Klios Medien: Die Geschichtskultur des 19. Jahrhunderts in der historistischen Historie und bei Theodor Fontane [Reprint 2011 ed.] 3484150998, 9783484150997

The subject of this volume is historicist practice in the perception of history and the development that superseded it.

169 45 57MB

German Pages 324 Year 2003

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Table of contents :
Vorwort
Einleitung
I. Geschichtskultur im Historismus: Geschichte in der Pluralität ihrer Repräsentationsformen
II. Die Ästhetik des Realismus im Geist des Krieges. Fontanes literarisches Gedächtnis des Deutsch-Französischen Krieges
III. Das Ende der historistischen Geschichtskultur in späten Texten Fontanes
Schlußbemerkung
Literaturverzeichnis
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Klios Medien: Die Geschichtskultur des 19. Jahrhunderts in der historistischen Historie und bei Theodor Fontane [Reprint 2011 ed.]
 3484150998, 9783484150997

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HERMAEA GERMANISTISCHE FORSCHUNGEN NEUE FOLGE HERAUSGEGEBEN VON JOACHIM HEIN2LE UND KLAUS-DETLEF MÜLLER

BAND 99

UWE HEBEKUS

Klios Medien Die Geschichtskultur des 19. Jahrhunderts in der historistischen Historie und bei Theodor Fontäne

MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 2003

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-15099-8

ISSN 0440-7164

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2003 http://www. niemeyer. de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz und Druck: Guide Druck GmbH, Tübingen Buchbinder: Geiger, Ammerbuch

»Ein guter Archivar nutzt dem Staat mehr als ein guter Artilleriegeneral.« (Napoleon) >»Nero spielte und sang und ließ Rom anzünden. Jetzt ist es Panorama, fünfzig Pfennig Entree.GeschichteGeschichte< in historiographischen Texten und in der >Historik< Johann Gustav Droysens . . . a. Topik der >GeschichteGeschichte< und die Moderne des Krieges: >KriegsgefangenAus den Tagen der Okkupation a. Kontexte von Fontanes Poetologie des Krieges: Einheit der Nation und >Friktionen< im Krieg b. Entortungen der >Geschichte< und Bilder der Gewalt Exkurs: Die Telegraphic als kulturelles Symbol c. Fontanes realistisches Schreibprogramm und die Lesbarkeit von >Geschichte< Exkurs: Die Ästhetik des Programmatischen Realismus als äoxa 2. Marie Luise Maria. Typologie der Nation und preußische Madonnen: >Vor dem Sturm
Unsichtbarkeit< des Krieges: >Die Poggenpuhls< a. Unter der Fahne des hl. Michael. Das Gedächtnis der Familie als Gedächtnis der Nation b. Geschichtsdiskurs als Bilddiskurs c. Tendenzen zum >Unsichtbaren... diese merkwürdigen Verschiebungen in Zeit und StundeGeschichte< am Ende der Darstellbarkeit: >Der Stechlin< a. Ende der >Geschichte< I: Von Arabesken der >Geschichte< zur Geschichte als Arabeske Exkurs: Allegorien, Arabesken und Repräsentationen von >Geschichte< im 19. Jahrhundert b. Ende der >Geschichte< II: Zeit-Zeichen c. Geschichte im >»BombengedächtnisHermaeaWissenschaft und Gesellschaft an der Universität Konstanz danke ich für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Ich will auch an dieser Stelle meinen Eltern, Elisabeth und Martin Hebekus, noch einmal meinen Dank aussprechen: für die Ermöglichung meines Studiums, aber auch für die vielfältige Unterstützung danach. Maria Hebekus hat durch ihre unermüdliche Gesprächsbereitschaft dafür gesorgt, daß sich das Konzept meines Dissertationsprojekts konkretisieren und ausfalten konnte, sie hat alle Kapitel gelesen und diese mit mir in gar nicht mehr zählbaren Stunden diskutiert: Ihr sind - nicht nur aus diesem Grund - >Klios Medien< gewidmet. Die vorliegende - für den Druck geringfügig überarbeitete - Studie wurde im Juli 1999 vom Fachbereich Literaturwissenschaft der Universität Konstanz als Dissertation angenommen.

