Klopstocks sämmtliche Werke: Band 4 Der Messias, Band 2 [Reprint 2022 ed.]
 9783112635766

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TKBam/.

Kl o p sto cks sämmtliche

Werke.

Vierter Band.

Der

Messias

Zweyter Band.

Leipzig, bey Georg Joachim Göschen 132).

Der

Messias.

Zweyter Band.

Sechster Gesang.

V. I — IO.

Wie dem sterbenden Weisen, indem des Todes Ge­ fühl ihm Jede Nerve beschleicht, die festlichen Augenblicke Theurer werden, als Tage vordem; denn der Richter gebietet Nun den letzten Gehorsam, und Tugend, welche, geboren Noch aus brechendem Herzen, ihn auf erhabnere Stufen Seiner Vollendung erhebt: er zahlt die bessern Minuten Tiefanbetend, und krönt mit Thaten sie, Thaten der Seele, Die durch ewigen Lohn der schauende Richter be­ gnadigt. Also wurden die Stunden des großen, mystischen Sabbaths Festlicher, schauervoller, und Gott selbst theurer, je naher

4

VI. Ges.

v. II — 2A.

Ju dem Altare das Opfer trat, je mehr der Versöhner Eilte zu bluten, und: Werde! der neuen Schöpfung zu rufen Laut an dem Kreuz; in die Mitternacht sein bluten­ des Antlitz Dann zu neigen. Eloa, vom Werth der heiligen Stunden Hingerissen, sie waren ihm mehr, als die jauchzen­ den Stunden Seiner frühen Geburt! so ergriffen, hüllt' er sein Antlitz Gegen Gabriel auf, und sprach zu dem göttlichen Freunde; Sahst du ihn leiden? Ich bebe noch! Gabriel, sahst du ihn leiden? Keine Namen im Himmel, und keine Sprache der Engel Nennt mir, was ich empfand! Du hast ihn selber gesehen! Und roc? wird er noch leiden! An jedem Augenblick hangen Ewigkeiten! Er schwieg. Und Gabriel sprach: Ich vertiefte Mich Jahrtausende schon, das künftige Wunder zu lernen, Dunkel es nur zu sehn, nicht auszuforschen; doch irrt' ich! Laß uns schweigen! Es ist rund um uns heilig! Zwar Graber

VI. Ges.

v. 26 — 39.

5

doch werden dort Engel erwachen! Schlummert in Frieden! Aber 0 sieh, wer drüben im Dunkeln Wild mit der Flamme sich naht. Euch sandte die Höll', Empörer! Welch ein niedriger Haufen! Allein der Schöpfer des Sandkorns Und der Sonnen, der Ewige herrscht, durch den Wurm, und den Seraph! Und ihr Führer, ihr Führer! Eloa.. So wird er nicht wandeln, Wenn die Posaune den Staub aus jenen Hügeln hervorruft, Die vor dem Richter ihn deckten, so froh wirst dann du nicht wandeln, Du Derrather! Er sprachs. Der Haufen nahte sich wüthend, Trug die Flammen empor, und irrte mit suchendem Auge Durchs Labyrinth der Bäum' und der Nacht. Ihn sahe der Gottmensch. Nun erhub sich die dunkelste Nacht, die über ihn herhing, Wolkicht empor, und als sie sich hub, entflossen ihr Schauer. Einer ergriff den Derrather. Er trotzte der mäch­ tigen Warnung,

Liegen auch um uns her:

6

VL @e s.

Und so rüstet' er sich:

v. 40 — AZ.

Wo ist er? Die Lieblinge sahn ihn. Wie sie sagen, auf Tabor in Himmelswolken gekleidet, Aber in Banden noch nicht! So sollen sie jetzo ihn sehen, Und sich Hütten der Freude zu baun vergessen! Doch bebst du, Schauerndes Herz! Kann Kühle der Nacht auch Manner erschüttern? Schweig, Empörer! bald ist es gethan! Dann will ich mir Hütten, Nicht in Traume nur, baun! Er dacht's, und er eilte von neuem. Als der Mittler die kommenden sah, da betet' er also In sich selber: Es ist weit, weit von den ewigen Höhen Bis zu diesen Sündern herunter. £) Weg' in dem Staube, Die ich wandle! Ich will sie wandeln! Sie werden einst glanzen, Wenn, in diesen Tiefen, die Auferstehung erwacht ist, Und nun ganz das Gericht es enthüllet, »warum sie Gott ging. Judas Ischariot führte den Haufen. Der Priester Befehl war: Männer zu waffnen, und Jesus bey seinen Gräbern zu suchen, Ihn zu binden, und vor die Versammlung zu führen. Es kannte

VI. Ges. v. Z6 — 7i.

7

Judas den Ort des stillen Gebets, und der nächt­ lichen Sorge Für die Menschen. Er hatte der Schaar ein Zeichen gegeben: Welchen ich küsse, der ist es! Allein noch erbarmt des Verrathers Sich die Nacht, und laßt ihm noch nicht den entsetz­ lichen Kuß zu. Aber nicht lang', und es fiel mit ungeduldigem Grimme. Auf die schlafenden Jünger die Schaar. Da ging der Erlöser Gegen die Sünder, und sprach mit seiner Hoheit: Wen sucht ihr? Sie ergrimmten, nun rüsten, und schwangen die bebenden Fackeln: Jesus, den Nazaräer! Nun waren die übrigen Jünger Alle gekommen; nun schauten auf ihn die geflohenen Engel. Und mit göttlicher Ruh', als wenn er dem Wurme, zu sterben, Oder dem kommenden Meere, vor ihm zu schweigen, geböte, Sprach er zur Schaar: Ich bins! Sie ergriff des Sohnes Allmacht, Und sie sanken belaubt vor seiner Stimme danieder. Judas sank mit ihnen. So liegen im Felde des Treffens Todte; so wälzet sich unter den Todten der Grirnmigsten einer,

8

VI. Ges. v. 72 — 86.

Wenn aus der stilleren Mitte der Schlacht der den­ kende Feldherr Um sich herum, ihm gebot es Gott! Verderben versendet. Aber itzt war die Betäubung vorüber; itzt hub der Verrather Don der Erde sich auf: nun war die schrecklichste Stunde Seiner Erschaffung, und er ganz nah dem Gerichte gekommen. Ueber ihm rauscht' ein Lodesengel mit nächtlichem Flügel. Doll verborgenes Grimms, mit aufgeheiterter Miene, Trat er zu dem Messias, und küßt' ihn! Er hatt' es vollendet! Und der Thaten schwärzeste schlich, wie ein Schatten zur Hölle. Aber der Gottmensch sah dem Verräther mitlei­ dig ins Antlitz: Judas! und du verräthst, durch einen Kuß, den Messias? Ach mein Freund, wärst du nicht gekommen! So sagte der beste Unter den Menschen, und gab sich der Schaar, sich binden zu lasier.. PetruS sah es. Den kühneren weckt der Anblick, er reißt sich Durch die Jünger hervor, und verwundet im muthigen Angriff

VI. Ges. v. 87 — io2. Einen der Schaar.

9

Dem heilet der Menschenfreund die Wunde, Schaut auf Petrus herüber, und sagt: Sey ruhig, mein Jünger. Bat' ich meinen Vater um Schutz; es würden vom Himmel Mächtige Legionen erscheinen, dem Sohne zu dienen. Aber wie würden alsdann der Propheten Worte vollendet 3 Und zu der Schaar, die ihn band: Ihr seyd gerü­ stet gekommen, Mich zu sahen, als war' ich ein Mörder, der Wüthenden einer, Die dem Tode bestimmt, und durch der Unmensch­ lichkeit Thaten Ueber andere Sünder erhöht sind ! Ich bin ja im Tempel Immer um euch gewesen! hab' euch die Wege des Lebens Und des Todes gelehrt; ihr ließet ruhig mich lehren! Aber eure Stund' ist gekommen, der Finsterniß Werke Auszuführen. Er schwieg, und war an dem Bache der Cedern. Unterdeß stand in dem hohen Pallast die Ver­ sammlung der Priester, Wie auf Wogen der zweifelnden Hoffnung. Ihr sorgende- Murmeln Stieg von der Höh des innersten Saals die Marmorgelender

io

VI. Ges. xv. 103 — 117.

Zum vielhörendenOhr des fürchtenden Pöbels hinunter. Dieser staunte mit starrendem Blick; sprach von dem Propheten Zitterndes Lob, und stammelnde Flüche; vergaß der Bewundrung Und der goldenen Leuchter, die flammend die Sauten umgaben. Aber die Priester besprachen sich unter einander: Die Bothen Kommen noch nicht! wo bleiben die Bothen? Viel­ leicht, daß sie Judas l{nb den Haufen verfehlten? Vielleicht wird der schwarze Verrather Auch zum Verrather an uns? Ach vielleicht verleim, wie vormals, Durch Blendwerke des Schreckens der Nazaräer die Manner! Also besprachen sie sich. Da kam ein Böthe! die Haare Flogen ihm, und die Wange war bleich; erkaltender Schweiß lief Ueber sein Antlitz; er rang die bebenden Hande. So sprach er: Hoherpriester! wir kamen dahin, und fanden ihn endlich Ueber dem Bache, nicht fern von den Grabern. Das Grauen der Graber Schrecket' uns nicht; allein es hingen schwärzere Wolken,

VI. Ges.

v. ns — 132.

II

Als ein Mensch noch gesehn hat, am ganzen Himmel herunter. Und doch drangen die Manner hinein; ich blieb in der Fern stehn. Aber ich sah den Propheten! Da liefen, ich kanns nicht erzählen, Wie es geschah, da liefen mir Schauer durch alle Gebeine! Doch sie erkannten ihn nicht, so nah er auch dastand, und drangen Auf die Manner um ihn. Da sprach er gewaltig: Wen sucht ihr? Unsere Manner fürchteten nichts, und rüsten mit Grimme: Jesus, den Nazaräer! Da sprach er, noch hör' ichs, noch sinken Alle Gebeine mir hin ! er rief mit der Stimme des Todes Gegen uns her: Ich bins! So sprach die Stimme. Sie stürzten Auf ihr Angesicht hin ! Sie liegen todt da ! Nur ich bin Ihm entronnen, damit ich die Todesbothschaft euch brachte! Und die Priester hörten des Schreckens Worte den Bothen Sagen, und standen entfärbt, und blieben starr, wie ein Fels steht, Stehn. Nur Philo vermag, unüberwaltigt vom Schrecken,

12

VI. Ges.

v. 133 — 148«

Diese Worte zu zürnen: Du bist sein Jünger, Ver­ wegner ! Oder dich tauschte die bildende Nacht! Geöffnete Graber Sandten dir Schwindel, und Todte. Die Todten sahst du! Die Manner, Welche wir sendeten, leben, und fallen vor Worten nicht nieder! Als er noch redete, kam ein anderer Böthe: Wir haben Viel gelitten! wir sind vor ihm zu der Erde gesunken! Denn sein Blick war entsetzlich, und Tod in deredenden Stimme. Aber dennoch führen wir ihn gebunden. Er gab uns Selbst die Hande, sich binden zu taffen. Sie führen ihn bebend, Wissen nicht, ob sie von neuem gebietende Worte des Schreckens Hören werden. Allein er geht mit geduldiger Stille, Und ist schon in den Mauren Jerusalems. Also der Böthe. Und der dritte kam an, und rief: Gott segne die Vater! Aber so müffen sie alle verderben, die wider euch aufstehn, Alle Feinde des Herrn, wie der Galiläer, verderben! Denn wir führen gebunden ihn her mit Banden, die Worte

VI. Ges. v. 149 — r6z.

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Richt auflösen, noch lächelnde Mienen. Ihn haben die Seinen Alle verlassen. Er naht dem Pallast. Gott gebe sein Blut euch! Als der wüthende schwieg, trat Satan in die Versammlung, Und die Freude der Hölle mit ihm. Sie fasset die Priester Schwindelnd; umflattert ihr Auge mit Bildern quel­ lender Wunden, Und des bleichen kommenden Todes; umströmt mit der Stimme Seiner Qualen ihr Ohr. Er verstummt nun ewig, und über Seinem Gebein empor erhebt der Heiligen Fuß sich! Lang' ergriff sie der Taumel; allein noch blieb der Prophet aus: Und sie wütheten sehr, und sandten das zweytemal Bothen. Philo ging mit den Männern. Es hatte die Schaar den Messias Auf dem Wege zu Hannas, dem Hohenpriester, geführet. Denn es war der Greis in der Nacht schwerduften­ den Stunden Aufgestanden, zu sehn den Mann, der Juda verwirrte! Und Johannes folgte von fern. Der friedsame Schlummer

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VL G e s. v. 164 — 178.

War von dem Aug' ihm

entflohn, der Wehmut-h Kummer bedeckt' es, Deckte die bleichere Wange; zuletzt (er kannte den Priester, Daß er kein Wüthrich wie Kaiphas war,) bezwang er die Wehmuth Seines Herzens, ging in den Richtsaal, sah den Messias, Wie er vor Hannas stand. Der Hohepriester befragt' ihn: Kaiphas wird dich richten ! O warst du so schuld­ los, als, was du Thatest, ruchtbar ward; so würden die Völker der Erde, Würde Abrahams Gott und seiner Kinder dich segnen 2 Sag nun selber, was hast du gelehrt! was hast du für Jünger? Lehrtest du Moses Gesetz? und thatst du es? thaten's die Jünger? Hannas sprachs, und bewunderte Jesus, der mit der Geberde Eines Propheten vor ihm dastand, mit bescheidener Hoheit, Anentheiligt vom Stolze! Der Gottmensch würdigt ihn, also Ihm zu erwiedern: Ich lehrt' in dem Tempel, frey vor dem Volke, Frey vor den Lehrern im Volk! Du fragst mich! frage die Hörer!

VI.Ges.

t>. 179-^194.

15

Als er noch sprach, drang Phito herein. Da fuhr die Versammlung Ungestüm auf; da that ein Knecht, mit knechtischer Seele, Eine That, die niedrig genug war Unmenschlichkeiten Anzukündigen. Philo gebot, den Empörer zu nehmen, Und ihn entgegen zu führen dem Todesurtheil. Sie thatens. Als ihn Johannes in Philo's Gewalt sah, deckt' ihm des Todes Blaffe die Wang', und Dunkel sein Auge; da ziitert' er, brach ihm In der Wehmuth das Herz! Zuletzt, da er aus dem Pallaste Wankete, steht er von fern die wehenden Fackeln: Ich folge, Nein, ich folge dir nicht, ich bete dir nach, 0 du bester Unter den Menschen! Doch ist in Gottes Rath' es beschlossen, Mußt du sterben; so laß, den meine Seele geliebt hat, Den ich liebe, mit viel mehr Liebe, wie Liebe der Brüder, Laß mit dir mich sterben, du He ligster! Nur daß mein Auge Nicht dein brechendes Auge, nicht deine Todesangst, seh! Ich des verstummenden Segen, den letzten, nicht höre!

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VI. Ges.

v. 195 — 209.

