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German Pages 269 [272] Year 1805
Kleine Romane und
moralische
Erzählungen.
Sechster Theil.
XIII.
D i e väterliche Gewalt.
Die väterliche Gewalt.
Karl Zahns an Heinrich Müller. L * * *. Jpier bin ich wieder, mein Lieber. Ich wünsche te, Sie hätten wahrgesagt, ob ich gleich als dann die Schuld des abscheulichsten Zwistes — zwischen Vater und Sohn — tragen würd«. Sie kennen mich; Sie selbst haben ja mit mei ner vortrefflichen Mutter mein Herr gebildet. Sagen Sie, ob es dessen fähig ist, was Sie zu glaube» scheine». Nein, Sie wissen die Ver hältnisse nicht, in denen ich febe. Sie habe» meinen Vater nur Einmal gesehen, und das in Gesellschaft meiner Mutter, in deren Gegen wart allein er sich seiner Fehler schämte. ES thut nicht gut. Glauben Sie mir, rS thut nicht gut! Ich lebe kaum seit vier und jwanzig Stunde» wieder in meines Vaters Hause, und wünsche schon, daß ich bei meinem Vorsätze ge-
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blieben war«; denn es würde für uns Alle bcs, ser gewesen seyn. »Daß ein Sohn seinen Vater verläßt!" Ich fühle das Gewicht dieser Worte. Aber wäre es nicht besser, als daß der ewig fortgesetzte, klei, ne Zwist in Haß und Feindschaft ausartet? Und wird es, muß es dahin nicht endlich kommen? O, mein Freund, man rechnet diese kleinen häuslichen Leide» für nichts, lacht darüber, ruckt höchstens die Achseln, und sagt: „es ist nun einmal nicht anders." Die Welt scheint sonst kein Elend ru kennen, als Verlust des Vermö gens und der Ehre, als Ketten und Bande. Die feine», spitze» Stacheln, welche di« Unei, nigkeit einer Familie mit jedem Moment in das Herr drückt, und welche das Herr nie heil werden lasse», achtet man für gar nichts; doch ich — ich habe ihre Gewalt empfunden! — Wäre mein Vater arm geworden, ich würde vom Morgen bis in die Nacht für ihn gearbei tet, und er mich dafür geliebt haben. Dan» wären wir glücklich gewesen. Nicht selten hebt sich unter dem rerschmerternden Schlage des Elende- die Tugend desto stärker empor; doch
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diese leichten, immer fortdauernden Stöße ei ner geheimen Erbitterung können sie — das fühl' ich leider — gänzlich vernichten. „Es ist Ihr Vater, und Sie haben Unrecht!" schreiben Sie mir. Aber darf denn ein Sohn niemals Recht gegen seinen Vater haben? — Sie kennen meinen Vater nicht. Er ist durch fleckenlose Redlichkeit und anhaltenden Fleiß aus einem Schiffsjungen einer der reichsten Kauf leute hier in £ * * * geworden, und hat sich durch unbeschreibliche Pünktlichkeit und Ordnung einen unerschütterlichen Kredit bei allen bekann ten Häusern verschafft. Diesen beiden Tugen den, seiner Pünktlichkeit und seiner Redlichkeit, verdankt er sein ganzes Glück; und es ist sehr menschlich, daß sie ihm auch bei Andern viel gelten. Aber mein Vater übertreibt; diese Pünktlichkeit, diese Ordnung gelten ihm für jede andre Tugend. Alles in der Welt ist bei ihm eine Form geworden, von der er um kei, nen Preis abweichen würde. Den Regeln ge mäß, die er aus seiner eigenen Erfahrung ab gezogen hat, beurtheilt, behandelt er Alles, oh ne jemals irgend einem Menschen nachzugeben.
6 Sie Kimen leicht denken, welchen großen Werth er bei dieser Art tu denken in den Reichthum setzt. Er haßt alles, was neu ist, und es geht in unserm Hause so zu, wie es in seiner Jugend bei seinem Lehrherrn zuging, in ununterbroche ner ewiger Ordnung. Die Gerichte für alle Tage im Jahre find bestimmt; jeder Glocken schlag hat bei uns seine Geschäfte. Den ersten Oktober zieht Alles im Hause Winterkleider an, und sollten wir auch rerschmelren. Ich will Ordnung, sagt mein Vater, und wenn zehn Sonnen am Himmel standen. — Kleinigkeiten! werden Sie sagen. Ich sagte das auch, und trug geduldig, als ich nach dem Tode meiner edlen Mutter von dem Landhause zu ihm in die Stadt mußte; aber seit diesem Augenblick» «ar meine Ruhe dahin. Nicht lange, so ging ich meinem Vater zu modig gekleidet. „Die verdammte Windbeute lei!" rief er mir in Gegenwart des Gesindes laut entgegen, wenn ich so gekleidet war, daß ich mich konnte sehen lassen. „Aus deinem Har lekinsrocke steht mit großen Buchstaben: wird falliren!" Stahl ich mich einmal in das Schau-
7 spiel, unt die alte Judith, die nichts kann als zanken und beten, erfuhr es, so erhob sich ei« Gewitter auf ganre Wochen. Ich war ein Frei, geiff, weil ich bei der ffuudenlangen Predigt gähnte, die sie jeden Sonntag der ganre» Fa, milie vorbuchffabirt. Las ich, und mein Vater überraschte mich dabei, so fragte er: „wie viel bringt dir das Geschäft?" Ich gab das Zeich, nen und Mahle» auf, setzte mich nur de- Abend« an das Klavier, und versteckte meine Bücher unter den Kleidern. Mit übermenschlicher Ge, duld arbeitete ich auf dem Comptoir; und den noch machte ich nie etwas recht. „Ja, ja!" sagte mein Vater, wenn er Briefe von mir nahm: „da haben wir's! Kaufmannsbriefe in Poesie, Wechsel in Versen!" und das alles in Gegenwart der Leute, sogar Fremder. Dennoch hielt ich aus. Meine Schweffer sagte oft: mach es, wie ich! Sie ging, wohin sie wollte; bald unter diesem, bald unter jenem Vorwande: in die Kirche zu fahre», eine alte Tante zu besuchen, u. s. w. Auch las sie; und außerhalb des Hauses wurde für sie gesponnen. Mein Vater liebt sie unbeschreiblich, weil sie
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scheinbar so fleißig, bürgerlich und altfränkisch ist; und die alte Judith verrath nichts, weil sie sich vor meiner Schwester fürchtet. Wohl hundertmal nahm ich mir vor, zu heucheln» ich konnte aber nicht, und duldete lieber. Mei» Vater hat eine so hohe Meinung von den vä terlichen Rechte», daß er Widersetzlichkeit der Kinder in jedem Falle für eine Unmöglichkeit hält. Das ist sein Charakter; nnd nun beden ken Sie, wie ich geduldet haben mag, daß er selbst sagen konnte, und ost sagte: „der Wil helm ist ei» Windbeutel, Judith; aber doch ge horsam, auf den Wink gehorsam." Das will bei meinem Vater etwas sagen! Nun ru der Begebenheit, die mich aus mei nes Dakers Hause trieb. Hier am Gymnasium stand ei» alter würdi ger Schullehrer, Silbermann, der für die Ertiehung und den Unterricht der hiesigen Kinder viel gethan hat. Er war ein Mann von reiner Bildung des Geistes und Herjens, rin wenig rauh von außen, aber ein sehr edler Mensch, dem ich vielleicht Alles, was ich weiß, ru ver danken habei Mei» Vater ließ ihn, als einest
9 weitläuftigen Verwandte»/ zuweilen, doch ohn« seine Familie, zum Essen einladen, und zankt» sich dann jedes Mal mit dem alten ehrwürdi gen Manne über den Werth der Gelehrsamkeit. Er erklärte alle Gelehrsamkeit für gänzlich überflüßig. „Was hilft es, Herr Vetter," fragte er, „daß Sie Griechisch und Hebräisch verste hen? Sie können ja nicht einmal einen Wech sel ausstcllen!" So fing der Streit gewöhnlich an, und Beide führten ihn mit großer Hitze. Der alte Schulmann starb, und hinterließ sei ner Wittwe und seine» zwei Kindern weiter nichts, als eine auserlesene Bibliothek, die un, ter dem Werthe verschleudert wurde. Mein Vater vergaß sogleich seinen Widerwillen gegen den Verstorbenen, und nahm sich der Witwe in der That mit uneigennützigem Edelmuth an. „So geht eS!" brummte er wohl zu Hause; „Bücher die Menge, und nicht so viel Geld, daß es zum Begräbnisse hinreichte!" Aber m Gegenwart der Witwe schwieg er, um sie nicht zu kränken. Die Witwe ließ sich nun bei meinem Va, ter melden, und wurde in das Zimmer geführt.
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Ich hatte sie nie gesehen; aber sie nahm mich hei dem ersten Blicke für sich ein. „Ihr Die, ner!" sagte mein Vater. „Was ist es? Aber km, Frau Basel ich muß mit dem Schlage Zwei auf da- Comptoir." Die Fra« suchte bei diesem rauhe» Tone noch freundlicher t« sey». Ich bi« Mutter, lie, der Herr Jahns, hob sie sauft an, und dabei -offen ihr Thränen über die Wangen. Mei» Sohn .. . „Ist ein Windbeutel," fiel mein Vater ein; „hat mir nicht folgen wollen: sonst sa'ße er lan, ge auf dem Comptoir, und Sie brauchten hier nicht mit nassen Auge» r« stehen. Lr konnt« Sie schon unterstützen, anstatt daß Sie nun Tag und Nacht für ihn arbeite« müssen." Ach, Herr Jahns, sagte die Mutter: wen» e« nur rureichen wollte, meinem Sohne fortru, helfen! Er erkennt Ihre Güte mit Dank; aber seine unbeschreibliche Begierde ru -udi«, reu . . . „Baarer, blanker Hochmuth, Fra« Basel Studieren? Hunger leiden!" Das ganre Gymnasium giebt chm das Zeug,
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uiß des verständigsten Fleiße« und guter Sitten; und da sein seliger Vater . . . Eben, Frau Base, nahm Judith da« Wort— eben an seinem Vater seliger sollte er sich spiee gel», und sehen, daß e« wahr ist, was in der heiligen Schrift steht: ihre Weisheit ist zur Thorheit worden. Denn das ist doch wohl Thor, freit, wobei nichts herauskommt, als Hunger und Kummer, und nach dem Tode Schulden. — Judith «ar nur erst aus dem Armsessel aufge standen, und schlüpfte so eben in ihre sammt«, nen Pantoffeln. Mein Vater rief ihr verweisend $ttt „psui l zum Teufel, pfui!” und sie setzte sich wieder — in der Stellung einer Katze, die auf ein arme« Mäuschen zusahren will. Er wollte den harten Vorwurf, über de» die Fran bleich geworden «ar, wieder gut machen, legt« seine Hand auf die ihrige, und sagte sanft: „nein, nein! Ich weiß wohl, Frau Vase, da« war nicht die Schuld Ihres seligen Herrn. Knappe De, soldung, den ganze» Tag Geschäfte in der Schule; und da ging die Ordnung im Hause unter."
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Mein seliger Main, sagte sie sehr sanft, achtete das Geld nicht viel. „Verstand eS nicht, liebe Frau Base," un terbrach mein Vater sie, mit ziemlich mildem Tone. „Ich habe ihm das tausendmal gesagt. Nun, hat Ihr Sohn noch Lust ein Kaufmann j« werden, f» will ich mich seiner als ein Va ter annehmrn." Ach, lieber Herr Jahns, mein Sohn Hal nun einmal keine Neigung rum Handel. Nicht? fuhr Judith aus dem Armsessel her, vor: nicht? Nun, wenn er Handel und Han delsleute haßt, so mag er vor die Thüren der Studierten gehen, und da Hülfe suchen. — Mein Vater brummte; und ich — konnte nun nicht länger schweigen. Und Sie, Judith, sag, te ich, sollte» bei einem alten Junggesellen woh nen, weil Sie nie Neigung zu dem Ehestand« hatten. „Was geht es dich an, Gelbschnabel?" fuhr mein Vater auf. Aber so eben schlug es Awei; und er ging auf das Comptoir. Trostlos blieb die Frau noch eine» Augen blick stehen; dann machte sie der alten Judith «ine Verbeugung, blickte mit de» nassen Augen
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an die Decke, und entfernte sich. Ich bot ihr den Arm, und führte sie. Unten im Hause öff nete ich schnell mein Zimmer, und sie folgte mir, ohne tu wissen, wohin. Sie dürfen, sag te ich, nicht ohne Hülse weggehen. Ich drang ihr eine Note von einigen hundert Mark ans, und küßte ihr die Hand. Sie sah mich ver wirrt an, und machte eine Bewegung, als ob sie mir das Papier zurückgeben wollte. Die Dankbarkeit gegen meinen theuren alten Lehrer, sagte ich, Ihre mütterliche Liebe, die Härte meines Vaters ... O, ich bitte/ nehmen Sie, und haben Sie nur keinen Widerwillen gegen uns in Ihrem Herzen. Ich begleitete sie an die Hausthür, und war fröhlich wie ein Kind. Der Himmel mag wissen, wie mein Vater das erfahren hat. Nun entstand eine Scene, die t» widerlich ist, als daß ich sie Ihnen be schreiben könnte. Ich sollte sagen, woher ich das Geld hätte. Er errieth es. „Nicht wahr," fragte er im höchsten Zorn; „von deiner Mut, ter, die dich ihr Lebelang vertagen hat?" Ich blieb Anfangs geduldig; doch endlich brachte mich die alte Judith mit ihren Sprüchen aus
*4 -er Bibel und ihren Verse» aus dem Gesang buch« aus meiner Fassung. Wir erhitzten uns. Judith wollte einlenken; es war aber $ti spät. Mein Vater wies mich rum Hause hinaus. Ich ging — nicht so wohl erbittert, als in -er Absicht, diesen Zwiespalt einmal durch et was Auffallendes ru endigen — auf mein Zim mer, packte ein, und ließ Judith die Hände ringen, stuften, weinen und beten. „Du kannst gehen!" rief mein Vater, an den st« sich ge wendet hatte, durch die Thür; und ich reiste noch denselben Tag nach B'", ru einem Ver wandten meiner Mutter. Da blieb ich, bis Judith denn endlich meinem Vater so lange vorgepredigt hatte, daß er die Hand zur Ver söhnung bot. Aber jetzt ist alles schon wieder, wie vorher. Judith ruhet nicht; sie hat eine fürchterliche lange Weile, die sie nicht anders als mit Zänkereien ru tödtcn weiß. Adieu. De» Empfang im nächsten Briefe.
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Derselbe an Denselben. Sie haben Recht; es liegt etwas Rührende« in der Vorstellung: ein Sohn geht hin, sich mit seinem Vater r» versöhnen. Auch fühlte ich das, »b ich gleich vorhersah, daß es nicht lange dauern würde. Ich fuhr «»vermuthet vor meines Vaters Hau-. Judith empfing mich mit einem Freudengeschrei und gewiß unverstellt ten Thränen. Sie schob mich in dar Zimmer. Mein Vater kam mir mit einem ungewissen Blick entgegen. Seine Liebe zu mir schien mit denr-beleidigten Vateransehen tu kämpfen. Ich überließ mich meiner Rührung, warf mich an seine Brust, und sagte, gewiß ungeheuchrltr Vergebung, mein theurer Vater! »Ist das dein Ernst, Wilhelm?" fragte er: »willst du Vergebung, oder . . Er sah mich finster und forschend an. — Nicht» al- Derge, bung von Ihnen will ich, sagte ich tärtiich, mit Thränen in den Augen, und küßte dabei seine Hand. Wahrhaftig, nur Vergebung! wie, derholtr ich. Nun faßte er mich in seine Arme,
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nun drückte er mich fest an seine Brust/ nun wurde seine Stimme sanfter/ und er fugte mit einer seltenen Rührung: „mein Sohn! mein Wilhelm! Wir »vollen nicht mehr daran den ke»/ lieber Junge!" Ich dachte/ Schwager/ sagte mein Oheim aus seinem Lehnstuhle hervor/ mit seinem ge wöhnlichen kalten Tone — ich dächte/ du soll test an nichts anderes denken/ als an das, was Vater und Sohn beinahe zu de» bittersten Fein de» gemacht hatte. Aber recht so! Legt Ihr nur ein Pflaster auf die Wunde/ daß der Eiter recht lies unter sich fressen kann! Wenn Vater und Sohn einander in den Arme» halten^ wie Ihr da jetzt/ so ist das ein seltener Augenblick. Ihr solltet jetzt nicht um euer schadhaftes Ge wisse» hergehe»/ wie ein Windbeutel von Wund arzt/ der nicht sondiren mag/ weil das nicht ohne Schmerzen ablaufe» würde. Aber thut/ was Ihr wollt. Was kümmert es mich! „Schwager/" sagte mein Vater verlege«/ und ließ mich nach und nach aus seinen Arme»; „ ich bi» Vater. Das verstehst du nicht." Gerade eben deshalb, erwiederte mein Oheim, und
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und blies mit schnellen Zügen den Tabacksrauch von fich: — eben deshalb, weil du Vater bist, solltest du keinen Tropfen Gift in deines Seh, nes Herzen, lassen. Sieh, ich an deiner Stelle würde sagen: Wilhelm, ich hab« dir Unrecht gethan; aber ich bin ein alter Man», dem «S schwer wird, seine Fehler abjulegen. Halt' emir ill gute! — Da- würde ich an deiner Stelle zu Wilhelm sage», und dann gant trok, ken zu Judith: du bist der Teufel, der »wische» den Weizen unserer Liebe Unkraut säet. Nun, sagte Judith, die Hände ringend: s» soll mir Gott helfe», daß ich lieber schweige, als meine Junge Unheil zwischen Vater und Sohn stifte» lasse!... Der Herr richte »wische» mir und Ihnen, Herr Vetter! fuhr sie tveinend fort, und setzte sich in ihren Armstuhl. Das thue der Herr! sagte mein Oheim kalt. Aber, Muhme Judith, er lasse Ihnen auch die Sentenz zukommen; sonst hilft es nichts. Judith stand auf, und sagte sehr sanftmü» rhig: der Gerechte muß viel leiden; das ist mein Trost. Aber Ihnen, Herr Vetter Rich, ter, wird e« einmal schwer auf dem Ge, Kl. gtoiik VI. [a]
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wisse« drücken, daß Sie eine arme Kranke ver spotten. Gott weiß, erwiederte mein Oheim, daß ich Sie bedaure. Ich wünschte, und das in vol lem Ernst, Sie hatten, anstatt Ihrer Gicht, einen Mann und ein Dutzend Kinder; denn ich halte Sie nicht für böse, Muhme Judith. Sie waren «ine brave Fra« und Mutter geworden, das weiß ich. Judith setzte sich wieder, und sagte mit Kopf schütteln, aber doch besänftigt: nun! wenn ich denn auch einmal ein Wort tu viel sage! Ist immer ein Wort r« viel, unterbrach mein Oheim sie; so wie das zu wenig war/ was mein Schwager vorhin sagte. Mein Vater stand halb finster, halb lächelnd, da. »Wilhelm," ries er nun aus einmal; »ich habe dir Unrecht gethan. Dergieb mir!" Wir umarmten rinander, und ich verschloß seinen Mund mit meinen Lippen. Der Oheim schlug meinen Vater kräftig aus die Schulter, und sagte in Tonen, die beinahe wie Weinen klan gen: brav! Nun empfindest du doch endlich einmal, was es heißt, was «s für ein Glück
*9 ist/ sein Unrecht zu gestehen! — Ohne noch rin Wort hinzu zu setze»/ ging er sogleich ans -em Zimmer. Ich suhlte, daß wir auf dem Wege waren, unsre Herze», wie es Mannern geziemt, gegen einander auszuschütte»; aber es kam Jemand dazu, und mein Vater mußte in das Comptoir. Der Augenblick ging vorüber, und kommt wahr scheinlich »ie wieder zurück. Schon bei Tische war mein Vater ungewöhnlich still, und sprach mit mir nicht zehn Worte. Sein Ton hatte, wenn er sich zu mir wendete, nicht- Strenges; ich sollte aber hören, daß er Vater ist. Er sprach zu meiner Schwester ungewöhnlich hart und gebieterisch; und mich sah er dabei an. Am folgende» Mittag war alle- wieder im alten Geleise. Zwar blieb ich noch verschont; es gab aber doch schon Anmerkungen, di» mir -alte», und bei denen Judith nur mit Mühe schweigen konnte. Um nicht zu antworten, ließ sie sich mit meinem Oheim in ei» Gespräch über die Bibel ein, und mein Vater sah unter, dessen vor sich nieder. ES herrschte eine düstre, mißtrauisch» Stille.
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„Wisse» Sie wohl die rührendste Stelle in der Bibel/ Judith?" fragte mein Oheim. — Sie betet« «ine ganze Menge Sprüche her. — „Nichts/ nichts! alles nichts! Die rührendste ist: o Absalon / mein Sohn! o mein Sohn Ab salon! v/ daß,ich für dich sterben könnte!" — Sie sah ihn erstaunt an. — „Denken Sie nur/ Judith!" sagte er ernst; „der Sohn hat dem Vater nach Krone und Leben getrachtet. Der alte König muß vor feinem eignen Sohne land flüchtig werden!" Der undankbare Bösewicht von Sohn! fuhr mein Vater aus. „Recht Schwager; das wollt' ich eben sa gen. Dieser undankbare/ höllische Bösewicht/ der Absalon! Und dennoch/ als er todt ist, ringt der Vater die Hände, und ruft: o mein Sohn! Absalon, mein Sohn, daß ich für dich ster ben könnte! Der Feldhauptman», wie er hieß . . ." Joab, sagte Judith. „Richtig! der war damit nicht zufrieden. Er schalt den alten Vater. .." Und da hatt« er gar nicht Unrecht, fuhr
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Judith aus. Bedenken Sie doch nur! Der um dankbare Sohn, der abscheuliche Absalon! „Ich wollte, Judith, Sie hätten einen um dankbare» Sohn; dann würde» Sie so nicht sagen. Der Ioab wußte eben so wenig, wie Eie, wa« es heißt, einen Sohn tu haben und ihn tu verliere»« Ach! — Ich sage nur, wen» David den Bisewicht von Sohn so liebte: was sollte ein Vater nicht thun, der einen edel« Sohn hat!" Das war selbst für Judith zu stark. Sie saß »achsinnend da, und blickte mich tuweile» von der Seite an. Wir Alle schwiegen verlegen. Mein Vater erröthste, und schien mit sich selbst tu kämpfen. Er war finster, ernst, nach denkend, und trank bald sein drittes Glas Wein, tum Zeichen, daß wir aufstehen sollten. Wir thaten es; er ging nun kalt, bitter, beinahe tvrnig, in sei» Kabinet, und wir Uebrige» ver ließen einer nach dem andern das Zimmer. Ich «ar in der That betrübt. Meine Schwester sagte mir auf dem Gange, lachend: „das Hilst alle- nichts!" Sie hatte nicht Unrecht; aber
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sie mußte nicht lache«. Ich konnte ihr das de« gante« Lag nicht vergesse«. Jetzt ist Alles wieder in dem vorigen Zustande, und wir lebe« wie ehemals. Judith schürt das Feuer an, wenn mein Oheim, vor dessen Kält« sie sich fürchtet, nicht gegenwärtig ist. Der Oheim schüttelt den Kopf, und fährt wohl einmal dazwi schen; es bleibt aber beim Alten, so viele Ach tung mei« Vater für den respektablen Mann auch hat. Meine Schwester geht ihren Weg, und ich — ich sitze da, wie ein. Gefangener, an Geist und Seele gefesselt. Wir Alle thun, was wir nur kön nen, einander das Leben sauer zu machen; und doch ist unter uns nicht Liner, von dem man sa gen konnt«, er ist rin böser Mensch. Selbst Ju dith nicht. Wäre sie boshaft, so könnte ich sie has sen; sie ist aber nur unbesonnen, geschwätzig, und ein wenig bigott. Hätte sie keinen Menschen, sie müßte mit Gott zanken, »der mit ihrem Mops, den sie übrigens für frömmer hält, als mich, weil er ihre Gesänge und ihre langen Gebete anhört, ohne zu murren, oder sich zu rühre«. Ich bi« gar nicht glücklich. Adieu I
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Derselbe an Denselben. L »»»
Ich habe eine Unterredung mit meinem Oheim gehabt. — Aber vorher wollen Sie etwas von diesem Oheim wisse». Kann ich Ihnen doch kaum mehr von ihm sage», als daß er Richter heißt, und ein sehr ehrlicher Mann ist. Sie haben wohl schwerlich einen schönern alten Man» gesehen, in dessen Gesicht eine so viel Zutrauen erregende Treuherzigkeit läge. Man urtheilt verschieden über ihn; meine Mutter aber sprach von ihm mit unbeschreiblicher Zärtlichkeit und mit einer Achtung, die an Verehrung gränzte. Daran, und an sein redliches Gesicht, halte ich mich. Man sagt, er sey ei« Avanturier, der sei« Vermögen verschwendet habe, die Welt durchlaufe» und als ein Bettler zurückgekom, men sey, und jetzt das Gnadenbrot bei meinem Vater, seinem Schwager, esse. Er selbst schweigt von seinen Schicksalen. In seiner Jugend hat er höchst seltsame Dinge unternommen, die aber, selbst wen» mein Vater sie erzählt, mehr eine unbesorgte Großmuth, «in feuriges Tempera-
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ment, als Ausschweifung, verrathen. Ein Jahr nach der Verheirathung meiner Mutter ver schwand er, und niemand erfuhr, wo er geblie, den war. Ungefähr vor dreizehn Monaten kam er zurück, und zu meinem Vater. Er lebt bei diesem ohne Vermögen, ohne Plan, und hat sich doch eine Gewalt über ihn verschafft, die ich kaum begreifen kann. Zwar folgt mein Vater ihm nicht: er darf aber doch seine Meinung über dessen Handlungen sagen; und dieses Rech tes bedient er sich so freimüthig, und zugleich mit so vieler klugen Mäßigung, daß mein Va ter ihn scheuet, oder, wenn auch das nicht, doch wenigstens seine Seltsamkeiten fürchtet. Der Mann sagt, was er denkt, mit der Offen, heit und der einfachen, unwiderleglichen Gerad heit eines Diogenes. Er ist arm; aber ich kem ne keinen Menschen, dem die Armuth so leicht wird, und der sich vor jeder ehrlichen Art sein Brot zu verdienen, so wenig schämt. Seine Mäßigkeit ist unbeschreiblich, und eben die macht ihn in feiner abhängigen Lage völlig unabhängig. Gleich Anfangs gerieth er in einen heftigen Streit mit meinem Vater über meine Schwr-
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ster, die er gerader« für eine Heuchlerin er klärte, und verließ unser HauS. Am folgende« Lage kostete es meinem Vater Muhe genug, ihn zuruckzubringen; er hatte sich als Packträger in einer Handlung vermiethet. So etwas furchtet mein Vater, und darum steht er ihm mehr nach, als jedem Andren. Das ganze Haus scheuet und liebt ihn. Er ist unglaublich gefällig, doch eben so strenge; und seinen Augen — der Himmel mag wissen, wie er rS anfängt — entgeht auch nicht das Mindeste. Meine Schwester ist die Einzige, die eine böse Meinung von ihm hat Sie beruft sich auf feine Heimlichkeit, auf feine Abend gänge, auf feine kleine» Reisen von drei bis vier Lagen, deren Abfichten gänzlich unbekannt find. Lr scheint kalt zu seyn; ich wollte aber wetten, daß er es nicht ist. Die Menschen hält er für eigennützig, eitel, herrschsüchlig; und doch findet beinahe jeder Bösewicht an ihm sei, ne» Vertheidiger. Er lächelt, wen» man viel von Tugend, Aufopferung, Großmuth; und schilt, wenn man von Bosheit, Verbrechern und Schur ken spricht. Dabei ist er ein Kinderfreund, und
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philosophirt gern mit jedem von schlichtem, ge< fimdem Menschenverstände. Für die Gelehrten hat er immer nur Beispiele vom Gegentheile dessen, was sie behaupten, womit er aber ge wöhnlich ihren Satz getade«u umwirst. Ich liebe diesen Oheim «artlich, ob er gleich immer kalt und einsylbig gegen mich ist. Neulich Hatteich eine Unterredung mit ihm, über dieBe, stimmnng und die Lugend des Menschen, die mein Her« umkehrte, und die, was noch mehr ist, mich auf die Vermuthung brachte, daß mein Vater etwas Wichtiges mit mir vorhabe. Ich bemerkte Unruhe an ihm, und glaubte erst, sie hatte mich «um Gegenstände. Meine Schwester sagte mir indeß: er habe eine sehr große Spe kulation unternommen, die nicht nach seinem Wunsche gelinge. 0, warum theilt mein Da, ter, wenn er Sorgen hat, sie nicht mit seinem Sohne! Glauben Sie mir, die Faktore wissen mehr von seinen Geschäfte«, als ich. Meint er denn, ich wurde, wenn et Vertrauen «u mir hatte, vergessen, daß ich fein Sohn bin, und mich «u seinem Herrn aufwerfen? Zn meiner Schwester hat er eben so wenig Zutrauen; und
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dennoch weiß sie alles. Woher das? Bi-wei, len wird mir in der That bange, daß mein Oheim in seiner Meinung von ihr Recht haben könnte. Ich mag nicht einmal denken, was oft mein Herr beängstigt. Adieu.
Derselbe an Denselben. Abscheulich, liebster Freund! abscheulich! Noch immer tittern mir die Hande vor Lust, dazwü schen in schlagen. Höre» Sie! Gestern kommt meine Schwester aus einer Gesellschaft, und er, lählt der alten Judith die Neuigkeiten des Ta, ges: unter mehreren unbedeutenden, mit einer schrecklichen Gleichgültigkeit, auch die, daß die Wittwe Silbermann, von der ich Ihnen neu lich schrieb, um tausend Mark, ihr letztes, tim tigeS Eigenthum, gebracht sey. — Wie denn so? fragte Judith, und legte ihr Gebetbuch tu» sammen. — „Sie hat es dem Herrn »!>«’•' geliehen." — Unmöglich!, sag' ich; wie wird die Frau einem Menschen, der so viele Schulden
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hat/ wie Ziegel aus dem Dache/ ihr ganzes Dermigen hingeben! — DaS ist wohl mög lich/ sagte Judith bedächtig; die Frau liebt ja vor großer Weisheit nie einen Menschen zu Ra the. ES geschieht ihr schon recht! — Judith! rief ich/ und ballte die Hände. Der elende, niederträchtige ' * * I«/ der nimmt/ wo eS zu haben ist- sagte sie ruhig. Da« kann ihm keiner verdenken. Die Equipage kostet etwas, und Bälle/ Gesell schaften auch. — Aber eine Witwe/ Judith! eine arme Witwe! Sie hören jg/ es sind ihre letzte«/ einigen tausend Mark/ die ganze Hoff nung ihre- Lebens. Zu uns hätte der Elende kommen sollen; aber zu dieser armen unglück lichen Witwe! ES ist unmöglich. Mit einer Gelassenheit ohne Gleichen sprach Judith noch mehr über die eingebildete Weis heit der betrogenen Witwe/ und trieb mich damit aus dem Zimmer. Diesen Morgen mit dem Frühesten ging ich zu der Silberman»/ und fragte/ ob sie dem Herrn von ••• ihr Geld geliehen hätte. Sie bejahete es ga«| ruhig; denn ein Mann- der Equipage hält und alle
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Woche Gesellschaft giebt, dachte sie, wäre sicher grnlig. Ich fragte nach den Umstände», ließ mir die Verschreibung teigen, und sah eilte Rei, he von Niederträchtigkeiten ohne Ende. Die Witwe bekommt das Geld bezahlt, weiß nir, gends damit hin, «nd bietet es aus. Ein Pro kurator, rin Schmarotzer de» Herrn von besucht sie unter einem Vorwande, und räth ihr, als sie ihm ihre Noch mit ihrem Sohn« klagt, sich an de» Herrn von "'M «enden, der ihm ein Stipendium verschaffen könne. Die Mutter läßt sich bei dem Elende» melden, und erstaunt über die Pracht des Putziimmers, in das man sie führt. Der hol)« Gönner verspricht goldene Berg« für den Sohn, erkundigt sich, ob denn die Mutter gar kein Vermögen habe, hört von tausend Mark, fragt, ob sie auch sicher stehen, und erbietet sich endlich aus Mit, leiden für die würdige Familie, diese tausend Mark zu fünf Procent selbst r« nehmen. Dann, Madame, sagt der abscheuliche Mensch mit La, cheln, sind Sie doch Ihres kleinen Eigenthu, mes sicher.
