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German Pages 332 Year 2020
Gesine Kulcke Kinder. Medien. Kontrolle.
Pädagogik
Es ist nicht so, es wird so beschrieben.
Gesine Kulcke, geb. 1971, ist akademische Mitarbeiterin in der Abteilung Medienpädagogik am Institut für Erziehungswissenschaft der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Sie forscht und lehrt vor allem zu Medien im Kontext von Grundschul- und Kindheitspädagogik.
Gesine Kulcke
Kinder. Medien. Kontrolle. Vorstellungen von Lehramtsstudent*innen über den Umgang mit Medien in der Grundschule
Das Buch »Kinder. Medien. Kontrolle.« ist eine überarbeitete Fassung der Arbeit »Grundschullehramtsstudent*innen und digitale Medien«, die im Sommersemester 2019 von der Fakultät für Erziehungs- und Gesellschaftswissenschaften der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) als Dissertation angenommen wurde. Gutachter*innen: Prof. Dr. Horst Niesyto und Prof'in Dr. Heike Deckert-Peaceman Tag der Disputation: 17. Juli 2019
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Inhalt
Einleitung ...................................................................................... 7 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6
Theoretische Vorannahmen.............................................................. 13 Curriculum Studies................................................................................................ 13 Normative Subjektfiguren ...................................................................................... 16 Orientierungen und Orientierungsrahmen .................................................................. 19 Aneignung normativer Subjektfiguren ...................................................................... 29 Lernen mit, durch und über digitale Medien................................................................ 31 Medienbildung ..................................................................................................... 37
2.
Beschreibungen des Problems ........................................................... 41
3. 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6
Medienpädagogische Studien und Diskussionen ........................................ 47 Rationalistische Determinierungen in der Forschung................................................... 50 Medienentwicklungen und das Verständnis von Wissen................................................ 53 Medienentwicklungen und Lerneffektivität ............................................................... 56 Lernwirksamkeit durch Orientierung an Kindern......................................................... 59 Medien verändern Lernkulturen............................................................................... 68 Medien in Schule und Unterricht............................................................................... 71
4. 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8
Anworten auf den Teufelskreislauf ..................................................... 75 Keine Bildung ohne Medien ..................................................................................... 77 Kompetenz-Standard-Modell für die Medienbildung..................................................... 85 Medienpädagogische Kompetenz ............................................................................. 91 Medienbildungsstandards in der Lehrer*innenbildung.................................................. 92 Medienkompetenzdiskurs ...................................................................................... 99 Medienkompetenzen messen .................................................................................. 101 Reduktion von Lernen auf das Lösen von Problemen ................................................... 107 Reduktion auf die Vermittlung von Medienkompetenz ................................................. 108
5.
Konstituierung des Forschungsgegenstandes........................................... 113
5.1 Lehrer*innenbildung............................................................................................. 113 5.2 Der Studiengang .................................................................................................. 121 6. 6.1 6.2 6.3
Zur Methodologie und Methode der empirischen Studie ................................. 127 Rekonstruktive Sozialforschung .............................................................................. 127 Datenerhebung................................................................................................... 134 Auswertungspraxis.............................................................................................. 136
7. 7.1 7.2 7.3 7.4
Durchführung der empirischen Studie ..................................................145 Empirisches Material ........................................................................................... 145 Interpretationsbeispiel......................................................................................... 148 Basistypik ......................................................................................................... 159 Sinngenetische Typenbildung ................................................................................ 162
8. Darstellung der Ergebnisse ............................................................ 165 8.1 Normative Subjektfigur: am Kind orientiert handeln ................................................... 165 8.2 Relation normative Subjektfigur – kollektiver Orientierungsrahmen ............................... 192 8.2.1 Konstruktion: digitale Medien ....................................................................... 192 8.2.2 Konstruktion: Lehrkraft............................................................................... 209 8.2.3 Konstruktion: Eltern ................................................................................... 220 9. 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6
Einordnung der empirischen Ergebnisse ............................................... 265 Ausrichtung an einer (digitalen) Wissensgesellschaft .................................................. 271 Das kompetente, moderne Kind ............................................................................. 275 Das konsumorientierte Kind .................................................................................. 280 Aspekte der Individualisierung von Kindheit ............................................................. 283 Mediennutzung erzeugt Strukturen und Ängste ......................................................... 289 Blinde Flecken.................................................................................................... 293
10.
Methodenreflexion ..................................................................... 299
11.
Fazit und Ausblick ..................................................................... 303
Literatur .................................................................................... 307 Abbildungen ................................................................................. 327 Anhang ...................................................................................... 329
Einleitung »Perhaps the most subversive implication of the term ›live‹ is that it connotes the domain of experience. It is in and through the systems of representation of culture that we ›experience‹ the world: experience is the product of our codes of intelligibility, our schemes of interpretation.« Stuart Hall 1985, S. 105
Die alle Lebensbereiche betreffende digitale Transformation der Gesellschaft (vgl. Gapski 2017, S. 35) fordert nicht nur Wirtschaft, Gesellschaft und Politik heraus, sondern auch alle Erziehungs- und Bildungseinrichtungen. Für Hochschulen, die Lehramtsstudiengänge anbieten, stellt sich u.a. die Aufgabe, angehende Lehrer*innen in ihrem Studium zu befähigen, die technischen, gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Aspekte der Bedeutung von Digitalisierung und Computerisierung so zu verstehen, dass sie in die Lage versetzt werden, Bildungs- und Lernprozesse zu initiieren und mitzugestalten, in denen sich Schüler*innen mit eben diesen Aspekten auseinandersetzen können. Vor diesem Hintergrund wird die Entwicklung von Hochschulcurricula diskutiert (vgl. u.a. Tulodziecki 2012 und Moser 2012), wobei sich die Medienpädagogik nicht zuletzt auf die Entwicklung von Curricula im Sinne einer Grundbildung Medien konzentriert. (Vgl. Imort & Niesyto 2014) Für eine Grundbildung Medien sind nach Horst Niesyto und Peter Imort interdisziplinäre »Bezüge und integrative Ansätze der Medienbildung« (a.a.O., S. 33)1 von Bedeutung. Die beiden Autoren fordern für die Hochschule eine auf wissenschaftlichen Grundlagen fokussierte Grundbildung mit Praxisbezug, deren Aufgabe es ist »bei Studierenden medienpädagogisches Orientierungswissen und reflexive Bildungs- und Lernprozesse in Bezug auf Medien in vielschichtiger Weise zu befördern…« (A. a. O., S. 24) In Bezug auf die Lehrer*innenbildung wird mit der Forderung nach einer Grundbildung Medien vor allem das Ziel betont, medienpädagogische 1
a.a.O. verweist auf eine bereits angegebene Quelle; ist ein Inhalt auf einer bereits in einem Quellenverweis angegebenen Seite zu finden, markiere ich dies mit ebd., Auslassungen am Ende eines Zitates kennzeichne ich in dieser Arbeit mit …, Auslassungen innerhalb eines Zitats mit […]. Nur wenn ich etwas inhaltlich ergänze oder näher erläutere, füge ich mein Kürzel G.K. ein.
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Kinder. Medien. Kontrolle.
