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German Pages 576 [584] Year 2002
de Gruyter Texte
J.J. WINCKELMANN KLEINE SCHRIFTEN · VORREDEN · ENTWÜRFE
W G DE
JOHANN JOACHIM
WINCKELMANN
KLEINE SCHRIFTEN VORREDEN · ENTWÜRFE Zweite Auflage
Herausgegeben von Walther Mit einem Geleitwort von Max und einer Einleitung von Hellmut
Rehm Kunze Sichtermann
Walter de Gruyter · Berlin · New York
2002
Mit 4
Abbildungen
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
Die Deutsche Bibliothek
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CIP-Einheitsaufnahme
Winckelmann, Johann Joachim: Kleine Schriften, Vorreden, Entwürfe / Johann Joachim Winckelmann. Hrsg. von Walther Rehm. Mit einem Geleitw. von Max Kunze und einer Einl. von Hellmut Sichtermann. — 2. Aufl. — Berlin ; New York : de Gruyter, 2002 (De-Gruyter-Texte) ISBN 3-11-017444-8
© Copyright 2002 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck und buchbinderische Verarbeitung: WB-Druck, Rieden/Allgäu Umschlagabbildung: Johann Heinrich Lips, Winckelmann. Stich aus: J . C. Lavater, Essai sur la Physiognomie II, 1783, Taf. XLIII. Umschlaggestaltung: Hansbernd Lindemann, Berlin
Geleitwort zur zweiten Auflage Das in den zwanziger bis vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts neu erwachte Interesse an Johann Joachim Winckelmann - der Archäologe Gerhart Rodenwaldt sprach in seiner Begrüßungsrede zum 1 0 1 . Winckelmannfest der Archäologischen Gesellschaft zu Berlin am 9. Dezember 1 9 4 1 von einer zweiten „Winckelmann-Renaissance" — widerspiegelt sich nicht nur in damals zahlreich erschienenen Romanen wie Gerhart Hauptmanns Romanfragment „Das Verhängnis" (1940/1941), Novellen wie „Winckelmanns Ende" von Wilhelm Schäfer ( 1 9 2 5 , 1 9 4 1 ) oder Biographien zum Leben und Wirken Winckelmanns, sondern auch in der intensiveren Beschäftigung der Wissenschaften mit dem Begründer der klassischen Archäologie und modernen Kunstwissenschaft. Wie schon zur Zeit der „ersten Winckelmann-Renaissance", die mit Goethes Winckelmann-Schrift „Winckelmann und sein Jahrhundert" (1805) einen Höhepunkt erreichte und eine philologische Fortsetzung in der von Heinrich Meyer und Ludwig Fernow unternommenen ersten deutschen Werkausgabe Winckelmanns (Winckelmanns Werke I-VIII, hrsg. von Carl Ludwig Fernow, Heinrich Meyer und Johann Schulze, Dresden 1 8 0 8 - 1 8 2 0 ) fand, entstand in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts das Projekt einer neuen, nun aber kritischen Ausgabe der Werke Winckelmanns. Für die von Gerhart Rodenwaldt initiierte Winckelmann-Ausgabe, zunächst unter Schirmherrschaft des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin, konnte der Germanist Waither Rehm gewonnen werden. Dieser konzentrierte sich zunächst auf die Herausgabe der - zum Teil noch unpublizierten - Briefe Winckelmanns, die er zusammen mit dem Archäologen Hans Diepolder ausführlich kommentierte. Der Zweite Weltkrieg hatte die Drucklegung der auf vier Bände konzipierten Briefedition um Jahre zurückgeworfen: Sie konnten erst 1 9 5 2 - 1 9 5 7 im Verlag Walter de Gruyter erscheinen. Diese äußerst verdienstvolle Edition hat in der Folge die wissenschaftliche Beschäftigung nicht nur mit der Persönlichkeit Winckelmanns und seinen Korrespondenzpartnern angeregt, sondern stellte, durch die angefügten gründli-
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chen Kommentare, die auch das gedruckte Werk Winckelmanns und den unpublizierten handschriftlichen Nachlass einbezogen, die Forschung zum Werk auf eine neue Grundlage. Walther Rehm, der sich zunächst auch eine genaue Disposition zur Herausgabe der Werke Winckelmanns gemacht hatte, rückte nach dem Zweiten Weltkrieg von diesem Vorhaben wieder ab. Wie Hellmut Sichtermann (gest. am ζ . i . 2002) in der Einleitung zu diesem Band (s. folgender Beitrag) vor knapp 35 Jahren schrieb, begründete Rehm seine Entscheidung mit der Behauptung, dass die Werke Winckelmanns „erbarmungslos veraltet" seien, besonders für die Archäologen. Und doch hatte er es im Blick auf die damals anstehenden Winckelmann-Jubiläen 1 9 6 7 / 1 9 6 8 übernommen, die aus germanistischer und kunstästhetischer Sicht relevanten „Kleinen Schriften" Winckelmanns neu zu publizieren und mit einem ausführlichen Kommentar zu versehen. Sie erschienen 1 9 6 8 , ebenfalls im Verlag de Gruyter, unter dem Titel „Johann Joachim Winckelmann. Kleine Schriften, Vorreden, Entwürfe". Walther Rehms Tod im Jahre 1 9 6 3 hatte die letzte Durchsicht des Manuskripts und die geplante Einleitung zu diesem Band verhindert, ein Band, der zusammen mit seiner Briefedition die Grundlage der neueren WinckelmannForschung bildete und in die germanistische, die kunsthistorische und archäologische Beschäftigung mit Winckelmann fundierend hineinwirkte. Für die letzte Redaktion der hinterlassenen Manuskripte Rehms konnte man Hellmut Sichtermann gewinnen, der für wichtige Stellen des archäologischen Kommentars Ergänzungen und neue Stichworte lieferte und die noch fehlende Einleitung schrieb. Dabei w a r Sichtermann eine glänzende Darstellung gelungen, die die Verbindungslinien zwischen Winckelmanns Persönlichkeit, seinem Leben und Schicksal, und seiner Lehre, die sich in seinem Werk manifestiert, deutlich aufzeigt. Winckelmanns Begeisterungsfähigkeit und seine subjektive, den Leser ansprechende Art der Beschäftigung mit antiker Kunst hat Sichtermann in überzeugender Weise geschildert und so für den heutigen Leser einen neuen Z u g a n g zum Werk Winckelmanns geschaffen. Sichtermann legte dar, dass das Zusammenwirken von dichterischem und wissenschaftlichem Impetus („Die beiden Federn, die Winckelmann zu führen verstand, liegen wohl auch heute noch auf dem Schreibtisch eines jeden Archäologen") zur eigentlichen Wirkung seines Werkes führte, das bis über das zwanzigste Jahrhundert hinaus seine Kraft entfaltet. Für eine solche Einführung in das Werk Winckelmanns eignen sich die „kleinen Schriften" in besonderer Weise. Winckelmanns „Pioniertat"
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Gründerrolle für die archäologische und kunsthistorische Wissenschaft w a r verbunden mit einer scharfen und emotionalen Polemik, mit der er seine Ideen durchzusetzen und sich von seinen Vorgängern und Zeitgenossen abzugrenzen
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suchte. Dies tat er auch im traditionellen Gelehrtenstreit, vor allem aber, indem er kritisch seine Vorstellungen von antiker Kunst und ihrer Bedeutung für die zeitgenössische europäische Kultur an ein breites Publikum, eine neue Gruppe von bürgerlichen Lesern, herantrug. Der Text „Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst" von 1 7 5 5 , Winckelmanns Erstlingsschrift, die in diesem Band aufgenommen ist, wendet sich deshalb programmatisch an die „Liebhaber und Künstler", nicht an Gelehrte. In unserer Ausgabe finden sich auch andere Frühschriften Winckelmanns, die von Christian Felix Weiße ( 1 7 2 6 - 1 8 0 4 ) in seiner „Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste", einer der bedeutenden deutschen Kunst- und Literaturzeitschriften jener Zeit, veröffentlicht wurden: Fünf ästhetische Schriften, darunter der wichtige Beitrag „Von der Grazie in Werken der Kunst", also jene Texte, die ihn in Deutschland populär machten und zu einem wichtigen und angesehenen Autor werden ließen. Später, in Rom, traten als Leser die nun zahlreicher werdenden Rom- und Italienreisenden hinzu. Für die neuen Themen, die er sich aus seiner Begegnung mit antiken Kunstwerken in Rom erschloss und für den literarischen Markt aufbereitete, entwickelte er eine „körnigte Schreibart" (Friedrich Nicolai), die ein breites bürgerliches Lesepublikum dankbar annahm. So hat er zwischen den Möglichkeiten, sich als freier Autor auf dem neuen literarischen Markt zu behaupten und damit finanziell unabhängig zu werden oder als Gelehrter in Abhängigkeit von den Auftrag- bzw. Geldgebern zu arbeiten, lange geschwankt. Zahlreiche Projekte für kürzere und längere Essays, ebenso an ein breites Publikum gerichtet, entstanden in seiner römischen Zeit seit 1 7 5 5 , die im Titel einleiten mit „Sendschreiben . . . " , „Nachrichten . . . " , „Erinnerung . . . " , „Unterricht...", Essays, die oftmals nur bis zum ersten Entwurf gelangten oder als Fragment unveröffentlicht verblieben waren. Es ist ein Verdienst dieser Ausgabe, sie gesammelt und abgedruckt zu haben. Gerade in den Entwürfen, die noch nicht von eigener Hand überarbeitet waren, findet man jene von Hellmut Sichtermann beschriebene emotionale, aber direkte Sprache besonders kräftig ausgeprägt, mit der Winckelmann sich an seine Leser wenden wollte. Die programmatische Hinwendung Winckelmanns zur Antike, die sich von den früheren Antikerezeptionen durch ihre republikanische und revolutionäre Tendenz unterscheidet - nicht zufällig erlebte das Winckelmannsche Werk eine Generation später im revolutionären Frankreich mehrere Neuauflagen und breitere Rezeption - , richtete sich an ein sich emanzipierendes Bürgertum, das seine Ideale von Freiheit und Menschlichkeit in der Kunst der Antike vorgeprägt sah. Auch in seinem Hauptwerk, der „Geschichte der Kunst des Alterthums", 1 7 6 4 in Dresden erschienen, wurde Winckelmann nicht müde zu
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betonen, dass er kein gelehrtes Werk im herkömmlichen Sinne geschrieben habe, sondern ein „Lehrbuch", mit dem in der Hand sich jeder Interessierte den antiken Künsten zuwenden könne: Die Liebhaber seien in die Lage versetzt, die Kunst der Antike zu verstehen und unbekannte Denkmäler nach ihrem Stil in die vorgezeichneten Hauptepochen antiker Kunstentwicklung zu setzen, die Künstler aufgerufen, den griechischen Vorbildern nachzueifern, und die Gelehrten, sein kunsthistorisches System auszubauen und zu erweitern. Das bewusste und subjektive Einstimmen auf die Kunstbetrachtung („Ich nahm durch die mächtige Rührung, die mich über mich selbst hinwegsetzte, einen erhabenem Stand an."), und seine Begeisterung für antike Werke, die er dem Leser verstand mitzuteilen, indem er ihn als Dialogpartner in seine Beschreibungen, etwa des berühmten Apoll vom Belvedere im Vatikan, direkt einbezieht („Gehe mit deinem Geiste ..."), diese Nähe zum Leser, aber auch Winckelmanns erzählfreudige Darstellungsart entsprechen sicherlich nicht mehr dem modernen Wissenschaftsverständnis. Dichterische und wissenschaftliche, enthusiastische und nüchtern forschende Betrachtung der Antike sind in der Regel im 20. Jahrhundert Gegenpole geworden, worin sich der Gelehrte und der Literat bewusst voneinander abzusetzen suchen. Sichtermann konnte an anderer Stelle aber zeigen, dass im archäologischen Schrifttum des letzten Jahrhunderts dieser Konflikt - ob offen oder latent - oft und durchaus fruchtbar vorhanden ist, dass Abstand, kühle Klarheit und die Neigung, sich willig erschüttern zu lassen, ein bleibendes Phänomen in der Betrachtung von antiker Kunst bilden. In einem Aufsatz zu „Winckelmann im 2,0. Jahrhundert" schrieb Hellmut Sichtermann 1 9 9 1 treffend: „Winckelmann nur noch Symbol, seine Griechen nur noch Chiffre - ihre Kunst nur noch für uns Europäer gültig, ihre Bedeutung durch den Historismus relativiert, ihre dichterische Betrachtung durch Fachanalyse ersetzt - und doch steht hinter all diesen Einschränkungen und gerade hinter ihnen, die Gestalt Winckelmanns in uneingeschränkter Größe da. Es ist, als hätte er auch denen, die ihn überholen, ihn widerlegen wollen, den Weg gewiesen. Auf seine Weisung kann kein Jahrhundert verzichten, auch das unsere nicht." 1 Die in den letzten drei Jahrzehnten an vielen Orten Europas entstandene Rezeptionsforschung hat den Blick auf Winckelmann sensibilisiert und seine Verdienste um die Wiederentdeckung der Antike, insbesondere der Kunst Griechenlands, neu und differenzierter herausgearbeitet. Er gehört zweifellos zu
1 In: Akzidenzen. Flugblätter der Winckelmann-Gesellschaft 1, Stendal 1991, S. 24.
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den großen Vermittlern zwischen Antike und Gegenwart, die der deutschen Klassik den Weg für ihren Rückgriff auf die Antike geebnet haben. Die neue interdisziplinäre Beschäftigung mit der Antike hat vor wenigen Jahren auch zu einer längst fälligen, nun aber im Anfang stehenden historischkritischen Gesamtausgabe der Winckelmann-Schriften geführt, für die Rehm mit seinen „Kleinen Schriften" Maßstäbe gesetzt hat. 2 Um so erfreulicher ist es, dass sich der Verlag de Gruyter entschlossenen hat, diese Schriften Winckelmanns erneut und nun als Studienausgabe herauszugeben: Die noch immer gültige Ausgabe ermöglicht noch heute dem Leser ein tiefes Eindringen in die Geisteswelt des Begründers der Klassischen Archäologie und der modernen Kunstwissenschaft und in ein Jahrhundert, das Johann Wolfgang Goethe 1 8 0 5 das Winckelmann-Jahrhundert nannte. Stendal, im März 2.002,
Max Kunze
Editorische Notiz Die römischen Seitenzahlen der ersten Auflage sind in eckigen Klammern am Fuß der Seite wiedergegeben.
2, Johann Joachim Winckelmann, Schriften und Nachlaß, hrsg. von der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt und der Winckelmann-Gesellschaft Stendal, Mainz 1996ff. (erschienen bis 2,000: Bd. 1; 2 , 1 - 3 ; 3)·
Vorwort Walther Rehm hatte 1962 die sogenannten Kleinen Schriften Winckelmanns zusammengestellt, um sie als Beitrag zu den Gedächtnisjahren 1967 und 1968 in ihrer originalen Form zu veröffentlichen. Zur Ergänzung wählte er noch verschiedene Entwürfe aus sowie einige Vorreden zu den Hauptwerken, die als selbständige kleine Abhandlungen gelten können. Über die nunmehr vorliegende endgültige Gestaltung der in diesem Band vereinigten Texte wird im Kommentar ausführlich zu berichten sein. Zum Zeitpunkt des Todes von W. R. (6. Dezember 1963) lagen zu jeder Schrift in sich abgeschlossene und miteinander korrespondierende Erläuterungen vor, in denen einzelne wesentliche Punkte der Kunstansdiauung Winckelmanns durch entsprechende Interpretation herausgearbeitet waren. Die Vor- und Rückverweise, die die Verbindung verdeutlichen sollten, mußten zum Teil noch ergänzt werden, ebenso die Nachweise der von Winckelmann zitierten wissenschaftlichen Literatur. Ein weiteres Anliegen von W. R . war die Kommentierung der von Winckelmann erwähnten Kunstwerke zugleich mit Angaben über ihren Verbleib und der heutigen einschlägigen Literatur. Für die Werke der neueren Künstler war diese Kommentierung zu Ende geführt worden; für die Drucklegung genügte es in diesen Fällen also, an verschiedenen Stellen Vermerke aus inzwischen neu erschienenen Katalogen einzuarbeiten. Anders stand es mit der Bestimmung der antiken Kunstwerke. Hier bestanden Lücken, die allein mit Hilfe eines Archäologen zu schließen waren. Da der Mitarbeiter Walther Rehms an der vierbändigen Ausgabe der Briefe Winckelmanns (erschienen 1 9 j 2 — 1 9 5 7 ; Walter de G r u y t e r & C o . , Berlin), Professor Dr. Hans Diepolder, aus Gesundheitsrücksichten seine Hilfe nicht zusagen konnte, hat sich liebenswürdigerweise Dr. Hellmut Sichtermann in Rom bereit erklärt, den archäologischen Teil der Ausgabe zu betreuen und die genannten Lücken nach Möglichkeit zu schließen. Es darf als ein besonderer Glücksfall angesehen werden, daß die Beendigung dieser Kommentierung gerade in Rom durchgeführt werden konnte. Mögen auch
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Vorwort
viele der „Urbilder", die Winckelmann hier vereinigt fand, heute in andere Städte und Länder verteilt sein, so bleibt diese Stadt doch immer nodi, um mit ihm selbst zu reden, „eine unerschöpfliche Quelle" für denjenigen, der auf seinen Spuren wandelt. So hatte auch W. R. die Absicht, in Rom mit Hilfe der Bibliothek des Deutschen Archäologischen Instituts und der Bibliotheca Hertziana den Kommentar abzuschließen. Mit Hellmut Sichtermann ergab sich in mündlichem und schriftlichem Austausch ein harmonisches, fruchtbares Zusammenarbeiten; es sei ihm dafür an dieser Stelle ganz besonders gedankt. Weiterhin muß mit großer Dankbarkeit der Hilfsbereitschaft gedacht werden, mit der Professor Dr. Walter-Herwig Schuchhardt in Freiburg sich nach dem Tod des Herausgebers für das Zustandekommen dieser Ausgabe eingesetzt hat. Er hat nicht nur die Beziehung zu Hellmut Sichtermann hergestellt, sondern auch das Deutsche Archäologische Institut in Berlin für die Unterstützung des Bandes gewonnen. So ist es der Unterzeichneten ein aufrichtiges Bedürfnis, dem Präsidenten dieses Instituts, Professor Dr. Kurt Bittel, für das tätige Interesse zu danken, das er der Herausgabe der „Kleinen Schriften" Winckelmanns durch Bewilligung eines beträchtlichen Druckkostenzuschusses entgegengebracht hat. Professor Dr. Hans Zeller, Zürich, begleitete in freundschaftlicher Weise mit Rat und Tat die letzten Arbeiten an dem Band und steuerte noch nachträglich seine schon länger zurückliegende (vergriffene) Edition der Entwürfe zur Beschreibung des Apollo im Belvedere bei. Diese Entwürfe stehen nun neben den gleichzeitig entstandenen, hier zum ersten Male vollständig veröffentlichten Entwürfen zur Beschreibung des Torso im Belvedere. Herzlicher Dank gebührt ferner den Herren Dr. Josi Dörig, Freiburg, Dr. Reinhardt Habel, Marburg, Peter Jehn, Freiburg, und Dr. Lucas Wüthrich, Zürich, für oft in Anspruch genommene Hilfe sowie allen im Kommentar genannten Damen und Herren, die, zum Teil noch auf Anfragen von W. R., Nachweise aus ihren Fachgebieten freundlich zur Verfügung stellten. Freiburg im Breisgau, im August 1967
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Else Rehm
Inhaltsverzeichnis Vorwort Verzeichnis der Abbildungen Einleitung Beschreibung der vorzüglichsten Gemälde der Dreßdner Gallerie. Fragment . Ober Xenophon. Fragment Gedanken vom mündlichen Vortrag der neueren allgemeinen Geschichte . . . Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Werdce in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst Sendschreiben über die Gedanken von der Nachahmung der griechischen Werke in der Malerey und Bildhauerkunst Nachricht von einer Mumie in dem Königlichen Cabinet der Alterthümer in Dreßden Erläuterung der Gedanken von der Nachahmung der griechischen Werke in der Malerey und Bildhauerkunst; und Beantwortung des Sendschreibens über diese Gedanken Reifere Gedancken über die Nachahmung der Alten in der Zeichnung und Bildhauerkunst. Fragment Gedanken über die Kunst Erinnerung über die Betrachtung der Werke der Kunst Von der Grazie in Werken der Kunst Nachrichten von dem berühmten Stoßischen Museo in Florenz von dem Herrn Winkelmann an den Herrn L. R. ν. Η Beschreibung des Torso im Belvedere zu Rom Anmerkungen über die Baukunst der alten Tempel zu Girgenti in Sicilien . . Unterricht für die Deutschen von Rom. Entwurf Sendschreiben an Herrn Lippert. Zeichenmeister der Cadets Sr. Königl. Maj. in Pohlen. Entwurf Sendschreiben von der Reise eines Gelehrten nach Italien und insbesondere nach Rom an Herrn M. Franken. Entwurf
Seite V IX XI ι 13 17 27 60 90
97 14$ 147 149 157 163 169 174 186 188 190
Sendschreiben von der Reise nach Italien. Entwurf 194 Vorbericht zu den Anmerkungen über die Baukunst der Alten 196 Sendschreiben von der Reise eines Liebhabers der Künste nadi Rom an Herrn Baron von Riedesel. Entwurf 203
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Inhaltsverzeichnis
Abhandlung von der Fähigkeit der Empfindung des Schönen in der Kunst, und dem Unterrichte in derselben Widmung vor der Geschichte der Kunst des Alterthums Vorrede zu der Geschichte der Kunst des Alterthums Widmung vor den Anmerkungen über die Gesdiidite der Kunst des Alterthums Vorrede zu den Anmerkungen über die Geschichte der Kunst des Alterthums . Anhang Beschreibung des Apollo im Belvedere, in der Gesdiidite der Kunst des Alterthums . Entwürfe zur Besdireibung des Apollo im Belvedere Entwürfe zur Besdireibung des Torso im Belvedere Erinnerungen über die Begriffe der Schönheit in Werken neuerer Künstler, in den Anmerkungen über die Gesdiidite der Kunst des Alterthums Kommentar Textgestaltung Gebrauch der Klammern im Text Bericht über die Erläuterungen Verzeichnis der Abkürzungen Werke Literatur Erläuterungen Nachträge Register
211 234 23 j 247 249
267 269 280 286
291 293 294 296 296 297 3°3 510 jn
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Verzeichnis der Abbildungen (Abbildungen ι — 4 nach S. 288)
1. Paestum. Sogenannter Cerestempel. Stich aus: Les Ruines de Paestum ou de Posidonie, dans la Grande Gräce, par Τ. Major, Graveur de Sa Majesti Britannique. Traduit de L'Anglais, Londres 1768, Taf. X V (Zu S. 176, 178 f.; 197—200). 2. Diomedes. Gemme des Steinschneiders Dioskurides, aus: Gemmae Antiquae Caelatae, Scalptorum nominibus insignitae ad ipsas G e m m a s . . . ex praecipuis Europae museis selegit et commentairiis illustravit Philippus de Stosch, Amstelaedami 1724, Taf. X X I X (Zu S. 30, 39, 66—6% 99). 3. Iulia. Gemme des Steinschneiders Evodos, aus: Gemmae Antiquae Caelatae . . . Taf. X X X I I I (Zu S. 35). 4. Tydeus. Etruskische Gemme, aus: Description des Pierres Gravies du feu Baron de Stosch dediie έ Son Eminence Monseigneur le Cardinal Alexandre Albani par Μ. L'Abbi Winckelmann, Florence 1760, Taf. bei S. 348 (Zu S. 16$).
Einleitung Es war Walther Rehm nidit mehr vergönnt, seine Auswahl aus den Schriften Winckelmanns einleitend zu begründen. Er hat jedodi in einem Brief an den Verlag in sehr entschiedenen Worten dargelegt, warum er überhaupt eine Auswahl statt des Gesamtwerkes zur Edition empfehle und hat damit in dem seit dem Tode Winckelmanns hin und her gehenden Streit der Meinungen über den schriftstellerischen und sonstigen Wert seiner Schriften eine klare Stellung bezogen: „Winckelmann ist weder ein philosophischer noch ein schöngeistig-dichterischer Schriftsteller; er ist ein ungewöhnlich inspirierter und wirklich großer Gelehrter; als soldier teilt er das Schicksal aller Gelehrten, daß die Wissenschaft über ihn fortsdireitet und daß sein Werk unweigerlich veraltet." Es handele sich bei seinen Schriften „nicht um diditerisdie oder philosophische Texte, die einen unüberholbaren Eigenwert besitzen, sondern um Texte eines Gelehrten, deren sachlicher Gehalt größtenteils erledigt ist oder nur noch antiquarisches Interesse erwekken kann". Und nach genauer Darlegung der geradezu unüberwindlichen Schwierigkeiten, die sich einer kritischen Ausgabe des Hauptwerkes, der „Geschichte der Kunst des Alterthums" sowie der befriedigenden Präsentierung und Kommentierung des französisch veröffentlichten Kataloges der Sammlung Stosdi und der italienisch verfaßten „Monumenti antichi inediti" entgegenstellen, erklärt Walther Rehm: »Was man allenfalls tun und verantworten könnte, wäre eine kritisch-historische Edition seiner kleineren Aufsätze und Essays, in denen er audi als Sprachkünstler und in seinem pädagogischen Impuls sichtbar wird", dessen also, was „an Winckelmann lebendig geblieben ist, seine Erstlingsschrift, einige kleinere Essays, auf die er selbst großen Wert gelegt hat . . zum Abschluß heißt es dann: „Man müßte freilidi am Beginn eines solchen Bandes . . . genau die Gründe darlegen, die es sinnlos erscheinen lassen, eine Gesamtedition in die Wege zu leiten." Dem spät hinzugekommenen Mitherausgeber dieser nun wirklich zustande gekommenen einbändigen Ausgabe, die an die Stelle der vor dreißig Jahren noch geplanten Gesamtausgabe tritt und deren Umfang, Anordnung
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Einleitung
und Gestalt bei seinem Hinzutreten bereits festlagen, will eine solche Darlegung nach den klaren Worten ihres Schöpfers jedoch nicht mehr notwendig ersdieinen. Wird im Grundsätzlichen die Ablehnung überzeugend motiviert, so kann man sich die Aufzählung der Einzelgründe ersparen. Es muß auch verlockender ersdieinen, nicht die negativen, sondern die positiven Gründe dieser Ausgabe darzulegen, nicht zu erklären, warum man weggelassen, sondern warum man ausgewählt hat. Wenn die „großartige Bedeutung" Winckelmanns nach den Worten Walther Rehms „sich sozusagen auf weite Strecken hin von seinem Werk gelöst hat und greifbar ist vor allem im Impuls, den er gegeben hat, und damit in der Weiterentwicklung der archäologischen Wissenschaft, die er inauguriert" — warum dann trotzdem noch eine Beschäftigung mit diesem Werk, und sei es audi nur in Auswahl? Man wird es dem Schreiber dieser Zeilen nicht verdenken, daß er gerade diese zuletzt zitierten Worte zum Ausgangspunkt seiner Einleitung wählt. Daß Winckelmann die Ardiäologie begründet hat, ist heute zu einem Gemeinplatz geworden. Warum aber hat dann der Herausgeber seiner Schriften gerade des mangelnden Interesses der Ardiäologen wegen eine Gesamtausgabe abgelehnt? „Niemand würde das lesen und von der Edition Gebrauch machen; schon gar nidit die Archäologen, die ihn schon seit bald hundert Jahren nicht mehr anschauen und seinen Namen nur jeweils im Dezember bei dem sogenannten Windcelmannstag in den Mund nehmen und ihre Programme nadi ihm benennen", heißt es in dem eingangs erwähnten Brief. Eine neuzeitliche Kommentierung der Schriften hätte keinen Sinn: „Die Archäologen kümmern sich nicht darum, höchstens hin und wieder einer, der sich nolens volens mit der Geschichte der Disziplin befassen muß." Dieser ihr Mangel an Interesse sei aber durchaus begreiflich: „Daß sie ihn nicht mehr lesen, kann man ihnen nidit verübeln: er ist erbarmungslos veraltet." Das sind Worte aus einem Brief an den Verlag, und Waither Rehm hätte sidi in einer Einleitung wohl weniger pointiert geäußert. Wir können das audi der wesentlich großzügigeren Formulierung aus der Einleitung zur Briefausgabe entnehmen, in der es heißt, daß Winckelmann „ursprünglich und von Haus aus ein Gelehrter ist und sein will und dann erst ein Schriftsteller im neuen Sinne wird" — wo also das reine Gelehrtentum Winckelmanns keineswegs mit solcher Ausschließlichkeit behauptet wird. Vielleicht hätte Walther Rehm dann audi sein Urteil über die Gleichgültigkeit der Archäologen weniger apodiktisch ausgedrückt; denn gar so ungenannt ist er bei diesen denn nun doch nicht: außer den direkt sich mit ihm befassenden Arbeiten von E. Gerhard, O. Jahn, A. Milchhöfer, B. Sauer, F. Koepp,
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Einleitung
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Η . Thiersch, Ο. Brendel, G. Karo, P. H . v. Blankenhagen, L. Curtius, G. Bendinelli und R. Bianchi Bandinelli sind audi Auseinandersetzungen fachlicher und methodischer Art mit ihm durchaus zu nennen: Adolf Furtwängler knüpfte in seinen „Meisterwerken" ausdrücklich an die Betrachtungsweise Winckelmanns an, Walter-Herwig Schudihardt setzte sich in der Einführung zu seiner „Kunst der Griechen" ausführlich mit ihm auseinander, Otto Brendel berücksichtigt ihn sogar in seinen „Prolegomena" zu einer römischen Kunstgeschichte und German Hafner geht in der „Geschichte der griechischen Kunst" mit langen, wörtlichen Zitaten bewußt von seinem großen Vorgänger aus; ja, F.W.Bissing begann seine Behandlung der sardischen Bronzen — gerade dieser, nicht etwa klassischer Meisterwerke! — noch 1928 mit ausführlicher Zitierung aller Äußerungen Windtelmanns, wobei er bemerkte, daß man seither nicht über ihn hinausgekommen sei; und kürzlich hat Heinz Luschey bemerkt, daß auch über Persepolis die treffendsten Äußerungen von Winckelmann stammen. Daß Reinhard Herbig keine bessere Kennzeichnung des dritten pompejanisdien Stiles als die Formulierung Winckelmanns fand: „Flüchtig wie ein Gedanke und schön wie von der Hand der Gratien" sei als Beispiel für das Weiterleben sogar einzelner Wendungen genannt. Doch es ist keine Frage, daß im ganzen die Archäologie sich um den Archäologen Winckelmann nicht mehr kümmert, und daß ihre „Festgedanken", je festlicher sie sind, das Fehlen eines wirklichen Interesses nur um so deutlicher machen. Das, was in seinen Schriften reine Wissenschaft war, ist, soweit es richtige Erkenntnisse brachte, in den anonymen Komplex des Gewußten eingegangen, soweit es Irrtümer enthielt, stillschweigend der Vergessenheit überlassen worden. Um das, was darüber hinausgeht, seine Grundeinstellung zur antiken Kunst und die daraus resultierenden ästhetischen Begriffe, kümmern sich heute nur noch wenige, und was dann dabei gelegentlich geäußert wird, zeugt nicht immer von intensivem Interesse. Wenn Ludwig Curtius, den nur „historische Erziehung" daran hinderte, vom Auftreten Winckelmanns „mit Unwillen erfüllt" zu werden, und der ihn in seiner „Klassischen Kunst Griechenlands" nur zweimal ganz kurz erwähnt, sein „Verständnis und Gefühl für das Archaische" rühmt — nachdem schon A. W. Schlegel erkannt hatte, daß er sich im Gegenteil vornehmlich „Werken des gelehrten und zierlichen Stils" zugewandt hatte —, dann ist das nicht viel verständnisvoller, als wenn Ernst Buschor die in einer Abhandlung über „Begriff und Methode der Archäologie" nun einmal nicht zu umgehende Nennung des Namens in die rasch aufgegriffene Floskel „Winckelmann und seine Zeitgenossen" kleidet —, um sich mit ihm selbst
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Einleitung
gar nicht erst beschäftigen zu müssen. Man mag sich hier an den eigentlichen Sinn des Wortes „Fortsetzen" erinnern: Buschor ist sicher der größte „FortSetzer" Windtelmanns gewesen! Nicht zu reden von jener, durdi J . D. Beazley repräsentierten Richtung, die sidi bewußt von der Suche nach verlorenen Idealen abwendet und ihre ganze Kraft dem Vorhandenen um seiner selbst willen widmet, sei es noch so klein und unscheinbar. „Was er lehrte, ist abgetan; was er lebte, wird bleiben stahn: seht ihn nur an — niemandem war er Untertan!" — sollen wir heute diese Worte Nietzsches über Schopenhauer auch auf Winckelmann anwenden — vielleicht sogar mit mehr Recht auf diesen als auf jenen? In der Tat scheint seit etwa hundert Jahren nicht nur die archäologische, sondern die gesamte Beschäftigung mit Winckelmann ein solches Urteil zu rechtfertigen: neben einigen wenigen Arbeiten, die sich mit seinen Werken befassen, sind es immer wieder biographische Studien, die über ihn erscheinen, und sie gipfeln fast alle in der Feststellung: „Seine Person ist größer als seine Lehre" (Wilhelm Waetzoldt); Walther Rehms Briefausgabe, die er, im Gegensatz zur Werkausgabe, dodi für sinnvoll und wichtig hielt, wäre nichts als die weithin sichtbare Bekrönung all dieser Bemühungen. Sie sind gewiß spektakulärer als die Beschäftigung mit seinem Werk, und wer wollte bestreiten, daß Gerhart Hauptmann als Romanschreiber einen guten Griff getan hat, als er sich Winckelmann zum Helden erwählte. Dennoch, in den letzten Jahrzehnten sind einige Arbeiten zum Werk erschienen, die zu einer Revision des einseitigen Urteils zwingen. Die frühen, oft verkannten Schriften, die schon Goethe „sowohl dem Stoff als der Form nach . . . barock und wunderlich" genannt hatte und in welchen auch Carl Justi „sibyllinische Dunkelheit" fand, sind von Gottfried Baumecker als durchaus sinnvoll gefügt und durchdacht erwiesen worden, und aus der Gesamtheit seiner Schriften, von deren Lektüre noch Ludwig Curtius abraten zu müssen glaubte, hat Ingrid Kreuzer ein erstaunlich klares System ästhetischer Anschauungen herausgearbeitet, welches nicht mehr als restlos „abgetan" beiseite geschoben werden darf; auch die nicht immer leicht zugängliche Sprache Winckelmanns ist in ihrem Verhältnis zum Gegenstand in neues Licht gerückt worden, zunächst durch eine ausführliche Analyse Hanna Kodis, sodann durch Hans Zellers großartige Arbeit über die Beschreibung des Apoll. Diese Arbeit zeigt nun in ganz neuer Weise, wie Werk und Leben, Gedanke und Gefühl bei Winckelmann eine Einheit bilden, und von hier aus wird auch das Verständnis der übrigen Schriften zu suchen sein. Daß sie im Theoretischen, in der Methode und sogar bis in die Wahl der Worte
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Einleitung
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hinein von Vorgängern und Zeitgenossen abhängen, haben G. Baumecker, I. Kreuzer und H. Zeller auf das deutlichste gezeigt; aber ebenso deutlich audi, worin über Theorie, Methode und Terminologie hinaus das Eigentliche, das Neue und Schöpferische bei Winckelmann bestand. Und hier wird dann eine Trennung des Wissenschaftlichen, seiner Natur nach Vergänglichen vom Uberwissenschaftlichen, Bleibenden dem Gesamtphänomen seiner Erscheinung und seines Wirkens nicht mehr gerecht: die Essays, die berühmten Beschreibungen sind nicht einzelne Wunderblumen auf einem fruchtbaren Nutzacker, sondern Teile eines einzigen blühenden und früchtetragenden Gartens, eines einheitlichen Werkes. Wenn wir nun aber auch die Schriften Winckelmanns in einer ganz neuen Art sehen lernen, so ist dadurch die Frage nach dem Grunde der Einheit von Werk und Leben, von Lehre und Persönlichkeit nicht leichter zu beantworten. Wir sind es gewohnt, die ganz großen Geister, die auch große Persönlichkeiten waren, gerade in ihrer Größe und ihrer Wirkung genau zu klassifizieren: Plato war Philosoph, Goethe Dichter — und was sie gelebt und geäußert haben, kam aus diesem ihrem Zentrum. Wer oder wasaber war Winckelmann? Schon die Zeitgenossen und die ihn Uberlebenden haben diese Frage nicht klar zu beantworten gewußt. In der Reaktion auf die Nachricht von seinem Tode, die bezeichnenderweise auf keinen Beruf, auf keine literarische Gruppe beschränkt blieb, sondern Gelehrte, Dichter und Kritiker gleichermaßen umfaßte, spiegelt sich die Unsicherheit deutlich wider: Lessing nannte ihn einen „Schriftsteller", Brandes beklagte den Verlust, der die „schöne Litteratur" betroffen habe, Reiffenstein sprach von dem „großen Gelehrten", Herder von dem „Litterator und Alterthumskenner", und wenn die Fürstlich Hessische Gesellschaft der Altertümer eine Lobschrift auf Winckelmann als Preisaufgabe ausschrieb, in der „ausgeführt werden sollte, auf welchem Punkt er die Altertumswissenschaft aufgefunden und auf welchem er sie zurückgelassen hat", so war das im Grunde eine bewußte und gewollte Einschränkung der Wirkung Winckelmanns einem weit größeren Aktionsradius gegenüber, den man in seiner Größe unheimlich finden mußte. Als dann die ersten gefühlsbedingten Ausrufe nüchterner und durchdachter Beurteilung Platz machten, als die ersten Arbeiten über den so jäh Dahingegangenen erschienen, nahm die Unbestimmtheit des Urteils nicht etwa ab. Man lese, was Henry C. Hatfield in seinem kenntnis- und aufsdilußreichen Buche „Winckelmann and his German critics" über die Zeit bald nach 1780 schreibt, als man in dem großen Toten bald einen Heros
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der deutschen Literatur, bald den überragenden Gelehrten sah; und wenn der gewissenhafte Eiselein, Winckelmanns Werke präsentierend, mit Nadidruck erklärte: „Winckelmanns vorzüglicher Ruhm besteht keineswegs darin, ein ausgezeichneter Archäolog gewesen zu sein; ihn hierein sezen, hiesse den Mond zur Sonne machen", so polemisierte er damit ganz sidier nicht nur gegen Heynes Lobschrift. Audi in neuester Zeit ist die Unsicherheit des Urteils nicht gewichen; Ludwig Curtius etwa erklärte sich außerstande, seinen großen Vorgänger befriedigend einzuordnen: „Halb ist er gelehrtnüchtern, halb ist er religiöser Hymnendiditer", und selbst in den eingangs zitierten Äußerungen Walther Rehms fehlt sie nicht ganz. So hat ihn sich auch keine Spezialwissenschaft wirklich zu eigen machen können. All die zahlreichen und unaufhörlichen Lobpreisungen von Winckelmanns Stil, die mit Herder, Schelling und Nicolai beginnen und in neueren Zeiten in dem Urteil gipfeln, daß die „Geschichte der Kunst des Alterthums" für die deutsche Prosa kaum mindere Bedeutung habe, wie Klopstocks „Messias" für die deutsche Poesie (Wilhelm Waetzoldt), und daß die Veröffentlichung der Apollo-Beschreibung das „Geburtsdatum der modernen deutschen Dichtung" darstelle (Horst Rüdiger), haben ihm dodi nicht den Ruf eines reinen Schriftstellers oder gar Dichters eingetragen; selbst dem Gipfel seiner Prosa, der Beschreibung des Apoll, gehört nach neuestem Urteil zwar ein Kapitel in der „Geschichte der deutschen Sprache und des Stils" und natürlich auch eines in der „Kunstgeschiditssdireibung und der Beschreibung von Kunstwerken" (Hans Zeller), nicht aber in der Literaturgeschichte, und wenn auch Herder das „Pindarische" an ihm rühmte und sogar Goethe ihm bescheinigte, daß er ein „tüchtiger unverkennbarer Poet" sei, so wird man ihn in der Geschidite der Dichtkunst vergeblich suchen — die er doch angeblich eingeleitet hat. Andererseits haben aber auch die Archäologen, selbst diejenigen, die sich „nolens volens" mit der Geschidite ihrer Disziplin befaßten, sich mit Wort und Tat für inkompetent erklärt, das letzte Wort über ihn zu sagen. Wenn wir nun auch legitimerweise bei der Klassifizierung eines bedeutenden Menschen das Urteil der Nachwelt und nicht diesen selbst befragen, so mag angesichts der Unsicherheit dieser Nachwelt hier eine Ausnahme gestattet sein. Als was hat Windtelmann sich selbst gesehen? Eine nach heutigen Begriffen bündige Antwort können wir nicht erwarten. Immerhin lassen sich bemerkenswerte Abgrenzungen vornehmen. Vor allem steht fest, daß er nicht als bloßer Gelehrter betrachtet werden wollte. Nicht nur, daß er Sendschreiben und anderes verfaßte, was er ausdrücklich für Nicht-Gelehrte bestimmte, daß er bei seinen Veröffent-
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lichungen schon aus materiellen Gründen vor allem auf das Interesse der „Liebhaber" spekulierte, so hat er sich auch anläßlich seines gewiß nicht populären „Versuchs über die Allegorie" dem Verleger Walther gegenüber ganz klar in diesem Sinne geäußert: „Ich schreibe von Dingen, die zur Erleuchtung unserer Nation und zum guten Geschmack beytragen, und nicht Sachen, die bloß Gelehrsamkeit betreffen . . . " ; und in der Vorrede zu den nun wirklich ganz gelehrten Anmerkungen über die „Geschichte der Kunst des Alterthums" steht dann sogar: „Die Gelehrsamkeit soll in Abhandlungen über die Kunst der geringste Theil sein, wie denn dieselbe, wo sie nichts wesentliches lehret, vor nichts zu achten ist." Wie zahlreich sind auch seine abfälligen Äußerungen über das bloße Gelehrtentum, über die „akademischen Kathedral-Possenreißer" und ihre „Pedanterie", das reine Bücherwissen ohne Kontakt mit den Gegenständen. Viel davon ist allerdings nur Kritik an der falschen und schlechten Gelehrsamkeit, nicht an dieser selbst. Daß er so ganz auf den Ruf und Ruhm eines Gelehrten nicht verzichten wollte, zeigen schon seine Bemühungen, Mitglied wissenschaftlicher Akademien zu werden, und seine Freude, wenn diese Bemühungen Erfolg hatten. Auch ist bei ihm wohl eine gewisse Entwicklung wahrzunehmen, wie sie Walther Rehm in dem oben zitierten Satz aus der Einleitung zur Briefausgabe gekennzeichnet hat — wobei wir freilich im äußeren Ablauf des Lebenswerkes gerade den umgekehrten Gang vom Schriftsteller zum Gelehrten, von den „Gedanken" zu den „Monumenti" bemerken. Wenn Winckelmann nun auch ablehnte, als bloßer Gelehrter eingestuft zu werden, so hat er sich doch audi keineswegs als reiner „Literator" gefühlt. Wohl hat er oft darauf hingewiesen, daß seine Werke „Originalschriften" seien, daß alles, was er schreibe, sein „eigener Stoff" sei, ja, er konnte Gessner kollegial zurufen: „Ich weiß, was Schreiben vor ein schweres Werk ist" und erklären, daß es die „höchste Belohnung" für ihn sein werde, wenn er „der Nachwelt würdig geschrieben zu haben erkannt werde"; aber damit hat er seine Werke nicht etwa in die Sphäre reiner Literatur rücken wollen: „Derjenige, welcher in das Wesen des Wissens zu dringen suchet, hat sich nicht weniger vor der Begierde ein Litterator zu werden, als vor dem, was man insgemein unter dem Worte Antiquarius verstehet, zu hüten." Beides wollte er nicht sein, und im ausschließlichen Sinne ist er auch keines von beiden gewesen. Die Gründe dafür lassen sich deutlich aufzeigen, und durch die negative Abgrenzung ergibt sich auch die Möglichkeit zur positiven Bestimmung.
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Der eine, der Dichter wie auch der Philosoph, sieht das Einzelne als Teil des Allgemeinen an, und nur als solcher hat es für ihn Bedeutung: von seiner allgemeinen Höhe schaut er auf den Gegenstand herab und bemerkt ihn nur, wenn er in seiner Blickrichtung liegt. Der andere, der Antiquarius oder der bloße Gelehrte, sieht nur das Einzelne, und das Allgemeine hat für ihn Bedeutung nur, sofern es mit dem Einzelnen zusammenhängt: er bildet von seinem Gegenstand nur dann empor, wenn dieser zufällig von einem Lichtstrahl aus der Höhe getroffen wird. Er zitiert die Dichter allenfalls, dichtet aber niemals selbst. Ganz anders Winckelmann. Das Wissen ist auch ihm wichtig, aber nur, wenn er „in sein Wesen dringen" kann. So geht er, wie der Antiquarius, audi vom einzelnen Gegenstand aus und lehnt die philosophische Methode, welche „vom Allgemeinen auf das Besondere und Einzelne . . . gehet", ausdrücklich ab. Aber er bleibt nicht bei dem einzelnen Gegenstand in seiner Beschränkung stehen, sondern sieht ihn als Repräsentant des Allgemeinen, wonach er dann beides, Gegenstand und Allgemeines, erst recht begreifen und würdigen kann. Wenn man will, ist es ein paradoxer Vorgang: im Apoll sieht er die Göttlichkeit — und von der Göttlichkeit her begreift er ihn. Er fällt sein Urteil nicht als Philosoph, sondern durch sein Urteil wird er Philosoph; er besingt seinen Gegenstand nicht als Dichter, sondern durch das Besingen wird er zum Dichter. Er leiht nicht seine Sprache, seinen Stil dem Gegenstand, sondern sucht umgekehrt, um dessen „Schönheit zu beweisen", seine „Schreibart aufs höchste zu treiben". Diese seine ganz neue und besondere Art mußte freilich alle die in Verwirrung bringen, welche Dichtung und wissenschaftliche Abhandlung, breite Wirkung und Gelehrtenlorbeer streng zu trennen gewohnt waren. Daß hier einer aufstand, dem die strenge und nüchterne Kenntnis des Gegenstandes nur Vorbedingung war zu seiner Schau im Allgemeinen, daß er dazu weder auf wissenschaftliche Akribie nodi auf dichterische Wirksamkeit verzichten wollte, beides aber nur in gegenseitiger Relation gelten ließ, war etwas gänzlich Neues, ebenso die sich daraus ergebende pädagogische Folgerung: „Die Absicht aller Gelehrten Untersuchungen und Bemühungen sollte seyn der allgemeine und besondere Unterricht, und wo dieser nicht zu erhalten ist, ziehe die H a n d ab vom Werke und opfere es der Latona; denn es ist der Nachwelt nicht würdig" — ein so kräftiges Ceterum Censeo zum Thema „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben", an dem Nietzsche seine Freude gehabt hätte, mußte den Zeitgenossen fremd und unerhört vorkommen. Es konnte da nicht an Mißverständnissen fehlen. Sah man, wie Barthe-
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lemy, Frau von Stael, Brandes und viele andere in Winckelmanns Werken nur eine gefällige Verbindung von gründlicher Gelehrsamkeit mit Geist und Geschmack, die seine Schriften „agr^ables et utiles" madite, so stempelte man den Sdireiber zum geschickten Popularisator, der als erster die „Ausbeutung einer bisher esoterischen Wissenschaft in literarisch-künstlerischer Richtung" betrieb (Carl Justi) und eine trockene Materie fesselnd darzustellen verstand. Hielt man dagegen seine dichterische Behandlung für bloße Manier, für „Pindarisieren" (Wieland), so erschien sie lediglich als persönliche Schwäche. Aus bloßer literarischer Geschicklichkeit, sei sie auch noch sosehr von wirklichem Geschmack gelenkt, hätte jedoch nie die große Wirkung der Schriften Winckelmanns hervorgehen können. Sie bieten nicht Unterhaltung, sie bieten Belehrung. Daß aber aus gelehrten Untersuchungen „allgemeiner und besonderer Unterricht" erwachsen kann, liegt nun wohl nicht nur an dem Untersuchenden, sondern auch an seinem Gegenstand. Und man könnte die Wirkung Winckelmanns schon aus der Wahl seines Gegenstandes erklären: wenn irgend etwas, dann sind griechische Kunstwerke dazu geeignet, sowohl die forschende Neugier als auch die allgemeinsten und erhabensten Gedanken zu erwecken. Warum aber blieben so viele beim Forschen stehen, ohne zu bemerken, daß ohne erhabene, erhebende Gedanken auch dieses Forschen ziellose Ameisenarbeit bleiben mußte? Beides mußte sich in seltener Konstellation treffen: Gegenstand und Betrachter, Objekt und Persönlichkeit. Daraus erst konnte das Bleibende, Weiterwirkende entstehen, das Werk, das beide überlebt. Was Waither Rehm bereits in „Griechentum und Goethezeit" ausgeführt hat, ist nach Erscheinen der Briefe noch klarer zutage getreten: die schöpferische Fruchtbarkeit der Begegnung Winckelmanns mit der griechischen Kunst. Die Persönlichkeit Winckelmanns als Vorbedingung seiner Leistung — nicht in dem Sinne, in welchem die Tiefenpsychologie, der es an wirklicher Tiefe eben oft mangelt, das Zustandekommen seines Werkes begreifen würde: als ein Produkt der Verdrängung und Sublimierung sinnlicher Neigungen. Ohne Frage war sie da, und sein Wort über den Faunskopf, den er selbst besaß, ist vielleicht das Bezeichnendste, was sich zu diesem Verhältnis anführen läßt: „Er ist mein Ganymedes, den ich ohne Ärgernis nel cospetti di tutti i Santi küssen k a n n . . . " : man könnte ohne weiteres seine gesamte kunstbetrachtende und kunstauslegende Tätigkeit als solch ein „Küssen, ohne Ärgernis zu erregen" auffassen. Wäre aber nur das Negative, die Ver-
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drängung der entscheidende Punkt, so wäre das Werk Winckelmanns nicht zustande gekommen. Was da vorging, ist nicht Verdrängung, sondern Gestaltung, und das Ergebnis ist nidit Ersatz, sondern das Eigentliche, das Gültige. Gültiges entsteht aber nur dann, wenn etwas geopfert wird, was auch in anderer Form hätte Erfüllung finden können, nidit, wenn das Opfer aus Unvermögen geschieht; resignierender Verzidit ist kein Äquivalent der Erfüllung, sondern nur der schöpferische. Winckelmann vorwerfen, daß er sein Liebes- und Freundschaftsbedürfnis nicht zu erfüllen verstanden hätte, daß es in sich selbst unerfüllbar gewesen sei und ein tiefes Gesetz darin walte, daß seine Freunde immer, wenn er sie brauchte, nicht dagewesen seien (Ε. M. Butler), ist genauso verständnislos, als Goethe vorzuhalten, er habe ja immer nur aussichtslos geliebt. Was bei Winckelmann am Werke war, bestand weder im Austauschen sinnlicher mit künstlerischer Bewunderung noch im Hineinprojizieren der künstlerischen in die sinnliche: beide kamen ihm aus dem gleichen Quellpunkt. Das, was den Kritikern und Theoretikern soviel Kopfzerbrechen verursacht, das unaufhörliche Schwanken zwischen der sinnlich engagierten Bewunderung des Naturschönen auch im Kunstwerk und der interesselosen Bewunderung der Kunstschönheit auch im Individuum einerseits, und dem Negieren eines solchen Zusammenhanges beider Arten der Schönheit andererseits, gerade das ist das Fruchtbare seiner Betrachtungsweise, hier liegt der Ursprung dessen, was er als Werk hinterlassen hat; was voreilige Kritiker ihm vorwarfen, daß er die Alten pries, weil sie das wahre Schöne gekannt hätten, und wahres Schöne das nannte, was die Alten gebildet haben, ist nur scheinbar ein circulus vitiosus: es trifft genau das paradoxe Geheimnis künstlerischer Wirkung. Wenn er einmal sagt, es sei „schwer, ja, fast unmöglich, ein Gewächs zu finden, wie der vaticanische Apollo ist", und dann wieder, daß man auch in unseren Tagen lebendige Nioben und vatikanische Apolle sehe: „Anche a' dl nostri si veggon vive delle Niobi e degli Apollini Vaticani", wenn er einmal in den griechischen Kunstwerken „nicht allein die schönste Natur, sondern noch mehr als Natur, das ist, gewisse idealische Schönheiten" bewundert und folglich in den „Gedanken" das „Idealische", welches nur im Verstände entworfen sei, als höchsten Schönheitsbegriff aufstellt, dann aber in der „Geschichte der Kunst" diesen „metaphysischen Begriff" ablehnt und schließlich selber nur noch „von der Schönheit schreiben will nach einer lebendigen Schönheit", wenn er einmal der Mediceischen Venus die letzte Schönheit abstreitet, weil sie nach einer „bestimmten Person" gearbeitet sei, also der Forderung nach „Unbezeidmung" nicht genüge, und dann doch erklärt, daß „gewisse Köpfe von Gottheiten, die
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empfangen zu sein scheinen in einem von der Beobachtung der Natur abgezogenen Geist und wie zur Beschämung der Natur selbst, vielleicht nichts sind als Bildnisse von Personen, die vor alten Zeiten gelebt haben" — dann liegt diesem äußeren Widerspruch der glücklich gefühlte innere des Kunstwerkes selbst zugrunde: daß es Natur und zugleich Gegennatur ist. Begeisterung nur für die Schönheit der Form, nur für die Kunst ist ebensowenig ein Ausgangspunkt zu ihrem Verständnis wie die Begeisterung nur für die Schönheit der Natur, welche die Kunst wiederzugeben habe: etwas Höheres, über der Kunst und der Natur Liegendes muß den zündenden Strahl aussenden, wenn es dann auch nur durch die Kunst oder die Natur geschaut werden kann — nicht als Kunst- und nicht als Naturschönheit, sondern als Schönheit schlechthin. Mit einer solchen Einstellung hat Winckelmann sich die Erlaubnis verschafft, zu schwärmen, ohne Ärgernis zu erregen; er hat mit ihr aber auch die Tür aufgestoßen zum Verständnis des Kunstwerkes über alle Schwärmerei hinaus: „Man geht also gewisser und mit beständigeren Ideen in marmornen Schönheiten" — und auf beständige Ideen kam es ebenso an wie auf die Schönheit. Die gleiche Rolle, wie die sinnliche Bewunderung der Naturschönheit als solche, spielt bei Winckelmann auch ihre bestimmte Richtung und Färbung, die Bevorzugung des Männlichen. Wäre sie nicht vorhanden gewesen, so wäre er nie zu seiner besonderen Art der Kunstbetrachtung mit allem, was sie für die Nachwelt bedeutet, gekommen; doch das Ergebnis, das gültige, weiterwirkende Werk, ist frei von ihr. Es ist daher ebenso falsch, sie für überflüssig zu halten, wie es falsch ist, ihr den Charakter einer Lehre beizumessen. Man versteht Winckelmanns Werk wohl sehr wenig, wenn man sich nur an die Ergebnisse hält und ihren besonderen Ursprung mit süßsaurem Lächeln entweder verharmlost oder, wie Carl Justi, mit geradezu mitleiderregenden Kapriolen darum herumredet als von einer unnötigen, unverständlichen und eigentlich höchst bedauerlichen Zugabe. Welch völligen Mangel an Einsicht in die Besonderheit des Schöpfertums seines Helden zeigt es, wenn er diesen in heiliger Einfalt zurechtweist, weil er seine Schrift vom Schönen dem jungen Freiherrn von Berg gewidmet habe: „Besser am Platze wäre jene Widmung gewesen bei einem jungen Edelmann, der ein Jahr nach von Berg in Rom eintraf: Dalberg" — der schließlich auch ein schöner Mann gewesen sei! —, und wenn er den Beschreibungen die starke Bevorzugung des Männlichen vorwirft: „Viel erfreulicher wäre es gewesen und sogar Pflicht, wenn er uns etwas zu hören gegeben hätte über die herrliche Replik der knidischen Aphrodite . . a l s wenn irgend jemand außer Winckelmann selbst seine „Pflicht" gekannt hätte, und als wenn die Schrift
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über das Schöne nicht einzig und allein durch und für den Freiherrn von Berg hätte entstehen können. Was hätte der die Pfliditen Winckelmanns so gut kennende Kritiker wohl dazu gesagt, wenn dieser sein Vorhaben ausgeführt hätte, dem sechzehnjährigen Florentiner Nicolo Castellani eine Abhandlung zu widmen? Bei der nicht nur von Winckelmann in höchsten Tönen gerühmten Schönheit des jungen Mannes muß die gesamte Kunstwissenschaft bedauern, daß diese Abhandlung nicht zustande gekommen ist, zumal wir — nicht erst seit Marcel Proust — wissen, wozu gerade diejenigen anregen können, die für das Ergebnis ihrer Anregung keinerlei Verständnis haben — und auch nicht haben dürfen, sofern sie anregen sollen. Nicht viel besser als solche Kritiker verstehen aber auch diejenigen das Werk Winckelmanns, die sich nur an seinen besonderen Ursprung halten und entweder aus ihm, wie Berthold Vallentin, ein in sich selbst wertvolles, idealisiertes System abstrahieren, oder ihn, wie es neuerdings wohl hie und da geschieht, einfach „beim Namen nennen". Nicht trotz seiner Neigung, aber auch nicht wegen ihr hat Winckelmann sein Werk geschaffen, sondern, in doppelter Bedeutung, durch sie. Kenntnis und Weiterführung dieses Werkes haben mit ihr nichts zu tun; seine großen Fortsetzer haben sie kaum geteilt, ja, manch einer hat sie gar aus der Wissenschaft herauskomplimentieren wollen: was hätte Winckelmann wohl dazu gesagt, wenn ihm Ernst Buschors Verdeutschung des griechischen „o παις καλός" mit „Prachtkerl" zu Ohren gekommen wäre! Aber doch ist es so: nachdem Winckelmann seine παίδες καλοί im Marmor und im Fleisch angeschwärmt und, die marmornen jedenfalls, dadurch paradoxerweise zum Rang von wissenschaftlichen Objekten erhoben hat, können sie nunmehr, als solche, durchaus als „Prachtkerle" auftreten; es tut ihrem Rang keinen Abbruch. Er selbst hat, wenn er die Fähigkeit zur Würdigung männlicher Schönheit wohl auch als Bedingung für die wahre Kenntnis der griechischen Kunst ansah, den Begriff der „höchsten Schönheit" ausdrücklich über den Unterschied der Geschlechter erhoben, nicht nur da, wo er ihn im Kunstwerk selbst verwischt sehen wollte, sondern auch da, wo er neben dem Apoll und dem Faun auch die Niobe rühmte und einem Athenakopf gegenüber in fassungsloses Entzücken geriet. Daß aber hier nicht etwa schon jene abstrakte Stufe erreicht war, die ihn dann auch von der Schönheit der Baukunst sprechen ließ, sondern Natur und Sinne nicht ausgeschlossen blieben, zeigen seine höchst bezeichnenden Worte in einem Brief vom August 1766: „Die Ähnlichkeit der Viscioletta [einer bekannten römischen Kokotte] mit der Venus kann vielleicht statt Enden; denn wenn die Schönheit auf einem sehr hohen Grad ist, da das
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höchste nur Eins seyn kann, kann und muß eine Ähnlichkeit unter zwei solchen Bildern seyn" — Naturschönheit und Kunstschönheit also zwei gleichwertige „Bilder" derselben Schönheit! Aus der Betrachtung einer solchen Schönheit ist dann alles sinnliche Begehren verbannt; Winckelmann war trotz seines Ganymedes-Faun alles andere als ein Pygmalion, und darin unterscheidet er sich mehr von manchem seiner Zeitgenossen, als es den Anschein hat. Kaum einen größeren Gegensatz zu seiner Art Kunst zu sehen und zu würdigen gibt es als etwa diejenige Lichtenbergs, der die „Erfindungen" in der Dichtkunst auf den „ Erzeugungstrieb" zurückführte und bedauerte, daß die „feurigen Mädgen nicht von den schönen Jünglingen schreiben dürfen wie sie wohl könnten", weshalb die männliche Schönheit noch nicht „von den Händen gezeichnet worden, die sie allein zeichnen könnten", und der auch von der bildenden Kunst erklärt: „Alles wird uns schön was einige Relation auf sinnliche Liebe hat . . . Wir haben die armen Knaben nicht mehr lieb wie die Griechen, wenn unsere neuere Zeiten ein sdiönes Stück in der Bildhauerkunst liefern, so muß es ein Mädgen sein" — wobei der Gegensatz zu Winckelmann gewiß nicht nur in der Wahl der Objekte liegt. Aber hat nidit sogar Goethe „den Marmor erst redit verstanden", wenn er mit „fühlendem Auge sah" und mit „sehender Hand fühlte"? Dabei hätte er nur Schiller zu befragen brauchen, der wohl zugab, daß uns eine lebende weibliche Schönheit „noch ein wenig besser als eine ebenso schöne bloß gemalte" gefalle, der aber dabei genau wußte, daß sie dann „nicht mehr . . . dem reinen ästhetischen Gefühl" gefalle. „Alsdann ist es nicht die Schönheit, die uns einnimmt, sondern die Wollust" hatte zu diesem Thema Winckelmann schon lange vorher erklärt, er, dem die höchste Schönheit in Gott lag — ohne daß er ihre wollüstige Wurzel verkannt oder verleugnet hätte. Aber er wußte zwischen Wurzel und Frucht zu unterscheiden. Auch hier ist es wiederum die besondere Art des Gegenstandes, die es ermöglichte, daß aus der ebenso besonderen Art ihres Betrachters eine gültige Methode ihrer Interpretation und Erforschung hervorwachsen konnte. Von den Kuroi bis zum praxitelischen Hermes ist die griechische Kunst ohne den Nährboden sinnlichster Erotik nicht denkbar; gerade aber, weil diese Sinnlichkeit in der Kunst aufging, ist ihre besondere Richtung und Färbung gleichgültig geworden, sind ihre Werke von göttlicher Reinheit und Unschuld. „Die griechischen Künstler reinigten ihre Bilder von allen persönlichen Neigungen, welche unseren Geist von der wahren Schönheit ablenken" — das ist mehr als ein persönliches Bekenntnis. Und mehr als ein solches ist es auch, wenn er vor die Anleitung, das Schöne in der Kunst
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zu empfinden, das Motto setzen wollte: „Muse! sage du mir, wo er mir im Herzen liegt!" Nicht seine eigene Sinnlichkeit, sondern die Muse befragte er; und so hat er auch, trotz aller Begeisterung für die Sdlönhext des Körpers als solchen, im Apoll den Gott, im Torso den Helden, im Genius den Engel, und sogar im Antinous nicht den Geliebten, sondern den vergötterten Geliebten gesehen. Allein auf diese Weise wurde er aber audi solchen Werken, als Werken der antiken Kunst, gerecht. Daß er sein Auge nicht dem stark und ruhig leuchtenden Morgenstrahl dieser Kunst öffnete, sondern daß er sich dem flimmernden Mittagslicht, der zwielichtigen Abenddämmerung oder gar dem kühlen, gebrochenen Mondlicht zuwandte, können nur Unverständige ihm vorwerfen: eine Erscheinung läßt sich immer nur von ihrem Ende, ihrer Erfüllung her begreifen. Winckelmann mußte noch einseitig sein; daß wir es heute nicht mehr zu sein brauchen, danken wir ihm! Genausowenig, wie Winckelmann den Schritt von der reinen Naturschönheit zur reinen Kunstschönheit mit Entschiedenheit tun mochte, so wenig wollte er auch den Effekt von der ursprünglidi-naiven Wirkung trennen; und war nicht diese Verwechslung auch in späteren Zeiten immer wieder fruchtbar, niemals nur reiner und platter Irrtum? Führt sie nicht mehr als alles andere zur Frage nach dem Wesen der Kunst überhaupt? Aber auch, wenn wir ganz positivistisch die Entwicklung unseres Geschmacks und den der Wissenschaft im Auge haben: wo wäre die kunsthistorische Archäologie, wenn nicht die Gleichgültigkeit gegenüber Original und Kopie an ihrem Anfang gestanden hätte? Winckelmann hat hier die ersten Schritte auf einem Wege getan, der umgekehrt nicht zu beschreiten gewesen wäre, und der nur in der von ihm eingeschlagenen Richtung weiter verfolgt werden konnte: Rilkes Sonett auf den archaischen Torso Apollos ist ohne Winckelmanns Hymnus auf den belvederischen Apoll nicht denkbar; aber es wäre töricht zu verlangen, schon er hätte den archaischen statt den belvederischen besingen sollen. Wohl hindert uns manches, diese Verbindung zu sehen. Da ist schon der zentrale Begriff der Winckelmannschen Begeisterung, der der Schönheit, der uns mit der heutigen Beurteilung griechischer Kunst schlechthin unvereinbar erscheint, und manch einer mag versucht sein, diesen „Begriff aus Alabaster, diesen zugleich süßen und schulmeisterlichen Begriff" (Thomas Mann anläßlich Platens) als gänzlich überholt und zum Kunstverständnis nicht mehr geeignet nur noch als historisch gelten zu lassen. In der Tat scheint seine Rolle ausgespielt; nachdem er noch in Herders „Plastik" eine wichtige Stelle eingenommen hat und in der Archäologie bis in unser Jahrhundert hinein immer wieder auftaucht — man denke an Heinrich Bulles
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„Schönen Menschen im Altertum", in welchem noch ganz winckelmannisch von der griechischen Idealsdiönheit gesprochen wird —, so ist er heute fast gänzlich aus dem Sdirifttum verschwunden. Kann man ihn sich etwa in Buschors „Frühgriechischen Jünglingen" vorstellen — bei einem Archäologen, der nicht einmal „καλός" mehr wörtlich übersetzen mochte? Dodi das, was diesen Begriff so fruchtbar gemadit hat, ist nicht seine spezielle, sondern seine generelle Aussage: daß er etwas meint, was sowohl über der Natur als auch über der Kunst steht; weshalb man beides nicht um ihrer selbst willen betrachten und studieren soll, sondern weil es an diesem höheren absoluten Begriff Anteil hat, in dem Hölderlinsdien Sinne, daß die Kunst und die Religion der Griechen „die echten Kinder ewiger Schönheit sind"; ein soldier Begriff muß allerdings all denen, die „sich durch bloße Gelehrsamkeit in den Alterthümern bekannt gemadit haben", mitsamt diesen ewig verschlossen bleiben. Die Entdeckung, daß es eines Anstoßes zur Kunstbetrachtung bedarf, der von außen kommen muß, nicht aus dem Bereich der Kunst selbst, aber auch nicht aus dem der Natur, das ist das Fruchtbare an der Aufstellung und Verabsolutierung jenes Begriffes, den wir heute, sofern wir können, getrost durch einen anderen ersetzen mögen, und sofern uns das nidit gelingt, ihn in seiner alten tiefen Bedeutung wiedergewinnen sollten. Sein unabdingbares Kriterium ist die persönliche Begeisterung, und daß Windtelmann diese als die Vorbedingung zu jeder Beschäftigung mit der antiken Kunst erklärte, daß er die Athaumasie oder Nicht-Verwunderung, die Gleichgültigkeit geradezu für schädlich hielt, damit wies er den einzig richtigen Weg zu ihrer Kenntnis und ihrer Erforschung. Als er erkannte, daß das, was an der Kunst wirklich „Kunst" ist, also das Zeitlose und Unvergängliche, in das Zentrum der Betrachtung gerückt werden müßte, schuf er damit die Vorbedingung, auch das andere, das Vergängliche, Historische zu erforschen und zu klären. Daß er also auch die große Lücke, die durch die Zerstörungen der Jahrtausende in unserem Wissen von der antiken Kunst klafft, nicht nur in emsigster Kleinarbeit mit soliden Bausteinen auszufüllen trachtete, sondern audi da, wo die Lücke nicht mehr zu schließen ist, mit dem Mut zum subjektiven Urteil die kühne Brücke über den dunklen Abgrund schlug, ließ ihn die dem trümmerhaften, jedoch nicht regellosen Gegenstand gegenüber einzig mögliche Methode wählen. Ist aber das Meßbare und Benennbare genauso wichtig wie das nur zu Ahnende, zu Behauptende, so muß dieses dem anderen vorausgehen. Winckelmann ist in seinem ganzen Lebenswerk folgerichtig diesen Weg gegangen, und es zeugt von großem Unverständnis, wenn Carl Justi als möglichen Einwand die
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Meinung anführt, er hätte dort anfangen sollen, wo er geendigt hat: mit dem Sammeln und Erklären einzelner Monumente, statt mit allgemeinen Gedanken. Gerade der umgekehrte Weg war seine schon von den Zeitgenossen halb bestaunte, halb kritisierte, immer aber fruchtbare und einzig weiterführende Methode: „Mehr als einmal setzte Winckelmann erst seine Einbildungskraft in Arbeit, um den Stil eines Zeitalters oder Künstlers zu erfinden und wahrscheinlich zu machen; dann leitete er daraus Urtheile für die ganze Zeitgeschichte ab, und setzte sie als Grundsätze nieder, aus denen er eine Menge anderer Dinge wiederum ableitete" (Heyne). Ihm diese Methode vorwerfen, ist das gleiche, wie wenn man ihm, wie Lichtenberg, vorwerfen wollte, er hätte sich nicht dem Apoll zu Füßen werfen, sondern „seine Göttlichkeit untersuchen" und da, wo er anbetete, urteilen sollen — ihm, der dem alten Baron Philipp von Stosdi entgegnen konnte: „J'entends crier l'Apollon contre Vous, Monsieur, de Lui avoir fait tort." Hier wie dort ist das Entscheidende, daß er trotz aller Subjektivität doch dem Objekt entsprechend, also eben gerade objektiv verfuhr. Er setzte nicht, wie Merck an ihm tadelte, dort Tiraden ein, wo ihm die Fakten fehlten, sondern er ging in jedem Falle, bei den Fakten und den Lücken, von einer einzigen Grundeinstellung zu den behandelten Gegenständen aus: sie als Kunstwerke ansehen heißt schon, subjektiv zu ihnen stehen; was aus dem Leben entstanden ist, kann audi nur vom Leben her begriffen und verstanden werden. Windtelmann war sich dieser seiner „objektiven Subjektivität" durchaus bewußt. Wenn er, wie er in der „Geschichte der Kunst" mitteilt, sidi „im Traum" nach Elis versetzt, um Wunderwerke der Kunst „zu tausenden" zu sehen, dann erklärt er plötzlich: „Diese eingebildete Versetzung nach Elis will gleichwohl nicht als ein bloßes dichterisches Bild angesehen seyn; es wird hingegen diese Erscheinung gleichsam zur Wirklichkeit gebracht, wenn ich mir alte Nachrichten von Statuen und Bildern, und zugleich alles, was von diesen übrig seyn kann, nebst der unendlichen Menge erhaltener Werke der Kunst auf einmal gegenwärtig vorstelle": Traum und Wirklichkeit, visionäres Schauen und nüchternes Forschen sind eins, denn hier, angesichts der griechischen Kunst, richtet reine Gelehrsamkeit ebensowenig aus wie bloßes Imaginieren. Wie unrecht hatte Mengs, als er das Visionäre bei seinem Freunde nur als einen „defetto scusabile" ansah! „Es ist ein Traum, der nicht einen Schleier über die Kunstdinge breitet, sondern diesen forthebt" (Walther Rehm). Dabei konnte dann die sinnvolle Folge chronologisch auch wohl vertauscht, das Strenge an den Anfang, das zu Ahnende an das Ende gesetzt
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werden; man lese den Brief Heinrich Füsslis, den Walther Rehm im vierten Band der Briefausgabe mitteilt, in welchem berichtet wird, wie Windtelmann mit Erklärungen von „philosophischer Deutlichkeit" beginne und „begeistert wie sein Schutzgott, der vaticanische Apollo" endige. In den deutlichen Erklärungen war die Begeisterung schon enthalten, und diese setzte wiederum die philosophische Deutlichkeit voraus. Ist es nur die parteiische Meinung des Schreibers dieser Zeilen, wenn er in alldem genau das wiederfindet, was bis heute die Eigenart der Archäologie ausmacht, ihrer Forschung, ihrer Art, sich dem Gegenstand zu nähern und sich über ihn zu äußern? Winckelmann als Inaugurator der Archäologie — nicht in einem rein historischen, die Dinge allzu vereinfachenden Sinne, sondern als Beginner dessen, was auch heute noch andauert, mit allem Großen und Fruchtbaren, mit allen Fehlern und Schwächen: weil seine Weise, die antike Kunst zu sehen und zu erforschen, die dem Gegenstand angemessene war und darum, bei allem Wandel im einzelnen, in ihren Grundzügen bis zum heutigen Tag andauern mußte. Da ist schon der Beginn, die große Subjektivität, der persönliche Geschmack. Beides hat seit Winckelmann die Archäologie nicht verlassen, und ob man nun die klassischen Kunstwerke in edler Einfalt und stiller Größe sieht oder sie in einer Hohen Schicksalswelt beheimatet, ist neben dem gerade herrschenden Zeitgeist von der Persönlichkeit des Betrachters abhängig. Diese persönliche Schau muß sich notwendig in einer persönlichen Sprache äußern, und auch darin hat Winckelmann der Archäologie das Signal gegeben: wenn auch heute kaum noch pindarisiert wird, sondern eher rilkisiert oder georgisiert, so ist der Ausgangspunkt der gleiche: nur ein literarisches Kunstwerk kann einem Werk der bildenden Kunst gerecht werden. Der Archäologe muß hier, wie Goethe gesagt hat, „Poet sein, er mag daran denken, er mag wollen oder nicht". Ob jemand neue antiquarische Erkenntnisse in guter oder schlechter Sprache vorträgt, tut der Bedeutung dieser Erkenntnisse keinen Abbruch; soll aber von der Kunst geredet werden, so muß die Sprache zur Prosa werden, bei der das „Was" und das „Wie" nicht mehr zu trennen sind. Es tut dabei nichts zur Sache, daß die Archäologie der hohen Anforderung, zugleich Wissenschaft und Interpretation zu sein, nicht immer nachkommen kann, daß einige diese Sachlage ausnutzen und durch geschickte Täuschungsmanöver bei den trockenen Antiquaren als geistvoll, bei den geistreichen Laien als gelehrt gelten — wo sie doch weder das eine nodi
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das andere sind, oder daß andere sich gar zu provokatorisch nur in einem dieser beiden Bereiche bewegen, als sei e r der einzig legitime; es genügt, daß die doppelte Forderung besteht. Es tut deshalb genausowenig zur Sache, daß die Forderung nach literarisch-poetischem Ausdruck von vielen falsch verstanden oder am Unrechten O r t erfüllt wird, und daß viele, gar zu viele, dieser Forderung nur den guten Willen entgegenzusetzen haben — weshalb die Stilblüten und sprachlichen Entgleisungen in der archäologischen Literatur von jeher ein üppiges Dasein geführt haben. „Wer künftig von dergleichen schreiben will, muß einen höheren Flug nehmen", hat Winckelmann seinen Nachfolgern zugerufen; er selbst besaß die starken Flügel dazu, doch vielen der späteren Icarusse schmolz das Wachs an der unerbittlich strahlenden Sonne, und statt des Hochiluges stand der elende Sturz am Ende. Die irdische Schwerkraft setzt freilich jedem Flug seine Grenze, und auch Winckelmann hat sie zu spüren bekommen; was schon seine Zeitgenossen beklagten, daß der Zwang, sich mit tausend gelehrten Fragen abgeben zu müssen, den Schwung seiner Feder gehemmt habe, dasselbe läßt audi heute immer wieder jene seltsamen Zwittergebilde aus hymnischer und untersuchender Sprache entstehen, die im Grunde keinen Leser mehr ansprechen. Die beiden Federn, die Winckelmann zu führen verstand, liegen wohl auch heute noch auf dem Schreibtisch eines jeden Archäologen — wer aber wüßte immer im richtigen Augenblick die passende zu wählen? Hierin ist Winckelmann wie die Archäologie überhaupt an die Grenze ihrer allgemeinen Bedeutung gelangt, die letzten Endes im Gegenstand selbst begründet ist. Wer von einem einzigen Objekt herkommt, um zur Allgemeinheit vorzudringen, kann diese bei allem Talent nur so weit erreichen, wie der Gegenstand es zuläßt. Die griechische Kunst ist groß und weit, aber sie ist nicht allumfassend. So begleitet gerade hier seit Winckelmann eine heimliche Enttäuschung den Archäologen: als Fachgelehrter überschätzt er notwendig die mensdilidie Bedeutung seines Gegenstandes — und muß bemerken, wie die Umwelt dort stehenbleibt, wo er noch weitereilen will. Deshalb haben die wirklich Großen, die Dichter und Seher, ihren Gegenstand, sofern sie dessen Grenzen fühlten, mit kühner Gebärde verlassen, um in das höhere Reich einzudringen; selbst ein so leidenschaftlich dem Griechentum verbundener Geist wie Hölderlin hat die steilen Gipfel seines Dichtertums nur dann erreicht, wenn er die Griechen unter sich ließ: „Wenn du den Schnee des Pols und die Geheimnisse des südlichen Himmels erblickt hättest, so würde deine Stirn,
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ο Göttin, deren Wesen das In-sich-Ruhen ist, nicht so wolkenlos sein" — Worte, die im Munde Winckelmanns undenkbar sind. Doch nicht nur in diesen allgemeinen Zügen hat Winckelmann die Archäologie vorgelebt; audi in manchen sachlidien Behauptungen, die heute so gänzlich abgetan erscheinen, hat er Töne angeschlagen, die noch jetzt weiterklingen. Ist es verfehlt, seine Theorie des Einflusses von Klima, Landschaft, Volkstum und politischer Ordnung in Verbindung zu bringen mit den neuen Strukturideen? Und selbst das sooft geschmähte oder mit bedauerndem Achselzucken abgetane Streben, den Sinn der Kunst in der Allegorie zu suchen, hat seine legitime Nachfolge gefunden und hat sidi damit als wesentlicher Bestandteil der Betrachtung antiker Kunst erwiesen. Daß Winckelmann diesen Begriff viel zu weit faßte, daß er, wie ihm schon bald vorgeworfen wurde, den „wesentlichen und äußerst wichtigen Unterschied zwischen Symbol und Allegorie" (Fernow) nicht beaditet habe, daß er vor Plattheiten und Ungereimtheiten, die ihn bis zur „unfreiwilligen Komik" (Hatiield) geraten ließen, nicht zurückschreckte, gerade das macht ihn zum Vorläufer all derer, die, mit mehr oder weniger Glück, das berühmte „Tertium Comparationis" in den Bildern der Antike suchen, ob sie dabei nun der Allegorie, dem „Symbolisme" oder dem „Sinngehalt" nachspüren. Audi, daß die Allegorie des Altertums „auf die Religion gebaut und mit derselben verknüpft war", daß sie etwas „Rätselhaftes" habe und nicht für jedermann gemacht sei, hat er schon gesagt, und er kannte, lange vor Walter F. Otto, auch die Offenbarung schon. Sein Suchen nach allegorischen Bedeutungen kam, wie die verwandten Bemühungen der späteren Wissenschaft, aus der so einfachen und doch so fruchtbaren Erkenntnis, daß alle Kunst etwas sagen, etwas ausdrücken wolle: „Das kleinste Gemälde kann das größte Meisterstück werden, nachdem die Idee desselben erhaben ist." Es mag manchem Außenstehenden ungereimt erscheinen, aber auch darin ist Winckelmann der Begründer der heutigen Archäologie: daß er das Erforschen und Beurteilen des Ausgegrabenen für wichtiger hielt als das Ausgraben, die Funde für aufregender als das Finden, daß er, expressis verbis, neue Erkenntnisse für ebenso bedeutsam, wenn nicht bedeutsamer hielt, als neue Funde — und daß er im Grunde das Neue weniger schätzte als das Alte: als er den Apoll und den Torso besang, waren diese schon lange bekannt und berühmt; neu waren nur seine Hymnen. Wenn er graben wollte, wie etwa in Elis, dann nur zur Festigung und Vertiefung der Kenntnis des Vorhandenen, des Alten. Damit hat er aber überhaupt anstelle des Ausgrabens das Schreiben, das „Publizieren" zum Kernproblem des wissensdiaftlich-archäologisdien Da-
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seins gemacht, und trotz aller Ausgrabungen ist es das bis heute geblieben. Publizieren — das heißt nicht nur die eigenen Gedanken, sondern audi die „Monumenti" selbst, sie von „inediti" zu „editi" machen; und da ist alles schon da bei ihm wie bei den heutigen Archäologen: die Sorge um die Ausstattung, den Druck, und — immer und immer wieder um die „Kupfer", die Abbildungen, die nicht rechtzeitig und nicht gut genug geliefert wurden; ja, wenn man will, hat er sich schon Gedanken über einen Punkt gemacht, der seither zum Kernproblem der modernen Wiedergabe antiker Plastik, des Photographierens, geworden ist: die vorteilhafteste Beleuchtung — wobei er zu dem auch heute noch gültigen Ergebnis gelangte, daß diese von oben kommen müsse; darum seien auch, wie er pädagogisch liebenswürdig nebenher bemerkt, die jungen Römerinnen ihren Freiern im Pantheon vorgestellt worden. Und gehört es nicht schließlich auch zum Bilde des Archäologen schlechthin, daß er ein starkes, ganz persönliches, dabei keineswegs unkritisches und bei aller Innigkeit doch distanziertes Verhältnis zu jenem Lande sudite und fand, in weldiem allein der Grund zur Anschauung klassisch-antiker Kunst gelegt werden kann? Anderes ist demgegenüber mehr in den Hintergrund getreten oder hat sich doch bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Wenn auch, und sei es nur im stillen, die normative Anschauung der griechischen Kunst audi in der heutigen Archäologie nodi ihre Wirkung ausübt, und wenn sogar kritisch-belehrende Seitenblicke auf die nachantike und moderne Kunst nicht fehlen, so ist doch der direkte oder gar fordernde Vergleich vollständig verschwunden. Hierin war Winckelmann nicht so sehr der erste A r c h ä o l o g e , als der e r s t e Archäologe; wer vor allen anderen in der griechischen Kunst die „hödiste Schönheit" entdeckt hat, mußte notwendig fordern, diese Schönheit auch in der späteren Kunst verwirklicht zu sehen — da die höchste Schönheit nur eine sein kann. Je weiter Winckelmann sich von seinen Anfängen entfernte, desto mehr gab er selbst diese Forderung auf. Daß der von ihm in der fordernden Anfangszeit verwendete Begriff der „Nachahmung", der heute ganz aus der Archäologie verschwunden ist, nicht in dem platten modernen Sinne des „Imitierens" genommen werden dürfe, ist sdion so oft gesagt worden, daß hier nicht erneut darauf eingegangen zu werden braudit. Auch Winckelmann wußte, daß die „Kunst erst dort beginnt, wo die Nachahmung endet" (Oscar Wilde), und er hat sidh deutlich genug darüber geäußert, daß das bloße „Nachmadien" noch keine Kunst hervorbringe; ja, seine abfälligen und einschränkenden Bemerkungen sind so zahlreich, daß man sidi wundert, wie er überhaupt je diesen Begriff
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positiv zu fassen unternahm. Da charakterisiert er bestimmte Zeichner, die höchstens geschickt seien, das „Schöne nachzuahmen, nicht selbst zu finden", nennt die römisdien Künstler „Nachahmer der Griechen", die „also keine besondere Schule und keinen eigenen Styl haben bilden können", erklärt in der „Geschichte der Kunst", daß die Kunst zu „sinken" anfing „in den Nachahmern derselben", weshalb er einen „dritten Styl der Nachahmer" postulierte; die Nachahmung aber „schränket den Geist ein", heißt es schließlich sogar, sie „befördert den Mangel eigener Wissenschaft", und der Nachahmer sei „allezeit unter dem Nachgeahmten geblieben". Zu solchen Auffassungen kam er nicht etwa erst nach seiner Dresdner Zeit; schon in den „Gedanken vom mündlichen Vortrag der neueren allgemeinen Geschichte" heißt es, daß die Geschichte von Gelehrten und Künstlern „nur Erfinder, nicht Copisten, nur Originale, keine Sammler" verewige. Der scheinbare Widerspruch solcher Äußerungen zu der programmatischen Frühschrift läßt sich allerdings nicht nur mit einem Wandel der Auffassungen ihres Autors erklären; er ist letzten Endes im damaligen Gebrauch des Wortes selbst begründet. Winckelmann hat — übrigens genau wie Lessing, der nicht immer seiner eigenen Definition folgte — mit „Nachahmen" einmal das Kopieren anderer Kunstwerke, das andere Mal das Darstellen, d. h. künstlerische Wiedergeben eines Gegenstandes gemeint — was schon Adolf Frey in seinem geistreichen Büchlein über „Die Kunstform des Lessingschen Laokoon" herausgestellt und neuerdings, nach Walther Rehm, auch Otto Brendel ähnlich formuliert hat. Windcelmann hat wohl noch weniger als Lessing die beiden Bedeutungen streng geschieden, und hat wohl viel mehr, als wir nach dem heutigen Sprachgebrauch glauben würden, auch bei der „Nachahmung der griechischen Werke" an die zweite Bedeutung gedacht: statt der Natur solle man die Werke der griechischen Kunst darstellen, als Gegenstände wählen — weshalb er eben von der Nachahmung der griechischen W e r k e , nicht der Griechen selbst sprach. „Nicht ein neues V e r f a h r e n zeigt seine Lehre den Künstlern seiner Zeit, sondern ein neues O b j e k t " (Ingrid Kreuzer). Dadurch konnten diese Künstler dann wohl auch endlich zu einer neuen W e i s e gelangen: „Wie die Griechen, nicht nach den Griechen" (Walther Rehm). Gerade in solchem Wortgebrauch zeigt sich die fruchtbare Eigenart Winckelmanns. Daß er kein Philosoph war noch sein wollte, daß er auch der philosophischen Kunstästhetik als solcher gleichgültig oder gar ablehnend gegenüberstand, ist bisher meist als negatives Zeichen gedeutet worden. Hinter solcher Ablehnung steht aber das richtige Gefühl, daß der forschenden Betrachtung der Kunst nicht mit der Theorie, sondern nur mit der
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Anschauung gedient sei; daß man also über Kunst, sofern man zu neuen Einsichten gelangen will, nicht mit Termini tedinici, sondern nur mit lebendigen Worten reden dürfe. So konnte er, in einem Brief an Franke, in aller Unschuld erklären, daß die „Beschreibung des Apollo den höchsten Styl" erfordere, da dessen Wirkung „unbeschreiblich" sei; das Unbeschreibliche zu beschreiben ist der lebendigen Sprache nicht unmöglich. Mochten also nur auch spätere und auch schon frühe Kritiker sich über die Unlogik entrüsten, daß man durch Nachahmung des Unnachahmlichen selber unnachahmlich werden solle (R. Benz) — als „Das untrügliche Mittel" sogar von Klopstock epigrammatisch verspottet —, sie verkannten genau das, worin hier der Sinn des Wortes „Nachahmung" besteht: eben daß es kein Terminus eines ästhetischen Dogmas, sondern ein lebendiges, darum in sich unlogisches Wort ist. Es ist erstaunlich, wie wenig bisher die Begriffe Winckelmanns unter diesem Gesichtspunkt betrachtet worden sind, und wie häufig daraus Fehlinterpretationen und MißVerständnisse entstanden. Erklärt man mit Ludwig Curtius: „Kaum eines seiner Worte können wir heute noch wörtlich wiederholen", ohne an den inzwischen stattgefundenen Bedeutungswandel dieser Worte zu denken, so bleibt allerdings nichts als die Folgerung, daß es unmöglich sei, seine „durcheinandersdiillernden ästhetischen Begriffe in ein System zu bringen". Die Unmöglichkeit einer „wörtlichen Wiederholung" der Winckelmannschen Begriffe liegt jedoch nicht am unpräzisen Sprachgebrauch Winckelmanns, sondern an der Entwicklung, die diese Begriffe in den vergangenen zweihundert Jahren durchgemacht haben. Außer der „Nachahmung" wäre da noch manch anderes Wort zu nennen, wie etwa Wohlstand, Verstand, Wissenschaft, Talent, Selbstdenken, das Wesentliche — wir mißverstehen Windkeimann, wenn wir hier nur an den heutigen Sinn dieser Wörter denken. Carl Justi etwa hält seinem Helden vor, daß er abfällig von der „gemeinen" Natur spreche, wobei er übersieht, daß dieses Wort hier noch nicht den herabsetzenden Ton hat, der ihm später anhaftet — was Baumecker zwar tadelnd erwähnt, ohne jedoch des weiteren in seiner sonst so gelehrten Schrift den Wortbedeutungen irgendwelche Aufmerksamkeit zu schenken; selbst nicht bei so eklatanten Wörtern wie „Kontrapost" und „Witz", die er in wörtlichen Zusammenhängen zitiert. Dieses Schwanken der Wörter und Begriffe zwischen zeitgebundener, lebendiger Bedeutung und terminologischer Erstarrung ist nun wiederum ein Charakteristikum der archäologischen Literatur überhaupt, und hier wären wir erneut beim Thema „Winckelmann als erster Archäologe" angelangt. So, wie der Archäologe nie zum absoluten Dichter oder audi nur
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„Litterator" werden kann, so ist ihm auch das andere Extrem, das der exakten Ästhetik oder Kunstphilosophie, versagt, wobei es jedoch bezeichnend bleibt, daß er stets nach dem einen oder dem anderen hinüberschaut. Es war kein Zufall, daß sich Windcelmann etwa in seiner „Allegorie" einen Gegenstand wählte, der, wie schon Schlegel feststellte, sein theoretisches Vermögen überstieg. Das Ahnen abstrakt theoretischer Zusammenhänge ist für die Archäologie genauso kennzeichnend wie das Ahnen tiefster künstlerischer Geheimnisse; auch in seinen theoretischen Versuchen war Winckelmann der erste Archäologe. Doch ist es Zeit, nun auch im positiven Sinne den Ton auf das Beiwort zu legen. Es hat eine Bedeutung, die den rein wissenschaftlichen Bereich weit hinter sich läßt. Zum Archäologe-Sein gehört nicht mehr als Talent, Fleiß, Liebe zur Sadie und die Fähigkeit, sich mit Leib und Seele überhaupt einem „Fache" zu verschreiben. Der e r s t e Archäologe zu sein, dazu gehört — Genie! Dieses ursprünglich Geniale bei Winckelmann ist es, was seine wahre Unsterblichkeit ausmacht, nicht seine Tüchtigkeit als Gelehrter. Er war eben nicht nur ein genialer Archäologe — er war ein Genie, das zum Archäologen wurde. Das war es, was die vielen Nicht-Archäologen angezogen hat, was sie veranlaßt hat, sich mit ihm, seinem Leben, seinen Briefen — und dann endlich auch mit seinen Werken zu befassen; nicht seine meßbare, benennbare Leistung, sein Ruhm als Fachmann. Auch nicht, daß er außer einem Archäologen vielleicht noch etwas anderes gewesen wäre — Philosoph, Dichter, Kunsttheoretiker, Geschichtsschreiber oder dergleichen; die fehlgeschlagenen Versuche, ihn für eines dieser Fächer oder alle zusammen zu gewinnen, zeigen deutlich, wie man das Unzulängliche spürte, ihn nur als Archäologen zu sehen, sie zeigen aber auch, wie verfehlt es ist, ihn deshalb einfach in ein anderes, „höheres" Fach oder, als vielseitiges Talent, in mehrere andere zu versetzen, um seine Größe dadurch zu erklären. Er w a r nichts anderes als Archäologe; aber er war es als Genie. Dieses sein Genie-Sein zeigt sich in vielem, in großen und kleinen Dingen, im Leben und im Werk. Da er etwas w a r , brauchte er keinen Beruf; da er ein inneres Ziel verfolgte, brauchte er, der als „vagus et inconstans" galt, kein äußeres; da er sein eigener Richter war, brauchte er keine anderen. Weil er der erste war, der ein großes Labyrinth betrat, fühlte er das jedem genialen Wegbereiter innewohnende pädagogische Bedürfnis, die nachher Eintretenden zu lenken und zu leiten, und er konnte das, weil er, im Gegensatz zu den Nur-Fachleuten, den Eingang nie aus den Augen verlor. Daher seine Gabe — die er mit allen großen Lehrern der Menschheit teilt —
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Gleichnisse zu finden; daher seine apodiktischen Superlative, sein Bemühen, einen Gedanken aus dem anderen zu entwickeln, „worin die größte Kunst besteht", seine Fähigkeit, selbst in kleinsten Fingerzeigen und Anleitungen nur nach Prinzipien zu verfahren, die auch für jeden anderen Lebensbereich gelten könnten, schließlich die innere Freiheit von jeder Fachwissenschaft, die er jederzeit hätte verlassen können, ohne, wie kleinere Geister, seine Persönlichkeit dabei aufzugeben. Als findendes Genie, als wahrer Kolumbus — sdion Goethe zog diesen Vergleich — hat er dabei das von ihm entdeckte Land nicht als das erkannt, was es wirklidi war, noch gar ihm den später eingeführten Namen gegeben: was es anderen bedeutete, was sie daraus machten, wie sie es nannten, war ihm im Grunde trotz aller Pädagogik gleich. Und wie alle großen Erfinder und Beginner, ist er ein großer Einsamer geblieben: als er seine Entdeckungen machte, verstand man ihn nicht; als man ihn verstand, war er überholt. Dieses besondere Genie-Sein aber ist einmalig und unwiederholbar; keiner neben ihm glidi ihm in diesem entscheidenden Punkt, und keiner nach ihm; kann es wohl audi noch nach Winckelmann geniale Archäologen geben, so kann es nie und nimmer mehr einen ersten Archäologen geben, ebensowenig, wie all diejenigen, die gleiches erstrebten wie er und ihm wohl sogar in einigen Punkten an Originalität, an Wissen und Können übertrafen, sein Ziel hätten erreichen können; gerade das, was Winckelmann von seinen Zeitgenossen unterscheidet, ließ ihn sein Werk vollenden: der Zeitgeist veraltet, die Persönlichkeit bleibt. Dieses Werk kann nur verstanden werden, wenn man beides zusammen sieht, das Geniale, und das Archäologische. Trennt man beides, so wird man enttäuscht sein: als ein von der Archäologie abstrahiertes Genie wird Winckelmann zum blutleeren Gespenst; als ein vom Genialen abstrahierter Archäologe wird er zum erbarmungslos veralteten Gelehrten. Sieht man beides zusammen, so lebt sein Werk auch heute nodi. Und so will es auch gelesen werden, im ganzen und im einzelnen. „Hier heißt es: gehe hin und sieh!" war Winckelmanns letzte Anleitung zur Kunstbetrachtung, und jede Anleitung zum Lesen seiner Werke muß gleichermaßen zum reinen „Nimm und lies!" gelangen. Die Auswahl Walther Rehms kommt dem, der sich an diese Anleitung halten will, entgegen: ohne daß das rein Archäologische vernadilässigt wäre, zeigt Winckelmann sich hier in seiner allgemeinsten Art; als Beschreiber nicht nur antiker, sondern audi moderner Kunst, als Kritiker nicht nur der Kunstgeschichtsschreibung, sondern der Geschichtsschreibung überhaupt, in pädagogischen Anleitungen, in Abhandlungen über Einzelfragen der Ardiäologie, der
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Ästhetik und Geistesgeschidite, dann in der großen, wahrhaft beginnenden Erstlingsschrift über die Nachahmung, in der so aufschlußreichen, dem Freiherrn von Berg gewidmeten Abhandlung, in den drei großen Vorreden, die in ihrer Überlegenheit und Körnigkeit den ganzen Winckelmann zeigen, schließlich in den reifen und endgültigen Beschreibungen antiker Kunstwerke. Man lese das alles ganz unbefangen, nicht mit dem Wörterbuch und der gelehrten Exegese in der Hand, aber auch nicht als bloße schriftstellerische Emanation. Man lese es mutig, als sei es ein heutiger Text, der nichts weiter will, als seinen Leser unmittelbar ansprechen; wo seine Begeisterung ansteckt, soll man sidi anstecken lassen, wo man den Kopf schüttelt, soll man seiner Kritik freien Lauf lassen — auch, wenn beides ganz unhistorisch ist; anders kann man sich dem Genialen in Winckelmann nicht nähern, und anders kann man es nicht erfahren. Hat man das getan, und hat man die ursprüngliche Frische seiner Aussagen, die innere Größe und Kraft seiner Worte erlebt, so greife man zur Erklärung, zum heutigen wissenschaftlichen Kommentar, zu dem Walther Rehms, aber auch zu den Schriften Gottfried Baumeckers, Ingrid Kreuzers und Hans Zellers; aus der Synthese der unmittelbaren und der historischen Sicht wird sich das eigentliche und wirkliche Verständnis ergeben. Und will man dann wieder zum Genie zurück, so lese man die schlechthin genialen Briefen, die wie nichts anderes seine Menschlichkeit in ihrer Größe und ihrer Einsamkeit, in ihrem Glanz und ihrer Niedrigkeit zeigen. Aus beiden zusammen, den Schriften und den Briefen, wird man das Geheimnis ahnen, das jeder wirklich schreibende Mensch über alles Persönliche und alles Sachliche hinaus verbirgt — und offenbart. Rom, im Frühjahr 1967
Hellmut Sichtermann
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Beschreibung der vorzüglichsten Gemälde der Dreßdner Gallerie. Fragment Das größte Stück von Correggio an 3 Manns Längen hoch ist gleichfalls eine sitzende Madonna mit etlichen Heiligen und einem Bischof in einem reichen Habit, und ist auf Leinewand gemahlet, so wie eine andere Madonna fast in eben der Größe mit einem Evangelisten und dem h. J
Francisco zur Seiten und neben jeden eine Nonne. Sie sind von seiner ersten Manier, die in des Andrea Mantegna seine fällt. Aber Richardson hat nicht wohl gesehen, wenn er die Manier des ersten von diesen 2 letzten Stücken mit dem h. Georgen vergleichet. Man siehet mit Vergnügen und Verwunderung den Sprung von sei-
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ner ersten bis zu seiner vollkommensten Manier. Außer diesen großen Stücken ist ein Portrait eines Medici von Correggio, doch nicht von seiner besten Manier: auch aus Modena. Von Titiano sind die merkwürdigsten ein Frauenzimmer, nicht' aber mit einem Portrait, sondern mit einem Fächer nach damahliger
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Mode, in Form des Tuchs an der Standarte, in der Hand. Sie soll die Liebste des Mahlers Violanta seyn. Man hält es für eins der schönsten Portraits von seinem Pinsel. N u r schade, daß es zu hoch stehet. Das Frauenzimmer ist in weiß Satin gekleidet. Die drey Gratien sind in seiner ersten A r t l:denn Titian hat seinen
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Styl mehr als einmahl verändert :l das ist mit harten Contours. Contours sind die äußersten Linien, die eine Figur umschreiben. Hart heißen dieselben, wenn sich die äußersten Züge nicht almählich verlauffen, sondern auf einmahl gleichsam abgeschnitten sind. Die Jünger von Emaus sind schöner, und Christus, den man die Zinse-Müntze zeiget |: Christo alia
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Moneta :l ist das berühmteste: aus Modena. Es findet sich eine Copie von diesem, die dem Original so ähnlich ist als ein E y dem andern. Man giebet außerdem noch eine liegende nackende Venus vor ein W e r k 1
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Abrege des Vies des Peintres Vol. I.
Windtelmann, Kleine Sdiriften
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dieses Meisters aus: sie hat aber keine vorzügliche Schönheiten, und kann vielleidit nur aus seiner Schule seyn. Von Titians Meister Giovanni Bellino ist ein Salvator schätzbar wegen des Alterthums, guten Ausdrückung und wegen der äußeren Schönheiten die dieses Werk von den ersten Jahren des X V I . Jahrhunderts behalten hat. Die Figur ist groß als die Natur; der Mantel von dem schönsten Ultramarin, welcher damahls wegen des Handels der Venetianer nach dem Orient nicht so theuer muß gewesen seyn. Es ist bekant daß diese Farbe aus einem edlen Stein Lapis Lazuli 1 Lasur-Stein I genannt gemacht wird. Man verfertiget noch itzo zu Venedig dergleichen Farbe von geringeren Werthe aus dergleichen Stein, der in Welschland gebrochen wird. Der beste kommt aus der Tartarey, und selbst das Waßer, das übrig bleibt, wenn diese kostbare Farbe abgetrieben und etliche mahl gereiniget ist, machet eine besondere Würkung, wenn nur die Figuren damit überstrichen werden, ζ. E. in Bataillen-Stücken kan man durch dergleichen saniften Anstrich machen, daß die Lointains weit zurückprellen. Bellino ist der erste unter den Venetianern der in Oel gemahlet. Vom Tintoretto des Titians Schüler ist ein Christus wie er die Käufier und Verkäuffer aus dem Tempel treibet mit mäßigen Figuren: aus Modena. Von Bassano ist eine Austreibung auch daher 2 Fuß 2 Zoll hoch: 2 Fuß 3 Zoll breit. Dieser Mahler gebraucht zu viel grün; das macht seine Werke kenntlich. Man halte dieses gegen seine Geburth, und gegen seinen Zug der Kinder Israel aus Egypten; man wird eben das Colorit finden. Des Tintoretto Geist aber und seine oft ausschweifende Stellungen zeigen sich nicht so sehr in kleinen als in großen Werken, wie sein ErtzEngel Michael ist. Werke von seinem Pinsel findet man fast in allen Schilderey-Sammlungen, weil er viel und geschwinde gearbeitet hat. Von Giorgione aber Titians Zeitgenoßen und Giov. Bellino Schüler, findet man wegen seines kurtzen Lebens nicht so häuffig Stücke. Hier sind einige sdiöne Köpfe und insonderheit ein schöner Christus mit dem Zins-Groschen. Man kan ihn vor den ersten halten in der frechen Art zu mahlen mit tieffen Schatten. Der Weg war außerordentlich; aber es gelung ihm: in den Gemählden seiner Vorgänger war mehrentheils alles helle, ohne Gradation und Abweichung. Sein[e] Nachfolger in dieser starken und dunkelen Art, als Midiael Angelo da Caravaggio, Spagnolet und einige andere sind nodi weiter gegangen.
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Ungeübte Sinnen urtheilen von Stücken dieser Art bey nahe wie die Sinesen überhaupt von unsern Gemählden urtheilen; sie gefallen ihnen nidit wegen der vielen schwartzen Flecken: so nennen sie die Schatten. Man glaubt, es sey der Natur Gewalt gesdiehen, die selten unfreundlich und finster sondern sdiön und lachend ist. In Rubens Gemählden ist das Gegentheil: das Licht breitet sich allenthalben aus. Aber diese verschiedene Manier gründet sich auf die verschiedene Einrichtung der Sinne und Gemüther. Es haben daher schon unter den Mahlern der alten Griechen und Römer einige die dunckele, andere die helle Manier angenommen. Bey Liebhabern der Kunst, die keine Zeichner sind, muß nur nidit der erste Anblick solcher Stücke entscheidend seyn. Sauvέs la premiere vue et vous en seris content sagte jemand zu Ludwig X I V . den die Prinzeßin aus Bayern Victoria bey ihrer Ankunft als Braut des Dauphin nidit auf den ersten Augenblick eingenommen hatte. Man wird audi oft bemerken, daß Künstler aus Furdit mit dem Pöbel zu urtheilen, der gemeinen Empfindung und dem Sensui communi entgegen rennen; da denn bey den meisten die dunckele Art den Vorzug behält. Man pflichtet ihnen bey in den Stücken vom Guido, unter denen die von seiner ersteren stärckeren und Caravaggio-mäßiger Art, die von seiner letzten hellen und vaguen Art übertreffen, wenigstens an Stärcke, Ausdrückung und Erhobenheit. Von Caravaggio findet sich ein Soldat, aus Modena, groß wie die Natur, an den er alles recht greiflich gemacht hat durch seine schwartze Schatten. Vollkommener aber sind sein Petrus im Gefängniß und eine Gesellschafft, die in der Carte spielet. Besagte Stücke hängen sehr hoch. Ein Stück aber von einem Filou, der mit jemanden in der Carte spielet, hänget niedriger, seine Art eigentlich zu bemerken. Von Spagnolet sind sonderlich ein Betender Eremit und ein h. Stephanus, groß wie die Natur, zu bemerken, von denen der letzte in seiner sehr dunckelen Art ist. Der h. Franciscus, sonderlich Petrus im Gefängniß sind von seiner besten Art. Seinen Eremiten kan man mit dem Eremiten I: oder dem h. Hieronymo, unter welchen Namen dieses Stück auch bekant ist :l von Rubens, vergleichen. Von Guido Reni sind schätzbare Stücke vorhanden. In seiner starken und ersten Manier; die so genannte Vorstellung Christi mit den 4 Evangelisten groß wie die Natur: ein h. Hieronymus von gleicher Größe, welche vor ihre Treflichkeit nur gar zu hoch hängen. In dem ersten stehet hinten ein Cardinal, der viel ähnliches hat mit dem Cardinal Carlo
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Borromeo. Ein großer Fehler: aber bey seinen übrigen Vollkommenheiten Sunt delicta tarnen quibus ignovisse velimus. Ferner sind von ihm die 4 Evangelisten, welche Quadrat-Stücke sind, und in der Nähe können betrachtet werden. Von seiner mittlem Art ist David mit dem Kopf Goliaths, ein großes Stück, zwo Manns Längen hodi. Eine Copie davon ist dem Original so ähnlich, daß man kaum in der Nähe dieses von jenem unterscheiden kan. Sie soll auch von ihm seyn. Seine Stärcke in Ausdrückung der Leidenschaften und die Erhobenheit seiner Figuren sind allenthalben mit Reitz und Zärtlichkeit in jungen Gesichtern verbunden. Diese Zärtlichkeit ist etwas gantz anders als des Correggio. In den Gesichtern seiner Frauenzimmer ist etwas schmachtendes und züchtiges; in männlichen Gesichtern, welche mehrentheils sehr blaß sind, etwas trauriges und denckendes; dahingegen in des Correggio Gesichtern alles lachet und spielet. Ich gebe diesen Begriff vom Guido nicht als allgemein an l:idi finde audi nicht, das[s] jemand diese Anmerkung gemacht hat :l ich urtheile nach seinen meisten großen Stücken, die hier, und zwar von seiner ersten Art sind, und diese sind heilige Vorstellungen. Seine letzte Art siehet man an den schönen kleinen Bacchus I aus Modena I 2 Fuß 2 Zoll hoch, 1 Fuß 10 Zoll lang; welche Art man nodi mehr degenerirt siehet in dem großen Ahasverus u. Esther, welches Stück mit 3000 Due. bezahlet worden, ohne die Reise-Kosten und Präsent an den Ueberbringer I: den jungen Crespi aus Bologna :l der es auf der Reise fast gäntzlich verderben lassen. Die Gewänder sind schlecht geworffen worin er doch nach dem Urtheil des berühmten Solimena2 ein Meister gewesen. Ahasverus hat ein Jesus-mäßiges Gesicht: die übrige Carnaggione auch in dem Gesicht der Esther fällt zu sehr ins bläuliche I livide I wie sich dieses in den mehresten Werken von seiner letzten Art findet. Der besten Manier des Guido ist gefolget Antonio Burini aus Bologna l:der vor wenig Jahren gestorben ist :l in seinem so genannten alten und neuen Testamente, mit vielen Figuren, groß wie die Natur. Unter die vornehmsten Schätze der Gallerie sind von Luigi und Annibale Caraccio Stücke vom ersten Range. Annibal war unter seinen zween Brüdern der jüngste und der 2 Dominici Vite de'Pittori Napoletani.
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stärckste. Die Madonna nebst dem Evangelisten, der ihr zur Seiten stehet, zeiget ihn in seiner Größe. Das Stück ist über drittehalb Manns Längen hoch. Der Evangelist ist bey nahe noch einmahl so groß als die Natur und ein Wunder von vollkommener Zeichnung. Er hat es gemacht im 28."" Jahre seines Alters, wie das Jahr 1588. zeiget, welches er in dem Fußgestell, auf welchem die Madonna sitzet, angemercket. Allein er hat sich ebenfalls wieder die Zeitrechnung verstoßen. Der h. Franciscus erscheinet hier dem Evangel, gegen über, und küßet dem Kinde die Füße. Seine Brüder hatten diesen Fehler nicht begangen: sie waren gelehrter. Scarsellino da Ferrara hat in seiner heiligen Familie noch gröber gefehlet, wo der Cardinal Carlo Borromeo I: den man an seinen spitzigen Gesicht und großen Nase kennet :l vor dem Kinde kniet. Sie ist aus Modena. Das zweyte große Stück vom Annibale sind die Allmosen des h. Rocchi, welches in Italien unter dem Namen Opera dell'Elemosina bekannt gewesen. Ferner ist von ihm ein kleines längliches Stück: Christo in agonia: groß wie die Natur und vollkommen schön. Ein Apollo in den Wolcken groß wie die Natur, vortreflich leicht I suelto I gezeichnet, und wie das vorige sehr wohl colorirt und beßer als seine großen Stücke. In den Wolcken um den Apollo erscheinen 7 Köpfe kleiner geniorum, die wenig grace haben. Dieses Stück ist 8 Fuß hoch und 4 breit. Von Luigi Caraccio ist die Himmelfarth der Madonna, mit den Figuren aller Apostel, groß, ja die vorderen größer als die Natur. Das Gesicht der Mad. ist voll Majestät und zugleich voll Zärtlichkeit. Man glaubet, daß sie mit den Engeln, welche sie begleiten, würcklich davon flieget. Alle Stücke der Caracci sind aus Modena: ich habe sie alle außer ihren Quadri gesehen. Diese drey Brüder, die ihrer Kunst Ehre machen, haben ihre gröste Stärke in einer Zeichnung, die wenig ihres gleichen hat. Die schöne Natur, Licht und Schatten war ihnen nicht vollkommen bekant. Wenn ich der wenigen Kenntniß dieser und anderer Künstler in Licht und Schatten gedencke und gedencken werde, ist dadurch nicht gemeinet, daß sie nicht gewust, Licht und Schatten zu werffen nach der Richtung, wohin ihn die Natur wirft, und daß sie nicht diejenigen Theile zu erleuchten gewust, die es der Natur nach seyn müssen. Sondern es ist ein etwas, welches ihren Werken fehlet, und in der Correggio, Guido, Rubens,
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Beschreibung der Gemälde der Dreßdner Gallerie
van Dyck, Rembrants und fast aller guten Niederländischen Mahler ihren Werken angetroffen wird. Es läßet sich nur sehen, nicht sagen. Es ist nicht das Licht und Schatten, daß der göttliche Newton nach Regeln und Linien bestimmet, und davon sich auch der berühmte Saunderson, Profeßor der Mathematic zu Cambridge, der im i2. t e n Monat seines Alters blind geworden, deutliche Begriffe machen und darüber vortragen und schreiben können. Könte man die Clair-obscur der Mahler ausredinen, und ausmessen, die Caracci, die in ihrer Kunst so hoch studiret, hätten alle Mahler übertroffen. Überdem war ihre Art zu mahlen dunckel, welches man an ihnen schon zu Ihrer 3 Zeit auszusetzen fand. Die Länge der Zeit hat ihre Werke noch dunckler gemacht, welches sonderlich denen Allmosen des h. Rocchi begegnet ist. Man hat dunckel wohl zu unterscheiden von stark und frech als Caravaggio. In den Gesichtern des Annibals fehlet die Gefälligkeit und Zärtlichkeit: in manchen herschet ein wildes Wesen. Die Augen seiner Frauenzimmer sind insgemein groß und heftig. Seine Schönheiten rühren nicht im geringsten. Dieses zeuget von seinem Wesen, welches unfreundlich und störrisch war. Unsere Begriffe bilden sich nach unserer Disposition. In den Stücken ist gleichwohl das Gegentheil: er war melancholisch, und alles was er gemacht hat ist lustig. In den Allmosen solte der Heilige als die Haupt Person mehr Erhobenheit haben. Von Paolo Veronese sind viel herrliche große Stücke; eine Anbetung der Weisen aus Morgenland: eine Reinigung der Maria im Tempel: eine Darb ringung Christi im Tempel: eine Hinführung Christi zum Creutz: eine Auferstehung: eine Erfindung Moses, und ein großes Stüde, welches die Familie des Mahlers ist. Eine Hochzeit zu Cana nicht zu vergeßen, welche sein favorit sujet scheinet gewesen zu seyn: denn man wird fast in allen Verzeichnißen der Gallerie eine Hochzeit von ihm finden. In der Anbetung der Weisen ist er dem gemeinen Wahn gefolget. Sie finden Christum mit seiner Mutter und Vater im Stalle, in Gesellschafft der Ochsen und Esel. Man ist hierinn einer irrigen Erklärung zwoer Stellen* aus den Propheten gefolget. Es ist nicht wahrscheinlich, daß die Weisen solten ihren Besuch in einem Stalle abgeleget haben, da von der 3
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Malvasia Felsina Pittrice. Esa. I. 3. Habac. III. 8.