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Die Frau ist vor Freude im Himmel, rahlt gegen eine Verschreibung, die man ihr giebt, das Geld, und dankt Gott mit Thränen für diesen Schimmer von Hoffnung. Das Alles er, iählt sie mir noch immer in großer Freude. Ich schwieg, obgleich in meinem Herzen Gift und Jörn war, und sagte ruhig: „so? ich hat, te sonst einen sichern Ort gewußt, wo Ihr Geld unterzubrmgen gewesen wäre." Do» ihr ging ich gerades Weges tu dem Herrn von und man führte mich in das Zimmer der gnädigen Frau, wo sich der Herr gerade befand. Ich war in der That verlege», wie ich anfangen sollte, so fest ich mir auch vor, genommen hatte, dem Elenden die Wahrheit derb t» sagen. „Ich komme," sagte ich end lich, „von der Witwe Silbermann." (Da gnädige Paar wurde aufmerksam bei diesem Nahmen.) „Die arme Frau hat Ihne», Herr vo» •"/ ein Kapital von tausend Mark gelte, hen. Jetzt jeigt sich eine Gelegenheit, es auf die sicherste und vvrtheilhaftestr Art mttembringen. Sie wünscht daher. . "
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Cs steht bei mir zu fünf Proeent, Herr Jahns! sagte er lächelnd; und die gnädige Frau machte eine höhnische Miene. »Freilich ist das hoch genug; aber dennoch kann die Wittwe es jetzt höher unterbringen. Sie wünscht also ..." So bald dir Zeit abgelaufen ist, steht es zu Dienst, sagte er kalt. Ich finde es übrigen seltsam, daß . . . »Nicht so gar seltsam, Herr von • * Dir Schuld hat keine hypothekarische Sicher, heil, und fie ist da- ganr« Vermögen der Witwe." Meine Verschreibung, dächte ich, Herr Jahns, wäre so sicher, wie eine Hypothek. Diese Unverschämtheit machte mich kalt, so daß ich lächeln konnte. »In Betreff des Gel, des, Herr von *»*,” sagte ich ruhig, „gilt kein Rang: das wissen Sie ohne Zweifel. Die Witwe ersucht Sie um die Rückjahlung der Summe, »der um eine besser sichernde Der, schreibung." Die Verschreibung, Herr Jahns, — hob er schon «ärmer au.
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Ich fiel ein — »hat em Schurke gemacht, -er Prokurator ***. Kur; und gut: die Frau bittet durch mich um Rückzahlung des Geldes." Sollte ein Versehen dabei vorgegangen seyn, so will ich — sagte er sehr höflich. »Ich fodre nichts, als die Zahlung der Summe," unterbrach ich ihn kalt, und sah ihn scharf an. Aber in welcher Verbindung, mein Herr, — fragte die Dame spöttisch — find Sie denn mit der Frau? Was geht es Sie an? Voila, wen/ dete sie fich zu ihrem Manne, comment sont Saits ces maudits . . .
„Ich verstehe Französisch," sagte ich, un wiederholte den Wunsch, daß sie auf der Stel, le bezahlen möchten. Vous allez trop vite en besogne, Moiw sieur, sagte sie spöttisch: ce que vous demandez, sera fait certainement dans le renne prescrit par la loi; ayez patierice.
Das verdroß mich.
Ich antwortete: „et
c’est precisement, parce que Pargent semble perdu, a moins qu'il ne soit rendu a present, que je perds patieijce, Madame.” Vous
Vous croyez cela, sagte tt, höflich eilikil# ke»d, cause d’un pelit manqne de forma» lite, Monsieur?
„Nicht deswegen, mein Herr," antwortete ich Deutsch und fest; „sondern weil die Frau das Geld nicht einbüßen darf. Es ist ihr Al les, ihr Letztes." Einbüßen? Sie fallen ht einen Ton, Herr Zahns, -er mich auf die Lange ungeduldig ma chen wird! Die Frau hat mir das Geld gelie, den, und ich werde zahlen, so bald es mir be
liebt.
Wer hat Sie zum Ritter der Frau be
stellt? La bonne femme, a ce que m’a dit le procurenr, a une fille belle, et Monsieur est bien compatissant. Vous aimez votre prochain. |Ah! qtie vous m’edifiez! sagte die gnädige Fra» mit einem höchst gezwunge-
nen Lachen. «Ritter, oder Don O.uixotte, wie Sie wol len!" antwortete ich ihm. «Genug, ich bi» ent, schloffen, der Frau VaS Geld wieder zu schaffen." Zweifeln Sie etwa, Herr Jahns, daß die Kleinigkeit bei mir sicher ist?
Kl. Rom. VI.
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„Es kann Ihnen leicht unhöflich vorkom. men; aber ich muß sagen: ja, eben daran iroti» Ae ich." Je vous tournerai en ridicule dans le monde, Monsieur l’incredule, sagte die Frau wieder spöttisch. „ A vous permis, Madameantwortete ich kalt: „ chacun est le maitre dans son munde; und meine Welt, Herr von ***, ist die Börse. Sie sagen mir sehr treuherzig Ihre Meinung; ich will eben so treuherzig seyn. Zahlen Sie nicht, so gehe ich auf die Börse, kaufe — selbst um den vollen Werth, wenn es sey» muß — einen Ihrer Wechsel, der gerade fällig ist, und diese» Nachmittag sehen Sie mich dann wieder. Sie kenne« das Wechsel recht, und ich bin gesonnen, es in der größte» Strenge auszuüben." Das sagte ich so kalt und nachdrücklich almöglich. Madame schlug ein Gelächter auf. Ich verbeugte mich, und wollte schon gehen; er aber ergriff meine Hand. L’affaire merite qu’on y pense, sagte er ju seiner Frau. Ha ben Sie die Güte (zu mir), Sich zu setzen.
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Ich weiß nicht, mein werther Freund, hob er nun schmeichelnd an, weshalb Sie das Interesse der guten Frau gegen mich so angelegentlich be haupten. Was habe ich Ihnen denn gethan? Freilich, ich brauche Geld, und . . . „Diese arme Frau hat rwei Kinder, und sie müssen Hungers sterben, wenn das Geld verloren geht. Die tausend Mark sind ihr Letztes." Sie denken Sich das schlimmer, als es ist, Herr Jahns. Solche Leute sind nicht gewohnt, mehr r» haben, als gerade genug, ihren Hun ger zu stillen. Ihr freilich sehr lobenswerther Eifer ist eine Ungerechtigkeit gegen mich. Sie werden meine Ehre aufs Spiel setzen. „Ihre Ehre?" fragte ich erstaunt. „Glau ben Sie das?" Der Mensch errithet« nicht einmal, drückt« mir die Hand, und fuhr fort: ich war in Ver legenheit; eine Ehrenschuld — Die Witwe bot mir das Geld an, und ich kann ihr Dienste dafür leiste», die zehnmal so viel werth sind. Es fehlt mir nicht an Connexionen. Der Sohn der guten Fra« studiert. Er braucht Fürsprache, Empfehlungen, und überdies . . .
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Diese Prahlerei bei -so vieler Mnsseligkeit verdroß mich. Ich stand erhitzt auf/ und sagte : „ so mußte« Sie die hülslose Familie erst aus plünder« .. .? — Doch," unterbrach ich mich selbst/ „was könne« Sie für den Sohn der gteu, die Ihnen ihr Alles gab/ den« thun?" Für jetzt freilich noch nichts; ich bin ein we nig derangirt. Allein meine Umstande werde«/ müsse» sich ander«; und dan« . ... „Bis dahin aber- mein Herr von unterbrach ich ihn- „zahlen Sie die tausend Mark!" Die Frau fuhr hier auf/ und ich griff nach meinem Hute. Der Mann hielt mich wie der/ und wendete alle Mittel a«/ mich zu täu sche«. Er drohet« ganz sei« mit dem Einflüsse seiner Verwandten; und es ist wahr/ daß diese ihn noch gegen seine Gläubiger -schützen. Ich blieb aber sest; und endlich mußte er zahle«, weil ihn meine Drohung mit einem Wechsel i« Furcht hielt. Die Summe .wurde nicht voll; ich ließ mich aber nicht erbitten. Nach zwei Stunden lag das Geld da, und ich strich es ein. Mann und Frau waren, beide so erhitzt, daß keiner von ihnen an die Verschreib««- dachte.
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r-
Quc gagnez-votts sur cette soinme, Mon
sieur? fragte sie giftig.
„Rien,. Madame,”
erwiederte ich mit einer Verbeugung,
le
plaisir de vous avoir epaigne iuie injus-
tice de plus.”
Sie ließ, einen gemeinen Fluch
über die blauen Lippen fliegen.
Au moius,
Monsieur, sagte er, te heitre Schönheit betrachte, wünsche ich, daß ich ihr mehr seyn möchte, als ich bin. Ich setz« mich zu ihr, und spreche; aber sie antwortet mir, gerade wie ihrer Mutter, mit einer Ruhe und Unbefangenheit, über die ich ost ein wenig verdrießlich werde. Sie sieht nicht, wie sehr ich sie achte; si« bedarf keines Herzens, das sie liebt: die Liebe ihrer Mutter und ihres Bru der« ist ihr genug.
Der-
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Derselbe an Denselben. £ ***, Sie warnen mich vor der Liebe, mein Guter. — Warum sollte ich es Ihnen nicht sagen? Ja, ich liebe das Mädchen; nur nicht, wie Sie mei, iten, mit jener heftigen, zerstörenden Leidenschaft. Ich liebe das Mädchen; das heißt — Sonder/ bar, daß ich Ihnen nicht sagen kann, was ich/ und wie ich fühle! Vergleiche ich meine Em pfindung mit d?m, was man gewöhnlich von der Liebe sagt, so müßte ich wohl sagen: ich liebt sie nicht. Ich sitze und sinne, lege die Hand an die Stirn, um Ihnen zu beschreiben, wie mir ist; und es ärgert mich, daß ich, so lange ich auch meine Empfindungen anatomire, Ihnen weiter nichts sagen kann, als: ich bin dem Mädchen gut. Ja, dieses nichts geltende Wort, diese kalte Redensart, drückt meine Empfindung aus. — Ich bin alle Tage hingegangen; und jedes Mal sagte ich zu mir selbst: welch eilt vvrtreff, liches Geschöpf! Jede Stunde, die sie mit mir sprach, gab mir immer stärker und lebendiger st. Siom. vi. [4]
5o de« Anblick der schönsten Seele, eine- reinen, richtige» Verstandes,, und eines heitern, un, schuldigen Herrens. Ts ist übel, daß gerade die höchste Schön, heit, die reinste Lugend, sich nicht beschreiben läßt. Beschreiben Sie einem, der nie den Him, mel gesehen hat, das reine blaue Gewölbe an einem schönen Sommertage. Von diesem erhab nen, einfache» Schauspiele kann man weiter nichts sagen, als: sieh es! Der Anblick laßt sich nicht beschreibe», weil er so höchst einfach iss. Und so verhält es sich auch mit der Vollkom menheit dieses Mädchens. Ich müßte Ihnen Wort für Wort alle ihre Gespräche hersetzen; aber dann würde ihnen wieder der Geist fehlen, der sie beseelt — das lebendige Lächeln bei die, fern Wort«, der zärtliche Ton bei jenem, das freundliche Auge, der stille versinkende Blick, die unmerkliche rärtliche Trauer i» der «Stirn, me, und dann das rasche Aufwallen der Freude in Ton, Auge, Gang und jeder Bewegung. Sagen kann ich nichts; aber ich fühle, wie lieblich dieses Mädchen ist. In einem solche» Gespräche fasse ich mit
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höchst zärtlicher Empfindung ihre Hand; mein Auge funkelt, meine Wangen glühen. Ich fühle im Innern, daß sie mich glücklich machen, daß sie mich lieben muß, wenn ich glücklich werden soll. Aber keine ihrer Empfindungen antwortet der meinigen; sie bleibt so ruhig, wie sie war, geht den Augenblick heiter an das geringfügige sie Geschäft, verlaßt, wenn es nöthig ist, das Zimmer, und sagt lächelnd: adieu! Sie versichert mir auch wohl, daß sie mir gut ist, doch mit einer Heiterkeit, mit einer so unbefangenen Ruhe, daß ich beinahe die Hoff, nung aufgeben uröchte, jemals ihr Herz zu rüh, ren. Zuweilen glaube ich, an kleinen Zügen zu bemerken, daß ich ihrem Herzen nicht gleich,gültig bin; aber wenn ich dann wieder daran denke, wie sie neulich, als ihre Mutter wegen einer Schwäche zu Bette liegen mußte, die gan ze Zeit, die ich da war, bei ihr in der Kam, mer blieb, und auch nicht einen Augenblick sand, mir ein Wort zu sagen; wenn ich sehe, wie sie über ihren Bruder mich so gänzlich vergißt, und dann wieder — Ich fühle nur, daß ich Theil an ihrem Herzen haben muß. Stundenlang
5a spreche ich sie allein, nehm« mir vor, dar Te, sprach in's Leidenschaftliche i» spielen, und leite auch schon dazu ein; sie blickt mich aber »tr< «vundert an, glaubt, ich wolle scherte», lacht, und ist sogleich wieder in iljrrm ruhigen Tone. „Unschuld!" werde» Sie sagen; und auch ich' denke -ar. Müßte ich glaube«, er wäre Gleichgültigkeit gegen mich...! Wäre ich mein eigener Herr, könnte ich, war ich wünsche; sie würde, trotz ihrer kalten Ruhe, in wenigen Wochen meine Gattin. Ihre Liebe tu mir wäre dann wie die Liebe zu ihren Verwandten; fit würde glücklich seyn, und mich glücklich machen. Denn, sagen Sie, war ist die leidenschaftliche Begierde in der Liebe anders, alr bei dem Man ne versteckte Sinnlichkeit, und bei dem Weibe rege Eitelkeit? Sie würde mich wie ihren Bru der lieben; und — ich sollte verlangen, was fit nicht geben kann, ohne ihre reine Unschuld, ihre einfache Demuth $u verlieren? Diese hoffnungsvollen Träumereien, lieber Freund, führen mich jetzt leicht über de» rav» hen Weg, den ich mit meinem Vater gehen muß. Meine Seele ist bei dem Mädchen; ich
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überhöre meine- Dater- harte Vorwürfe, und der alte» Judith heilige Ermahnungen. Adieu.
Derselbe an Denselben.
habe Ihnen allerlei Nachrichten von nur -u gebe». Ium Exempel — mein Vater hat sich vorgenommen, mich zu verheirathe», und zwar an eine gewisse Mamsell Willmanns, deren Großvater de» Grund zu seinem nachherigen Glücke gelegt hat. Dazu ist er fest entschlossen; und ich bin eben so fest entschlossen, sie nicht zur Frau tu nehmen. Aus den Auögang der Farce, die wir einem hohen Publikum auf um, sere Kosten geben werde», bi» ich selbst unge, mein begierig; denn, sehen Sie nur, wir Schau spieler haben unsre Rollen ganz zum Erstaune» einstudiert. Mamsell Willmanns ist, wenn sie uns besucht, unerträglich fteundlich, sitzt bei der alten Judith ganze Stunden, giebt ihr eine Ge schichte aller Familien in der Stadt, und zahlt ihr alle heimlichen Sünde» auf, die begangen find, »der »och begangen werde» könne».
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Judith betet jetzt nie, ohne die allerliebste Mamsell Willmanns mit in ihr Gebet einju, schließen. Die alte Madame Willmanns rech, net meinem Vater, um seine Dankbarkeit im Gange zu erhalte«, beständig vor, was ihr Da, ter an ihm gethan hat; und mich — mich be trachten fle Alle wie einen Ballen Waaren, der zum Verkaufen $« schlecht, aber ru einem Be, weise der Dankbarkeit noch immer gut genug ist. Himmel und Erde! dahin wäre es gekom, men? Mein Vater verhandelt mich, und hinter meinem Rücken! Noch hat man mir nicht ein Wort davon gejagt; aber richtig, dafür stehe ich Ihnen, ist Alles, bis auf die Ablieferung der Waare. Und die Art, wie ich es erfuhr! — Gieb mir Geduld, guter Himmel! sag' ich mir jede» Augenblick. — Vom Comptoir gehe ich nur zu der Familie Silbermann; also könnte man wohl mehr thun, als mich verloben, ohne daß ich es merkte. Ich hatte nach und nach meine Bü cher dahin geschafft, und mich dort ganj einge, richtet. Meine schönste» Kupfer hangen bei Au gusten (so heißt das theure Mädchen), und ich
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lehrte sie zeichnen. O, ich lebte da Stunde» voll Seligkeit. Mir fehlte, um ganz $u dieser Familie zu gehöre», nur »och ein Nahme. Aber wenn sie mich auch Sohn, Mann und Bru, der nennten, sie würden mich nicht mehr lie, den, als jetzt, da ich uur ihr Freund oder Be kannter bin. Mein Vater ging, wie alle Jahre, eine» Monath auf das Land. Ich hatte mir seinen Unwille» zugezogen; er wollte mich bestraft», und sagte rauh: „du bleibst!" Lieber Gott, ich hätte ihm die Hände dafür küssen mögen. Nun hatte ich einen ganren Monath, eine Ewigkeit, glücklich zu seyn, und ich ließ keine» Augenblick davon verloren gehen. 0, diese Ta ge des Glückes, der höchsten menschlichen Freu de , müssen für mich wiederkommen! Wie will mein Vater den Kampf mit mir aushalten; mit mir, der ich tausend Leben, wenn ich sie hätte, an noch Einen solche» Monat setzte! — Eine kleine Krankheit der Mutter kam mir |tt Stat ten. Der Arzt rieth Bewegung an, und ich schlug eine Spazierfahrt vor. Die Mutter fand da» bedenklich, weil sie eine arme Witwe wäre;
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-och ich wußte bald Rath zu schaffen. Sie und Auguste verhüllten sich in dichte Kappen, und wir gingen vor das Thor, wo uns schon der Miethswagen eines Menschen erwartete, der mir vollkommen ergeben ist, weil meine selige Mutter ihn durch mich einmal aus Noth und Elend gerettet hat. Daö für Augusten ganz neue Der, gnügen zu fahren, hob ihre natürliche Heiterkeit. Wir fuhren nach 3***. Sie kennen ja das liebliche, einsame Dirfchen mit seinem schönen Wäldchen, das Niemand aus £ * * * besucht, weil kein Tanzsaal darin ist. Für Essen und Trinken hatte ich gesorgt, und wir brachten Herzen voll Freude mit. Errathen Sie nun bald? Hier in diesem lieb lichen Geholze, wo tausend Nachtigallen schlu, gen, lagerten wir jungen Leute uns erst mit der Mutter, und schwärmten dann umher. Auguste, die vielleicht nur alle Monathe einmal einen kur, zen, langsamen Spaziergang auf dem Werder unter den Weiden macht, war in der vollen, schönen Natur sehr fröhlich. Denken Sie Sich das liebliche Mädchen mit rosenrothen Wangen, mit lachenden Augen, mit dem höhere Genusse
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e ich jetzt, mein Vater. — Ich sag, te das in der That mit vieler Ruhe und kalter Entschlossenheit, die mir der Leichtsinn meiner Schwester gegeben hatte. Mein Vater betrach tete mich mit blitzenden Augen. Alle Uebrigen, besonders die Wlllmanns, waren höchst verle gen. Ich verbeugte mich, und wollte gehen. „Bleib!" rief mein Vater im höchsten Zorn, und trat vor die Thür. Er gab die Ehestistung dem Notarius, daß er sie vorlesen sollte. •— „Schwager," sagte mein Oheim kalt; „die Braut, die wir Alle noch nicht kennen, wird
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e< dir nicht danken, wen« du sie bekannt machst." Mein Vater war über mein ihm so höchst um erwartetes Benehme« bestürrt. Er sah meinen Oheim starr an, und rief heftig: „er soll aber gehorchen!" — Lieber Bruder, ich habe nichtdawider, sagte mein Oheim ruhig; aber du be leidigst die unschuldige Braut, wenn du jetzt den Kontrakt lesen lässest. Da- Gesicht der alten Willmanns war hoch roth geworden, und man sah darin ganr deut lich große Angst. Nein, sagte sie aus einmal, und trat vor: wenn eine Sache so weit gekom, men ist... — Die Tochter schien den Zorn bekämpfen ru wollen, der sich in dem angestreng ten Gesichte reizte; doch bald brachen ihre, wahrhaftig nicht schönen, Thränen hervor, und sie sagte: ich bi» die Unglückliche! Mein Vater wendete sich drohend ru mir. «Siehst du?" sagte er dann r« meinem Oheim. Das hieß, wie man deutlich hörte: ich bin nicht Schuld daran, daß man nun weiß, wer die Braut ist. Er warf den Kontrakt auf den Tisch, stampfte mit dem Fuße, und rief dann auf einmal laut: „er soll!" Judith ging hinter mir auf und nie,
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der, und sagte einmal über das andere, die Hände ringend: des Vaters Segen bauet den Kindern Hauser! — Ich kann Ihnen das Häß liche, das Gemeine der Scene nicht lebendig genug schildern. Herr von *" näherte sich mir,, und sagte! vous remarquerez, s’il vous plait, mon ami, qu’il faudra vous rendre, par bienseance au moins. Es ttitb sich geben, sagte er versichernd, und wollte mich rum Ti sche führen. Das machte mich böse. Ich sah ihn scharf an, und er ließ meine Hand wieder los. „Liebes Kind," sagte mein Vater, und führte die Mamsell WillmannS an den Tisch —: „haben Sie Lust zu unterschreiben? Er soll; wahrhaftig, er soll!" — Ich wette meinen Kopf gegen einen Heller, Bruder, tief mein Oheim eilig; Mamsell Willmauns unterschreibt nicht. Es ist unmöglich! — Denken Sie Sich meinen Widerwillen! Das Mädchen sah meinem Oheim einen Augenblick ins Gesicht, und nahm dann die Feder. Die Mutter sagte: „deinen vollen Nahmen! recht deutlich!" und die Tochter «n, terschrieb. „II saut faire son possible, Monsieur,”
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sagte mein Oheim sehr komisch tu dem Herrn von •**. Oui, Monsieur; c’est ee que je ®e fais que de repeter, antwortete er. „Et c’est ce que j'ai fait tout ä l’heure !"
erwiederte mein Oheim, beinahe laut lachend. (Verstehen Sie das? Mei« Herr hat eine Ah, nung.) Sage» Sie, war es möglich, daß man setzt noch glauben konnte, ich würde unterschreiben? Mei« Widerwille gegen das Mädchen hatte den höchsten Grad erreicht, und ich fand keine Nei, gong mehr in mir, ihrer zu schonen. „Nun?" ries mein Vater, und winkte mir r«. — Ich habe jetzt gar nichts mehr zu sagen, antwortete ich ruhig. Man ist hier von alle» Seiten sei ner Sache so gewiß, daß man über den Man, gel meiner Unterschrift wohl hinweg sehen wird. — „So geh, Bösewicht!" rief mei» Vater im höchste« Zorne. 1 Ich ging nicht einmal erst auf mein Zimnur, sondern sogleich zis Augusten: aus dem Vorhofe der Holle in die Gefilde der Seligkeit. Nnterweges fiel mir wieder ein, in welchem Zu-
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stände ich Augusten das letzte Mal, vor drei Tagen, verlassen hatte. Ich dachte an ihre Unruhe, ihr verweintes Auge, und eilte. Sie hatte mich schon von Weitem gesehen, und kam mir bis in die Hausthür entgegen. Es war etwas Seltsames, etwas Scheues in ihrem Be tragen. „Ach, Gott Lob," sagte sie, wie i« stch, „daß Sie doch nur wiederkommen!” Habe ich denn das nicht gewollt, Auguste? oder sollte ich etwa garnicht wieder kommen? — Sie wurde verlegen. „0 «ein,” sagte fit erröthend; „aber ich dachte, oder vielmehr di« Mutter ... Sie find in drei Tagen nicht hier gewesen l" sagte sie halb und halb trotzend, doch in Scherz. Die Mutter empfing mich sehr freundlich, aber doch etwas förmlicher, als ge wöhnlich. Wir fingen ein Gespräch an; allein es stockte mit jeder Minute. Ich fragte Augu sten nach ihrer Zeichnung, die.schon vor drei Tagen beinahe vollendet gewesen war; und fi« hatte gar nicht daran gearbeitet. Mit Ungeduld "wartete ich auf die Stunde, da die Mutter, nach der Einrichtung ihres klei-
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nett Hauswesens, uns allein lassen mußte; heute saß sie aber unverrückt auf ihrem Stuhle, und spann. Man sprach nicht von meiner Heirath, und ich bemerkte, daß Auguste sich in Acht nahm, nur von weitem daraus ju kommen. Sie war ängstlich, und sah oft ihre Mutter an, als ob sie fragen wollte: spreche ich auch nicht I« viel? Auf einmal fuhr mir, ich weiß selbst nicht wie,-der Gedanke durch den Kopf, das rinne so verabredet seyn. Ich schlug Augusten, da es ein schiner mondheller Herstabend war, einen Spaziergang vor, wie wir schon öfter ei nen gemacht hatten. Die Mutter suchte eine Entschuldigung, die ich aber nicht gelten ließ. Auguste mußte ihren Mantel umnehmen, ob gleich die Mutter nur seufzend einwilligte. Ich ging, ohne auf Augustens Einwendun gen tu hören, tu der Wafferpsorte hinaus, längs den Weiden am Flusse hin, wo ich nun mit ihr allein war. Liebe Auguste, sagte ich gant ruhig; ich weiß nicht, wie es mir heute bei Ihnen vorkam: gerade, als ob Sie mich nicht gern gesehen hätte».
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„Ach, um des Himmels Wille», »ein! Das nicht; nein, das nicht!" sagte sie, und wendet« sich r» mir. Mas denn aber sonst, liebe Auguste? fragte ich schnell. (Ihre Antwort war rin Seusjer.) Nun, da seufzen Sie wieder! Sie sollen mir sagen, was Sie haben. — Sie besann sich, seufz, te noch einmal, und schwieg; aber sie ließ eine Thräne auf meine Hand fallen, mit der ich die ihrige hielt Liebe Auguste, Sie weinen? Bin ich denn nicht mehr Ihr Freund? Ich bitte, sagen Sie mir Alles. „Ich bars nicht," erwiederte sie schluchzend; „meine Mutter hat es mir verboten." Liebe Auguste, sagte ich zärtlich, und legt« meine» Arm um ihren Leib: Sie dürft» mir nicht sagen, warum Sie weinen? mir nicht? „Ach, es ist viel, recht viel »orgegangen. Ich bin sehr traurig gewesen." Warum denn aber?------- Nu« wünscht« ich, mein Lieber, ich könnte Ihnen die Worte des Mädchens, wie sie aus ihrem volle» Her, ftn hervorkamen, mit allen den Beugungen der Stimme, mit allen den Seufzern, allen de»
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Derbessernngen, dem kleine« Stocken/ den Bewegunge» ihrer Hände und ihres Gesichtes auf das Papier zauber»/ um Ihnen von den süßen, überseligen Gefühlen meiner vollen Brust einen Begriff zu machen. „Ach," hob sie nach einem kleinen Still schweigen an: „ich weiß nicht, ob ich recht dar an thue, es Ihnen zu sagen; und doch sagte ich es Niemanden auf der Welt lieber, als Ih nen. Sehen Sie, es ist alles so wunderlich. Meine Mutter denkt ... und ich fühle, daß sie gar nicht weiß, was ich . . . Aber recht sehr traurig bin ich gewesen." — Sie besann sich wieder. — „Nein , ich darf nicht." Sie dürfen mir Alles sagen, theures Kind. Auguste, wenn ich, wer weiß was, auf dem Herzen hätte, ich müßte es Ihnen entdecken. „Aber," fiel sie schnell ein: — „Sie ver schwiege» mir doch, daß Sie die Mamsell Will, manns heirachen werden!" Davon hernach, Auguste. Ich werde sehen, ob Sie mich lieb haben, wie ich Sie. „3a, (weinend) eben . .. daß ich Sie, und baß Sie mich lieben, sagt meine Mutter! Ge rade
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robe mit Ihrer Verlobung ging es an. Mein Bruder, der es von dem jungen Grohmann ge hört hatte, kam nach Hause, und erzählte es. Anfangs ging es noch; je länger ich aber so da saß und daran dachte, daß Sie heirathete», desto weher that es mir. Meine Mutter sah mich von Zeit zu Zeit mitleidig an, und ich wollte mich gant froh stellen; doch auf einmal fing ich an zu weinen. Da winkte mir meine Mutter, ich sollte mit ihr in die Kammer ge he». Nun umfaßten wir uns Beide, und ich legte mein Gesicht an ihre Brust. Sie weinte, und dann sagte sie: armes, liebe-, unglückliches Kind! Ach, e- war mir, als sollte ich sogleich än der Blust meiner Mutter sterben: so un glücklich hatten mich die Worte gemacht/ Nu« sagte meine Mutter, daß wir einander liebte», daß Sie unrecht an mir gethan hätten. Und ich selbst, sagte sie, mußte vorsichtiger seyn. Liebe Auguste, du darfst dich nun nicht mehr so freundlich gegen ihn betragen, wie vorher. Ich wünschte nur, daß er uns gar nicht wieder besuchte; und . . ." Auch Sie wünschten d»S? fiel ich ein. Ich Kl. 9iom. VI.
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mußte etwas sagen; denn Stillschweigen bei meinem hohen Gefühle dieser reinen, ahnungs, losen Unschuld hätte mein Herr rersprengt. Sa, gen Sie, wünschten auch Sie das, Auguste? — Sie schwieg lange. Endlich sagte fle sehr lang, sam und traurig: »wenn es Sie unglücklich machte, ach, so müßte ich es wünschen, ob ich gleich nicht weiß, wohin ich vor Schmer; soll, te, wenn Sie gar nicht mehr kamen." Liebe Auguste, sagte ich, und drückte sie an meine Brust; hast du denn wirklich glauben ko«, urn, ich würde die Willmanns heirathen? Schnell hob fle ihr Gesicht auf, und sah «ich ängstlich erwartend an. Als ich schwieg, sagte fle leise: »wenn ich so allein war... ich ging immer oben hinauf, um r« weinen, da nur die Mutter ruhig seyn sollte... wenn ich oben allein war, so dachte ich wohl, es wäre nicht möglich. Aber heute, als Willmanns bei «ns «orbeifnhren ;u Ihnen hin, und da Ihr Vater es selb- ru Sievers gesagt hatte — ach, ich möchte eine» solchen Tag nicht wieder erle, den! Es muß ja wohl wahr sey». Sie möge» es freilich nicht gewünscht haben."
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Und, liebe Auguste, ms glaubst du den», daß ich wünsche? fragte ich, trat vor sie hin, und legte den «inen Arm «m ihren Nacken. Sie sing an r« rittern, und verbarg ihr Gesicht wen» ich die schnell wechselnd« Bläffe und Ro the sehr genau erkenne» konnte, in beide Hände. »O, ich bitte Sie, Herr Jahns," sagte sie i» einem grnr veränderten, fremde« Tone; klaffe» Sie «ns rnnkehren!" — Nein, erwiederte ich, liebe Auguste. Ich will dir sage«, was ich wünschte, was ich «och wünsche, was ich wfin> scheu werde, so lange mein Herr schlägt. Ich wünsche, Auguste, daß du meine Gattin wirft, meine geliebte, theure, unschuldig« Auguste. Nein, ich bin nicht mit der Willmanns verlobt. Auguste, wie hast du das glauben könne»! Dich allein liebe ich, dich allein, und hier in dieser Sinsamkeit schwöre ich dir vor Gott: ich bm dein; du wirst meine Gattin! — Jetzt flogen ihre Hände von dem Gesichte weg in die Höhe, als wollte sie mich umarme», oder den Him, mel rum Zeugen meine- Schwures anrufen. Sie warf eine« funkelnden Blick in mein Auge; dann sank ihr Gesicht langsam an mein Herr.