Lehr- und Lerninhalte in der Lehrer*innenausbildung zu implementieren und fest zu verankern, um den von Rudolf Kammerl und Sandra Ostermann beschriebenen Teufelskreislauf fehlender Medienbildung zu durchbrechen: Dieser unterstellt, dass fehlende Medienkompetenzen bei Schüler*innen auf fehlende Medienkompetenzen und fehlende medienpädagogische Kompetenzen von Lehrer*innen zurückzuführen sind, und Lehramtsstudent*innen ihr Studium aufnehmen, ohne hierfür ausreichende Medienkompetenzen entwickelt zu haben. Zudem entscheiden sich Schüler*innen, die sich als medienkompetent beschreiben lassen, nach Kammerl und Ostermann eher selten für ein Lehramtsstudium. (Vgl. Kammerl & Ostermann 2010) In meiner Arbeit gehe ich von der damit formulierten Notwendigkeit aus, eine Grundbildung Medien im Grundschullehramt zu implementieren. Dabei fokussiere ich nicht auf didaktische Konzepte, mit denen sich eine Grundbildung Medien im Grundschullehramt möglicherweise umsetzen oder gestalten ließe. Idee meiner Arbeit ist vielmehr - ausgehend von dem Anspruch Lehren und Lernen situations- und lerner*innenorientiert zu gestalten - den kulturell und gesellschaftlich geprägten Vorstellungen nachzuspüren, die Lehramtsstudent*innen von ihrer zukünftigen Profession haben, und welches Repertoire an sozialen Praktiken in Bezug auf den Umgang mit Medien in der Grundschule sich in ihren Beschreibungen und Erzählungen von und über ihre zukünftige Profession artikuliert. Mich interessieren Vorstellungen, die Student*innen hinsichtlich eines guten Alltagshandelns von Grundschullehrer*innen artikulieren, das sich auch auf ein Lernen mit, durch und über Medien bezieht. Es geht also um Idealbilder, die Grundschullehramtsstudent*innen über ihren zukünftigen Beruf zum Ausdruck bringen und daran anschließend um die Frage, woher diese kommen. Ich gehe davon aus, dass in diesen Bildern handlungsleitende Orientierungen auf gesellschaftliche Erwartungen treffen, die sich theoretisch als normative Subjektfiguren fassen lassen. Diese sind, so lese ich Steffen Amling und Alexander Geimer, sowohl von reflexiven als auch von impliziten Wissensstrukturen gerahmt und lassen sich mit der Dokumentarischen Methode rekonstruieren. (Vgl. Amling & Geimer 2016) Um mich ihren Vorstellungen annähern zu können, und die Frage beantworten zu können, durch was diese strukturiert werden, habe ich Gruppendiskussionen mit Student*innen geführt. Diese sind nicht ihre pädagogische Praxis. Sie sind aber Entwürfe von Praxis, in die eine Vielzahl von Aspekten eingeht: die eigene Kindheit, Erfahrungen im Studium, reale und antizipierte Erwartungen, Debatten über Medien, über Medienpädagogik sowie über technische und kulturelle Entwicklungen. Bedeutungszuschreibungen, die in einer Kultur hervorgebracht werden, sind nicht eindeutig, sie wirken nicht unmittelbar oder determinieren soziale Praktiken. Es sind Deutungsangebote, die in öffentlichen Debatten und Diskursen präsentiert werden und dabei Appellcharakter besitzen, bzw. als Identitätsnormen und damit als hegemoniale Anforderungsprofile (vgl. Bröckling 2012, S. 131) zu fassen sind, die die Subjektwerdung in einer Gesellschaft und die Handlungsfähigkeit von Individuen in dieser sowohl herausfordern als auch ermöglichen: So wird nach Judith Butler ein Individuum zu einem handlungsfähigen Subjekt in einer Gesellschaft und damit in den Handlungsfeldern, die sich in dieser ergeben, indem es die dafür notwendige Sprache ausbildet: »Das Subjekt ist die sprachliche Gelegenheit des Individuums, Verständlichkeit zu gewinnen und zu reproduzieren, also die sprachliche Bedingung seiner Existenz und Hand-
Einleitung
lungsfähigkeit.« (Butler 2017, S. 15) Damit ist das Subjekt nicht gleichzusetzen mit dem Individuum. Das Subjekt ist nach Butler »vielmehr als sprachliche Kategorie aufzufassen, […] als in Formierung begriffene Struktur.« (Ebd.) Ausgehend davon verstehe ich Sprache als Metapher, die auf soziale Praktiken verweist. Sie verweist darauf, wie etwas von einem Subjekt in einer Kultur zu leben ist. Sie verweist aber auch darauf, dass das Subjekt durch seine Art zu leben, diese Kultur selbst (mit-)hervorbringt. Was dieses Verhältnis von Mensch und Kultur für das Vorgehen in meiner Arbeit bedeutet, lässt sich für mich treffend mit Clifford Geertz benennen: Der Mensch ist »ein Wesen […], das in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe. Ihre Untersuchung ist daher keine experimentelle Wissenschaft, die nach Gesetzen sucht, sondern eine interpretierende, die nach Bedeutungen sucht. Mir geht es um Erläuterungen, um das Deuten gesellschaftlicher Ausdrucksformen…« (Geertz 2015, S. 9) Das Bedeutungsgewebe, von dem Geertz spricht, deutet für mich auf Butlers Feststellung hin, dass Subjektivierungsprozesse abhängig sind »von einem Diskurs, den wir uns nicht ausgesucht haben, der jedoch paradoxerweise erst unsere Handlungsfähigkeit ermöglicht und erhält.« (Butler 2017, S. 8) Ich gehe in meiner Arbeit davon aus, dass sich in Gruppendiskussionen von Grundschullehramtsstudent*innen das Bedeutungsgewebe und die dieses mitspinnende Diskurse offenbaren können, da sie die Vorstellungen der Student*innen in Bezug auf das Lernen mit, durch und über Medien in der Grundschule mitstrukturieren. Damit geht es in der Arbeit um den Habitus von Grundschullehramtsstudent*innen als Ausdruck einer Kultur, mit dem ich mich ausgehend von folgender Forschungsfrage beschäftigt habe:
Inwiefern strukturieren normative Subjektfiguren die Vorstellungen angehender Grundschullehrer*innen in Bezug auf das Lernen mit, durch und über Medien in der Grundschule mit? Die Vorstellungen, nach denen hier gefragt wird, sind nicht als Vorstellungen einzelner Individuen zu verstehen, vielmehr geht es um Kollektivvorstellungen, da die Subjektwerdung in einer Gesellschaft bzw. in einem Handlungsfeld eine Auseinandersetzung mit Sinnzusammenhängen verlangt, »in der der einzelne seine Funktion und Rolle hat, das Ganze aber etwas ist, das in seiner Aktualisierbarkeit auf eine Mehrzahl von Individuen angewiesen ist und in diesem Sinne über die Einzelpsyche hinausragt.« (Bohnsack 2014, S. 43) Ralf Bohnsack geht davon aus, dass sich im Zusammenspiel hervorgebrachte Bedeutungsmuster nicht herausarbeiten lassen, wenn diese verstanden werden als »Intentionen eines dahinter stehenden Produzenten […] Vielmehr vollzieht sich die Interpretation in der Rekonstruktion des sich aufschichtenden Interaktionsprozesses, durch die ich jene für die Gruppe charakteristische Selektivität in der Behandlung des Themas herausarbeiten kann.« (A. a. O., S. 44) Dieser Feststellung folgend habe ich normative Gehalte und handlungsleitende Orientierungen rekonstruiert, die in den Gruppendiskussionen hervorgebracht wurden, die ich an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg geführt habe. Analysiert habe ich die Gruppendiskussionen in Anlehnung an Amling und Geimer. (Vgl. Amling & Geimer 2016) Auf Grundlage der von ihnen weiter-
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entwickelten Dokumentarischen Methode habe ich aus den Gruppendiskussionen in einer reflektierenden Interpretation ausgewählter Passagen die gesellschaftlichen Erwartungen, die die Student*innen wahrnehmen, und die ihre diskursive Praxis strukturierenden handlungsleitenden Orientierungen rekonstruiert. Diese Rekonstruktionen sind für mich die Grundlage für die Beantwortung der Frage, ob und inwiefern in einem kollektiven Orientierungsrahmen, der die Vorstellungen der Student*innen in Bezug auf das Lernen mit, durch und über Medien strukturiert, normative Subjektfiguren wirksam werden. Mit der Untersuchung wird eine Lücke gefüllt, die Kompetenzmodelle und Bildungsstandards hinterlassen, von denen ausgehend Curricula entwickelt werden sollen: Die sich aktuell bildungspolitisch durchsetzenden Medienkompetenzmodelle (vgl. KMK 2017) lassen sich zunehmend als Top-Down-Modelle beschreiben, die die curriculare Frage, was gelernt werden soll, vor allem mit Zukunftsargumenten begründen. Sie sind nicht allein auf pädagogische Theorien zurückzuführen, sondern auch geprägt von ökonomischen Interessen, wie u.a. der Rückgriff der Kultusministerkonferenz (KMK) auf das European Framework for the Digital Competence of Educators zeigt.2 Obwohl sich über Kompetenzmodelle und Bildungsstandards der Eindruck vermittelt, dass Lehren und Lernen situationsorientiert und an Lerner*innen orientiert zu gestalten ist, indem darauf verwiesen wird, dass von den Kompetenzen auszugehen ist, die die Lerner*innen mitbringen, aber auch indem unterschiedliche Niveaustufen ausgewiesen werden, benennen sie in der Regel Zielkompetenzen, die zu erreichen sind. Lerninteressen, Motive, Haltungen und Orientierungen werden damit nicht berücksichtigt. Kompetenzmodelle werden als Lösung präsentiert, obwohl die Medienpädagogik in den vergangenen Jahren – vor allem mit dem Erscheinen der Arbeit von Sven Kommer zum medialen Habitus (vgl. Kommer 2010) – zunehmend auf die Bedeutung hingewiesen hat, die Orientierungen und Haltungen von Lerner*innen für das Lernen mit, durch und über Medien haben. Neben der Arbeit von Kommer liegen weitere Studien zu handlungsleitenden Orientierungen in Bezug auf Medien im Kontext von Schule vor: So hat Ralf Biermann den medialen Habitus von Schüler*innen und Lehramtsstudent*innen untersucht (vgl. Biermann 2009) und Marion Brüggemann handlungsleitende Orientierungen in Bezug auf Medien von erfahrenen Lehrer*innen an weiterführenden Schulen. (Vgl. Brüggemann 2013) Während Kommer und Biermann die Ausbildung eines medialen Habitus vor allem auf Familiensozialisationsprozesse zurückführen, deutet Brüggemann auf die Bedeutung hin, die Vorstellungen von Lehren und Lernen haben: Sie hat Orientierungsmuster rekonstruiert, die Unterrichtspraxis und damit auch den Umgang mit Medien im Unterricht strukturieren. (Vgl. Brüggemann 2013, S. 288) Auch Jan-René Schluchter betont in seiner Arbeit über Medienbildung in der (sonder)pädagogischen Lehrerbildung die »Relevanz von Strukturen, Prozessen und Dynamiken fachkultureller Sozialisation« (Schluchter 2014, S. 308) und stellt hierzu fest: »Fachsozialisation, respektive fachkulturelle Sozialisation als Hochschulsozialisation geht davon aus, dass einzelne Disziplinen/Fachrichtungen bestimmte Wahrnehmungs-, Denk-, Urteils- und Handlungsmuster der Studierenden hervorbringen…« (Ebd.)
2
Vgl. https://ec.europa.eu/jrc/en/digcompedu vom 02.03.2019.