Beschreibung der Gemälde der Dreßdner Gallerte
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Geburt des Heilandes bis zur Reinigung seiner Mutter 30 Tage nach dem Gesetz verfließen müßen, welche Zeit sie nicht an einem fremden Ort wird zugebracht haben. Das Griechische Wort οικία bedeutet auch eigentlich ein Wohnhaus und φά[τνη] wird von mehr Dingen als von einer Krippe gebrauchet. Die Ordonnance ist gut; die Gewänder sind gut geworffen und reich; das Gesicht der Madonna ist schön. Man kann die Vorzüge dieses Stüdes noch mehr durch Vergleichung mit der kostbaren großen Anbetung der Weisen von Albrecht Dürern, wo von ich unten reden werde, einsehen lernen. Dürer hat keinen Ochsen und Esel dabey nöthig befunden: er hat so gar an statt des Stalles ein prächtiges Portal gemacht. Gioseppe Chiari, ein neuerer Mahler hat diese Geschöpfe in seiner großen Anbetung der Weisen ebenfalls weggelaßen. Paolo hat seine Schwäche in Zeichnung des nackenden meistentheils vermieden. Man entdecket aber dennoch dieselbe, ohne ein Meister in der Kunst zu seyn, in seiner Auferstehung an den schlecht gezeichneten Füßen des Heylandes und sonderlich an dem einen Fuß des einen Wäditers bey dem Grabe. Die Zehen sind unterwerts zusammengezogen, als es vor großer Pein in eine Marter geschehen würde. Von seinen gewöhnlichen Fehlern wider die Costume sind die übrigen Stücke, außer den Mode-Kleidungen seiner Zeit, ziemlich frey bis auf die Erfindung Moses I: oder wie die Egyptisdie Prinzeßin den jungen Moses aus dem Wasser ziehen lässet :l Es hat ihm gefallen, Schweitzer mit Hellebarten darin anzubringen. Dieses Stück, welches nebst der Auferstehung kleiner als die andern ist, hat gewisse Vorzüge vor den andern. Es ist wohl grouppiret und [hat] sich wohl und helle erhalten. Die Prinzeßin ist eine vollkommene und erhabene Schönheit; dergleichen in seinen Werken nach dem Zeugniß der Kenner etwas seltenes ist. Paolo merkte, was ihm in der Zeidmung fehlet und suchte sich nad» den Werken des Parmeggianino zu beßern. Von diesem großen Meister in der Colorit in der Zeichnung und sonderlich in den sanften rührenden Schönheiten seiner Gesichter ist erstlich der h. Stephanus und Johannes der Täuffer in der Glorie. Es werden sich von geistlichen Stücken, ausser die vom Correggio wenige finden, die diesem zu vergleichen sind. Die Erfindung ist sehr einfältig, aber der Geist der Colorit, die Gewänder, und gewisse dem Künstler eigene Schönheiten, die sich leicht von anderer Meister ihren
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unterscheiden5, machen es schätzbar. Es ist an 3 Manns Länge hoch, und so wohl erhalten, daß es frisdi gemahlt zu seyn scheinet. Hernach seine Fortuna mit einem Frauenzimmer die betrübt fortgehet, weil ihr die Göttin den Rücken kehret. Diese hat nicht das ihm eigene sanfte Wesen im Gesichte: sie hat etwas wildes, das dem Begriff des Dichters ähnlich ist Fortuna saevo laeta negotio et Ludum insolentem ludere pertinax Hör. Carm. III. 29. Die Figuren sind groß, wie die Natur. Beyde Stücke sind aus Modena. Seine Madonna, groß wie die Natur, ist so groß, aber vollkommen in seinem Styl. Das Kind ist fast zu nackend. Die Madonna hat gar zu lange Finger für eine schöne Hand.* In der Zärtlichkeit hat es Albano noch weiter gebracht. Man findet hier ausnehmend schöne Stücke von ihm. Ein Bad der Nymphen, und Diana und die Nymphen im Bade nebst dem Actäon: alle beyde auf Holz gemahlet. Sie sind klein; ziehen aber so gleich aller Äugen auf sich: Albano hat auch mehrentheils in kleinen gemahlet. Liebes-Götter, spielende Nymphen und Dryaden Iunctaeque Nymphis Gratiae decentes sind nicht für große Stücke so wenig als ein Kinder-Mord zu Betlehem für kleine ist. Siehet man diese Stücke lange an, so scheinet es, als wenn dieselben wolten lebendig werden, wie dort die Gebeine bey dem Propheten. Das Fleisch ist warm, und warm gemacht, wie die Mahler reden. Nur scheinen seine Ideen in den Geschichte/r/n [Ges/ch/ichternf] nicht verändert genug. 5
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Man könte an diesem Orte von mir fordern wollen, die eigentlichen Unterscheidungszeichen der Manier dieses Künstlers von andern Künstlern anzugeben. Es verhält sich mit den Schönheiten der Gemähide wie mit der Schönheit überhaupt. Man fragte einen alten Philosophen: Was ist die Schönheit? Ich rede vom Aristoteles; Laßet, gab er zur Antwort, diese Frage für die Blinden. Komm und siehe, stehet im Evangelio. Man würde unendliche Umstände angeben müssen, diese Merkmale nur einigermaßen zu bestimmen, und bey jemand der ohne genie gebohren, oder nicht Gelegenheit hat, dergleichen Werke oft zu sehen, würde es fast eine eben so vergebliche Mühe seyn als in Meiers Anfangs-Gründen der schönen Wissenschaften eine Kette von Millionen definitionen für Leute ist, die eben so wenig von dem Feuer, das Prometheus den Göttern gestohlen, haben, als der Verfasser selbst davon bekommen hat. Ε la Candida man spesso si vede Lunghetta alquanto e di larghezza angusta Ariosto Orl. Fur. Cant. VII. Str. 1 j.
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Dieser dem Künstler sonst schon vorgeworfene Fehler erscheinet noch deutlicher in seinem sonst berühmten Ball der Liebes-Götter, welche um ein Fuß-Gestell tantzen, auf welchem zween Liebes-Götter einen dritten halten. In den Wolken ist die Venus, die ihren Sohn küßet. Sie stirbt gleichsam auf seinem Munde in währenden Küßen quae quinta parte sui Nectaris imbuit. Dieses Fest ist angestellet aus Freude über den Raub der Proserpina, welcher im lointain vorgestellet ist. Das Fleisch der tantzenden Götter hat dasjenige, was die Welschen Morbidezza nennen im vollkommenen Grade. Aber in ihren Gesichtern sind fast alle Züge gleich. Vielleicht wäre der Mahler zu entschuldigen: es sind Kinder von einer Mutter. Das Stück ist aus Modena; und ist 2Vi Fuß hoch und 3 Fuß 3 Zoll lang auf Kupfer gemahlt. Eben dieses ist einer von den Fehlern, den man in dem sonst gepriesenen Stücke von der Sünderin, die dem Heylande die Füße waschet, von Soubleras bemerket. Ein größeres Stück vom Albano, welches die Venus mit viel spielenden Liebes-Göttern vorstellet, ist vielleicht nur aus seiner Schule: wenigstens komt es gemeldeten Stücke nicht bey.7 Eine kleine Geburt aber, aus Modena, ist in seiner besten Manier. So fleißig und sorgfältig Albano gemahlet hat, so hat er die Arbeit durch einige freche Züge, womit er überhin gefahren, mehrentheils zu verbergen gewust. Diese Behutsamkeit ist in allen Werken des Witzes und der Sinne nöthig.® Man vergleiche seine Carnaggione mit derjenigen in dem schönen kleinen Venus und Adonis l:an der einen Thür des Eingangs zur inneren Gallerie :l des Orbetto detto il Turco, eines Mahlers, der sonst wenig bekant ist. In der Colorit muß man kleine Stücke mit andern kleinen Stücken vergleichen. Die Carnaggione in dem letzten hat zwar die Transparence des ersten nicht; aber jene scheinet fast noch reifer zu seyn. Die Zeit arbeitet die Carnagg. vollends aus. In Betrachtung deßen muß der Mahler seinem Fleische hohe Farben geben und der Zeit über7
Man vergleiche damit das erste Kupfer von Audran nach Albano Werken gestodien, unter den 4 Stüdcen, welche unter den Copien von Watteau vor dem grünen Cabinet zu Nöthnitz hängen. * Vincta quaedam quasi solvenda de industria sunt, illa quidem maximi laboris, ne laborata videantur. Quintil. Inst. Orat. 1. X . c. 4.
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laßen, es reifer zu machen. Mit dieser Erfahrung muß man die neuesten Stücke von H . Hofmahler Dietrich beurtheilen. Seine Carnaggione komt des Albano seiner am nächsten bey.
Man vergleidie ferner mit ange-
führten Meistern und Stücken die Entführung der Proserpina
von
Johann Rothenheimer aus München l:an der Seiten des Eingangs zur Linken in die innere Gallerie, und zwar inwendig* :l In dem Talent der Zärtlichkeit und in Ausdrückung sanfter Leidenschaften l:aber in größeren Figuren :l stellet man billig dem Albano zu Seiten, den Ritter Carlo Cignani und Carlino Dolce. Von jenem ist der keusche Joseph groß wie die Natur, 3 Fuß hoch und eben so viel Fuß breit. Von diesem zwey Stücke in eben der Größe groß wie die Natur: die h. Cecilia I: die Patronin der Music :l und die Tochter der Herodias mit dem Haupte Johannis. Cecilia spielet auf einem Clavecin. Ihr Auge zeiget, daß sie sich vergißet in einer Entzückung über eine himmlische Music, welche sie höret. I: Sie soll alle ihre Instrumente weggeworfen haben, da sie dieselbe gehöret :l Ein gemeiner Künstler würde aus Besorgung, daß man weiter auf nichts als auf ein spielendes Frauenzimmer denken würde, eine Englische Music in den Lüften angebracht haben, wie in der Cecilia auf der Gallerie aus der Schule des Rafaels, aber mit Redit, geschehen. Unser Künstler hat dieses in das Auge geleget und sein Stück nur für ein denkend Auge gemacht. Man muß nicht alles schreiben, was man schreiben könte; also audi nicht alles mahlen U t iam nunc dicat, iam nunc debentia dici Pleraque differat — Diese Stücke sind mit solchen Fleiß gemacht, daß man fast keinen erhobenen Pinselstrich siehet. Allein man muß die Größe der Gallerie so wie die Größe der Kunst in großen Stücken suchen. Der Bethlehemitische Kinder-Mord
von
Cav.
Celesti
und
vom
Trevisano ist ein wahres Helden-Gedicht, und beyde sind so vollkommen in ihrer A r t als des Ritter Marino Gedicht. I Strage degli Innocenti I 9
Ich habe den O r t von ein paar kleinen Stücken angezeiget. Größere Stücke
sind eher zu finden.
Beschreibung der Gemälde der Dreßdner Gallerie
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Celesti ist in diesem wie in seinen mehresten großen Werken der Manier des Rubens gefolget, das ist, sein Licht hält sich nicht zusammen, sondern breitet sich aus. Von seiner fruchtbaren Erfindung, von seiner Zeichnung, Colorit und sonderlich von seiner Ordonnance kan man außer dem KinderMord urtheilen aus der Schlacht mit den Amazonen bey der Nacht. In zwey andern schönen Stücken seines Pinsels, von denen das eine den Bacdius und die Ceres, welche sidi sitzend umarmet haben, nebst etlichen Liebes-Göttern: das andere den Bey trag der Israeliten zu dem goldenen Kalbe vom Aaron gegoßen, vorstellet, herschet ein Geschmack, der viel delicater ist, aber in seiner Manier bleibet. Man sehe sonderlich auf der Carnaggione die an der Ceres ohne Vergleich ist; nur etwas inflammirt: aber vielleicht ist es so an zarten Leibern, die so gereitzt werden, wie hier die Göttin. /0 Sie sind nicht so groß, als seine beyden vorher gemeldeten Stücke, welche vielleicht fast 3 Klafter in der Länge messen. Ich habe diese letzten größeren nicht in der Nähe betrachten können, wie des Trevisano Kinder-Mord, und kan also nicht so gut als von diesem urtheilen. Man kan mit Recht vom Trevisano sagen was die Alten vom Menander sagten; er habe aus dem Meere geschöpft, woraus die Göttin der Liebe erzeuget worden. Alle seine Werke sind voll Geist und Reitz. Er ist dem Geschmack gefolget, welchen Guido und sonderlich Carlo Maratti unter den Welschen eingeführet. Dieses ist die Manier flau zu mahlen I modo vago I wo sich die Contours sanfte und in gelinde Schatten verliehren. Es wird wahrhaftig ein großes Talent erfordert, in soldier Verwirrung, wie in dem Kinder-Morde zu Bethlehem natürlicher Weise seyn muß, eine schöne Ordnung, ohne Verwirrung zu beobachten. Es läßt sich audi außer der Kunst sehr viel bey diesem Werke denken. Wuth und Mitleiden, Liebe und Verzweifelung streiten in den Gesichtern der Mörder und der Mütter. Dieses Stück ist eins der grösten auf der Gallerie. Seine Madonna mit dem Kinde, dem Joseph und vielen spielenden Engeln verdienet unter die ersten Stücke gesetzet zu werden. Es ist groß und mit einer herrlichen Landschafft gezieret. 10
Man vergleiche in der Colorit mit diesen beyden seinen Cupido und Psydie: groß wie die Natur: man wird wieder eine andere Art finden.
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Besdireibung der Gemälde der Dreßdner Gallerie
Man hat zu bemerken bey dieser Landschaft, in Vergleichung mit denjenigen, welche von alten Welsdien Mahlern in ihren Werken angebradit sind, wie die Kunst in diesem Stücke gestiegen. Man kan diesen Vorzug einer mehrerern Aufmerksamkeit auf die Natur in neuern Zeiten I: ich rede nicht von den alten Griedien und Römern :l zuschreiben, wie Claude Lorrain der Landschafft-Mahler gethan, der seine Gegenden von Anbrach des Tages bis am Abend betrachtet. Vornehmlich aber ist die Kunst in diesem Theile vollkommener worden, nadidem theils die Schönheiten anderer Länder den Welschen bekanter zu werden angefangen, theils aber nachdem durch Vermischung der Geschlechter von Thieren vollkommenere Arten hervor gebracht worden. Es ist bekannt und auch begreiflich, daß in warmen Ländern die Bäume nidit so häufiges und schönes Laub haben, als in mäßigen Gegenden. Die Welschen Mahler haben also aus den Landschafften der Niederländischen Mahler pp—
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Über Xenophon Fragment Xenophon schreibt wie die Musen würden gesprochen haben nach dem Urtheil der Alten. Die sdiöne Natur mit allen ihren Reitzungen herschet durch und durch in seinen Schriiften. E r hat dieselbe wie sein Lehrer (Socrates) vollkommen gekannt: er ist mit ihr umgegangen, wie sie es verlangt; sie will nicht entblößet, aber auch nicht mit Schmuck überladen seyn. Sie hatte ihn liebenswürdig gebildet. E r war überaus schön in seiner Jugend, in seinem Gesichte zeigte sich wie in seinen Schriiften ein sanftes und stilles Wesen*. Isocrates, der Redner, der sein Talent zur Geschichte sähe, munterte ihn auf, es zu zeigen 2 . Er ist der eintzige unter den Alten in seiner A r t und ist dem Herodot, dem er gefolget ist J nicht vollkommen gleich, welches man auch aus dem Anfang ihrer beyder Geschichte urtheilen kan. Herodot fängt also an: „Herodot von Halicarnaß hat seine Geschichte zu schreiben unternommen, damit theils nicht die Sachen, welche geschehen sind, durch die Länge der Zeit sich aus der Welt verliehren, theils damit rühmwürdigen und außerordentlichen Thaten der Griechen so wohl als anderer Völcker ihr verdienter Ruhm nicht entzogen werde." Xenophon hingegen fängt die Geschichte von dem Persischen Feldzug, der ihm so viel Ehre, wie die Geschichte selbst machet, mit eben der edlen Einfalt an, mit der er sie beschließet. „Darius und Parysatis hatten zween Prinzen", so lautet der Anfang, „der ältere, Artaxerxes, der 1
Diog. Laert. L. II. Sect. 48. p. 109. edit. Menag. Chio Epist. 3. in Collect. Epist. Aldina graec. 2 Photii Biblioth. Cod. CCLX. edit. Rothomag. 16$}. p. 1456. 3 Dionys. Halicarn. Epist. ad Pom[p]ejum. §. 4. edit. Oxoniens. Tom. II. p. 210. — Idem Censura de prisc. Scriptor. c. III. §. 2.1. c. p. 12$.
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jüngere, Cyrus. Darius ließ sie, da er kranck wurde und sein Ende merckte, vor sich kommen." Man fühlet den Unterschied: hier spricht gleichsam die unschuldige Jugend, dort ein männliches Alter. Ein Scribent der bey Entwerfung einer Geschichte noch mehr Absichten als die Wahrheit hat, könte glauben, sein Werck würde mit dergleichen Eingang gar keinen Anfang zu haben scheinen. Die Lehrer der Redekunst unter den Griechen fanden diesen Anfang vollkommen schön und stelleten denselben in verschiedenen Fällen als ein Muster vor*. Man 5 suchte ihn nachzuahmen, aber vielleicht (noch) mit noch wenigem Beyfall als in einem gekünstelten und weitgesuchten Eingang geschehen seyn würde. Die nackten Gratien würden dem Meister mehr Mühe zu schildern kosten als die Gemahlin des Jupiters mit aller ihrer Pracht: ein prächtiger Aufzug vom Cagliari wird leichter als eine Diana im Bade von Albano nachzuahmen seyn. Die Natur ist schwerer zu erreichen als die Kunst ut sibi quivis Speret idem, sudet multum frustraque laborat Ausus idem. Thucidydes hat vor gut befunden vor Erzehlung der Geschichte des Peloponnesischen Krieges, welchen er erlebet, in die ältere Geschichte von Griechenland zurück zu gehen. Cäsar der dem Xenophon, wie es scheinet als seinem Muster gefolget ist, trit nidit wie derselbe mit dem ersten Wort in die Geschichte des Gallischen Krieges, welchen er selbst geführet. Aber an bey den Orten war eine vorläuffige Nachricht nöthig: ein Anfang ohne Eingang würde hier mangelhaft gewesen seyn, und man würde vielleicht geurtheilet haben, wie Aristoteles von des Gorgias Lobrede auf die Eleenser, welche sich anfieng: „Elis ist eine glückliche Stadt". Er sagt, in dergleichen Rede auf solche Art anzufangen heiße überhin gefahren, kahl und nachläßig 6 . 4
Aristid. Art. Orat. Lib. II. 16. edit. Jebb Tom. II. c. 12. §. 2. p. 516. Lucian. de hist, scrib. 6 Aristot. Rhet. L. III. c. 14. edit. Lond. 1619. 4. p. 223. — ως αυτοκαυδαλα φαίνεται. 5
Ober Xenophon
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Xenophon macht es wie Homer in medias res Non secus ac notas auditorem rapit. Hör. Art. v. 148. 149. In seiner Geschichte von Erziehung des Cyrus hingegen macht er den Anfang mit einem vorläuffigen Unterricht, und wenn man an diesen Ort die Art des Ausdrucks mit dem Herodot vergleichet, so wird man den Unterschied sehr mercklich finden. Bald zu Anfang des Persischen Feldzuges redet er von dem Feldherrn der Griechen, dem Spartaner Clearchus: „Clearch, sagt er, war ein Lacedämonier, und hatte entweichen müssen: Cyrus bekam eine Hochachtung vor ihn, so bald er ihn kennen lernete, und gab ihm tausend Daricos: er nahm das Geld, und warb Völcker damit an." Findet man hier nicht die erleuchtete und reine Kürtze, die Cicero allen Reitzungen in einer Geschichte vorziehet?7 Diodor* sagt eben dieses. Man halte seinen Bericht gegen den vorigen: „Da Cyrus sähe, daß Clearch ein Mann von Muth und fertiger Entschließung war, gab er ihm Geld und Befehl so viel fremde Völcker als möglich davor zu werben, er glaubte ihn geschickt zu finden, seine Unternehmungen ausführen zu helffen." Ich glaube man wird fühlen in welcher von beyden Erzehlung mehr (eine) edle Größe des Ausdrucks herrschet. Eben diesen Clearch läßt Xenophon eine Rede halten an seine Völcker, die sidi weigerten weiter zu gehen, da sie merckten, daß sie wieder den König in Persien fechten solten, wozu sie sidi nicht hatten anwerben laßen. Man sehe wie der Geschichtschreiber sich immer gleich bleibt: „Lieben Soldaten" redet sie Clearch an, „wundert euch nicht, daß mir die gegenwärtigen Umstände nahe gehen. Cyrus hat mit mir eine Verbindung geschloßen, er hat mich da ich aus meinem Vaterlande entwichen, mit vieler Ehrenbezeigung aufgenommen, und hat mir 1000 Daricos gegeben, welche ich genommen, nicht aber in meinen Nutzen gebraucht, oder sie sonst üppig verschwendet, sondern ich habe sie auf euch verwandt" pp. Diejenigen welche die Natur mehr in ihren großen und erhabenen als kleinen und niedrigen Hervorbringungen verehren 7 Cie. de Orat. Nihil est in historia pura & illustri brevitate dulcius. 8 Diodor. Sic. Hist. L. XLIV. c. 13. edit. Weßeling. p. 649.
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Über Xenophon Non omnes arbusta iuvant humilesque myricae
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wolten vielleidit in einer Rede mehr Feuer als in einer Erzehlung haben. Livius und Tacitus würden sie mehr rühren. Mich däudit aber sie würden an diesen Ort und in diesen Umständen wie Clearch mit einer heftigen Rede getadelt zu werden verdienen. Das Heer war aufsätzig; ihr Feldherr konte es allein mit Gelaßenheit besänftigen. Die Rede welche Cäsar dem Ariovistus halten läßt, ist frech, so wenig sidi audi der Ausdruck über die vorgehende Erzehlung erhebt (bricht ab)
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Gedanken vom mündlichen Vortrag der neueren allgemeinen Geschichte.
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Diejenige Wahrheit die ein alter Griechischer Weltweise den Gelehrten überhaupt vorhält, hat sich insbesondere jemand der die Geschichte mündlich vorzutragen unternimmt, vorzuhalten: „Nicht diejenigen", sagt der Weise, „die am meisten eßen und ihren Körper am meisten in Bewegung setzen, nicht die sind die gesündesten, sondern die dem Körper, was derselbe fordert geben; Eben so werden nicht diejenigen, weldie viele, sondern welche nützliche Sachen lesen, gelehrt." Die Wahl des nützlichen aber ist schwer, ja fast schwerer als die Wahl des artigen und schönen. Es gehöret unter die artigen Nachrichten zu wißen, daß Kayser Carl V. da er im Jahr 1548 mit seinen Völckern vor Naumburg gestanden, seinen sammtenen Mantel, da es angefangen zu regnen, weg gegeben, und sich einen Mantel von Filtz, um jenen nicht zu verderben, reichen laßen. Es ist eine schöne Anecdote, wird man sagen, wenn man findet, daß Ertzherzog Ferdinand gedachtem Kayser, seinem Bruder, bey einer Zusammenkunft in Tirol das Waschbecken vorhalten müssen. Man hat nidit Unrecht: die erste Nachricht ist einer von den Zügen, die bey Entwerfung des Characters dieses Kaysers ein Licht geben: die zweyte Nachricht zeigt uns das Betragen zweyer Printzen und leiblichen Brüder gegen einander und zugleich die bittere Ausübung der Superiorität eines altern regierenden Bruders über den jüngern. In vielen bekamen Reichs-Geschichten wird man dergleichen Züge vergebens suchen: aber es ist weit nützlicher, zu wißen, daß Carl V. durch seinen langsamen Kopf die Kayserliche Würde vor seinen Mitwerber erhalten; daß ein gewißes Flegma, welches ihm eigen war, ein Grund seines Glücks und der überwiegenden Yortheile über Franckreich gewesen, und daß er nichts weniger als aus Ueberzeugung von den Lehren der Kirche, der er zugethan gewesen, die Protestanten bekrieget.
2 Windielmann, Kleine Sdiriflen
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Vom mündlichen Vortrag der neueren Gesdiidite
Diese und ähnliche Kentnisse, wenn sie aus den ersten und wahrscheinlichsten Quellen hergeleitet sind, geben diejenigen großen Züge, welche den Kayser vollkommener schildern, und uns von dem innersten seiner Seele mit mehrerer Zuverläßigkeit zu urtheilen erlauben, als aus seinem raren Portrait von Christoph Ambergern nach dem Leben gemahlt, nicht geschehen kann. Die Wahrheit ist zwar so ehrwürdig und so schätzbar, daß sie auch in den geringsten Umständen, ja in angegebenen Tagen der Urkunden selbst, nach der eigenen Rechtfertigung eines bekamen Gelehrten über dergleichen Untersuchungen, einer ernsthaften Nachforschung würdig ist: Man überlaße auch unsere meisten heutigen Geschichtschreiber einem strengen und tyrannischen Gesetz, welchem sie ihre eigene Wilkühr und Wahn unterwerfen, alles zu schreiben, was man schreiben kann: In einem mündlichen Vortrage aber kan man, wie ich glaube, einige Nachsicht fordern, wenn man sich über Kleinigkeiten erhebt, und nicht mit einem Calender in der Hand, seinem Held von Tag zu Tag, von Schritt zu Schritt folget. Ja man muß es verzeihen, wenn man in Entwerfung der Thaten einiger Helden I: ich rede nur von der neueren Geschichte :l ihre Siegeszeichen nur in ein schwaches Licht, und in dem entferntem Grund ihres Gemähides setzet. Es ist nicht zu läugnen, die großen Tage, wo Helden ihre Lorbern gesamlet, geben einer Geschichte keinen geringem Glantz als dem Krieger selbst, und das menschliche Hertz hat einmahl die Verderbniß, es höret mit Vergnügen von großen Niederlagen und Blutvergießen; die Kinder sind aufmerksam bey Erzehlung solcher Fabeln wovor ihnen die Haut schaudert. Die Todten selbst sind, wie Horaz sagt, nicht klüger geworden. Sie gönnen den Gedichten der Sappho und des Alcäus ein geneigtes Gehör, aber ihre Entzückung ist viel größer über des letzten seinen, der nichts als Kriege und Schlachten besungen Dura fugae mala, dura belli Utrumque sacro digna silentio Mirantur umbrae dicere: sed magis Pugnas & exactos tyrannos Densum humeris bibit aure vulgus. Man siehet freylich den grösten Mann unter allen Griechen nirgend größer als bey Leuctra und Man tinea: Der Uberwinder Hannibals erscheinet in dem Gefilde bey Zama in seinem grösten Glantz. Aber es führen uns zween Feldherrn auf diese ewig berühmten
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Wahlplätze; sie führen uns wie die Minerva des Homers, und wir sehen nichts als Vorwürffe von Verwunderung. Dort ist es Xenophon, ein Schüler und Freund des Socrates, das Haupt von zehen tausend Helden, der göttliche Mund durch den die Musen selbst gesprochen: hier ist es Polybius der Lehrer und Freund des großen Scipio (was für ein Lob, was für ein Ruhm!) der Feldherr des Achäischen Bundes, der große Lehrer aller Krieger und Helden nach ihn. Wer ist der Herold von dem Mantinea der Deutschen, wo der Epaminondas aus Norden, durdi diejenigen neuen und ursprünglichen Ordnungen und Bewegungen der Völker, die ihn Leuctra und Mantinea gelehret, die deutsche Freyheit, selbst in seinem Tode siegreich, aus der drohenden Kneditsdiaft befreyet? Merian, ' ein Timäus neuerer Zeiten' hat sich hier zum Xenophon aufgeworfien. In seinem so genannten Schauplatz von Europa muß man die ersten Nachrichten von der Disposition und den großen Bewegungen beyder Kriegsheere suchen, und diese sind so mangelhaft und ungelehrt, daß der große Ausleger des Polybius mündlich fortgepflantzte Umstände nöthig gehabt, um uns einen deutlichen Plan von dem blutigen Schauplatz bey Lützen zu geben. Dieser große Mann und sein Nachfolger, der Aristoteles der KriegesKunst haben endlich zu unsern Zeiten einem Lehrer der Geschichte, der sie zu nutzen gelernet hat, das Feld geöfnet. Ihre Schrifften sind geschickter als Gorgias und Phalin uns den Krieg unter den Büchern zu lehren. Man nehme was man nöthig hat, aus denselben. Man zeige was das ist das berühmten Kriegern die wahrhafte Größe giebt. Türenne ist größer auf seinen Märschen gegen den Montecucoli, als in dem Sieg über den Printz von Conde. Die mit Klugheit und ohne tausend Menschenopfer überwundene Schwierigkeiten machen den Held. Fabius Maximus und Sartorius sind vielleicht größer als Cajus Marius. Das Flegma und die ruhige Stille des Spartaner Clearchus in der grösten Gefahr, machen audi den Sieger bey Blenheim unsterblich. Und da ein mündlicher Vortrag mehrere Freyheit gestattet Helden und Printzen die Larve abzuziehen; so erkühne man sich zu sagen, daß Carl I. in Engeland ein Tyrann, Leopold der Große ein schwacher Printz. und Philipp V. ein Narr gewesen. Der letzte Hertzog von Lothringen, den Ludwig XIV. von Land und Leuten verdrungen, ist unendlich erhabener in den Augen der Weisen und bey denen welche die wahre Menschheit fühlen, als der vergötterte König.
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Er ist der Titus und Trajan eines kleinen Volks, ein Freund der Menschen, ein Vater des Vaterlandes, ein Helfer der Unterdrückten, ein großmüthiger Beförderer der Künste: Der würdigste Printz die Welt zu regieren und tausend Lebens-Jahre von den Parcen erhalten zu haben. Ist es aber nicht eine Schande für unsere Zeit? Das Andenken dieses Phönix unter den Printzen wird kaum in der Geschichte erhalten werden. Solte denn, wie es sdieinet, ein gütiger Printz, der Friede in seinen Grenzen und Ruhe in seinen Pallästen heget, kein Vorwurff seyn, den Geist und die Beredsamkeit eines Geschichtschreibers zu zeigen, so sey es ein Vorwurff des mündlichen Vortrags. Man sammle die Asche gütiger Fürsten: man unterrichte durch Vollkommenheiten der Seele mehr als durch die Stärke des Arms. Ich würde vollkommenen Printzen die Nahmen starker und ewiger Freunde zur Seite setzen, zum Unterricht der Menschenkinder, den Schatz zu suchen, von dem alle Welt, wie von Erscheinungen, spricht, und den niemand gesehen. Allein es erscheint kein Theseus und Pyrithous, kein Plato und Dion, kein Epaminondas und Pelopidas, kein Scipio und Lälius in den großen Geschichten neuerer Zeiten. Kaum ist das Andencken zweyer göttlichen Freunde, Nicolas Barbarigo und Marcus Trivisano, aus den ansehnlichsten Häusern des Adels zu Venedig in einer kleinen raren Schrifft der Vergessenheit entrissen worden. Eine Freundschafft die ein ewiges Denckmahl auf allen öffentlichen Plätzen ihres Vaterlandes verdienet hätte, Monumentum aere perennius. Der Genius der Freundschafft würde unter den prächtig gedruckten Müntzen des Hauses Barbarigo ein reitzenders Bild gewesen seyn als ein Heiliger mit einer Kirche in der Hand; und Contareni hätte durch Verewigung gedachter Freunde, so wie er mündlich versprochen, seine Gesdiidite merckwürdig gemacht, als ein öffentlich Zeugniß von einer seltenen Art großer Seelen. Ein mündlicher Vortrag laße dergleichen große Beyspiele und Nachrichten von außerordentliche Köpfen sein Augenmerck seyn: er taste die vorzüglichen Rechte unserer Pragmatischen Scribenten Quos vehit in coelum ventoso gloria curru und derjenigen nicht an, die uns sagen, was Jupiter der Juno ins Ohr gesaget hat. Man entsehe sich nicht auch so gar einen Moncada de Velasco, einen
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Spitzbuben, der als Abgesandter von Spanien an zween durchlauchtige Höfe erkannt worden, würdig zu achten, in der Geschichte des menschlichen Verstandes einen Platz zu nehmen: Ueberhaupt diejenige so in ihrer Art groß gewesen, solte es audi eine Phryne neuerer Zeiten seyn. Louise Labe, die Frantzösische Aspasia, wird der Gesdiidite von Heinrich II. eben so wenig Sdiande machen als die ältere Aspasia der Geschichte von den Zeiten des Perikles. Von Gelehrten und Künstlern verewigt die allgemeine Gesdiichte nur Erfinder, nicht Copisten; nur Originale, keine Sammler: einen Galilei, Heygen und Newton; keinen Viviani, keinen Hopital: einen Corneille und Racine; keinen Boursault, keinen Crebillon: einen Raphael, Spagnolet und Rubens; keinen Penni, keinen Piazetta, keinen Jordans: einen Buonarota und Palladio; keinen Vombrugh, keinen Fisdier. Dieses ist der Grundsatz, den man beym Vortrag der neueren allgemeinen Gesdiichte vor Augen haben muß: alles Subalterne gehöret in die Special-Geschichte. Die Kentniß der großen Schicksale der Reiche und Staaten, ihre Aufnahme, Wadisthum, Flor und Fall sind nicht weniger wesentliche Eigenschafften einer allgemeinen Geschichte, als die Kentniß großer Printzen, kluger Helden und starker Geister. Und diese muß nicht etwa wie im Vorbeygehen ertheilet, oder durch Schlüße aus den Thaten der Printzen l:so wie die mehresten allgemeinen Geschichte [n] nur personelle Geschichte zu seyn scheinen :l von dem Leser oder von dem Zuhörer selbst hergeleitet werden. Man muß entscheidende Betrachtungen darüber machen und diese gründlich beweisen. Engeland ζ. E. eine der grösten See-Mächte hatte vor 200 Jahren nicht so viel Schiffe, um den Transport ihrer Völcker von Douvres nach Calais zu machen. Eduard IV. sähe sich genöthiget, Schiffe bey den Hertzog von Burgund aus den Niederlanden zu borgen. Franckreidi kaufte unter dem Ministerio des Card. Mazarin Schiffe von den Holländern, und im Jahr 1662 sähe ihre Flotte zum ersten mahl eine See-Schlacht mit den Engeländern und Holländern mit an. Rußland hat, wie man sagt, nur noch bey Menschen Gedenken auf eben die Art, wie die Römer im ersten Punischen Kriege aus einem eintzigen von den Carthaginensern eroberten Schiffe den ersten Entwurf zu einer See-Macht gemacht. Tantae molis erat Romanam condere gentem. Die Republik Venedig hingegen, die ehemals vom Palus Möotis bis
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zu den Säulen des Herkules, und von der Caspischen- bis in die Ost-See alle Meere und Flüße mit ihren Schiffen bedecket, werden sich vielleicht vor den Schiffen in zwey kleinen Hafens in der Nähe fürchten müssen. Diese große Veränderungen sind die Berge die an die Stelle der Hügel kommen, nach jenes Weisen Lehr-Satz; es sind die Berge, aus welchen wiederum Hügel entstehen werden wenn sie Zeit dazu haben. Man zeige zugleich die großen Mittel an wodurch Staaten glücklich und mächtig geworden. Durch Handlung und durch Beschäftigung vieler Hände hat Perikles Athen, so wie Elisabeth Engeland dem Neide selbst zum Wunder gemacht. Ein Land welches vor Alters nur Hunde und Zinn an andere Nationen überlaßen konte, und weldies allererst unter dem Severus als eine Insel bekant wurde, kleidet mit seiner Wolle, die man vor 200 Jahren im Lande selbst nidit zu verarbeiten gelernet hatte, die gantze Welt. Die Nation die unter Heinrich VIII. ja noch unter der Elisabeth sidi genöthiget sähe, von den Kaufleuten in Memmingen und Antwerpen Geld-Summen, das Hundert für zwölf, aufzunehmen; diese Nation, sage ich, ist in dem Schooß des Ueberflußes vergnügt, wenn Ausländer bey ihnen für drey das Hundert suchen. Die Betrachtung über den wunderbaren Wechsel in den Reichen ist eine von den glücklichen Gelegenheiten, welche der mündlidie Vortrag zu nutzen hat, und wo demselben weitere Grenzen als dem Geschichtschreiber gegeben sind. Man wage eine kleine Ausschweifung dem großen Endzweck gemäß, lehrreich zu seyn, um die merkwürdige Perioden und Cirkel der Staaten in älteren Zeiten. Die Carthaginenser und nach ihnen die Römer holeten ihr Silber aus Spanien: es war billig, daß sich die Spanier ihres Schadens anderwerts erholeten: sie holen ihr Silber aus Indien: vielleicht kommt künftig die Reihe auch an die Indianer, das Recht der Wiedervergeltung zu üben. Omnia nunc fiunt fieri quae posse negabam Et nihil est de quo non sit habenda fides. Die Spanier vertauschten ehemahls mit den Tyriern ihre Silberbarren gegen Oel, welches ihnen diese zuführten; die Einwohner der Balearischen Inseln schmiereten sich mit Butter an statt des Oels, weldies ihnen mangelte. Das Blat hat sich gewandt: Spanien und gedachte Inseln sind itzo diejenigen Länder die andere Völker mit Oel versehen können. Zu den großen Begebenheiten in den Reichen gehören die berühmten
Vom mündlidien Vortrag der neueren Geschichte
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Entdeckungen in der Natur und Kunst: auf beyde sollen Lehrer der Geschichte nidit weniger als Staaten aufmerksam seyn. In der Regierung des vorigen Königs in Portugal wird die Entdeckung der Goldkörner, noch mehr aber die Menge von Diamanten in Brasilien, die man eine geraume Zeit als Kieselsteine weggeworffen hat, einer der merkwürdigsten Zeitpuncte bleiben. Die Entdeckungen in der Kunst sind nodi allgemeiner als zum Theil die in der Natur Die in Engeland erfundene Uhren ohne Kammräder, die der Taucher-Glocke durch Edmund Halley gegebene Vollkommenheit, die durch Feuer getriebenen Waßer-Werke, das Mittel der Stephens wieder den Stein sind Erfindungen die unserer Zeit und der allgemeinen Geschichte Ehre machen können. Ich glaube der mündlidie Vortrag habe nach angezeigten Plan ein offenes großes Feld sich bloß und allein in dem was wahrhaftig nützlich in der Geschichte ist, zu zeigen. Dasjenige was man artige Nachrichten nennen könte, weiß derselbe, so wie der Mahler Architectur, Paisagen und dergleichen zufällige Dinge in Historien anzuwenden, um eine schönere Mannigfaltigkeit zu erhalten. Zu dieser Art gehören Ceremoniel und Gebräuche und man hat sonderlich hier Gelegenheit Dinge zu sagen, die man da, wo man sie sudien möchte, nicht finden wird. Hier kann der Lehrer zeigen, ob er, wenn ich so reden darf, in der Gelehrsamkeit jemahls die Spitze des Glocken-Thurms seines Dorfs aus dem Gesichte verlohren hat, oder nicht. Ich finde vor gut, midi über die Art des Vortrags an sich selbst mit ein paar Worten zu erklären. Den mündlichen Vortrag sind eben die Gesetze vorgeschrieben, die der Geschiditschreiber über sidi erkennen muß, und keins ist größer als; Wahrheit. Dieses Gesetz befiehlet, da Recht und Unrecht selten auf der einen Seite allein ist, und eine jede Parthey eine starke und schwache Seite hat, der Wage durch das Gewicht der Freundschaft niemahls den Ausschlag zu geben, oder im geringsten zum Vortheil unsers Hertzens oder unserer Vorurtheile zu entscheiden. Ein Geschiditschreiber soll vergeßen haben, sagt jemand, daß er aus einem gewißen Lande ist, oder daß er in einer gewißen Gemeinschaft erzogen worden. Allein da in Sachen, welche die Religion betreffen, das Hertz nicht allemahl sagen kan; so ist es und anders kan es nicht seyn, so glaube idi, man könne ohne Strafbarkeit sich zuweilen der Entsdieidung entziehen.
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Vom mündlichen Vortrag der neueren Gesdiidite
Ein Gesetz aber welches den mündlichen Vortrag insbesondere angehet, enthalten die Worte des Römischen Redners: „Nichts ist in einer Geschichte angenehmer als eine erleuchtete Kürtze." Ausführliche Berichte gehören vor große Geschichtschreiber. Auf diesen Grund ist die Lehre gebauet, welche jemand, eine Erzehlung angenehm zu madien giebt, nemlich nur mit halben Worten zu erzehlen, und diese wohl verstanden und weißlich angewandt, wird auch hier selten triegen: sie setzet den Vortrag vor den Ekel und den Zuhörer vor den Schlaf in Sicherheit. Das Stillschweigen selbst ist oft wie des Chryses beym Homer lehrreich. Man bilde sich ein, man rede gegen Personen die der Geschichte nicht unkundig sind, und nicht so wohl Unterricht als vielmehr eine Erinnerung ihrer Kentniße wünschen: diese Vorstellung wird die Anwendung des vorigen geben. Dieses sind die großen Lehren, welche einen edlen und erhabenen Vortrag können bilden helfen. Eine kurtz gefaßte Erzehlung hat die Art dichter Körper, welche viel Materie unter wenig Ausdehnung in sich faßen. Die Betrachtungen welche die Erzehlung begleiten, sollen eben der Art Körper gleichen: Der Übergang von einem zum andern ist also kein Sprung. Die Lebhaftigkeit mit welcher man eine kurtze Erzehlung eher als eine sehr umständliche und gedehnte ausführen kan und der Nachdruck der Betrachtung über dieselbe unterstützen eins das andere, sie machen einen Ton und eine gleiche Harmonie. Außerdem ist der sicherste Weg, im Vortrag nicht ekelhaft zu werden, eine kleine zur rechten Zeit gemachte Ausschweifung, sonderlich eine wie des alten Redner Prodicus seine so genannten von 50 Drachmen. Man hat so gar einen unter den Griechischen Geschichtschreibern getadelt, daß er keine Ausschweifungen gemachet; ein Vorwurf den man den heutigen Geschichtschreibern nicht leicht machen wird. Ausschweifungen dienen nicht allein zum Ausruhen, sie sind auch hier dasjenige was ein schönes Gleichniß in einem Gedichte ist; ja sie sind im Vortrage der Geschichte dasjenige was gewiße Streifereyen im Felde sind, sie bereichern denselben, sie machen ihn mannigfaltig und allgemein. Ist unser Feld an einigen Orten nicht reich genug an Seltenheiten, man entlehne etwas von dem Griechischen und Römischen Boden, aus dem Vaterlande großer Beyspiele. Finden sich Seltenheiten die fremde scheinen, so lehre man, daß zu allen Zeiten die Natur und ihre Kinder von der gewöhnlichen und betretenen Bahn abgewichen, etwas großes hervorzubringen. Die großen Unternehmungen und Staats-Absichten der Prinzen
Vom mündlichen Vortrag der neueren Gesdiichte
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neuerer Zeiten sind oftmals weniger durch sich selbst als durch Beyspiele zu erklären und zu richten. Die altern werden uns in den neuern überzeugen, daß die Staatskunst sich fast allezeit aus einer unglücklichen und kläglidien Nothwendigkeit über die Moral erhoben. Diese Vergleichungen werden uns zugleich zeigen, daß die neuere Welt nicht böser und daß unsere Zeiten nidit durchgehends schlechter sind. Bey allen Ausschweifungen aber hüte man sich nicht mit dem Sack auszustreuen sondern mit der Hand.
Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst. Vos exemplaria Graeca Nocturna versate manu, versate diurna. H O R A T . ART. POET.
Dem Allerdurchlauchtigsten, Großmäditigsten Fürsten und Herrn, HERRN FRIDERICH AUGUSTO, Könige in Pohlen etc. Churfürsten zu Sachsen etc.
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EW. KÖNIGL. MAJESTÄT lege ich diese Blätter in tiefster Unterthänigkeit zu Füssen. Die Zuversicht dieses Unternehmens gründet sich auf den Gebrauch aus jener goldenen Zeit der Künste, die durch EW. KÖNIGL. MAJESTÄT der Welt wiederum in ihrem grösten Glantz gezeiget wird. Zu Augusti Zeiten würde man geglaubet haben, ein Werck, das die Künste betrift, verlöhre an sich selbst viel, wenn es jemand anders, als dem August selbst, dem Vater der Künste, gewidmet worden wäre. EW. KÖNIGL. MAJESTÄT haben die Beschützung der schönen Künste, nebst andern grossen Eigenschaften dieses Monarchen, als ein Erbtheil vorzüglich erhalten; und ein Versuch in den Künsten, von welchen EW. KÖNIGL. MAJESTÄT der erleuchteste Kenner und der höchste Richter sind, kan niemand anders, als DEROSELBEN weisesten Entscheidung zuerst unterworfen werden. Es solte billig dem geheiligten Nahmen EW. KÖNIGL. MAJESTÄT, welchen die Künste verewigen, nichts geweihet werden, als was zugleich der Nachwelt würdig erkannt worden: aber dahin reichten meine Kräfte nicht; und was kan der Majestät gebracht werden, so groß und so erhaben es immer ist, was nicht klein und niedrig erscheinet in Vergleichung mit der Höhe derselben. Das wenige, was idi bringe, sey zugleich ein Opfer für den SchutzGott des Reichs der Künste, dessen Grentzen ich zu betreten gewaget habe; und Opfer sind allezeit weniger durch sich selbst, als durch die reine Absicht derselben, gefällig gewesen: diese wird für mich das Wort reden. EW. KÖNIGL. MAJESTÄT allerunterthänigst gehorsamster Knecht, Winckelmann.
[Β: 1||2 Α: 1|2 Β: 2||3] Gedancken über die Nachahmung
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Der gute Geschmack, welcher sidi mehr und mehr durch die Welt ausbreitet, hat sich angefangen zuerst unter dem Griechischen Himmel zu bilden. Alle Erfindungen fremder Völdker kamen gleichsam nur als der erste Saame nach Griechenland, und nahmen eine andere Natur und Gestalt an in dem Lande, welches Minerva, 1 sagt man, vor allen Ländern, wegen der gemässigten Jah II res-Zeiten, die sie hier angetroffen, der Griechen zur Wohnung angewiesen, als ein Land, welches kluge Köpfe hervorbringen würde. Der Geschmack, den diese Nation ihren Werdken gegeben hat, ist ihr eigen geblieben; er hat sich selten weit von Griechenland entfernet, ohne etwas zu ver I liehren, und unter entlegenen Himmel-Strichen ist er spät bekannt geworden. Er war ohne Zweifel gantz und gar fremde unter einem Nordischen Himmel, zu der Zeit, da die beyden Künste, deren grosse Lehrer die Griechen sind, wenig Verehrer fanden; zu der Zeit, da die verehrungswürdigsten Stücke des Correggio im Königlichen Stalle zu Stockholm vor die Fenster, zu Bedeckung derselben, gehänget waren. Und man muß gestehen, daß die Regierung des grossen Augusts der eigentliche glückliche Zeit-Punct ist, in welchem die Künste, als eine fremde Colonie, in Sachsen eingeführet worden. Unter seinem Nachfolger, dem deutschen Titus, sind dieselben diesem Lande eigen worden, und durch sie wird der gute Geschmack allgemein. Es ist ein ewiges Denckmahl der Grösse dieses Monarchen, daß zu Bildung des guten Geschmacks die größten Schätze aus Italien, und was sonst vollkommenes in der Mahlerey in andern Ländern hervorgebracht worden, vor den Augen aller Welt aufgestellet ist. Sein Eifer, die Künste zu verewigen, hat endlich nicht geruhet, bis wahrhafte untrügliche Wercke Griechischer Meister, und zwar vom ersten Range, den Künstlern zur Nachahmung sind gegeben worden. Die reinsten Qvellen der Kunst sind geöffnet: glücklich ist, wer sie findet und schmecket. Diese Qvellen suchen, heißt nach Athen reisen; und Dreßden wird nunmehro Athen für Künstler. II Der eintzige Weg für uns, groß, ja, wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten, und was jemand vom Homer gesagt, daß derjenige ihn bewundern lernet, der ihn wohl ver1
Plato in Timaeo, edit. Francof. p. 1044.
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stehen gelernet, gilt auch von den Kunst-Wercken der Alten, sonderlich der Griechen. Man muß mit ihnen, wie mit seinem Freund, bekannt geworden seyn, um den Laocoon eben so unnachahmlich als den Homer zu finden. In solcher genauen Bekanntschafft wird man wie Nicoma I thus von der Helena des Zeuxis urtheilen: „Nimm meine Augen", sagte er zu einen Unwissenden, der das Bild tadeln wollte, „so wird sie dir eine Göttin scheinen." Mit diesem Auge haben Michael Angelo, Raphael und Poußin die Wercke der Alten angesehen. Sie haben den guten Geschmack aus seiner Qvelle geschöpfet, und Raphael in dem Lande selbst, wo er sich gebildet. Man weiß, daß er junge Leute nach Griechenland geschicket, die Ueberbleibsel des Alterthums für ihn zu zeichnen. Eine Bildsäule von einer alten Römischen Hand wird sich gegen ein Griechisches Urbild allemahl verhalten, wie Virgils Dido in ihrem Gefolge mit der Diana unter ihren Oreaden verglichen, sich gegen Homers Nausicaa verhält, welche jener nachzuahmen gesuchet hat. Laocoon war den Künstlern im alten Rom eben das, was er uns ist; des Polyclets Regel; eine vollkommene Regel der Kunst. Ich habe nicht nöthig anzuführen, daß sich in den berühmtesten Wercken der Griechischen Künstler gewisse Nachläßigkeiten finden: der Delphin, welcher der Mediceischen Venus zugegeben ist, nebst den spielenden Kindern; die Arbeit des Dioscorides ausser der Haupt-Figur in seinem geschnittenen Diomedes mit dem Palladio, sind Beyspiele davon. Man II weiß, daß die Arbeit der Rück-Seite auf den schönsten Müntzen der Egyptischen und Syrischen Könige den Köpfen dieser Könige selten beykommt. Grosse Künstler sind auch in ihren Nachläßigkeiten weise: sie können nicht fehlen, ohne zugleich zu unterrichten. Man betrachte ihre Wercke, wie Lucian den Jupiter des Phidias will betrachtet haben; den Jupiter selbst, nicht den Schemmel seiner Füsse. Die Kenner und Nachahmer der Griechischen Wercke finden in ihren Meister-Stücken nicht allein die schönste Natur, sondern noch mehr als Natur; das ist, I gewisse Idealische Schönheiten derselben, die, wie uns ein alter Ausleger des Plato1 lehret, von Bildern bloß im Verstände entworffen, gemacht sind. Der schönste Cörper unter uns wäre vielleicht dem schönsten Griechischen Cörper nicht ähnlicher, als Iphicles dem Hercules, seinem Bruder, war. Der Einfluß eines sanften und reinen Himmels würdkte bey der ersten 1
Proclus in Timasum Piatonis.
[Β: 4||5 Α: 4|5] Gedancken über die Nachahmung
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Bildung der Griedien, die frühzeitigen Leibes-Uebungen aber gaben dieser Bildung die edle Form. Man nehme einen jungen Spartaner, den ein Held mit einer Heldin gezeuget, der in der Kindheit niemahls in Windeln eingesdirenckt gewesen, der von dem siebenden Jahre an auf der Erde geschlafen, und im Ringen und Schwimmen von Kindes-beinen an war geübet worden. Man stelle ihn neben einen jungen Sybariten unserer Zeit, und alsdenn urtheile man, welchen von beyden der Künstler zu einem Urbilde eines jungen Theseus, eines Achilles, ja selbst eines Bacdius, nehmen würde. Nach diesen gebildet, würde es ein Theseus bey Rosen, und nadi jenen gebildet, ein Theseus bey Fleisch erzogen, werden, wie ein Griechischer Mahler von zwo verschiedenen Vorstellungen dieses Helden urtheilete. II Zu den Leibes-Uebungen waren die grossen Spiele allen jungen Griedien ein kräftiger Sporn, und die Gesetze verlangeten eine zehen monathliche Vorbereitung zu den Olympischen Spielen, und dieses in Elis, an dem Ort selbst, wo sie gehalten wurden. Die größten Preise erhielten nicht allezeit Männer, sondern mehrentheils junge Leute, wie Pindars Oden zeigen. Dem göttlidien Diagoras* gleich zu werden, war der höchste Wunsch der Jugend. Sehet den schnellen Indianer an, der einem Hirsch zu Fusse nachsetzet: wie flüchtig werden seine Säfte, wie biegsam und schnell werden seine Nerven und Muskeln, und wie leidit wird der gantze Bau des Cörpers gemacht. So bildet uns Homer seine Helden, und seinen Achilles bezeichnet er vorzüglich durch die Geschwindigkeit seiner Füsse. I Die Cörper erhielten durch diese Uebungen den grossen und männlichen Contour, welchen die Griechischen Meister ihren Bildsäulen gegeben, ohne Dunst und überflüßigen Ansatz. Die jungen Spartaner musten sich alle zehen Tage vor den Ephoren nackend zeigen, die denenjenigen, welche anfiengen fett zu werden, eine strengere Diät auflegten. Ja es war eins unter den Gesetzen des Pythagoras, sich vor allen überflüßigen Ansatz des Cörpers zu hüten. Es geschähe vielleicht aus eben dem Grunde, daß jungen Leuten unter den Griechen der ältesten Zeiten, die sich zu einem Wett-Kampf im Ringen angaben, während der Zeit der Vorübungen nur Milch Speise zugelassen war. Aller Uebelstand des Cörpers wurde behutsam vermieden, und da Alcibiades in seiner Jugend die Flöte nidit wolte blasen lernen, weil sie 1
v. Pindar. Olymp. Od. VII. Arg. & Sdiol. |
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Gedandken über die Nachahmung [Β: 5]|6 A: 5|6 B: 6||7]
das Gesidit verstellete, so folgeten die jungen Athenienser seinem Beyspiel. II Nechstdem war der gantze Anzug der Griechen so beschaffen, daß er der bildenden Natur nicht den geringsten Zwang anthat. Der Wachsthum der schönen Form litte nichts durch die verschiedenen Arten und Theile unserer heutigen pressenden und klemmenden Kleidung, sonderlich am Halse, an Hüften und Schenckeln. Das schöne Geschlecht selbst unter den Griechen wüste von keinem ängstlichen Zwang in ihrem Putz: Die jungen Spartanerinnen waren so leicht und kurtz bekleidet, daß man sie daher Hüftzeigerinnen nannte. Es ist audi bekannt, wie sorgfältig die Griechen waren, schöne Kinder zu zeugen. Qvillet in seiner Callipädie zeiget nicht so viel Wege dazu, als unter ihnen üblich waren. Sie giengen so gar so weit, daß sie aus blauen Augen sdiwartze zu machen suchten. Auch zu Beförderung dieser Absicht errichtete man Wett-Spiele der Schönheit. Sie wurden in Elis gehalten: der Preiß bestand in Waffen, die in dem Tempel der Minerva aufgehänget wurden. An gründlichen und gelehrten Richtern konte es in diesen Spielen nicht fehlen, da die Griechen, wie Aristoteles berichtet, ihre Kinder im Zeichnen unterrichten liessen, vornemlich weil I sie glaubten, daß es geschickter madie, die Schönheit in den Cörpern zu betrachten und zu beurtheilen. Das schöne Geblüt der Einwohner der mehresten Griechischen Inseln, welches gleichwohl mit so verschiedenen fremden Geblüte vermischet ist, und die vorzüglichen Reitzungen des schönen Geschlechts daselbst, sonderlich auf der Insel Scios, geben zugleich eine gegründete Muthmaßung von den Schönheiten beyderley Geschlechts unter ihren Vorfahren, die sich rühmeten, ursprünglich, ja älter als der Mond zu seyn. II Es sind ja noch itzo gantze Völcker, bey welchen die Schönheit so gar kein Vorzug ist, weil alles schön ist. Die Reise-Beschreiber sagen dieses einhellig von den Georgianern, und eben dieses berichtet man von den Kabardinski, einer Nation in der Crimischen Taterey. Die Kranckheiten, welche so viel Schönheiten zerstören, und die edelste Bildungen verderben, waren den Griechen noch unbekannt. Es findet sich in den Schriften der Griechischen Aertzte keine Spur von Blattern, und in keines Griedien angezeigter Bildung, welche beym Homer oft nach den geringsten Zügen entworfen worden, ist ein so unterscheidendes Kennzeichen, dergleichen Blatter-Gruben sind, angebracht worden. 3j—36 welche . . . worden] welche man beym Homer oft nadi den geringsten Zügen entworfen siehet Β jy unterscheidendes] unterschiedenes Β
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Die Venerischen Uebel, und die Tochter derselben, die englische Kranckheit, wüteten auch noch nicht wider die schöne Natur der Griechen. Ueberhaupt war alles, was von der Geburt bis zur Fülle des Wachsthums zur Bildung der Cörper, zur Bewahrung, zur Ausarbeitung und zur Zierde dieser Bildung durch Natur und Kunst eingeflößet und gelehret worden, zum Vortheil der schönen Natur der alten Griechen gewürckt und angewendet, und kan die vorzügliche Schönheit ihrer Cörper vor den unsrigen mit der grösten Wahrscheinlichkeit zu behaupten Anlaß geben. I Die vollkommensten Geschöpfe der Natur aber würden in einem Lande, wo die Natur in vielen ihrer Wirkungen durch strenge Gesetze gehemmet war, wie in Egypten, dem vorgegebenen Vaterlande der Künste und Wissenschaften, den Künstlern nur zum Theil und unvollkommen bekannt geworden seyn. In Griechenland aber, wo man sich der Lust und Freude von Jugend auf weihete, wo ein gewisser heutiger bürgerlicher Wohlstand der Freyheit der Sitten niemahls Eintrag gethan, da zeigte sich die schöne Natur unverhüllet zum grossen Unterricht der Künstler. II Die Schule der Künstler war in den Gymnasien, wo die jungen Leute, welche die öffentliche Schamhaftigkeit bedeckte, gantz nackend ihre Leibes-Uebungen trieben. Der Weise und der Künstler giengen dahin: Socrates den Charmides, den Avtolycus, den Lysis zu lehren; ein Phidias, aus diesen schönen Geschöpfen seine Kunst zu bereichern. Man lernete daselbst Bewegungen der Muskeln, Wendungen des Cörpers: man studirte die Umrisse der Cörper, oder den Contour an den Abdruck, den die jungen Ringer im Sande gemacht hatten. Das schönste Nackende der Cörper zeigte sich hier in so mannigfaltigen, wahrhaften und edlen Ständen und Stellungen, in die ein gedungenes Model, welches in unseren Academien aufgestellet wird, nicht zu setzen ist. Die innere Empfindung bildet den Character der Wahrheit, und der Zeichner, welcher seinen Academien denselben geben will, wird nicht einen Schatten des wahren erhalten, ohne eigene Ersetzung desjenigen, was eine ungerührte und gleichgültige Seele des Models nicht empfindet, noch durch eine Action, die einer gewissen Empfindung oder Leidenschaft eigen ist, ausdrücken kan. Der Eingang zu vielen Gesprächen des Plato, die er in den Gymnasien
3 Wivkelmann, Kleine Sdirifteo
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Gedancken über die Nachahmung [A: 718 Β: 8||9 Β: 9||10 A: 8|9]
zu Athen ihren Anfang nehmen lassen, machet uns ein Bild von den edlen Seelen der Jugend, und lasset uns auch hieraus auf gleichförmige Handlungen und Stellungen an diesen Orten und in ihren Leibes-Uebungen sdiliessen. I Die schönsten jungen Leute tantzten unbekleidet auf dem Theater, und Sophocles, der große Sophocles, war der erste, der in seiner Jugend dieses Schauspiel seinen Bürgern machte. Phryne badete sich in den II Eleusinischen Spielen vor den Augen aller Griechen, und wurde beym Heraussteigen aus dem Wasser den Künstlern das Urbild einer Venus Anadyomene; und man weiß, daß die jungen Mädgen in Sparta an einem gewissen Feste gantz nackend vor den Augen der jungen Leute tantzten. Was hier fremde scheinen könte, wird erträglicher werden, wenn man bedendcet, daß audi die Christen der ersten Kirche ohne die geringste Verhüllung, so wohl Männer als Weiber, zu gleicher Zeit und in einem und eben demselben Taufstein getauft, oder untergetaucht worden sind. Also war audi ein jedes Fest bey den Griedien eine Gelegenheit für Künstler, sich mit der schönen Natur aufs genaueste bekannt zu machen. Die Menschlichkeit der Griechen hatte in ihrer blühenden Freyheit keine blutigen Schauspiele einführen wollen, oder wenn dergleichen in dem Ionischen Asien, wie einige glauben, üblich gewesen, so waren sie seit geraumer Zeit wiederum eingestellet. Antiochus Epiphanes, König in Syrien, verschrieb Fechter von Rom, und ließ den Griechen Schauspiele dieser unglücklichen Mensdien sehen, die ihnen anfänglich ein Abscheu waren. Mit der Zeit verlohr sich das menschliche Gefühl, und audi diese Schauspiele wurden Schulen der Künstler. Ein Ctesilas studirte hier seinen sterbenden Fechter,1 „an welchem man sehen konte, wie viel von seiner Seele noch in ihm übrig war." Diese häufigen Gelegenheiten zur Beobachtung der Natur veranlasseten die Griechischen Künstler noch weiter zu gehen: sie fiengen an, sich gewisse allgemeine Begriffe von Schönheiten so wohl einzelner Theile als II gantzer Verhältnisse der Cor I per zu bilden, die sich über die Natur selbst erheben solten; ihr Urbild war eine blos im Verstände entworfene geistige Natur. So bildete Raphael seine Galathea. Man sehe seinen Brief 1 an den 1
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Einige muthmassen, daß dieser Fechter, von welchem Plinius redet, der berühmte Ludovisisdie Fediter sey, der itzo in dem grossen Saal des Capitolii einen Platz bekommen hat. | v. Bellori Descriz. delle Imagini dipinte da Rafaelle d'Vrbino etc. Roma. 1695. fol.
[Β: lOlIll A: 9|10] Gedandcen über die Nachahmung
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Grafen Balthasar Castiglione: „Da die Schönheiten", schreibt er, „unter dem Frauenzimmer so selten sind, so bediene ich midi einer gewissen Idee in meiner Einbildung." Nach solchen über die gewöhnliche Form der Materie erhabenen Begriffen bildeten die Griechen Götter und Menschen. An Göttern und Göttinnen machte Stirn und Nase beynahe eine gerade Linie. Die K ö p f e berühmter Frauen auf Griechischen Müntzen haben eben dergleichen Profil, wo es gleichwohl nicht willkührlich war, nach Idealischen Begriffen zu arbeiten. Oder man könte muthmassen, daß diese Bildung den alten Griechen eben so eigen gewesen, als es bey den Calmucken die flachen Nasen, bey den Sinesen die kleinen Augen sind. Die grossen Augen der Griechischen Köpfe auf Steinen und Müntzen könnten diese Muthmassung unterstützen. Die Römischen Kayserinnen wurden von den Griechen auf ihren Müntzen nach eben diesen Ideen gebildet: der Kopf einer Livia und einer Agrippina hat eben dasselbe Profil, welches der Kopf einer Artemisia und einer Cleopatra hat. Bey allen diesen bemercket man, daß das von den Thebanern ihren Künstlern vorgeschriebene Gesetz; „die N a t u r bey Strafe aufs beste nach II zuahmen", auch von andern Künstlern in Griechenland als ein Gesetz beobachtet worden. Wo das sanfte Griechische Profil ohne Nachtheil der Aehnlichkeit nicht anzubringen war, folgeten sie der Wahrheit der Natur, wie an den schönen Kopf der Julia, Kaysers Titus Tochter, von der H a n d des Evodus zu sehen ist.21 Das Gesetz aber; „die Personen ähnlich und zu gleicher Zeit schöner zu machen," war allezeit das höchste Gesetz, welches die Griechischen Künstler über sich erkannten, und setzet nothwendig eine Absicht des Meisters auf eine schönere und vollkommenere N a t u r voraus. Polygnotus hat dasselbe beständig beobachtet. Wenn also von einigen Künstlern berichtet wird, daß sie wie Praxiteles verfahren, welcher seine Cnidische Venus nach seiner Beyschläferin Cratina gebildet, oder wie andere Mahler, welche die Lais zum Model der Gratien genommen, so glaube ich, sey es geschehen, ohne Abweichung von gemeldeten allgemeinen grossen Gesetzen der Kunst. Die sinnliche Schönheit gab dem Künstler die schöne N a t u r ; die Idealische Schönheit die erhabenen Züge: von jener nahm er das Menschliche, von dieser das Göttliche. 1
v. Stosch Pierres grav. pi. XXXIII. |
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Gedancken über die Nachahmung [Β: 11 [| 12 A: 10|ll B: 12|13]
H a t jemand Erleuchtung genug, in das Innerste der Kunst hinein zu schauen, so wird er durch Vergleidiung des gantzen übrigen Baues der Griechischen Figuren mit den mehresten neuen, sonderlich in welchen man mehr der Natur als dem alten Geschmack gefolget ist, vielmahls noch wenig entdeckte Schönheiten finden. In den meisten Figuren neuerer Meister siehet man an den Theilen des Cörpers, welche gedruckt sind, kleine gar zu sehr bezeichnete Falten II der Haut; dahingegen, wo sich eben dieselben Falten in gleichgedruckten Theilen Griechischer Figuren legen, ein sanfter Schwung eine aus der andern wellenförmig erhebt, dergestalt, daß diese Falten nur ein Gantzes, und zusammen nur einen edlen Druck zu machen scheinen. Diese Meisterstücke zeigen uns eine Haut, die nicht angespannet, sondern sanft gezogen ist über ein gesundes Fleisch, welches dieselbe ohne sdiwülstige Ausdehnung füllet, und bey allen Beugungen der fleischigten Theile der Richtung derselben vereinigt folget. Die Haut wirft niemahls, wie an unsern Cörpern, besondere und von dem Fleisch getrennete kleine Falten. Eben so unterscheiden sich die neuern Wercke von den Griechischen durch eine Menge kleiner Eindrücke, und durch gar zu viele und gar zu sinnlich gemachte Grüb I chen welche, wo sie sich in den Wercken der Alten befinden, mit einer sparsamen Weißheit, nach der Maaße derselben in der vollkommenem und völligem Natur unter den Griechen, sanft angedeutet, und öfters nur durch ein gelehrtes Gefühl bemercket werden. Es bietet sich hier allezeit die Wahrscheinlichkeit von selbst dar, daß in der Bildung der schönen Griechischen Cörper, wie in den Wercken ihrer Meister, mehr Einheit des gantzen Baues, eine edlere Verbindung der Theile, ein reicheres Maaß der Fülle gewesen, ohne magere Spannungen und ohne viel eingefallene Höhlungen unserer Cörper. Man kan weiter nicht als bis zur Wahrscheinlichkeit gehen. Es verdienet aber diese Wahrscheinlichkeit die Aufmerdksamkeit unserer Künstler und Kenner der Kunst; und dieses um so viel mehr, da es nothwendig ist, die Verehrung der Denckmahle der Griechen von dem ihr von vielen beygemessenen Vorurtheil zu befreyen, um nicht zu scheinen, der Nachahmung derselben blos durch den Moder der Zeit ein Verdienst beyzulegen. II Dieser Punct, über welchen die Stimmen der Künstler getheilet sind, erforderte eine ausführlichere Abhandlung, als in gegenwärtiger Absicht geschehen können. Man weiß, daß der grosse Bernini einer von denen gewesen, die den Griechen den Vorzug einer theils schönern Natur, theils Idealischen
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Schönheit ihrer Figuren hat streitig machen wollen. Er war ausser dem der Meynung, daß die N a t u r allen ihren Theilen das erforderliche Schöne zu geben wisse: die Kunst bestehe darinn; es zu finden. Er hat sich gerühmet, ein Vorurtheil abgeleget zu haben, worinn er in Ansehung des Reitzes der Mediceischen Venus anfänglich gewesen, den er jedoch nach einem mühsamen Studio bey verschiedenen Gelegenheiten in der N a t u r wahrgenommen. 1 I Also ist es die Venus gewesen, welche ihn Schönheiten in der N a t u r entdecken gelehret, die er vorher allein in jener zu finden geglaubet hat, und die er ohne der Venus nicht würde in der N a t u r gesuchet haben. Folget nicht daraus, daß die Schönheit der Griechischen Statuen eher zu entdecken ist, als die Schönheit in der Natur, und daß also jene rührender, nicht so sehr zerstreuet, sondern mehr in eins vereiniget, als es diese ist? Das Studium der N a t u r muß also wenigstens ein längerer und mühsamerer Weg zur Kenntniß des vollkommenen Schönen seyn, als es das Studium der Antiquen ist; und Bernini hätte jungen Künstlern, die er allezeit auf das Sdiönste in der N a t u r vorzüglich wieß, nicht den kürtzesten Weg dazu gezeiget. Die Nachahmung des Schönen der N a t u r ist entweder auf einen einzelnen Vorwurf gerichtet, oder sie sammlet die Bemerckungen aus II verschiedenen einzelnen, und bringet sie in eins. Jenes heißt eine ähnliche Copie, ein Portrait machen; es ist der Weg zu Holländischen Formen und Figuren. Dieses aber ist der Weg zum allgemeinen Schönen und zu Idealischen Bildern desselben; und derselbe ist es, den die Griechen genommen haben. Der Unterschied aber zwischen ihnen und uns ist dieser: Die Griechen erlangeten diese Bilder, wären auch dieselben nicht von schönern Cörpern genommen gewesen, durch eine tägliche Gelegenheit zur Beobachtung des Schönen der Natur, die sich uns hingegen nicht alle Tage zeiget, und selten so, wie sie der Künstler wünschet. Unsere N a t u r wird nicht leicht einen so vollkommenen Cörper zeugen, dergleichen der Antinous Admirandus hat, und die Idee wird sich über die mehr als menschlichen Verhältnisse einer schönen Gottheit in dem Vaticanischen Apollo, nichts bilden können: was Natur, Geist und Kunst hervor zu bringen vermögend gewesen, lieget hier vor Augen. Ich glaube, ihre Nachahmung könne lehren, geschwinder klug zu werden, weil sie hier in dem einen den Inbegrif desjenigen findet, was in der gantzen N a t u r I ausgetheilet ist, und in dem andern, wie weit die 1
v. Baldinucci Vita del Cav. Bernino. |
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Gedancken über die Nachahmung [Β: 14||15 A: 13|14 B: 15||16]
schönste Natur sidi über sidi selbst kühn aber weißlich erheben kan. Sie wird lehren, mit Sicherheit zu dencken und zu entwerfen, indem sie hier die höchsten Grentzen des menschlich und zugleich des göttlidi Sdiönen bestimmt siehet. Wenn der Künstler auf diesen Grund bauet, und sich die Griechische Regel der Schönheit Hand und Sinne führen lasset, so ist er auf dem Wege, der ihn sicher zur Nachahmung der Natur führen wird. Die Begriffe des Gantzen, des Vollkommenen in der Natur des Alterthums werden die Begriffe des Getheilten in unserer Natur bey ihm läutern und II sinnlicher machen: er wird bey Entdeckung der Schönheiten derselben diese mit dem vollkommenen Sdiönen zu verbinden wissen, und durdi Hülfe der ihm beständig gegenwärtigen erhabenen Formen wird er sidi selbst eine Regel werden. Alsdenn und nicht eher kan er, sonderlich der Mahler, sidi der Nachahmung der Natur überlassen in solchen Fällen, wo ihm die Kunst verstattet, von dem Marmor abzugehen, wie in Gewändern, und sich mehr Freyheit zu geben, wie Poußin gethan; denn „derjenige, welcher beständig andern nachgehet, wird niemahls voraus kommen, und welcher aus sidi selbst nichts gutes zu machen weiß, wird sich audi der Sachen von anderen nicht gut bedienen," wie Michael Angelo sagt. Seelen, denen die Natur hold gewesen, Quibus arte benigna Et meliore luto finxit prxcordia Titan haben hier den Weg vor sich offen, Originale zu werden. In diesem Verstände ist es zu nehmen, wenn des Piles berichten will, daß Raphael zu der Zeit, da ihn der Tod übereilet, sich bestrebet habe, den Marmor zu verlassen, und der Natur gäntzlidi nachzugehen. Der wahre Geschmack des Alterthums würde ihn auch durch die gemeine Natur hindurch beständig begleitet haben, und alle Bemerkungen in derselben würden bey ihm durch eine Art einer Chymischen I Verwandelung dasjenige geworden seyn, was sein Wesen, seine Seele ausmachte. Er würde vielleicht mehr Mannigfaltigkeit, grössere Gewänder, mehr Colorit, mehr Licht und Schatten seinen Gemählden gegeben haben; aber seine Figuren würden dennoch allezeit weniger schätzbar durch dieses, als durch den edlen II Contour, und durch die erhabene Seele, die er aus den Griechen hatte bilden lernen, gewesen seyn. Nidits würde den Vorzug der Nachahmung der Alten vor der Nadi-
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ahmung der Natur deutlicher zeigen können, als wenn man zwey junge Leute nähme von gleich schönen Talent, und den einen das Alterthum, den andern die bloße Natur studiren liesse. Dieser würde die Natur bilden, wie er sie findet: als ein Italiener würde er Figuren mahlen vielleicht wie Caravaggio; als ein Niederländer, wenn er glücklich ist, wie Jacob Jordans; als ein Franzos, wie Stella: jener aber würde die Natur bilden, wie sie es verlanget, und Figuren mahlen, wie Raphael. Könte auch die Nachahmung der Natur dem Künstler alles geben, so würde gewiß die Richtigkeit im Contour durch sie nicht zu erhalten seyn: diese muß von den Griechen allein erlernet werden. Der edelste Contour vereiniget oder umschreibet alle Theile der schönsten Natur und der Idealischen Schönheiten in den Figuren der Griechen; oder er ist vielmehr der höchste Begrif in beyden. Euphranor, der nach des Zeuxis Zeiten sich hervor that, wird vor den ersten gehalten, der demselben die erhabenere Manier gegeben. Viele unter den neueren Künstlern haben den Griechischen Contour nachzuahmen gesuchet, und fast niemanden ist es gelungen. Der grosse Rubens ist weit entfernt von dem Griechischen Umriß der Cörper, und in denenjenigen unter seinen I Wercken, die er vor seiner Reise nadi Italien, und vor dem Studio der Antiquen gemachet hat, am weitesten. Die Linie, welche das Völlige der Natur von dem Ueberflüßigen derselben scheidet, ist sehr klein, und die grösten neueren Meister sind über diese nicht allezeit greifliche Grentze auf beyden Seiten zu sehr abgewichen. II Derjenige, welcher einen ausgehungerten Contour vermeiden wollen, ist in die Schwulst verfallen; der diese vermeiden wollen, in das Magere. Michael Angelo ist vielleicht der einzige, von dem man sagen könnte, daß er das Alterthum erreichet; aber nur in starcken musculösen Figuren, in Cörpern aus der Helden-Zeit; nicht in zärtlich jugendlichen, nicht in weiblichen Figuren, welche unter seiner Hand zu Amazonen geworden sind. Der Griechische Künstler hingegen hat seinen Contour in allen Figuren wie auf die Spitze eines Haars gesetzt, auch in den feinsten und mühsamsten Arbeiten, dergleichen auf geschnittenen Steinen ist. Man betrachte den Diomedes und den Perseus des Dioscorides;1 den Hercules mit der Iole von der Hand des Teucers,® und bewundere die hier unnachahmlichen Griedien. 1 1
v. Stosdi Pierres grav. pi. XXIX. XXX. v. Mus. Flor. Τ. II. t. V.
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Gedandcen über die Nachahmung [A: 15|16B: 17||18]
Parrhasius wird insgemein vor den stärcksten im Contour gehalten. Auch unter den Gewändern der Griechischen Figuren herrschet der meisterhafte Contour, als die Haupt-Absicht des Künstlers, der auch durch den Marmor hindurch den schönen Bau seines Cörpers wie durch ein Coisdies Kleid zeiget. Die im hohen Stil gearbeitete Agrippina, und die drey Vestalen unter den Königlichen Antiquen in Dreßden, verdienen hier als grosse Muster angeführet zu werden. Agrippina ist vermuthlich nicht die Mutter des Nero, sondern die ältere Agrippina, eine Gemahlin des Germanicus. Sie hat sehr viel Aehnlichkeit mit I einer vorgegebenen stehenden Statue eben dieser Agrippina in dem Vorsaal der Bibliothec zu St. Marco in II Venedig1. Unsere ist eine sitzende Figur, grösser als die Natur, mit gestütztem Haupt auf die rechte Hand. Ihr schönes Gesicht zeiget eine Seele, die in tiefen Betrachtungen versenckt, und vor Sorgen und Kummer gegen alle äussere Empfindungen fühllos scheinet. Man könnte muthmassen, der Künstler habe die Heldin in dem betrübten Augenblick vorstellen wollen, da ihr die Verweisung nach der Insel Pandataria war angekündiget worden. Die drey Vestalen sind unter einem doppelten Titel verehrungswürdig. Sie sind die ersten grossen Entdeckungen von Herculanum: allein was sie noch schätzbarer macht, ist die grosse Manier in ihren Gewändern. In diesem Theil der Kunst sind sie alle drey, sonderlich aber diejenige, welche grösser ist als die Natur, der Farnesischen Flora und anderen Griechischen Wercken vom ersten Range beyzusetzen. Die zwo andern, groß wie die Natur, sind einander so ähnlidi, daß sie von einer und eben derselben Hand zu seyn scheinen; der Kopf und der Haarputz unterscheiden sie allein. Und da alle Copien härter und kälter sind, als ihre Urbilder, solten sie auch von der besten Hand, ja durch den Meister selbst nach seinem eigenen Werck gemacht seyn, wie ein Griechisdier Kunstrichter lehret; so wird man dennoch nicht sagen können, daß die eine von diesen Vestalen eine Copie von der andern sey, was das Gewand betrift. 1
v. Zanetti Statue nell'Antisala della Libreria di S. Marco, Venez. 1740 fol.
26—j2] scheinen; sie unterscheiden sidi allein durch die Köpfe, welche nidit von gleicher Güte sind. An dem besten Kopfe liegen die gekräuselten Haare nach Art der Furchen getheilt, von der Stirne an bis da w o sie hinten zusammengebunden sind. An dem andern Kopfe gehen die Haare glatt über den Scheitel, und die vordere gekräuselten Haare sind durch ein Band gesammlet und gebunden. Es ist glaublich, daß dieser Kopf durch eine neuere wiewohl gute Hand gearbeitet und angesetzt worden. Β
[Β: 18(119 Α: 16|17 Β: 19||20] Gedancken über die Nachahmung
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Das Haupt dieser beyden Figuren ist mit keinem Schleyer bedecket, welches ihnen aber den Titel der Vestalen nicht streitig machet; da erweißlidi ist, daß sich auch anderwerts Priesterinnen der Vesta ohne Schleyer II finden. Oder es scheinet vielmehr aus den starcken Falten des Gewandes hinten am Halse, daß der Schleyer, welcher kein abgesondertes Theil vom Gewände ist, wie an der größten Vestale zu sehen, hinten übergeschlagen liege. Es verdienet der Welt bekannt gemacht zu werden, daß diese drey göttlichen Stücke die ersten Spuren gezeiget zur nachfolgenden Entdeckung der unterirrdischen Schätze von der Stadt Herculanum. I Sie kamen an das Tagelicht, da annoch das Andencken derselben gleichsam unter der Vergessenheit, so wie die Stadt selbst, unter ihren eigenen Ruinen vergraben und verschüttet lag: zu der Zeit, da das traurige Schicksal, welches diesen Ort betroffen, nur fast noch allein durch des jüngern Plinius Nachricht von dem Ende seines Vetters, welches ihn in der Verwüstung von Herculanum zugleich mit übereilete, bekannt war. Diese grossen Meisterstücke der Griechischen Kunst wurden schon unter den deutschen Himmel versetzet, und daselbst verehret, da Neapel noch nicht das Glück hatte, ein eintziges Herculanisches Denckmahl, so viel man erfahren können, aufzuweisen. Sie wurden im Jahr 1706. in Portici bey Neapel in einem verschütteten Gewölbe gefunden, da man den Grund grub zu einem Landhause des Printzen von Elbeuf, und sie kamen unmittelbar hernach, nebst andern daselbst entdeckten Statuen in Marmor und Ertzt, in den Besitz des Printzen Eugens nach Wien. Dieser grosse Kenner der Künste, um einen vorzüglichen Ort zu haben, w o dieselben könten aufgestellet werden, hat vornehmlich für diese drey Figuren eine Sala terrena bauen lassen, w o sie gantz allein ihren Platz bekommen haben. Die gantze Academie und alle II Künstler in Wien waren gleichsam in Empörung, da man nur noch gantz dunckel von derselben Verkauf sprach, und ein jeder sähe denselben mit betrübten Augen nach, als sie von Wien nach Dreßden fortgeführet wurden. Der berühmte Matielli dem Policlet das Maas, und Phidias das Eisen gab ALGAROTTI
hat, ehe noch dieses geschähe, alle drey Vestalen mit dem mühsamsten Fleiß in Thon copiret, um sich den Verlust derselben dadurch zu ersetzen. 28 gantz allein] nebst einigen andern Statuen Β
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Gedandten über die Nachahmung [ Α : 17|18 Β: 20||21 A : 18|l9]
Er folgete ihnen einige Jahre hernadi, und erfüllete Dreßden mit ewigen Werdcen seiner Kunst: aber seine Priesterinnen blieben auch hier sein Studium in der Drapperie, wor I inn seine Stärdke bestand, bis in sein Alter; welches zugleich ein nicht ungegründetes Vorurtheil ihrer Treflichkeit ist. Unter dem Wort Drapperie begreift man alles, was die Kunst von Bekleidung des Nackenden der Figuren und von gebrochenen Gewändern lehret. Diese Wissenschaft ist nadi der schönen Natur, und nach dem edlen Contour, der dritte Vorzug der Wercke des Alterthums. Die Drapperie der Vestalen ist in der höchsten Manier: die kleinen Brüche entstehen durch einen sanften Schwung aus den grösseren Partien, und verlieren sidi wieder in diesen mit einer edlen Freyheit und sanften Harmonie des Gantzen, ohne den schönen Contour des Nackenden zu verstecken, welcher ohne Zwang vor Augen liegt. Wie wenig neuere Meister sind in diesem Theil der Kunst ohne Tadel! Diese Gerechtigkeit aber muß man einigen grossen Künstlern, sonderlich Mahlern neuerer Zeiten, wiederfahren lassen, daß sie in gewissen Fällen von dem Wege, den die Griechischen Meister in Bekleidung ihrer Figuren am gewöhnlichsten gehalten haben, ohne Nachtheil der Natur und II Wahrheit abgegangen sind. Die Griechische Drapperie ist mehrentheils nach dünnen und nassen Gewändern gearbeitet, die sich folglich, wie Künstler wissen, dicht an die Haut und an den Cörper schliessen, und das Nackende desselben sehen lassen. Das gantze oberste Gewand des Griechischen Frauenzimmers war ein sehr dünner Zeug; er hieß daher PEPLON, ein Sdileyer. Daß die Alten nicht allezeit fein gebrochene Gewänder gemacht haben, zeigen die erhabenen Arbeiten derselben. Die alten Mahlereyen, und sonderlich die alten Brust-Bilder. Der schöne Caracalla unter den Königlichen Antiqven in Dreßden kan dieses bestätigen. In den neuern Zeiten hat man ein Gewand über das andere, und zuweilen schwere Gewänder, zu legen gehabt, die nicht in so sanfte und fliessende Brüche, wie der Alten ihre sind, fallen können. Dieses gab folglich Anlaß zu der neuen I Manier der grossen Partien in Gewändern, in welcher der Meister seine Wissenschaft nicht weniger als in der gewöhnlichen Manier der Alten zeigen kan. Carl Maratta und Frantz Solimena können in dieser Art vor die grösten gehalten werden. Die neue Venetianische Schule, welche noch 14
welcher . . . liegt] fehlt Β
[ Β : 21||22 A : 19)20 Β : 22||23] Gedancken über die Nachahmung
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weiter zu gehen gesuchet, hat diese Manier übertrieben, und indem sie nichts als grosse Partien gesuchet, sind ihre Gewänder dadurch steif und blechern worden. Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der Griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt, und eine stille Grösse, so wohl in der Stellung als im Ausdruck. So wie die Tiefe des Meers allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag noch so wüten, eben so zeiget der Ausdruck in den Figuren der Griechen bey allen Leidenschaften eine grosse und gesetzte Seele. II Diese Seele schildert sich in dem Gesicht des Laocoons, und nicht in dem Gesicht allein, bey dem heftigsten Leiden. Der Schmertz, welcher sich in allen Muskeln und Sehnen des Cörpers entdecket, und den man gantz allein, ohne das Gesicht und andere Theile zu betrachten, an den schmertzlidi eingezogenen Unter-Leib beynahe selbst zu empfinden glaubet; dieser Schmertz, sage ich, äussert sich dennoch mit keiner Wuth in dem Gesichte und in der gantzen Stellung. Er erhebet kein schreckliches Geschrey, wie Virgil von seinem Laocoon singet: Die OefFnung des Mundes gestattet es nicht; es ist vielmehr ein ängstliches und beklemmtes Seufzen, wie es Sadolet beschreibet. Der Schmertz des Cörpers und die Grösse der Seele sind durch den gantzen Bau der Figur mit gleicher Stärcke ausgetheilet, und gleichsam abgewogen. Laocoon leidet, aber er leidet wie des Sophocles Philoctetes: sein Elend gehet uns bis an die Seele; aber wir wünschten, wie dieser grosse Mann, das Elend ertragen zu können. Der Ausdruck einer so grossen Seele gehet weit über die Bildung der schönen Natur: Der Künstler muste die Stärcke des Geistes in sich selbst fühlen, welche er seinem Marmor einprägete. Griechenland hatte Künstler und Weltweisen in einer I Person, und mehr als einen Metrodor. Die Weisheit reichte der Kunst die Hand, und bließ den Figuren derselben mehr als gemeine Seelen ein. Unter einem Gewände, welches der Künstler dem Laocoon als einem Priester hätte geben sollen, würde uns sein Schmertz nur halb so sinnlich gewesen seyn. Bernini hat so gar den Anfang der Würdkung des Gifts der Schlange in dem einen Schenckel des Laocoons an der Erstarrung desselben entdecken wollen. II Alle Handlungen und Stellungen der Griechischen Figuren, die mit diesem Character der Weißheit nicht bezeichnet, sondern gar zu feurig und zu wild waren, verfielen in einen Fehler, den die alten Künstler PARENTHYRSIS nannten. Je ruhiger der Stand des Cörpers ist, desto geschickter ist er, den
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Gedancken über die Nachahmung [A: 20|21 B: 23|[24]
wahren Character der Seele zu schildern: in allen Stellungen, die von dem Stand der Ruhe zu sehr abweichen, befindet sich die Seele nicht in dem Zustand, der ihr der eigentlichste ist, sondern in einem gewaltsamen und erzwungenen Zustand. Kentlicher und bezeichnender wird die Seele in heftigen Leidenschaften; groß aber und edel ist sie in dem Stand der Einheit, in dem Stand der Ruhe. Im Laocoon würde der Sdimertz, allein gebildet, Parenthyrsis gewesen seyn; der Künstler gab ihm daher, um das Bezeichnende und das Edle der Seele in eins zu vereinigen, eine Action, die dem Stand der Ruhe in solchem Schmertz der nächste war. Aber in dieser Ruhe muß die Seele durch Züge, die ihr und keiner andern Seele eigen sind, bezeichnet werden, um sie ruhig, aber zugleich wircksam, stille, aber nicht gleichgültig oder schläfrig zu bilden. Das wahre Gegentheil und das diesem entgegen stehende äußerste Ende ist der gemeinste Geschmack der heutigen sonderlich angehenden Künstler. Ihren Beyfall verdienet nichts, als worinn ungewöhnliche Stellungen und Handlungen, die ein freches Feuer begleitet, herrschen, welches sie mit Geist, mit Franchezza, wie sie reden, ausgeführet heissen. Der Liebling ihrer Begriffe ist der Contrapost, der bey ihnen der Inbegriff aller selbst gebildeten Eigenschafften eines vollkommenen I Wercks der Kunst ist. Sie verlangen eine Seele in ihren Figuren, die wie ein Comet aus II ihrem Creyse weichet; sie wünschten in jeder Figur einen Ajax und einen Capaneus zu sehen. Die schönen Künste haben ihre Jugend so wohl, wie die Menschen, und der Anfang dieser Künste scheinet wie der Anfang bey Künstlern gewesen zu seyn, wo nur das Hochtrabende, das Erstaunende gefällt. Solche Gestalt hatte die Tragische Muse des Aeschylus, und sein Agamemnon ist zum Theil durch Hyperbolen viel dunckler geworden, als alles, was Heraklit geschrieben. Vielleicht haben die ersten Griechischen Mahler nicht anders gezeichnet, als ihr erster guter Tragicus gedichtet hat. Das Heftige, das Flüchtige gehet in allen menschlichen Handlungen voran; das Gesetzte, das Gründliche folget zuletzt. Dieses letztere aber gebrauchet Zeit, es zu bewundern; es ist nur grossen Meistern eigen: heftige Leidenschaften sind ein Vortheil auch für ihre Schüler. Die Weisen in der Kunst wissen, wie schwer dieses scheinbare nadiahmliche ist ut sibi quivis Speret idem, sudet multum frustraque laboret Ausus idem. HÖR.
[A: 21|22 (Β: 24|25) Β : 25||26] Gedandcen über die Nachahmung
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La Fage der grosse Zeichner hat den Geschmack der Alten nicht erreichen können. Alles ist in Bewegung in seinen Wercken, und man wird in der Betrachtung derselben getheilet und zerstreuet, wie in einer Gesellschaft, wo alle Personen zugleich reden wollen. Die edle £infalt und stille Grösse der Griechischen Statuen ist zugleich das wahre Kennzeichen der Griechischen Schriften aus den besten Zeiten; der Schriften aus Socrates Schule, und diese Eigenschaften sind es, welche die vorzügliche Grösse eines Raphaels machen, zu welcher er durdi die Nachahmung der Alten gelanget ist. I Eine so schöne Seele, wie die seinige war, in einem so schönen Cörper wurde erfordert, den wahren Character der Alten in neueren Zeiten zuerst zu empfinden und zu entdecken, und was sein gröstes Glück war, schon in einem Alter, in welchem gemeine und halbgeformte Seelen über die wahre Grösse ohne Empfindung bleiben. Mit einem Auge, welches diese Schönheiten empfinden gelernet, mit diesem wahren Geschmack des Alterthums muß man sich seinen Wercken nähern. Alsdenn wird uns die Ruhe und Stille der Haupt-Figuren in Raphaels Attila, welche vielen leblos scheinen, sehr bedeutend und erhaben seyn. Der Römische Bischof, der das Vorhaben des Königs der Hunnen, auf Rom loszugehen, abwendet, erscheinet nicht mit Geberden und Bewegungen eines Redners, sondern als ein ehrwürdiger Mann, der blos durch seine Gegenwart einen Aufruhr stillet; wie derjenige, den uns Virgil beschreibet Tum pietate gravem ac meritis si forte virum quem Conspexere, silent arrectisque auribus adstant. Α Ε Ν. I. mit einem Gesicht voll göttlicher Zuversicht vor den Augen des Wüterichs. Die beyden Apostel schweben nicht wie Würge-Engel in den Wolcken, sondern wenn es erlaubt ist, das Heilige mit dem Unheiligen zu vergleichen, wie Homers Jupiter, der durch das Wincken seiner Augenlieder den Olympus erschüttern macht. Algardi in seiner berühmten Vorstellung eben dieser Geschichte in halb erhobener Arbeit, an einem Altar der St. Peters-Kirche in Rom, hat die wircksame Stille seines grossen Vorgängers den Figuren seiner beyden Apostel nicht gegeben, oder zu geben verstanden. Dort erscheinen sie wie II Gesandten des Herrn der Heerschaaren: hier wie sterbliche Krieger mit menschlichen Waffen.
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Gedandken über die Nachahmung [Α: 22|23 Β : 26\\27 A : 23|24] Wie wenig K e n n e r hat der schöne St. Michael des G u i d o in der
Capuciner-Kirche zu R o m gefunden, welche die Grösse des Ausdrucks, die der K ü n s t l e r seinem Ertz-Engel gegeben, einzusehen vermögend gewesen! M a n giebt des Concha I seinem Michael den Preis v o r jenen, 1 weil er Unwillen und Rache im Gesichte zeiget, an statt d a ß jener, nachdem er den Feind G O t t e s und der Menschen gestürtzt, ohne Erbitterung mit einer heiteren und ungerührten Mine über ihn schwebet. Eben so ruhig und stille mahlet der Englische Dichter den rächenden Engel, der über Britannien schwebet, mit welchem er den H e l d e n seines FELDZUGS, den Sieger bey Bleinheim vergleichet. D i e Königliche Gallerie der Schildereyen in Dreßden enthält nunmehro unter ihren Schätzen ein würdiges Werck v o n R a p h a e l s H a n d , und z w a r v o n seiner besten Zeit, wie V a s a r i und andere mehr bezeugen. Eine M a d o n n a mit dem K i n d e , dem H . Sixtus und der H . B a r b a r a , kniend auf beyden Seiten, nebst z w e y Engeln im V o r g r u n d e . E s w a r dieses Bild das H a u p t - A l t a r b l a t des K l o s t e r s St. Sixti in Piacenz. Liebhaber und Kenner der K u n s t giengen dahin, um diesen R a p h a e l zu sehen, so wie man nur allein nach Thespis reisete, den schönen C u p i d o v o n der H a n d des Praxiteles daselbst zu betrachten. Sehet die M a d o n n a mit einem Gesichte voll Unschuld und zugleich einer mehr als weiblichen Grösse, in einer seelig ruhigen Stellung, in derjenigen Stille, welche die Alten in den Bildern ihrer Gottheiten herrschen liessen. Wie groß und edel ist ihr gantzer C o n t o u r ! II D a s K i n d auf ihren Armen ist ein K i n d über gemeine K i n d e r erhaben, durch ein Gesicht, aus welchem ein Strahl der Gottheit durch die Unschuld der K i n d h e i t hervorzuleuchten scheinet. D i e H e i l i g e unter ihr kniet ihr zur Seiten in einer anbetenden Stille ihrer Seelen, aber weit unter der M a j e s t ä t der H a u p t - F i g u r ; welche E r niedrigung der grosse Meister durch den sanften R e i t z in ihrem Gesichte ersetzet hat. I D e r H e i l i g e dieser Figur gegen über ist der ehrwürdigste A l t e mit Gesichtszügen, die v o n seiner G o t t geweiheten J u g e n d zu zeugen scheinen. D i e Ehrfurcht der H . B a r b a r a gegen die M a d o n n a , welche durch ihre a n die Brust gedrückten schönen H ä n d e sinnlicher und rührender gemacht ist, hilft bey dem Heiligen die Bewegung seiner einen H a n d ausdrücken. Eben diese Action mahlet uns die Entzückung des Heiligen, welche der Künstler z u mehrerer Mannigfaltigkeit, weißlicher der männlichen Stärdke als der weiblichen Züchtigkeit geben wollen. 1
v. Wright's Travels. |
[Β: 27||28 A: 24|25 Β: 28||29] Gedancken über die Nachahmung
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Die Zeit hat allerdings vieles von dem scheinbaren Glantz dieses Gemähides geraubet, und die Kraft der Farben ist zum Theil ausgewittert; allein die Seele, weldie der Sdiöpfer dem Werck seiner Hände eingeblasen, belebet es noch itzo. Alle diejenigen, welche zu diesem und andern Wercken Raphaels treten, in der Hofnung, die kleinen Schönheiten anzutreffen, die den Arbeiten der niederländischen Mahler einen so hohen Preis geben; den mühsamen Fleiß eines Netschers, oder eines Dou, das elfenbeinerne Fleisch eines Van der Werff, oder auch die geleckte Manier einiger von Raphaels Landes-Leuten unserer Zeit; diese, sage ich, werden den grossen Raphael in dem Raphael vergebens sudien. II Nach dem Studio der schönen Natur, des Contours, der Drapperie, und der edlen Einfalt und stillen Grösse in den Wercken Griechischer Meister, wäre die Nachforschung über ihre Art zu arbeiten ein nöthiges Augenmerck der Künstler, um in der Nachahmung derselben glücklicher zu seyn. Es ist bekannt, daß sie ihre ersten Modelle mehrentheils in Wachs gemachet haben; die neuern Meister aber haben an dessen statt Thon oder dergleichen geschmeidige Massen gewählet: sie fanden dieselben, sonderlich das Fleisch auszudrücken, geschickter als das Wachs, welches ihnen hierzu gar zu klebricht und zähe schien. I Man will unterdessen nicht behaupten, daß die Art in nassen Thon zu bilden den Griedien unbekannt, oder nicht üblich bey ihnen gewesen. Man weiß so gar den Nahmen desjenigen, welcher den ersten Versuch hierinn gemachet hat. Dibutades von Sicyon ist der erste Meister einer Figur in Thon, und Arcesilaus, der Freund des grossen Lucullus, ist mehr durch seine Modelle in Thon, als durch seine Wercke selbst, berühmt worden. Er machte für den Lucullus eine Figur in Thon, welche die Glückseligkeit vorstellete, die dieser mit 60000. Sesterzen behandelt hatte, und der Ritter Octavius gab eben diesem Künstler ein Talent für ein blosses Modell in Gips zu einer grossen Tasse, die jener wolte in Gold arbeiten lassen. Der Thon wäre die geschickteste Materie, Figuren zu bilden, wenn er seine Feuchtigkeit behielte. Da ihm aber diese entgehet, wenn er trocken und gebrannt wird, so werden folglich die festeren Theile desselben näher zusammen treten, und die Figur wird an ihrer Maaße verliehren, und einen engeren Raum einnehmen. Litte die Figur diese Verminderung II in gleichem Grade in allen ihren Puncten und Theilen, so bliebe eben dieselbe, obgleich verminderte, Verhältnis. Die kleinen Theile
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Gedancken über die Nadiahmung [A: 25|26 B: 29||30]
derselben aber werden geschwinder trocknen, als die grösseren, und der Leib der Figur, als der stärckste Theil, am spätesten; und jenen wird also in gleicher Zeit mehr an ihrer Maaße fehlen als diesem. Das Wachs hat diese Unbequemlichkeit nicht: es verschwindet nichts davon, und es kan demselben die Glätte des Fleisdies, die es im Poußiren nicht ohne grosse Mühe annehmen will, durch einen andern Weg gegeben werden. Man machet sein Modell von Thon: man formet es in Gips, und giesset es alsdenn in Wachs. Die eigentliche Art der Griechen aber nach ihren Modellen in Marmor zu arbeiten, scheinet nicht diejenige gewesen zu seyn, welche unter den meisten heutigen Künstlern üblidi ist. In dem Marmor der Alten entdecket sich allenthalben die Gewißheit und Zuversicht des Meisters, und man wird auch in ihren Wercken von I niedrigem Range nicht leicht darthun können, daß irgendwo etwas zu viel weggehauen worden. Diese sichere und richtige Hand der Griechen muß durch bestimmtere und zuverläßigere Regeln, als die bey uns gebräuchlich sind, nothwendig seyn geführet worden. Der gewöhnliche Weg unserer Bildhauer ist, über ihre Modelle, nachdem sie dieselben wohl ausstudiret, und aufs Beste geformet haben, Horizontal- und Perpendicular-Linien zu ziehen, die folglich einander durchschneiden. Alsdenn verfahren sie, wie man ein Gemähide durch ein Gitter verjünget und vergrössert, und eben so viel einander durchschneidende Linien werden auf den Stein getragen. II Es zeiget also ein jedes kleines Viereck des Modells seine FlächenMaaße auf jedes grosse Viereck des Steins an. Allein weil dadurch nicht der cörperlidie Inhalt bestimmet werden kan, folglich audi weder der rechte Grad der Erhöhung und Vertiefung des Modells hier gar genau zu beschreiben ist: so wird der Künstler zwar seiner künftigen Figur ein gewisses Verhältniß des Modells geben können: aber da er sich nur der Kenntniß seines Auges überlassen muß, so wird er beständig zweifelhaft bleiben, ob er zu tief oder zu flach nach seinem Entwurf gearbeitet, ob er zu viel oder zu wenig Masse weggenommen. Er kan auch weder den äusseren Umriß noch denjenigen, welcher die inneren Theile des Modells, oder diejenigen, welche gegen das Mittel zu gehen, oft nur wie mit einem Hauch anzeiget, durch solche Linien bestimmen, durch die er gantz untrüglich und ohne die geringste Abweichung eben dieselben Umrisse auf seinen Stein entwerfen könnte.
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Hierzu kommt, daß in einer weitläufigen Arbeit, welche der Bildhauer allein nicht bestreiten kan, er sich der Hand seiner Gehülfen bedienen muß, die nicht allezeit geschickt sind, die Absichten von jenem zu erreichen. Geschiehet es, daß einmahl etwas verhauen ist, weil unmöglich nach dieser Art Grentzen der Tiefen können gesetzet werden, so ist der Fehler unersetzlich. I Ueberhaupt ist hier zu mercken, daß derjenige Bildhauer, der schon bey der ersten Bearbeitung seines Steins seine Tiefen bohret, so weit als sie reichen sollen, und dieselben nicht nach und nach suchet, so, daß sie durch die letzte Hand allererst ihre gesetzte Höhlung erhalten, daß dieser, sage ich, niemahls wird sein Werck von Fehlern reinigen können. Es findet sich auch hier dieser Haupt-Mangel, daß die auf den Stein getragene Linien alle Augenblicke weggehauen, und eben so oft, nicht ohne II Besorgnis der Abweichung, von neuen müssen gezogen und etgäntzt werden. Die Ungewißheit nach dieser Art nöthigte also die Künstler, einen sicherern Weg zu suchen, und derjenige, welchen die Französische Academie in Rom erfunden, und zum Copiren der alten Statuen zuerst gebraucht hat, wurde von vielen, auch im Arbeiten nach Modellen, angenommen. Man befestiget nehmlich über einer Statue, die man copiren will, nach dem Verhältniß derselben, ein Viereck, von welchem man nach gleich eingetheilten Graden Bleyfaden herunter fallen lasset. Durch diese Faden werden die äussersten Puncte der Figur deutlicher bezeichnet, als in der ersten Art durch Linien auf der Fläche, wo ein jeder Punct der äusserste ist, geschehen konte: sie geben audi dem Künstler eine sinnlichere Maaße von einigen der stärksten Erhöhungen und Vertiefungen durch die Grade ihrer Entfernung von Theilen, welche sie decken, und er kan durch Hülfe derselben etwas hertzhafter gehen. Da aber der Schwung einer krummen Linie durch eine eintzige gerade Linie nicht genau zu bestimmen ist, so werden ebenfalls die Umrisse der Figur durch diesen Weg sehr zweifelhaft für den Künstler angedeutet, und in geringen Abweichungen von ihrer Haupt-Fläche wird sich derselbe alle Augenblicke ohne Leitfaden und ohne Hülfe sehen. Es ist sehr begreiflich, daß in dieser Manier auch das wahre Verhältniß der Figuren schwer zu finden ist: Man suchet dieselben durch Horizontal-Linien, I welche die Bley-Faden durchschneiden. Die LichtStrahlen aber aus den Vierecken, die diese von der Figur abstehende Linien machen, werden unter einem desto grösseren Winckel ins Auge
4 Winckelmann, Kleine Sdiriften
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Gedancken über die Nachahmung [B: 311|32 A: 28|29 (B: 32|33)]
fallen, folglich größer erscheinen, je höher oder tiefer sie unserem SehePunct sind. II Zum Copiren der Antiquen, mit denen man nicht nach Gefallen umgehen kan, behalten die Bley-Faden noch bis itzo ihren Werth, und man hat diese Arbeit noch nicht leichter und sicherer machen können: aber im Arbeiten nach einem Modell ist dieser Weg aus angezeigten Gründen nicht bestimmt genug. Michael Angelo hat einen vor ihm unbekannten Weg genommen, und man muß sich wundern, da ihn die Bildhauer als ihren grossen Meister verehren, daß vielleicht niemand unter ihnen sein Nachfolger geworden. Dieser Phidias neuerer Zeiten und der gröste nach den Griechen ist, wie man vermuthen könte, auf die wahre Spur seiner grossen Lehrer gekommen, wenigstens ist kein anderes Mittel der Welt bekannt geworden, alle möglich sinnlichen Theile und Schönheiten des Modells auf der Figur selbst hinüber zu tragen und auszudrücken. Vasari hat diese Erfindung desselben etwas unvollkommen beschrieben1: der Begriff nach dessen Bericht ist folgender: I Michael Angelo nahm ein Gefäß mit Wasser, in welches er sein Modell von Wachs oder von einer harten Materie legte: Er erhöhete dasselbe allmählig bis zur Oberfläche des Wassers. Also entdeckten sich zuerst die erhabenen Theile, und die vertieften waren bedeckt, bis endlich das gantze Modell blos und ausser dem Wasser lag. Auf eben die Art, sagt Vasari, arbeitete Michael Angelo seinen Marmor: er deutete zuerst die erhabenen Theile an, und nach und nach die tieferen. Es scheinet, Vasari habe entweder von der Manier seines Freundes nicht den deutlichsten Begriff gehabt, oder die Nachläßigkeit in seiner Erzehlung verursachet, daß man sich dieselbe etwas verschieden, von dem, 1
Vasari Vite de' Pittori, Scult. & Archit. edit. i$68. Part. III. p. 776. - „quattro prigioni bozzati, che possano insegnare ä. cauare de' marmi le figure con un modo sicuro da non istorpiare i sassi, die il modo e questo, che s' e' si pigliassi una figura di cera ό d' altra materia dura, e si mettessi i giacere in una conca d' acqua, la quale acqua essendo per la sua natura nella sua sommiti piana e pari, alzando la detta figura ä poco ^ poco del pari, cosi vengono k scoprirsi prima le parti piu rileuate e έ nascondersi i fondi, ciol· le parti piu basse della figura, tanto che nel fine ella cosi viene scoperta tutta. Nel medesimo modo si debbono cauare con lo scarpello le figure de' marmi, prima scoprendo le parti piu rileuate, e di mano in mano le piu basse, il quale modo si vede osservato da Michel Agnolo ne' sopra detti prigioni, i quali Sua Eccellenza vuole, che servino per esempio de suoi Accademici." |
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was er berichtet, vorstellen muß. Die Form des Wasser-Gefäßes ist hier nicht deutlidh genug bestimmet. Die nach und nach geschehene Erhebung seines Modells ausser dem Wasser von unten auf, würde sehr mühsam seyn, und setzet viel mehr voraus, als uns der Geschidit-Schreiber der Künstler hat wollen wissen lassen. Man kan überzeugt seyn, daß Michael Angelo diesen von ihm erfundenen Weg werde aufs möglichste ausstudiret, und sich bequem gemacht haben. Er ist aller Wahrscheinlichkeit nach folgendergestalt verfahren: Der Künstler nahm ein Gefäß nach der Form der Masse zu seiner Figur, die wir ein langes Viereck setzen wollen. Er bezeichnete die Oberfläche der Seiten dieses viereckigten Kastens mit gewissen Abtheilungen, die er nach einem vergrösserten Maaßstab auf seinen Stein hinüber trug, und ausser dem bemerckte er die inwendigen Seiten desselben von oben bis auf den Grund mit gewissen Graden. In dem Kasten legte er sein Modell von schwerer Materie, oder befestigte es an dem Boden, wenn es von Wadis war. Er bespannete etwa den Kasten mit einem Gitter II nach den gemachten Abtheilungen, nach welchen er Linien auf seinen Stein I zeichnete, und vermuthlich unmittelbar hernach seine Figur. Auf das Modell goß er Wasser, bis es an die äussersten Puncte der erhabenen Theile reichete, und nachdem er denjenigen Theil bemercket hatte, der auf seiner gezeichneten Figur erhoben werden muste, ließ er ein gewisses Maaß Wasser ab, um den erhobenen Theil des Modells etwas weiter hervor gehen zu lassen, und fieng alsdenn an, diesen Theil zu bearbeiten, nach der Maaße der Grade, wie er sich entdeckte. War zu gleicher Zeit ein anderer Theil seines Modells sichtbar geworden, so wurde er auch, so weit er blos war, bearbeitet, und so verfuhr er mit allen erhabenen Theilen. Es wurde mehr Wasser abgelassen, bis audi die Vertiefungen hervor lagen. Die Grade des Kastens zeigten ihm allemahl die Höhe des gefallenen Wassers, und die Fläche des Wassers die äusserste Grund-Linie der Tiefen an. Eben so viel Grade auf seinem Stein waren seine wahre Maaße. Das Wasser beschrieb ihm nicht allein die Höhen und Tiefen, sondern auch den Contour seines Modells; und der Raum von den inneren Seiten des Kastens bis an den Umriß der Linie des Wassers, dessen Grösse die Grade der anderen zwey Seiten gaben, war in jedem Punct das Maaß, wie viel er von seinem Stein wegnehmen konnte. Sein Werck hatte nunmehr die erste aber eine richtige Form erhalten. Die Fläche des Wassers hatte ihm eine Linie beschrieben, von welcher die
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äussersten Puncte der Erhobenheiten Theile sind. Diese Linie war mit dem Fall des Wassers in seinem Gefässe gleichfalls wagrecht fortgerücket, und der Künstler war dieser Bewegung mit seinem Eisen gefolget, bis dahin, wo ihm das Wasser den niedrigsten Abhang der erhabenen Theile, II der mit den Flächen zusammen fließt, bloß zeigete. Er war also mit jedem verjüngten Grad in dem Kasten seines Modells einen gleich gesetzten grösseren Grad auf seiner Figur fortgegangen, und auf diese Art hatte ihn die Linie des Wassers bis über den äussersten Contour in seiner Arbeit geführet, so, daß das Modell nunmehro vom Wasser entblößt lag. I Seine Figur verlangte die schöne Form. Er goß von neuen Wasser auf sein Modell, bis zu einer ihm dienlichen Höhe, und alsdenn zehlete er die Grade des Kastens bis auf die Linie, welche das Wasser beschrieb, wodurch er die Höhe des erhabenen Theils ersähe. Auf eben denselben erhabenen Theil seiner Figur legte er sein Richtscheid vollkommen wagerecht, und von der untersten Linie desselben nahm er die Maaße bis auf die Vertiefung. Fand er eine gleiche Anzahl verjüngter und grösserer Grade, so war dieses eine Art Geometrischer Berechnung des Inhalts, und er erhielt den Beweis, daß er richtig verfahren war. Bey der Wiederholung seiner Arbeit suchte er den Druck und die Bewegung der Muskeln und Sehnen, den Schwung der übrigen kleinen Theile, und das Feinste der Kunst, in seinem Modelle, audi in seiner Figur auszuführen. Das Wasser, welches sich auch an die unmercklichsten Theile legte, zog den Schwung derselben aufs schärfste nach, und beschrieb ihm mit der richtigsten Linie den Contour derselben. Dieser Weg verhindert nicht, dem Modell alle mögliche Lagen zu geben. Ins Profil geleget, wird es dem Künstler vollends entdecken, was er übersehen hat. Es wird ihm auch den äusseren Contour seiner erhabenen und seiner inneren Theile und den gantzen Durchschnitt zeigen. II Alles dieses und die Hoffnung eines guten Erfolgs der Arbeit setzet ein Modell voraus, welches mit Händen der Kunst nach dem wahren Geschmack des Alterthums gebildet worden. Dieses ist die Bahn, auf weldier Michael Angelo bis zur Unsterblichkeit gelanget ist. Sein Ruff und seine Belohnungen erlaubeten ihm Muße, mit solcher Sorgfalt zu arbeiten. Ein Künstler unserer Zeiten, dem Natur und Fleiß Gaben verliehen, höher zu steigen, und welcher Wahrheit und Richtigkeit in dieser Manier findet, sieht sich I genöthiget, mehr nach Brod, als nach Ehre, zu arbeiten. Er bleibet also in dem ihm üblichen Gleise, worinn er eine grössere Fer-
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tigkeit zu zeigen glaubet, und fähret fort, sein durch langwierige Uebung erlangtes Augenmaaß zu seiner Regel zu nehmen. Dieses Augenmaaß, welches ihn vornehmlich führen muß, ist endlich durch practische Wege, die zum Theil sehr zweifelhaft sind, ziemlich entscheidend worden: wie fein und zuverläßig würde er es gemacht haben, wenn er es von Jugend auf nach untrüglichen Regeln gebildet hätte? Würden angehende Künstler bey der ersten Anführung, in Thon oder in andere Materie zu arbeiten, nach dieser sichern Manier des Michael Angelo angewiesen, die dieser nach langen Forschen gefunden, so könten sie hoffen, so nahe, wie er, den Griechen zu kommen. Alles, was zum Preiß der Griechischen Wercke in der BildhauerKunst kan gesaget werden, solte nach aller Wahrscheinlichkeit auch von der Mahlerey der Griechen gelten. Die Zeit aber und die Wuth der Menschen hat uns die Mittel geraubet, einen unumstößlichen Ausspruch darüber zu thun. Man gestehet den Griechischen Mahlern Zeichnung und Ausdruck zu; und das ist alles: Perspectiv, Composition und Colorit spricht man ihnen II ab. Dieses Urtheil gründet sich theils auf halb erhobene Arbeiten, theils auf die entdeckten Mahlereyen der Alten (der Griechen kan man nicht sagen) in und bey Rom, in unterirdischen Gewölbern der Palläste des Mäcenas, des Titus, Trajans und der Antoniner, von welchen nicht viel über dreyßig bis itzo gantz erhalten worden, und einige sind nur in Mosaischer Arbeit. Turnbull hat seinem Wercke von der alten Mahlerey 1 eine Sammlung der bekanntesten Stücke, von Camillo Paderni gezeichnet und von Mynde gestochen, I beygefüget, welche dem prächtigen und gemißbrauchten Papier seines Buchs den eintzigen Werth geben. Unter denselben sind zwey, wovon die Originale selbst in dem Cabinet des berühmten Artztes Richard Meads in London sind. Daß Poußin nach der so genannten Aldrovandinischen
Hochzeit
studiret; daß sich noch Zeichnungen finden, die Annibal Caraccio nach dem vorgegebenen Marcus Coriolanus gemacht; und daß man eine grosse Gleichheit unter den Köpfen in Guido Reni Wercken, und unter den Köpfen auf der bekannten Mosaischen Entführung der Europa, hat finden wollen, ist bereits von andern bemercket. Wenn dergleichen Fresco-Gemählde ein gegründetes Urtheil von der 1
Turnbull's Treatise on ancient Painting, 1740. fol. I
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Mahlerey der Alten geben können; so würde man den Künstlern unter ihnen aus Ueberbleibseln von dieser Art audi die Zeichnung und den Ausdruck streitig machen wollen. Die von den Wänden des Herculanischen Theaters mit samt der Mauer versetzte Mahlereyen mit Figuren in Lebens-Grösse, geben uns, wie man versichert, einen schlechten Begrif davon. Der Theseus, als ein Ueberwinder des Minotauren, wie ihm die jungen Athenienser die Hände küssen und seine Knie umfassen: die Flora nebst den Hercules und einen II Faun: der vorgegebene Gerichtsspruch des Decemvirs Appius Claudius, sind nach dem Augen-Zeugniß eines Künstlers zum Theil mittelmäßig und zum Theil fehlerhaft gezeichnet. In den mehresten Köpfen ist, wie man versichert, nicht allein kein Ausdruck, sondern in dem Appius Claudius sind auch keine guten Charactere. Aber eben dieses beweiset, daß es Mahlereyen von der Hand sehr mittelmässiger Meister sind; da die Wissenschaft der schönen Verhältnisse, der Umrisse der Cörper, und des Ausdrucks bey Griechischen Bildhauern, auch ihren guten Mahlern eigen gewesen seyn muß. Diese den alten Mahlern zugestandene Theile der Kunst lassen den neueren Mahlern noch sehr viel Verdienste um dieselbe. I In der Perspectiv gehöret ihnen der Vorzug unstreitig, und er bleibt, bey aller gelehrten Vertheidigung der Alten, in Ansehung dieser Wissenschaft, auf Seiten der Neueren. Die Gesetze der Composition und Ordonnance, so starck auch Echion in derselben gewesen seyn mag, waren den Alten nur zum Theil und unvollkommen bekannt; wie die erhobenen Arbeiten von Zeiten, wo die Griechischen Künste in Rom geblühet, darthun können. In der Colorit scheinen die Nachrichten in den Schriften der Alten und die Ueberbleibsel der alten Mahlerey auch zum Vortheil der neueren Künstler zu entscheiden. Verschiedene Arten von Vorstellungen der Mahlerey sind gleichfalls zu einen höheren Grad der Vollkommenheit in neuern Zeiten gelanget. In Viehstücken und Landschaften haben unsere Mahler allem Ansehen nach die alten Mahler übertroffen. Die schöneren Arten von Thieren unter andern Himmel-Strichen scheinen ihnen nicht bekannt gewesen zu seyn; wenn man aus einzelnen Fällen, von dem Pferde des Marcus Aurelius, von den beyden Pferden in Monte Cavallo, ja von den vorgegebenen Lysippischen II Pferden über dem Portal der S. Marcus-Kirche 2j so starck . . . seyn mag] fehlt Β
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in Venedig, von dem Farnesischen Ochsen und den übrigen Thieren dieses Gruppo, schliessen darf. Es ist hier im Vorbeygehen anzuführen, daß die Alten bey ihren Pferden die Diametralische Bewegung der Beine nicht beobachtet haben, wie an den Pferden in Venedig und auf alten Müntzen zu sehen ist. Einige Neuere sind ihnen hierinn aus Unwissenheit gefolget, und so gar vertheidiget worden. Unsere Landschaften, sonderlich der Niederländischen Mahler, haben ihre Schönheit vornehmlich dem Oel-Mahlen zu dancken: ihre Farben haben dadurch mehrere Kraft, Freudigkeit und Erhobenheit erlanget, und die N a t u r selbst unter einem dickern und feuchtern Himmel hat zur Erweiterung der Kunst in dieser Art nidit wenig beygetragen. I Es
verdienten
die angezeigten und einige andere Vorzüge
der
neueren Mahler vor den alten, in ein grösseres Licht, durch gründlichere Beweise, als noch bisher geschehen ist, gesetzet zu werden. Zur Erweiterung der Kunst ist noch ein grosser Schritt übrig zu thun. Der Künstler, welcher von der gemeinen Bahn abzuweichen anfängt, oder wircklich abgewichen ist, suchet diesen Schritt zu wagen; aber sein Fuß bleibet an dem jähesten Ort der Kunst stehen, und hier siehet er sich hülflos. Die Geschichte der Heiligen, die Fabeln und Verwandlungen sind der ewige und fast einzige Vorwurf der neueren Mahler seit einigen Jahrhunderten: Man hat sie auf tausenderley Art gewandt und ausgekünstelt, daß endlich Ueberdruß und Eckel den Weisen in der Kunst und den Kenner überfallen muß. Ein Künstler, der eine Seele hat, die dencken gelernet, läßt dieselbe müßig und ohne Beschäftigung bey einer Daphne und bey einem Apollo; II bey einer Entführung der Proserpina, einer Europa und bey dergleichen. Er suchet sich als einen Dichter zu zeigen, und Figuren durch Bilder, das ist, allegorisch zu mahlen. Die Mahlerey erstreckt sich auch auf Dinge, die nicht sinnlich sind; diese sind ihr höchstes Ziel, und die Griechen haben sich bemühet, dasselbe zu erreichen, wie die Schriften der Alten bezeugen. Aristides, ein Mahler, der die Seele schilderte, hat so gar, wie man sagt, den Character eines gantzen Volcks ausdrücken können. Er mahlete die Athenienser, wie sie gütig und zugleich grausam, leichtsinnig und zugleich hartnäckig, brav und zugleich feige waren. Scheinet die Vorstellung möglich, so ist sie es 33—34 Seele θ
Aristides . . . die Seele] Parrhasius, ein Maler, der wie Aristides die
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Gedancken über die Nachahmung [Α: 35|36 Β: 40||41 A: 36]37]
nur allein durch den Weg der Allegorie, durch Bilder, die allgemeine Begriffe bedeuten. Der Künstler befindet sich hier wie in einer Einöde. Die Sprachen der wilden Indianer, die einen grossen Mangel an dergleichen Begriffen haben, und I die kein Wort enthalten, welches Erkentlidikeit, Raum, Dauer u. s. w. bezeichnen könte, sind nicht leerer von solchen Zeichen, als es die Mahlerey zu unseren Zeiten ist. Derjenige Mahler, der weiter dencket als seine Palette reichet, wünschet einen gelehrten Vorrath zu haben, wohin er gehen, und bedeutende und sinnlich gemachte Zeichen von Dingen, die nicht sinnlich sind, nehmen könte. Ein vollständig Werck in dieser Art ist noch nicht vorhanden: die bisherigen Versuche sind nicht beträchtlich genug, und reichen nicht bis an diese grosse Absichten. Der Künstler wird wissen, wie weit ihm des Ripa Iconologie, die DenckBilder der alten Völcker von van Hooghe Genüge thun werden. Dieses ist die Ursach, daß die grösten Mahler nur bekannte Vorwürfe gewählet. Annibal Caraccio, an statt, daß er die berühmtesten Thaten und Begebenheiten des Hauses Farnese in der Farnesischen Gal II lerie, als ein Allegorischer Dichter durch allgemeine Symbola und durch sinnliche Bilder hätte vorstellen können, hat hier seine gantze Stärcke blos in bekannten Fabeln gezeiget. Die Königliche Gallerie der Schildereyen in Dreßden enthält ohne Zweifel einen Schatz von Wercken der grösten Meister, der vielleicht alle Gallerien in der Welt übertrift, und Se. Majestät haben, als der weiseste Kenner der schönen Künste, nach einer strengen Wahl nur das Vollkommenste in seiner Art gesuchet; aber wie wenig historische Wercke findet man in diesem Königlichen Schatz! von Allegorischen, von dichterischen Gemählden noch weniger. Der grosse Rubens ist der vorzüglichste unter grossen Mahlern, der sich auf den unbetretenen Weg dieser Mahlerey in grossen Wercken, als ein erhabener Dichter, gewaget. Die Luxenburgische Gallerie, als sein gröstes Werck, ist durch die Hand der geschicktesten Kupferstecher der gantzen Welt bekannt worden. Nach ihm ist in neueren Zeiten nicht leicht ein erhabeneres Werde in dieser Art unternommen und ausgeführet worden, dergleichen die Cuppola der Kayserlichen I Bibliothec in Wien ist, von Daniel Gran gemahlet, und von Sedelmayern in Kupfer gestochen. Die Vergötterung des Hercules in Versailles als eine Allusion auf den Cardinal Hercules von Fleuri, von Le Moine gemahlet, womit Franckreich als mit der grösten Composition in der Welt pranget, ist gegen die gelehrte und sinnreiche
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Mahlerey des deutschen Mahlers eine sehr gemeine und kurtzsichtige Allegorie: sie ist wie ein Lob-Gedicht, worinn die stärcksten Gedancken sich auf den Nahmen im Calender beziehen. Hier war der Ort, etwas Grosses zu machen, und man muß sich wundern, daß es nicht geschehen ist. Man siehet aber auch zugleich ein, hätte auch die Vergötterung eines Ministers den vor II nehmsten Plafond des Königlichen Schlosses zieren sollen, woran es dem Mahler gefehlet. Der Künstler hat ein Werck vonnöthen, welches aus der gantzen Mythologie, aus den besten Dichtern alter und neuerer Zeiten, aus der geheimen Weltweißheit vieler Völcker, aus den Denckmählern des Alterthums auf Steinen, Müntzen und Geräthen diejenige sinnliche Figuren und Bilder enthält, wodurch allgemeine Begriffe dichterisch gebildet worden. Dieser reiche Stoff würde in gewisse bequeme Classen zu bringen, und durch eine besondere Anwendung und Deutung auf mögliche einzelne Fälle, zum Unterricht der Künstler, einzurichten seyn. Hierdurch würde zu gleicher Zeit ein grosses Feld geöfnet, zur Nachahmung der Alten, und unseren Wercken einen erhabenen Geschmack des Alterthums zu geben. Der gute Geschmack in unseren heutigen Verzierungen, welcher seit der Zeit, da Vitruv bittere Klagen über das Verderbniß desselben führete, sich in neueren Zeiten noch mehr verderbet hat, theils durch die von Morto, einem Mahler von Feltro gebürtig, in Schwang gebrachte Grottesken, theils durch nichts bedeutende Mahlereyen unserer Zimmer, könnte zugleich durch ein gründlicheres Studium der Allegorie gereiniget werden und Wahrheit und Verstand erhalten. I Unsere Schnirckel und das allerliebste Muschelwerck, ohne welches itzo keine Zierrath förmlich werden kan, hat manchmahl nicht mehr Natur, als Vitruvs Leuchter, welche kleine Schlösser und Palläste trugen. Die Allegorie könnte eine Gelehrsamkeit an die H a n d geben, auch die kleinsten Verzierungen dem Ort, wo sie stehen, gemäß zu machen. Reddere persons seit conuenientia cuique. Η O R. II Die Gemähide an Decken und über den Thüren stehen mehrentheils nur da, um ihren Ort zu füllen, und um die ledigen Plätze zu decken, welche nicht mit lauter Vergoldungen können angefüllet werden. Sie ι Mahlers] Künstlers Β
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haben nicht allein kein Verhältniß mit dem Stand und mit den Umständen des Besitzers, sondern sie sind demselben so gar oftmahls naditheilig. Der Abscheu vor den leeren Raum füllet also die Wände; und Gemählde von Gedancken leer, sollen das Leere ersetzen. Dieses ist die Ursach, daß der Künstler, dem man seiner Willkühr überläßt, aus Mangel allegorischer Bilder oft Vorwürfe wählet, die mehr zur Satire, als zur Ehre desjenigen, dem er seine Kunst weihet, gereichen müssen: und vielleicht, um sich hiervor in Sicherheit zu stellen, verlanget man aus feiner Vorsicht von dem Mahler, Bilder zu machen, die nidits bedeuten sollen. Es macht oft Mühe, auch dergleichen zu finden, und endlich — — velut xgri somnia, vanae Fingentur species. hör. Man benimmt also der Mahlerey dasjenige, worinn ihr gröstes Glück bestehet, nehmlich die Vorstellung unsichtbarer, vergangener und zukünftiger Dinge. I Diejenigen Mahlereyen aber, welche an diesem oder jenem Ort bedeutend werden könten, verliehren das, was sie thun würden, durch einen gleichgültigen oder unbequemen Platz, den man ihnen anweiset. Der Bauherr eines neuen Gebäudes Dives agris, dives positis in fcenere nummis. HÖR. wird vielleicht über die hohen Thüren seiner Zimmer und Säle kleine Bilder setzen lassen, die wider den Augen-Punct und wider die Gründe der II Perspectiv anstoßen. Die Rede ist hier von solchen Stüdken, die ein Theil der festen und unbeweglichen Zierathen sind; nidit von solchen, die in einer Sammlung nach der Symmetrie geordnet werden. Die Wahl in Verzierungen der Bau-Kunst ist zuweilen nicht gründlicher: Armaturen und Tropheen werden allemahl auf ein Jagd-Haus eben so unbequem stehen, als Ganymedes und der Adler, Jupiter und Leda unter der erhobenen Arbeit der Thüren von Ertzt, am Eingang der S. Peters-Kirche in Rom. Alle Künste haben einen gedoppelten Endzweck: sie sollen vergnügen und zugleich unterrichten, und viele von den grösten Landschafft-Mahlern haben daher geglaubet, sie würden ihrer Kunst nur zur Hälfte ein Genüge gethan haben, wenn sie ihre Landschaften ohne alle Figuren gelassen hätten.