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Ihre Wange war kalt; doch nur einen Auge« blick. Mit einem tiefen Seufzer kam sie wie, der zu sich. Ich umfaßte sie, drückte fie zärt lich an mich, und küßt« ihre Stirn; sie sah noch immer nicht auf, und ihre Schultern zit, terten an meiner Brust. Auguste! sagte ich; meine theure Geliebte! Du bist in den Armen deines Mannes! Jetzt hob sie das Gesicht lang sam. Ich drückte den ersten Kuß der Liebe auf ihren Mund, «nd fragte: liebst du mich, Au guste? bist du mein? Da umschlossen mich ihre Arme, da gab sie mir den Kuß der Treue, und in einem erleichternde» Seufzer ei» leises, zart, liches: „Ja!" Nun aber zog sie mich fort, und ging schwei gend an meiner Seite, den Arm fest um de» meinigen geschlungen, die Augen zur Erde ge wendet, — ohne Sinne möchte ich sage«. Au guste! flisterte ich von Zeit zu Zeit. Sie drück, te meine Arm« fester, «nd eilte desto mehr. So kamen wir nach Hause. Im Zimmer sah ich erst, wie bleich sie war. Sie wollte nun etwas sagen — ihrer Mutter oder mir — und in einem Lächeln, glaub' ich, die Heftigkeit ih,
85 »er Bewegung verbergen. Aber sie setzt« sich kraftlos aus einen Stuhl. Die Mutter -and in großer Bewegung aus, und nahm das wei nende Mädchen an ihre Brust. Was hast du mir versprochen, Auguste? sagte sie mitleidig. Dann wendete sie sich schnell tu mit, und sag te sehr rührend: ich bitte Sie, lieber Herr Det ter, lassen Sie erst einige Zeit hingehe», ehe Sie uns wieder besuchen. Ich habe ja nichts, als meine Kinder k Ich faßte Augusten- Hand, und sagte: liebe Mutter, diese Hand, dieses Herr ist mein. Ich bin ihr Sohn; Auguste wird meine Frau. Jetzt sprang das Mädchen auf, und an die Brust ih, rer Mutter. O, ist es denn wahr? rief diese mit dem Tone des Entzückens. Sie sah mich lange au, und blieb wie erstarrt stehen. Sie wollen . . .? fragte sie endlich. — Ja, ich will, unterbrach ich sie, und zog Augusten an meine Lippen. Was nun wurde, weiß ich nicht. Ich taumelte aus einer Umarmung in die andre, und meine Braut hing an meinem Halse. O, es war eine Scene der höchsten Wonne! Jetzt, da Angustens Liebe durch di« Einwilligung,
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durch den Segen der Mutter geheiligt war, drach sie ganr hervor au- dem volle» Herren. Sie knieete vor' der Mutter nieder, und so muß, tt diese meine Hand in tue ihrige legen. Zit ternd, bebend, mit Thränen in de» freudig blik, senden Augen, nahm sie den Ring, den ich an ihren Finger Keckte. Die Mutter bat mich, sie tu verlassen, als ich gerade anfangen wollte, ihr den Zusammenhang der Begebenheit au« einander r» setzen, und sie mit de» Schwierig keiten bekannt zu mache«, die wir noch r« über# winden hätten. Ich ging, mit hoher Freude in der Drost, nachdem ich noch auf den folgenden Tag eine Eparierfahrt in unser Wäldchen verabredet hatte. Es war Mitternacht, als ich «ach Hause kam. Ich fand mein Zimmer verschlossen. Mein Vater, der sonst in« lehn Uhr schon schläft, war »och auf, und rief mich. Als ich kam, führte er mich an de« Tisch, und sagt« sehr hart: „rum letzten Male rathe ich dir, unterschreib!" Nimmermehr, mein Vater, antwortete ich fest und kalt. — „Disewicht !" sagte er grim,
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mig. „Du willst nicht? Nu« so schwirr ich dir, das Schulmeistermädchen soll nimmermehr meine Schwiegertochter werden. Nimmermehr! Da hast du meinen Willen! Nun geh! Dort ist dem Zimmer/ hinter dem meinigen. D» kommst nicht eher wieder über diese Lhürschwelk, als bis du unterschrieben hast. Das ist mein letzte- Wort." Er öffnete die Thür/ und stieß mich hinein. Hier bi» ich «un im Gefängniß. Ein Glück/ -aß ich in meinem Taschenbuche ei nige Tropfen Tinte und einige Blätter Papier hatte, um Ihnen dies schreiben $ti können. Auch habe ich ein Mittel, meinen Brief r« Ihnen rn bringen. Glücklicher Weise ist Herr» RosenBrief an Sie, den ich Ihne» schicke» sollte, «och in meine» Hände«. Sie werde« es mir nicht übel nehme«, daß ich ihn erbreche, mei, ncn Brief dazu lege, und mit einigen Tropfe« Lack von einem andern Couvert das Siegel wie, der befestige. Mein Vater kennt Rosen- Hand, und wird den Brief ohne Verdacht besorgen. Die Empfindungen meines Herzens sind durch meine Lag« nicht im mindesten gestört. Wie lange'kau» meine Gefangenschaft dauer«? In
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Lü
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der That/ ich bin entschlossen, sehr geduldig tu seyn, und werde keinen Versuch machen, mich in Freiheit zu setzen. Auguste wird ein Paar Thränen weinen, wenn ich morgen früh nicht komme. Das Gerücht wird sie indeß schon von der Ursache meines Ausbleibens belehren; und dann — dann! Der erste Augenblick meiner Frei heit, des Wiedersehens! o Himmel! er soll auch der Augenblick unserer ewigen Verbindung seyn! Leben Sie wohl. Der Himmel gebe Glück zu dem Aufmachen und Zusiegeln des Briefes! Le ben Sie wohl. — Glücklich geöffnet! Das Sie, gel ist unverletzt. Adieu.
Richter an Brauns. Das Sklavenmachen, alter Brauns, ist den meisten Menschen eigen, nicht bloß den Besitzern von Zucker-Plantage». Das Seltsamste dabei ist, daß der Herr auch auf die Liebe seiner Skla, ven Ansprüche macht, wie zum Exempel ich. Erinnere dich, wie wir in Kurassao r- Gott
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Lob, daß die Zeit vorbei ist — unter unser» Sklaven saßen. Verlangten wir nicht ihre Lie, be? ereiferte» wir uns nicht über ihre Undank, barkeit? Es ist wahr, wir gaben ihnen ihre Schüssel voll Reiß satt, und behandelten sie nicht wie Teufel. Aber menschlich? Die Hand auf das Herr, alter Brauns! Sag: menschlich? Wie hatten die Unglückliche» ihre Herren lie, bcn sollen? Sich, der Mensch kann alles ertra, gen, nur nicht Sklaverei. Wie sollt' er auch? Ueberredung ist die einrige Herrschaft, die ein Mensch von dem andern erträgt, und kaum die. Guter Gott! eS giebt eine» Weg, nur Einen, an das menschliche Herr r» kommen: Liebe. Und diese» Weg, den der Ewige mit uns nimmt den will der Mensch nicht gehen. Er zerreißt das Herr, in das er eindringen will, anstatt r» «arten, bis es sich dem Strahle der Liebe von selbst öffnet. Die Biene hängt sich an den »erschlossene» Blumenkelch, und wartet geduldig, bis der warme Strahl der Sonne ihn öffnet; das Kind haucht den warmen Athem seiner Brust aus die Blume, um sie tu öffnen:
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go
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snb wie macht es der Mensch mit dem mensch lichen Herren? Mein Schwager hat, um fich den Gehorsam, dir Liebe seines Sohnes gewiß zu verschaffe», ihn eingesperrl. Ich habe mich fast müde und matt darüber geredet, daß Gefängniß noch nie Liebe und willigen Gehorsam hervorgebracht ha be. „Dein Sohn," sagte ich, «wird jetzt, am fich t» rachen, «och weniger gehorchen." — Das wird ja ein Sohn nicht thun, meinte ein« alte Base, die hier im Hause alles umkehrt. — Judith hat Rechts sagte mein Schwager; es ist gegen die Natur, daß ein Sohn seine« Baler -affen sollte. — Mir ist in der Welt nichts 'starker ruwider, als wenn man sich hinter all gemeine Satze verkriecht. „Was heißt denn das?" sagte ich kalt: „Sohn, Vater! Was ist denn die natürliche Liebe, die der hartherjige Mensch immer im Munde führt? Meinst du etwa, Schwager, die Natur habe das Band »wischen Vater und Sohn darum so fest gemacht, daß du ungestraft darauf lossiürmen dürfest? Vater und Sohn find die Benennungen, die da-
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Band einer natürlichen Liebe bezeichnen. Liebe, sage ich. Die reinste, heiligste Liebe sollte beide an einander knüpfen, -em Befehle des Vaters das Widrige nehme«, das in jedem Befehle liegt, und des Sohnes Gehorsam zu einer Gefälligkeit mache». Nimm diese Liebe «eg, so wird der Vater Herr, und der Schn Knecht heißen; dann hast du aber für Liebe Haß, für Ver trauen Bitterkeit, für Rach Befehl, für gute« Willen störrigen Sklavenfinn. Was giebt dem Vater seine heiligen Rechter Meinst du etwa, der Augenblick sinnlicher Lust, da du dem Sch, ne das Daseyn gabst? Die Mutter hätte dann durch die Schmerzen und die Gefahren der Ge, burt «eit größere Rechte über ihre Kinder. Liebe zu dem Sohne giebt dem Vater seine Rechte. Nimm sie «eg, so braucht der Sohn dir gerade nur si> viel Gehorsam zu geben, als sei, ne künftige Erbschaft einmal werth sey» wird." Hier fuhr mein Schwager auf, und Judith betete, baß der Himmel mich erleuchten möchte. Ich fuhr ungestört fort. „Ist es nicht, genau besehen, so wie ich sage? Soll ich denn mit dem Nachdenken nicht auch in die geheime, hei,
92 ligste Werkstätte der Natur dringe»? Hätte der Gehorsam der Kinder keine Gränre, so dürft« «in Sohn nie besser seyn, als der Vater. Wir ermahnen die Kinder t»r Liebe, tur Dankbarkeit, rum Gehorsam gegen die Eller». Gut! sehr gut! Aber soll denn der Vater nie hören, daß auch sein Sohn Rechte hat? Wenn der Vater sein Kind zum Spiele seiner Laune», seiner Willkühr macht, wenn er das ganre Lebensglück sei nes Sohnes sür eine Stunde seines eigene» Wohlbefindens aufopfert — soll man denn nie sagen: dein Sohn ist ein Mensch, und nicht dein Sklav?" — Jetzt weiß ich, hob Judith an, warum der Vetter Wilhelm so halsstarrig ist. „Gott soll mich bewahren," sagte ich, „je mals diese Sprache gegen deinen Sohn ru füh ren! Ich weiß sehr wohl, daß junge Leute, wenn wir Alten nicht jeden ihrer Einfalle gut finden wollen, uns sür tyrannisch und grausam ausschreien; aber ich weiß auch, daß wir Alten unsere Leidenschaften — Stolt, Geldgierde, Ta del - und Herrschsucht — eben so für Tugenden ansehen, wie funge Leute ihre Thorheiten." So stritten wir hi» und her, und «S wurde
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dadurch nichts besser. „'Thu, was du willst!" sagte ich zuletzt, und schwieg. Mein Neffe ist eingesperrt, weil er ein Mäd chen nicht heirathen will, mit dem er die Hille auf Erden haben würde. Mein Schwager hat dem Großvater -es Mädchens sein Glück ru ver danke». Nun soll der Sohn des Vaters Schul den bezahlen; und ich glaube, es fehlte nicht viel, so hatte er sich bereden lassen. DaS Mäd chen ist ein buhlerisches, listige«, intriguanteS, verschwenderische- Geschöpf, das bloß die Hand nach dem Vermögen meines Neffen ausstreckt, um auf« neue verschwende» zu können. Wol, lüstig dazu, wie ich fürchte: das Schlimmste, was sich von einem Mädchen sagen läßt, weil von Natur da« Weib keinen Hang zur Wollust hat! — Sobald mein Schwager an diese Hei, rath dachte, legte ich mich ei» wenig auf die Lauer, um etwa« von dem Charakter de« Mäd chen« zu erfahren; und da fanden sich den» Geschichtchen, die mir aufs neue zeigten, welche fruchtbare Quelle von Verderben die gewöhnliche Erziehung der Mädchen ist. Eitelkeit, wahr, hastig nichts weiter l Aber du würdest erstarren,
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elfer guter Brauns, wenn ich dir sagte, was für Nichtswürdigkeiten die Eitelkeit in dieser wilie hervorgebracht hat. Ich nahm mir vor, die Heirath zu hinter» treiben, was es auch kosten möchte. Glücklicher Weise liebte mein Neffe schon ein Mädchen, die Tochter einer Witwe. Ich habe di« einmal von ihr geschrieben, daß Ye meiner Julie f» ähnlich ficht — ein einfaches, gutes, liebes Geschöpf. Natürlicher Weise schlug er nun die Andre aus. Das gab eine sehr häßliche Scene, wobei Mut» ter und Tochter aus ei« Paar Worte »o» mir unbedachtsam in eine Falle gingen. Mei» Neffe weigerte Ych zu unterschreiben. Ich behauptete laut, mit einer Art von Aengstlichkeit: auch die Braut unterschriebe nun nicht. Aber sie nahm die Feder. Diese habsüchtige Unbedacht, samkeit wird fle bei meinem Neffen nie wieder gut machen; ich sch ihm de» Ekel im Gesichte an. Da- hätte ich nicht thu« solle», wirst du sa gen; es war eine Betriegerei. Richtig; auch erröthete ich nachher davor: und doch weiß ich »och immer nicht gewiß, ob ich nicht recht that.
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Ein Herr von **♦, eben der, von dem ich ein mal Wechsel auskaufte, hat glücklich herausge bracht, wer die Geliebte deS Jünglings ist. Mein Reffe wurde noch denselben Abend em Gefangener. Ob man dem unschuldigen Mäd, chen Ruhe lassen wirb? Ich rweisle fast. Run, mein Reffe mag sich selbst durchschlagen; was hätte ich nicht für meine Julie thu« wollen! Aber dem unschuldigen, gute», wehrlosen Ge schöpfe will ich doch an die Seite trete», um wenigstens bei dem Aergsten zur Hand »u seyn. Sieh, alter Freund, so bin ich wieder in ei ne» Roma» verwickelt, u»d am Ende muß ich wohl noch de» Engländer mache«, der uns von dem Pumpen auf sein sichres Schiff nahm. Mei» Reff« sitzt geduldig in seinem Stübchen, wo ma« ihm nicht einmal Schreibmaterialien giebt. Man beobachtet auch mich uud meine Gänge; so muß ich denn wohl einige Lage vergehe« lasi sen, ehe ich dem arme« Mädchen de« Lrost bringe, daß ihr Geliebter «ur r« einer Prüfung seiner Liebe gefangen sitzt.
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Richter an Brauns. 8 * * *. Sieh, lieber alter Bruder, wie alles stürmend
daher fahrt, Einer gegen das Glück des Andern verschworen. Wen» nicht »och heute, oder Höch, stens morgen, mein Schnupfen mich verlaßt, so bin ich gerwungen, das Gefängniß meines Reffen iti erbrechen, und ihn heraus ju lassen, daß er seiner Geliebten, dem unschuldigen Mäd chen, beistehen kann. Rur sehr ungern würd« ich in dieser Sache thätig werden: denn ich wünschte, meinen Schwager nebenher ju über, trugen, daß « Unrecht hat; und s» darf ich Aich nicht offenbar einmischen. Vor einige» Lagen ging ich l» der Witwe» unter meinem gewöhnlichen Vorwande, ihr und der Tochter Arbeit ru bringen. Ich sand sie Beide, wir ich erwartet hatte, in der größten Unruhe, und-fragte nach der Ursache ihrer Be trübniß. Sie schwiegen. Entdecken wollte ich mich nicht; so saß ich denn da, und tratschte Ein Stadtgespräch nach dem ander», um mich mit guter Art auf ihre Geschichte durchzuar, bei.
97 beiten. Ich erzählte von der Willmanns, Cf» heißt das Mädchen, das mein Neffe heirathen sollte.) Kaum nannte ich de» Nahmen, so bra chen Thränen aus den Augen der Tochter; ich hütete mich aber wohl, sie zu bemerken. Das arme Mädchen! sagte ich ; wie wunder bar es doch den Menschen ost gehl! Sie sollte, hieß es, den junge» Jahns heirathen; und nun, da es schon bekannt ist, wird nichts daraus. — „Wird nichts daraus?" wiederholte die Toch ter, und stand mit Erwartung vor mir. Denken Sie nur, Mamsell! «eilt! Den Sohn soll der Vater eingesperrt habe», eben weil er nicht will. Er . . . „Großer Gott!" rief sie erschrocken. „Ein gesperrt?" Sie wendete sich von mir ab, und ich hörte sie hinter meinem Rücken schluchzen. Er soll, fuhr ich trocken fort, schon eine Braut haben, und sie recht herzlich lieben. Ja, «en» das ist, so setze ich meine« Kopf zum Pfande, sie müsse» ihn wieder frei lassen. Das denk' ich auch, fiel die Mutter «in; sie können ihn doch nicht zwinge». „Aber, guter Gott, liebe Mutter! EingeKl. Rom. VI. [7]
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sperrt! Ach, wer weiß, wie sie ihn quälen!" seufzte die Tochter abgebrochen hinter mir. Was quälen! fuhr ich fort. Ich bin auch jung gewesen, liebes Kind. Und wenn Sie ei, ne» Geliebten hätten, fragen Sie einmal Ihr Herz, ob Ihnen dann nicht Gefängniß um sei, netwillen ein Himmel scheinen würde. Er sitzt da vierzehn Tage, und denkt an seine Geliebte, Da« muß ihm wohlthun. Und von dem jungen Jahns weiß ich zuverlässig, -aß er heiter und vergnügt ist. Der Faktor hat es mir gesagt. Sieh, Alter, so hatte ich mein Päckchen Trost abgegeben, und ging nun mit gutem Mu, the. Ein Paar Dornen an einem liebevolle» Herzen sind ei» Genuß mehr — eine dunkle Wolke am hellen Frühlingshimmel, welche die Schönheit des TageS erhöhet. Gestern, Morgens, kam ein Miethskutscher, und wollte mich allein spreche». Ich nahm den Menschen, der ein sehr ehrliches Gesicht hat, mit auf mein Zimmer. Er machte eine» sehr weitläustige» Eingang von der Liebe, die er zu meinem Neffen hätte, und erzählte mir noch eineu sehr rührende» Zug von der Güte meiner
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seligen Schwester. — Dam fuhr er verlegen «eiter fort, und sagte mir, daß mein Neffe einige Male in seinem Wagen »ach 3*** ge fahren wäre, und die Witwe Silbermann und ihre Kinder mitgenommen hätte. „Der junge Herr Jahns hat die Mamsell lieb," fuhr er fort; „und sie ist auch ein gu tes, hübsches Mädchen. Das merkte ich wohl, Herr Richter, und hatte meine Freude an dem junge» Paare. Aber" (mit der Hand auf dem Herren, versichernd) «er ging alles in Ehren zu; sonst hätte ich sie Einmal gefahren und nicht wieder, ob ich gleich für den gute» Herrn durch Feuer und Wasser liefe." Und nm kommt Er, fiel ich ei», mir das z« sagen? — „Nein; das hätte ich wohl früher thun müssen, wen» es nöthig gewesen wäre. Aber da mußte ich vorgestern die Madame Will, mann- fahre», mit einem Fremde», den ich nicht kannte; und da war von dem junge» Herr» und dem herzensguten Mädchen, das er so lieb hat, in Bösem die Rede: von einem An schläge auf das unschuldige fromme Kind." Nu» wurde ich aufmerksam. So viel ich
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von dem Menschen heransbringen konnte, hat Madame Willmanns die Absicht, das Mädchen und ihre Mutter zu entfernn> und wenn den Ohren des Kutschers zu trauen ist, so wäre wohl gar ein Anschlag aus die Unschuld des Mädchens zu befürchten. ES ist von Hamburg die Rede gewesen; dahin will man d»s Mäd chen bringen. Auch von mir hat man gespro chen, und gesagt, ich unterstützte meinen Nef fen. Das eben hat den Kutscher bewogen, sich an mich z« wenden. Er bat mich noch sehr dringend, ich möchte mich des lieben Mädchens annehmen. „Sie ist wohl nicht reich, das gute Kind," schloß er ruletzt; „aber ich denke im mer, wenn ich ein so frommes Gesicht sehe: Gott kann eine ganze Stadt segnen um so Ei, ne« Gerechten willen." Ich drückte dem Men schen die Hand recht brüderlich. Es that mir weh, ihn so gehen lassen zu müssen; aber ich kann die Rolle eines Bettlers noch nicht auf, geben. Es ist sehr natürlich, daß die Willmanns fich Mühe gebe» werden, das Mädchen wegzu, schaffen. Nach Hamburg? Das wäre-dem ein
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Stück Arbeit für dich, lieber Brauns. Der Fremde heißt Kuocher oder Schocher. Der Kut, scher hatte den Nahmen nicht recht behalte». Ei« kleiner Mann mit einem Höcker aus dem Rücke», einem langen, spitzen Kinne, und einer Stutzperücke. „Lassen Sie mich das Geschöpfe chen nur erst in Hamburg haben," hat er ge, sagt; „ es soll schon kirre werden!" Die Post geht ab. Mein Nesse sitzt noch. Ich bewundre seine und seines Vaters Geduld. Adieu.
Richter an Brauns, ä”’. O, wen» uns nicht iuweilen noch ei« Herr mit der reinen Flamme der Lugend wieder erwärm te, der Mensch müßte eiskalt gegen das Elend werden. Sieh Alter! ich habe mir heute schon zweimal den edlen Neger vorgestellt, der die Nacht durch für einen schwachen Mitstlaven arbeitete, daß dieser nicht von seinem harte» Herrn verkauft und der Freude seines elende» Leben-, seinem Weibe, entrissen werden sollte.
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Ich verschaffte dem edelmüthigen Menschen die Freiheit, und gab ihm ein Stück Feld. Ach, ich schäme mich jetzt, daß ich ihm so wenig gab. Er verkaufte die Hälfte, um seinem kranken Mitsklaven die Freiheit zu verschaffen. Guter Gott! und sind nicht auch wir hartgehaltene Sklaven der Verbrechen? O, laß auch mich ar beiten für den elenden Mitsklave», ohne Zorn und Grimm! Du wirst mir mehr gebe», als ein elendes Stückchen Acker! Ich war so erboßt, daß ich einen ausführ lichen Plan machte, die Willmanns $u verder ben; aber, guter.Goth! soll ich denn strenger seyn, als du? Die Silbermanns sind fort, Mut ter und Tochter. Ich bin in ihrem Hause ge wesen. Der Sohn war noch da, und gab mir die Arbeit zurück, die ich bestellt hatte. Mut, ter und Schwester ließen mir danken, und s» weiter. Ich fragte, wo sie wären; und nun zeigte mir der junge Mensch, ohne es zu wis sen, di« Fäden, welche die Bosheit gesponnen hat. Aber mehr Licht bekomme ich durch seine Erzählung nicht. Ei» Verwandter des Vaters, Nahmens Müller, — eben der höckerige Schur,
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ke — kommt zu ihnen, und bezahlt -er Mut, ter eine Kleinigkeit, die er ihrem seligen Man, ne noch schuldig seyn will. Sieh, wie geschickt der Spitzbube sich in die Herzen der Familie gestohlen hat! — Dann beklagt er die Armuth seiner Verwandte», schenkt ihnen »och eine klei ne Summe, und thut am folgenden Lage de» Vorschlag, die Tochter zu sich zu nehme». — „Und sie willigte ein?" fragte ich unmuthig. Anfang- nicht, antwortete der junge Mensch mit einem traurige» Achselzucken. Aber eine ge wisse Begebenheit, fuhr er fort, die meine Schwester sehr nahe angeht... — „Ha, ha!" unterbrach ich ihn ruhig r „der Liebeshandel mit dem jungen Jahns! Ich wundre mich nur, daß .. . Ihre Mutter versprach mir doch..." — Sie wisse» das? fragte er nun verwirrt. — „Wie Sie höre». Nu» aber', wie konnte das Ihre Schwester bewege» ...?" — Ja, unser Vetter ist ei» Juwelenhändler. Wir waren eines Morgens bei ihm in dem Wirthshause, wo er logirte. Auf einmal ließ Mamsell Willmanns sich melden. Unser guter Vetter, dem wir die Begebenheit, die uns so
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unglücklich macht, schon erzählt hatten, wollte sie erst nicht annehmen. Indeß, wir gingen in ein Nebenzimmer, und Mamsell Willmanns trat mit ihrer Mutter herein. Wir konnten Wort für Wort hören, was gesprochen wurde. Sie besahen Ringe; und nicht lange, so sagte die Mutter: meine Tochter ist Braut. Sieh, guter Brauns, die verdammte Bos, heit dieser Rotte! Der alte Schurke sagt nach einigen Umschweifen: ich habe ja gehört, aus der Heirath würde nichts; der junge Jahns hüt, te schon eine Braute — Freilich, erwiedert die Mutter, war er so thöricht gewesen, sich mit einem Mädchen einzulassen; aber das ist vorbei. Er hat gestern seine Einwilligung gegeben. Die Ehestiftung ist unterschriebe», und in acht La, gen wird die Hochzeit seyn. — Denke dir die arme Auguste, die da au- dem Munde ihrer bittersten Feindin ihr Schicksal anhört! Ihr Bruder konnte kaum auserzählen. Die Will, manns gehen endlich wieder, nachdem sie eine» kostbare» Ring gekauft und bezahlt haben. Nun kann der alte Betrieger Mutter und Tochter leicht berede», £*** zu verlassen. Die
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Mutter nimmt also den Vorschlag an, ein Gut, einige Meilen von hier, zu bewirthschafte». Die Tochter geht mit ihrem Vetter und seiner Frau fürs erste nach Leipiig, dann nach Frank furt, und nach einem Jahre wollen sie die Mut ter besuchen. Du siehst also, daß die Mutter so wenig wie der Bruder weiß, wohin die Loch, ter gebracht ist. Der Vetter hat ihrem Sohne auf ein Jahr lang Geld gelassen, um der Fabel noch mehr Wahrscheinlichkeit $u geben. Ich ließ mit von dem Bruder, der ein sehr verständiger und gebildeter junger Mensch ist, den Zustand seiner Schwester beschreiben, und da flössen seine großen blauen Augen von Thrä nen über. Er faßte meine Hand, ruckend sogar. »Der Verlust des Mannes, den sie so innig liebte," sagte er schluchzend, »that ihr weh; aber seine Untreue, sein Betrug hat meine ar, me Schwester vollends unglücklich gemacht. Sie verzweifelt am Leben, an allen Menschen, an sich selbst. Als sie Abschied von uns nahm, fiel sie dort — da pflegte Herr Jahns mit ihr zu sitzen — auf die Kniee. Sie wollte etwa sagen, und das mochte wohl etwas sehr Schreck-
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liches sey»; aber sie schlug nur die Hände zu sammen. Meine arme Mutter fiel zu ihr hi» auf die Kniee, nahm sie in ihre Arme, und bat sie, doch ruhiger zu werden. Ich liebe dich ja noch, Gustche», schluchzte die Mutter. —> Ist es auch wahr? fragte mein« Schwester da leise. Ach, lieber Herr, das rührte uns, be sonders meine Mutter, daß wir laut weinte». Nachher bat Auguste es der Mutter tausend mal wieder ab. Nu» ging sie, und ich mit ihr. Am Wagen sagte sie mir «och: ich werd« euch nie wieder sehe«. Darum leb wohl. Lrö, sie die Mutter, und traue niemanden in der Welt!" Das erzählte mir der junge Mensch mit Tö nen, di« wechselsweise meinen Jörn und mein Mitleiden rege machte». Trockne deine Thrä nen, mein Sohn, sagte ich in schmerzlicher Lie, be. Deine gute Schwester soll noch glücklich werde«. Jahns ist kein Bösewicht. Laß deine Mutttr wiederkomme». Hier, hier! — Ich legt« eine »olle Börse auf den Tisch, und zog den Jüngling an meine Brust. — Sei» Er staunen brachte mich zu mir selbst. Hier, mein
Sohn, fuhr ich kalter fort; das ist dein. Du bist von nun an mein Kind. Sey tugendhaft, sey fleißig; ich werde dir geben, was du brauchst. Ihr sollt glücklich werden; aber unter der Be dingung, daß du thust, als ob du mich nie gv sehen hättest. Adieu. Ich ging, ehe der Knabe sich von seinem Erstaunen echolt hatte. So steht es ml«. Ich habe den Miethskut« scher rufen lassen, und er hat sich in dem WirhS, Hause, wo der Schurke logirte, erkundigen müs sen. Dort kennt ihn niemand. In WillmaunHause hat man ihn nicht gesehen. Aber auHamburg, das behauptet der Kutscher für gr, wiß, ist der Kerl, und Schocher, meint er, muß er heißen. Ich bitte dich, alter Braun-, forsche, wirf Geld mit vollen Händen weg, und rette nur das Mädchen. Ich wäre ju Willmanns gegangen; doch da muß das Letzte bleiben, wenn alles Andere miß lingt. Mein Neffe ist wieder frei. Willmanns haben sich auch da wieder höchst unschicklich be nommen. Mutter und Tochter gingen selbst iu ihm, und sagten, sie hätten seine Freiheit be,
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wirkt. So beschämten sie de« jungen Menschen, der nun sah, es wäre bekannt, daß er wie ein Knabe Stubenarrest gehabt hätte. Sieh, wie die habsüchtige Politik sich immer, selbst bei ihren Meisterstücke», verrechnet, weil sie das nicht ist, was sie gern scheine» möchte! — Der junge Mensch, de» sein Gefängniß natürlicher Weise erbittert hatte, sagte kalt, in Gegenwart seines Vaters, der sich — Gott weiß, was al, les, von seiner und der Willmanns Großmuth versprach: „ich kann Ihnen nicht danken für etwas, das jede» Augenblick in meiner Gewalt stand. Indeß," — setzte et etwas spöttelnd hinzu — „wenn ich wirklich frei von allem Zwange bin, so danke ich Ihnen in der That, nicht für mich, meine Damen, sondern um Ihrer selbst, um der Stadt, um eines Ge schwätzes willen, dessen Bitterkeit und Gift we nigstens nicht auf mich fallen konnte." Die Mutter wollte etwas sagen; aber mein Neffe wendete sich ab. um zu gehen. Bleib! rief mein Schwager hart; und höre deine Wohl thäterin an! — Der junge Mensch kehrte ruhig wieder um, und sagte kalt: «befehlen Sie,
log Vater, daß ich in mein Gefängniß turückkehre? Ich habe mit Madame Willmanns nichts tu -reden. Sie wissen meinen Entschluß. Gefan gen »der frei, das ist mir gleich. Aber mit Madame Willmanns nichts!" Mein Schwager fuhr ihn an; Madame Will manns bat für ihn, und die Tochter sagte: ge hen Sie, lieber Herr Jahns, und erkennen Sie wenigstens, daß wir großmüthig sind. Gehen Sie, weil Sie gehen wollen. „Mamsell," sagte der junge Mensch, wirk lich gant artig, was ich ihm hoch anrechne: — „hier ist mein Vater Herr; und er muß be stimmen, ob ich frei bin oder nicht." Sv geh, du Bube! rief mein Schwager; und der junge Mensch ging unverzüglich. Nun nahm ich denn das saubere Paar Damen ei» wenig in die Presse, und nebenher auch meinen Schwager und die alte Judith, die sich aller, seits die Köpfe rerbrechen, warum die verkehr ten Maßregeln so wenig geholfen haben. — Mein Miethskutscher hat doch wenigstens herausgebracht, baß der alte Schurke mit Ex trapost den Weg nach Hamburg gefahren ist.
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Ich habe ihm verboten, meinem Neffen etwas von dem Allen tu sagen, weil der mit seiner Hitze Alles verderben würde. Brauchst du et, wa Familiennotizen von dem armen Mädchen? Hier find hinlängliche, die der Bruder mir er zählt hat. Du magst die Rolle eines Verwand ten von ihr spielen. Und, lieber Alter, find wir nicht die Vater aller Unglücklichen? oder, wenn wir das nicht immer sind, sollten wir es nicht seyn? Brauns, manchmal wird eS mir doch warm und wohl in der Seele, wenn ich so eine gute That nach der andern in die Ewig keit »»rausschicke, daß fie mir die Statte be, reite. Man soll fich nicht rühmen. Nun ja, man hat auch eben nicht Ursache dazu. Wie viel bleibt nicht ungethan, weil wir bequem find, nicht vom Tische aufsteyen wollen, und so wei ter! Aber es gehört nicht mehr Demuth, nicht mehr Lugend dazu, recht von Herzen zu beten: Gott sey mir Sünder gnädig! als in frohem Stolze von fich $u sagen: ich bin ein guter Mensch! Denn — sollten wir etwas andereseyn? Erinnere dich, Alter, unsres Schiffskapitains,
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wie wir, anstatt ihm Fluch mit Fluch, Haß mit Haß, Feindschaft mit Feindschaft zu vergelten — denn Gott ist dein und mein Zeuge, er war unser allerbitterster Feind! — wie wir ihm nun zugleich — (ach, guter Brauns, ich dachte, du würdest hart mit ihm reden; und als du ihm nun s» freundlich die Hand botest, da war ich beschämt, daß ich mich für besser gehalten hatte als -ich) — erinnere dich, wie er nun die Banknoten bekam, die Hände vor das Gesicht schlug, und weinen sagte: „großer Gott! diese Beiden retten mich!" Erinnere dich, als wir nun wieder ins Freie ka, men, wie wir da auf einmal einander umarmten, und Beide das einzige Wort: „Bruder!" zuein ander sagten. Was hieß das anders, als: „ich bin ein guter Meusch, und auch du bist einer!" War das Prahlerei? Das wolle Gott nicht! Wir fühlte» die Würde der Tugend. Und seitdem hiel/ ten wir zusammen wie Licht und Warme. Bru der Brauns! Ich beuge mich in den Staub vor der ewigen Liebe; aber könnte ich das, wenn ich nicht recht innig fühlte: ich bin ein guter Mensch? Wohlan, lieber Bruder Brauns, vorwärts! Der Hafen erwartet uns. Leb wohl.