Würger, wo bin ich? Ist hier kein Retter? kein Retter auf Erden? Keiner im Himmel? und schlummert ihr auch, die über ihm sangen, Als sie dem Tode, das dachtest du nicht, du liebende Mutter! Diesem entsetzlichen Tod' ihn gebar! Du allein bist Retter, Du bist Helfer allein, 0 der Todten und Lebenden Helfer! Dater der Menschen, erbarme dich meiner, und laß ihn nicht sterben, kaß ihn nicht sterben, den besten der Kinder Adams! Den Priestern, Gieb den grausamen Würgern ein Herz, das Mensch­ lichkeit fühle! Ach, ich seh' ihn nicht mehr! die hohen Flammen verschwinden: Run, nun richten sie ihn! Daß ihre grimmige Seeke Schaure beym Anblick der leidenden Tugend! sich Einmal, nur Einmal, Einmal im Leben nur das Gericht, das kommen soll, denke! Doch wer wandelt im Dunkeln herauf? Ist es Petrus? vernahm er, Wie sie zum Tod' ihn verdammten? So schnell! Nun steht er! Wen sah ich? Keines Fußtritt hör' ich nicht mehr! Wie ist es hier öde!

VI. Ges.

v. 210 — 223
was sag' ich zuerst? was zuletzt? wie voll ist mein Herz mir! Erst sey dieses dein Trost, ist es anders Trost dir: Ich will dir Helfen, du theure! Dann wisse, die Götter, welche du meintest, Fleht' ich nicht an. Ein heiliger Traum, von dem ich jetzt aufsteh,

Auf mich blicke,

VII. Ges.

v. 371 — 387«

6?

Lehrte mich kessere Götter, zu denen hab' ich gebetet! Sieh, ein Traum, wie noch keiner um meine Seele

geschwebt hat, Ach ein himmlischer, schreckender Traum! Ich würde dir helfen, Warst du auch nicht, Maria, gekommen.

Hatte

wir

schon

für

Der Traum,

den ich sahe, dich mit mächtiger Stimme

gesprochen. Aber er endete fürchterlich, und ich verstand ihn zuletzt nicht. Da erwacht' ich, und fand mich in kalten Schweißen. Ich eilte Gleich, den erhabnen Verklagten zu sehn. Da hatten dre Götter Mir des Verklagten Mutter gesandt! Hier schwieg sie, und winkle Einer Sklavin, die ferne von ihr in der Tiefe des Gangs stand. Denn sie gab den Befehl, da aus ihren Hallen sie eilte: Eine Sklavin sollte sie nur in der Ferne begleiten. Diese nähere jetzt, und empfing die neuen Befehle: Geh zu Pilatus, und sag' ihm: Er ist ein großer, gerechter, Göttlicher Mann, den du richtest! verdamme du nicht den Gerechten! Um des Göttlichen willen, Pilatus, hat ein Gesicht mich Heut im Schlafe geschreckt! So stille denn, liebende Mutter,

68

VIT. Ges.

Deine Schmerzen,

V. 388 — 402.

und komm, daß ich unter die Blumen dich führe. Dort in die Morgensonne, damit wir die Menge nicht hören, Und ich dir sage, was mich die ernste Stunde gelehrt hat. Portia sprachs, und sie stiegen hinab. Die edlere Heidin Sieht mit ernstem Angesicht nieder. Noch schweigt sie, voll Wunderns Ueber den Traum, und vertieft in neue Gedanken. Ihr Engel Hatt' in ihre Seele den Traum gegossen, und immer Aus den Lieblingsgedanken, die sie am feurigsten dachte, Neue Gedanken entwickelt, in ihrem Herzen die feinsten, Zartesten Saiten gewisser zu treffen, und ganz sie zu rühren. Jetzt entreißt sie sich ihren Betrachtungen, sagt zu Maria: Sokrates, zwar du kennest ihn nicht; doch ich schaure vor Freuden, Wenn ich ihn nenne! das edelste Leben, das jemals gelebt ward, Krönt' er mit einem Tode, der selbst dieß Leben erhöhte! Sokrates, immer hab' ich den Weisen bewundert! sein Bildniß

VIL Ges.

v. 403 — 416.

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Unaufhörlich betrachtet, ihn sah ich im Traum. Da nannt' er Seinen unsterblichen Namen: Ich Sokrates, den du bewunderst, Komm' aus den Gegenden über den Grabern her­ über. Verlerne Mich zu bewundern! Die Gottheit ist nicht, wofür wir sie hielten, Ich in der strengeren Weisheit Schatten; ihr an Altaren. Ganz die Gottheit dir zu enthüllen, ist mir nicht geboten. Sieh, ich führe dich nur den ersten Schritt in den Vorhof Ihres Tempels. Vielleicht, daß in diesen Tagen der Wunder, Da die erhabenste That der Erde geschieht, daß ein beßrer, Höherer Geist kommt, und dich in das Heiligthum tiefer hineinführt. So viel darf ich dir sagen, und dieß verdiente dein Herz dir: Sokrates leidet nicht mehr von den Bösen! Elysium ist nicht, Noch die Richter am nächtlichen Strom. Das waren nur Bilder Schwacher, irrender Züge. Dort richtet ein anderer Richter,

70

VIL Ges.

v. 417 — 432.

Leuchten andere Sonnen, als die in Elysiums Thäte! Sieh, es zahlet die Zahl, und die Wagschal wagt, und das Maß mißt Alle Thaten! Wie krümmen alsdann der Tugenden höchste Sich in das Kleine! wie fliegt ihr Wesen verstaubt in die Luft aus! Einige werden belohnt; die meisten werden vergeben! Mein aufrichtiges Herz erlangte Vergebung. O drüben, Portia, drüben über den Urnen, wie sehr ist es anders, AlS wir dachten! Dein schreckendes Rom ist ein höhe­ rer Aufwurf Voll Ameisen; und Eine der redlichen Thränen des Mitleids Einer Welt gleich! Verdiene du, sie zu weinen! Was diese Heilige Welt der Geister sehr ernst jetzt feyert, und was mir Selbst nicht enthüllet ward, und ich von fern nur bewundre, Ist: Der größte der Menschen, wofern er ein Mensch ist, er. leidet, Leidet mehr, wie ein Sterblicher litt, wird am tiefsten gehorsam Gegen die Gottheit! vollendet dadurch der Tugen­ den größte! Und dieß alles geschieht, um der Menschen willen! und jetzo!.

VIl. Ges.

v. 433 — 448-

71

Sieh, ihn sah dein Auge! Pilatus richtet den Thäter Dieser Thaten! Und fließt sein Blut; so hatte noch niemals Lauter der Unschuld Blut gerufen! Hier schwieg die Erscheinung. Aber sie rief, indem sie verschwand, aus den Fernen herüber: Schau! Ich schaute. Da waren um mich aufbebende Graber; Hingen dicht an die Graber von allen Himmeln herunter Schwere Wolken z die rissen sich auf bis zur obersten Höhe. Und ein Mann, dem Blut entströmete, ging in die Wolken, Wo sie sich öffneten. Schaaren unzählbarer Menschen zerstreuten Sich auf den Gräbern, und schauten mit offnen verlangenden Armen Jenem blutenden nach, der in die Wolken hineinging. Viele von ihnen bluteten auch. Die weiten Gefilde Tranken ihr Blut, und bebten. Ich sah die Leiden­ den leiden! Aber sie litten mit Hoheit, und waren bessere Men­ schen, Als die Menschen um uns. Ein Sturm kam jetzo herüber, Schreckend schwebt' er einher, und hüllte die Felder in Rächt ein.

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VII. Ges.

Da erwacht' ich.

v. 449 — 463.

Sie schwieg. So stutzt ein letzter Gedanke, . Wenn er, der Vorsicht Tiefen zu nah, auf Einmal zurückbebt. So blieb Portia stehn. Maria wandte gen Himmel Ihr vieldenkendes Auge: Was soll ich Portia sagen? Zwar ich versteh' es selber nicht ganz, was der Traum dich gelehrt hat: Aber ich schaue dich an, und verehre dich.' Höhere Geister Werden kommen, und dich in das Heiligthum führen! Doch darf ich Dieß dir sagen, so gern ich, wenn jene reden, ver­ stumme : Er, der diese wandelnden Himmel so leicht, wie den Sprößling, Der dort keimet, erschuf, der hier dem Menschen ein Leben Voller Müh, voll fliehender Freud', und fliehendeSchmerzes Gab, daß sie nicht vergäßen den Werth der höheren Seele, Und es fühlten, daß über dem Grab' Unsterblichkeit wohne! Er, Er ist nur Einer! Er heißt Iehovah, der Schöpfer Und der Richter der Welt! des ersten unter den Menschen,

VIT. Ges.

v. 464 — 478.

73

vieler von Adams Söhnen; dann Abrams, Unseres Vaters. Allein die Art, auf die wir ihm dienen, Ist den Frommen bey uns, wie sehr auch die Stolzen stch aufblahn, Dennoch dunkel. Doch hat sie der Ewige selber geboten ! Und er kennet sie, wird sie enthüllen! enthüllet sie jetzt schon! Jesus, der große Prophet, der Wunderthäter, der Redner Gottes! mit namlosen Freuden, mit Schauer, mit Staunen, und Ehrfurcht Nenn' ich ihn Sohn! er kam, es zu thun! Ich sollt' ihn gebären! Jesus sollt' er heißen, er sollte die Menschen erlösen! Kündigte mir ein Unsterblicher an. Wir nennen sie Engel; Aber sie sind Erschaffne, wie wir. Doch die Götter der Griechen, Und des furchtbaren Roms, wofern sie wären, sie wären, Gegen die Engel, Sterbliche nur. Als ich in derHütte Jesus, den Knaben der Wunder gebar, da sangen ihm Heere Dieser Unsterblichen! Portia war bey ihr niederge­ sunken,

Adams Gott;

dann

74

VIL Ges.

v. 479 — 494.

Hielt die geöffneten Hande gen Himmel empor, und erstaunte, Wollt' anbeten; wollte, mit leiser Stimme, Jehovah Nennen; allein fie fühlt es, sie darf den größten der Namen Noch nicht nennen! Sie hub sich empor, und schaute mit Wehmuth Auf die Mutter, und sprach: Er soll nicht sterben! M. Das wird er! Ach, schon lang' hat mir der Kummer mein Leben belastet; Denn er sagt es, Portia, selbst! Was mir, und den Frommen, Die ihm folgen, vor allem Geheimnißvollen am schwersten Und unerforschlichsten ist: Er hat zu sterben beschloffen! Ach nun reißt sie von neuem mir auf, die Wund' in der Seele! Deine Gespräche von Gott bedeckten sie leise; nun reißt sie Wieder auf, und blutet, die tiefe Wunde! Dich segne Gott, ja Abrahams Gott, er segne dich! Aber 0 wende Dieß dein weinendes Auge von mir! Es tröstet um­ sonst mich! Denn er beschloß zu sterben! und stirbt! Die Stimme verließ sie; Lange standen sie beyde mit weggewendetem Antlitz.

VII. Ges. v. 495 — 509.

75

Endlich, wie ein Sterbender sich noch Einmal zum Freunde Kehrt, sprach Portia noch: O du! du theurste der Mütter! Mutter! ich geh', und weine mit dir, bey dem Grabe des Todten! So besprachen sie sich. Die Hohenpriester be­ gleiten Zu Herodes den göttlichen Sohn, mit ihnen die Menge. Und schon lief ein Geschrey durch des Fürsten Pallast: Den Jesus Aus Galiläa, den großen Propheten sende Pilatus Zu Herodes! Der Fürst versammelt der Höflinge Haufen Eilend um sich, und sitzt. Dann sagt er zu ihnen: Es soll mir Dieser Tag es entscheiden! Ihr habt es alle ver­ nommen, Was der erhöhende Ruf nicht verschwieg. Die Kranken mit Worten Heilen; mit Worten vom Tod' erwecken: und den­ noch gefangen ? Seht, ich staune, wie ihr! So sagt' er, und sagte nicht alles, Was er dachte. Sein Herz war ihm viel stolzer geschwollen. Ja, der größte Prophet von unsern Propheten, er neigt sich,

76

VH. Ges. v. Zlo — 524.

Als Verklagter,

vor mir! Ich bin sein Richter! gebiet' ihm Wunder zu thun! Wofern er sie thut, wie könnt' er? es sind ja Keine möglich! doch thut er so was; so hat ihm Herodes Wunder geboten! und thut er sie nicht; so ist er doch immer Jener Berühmte, dem Palmen Jerusalem streut', und Hosanna Sang, deß Richter ich bin! Ihn unterbrachen die - Priester, Die mit hallendem Schritt in die Säte traten. Doch Jesus War noch unter dem Volke, das Lhü umdrängte. Nun wollten Tausend ihn sehn! dann wieder tausend! Sie stürnteten, rüsten, Standen, weineten, staunten, verfluchten, segneten! Jesus Ging in diesem Sturme mit jener erduldenden Stille, Welche die Sprache zwar nennt, doch die Seele so hoch nicht hinaufdenkt, Als sie der Mittler empfand. Auch sah in der Fern' er die Seinen, Kannte den ewigen Trost, der in ihre Seelen Ent­ zückung Strömen sollte. Schon wart ihr gezählt, ihr Thrä­ nen der Freude!

VH. Ges. v. 525 — 540.

77

Aber sie weineten diese noch nicht. Die meisten von ihnen Waren unter dem Volk, und drangen zu ihm, um den letzten. Ach den letzten Segen zu flehn. Die strömende Menge Zwang sie zurück. Sie versuchten es oft; doch sie hatte die Menge Einmal in ihre Wirbel gefaßt, die Jünger, und Petrus, Petrus mit schwerem Herzen, und müdem Auge voll Jammer, Und Johannes, und dich, Lebbaus! Nathanael, viele Von den Siebzigen, viele der Freundinnen Jesus, Maria Magdale, Maria die Mutter der Zebedäiden; Aber nicht Lazarus Schwester, die lag zu sterben. Maria Magdale hielt sich nicht mehr, sie erkannte neben sich einen, Dem der Messias das Aug' einst aufthat: Hilf mir, wofern du An die Stunde noch denkst, da er dir die Sonne zurückrief! Hilf mir! und führe mich durch die Wüthenden, daß ihn mein Auge Einmal noch seh'! ihn noch Einmal segne! Sie wollen ihn todten! Aber sie flehte vergebens. Der dankbare konnt' ihr nicht helfen.