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Der Pinsel, den der Künstler führet, soll im Verstand getunckt seyn, wie jemand von dem Sdireibe-Griffel des Aristoteles gesaget hat: Er soll mehr zu dencken hinterlassen, als was er dem Auge gezeiget, und dieses wird der Künstler erhalten, wenn er seine Gedancken in Allegorien nicht zu verstecken, sondern einzukleiden gelernet hat. Hat er einen Vorwurf, den er selbst gewählet, oder der ihm ge I geben worden, welcher dichterisch gemacht, oder zu machen ist, so wird ihn seine Kunst begeistern, und wird das Feuer, welches Prometheus den Göttern raubete, in ihm erwecken. Der Kenner wird zu dencken haben, und der bloße Liebhaber wird es lernen.
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Sendschreiben über die Gedanken Von der Nachahmung der griechischen Werke in der Malerey und Bildhauerkunst. Mein Freund! Sie haben von den Künsten und von den Künstlern der Griechen gesdirieben, und ich hätte gewünscht, daß Sie mit ihrer Sdirift, wie die griediisdien Künstler mit ihren Werken, verfahren wären. Sie stelleten sie den Augen aller Welt und sonderlich der Kenner blos, ehe sie dieselben aus den Händen liessen, und ganz Griechenland urtheilete über ihre Werke in den grossen Spielen, sonderlich in den Olympischen. Sie wissen, daß Aetion sein Gemälde von Alexanders Vermählung mit der Roxane dahin brachte. Sie hätten mehr als einen Proxenides, der dort I den Künstler richtete, nöthig gehabt. Wenn sie nicht gar zu heimlich mit ihrer Schrift gewesen wären, so hätte ich dieselbe, ohne den Namen des Verfassers zu melden, einigen Kennern und Gelehrten, mit denen ich hier in Bekantschaft gekommen bin, vor dem Druck mittheilen wollen. Einer von ihnen hat zweymal Italien und die Gemälde der größten Meister an dem Orte selbst, wo sie gemacht sind, ganze Monate ein jedes angesehen. Sie wissen, daß man allein auf diese Art ein Kenner wird. Ein Mann der ihnen so gar zu sagen weiß, welche von Guido Reni Altarblättern auf Tafiend oder auf Leinwand gemalet sind; was vor H o l z Raphael zu seiner Transfiguration genommen, u. s. w. dessen Urtheil, glaube ich, würde entscheidend gewesen seyn! Ein anderer unter meinen Bekanten hat das Alterthum studiret: er kennet es am Gerüche; Callet & artificem solo deprendere odore. Sectani Sat. er weiß wie viel Knoten an der Käule des Hercules gewesen sind; wie viel des Nestors Becher nach dem heutigen Maas enthalten: ja man sagt, er werde endlich im Stande seyn, alle die Fragen zu beantworten, welche Kaiser Tiberius den Sprachlehrern vorgeleget hat.
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Noch ein anderer hat seit vielen Jahren nichts als alte Münzen angesehen. Er hat viel neue Entdeckungen gemacht, sonderlich zu einer Geschichte der alten Münzmeister; und man sagt, er werde die Welt aufmerksam machen durch einen Vorläufer von den Münzmeistern der Stadt Cyzicum. Wie sicher würden Sie gefahren seyn, wenn ihre Arbeit vor den Richterstuhl solcher Gelehrten wäre gebracht worden! Diese Herren haben mir I ihre Bedenken über dieselbe eröfnet: es ist mir leid um Ihre Ehre, wenn dergleichen öffentlich erscheinen solten. Unter andern Einwürfen wundert sich der erste, daß Sie die beyden Engel auf dem Raphael der Königlichen Gallerie zu Dreßden nicht beschrieben haben. Man hat ihm gesagt, daß ein Maler von Bologna, da er dieses Stück zu St. Sixt in Piacenz gesehen, voller Verwunderung in einem1 Briefe ausruft; „O! was vor ein Engel aus dem Paradiese"! Dieses deutet er auf diese Engel, und er behauptet, daß es die schönsten Figuren in Raphaels Werke seyn. Er könnte Ihnen auch vorwerfen, der Raphael sey in der Art beschrieben, wie Raguenet 2 einen H. Sebastian von Beccafumi, einen Hercules mit dem Antäus von Lanfranc u. s. w. schildert. Der zweyte glaubet, der Bart des Laocoons hätte eben so viel Aufmerksamkeit in Ihrer Schrift als der eingezogene Leib desselben verdienet. Ein Kenner der Werke der Griechen, sagt er, muß den Bart des Laocoons mit eben den Augen ansehen, mit welchen der P. Labat den Bart des Moses von Michael Angelo angesehen hat. Dieser erfahrne Dominicaner, Qui mores hominum multorum vidit & vrbes, hat nach so vielen Jahrhunderten aus dem Barte der Statue bewiesen, wie Moses seinen Bart getragen, und wie die Juden denselben tragen müssen, wenn sie wollen Juden heissen3.1 Sie haben nach dieses Mannes Meinung ohne alle gelehrte Kentniß 1 2 3
Lettere d' alcuni Bolognesi Vol. I. p. 159. Raguenet Monumens de Rome, Paris, 12. Labat Voyag. en Espagne & en Ital. T. III. p. 213. — Michel Ange etoit aussi savant dans 1' Antiquite que dans 1' Anatomie, la Sculpture, la Peinture & 1' Architecture, & puisqu'il nous a represente Moyse avec une belle & si longue barbe, il est sur & doit passer pour constant, que ce Prophete la portoit ainsi, & par une consequence necessaire les Juifs, qui pretendent le copier avec exactitude, & qui font la plus grande partie de leur religion de 1' observance des usages, qu'il a laisse, doivent avoir de la barbe comme lui, ou renoncer i la qualite des Juifs. |
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von dem Peplon der Vestalen geschrieben: an der Beugung des Schleyers über der Stirn der größten Vestale hätte er Ihnen vielleicht eben so viel entdecken können, als Cuper von der Spitze 1 des Schleyers an der Figur der Tragoedie auf der berühmten Vergötterung des Homers gesagt hat. Es fehlet auch der Beweis, daß die Vestalen wirklich von der Hand eines griechischen Meisters sind. Unser Verstand bringt uns sehr oft nicht auf Sachen die uns natürlich einfallen solten. Wenn man Ihnen beweisen wird, daß der Marmor zu diesen Figuren nicht Lychnites gewesen, so kann es nicht fehlen, die Vestalen verlieren nebst Ihrer Schrift einen grossen Wehrt. Sie hätten nur sagen dürfen, der Marmor habe grosse Körner: Beweis genug über eine griechische Arbeit; wer wird Ihnen so leicht darthun können, wie groß die Körner seyn müssen, um einen griechischen Marmor von dem Marmor von Luna, den die alten Römer nahmen, zu unterscheiden. J a , was noch mehr ist, man will sie nicht einmahl vor Vestalen halten. Der Münzverständige hat mir von Köpfen der Livia und der Agrippina gesagt, welche das von Ihnen angegebene Profil nicht haben. An I diesem Orte, meinet er, hätten Sie die schönste Gelegenheit gehabt, von dem, was die Alten eine viereckigte Nase nennen, zu reden, welches zu Ihren Begriffen von der Schönheit gehöret hätte. Unterdessen wird Ihnen bekannt seyn, daß die Nase an einigen der berühmtesten griechischen Statuen, als an der mediceisdien Venus, und an den picchinischen Meleager viel zu dicke scheinet, als daß sie unsern Künstlern ein Muster der schönen Natur seyn könnte. Ich will Sie nicht kränken mit viel Zweifeln und Einwürfen, die wider Ihre Schrift vorgebracht sind, und welche zum Eckel wiederholet wurden, da ein academischer Gelehrter, der den Character des homerischen Margites zu erlangen strebet, dazu kam. Man zeigte ihm die Schrift; er sähe sie an und legte sie weg. Der erste Blick war ihm also schon anstössig gewesen, und man sähe es ihm an, daß er um sein Urtheil befragt seyn wolte, welches wir alle thaten. Es scheinet eine Arbeit, fieng er an, über welche sich des Verfassers Fleiß nicht in Unkosten hat setzen wollen: ich finde nicht über vier bis fünf Allegata, und diese sind zum Theil nachlässig angegeben, ohne Blatt und Capitel zu bemerken. Es kann nicht fehlen, er hat seine Nachrichten aus Büchern genommen, die er sich anzuführen schämet. 1
Apotheos. Homeri. p. 81. 82. |
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Endlich muß ich Ihnen sagen, daß jemand etwas in der Schrift will gefunden haben, was mir noch itzo in derselben verdeckt geblieben ist; nemlich, daß die Griechen als die Erfinder der Malerey und Bildhauerkunst angegeben worden; welches ganz falsch ist, wie sich derselbe zu erklären beliebet. E r hat gehöret, daß es die Egypter gewesen, oder noch ein älter Volk, welches er nicht kenne. I Man kann auch aus den unerheblichsten Einfällen Nutzen ziehen: unterdessen ist klar, daß Sie nur allein von dem guten Geschmadke in diesen Künsten haben reden wollen, und die erste Erfindung einer Kunst verhält sich mehrentheils zu dem Geschmacke in derselben, wie das Saamenkorn zu der Frucht. Man kann die Kunst in der Wiege unter den Egyptern in späteren Zeiten, und die Kunst in ihrer Schönheit unter den Griechen auf ein und eben demselben Stücke vergleichen. Man betrachte den Ptolomäus Philopator von der H a n d des Aulus, auf einem geschnittenen Steine, und neben besagten Kopfe ein paar Figuren 1 eines egyptischen Meisters, um das geringe Verdienst seiner Nation um diese Künste einzusehen. Die Form und den Geschmack ihrer Gemälde haben Middleton 2 und andere beurtheilet. Die Gemälde von Personen in Lebensgrösse auf zwo Mumien in dem Königlichen Schatze der Alterthümer zu Dreßden geben von der elenden Malerey der Egypter deutliche Beweise. Diese beyden Körper sind unterdessen unter mehr als einem Umstände merkwürdig, und ich werde meinem Schreiben eine kleine Nachricht von denselben beyfügen. Ich kann nicht leugnen, mein Freund, ich muß diesen Erinnerungen zum Theil Recht widerfahren lassen. D e r Mangel angeführter Schriften gereichet Ihnen zu einigem Vorurtheil: die Kunst aus blauen Augen schwarze zu machen hätte wenigstens ein Allegatum verdienet. Sie machen es fast wie Democritus; Was ist der Mensch? fragte man ihn: etwas das wir alle wissen, antwortete er. Welcher vernünftige Mensch kann alle griechische Scholiasten lesen! I Ibit eo, quo vis, qui zonam perdidit — HORAT.
Diese Erinnerungen haben midi unterdessen veranlasset, die Schrift mit einem andern Auge, als vorher geschehen war, durchzugehen. Man ist insgemein gar zu geneigt, der Waage durch das Gewicht der Freund1 1
Stosdi Pierr. grav. pi. X I X . Monum. antiquit. p. 2j j. |
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Sendschreiben über die Gedanken von der Nachahmung [53|54]
schaft oder des Gegentheils den Ausschlag geben zu lassen. Ich würde mich im ersteren Fall befinden: Allein um dieses Vorurtheil zu heben, werde ich meine Einwürfe so weit zu treiben suchen, als es mir möglich ist. Die erste und andere Seite will ich Ihnen schenken; ob ich schon über die Vergleichung der Diana des Virgils mit der Nausicaa des Homers, und über die Anwendung derselben, ein paar Worte sagen könnte. Ich glaube audi, die Nachricht auf der zweyten Seite von den gemißhandelten Stücken des Correggio, welche vermuthlidi aus des Herrn Graf Tessins Briefen genommen ist, hätte können erläutert werden mit einer Nachricht von dem Gebrauche, den man zu eben der Zeit von den Stücken der besten Meister in Stockholm gemacht hat. Man weis, daß in der Eroberung der Stadt Prag a. 1648. den 15 Julii durch den Graf Königsmark, das beste aus der kostbaren Sammlung von Gemälden Kaiser Rudolphs I I . weggenommen und nach Schweden geführet ist. 1 Unter denselben waren etliche Stücke des Correggio, die derselbe f ü r den Herzog Friderich von Mantua gearbeitet hatte, und die dieser dem Kaiser schenkte. Die berühmte Leda, und ein Cupido der an seinen Bogen arbeitet, waren die vornehmsten von besagten Stücken. 2 I Die Königin Christina, die zu derselben Zeit mehr Schulwissenschaft als Geschmack hatte, verfuhr mit diesen Schätzen, wie Kaiser Claudius mit einem Alexander von der H a n d des Apelles, der den Kopf der Figur ausschneiden, und an desselben Stelle des Augustus Kopf setzen ließ. 1 Aus den schönsten Gemälden schnitte man in Schweden die K ö p f e , Hände und Füsse heraus, die man auf eine Tapete klebete; das übrige wurde dazu gemalet. Dasjenige, was das Glück gehabt hat, der Zerstümmelung zu entgehen, sonderlich die Stücke vom Correggio, nebst den Gemälden, welche die Königin in Rom angekauft hat, kamen in den Besitz des Herzogs von Orleans, der 250 Stücke vor 90,000 Scudi erstanden: unter denselben waren eilf Gemälde von der Hand des Correggio. Ich bin auch nicht allerdings zu frieden, daß Sie den nordischen Ländern allein vorwerfen, daß der gute Geschmack bey ihnen spät bekannt geworden, und dieses aus ihrer geringen Achtung schöner Gemälde. Wenn dieses von dem Geschmacke zeuget, so weis ich nicht, wie man von unsern Nachbarn urtheilen könnte. Da Bonn die Residenz der Churfürsten von Cölln, in der so genannten fürstenbergischen Sache, nach dem 1 2
1
Puffendorf. reb. Suec. L. XX. §. 50. p. 796. Sandrart Acad. Pict. P. II. L. z. c. 6. p. 118 conf. St. Geiais descr. des Tabl. du Palais Royal p. 52. seq. | Plin. Hist. Nat. L. 35. c. 10.
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Tode Maximilian Henrichs, von den Franzosen erobert wurde, ließ man die grossen Gemälde von ihren Ramen ohne Unterschied herausschneiden, und über die Bügel der Wagen spannen, auf welchen die Geräthe und die Kostbarkeiten des churfürstlichen Schlosses nach Frankreich abgeführet s
wurden. Glauben Sie nicht, daß ich mit bloß historischen Erinnerungen, wie ich angefangen habe, fortfahren
werde. Ehe ich Ihnen
aber |
meine Zweifel bringe, kann idi nicht umhin, Ihnen zwey allgemeine Puncte vorzuhalten. Sie haben zum ersten in einem Stile geschrieben, w o oft die Deutlich10
keit unter der Kürze zu leiden scheinet. Haben Sie besorget, Sie möchten künftig zu der Strafe desjenigen Spartaners, der mehr als drey Worte gesaget, verdammet werden; nemlidi Guicciardins Krieg von Pisa zu lesen? W o ein allgemeiner Unterricht der Endzweck ist, das muß für jedermann faßlich seyn. D i e Speisen sollen mehr nach dem Geschmack der
n
Gäste, als nach dem Geschmack der Ködie zugerichtet werden, Coenae fercula nostrae M a l i m conuiuis, quam placuisse coquis. Hernach geben Sie sich fast in einer jeden Zeile mit einer allzugrossen Passion für das Alterthum blos. Ich hoffe, Sie werden der Wahrheit etwas
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einräumen, wenn ich in der Folge meiner Anmerkungen, w o mir etwas in diesem Puncte anstössig scheinet, erinnere. D e r erste besondere Einwurf, den ich Ihnen mache, ist auf der dritten Seite. Erinnern Sie sich allezeit, daß ich glimpflich mit Ihnen verfahre; ich habe die zwo ersten Seiten unangefochten gelassen;
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non temere a me Quiuis ferret idem. Η OR.
Itzo werde ich anfangen in der gewöhnlichen Form der Beurtheilungen einer Schrift mit Ihnen zu verfahren. 30
D e r Verfasser redet von gewissen Nachlässigkeiten in den Werken der griechischen Künstler, die man ansehen soll, wie Lucian den Jupiter des Phidias zu Pisa will angesehen haben 1 , „den Jupiter selbst, nicht den I Schemmel seiner Füsse"; und man konnte demselben über dem Schemmel vielleicht nichts, über die Statue selbst aber ein grosses Vergehen vor-
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werfen. 1
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Lucian. de hist, scrib. |
Windcelmann, Kleine Schriften
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Ist es nichts, daß Phidias seinen sitzenden Zevs so groß gemacht hat, daß er bey nahe an die Decke des Tempels gereichet, und daß man befürchten müssen, der Gott werde das ganze Dach abwerfen, wenn es ihm einmahl einfallen solte aufzustehen?1 Man hätte weislicher gehandelt, diesen Tempel ohne Dach, wie den Tempel des olympischen Jupiters zu Athen zu lassen2. Es ist keine Unbilligkeit, wenn man von dem Verfasser eine Erklärung fordert, was er unter seinen Begrif der Nachlässigkeiten verstehet. Es scheinet, als wenn die Fehler der Alten unter diesem Namen zugleich mit durchsdileichen sollten, welche man sehr geneigt wäre, wie der griechische Dichter Alcäus ein Mahl auf dem Finger seines geliebten Knabens, uns vor Schönheiten auszugeben. Man siehet vielmals die Unvollkommenheiten der Alten, wie ein väterlich Auge die Mängel seiner Kinder, an. Strabonem Appellat Paetum pater, & Pullum, male parvus Si cui filius est.
hokat.
Wären es Nachlässigkeiten von der Art, welche die alten „Parerga"® nenneten, und dergleichen man wünschte, daß Protogenes in seinem Ialysus begangen hätte, wo der grosse Fleiß des Malers an ein Rebhun den ersten Blick auf sich zog, zum Nachtheil der Hauptfigur, so wären sie I wie gewisse Nachlässigkeiten an dem Frauenzimmer, welche zieren. Weit sicherer wäre es gewesen, den Diomedes des Dioscorides gar nicht anzuführen; der Verfasser aber, der diesen Stein gar zu wohl zu kennen scheinet, wolte sich gleich anfänglich wider alle Einwendungen über die Fehler der alten Künstler verwahren, und da er glauben können, wenn man ihm in einer der berühmtesten und schönsten Arbeiten der Griechen, wie der Diomedes ist, Fehler zeigen würde, daß dieses zugleich wenigstens ein Vorurtheil wider geringere Werke der Künstler dieser Nation geben können, so suchte er eine ganz leichte Abfertigung, und meinete alle Fehler unter dem glimpflichen Ausdruck der Nachlässigkeiten zu bededken. Wie! wenn ich zeige, daß Dioscorides weder Perspectiv noch die gemeinsten Regeln der Bewegung des menschlichen Körpers verstanden, ja so gar wider die Möglichkeit gehandelt habe? Ich werde es wagen; aber Strabo Geogr. L. VIII. p. 542. * Vitruv. L. III. c. I. * Plin. Hist. Nat. L. 3j. c. ίο. I 1
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incedo per ignes Suppositos cineri doloso HÖR. und ich würde vielleicht nidit zu erst Fehler in diesem Steine entdecken, aber mir ist gänzlich unbekannt, daß jemand dieselben schriftlich mitgetheilet habe. Der Diomedes des Dioscorides ist eine Figur, die entweder sitzet, oder die sich von dem Sitze heben will; denn die Action desselben ist zweydeutig. Er sitzet aber nicht; welches offenbar ist: er kann sich aber auch nicht heben; welches in der Action, die er macht, nicht geschehen kann. Die Bemühung die unser Körper anwendet, von einem Sitze aufzustehen, gesdiiehet den Regeln der Mechanik zu folge, nach den Mittelpunct der Schwere zu, welchen der Körper sucht. Diesen suchet der sich he- I bende Körper zu erhalten, wenn er die im Sitzen vorwerts gelegten Beine nach sich ziehet;1 und auf unserm Steine ist hingegen das rechte Bein gestreckt. Die Bemühung sich zu erheben fängt sich an mit aufgehobenen Fersen, und die Schwere ruhet in diesem Augenblicke nur auf den Zehen; welches Felix2 in seinem geschnittenen Diomedes beobachtet hat: hier hingegen ruhet die ganze Fußsohle. In einer sitzenden Stellung, in welcher Diomedes ist, mit dem untergeschlagenen linken Beine, kann der Körper, wenn er sich erheben will, den Mittelpunct seiner Schwere nicht blos durch das Zurückziehen der Beine finden; folglich sich unmöglich durch diese Bewegung, die er sich giebt, allein heben. Diomedes hat in der linken Hand, welche auf dem untergeschlagenen Beine ruhet, das geraubte Palladium, und in der rechten Hand ein kurzes Schwerdt, dessen Spitze nachlässig auf dem Postamente liegt. Des Diomedes Körper äussert also weder die erste und natürliche Bewegung der Füsse, die zu einer jeden ungezwungenen Aufrichtung eines sitzenden nothwendig ist, noch auch die Kraft der stützenden Arme, die in einer ungewöhnlichen Lage des Sitzens zum heben erfordert wird; folglich kann sich Diomedes nicht heben. Zu gleicher Zeit ist die Figur in dieser Action betrachtet, ein Fehler wider die Perspectiv begangen. Der Fuß des linken untergeschlagenen Beins berühret das Gesims des Postaments, welches über die Grundfläche, worauf es selbst und 1 1
Boreil. de motu animal. P. I. c. 18. prop. 142. p. 142. edit. Bernoul. Stosch. Pierr. grav. pi. 35.
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der vordere ausgestreckte Fuß ruhet, hervorraget; folglich ist die Linie, die I der hintere Fuß beschreiben würde, auf dem Steine die vordere, und diejenige, welche der vordere Fuß madit, die hintere. Wäre auch diese Stellung möglich, so ist sie wider den Character in den meisten Werken der griechischen Künstler, als welche allezeit das Natürliche, das Ungezwungene gesucht haben, welches niemand in einer so gewaltsamen Verdrehung des Diomedes finden kann. Ein jeder der sich bemühen wird, diese Stellung im Sitzen möglich zu machen, wird dieselbe beynahe unmöglich finden. Könnte man aber dieselbe durch Mühe endlich erhalten, ohne sich aus vorhergegangenen Sitzen in dieselbe zu setzen, so wäre sie dennoch wider alle Wahrscheinlichkeit: denn welcher Mensch wird sich mit Fleiß in einem so peinlichen Stande die äusserste Gewalt anthun? Felix, welcher vermuthlich nach dem Dioscorides gelebet, hat zwar seinen1 Diomedes in der Action gelassen, welche sein Vorgänger demselben gegeben hat, aber er suchte das Gezwungene derselben wo nicht zu heben, doch wenigstens erträglicher vorzustellen durch die dem Diomedes gegen über gestellete Figur des Ulysses, welcher, wie man sagt, die Ehre des geraubten Palladii dem Diomedes nehmen, und ihm dasselbe hinterlistiger Weise entreissen wollen. Diomedes setzt sich also zur Gegenwehr und durch die Heftigkeit, welche der Held äussert, bekommt dessen Stellung einige mehrere Wahrscheinlichkeit. Eine sitzende Figur kann Diomedes eben so wenig seyn, welches der freye und ungedruckte Contour der Theile des Gesässes und des Schenkels zeiget: es könnte auch der Fuß des untergeschlagenen entfernteren Beins nicht sichtbar seyn; zugeschweigen, daß eben dieses Bein mehr aufwerts gebogen stehen müste. I Der Diomedes beym Mariette1 ist vollends wider alle Möglichkeit: denn das linke Bein ist wie ein zugelegtes Taschenmesser untergeschlagen, und der Fuß, welcher nicht sichtbar ist, hebt sich so hoch, daß er nirgend auf etwas ruhen kann. Kann man dergleichen Fehler mit dem Titel der Nachlässigkeiten entschuldigen, und würde man sie in den Werken neuerer Meister mit solchem Glimpfe übergehen? Dioscorides hat sich in der That in dieser seiner berühmten Arbeit nur als einen Copisten des Polyclets gezeiget. Man glaubt,8 dieser sey eben 1
Stosch. Pierr. grav. pl. 3$. | Mariette Pierr. grav. Τ. II. n. 94. * Stosch. Pierr. grav. pl. 54. 1
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der Polyclet, dessen Doryphorus den griechischen Künstlern die höchste Regel in menschlichen Verhältnissen gewesen. Sein Diomedes war also vermuthlich das Urbild des Dioscorides; und dieser hat einen Fehler vermieden, den jener begangen hatte. Das Postament, über welches der Diomedes des Polyclets schwebet, ist wider die bekanntesten Regeln der Perspectiv gearbeitet. Das untere und das obere Gesims desselben machen zwo ganz verschiedene Linien, da sie doch aus einem Puncte fortlaufen solten. Mich wundert, daß Perrault nicht auch aus geschnittenen Steinen Beweise zur Behauptung der Vorzüge der neueren Künstler über die Alten genommen hat. Idi glaube, es werde dem Verfasser und dessen Schrift nicht nachtheilig seyn, wenn ich, ausser meinen Erinnerungen, auch den Quellen nachspüre, woher er einige von besonderen Stellen und Nachrichten genommen hat. I Von der Speise, welche den jungen Ringern unter den Griechen der ältesten Zeiten vorgeschrieben gewesen, redet 1 Pausanias. Ist dieses eben der Ort, den man in der Schrift vor Augen gehabt hat, warum ist hier Milchspeise überhaupt angegeben, da der griechische Text von weichen Käse redet? Dromevs von Stymphilos hat an dessen Stelle das Fleischessen aufgebracht, wie eben daselbst gemeldet wird. Mit der Nachforschung über das große Geheimnis der Griechen, aus blauen Augen schwarze zu machen, hat es mir nicht gelingen wollen. Idi finde nur einen einzigen Ort, und diesen beym Dioscorides,2 der von dieser Kunst sehr nachlässig, und nur wie im Vorbeygehen redet. Hier wäre der Ort gewesen, wo der Verfasser seine Schrift merkwürdiger machen können, als vielleicht durch seinen neuen Weg in Marmor zu arbeiten. Newton und Algarotti würden hier den Weisen mehr Aufgaben und den Schönen mehr Reizungen vorlegen können. Diese Kunst würde von den deutschen Schönen höher geschätzt werden, als von den griechischen, bey denen grosse und schöne blaue Augen seltener, als die schwarzen gewesen zu seyn scheinen. Grüne Augen waren zu einer gewissen Zeit Mode. Et si bei oeil Vert & riant Sc clair Le Sire de Coucy Chanson 1 Pausan. L. VI. c. 7. p. 470. * Dioscor. de re medica L. V. c. 179. conf. Salmas. Exercit. Plin. c. IJ. p. 134. b.
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ich weis nicht, ob die Kunst einigen Antheil an der Farbe derselben gehabt hat. Ueber die Blattergruben würden audi ein paar Worte aus dem Hippocrates zu reden seyn, wenn man sich in Worterklärungen einzulassen gesonnen wäre. I Ich bin im übrigen der Meinung, die Verstellung, die ein Gesicht durch Blattern leidet, verursache einem Körper keine so grosse Unvollkommenheit, als diejenige war, die man an den Atheniensern bemerken wollen. So wohlgebildet ihr 1 Gesicht war, so armseelig war ihr Körper an dem Hintertheile. 2 Die Sparsamkeit der Natur an diesen Theilen war wie der Ueberfluß derselben bey den Enotoceten in Indien, die so grosse Ohren sollen gehabt haben, daß sie sich derselben anstatt der Küssen bedienet. Ueberhaupt glaube ich, unsere Künstler würden vielleicht eben so gute Gelegenheit haben können, das schönste Nackende zu studiren, wie in den Gymnasien der Alten geschehen. Warum nutzen sie diejenige nicht, die man den Künstlern in Paris vorschlägt,3 in heissen Sommertagen längst den Ufern der Seine, um die Zeit, da man sich zu baden pfleget, zu gehen, wo man das Nackende von sechs bis zu fünfzig Jahren wählen kann? Nadi solchen Betrachtungen hat Michael Angelo in seinem berühmten4 Carton von dem Kriege von Pisa vermuthlich die Figuren der Soldaten entworfen, die sich in einem Fluße baden, und über dem Schall einer Trompete aus dem Wasser springen, zu ihren Kleidern eilen, und dieselben über sich werfen. Einer von den anstössigsten Orten in der Schrift ist ohne Zweifel derjenige, wo zu Ende der zehenten Seite die neueren Bildhauer gar zu tief I unter die griechischen herunter gesetzt werden. Die neueren Zeiten haben im Starken und Männlichen mehr als einen Glycon, und im Zärtlichen, Jugendlichen und Weiblichen mehr als einen Praxiteles aufzuweisen. Michael Angelo, Algardi und Schlüter, dessen Meisterstücke Berlin zieren, haben musculöse Körper, und — invicti membra Glyconis HÖR. so erhaben und männlich als Glycon selbst gearbeitet; und im Zärtlichen Aristoph. Nub. v. 1178. Aristoph. Nub. v. 1 3 & Scholiast, ad h. 1. * Observat. sur les Arts Sc sur quelques Morceaux de Peinture & Sculpt, exposis au Louvre en 1748, p. 18. 4 Riposo di Raffaello Borghini. L. I. p. 46.1 1
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könnte man beynahe behaupten, daß Bernini, Fiammingo, Le Gros, Rauchmüller und Donner die Griechen selbst übertroffen haben. Unsere Künstler kommen darinn überein, daß die alten Bildhauer nicht verstanden, schöne Kinder zu arbeiten, und ich glaube, sie würden zur Nachahmung viel lieber einen Cupido vom Fiammingo als vom Praxiteles selbst wählen. Die bekannte Erzählung von einem Cupido, den Midiael Angelo gemacht, und den er neben einen Cupido eines alten Meisters gestellet, um unsere Zeiten dadurch zu lehren, wie vorzüglich die Kunst der Alten sey, beweiset hier nichts: denn Kinder von Michael Angelo werden uns niemals einen so nahen Weg führen als es die Natur selbst thut. Ich glaube, es sey nicht zuviel gesagt, wenn man behauptet, Fiammingo habe als ein neuer Prometheus Geschöpfe gebildet, dergleichen die Kunst wenige vor ihn gesehen hat. Wenn man von den mehresten Figuren von Kindern auf geschnittenen Steinen,1 und auf erhobenen Arbei I ten1 der Alten, auf die Kunst überhaupt schliessen darf, so wünschte man ihren Kindern mehr Kindisches, weniger ausgewachsene Formen, mehr Milchfleisch und weniger angedeutete Knochen. Eben dergleichen Bildung haben Raphaels Kinder und der ersten grossen Maler bis auf die Zeiten, da Franz Quenoy, genannt Fiammingo erschien, dessen Kinder, weil er ihnen mehr Unschuld und Natur gegeben, den Künstlern nach ihm eben dasjenige geworden, was Apollo und Antinous demselben im Jugendlichen sind. Algardi, der zu gleicher Zeit gelebet, ist dem Fiammingo in Figuren von Kindern an die Seite zu setzen. Ihre Modelle in Thon sind unsern Künstlern schätzbarer als der Alten ihre Kinder in Marmor; und ein Künstler, den ich namentlich anzuführen mich nicht schämen dürfte, hat mich versichert, daß in sieben Jahren, so lange er in der Academie der Künstler zu Wien studiret, er niemand wisse, der nach einem dasigen Antiquen Cupido gezeichnet habe. Ich weis auch nicht, was es vor ein Begrif von einer schönen Form bey den griechischen Künstlern gewesen, die Stirn an Kindern und jungen Leuten mit herunterhängenden Haaren zu bedecken. Ein Cupido1 vom Praxiteles, ein Patroclus® auf einem Gemälde beym Philostratus war also 1
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S. Den Cupido (a) des Solons; den Cupido der die Löwinnen führet vom (b) Sostratus, und ein Kind neben einem Faun vom (c) Axeodius. (a) Stosdi. Pierr. grav. pl. 64. (b) Ibid. pl. 66. (c) Ibid. pl. 20. | v. Bartoli Admiranda Rom. Fol. 50. 51. 61. Zanetti Statue antiche P . II.
fol. 33·.
v. Callistrat. p. 903. ® v. Philostrat. Heroic.
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vorgestellet; und Antinous erscheinet weder in Statuen und Brustbildern, noch auf geschnittenen Steinen und auf Münzen anders: und vielleicht verursacht dergleichen Stirn dem Liebling des Hadrians die trübe und etwas melancholische Mine, welche man an dessen Köpfen bemerket. I Giebt eine offene und freye Stirn einem Gesichte nicht mehr edeles und erhabenes? und scheinet Bernini das Schöne in der Form nicht besser gekannt zu haben, als die Alten, da er dem damahls jungen Könige in Frankreich Ludewig XIV. dessen Brustbild er in Marmor arbeitete, die Haarlocken aus der Stirn rückte, welche dieser Prinz vorher bis auf die Augenbraunen herunterhängend getragen? „E. Majestät", sagte der Künstler, 1 „ist König, und kann die Stirn der ganzen Welt zeigen." Der König und der ganze Hof trugen die Haare von der Zeit an, so wie es Bernini gut gefunden hatte. Eben dieses grossen Künstlers Urtheil über die erhobene Arbeit an dem Monumente Pabst Alexanders VI. 2 kann Anlaß geben, über dergleichen Arbeit der Alten eine Anmerkung zu machen. „Die Kunst der erhobenen Arbeit bestehet darinn", sagte er, „zu machen, daß dasjenige, was nicht erhoben ist, erhoben scheine. Die fast ganz erhobenen Figuren am gedachten Monumente" pflegte er zu sagen, „schienen, was sie wären, und schienen nicht, was sie nicht wären." Erhobene Arbeiten sind von den ersten Erfindern angebracht worden an Orten, welche man mit historischen oder allegorischen Bildern zieren wolte, wo aber ein Gruppo von freystehenden Statuen, auch in Absicht des Gesimses, weder Platz noch ein bequemes Verhältniß fand. Ein Gesims dienet nicht so wohl zur zierlichen Bekleidung, als vielmehr zur Verwahrung und Beschützung desjenigen Theils eines Werks und Gebäudes, woran es stehet. Die Vorlage desselben sey allezeit dem Nutzen I gemäß, den es leisten soll, nemlich Wetter, und Regengüsse, und andere gewaltsame Beschädigungen von den Haupttheilen abzuhalten. Hieraus folget, daß erhobene Arbeiten über die Bekleidung des Orts, welchen sie zieren, als dessen zufälliges Theil sie selbst nur sind, nicht hervorspringen sollen, indem es so wohl dem natürlichen Endzwecke eines Gesimses entgegen, als für die erhobenen Figuren selbst gefährlich seyn würde. Die mehresten erhobenen Arbeiten der Alten sind bey nahe ganz freystehende Figuren, deren völliger Umriß unterarbeitet ist. Nun sind aber erhobene Arbeiten erlogene Bilder, und zu folge der Absicht ihrer Erfin1 8
Baldinucci Vita del Cav. Bernino, p. 47. v. Ibid. p. 72.1
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dung, nicht die Bilder selbst, sondern nur eine Vorstellung derselben; und die Kunst in der Malerey so wohl, als in der Poesie bestehet in der Nachahmung. Alles, was durch dieselbe wirklich und körperlich nach seiner Maaße also würde hervorgebracht werden, wie es in der Natur erscheinet, ist wider das Wesen der Kunst. Sie soll machen, daß das, was nicht erhaben ist, erhaben, und was erhaben ist, nicht erhaben scheine. Aus diesem Grunde sind ganz hervorliegende Figuren in erhobenen Arbeiten eben so anzusehen, als feste und wirklich aufgeführte Säulen unter den Verzierungen eines Theaters, welche blos wie ein angenehmes Blendwerk der Kunst als solche unserem Auge erscheinen solten. Die Kunst erhält hier, so wie jemand von der Tragödie gesagt hat, mehr Wahrheit durch den Betrug, und Unwahrheit durch Wahrheit. Die Kunst ist es, welche macht, daß oft eine Copie mehr reizet, als die Natur selbst. Ein natürlicher Garten, und lebendige Bäume auf der Scene eines Theaters machen kein so angenehmes Schauspiel, als wenn dergleichen durch Künstler Hände glücklich dargestellet werden. Wir finden mehr zu bewundern an einer Rose von van Huysum, oder an einer Pappel von Vee- I rendaal, als an denen, die der geschickteste Gärtner gezogen hat. Eine entzückende Landschaft in der Natur, ja das glückselige thessalische Tempe selbst wird vielleicht nicht die Würkung auf uns machen, die Geist und Sinne bey Betrachtung eben dieser Gegend durch den reizenden Pinsel eines Dieterichs erhalten müssen. Auf diese Erfahrungen kann sich unser Urtheil über die erhobenen Arbeiten der Alten gründen. Die zahlreiche Sammlung der Königlichen Alterthümer in Dreßden enthält zwey vorzügliche Werke von dieser Art. Das eine ist eine Bacchanale an einem Grabmale: das andere ist ein Opfer des Priapus an einem grossen marmornen Gefässe. Es ist ein absonderliches Theil der Kunst eines Bildhauers, erhobene Werke zu arbeiten: nicht ein jeder grosser Bildhauer ist hierinn glücklich gewesen. Matielli kann hier als ein Beyspiel dienen. Es wurden auf Befehl Kaiser Carls VI. von den geschicktesten Künstlern Modelle verfertiget zu dergleichen Arbeiten auf die beyden Spiralsäulen an der Kirche des H. Caroli Borromäi. Matielli, der allbereits einen grossen Ruf erlanget hatte, war einer der vornehmsten, die hierbey in Betrachtung gezogen wurden: allein seine Arbeit war nicht diejenige, welche den Preis erhielt. Die gar zu erhabene Figuren seines Modells beraubeten ihn der Ehre eines so wichtigen Werks aus dem Grunde, weil die Masse des Steins durch die grossen Tiefen würde verringert und die Säulen geschwächt worden seyn. Mader heißt der Künstler, dessen Modelle vor seiner Mit-
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werber ihren den größten Beyfall fanden, und die er an den Säulen selbst unvergleichlich ausgeführet hat. Es ist bekannt, daß es eine Vorstellung des Heiligen ist, dem die Kirche geweihet worden. I Ueberhaupt ist bey dieser Arbeit zu merken: Erstlich; daß nicht eine jede Action und Stellung zu derselben bequem sey, dergleichen sind allzustarke Verkürzungen, welche daher vermieden werden müssen. Zum andern: daß nachdem die einzelne modellirte Figuren wohl ordonnirt und gruppirt worden, der Durchmesser einer jeden derselben in der Tiefe, nach einem verjüngten Maasstabe zu den Figuren der erhobenen Arbeit selbst genommen werde, also, daß wenn ζ. E. der Durchmesser einer Figur einen Fuß gehalten, die Maas des Profils eben derselben Figur, nachdem sie halb oder weniger erhoben gearbeitet werden soll, in drey Zoll oder weniger gebradit werde; mit dieser nothwendigen Beobachtung, daß die Profile perspectivisdi nicht allein gestellet, sondern in ihrer gehörigen Degradation verjünget werden müssen. Je mehr Rundung der fladi gehaltene Durdimesser einer Figur giebt, desto grösser ist die Kunst. Insgemein fehlet es der erhobenen Arbeit an der Perspectiv; und wo Werke von dieser Art keinen Beyfall gefunden, ist es meistentheils aus diesem Grunde geschehen. Da ich nur eine kleine Anmerkung über die erhobene Arbeiten der Alten zu machen gedachte, merke ich, daß ich, wie jener alte Redner, bey nahe jemand nöthig hätte, der mich widerum in den Ton brächte. Ich bin über meine Grenzen gegangen; und mich deucht, es sey eine gewisse Beobachtung unter Scribenten, in Absicht der Erinnerungen über eine Schrift: keine zu machen, als über ausdrücklich in der Schrift befindliche bedenkliche Puncte. Zugleich erinnere ich mich, daß ich einen Brief und kein Buch schreiben will: es fält mir auch zuweilen ein, daß ich für mich selbst einen Unterricht ziehen könnte, vt vineta egomet caedam mea HÖR.
I
aus dem Ungestüm gewisser Leute wider den Verfasser, die nicht zugeben wollen, daß man eins und das andere schreibe über Dinge, wozu sie gedungen worden. Die Römer hatten ihren Gott Terminus, der die Aufsicht über die Grenzen und Marksteine überhaupt, und, wenn es diesen Herren gefält, auch über die Grenzen in Künsten und Wissenschaften hatte. Gleichwohl urtheileten Griechen und Römer über Werke der Kunst, die keine Künst-
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ler waren, und ihr Urtheil sdieinet audi unsern Künstlern gültig. Idi finde auch nicht, daß der Küster in dem Tempel des Friedens zu Rom, der das Register über den Schatz von Gemälden der berühmtesten griechischen Meister, die daselbst aufgehänget waren, haben mochte, sich ein Monopolium der Gedanken über dieselbe angemasset, da Plinius die Gemälde mehrentheils beschrieben, Publica materies priuati juris sit — HÖR. Es wäre zu wünschen, daß Künstler selbst nach dem Beyspiel eines Pamphilus und eines Apelles die Feder ergreifen, und die Geheimnisse der Kunst denenjenigen, welche dieselben zu nutzen verstehen, entdecken möchten. Ma di costor, che sl lavorar s'accingono Quattro quinti, per Dio, non sanno leggere Salvator Rosa. Sat. III. Zween oder drey haben sich hier verdient gemacht; die übrigen Scribenten unter ihnen haben uns nur historische Nachrichten von ihren Mitbrüdern ertheilet. Aber von der Arbeit, welche der berühmte Pietro da Cortona I und der P. Ottonelli1 mit vereinigten Kräften angegriffen haben, hätte man sich einen grossen Unterricht auch für die späte Nachwelt der Künstler versprechen können. Ihre Schrift ist unterdessen, ausser den historischen Nachrichten, die man in hundert Büchern besser finden kann, fast zu nichts weiter nützlich, als Ne scombris tunicae desint piperique cuculli. Sectani Sat. Wie gemein und niedrig sind die Betrachtungen über die Malerey von dem grossen Nicolas Poussin, welche Bellori2 aus einer Handsdirift als etwas seltenes mittheilet, und dem Leben dieses Künstlers beygefüget hat? Der Verfasser hat ohnzweifel nicht für Künstler schreiben wollen; sie würden auch viel zu großmüthig seyn, als daß sie über eine so kleine Schrift einen Aristarchus vorstellen wolten. Ich erinnere dem Verfasser nur einige Kleinigkeiten, die ich einigermassen einzusehen im Stande bin; 1
Trattato della Pittura e Scultura, uso & abuso loro, composto da un Teologo e da un Pittore, Fiorenza, 1652, 4. ' Bellori Vite de' Pittori etc. p. 300.
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und ich werde es noch mit einigen wenigen Bedenken wagen. Auf der eilften Seite hat man sich unterstanden, ein Urtheil des Bernini vor ungegründet zu erklären, und wider einen Mann aufzutreten, den man eine Schrift zu beehren nur hätte nennen dürfen. Bernini war der Mann, der in eben dem Alter, in welchem Michael Angelo die berühmte Copie eines Kopfs vom Pan, die man insgemein Studiolo® nennet, gearbeitet hat, das ist, im achtzehenden Jahre seines Alters eine I Daphne machte, wo er gezeiget, daß er die Schönheiten der Werke der Griechen kennen lernen, in einem Alter, wo vielleicht noch Dunkelheit und Finsternis beym Raphael war. Bernini war einer von den glücklichen Köpfen, die zu gleicher Zeit Blüthen des Frühlings, und Früchte des Herbsts zeigen, und ich glaube nicht, daß man erweisen könne, daß sein Studium der Natur, woran er sich in reifern Jahren gehalten, weder ihn selbst, noch seine Schüler durch ihn übel geführet. Die Weichligkeit seines Fleisches war die Frucht dieses Studii, und hat den höchsten Grad des Lebens und der Schönheit, zu welchen der Marmor zu erheben ist. Die Nachahmung der Natur giebt den Figuren des Künstlers Leben, und belebt Formen, wie Socrates* sagt, und Clito der Bildhauer stimmet ihm bey. „Die Natur selbst ist nachzuahmen, kein Künstler"; gab Lysippus der grosse Bildhauer zur Antwort, da man ihn fragte, wem er unter seinen Vorgängern folgete? Man wird nicht leugnen können, daß die eifrige Nachahmung der Alten mehrentheils ein Weg zur Trockenheit werden kann, zu welcher die Nachahmung der Natur nicht leicht verleiten wird. Diese lehret Mannigfaltigkeit, wie sie selbst mannigfaltig ist, und die öftere Widerholung wird Künstlern, welche die Natur studiret haben, nicht können vorgeworfen werden. Guido, le Brun und einige andere, welche das Antique vornemlich studiret, haben einerley Gesichtszüge in vielen Werken widerholet. Eine gewisse Idee von Schönheit war ihnen dermassen eigen geworden, daß sie dieselbe ihren Figuren gaben, ohne es zu wollen. Was aber die blosse Nachahmung der Natur mit Hindansetzung des Antiquen betrift, so bin ich völlig der Meinung des Verfassers: aber zu I Beyspielen von Naturalisten in der Malerey würde ich andere Meister gewählet haben. Dem grossen Jordans ist gewiß zu viel geschehen. Mein Urtheil soll hier nicht allein gelten; ich berufe mich auf dasjenige, welches 3 1
Ridiardson. T. III. p. 94. | Xenoph. Memorab. L. III. c. 6. 7. |
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wie die übrigen Urtheile von Malern wenige verwerfen werden. „Jacob Jordans" sagt 1 ein Kenner der Kunst, „hat mehr Ausdruck und Wahrheit als Rubens." „Die Wahrheit ist der Grund und die Ursach der Vollkommenheit und der Schönheit; eine Sache, von was vor Natur sie auch ist, kann nicht sdiön und vollkommen seyn, wenn sie nicht wahrhaftig ist, alles was sie seyn muß, und wenn sie nicht alles das hat, was sie haben muß." Die Richtigkeit des obigen Urtheils vorausgesetzt, so wird nach dem Begrif von der Wahrheit in einer berühmten2 Originalschrift, Jordans mit mehrern Recht unter die größten Originale, als unter die Affen der gemeinen Natur zu setzen seyn. Ich würde hier an die Stelle dieses grossen Künstlers einen Rembrant, und für den Stella einen Raoux oder einen Vatteau gesetzt haben; und alle diese Maler thun nichts anders, als was Euripides zu seiner Zeit gethan hat; sie stellen die Menschen vor, wie sie sind. In der Kunst ist nichts klein und geringe; und vielleicht ist auch aus den so genannten holländischen Formen und Figuren ein Vortheil zu ziehen, so wie Bernini die Caricaturen genutzet hat. Dergleichen übertriebenen Figuren hat er, wie man versichert, eins der größten Stücke der Kunst zu danken gehabt, nemlich3 die Freyheit seiner Hand, und seit I dem ich dieses gelesen, habe ich angefangen etwas anders zu denken über die Caricaturen, und ich glaube, man habe einen grossen Schritt in der Kunst gemacht, wenn man eine Fertigkeit in denselben erlanget hat. Der Verfasser giebt es als einen Vorzug bey den Künstlern des Alterthums an, daß sie über die Grenzen der gemeinen Natur gegangen sind: thun unsere Meister in Caricaturen nicht eben dieses? und niemand bewundert sie. Es sind vor einiger Zeit grosse Bände von solcher Arbeit unter uns ans Licht getreten, und wenig Künstler achten dieselben ihres Anblicks würdig. Ueber die vierzehende Seite werde ich dem Verfasser ein Urtheil unserer Academien vorlegen. Er behauptet mit dem Tone eines Gesetzgebers, „die Richtigkeit des Contours müsse allein von den Griechen erlernet werden." In unseren Academien wird insgemein gelehret, daß die Alten von der Wahrheit des Umrisses einiger Theile des Körpers wirklich abgegangen sind, und daß an den Schlüsselbeinen, am Ellenbogen, am Schienbeine, an den Knien, und wo sonst grosse Knorpel liegen, die Haut nur über die Knochen gezogen scheinet, ohne wahrhaftig deutliche Anzeigung 1 8 8
Argenville Abregi des Vies des Peintr. Τ. II. Rochefaucault Pensies. Franchezza del tocco v. Baldinucci Vita del Cav. Bernino p. 66. |
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der Tiefen und Höhlungen, welche die Apophyses und Knorpel an den Gelenken madien. Man weiset junge Leute an, soldie Theile, wo unter der Haut nidit viel fleischigtes lieget, eckigter zu zeichnen; und eben so im Gegentheil, wo sich das meiste Fett ansetzet. Man hält es ordentlich vor einen Fehler, wenn der Umriß gar zu sehr nadi dem alten Geschmacke ist. Ganze Academien in Corpore, die also lehren, werden doch, hoffe ich, nicht irren können. Parrhasius selbst, „der größte im Contour", hat „die Linie, welche das Völlige von dem Ueberflüssigen scheidet", nidit zu treffen gewust: 1 Er ist, wie man1 berichtet, da er die Schwulst vermeiden wollen, in das Magere verfallen. Und Zeuxis hat vielleicht seinen Contour wie Rubens gehalten, wenn es wahr ist, daß er völligere Theile gezeichnet, um seine Figuren ansehnlidier und vollkommner zu machen. Seine weiblichen Figuren hat er nadi Homers Begriffen2 gebildet, dessen Weiber von starker Statur sind. Der zärtliche Theocrit selbst malet seine Helena* fleischigt und groß, und Raphaels Venus in der Versammlung der Götter des kleinen farnesischen Pallastes in Rom, ist nach gleichförmigen Ideen einer weiblidien Sdiönheit entworfen. Rubens hat also wie Homer und wie Theocrit gemalet: was kann man mehr zu seiner Vertheidigung sagen? Der Character des Raphaels in der Schrift ist richtig und wahr entworfen: aber würde nidit eben das, was Antalcidas der Spartaner einem Sophisten sagte, der eine Lobrede auf den Hercules ablesen wolte, auch hier gelten? „Wer tadelt ihn", sagte er. Was die Schönheiten betritt, die man in dem Raphael der Königlichen Gallerie zu Dreßden, und ins besondere an dem Kinde auf den Armen der Madonna finden wollen, so urtheilet man sehr verschieden darüber. "Ο σύ θαυμάζεις, τον&" έτέροισι γέλως. Lucian. Epigr. I. Der Verfasser hätte eben so rühmlich die Person eines Patrioten annehmen können wider einige jenseit der Alpen, denen alles, was niederländisch ist, Eckel macht: I Turpis Romano Belgicus ore color. Propert. L. II. Eleg. 8. 1
Plin. Hist. Nat. L. 35. c. ίο. Quintil. Instit. Orat. L. 1 x. c. 10. » Idyll. 18. v. 29.1
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Ist nicht die Zauberey der Farben etwas so wesentliches, daß kein Gemälde ohne dieselbe allgemein gefält, und daß durch dieselbe viel Fehler theils übergangen, theils gar nicht angemerket werden? Diese madiet nebst der grossen Wissenschaft in Licht und Schatten den Werth der niederländischen Stücke. Sie ist dasjenige in der Malerey, was der Wohlklang und die Harmonie der Verse in einem Gedichte sind. Durch diese Zauberey der dichterischen Farben verschwinden dessen Vergehungen, und derjenige, welcher ihn mit dem Feuer, worinn er gedichtet, lesen kann, wird durch die göttliche Harmonie in solche Entzückung mit fortgerissen, daß er nicht Zeit hat an das, was anstössig ist, zu gedenken. Bey Betrachtung eines Gemäldes ist etwas, was vorangehen muß; dieses ist die Belustigung der Augen, sagt1 jemand; und diese bestehet in den ersten Reitzungen, anstatt daß dasjenige, was den Verstand rühret, allererst aus der Ueberlegung folget. Die Colorit ist überdem allein Gemälden eigen; Zeichnung suchet man in jedem Entwürfe, in Kupferstidien und dergleichen; und diese scheinet in der That eher als jene von Künstlern erlanget zu seyn. Ein grosser Scribent in der Kunst 8 will auch bemerkt haben, daß die Coloristen viel später als die dichterischen Maler in Ruf gekommen sind. Kenner wissen, wie weit es dem berühmten Poussin in der Colorit gelungen ist; und alle diejenigen, Q u i rem Romanam Latiumque augescere student. Ennius. I werden hier die niederländischen Maler vor ihre Meister erkennen müssen. Ein Maler ist ja eigentlich nichts anders, als ein Affe der Natur, und je glücklicher er diese nachäffet, desto vollkommener ist er. Ast heic, quem nunc tu tarn turpiter increpuisti. Ennius. Der zärtliche Van der Werf, dessen Arbeiten mit Golde aufgewogen werden, und nur allein die Cabinette der Grossen in der Welt zieren, hat sie für jeden welschen Pinsel unnachahmlich gemacht. Es sind Stücke, welche die Augen der Unwissenden, der Liebhaber und der Kenner auf sich ziehen. „Ein jeder Poet, welcher gefällt", sagt der critisdie englische Dichter, „hat niemahls übel geschrieben", und wenn der niederländische Maler dieses erhält, so ist sein Beyfall allgemeiner, als derjenige, den die rich1 de Piles Conversat. sur la Peint. * du Bos Reil, sur la Poesie Sc sur la Peint. I
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tigste Zeichnung von Poussin hoffen kan. Man zeige mir viel Gemälde von Erfindung, Composition und Colorit, wie einige von Gerhards Lairesse Hand sind. Alle unparteyisdie Künstler in Paris, die das allervorzüglichste, und ohne Zweifel das erste Stück in dem Cabinet der Schildereyen des Herrn De la Boixieres kennen, idi meine, die Stratonice, werden mir Beyfall geben müssen. Die Geschichte des Vorwurfs, welchen der Künstler hier ausgeführet, ist nicht die gemeinste. König Seleucus I. trat seine Gemalin Stratonice, eine Tochter des berühmten Demetrius Poliorcetes, seinem Sohne Antiochus ab, der aus heftiger Neigung gegen die Königin, als seine Stiefmutter, in eine gefährliche Krankheit gefallen war. Der Artzt Erasistratus fand nach langen Forschen die wahre Ursach derselben, und zur Genesung des Prinzen das einzige Mittel in der Gefälligkeit des Vaters gegen die Liebe seines I Sohns. Der König begab sich seiner Gemalin, und ernennete zu gleicher Zeit den Antiochus zum König der Morgenländer. Lairesse hat eben diese Geschichte zweymahl gemalet: die Stratonice des Hn. Boixieres ist das kleinere, die Figuren halten etwa anderthalb Fuß, und im Hinterwerke ist dieses verschieden von jenem. Die Hauptperson des Gemäldes Stratonice ist die edelste Figur; eine Figur, die der Schule des Raphaels selbst Ehre machen könnte. Die schönste Königin, Colle sub Idaeo vincere digna Deas Ovid. Art. Sie nahet sich mit langsamen und zweifelhaften Schritten zu dem Bette ihres bestimmten neuen Gemals; aber annodi mit Geberden einer Mutter, oder vielmehr einer heiligen Vestale. In ihrem Gesichte, welches sich in dem schönsten Proiii zeigt, lieset man Schaam und zugleich eine gefällige Unterwerfung unter dem Befehl des Königs. Sie hat das sanfte ihres Geschlechts, die Majestät einer Königin, die Ehrfurcht bey einer heiligen Handlung, und alle Weisheit in ihrem Betragen, die in einem so feinen und ausserordentlichen Umstände, wie der gegenwärtige ist, erfordert wurde. Ihr Gewand ist meisterhaft geworfen, und es kann die Künstler lehren, wie sie den Purpur der Alten malen sollen. Es ist nicht allgemein bekannt, daß der Purpur die Farbe von Weinblättern gehabt, wenn sie anfangen welk zu werden, und zu gleicher Zeit ins röthliche fallen 1 . 1
v. Lettre de M. Huet sur la Pourpre: dans les Dissertat. de Tilladet Tom. II. p. 169.
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König Seleucus stehet hinter ihr in einer dunklen Kleidung, um die Hauptfigur noch mehr zu heben, und theils um die Stratonice nicht in I Verwirrung zu setzen, theils um den Prinzen nicht beschämt zu machen, oder dessen Freude zu Stohren. Erwartung und Zufriedenheit schildern sich zu gleicher Zeit in seinem Gesidite, welches der Künstler nach dem Profil der besten Köpfe auf dessen Münzen genommen hat. Der Prinz, ein schöner Jüngling, der auf seinem Bette halb nackend aufgeriditet sitzt, hat die Aehnlichkeit vom Vater und von seinen Münzen. Sein blasses Gesidit zeuget von dem Fieber, welches in seinen Adern gewütet, allein man glaubt schon den Anfang der Genesung zu spüren aus der wenigen aufsteigenden Rothe, die nicht durch die Schaam gewürkt worden. Der Arzt und Priester Erasistratus, ehrwürdig wie des Homers Calchas, welcher vor dem Bette stehet, ist die aus Vollmacht des Königs redende Person, und erkläret dem Prinzen den Willen des Königs; und indem er ihm mit der einen Hand die Königin zuführet, so überreicht er ihm mit der andern Hand das Diadem. Freude und Verwunderung wollen aus dem Gesidite des Prinzen bey Annäherung der Königin hervorbrechen, Und jedem Blick von ihr wallt dessen Herz entgegen HALLER
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die aber durch die Ehrfurdit in der edelsten Stille erhalten werden, so daß er gleidisam sein Glück mit gebäugten Haupte zu überdenken scheinet. Alle Character, die der Künstler seinen handelnden Personen gegeben, sind mit solcher Weisheit ausgetheilet, daß ein jeder derselben dem andern Erhobenheit und Nachdruck zu geben scheinet. Auf die Stratonice, als die Hauptperson fällt die größte Maasse des Lichts, und sie ziehet den ersten Blick auf sich. Der Priester stehet im I schwädiern Lichte, er hebet sich aber durch die Action, die man ihm gegeben: er ist der Redner, und ausser ihm regieret eine allgemeine Stille und Aufmerksamkeit. Der Prinz, welcher nach der Hauptfigur vornemlidi merkwürdig seyn muste, ist mehr beleuchtet; und da des Künstlers Verstand zum vornehmsten Theil seines Gruppo weislicher eine schöne Königin, als einen kranken Prinzen, der es vermöge der Natur der Sachen hätte seyn sollen, wählete, so ist dieser dennoch dem Ausdruck nadi, das vorzüglichste im ganzen Gemälde. Die größten Geheimnisse der Kunst liegen in dessen Gesidit. quales nequeo monstrare & sentio tantum. Iuuenal Sat. VII.
6 Windcelmana, Kleine SAriften
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Die Regungen der Seele, die mit einander zu streiten scheinen, fliessen hier mit einer friedlichen Stille zusammen. Die Genesung meldet sich in dem siechen Gesichte, so wie die Ankündigung der ersten nahen Blicke der Morgenröthe, die unter dem Schleyer der Nacht selbst den Tag, und einen schönen Tag zu versprechen scheinet. Der Verstand und der Geschmack des Künstlers breiten sich durch sein ganzes Werk aus bis auf die Vasen, die nach den besten Werken des Alterthums in dieser Art, entworfen sind. Das Tischgestell vor dem Bette hat er, wie Homer, von Elfenbein gemacht. Das Hinterwerk des Gemäldes stellet eine prächtige griechische Baukunst vor, deren Verzierungen auf die Handlung selbst zu deuten scheinen. Das Gebälke an einem Portal tragen Caryatiden, die einander umfassen, als Bilder einer zärtlichen Freundschaft zwischen Vater und Sohn, und zugleich einer ehelichen Verbindung. I Der Künstler zeigt sich bey aller Wahrheit seiner Geschichte, als einen Dichter, und er machte seine Nebenwerke allegorisch, um gewisse Umstände durch Sinnbilder zu malen. Die Sphinxe an dem Bette des Prinzen deuteten auf die Nachforschung des Arztes, und auf die besondere Entdeckung der Ursach von der Krankheit desselben. Man hat mir erzählt, daß junge Künstler jenseits der Gebürge, die dieses Meisterstück gesehen, da ihnen der Arm des Prinzen, der etwa um eine Linie zu stark seyn mag, ins Gesicht gefallen, vorbeygegangen, ohne nach den Vorwurf des Gemäldes selbst zu fragen. Wenn auch Minerva selbst gewissen Leuten, wie dem Diomedes, wolte den Nebel wegnehmen, so würden sie dennoch nicht erleuchtet werden. — — Pauci dignoscere possunt Vera bona atque illis multum diuersa, remota Erroris nebula. Iuuenal. Sat. Ich habe eine lange Episode gemacht; ich finde es aber gleichwohl billig, ein Werk, welches unter die ersten in der Welt kann gesetzet werden, da es so wenig Kenner gefunden, bekannt zu machen. Ich komme wieder auf die Schrift selbst. Ich weiß nicht, ob dasjenige, was in Raphaels Figuren der Begrif einer „edlen Einfalt und stillen Grösse" in sich fassen soll, nicht viel allgemeiner durch die so genannte „Natur in Ruhe" von zwey nahmhaften Scribenten1 bezeichnet worden. Es ist wahr, diese grosse Lehre giebt I 1
St. Real Cesarion Oeuvr. Τ. II. Le Blanc Lettre sur 1' ezposit. des
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ein vorzügliches Kennzeichen der schönsten griechischen Werke; aber die Anwendung derselben bey jungen Zeichnern ohne Unterschied, würde vielleicht eben so besorgliche Folgen haben, als die Lehre einer körnigten Kürze in der Schreibart bey jungen Leuten, welche sie verleiten würde, trocken, hart und unfreundlich zu schreiben. „Bey jungen Leuten", sagt Cicero,1 „muß allezeit etwas überflüssiges seyn, wovon man etwas abzunehmen finde: denn dasjenige, was gar zu schnell zur Reife gelanget ist, kann nicht lange Saft behalten. Von Weinstöcken sind die gar zu jungen Sdiößlinge eher abgeschnitten, als neue Reben gezogen, wenn der Stamm nidits taugt." Ausserdem werden Figuren in einer ungerührten Stille von dem größten Theile der Menschen angesehen werden, so wie man eine Rede lesen würde, welche ehemahls vor den Areopagiten gehalten worden, wo ein scharfes Gesetz dem Redner alle Erregung audi der menschlichsten und sanftesten Leidenschaften untersagte;2 und alle dergleichen Bilder werden Schildereyen von jungen Spartanern vorzustellen scheinen, die ihre Hände unter ihren Mantel verstecken, in der größten Stille einhertreten, und ihr[e] Augen nirgend wohin, sondern vor sich auf die Erde richten mußten.' Ueber die Allegorie in der Malerey bin ich mit dem Verfasser auch nicht völlig einerley Meinung. Durch die Anwendung derselben in allen Vorstellungen, und an allen Orten würde in der Malerey eben das geschehen, was der Meßkunst durch die Algebre widerfahren ist: der Zugang zur einen Kunst würde so schwer werden, als er zur andern geworden ist. Es kann nicht fehlen, die Allegorie würde endlich aus allen Gemälden Hieroglyphen machen. I Die Griechen selbst haben nicht allgemein, wie uns der Verfasser überreden will, egyptisch gedacht. Der Plafond in dem Tempel der Juno zu Samos war nicht gelehrter gemalet, als die farnesische Gallerie. Es waren1 die Liebeshändel des Jupiters und der Juno; und in dem Fronton eines Tempels der Ceres zu Eleusis war nidits, als die blosse Vorstellung einer Gewohnheit bey dem Dienste dieser Göttin.2 Es waren zwey grosse Steine, die auf einander lagen, zwischen welchen die Priester alle Jahr Ouvrages de Peint. etc. 1' an 1747. conf. Mr. de Hagedorn Eclaircissemenshistoriques sur son Cabinet p. 37.1 1 de Oratore L. II. c. 21. 8 Aristot. Rhet. L. I. c. I. §. 4. * Xenoph. Respl. Laced, c. 3. §. j. | 1 Origen. contra Cels. L. IV. p. 196. edit. Cantabr. 1 Perrault explic. de la planche IX. sur Vitruve p. 62.
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eine sdiriftliche Anweisung über die jährlichen Opfer hervorsuchten; weil sie niemals ein Jahr wie das andere waren. Was die Vorstellung desjenigen, was nicht sinnlich ist, betrift, so hätte ich mehr Erklärung davon gewünscht; weil ich jemand sagen hören, es verhalte sidi mit Abbildung solcher Dinge, wie mit dem mathematischen Puncte, der nur gedadit werden kann; und er stimmet demjenigen bey,s der die Malerey auf Dinge, welche nur sichtbar sind, einzuschrenken scheinet. Denn was die Hieroglyphen betrift, fuhr er fort, durch welche die abgesondersten Ideen angedeutet werden: als4 die Jugend durch die Zahl sediszehn; die Unmöglichkeit durch zwey Füsse auf dem "Wasser; so müste man dieselben größtentheils mehr vor Monogrammen, als vor Bilder halten. Eine soldie Bildersprache würde Gelegenheit geben zu neuen Chimären, und würde schwerer, als die sinesische zu erlernen seyn: die Gemälde aber würden den Gemälden dieser Nation nicht unähnlich werden. I Parrhasius, glaubt eben dieser Widersacher der Allegorien, habe alle Widersprüche, die er bey den Atheniensern bemerket, ohne Hülfe der Allegorie vorstellen können; und vielleicht hätte er es in mehr als einem Stücke ausgeführet. Wenn er es auf diese Art nimmt, Et sapit, & mecum facit, & Ioue iudicat aequo. HÖR. Das Todesurtheil über die Befehlshaber der atheniensischen Flotte, nach ihrem Siege über die Lacedämonier, bey den arginusischen Inseln, gab dem Künstler ein sehr sinnliches und reiches Bild, die Athenienser gütig und zugleich grausam vorzustellen. Der berühmte Theramenes, einer von den Befehlshabern, klagte seine Collegen an, daß sie die Körper der in der Schlacht gebliebenen nicht gesammlet, und ihnen die letzte Ehre erweisen lassen. Dieses war hinreichend, den größten Theil des Volks in Wuth zu setzen wider die Sieger, von welchen nur sechs nach Athen zurück kamen; die übrigen waren dem Sturm ausgewichen. Theramenes hielt eine sehr rührende Rede, in welcher er öftere Pausen machte, um die Klagen derjenigen, die ihre Eltern oder Anverwandte verlohren hatten, hören zu lassen. Er ließ zu gleicher Zeit einen Menschen auftreten, welcher vorgab, die letzten Worte der ertrunkenen gehört zu haben, die um Rache geschrien wider ihre 8 4
Theodoret. Dial. Inconfus. p. 76. Horapoll. Hierogl. L. [I] c. 33. conf. Blakwall Enquiry of Homer, p. 170. |
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Befehlshaber. Socrates der Weise, welcher damahls ein Glied des Raths war, erklärte sich nebst etlichen andern wider die Anklage; aber vergebens: die tapferen Sieger wurden anstatt der Ehrenbezeugungen, die sie hoffen konnten, zum Tode verurtheilet. Einer unter ihnen war der einzige Sohn des Pericles von der berühmten Aspasia. I Parrhasius, der diese Begebenheit erlebet hat, war um so viel geschickter, durch die wahren Character der hier handelnden Personen seinem Bilde ohne Allegorie eine Deutung zu geben, die weiter, als auf die blosse Vorstellung einer Geschichte gieng; als welche noch itzo einem Künstler bequem genug seyn könnte, eben den Widerspruch in dem Character der Athenienser zu schildern. Und endlich, meinet eben derselbe, komme dasjenige, was man Künstlern, und sonderlich Malern in Absicht der Allegorie aufzubürden sudit, auf eben die Forderung hinaus, die Columella an einen Landmann macht. Er 1 sähe gern, daß er ein Weltweiser wäre, wie Democritus, Pythagoras und Eudoxus gewesen. Kann man hoffen mit den Allegorien in Verzierungen glücklicher zu seyn, als mit denen in Gemälden? Mich deucht, der Verfasser würde mehr Schwierigkeit finden, seine vermeinte gelehrte Bilder hier anzubringen, als Virgil fand, die Namen eines Vibius Caudex, eines Tanaquil Lucumo, oder eines Decius Mus in heroische Verse zu setzen. Man solte vermuthen, das Muschelwerk würde in Verzierungen der Baukunst und sonst angebracht, nunmehro mit allgemeinen Beyfall angenommen zu seyn scheinen können. Ist denn weniger Natur in der Zierde, die dasselbe geben soll, als in den corinthischen Capitälern, wenn man auf den bekannten vorgegebenen Ursprung derselben siehet? Ein Korb, den man auf das Grab eines jungen Mädgens von Corinth mit einigen Spielsachen von ihr angefüllet, gesetzt, und mit einem breiten Ziegel bedeckt hatte, gab Gelegenheit zu der Form dieses Capitals. Es wuchs unter I demselben die Pflanze Acanthus hervor, die denselben bekleidete. Der Bildhauer Callimachus1 fand an diesem bewachsenen Korbe so viel artiges, daß er das erste Capital zu einer corinthischen Säule nach diesem Modelle arbeitete. Dieses Capital ist also ein Korb mit Blättern, und er soll das ganze Gebälke auf einer Säule tragen. Vielleicht fand man es zu Pericles Zeiten noch nicht der Natur und Vernunft gemäß genug, da es einem berühmten 1 1
de re rust, praef. ad L. I. § . 32. p. 392. edit. Gesn. I Vitruv. L. IV. c. i.
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Scribenten1 fremde scheinet, daß man anstatt der corinthischen Säulen, dem Tempel der Minerva zu Athen dorische gegeben hat. Mit der Zeit wurde diese scheinbare Ungereimtheit zur Natur, und man gewöhnete sich einen Korb, auf dem ein ganzes Gebäude ruhete, nicht mehr als anstössig anzusehen; Quodque fuit vitium, desinit esse mora. Ouid. Art. Unsere Künstler überschreiten ja keine in der Kunst vorgeschriebene Gesetze, wenn sie neue Zierathen, die allezeit willkürlich gewesen, erdenken: die Erfindung ist itzo mit keinen Strafgesetzen, wie bey den Egyptern, beleget. Das Gewächs und die Form einer Muschel haben jederzeit etwas so liebliches gehabt, daß Dichter und Künstler so gar ungewöhnlich grosse Muscheln erdacht, und dieselben der Göttin der Liebe zu einem Wagen zugegeben haben. Das Schild Ancile, welches bey den Römern eben das, was in Troja das Palladium war, hatte* Einschnitte in Form einer Muschel; und es sind so gar alte4 Lampen mit Muscheln gezieret. I Die so leicht und frey gelegten muschelförmigen Schilder scheinet die Natur selbst nach den wunderbaren Wendungen unendlich verschiedener Seeschnecken den Künstlern dargebothen zu haben. Es ist meine Absicht im geringsten nicht, midi zu einen Sachwalter der ungeschickten Verzierer unserer Zeit aufzuwerfen: ich will nur diejenigen Gründe einer ganzen Zunft (die Künstler werden mir hier dieses Wort verzeihen) anführen, durch welche dieselbe die Gründlichkeit ihres Verfahrens darzuthun gesucht haben; man wird hier Billigkeit genug finden. Es wird erzählet, die Maler und Bildhauer in Paris hätten denenjenigen, welche Verzierungen arbeiten, den Namen der Künstler streitig machen wollen, weil weder der Verstand des Arbeiters, noch des Liebhabers in ihren Werken eine Beschäftigung finde, indem sie nicht durch die Natur, sondern durch eine gezwungene Kunst erzeuget worden. Ihre Vertheidigung soll folgende gewesen seyn. Wir folgen der Natur in unserer Arbeit, und unsere Verzierungen bilden sich, wie die Rinde eines Baums, aus verschiedenen willkürlichen Einschnitten in dieselbe. Die Rinde wächst in mancherley Gestalten. 1 3 4
Pocock's Travels Τ. II. Plutarch. Num. p. 149.1.14. edit. Bryani. Passerii Lucern. I
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Alsdenn tritt die K u n s t zur spielenden N a t u r , und verbessert und hilft derselben. Dieses ist der Weg, den w i r in unsern Verzierungen nehmen und der Augenschein giebt, daß die mehresten derselben, audi in den Werken der Alten, von Bäumen, von Pflanzen, und deren Früchten und Blumen genommen worden. D i e erste und allgemeine Regel ist also hier die Mannigfaltigkeit, (wenn man der angeführten Vertheidigung Recht w i l l widerfahren lassen) und nach dieser w ü r k t die N a t u r , wie es scheinet, ohne Beobachtung I anderer Regeln. Diese Einsicht zeigte in den Verzierungen diejenige A r t , welche die heutigen Künstler gewählet haben. Sie lerneten erkennen, daß in der N a t u r nichts dem andern gleich ist; sie giengen v o n der ängstlichen Zwillingsform ab, und überliessen den Theilen ihrer Verzierungen, sich zusammen zu fügen, so w i e Epicurs Atomen gethan. Eine N a t i o n , die sich in neuern Zeiten v o n allem Z w a n g e in der bürgerlichen Gesellschaft zuerst f r e y gemacht, w u r d e auch in der Freyheit in diesem Theile der Kunst unser Lehrer. M a n gab dieser A r t zu arbeiten die Benennung des Barroquegeschmacks, vermuthlidi von einem Worte, 1 welches gebraucht w i r d bey Perlen und Zähnen, die v o n ungleicher Grösse sind. U n d endlich hat ja eine Muschel, glaube ich, eben ein so gutes Recht, ein Theil der Zierathen zu seyn, als es ein Odisen oder Schafskopf hat. Es ist bekannt, daß die Alten dergleichen v o n der H a u t entblößte K ö p f e in die Frisen, sonderlich der dorischen Säulenordnung zwischen den D r e y schlitzen, oder in die Metopen, gesetzt. Sie befinden sich so gar in einem corinthischen Fries eines alten Tempels der Vesta 2 zu T i v o l i : an G r a b mälern: wie an einem G r a b m a l e des metellischen Geschlechts bey R o m , und einem Grabmale des Munatius Plancus bey G a e t a : s an Vasen: w i e an z w e y derselben, unter den Königlichen Alterthümern in Dreßden. Einige neuere Baumeister, die diese K ö p f e vielleicht als unanständig angesehen, haben an deren Stelle ihre dorischen Frisen theils 4 mit Donnerkeilen, dergleichen Jupiter zu führen pfleget; w i e Vignole: theils mit Rosen; w i e P a l l a d i o und Scamozzi gezieret. I Wenn also Verzierungen eine Nachahmung des Spiels der N a t u r sind, wie aus obigen folgen kann, so w i r d alle angebrachte Gelehrsamkeit der Allegorie dieselben nicht schöner machen, sondern vielmehr verderben. 1 1 9 4
Menage Diction. Etimol. v. Barroque. v. Desgodetz Edifices antiq. de Rome p. 91. Bartoli Sepolcri antichi p. 67. ibid. fig. 91. Perrault Notes sur Vitruv. L. IV. di. 2. n. 21. p. 118. |
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Man wird auch wahrhaftig nicht viel Exempel beybringen können, wo die Alten allegorisch gezieret haben. Idi weiß ζ. E. nicht, was vor eine Schönheit, oder vor eine Bedeutung der berühmte Graveur Mentor in der Eidexe gesucht hat, die er auf einem1 Becher gegraben. Denn — picti squallentia terga lacerti Virg. Georg. IV. 13. sind zwar das lieblichste Bild auf einem Blumenstücke einer Rachel Ruysch, nicht aber auf einem Trinkgeschirre. Was vor eine geheime Bedeutung haben Weinstöcke mit Vögeln, welche von den Trauben an denselben fressen, auf einem2 Aschentopfe? Vielleicht sind diese Bilder eben so leer und willkürlich anzusehen, als es* die in einem Mantel gewürkte Fabel vom Ganymedes ist, mit welchem Aeneas den Cloanthus, als einen Preis in den Wettspielen zu Schiffe, beschenkte. Und was vor widersprechendes haben endlich Tropheen auf ein fürstliches Jagdhaus? Glaubt der Verfasser, als ein eifriger Verfechter des griechischen Geschmacks, es erstrecke sich derselbe so gar bis auf die Nachahmung Königs Philippi, und der Macedonier überhaupt, von denen4 Pausanias meldet, daß sie sich selbst keine Tropheen errichtet haben? Eine I Diana mit einigen Nymphen in ihrem Gefolge, nebst ihrem übrigen Jagdzeuge, Quales exercet Diana choros, quam mille secutae Hinc atque hinc glomerantur Oreades Virg. schiene etwa dem Orte gemässer zu seyn. Die alten Römer hängeten ja aussen an der Thüre ihrer Häuser die Waffen überwundener Feinde auf, die der Käufer nicht herabnehmen durfte, um dem Eigenthümer des Hauses eine immerwährende Erinnerung zur Tapferkeit zu geben. Hat man bey Tropheen vorzeiten diese Absicht gehabt, so glaube ich, können dieselbe nirgend zur Unzeit für grosse Herren angebracht werden. Ich wünsche bald eine Antwort auf mein Schreiben zu sehen. Es kann Sie, mein Freund, nicht sehr befremden, daß es öffentlich erscheinet: in 1 Martial. L. III. Epigr. 41,1. * Bellori Sepolcri antichi fig. 99. s Virg. Aen. V. v. 250. seq. 4 L. IX. c. 40. p. 794. conf. Spanheim Not. sur les Cesars de 1' Emp. Iulien. p. 240.1
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der Zunft der Schriftsteller ist man seit einiger Zeit mit Briefen verfahren, wie auf dem Theater, wo ein Liebhaber, der mit sidi selbst spricht, zu gleicher Zeit das ganze Parterre als seine vertrautesten Freunde ansiehet. Man findet es aber im Gegentheil nicht weniger billig, Antworten f
Q u o s Iegeret tereretque viritim publicus usus HÖR. anzunehmen, —
& hanc veniam petimusque damusque vicissim. HOL
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Nachricht von einer Mumie in dem Königlichen Cabinet der Alterthümer in Dreßden. Unter den egyptisdien Mumien des Königlichen Cabinets befinden sich z w e y , weldie vollkommen unversehrt
erhalten worden: ein
Körper
eines Mannes und eines Frauenzimmers. Die erste ist vielleicht die einzige Mumie in ihrer A r t von allen denen, welche nach Europa gebracht und bekannt worden sind; und dieses wegen einer Schrift, die sich auf derselben befindet. Ausser dem della Valle haben alle diejenigen, welche von Mumien geschrieben, dergleichen auf egyptisdien Körpern, welche sie gesehen haben, nicht entdecket; und Kircher hat unter den Abzeichnungen von Mumien, die ihm von verschiedenen Orten mitgetheilet worden, und die er in seinem egyptisdien Oedipo beygebradit hat, nur die einzige mit einer Schrift, welche della Valle besessen, und v o n welcher uns jener eine unrichtige Vorstellung in 1 Holzschnitt gegeben; und so sind die 2 Copien, welche nach derselben gemacht sind. A u f dieser Mumie stehen die Buchstaben
EY+YXI·
Eben dieselbe Schrift stehet auf derjenigen Königlichen Mumie, v o n welcher hier eine kleine Nachricht folgen wird. Ich habe dieselbe mit aller I nur möglichen Aufmerksamkeit untersucht, um versichert zu seyn, daß dieselbe nicht etwa von einer neuen H a n d (da man weiß, daß auch dergleichen Körper durch der Juden H ä n d e gehen) nach der von della Valle angegebenen Schrift, auf dieser nachgemacht worden. Es findet sich aber ganz deutlich, daß die Buchstaben mit eben der schwärzlichen Farbe gezogen worden, mit weldier das Gesicht, die H ä n d e und Füsse gemalet sind. Der erste Buchstab auf unserer Mumie hat die Form eines grossen runden Griechischen 6 , und eben dieser Buchstab ist von della Valle mit einem eckigten Ε angezeiget, weil man in Druckereyen kein rundes führet. 1 1
Kirdieri Oedip. Aegypt. T. III. p. 405. & p. 433. Bianchini Istor. Vniv. p. 412. |
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Alle vier Mumien des Königl. Cabinets sind in Rom, wie man weiß, erhandelt, und diese Nadiridit bewog midi zu untersuchen, ob die Mumie mit der Schrift nicht etwa eben diejenige sey, weldie della Valle besessen. Ich fand, daß die umständliche Beschreibung seiner zwo Mumien mit den beyden unversehrten Königl. Mumien vollkommen auch in den kleinsten Verzierungen übereinstimmete. Diese beyden Mumien sind über die gewöhnlichen leinen Binden, womit dergleichen Körper unzählidie mahl pflegen bewunden zu seyn, und welche nach Art eines Barrecan gewebet worden, in verschiedene (und wie jemand1 an einer Mumie in Engeland bemerken wollen, in drey) Arten von gröberer Leinwand eingewickelt. Diese Leinwand ist durch besondere Bänder, fast wie Gurte, jedoch sdimäler gearbeitet, befestiget, dergestalt, daß nicht die geringste Erhobenheit eines Theils des Gesichts zu sehen. Die oberste Decke ist eine feine Leinewand, weldie mit einem gewissen dünnen Grund übertragen, häufig vergoldet, und mit allerhand Figuren gezieret ist: auf derselben ist die Figur des Verstorbenen gemalet. I Auf der Mumie mit der Sdirift bezeichnet, zeiget sidh die Figur eines Mannes, der in seinen besten Jahren verstorben, mit wenigem und krausen Barthaare, nidit aber, wie ihn Kirdier vorgestellet, als ein alter Greis mit einem langen und spitzen Barte. Die Farbe des Gesichts und der Hände ist braun: der Kopf ist umgeben mit vergoldeten Hauptbinden, auf denen köstliche Steine angedeutet worden. Am Halse ist eine goldene Kette gemalt, an welcher eine Art von einer Münze mit verschiedenen Charactern, halben Monden u. s. w. bezeichnet, hänget, und über derselben raget der Hals eines Vogels hervor, welches vermuthlich ein Sperber oder ein Habidit war; man hat ihn audi auf andern Mumien auf der Brust gefunden.1 In der rechten Hand hält die Person eine vergoldete Tasse mit etwas rothen angefüllet; und da die Priester dergleichen2 bey den Opfern führeten, so könnte man muthmassen, der verstorbene sey ein Priester gewesen. An der linken Hand haben der Zeigefinger und der kleine Finger einen Ring, und in dieser Hand ist etwas rundes von dunkelbrauner Farbe, welches della Valle vor eine nahmhafte Frucht ausgiebt. Die Füsse sind wie die Beine blos, und mit Sohlen, von denen die Bänder zwischen den grossen Zehen hervorgehen, und mit einer Schleife auf dem Fuse selbst befestiget sind. 1 1 2
Nehem. Grew. Musaeum Societ. Reg. Lond. 1 6 8 1 . fol. ρ. 1.1 v. Gabr. Bremond Viaggi nell' Egitto, Roma, 1679. 4. L. I. c. 15. p. 77. Clem. Alex. Strom. L. VI. p. 456.
Nachricht yon einer Mumie [92|93 93|94]
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Unter der Brust stehet erwehnte Schrift. Auf der zweyten Mumie ist die Figur eines jungen Frauenzimmers mit noch mehr Zierathen vorgestellet. Ausser den vielen gleichsam vergoldeten Münzen und andern Figuren, siehet man gewisse Vögel und vierfüssige Thiere, die etwas ähnliches mit einem Löwen haben; und näher gegen das Ende des Körpers einen Ochsen, welches vielleicht ein Apis ist. I An einer von den Ketten, welche die Person am Halse trägt, hängt ein vergoldetes Bild der Sonne. Sie hat Ohrgehänge, und an beyden Armen doppelte Armbänder: an beyden Händen Ringe, und an der linken Hand auf jeden Finger besonders einen: der Zeigefinger aber hat noch ausser dem einen Ring unter dem Nagel stecken: an der rechten Hand aber sind nur zwey Ringe. Mit dieser Hand hält die Figur, so wie die1 Isis, ein kleines vergoldetes Gefäß, von der Art, wie der Griechen ihr Spondeion war, welches bey der Göttin die Fruchtbarkeit des Nils bedeutete: in der linken Hand, ist eine Art von Frucht, welche die Gestalt von Kornähren hat, und ins grünliche fält. An der ersten Mumie hängen noch Siegel von Bley: so wie della Valle meldet. Man vergleiche diese Beschreibung mit derjenigen, welche della Valle in seinen Reisen8 von seinen zwo Mumien giebt, man wird finden, daß die Königlichen Mumien in Dreßden eben dieselben sind, die ein Egypter eben dem berühmten Reisenden aus einer mit Sand verschütteten tiefen Gruft (oder Brunnen) gezogen, und ihm verkauft hat; und idi glaube, daß sie von den Erben des della Valle in Rom erhandelt worden. In dem geschriebenen Verzeichnisse bey diesem Cabinet der Alterthümer findet sich über dem Kaufe nicht die geringste Nachridit. Meine Absicht ist nicht, mich in Erklärung der Zierathen und Figuren einzulassen; man kann sich hierüber einigermassen unterrichten aus demjenigen, was della Valle selbst beygebracht hat: ich werde nur allein über gemeldete Schrift einige Anmerkungen machen. I Die Egypter haben, wie bekannt ist, einen doppelten Character sidi auszudrücken gehabt,1 einen heiligen und einen gemeinen. Der erste war dasjenige, was wir Hieroglyphen nennen: der andere begrif ihre gewöhnliche Sprachzeichen, die allen Egyptern bekannt waren; und von diesen glaubt man durdigehends sey nichts auf unsere Zeiten kommen. 1 1 1
Shaw Voyag. Τ. II. p. 123. della Valle Viaggi Lettr. 11. §. 9. p. 32 j. seq. | Herodot. L. II. c. 36. Diod. Sic.
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Wir wissen nichts weiter, als daß 25 Buchstaben2 im egyptischen Alphabet gewesen. Deila Valle ist sehr geneigt, durch die Schrift auf der Mumie das Gegentheil zu zeigen; und Kircher treibt seine Muthmassungen noch weiter, und sucht auf dieselbe ein neues Gebäude aufzuführen, welches er durch ein paar Ueberbleibsel von eben der Art zu unterstützen vermeinet. Er will beweisen,® daß die alte egyptische Sprache von der griechischen nicht weiter, als in der Mundart verschieden gewesen. Nach der Gabe, welche er besessen, etwas zu finden, wo es niemand gesucht hätte, entsiehet er sich nicht, einigen alten historischen Nachrichten eine angedichtete Auslegung zu geben, um sie zu seiner Absicht zu gebrauchen. Herodot, sagt er, berichtet, der König Psammetichus habe Leute, die ihrer Sprache vollkommen mächtig gewesen, aus Griechenland nach Egypten kommen lassen, um seiner Nation die Reinigkeit der Sprache zu lehren. Folglich, schließt er, war in beyden Ländern einerley Sprache. Der griechische Geschichtschreiber4 aber sagt gerade das Gegentheil. Obgedachter König hat sich, nach seinem ausdrücklichen Berichte, der Ionier und Carier, welche die Freyheit erhalten, sich in Egypten niederzulassen, bedienet, junge Leute in der griechischen Sprache unterrichten zu lassen, um Dolmetscher zu ziehen. I Kirchers übrige vermeinte Beweise, dergleichen er aus den vielen Reisen der griechischen Weltweisen nach Egypten, und aus dem Verkehr beyder Nationen ziehet, die aber nicht einmahl die Stärke der Muthmassungen haben, sind hier nicht anzuführen. Denn aus der Wissenschaft, welche Democritus in der heiligen Sprache der Babylonier und Egypter erlanget, 1 ist klar, daß die Weltweisen allerdings die Sprache der Länder erlernet, welche sie besucht haben. Ich weiß auch nicht, ob das Zeugniß des Diodorus, daß die ersten Einwohner in Attica eine egyptische Colonie 2 gewesen, hier zu einigem Beweise dienen könnte. Die Schrift auf der Mumie würde zu kircherischen oder ähnlichen Muthmassungen Anlaß geben können, wenn die Mumie selbst dasjenige Alterthum hätte, welches ihr Kircher giebt. Cambyses, welcher Egypten erobert, hat die Priester theils verjaget, theils umbringen lassen; und Kircher behauptet aus dieser Nachricht, daß er den Dienst der Götter Plutarch, de Isid. & Osir. p. 374. Kirdier Oedip. 1. c. Ej. Prodrom. Copt. c. 7. 4 Herodot. L. II. c. 153. | 1 Diogen. Laert. v. Democr. * Diodor. Sic. L. I. c. 29. edit. Wessel. 1 s
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im ganzen Reidie abgeschaffet habe, und daß folglich kein Körper mehr balsamiret worden. Er berufet* sich abermahls auf den Herodot, und andere haben auf sein Wort getreulich nachgeschrieben. Es hat jemand noch mehr wissen wollen, indem er vorgegeben, die Egypter und Aethiopier hätten nur bis auf den Cambyses ihre verstorbenen 4 auf überkleisterten Leinen ihrer Mumien gemalet. Herodot aber sagt kein Wort von gänzlicher Abschaffung des Gottesdienste in Egypten, und noch weniger von Aufhebung des Gebrauchs, I ihre Körper vor der Fäulniß zu verwahren, nach des Cambyses Zeiten; und im Diodor von Sicilien ist ebenfalls nichts dergleichen zu finden: es ist vielmehr aus seiner Nachricht, die er von den Anstalten der Egypter mit ihren Todten giebt, zu schliessen, daß dieselben noch zu seiner Zeit, das ist, da Egypten schon eine römische Provinz war, üblich gewesen. Es ist also nicht zu erweisen, daß unsere Mumie älter sey, als die persische Eroberung von Egypten: und wenn sie es auch wäre, so weis ich nicht, ob nothwendig daraus folge, daß eine Schrift auf einem Körper, der auf egyptische Art gehandhabet worden, ich will auch setzen, der durch ihrer Priester Hände gegangen, in egyptischer Sprache seyn müsse. Es kann ein Körper vielleicht eines in gewisser Maasse nationalisirten Ioniers oder Cariers seyn. Man weis, daß Pythagoras sich zu der Religion der Egypter bekennet, und daß er sich so gar 1 beschneiden lassen, um sich den Zutritt zu der versteckten Wissenschaft der Priester dadurch zu erleichtern. Ja die Carier feyerten den Dienst der Isis nach Art der Egypter, und giengen noch weiter als diese in dem Aberglauben; sie zerfetzten sich so gar das Gesicht bey den Opfern an die Göttin. 2 Das Wort auf der Mumie ist ein griechisches Wort, wenn anstatt des ι der Diphtonge ει gesetzt wird: oder es ist hier aus Nachlässigkeit eine gewöhnliche Verwechselung geschehen,' die man auf griechischen Marmorn, noch mehr aber in Handschriften wahrgenommen hat; und mit eben dieser Endung findet sich dieses Wort 4 auf einem geschnittenen Steine und bedeutet: Lebe wohl. Es war der gewöhnliche Nachruf derl lebenden an die verstorbene, und eben dieses Wort findet sich auf alten 3 4 1 2 3
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Kircher. Oedip. 1. c. — it. Ejusd. China illustrata. P. III. c. 4. p. 151. Alberti englische Briefe Β | Clem. Alex. Strom. L. I. p. 354. edit. Pott. Herod. L. II. c. 61. Montfaucon Palaeogr. graeca L. III. c. j. p. 230. Kuhn. Not. ad. Pausan. L. II. p. 128. Augustin. Gemm. P. II. tab. 32. |
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Grabschriften 1 so wohl, als öffentlichen1 Verordnungen; in Briefen war es ein gewöhnlicher3 Schluß. Auf einer alten Grabschrift findet sich das Wort Ε Υ Ψ Υ Χ Ι ; 4 die Form des ψ auf alten Steinen und Handschriften kommt 5 dem dritten Buchstaben in dem Worte Ε Y + Υ Χ I völlig bey, und es könnte auch für das letztere genommen seyn. Ist aber die Mumie ein Körper aus späteren Zeiten, so ist die Vermuthung eines griechischen Worts auf derselben nach meiner Meinung noch leichter zu finden. Die runde Form des 6 würde nadi dem vermeinten Alterthume desselben, über die Schrift einigen Verdacht erwecken können. Man" hat den Buchstaben in dieser Form weder auf Steinen noch auf Münzen, die von Kaiser Augustus Zeit gemacht worden, angetroffen. Allein auch dieser Verdacht wird gehoben, wenn man annimmt, daß die Egypter nicht allein bis auf Augustus Zeiten, sondern vielleicht auch nachher fortgefahren, ihre Körper zu balsamiren. Egyptisdi kann das Wort, wo von die Rede ist, nicht seyn. Denn erstlich zeugen die Ueberbleibsel dieser alten Sprache in der heutigen coptischen dawider; hernach ist das Wort von der Linken zur Rechten geschrieben; wie dieses auch an dem Zuge7 gewisser egyptisdier Charactere be I merkt worden: welches bey den Egyptern umgekehrt geschähe,1 so wie auch die Hetrurier geschrieben haben. Diejenige Schrift® aber, welche Maillet entdecket, hat von niemand können erkläret werden. Die Griechen hingegen haben schon 600. Jahr vor der christlichen Zeitrechnung die Manier aller Abendländer im Schreiben gehabt, wie die sigäische Aufschrift, der man ein solches Alter giebt, zeigen kann.® Eben dieses gilt von der Schrift auf einem Stücke Stein4 mit egyptischen Figuren, die dem P. Kircher von Carl Vintimiglia, einem Patritio aus Palermo, mitgetheilet worden. Die Buchstaben Ι Τ Ι Ψ Ι Χ Ι sind zwey Worte, und bedeuten; „es komme die Seele." Mit diesem Steine ist 1
Gruter Corp. Inscr. p. D C C C L X I . ευτυχείτε χαίρετε. Prideaux Marm. Oxon. 4. & 179. 3 Demosth. Orat. pro Corona p. 485. & 499. edit. Frf. 1604. 4 Gruter. Corp. Inscr. p. D C X L I . 8. 5 Montfaucon. Palaeogr. L. IV. c. 10. p. 336. 338. β Montfaucon. 1. c. L. II. c. 6. p. 152. 7 Descript. de 1* Egypt, par Mascrier. Lettr. V I I . p. 23. | 1 Herod.L. II. * Descript. de 1' Egypte. 1. c. s Chishul Inscr. Sig. p. 12. 4 Kircher. Obelise. Pamph. c. 8. p. 147. 8
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Nachricht von einer Mumie
eben das geschehen, was mit dem geschnittenen Kopfe Königs Ptolomäus Philopator vorgenommen ist. Hier hat eine egyptische Hand zwey unförmliche Figuren hinzugefüget, und auf gedachtem Steine kann die Schrift ein Zusatz von einem Griechen seyn. Die Sprachkundigen werden wissen, daß man nicht viel zu ändern nöthig hat, um dieselbe in die Rechtschreibung zu setzen.
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Erläuterung der Gedanken Von der Nachahmung der griechischen Werke in der Malerey und Bildhauerkunst; und Beantwortung des Sendschreibens über diese Gedanken. Ich habe nidit geglaubet, daß meine kleine Schrift einiges A u f m e r k e n verdienen, und Urtheile über sich erwecken w ü r d e . Sie ist nur f ü r einige Kenner der Künste geschrieben, und dieserwegen schien es überflüssig, ihr einen gewissen gelehrten Anstrich z u geben, den eine Schrift durch A n s
führungen v o n Büchern I erhalten kann. Künstler verstehen, w a s man mit halben W o r t e n v o n der Kunst schreibet, und da es der größte T h e i l unter ihnen v o r „thörigt h ä l t " und halten muß, „auf das Lesen mehr Zeit z u wenden als auf das Arbeiten", w i e ein alter Redner lehret, so macht man, w e n n man sie nichts neues lehren kann, sich wenigstens durch
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die K ü r z e b e y ihnen gefällig; und ich bin überhaupt der Meinung, da das schöne in der K u n s t mehr auf feine Sinnen und auf einen geläuterten Geschmack, als auf ein tiefes Nachdenken beruhet, d a ß des Neoptolemus Satz, 1 „philosophire; aber mit wenigen", sonderlich in Schriften dieser A r t zu beobachten sey.
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Einige Stellen in meiner Schrift w ü r d e n eine E r k l ä r u n g annehmen, und da eines ungenannten Erinnerungen über dieselbe an das Licht getreten sind, so w ä r e es billig, d a ß ich mich erklärte und zugleich antwortete. D i e Umstände aber, in welchen ich mich b e y meiner nahe bevorstehenden Reise befinde, verstatten mir weder dieses noch jenes nach meinen gemach-
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ten E n t w ü r f e auszuführen. V o n etlichen Bedenken w i r d audi der V e r fasser des Sendschreibens, seiner Billigkeit gemäß, meine A n t w o r t im voraus haben errathen können; nemlich keine A n t w o r t z u erhalten. E b e n so ungerührt höre ich das Geschrey wider die Stücke v o m C o r r e g g i o an, v o n denen man g e w i ß w e i ß , daß sie nicht allein nach Schweden* gekom-
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Cie. d e O r a t . L . II. c. 37. Argenuille de la Vie des Peintr. Τ. II. p. 287.
Windcelmann, Kleine Schriften
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Erläuterung der Gedanken von der Nachahmung [102|103 103|104]
men, sondern daß sie auch im königlichen Stalle zu Stockholm gehänget haben, f Meine Vertheidigung würde wenigstens nicht viel anders I werden, als des Aemilius Scaurus seine wider den Valerius von Sucro war: „dieser läugnet, ich bejahe; Römer! wem von beyden glaubt ihr?" Im übrigen kann diese Nachricht noch weniger bey mir als bey den Hn. Grafen von Tessin selbst zum Nachtheil der schwedischen Nation gedeutet werden. Ich weiß nicht, ob der belesene Verfasser der umständlidien Lebensbeschreibung der Königin Christina anders geurtheilet hat; weil er uns ohne alle Nachricht gelassen über den Schatz von Gemälden, der von Prag nach Stockholm gebracht worden; über die gegen den Maler Bourdon bezeugte unerfahrne Freygebigkeit der Königin; und über den schlechten Gebrauch, den man von so berühmten Stücken des Correggio gemacht hat. In einer Reisebeschreibung durch Schweden1 von einem berühmten Manne in Diensten dieser Crone wird gemeldet, daß in Lincöping ein mit sieben Docenten versehenes Gymnasium, aber kein einziger Handwerker noch Arzt sey. Dieses könnte dem Verfasser übel gedeutet werden, und gleichwohl muß es nicht geschehen seyn. I Ueber die Nachlässigkeiten in den Werken der griechischen Künstler würde ich mich bey erlaubter Müsse umständlicher erkläret haben. Die Griechen kannten die gelehrte Nachlässigkeit; wie ihr Urtheil über das Rebhun des Protogenes zeiget: aber man weiß auch,1 daß es der Maler ganz und gar ausgelöschet hat. Der Jupiter des Phidias aber war nach den erhabensten Begriffen der Gottheit, die alles erfüllet, gearbeitet; es war ein Bild wie des Homers 2 Eris, die auf der Erde stand, und mit dem Kopf bis in den Himmel reichte; es war gleichsam nach dem Sinn der heiligsten Dichtkunst entworfen: „Wer kann ihn fassen etc." Man f Man könnte denenjenigen, welche die Geschlechtsregister der Gemälde studiren, noch eins und das andere Stück von den größten italienischen Meistern, nebst einer Folge von Besitzern derselben, namhaft machen von denen, welche ehemals :n Schweden gewesen sind. Die Zerstörung der Stadt Troja von Friderich Barocci, ist ein solches. Es kam vermittelst des Herzogs von Urbino in Kaiser * Rudolphs II. Hände, und befindet sich itzo in des Herzogs von Orleans Gallerie. ** In der Beschreibung derselben geschiehet keine Meldung, woher es gekommen. Eben diese Vorstellung von eben dem Meister ist in dem *** borghesischen Pallaste zu Rom. * Baldinucci Notiz, de' Profess, del disegno. Florenz. 1702, fol. p. 113. 114. ** St. Geiais Descr. du Cabinet Royal, p. 1J9. *** Baldinucci Notiz. 1. c. | 1 Freyh. Harlemanns Reise durch einige schwedische Prov. p. 21. | 1 StraboL. X I V . p . 652. al. 965.1.11. 1 II. δ ' v . 443.
[104|105] Erläuterung der Gedanken von der Nachahmung
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ist so billig gewesen, dergleichen Freyheit, die sich Raphael genommen, von den natürlichen Verhältnissen in seinem Carton vom Fischzuge Petri abzugehen,® zu entschuldigen, ja dieselbe nöthig zu finden. Die Critic über den Diomedes scheinet mir gründlich; aber deswegen nicht wider midi: Die Action desselben an und vor sich betrachtet, der edle Umriß und der Ausdruck werden allezeit unsern Künstlern ein grosses Beyspiel zur Nachahmung bleiben können: und weiter war der Diomedes des Dioscorides meiner Absicht nicht gemäß. Meine Gedanken von der Nachahmung der griechischen Werke in der Malerey und Bildhauerkunst betreffen vier Hauptpuncte. I. von der vollkommenen Natur der Griechen. II. Von dem Vorzug ihrer Werke. III. Von der Nachahmung derselben, I U I . Von der Griechen ihrer Art zu denken in Werken der Kunst, sonderlich von der Allegorie. Den ersten Punct habe ich wahrscheinlich zu machen gesuchet: bis zur völligen Ueberzeugung werde ich hier, auch mit den seltensten Nachrichten I nicht gelangen können. Diese Vorzüge der Griechen scheinen sich vielleicht weniger auf die Natur selbst, und auf den Einfluß des Himmels, als auf die Erziehung derselben zu gründen. Unterdessen war die glückseelige Lage ihres Landes allezeit die Grundursach, und die Verschiedenheit der Luft und der Nahrung machte unter den Griechen selbst den Unterschied, der zwischen den Atheniensern 1 und ihren nächsten Nachbarn jenseit des Gebürges war. Die Natur eines jeden Landes hat ihren Eingebohrnen so wohl, als ihren neuen Ankömlingen eine ihr einige Gestalt, und eine ähnliche Art zu denken gegeben. Die alten Gallier waren eine Nation, wie es die Franken aus Deutschland, ihre Nachkommen geworden sind. Die erste und blinde Wuth in Angriften war jenen schon zu Cäsars Zeiten 2 eben so nachtheilig, wie es sich bey diesen in neuern Zeiten gezeiget hat. Jene hatten gewisse andere Eigenschaften, welche der Nation noch itzo eigen sind, und Kaiser Julian 3 berichtet, daß zu seiner Zeit mehr Tänzer, als Bürger in Paris gewesen. Die Spanier hingegen handelten allezeit behutsam und mit einem gewissen kalten Blute; und eben dadurdi maditen sie den Römern die Eroberung ihres Landes so schwer.4 ' 1 2 8 4
Richardson Essai etc. p. 38. 39. | Cie. de Fato, c. 4. Strabo L. IV. p. 196. al. 299.1. 22. Misopog. p. 342.1. 13. Strabo L. III. p. 158. al. 238.