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Karl Zahns an Heinrich Müller. Ich bi« wieder frei/ lieber Freund; aber Au, guste ist fort, und weder Mutter noch Bruder wissen, wohin eigentlich. Was sie erzählen, macht mich noch ängstlicher. Ein Verwandter, ei» Juwelenhändler aus Hamburg, hat Augu sten mit nach Leipzig genommen, und sie hält mich noch jetzt für treulos. Ich habe der Mut ter meine Furcht geäußert, daß der Vetter ein Betrieger seyn kann. Sie lächelt aber dazu, wie über eine Aengsilichkeit ohne Grund. Die se Mensche» glaube» nicht an Bosheit, weil sie selbst keiner fähig sind. Mein Oheim ist der einzige, der mich aufzurichten sucht. Ich bin sogar aus die Vermuthung gekommen, er selbst habe die Hände mit im Spiele, so gewiß ist seine Versicherung, daß ich Augsisten wiederse, hen werde. Die Mutter erwartet Briefe. Das allein hält mich; sonst ging ich selbst «ach Leipzig, um sie aufzusuchen. Ich habe nur diesen Einen Ge, da»,
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danken; kaum sehe ich, daß mein Väter mir nichts als zornige Blicke zuwirst/ daß er es am genscheinlich vermeidet/ mit mir zu sprechen, und daß er offenbar meine Schwester mir vor zieht. Ob er seinen Plan aufgegebea hat? Ich zweifle; den» noch immer sind Willmanns un ser täglicher Besuch. ES ist schrecklich! Wo ist sie? Weiß sie jetzt schon/ daß ich nicht treulos bin? Und, wenn sie es nicht weiß, hat nicht vielleicht schon längst der grausame Gedanke an meine Treulo sigkeit ihr Leben aufgerieben? Dies« Ungewißheit ist eine Hillenmarter. Adieu. Ich reise zu der Mutter, um zu erfahre», ob nun endlich Brie, se angekommen sind. „Sollten wohl Will, manns mit im Spiele seyn?" fragte ich hente meine» Oheim. „Sie habe» von dem angeb, lichen Detter einen Ring gekauft. Lieber Oheim, wer kauft von einem Fremden, den er nicht kennt, einen Ring? wer erzählt einem Fremden sogleich alle Familien - Geheimnisse? Wozu die Lüge, daß in acht Tage» unsere Hochzeit seyn würde?" Das Alles ist gescheSl. Stern. VI.
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he«. — Mein Oheim lächelt, »ob schweigt. Adieu.
Brauns an Richter. Hamvurg.
Älter, lieber Richter, erinnerst du dich denn des saubern Lüders nicht, mit dem wir in Amster dam den Handel wegen de« jungen Menschen hatten, de» er nach Batavia schicken wollte r Da- ist der Schocher, der da- arme Mädchen entführt hat. Er ist so eben wieder angekom, men. Diese- Mak, da- hoffe ich tu Gott, soll er mit nicht entschlüpfen. Ich habe ihn schon in meinem Netze; er ist eingesponnen, und thut keinen Schritt, ohne daß ich e- weiß. E- geht niemand r» ihm, von dem ich nicht erfahre, wo er bleibt, wo er wohnt, welche» Verkehr er mit dem ehrliche» Manne hat; de»» alle sei, »e Leute stehe» in meinem Solde. Aber von dem Mädchen steht und Hirt man noch nicht-. Indeß er ist in £*** gewesen; die ganre Klei, düng und Alles trifft tu. Diese- Mal will ich
— n3 — leiser Auftreten, als in Amsterdam. Du glaubst nicht, welch ein Heuchler und wie listig der Kerl ist. Er hat sich hier ein riemlich betracht, liches Vermögen gesammelt, durch Wucher und Betriegerei, wie ich vermuthe. Hätte ich iljn nicht von Amsterdam her gekannt, s» wurde ich, trotz deinem Briefe, auf die Ehrlichkeit des Menschen geschworen haben; denn seine Nach, baren wissen nichts als Gutes von ihm, und loben ihn, weil er keine Kirche versäumt. Er hat in der Nähr von Hamburg «in kleines Güt, chen. So viel ich habe erfahren können-, ist er da mit feiner Frau und einem jungen weinen, den, todtenblaffen Mädchen abgetreten Sie find aber nur einige Stunde» gebtieben, und dann sogleich in einem fremden Wagen nach Hamburg gefahren In fein Haus ist das Mäd, chen nicht gekommen. So viel tut Nachricht. Ich gebe dir indeß mein Wort, daß ich herausbringe, wo sie ist. Schicke mir nur von der Hand der Mutter oder des Bruders so eine Art von Schein, daß ich sie tu mir nehmen soll. Ich muß doch int Nothfalle die liebe Gerechtigkeit iu Hülse rufen können.
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Die unsichtbaren Zeilen in deinen Briesen, lieber Richter, bleiben nicht ungelesen. Deine Seele voll Killer froher Wehmuth schreibt sie; und ich sehe jedes Mal, wie du den Leichnam deiner geliebten Frau versenkst, sehe, wie deine Tochter hinunterstürrt in das Meer des Tode-, aber auch — in da- Meer der ewige« Liebe. Meines Sohnes erwähnst du nicht, guter, lie< ber Alter. Du klagst, verlassener, kinderloser Vater. Was soll ich, der unglückliche Mann, thun? Deine Julie ist todt; mein Sohn ein Bi, sewicht. 0, wenn du deine unsichtbaren Worte mit Trauerrügen mahlst, so muß ich Thräne« und Flammen »u meinen Briesen nehme«. Er ist nichts al- leichtsinnig: damit tröstest du mich. Mein Herr sagt eben da«; dann aber ruft eine Stimme: er hat Verbreche» begangen! und diese Stimme ist schrecklicher, als das Ge heul der Welle, die deine Tochter verschlang. Wo ist mein Sohn? Sieh, wenn ich Unglück liche rette, wenn ich den Wellen des Elendes wehre, wenn ich Glückliche um mich her sehr; so fallt mir immer ein, wie ohnmächtig unsre Tugend»» sind. Wir helfe» der Armuth ab.
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Ach, dem größten Elende, dem Verbrechen, können wir nicht wehren! Ich frag« dich, Rich ter: haft du je schon einen Bösewicht mit der Tugend versöhnt? Und thatest du das nicht, du Staub: — was hast du denn gethan? Nichts. Wenn ich nur wüßte, wo er wäre! Ich woll, te dennoch mit Thränen, mit heißer Liebe, an seinem Herzen liege», bis es sich öffnete. Noch einmal wollte ich den schrecklichen Versuch machen. Und wenn er wieder Nicht gelänge! Rich ter! Richter!
Brauns an Richter. Hamburg-
3$ fühle mich immer ohnmächtig, elend, furcht, sam, wenn ich etwas mit einem Schurken abzumachen habe; denn nie kann ich mich des Ge, dankens erwehren, daß ich einmal auf eine» treffen könnte, der gerade so entschlossen für das Döse wäre, wie ich und du für das Gute. Was sollte ich mit einem solche» Mensche» thun? Das fiel mir lebhaft ein, als ich diesen Mor-
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gen ju Schocher« ging. Du weißt, -wie kalt, wie besonnen der Bösewicht in Amsterdam war, und wie wir endlich unsere Zufiucht zu Groß sprechereien nehmen mußte», um ihn aus seiner Fassung ru bringe». Ich ging wohl zehnmal dir Straße vor seinem Hause auf und nieder, und Äbersann Alles, was er lüge» konnte, lief meinen ganzen Borrath von Beweisen seiner Schurkerei durch, -und machte mich kalt durch leit Gedanken: es sey eine Aufgabe für den Witz, ob man den Kerl nicht überrasche» könne. Ich hatte einen jungen muthigen Mann bei mir, der mir im Nothfall als Zeuge oder Bei stand dienen sollte. Mein Forschen nach dem Mädchen war vergeblich gewesen; so mußte ich dem Kerl denn auf de» Leib gehen. Ich lief mich melden und wurde angenommen. So wie der Elende mich erblickte, sah er mich starr an, als ob er sich besonne, wo er mich schon sonst gesehen hätte; doch nur einen Augenblick: dann wurde sein Gesicht wieder ru, hig, wie vorher. „Was steht zu Befehl, mei ne Herren?" fragte er kalt. Herr Schocher, hob ich ganz sanft an: — ober, hießen Sie
“9 — nicht einmal auch Herr Lüders» — Sieh, ich roeSte der Kerls Fassung mit Einem Male zer stören ; er veränderte aber keinen Zug im Ge sichte.
„Ich hieß nicht so," antwortete er,
kalt wir Eis; „so heiße ich eigeittlich. Nahme Schocher ist ein
Mißbrauch.
Der
Mei»
Oheim, der so hieß, adoptirte mich, und ich
galt für seine» Sohn.
Auch schreibe ich mich
wirklich: Lüders, genannt Schocher?'
So haben Sir wrnigstens noch einen dritten Nahmen; denn in £*•* hießen Sie vor Kur zem auch Müller. —
Ich glaubte, er müßte
bleich werden; aber mit nichte».
Er neigte lä
chelnd den Kopf, als ob er Ja sagt«.
„Und
Ihr Nähme, mein Herr?" fragte er treuherzig. — Ist Brauns! — Er legt« den Finger an-die
Nase: „Brauns? Brauns? Habe ich nicht et, wa schon einmal dir Ehre gehabt Sie zu schm?"
— In Amsterdam, mein Herr Lüders, sagte
ich kalt; mit meinem Freunde, Herrn Richter, «en« Sie Sich dessen erinnern.
„Was wollte ich nicht! Seyn Sie mir will
kommen.
Erlaube» Sie
..." —
Er wollte
an die Klingel; ich hielt ihn aber auf.
„Ich
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bin seitdem alt geworden, sagte er vertrattlich, mit einem Blick aus mich; »das sehe ich an Ihnen, Herr Brauns. Damals waren wir rü, stige junge Manner. Sieh da! Jetzt fallt mir alles wieder ein! . . . Erlauben Sir doch, ein Frühstück... Ts war ein Glück für mich, Herr Brauns, daß der Zufall uns in Amsterdam tu, sammenbrachte. Hinterher habe ich erst eingese, he», wie sehr Sie Recht hatten. Damals dach, te ich: was ist daran gelegen, ob jemand in die sem oder in jenem Welttheile lebt und stirbt! Lieber Gott, wie böse kann ei» Mensch sey», wenn er unbesonnen ist!... Erlauben Sie, lie ber Herr Brauns, ein Frühstück . . . Und kann ich Ihnen in irgend etwas dienen, so reden Sie ganr offen. Ich habe Ihnen ja die Ruhe und dir größte Freude meines Lebens r» verdanken; den» aus dem jungen Menschen, den ich nach Indien schicken wollte, ist ein glücklicher Mann, ei« Vater von sieben wohlerzogenen Kindern, geworden." — Steh, Richter, das Alles sagte der Kerl so arglos, so seelenvergnügt daher, als ob er das beste Gewissen hatte. Gut, Herr Schocher, hob ich ruhig wieder
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an. Sie könne» mir einen Dienst leiste». (Er hörte aufmerksam iu.) Sie haben aus £”• unter dem Nahmen Müller — des Kerls Ge, sicht wurde sichtlich freundlicher bei diesem An, fange — ein Mädchen, Mamsell Silberman», mitgenommen. — Ich hielt ein; er nickte schnell und freundlich bestätigend mit dem Kopfe. Dan« sagte er: „dachte ich doch Wunder, wie geheim da- bleibe» sollte! Nun?" — Ich hatte erwar, tet, er würde läugnen, und schwieg eine Weile, da ich ihn nicht errathen konnte. Auch er schwieg; und so mußte ich denn wieder ansan, gen: dachten Sie das? — „Ja, ja!" sagte er; „erlauben Sie, darauf kann ich erst antworte», wenn ich weiß, in wie fern Sie bei der Sach« interesfirk sind." — Die Mutter hat mir auf getragen, da- Mädchen ru mir ru nehmen. — Ich ,vg de» Brief der Mutter hervor. Er sah hinein. „0, das ist genug. Wann «ollen Sie da- gute Kind haben? In Gottes Nahmen; nur nach £•**, wollt' ich wohl ra then, brächte man e- fürs erste nicht." — War um nicht? — „Ja, sagte er freundlich: „dir Mamsell Silberman» ist rin gute«, herrlich pu/
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les Kind, ohne alles Arg; doch eben diese Arg losigkeit, diese Unbekaiintschaft mit der Welt, kann fie unglücklich machen. Ich weiß nicht, Herr Brauns, ob die Mutter Sie von einer Begebenheit mit einem gewissen jungen Men schen unterrichtet hat." — Nein; thun Sie es doch. — „Es ist mir Verschwiegenheit rur Pflicht gemacht. Erlauben Sie, will das gute Kind Ihnen die Sache erzählen, so habe ich nichts dawider." — So lassen Sie das gute Kind komme». — „Recht gern, wen» Sie Sich nur einige Stunden gedulden wollen. Sie 4|t aus meinem Gütchen, eine Stunde von hier. Erlauben Sie." — Er wollt« an die Thür; ich hielt ihn aber wieder auf. Ich habe Ursache, Herr Schocher, sagte ich kalt, Ihnen nicht zu traueir. Sie fahren auf der Stelle mit mir. Ich klingelte, und es kam ein Bedienter, hem ich Juries: einen Wagen! Schocher lächel te, und schüttelte den Kopf. „Ja, ja!" fing er an. „Aber erlauben Sie, Herr Braun-, daß ich den Brief der Mutter »och einmal sehe. Mißtrauen ist ansteckend." Er sah de» Brief flüchtig durch, gab ihn mir rurück, und sagte:
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„es ist richtig. Verzeihen Sie mir. Sie sollen bas Mädchen haben. Aber lassen Sie mich nur einen Augenblick zu meiner Frau." — Nicht von der Stell«! rief ich/ und glaubte schott/ ihn ertappt r« haben. — „Sie sind doch ei« sonderbarer Mann!" sagt« er. „Wenn ich nun nicht wollte: wer würde mich zwingen? Aber/ Sie sollen bas Mädchen habe«/ ob ich gleich recht gute Absichten mit ihr hatte. Ich bin ohne Kinder. Doch/ wie Gott will! Di« Muk ter geht vor." Ich schwieg zuletzt, aus Verdruß/ daß ich dem Kerl nicht» anhaben konnte. Endlich kam der Wage»/ und er sagte dem Bedienten: «r führe mit diesen beiden Herren zu Gaste; man sollte nicht mit dem Essen auf ihn warten. — Unterweges sprach er von der künftigen Ernte mit unbeschreiblicher Ruhe. Nach einer Stunde waren ipir vor dem Hause. Jetzt stürzte» eine Hausjungfer und zwei Mägde mit allen Zeichen wirklicher Angst an de» Wage«/ und riefen: ach/ Herr Schocher/ wir sind unschuldig! Dir Mamsell Silbermami ist gestern Abend davon gegangen. — „Wie?" fragte er, und sprang
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aus dem Wagen. „DaS ist nicht wahr. Da, von gegangen? Das bindet einem Andern auf! Sie weiß ja wahrhaftig nicht einmal/ was da von gehen heißt." — Recht! sagte ich/ mit) schlug ihm dabei fest aus die Schulter; entführt ist sie, ehrlicher Mann! Er wendete sich heftig zu mir um. »Herr, jetzt schweigen Sie. Ich will die Leute hier examiniren. Wie . . .” Ich will hier untersuchen/ unterbrach ich ihn. Gehen Sie mit meinem Begleiter in den Gar ten. — »Ich hoffe," sagte er, »Sie werden die Zeit wenigstens nicht mit Worten hinbringen. Davon gegangen ist sie nicht." Er verließ mich, und mein Begleiter ging mit ihm. Nun mußte Mir jedes Mädchen einzeln den Hergang der Sache erzählen. Sie waren alle einstimmig, und eben so die vier Knechte auf dem Hose. Das Mädchen ist mit Schocher dahin ge kommen, und hat nichts gethan, als geweint, und sehnlich wieder nach 8*** verlangt. Nach einigen Tagen läßt sich ein alter Mann in ei, nem grauen Ueberrocke sehen, und sie spricht lange mit ihm. Er kommt alle Tage wieder, und gestern endlich mit einer Chaise, die er vor
— is5 dem Garten hallen läßt. Auguste packt Wäsche und Kleider zusammen, und geht dann durch de» Garte«. Die Mädchen, die das sehen, fol gen ihr nach, wagen es aber nicht, sie aufzu, halten, weil Schocher ihnen befohlen hat, sie thun zu lassen, was sie wolle. Sie wirft das Paket in den Wagen, steigt hinein, und ruft -en Mädchen «och zur „grüßt eure« Herr«, den Betrieger!" Die Chaise fährt weg, und nicht nach Hamburg zu. Sieh, Richter, das ist Alle-, was ich aus den einstimmigen Erzählungen, Klagen und Vor, würfen der Mägde und Knechte herausbringe« konnte. Hier ist kein Betrug; eben das haben auch Leute im Dorfe gesehen. Auguste hat sehr ängstlich gefragt: ob der Man«, mit dem sie gekommen sey, Schocher oder Müller heißet und ist bei der Antwort: „Schocher," tiefsin, «ig geworden. Was nun? Ich ging in de» Garte». Schocher kam mir sehr ängstlich ent, gegen, und fragte: „werde ich jetzt erfahre», wie es ist?" Ich hatte ihn scharf im Auge, als ich erzählte; doch ich sah auch nicht eine Spnr von Freude in seinem Gesichte, als ich äußerte,
daß ich ihn für unschuldig hielte. Nicht eine Spur von Freude, die svnft den Schurken fast immer verrath. Dennoch ließ ich den Teufel nicht los; ich brachte aber keinen Funken Licht aus ihm her, aus. Wir find noch nicht fertig, Herr Schocher! rief ich auf einmal» Sie waren das Werkzeug der Mamsell WillmannS; ein Betrieger. „Wollen- wir uns fetzen?' fragte er, mit fei, «er starren, lächelnden Kälte. „Betrieger! Be, trug!" fuhr er fort. «Wie man es nehme« will! Es könnte eben so leicht auch die Handlung ei, «es ehrlichen Mannes seyn. Nur Sie haben das Recht, mich ungestraft einen Betrieger zu nennen, weil Sie mich in Amsterdam kannte». Ich will Ihnen den Zusammenhang der Sach, eben so ruhig sage», wie ich mir alle Ihre Ei», fälle habe gefallen lassen." — Nun hob er sein« Erzählung an. Nicht Line Wendung, die ihn verrathe» hätte. Hier hast du einen Auszug. Aus einer Reise kommt er nach £•**. Er ist ein Bekannter, ein Freund von Willmanns (nur zu sehr), die ihm ihre Begebenheit mit deinem Neffe», und sein, Liebe zu Augusten am
vertrauen. Sir äußern keine Besorg»!-, daß etwa diese Liebe die Heirath verhindern könne; nur fürchten sie, nach der Heirath werde Au, guste ihre Ruhe stören. Schocher findet eben das, und giebt den Rath, das Mädchen auf eine gute Art $u entfernen. Er besucht Silber, manns, und wird von der Unschuld, der Güt« des Mädchen« gerührt. Nun kommt er auf de» Gedanken, sie gegen die Verführung deines Nef fen tu sichern und die Willmanns ruhig tu m* che». Er giebt sich für einen Verwandten -er leichtgläubigen Familie aus. (Sogar die Unter, redung mit Willmanns, die Auguste gehört hat, verschwieg er nicht.) Dann nimmt er die arme Auguste mit, und ist Willens, Vaterstelle an ihr tu vertreten. DaS Alles ertählte er so tusarnmenhangend, so natürlich, so glaubwürdig, daß mein Beglei, ter wankend wurde, und daß auch ich es ge, worden wäre, wenn ich diesem Teufel ein Herz hätte tutrnuen dürfen. Als er fertig war, sag te ich so kalt, mit einer so schneidenden Stim, me, als ich es nur immer vermochte: wenn Sie wissen, wo das Mädchen ist, Herr Schocher;
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wenn Sie nur die mindeste Ahnung Habey,, w» sie seyn kann: so thun Sie sehr wohl, es die, fen Augenblick ju gestehen. Sie kennen von Amsterdam her meine — wie Sie es nennen wollen — meine kalte, entschlossene Dummheit, oder meine starre Rechtschaffenheit, und wissen, daß ich mein Dermigen, ja selbst mein Leben an einen Entschluß wage. Ich habe Geld ge nug, Herr Schocher, um etwas an das Auf Kuden des Mädchens 49 —
Ich hoffe, er soll noch glücklich werde», so «e, nig er selbst es auch erwartet. Er scheint kalt, ist es aber nicht; und was er für Streben seiner Vernunft halt, ist nichts als dir schöne Ahnung seine« Herzens. Du würdest mit mir die Stärke seiner See le bewundern, wen» du sähest, wie er mit Au gusten lebt. Er ist ihr Lehrer» und eine» bes ser« konnte sie nicht bekomme», ob ich gleich Anfangs befürchtete, daß er ihr etwa« von sei, neu Grundsätzen mittheilen möchte. Ich sprach mit ihm darüber. „Die Weiber," sagte er, „brauchen nichts als Liebe, Heiterkeit und keu sche Unschuld. Das sollte ihr Charakter seyn, um die mächtigen Schläge unserer Vernunft zu mildern: Das Weib ist für den Mann geschaf fen ; der Man» für das ganze Menschengeschlecht." Sieh, so führen seine falschen Vordersätze zu eben dem Ziele, wie unser Streben: zur Tu, gend, zur Liebe. Du würdest Augusten nicht wieder kennen. Ihr Charakter entwickelt sich hier zu einer stillen, einfachen, aber mit aller Liebenswürdigkeit geschmückten, Majestät. Ich bedaure meine» Soh». Neulich, als
— i5e Auguste uns verließ, sprang er auf, drückte mich in seine Arme, und sagte klagend: »ich schaffe ein Eden für einen Fremden!" — Für einen Menschen, erwiederte ich: für deinen Bru der!— „Ach," seusite er; „wenn dieser Mensch es verwüstete!" Und nun fuhr er, weil Auguste hereinkam, mit eben der Ruhe wieder fort, wie vorher. Sieh, Richter, mich dünkt, eben dieser Stolt auf die Starke seiner Vernunft giebt ihm die Kraft, ruhig t» bleibe». Ich frage mich sogar: ob ich wohl fähig wäre, in diesem Grade Herr meiner Leidenschaft $u seyn. Auguste ist äußerst gelehrig und fleißig. Ih re Stimme bildet sich rum Entzücken aus. Sie spricht und schreibt sehr richtig; ihr Anstand, ihr Gang wird edel: nur ihr Herr bleibt so de, müthig, wie es war. Wen» sie noch-einige Monathe hier ist, darf sie kühn mit der Ge, bildetsten ihres Geschlechtes wetteifern. Der Umgang mit meinem Sohne giebt ihr eine Fein heit im Ausdruck, «ine Zartheit der Empfin dung, die ich bei einer solchen bescheidene» Ein falt nie für möglich gehalten hätte. Sie macht unbeschreiblich« Fortschritt« in der Musik, im
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Englische« «nb Französischen; doch da- alle find nur kleine Blumen aus dem weißen Schlei, er ihrer bescheidne» Unschuld. O, wie glücklich wird dein Neffe seyn, wen« ich ihm diese- Mädchen übergebe! Ich bitt» dich, Richter, laß e- mir noch einige Zeit.
Richter an Brauns. L ***.
Schicke mir sogleich die Tochter der Mamsell Willmanns; ich brauche sie. Grüße deine» Sohn von mir. Weniger habe ich nie von ihm erwartet, als er thut.- Sag ihm da». Aber du konntest da- häßliche Befehlen nicht lasse», Alter; und du weißt ja, daß Sklaven nicht lie, ben können. Mein Schwager begreift da- nicht. Du bist durch dein eigenes Helt gerettet. — Dein Sohn hat nie ausgehört, mir i» schreibe»; ich kannte ihn. Ersieh mir Augusten so fort. Ein Jahr bleibt sie bei euch; dann aber — Magst du doch am Ende bei ihr leben! Wer weiß, wa- ich
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thue! Aber erst will ich meinem Schwager sein harte« Herr ein wenig weich drücken. Schreib mir doch etwa- ausführlich über die Londoner neue Unternchmung nach China und Japan, war i« hoffe», war $» fürchten ist. Hier hör' ich nicht« mehr davon. Ich bin dabei sehr in, teressirt; aber nur bei dem Verluste. Mißlingt die Unternehmung, so wird es mir lieb seyn. Du sollst das näher erfahre». Adieu. Das Kind an unser» gewöhnliche» Correfpondenten.
Karl Zahns an Heinrich Müller.
£***. Da hat sich auch rin Sohn des reichen Herr»
Brauns gefunden, um den in Augusten« Brie fen die Prädikate: „liebenswürdig! edel! erha ben!" umher stehen, wie um seine» Vater die volle» Geldsäcke. Um mich nichts weiter, als: „grüßen Sie Herr» Jahns von mir." Die Mutter, der Bruder, und auch mein Oheim beobachten ei» unverbrüchliches Schweigen über ihren Aufenthalt, über ihre Gesinnungen. Nun,
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über d i« kann ich wohl nicht mehr in Zweifel sey». Ich weckte die Empfindungen ihres Her, zens: das «ar alles. Dieser junge Herr Brauns ist der Glückliche, der — Ich will Ihnen nur gestehe», was ich lieber mir selbst verschweigen möchte. Dieser Tage nannte ich bei meinem Oheim den jungen Brauns. „Ein edler Mensch !" sagte er. — Hm! erwiederre ich bitter; sei« Vater ist ja reich ... — »Menn ich nicht irre," fiel er mir in's Wort, „so habe ich »och Briese von dem jungen Menschen." Er suchte, fand einige, und las mir vor. Ich schlug die Hand an die Stirn; denn ich fühlte mich ver, loren: so groß, so edel, glanzte der Charakter des Menschen in jeder Zeile. Mei» Oheim lächelte, und sagte dann auf einmal: „und der junge Mensch liebt Augusten!" Ich sah ihn an und ging. So zerplatzt die bunte Seifenblase vor den Augen des fröhlichen Kindes. Zuweilen fällt mir ein, daß ich Au, gusten wohl einmal Vorwürfe machen möchte; und dennoch sagt mir mein Herz: sie ist un schuldig. Ich fühle mit dem Schmerze der Verzweiflung: sie wird nie einen Vorwurf von
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mir bekommen. Und, und — Bei Gott! Sie solle» von mir höre«!
Richter an Brauns. t”'. Denke nur! Um nicht die Schande zu erlebe», etwas gewollt zu habe«, das er nicht durchsetzen kennte, brütet mein harter Schwager mit Will, manns einen tollen Plan aus, der wahrhaftig gelungen wäre, wenn die alte Judith hätte schweigen könne». Ich sah die Willmanns lä cheln, und erfuhr, daß Herr und Frau von sich Kleider zur Hochzeit mache» ließe». Mei» Schwager war auf einmal freundlich und gütig. Ma« drang nicht mehr auf die Heirath; desto öfter steckte man aber die Kopfe zusam men, und fuhr betroffen aus einander, wenn ich dazu kam. Ich wollte die alte Judith zum Plaudern bringen; doch vergebens: sie schwieg, wie ein Stein, und sah mich nur listig a». Endlich reitzt« ich ihre Eitelkeit durch meine Schadenfreude, daß -er Plan mit -er Will,
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mann- verunglückt wäre. Nun wurde e« ihr r« schwer, ihren Triumph $« verhehlen. „Ich »nichte beinahe wetten," sagte sie lächelnd und schlau, „wir habe» in vier Wochen Hochzeit." — Nun, so müßten Sie heirathen, Judith! erwiederte ich. — „O nein; sonst jemand, von dem Sie es nicht erwarte« und wünschen." — Ho! ho! sagte ich: was wetten Sie? — Sie lächelte und schwieg. Am solgenden Tage hob ich wieder an, und machte sie böse; im Zorn verrieth sie nun, daß man meinen Neffe» von der Seite seines Herzens angreifen würde. Und wahrhaftig, zu einer bessern Zeit konnte man das nicht thun; denn der junge Mensch hält seine Geliebte für untre«, und deine» Sohn für seinen glücklichen Nebenbuhler. Auch habe ich ihm angemerkt, daß Edelmuth bei ihm im Spiele ist, und daß er dem Mädchen gern den Vorwurf der Untreue ersparen möchte. Di« Tochter der Mamsell Willmanns kam mir also sehr gelegen; und die Papiere, die du mir ge schickt hast, lagen in Bereitschaft. Der Plan war gemacht, und der Lag kam,
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da man bat Netz über den jungen Menschen werfen wollte. Die Willmanns fanden sich ein, und et war ein Prediger bestellt, wie ich wußte, rur Trauung. Ich schickte also ganz still nach der Tochter der ehrbaren Mamsell, und er, wartete ruhig das Siegesgeschrei. Mein Schwa ger ließ sich untergeschobene Briefe-aus England bringen, die ihm das Mißglücken der großen Unternehmung nach China und Japan ankün digten. Er rief: ich bin verloren! Man um ringte ihn, man- fragte. Er erzählte; und nun erboten sich Willmanns, ihn mit ihrem ganzen Vermögen- zu decken. Mei» Schwager fiel der Mamsell um den Hals, und mein Neffe staun te. Dieser unerwartete- Edelmuth rührte ihn; er gab dem Mädchen die zitternde Hand. Da die erste Geliebte ihn verlassen hatte, und die Willmanns seinen- Vater retten wollten — was war natürlicher als seine Handlung, bei der doch selbst mein Schwager nicht ungerührt blieb! Jetzt hörte ich Judiths Stimme, und- ging auf den Saal. »Heute sollen Sie gratuliren," sag te sie triumphirend. „Sehen Sie wohl? Mei,
— 157 — ne Wette wäre gewonnen; wir haben Hoch zeit!" — Was wetten Sie noch jetzt? erwie, bette ich; aus der Hochzeit wird nichts! Ich ging in das Zimmer, und sagte ruhig: »Mamsell Willmanns, ich habe Ihnen etwas Dringendes zu sage»." — Jetzt nicht! fuhr mein Schwager auf. — »Jetzt! eben jetzt!" Sie wollte nicht; kaum hatte ich ihr aber leise in'S Ohr gesagt: »Ihre Tochter aus Hamburg ist auf meinem Zimmer;" so erblaßte sie, und folg te mir, als ich ihre Hand nahm, wie eine Ma, nonette. Noch auf dem Wege »ach meinem Zimmer gab sie sich Mühe, mir nicht zu glau, ben; als ich aber die Thür öffnete, und sie ihr Kind erblickte, schrie sie auf. Das Kind sprang schmeichelnd zu ihr hin, und sie sah es, mit Grimm und Verzweiflung in den Augen, an. »Das bleibt unter uns," sagte ich langsam und deutlich zu ihr; »aber au- der Heirath wird nichts." — O, ich schwöre Ihnen, rief sie ängst lich; Sie irren Sich, Herr Richter. — Ich gab ihr ruhig einen ihrer Briefe, und blätterte ihre ganze Correspondenz vor ihren Augen auf. Jetzt hörte ich Judith vor der Thür, brachte
158 -je Klein« in dir Kammer, und befahl ihr, ja darin $u bleiben. Judith erschrak, als sie die Mamsell Will, manns sah. „ES haben sichsagte ich zu ihr, „Umstände gefunden, die eS der Mamsell Will, manns nothwendig machen, alle Verbindung mit unserm Hause abzubrechen." Judith blieb mit offnem Munde stehen. Mamsell Willmanns rief ängstlich nach ihrem Wagen. Ihre Mutter kam, und die Tochter sagte ihr einige Worte ins Ohr. Das Weib schleuderte einen wüthen den Blick auf mich, und verlangte gleichfalls den Wagen. Nun kamen mein Schwager und mein Neffe. Mau fragte, man erkundigte sich. Die Willmanns antworteten nur mit einzelne«, abgebrochnen Töne». „Lieber Schwager," sag te ich, „eS haben sich Umstande gezeigt, die es der Mamsell unmöglich machen, deinen Sohn zu heirathen." — Welche Umstande? fuhr er auf. Ich will, mein Sohn will; und ich »er bitte, daß sich sonst jemand, er sey, wer er wolle, in meine Angelegenheiten mischt. — Wie dem auch seyn mag, sagte mein Neffe mit der Stimme »erzweiselnder Resignation: hier
— i5g — ist meine Hand, Mamsell Willman«-! . . . Das ist ja so wenig! setzte er, mit einem Blikke auf mich, hinzu. Das Mädchen sah mich durchbohrend an, und hatte di« Unverschämt heit, ihre Hand in die seinige lege« zu wollen. „Mamsell!" sagte ich ernst; „keine Unbesvn, nenheit!" Sie biß die Zähne auf einander. Ihre Mutter winkte, ergriff die Hand meines Neffen, und murmelte etwas her, das ihre Verwirrung anzeigte, aber auch den Entschluß, die Hand nicht fahren zu lassen. „Hannchen!" rief ich. Das Kind kam herein, uud auf mich zu. Die Willmanns erstarrte»; die Ander» sa hen mich errathend an. Ich hielt schweigend das Kind fest, und erwartete die Auflösung. Nun hob die Mutter an. Sie gestand, daß ihre Tochter die Mutter des Kinde- sey, und erzählte ein« Fabel, die unschuldig genug her auskam, und «ach der ihre Tochter gleichsam eine Witwe seyn sollte. Judith fing an, sich zu kreuze». Mein Schwager stampfte mit den Füßen, und fluchte aus seinen Sohn, auf mich, auf die Willmanns. Die Fabel bekam in dem Munde der Frau immer mehr das Ansehen der
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Unschuld. Nun mußte ich noch einen Schritt «eiter gehen. „Hier, Madame," sagte ich, „ist ru dem Kinde auch Ihre und Ihrer Toch ter Correspondenz. Bis jetzt hat sie niemand gelesen, als ich; sagen Sie aber noch eine ein, rige Lüge, so geb' ich sie meinem Schwager, ttitö" — ich zeigte ihr ihre Briefe in der Wechselgeschichte — „dies dazu." Dieser Schlag be. täubte sie. Ach, hochgeehrtester Herr Richter, sagte sie, und hätte sich beinahe vor mir nie-ergeworsen: machen Sie eine arme Familie nicht ganz unglücklich! Ich bot der Frau, an, statt ihr zu antworten, den Arm, und die Tochter folgte. Als ich sie an den Wagen ge führt hatte, der aus meinen Befehl vorgefah ren war, ging ich wieder hinein. Mein Schwa ger hatte das Gesicht gegen die Wand gekehrt; Judith schüttelte in Einem fort den Kopf, und rief, als ich kam: schaffen Sie auch den Balg da'aus dem Hause! Ehe ich antworten konnte, wendete sich mein Schwager um, und rief, feuerroth: da- war also dein Gehorsam, Bube? Mich zum Narren haben? Aber es soll ander werden! Ich will Herr im Hause seyn; und wem
r6i wem das nicht recht ist, mag meinethalben ge hen und sich als Packttäger vermiethen! — Mit diesen Worten, die mir galten, lief er auf sein Zimmer. Judith schlich ihm mit Kopf, schütteln nach, und als sie die Thür »ugemacht hatte, sing sie an mit Heller Stimme tu singen: Die Lust des Fleisches dämpf' i« mir,
Daß sie nicht überwinde, ic.