78

VIL Ges. v. 541 — 555-

Petrus war zu beangstet sich wieder zu nahen. Johannes Blieb auf einer entfernteren Anhöh, sah den Messias, Betete! Mutter der Iebedaiden, sagte Lebbaus Zu Maria, indem sie ihr Antlitz vor Wehmuth verhüllte, Du bist eine glückliche Mutter! O schau du gen Himmel, Schau, und lächle! Doch sie, die den Wunderthater, den Frommen, Die den Gerechten gebar, die Mutter des göttlichen Sohnes, Sie! Er legt sich trübe vor mich, wohin ich mich wende, Ach ich fühl' ihn, fühle den bangen Gedanken! ver­ steh dich, Mutter! empfinde dir nach, wie deine Seele vor Jammer Stumm wird! Erbarmt euch, ihr Todesengel, un­ leitet die Mutter, Daß sie den Sohn im Tode nicht seh! So sagte Lebbaus. Jetzo ging der Richter der Welt in Herodes Pallaste; Und sie führeten ihn vor den Fürsten. So lassen gestrafte, Schwindelnde Denker vor sich erscheinen die Vorsicht, geben

VII. Ges. v. 556 — 569.

79

Ihr Gedanken deS Staubes, und richten die Vorsicht Gottes z Aber die ewige zeigt sie dem kommenden Donner. Herodes Staunete, da er ihn sah! So sehr sein Stolz sich empörte, Staunt' er doch! Die Hoheit, so viel unerschütterte Stille Hatte der Fürst nicht erwartet. Er sah ihn lange mit Einem Blick an. Endlich bezwang der Stolz das Erstau­ nen, er sagte: Deine Wunder, Prophet! sie find in die Lander erschollen, Und ich hörte davon. Doch des Rufes Stimme ver­ größert, Oder verkleint; und selten, daß er die Thaten er­ zählte, Wie sie waren. So zeig denn, Prophet! wofür ich die Wunder Halten solle, die dir, vielleicht zu klein noch, der Ruf gab! Nicht, als ob ich zweifle, du habst sie vollendet! mein Auge Wünscht nur dich handeln zu sehn, nur dich zu be­ wundern ! Und weil du Eh denn Abraham warst; so bist du auch größer alS Moses,

SO

VH. Ges,

v. 570 — 585.

Größer als alle Propheten nach ihm: so ist es auch deiner Würdig, über sie alle, durch übertreffende Wunder, Dich zu erhöhn! Und daß die Wahl dich nicht weile, so sondr' ich Nur erhabne dir aus! Sieh, jedes ist würdig des Thäters. Dort erhebt Moria sich! Schau des Tempels Gewölbe, Und die Zinne des glanzenden Tempels! sie thürmt sich empor! sprich: Neige dich, Zinne, vor dem Propheten! Im Schooße des Tempels Lieget Davids Gebein! Wie würde der heilige König Jauchzen, wenn er Jerusalem sah! wie würden wir staunen, Wenn wir ihn sahen! O ruf, Prophet, den Gebei­ nen des Königs, Daß er die dunkeln Wölbungen flieh', und lebend herumgeh'! Aber du schweigst! So gebeut dem Jordan: Erhebe dich, Jordan! Wende den wogichten Strom! und fleuß um Jeru­ salem ! schütze Ihre schimmernden Thürme, dann kehr' in Genezaret wieder! Oder befiehls dem Sion, daß er sich erhebe, dem Himmel Naher sich tagr' auf des Oelbergs Gipfel. Es schaun ihm die Völker,

VII. Ges.

v. 586 — 600.

81

In dem großen, umhergeworfenen Schatten, erstaunt nach! Noch verstummst du! Er sagt's, und wußte nicht, wem er es sagte! Wußte nicht, daß der gefürchteten Hügel, und der gebückten Königreiche Tyrann vor dem, mit welchem er redte. Nur erhöhterer Staub sey! Herodes rief ihm noch Einmal: Und du verstummest? Der Gottmensch sah, mit Einem Blicke Seiner Hoheit, ihn an! Der Fürst verkennt ihn in allem; Denn er glaubt, der .Prophet veracht' ihn! Da stand er in Grimm auf. Kaiphas sah ihn ergrimmen, ergriff den Augenblick, sagte: Nun entdeckest du selbst, nun flehest du, wer der Prophet sey! Sieh, er verstummte vor dir, als du die Wunder verlangtest! Kann er sie thun? Doch wähnt es der Pöbel; wäh­ nen es selber Einige Schwache unsrer Versammlung. Wer wider des Bundes, Wider Moses Gesetz, mit oftgewarnter Verblendung, Kühn fich erhebt, kann der von Gott mit Wundern gesandt seyn? 6 Klopft. Werke. 4. Bo.

82

VII. Ges.

v. 601 — 6i6.

Unseres Bundes Entweihung! den rauchenden Sina! die Schrecken Gottes auf Sina! die rufenden Wetter! den Schall der Posaune! Moses im Dunkeln des bebenden Bergs! will Kai­ phas rachen! Doch er empörte sich auch zum Könige! häufte Judäa Um sich herum, und zog, von lautem Jubel begleitet, In Jerusalem ein! Sie streuten ihn: Palmen! sie warfen Ihre Gewände vor ihn, und rüsten: Hosanna dem Sohne Davids! Hosanna! und Sion erscholl, und die Hal­ len Moria's Klangen, dem König Hosanna, dem Gottgesegneten! Siehe, Sieh, er kömmt in dem Namen des Herrn! streut Palmen! Hosanna! In der Höhe der Himmel Hosanna! Bey Davids Gebeinen, Bey der erschütterten Gruft, dem Gebein Herodes des Großen, Deines Vaters! ha die Entweihung rach du, Herodes! Philo lächelte Kaiphas zu, wie entflammt auch fein Haß war. Aber Herodes gebot mit bitterem Spotte: Man kleid' ihn In das weiße Gewand, mit dem die Römer sich kleiden,

VIL Ges. v. 617 — 6z r.

83

Wenn sie sich ihren Würden bestimmen! Pontius urtheilt Weise, kennt das Verdienst! Er wird ihn zum Kö­ nige weihen, Zu dem Hosanna, den Palmen ihm Purpur geben,, und Kronen! Also sagt' er, und wandte sich weg. Die Wache des Fürsten Kleidete Jesus ins weiße Gewand, und schaut' ihn mit Hohn an. Endlich sandt' ihn Herodes zurück. Die furchtbare Menge Hatten neue Schaaren gemehrt, die zur Feyer des Festes Kamen. Sie gingen unzählbar herauf,, und beglei­ teten Jesus. Rings ertönte die thürmende Stadt, da Judaa da­ herging. Philo sah's, ihn erschreckts nicht! Der hvhe Führer' des Schiffs sieht Also das kommende Meer, und freut sich der tragen­ den Fluten. Philo entdeckt, es sey das Volk noch getheilt; es verehren Jesus viele Tausende noch : allein ihn erschreckts nicht! Denn die Ehrsucht schwellte das Herz ihm empor, und verstieg sich Taumelnd über die Wolken. Den feurigen Sünder umgaben

84

VH. Ges.

v. 632 — 646.

Seine Vertrauteren, Pharisäer. Geflügelte Worte Sprach er zu ihnen, dann sandt' er sie unter das weichende Volk aus. Und sie vertheilten sich schnell. So fleußt von dem Becher des Todfeinds Gift, und jeder Tropfen entzündet den Tod. Die Vertrauten Eiten, und unterrichten das Volk, nach seiner Lrbiitrung Jeder, mit seiner Beredsamkeit, seinen Künsten der sanften Oder strengen Priesterlichkeit; vielzüngichte Redner: Wähnt ihr, er habe Wunder gethan? Herodes gebot ihm Wunder zu thun. Er vermochr's nicht! Ihr sahet ihn, wie er verstummt stand. Glauben auch Israels Vater an ihn? Dem fluch' ich, der Abram Lästerte! der das Gesetz sein ganzes Leben entweiht hat! Siehe, der Priester Gottes verklaget ihn! Sandte den Gott uns, Den er verlaßt? Er verlaßt ihn! ihr seht in der Kett' ihn! Die Heiden Richten ihn, doch zu gelinde! sie kennen nicht ganz den Empörer! Bittet heute nicht um den Gefangnen; die blinden Bewundrer

VII. Ges. v. 647 — 66z.

85

Seiner Thaten, sie möchten für ihn den Römer erbitten; Und ihr hattet zur Bitte verführt, euch träfe die Sünde! Manner! ihr seyd das heilige Volk! Euch schimmert der Tempel! Euch nur flammen vom hohen Altar die Opfer gen Himmel! Rächet, euch ruft der Staub der Propheten! sein heilig Gebein ruft, Abrams Gebein, auf, rächt den größten unter den Vatern! Also rotteten sie zu ihrer Rotte Judäa. Tausende riffen Tausende fort, der Zweifelnden waren Wenige; weniger noch der Tugendhaften und Treuen! So stehn, wenn der geschmetterte Wald vor dem wilden Orkane Auf vielmeiligen Bergen die langen Rücken herunter Liegt, noch einsame Cedern, und tragen die bebende Wolke. Unterdeß hatte Pilatus, für Jesus das Volk zu bewegen, Einen berufnen Gefangnen, von dem viel Sagens im Lande, Ehe die Kett' ihn bändigte, ging, ins geheim in das Richthaus Führen lassen. Itzt kamen zurück das Volk, und die Priester. So wie hinauf sie nach Gabbatha gingen, so ward der Gefangne

ß6

VII. Ges.

v. 664 — 673.

Gegen sie her auf der Höhe geführt. Sein glühendes Auge Schweifte seitwärts herum, er hielt den schnaubens den Athem; Nicht die Reue, die Wuth bog ihm den sträubenden Nacken. Also stand er gebückt, und schluckte zornigen Schaum ein, Und am nervichten Arme klirrt'ihm die Kette. Pilatus Stellete sich zu der Rechten den Gottversöhner. Der Mörder Sah den Mann in dem weißen Gewände. Der, oder er selber Mußte sterben. Der Zweifel durchdrang ihn mit stechendem Feuer; Und sein Herz schlug sichtbar empor! So stand er zur Linken. Aber Pontius sprach, und wies zu der Rechten: Ihr brachtet Diesen Menschen herauf: Er wende vom Casar das Volk ab! Doch ich hab' ihn verhört, und find' ihn nicht schul­ dig. Auch findet Ihn Herodes nicht schuldig. Ich laß' es nicht zu, daß er sterbe! Aber weil ich das Fest mit Befreyung eines Gefangnen Fepre, so geißl', und geb' ich ihn los! Doch ihr hört die Vernunft nicht!

VII. Ges.

Welchen,

v. 679 —694.

07

so wüthet denn, welchen soll ich euch geben: Barrabas, oder Jesus, den ihr den Gesalbten deS Herrn nennt? Portia sendete jetzo zu ihm: Er ist ein gerechter. Göttlicher Mann, den du richtest, verdamme du nicht den Gerechten! Um des Göttlichen willen, Pilatus, hat ein Gesicht mich Heut im Schlafe geschreckt! Das sagt' ihm die Skla­ vin. Das Volk schwieg, Und noch schwieg es, und nun noch immer. Philo erschreckten Ihre Stille; dann die Gehülfen, die kamen, und sagten, Daß die Menge noch dort und da dem Empörer getreu sey. Auch erhub sich von fern mit wehmuthsvollem Gelispel Eine Stimme der einst Verstummten, der Lahmen, der Blinden, Und der Todten, die Jesus den Frommen! den Menschlichen! nannten; Aber das wüthende Murmeln der näheren Haufen verdräng sie. Also wird durch den Sturm in dem tiefen Walde das Rufen Eines hülflosen Kindes zu leisem Laute. So schwindet, Bordes Hohen rauschender That, des Weisen bescheidne. so sagts denn,



VII. Ges.

v. 695 — 709.

Philo entdeckt die Gefahr, er weiß, was Pontius meine Mit dem Mörder, welchen er, bey dem Propheten, dem Volk zeigt. Doch verlaßt er den Römer mit hoher Miene. Doll Stolzes Auf die Fessel, die er durch eine Rede dem Volke Anzulegen gedenket, geht er auf Gabbatha vorwärts, Seines Pöbels Bewundrung! Pilatus sah von dem Richtstuhl Mit halbzürnendem Spott ihm nach. Jetzt winkte dem Volke Philo, sie schwiegen vor ihm. Er sprach mit gehef­ tetem Blicke: Nur mit fliegenden Worten, ihr Manner Israel, kann ich Heut zu euch reden. Ihr kennt mich. Ich hasse Mo­ ses Verächter! Und dem fluch' ich, der ihm, obgleich die süßere Lippe Anders spricht, durch das Leben doch flucht. Mit dieser Gesinnung, Zeig' ich euch heut Verderben, und Heil. Wählt, Israeliten! Barrabas, oder Jesus! Er ist, ihr wißt es, ich weiß es, Barrabas ist ein Mörder! Auch Pontius weiß es. Er hätt' ihn,

VII. Ges. v. 710 — 724.

89

Wollt' er euch nicht zu dem Mitleid' herab erniedern, xnrit Jesus, Der so tauschend die Unschuld, auch hier ein Zau­ berer, nachahmt, Richt vor euch, ihr Manner, gestellt. Doch ich lasse die Absicht, Welche Pontius hat. Wir sind Besiegte! wir schweigen! Aber davon kann Philo nicht schweigen, ihr Israeliten, Daß an dem Abgrundshange, vielleicht schon sinkend, ihr schwindelt, Euer Verderben zu wählen! Ich rede mit Angst; doch red' ich. Denn so tief sott der Enkel der großen Väter nicht fallen! Dieser Jesus! Was hatt' ich euch nicht, ihr Man­ ner, zu sagen, Wollt' ich euch alle seine Verbrechen, sie alle be­ schreiben ! Ihre schwarze Gestalt entblößt' ich vor der Ver­ sammlung Eurer Herrscher. Da hing an meiner Stimme sei« Leben! Und sie sprqchen Tod für ihn aus. An heiligen Steine« Rönne sein Blut schon herab; allein wir dürfen nicht tödten! Dieser Jesus, damit ich an Eins von den lausend Verbrechen

90

VII. Ges.

der

v. 725 — 740.

Mann voll Grausamkeit weiß, daß die Romer, Wenn er seiner Empörungen Maß nunmehr erfüllt hat. Kommen werden, uns ganz zu verderben. Iu Tau­ senden standen Um ihn die Hörer herum, da er redete von der Belagrung, Don der sinkenden Stadt, und dem Tempel Gottes in Staube! Ihr bewundertet ihn; so wart ihr geblendet: er aber, Er erbarmt sich nicht euer. Er sieht Jerusalems Jammer, Weiß es, daß er, nur er Urheber der nahenden Angst ist; Und fahrt fort zu thun, wie er that. Den Tempel in Dampfe, Wie er, niemals sich aufzurichten, Moria hinabsinkt! Mit dem Tempel, er siehts! der Versöhnungsopfer Altare, Wie sie sich neigen. Er sieht die hohe Jerusalem weinen! Ach in Asche gekleidet die Königin unter den Städten ! Ihrer Kinder beraubt! Sie liegen, gesehn von dem Tage, Und verwesen! und welche die Angst, und der wü­ thende Hunger Noch in das Grab nicht gestürzt hat, ergreifen hei­ ßere Krieger, Euch erinnre!

VIL Ges.

v. 741 — 754.