Einleitung
Meine Arbeit knüpft an diese Arbeiten an, denn sie fordern meiner Ansicht nach zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit Subjektivierungsprozessen von angehenden Grundschullehrer*innen heraus, wenn diese in die Lage versetzt werden sollen, reflektiert zu handeln, also zu erkennen, dass ihre Vorstellungen über das Lernen mit, durch und über Medien Konstruktionen sind, die durch historische und kulturelle Vorannahmen strukturiert und entsprechend auch veränderbar sind. In kulturwissenschaftlichen Subjektanalysen wird sich nicht auf die Beschreibung von sozialen Erwartungen konzentriert, sondern wie sich handlungsfähige Subjekte bilden, indem sie Teil einer Ordnung werden, die durch soziale Erwartungen strukturiert ist. Das Subjekt wird nicht als von außen gesteuert betrachtet, sondern als aufgefordert sich selbst zu steuern. Nach Geimer wird diese Selbstregulierung dem Subjekt nahegelegt: als Deutungsangebot, das in Diskursen bereitgestellt wird. (Vgl. Geimer 2014) Das Wort nahegelegt verweist auf die zu beantwortende Frage, inwiefern ein Deutungsangebot tatsächlich handlungsleitend wird. Die Analyse der von mir durchgeführten Gruppendiskussionen brachte eine normative Subjektfigur hervor, die sich als am Kind orientiert handeln fassen lässt. Die Relation der normativen Subjektfigur zu den handlungsleitenden Orientierungen zeichnet sich in allen Gruppendiskussionen vor allem dadurch aus, dass sie die Funktion einer Legitimationsfigur für die auf das zukünftige Handlungsfeld der Student*innen bezogenen Praktiken erfüllt. Diese werden durch einen kollektiven Orientierungsrahmen strukturiert, den ich mit der Formulierung über die Selbstpräsentation ›am Kind orientiert handeln‹ Individualisierung von Verantwortung und selektierende Praktiken legitimierend fasse. Präsentiert wird von den Student*innen die Vorstellung, dass sich Kinder selbst entfalten sollen. Geschehen soll dies aber im Sinne angenommener Entwicklungsstufen und -phasen, die sich offenbar an Bedürfnissen ausrichten, die sie aus ihrer eigenen Kindheit erinnern und heutigen Kindern zuschreiben. Die Grundschullehramtsstudent*innen haben sowohl in der Schule als auch in der Hochschule Umgangsweisen mit Medien erfahren, die ihre handlungsleitenden Orientierungen in Bezug auf das Lernen mit, durch und über digitale Medien in der Grundschule mit hervorbringen. Die Auswertung der Gruppendiskussionen zeigt, dass in diesem Zusammenhang aber auch wissenschaftliche Diskurse über Medienkompetenzen und Medienbildung sowie die Rolle der Student*innen auf dem Weg von dem*der Schüler*in (dem Kind) zum*zur Lehrer*in (dem Erwachsenen) entscheidend sind. Die vorliegende Arbeit pointiert mit der Rekonstruktion normativer Ansprüche, die Vorstellungen der Grundschullehramtsstudent*innen in Bezug auf das Lernen mit, durch und über Medien in der Grundschule mitstrukturieren, dass die Interpretation von Lebensbedingungen, und damit die Bedeutungen, die wir ihnen geben und von denen ausgehend wir handeln, »einerseits zutiefst subjektiv und persönlich ist und zugleich eine Struktur, die man lebt.« (Hall 2000, S. 13) Stuart Hall stellt fest, dass strukturelle Fragen mit Emotionen und Identifikationen verknüpft sind; sie sind persönlich, aber »auch institutionalisiert, sie haben wirklich strukturelle Eigenschaften…« (Ebd.) Die Auseinandersetzung mit der Frage, wodurch handlungsleitende Orientierungen hervorgebracht werden, liefert meines Erachtens nach Hinweise, die für Entscheidungen von Bedeutung sind, die im Zuge der Entwicklung von Curricula getroffen werden müssen. An Thomas S. Popkewitz anknüpfend nehme ich an, dass die Fra-
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ge danach, inwiefern normative Subjektfiguren von Grundschullehramtsstudent*innen habituell-implizite Wissensstrukturen und damit Handlungspraxis strukturieren, bedeutsam für die Formulierung von Lern- und Bildungszielen und damit Curricula ist, denn: »The philosophy of consciousness gives sovereignty to actors and agency to humans in explanations of change in those structures.« (Popkewitz 2001, S. 156) Nur wenn nachvollziehbar wird, dass Geschichte und Kultur und damit eben auch das, was wir wissen können oder sollen, sich nicht aus sich selbst heraus entwickelt, sondern konstruiert wird, können sich Akteur*innen als mögliche Gestalter*innen von Kultur und Geschichte wahrnehmen. Für die Mitgestaltung und aktive Entwicklung von Kultur und Geschichte ist darüber hinaus bedeutsam, dass die Regeln bekannt sind, nach denen das Wissen konstruiert wird, das den Zugang zur Welt strukturiert: »Making the rules for ›telling the truth‹ contingent, historical, and susceptible to critique creates a greater range of possibility for action through dislodging the ordering principles that define our subjectives.« (A. a. O., S. 158)
Zum Aufbau des Buches In dem sich an die Einleitung anschließenden ersten Kapitel erläutere ich theoretische Vorannahmen und zentrale Begriffe. Im zweiten Kapitel gehe ich auf die im medienpädagogischen Diskurs sich immer wieder aufdrängende Annahme ein, dass fehlende Medienkompetenzen bei Schüler*innen und (angehenden) Lehrer*innen dazu führen, dass Grundschullehrer*innen medienpädagogische Kompetenzen fehlen. Im dritten Kapitel präsentiere ich medienpädagogische Studien ausgehend von der Idee, dass ihre Fragestellungen und Ergebnisdarstellungen auf Deutungsangebote verweisen, die der Fachdiskurs in Bezug auf das im zweiten Kapitel beschriebene Problem macht. Im vierten Kapitel gehe ich auf existierende Kompetenzmodelle ein, um dann im fünften Kapitel meinen Forschungsgegenstand zu konstituieren und näher zu beschreiben, indem ich die Lehrer*innenbildung, aber auch in aktuellen Diskursen ihr zugeschriebene Herausforderungen darstelle. Mit dem sechsten Kapitel präsentiere ich einen Einblick in das Feld und stelle die von mir gewählten Methoden zur Erhebung und Auswertung des empirischen Materials vor. Am Beispiel einer Passage führe ich im siebten Kapitel aus, wie ich die Methode zur Auswertung des empirischen Materials angewandt habe. Das achte Kapitel präsentiert Sequenzen und dazugehörige Ausschnitte aus der reflektierenden Interpretation der Gruppendiskussionen. Mit ihnen beschreibe ich die normativen Gehalte, die die normative Subjektfigur konstituieren, und das Verhältnis der normativen Subjektfigur zu den zentralen Orientierungen bzw. Rahmenkomponenten. Im neunten Kapitel beziehe ich die Ergebnisse auf die Hochschullehre. Die Methodenreflexion im zehnten Kapitel verweist auf Herausforderungen, die sich für mich in der Anwendung der Methode ergeben haben, bevor ich schließlich im elften Kapitel ein Fazit ziehe und einen Ausblick wage.
1. Theoretische Vorannahmen
Die Erkenntnis, dass es einen Zusammenhang zwischen kulturellen Praktiken und der Entwicklung von Curricula gibt, begründet meine Auseinandersetzung mit normativen Subjektfiguren. Ich werde daher zunächst den Zusammenhang zwischen kulturellen Praktiken und der Entwicklung von Curricula näher erläutern, bevor ich zentrale Begriffe im Kontext normativer Subjektfiguren präsentiere. Dazu gehören auch Begriffe, die eng mit der von mir für die Auswertung des empirischen Materials angewandten Dokumentarischen Methode verknüpft sind. Sie weisen auf erkenntnistheoretische Vorannahmen hin, von denen ich ausgehe.
1.1
Curriculum Studies
Bedeutsam sind für meine Arbeit zunächst einmal die curriculum studies, in denen Lehrund Lernziele, didaktische Konzepte und damit Curricula als Kulturprodukte bzw. Kulturartefakte gelesen werden. Ihre Interpretation kann entsprechend Aufschluss über Vorannahmen geben, die Wissen, Lernen und Lehren inhärent sind. Ein prominenter Vertreter der curriculum studies ist Popkewitz.1 Er fokussiert, was nach Wolfgang Klafki im deutschen Curriculumdiskurs wenig betrachtet wird: Vorstellungen und Regeln, die Begründungen für die Auswahl von Curriculuminhalten strukturieren. So habe sich der Curriculumbegriff Ende der 60er Jahre ausgehend von der anglo-amerikanischen Bedeutung international durchgesetzt, aber werde »in unterschiedlich weiter Bedeutung verwendet, z.T. nur für den Ziel- und Inhaltsbereich, z.T. für den Gesamtzusammenhang planbarer Faktoren, die systematischen Unterricht in Bildungsinstitutionen bestimmen, von der Festlegung allgemeiner und spezieller Zielsetzungen über die Auswahl von Themen und Inhalten und die ziel- und inhaltsadäquate Wahl der Unterrichtsorganisation, der Lehr- und Lernmethoden bis zu den Unterrichtsmedien sowie der Entwicklung lernzielorientierter Tests.« (Hervorheb. i. Orig., Klafki 1984, S. 117f.) 1
Ich danke Heike Deckert-Peaceman und Gerold Scholz für den für diese Arbeit entscheidenden Hinweis auf Thomas S. Popkewitz und die Curriculum Studies in den USA.