Jetzt nahm ich meinen Neffen vor, las ihm derb den Text über seine Unbesonnenheit, Au guste» auf den ersten Verdacht fahre» tu lasse«, und gab ihm dann aufs neue einen Schimmer von Hoffnung. Da erschrak er vor dem Ab grunde, in den er sich hatte stürten wolle», und dankte mir, als er wieder zu sich selbst gekom men war, mit dem vollen Entzücke» der Liebe. Mein Schwager glaubt gant fest, «s sey eine Verabredung jwischen mir und meinem Neffen gewesen, und ist sehr böse auf diesen, ob et gleich jetzt lieber sein ganres Vermöge» Hingabe, al- in die Heirath willigte. Eben das, was ihn belehren sollte, — wie ungerecht der Mensch seyn kann! — hat ihn erbittert. Er meint, rin Vater müsse gegen seinen Sohn nie Unrecht haKl. Rom. VI. L»3
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ben. Ich fasse, daß seine Hitze, feine Herrsch sucht bald Alles der Vollendung naher bringen wird. Wenn zwei Herren, die von der Natur tu Liebe bestimmt waren, ansangen einander $u hassen: — sollte man dann nicht ganre Welten zwischen sie werfen, damit sie sich in dem wei ten Raume der Schöpfung nie begegnen könn ten? — So geht hier das Leben mit Zank und Versöhnung zwischen Beiden hi», und mit je dem Tage wird die Liebe in ihrem Herren im mer tiefer erschüttert. »Nur nicht Trennung rwischen Vater und Sohn!" sagt die fromme Judith seit gestern, so ost sie mich sieht. »Was wird die Stadt sagen!" — Nur nicht bei einander bleiben, wenn sie sich nicht lieben, antworte ich; was wird die Natur, was der Himmel dazu sagen! — »Ach, Herr Vetter," erwiederte sie mir, die Hände ringend, »die Lieb' ist in Gemüther», Wie ein Balsam, der sie heilt, Wie ein Stern, der herrlich blinket. Wie die Schönheit, die uns winket." —
Ebe» darum! fiel ich ein. Sie nennt mich gott los, und singt, daß da- Haus schallt:
165 Er ist auö KainS Mordgeschlecht Und ein verdammter Sündenknecht!
Dabei schürt sie mit ihren Anmerkungen de» Haß rwischen Beide» zu hellen Flamme» an, ohne im Mindesten etwas Arges daraus r» ha, den. Erst hetzt sie Vater und Sohn auf; dann möchte sie das Feuer mit einem geistlichen Spru che oder Verse wieder löschen, und wundert sich, daß e- nicht gehorchen will. Sind nicht di« meisten Menschen so, wie diese gutherrige, srom, me Judith? Adieu. Sorg« für Auguste». Grüße deine» Sohn, und danke Gott!
Richter an Brauns. Der Schlag ist gefallen; Vater und Soh» sind
getrennt. Gestern Morgen ließ mein Schwa, ger, nachdem er lange, mit sich selbst kämpfend, im Zimmer auf und nieder gegangen war, sei nen Sohn kommen. Dann wendete er sich zu mir und Judith, und sagte: »ich will durch aus, daß Ihr Euch jetzt in nichts mischt, was
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ich thue." Judith nahm sogleich ihr Gebetbuch auf die Kniee, und saß da, als ob ihre Hande, Füße und Augen lauter Ohr wären. Zu mei, «er Freude war er fest -entschlossen; das hörte ich an dem ruhige» Tone, mit dem er sprach, und he» er so ziemlich behielt. »Deine Schw«, strr ist verheirathet," hob er an; »und zwar nach meinem Willen. Ich bi» nur Baler von Kinder», die mir gehorchen. Das überleg!" Er hielt etwas inne. »Ich habe für dich «ine Partie. Besinne dich «ohU Willst du mir ge horchen?" Hier wollte Judith etwas sagen; allein er warf einen zornige» Blick auf sie, und sie schwieg. „Antworte ganz »ach deinen Wünsche», mein Sohn; aber ohne Vorrede. Bloß das einzige Wörtchen Ja, oder Nein. Willst du gehorchen? Ja, oder Nein. Nichts weiter!" Mein Vater, sing mein Neffe an — „Oh, ne alle Vorrede, sag« ich dir!" unterbrach mein Schwager ihn heftig. »Ich will, um deinen Oheim zum Schweigen zu bringen, einmal hö, rett, ganz hell und deutlich hören, daß du mir nicht gehorche» willst. Also, ich verlange, du
165 sollst heirathen. Willst du gehorch««?" — Mei« Vater... — „Nichts, nichts! Ja oder Nein? Willst du gehorchen?" — Ich kann nicht, Vater ! sagte der junge Mensch unmuthig, -r «Die Antwort will ich nicht; du sollst ein ein faches Ja oder Nein antworten. Willst du mir gehorchen?" — Nein! sagte der Sohn fest.— „Nun?" rief der Vater, und sah mich an. Er runielt« die Stirn, verbiß seinen Jörn, und sagte: „so ist es recht!- Unterschreib nun diesen Zettel, worin steht, daß du mir den Ge, horsam versagt hast." — Schwager, sagte ich; «in Kaufmann muß wenigstens mit Feder und Türke ehrlich umgehn. Du willst deinen Sohn da etwas unterschreiben lassen, das nur halb wahr ist. — Er sah mich grimmig, an, und drang meinem Neffe» die Feder auf. Dieser las, und sagte dann: wenn es nur das ist, mein Vater; recht gern! (Er unterschrieb mit Thränen in den Augen.) Auch wenn ich Ih nen hätte gehorchen können, waren Sie Herr über Ihr Vermögen gewesen. Mein Herr macht nur Ansprüche auf Ihre Lieb«, auf weiter nichts.
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Der Erbschaft entsage ich gern; aber, aber — er ergriff weinend des Vaters Hand — von Ihrer Liebe scheide ich mit schwerem Herzen. ,,S» gehorche!" sagte mein Schwager unge wöhnlich sanft, und zog die Hand nicht zurück. — Das allein kann ich nicht, mein Vater. — Nun flammten seine Auge» wieder von Zorn. Er wendete fich um, und schwieg einige Au genblicke. „Deine Mutter," sagte er dann, „brachte mir sechzehntausend Thaler zu. Hier ist die Hälfte, dein Mütterliches." (Tr reichte ihm Banknoten, und drang ste ihm aus.) „Nun habe ich dir nichts mehr zu befehle», und du nichts weiter von mir zu erwarte». Ich wollte, du wüßtest noch heute, wohin." — Mein Neffe stand mit gesenkte» Augen vor ihm; dann schlug er auf einmal beide Arme um seinen Vater, küßte ihn, und sagte: nun noch da» Letzte, mein Vater, was Ihne» keinen Heller kostet. Nenne» Sie mich noch einmal Ihren Sohn! — Da stand der alte Mann mit seinem verlassenen Daterhrrzen. Jetzt fühlte er, was sei» Sohn
— 167 “ «ott ihm federte; und doch siegte sein Stolz. Er wendete sich ab, und sagte: Adieu, mein Sohn! — Mein Neffe ging, wie betäubt. Als er hinaus war, fragte ich: „Judith, sieht nicht im neuen Testamente das Evange lium vom verstoßenen Sohne?" — Vom ver lornen! antwortete sie weinend. — „Recht! vom verlornen Sohne; denn tu einem ver stoßenen wäre der alte Vater hingegangen und hätte gesagt: Sohn, ich habe gesündigt im Himmel und vor dir! . .. Schwager," sagte ich ernst: „deine Tochter ist gehorsam gewesen; und dein Sohn liebt dich. Du wirst sehen, mit wem du am besten fährst." — Gehorsam ist besser,... fing Judith an, und vollendete nicht. Ich sand meinen Neffen auf seinem Zimmer wirklich sehr gerührt. Es kostete mir nicht »ie, le Mühe, ihn zu überzeugen, daß er gerade das, was nun geschehen war, hätte wünschen müs sen. Ich machte Plane mit ihm, was er thun sollte, um glücklich zu leben. Er äußerte Nei gung zur Landwirthschast, und ich rieth ihm, ein Gut zu pachten, wozu er mit Freuden Ja
168 — sagte. Nun gab ich ihm bestimmtere Hoffn»«, gen aus AugustenS Besitz. Eine Pachtung war bald gefunden, nehmlich unser Beider Gut Plauenberg; und ein'Paar Zeilen an unsern al ten Riedel brachten unsere Nahmen aus dem Spiele. Noch heute fahre ich mit ihm dahin. Ich hoffe, er soll sogleich dableibe». Dies,ur Nachricht, daß du nicht etwa auf den Einfall kommst, mit Auguste« dahin »u gehen. Das Jahr ist »un bald verlaufen. Hakte dich bereit, Augusten in die Arme der Liebe abruliefer». Kein Geld, nichts! Sie sollen erst sich behelfe» lerne«, arbeite», entbehre» und glücklich seyn. Adieu,
Richter an Brau»«. Atzt, lieber alter Brauns, wird «S Zeit, die
beiden Liebenden rusammen zu bringe». Mein Neffe wohnt in Plauenberg, in der Pachter, Wohnung, und ist sehr einfach, nicht einmal be quem, eingerichtet. Das Betragen des junge»
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Menschen freuet mich; er sand auch diese Ein richtung noch nicht einfach genug für sein Der, möge». Augusten- Mutter ist, auf meine» Rath, und auf meine» Betrieb durch de» Sohn, als Wirthschafterin bei ihm. Er liebt das Mädchen mit reiner Sehnsucht, und sie ist sein ewiges Gespräch; das hemmt aber seine Thätig keit nicht, und sogar in de» Feierstunde» arbei tet er im Garte». Wundre dich nicht. I» -em Pachtkontrakte habe ich dich und mich ge adelt; wir heißen: Herr von Plauenberg. Da große Han- steht leer; mein Neffe erwartet, schr bald den Gutsherrn darin ru sehen. Du kannst ihn nun überraschen, wie e- dir gut scheint. Mache nur deine» Plan so, daß du -en meinigen nicht über de» Haufen wirfst. Er soll Augusten habe», doch ohne Geld; und da- muß auch sie glauben. Di« Art und Weise, wie du da- anfangen willst, überlasse ich dir. Sie solle» die erste» Jahre ihr Glück nur ihrem Fleiß, ihrer Mäßigkeit »erdankrn; denn, alter Braun-, warum freue» wir un über unser» Reichthum? Weil wir ihn uns er worben habe». Noth und Sorge», wenn sie
nicht-allzu groß sind/ schmelzen die Herzen zu, sammen, starken die Liebe/ «nd vergrößern de» Muth. Dann hab' ich »och einen ander» Pla»/ den ich dir entdecken will/ sobald mein Poda gra mich wieder vom Stuhle läßt. Also nach Plauenberg; und Liebe/ Friede und Gottes Se, gen mit dir «nd euch Allen! Dein armer Junge dauert mich. Aber es wird sich für ihn schon noch ein Herz finden; und/ die Wahrheit zu sage»/ ist dieses einfache Geschöpf nicht für ihn/ so wenig wie er für das Lebe« in Plauenberg. Leb wohl.
Brauns an Richter. Plauenöerg.
Sie sind Man» «nd Fra«/ lieber Richter/ und mein Sohn ist fort. Da hast du Beides: Freud' «nd Leid. Wohl hundertmal habe ich dich her gewünscht. Ich las meinem Sohne deinen Bries vor. Du glaubst nicht/ wie sehr er das Mäd chen liebte/ und wie standhaft groß er sich be trug. Als ich ihm die Stelle in deinem letzte»
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Briefe vorlas, worin du sagst, Auguste paffe nicht für ihn; da rief er erst: „wie? Auguste nicht für mich?" Dann legte er die Hand an die Stirn, und sagte nachdenkend: „wenn er wieder Recht hätte, der alte Prophet! Ich süh, le «S zwar noch nicht; aber ... Hat er Recht, so muß ich sic vergessen können. Das wird sich teigen. Wir gehen nach Plauenberg." Ich richtete die Reise so ein, daß wir um Mitternacht auf dem Gute ankamrn. Ein Be dienter war $u Pferde vorausgeritten, um An, stakten zu unsrer Ausnahme r» treffen. Ich hat te ihm bestimmt den Aufttag gegeben, tu ver, hüten, daß uns dein Neffe uicht etwa empfinge. Am folgenden Morgen bat ich Augusten, sich recht gut antukleiden, und dann, sich mit mei nem Sohne an das Klavier t« sitzen. O, du müßtest -en edlen Anstand des schonen, ausge, bildeten Mädchens scheu, du müßtest sie singen hören, um dir einen Begriff von den Lmpfiu, düngen deines Neffen machen zu können! Ich ließ ihn zu mir herüber bitten. Als er kam, ging ich ihm im blauen Zimmer entg«, gen, und blieb da mit ihm. In dem gelben,
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dessen Flügelthüren beide offen standen, saß Au guste, mit dem Rücken gegen die Thür, am Fortepiano, und sang mit meinem Sohn ein schönes, aber langes Duett. Ich hatte sür Pracht gesorgt, die deinem Neffen in seiner jetzigenLage nothwendig einen Theil seines MutheS nehmen mußte. Mein Sohn trug - die prächtige Englische Uniform, und reich geklei dete Bedienten wartete» »ns auf. Er schien durch Augustens Stimme aufmerksam $u wer den, mid sah starr in das Zimmer; doch er er kannte sie nicht, und horte mir bald wieder ruhig i». Nach dem Duett sagt» mein Sohn einige Worte Englisch zu Auguste«, und sie ant wortete ihm. Nun lagerte sich eine sprechende Ungeduld in deines Neffen Gesicht. Er sah ««verwendet nach Augusten, und sie drehet« ihr Gesicht einige Male zu meinem Sohne hin, so daß wir sie beinahe gani im Profile scheu konnten. Jetzt staich sie aus, und mein Sohn setzte sich. Dein Sohn sah die schöne Gestalt, und wurde ruhiger. Als sie aber Beide wieder'sa«, gen, verlor er de» Faden meines Gespräches,
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wurde blaß, und stand endlich auf. Der schine Augenblick näherte sich. Ich nahm seine Hand, um ihn in das andre Zimmer $u führe«, und sagte: Sie müsse« doch meinen Sohn kennen lernen. Auguste hörte da-, und sah sich um. Sie erkannte ihn, und das Notenblatt sank ihr au- der ritternden Hand. Er legte, wie be, taubt, ferne Stirn auf meine Schulter, und murmelte: o, ich Unglücklicher! Jetzt führte mein Sohn die liebe , bleiche, ritternde Auguste näher. Sie rief: „o Gott! er ist es! er ist es !" und f» sank sie an meiner Seite in seine Arme, oder vielmehr, sie nahm ihn in die ihrige». Er umfaßte sie langsam, und fragte leise: liebst du mich noch, Auguste; — „Ueber Alle« in der Welt!" antwortete sie laut, und beugte sich nieder, ihm in das gesenkte Gesicht ju sehen. Als er den Blick ihrer Liebe, ihrer Unschuld sah, faßte er sie mit innigem Entrücken in sei, ne Arme. So standen sie lange, und nur Seus, »er und Thräne» :reizten, daß fie noch lebte». Deine Mutter, Auguste, ist hier! stammelte er endlich. — „Meine Mutter!" rief sie, und stürtte, mit ihm Hand in Hand, au« dem Zim,
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tuet und über den Hof weg. „Meine Mutter!" rief das theure Mädchen Ein Mal über das andere, bis die Mutter herbeikam. Ich -and am Fenster, sah« dem süße» Schauspiele zu, und — nahm meinen Sohn an die Brust, um nicht ohne ein Herr da r» stehen, an dem das meinige schlagen konnte. Ich mußte sie endlich bitte» lassen', wieder ru uns ru kommen. Auguste sank nun in meine Arme. — Das also, fragte ich mit «»gewissen Blicken, ist der Herr, den du liebst, Auguste? — Sie führte ihn triumphirend vor mich hin. — Du sagtest mir aber, fuhr ich fort, von einem reichen Manne. Verreihe» Sie, Herr Jahns. — „Er ist jetzt arm!" erwiederte sie freudig, und lehnte sich mit liebevollen Blicken an ihn. — Ich schüttelte den Kopf. So hab' ich Unrecht gethan, liebes Kind (ich faßte ihr Kleid an), dich an so etwas zu gewöhnen; du weißt, wie wenig ich es liebe, wenn man . . . Besinne dich, liebe Auguste. Ich habe Absichten mit dir. — Sie sah mir in die Auge», und lief dann auf einmal weg. Nach einigen Minuten kam sie in einer sehr einfachen, aber reinlichen
— >75 — Hauskleidung wieder. Jetzt drückte sie den freu, betrunkenen Jüngling noch inniger an ihr Herr, und sagte: .»ach, sein Reichthum war ja meine einjige Sorge. Daß er jetzt arm ist, arm wie ich, das, das... — O, wir wollen arbeiten!" Sie faßte seine beide» Hände kräftig, um ihm ihre Stärke zu zeigen. Es war etwas höchst Angenehmes in diesen Bewegungen. Du kannst leicht denken, wie schwer es mir wurde, nicht ihr Vater seyn »u dürfen. Eine herzliche Um armung war alles, was ich ihr gab. — Ich ließ den Prediger holen. Mein Sohn blieb bei der Trauung. Lr umarmte Augusten mit dem einzigen Worte: meine theure, zu theure Schwester! Aber nun brach seine Stimme doch mit seinem Herzen. Er reichte deinem Neffen die Hand, und fing an: ich gebe Ihne» viel, ei» Herz, das .. . Was er noch sagen wollte, verbarg er in eine Umarmung. Am Abend nahm er Abschied, um eine Reise durch Europa zu machen. Sehe ich Sie nicht wieder, sagte er, so gehört mein Vermögen Augusten; und sehe ich Sie wieder, auch dann gehört es ihr. Er ging, in der
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That zitternd, eben als uns gegenüber in Augusten- Schlafzimmer das Licht ausgelischt wurde. Am folgenden Morgeu fanden sich Alle zum Thee bei mir ein; und nun erst bekam Äugn.stens Mann nach und nach Augen für ihre des, sere Kultur, an die am vorigen Morgen niemand dachte, auch ich selbst nicht, ob ich mich gleich besonders auf diese Ueberraschang gefreuet hatte. Das Schönste für mich war di« ruhige, bescheidene Unschuld, die Auguste behielt. Die junge Frau ist nun ganz eingerichtet. Sie geht so einfach gekleidet, wie ihr Mann, wie ihre Mutter, ahne daß fie etwas vermißt. Das Einzige, was ich ihr geschenkt habe, ist da schöne Fortepiano. „Ach," sagte fie, als fie dafür dankte; „eben um das wollte ich S« bitten, lieber Bater." Ich mußte mich abwen, den. — Ihre Mutter unterrichtet fie nun iu der Wirthschaft; und, was du kaum glauben wirst, schon seit dem zweite» Tage ist dein Nef fe vom Morgen an auf seiuem Felde, und nur die Abende gehöre» der Liebe. Aber, welche Abend«! Tausendmal wollte» die Worte über meine
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meine Lippe»: Planenberg ist euer, meine Kin der! Ich reise schon heute ab, um es nicht am Ende doch gegen deinen Willen zu sagen. Sie würde es nicht glücklicher mache», das weiß ich: denn gerade ihre schönsten Freuden ent springen ans ihrem Fleiße, ihren Entbehrungen, ihren kleinen Aufopferungen; aber ich wäre glücklicher, wenn ich Ihnen sagen könnte, wie sehr ich sie liebe. Adieu.
Richter an Branns. Zch beneide dich um die Tage, die du gehabt hast, alter Brauns. Aber gut, daß du in Hamburg bist! Ich kenne dein $u weiches Herz. Oder ist es wohl gar ein heimlicher Hochmuth, der es nicht gern sieht, daß die jungen Leute glücklich sind, ohne deiner dabei r» bedürfen? Im Grunde nahmst du es ja doch auch übel, daß dein Sohn tugendhaft seyn wollte, ohne dich dabei nöthig zu haben. — Daß dein Sohn das Mädchen hingab, war nichts als Pfijcht; Kl. Rom. VI. [12]
— i?8 daß er aber nicht sagte: ich gebe dich hin; das war gehandelt, wie ein Mann, ein edler Mann, handeln muß. Laß ihn reisen; wir sehen ihn wieder. Mei» Schwager Hartherr iK der Alte. Cr verlangte, sein Sohn sollte von ihm weggehen, er verstieß ihn; und jetzt nimmt er es übel, daß der Sohn sich hat verstoßen lassen. Haß suhlt er nicht gegen sein Kind; behüte Gott! aber Erbitterung, Verhärtung, Vorsatz des Hasses. — Der Sohn schrieb ihm, er habe Plauenberg gepachtet. Mein Schwager erkannte seine Hand in der Adresse, gab mir den Bries, und sagte kalt: „wenn du weißt, wo dein Neffe ist, so schicke ihm den Brief zurück. Wir sind aus einander?' — Lieber Vater im Himmel, sagte ich, wie gut ist es, daß du unsere Gebete nicht ungelesen lässest! Vergieb das dem Vater aus Staub um feines guten Sohnes willen, der für ihn betet! — Der harte alte Mann erröthete; aber zu sonst etwas war er nicht zu bringen. Ich schickte den Brief unerbrochen zurück. Te, stern sagte ich ihm, sein Sohn wäre verheira, thet. — „Sv? verheirathet? Der Bube!" rief
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er ergrimmt! „und schreibt mir nicht einmal?" Ich wollte ihm eine» Brief von seinem Sohne geben, den ich bekommen hatte; aber er nahm ihn nicht. Judith fragte: mit wem denn? — Mit der Mamsell Silbermann, antwortete ich kalt. Der Alte blies in seine Hand, und ging mit den Worten: „nun ist es vorbei." — Ich schickte auch diesen Brief zurück, und bat meinen Nef< fen, feitten Vater noch nicht zu besuchen, wie er es Willens war. Um nun sich selbst zu beweisen, daß er den Sohn hasse, sucht er sich zu überreden, daß er seine Tochter desto zärtlicher liebe, ob er gleich mit ihrem Seien sehr unzufrieden ist. Er hat ihre Mitgabe verdoppelt, und macht ihr täglich beträchtliche Geschenke. Meine Nichte ist gera de nicht boshaft, aber habsüchtig aus Der, schwendung, herrschsüchtig aus Sklavensinn, falsch aus Gewohnheit. Sie macht in ihrem Hause einen tollen Aufwand, und der Vater, der nicht beide Kinder verlieren will, stellt sich, als ob er das nicht bemerkte. Für das Opfer, daß sie einen Mann geheirathet hat, den sie
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nicht liebt, glaubt -sie, Ersatz federn $tt föiv nen; daher halt sie es, ohne ihren Bruder $u hassen, für ganz recht, daß sie alles bekommt, und er nichts. Sie schmeichelt dem Vater durch eine verstellte Zärtlichkeit. Ich wollte wohl meinen Kopf zum Pfande setzen, er merkt, daß ihre Liebe Verstellung, ihr Gehorsam Ei gennutz ist; aber der alte herrische Mann will nicht Unrecht gehabt haben: daher nimmt er lächelnd die falsche Münze von seiner Tochter, und läßt sie für echt gelten. Seltsame Menschen, die lieber sich ruhig stellen, als ruhig seyn wolle», um nur nicht gestehen zu dürfen: ich habe geirrt! Das Vaterherz strebt immer der Herrschsucht entgegen; und mein Schwager arbeitet auf seine alten Tage für beide streitenden Empfindungen mit unruhiger Thätigkeit, ohne Eine zu befriedige«. Er hat seinen Sohn enterbt. Für alles in der Welt könnte er diese thörichte Handlung nicht widerrufen! Um sich den Rückweg unmöglich zu machen, versichert er seiner habsüchtige« Tochter jetzt alle Tage, daß sie seine einzige Erbin seyn soll. Das Weib ist listig genug.
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oft mit einer Art Volk Mitleiden zu sagen: Sie haben Sich zu rasch entschlossen, lieber Va ter. Gewiß werden Sie es noch bereuen! Dies ist gerade das rechte Mittel, ihn in seinem Entschlüsse felsenfest zu machen. Bereu en! Er! Jedes Mal beweist er seiner Tochter durch ein Geschenk von großem Werthe, daß er Wort halten wird. Nun tritt das Vater, herz wieder in seine Rechte, und verlangt sür den Sohn Verzeihung. Aber — er hat seine Tochter einmal sür seine Erbin erklärt. Noch mehr: er hat ihr auch den Zustand seines gan zen Vermögens entdeckt; sie weiß also, auf wie viel sie rechnen darf. Guter Gott, wie der Mensch sich selbst tauschen kann ! Da wird er noch in seinem Alter habsüchtig, unbesonnen, um schnell sein Vermögen za vergrößern. Du würdest erstaunen, wenn du wüßtest, was die ser sonst so vorsichtige Mann letzt wagt, und welche Summen er auf das gefährlichste Spiel setzt, weil er schnell gewinnen will. Das alles thut er heimlich, um es Niemanden, am we nigsten seine Tochter, erfahren zu lassen. Und wozu? Um den Ueberschuß seines Vermögens
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dem Sohne zu hinterlassen, den er enterbt hat, und dem er nun doch so gern ein Erbtheil ge, bett will. Es ist mir in der That sehr rührend, gu ter Brauns, wie der alte Mann sich so große Mühe giebt, seinen Plan dtrrchjusetzen, ohne daß es jemand merken soll. „Bruder," sagte er dieser Tage ju mir; „deine Schwester, mei ne liebe selige Frau, bat mich noch auf dem Sterbebette, dich nie ju verlasse». Ich weiss, meine Tochter ist eben nicht deine Freundin. Sollte ich sterben, so bekommst du eine große Summe, die, eigentlich zu sagen, nicht einmal mir, sondern dir gehört, von Rechts wegen." Ebe« so sagt er r» Judith, nur mit der Ein, schrankung, daß ich über das ihr zugcdachte Legat freie Bestimmung haben soll. Sieh, so will der alte Mann durch mich und Judith sei, «em Sohn eine große Summe ruspielen. Es ist in der That für mich rührend, daß sein Herr so wenig Muth hat, tugendhaft tu seyn. Ich werde jetzt reich. Bei jeder Veranlaffuttg, auch der geringsten, schenkt er mir große Sum men, in der Hoffnung, daß ich sie seinem
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Sohne geben soll. Aber nein, alter guter Va ter! Ob du mich gleich rührst, so kann ich mich doch unmöglich entschließen, dich in deinen Thorheiten zu bestärken. Ich zeige ihm bei je der Gelegenheit, daß ich die vollen Summen noch habe; dann sieht er mich so mitleidig bit tend an, daß es mir das Herz umwendet. Nein, du selbst sollst deinen Sohn lieben; nicht ein Andrer! Sieh, in einem solchen seltsamen Zustande seiner Empfindungen lebt er. Er verschwendet, er wagt das Aeußerste, um nur nicht zu geste hen: ich bin hart gewesen. So sehr Judith ihn auch quält, und so oft ich auch darüber rede, so sagt er dennoch immer: „es ist vor bei; er hat wider meinen Willen geheirathct." Sein ältester Faktor, ein Mann von Redlich, feit und Kenntnissen, schüttelt oft den Kopf, und hat hitzige Unterredungeil mit ihm. Ich fürchte, ich fürchte, mein vorsichtiger Schwa ger läßt sich in Dinge ein, die — Wen« die Unternehmung auf China mißlungen ist, wie ich glauben muß, so verliert er schon sehr viel. Und nun hat er überdies eine Handels, Spekn-
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Richter an Brauns. u ***.