91

Und zerschmettern ihr zartes Gebein an Jerusalems Trümmer! Ach er siehts, sie beweint kein Vater! die starben im Schlachtfeld! Keine Mutter! die Mütter, die waren lange vor Jammer, Lang vor Jammer vergangen! Er siehts, und erbarmt sich nicht euer! Als er endigte, schrien noch andere Priester den Beyfall, Welchen fie Philo gaben, zum Volk herab. Doch bedurft' es So viel Grimm, den Ungestüm nicht, ihr Herz zu bewegen. Denn das war schon genug durch eigene Bosheit entschlossen. Pontius saß in Gedanken verloren. Er fragte von neuem: Welchen, so redet denn, welchen von beyden soll ich euch geben? Barrabas! stieg ein Geschrey mit einer Wuth, daß die Engel, Die um den Göttlichen standen, ihr bebendes An­ gesicht wandten, Barrabas! stieg es empor. Pilatus entriß dem . Er­ staunen Sich mit Jörn, und rief: Was mach' ich aber mit Jesus,

92

VII. Ges. v. 755 — 769.

Was mit eurem Gesalbten? Sie stürmeten, stampf­ ten , und rüsten: Laß ihn kreuzigen! Aber (noch Einmal entschloß fich der Römer Ihre Wuth zu erweichen) was aber hat er verbrochen? Rein, er hat den Tod nicht verdient! Sie wurden ergrimmter, Rusten, und ihr Geschrey befeeleten Stimmen der Priester, Stammelnd, und bleich, und knirschend, mit wildem stammenden Auge, Riefen sie: Kreuzige! Kreuzige! Sion erscholl vom Getöse Ihres Rufens, mit ihm die vertaßnen Hallen Moria's, Und die thürmende Stadt, und Staub stieg mit dem Getös' auf. Pontius sah, zu erschrocken, daß er vergebens für Jesus, Ihn zu befreyn, arbeite, beschloß unrömisch, das Urtheil Ueber den Mann zu sprechen, den er für schuldlos erkannte. Furchtsam hatt' er vorher verkästen den hohen Richt­ stuhl, Stieg jetzt wieder hinauf, und gab Befehle. Der Sktav kam Eilend zurück, und trug, durch der Priester getheilte Versammlung,

VII. Ges.

v. 770 — 784.

93

Ein korinthisch Gefäß, drin eine silberne Quelle. Und er hielts vor Pilatus. Der winkte dem Volke. Das Volk stand, Blickte schweigend hinauf. Nun rann die Quelle. Pilatus Wusch sich feyerlich vor dem Volk die Hande. Der Cherub, Welcher in Gosen vordem die Hütten schonend vorbeyging, Die mit der Lämmer Blute bezeichnet waren, er schwebt' itzt, Fürchterlich, mit dem Verderben, mit Gottes Schrecken gerüstet, Ueber Iuda's Gefilden, das Volk dem Gerichte zu weihen. Sein geheftetes Auge verließ des Versöhnenden Blick nicht. Und er sah in dem Blicke des Göttlichen, mit der Verwerfung, Eine Thräne vermischt. Der Todesengel begann jetzt Jene Worte des Fluchs, die dem Himmel des Rich­ tenden Urtheil Kund thun, wenn dem vollen Gericht Nationen ge­ reift sind ! Wie in der Fern' Erdbeben den Tod weissagen, srauschte Seine Stimme. Dann grub er in eherne Tafeln das Urtheil,

94

VH. Ges. v. 78Z — 799-

An des Richtenden Thron es aufzustellen. Pilatus Winkte dem Sklaven, sich zu entfernen. Dann rief er zum Volke: Nehmt ihrs auf euch, ihr Wüthenden! Ich, ich bin an dem Blute Dieses Gerechten nicht schuldig ! Er riefs herunter. Da wendet Israels Engel sein Angesicht weg, erzittert, entfärbt sich. Und verlaßt sie! Sie sprechen ihr Todesuriheil, un­ rufen : Ueber uns komme sein Blut, und über unsere Kinder! Bleiches Entsetzen, und Stille, wie sie um Graber erstarrt liegt, Schauer, und Angst, wie des Sterbenden, folgten nun; aber nicht Neue! Pontius gebot zu der Rechten und Linken, und Jesus Ward in die Halle zur Geißel geführt; zu dem Volke der Mörder.' Barrabas, als er um sich nicht mehr den eisernen Klang hört, Und nun frey ist, schüttelt sich, brüllt mit stürmen­ der Freude, Steht, verstummet, und lauft, dann steht er wieder! Das Volk bebt, Wo er sich nahet, zurücke So erschrickt ein heißer Verbrecher

VII. G e s. v. goo — 813. Dor der vollendeten That.

95

Doch Philo ergötzte der Anblick. Auch hatt' er gern den Versöhner begleitet. Er ging an dem Thore Hin und herwärts, und stand, und hatt' ihn gerne gesehen, Gerne Stimmen der Angst von ihm in Triumphe vernommen. Aber o du, die vom Gottversöhner ihr Antlitz gewandt hat, Sing, Sionitin, die Geißlung, das Rohr, den Purpurmantel, Und die Krone! doch nur mit Einem weinenden Laute. Jetzt ist um ihn die Wache, viel niedrige Seelen, versammelt. Und sie kleiden ihn ungestüm aus. So entblättert der Sturmwind In der durstenden Wüste, worin kein lebender Quell rinnt, Einen einsamen Baum, des Wanderers heißes Ver­ langen. Und sie rissen ihn fort zu einem Pfeiler, und banden Ihn an den Pfeiler hinauf; und Blut quoll unter der Geißel! Du, Eloa, sahst es, und sankst von dem Himmel zur Erde.

96

VII. Ges.

v. 814 — 828-

in einen Mantel von Purpur, Gaben in seine Recht' ihm ein Rohr, und drückten von Dornen Eine Kron' auf sein Haupt; und Blut quoll unter der Krone! Und, wie ein Sterblicher, betet ihn an, von dem Staub' Eloa. Dann . . Doch mir sinket die Hand die Harf herab, ich vermag nicht Alle Leiden des ewigen Sohns, sie alle zu singen! Pontius sah, wie er litt, und entschloß sich wie­ der zum Mitleid, Das er empfand, das Volk zu bewegen. Er winkte dem Mittler, Ihm zu folgen, und ging heraus nach Gabbatha. Jesus Folgt' ihm, aber ermüdet, mit wankendem Schritte. Sie sahn ihn Fernher kommen. Pilatus wies zurück mit der Rechte, Rief herunter: Ich führ' ihn heraus, ihr Israeliten, Euch es noch Einmal zu sagen, daß er den Tod nicht verdient hat. Jesus kam nun naher, sie sahen es, wie er zum Richtstuhl Trat im Purpur heran, mit der blutigen' Krone. Nun stand er.

Drauf verhüllten

sie ihn

VII. Ges.

v. 829 — 842.

97

Pontius rief zu ihnen herab, mit der Stimme des Mitleids: Sehet, welch ein Mensch! Indem Pilatus es sagte, Gab der Versöhner den Engeln, die um ihn bebten, Befehle; Nicht durch Worte, sie sahen es in des Göttlichen Antlitz, Was er, bewegt von der Jünger Schmerz', und der andern Erwählten, Ihnen gebot. Geheimere, himmlische Tröstungen warens, Ruh' int Elend! Wenn ich am hohen Kreuz^ nun blute! Wenn ich todt bin! und nun, nun unter den Schla­ fenden liege! Pontius hatte von neuem gewünscht, das Volk zu erweichen; Aber sie zeigten ihm bald, wie fühllos sie blieben. Sie riefen, Und das Rufen der Priester erscholl vor dem Brüllen der Menge: Kreuzige! rüsten sie wieder. Da brach Pilatus in Zorn aus: Nehmet ihn denn; und kreuziget ihn! Ich find' ihn nicht schuldig. Pontius sprichts mit geflügelten Worten, und wendet sich zornvoll. Klopft. Werke 4- Vd7

98

VH. Ges.

v. 843 — 857.

sagt: Es sprach schon, Pilatus, Unser Gesetz sein Urtheil aus; nach dem muß er sterben ! Denn er machte sich selbst zum Sohne Gottes. Der Heide Zittert, als er den Namen hört von dem Sohne der Götter. Und er ging mit Jesus zurück, und fragt' ihn voll Unruh: Sage, von wannen du bist? Der Gottmensch schwieg bey der Frage. Pontius zürnt, und sagt: Du redest also mit mir nicht? Weißt du nicht, daß dein Tod und dein Leben in meiner Gewalt sind? Jesus sprach: Du hattest sie nicht, war dir sie von oben Nicht gegeben. Doch sind die schuldiger, die mich verklagen. Pontius geht zur Versammlung zurück. Sie sehen ihn kommen, Und entdecken an der entflammten Geberde, warum er Wiederkomme. Sie schrien ihm entgegen: Lassest du, Römer, Diesen los, so bist du des Casars Freund nicht. Denn wer sich Selbst zum Könige macht, der empört sich gegen den Casar J Kaiphas aber ereilet ihn,

VII. Ges.

v. 858 — 86i.

99

Pontius ward erbittert, und da er Edlers zu wagen Sich zu klein fühlt, spottet er ihrer. Sie aber umringten Jesus, und führten ihn stolz in wildem Triumph zu dem Tode. Und der furchtsame Römer entschlich zu seinem Pallaste.

ICO

Achter

Gesang.

v. r — 9.

Die du am Sion den heiligsten unter den Sängern Jehovah Sahst, von ihm lerntest, als er von dem ewigen Geiste gelehrt sang, Den der Richter im Tode verließ, den größten der Todten, Lehr, Sionitin, mich wieder; du lerntest himmlische Dinge! Komm, und leite den Schritt des wankenden, deines Geweihten, Führe mich in des Gekreuzigten Nacht. Des Heiligthums Schauer Faßt mich! ich will den Sterbenden sehn, ich will die gebrochnen Starren Augen, den Tod auf der Wange, den Tod in den schönsten Unter den Wunden! dich sehn, du Blut der Versöh­ nung! Er bebte,

VIII. Ges.

v. io — 25.

101

Rang mit dem Lode, da sank ihm sein Haupt, er blutete, neigte In die Nacht sein heiliges Haupt; da verstummte der Gottmensch. Von des Richtenden Antlitz flog Eloa herunter, Kaum den Unsterblichen sichtbar, so eilt' er herab durch die Himmel. Und er hielt in der Linken die himmlische Krone; die Rechte Hob die Posaune. Sie tönt; und es tönen die Wellen im Kreislauf. Und der nächste dem Unerschaffenen rief durch die Himmel: Fepert! Es flamm' Anbetung der große, der Sabbath des Bundes, Von den Sonnen zum Thron des Richters! Die Stund' ist gekommen! Fepert! die Stunde der Nacht ist gekommen! Sie führen das Opfer. Und die Himmel umher vernahmen des rufenden Stimme. Doch schon war er vorübergeeilt. Zween Winke, so schwebt er Ueber Golgatha. Um ihn herum versammeln der Erde Engel sich eilend. Er rief sie. Ihr strahlenwerfender Kreis schloß Jetzt um Eloa sich zu. Eloa stieg aus dem Kreise, Feyerlich stieg er nieder auf Golgatha, stand auf der Höhe.

102

VIII. Ges.

v. 26 — 41.

Dreymal neigt' er nunmehr sein tiefanbetendes Antlitz Auf den Staub des Hügels herab, dann erhub er sich, streckte Ueber den Hügel aus den weitverbreiteten Arm, schaut' Auf den Messias herab, der in der Ferne, begleitet Don Judäa, langsam gen Golgatha wandelt, und schwerer Trägt, wie sein Kreuz, das Weltgericht.' So sah ihn Eloa, Stand, hielt über den Hügel den hohen Arm hin, und sagte: Höret mich, Himmel, und jauchzt! Abgrund, ver­ nimm mich, und bebe! In dem Namen des Auszusöhnenden! deß, der zu bluten Kommt, des Versöhners Namen! und in des Geistes, der Sündern Himmlisches Licht strahlt! weih' ich dich, Hügel, zum Tode des Sohnes! Heilig! heilig! heilig! ist der, der seyn wird, und seyn wird! Also weiht Eloa, und staunt. DeS Unsterblichen Schimmer Wurde Dämmrung, so staunet' er! Nun verstummt er nicht langer, Senket gegen den Mann von Erde gefaltete Hände, Welcher die Tief' herauf sein niederbeugendes Kreuz tragt!

VIII. Ges.

v. 42 — 56.

103

Siehet ihn unter dem wankenden Kreuz, fällt nieder aufs Antlitz, Betet: O der dem Altare sich naht, zu sterben den schönsten Und den wunderbarsten der Tode, du Menschlicher! Schöpfer! Mitgeborner, und Sohn des Geschlecht-, das Gräber begraben! Bethlehems Kind! du weintest, wir sangen dir Jubel! du lässest Dich bis auf Golgatha nieder: die tiefre Bewundrung verstummt dir, Mehr zu jauchzen! O Sohn! Sohn Gottes! und der Gebornen! Unerschaffner! kein Endlicher sang da Jubel! Vol­ lender Alles deß, so das Höchste, das Wundervollste, Beste, Das ganz Herrlichkeit ist! tiefangebeteter Gottmensch ! Wiederbringer der freudigen, gottgefallenden Unschuld! Todtenerwecker! Vertilger des ewigen Tods! Welt­ richter ! Oder wie deine Menschen dich nennen, du Lamm, das erwürgt wird! Höre mein tiefes Gebet, vernimm des endlichen Stimme, Die von dem Staube, worauf dein Blut wird blu­ ten, dir betet.

104

VIII. Ges.

v. 57 — 72.

Wenn dein Auge nun bricht; die letzte Blasse des Todes Ueber dich, Geopferter, strömt; die Himmel der Himmel Nun erzittern, und fliehn; nun nur Jehovah mit vollem Hingehefteten Blick anschaut den Sterbenden: starke Dann aus der Hangenden Nacht mich, in die dein Leben hinabstirbt, Starke, großer Vollender.' mich dann, damit ich nicht hülflos, Nicht zu bebend unter der Erde Graber versinke, Unh, wenn in schwimmender Dammrung um mich die Schöpfung nun wanket, Ich, wie dunkel mir auch das Aug' hinstarret, dich sterben Sehe! Tod des Sohnes! du nahest dich, Tod! Von dem ersten, Der ein Sterblicher ward, bis hinab zu dem letzten von Adam, Dessen jungem Leben der Auferstehung Posaune Wegzuathmcn gebeut, sie alle wirst du versöhnen; Wenn du, noch Einmal Schöpfer: Es ist vollendet! nun ausrufst. Tod, 0 Tod des Sohnes! und du des Geopferten Blut! Heil, Heil den erlösten Seelen! Sie kommen, und wan­ deln, und jauchzen!

VIII. Ges.

v. 73 — 88.

105

Ihre Kleider sind hell in des Todten Blute gewaschen ! Drauf erhebt sich Eloa, vertheilt die Engel der Erde Weit um Golgatha her. Auf niederhangender Wolke Sammeln sie sich; bedecken die breiten Rücken der Berge; Oder schweben über der Ceder, und gehen voll Tiefsinn Auf den wallenden Wipfeln; er selbst sieht über des Tempels Höhens ein weitumkreisendcs Heer! der allmächtigen Vorsicht/ Welche von fern herrscht, furchtbare Diener! Engel des Todes Und des Gerichts, der Menschen Hüter, künftiger Christen Hüter! und, weil sie Engel der Märtyrer wurden, am Throne Deß, dem der Palmenträger, .der Märtyrer blutet, die ersten! Gabriel aber, ihn hatte gesandt zu der Sonne der Mittler, Ließ sich mit silbertönendem Flnq' auf den strahlen­ den Tempel Rieder, und stand vor der Vater Seelen, und sagte zu ihnen: Kommt nun näher, ihr Väter der Menschen! Ihr sehet ihn! ( Hier wies Er mit der bebenden Rechte.) Da trägt der Sün­ deversöhner

io6

VIII. Ges.

v. 89 — io2.