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Nach Klafki gibt es drei Entscheidungsebenen, die ein Curriculum betreffen: »die Ebene grundsätzlicher didaktischer bzw. curricularer Zielentscheidungen (allgemeine Lernziele, aims) für ein Gesamt-, Bereichs- oder Fachcurriculum« (a.a.O., S. 119), »die Ebene der Entscheidungen über die den allgemeinen Lernzielen angemessenen Teillernziele (objectives)« (ebd.) und »die Ebene der den Lernzielen (1. und 2. Ebene) zugeordneten Lerninhalte bzw. Bildungsinhalte (Aufgaben, Themen) und ggf. der Organisationsformen des Lehrens und Lernens sowie der Entwicklung von Lehr- und Lernmitteln (Medien)…« (Ebd.) Diskurse der 60er und 70er Jahre, die zur Curriculumtheorie geführt haben, stellten nach Klafki heraus, dass es notwendig ist zu erforschen und zu kontrollieren, wie Entscheidungen für oder gegen Lernziele getroffen werden, aber auch danach zu fragen, wer die sind, die diese Entscheidungen treffen. Die Diskurse verdeutlichten, dass es notwendig sei »Kriterien zu entwickeln für die Auswahl jener Personen, Gruppen und Institutionen, denen für die leitenden Zielvorstellungen neu zu entwickelnder Curricula Entscheidungskompetenz zugesprochen werden soll. Diese Kriterien sind letztlich immer auch politische, die folglich nur in der politischen, speziell schul- und kulturpolitischen Auseinandersetzung durchgesetzt werden können.« (A. a. O., S. 120) Curriculumtheoretiker*innen hätten zunächst darauf aufmerksam gemacht, dass »Zielsetzungen […] zufolge der Bedingtheit pädagogischer Reflexionen und Leitvorstellungen durch gesamtgesellschaftliche Verhältnisse, Theorien oder Vorstellungen angemessen nur im Zusammenhang einer gesellschaftskritischen Reflexion begründet und diskutierbar gemacht werden können.« (Ebd.) Dieser Aspekt sei in der sich anschließenden Curriculumdiskussion jedoch kaum mehr berücksichtigt worden. Passend zu dieser Kritik versteht Popkewitz unter einem Curriculum nicht nur Dokumente, in denen Lernziele identifiziert, in Bildungsintentionen übersetzt und daraus für die Gestaltung von Lehre folgende didaktische Konzepte oder Methoden formuliert werden. (Vgl. Robinsohn 1972, S. 80) Vielmehr versteht er sie als kulturelle Artefakte, in denen sich ein spezielles, historisch entstandenes Wissen artikuliert, das Regeln und Standards in der Art und Weise setzt, wie Menschen die Welt und sich selbst als produktive Mitglieder dieser Welt denken und begründen. (Vgl. Popkewitz 2001, S. 152) Auch in dem Diskurs, den die US-Amerikaner*innen über die Lehrer*innenausbildung führen, kommt dieses Verständnis von Curricula kaum vor; vielmehr wird laut Popkewitz die historische, gesellschaftliche und politische Prägung von Annahmen über die Art und Weise, wie Lehrer*innen auszubilden sind, ausgeblendet: »Issues of class, ethnicity, and gender are transformed into questions about liberal arts course requirements, merit pay and more student-teaching experience. Excellence and effectiveness in schooling become slogans that signify elite agendas for defining teacher training and school study. The slogans obscure how policies and practices are related to specific groups‘ economic requirements for science, technology and bureaucratic mechanism of control.« (Popkewitz 1987, S. IXf.) Für Curricula werden demnach nicht etwa objektive Tatsachen ausgewählt, die eine neutrale Wissenschaft über die Welt und das Leben hervorgebracht hat, sondern Erkenntnisse und ihre Art und Weise, wie sie zum Inhalt von Lehre werden sollen, sind kulturell determiniert. Ihnen werden Bedeutungen zugeschrieben, die zu einer bestimmten Wahrnehmung von Welt führen: »Underlying the words and practices of cur-
1. Theoretische Vorannahmen
riculum are dispositons that have the potential to fashion and shape our consciousness. […] Culture provides a way of thinking, feeling, acting and talking about the world.« (Popkewitz 1987a, 336f.) So seien Sozialwissenschaften Produkte, die eine Gesellschaft hervorbringe, die nicht als politisch kontextlos, neutral oder interessenlos beschreibbar seien: »The concepts [of sociology] provide ways by which particular groups give expression and confront the strains and contradictions of living in dynamic societies.« (A. a. O., S. 339) Auch Forschungsmethoden sind nach Popkewitz von sozialen und kulturellen Erwartungen geprägt: »One can juxtapose behavioral, marxist and phenomenological research in the various social and educational disciplines to understand the deeply rooted and conflicting cognitive interests that guide research.« (Ebd.) Die Auseinandersetzung mit der kulturellen und sozialen Einbettung von Sozialwissenschaften bzw. die Bearbeitung der Frage, wie sich diese Einbettung fassen und beschreiben lässt, gibt Hinweise darauf, wodurch unsere Idee davon, was vernünftig ist in unserer Gesellschaft und Kultur, was in dieser als rational gilt, strukturiert wird, bzw. welche Sichtweisen oder auch Interessen sich hier durchsetzen. Die Bedeutung sozialer und kultureller Werte für die Entwicklung von Curricula wird Popkewitz folgend jedoch verdeckt, indem ihre Inhalte als alternativlos dargestellt werden oder als aus einer Sache selbst hervorgehend: »Rather than exploring the various ways the social sciences interpret our social arrangements, curriculum designs crystalized the concepts and made existing arrangements seem ›natural‹ and inevitable.« (A. a. O., S. 340) Anschließen lässt sich damit an die cultural studies, die darauf verweisen, dass die Bedeutung, die Dinge in einer Kultur haben, nicht auf die Dinge selbst zurückzuführen sind, sondern auf die Art und Weise wie sie sprachlich gefasst, wie sie beschrieben, also in einer Kultur repräsentiert werden. Wobei Sprache hier nicht auf das geschriebene oder gesprochene Wort reduziert wird: »We mean any system of representation – photography, painting, speech, writing, imaging through technology, drawing – which allows us to use signs and symbols to represent or re-present whatever exists in the world in terms of a meaningful concept, image or idea. Language is the use of a set of signs or a signifying system to represent things and exchange meaning about them.« (Du Gay et al. 2013, S. 7) In Repräsentationen bzw. Beschreibungen vermittelt sich damit implizit und explizit Kultur, kommen Lebensstile zum Tragen, was nach Popkewitz auch für Curricula gilt: »To select a story, a concept or a way of talking about learning or thinking is to engage in a discourse about the world. To ›teach‹ history is to select someone’s history out of the total array of possibilities. To choose a concept for children to learn is to incorporate prior values and interests which are expressed in the way that a concept is given definition. Strategies of teaching impose ways children are to give shape and organization to their social consciousness. No choice is free of assumption or value.« (Popkewitz 1987a, S. 340) Ein Curriculum setzt Regeln und Standards, wie etwas zu lernen ist und damit auch, wie etwas in dieser Welt wahrzunehmen und zu verstehen ist. Aber es wird auch gestaltet; es lässt sich »nicht lediglich als Produkt und determinierter Ausdruck hegemonialer Kräfte« (Geimer 2014a, S. 197) einordnen. Eine bewusste Gestaltung, die zu Veränderung führt – die im aktuellen medienpädagogischen Diskurs über bisher nicht implemen-
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tierte Medienbildungsstandards und daraus hervorgehen sollende Curricula gefordert wird – ist nach Popkewitz jedoch nur möglich, wenn sich zunächst vergegenwärtigt wird, in welche kulturelle Praxis in Curricula ausformulierte Lernziele, Konzepte und Methoden eingebettet sind und welche kulturelle Praxis sie damit hervorbringen: »The possibility of action is found in questioning the giveness of the subject through exploring its historical constructedness […] Constructing histories about how our subjectivities are formed (making the agendas and categories of the subject problematic) can provide a potential space for alternative acts and alternative intentions that are not articulated through the available common senses.« (Popkewitz 2001, S. 168f.) Den Zusammenhang zwischen dem, was wir als bedeutsam konstituieren und wahrnehmen, und dem, wovon wir in unserem sozialen Handeln ausgehen, beschreibt Hall wie folgt: »Human beings are meaning-making, interpretive beings. Social action is meaningful, both to those who perform it and to those who observe it; not ›in itself‹, but because of the many and variable systems of meanings which human beings deploy to define what things mean and to code, organize and regulate their conduct towards one another. These systems or codes of meaning give significance to our actions. They allow us to interpret meaningfully the actions of others. Taken together, they constitute our ›cultures‹. They help to ensure that all social action is ›cultural‹, that all social practices express or communicate a meaning and, in that sense, are ›signifying practices‹.« (Hall 1997, S. 208) Geimer folgend beschreibt Hall Bildung als eine Regulierung durch Kultur und damit als einen Prozess, in dem die Gesellschaft ihre Normen, Standards und Werte mit der Vorstellung weitergibt, das Handeln und die Wahrnehmung der kommenden Generationen zu beeinflussen und zu formen. (Vgl. Geimer 2014a, S. 198) Wird Bildung im Sinne von Gerold Scholz definiert als »sein Verhältnis zur Welt in Ordnung zu bringen […], [also] aus einer Vielfalt von Perspektiven sich eine als für sich glaubwürdig und begründet zu wählen« (Scholz 2004a, o. S.), schließt das den Gedanken ein, dass die Gesellschaft der kommenden Generation ihre Normen, Standards und Werte weitergibt, aber eben auch die Idee einer Selbstbildung, die ihrerseits auf eine Selbstregulierung verweist.