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Erläuterung der Gedanken von der Nadiahmung [105|106 106|107]
Man urtheile, ob die Westgothen, Mauritanier, und andere Völker, die dieses Land überschwemmet, nicht den Character der alten Iberier angenommen haben. Man nehme die Vergleichung zu Hülfe, die ein be-1 rühmter Scribent1 bey einigen Nationen über die ehemaligen und jetzigen Eigenschaften derselben machet. Eben so würksam muß sich audi der Himmel und die Luft bey den Griechen in ihren Hervorbringungen gezeiget haben, und diese Wirkung muß der vorzüglichen Lage des Landes gemäß gewesen seyn. Eine2 gemässigte Witterung regierte durch alle Jahrszeiten hindurch, und die kühlen Winde aus der See überstrichen die wollüstigen Inseln im ionischen Meere, und die Seegestade des festen Landes; und vermuthlich auch aus diesem Grunde waren im Peloponnes alle Orte an der See angeleget, wie Cicero8 aus des Dicäarchus Schriften zu behaupten suchet. Unter einem so gemässigten, und zwischen Wärme und Kälte gleichsam abgewogenen Himmel spüret die Creatur einen gleich ausgetheilten Einfluß desselben. Alle Früchte erhalten ihre völlige Reife, und selbst die wilden Arten derselben gehen in eine bessere Natur hinüber; so wie bey Thieren, welche besser gedeyen und öfter werfen. Ein solcher Himmel, sagt4 Hippocrates, bildet unter Menschen die schönsten und wohlgebildetesten Geschöpfe und Gewächse, und eine Uebereinstimmung der Neigungen mit der Gestalt. Das Land der schönen Menschen, Georgien, beweiset dieses, welches ein reiner und heiterer Himmel mit Fruchtbarkeit erfüllet.5 Das Wasser allein soll so viel Antheil haben an unserer Gestalt, daß die Indianer® sagen, es könne keine Schönheiten geben in I Ländern, wo kein gut Wasser sey; und das Orakel selbst giebt dem Wasser der Arethuse1 die Würkung, schöne Menschen zu machen. Mich deucht, man könne auch aus der Sprache der Griechen auf die Beschaffenheit ihrer Körper urtheilen. Die Natur bildet bey jedem Volke die Werkzeuge der Sprache nach dem Einflüsse des Himmels in ihren Ländern, also daß es Geschlechter giebt, welche wie die2 Troglodyten du Bos. Reflex, sur la Poesie & sur la Peint. Τ. II. p. 144. Herodot. L. III. c. 106. 3 Cie. ad Attic. L. VI. ep. 2. 4 Περί τόπων p. 288. edit. Foesii. Galenus δτι τά της ψυχής ήθη τοις τοΰ σώματος κράσεσιν ϊπεται. fol. 171· Β. 1. 43- edit. Aldin. Τ. I. 5 Chardin Voyage en Perse Τ. II. p. 127. seq. * Iournal des S;avans l'an 1684. Aur. p. 153. | 1 ap. Euseb. Praepar. Euang. L. V. c. 29. p. 226. edit. Colon. 2 Plin. Hist. Nat. L. V. c. 8. 1 2
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mehr pfeifen als reden, und andere, die ohne Bewegung* der Lippen reden können. Die Phasianer in Griechenland hatten, wie man es von den Engeländern 4 sagt, einen heiseren Laut. Unter einem raudien Himmel werden harte Tone formirt, und die Theile des Körpers, welche hierzu dienen, haben nicht die feinsten seyn dürfen. Der Vorzug der griechischen vor allen bekannten Sprachen ist unstreitig: ich rede hier nicht von dem Reidithume, sondern von dem Wohlklange derselben. Alle nordische Sprachen sind mit 5 Consonanten überladen, welches ihnen oftmals ein unfreundliches Wesen giebt. In der griechischen Sprache hingegen sind die Vocalen mit jenen dergestalt abgewechselt, daß ein jeder Consonant seinen Vocalen hat, der ihn begleitet: zwey Vocalen aber stehen nicht leicht bey einem Consonant, daß nicht so gleich durch die Zusammenziehung zwey in einem solten gezogen werden. Das sanfte der Sprache leidet nicht, daß sich eine Sylbe mit den drey rauhen I Buchstaben (ΘΦΧ) endige, und die Verwechselung der Buchstaben, die mit einerley Werkzeug der Rede gebildet werden, hatte füglich statt, wenn dadurch der Härte des Lauts konnte abgeholfen werden. Einige uns scheinbar harte Worte können keinen Einwurf machen, da wir die wahre Aussprache der griechischen so wenig als der römischen Sprache wissen. Dieses alles gab der Sprache einen sanften Fluß, machte den Klang der Worte mannigfaltig, und erleichterte zu gleicher Zeit die unnachahmliche Zusammensetzung derselben. Ich will nicht anführen, daß allen Sylben auch im gemeinen Reden ihre wahre Abmessung konnte gegeben werden, woran sich in den abendländischen Sprachen nicht gedenken läßt. Solte man nicht aus dem Wohlklange der griechischen Sprache auf die Werkzeuge der Sprache selbst schliessen können? Man hat daher einiges Recht zu glauben, Homer verstehe unter der 1 Sprache der Götter die griechische, und unter der Sprache der Menschen die phrygische. Der Ueberfluß der Vocalen war vornehmlich dasjenige, was die griechische Sprache vor andern geschickt machte, durch den Klang und durch die Folge der Worte auf einander die Gestalt und das Wesen der Sache selbst auszudrücken. Zwey Verse im2 Homer machen den Drude, * Lahontan Memoir. Τ. II. p. 217. conf. Wöldike de lingua Grönland, p. 144. seq. Act. Hafn. Τ. II. 4 Clarmont de aere, locis & aquis Angliae, Lond. 1672., 12. 5 Wotton's Reflex, upon antient and modern Learning, p. 4. Pope's Lett, to Mr. Walsh, s. Pope's Corresp. Τ. I. 74. | 1 Lakemacher. Observ. philolog. P. III. Obs. 4. p. zjo. seq. 1 Iliad, δ'v. 13j.
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die Geschwindigkeit, die verminderte Kraft im eindringen, die Langsamkeit im durchfahren, und den gehemmten Fortgang des Pfeils, welchen Pandarus auf den Menelaus abschoß, sinnlicher durch den Klang als durdi die Worte selbst. Man glaubt den Pfeil wahrhaftig abgedruckt, durch die Luft fahren, und in den Schild des Menelaus eindringen zu sehen. I Die Beschreibung des von Achilles gestellten Haufens seiner Myrmidoner, 1 wo Schild an Schild, und Helm an Helm, und Mann an Mann schloß, ist von dieser Art, und die Nachahmung derselben ist allezeit unvollkommen gerathen. Ein einziger Vers enthält diese Beschreibung; man muß ihn aber lesen, um die Schönheiten zu fühlen. Der Begrif von der Sprache würde bey dem allen unrichtig seyn, wenn man sich dieselbe als einen Bach, der ohne alles Geräusch (eine Vergleichung* über des Plato Schreibart) vorstellen wollte; sie wurde ein gewaltiger Strom, und konnte sich, erheben, wie die Winde, die des Ulysses Segel zerrissen. Nach dem Klange der Worte, 3 die nur einen drey oder vierfachen Riß beschrieben, scheinet das Segel in tausend Stüdke zu platzen. Aber ausser einem so wesentlichen Ausdrucke fand man dergleichen Worte 4 hart und unangenehm. Eine solche Sprache erforderte also feine und schnelle Werkzeuge, für welche die Sprachen anderer Völker, ja die römische selbst nicht gemacht schienen; so daß sich ein griechischer5 Kirchenvater beschweret, daß die römischen Gesetze in einer Sprache, die schrecklich klinge, geschrieben wären. Wenn die Natur bey dem ganzen Baue des Körpers, wie bey den Werkzeugen der Sprache verfähret, so waren die Griechen aus einem feinen Stoffe gebildet; Nerven und Muskeln waren aufs empfindlichste elastisch, und beförderten die biegsamsten Bewegungen des Körpers. Inl allen ihren Handlungen äusserte sich folglich eine gewisse gelenksame und geschmeidige Gefälligkeit, welche ein munteres und freudiges Wesen begleitete. Man muß sich Körper vorstellen, die das wahre Gleichgewicht zwischen dem Mageren und Fleischigten gehalten haben. Die Abweichung auf beyden Seiten war den Griechen lächerlich, und ihre Dichter machen 1 1 3
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Iliad, π', v. 21 j. Longin. περί ύψ. Sect. 13. §. 1. Odyss. ί, v. 71. conf. Iliad, γ' v. 363. & Eustath. ad h. 1. p. 424.1. 10. edit. Rom. Eustath. 1. c. conf. Id. ad Iliad, έ, p. j 19.1. 43. Gregor. Thaumat. Orat. paneg. ad Origenem. p. 49.1. 43. |
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sich lustig über einen1 Cinesias, einen2 Philetas, und über einen' Agoracritus. Dieser Begrif von der Natur der Griechen könnte dieselben vielleicht als Weichlinge vorstellen, die durch den zeitigen und erlaubten Genuß der Wollüste nodi mehr entkräftet worden sind. Idi kann midi hierauf durch des Pericles Vertheidigung der Athenienser gegen Sparta, in Absicht ihrer Sitten, einigermassen erklären, wenn mir erlaubt ist, dieselbe auf die Nation überhaupt zu deuten: Denn die Verfassung in Sparta war fast in allen Stücken von der übrigen Griechen ihrer verschieden. „Die Spartaner", sagt4 Pericles, „suchen von ihrer Jugend an durch gewaltsame Uebungen eine männliche Stärke zu erlangen; wir aber leben in einer gewissen Nachlässigkeit, und wir wagen uns nichts desto weniger in eben so grosse Gefährlichkeiten; und da wir mehr mit Müsse, als mit langer Ueberdenkung der Unternehmungen, und nicht so wohl nach Gesetzen, als durch eine grosmüthige Freywilligkeit der Gefahr entgegen gehen, so ängstigen wir uns nicht über Dinge, die uns bevorstehen, und wenn sie wirklich über uns kommen, so sind wir nicht weniger kühn, sie zu ertragen, als diejenigen, welche sich durch eine anhaltende Uebung dazu I anschicken. Wir lieben die Zierlichkeit ohne Uebermasse und die Weisheit ohne Weichligkeit. Unser vorzügliches ist, daß wir zu grossen Unternehmungen gemacht sind." Ich kann und will nicht behaupten, daß alle Griechen gleich schön gewesen sind: unter den Griechen vor Troja war nur ein Thersites. Dieses aber ist merkwürdig, daß in den Gegenden, wo die Künste geblühet haben, auch die schönsten Menschen gezeuget worden. Theben war unter einem1 dicken Himmel gelegen, und die Einwohner waren dick und stark,2 auch nach des Hippocrates Beobachtung3 über dergleichen sumpfigte und wäßrigte Gegenden. Es haben auch die Alten schon bemerket, daß diese Stadt, ausser dem einzigen Pindarus, eben so wenig Poeten und Gelehrte aufzeigen können, als Sparta, ausser dem Alcman. Das attische Gebiet hingegen genoß einen reinen und heitern Himmel, welcher feine Sinne würkte, (die man 4 den Atheniensern beyleget,) folglich diesen pro1 Aristoph. Ran. v. 148$. * Athen. Deipnos. L. XII. c. 13. Aelian. Var. hist. 1. IX. c. 14. s Aristoph. Equit. 4 Thucyd. 1. II. c. 39. I 1 Horat. L. II. ep. I. v. 244. 2 Cie. de Fato. c. 4. 3 περί τόπων. p. 204. 4 Cie. Orator, c. 8. conf. Dicaeardi. Geogr. edit. Η . Steph. c. 2. p. 16.
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Erläuterung der Gedanken von der Nachahmung [111|112 112|113]
portionirte Körper bildete; und in Athen war der vornehmste Sitz der Künste. Eben dieses liesse sich erweisen von Sicyon, Corinth, Rhodus, Ephesus u. s. w. welches Schulen der Künstler waren, und wo es also denselben an schönen Modellen nicht fehlen konnte. Den Ort, welcher in dem Sendschreiben aus dem5 Aristophanes zum Beweise eines natürlichen Mangels bey den Atheniensern angeführet worden, nehme ich, wie er muß genommen werden. Der Scherz des Poeten gründet sich auf eine Fabel vom Theseus. Massig völlige Theile an dem Orte, wo I Sedet aeternumque sedebit Infelix Theseus, Virg. 1
waren eine attische Schönheit. Man sagt, daß Theseus aus seinem Verhafte bey den Thesprotiern nicht ohne Verlust der Theile, von welchen geredet wird, durch den Hercules befreyet worden, und daß er dieses als ein Erbtheil auf seine Nachkommen gebracht habe. Wer also beschaffen war, konnte sich rühmen, in gerader Linie von dem Theseus abzustammen, so wie ein Geburtsmahl in Gestalt eines Spiesses2 einen Nachkommen von den Spartis bedeutete. Man findet audi, daß die griechischen Künstler an diesem Orte die Sparsamkeit der Natur bey ihnen, nachgeahmet haben. In Griechenland selbst war unterdessen allezeit derjenige Stamm von der Nation, in welcher sich die Natur freygebig, doch ohne Verschwendung erzeigte. Ihre Colonien in fremde Länder hatten beynahe das Schicksal der griechischen Beredsamkeit, wenn diese aus ihren Grenzen gieng. „So bald die Beredsamkeit", sagt8 Cicero, „aus dem atheniensischen H a fen auslief, hat sie in allen Inseln, welche sie berühret hat, und in ganz Asien, welches sie durchzogen ist, fremde Sitten angenommen, und ist völlig ihres gesunden attischen Ausdrucks, gleichsam wie ihrer Gesundheit, beraubet worden." Die Ionier, welche Nileus nach der Wiederkunft der Herakliden aus Griechenland nach Asien führete, wurden unter dem heisseren Himmel nodi wollüstiger. Ihre Sprache hatte wegen der gehäuften Vocalen in einem Worte, noch mehr spielendes. Die I Sitten der nächsten Inseln waren unter einerley Himmelstrich von den ionisdien nicht verschieden. Eine einzige Münze 1 der Insel Lesbos 5
Nubes, v. 136j. | Sdiol. ad Aristoph. Nub. v. 1010. * Plutarch, de sera num. vindict. p. 563.1. 9. 8 Cie. de Orat. L. | 1 Golz. Τ. II. tab. 14. 1
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kann hier zum Beweise dienen. In der Natur ihrer Körper muß sich also audi eine gewisse Abartung von ihren Stammvätern gezeiget haben. Noch eine grössere Veränderung muß unter entfernteren Colonien der Griechen vorgegangen seyn. Diejenige, welche sich in Africa, in der Gegend Pithicussa niedergelassen hatten, fiengen an die Affen so ernstlich als die Eingebohrnen anzubeten; sie nenneten ihre Kinder so gar nach diesem Thiere2. Die heutigen Einwohner in Griechenland sind ein Metall, das mit dem Zusatz verschiedener andern Metalle zusammen geschmolzen ist, an welchen aber dennoch die Hauptmasse kenntlich bleibt. Die Barbarey hat die Wissenschaften bis auf dem ersten Saamen vertilget, und Unwissenheit bedecket das ganze Land. Erziehung, Muth und Sitten sind unter einem harten Regimente erstickt, und von der Freyheit ist kein Schatten übrig. Die Denkmale des Alterthums werden von Zeit zu Zeit noch mehr vertilget, theils weggeführet; und in englischen Gärten stehen itzo Säulen* von dem Tempel des Apollo zu Delos. So gar die Natur des Landes hat durch Nachlässigkeit seine erste Gestalt verlohren. Die Pflanzen in Creta4 wurden allen andern in der Welt vorgezogen, und itzo siehet man an den Bädien und Flüssen, wo man sie suchen solte, nichts als wilde I Ranken und gemeine Kräuter. 1 Und wie kann es anders seyn, da ganze Gegenden, wie die Insel Samos, die mit Athen einen langwierigen und kostbaren Krieg zur See aushalten konnte,2 wüste liegen. Bey aller Veränderung und traurigen Aussicht des Bodens, bey dem gehemten freyen Strich der Winde durch die verwilderte und verwachsene Ufer, und bey dem Mangel mancher Bequemlichkeit, haben dennoch die heutigen Griechen viel natürliche Vorzüge der alten Nation behalten. Die Einwohner vieler Inseln, (welche mehr als das feste Land von Griechen bewohnt werden) bis in klein Asien, sind die schönsten Menschen, sonderlich was das schöne Geschlecht betrift, nach aller Reisenden Zeugniß.3 Die attische Landschaft giebt noch itzo, so wie ehemals,4 einen Blick von Menschenliebe. Alle Hirten und alle Arbeiter auf dem Felde hiessen 2 3 4
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Diodor. Sic. L. X X . p. 763. al. 449. Stukely's Itinerar. III. p. 32. Theophrast. hist, plant. L. IX. c. 16. p. 1131. 1. 7. edit. Amst. 1644, fol. Galen, de Antidot. I. fol. 63. Β. 1. 28. Id. de Theriac. ad Pison. fol. 85. A. 1. 20.1 Tournefort Voyage Lettr. I. p. 10. edit. Amst. Belon Observ. L. II. di. 9. p. 151. a. Belon Observ. L. III. ch. 34. p. 350. b. Corn, le Brun. Voyage, fol. p. 169. Dicaeardi. Geogr. c. I. p. 1.
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Erläuterung der Gedanken von der Nachahmung [114|115 115|116]
die beyden Reisegefährten Spon und Wheler willkommen, und kamen ihnen mit ihren Grüssen und Wünschen zuvor. 5 An den Einwohnern' bemerkt man noch itzo einen sehr feinen Witz, und eine Gesdiicklidikeit zu allen Unternehmungen. Es ist einigen eingefallen, daß die frühzeitige Uebungen der sdiönen Form der griediisdien Jugend mehr nachtheilig als vortheilhaft gewesen. Man könnte glauben, daß die Anstrengung der Nerven und Muskeln dem jugendlichen Umrisse zarter Leiber anstatt des sanften Schwungs etwas edcigtes und feditermässiges gegeben. Die Antwort hierauf liegt zum I theil in dem Character der Nation. Ihre Art zu handeln und zu denken war leicht und natürlich; ihre Verrichtungen geschahen, wie Perikles sagt, mit einer gewissen Nachlässigkeit, und aus einigen Gesprächen des Plato 1 kann man sich einen Begrif machen, wie die Jugend unter Scherz und Freude ihre Uebungen in ihren Gymnasien getrieben; und daher will er in seiner2 Republic, daß alte Leute sich daselbst einfinden sollen, um sich der Annehmlichkeiten ihrer Jugend zu erinnern. Ihre Spiele nahmen mehrentheils bey Aufgang® der Sonne ihren Anfang, und es gesdiahe sehr oft, daß Socrates so früh diese Orte besuchte. Man wählte die Frühstunden, um sich nicht in der Hitze zu entkräften, und so bald die Kleider abgelegt waren, wurde der Körper mit Oele, aber mit dem schönen attischen Oele überstrichen, theils sich vor der empfindlichen Morgenluft zu verwahren; wie man auch sonst in der größten Kälte 4 zu thun pflegte; theils um die heftigen Ausdünstungen zu vermindern, die nichts als das 5 Ueberflüssige wegnehmen solten. Das Oel soke audi die Eigenschaft haben* stark zu machen. Nach geendigten Uebungen gieng man insgemein ins Bad, wo der Körper von neuen mit Oele gesalbet wurde, und Homer sagt von einem Menschen, der auf solche Art frisch aus dem Bade kömmt, daß er7 länger und stärker scheine, und den unsterblidien Göttern ähnlich sey. I 5 Voyage de Spon & Wheler. Τ. II. p. 7$. 76. • Wheler's Iourney into Greece p. 347. | 1 Conf. Lysis, p. 499. edit. Frf. 1602. 2 Plato de Repl. 3 Plato de Leg. L. VII. p. 892. 1. 30. 36. conf. Petiti. Leg. Att. p. 296. Maittaire Marm. Arundell. p. 483. Gronov. ad Plauti Bacdiid. v. ante solem exorientem. 4 Galen, de simpl. Medic, facult. L. II. c. j. fol. 9. Α. Opp. Τ. II. Frontin. Strateg. L. I. c. 7. 5 Lucian. de Gymnas. p. 907. Opp. Τ. II. ed. Reitz. • Dionys. Halic. Art. Rhet. c. I. §. 6. de vidicendi in Demosth. c. 29. edit. Oxon. 7 Odyss. τ . v. 230.1
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Auf einer Vase,1 weldie Carl Patin besessen, und in weldier, wie er muthmasset, die Asche eines berühmten Fechters verwahret gewesen, kann man sich die verschiedenen Arten und Grade des Ringens bey den Alten sehr deutlich vorstellen. Wären die Griechen beständig barfuß, wie sie selbst die Menschen aus der Heldenzeit 2 vorstelleten, oder allezeit nur auf einer angebundenen Sohle gegangen, wie man insgemein glaubt, so würde ohne Zweifel die Form ihrer Füsse sehr gelitten haben. Allein es läßt sich erweisen, daß sie auf die Bekleidung und auf die Zierde ihrer Füsse mehr, als wir verwandt haben. Die Griechen hatten mehr als zehen Namen, wodurch sie Schuhe bezeichneten.1 Die Bedeckung, welche man in den Spielen um die Hüfte trug, war bereits weggethan vor der Zeit, da die Künste in Griechenland anfiengen zu blühen; 4 und dieses war für die Künstler nidit ohne Nutzen. Wegen der Speise der Ringer in den grossen Spielen, in ganz uralten Zeiten, fand ich es anständiger von der Milchspeise überhaupt als von weidien Käse zu reden. Ich erinnere mich hier, daß man die Gewohnheit der ersten Christen, die ganz nackend getauft worden, fremde ja unerweislich finde, unten ist mein Beweis;5 ich kann mich in Nebendingen nidit weitläuftig einlassen. I Ich weiß nicht, ob ich mich auf meine Wahrscheinlichkeiten über eine vollkommenere Natur der alten Griechen beziehen darf: ich würde bey dem zweyten Puncte an der Kürze viel gewinnen. Charmoleos, ein junger Mensch von Megara, von dem ein einziger Kuß auf zwey Talente geschätzt wurde, 1 muß gewiß würdig gewesen seyn, zu einem Modelle eines Apollo zu dienen, und diesen Charmoleos, den Alcibiades, den Charmides, den2 Adimantus konnten die Künstler alle Tage einige Stunden sehen, wie sie ihn zu sehen wünschten. Die Patin. Nutnism. Imp. p. 160. Philostrat. Epist. 22. p. 922. conf. Macrob. Saturn. L. V. c. 18. p. 357. edit. Lond. 1694, 8. H y g i n fab. 12. 5 conf. Arbuthnot's Tables of antient Coins, dj. 6. p. 116. 4 Thucyd. L. I. c. 6. Eustath. ad. II. ψ. p. 1324.1. 16. 5 Cyrilli Hieros. Catech. Mystag. II. c. 2. 3. 4. p. 284. 8$. edit. Th. Milles, Oxon. 1703. fol. los. Vicecomitis Observ. de antiq. Baptismi ritibus, L. IV. c. 10. p. 286—289. Binghami Orig. Eccles. Τ. IV. L. X I . c. 11. Godeau Hist, de 1' Eglise Τ. I. L. III. p. 623. | 1 Lucian. Dial. Mort. X . §. 3. * Idem N a v i g . c. 2. p. 248. 1
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Künstler in Paris hingegen will man auf ein Kinderspiel verweisen; und über dem sind die äussersten Theile der Körper, die nur im Schwimmen und Baden sichtbar sind, an allen und jeden Orten ohne Bedeckung zu sehen. Ich zweifle auch, daß derjenige,® der in allen Franzosen mehr finden will, als die Griechen in ihren Alcibiades gefunden haben, einen so kühnen Aussprudi behaupten könnte. Ich könnte auch aus dem vorhergehenden meine Antwort nehmen über das in dem Sendschreiben angeführte Urtheil der Academien, daß gewisse Theile des Körpers eckigter, als bey den Alten geschehen, zu zeichnen sind. Es war ein Glück für die alten Griechen und für ihre Künstler, daß ihre Körper eine gewisse jugendliche Völligkeit hatten; sie müssen aber dieselbe gehabt haben: denn da an griechischen Statuen die Knöchel an den Händen eckigt genug angemerkt sind, welches an andern in dem Sendschreiben benannten Orten nicht geschehen ist, so ist es sehr wahrscheinlich, daß sie die Natur also gebildet, unter sich gefunden haben. 1 Der berühmte borghesische Fechter von der Hand des Agasias von Ephesus hat das Eckigte, und die bemerkten Knochen nicht, wo es die Neuren lehren: er hat es hingegen, wo es sich an anderen griechischen Statuen befindet. Vielleicht ist der Fechter eine Statue, welche ehemals an Orten, wo die grossen Spiele in Griechenland gehalten wurden, gestanden hat, wo einem jeden Sieger dergleichen gesetzet wurde. Diese Statuen musten sehr genau nach eben der Stellung, in welcher der Sieger den Preiß erhalten hatte, gearbeitet werden, und 1 die Richter der olympischen Spiele hielten über dieses Verhältnis eine genaue Aufsicht: ist nicht hieraus zu schliessen, daß die Künstler alles nach der Natur gearbeitet haben? Von dem zweyten und dritten Puncte meiner Schrift ist bereits von vielen geschrieben worden: meine Absicht, wie es von selbst zeigen kann, war also nur, den Vorzug der Werke der alten Griechen und die Nachahmung derselben mit wenigen zu berühren. Die Einsicht unserer Zeiten fordert sehr viel von Beweisen in dieser Art, wenn sie allgemein seyn sollen, und sie setzen allezeit eine nicht geringe vorläufige Einsicht voraus. Unterdessen sind die Urtheile vieler Scribenten über der Alten ihre Werke in der Kunst zuweilen nicht reifer, als manche Urtheile über ihre Schriften. Könnte man von jemand, der von den schönen Künsten überhaupt schreiben wollen, und die Quellen derselben so wenig gekannt hat, daß er dem Thucydides, dessen Schreibart dem Cicero, wegen ihrer körnigs
1
De la Chambre Discours, ou il est prouvi que les Frangois sont les plus capables de tous les Peuples de la perfection de 1' Eloquence, p. ι j. | Lucian. pro. Imagin. p. 490. edit. Reitz. Τ. II.
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ten Kürze und Höhe, wie er selbst bekennet, 2 dunkel war, den Character der3 Einfalt andichtet; könnte man, sage idi, von einem solchen Richter ein wahres Ur I theil über die griechischen Werke in der Kunst hoffen? Auch in einer fremden Tracht muß Thucydides niemanden also erscheinen. Ein anderer Schriftsteller scheinet mit dem Diodor von Sicilien eben so wenig bekannt zu seyn, da er ihn vor einen Geschichtschreiber hält, der den 1 Zierlichkeiten nachläuft. Mandier bewundert auch etwas an der Arbeit der Alten, was keine Aufmerksamkeit verdienet. „Kennern" sagt2 ein Reisebeschreiber, „ist der Strick, mit welchem Dirce an den Ochsen gebunden ist, das schönste an dem größten Gruppo aus dem Alterthum, welches unter dem Namen il T O R O FARNESE bekannt ist." Ah miser aegrota putruit cui mente salillum. Ich kenne die Verdienste der neuern Künstler, die in dem Sendschreiben denen aus dem Alterthume entgegen gesetzet sind: aber ich weiß auch, daß jene durch Nachahmung dieser geworden, was sie gewesen sind, und es würde zu erweisen seyn, daß sie gemeiniglich, wo sie von der Nachahmung der Alten abgewichen, in viele Fehler des größten Haufens derjenigen neuern Künstler, auf die ich nur allein in meiner Schrift gezielet, verfallen sind. Was den Umriß der Körper betrift, so scheinet das Studium der Natur, an welches sich Bernini in reifern Jahren gehalten hat, diesen grossen Künstler allerdings von der schönen Form abgeführet zu haben. Eine Charitas von seiner Hand an dem Grabmale Pabst Urban VIII. soll gar zu fleischigt seyn3, und eben diese Tugend an dem Grabmale Alexander VII. I will man so gar häßlidi finden. Gewiß ist, daß man die Statue Königs Ludwig XIV. zu Pferde, an welcher Bernini funfzehen Jahr gearbeitet, und welche übermässige Summen gekostet, nicht hat gebraudien können. Der König war vorgestellet, wie er einen Berg der Ehre hinauf reiten wolte: die Action des Helden aber so wohl als des Pferdes ist gar zu wild und gar zu übertrieben. Man hat daher einen Curtius, der sich in den Pfuhl stürzt, aus dieser Statue gemacht, und sie stehet itzo in dem Garten der Tuillerie. Die sorgfältigste Beobachtung der Natur muß also allein nicht hinlänglich seyn zu vollkommenen Be2
' 1 !
3
Cie. Brut. c. 7. & 83. Considerations sur les revolutions des Arts. Paris. 1 7 5 J , p. 3 3 . | Pagi Discours sur l'hist. Grecque p. 45. N o u v e a u Voyage d'Hollande, de l'Allem. de Suisse & d'Italie par Mr. de Blainville. Ridiardsoon's Account, etc. 294. 95. |
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Erläuterung der Gedanken von der Nadiahmung [120|121]
griffen der Schönheit, so wie das Studium der Anatomie allein die schönsten Verhältnisse des Körpers nicht lehren kann. Lairesse hat diese, wie er selbst berichtet, nadi den Skelets des berühmten Bidloo genommen. Man kann jenen vor einen gelehrten in seiner Kunst halten; und dennoch findet man, daß er vielmals in seinen Figuren zu kurz gegangen ist. Die gute römische Schule wird hierinn selten fehlen. Es ist nicht zu läugnen, die Venus des Raphaels bey dem Göttermale scheinet zu schwer zu seyn, und idi möchte es nicht wagen, den Namen dieses grossen Mannes in einem Kindermorde von ihm, welchen Marcantonio gestochen, über eben diesen Punct, wie in einer seltenen1 Schrift von der Malerey geschehen, zu rechtfertigen. Die weiblichen Figuren haben eine gar zu volle Brust, und die Mörder dagegen ausgezehrte Körper. Man glaubt die Absicht bey diesem Contrapost sey gewesen, die Mörder noch abscheulicher vorzustellen. Man muß nicht alles bewundern: die Sonne selbst hat ihre Flecken. Man folge dem Raphael in seiner besten Zeit und Manier, so hat man, wie er, keine Vertheidiger nöthig; und Parrhasius und Zeuxis die in dem I Sendschreiben in dieser Absicht, und überhaupt die holländischen Formen zu entschuldigen, angeführet worden, sind hierzu nicht dienlich. Man erkläret zwar die daselbst berührte Stelle des1 Plinius, welche den Parrhasius betrift, in dem Verstände, wie sie dort angebracht worden, nemlich,! „daß der Maler in das Magere verfallen sey, da er die Schwulst vermeiden wollen." Da man aber, wenn Plinius verstanden, was er geschrieben hat, voraussetzen muß, daß er sich selbst nicht habe widersprechen wollen, so muß dieses Urtheil mit demjenigen, worinn er kurz zuvor dem Parrhasius den Vorzug in den äussersten Linien, das ist, in dem Umrisse zuschreibet, verglichen und übereinstimmend gemacht werden. Die eigentlichen Worte des Plinius sind; „Parrhasius scheine mit sich selbst verglichen, sich unter sich selbst herunter zu setzen, in Ausdrückung der mittlem Körper." Es ist aber nicht klar, was „mittlere Körper" seyn sollen. Man könnte es von denjenigen Theilen des Körpers verstehen, welche der äusserste Umriß einschließt. Allein ein Zeichner soll seinen Körper von allen Seiten, und nach allen Bewegungen kennen: er wird denselben nicht allein vorwerts, sondern auch von der Seite, und von allen Puncten gestellet, verstehen zu zeichnen, und dasjenige, was im ersteren Falle von dem Umrisse eingeschlossen zu seyn scheinen könnte, wird in diesem Falle der Umriß selbst seyn. Man kann nicht sagen, daß es für 1 1 2
Chambray Idie de la Peint. p. 46. au Mans. 1662. 4. | Plin. Hist. Nat. L. 35. c. 10. (Durand) Extrait de l'hist. de la Peint. de Pline p. 56.
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einen Zeichner mittlere Theile des Körpers giebt: (ich rede nicht von dem Mittel des Leibes:) eine jede Muskel gehöret zu seinem äussersten U m risse und ein Zeichner, der fest ist in dem äussersten Umrisse, aber nicht in dem Umrisse derjenigen Theile, weldie der äusserste einschließt, ist ein Begrif, der sich weder an sich selbst, noch I in Absicht auf einen Zeichner gedenken läßt. Es kann hier die Rede ganz und gar nicht von dem Umrisse seyn, auf welchem das Magere oder die Schwulst beruhet. Vielleicht hat Parrhasius Licht und Schatten nicht verstanden, und den Theilen seines Umrisses ihre gehörige Erhöhung und Vertiefung nicht gegeben; welches Plinius unter dem Ausdrucke der „mittleren K ö r p e r " oder „der mittleren Theile desselben" kann verstanden haben; und dieses möchte die einzige mögliche Erklärung seyn, welche die Worte des Plinius annehmen können. Oder es ist dem Maler ergangen, wie dem berühmten L a Fage, den man vor einen grossen Zeichner halten k a n n : man sagt, so bald er die Palette ergriffen und malen wollen, habe er seine eigene Zeichnung verdorben. Das Wort „Geringer" beym Plinius gehet also nicht auf den Umriß. Mich deucht, es können des Parrhasius Gemälde ausser den Eigenschaften, die ihnen obige Erklärung giebt, nach Anleitung der Worte des Plinius, audi noch diesen Vorzug gehabt haben, daß die Umrisse sanft im Hintergrunde vermalet und vertrieben worden, welches sich in den mehresten übrig gebliebenen Malereyen der Alten, und in den Werken neuerer Meister zu Anfange des sediszehenden
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hunderts nicht findet, in welchen die Umrisse der Figuren mehrentheils hart gegen den Grund abgeschnitten sind. D e r vermalte Umriß aber gab den Figuren des Parrhasius dennoch allein ihre wahre Erhobenheit und Ründung nicht, da die Theile derselben nicht gehörig erhöhet und vertieft waren; und hierinn war er also unter sich selbst herunterzusetzen. Ist Parrhasius der größte im Umrisse gewesen, so hat er eben so wenig in das Magere, als in die Schwulst verfallen können. Was des Zeuxis weibliche Figuren betrift, die er nach Homers Begriffen stark gemacht, so ist daraus nicht zu schliessen, wie in dem Send- I schreiben geschehen, daß er sie stark, wie Rubens, das ist, zu
fleischigt
gehalten. Es ist zu glauben, daß das spartanische Frauenzimmer, vermöge ihrer Erziehung, eine gewisse männliche jugendliche Form gehabt hat, und gleichwohl waren es, nach dem Bekäntnisse des ganzen Alterthums, die größten Schönheiten in Griechenland; und also muß man sich das Gewächs der Helena einer Spartanerinn, beym Theocrit 1 vorstellen. 1
Theocrit. Idyll. i8. v. 29.
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Ich zweifle also, daß Jacob Jordans, dessen Vertheidigung man in dem Sendschreiben mit vielem Eifer ergriffen hat, seines gleidien unter den griechischen Malern finden würde. Ich getraue mich mein Urtheil von diesem grossen Coloristen allezeit zu behaupten. Der Verfasser des so genannten Auszugs von dem Leben der Maler hat die Urtheile über dieselbe fleissig gesammlet; aber sie zeugen nicht an allen Orten von einer grossen Einsidit in die Kunst, und manche sind unter so vielen Umständen angebracht, daß ein Urtheil auf mehr als auf einen Künstler ins besondere könnte angewendet werden. Bey dem freyen Zutritte, welchen Ihro Königl. Maj. in Pohlen allen Künstlern und Liebhabern der Kunst verstatten, kann der Augenschein mehr lehren, und ist überzeugender, als das Urtheil eines Scribenten: ich berufe midi auf die Darbringung im Tempel und auf den Diogenes vom gedachtem Meister. Aber auch dieses Urtheil von Jordans hat eine Erläuterung nöthig, wenigstens in Absicht der Wahrheit. Der allgemeine Begrif von Wahrheit solte auch in Werken der Kunst statt finden, und nach demselben ist das Urtheil ein Rätzel. Der einzige mögliche Sinn desselben möchte etwa folgender seyn. Rubens hat nach der unerschöpflichen Fruchtbarkeit seines Geistes wie Homer gedichtet; er ist reich bis zur Verschwendung: er hat das I wunderbare wie jener gesudit, so wohl überhaupt, wie ein dichterischer und allgemeiner Maler, als auch ins besondere, was Composition, und Licht und Schatten betrift. Seine Figuren hat er in der vor ihm unbekannten Manier, die Lichter auszutheilen, gestellet, und diese Lichter welche auf die Hauptmasse vereiniget sind, sind stärker als in der Natur selbst zusammen gehalten, um auch dadurch seine Werke zu begeistern, und etwas ungewöhnliches in dieselbe zu legen. Jordans, von der Gattung niederer Geister, ist in dem Erhabenen der Malerey mit Rubens, seinem Meister, keinesweges in Vergleichung zu stellen: er hat an die Höhe desselben nicht reichen, und sich über die Natur nicht hinaus setzen können. Er ist also derselben näher gefolget, und wenn man dadurch mehr Wahrheit erhält, so möchte Jordans den Character einer mehrern Wahrheit als Rubens verdienen. Er hat die Natur gemalet, wie er sie gefunden. Wenn der Geschmack des Alterthums der Künstler Regel in Absicht der Form und der Schönheit nicht seyn soll, so wird gar keine anzunehmen seyn. Einer würde seiner Venus, wie ein1 neuerer namhafter Ma1
Observat. sur les Arts & sur quelques Morceaux de Peinture & de Sculpt, εχροβέβ au Louvre en 1748. p. 6j.
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ler gethan, ein gewisses französisches Wesen geben: ein anderer würde ihr eine Habiditsnase machen; da es würklich geschehen,8 daß man die Nase an der mediceischen Venus also gebildet finden wollen: noch ein anderer würde ihr spitzige und spillenförmige Finger zeichnen, wie der Begrif einiger Ausleger der Schönheit, weldie Lucian beschreibet, gewesen. Sie würde uns mit sinesischen Augen ansehen, wie alle Schön- I heiten aus einer neuern italienischen Schule; ja aus jeder Figur würde man das Vaterland des Künstlers ohne Belesenheit errathen können. Nach des1 Democritus Vorgeben sollen wir die Götter bitten, daß uns nur glückliche Bilder vorkommen, und dergleichen Bilder sind der Alten ihre. Die Nachahmung der Alten in ihrem Umrisse völlig gebildeter Körper kann unsern Künstlern, wenn man will, eine Ausnahme in Absicht der fiammingischen Kinder gestatten. Der Begrif einer schönen Form läßt sidi bey jungen Kindern nicht eigentlich anbringen: man sagt; ein Kind ist schön und gesund: aber der Ausdrude der Form begreift schon die Reife gewisser Jahre in sich. Die Kinder vom Fiammingo sind itzo bey nahe wie eine vernünftige Mode, oder wie ein herrschender Geschmack, dem unsere Künstler billig folgen, und die Academie in Wien, welche geschehen lassen, daß man den antiquen Cupido den Abgüssen vom Fiammingo nachgesetzt, hat dadurch von der Vorzüglichkeit der Arbeit neuerer Künstler in Kindern über eben die Arbeiten der Alten keine Entscheidung, wie midi deucht, gegeben; welches der Verfasser des Sendschreibens aus dieser angebrachten Nachricht möchte ziehen wollen. Die Academie ist bey dieser Nachsicht dennoch bey ihrer gesunden Lehrart und Anweisung zur Nachahmung des Alterthums geblieben. Der Künstler, welcher dem Verfasser diese Nachricht mitgetheilet, ist, so viel ich weiß, meiner Meinung. Der ganze Unterschied ist dieser: die alten Künstler giengen auch in Bildung ihrer Kinder über die gewöhnliche Natur, und die neuern Künstler folgen derselben. Wenn der Ueberfluß, welchen diese ihren Kindern geben, keinen Einfluß hat in ihre Begriffe von einem jugendlichen Körper I und von einem reifen Alter, so kann ihre Natur in dieser Art schön seyn: aber der Alten ihre ist deswegen nicht fehlerhaft. Es ist eine ähnliche Freyheit, die sich unsere Künstler in dem Haarputze ihrer Figuren genommen haben, und die ebenfalls bey aller Nachahmung der Alten bestehen kann. Will man sich aber an die Natur halten, so fallen die vordem Haare viel ungezwungener auf die Stirn 8
1 8
Nouvelle diuision de la Terre par les differentes ispeces d'hommes etc. dans le Iourn. des Sjav. l'an I 6 [ 8 ] 4 Avr. p. I J 2 . | Plutarch. Vit. Aemil. p. 147. edit. Bryani Τ. II. |
WINCKELMANN, KLEINE S(TRIFTEN
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Erläuterung der Gedanken von der Nachahmung [126|127]
herunter, wie es sich in jedem Alter bey Mensdien, die ihr Leben nicht zwischen dem Kamme und dem Spiegel verliehren, zeigen kann: folglich kann auch die Lage der Haare an Statuen der Alten lehren, daß diese allezeit das einfältige und das wahre gesucht haben; da es gleichwohl bey ihnen nicht an Leuten gefehlet, die sich mehr mit ihrem Spiegel, als mit ihren Verstände unterhalten, und die sich auf die Symmetrie ihrer Haare so gut als der zierlichste an unsern Höfen verstanden. Es war gleichsam ein Zeichen einer freyen und edlen Geburt, die Haare so, wie die Köpfe und Statuen der Griechen zu tragen.1 Die Nachahmung des Umrisses der Alten ist unterdessen audi von denen, welche hierinn nicht die glücklichsten gewesen sind, niemals verworfen worden, aber über die Nachahmung der edlen Einfalt und der stillen Grösse sind die Stimmen getheilt. Dieser Ausdruck hat selten allgemeinen Beyfall gefunden, und Künstler haben mit demselben allezeit viel gewaget. Also sähe man diese wahre Grösse an dem8 Hercules vom Bandinello in Florenz als einen Fehler an: in dem3 Kindermorde des Raphaels verlanget man mehr wildes und schreckliches in den Gesichtern der Mörder. I Nach dem allgemeinen Begriffe „der Natur in Ruhe" könnten die Figuren vielleicht den jungen Spartanern des Xenophon ähnlich werden, welches der Verfasser des Sendschreibens auch nach der Regel der „stillen Grösse" besorget; ich weiß auch, daß der größte Theil der Menschen, wenn auch der Begrif meiner Schrift allgemein fest gesetzt und angenommen wäre, ein Gemälde nach diesem Geschmacke des Alterthums gearbeitet, dennoch ansehen könnte, wie man eine Rede vor den Areopagiten gehalten, lesen würde. Allein der Geschmack des größten Haufens kann niemahls Gesetze in der Kunst geben. In Absicht des Begrifs „der Natur in Ruhe" hat der Hr. von Hagedorn in seinem Werke, welches mit so vieler Weisheit als Einsicht in dem Feinsten der Kunst abgefasset ist, vollkommen Recht, in grossen Werken mehr Geist und Bewegung zu verlangen. Aber diese Lehre hat allezeit viel Einschränkung nöthig: niemals so viel Geist, daß ein ewiger Vater einem rächenden Mars, und eine Heilige in Entzückung einer Bacchante ähnlich werde. Wem dieser Character der höhern Kunst unbekannt ist, in dessen Augen wird eine Madonna vom Trivisano, eine Madonna vom Raphael niederschlagen: ich weiß, daß selbst Künstler geurtheilet haben, die MaLucian. Navig. s. votum. c. 2. p. 249. ' Borghini Riposo L. II. p. 129. s Chambray Idie de la Peint. p. 47. | 1
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donna des erstem sey dem Königl. Raphael ein wenig vorteilhafter Nachbar. Es schien daher nicht überflüssig, vielen die wahre Grösse des seltensten aller Werke der Gallerie in Dreßden zu entdecken, und diesen gegenwärtig einzigen unversehrten Schatz von der Hand dieses Apollo der Maler, welcher in Deutschland zu finden ist, denen die ihn sehen, schätzbarer zu machen. Man muß bekennen, daß der Königliche Raphael in der Composition der Transfiguration desselben nicht beykommt; dahingegen hat jenes I Werk einen Vorzug, den dieses nicht hat. An der völligem Ausarbeitung der Transfiguration hat Giulio Romano vielleicht eben so viel Antheil als dessen grosser Meister selbst, und alle Kenner versichern, daß man beyde Hände in der Arbeit sehr wohl unterscheiden könne. In jenem aber finden Kenner die wahren ursprünglichen Züge von eben der Zeit des Meisters, da derselbe die Schule zu Athen im Vatican gearbeitet hat. Auf den Vasari will ich midi hier nicht noch einmahl berufen. Ein vermeinter Richter der Kunst, der das Kind in den Armen der Madonna so elend findet, ist so leidit nicht zu belehren. Pythagoras siehet die Sonne mit andern Augen an als Anaxagoras: jener als einen Gott, dieser als einen Stein, wie ein alter1 Philosoph sagt. Der Neuling mag Anaxagoras seyn: Kenner werden der Parthey des Pythagoras beytreten. Die Erfahrung selbst kann ohne Betrachtung des hohen Ausdrucks in den Gesichtern des Raphaels Wahrheit und Schönheit finden und lehren. Ein schönes Gesicht gefällt, aber es wird mehr reizen, wenn es durch eine gewisse2 überdenkende Mine etwas ernsthaftes erhält. Das Alterthum selbst sdieinet also geurtheilet zu haben: ihre Künstler haben diese Mine in alle Köpfe des Antinous gelegt; die mit den vordem Locken bedeckte Stirn desselben giebt ihm dieselbe nicht. Man weiß ferner, daß dasjenige, was bey dem ersten Augenblicke gefällt, nadi demselben vielmahls aufhöret zu gefallen: was der vorübergehende Blick hat sammlen können, zerstreuet ein aufmerksamers Auge, und die Schminke versdiwindet. Alle Reizungen erhalten ihre Dauer durch Nachforschung und Ueberlegung, und man sucht in das verborgene gefällige tiefer einzu I dringen. Eine ernsthafte Schönheit wird uns niemahls völlig satt und zufrieden gehen lassen; man glaubt beständig neue Reizungen zu entdecken: und so sind Raphaels und der alten Meister ihre Schönheiten beschaffen: nicht spielend und liebreich, aber wohlgebildet und erfüllet mit einer1 wahr1 1 1
Maxim. Tyr. Diss. 25. p. 303. edit. Marklandi. v. Spectator η. 418. | Philostr. Icon. Anton, p. 91.
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haften und ursprünglichen Schönheit. Durch Reizungen von dieser Art ist Cleopatra durch alle Zeiten hindurch berühmt worden. Ihr4 Gesicht setzte niemand in Erstaunen, aber ihr Wesen hinterließ bey allen, die sie ansahen, sehr viel zurück, und sie siegte ohne Wiederstand, wo sie wolte. Einer* französischen Venus vor ihrem Nachttische wird es ergehen, wie jemand von dem Sinnreichen beym Seneca geurtheilet hat: es verliehret viel, ja vielleicht alles, wenn man es sucht zu erforschen. Die Vergleichung zwischen dem Raphael und einigen grossen holländischen und neuern italiänischen Meistern, welche ich in meiner Schrift gemacht habe, betrift allein das Tractament in der Kunst. Ich glaube, das Urtheil über den mühsamen Fleiß in den Arbeiten der ersteren wird eben dadurch, daß derselbe hat versteckt seyn sollen, noch gewisser: denn eben dieses verursachte dem Maler die größte Mühe. Das 4 schwerste in allen Werken der Kunst ist, daß dasjenige, was sehr ausgearbeitet worden, nicht ausgearbeitet scheine; diesen5 Vorzug hatten des Nicomachus Gemälde /nicht/. Van der Werff bleibet allezeit ein grosser Künstler, und seine Stücke zieren mit Redit die Cabinette der Grossen in der Welt. Er hat sich I bemühet, alles wie von einem einzigen Gusse zu machen: alle seine Züge sind wie geschmolzen, und in der übertriebenen Weichlichkeit seiner Tinten ist, so zu sagen, nur ein einziger Ton. Seine Arbeit könnte daher emailliret eher als gemalet heissen. Unterdessen gefallen seine Gemälde. Aber kann das Gefällige ein Hauptcharacter der Malerey seyn? Alte Köpfe von Dennern gefallen auch: wie würde aber das weise Alterthum urtheilen? Plutarch würde dem Meister aus dem Munde eines Aristides oder eines Zeuxis sagen: „Schlechte1 Maler, die das Schöne aus Schwachheit nicht erreichen können, suchen es in Warzen und in Runzeln". Man erzählet vor gewiß, daß Kaiser Carl VI. den ersten Kopf von Dennern, den er gesehen, geschätzt, und an demselben die fleissige Art in Oel zu malen bewundert habe. Man verlangte von dem Meister noch einen dergleichen Kopf, und es wurden ihm etliche tausend Gulden für beyde bezahlet. Der Kaiser, welcher ein Kenner der Kunst war, hielt sie beyde gegen Köpfe vom van Dyk und vom Rembrant, und soll gesagt haben; „er habe zwey *
Plutarch. Observat. sur les Arts. etc. p. 6$. 4 Quintil. Inst. L. I X . c. 4. * Plutarch. Timoleon. p. 142. | 1 Plutarch, adul. & amici disc. p. 53. D. 3
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Stücke von diesem Maler, um etwas von ihm zu haben, weiter aber verlange er keine mehr, wenn man sie ihm audi schenken wolle". Eben so urtheilete ein gewisser Engeländer von Stande: man wolte ihm dennerisdie Köpfe anpreisen; „Meinet ihr", gab er zur Antwort, „daß unsere Nation Werke der Kunst schätzet, an welchen der Fleiß allein, der Verstand aber nicht den geringsten Antheil hat?" Dieses Urtheil über Denners Arbeit folget unmittelbar auf den Van der Werff nicht deswegen, daß man eine Vergleichung zwischen beyden Meistern zu machen, gesonnen wäre; denn er reichet bey weiten nicht an van der Werfs Verdienste: sondern nur durch jenes Arbeit, als durch ein I Beyspiel zu zeigen, daß ein Gemälde, welches gefällt, eben so wenig ein allgemeines Verdienst habe, als ein Gedicht, welches gefällt, wie der Verfasser des Sendschreibens scheinet behaupten zu wollen. Es ist nicht genug, daß ein Gemälde gefällt; es muß beständig gefallen: aber eben dasjenige, wodurch der Maler hat gefallen wollen, macht uns seine Arbeit in kurzer Zeit gleichgültig. Er scheinet nur für den Geruch gearbeitet zu haben: denn man muß seine Arbeit dem Gesichte so nahe bringen als Blumen. Man wird sie beurtheilen, wie einen kostbaren Stein, dessen Werth der geringste bemerkte Tadel verringert. Die größte Sorgfalt dieser Meister gieng also blos auf eine strenge Nachahmung des allerkleinsten in der Natur: man scheuete sich das geringste Härchen anders zu legen, als man es fand, um dem schärfsten Auge, ja wenn es möglich gewesen wäre, selbst den Vergrösserungsgläsern das unmerklichste in der Natur vorzulegen. Sie sind anzusehen als Schüler des Anaxagoras, der den Grund der menschlichen Weisheit in der Hand zu finden glaubte. So bald sich aber diese Kunst weiter wagen, und die grössern Verhältnisse des Körpers, und sonderlich das Nackende hat zeichnen wollen, so gleich zeigt sich Infelix operis summa, quia ponere totum Nescit.
HÖR.
Die Zeichnung bleibt bey einem Maler, wie die Action bey dem Redner des Demosthenes das erste, das zweyte und das dritte Ding. Dasjenige was in dem Sendschreiben an den erhobenen Arbeiten der Alten ausgesetzet ist, muß ich zugestehen, und mein Urtheil ist aus meiner Schrift zu ziehen. Die geringe Wissenschaft der Alten in der Perspectiv, welche ich daselbst angezeigt habe, ist der Grund zu dem Vor- | wurf, den man den Alten in diesem Theile der Kunst machet: ich behalte mir eine ausführliche Abhandlung über demselben vor.
118
Erläuterung der Gedanken von der Nachahmung [132(133]
Der vierte Punct betrift vomemlidi die Allegorie. Die Fabel wird in der Malerey insgemein Allegorie genannt; und da die Dichtkunst nicht weniger1 als die Malerey die Nachahmung zum Endzweck hat, so macht doch diese allein ohne Fabel2 kein Gedicht, und ein historisches Gemälde wird durch die blosse Nachahmung nur ein gemeines Bild seyn, und man hat es ohne Allegorie anzusehen, wie Davenant's so genanntes Heldengedicht Gondibert, wo alle Erdichtung vermieden ist. Colorit und Zeichnung sind vielleicht in einem Gemälde, was das Sylbenmaaß, und die Wahrheit oder die Erzählung in einem Gedichte sind. Der Körper ist da: aber die Seele fehlet. Die Erdichtung, die Seele der Poesie, wie sie Aristoteles nennet, wurde ihr zuerst durch den Homer eingeblasen, und durch dieselbe muß auch der Maler sein Werk beleben. Zeichnung und Colorit sind durch anhaltende Uebung zu erlangen: Perspectiv und Composition, und diese im eigentlichsten Verstände genommen, gründen sich auf festgesetzte Regeln; folglich ist alles dieses mechanisch, und es brauchts nur, wenn ich so reden darf, mechanische Seelen, die Werke einer solchen Kunst zu kennen und zu bewundern. Alle Ergötzlichkeiten bis auf diejenigen, die dem größten Haufen der Menschen den unerkannten grossen Schatz, die Zeit, rauben, erhalten ihre Dauer, und verwahren uns vor Eckel und Ueberdruß nach der Maasse, wie sie unsern Verstand beschäftigen. Bios sinnliche Empfindungen aber gehen nur bis an die Haut, und würken wenig in den Verstand. I Die Betrachtung der Landschaften, der Frucht- und Blumenstücke macht uns ein Vergnügen von dieser Art: der Kenner, welcher sie siehet, hat nicht nöthig mehr zu denken, als der Meister; der Liebhaber oder der Unwissende gar nicht. Ein historisches Gemälde, welches Personen und Sachen vorstellet, wie sie sind, oder wie sie geschehen, kann sich blos durch den Ausdruck der Leidenschaften in den handelnden Personen von Landschaften unterscheiden: unterdessen sind beyde Arten nach eben der Regel ausgeführet, im Wesen eins; und dieses ist die Nachahmung. Es scheinet nicht widersprechend, daß die Malerey ebenso weite Gränzen als die Dichtkunst haben könne, und daß es folglich dem Maler möglich sey, dem Dichter zu folgen, so wie es die Music im Stande ist zu thun. Nun ist die Geschichte der höchste Vorwurf, den ein Maler 1 1
Aristot. Rhet. L. I. c. II. p. 6i. edit. Lond. 1619.4. Plato Phaed. p. 46.1. 44. |
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wählen kann; die blosse Nachahmung aber wird sie nidit zu dem Grade erheben, den eine Tragödie oder ein Heldengedicht, das Höchste in der Dichtkunst, hat. Homer hat aus Menschen Götter gemacht, sagt1 Cicero; das hei£t, er hat die Wahrheit nicht allein höher getrieben, sondern er hat, um erhaben zu dichten, lieber das unmögliche,® welches wahrscheinlich ist, als das blos mögliche gewählet; und Aristoteles setzt hierinn das Wesen der Dichtkunst, und beriditet uns, daß die Gemälde des Zeuxis diese Eigensdiaft gehabt haben. Die Möglichkeit und Wahrheit, welche Longin von einem Maler im Gegensatze des Unglaublichen bey dem Dichter fordert, kann hiermit sehr wohl bestehen. I Diese Höhe kann ein Historienmaler seinen Werken nicht durch einen über die gemeine Natur erhabenen Umriß, nicht durch einen edlen Ausdruck der Leidenschaften allein geben: man fordert eben dieses von einem weisen Portraitmaler, und dieser kann beydes erhalten ohne Nachtheil der Aehnlichkeit der Person, die er schildert. Beyde bleiben noch immer bey der Nadiahmung; nur daß dieselbe weise ist. Man will so gar in van Dyks Köpfen die sehr genaue Beobachtung der Natur als eine kleine Unvollkommenheit ansehen; und in allen historischen Gemälden würde sie ein Fehler seyn. Die Wahrheit, so liebenswürdig sie an sich selbst ist, gefällt und machet einen stärkeren Eindruck, wenn sie in einer Fabel eingekleidet ist: was bey Kindern die Fabel, im engsten Verstände genommen, ist, das ist die Allegorie einem reifen Alter. Und in dieser Gestalt ist die Wahrheit in den ungesittetesten Zeiten angenehmer gewesen, auch nadi der sehr alten Meinung, daß die Poesie älter als Prosa sey, welche durch die Nachrichten von den ältesten Zeiten verschiedener Völker bestätiget wird. Unser Verstand hat ausserdem die Unart, nur auf dasjenige aufmerksam zu seyn, was ihm nicht der erste Blick entdecket, und nachlässig zu übergehen, was ihm klar wie die Sonne ist: Bilder von der letzten Art werden daher, wie ein Schif im Wasser, oftmals nur eine augenblickliche Spur in dem Gedächtnisse hinterlassen. Aus keinem andern Grunde dauren die Begriffe von unserer Kindheit länger, weil wir alles, was uns vorgekommen, als ausserordentlich angesehen haben. Die Natur selbst lehret uns also, daß sie nicht durch gemeine Sachen beweget wird. Die Kunst soll hierinn die Natur nachahmen, sagt der1 Scribent der Bücher von der Redekunst, sie soll erfinden, was jene verlanget. I 1 1 1
Cie. Tusc. L. I. c. 26. Aristot. Poet. c. 2 j . | Rhet. ad Herenn. L. III. |
Erläuterung der Gedanken von der Nachahmung [135|136]
120
Eine jede Idee wird stärker, wenn sie von einer oder mehr Ideen begleitet ist, wie in Vergleidiungen, und um so viel stärker, je entfernter das Verhältniß von diesen auf jene ist: denn wo die Aenlidikeit derselben sich von selbst darbiethet, wie in Vergleichung einer weissen H a u t mit Sdinee, erfolgt keine Verwunderung.
Das
Gegentheil ist
dasjenige,
was wir Witz, und was Aristoteles unerwartete Begriffe nennet: er fordert eben dergleichen 1 Ausdrücke von einem Redner. J e mehr unerwartetes man in einem Gemälde entdecket, desto rührender wird es; und beydes erhält es durch die Allegorie. Sie ist wie eine unter Blättern und Zweigen versteckte Frucht, welche desto angenehmer ist, je unvermutheter man sie findet; das kleinste Gemälde kann das größte Meisterstück werden, nachdem die Idee desselben erhaben ist. Die Nothwendigkeit selbst hat Künstlern die Allegorie gelehret. Anfänglich wird man sich freylich begnüget haben, nur einzelne Dinge von einer Art vorzustellen; mit der Zeit aber versuchte man auch dasjenige, was vielen einzelnen gemein war, das ist, allgemeine Begriffe auszudrücken. Eine jede Eigenschaft: eines einzelnen giebt einen solchen Begrif, und getrennt von demjenigen, was ihn begreift, denselben sinnlich zu machen, muste durch ein Bild geschehen, welches einzeln wie es war, keinem einzelnen insbesondere, sondern vielen zugleich zukam. Die Egypter waren die ersten, die solche Bilder suchten, und ihre Hieroglyphen gehören mit unter dem Begrif der Allegorie. Alle Gottheiten des Alterthums, sonderlich der Griechen, ja die N a m e n derselben kamen 8 aus Egypten: die Göttergeschichte aber ist nichts als Allegorie und machet den größten Theil derselben auch bey uns aus. I Jene Erfinder aber gaben vielen Dingen, sonderlidi ihren Gottheiten, soldie Zeichen, die zum Theil unter den Griechen beybehalten wurden, deren Bedeutung man oftmals so wenig durch Hülfe der uns aufbehaltenen Scribenten finden kann, daß es diese vielmehr vor ein Verbrechen wider die Gottheit hielten, 1 dieselben zu offenbaren, wie mit dem 8 Granatapfel in der H a n d der Juno zu Samos geschehen. Es wurde ärger als ein Kirchenraub gehalten, von den* Geheimnissen der eleusischen Ceres zu reden. Aristot. Rhet. 1. III. c. ι. §. 4. p. 180. Herodot. L. II. c. 50. | 1 Herodot. L. II. c. 3. c. 47. conf. L.II. c. 61. Pausan. L . I I . p. 71. 1. 4$. p. 114.1. 57. L. V. p. 317.1. 6. * Pausan. L. II. c. 17. p. 148.1. 24. * Arrian. Epict. L. III. c. 21. p. 439. edit. Vpton. 1 8
[136|137] Erläuterung der Gedanken von der Nachahmung
121
Das Verhältniß der Zeichen mit dem Bezeichneten gründete sidi auch zum Theil auf unbekannte oder unbewiesene Eigenschaften der ersteren. Von dieser Art war der Roßkäfer, als ein Bild der Sonne bey den Egyptern, und diese solte das Insect vorstellen, weil man glaubte, 4 daß kein Weibgen in seinem Gesdilechte sey, und daß er sechs Monate in der Erde und eben so lange Zeit ausser derselben lebe. Eben so solte die Katze, weil man wolte bemerkt haben, 1 daß sie so viel Junge als Tage in einem Umlaufe des Monds zu werfen pflege, ein Bild der Isis oder des Monds seyn. Die Griechen, weldie mehr Witz und gewiß mehr Empfindung hatten, nahmen nur diejenigen Zeichen von jenen an, die ein wahres Verhältniß mit dem Bezeichneten hatten, und vornehmlich welche sinnlich wa I ren: ihren Göttern gaben sie durchgehends1 menschliche Gestalten. Die Flügel bedeuteten bey den Egyptern schnelle und wirksame Dienste: das Bild ist der Natur gemäß; Flügel stelleten bey den Griechen eben dieses vor, und wenn die Athenienser ihrer Victoria die gewöhnlichen Flügel nicht gaben, wolten sie dadurch den8 ruhigen Aufenthalt derselben in ihrer Stadt vorstellen. Eine Gans bedeutete dort einen behutsamen9 Regenten, und man gab in Absicht hierauf den Vordertheilen an Schiffen die Gestalt einer Gans. Die Griechen behielten dieses Bild bey, und der alten ihre Sdiiffschnäbel endigen sich mit einem4 Gänsehals. Der Sphinx ist von den Figuren, die kein klares Verhältniß zu ihrer Bedeutung haben, vielleicht die einzige, welche die Griechen von den Egyptern angenommen haben: er bedeutete bey jenen beynahe 6 eben das, was er bey diesen lehren solte, wenn er vor dem Eingange ihrer Tempel stand. Die" Griechen gaben ihrer Figur Flügel, und bildeten den Kopf mehrentheils frey ohne Stola; auf einer7 atheniensisdhen Münze hat der Sphinx dieselbe behalten. Plutarch, de Isid. & Osir p. 355. Clem. Alex. Strom. L. V. p. 657. 58. edit. Potteri. Aelian. Hist. Anim. L. 10. c. 1$. 5 Plutarch. 1. c. p. 376. Aldrovand. de quadruped, digit, vivipar. L. III. P· 574· I 1 Strabo. L. X V I . p. 760. al. 1104. 2 Pausan. L. III. p. 245.1. 21. ' Kircher. Oedip. Aeg. T. III. p. 64. Lucian. Navig. s. votum. c. 5. Bayf. de re naval, p. 130. edit. Bas. 1537. 4. 4 Sdieffer. de re nav. L. III. c. 3. p. 196. Passerii. Lucern. Τ. II. tab. 93. ' Lactant. ad v. 2$j. L. VII. Thebaid. • Beger Thes. Palat. p. 234. Numism. Museil. Reg. & Pop. tab. 8. 7 H a y m Tesoro Brit. Τ. I. p. 168. 4
122
Erläuterung der Gedanken von der Nachahmung [137|138 138|139]
Es war überhaupt der griechischen Nation eigen, alle ihre Werke mit einem gewissen offenen Wesen, und mit einem Character der Freude zu be I zeichnen: die Musen lieben keine fürchterliche Gespenster; und wenn selbst Homer seinen Göttern egyptische Allegorien in dem Mund leget, gesdiiehet es insgemein, und sich zu verwahren, mit einem „Man saget". Ja wenn der Dichter Pampho vor den Zeiten des Homers, seinen Jupiter beschreibet,1 wie er in Pferdemist eingewickelt ist, so klinget es zwar mehr als egyptisch, in der That aber nähert es sich dem hohen Begriffe des englischen Dichters. As full, as perfect in a hair as heart, As full, as perfect in vile Man that mourns, As the rapt Seraph that adores and burns.
Pope.
Ein Bild, dergleichen die* Schlange ist, die sich um ein Ey geschlungen, auf einer tyrischen Münze des dritten Jahrhunderts, wird schwerlich auf einer griechischen Münze zu finden seyn. Auf keinem einzigen ihrer Denkmale ist eine fürchterliche Vorstellung: sie vermieden dergleichen noch mehr als gewisse so genannte unglückliche Worte. Das Bild des Todes erscheinet vielleicht nur auf* einem einzigen alten Steine: aber in einer Gestalt, wie man es bey ihren4 Gastmalen aufzuführen pflegte; nemlich sich durch Erinnerung der Kürze des Lebens zum angenehmen Genüsse desselben aufzumuntern: der Künstler hat den Tod nach der Flöte tanzen lassen. Auf einem andern Steine5 mit einer römischen Inschrift ist ein Todtengerippe mit zwey Schmetterlingen, als Bildern der Seele, von denen der eine von einem Vogel gehaschet wird, welches auf die Seelenwanderung zielen soll; die Arbeit aber ist von spätem Zeiten. 1 Man hat auch angemerket,1 daß, da alle Gottheiten geweihete Altäre gehabt haben, weder unter den Griechen noch Römern ein Altar des Todes gewesen, ausser an den entlegensten Küsten der damals bekannten Welt. Die Römer haben in ihrer besten Zeit gedacht wie die Griechen, und ap. Philostr. Heroic, p. 693. Vaillant. Num. Colon. Rom. Τ. II. p. 136. conf. Bianchini Istor. Vniv. P· 74· * Mus. Flor. Τ. I. tab. 91. p. 175. 4 Petron. Satyr, c. 34. 6 Spon. Miscell. Sect. I. tab. j. | 1 in extremis Gadibus. v. Eustath. ad. Ii. I, p. 744. 1.4. edit. Rom. Idem ad Dionys, περιηγ. ad v. 453. p. 84. edit. Oxon. 1712. 1 4
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wo sie die Bildersprache einer fremden Nation angenommen haben, so sind sie den Grundsätzen ihrer Vorgänger und Lehrer gefolget. Ein Elephant, der in2 spätem Zeiten unter die geheimen Zeichen der Egypter aufgenommen wurde, (denn auf den vorhandenen ältesten Denkmalen dieser Nation ist das Bild* dieses Thiers so wenig als ein Hirsch, ein Strauß und ein Hahn zu finden) bedeutete4 verschiedenes, und vielleicht auch die Ewigkeit, unter welchem* Begriffe der Elephant auf einigen römischen Münzen stehet; und dieses wegen seines langen Lebens. Auf einer Münze Kaiser Antonins führet dieses Thier zur Ueberschrift das Wort: Munificentia:' wo es aber nichts anders bedeuten kann, als grosse Spiele, in welchen man Elephanten mit aufführete. Es ist aber meine Absicht eben so wenig den Ursprung aller allegorischen Bilder bey den Griechen und Römern zu untersuchen, als ein Lehrgebäude der Allegorie zu schreiben. Ich suche nur meine Schrift über diesen Punct zu rechtfertigen, mit dieser Einschränkung, daß die Bil- I der, worinn die Griechen und Römer ihre Gedanken eingekleidet haben, vor allen Bildern anderer Völker, und vor übelentworfenen Gedanken einiger Neueren das Studium der Künstler seyn müssen. Es können einige wenige Bilder als Beyspiele dienen, wie die griechischen und guten römischen Künstler gedacht haben, und wie es möglich sey, ganz abgesonderte Begriffe sinnlich vorzustellen. Viele Bilder auf ihren Münzen, Steinen und andern Denkmalen haben ihre bestimmte und angenommene Bedeutung, einige aber der merkwürdigsten, welche die ihrige noch nicht allgemein haben, verdienten sie zu bekommen. Man könnte die allegorischen Bilder der Alten unter zwo Arten fassen, und eine höhere und gemeinere Allegorie setzen, so wie überhaupt in der Malerey dieser Unterschied statt finden kann. Bilder von der ersteren Art sind diejenigen, in welchen ein geheimer Sinn der Fabelgeschidite oder der Weltweisheit der Alten liegt: man könnte auch einige hieher ziehen, die von wenig bekannten, oder geheimnisvollen Gebräuchen des Alterthums genommen sind. Zur zweyten Art gehören Bilder von bekanterer Bedeutung, als persönlich gemachte Tugenden und Laster u. s. w. Bilder von der ersten Art geben den Werken der Kunst die wahre Kirdier Oedip. T. III. p. yyy. Cuper. de Elephant. Exercit. I. c. 3. p. 32. Kirch. Oedip. Aeg. T. III. p. yjy. 4 Horapollo Hierogl. L. II. c. 84. s Cuper. 1. c. Spanh. Diss. Τ. I. p. 169. • Agost. Dialog. II. p. 68. | 1 3
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epische Grösse: eine einzige Figur kann ihr dieselbe geben: je mehr Begriffe sie in sich fasset, desto höher wird sie, und jemehr sie zu denken veranlasset, desto tiefer ist der Eindruck, den sie machet, und um so viel sinnlicher wird sie also. Die Vorstellung der Alten von einem Kinde, welches in der Blüte seiner Jugend stirbt, war ein solches: sie maleten ein Kind in den 1 Armen I der Aurora entführet; ein glückliches Bild: vermuthlich von der Gewohnheit, die Leichen junger Leute beym Anbruche der Morgenröthe zu begraben, hergenommen; der gemeine Gedanke der Künstler vom heutigen Wuchs ist bekannt. Die Belebung des Körpers durch Einflössung der Seele, einer der abgesondertesten Begriffe, ist durch die lieblichsten Bilder sinnlich, und zugleich dichterisch von den Alten gemalet. Ein Künstler, der seine Meister nicht kennet, würde zwar durch die bekannte Vorstellung der Schöpfung eben dieses anzudeuten glauben: sein Bild aber würde in aller Augen nichts anders als die Schöpfung selbst vorstellen, und diese Gesdiichte scheinet zur Einkleidung eines blos philosophischen menschlichen Begrifs und zur Anwendung desselben an ungeweiheten Orten zu heilig: zu geschweigen, daß er zur Kunst nicht dichterisch genug ist. In Bildern der ältesten Weisen und Dichter eingekleidet erscheinet dieser Begrif Theils auf 1 Münzen, Theils auf 2 Steinen. Prometheus bildet einen Menschen von dem Thone, von welchem man noch zu s Pausanias Zeiten grosse versteinerte Klumpen in der Landschaft Phocis zeigte; und Minerva hält einen Schmetterling, als das Bild der Seele, auf dem Kopf derselben. Auf der angeführten Münze Antonini Pii, wo hinter der Minerva ein Baum ist, um den sich eine Schlange gewunden hat, hält man es vor ein Sinnbild der Klugheit und Weisheit des Prinzen. Es ist nicht zu leugnen, daß die Bedeutung von vielen allegorischen Bildern der Alten auf blosse Muthmassungen beruhet, die daher von un-1 sern Künstlern nicht allgemein angewendet werden können. Man hat in der Figur eines Kindes auf einem geschnittenen Steine, welches einen Schmetterling auf einen Altar setzen will, den 1 Begrif einer Freundsdiaft bis zum Altar, das ist, die nicht über die Gränzen der Gerechtigkeit 1
Horn. Odyss. έ, v. 121. conf. Heraclid. Pontic, de Allegoria Homeri p. 492. Meurs. de Funere. c. 7. | 1 Venuti Num. max. moduli tab. 25. Romae, 1739, fol. * Bellori Admiranda, fol. 80. 1 Pausan. L. X. p. 806.1. 16. | 1 Licet. Gemm. Anul. c. 48.
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125
gehet, finden wollen. Auf einem andern Steine soll die Liebe, die den Zweig eines alten Baums, als ein vorgegebenes Bild der Weisheit, auf welchen eine so genannte Nachtigal sitzet, nach sich zu ziehen bemühet, 2 die Liebe zur Weisheit vorstellen. Eros, Himeros und Pothos waren bey den Alten diejenigen Bilder, welche die Liebe, den Appetit und das Verlangen andeuteten: diese drey Figuren will man 3 auf einem geschnittenen Steine finden. Sie stehen um einen Altar, auf welchem ein heiliges Feuer brennet. Die Liebe hinter dasselbe, so daß sie nur mit dem Kopfe hervorraget; der Appetit und das Verlangen auf beyden Seiten des Altars: jener nur mit einer Hand im Feuer, in der andern aber mit einem Kranze: dieser mit beyden Händen im Feuer. Eine Victorie, die einen Anker krönet, auf einer Münze Königs Seleucus, war sonst als ein Bild des Friedens und der Sicherheit, den der Sieg verschaffet, angesehen; bis man die wahre Erklärung gefunden. Seleucus soll mit einem4 Mahle in der Gestalt eines Ankers gebohren seyn, welches Zeichen nicht allein dieser König, sondern auch die5 Seleucider, dessen Nachkommen, zur Bezeichnung ihrer Abkunft, auf ihre Münzen prägen lassen. I Wahrscheinlicher ist die Erklärung, die man einer Victorie 1 mit Schmetterlingsflügeln an ein Siegeszeichen gebunden, giebt. Man glaubt unter derselben einen Held zu finden, der als ein Sieger, wie Epaminondas, gestorben. In Athen war 2 eine Statue und ein Altar der Victoria ohne Flügel, als ein Bild des unwandelbaren Glüdts im Kriege: der angebundene Sieg könnte hier eine ähnliche Bedeutung erlauben, verglichen mit dem3 angeschlossenen Mars zu Sparta. Die Art von Flügeln, die der Psyche eigen ist, war der Figur vermuthlidi nicht von ohngefähr gegeben, da ihr sonst Adlersflügel gehören: vielleicht liegt der Begrif der Seele des verstorbenen Helden unter denselben verborgen. Die Muthmassungen sind erträglich, wenn eine Victorie an Tropheen von Waffen überwundener Völker gebunden, sich mit einem Sieger dieser Völker reimen liesse. Die höhere Allegorie der Alten ist freylich ihrer größten Schätze beraubet auf uns gekommen; sie ist arm in Ansehung der zweyten Art. 1
Beger Thes. Brand. Τ. I. p. 182. Ibid. p. 2 j i . 4 lustin. L. XV. c. 4. p. 412. edit. Gronov. 5 Spanh. Diss. Τ. I. p. 407. | 1 Αρ. D. C. de Moezinsky. 1 Pausan. L. V. p. 447.1. 22. * Ibid. L. III. p. 24j. 1. 20. '
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Erläuterung der Gedanken von der Nachahmung [143|144 144|145]
Diese hat nicht selten mehr als ein einziges Bild zu einem einzigen Ausdruck. Zwey verschiedene finden sich auf Münzen Kaisers Commodus, die Glückseligkeit der Zeit zu bezeichnen. Das eine4 ist ein sitzendes Frauenzimmer mit einem Apfel oder Kugel in der Rechten, und mit einer Schaale in der linken Hand unter einem grünen Baume: vor ihr sind drey Kinder, von welchen zwey in einer Vase oder in einem Blumentopfe, als das gewöhnliche Symbo I lum der Fruchtbarkeit. Das andere bestehet aus vier Kindern, weldie die vier Jahrszeiten vorstellen durch die Sachen, welche sie tragen: die Unterschrift beyder Münzen ist: „Glückseligkeit der Zeiten." Diese und alle andere Bilder, welche eine Schrift zur Erklärung nöthig haben, sind vom niedrigen Range in ihrer Art: und einige würden ohne dieselbe für andere Bilder können genommen werden. Die1 Hofnung und die2 Fruchtbarkeit könnte eine Ceres, der3 Adel eine Minerva seyn. Der Gedult4 auf einer Münze Kaisers Aurelianus fehlen auch die wahren Unterscheidungszeichen, so wie der Muse Erato; und die Parcen sind allein5 durch ihre Bekleidung von den Gratien unterschieden. Unterdessen sind andere Begriffe, die in der Moral unmerkliche Gränzen haben, wie es die Gerechtigkeit und die Billigkeit ist, von den Künstlern der Alten sehr wohl unterschieden. Jene wird® mit aufgebundenen Haaren und einem Diadem in einer ernsthaften Mine, so wie sie7 Gellius malet, diese wird mit einem holden Gesichte und mit fliegenden Haaren vorgestellet. Aus der Waage, welche diese hält, steigen Kornähren hervor, welche man auf die Vortheile der Billigkeit deutet; zuweilen hält sie in der andern Hand ein Horn des Ueberflusses. Unter die vofti stärkeren Ausdrucke gehöret der Friede auf einer® Münze Kaisers Titus. Die Göttin des Friedens stützt sich mit dem lin- I ken Arm auf eine Säule, und in eben der Hand hält sie einen Zweig von einem Oelbaume, in der andern des Mercurs Stab über einen Schenkel eines Opferthiers, welcher auf einem kleinen Altare liegt. Diese Hostie 4
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Morel. Specim. rei num. tab. 12. p. 132. conf. Spanh. ep. IV. ad Morel, p. 247.1 Spanh. Diss. Τ. I. p. 154. Spanh. Obs. ad Iuliani Imp. Orat. I. p. 282. Montfaucon Ant. expl. Τ. III. Morel. Specim. rei num. tab. 8. p. 92. Artemidor. Oneirocr. L. II. c. 49. Agost. Dialog. II. p. 45. Roma. 1650. fol. Noct. Att. L. XIV. c. 4. Tristan. Comment, hist, des Emper. Τ. I. p. 297. |
[145|146] Erläuterung der Gedanken von der Nachahmung
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deutet auf die unblutigen Opfer der Göttin des Friedens: man sdilachtete dieselben ausser dem Tempel, und auf ihren Altar wurden nur die Schenkel gebracht, um denselben nicht mit Blut zu beflecken. Gewöhnlich siehet man den Frieden mit einem Oelzweige und Stabe des Mercurs, wie1 auf einer Münze eben dieses Kaisers; oder auch auf einem Sessel, welcher auf einem Haufen hingeworfener Waffen stehet, wie auf einer2 Münze vom Drusus: auf einigen3 von des Tiberius und Vespasianus Münzen verbrennet der Friede Waffen. Auf einer Münze Kaisers Philippus ist ein edles Bild: eine schlafende Victoria. Man kann sie mit besserem Rechte auf einen zuversichtlichen gewissen Sieg, als auf die Sicherheit der Welt deuten, was sie nach der Unterschrift vorstellen soll. Eine ähnliche Idee enthielt dasjenige Gemälde, wodurch man dem atheniensischen Feldherrn Timotheus ein blindes Glück in seinen Siegen vorwerfen wolte.4 Man malete ihn schlafend, und das Glück, wie es Städte in ihr Netz fieng. Zu dieser Classe gehöret der Nil mit seinen sechszehen5 Kindern im Belvedere zu Rom. Dasjenige Kind, welches mit den Kornähren und den Früchten in dem Horn des Nils, gleich hoch stehet, bedeutet I die größte Fruchtbarkeit; diejenigen von den Kindern aber, die über das Horn und dessen Früchte hinauf gestiegen, deuten auf Miswadis. Plinius1 giebt uns die Erklärung davon. Egypten ist am fruchtbarsten, wenn der Nil sechszehen Fuß hoch steiget, wenn er aber über diese Maas kommt, ist es dem Lande eben so wenig zuträglich, als wenn der Fluß die gewünschte Maas nicht erreichet. In des Roßi seiner Sammlung sind die Kinder weggelassen. Was sich von allegorischen Satyren findet, gehöret mit zu dieser zweyten Art. Ein Exempel giebt der Esel aus der Fabel2 des Gabrias, den man mit einer Statue der Isis beladen hatte, und welcher die Ehrfurcht des Volks gegen das Bild auf sich deutete. Kann der Stolz des Pöbels unter den Grossen in der Welt sinnlicher vorstellet werden? Die höhere Allegorie würde aus der gemeinern können ersetzet werden, wenn diese nicht gleiches Schicksal mit jener gehabt hätte. Wir wissen ζ. E. nicht, wie die Beredsamkeit oder die Göttin Peitho gebildet ge1 1 9 4 6 1 1
Numism. Museil. Imp. R. tab. 38. Ibid. tab. 11. Ibid. tab. 29. Erizzo Didiiaraz. di medagl. ant. P. II. p. 130. Plutarch. Syll. p. jo. j 1. conf. Philostr. Imag. p. 737. | Plin. Hist. Nat. L. XVIII. c. 47. Agost. Dial. III. p. 104. Gabriae Fab. p. 169. in Aesop, fab. Venet. 1709, 8.
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Erläuterung der Gedanken von der Nachahmung [146|147 147|148]
wesen; oder wie Praxiteles die Göttin des Trostes Parergon, von welchem3 Pausanias Nachricht giebt, vorgestellet habe. Die 4 Vergessenheit hatte einen Altar bey den Römern; vielleicht war auch dieser Begrif persönlich gemacht. Eben dieses läßt von der Keuschheit gedenken, deren5 Altar man auf Münzen findet; ingleidien von der® Furcht, welcher Theseus geopfert hat. I Unterdessen sind die übrig gebliebenen Allegorien von Künstlern neuerer Zeiten noch nicht insgesamt verbraucht: es sind vielen unter diesen hier und da einige unbekannt geblieben; und die Dichter und die übrigen Denkmale des Alterthums können noch allezeit einen reichen Stof zu schönen Bildern darreichen. Diejenigen, welche zu unseren und unserer Väter Zeiten dieses Feld haben bereichern, und nicht weniger zum Unterricht als zur Erleichterung der Künstler arbeiten wollen, hätten Quellen, die so rein und reich sind, suchen sollen. Es erschien aber eine Zeit in der Welt, wo ein grosser Haufe der Gelehrten gleichsam zur Ausrottung des guten Geschmacks sich mit einer wahrhaften Raserey empörete. Sie fanden in dem, was Natur heißt, nichts als kindische Einfalt, und man hielt sich verbunden, dieselbe witziger zu machen. Junge und Alte fingen an Devisen und Sinnbilder zu malen, nicht allein f ü r Künstler, sondern auch f ü r Weltweise und Gottesgelehrte; und es konnte kaum ferner ein Grus ohne ein Emblema anzubringen, bestellet werden. Man suchte dergleichen lehrreicher zu machen durch eine Unterschrift desjenigen, was sie bedeuteten, und was sie nicht bedeuteten. Dieses sind die Schätze nach die man noch itzo grabet. Nachdem nun einmal diese Gelehrsamkeit Mode worden war, so wurde an die Allegorie der Alten gar nicht mehr gedacht. Das Bild der 1 Freygebigkeit w a r bey den Alten eine weibliche Figur mit einem Hörne des Ueberflusses in der einen Hand und in der andern die Tafel eines römischen Congiarii. Die römische Freygebigkeit schien vielleicht gar zu sparsam; man gab der 2 selbst gemachten in jeder I Hand ein Horn, und das eine umgekehrt, um auszustreuen. Auf den Kopf setzte man ihr einen Adler, der, ich weiß nicht was, hier bedeuten solte. Andere 1 maleten eine Figur mit einem Gefässe in jeder Hand. Pausan. L. I. c. 43. p. 10$. 1. 7. Plutarch. Sympos. L. IX. qu. 6. 5 Vaillant Numism. Imp. Τ. II. ρ. 13$. • Plutarch. Vit. Thes. p. 26. | 1 Agost. Dial. II. p. 66. 67. Numism. Museil. Imp. Rom. tab. 11 j . 2 Ripa Iconol. n. 87. | 1 Thesaur. de arguta diet. 3
4
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Die Ewigkeit 2 saß bey den Alten auf einer Kugel oder vielmehr auf einer Sphäre mit einem Spiesse in der H a n d ; oder sie3 stand, mit der Kugel in der einen Hand, und im übrigen wie jene; oder eine Kugel in der Hand, und ohne Spieß; oder 4 audi mit einem fliegenden Sdileyer um den Kopf. Unter so verschiedenen Gestalten findet sich die Ewigkeit auf Münzen der Kaiserinn Faustina. Den neuern Allegoristen schien dieses zu leicht gedacht: 5 sie maleten uns etwas sdirecklidies, wie vielen die Ewigkeit selbst ist; eine weibliche Gestalt bis auf die Brust, mit Kugeln in bey den Händen; das übrige des Körpers ist eine Schlange, die in sich selbst zurück gehet mit Sternen bezeidinet.
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Die Vorsicht hat® mehrentheils zu ihren Füssen eine Kugel und einen Spieß in der linken H a n d . Auf einer 7 Münze Kaisers Pertinax hält die Vorsicht die Hände ausgestreckt gegen eine Kugel, welche aus den Wolken zu fallen scheinet. Eine 8 weibliche Figur mit zwey Gesiditern schien den Neuern bedeutender zu seyn. I
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Die 1 Beständigkeit siehet man auf einigen Münzen Kaisers Claudius, sitzend und stehend mit einem Helme auf dem Haupte und einem Spiesse in der linken H a n d ; audi ohne Helm und Spieß: aber allezeit mit einem auf das Gesicht gerichteten Zeigefinger, als wenn sie etwas ernstlidi behaupten wolte. Bey2 den Neuern konnte die Vorstellung dieser Tugend ohne Säulen nicht förmlich werden. Es scheinet, Ripa habe oft seine eigene Figuren nicht verstanden zu erklären. Das Bild der 3 Keuschheit hält bey ihm in der einen H a n d eine Geissei, (welche wenig Reitzung zur Tugend giebt) und in der andern H a n d ein Sieb. Der Erfinder dieses Bildes, von dem es Ripa geborget, hat vermuthlich auf die Vestalin Tuccia zielen wollen; Ripa, dem dieses nicht eingefallen ist, kommt mit den gezwungensten Einfallen hervor, die nidit verdienen, daß sie wiederholet werden. Idi spredie durch den gemachten Gegensatz unseren Zeiten das Recht der Erfindung allegorischer Bilder nidit ab: es können aber aus der ver2
Numism. Musell. Imp. R. tab. 107. Ibid. tab. 106. 4 Ibid. tab. 10 j. s Ripa Iconol. P. I. n. $3. β Agost. Dial. II. p. $7. Numism. Musell. 1. c. tab. 68. 7 Agost. 1. c. 8 Ripa Iconol. P. I. n. 135.1 1 Agost. Dial. II. p. 47. 2 Ripa Iconol. P. I. n. 31. » Ibid. P. I. n. 25. 3
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W i n i e l m a n n , Kleine Schriften
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schiedenen Art zu denken einige Regeln gezogen werden für diejenigen, welche diesen Weg betreten wollen. Von dem Character einer edlen Einfalt haben sich die alten Griedien und Römer niemals entfernet: das wahre Gegentheil von derselben siehet man in Romeyn de Hooghe Bilderspradie. Von vielen seiner Einfalle kann man sagen, wie Virgil von dem Ulmbaume in der Hölle Hanc sedem somnia vulgo Vana tenere ferunt, foliisque sub omnibus haerent. Aen. VI. I Die Deutlichkeit gaben die Alten ihren Bildern mehrentheils durch solche ihnen zugegebene Zeichen, die dieser und keiner andern Sache eigen sind, (etliche wenige, die oben angezeiget worden, ausgenommen) und zu eben dieser Regel gehöret die Vermeidung aller Zweydeutigkeit, wider welche man in Allegorien der Neueren gehandelt hat, 1 wo der Hirsdi die Taufe und auch die Rache, ein nagendes Gewissen und die Schmeidieley bedeuten soll. Die Ceder soll ein Bild eines Predigers und zugleich irrdischer Eitelkeiten, eines Gelehrten und einer sterbenden Wöchnerinn seyn. Die Einfalt und Deutlichkeit begleitete allezeit ein gewisser Wohlstand. Ein Schwein, welches bey den Egyptern einen2 Nachforsdier der Geheimnisse soll bezeidinet haben, würde nebst allen Sdiweinen, weldie Cäsar Ripa und andere Neuere angebracht haben, als ein unanständiges Bild von ihnen angesehen worden seyn: ausser da, wo dieses Thier gleichsam das Wappen eines Orts war, wie auf den eleusischen3 Münzen zu sehen. Endlich waren die Alten bedacht, das bezeichnete mit seinem Zeichen in ein entfernteres Verhältniß zu stellen. Nebst diesen Regeln soll die allgemeine Beobachtung bey allen Versuchen in dieser Wissenschaft billig seyn, die Bilder, wo möglich, aus der Mythologie und aus der ältesten Geschichte zu wählen. Man hat in der That einige neuere Allegorien, (wenn ich neu nennen darf, was völlig in dem Geschmacke des Alterthums ist,) die vielleicht neben den Bildern der alten höhern Allegorie zu setzen sind. Zwey Brüder aus dem Hause Barbarigo, die in der Würde eines 1
v. Picinelli Mund. symb. * Shaw. Voyag. Τ. I. * Haym. Tesoro Brit. Τ. I. p. 219.
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Doge zu Venedig unmittelbar4 auf einander gefolget sind, werden vor- I gestellet1 unter den Bildern des Castor und Pollux. Dieser theilete nach der Fabel mit jenem die Unsterblichkeit, welche ihm allein vom Jupiter zuerkannt wurde: und in der Allegorie überreichet Pollux, als der Nachfolger, seinem verstorbenen Vorgänger, der durch einen Todtenkopf bezeidinet wird, eine Schlange, so wie dieselbe pflegt die Ewigkeit vorzustellen; dadurch anzudeuten, daß der verstorbene Bruder durch die Regierung des lebenden, so wie dieser selbst, verewiget werde. Auf der Rückseite einer erdichteten Münze unter beschriebenen Bilde, stehet ein Baum, von dem ein abgebrochener Zweig herunter fällt, mit einer Ueberschrift aus der Aeneis: Primo avulso non deficit alter. Ein Bild auf einer von Königs Ludewig XIV. Münzen verdienet hier audi angemerkt zu werden.2 Es wurde dieselbe gepräget, da der Herzog von Lothringen, welcher bald die französische bald die österreichische Parthey ergrif, nach der Eroberung von Marsal, aus seinen Landen weichen muste. Der Herzog ist hier Proteus, wie sich Menelaus desselben mit List bemächtiget, und ihn bindet, nachdem er vorher alle mögliche Formen angenommen hatte. In der Ferne ist die eroberte Vestung, und in der Unterschrift ist das Jahr derselben angezeiget. Die Bedeutung der Allegorie hätte die Ueberschrift: Protei artes delusae; nidit nöthig gehabt. Ein gutes Exempel der gemeinem Allegorie ist* die Gedult oder vielmehr die Sehnsucht, das sehnliche Verlangen unter dem Bilde einer weiblichen Figur, die mit gefaltenen Händen die Zeit an einer Uhr betrachtet. I Bisher haben freylich die Erfinder der besten malerischen Allegorien noch immer aus den Quellen des Alterthums allein geschöpfet, weil man niemanden ein Recht zugestanden, Bilder für Künstler zu entwerfen, da denn also keine allgemeine Aufnahme derselben statt gefunden. Von den meisten bisherigen Versuchen ist dergleichen nicht zu hoffen gewesen: in der ganzen Iconologie des Ripa sind etwa zwey oder drey erträglich, Apparent rari nantes in gurgite vasto; Egnatius de exempl. illustr. Viror. Venet. 1. V. p. 133. | Numism. Barbad. gent. n. 37. Padova. 1732. fol. * Medailles de Louis le Grand, a. 1663. Paris, 1702. fol. * Thesaur. de argut. diet. | 4
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und die1 verlohrne Mühe durch einen Mohr, der sich -wäsdiet, vorgestellet, möchte nodi das beste seyn. In einigen guten Schriften sind Bilder versteckt und zerstreuet, wie die Dumheit und der Tempel derselben in2 dem Zusdiauer ist: diese müste man sammlen und allgemeiner machen. Es ist ein Weg, Wochen- und Monatsdiriften sonderlich unter Künstlern beliebt zu machen: ein Beytrag von guten allegorischen Bildern würde dieses würken. Wenn die Schätze der Gelehrsamkeit der Kunst zufliessen, so könnte die Zeit erscheinen, daß der Maler eine Ode eben so gut als eine Tragödie schildern würde. Ich will selbst versudien ein paar Bilder anzugeben: Regeln und viel Exempel unterrichten am besten. Ich finde die Freundschaft allenthalben schlecht vorgestellet, und die Sinnbilder derselben verdienen nicht einmahl beurtheilet zu werden: sie sind mehrentheils mit fliegenden und beschriebenen Wimpeln; man weiß, wie tief alsdenn die Begriffe liegen. Ich würde diese größte menschliche Tugend durch Figuren zweyer ewigen Freunde aus der Heldenzeit, des Theseus und des Pirithous I malen. Auf 1 geschnittenen Steinen gehen Köpfe unter dem Namen des ersteren: auf einem2 andern Steine erscheinet der Held mit der Keule, die er dem Periphetes, einem Sohne des Vulcans, genommen hat, von der Hand des Philemons: Theseus kann also den Erfahrnen im Alterthume kentlich gemacht werden. Zu Entwerfung des Bildes einer Freundschaft in der größten Gefahr könnte ein Gemälde zu Delphos dienen, welches3 Pausanias beschreibet. Theseus war vorgestellet, wie er sich mit seinem Degen in der einen Hand, und mit dem Degen, welchen er seinem Freunde von der Seite gezogen hatte, in der andern Hand, gegen die Thesprotier zur Gegenwehr setzet. Oder der Anfang und die Stiftung ihrer Freundschaft, so wie sie4 Plutarch beschreibet, könnte ebenfalls ein Vorwurf dieses Bildes seyn. Ich habe mich gewundert, daß ich unter den Sinnbildern von weltlichen und geistlichen grossen Helden und Männern aus dem Hause Barbarigo keins gefunden habe, auf einen wahren Menschen und ewigen Freund. Nicolaus Barbarigo war ein solcher: er stiftete mit Marco Trivisano eine Freundschaft, die ein ewiges Denkmal verdienet hätte: 1
Ripa Iconol. P. II. ρ. 166. Spectator edit. 1724. Vol. II. p. 201. | 1 Canini Imag. des Heros, η. I. * Stosch. Pierr. grav. pi. 51. 3 Pausan. L. X . p. 870. 71. 4 Vit. Thes. p. 29. 2
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Monumentum aere perennius. Ihr Andenken ist in einer kleinen 6 raren Schrift erhalten. Ein Bild des Ehrgeizes könnte ein kleiner Umstand aus dem Alterthume geben. Plutarch bemerkt, daß man der Ehre mit® entblößtem I Haupte geopfert habe. Alle übrige Opfer, 1 das an den Saturnus ausgenommen, geschahen mit einer Decke über den Kopf. Gedaditer Scribent2 glaubt, daß die gewöhnliche Ehrenbezeigung unter Menschen zu der Beobachtung bey diesen Opfer Gelegenheit gegeben habe; da es vielleidit das Gegentheil seyn kann. Es kann audi dieses Opfer 3 von den Pelasgern herrühren, die mit entblößtem Haupte zu opfern pflegten. Die Ehre wird vorgestellet4 durch eine weibliche Figur mit Lorbern gekrönet, die ein Horn des Ueberflusses in der einen, und eine hasta in der andern Hand hält. In Begleitung der Tugend, die eine männliche Figur mit einem Helme ist, stehet sie auf einer6 Münze Kaisers Vitellius: die Köpfe dieser Tugenden siehet man auf einer Münze® von Cordus und Calenus. Ein Bild des Gebets könnte aus dem Homer genommen werden. Phönix, der Hofmeister des Achilles, suchet den ihm anvertrauten Held zu besänftigen, und dieses thut er in einer Allegorie. „Du must wissen, Achilles", sagt er, „daß die Gebete Töchter des Jupiters sind. 7 Sie sind krum worden durdi vieles knien; ihr Gesicht ist voller Sorgen und Runzeln, und ihre Augen sind beständig gegen den Himmel gerichtet. Sie sind ein Gefolge der Göttin Ate, und gehen hinter ihr. Diese Göttin gehet ihren Weg mit einer kühnen und stolzen Mine, und leicht zu Fuß, wie sie ist, läuft sie durch die ganze Welt, und ängstiget und quälet die Menschen I kinder. Sie suchet den Gebeten auszuweichen, welche ihr unablässig folgen, um diejenigen Personen, welche jene verwundet, zu heilen. Wer diese Töchter des Jupiters ehret, wenn sie sich ihm nähern, genießt viel gutes von ihnen; wenn man sie aber verwirft, bitten sie ihren 5
De monstrosa amicitia respectu perfectionis inter Nie. Barbar. & Marc. Trivisan. Venet. ap. Franc. Baba. 1628. 4. 8 Vit. Marcelli. Orteiii Capita Deor. L. II. fig. 41.1 1 Thomasin. Donar, vett. c. j. 1 Plutarch. Quaest. Rom. p. 266. F. 3 Vulp. Latium. Τ. I. L. I. c. 27. p. 406. 4 Agost. Dialog II. p. 81. 5 Agost. 1. c. * Ibid. & Beger. Obs. in Numism. p. 56. 7 II. i, v. 498. conf. Heraclides Pontic, de Allegoria Homeri. p. 4J7. 58.1
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Vater, der Göttin Ate Befehl zu geben, einen solchen wegen der Härte seines Herzens zu strafen." Man könnte audi aus einer bekanten alten Fabel ein neues Bild machen. Salmacis und der Knabe, den sie liebte, wurden in eine Quelle verwandelt, weldie weibisch machte; also daß Quisquis in hos fontes vir venerit, exeat inde Semivir: 8c tactis subito mollescat in undis. Ovid. Metam. L. IV. Die Quelle war bey Halicarnassus in Carien. Vitruv 1 glaubt, die Wahrheit dieser Erdichtung gefunden zu haben. Einige Einwohner aus Argos und Trözene, sagt er, begaben sidi dahin, und vertrieben die Carier und Leleger, die sich ins Gebürge retteten, und anfiengen die Griechen mit Streifereyen zu beunruhigen. Einer von den Einwohnern, welcher besondere Eigenschaften in dieser Quelle entdecket hatte, legte bey derselben ein Gebäude an, wo diejenigen die den Brunnen gebrauchen wolten, ihre Bequemlichkeit hatten. Es fanden sich Barbaren so wohl als Griechen hier ein, und jene gewöhneten sich an die sanften griechischen Sitten, und legten freywillig ihr wildes Wesen ab. Die Vorstellung der Fabel selbst ist Künstlern bekannt: die Erzählung des Vitruvs könnte ihnen Anleitung geben ein Bild eines Volks zu machen, weldies gesittet und menschlidi geworden, wie die Russen unter Peter I. angefangen ha I ben. Die Fabel des Orpheus könnte zu eben dieser Vorstellung dienen: es kommt auf den Ausdrude an, ein Bild vor das andere bedeutender zu madien. Ist dasjenige, was ich allgemein über die Allegorie gesagt habe, nicht überzeugend genug die Nothwendigkeit derselben in der Malerey darzuthun, so werden wenigstens die Bilder, welche als Beyspiele angebracht sind, zur Rechtfertigung meines Satzes dienen können; „daß sich die Malerey auf Dinge erstrecke, die nicht sinnlich sind." Die beyden größten Werke der allegorisdien Malerey, die ich in meiner Schrift angeführet habe, nemlich die luxenburgische Gallerie und die Cuppola der kaiserlichen Bibliothec zu Wien, können zeigen, wie ihre Meister die Allegorie glücklich und dichterisch angewendet haben. Rubens wolte Henrich IV. als einen menschlichen Sieger malen, der in Bestrafung der frevelhaften Aufrührer und meichelmörderischer Maje1
Architect. L. II. c. 8.1
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stätbeleidiger dennoch Gelindigkeit und Gnade blicken läßt. Er gab seinem Held die Person des Jupiters, welcher den Göttern Befehl ertheilet, die Laster zu strafen und zu stürzen. Apollo und Minerva drücken ihre Pfeile auf dieselben ab, und die Laster, als Ungeheuer gebildet, fallen übereinander zu Boden. Mars will in voller Wuth alles vollend zernichten; die Venus aber, als das Bild der Liebe, hält ihn sanft bey dem Arme zurück: der Ausdruck der Göttin ist so redend gemacht, daß man dieselbe gleidisam den Gott des Krieges bitten höret: Wüte nidit mit grausamer Rache wider die Laster; sie sind gestraft. Daniel Gran's ganze Arbeit an der1 Cuppola ist eine Allegorie auf die kaiserliche Bibliothec, und alle seine Figuren sind gleichsam Zweige I von einem einzigen Stamme. Es ist ein malerisches Heldengedicht, welches nicht von den Eyern der Leda anfängt, sondern wie Homer vornemlidi nur den Zorn des Adiilles besinget, so verewiget des Künstlers Pinsel nur allein des Kaisers Sorgfalt für die Wissenschaften. Die Anstalten zum Baue der Bibliothec hat der Künstler also vorgestellet. Die kaiserliche Majestät erscheinet unter einer sitzenden weiblichen Figur mit einem kostbaren Hauptschmucke, auf deren Brust ein goldenes Herz an einer Kette hänget, als ein Bild des gutthätigen Herzens dieses Kaisers. Mit dem Befehlsstabe giebt diese Figur den Befehl zum Baue. Unter ihr sitzet ein Genius mit Winkel, Palette und Eisen; ein anderer sdiwebet über ihr mit dem Bilde der drey Gratien, welche auf den guten Geschmack in dem ganzen Baue deuten. Neben der Hauptfigur sitzet die allgemeine Freygebigkeit mit einem angefülleten Beutel in der Hand, und unter derselben ein Genius mit der Tafel des römischen Congiarii, und hinter derselben die österreichische Freygebigkeit mit gewürkten1 Lerchen in ihren Mantel. Aus dem Hörne des Ueberflusses fangen etliche Genii die ausgeschütteten Schätze und Belohnungen auf, um dieselbe denen um Künste und Wissenschaften, sonderlich um die Bibliothec verdienten Männern auszutheilen. Auf die befehlende Person richtet die persöhnlich gemachte Befolgung des gegebe I nen Befehls ihr Gesicht, und drey Kinder halten das Modell des Gebäudes. 1 1
v. Repraesentatio Bibliothecae Caesareae, Viennae, 1737, fol. obi. I Aus dem Adler auf den Heerschildern der alten österreichischen Marggrafen sind mit der Zeit Lerdien geworden. * Man hat dieselbe aus Unwissenheit von einer erdichteten Lerchenlegion der Römer herleiten wollen: weldies als eine Fabel gründlich widerleget worden, v. Hergott. Monum. gentis Austr. Τ. I. Diss. II. * Fuggers Spieg. der Ehren Β. II. c. I. p. 152. Fuhrmann Oester. Hist. Th. I. p. i j . & 200.1
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Neben dieser Figur stehet ein alter Mann, der auf einer Tafel den Bau ausmißt, und unter ihm ein Genius mit einem Senkbleye, zur Vorstellung der eingerichteten Befolgung. Zur Seite des Alten sitzet die sinnreiche Erfindung mit dem Bilde der Isis in der rechten Hand, und mit einem Buche in der Linken, die Natur und Wissenschaft als Quellen der Erfindung anzuzeigen, deren schwere Auflösungen das Bild eines Sphinx, welches vor ihr lieget, abbildet. Die Vergleichung dieses Werks mit den grossen Plafond von le Moine zu Versailles, die ich in meiner Schrift gemacht habe, ist blos als zwischen den neuesten und größten Arbeiten unserer Zeiten in Deutschland und Frankreich angestellet. Die grosse Gallerie des erwehnten Lustschlosses von Carl le Brun gemalet, ist ohne Zweifel das Höchste in der dichterischen Malerey, was nach dem Rubens ausgeführet worden, und Frankreich kann sich rühmen, daß es an dieser und der luxenburgischen Gallerie die gelehrtesten Werke der Allegorie in der Welt habe. Die Gallerie von le Brun stellet die Geschichte Ludewig XIV. vom pyrenäisdien bis zum nimwegischen Frieden vor in neun grossen und achtzehen kleinen Feldern. Dasjenige Gemälde, wo der König den Krieg wider Holland beschließt, enthält allein eine sinnreiche und hohe Anwendung bey nahe der ganzen Mythologie, und ist von Simoneau dem Aeltern gestochen. Der Reichthum desselben erfordert eine Beschreibung, die für eine kleine Schrift zu stark werden würde: man urtheile aus ein paar kleinern Compositionen unter diesen Gemälden, was der Künstler im Stande gewesen zu denken und auszudrücken. Er malete den berühm- I ten Uebergang der französischen Völker über den Rhein. 1 Sein Held sitzet auf einem Kriegeswagen mit einem Donnerkeile in der Hand, und Hercules, als ein Bild des heroischen Muths, treibet den Wagen mitten durch die unruhigen Wellen. Die Figur, welche Spanien vorstellet, wird von dem Strohme mit fortgerissen: der Gott des Rheins ist bestürtzt und Iäßt sein Ruder fallen: die Victorien kommen herzugeflogen, und halten Schilder, auf welche die Namen der Städte, die nach diesem Uebergange erobert sind, angedeutet worden. Europa siehet voller Verwunderung zu. Eine andere Vorstellung betrift den Friedensschluß. Holland läuft, ohnerachtet es durch den Reichsadler beym Rocke zurück gehalten wird, dem Frieden entgegen, welcher vom Himmel herab kömmt, umgeben mit den Geniis der Scherze und des Vergnügens, die allenthalben Blumen 1
Lepicil Vies des prem. Peintres du Roi Τ. I. p. 64.
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ausstreuen. Die Eitelkeit mit Pfauenfedern gekrönt sudit Spanien und Deutschland zurück zu halten, diesem mit ihnen verbundenen Staate zu folgen; aber da sie die Höhle sehen, wo für Frankreich und Holland Waffen geschmiedet wurden, und die Fama in den Lüften höreten, die sie bedrohet, so lenken sie sich gleichfalls zum Frieden. Das erste von diesen zwey Bildern ist an Höhe mit Homers berühmter Besdireibung von Neptuns Fahrt auf dem Meere, und dem Sprunge der unsterblichen Pferde desselben zu vergleichen. Nach dergleichen grossen Beyspielen wird es dennoch der Allegorie in der Malerey nicht an Gegnern fehlen, so wie es der Allegorie im Homer schon im Alterthume ergangen ist. Es giebt Leute von so zärtlichen Gewissen, daß sie die Fabel neben der Wahrheit gestellet, nicht ertragen I können: eine einzige Figur eines Flusses auf einem so genannten heiligen Vorwurfe ist vermögend ihnen Aergerniß zu geben. Poußin wurde getadelt, weil er, auf seiner Erfindung Moses, den Nil persönlich gemacht hatte. 1 Eine noch stärkere Parthey hat sich wider die Deutlichkeit der Allegorie erkläret; und in diesem Puncte hat le Brun ungeneigte Richter gefunden und findet sie noch itzo. Aber wer weiß nicht, daß Zeit und Verhältniß mehrentheils Deutlichkeit und das Gegentheil zu machen pflegt? Da Phidias seiner Venus zuerst eine Schildkröte zugegeben, waren vielleicht wenige von der Absicht des Künstlers unterrichtet, und derjenige, welcher eben dieser Göttin zuerst Fesseln angeleget, hat viel gewaget. Mit der Zeit wurden diese Zeichen so bekannt als es die Figur war, welcher sie beygeleget worden. Aber die ganze Allegorie hat, wie2 Plato von der Dichtkunst überhaupt saget, etwas rätzelhaftes, und ist nicht für jederman gemacht. Wenn die Besorgung, denen undeutlich zu seyn, die ein Gemälde wie ein Getümmel von Menschen ansehen, der Künstler bestimmen sollte, so würde er auch alle ausserordentliche fremde Ideen ersticken müssen.3 Die Absicht des berühmten Friderich Barocci mit einer4 Kirsche auf einem Martyrertod des H . Vitalis, die ein junges Mädgen I 1
1 s 4
Eben diese Geschichte und warhaftig von Poußins Hand ist auf der Königlichen Gallerie zu Dreßden. Man siehet, wie vortheilhaft sidi der Künstler der Figur des Flusses zu seiner Composition bedienet hat. Plato Alcibiad. II. p. 457.1. 30. Baldinucci Notiz, de' Profess, del disegno p. 118. Argenville Abregi de la Vie des Peintres hat, wie es scheinet, das Wort Ciliegia nicht verstanden; weil er gesehen, daß es ein Zeichen des Frühlings seyn sollen, so machte er aus der Kirsche einen Sommervogel; den Hauptvorwurf des Gemäldes ließ er unberührt, und nahm nur das Mädgen allein. |
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über einen Specht hielt, der nach derselben schnappete, war nothwendig sehr vielen ein Geheimniß. Die Kirsche bedeutete die Jahrszeit, in welcher der Heilige seinen Geist aufgegeben hatte. Alle grosse Machinen und Stücke eines öffentlichen Gebäudes, Pallastes etc. erfordern billig allegorisdie Malereyen. Das, was groß ist, hat einerley Verhältniß: eine Elegie ist nicht gemacht, grosse Begebenheiten in der Welt zu besingen. Ist aber eine jede Fabel eine Allegorie zu ihrem Orte? Sie hat es weniger Recht zu seyn, als der Doge verlangen könnte dasjenige in Terra ferma vorzustellen, was er zu Venedig ist. Wenn ich richtig urtheile, so gehöret die farnesische Gallerie nicht unter die allegorischen Werke. Vielleicht habe ich dem Annibal an diesem Orte in meiner Schrift zu viel gethan, wenn die Wahl nicht bey ihm gestanden: man weiß, 1 daß der Herzog von Orleans vom Coypel die Geschichte des Aeneas in seine Gallerie verlanget. Des Rubens 2 Neptun auf der Königlichen Gallerie zu Dreßden, war ehemals für den prächtigen Einzug des Infant Ferdinands von Spanien, als Gouverneur der Niederlande, in Antwerpen gemacht; und daselbst war es an einer3 Ehrenpforte ein allegorisches Gemälde. Der Gott des Meers, der beym Virgil den Winden Frieden gebietet, war dem I Künstler ein Bild der nach ausgestandenen Sturm glücklichen Farth und Anländung des Prinzen in Genua. Itzo aber kann es weiter nichts, als den Neptun beym Virgil vorstellen. Vasari 1 hat nach der gleichsam bekannten und angenommenen Absicht bey Gemälden an Orten, dergleichen ich namhaft gemacht habe, geurtheilet, wenn er in Raphaels bekanntem Gemälde im Vatican, welches unter dem Namen der Schule zu Athen bekannt ist, eine Allegorie finden wollen; nemlich die Vergleichung der Weltweisheit und Sterndeutung mit der Theologie: da man doch2 nichts weiter in demselben zu suchen hat, als was man augenscheinlich siehet, das ist, eine Vorstellung der Academie zu Athen. Im Alterthume hingegen war eine jede Vorstellung der Geschidite einer Gottheit in dem ihr geweiheten Tempel auch zugleich als ein allegorisches Gemälde anzusehen, weil die ganze Mythologie ein Gewebe von 1
Lepicii Vies des prem. Peintr. P. II. p. 17. 18. * Recueil d' Estamp. de la Gall, de Dresde fol. 48. * Pompa & Introitus Ferdinandi Hisp. Inf. p. 1 5. Antv. 1641. fol. | 1 Vasari Vite de' Pittori etc. P. III. Vol. I. p. 76. 1 Chambray Idee de la Peint. p. 107. 108. Bellori Descriz. delle Imagini dipinte da Rafaello etc.
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Allegorie war. Homers Götter, sagt jemand unter den Alten, sind natürliche Gefühle der verschiedenen Kräfte der Welt; Schatten und Hüllen edler Gesinnungen. Für nichts anders sähe man die Liebeshändel des Jupiters und der Juno an einem Plafond eines Tempels dieser Göttin zu Samos an. Durch den Jupiter wurde3 die Luft und durch die Juno die Erde bezeichnet. I Endlich muß ich mich über die Vorstellung der Widersprüche in den Neigungen des atheniensischen Volks, von der Hand des Parrhasius, erklären. Ich will zugleich einen Fehler anmerken, den ich in meiner Schrift begangen habe: an die Stelle dieses Malers ist in der Schrift Aristides gesetzt, welchen man insgemein den Maler der Seele hieß. In dem Sendschreiben hat man sidi den Begrif von besagtem Gemälde sehr leicht und bequem gemacht: man theilet es zu mehrerer Deutlichkeit in verschiedene Gemälde ein. Der Künstler hat gewiß nicht so gedacht: denn so gar ein Bildhauer, Leochares, machte eine Statue des atheniensischen Volks, so wie man einen1 Tempel unter diesem Namen hatte, und die Gemälde, deren Vorwurf das Volk zu Athen war, scheinen wie des Parrhasius Werk ausgeführet gewesen zu seyn. Man2 hat noch keine wahrscheinliche Composition desselben entwerfen können, oder da man es mit der Allegorie versuchet, so ist eine schreckliche Gestalt erschienen, wie3 diejenige ist, die uns Tesoro malet. Das Gemälde des Parrhasius wird allezeit ein Beweis bleiben, daß die Alten gelehrter als wir in der Allegorie gewesen. Meine Erklärung über die Allegorie überhaupt, begreift zugleich dasjenige in sich, was ich über die Allegorie in Verzierungen sagen könnte: da aber der Verfasser des Sendschreibens besondere Bedenken über dieselbe angebracht hat, so will ich diesen Punct wenigstens berühren. I In allen Verzierungen sind die beyden vornehmsten Gesetze: Erstlich, der Natur der Sache und dem Orte gemäß, und mit Wahrheit; und Zweitens, nicht nach einer willkührlichen Phantasie zu zieren. Das erste Gesetz, welches allen Künstlern überhaupt vorgeschrieben ist, und von ihnen verlanget, Dinge dergestalt zusammen zu stellen, daß das eine auf das andere eine Verhältniß habe, will auch hier eine genaue Uebereinstimmung des Verzierten mit den Zierathen. ' Heraclid. Pontici Allegor. Homeri p. 443. 462. inter Th. Gale Opusc. Mythol. I 1 Iosephi Antiquit. L. XIV. c. 8. p. 699. edit. Haverc. 1 Dati Vite de' Pittori ρ. [ι]73· * Thesaur. Idea argut. diet. Cap. III. p. 84.1
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Non ut placidis coeant immitia
— HÖR.