Gegen den Hügel sein Kreuz. Dieß ist der Hügel des Todes! An dem höheren dort, der mit zween Gipfeln her­ aufragt, Ging er ins erste Gericht. Von diesem sollt ihr ihn sehen, Wenn er, für eure Kinder itrtt) euch, sein Leben wird bluten. Kommt, Erlöste! Die Enkel der Enkel, die noch die Geburt nicht Iu Unsterblichen schuf, er geht, er eilt, er ver­ söhnt sie! Feurig sagt es der Seraph. Verstummt vor Weh­ muth und Wonne, Folgen die Vater ihm schon. Sie eilen. Der schnelle Gedanke, Der aus des Betenden Seele von Sternen zu Ster­ nen hinaufdenkt. Eilet nur eilender! Gabriel führte die schimmernden Schaaren. Schon betrat ihr schwebender Fuß den liegenden Oelberg. Adam betrat ihn zuerst, sank nieder, und küßte die Erde. Mütterlich Land, so sprach er, ich seh', o Erde, dich wieder! Seit den Jahrhunderten, da mein Gebein an dem Abend des Todeö

Vin. Ges. v. ioz — iso.

107

Du in deinen friedsamen Schooß, 0 Mutter, zurück­ nahmst, Stand ich nicht über dem Staube der todtenvollen Gefilde! Nun, nun steh ich darauf. Sey mir, 0 Erde gegrüßet! Seyd mir, Gebeine der Todten, gegrüßt! ihr werdet erstehen! Meine Kinder, ach meine Kinder, ihr werdet erstehen ! Und, 0 Stunde, du nahende, sey auch du mir in Jubel, In Triumphe genannt! Du entlastest die Erde vom Fluche! Ihrem heiligen Staub' erschallt des Blutenden Segen! Halleluja! er kommt, er kommt der Erdegeborne! Siehe, der Allerheiligste kommt, und nahet dem Tode! Also sprach er. Noch hielt er sein Herz, das in himmlische Wehmuth Aufzuschauern begann; er hielt es noch, schwieg, und schaute. Aber Eloa stand auf dem Tempel, und sahe die Väter Kommen. Er wandte sein Antlitz, und sah hoch über dem Kreuze Satan und Adramelech in wildem Triumphe schweben; Satan wegen des Werks, das er schon vollendet, und beyde Wegen künftiger Thaten! Eloa steht die Empörer, Wie fie, erhoben über die Wolken der wandelnden Erde,

log

VIII. Ges.

v. 121 — 136.

In weitkreisendem Schwünge die höheren Wölbungen messen. Und in seiner Herrlichkeit hub sich Eloa vom Tempel Gegen die ewigen Sünder empor. Er ging in dem Glanze Dieses gefcyrtesten Tags vor allen Tagen der Feyer. Gottes Schrecken schwebten um ihn. Die leiseren Lüfte Wurden vor ihm zu Sturm, und rauschten! Des kommenden Gang war Eines Heers Gang, welchem die tragenden Felsen erzittern. Und der Unsterbliche tönt', und glänzte daher! Die Empörer Sahen ihn, hörten ihn kommen, und strebten um­ sonst zu verbergen Ihr Erstaunen. Sie standen, und wurden dunkler. So stehen In der untersten Höll' Abgrund zween nächtliche Felsen. Blitzeil hatte der letzte Schwung Eloa's, er trat jetzt Vor die Verworfnen, und sprach: Ihr, deren Na­ men die Hölle Nenne! verlaßt, ihr seht der hohen Unsterbliche« Lichtkreis ! Diesen verlaßt, und entlastet von euch die heilige Stäte. Siehe, so weit der äußerste Glanz der Seligen Gränzen

VIII. Ges.

v» 137 — rZ2.

109

Euren Empörungen strahlt; schwebt da nicht über der Wolke! Kriecht da nicht an dem Staube der Erde! Dör Seraph gebot so. Aber wie zwey Gewitter, die an zwo Alpen herunter Dunkel kommen, (ein stärkerer Sturm tönt ihnen entgegen, Wird sie verstreun!) wie die in ihrem Schooße den Donner Fliegend reizen, damit er die krummen Thäler durch­ brülle; Also rüsten sich wider Eloa die stolzen zur Antwort. Was die Wuth Entsetzliches hat, die Rache Verwegnes, Runzelt'auf ihrer Stirne sich, rollt' in dem flam­ menden Auge! Aber mit herrschendem Blick schaut ihnen Eloa inS Antlitz: Erst verstummt! dann flieht! Kam' ich mit der sie­ genden Starke, Die Iehovah mir gab, so sollte von diesem erhobnen Treffenden Arm euch ferne von mir mein Donner verschleudern. Aber ich komm' in dem Namen des Sohns von Adam, der, schaut ihn! Trägt sein Kreuz! In dem Namen des Ueberwinders der Hölle: Flieht! Sie flohen dunkler, als Nächte. Ereilende Schrecken

HO

VHL Ges. v. 153 — 168.

Hefteten sich an die Ferse der Flucht, und trieben sie seitwärts Auf die Trümmern Gomorra im todten Meere. Die Engel Sahen sie fliehn, es sahen sie fliehn die Vater. Eloa Stieg zu der Zinne des Tempels, in seiner Herrlich­ keit, nieder. Jesus war zu dem Todeshügel gekommen. Er­ mattet Schwankt' er am Fuß des Hügels. Die blutbegieri­ gen Haufen Zwangen einen Wanderer, der an Golgatha's Hange Furchtsam hinabstieg, daß er das Kreuz dem ermat­ teten trüge. Unter dem Volk, so ihm folgte, beweinten ihn Einige, weiche Wuthlose Seelen, doch die nut ganzem Herzen am Eiteln Hingen, und kaum den Göttlichen kannten. Ihr flüchtiges Mitleid War nur sinnlich; nicht edel, nicht Mitleid der Seele! Der Gottmensch Höret sie klagen, und wendet sich um, und redet mit ihnen: Warum weinen die Töchter Jerusalems? Weinet mich nicht! Weinet über euch selber, und über eure Kinder! Denn es nahn die Lage der Angst. In den furcht­ baren Tagen

v. 169 — 134.

VIII. Ges. Werden sie jammern:

ui

selig die Unfruchtbaren! die Leiber, Die nicht gebaren! die Brust, die nicht saugte! dann werden sie sagen Zu den Bergen: Fallet auf uns! und den Hügeln: Bedeckt uns! Denn geschahe das mir; was wird den Sündern geschehen! Jetzt war Jesus gekommen zur Höh des großen Altares. Und er schaute zum Richter empor. Die Kreuzigcr nehmen Ihm das Kreuz ab, richten es unter Todtengebcin auf. Und das Kreuz erhub gen Himmel sich, stand. Der geweihte Festliche Tag er schimmert noch sanft; noch freut sich die kleinste Schöpfung im Labyrinthe der lebenathmenden Lüfte. Doch Ein Wink, und es fängt in ihrem Schooße die Erde, In den geheimsten entlegensten Tiefen mit leiser Erschüttrung An zu beben. Ueber dem Antlitz der schauernden Erde Rüsten Stürme sich, wirbeln, und heulen in Hangen­ den Klüften. Und es schwankte das Kreuz. Der Gottmensch stand bey dem Kreuze! Adam sah ihu, und hielt sich nicht mehr. Mit glühender Wange, O

112

VHI. Ges.

v. iss — 199.

Mit hinfliegendem Haar, mit offenen bebenden Armen, Eilt' er hervor zu dem äußersten Hange des Bergs, sank nieder. Als er hinsank, flammte der Himmel im schauenden Auge Deß, der nicht mehr ein Sterblicher war. Er weinte vor Wonne! Worin', und ewiges Leben, und Schauer, und Weh­ muth, und Staunen Ueberströmten sein Herz. Des vollen Herzens Em­ pfindung Würd' itzt Stimme; da betete Adam. Die Kreise der Engel Hörten des betenden Stimme! Er blickt auf die Graber, und saget: Nein, der Seraph nennt dich nicht aus! Die Unsterblichen weinen, Wenn fie, in deine Liebe vertieft, die tausendmal tausend Herrlichkeiten zu nennen beginnen, und betend ver­ stummen ! Ach ich nenne dich Sohn! und verstumm', und weine mit ihnen ! Jesus Christus, mein Sohn ! Mein Sohn, wo wend' ich mich hin? wo, Daß ich dieß unnennbare Heil, die Wehmuth ertrage? Jesus Christus! mein Sohn! O die ihr früher als ich wart,

VIII. Ges.

v. 200 — 214.

II3

Aber nicht früher, als er!

schaut, Engel, auf ihn herunter, Schaut herunter! Er ist mein Sohn! Dich segn' ich, 0 Erde! Dich, 0 Staub, aus dem ich gemacht ward. O Wonne, du volle Ewige Wonne! die ganz die Begier des Unsterblichen aus füllt! 0 der große, der tiefe, der himmelvolle Gedanke, Dein Gedanke, Jehcvah: Du schufst! da schufst du auch Adam! Adam aus Staube, damit er der Vater des Ewigen würde! Steh hier still, unsterbliche Seele, durchschaue die Liefe, Diese weite Tiefe der Wonne! Was sind, 0 ihr Himmel! Diese vor Augenblicke, die jetzt die Unsterblichen leben! Jeder ist göttlich, und jeder tragt auf dem eilenden Flügel Ewigkeiten der Ruh'! und die wird Adam durchleben! Nun ist dieser nicht mehr! nun dieser! Erhabnere kommen Immer naher, noch naher! O eure Stimmen, ihr Himmel! Gebet mir eure Stimmen, daß ichs durch die Schö­ pfungen alte

Klopft. Werke 4. Bd.

8

114

VIII. Ges.

v. 215 — 230.

Das Opfer steht an dem Schatten des Todes! Mache dich auf, erhebe dein Haupt, komm, stehe vom Staub' auf, Menschengeschlecht, und schmücke dich schön mit beten­ den Thränen! Denn der Allerheiligste sieht an dem offenen Grabe. Meine Kinder, ach meine Kinder, ihr seyd die Ge­ liebten ! Euch versöhnet er! Kommt zu dem Sterbenden, Kinder von Adam! Wer im Pallast mit Golde bedeckt wohnt, lege die Krone Nieder, und komm'! Ihr, die sich mit Erdehütten beschatten. Laßt die niedrigen Hütten, und kommt! Ach aber sie hören Meine Stimme, die Stimme des liebenden nicht. Ihr Verwesten, Welche die Gräber und das Gericht mit Tode bedecken, Höret sie auch nicht! Du bist, der du dich opferst, auf ewig Bist du Erbarmer! Vollender! du gnadevoller Erduld er! Siehe, du wirst es vollenden! Und nun, unaus­ sprechliche Wehmuth Ueberfallt mich, und dringt in jede Tiefe der Seele! Nun, nun gehet er hin. O stärke mich endlichen, stärke

Laut ausrufe:

VIII. Ges. v. 231 —246.

115

Mich, den ersten der Sünder, und der die Verwe­ sung gesehn hat, Du, der ihn in dem Tode verlaßt/ Weltrichter Jehovah! Adam rief so. Indem trat, dessen Namen die Himmel Ewig nennen, nah an das Kreuz, hub seineHand auf; Hielt sie vor sein Antlitz, und neigte sich tief, und sagte, Was kein Seraph vernahm, und kein Erschaffner verstünde! Aber von dem Thron des Gerichts antwortet Jehovah. Von der Antwort klangen des Allerheiligsten Liefen, Und eS bebte des Richtenden Thron. Die Kreuziger nahten Sich dem Versöhner. Da betraten die wandelnden Welten Mit weitwehendem Rauschen des Kreislaufs Staten, von denen Jesus Tod sie verkündigen sollten. Sie standen. Die Pole Donnerten sanfter herab, und verstummten. Die stehende Schöpfung Schwieg, und zeigt' in den Himmeln umher die Stunden des Opfers. Auch du standest, der Sünder Welt, und der Gra­ ber! Das Grabmahl Dessen, der bluten sollte, mit dir! Nun schauten mit allen

ii6

VIII. Ges.

v. 247 — 262.

Ihren Unsterblichkeiten die Engel. Es schaute Iehovah, Hielt die Erde, die vor ihm sank, es schaute Iehovah, Siehe, der war, und seyn wird, auf Jesus Christus herunter: Und sie kreuzigten ihn. Die du unsterblich, wie sie bist, Welch' ihn sahen, 0 du, die seine Wunden auch sehn wird, Neige dich tief an das unterste Kreuz, umfass' es, verhütte Dich, 0 Seele, bis dir die bebende Stimme zurück­ kömmt ! Als ob über der Schöpfung umher allmächtig der Ted lag'. Und in den Welten allen nur stille Verwesungen schliefen, Nun kein Lebender auf der Verwesenden Staube mehr stünde: So nut feyrlicher, todter Stille schauten die Engel, Und die Vater auf dich, Gekreuzigter! Aber sein Leben, Da sein unsterbliches Leben begann mit dem stärksten der Tode Nun zu ringen, und nun sein erstes Blut floß; Stimme Wurde da das Erstaunen der Engel! Sie jauchzeten, weinten, Und es hallten die Himmel von neuen Anbetungen wieder.

vm. Ges.

v. 26z — 277.

117

Nun noch Einmal, und nun noch Einmal blicket' Eloa Nach dem Blutenden nieder; und dann, mit einer Erhebung, Wie ihn noch nie ein Unsterblicher sah, mit lautem Erstaunen, Schwung er sich in die Himmel der Himmel, und rüste, so tönen Eilende Stern' im kreisenden Lauf, er rüste: Sein Blut fließt! Flog in der Tiefe des Unermeßlichen, rüste: Sein Blut fließt! Schwebete dann mit stiller Bewundrung herauf zu der Erde. Als er durch die Schöpfung einherkam, sah er die Engel Auf den Sonnen, die ersten der Cherubim an den Altaren Stehen. Sie standen feyrend, und von den goldnen Altaren Flammten Morgenröthen hinauf zu des Richtenden Throne. Rings umher in der ganzen Schöpfung flammten die Opfer, Bilder des blutenden Opfers am Kreuz: ein himmli­ scher Anblick! Also sahen die Aeltesten einst des gottgewahlten Und laut-eugenden Volks auf Sina die Herrlichkeit Gottes.

118

VIM. Ges.

Oder so hub sich,

v. 27s — 294.

dem heiligen Volk den Weg zu gebieten, Don der Hütte, worin dein Allcrheiligstes ruhte, Offenbarter, die Flammensäut' in donnernde Wolken. Aber der Gottmensch blutet. Er schaut' auf Juda hernieder, Das, von Jerusalem an bis nah zu dem Kreuze, gedrängt stand. Sieh, er neigte sich hin, und rief herab von dem Hügel: Vater! sie wissen es nicht, was sie thun. Erbarme dich ihrer! Stille Bewundrungen wandelten dir, du Stimme der Liebe, Durch die Heere der Schauenden nach. Die huben ihr Antlitz Zu dem Blutenden auf, und sahn die Blasse des Todes, Deine, du tödlichster unter den Todten, über ihn strömen. Dieses nur sah der Sterblichen Auge; der großen Gestorbnen Seelenvolleres sah geheimere Dinge: Sein Leben, Wie es rang, sein Leben von keinem Tode zu tödten, Hatte Gott den Tod nicht gesandt! wie allmächtige Schauer Durch den Sterbenden schüttcrten! wie er, verlassen vorn Vater, Hing an dem hohen Kreuz! zu welchem Heile sein Blut floß!