ÄöiLkommen, treuer Herzensfreund, wiükom, men wieder im Deutschen Vaterlande mit dei nem edlen Sohne und deiner edlen Schwieger tochter. An welche Fußbl-cke hat das Schicke sal den Menschen fest geschlossen! Ein Sand korn lag zwischen uns, ei» Tropfen Wasser; und es war mir, als wärst du in einen andern Planeten verschlagen, lieber Brauns: so sehr allein, so ängstlich verlassen fühlte ich mich die vier Jahre hindurch, da der Kanal uns trenn te. Wie wird mir seyn, wenn einmal das Grab, das breiter ist als die ganze Erde, zwi schen uns liegt! Gleichviel, wahrhaftig gleich-
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viel/ wer von uns Beiden zuerst über das stille Meer des Todes hinüberschifft/ ich oder du! Hier würde ich um dich trauern z dort auf dich warten. Denn sa-g, kann ich einen der Seli, gen so lieben z wie dich? Willkommen denn hier an meiner Brust , lieber Brauns. lUn mich zu trösten, dachte ich ost: „wenn wir uns umarmten, wenn ftiu Herz au dem meinigen schlüge, wäre nicht auch dann noch eine ganze Schöpfung von Staub zwischen den Seelen? läge nicht auch da der Tod zwischen uns? Reichte ich ihm nicht auch da über das Grab hin die Hand? Ist nicht das schlagende Herr auch noch ein Gebirge, das der Tod erst zer stäuben muß, ehe du zu ihm kommen kannst?" So wollt' ich mir den Kummer über die weite Entfernung von dir wegsophististten; aber es ging nicht. Händedruck, Umarmung, Auge und Ohr find die Wege, auf denen Seele und Seele sich lebendig in einander ergießen; ein Brief ist weiter nichts als das Bild des verstorbenen Freundes. Ich habe deine-Briefe aus Lyon, Paris, Calais und London; es waren mir Be,
186 gebenheiten aus einer fremden Welt. Willkom men denn hier/ wo ich dich sehen/ dich hören kann! Willkommen/ treuer Freund! Jetzt besuche ich dich noch nicht/ lieber Brauns; denn ich bin der barmherrige Sama riter/ der die Wunden eines unter Mörder gefallenen alten Mannes/ meine- unglücklichen SchwagerS/ täglich verbinden muß. Ich schrieb dir vom seinen gefährlichen Spekulationen/ die ich doch nur znr Halste kannte. Die Unterneh mung nach China scheiterte; die nach Nord amerika versetzte ihm den Lodesstreich. Mei nes Schwagers Haus fiel; aber Er nicht. Ich sah ihn nie größer/ al- da er arm war. Er konnte sich retten z wie es Hunderte thun: mit einer feinen Betriegerei; auch riethen ihm da alle seine Freunde/ und am meisten seine Toch ter. Der alte Mann saß von den Schlägen seines Unglücks betäubt b», als man von allen Seiten in ihn drang. „Nein-" sagte er auf einmal/ nahm die Mütze ab/ und leigte seiner Tochter sein graues Haar: „das ist mit Ehren grau geworden; und mit Ehren sollst du e» einmal in den Sarg legen! ... Es ist alle»
- 18? verloren!" setzte er langsam hinzu, und ein Paar Thränen schienen in seinen Augen zu er, starren. Vater, hunderttausend Thaler sind zu ret ten! rief seine Tochter heftig. Er antwortete langsam: „meine Ehre ist zu retten; aber mein Vermögen nicht." Die Tochter fuhr im stärk sten Unwillen weg; seine elende» Freunde ver ließen ihn mit Achselzucken, und mit lauten Anmerkungen über seinen Starrsinn, der nie den Rath seiner Freunde befolgt hätte. End, llch waren wir, Judith, er, ich und sein alter Faktor, ganz allein. „Alles verläßt mich," sag te er, und sah uns der Reihe nach an. „Ar, me Judith!" — Dieser Zug des edelsten Mit leidens mit der hülflosen Judith rührte mich sehr. Ich warf mich dem alten Manne in die Arme, und drückte ihn herzlich an meine Brust. „Du," fragte er, „Willigst also doch, was ich thue?" — Bruder, antwortete ich, Gott ist mein Zeuge, daß ich Achtung für dich habe. Jetzt bitte ich um deine Freundschaft, um die Freundschaft eines edlen Mannes. — „Eines
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armen Mannes!" erwiederte er traurig/ und gab mir die Hand, Es wurde versiegelt. Ich bat ibn, mir und seinem Faktor alle Geschäfte zu übertragen; und er ließ sich das gern gefallen/ weil Arbeit ibn zu sehr angriff. Ec äußerte sogar den Wunsch, sein Haus zu verlassen, und ich hatte nichts dagegen. Es kam ein Miethswagen. Er stieg mir Judith ein, und auch ich fuhr mit zu sei ner Tochter, um die harte Scene, die ich ver muthete^ mildern zu können. Die Tochter em pfing ihn sehr freundlich. Er sagte: „ich neh, me jetzt meine Zuflucht zu dir." — O, mein Gott, erwiederte sie; ich sehe Sie ra auch recht gern, lieber Vater. — Am meisten jammerte mich die arme Judith; sie stand hier sehr de müthig mit aller der schmeichelnden Freundlich keit da, deren ihr Gesicht, das sonst immer wie eine Strafpredigt aussieht, nur fähig war. Der Schwiegersohn wies dem Vater ein Zimmer an. Nun wendete die Tochter ihre Blicke auf Judith und mich. Das sag' ich Ih nen, Judith, hob sie mit befthlendem Tone
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an: hier in meinem Hause reden Sie nicht eher, als bis Sie gefragt werden, und bleiben hübsch aus Ihrer Stube! (Die arme Judith verbeugte sich demüthig, aber mit Thränen in den Au gen.) Und Ihre Predigte» und Ihre Gesänge, die können Sie künftig Ihren vier Wauden vorlesen. (Eine neue Verbeugung.) Und de» häßliche» Mops dulde ich nicht im Hause! — Ach, sagte Judith bittend und leise, mit einem flehenden, gerührten Blick auf den Hund, wel cher der Frau vom Hause die Zahne wies, und sich dann ruhig aus die Sammetpantoffeln sei ner Beschützerin legte: ach, das Thier ist so an mich gewohnt! Es soll Ihnen nie vor die Augen komme», Frau Vase. Wer weiß, wie lange ich und das Thier noch leben! — Das ist einerlei, sagte die harte Frau. Sie muß ich leiden; aber den Hund nicht. Und Sie, Onkel. . ., fing fie an. „Und ich, Nichte?" fragte ich streng. — Ja, fuhr sie in einiger Verwirrung fort: man muß doch wissen, was man von einander erwarten darf. Ich nehm« Sie gern auf; Sie find der Bru, der meiner Mutter -- „ die nicht einen Zug
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von deinem Herren hatte," fiel ich ein. »Ich will dir aber sagen, was du von mir ru «war, ten haß. Wenn du nicht Gott mit Freudenthranen dafür dankst, daß du im Stande bist, deinem Vater und da deiner Blutssreundin ihr Alter ru versüßen; wenn du jemals den beiden Menschen ein hartes Wort sagst: so bist du schlechter, als der Mops, weil der seine Wohl thäterin liebt. Was aber mich betrifft, fiel), so wollt' ich mich lieber auf eine Galeere rum Ruder» verdingen, als von dir das Gnadenbrot essen. Das, Frau Nichte, hast du von mir r» «warten! .. . Und Judith," setzte ich hinzu; »wenn man Sie hier mit ihrem Hunde nicht dulden will, so kommen Sie getrost zu mir. So lange ich Brot habe, soll es Ihnen und Ihrem Mopse auch nicht daran fehlen." Jetzt kam der Vater zurück, und hörte mei, ne letzten Worte noch. Was ist denn? fragte er. »Deine Tochter da," antwortete ich, „macht Bedingungen mit unsrer Judith und ihrem Hunde." Er runzelte die Stirn, und sagte rauh: wo ich bleibe, da bleibt auch Ju, dich mit dem Mopse! — Die Locht« «rothe-
191 — te, und schwieg. Hast du eS gehört? fragte er nach einer Weile. — 3«# sagte sie kurz. — Aus Gnade will ich hier nicht seyn! fuhr er fort. — Sie küste seine Hand, und sagte mit verstellter Demuth: lieber Vater, ich habe ja alles von Ihnen. Sey» Sie doch unbesorgt! — Wenn ich besorgt wäre, erwiederte er sanfter, so würde ich hier nicht sey». Ich denke, Kind, du liebst mich, und wirst mich nicht noch tiefer beuge». Judith bekam nun einige freundliche Blicke; ich sah aber schon voraus, was folgen würde. Die arme Judith dachte gewiß juitt ersten Male mit Freuden an ihre» Sarg. Ich ging nun. De» Tag nachher kam mein Neffe in die Stadt, und bat, ich möchte seinen Vater doch bewege», ihn zu sprechen. Aber der Bankerott, an dem der Sohn, ohne es tu wissen, so viel mit Schuld ist, hat meine» Schwager noch hartnäckiger gemacht. Jetzt ist noch nicht der Zeitpunkt, diesem Felsenherje» Liebe abzugewinne». Er hat seiner Tochter alles gegeben, und den Sohn verstoße»; jetzt muß er seinen Schritt durch eine fortgesetzte Härte rechtfertigen. Das
sagte ich dem Sohne; er bestand aber darauf, seinen Vater sprechen zu wellen. Nun nahm ich ihn mit nach dem Hause seiner Schwester, und trug es dem Vater vor. „Was will er?" fragte dieser finster, doch nicht ivrnig. — Er will dich seiner Liebe versichern; er bietet dir sein Vermögen an. — „Hm!" erwiederte er trocken; „ich habe hier meine Tochter. Ihn mag ich nicht sehen. Sag ihm das." — Schwa ger, stoß das Her; deiner Sohnes nicht von dirl — Er schwieg einen Augenblick; dann sag te er: >;ich habe nur eine Tochter. Du kannst ihm in meinem Nahmen Glück wünschen; doch sehen will ich ihn nicht." Ich ging hinaus, und beredete de» Sohn, sich zu entfernen. Er reiste mit schwerem Her, ze» ab. Der Alte muß noch mehr verlieren, um Liebe schönen zu könne». Heute sind nun erst vierzeh» Tage vergangen, und alle diese Menschen werde» ihrer Lage schon herzlich überdrüßig. Judith hat ihr rothes Colorit und die ausgestopsten Wangen schon ganz verloren. Ich Habe sogar ihren Mops, von dem sie sich bit, terlich «einend trennte, zu mir nehmen müssen.
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Mit dem Vater geht die Tochter noch so ziem lich artig um; wenigstens ist er ganz heiter, wenn ich bei ihm bin. Ich fürchte aber, er stellt sich nur, als merkte er nicht, wie ungern seine Tochter ihn sieht, und verbirgt seinen Unwillen, um nicht ganz Unrecht tu haben. Lange kann es nicht dauern. Der Alle ist ge wohnt zu herrschen; Und wenn er in seinem ge wöhnlichen Tone befiehlt, verrath die Tochter durch das Hin - und Herdrehen des Gesichtes, wie sehr es ihr tuwider ist, sich von einem Manne befehlen zu lassen, von dem sie nichts mehr zu erwarten hat. Die alte Furcht, oder Scham vor der Welt, halt sie bis jetzt noch in Schranken, so wie den Vater der Wunsch, nicht am Ende sein Unrecht gestehe» tu müssen; aber treten sie Beide aus ihrem Geleise: was wird dann erfolgen! Schon als ich die Nachricht brachte, daß nichts von dem Vermögen gerettet wäre, frag, te die Tochter unmuthig: „nicht»? gar nicht«? .. . Nun," setzte sie mit einer trotzigen Bewe, gung der Hand hinzu, «so will ich doch wenig stens Herr in meinem Hause seyn!" — Bravo! «l. Rom. VI.
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*94 — sagte ich; auf die Straße hinaus mit deinem alten Vater, weil nicht neue sechzig tausend Thäler für dich da sind! Sieh, Braun-, ei» solche- Töchterchen hat mein Schwager sich erzogen! Aber geht es nicht meistens so? Erziehe», befehlen, schelte« wir nicht so lange, bis der letzte Keim von Lie, be aus den Herzen der Kinder weggeriffen ist? Ich wünsche dir Glück, daß du deinen Sohn wieder hast, alter Brauns. So gut du auch bist, so konntest du doch das häßliche ewige Ta deln nicht lassen. Adie».
Richter an Brauns. £♦**. Älein alter Schwager «nd Judith wohnen jetzt bei mir in einem kleinen Stübchen. Nun, hof fe ich, soll da- Unglück sein Herz bald weich genug machen, die Liebe seines Sohnes mit Liebe zu vergelten. Seine Tochter ist noch ab, scheulicher, als ich dachte. Ich besuchte mei, neu Schwager, so lange er bei ihr war, sehr
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oft; noch immer merkte ich ihm aber groß« Heiterkeit an, obgleich Judith mir so viel »oit Vater und Tochter erzählte, daß ich die Hei, terkeit für erkünstelt halten mußte. Judith hatte die beste Partie genommen: sie stellte sich krank, um auf ihrem Stübchen bleiben zu kön nen. Die Härte der Frau vom Haufe mochte sehr merklich werden; denn ihr Vater schickte der alten Judith jeden Mittag eine gute Por, ttott Essen und ein Glas Wei«, das er erst für sich selbst gefodert batte. Gegen mich schwiegen Vater und Tochter; ich konnte also das Verhältniß, worin sie stan den, nur an ihren Mienen errathen. Sonst gfng ich, wenn ich hinkam, jedes Mal in das Gesellschaftszimmer; eines Tages ließ er mich aber auf fein Zimmer bitten. I» unserm Ge spräche entfuhren ihm zuweilen bittre Anmer kungen über die Undankbarkeit der Menschen, doch ohne daß er sie auf seine Tochter anwe», bete. Ich ließ ihn nichts von meinen Vermu thungen merken. Auf einmal fragte er: „Schwa ger, wie hieß doch der König, von dem du
— ig6 — mir einmal die Komödie verlasest?" — Ich sah ihn starr an, weil ich nicht ganz sicher wußte, was er damit sagen wollte; aber meine Ver, muthung war richtig: er meinte den König Lear. An dem Tage, da er seinen Sohn verstoßen hatte, setzte ich mich zu ihm, las den König Lear, und machte ihn durch meine Ausrufun, gen und Seufzer aufmerksam. Endlich fragte er, was mich so rührte. Ich erzählte ihm den Inhalt des Trauerspiels, und las ihm dann einige Scenen vor, die für ihn paßten. Er Hirte zwar damals mit Unruhe zu, äußerte aber nichts. Jetzt fiel ihm -aS wieder ein. Welcher Kö nig? fragte ich. — „Der König, der seine gu te Tochter enterbte, und sein Reich den andern beiden Teufeln gab." — Aha! der! König Lear! Was willst du von dem? — „Spielen sie das Ding wohl einmal? Ich meine auf dem Thea ter." — O ja! — „Nun, wenn sie es spielen, so sag es mir. Ich bin nie im Schauspiele ge wesene das will ich aber doch einmal sehen."
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Lr sagte bas mit aller Ruhe, die er ertwingen konnte. Ich äußerte nichts; aber lieb war mir die Idee. Nach einigen Tagen wurde das Stück ge geben, und ich brachte ihm Nachmittags de» Zettel. Er sah ihn finster durch, und steckte ihn rin. „Höre, Kind," sagte er nach einer Stunde tu seiner Tochter; „da sollst mir heu, te einmal «inen Gefallen thu». Wir wolle» tusammen in da- Schauspiel fahren." Sie er, kündigte sich, was gegeben würde. „Das ist ja einerlei," antwortete er. — Ich fuhr mit, und setzte mich in der Loge so, daß ich sie Bei, de im Auge hatte. Anfangs schien das Stück aus ihn selbst keine große Wirkung {U thun; von Zeit ru Zeit sagte er aber »u seiner Toch ter: „gieb ja wohl Acht, Kind!" Sie schien nicht sogleich $u bemerken, daß er absichtlich hier war; doch endlich mußte sie wohl aufmerk sam werden, als ihr Vater bei einer Stelle, wo der König sich der Kordelia erinnert, r« ihr sagte: „meinen Sohn enterbte ich; und dir gab ich alles, was ich hatte!" Sie warf einen sprechenden Blick aus mich, wahrscheinlich weil
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i-gS —
sie glaubte, daß ihr Vater aus meine Veran lassung hier wäre. Nach und nach zog da« Stück die Aufmerk samkeit meines Schwagers st fest auf sich, daß er sich Md seine Tochter vergaß. Mitleiden mit dem unglücklichen Könige, Haß, Abscheu gegen die beide» undankbare» Töchter, brachten wechselsweiß! Thräne» mib flammenden Zorn m seine Augen. Als der Vorhang fiel, blieb er «och eine Weile in sich versunken sitzen, und stieg dann, ohne mit seiner Tochter ein Wort zu sprechen, in-den Wage«. Zu Haust ging er, mit gesenktem Kopfe, und die Arme über die Brust gekreuzt, im Zimmer auf und nieder. Die Tochter, di« vielleicht wohl wenig von dem Stücke gesehen habe« mochte, war 8er, brieflich, und ging ab und tu. Als sie einmal wieder neben ihm weg gehen wollte, umfaßte er sie plötzlich, und rief, mit einer Stimme, die auch ei» Felsenherz hatte spalten können: „meine Kordelia!" Der harte Mann weinte tum ersten Male heiße Thräne» an der Brust seiner Tochter. Ich weiß nicht, wie die erha bene Scene das Hert des Weibes verfehlen
!99 — konnte. Sie wurde finster, doch, wie es mir schien, nicht bewegt. Uebrigens betrug sie sich den Abend sehr freundlich. Nach einigen Lagen sagte mir der alte Mann mit rauher Stimme: „hatte ich doch den Lear vor lünftehalb Jahren aufführen se, hen!" — Damals wollt' ich ihn dir vorlese», Schwager. — „Recht, recht!" rief er. übermal, lend; „und ich wollte nicht hören. Jetzt," — fuhr er, zur Erde uiedetsehend und traurig, fort — „jetzt muß ich fühlen!" Nu» brachte ich seine Vorstellungen auf seinen Sohn. „Ich bit, te dich, schweig!" rief er, die Auge» heftig be, wegend. «Von dem mag ich nichts wisse». Ein Heuchler war er nicht, wie die; aber mein Sohn doch eben so wenig. Von dem kein Wort, Schwager, wenn du mich lieb hast!" Ich schwieg, weil ich seine Vorstellungen ziem, lich genau errieth. „0,” rief er nach einer Pause; „ich möch te wohl einmal austoben können, wie der alte Vater, so in Gewitter und Regen!" Danke Gott, sagte ich ablenkend; dazu hast du keine Ursache. — „Nicht?" (mit flammen,
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den Augen) „nicht? Des Königs Ritter wur de» abgedankt/ seine Freunde gemißhandelt. Wie? ist nicht Judiths Mops auch schon abge dankt? Ich habe das Thier nie leiden können; aber mußte meine Tochter es verfolgen? Wird nicht die arme Judith . .? Und werde ich nicht selbst . . .?" — Du selbst? — Aus einmal schwieg er, und suchte, was er gesagt hat te, z« bemänteln. Ich redete im Allgemeinen »um Frieden; und «'schüttelte langsam den Kopf. Endlich brach di« lange unterdrückte Flam me hervor. Judith wollte rum Abendmahle ge hen. Sie hatte seit vierzig Jahren jedes Mal einen Speeiesthaler als Beichtpfennig gegeben. ES fehlt der alten Jungfer gewiß noch nicht an hartem Gelde; sie mag aber wol)l glauben-, ihren Schatz rusamme« halten zu müssen. Nun kam sie zu meinem Schwager herunter, und bat ihn — nicht um den Thaler selbst, sondern nur, ihr einen für kleine Münze zu geben; frei lich wohl in der Absicht, ihn geschenkt zu be kommen. Mein Schwager schob ihr das Geld zurück, das sie anfing aufzuzahlen, nahm selbst
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Geld aus seiner Dorfe/ und sagte t« seiner Tochter: „gieb mir dafür einen Species." Was wollen Sie damit, Judith? fragte die Frau. Ich brauche ihn tum Beichtpfennige, ant wortete Judith furchtsam. Wie? einen Thaler? Sind Sie nicht bei Sinnen? Eine Mark wäre für Sie über und Über genug. In diesem Augenblicke trat ich in die Thür. „Du giebst ihn nicht," rief mein Schwager sehr zornig; „ich gebe ihn. Schweig!" Seine Tochter wurde flammend roth im Gesichte. Sie geben ihn, rief sie; nun ja! Aber ist denn das nicht am Ende so gut, als ob ich ihn gäbe? Schon eilte Mark, dachte idj; wäre'-für eine Person, die das Gnadenbrot ißttu viel. Nun hättest du meinen Schwager sehen sol, len! Wie ei» grimmiger Löwe sprang er Atif) und Tisch und Stuhl stürzten vor ihm nieder. Seine Tochter und Judith wurden tvdtenbleich. Er faßte jene bei dem Arm, und sah sie mit den Blicken de- heftigsten Zornes an. Sie tief
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mich tu Hülfe, und ich bat ihn, sich zu beru higen. Er schüttelte den Kopf, und rief mir endlich mit halb erstickter Stimme $u: „ich will nur reden!" — Liebster Vater, liebster Va ter! schrie sie weinend. — „ Reden will ich! Du sollst hören! und Gott, -er gerechte Gott, erfülle mein« Worte!" Vater, sagte ich, und faßte ihn in mein« Arme: fluche deinem Kinde nicht! Er erholte sich an meiner Brust, sah finster vor sich nie der, und sagte dann weinend: „nein- fluchen will ich nicht. Aber wissen sollst du, Schwa, ger, welch ein Kind ich habe!. .. Wenn ich mir Mittags das zweite Glas Wein einschenke, so sieht sie das immer mit Verdruß. Sie gießt, «he wir an den Tisch gehen, jedes Mal aus -er Bouteille so viel Wein aus, daß «S so eben für uns hinreicht." — Das war richtig, Brauns; -er alte Manu hatte schr genau bemerkt. Er wollte sortfahren; ich hielt ihm aber die Hand auf die Lip, pen, bis er mir versprach, ;u schweigen. Nun nahm er Hut und Stock. „Kommen Sie," sagte er tu Judith, die zur Beichte angekleidet
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war; „ müßte ich Sie auch mit Wollespinnen ernähren, -da- Gnadenbrot solle« Sie nicht e£ sen!. . . Und du, Tochter? fuhr er sanfter fort, als ,'ch dachte: „gebe Gott, daß du nie Mutter wirst! Ich liebte meine Eltern, und, habe solche Kinder: was würden deine Kinder seyn!" Nun zog er, ohne auf die Bitten der Tochter zu hören, Judith zum Hause hinaus, und ging mit zu mir. Ich -gab ihm die ganz« Summe, die ich nach und nach von ihm bekommen hatte, und sagte: -ganz arm, lieber Bruder, bist du nicht; und arbeiten, Gott Lob! kann ich für dich und Judith. Es soll uns an nichts fehlen, dafür steh' ich dir. — Ich ließ die Betten holen, weil er durchaus nicht wieder zu seiner Tochter hin wollte. Schon diese» Abend führte ich de» Gedanken an seinen Sohn leise vor seine Seele. «Ich habe ihm Unrecht gethan," sagte er seuf zend ; — „aber sehen möchte ich ihn doch nicht!” setzte er sogleich hinzu. Nach einigen Tage» brachte ich nun das Gespräch auf unsere Art zu lebe». Ihn selbst verlangte nach Arbeit. Ich nannte ihm aller,
— 204 — lei/ stellte es aber so schwierig vor, daß er sich nicht Kräfte genug r» so etwa- tutrauete. End, lich that ich ihm den Vorschlag, in einem Stadt, chen die kleine Handlung einer Witwe zu füh ren; und da- nahm er an. Alle- wurde schein bar verabredet, und der achte dieses Monats ,nr Abreise bestimmt; es geht aber nach Plsu, rnberg in die Arme seine- Sohnes. Judith bleibt noch hier, weil die mit ihrer Neugierde den Handel verderben könnt«. Den achten al, so, lieber Brauns, schaffe mir meine» Neffeir und Augusten- Mutter W Plairenberg nach Hamburg, und behalte sie so lange da, bis du einen Brief von mir bekommst. Aber Auguste mit ihren drei Kindern muß bleiben. Mein Schwager heißt nicht mehr Jahns, sondern Müller. Es kostete mir keine Mühe, ihn ju dieser Aenderung seines Nahmens zu bereden, da sie ihn über manche unangenehme Scene wezbringt. Den achten reise» wir von hier ab. Also mein Neffe und seine Schwiegermutter müssen weg. Hörst du, lieber Brauns? — Wenn ich nur erst Auguste» bewöge» habe, daß sie nicht
so5 — verrath/ wer sie ist! Mich/ den alten Man«/ der ihr so oft Arbeit brachte/ kennt sie gewiß «och. — Seine Buß, und Trotz-Psalmen hat mein Schwager gesungen; nun soll er, hoff' ich/ auch einen Jubel-Psalm singen. Adieu.
Derselbe an Denselben. Planenver-. £ie» mir heute meinen Bries von vorn an/ Brauns, und nicht das Ende zuerst! Wir überließen also der Judith unsre kleine Haushaltung, ihre Gebetbücher und ihren Mop«. Ich versprach, in acht Lagen zurückzukommen, fuhr ab, und richtete es so ein, daß wir Abends in Plauenbcrg anlangen mußten. Wir stiege« vor der Pachterwohnung aus, und die junge Frau kam aus dem Zimmer, uns entgegen. — Brauns, du hast Recht; es ist ein sehr schöne« Weib! Meine Julie fiel mir sogleich wieder ein, wie sie von dem Schiffe herunter — in die Seligkeit de- Himmels sank. „Kennen Sie Ihren alten Freund noch, Frau Amtmännin?"
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frägt» ich. — O, Sir find es, alter lieber Herr — „Pst! Pst!" rief ich ihr zu; „ich bi« »och immer so geheimnisvoll, wie ehemals. Sie find glücklich verheirathet, und . — 0, sehr glücklich! sagte sie zärtlich. Mein Mann ist in Hamburg, und . . < — „Ich weiß, ich weiß, Frauchen; und drei Kinder haben Sie. Gratulire. Das find zwei." (Ich nahm einen Knaben aus und küßte ihn, dann ein Mädchen, das älteste.) „Aber das dritte?" — Das liegt in der Wiege. — „Lassen Sie es mich doch sehen!" — Ich ging mit ihr in die Kammer, wo das Kind lag, und bat sie, meinem Be, gleitet zu verschweigen, daß sie mich in £•♦* gekannt hakte- „Zu dieser Bitte," sagte ich, „habe ich gute Ursachen. Nennen Sie auch Ihren Mann lieber: Brauns, weil mein Be gleiter nicht erfahren soll, daß Sie jemals m £'" gewesen sind. Ihren Mann kennt er." Dem Vater ihres Bruders — denn, daß ihr Bruder von mir Alles hat, wußte sie, aber noch immer nicht, daß ich ihres Mannes Oheim wäre, ja, auch nicht einmal meinen Nahmen — dem Vater ihres Bruders konnte sie nichts ab-
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schlagen, und sie versprach sogleich Aller, war ich verlangte. Nun ging ich wieder mit Augusten in das Zimmer zu meinem Schwager. „Die Nach» richt, daß Sie glücklich »erheirathet wären, liebe Frau," fing ich wieder an, „hat mir gro ße Freude gemacht. Aber nun find die Flitter wochen vorüber. Sagen Sie, find Sie noch immer glücklich?" — Sie warf einen frommen, freudigen Blick rum Himmel; bann hob sie die Hande gefalle» auf, und sagte: v, lieber Herr, so glücklich, so höchst glücklich, ach, daß ich manchmal fürchte, es ist zu viel für dieses Le ben! — Dabei rollten Thränen einer dankbaren Freude über ihre schönen Wangen. Nun mach te ste eine sehr rührende und erhebende Beschrei bung ihres Glückes, nahm ihre beiden älteren Kinder auf den Schooß, und sah sie dabei von Zeit zu Zeit mit Blicken an, die nur das Au» ge einer Mutter hat. 0, sagte sie endlich; Sie müssen meinen Mann kennen lernen. Er ist nach Hamburg zu meinem zweiten Vater ge, reist, kommt aber schon in einigen Tagen zu,
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rück. Wissen Sie denn auch Alle-, wa- mir begegnet ist? „Ich weiß Alle- ganz genau." Nun denken Sie, theurer Freund, wie. . . Mei» Pflegevater brachte mich hierher. Ich saß an dem Fortepiano, gegenüber auf dem Edelhose; und als ich mich umsah, trat mein Mann herein. Ach! es war, als ob die Erde unter mir wegrückte. Und dann, als ich Mur ter wurde, und wieder, und noch einmal! — Sie benetzte ihre Kinder mit Freudenthrancn; dann stand sie auf, und verließ in freudiger Rührung das Zimmer. Nun fing mein Schwager an, mich tu exa«üniren; ich sagte ihm aber natürlicher Weise nur etwas sehr Unbestimmtes. Endlich fam Auguste mit ihrem Säuglinge wieder. „Aber," fragte ich, „vertragen sich auch Schwiegersohn und Schwiegermutter?" — 0, antwortete sie; mein Mann kann seine eigne Mutter nicht lie ber gehabt haben, als die meinige. — Sie lprach nun mit einer höchst rührenden Ehrer, bietung von ihrer Mutter. Mein Schwager flister-
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flisterte mir zu: ach, wem Gott eilte solche Tochter gegeben hat! Die junge Fra« besorgte hieraus die Küche, und wir blieben allein. Hier im Hause herrschen reinliche Ordnung, Einfachheit, Ruhe und Fleiß so «eben einan, der, daß man schon durch den bloße« Anblick der Gesichter heiter werden mußte. Nach Ti, sche bat ich die junge Frau, ru fingen und j« spielen. Brauns, du hast Recht: vortrefflich! — Der Abend »erging wie eine Feierstunde. Ein, oder zweimal hätte Auguste sich beinahe »erra, theil; ich hals ihr gber glücklich wieder in den Text. Bruder, sagte mein Schwager, als wir uns niederlegten: welch ein glückliches HauS! welche Eltern! welche Kinder! „Das macht, Bruder, hier regiert Liebe die Herze», und nicht Herrschsucht. Du weißt noch nicht, welch ei» Schatz die Liebe ist!" Und nun, antwortete er seufzend, werd' ich es nicht mehr lernen! Hätte ich früher gewußt, was ich hier sehe! — Gute Nacht! Am folgenden Morgen regierte die "junge flU Nom. VI. [14]
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Frau da» Hau-, die Wirthschaft mit einet Milde, mit einer Leichtigkeit, die uns, beson ders meine» Schwager, diese» große» Freund der Ordnung, i» da- fröhlichste Erstaune» fetz te. Nun ginge« wir in de» kleinen Garten, der sehr angenehm geworden ist. Mein Schwa ger fragte Augusten, wie sie es anßnge, die große Haushaltung r» übersehen. Sie antwor tete lächelnd: mit Liebe und Ordnung kann ma» Alle- möglich mache». Und nun setzte st« ihm ihre Geschäfte weiter au- einander. Du weißt, welch ei» Kinderfreund ich bin. Nach einer Stunde hingen mir die beide» Kleinen auf de» Kniee». ES wundert mich noch im mer, daß mein Schwager sie nicht erkannte, da sie dem Vater so höchst ähnlich sehen. So lebten wir drei Tage, und mein Schwa ger sagte: hier ist der Himmel! — Endlich kam auch der Wunsch aus seinem Herren: Gott wenn ich solche Kinder hätte! — Nu» jagte ich deine» Reitknecht mit dem Zettel an dich nach Hamburg. Zwischen meinem Schwager und der jungen Frau herrschte eine sehr angenehme Vertrau»
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lichkeit, und er schien in ihrer Gesellschaft so, gar feilt Unglück zu vergessen. Wir plauderte» eben nach Tische» da ging die Thür aus, und mein Neffe trat mit seiner Schwiegermutter herein. „Ach, liebster Manul" rief Auguste mit Entzücken, mit flog ihm entgegen. Er und sein Vater wurden bleich, als sie einander erblickten.. Furchtsam, schweigend, näherte sich der Sohn dem Vater, der ängstlich um sich her sah, al- ob er ein Dertheidigungsmittel suchte. 0, mein ehrwürdiger, geliebter Vater! stammelte der Sohn, und sank langsam, alob ihn eint schwere Last niederdrückte, auf die Kniee. In eben dem Augenblicke stürzte Au, guste herbei, und rieft dein Vater r Sie ergriff de- alten Manne- Hand, und sank vor ihm nieder. „Vater! Vater!" nur dieses einzige Wort wurde gesagt > und e- war mir, als ob ein himmlischer Geist Segen und Heil über daMenschengeschlecht herabriefe. Die beiden Kin, der, die ihre Eltern knieen und meinen sahen, kamen nun auch herbei, und umfaßten die knie, ende Mutter. Auf einmal entriss mein Schwa, ger in heftiger Bewegung seinen Kindern dje
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beiden Hand«/ die sie mit Thränen und Aus sen bedeckten, und hob sie gen Himmel. Als ob er fürchtete, daß man sein» Empfindungen falsch auölegen würde, rief er: mein Sohn! meine Tochter! 0 Gott! Gott! So blieb er einen Augenblick, noch immer mit ausgehobnen Hande», siehe». O, mein Sohn! sagte er dann; kannsi du mir vergebe»? Sohn und Tochter schlangen mit einem Ausrufe des Entzückens ihre Arme um de» Greis. Nu» schlug seine Brust zum erste« Male i» Liebe, und sei» Augr hob sich in Zreudenthränen. O, mein theurer Wilhelm, sagte er auf« neue: vergieb mir! verzieh deinem harte», um gerechten Vater! — Der Soh» und Auguste verschlossen ihm de» Mund mit Küssen. End lich wer der Taumel der Freude, der Rührung, des Entzückens vorüber. Nun kamen denn Fra gen: »warum sagten Sie mir nicht, daß er mein Vater wäre?" — „Warum verschwiegst du mir, -aß ich bei meiner Tochter war?" — Ich lös'te ihnen das Räthsel auf; doch, wie du deuken kannst, mit Behutsamkeit und mit Scho, nun» für meinen Schwager.
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Nun kam noch eine kleine rührende Scene nach. Mein Schwager hob die Kleinen auf, und liebkos'te ihnen. Das ist dein guter Groß vater, sagte die Mutter iu dem Mädchen. „Ist er denn nun schon todt, Mutter?" fragte das Kind. Die Mutter errvthete. Das Kind wie, verholte seine Frage, und setzte hinzu: „denn du sagtest ja immer, wenn er todt wäre! Ist er nun todt?" — Mein Schwager sah mich an, setzte das Kind an die Erde, und hatte, wie ich sehr deutlich merkte, den bittersten Verdacht in seinem Herzen. Ich nahm schnell seine Hand, führte ihn zu einem Stuhl, und setzte das kleine Mädchen auf seine Kniee. Nun fragte ich das Kind: wenn der Groß, vater todt wäre — was sollte daun werden? was sagte dir die Mutter? „Dann," antwortete das Kind unschuldig; „dann, sagte die Mutter, sollte ich dem Groß, vater die Hand und den Mund küssen, wenn er todt wäre, und sollte ihm sagen, daß ich ihn so lieb gehabt hätte, und der Vater auch, und die Mutter auch, und August auch." Warum beim aber erst, wenn er todt wäre?