Das Unheilige soll nicht zu dem Heiligen, und das Schreckhafte nicht zu dem Erhabenen gestellet werden; und aus eben diesem Grunde verwirft man 1 die Schaafsköpfe in dem Metopen der dorischen Säulen an der Capelle des luxenburgischen Palais in Paris. Das zweyte Gesetz schließt eine gewisse Freyheit aus, und schrenkt Baumeister und Verzierer in viel engere Grenzen ein als selbst die Maler. Dieser muß sich zuweilen so gar nach der Mode in historischen Stücken bequemen, und es würde wider alle Klugheit seyn, wenn er sidi mit seinen Figuren in seiner Einbildung allezeit nach Griechenland versetzen wolte. Aber Gebäude und öffentliche Werke, die von langer Dauer seyn sollen, erfordern Verzierungen, die einen längern Perioden als Kleidertrachten haben, das ist, entweder solche, die sich viele Jahrhunderte hindurch in Ansehen erhalten haben und bleiben werden, oder solche, die nadi den I Regeln, oder nach dem Gesdimacke des Alterthums gearbeitet worden; Widrigenfalls wird es geschehen, daß Verzierungen veralten und aus der Mode kommen, ehe das Werk, wo sie angebracht sind, vollendet worden. Das erste Gesetz führet den Künstler zur Allegorie: das zweyte zur Nachahmung des Alterthums; und dieses gehet vornehmlich die kleinern Verzierungen an. Kleinere Verzierungen nenne ich diejenigen, welche Theils kein Ganzes ausmachen, Theils ein Zusatz der grösseren sind. Musdieln sind bey den Alten nirgend, als wo es der Fabel, wie bey der Venus und den Meergöttern, oder wo es dem Orte gemäß gewesen, wie in Tempeln des Neptuns geschehen, angebracht worden: Man glaubt audi, daß 1 alte Lampen mit Musdieln gezieret, in Tempeln dieser Gottheit gebraucht worden sind. Sie können also an vielen Orten schön ja bedeutend seyn; wie in den2 Festons an dem Rathhause zu Amsterdam. Die Sdiaaf- und Stierköpfe geben so wenig eine Rechtfertigung des Muschelwerks, wie der Verfasser des Sendschreibens vielleicht glaubt, daß sie vielmehr den Misbrauch desselben darthun können. Diese von der Haut entblößten Köpfe hatten nicht allein ein Verhältniß zu den Op1
Blondel Mais, de plaisance. Τ. II. p. z6. | Passerii Lucernae fict. tab. j i. * Quellinus Maison de la Ville d' Amst. 1655. fol. 1
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fern der Alten; sondern man glaubt auch, sie3 hätten die Kraft deml Blitze zu widerstehen, und Numa wolte hierüber einen besonderen Befehl vom Jupiter bekommen haben. 1 Das Capital einer corinthischen Säule kann eben so wenig zu dem Muschelwerk, als ein Beyspiel eines scheinbar ungereimten Zieraths gesetzt werden, der durch die Länge der Zeit Wahrheit und Geschmack erhalten. Der Ursprung dieses Capitals scheinet weit natürlicher und vernünftiger zu seyn, als Vitruvs Angeben ist. Diese Untersuchung aber gehöret in ein Werk der Baukunst. Pocoke, welcher glaubt, daß die corinthisdie Ordnung vielleicht nicht sonderlich bekannt gewesen, da Pericles den Tempel der Minerva gebauet, hätte sich erinnern sollen, daß dieser Göttin ihren Tempeln dorische Säulen gehören, wie 2 Vitruv lehret. Man muß in diesen Verzierungen so wie überhaupt in der Baukunst verfahren. Diese erhält eine grosse Manier, wenn die Eintheilung der Hauptglieder an den Säulenordnungen aus wenig Theilen bestehet; wenn dieselben eine kühne und mächtige Erhobenheit und Ausschweifung erhalten. Man gedenke hierbey an die canellirten Säulen am Tempel I des Jupiters zu Agrigent, in deren 1 einzigem Reife ein Mensch füglich stehen konnte. Diese Verzierungen sollen nicht allein an sich wenig seyn, sondern sie sollen auch aus wenig Theilen bestehen, und diese Theile sollen groß und frey ausschweifen. Das erste Gesetz (um wieder auf die Allegorie zu kommen) könnte in sehr viel subalterne Regeln zergliedert werden: die Beobachtung der N a tur der Sachen aber und der Umstände ist allezeit das allgemeine Augenmerk der Künstler; und was die Beyspiele betrift, so scheinet hier der Weg der Widerlegung lehrreicher als der Weg der Vorschrift. Arion auf einem Delphine reitend, so wie er als ein Gemälde zu einer Sopraporte in einem2 neuern Werke der Baukunst, wiewohl nicht mit Vorsatz, wie es scheinet, angebracht ist, würde nach der gewöhnlichen Deutung nur allein in Sälen und Zimmern eines Dauphin von Frank•
Arnob. adv. gentes L. V. ρ. 157. edit. Lugd. 1651. 4. | Man deutet audi dergleichen Stierkopf auf der Rückseite einer goldenen atheniensischen Münze, dessen rechte Seite einen Kopf des Hercules mit einer Käule hat, auf die * Arbeiten desselben: es soll auch der Kopf, wie man muthmasset, ein Sinnbild der Stärke oder des Fleisses oder der * * Gedult seyn. * Haym Tesoro Brit. Τ. I. p. 182. 83. * * Hypnerotomachia Polyphili, fol. 27. Venet. ap. Aid. i j . fol. * Vitruv. L. I. c. 2.1 1 Diodor. Sic. L. X I I I . p. 375. al. $07. 2 Blondel Maisons de Plais. 1
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Erläuterung der Gedanken von der Nadiahmung [167|168 168|169]
reich, dem Orte gemäß seyn: an allen Orten aber, wo dieses Bild nidit entweder auf Menschenliebe, oder auf Hülfe und Schutz, weldien Künstler, wie Arion finden, ziehen kann, würde es nicht bedeutend seyn. In der Stadt Tarent hingegen könnte eben dieses Bild, doch ohne Leyer, noch itzo, an allen öffentlichen Gebäuden seinen Ort zieren: denn die alten Tarentiner, die des Neptuns Sohn Taras vor ihren Erbauer hielten, prägten denselben, wie er auf einem Delphine ritt, auf ihre Münzen. Man hat wider die Wahrheit gehandelt in den Verzierungen eines Gebäudes, an dessen Aufführung eine ganze Nation Theil hat; an dem I Palais Bleinheim des Herzogs von Marlborough,1 wo über zwey Portale ungeheure Löwen von Stein gehauen liegen, welche einen kleinen Hahn in Stücken reissen: die Erfindung ist nichts als ein sehr gemeines Wortspiel. Es ist nidit zu läugnen, man hat eins oder ein paar Beyspiele von ähnlich scheinenden Gedanken aus den Alterthume, wie die Löwinn auf dem Grabmale der Liebste des Aristogitons, mit Namen Leäna war, welches dieser Person als eine Belohnung aufgerichtet wurde, wegen der bezeigten Beständigkeit in der Marter des Tyrannen, um von ihr ein Geständniß der Mitverschwornen wider ihn zu erpressen. Ich weiß nidit, ob dieses Grabmal zur Rechtfertigung der Wortspiele in neueren Verzierungen dienen könnte. Die Liebste des Märtyrers der Freyheit zu Athen war eine Person von berüchtigten Sitten, deren Namen man Bedenken trug auf ein öffentliches Denkmal zu setzen. Eine gleiche Beschaffenheit hat es mit den2 Eidexen und Fröschen an einem Tempel, wodurch die beyden Baumeister3 Saurus und Batrachus ihre Namen, die sie nidit offenbar andeuten durften, zu verewigen suchten. Gedachte Löwinn hatte keine Zunge und dieser Gedanke gab der Allegorie Wahrheit. Die Löwinn, weldie auf der berühmten Lais4 Grab gesetzt wurde, war vermuthlidi von jener eine Copie, und hielt hier mit den Vorderfüssen einen Widder, als5 ein Gemälde ihrer Sitten. In übrigen wurde auf dem Grabmal tapferer Leute insgemein ein Löwe gesetzt. I Es ist zwar nicht zu verlangen, daß alle Verzierungen und Bilder der Alten audi so gar auf ihren Vasen und Geräthe allegorisch seyn sollen. Die Erklärung von vielen derselben würde auch entweder sehr mühsam 1
v. Spectator. Ν . $9. Pausan. L. I. c. 43.1. 22. * Plin. Hist. Nat. L. 36. c. j. 4 Pausan. L. II. c. ι . ρ. 115.1. 11. * Pausan. L. IX. c. 40. p. 795.1.11.1 8
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werden, oder auf blossen Muthmassungen beruhen. Ich unterstehe mich nicht zu behaupten, daß ζ. E. eine irdene1 Lampe in der Gestalt eines Odisenkopfs eine immerwährende Erinnerung nützlicher Arbeiten bedeute, so wie das Feuer ewig ist. Eben so wenig möchte ich2 hier die Vorstellung eines Opfers des Pluto und der Proserpine suchen. Das Bild aber eines trojanischen Prinzen, den Jupiter entführet und ihn zu seinen Liebling erwählet, war in dem Mantel eines Trojaners von grosser und rühmlicher Deutung; und also ein wahre Allegorie, welche man in dem Sendschreiben nicht hat finden wollen. Die Bedeutung der Vögel, die von Trauben fressen, scheinet einem Aschentopfe eben so gemäß zu seyn, als es der junge Bacchus, den Mercurius der Leucothea zu säugen überbringet, auf einer grossen marmornen3 Vase von dem Athenienser Salpion gearbeitet, ist. Die Vögel können den Genuß des Vergnügens vorstellen, welches der Verstorbene in den elyseisdien Feldern haben wird: so wie dieses nach der herrschenden Neigung im Leben zu geschehen pflegte: man weiß4, daß Vögel ein Bild der Seele waren. Man will audi bey einem Sphinx auf einem6 Becher des Künstlers Absehen auf die Begebenheiten des Oedipus in Theben, als dem Vaterlande des Bacchus, I dem der Becher geweihet seyn sollen, finden. Die Eydexe aber auf einem Trinkgeschirre des Mentors kann den Besitzer desselben anzeigen, welcher vielleicht Sauros geheissen hat. Ich glaube, man habe Ursadi in den mehresten Bildern des Alterthums Allegorien zu suchen, wenn man erweget, daß sie so gar allegorisch gebauet haben. Ein solches Werk war die den1 sieben freyen Künsten geweihete Gallerie zu Olympia, in welcher ein abgelesenes Gedicht durch den Widerhall siebenmal wiederholet wurde. Ein Tempel des Mercurs, der anstatt der Säulen, auf Hermen, oder auf Thermen, wie man itzo spricht, ruhete,2 auf einer Münze Kaisers Aurelianus, kann einigermassen mit hieher gehören. In dem Fronton ist ein Hund, ein Hahn und eine Zunge: Figuren deren Auslegung bekannt ist. Noch gelehrter war der Bau des Tempels der Tugend und der Ehre weldien Marcellus unternahm. Da er die Beute, welche er in Sicilien 1
Aldrovand. de quadrup. bisulc. p. 141. * Bellori Lucern. sepulcr. P. I. fig. 17. 3 Spon Miscell. Sect. II. Art. I. p. 25. * Beger Thes. Palat. p. 100. 8 v. Buonarroti Osserv. sopra alcuni Medagl. Proem, p. XXVI. Roma. 1698.4.1 1 Plutardi. de garrulit. p. 502. 2 Tristan Comment, hist, des Emp. Τ. I. p. 632.
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Erläuterung der Gedanken von der Nachahmung [170|171 171|172]
gemacht hatte, hierzu bestimmete, wurde ihm sein Vorhaben durch die Oberpriester, deren Gutachten er vorher einholete, untersaget, unter dem Vorwande, daß ein einziger Tempel nicht zwo Gottheiten fassen könnte. Marcellus ließ also zwey 3 Tempel nahe an einander bauen, dergestalt, daß man durdi den Tempel der Tugend gehen muste, um in I den Tempel der Ehre zu gelangen; um dadurch zu lehren, daß man allein durch Ausübung der Tugend zur wahren Ehre geführet werde. Dieser Tempel war 1 vor der Porta Capena. Es fällt mir hierbey ein ähnlicher Gedanke ein. Die Alten 2 pflegten Statuen von häßlichen Satyrs zu machen, welche hohl waren: wenn man sie öfnete, zeigten sich kleine Figuren der Gratien. Wolte man nicht dadurch lehren,
daß
man nicht nach dem äusseren Scheine urtheilen solle, und daß dasjenige, was der Gestalt abgehet, durch den Verstand ersetzet werde? Ich befürchte, daß einige Bedenken in dem Sendschreiben wider meine Schrift von mir können übergangen worden seyn, auf die ich zu antworten gewillet war. Ich entsinne mich hier auf die Kunst der Griedien aus blauen Augen schwarze zu machen: Dioscorides 3 ist der einzige Scribent, der von derselben Meldung gethan hat. Es ist in dieser Kunst auch in neuern Zeiten ein Versuch geschehen. Eine gewisse Gräfin in Schlesien war eine bekannte Schönheit unserer Zeiten: man fand sie vollkommen; nur hätten einige gewünscht, daß sie statt der blauen Augen schwarze gehabt hätte. Sie erfuhr den Wunsch ihrer Anbeter, und wendete alle Mittel an, die Natur zu ändern, und es gelung ihr: sie bekam schwarze Augen; wurde aber blind. I Ich habe mir selbst und vielleicht auch dem Sendschreiben kein Genüge gethan: Allein die Kunst ist unerschöpflich, und man muß nicht alles schreiben wollen. Ich suchte mich in der mir vergönneten Muße angenehm zu beschäftigen, und die Unterredungen mit meinem Freunde, Herrn Friedrich Oeser, einem wahren Nachfolger des Aristides, der die Seele schilderte, und für den Verstand malete, gaben zum Theil hierzu die Gelegenheit. D e r N a m e dieses würdigen Künstlers und Freundes soll den Schluß meiner Schrift zieren. s 1 8 s
Plutarch. Marcel, p. 277. | Vulpii Latium Τ. II. L. 2. c. 20. p. 175. Banier Mythol. Τ. II. L. I. dbi. 11. ρ. 181. Dioscor. de re medica. L. V. c. 179. |
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Reifere Gedancken Uber die Nachahmung der Alten In der Zeichnung und Bildhauerkunst. Fragment Es ist beynahe ein Jahrhundert verfloßen, da ein großes Theil einer Nation mit Blindheit gesdilagen nichts als was neu war schätzte, und dieser Periode heißt bey ihnen die güldne Zeit der Künste. J a diese Blindheit war fast ein allgemeines Übel dieser Zeiten, und in Rom dem s
Sitz der Künste, war es von ( w e i t ) gefährlicheren Folgen. Es war diejenige Zeit, wo der eitele Pradxt der Höfe überhand nahm und die Verzärtelung, Faulheit und Knechtschaft der Völker beförderte. Die Wissenschaften waren in Händen der Gelehrten nach der Mode, der Gelehrten der Vorkammern und man sudite ( n u r ) viel zu wissen um viel
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zu reden, geschwinde und mit wenig Mühe zu erscheinen. Man (verkürtzte) gedachte sich den Weg zu den Quellen der Wissenschaften zu verkürtzen und dadurch wurden die Quellen weniger geachtet und endlich unbekant: und das Verderbniß gieng von den Wissenschaften über unter die Künste. Die Schriften der Weisen aus Griechenland wurden
η
so wenig (gelesen) als die Statuen ihrer Künstler angesehen, und die Zahl derjenigen die mit einem wahren Verständniß die Werke der alten Kunst betrachteten, war dennoch weit geringer als dererjenigen (die hier und da versteckt) welche die Denckmale des Verstandes und der Gelehrsamkeit dieser Nation zur eigenen Zufriedenheit untersuchten.
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Da Homer in seiner Sprache wie in Athen erkläret wurde, und man sich ein Bedenken machte, angeführte Griechische Stellen zu übersetzen, weil es wenige nöthig hatten, da war die Zeit der Kentniß des Alterthums unter Gelehrten
und Künstlern, und Ariosto,
Raphael
und
Michael Angelo machten (unsterbliche) ewige Werke, und arbeiteten für 2f
die Unsterblichkeit. Der damalige Flor der Griechischen Gelehrsamkeit war freilich nicht die nächste Ursach der Nachahmung des Alterthums bey erwehnten beyden Künstlern. Aber es lag in ihr der entferntere Grund
10 Windcelmann, Kleine Sdiriften
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Reifere Gedancken über die Nachahmung der Alten
hiezu. Die allgemeine Kentnis der Griechen lehrte denken wie sie (und flößte einen Geist der Freyheit ein) und durch die Weisen breitete sich der Geist der Freyheit aus: (deswegen lehret Hobbes die Lesung der Alten der Jugend zu untersagen) welcher wie Hobbes lehret nicht leichter ersticket werden kan, als wenn der Jugend die Lesung der Alten untersaget würde. Viele (Zeiten) Länder hatten ein sanftes Joch die unter dem Zwange seufzen, und unter der Menschlichkeit war so viel Ungleichheit nicht eingeführet. Aber die Gelehrten dieser Zeit hatten ein großes und noch näheres Antheil an der Größe zu welcher Raphael und Michael Angelo gelanget sind. Ihre Freunde waren diejenigen die Xenophon und Plato gebildet hatten, und deren Sdiriften ihrer Nation dasjenige sind, was jene aller Welt seyn solten. Man hörete nach der Zeit nicht gantz und gar auf nach den Werken der Alten zu studiren aber die Kunst wurde Handwerdksmäßig getrieben selbst unter den Carracci, und diejenigen welche ihre Schüler wurden mehr angewiesen zur Fertigkeit der Hand und zur Nachahmung ihrer Meister als zu den hohen Schönheiten der alten Künstler. Eben so gieng es mehrentheils mit der Anweisung zur Lesung einiger Schriften der alten Griechen.
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Gedanken über die Kunst. GEDANKEN
Es gehet mit dem Urtheil über Werke der Kunst wie mit Lesung der Bücher: man glaubet zu verstehen was man lieset, und man verstehet nicht, wenn man es erklären soll. Ein anderes ist den Homerus lesen, ein anderes ist, ihn im Lesen zugleich zu übersetzen. Mit Geschmack die Werke der Kunst ansehen und mit Verständnis sind zwo verschiedene Dinge, und aus einem allgemeinen richtigen Gedanken über dieselbe ist nicht auf die Kentniß zu schließen, so wie es nicht folget, wenn Cicero saget, daß Canachus und Calamis härter als Polycletus gewesen, daß er gründlich verstanden habe, was er sdirieb. Es ist schwer kurz zu schreiben^] auch nidit eines jeden Werk; denn man kan in einer völligem Art zu schreiben nicht so leichte beym Worte genommen werden. Aber unsere Zeit erfordert die Kürze sonderlich wegen der Menge der Schriften. Derjenige der an jemand schrieb; ich hatte nicht Zeit diesen Brief kürzer zu machen, erkante was die kurze Schreibart erfodert. Plato redet niemahls von sich selbst in seinen Schriften. Idi habe in den Versudi der Historie der Kunst lieber wie Herodotus als wie Thucydides verfahren wollen: jener fänget an von den Zeiten da die Griechen anfiengen groß zu werden und höret auf mit der Erniedrigung ihrer Feinde: dieser fangt an von den Zeiten wo die Griechen anfiengen unglücklich zu werden. In Absicht des Schlußes von verliebten Gediditen durch den Dichter kan man nicht sagen, daß die Poesie eine Art Mahlerey ist: es ist nicht die Abbildung des Diditers, sondern der Sachen und der Personen die er sich einbildet. Er kan ein Philosoph ja gar ein Stoiker seyn und dennodi die Sprache der zärtlichen Sappho reden.
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Gedanken über die Kunst
Sie (die Griechen) bildeten ihre Schönheiten wie die Natur; diese würde nach der ihr von dem Sdiöpfer eingepflanzten Wirkung welche auf das beste und vollkommenste zielet, aus einer ihrer Absicht gemäßen Anlage schöne Menschen zubereiten, wenn sie die Frucht in der Mutter frey von allen gewaltsamen Zufällen und ohne Störung heftiger Leidenschaften bilden könte. In dieser Absicht suchten die ersten großen Künstler die Köpfe und den Stand ihrer Götter und Helden rein von Empfindlichkeit und entfernt von inneren Empörungen in einem Gleichgewicht des Gefühls und in einer friedlichen immer gleichen Seele vorzustellen. +
+
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Vermutlich ist die Kunst nach folgenden Graden gestiegen: Erstlich sucht man die Form der Figuren, alsdann die Proportion, sodann Licht und Schatten, hierauf die Schönheit der Form, alsdann die Colorit, ferner die Gratie der Gewänder, dann die Fülle der Composition.
V O N DER SCHÖNHEIT
Die Schönheit ist nichts anders als das Mittel von ζ extremis. Wie die Mittelstraße in allen Dingen das beste ist, so ist sie auch das schönste. Um das Mittel zu treffen muß man die beyden extrema kennen. Gott und die Natur hat das beste gewählet und die Schönheit der Form bestehet selbst ja darin, daß sich Dinge zu einem Mittel verhalten: die Uniformität macht keine Schönheit. Unser Gesicht konte also nicht wie das Gesicht der Thiere aus ζ theilen, Stirn und Nase bestehen. Die Harmonie ist vollkommener in ungleichen Zahlen, zwey Dinge neben ein ander thun ohne ein drittes nicht gut: wenn aber die Gleichheit der Zahlen wächst, so wird die Uniformität unmercklicher und sie nehmen die Natur der ungleichen Zahlen an.
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Erinnerung über die Betrachtung der Werke der Kunst. Willst du über Werke der Kunst urtheilen so siehe anfänglich hin über das, was sich durch Fleiß und Arbeit anpreiset, und sey aufmerksam auf das, was der Verstand hervorgebracht hat: denn der Fleiß kann sich ohne Talent zeigen, und dieses erblicket man auch, wo der Fleiß fehlet. Ein sehr mühsam gemachtes Bild vom Mahler oder Bildhauer ist, bloß als dieses, mit einem mühsam gearbeiteten Buche zu vergleichen. Denn so wie gelehrt zu schreiben nicht die größte Kunst ist, so ist ein sehr fein und glatt ausgepinseltes Bild allein kein Beweis von einem großen Künstler. Was die ohne Noth gehäuften Stellen vielmals nie gelesener Bücher in einer Schrift sind, das ist in einem Bilde die Andeutung aller Kleinigkeiten. Diese Betrachtung wird dich nidit erstaunen machen über die Lorbeerblätter an dem Apollo und der Daphne vom Bernini, noch über das Netz an einer Statue in Deutschland vom ältern Adam aus Paris. Eben so sind keine Kennzeidien, an welchen der Fleiß I allein Antheil hat, fähig zur Kenntniß oder zum Unterschiede des Alten vom Neuen. Gieb Achtung, ob der Meister des Werks, welches du betrachtest, selbst gedacht oder nur nachgemachet hat; ob er die vornehmste Absicht der Kunst, die Schönheit gekannt, oder nach den ihm gewöhnlichen Formen gebildet; und ob er als ein Mann gearbeitet oder als ein Kind gespielet hat. Es können Bücher und Werke der Kunst gemacht werden, ohne viel zu denken; ich schließe von dem, was wirklich ist: ein Mahler kann auf diese mechanische Art eine Madonna bilden, die sich sehen läßt, und ein Professor so gar eine Metaphysik schreiben, die tausend jungen Leuten gefällt. Die Fähigkeit des Künstlers zu denken aber kann sich nur in oft wiederholten Vorstellungen, so wie in eigenen Erfindungen zeigen. Denn so wie ein einziger Zug die Bildung des Gesichts verändert, so kann die Andeutung eines einzigen Gedanken, welcher sich in der Richtung eines Gliedes äussert, dem Vorwurfe eine andere Gestalt geben und die Würdigkeit des Künstlers darthun. Plato in Raphaels Schule von Athen rühret nur den Finger, und er saget genug, und Figuren vom Zucchari sagen
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Erinnerung über die Betrachtung der Werke der Kunst [2|3 3|4]
wenig mit allen ihren verdrehten Wendungen. Denn wie es sdiwerer ist, viel mit wenigem anzuzeigen, als es das Gegentheil ist, und der riditige Verstand mit wenigem mehr als mit vielem zu wirken liebet; so wird eine einzelne Figur der Schauplatz aller Kunst eines Meisters seyn können. Aber es würde den mehresten Künstlern ein eben so hartes Gebot seyn, eine Begebenheit in einer einzigen oder in ein paar Figuren, und dieses in groß I gezeichnet vorzustellen, als es einem Scribenten seyn würde, zum Versuch eine ganz kurze Schrifft aus eigenem Stoff abzufassen: denn hier kann beyder Blöße erscheinen, die sich in der Vielheit verstecket. Eben daher lieben fast alle angehende und sich selbst überlassene junge Künstler mehr, einen Entwurf von einem Haufen zusammengestelleter Figuren zu machen, als eine einzige völlig auszuführen. Da nun das wenige, mehr oder geringer, den Unterschied unter Künstlern machet, und das wenige unmerkliche ein Vorwurf denkender empfindlicher Geschöpfe ist, das viele und handgreifliche aber schlaffe Sinne und einen stumpfen Verstand beschäfftiget; so wird der Künstler, der sich Klugen zu gefallen begnüget, im einzelnen groß und im wiederholten und bekannten mannigfaltig und denkend erscheinen können. Ich rede hier wie aus dem Munde des Alterthums: Dieses lehren die Werke der Alten, und es würde ihnen ähnlich geschrieben und gebildet werden, wenn ihre Sdiriften wie ihre Bilder betrachtet und untersuchet würden. Der Stolz in dem Gesichte des Apollo äußert sich vornehmlich in dem Kinn und in der Unterlefze, der Zorn in den Nüsten seiner Nase, und die Verachtung in der Oeffnung des Mundes; auf den übrigen Theilen dieses göttlichen Haupts wohnen die Grazien, und die Sdiönheit bleibet bey der Empfindung unvermischet und rein wie die Sonne, deren Bild er ist. Im Laocoon siehest du bey dem Schmerz den Unmuth, wie über ein unwürdiges Leiden in dem Krausen der Nase, und das väterliche Mitleiden auf den Augäpfeln wie eine trübe Duft schwimmen. Diese I Schönheiten in einem einzigen Drucke sind wie ein Bild in einem Worte beym Homerus; nur der kann sie finden, welcher sie kennet. Glaube gewiß, daß der alten Künstler so wie ihrer Weisen Absicht war, mit wenigem viel anzudeuten: Daher lieget der Verstand der Alten tief in ihren Werken; in der neuern Welt ist es mehrentheils wie bey verarmten Krämern, die alle ihre Waare ausstellen. Homerus giebt ein höheres Bild, wenn alle Götter sich von ihrem Sitze erheben, da Apollo unter ihnen erscheinet, als Callimadius mit seinem ganzen Gesänge voller Gelehrsamkeit. Ist ein Vorurtheil nützlidi, so ist es die Ueberzeugung von dem, was ich sage; mit derselben nähere dich zu den Werken des Alterthums, in Hoffnung
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viel zu finden, so wirst du viel suchen. Aber du mußt dieselbe mit großer Ruhe betrachten; denn das viele im wenigen und die stille Einfalt wird dich sonst unerbauet lassen, wie die eilfertige Lesung des ungeschmückten großen Xenophon. Gegen das eigene Denken setze ich das Nachmachen, nicht die Nachahmung: unter jenem verstehe ich die knechtische Folge; in dieser aber kann das Nachgeahmete, wenn es mit Vernunft geführet wird, gleichsam eine andere Natur annehmen und etwas eigenes werden. Domenichino, der Mahler der Zärtlichkeit, hat die Köpfe des so genannten Alexanders zu Florenz und der Niobe zu Rom zu Mustern gewählet: sie sind in seinen Figuren zu erkennen, (Alexander im Johannes zu St. Andrea Deila Valle in Rom, und Niobe in dem Gemähide des Tesoro zu St. Gennaro in Neapel) aber doch sind sie nicht eben dieselben. Auf Steinen und Münzen findet man sehr I viele Bilder aus Poußins Gemählden; Salomon in seinem Urtheil, ist der Jupiter auf macedonischen Münzen; aber sie sind bey ihm wie eine versetzte Pflanze, die sich verschieden vom ersten Grunde zeiget. Nachmachen ohne zu denken ist, eine Madonna vom Maratta, einen H. Joseph vom Barocci und andere Figuren anders wo nehmen und ein Ganzes machen, wie eine große Menge Altarblätter auch in Rom sind: ein solcher Mahler war der kürzlich verstorbene berühmte Masucci zu Rom. Nachmachen nenne ich ferner, gleichsam nach einem gewissen Formular arbeiten, ohne selbst zu wissen, daß man nicht denket. Von diesem Schlage ist derjenige, welcher für einen Prinzen die Vermählung der Psyche, die ihm vorgeschrieben wurde, verfertigte. Er hatte vermuthlich keine andere gesehen, als die vom Raphael in klein Farnese; die seinige könnte auch eine Königinn aus Saba seyn. Die mehresten letzten großen Statuen der Heiligen in St. Peter zu Rom sind von dieser Art: große Stücke Marmor, welche ungearbeitet jedes joo Scudi kosten. Wer eine siehet, hat sie alle gesehen. Das zweyte Augenmerk bey Betrachtung der Werke der Kunst soll die Schönheit seyn. Der höchste Vorwurf der Kunst für denkende Menschen ist der Mensch, oder nur dessen äußere Fläche, und diese ist für den Künstler so schwer auszuforschen, wie von den Weisen das Innere desselben, und das schwerste ist, was es nicht scheinet, die Schönheit, weil sie, eigentlich zu reden, nicht unter Zahl und Maaß fällt. Eben daher ist das Verständniß des Verhältnisses des Ganzen, die Wissenschaft von Ge- I beinen und Muskeln nicht so schwer und allgemeiner, als die Kenntniß des Schönen; und wenn auch das Schöne durch einen allgemeinen Begriff
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könnte bestimmet werden, welches man wünsdiet und suchet, so würde sie dem, welchem der Himmel das Gefühl versaget hat, nicht helfen. Das Schöne bestehet in der Mannigfaltigkeit im Einfachen: dieses ist der Stein der Weisen, den die Künstler zu suchen haben, und welchen wenige finden; nur der verstehet die wenigen Worte, der sidi diesen Begriff aus sich selbst gemachet hat. Die Linie, die das Schöne beschreibet, ist elliptisch, und in derselben ist das Einfache und eine beständige Veränderung: denn sie kann mit keinem Zirkel beschrieben werden und verändert in allen Puncten ihre Richtung. Dieses ist leicht gesaget und schwer zu lernen: welche Linie mehr oder weniger elliptisch die verschiedenen Theile zur Schönheit formet, kann die Algebra nicht bestimmen; aber die Alten kenneten sie, und wir finden sie vom Menschen bis auf ihre Gefäße. So wie nichts Zirkeiförmiges am Menschen ist, so macht auch kein Profil eines alten Gefäßes einen halben Zirkel. Wenn von mir verlanget würde, sinnliche Begriffe der Schönheit zu bestimmen, welches sehr schwer ist; so würde ich, in Ermangelung alter vollkommener Werke oder deren Abgüße, kein Bedenken tragen, dieselbe nach einzelnen Theilen von den schönsten Menschen genommen, an dem Orte, wo ich schriebe, zu bilden. Da nun dieses itzo im Deutschen nicht geschehen kann; so müßte ich, wenn ich lehren wollte, die Begriffe der Schönheit Verneinungsweise mich I anzudeuten begnügen: ich müßte mich aber aus Mangel der Zeit auf das Gesicht einschränken. Die Form der wahren Schönheit hat nicht unterbrochene Theile. Auf diesen Satz gründet sich das Profil der alten jugendlichen Köpfe, welches nichts Linealmäßiges, auch nichts eingebildetes ist; aber es ist selten in der Natur, und scheinet sich noch seltener unter einem rauhen, als glücklichen Himmel zu finden: es bestehet in der sanft gesenkten Linie von der Stirn bis auf die Nase. Diese Linie ist der Schönheit dermassen eigen, daß ein Gesicht, welches, von vorne gesehen, schön scheinet, von der Seite erblicket, vieles verlieret, jemehr dessen Profil von der sanften Linie abweichet. Diese Linie hat Bernini, der Kunstverderber, in seinem größten Flor nicht kennen wollen, weil er sie in der gemeinen Natur, welche nur allein sein Vorwurf gewesen, nicht gefunden, und seine Schule folget ihm. Aus diesem Satze folget ferner, daß weder das Kinn noch die Wangen, durch Grübchen unterbrochen, der Form der wahren Schönheit gemäß seyn können: es kann also auch die Mediceische Venus, die ein solches Kinn hat, keine hohe Schönheit seyn; und ich glaube, daß ihre Bildung von einer bestimmten schönen Person genommen ist, so wie zwo andere Venus in dem Garten hinter dem Pallast Farnese offenbare Portraitköpfe haben.
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Die Form der .wahren Schönheit hat die erhobenen Theile nidit stumpf, und die gewölbeten nicht abgeschnitten: der Augenknochen ist prächtig erhaben, und das Kinn völlig gewölbet. Die besten Künstler der Alten haben daher dasjenige Theil, auf I welchem die Augenbranen liegen, sdiarf geschnitten gehalten, und in dem Verfalle der Künste im Alterthum, und in dem Verderbniß neuerer Zeiten ist dieses Theil rundlich, und stumpf vertrieben, und das Kinn ist insgemein zu kleinlich. Aus den stumpf gehaltenen Augenknochen kann man unter andern urtheilen, daß der berühmte fälschlich so genannte Antinous im Belvedere zu Rom nicht aus der höchsten Zeit der Kunst seyn kann, so wenig wie die Venus. Dieses ist allgemein gesprochen von dem Wesentlichen der Schönheit des Gesichts, welches in der Form bestehet: die Züge und Reizungen, welche dieselbe erhöhen, sind die Grazie, von welcher besonders zu handeln ist. Aber ich merke, daß ich meinen Vorsatz überschreite, welchen mir die Kürze der Zeit und meine überhäufte Arbeit setzen: idi will hier kein System der Schönheit, wenn idi auch könnte, schreiben. Eine männlidie Figur hat ihre Schönheit wie eine jugendlidie; aber da alles einfache mannigfaltige in allen Dingen schwerer ist, als das Mannigfaltige an sidi; so ist eben deswegen, eine schöne jugendlidie Figur groß zu zeichnen, (idi verstehe in dem möglichen Grade der Vollkommenheit) das schwerste. Die Ueberzeugung ist für alle Menschen audi von dem Kopfe allein. Nehmet das Gesidit der schönsten Figur in neuern Gemählden; so werdet ihr fast allezeit eine Person kennen, die schöner ist: ich urtheile nadi Rom und Florenz, wo die sdiönsten Gemähide sind. Ist ein Künstler mit persönlicher Sdiönheit, mit Empfindung des Sdiönen, mit Geist und Kennt I niß des Alterthums begäbet gewesen, so war es Raphael; und dennoch sind seine Schönheiten unter dem Schönsten in der Natur. Idi kenne Personen, die schöner sind, als seine unvergleichliche Madonna im Pallast Pitti zu Florenz und als Alcibiades in der Schule von Athen: die Madonna des Correggio ist keine hohe Idee, noch die vom Maratta in der Gallerie zu Dreßden, ohne Nachtheil von den ursprünglidien Schönheiten in der Nacht des erstem zu reden: die berühmte Venus vom Titian in der Tribuna zu Florenz ist nach der gemeinen Natur gebildet. Die Köpfe kleiner Figuren vom Albano scheinen schön; aber vom Kleinen ins Große zu gehen, ist hier fast, als wenn man nach Erlernung der Sdiiffkunst aus Büchern die Führung eines Schiffes im Ocean unternehmen wollte. Poußin, welcher das Alterthum mehr als seine Vorgänger untersuchet, hat sich gekannt, und sich niemals ins Große gewaget. Die Griechen aber scheinen Schönheiten entworfen zu haben, wie ein
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Topf gedrehet wird: denn fast alle Münzen ihre* freyen Staaten zeigen Köpfe, die vollkommener sind von Form, als was wir in der N a t u r kennen, und diese Schönheit bestehet in der Linie, die das Profil bildet. Sollte es nicht leicht scheinen, den Zug dieser Linie zu finden? Und in allen Münzbüchern ist von derselben abgewichen. H ä t t e nicht Raphael, der sich beklagte, zur Galatee keine würdige Schönheit in der N a t u r zu finden, die Bildung derselben von den besten Syracusischen Münzen nehmen können, da die schönsten Statuen, außer dem Laocoon, zu seiner Zeit noch nicht ent I decket waren? Weiter, als diese Münzen, kann der menschliche Begriff nicht gehen, und idi hier audi nicht. Ich muß dem Leser wünschen, den Kopf des schönen Genii in der Villa Borghese, die Niobe und ihre Töchter, die Bilder der höchsten Schönheit, zu sehen: außer Rom müssen ihn die Abgüße oder die geschnittenen Steine lehren. Zween der schönsten jugendlichen Köpfe sind die Minerva vom Aspasius, itzo zu Wien, und ein jugendlicher Herkules in dem Stoßischen Museo zu Florenz. Wer die besten Werke des Alterthums nicht hat kennen lernen, glaube nicht zu wissen, was wahrhaftig schön ist: unsere Begriffe Werden außer dieser Kenntniß einzeln und nach unserer Neigung gebildet seyn; von Schönheiten neuerer Meister kann ich nichts vollkommeners angeben, als die griechisdie Tänzerinn vom Herrn Mengs, groß wie die Natur, halbe Figur, in Pastel auf Holz gemahlet, für den Marquis Croimare zu Paris. Daß die Kenntniß der wahren Schönheit in Beurtheilung der Werke der Kunst zur Regel dienen kann, bezeugen die mit großem Fleiße nach alten geschnittenen Steinen gearbeitete neuere Steine. Natter hat sich gewaget, den angeführten Kopf der Minerva in gleidier Größe und kleiner zu copiren, und dennoch hat er die Schönheit der Form nicht erreichet: die Nase ist um ein H a a r zu stark, das Kinn ist zu platt, und der Mund schlecht; und eben so verhält es sich mit anderen Nachahmungen in dieser Art. Gelinget es den Meistern nicht, was ist von Schülern zu hoffen, und was könnte man sich von selbst entworfenen Schönheiten versprechen? Ich will nicht I die Unmöglichkeit so gar der einfachen Nachahmung alter Köpfe daraus zu erkennen geben; aber es muß solchen Künstlern irgendwo fehlen: Natters Buch von geschnittenen Steinen zeiget nicht viel Einsicht der alten Kunst auch in der einzigen Art, die er allein getrieben, welches künftig kann dargethan werden. Die eigene Ueberzeugung von der schwer zu erreichenden Schönheit der Alten ist daher eine der vornehmsten Ursachen von der Seltenheit untergeschobener griechischen Münzen in der besten Zeit: eine falsche neue Münze, die in griechischen freyen Staaten gepräget ausgegeben
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würde, wäre gegen eine jede ächte zu entdecken. Unter den Kaiserlichen Münzen ist der Betrug leichter gewesen: die zu alten Münzen geschnittenen Stempel des berühmten Padoano sind im Museo Barberini zu Rom, und die vom Michel, einem Franzosen, der diese Kunst zu Florenz getrieben, sind in dem Stoßisdien Museo. Was zum dritten die Ausarbeitung eines Werks der Kunst im engern Verstände, nach dessen geendigten Entwürfe, betrifft; so ist der Fleiß in derselben zu loben, aber der Verstand zu schätzen. Die Hand des Meisters erkennet sidi, so wie in der Schreibart an der Deutlichkeit und kräftigen Fassung der Gedanken, also in der Ausarbeitung des Künstlers an der Freyheit und Sicherheit der Hand. Auf der Verklärung Christi vom Raphael siehet man die sichern und freyen Züge des großen Künstlers in den Figuren Christi, St. Peters und der Apostel zur rechten Hand, und an der mühsam vertriebenen Arbeit des Giulio Romano an einigen Figuren zur linken. Bewundere niemals weder am Marmor die glänzende sanfte I Oberhaut, noch an einem Gemähide die spiegelnde glatte Fläche: jene ist eine Arbeit, die dem Tagelöhner Schweiß gekostet hat, und diese dem Mahler nicht viel Nachsinnen. Der Apollo des Bernini ist so glatt, wie der im Belvedere, und eine Madonna vom Trivisano ist noch viel fleißiger, als die vom Correggio gemahlet. Wo Stärke der Arme und Fleiß in der Kunst gilt, hat das Alterthum nichts vor uns voraus; auch der Porphyr kann eben so gut bearbeitet werden, wie vor alters, welches viel unwissende Scribenten läugnen, und zuletzt Clarencas in einem Buche, dessen Uebersetzung den Deutschen keine Ehre madiet. Die größere Glätte an Figuren tiefgeschnittener alter Steine ist nicht das Geheimniß, welches Maffei (Veron. illustr. P. III. c. 7. p. 269.) der Welt zum Besten mittheilend entdecken will, wodurch sich die Arbeit eines alten Künstlers im Steinschneiden von den Neuern unterscheidet: unsere Meister in ihrer Kunst haben die Glätte so hoch als die Alten getrieben; die Glätte der Ausarbeitung ist wie die feine Haut im Gesichte, die alleine nicht schön machet. Ich tadle dadurch nicht die Glätte einer Statue, da sie zur Schönheit viel beyträget, ohnerachtet ich sehe, daß die Alten das Geheimniß erreichet haben, eine Statue bloß mit dem Eisen auszuarbeiten, wie am Laocoon geschehen ist: es ist auch in einem Gemähide die Sauberkeit des Pinsels ein großer Werth desselben; dieses muß aber von Verschmelzung der Tinten unterschieden werden: denn eine baumrindenmäßige Fläche einer Statue würde so unangenehm seyn, als ein bloß mit Borstpinseln ausgeführtes Bild, so wohl in der Nähe, als in der Ferne. Man muß mit
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Feuer I entwerfen und mit Phlegma ausführen. Meine Meinung geht auf solche Arbeiten, deren größtes Verdienst der Fleiß allein ist, wie die aus der Berninischen Schule in Marmor, und die vom Denner, Seybold, und ihres gleichen auf Leinwand. Mein Leser! Es ist diese Erinnerung nöthig. Denn da die mehresten Mensdien nur an der Schale der Dinge umhergehen; so ziehet auch das Liebliche, das Glänzende unser Auge zuerst an, und die bloße Warnung für Irrungen, wie hier nur geschehen können, machet den ersten Schritt zur Kenntniß. Ich habe überhaupt in etlichen Jahren meines Aufenthalts in Italien eine fast täglidie Erfahrung, wie sonderlich junge Reisende von blinden Führern geleitet werden, und wie nüchtern sie über die Meisterstücke der Kunst hinflattern. Ich behalte mir vor, einen ausführlichem Unterricht hierüber zu ertheilen.
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Von der Grazie in Werken der Kunst. Die Grazie ist das vernünftig gefällige. Es ist ein Begriff von weitem Umfange, weil er sich auf alle Handlungen erstrecket. Die Grazie ist ein Geschenk des Himmels, aber nicht wie die Schön 1 heit: denn er ertheilet nur die Ankündigung und Fähigkeit zu derselben. Sie bildet sich durch Erziehung und Ueberlegung, und kann zur Natur werden, welche dazu geschaffen ist. Sie ist ferne vom Zwange und gesuchten Witze: aber es erfordert Aufmerksamkeit und Fleiß, die Natur in allen Handlungen, wo sie sich nach eines jeden Talent zu zeigen hat, auf den rechten Grad der Leichtigkeit zu erheben. In der Einfalt und in der Stille der Seele wirket sie, und wird durch ein wildes Feuer und in aufgebrachten Neigungen verdunkelt. Aller Menschen Thun und Handeln wird durch dieselbe angenehm, und in einem schönen Körper herrschet sie mit großer Gewalt. Xenophon war mit derselben begäbet, Thucydides aber hat sie nicht gesuchet. In ihr bestund der Vorzug des Apelles und des Correggio in neuern Zeiten, und Michael Angelo hat sie nicht erlanget: über die Werke des Alterthums aber hat sie sich allgemein ergoßen, und ist auch in dem Mittelmäßigen zu erkennen. Die Kenntniß und Beurtheilung der Grazie am Menschen und in der Nachahmung desselben, an Statuen und auf Gemählden, scheinet verschieden zu seyn, weil hier vielen dasjenige nicht anstößig ist, was ihnen im Leben mißfallen würde. Diese Verschiedenheit der Empfindung lieget entweder in der Eigenschaft der Nachahmung überhaupt, welche desto mehr rühret, je fremder sie ist, als das Nadigeahmete, oder mehr an ungeübten Sinnen und am Mangel öfterer Betrachtung und gründlicher Vergleichung der Werke der Kunst. Denn was bey Aufklärung des Verstandes und bey Vortheilen der Erziehung an neuern Werken gefällt, wird oft nach erlangter wahren Kenntniß der I Schönheiten des Alterthums ekelhaft werden. Die allgemeine Empfindung der wahren Grazie wäre also nicht natürlich; da sie aber erlanget werden kann, und ein Theil des guten Geschmacks ist, so ist audi dieser so wie jene zu lehren, wider den Verfasser der Briefe über die Engeländer: weil so gar die Schönheit zu lehren
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ist, obgleich noch keine allgemeine deutliche Erklärung derselben bestimmet worden. Im Unterricht über Werke der Kunst ist die Grazie das sinnlichste, und zur Ueberzeugung von dem Vorzuge der alten Werke vor den Neuern giebt sie den begreiflichsten Beweis: mit derselben muß man anfangen zu lehren, bis man zur hohen abstrakten Schönheit gehen kann. Die Grazie in Werken der Kunst geht nur die menschliche Figur an, und lieget nicht allein in deren Wesentlichen, dem Stande und Gebährden; sondern auch in dem Zufälligen; dem Schmucke und der Kleidung. Ihre Eigenschaft ist das eigenthümliche Verhältniß der handelnden Person zur Handlung: denn sie ist wie Wasser, welches desto vollkommener ist, je weniger es Geschmack hat; alle fremde Artigkeit ist der Grazie so wie der Schönheit nachtheilig. Man merke, daß die Rede von dem Hohen, oder Heroisdien und Tragischen der Kunst, nicht von dem comischen Theile derselben ist. Stand und Gebährden an den alten Figuren sind wie an einem Menschen, welcher Achtung erwecket und fordern kann, und der vor den Augen weiser Männer auftritt: ihre Bewegung hat den nothwendigen Grund des Wirkens in sich, wie durch ein flüssiges feines Geblüt und mit einem sittsamen Geiste zu I geschehen pfleget: nur allein die Stellung der Bacchanten auf geschnittenen Steinen ist der Absicht bey denselben gemäß, das ist, gewaltsam. Was von stehenden Figuren gesaget wird, gilt auch von liegenden. Im ruhigen Stande, wo ein Bein das tragende ist, und das andere das spielende, tritt dieses nur so weit zurück, als nöthig war, die Figur aus der senkrechten Linie zu setzen, und an Faunen hat man die ungelehrte Natur auch in der Riditung dieses Fußes beobachtet, welcher, gleichsam unmerksam auf Zierlichkeit, einwärts stehet. Den neuern Künstlern schien ein ruhiger Stand unbedeutend und ohne Geist, sie rücken daher den spielenden Fuß weiter hinaus, und um eine idealische Stellung zu machen, setzen sie ein Theil der Schwere des Körpers von dem tragenden Beine weg, und drehen den Oberleib von neuem aus seiner Ruhe, und den Kopf wie an Personen, die nach einem unerwarteten Blitze sehen. Diejenigen, welchen dieses, aus Mangel der Gelegenheit das Alte zu sehen, nicht deutlich ist, mögen sich einen Ritter einer Comödie, oder auch einen jungen Franzosen in seiner eigenen Brühe vorstellen. Wo der Raum diesen Stand der Beine nicht erlaubete, um nicht das Bein, welches nicht träget, müßig zu lassen, setzet man es auf etwas erhabenes, als ein Bild eines
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Menschen, welcher, um mit jemand zu reden, das eine Bein allezeit auf einen Stuhl setzen wollte, oder um fest zu stehen, sich einen Stein unterlegete. Die Alten waren dergestalt auf den höchsten Wohlstand bedacht, daß nicht leicht Figuren mit einem Beine über das andere geschlagen stehen, es sey denn ein I Bacchus in Marmor, Paris oder Nireus auf geschnittenen Steinen, zum Zeichen der Weichlichkeit. In den Gebährden der alten Figuren bricht die Freude nicht in Lachen aus, sondern sie zeiget nur die Heiterkeit vom inneren Vergnügen: auf dem Gesichte einer Bacchante blicket gleichsam nur die Morgenröthe von der Wollust auf. In Betrübniß und Unmuth sind sie ein Bild des Meers, dessen Tiefe stille ist, wenn die Fläche anfängt unruhig zu werden; auch im empfindlichsten Schmerzen erscheinet Niobe noch als die Heldinn, welche der Latona nicht weichen wollte. Denn die Seele kann in einen Zustand gesetzet werden, wo sie von der Größe des Leidens, welches sie nicht fassen kann, übertäubet, der Unempfindlichkeit nahe kömmt. Die alten Künstler haben hier, wie ihre Dichter, ihre Personen gleichsam außer der Handlung, die Schrecken oder Wehklagen erwecken müste, gezeiget, auch um die Würdigkeit der Menschen in Fassung der Seele vorzustellen. Die Neuern, welche theils das Alterthum nidit kennen lernen, oder nicht zur Betrachtung der Grazie in der Natur gelanget sind, haben nicht allein die Natur gebildet, wie sie empfindet, sondern auch, was sie nicht empfindet. Die Zärtlichkeit einer sitzenden Venus in Marmor zu Potsdam, vom Pigalle aus Paris, ist in einer Empfindung, in welcher ihr das Wasser aus dem Munde, welcher nach Luft zu schnappen scheinet, laufen will: denn sie soll vor Begierde schmachtend aussehen. Sollte man glauben, daß ein solcher Mensch in Rom einige Jahre unterhalten gewesen, das Alterthum nachzuahmen! Eine I Caritas vom Bernini an einem der Päbstlichen Grabmale in St. Peter zu Rom soll liebreich und mit mütterlichen Augen auf ihre Kinder sehen: es sind aber viel widersprechende Dinge in ihrem Gesichte; das Liebreiche ist ein gezwungenes satyrisches Lachen, damit ihr der Künstler seine ihm gewöhnliche Grazie, die Grübchen in den Wangen geben konnte. In Vorstellung der Betrübniß gehet es bis auf das Haar ausreissen, wie man auf vielen berühmten Gemählden, welche gestochen sind, sehen kann. Die Bewegung der Hände, welche die Gebährden begleiten, und deren Haltung überhaupt ist an alten Statuen wie an Personen, die von niemand glauben beobachtet zu werden; und ob sich gleich wenig Hände an denselben erhalten haben, so siehet man doch an Richtung des Arms, daß die
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Bewegung der Hand natürlich gewesen ist. Diejenigen, welche die mangelnden oder zerstümmelten Hände ergänzet, haben ihnen vielmals, so wie an ihren eigenen Werken, eine Haltung gegeben, die eine Person vor dem Spiegel machen würde, welche ihre vermeinte schöne Hand denen, die sie bey ihrem Putze unterhalten, so lange und so oft sie kann, im völligen Lichte wollte sehen lassen. Im Ausdrucke sind die Hände insgemein gezwungen, wie eines jungen Anfängers auf der Canzel. Fasset eine Figur ihr Gewand, so hält sie es wie Spinnewebe. Eine Nemesis, welche auf alten geschnittenen Steinen gewöhnlich ihr Peplum von dem Busen sanft in die Höhe hält, würde es in neuern Bildern nicht anders thun können, als mit zierlich ausgestreckten drey letzten Fingern. I Die Grazie in dem Zufälligen alter Figuren, dem Schmucke und der Kleidung lieget, wie an der Figur selbst, in dem, was der Natur am nächsten kömmt. An den allerältesten Werken ist der Wurf der Falten unter dem Gürtel fast senkrecht, wie sie an einem dünnen Gewände natürlich fallen wird. Mit dem Wachsthum der Kunst wurde die Mannigfaltigkeit gesuchet; aber das Gewand stellete allezeit ein leichtes Gewebe vor, und die Falten wurden nicht gehäufet, oder hier und da zerstreuet, sondern sind in ganze Maßen vereiniget. Dieses blieben die zwo vornehmsten Beobachtungen im Alterthume, wie wir noch an der schönen Flora (nicht der Farnesischen) im Campidoglio, von Hadrians Zeiten, sehen. An Bacchanten und tanzenden Figuren wurde das Gewand zerstreueter und fliegender gearbeitet, auch an Statuen, wie eine im Pallaste Riccardi zu Florenz beweiset: aber der Wohlstand blieb beobachtet, und die Fähigkeit der Materie wurde nicht übertrieben. Götter und Helden sind wie an heiligen Orten stehend, wo die Stille wohnet, und nicht als ein Spiel der Winde, oder im Fahnenschwenken vorgestellet; fliegende oder lüftige Gewänder suche man sonderlich auf geschnittenen Steinen, an einer Atalanta, wo die Person und die Materie es erforderte und erlaubete. Die Grazie erstrecket sich auf die Kleidung, weil sie mit ihren Geschwistern vor alters bekleidet war, und die Grazie in der Kleidung bildet sich wie von selbst in unserm Begriffe, wenn wir uns vorstellen, wie wir die Grazien gekleidet sehen möchten: man I würde sie nicht in Galakleidern, sondern wie eine Schönheit, die man liebete, im leichten Ueberwurf kürzlich aus dem Bette erhoben, zu sehen wünschen. In neuern Werken der Kunst scheinet man nach Raphaels und dessen bester Schüler Zeiten, nicht gedacht zu haben, daß die Grazie auch an der Kleidung Theil nehmen könne, weil man statt der leichten Gewänder die schweren gewählet, die gleichsam wie Verhüllungen der Unfähigkeit,
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das Schöne zu bilden, anzusehen sind: denn die Falten von großem Inhalt überheben den Künstler der von den Alten gesuchten Andeutung der Form des Körpers unter dem Gewände, und eine Figur scheinet öfters nur zum Tragen gemachet zu seyn. Bernini und Peter von Cortona sind in großen und schweren Gewändern die Muster ihrer Nachfolger geworden. Wir kleiden uns in leichte Zeuge; aber unsere Bilder genießen diesen Vortheil nicht. Wenn man geschichtmäßig von der Grazie nach Wiederherstellung der Kunst reden sollte; so würde es mehr auf das Gegentheil gehn. In der Bildhauerey hat die Nachahmung eines einzigen großen Mannes, des Michael Angelo, die Künstler von dem Alterthume und von der Kenntniß der Grazie entfernet. Sein hoher Verstand und seine große Wissenschaft wollte sidi in Nachahmung der Alten nicht allein einschränken, und seine Einbildung war zu feurig zu zärtlichen Empfindungen, und zur lieblichen Grazie. Seine gedruckten und noch ungedruckten Gedichte sind voll von Betrachtungen der hohen Schön I heit; aber er hat sie nicht gebildet, so wenig wie die Grazie seine Werke. Denn da er nur das ausserordentliche und das schwere in der Kunst suchete; so setzete er diesem das gefällige nach, weil dieses mehr in Empfindung, als in Wissenschaft bestehet, und um diese allenthalben zu zeigen, wurde er übertrieben. Seine liegende Statuen auf den Grabmalen in der Großherzoglidien Capelle zu St. Lorenzo in Florenz haben eine so ungewöhnliche Lage, daß das Leben sich Gewalt anthun müste, sich also liegend zu erhalten, und eben durch diese gekünstelte Lage ist er aus dem Wohlstande der Natur und des Orts, für welchen er arbeitete, gegangen. Seine Schüler folgten ihm, und da sie ihn in der Wissenschaft nicht erreidieten, und ihren Werken audi dieser Werth fehlete, so wird der Mangel der Grazie, da der Verstand nicht beschäftiget ist, hier noch merklicher und anstößiger. Wie wenig Guil. della Porta, der beste aus dieser Schule, die Grazie und das Alterthum begriffen hat, siehet man unter andern an dem farnesischen Odisen, an welchem die Dirce bis auf den Gürtel von seiner Hand ist. Johann Bologne, Algardi und Fiammingo sind große Künstler, aber unter den Alten, audi in dem Theile der Kunst, wovon wir reden. Endlich erschien Lorenzo Bernini in der Welt, ein Mann von großem Talent und Geiste, aber dem die Grazie nicht einmal im Traume erschienen ist. Er wollte alle Theile der Kunst umfassen, war Mahler, Baumeister und Bildhauer, und sudite als dieser, vornehmlich ein Original zu werden. Im I achtzehenden Jahre machte er den Apollo und die Daphne, ein wunderbares Werk für ein solches Alter, und welches versprach, daß durch
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ihn die Bildhauerey auf ihren höchsten Gipfel kommen würde. E r machte hierauf seinen David, welcher jenem Werke nicht beykömmt. Der allgemeine Beyfall machte ihn stolz, und es scheinet, sein Vorsatz sey gewesen, d a er die alten Werke weder erreichen noch verdunkeln konnte, einen neuen Weg zu nehmen, den ihm der verderbte Geschmack selbiger Zeit erleichterte, auf welchem er die erste Stelle unter den Künstlern neuerer Zeit erhalten könnte, und es ist ihm gelungen. Von der Zeit an entfernete sich die Grazie gänzlich von ihm, weil sie sich mit seinem Vorhaben nicht reimen konnte. Denn er ergriff das entgegengesetzte Ende vom Alterthum: seine Bilder suchte er in der gemeinen Natur, und sein Ideal ist von Geschöpfen unter einem ihm unbekannten Himmel genommen; denn in dem schönsten Theile von Italien ist die N a t u r anders, als an seinen Bildern gestaltet. Er wurde als der Gott der Kunst verehret und nachgeahmet; und da nur die Heiligkeit, nicht die Weisheit Statuen erhält, so ist eine Berninische Figur beßer für die Kirche als der Laocoon. Von R o m kannst du, mein Leser, sicher auf andere Länder schließen, und ich werde künftig Nachrichten dazu ertheilen. Ein gepriesener Puget, Girardon und wie die Meister in ONG heissen, sind nicht besser. Was der beste Zeichner in Frankreich kann, zeiget eine Minerva in einem Kupferleisten zu Anfang der geschnittenen Steine vom Mariette. I Die Grazien stunden in Athen beym Aufgang nach dem heiligsten Orte zu: unsere Künstler sollten sie über ihre Werkstatt setzen und am Ringe tragen, zur unaufhörlichen Erinnerung, und ihnen opfern, um sich diese Göttinnen hold zu machen. Ich habe mich in dieser kurzen Betrachtung vornehmlich auf die Bildhauerey eingeschränket, weil man sie über Gemähide auch außer Italien machen kann, und der Leser wird das Vergnügen haben, selbst mehr zu entdecken, als ich gesaget habe: ich streue nur einzelne Körner aus zu einer größeren Aussaat, wenn sich Muße und Umstände dazu
finden
werden. Florenz.
W.
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Nachrichten von dem berühmten Stoßischen Museo in Florenz von dem Herrn Winkelmann an den Herrn L. R. v. H. Florenz den 13 Jänner 1759. Meine viele Geschaffte erlauben nidhit, von einem Theile des Stoßischen Musei, nehmlich von den alten geschnittenen Steinen, eine so umständliche Nachricht, als ich wünschte und dieser Schatz es verdienete, zu geben: ich verweise Sie auf das Verzeichniß desselben in französischer Sprache, dessen erster Entwurf in weniger Zeit wird geendiget seyn. Ich gieng von Rom nach Florenz, und übernahm diese I Arbeit, theils zu Erweiterung meiner Kenntnisse, theils zu einem Denkmal des weiland berühmten Besitzers audi das meinige beyzutragen. Der Herr von Stosdi wurde mein Freund, so bald ich nach Rom kam, und er blieb es bis an sein Ende, ungeachtet ich ihn von Angesicht nicht gekannt habe: er war es, der mir zu der Gnade, und wenn ich es ohne Eitelkeit sagen kann, zu der Freundschaft Sr. Eminenz des Hrn. Cardinais Alessandro Albani den ersten Zutritt öffnete. Die Sammlung der geschnittenen Steine, der alten Pasten und einiger neuern, von seltenen Steinen genommen, erstrecket sich über zwey tausend fünf hundert: die Camei oder erhaben geschnittene Steine in eben diesem Museo sind nicht hierunter begriffen; sie machen eine besondere Sammlung. Das Stoßische Museum ist also von denen, welche bekannt und sichtbar sind, das stärkste in der Welt. Des Königs in Frankreich Cabinet kommt hier nicht einmal in Vergleichung. Die berufene Sammlung im Pallast Barberini zu Rom ist ein Schatz, von welchem ich nur habe reden hören: und weder ich, noch sonst jemand, ja der Besitzer selbst wird keine Nachricht davon geben können. Der Herr Cardinal Albani hat in seiner Jugend etwas davon gesehen, und niemals hernach wiederum dazu gelangen können: denn die geschnittenen Steine liegen uneingefasset in Säcken; unterdessen wissen Se. Eminenz, daß an achzig Steine unter denselben sind mit dem Namen des Künstlers. I Von dem Stoßischen Museo war eine gründliche Beschreibung zu wünschen, aber ohne von meiner geringen Fähigkeit zu reden, von mir nicht
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zu unternehmen, da mir Se. Eminenz bald nach meiner Ankunft zu Florenz die Aufsicht über Dero schätzbare Bibliothek und Alterthümer zu Rom anvertrauet haben, und eines Theils wegen einer kleinen Reise, die ich vielleicht nach Griechenland zu thun gedenke. Ich habe mich also auf Beschreibung der wichtigsten, schwer zu erklärenden und schönsten alten Steine und alten Pasten einschränken müssen. Der Besitzer des ganzen Stoßischen Musei ist der einzige Erbe desselben, seiner Schwester Sohn, Herr Muzell, des Hrn. Prof. Muzelii Sohn, aus Berlin. Ich bin in dieser Arbeit, wie in meinem Versudie der Geschichte der Kunst im Alterthum verfahren; ich habe vermieden zu sagen, was gesaget ist; war die Vorstellung eines Steines bekannt, so ist sie bloß angegeben; bestand aber der Werth desselben mehr in der Kunst, so habe ich mich suchen so zu erklären, daß der Leser belehret oder unterhalten würde, auch ohne den Stein oder dessen Abguß zu. sehen. Bey Steinen von seltener oder schwer zu erklärender Vorstellung bin idi mit mehrerer Aufmerksamkeit stehen geblieben; die Beweise aber sind die bloßen Anführungen der Schriften, aus welchen ich sie genommen habe. Pomey und Giraldi sind nicht geplündert: ich habe die ältesten griechischen Dichter und Scribenten bey dieser Arbeit von neuem gelesen. Homerus folget noch immer bey mir nadi dem Morgenseegen. I Ich läugne nicht, daß einige Steine von neuern Meistern geschnitten sind; aber die wenigen sind nach sehr seltenen Steinen gearbeitet; dieses ist getreulidi angezeiget. In diesem Ueberfluße von Seltenheiten kam mir nicht einmal der Gedanke ein, neue Steine für alte anzuführen und zu beschreiben, wie Mariette gethan, und Zanetti thun lassen: dieses kann bey anderer Gelegenheit bewiesen werden. Ich urtheile nicht aus Kupfern, sondern aus sehr guten Abdrücken; widrigenfalls würde ich sehr viele Köpfe im Museo des Königs in Frankreich für neu erklären müssen: ich kenne aber die Begriffe der Franzosen von der Schönheit des Alterthums. Unter uns gesagt, ich fürchte mich unsern Landesleuten etwas zum Nachtheil dieser Nation zu sagen: ihre Wut in Uebersetzung französischer Bücher, die voll von tausend Vergehungen, als des Barre seine deutsche Geschichte ist, machen mir diese Besorgung. Wenn die Zeit und die Gränzen eines Briefes mich nicht einschränketen, würde ich Ihnen zuerst die seltensten, und hernach die schönsten Steine namhaft machen, und alsdenn berühren, was für besondere Kenntniße aus andern zu ziehen sind. Die seltensten Steine sind überhaupt die hetrurischen: Man kann von deren Werth urtheilen, aus dem, was über ein einziges Stück von einem
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hetrurischen Steine im königl. französischen Cabinet gesaget ist. Unter diesen aber sind die vornehmsten zween Carniole: der eine stellet fünfe von den sieben Helden vor, die den ersten Zug wider Theben thaten, nämlich den Tydeus, Polynices, Amphia I raus, Adrastus und Parthenopäus; zu jeder Figur ist der Name in der ältesten hetrurischen oder pelasgisdien Schrift geschnitten. Der andere zeiget den Tydeus mit dessen Namen, wie er sich einen Pfeil aus dem Fuße ziehet. Beyde werden zum erstenmal in Kupfer gestochen auf meiner angeführten Schrift erscheinen. Der erste ist ohne Zweifel das älteste Denkmal der Kunst in der Welt, und folglich einer der seltensten Schätze, die man aufweisen kann. Der andere lasset uns die Kunst der Hetrurier in ihrer höchsten Schönheit sehen, und giebet einen Begriff von der Kunst kurz vor ihrem Flor unter den Griechen. Schöne Steine nenne ich diejenigen, die es wegen ihrer Zeichnung und durch das Ideal sind, und hier ist das vorzügliche unter so vielen schönen nicht leidit zu bestimmen. Ich könnte den berühmten Meleager anführen, welcher in Kupfer gestochen und bekannt ist: ein anderer würde eine Victorie nehmen, die noch schöner ist, als die aus den schönsten Münzen von Syracus, und ein Gewand hat, wie die borghesische Tänzerinnen: dieser würde eine große Atalanta in Amethyst nicht nachstehen wollen. Sie scheinet die Lüfte durchzuschneiden, und so geschwinde, wie des Homerus Minerva zu gehen: mit ihrem Gewände spielen die verliebten Winde, ja die Grazien: das schöne Nackende siehet man durch dasselbe, wie sich selbst durch das Glas im Spiegel: mit einer prüfenden Liebe siehet sie im Laufen zurück, und lässet ihre Brust, die schönste Brust, bloß, um das Profil davon dem, der ihr folget, sehen zu las I sen. Von Köpfen würde ich einen alten Herkules, in Carniol geschnitten, mit dem Namen COAQNOC, und einen jungen Herkules ebenfalls in Carniol, vorzüglich wählen. Den hohen Werth von diesem Kopfe zu schätzen, muß man ein Auge, wie die gefällige griechische Schöne Glycerium haben: Ein schöner junger Mensch ist derjenige, sagte sie, in dessen Gesichte der Unterschied des Geschlechts fast zweifelhaft ist. Dieses ist kein Satz für einen magistralischen Kopf: so dachten aber die griechischen Künstler. Die besonderen Kenntniße, welche aus diesem Museo zu ziehen sind, waren der vornehmste Antrieb, mich dieser Arbeit zu unterziehen. Denn die Beschreibung des Schönen in der Kunst kann nicht allezeit nützlich werden, wenn die beschriebene Sache nicht bekannt ist: aber wenn man dem Verfasser zutrauet, daß er verstehe, was er schreibet; so können die über einem auch nicht bekanntgemachten Steine angebrachte Anmerkun-
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gen, außer der Kunst, ihren Nutzen haben. In der Classe von egyptischen Steinen ist ein besdiorner Kopf eines Harpocrates in Agath-Onyx, genannt Niccolo, von der schönsten Arbeit; er hat nur eine einzige Locke auf der rechten Seite: So stelleten die Egypter, saget* Macrobius, die Sonne vor. Die Arbeit ist von keinem egyptischen Künstler: die Griechen bildeten den Gott des Stillschweigens eben also. I Vom Jupiter Απομηος, Muscarius, oder der die Fliegen vertreibet, hat man bisher nichts weiter gewußt, als etwa, was* Pausanias saget: ich kann aus einer alten Paste anzeigen, wie er gestaltet gewesen. Den Bart machen zween Flügel einer Fliege, und auf dem Kopfe des Jupiters ist der Kopf einer Fliege. Bellori hätte dieses bereits aus einem** alten Steine anzeigen können, wenn ihm damals die barberinischen Bienen nicht vor Augen gewesen wären. Man ist streitig über die eigentliche Bedeutung des Beynamens vom Jupiter Αιγίοχος. Eine alte Paste, mit dem Namen des Künstlers N E I C O Y , stellet einen Jupiter ohne Bart vor; er hat seine Hasta und den Adler: um den linken Arm aber hat er die Haut der Ziege Amalthea, nach Art eines Cestus gewickelt, und sie dienet ihm an statt eines Schildes. Diese war sein Aegis, sein Schild. Man sehe, w a s * * * Herodotus über dieses Wort saget, u n d * * * * Spanheim bekäme eine Erinnerung. Wenn man die Minerva vorstellen sollte, ehe sie den Kopf der Medusa auf ihren Schild setzete, würde man zweifelhaft seyn über den Zierrat des Schildes: ein Sardonyx unterrichtet uns. Minerva in dem Streite mit den Titanen hat ein Pferd auf dem Schilde: eine Erläuterung ihres Beynamens Hippia. I Wir könnten zwar angeben, warum die Statue einer Minerva* ζωστήρια hieß; denn dieser Name kommet her von WAFFEN ANLEGEN: Aber da sie niemals ohne Waffen, als vor dem Paris ist; so muß jene Benennung eine andere Ursache haben. Diese giebet uns ein Sardonyx, auf welchem Minerva außer ihren Waffen, ein Parazonium oder kurzen Degen umhängen hat: Man weiß, daß τελαμών, das Degengehenk, audi ζωστήρ heißt. * * ** *** **** *
Saturn. L. I. c. 2 1 . p. 248. ed. Pont. | L. V. p. 410. N o t a in N u m . apibus insignita tab. 7. n. 2. Melpom. c. 187. Obs. in Callim. hymn, in Iov. v. 49. p. 19.1 Pavsan. 1. 9. p. 743.1. 33.
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Wie sollte ein Mahler eine Furie machen? Er würde ihr eine Fackel geben. Aber wie mahleten sie die Griechen? Außer der Beschreibung des Aeschylus, saget** Banier, haben wir kein Bild von ihnen übrig. Wir haben sie auf einem Carniol im Laufe mit fliegendem Rocke und Haaren, und einem Dolche in der Hand. Wie stiegen die Reuter der Alten zu Pferde? Wie wir, wird man sagen, und auf ihren Landstrassen waren erhöhete Steine. Diese aber waren nidit hoch genug dazu, welches man unter andern von Terracina an bis Capua sehen kann; und wie hätten sie es im freyen Felde oder in der Schlacht gemacht? An ihren Spießen war eine Krampe, die ihnen zum Aufsteigen dienete: und es geschähe nidit wie bey uns, von der linken, sondern von der rechten Seite. Dieses sehen wir auf zween verschiedenen Steinen unsers Musei. Wissen wir nicht viel, wenn wir das wissen? I Es ist eine andere Kleinigkeit, zu wissen, wie das Theil an den Wagen der Alten aussahe, über welches sie ihre Zügel hängeten: allein man verstehet ohne dieselbe einige Stellen des Homerus nicht, wie diese ist: — δοιαί δέ περίδρομοι αντυγές είσι. iL. έ 7 2 8 .
Sam. Clarke hat es geglaubet nach dem Sinne der alten Erklärer zu übersetzen : — duoque s e m i c i r c u l i , unde habenae suspenduntur, erant. Die Stücke waren nicht Zirkelrund; sie hatten die Gestalt einer stählernen Feder " > , nach Anzeige einer großen alten Paste, die einen von dem Siege gekrönten Held auf dem Wagen, vom Mars begleitet, vorstellet. Auf etlichen Münzen siehet man eben dieses gebogene Wesen: man weiß also künftig, was es ist und bedeutet. Bey einem Priapus, welcher das, was die atheniensischen Neuvermählten küßeten, und worauf sie ritten, nebst dessen Zubehör am Halse hängen hat, fiel mir ein, was Periplectomenes beym Plautus jemanden thun wollte, wenn er ihn bey seiner Frau treffen würde: er will es ihm abschneiden, saget er, und als ein Spielwerk an den Hals hängen. Es sind die Herren Critici zu erinnern, über die Form des ältesten griechischen Sigma, in einer Stelle beym Athenäus (L. X . p. 4J4.) wo ein Schäfer, der nidit schreiben konnte, jemanden die Buchstaben des Namens vom Theseus andeuten will, und dieses aus einigen Steinen, wo Herkules nach den stymphalischen Vögeln schießt: denn sei I nen Bogen hatte er von einem scythisdien Schäfer bekommen. Aber diese und ähnliche Untersuchungen in der Beschreibung des Musei sind nicht kurz zu fassen. * * Diss, sur les Parques p. 31.
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Ich habe angezeiget, was der Vogel bedeutet auf einem Steine des mediceisdien Musei, (Mus. Flor. Τ. II. tab. 39. η. 4.) auf welchem Theseus ist. Es ist die in den Vogel "Ιυγξ verwandelte Tochter des Pan und der Pitho. (TZETZ. in Lycophr. V. 310.) Dieser Vogel diente in Liebestränken, und Venus hatte ihn zu demjenigen gebraucht, welchen sie dem Jason gab, die Medea zu gewinnen, (FIND. Pythion. Od. 4.) Diese kurze Anzeige kann Ihnen einigen Begriff von dieser Arbeit machen. Ich gebe sie Ihnen aber nicht umsonst, sondern mit der Bedingung, daß Sie dieselbe unserm gemeinschaftlichen Freunde, Hrn. Bianconi, vorlesen und verdollmetschen. Sie sehen wohl, daß idi geschrieben habe, was mir am ersten eingefallen ist: wenn mir die sehr seltene Lust wieder kommen wird, einen langen deutschen Brief zu schreiben, verspreche idi Ihnen nodi eine Hand voll von dergleichen Kleinigkeiten. Ich erwarte einige von meinen Papieren aus Rom, und unter denselben vielleicht eine Beschreibung des TORSO im Belvedere, aber bloß nach dessen Ideal, die idi vor ein paar Jahren gemacht habe. Diese werde idi Ihnen mittheilen. Sie werden Sich entsinnen, daß ich eine Beschreibung der schönsten Statuen nadi ihrem Ideal, und nach der Kunst angefangen hatte: in drey Monaten that ich zu derselben Zeit nichts, als I denken. Ich habe aber dieses Unternehmen liegen lassen. Erinnern Sie Sich, ob Sie den 13 Jänner an mich gedadit haben: idi habe Ihre und Bianconi Gesundheit aus vollen Gläsern, nach deutscher Art, in der edelsten Verdea von Arcetri, und in dem besten Syracuser getrunken, und unsere Tischgesellschaft that desgleichen. Gott befohlen. Winkelmann.
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Beschreibung des Torso im Belvedere zu Rom.
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Idi theile hier eine Beschreibung des berühmten T O R S O im Belvedere mit, welcher insgemein der T O R S O vom M I C H A E L A N G E L O genennet wird, weil dieser Künstler dieses Stück besonders hodigeschätzet, und viel nach demselben studiret hat. Es ist eine verstümmelte Statue eines sitzenden Herkules, wie bekannt ist, und der Meister desselben ist Apollonius, des Nestors Sohn von Athen. Diese Beschreibung gehet nur auf das Ideal der Statue, sonderlich da sie idealisch ist, und ist ein Stück von einer ähnlichen Abbildung mehrerer Statuen. Die erste Arbeit, an welche ich mich in Rom machete, war, die Statuen im Belvedere, nämlich den Apollo, den Laocoon, den so genannten Antinous und diesen Torso, als das Vollkommen I ste der alten Bildhauerey, zu beschreiben. Die Vorstellung einer jeden Statue sollte zween Theile haben: der erste in Absicht des Ideals, der andere nach der Kunst; und meine Meinung war, die Werke selbst von dem besten Künstler zeichnen und stechen zu lassen. Diese Unternehmung aber gieng über mein Vermögen, und würde auf dem Vorschub freygebiger Liebhaber beruhen; es ist daher dieser Entwurf, über welchen ich viel und lange gedacht habe, ungeendiget geblieben, und gegenwärtige Beschreibung selbst möchte noch die letzte Hand nöthig haben. Man sehe sie an, als eine Probe von dem, was über ein so vollkommnes Werk der Kunst zu denken und zu sagen wäre, und als eine Anzeige von Untersuchung in der Kunst. Denn es ist nicht genug zu sagen, daß etwas schön ist: man soll auch wissen, in welchem Grade, und warum es schön sey. Dieses wissen die Antiquarii in Rom nicht, wie mir diejenigen Zeugniß geben werden, die von ihnen geführet sind, und sehr wenige Künstler sind zur Einsicht des Hohen und Erhabenen in den Werken der Alten gelanget. Es wäre zu wünschen, daß sich jemand fände, dem die Umstände günstig sind, welcher eine Beschreibung der besten Statuen, wie sie zum Unterricht junger Künstler und reisender Liebhaber unentbehrlich wäre, unternehmen und nach Würdigkeit ausführen könnte.
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Beschreibung des Torso im Belvedere [34|35 35|36]
Ich führe dich itzo zu dem so viel gerühmten, und niemals genug gepriesenen Trunk eines Herkules; I zu einem Werke, welches das schönste in seiner Art, und unter die hödiste Hervorbringung der Kunst zu zählen ist, von denen, welche bis auf unsere Zeiten gekommen sind. Wie werde ich dir denselben beschreiben, da er der zierlichsten und der bedeutendesten Theile der Natur beraubet ist! So wie von einer mächtigen Eiche, welche umgehauen und von Zweigen und Aesten entblößet worden, nur der Stamm allein übrig geblieben ist, so gemißhandelt und verstümmelt sitzet das Bild des Helden; Kopf, Brust, Arme und Beine fehlen. Der erste Anblick wird dir vielleicht nichts, als einen ungeformten Stein sehen lassen: vermagst du aber in die Geheimniße der Kunst einzudringen, so wirst du ein Wunder derselben erblicken, wenn du dieses Werk mit einem ruhigen Auge betrachtest. Alsdenn wird dir Herkules wie mitten in allen seinen Unternehmungen erscheinen, und der Held und der Gott werden in diesem Stücke zugleich sichtbar werden. Da, wo die Dichter auf gehöret haben, hat der Künstler angefangen: Jene schweigen, so bald der Held unter die Götter aufgenommen, und mit der Göttinn der ewigen Jugend ist vermählet worden; dieser aber zeiget uns denselben in einer vergötterten Gestalt, und mit einem gleichsam unsterblichen Leibe, welcher dennoch Stärke und Leichtigkeit zu den grossen Unternehmungen, die er vollbracht, behalten hat. Ich sehe in den mächtigen Umrissen dieses Leibes die unüberwundene Kraft des Besiegers der gewalti I gen Riesen, die sich wider die Götter empöreten, und in den phlegräischen Feldern von ihm erleget wurden: und zu gleicher Zeit stellen mir die sanften Züge dieser Umrisse, die das Gebäude des Leibes leicht und gelenksam machen, die geschwinden Wendungen desselben in dem Kampfe mit dem Achelous vor, der mit allen vielförmigen Verwandlungen seinen Händen nicht entgehen konnte. In jedem Theile dieses Körpers offenbaret sich, wie in einem Gemählde, der ganze Held in einer besondern That, und man siehet, so wie die richtigen Absichten in dem vernünftigen Baue eines Pallastes, hier den Gebrauch, zu welcher That ein jedes Theil gedienet hat. Ich kann das wenige, was von der Schulter noch zu sehen ist, nicht betrachten, ohne mich zu erinnern, daß auf ihrer ausgebreiteten Stärke, wie auf zwey Gebirgen, die ganze Last der himmlischen Kreise geruhet. Mit was für einer Großheit wächst die Brust an, und wie prächtig ist die anhebende Rundung ihres Gewölbes! Eine solche Brust muß diejenige gewesen seyn, auf welcher der Riese Antäus und der dreyleibichte Geryon erdrücket worden. Keine Brust eines drey- und viermal gekrönten olym-
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pischen Ueberwinders, keine Brust eines spartanischen Siegers von Helden gebohren, muß sich so prächtig und erhöhet gezeiget haben. Fraget diejenigen, die das Schönste in der Natur der Sterblichen kennen, ob sie eine Seite gesehen haben, die mit der linken Seite zu vergleichen ist. Die Wirkung und Gegenwirkung ihrer Muskeln I ist mit einem •weislichen Maaße von abwechselnder Regung und schneller Kraft wunderwürdig abgewogen, und der Leib mußte durch dieselbe zu allem, was er vollbringen wollen, tüchtig gemacht werden. So wie in einer anhebenden Bewegung des Meers die zuvor stille Fläche in einer lieblichen Unruhe mit spielenden Wellen anwächset, wo eine von der andern verschlungen, und aus derselben wiederum hervorgewälzet wird: eben so sanft aufgeschwellet und schwebend gezogen, fließet hier eine Muskel in die andre, und eine dritte, die sich zwischen ihnen erhebet, und ihre Bewegung zu verstärken scheinet, verlieret sich in jene, und unser Blidk wird gleichsam mit verschlungen. Hier möchte ich stille stehen, um unsern Betrachtungen Raum zu geben, der Vorstellung ein immerwährendes Bild von dieser Seite einzudrücken: allein die hohen Schönheiten sind hier ohne Grenzen, und in einer unzertrennlichen Mittheilung. Was für ein Begriff erwachset zugleich hieher aus den Hüften, deren Feistigkeit andeuten kann, daß der Held niemals gewanket, und nie sich beugen müssen. In diesem Augenblicke durchfährt mein Geist die entlegensten Gegenden der Welt, durch welche Herkules gezogen ist, und ich werde bis an die Grenzen seiner Mühseligkeiten, und bis an die Denkmale und Säulen, wo sein Fuß ruhete, geführet, durch den Anblick der Schenkel von unerschöpflicher Kraft, und von einer den Gottheiten eigenen Länge, die den Held durch hundert Länder und Völker bis zur Unsterblichkeit getragen haben. Ich fieng an, I diese entfernte Züge zu überdenken, da mein Geist zurück gerufen wird durch einen Blick auf seinen Rücken. Ich wurde entzücket, da ich diesen Körper von hinten ansahe, so wie ein Mensch, welcher nach Bewunderung des prächtigen Portals an einem Tempel auf die Höhe desselben geführet würde, wo ihn das Gewölbe desselben, welches er nicht übersehen kann, von neuem in Erstaunen setzet. Ich sehe hier den vornehmsten Bau der Gebeine dieses Leibes, den Ursprung der Muskeln und den Grund ihrer Lage und Bewegung, und dieses alles zeiget sich wie eine von der Höhe der Berge entdeckete Landschaft, über welche die Natur den mannichfaltigen Reichthum ihrer Schönheiten ausgegossen. So wie dessen lustige Höhen sich mit einem
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sanften Abhang in gesenkte Thäler verlieren, datier sich schmälern und dort erweitern: So mannidifaltig, präditig und schön erheben sich hier schwellende Hügel von Muskeln, um welche sich oft unmerkliche Tiefen, gleich dem Strome des Mäanders, krümmen, die weniger dem Gesichte, als dem Gefühle, offenbar werden. Scheinet es unbegreiflich, außer dem Kopfe in einem andern Theile eine denkende Kraft zu legen; so lernet hier, wie die Hand eines schöpferischen Meisters die Materie geistig zu machen vermögend ist. Midi deucht, es bilde mir der Rücken, welcher durdi hohe Betrachtungen gekrümmet scheinet, ein Haupt, welches mit einer frohen Erinnerung seiner erstaunenden Thaten beschäftiget ist; und indem sich so ein Haupt voll von Majestät und Weisheit vor mei I nen Augen erhebet, so fangen sich an in meinen Gedanken die übrigen mangelhaften Glieder zu bilden: es sammlet sich ein Ausfluß aus dem Gegenwärtigen und wirket gleichsam eine plötzliche Ergänzung. Die Macht der Schulter deutet mir an, wie stark die Arme gewesen, die den Löwen auf dem Gebürge Cithäron erwürget, und mein Auge suchet sich diejenigen zu bilden, die den Cerberus gebunden und weggeführet haben. Seine Schenkel und das Knie geben mir einen Begriff von den Beinen, welche niemals ermüdet und den Hirsch mit ehernen Füssen verfolget und erreichet haben. Durch eine geheime Kunst aber wird der Geist durch alle Thaten seiner Stärke bis zur Vollkommenheit seiner Seele geführet, und in diesem Stücke ist ein Denkmahl derselben, welches ihm kein Dichter, die nur die Stärke seiner Arme besingen, errichtet: der Künstler hat sie übertroffen. Sein Bild des Helden giebt keinem Gedanken von Gewaltthätigkeit und ausgelassener Liebe Platz. In der Ruhe und Stille des Körpers offenbaret sich der gesetzte große Geist; der Mann, welcher den Dichtern ein Beyspiel der Tugend geworden ist, der sich aus Liebe zur Gerechtigkeit den größten Gefährlichkeiten ausgesetzet, der den Ländern Sicherheit und den Einwohnern Ruhe geschaffet. Diese vorzügliche und edle Form einer so vollkommenen Natur ist gleichsam in die Unsterblichkeit eingehüllet, und die Gestalt ist bloß wie ein Gefäß derselben; ein höherer Geist scheinet den Raum der sterblichen Theile eingenommen, und sich an die Stel I le derselben ausgebreitet zu haben. Es ist nicht mehr der Körper, welcher annoch wider Ungeheuer und Friedensstörer zu streiten hat; es ist derjenige, der auf dem Berge Oetas von den Schlacken der Menschheit gereiniget worden, die sich von dem Ursprünge der Aehnlichkeit des Vaters der Götter abgesondert.
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So vollkommen hat weder der geliebte Hyllus nodi die zärtliche Iole den Herkules gesehen; so lag er in den Armen der Hebe, der ewigen Jugend, und zog in sich einen unaufhörlichen Einfluß derselben. Von keiner sterblichen Speise und groben Theilen ist sein Leib ernähret: ihn erhält die Speise der Götter, und er scheinet nur zu genießen, nicht zu nehmen, und völlig, ohne angefüllet zu seyn. Ο möchte ich dieses Bild in der Größe und Schönheit sehen, in welcher es sich dem Verstände des Künstlers geoffenbaret hat, um nur allein von dem Ueberreste sagen zu können, was er gedacht hat, und wie ich denken würdig zu beschreiben. Voller Betrübniß aber bleibe ich stehen, und so wie Psyche anfieng die Liebe zu beweinen, nachdem sie dieselbe kennen sollte! Mein großes Glück nach dem seinigen würde seyn, dieses Werk gelernet; so bejammere ich den unersetzlichen Schaden dieses Herkules, nachdem ich zur Einsicht der Schönheit desselben gelanget bin. Die Kunst weinet zugleich mit mir: denn das Werk, welches sie den größten Erfindungen des Witzes und Nachdenkens entgegen setzen, und durch welches sie noch itzo ihr Haupt wie in ihren goldenen Zeiten zu der größten Höhe menschlicher Achtung erheben könnte; dieses Werk, welches vielleicht das letz I te ist, an welches sie ihre äußerste Kräfte gewandt hat, muß sie halb vernichtet und grausam gemißhandelt sehen. Wem wird hier nicht der Verlust so viel hundert anderer Meisterstücke derselben zu Gemüthe geführet! Aber die Kunst, welche uns weiter unterrichten will, rufet uns von diesen traurigen Ueberlegungen zurück, und zeiget uns, wie viel noch aus dem Uebriggebliebenen zu lernen ist, und mit was für einem Auge es der Künstler ansehen müsse. +
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Nach dieser Idealischen Beschreibung würde die nach der Kunst folgen. Rom.
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Anmerkungen über die Baukunst der alten Tempel zu Girgenti in Sicilien. Diese Anmerkungen werden denjenigen, die das große Werk des P. Pancrazi von den erklärten Sicilianischen Alterthümern kennen, nicht überflüßig scheinen; weil er von der Baukunst der Tempel und Gebäude, die er in Kupfer gegeben hat, wenig oder gar nichts meldet. Die weisen Gelehrten treten nicht gerne aus ihrem Gleise: daher der H e r r Canonicus Mazocchi, einer der ersten Gelehrten unserer Zeit, die Tempel zu Pesto, von welchen ich beyläufig reden werde, in seiner bloß gelehrten Abhandlung von Pesto, welche nebst andern seiner Erläuterung der heracleischen Tafeln beygefüget ist, ganz und gar mit Stillschweigen übergehet, als wenn sie nicht in der Welt wären. Der P. Pancrazi, Theatiner Ordens, lebet noch zu Cortona in Toscana, seinem Vaterlande, ausser seinem Orden, und von der Welt entfernet, wegen Blödigkeit des Verstandes, von welcher man die I Ursache der mißlungenen Rechnung zuschreibet, die er zu Bestreitung der Kosten zu seinem Werke auf die Freygebigkeit sonderlich derjenigen Engeländer gemachet hatte, welchen er die Kupferplatten zugeschrieben hat; weil er den Begriff von dieser Nation und die Großmuth aus Mangel des Umgangs f ü r gleich bedeutende Worte genommen hatte. Seine Absicht war, ein großes weitläuftiges Werk zu machen, und zu diesem Ende ließ er die vermeinten Briefe des Phalaris vollständig abdrucken, und legete sie zum Grunde der Geschichte von der Stadt Akragas, von den Römern genannt Agrigentum, und itzo Girgenti: er gründete sich auf Dodwels Zeugniß, welcher wider die größte Wahrscheinlichkeit diese Briefe f ü r acht annimmt. Ich glaube nicht, daß der Verfasser des Bentleys letzte Abhandlung über diese Briefe, im Englischen geschrieben, lesen können; zumal da dieses Buch in Italien sehr selten ist: denn ich weiß nicht, ob man wider eine so gelehrte Untersuchung ferner etwas einzuwenden finden könne. Ich bin nicht gesonnen, eine Critik der Alterthümer von Sicilien zu schreiben, sondern nur einige Nachrichten über die dorische Baukunst in
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den ältesten Zeiten zu geben, sonderlich da Vitruvius, und die nach ihm gekommen sind, von der ältesten Art derselben nichts lehren. Wer bisher eine in der Kunst gegründete Geschichte der GRIECHISCHEN Baukunst hätte schreiben wollen, würde mit dem Vitruvius von der Nothwendigkeit, welche gelehret Hütten und Häuser zu bauen, mit einmal einen Sprung bis auf die I Zeiten der zierlichsten Baukunst haben thun müssen: zu Füllung dieser Lücke werde ich suchen einige Materialien beyzubringen; ich muß mich aber auf solche einschränken, die ohne Kupfer anzudeuten und zu verstehen seyn. Es haben meine Umstände noch nicht erlaubet, die Alterthümer zu Girgenti selbst zu sehen, und ich gründe meine Anmerkungen auf einige mir mitgetheilete Nachrichten eines Schottländischen Liebhabers der Baukunst, Herrn Roberts Mylne, welcher die Ueberbleibsel der alten Gebäude in Sicilien mit Fleiß untersuchet hat, und vor kurzer Zeit in sein Vaterland zurück gekehret ist. Einige Maaße, welche ich angeben werde, sind nach dem englischen Fuß genommen, welchen man leicht mit andern Maaßen überschlagen kann. Der englische Fuß ist kleiner als der alte griechische, aber der Unterscheid ist sehr geringe: der englische Fuß welcher zwölf Zolle hat, ist um 875Ao ooo, oder, um das zehentausendeste adithunderteste und fünf und siebenzigste Theil eines Zolles kleiner als der griechische Fuß. Der pariser Fuß ist größer als der englische, und jener enthält mehr als dieser um 8le %0 ooo, oder um den achttausendesten hundert und sechzigsten, zehentausendesten Theil eines seiner Zolle. Wenn man den pariser Fuß in zehen tausend Theile eintheilet, so hat der griechische Fuß 9431 seiner Theile. Diese genaue Bestimmung hat mir Herr Henry Esq. ein durch große Reisen bekannter Irländer, aus dem von ihm verbesserten Verhältniß der Maaße in den Tafeln des Arbuthnots mitgetheilet. Dieser Herr lebet seit einigen Jahren zu Florenz. I Der so genannte Tempel der Concordia zu Girgenti ist ohne Zweifel eins der ältesten griechischen Gebäude in der Welt, und hat sich von außen unbeschädigt erhalten. Der Erklärer der Sicilianischen Alterthümer giebet von demselben den Grundriß und die Aufrisse; in die Beschreibung derselben aber läßt er sich nicht ein: denn diese hat sich derjenige, dessen er sich zum Zeichnen bedienet, vorbehalten. Dieser aber, welcher niemals die Baukunst getrieben, wird Mühe haben etwas an das Licht zu geben. Dieser Tempel ist von dorischer Bauart, und Hexastylos Peripteros, das ist, der um und um auf einer Reihe freystehender Säulen ruhet, und deren sechs und eben so viele hinten hat, welche den Pronaos und Opisto-
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domos, oder zwo freye Hallen beym Eingange und Hinten machen. Auf beyden Seiten sind eilf Säulen, oder dreyzehen, wenn die Edtsäulen zweymal gezählet werden. Es ist dieser Tempel zween von den Tempeln zu Pesto am salernitanisdien Meerbusen vollkommen von außen ähnlich, und diese und jener scheinen von gleichem Alterthume. Von dem Tempel zu Girgenti war Nachricht, aber von denen zu Pesto hat man allererst angefangen vor zehen Jahren zu reden, ohngeachtet dieselbe niemals versdiüttet, sondern beständig in einer großen und ganz unbewohnten Fläche am Gestade des Meeres sichtbar gewesen sind. Der Mangel der Nachricht von diesen Gebäuden hat daher verursachet, daß man außer Griechenland keine andere dorische Werke gekannt hat, als die untersten Säulen am Theater des Mar | cellus, am Amphitheater des Vespasianus zu Rom, und an einem Bogen zu Verona*. Die Säulen an dem Tempel zu Girgenti haben mit dem Capital in der Höhe nidit völlig fünf Durchmesser des untersten Endes der Säule, so wie die zu Pesto. Vitruvius setzet die Höhe der dorischen Säulen auf sieben Durdimesser, oder auf vierzehen Moduli; weldies gleichgültig ist: denn ein Modulus ist ein halber Durchmesser der Säule. Da aber dieser Scribent die Verhältnisse in der Baukunst, so wie am Menschen, auf Geheimnisse in gewissen Zahlen, und zum Theil auf die Harmonie bauen will; so konnte er von sieben Durchmessern keinen andern Grund als seine heilige Sieben geben, welches geträumet heißet, so wie diejenigen unter den Neuern thun, die mit der Septima in der Musik erscheinen. Von sechs Durchmessern einer Säule wäre ein scheinbarer Grund anzugeben aus dem Verhältnisse des Fußes, welcher bey den allerältesten Bildhauern als der sediste Theil der Höhe einer Figur angenommen wurde. Von der Höhe der Säulen, von welchen wir hier reden, ist die Ursache in dem Plan des Tempels, nicht in den Säulen selbst zu suchen; da ihr Verhältniß nidit durch ganze Durchmesser kann bestimmet werden: denn was über vier Durchmesser ist, fället in Fuße und Zolle. Ich finde, daß die Höhe der Säulen der Breite des Tempels gleich ist, I welche allezeit die Hälfte der Länge entweder des ganzen Tempels, oder auch der Celle allein, an dorisdien Tempeln war. Also war hier kein gelehrtes Verhältniß von etwas außer dem Gebäude genommen anzubringen, sondern es lag in dem Gebäude selbst. * Chambray in seiner Vergleichung der alten und neuen Baukunst rechnet hier aus Unwissenheit das Theater zu Vicenza, vom Palladio gebauet, unter die alten Werke.
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Wenn eine Stelle des Plinius* zu verstehen ist, wie sie gelesen wird, w o er saget, daß in den ältesten Zeiten die Höhe der Säulen das Drittheil von der Breite des Tempels gewesen; so würden die Säulen noch kürzer als jene gewesen seyn. Denn wenn wir die Länge eines Tempels zu 50 Fuß s
setzen, und also die Breite 25, so würden ungefähr 8 Fuß auf die Säulen kommen. Nehmen w i r 2 Fuß zum Durchmesser der Säulen, so würden sie nur 4 Durchmesser haben. Diese Säulen haben eine kegelförmige Verjüngung, welche ihren Grund weniger in dem Maaße derselben, als in ihrem Endzwecke hat.
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Denn eine cylindrirte Form mit gleichen Durchmessern unten und oben hätte die Steine, aus welchen eine Säule bestehet, in G e f a h r gesetzet, Risse zu bekommen und zu zersprengen, da die Last des Gebälks vornehmlidi auf die A x e des Cylinders würde gefallen seyn; die kegelförmige Verjüngung aber vereinigte die lasttragenden Puncte mehr in eins. Die Säulen
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sind nach dorischer A r t gereift, das ist, z w o Aushohlungen schließen sidi durch einen scharfen Eck gereiften Säulen die Ecken platt sind
, da an ionischen und corinthischen l^^/V^/1"
·I
Das Gebälk dieses Tempels bestehet, wie an andern, aus drey Gliedern; der Architrave unmittelbar über den Säulen, der Frise und der 20
Cornische. Vitruvius will, daß die Höhe der Glieder des Gebälks nadbi der Länge oder Kürze der Säulen eingerichtet seyn soll; und der Architrave geben einige neuere Baumeister nicht viel über die H ä l f t e der Frise: das hohe Alterthum aber wußte weder von der ersten nodi von der zwoten Regel. Denn an dem Tempel zu Girgenti so wohl als an
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denen zu Pesto ist das Gebälk groß und prächtig, und stärker, als es die Höhe der Säulen erforderte, und dem Auge nach scheinet die Architrave und die Frise gleiche Höhe zu haben, und daß es vermuthlich sey, wie es scheinet, wird man unten aus dem Maaß des Gebälks von dem Tempel des olympischen Jupiters schließen können; die Cornische hat etwa drey
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Theile von der Höhe der Frise. Das Verhältniß der Triglyphen und der Metopen, oder des viereckichten Raums zwischen denselben, findet sich wie an andern bekannten dorischen Ordnungen; weil sich aber in R o m kein ganzes dorisches Gebäude erhalten hat, so sieht man nur an jenen Tempeln die Ausnahme
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der Alten von der Symmetrie in Absicht der Triglyphen über den Säulen an den Ecken, welche nicht auf das Mittel dieser Säulen fallen, sondern * Antiqua ratio erat columnarum altitudinis tertia pars latitudinum delubri. Hist. Nat. L. XXXVI. c. $6.
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Windtelmann, Kleine Sdiriften
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Baukunst der Tempel zu Girgenti [229|230 230|231]
gegen den Eck der Frise gerücket sind, um den Eck nicht bloß zu lassen. Die Triglyphen an diesen Tempeln sind nicht auf der Frise selbst gearbeitet, sondern in dieselbe eingefuget, und an dem einen Tempel zu Pesto fehlen sie alle bis auf I einen, welche vermuthlich in barbarischen Zeiten weggenommen sind. Da die Triglyphen über den vier Ecksäulen gegen die Sdiärfe der Frise geriicket sind, so würde die Metope von ihnen etwas größer seyn als die andern; sie ist es aber dem Auge nach nidit, weil die nädisten Säulen an dem Eds enger stehen, als die in der Mitten, so daß die Intercolumnia der drey Säulen von jedem Eck an kleiner sind, als die folgenden, jedoch mit diesem Unterschiede, daß der erste Raum kleiner ist als der zweyte, und dieser kleiner als der dritte; welche Verschiedenheit aber nicht durch das Auge, sondern durch Messen gefunden wird. Die näher an einander stehenden Ecksäulen hatten, wie sidx schließen lässet, die Festigkeit des Gebäudes zum Grunde. Die fünf großen und oben rundlichen Oeffnungen statt der Fenster an der Seiten des Tempels zu Girgenti sind, wie man offenbar siehet, in spätem Zeiten durchgebrochen, und vermuthlich von den Saracenen, welche diesen Tempel gebrauchet haben, wie sich Nachricht findet: denn die viereckichten Tempel der Alten hatten insgemein kein anderes Licht, als welches durch die Thüre kam. Die Einfassung der Thüren an dem Tempel zu Girgenti ist wie an denen zu Pesto weggenommen; aber sie wird vermuthlich oben enger als unten gewesen seyn, wie Vitruvius die dorischen Thüren vorschreibet: an einem andern kleinen Tempel zu Girgenti, von den Einwohnern die Capelle des Phalaris genannt, ist die Thüre also gemacht. Der I Zeichner des P. Pancrazi hat dieselbe, ich weiß nicht aus was für einem Grunde, mit einem Baume bedecket, so daß man auf dem Kupfer (Tom. II. tab. 14.) die Form derselben nidit siehet. Diese Thüre ist von den Mönchen zugemauret, und an der Seite gegen über, wo keine Thüre war, ist eine durchgebrochen. Warum? Weil der Altar nadi einer gewissen Gegend der Welt stehen muß. Diese Art von Thüren war nicht, wie es aus dem Vitruvius scheinen konnte, der dorischen Bauart allein eigen, sondern das ganze hohe Alterthum scheinet sie vielmals also gemachet zu haben: von den Egyptern ist es gewiß; wie an den Thüren auf der isisdien Tafel und auf einigen egyptisdien geschnittenen Steinen zu sehen ist. Der Grund davon war die Festigkeit: denn die Last und der Druck des Gebäudes fällt nidit
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allein oben auf die Thüre, sondern drucket auch von beyden Seiten auf die schrägliegenden Pfosten. Die Verzierungen an dem Tempel zu Girgenti und an denen zu Pesto sind, wie überhaupt in den ältesten Zeiten, groß und einfältig. Die Alten sucheten das Große, worinn die wahre Pracht bestehet: daher springen die Glieder an diesen Tempeln mächtig hervor, und viel stärker, als zu Vitruvius Zeiten, oder wie er selbst lehret. Die den Alten ganz entgegen gesetzte A r t siehet man an denjenigen Gebäuden zu Florenz und Neapel, welche nicht lange vor Wiederherstellung der Kunst gebauet sind. Denn da man in Italien noch allezeit mehr Begriff als anderwärts von der alten Bauart gehabt hat, I so entstand aus dieser und dem Geschmacke damaliger Zeit eine Vermischung: die Gesimse und Cornischen. ließ man unmerklich hervor treten; weil man im Kleinlichen die Schönheit suchte. Die Einfalt bestehet unter andern in der wenigen Ausschweifung: daher siehet man an unsern Tempeln weder Hohlkehlen noch halbrunde Leisten, sondern alles geht nach fast geraden Linien; das einzige Glied an dem Capitäl ausgenommen, welches insgemein mit den so genannten Eyern gezieret ist, schweifet an den Tempeln zu Pesto in fast unmerklicher Runde aus und hat die E y e r nicht. In eben diesem Stil sind die ältesten Altäre und Grabsteine gearbeitet, (conf. Fabretti Inscr. c. I I I . p. 239. [n. 637.] c. X . p. 696. n. 172.) und diese Beobachtung zeiget das hohe Alterthum derselben. Unter den Trümmern der ehemaligen Stadt Agrigentum gieng des P. Pancrazi vornehmstes Suchen auf die Entdeckung des Tempels des olympischen Jupiters, welchen ihm der größte H a u f e n von Steinen und die Ueberlieferung des Namens, welcher sich unter den Einwohnern erhalten hat, anzeigete. M a n sah nichts weiter, wie er berichtet, und es w a r nicht der geringste Begriff von einem Plan oder eigentlichen Größe desselben zu machen. Alles, was man fand, w a r ein Triglyphe, als ein Zeichen von dorischer Bauart, und Höhlungen an einigen Steinen in Form eines Hufeisens, welche, nach dessen Meinung, zu bequemerer Hebung derselben könnten gedienet haben. E r giebt uns die Nach I rieht des Diodorus von diesem Tempel, und geht weiter. Mehr saget Fazellus auch nicht. Nach dem Berichte des Diodorus w a r dieser Tempel der größte in Sicilien, und konnte mit allen andern außerhalb dieser Insel an Größe verglichen werden: er giebt das Maaß v o n der Länge, Breite und H ö h e desselben, und von dem Durchmesser der Säulen.
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Baukunst der Tempel zu Girgenti [233|234] V o n diesem Tempel sieht man noch itzo den ganzen Plan des Grundes
vor aller Augen entdecket, aber ganz mit aufgethürmten Trümmern desselben umgeben, über welche der Erklärer der sicilianischen Alterthümer und dessen Gefährte nicht werden hingeschauet haben. Diese Trümmern schließen einen freyen mit Gras bewachsenen Platz ein, und dieser giebt den Plan des Tempels so deutlich zu erkennen, daß man an einigen Orten so gar nodi die Stufen sieht, die rund um den Tempel giengen: man sieht audi in einer Elle die Grundlage ausgegraben. Die Länge dieses Platzes kommt mit dem Maaße des Diodorus überein, welcher die Länge des Tempels auf 340 Fuß setzet; nach dem englischen Maaß sind es 345 Fuß; weil dieser etwas kleiner ist als der Griechische, wie ich angezeiget habe. Die Breite dieses Platzes hält 165 Fuß, welches sich mit dem Maaße des Diodorus von 60 Fuß nicht reimet. Wenn aber die Breite eines Tempels die Hälfte von dessen Länge war, und 170 die Hälfte von 340, so kommt das itzige Maaß der Breite, welche unter Trümmern so genau nicht seyn kann, dieser Verhältniß sehr nahe. Folglidi kann das Maaß der Breite I beym Diodorus von sechzig Fuß nicht richtig seyn, und es fehlet nothwendig hundert vor der Zahl Sechzig. Die geringste Erwägung des bey den Alten bestimmten Verhältnisses ihrer Tempel hätte hier Zweifel über die Richtigkeit des griechischen Textes erwecken sollen, und dennoch ist es niemanden eingefallen. Die alten Handschriften, welche ich in Rom und in Florenz, bis auf die älteste vom Diodorus in der Bibliothek des Hauses Chigi zu Rom, nachgesehen habe, stimmen mit dem gedruckten überein. Man muß sich nicht vorstellen, daß die Griechen, nach A r t einer gewissen neuerbauten reformirten Hauptkirche in Deutschland, einen Tempel würden aufgeführet haben, dessen Breite das sechste Theil seiner Länge gewesen. Die Höhe dieses Tempels, ohne die Höhe der Stufen umher zu rechnen (χωρίς τοΰ κρηπιδώματος) war hundert und zwanzig Fuß. Κρηπίδωμα ist von den Uebersetzern nicht verstanden worden: denn man hat es für die Grundlage genommen. Der neuliche französische Uebersetzer hat hier klügeln wollen und hat seine Unwissenheit verrathen. Er glaubet, es sey hier die Cornische gemeinet. Warum? Weil δώμα bey ihm auch das Oberste eines Hauses bedeuten soll; welches er aber hätte beweisen sollen. Hernach decket die Cornische nicht das Gewölbe, wie wir alle wissen, und griechische Tempel, die nicht rund waren, hatten, so viel bekannt ist, kein Gewölbe. Die Säulen waren rund von außen und viereckicht inwendig, nach den Worten des Diodorus, an welche sich die lateinische Uebersetzung
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mit eben der I Kürze hält. ECKICHT INWENDIG könnte heißen, daß diese Säulen innerhalb der Mauer eckicht gewesen: ein Stück von einer halbrunden Säule von Porphir mit der andern eckichten Hälfte derselben findet sich zu Bolsena. Idi bin aber vielmehr der Meinung, daß Diodorus habe sagen wollen; dieser Tempel habe auswärts halbrunde Säulen und von innen Pilaster gehabt. Der Umkreis dieser halbrunden Säulen war zwanzig griechische Fuß: das INNERE derselben, welches ebenfalls die Uebersetzer nicht verstanden haben, das ist, der Durdimesser der Säulen, war zwölf Fuß. Wenn der Durchmesser einer Säule dreymal genommen, den ganzen Umkreis derselben giebt, hier 36 Fuß, so wäre der halbe Umkreis derselben 18 Fuß gewesen: da es aber 20 Fuß waren, so haben die Säulen mehr als einen halben Zirkel gemachet. Aus einigen Stücken der Säulen ist auch dieses Maaß richtig befunden: denn der Durchmesser derselben gab etwas über 1 1 englische Fuß, so aus viel zerbrodienen Stücken zu bestimmen war. Der Durchmesser der acht halbrunden Säulen an der Facciata der St. Peterskirche in Rom, welches die größten Säulen in der neuern Welt sind, wird ohngefähr neun englische Fuß seyn, woraus man sich also die Größe der Säulen an dem Tempel des Jupiters vorstellen kann. Vitruvius gedenket unter so vielen Arten von Tempeln keines einzigen mit halbrunden Säulen; es findet sich audi bey andern Scribenten keine Meldung von einem solchen alten griechischen Gebäude. Von Tempeln ist der von der Fortuna Yirilis, oder I St. Maria Egizzia zu Rom, das schlechteste unter allen alten Werken, mit dergleichen Säulen, und das Theater des Marcellus und das Amphitheater des Vespasianus haben halbrunde Säulen. Diodorus giebt uns ein sinnliches Bild von der Größe der Säulen an dem Tempel des Jupiters, wenn er berichtet, daß in einem einzigen hohlen Reife (διάξυσμα) derselben, deren zwanzig an einer dorisdien Säule stehen müssen, ein Mensch stehen könne. Die Weite der Reifen an den übrigen Stücken beträgt zween römische Palmen oder Spannen und viertehalb Zoll; ein bequemes Maaß für die Breite eines Menschen. Pancrazi beklaget sich, daß er keine Spur von den Säulen dieses Tempels finden können. Die Größe gereifter Säulen aus dem Alterthum in Rom sind drey freystehende Säulen mit ihrem Gebälke, auf dem Campo Vaccino von 41 römisdien Fuß und 5 Zoll in der Höhe, und 4 Fuß 14 Zoll im Durdimesser: aber die Weite einer Reife ist noch nicht die Hälfte von jenen; denn sie ist eine starke Spanne. Die größten
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Baukunst der Tempel zu Girgenti [236|237 237|238]
Säulen an griechischen Gebäuden nebst den Agrigentinischen waren an einem Tempel zu Cyzicum, welche vier Όργυιαί oder Klafter (eine Όργυιά auf sechs griechische Fuß gerechnet) im Umkreise hielten; und diese Säulen sollen aus einem Stücke gewesen seyn. (Strab. L. X I V . p. 94i.) Die Säulen des Tempels zu Agrigentum aber waren nicht aus ganzen Blöcken gemachet, sondern aus ungleichen, und nach dem Verhältniß des Ganzen, kleinen Stücken zusammen gesetzet, und dieses I ist die Ursadie, daß die Ueberbleibsel davon nicht bey dem ersten Blicke in die Augen fallen. Das Gebälke auf den Säulen bestand aus drey ungeheuren Blödken Stein, einer über dem andern geleget, welche ein Ganzes macheten. Die Architrave und die Frise waren wie an dem vorher beschriebenen Tempel von gleicher Höhe, und ein jedes von diesen zwey Gliedern 10 englische Fuß hoch: die Cornische, von welcher sich nichts erhalten hat, würde etwa 8 Fuß in der Höhe gehabt haben. Die Triglyphen waren, wie ich vorher angemerket habe, auch hier in die Frise eingefuget und aus einem Stücke io Fuß hoch: es haben sich ein paar derselben unter den Trümmern erhalten. Ein einziges Capital ist ganz geblieben und aus einem Stücke, welches zu messen man eine Leiter ansetzen mußte. Diese angegebene Maaße können mit der Höhe des Tempels, beym Diodorus, übereinstimmend seyn, und der Durchmesser der Säulen, nebst dem angezeigten Maaß des Gebälks verglichen mit der Höhe von 120 Fuß, der Höhe des Tempels, führet uns zur Bestimmung der Höhe der Säulen. Diese können weder so niedrig, als an dem Tempel der Concordia und denen zu Pesto gewesen seyn, noch auch die Höhe der dorischen Säulen beym Vitruvius, das ist, sieben Durchmesser gehabt haben. Denn um angezeigte Maaße mit der Höhe des Tempels zu vergleichen, kann man den Säulen nicht mehr und nicht weniger als sechs Durchmesser geben. Der Durchmesser der Säulen war, nach dem Diodorus, zwölf Fuß, und sechsmal zwölf madien zwey und [ siebenzig. Die Architrave und die Frise hatten zwanzig englische Fuß und die Cornische etwa acht. Die Höhe der Säulen und das Gebälk zusammen würden also an hundert Fuß machen. Die übrigen zwanzig Fuß an der ganzen Höhe bis zur Spitze des Frontispiz geredinet, bleiben also für dasselbe. Denn die Frontispize oder Gipfel des Portals waren in den ältesten Zeiten niedrig, wie der andere Tempel zu Girgenti, und der eine zu Pesto, an welchem er sich erhalten hat, zeigen. Hieraus würde folgen, daß man stufenweise von der Bestimmung der
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Höhe der Säulen nach der Breite der Tempel, wie oben angezeiget worden, auf sechs Durchmesser und endlich auf sieben gegangen sey. Sechs Durchmesser für dorische Säulen scheinet also in den blühendesten Zeiten der Griechen das Verhältniß derselben gewesen zu seyn. Denn in der 93 Olympias kamen die Carthaginenser zum zweytenmal nach Sicilien, und Agrigentum ward von ihnen zerstöret; durch diesen Krieg, saget Diodorus, sey die Ausführung des Tempels unterblieben. Da ich also glaube wahrscheinlich dargethan zu haben, daß die Säulen dieses Tempels weder unter noch über sechs Durchmesser können gehabt haben; so kann also audi der Tempel des Theseus zu Athen, welcher älter ist, und kurz nadi der Schlacht bey Marathon gebauet worden, keine Säulen, nur den Schaft derselben allein gerechnet, von sieben Durchmessern haben, welche Pococke diesen und allen andern dorischen Gebäuden zu Athen giebt. I Der Tempel, von welchem wir reden, muß Hexastylos gewesen seyn, das ist, sechs Säulen vorne gehabt haben. Denn sechs Säulen von zwölf Fuß im Durchmesser machen schon 72 Fuß, und fünf Intercolumnia, jedes zu drey Moduli oder zu anderthalb Durdhmesser der Säule geredinet, machen neunzig Fuß, und zusammen 162, welches mit der Breite von 160 Fuß bis auf zween Fuß übereinkommt. Von der Mechanic bey Erbauung dieses Tempels finden sidi noch die Spuren an einigen großen Steinen des Gebälks. Diese Spuren sind gewisse Aushohlungen in Form eines Hufeisens, wie ich erwähnet habe, an den beyden schmalen Enden der Steine. In diese Aushöhlung wurde ein Stride
oder Kette gespannet, und beym Aufziehen dieser großen Lasten von beyden Seiten oben zusammen genommen. Durch solches Mittel nickete man diese Steine dicht an einander ohne alle Hebezeuge, und wenn die Steine neben einander lagen, zog man den Strick heraus, und der Anfang des Einsdinitts, welcher oben offen war, wurde alsdenn mit Holz verschlagen, damit keine Feuditigkeit hinein dringen konnte. Es hat sich noch etwas Holz in einem dieser Einschnitte der Aushohlungen über zwey tausend Jahre bis itzo frisch I und fest erhalten. Unter den Zeichnungen von alten Gebäuden des berühmten Baumeisters Sam. Gallo in der barberini-
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sehen Bibliothek sehe ich unter den Ruinen des Tempels der Venus zu Epidaurus in Griechenland, an den Enden der Steine einen ähnlichen Einschnitt, aber eckicht. Dieser Weg große Lasten Steine zu heben, und unmittelbar im Aufziehen audi an ihren Ort zu setzen, ist sehr vorzüglich vor der Anweisung des Vitruvius (L. X. c. j.); und die Säcke mit Sand beym Plinius, nach Poleni Auslegung (Diss, sopra al tempio di Diana d'Efeso §. XIX.) scheinen dagegen lächerlich. Man sieht hier, wie ungekünstelt der Alten ihr Weg zu wirken war, und die neuere Welt scheint in der Mechanic mit aller Künsteley und Ausrechnung der bewegenden Kräfte die Alten nicht erreichet zu haben. Man erwäge die ungeheuren Obelisken: die ganze Welt ist voll von den Anstalten, die Fontana unter dem Pabst Sixtus V. machete, einen Obeliskus aufzurichten, und bey den Alten findet sich kein Wort von ihrer Aufrichtung. Wie vorzüglich der natürlichste und leichteste Weg in der Mechanic vor allem gelehrten Trieb- und Radewerke ist, wo es die Natur der Sachen nicht erfordert, hat Zabaglia in Rom zu unseren Zeiten gezeiget, ein Mensch ohne allen Unterricht, welcher weder lesen noch schreiben konnte. Aus sich selbst und aus einem Geiste ursprünglicher Erfindung hat er Werkzeuge an das Licht gebracht, die nichts bedeutend scheinen, und durch ihre Wirkung erstaunen madien, und hat Dinge ausgeführet, die vor anderer Baumeister Augen verborgen waren. I Da nun der Tempel des Jupiters, von welchem wir reden, nicht geendiget wurde; so geschähe es mit der Zeit, daß man ganz nahe an dem Tempel hinan Häuser bauete, und endlich wurde der Tempel ganz von andern Gebäuden umgeben: dieses ist der Verstand der Worte des Diodorus, die, wie es mir scheint, von niemanden verstanden sind. Των άλλων ή μέχρι τοίχων τους νεώς οίκοδομούντων, ή κυκλώσι τους οίκους περιλαμβανόντων. Die lateinische Uebersetzung des ersten Comma ist: Cum alii ad parietes usque templa educant. Man lese an statt τους νεώς, τού νεώ, und übersetze es: Cum alii ad parietes usque templi aedificiis fabricandis accederent. Im zweyten Comma lesen Henr. Stephanus und Rhodomann, an statt Κυκλώσι, in circuitu, κίοσι, columnis. Weßeling suchet beyde Wörter zu behalten, und meinet, man müsse κυκλψ κίοσι, oder κυκλώσι κιόνων lesen. Ich bleibe hier bey dem gedruckten Text, und der sprachkundige Leser wird ohne akademische Weitläuftigkeit hier einsehen, ob diese Gelehrte den Text verstanden haben, und welche Erklärung vorzuziehen ist. Der französische Uebersetzer springet wie ein leichter Tänzer über diese Stelle hin.