Ylli. Ges.

v. 29Z — 310.

119

Welche Versöhnung dieß Blut, aus diesen Wunden, herabquoll! Sieh, er hub sein Auge gen Himmel, suchte nach Ruhe, Aber er fand nicht Ruhe l mit jedem fliegenden Winke Starb er Einen furchtbaren Tod ; und fand nicht Ruhe! Unterweiten war,der Unsterblichen einer, durch kurzes Hinschaun, in den Gefilden des heut kaum irdischen Frühlings, Schöpfend aus diesem Huell ein wenig linderndes Labsal. Mit dem Versöhner waren zween Verbrecher gekreuzigt. Denn, zu dieser T-efe, beschloß des Ewigen Rath­ schluß, Und sein eigener ihn zu erniedrigen. Einer der Mörder Hing zu der Rechten ihm, und zu der Linken der andre. Der eine War ein versteinerter Sünder, ein graugewordner Verbrecher. Dieser kehrte sein finstres, entstelltes Gesicht zu dem Mittler: Christus warst bul Ha wärest du's; hälfst du uns! hülfest dir selber! Stiegest von diesem Baum' herunter, den Gott ver­ flucht hat! Aber der andre Verbrecher, ein Jüngling verführt in der Blüthe,

I2o

VIII. Ges. v. zu — 325.

Böses Herzens nicht, doch hingerissen zur Sünde, Rang aus seinem Elend sich auf, und strafte den andern: Und auch du, dem Tode so nah, so nah dem Ge­ richte, Denn das sind wir.' du fürchtest auch jetzo Gott nicht! Wir leiden Zwar mit Recht, was wir leiden, den Lohn von dem, so wir thaten; Aber dieser (er winkt auf Jesus) hat nichts ver­ brochen. Und nun kehrt er sich ganz zu dem Gottversöhner, und strebet Gegen ihn tief sich hinzuneigen. Ihm fließen die Wunden Blutiger, als er es thut; allein er achtet des Bluts nicht, Richt der offneren Wunden! Er neigt zum Versöhner sich nieder, Rufet: Ach Herr, wenn du zu deiner Herrlichkeit eingehst, Dann erinnre dich meiner! Mit göttlichstrahlendem Lächeln Sah dem erschütterten Sünder der sterbende Mittler ins Antlitz: Heut, ich sag' es dir, wirst du im Paradiese mit mir seyn! Jener vernahm mit heiligem Schauer die Worte des Lebens;

VIIL Ges. Ganz empfand er sie,

v. 326 — 341.

121

ganz war seine Seele durch­ drungen, Und vor Seligkeit zittert er taut. Er wendet sein Auge Nun nicht mehr von dem Göttlichen weg. Nach ihm, nun ist es Stets nach dem Menschenfreunde mit thränendem Blicke gerichtet! Und so brach es zuletzt. Itzt, da sein Leben noch athmet, Spricht er in sich gebrochene Worte, des ewigen Lebens Dunkles Gefühl, er denkt: Wer war ich? wer bin ich geworden? Dieses Elend zuvor, und nun die Wonne! dieß Beben! Dieser Seligkeit süßes Gefühl! wer bin ich geworden? Wer ist der an dem Kreuze bey mir? Ein frommer, gerechter, Heiliger Mensch? Viel mehr, viel mehr! des ewigen Vaters Sohn! der gottgesandte Messias! Sein Reich ist er­ habner, Herrlicher, -weit von der Erde, weit! Das ist er, ihr Engel! Aber wie tief erniedrigt er sich! zu diesem Tode! Und noch tiefer, zu mir! Zwar dieß erforschet mein Geist nicht, Aber er hat mich von neuem erschaffen. Jetzt, da dem Tod' ich

122

VIII. Ges.

v.342 — 356.

Unterliege, da schuf er mich neu. So sey denn auf ewig Angebetet von mir, obwohl ich dich nicht begreife! Du bist göttlich, und mehr, mehr als der erste der Engel! Denn ein Engel konnte mich so von neuem nicht schaffen! Konnte' mir meine Seele zu Gott so hoch nicht erheben! Göttlich, ja das bist du, und dein, dein bin ich auf ewig! Also dacht' er, und sank in entzücktes Staunen. Wohin er Blickt, vom Himmel herab, herauf von der liegen­ den Erde, Lächelt ihm Alles. Auf ihn war Gottes Ruhe ge­ kommen. Und ein Wink des Versöhners beschied der Sera­ phim einen. Dieser verließ mit Eile den Kreis, der um Golgatha glanzte, Stand dann unten am Kreuze. Des göttlichen Winkes Befehl war: Seraph, bringe du diesen Erlösten zu mir, wenn er todt ist! Und er eilte zurück, und kam zu dem Kreise der Engel. Abdiel wars, der Unüberwundne. Die Pforte der Hölle

VIII. Ges.

v. 357 — 374«

I2Z

tyitete jetzt auf Gottes Befehl ein Engel des Todes. Schnell umgeben ihn Schaaren der anderen Engel, und fragen; Abdiel sprach: Mit Entzückung empfing ich die hohen Befehle, Jenen erlösten Sünder nach seinem Tode zum Mittler Hinzuführen. Dieser Gedanke durchströmt mich; jt mehr ich Ihn entfalte, je mehr werd' ich von Seligkeit trunken. Einen geretteten Sünder, und selbst, in den Stunden gerettet, Da das Opfer für das Geschlecht der Sterblichen blutet, Diese Seele, so rein nun, so hell in Blute gewaschen. Diese dem Ewigen wiedergegebne zu dein Versöhner Hinzuführen. O segnet zu dieser Wonne mich, Engel! Also verlor sich die Stimme des seliggepriesenen Seraphs. Uriel aber, der Engel der Sonne, hatte schon lange, Fortzueilen bereit, auf den Höhn der Gebirge gestanden. Endlich war gekommen die Zeit, den Befehl, den er hatte, Auszuführen. Er machte sich auf, er allein durch die Himmel. Lichthell schwebt er empor, den Stern, zu welchem ihn Gott schickt, Dor die Sonne zu führen, damit dein Leben, Versöhner,

124

ViH. Ges.

v. 375 — 390.

Unter fürchterlicheren Hüllen, als Hüllen der Nacht sind, Blute. Schon stand hoch über des Sternes Wende der Seraph. Diesen Stern umschweben die Seelen, eh die Geburt sie Sendet in das große, doch sterbliche Leben der Prüfung. Uriel blickt' auf die Seelen der künftigen Menschen­ geschlechte Rieder, und nannte den Stern bey seinem unsterb­ lichen Namen. Adamida, der dich in dieses Unendliche streute, Sieh, er gebeuts! erheb' aus deinem Kreise dich seitwärts Gegen die Sonne! dann fleug, und werde der Sonne zur Hülle. Und die Himmlischen hörten umher die gebietende Stimme. Da sie in den Gebirgen des Adamida verhallt war, Wendet' herüberschauernd der Stern die donnernden Pole. Und die stehende Schöpfung erscholl, da, mit schrecken­ dem Eilen, Adamida, mit stürzenden Stürmen, rufenden Wolken, Fallenden Bergen, gehobenem Meer, gesendet von Gott, flog! Uriel stand auf der Wende des Sterns, und hörtden Stern nicht;

VIII. Ges.

v. 391 — 406.

125

verloren betrachtet' er Golgatha. Donnernd Eilte der fliegende Stern. Itzt war er in deine Gebiete, Sonne, gekommen ; itzt naht' er sich dir. Es erstaun­ ten, beym Anblick Dieser neuen Sonne, die sanften menschlichen Seelen, Und erhuben sich über des Sterns hocheilende Wolken. Adamida erreicht die Sonne. Nun wandelt er. Langsam Tritt er vor ihr Antlitz, und trinkt die äußersten Strahlen. Aber die Erde ward still vor der sinkenden Damm­ rung. Die Dämmrung Wurde dunkler, stiller die Erde. Schatten mit bleichem Schimmer, ängstliche trübe Schatten besirömten die Erde. Stumm entflogen die Vögel des Himmels in tiefere Haine; Bis zu dem Wurme verschlichen bestürzt die Thiere der Felder Sich in die einsame Kluft. Die Lüfte rauschten nicht, todte Stille herrschte. Der Mensch sah schweraufathmend gen Himmel. Jetzo würd' es noch dunkler, und nun, wie Nachte! Der Stern stand, Hatte die Sonne verlöscht. In fürchterlichsichtbare Nachte

So

in Tiefsinn

126

vrn. Ges. v. 407 — 422.

Gefilde der Erd', und schwiegen. Aber am hohen Kreuz hing Jesus Christus herunter In die Nacht; und es rann, mit des duldenden Blute, des Todes Schweiß. Die Erde lag in ihrer Betäubung. Betäubter Bleibet der Freund nicht am Grabe des frühentfliehenden Freundes, Oder, wer große Thaten versteht, an dem Marmor des edlen Patrioten, der Tugenden nachließ. Starrer Geberde, Hängt er über der heiligen Trümmer, und weint nicht. Auf Einmal Faßt ihn mit anderem Wüthen der Schmerz, erschüt­ tert ihn! Also Lag die Erde betäubt, so bebte sie auf. Der bewegte Golgatha schauerte jetzo mit ihr bis zum obersten Kreuze. Und des Geopferten Wunden ergießen das ewige Leben Strömender, da das umnachtete Kreuz mit Golga­ thas Höhn bebt. Fürchterlich überschattet die Nacht den Hügel des Todes, Und den Tempel, und dich, Jerusalem. Selber die Engel Sehn ihr reineres Licht wie in Abenddammrung erblassen.

Lagen

gehüllt

die

weiten

VIII. Ges.

Und es strömte sein Blut.

v. 423 — 439.

127

Nun stand das Volk vor Entsetzen Eingewurzelt, und sah mit wildem Blick zu dem Kreuz auf. Furchtbar strömte das Blut der Versöhnung. Es kam nun, sein Blut kam Ueber ihre Kinder, und sie. Sie wollen ihr Antlitz Wenden, allein stets richtens allmächtige Schrecken zum Kreuz hin. Aber Uriel hatte noch einen Befehl zu vollenden. Und er stieg von dem Pole des stehenden Adamida Zu den Seelen herab. Die sahn den Himmlischen kommen. Denn auch sie schon waren in Leiber menschlicher Bildung, Wie in luftige Düfte gehüllt, die der Abendschimnrer Röthet. Uriel sprach: Ich führ' euch, folgt mir, ihr kennt uns, Daß wir zu euch von dem großen Unendlichen kom­ men. Er sendet Euch zu jener Erde, die euer Schatten verhüllt Hal. Sieh, ihr werdet ihn sehn! Sein großer göttlicher Name , Heißet: Des Ewigen Sohn! allein vor eurem Ge­ sicht hangt Diese Nacht, ihr kennt ihn noch nicht. Doch wird in der Ferne Eine Dämmerung himmlischer Wonne vor euch sich eröffnen.

128

VIII. Ges.

v. 440 — 455.

kommt, zu dieser Wonne geschaffne! Schaut die Himmel umher, mit welchem Staunen fie feyren. Aller Kniee beugen sich dir! dir sinken die Kronen Alle! Dir schufest du, dir versöhnst du die ewigen Seelen. Und nun flog er den führenden Flug. Ihn um­ gaben die Seelen. Wie wenn ein Weiser in Tiefsinn, und seiner Un­ sterblichkeit werther, Don den Uneinsamen fern, mit des Mondes Düften zum Walde Wandelt, und nun, geführt an der Hand der from­ men Entzückung, Dich, Unendlicher, denkt! wie ihm dann, zu tausen­ den, neue Bessere große Gedanken die glühende Stirne voll Wonne Schnell umschweben. So eilet, umringt von den Seelen, der Seraph. Diese näherten sich der liegenden Erde. Die Vater Sahn die zahllose Schaar in hohen dämmernden Wolken Kommen: ein. feyrlicher Jug, von den Erstgebornen der Schöpfung, Denkende Wesen, vcrehrungswirdige Kinder des Lebens, Tausendmal lausend Schaaren Unsterblicher! Freu­ dig, mit Wehmuth,

Kommt,

Glückselige,

VHI. Ges. t>. 456—470.

129

Jetzt das erstemal, wandte vom Kreuz die Mutter der Menschen Ihr aufschauendes Antlitz. Es kamen die Kinder, sie kamen.' All' ungeborne Jahrhunderte kamen.' Die liebende Mutter Stützt auf die bebende Linke sich, zeigt mit der Rechte der Menschen Vater die Kinder, die Christen, und ruft: doch heftet ans Kreuz flch Wieder ihr Blick, ans blutige Kreuz, da sie redte. Sie sind es, Vater meiner Unsterblichen, fleh, die Kinder, sie sind es.' Welche Namen nennen dich aus, du, der für sie blutet.' Welch Hosianna vermag den Wundenvollen zu singen! Wäret ihr schon, ihr Kinder des Heils, ihr Christen, geboren.' Führten euch tausend, und tausend, und wieder tau­ send entzückte Weinende Mütter zum Kreuz.' und kenntet ihr schon der Gebornen Heiligsten, ihn, der zu Betblem die frühe Mensch­ lichkeit weinte! Doch sie werden ihn kennen, sie werden, Adam, den Mittler Unseres Bundes, den liebenden Sohn, den Gött­ lichen kennen! Klopft.

Werke 4. Vd.