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„Sieh," antwortete Has Kind, „die Mut, ter sagte immer: ich sollte de« Großvater recht lieb habe»; et wäre so -gut, und hätte uns so lieb, und Alles, was Vater und Mutter, und Großmutter, und ich und August hätten, das gäbe uns der Großvater. And ha hatte ich ihn auch so lieb, und da fragte ich hie Mutter recht »ft: «an« wird denn Großvater kommen, daß ich ihm die Hand küsse» kann? Dann «einte die Mutter, und sagte: er wohnt weit, «eit von hier! Aber sehe» wirst du ihn; sey »ur gehorsam und gut. Wen» er todt ist, dann sollst du ihm die Hand und te« Mund küsse», und dein Vater auch, und wir Alle; und wir «ollen vor ihm Hinknieen und ihn bitten, uns lieb |« haben, wie wir ihn! Sieh, Großvater, das sagte die Mutter." Meine Herjens.-, Herjenstochter! sagte mein Schwager schluchrend; Gott vergebe es mir, daß Sie so sagen mußten! — Er stand auf, und «ahm seine» Sohn an seine Brust, dann seine Tochter, dann di« Kinder, daun uns Alle. Ich sah, daß seine Empfindungen seinem Her, »en tu mächtig wurden, und führte ihn weg.
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Als wir allein waren, fiel er mir nm len Hals, und sagte: „Bruder, welch ein Mensch bin ich gewesen! 0, lieben sie mich denn wirklich? Kinnen Sie mich lieben?" — Sich, alter Brauns, dies harte Her; habe ich noch weich gemacht. Nun laß den Engländer, den Tod, kommen; ich bin bereit. Gant wollte sich die harte Rinde des Arg, wohns noch nicht von dem Daterherzen abliseu. Da saß «r schon am folgenden Lage, und horchte; doch die ehrerbietigste Liebe spricht aus allen Bewegungen seiner Kinder: sie entlocken seinem Herren auch die leisesten Wünsche, er, füllen sie, und sind offenbar dadurch glücklich. Das sieht er, und sei» Herr terschmilrt. „Bei Gott!" sagte er gestern ru mir: „hier ist die Liebe Herr im Hause, oder ich bin es. Ach, wäre ich doch nun noch reich!" — Bist du es »icht, Bruder? fragte ich lächelnd. Hattest du je mit allem deinem Gelde den Schatz der Lie, be, wie jetzt? Er faltete die Hände, und hob sie auf: „ja, ich war ein elender Bettler, Bruder. Jetzt bin ich reich!" Sieh, nun will ich hier das angenehme
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Schauspiel erst mit einer Posse endigen; und dann, alter Braun-, komme ich ru dir nach Hamburg, in deinen Arme» ru sterbe», oder dir die Auge» ruzudrücke«. Was ich dir sagte: dein Sohn will leben, wie wir gelebt haben. Er wird die Ruhe, die sanften Freuden der verborgene» Wohlthätigkeit erst dan» suchen, wenn er, wie wir, die ganze Erde durchzogen ist und nichts gefunden hat, was die Mühe des Suchens lohnt, als Liebe und Stille. Laß ihn riehen mit seiner Frau; du hältst ihn doch nicht. Aber siehst du nun wohl, daß die einfache Auguste nicht für sein ungenügsames Herr paßte? Laß ihn riehen; Richter, dein ältester Freund, kommt. Wir wollen die Unglüekliche» aufsuche», sie trösten, und dann einmal mit dem Bewußtseyn unsres Lebens in die stille Seligkeit gehen. Adieu. Ich sinne auf die Dekoration einer Posse. Wie ma» doch immer ei» Mensch bleibt! Adieu.
Plauenvers.
D« -ist wieder entadekt, Bruder Brauns. Ich trallalle lustig im ganren Hause umher über die vergnügten Gesichter/ die ich sehe, und über die großen Augen, die sie Alle machten. Auch Judith ist hier; ich habe sie indeß hin über in das Pachterhaut gewiesen, und sie soll mir das jweite Wort von dem goldnen: bete und arbeite! noch erfüllen. Das Hetzen wird sich geben: denn hier giebt es keinen Menschen, der sich hetzen laßt; und allem An schein nach hat sie sich gebessert. Ist et keine Radikal-Kur, so muß sie nach Hamburg in «in Stift: bat weiß sie. Also — Doch, lieber Brauns, ich bin wahr haftig noch ein eitler Geck, so alt ich auch bin. Sieh, ich ließ auSsprengen, Herr Brauns von Plauenberg käme. Da wurde der Edelhvf um gekehrt, und den Bedienten die Staatslivree ange;ogen. Die schonen Möbel waren mir nicht schon genug, und es kam noch ein Wagen voll. Sich, ich alter Thor rvg einmal wieder meine
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Uniform an, und ließ sie Alle in deinem Nah men herüberbitten. Sie würben von prächtig gekleideten Bedienten empfangen und die breite Treppe hinan geführt. Die Flügelthüren spran gen auf, und ich -and mitten im Zimmer gra vitätisch da, wie ein Engländer, wenn er eini gen Nabobs Audienz giebt. Sieh, und als sie herein kamen, wollte ich mich ausschütten vor Lachen, weil ich mich freuet« und — schämte. Ich wurde wieder ernsthaft, da sie mich Alle kfo verwundert betrachteten, und nicht wußten, wie sie die Sache zu nehmen hätten. Nun übergab ich meinem Neffen das Doku ment, das ihn zum Herrn von dem schönen Plauenberg macht. Er las, sah mich an, las wieder, und sah mich wieder an. Ich begreife nicht, sagt« er: Plauenberg . ..? — „ist dein." — Und Sie? — „Ich bin dein lieber Oheim." — Aber Herr Braun- — „bin ich." — Mein Gott! theurer Oheim; aber Sie — „Ich bin Herr Brauns. — Kinder," sagte ich endlich; „ lacht mich nicht aus. Dies Planenberg be, kommt ihr von mir tum Geschenk. Ich bin reich, sehr reich. Wir, ich und Brauns, mein
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Herzensfreund, retteten Augusten au- Scha chers Händen, und dich, Wilhelm, aus der Willmanns Netzen. Ja, ich Habe alles gethan. Und nun Kinder, macht mir die Freude, und nehmt Plauenberg, oder vielmehr -ehaltet es, ahne ein Wort darüber tu verlieren. Nun fielen sie mir Alle, einer «ach dem andern, «m den Hals, die alte Judith nicht ausgenommen. Und die schöne Kutsche mit de» vier Isabelle»? fragte diese. — „Ist auch euer." — Nun, so soll mir Gott helfen, sagt« sie jauchzend, -aß ich noch einmal darin nach £•*• fahre! — „Und vor dem Hause meiner Nichte vvrüber, nicht wahr?... Judith wollen Sie nicht endlich vergeben lernen!" Nu» erhob sich ein fröhliche- Getümmel der Bauer», des Amtmanns, des ehrwürdigen Predigers, die all« bestellt waren. Wir aßen im großen Saale, und Abends wurde getanzt. Ich fragte meine» Schwager, ob er seine Hand lung wieder etabliren wolle. Er schlug mein Anerbieten aus, legte sich in die Arme seiner Schwiegertochter, und sagte: hier will ich lebe» lernen, und lieben.
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Morgen fahre ich nach £***, und hole di« Tochter der Mamsell WillmannS a«r einer Pen« sion, wo sie vortrefflich erzogen wird. Dann komme ich i» dir nach Hamburg. Ich bringe dir also wieder ein Kind mit, daß wir nicht unter den Runzeln des Alters zu ern- werden. Adieu.
Derselbe an Denselben. L * * *. Ich schicke dir noch diesen Zettel, durch Augustens Bruder, eine» weichen, lieben jungen Mensche». Gieb ihm Empfehlungen nach £on« do» mit. Dahin soll er ein Jahr, um in dem Strudel der großen Menschenmasse etwas fester zu werden. Das Gerücht von meinem Reich thum« war mir schon vorausgelaufen; vermuth lich hatte Judith es in Gang gebracht. Meine Nichte kam zu mir; sie bedauerte, und so wei ter. „Liebes Kind," sagte ich; „ich wünschte, du hattest deine» alten Vater geliebt. Jetzt willst du Geld von deinen» reiche» Onkel. Sieh,
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Geld habe ich nicht für dich; doch Liebe, Rath und Mitleiden mit deinem Herren und deinem Unglück. Du bist recht sehr ru bedauern, Kind, daß du keine« Mensche« hast, den du liebst. Wahrhaftig, ich weiß dir nicht ru helfe».- Ich wollte, du würdest besser! Bei allem meinem Reichthums lebte ich Jahre lang äußerst dürf tig und abhängig; aber dennoch war ich glück lich, weil ich die Menschen um mich her lieb te. Geld ohne Liebe macht nicht glücklich, nur geitzig. Ich wünschte, du würdest blut arm, und hättest dann, wenn eS nicht ander seyn könnte, nur einen Mops so lieb, wie Ju dith den ihrigen; es wäre doch etwas. Kind, du bist die Tochter meiner ehrwürdige», gute» Schwester. Ich wollte, du hättest, anstatt dei nes Geldes, ihr Herr. Lieber Gott! (mir stie, gen Thränen in die Augen, daß ich so hart reden mußte) sieh, diese Thräne» weine ich dir. Ich werde dich Wiedersehen; und Gott gebe, daß du dann besser, menschlicher, tugend hafter bist! Adieu." So gingen wir aus einander. Ich glaube, ein Goldstück wäre ihr lieber gewesen, als mei-
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ne Thränen. Guter Gotik meiner Schwester Tochter! — Adieu. In drei Lagen reise ich »en hier ab- Den fünften bin ich in Hamburg, in den Armey meine« alten lieben Brauns! Adieu.
XIV.
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Rache.
D i e
Rache*).
4---------- -----„lind bin ich nicht glücklich?" fragte der stolt« Periander den weisen Medon; „bin ich nicht glücklich ohne deine strenge Tugend?" — Me, don sah ihn mitleidig an, und schüttelte schwei gend den grauen Kopf. Periander verlangte von ihm Antwort. „Herrscher von Korinth," sagte Medo» sanft; «die Götter haben alles gethan, dich glücklich ru machen: Korinth ist drin; du hast ein Weib, das dich liebt, und Kinder, die deiner Liebe werth sind. Was könnte der Sterb, liche mehr »erlangen? Aber in deiner Brust wohnt ei» böser Dämon, der das Glück, das die Götter dir gaben, zerstört: die wüthende Rachsucht. Du verdienst dein Glück nicht, und wirst es nicht behalte«, weil du nur herrschen willst. , Korinth liebte dich, und du wärest rin wirklicher König. Du wolltest mehr werde«: *) Herodvt. in, «I. Bem. VI.
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du träte- Korinth nieder; und es haßt dich. Wirst du ein besserer Gatte, ein besserer Vater seyn? Du kennest die Liebe, dir sanfte Mensch, lichkeit nicht; du willst herrschen, und bist nicht glücklich." Periander lächelte, und eilte in die Umar mungen seines geliebte» Weibes, seiner drei theu ren Kinder. Melissa, Perianders sanfte Gattin, liebt« ihren stolze» Gemahl, und tittert« vor sei ner Herrschsucht. Sie war ru Epidaurus mit Erasinus, ihrem nahen Verwandten, in der rärt, lichsten Freundschaft errogen worden. Er kam nach Korinth. Melissa warf sich mit Zärtlich, feit, weinend, in die Arme ihres Freunde-, und ruhet« lange an seinem Herren. Jetzt erwachte in Perianders Seele der ei, fersüchtige Stolr. Er verfinstert« das brennend« Auge; denn Melissa sollte nur ihn lieben. Die gütige Melissa sah den wüthenden Blick ihres Gatten nicht; sie faßte des Jüngling- Hand, und fragte ihn mit rärtlicher Stimme: »weißt du noch, Erasinus, wie sehr wir uns als Km, der liebten?" Sie erinnerte ihren Freund an die schönen Tage ihrer Jugend, an ihre Spiele, an
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ihr Vertrauen, an ihre Trennung: Dann führt« sie ihn |u ihrem Gemahle^ und sagte: »»Perian, der, liebe ihn, liebe ihn sehr!" Periander schwieg, obgleich. Eifersucht: und- Rach« seine Seel« be, stürmten. „Liebst du etwa« außer mir- Melissa?" frag te er finster uttfr kalt, als er mit seinem Weib« allein war. — Meine Kinder; und dann ... meinen theuren Vater.... und dann .. . den «dlen ErasinuS, meinen Verwandten. — „Ich werde sehen-wen du mehr liebst," sagte Perian der, und macht« sich aus ihren Armen los. Am folgenden Tage beim Gastmahle wurde Erasinus bleich, und sank hintenüber. Gift! seufzte er; und starb.. Periander richtete «inen forschende» Blick auf Melissen.. Sie eilte t« dem ermordete» Iünglinx, sank auf den Leich nam nieder, benetzt« ih» mit heißen Thräne», und rief, vor Schmer» außer sich, seine» Nah, men. Periander hob sie auf, führte sie in ei» andres Zimmer zu ihren Kindern, umarmte sie, und befahl auch seinen Kindern, sie »u «mar, me«. Sie war untröstlich. Det Stvl»e, Ge fühllose verlangt« das Unmögliche; er wollte
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Herr ihres Schmerzes sey». „Ich," sagt« er kalt, und faßte ihre Hand: „ich gab ihm da» Gift; wir- du «och um ih« weinen, Melissa?" — Du? rief sie erstaunend, und riß sich von ihm los; du? Elender Mörder! was that er dir! & betrachtete Melissen mit einem wilde» Blicke, und »erließ sie plötzlich. Wüthend kämpf ten nun in feiner Seele Eifersucht und Ver trauen, Haß und Liebe. Sein Stolt sprach Me lissen das Todesurtheil; und sein Herr erbebte bei dem Gedankem „Sag," ries der thörichte, eitle Tyrann: „sag, Melissa, du habest ihn ge haßt; und ich will dir deine Thränen verreihen." — O, ich liebte ihn! rief Melissa, und hob di« Hände traurig rum Himmel aus: er war mein Freund l ich liebte -ihn! Der Stolz hob sich blutgierig in Perianders Seele hervor; di« Lieb« iu Melissen hielt sein« Hand turück. Er blieb allein, aus. Mißtraue» gegen sei» eigne» grausames Hert. Die Flam, men der Eifersucht verzehrte». ihn; die Lieb« wurde seine Marter. Es war ei» Monat »erlaufen, da sah er ei, »es Morgens (hie Unruhe hatt« ihn früh vom
Lager getrieben) ferne Gattin im Trauergewan, de an dem Grabmahle des Erasinus knieen und ihre Brust an de» kalte» Marmor drücken. Die, ser Anblick setzt« seine» Zorn, seinen Haß in Flammen. Er stürzte hinunter, »ahm seine drei Kinder, und führte fl« in de» Garten »u ihrer Mutter. Mit bebender, aber wilder Stimme sagte er: „nimm Abschied von deinen Kinder», Melissas Sie sollen nach Epidaurus ku deinem Vater." Melissa blickte ihn an, und las ihre» Tod in seinen Auge». Ich weiß... — sagte sie und umarmte ihre Kinder, die mm vvu ih rer Wärterin weggeführt wurde». Periander war mit Melisse» allein. „Wat weißt du?" fragte er wüthend. — Daß ich ster ben soll, wie er, antwortete Melissa. — „Du Ungetreue!" rief er, und hob den Dolch; „dein Gewissen sagt dir also, was du verdienst!" — Nicht mein Gewissen; dein Blick. — „So flu che hier dem Schatte» des Elenden!" — Zit ternd sagte Melissa: was verlangst du, Perian der! Ich soll dem fluchen, der mich liebte? — Sie sank an das Grabmahl, und umfaßte ängst, lich die Säule. — „Noch jetzt," ries der Grau-
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samt, »vor meinen Äugt», -umfassest du de« Stein?" Seine Hand fuhr berat, und stieß den Dolch in Melissen« Brust. — Periander l rief fit; ach! ich liebte dich, und du bist mein Mvr« der! Sir hob die Arme, ihn ru umfassen, sank rurück, und athmete «um letzten Male. Er schrie vor Entsetzen auf; die Furien er, schreckte» ibn. Der Dolch fiel aus stiner Hand/ und er fioh. Lieb« und Sch men -triebe» ihn ju dem Leichnam «mück. Er wollte sich dödten; seine Freunde, die herbeigeeilt waren, rissen ihm den Dolch au« der Hand. Periander, der Beherrscher Korinth«, war unglücklich-; Melissen« Schatte» »erfolgte ihn. Er fand nirgend« Ruhe al« in den unschuldige» Spiele» seiner Tochter, die, wie ihre Mutter, Melissa hieß. Die Amme de« Kinde« Hatte e« nicht nach Epidauru« bringen wollen, weil r« ru schwach für diese Reise ivar; die beide« Söhne aber lebten bei ihrem Großvater Prokle«, dem Beherrscher von Epidauru«. Periander brachte seine Tage in Korinth tröst, los hin. Der weise Medon fragte ihn oft: wirst du endlich einsrhen, daß der Mensch ohn« Liebe
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sich allen Schlägen -es Schicksals Preis giebt? Nicht die Gitter nahmen dir Melissen; dein Stolz, -ein Uebermnth that es, und deine unrrsättliche Herrschsucht. Perianders stolzer Her; wurde durch.diese Dorstelluug ergriffen, aber nicht überwunden. Die Zeit heilte seinen Schmerz, kostbare Opfer versöhnten Melissen- Schalten. Er dachte nicht mehr an sein Verbrechen, und war in dem Be, wußtsezm seiner Herrschaft, in der Liebe seiner Tochter, wieder glücklich. Doch die waltenden Gitter vergaßen ihn nicht. Er feilte ein Mensch «erden, und wurde es unter den Schlägen des Unglücks. Nach manche» Jahre» foderte er seine Söh ne von Prvkle-, Melissen- Vater, zurück, um sie zu Regenten zu erziehe». Prokles wußte, daß Periander seine Gemahlin ermordet hatte; er schwieg aber, au- Furcht vor PerianderGrausamkeit und Macht. Melissens Söhne we, ren dem Greise bisher Ersatz für die Tochter gewesen. Al« er die beide» Jünglinge am Mor, gen ihrer Abreise weinend in seine» Armen hielt, entriß ihm der Schmerz und die Furcht vor Pe>
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rianders Grausamkeit das schreckliche Geheimniß. „Ach," sagte er; „meine Kinder! Eure Mut ter Melissa ..." — Er sah sie starr an, und fuhr nicht fort Meine Mutter Melissa? rief der jüngere Sohn, Lykophron. Dein Ton, meiu Vater... Sprich! was ist? „Sie wurde ermordet!" tief der Greis. Ermordet? Vater! ermordet? Ewige Gitter! Wer — o, ich beschwire dich! — wer that es? Der Greis ritterte. Er wollte schweigen; doch eine unwiderstehliche Gewalt entriß ihm die Worte: „dein Vater." Der Jüngling verhüllte sein Gesicht, und stand lange so, an die Brust feines Großvaters gelehnt. Endlich nahm der Greis mit ritternden Hande» das Gewand von dem bleichen und starre» Gesichte seines Enkels, und wollte ihn triste». Lykophron schwieg lange in gräßlicher Kälte; bann sagte er: ich kann ihn nicht sehen; ich bleibe hier! Sein Großvater drang in ihn, daß er gehorchen sollte. Lykophron» willigte schweigend ein, und reiste, in tiefen Schmerz versunken, ab.
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Melissa hatte ihn unter ihre» Kinder« am meisten geliebt. Er dachte auf der Reise nur «« sie, an ihre Lugenden, ihren Lod, ihre» Mörder — seinen Daker; und ei« erstarrender Schmerz drang in seine edle Seele. Die Na tur hatte ihm Stärke und Stolz gegeben- Prökles Beispiel ihn groß und edel gemacht. Er mar seines Vaters Bild, doch nur in den schö, nen Jügem Sei» Bruder, ein schwacher, leicht, finniger Jüngling, hatte weder Geist noch Herr. Sie kamen in Korinth an. Periander, dem mehrere Reisende von kykophrvns Edelmuth und Seekengröße erzählt hatten, eilte mit Vaterfreu de seinen beiden Söhnen entgegen. Schon von Weitem erkannte er den jünger« an der Hel, denfigur, dem edlen Gange, dem stolzen Blicke. Der altere «arf sich in feine Arnre; kykophron aber stand schweigen-, mit niedergesenkten Au gen, vor ihm da. „Mein edler kykophron!" sagte der Daker, und wollte ihn umfassen. Der Sohn fuhr, wie von Schrecken ergriffen, zurück, und schwieg, selbst bei der Frage: „grüßest du deinen Vater nicht?" Den Blick zum Boden gewendet, ging ky-
— 234 kophrost an Perianders Seite |u dessen Burg. Seine Schwester, dir ihm entgegen kam, um, armte er mit de« Worten: o, wir Unglücklichen! Jetzt riß der Vater ihn ungestüm an seine Brust; doch der Jüngling stand kalt und schweigend in seinen Arme», ohne das Auge tu erheben. Bestürzt verließ Periander seine» Sohn mit einer Ahnung von Unglück in der Seele. Ly. kophron ging an das Grabmahl seiner Mutter, warf sich dabei nieder, und blieb eine Stunde laut weinend liege». Tief erschüttert ging der Vater tu ihm an Melissens Grab, und wollte ihn umarmen. Aber mit einem Schrei des Ab, scheus fuhr Lykophron zurück, zeigte schweigend auf das Grab, und ging. Drei Tage lebte der Sohn in seines Vaters Hause, ohne ei» Wort tu sprechen. Periander that alles, um ihn zu »ersehnen; Lykophron sah ihn aber nie an, antwortete ihm nie. Endlich erhob sich der Stolz des Vaters und des KL, »igs. Er führte de» Sohn an die Schwelle des Hauses, und fragte; „willst du gehorchens Der Jüngling entwertete nicht. „Nun denn," rief Periander zornig; „so verlaß mein Hausr
235 Ich bin nicht bei« Vater." Schweigend trat der Sohn über die Schwelle, und ging die Straße hinunter. „Soll ich «ich vor Hem Knaben beugen?" rief Periander Hornig. „Wohl! ich will ihm fremd seyn." Nun erfuhr er von feinem alte re» Sohne Lykophron- letzte Unterredung mit Prokle-. Sein Herr wurde heftig erschüttert; doch sein Stolz tzegte über sein Gewissen. Er ließ den Freunden, die seinen Sohn bei sich ausgenommen hatten, befehlen, ihn au- ihrem Hause fort tu treibe». Lykophron irrte in Ko rinth umher, wurde überall abgewiesen, und ant, «ortete nicht, wenn man ihm riech, sich mit sei, nem Vater auszusöhnen. Endlich »ahm ihn den noch ein Freund seine- Großvater- bei sich auf; und bei dem lebte er in trauriger Stille. Die Rache der Gotter! sagte Medon. — „Der Trotz eine- Rasenden!" sagte Periander; und Herolde machten auf seinen Befehl in gant Korinth bekannt: wer Perianders Sohn, Lykophron, bei sich ausnehme, oder nur ein Wort mit ihm rede, dessen Vermögen solle dem Apoll» verfalle» seyn. Lykophron hörte den Au-ruf de«
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Herolds, verließ schweigend bas Hau» seines Freunde», und ging auf den Markt unter dir Halle. Hier blieb er, ohn« zu sprechen, ohn« Mine Kleidung zu wechseln, beinahe ohne Dach und ohne Speise, drei Tage lang. Mit jeder Stunde hoffte Periander, der Trotz feine» Sohnes sollte gebrochen seyn; doch des Vaters Stolz mußte sich beugen. Am vierte« Lage ging Periander selbst zu der Hall«, in der sein Sohn sich aufhielt. Lykophron lag auf der Erde, entstellt von Gram and von Hunger. Sein bleiches Gesicht hing auf seine Brust her, ab, seine erloschenen Augen waren aus den Bo den gesenkt. Als Periander ihn erblickte, brach ftin stolzes Herz. Seufzend trat er in die Hal le, stellte sich an Lykophrons Seite, and be trachtete ihn mitleidig. »O, mein Sohn," hob er mit bittendem Tone au: »ja, Vie Gitter find gerecht; aber du, du bist ungerecht gegen mich »nd gegen dich selbst. Ja, ich habe die That gethan, worüber du zürnst; soll aber der Sohn ihr Rächer seyn? Ich bitte dich, komm in mein Haus. Du hast gefühlt, was der Zorn eines Vater- ist; komm
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NUN, und lerne, wie glücklich du mit mir leben kannst. Antworte, mein Sohn.------ Antwor, te!" rief er lauter.------- „ Bösewicht, ant, werte!" rief er endlich im heftigsten Zorne. Mit matter Stimme antwortete der Sohn: dein Vermögen ist dem Apollo verfallen; du hast mit dem unglücklichen Sohne Melisiens gcspro, che». — Der Vater hielt das für Spott, was nichts als ein sanfter Vorwurf des gerührte» Sohnes war. „Aus meinen Auge», Bösewicht!" rief er wüthend, und ging. Lykophron legte, in der Erwartung seines Todes, das matte Haupt tiefer auf den Gtein, und blieb so bis zum Abend liegen. Kein Korinther wagte es, sich des Unglücklichen anrunehmen. Nur ei« Jüngling aus Koreyra, Agathon, ging um Mit ternacht mit Lebensmittel« in die Halle. -Er hob den Unglücklichen sanft in die Höhe, reichte ihm Brot und Wein, und benetzte ihn mit Thränen des innigsten Mitleids. Lykophron hob gestärkt sich auf, legte sich an die Brust des Fremden, und schloß mit ihm den Bund einer ewigen Freundschaft. Auf einmal hörten sie durch die Stille der
238 Nacht den Fußtritt eines Mädchens. €< war Melissa, Lykophrons Schwester. Agatha« ging ihr entgegen. Sie hielt ihn für ihren Bruder, und warf sich weinend in seine Arme. O, mein Bruder! sagte sie mit Schmeer. — Ich bin -ein Bruder nicht, antwortete Agathon, un führte sie zu dem Unglücklichen. „ Ei» Frem der, meine Schwester, hier, Agathon, hat mein Leben gerettet, und mein Vater..." — ist ««versöhnlich erzürnt; fiel Melissa rin. D» sollst sterbe». Ich rette ihn, sagte Agathon, und reichte ihr die versichernde Rechte. Melissa drückte die Hand an ihr Herr. Ich rette dich, Lykophron, sagte der Fremde noch einmal; oder ich sterbe mit dir! Nun warf Melissa, von dieser Groß, muth überwältigt, sich in die Arme de- Frem, -en. Beide redete» Lykophrons Rettung ab, «nd Agathon begleitete dann Melissen nach Han fe. Wohin, fragte er, werde ich dir Nachricht bringen von der Rettung deines Bruders? „Je, den Morgen," antwortet« Melissa, „bin ich im Garten. Dor dem Eingänge des Gebüsches steht ein Fan». Dahin komm."
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I» der folgenden Nacht brachte Agathon sei nem Freunde Leben-mittel. Ei» Schiff war be stellt, ihn nach Korcyra w führen, und warte te nur auf Ostwind, um abrusegeln. Der Wind setzte sich um, und Agathon ging, Melissen Nachricht $it bringen. Bald fand er das Ge büsch, da» sie ihm bejeichnrt hatte. Al« er hineinging, trat ihm ein Mädchen verschleiert entgegen. Melissa? fragte er. Sie schlug de» Schleier »urück, und Agathon stand vor ihr, erstarrt von frendigem Schrecken. Im Tempel Neptuns, am Fest« des Gotte«, hatte der Jüngling Melisse» unter andern Jung, stauen teilte« sehen, sie mit unverwendete» Au, gen betrachtet, und die sanfte Gewalt der Liebe gefühlt. Verloren in Entzücken, in die süßeste Sehnsucht, vergaß er nach ihrem Nahme» tu fragen; und auf rinmal waren die Mädchen ver, schwunde». Er sah sie weder bei Festen, noch in den Tempel» wieder. Nun lebte er sunt, mervoll in Korinth, und sein Unglück führt« ihn t« dem unglücklichen Lykophron. Du? du? rief er jetzt, als er sie «iedersah: » ihr guten, ihr segnenden Götter! D«? —
Zitternd vor Freude fank er ihr zu Fußet». Me lissa erstaunte über Agathons Heftigkeit, und betrachtete ihn mit Unruhe. „Warst du nicht," stagte sie nachsinnend, »am Feste Neptuns un ter den Zuschauern?" — Ja, Melissa; und seit diesem Lage ... O, was that ich nicht, dich iviederzusehen! o, wie kummervoll habe ich seit diesem Tage gelebt! — „Und, mein Bruder?" fragte Melissa, hoch «rrvthend. — Heute oder i« der folgenden Nacht geht er mit mir «ach Korcyra. Dort soll er mein Bruder seyn. Noch heiligere Bande knüpfen mich jetzt an ihn . . . die reinste Liebe... tu seiner Schwester. — „Äorryra ist in der Gewalt meines Vaters," sagte Melissa besorgt. — Fürchte nichts, Me lissa. In der angenehmsten Einsamkeit soll « leben, unerkannt, in den Armen der zärtlichsten Freundschaft, und, wenn die guten Götter-ein Herz rühren, in den Armen der treuesten Liebe, in deinen und meinen Armen. Er ergriff Melis, sens Hand, und benetzte sie mit heißen Thränen. „Rette meinen Dmder," sagte Melissa in zärtlicher Unruhe; „dann ..." — Sie brach «röthend ab. Dann? »dann? fragte Agathen
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dringend. — „Dann soll er in den Armen der treuesten Liebe leben." Sie sank zärtlich in des Jünglings Arme, lag einige Augenblicke darin, und eilte dann durch das Gebüsch zu ihre- Da, ters Wohnung. Agathon stand, verloren in da- Entzücke» der glücklichen Liebe, noch lang« da, ehr er end, lich de« Garten »erließ. Es stieg «in frischer Ostwind auf, und «och diese Nacht wurde zur Abreise bestimmt. So eben wollten die beiden Freunde die Halle »erlassen, da kam Melissa noch einmal. Sie umarmt« ihre» Bruder, legte Agathon-Hand in die seinige, und sagte: „»er, sprecht einander ewige Treue im Lebe» und im Lode!" Bride gehorchte«. Nun aber faßte Aga, thon des Mädchens Hand. Und du, Melissa t sagte er leise und zitternd. Die Nacht gab ihr mehr Dreistigkeit. Sie drückte ihn an ihr Herz, und sagte leise: „ewige Treue im Leben und im Tode!" Agathon wiederholt« die Worte, und so schiede« sie aus einander. Lykophron verließ unerkannt die Mauer» von Korinth und den Hasen. Nach drei Tage» «ar «l. «em. VI. [16]
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er, unter dem Nahmen eine- Flüchtling- au« Ionien, in Korcyra, ans Agathen- Landhause im Gebirge. Periander stellte sich bei der Nachricht von -er Flucht seine- Sohne« zorniger al- er «ar, und dankte heimlich den Göttern für dessen Ret# tung. Die Aussicht, Beherrscher von Korinth tu «erden, dacht« er, wird Lykophron- Eigen, fin» wohl beuge». E- verging aber ein Jahr, und et Hirt« noch immer nicht- von dem Jüng, linge. Er forschte überall »ergeben- »ach ihm, und hielt ihn nun für todt. Da sank de- stol# zen Periander- Muth. Sein ältester Sohn war tn schwach, als daß er ihm den wankenden Thron Korinth- anvertrauen konnte, dessen feste Stütze Lykophron, der edle, kühne Jüngling, gewor, den wäre. Er selbst las in den Blicken der Bürger die Freude über sein Alter, und er# kannte die rächenden Gitter. Jetzt gedachte er mit Furcht der alten Delphischen Gittersprüche, die leinen Söhnen Unglück verkündigten. Sei# ne Herrschsucht, sei» Stolz, schien sie in Er füllung r« bringe». Er hatt« sich über die
— s43 — Furcht Korinths gefreiret; jetzt zitterte er da, vor, und wünschte sich die Liebe seiner Unter, thanen, die er vormal- verachtete. Siehst du, sagte sein alter Freund, daß £i be mehr werth ist als Furcht? — Trotz seinen innere» Zweifel» warf Periander eine» stolze» Blick aus de» weisen Medon. „Korinth," sagte er, „mag zittern, wenn es wagt mein Scepter anzntasten!" — Zittern, und immer zitter»! erwiedert« Medon. Melissa zitterte vor dir; und du hast in ihr dein Glück gemordet. Dei, »e Kinder zittern vor dir; «nd du hast den edel, ste» deines Stammes verloren. Wan» sollen fie dich lieben? Alles zittert vor dir; nut dei» Der, hangniß, und die Gitter nicht. — Periander wurde ernst, und sann nach, doch nur dar, über, wie er feine wankende Herrschaft befestigen wollte. Noch lebte von dem Stamme der alten Be, Herrscher Korinths, der Bacchiade», Amphion, ein wilder, finstrer Mann, voll Ansprüche auf de» alten Glanz seines Geschlechtes, aber ohne edlen Muth. Auf ihn warf Periander sei» Auge; ihm wollte er Melissen zum Weibe ge.