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Diese kurze Abhandlung kann auf die nachlässige Untersuchung der übriggebliebnen Gebäude in Griechenland selbst zu schließen Anlaß geben. Ein Tempel ζ. E. wie der zu Sunium, dem attischen Vorgebürge, auf 17 ganzen Säulen, verdienet mehr Auf I merksamkeit, als man in des Fourmont Bericht von seiner Reise in Griechenland findet. (Mem. de l'Acad. des Inscr. Τ. VII. p. 344. ed. Par. 4.) Es kömmt alles darauf an, mit was für einem Auge man die Sachen ansieht: Spon und die gelehrtesten Reisenden haben vornehmlich Inschriften und alte Bücher gesudiet; Cluver und Holstein gedachten auf die alte Geographie, und andre haben andere Endzwecke gehabt: um die Kunst hat man sich unbekümmert gelassen. Von den alten Werken der Baukunst in und um Rom ist ebenfalls noch viel übrig zu sagen: Desgodez hat gemessen; ein anderer muß durch allgemeine Anmerkungen und durch Regeln lehren. 'Αλλά τι τοΐσδ' έπικειμ', ώσεί μεγα χρήμα τι πράσσων. Empedocl. Agrigentini. ex Laertio. Rom.
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Unterricht für die Deutschen von Rom. Entwurf Mein Freund. Ich übersdiicke Ihnen einige Betrachtungen die denenjenigen welche (Rom sehen können) die Reise nach Rom thun wollen nützlich seyn könten. Man ist in Deutschland so wohl als in anderen Ländern nicht genug unterrichtet von dem was diese Stadt (allen) denen die sie kennen, sdiätzbar machet: denn die Nachrichten der Reisenden, die sich über 3 Monat nicht in Rom aufhalten ist zu sehr mangelhaft und unzuverläßig; und gebohrne Römer in Deutschland oder anderwerts sind entweder nicht in den Jahren oder Umständen gewesen ihr Vaterland recht kennen zu lernen; (oder) sie würden auch wenn sie sich nicht von Rom entfernet hätten zu der Kentniß alles deßen, was ein Reisender suchen soll nicht gelanget seyn; theils weil wir gegen das was uns beständig vor Augen ist, gleich gültig werden, theils weil viel Wißenschaft dazu gehöret. Aus diesem letzten Grunde wäre es überhaupt schlecht angewandt einen Unterricht (, Rom recht) zu schreiben, Rom recht nützlich zu sehen: denn zu dieser Absicht gehöret eine Vorbereitung von vielen Jahren, ein langer Aufenthalt an diesem Ort, alle Bequemlichkeit zu untersuchen und zu studiren, der Umgang mit den besten und grösten Leuten in Rom und ein unermüdeter Fleiß. Mein gutes Glück hat mir alle diese Vortheile genießen laßen, und idi könte Nachrichten geben die wichtiger sind als aus dem Keyßler. Verzeihen Sie mir mein ungeneigtes Urtheil von den Reisen dieses geschätzten Mannes. £s ist das beste Buch in seiner Art was wir und andere Nationen haben: aber was es von Rom schreibet hatte er (auch) zum theil in Hannover oder in Gartau wißen können, denn er hat die elendesten Bücher als den irrenden Mercurius ausgeschrieben: das übrige ist aus dem Munde des Antiquarii gefloßen, welches Leute sind, die nicht viel wißen noch recht wißen können. Ich rede von diesem Buche, weil es unsere Reisende mit sich führen und in Rom lesen.
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Erlauben Sie mir aber daß ich so wahr schreibe, als ich gedencke: denn idi (habe mich in Rom) bin gewohnt worden in Rom die Wahrheit so ungesdieut zu sagen, daß ich sie gegen keinen Cardinal zurückhalten würde. Man redet hier außer der Religion, audi von dem Pabst so übel man will, man mag Recht haben oder nicht: es (darf einen) kan mich niemand kränken. Sie müssen audi keine sehr strenge Ordnung von mir fordern: es ist ein Brief und kein Budi. Rom ist ein Ort welcher anfänglich nicht gefällt (bricht ab)
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Sendschreiben an Herrn Lippert Zeichenmeister der Cadets Sr. Königl. Maj. in Pohlen. Entwurf Mein Freund! Da Eudi endlidi meine Beschreibung der tiefgeschnittenen Steine des Stoßischen Musei zu Händen gekommen ist, so, glaube ich, werdet Ihr aus dieser Arbeit selbst urtheilen können, ob es wahr sey, was Herr Natter, berühmter Steinschneider, welcher itzo in Holland ist, allenthalben vorgiebt, daß wenigstens die Hälfte der beschriebenen geschnittenen Steine neu und größtentheils von ihm selbst gearbeitet sey. Ich glaube mich hierüber gegen Eudi, und durch Euch gegen andere rechtfertigen zu können; und da Herr Natter bereits vor zwey Jahren, nachdem meine Beschreibung in Engeland bekant worden, wo er sich damahls aufhielt, wider mich zu schreiben unternehmen wollen, welches, so viel ich weiß noch nicht geschehen, so könte ihm vielleicht eine nähere Gelegenheit dazu gegeben werden. Das Vorgeben dieses berühmten Künstlers ist so wohl dem rühmlichen Andenken des Herrn von Stosch, als mir vornemlich nachtheilig: denn es beschuldiget (jenen so wohl als mich) beyde einer Betriegerey, und midi insbesondere der Unwißenheit. Was den ehemaligen Sammler und Besitzer dieser geschnittenen Steine betritt, so kan ich über diese Beschuldigung viel hundert Personen von hohen Stande und von Erfahrung, die ihn genau gekannt haben, zu Zeugen rufen. Irren hätte er sich können, da er dreyßig Jahr von Rom abwesend gewesen und beständig in Florenz gelebet, welches nicht der Ort zu einer weitläuftigen Kentniß in dieser Art ist; aber (alle) die mehresten Steine womit er sein Museum in Florenz vermehret hat, sind entweder von Sr. Eminenz dem Herrn Card. Alexander Albani besorget worden, oder doch durdi deßen Hände gegangen. Dieses wird Herrn Natter so wohl als mir und anderen bekant seyn, und was will derselbe sagen, wenn ich mit (einem solchen) dem Namen eines solchen Mannes auftrete, welcher von Kindesbeinen an bis
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itzo in sein siebenzigstes Jahr die Untersuchung der Alterthümer eine seiner vornemsten Beschäftigungen [hat] seyn laßen, und welcher aller Lehrer hierinn seyn kan. Unglaublich aber scheinet mir nicht, daß Herr von Stosch /Steine/ von Herrn Natter Copien alter Steine [hat] machen laßen, und wenn dieselbe gerathen, es einigen jungen Anfängern in der Liebhaberey dieser Art zweydeutig gelaßen, ob es alte oder neue Arbeiten seyn: denn einige Reisende von jenseit der Alpen, die als Kenner in Italien ehe sie gelernet, erscheinen wollen, bleiben nicht unbillig ihrer Kentniß überlaßen. Es ist mir aber nichts dergleichen bekant, und würde allezeit eher zu (entschuldigen) verzeihen seyn als die Namen Griechischer Künstler, welche noch itzo lebende Künstler auf ihre eigene, oder auf andere geschnittene Steine gesetzet haben. Ich versichere indeßen Herrn Natter daß ich nicht würde unangezeiget gelaßen haben, wo sich Steine von seiner Arbeit unter den alten Steinen dieses Musei gefunden hätten, den Namen des Künstlers anzugeben welches ich denen die mich kennen nicht nöthig habe zu betheuren, so wie es mit allen deßen Steinen theils nach Alten gestochen, theils mit seine eigene Portraits, unter den neuern Steinen, zu Ende der Beschreibung geschehen ist. Unter den alten Steinen sind ein paar neue; der eine ist von Barnabi, einem noch lebenden Künstler in Florenz (gestochen) nach einen ungemein schönen aber beschädigten Cameo gestochen, welcher den Achilles vorstellet dem Antilochus der Sohn des Nestors die Nachricht von dem Tode des Patroclus bringet. Diese seltene Vorstellung aber war zur vollständigen Folge der Geschichte des Trojanischen Krieges fast unentbehrlich; der N a m e des Künstlers aber ist getreulich angekündiget.
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Sendschreiben Von der Reise eines Gelehrten nach Italien und insbesondere nach Rom an Herrn M. Franken. Entwurf Diejenigen Reisende von jenseit der Gebürge die zu meiner Zeit (nach) in Gelehrten Absichten nach Rom gekommen hatten entweder die Fähigkeit nicht, oder nicht den rechten Entzweck. Von der ersten Art war ein junger Däne, welcher aus Frankreidi hierher kam die ProceßOrdnung I: was deucht Sie :l zu lernen, mit ausdrücklicher Erklärung seiner Unachtsamkeit auf das Alterthum. Dieser kam nadi einem SechsMonatlichen verworrenen und verirreten Aufenthalt einen Tag vor seiner Abreise zu mir, und verlangete die Namen der geachtesten hiesigen Gelehrten zu wißen, die ich ihm schriftlich gab, und mit diesen Namen, ohne weitere Nachricht von den Personen, gieng er aus Rom ab. Von der zweyten Art würde ein Deutscher Professor seyn, welcher von nichts als von einer neuen Ausgabe des Horatius mit allen möglichen Varianten redete. Hätte dieser das Glück nadi Italien zu gehen, so würde dieses seine einzige Beschäftigung seyn müßen, und er würde glauben den Begrif der besten Welt durch seine Arbeit zu erhöhen. Von gleichem Schlage habe ich Reisende in Rom gekannt, und diese, nicht jene, sind zu belehren. Der Mißverstand der Reisen dieser jungen Gelehrten hat zwo Ursachen: erstlich weil Sie mehr zum Lehren als zum Lernen kommen, und zweytens, weil Sie nicht unterscheiden, was der Nachwelt würdig ist oder nicht. Jenes muß man schließen aus dem was sie suchen, welches Arbeit ist, nicht Unterricht, und wenn sie es finden, muß folglidi alle ihre Zeit hierauf verwendet werden. Denn man ziehet eine Erscheinung in der Welt mit einer gedruckten Schrift den seltenen Nachrichten vor, die man von vielen Personen, ohne Kosten und Mühe sammlen kann: Man gehet mit vollgeschriebenen Stößen, aber mit leerem Verstände zurück. Die zweyte Ursach offenbaret sich in Ihrer Beschäftigung, welche vielmahls
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kaum das Schreiber-Lohn verdienet. Glauben Sie nicht, daß ich nur von den erst angehenden Gelehrten und von jungen Schößlingen rede; ich kan die Arbeit des berühmten Phil. d'Orville hier zum Beyspiel anführen. Dieser Mann gieng zwey bis drey Jahre hindurch alle Morgen nach der Vaticana welches von der Gegend wo er wohnete, drey Viertel Stunden hin und eben so viel zurück ist, und er arbeitete in dieser Zeit vomemlich an der Griechischen Anthologie, nach der alten Handschrift aus der Heidelbergischen Bibliothec. Dieser Gelehrte wurde vom Tode übereilet in seinem Anschlage einer neuen Auflage der Anthologie; und der Nutzen aus dieser beschwerlichen Arbeit sind nicht zehen Sinnschriften in seinen Erklärungen des Charitons. Denn was außerdem in den gedruckten Anthologien ist, sind unsaubere Zoten, die in ewiger Vergeßenheit hätten bleiben sollen; Ruhnken aber, welcher dieselbe von d'Orville erhalten [,] hat sich mit Bekantmachung einiger derselben und vielleicht der häßlichsten wollen verdient machen. Das brauchbarste von vorher ungedruckten Sinnschriften war bereits von Lucas Holstein in seinen Noten über den Stephanus (und) von Ludolf Küster in deßen Suidas und Aristophanes und von anderen angebracht. Idi kann davon mit Sicherheit reden, weil ich die alte Heidelbergische Handschrift lange unter Händen gehabt habe. Die Absicht aller Gelehrten Untersuchungen und Bemühungen solte seyn der allgemeine und besondere Unterricht, und wo diese [r] nicht zu erhalten ist, ziehe die Hand ab vom Werke und opfere es der Latona; denn es ist der Nachwelt nicht würdig. Nach diesem Grundsatz aber, wird man sagen, könnte ein junger Reisender Gelehrte schwerlich mit etwas hervortreten was er in Bibliotheken gesammlet; und dieses gestehe ich zu und wäre ihm beßer. Die Kentniß der (Menschen) Gelehrten und der besten und seltensten Schriften erfordert in Rom eine lange Zeit, von welcher der Eitelkeit nichts hinzuwerfen ist. Gelehrte sind in anderen Ländern diejenigen welche auf dem LehrStuhle oder in Schriften lehren und zu lehren vermeinen; in Rom sind Gelehrte, welche keins von beyden thun. Denn hier entscheidet der Hof, welcher mehr als andere Höfe auf Gelehrsamkeit bestehet, über das Verdienst in derselben, und ein Cardinal, wie Passionei war, giebt hier den Ton. Bey Fürsten sind insgemein Gelehrte und Pedanten Synonyma, welche beyde einerley Geruch an Weltlichen Höfen geben. Man kann folglich in Rom zu einer Achtung seines Wißens kommen, ohne ein öfentlicher Scribent zu seyn, und wer es hier ist, wird es auch an anderen Orten in Italien, weil Rom der Mittelpunct ist, werden können und seyn.
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Viele die weise sind, begnügen sich mit dieser Achtung, und da die wenigsten sich in einer fremden Sprache fertig ausdrücken können, so ist ihre Bekantschaft nicht für flüchtige Reisende, und diese nicht für jene. Sie genießen die Freundschaft und Vertraulichkeit der Großen, und einige stunden gleichsam in einer Brüderschaft mit gedachten Cardinal Paßionei, von welcher auch ich ein un(7Jwürdiges Mitglied war, und man genoß auf seinem Eremo, oberhalb Frascati, das Landleben mit eben der völligen Freyheit, die man sich wo man auf eigene Kosten lustig seyn will, nur irgend zu nehmen gewohnt ist: zu Abend speisete man mit Sr. Eminenz im völligen Nachtzeuge [.] Der Weg zum Leben und Unterhalt eines Gelehrten ist ebenfalls wie der zu Achtung verschieden von demjenigen wo man jenes sonderlich in Protestantischen Ländern suchen muß. Denn hier muß es bey den mehresten die Lunge verdienen, und in Rom giebt es die Kirche dem der es zu suchen weiß. D a nun diese den ehelosen Stand befiehlet und das Clima selbst die Mäßigkeit lehret, so ist das was anderwerts kaum nothdürftig wäre hier hinreichend, zumahl da die Menge der öfentlichen Büchersäle und der stündliche Eintritt zu einigen derselben einem Gelehrten die größten Kosten erleichtert. Viele von den hiesigen Gelehrten leben also in der Stille, genießen sich selbst und die Musen; sind also wahre Philosophen, ohne es zu scheinen. Man kan also von der Menge der Schriften die jenseit der Gebürge jährlich ans Licht treten, und von den wenigen die in Rom gedruckt werden keinen Schluß auf die größere oder geringere Übung in den Wissenschaften machen. So wie in Deutschland außer den berühmtesten neuern Welschen Dichtern, Ariosto, Tasso, Marino, wenige andere bekant sind, eben so verhält es sich in gewißer Maße mit den Gelehrten. Aber so wie kaum der Name des grösten Lyrischen Dichters Alex. Guidi jenseit der Gebürge gehöret worden, so würde man daselbst audi vom Gravina nichts wißen, wenn er nichts anders als seine Ragion poetica in Welscher Sprache geschrieben hätte, welches Buch in alle Sprache übersetzt zu seyn verdienete. Der junge Reisende aber lernet diese Werke hier so wenig wie anderwerts kennen, sondern (er lieset) an statt hier das unvergleichliche Pastorale, den Endymion (gedachten) gemeldeten Dichters zu lesen, lieset er den Roman des Roußeau. Aus demjenigen was ich gesagt habe, werden Sie von selbst geschloßen haben, daß die Pedanterie unter den Gelehrten in Rom seltener als anderwerts seyn müße. Diese hangt vielen an an Orten, wo sie niemand über sich sehen, und wo sie von einer unerfahrnen Menge bewundert werden, wie auf den Universitäten jenseit der Gebürge, und welcher es nicht ist,
Sendschreiben an Herrn Franken
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scheinet es zuweilen. Denn das Leben an Orten welche von Höfen entfernet und ohne große Veränderung sind, in einem Umgang nur mit seines gleichen oder mit jungen Leuten, in beständiger Arbeit und in Sorgen der Nahrung, schrenckt den Geist ein, und die Verhältniße in welche man stehet, erlauben nidit fröhlich nach Art der Jugend zu seyn. Daher verhüllet sich das Gesicht vor der Zeit in Ernsthaftigkeit, die Stirn leget sich in Runzeln und die Sprache selbst wird Sentenzenmäßig. In Rom hingegen und überhaupt in Italien scheinet der Einfluß des Himmels, welcher Frölichkeit wirket, wider die Pedanterie zu verwahren.
13 Win&elmann, Kleine SAriften
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Sendschreiben Von der Reise nach Italien. Entwurf Sogliono conoscere gli Asini la coda quando non l'hanno. Es ist mit Reisen, wie mit Heyrathen; es sind Gründe zum früh und zum spät Heyrathen wie zur Reise in der Jugend und in mehreren Jahren, es (pflegt) unterbleibt aber auch das Reisen in fremde Länder wie das Heyrathen, wenn es beydes nicht in der Jugend geschiehet; es ist nur dieser Unterschied, daß uns das Heyrathen in beyden Fällen gereuen kan, aber nur das Reisen in der Jugend nicht in reiferen Jahren. Ich bin aber nicht gesonnen einen Anhang zu (einem) dem wider Verdienst geschätzten Buche des Baudelot von der Nützlichkeit der Reisen zu machen, ich will nur von der Reise in dasjenige Land reden, welches ich kenne. Die mehresten haben keinen eigentlichen Entzweck und fangen in Rom an wie einer der sich an einer mit unzählbaren Speisen überladenen Tafel setzet, von allen eßen wolte und durch den Anblick der Menge selbst gleichsam einen Eckel bekomt. Das Exempel von K. zum Campidoglio geführt. Es ist nur ein einziger Weg welcher zum Guten führet, aber viele führen zum Bösen, und jener ist nicht allezeit leicht zu finden. Man besuche Gesellschaften wo nichts zu sehen ist. Die Mahler sehen die Sachen auf eine Art und dennoch mahlen sie dieselbe verschieden einer vor dem andern. Um als ein großer Prinz zu erscheinen, sagte jemand, braucht man nur ein mittelmäßiger Mensch zu seyn. In tutti i corpi la forza attrattiva έ tanto piu grande quanto il corpo έ piu piccolo. Die Reise nach Italien gleichet einer Aussicht auf eine weite und große Ebene etc.
Sendschreiben von der Reise nadi Italien
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Die mehresten bemerken nur mit Augen und mit Händen und wenig mit der Vernunft.
s
Einige bemerken in dieser großen Landschaft einen Rauch oder Staub welcher aufsteigt, oder einen Eseltreiber mit seinem Thiere eher als ein schönes Landhaus (bricht ab)
um
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Vorbericht zu den
Anmerkungen über die Baukunst der Alten. IDI
bin dem
PUBLICO
eine Erklärung schuldig über die
GESCHICHTE
DER K U N S T , UND SONDERLICH DER BILDHAUEREY DER ALTEN V Ö L K E R , V O R -
deren Ankündigung ich vor ein paar Jahren veranlasset habe. Ich hätte damals mit derselben hervortreten können, es wird aber mir und dem Leser nützlicher seyn, daß es nicht geschehen ist. Denn da ich die BESCHREIBUNG DER TIEFGESCHNITTENEN S T E I N E DES STOSSISCHEN M U S E I ZU Florenz, übernahm, mußte ich mich von neuem in viele Untersuchungen einlassen, die ich vorher nicht mit gleicher Aufmerksamkeit gemachet hatte. Dieses in französischer Sprache verfassete Werk ist zu Florenz gedruckt, die Vorrede aber und das Register zu Rom, und es ist ohne diese beyde Stücke an sechshundert Seiten in Quart stark. Da ich nun nach Vollendung dieser Arbeit meine Geschichte von neuem übersähe, fand ich dieselbe mangelhaft, theils an nothwendigen Sachen, theils an gewissen Beweisen, I und in dieser Ueberlegung entschloß ich mich, die ganze Schrift in ein anderes Systema zu bringen. Ich habe mehr Zeichnungen zu nöthigen Kupfern machen lassen, welche nach und nach gestochen werden; und dieses sind die Ursachen der Verzögerung. Gegenwärtige ANMERKUNGEN ÜBER DIE BAUKUNST DER A L T E N sind unter den Untersudiungen erwachsen, welche ich in mehr als fünf Jahren, die ich in Rom und in anderen Städten von Italien lebe, über alles, was die Künste betrifft, gemacht habe, und ich habe dazu alle erforderliche Hülfsmittel gehabt, sonderlich in dem vertrauten Umgange, dessen mich Se. Eminenz, der Herr Cardinal Alexander Albani, der größte Kenner der Alterthümer, würdiget. Ueber das, was ich hier von der Baukunst geschrieben habe, kann ein Gelehrter, welcher die Alterthümer aufmerksam untersuchet, und die erforderlichen Kenntnisse dazu hat, eben so gründlich, als ein Baumeister, reden; und hier kann gelten, was * Aristoteles von den Spartanern NEHMLICH DER G R I E C H E N ,
* Polit. L. 8. c.
1.23. ed. Wediel. 1 $77.4.
[//|///
saget:
III\IV]
Anmerkungen über die Baukunst. Vorbericht
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„ S I E HABEN DIE M U S I K NICHT GELERNET, ABER SIE WISSEN RICHTIG
ich verstehe hier ein zunftmäßiges Lernen. Es erfordert audi das Studium der Alterthümer eine hinlängliche Kenntniß und Untersudiung in der Baukunst, so, wie es die übrigen beyden Künste, die Mahlerey und Bildhauerey verlangen, und die Betraditung der alten Gebäude erwecket ein Verlangen, dieselbe genauer zu kennen.
VON DERSELBEN ZU URTHEILEN:"
Man muß sich wundern, daß viele Denkmaale der Baukunst denenjenigen, welche dieselbe hätten berühren und beschreiben sollen, gar keine Aufmerksamkeit erwecket haben, wie es mit den übrig gebliebenen Gebäuden der Stadt Posidonia oder Pe I stum, itzo Piesti oder auch Pesto, am Salernitanischen Meerbusen, die ich in den Anmerkungen verschiedene mal angeführet habe, ergangen ist. Cluverius ist die Gegend von Pesto, so wie ganz Italien, durchreiset; und er hat alles umständlich beschrieben, aber er gedenket nur mit einem einzigen Worte der Trümmer dieser Stadt. Eben so wenig Nachricht findet sich bey anderen Scribenten des Königreichs Neapel von den Ueberbleibseln dieser Stadt. Einige Engländer giengen vor etwa zehn Jahren zuerst dahin, und von der Zeit hat man angefangen davon zu reden. Vor etwa vier Jahren hat der Herr Graf Gazoles, aus Parma, Commendant der Artiglerie des Königs von Sicilien, die Pestischen Gebäude genau aufnehmen und zeichnen lassen, und sie werden itzo in Kupfer gestochen. Vor ein paar Jahren trat der Baron Antonini (ein Mann von achtzig Jahren, und Bruder des Verfassers von dem beliebten Italienischen und Französischen Wörterbuche, zu Paris in zween Bänden in Quart gedruckt) mit einer Beschreibung von Lucanien, zu Neapel gedruckt, an das Licht, und er nahm sich vor, die Ueberbleibsel der Stadt Pesto, welche zu gedachter Landschaft gehöret, zu beschreiben. Er war mehr als einmal an dem Orte selbst gewesen, wie er mich mündlich versicherte, da er nicht weit davon Ländereyen besitzt: aber dessen Nachricht war so sehr unrichtig, daß die Blätter, welche dieselbe enthielten, umgedruckt werden mußten, und der Herr Marchese Galiani zu Neapel, entwarf dem Verfasser, was dieser von Pesto zu sagen hatte. Gleichwohl aber ist ein großer Irrthum stehen blieben: denn man giebt vor, die Stadt sey in die Runde gebauet gewesen, und es ist das Gegentheil; die Ringmauer ist ein völliges Viereck. Man halte dasjenige, was in dieser Schrift, und I nur hier allein, von den Gebäuden zu Pesto gesaget wird, mit der Nachricht zusammen, die ich dem Leser mittheilen will, so wird sich zeigen, wie mangelhaft und unvollständig jene sey.
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Anmerkungen über die Baukunst. Vorbericht [/V|F]
Von der Stadt Pesto, weldie etwa anderthalb Italienische Meilen von dem Gestade des Meers entfernet ist, hat sidi die ganze Ringmauer mit ihren vier Thoren, ins Gevierte gezogen, erhalten, und diese ist aus ungemein großen Steinen, welche viereckigt oder länglicht gehauen sind, ohne Mörtel zusammen gesetzet, so daß die äußere Seite derselben in sedis Flächen, nach Art der Diamanten, gehauen ist: auf der Mauer stehen in gewisser Weite von einander runde Thürme. Innerhalb der Mauern und in der Mitte der ehemaligen Stadt stehen zween Tempel, und ein drittes öffentliches Gebäude, welches entweder eine Basilica, oder eine Palästra oder Gymnasium gewesen ist. Dieses sind ohne Zweifel die ältesten Griechischen Gebäude, und nebst dem Tempel zu Girgenti in Sicilien, und dem Pantheon zu Rom, ist kein anderes Werk der Baukunst, welches sich so völlig erhalten hat: denn der eine Tempel hat vorne und hinten sein völliges Frontispicium, und auf dem andern ist das mehreste von demselben geblieben. Die zween Tempel sind, so wie das dritte Gebäude, AMPHIPROSTYLI, das ist, sie haben einen freyen Säulengang rings umher, und vorne und hinten eine freye Halle. Der größte Tempel, und welcher weniger gelitten, hat sechs Säulen vorne und hinten, und vierzehen auf der Seite, die Ecksäulen zweymal mit gezählet. Der kleinere Tempel hat vorne und hinten, wie jener, sedis Säulen, und dreyzehn auf der Seite. Die Zellen dieser Tempel, oder das Innere derselben, war mit einer Mauer, wie gewöhnlich, eingeschlossen, und die in dem größeren Tempel hat I vorne und hinten wiederum ihre besondere Halle von zwo Säulen am Eingange und die Eckpilaster, und zwo Reihen Säulen waren auch innerhalb der Zelle, eine jede von sieben Säulen, von welchen nodi viele stehen. Die Zelle des andern Tempels hat nur vorne ihre besondere Halle, von eben so viel Säulen, und innerhalb der Zelle gegen das Ende ist eine große viereckigte längliche Erhöhung, welches etwa ein Altar gewesen ist. Der grössere Tempel hat über die untern Säulen innerhalb der Zelle, noch eine obere Ordnung kleinerer Säulen, welche sich auch großen Theils erhalten hat. Alle Säulen sind dorisch und gereift, und haben nicht fünf Durchmesser, wie ich in den Anmerkungen selbst angezeiget habe. Sie sind außerdem ohne Base, und die um den größeren Tempel haben gegen das Capital zu zween Ringe umher (Collarini), dergestalt ein Theil der Reifen einige Finger breit über dieselbe bis an das Capitäl hinausgehen. Die Zellen sind drey Stufen hoch erhaben und so viel höher, als der äußere Säulengang der Tempel, und diese Stufen, sind wie diejenigen, weldie um den Tempel herum gehen, von einer ungewöhnlichen Höhe,
[V|V/ V7|V//] Anmerkungen über die Baukunst. Vorbericht
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wie ich umständlicher in den Anmerkungen anzeige. Auf diesen Stufen geht man in die Zellen, und die Hallen derselben, welche in die Länge zwo Säulen und die Pilaster haben, wie gesaget ist, sind jedesmal von drey Säulen in der Tiefe: Die Hallen vor der Zelle des größeren Tempels haben zwey und vierzig und einen halben Palm in der Länge, und in der Breite vier und zwanzig Palme. An dem kleineren Tempel ist als etwas besonderes zu merken, daß in der Halle vor dessen Zelle die dritte Säule, in der Tiefe oder Breite, wie man es nennen will, auf beyden Seiten auf der dritten Stufe, welche zur Zelle führen, steht; und diese zwo Säulen haben unten ihren runden Bund und I auch ihre Base (Plinto), welche aber rund ist. Folglich finden sich schon in den ältesten Zeiten dorische Säulen mit der Base, welches vorher niemand bekannt gewesen ist. Die I N T E R C O L U M N I A der Tempel haben nicht völlig anderthalb Durchmesser der Säulen, wie Vitruvius lehret: denn der Durchmesser der Säulen an dem größeren Tempel hat sieben und fünf Achtel Palme, und die I N T E R C O L U M N I A haben acht volle Palme, und es ist etwas besonderes, daß die I N T E R C O L U M N I A des äußeren Säulenganges um den Tempel herum, eine viereckigte Vertiefung, oder ein vertieftes Feld einen Finger breit tief ausgehauen haben, welches Feld den ganzen Zwischenraum des Fusses der Säulen füllet. Die Säulen innerhalb der Zelle dieses Tempels sind von fünf und einem Drittheil Palm im Durchmesser. Die Länge des größeren Tempels ist dreyhundert und sechs und achtzig Palme; die Breite sechs und neunzig. Die Breite der Zelle ist zwey und vierzig und einen halben Palm. Die Länge des kleineren Tempels ist von sechs und siebenzig Palme, und die Breite fünf und fünfzig. Die Breite der Zelle desselben ist acht und zwanzig Palme. Das dritte Gebäude hat neun Säulen vorne und hinten, und aditzehen auf der Seite; die Ecksäulen zweymal gezählet, und alle diese Säulen haben unter dem Capitäl einen überaus künstlich gearbeiteten schmalen in einander geschränkten Zierrath, welcher an einigen einander ähnlich ist, an den mehresten aber nicht. Die Länge des Gebäudes ist zweyhundert und fünf Palme, und die Breite zwey und neunzig. Dieses Gebäude hatte ebenfalls, wie die Tempel, einen inneren eingeschlossenen Platz, von drey und vierzig und einen halben Palm breit, und drey Reihen Säulen inwendig, von welchen die drey Säulen und die Eckpila I ster am Eingange dieses innersten Gebäudes stehen; von der mittlem inwendigen Reihe sind noch drey Säulen aufrecht stehend übrig. Der Durchmesser der Säulen ist fünf und drey Viertheil Palme, und die I N T E R C O L U M N I A eilf und
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zwey Drittheil Palme; welches also von der Regel des Vitruvius abgeht. Der ganze Boden dieses Gebäudes hat einen sanften Abhang auf beyden Seiten, zum Ablaufe des Regens. Ueberhaupt merke man, daß alle drey Gebäude von dem Gebälke auf den Säulen, oder von der Architrave die beyden untere Glieder haben, aber das dritte und obere Glied des Gebälkes, nämlich die Cornische fehlet an allen dreyen. Von den Eigenschaften der dorisdien Ordnung derselben habe ich in den Anmerkungen geredet. Die Länge und Breite dieser Gebäude sind von der dritten und oberen Stufe, auf welche man zu denselben hinaufsteiget, gemessen, und der Palm ist der Neapelsdie, welcher größer ist als der Römische. Außer den beschriebenen Gebäuden ist erstlich fast mitten auf dem Platze der Stadt ein AMPHITHEATER, von welchem noch die untern Gewölber, und zehen Reihen Stufen oder Sitze über dieselben, übrig sind. Nach Antonini Angeben ist die Länge desselben hundert und fünf und sechzig Palme, und die Breite hundert und zwanzig. Außer dem finden sich Spuren von einem Theater, und außer den Mauern drey Grabmäler von Ziegeln. Dieses ist die erste ausführliche Nachricht von den Alterthümern der Stadt Pesto, so viel ohne Kupfer deutlich anzugeben ist. Man hat mich versichert, daß zu Velia, ehemals auch Elea genannt (von welcher Stadt die ELEATISCHE SCHULE den Namen hat) funfzehen Italienische Meilen jenseit Pesto, beträchtliche Stüdken von alten Gebäuden, und halb erhaltene Tempel zu sehen seyn: I Niemand aber hat in Schriften, so viel ich weiß, davon Meldung gethan. Zu Croton in Großgriechenland stehen noch weitläuftige Ruinen, welche man itzo die SCHULE DES PYTHAGORAS nennet; außerdem aber hat sich wenig in diesen Gegenden, wo so große und berühmte Städte waren, erhalten, wie ich unter andern vom Mylord Brudnell weiß, welcher vor etwa drey Jahren die ganze Küste von Calabrien bis nach Taranto durchreiset ist. Von den Denkmaalen der alten Baukunst in Sicilien hat allererst vor wenig Jahren der P. Pancrazi in seinem ERLÄUTERTEN SICILIEN, die ersten Zeidinungen gegeben, und dessen Nachricht von den Trümmern des Tempels des olympischen Jupiters zu Agrigentum (Girgenti) habe ich in einer besondern kleinen Sdirift aus richtigem Entdeckungen verbessert. Außer den Ueberbleibseln an diesem Orte hat eine allgemeine Verstörung alle Werke der alten Baukunst in dieser Insel zernichtet. Die mehresten Tempel und Gebäude in Griechenland hat Herr le
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Roy im Jahre 1759. theils bekannt gemacht, theils genauer gezeichnet und beschrieben. Im Jahre 1750. im Monate May unternahmen zween Maler aus England, Hr. Jac. Stuart, und Nie. Revett, nachdem sie einige Jahre in Rom ihre Kunst getrieben, die Reise nach Griechenland. Ihre Freunde in England brachten einen hinlänglidien Beytrag zusammen, zu Beförderung dieses Vorhabens, und dieses war ein Vorschuß oder eine Pränumeration auf die Beschreibung, welche sie machen würden. Einige zahleten auf viele Exemplare dieses Werkes voraus, und der Anschlag war etwa auf zwo Guineas, das Stück, gemachet. Gedachte Künstler brachten das erste Jahr ihrer Reise mehrentheils zu Pola und in Dalmatien zu, wo sie alle Ueberbleibsel des Alter I thums genau abzeichneten. Das folgende Jahr giengen sie nach Griechenland, und verblieben daselbst fast an vier Jahre: Sie kamen im Monate Decemb. 1754. nach Marseille zurüdc. Hr. Dawkins und Bovery, welche auf eigene Kosten ein Schiff mit allen benöthigten Sachen zu ihrer kostbaren Reise durch die Levante ausrüsteten, und denen wir die Beschreibung der Gebäude zu Palmyra zu danken haben, trafen ihre beyden Landesleute zu Athen an, und munterten diese zu ihrer Unternehmung auf. Bovery, der Gefährte Herrn Dawkins, starb auf der Halbinsel Negroponte an einem hitzigen Fieber; jener aber setzte die Reise fort mit Hrn. Wood, welcher das Werk von Palmyra heraus gab. Dawkins war nach seiner Rückkunft in England ein großmüthiger Beförderer der Beschreibung der Alterthümer von Griechenland, und Herr Stuart genoß in dessen Hause zu London alle Bequemlichkeit, seine Zeichnungen in Kupfer stechen zu lassen, wozu er sich zween geschickter Künstler, Herrn Strange und Herrn Bezaire bedienet. Dawkins starb vor ein paar Jahren in der Blüte seines Alters, und sein Tod ist ein Verlust für die Künste und Wissenschaften. Die Arbeit an dem Werke von Griechenland wurde fortgesetzet; es erschien der Plan von demselben, und es waren schon vor zwey Jahren die Kupfer zu dem ersten Bande geendiget. Dieses Werk erwartet man itzo mit großem Verlangen: Denn es wird weitläuftiger und ausführlicher werden, als die Arbeit des Herrn le Roy ist, weil jene so viel Jahre, als dieser Monate, in Griechenland gewesen sind. Itzo fehlet uns noch eine ähnliche Arbeit über die Gebäude zu Theben und an anderen Orten in Aegypten: Dieses hätte Norden unternehmen sollen, wenn er Zeit und Kosten dazu gehabt hätte, so würde er der Nachwelt ein nützlicher Werk gelas I sen haben, an statt, daß er entweder längst bekannte oder wenig bedeutende Dinge vorträgt. Der Leser erlaube mir hier noch mit einem Worte die höchste Pflicht
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und Verbindlichkeit, die idi auf der Welt habe, zu bekennen. Diese bin ich Sr. Hochwürden dem Herrn P. Leo Rauch, Sr. Königl. Majestät in Pohlen Beichtvater schuldig, einem der würdigsten Menschen, der mir Vater, Freund und das Liebste auf der Welt ist. Er allein ist der Grund von der Zufriedenheit, die ich genieße, welche ich niemals fühle und schmecke, ohne Erinnerung immerwährender Dankbarkeit: mein höchstes menschliches Verlangen geht zu ihm, und alle meine Wünsche sind auf ihn gerichtet, die Gott wolle in Erfüllung gehen lassen. Ein anderes Bekenntniß der Dankbarkeit, welches ich an einem würdigern Orte abzulegen gedachte, bin ich zween meiner Freunde schuldig, Herrn Will, Königlichem Kupferstecher zu Paris, und Herrn Fueßli, Maler und Stadtschreiber zu Zürich. Die Art, mit welcher sie mir, ohne mich persönlich zu kennen, beygestanden haben, machet der Menschlichkeit Ehre: Aber die Bescheidenheit ihrer großmüthigen Seelen hält mich zurück, wider ihre Absicht zu handeln, welche war ins geheim Gutes zu thun. Ich empfehle mich allen Liebhabern der Künste und meinen Gönnern und Freunden in Deutschland und in anderen Ländern. Rom, den ersten December 1760.
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Sendschreiben Von der Reise eines Liebhabers der Künste nach Rom an Herrn Baron von Riedesel. Entwurf Es könte nach dem Sprichwort der Alten eine Ilias nach dem Homerus scheinen, ein Sendschreiben an Sie zu richten zum Unterricht einer Reise nadi Rom, welche Sie mit vieler vorläufigen Einsicht und großen Nutzen gemacht haben. Meine Absicht aber für Sie ist Erinnerung nicht Lehre, und anderen welche zu belehren sind, habe ich das Vergnügen nidit nehmen wollen, eigene (Entdeckungen) Bemerkungen in Rom zu machen, daher ist dieser Entwurf kein Führer und Begleiter sondern höchstens nur ein Wegweiser, und zwar für diejenigen deren Zeit eingeschränckt ist. Die jungen Deutschen Stiftsherren, die ein ganzes Jahr in Rom zu stehen, verbunden sind, haben diesen Unterricht nicht nöthig. (Es kan audi nodi einen anderen Bewegungs-Grund dieses Sendschreibens geben nemlich den Fall, Ihren Rath einem jungen und angehenden Reisenden nach Rom zu geben.) Andere Reisende befinden sich in Rom wie in einem großen Gedränge, wo man niemand bemerken kan, andere sind wie der Wind in den Orgel-Pfeifen, und entfernt von hier, wie der Wind vorher war, auf beyde Arten habe ich ebenfalls nidit gedacht, sondern auf diejenigen, die wie Sie so sehen, als wenn vor einer erleuchteten Versammlung Rechenschaft davon zu geben wäre, und die Liebe zu Rom und zu den Künsten unterhalten. Rom deren Kentniß gleichsam eine besondere Wissenschaft ausmachet, ward wie die Griediische Sprache schwerer im Fortgange als im Anfange; man siehet allererst nach einiger Zeit wie viel man nöthig hat, dieses Land redit zu kennen. Das (wenigste ist beschrieben, und was ist durch Fremde) mehreste ist abgebildet und beschrieben, giebt aber nicht viel mehr Begrif als derjenige ist welchen ich einem Englischen Lord, den Sie kennen, in Rom selbst von Tivoli gab auf sein Befragen ob es sich der Mühe verlohne dahin zu gehen. Alte Mauern sagte ich können Sie sich vorstellen und Wasserfälle werden Sie in Kupfer gesehen haben.
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Hiermit war derselbe zufrieden, um nicht hinzugehen, denn es rodien ihm so gar die Rosen übel, wie man zu sagen pfleget. In der Gallerie des Collegii Romani allein, sind, Statuen und Gefäße von Ertzt ausgenommen, eben so viel, ja noch mehr und (verschiedenere) seltenere kleine Sachen von Ertzt und in anderer Materie als selbst in dem Herculanisdien Museo. Aber wer wie die mehresten, diesen Schatz siehet, wie der H u n d am Ufer des Nils im Laufe trinkt, dem wird es gezeiget, wie er siehet. Vom Campidoglio, welches insgemein in einer Stunde gesehen wird, wäre ein ganzer Monat zu reden. Denn hier gilt nicht, was zuweilen wahr ist, daß der sich in Kleinigkeiten einläßt, die großen Absichten verliehret: in der Kunst ist nichts klein, so wenig als in dem geringsten Insecte nach den Absichten betrachtet. Ith will versuchen, ob es mir gelinget, dasjenige was wir zuweilen mit einander geredet haben, und was ich wünschte meinen Herren Landesleuten, die mir die Ehre ihres Besuchs gönnen, in der ersten Unterredung zu sagen, in einem Briefe zu faßen. Hierdurch setze ich mir selbst Grenzen einer lehrhaften Kürze, in welcher ich /mich/ außer jenen in einem so weiten und mir bekanten Felde nicht bleiben würde. Die Ordnung in welcher ich zu reden habe bietet sich von selbst dar: es ist die Untersuchung des Orts selbst, und der darinn enthaltenen Mer[k] Würdigkeiten, und diese gehen auf die Baukunst, Bildhauerey und Mahlerey. Die Kentniß der Lage des alten Roms solte billig die erste Neugier der Reisenden erwecken, aber nicht die vornemste wie bey vielen Führern der Fremden, seyn, die diese zuweilen ganzer acht [Tage] nur allein um den Berg Palatino umher führen, und ihnen vorbeten wo dieses und jenes gestanden. Es werden einige meiner Leser mir Zeugniß geben. Denn jene machen es wie die Prediger welche gerne von Geheimnißen predigen, weil die Zuhörer so wenig als sie selbst davon begreiffen. Von der L a g e des alten Roms soll man nichts vornemlich bemerken, als wovon ein Bild im Gedächtniße bleiben kan: was nicht mehr ist, ist als wenn es nimmermehr gewesen ist. Man weiß ohngefehr wo Pompejus, Vespasianus und andere Römer gewohnet haben, und diese Orte sind alle durchwühselt: von der Anzeige derselben bleibt weniger im Gedächtniß, als die Spur von einem Schiffe im Wasser. Die nöthige und nützliche Kentniß sind die Grenzen des alten Roms (in seinem) zu einer jeden Zeit, sonderlich in deßen grösten Herrlichkeit, welche sich bey weitem nicht bis an die itzige Ringmauer erstrecketen, die, wie man weiß, vom Kayser Aurelianus, wo sie itzo sind, hinaus-
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gerücket wurden. Diese Grenzen aber sind mit ein paar Worte sehr deutlich anzugeben. Gegen Mitternacht war die Stadt-Mauer unten am Campidoglio, wo der Aufgang ist, gegen Abend war die Tiber die Grenze, gegen Morgen der Agger des Tarquinius, welcher noch itzo in dem Garten der Cartheuser und in der Villa Negroni zu sehen ist, und gegen Mittag erstreckte sich die Stadt so weit als itzo. Jenseit der Tiber war mehrentheils das Quartier der Juden. Dieses waren die Grenzen unter dem Augustus und in den folgenden besten Zeiten; das Flavische Amphitheater war in der Mitten der Stadt. Folglich war der gröste bebauete Theil des neuen Roms außer dem alten und war der so genannte Campus Martius welchen Namen auch noch itzo eine Gegend hat. Dieser Campus war mit öffentlichen Gebäuden besetzet; hier wurden die Kayser vorrechtlich allein verbrannt und ihre Asche beygesetzet; es ist auch von des Augustus Grabmaale noch ein großes Theil der Einfaßung zu sehen; hier wurden auch die Römer in Waffen und anderen. Spielen geübet. Der niedrigste und schmutzigste Theil am Fluße wurde (in der mittleren Zeit zuerst) nach den Zerstörungen zuerst angebauet wegen der Bequemlichkeit des Waßers. Denn die Wasserleitungen waren zerfallen und man trug, wie in Paris, Wasser zu kaufen umher; dieses geschähe noch unter Pabst Paul den Zweyten. (Auf dem Spanischen Platze, wo die Herbergen für Fremde sind, war vermuthlich ehemahls die Naumachia Kaysers Domitianus von welcher noch vor zweyhundert Jahren einige Spuren standen.) Zwo Haupt-Straßen führeten mitten durch zur Stadt selbst; Via I (Triumphalis) Recta war die eine, und gieng über die Vaticanische Brücke, von welcher noch ein Pfeiler stehet, längst der Tiber wo izt Strada Giulia ist; Via Flaminia war die andere, und ist die längste gröste und prächtigste Straße, il Corso genannt. (Die Grenzen zweyer von den Sieben Hügeln, nemlich des Viminalis und des Esquilinus sind nicht an allen Orten genau zu bestimmen, weil die Thäler zwischen denselben vollgefüllet und wie hoch, kan man aus dem alten Pflaster der Via Flaminia schließen, welches dreyßig und mehr Palmen unter dem itzigen Pflaster des Corso ist.) Nach den Grenzen sind die Sieben Hügel anzuzeigen (welche von dem Viminalis) die aber nicht allenthalben so deutlich sind wie ehemahls; denn die Thäler sind vollgefüllet und verschüttet, und wie hoch, läßet sich aus dem alten Pflaster der Via Flaminia schließen, welches etliche dreyßig Palmen unter dem itzigen Pflaster des Corso ist. Vornemlidi ist die ehemalige Gestalt des Capitolii und Palatini zu bemerken. Wo itzo der Aufgang zum Campidoglio ist, war vor alters keiner und der
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Hügel war absdiüßig, und mit Mauren daselbst befestiget. An der Mauer lag oben in der Mitten das Asylum und auf beyden Seiten war ein kleiner Eichen-Wald. Zur Rechten stand der Tempel des olympischen Jupiters, zur Linken war Curia Calabra. Mit[ten] auf dem Hügel, wo itzo die Statue Marcus Aurelius zu Pferde ist, war der Tempel des Jupiters Majoris. Was man itzo das Campidoglio nennet oder die Wohnung des Senators von Rom, war das Archiv der Stadt, und vor demselben siehet man noch hinterwerts die Spuren der Dorischen Bauart deßelben, (Die vielen) Von den vielen Tempel auf dem Capitolio, (von welchen) stehen noch drey Säulen von dem Porticus des Tempels des Jupiter Tonans mit dem Gebälke und acht Säulen von dem vermeinten Tempel der Concordia, und diese waren nicht sehr geräumlich und stunden auf drey verschiedenen Absätzen dieses Hügels, über welche krum herumgeführet der einzige Weg auf das Capitolium gieng. Was itzo Campo Vaccino heißt, war ehemahls Via Sacra und in der Mitten war Forum Romanum: in der ersten Gaße zur linken Hand war Forum Augusti, in der zweyten auf eben der Seite Forum Cäsaris, und hinter dem ersten Foro war Forum Nervä. Unter diesem war Forum Trajani. Den Palatinischen Berg stelle man sich eben wie das Capitolium vor mit Absätzen und verschiedenen Erhöhungen so wohl umher als oben gegen der Höhe zu. (Jenes zeigen die Trümmer umher und) Dieses beweiset eine[s] von den zwo erhaltenen Zimmer von dem Kayserlichen Pallaste, welches kein anderes über sich hatte: denn das Licht komt in demselben von oben durch eine runde erhaltene Oefnung. In diese Zimmer aber zu gelangen muß man tief hinuntersteigen, und es sind oberwerts (viel) weit höhere Trümmer. Folglich waren diese Zimmer von einem Theile des Pallastes, welches an der Anhöhe lag. Jenes zeigen die Trümmer um den Berg umher. Aus jenen Zimmern gelangete man in die Bäder des Augustus, welche völlig erhalten entdecket wurden; der letzte Herzog von Parma aber aus dem Hause Farnese, als Herr der Villa Farnese auf diesem Hügel fand gut, die Säulen, Pilaster, Bekleidungen der Mauren von seltenem Marmor nebst den Statuen abund wegnehmen und nach Parma führen zu laßen. Gegen Abend unter diesem Hügel und an dem Fuße des Aventinischen war Circus Maximus, deßen Grenzen und Größe das vertiefte und in Kraut-Gärten verwandelte Erdreich zeiget. Erinnern Sie sich hier, daß ich nicht für diejenigen, die unter dem 37 Eine andere Fassung des Abschnittes: Erinnern Sie sidi, daß ich nicht für diejenigen die unter dem eigentlichen Namen der Gelehrten reisen, schreiben
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Titel der Gelehrten reisen, schreibe, als welche von dem was ich gesagt, mehr und viel geschrieben verlangen. Es würde aber überflüßig seyn auf diese seine Absicht zu richten, und dieses aus drey Gründen: erstlich weil wenig oder gar keine fremde Gelehrten in dem Alter, wo sie es seyn können nach Italien reisen, zweytens weil für diese ein paar Monate in Rom nichts nutzen, und drittens weil diese was sie wißen wollen, in mehr als ein Buche nachlesen, aufsuchen und prüfen können. Der Liebhaber der Künste muß die Baukunst, Bildhauerey und Mahlerey mit einander vereinigen, von welchem Rom die Schule und der höchste Lehrer ist, und in jeder Kunst verdienen die neuern Werke nicht weniger Aufmerksamkeit als die alten. In der Baukunst sind die Form und Ordnung der Bauart, die Zierlichkeit) rathen und die Materien zu betrachten, und hier könte ich in Absicht der Alten auf meine Anmerkungen über ihre Baukunst verweisen, man kan aber in wenig Anzeigen die Beobachtungen des Liebhabers leiten. Die Form des Tempels des Friedens ist die einzige mit drey Navaten, welches, wie Vitruvius sagt, eine hetrurische Bauart war. Die übrigen viereckigten wie der Tempel des Antoninus und der Faustina haben keine Navaten, audi innerhalb keine Säulen weldie die (mehresten) Tempel in Rom wegen ihrer mäßigen Größe nicht nöthig hatten; Innere SäulenGänge wie in S. Paolo sind eine Nachahmung der alten Basiliken und nicht der Tempel. Von (Säulen) Ordnungen der Baukunst findet sich die Dorische nur allein an dem Theater des Marcellus übrig, und in der Kirdie zu S. Pietro in Vincoli sind zwo Reihen Dorischer Säulen; weiter ist nichts von dieser Ordnung übrig, weil dieselbe audi vor Alters an wenig Tempeln angebracht war. Von der Ionischen Ordnung ist ein kleiner schlechter viereckigter Tempel, itzo die Armenier Kirdie, übrig, aber Säulen, auf welche Ionische Capitäler gesetzet sind, finden sich in Menge, und die größten und schönsten sind zu S. Maria in Trastevere und zu Lorenzo außer Rom. In dieser Kirche kann man das seltene Capitäl mit der Eydexe und dem Frosche bemerken, welches die Symbolische Vorstellung zweyer Griedi. Baum. Saurus und Batr. ist. Uber die Corinthische Ordnung ist will: wenn diese alle Orte die durch Begebenheiten, Personen und in Schriften berühmt sind, aufsuchen wollen, so werden nicht Monate sondern Jahre erfordert. Es komen aber wenige oder gar keine Gelehrten von jenseit der Gebürge nadi Rom in einem Alter wo sie es seyn können, und solche Untersuchungen zu machen im Stande sind.
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nichts besonders anzumerken, da aber die mehresten und größten Säulen Corinthische sind, so verdienen die größten unter denselben beobachtet zu werden. (Die Zierlichkeit oder) Die Zierrathen und deren Überfluß an Basen der Säulen und an dem Gebälke zeugen von der Zeit der Kayser, und je verschwenderischer dieselben sind, desto später ist die Zeit derselben, welche wir aus jenen ohngefehr angeben können. Das Gebälk in den Diocletianischen Bädern, welche das späteste Römische Gebäude sind, hat die mehresten Zierrathen unter anderen; denn es ist gantz und gar damit bedecket. Die besonderen und bey den Alten sonderlich beliebten Arten von Zierrathen, als die so genannten Mäandri auf langen Streifen, und auf Basen, die über runde Knöpfe geflochtenen zwey Bänder, die Kränze von Eichenlaub u. s. f. sind besonders zu betrachten. Unter den Materialien sind die Ziegel die häufigsten und auch diese und die Art des Gemaurs haben Zeichen das Alte zu unterscheiden. Denn die Ziegel aus den besten Zeiten der Kayser wie an dem Pantheon und zu den Wasserleitungen sind groß und dünn, und je dünner sie sind, desto älter ist das Werck. Die Ziegeln zu den von Aurelianus aufgeführten Stadt-Mauren sind nicht so groß und dünner wie jene. Uber Werke der neueren Baukunst ist allgemein von Kirchen und von Pallästen zu reden. Das Haupt und die Crone aller Kirchen ist ohnezweifel S. Peter, und wenn die Alten es vor ein Unglück hielten, den Tempel des olympischen Jupiters nicht gesehen zu haben, so könte dieses noch eher von S. Peter gesaget werden. Denn dieses Gebäude ist größer als alle Tempel der Griechen und Römer, und wird auch an Baukunst und an Pracht jene alle übertreffen. Ich gehe niemahls hin, ohne Gott zu preisen daß er mich so glücklich gemacht hat dieses Wunderwerk zu sehen und viel Jahre zu sehen und kennen zu lernen. Die Cornische unter dem Gewölbe, auf welche zween Personen sehr bequem und enge auch drey neben einander gehen können, kan als ein Maaßstab der inneren Größe dienen. Was Campbell in seinem Britannischen Vitruvius vor Fehler angiebt, sind bis auf eins ungegründet, und dieser Fehler ist entstanden durch die Abweichung von dem Entwürfe des Michael Angelo, welcher dieselbe in ein Griechisches Kreutz zu bauen anfieng. Denn da zur Vergrößerung dieses Gebäudes das Kreutz verlängert wurde, blieb die erstaunende Cuppola in der Mitten, und man siehet nur den Rand derselben beym Eintritt. Ein Pallast heißet in Rom ein freystehendes prächtiges Wohnhaus, welches einen innern Hof einschließet. Mit dieser Benennung ist man
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nicht so verschwenderisch wie Wright in seinen Reisen sagt. Palläste, wie in Frankreich und in andern Ländern mit zween Flügeln, deren innerer Hof mit einer hohen Mauer verschloßen ist, welcher die Vorderseite des Gebäudes verstecket, finden sidi nicht in Rom. Der innere Hof, Cortile, hat insgemein einen bedeckten Gang, und zuweilen einen zweyten über demselben, entweder auf Pfeilern, wie in dem Farnesisdien Pallaste, oder auf Säulen, wie in dem Pallast Borghese, wo dieselben von grauem und röthlichem Granite sind und jedesmahl zwey neben einander stehen.
14 Windcelmann, Kleine Sduiften
Abhandlung von der Fähigkeit der Empfindung des Schönen in der Kunst, und dem Unterrichte in derselben. An den Edelgebohrnen Freyherrn, F r i e d r i c h R u d o l p h von Berg, aus Liefland. ίδέςι τε καλόν "Ωρςι τε κεκραμμένσν. PINDAJI.
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ομως δέ λϋσαι δυνατός όξειαν έπιμομφάν ό τόκος άνδρών. Pind. Ol. ίο.
Mein Freund! Ueber den Verzug dieses Ihnen versprochenen Entwurfs von der Fähigkeit das Sdiöne in der Kunst zu empfinden, erkläre ich mich mit dem Pindarus, da er den Agesidamus, einen edlen Jüngling von Locri, „welcher sdiön von Gestalt, und mit der Gratie übergössen war," auf eine ihm zugedachte Ode, lange hatte warten lassen: „Die mit Wucher bezahlete Schuld, sagt er, hebet den Vorwurf." Dieses kann Ihre Gütigkeit auf gegenwärtige Abhandlung deuten, welche umständlicher ausgefallen ist, als es die anfängliche Meynung war, da das versprochene unter andern sogenannten Römischen Briefen erscheinen sollte. Der Inhalt ist von Ihnen selbst hergenommen. Unser Umgang ist kurz, und zu kurz für Sie und für mich gewesen; aber die Uebereinstimmung der Geister meldete sich bey mir, da ich Sie das erstemal erblickte. I Ihre Bildung ließ midi auf das, was ich wünschte, schließen, und ich fand in einem schönen Körper eine zur Tugend geschaffene Seele, die mit der Empfindung des Schönen begabt ist. Es war mir daher der Abschied von Ihnen einer der schmerzlichsten meines Lebens, und unser gemeinschaftlicher Freund ist Zeuge davon, auch nach Ihrer Abreise: denn Ihre Entfernung unter einem entlegenen Himmel, läßt mir keine Hoffnung übrig, Sie wieder zu sehen. Es sey dieser Aufsatz ein Denkmaal unserer Freundsdiaft, die bey mir rein ist von allen ersinnlichen Absichten, und Ihnen beständig unterhalten und geweihet bleibet. +
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Die Fähigkeit das Schöne in der Kunst zu empfinden, ist ein Begriff, welcher zugleidi die Person und Sache, das Enthaltende und das Enthaltene in sich fasset, weldies ich aber in eins schließe, so daß ich hier vornehmlich auf das erstere mein Absehen richte, und vorläufig bemerke, daß das Schöne von weiterem Umfange, als die Schönheit, ist:
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diese geht eigentlich die Bildung an, und ist die höchste Absicht der Kunst; jenes erstrecket sich auf alles, was gedacht, entworfen und ausgearbeitet wird. Es ist mit dieser Fähigkeit, wie mit dem gemeinen gesunden Verstände; ein jeder glaubet denselben zu besitzen, welcher gleichwohl seltener, als der Witz, ist: weil man Augen hat, wie ein anderer, so will man so gut, als ein anderer, sehen können. So wie sich selbst nicht leicht ein Mädchen für garstig hält, so verlanget ein jeder das Schöne zu kennen. Es ist nichts empfindlicher, als jemanden den guten Geschmack, welcher in einem andern Worte eben diese Fähigkeit bedeutet, abspredien wollen; man bekennet sich selbst eher mangelhaft in allen Arten von Kenntnissen, als daß man den Vorwurf höre, zur Kenntniß des Schönen unfähig zu seyn. Die Unerfahrenheit in dieser Kenntniß gestehet man zur Noth zu, aber die Fähigkeit zu I derselben will man behaupten. Es ist dieselbe, wie der Poetische Geist, eine Gabe des Himmels, bildet sich aber so wenig, wie dieser, von sich selbst, und würde ohne Lehre und Unterricht leer und todt bleiben; folglich hat diese Abhandlung zwey Stücke, diese natürliche Fähigkeit überhaupt, und den Unterricht in derselben. Die Fähigkeit der Empfindung des Schönen hat der Himmel allen vernünftigen Geschöpfen, aber in sehr verschiedenem Grade gegeben. Die mehresten sind wie die leichten Theile, welche ohne Unterschied von einem geriebenen Electrischen Körper angezogen werden, und bald wiederum abfallen; daher ist ihr Gefühl kurz, wie der Ton in einer kurzgespanneten Saite. Das Schöne und das Mittelmäßige ist denselben gleich willkommen, wie das Verdienst und der Pöbel bey einem Menschen von ungemessener Höflichkeit. Bey einigen befindet sidi diese Fähigkeit in so geringem Grade, daß sie in Austheilung derselben von der Natur übergangen zu seyn scheinen könnten; und von dieser Art war ein junger Britte vom ersten Range, welcher im Wagen nicht einmal ein Zeichen des Lebens und seines Daseyns gab, da ich ihm eine Rede hielt über die Schönheit des Apollo und anderer Statuen der ersten Classe. Von einem ähnlichen Gemächte muß die Empfindung des Grafen Malvasia, des Verfassers der Leben der Bolognesischen Maler, gewesen seyn: dieser Schwätzer nennet den großen Raphael einen Urbinatischen Hafner, nach der pöbelhaften Sage, daß dieser Gott der Künstler Gefäße bemalet, welche die Unwissenheit jenseit der Alpen als eine Seltenheit aufzeiget: er entsieht sich nicht vorzugeben, daß die Caracci sich verdorben durch die Nachahmung des Raphaels. Auf solche Mensdien wirken die wahren
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Schönheiten der Kunst wie der Nordschein, welcher leuchtet und nicht erhitzet; man sollte beynahe sagen, sie wären von der Art Geschöpfe, welche, wie Sanchoniaton sagt, keine Empfindung haben. Wenn auch das Schöne in der Kunst lauter Gesicht I wäre, wie, nach den Aegyptern, Gott lauter Auge ist, würde es dennoch so in einem Theile vereint, viele nicht reizen. Man könnte auch auf die Seltenheit dieser Empfindung aus dem Mangel von Schriften, die das Schöne lehren, einen Schluß machen; denn vom Plato an bis auf unsere Zeit, sind die Schriften dieser Art vom allgemeinen Schönen leer, ohne Unterricht, und von niedrigem Gehalte; das Schöne in der Kunst haben einige Neuere berühren wollen, ohne es gekannt zu haben. Hiervon könnte ich Ihnen, mein Freund, durch ein Schreiben des berühmten Herrn von Stosch, des größten Alterthumskundigen unserer Zeiten, einen neuen Beweis geben. Er wollte mir in demselben zu Anfang unseres Briefwechsels, weil er mich persönlich nicht kannte, Unterricht geben über den Rang der besten Statuen, und über die Ordnung, in welcher ich dieselben zu betrachten hätte. Ich erstaunete, da ich sah, daß ein so berufener Antiquarius den Vaticanischen Apollo, das Wunder der Kunst, nach dem schlafenden Faun im Pallaste Barberini, welches eine Waldnatur ist, nach dem Centaur in der Villa Borghese, welcher keiner Idealischen Schönheit fähig ist, nach den zween alten Satyrs im Campidoglio, und nach dem Justinianischen Bock, an welchem das beste Stück der Kopf nur ist, setzte. Die Niobe und ihre Töchter, die Muster der höchsten weiblichen Schönheit, haben den letzten Platz in dessen Ordnung. Ich überführte ihn seiner irrigen Rangordnung, und seine Entschuldigung war, daß er in jungen Jahren, die Werke der alten Kunst, in Gesellschaft zweyer noch lebender Künstler jenseit der Gebürge gesehen, auf deren Urtheil das seinige sich bisher gegründet habe. Es wurden verschiedene Briefe zwischen uns gewechselt über ein rundes Werk in der Villa Pamphili, mit erhobenen Figuren, welches er für das allerälteste Denkmaal der Griechischen Kunst hielt, und ich hingegen für eins der spätesten unter den Kaisern. Was für Grund hatte dessen Meynung? Man hatte das Sdilech I teste für das Aelteste angesehen; und mit eben diesem Systema gehet Natter in seinen geschnittenen Steinen, welches aus dem, was er über die dritte und sechste Kupferplatte vorbringet, zu erweisen ist. Eben so falsch ist dessen Urtheil über das vermeyntliche hohe Alterthum der Steine auf der achten bis zur zwölften Platte: er geht hier nach der Gesdiidite, und glaubet, eine sehr alte Begebenheit, wie der Tod des Othryades ist, müsse audi einen sehr alten Künstler voraussetzen.
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Durch soldie Kenner ist der vorgegebene Seneca im Bade, in der Villa Borghese, in Achtung gekommen, welcher ein Gewebe von strickmäßigen Adern ist, und in meinen Augen der Kunst des Alterthums kaum würdig zu achten. Dieses Urtheil wird den mehresten einer Ketzerey ähnlich sehen, und ich würde dasselbe vor ein paar Jahren noch nicht öffentlich gewaget haben. Diese Fähigkeit wird durch gute Erziehung erwecket und zeitiger gemacht, und meldet sich eher, als in vernachläßigter Erziehung, welche dieselbe aber nicht ersticken kann, wie ich hier an meinem Theile weis. Es wickelt sich dieselbe aber eher an großen als kleinen Orten aus, und im Umgange mehr, als durch Gelehrsamkeit: denn das viele Wissen, sagen die Griechen, erwecket keinen gesunden Verstand, und die sich durch bloße Gelehrsamkeit in den Alterthümern bekannt gemacht haben, sind auch derselben weiter nicht kundig worden. In gebohrnen Römern, wo dieses Gefühl vor andern zeitiger und reifer werden könnte, bleibet dasselbe in der Erziehung sinnlos, und bildet sich nicht, weil die Menschen der Henne gleich sind, die über das Korn, welches vor ihr liegt, hingehet, um das entferntere zu nehmen: was wir täglich vor Augen haben, pflegt kein Verlangen zu erwecken. Es lebet nodi itzo ein bekannter Maler Nie. Ricciolini, ein gebohrner Römer, und ein Mann von großem Talente und Wissenschaft, auch außer seiner Kunst, welcher vor ein paar Jahren, und allererst im siebenzigsten Jahre seines Alters, die Statuen in der Villa Borghese zum erstenmale sah. Es hat derselbe die Baukunst aus dem Grunde studiret, und dennoch hat er eines I der schönsten Denkmaale, nemlich das Grab der Cacilia Metella, des Crassus Frau, nicht gesehen, ohnerachtet er, als ein Liebhaber der Jagd, weit und breit außer Rom umher gestreifet ist. Es sind daher aus besagten Ursachen, außer dem Giulio Romano, wenig berühmte Künstler von gebohrnen Römern aufgestanden; die mehresten, welche in Rom ihren Ruhm erlanget haben, sowohl Maler, als Bildhauer und Baumeister, waren Fremde, und es thut sich auch itzo kein Römer in der Kunst hervor. Dieser Erfahrung zufolge, nenne ich ein Vorurtheil, gebohrne Römer zu Zeichnern der Gemälde einer Gallerie in Deutschland mit großen Kosten verschrieben zu haben, wo man geschicktere Künstler fand. Bey angehender Jugend ist diese Fähigkeit, wie eine jede Neigung, in dunkele und verworrene Rührungen eingehüllet, und meldet sich wie ein fliegendes Jucken in der Haut, dessen eigentlichen Ort man im Kratzen nicht treffen kann. Es ist dieselbe in wohlgebildeten Knaben eher, als in andern, zu suchen, weil wir insgemein denken wie wir gemacht
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sind, in der Bildung aber weniger, als im Wesen und in der Gemüthsart: ein weiches Herz und folgsame Sinnen sind Zeichen soldier Fähigkeit. Deutlicher entdecket sich dieselbe, wenn in Lesung eines Scribenten die Empfindung zärtlich gerühret wird, wo der wilde Sinn Überhin fährt, wie dieses verschiedentlich geschehen würde in der Rede des Glaucus an den Diomedes, welches die rührende Vergleichung des Menschlidien Lebens mit Blättern ist, die der Wind abwirft, und die im Frühlinge wiederum hervorsprossen. Wo diese Empfindung nicht ist, prediget man Blinden die Kenntniß des Schönen, wie die Musik einem nicht Musikalischen Gehöre. Ein näheres Zeichen ist bey Knaben, die nicht nahe bey der Kunst erzogen werden, noch eigen zu derselben bestimmet sind, ein natürlicher Trieb zum Zeichnen, welcher, wie der zur Poesie und Musik, eingebohren ist. I Da ferner die Menschliche Schönheit, zur Kenntniß, in einen allgemeinen Begriff zu fassen ist, so habe ich bemerket, daß diejenigen, welche nur allein auf Schönheiten des Weiblichen Geschlechts aufmerksam sind, und durdi Schönheiten in unserem Geschlechte wenig, oder gar nicht, gerühret werden, die Empfindung des Schönen in der Kunst nicht leicht eingebohren, allgemein und lebhaft haben. Es wird dasselbe bey diesen in der Kunst der Griechen mangelhaft bleiben, da die größten Schönheiten derselben mehr von unserm, als von dem andern Geschlechte, sind. Mehr Empfindung aber wird zum Schönen in der Kunst, als in der Natur, erfordert, weil jenes, wie die Thränen im Theater ohne Schmerz, ohne Leben ist, und durch die Einbildung erwecket und ersetzet werden muß. Da aber diese weit feuriger in der Jugend, als im Männlichen Alter, ist, so soll die Fähigkeit, von welcher wir reden, zeitig geübet und auf das Schöne geführet werden, ehe das Alter kommt, in welchem wir uns entsetzen zu bekennen, es nicht zu fühlen. Es ist aber, wenn jemand das Schlechte bewundert, nicht allezeit zu schließen, daß er die Fähigkeit dieser Empfindung nicht habe. Denn so wie Kinder, welchen man zuläßt, alles, was sie anschauen, nahe vor Augen zu halten, schielen lernen würden, eben so kann die Empfindung verwöhnet und unrichtig werden, wenn die Vorwürfe der ersten betrachtenden Jahre mittelmäßig oder schlecht gewesen. Ich erinnere mich, daß Personen von Talent an Orten, wo die Kunst ihren Sitz nicht nehmen kann, über die hervorliegenden Adern an den Männerchen in unseren alten Domkirchen viel sprachen, um ihren Geschmack zu zeigen: diese hatten nichts bessers gesehen, wie die Mayländer, die ihren Dom der Kirche von St. Peter zu Rom vorziehen.
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Das wahre Gefühl des Schönen gleichet einem flüßigen Gipse, welcher über den Kopf des Apollo gegossen wird, und denselben in allen Thei- I len berühret und umgiebt. Der Vorwurf dieses Gefühls ist nicht, was Trieb, Freundschaft und Gefälligkeit anpreißen, sondern was der innere feinere Sinn, welcher von allen Absichten geläutert seyn soll, um des Sdiönen willen selbst, empfindet. Sie werden hier sagen, mein Liebster, ich stimme mit Platonischen Begriffen an, die vielen diese Empfindung absprechen könnten; Sie wissen aber, daß man im Lehren, wie in Gesetzen, den höchsten Ton suchen muß, weil die Saite von selbst nachläßt: ich sage, was seyn sollte, nicht was zu seyn pfleget, und mein Begriff ist wie die Probe von der Richtigkeit der Rechnung. Das Werkzeug dieser Empfindung ist der äußere Sinn, und der Sitz derselben der innere: jener muß richtig, und dieser empfindlich und fein seyn. Es ist aber die Richtigkeit des Auges eine Gabe, welche vielen mangelt, wie ein feines Gehör, und ein empfindlicher Geruch. Einer der berühmtesten gegenwärtigen Sänger in Italien, hat alle Eigenschaften seiner Kunst, bis auf ein richtiges Gehör; ihm fehlet das, was der blinde Saunderson, des Newtons Nadifolger, überflüßig hatte. Viele Aerzte würden geschickter seyn, wenn sie ein feines Gefühl erlanget hätten. Unser Auge wird vielmals durch die Optic, und nicht selten durch sich selbst betrogen. Die Richtigkeit des Auges bestehet in Bemerkung der wahren Gestalt und Größe der Vorwürfe, und die Gestalt geht sowohl auf die Farbe, als auf die Forme. Die Farben müssen die Künstler nicht auf gleiche Weise sehen, weil sie dieselben verschiedentlich nachahmen. Zum Beweise desselben will ich nicht die überhaupt sdilechte Colorit einiger Maler, als des Poußin, anführen, weil dieselbe zum Theil an Vernachläßigung, an schlechter Anführung, und an der Ungeschicklichkeit lieget; ich schließe unterdessen aus dem, was ich selbst ausführen gesehen, daß solche Maler ihre schlechte Colorit nicht erkennen. Einer der besten Brittischen Maler hätte seinen Tod des Hectors, in Lebensgröße, wo die Colorit weit unter der I Zeidinung ist, weniger geschätzet: dieses Stück wird in weniger Zeit, zu Rom in Kupfer gestochen, erscheinen. Mein Satz gründet sich vornehmlidi auf diejenigen Künstler, die unter die guten Coloristen gezählet werden, und gewisse Mängel haben; und ich kann hier den berühmten Friedrich Barocci anführen, dessen Fleisdi ins Grünlidie fällt. Es hatte derselbe eine besondere Art, die erste Anlage des Nackenden mit Grün zu madien, wie man an einigen unvollendeten Stücken in der Gallerie Albani augenscheinlich erkennet. Die Colorit, welche in des Guido Werken sanft
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und frölich ist, und stark, trübe, und vielmals traurig im Guercino erscheinet, liest man so gar auf dem Gesichte dieser beyden Künstler. Nidit weniger verschieden sind die Künstler in Vorstellung der wahren Gestalt der Forme, welches man schließen muß aus den unvollkommenen Entwürfen derselben in ihrer Einbildung. Barocci ist an seinen sehr gesenkten Profilen des Gesichts, Pietro von Cortona an dem kleinlichen Kinne seiner Köpfe, und Parmigianino an dem langen Ovale und an den langen Fingern kenntlich. Ich will aber nicht behaupten, daß zu der Zeit, da alle Figuren gleichsam schwindsüchtig waren, wie vor dem Raphael, und da dieselben wie wassersüchtig wurden durch den Bernini, allen Künstlern die Richtigkeit des Auges gemangelt habe: denn hier liegt die Schuld an einem falschen Systema, welches man wählete, und ihm blindlings folgete. Mit der Größe hat es eben die Bewandniß. Wir sehen, daß Künstler auch in Portraits, in der Maaße der Theile, die sie in Ruhe und nach ihrem Wunsche sehen, fehlen; an einigen ist der Kopf kleiner, oder größer, an andern die Hände; der Hals ist zuweilen zu lang, oder zu kurz, u. s. f. Hat das Auge in einigen Jahren von beständiger Uebung diese Proportion nicht erlanget, so ist dieselbe vergebens zu hoffen. Da nun dasjenige, was wir auch an geübten Künstlern bemerken, von einer Unrichtigkeit ihres Auges herrühret, so wird dieses noch häufi- I ger bey andern Personen seyn, die diesen Sinn nicht auf gleiche Art geübet haben. Ist aber die Anlage zur Richtigkeit vorhanden, so wird dieselbe durch die Uebung gewiß, wie selbst im Gesichte geschehen kann: der Herr Cardinal Alex. Albani ist im Stande, bloß durch Tasten und Fühlen vieler Münzen zu sagen, welchen Kaiser dieselben vorstellen. Wenn der äußere Sinn richtig ist, so ist zu wünschen, daß der innere diesem gemäß vollkommen sey: denn es ist derselbe wie ein zweyter Spiegel, in welchem wir das Wesentliche unserer eigenen Aehnlichkeit, durch das Profil, sehen. Der innere Sinn ist die Vorstellung und Bildung der Eindrücke in dem äußeren Sinne, und, mit einem Worte, was wir Empfindung nennen. Der innere Sinn aber ist nicht allezeit dem äusseren proportionirt, das ist, es ist jener nicht in gleichem Grade empfindlich mit der Richtigkeit von diesem, weil er mechanisch verfährt, wo dort eine geistige Wirkung ist. Es kann also richtige Zeichner geben ohne Empfindung, und ich kenne einen solchen; diese aber sind höchstens nur geschickt, das Schöne nachzuahmen, nicht selbst zu finden und zu entwerfen. Dem Bernini war diese Empfindung in der Bildhauerey von der Natur versagt; Lorenzetto aber war mit derselben, wie es scheint, mehr, als andere Bildhauer neuerer Zeiten, begabt. Er war des Raphaels
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Schüler, und sein Jonas, in der Capelle Chigi, ist bekannt; ein vollkommener Werk aber von ihm, im Pantheon, eine stehende Madonna, nodi einmal so groß, als die Natur, welche er nach seines Meisters Tode machte, wird von niemand bemerket. Ein anderer verdienter Bildhauer ist noch weniger bekannt: er heißt Lorenzo Ottone, ein Sdlüler des Hercules Ferrata, und von demselben ist eine stehende heil. Anna in eben dem Tempel; so daß zwo der besten neueren Statuen an eben dem Orte stehen. Die schönsten Figuren neuerer Bildhauer neben diesen, sind der heil. Andreas von Fiamingo, und die Religion von le Gros, in der Kir-1 die al Gesu. Ich begehe hier eine Ausschweifung, welche, weil sie unterrichtet, Verzeihung verdienet. Dieser innere Sinn, von welchem ich rede, muß fertig, zart, und bildlich seyn. Fertig und schnell muß derselbe seyn, weil die ersten Eindrücke die stärksten sind, und vor der Ueberlegung vorhergehen: was wir durch diese empfinden, ist schwächer. Dieses ist die allgemeine Rührung, welche uns auf das Schöne ziehet, und kann dunkel und ohne Gründe seyn, wie mit allen ersten und schnellen Eindrücken zu geschehen pfleget, bis die Untersuchung der Stücke die Ueberlegung zuläßt, annimmt und erfordert. Wer hier von Theilen auf das Ganze gehen wollte, würde ein Grammaticalisches Gehirn zeigen, und schwerlich eine Empfindung des Ganzen und eine Entzückung in sich erwecken. Zart muß dieser Sinn mehr, als heftig, seyn, weil das Schöne in der Harmonie der Theile bestehet, deren Vollkommenheit ein sanftes Steigen und Sinken ist, die folglich in unsere Empfindung gleichmäßig wirket, und dieselbe mit einem sanften Zuge führet, nicht plötzlich fortreißet. Alle heftige Empfindungen gehen über das Mittelbare hinweg zum Unmittelbaren, da das Gefühl hingegen gerühret werden soll, wie ein schöner Tag entstehet, durch Anmeldung einer lieblichen Morgenröthe. Es ist audi die heftige Empfindung der Betrachtung und dem Genüsse des Sdiönen naditheilig, weil sie zu kurz ist: denn sie führet auf einmal dahin, was sie stuffenweise fühlen sollte. Auch in dieser Betrachtung scheint das Alterthum ihre Gedanken in Bilder eingekleidet zu haben, und verdeckte den Sinn derselben, um dem Verstände das Vergnügen zu gönnen, mittelbar dahin zu gelangen. Es sind daher sehr feurige, flüchtige Köpfe, zur Empfindung des Schönen nicht die fähigsten, und so wie der Genuß unser selbst, und das wahre Vergnügen in der Ruhe des Geistes und des Körpers zu erlangen ist, so ist es audi das Gefühl und der Genuß des I Sdiönen, welches also zart und sanft seyn muß, und wie ein milder Thau kommt, nicht wie ein Platzregen. Da sidi audi das wahre Schöne der
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Menschlichen Figur insgemein in der unschuldigen stillen Natur einzukleiden pfleget, so will es durch einen ähnlichen Sinn gefühlet und erkannt werden. Hier ist kein Pegasus nöthig, durch die Luft zu fahren, sondern Pallas, die uns führet. Die dritte von mir angegebene Eigenschaft des inneren Gefühls, welche in einer lebhaften Bildung des betrachteten Schönen bestehet, ist eine Folge der beyden ersteren, und nicht ohne jene, aber ihre Kraft wachset, wie das Gedäthtniß, durch die Uebung, welche jenen nichts beyträget. Das empfindlichste Gefühl kann diese Eigenschaft unvollkommener, als ein geübter Maler ohne Gefühl, haben, dergestalt, daß das eingedruckte Bild allgemein lebhaft und deutlich ist, aber geschwächet wird, wenn wir uns dasselbe stückweise genau vorstellen wollen, wie es mit dem Bilde des entfernten Geliebten zu geschehen pfleget, wie wir auch in den mehresten Dingen erfahren: zu sehr in das Getheilte gehen wollen, macht das Ganze verliehren. Ein bloß mechanischer Maler aber, dessen vornehmstes Werk das Portrait ist, kann durch nöthige Uebung seine Einbildung erhöhen und stärken, daß dieselbe fähig wird, ein anschauliches Bild nach allen Theilen sidi einzuprägen, und stückweis zu wiederholen. Es ist also diese Fähigkeit als eine seltene Gabe des Himmels zu schätzen, welcher den Sinn zum Genüsse des Schönen und des Lebens selbst hierdurch fähig gemacht hat, als dessen Glückseligkeit in einer Dauer angenehmer Empfindung besteht. Ueber den Unterricht zu der Fähigkeit, das Schöne in der Kunst zu empfinden, welches das zweyte Stück dieser Abhandlung ist, kann zuerst ein allgemeiner Vorschlag gemacht werden, welcher hernach durch besondere I Erinnerungen in den dreyen sdiönen Künsten eine nähere Anwendung haben kann. Dieser Vorschlag aber ist, wie dieser Entwurf, nicht für junge Leute, welche nur um ihr nothdürftiges Brod lernen, und weiter nicht hinaus denken können, welches sich von selbst verstehet, sondern für die, welche, nebst der Fähigkeit, Mittel, Gelegenheit und Muße haben, und diese ist sonderlich nöthig. Denn die Betrachtung der Werke der Kunst ist, wie Plinius sagt, für müßige Menschen, das ist, die nicht den ganzen Tag ein schweres und unfruchtbares Feld zu bauen verdammet sind. Die mir gegönnete Muße, ist eine der größten Glückseligkeiten, die mir das gütige Geschick, durch meinen ERHABENSTEN Freund und Herrn, in Rom finden lassen, welcher, so lange ich bey und mit ihm lebe, keinen Federstrich von mir verlanget hat, und diese selige Muße hat midi in Stand gesetzet, mich der Betrachtung der Kunst nach meinem Wunsche zu überlassen.
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Mein Vorschlag zum Unterrichte eines Knabens, an welchem sich die Spuren der gewünschten Fähigkeit zeigen, ist folgender. Zuerst sollte dessen Herz und Empfindung, durch Erklärung der schönsten Stellen alter und neuer Scribenten, sonderlich der Dichter, rührend erwecket, und zu eigener Betrachtung des Schönen in aller Art zubereitet werden, weil dieser Weg zur Vollkommenheit führet. Zu gleicher Zeit sollte dessen Auge an Beobachtung des Schönen in der Kunst gewöhnet werden, welches nothdürftig in allen Ländern geschehen kann. Man lege demselben anfänglich die alten Werke in erhobener Arbeit, nebst den alten Gemälden, vor, welche Santes Bartoli gestochen, und die Schönheit dieser Werke mit Wahrheit und mit gutem Geschmacke angedeutet hat. Ferner kann die sogenannte Bibel des Raphaels gesuchet werden, das ist, die Geschichte des alten Testamentes, welche dieser große I Künstler an dem Gewölbe eines offenen Ganges im Vaticanischen Pallaste, theils selbst gemalet, theils nach seinen Zeichnungen ausführen lassen. Dieses Werk ist auch von vorgedachtem Bartoli gestochen. Diese zwey Werke werden einem unverwöhnten Auge seyn, was eine richtige Vorschrift der H a n d ist, und da die ungeübte Empfindung dem Epheu gleichet, welcher sich eben so leicht an einen Baum, als an eine alte Mauer, anhänget, ich will sagen, das Schlechte und das Gute mit gleichem Vergnügen sieht, so soll man dieselbe mit schönen Bildern beschäftigen. Hier gilt, was Diogenes sagte, daß wir die Götter bitten sollen, uns angenehme Erscheinungen zu geben. An einem mit Raphaelischen Bildern eingenommenen Knaben, wird man mit der Zeit bemerken, was jemand empfindet, welcher, nachdem er den Vaticanischen Apollo und den Laocoon an eben dem Orte gesehen, unmittelbar nachher ein Auge wirft auf einige Statuen verheiligter Mönche in der St. Peterskirche. Denn so wie die Wahrheit auch ohne Beweise überzeuget, so wird das Schöne, von Jugend an gesehen, auch ohne weiteren Unterricht vorzüglich gefallen. Dieser Vorschlag zum anfänglichen Unterrichte ist vornehmlich gerichtet auf junge Leute, die, wie Sie, mein Freund, bis zu gewissen Jahren auf dem Lande erzogen werden, oder keinen Anführer in dieser Kenntniß haben; aber auch diesen kann mehrere Gelegenheit dazu verschaffet werden. Man suche die Griechischen Münzen des Golzius, welche unter allen am besten gezeichnet sind, deren Betrachtung und Erklärung zu unserem Zwecke nützlich, und von weiterem Unterrichte seyn kann. Die angenehmste und lehrreicheste Beschäftigung aber, werden die Abdrücke der besten geschnittenen Steine geben, von welchen eine große
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Sammlung in Gips in Deutschland zu haben ist; in Rom findet man eine vollständige Sammlung von allem, was in dieser Art schön ist, in rothen Schwefel I gegossen. Zu nützlicher Betrachtung dieser und jener, kann meine Beschreibung der Stoßischen geschnittenen Steine dienen. Will sich jemand in kostbare Werke einlassen, so ist derjenige Band des Florentinischen Musei, welcher die Steine enthält, besonders zu haben. Befindet sich der zum Schönen anzuführende Knabe an einem großen Orte, wo demselben mündliche Anweisung kann gegeben werden, so würde ich diesem anfänglich nichts anders, als jenem, vorschlagen. Aber wenn dessen Lehrer die seltene Kenntniß hätte, die Arbeit alter und neuer Künstler zu unterscheiden, könnte zu den Abdrücken alter Steine eine Sammlung von Abdrücken neuer geschnittener Steine gesuchet werden, um aus beyder Vergleichung den Begriff des wahren Schönen in den alten, und den irrigen Begriff desselben in den mehresten neuen Arbeiten zu zeigen. Sehr viel kann gezeiget und begreiflich gemacht werden, audi ohne Anweisung in der Zeichnung: denn die Deutlichkeit erwächst aus dem Gegensatze, so wie ein mittelmäßiger Sänger neben einem Harmonischen Instrumente kenntlich wird, welcher im Singen ohne dasselbe anders schien. Die Zeichnung aber, welche zugleich mit dem Schreiben kann gelehret werden, giebt, wenn dieselbe zu einiger Fertigkeit gelanget ist, eine völligere und gründlichere Kenntniß. Dieser Privatunterricht aus Kupfern und Abdrücken bleibt unterdessen wie die Feldmesserey, auf dem Papiere gezeichnet; die Copie im Kleinen, ist nur der Schatten, nicht die Wahrheit, und es ist vom Homerus auf dessen beste Uebersetzungen kein größerer Unterschied, als von der Alten und des Raphaels Werken auf deren Abbildungen: diese sind todte Bilder, und jene reden. Es kann also die wahre und völlige Kenntniß des Schönen in der Kunst nicht anders, als durch Betrachtung der Urbilder selbst, und vornehmlich in Rom erlanget werden; und eine Reise nach Italien ist denjenigen zu wünschen, die mit Fähigkeit zur Kenntniß I des Schönen von der Natur begabt sind, und hinlänglichen Unterricht in derselben erlanget haben. Außer Rom muß man, wie viele Verliebte, mit einem Blicke auf einen Seufzer zufrieden seyn, das ist, das Wenige und das Mittelmäßige hochschätzen. Es ist bekannt, daß sowohl von alten Werken, als von Gemälden berühmter Meister, seit hundert Jahren beträchtliche Stücke aus Rom in andere Länder, sonderlich nach Engeland, weggeführet worden; man kann aber versichert seyn, daß das beste in Rom geblieben ist, und vermuthlich bleiben wird. Die vornehmste Sammlung von Alterthümern in
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Engeland, ist die Pembrokisdie zu Wilton, und in derselben ist alles, was der Cardinal Mazarin gesammelt hat; man muß sich aber durch den Namen des Künstlers Cleomenes unter etlichen Statuen so wenig, als durch die an einigen Brustbildern zu München gesetzte Taufnamen, irren lassen: es ist leicht gepfiffen dem, der leicht tanzet. Nach dieser kommt die Arundellische Sammlung, in welcher das beste Stück eine Consularische Statue ist, unter dem Namen Cicero, folglich wird in derselben nichts seyn, was schön heißen kann. Eine der schönsten Statuen in Engeland, ist eine Diana, welche Herr Cook, ehemaliger Englischer Minister zu Florenz, vor vierzig Jahren aus Rom wegführete. Sie ist im Laufen und Schießen vorgestellet, von ausnehmender Arbeit, und es fehlet ihr nichts, als der Kopf, welcher neu zu Florenz gemacht ist. In Frankreich ist die beste Statue der sogenannte Germanicus, zu Versailles, mit dem wahren Namen des Künstlers Cleomenes, und diese Figur hat keine besondere Schönheit, sondern scheint nach einem gewöhnlichen Modelle im Leben gearbeitet zu seyn. Die Venus mit dem schönen Hinteren, an eben dem Orte, als welcher daselbst für ein Wunderwerk gehalten wird, ist wahrscheinlich eine Copie der unter eben dem Namen noch berühmteren Venus im Pallaste Farnese; aber auch diese kann kaum unter den Statuen vom zweyten Range stehen, und hat I außerdem einen neuen Kopf, welches nicht ein jeder sieht, von den Armen nicht zu gedenken. In Spanien, und zwar zu Aranjuez, wo die ehemalige Odescaldiische Sammlung von Alterthümern stehet, welche der Königinn Christina gehörete, sind das Beste zween wahrhaftig schöne Genii, (welche man insgemein Castor und Pollux nennet) und diese sind schöner, als alles, was in Frankreich ist. Ferner ist daselbst ein überaus schönes ganzes Brustbild des Antinous, über Lebensgröße, und eine fälschlich sogenannte liegende Cleopatra, oder schlafende Nymphe. Das übrige dieser Sammlung ist mittelmäßig, und die Musen in Lebensgröße haben neue Köpfe, von Hercule Ferrata gemacht, von dessen Hand auch der ganze Apollo ist. In Deutschland fehlet es ebenfalls nicht an Werken der alten Kunst. Zu Wien aber ist nichts, was Erwähnung verdienete, außer ein schönes Gefäß von Marmor, in der Größe und Form der berühmten Vase in der Villa Borghese, mit einem erhaben gearbeiteten Bacchanale umher. Dieses Stück ist in Rom gefunden, und gehörete dem Cardinale Nie. del Giudice, in dessen Pallaste zu Neapel es stand. Bey Berlin zu Charlottenburg, steht die Sammlung alter Werke, welche der Cardinal Polignac zu Rom gemacht hat. Das bekannteste sind eilf Figuren, welche der ehe-
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malige Besitzer eine Familie des Lycomedes getauft hat, das ist, Achilles in Weiberkleidern unter den Töchtern von jenem verstecket: man muß aber wissen, daß alle äußeren Theile dieser Figuren, sonderlich die Köpfe, neu, und, was das schlimmste ist, von jungen Anfängern in der Französischen Academie zu Rom gemacht worden sind; der Kopf des sogenannten Lycomedes, ist das Bild des berühmten Herrn von Stosch. Das beste Stück daselbst, ist ein sitzendes Kind von Erzt, welches mit den Knochen spielet, welche die Griechen Astragali, und die Römer Tali nenneten, und anstatt der Würfel dieneten. Der größte Schatz von Alterthümern befindet sich zu Dreßden: es bestehet derselbe aus der Gallerie Chigi in I Rom, welche König Augustus mit 60,000 Scudi erstand, und denselben mit einer Sammlung von Statuen vermehrete, welche der Herr Cardinal Alex. Albani demselben für 10,000 Scudi überließ. Idi kann aber das Vorzüglichste von Schönheit nicht angeben, weil die besten Statuen in einem Schuppen von Bretern, wie die Heringe gepacket, standen, und zu sehen, aber nicht zu betrachten waren. Einige waren bequemer gestellet, und unter denselben sind drey bekleidete Weibliche Figuren, welche die ersten Herculanischen Entdeckungen sind. Von Gemälden des großen Raphaels, ist in Engeland nichts, wo es nicht ein St. George des Grafen Pembroke ist, welcher, so viel ich mich entsinne, dem in der Gallerie des Herzogs von Orleans ähnlich ist; jener ist von Pagot gestochen. Zu Hamptoncourt aber, sind acht Cartone desselben zu eben so viel Tapeten, weldie in der St. Peterskirche verwahret werden: diese sind von Dorigny gestochen. Neulich wurde dem Könige in Engeland von Lord Baltimore eine Zeichnung der Verklärung Christi von diesem großen Meister, groß wie das Original, aus Rom zum Geschenke überschicket, welche vermuthlich an eben dem Orte wird aufgehänget werden. Es ist dieselbe auf das Werk selbst abgezeichnet, mit schwer nachzuahmender Kunst in schwarzer Kreide ausgeführet, und diese dergestalt auf das Papier befestiget, daß die Zeichnung nichts leiden kann. Sie kennen, mein Freund! den Künstler derselben, Herrn Johann Casanova, den größten Zeichner in Rom nach Mengs, dessen Meister, und wir haben dieses einzige Werk mehr, als einmal, betrachtet und bewundert. In Frankreich, und zwar zu Versailles, ist die berühmte H. Familie des Raphaels von Edeling gestochen, und nachher von Frey, nebst der H. Catharina. In Spanien, im Escurial, sind zwey Stücke von dessen Hand, von welchen das eine eine Madonna ist. In Deutschland sind zwey Stücke: zu Wien die H. Catharina, und zu Dreßden das Altarblatt aus dem Kloster St. Sisto zu Piacenza; aber dieses ist nicht von dessen besten Ma- I
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nier, u n d z u m Unglück auf L e i n e w a n d gemalet, d a dessen a n d e r e W e r k e in Oel, auf H o l z
s i n d ; d a h e r h a t t e dasselbe b e r e i t s viel gelitten, d a es
Italien a n k a m ; u n d
wenn
dasselbe v o n
dessen
Zeichnung könnte
einen
Begriff g e b e n , so b l e i b t d e r s e l b e a u s d i e s e m S t ü c k e m a n g e l h a f t v o n >
Colorit. Ein vermeynter Raphael, welchen einigen
Jahren
in R o m
für
3000
Scudi
aus
dessen
der König von Preußen
erstehen
ließ,
ist
von
vor
keinem
K u n s t v e r s t ä n d i g e n allhier f ü r dessen A r b e i t e r k a n n t w o r d e n ; d a h e r
audi
k e i n schriftliches Z e u g n i ß v o n d e r R i c h t i g k e i t desselben z u e r h a l t e n w a r . Aus diesem Verzeichnisse der besten W e r k e 10
alter Bildhauer u n d
G e m ä l d e des R a p h a e l s a u ß e r R o m u n d I t a l i e n , ist d e r S c h l u ß z u daß
das Schöne in der Kunst
a n d e r w e r t s n u r einzeln sey, u n d
E m p f i n d u n g desselben allein in R o m völlig, richtig u n d
der
ziehen, daß
verfeinert
die wer-
den könne. Diese H a u p t s t a d t der Welt bleibet noch itzo eine unerschöpfliche Q u e l l e is
von
Schönheiten
der
Kunst,
und
es
wird
hier
in
einem
M o n a t e m e h r entdecket, als in d e n verschütteten S t ä d t e n b e y N e a p e l e i n e m J a h r e . N a c h d e m ich z u d e r A b h a n d l u n g ü b e r d i e S c h ö n h e i t in Geschichte
der
Kunst
Schönheit
übrig
ist,
schöneren K o p f 30
alles,
was
untersuchet
männlicher
in
Italien
hatte,
Jugend,
aus
glaubte
als d e n
dem ich
Apollo,
Genius, u n d den Mediceisdien Bacchus in R o m , z u
Alterthume
von
nimmermehr den
finden,
einen
Borghesischen u n d ich
wurde
außer mich gesetzet, d a m i r eine fast noch höhere Schönheit in d e m sichte eines j u n g e n F a u n s , m i t z w e y k l e i n e n H ö r n e r n a u f
2f
Cavaceppi
befindet. Es fehlet demselben
und
etwas v o n der O b e r l i p p e ; w a s f ü r einen Begriff w ü r d e dieser K o p f
geben,
w e n n er unbeschädigt w ä r e ! E i n e der gelehrtesten S t a t u e n aus d e m
Alter-
t h u m e , w u r d e i m M o n a t e M a y dieses 1763. J a h r e s , b e y A l b a n o in
einem
W e i n b e r g e des P r i n z e n Altieri, entdecket. Es stellet dieselbe einen
jungen
Wasser lief, u n d die Fi I g u r schauet, m i t geneigtem H a u p t e u n d
woraus gekrüm-
m e t e n Leibe, in dasselbe. D e r Florentinische t a n z e n d e F a u n scheint neben dem
diesem, u n d von
gleidiung 3S
zu
Händen
die Nase,
F a u n vor, welcher eine große Muschel v o r d e m Unterleibe hält, 30
Ge-
der Stirne,
G e s i c h t e k a m , w e l c h e r n a c h d e r Z e i t e n t d e c k e t ist, u n d sich i n d e n des Bildhauers
in der
werden,
mir
setzen. wie
man
kann
beschriebenen Es
es d e r
wird
ihn mit
Sturze also
künftig
Borghesische
keiner
Statue
des vergötterten ein
fälschlich
füglicher, als Hercules,
Altierischer genannte
Faun
Fechter,
in
hart mit Ver-
berühmt und
der
F a r n e s i s c h e H e r c u l e s ist. N a c h diesem allgemeinen Vorschlage z u m Unterrichte, sollte
derselbe
auch auf das besondere Schöne f ü h r e n , welches einer jeden der d r e y schön e n K ü n s t e , d e r M a l e r e y , B i l d h a u e r e y u n d d e r B a u k u n s t , e i g e n ist, w e n n 15 Winckelmann, Kleine Schriften
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dieses Feld nicht zu weitläuftig hier zu bestreiten wäre. Ich muß nach den Gränzen dieser Schrift, und nadi denjenigen, die mir andere wichtige Ausarbeitungen und Geschäfte setzen, mich begnügen, einzelne Blumen und Kräuter auf demselben zu suchen. Das Schöne in diesen Künsten ist schwerer in der Ersteren, leichter in der Zweyten, und noch leichter in der Dritten einzusehen: der Beweis aber von der Ursache des Schönen, ist allenthalben schwer, und hier gilt der bekannte Satz, daß nichts schwerer ist, als der Beweis einer augenscheinlichen Wahrheit, und die von allen durch Hülfe der Sinne begriffen wird. In der Baukunst ist das Schöne mehr allgemein, weil es vornehmlich in der Proportion besteht: denn ein Gebäude kann durch dieselbe allein, ohne Zierrathen, schön werden und seyn. Die Bildhauerey hat zwey schwere Theile, nemlich die Colorit, und Licht und Schatten, nicht, durch welche die Malerey ihre größte Schönheit erhebet, und also ist es stuffenweis leichter, die eine, als die andere Kunst, zu besitzen und einzusehen. Aus diesem Grunde konnte Bernini, ohne Gefühl des Menschlichen Schönen, ein grosser Baumeister seyn, welches Lob derselbe in der Bildhauerey nicht verdienet. Dieses ist so sinnlich, daß es mich wundert, wie es Leute geben können, welche gezweifelt, ob die Malerey oder die Bildhauerey schwerer sey: denn daß es in den neueren Zeiten weniger gute Bildhauer, als Maler, gege I ben, kann dieses nicht zweifelhaft machen. Hieraus folget, da das Schöne in der [Baukunst] mehr, als in den beyden andern Künsten, auf Eins gerichtet ist, daß die Empfindung desselben in diesen so viel seltener seyn müsse, da dieselbe in jener Kunst selten ist, wie sich dieses auch so gar in Rom selbst an den neuesten Gebäuden offenbaret, unter welchen wenige nach den Regeln der wahren Schönheit ausgeführet sind, wie es die von Vignola ohne Ausnahme zu seyn pflegen. In Florenz ist die schöne Baukunst sehr selten, so daß nur ein einziges kleines Haus schön heißen kann, welches audi die Florentiner als ein Wahrzeichen weisen: eben dieses kann man von Neapel sagen. Venedig aber Übertrift diese beyden Städte durch verschiedene Palläste am großen Canale, welche von Palladio aufgeführet sind. Man mache selbst den Schluß von Italien auf andere Länder. In Rom aber sind mehr schöne Palläste und Häuser, als in ganz Italien zusammen genommen; das schönste Gebäude unserer Zeiten, ist die Villa des Herrn Cardinais Alex. Albani, und der Saal in derselben kann der schönste und prächtigste in der Welt heißen. Der Inbegriff des Schönen in der Baukunst, ist an dem schönsten Gebäude in der Welt zu suchen, und dieses ist St. Peter. Die Mängel,
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welche hier Campbell in seinem Brittannisdien Vitruvius und andere finden, sind wie von hören sagen, und haben nicht den geringsten Grund. Man setzet an der vorderen Seite aus, daß die Oefnungen und Glieder derselben der Größe des Gebäudes nicht proportionirt seyn; aber man hat nicht bedacht, daß diese vermeynten Mängel durch den Balcon, auf welchem der Pabst sowohl hier, als zu St. Johann Lateran, und zu St. Maria Maggiore, den Segen zu ertheilen pfleget, nothwendig entstehen. Die Attische Ordnung an dieser Seite ist nicht höher, als diejenige, welche das ganze Gebäude hat. Der vermeynte Hauptfehler aber ist, daß Carlo Maderno, der Baumeister der vorderen Seite, dieselbe zu weit heraus geführet, und anstatt des Griechischen Kreuzes, wo die Cuppola in der Mit- I ten gewesen wäre, diesem Tempel die Forme des Lateinisdien Kreuzes gegeben habe. Dieses aber geschah auf Befehl, um den ganzen Platz der alten Kirche in dem neuen Gebäude einzuschließen. Diese Verlängerung war bereits vom Raphael, als Baumeister von St. Peter, vor dem Michael Angelo, entworfen, welches man aus dessen Grundrisse beym Serlio sieht, und Michael Angelo scheint in der That eben diesen Vorsatz gehabt zu haben, wie dessen Grundriß beym Bonanni zeiget. Es würde auch die Form des Griechischen Kreuzes wider die Regeln der alten Baumeister gewesen seyn, welche lehren, daß die Breite eines Tempels, ein Dritttheil der Länge desselben halten soll. In der Bildhauerey der alten Werke, ist die erste Kenntniß zur Uebung der Empfindung des Schönen, der Unterschied des Alten und Neuen an eben derselben Figur. Der Mangel dieser Kenntniß hat viel vermeynte Kenner und Scribenten verführet: denn es ist dieselbe nicht allenthalben so leicht, wie an den Ergänzungen der Statuen im Pallaste Giustiniani, die auch Anfängern im guten Geschmacke Eckel machen. Ich rede hier von den Zusätzen der Figur selbst: denn die derselben beygelegte Zeichen sind nicht unter der Empfindung des Schönen begriffen. Alle Scribenten haben sich bey dem sogenannten Farnesischen Ochsen betrogen, wo sie nichts neues gefunden haben; aber das Gefühl des Schönen hätte ihnen über ganze halbe Figuren dieses Werks, wenigstens Zweifel erwecken sollen. Im Nackenden ist nicht alles schön, (denn es waren auch vor Alters gute und schlechte Künstler, wie Plato im Cratylus sagt) aber auch wenig fehlerhaftes und schlechtes, und da in unserer Natur dasjenige vollkommen heißt, was die wenigsten Fehler hat, so finden sich in diesem Verstände viel Figuren der Alten, welche für schön gelten können. Aber das abstrakte und bloß Schöne ist von dem Ausdrucke in der Schönheit wohl zu unterscheiden: der Vaticanisdie Apollo
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ist ein Gesicht von dieser Art, der Borghesische Genius von jener; der Kopf des Apollo kommt nur einer unmuthigen und verach I tenden Gottheit zu. Das Bekleidete der alten Figuren kann in seiner Art schön, wie das Nackende, heißen: denn alle ihre Gewänder sind gut und schön geworfen, und nicht alle sind nach nassen Gewändern gearbeitet, wie insgemein irrig vorgegeben wird; dieses sind die feinen Gewänder, welche nahe am Fleische liegen mit niedrigen und kleinen Falten. Man kann also aus diesem Grunde die neuern Künstler nicht entschuldigen, die in historischen Werken, anstatt der Gewänder der Alten, sich andere gebildet haben, die niemals gewesen sind. An den erhobenen Arbeiten der Alten haben einige Scribenten, welche von ihren Werken nur wie die Pilgrimme von Rom reden können, auszusetzen gefunden, daß alle Figuren gleich erhoben seyn, ohne Malerische Abweichung, welche verschiedene Gründe und Weiten erfordert. Sie setzen dieses als erwiesen voraus, und schließen auf eine Ungeschicklichkeit, als wenn es schwerer wäre flach, als erhoben, zu modelliren. Diesen sage man, daß sie vieles nicht wissen: es finden sich solche Werke von drey verschiedenen Abweidlungen und Erhobenheiten der Figuren, und ein solches steht in dem prächtigen Saale der Villa Albani. In Werken neuerer Bildhauer muß man von der gemeinen Regel abgehen; man kann hier nicht allezeit von dem Werke auf den Meister schließen: denn ζ. E. die Statue des H. Dominicus mit der Kleidung seines Ordens, in St. Peter, war dem geschickten le Gros ein fast unüberwindlicher Widerstand zur Schönheit zu gelangen. Die Schönheit in der Malerey ist sowohl in der Zeichnung, und in der Composition, als in der Colorit, und im Lichte und Schatten. In der Zeichnung ist die Schönheit selbst der Probierstein, auch in dem, was Furcht erwecken soll: denn was von der schönen Form abweichet, kann gelehrt, aber nicht schön gezeichnet heißen. Verschiedene Figuren in dem Göttermahle des Raphaels, können mit diesem Satze nicht bestehen; aber dieses Werk ist von dessen Schülern ausgeführet, unter welchen Giulio Romano, der ihm am liebsten war, das Gefühl des wahren Schönen nicht besaß. I Da die Raphaelische Schule, welche nur wie die Morgenröthe hervor kam, aufhörete, verließen die Künstler das Alterthum, und giengen, wie vorher geschehen war, ihrem eigenen Dünkel nach. Durch die beyden Zucchari fieng das Verderbniß an, und Giuseppe von Arpino verblendete sich und andere. Beynahe fünfzig Jahre nach dem Raphael fieng die Schule der Caracci an zu blühen, deren Stifter Ludwig, der Aeltere von ihnen, nur auf vierzehen Tage Rom sah, und folglich seinen Enkeln,
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sonderlich dem Hannibal, in der Zeichnung nidit beykommen konnte. Diese waren Eclectici, und suchten die Reinheit der Alten und des Raphaels, das Wissen des Michael Angelo, mit dem Reichthume und dem Ueberflusse der Venetianischen Schule, sonderlich des Paolo, und mit der Fröhlichkeit des Lombardischen Pinsels im Correggio, zu vereinigen. In der Schule des Agostino und des Hannibals haben sich Domenichino, Guido, Guercino und Albano gebildet, die den Ruhm ihrer Meister erreichet, aber als Nachahmer müssen geachtet werden. Domenichino studirte die Alten mehr, als alle Nachfolger der Caracci, und arbeitete nicht, bevor er auch die geringsten Theile gezeichnet, wie man unter andern aus acht großen Bänden seiner Zeichnungen, in dem Museo des Herrn Cardinals Alex. Albani, welche itzo der König von Engeland besitzet, darthun kann; im Nackenden aber hat er die Raphaelische Reinigkeit nicht erreichet. Guido ist sich nicht gleich, weder in der Zeichnung, noch in der Ausführung: er kannte die Schönheit, aber er hat dieselbe nicht allezeit erreichet. Sein Apollo in der berühmten Aurora ist nichts weniger, als eine schöne Figur, und ist gegen den Apollo von Mengs unter den Musen in der Villa Albani, wie ein Knecht gegen dessen Herrn. Der Kopf seines Erzengels ist schön, aber nicht Idealisch. Seine erste und starke Colorit verließ er, und nahm eine helle, flaue und unkräftige Art an. Guercino hat sich im Nackenden nicht vornehmlich gezeiget, und band sich nicht an die Strenge der Raphaelischen Zeichnung, und der Alten, deren Gewänder und I Gebräuche er auch in wenig Werken beobachtet und nachgeahmet hat. Seine Bilder sind edel, aber nach seinen eigenen Begriffen entworfen, so daß er mehr, als die vorigen, ein Original heißen kann. Albano ist der Maler der Gratia, aber nicht der höchsten, welcher die Alten opferten, sondern der unteren; seine Köpfe sind mehr lieblich, als schön. Nach diesen Anzeigen kann man selbst suchen, über die Schönheit einzelner Figuren in den übrigen Malern, die es verdienen, zu urtheilen. Die Schönheit der Composition besteht in der Weisheit, das ist, sie soll einer Versammlung von gesitteten und weisen Personen, nicht von wilden und aufgebrachten Geistern, gleichen, wie die von la Fage sind. Die zwote Eigenschaft ist die Gründlichkeit, das ist, es soll nichts müßig und leer in derselben seyn, nichts, wie in Versen, um des Reims willen, gesetzet, so daß die Nebenfiguren nicht wie gepfropfte Reiser, sondern wie Zweige von dem Stamme erscheinen. Die dritte Eigenschaft ist die Vermeidung von Wiederholungen in Handlungen und Stellungen, welche eine Armuth von Begriffen, und eine Unachtsamkeit zeigen. Sehr große
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Compositionen bewundert man, als solche, nicht: die Machinisten, oder diejenigen, welche große Plätze geschwinde mit Figuren anfüllen können, wie Lanfranc, dessen Cupolen viele hundert Figuren enthalten, sind wie viele Scribenten in Folio. Wir wissen, wie Phädrus sagt, Plus esse in uno saepe, quam in turba, boni. Viel und gut steht selten beysammen, und derjenige, welcher an seinen Freund schrieb: ich habe nicht Zeit gehabt, mich kürzer zu fassen, wußte, daß nicht das Viele, sondern das Wenige, schwer ist. Thiepolo macht mehr in einem Tage, als Mengs in einer Woche: aber jenes ist gesehen und vergessen; dieses bleibt ewig. Wenn aber die großen Werke nach allen Theilen ausstudiret sind, wie das jüngste Gericht des Michael Angelo, wovon sich viele erstere eigenhändige Entwürfe einzelner Figuren, und Haufen mehrerer, in den vormals Albanischen, itzo Königl. Englischen Zeichnungen fin I den, und wie die Schlacht des Constantins vom Raphael ist, wo wir nicht weniger Vorwürfe von Verwunderung sehen, als der Held, dem Pallas beym Homerus das Schlachtfeld zeigen würde, alsdenn, sage ich, haben wir ein ganzes Systema der Kunst vor Augen. Die Erläuterung der obigen Erinnerung giebt die Schlacht des Alexanders wider den Porus, von Pietro von Cortona, im Campidoglio, welches ein Gemengsei von geschwind entworfenen und ausgeführten kleinen Figuren ist, insgemein aber als ein Wunderwerk gezeiget und gesehen wird, um so viel mehr, da die Legende sagt, Ludwig X I V . habe dem Hause Savelli, wo dieses Stück war, 20,000 Scudi dafür gebothen, welche Lügen neben dessen Gebothe von 100,000 Louis für die Nacht des Correggio stehen kann. Die Colorit erhält ihre Schönheit durch eine fleißige Ausführung: denn die vielen Abweichungen der Farben, und ihre Mitteltinten, sind nicht geschwinde gefunden und gesetzt. Alle große Maler haben nicht geschwinde gearbeitet, und die Raphaelische Schule, ja alle große Coloristen, haben ihre Werke auch in der Nähe zu betrachten gemacht. Die letzteren Welsche Maler, unter welchen Carlo Maratta der vornehmste ist, haben geschwinde ausgeführet, und sich mit einer allgemeinen Wirkung ihrer Werke begnüget; daher sie viel verlieren, wenn man sie lange und näher untersuchen will. Von diesen Malern muß das Sprichwort in Deutschland entstanden seyn: Schön von weiten, wie die Italienischen Gemälde. Ich unterscheide hier die Frescogemälde von andern, als welche nicht fein ausgeführet werden, weil sie von weiten wirken müssen, ingleichen fleißig geendigte und geleckte Gemälde, welche peinlich und verzagt gearbeitet sind, und sich mehr durch Fleiß, als durch wahres
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Wissen, anpreisen. Jene aber zeigen die Gewißheit und Zuversicht, und der freye Pinsel verlieret nichts im nahen, und wirket viel weiter, als jener. Von dieser Art ist die Krone aller Gemälde im Kleinen in der Welt, im Pallaste Albani, nemlich die berühmte Verklärung Christi des Raphaels, welches viele für das Werk dieses Meisters I selbst halten, einige aber dessen Schülern zuschreiben. Von der andern Art ist eine Abnehmung vom Kreuze von Van der Werf, eines seiner besten Werke, an eben dem Orte, welches der Künstler für den Churfürsten von der Pfalz zum Geschenke an Pabst Clemens XI. gemacht hat. In der Colorit des Nackenden sind Correggio und Titiano die Meister unter allen: denn ihr Fleisch ist Wahrheit und Leben: Rubens, welcher in der Zeichnung nicht Idealisch ist, ist es hier; sein Fleisch gleichet der Rothe der Finger, welche man gegen die Sonne hält, und seine Colorit ist gegen jene, wie das ächte Porcellan gegen eine durchsichtige Glascomposition. In Absicht des Lichts und Schattens, können wenige Werke des Caravaggio und des Spagnoletto schön seyn: denn sie sind der Natur des Lichts zuwider. Der Grund ihrer finsteren Schatten ist der Satz: entgegen gesetzte Dinge neben einander, werden scheinbarer; wie es eine weis[s]e Haut durch ein dunkles Kleid wird. Die Natur aber handelt nicht nach diesen Satz; sie geht stuffenweis auch in Licht, Schatten und Finsterniß, und vor dem Tage geht vorher die Morgenröthe, und vor der Nacht die Demmerung. Die Pedanten in der Malerey pflegen diese schwarze Kunst zu sdiätzen, wie die in der Gelehrsamkeit einige beschmauchte Scribenten. Aber ein Liebhaber der Kunst, welcher in sich ein Gefühl des Schönen bemerket, und nicht genügsame Kenntniß besitzet, wird irre, wenn er von vermeynten Kennern Gemälde schätzen höret, wo ihm sein Sinn das Gegentheil spricht. Hat derselbe die Werke der besten Meister betrachtet, so daß er eine nothdürftige Erfahrung erlanget hat, kann derselbe sein Auge und sein Gefühl mehr, als den Ausspruch, welcher ihn nicht überzeuget, sich eine Regel seyn lassen. Denn es giebt Leute, die nur das loben, was andern nicht gefällt, um sich dadurch über die gemeine Meynung hinweg zu setzen: so wie der berühmte Maifei, welcher sehr seicht im Griechischen war, den finsteren und gezwungenen Nicander dem Homerus gleich schätzte, um etwas fremdes zu sagen, und von sich glauben zu machen, daß er seinen Held gele I sen und verstanden. Der Liebhaber der Kunst kann versidiert seyn, daß, wenn es nicht nöthig wäre, die Manier gewisser Meister zu kennen, die Gemälde des Luca Giordano, des Preti von Calabrese, des Solimena, und überhaupt aller Neapelschen Maler, kaum die Zeit werth sind, dieselben zu untersuchen:
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eben dieses kann von den neueren Venetianischen Malern, sonderlich vom Piazzetta, gesagt werden. Ich füge diesem Unterrichte zur Empfindung des Schönen in der Kunst folgende Erinnerungen bey. Man sey vor allen Dingen aufmerksam auf besondere eigenthiimlidie Gedanken in den Werken der Kunst, welche zuweilen wie kostbare Perlen in einer Schnur von schlechteren stehen, und sich unter diesen verlieren können. Unsere Betrachtung sollte anheben von den Wirkungen des Verstandes, als dem würdigsten Theile, auch der Schönheit, und von da heruntergehen auf die Ausführung. Dieses ist sonderlich bey Poußins Werken zu erinnern, wo das Auge durch die Colorit nicht gereizet wird, und also den vornehmsten Werth derselben übersehen könnte. Es hat derselbe die Worte des Apostels: „Ich habe einen guten Kampf gekämpfet," in dem Gemälde der letzten Oelung, durch einen Schild über dem Bette des Sterbenden vorgestellet, auf welchem der Name Christus, wie auf den alten Christlichen Lampen steht; unter demselben hängt ein Köcher, welches auf die Pfeile des Bösewichts deuten kann. Die Plage der Philister an heimlichen Orten ist in zwo Personen ausgedrücket, welche dem Kranken die Hand reichen, und sidi die Nase zuhalten. Ein edler Gedanken ist in der berühmten Io des Correggio der lechzende Hirsch am Wasser, aus den Worten des Psalmisten: „Wie der Hirsch schreyet" etc. genommen, als ein reines Bild der Brunst des Jupiters: denn das Schreyen des Hirsches heißt im Hebräischen zugleich etwas sehnlich und brünstig verlangen. Schön gedacht ist der Fall der ersten Menschen vom Domenidiino in der Gallerie Colonna: der Allmächtige, von einem Chor der Engel getragen, hält dem Adam sein Vergehen vor; dieser wirft die Schuld auf die I Eva, und Eva auf die Schlange, welche unter ihr kriechet; und diese Figuren sind stuffenweis, wie die Handlung ist, gestellet, und in einer Kette von hinübergehender Handlung einer auf die andere. Die zwote Erinnerung sey die Beobachtung der Natur. Die Kunst, als eine Nachahmerinn derselben, soll zur Bildung der Schönheit allezeit das Natürliche suchen, und alles Gewaltsame, so viel möglich ist, vermeiden, weil selbst die Schönheit im Leben durch gezwungene Gebährden misfällig werden kann. Wie viel angebrachtes Wissen in einer Schrift, einem klaren und deutlichen Unterrichte weichen muß, so soll es dort die Kunst der Natur thun, und jene soll nach dieser abgewogen werden. Wider diesen Satz haben große Künstler gehandelt, deren Haupt hier Michael Angelo ist, welcher, um sich gelehrt zu zeigen, in den Figuren der Großherzoglichen Gräber, so gar die Unanständigkeit derselben über-
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sehen hat. Aus diesem Grunde soll man in starken Verkürzungen keine Schönheit suchen: denn diese sind wie die ausstudirte Kürze in des Cartesius Geometrie, und verbergen, was sichtbar seyn sollte; es können dieselben Beweise seyn von der Fertigkeit im Zeichnen, aber nicht von der Kenntniß der Schönheit. Die dritte Erinnerung betrifft die Ausarbeitung. Da diese nicht das erste und das höchste Augenmerk seyn kann, so soll man über die Künsteleyen in derselben, als wie über Sdiönfledce, hinsehen: denn hier können die Künstler aus Tirol, welche das ganze Vater unser erhoben auf einem Kirschkerne geschnitten haben, allen den Rang streitig machen. Wo aber Nebendinge mit der Hauptsache gleich fleißig ausgeführet worden, wie es die Kräuter auf dem Vorgrunde der Verklärung Christi sind, zeiget es die Gleichförmigkeit des Künstlers im Denken und Wirken, welcher, wie der Schöpfer, auch im Kleinsten groß und schön erscheinen wollen. Maffei, welcher, wiewohl irrig, vorgiebt, daß die alten Steinschneider die Gründe ihrer vertieften Figuren glätter, als die Neuern, zu machen verstanden, muß auf Kleinigkeiten in der Kunst mehr, als auf das Wesentliche, aufmerksam gewesen seyn. Die Glätte des Marmors ist also keine Eigenschaft einer Statue, wie die Glätte I eines Gewandes, sondern höchstens wie es die glatte Oberfläche des Meeres ist: denn es sind Statuen, und zwar einige der schönsten, nicht geglättet. Dieses kann zur Absicht dieses Entwurfs, welcher allgemein seyn sollte, hinlänglich geachtet werden. Die höchste Deutlichkeit kann Dingen, die auf der Empfindung bestehen, nicht gegeben werden, und hier läßt sich schriftlich nicht alles lehren, wie unter andern die Kennzeichen beweisen, welche Argenville in seinen Leben der Maler von den Zeichnungen derselben zu geben vermeynet. Hier heißt es: gehe hin und sieh; und Ihnen, mein Freund, wünsche ich wieder zu kommen. Dieses war Ihr Versprechen, da ich Ihren Namen in die Rinde eines prächtigen und belaubten Ahorns, zu Frascati, schnitt, wo ich meine nicht genutzte Jugend in Ihrer Gesellschaft zurück rief, und dem Genius opferte. Erinnern Sie sich desselben und Ihres Freundes: genießen Sie Ihre schöne Jugend in einer edlen Belustigung, und ferne von der Thorheit der Höfe, damit Sie sich selbst leben, weil Sie es können, und erwecken Sie Söhne und Enkel nach ihrem Bilde.