9

130

VIII, Ges.

v. 471 — 488.

in Sturm gebrochen, die Purpurblume dahinsinkt. Also werden von euch die Geliebteren vor der Erwürger Schwerte sinken, und wenn sie sinken, dem Tode noch kacheln. Eure Mutter segnet euch zu! Ihr seyd die erkohrnen Höheren Zeugen des größten der Todten! Der sin­ kenden Wange Bläffe, der brechende Blick strahlt himmlisch herüber! sie schimmern Eure Wunden! ihr röchelt, Märtyrer, Lieder der Wonne! Aber der Mittler erhub sein Aug', und sahe die Seelen. Mit dem Blicke zerrann auf jedes Himmlischen Wange Eine Thräne des ewigen Lebens. Denn Jesus Christus Schaute mit einem Blicke der gottversöhnenden Liebe, Jener, mit welcher er, bis zum Tod' an dem Kreuze, jetzt liebte, Zu den Seelen empor. Die Seelen schauerten Wonne. Auf die Wange des Sterbenden kam noch die Farbe des Lebens Schnett wie Winke zurück, geschwinder, als Winke zu fliehen. Aber itzt kam sie nicht mehr. Die todesvottere Wange Senkte sich sichtbar! Sein Haupt, von dem Weltge­ richte belastet, Hing zum Herzen. Er Hubs arbeitend empor gen Himmel,

Ach wie/

VIII. Ges. v. 489 — 504.

I3I

Aber es sank zu dem Herzen zurück. Der hangende Himmel Wölbt sich um Golgatha, wie um Verwesungen Todtengewölbe, Graunvoll, fürchterlich, stumm! Der Wolken nächt­ lichste schwebte Ueber dem Kreuz, hing weitverbreitet herab, an der Wolke Feyrliche Todesstille, die selbst den Unsterblichen Graun war. Ein Gedanke; so war sie nicht mehr! Von keinem gelindern Schalle nicht angekündet, zerriß ein Getöse, da-

aufstieg, Laut die Erde; da bebte der Todten Gebein, da bebte Bis zu der Zinne der Tempel. Das war ein Böthe des Sturmwinds. Und der Sturmwind kam, und braust' in den Cedern, die Cedern Stürzten dahin! er braust' auf der stelzen Jerusalem' Thürme, Und sie zitterten ihm. Der war ein Böthe des Donners Fürchterlich schlug in das Meer des Todes der Schlag! und die Wasier Fuhren schäumend empor, und die Erd' und der Himmel erschollen. Als Eloa das sah, da hatt'er den großen Gedanken; Hatt' ihn nicht nur, er schuf ihn zu That. Von Antlitz zu Antlitz

132

VIII. Ges. v. 505 — 521.

Wollt' er den,

der Gericht hielt, sehn, Jehovah im Dunkeln, In der furchtbaren Herrlichkeit, Gott! Er betete dreymal Gegen dich. Geopferter, an, und erhob sich gen Himmel. Jetzo naht' er den Sonnen, und kannte den himmli­ schen Weg kaum, So durchströmet' ihn Trübes, wie Dämmerung. Sieben Sonnen Vom Eingänge, begegneten ihm zween Engel des Todes Mit verhülltem Gesicht. Er schwebt' erstaunend vorüber! Aber mit starrem Fuße stand auf der Erde die StillWieder. Es schaute von neuem das Menschengeschlecht, Gestorbne, Ungeborene, Sterbliche sprachlos auf den Versöhner. Aber die erste Gebärerin blickt' am wehmuthsvollsten Auf den Sohn, den Versöhner, der sichtbar den langsamen Tod starb. Wenn von dem ^Anschauen ihr Aug' in trübender Wehmuch Dunkel nun ward, ihr Blick mit Dammrungen kämpfte, so sank er Nieder dann auf Eine der Sterblichen, Eine vor allen, Die mit Hangendem Haupt, auf wankenden Füßen, mit bangem Iammerbleichen Gesicht, mit niederstarrendem Auge,

VIII Ges. v. 522 — 538-

133

Leer der Thränen, noch würd' ihr nicht die lindernde Thräne! Unbeweglich, und stumm, der Tod verstummt so! am Kreuze Stand. Sie ist es, sie ist des großen Geborenen Mutter! Dachte schnell die erste der Mütter. Mir sagt's dein Jammer! Siehe, du bist Maria! Das fühlet' ich, als am Altar lag Abel im Blut! das fühlest du! bist des Sterbenden Mutter! Also hing sie mit liebendem Blick an Maria. Sie hätt' ihn Noch von der Dulderin nicht, der theuren Tochter, gewendet; Wären vom Aufgang' her internstem feprlichen Fluge Nicht zween Todesengel gekommen. Sie kamen, schwiegen, Schwebten langsam. Ihr Blick war Flamme! Ver­ derben ihr Antlitz! Nacht ihr Gewand! So schwebten sie langsam gegen des Kreuzes Hügel her. Sie hatte vom Thron der Richter gesendet. Fürchterlich kamen sie naher zum Kreuz herüber. Da sanken Tiefer zur Erd' hinab der Vater Seelen. So ferne Sich ein Unsterblicher kann in Gedanken vom Grabe verlieren, Nahten sie sich der Sterblichkeit Gränzen, und Bil­ der de- Todes

134

Strömten

VIIL Ges. v. 539 —554*

das Graun der erdebegrabnen Verwesung Itm die Unsterblichen! Da die Todesengel am Hügel Standen/ und nun von Antlitz zu Antlitz den Ster­ benden sahen, Wandten sie, der zu der Rechten, und der zu der Linken erhoben, Jeder den tönenden Flug, und ernst, und todtweissagend Flogen sie siebenmal so um da« Kreuz. Zween Flügel bedeckten Ihren Fuß, zween bebende Flügel das Antlitz, mit zween en Flogen sie. Don diesen, indem sie sich breiteten, rauschte Todeston. So ertöntS dem Menschenfreunde vom Schlachtfeld, Wenn, zu Tausenden schon, in ihrem Blut die Erschlagncn Liegen! Er flieht gewendet, indem verröchelt noch einer, Dann noch einer, und nun der einsame Letzte sein Leben. Schrecken Gottes lagen auf ihren Flügeln verbreitet, Schrecken Gottes rauschten herab, da die furchtbaren flogen. Und sie flogen das siebentemal. Der Sterbende richtet Müde, sein Haupt auf, blickt den Todesengeln ins Antlitz, um

sie,

VIII. Ges.

v. 555-^57r
e s.

V. 715 — 729-

Daß er nun bald wird todt seyn! wenn er todt ist; verkündets Bis an das Ende der Erde, daß sie zu Gott sich bekehre! Und daß alle Geschlechte der Menschen vor ihm an­ beten ! Wie ein Waldstrom, welcher sich hier von Ge­ birgen herabstürzt, Und wie einer, der dort in der Ebne durch Felsen zögert. Hallt aus der Fern dem Verirrten in einsamer Nacht; er vernehme, Meinet er, lautausrufende Klag', und weinende Wehmuth. So scholl's jetzt um das Kreuz in den Schaaren der leidenden Aeugen. Hiob, der, durch Leiden bewahrt, ein Mann nach dem Herzen Deß, der die Leiden ihm sandte, geblieben war, ein Gerechter, Wie es ein Sterblicher bleibt, den der prüfende Richter in Staub wirft, Hiob, der weiß, was es sey: Don jedem Schrecken der Allmacht Eingeschtossen, dem Tode sich nahn! vermag den Gedanken Von des Gekreuzigten Tode nicht mehr zu denken, entfdmnngt sich Diesen Tiefen, und stärkt sein Her-, das dürstet nach Ruhe.

X. Ges.

v. 730 — 746.

233

Leben, leben wird Er! wird aus der Erde sich wecken! Auferstehn, ach ein Ueberwinder des Tods und der Hölle, Stehen über dem Staube! Dann soll mein Auge dich schauen! Dich in deiner Herrlichkeit schaun, Gott Mittler, Vollender! Also durchdrang die Frommen des TodesengelS Erwartung. Aber keiner empfand den nähern Tod des Versöhners, Als der Vater, und als ihn die Mutter der Men' schen empfanden. Da sich Uriel wendet', und nun sein emschimmertes Antlitz Unter den Engeln verbarg; da standen sie beyde, sie waren Nah bey einander, mit starrendem hingehefteten Blicke Unbeweglich, und fühlten in ihrem innersten Leben Jeden Schrecken von neuem der Donnerworte des Engels! Endlich sahen sie sich! So wird an dem letzten der Tage Seinen Gewählten der Freund, der Bruder kennen den Bruder, Welchen er kurz vorher, in Erstaunen verloren, nur a sah. Denn der Posaune gebietender Ruf, der Hall der Gesilde, Die vor der mächtigen Arbeit der Auferstehung erbebten,

234

X. G es.

v. 747 — 76z.

Und ihr eignes Gefühl des umgeschaffenen Lebens Hatten jeder andern Empfindung ihr Herz noch ver­ schlossen. Eva reichet ihm weinend die Hand. Was sollen wir, sagte Sie mit Worten, die kaum zu Laute wurden, 0 Adam, Sage du es, was sollen wir thun? was sollen wir nicht thun? Wollen wir gehn, und suchen, wo am tiefsten die Tief' ist? Dort uns niederwerfen in Staub? dem Allmächtigen flehen ? Ach dem tödtenden Richter, daß er den Tod ihm lindre? Adam hielt ihr weinend die Hand. Nein, Mutter der Menschen, Wir sind viel zu endlich, für ihn zu dem Richter zu flehen. Wenn mit unaussprechlicher Wchmuth, mit ringender Inbrunst, Daniel, Hiob, und Noah mit uns, wenn selber der erste Aller Erschaffnen, Eloa es thut; wir flehen vergebens! Was dem Geopferten Gottes noch zu dulden gesetzt ist, Das, das alles wird er noch dulden! Es lindert kein Labsal, Ach kein Labsal die Angst; mein ganzes Daseyn ent­ setzt sich! Aber es lindert kein Labsal die letzte Todesangst ihm:

X. Ges. v. 764 — 780.

235

Hat cs der Unerforschte, dem er sich opfert, beschlossen ! Komm, ein Gedanke, nicht ohne den Einfluß Gottes entstanden, Reißet mich fort! komm, folge mir nach, thu, was du mich thun siehst! Und sie schwebten mit traurigem Flug' an dem Oelberg nieder Nach der Schadelstäte. Die Engel, und Vater begleiten Ihren einsamen Flug mit wunderndem Blicke. So viel es Ihnen die starker» Empfindungen, und ihr bangeö Erstaunen Ueber den furchtbaren Tod des Gottgeopferten zulgßt, Folget ihr Blick mit Erwartung und Zweifel den ersigeschaffnen. Diese näherten sich dem Todeshügel, und wurden Immer dunkler vor Wehmuth, je mehr sie dem Hü­ gel sich nahten. Jetzo standen sie still. Da, wo der Eetödtete schlumrnern, Bald nun, nach der Vollendung der größten unter den Thaten, Auch in dem Staube begraben, wie seine Brüder, die Menschen, Schlummern sollte, da standen sie still. Gewalzt vor des Grabes Oeffnung, lag ein Fels. An der einen Seite des Felsen Stand der Vater, und an der andern die Mutter , der Menschen.

236

X. G es.

v. 781 — 797.

Sie sank gleich an den Felsen hin. Der Gedanke vom Grabe, Dom so nahen Grabe des Wundervollen durchdrang ihr Iu gewaltig, ein Pfeil des Allmächtigen, ihre Seele. Er ermannte flch noch; er streckte gen Himmel die Arm' aus. Dreymal nannt' er in sich des Gottversöhnenden Namen, And so lange sah er, mit bleibendem Blick, ihm ins Antlitz, Ihm, der dahing, bleich war, als nie ein Ster­ bender bleich war! Aber auch Adam hielt nunmehr den erschütternden Anblick Langer nicht aus. Er sank in den Staub der Erde danieder, Hub vor seine Stirn die fesigefalteten Hande, Blickte zur Erde nieder, aus welcher ihn einst Gott aufschuf; Aber in der sein Gebein, des gerichteten, in der ver­ fluchten, Auch verwest war; in der, von einem Jahrhundert zum andern, Schon so oft das ganze Geschlecht der Menschen ver­ west war! Itzt erhub er in lautem Gebet die flehende Stimme, Daß sie die Barer umher und die Engel alle vernahmen. Herr! Herr! Gott! barmherzig, und gnädig, und treu, und geduldig!

X. Ges.

v. 798 — 815*

237

Gott, Derzeiher der Sünde, der Missethat, des Ver­ brechens, Du, der für uns von dem Anbeginne der Welten erwürgt ist, Hohepriester! Prophet! und König! du Menschen­ sohn! hör, Höre aufdeinem Söhnaltar, auf dem du erwürgt wirst, Unser tiefes Gebet, das von deinem Grabe zu dir fleht ! Unsere Missethat hat Gott uns vergeben. Wir schauen Nun Jahrtausende schon, von Antlitz zu Antlitz, die Gottheit! Einer Seligkeit voll, die wir drüben am Grabe ver­ gebens, Auch mit den reinsten Gedanken vom Schöpfer, ran­ gen zu denken, Schauen wir Gott! Denn es ward, uns ward die Sünde vergeben! Um des Todes willen, der dich, geschlachtetes Opfer Für die Verbrecher! erbarmender, dich jetzt tödtet, vergeben! Aber an diesem Tage der zweyten Schöpfung, an dem du, Mittler, das ganze Menschengeschlecht zu des Ewigen^Anschaun, Wenn sie nicht widerstreben, zurückführst! alle ver­ söhnest! Aller Sünde vernichtest, und sie der Strafe der Sünde, Jenem gefürchteten ewigen Tod', allmächtig entreißest! An dem Tage, da du auch für mich, Gott Mittler, dich opferst:

2AS

X. G e f.

t>. Si6 — 834.

Darf ich mich meiner Sünde, mit stiller Webmuth, erinnern! Nicht, daß ich wähne, du werdest noch Einmal mit mir ins Gericht gehn; Du Erbarmer, wie könnt' ich, der Gottes Antlitz ge­ schaut hat! Und für welchen du jetzt zu dem Allerheiligsten ein­ gehst! Dennoch laß es noch Einmal vor dir, mein Gott, mich bekennen, Wer ich war! Ach bis zu dem Todebist du erniedrigt, Bis zu dem Tod' am Kreuz, du der Welten Rechter, erniedrigt! Heut darf Adam sich des verziehenen Falles erinnern. Doll von heiliger Wehmuth und Seligkeit hielt er inne. Eva hatte mit ihm gebetet, nicht ihre Stimme, Aber ihr Herz, und Antlitz. Sie hörte jetzt auf zu verstummen. Ja! du Hingegebner, an diesem Tage des Blutes, Ach am Tage, da sie dich begraben werden, Erdulder! Darfauch Eva sich des verziehnen Verbrechens erinnern, Und mit frommen Trauren, und weinendem Dank es bekennen! Also betete sie, und Adam begann von neuem: Ja, wir fingen es an! wir setzten es fort! und vollbrachlens! Ach, wir thatens! Und ach wer wars, wer hatte das leichtste Atter Gebote gegeben? Es war Iehovah! das erste,

X. G e s. v. 835 — 850.

239

Höchste, liebenswürdigste, beste, das Wesen der Wesen! Unser Schöpfer! der uns aus Staube zu Menschen emporschuf! Den wir kannten, den wir in unsrer staunenden Seele Unaussprechlich empfanden! der jedes Gebet, mit Ent­ zückung, Jeden neuen Entschluß: Nicht von dem Baume zu essen! Jeden Gehorsam vor unserem Fall, mit Wonne, be­ lohnte! Der uns immer, an Sich, durch tausendmal tausend Geschöpfe Doll tiefsinniger Schönheit, erinnerte, wo die Be­ trachtung Sicher, mit neuen Entdeckungen, neuen Freuden, gekrönt ward! Der die Mutter der Menschen mir gab, mich der Mutter der Menschen! Dessen erscheinende Herrlichkeit uns noch höher zu ihm hub, Als das alles, das uns, von allen Seiten, umringte! Unser Schöpfer! Und doch erkühnten wir uns, der Geschaffnen Schranken uns entschwingen zu wollen, und dir, o der Wesen Wesen, zu gleichen! Du hast es uns, unser Vater, vergeben! Preis, Anbetung, und Dank, und liebevoller Ge­ horsam

240

X. Ges. v. 851 —866.

Selbem Mittler, auf den der Richter unsere Last wirst, Und die Last des ganzen Geschlechts der sterblichen Sünder! Also betete Adam, mit ihm die Mutter der Men­ schen, Er mit lauter Stimme; sie in der Tiefe der Seele. Und von dem Angesichte des sterbenden Gottver­ söhners Kam Barmherzigkeit, göttliche Stärke, Ruhe -es Himmels; Kämest du, Frieden Gottes! der höher als Aller Vernunft ist, Nieder auf sie. Sie empfanden es ganz, wie ihr Mittler sie liebte! Neuer Inbrunst voll, streckt' Adam die Arme -um Kreuz aus. Du, mein Herr, und mein Gort! wie kann ich, du Liebe, dir danken? Ewigkeiten, sie sind zu kurz, genug dir zu danken! Hier will ich liegen, und beten, bis du dein götttj, ches Haupt nun Neigest im Tode! Nur vor dem fürchterlichsten der Engel, Rur vor seiner Stimme, soll meine Stimme ver­ stummen ; Wenn er kommt, und es nun, von deinem Vater, verkündigt. Der dich verlaffen hat! Höre, um dieses Todes willen,

X. G e s.

v. S6? — H8I.