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den und des Thron von Korinth als Erbschaft hinterlassen. Er ließ Amphion rufen, und kün digt« ihm sein Glück an. Dann ging er tu Me lissen, die ihre Lage noch immer in süßen Trau men von dem Geliebten -ubrachte. „Du wirft Amphion- Gattin!" sagte er ihr befehlend. Melissa erblaßte, warf sich ihm in Füßen, und beschwor ihn, sie nicht.unglücklich tu machen.— „Unglücklich?" fragte er kalt; „ich sichre dir den Thron von Korinth." 0, mein Vater! sagte sie schluchzend; bin ich denn nicht« mehr al# eine Stufe deine- Thro nes? — Er befahl noch einmal, und Melissa entdeckt« ihm nun, daß sie schon mit einem Jünglinge durch die treueste Liebe verbunden sey. „Thörin," sagt« er kalt; „ich terrriße die se- Band." — Und mit ihm mein Leben, Va ter! antwortete sie erschreckend. — „ES sey! Aber gehorchen sollst du!" — Vater, denke an deinen Sohn Lykophron! Du haft nur noch t«ei Kinder tu verlieren! — „Lieber ohne Kinder, al- der Kinder Spott!" Lykophron lebt! sagt« Melissa; ich «riß, wo er ist. Vater, ihm gehört dir Herrschaft über
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Kordith. — „Er lebt?” fragte Periander er, staunt.' „Wo lebt er?'' — Keine Drohung war im Stande- Melissen ihr Geheimniß ru entrei, ßen; er mußte ihr erst feierlich versprechen, sie ihrem Geliebte» als Gattin ru gebe». Nun nannte sie ihrem Dater Lykophrons Aufenthalt, und de» Nahme», unter dem er'in Korcyra lebte. Periander schiekte sogleich einen Herold ab, und ließ seinem Sohne ankündigen: wen» er nach Korinth komme, solle ihm der Thron gehören. Lykophron, in dessen Seele die Grau, lamkeit seine- Vaters, ihn rum Hungertode ru verdammen, miauslöschlich eingegraben war, ant, wertete dem Herolde nur die Worte: ich bi» sein Sohn nicht. Der Bote brachte diese Antwort rurück. Pe, riander sandte nun Melissen »ach Koreyra, daß sie ihre» Bruder iur Rückkehr bereden sollte. Sie reiste voll der schönsten Hoffnungen ab, und -og mit fröhlicher Eil in das Gebirge, um ih, rem Bruder das Diadem, und seinem Freunde ihr treues Herr r« bringe». Mit Entrücken nah, men beide Jünglinge die Schwester und die Ge, liebt« auf; doch Lykophron blieb unbeweglich.
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„Ich bin Perianders-Sohn nicht," sagte er fin ster. „Er hatte mich tum Hungertode bestimmt. Bei den ewigen Gitter»! ich werde chn nicht stehen." kykophron, sagte das sanfte Mädchen ernst, doch zärtlich: die Gitter mögen dein Herz «en den! Sie haben deine« Vater« Stelz gebrochen; «erden sie dem Sohne den Stolz gegen den Vater verzeihen? Dn bist eilt edler Jüngling; Korcyra spricht laut von deine» Tugenden: willst du nun allein gegen deinen Vater hart und un< großmüthig fty»? Deine« Vater« Stolz kennt keine Gränze; darum zürnst dn ihm: und doch ist dein Zorn so unbegränzt, wie fein Stolz. Bruder, lerne verzeihe», weil du ein Mensch bist! Die Gitter find dem Unerbittlichen «ner, bittlich. Du kämpfest de» schrecklichen Kampf gegett deine» Vater. Beharrest du bei deinem' Entschlüsse, so wird er bestraft; doch die Gitter werde» ihn rächen, und dich mit ihm verderbe». Ich beschwöre dich: verzeih«, und suche nicht eilt Unglück durch ein noch größere« zu heile»! 0, ihr Gitter! daß Ei« Geist, der Geist der Rache, Vater und Sohn beseelt! Gebt ihnen
— -47 — Herze», und laßt sie fühle», -aß sie einander liebe» sollten! Versehen- redete Melissa, Lykophron blieb »»erschüttert. „Nie, Melissa," sagt« er, „nie «erde ich «ach Korinth kommen, fe lange mein Vater lebt." — Harter Mensch; sagte Melissa nun: so vergilt denn mir und deinem Freunde, -aß wir dein Lebe» erhielten. Wen» du nicht Sohn sey« willst, so sey Bruder und Freund. Bist du unerbittlich, so sey wenigsten« nicht un dankbar! Da« Glück deiner Schwester, deines Freunde-, hängt davon ab, daß du dich mit unserm Vater versöhnst. — Lykophron riß sich au- ihren Arme». „Bei de» ewige» Göttern!" rief er: „ich kann für Euch -erben; doch bei, nett Vater will ich nicht sehen." Er blieb un erbittlich , und Melissa reiste trauernd, und mit Ahnungen von dem Sturz ihre- Hause-, «ach Korinth zurück. Sie brachte dem Vater die Nachricht, schrieb aber den Entschluß ihre- Bruder- milderen Ur, sache« zu, und gab vor: Lykophron scheue de» Zorn -e- Vater- mehr, al« er dessen Anblick hasse. Sv ließ sie Periander« »och immer de»
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Augenblick der Versöhnung als nahe hoffen. Sir stand, wie ei« guter Geist, besänftigend twischen den wilden Empfindungen der Rache und de« Stolres in den Herren des Vaters und des Bruders. Das schwere Scepter von Korinth ersvderte jetzt die stärkere Hand der Jugend; und Peri, anders älterer Sohn war r« schwach, es tu füh ren. Periander sah ein, wie nothwendig es wä re, den Korinther» mit dem neuen Anblick« ei ne- junge» Königs Hoffnung ru einer sanftere» Regierung wiederjugeben. Die Alten in Korinth haßten ihn, und die herangewachsenen Jüngli«, ge fürchteten ihn nicht länger. Schon drohet« das geheime Feuer des Aufruhrs hervorrubrechen; da war er klug genug, den Korinther« den verhaßten Anblick ihres grausamen Herr» entriche» ru wolle«. Nun sandte er öffentlich einen Herold nach Korcyra an seinen Sohn, und ließ ihm sagen: er möchte »ach Korinth komme», die Regierung t« übernehme«; er selbst wolle nach Korcyra ge, hen und sich mit der Regierung dieser Insel be gnügen. Diesen Vorschlag »ahm der ehrsüchti-
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ge Jüngling endlich an. & wurde m Korcyra bekannt, und alle Einwohner zitterten vor der Regierung des harten Periander. Schaarenwei, se versammelten sie sich vor dem Landhause, wo Lykophron wohnte, und beschworen ihn, sich aus Dankbarkeit gegen Koreyra, das. ihn vor dem Zorne seines harte» Vaters geschützt habe, mit diesem zu versöhnen. Sieh! sagte Agathen, und faßte seine Hande — fieh, wir gaben dir Schutz vor Periander; und du willst uns seiner Grausamkeit Preis geben, um nicht ein Gelüb, de zu brechen, das nie ein Sohn thun sollte: unversöhnlich gegen seine» Vater zu seyn! „Ich habe es bei den Götter» geschworen!" sagt« der ehrsüchtige Jüngling finster. So halte dein Gelübde, und fühle die Fok, gen deiner Thorheit!. ♦. Entsage der Herrschaft über Korinth! Sollen deine Freunde Gelübde bezahlen, die du in verkehrtem Zorne thatest? Wie oft, Jüngling, hast du deinen Vater geta delt! Und was thust du jetzt anders, als er? Er gelobt den Göttern eine goldne Bildsaul»; und am sein Gelübde nicht brechen zu müsse», raubt er den Korintherinnen ihren Schmuell
— s5o — War thust du jetzt anhers? Entsage -em Thron«, und leb« hier in den Armen der Freundschaft, unter dankbaren Menschen. „Periander hat mein Wort schon. Ich kann Nicht anders." Jetzt öffnete Agathon bi« Thür, and ließ die edelsten Männer von Koreyra herein, daß sie mit ihm bitten sollten; doch nichts konnte den ehrgeitzigen Lykophron bewegen. „Was Ihr," sagte er, „Eurem Vaterland« schuldig seid, das bin ich Korinth schuldig. Es -ab mir das Leben." Vaterland denn «m Vaterland! rief ein jun, ger edler Korryräer. Was meinst d« wohl bei, ne« Korinth schuldig in seyn? — „Alles!" ant, «ortete Lykophron. — Aller? Wohl! dar bin denn auch ich meinem Vaterland« schuldig! Ly, kophron, ich beschwör« dich bei der Rettung, di« Koreyra dir gab: ändre deinen Entschluß! — „Ich gehe nach Korinth," antwortete Lykophron kalt. — Bei den Göttern! da- thust du nicht! rief der Jüngling. Ein Dolch blitzte in seiner Hand, und durchbohrte Lykophrons Brust. Er sank in Agathons Arme, und sein Freund trug ihn wehklagend auf ein Luhebett. Beide
waren, als das Getümmel sich verlaufen hatte, allein, und der Arzt kündigte den nahen Lod an. Da nahm Lykophron eüie Tafel, «nd schrieb an seinen Vater: „Ich -erbe. Verreibe, Vater, deinem Sohne. Ich war unerbittlich; die Göt, ter Kräften den Sohn, wie sie dich bestraft ha be». O mein Vater, weil du ein Mensch bist, darum verreihe den Korcyraern meine» Tod, und mache meine Schwester glücklich. Stoß ihre Liebe nicht von dir. Leb wohl." Er gab die Lasel feinem Freunde. „Meine Schwester hatte Recht," sagte er lächelnd. „Die Gotter haben dem Vater Rache an dem Sohne gegeben." Er reichte Agatho» die Hand, sagt« noch: „grüße meine Schwester," und starb. Eilig kehrte der Herold mit der unglückliche« Botschaft nach Korinth »urück, und übergab btt Lasel mit Lykophrons letzten Worten,' die Aga, thon ihm juzestellt hatt«. Als Periander die Worte las, entstammte« st« seinen Zorn, anstatt ihn tu lischen. Wüthend, Rache dürstend, sand, te er Befehle in de« Hafen, die Flotte in Stand zu setze«, daß sie nach Korcyra segeln könnte. Er wollte Korcyra verderbe«, doch sich vorher
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Korinth sicher». Ma» mußt« de» Bacchiade» Amphion rufen. Periander sing mit ihm i» da« Zimmer seiner Tochter, ^die ihre» Bruder beweinte. „Das ist dein Weib!" sagte er tu Amphion, und ergriff Mekissens Hand. Sie warf sich vor dem Vater nieder, umfaßt« sein« Kniee, und bat ihn mit heiße» Thränen, fit nicht unglücklich zu machen. Ich schwor dem Agatho» ewige Treue im Lebe» und Tode! sag, te sie. „Und ich schwöre ihm Tod und Der, derben!" ries Periander fürchterlich. Medon nahm Lykophrons Tafel, und teigte dem Vater die Worte r „Mache meine Schwe, fier glücklich. Stoß ihre Liebe nicht von dir." Periander! sagte er dann ernst: dich treibe» verderbende Gitter und die Rache deiner Ver breche». — Aber der Ertürnte warf die Tafel tu Boden, trat an de» Altar, und rief: „ich will Rache, das schwire ich bei den furchtbaren Gitter»! Und Melissa hat keine andre Wahl, als tu sterbe», oder da« Weib des Bacchiade» tu werden. Bis a» den Abend geb' ich dir Zeit; dann leuchtet dir Hymens Fackel, »der die Fak, lei des Todes!" Er ließ Melisse» allein.
253 Die Unglückliche rang vergeben- die Hände; der schreckliche Abend kam näher/ und der Altat war bereitet. Gedankenlos eilte sie in de« Garte»/ verrwefflung-voll in die Halle/ wo ihr Bruder einst halbtodt gelegen hatte. Auf eben de» Stein legte sie ihr Haupt/ um zu sterbe». Das GetLse -er Krieget/ di« zu dem Hase» gin ge»/ erweckte sie aus ihrem betäubenden Schmer, ze. Sie fühlte sich vo« Muth beseelt/ folgte ihn«»/ kam um Mitternacht in dem Hafen an, und mischte sich unter «ine Anzahl Kaufleute, di« so eben in «ine Barke stiege». Erst am fol genden Morgen erkannt« man, da- sie nicht zu der Gesellschaft gehörte. Sie gab sich eine» fremd«« Nahmen, und segelt« glücklich mit dem Schiffe nach Samo». Periander- Zorn -wurde noch -flammender, al- er Melissen- Flucht erfuhr. Er ließ seine Lochtet i» Korinth und in der umliegenden G«, gend aufsuchen. Zwischen den Klippe» des Jsth, mu- sand man endlich den Leichnam eine- Mäd, chen-, den einet -von Periander- Sklaven für Melissen- Körper erkannte. Ma» bedeckte ihn mit Erd«, und brachte dem Vater di« traurige
■— L§4 " Nachricht. „Nun denn!" tief Periander hohn lachend dem alten Medon ju, und hob drohend die Rechte gen Himmel empor: „das sind bei, ne segnenden Gitter! Die Grausamen!" Du klagst die Götter ant erwiederte Medon ruhig. Verkehrter Mensch! Warum todteren die Korcyräer deinen Sohn? Weil fie vor dei ner Grausamkeit zitterten. Warum floh Me lissa? Weil du fie zwingen wollest, ihre Hand einem Bifewicht zu geben. Willst du noch nicht einsehen, wohin deine Grausamkeit, dein Stolz, deine Herrschsucht, wohin die Begierde nach Rache dich führt? „Nach Korcyra führt sie mich!" rief Periander wild. „Ich habe noch einen Sohn!" Er eilte in den Hafen, und segelte mit seiner rahlreichen Flotte ad. ein bleiches Entsetzen er griff die Korcyräer, als sie ihn an der Spitz» seine- Heeres landen sahen. Jetzt legte noch ein leicht segelndes Schiff an, und ein Bote brachte ihm die Nachricht, daß die Korinther seinen zurückgebliebene» Sohn getidtet hätten. Diese Nachricht empfing der harte Periander mit Thränen, er »erhüklte sein Haupt, nnb
$55 blieb lange so stehen. Seine Herrschaft, da fühlte er, sank nun; doch nicht sein Jörn. „Kim derlos!" rief er mit schrecklichem Lachen. Noch einmal fiel ei» scharfer Schmer» mit «naus, sprechlicher Gewalt ihn an. „Ich kann mich röchen:" rief er endlich, «nd sah kühn um sich her. „Kinderlos!" rief er »och einmal, und gab seinem Heere Befehl, sich j» »ertheilen. Am Abend brachten die Krieger die Söhne von dreihundert der erste» Familie» in Koreyr» gebunden vor Periander- Zelt: Jünglinge und »arte Knaben. Die Vater, die Mütter, di« Schwester», die Bräute der Gebundenen stüw ten flch verzweifelnd vor ihm in de» Staub, und fiehete» um das Leben her Unschuldige». Die Jünglinge und die Knaben erhoben die gefeffel, ten Hände, und ei» laute- Wehklage» tönt« gen Himmel. Selbst die rauheste» Krieger so, derte» mit gerührten Blicke» von Periander Mitleid«»; nur Ein Jüngling fiehete nicht: er sah ruhig zu Boden, oder betrachtete mit star, ren Augen seine Fesseln, und die gezückte» Schwerter in den Händen der Krieger ring« um fich her.
ES war Agathen, Melissen- Geliebter. Er hatte Nachricht von dem Lod« de- Mädchens er, halten, u»d nun war e« sein einriger Wunsch, l« sterbe». Ruhig wartete er auf Perianders Wink. Doch Periander winkte nicht; mit tid, tenden Blicke» sah er in dem Kreise der Un glücklichen umher, und rief endlich mit spotte», dem Tone: „sie solle» lebe»! Ich schwirr bei den Gi'ttrrn: sie sollen leben i" ES erhob sich «in Freudenaeschrei♦ 3> Jauchzet nicht!" rief er bitter; „Periander ist kinderlos! Zhr sollt nicht jauchzen, «en» ich weine. Führt sie aus die Schiffe ! Sie sollen leben, doch ohne die Hoff, nung, ohne die Möglichkeit, je Water zu wer, den. Du, Polykrate», segelst-mit ihnen nach SardeS zu dem Könige Alyatte«, und haftest mit deinem Leben dafür, -a- sie als Eunuchen zurückkommrn. Fort in die Schiffe!" Nun er hob sich ein lautes Jammern. Die Elter» schlan, -en sich um ihre unglückliche« Söhne, di« Bräute um ihre Geliebten. Periander befahl; seine wilden Söldlinge rissen dir Knaben und Jünglinge weg, und schleppte» sie auf die Schiffe. Dir Anker wurde» gelichtet, und di«
— i5y — trostlosen Eltern blieben wehklagend auf dem iden Strande.. Periander kehrte nach Korinth zurück, und Polykrates, der grausame, unmenschliche Freun des Königs, segelte nach Asien- den harten Be, fehl zu vollziehen: Das Meer war ruhig; ein frischer Westwind schwellte die Segel, und schien das Derhangniß der Gefangene» zu beschleuni ge». Schon lagen bie- Cykkaden hinter ihnen, schon zeigte sich am Morgen- in Heller Ferne die Küste" von Lydien,, und der leuchtende Dianen, Tempel zu Ephesus wurde sichtbar Die Ge fangenen schauderten bei dem Freudengeschrei der Matrosen- das die Küste Asiens begrüßte.. »Bei den Göttern ! " sagte Agathen„ich betrete den Boden der Schande" nicht!'" D» kräuselte sich die Fläche des Meeres r es erhob sich ei» Nord, »st;- dunkle- Wolken" bedeckten- Chiosund die Welle«" stiegen höhen Ei» Sturm- derplotzlich hereinkrach- trieb das Schiff nach Suden.. End, lieh riefen die Matrosen: Land! Alles arbeitete, das Schiff von den Klippest der Küste zu ent, fernen. Der Sturm" war zu mächtig ; er schleu derte es über die Brandung ans Ufer. Ei» Kl. Rom. VI.
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258 Mast war erbrochen, die Segel rerrisseu; nur mit Mühe wurde das Schiff in eine sichere Bucht gesteuert. Alles stieg erfreut a» das rett teude Ufer, und man erkannte Samos. Die Zelt« wurden ausgeschifft und bedeckten den einsamen Strand. Rings um die Gesänge, ne» her stellte Polykrates Wache«, daß nicht Einer entrinnen könnte. Dan« opferte er in Dianens Tempel, der nahe am Ufer stand. Agathen ging, verloren in -en Gedanke» des Lodes, die Blicke zur Erde gewendet, langsam in ein kleine- dichtes Gebüsch. „Agathen!" rief eine fröhliche Stimme, und er fühlte fich umfaßt. Als er aufsah, stand — e Entrücken! — Melissa, die todt geglaubt« Melissa, ihr Haar um das bleiche Gesicht gelockt, in einem lange» weißen Gewände, vor ihm, Bist du es wirklich, Melissa? fragte er, so wie er sich von seinem Erstaune» erholte. Dein Leichnam lag »wische» Klippen. O, ihr Götter.' Melissa! bist du es? Theuerste, Geliebt«, lebst du? hier, hier? Ich sehe dich »och? Ich sehe dich noch, ehe... 0, ich unglückseligster aller Menschen! — „Jetzt nicht mehr unglücklich!" sagte Melissa, und um-
— LZ9 — armte ihn inniger. Ihr Entzücken machte ihn »vch trauriger, ihre Freude rief Thränen aufeinen Augen. „Aber was ist dir, mein Aga then 7" fragte sie endlich. Er legte sein Haupt an ihr« Brust, und schwieg. Entzückender, schrecklicher Augenblick; sagte er dann. Ja, ich bin glücklich, Melissa; den» ich kann in deinen Arme» sterben. — „Sterben, Agathen? jetzt, da di« Götter uns einander wiedergeben?" — Agathen erzählte Melissen sein unglücklicheSchicksal. Hier, — so schloß er — hier, in drinen Armen laß mich sterben! Melissa wurde noch bleichen „O Dater! Va ter! " jammerte sie. Da erscholl die Trompete. Hörest du? rief er. Die Schande ruft. Wir sol len fort. Melissa! Er zeigte mit einem bitten den Blicke aus eine» Dolch, den sie an der Seite trug. Da rief die Trompete von neuem die Gefangenen zu den Schiffen. „Nein," sagte Melissa auf einmal entschlossen: „du sollst nicht sterben! Auf, Agathvn! stich mit allen Gefan, gene« in de» Tempel Dianens am Ufer! Faßt ihre Bildsäule! ES ist da- heiligste Recht dieses LempelS, daß niemand, der die Bildsäule be-
— s6o — rührt hat, daraus weggeriffe» werden darf. Auf, Agathen! schnell! Ich eile, die Samier, die umher wohnen, ja rufen." Sie umarmte ihn, und flog durch das Gebüsch über den Hü gel hinweg j« der Stadt. Agathen kehrte an die Küste zurück, wo die Gefangenen sich schon sammelten. „Folgt mir Alle!" sagte er leise zu ihnen; „ich will Euch retten. Thut, was Ihr mich thun seht!" — Er ging vor ihnen her, und führte sie dem Tempel näher. „Auf! in den Tempel!" ries er jetzt laut: „berühret die Göttin!" Da stürzten die Jünglinge und Knabe» durch die Säulen zu dem Altar, und drängten sich alle zu der Bild, säule Dianens. Die Krieger von Korinth sahe» dies bestem, det an. Iu Schiffe! riefen sie den Gefangenen zu. — „Wir gehen nicht," sagte Agathen mit Würde; „wir sind in dem Schutze der große» Götti»." Zwei Krieger sprangen die Stufen hinan, Agathon wegzureißen. Doch der Ober priester trat vor, und rief: zurück! »der ihr seyd verloren! Die Krieger standen erwartend da. Wer seyd ihr? fragte der Priester die Knaben
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und die Jünglinge. — „Gefangene," antwortete Agathon, „diehen Schutz her Göttin gewählt haben." Nun trat der Priester auf die Stufcit des Tempels, und sagte ru PolykrateS, der sich genähert hatte: sie sind frei, so lange sie im Umfange des Tempels bleiben. Wägt eS nicht, sie ru berühren; oder Lod und Verderben wird euer LooS seyn. Mit Schrecken wichen die Ko rinther zurück. Der Priester sprach nun laut und feierlich Verwünschungen aus über Jede», der eS wagen würde, Dianens Geweihete ergreifett io wollen. PolykrateS umgab den Tempel mit seinen Äriegern. Der Hunger, sagte er, wird sie bald rwingen, ihre Freistätte ru verlassen. Aber die Liebe war mächtiger als die Grausamkeit. Am folgenden Morgen kamen aus dem Gebüsch aus der Höhe rwei singende Chöre von Mädchen und Jünglinge» herab. Melissa hatte den Samiern das Schicksal der Gefangenen erzählt. Die Lie be beseelte ihre Worte, ihre Bitten, daß sie Aller Herren rührte; doch Niemand wollte Pe, rianders Zorn auf sich laden. Da gab ihr die Liebe eine List ein. In Opsergewander gekleidet,
e6a — das Haar mit Blame» durchstech ten, Kirbe mit Sesam «nd Honig auf de» Kipfen, Opfergefaße mit Milch i» de» Hande», näherten sich die Jünglinge «nd Mädchen dem Tempel. Welch rin Fest feiert Ihr? fragte Polykrates ahnend. „Das Fest der rettende» Liebe!" antwortete Melissa, die an der Spitze der Mädchen war; und beide Chöre traten in die Haste» des Tem pels- Agathon erkannte Melissen, und errieth ihre Absicht. Auf! rief er seine» Freunden z«. Er entriß Melissen die Lebensmittel; «nd alle seine Gefährte» raubten den Samischen Jüng linge» «nd Jungfrauen die Kirbe, die Opfer, gesaße. Wehl weh! riese» die Samirr, und flohen zurück. Am folgende» Morgen begann das Fest aufs neu«, «nd hatt« dasselbe Ende. Wie lange, fragte Polykrates, feiert ihr den» djrseS Fest? — Melissa antwortete: „so lange die Schützlinge der Gittin «n- daS Opfer rauben." Nun sah Polykrates, daß es vergeblich wäre, seine Ge fangenen tu bewache». Er schiffte sich wieder ein, und die Unglücklichen waren befreiet. Mit dankbarer Wehmuth sänke» sie Melissen zu Fü-
-e», und nannten sie ihre Retteri». Die 6& mier weihet«» Diane» ein jährliche- Fest, das Fest der geretteten Liebe, und sendeten die Kor, cyräer heimlich wieder nach ihrem Vaterland« zurück. Nur Agatho» blieb; Samos schenkte ihm das Bürgerrecht, «nd Melissa gab ihm ihre Hand. Er wohnte mit ihr in dem Gebü, sche nahe am Strande, wo er sie zuerst wieder gesehen hatte, und kaufte die umliegende» Aek, ker. In ruhiger Stille lebte er mit seiner Gat tin in einer bequemen, rings von hohen Frucht bäumen beschatteten Hütte, und theilte seine Tage in Arbeit und Genuß. Melissa gab chm «ine» Sohn; mrb nun wohnte die schönste Freu de der Menschheit in den Herzen der Liebenden: sie vergaßen Korinth, Periander», mid seine Grausamkeit. Periander lebte zu Korinth mitten unter Furcht, Gram und Sorgen. Ohne Kinder, oh ne Freund, sah er, daß sei» Thron nach und «ach dahin sank, «nd daß nur seine spähende Grausamkeit ihn noch aufrecht hielt. Koreyra war seiner Rache entgangen, Samos hatte ihn daruyr betrogen; und er mußte es ertrage«,
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weil er Korinth nicht versassen durfte. Jetzt, nur von seiner Leibwache umgebe», deren Treue er sich erkaufte, von Niemanden, der ihn liebte, (er hatte keine Freunde, den alten Medon aus genommen) — jetzt erst fing er an, das Be dürfniß der Liebe zu fühlen. Ost nahm er das Diadem aus seinem Haare, betrachtete es, und rief: „0, was kostest du mir! Wohin soll ich fliehen ! Ich bin verdammt tu herrschen, so lange ich lebe, tu hassen, so lan ge ich fühle: den» welche Stadt in Griechen land wird den Tyrannen Periander aufnehmen! Wo ist der Mensch, der mich nicht den Korin, thern ausliefern würde! 0, wie sehr sprach Medon wahr! Meine Grausamkeit hat mir die ganze Erde verschlossen." So dachte er oft; und in dieser bessere» Stimmung wollte er zuweilen noch jetzt nach Liebe streben. Er war sanfter, gütiger gegen feine Sklaven; doch sie zitterten nur desto mehr vor ihm, weil sie befürchteten, daß seine eigene Güte seinen Stolz beleidigen möchte. Seine Schatze lagen auf einem segelferkigen Schiffe, daß er in jedem Augenblick entfliehen könnte.
-6S So lebte er ein Jahr/ immer bereit zur Flucht/ immer von Bildern des Todes umringt. End, lich brach die lange zurückgehaltene Empörung hervor/ als Periander eben im Hase» war. Ein Theil seiner Leibwache schlug sich zu dem Volke/ das sich Waffen erobert hatte. Schon brannte seine Burg; da sammelte er seine ge, treuesten Söldner/ und bestieg sein Schiff mit Schätzen. Er drohete den Korinther«/ mit neu geworbenen Truppen zurückzukomnien/ segelte ab, erheiterte seine Söldner durch große Verspre, chungei,/ und nahm den Weg nach Asien/ ein Heer zu werben. Nahe an der Küste von Asien, unweit Sa, mos (der Anblick erinnerte ihn an den Tod sei, «es Sohnes, und an seine vereitelte Rache), sah er mit finstern Blicken Polykrates an. „Dort liegt Samos!" sagte er in dem alten Tone des Herrschers, mit einem kalten, drohenden Blicke. „Nie vergeb' ich es dir, Polykrates, daß du mich so um meine Rache betrogen hast!" In der Nacht stürzten Polykrates und eint# ge seiner Freunde an Perianders Lager, und wanden ein Tuch um seinen Mund. Dann ho.
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bea sie ihn auf und trugen ihn auf das Ver deck. Wir wellen nicht länger tittern, Tyrann! sagte Pvlykrates; und man -ürrte ihn in die Flnth. Das Meer war ruhig. Periander schwamm mit angestrengten Kräften auf rin Jener zu, das er in der Ferne erblickte. Er erreichte den Fi, schernache», auf dem es war, und wurde aus, genommen. Die Fischer ruderten, »ach einem reichlichen Fange, gegen Morgen an das Land zurück, und setzten Periander» aus. Da stand nun der stolze Beherrscher »on Korinth, halb, nackt, hülflos, in einem fremden Lande — auf Samos. Er ging vorwärts, um eine gastfreie Hütte zu finde». Auf einem Weizcnfelde war Agatho» mit seinen Arteitern. Sobald er den Fremden erblickte, lief er aus ihn zu, und fragte: wer bist du, armer Mann? — Periander wagte es nicht, seinen Namen zu nennen. Er antwor, tetr: „ein Kaufmann aus Athen. Meine Ma, rrose» habe« mich in« Meer geworfen, «M sich meiner Reichthümer zu bemächtigen." Agathon erkannte ihn nicht; denn Kummer, Sorge und
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Schmerr batte» Periander- Gesicht entstellt: die volle, rothe Wang« war mager und bleich, da- wilde, trotzige Auge sanft und bittend ge, worden. Es wurde sogleich ein Mantel für den Fremden geholt, und dann brachte man ihm Speise. Gegen Mittag, als er sich erholt hat, t«, führte Agatho» ih« tu feiner Hütte. Als Periander sich dem Gebüsche näherte, trat Melissa,, mit ihrem Sohne an der Brnst, hervor, de» geliebten Man» ru empfangen, und warf sich in seine Arme. 0, meine geliebte Tyche! rief Agathe»; (so nannte er Melisse» jetzt.) Periander heftete -aunende Blicke auf das junge Weib; es war ihm, als sähe er sein« Tochter Melissa. Trauernd, schweigend, ging er neben ihr her. So ost sie redete, drang der bekannte To« ihrer Stimme in sein Herr; aber seine Tochter war ja todt, uiü) dieses junge Weib hieß ja Tyche. Man setzt« sich endlich rum einfachen Mah le. Periander bewunderte, noch immer ohne tu rede«, die ruhige Liebe, da« herrliche Der. trauen und das hohe Glück des rärtliche» Paa, res. Am Ende der Mahlreit nahm Melissa de»
268 Becher, und sagte: möge» di« Gitter meinem Vater Ruhe geben! Sie betrachtete dabei den Greis, über dessen bewunderungswürdige Aehnlichkeit mit ihrem Vater sie erstaunt war. Mit Thränen in de» Augen sagte sie dann: Agathen, ich liebe ihn »och immer, meinen alten, unglück lichen Vater! Ach, wenn er wüßte, welch ein Glück die Liebe, die Verborgenheit giebt; er würde . . . Sie" schwieg.. „And wer ist dein Vater?" fragte der Greis mit Zitter». Melissa sprang bei dem ersten Tone auf, sah de« Alte» an, bebte, hob die Arme, und brei tete fie ihm entgegen: Agathen! rief sie': wel che Töne! — »Wie heißt du?" fragte Perian der, immer starker erbebend. — Melissa! — Der Greis sprang auf. „ O ihr Götter! ich bin der unglückliche Periander!" Vater und Tochter hielten sich lange sprachlos umarmt; dann erzählten fie einander ihre Begebenheiten. Errithend, rum ersten Male mit Reue, hörte Periander von fich reden; rum ersten Male fühlte er jetzt das Glück der Liebe, des Ver trauens, der Güte. Er hatte schon einige Tag« in AgathonS Hütte gelebt, als das Gerücht
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be« Lod des Tyrannen Periander verkündigte. Diese Nachricht hörte er lächelnd. Er umarm, te seine Tochter, und sagte: „Periander ist todt. Ich hieß so; jetzt bin ich ein schwacher Greis, der erst einen Schritt weit vom Grabe noch leben lernt." Er lernte leben.. Das häusliche Glück sei ner Kinder, ihre Ehrerbietung gegen ihn, ihre vertrauensvolle Liebe machten sein Herz mit je dem Tage sanfter. Er war Aufseher über Aga.thons Sklaven, und behandelte sie menschlicher, als sonst die edelsten Korinther. Abends, im letzten Schimmer der sinkenden Sonne, spielte er mit seinen Enkeln, und Niemand, der ihn, umringt von den Kindern, das graue Haar mit Rosen bekränzt, gesehen hätte, würde geglaubt haben, dies sey der Tyrann von Korinth. „Aber," sagte Periander; „wie viel hat es mir auch gekostet, «he ich ein Mensch wurde! ein geliebtes Weib, $wei Söhne und einen Thron!"