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Widmung vor der
Geschichte der Kunst des Alterthums. Dem Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn, HERRN FRIEDRICH CHRISTIAN Königlichen Prinzen in Pohlen etc. Herzoge zu Sachsen etc. etc. DURCHLAUCHTIGSTER CHURFÜRST, Gnädigster Herr! Nach den Erstlingen meiner Römischen Arbeiten in deutscher Sprache, welche EW. KÖNIGL. H O H E I T gnädigst anzunehmen geruhet haben, erscheine ich mit reiferen Früchten der Kunst, welche, als die Ersten in ihrer Art, in dem Schooße der Alterthümer und der Künste erwachsen, und unter diesem mir glücklichen Himmel genähret und vollendet sind. Diese Arbeit verspricht sich daher das Glück, einiger Aufmerksamkeit gewürdiget zu werden, da dieselbe einen gründlichen Kenner und Beurtheiler ihres Inhalts an EW. KÖNIGL. H O H E I T findet, vermöge der Kenntniß, welche DIESELBEN durch Betrachtung der Werke der alten und neuen Kunst ein ganzes Jahr zu Rom erlanget haben, und in Absicht D E R O mir bezeigten hohen Huld und Gnade, welcher ich mich und diese Schrift in tieffster Verehrung empfehle, als EW. KÖNIGL. H O H E I T unterthänigster Knecht, Johann Winckelmann.
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Vorrede zu, der
Geschichte der Kunst des Alterthums. Die Geschichte der Kunst des Alterthums, welche ich zu schreiben unternommen habe, ist keine bloße Erzählung der Zeitfolge und der Veränderungen in derselben, sondern ich nehme das Wort GESCHICHTE in der weiteren Bedeutung, weldie dasselbe in der Griechischen Sprache hat, und meine Absicht ist, einen Versuch eines Lehrgebäudes zu liefern. Dieses habe ich in dem Ersten Theile, in der Abhandlung von der Kunst der alten Völker, von jedem insbesondere, vornehmlich aber in Absicht der Griechischen Kunst, auszuführen gesudiet. Der Zweyte Theil enthält die Geschichte der Kunst im engeren Verstände, I das ist, in Absicht der äußeren Umstände, und zwar allein unter den Griechen und Römern. Das Wesen der Kunst aber ist in diesem sowohl, als in jenem Theile, der vornehmste Entzweck, in welches die Geschichte der Künstler wenig Einfluß hat, und diese, welche von andern zusammengetragen worden, hat man also hier nicht zu suchen: es sind hingegen auch in dem zweyten Theile diejenigen Denkmale der Kunst, welche irgend zur Erläuterung dienen können, sorgfältig angezeiget. Die Geschichte der Kunst soll den Ursprung, das Wachsthum, die Veränderung und den Fall derselben, nebst dem verschiedenen Stile der Völker, Zeiten und Künstler, lehren, und dieses aus den übrig gebliebenen Werken des Alterthums, so viel möglich ist, beweisen. Es sind einige Schriften unter dem Namen einer Geschichte der Kunst an das Licht getreten; aber die Kunst hat einen geringen Antheil an denselben: denn ihre Verfasser haben sich mit derselben nidit genug bekannt gemachet, und konnten also nichts geben, als was sie aus Büchern, oder von sagen hören, hatten. In das Wesen und zu dem Innern der Kunst führet fast kein Scribent, und diejenigen, welche von Alterthümern handeln, berühren entweder nur dasjenige, wo Gelehrsamkeit anzubringen war, oder wenn sie von der Kunst reden, geschieht es theils mit allgemeinen Lobsprüchen, oder ihr Urtheil ist auf fremde und falsche Gründe
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Geschichte der Kunst. Vorrede [ X | X I X I | X I I ]
gebauet. Von dieser Art ist des Monier Geschichte der Kunst, und des Dürand Uebersetzung und Erklärung der letzten Bücher des Plinius, unter dem Titel: GESCHICHTE DER ALTEN M A L E R E Y : audi Turnbull in seiner Abhandlung von der alten Malerey, gehöret in diese Classe. Aratus, welcher die Astronomie nicht verstand, wie Cicero sagt, konnte ein berühmtes Gedicht über dieselbe schreiben; ich weis aber nicht, ob audi ein I Grieche ohne Kenntniß der Kunst etwas würdiges von derselben hätte sagen können. Untersuchungen und Kenntnisse der Kunst wird man vergebens suchen in den großen und kostbaren Werken von Beschreibung alter Statuen, die bis itzo bekannt gemachet worden sind. Die Beschreibung einer Statue soll die Ursache der Schönheit derselben beweisen, und das besondere in dem Stile der Kunst angeben: es müssen also die Theile der Kunst berühret werden, ehe man zu einem Urtheile von Werken derselben gelangen kann. Wo aber wird gelehret, worinnen die Schönheit einer Statue besteht? welcher Scribent hat dieselbe mit Augen eines weisen Künstlers angesehen? Was zu unsern Zeiten in dieser Art geschrieben worden, ist nicht besser, als die Statuen des Callistratus; dieser magere Sophist hätte nodi zehenmal so viel Statuen beschreiben können, ohne jemals eine einzige gesehen zu haben: unsere Begriffe schrunden bey den mehresten solcher Beschreibungen zusammen, und was groß gewesen, wird wie in einen Zoll gebracht. Eine Griechische und eine sogenannte Römische Arbeit wird insgemein nach der Kleidung, oder nach deren Güte, angegeben: ein auf der linken Schulter einer Figur zusammengehefteter Mantel soll beweisen, daß sie von Griechen, ja in Griechenland gearbeitet worden 1 . Man ist sogar darauf gefallen, das Vaterland des Künstlers der Statue des Marcus Aurelius, in dem Schöpfe Haare auf dem Kopfe des Pferdes zu suchen; man hat einige Aehnlichkeit mit einer Eule an demselben gefunden, und dadurch soll der Künstler Athen haben anzeigen wollen 2 . So bald eine gute Figur nur nicht als ein Senator gekleidet ist, heißt sie Grie I chisch, da wir doch gleichwohl Senatorische Statuen von namhaften Griechischen Meistern haben. Ein Gruppo in der Villa Borghese führet den Namen Marcus Coriolanus mit seiner Mutter: dieses wird vorausgesetzet, und daraus sdiließt man, daß dieses Werk zur Zeit der Republik gemacht worden 1 , und eben deswegen findet man es schlechter, als es nicht ist. Und weil einer 1
Fabret. Inscr. p. 400. n. 293. * Pinaroli Rom. ant. mod. P. I. p. 106. Spectat. Vol. 3. | 1 Ficoroni Rom. ant. p. 20.
[ X I I I X I I I ] Geschichte der Kunst. Vorrede
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Statue von Marmor in eben der Villa der Name der Zigeunerinn (Egizzia) gegeben worden, so findet man den wahren Aegyptischen Stil in dem Kopfe 2 , welcher nichts weniger zeiget, und nebst den Händen und Füßen, gleichfalls von Erzt, vom Bernini gemachet ist. Das heißt, die Baukunst nach dem Gebäude einriditen. Eben so ungründlich ist die von allen ohne aufmerksame Betrachtung angenommene Benennung des vermeynten Papirius mit seiner Mutter, in der Villa Ludovisi 3 , und dü Bos findet4 in dem Gesichte des jungen Menschen ein arglistiges Lächeln, wovon wahrhaftig keine Spur da ist. Dieses Gruppo stellet vielmehr die Phädra und den Hippolytus vor, dessen Figur Bestürzung im Gesichte zeiget über den Antrag der Liebe von einer Mutter: die Vorstellungen der Griechischen Künstler, (wie Menelaus der Meister dieses Werks ist,) waren aus ihrer eigenen Fabel und Heldengeschichte genommen. In Absicht der Vorzüglichkeit einer Statue ist es nicht genug, so wie Bernini vielleicht aus unbedaditsamer Frediheit gethan6, den Pasquin für die schönste aller alten Statuen zu halten; man soll auch seine Gründe bringen: auf eben diese Art hat I te er die M E T A S U D ANTE vor dem Coliseo als ein Muster der alten Baukunst anführen können. Einige haben aus einem einzigen Budistaben den Meister kühnlich angegeben1, und derjenige, welcher die Namen einiger Künstler an Statuen, wie bey dem gedachten Papirius, oder vielmehr Hippolytus, und bey dem Germanicus gesdiehen, mit Stillschweigen übergangen, giebt uns den Mars von Johann Bologna in der Villa Medicis für eine Statue aus dem Alterthume an 2 ; dieses hat zugleich andere verführet 3 . Ein anderer, um eine sdilechte alte Statue, den vermeynten Narcissus in dem Pallaste Barberini4, anstatt einer guten Figur, zu beschreiben, erzählet uns die Fabel desselben, und der Verfasser einer Abhandlung von drey Statuen im Campidoglio, der Roma, und zween Barbarischer gefangener Könige, giebt uns wider Vermuthen eine Geschichte von Numidien 6 : das heißt, wie die Griechen sagen, Leucon trägt ein Ding, und sein Esel ein ganz anderes. 1 Mafiei Stat. ant. n. 79. » Ibid. n. 63. 4 Reil, sur la Poes. Τ . I. p. 3 7 2 . 5 Baldinuc. Vit. di Bern. p. 72. Bern. Vit. del med. p. 1 3 . 1 1 Capac. Antiq. Campan. p. 10. 1 Mafiei Stat. ant. n. 30. s Montfauc. Diar. Ital. p. 222. 4 Tetii Aedes Barber, ρ. 18 j . * Brasdiius de trib. Stat. c. 13. p. 1 2 $ .
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Geschichte der Kunst. Vorrede [XIII|XIV XIV|XV]
Aus Beschreibungen der übrigen Alterthümer, der Gallerien und Villen zu Rom, ist eben so wenig Unterricht für die Kunst zu ziehen; sie verführen mehr, als sie unterrichten. Zwo Statuen der Hersilia, der Frau des Romulus, und eine Venus vom Phidias beym Pinaroli 6 , gehören zu den Köpfen der Lucretia und des Casars nach dem Leben gemachet, in dem Verzeichnisse der Statuen des Grafen Pembroke, und des Cabinets des Cardinais Polignac. Unter den Statuen Graf Pembrokes zu Wil-I ton in Engeland, die von Carry Creed auf vierzig Blätter in groß Quart schlecht genug geätzet sind, sollen vier von einem Griechischen Meister Cleomenes seyn. Man muß sich wundern über die Zuversicht auf die Leichtgläubigkeit der Menschen, wenn eben daselbst vorgegeben wird 1 , daß ein Marcus Curtius zu Pferde von einem Bildhauer gearbeitet worden, welchen Polybius, (ich vermuthe, der Feldherr des Achäischen Bundes und Geschichtschreiber,) von Corinth mit nach Rom gebracht habe: es wäre nicht viel unverschämter gewesen, vorzugeben, daß er den Künstler nach Wilton geschicket habe. Richardson hat die Palläste und Villen in Rom, und die Statuen in denselben, beschrieben, wie einer, dem sie nur im Traume erschienen sind: viele Palläste hat er wegen seines kurzen Aufenthalts in Rom gar nicht gesehen, und einige, nach seinem eigenen Geständnisse, nur ein einzigesmal; und dennoch ist sein Buch bey vielen Mängeln und Fehlern das beste, was wir haben. Man muß es so genau nicht nehmen, wenn er eine neue Malerey, in Fresco und von Guido gemacht, für alt angesehen2. Keyßlers Reisen sind in dem, was er von Werken der Kunst in Rom und an andern Orten anführet, nicht einmal in Betrachtung zu ziehen: denn er hat dazu die elendesten Bücher abgeschrieben. Manilli hat mit großem Fleiße ein besonderes Buch von der Villa Borghese gemacht, und dennoch hat er drey sehr merkwürdige Stücke in derselben nicht angeführet: das eine ist die Ankunft der Königinn der Amazonen Penthesilea beym Priamus in Troja, dem sie sich erbiethet beyzustehen; das andere ist Hebe, welche ihres Amts, die Ambrosia den Göttern zu reichen, war beraubet I worden, und die Göttinnen fußfällig um Verzeihung bittet, da Jupiter schon den Ganymedes an ihre Stelle eingesetzet hatte; das dritte ist ein schöner Altar, an welchem Jupiter auf einem Centaur reutet 1 , welcher weder von ihm, " Rom. ant. mod. Τ. 2. p. 316. p. 378. Τ. 3. p. 74. | 1 pi. ι J. Curtius Bassorilievo. The Sculptor brought to Rome by Polybius from Corinth. ä Trait, de Peint. T. 2. p. 275. | 1 conf. Winckelm. Pref. k la Descr. des Pier. gr. du Cab. de Stosdi, p. 15.
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nodi von sonst jemand, bemerket worden ist, weil er in dem Keller unter dem Pallaste steht. Montfaucon hat sein Werk entfernet von den Schätzen der alten Kunst zusammengetragen, und hat mit fremden Augen, und nadi Kupfern und Zeichnungen geurtheilet, die ihn zu großen Vergehungen verleitet haben. Hercules und Antäus im Pallaste Pitti zu Florenz, eine Statue von niedrigem Range, und über die Hälfte neu ergänzet, ist beym Maffeia und bey ihm3 nidits weniger, als eine Arbeit des Polycletus. Den Schlaf von schwarzem Marmor in der Villa Borghese, vom Algardi, giebt er für alt aus4: eine von den großen neuen Vasen aus eben dem Marmor, von Silvio von Veletri gearbeitet, die neben dem Sdilafe gesetzet sind, und die er auf einem Kupfer dazu gesetzt gefunden6, soll ein Gefäß mit schlafmachendem Safte bedeuten. Wie viel merkwürdige Dinge hat er übergangen! Er bekennet®, er habe niemals einen Hercules in Marmor mit einem Hörne des Ueberflusses gesehen: in der Villa Ludovisi aber, ist er also in Lebensgröße vorgestellet, in Gestalt einer Herma, und das Horn ist wahrhaftig alt. Mit eben diesem Attribute steht Hercules auf einer zerbrochenen Begräbnißurne7, unter den Trümmern der Alter-1 thümer des Hauses Barberini, welche vor einiger Zeit verkauft worden sind. Es fällt mir ein, daß ein anderer Franzos, Martin, ein Mensch, weldier sich erkühnen können zu sagen, Grotius habe die Siebenzig Dolmetscher nicht verstanden, entscheidend und kühn vorgiebt1, die beyden Genii an den alten Urnen können nicht den Schlaf und den Tod bedeuten; und der Altar, an welchem sie in dieser Bedeutung mit der alten Ueberschrift des Schlafs und des Todes stehen, ist öffentlich in dem Hofe des Pallastes Albani aufgestellet2. Ein anderer von seinen Landesleuten straft den Jüngeren Plinius Lügen, über die Beschreibung seiner Villa3, von deren Wahrheit uns die Trümmer derselben überzeugen. Gewisse Vergehungen der Scribenten über die Alterthümer, haben sich 2
Stat. ant. n. 43. Antiqu. expl. Τ . I. p. 361. Supplem. Τ. I. p. 2 1 j. 4 Ant. expl. Τ. I. p. 365. 8 Montelat. Vil. Borgh. p. 294. ' Ant. expl. 7 conf. Winckelm. Descr. des Pier. gr. etc. p. 273. | 1 Explic. des Monum. qui ont rapport έ la relig. p. 3 6. 2 conf. Spanh. Obs. in Callim. Hymn, in Del. p. 459. * conf. Lancis. Animadv. in Vil. Plin. p. 22. 8
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durch den Beyfall und durch die Länge der Zeit gleichsam sicher vor der Widerlegung gemacht. Ein rundes Werk von Marmor in der Villa Giustiniani, dem man durch Zusätze die Form einer Vase gegeben, mit einem Bacchanale in erhobener Arbeit, ist, nachdem es Spon zuerst bekannt gemachet hat 4 , in vielen Büchern in Kupfer erschienen, und zu Erläuterungen gebraucht worden. J a man hat aus einer Eydexe, die an einem Baume hinauf kriechet, muthmaßen wollen, daß dieses Werk von der Hand des Sauros seyn könne 6 , welcher mit einem Batradius den Portico des Metellus gebauet hat: gleichwohl ist es eine neue Arbeit. Man sehe, w a s ich in den ANMERKUNGEN ÜBER DIE BAUKUNST v o n diesen beyden
Baumeistern gesagt I habe. Eben so muß diejenige Vase neu seyn, von weither Spon in einer besondern Schrift handelt 1 , wie es der Augenschein den Kennern des Alterthums und des guten Geschmacks giebt. Die mehresten Vergehungen der Gelehrten in Sachen der Alterthümer rühren aus Unachtsamkeit der Ergänzungen her: denn man hat die Zusätze anstatt der verstümmelten und verlohrnen Stüdke von dem wahren Alten nicht zu unterscheiden verstanden. Ueber dergleichen Vergehungen wäre ein großes Buch zu schreiben: denn die gelehrtesten Antiquarii haben in diesem Stücke gefehlet. Fabretti wollte aus einer erhobenen Arbeit im Pallaste Mattei, welche eine J a g d des Kaisers Gallienus vorstellet 2 , beweisen, daß damals schon Hufeisen, nach heutiger A r t angenagelt, in Gebrauch gekommen 3 ; und er hat nicht gekannt, daß das Bein des Pferdes von einem unerfahrnen Bildhauer ergänzet worden. Die Ergänzungen haben zu lächerlichen Auslegungen Anlaß gegeben. Montfaucon, zum Exempel, deutet4 eine Rolle, oder einen Stab, welcher neu ist, in der Hand des Castors oder Pollux, in der Villa Borghese, auf die Gesetze der Spiele in Wettläufen zu Pferde, und in einer ähnlichen neu angesetzten Rolle, welche der Mercurius in der Villa Ludovisi hält, findet derselbe eine schwer zu erklärende Allegorie; so wie Tristan auf dem berühmten Agath zu St. Denis, einen Riem an einem Schilde, welchen der vermeynte Germanicus hält, f ü r Friedensartikel angesehen6. Das heißt, St. Michael eine I 4
Miscell. ant. p. 28. Stosdi Pref. Pier. gr. p. 8. | 1 Discours sur une piece ant. du Cab. de Iac. Spon. ! Bartoli Admirand. ant. Tab. 24. 3 Fabret. de Column. Traj. c. 7. p. 225. conf. Montfauc. Antiqu. explic. T. 4. p. 79. 4 Idem Antiqu. expl. Τ. I. p. 297. • Comment, hist. Τ. I. p. 106. | 5
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Ceres getauft 1 . Wright hält 2 eine neue Violin, die man einem Apollo in der Villa Negroni in die Hand gegeben, für wahrhaftig alt, und berufet sidi auf eine andere neue Violin, an einer kleinen Figur von Erzt, zu Florenz, die auch Addison anführet 3 . Jener glaubet Raphaels Ehre zu vertheidigen, weil dieser große Künstler, nach seiner Meynung, die Form der Violin, welche er dem Apollo auf dem Parnasso im Vatican in die Hand gegeben, von besagter Statue werde genommen haben, die allererst über anderthalb hundert Jahre nadiher vom Bernini ist ergänzet worden; man hätte mit eben so viel Grunde einen Orpheus mit einer Violin, auf einem geschnittenen Steine, anführen können4. Eben so hat man an dem ehemaligen gemalten Gewölbe in dem alten Tempel des Bacchus vor Rom, eine kleine Figur mit einer neuen Violin zu sehen vermeynet 5 ; hierüber aber hat sich Santes Bartoli, weldier dieselbe gezeichnet, nadiher besser belehren lassen, und aus seiner Kupferplatte das Instrument weggenommen, wie ich aus dem Abdrucke desselben sehe, welchen er seinen ausgemalten Zeichnungen von alten Gemälden, in dem Museo des Herrn Cardinais Alexander Albani, beygefüget hat. Durch die Kugel in der Hand der Statue des Cäsars im Campidoglio 6 hat der alte Meister derselben, nach der Auslegung eines neuern Römischen Dichters7, die Begierde desselben nach einer unumschränkten Herrschaft andeu I ten wollen: er hat nicht gesehen, daß beyde Arme und Hände neu sind. Herr Spence hätte sich bey dem Zepter eines Jupiters nicht aufgehalten 1 , wenn er wahrgenommen, daß der Arm neu, und folglich auch der Stab neu ist. Die Ergänzungen sollten in den Kupfern, oder in ihren Erklärungen, angezeiget werden: denn der Kopf des Ganymedes in der Gallerie zu Florenz muß nadi dem Kupfer einen schlechten Begriff machen2, und er ist noch schlechter im Originale. Wie viel andere Köpfe alter Statuen daselbst sind neu, die man nicht dafür angesehen hat! wie der Kopf eines Apollo, dessen Lorbeerkranz vom Gori als etwas besonders angeführet wird 3 . Neue Köpfe haben der Narcissus, der sogenannte Phrygische 1
v. Hist, de l'Acad. des Inscr. T . 3. p. 300. Observ. made in Travels through France Ital. p. 26j. * Remarks, p. 241. 4 Maffei Gemme, T . 4. p. 96. 5 Ciampini vet. Monum. T. 2. tab. 1. p. 2. β Maffei Stat. ant. tav. ι j. 7 Concorso dell'Acad. di S. Luca, n. 1738. | 1 Polymet, Dial. 6. p. 46. not. 3. 1 Mus. Flor. Τ. 3· tav. j. * Ibid. alia tav. 10. 8
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Priester, eine sitzende Matrone, die Venus Genetrix 4 : der Kopf der Diana, eines Bacchus mit dem Satyr zu dessen Füßen, und eines andern Bacchus, der eine Weintraube in die Höhe hält, sind abscheulidi schlecht6. Die mehresten Statuen der Königinn Christina von Schweden, welche zu St. Ildefonse in Spanien stehen, haben ebenfalls neue Köpfe, und die acht Musen daselbst auch die Arme. Viele Vergehungen der Scribenten rühren auch aus unrichtigen Zeichnungen her, welches zum Exempel die Ursache davon in Cupers Erklärung des Homerus ist. Der Zeichner hat die Tragödie für eine Männliche Figur angesehen, und es ist der Cothurnus, welcher auf dem Marmor sehr deutlich ist, I nicht angemerket. Ferner ist der Muse, welche in der Höhle steht, anstatt des PLECTRUM eine gerollete Schrift in die Hand gegeben. Aus einem heiligen Dreyfuße will der Erklärer ein Aegyptisches Tau machen, und an dem Mantel der Figur vor dem Dreyfuße behauptet derselbe drey Zipfel zu sehen, welches sich ebenfalls nicht findet. Es ist daher schwer, ja fast unmöglidi, etwas gründliches von der alten Kunst, und von nicht bekannten Alterthümern, ausser Rom zu schreiben: es sind auch ein paar Jahre hiesiges Aufenthalts dazu nicht hinlänglich, wie ich an mir selbst nach einer mühsamen Vorbereitung erfahren. Man muß sich nicht wundern, wenn jemand sagt1, daß er in Italien keine unbekannte Inschriften entdecken können: dieses ist wahr, und alle, welche über der Erde, sonderlich an öffentlichen Orten, stehen, sind der Aufmerksamkeit der Gelehrten nicht entgangen. Wer aber Zeit und Gelegenheit hat, findet noch allezeit unbekannte Inschriften, welche lange Zeit entdecket gewesen, und diejenigen, welche ich in diesem Werke sowohl, als in der Beschreibung der geschnittenen Steine des Stoßischen Musei, angeführet habe, sind von dieser Art: aber man muß dieselben zu suchen verstehen, und ein Reisender wird dieselben schwerlich finden. Noch viel schwerer aber ist die Kenntniß der Kunst in den Werken der Alten, in welchen man nach hundertmal Wiedersehen noch Entdeckungen machet. Aber die mehresten gedenken zu derselben zu gelangen, wie diejenigen, welche aus Monathssdiriften ihre Wissenschaften sammeln, und unterstehen sich vom Laocoon, wie diese vom Homerus, zu urtheilen, auch im Angesichte desjenigen, der diesen und jenen viele Jahre studiret hat: I sie reden aber hingegen von dem größten Dichter, wie Lamothe, und von der vollkommensten Statue, wie Aretino. Ueber4
Ibid. tav. 71. 80. 88. 33. * Ibid. tav. 19. 47. jo. | 1 Chamillart Lettre 18. p. 101.
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haupt sind die mehresten Scribenten in diesen Sachen, wie die Flüße, welche aufschwellen, wenn man ihr Wasser nicht nöthig hat, und trocken bleiben, wenn es am Wasser fehlet. In dieser Geschichte der Kunst habe ich mich bemühet, die Wahrheit zu entdecken, und da ich die Werke der alten Kunst mit Muße zu untersuchen alle erwünschte Gelegenheit gehabt, und nichts ersparet habe, um zu den nöthigen Kenntnissen zu gelangen, so glaubte ich, midi an diese Abhandlung machen zu können. Die Liebe zur Kunst ist von Jugend auf meine größte Neigung gewesen, und ohnerachtet mich Erziehung und Umstände in ein ganz entferntes Gleis geführet hatten, so meldete sich dennoch allezeit mein innerer Beruf. Ich habe alles, was ich zum Beweis angeführet habe, selbst und vielmal gesehen, und betrachten können, so wohl Gemälde und Statuen, als geschnittene Steine und Münzen; um aber der Vorstellung des Lesers zu Hülfe zu kommen, habe ich sowohl Steine, als Münzen, welche erträglich in Kupfer gestochen sind, aus Büchern zugleich mit angeführet. Man wundere sich aber nicht, wenn man einige Werke der alten Kunst mit dem Namen des Künstlers, oder andere, welche sich sonst merkwürdig gemacht haben, nicht berühret findet. Diejenigen, welche ich mit Stillschweigen übergangen habe, werden Sachen seyn, die entweder nicht dienen zur Bestimmung des Stils, oder einer Zeit in der Kunst, oder sie werden nicht mehr in Rom vorhanden, oder gar vernichtet seyn: denn dieses Unglück hat sehr viel herrliche Stücke in neueren Zeiten betroffen, wie ich an verschiedenen Orten angemerket habe. Idi würde den Trunk einer Statue, mit dem Namen APOLLONIUS DES N E - I STORS S O H N AUS ATHEN 1 , welche ehemals in dem Pallaste Massimi war, beschrieben haben; er hat sich aber verlohren. Ein Gemälde der Göttinn Roma, (nicht das bekannte im Pallaste Barberini) welches Spon beybringet 2 , ist auch nicht mehr in Rom. Das Nymphäum, vom Holstein beschrieben3, ist durch Nachläßigkeit, wie man vorgiebt, verdorben, und wird nicht mehr gezeiget. Die erhobene Arbeit, wo die Malerey das Bild des Varro malete, welches dem bekannten Ciampini gehörete4, hat sich ebenfalls aus Rom verlohren, ohne die geringste weitere Nachricht. Die Herma von dem Kopfe des Speusippus5, der Kopf des Xenocrates®, 1
Spon. Miscel. ant. p. 112. Dati Vite de'Pittori, p. 118. Redierch. d'Antiq. Diss. 13. ρ. 19$. * Vet. pict. Nymph, referens, Rom. 167J. fol. 4 in fronte alle Pitture ant. di Bartoli. 5 Fulv. Vrsin. Imag. 137. conf. Montfauc. Palaeogr. Gr. L. 2. c. 6. p. 1 5 3 . 8 Spon. Miscel. ant. p. 136. 1
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Gesdbidite der Kunst. Vorrede [XXII|XXIII XXIII|XXIV]
und verschiedene andere mit dem Namen der Person, oder des Künstlers, haben gleiches Schicksal gehabt. Man kann nicht ohne Klagen die Nachrichten von so vielen alten Denkmalen der Kunst lesen, welche sowohl in Rom, als anderwerts, zu unserer Väter Zeiten vernichtet worden, und von vielen hat sich nicht einmal die Anzeige erhalten. Ich erinnere mich einer Nachricht, in einem ungedruckten Schreiben des berühmten Peiresc an den Commendator del Pozzo, von vielen erhobenen Arbeiten in den Bädern zu Pozzuolo bey Neapel, welche noch unter Pabst Paul I I I . daselbst standen, auf welchen Personen mit allerhand Krankheiten behaftet vorgestellet waren, die in diesen Bädern die Gesundheit erlanget hatten: dieses ist die einzige Nachricht, welche sich von denselben findet. Wer sollte glauben, daß man noch zu unsern Zeiten aus dem Sturze! einer Statue, von welcher der Kopf vorhanden ist, zwo andere Figuren gemachet? und dieses ist zu Parma in diesem Jahre, da ich dieses schreibe, geschehen, mit einem Colossalischen Sturze eines Jupiters, von welchem der schöne Kopf in der Maleracademie daselbst aufgestellet ist. Die zwo neuen aus der alten gemeißelte Figuren, von der Art, wie man sich leicht vorstellen kann, stehen in dem Herzoglichen Garten. Dem Kopfe hat man die Nase auf die ungeschickteste Weise angesetzet, und der neue Bildhauer hat für gut gefunden, den Formen des alten Meisters an der Stirne, an den Backen und am Barte nachzuhelfen, und das, was ihm überflüßig geschienen, hat er weggenommen. Ich habe vergessen zu sagen, daß dieser Jupiter in der neulich entdeckten verschütteten Stadt Velleja, im Parmesanischen, gefunden worden. Ausserdem sind bey Menschen Gedenken, ja seit meinem Aufenthalte in Rom, viel merkwürdige Sachen nach Engeland geführet worden, wo sie, wie Plinius redet, in entlegenen Landhäusern verbannet stehen. Da die vornehmste Absicht dieser Geschichte auf die Kunst der Griechen geht, so habe ich auch in dem Capitel von derselben umständlicher seyn müssen, und ich hätte mehr sagen können, wenn ich für Griechen, und nicht in einer neuern Sprache geschrieben, welche mir gewisse Behutsamkeiten aufgeleget; in dieser Absicht habe ich ein Gespräch über die Schönheit, nach Art des Phädrus des Plato, welches zur Erläuterung der Theoretischen Abhandlung derselben hätte dienen können, wiewohl ungerne, weggelassen. Alle Denkmale der Kunst, sowohl von alten Gemälden und Figuren in Stein, als in geschnittenen Steinen, Münzen und Vasen, welche ich zu Anfang und zu Ende der Capitel, oder ihrer Abtheilungen, zugleich zur Zierde und zum Beweise, angebracht I habe, sind niemals vorher öffent-
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lieh bekannt gemadiet worden, und idi habe dieselben zuerst zeichnen und stechen lassen. Ich habe mich mit einigen Gedanken gewaget, welche nicht genug erwiesen scheinen können: vielleicht aber können sie andern, die in der Kunst der Alten forschen wollen, dienen, weiter zu gehen; und wie oft ist durch eine spätere Entdeckung eine Muthmaßung zur Wahrheit geworden. Muthmaßungen, aber solche, die sich wenigstens durch einen Faden an etwas Festen halten, sind aus einer Schrift dieser Art eben so wenig, als die Hypotheses aus der Naturlehre zu verbannen; sie sind wie das Gerüste zu einem Gebäude, ja sie werden unentbehrlich, wenn man, bey dem Mangel der Kenntniße von der Kunst der Alten, nicht große Sprünge über viel leere Plätze machen will. Unter einigen Gründen, welche ich von Dingen, die nicht klar wie die Sonne sind, angebracht habe, geben sie einzeln genommen, nur Wahrscheinlichkeit, aber gesammelt und einer mit dem andern verbunden, einen Beweis. Das Verzeichniß der Bücher, welches vorangesetzet ist, begreift nicht alle und jede, welche ich angeführet habe; wie denn unter denselben von alten Dichtern nur der einzige Nonnus ist, weil in der ersten und seltenen Ausgabe, deren ich mich bedienet, nur die Verse einer jeden Seite, und nicht der Bücher in demselben, wie in den übrigen Dichtern, gezählet sind. Von den alten Griechischen Geschichtschreibern sind mehrentheils die Ausgaben von Robert und von Heinrich Stephanus angeführet, welche nicht in Capitel eingetheilet sind, und dieserwegen habe ich die Zeile einer jeden Seite angemerket. An Vollendung dieser Arbeit hat mein würdiger und gelehrter Freund, Herr Frank, sehr verdienter Aufseher der berühmten I und prächtigen Bünauischen Bibliothek, einen großen Antheil, wofür ich demselben öffentlich höchst verbindlichen D a n k zu sagen schuldig bin: denn dessen gütiges H e r z hätte mir von unserer in langer gemeinschaftlicher Einsamkeit gepflogenen Freundschaft kein schätzbareres Zeugniß geben können. Ich kann auch nicht unterlassen, da die Dankbarkeit an jedem Orte löblich ist, und nicht oft genug wiederholet werden kann, dieselbe meinen schätzbaren Freunden, Herrn Fueßli, zu Zürich, und Herrn Will, zu Paris, von neuem hier zu bezeugen. Ihnen hätte mit mehrerem Rechte, was ich von den Herculanischen Entdeckungen bekannt gemachet habe, zugeschrieben werden sollen: denn unersucht, ohne mich zu kennen, und aus freyem gemeinschaftlichen Triebe, aus wahrer Liebe zur Kunst, und zur Erweiterung unserer Kenntnisse, unterstützten sie mich auf meiner ersten Reise an jene Orte durch einen großmüthigen Beytrag. Menschen
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Geschichte der Kunst. Vorrede [ X X V | X X V I ]
von dieser Art sind, vermöge einer solchen That allein, eines ewigen Gedächtnisses würdig, welches Sie ihre eigenen Verdienste versichern. Ich kündige zugleich dem Publico ein Werk an, welches in Welscher Sprache, auf meine eigene Kosten gedruckt, auf Regal-Folio, im künftigen Frühlinge zu Rom erscheinen wird. Es ist dasselbe eine Erläuterung niemals bekannt gemachter Denkmale des Alterthums von aller Art, sonderlich erhobener Arbeiten in Marmor, unter welchen sehr viele schwer zu erklären waren, andere sind von erfahrnen Alterthumsverständigen, theils für unauflösliche Ratzel angegeben, theils völlig irrig erkläret worden. Durch diese Denkmale wird das Reich der Kunst mehr, als vorher geschehen, erweitert; es erscheinen in denselben ganz unbekannte Begriffe und Bilder, die sich zum Theil auch in den Nachrichten der Alten verlohren haben, und ihre Schriften werden I an vielen Orten, wo sie bisher nicht verstanden worden sind, audi ohne Hülfe dieser Werke nidit haben können verstanden werden, erkläret, und in ihr Licht gesetzet. Es besteht dasselbe aus zweyhundert und mehr Kupfern, welche von dem größten Zeichner in Rom, Herrn Johann Casanova, Sr. Königl. Majestät in Pohlen pensionirten Maler, ausgeführet sind, so daß kein Werk der Alterthümer Zeichnungen aufzuweisen hat, welche mit so viel Richtigkeit, Geschmack und Kenntniß des Alterthums sich anpreißen können. Ich habe an der übrigen Auszierung desselben nichts ermangeln lassen, und es sind alle Anfangsbuchstaben in Kupfer gestochen. Diese Geschichte der Kunst weihe ich der Kunst, und der Zeit, und besonders meinem Freunde, Herrn Anton Raphael Mengs. Rom, im Julius, 1763.
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Widmung vor den
Anmerkungen über die Geschichte der Kunst des Alterthums. HERRN Heinr. Wilh. M u z e l S t o s c h zugeeignet. Q V I MORES HOMINVM MVLTORUM V I D I T , E T VRBES. Edler Freund! Idi setze Ihren Namen dieser Arbeit vor, weniger in Absicht einer Zuschrift, als vielmehr um Gelegenheit zu haben, von unserer geprüfeten Freundschaft, die von höherer Natur ist, ein öffentlich Zeugniß zu geben. Wenn die Stärcke, mit welcher die Freundschaft in Abwesenheit wachset, ein Beweis der Wahrheit derselben seyn kann, so hat die unsrige diesen seltenen Vorzug. Wenige Zeit und mit vieler Arbeit überhäuft, habe ich dieselbe persönlich genossen; aber ich bin Ihnen mit Herz und Geist von Florenz nach London, und aus Engeland nadi Constantinopel, bis in unserem gemeinschaftlichen Vaterlande gefolget, und je weiter entfernet, desto grösser ist meine Sehnsucht und Liebe geworden. In Verbindungen mit anderen, die ich zu schließen gesuchet habe, I glaube ich der wirksamste Theil gewesen zu seyn, in der unsrigen aber räume ich Ihnen diesen Vorzug ein. Eine einzige Wollust aber haben wir beyde in unserer Freundschaft nicht genossen, nemlidi diejenige, die der Mahler und der Bildhauer währender Arbeit seines Werks hat; das ist, den Freund zu bilden und zu schaffen. Denn wir waren einer für den andern bereits ersehen, und Freunde, wie der erste Mensch wurde, oder wie ein hoher Gedanke und ein erhabenes Bild nicht stüdeweis, sondern auf einmal in seiner Grösse und Reife entstehet. In Ihnen lebet itzo die Liebe des natürlichen Vaterlandes von neuen auf, dessen Erinnerung in einem würdigen Genuße des Lebens und in einer edlen Muße, zu Rom, ziem-
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Anmerkungen über d. Gesch. d. Kunst. Widmung
lidi gleichgültig geworden war, und ich sehne mich itzo dasselbe, und den würdigsten der Freunde von Angesicht zu sehen, um sein in mir erneuertes Bild wiederum dahin zurück zu bringen, wo vermuthlich der Sitz meiner Ruhe bleiben wird. Ich zähle bereits die Monate bis zu der Zeit der Vollendung dieses Wunsches, und bleibe mit Geist und Leib der Ihrige ewige Winckelmann.
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P|H]
Vorrede zu den
Anmerkungen über die Geschichte der Kunst des Alterthums. Diese Anmerkungen waren nicht bestimmet, besonders zu erscheinen, sondern ich würde vermittelst derselben eine vermehrte und verbesserte Ausgabe der Geschichte der Kunst haben liefern können; aber die starke Auflage derselben und die Französische Uebersetzung haben midi bewogen, meine Bemerkungen, die ich bey Gelegenheit angezeichnet hatte, zu sammlen. Denn auf der einen Seite würde ich noch lange haben anstehen müssen, was ich nöthig fand, zu erinnern, auf der anderen Seite aber, da die Geschichte der Kunst in fremder Tracht, obgleich ungeschickt und unwissend eingekleidet, sich allgemeiner gemachet, eraditete ich es meine Schuldigkeit, diese Arbeit durch gegenwärtige Zusätze vollständiger zu machen. Ich entsehe mich nicht die Mängel der Geschichte der Kunst zu bekennen; so wie es aber keine Schande ist, auf der Jagd in einem Walde nicht alles Wild zu fangen, oder Fehl-Schüße zu thun, so hoffe ich Entschuldigung zu verdienen, über das was von mir übergangen oder nicht bemerket worden, und wenn ich nicht allezeit den rechten Fleck getroffen habe. Ich kann hingegen auch versichern, daß manches sowohl dort als hier mit Fleiß nicht berühret worden, theils weil aus Mangel der Kupfer die Anzeige undeutlich oder mangelhaft gewesen seyn würde, theils weil ich mich in gelehrte Untersuchungen hätte einlassen müssen, die zu weit von meinem Zwecke abgegangen wären. Denn die Gelehrsamkeit soll in Abhandlungen über die Kunst der geringste Theil seyn, wie denn dieselbe, wo sie nichts wesentliches lehret, vor nichts zu achten ist, und alsdenn wie bey seichten Rednern, oder bey schlechten Saytenschlägern (um mit den Alten zu reden) das Husten zu seyn pfleget, netnlich ein Zeichen des Mangels. Ich gestehe auch gerne, daß ich zuweilen einige Kleinigkeiten nicht völlig richtig angegeben gehabt, weil man ofte dem I Gedächtnisse zu sehr trauet, oder Gänge an entlegene Orte ersparen will, und dieser Vorwurf würde weniger bedeutend seyn als derjenige,
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Anmerkungen über d. Gesdi. d. Kunst. Vorrede [II|III]
den man mit Rechte dem Prideaux machet, welcher die Arundelisdien Marmor, da er zu Oxfort war, wo dieselben an einem Orte beysammen stehen, in dunkelen Stellen nicht selbst untersuchet hat. Der Leser wird hoffentlich nidit ungeneigt deuten, wenn ich in diesem Vorberichte, da mir vielleicht künftig die Gelegenheit fehlen möchte, zu dessen Unterrichte, den Weg anzeige, den ich in Untersuchung der Alterthümer und der Werke der Kunst genommen habe. Idi gieng nadi Rom nidit auf Kosten eines Hofes, wie man sich vorstellet, noch weniger mit einem Vorsdiuße des Herrn, dem ich in Sachsen gedienet, welches ein unwissender Schmierer kühnlich vorgiebt, sondern von einen würdigen Freunde unterstützet, dem ich öffentlich meine Dankbarkeit bezeiget habe; ich gieng hierher mit dem Vorsatze im Lernen zugleich auf den Unterricht zu denken, und da ich glaubete, daß von Werken der alten Kunst vielleicht wenig mit philosophischer Betrachtung und mit gründlicher Anzeige des wahren Schönen in Schriften abgehandelt bekannt worden, so hoffete ich, es würde meine Reise nidit ohne Nutzen seyn. Ich hatte, so viel mir die sehr wenige Zeit, über die ich Herr war, erlaubete, mich zu diesen Absichten vorher zubereitet, und aus meinen damaligen Betrachtungen erwuchs die Schrift von der Nachahmung der Alten in der Mahlerey und Bildhauerkunst. Diese meine Absicht zu erreichen, schlug ich alles aus, was mir sowohl vor meiner Reise von Rom aus, als auch nadi meiner Ankunft in Rom von zween wohlbekannten Cardinälen angetragen wurde; denn ohne Unabhänglidikeit würde ich meinem Zwedk verfehlet haben. Das ganze erste Jahr sähe ich und betrachtete, ohne einen bestimmten Plan zu machen: denn ob ich gleich das Wesentliche allezeit zum Augenmerke hatte, wurde es mir schwer, auf dem von mir betretenen und ungebahnten Wege mit gewünschten Erfolg fortzugehen, ja, ich wurde vielmals irre gemachet durdi das Urtheil der Künstler, welches meiner Empfindung und Kenntnis widerspradi. Da aber der Satz unumstößlidi fest in mir war, daß das Gute und das Schöne nur Eins ist, und daß nur ein einziger Weg zu demselben führet, anstatt daß zum Bösen und Schlechten viele Wege gehen, I sudite ich durdi eine Systematische Kenntnis meine Bemerkungen zu prüfen und zu befestigen. Mein vorläufiger Entsdiluß war, anfänglich weniger aufmerksam zu seyn auf die Alterthümer der Orte, der Lagen, Gegenden und auf alte Ueberbleibsel der Gebäude, weil vieles ungewiß ist, und weil das was man wissen und nidit wissen kann, von mehr als einem Scribenten hinlänglich gründlich abgehandelt worden. Ich konnte mich auch nicht ein-
[IIIIIV] Anmerkungen über d. Gesch. d. Kunst. Vorrede
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lassen, alles aufzusudien, weil diejenigen, die midi hätten führen können, mir zu kostbar waren. Da nun diese Kenntnis auch ohne alles Genie erlanget werden kann, nahm ich nur so viel auf meinem Wege mit, als idi selbst finden und untersuchen konnte. Denn ich verglich diese Wissenschaft mit der Bücher-Kenntnis, welche nicht selten diejenigen die Gelegenheit gehabt haben, dieselbe zu erlangen, verhindert hat, den Kern der Bücher zu kennen. Derjenige, welcher in das Wesen des Wissens zu dringen sudiet, hat sidi nicht weniger vor der Begierde ein Litterator zu werden, als vor das was man insgemein unter das Wort Antiquarius verstehet, zu hüten. Denn das eine sowohl als das andere ist sehr reizend, weil es Beschäftigungen sind, die dem Müßiggange und der uns angebohrnen Trägheit zum eigenen Denken, schmeicheln. Es ist ζ. E. angenehm zu wissen, wo im alten Rom die Carina waren, und ohngefehr den Ort anzugeben, wo Pompejus gewohnet hat, und ein Führer der Reisenden, der ihnen dieses zu zeigen weiß, pfleget es mit einer gewissen Genügsamkeit zu thun; was weiß man aber mehr, wenn man diesen Ort, wo nicht die geringste Spur von einem alten Gebäude ist, gesehen hat? Aus eben dem Grunde war ich nidit sehr um Römische Münzen bekümmert, theils weil es schwer ist, noch itzo neue Entdeckungen in denselben zu madien, theils audi, weil idi sähe, daß Menschen ohne alle Wissenschaft eine grosse Kenntnis in diesem Fache erlanget haben. Die seltensten Römischen Münzen (die Medaglioni wegen der Schönheit ihres Gepräges ausgenommen) sind den seltenen Büchern zu vergleichen, die sich einzeln gemacht haben, weil ein Buchhändler durch den Nachdruck derselben nidits gewinnen würde, und ein seltener Pertinax oder Pescennius in Silber oder Golde sollte nicht mehr als eins von Giordano Bruno Büchern gesdiätzet werden. Idi sudiete hingegen Münzen Griediischer Länder und Städte zu sehen, die von Münzkrämern, weil in denselben nidit I leicht, wie in den Römisdien eine Folge zu madien ist, nidit sonderlich gesuchet werden. Auch in diesem Studio wird man sidi nicht in Kleinigkeiten verlieren, wenn die Alterthümer betrachtet werden als Werke von Menschen gemadit, die höher und männlicher dachten als wir, und diese Einsicht kann uns bey Untersuchung dieser Werke über uns und über unsere Zeit erheben. Eine denkende Seele kann am Strande des weiten Meers sidi nicht mit niedrigen Ideen beschäftigen; der unermeßliche Blick erweitert audi die Schranken des Geistes, welcher sidi anfänglich zu verlieren scheinet, aber grösser wiederum in uns zurück kommt. Nachdem idi ferner bald einsähe, daß sehr viele Werke alter Kunst entweder nidit bekannt, oder nicht verstanden noch erkläret worden,
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Anmerkungen über d. Gesch. d. Kunst. Vorrede [IV|V]
so suchte ich die Gelehrsamkeit mit der Kunst zu verbinden. Die größte Schwierigkeit in Sachen die auf Gelehrsamkeit bestehen, pfleget zu seyn, zu wissen was andere vorgebracht haben, damit man nicht vergebene Arbeit mache, oder etwas sage, was bereits mehrmahl wiederholet ist. Diese Besorgung wurde gehoben, da ich die Bücher von alten Denkmalen der Kunst von neuen durchsähe und versichert seyn konnte, daß dasjenige was nicht in Rom selbst erkläret worden, schwerlich mit Richtigkeit ausserhalb geschehen können. Der freye Gebrauch der grossen Bibliothec des Cardinais Passionei gab mir die Bequemlichkeit zu diesem Studio, bis ich die Aufsicht der Bibliothec und des Musei des Herrn Cardinais Alex. Albani bekam, und nachher als Professor der Griechischen Sprache in der Vaticanischen Bibliothec die zu meinem Vorhaben dienenden Schätze in denselben durchzusuchen, Freyheit gehabt habe. Die Untersuchung der Kunst aber blieb beständig meine vornehmste Beschäftigung, und diese mußte anfangen mit der Kenntnis, das neue von dem alten und das wahre von den Zusätzen zu unterscheiden. Ich fand bald die allgemeine Regel, daß frey abstehende Theile der Statuen, sonderlich die Arme und Hände mehrentheils für neu zu achten sind, und folglich auch die beygelegten Zeichen; es fiel mir aber anfänglich schwer über einige Köpfe aus mir selbst zu entscheiden. Da ich in dieser Absicht den Kopf einer weiblichen Statue in der Nähe betrachten wollte, fiel dieselbe um, und es fehlete wenig, daß ich nicht unter derselben zerquetschet und begraben worden. Hier muß ich bekennen, daß ich allererst vor wenig Jahren einen erhoben gearbeiteten Apollo in dem Pallaste Giustiniani, I welcher durchgehende für alt gehalten und von einem gereiseten Scribenten 1 als das schönste Stück in gedachten Hause angegeben wird, als eine neue Arbeit erkannt habe. Da das Schlechte aber, welches der neue Zusatz zu seyn pfleget, leichter, als das Gute gefunden wird, so wurde es mir weit schwerer, das Schöne zu entdecken, wo es über meine Kenntnis gieng. Ich sähe die Werke der Kunst an, nicht als jemand der zuerst das Meer sähe und sagte, es wäre artig anzusehen: die Athaumastie, oder die Nicht-Verwunderung, die vom Strabo angepriesen wird, weil sie die Apathie hervorbringet, schätze ich in der Moral, aber nicht in der Kunst, weil hier die Gleichgültigkeit schädlich ist. In dieser Untersuchung ist mir zuweilen das Vorurtheil eines allgemeinen Rufs den einige Werke haben, zu statten gekommen, und trieb mich, wenigstens etwas Schönes in denselben zu * Wright's Travels, p. 294.
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erkennen, und mich davon zu überzeugen. Der von mir beschriebene Sturz eines Hercules von der Hand des Apollonius aus Athen kann hier zum Beyspiele dienen. Ueber dieses Werk blieb ich bey dem ersten Anblicke unerbauet, und ich konnte die gemäßigte Andeutung der Theile desselben, mit deren starken Erhobenheit in anderen Statuen des Hercules, sonderlich des Farnesischen, nicht reimen. Ich stellete mir hingegen die große Achtung des Michael Angelo für dieses Stück, und aller folgenden Künstler, vor Augen, welche mir gleichsam ein Glaubens-Artickel seyn mußte, doch dergestalt, daß ich ohne Gründe demselben meinen Beyfall nicht geben konnte. Ich wurde in meinem Zweifel irre durch die Stellung die Bernini und der ganze Haufe der Künstler diesem verstümmelten Bilde gegeben, als welche sich in demselben einen spinnenden Hercules vorstellen. Endlich nach vielfältiger Betrachtung, und nachdem ich midi überzeuget hatte, daß gedachte Stellung an demselben irre gedacht sey, und daß hier vielmehr ein ruhender Hercules, mit dem rechten Arme auf seinem Haupte geleget, und wie mit Betrachtung seiner vollendeten Thaten beschäftiget, vorgestellet worden, glaubete ich den Grund des Unterschieds zwischen diesen Hercules und anderen Statuen desselben gefunden zu haben. Denn Stellung und Bildung zeigeten mir in demselben einen Hercules, welcher unter die Götter aufgenommen worden, und dort von seinen Arbeiten geruhet, so wie er auf dem Olympus ruhend mit den Beyworte des RUHENDEN I ( Α Ν Α Π Α Υ Ο Μ Ε Ν Ο Σ ) auf einer erhobenen Arbeit in der Villa des Herrn Cardinais Alex. Albani, abgebildet ist, und folglich erscheinet in dem berühmten Sturze kein menschlicher Hercules, sondern der Göttliche. D a es mir nun gelungen war, in einer oder der anderen Statue die vermeinten Gründe ihrer Achtung und ihrer Schönheit zu finden, fuhr ich fort die übrigen allezeit dergestalt zu betrachten, daß ich mich in der Stelle setzete, dessen welcher vor einer Versammlung von Kennern Rechenschaft davon geben sollte, und ich legte mir selbst die Nothwendigkeit auf, nicht den Rücken zu wenden, bevor ich etwas von Schönheit mit dessen Gründen gefunden hatte. Nach einiger Erleuchtung die ich erlanget, bemühete ich mich den Stil der Künstler der Aegypter und der Hetrurier, wie nicht weniger den Unterschied zwischen diesem letzten Volke und der Kunst der Griechen zu bestimmen. Die Kennzeichen Aegyptisther Arbeiten schienen sich von selbst anzubiethen; mit dem Stil der Hetrurier aber gelung es mir nicht auf gleiche Weise, und ich unterstehe mich noch itzo nicht unwidersprechlich zu behaupten, daß einige erhobene Arbeiten, die Hetrurisch
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scheinen, nicht von dem ältesten Stil der Griechen seyn können. Mit mehr scheinbarer Gewisheit entdeckete ich verschiedene Zeiten in Griechischen Werken, aber es giengen einige Jahre vorbey, ehe sich von dem hohen Alter einer Muse im Pallaste Barberini einige Beweise darbothen. Die Betrachtung der Kunst hatte midi die zwey ersten Jahre meines hiesigen Aufenthalts dergestalt beschäftiget, daß ich nur wie im Vorbeygehen an das bloß gelehrte Alterthum gedenken konnte. In dieses Gleis aber brachte mich die Arbeit der Beschreibung der tief geschnittenen Steine des damals bereits verstorbenen Herrn von Stosdi, die ich binnen neun Monate meines Aufenthalts zu Florenz aus dem gröbsten entwarf, und hernach zu Rom endigte. Hier lernete ich, in Absicht der geschnittenen Steine, daß allezeit je schöner die Arbeit ist, desto natürlicher die Vorstellung und folglich die Erklärung leicht sey, so daß die Steine mit Namen der Künstler von jedermann verstanden werden. Ferner bestimmete die Erfahrung bey mir, daß die Griechischen Arbeiten in dieser Art weniger dunkele Bilder als die Hetrurischen haben, und daß die ältesten insgemein die schwersten sind, so wie die Mythologie der ältesten Griechischen Dichter des Pampho und des Orpheus dunkler war als diejenige weldie ihre Nachfolger lehren. Ich kam hier zu erst auf die Spur I einer Wahrheit, die mir nachher in Erklärung der schwersten Denkmale von grossen Nutzen gewesen, und diese bestehet in dem Satze, daß auf geschnittenen Steinen sowohl als in erhobenen Arbeiten die Bilder sehr selten von Begebenheiten genommen sind, die nach dem Trojanischen Kriege, oder nadi der Rückkehr des Ulysses in Ithaca vorgefallen, wenn man etwa die Heracliden, oder Abkömmlinge des Hercules, ausnimmt: denn die Geschidite derselben grenzet nodi mit der Fabel, die der Künstler eigener Vorwurf war. Es ist mir jedoch nur ein einziges Bild der Geschichte der Heracliden bekannt, welches mit weniger Veränderung auf verschiedenen alten Steinen wiederholet ist, nemlich das Loos welches Cresphontes und Temenus After-Enkel des Hercules mit zween Söhnen ihres Bruders Aristomachus über die Theilung des Peloponnesus macheten, nachdem sie dieses Land mit gewafneter Hand eingenommen hatten. Dieser Stein ist irrig vom Beger und von Gori erkläret. Die Wahrheit gedachten Satzes wurde bey mir bestätiget sonderlich in der öfteren Untersuchung von acht und zwanzig tausend Abdrücken in Schwefel die der Herr von Stosch von allen und jeden alten Steinen die ihm vorgekommen waren, oder von weldie er Nadiridit erhalten, hatte machen lassen. Idi machte vermöge dieser Erfahrung einen Schluß wider das Alterthum aller Steine, wo Römisdie Geschichten gebildet sind, welches an diesen.
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durch die Arbeit selbst den Kennern in die Augen fallen kann. Dieses zeiget sich unwidersprechlich an zween Cameen in dem Museo Strozzi zu Rom, auf welchen Quintus Curtius geschnitten, wie er sidi zu Pferde in den Abgrund stürzet. Die schön ausgeführte neue Steine sind von Gori1, als alt bekannt gemadiet und beschrieben. Was ich hier von der Römischen Geschichte anmerke, muß nicht auf Werke in Marmor gedeutet werden, die in Rom gemacht und öffentliche Denkmale waren: denn es findet sidi eben der Curtius auf einer kleinen erhobenen Arbeit im Campidoglio und in Lebensgrösse in der Villa Borghese. Als ich hierauf nadi geendigter gedachten Beschreibung und nach Vollendung der Geschichte der Kunst, an die Erläuterung derjenigen Denkmale des Alterthums gieng, die noch nicht bekannt gemachet worden, war vorerwehnter Satz mein Führer, und obgleich derselbe an und vor sidi nichts erkläret, so wird jedoch dadutdi die I Aufmerksamkeit in einem engeren Umfange von Bildern eingesdirenket, und die Einbildung sdiweifet nicht in Geschichten über den Mythischen Cirkel hinaus. In dieser Arbeit setzete ich eine andere nidit weniger nützliche Erfahrung fest, nemlich, daß die alten Künstler sonderlich auf erhobenen Werken von mehr Figuren kleine bloß Idealische Bilder entworfen, das ist, solche die keine bekannte Geschichte vorstellen, sondern daß in allen entweder die Mythologie der Götter oder der Helden zu suchen sey. Ich nehme allezeit Bacchanale, Tänze u. s. f. aus. Wenn diejenigen die sich mit Erklärung alter Denkmale abgegeben haben, diesen Satz zum Grunde geleget hätten, würde die Wissenschaft der Alterthümer weit gründlicher und gelehrter geworden seyn. Dieses können folgende Beyspiele erklären. Bellori bezeichnet ein vom Bartoli gestochenes erhobenes Werk mit dem Titel: EPITHALAMIUM"; er hätte aber untersuchen sollen, ob es nicht vielmehr die Vermählung des Cadmus mit der Harmonia oder des Peleus mit der Thetis seyn könne, so wie diese letztere nach meiner Meinung auf der sogenannten Aldovrandinischen Hochzeit vorgestellet worden. Was bey eben demselben FERALIS POMPA heißt, und an dem Deckel einer Begräbnis-Urne im Pallaste Barberini gearbeitet istb, bildet das Leidibegängnis des Meleagers und dessen Ehegenossin Cleopatra, die sich das Leben nimmt. Eben so sind die Bilder auf einer andern Begräbnis-Urne in gedachten Pallastec nicht mit einer allgemeinen Benennung des Ueber1 Mus. Flor. Τ. 2. Tab. 29. n. 2. 3. | » Barthol. Admir. tab. 62. b Ibid. tab. 70. 7 1 . c Ibid. tab. 7 ; . 76.
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gangs in die Elisäischen Felder und des Leidtragens zu fassen, sondern man siehet ganz deutlich die ganze Geschichte des Protesilaus, wie dieselbe beym Homerus und von anderen Fabelschreibern erkläret wird. Ein anderes mehrmal wiederholtes Werk, wo Bellori mit dem Titel einer grausamen That den Leser abfertiget·1, ist der Tod des Agamemnons. Ich bin audi überzeuget worden, daß dasjenige was oft ein unauflößliches Räthsel geschienen, keine dunkele und weitgesuchte Allegorie, nach des Lycophrons Weise, gewesen. Dem ohnerachtet aber ist nicht ohne Vortheil, wenn andere Spuren fehlen, dergleichen Allegorien vorauszusetzen, und dieselben zu verfolgen, so weit sie reichen, weil man oft unerwartete Dinge findet, und ich habe zuweilen I dergleichen Muthmaßungen nicht verworfen, sondern dem Leser mitgetheilet, wenn dieselben seltene Nachrichten lehren. Der erste Anschlag zu dieser Arbeit war bloß auf diejenigen Denkmale gerichtet, die am schwersten zu erklären sind, und auf diese war der ganze neue Lauf meines Lesens alter Scribenten gerichtet. Nach und nach erweiterte sich mein Plan durch andere merkwürdige und zum Theil dunkele Stücke, die ich nachher fand, und auf welche ich im Lesen nicht gedadit hatte, wodurch die Arbeit mühsam und verdoppelt wurde. Es ist daher geschehen, daß ich die mehresten Scribenten, sonderlich diejenigen die mir einige Nachricht versprachen, von neuen und mehrmal durchlesen mußte. Wie leidit ist nicht ein einziges Wort übersehen, worauf alles ankomt? Durch das einzige Wort Άροτρεύων, in dem Scholiasten des Pindarus fand ich die wahre Bedeutung der irrig sogenannten Statue des Q. Cincinnatus, und in derselben den Jason, wie ich im zweyten Theile dieser Anmerkungen angezeiget habe. Sollte jemand nach mir eine Nachlese von alten Denkmalen machen, die ich zurück gelassen habe, oder die nachher entdecket worden, so suche derselbe zu verbessern, was ich aus Mangel der Kräfte und des Vermögens versehen habe. Er verfahre nicht wie ich, und wie diejenigen die ein Gebäude stückweis und wie es nicht vorher entworfen gewesen aufführen, sondern wenn Mittel da sind, ein grosses Werk auf eigene Kosten zu umfassen, so bestimme man vorher genau alle Stücke, die an das Licht treten sollen, und wenn dieselben dem Gedächtnisse völlig gegenwärtig sind, alsdenn fange man an alle alten Scribenten, keinen ausgenommen, zu lesen. Von neueren Scribenten, die unmittelbar zu Erklärung alter Denkmale nützlich seyn könnten, weiß ich keinen, als den gelehrten Buonarroti vorzuschlagen; der Gebrauch seid
Ibid. tab. j 2 .
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ner Schriften aber gehet nur auf versteckte Gelehrsamkeit und es erkläret derselbe nur Münzen, die nicht schwer sind. In der dunkeln Mythologie und in der Helden-Geschichte muß man sich an die Alten halten: Denn Banier hat nicht aus Quellen geschöpfet; sein vornehmster Scribent bey dessen Arbeit, ist, wie man gewahr wird, der Evangelische Beweis des Huet, und er hat nach dessen Anleitung, alles aus der Bibel herzuleiten und zu derselben hinzuführen gesuchet. Damit ich aber nicht scheine alle andere neue Scribenten wegzuwerfen, so preiße ich zu einer Arbeit, von welcher die Rede ist, Hennings Genealogischen Sdiauplatz an. Dieses wenig bekannte noch weniger gelesene und seltene Werk, sonderlich in Italien, lehret mehr als alle Schriften aller I anderen Nationen zusammen genommen; idi verstehe diejenigen, die von der Fabel und von der Griechischen Helden-Geschichte handeln. Ich will auch nicht behaupten, daß keine Critische Schriften über alte Scribenten, und Abhandlungen über Alterthümer Licht geben können, sondern diese müssen, so viel möglich ist, nachgesehen werden. Mein größtes Vergnügen in Erläuterung der Werke alter Kunst ist gewesen, wenn ich durch dieselbe einen alten Scribenten erläutern oder verbessern können. Entdeckungen dieser Art haben sich mir mehrentheils ungesucht, wie alle Entdeckungen, gezeiget, und können also ungezwungener seyn, als viele andere Versuche der Gelehrten, die sich hier verdient gemacht haben. Ich kann nicht läugnen, daß sich ehemals die Eitelkeit bey mir gemeldet, auf diesem Wege meine Kräfte zu prüfen; da es mir nun in dem Werke der erklärten unbekannten Denkmale des Alterthums, welches itzo unter der Presse ist, gelungen, durch eben diese Denkmale mein Verlangen zu erfüllen, so bin ich um so vielmehr zufrieden, daß ich die wenige Zeit meines Lebens nicht verlohren in alten abgegriffenen Handschriften, wozu ich alle erwünschte Gelegenheit gehabt hätte. Ich habe mir allezeit, diesen Kützel zu unterdrücken, den berühmten Orville vorgestellet, welcher ein paar Jahre in Rom angewendet, alle Morgen nach der Vaticanischen Bibliothec zu gehen, um den Heidelbergischen Codex der Griechischen Anthologie theils mit dem gedruckten zu vergleichen, theils diesen aus jenen zu verbessern und zu ergänzen. Denn ich halte diese Zeit um so vielmehr schlecht angewendet, weil ich anfänglich eben diese Arbeit unternahm, aber bey Zeiten aufhörete, da ich sähe, daß dasjenige was in dem Gedruckten fehlet, nicht werth ist, an das Licht zu treten. Wo auch irgend in solchen Sinnschriften noch Salz zu finden wäre, sind dieselben voller Häßlichkeiten, und es kann demjenigen welcher einige derselben aus Orville Handschriften, in Holland
Windtelmann, Klein« Sdiriften
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bekannt gemacht, nicht zur Ehre gereichen, da diese Sinnschriften über Geilheiten wider die Natur scherzen. Nach dieser Historischen Anzeige meiner Methode habe ich einige Erinnerungen beyzufügen über verschiedene Puncte die mir nach Abhandlung der Anmerkungen beygefallen sind. In dem ersten Theile und dessen ersten Capitel hätte von der Kunst der Alten, erhobene Arbeit von Musaischer Arbeit zu machen, Erwehnung geschehen können. Es ist aber von dieser Art nur ein einziges kleines Stück bekannt, welches der bekannte Ritter Fountaine zu Anfange dieses Jahrhun I derts, aus Rom nach Engeland geführet hat, und stellet einen jungen Hercules vor, neben dem Baume der Hesperischen Aepfel. Ohne diese Nachricht zu haben, ist ein geschickter Künstler in Rom, aus Urbino gebürtig, aus sich selbst auf diesen Einfall gerathen, und hat eine glücklich gelungene Probe gemachet, welche den grossen Beförderer und Erhalter der Künste, den Herrn Cardinal Alex. Albani bewogen, diesen Mann in seine Dienste zu nehmen, und es hat derselbe wirklich angefangen, die sogenannten fünf Göttinnen der Jahrs-Zeiten aus der Villa Borghese, in dieser schweren Arbeit auszuführen, mit welcher die gewöhnliche platte Musaische Arbeit verglichen, überaus leicht scheinen kann. Denn ausser der mühsamen Bearbeitung, muß der Künstler geschickt im Modelliren seyn, welches dort nicht nöthig ist, und das schwerste dieser Kunst wird im Schleifen bestehen, wo dieses in den Falten der Bekleidung annoch unbegreiflich scheinet. Ich hätte midi auch an eben diesem Orte deutlicher erklären sollen über das Drechseln der Figuren in Elfenbein, welches nach meiner Meinung diejenige Kunst ist, die die alten Torevtice nennen, in der sich Phidias vornemlich hervorgethan hat. Es ist bekannt, daß erhobene Arbeiten in ziemlicher Grösse in neueren Zeiten, von Elfenbein ausgedrechselt worden; es können aber keine untergegrabene Figuren herausgebracht werden: denn das Eisen kann nur auf der Oberfläche arbeiten. Wollte man sich also vorstellen, Phidias habe die Statuen, die er stückweis aus Elfenbein zusammen gesetzet, auf der Drechselbank gearbeitet, so muß ich gestehen, daß dieses ζ. E. von dem Kopfe einer Figur, so weit die Kunst zu unseren Zeiten gelanget, nicht begreiflich genug ist. Denn wenn man sich den Kopf, obgleich vorher aus Stücken zusammengesetzet, im Drechseln völlig vorstellen muß, so würde vorauszusetzen seyn, daß sich der Kopf beständig unter dem Eisen beweget habe, und dennoch können die schrägen Tiefen nicht ausgedrechselt werden, sondern es muß hier mit dem Meißel gearbeitet seyn.
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Zu eben dem Capitel kann die Erinnerung über die Irrung angebracht werden, worinn mit dem Berkelius1 vielleicht andere seyn mögen, daß man zu Augustus Zeiten allererst angefangen habe, auf der Mauer zu mahlen, wovon der Erfinder Ludius sey. Dieses hat gedachter Scribent aus einer misverstandenen Nachricht des Plinius gezogen1»: denn dieser saget nicht, daß Ludius der erste I in Rom gewesen, welcher auf der Mauer gemahlet habe, sondern daß er zu erst die Wände der Zimmer mit Landschaften und dergleichen leblosen Vorstellungen ausgezieret, da vor ihm keine andere als historische Stücke angebracht worden. Gronov hat dieses dem Berkelius in seinen Anmerkungen übersehen. Jener hätte sein Versehen merken sollen, da er unter den Künstlern die auf der Mauer gemahlet, audi den Pausias nennet, welcher gleichwohl ein paar hundert Jahre vor des Augustus Zeit geblühet hat; denn er war ein Schüler des Pamphilus, des Meisters des Apelles. Im vierten Capitel von der Kunst unter den Griechen könnte ein Gedanken des Dio Chrysostomus, wenn er Grund hätte, zu weiterer Betrachtung Anlaß geben. Es sagt dieser Scribent von seiner Zeit, unter dem Trajanus, daß die schöne Bildung unter den Menschenkindern abgenommen habe; an schönen Weibern sey kein Mangel, aber Schönheiten in unserem Geschlechte werden sehr wenige mehr erzeuget, oder wenn sie auch vorhanden seyn, bleiben dieselben verborgen, weil man nicht mehr, wie unter den älteren Griechen geschähe, auf männliche Schönheiten achtsam sey, oder dieselbe zu schätzen wisse®. Dem ohngeachtet sagt eben derselbe von einem bildschönen jungen Ringer seiner Zeit, daß wenn er sich audi nicht in Leibes-Uebungen hervorgethan hätte, die Schönheit seiner Gestalt allein ihn berühmt gemacht haben würde b . Bey den Anmerkungen über die Bekleidung in eben diesem Capitel erinnere sich der Leser, daß ich in dem Versuche der Allegorie eine ungegründete Meinung über ein Heft an den Riemen der Schuhsohlen, in Gestalt eines Kreuzes angezeiget habe. Da ich dieses schrieb, war in Rom an keiner Statue, und an keinen Füßen, von welchen der Bildhauer Barthol. Cavaceppi eine merkwürdige Sammlung gemacht hat, dergleichen Kreutz zu finden, um dadurch jene Meinung mehr zu widerlegen. Vor kurzer Zeit aber hat gedachter Bildhauer einen schönen männlichen Fuß von einer Statue, die weit über Lebensgrösse gewesen, 1 b a b
Not. in Steph. de Vrb. ν. Βοϋρα. η. 8i. L. 3j. c. 37. p. 223. I Orat. 21. p. 269. D. Orat. 28. p. 289. D.
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erhalten, und an diesem findet sich ein solches Kreuz-Heft. Eben so hätte ein Kinder-Kopf zwischen zween Flügeln, wie wir die Engel pflegen vorzustellen, welches der Zierrath eben dieses Hefts ist an den Füßen eines schönen Bacchus in der Villa Ludovisi, wenn die Füße besonders gefunden wären, auf ein christliches Bild gedeutet werden können. I Im zweyten Theile dieser Anmerkungen, wo angezeiget worden, daß die vom Plinius bestimmte Zeit der Blüte grosser Künstler, sich insgemein auf beygelegte Kriege beziehe, kann das Griechische Sprichwort Φειδίας προσήκει είρηνη gemerket werden. Es ist dasselbe vom Suidas angeführet, aber von ihm selbst so wenig als von anderen verstanden. Dieser Scribent deutet es auf eine unverständliche lächerliche Art aus: Er sagt, der Friede gehöre für den Phidias, weil er ein Künstler ist; denn es werde der Friede wohlgebildet vorgestellet. Man wird aus den Beweisen, die ich an seinem Orte gegeben habe, leicht einsehen, daß wenn dieses wirklich ein Sprichwort gewesen, woran Küster zweifelt, so müsse dasselbe von dem Frieden, in welchem allein die Künste blühen, verstanden werden. In meiner Meinung dem Scopas vielmehr als dem Praxiteles die Niobe zuzuschreiben, bin ich noch mehr bestärket worden durch einen Abguß in Gips von einem Kopfe der Niobe selbst, und dieser Abguß ist der einzige der in Rom geblieben ist; der Kopf selbst aber befindet sich nicht mehr hier. Da man nun zwischen den Kopf der Niobe und jenem einzelnen Abgüsse, und in diesem mehr Rundung bemerket, auch den Mund besser gebildet gefunden, haben einige daraus schließen wollen, daß vielmehr der besagte Gips von dem wahren Kopfe der Niobe genommen seyn könne, und daß der Kopf, welcher itzo auf der Statue stehet, eine alte Wiederholung eben dieses Werks sey, aber von einem geringeren Künstler. Diese hatten keine Betrachtung gemachet, über die Eigenschaft des hohen Stils, welchem die Rundung noch nicht völlig eigen gewesen ist, und daß der rundlich gehaltene Augen-Knochen auf spätere Zeiten deute. Ferner hatten diese nicht bemerket, daß der Mund des Kopfs der Niobe sehr gelitten, und daß beyde Lippen mit Gipse schlecht ergänzet sind. Man könnte also jenen Kopf der Niobe, welcher wahrhaftig schön ist, wegen mehrerer Weiche und Rundung an demselben für eine Widerholung dieses Werks aus dem schönen Stil und vielleicht für ein Werk des Praxiteles halten. Die Vergleichung beyder Köpfe lehret den Unterschied dieses sowohl als jenes Stils. Wo ich p. 357. eines Bildhauers Ctesias gedacht habe, muß es Ctesilas heißen, von welchem ich umständlich zu Anfange des zweyten Theils dieser Anmerkungen geredet habe. Aus der dortigen Untersuchung erhel-
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let, daß der sogenannte sterbende Fechter im Campi I doglio nicht von diesen Künstler seyn könne, zumal da Plinius von einem sterbenden Heide und von keinem Fechter redet. Nachdem idi den Farnesischen Ochsen von neuen betrachtet in Absicht der Inschrift der zween Künstler desselben, die ehemals an diesem Werke stand, und itzo nidit mehr zu sehen ist, finde ich daß dieselbe an dem Sturze eines Baums habe eingehauen seyn können, welcher der Figur des Zethus zur Stütze dienet: denn dieses war der scheinbarste Platz für dieselbe, und dieser Sturz ist gröstentheils neu. Ueber die Heroische Gestalt der Statue des Pompejus habe ich gesaget, daß ich glaube, es sey die einzige Statue eines Römischen Republicaners, die ganz nackend gebildet ist. Man könnte mir aber die vermeinte Statue des Agrippa im Hause Grimani zu Venedig entgegen setzen", die ebenfalls in Heroischer Gestalt ist, und ich könnte diesen Einwurf heben durch die Betrachtung, daß die Republicanische Mäßigkeit und Bescheidenheit unter dem Augustus auch in der Kunst nicht mehr gesuchet worden. Es ist aber noch nicht bewiesen, daß diese Statue den Marcus Agrippa vorstelle, und wenn in dem Kopfe einige Aehnlidikeit mit dessen Bildern ist, muß an dem Orte selbst untersudiet werden, ob der Kopf der Statue eigen sey. Wider die Benennung des fälschlich sogenannten Seneca im Bade, in der Villa Borghese, hätte idi einen deutlichen Beweis führen können aus einer Statue in Lebensgrösse in der Villa Pamfili, von weißen Marmor, die jener vollkommen audi im Gesichte ähnlich ist, und in der linken Hand ein Gefäß wie einen Korb gestaltet träget. Dieser Statue sind wiederum zwo kleine Figuren in der Villa Albani ähnlich, und tragen, wie jene, einen Korb; zu den Füßen der einen stehet eine Comische Larve, so daß man deutlich siehet, daß diese sowohl als jene Knechte der Comödie vorstellen, die wie Sosia zu Anfang der Andria des Terentius zum einkaufen von Eßwaaren ausgeschicket wurden. Die Mutmaßungen, daß die irrig sogenannten Sieges-Zeichen des Marius vielmehr dem Kayser Domitianus zuzuschreiben sind, hätte ich unterstützen können durch Anführung einiger Stücke von Sieges-Zeichen in der Villa Barberini zu Castel-Gandolfo, welche hier, wo ehemals die Villa des Publius Clodius und nachher des Domitianus war, ausgegraben sind. Die Zierlichkeit der Arbeit an diesen Stücken weidiet der Kunst an jenem im geringsten nicht, I und man muß schließen, daß dieselben wo » Pocock's Descr. of the East, Vol. 2. p. 212.
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nicht von einem Meister, nicht ohne Grund von einer Zeit zu achten sind. Da nun Domitianus Sieges-Zeidien in seiner Villa setzen lassen, so kann er auch Sieges-Zeichen an einer Wasserleitung, die etwa von ihm ausgebessert worden, haben anbringen lassen. Zuletzt muß ich das Schicksal beklagen, welches der Gesdiichte der Kunst in der Französischen Uebersetzung begegnet, die zu Paris bey Saillant gedruckt, in zween Bänden in Octav erschienen ist. Man hat, da das Format geändert worden, besser gefunden, den am Rande gesetzten Inhalt, über jeden Absatz worauf sich derselbe beziehet, zu setzen, und so viel besondere Abschnitte und Paragraphen zu machen. Durch diese Zergliederung wird der Zusammenhang unterbrochen, und da auf diese Art ein jedes Stück von dem andern abgesondert worden, so erscheinen dieselben als vor sich bestehende Glieder, um so viel mehr da der Uebersetzer an vielen Orten die Verbindungs-Worte entweder geändert oder gar ausgelassen hat. Man könnte zu einer Entschuldigung das Format angeben, welches etwa nicht erlaubet, den Inhalt auf dem Rande zu setzen; aber man kann auf keine Weise entschuldigen, daß Absätze gemachet worden, wo in dem Originale keine sind, noch seyn sollen, wie zu Anfange des zweyten Theils geschehen ist. Hier hat der Uebersetzer das Stüde welches ein Verzeichnis der ältesten Künstler vor den Zeiten des Phidias enthält, in ganz kleine Brocken zerstücket, und man hat die kurzen Anzeigen von diesen Meistern mit besonderen Zahlen und mit übergesetzten Namen gedachter Künstler von neuen abgesetzet, als wenn man besorget hätte, der Leser werde den Othem verlieren, wenn das aneinanderhangende Stück von zwo Seiten nicht zerschnitten würde: aus einem einzigen Satze sind vier und zwanzig Sätze gemachet. An die Uebersetzung selbst aber kann ich ohne Eckel nicht gedenken: denn ich glaube, daß nicht leicht eine Schrift, die aus ihrer eigenen Sprache in eine fremde versetzet worden, übler gemishandelt sey. Ich fieng an die Fehler des Misverstandes auf dem Rande anzuzeigen, aber ich wurde müde, weil nicht eine einzige Seite frey blieb. Der Uebersetzer zeiget nicht allein eine grobe Unwissenheit auch in den gemeinsten Kenntnissen der Kunst, sondern man kann demselben aus unzähligen Stellen beweisen, daß er die deutsche Sprache nicht völlig verstehet. I Ich wäre bereit gewesen, die Uebersetzung mit aller Aufmerksamkeit durchzusehen und zu verbessern, wenn mich diejenigen die Theil an derselben haben, hierum ersuchet hätten. Ich bin aber ohne alle Nachricht geblieben, und da ich vor zwey Jahren, ich weiß nicht wie, von einer Uebersetzung dieser meiner Arbeit hörete, fragte ich bey einigen meiner
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Bekannten in Paris deswegen an, und ich erfuhr gleichwohl nicht mehr. Endlich da die Nachricht von der Uebersetzung bekräftiget wurde, ließ ich den Lieutenant von der Policey in Paris ersuchen, dieser Arbeit die Censur nicht zu ertheilen, bevor ich dieselbe geprüfet und gebilliget hätte; ich glaube aber, daß dieses Ansuchen zu spät gewesen. Plato sagt, es sey niemand vorsetzlich böse, welches gegenwärtiger Fall zu widersprechen scheinet: denn man hätte ohne Kosten eine richtige Uebersetzung liefern können, und man hat nicht gewollt; es ist also diese Misgeburt an das Licht erschienen. Ich kann nunmehro die Ausgabe meines Italiänischen Werks der bisher nicht bekannt gemachten Denkmale des Alterthums ankündigen, und es wird dasselbe auf meine eigene Kosten, und ohne Pränumeration, gedruckt, gegen die nächste Ostern in zween Bänden in groß Folio erscheinen. Es enthält dasselbe ausser den Kupfern zur Zierde des Werks, zweyhundert und zehen Kupfer alter Denkmale, welche in demselben erkläret und erläutert worden, nebst einer vorläufigen ausführlichen Abhandlung von der Kunst der Zeichnung der Aegypter, der Hetrurier und besonders der Griechen. Rom, den ersten September, ι y66.
ANHANG
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Beschreibung des Apollo im Belvedere
in der
Geschichte der Kunst des Alterthums. Die Statue des Apollo ist das höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Alterthums, welche der Zerstörung derselben entgangen sind. Der Künstler derselben hat dieses Werk gänzlich auf das Ideal gebauet, und er hat nur eben so viel von der Materie dazu genommen, als nöthig war, seine Absicht auszuführen und sichtbar zu machen. Dieser Apollo übertrifl alle andere Bilder desselben so weit, als der Apollo des Homerus den, welchen die folgenden Dichter malen. Ueber die Menschheit erhaben ist sein Gewächs, und sein Stand zeuget von der ihn erfüllenden Größe. Ein ewiger Frühling, wie in dem glücklichen Elysien, bekleidet die reizende Männlichkeit vollkommener Jahre mit gefälliger Jugend, und spielet mit sanften Zärtlichkeiten auf dem stolzen Gebäude seiner Glieder. Gehe mit deinem Geiste in das Reich unkörperlicher Schönheiten, und versuche ein Schöpfer einer Himmlischen Natur zu werden, um den Geist mit Schönheiten, die sich über die Natur erheben, zu erfüllen: denn hier ist nichts Sterbliches, noch was die Menschliche Dürftigkeit erfordert. Keine Adern noch Sehnen erhitzen und regen diesen Körper, sondern ein Himmlischer Geist, der sich wie ein sanfter Strohm ergossen, hat gleichsam die ganze Umschreibung dieser Figur erfüllet. Er hat den Python, wider welchen er zuerst seinen Bogen gebraucht, verfolget, und sein mächtiger Schritt hat ihn erreichet und erleget. Von der Höhe seiner Genügsamkeit geht sein erhabener Blick, wie ins Unendliche, weit über seinen Sieg hinaus: Ver I achtung sitzt auf seinen Lippen, und der Unmuth, welchen er in sich zieht, blähet sich in den Nüsten seiner Nase, und tritt bis in die stolze Stirn hinauf. Aber der Friede, welcher in einer seligen Stille auf derselben schwebet, bleibt ungestört, und sein Auge ist voll Süßigkeit, wie unter den Musen, die ihn zu umarmen suchen. In allen uns übrigen Bildern des Vaters der Götter, welche die Kunst verehret, nähert er sich nidit der Größe, in welcher er sich dem Verstände des Göttlichen Dichters offenbarete, wie hier in dem Gesichte des Sohnes, und die einzelnen Schön-
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heiten der übrigen Götter treten hier, wie bey der Pandora, in Gemeinschaft zusammen. Eine Stirn des Jupiters, die mit der Göttinn der Weisheit schwanger ist, und Augenbranen, die durch ihr Winken ihren Willen erklären: Augen der Königinn der Göttinnen mit Großheit gewölbet, und ein Mund, welcher denjenigen bildet, der dem geliebten Branchus die Wollüste eingeflößet. Sein weiches Haar spielet, wie die zarten und flüßigen Schlingen edler Weinreben, gleichsam von einer sanften Luft bewegt, um dieses göttliche Haupt: es sdieint gesalbet mit dem Oel der Götter, und von den Gratien mit holder Pracht auf seinem Scheitel gebunden. Ich vergesse alles andere über dem Anblicke dieses Wunderwerks der Kunst, und ich nehme selbst einen erhabenen Stand an, um mit Würdigkeit anzusdiauen. Mit Verehrung sdieint sich meine Brust zu erweitern und zu erheben, wie diejenige, die ich wie vom Geiste der Weißagung aufgeschwellet sehe, und ich fühle mich weggerückt nach Delos und in die Lycischen Hayne, Orte, welche Apollo mit seiner Gegenwart beehrete: denn mein Bild scheint Leben und Bewegung zu bekommen, wie des Pygmalions Schönheit. Wie ist es möglich, es zu malen und zu beschreiben. Die Kunst selbst müßte mir rathen, und die Hand leiten, die ersten Züge, welche ich hier entworfen habe, künftig auszuführen. Ith lege den Begriff, welchen ich von diesem Bilde gegeben habe, zu dessen Füßen, wie die Kränze derjenigen, die das Haupt der Gottheiten, welche sie krönen wollten, I nicht erreichen konnten. Der Begriff eines Apollo auf der Jagd, welchen Herr Spence1 in dieser Statue finden will, reimet sich nicht mit dem Ausdrucke des Gesichts.
1
Polymet. Dial. 8. p. 87.
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Entwürfe zur Beschreibung des Apollo Fassung im Florentiner
im Belvedere
Manuskript
[3] Der Apollo so die erste Statue zu Linker Hand dieses Hofes, so ehemahls ein Garten gewesen ist, ist der Apollo genannt de Belvedere. Diese Statue ist von der allerwunderbarsten Schönheit so sich unter denen übergebliebenen antiquen Statuen findet. Sie ist über Lebens-Größe von der allersdiönsten Proportion in ihrer Länge und geschlancke Glieder. In dieser Figur sieht man eine außerordentliche Regung: denn sie ist in großheit gebildet, und scheinet als solte sie vorstellen den Apollo wie er den Python erleget in eben der Zeit da er den Bogen abgeschoßen und davon gehen würde. Es scheinet als sähe man eine hochmüthige halb erzürnete und verachtende Mine in seinem Gesicht. Der Character des gantzen Kopf ist über die maßen schön: die Stirn ist wie des Jupiters Stirn, so sind auch die Augen: die Nase aber ist dünner und spitzer, dennoch bey den Nüsten ist sie breit und selbige sind gleichsam aufgeblasen. Der Mund ist an bey den Enden herabgezogen; Bey de Seiten der OberLefzen sind in die Höhe gebogen und folgen damit gleichsam den aufgeblasenen Nüsten nach. Die Unterlippe aber ist vorwerts und etwas herabhängend. Das Kinn gehet gleichsam ein wenig hervor: die Kinnbacken sind nach dem Griechischen Gebrauch groß. Die Backen flach, die Ohren etwas tief, aber größer als (sie) insgemein der Antiquen Gebrauch ist, wiewohl man von selben nur die Unterhälfte siehet. Die Haar-Locken spielen über alle maßen schön um das Haupt herum, und sind herrlich hin und her geworfen, obschon dieselben nicht mit dem grösten Fleiß ausgemacht, so (sehen) kommen sie nach Bildhauer-Art den Haaren des Corregio nahe. (Diese Art die Haare zu arbeiten ist nach dem (best) Gebrauch der besten Zeiten der Griechen, denn in den ältesten waren sie /sie/ sehr kleinlich steif und gleichsam machten sie ihre Haare, als wären sie naß auf Art der Egyptier und Hetrurier. (Siehe das bas-relief vom Callimacho im Campidoglio.) In Phidias und Alex. Zeiten aber ist dieser 7 gr[oß]h[eit] 27—28 eingeklammerter Text nachgetragen Diese . . . Haare nachträglich mit Eckklammern versehen
269, 24—270,
7
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Entwürfe zur Beschreibung des Apollo im Belvedere
Gebrauch der Weichigkeit geübt worden. Unter der Römischen Kayser Zeiten ist diese Art wieder verlaßen worden. Von Nero bis Traj. Zeiten ist man gleichfals wieder ein wenig in den aller ersten Gusto gefallen, da die Kunst aber noch niedriger kommen, so sind die Künstler in solchen geringen Sachen fleißiger und in den größeren nachläßiger worden. Darum haben wir von Marc Aurelio bis Septim. Severo und Caracalla die fleißigsten Haare.) [4] Der Hals dieser Figur ist sehr lang, hingegen aber auch starck und sdiön. Es ist von unterschiedlichen Künstlern getadelt worden, daß der Hals nicht grade auf dem Cörper stünde. Dieses muß man aber denenselben ihrer Unschuld zu gute halten. Denn sie haben nie die Natur in diesem Stand gesehen, sonst würden sie dieses nicht sagen, weil auch im lebendigen Menschen es denselben effect macht, wenn ein Arm erhoben und der andere herab hangend ist; aus der Ursach, weil der Musculus pectoralis sich auswerts ziehet, indem s[elbiger] im humerus sich einfügt; und also dadurch die Brust auf der Seite des erhobenen Armes breiter scheinen macht. Ich finde diese Statue in diesem Theil sehr correct. Die Länge des Halses giebt der Figur eine große Majestät. Der gantze Kopf stehet grader aufgerichtet als sonst gemeiniglich die Antiquen Statuen pflegen zu stehen, wiewohl man insgemein den Apollo gerader als alle andere Figuren gestellet hat. Ich glaube ohne Zweifel daß ( z u ) sie dieß gethan, um einen größern und höhern Character auszubilden. Die Brust ist breit aber nicht sehr lang, aber erhaben, ob sie schon mit dem Mantel bekleidet. Der gantze Leib ist ziemlich breit: die Hüften sind fast stärker als sie in einem geschlanken Mann seyn solten, und sind fast ein wenig weibisch. Die Antiquen haben insgemein den Apoll(in)o und Cupido auf diese Weise gebildet, wie man audi in dem Mediceischen Apollino und in dem Borghesischen großen Cupido und an p. sehen kan. Den Bacchus haben sie auch mannichmal auf solche Weise gebildet. Die mehresten Antiquen Statuen haben die Brust ein wenig erhoben zum wenigsten alle die Griechischen Statuen so vornehme Gottheiten oder starke Leute vorstellen sollen. Es scheinet als wenn die Statuen mit einer flachen Brust nicht in den höchsten Zeiten der Griechen gemacht sind, sondern lange Zeit nach Alexander im Gebrauch gekommen. Denn in den ältesten Statuen sehen wir, daß die erhabene Brust einSystema der Kunst war, wie man aus denen 26 und Cupido und 27—28 und in dem Borghesisdien großen Cupido nachgetragen J2 zwischen sollen und Es ein Verweisungszeichen, daß der Text 271, 26 ff. (bis 2j2,10?) hier einzurücken sei j j einige Zeit > lange Zeit
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Bas-reliefs ersehen kan, so von fast Egyptischer Arbeit seyen; ausgenommen die junge Menschen. Nach dieser [ j ] Betrachtung wäre fast zu zweifeln, daß der Borghesische Ringer von der ältesten Art seyn solte, weil seine Brust sehr schwach, nach dem Character eines so starken (Mannes) Menschen scheinet. Die Hertz-Grube und Rippen-Schluß sind audi gemeiniglidi erhaben, und scheinet als hätten die Alten Griechen allezeit vorgestellet Leute so scheinen den Athen an sich zu ziehen. Überhaupt haben sie das Knochenwerck sehr wohl bezeichnet. Auch überhaupt die Muskeln und alles Fleisch ziemlidi erhaben gemacht. Es kan seyn, daß das beständige Ringen die Brust in die H ö h e getrieben, und daß es in ihrer N a t u r also gewesen. Die Neueren Zeiten nämlich unter den Römischen Kaysern ist z w a r die(s) A r t wie bey den Alten Griechen gebraucht worden, aber nach Traian. Zeiten und zu Adrians Zeiten hat man angefangen, den Cörpern weniger Character zu geben die Brust zu vereinigen und dünner zu machen. Überhaupt ist in der gantzen Gestalt zwar eine Großheit, dennoch aber nidit die sdlöne Einstimmung durch den gantzen Cörper, wie bey denen Griechen erreicht. Die Muskeln auf denselben Cörpern [sind] zu dünn und wenig erhaben gemacht, also siehet man daraus den wircklichen Fall der Kunst [.] Denn dieselben Bildhauer haben nicht bedadit, daß ein großförmiger Cörper audi von großen Theilen zusammengesetzt seyn muß, weil am Menschlichen Leibe allezeit dieselbe Menge Muskeln seye. Durch diesen Fehler sind sie in eine Steife gerathen, (und vielleicht kommt es daher, daß man sagt, die Alten hätten die Anatomie nicht verstanden.) Die Schenkel sind starck aber fast ein wenig gar zu rund. Die Knie sind nidit gar groß und zeigen dadurch sehr wohl das saubere ( G e b ä u d e ) Gebein einer solchen Gottheit an. Die Beine sind von der herrlichsten Form obwohl ein wenig rund in ihrem Umkreise. Die Füße sind sehr schön; dennoch aber scheinen sie ein wenig unterschieden in ihrer Form. Dennoch aber nicht wieder die Vernunft, weil der spielende Fuß die Zehen vil länger als der andere hat. Dieses ist billig, aber in dieser Figur scheinet es gar zu vil zu seyn. Die Arme sind von schöner und gesdilancker Form: die obere H a n d ist restauriret die andre aber hat nur wenige Finger neu. Das innere der Antiquen H a n d ist nidit gar schön, weil die Linien gar zu rund, von einer Stärdse durchgehen. Das Gewand ist sehr sauber ausgemacht, [6] wiewohl ohne große Schönheit in dem Wurfe. io—Ii Es kan . . . gewesen nachgetragen
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Entwürfe zur Beschreibung des Apollo im Belvedere Es scheinet als hätten viele der grösten Meister der alten Griechen
die Gewänder mit einiger Nachläßigkeit gemacht, ob sie schon an einigen Orten die Wahrheit derselben nidit vergeßen, so sind dennoch die Falten von weniger Invention. Dennoch könten wohl unter den großen Leute einige in diesem Theil verständige Leute gewesen seyn, aber man hört die Schönheit der Gewänder nicht viel rühmen von den alten Scribenten. Diejenigen so den Jupiter vom Phidias, die Venus von Gnidos und den Cupido von Thespiis sich zu rühmen beflißen [ , ] haben von keinen bekleideten Statuen geredet. Auch haben sie die H a a r e nie so fleißig ausgearbeitet. Diese Statue ist sehr glatt und sauber gearbeitet. Es sind Arme und Beine davon zerbrochen gewesen. Das spielende Bein scheinet nicht wohl angesetzt zu seyn, sondern etwas zu vil einwerts stehend. Das stehende aber ist gut restauriret. Es ist bey den Alten ein allgemeiner Gebrauch gewesen, die schönen und zarten Gottheiten nicht nach der Wahrheit so vil als nach der Idee zu machen. Denn mehrentheils siehet man die Arme und Beine vil runder auf denselben als die Natur. Sie haben vermieden das sehnigte Fleisch anzumerken und haben die Fügungen der Glieder fast als ohne Sehnen gemacht, ohne Zweifel um dadurch eine größere Zärte und Schönheit auszudrücken. D a über dieses die Sehnen und starke Muskeln Theile sind, so gleichsam der Menschlichen Nothdurft zugehören. Man sieht klar an alle Antiquen Statuen des Jupiters, daß die Glieder rundlich und fleisdiigt gehalten sind. Man sehe einen Faun gegen einen Jupiter, einen Meleager gegen den Apollo so wird man leicht die Wahrheit von dem, was ich vorgeschlagen, ersehen können. J a so gar haben sie nie Adern auf ihren Gottheiten, gemacht.
Fassungen im Pariser Manuskript (Erster Entwurf) [70I Ich unternehme [die] Beschreibung eines Bildes welches über alle Begriffe menschlicher Schönheit erhaben ( i s t ) , (u. deßen Vollkommenheit der höchste Schwung meiner Ausdrücke nicht zu erreichen fähig ist) ein Ii und sauber nachgetragen Beschreibung > Text
29 Ich wage mit der Beschreibung > Ich wage eine
Entwürfe zur Beschreibung des Apollo im Belvedere
i
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Bild weldies kein Ausdruck von etwas sinnlichem genommen entworffen. Ein Göttlicher Dichter aus den Zeiten vollkommenerer Menschen u. Wercke würde (vielleicht) ein ähnliches Bild haben geben können (aus dem Überfluß höherer Schönheiten in der Natur u. Kunst) aus dem Reichthum von tausend Griechischen Schönheiten in Natur u. Kunst
α
Uns ist von allen Göttlichen Figuren die in der hödisten Idee entworffen und in dem erhabensten Stil gearbeitet worden nur diese allein übrig geblieben: alle andere Gottheiten erscheinen uns mit Mängeln u. Schwachheiten der Menschlichkeit in Vergleidiung mit dieser (und wie Unterkräfte gegen eine höhere Macht) Kein Jupiter von der Hand alter Meister, mit Majestät erfüllet u. mit dem Donner gerüstet, kein Bacchus auf den der Reitz der Jugend blühet, (können gegen diesen Gott der Musen bestehen) von denen weldie uns die Zeit u. die Wuth der Menschen übrig gelaßen, können gegen diesen Gott der Musen bestehen. E r ist der Gott und das Wunder der alten Kunst.
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[ 7 1 r ] Schöner und göttlicher kan er weder in den Lycischen Heynen noch in Delos, Orte die er mit seiner Gegenwart verherrlichte, erschienen (kan) seyn u. niemahls /kan/ wird er sich in der Idee eines Künstlers vollkommener gebildet haben. Es scheint ein geistiges Wesen, weldies aus sich selbst, u. aus keinem
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sinnlidien Stoff sich eine Form gegeben, die nur in einem Verstände, in welchem keine Materie einen Einfluß hat, mögl. war: eine Form die von nichts ersdiaffenem sichtbaren genommen ist, und die allein eine Erscheinung höherer Geister hatte bilden können. Fragt diejenigen die diese Gottheit gesehen! die sich mit einem Gefühl des schönen diesem Heiligthum genähert Laßt (sidi) sie die Würckung des ersten Blidts auf Sinne u. Geist beschreiben. Ich war in dem ersten Augenblick gleichsam weggerückt (und in einem heiligen Hayn versetzt) u. glaubt den Gott selbst (so) zu sehen so wie er unter den Sterblichen erschienen.