241

Den für die Sünder du stirbst, hör, Gottverlaßner, mein Flehen! Herr! für deine Versöhnten, für meine Kinder, für

alle, Die das weite, das furchtbare Grab, die Erde, doch hat'S auch Deine Gnade mit Blumen bestreut!

Und,

mit jedem vor

noch künftig

bewohnen, der Versöhnung entschlafnen

Jahrhundert, An dem Tage der großen Entscheidung , einst aufer­ Meine zahllosen

Kinder,

stehen : für diese, fleh' ich dich,

Herr, an! Weinend, mit dürftigem Leibe, mit viel mehr dürf­ tiger Seele, Kommen sie auf die Erde. Du, ihr Mittler, er­ barmst dich Dann schon ihrer, und nimmst sie in deinen göttli­ chen Bund auf. Denn sie nun kaum Gedenken zu stammeln vermögen, so laß sie Oft den wiederhohlen: Du habest sie früh durch ein Wunder Ausgenommen zu dir, und dein, Herr, seyn sie auf ewig ! Die den Geist des Vaters und Sohns in dem heili­ gen Wasser Au dem ewigen Leben empfangen; und die du anders Klopft. Werke 4. Vd.

r6

2t42

X. Ges.

v. 882 — 901.

Führest Lum ewigen Leben, die alle, welche mit Blut du Theuer erkauft, und sie dem Anschaun Gottes ge­ weiht hast, Leite sie, wenn ihr Alter nun aufblüht, pflege der zarten Biegsamen Sprosie, daß sie zu jeder Fruchtbarkeit reifen, Welche du in sie legtest. In ihnen trübe die Sünde Nie zu sehr den Schimmer der früherleuchtenden Gnade, Lösche das Feuer nicht aus, das, dich zu lieben, sie an flammt! Mittler!, vor allen in denen nicht, deren reiferes Alter Du, der Erde zu leuchten, und sie an Gott zu erinnern; Oder in jenen, die du erkohrest, vom höheren Schauplatz, Wo durch dich sie stehen, auf ihre Brüder, die Menschen Wohlthun, Frieden, und Schutz, und Gerechtigkeit auszuschütten! Alle, die es nun wissen, was Gott von ihnen, der Wesen Höchstes, heiligstes, bestes, der anzubetende Schöpfer, Mit so vieler Geduld, so-viel Barmherzigkeit, fodert, Laß, laß alle Men/chen, ihr kurzes Lebrn am Staube, Diese Stunde der Prüfung, zu ihrer Seligkeit, leben! Daß der Wanderer nicht an dem Quell, und unter den Schatten Jene Krone, die Gott von fern ihm zeigte, verschlummre! Oder sie gar, gn der Kette zu kleiner Freuden, verachte!

X. G es.

v. 90a — 918.

243

Deren Herzen nicht ganz am Unendlichen hangen, und die sich Auf den Arm des sterblichen Helfers zu sehr verlassen! Denen die Ehre zu süß ist, und die ach Menschenbeyfall, Den sich zu ihrer Thaten Belohner wählen, und Gottes, Welchem Tadel und Lob der Menschen, wie Blasen der Luft, wiegt, Gottes Auge, das schaut, und zahlt, und richtet, vergessen! Die sich in Sinnlichkeiten verweben! sie halten der Lüste Bande muthig zerrissen; allein die feinere Wollust Lockt sie tauschend' vom Gipfel der besseren Freuden herunter! Die den Bruder nicht ganz, mit herzlicher Liebe nicht, lieben; Wer zwar wohlthut, aber gcsebn will werden, und Ehre, Für die leichteste Pflicht der Menschlichkeit Ehre ver­ langet ! Wer nur halb dem Feinde verzei-t, unbiegsam, der Rache Dessen, der rachen will, alles zu überlassen; noch minder Fähig, den, der ihm flucht, aus voller Seele zu segnen! Alle, die über das Grab zu selten blicken, zu flüchtig An die Unsterblichkeit denken, zu der du, ihr Gott, sie gemacht hast;

244

X. Ges.

v. 919 — 935.

Wenn.sie nicht hören die Stimme der Huld,, die sanfte des Vaters: Herr! so ruf sie durch Leiden zurück aus der furcht­ baren Irre. Aber die ganz von Gott abweichen , das Laster zum Abgott Machen, und sklavisch dem falschen, dem spottenden Peiniger dienen, Die Unseligen wecke, von ihrem Tode, durch Elend! Meine Kinder, ach meine Kinder, er liebt unaus­ sprechlich, Der am Kreuze für euch sein Leben dem Ewigen opfert! Ist es möglich, Unsterbliche, könnt ihr euren Versöhner, Euren Beruf, zu wandeln im Licht, in dem Himmel - verkennen 3. ' Rühre die steinern en Herzen mit deiner allmächtigen Liebe! Schaffe sie um, und bringe sie rein zu dem Ewigen wieder! Euer erschüttertes Herz vernehme die Stimme des Blutes, Das von Golgatha strömt, und Gnade! Gnade! * für euch fleht, Gnadet Mit heiligem Schauer vernehme sie eure Seele, Mit Anbetung , und jener Entzückung, des ewigen Lebens Dorschmack, .welcher die Erben des GrabS, bey des Todes Anblick, Ueberschwenglicher stärkt, als alle Weisheit der Erde!

X. Ges. v. 936 — 951.

245

Nicht des Sterbenden brechender Blick ! noch der lie­ gende Todte! Nicht die Gruft voll Verwesungen! nicht die verzeh­ rende Flamme! Nicht die Asche des Todten, zerstreut in die Tiefen der Schöpfung! Nichts, was deinen Racher, den Tod mit Furchtbar­ keit rüstet, Wird sie schrecken! Denn du erhörest mein Flehn, du Erwürgter! Weckest ihre Seelen, bevor die Leiber entschlafen, Zu dem ewigen Leben! Ach daß sie, hast du sie, Gottmensch, Auferweckt, mit Zittern und Furcht die Seligkeit suchen, Die kein Auge nicht sah, kein Ohr nicht hörte, die niemals Eines noch Sterblichen Herz empfand! Nichts scheide sie, Gottmensch, Nichts von deiner Liebe! Von Staub' ist der Leib, in dem sie, Die du versöhnst, die heilige Seele, der Ewigkeit Erbin Tragen. Es krümme die Last des drückenden irdi­ schen Leibes Nicht zu der Erde, sie nieder, nicht sie, die du, Gött­ licher, liebest! Sie, mit denen der Vater der Wesen nicht ins Ge­ richt geht! Die der Geist des Vaters und Sohns zum Tempel sich heiligt!

246 Heiß,

X. Ges. voll Thränen,

v. 9Z2 — 96?.

voll Arbeit, und werth der großen Belehnung, Werth, wie es seyn kann, was Sterbliche thun, die Schwachen! die Sünder! Sey der daurende Kampf der himmelerringendcn Seele! Seligkeit überströmt mich, und Wonne mein inner­ stes Wesen! Denk' ich an jene Gnaden, die auf die Siegenden warten: Gottes Anschaun, dieß vor dcm Tode noch ihnen verborgne Namenlose Gefühl, und Erkenntniß des Unerschaffnen! Gott, Vollender! wenn du zu deinem letzten Gericht kömmst, Wenn du entlastest die Erde vom Fluch, und zum Eden sie um sch affst: Ach dann laß unzählbar, wie Sand an dem Meere, die Schaar seyn Derer, die, losgesprochen, zu deiner Herrlichkeit ein gehn! Wolken werden sich oft, du hast es mir, Herr, nicht verborgen! Ueber deine Gewählten, die unsichtbare Gemeine Deiner Kinder, verbreiten: des schwärmenden Aber­ glaubens,. Und der geleugneten Religion verfinsternde Wolken! Selber Herrscher der Welt, die zu dieser Höh du emporhubst,

X. Ges.

v. 963 — 985»

247

sie dein großes Gesetz: Wie sich selbst, die Brüder zu lieben! Ungefeffelt durch eigene Noth, fast gränzenlos thäten! Die, in dem Staube gebückt, den Gott verherrlichen sollten, Der vor ihnen dieß weite Gefild der Menschlichkeit aufthat, Die erniedrigen sich', des blutigen Aberglaubens, Oder des Wahnes, der dich verleugnet, Sklaven zu werden! Ihre Brüder zu peinigen! oder, durchs mächtige Beyspiel, Sie in Wüsten zu führen, wo deine Quellen nicht rinnen, Wo die bewcinenswerthen kein Trost der besseren Welt labt! Diese Zeiten der Nacht, so oft sie über den Erdkreis Kommen, verkürze du sie, daß nicht auch deine Ge­ liebten, Mit dem Sünder verleitet, sich jener Krone berauben, Die du ihnen mit Blut erwirbst, mit diesem Tode! Zahllos, Herr, sey die Schaar der Überwinder, wie Tropfen Auf dem frühen Gefilde, wie Sterne der leuchtenden Schöpfung; Wenn du sie, nach vollbrachtem Gericht, zu der Herrlichkeit einführft! O du, der uns geliebt, mit einer Liebe geliebt hat, Die ein Geheimniß der Himmel, und ihres Stau­ nens Gesang ist, Daß

248

X. Ges.

v. 986 — 1001»

ewigen Licht! Sohn Gottes, Versöhner! Heil! Fürbitter! und Freund! und Bruder der sterb­ lichen Menschen! Deiner Erstgeschaffnen Gebet, ach derer, die fielen, Deiner Erlösten tiefes Gebet, erhör', erhör' es! Als er noch betet', erhub Eloa sein Angesicht, wand!' es Rach der Versammlung der Vater, und rief von der Zinne des Tempels, Daß mit dem Fuße Moria's des Heiligthums Hallen erbebten, Rufte mit einer Stimme der Traurigkeit und des Entsetzens, Wie sie von ihm noch nie die Unsterblichen hörten, herunter Zu den Vätern: Er kommt! Der Böthe der richten­ den Gottheit Schwebte zur Erd' hinab, trat auf den Sinai nieder, Stand, entsetzte sich! Einsam, von Gottes Befehl belastet, Stand er auf Sinai. Himmel und Erde, so daucht' es ihm, wollten Fliehn! hinsinken! vergehn! Der Endlichkeiten Er­ halter Stärket' ihn, daß er nicht selbst hinsank, und ver­ ging ! Das Entsetzen Ließ mit dem eisernen Arme jetzt von ihm ab; doch war er Ewiges Licht vom

X Ges.

v. 1002 — 1016.

249

ganz noch Wehmuth. Die sinkende Rechte Hielt -arbeitend das flammende Schwert, und in Schimmer erblaßten Seine blutiggerötheten Strahlen, die, jeder ein Blitz, glühn, Jucken, und tödten, wenn er von dem Richter zu todten gesandt ist. So von des sterbenden Gottversöhners Anblick er­ schüttert, Sank er gegen den Hügel des Todes aufs Angesicht nieder, Anzubeten, eh' er die Befehle Jehovah's vollbrachte, ©eine Stimme, verwandelt in leise Laute des Traurens, Donnerte nicht, wie vordem; doch hörte der Heili­ gen Kreis ihn. Also betet' er: Sohn! Weltrichter! mich endlichen sendet, Er, den nur dein Opfer versöhnt! O stark', Unerschaffner! Starke den müden, daß ich den Befehl zu vollbrin­ gen vermöge! Ach die Lasten des großen Befehls, wie gesunkene Welten, Liegen sie, seit du am Kreuz das unerforschte Gericht trägst, Herr, auf mir, dem endlichen! Gott, Weltrichter, wer bin ich, Ganz Erstaunen noch,

$50

X. Ges.

v. 1017 — 1031.

Ach wer bin ich, daß Gott, den fürchterlichsten der Tode Anzukünden, mich sendet? Ein Geist, seit gestern erschaffen. Und in einen Leib-, der Endlichkeit ersten Erinnrer, Eingeschloffen, den du, aus einer nächtenden Wolke, Und aus strömenden Flammen erschufst! Allmächtiger Mittler! Graun umgiebt mich, und Trauren, und Angst, die ich niemals noch fühlte! Aber ich muß den Befehl vollbringen! Iehovah gebot ihn! Also sprach er, und stand mit Schauer auf Sinai's Höh auf. Jede Furchtbarkeit gab, da er stand, Iehovah ihm wieder. Schreckend stehet er da, und hatt nach der Schadelstate Sein weitflammendes Schwert, und hinter ihm macht sich ein Sturm auf. Mit dem fliegenden Sturm erscholl des Unsterblichen Stimme. Siehe, die Palmenwälder, der Jordan, Genezaret rauschten Vor dem mächtigen Sturm; und es strömte das Äbendopfer Erdwärts mit vorschießender Glut! Der Unsterbliche sagte:

X. Ges.

v. 1032 — 104.3.

251

es hat Iehovah dein gött­ liches Opfer Angenommen! Unendlich ist des Gerechtesten Zürnen! Mittler! du hast dem unendlichen Zorne dich unter­ worfen ! Du allein! und mit dir ist keiner aller Erschaffner! Deines Blutes Geschrey um Gnad', um die Gnade des Richters, Ist vor Ihn gekommen! Allein Er hat dich verlassen! Wird dich verlassen, bis du den gottversöhnenden Tod stirbst! Fliegende Winke nur noch; so wirst du ihn, Gött­ licher, sterben! Also sagte der Todesengel, und wandte sein Antlitz. Jesus Christus erhub die gebrochnen Augen gen Himmel, Rüste mit lauter Stimme, nicht eines Sterbenden Stimme, Mit des Allmächtigen, der sich, das Staunen der Endlichkeiten, Freygehorsam, dem Mittlertod'hingab! er rüste: Mein Gott! mein Gott! warum hast du mich verlassen ? Und die Himmel bedeckten ihr Angesicht vor dem Geheimniß! Schnell ergriff ihn, allein zum letztenmale, der Menschheit Ganzes Gefühl. Er rüste mit lechzender Zunge: Mich dürstet!

Dem du dich opferst,

252 Ruft'ö,

X. Ges. trank,

v. 1049 — 1052.

dürstete!

bebte! ward bleicher! blutete! rüste: Sfoter, in deine Hande befehl' ich meine Seele! Dann: (Gott Mittler! erbarme dich unser!) Es ist vollendet! Und er neigte sein Haupt, und starb.

D ruckfehler. Seite 22, v. 2--. ließ Wandt' statt Wamdt'.

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