1.2
Normative Subjektfiguren
Normative Subjektfiguren werden als dominante Adressierungen in Diskursen angeboten und können Praxis anleiten, »allerdings nicht in einem deterministischen Sinne…« (Geimer 2014, S. 113) Subjektfiguren haben ihren Ursprung nicht in »der unmittelbar geund erlebten Alltagspraxis in Gruppen bzw. Gemeinschaften (wie Milieus, Peer-Groups, Familien)… Vielmehr legen Subjektfiguren über soziale Lagerungen hinweg verschiedensten Akteuren in Handlungsbereichen […] diskursive Selbstregulierungspotenziale nahe.« (Ebd.) Selbstregulierungen, zu denen Subjektfiguren auffordern, ist »eine spezifische Vagheit eigen, und sie beziehen sich nicht auf spezifische, institutionalisierte Rollenbeziehungen in der Alltagspraxis… Subjektfiguren setzen also keine konkreten Typen von Akteuren voraus.« (Ebd.) Nach Geimer wird damit deutlich, dass es sich nicht
1. Theoretische Vorannahmen
um das kommunikativ-generalisierte Wissen im Sinne Bohnsacks und der Dokumentarischen Methode handelt, »das reziprok-typisierte Rollentypen zum Gegenstand hat. Eine Subjektfigur […] gewinnt seine normative Kraft auch und gerade durch seine Vagheit, die sich in unterschiedlichsten Kontexten konkretisieren lässt…« (Ebd.) Sprechen lässt sich hier von diskursiv-hegemonialen Wissensordnungen, womit ein Anschluss an das von Foucault beschriebene Konzept der Gouvernementalität möglich wird, das Andreas Reckwitz wie folgt einordnet: »Im Modus der Gouvernementalität wird das Subjekt weniger zum Objekt der Disziplinierung als zum Subjekt/Objekt einer ›Regierung‹. Der Komplex des Regierens umfasst Dispositive und Diskurse, welche die Subjekte, die Objekte – der Natur, der Technik etc. – wie auch das Kollektiv einer ganzen ›Gesellschaft‹ und ihrer ›Bevölkerung‹ in ihrer (vermeintlichen) Eigendynamik betrachten und zugleich als solche eigendynamische Entitäten zum Gegenstand einer Steuerung in die Richtung eines als wünschenswert angenommenen Zustands machen: einer Steuerung von als sich selbst steuernd angenommenen Entitäten, eine ›Regierung der Selbstregierung‹.« (Hervorheb. i. Orig., Reckwitz 2010, S. 34) Entscheidend ist hier, dass das Subjekt nicht als von außen gesteuert betrachtet wird, sondern als sich selbst steuernd; wobei es sich um eine »vorgebliche Selbststeuerung von ›Interessen‹ und ›Bedürfnissen‹, von ›Märkten‹ und ›Kulturen‹, auch von ›natürlichen‹ (biologischen, demografischen etc.) Prozessen [handelt].« (A. a. O., S. 35) Wie sich jede und jeder Einzelne zu verhalten hat, wird nicht vorgeschrieben, sondern es geht um »ein flexibleres Regime des ›Normalismus‹ (vgl. Link 1997), welches ein veränderliches Feld des noch Akzeptablen (etwa auch entlang statistischer Mittelwerte) absteckt.« (A. a. O., S. 36) Weiterer Ausgangspunkt von Subjektivierungsprozessen ist das Habitus-Konzept: Pierre Bourdieu beschreibt mit ihm die »Hervorbringung klassifizierbarer Praxisformen und Werke« (Bourdieu 1987, S. 278) sowie die »Unterscheidung und Bewertung der Formen und Produkte (Geschmack)« (ebd.), durch »die sich die repräsentierte soziale Welt [konstituiert], mit anderen Worten der Raum der Lebensstile.« (Ebd.) Der Habitus strukturiert alle »Praxisformen eines Akteurs (oder einer Gruppe von aus ähnlichen Soziallagen hervorgegangenen Akteuren) als Produkt der Anwendung identischer (oder wechselseitig austauschbarer) Schemata…« (Ebd.) Das Habitus-Konzept verweist auf Irving Goffman, da – wie Reckwitz herausstellt – in »den Habitusbegriff […] eine basale Identitätsvermutung eingebaut [ist], die sich zugleich als Identitätszumutung präsentiert: dass die Schemata und Dispositionen des Habitus den Einzelnen – gegen alle Prätentionen von Individualisierung und Differenzierung – in allen seinen Praktiken dazu bringen, letztlich der Gleiche zu bleiben.« (Reckwitz 2010, S. 41f.) Mit der Relationierung von Feld und Habitus weist Bourdieu darauf hin, dass ein Habitus immer auch durch das Feld und dessen hegemoniale Setzungen hervorgebracht wird: »Da strukturierte Produkte (opus operatum) derselben strukturierenden Struktur (modus operandi), von dieser hervorgebracht durch Rückübersetzungen entsprechend der spezifischen Logik eines Feldes, sind die Praxisformen und Werke eines Akteurs fern
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jedes absichtlichen Bemühens um Kohärenz in objektivem Einklang miteinander und fern jeder bewußten Abstimmung auch auf die Praxisformen aller übrigen Angehörigen derselben Klasse objektiv abgestimmt.« (Hervorheb. i. Orig., Bourdieu 1987, S. 281) Näher erläutert und eingeordnet wird diese Relationierung von Reckwitz: Einzelne Praktiken unterschiedlicher Personen sind nicht gleich, aber insofern gleicher Art, als »dass sie das gleiche Schemawissen reproduzieren. Die Schemata des Habitus stellen sich als ein sozial-kulturelles ›Erzeugungsprinzip‹ dar, welches in innovativer und flexibler Weise immer wieder neue und andere Praktiken hervorbringt und sich dabei zugleich reproduziert.« (Hervorheb. i. Orig., Reckwitz 2010, S. 41) Wie das jedoch geschieht, wird empirisch bisher selten herausgearbeitet. Nach Geimer und Amling eignet sich die von ihnen weiterentwickelte Dokumentarische Methode genau dafür, da in ihrer »Theoriearchitektur und den methodologischen Grundlagen eine Differenzierung zwischen übersubjektiven Wissensordnungen einerseits und den die Alltagspraxis orientierenden kollektiven Wissensstrukturen andererseits schon angelegt [ist]…« (Geimer & Amling 2019, S. 120) In der Dokumentarischen Methode wird zwischen dem kommunikativ-generalisierten Wissen und dem konjunktiven Wissen unterschieden; das kommunikativ-generalisierte Wissen ist von »einem handlungsleitenden, die Praxis orientierenden Wissen weitgehend gelöst […] (Bohnsack 2014a). Letzteres entsteht vor allem durch existenziell-ähnliche oder auch gemeinsame (Sozialisations-)Erfahrungen und wird in Anschluss an Mannheim als konjunktives Wissen bezeichnet…« (Ebd.) In diese Differenzierung lassen sich jedoch diskursiv-hegemoniale Subjektfiguren nicht einordnen, »bzw. lassen [sie] sich nicht einfach einer Seite der Unterscheidung zuschlagen; ihr Bezug zu kommunikativem und/oder konjunktivem Wissen ist im Rahmen der rekonstruktiven Subjektivierungsforschung erst noch zu bestimmen.« (Ebd.) So gehe ich in dieser Arbeit davon aus, dass – wie andere gesellschaftliche Bereiche auch – das Grundschullehramtsstudium als ein Handlungsfeld zu verstehen ist, das durch kulturelle Regulierung und damit durch die Formulierung oder das Angebot von Regeln und Standards Subjekte hervorbringt, die gemessen an eben diesen als ›gute‹ bzw. ›qualifizierte‹ Grundschullehrer*innen angesehen werden – und zwar nicht nur im Rahmen der von den Regeln und Standards hervorgebrachten Ordnung, sondern auch von den angehenden Grundschullehrer*innen selbst, die diese Regeln und Standards oder auch Ordnung so verinnerlichen, dass sie sich durch »Praktiken der routinierten Selbstreflexion« (Geimer 2014a, S. 200) selbst anerkennen. Angeknüpft wird hier nach Geimer an den Kern der »Governmentality Studies im Anschluss an Foucault.« (Ebd.) Zum Gegenstand werden also normative Subjektfiguren, die »Subjektivierungsprozesse anreizen und hervorbringen.« (Ebd.) Das Anliegen illustrierend führen Geimer und Amling in ihrem Beitrag Rekonstruktive Subjektivierungsforschung. Theoretisch-methodologische Grundlagen und empirische Umsetzungen eine Studie von Lisa Pfahl und Boris Traue (2012) an, in der diese eine Diskurs- und Biographieanalyse zusammenführen und »zeigen können, dass sich sonderpädagogische Diskurse in autobiografischen Stegreiferzählungen als ›Subjektivierungseffekte‹ (ebd.) niederschlagen.« (Geimer & Amling 2019, S. 118) Als hegemonial lassen sich die dabei herausgearbeiteten Normen insofern bezeichnen, »als dass sie in gesellschaftlichen Teilbereichen (bzw. Feldern oder Systemen)
1. Theoretische Vorannahmen
als dominante ›Identitätsnormen‹ (Goffman 1967 [1963]: 132) bzw. kontextbezogene ›hegemoniale Anforderungsprofile‹ (Bröckling 2012, S. 131) wirksam sind…« (Ebd.) Dabei ist eine Analyse von Subjektivierungsprozessen von einer Analyse von Positionierungen zu unterscheiden, die intentional eingenommen werden: Während eine Analyse von Positionierungen Normen in den Blick nimmt, die explizit geäußert werden (können), impliziert die Verwendung des Begriffs Subjektivierungsprozesse, dass Normen nicht erst dann handlungsleitend werden, »wenn sich Akteur*innen diesen gegenüber verorten, sondern es können […] auch implizite Passungsverhältnisse und Formen der Aneignung von Normen bestehen, die im Rahmen einer dokumentarischen respektive rekonstruktiven Subjektivierungsforschung untersucht werden können.« (Hervorheb. i. Orig., Geimer & Amling 2019, S. 130) Damit geht es in dieser Arbeit nicht um ein interpretatives Denken, das sich explizit erschließt, sondern ein unmittelbares Verstehen im Sinne Mannheims (vgl. Mannheim 1980); es geht um ein implizites Wissen, das Praxis strukturiert und entsprechend zu rekonstruieren ist. Neben der Untersuchung normativer Ansprüche sind Geimer und Amling folgend »die Praktiken und Technologien der Subjektivierung« (Hervorheb. i. Orig. 2019, S. 118) zu untersuchen, wenn die Frage bearbeitet werden soll, was hier wie in Bezug auf das Lernen mit, durch und über Medien Vorstellungen angehender Grundschullehrer*innen über ihre zukünftige Alltagspraxis prägt. Die Technologien der Subjektivierung greifen ein Konzept von Foucault auf, dem folgende Frage zugrunde liegt: »In welcher Weise bilden sich unter bestimmten diskursiven und ›technologischen‹ Bedingungen bestimmte subjektive Selbstinterpretationen und Weisen des Selbstverstehens aus?« (Reckwitz 2010, S. 37) Es wird danach gefragt, wie Ordnungen das Subjekt herausfordern »sich und seine Existenz auf eine bestimmte Weise zu ›verstehen‹ und in seinen alltäglichen Praktiken mikrologisch ein dem entsprechendes Verhältnis zu sich selbst herzustellen.« (A. a. O., S. 38)
1.3
Orientierungen und Orientierungsrahmen
Nach Geimer ist zu fragen, wie sich das Verhältnis zwischen normativen Subjektfiguren und »Orientierungsrahmen im Sinne der praxeologischen Wissenssoziologie« (Geimer 2014a, S. 201) beschreiben lässt. Dafür werden normative Subjektfiguren als Teil impliziter Wissensbestände aus dem Orientierungsrahmen herausgelöst, um sie fassen zu können, ihre Relation zu den handlungsleitenden Orientierungen und damit ihre Relevanz für den Orientierungsrahmen beschreiben zu können. Dabei kann eine normative Subjektfigur in handlungsleitenden Orientierungen aufgehen, möglich ist aber auch eine nicht-habituelle Passung, womit eine normative Subjektfigur u.a. zu einer Legitimationsfigur für eine nicht zu ihr passende Praxis werden kann. In der Medienpädagogik haben sich in den vergangenen Jahren zahlreiche Autor*innen mit Fragen zu medienbezogenen Haltungen und Einstellungen von Lehrkräften beschäftigt. Dazu gehören u.a. Elke Billes-Gerhart (2009), Ralf Biermann (2009), Sven Kommer (2010) sowie Bardo Herzig und Silke Grafe (2010). Auch Horst Niesyto verweist im Zusammenhang mit der Frage, wie Medienbildungsprozesse im Kontext pädagogischer Studiengänge zu gestalten sind auf die Bedeutung der Haltung
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hin, die Lerner*innen mitbringen: »Dabei ist zu beachten, dass die Menschen und die verschiedenen Sozialgruppen unterschiedliche Bedürfnisse, Muster und Präferenzen des Mediengebrauchs haben.« (Hervorheb. i. Orig., Niesyto 2011, S. 2) Im Folgenden soll näher auf Positionen bezüglich der Bedeutung von Einstellungen, Habitus und handlungsleitenden Orientierungen eingegangen werden, die sich auf das Lernen mit, durch und über Medien beziehen, indem einige Ergebnisse aus medienpädagogischen Studien präsentiert werden, die zu diesem Thema vorliegen.