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Mit Verehrung angefüllt schien sich meine Brust zu erweitern und aufzuschwellen. Ich nahm durdi eine mächtige Rührung, die midi über mich selbst hinaussetzte einen erhabenem Stand an, um mit Würdigkeit 3f
Neben 20: keinen Auszug Mensdil. Schönheiten, keine Sammlung etc. Über 32 Ich nahm: Er wird wie ich Neben 273, 33—274,1: Der ihn siehet, bekommt eine hohe Idee von d. Menschlichkeit, die n[idit] selber die Menschen hervorbringen können. 3 vielleicht in Eckklammern 3 geben > haben geben können 16 den, 23 sichtbaren und 28 gleichsam nachgetragen 27 Mein Geist war > Ich war
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Windtelraann, Kleine Schriften
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anzuschauen: eine seelige Entzückung hob [mich] mit sanften Schwingen, dergl. die Dichter den [ ? 2 r ] unsterblichen Seelen geben u. leicht wie dieselben suchte ich midi bis zum Thron der höchsten Schönheit zu schwingen Keine Menschliche Schönheit vermag dieses zu würcken. Über die Menschlichkeit erhaben ist sein Gewächs: sein Stand zeuget von der ihn erfüllenden Größe u. sein Gang ist wie auf flüchtigen Fittigen der Winde. Eine ewig blühende Jugend bekleidet den männlich mächtigen Körper und der Reitz entzückender Zärtlichkeiten spielet auf dem stoltzen Gebäude der Glieder So wie in dem glückseeligen Elysien wo niemahls ein Nördlicher Wind das Haupt der Blumen gebäuget noch die schwüle Mittags Hitze die Lust der Thäler verdorret, ein immerwährendes Spiel von sanften Zephirs die jugendliche Natur belebet und erfrischet u. Philomelens Gesang ohne aufhören erschallet Weder schlagende Adern noch würcksame Nerven erhitzen u. regen diesen Cörper: ein himmlischer Geist, der sich wie ein sanfter Strohm ergoßen, (wallet und wurk?) hat die gantze Umschreibung der Figur die er selbst bildet angefüllet. Er hat den Python (seinen F[eind]> mit Pfeilen die nidit fehlen können, erleget und siehet auf das Ungeheuer (herab) von der Höhe seiner Genügsamkeit wie vom Olympus herab mit einem Blick [73'] unter welchem alle Menschliche Größe sinket und verschwindet Zorn sdinaubet aus seiner Nase und Verachtung wohnet auf seinen Lippen: aber sein Auge ist wie das Auge/n/ deßen der den Olympus erschüttert und in einer ewigen Ruhe wie auf dem Angesicht eines stillen Meers, (wohin niemahl ein Wind gedrungen,) schwebet, (oder) So wie auf dem Gipfel des höchsten Gebürges welches in seinen Schatten die fruchtbaren Thäler von Thessalien verhüllet die Asche der Opfer niemahls ein Spiel der Winde gewesen, so heiter und ungerührt von Leidenschaften Neben 7—8: unlasttragende Regung, wie ein Geschöpf das noch nie feste Materie mit seinen Füßen betreten hat Neben 9—11: Die Zartigkeit ist nidit so wohl d. Jugend als eine vollkommene Schönheit welche d. Männlkt zieret. Es scheinet daß er mit geistiger Nahrung genähret worden. 10 seiner Glieder > der Glieder 10 glücklichen > glückseligen 17—18 scheinet die gantze Umschreibung der Figur erfüllet zu haben > Text 23 Zorn . . . Verachtung mit Bleistift geändert zu: Hochmuth und eine fröliche Verachtung 25—26 und in einer ewigen wie eines stillen Meers > und in einer ewigen Ruhe wie auf der Fläche eines stillen Meers > Text ly welches seinen Schatten über die > Text 29 so herrschete > so heiter
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erhebt sich seine Stirn mit einer sanft schwellenden Fülle der Majestät und mit der Großheit des Vaters der Götter. Seine H a a r e scheinen gesalbet mit dem O e l der Götter und von den Gratien auf seinem Scheitel gebunden: ungeschmüdkt in ihrer Zierde u. lieblidi in ( E i n ) natürl. Einfalt laufen sie in sich zurück wie die zarten /Rancken/ Schlingen des Weinstocks u. fließen in wellenförmigen Locken auf seine Schultern herab. erzeuget hast > erzeuget 4—6 Midi däucht ich sehe dich in deinen Gedanken u. dein Bild welches dir in denselben erschienen ist, erniedrigt u. gegen dasjenige, was > Text 1} zu setzen ist > kan gesetzet werden. 1 7 nahm gleichsam > nahm > nahm gleichsam 18 wurde ich > fand ich midi 26—2j bekleidet diesen Körper vollkommener Jahre und der Reitz blühender Schönheit eines (abgebrochen) > Text
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Sehet w i e er m i t einem m ä d i t i g e n Schritt d e m nichts entgehen k a n , den P y t h o n seinen F e i n d z u v e r f o l g e n scheinet. N o c h ist er im L a u f u n d in B e g r i f den / z w e y t e n / f o l g e n d e n Schritt z u thun, d e r ihn dem A n s e h e n n a d i aus unserm Gesicht e n t f ü h r e n w ü r d e , so geschwinde u. leicht w i r d er w i e auf F l ü g e l n der W i n d e gleichsam f o r t g e t r a g e n K e i n e A n s t r e n g u n g der K r ä f t e u. keine l a s t t r a g e n d e R e g u n g spüret m a n in seinen Sdienckeln, u. seine K n i e sind w i e a n einem G e s c h ö p f e , deßen F u ß niemahls eine feste M a t e r i e betreten h a t . W e d e r schlagende A d e r n noch w ü r k s a m e N e r v e n erhitzen u. regen [ 7 2 v ] diesen K ö r p e r , ein h i m m l i [ s ] d i e r G e i s t der sich w i e ein s a n f t e r S t r o h m ergoßen, h a t gleichsam die g a n t z e Umschreibung dieser F i g u r ( d i e er selbst b i l d e t , ) a n g e f ü l l e t . ( I n ) I n dem H a u p t e ist deßen Q u e l l e u. d a h i n
fließet
er mit
einem
reidien O b e r m a a ß ( z u r ü c k ) u. mit einem A u s z u g b i l d e n d e r Schönheiten zurück ( g e g e n w e l d i e alles w a s in der N a t u r reizend u. schön ist sinket u. v e r s c h w i n d e t . ) w e l d i e sich hier w i e die V o l l k o m m e n h e i t e n der G ö t t e r b e y der P a n d o r a , vereinigen. ( D e r schmachtende R e i t z der N y m p h e n ) D i e Z ä r t l i c h k e i t e n d e r schönsten J a h r e die das r e g e ( n d e ) G e f ü h l s a n f t e r W o l l ü s t e Neben ι—j: Pausan. L. V . p. 392. νικησαι δε άλλοι τε λέγονται (εν τω πρωτω Ολυμπιακω δρομω και αγωνι) και β Απόλλων παραδραμοι μεν έριζοντα Ερμήν, κρατησαι δε Αρεως πυγμή. Neben }—6: Fecit Myron cursorem in Piseo certamine, in quo ars velocior natura intelligitur, ut festivum colligit Epigr. L. 4. c. 2. Neben 9; Plin. 1. 34. c. 19 Pythagoras Rheginus — primus nervos & venas express«, capillumque diligentius. In der Textspalte über 10, gegenüber von 274, 22—29 (bezieht sich auf 274, 23): Rectum quidem nasum, nonnihil tarnen circa nares diffusum commendat Philostratus in Heroicis, ubi non tantum Diomedem facit ορθον την φίνα sed Patroclum etiam describens ait Πάτροκλου φις ορθή τε ήν και τους μυκτηρας ανευρυνετο καΦαπερ ol προΦυμοι των Ιππων. Heliodoro quoque sub fin. 1. II. Aethiop. in descriptione Theagenis memoratur Ρ ι ς εν επαγγελιςι θυμοΰ και οί μυκτηρες ελευθερως τον αερα εισπνεοντο. Panthiae ap[ud] Philostrat. Icon. II. tribuuntur Μυκτηρες ανεσταλμενοι το μετριον και βασιν τη φινι πραττοντεζ. Neben 11—12: So wie der Kopf des Jupiters beym Homer alle Größe deßelben in sich begreift, so etc. Neben 13—if: A d Propertii L . I. El. 8. verba: U t caput in magnis. Quomodo corona ponitur ante pedes statuarum, quarum capita attingere non licet propter altitudinem, ita nos exiguo vilionisque thusculo sacrificamus & c . Neben 16: Juno mit dem Gürtel der Venus 3 dem Ansehen nach nachgetragen 4 so leidit > Text 4—j scheinet er wie auf Flügeln der Winde zu gehen > Text 6 der K r ä f t e nachgetragen 11 gleichsam nachgetragen 19 Jahre wo in der regen Natur > Jahre die sich mit einer regen Wollust in das sanfte Gefühl > Jahre die sich in das sanfte Gefühl der regen Natur > Text 27J, 18—27S, 2 gestrichen
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Entwürfe zur Beschreibung des Apollo im Belvedere
Hier sind die Zärtlichkeiten (die) eines Jünglings der das erste Gefühl offenbaret aber mit ungleichen Blicken der sich selbst gelaßenen Natur. (Weitere Ansätze und
Notizen)
[74 r ] Und in diesem Gesicht siehest du in der That mit einem Blick das höchste u. schönste (aller) der über andere erhabenen Gottheiten, so wie sie sich dem Verstände des Göttlichen Dichters gezeiget u. dem Alterthum zur Verehrung vorgestellet worden. Eine Stirn wie diejenige (aus welcher) die von der Göttin der Weißheit schwanger war u. die im Apollo von dem Geist der (Weißheit) Weißagung zu Delos u. Claros aufgeschwellet scheinet: Augenbranen nach dem Begrif derjenigen die den Olympus erschüttert: Augen der Königinn/en/ der Göttinnen [mit] Majestät gewölbet und der schönste Mund voller Zärtlichkeit einen Hiacynthus von (?) Pamfo zu küssen Der Unmuth selbst wieder den Python der sich in der Nase (aufblähet) ist wie ein Wetter welches in den Unteren Gegenden der Luft bleibet u. (nidit) die obere Atmosphäre nicht beunruhiget [73T] (Der schönste Jüngling unter tausenden die zuElis u. am Isthmus erschienen von Weisen u. von der Menge bewundert; /ein Jüngling;/ ein Jüngling den der Frühling —) (Suche den schönsten Jüngling da wo die Natur schöne Menschen bildet.) Womit soll ich die Schönheit deßelben vergleichen und was reicht (b[is]> in Natur u. Kunst bis an den Begrif dieser Bildung! (Der welcher die Augen des gantzen Volcks zu Athen durch seine Schönheit auf sich zog) Der junge Held über deßen Schönheit alles Volck in Athen erstaunete Neben 16: N B Es sind einige berühmte Statuen des Apollo anzuführen Neben 17—1$: Θεοεικελον πολλάκις τον Πηλεως Ομηρος. Διογένης τους αγαθούς ανδρας θ ε ω ν ελεγε εικόνας είναι. Neben 20: Woher nehme ich Begriffe von Schönheiten Neben 21—24: Die N a t u r würde mir in einem jungen Theseus über deßen Schönheit das gantze Volck zu Athen erstaunete, da er ihnen zu erst erschien u. in Achilles dem schönsten unter viel tausenden vor Troja, u. den selbst Apollo liebte j Und hie[r] siehest du mit einem Blick > Text 4—j so wie sich dem > Text 9 zu Delos u. Claros nachgetragen 10—11 erschüttert und Augen mit Majestät > Text 12 einen Hiacynthus von (?) Pamfo] vielleicht verschrieben für: einen Hyacinthus und von Paphos den Cinyras 12 zu küssen nachgetragen, davor Zwischenraum 13 Der Unmuth der den Gott wieder seinen Feind aufgebracht der /die Nase erweitert und den Mund ö f n e t / > Text 29 in dem > in einem
Entwürfe zur Beschreibung des Apollo im Belvedere
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u. der schönste unter viel tausenden di[e] vor Troja kriegten, u. den Apollo selbst liebte Hätte der Thebanische Dichter uns die Schönheit des Theseus gemahlet (der) über welche das gantze Volck in Athen erstaunete, (da er zu erst in sein Vaterland) u. den Gott der Musen zu sehen glaubeten da jener zu erst in sein Vaterland erschien. Hätte Homer den schönsten jungen Helden unter viel tausenden vor Troja, den welchen Apollo selbst liebte (wie den Thersites) gemahlet [74 v ] Der Künstler hat den Apollo vorgestellet da er nodi nicht die Daphne geliebet hatte: denn er hat nodi keinen Lorbeer Krantz. v. Lucian Dial. Deor. X V . c. 2. — και νυν αντ' εκείνων στέφανους εχω. [>8Τ] Lucian Dial. Deor. X V . c. ι . p. 242. Τ. I. Opp. ΕΡΜης. σο δε κόμα, ώ Απολλον, και κιθαριζε και μεγα επι τψ καλλει φρονεί, κάγω επι τη ευεξίφ και τη λυρςι· είτα, επειδαν κοιμασϋαι δεοι, μονοί καθευδησομεν. j Hätte der Diditer aus Theben > Text
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Entwürfe
zur Beschreibung des Torso im Belvedere im Florentiner Manuskript
[12]
II
TORSO
Dieses Stück Statue so ohne Arme Beine und Kopf ist hat allezeit bey allen verständigen Künstlern und Liebhabern großen Ruhm und A u f mercksamkeit verdienet wegen seiner großen Schönheit. Es scheinet einen Herkules zu bedeuten. Der Character dieser Statue ist wunderschön. Die Proportion ist über die maßen wohl verstanden. In diesem Stücke findet sich zugleich die Weichigkeit des Apollo, das Verständniß der Anatomie vom Laocoon und vom Borghesisdien Fechter, die Großheit des Hercules von Farnese. Den göttlichen stilo so die alten Griedien gebraucht haben Göttlidie Personen vorzustellen, nemlich ohne alle überflüßige Kleinigkeiten, als kleine Falten der Haut, Adern, zu starke Bemerkung der Sehnen und Knochen. Es scheinet audi, als wäre dieses Stüde in allen Zeiten vor sehr schön gehalten worden, ja so gar von dem Meister selber, weil er seinen Namen sehr ausführlich und deutlich daran gesetzt. Auch siehet man daß diese Statue vor alten Zeiten restauriret worden. Denn am Hintertheil siehet man daß es zum restauro zu gerichtet worden, weil (das) es grade abgehauen und wieder rauh behauen wie man pflegt zu thun im restauriren, um den Kitt gut an zu tragen machen. Auf selben Ort findet sich noch eine alte eiserne Klammer und der gantze Marmor dieses behauenen Orts hat eben die patina angenommen wie das übrige, also daß es nicht von neueren Zeiten seyn könne. Man könte zwar glauben, daß die Statue an einem festen Ort angemadit gewesen wäre, und darum das Eisen daselbst stünde. Aber der Künstler [13] würde sich nicht so vil Fleiß gegeben haben um den Rücken so schön zu machen, wenn er gegen die Mauer oder gegen sonst was gestanden hätte. Der (gantze) Haupt Gusto dieser Figur kommt dem von Michael Angelo ziemlich nahe so in denen Figuren auf der Großherzoge von Florenz Begräbniß, aber der antique Künstler Übertrift den Michael Angelo sehr weit in der Zarte und in der Annehmlidikeit. Denn Midi. Angelo seine Statuen fehlen allezeit ein wenig in der Leichtigkeit, in dem eleganten Zug des Contours, in der Größe
Entwürfe zur Beschreibung des Torso im Belvedere
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der Einbügung und bleiben allezeit Stein und diese scheinet Fleisdi zu seyn. [ 2 1 ] TORSO
Bey dem ersten Anblick dieses Stückes wird man nichts anders gewahr als einen fast ungeformten Klumpen Stein, aber so bald das Auge die Ruhe angenommen, und sidi fixiret auf dieses Stüde, so verliehret das Gedächtniß den ersten Anblick des Steins und scheinet er weichliche zarte Materie zu (sehen) werden. Ob dieses Stück schon ohne Kopf, Arme noch Beine ist, so bildet die Vollkommenheit des übrigen in unseren Gedanken schönere Glieder, als wir jemahls gesehen haben. Die Gottheit und Vollkommenheit erscheinet so wohl durch die Form als Zärtlichkeit der mächtigen Muskeln des vergötterten Helden. Derjenige so einen Begrif von der Großheit der Griechischen Künstler hat, wird in seinen Gedanken leicht die verlohrnen Theile ersetzen. Denn da man im gantzen Körper keine Nothdürftige theile als Härte der Knochen, angespannte Sehnen Nerven oder Adern siehet, so stellet man sich leicht vor, wie in dem Haupt die Gottheit des Vaters gewesen sey, {auf?) aus den üb[er]bliebenen Schultern ersiehet man /,/ die Stercke deßen der nach der Poet[isch]en Beschreibung] den Himmelsglob[us] getragen. In der Leichtigkeit und Schmäle des Bauchs erscheinet die immer gesunde vollkommene Natur (bricht ab) [ 2 5 ] B R . IL TORSO
Wenn ich den Torso von Belvedere besehe, so weiß ich nicht, ob ich mehr traurig über den Verlust der schönen Glieder oder frölidi über den wunderschönen Körper, so uns übrig bleibt, seyn soll. Dieses Stück, so ohne Kopf Arme und Beine ohne Brust und Achseln [,] an welchen also nur der Bloße Rücken seiten und Bauch mit ziemlich verdorbenen Schenkeln zu sehen, verdienet dennoch den Rang mit den allerschönsten Werken des Alterthums, so uns übrig geblieben. Man (siehet) findet in diesem Stüde alle Ideen der grösten Kunst der alten Meister. In seiner großen Art und Character (findet) erkennet man, wie schön ein Jupiter von solchen Künstler würde seyn vorgestellet worden. Man findet gleichsam das Göttliche Wesen, was einen Leib, der nidit mehr mit Menschlicher Speise genähret wird, zu kommt [.] Die flüßigen Conturen eines Apollos sind in dem Systema der Kunst auch in diesem Stück zu finden. J a ich kan sagen, daß er einer höheren Zeit der 2f
an welchen
nachgetragen
282
Entwürfe zur Beschreibung des Torso im Belvedere
Kunst näher kommt als wie der Apollo selbst. Es findet sich die Weißheit des Künstlers des Laocons und die Fleischigkeit findet sich in keinem anderen Bilde wie in diesem. In der Form ist er mächtig und in der Arbeit zärtlidi. Die Anatomie ist in ihrem höchsten Grad verstanden und mit solcher Sparsamkeit gewiesen, daß der weise Künstler sie siehet, und der einfältige sie nicht darinn finden kan, noch es glauben kan. Die Gebeine (sind) scheinen mit einer fettlichen Haut überzogen: die Muskeln sind feist ohne den geringsten Überfluß. Die Sehnen sind sparsam gezeiget, die Adern siehet man gar nicht. [27] (Weil dieses ohne Zweifel) Daraus siehet man daß dieses Stück ohne Zweifel einen schon vergötterten Hercules hat vorstellen sollen. Darnach sind alle Theile eingerichtet. Denn es ist keine Härtigkeit (ohne?) oder sehr starke Action der Muskeln zu sehen, wie es in Menschlichen Körpern seyn könte. Um ein so schönes Stück in Malerey vorzustellen, so müste Raphael den ersten Riß davon geben, Michel Angelo ihn mit seinen mäditigen Umschweifen vergrößern, und nur allein Correggio könte ihn mahlen. Denn wer könte sonsten die immerwährend veränderten Formen so in diesem Körper erscheinen, mahlen und mit Licht und Schatten ausdrücken. Die Umkreise dieses g[an]tzen Körpers sind so wunderbarlidi, daß (ihm) im nachzeichnen niemand sich der Richtigkeit versehen kan, indem eine immerwährende Ausfließung einer Form in die andere alle Striche regieren muß [.] Wie der Fluß Achelous. Es würde dem Zeichner gehen, wie dem Herkules, da er Achelous überwinden wolte. Meereswellen. Es ist in allem dieser Körper wie die Natur, wenn sie bis auf den Göttlichen Grad erhöhet wäre. Dieselbe Eigenschaft haben beyde, daß obschon alles darin (?) verborgen lieget, dennoch ein jeder nur darin siehet, was er weiß [.] Wenn es erlaubt ist alles zu sagen was ich dencke, so dürfte ich wagen nach dem Sprichwort des Löwens in meinen Gedancken die verlohrnen Glieder (aus dies) nach diesem herrlichen Körper erdacht, dazu zu setzen. Wer die Kunst verstehet wird sehen, daß ich Recht gedacht, obschon der thörige darüber lachen wird. Die gröste Regel der Kunst, so die Alten Griechen zum Vorzug gehabt ist die Vollkommenheit in der Gleichförmigkeit aller ihrer Umriße, nach [29] diesem Körper also müste nothwendiger Weise ein leichter Kopf, 28
darin nachgetragen
Entwürfe zur Besdireibung des Torso im Belvedere
283
ηίέΓβηοβ de Monsieur Le Brun . . . sur l'expression generale et particuliere, Paris und Amsterdam 1698 ( l 1713), zusammen mit einem Fragment: Traiti sur la physionomie. Neudruck und Wiedergabe des Autographs bei Jouin S. 371—393; vgl. dazu Lee S. 221—224 (de Piles Auseinandersetzung mit den Thesen Le Bruns); 267 f. 20 Simoneait dem Aeltern: Charles Simonneau (1645—1728), Stether von Le Brun, Rubens, Carracci, Sacchi u . a . ; Thieme-Becker 31, 76. 25 Sein Held: die beiden nachfolgenden Beschreibungen, die des Übergangs über den Rhein und die des Friedensschlusses sind, wie schon Baumecker S. 128 f. festgestellt hat, wörtliche Übersetzung der von W. in der Anm. zitierten Schrift des frz. Malers und Kupferstechers Bernard Lepicii (1698—1755): Vies des Premiers-Peintres du Roi, depuis M. Le Brun, jusqu'i present, Paris 1752, I 64—65. Die Übersetzung geht bis zu den Worten: „gleichfalls zum Frieden". Baumecker macht audi S. 128 Anm. 45 darauf aufmerksam, daß der anschließende Passus, in dem W. Le Bruns Rheinübergang „an Höhe mit Homers berühmter Beschreibung von Neptuns Fahrt auf dem Meer" (Ilias 13, 16 ff.) vergleicht, durch den Satz von Lepicii I 64 inspiriert ist: „Un tableau frappant est celui, oü le peintre poiite reprisente comme Homere meme aurait pu faire le passage du Rhin." Exzerpt aus Lepicii, wenn auch nicht der beiden Beschreibungen, so doch u. a. des eben zitierten Satzes, im Nachlaß Paris vol. 62, 55—56; Tibal S. 108. Nach Baumecker hat auch Dubos, Reflexions I 191 (1709); I 110 (1732) Le Bruns Rheinübergang beschrieben und W. sich die Stelle exzerpiert; Nachlaß Paris vol. 61, 50; Tibal S. 105. 137,11 Leute von so zärtlichen Gewissen: gemeint ist wohl Dubos. Über W.— Dubos s. Baumecker S. 112; zärtlich: s. 70,28. 14 Poußin ... Erfindung Moses: Auffindung (oder Aussetzung) Mosis; Poussin hat das Motiv mehrfach gemalt. Zum Dresdener Bild (erworben 1742; in der Beschreibung nidit behandelt) s. O. Grautoff, Nicolas Poussin, München 1914, I 85; II Abb. Nr. 18; Posse S. 356, Nr. 720 (Kat. 1963, S. 84); Posse, Meisterwerke S. 121. Zu den andern Fassungen s. Grautoff I 148 ff.; 230 ff.; II Abb. Nr. 77, 115 (Louvre); W. Friedländer, Nicolas Poussin, München 1914, S. 85, 91, 115, 119, 121; Abb. S. 191, 228. Abdruck der Stelle bei Baumecker S. 111. 17 ungeneigte Richter: nach Baumecker S. 111 vermutlich de
406
Erläuterung der Gedanken
[137,17-138,23]
Piles, mit Abdruck der Stelle aus dessem Abrig£ de la Vie des Peintres, und Dubos, der sidi ähnlich scharf über die modernen allegorischen Maler äußert (s. 55,30), allerdings ohne Le Brun zu nennen. 20 Phidias ... Schildkröte: Plutardi, coniug. praec. 32. In D S. 160 steht an dieser Stelle die Ziffer 2, die Fußnote 2 ist aber unten ausgefallen. Sie mußte daher gestrichen und die beiden folgenden Ziffern den Fußnoten entsprechend verbessert werden. 24 wie Plato von der Dichtkunst saget: Alcibiades 147 b. 26 Besorgung: Besorgnis; s. 83,3. 29 Barocci: Märtyrertod des hl. Vitalis, in der Brera zu Mailand; A. Schmarsow, Federigo Barocci, Leipzig 1909, S. 49-55; Abb. Taf. IV nach S. 50. H . Voss, Die Malerei der Spätrenaissance in Rom und Florenz, Berlin 1920, II 485, Abb. N r . 190; H . Olsen, Federico Barocci, Copenhagen 1962, S. 172 ff.; Taf. 47 (46). Sdimarsow nimmt S. 52 die von W. allegorisch ausgedeutete Szene als Genre und als Stilleben aus der italienischen Kinderwelt. Zur Wertung s. Schudt, Reisen S. 367; vgl. 98,30. 35 Baldinucci: Notizie de'Professori del Disegno, Firenze 1702 (s. 98,37), I I I (1580-1610), 117 f.: „ . . . alcuni Scherzi piacevoli; come fu neU'Istoria del Martirio di S. Vitale . . . , in cui f r a figure diverse fece vedere una Fanciulletta, la quale tenendo sospesa una Ciliega, mostra volere imboccare una Gazzera giovane, die quivi ansiosa vedesi dibattar l'ali, con che venne ad additare il tempo della Primavera, in cui il Santo [Vitale] diede la vita per la Cattolica F e d e . . . " 36 Argenville·. s. 1,28; Abrigd I 28-32: Frideric Laroche; ebd. 30: „ . . . on lui a ν ύ reprisenter dans un tableau une jeune fille qui veut prendre un oiseau que ne paroit que dans le printemps. Une autre dans le tableau de Ravenne [jetzt Mailand, Brera] präsente une cerise Ä une pie pour d£noter la meme maison [lies: saison]." 138,4 grosse Machinen: frz. madiine; nadi DWB. 6, 1697 beim Maler die Verteilung der Gegenstände auf der Leinwand, um eine Handlung vorzustellen; aber dann audi, wie Machinist oder Maschinist (s. 230,1), mehr oder weniger veräditlidi gemeinter Ausdruck f ü r schnell verfertigte und großflächige Malereien. 11 Annibal: Annibale Carracci; s. 56,18 (Farnesischen Galerie). 13 Coypel: Antoine Coypel (1661-1722), seit 1710 Direktor der Kgl. Sammlungen in Paris, seit 1715 Premier Peintre du Roi. Die von W. genannte Gemäldefolge hatte Coypel 1702 im Auftrag des Herzogs von Orleans f ü r das Palais Royal in Angriff genommen; nach A. Michel, Histoire de l'Art, Paris 1925, V I I 1, 96 ist sie am Ende des 18. Jh., wohl in den Wirren der Revolution, verschwunden, mit Ausnahme einiger Bilder, die sidi in den Museen von Nantes (?) und Montpellier erhalten haben; 1755 durdi den Stecher Louis Surugue (1686—1762) oder seinen Sohn Pierre-Louis Surugue (1716 bis 1772) gestochen; Nagler 17, 570 f. und 18, 1 f. verzeichnet nichts Entsprechendes. Thieme-Bedcer 8, 25 erwähnt die Gemäldefolge nidit, nur für den gleichen O r t ein Deckengemälde (Götterversammlung); dagegen Pigler II 268 (zweimal) 272 (Montpellier, Musäe: Aeneas trägt seinen Vater Anchises aus dem brennenden Troja; Abb. bei L. Räau, Histoire de la peinture franjaise au X V I I I e siecle, Paris 1925, pi. V); 275, 278 (Angers, Musie: Venus in der Schmiede des Vulkan; Gemälde und Zeichnung; Montpellier, Mus£e Atger; Zeichnung). Ober Lepiciä s. oben 136,25. 15 Des Rubens Neptun: R. Oldenbourg — A. Rosenberg, P. P. Rubens, Stuttgart und Berlin 4 1921, Abb. S. 362; 470 (Klassiker d. Kunst 5). H . G. Evers, P. P. Rubens, München 1942, S. 377, Abb. 206: Skizze f ü r Pompa et Introitus Ferdinandi. In Dresden seit 1742; Gemäldegalerie Dresden Kat. 1927, S. 110 N r . 964 Β (Kat. 1963, S. 95). F. Goeler von Ravensburg, R. und die Antike, Jena 1882, S. 118. Stich von Sdineevogt. 21 Anländung: Landung; DWB. 1,390. 23 Vasari ... Schule zu Athen: die angeführte Stelle steht Vite 1568, I I I 69; ed. Milanesi, 1879, IV 330: „ . . . una storia, quando i teologi accordano la filosofia e l'astrologia con la teologia." Milanesi erklärt den von W. beanstandeten Irrtum Vasaris damit, daß letz-
[138,23-140,35]
Erläuterung der Gedanken
407
terer die Figuren der „Disputa" und der „Schule von Athen" vermengt habe. Über die allegorischen Deckenfiguren: Vite 1568, III 70; ed. Milanesi 1879, IV 333. Vgl. 115,14. 21 augenscheinlich: was man mit den Augen wahrnimmt; DWB. 1, 811 f. 39 Chambray Idee de la Peint.: s. 110,10. 39 Bellori Descr.: s. 34,38. Descrizione S. 15: Imagine dell'antico Ginnasio di Atene, ό vero la Filosofia. S. 16—21: II Ginnasio. Gleichwohl gibt Bellori S. 26—28: Conclusione, ed. A11 e g ο τ 1 a delle quattro Imagini. (Sperrung vom Hrsg.) 139,1 jemand unter den Alten: Plutardi, de aud. poet. 19—20; Cicero, de nat. deor. 1, 36 f. (vgl. Eis. I 189 Anm. 3). 5 Jupiter ... Luft: Baumecker S. 99 mit Hinweis auf Pope, der in der »Preface of Ilias" andeute, daß bei Homer die Götter Verkörperungen von Elementen seien. Exzerpt aus Popes Preface im Nachlaß Paris vol. 72, 24; Tibal S. 139. 9 einen Fehler anmerken: s. 55,33 (Aristides). 12 In dem Sendschreiben: Antwort auf die Einwände des »Wtderstuhers der Allegorien" (s. 84,16). 15 Leochares: s. 37,33 (Vaticanischer Apollo). Nadi Pausanias 1, 1, 3 stand eine Statue des Demos zusammen mit einer Zeusstatue, beide von Leodiares, im Piräus; vgl. Thieme-Becker 23, 67 (Bieber). (S.) 21 Das Gemälde des Parrhasius: s. 84,22; dazu die Stelle bei Tesoro (Idea argut. diet.; s. 128,40), Cap. III. p. 84: Pictura vere arguta, sed quae ejus imago fuerit, proditum non est. Crederem daemonem fuisse duorum capitum, unius humani alterius belluini, cum uno pede, qui columnae instar, et alio, qui serpentis speciem habuerit, vestitu ex leonis ovisque pelle consuto, altera manu gladium altera ramum oleae tenentem. 33 eine Verhältniß: zum Schwanken zwischen Neutrum- und Femininum-Gebrauch s. 47,39. 34 Uebereinstimmung des Verzierten mit den Zierathen: hier nimmt W. die Ausführungen über die Zierathen in den Gedancken wieder auf, die er im Sendschreiben selbst widerlegt hatte (s. 57,26 und 87,20). 35 Heraclid. Pontici Allegor. Homert: s. 124,34; die Stellen: Alleg. 24, 6-7; 39,11. 37 Iosephi Antiquit. ... edit. Haverc.: Flavius Josephus (um 37 bis um 100), jüd.Geschichtsschreiber;Flavii Iosephi quae reperiri potuerunt Opera omnia Graece et Latine cum notis et nova versione J. Hudsoni . . . Omnia collegit . . . et Indices adiecit S. Havercampus, Amstel., Lugd. Bat., Ultrajecti 1726. Die Stelle: Antiquit. 14, 153. 38 Dati: der bereits 110,17 erwähnte it. Gelehrte Carlo Roberto Dati (1619-1676), Vite de Pittori antidii, Firenze 1667, ( 8 Napoli 1730), S. 173 mit Berufung auf Plinius 35, 69. 140,1 Non ut placidis: Horaz, ars poet. 12. 6 der Capelle: in der in Anm. angeführten Stelle aus dem Werk von Blondel II. p. 26 heißt es: Salomon de Brosse [gegen 1571-1626, Hofardiitekt Heinrichs IV. und der Maria von Medici] habe in der genannten Kapelle des Luxembourg-Palais „les allegories sacrles et les profanes" miteinander vermischt. „En effet au Pavillon du milieu, au premier έtage duquel est placi la Chapelle, on voit sur le ddme des figures consacries i la vraie Religion, pendant que dans les trigliphes de l'entablement qui porte ce meme döme, sont reprisentis des tetes de Beliers et les ustensiles dont se servoient les Sacrificateurs pour offrir leurs victimes aux faux Dieux . . ." Vgl. J. Pannier, Un architecte fran;ais au commencement du XVII« siicle, Salomon de Brosse, Paris 1911, S. 48-67; vgl. A. Hustin, Le Palais du Luxembourg, Paris 1904. 13 einen längern Perioden: DWB. 7, 1545; Mask.-Gebrauch audi 145,3. 28 Muscheln: s. 57,26. 30 Rathhause zu Amsterdam: erbaut von Jacob van Campen (1595—1657); Abb. bei M. Wackernagel, Baukunst des 17. und 18. Jh. in den germanischen Ländern, «Potsdam o. J., S. 66 Nr. 48; 109 Nr. 83; C. Gurlitt, Geschichte des Barockstils, des Rococos und des Klassizismus in Belgien, Holland, Frankreich, England; Stuttgart 1888, S. 44—49 mit Fig. 16, 17. 35 Blondel Mais, de plaisance: Jacques-Franjois Blondel (1605—1674), Architekt und Architekturtheoretiker; De la Distribution des Maisons de Plaisance et de la Decoration des Edifices en Giniral, I—II, Paris
408
Erläuterung der Gedanken
[140,35-142,25]
1687-88. W. hat eine Ausgabe Paris 1738 benutzt; Exzerpt im Nachlaß Paris vol. 62, 60; Tibal S. 108; nicht in CBB. 36 Passerii Lucernae fict.: s. 121,38. 37 Quellinus Maison ...: Hubertus Quellinus (1619?—1687), ndl. Kupferstecher; er stach die Plastiken und den Architekturschmuck des Rathauses von Amsterdam, die sein. Bruder Arthur Quellinus geschaffen hatte. Das allegierte Werk ist ein Kupferwerk in zwei Teilen, 1 1655; II 1662. 141, 8 in ein Werk der Baukunst: vgl. später Anmerkungen Baukunst S. 28 ff. 8 Pocoke: s. 86,1. 10 Tempel der Minerva: Athen, Parthenon; s. 86,2. 12 Vitruv lehret: 1, 2, 5. 14 grosse Manier: s. 40,21. 18 Tempel des Jupiters zu Agrigent: s. 179,24; die Stelle bei Diodor: 13, 82, 3. 27 Arion auf einem Delphine reitend: denkt W. an Blondel I pl. 8, p. 64, oder an II pl. 68, p. 75? Er hat die Ausgabe Paris 1738 benutzt (s. 140, 35), vielleicht waren in ihr neue Zeichnungen hinzugekommen. 31 Arnob. adv. gentes: Arnobius d. A. (gest. kurz nach 326), Kirchenlehrer; Disputationum adversus gentes libri Septem, Basileae 1546 (recogniti et aucti Antv. 1582). Von W. verwendete Ausgabe: Lugduni (Jo. Maire) 1651. 35 Sinnbild ...der Gedult: s. 131,23. 37 Haym Tesoro Brit.: s. 121,41. 38 Hypnerotomachia Polyphili: Venetia 1499; Verfasser des unter dem Namen Poliphilus erschienenen 'Werkes, das etwa mit „Liebestraumkampf" zu übersetzen wäre, war der gelehrte Dominikanermönch Francesco Colonna aus Treviso (Francisc o Columna; gest. 1527 im Alter von über 90 Jahren). Das Budi wurde häufig übersetzt, bes. ins Französische (ζ. B. von Legrand) und liegt jetzt in einer kritischen Ausgabe vor, besorgt von G. Pozzi und L. A. Ciapponi, Padova 1964; zur Bibliographie s. Arcadia 2,1966,142 Anm. 58 (H. Rüdiger). 142, 6 Tarentiner ... ihre Münzen: vgl. P. R. Franke —M. Hirmer, Die griech. Münze, München 1964, Abb. 102-109. (S.) 10 Palais Bleinheim: in Oxfordshire, von Königin Anna für den Herzog von Marlborough als Andenken an dessen Sieg bei Blenheim (Höchstädt; s. 19,31) geschenkt, von John Vanbrugh erbaut oder ausgebaut (s. 21,13); Abb. bei M. Wackernagel, Baukunst des 17. und 18. Jh. in den germanischen Ländern, 'Potsdam o. J., S. 164 Nr. 124 (Handbuch der Kunstwissenschaft); J . Summerson, Architecture in Britain 1530 to 1830, London 1953, S. 160 bis 165 Abb. 101 b, 103. W. konnte sich über den weiträumigen Palast orientieren aus Collin Campbell, John Wolfe and James Gaudon, Vitruvius Britannicus, or the British Architect, London 1715, I 57 ff. Exzerpt im Nachlaß Paris vol. 62, 79 T ; Tibal S. 109; s. auch Br. IV 36, 432 und unten 208,31. Außerdem C. Gurlitt, Geschichte des Barockstils . . . (s. 140,30) S. 362-366 mit Figur 111-114, und 375 ff. zum Vitruvius Britannicus. Der Herzog hatte sich während seiner Feldzüge auch eine beträchtliche Bildergalerie zusammenerbeten, die sog. Blenheim-Galerie, die später von Herzog Georg von Marlborough verkauft wurde; vgl. W. Treue, Kunstraub, Düsseldorf 1957, S. 147—151. 23 ein öffentliches Denkmal: hierher gehört Anm. Ziffer 2, die irrtümlich eine Zeile tiefer steht. Pausanias (1, 23, 2) erzählt von der Löwin, die zum Andenken an die Geliebte des Aristogeiton aufgestellt wurde. Vgl. Eis. I 195 Anm. 1 und 2 mit weiteren Stellenangaben; die Löwin stand nicht auf dem Grabmal der Leäna, sondern als Ehrendenkmal am Eingang der Burg von Athen. 25 Saurus und Batrachus: vgl. H. Brunn, Geschichte der griech. Künstler, Stuttgart 1857-59, II 343 f.; Br. III 447 mit weiteren Nachweisen. Die Plinusstelle: n. h. 36, 42. W. glaubte später in Rom das Kapitell an einer der jonischen Säulen in der Kirche S. Lorenzo fuori le mura zu erkennen: „Da die dortigen Capitäler von verschiedenen Orten in Rom zusammen gebracht sind, so bin ich der Meynung, daß dieses Capitäl von den Tempeln des Jupiters und der Juno sey, welche Metellus innerhalb seines Porticus durch den Saurus und Batrachus, aus Sparta, bauen ließ. Es ist bekannt, was Plinius erzählet, daß diese Baumeister ihre Namen, welche sie nicht an
[142,25-144,29]
Erläuterung der Gedanken
409
diese Gebäude setzen durften, durch Frösche und Eydexen, welches die Bedeutung derselben im Griechischen ist, angezeiget haben, und wie er saget, in columnarum Spiris" (Anmerkungen Baukunst S. 29 f.). Er hat das Kapitell dem Titelblatt der Anmerkungen über die Baukunst beigegeben; es ist aber nicht antik, sondern dem Umbau von S. Lorenzo nach 1225 zugehörig. Vgl. auch Allegorie S. 96; 124 und Vorrede zu GK. (s. 240,8); außerdem Br. II 107, 109, 145; 403. 28 der berühmten Lais Grab: Pausanias 2, 2, 4. 30 Widder, als ein Gemälde: Pausanias 9, 40, 5. 35 Spectator Ν. 59: Thuesday, May [1711]: „I shall conclude this Topidt with a Rebus, which has been lately hewn out in Freestone, and erected over two of the Portals of Blenheim House, being the Figure of a monstrous Lion tearing to Pieces a little Cock. For the better understanding of which Device, I must acquaint my English Reader that a Codi has the Misfortune to be called in Latin by the same Word that signifies a Frenchman, as a Lion is the Emblem of the English Nation . . The Spectator (s. 115,24), ed. in 4 vols by G. G. Smith, London and New York 1907, vol.1 1, 221. 143, 5 Vorstellung eines Opfers des Pluto: vgl. die Lampe bei R. H. Howland, The Athenian Agora, Greek Lamps and their Survivals, Princeton 1958, S. 157 Nr. 617 Taf. 48 (dort weitere Beispiele genannt). (S.) 6 Bild ... eines trojanischen Prinzen: Ganymed; s. 88,12. 10 Vögel ... Aschentopfe: s. 88,11. 12 marmornen Vase ... Salpion: Neapel, Museo Nazionale. Ruesdi S. 92 Nr. 282. W. Fuchs, Die Vorbilder der neuattischen Reliefs, Berlin 1959, S. 166 N r . 17 Taf. 27, a. Photo Alinari 11188. (S.) 17 einem Sphinx auf einem Becher: welchen Becher W. meint, ist nicht auszumachen, da der Hinweis auf Buonarroti unklar ist; Sphingen auf griechischen Trinkgefässen sind bekanntlich sehr häufig. (S.) 19 Eydexe ... Trinkgeschirre des Mentors: s. 88,4; vgl. audi 142,25. 27 auf Hermen ... Thermen: nach dem französischen terme = Hermensäule; vgl. Br. II 33, 44. 28 Münze Kaisers Aurelianus: H. Mattingly — E. A. Sydenham, The Roman Imperial Coinage III, London 1930, Taf. 12, 247. (S.) 33 Aldrovand. de quadrup. bisttlc.: s. 121,32. 34 Bellori Lucern. sepulcr.: Le antidie Lucerne sepolcrali figurate. Raccolte dalle Cave sotterranee, e Grotte di Roma etc., Roma 1691. Gemeinsam hrsg. mit Bartoli (s. 71,37). 35 Spon Miscell.: s. 122,36. 36 Beger Thes. Palat.: s. 121,40. 37 Buonarroti Osserv.: Filippo Buonarroti (1661—1733), Archäologe; Osservazioni sopra alcune Medaglioni antichi, Roma 1698; Osservazioni sopra alcuni Frammenti di vasi antichi, Firenze 1716. W., der Buonarroti audi in seinen Briefen nennt (Br. II 44, 70; 539; III 143; 483), hat sich beide Publikationen früher exzerpiert (Nachlaß Paris vol. 62, 18v; vol. 64, 8 ' ; vol. 67, 46; Tibal S. 107, 114, 123), und sie in Description S. 15, 17, 232, 297, 466, 543 angezogen; später in GK. S. 260, 372, 387, 417; Vorrede zu AGK. (s. 256,37); Allegorie S. IV. CBB. II 538 b führt nur das zweite Werk von 1716. Vgl. Stark S. 183; Michaelis S. 60. 39 Plutarch, de garrulit.: garrul. 1; dazu Plinius, n. h. 36,100. 40 Tristan Comment, hist, des Emp.: s. 126,40. 144, 4 Marcellus: zu diesem Doppeltempel, der „ad portam Capenam" am Beginn der Via Appia stand, und zwar wohl außerhalb des Tores, s. S. B. Platner — Th. Ashby, A Topographical Dictionary of Ancient Rome, London 1929, S. 258 f. (S.) Vgl. dazu Allegorie S. 109: „ V o n allegorischen Gebäuden ist der Tempel der Tugend und der Ehre im alten Rom bekannt; man mußte durch den ersten gehen, um in den zweyten zu gelangen." 16 ich entsinne mich ... auf: ich besinne mich auf; DWB. 3, 625. 17 aus blauen Augen schwarze: s. 69,22 mit weiteren Verweisen. 17 Dioscorides: s. 69,23 mit dem gleichen Zitat. 23 es gelung: es gelang; DWB. 4, 1, 2, 3033. 29 Friedrich Oeser: über W.s Freund, den Maler, Bildhauer und Radierer Adam Friedrich Oeser (1717-1799) s. Justi I 397 ff. F. Dürr, A. Fr. Oeser,
410
Erläuterung · Reifere Gedancken
[144,28-146,15]
Leipzig 1879 und oben S. 325. 29 Nachfolger des Aristides: Plinius, n. h. 35, 98; Aristides „omnium primus animum pinxit et sensus hominis e x p r e s s i t . . V g l . 55,33. 33 Plutarch. Marcel.: Marcell. 28, 2. 34 Vulpii Latium: s. 133,35. 35 Banier Mythol.: Antoine Banier (1673-1741), frz. Philologe; La Mythologie et les Fables expliqu£es par l'histoire, I-III, Paris 1738; »1748-1750. Dt. von J. E. Schlegel, Leipzig 1754 f. Vgl. Br. IV 10 f.; 421.
Reifere Gedancken über die Nachahmung der Alten in der Zeichnung und Bildhauerkunst Fragment
H: Paris, Bibliotteque Nationale, Fonds Allemand, vol. 57, 80-81* (Tibal S. 38 f.). D: Studien, ed. C. Daub und F. Creuzer, VI, Heidelberg 1811, 216—219. Das Fragment stammt wahrscheinlich aus derselben Zeit wie die Entwürfe zur Beschreibung des Apollo im Belvedere (s. Anhang), 1756/57. — Wiedergabe nach Η mit Auslassung unwesentlicher Streichungen. Zum Text: 145,9 der Gelehrten der Vorkammern nachträgliche Einfügung 145,12 verachtet > weniger geachtet 146,3-6 (deswegen lehret Hohbes ... untersaget würde Einfügung auf der linken Spalte von 80T 9 und noch näheres Antheil nachträgliche Einfügung. 81 den süssen Namen meines Freundes schnitt, umgehauen." 30 niefei genutzte Jugend: das in W. immer wieder auftauchende Gefühl, er sei um seine Jugend betrogen worden; s. auch Br. I 422 (an Francke, 30. 9. 1758): „leb hole itzo nach, was ich versäumet habe; ich hatte es auch vom lieben Gott zu fodem. Meine Jugend ist gar zu kümmerlich gewesen und meinen Schulstand vergesse ich nimmermehr." Vgl. Kraus S. 20 f.; Schadewaldt S. 606 f.; 641. Außerdem Br. I 133; 315; II 161; 431. 33 ferne von der Thorheit der Höfe: vor allem fern von Paris, dem „Sitz der thörichten Lüste", wie W. die französische Kapitale in seinem ersten Brief an Berg vom 9. 6.1762 (Br. II 233) nennt. Als Berg am 12.12. 1762 aus Paris an W. schrieb: das taumelnde und gedankenlose Hofleben sei ihm jederzeit zuwider gewesen und er wolle lieber seinen eigenen Neigungen folgen und leben (Br. IV 91), befestigte W. in seiner Antwort vom 19.3.1763 (Br. III 413) den
[233,33-234,12]
Empfindung · Geschidite der Kunst
477
jungen Herren ausdrücklich in diesem guten Vorsatz. 34 Söhne und Enkel nach ihrem Bilde: dazu W. an Berg, 20. 5. 1767 (Br. III 263; 533): „Sie werden nunmehro Vater von schönen Kindern nach Ihrem geliebten und mir ewig gegenwärtigen Bilde seyn, und ich freue mich, daß mein Wunsch zu Ende meiner Schrift erfüllt worden. Ich küsse Sie im Geiste, und wünschte künftig den Sohn eines so geliebten Freundes, wohin ich den Vater begleitet, führen zu können." Berg hatte am 15. 11. 1764 Catharina Dorothea Freiin von Campenhausen (1747—1807) geheiratet, die ihm sieben Kinder schenkte. Das Wort Enkel ist, wenigstens an dieser Stelle, im eigentlichen Sinn zu verstehen, denn W. verwendet das Wort sonst (Br. II 289) und gerade gegenüber Berg auch im Sinn von lat. nepos, Neffe (DWB. 3, 485 f.), weil Berg W. den Besuch seiner Neffen, der jungen, nidit näher zu identifizierenden Herren von Ermes angekündigt hatte. Dodi scheinen diese nidit nadi Rom gekommen zu sein; vgl. Br. II 269, 328; 502; III 18, 38; 427.
Widmung vor der Geschichte der Kunst des Alterthums Windielmann erwähnt die Absicht, eine Geschichte der Kunst zu schreiben, zum ersten Mal in einem Brief an Bianconi vom 29. 8. 1756 (Br. I 242 f.), aber sdion Ende 1755 hatte er von dem Entwurf zu einer Abhandlung von dem Geschmack der griechischen Künstler (s. Br. I 195, 200, 208; 545) gesprochen, von dem sich bald ein kleinerer Teil (Beschreibung der Statuen im Belvedere; s. Br. I 547 f. und unten S. 504) abspaltete. Beide Vorhaben erschienen nicht als selbständige Arbeiten, ebensowenig ein wohl 1756 verfaßter Entwurf: Von den Vergehungen der Scribenten über die Ergäntzungen, von dem Teile in die Vorrede zu GK. eingegangen sind (s. unten 241,24). Die erste Niederschrift von GK. ist in den Jahren 1756—59 entstanden; im Mai 1758 trug W. seinem Verleger G. C. Walther in Dresden die Arbeit an unter dem Titel „Versuch einer Geschichte der Kunst, sonderlich der Griechen bis auf den Fall derselben" (Br. I 363). Differenzen mit Walther und Pläne, das Werk an anderer Stelle drucken zu lassen, zögerten das Erscheinen heraus und W. überarbeitete es nochmals 1759-61 (s. Br. II 418; Justi II 117-128; Stoll S. 48-66, Exkurs: Zur Geschidite der Kunst). Die Arbeiten an einer neuen, vollständigeren Ausgabe, die W. seit dem Ersdieinen des Werkes (1764) beschäftigten (s. Br. III 470, 539), wurden durch seinen Tod am 8. Juni 1768 abgebrochen. Das hinterlassene Material kam nach Wien und wurde dort, gegenüber der Erstausgabe fast aufs Doppelte angewachsen, von der k. k. Akademie der bildenden Künste durch F. J. Riedel 1776 herausgegeben. 1767 hatte W. einen Teil seiner Zusätze und „Erinnerungen" unter dem Titel „Anmerkungen über die Geschichte der Kunst des Alterthums" veröffentlicht (vgl. S. 492). — Die Widmung an Friedrich Christian von Sachsen hat eine ziemlidi wediselvolle Geschichte. Nadi dem plötzlichen Tod des Kurfürsten am 17. 12. 1763 hätte W. die Zuschrift gerne zuletzt noch auf Kaiser Joseph II. umgeschrieben, verzichtete dann aber, wahrscheinlich auf Vorstellungen seines sächsischen Verlegers hin, auf diesen Plan; s. Br. II 262; 469; III 18 f.; 427. 234,3 Erstlingen: die „Anmerkungen über die Baukunst der Alten"·, zu W.s Widmung an den Kurfürsten, damals nodi Kurprinz von Sadisen, s. S. 442. 5 in dem Schooße der Alterthümer: s. 225,12 (allein in Rom) mit der Fortsetzung: „Diese Hauptstadt der Welt bleibet noch itzo eine unerschöpfliche Quelle von Schönheiten der Kunst" W. stand seit 1763 als Präsident der Altertümer audi den Ausgrabungen vor. 7 glücklichen Himmel: dazu 29,2; 30,37 u. ö. 12 ein ganzes Jahr zu Rom: nach F. Noack, Das Deutschtum in Rom, Berlin und Leipzig 1927, II 189 weilte
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Geschichte der Kunst
[234,12-236,18]
Friedrich Christian vom 18. 11. 1738 bis 14. 10.1739 in Rom, und zwar im Palazzo Albani, da der Kardinal der diplomatische Vertreter Polens •war. Zuvor, im Juni 1738, hatte er seine Schwester Maria Amalie (1724—1760) König Karl III. von Neapel als Gemahlin zugeführt; s. Noack I 175 f.; 275. 13 Huld und Gnade: die Pension des Hofes, die W. seit 1755 bezog; vgl. 250,11 und Br. I 226, 232, 234, 312; II 58 u. ö.
Vorrede zu der Geschichte der Kunst des Alterthums 235, 3 Geschichte: also nicht nur oder allein Geschichte als ίστορίη (Historie im Wortverstand, als „Wissen des Augenzeugen [vom Stamme vid-]"; s. H . Bogner, Vom geschichtlichen Denken der Griechen, Heidelberg 1948, S. 35), sondern als darstellende Untersuchung, als erkennende geschichtliche Darstellung. 5 Versuch eines Lehrgebäudes: dazu, außer GK. I. Kap. 1—5, audi die Äußerungen in den Briefen: 1295, 314, 332 f.; II 128 f.; 135 ff. 11 Wesen der Kunst: vor allem GK. S. 141-212: Von dem Wesentlichen der Kunst. 12 Entzweck: Schreibung neben Endzweck noch im 18. Jh.; DWB. 3, 672. 12 Geschichte der Künstler: die Tradition der Kunstgeschichtsschreibung seit Vasari über Baldinucci, Baglione, Bellori, Passeri hin zu Ridolfi, Pascoli und ähnlichen Autoren. Sie wurde von W. entschieden abgelehnt, zugunsten einer Geschichte der Kunst, und meist scharf kritisiert (etwa AGK. S. 52, 65 mit Ausfällen gegen Baldinucci und Pascoli); vgl. Br. IV 461. Übersicht über die Autoren bei Schmerber S. 220 ff.; Wittkower, Art S. 389 f.; Schlosser S. 411—425 (mit Bibliographie). Zum Grundsätzlichen E. Heidrich, Beiträge zur Geschichte und Methode der Kunstgeschichte, Basel 1917, S. 7—49: Die Anfänge der neueren Kunstgeschichtsschreibung. 1. Die Renaissance. 2. Winckelmann. Neudruck von 2 in: Beiträge zur Gestalt W.s, Berlin 1958, S. 42—57 (W.-Gesellschaft Stendal, Jahresgabe 1958). 17 Urspung .. . Wachsthum: s. oben und vor allem GK. S. 213-248: „ V o n dem Wachsthume und dem Falle der Griechischen Kunst, in welcher vier Zeiten und vier Stile können gesetzet werden." 26 fast kein Scrihent: so bereits Br. I 244, 250, 301; vgl. 145,9 (Gelehrten der Vorkammern). 27 Gelehrsamkeit: s. 249,21. 236,1 Monier Geschichte der Kunst: Pierre Monier (1639-1703), Maler, „Peintre du Roi", veröffentlichte: Histoire des Arts, Paris 1698. Exzerpt im Nachlaß Paris vol. 62, 46; Tibal S. 108. Vgl. Schlosser S. 442, 549 f.; Borinski II 215. 2 Durand Übersetzung: s. 110,39. 3 Turnbull: s. 53,25. 4 Aratus: Cicero, de or. 1,16. Vgl. auch Br. III 409; 580 f. Dazu Lessings Bemerkung in seinen „Collectanea": „dagegen dürfte zu erinnern seyn, daß in dem Gedichte des Aratus auch nichts von der Astronomie steht; es ist eine bloße Astrognosie. Und so etwas, was diese gegen jene ist, hätte gar wohl auch ein Grieche von der Kunst schreiben können, ohne die Kunst zu verstehen. Ja dazu bedarf es auch nicht einmal eines Griechen." Lachmann— Mundser XV 144. Weitere Bemerkungen und Exzerpte zu und aus GK. in den Collectanea: X V 128, 131-134, 148 f.; 165, 172, 174, 206, 218, 265, 272, 279, 296, 302 ff.; 311, 312, 325, 337, 342 f.; 360, 389, 391, 414. Lessing hat bei seinen Auszügen und Notizen vornehmlich die kritischen Urteile W.s aus der Vorrede über seine Vorgänger berücksichtigt. Seine Randbemerkungen in seinem Exemplar von GK.: Lachmann—Muncker X V 7-24. 9 Kenntnisse der Kunst ... vergebens suchen: so öfters; s. 185,10; 242,29; 249,21. 12 Ursache der Schönheit: s. 226,7. 18 Statuen des Callistratus: Kallistratos, griech. Sophist aus dem 2. Jh. n. Chr. Seine Beschreibung von 14 Statuen ist in den Editionen von Philostrat enthalten. Philo-
[236,18-237,7]
Geschichte der Kunst
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stratorum Imagines et Callistrati Statuae, ed. F. Jacobs — G. Welcker, Lipsiae 1825, S. 141-162. Laut GK. S. X L VI benutzte W. die Ausgabe: Philostratorum Opera, edit. Olearii, Lips. 1709. fol. Vgl. 71,5. 20 schrunden: schrumpfen; DWB. 9, 1808, nur mit vorliegender Stelle (für zusammenschrumpfen); 16,767 nicht aufgeführt (nur: zusammenschrunzeln). 27 Statue des Marcus Aurelius: s. 54,35. 29 Eule ... Athen: die Angabe in der Anm. 2 „Spect. Vol. 3." ist zu verbessern in Vol. 1.; Nr. 59 Tuesday, May 8 [1711]: „For the same Reason it is thought, that the Forelock of the Horse in the Antique-Equestrian Statue of Marcus Aurelius, represents at a distance the Shape of an Owl, to intimate the Country of the Statuary, who, in all probability, was an Athenian." The Spectator (s. 115,24), ed. in 4 vols by G. G. Smith, London and New-York 1907, vol. I 1, 221; vgl. 132,4; 142,35. Uber Pinaroli und sein Hauptwerk s. unten 238,4. 33 Gruppo in der Villa Borghese: aus klassischen Statuentypen in römischer Zeit gebildete Gruppe von Ares und Aphrodite, von der sich mehrere Wiederholungen, ζ. T. mit Porträtköpfen, erhalten haben; im 18. Jh. „Coriolanus und Vetturia" genannt, da man Mutter und Sohn in den Dargestellten sah. Hier ist die Wiederholung in der Villa Borghese genannt; Arndt-Amelung Nr. 2782. Zur Gruppe allgemein s. Heibig4 II Nr. 1394 (Wiederholung im Kapitol. Museum); zur Sonderform in der Villa Borghese, die auch in den Uffizien erscheint, s. Mansuelli I Nr. 160. (S.) 37 Fabret. Inscr.: Raffaello Fabretti (1618—1700), Leiter der päpstlichen römischen Archive und Mitbegründer der Inschriftenkunde. Sein von W. immer wieder zitiertes Hauptwerk: Inscriptionum antiquarum, quae in aedibus paternis asservantur, explicatio et additamentum, Romae 1699-1702; Exzerpte im Nachlaß Paris vol. 67, 5; Tibal S. 122. Vgl. Br. I 343, 359; 586; III 6 und oben 179,20. 39 Ficoroni: Francesco de'Ficoroni (1664—1747), röm. Archäologe. Außer seinen auch von W. benutzten Gemmae antiquae, Romae 1757, hatte er publiziert: Le vestigia e rariti di Roma antica, Romae 1744. Vgl. Stark S. 116, 143; Schudt, Guide S. 145; 405 Nr. 768. Nadilaß Paris vol. 63, 7 ' ; vol. 72, 10^; Tibal S. 111,139; 148. 237,1 Egizzia: La Zingarella genannt; zusammengesetzt aus einem antiken Fragment in grauem Marmor, mit bronzenen Ornamenten und Extremitäten. Die Rekonstruktion oder Restauration wird verschiedenen Künstlern zugeschrieben, u. a. Bernini, so auch von W. selbst (s. Ladendorf S. 57, 114; Baldinucci sagt nichts). Neuerdings werden genannt Nicola Cordier (1567—1612) oder Tiburzio Vergelli (1555-1610); s. Pergola, Gall. Borghese S. 28 N r . C C L X I I I ; Abb. S . 7 2 ; I. Faldi, Gall. Borghese. Le sculture dal secolo X V I al X I X , Roma 1954, S. 48 f.; Nr. 47; Fig. 47. Thieme-Bedcer 7, 401 f.; 34, 242. 6 vermeynten Papirius: Gruppe des röm. Bildhauers Menelaos (Zeit des Augustus) aus Villa Ludovisi, jetzt im ThermenMuseum. S. Aurigemma, Mus. Naz. Romano, Roma 1963, S. 83 Nr. 212 mit Abb.; Brunn—Bruckmann Taf. 309. Schon in einem Brief an Ph. von Stosdi (Br. I 254; 564) hatte W. die Vermutung geäußert, es handle sidi bei der Gruppe um Phädra und Hippolytos, ebenso MI. I Prefazione p. X X I ; GK. 1 603; Br. IV 27, 38; 429. In GK. 1 S. 804 f. schlug W. hingegen vor, in der Gruppe Orest und Elektra zu sehen. Zu den umstrittenen Deutungen s. Helbig* II 1314; Th. Schreiber, Die antiken Bildwerke in der Villa Ludovisi, Leipzig 1880, S. 89-92 Nr. 69: Gruppe des Menelaos, Orest und Elektra. 7 dii Bos: Riflexions I 209: „Quoique son air de t£te soit nai'f, quoique son maintien paroisse ingönu, on devine k son sourire malin qu'il n'est pas entierement ίοπτιέ parce que le respect le c o n t r a i n t . . D i e Fehldeutung des Lächelns bemängelt auch MI. I p. X X I (Prefazione). W. bezieht sich in GK. jedesmal kritisch auf Dubos: S. 186 f. (ohne Stellenangabe; gemeint I 215); 265 (I 199; in GK. zit. nach I 1 352); 267 (I 198 = I» 351); 370 (I 360 = I 1 203). Auch in den Briefen reibt sich W. meist aus den gleichen Anlässen und auch aus seiner Abneigung gegen die Fran-
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Geschichte der Kunst
[237,7-237,25]
zosen an Dubos; vgl. Br. I 303, 308 (einer von den Rhapsodisten die alles in ein Buch ausschütten was sie wissen); 550, 576; II 480 f.; IV 472. Über Dubos und seine nicht geringe Bedeutung für W. s. 30,37 u. ö. (s. Register). 15 Bernini ... Pasquin: den von W. in den Anmerkungen genannten Gewährsmännern Baldinucci (s. 36,38) S. 72 (Neudruck Riegl S. 239) und Domenico Bernino, Vita del Cavalier Gio. Lorenzo Bernino, Roma 1713, S. 13, ist nodi beizufügen: Chantelou S. 17: B. habe auf die Frage, welche Antike wohl die Schönste sei, geantwortet: „Der Pasquino . . . Dieselbe Antwort gab ich einmal einem Kardinal, der hielt es aber f ü r Ironie und ärgerte sidi darüber. Er kannte offenbar nidit die Literatur. Der Pasquino ist nämlidi eine Figur von Phidias oder Praxiteles und stellt dar, wie König Alexander bei der Belagerung von Tyrus einen Pfeilschuß bekommt und von seinem Diener weggetragen wird. Heute ist sie zerbrochen und verwittert, aber tüchtige Zeichner können immerhin noch beurteilen, wieviel von ihrer Schönheit geblieben ist." Auch hier also keine Begründung des Werturteils, außer der Berufung auf den angeblichen Meisternamen. Vgl. L. Sdiudt, Berninis Schaffensweise und Kunstanschauungen nadi den Aufzeichnungen des Herrn von Chantelou; Zs. f. Kunstgeschichte 12, 1949, 74-89; W. Weibel, Jesuitismus und Barodcskulptur in Rom. Straßburg 1909, S. 52 ff. Im Gegensatz zu W. schätzte Mengs den Pasquino offenbar höher ein; sein Wiederherstellungsversuch im Abguß und eine Gipsnachbildung in Statuettenform aus seinem Besitz befand sich in der Staatl. Skulpturenslg. Dresden; vgl. B. Schweitzer, Das Original der sog. Pasquino-Gruppe, Leipzig 1936, S. I I I und 3. Statuette Abb. 26 (Abh. d. Sächs. Akad. d. Wiss. Phil. hist. Kl. 43, H . 4); Ladendorf S. 37, 61, 100 f.; 179 N r . 887—889. — Der „Pasquino" ist eine sehr zerstörte Wiederholung der Gruppe von Menelaos mit der Leiche des Patroklos an der Außenmauer des Pal. Braschi in Rom, die in der Renaissance aus nicht ganz geklärten Gründen diesen Namen erhielt. Ebenso nannte man bald auch alle anderen Repliken der Gruppe, von denen die zwei besten von Cosimo I. aus Rom nach Florenz gebracht wurden, „Pasquino". Das Original entstand im Hellenismus; vgl. B.Schweitzer a.a.O. S. 79 ff.; Encicl. dell'Arte Ant. V 985; Bieber, Hellenistic Age* S. 78 ff. Abb. 273; vgl. Abb. 272 und 274 bis 277. Eine neue Wiederholung fand sich kürzlich in Sperlonga; H . Siditermann, Gymnasium 73, 1966, 236 Taf. 15, 2. (S.) 17 Meta sudante: Reste einer Brunnenanlage an der Süd Westseite des Kolosseums, 1936 entfernt. Abb. bei Nash, Bildlexikon II 61-63 N r . 747-750; vgl. ebd. I 269 N r . 317. 22 Germanicus: s. 223,13. 23 Mars von Johann Bologna: W. nennt ihn für Villa Medici in Rom audi Br. IV 27 (Marte barbuto d'invenzione sua, preso per antico da Montfaucon; vgl. Br. IV 429). Thieme-Becker 4, 247 ff. verzeidinet ihn übrigens nicht, wohl aber den auch in Allegorie S. 136 und Br. IV 27 für Villa Medici genannten und als Brunnenfigur gedachten „Mercurio di Bronzo in atto di volare". Seit ungefähr 1770 in Florenz; jetzt Museo Nazionale. Vgl. W. Gramberg, Giovanni Bologna, Berlin 1936, S. 72-74, 76 ff.; 139 f.; Abb. 17a—19 f ü r den Merkur und seine verschiedenen Fassungen. A. Venturi, Storia dell'Arte Italiana, Milano 1937, X 3, 716, 717 Fig. 583, 584; 719-722 Fig. 586-589; F. Würtenberger, Der Manierismus, Wien-München 1962, S. 57. Über Johann Bologna s. 161,31. 25 vermeynten Narcissus: jetzt Vatikan, Galleria delle Statue N r . 396; Heibig 8 I 201: Statue des Adonis oder Narkissos. In Heibig 4 seiner schon von W. erkannten geringen Qualität wegen nicht mehr aufgenommen. Amelung, Vat. Kat. II Taf. 56. Stich der Statue in dem angeführten Werk des Hieronymus Tetius (Perusinus): Aedes Barberinae ad Quirinalem . . . descriptae, Romae 1642, S. 219 (s. 230,19: Pietro von Cortona). Der von W. bemängelte Text bringt den Inhalt der Narzissfabel auf S. 185-188 im Abdruck einer sechzehnstrophigen Ode des Aemilius Sibonius, eines Zeitgenossen und Feindes des Malers Salvatore Rosa (s. 75,14). Über Sibonius und seine Satire über S. Rosa vgl. U. Limentani, La satira
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Geschichte der Kunst
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nel Seicento, Milano-Napoli 1961, S. 103, 109 (Hinweis von V. R. Giustiniani, Freiburg). 27 Verfasser einer Abhandlung: Giov. Battista Braschi (1664—1723), Bischof von Sarsaina; De tribus statuis in romano Capitolio erutis anno 1720, ecphrasis iconographica, Roma 1724. Daß die drei unten genannten Statuen erst 1720 ausgegraben oder ans Tageslidit gebracht worden seien, stimmt nicht; sie waren lediglich 1719, aus der Slg. des Kardinals Cesi, von Clemens X I gekauft und 1720 im Konservatorenpalast aufgestellt worden, waren aber seit dem 16. Jh. bekannt; vgl. Chr. Hülsen, Römische Antikengärten des X V I . Jh., Heidelberg 1917 (Abh. d. Heidelb. Akad. d. Wiss. Phil. hist. Kl. H. 4), S . X I I ; 5, 10 und 25, Nr. 84-87 mit Abb. 17 und weiteren Nachweisen. 28 Roma: die Kolossalstatue der sitzenden Roma Victrix steht seit 1720 im hinteren Säulengang des Cortile des Konservatorenpalastes, zusammen mit den beiden Statuen gefangener barbarischer Könige zur linken und rechten Seite. Ursprünglich eine thronende Göttin in Chiton und Himation, ist sie erst durch nadiantike Ergänzungen zu einer Roma geworden. (S.) Clarac Taf. 770 Ε Nr. 1903 A = S. Reinach, Rip. Stat. I 455, 2; Stuart Jones, Pal. Cons. S. 16 f.; Taf. 6 Fig. 5; Lippold, Plastik S. 155 Anm. 13; Pietrangeli, Mus. Cap. S. 71; Heibig4 II Nr. 1440; Jdl. 80, 1965, 173 Abb. 17 (J. Dörig). 28 zween Könige: s. oben zu Roma; die Köpfe beider Statuen sind ergänzt. Clarac Taf. 852 Nr. 2161 D, Ε = S. Reinach, Rip. Stat. I 517, 4, 6; Stuart Jones, Pal. Cons. S. 16 f.; Taf. 6 Fig. 3, 5; Heibig4 II Nr. 1440. Vgl. MI. I p. L X X X V I I und GK.« S. 776. 30 Leucon: Eis. III 17 Anm. 2 nennt als Quelle Erasmi Adagia, p. 658; Vgl. Paroemiographia Graeca, ed. E. L. von Leutsch, Gottingae 1860, S. 11 Nr. 102 (Cod. Bodleian.): „"Αλλα μέν Λεύκωνος ονος, βλλα δέ Λεύκων φέρει." 32 Maffei Stat, ant.: Pavolo Alessandro Maffei (1653—1716), röm. Archäologe. Sein Hauptwerk: Raccolta di Statue antidie e moderne . . . da Domenico de Rossi illustrata, colle sposizioni a ciasdieduna immagine di Ρ. Α. Μ In Roma 1714. Ein früheres, weiter unten zitiertes Werk: Gemme antidie figurate, date in luce da D. de Rossi, colle sposizioni di P. Α. M., Roma 1707-09 (s. 241,9). 36 Capac. Antiq. Camp an.: Giulio Cesare Capaccio (gest. 1631), neapolit. Gelehrter; Antiquitates et historia Campaniae novissima editione accuratius ediate..., in: Thesaurus Antiquitatum et Historiarum Italiae, edd. J. G. Graevius-P. Burmann, I X pars 3, Lugd. Bat. 1723. 38 Montfauc. Diar. Ital.: Diarium Italicum, Paris 1702; s. unten 239,3. 238,3 Zwo Statuen der Hersilia: die eine lokalisiert Pinaroli (s. unten) in „Villa di Medici": „II portico di questo Palazzo 2 ornato di gran statue rappresentanti Hersilia moglie di Romolo . . . " Eine antike Statue, zu der die Bezeichnung passen würde, befindet sich heute nicht mehr in Villa Medici; vgl. M. Cagiano de Azevedo, Le antichid di Villa Medici, Roma 1951. Audi die zweite Statue, die im Garten der Villa Montalto (Negroni) gestanden haben soll (Ersilia in habito di Vestale) ist nidit nachzuweisen. (S.) 4 Pinaroli: Giacomo Pinaroli (audi Pinarolo; Daten unbekannt); sein Hauptwerk erschien Rom 1700 ( Ί 7 0 3 ; Ί 7 1 3 ) , in zwei Bänden; W. benutzte die 4. Auflage in drei Bänden: Trattato delle cose piü memorabili di Roma, tanto antidie come moderne, che in essa di presente si trovano (it.-frz. Parallelausgabe). Vgl. Schudt, Guide S. 73.; 272 f. Nr. 302-305. 6 Verzeichnisse der Statuen des Grafen Pembroke: gemeint sind die 223,1 vermerkten Beschreibungen von 1740, 1751, 1758 (Wilton). 7 des Cardinais Polignac: Kat. von 1742; s. 223,37. 8 Carry Creed: der Stecher Carry Creed (s. 223,1), der das erste Stichwerk der Statuen in Wilton House herstellte, darunter Taf. 15 das erwähnte (moderne) Relief: Marcus Curtius zu Pferde; Michaelis S. 46 f. Anm. 118 und 689 Nr. 87. Abb. auch bei J. Kennedy, A Description of the Antiquities and Curiosities in WiltonHouse, Salisbury 2 1769, Taf. 1. (S.) 9 Cleomenes: über den Bildhauer Kleomenes und die ihm meistens nur zugeschriebenen Werke s. 223,3. 17 Richardson: Descrip-
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Geschichte der Kunst
[238,17-238,34]
tion (Traiti III) 261—276: Palais Barberin; 275: „Un Piaton, jeuneGarjon endormi avec plusieurs Abeilles autour de lui. C'est une Peinture Antique k Fresque, oü il y a trois Nimphes, qui aprochent beaucoup de la Manifere du Corrüge, et un Cupidon, qui tient de celle du Guide [Reni]. Pour le Coloris en giniral, il est fort aprochant de celui du Corrige, et il est bien consent." An welche der vielen Amor- und Cupidodarstellungen Renis Ridiardson hier denkt, ist kaum zu entscheiden; vgl. Boehn S. 96, Abb. 91; 108; Gian Carlo Gnudi, Guido Reni, Firenze 1955 bringt überhaupt nichts. Ober Ridiardson s. 1,6; vgl. dazu GK. 386 mit weiterer kritischer Ablehnung eines Urteils aus Traite II. 18 nur im Traume: vgl. 161,35; 228,12 (wie die PilgTimme). 19 wegen seines kurzen Aufenthalts: das Jahr ließ sich mit Hilfe der Angaben in Dictionary of National Biography 48, 236—238 nicht feststellen; auch Schudt, Reisen S. 34 ff. bringt nichts. 23 Keyßlers Reisen: s. 186,21; W. kritisierte namentlich auch die Anmerkungen, die der Theologe Professor Gottfried Schütze (1719—1784) der zweiten Auflage des Werkes hinzugefügt hatte. Dazu Nachlaß Paris vol. 60, 305v (Tibal S. 103; s. auch 147,1): „Schützens Noten zum Keyßler sind wie die Anmerkungen zu Mylord Bolinbroke's Lettres sur l'histoire, wo p. 46 stehet toucbant Aulu-Gelle allegue par Myl. Le veritable nom de cet Auteur etoit Agellius, dont a fait Aulus Gellius et en Frangois Aulu-Gelle." Henry Saint-John, Viscount Bolingbroke (1678-1751), hatte 1738 veröffentlicht: Letters on the study and use of History. Sie wurden wegen ihrer Bibelkritik ins Französische (oO. 1752) und ins Deutsche (Leipzig 1758) übertragen. 26 Manilli: Giacomo Manilli (Daten unbekannt); Villa Borghese fuori di Porta Pinciana, Roma 1650. Schudt, Guide S. 157; 480 N r . 1104. Der Leidener Philologe S. Havercamp (1683-1724) hat die Beschreibung ins Lateinische übertragen: Descriptio Villae Burghesiae; in dieser Version publiziert in: Thesaurus Antiquitatum et Historiarum Italiae, edd. J. G. Graeve—P. Burmann, VIII pars 4, Lugd. Bat. 1723. Lessing setzte sich in seinen Collectanea (Ladimann—Muncker XV 303 f.) mit der Übersetzung kurz auseinander. Eine zweite, von W. audi in den Noten zitierte Beschreibung gab Domenico Montelatici (s. unten 239,35). 29 Penthesilea: noch in Villa Borghese; Pergola, Gall. Borghese S. 9 Nr. LXXX; Heibig 4 II Nr. 1961: Sarkophagdeckel, Amazonen in Troja. P. Gusman, L'Art dicoratif de Rome, Paris o. J., I Taf. 10. Robert II N r . 59; Taf. XXIV, 59. MI. 1 184-187; Abb. II Nr. 137. 30 Hebe: nodi in Villa Borghese; Pergola, Gall. Borghese S. 10 Nr. IVC; Heibig 4 II Nr. 1964: Sarkophagdeckel, jetzt auf die Geburt von Apoll und Artemis gedeutet; die vermeintliche Hebe ist wahrscheinlich Iris, der Knabe bei Zeus nicht Ganymed, sondern der jugendliche Apoll. W. hat bei seiner Interpretation nur die redite Hälfte des Reliefs berücksichtigt, die allein auch von ihm in den Monumenti abgebildet ist. Robert III 1, S. 39 ff. Nr. 33 Taf. VII. S. Reinach, Rip. Rel. III 167, 1-3. Vgl. MI. I 16-18 Abb. II Nr. 16; GK. f S. 306. (S.) 34 Jupiter auf einem Centaur: Vorderansicht einer Dreifußbasis mit Zeus, Ceres und Hermes, die mit Sternenbildern kombiniert sind (von W. nodi nidit erkannt); jetzt Paris, Louvre, Cat. somm. 1922, S. 28 Nr. 610: Base de candelabre. Clarac Taf. 201 Nr. 21 (Jupiter et le signe du sagittaire) = S. Reinach, Rip. Stat. I 89, 2. Die beiden andern Ansichten: Taf. 151 N r . 22 = Rip. Stat. I 45, 2 (Ceres); Taf. 202 Nr. 80 = Rep. Stat. I 90, 4 (Hermes, hier als Mars geführt). Das ganze Stück mit Kandelaberaufsatz: Clarac Taf. 130 Nr. 332 = S. Reinach, Rip. Stat. I 28, 1. S. auch E. Qu. Visconti, Monument: Gabini della Villa Pinciana, Roma 1797, Bd. III der „Villa Pinciana", tav. aggiunte d, e, f und in der Sonderausgabe des betr. Bandes unter gleichem Titel, Milano 1835, ebenfalls tav. aggiunte d, e, f. Vgl. J. A. Overbeck, Griechische Kunstmythologie, Leipzig 1871 ff.; Taf. III 22. W. schätzte und liebte das Stück offenbar besonders; in den Skizzen aus Johann Wiedewelts Nadilaß (Beziehung W. - Wiedewelt s. Justi II 102 f. und Br. I 568) ist unter
[238,34-239,25]
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2 a die Seite mit Zeus abgebildet, Unterschrift: „Morceau favorit de Winkellman", unter 2 b der Kandelaberaufsatz. Außer in Description S. X V {un des plus beaux autels triangulares de l'Antiquite) noch erwähnt in AGK. S. 69 und MI. I 11—13; Abb. nur der Vorderansicht: II N r . 11. Vgl. Br. I 302 f.; 575; III 144; 483; IV 460. 239, 3 Montfaucon: der schon häufig zitierte Archäologe und Editor der Kirchenväter, der Benediktiner Dom Bernard de Montfaucon (1655—1741). Hauptwerk: L'Antiquiti expliquie et representee en figures, I—X, Paris 1719 ff.; Suppl. I - V , 1724. Vorher: Diarium Italicum (s. 237,38), Paris 1702; Palaeographia Graeca (s. 94,37), Paris 1708. Vgl. Schudt, Reisen S. 109 f.; 412; Stark S. 142 ff.; GK. S. 12, 43, 84, 159 u. ö. 6 Hercules und Antäus: in den Höfen des Pal. Pitti, Florenz, Dütsdike II 37; neue Abb. in Bollettino d'arte 43, 1958, 240 Abb. 16. (S.) 8 Μαffei: s. 237,32. 9 vom Algardi: s. 45,32; 71,23. 10 neuen Vasen ... von Silvio von Veletri: Silvio Calci de Veletri; nach Thieme-Becker 5, 376 um 1640—50 in Rom tätig. Vgl. I. Faldi, Galleria Borghese, Le sculture dal secolo XVI al XIX, Roma 1954, S. 10 f. Nr. 3 (Algardi - Veletri); Fig. 3; S. 44 Nr. 41, 42 (Veletri); Fig. 41, 42 (vier Amphoren). 14 Hercules ... in der Villa Ludovisi: jetzt Rom, Thermenmuseum. E. Paribeni, Mus. Naz. Romano, Sculture greche del V secolo. Originale e replidie, Roma 1953, S. 30 f. N r . 35 Abb. 35; S. Aurigemma, Mus. Naz. Romano, Roma 1962, S. 75 Nr. 179. Heibig' II Nr. 1290; Brunn-Bruckmann Taf. 329 c. Arndt-Amelung Nr. 252, 253. Th. Schreiber, Die antiken Bildwerke der Villa Ludovisi in Rom, Leipzig 1880, S. 81 f.; Nr. 62: Herme des Herakles mit Fruchthorn. Description S. 47; MI. I p. LIX. Montfaucon macht zwar die von W. gerügte Angabe, fügt aber hinzu, daß er für das Kabinett seiner Abtei eine kleine Statue gekauft habe, die den Herakles mit dem Horn des Oberflusses vorstelle; Eis. III 20 Anm. 4. Vgl. Cat. somm. 1922, S. 27 Nr. 1654: Bacchus i demi nu, couche, tenant une corne d'abondance; aupr^s de lui un enfant badiique. Coli. Borgh. 18 Begräbnisurne: die Vase wird auch Description S. 47 (zu Nr. 79; Berlin, F. Nr. 9731: moderne Glaspaste nach antikem Stein; dazu Br. II 35, 382) und S. 273 (zu Nr. 1706; Berlin, F. Nr. 7566) erwähnt, ebenso in der fragmentarischen Abhandlung: de ratione delineandi Graecorum Artijicum primi Artium saeculi ex nummis antiquissimis dignoscenda (s. die Nachweise Br. II 396), im Nadilaß Paris vol. 57, 1—6*; abgedruckt bei Tibal S. 23-31, Hercules: S. 26. 21 Martin: Dom Jacques Martin (1684-1751), Benediktiner; Explication de divers monuments singuliers, qui ont rapport k la religion des plus anciens peuples, Paris 1739, S. 36. 22 Grotius: Hugo Grotius (de Groot; 1583-1645), der berühmte Völkerrechtler, Jurist, Theologe, Philologe und Archäologe. Er publizierte u. a.: Annotationes in Vetus Testamentum, I—III, Paris 1644; Annotationes in Novum Testamentum, Paris 1644. Die siebzig Dolmetscher sind die 70 sagenhaften Mitarbeiter an der nach ihnen benannten Septuaginta, der griech. Übertragung des Alten Testaments, die später, als aus göttlicher Inspiration entstammend, dem Original gleichgestellt wurde. Die relative Vertrautheit W.s mit Persönlichheit und Werk des Grotius belegen die zahlreichen Erwähnungen in den Briefen: I 80, 277, 303, 521, 569, 576; II 120, 253, 327, 465, 502; III 590. Exzerpte im Nachlaß Paris vol. 63, 180Y; Tibal S. 113. 23 die beyden Genii an den alten Urnen: W. meint hier sicher die auf zahlreichen Sarkophagen und auch Aschenurnen links und rechts neben dem Hauptrelief oder der sonstigen Verzierung stehenden, auf die umgekehrte Fackel gestützten Eroten oder Trauergenien; vgl. H . Sichtermann, Späte Endymionsarkophage, Baden-Baden 1966, S. 42 Abb. 27, 28. (S.) 25 Altar ... in dem Hofe des Pallastes Albani: Grab-Ära; jetzt Villa Albani. Morcelli-Fea S. 47 N r . 276; Heibig» II Nr. 1906; Zoega, Bassirilievi I Taf. 15. Audi in Allegorie S. 76 f. erwähnt: „Es wird auch der Schlaf durch einen jungen Genius vorgestellet, welcher sich auf einer umgekehrten Fackel stützet, wie er also mit der 31*
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[239,25-241,1]
Überschrift: Somno, auf einem Grab-Steine in dem Pallaste Albani stehet, nebst dessen Bruder, dem Tode ..Nidit der Tod, sondern das Schicksal, Fatum, -wird hier dem Schlaf gegenübergestellt; vgl. dazu Lessing, Wie die Alten den Tod gebildet (1769); Ladvmann-Muncker X I 9 ff.; 54. Vgl. Chr. Hülsen, Römische Antikengärten des XVI. Jh., Heidelberg 1917, S. 12 f. Nr. 9 mit Abb. 6, 7. S. Reinach, Rip. Rel. III 141, 2—3. 27 Ein anderer von seinen Landesleuten: Giovanni Maria Lancisi (1654—1720) war kein Franzose, sondern ein Italiener; berühmter Arzt und Naturforscher wie sein Landsmann, der Conte Lodovico Ferdinando Marsigli (1658 bis 1730), der Geograph und Naturforscher. Sein Werk: Dissertatio de ortu, vegetatione ac textura fungorum. Physiologicae animadversiones in Plinianam villam nuper in Laurentino detectam, in: Luigi Ferd. Marsilli, Dissertatio de generatione fungorum, Romae 1714. Vgl. Bücherverzeichnis GK. S. XLV. 28 Jüngeren Plinius: s. 41,15; zur Villa vgl. Br. II 435. 30 Vergehungen: s. 241,24. 35 Montelat. Vil. Borgh.: Domenico Montelatici (Daten unbekannt); Villa Borghese fuori di Porta Pinciana, con l'ornamenti, che si osservano nel di lei Palazzo, e con le figure delle statue piü singolari, Roma 1700. Vgl. Schudt, Guide S. 157; 480 Nr. 1105; vgl. 238,26. 38 Spanh. Obs. in Callim.: s. 150,35. 240,2 rundes Werk: auch MI. I 270 als neu erwähnt. Verbleib unbekannt. 8 Sauros ... Batrachos: s. 142,25. 12 Spon in einer besondern Schrift: W. meint hier: Discours sur une piÄce antique et curieuse du Cabinet de J. Spon, Lyon 1674; über Spon s. 106,1. 15 Ergänzungen: s. 241,24. 19 Fabretti: über Fabretti und sein Hauptwerk s. 236,37. W. bezieht sich hier auf eine andere Publikation Fabrettis: De Columna Traiani syntagma, Romae 1690. 19 erhobenen Arbeit im Pallaste Mattel·, mit der Darstellung der Jagd des Gallienus (vgl. AGK. S. 126); noch im Pal. Mattei. Matz—Duhn Nr. 2951, aber ohne Vermerk des ergänzten Pferdebeins; Bartoli, Admir. Tab. 24; Zoega, Bassirilievi I 148, 34. S. Reinach, Rip. Rel. III 305, 2. Jdl. 51, 1936 Taf. 4. 25 Stab ...in der Hand des Castors oder Pollux: jetzt Paris, Louvre; Cat. somm. 1922 S. 53 N r . 889. Abb. X X X I X . Vgl. ML I 79. 28 Mercurius in der Villa Ludovisi: jetzt Rom, Thermenmuseum. Helbig* II Nr. 1299. E. Paribeni, Mus. Naz. Romano, Sculture greche del V secolo. Originali e repliche, Roma 1953, S. 30 f. Nr. 35 Abb. 35. S. Aurigemma, Mus. Naz. Romano, Roma 1962, S. 73 Nr. 170 Taf. XX. Th. Schreiber, Die antiken Bildwerke J e r Villa Ludovisi in Rom, Leipzig 1880, S. 116 f.; N r . 94 (Hermes Loghius). Brunn— Bruckmann Taf. 413; Arndt-Amelung Nr. 270, 271. Vgl. W. Neusser, Alessandro Algardi als Antikenrestaurator; Belvedere 13, 1928, 3 - 9 mit Abb. 1. 29 Tristan: über Jean Tristan de Saint-Amant s. 126,40. Er meint die vor dem Kaiser stehende Figur, s. Comment, hist. S. 106, Zeile 12—16: Au reste il tient dans sa main comme une liste ou memoire, qui peut representer les articles de la paix qu'il auroit accordie aux Barbares, sous le bon plaisir de Tibere, auquel il estoit peutestre necessaire qu'il les fit ratifier: ou bien c'estoient les commentaires des choses plus importants et plus notables exploicties par luy. Tristans Deutung ist, wie W. erkennt, unmöglich; aber das Mißverständnis des Schwertgriffes als rotulus verständlich für einen Menschen des 17. Jh. (Auskunft von G. Bruns). 29 Agath zu St. Denis: jetzt Paris, Cabinet des Midailles der Bibl. Nat. Vgl. G. Bruns, Der große Kameo von Frankreich; Mitt. d. Dt. Archäol. Instituts 6, 2, 1953, 71—115, mit Taf. 33 und Falttafel. Der „vermeynte Germanicus" ist die zweite Gestalt von links im Mittelstreifen vor dem Kaiser Tiberius (?). — Weitere Literatur: Festschrift für F. Zucker, Berlin 1954, S. 165 ff. (A. Möbius); Archäol. Anzeiger 1954, S.251 f. (J. Babelon); Bonner Jahrbücher 155/56, 120 ff. (A. Rumpf); H. Möbius, Alexandria und Rom, München 1964, S. 15 (Abh. d. Bayer. Akad. d. Wiss. Phil. hist. Kl. N. F. 59). (S.) 241,1
Violin ... Apollo: Apollo in Villa Negroni auch erwähnt Br. IV 28, 37;
[241,1-241,13]
Geschichte der Kunst
485
GK. S. 245; Verbleib nicht festzustellen. E. Wright, Some observations etc. (s. 46,4: des Concha), S. 336: „Violin, just such as now us'd, and held in the same manner." Zu Villa Negroni s. 205,5. 3 Violin, an einer kleinen Figur von Erzt: audi GK. S. 90 genannt. 4 Addison: der englische Dichter und Herausgeber der moralischen Wochenschriften The Spectator (s. 115,24) und The Tatler, Joseph Addison (1672—1719), hatte seine Eindrücke einer Italienreise niedergelegt in Remarks of several Parts of Italy . . . in the years 1701, 1702, 1703, zuerst erschienen London 1705. W. benutzte die posthume vierte Auflage, London 1733. Addison führt die oben erwähnte kleine Figur von Erz ebd. unter III auf S. 241 an. Zu Addisons Bedeutung s. Schudt, Reisen S. 89 f.; 400; s. außerdem 46,8. 6 Apollo auf dem Parnasso: Vatikan, Stanza della Segnatura; Rosenberg Abb. S. 66—68; 231. Fisdiel II 73 (dt. Neuausgabe N r . 109 mit Text S. 65). 9 Orpheus mit einer Violin: die bei Maifei, Gemme antiche, T. 4. p. 96 wiedergegebene, natürlich moderne Gemme zeigt den violinspielenden Orpheus zwischen Tieren vor einer Palme sitzend. Die Gemme befand sich damals im Besitz des Mardiese de Angelis, ihr heutiger Verbleib ist nicht festzustellen. (S.). 11 alten Tempel des Bacchus vor Rom: nicht, wie man vielleicht annehmen könnte, die kleine Kirche S. Urbano südöstlich von Porta S. Sebastiano, oberhalb der sog. Grotte der Egeria, ein gleichfalls, freilidi in romanischem Stil ausgemaltes Gebäude, das sich in einem alten römischen Grabmal, oder dem Tempel der Ceres und Faustina, eingenistet hatte und für einen alten Bacchustempel gehalten wurde, weil man im Untergeschoß einen später als Weihwasserbecken benutzten Bacchusaltar gefunden hatte (s. Br. Schräder, Die Römische Campagna, Leipzig 1910, S. 56 mit Abb. 15 auf S. 57; O. Th. Schulz, Goethe und Rom, Bielefeld und Leipzig 1926, S. 39 mit zwei Piranesi-Stidien; Th. Ashby, The Roman Campagna in Classical Times, London 1927, S. 180 f.; M. Armellini, Le Chiese di Roma, Roma 1942. II 1129 f. und 1470); sondern wie audi aus GK. 8 S. 867 f. hervorgeht, die gleichfalls fuori le mura vor Porta Pia an der Via Nomentana gelegene Rundkirche S. Costanza, in der man früher, wegen der ornamentalen Mosaikarbeiten am Tonnengewölbe mit Darstellungen des Weinbaus, der Weinlese und des Weinkelterns, einen alten Bacchustempel gesehen hatte. P. S. Bartoli hatte Ausschnitte aus dem nidit mehr vorhandenen Kuppelmosaik nach einer zwischen 1534 und 1557 in Rom angefertigten Zeichnung von Francesco de Hollanda in einem Stich festgehalten und dann, in einem zweiten Stich, das Ganze phantasievoll ergänzt. Der erste Stich erscheint in dem angeführten Werk des römischen Gelehrten Giovanni Giustino Ciampini (1633—1698), Vetera Monimenta in quibus praecipue Musiva Opera sacrarum profanarumque Aedium structura . . . illustrantur, Romae 1699, II c. I 1—3: De Musivo Opere quod olim in Tholo Ecclesiae S. Constantiae Via Numentana extabat, auf Taf. 1; in Abt. D. der Wiedergabe gewahrt man den eine Lyra (?) schlagenden „Juvenis", der als Sinnbild der „hilaritas" gedeutet wurde. Beide Stiche Bartolis abgebildet bei J. Wilpert, Die römischen Mosaiken und Malereien der kirchlichen Bauten vom IV.-XIII. Jh., I-IV, Freiburg 1916 (»1924; unverändert) I 300 f. Fig. 91 und 92; Zeidmung Hollandas III Taf. 88, 2. Abb. des zweiten Stiches bei C. Cecchelli, S. Agnese fuori le Mura e S. Costanza, Roma 1924, S. 63 (links unten); ebd. Abb. S. 20, 64, 67, 68: Bacchus und Weinlese. Vgl. zum Ganzen Wilpert I 272-321, bes. 298-310 und III Taf. 4 - 7 ; A. Venturi, Storia dell'Arte Italiana, Milano 1901, I 90-101; 106-114. 13 Santes Bartoli: s. 71,37 und 221,10. Die »ausgemalten Zeichnungen von alten Gemälden, in dem Museo des Herrn Cardinais Alexander Albani", die W. übrigens auch GK. S. 422 nennt, sdieinen zusammenzuhängen mit dem bei J. Meyer, Allgemeines Künstlerlexikon 3, 1885, 56 mit Nr. 1—33 verzeichneten Recueil de Peintures antiques, imitees fidelement pour les couleurs et pour le trait, d'aprez les Desseins coloriis faits par P. S. Bartoli avec les descriptions
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[241,13-242,1]
par P. J. Mariette, Paris 1757 (Folio). Nach Meyer hätte Caylus die Ausgabe veranstaltet und die Vorzeidinungen Bartolis dem Cabinet des Estampes in Paris übereignet. Vgl. Br. II 247; 462. 18 der Statue des Caesars: Rom, Halle des Konservatorenpalastes. Heibig® I 885: Kolossalstatue des Julius Caesar (?). U. a. Arme ergänzt. Clarac Taf. 912 Β Nr. 2318 A = S. Reinach, R6p. Stat. I 560, 5. In Heibig 4 nicht aufgenommen. 19 Auslegung eines neuern Römischen Dichters: Bartolomeo Quirico Rossi (1696—1760) in einem Sonett, gedruckt in: Concorso dell'Accademia di S. Luca, Roma 1738, S. 41 (Eis. III 24 Anm. 1). Vgl. auch GK. S. 375. 21 Spence: Joseph Spence (1698—1768), Professor für Geschichte und Poesie in Oxford; Reisebegleiter junger Leute „von Stande" auf ihren Europareisen. Sein Werk in Dialogen: Polymetis or an enquiry concerning the agreement between the works of the Roman Poets and the remains of the Antient Artists; being an attempt to illustrate them mutually from one another, London 1747; 21755. Dt. Bearbeitung von J. Burkard: Von der Übereinstimmung der Werke der Dichter mit den Werken der Künstler, I—II, Wien 1773—76. Exzerpte im Nachlaß Paris vol. 57, 33 und 34; Tibal S. 34; vgl. Justi 1 I 523 f.; GK. S. 90, 394, 422; Br. II 313; 497; IV 145; Stark S. 170 und unten 268,23. 22 Zepter eines Jupiters: der sog. Jupiter Verospi, ehemals im Pal. Verospi, seit 1771 im Vatikan; außer den beiden Armen ist auch der gesamte Unterkörper ergänzt. Heibig 4 I Nr. 176. (S.) 24 Ergänzungen ... Erklärungen: W. verwertet in den folgenden Ausführungen die Notizen, die er wohl 1756 in dem unvollendeten Aufsatz: Von den Vergehungen der Scribenten über die Ergäntzungen niedergeschrieben hatte (Nachlaß Paris vol. 57, 19—27; Tibal S. 32—34, mit Abdruck von fol. 20; vgl. audi die Nachweise Br. I 551 und Register ebd. 633). Er hatte den Traktat damals liegen gelassen, offenbar auch aus der wohl begründeten Einsicht, daß man mit dem Nachweis der genannten „Vergehungen" und ihrer bloßen Aufzählung nur langweilig wirken und keine wirklich positiven Ergebnisse erzielen konnte; aber da das Material nun einmal gesammelt war, und bei W. nichts verloren gehen durfte, wurde es an der obigen Stelle, freilich in sehr abgekürzter Form, verwertet, und W. konnte doch noch sein antiquarisches Mütchen an den elenden antiquarischen Scribenten, an Gori zumeist völlig unberechtigt, kühlen. Vgl. Justi II 93—102 mit wesentlichen Mitteilungen aus dem Nachlaß; weiterhin 239,30 und Ladendorf, Kap. X : Ergänzen, S. 55—61 mit Literatur. 25 Kopf des Ganymedes: eine von Benvenuto Cellini unter Benutzung eines antiken Torsos geschaffene Gruppe von Ganymed mit dem Adler, die sich jetzt im Museo Nazionale in Florenz befindet, vgl. Mansuelli I 150 zu Nr. 120. Früher in den Uffizien, Amelung Nr. 142 (mit Entstehungsgeschichte aus der Selbstbiographie des Benvenuto Cellini); Dütschke III Nr. 532; Reinach, Rip. Stat. I 191, 6 (dort seitenverkehrt). Phot. Alinari 1232. (S.) 28 Kopf eines Apollo: Florenz, Uffizien; Statue, bei der nur der Torso antik ist, eine Replik des Sauroktonos des Praxiteles. Amelung Nr. 105; Dütschke III Nr. 233; Mansuelli I Nr. 23. In Mus. Flor. III. Taf. 10 mit Baumstamm als Stütze; vgl. Mansuelli I 47 zu Nr. 23. (S.) 30 Narcissus: Florenz, Uffizien; Statue eines der Niobe-Söhne, der von einem Pfeil in den Rücken getroffen wurde. Seiner Stellung wegen hielt man ihn lange für den sich im Wasser spiegelnden Narkissos. Kopf und Hals sind ergänzt. Amelung Nr. 171; Dütschke III Nr. 260; Mansuelli I Nr. 81 Abb. 83. (S.) 30 Phrygische Priester: Florenz, Uffizien; Statue des Attis, als Barbar restauriert, audi der Kopf ist ergänzt. Amelung Nr. 61; Dütsdike III Nr. 133; Mansuelli I Nr. 148 Abb. 147. (S.) 34 Maffei Gemme: s. 237,32. 35 Ciampini vet. Monum.: s. oben 241,11 (alten Tempel. . .). 242,1 sitzende Matrone: Florenz, Uffizien; Sitzstatue im Typus der Aphrodite des Phidias, die einen Porträtkopf getragen hatte. Der Kopf ist ergänzt. Amelung Nr. 85; Dütsdike III Nr. 60; Mansuelli II Nr. 53. (S.) 1 Venus Genetrix: Flo-
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renz, Uffizien; Statue der sitzenden Nymphe aus der Gruppe „Aufforderung zum Tanz". Früher hielt man sie für eine Venus, die sich einen Dorn aus dem Fuße zieht; der Kopf ist ergänzt. Amelung Nr. 84; Dütschke III N r . 153; Mansuelli I N r . 52. (S.) 1 Kopf der Diana: Artemis-Torso im Typ der Artemis von Versailles, stark ergänzt, u. a. der Kopf, jetzt im Giardino Boboli zu Florenz. Arndt-Amelung N r . 3449 (der dort und auch bei Reinach und Gori sichtbare rechte Arm ist heute verloren). Clarac Taf. 569 N r . 1212 = S. Reinach, Rip. Stat. I 305, 2. (S.) 2 Bacchus mit dem Satyr: Florenz, Uffizien; eine Gruppe des stehenden Dionysos mit einem zu seinen Füßen knienden Knaben, von der nur der Torso des Dionysos antik ist. Amelung Nr. 103; Dütschke III Nr. 231; Mansuelli I N r . 117. (S.) 3 der eine Weintraube ... hält: Florenz, Uffizien; Statue des Dionysos, bei der u. a. der Kopf ergänzt ist. Dütschke III Nr. 26; Mansuelli I N r . 120. (S.) 4 Statuen der Königinn Christina: jetzt Madrid, Prado. Vgl. A. Blanco, Museo del Prado. Catalogo de la escultura, Madrid 1957, wo die Herkunft aus S. Ildefonse jeweils angegeben ist; zu den Musen, die wahrscheinlich aus Tivoli stammen, ebd. S. 57. (S.) Vgl. 223,30. 8 Cupers Erklärung des Homerus: des Reliefs der Apotheose Homers (s. 62,3). 9 Zeichner: Giovanni Battista Galestruzzi (1615/18 bis nadi 1669), Zeichner und Kupferstecher von Antiken in Florenz (Thieme-Becker 13, 94 f.). Hauptwerk: Radierungen nach Polidoro da Caravaggios Friesgemälden am Pal. Milesi (Cesi—Lancelotti) in der Via della Masdiera d'oro in Rom (1758); er Stadl auch die Kupfer zu Leonardo Agostinis Gemme antiche (s. 94,38) und zeichnete eine Reihe von Blättern nach antiken Reliefs, u. a. nach der Apotheose Homers. In diesem Zusammenhang erwähnt ihn auch Lessing; Lachmann—Muncker X V 25. 9 Tragödie ... Muse ... Figur: zum ganzen Relief und der Figur der Tragödie s. 62,4. „Muse, welche in der Höhle steht" (auf dem unteren Streifen des sog. Musenberges, über dem Sockelfries): keine Muse, sondern, als Herr der Musen, Apoll im Kitharödengewand, wie schon Goethe in seiner Abhandlung über das Relief erkannt hatte (Cotta, Gesamtausgabe 1949 ff.; 17, 1962, 53). „Figur vor dem Dreyfuße": männliche Figur mit Schriftrolle auf einem Postament rechts der Grotte, die zu den verschiedensten Deutungen führte; s. C. Watzinger, Das Relief des Ardielaos von Priene, Berlin 1913, S. 21; Goethe a.a.O. S. 54 sieht in ihr die „Abbildung eines Dichters, der sich einen Dreifuß durch ein Werk, wahrscheinlich zu Ehren Homers, gewonnen . . . " Vgl. Antike Plastik IV (1965) Taf. 31 und 34. 17 ausser Rom: außerhalb Roms; s. 154,12. 20 jemand: Etienne Chamillard (1656—1730), gelehrter Jesuit, Archäologe und Sammler. W. bezieht sich auf dessen Lettres sur les quattre midailles de son Cabinet, Amsterdam 1701. Später: Dissertations sur plusieurs midailles et pierres gravies de son Cabinet, Paris 1711. Vgl. GK. S. XLII (Bücherverzeichnis). 21 unbekannte Inschriften: W. hat solche Inschriften nicht nur verbessert (Br. I 233, 237, 241 f.; 247), sondern auch gesammelt. Im Nachlaß Rom, Biblioteca Nazionale Centrale hat sich ein Heft von 24 Seiten erhalten mit dem Titel: „Schedulae Winckelmanni - Inscript i o n s Graecae et Latinae. Roma m. Jun. 1756." Es enthält Inschriften aus Gärten und Villen Roms. Inschriften, die W. von seiner ersten Reise nach Neapel im Frühjahr 1758 mitbrachte, sind enthalten im Nachlaß Savignano, Biblioteca Accademica IX 1: Inscriptiones notatae in itinere Neapolitano, 2 Seiten. Vgl. Br. I 557, 581: IV 574. Unbekannte und verbesserte Inschriften: Description S. 83, 167, 249, 274, 289, 302, 472, 545; GK. 84, 165, 197, 237, 240, 244, 261, 281, 291, 292, 332, 344, 347, 399, 400, 401; Allegorie S. 33; MI. I p. LXXIX, X C V I I I ; 6, 242. 29 Kenntniß der Kunst: s. 236,9. 30 noch Entdeckungen: vgl. dazu 252,32 (Athaumastie ... Strabo). 33 unterstehen sich vom Laocoon: damit war im Grund vorweg auch Lessing getroffen, der sein Buch über den Laokoon schrieb, ohne die Gruppe gesehen zu haben, auch nicht im Abguß. Daß er sie sich später in Rom angeschaut hat, ist wohl
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Gesdiichte der Kunst
[242,33-243,27]
anzunehmen, aber es findet sidi in seinen Notizen keine einzige Bemerkung. Die Angelegenheit war für ihn „erledigt"; denn er schätzte das Studium der Altertümer „gerade so viel, als es werth ist: ein Steckenpferd mehr, sich die Reise des Lebens zu verkürzen" (an Mendelssohn, 5. 11. 1768), und sprach wohl auch am 2.1. 1770 gegenüber Nicolai von der „armseligen Karriere der Alterthümer", von der er manchmal wünsche, sie schon geendet zu haben. 35 von dem größten Dichter, wie Lamothe: W. meint Homer und den frz. Schriftsteller und Ästhetiker Antoine Houdar de La Motte (1672—1731). Dieser hatte die Ilias in gekürzter „Bearbeitung", ohne Kenntnis des Griechischen, ins Französische übertragen (L'Iliade, en vers fran;ais, Paris 1714) und in seinem Discours sur Homere, Paris 1713, vom modernen Standpunkt aus dauernde und reichlich törichte Kritik an dem Dichter geübt, die lebhafte Kontroversen hervorrief. Vgl. Borinski II 144, 175 f.; 182 fF.; G. Finsler, Homer in der Neuzeit von Dante bis Goethe, Leipzig und Berlin 1912, S. 224—230. Exzerpte aus dem Discours im Nachlaß Paris vol. 72, 23 T ; Tibal S. 139. 36 von der vollkommensten Statue, wie Aretino: D ( X X I ) hat Arentino, was W. in seinem Brief an Waither vom 18. 4.1764 (III 33) bemängelt. Pietro Aretino (1492-1557) hatte sich in L. Dolces Dialogo della Pittura, Venezia 1557 nur ganz beiläufig und ohne Kritik über den Laokoon geäußert (dt.: Aretino, oder Dialog über die Malerei, Wien 1871, S. 79 mit Anm., Quellenschriften f. Kunstgeschichte 2; s. audi 151,29). Aber in seinen Briefen, ζ. B. im Brief an Messer Agostino Ricchi vom 4. 8.1538, hatte er geschrieben: „La podagra e il mal francioso, che gli riducono nei gesti di Laocoonte, hanno piacere che essi non mangino non dormino e non diiavino, che pro gli faccia" (Ii secondo libro delle Lettere, ed. F. Nicolini, Bari 1916, S. 82; Scrittori d'Italia Bd. 76). Auch wäre denkbar, daß W. den sog. Affen-Laokoon Tizians im Auge hat, den dieser in Reaktion auf den mit der Laokoon-Gruppe getriebenen Kult, vielleicht unter Einwirkung seines Freundes Aretino, als Karikatur gezeichnet hatte; erhalten im Holzschnitt von NiccolÄ Boldrini (Daten unbekannt; Thieme-Becker 4, 242). Abb. bei H. Tietze, Tizian, Wien 1936, I 190 mit Text; Ladendorf Taf. 30 Abb. 110; Text S. 39, 103, Anm. 59-61; H. W. Janson, Apes and Ape Lore in the Middle Ages and the Renaissance, London 1952, S. 355-368 mit Taf. LVI, 1; F. Würtenberger, Der Manierismus, Wien—München 1962, S. 54 mit Text. Die von E. Steinmann und H. Pogatscher edierten und zusammengestellten Briefe Aretinos an Michelangelo (Repert. f. Kunstwiss. 29, 1906, 485—496) bieten nichts Weiterführendes, ebensowenig die Exzerpte aus Aretino im Nachlaß Paris, vol. 75, 17-18; Tibal S. 150 (Auskunft W.Gesellschaft, Stendal). 243,1 wie die Fliiße: ein Vergleich, den sich W. früher notiert oder exzerpiert hatte (Nachlaß Paris vol. 60, 305; Tibal S. 103; Justi 1 I 521): „Viele Scribenten sind wie die Flüsse die anschwellen, wenn man ihr Wasser nicht nöthig hat und welche trocken bleiben, wenn es an Wasser fehlet." Durdigestrichen, weil in der Vorrede verwertet, dann ein neues Bild: „Sie sind wie der Epheu der sich so leicht an einem Baum als an alte Mauern anhänget." 12 selbst und vielmal gesehen: s. dazu 8,31. 24 an verschiedenen Orten: z.B. GK. S. 103 f.; 265, 267, 316 ff.; 352 ff.; 421 ff.; 425 ff.; 428-431. 25 Trunk einer Statue, mit dem Namen Apollonius: nochmals erwähnt GK. 8 S. 746 mit Mitteilungen aus den Hss. des Pirro Ligorio (s. 57,15) über dieses angeblich noch Ende des 17. Jh. im Pal. Massimi vorhandene Stück. — Der Torso ist auch heute nicht nachzuweisen; zu der Fragwürdigkeit der Inschrift s. H. Brunn, Geschichte der griech. Künstler, Stuttgart 2 1889, I 378. (S.) Trunk: s. 170,2. 27 Ein Gemälde der Göttinn Roma: GK. S. 265: „Ein anderes Gemälde, das triumphirende Rom genannt, welches aus vielen Figuren bestand, und in eben dem Pallaste [Barberini] war, ist nicht mehr vorhanden. Das sogenannte Nymphäum [s. unten], an eben dem Orte, hat der Moder vertilget, und ich muth-
[243,27-244,6]
Geschichte der Kunst
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maße, daß es jenem ebenfalls also ergangen sey." 28 das bekannte: Matz-Duhn Nr. 4111; Wilpert a.a.O. (s. oben zu 241,11) I 127; IV Taf. 125. Vgl. GK. S . 2 6 4 ; Allegorie S. 46; Br. IV 30, 39; 430. - Jetzt Rom, Thermenmuseum; M. Cagiano de Azevedo, La Dea Barberini; Rivista dell'Istituto Nazionale d'Ardieologia e Storia dell'Arte N. S. 3, 1954, 3 ff. mit Farbtaf. und zahlreichen Abb. nach der letzten Wiederherstellung. (S.) 28 welthes Spon beybringet: in: Recherches curieuses d'antiquite, contenues en plusieurs Dissertations sur des midailles, bas-reliefs, statues . . . , Lyon 1683. 29 Nymphäum: ein Gemälde, das in antiken kaiserzeitlichen Substruktionen gefunden und von Lukas Holstein (s. 185,9) beschrieben wurde; die in Anm. 3 zitierte und in GK. S. X L I V angeführte Abhandlung: Commentariolus in veterem picturam Nymphaeum referentem . . . , Romae 1676 [1675] auch in: Thesaur. Antiquit. Roman., congestus a J. G. Graevio ; IV, Venedig 1732, Sp. 1799—1802. Die Deutung des Bildes auf ein Nymphäum Sp. 1800: Etenim nisi me animus oculique egregie fallunt, Nymphaeum, sive sacrum aquarum fontiumque locum, in hac tabula mihi perspicere videor. Vgl. auch GK. S. 265; s. oben 243,1. Zu Nymphäen: Nash, Bildlexikon II 125—129 mit Abb. 838, 841-845. 31 erhobene Arbeit. . . Bild des Varro: das (wohl kaum antike) Relief ist auch heute nicht mehr nachweisbar. (S.) 32 dem bekannten Ciampini: s. oben 241,35; Monsignore Ciampini, Präfekt der Vatikanischen Bibliothek, war Mitglied der Accademia degli Arcadi und selbst Stifter mehrerer Akademien. Sein Haus war glanzvoller Mittelpunkt des gelehrten und gesellschaftlichen Lebens in der zweiten Hälfte des 17. Jh.; vgl. Justi II 147 f.; Schudt, Reisen S. 166, 210; Br. II 202; 547. 34 Herma von dem Kopfe des Speusippus: seit dem 17. Jh. verschollene kopflose Herme mit der wahrscheinlich nicht antiken Inschrift ΣΠΕΥΣΙΠΠΟΣ ΕΥΡΥΜΕΔΟΝΤΟΣ ΑΘΗΝΑΙΟΣ von Ursinus Fulvius und Theodor Gallaeus in voneinander etwas abweichenden Zeichnungen überliefert (Th. Gallaeus—Joh. Faber, Illustrium imagines ex antiquis marmoribus, numismatibus et gemmis expressae, quae exstant Romae, maior pars apud Fulv. Ursinum, Antverpiae 1606, Nr. 137); J. J. Bernoulli, Griech. Ikonographie II, München 1901, S. 57; G. M. A. Richter, The Portraits of the Greeks, London 1965, S. 70. (S.) 34 Kopf des Xenocrates: Kopf des Chrysipp, einer modernen, mit der Inschrift des Xenokrates versehenen Herme aufgesetzt. Das Stück kam aus dem Pal. Massimi alle Colonne in die Slg. des Dr. Mead (s. 53,30) nach England. Auf deren Versteigerung erwarb es der Kardinal Albani. Aus seiner Slg. (Morcelli S. 45 Nr. 425) kam es über Paris 1815 in die Münchner Glyptothek. Furtwängler—Wolters Nr. 297; L. Urlichs, Beiträge zur Geschichte der Glyptothek, Würzburg 1889, S. 19. Vgl. MI. 177; Michaelis S. 51. (Nachweis von H. Diepolder.) 35 Spon. Miscel. ant.: s. 122,36. 35 Dati Vite de'Pittori: s. 139,38. 39 Montfauc. Palaeogr. Gr.: s. 94,37; 239,3. 244,6 Peiresc ... del Pozzo: Nicolaus-CIaude-Fabri de Peiresc (1580-1637; s. Br. II 410), Sammler, Archäologe und Naturforscher, daneben Diplomat, von 1599 bis 1602 in Italien. Cassiano dal Pozzo (1584—1657), aus Turin, Commendatore des Ordens von S. Stefano, Sammler und Archäologe, Gönner Poussins (s. 229,11: Zeichnungen), Besitzer von 33 Bänden mit Zeichnungen nach Antiken, die später teilweise von Clemens X I . (Albani) erworben, an seinen Neffen, den Kardinal Alessandro Albani, vererbt und von diesem 1762 an Georg III. von England verkauft wurden; heute teils in Windsor Castle, teils im Britischen Museum, teils in Holkham Hall (s. auch 229, 11). Die Briefe von Peiresc an dal Pozzo befanden sieh mit zahlreichen andern wertvollen Handschriften, gleichfalls durch Erbgang, im Besitz Albanis, gelangten später auf Umwegen über Paris mit Teilen des Nachlasses von W. (s. Br. II 522—524) nach Montpellier, Biblioth£que de la Faculti de Medecine; s. Catalogue gen£ral des Manuscrits des Biblioth^ques publiques des D£partements, Paris 1869, I 393, Nr. 271, 2: Lettere (italiane) originali di M r de Peiresc al cavaliere dal Pozzo.
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Geschichte der Kunst
[244,6-245,18]
Soweit zu sehen, sind sie bisher nicht ediert; die Ausgabe der Lettres de Peiresc, publiees par Ph. Tamizey de Larroque, Paris 1888-1898, blieb nach Bd. VII stecken. Fraglich, ob in den geplanten drei abschließenden Bänden die Briefe an dal Pozzo veröffentlicht worden wären. Zwar hat Tamizey aus dem Material in Montpellier u. a. die Briefe von Peiresc an Menestrier gedruckt (Paris 1895, V); aber die Hs.und Nadilaßverzeichnisse, die P. Humbert, Un Amateur: Peiresc, Paris 1933, S. 313 bis 317 und G. Cahen-Salvador, Un grand Humaniste: Peiresc, Paris 1951, S. 299 bis 303 bringen, übersehen merkwürdigerweise das Material in Montpelliert; Catalogue ξέηέιζΐ a.a.O. I 333 Nr. 129; 353 Nr. 170; 393 Nr. 271, 1 und 2. W. hat das Briefmaterial in der Bibliothek Albanis studiert und zeitweise eine Teil-Edition der Briefe von Peiresc an dal Pozzo und anderer Gelehrtenbriefe erwogen (s. Br. II 120; 342; 410 f.; 508; III 590; IV 229; 501). Auszüge aus diesen Gelehrtenbriefen: Nachlaß Paris vol. 59, 274-317; Tibal S. 98; Nachweise Br. II 410 f.; dort audi Übersicht über die von W. in seinen Werken angezogenen Briefe von Pozzo an Heinsius, von Peiresc an Menestrier und an Pozzo; Peiresc an Pozzo, außer der im Text erwähnten „ungedruckten" Briefstelle noch Allegorie S. 39 und MI. I 60 (Schreiben von 1629); Allegorie S. 62 (undat. Schreiben). Zu Peiresc (und Pozzo) s. Stark S. 130-134, zu Pozzo Μ. I. Dusmenil, Histoire des plus cilebres amateurs Italiens, Paris 1853, IV 403 bis 543. 15 Colossalischen Sturze eines Jupiters: hierzu Dütschke V 361 f. Der Zeuskopf steht im Museo d'Antichitä zu Parma; Dütschke V Nr. 869. Arndt-Amelung N r . 69/70. A. Frova—R. Scarani, Parma Museo Nazionale di Antichitä, Parma 1965, Nr. 1 Taf. 1. (S.) Zu Sturze: s. 170,2. 25 Velleja: römische Stadt in der Nähe Parmas, bekannt durch die 1747 gefundene Alimentartafel aus trajanischerZeit; vgl. RE. II 8, 1, 622 f. s. v. Veleia (Radke). Ober Velleia und das Museum in Parma ebd. 622; am ausführlichsten L. Pigorini, Origine e Progress! del Regio Museo d'Antichiti di Parma e dei R. R. Scavi di Velleia, Parma 1869; neuerdings G. Monaco, Gli Scavi di Velleia e il Mus. Naz. di Antichitä di Parma, in: Aurea Parma, Parma 1948, S. 3 ff.; s. S. Aurigemma, Velleia, Roma 21960. (S.) 26 nach Engeland: s. 222,37. 26 Plinius: n. h. 35, 26: „ . . . quod fieri satius fuisset quam in villarum exilia pelli." 30 für Griechen: ihnen gegenüber hätte sich W. in Fragen der jugendlich-männlichen Schönheit offener aussprechen können; s. 216,16. 32 Gespräch über die Schönheit: in dieser Form nie ausgeführt; doch berühren sich W.s Darlegungen in der Abhandlung von 1763 und in den theoretischen Abschnitten von der Schönheit innerhalb von GK. (S. 141 ff.), auf die er sich selbst oben bezieht, wohl sicher mit diesem Plan. Von letzteren erhoffte er sich besondere Wirkung, weswegen er sie schon frühzeitig ins Italienische übertragen wollte (Br. I 377; II 159, 173, 177, 306, 309; III 481). Der Trattato preliminare in MI. brachte p. X X X V - L I I eine erweiterte und trotz des fremden Gewandes auch freiere Entfaltung von W.s Ansichten, obschon er sidi teilweise wörtlich an die entsprechenden Abschnitte aus GK. und AGK. anschloß. 36 Alle Denkmale der Kunst: die 24 Kupfer, die GK. beigegeben und dort in einem Verzeichnis S. X L I X - L I I erläutert wurden; der Wortlaut war jedodi, wie aus W.s Schreiben an Walther vom 18. 4. und 20. 6.1764 (Br. III 33, 43; 434) hervorgeht, in der Druckerei dadurch verändert worden, daß auch die Kupfer Nr. 21—24, die W. „mit Fleiß übergangen" hatte, kurz erklärt wurden. Vgl. die Nachweise Br. II 452 f. zu den Vorlagen und Stechern und den Hinweis oben 196,16. Die Kupfer stehen sämtlich an Anfang und Ende der verschiedenen Kapitel, sicher auch aus drucktechnischen Gründen. 245, 3 mich mit einigen Gedanken gewaget: mich der Gefahr ausgesetzt, mich erkühnt; DWB. 13, 412 f. 9 die Hypotheses: wohl auch im Hinblick auf Aristoteles. 16 Verzeichniß der Bücher: GK. S. X L I - X L V I I I . 18 Nonnus: W. benutzte die Dionysiaka in der Erstausgabe des belgischen Philologen G. Falcken-
[245,18-246,25]
Geschichte der Kunst
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burg (um 1535-1578), Antwerpen 1569; GK. S. XLVI angeführt. Falckenburg versah das Epos des Nonnos von Panopolis (5. Jh. n. Chr.) mit kurzen kritisdien Bemerkungen. 22 Robert und .. . Heinrich Stephanus: Robert (1503—1559) und Henri (1528—1598; über ihn s. auch 184,31) Estienne, Vater und Sohn aus der berühmten französischen Buchdrucker- und Gelehrtenfamilie. 26 Herr Frank: er hatte auf W.s Bitten, freilich nicht zu dessen unbedingter Zufriedenheit, die vier Register am Ende von GK. S. 433—462 (unpaginiert) ausgearbeitet; s. dazu Br. II 175, 235, 261, 287, 322; 458; III 154 f.; 487. Francke (s. S.439) hat außerdem noch eine ausführliche Rezension von GK. für die Erlangischen Gelehrten Anmerkungen und Nachrichten (XIX. Stück, 8. 5.1764) verfaßt, Neudruck in Br. IV 395-398. Zu W.s Registromanie s. Br. III 500, 544. 33 Fueßli ... Will: s. 202,10. 35 Herculanischen Entdeckungen: das Sendschreiben von den Herculanischen Entdeckungen, Dreßden 1762, hatte W. dem Reichsgrafen Heinrich von Brühl gewidmet, den er im Frühjahr 1762 auf seiner Reise nach Neapel begleitet hatte. Brühl hatte auf die Widmung und die zugesandten Exemplare nicht reagiert. Vgl. Br. II 200, 202, 207, 231 f.; 252 f.; 255, 258, 260, 264 f.; 269, 271, 276, 287, 322, 343, 376, 455 f.; 507; III 21, 87, 500 f. W. konnte dem jungen Herrn die „Eselmäßige Unhöflichkeit" (II 340; vgl. 322) nicht verzeihen. Mit andern Widmungen machte er ähnliche Erfahrungen (vgl. Br. III 500 f.; Stoll S. 25, 27 f.). 246,2 Sie ihre eigenen Verdienste: doppelter Akkusativ; DWB. 12, 1, 1307. 3 ein Werk: die erst 1767 erschienenen Monumenti antichi inediti spiegati ed illustrati (MI.). Zum Selbstverlag s. besonders Br. III 191 f.; 504 f. und Stoll S. 96 bis 103. 17 Johann Casanova: s. 224,31; über Casanovas Mitarbeit an MI. s. Br. II 268, 270. Infolge des Zerwürfnisses mit ihm und mit Mengs mußte W. später andere Zeichner heranziehen, u. a. Niccolo Mogalli (geb. 1723) und Nikolaus Mosman (1727-1787); vgl. Br. III 531 f. 22 alle Anfangsbuchstaben: außerdem wurden mit Verzierungen versehen die Anfangsbuchstaben p. X V (Prefazione), p. IX (Trattato preliminare) und S. 1 (Beginn des eigentlichen Textes). 24 Mengs: dazu noch GK. S. 184: „Der Inbegriff aller beschriebenen Schönheiten in den Figuren der Alten, findet sich in den unsterblichen Werken Herrn Anton Raphael Mengs, ersten Hofmalers der Könige von Spanien und von Pohlen, des größten Künstlers seiner, und vielleicht auch der folgenden Zeit. Er ist als ein Phoenix gleichsam aus der Asche des ersten Raphaels erwecket worden, um der Welt in der Kunst die Schönheit zu lehren, und den höchsten Flug Menschlicher Kräfte in derselben zu erreichen. Nachdem die Deutsche Nation stolz seyn konnte über einen Mann, der zu unserer Väter Zeiten die Weisen erleuchtet, und Saamen von allgemeiner Wissenschaß unter allen Völkern ausgestreuet [gemeint ist wohl Leibniz], so fehlete noch an dem Ruhme der Deutschen, einen Wiederhersteller der Kunst aus ihrem Mittel [s. 49,6] aufzuzeigen, und den deutschen Raphael in Rom selbst, dem Sitze der Künste, dafür erkannt und bewundert zu sehen" Vgl. außerdem GK. S. 119 f.; 176. Dazu Br. IV 329 f.; 547 f. Mengs hatte vorher seine in Zürich 1762 anonym erschienenen Gedanken über die Schönheit und den Geschmack in der Mahlerey „Herrn Johann Winkelmann gewidmet". Herausgeber war Johann Caspar Füßli. Vgl. Br. II 409, 460 mit Nachweisen zur Druckgesdiidite und zur Widmung. Vgl. Schlosser S. 70, 575, 586; U. Christoffel, Der schriftliche Nachlaß des A. R. Mengs, Basel 1918, S. 81 ff.; 101 f.; W. Waetzoldt, Deutsche Kunsthistoriker, Leipzig 1921,1 79-94; Borinski II 211-216; K. Gerstenberg, J. J. Winckelmann und A. R. Mengs, Halle 1929. 25 Rom, im Julius, 1763: W. hat die Vorrede vermutlich noch im Juli, vielleicht mit dem Schreiben an Walther vom 23. 7.1763 (Br. II 332; vollständiger Text in den Nachträgen Br. III 416 f.), abgeschickt, aber Anfang September in einem nicht erhaltenen Brief (s. Br. II 341) Änderungen und Zusätze zur Vorrede und zum Titelblatt übersandt.
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Anmerkungen über d. Gesch. d. Kunst
[247,4—249,9]
Widmung vor den Anmerkungen über die Geschichte der Kunst des Alterthums Die erste Erwähnung der geplanten Sdirift fiel gleich nach dem Erscheinen von GK. in einem Brief an Walther vom 20. 6.1764: „Was ich über die Geschichte der Kunst zu erinnern habe, kann künftig in besonderen Anmerkungen über dieselbe geschehen" (Br. III 43); vgl. auch Br. III 68. Am 18.1.1766 bot W. dem Verleger „ein besonder Werde unter dem Titel: Anmerkungen über die Geschichte der Kunst° an (Br. III 154) und schickte an Ostern Teile des Werks an Walther ab. Es erschien dann aber erst zur „Neujahrsmesse" 1767 (Br. III 229); zum Ganzen vgl. Justi III 312 ff.; Br. III 436, 521. Die Vorarbeiten und ersten Niederschriften sind im Pariser Nachlaß erhalten: vol. 59 mit 213 Seiten (Tibal S. 77-96). Die Vorrede: vol. 59, 171-182, datiert vom 1. September 1766. Andeutungen über eine geplante Widmung an den „vertrautesten" Freund, Muzel Stosch, stehen in verschiedenen Briefen aus der ersten Hälfte 1966 (Br. III 172, 182, 192). Am 16. 9. teilte W. Stosch den Wortlaut der Zueignung und die äußere Gestaltung der Zuschrift, so wie sie im Drude vorliegt, mit (Br. III 207). W. löste mit der Widmung vor den Anmerkungen unter dem Motto aus Horaz, Qui mores . . . (ars poet. 142) ein Versprechen ein, das er Stosch bereits im Frühjahr 1764 (Br. III 34) gegeben hatte. 247,4 Freundschajl: dazu vor allem auch B. Vallentin, Winckelmann, Berlin 1931 und Br. II 456 f. mit weiteren Nachweisen. 9 London ... Constantinopel .. . Vaterlande: Stosdi war im Sommer 1760 über Paris nach London gereist und im Herbst 1761 nach Florenz zurückgekehrt; im Frühjahr 1762 fuhr er nach Konstantinopel, kam Ende 1763 nach Italien zurück und reiste im Frühjahr 1764 nochmals nach Konstantinopel; Frühjahr 1766 ging er für immer nach Berlin; Br. II 91, 193; 441 f. 12 mit anderen: Lamprecht, Bülow, Berg, H. Füßli, L. Usteri etc. 16 währender Arbeit: absolute Genetiv-Konstruktion; DWB. 13, 815. 17 Freund zu bilden: zu „formieren", zu erziehen; I. Schaarschmidt, Der Bedeutungswandel der Worte „bilden" und „Bildung", Berlin 1931, ohne Berücksichtigung W.s. 19 nicht stückweis: s. 220,12. 21 dessen Erinnerung: s. 232,4. 22 edlen Muße: vgl. 220,37. 248, 4 Sitz meiner Ruhe: Rom sollte der Sitz seiner Ruhe nicht werden: „Gott aber versagte die Heimkehr" (s. W.s Homer-Ausschreibungen, zit. nach Kraus S. 27). 6 mit Geist und Leib: in den Briefen seit ungefähr 1764 öfters verwendete Schlußformel (mit Leib und Seele, mit Herz und Geist, mit Herz und Seele, mit Seele und Leib, mit Herz, Geist und Leib etc.): Br. III 67, 202, 236, 246, 251, 259, 266, 270, 271, 282, 286, 294, 295, 344, 374, 378. Die Wendung „mit Leib" steckt im Grund natürlich auch in der Schlußformel: „Ihr eigener, Ihr ganz eigener, eigenster" etc.
Vorrede zu den Anmerkungen über die Geschichte der Kunst des Alterthums 249,2 vermehrte und verbesserte Ausgabe: s. dazu S. 477. 3 starke Auflage: nach Justi III 313 hatte Waither 1200 Exemplare gedruckt; s. die Nachweise Br. III 504; Stoll S. 23 ff. 7 erinnern: s. 24,12; 75,31. 4 Französische Uebersetzung: Histoire de l'Art chez les Anciens, I, II, Paris,