IX

Einleitung

In seiner Autobiographie >Meine Kinderjahre< läßt Fontäne aus dem unkonventionellen Stil des väterlichen Privatunterrichts den Fundus seines eigenen historischen Wissens und zugleich die Keimzelle seiner späteren literarischen »Schreibereien« hervorgehen.1 Der Vater, ein passionierter Konsument der Tagespresse, verknüpft »aus Zeitungen und Journalen aufgepickte« historische Anekdoten in assoziativer, >»sokratischMethodeAnekdotologieMethode< des Vaters des Autobiographen ähnelt, zum Maßstab historischen Wissens: »>Sieh, das sind so Finessen, auf die man warten muß, bis man sie zufällig mal aufpickt, sagen wir auf einem Einwickelbogen oder auf einem alten Zeitungsblatt, da, wo die Gerichtssitzungen oder die historischen Miszellen stehen. Denn nach meinen Erfahrungen umschließt die sogenannte Makulatur einen ganz be1

Fontäne, Theodor: Meine Kinderjahre. In: Fontäne, Werke, Schriften und Briefe. Hrsg. von Walter Keitel und Helmuth Nürnberger. Abtl. 3: Aufsätze, Kritiken, Erinnerungen. Bd. 4: Autobiographisches. Hrsg. von Walter Keitel. München 1973. 8.7-177. S. 121. 2 Fontäne (s. Anm. i). S. 121. 3 Vgl. Fontäne (s. Anm. i). S. i ipff. 4 Fontäne (s. Anm. i). 8.92. ' Fontäne, Theodor: Der Stechlin. Roman. In: Fontäne, Werke, Schriften und Briefe. Abtl. i: Sämtliche Romane, Erzählungen, Gedichte, Nachgelassenes. Bd. 5. Hrsg. von Helmuth Nürnberger. 3. Aufl. München 1994. S. $-388. S. 57. 6 Vgl. Fontäne (s. Anm. 5). S. 60: »>Morgen, JungensNa, lernst auch gut?< [...] >Wann war denn Fehrbellin?< >Achtzehnte Juni.< >Und Leipzig?< Achtzehnter Oktober. Immer achtzehnter bei uns.von einem Engländer, der historische Türen sammle und neuerdings [...] die Gefängnistür erstanden habe, durch die Ludwig XVI. und dann später Danton und Robespierre zur Guillotinierung abgeführt worden seien.Wanderungen durch die Mark Brandenburg< hatte Fontäne gegenüber solchem Umgang mit Geschichte, der sich auf Anekdoten und dingliche Spuren stützt und zugleich in sie mündet, noch die notwendige hermeneutische Perspektivierung und Synthesebildung nach dem Vorbild der historischen Wissenschaften eingefordert. Das Ideal geschichtlichen Wissens hatte dort das forschende Verstehen< in der Art etwa eines Johann Gustav Droysen abgegeben, vermöge dessen das Aggregat der akkumulierten Daten und Zeugnisse überführt wird ins System und in die umfassende Erzählung, in welchen der Lauf der Geschichte seinen >Sinn< nachvollziehbar werden läßt. Über den historischen Sammler, den Superintendenten Ernst Daniel Martin Kirchner, der später als Pastor Seidentopf in >Vor dem Sturm< literarisch wiederkehren wird, notiert er: Und wirklich, Superintendent Kirchner ist nicht bloß ein Sammler nach Art so vieler seiner Amtsbrüder, die nur im Vorhofe der Wissenschaft, speziell der Altertumskunde, wohnen; er gelangt vielmehr zu Schlüssen aus dem Gesammelten, und hier liegt der Unterschied zwischen Wissenschaftlichkeit und Liebhaberei. Die Mappen, die Schubfächer, die Glaskästen sind ihm nicht Zweck, sondern nur Mittel zum Zweck, und der historische Sinn (samt jenem Bedürfnis, zu Resultaten zu kommen) erwies sich siegreich in ihm über die bloße Kuriositätenkrämerei. Denn auch die schönste bronzene Streitaxt, die zierlichste Feuersteinlanzenspitze, sie haben nur Anekdotenwert, wenn sie nicht den Wunsch anregen, den Charakter und das Wesen einer Epoche daraus kennenzulernen.9

Im Hof der Wissenschaft angekommen, konfigurieren sich die isolierten »Anekdotenwerte« zur »>Geschichte schlechthin«^10 der historische Sinn 7

Fontäne, Theodor: Die Poggenpuhls. In: Fontäne, Werke, Schriften und Briefe. Abtl. i. Bd. 4. Hrsg. von Walter Keitel. München 1963. 8.479-576. S. 517. Fontäne (s. Anm. 5). S. 275. 9 Fontäne, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Erster Teil: Die Grafschaft Ruppin. Hrsg. von Gotthard Erler und Rudolf Mingau. Berlin 1997. S. 367^ (Hervorheb, im Orig.). 10 Koselleck, Reinhart u.a.: Artikel: Geschichte, Historic. In: Geschichtliche Grundbegrif-