Studien zu Einstellungen in Bezug auf das Lernen mit, durch und über Medien Biermann hat in seiner Untersuchung zum medialen Habitus explizit nach Einschätzungen von Lehramtsstudent*innen bezüglich der Bedeutung von Medien für den Unterricht gefragt, aber auch danach, welches Wissen die Student*innen für das Lernen mit, durch und über Medien für bedeutsam halten. Der überwiegende Teil der Befragten waren Student*innen, die auf Grundschullehramt studierten.2 Die Befragung ergab, dass die Lehramtsstudent*innen Lehr- und Lerntheorien im Kontext von Medien für bedeutsam halten und der Ansicht sind, dass sie etwas über sie wissen sollten, um in ihrem zukünftigen Handlungsfeld Medien einsetzen zu können: »72 Prozent sehen diese als notwendige Kenntnisse an, um Medien erfolgreich im Unterricht einsetzen zu können. 23,2 Prozent gaben ›teils, teils‹ als Antwort an, während ein Rest von gerade mal 4,8 Prozent diese als weniger wichtig (trifft weniger zu) oder nicht wichtig (trifft nicht zu) bewerteten.« (Biermann 2009, S. 195) Diese Positionierungen der Student*innen klären jedoch nicht, ob sich daraus tatsächlich eine Auseinandersetzung mit Lehrund Lerntheorien im Kontext von Medien ergibt, bzw. ob und inwiefern diese Positionierungen Praxis von Student*innen mitstrukturieren. Interessant ist die Bedeutung, die die Student*innen in der Studie von Biermann den »Kriterien zur Analyse, Bewertung und Auswahl von Medien für den Einsatz im Unterricht« (a.a.O., S. 196) beimessen. Biermann folgert u.a. aus der Angabe von 91,1 Prozent der Student*innen, »dass technische Kenntnisse im Umgang mit neuen Medien notwendig seien« (ebd.), dass die Student*innen »besonderen Wert auf die Kontrolle der eingesetzten Medien […] legen. […] Je komplexer ein Gerät in seiner Bedienung und im Einsatz, desto eher lässt sich eine anschließende Ablehnung vermuten.« (Ebd.) Biermann folgend lässt sich hier annehmen, dass die durch die Digitalisierung zunehmend benutzerfreundlichen medialen Anwendungen die Ablehnung des Einsatzes von Medien im Unterricht verringern. Ein weiteres Ergebnis aus der Studie von Biermann lässt jedoch vermuten, dass der Wunsch, Medien leicht handhaben und kontrollieren zu können, auf mehr verweist. So stellt Biermann in seiner Arbeit fest, dass 2
Insgesamt wurden 1.201 Fragebogen von Studienanfänger*innen, Hochschulerfahrenen (drittes bis fünftes Semester) und Prüfungskandidat*innen an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe sowie den Universitäten Siegen und Bielefeld ausgefüllt, von denen Dreiviertel auf Grundschullehramt studierten. Ein Fünftel der Befragten studierte auf Realschullehramt, ungefähr ein Zehntel auf Grund- und Hauptschullehramt mit dem Schwerpunkt Hauptschule, etwas mehr als drei Prozent Europalehramt auf Realschulen, der Rest studierte auf Diplom, Gymnasiallehramt und Bachelor/Master. (Vgl. Biermann 2009, S. 103f.) Mit der quantitativen Auswertung der Fragebögen ist es möglich, Meinungen, Selbsteinschätzungen und Positionierungen der Student*innen zu erfassen.
1. Theoretische Vorannahmen
sich die Student*innen »stark am Medium orientieren und seinem Einsatz als Unterrichtsmittel…« (Ebd.): Offensichtlich ist für die Frage, ob Medien für den Unterricht geeignet sind, nicht nur ihre Handhabung von Bedeutung, sondern was sie für den Unterricht bringen und damit für die Aufgabe, die die Student*innen in der Studie als zentrale Aufgabe von Lehrer*innen wahrnehmen. Medienerziehung, Medienkunde oder auch Mediengestaltung werden von den Student*innen entsprechend weniger in den Blick genommen und hierfür notwendiges Wissen als weniger bedeutsam eingeordnet: »Angaben zu gesellschaftlichen und entwicklungspsychologischen Grundlagen wie auch Forschungsergebnissen haben hier wesentlich weniger Zustimmung…« (Ebd.) Wenn sich Student*innen für Seminarangebote interessieren, die nicht auf Mediendidaktik fokussieren, sind das laut Biermanns Studie vor allem Seminare, in denen sich mit der Wirkung von Medien auseinandergesetzt wird: »Das Thema mit der stärksten Nachfrage ist der Einfluss der Mediennutzung auf Kinder und Jugendliche.« (A. a. O., S. 204) Biermann führt dies auf die zeitgleich zur Befragung geführte öffentliche Debatte über die Amokläufe in Erfurt und Emstetten und die in diesem Zusammenhang herausgestellte Bedeutung der Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen zurück. (Vgl. ebd.) Biermann schlussfolgert aus den Ergebnissen seiner Studie, dass Lehramtsstudent*innen zu wenig über die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen wissen bzw. diese falsch einschätzen: »Ebenso wie beim Fernsehen wird die Nutzungsdauer des Internets falsch eingeschätzt. Laut der ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation VII aus dem Jahr 2005 (vgl. Reitzer/Ridder 2006, S. 212) weisen Personen zwischen 14 und 19 Jahren eine durchschnittliche Nutzungsdauer von 58 Minuten auf. Hier überschätzen die Lehramtsstudierenden die Zeiten mit einer durchschnittlichen Angabe von 81,4 Minuten recht deutlich.« (Biermann 2009, S. 199) Für mich stellt sich die Frage, was diese falschen Einschätzungen der Student*innen strukturiert, bzw. ob sie ausschließlich oder vor allem auf medienbiografische Erfahrungen zurückzuführen sind, wie Biermann mit der Erläuterung des medialen Habitus unterstellt. Diesen versteht er nicht »als eine Reihe von Konditionierungen im behavioristischen Sinne, sondern als einen wechselhaften Prozess, in dem sich der Habitus als Konstruktionsleistung in Folge von Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit der Umwelt ausbildet. Diese Erfahrungen bilden das Dispositionsgefüge und sorgen so auf Basis dieser für eine ›gelenkte‹ Betrachtung der Welt. Anders ausgedrückt: Das Aufwachsen in einem bestimmten Milieu, das einem sozialräumlichen Erfahrungsraum entspricht, erlaubt es dem Akteur eine Bandbreite von Schemata aufzubauen, mit denen er wiederum die Welt wahrnimmt.« (Biermann 2013, S. 4/12) Auch die Werte, die Student*innen Computer und Internet im Unterricht zuschreiben, lassen offen, was sie strukturiert: »Wichtig erscheinen den Studierenden vor allem die Möglichkeiten, aktuelle Informationen einzubringen […], Abwechslung in den Unterricht zu bringen […], entdeckendes Lernen zu ermöglichen […], einen Sachverhalt zu veranschaulichen […] sowie Aufgaben und Ergebnisse zu präsentieren…« (Biermann
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Kinder. Medien. Kontrolle.
