197 – abweichende Satzungsregelungen 200 – erforderliche Mehrheit 199 – Mehrheitserfordernis 197 Bürger- bzw. Einwohnerantrag 97 Bürger- bzw. Einwohnerschaft 192
Bürger- bzw. Einwohnerversammlung 98 Bürgerbegehren 90 Bürgerbeteiligung 83 – Befragungen im System der Beteiligungsrechte 103 – Begriffsverständnis 87 – kommunale Selbstverwaltung 81 – Letztentscheidungsrechte 89 – Mitwirkungsrechte 96 Bürgerentscheid 92 Bürgerumfragen 71 – Gemeinsamkeiten mit Befragungen 73 – Unterschiede zu Befragungen 73 Durchführung kommunaler Befragungen 278 – Anwendung der Wahlrechtsgrundsätze 278 – Art und Weise der Befragungsteilnahme 279 – Ausgestaltung des Abstimmungszettels 288 – Formulierung der Abstimmungsfrage 289 – Zeitpunkt und Zeitraum 281 – Zusammenlegung mit Bundestags-, Landtags- oder Kommunalwahlen 282 Einwohnerfragestunde 101 Einwohnerunterrichtung 101 Erfordernis einer einfachgesetzlichen Grundlage 126 – Allgemeiner Vorbehalt des Gesetzes 150 – Anforderungen an die Rechtsgrundlage 184
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Sachwortverzeichnis
– Eingriff in die Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung 176 – faktische Bindungswirkung 143 – Institutioneller Vorbehalt des Gesetzes 152 – kommunale Selbstverwaltungsgarantie 158 – Meinungsstand in der Literatur 129 – Meinungsstand in der Rechtsprechung 132 – Öffnungsklauseln 185 – Staatsgewalt 140 – Unverbindlichkeit 142 – Verbotstatbestände 139 – Vorbehalt des Gesetzes 144 Formulierung der Abstimmungsfrage 289 – Antwortmöglichkeiten 292 – Befragung zu mehreren selbstständigen Fragen 297 – Bestimmtheit und Neutralität der Fragestellung 291 – Koppelung mehrerer Fragen 294 – Unverbindlichkeit des Befragungsergebnisses 289 Freiwillige Selbstverpflichtung 215 – Praktische Relevanz 216 – Rechtliche Wirkungen 217 – Zulässigkeit 218 Funktionen 63 – Informationsfunktion 64 – Konsens- und Legitimationsfunktion 66 – Kontrollfunktion 71 – Oppositionsfunktion 69 – Teilhabefunktion 65 Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit 221 Gegenständliche Eingrenzung des Anwendungsbereichs 225 – Ausschlusstatbestände 239 – bundes- und landespolitische Angelegenheiten 234 – gemeindliche Verbandskompetenz 225
– Organkompetenz der Vertretungskörperschaft 244 – wichtige Angelegenheiten 235 Gemeindeversammlung 95 Gemeindliches Petitionsrecht 102 Geschäftsordnung 213 Geschichtliche Entwicklung 51 Häufigkeit kommunaler Befragungen 277 Informationspflichten 272 – Art und Weise der Informationserbringung 276 – Sinn und Zweck 272 – Umfang und Grenzen 274 Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung 227 Ratsbegehren 94, 170, 174 Rechtspolitischer Ausblick 309 Rechtsschutz 299 – Klage auf Durchführung 303 – Klage auf Verhinderung der Durchführung 299 – Klage im Nachgang einer kommunalen Befragung 304 Satzungserlass – auf Vorrat 208, 213 – Durchführungssatzung 208 – Gestaltungsmöglichkeiten 207 – Grundlagensatzung 207 – Ortsteile und Stadtbezirke 212 – Pflicht zum Erlass 205, 213 – Praxis 206 Satzungsinhalt 212 Staatsgewalt 60, 140 status activus 60 Vertretungskörperschaft 121, 145, 190 – Organ der ausführenden Gewalt 145 – Zuständigkeit 190
Sachwortverzeichnis Volksbefragungsurteile 58 Vorbehalt des Gesetzes 144 – Allgemeiner Vorbehalt des Gesetzes 147 – Institutioneller Vorbehalt des Gesetzes 148 – Typologie 146
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Zulässigkeit der Durchführung 113 – Grundsatz des freien Mandats 120 – Verfassungsrechtliche Zulässigkeit 114 Zuständigkeit zur Durchführung 190 – Bürger- bzw. Einwohnerschaft 192 – Vertretungskörperschaft 190