des Superintendenten ist eine Variante jenes historischen Sinns, der aus »Geschäften Geschichte« macht11 und damit den >Kollektivsingular Geschichte^2 allererst konstituiert. Wollte man die zitierten Beispiele einer historischen >Anekdotologie< und der materialen Spuren der Geschichte, deren Zeugniskraft irgendwo zwischen der einer Kuriosität und der einer Reliquie sich einpendelt, einerseits, den historischen Sinn Kirchners andererseits in aller Schärfe kontrastieren, dann käme dabei exakt derjenige Gegensatz heraus, der Walter Benjamin zum antihistoristischen Lob der Anekdote geführt hat und zur gleichermaßen antihistoristischen Auszeichnung jener nicht-textuellen Überlieferungsbestände, für welche die Theorie der Quellenkritik im 19. Jahrhundert den Begriff des Monuments13 reserviert: Die Konstruktionen der Geschichte sind Instruktionen vergleichbar, die das wahre Leben kommandieren und kasernieren. Dagegen der Straßenaufstand der Anekdote. Die Anekdote rückt uns die Dinge räumlich heran, läßt sie in unser Leben treten. Sie stellt den strengen Gegensatz zur Geschichte dar, welche die >Einfühlung< verlangt, die alles abstrakt macht. [...] Die wahre Methode die Dinge sich gegenwärtig zu machen, ist: sie in unserm Raum (nicht uns in ihren) vorzustellen. Dazu vermag nur die Anekdote uns zu bewegen. Die Dinge so vorgestellt, dulden keine vermittelnde Konstruktion aus >großen Zusammenhängen^ - Es ist auch der Anblick großer vergangner Dinge - Kathedrale von Chartres, Tempel von Pästum - in Wahrheit ein sie in unserm Raum empfangen (nicht Einfühlung in ihre Erbauer oder Priester). Nicht wir versetzen uns in sie: sie treten in unser Leben. [...] Dieses Pathos der Nähe, der Haß gegen die abstrakte Konfiguration des Menschenlebens in Epochen hat die großen Skeptiker beseelt.'4

fe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck. Bd. 2: E-G. Stuttgart 1975. S. 593-717. S-594" Droysen, Johann Gustav: Historik. Die Vorlesungen von 1857 (Rekonstruktion der ersten vollständigen Fassung aus den Handschriften). In: Droysen, Historik. Rekonstruktion der ersten vollständigen Fassung der Vorlesungen (1857), Grundriß der Historik in der ersten handschriftlichen (1857/1858) und in der letzten gedruckten Fassung (1882). Textausgabe von Peter Leyh. Stuttgart-Bad Cannstatt 1977. S. 1-393. 8.69. 11 Wo im folgenden mit Geschichte Droysens - emphatisch gemeinte - Überwölbung der Geschichten bzw. Kosellecks >Kollektivsingular< bezeichnet sind, findet sich der Begriff in einfache Anführung gesetzt. 13 Der quellenkritische Begriff des historischen Monuments schloß den heutigen Sprachgebrauch mit ein, meinte aber weitergehend jede dinghafte und nicht-textuelle Spur der Vergangenheit; vgl. dazu Struck, Wolfgang: Geschichte als Bild und als Text. Historiographische Spurensicherung und Sinnerfahrung im 19. Jahrhundert. In: Zwischen Klartext und Arabeske. Konferenz des Konstanzer Graduiertenkollegs >Theorie der Literature Veranstaltet im Oktober 1992. Hrsg. von Susi Kotzinger und Gabriele Rippl. Amsterdam 1992. S. 349-361. S. 3 52f. 14 Benjamin, Walter: Gesammelte Schriften. Hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann

Das »Pathos der Nähe«, das sich rhetorisch an Anekdote und Monument entzündet, soll bei Benjamin die fremden Vergangenheiten als erratische und widerständige Elemente der eigenen Gegenwart erscheinen lassen. Die Passage ist gerichtet gegen die vermeintliche epistemologische Grundannahme einer historiographischen Praxis, die unterstellt, es gebe eine bruchlose Repräsention der Vergangenheit in der Form großer Erzählungen zwischen Buchdeckeln, weil das historische Verstehen als »Textwissenschaft« »in doppeltem Sinn«15 in seinem Vollzug kontinuierlich innerhalb des einen Mediums der Schrift verbleibt, weil es von Texten - den schriftlichen Quellen - zu Texten - den narrativen, »>große Zusammenhänge^ präsentierenden Darstellungen - fortschreitet. Benjamins Lob der Anekdote als subversiver textueller Repräsentation und des Monuments als nicht-textueller Überlieferung folgt so der generellen Stoßrichtung seiner Historismus-Kritik, in der die »Liquidierung« der drei »Bastionen« des Historismus projektiert wird: der »Idee der Universalgeschichte«, des »epischen Moments« - der »Vorstellung [...], die Geschichte sei etwas, das sich erzählen ließe« -, der »>Einfühlung in den SiegerKollektivsingular