2009, S. 200) Hier lässt der Hinweis, dass für Student*innen, wenn »es um die Aktivität der Schüler geht […] vor allem das entdeckende Lernen und das selbständige Arbeiten im Vordergrund (im Grunde das Befolgen einer Arbeitsanweisung) [stehen]« (a.a.O., S. 201) aufmerken, und die dennoch von Biermann vorgenommene Einordnung, dass die Student*innen in alten Strukturen von Schule denken,3 »in denen der Lehrer eine Aufgabe stellt und die Schüler Zeit haben, diese zu lösen. Kooperative Arbeitsweisen von Lehrer und Schülern scheinen weniger gefragt zu sein.« (Ebd.) Computer und Internet werden nach Biermann von den Student*innen auf die Funktion reduziert, Unterricht interessanter und motivierender zu gestalten; andere Potenziale seien den Student*innen offensichtlich nicht bekannt oder würden nicht wahrgenommen. (Vgl. ebd.) Entsprechend stimmen die Student*innen in der Studie von Biermann der Beteiligung der Schüler*innen an der Mitgestaltung des Unterrichts kaum zu, auch »das Erlernte mit den Lernenden zu reflektieren und zu hinterfragen und diese mehr in die Planung einzubeziehen […] erhält kaum Zustimmung.« (A. a. O., S. 202) Laut der Studienergebnisse beeinflussen bzw. verändern weder das Studium, noch der Studiengang oder die Semesterzahl die Haltungen der Student*innen; Biermann geht also nicht davon aus, dass das Studium zu einer Transformation von Erfahrungswissen führt. Auch die Studie von Kommer zeigt, dass Lehramtsstudent*innen digitalen Medien mit Vorbehalten begegnen. Für die Untersuchung wurden u.a. themenzentrierte, leitfadengestützte, aber offen gehaltene Interviews mit Lehramtsstudent*innen geführt, die an der Pädagogischen Hochschule Freiburg auf Grundschullehramt, aber auch auf Haupt- und Realschule studierten. Zudem sind Videografien im Rahmen eines Computerkurses entstanden, der explizit für die Studie entwickelt wurde, und in dem die Student*innen am Computer Präsentationen zu ihren Medienbiografien erstellt haben. Die Auswertung des Materials führt Kommer zu dem Schluss, dass die habituelle Distanz zu Medien »verstärkt von einer großen Unsicherheit in Bezug auf die eigene Medienkompetenz« (Kommer 2010, S. 386) dazu führen wird, dass die Student*innen als Lehrer*innen »mit großer Wahrscheinlichkeit den Einsatz der neueren Medien sowohl im Sinne einer breiten Medienbildung, aber auch im Kontext enger gefasster mediendidaktischer Konzepte eher vermeiden.« (Ebd.) Kommer stellt ebenfalls heraus, dass der mediale Habitus vor allem aufgrund biografischer bzw. medienbiografischer Erfahrungen ausgebildet wird: »Das Hinzuziehen der medienbiografischen Daten ermöglicht […] vor allem einen vertieften Einblick in die Genese des medialen Habitus. Insbesondere die in der Kindheit und Jugend erfahrenen medienerzieherischen Interventionen der Eltern (bzw. Erziehungsberechtigten) erweisen sich dabei als hoch relevant.« (A. a. 3
Es wird nicht klar, was genau beschrieben wird, bzw. um was es eigentlich gehen soll: So ist zwischen selbstbestimmtem, selbstständigem und selbstregulierendem Arbeiten zu unterscheiden, wobei ein selbstständiges Arbeiten weniger zu einem Abarbeiten von gestellten Aufgaben passt, vor allem nicht im Zusammenhang mit entdeckendem Lernen. Und geht es um entdeckendes Lernen, wäre wohl der Begriff selbstbestimmt Arbeiten treffender als selbstständig Arbeiten. Geht es aber um Aufgabenstellungen, die selbstständig bzw. selbstorganisiert ausgeführt werden sollen, ließe sich auch von einem selbstreguliertem oder selbstkontrolliertem Arbeiten sprechen, wobei die Regulierung bzw. Kontrolle entsprechend der in den Aufgaben vorgegebenen Regeln und Zielen zu erfolgen hat. Damit würde auch die Einordnung von Biermann aufgehen, dass die Student*innen in alten Strukturen denken.
1. Theoretische Vorannahmen
O., S. 303) Andreas Breiter, Stefan Aufenanger, Ines Averbeck, Stefan Welling und Marc Wedjelek, die die Studie von Kommer zitieren, folgern daraus, dass sich eine veränderte Schulpraxis in Bezug auf Medien nicht allein dadurch ergeben wird, dass neue und junge Lehrer*innen an Schulen kommen: »Die gerne propagierte Lösung des Problems durch veränderte Einstellung und Orientierung und der damit einhergehenden Medienpraxis von neuen, jungen Lehrkräften wird sich […] nicht als Automatismus einstellen.« (Breiter et al. 2013, S. 46) Wird aber Kommer und Biermann folgend angenommen, dass Familiensozialisationsprozesse für die Genese des medialen Habitus zentral sind, verwundert jedoch die Annahme, dass sich Einstellungen gegenüber Medien kaum verändern werden. So führen zunehmend mobile Technologien laut einer Studie von Katrin Schlör zu neuen, ortsungebundenen Medienpraktiken in Familien: »Handys, Smartphones, MP3-Player oder portable Spielkonsolen [spielen] in vielen Familien eine wichtige Rolle.« (Schlör 2016, S. 207) Schlör spricht von mobilen Medienräumen, die veränderte »Kontrollbedingungen seitens der Eltern und eine verstärkte Möglichkeit des Rückzugs zur individuellen Medienpraxis [hervorrufen]. Gleichzeitig erweitert sich der häusliche Medienraum durch mobile Technologien und virtuelle Kommunikationsmöglichkeiten etwa in Form von Anrufen auf Mobilfunkgeräten oder mobil versendeten Nachrichten.« (A. a. O., S. 208) Auch Walter Scheuble, Sara Signer und Heinz Moser deuten auf einen sich wandelnden Umgang mit Medien in Familien hin. Sie stellen 2014 in ihrer Studie Medienbildung an der Pädagogischen Hochschule Zürich: Quantitative und qualitative Einschätzungen der Studierenden zur Medienbildung an der PH Zürich4 fest, dass die Student*innen »in ihren Familien überaus gut mit Medien ausgestattet [sind] und […] sich diese aus dem Alltag überhaupt nicht mehr wegdenken [können].« (Scheuble, Signer & Moser 2014, S. 18) Ganz selbstverständlich würden digitale Medien, hier vor allem Smartphones, von den Student*innen im Alltag genutzt; sie sähen »allenfalls in den von der Presse in den Vordergrund gerückten Gefahren wie Cybermobbing bzw. im vernachlässigten Persönlichkeitsschutz ein Feld, wo die Schule bewahrend bzw. immunisierend tätig sein soll.« (Ebd.) Die Schweizer Student*innen fokussieren laut der Untersuchung mit einer verstärkten Nutzung digitaler Medien in ihrem Alltag eher auf die Chancen, die diese bieten und wehren sie auch für den Unterricht nicht ab. Vielmehr ordneten sie diese als für den Unterricht nützlich ein. (Vgl. a.a.O., S. 86) Die Ergebnisse der Studie Medienbezogene Vorstellungen von (angehenden) Lehrpersonen, für die Jasmin Bastian und Stefan Aufenanger Quer- und Längsschnitterhebungen mit4
Es fand 2012/2013 eine Vollerhebung an der PH Zürich statt, an der auch Student*innen teilgenommen haben, die auf Grundschullehramt studieren. Erhoben wurden die Daten mit Hilfe eines schriftlichen Fragebogens und mit Gruppendiskussionen, die qualitativ ausgewertet wurden. Für die Gruppendiskussionen wurden für alle Lehramtsrichtungen jeweils drei bis fünf Student*innen ausgewählt. Mit den ausgewerteten Daten werden überwiegend Selbsteinschätzungen der Student*innen präsentiert; auch für die Gruppendiskussionen gab es einen Leitfaden; es wurden also Relevanzen vorgegeben und die Gespräche dadurch vorstrukturiert. Die Auswertung der Gruppendiskussionen fokussiert vor allem auf die Beurteilung der Themen durch die Student*innen und damit auf explizite Äußerungen, Positionierungen und Selbsteinschätzungen der Student*innen. (Vgl. Scheuble, Signer & Moser 2014, S. 25ff.)
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einander verbinden, um u.a. quantitative und qualitative Daten von Student*innen der Universität Mainz zu Beginn, in der Mitte und zum Ende ihres Studiums erheben zu können5 , weisen ebenfalls auf sich wandelnde Einstellungen gegenüber Medien hin6 : So wird zwar von den Student*innen die mediale Berichterstattung über die Wirkung digitaler Medien eher negativ eingeordnet, sie selbst nehmen diese aber eher positiv wahr. (Vgl. Bastian & Aufenanger 2015, S. 23) Da die Erhebung an einer Universität stattfand, in der Lehramtsstudent*innen verpflichtet sind, medienpädagogische Veranstaltungen zu besuchen, haben Bastian und Aufenanger auch danach gefragt, ob die Student*innen einen Einfluss der Lehre auf ihre Einstellungen wahrnehmen. Dies war bei der Mehrheit der Student*innen nicht der Fall (vgl. a.a.O., S. 25), wobei hier zu berücksichtigen ist, dass nicht die Einstellung Gegenstand der Erhebung ist, sondern eine subjektive Einschätzung der Student*innen in Bezug auf einen möglichen Einfluss auf ihre Einstellungen. Negative Wirkungen sähen die Mainzer Lehramtsstudent*innen vor allem bei jungen Kindern sowohl im Vorschulalter (vgl. ebd.) als auch im Grundschulalter. (Vgl. a.a.O., S. 26) Für ältere Kinder und Jugendliche gelte dies jedoch nicht. Hierzu merken Bastian und Aufenanger an, dass die Student*innen Einschätzungen aus medialen Berichten spiegeln: »Auch in öffentlichen Debatten wird nicht selten vorgeschlagen, Kindern im Grundschulalter noch keine Bildschirmmedien anzubieten und auch der Medieneinsatz in Grundschulen wird zumeist kritisch betrachtet.« (Ebd.) Die Lehramtsstudent*innen ordneten die digitalen Medien vor allem mit Blick auf Kinder negativ ein, auf sich selbst bezogen jedoch positiv. (Vgl. ebd.) Für Bastian und Aufenanger stellt sich damit die Frage, was das für die Lehrerbildung bedeutet und fordern, dass Szenarien zu gestalten sind, in denen Student*innen »in praktischen Erkundungen und Workshops« (ebd.), aber auch »in ihren akademischen Lehrveranstaltungen erfahren« (ebd.), wie digitale Medien sinnvoll und pädagogisch-didaktisch geleitet im Unterricht einsetzbar sind, um »die Bilder, die die Studierenden über die Wirkungen von Medien im Kopf haben, zu verändern. Es muss zu einer Art ›Bildwechsel‹ kommen, der voreingestellte Weltbilder oder Deutungsmuster realistischer anpasst.« (A. a. O., S. 32) 5
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Zum Lehramtsstudium in Rheinland-Pfalz und damit an der Universität Mainz ist zu sagen, dass das Bachelorstudium polyvalent, also nicht auf eine bestimmte Schulart ausgerichtet ist: »Erst ab dem fünften Semester weist das Studium eine schulartspezifische Ausrichtung auf.« (https:// www.studium.uni-mainz.de/bed/ vom 06.10.2019) An der Universität Mainz ist es dann ab dem 6. Semester nur noch möglich, mit dem Schwerpunkt gymnasiales Lehramt zu studieren. (Vgl. ebd.) Die Publikation zu der Studie bezieht sich nur auf erste quantitative Daten, die für die Studie erhoben wurden, obwohl davon auszugehen ist, dass vor allem qualitative Daten eine Aussagekraft bezüglich der Frage haben, worauf die in deskriptiven Studien immer wieder beschriebene Medienskepsis von Lehrer*innen und Lehramtsstudent*innen zurückzuführen ist. So schreiben die Autorin und der Autor selbst: »Methodisch wurde eine Kombination aus quantitativen und qualitativen Datenerhebungsverfahren gewählt. Letztere stellen qualitative Interviews dar, welche medienbezogene Einstellungen von Lehramtsstudierenden wie auch Lehrpersonen in den Blick nehmen. Dem liegt der theoretische Ansatz zugrunde, dass die Vorbehalte von Lehrpersonen gegenüber digitalen Medien mit deren medienbezogenen Deutungsmustern (Oevermann 2001) zusammenhängen. Um medienbezogene Probleme erst gar nicht aufkommen zu lassen, greifen (angehende) Lehrpersonen auf vorhandene Deutungsmuster in ihrem Umfeld zurück und es entwickeln sich feststehende medienbezogene Weltbilder.« (Bastian & Aufenanger 2015, S. 22)
1. Theoretische Vorannahmen
Wird ein solcher Bildwechsel im Sinne eines prozessorientierten Bildungsprozesses verstanden, der »Bezüge von Subjekten auf sich (aus denen dann entsprechend Weltverhältnisse entstehen)« (Jörissen 2011, S. 217) meint und nicht »Bildung von oder über ›etwas‹« (ebd.), ergibt sich die Notwendigkeit zu klären, worauf sich aktuelle, mediale Vorstellungen von Lehramtsstudent*innen zurückführen lassen bzw. was sie begründet. Die bislang von Aufenanger und Bastian publizierten Erkenntnisse lassen dies jedoch nicht ausreichend zu. Bastian und Aufenanger stellen die These in den Raum, dass die Vorstellungen der Student*innen überwiegend durch die mediale Berichterstattung und populärwissenschaftliche Publikationen hervorgebracht werden und weniger durch wissenschaftliche Erkenntnisse. (Vgl. Bastian & Aufenanger 2015, S. 32)
Kritik an der Objektivierung des Subjektiven in medienpädagogischen Diskursen Nach Kommer ermöglicht seine Konzeptionierung des medialen Habitus vor allem, »die perspektivischen Engführungen aufzubrechen, wie sie häufig in der Medienforschung zu finden sind, vor allem wenn sie auf die jeweiligen medienspezifischen Nutzungsdaten zentriert ist. Die Kontextualisierung und Einbeziehung der (Medien-)Biografie erlaubt Rückschlüsse auf die dauerhaften Dispositionen, die den Medienumgang grundieren.« (Kommer 2010, S. 391) Die Arbeit wird von mir entsprechend als Kritik an der Objektivierung des Subjektiven in medienpädagogischen Diskursen gelesen, die zu einer Auseinandersetzung mit Subjektivierungen von Lehramtsstudent*innen herausfordert, die sich auf ihr zukünftiges Handlungsfeld beziehen. Im Sinne Bourdieus geht es folglich darum, »objektivierte Geschichte (Feld) und inkorporierte Geschichte (Habitus) als zwei aufeinander bezogene Erscheinungsbedingungen der sozialen Praxis in dynamischer Beziehung zueinander zu stellen.« (Ebrecht & Hillebrandt 2002, S. 7) Damit geht es um ein Akteurskonzept, auf das die Praxistheorie verweist und welche das Handeln von Subjekten »nicht durch Rationalität oder Intentionalität angeleitet [versteht], sondern durch die Anforderungen der Praxis.« (A. a. O., S. 8) Eine Analyse sozialer Praxis lässt sich weder auf Absichten von Subjekten verkürzen noch auf »Epiphänomene von objektivierten sozialen Strukturen oder vorab festgelegter Regeln…« (Ebd.) Vielmehr konstituiert sich soziale Praxis »deren Eigenlogik jenseits vorab theoretisch festgelegter Regelsysteme analysiert werden muss.« (Ebd.) Die Auseinandersetzung mit Anforderungen der Praxis führt zu einem praktischen Sinn, der es möglich macht, »an Praxisformen zu partizipieren.« (Ebd.) Nach Kommer wird der Habitus in den meisten Konzepten zur Vermittlung von medienpädagogischen und mediendidaktischen Kompetenzen in der Lehrer*innenbildung nicht ausreichend berücksichtigt: »Dies kann im Zweifelsfall dazu führen, dass alle Bemühungen zur Stärkung des Einsatzes neuerer Medien in der Schule an den im Habitus verfestigten Dispositionen scheitern…« (Kommer 2010, S. 387) Kommer plädiert ausgehend von dieser Erkenntnis dafür, dass Lehramtsstudent*innen erfahren, dass ihre Einstellungen eine Konstruktion sind, »die von ihrer Position im sozialen Feld abhängt – und damit keineswegs absolut im Sinne eines Geschmacksurteils bei Kant sind, sondern immer auch anders ausfallen könnten…« (A. a. O., S. 387f.) Nur dann ergeben sich nach Kommer »Chancen für eine spätere adäquate und von Offenheit anstelle von habituell begründeten Vorurteilen geprägte Umgehensweise mit verschiedensten
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Medien im schulischen Kontext…« (A. a. O., S. 388) Damit geht Kommer davon aus, dass es möglich ist, die im Habitus verfestigten Dispositionen zu bearbeiten, also »der Kreislauf einer repetitiven Anwendung der vorhandenen Schemata durchbrochen werden kann.« (Ebrecht 2002, S. 228) Tatsächlich ist bereits in der Habitustheorie eine mögliche Veränderung von Habitus angelegt, auch wenn Bourdieu zunächst den Eindruck vermittelt, wie Jörg Ebrecht feststellt, dass die Entwicklung neuer Schemata unmöglich ist: »Wenn alles Wahrnehmen, Denken und Handeln aus der Anwendung von kognitivsymbolischen Schematisierungen resultiert, dann ist die Etablierung neuer Schemata nicht nur unwahrscheinlich, sondern beinahe ausgeschlossen, da alle Erfahrungen, auch und gerade die irritierenden, immer schon auf der Basis vorhandener Dispositionen rezipiert werden.« (Ebrecht 2002, S. 228) Mit dieser Sicht werde jedoch nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Anwendung von Schemata, die nach Bourdieu kollektiv und den einzelnen Akteur*innen nicht reflexiv zugänglich sind, von diesen »in konkreten Handlungssituationen, unter einem konkreten Handlungsdruck praktisch angewendet werden.« (A. a. O., S. 230) Dies geschehe routinisiert, aber nicht mechanisch: »Da die kollektiven Schemata des Habitus von den Akteuren zur subjektiven Sinnzuschreibung herangezogen und durch das ›Nadelöhr‹ des praktischen Verstehens im Rahmen einer konkreten Handlungssituation gefädelt werden müssen, erscheint die quasi mechanische Repitition von Handlungsmustern als ein unwahrscheinlicher Grenzfall.« (A. a. O., S. 230f.) Ebrecht führt hierzu Situationen an, in denen ein routinisierter Rückgriff auf etablierte Schemata zum Problem wird: Dazu gehört zum einen eine Handlungssituation, die Akteur*innen als nicht eindeutig auslegbar erkennen, was sie auffordert, sich zwischen Schemata zu entscheiden, über die sie verfügen. Zum anderen kann es zu einer Handlungssituation kommen, »die von den Akteuren vor dem Hintergrund ihrer vorhandenen habituellen Dispositionen gar nicht verstanden werden kann, weil ihnen die entsprechenden Schemata der Interpretation fehlen, die Handlungssituation ihnen gewissermaßen so fremd ist, dass sie außerstande sind entsprechende Handlungen zu vollziehen.« (A. a. O., S. 231) Hier verlieren nach Ebrecht »Situationsinterpretationen und Praktiken ihren Routinecharakter…« (Ebd.) Auch Kommer beschreibt den Habitus als »träge und von einem hohen Beharrungsvermögen geprägt…« (Kommer 2010, S. 386), aber geht wie Ebrecht davon aus, dass er »als spezifische Form des Prozessierens eines kognitiven Systems grundsätzlich im Sinne einer strukturellen Kopplung zu einem strukturellen Driften – also zu einer Veränderung – fähig ist…« (Ebd.) Entsprechend müsse Medienbildung im Rahmen des Lehramtsstudiums »tiefer ansetzen und versuchen (ganz im Sinne einer Irritation), den eigenen medialen Habitus wie auch dessen Entstehungsprinzipien zunächst bewusst und dann reflexiv zu machen.« (A. a. O., S. 387) Deutlich wird für mich hier, dass es um Bezüge von Subjekten auf sich und daraus hervorgehende Weltverhältnisse geht und damit um Bildungsprozesse im Sinne von Jörissen und Marotzki; sollen diese initiiert werden, ist nach Alfred Holzbrecher zu berücksichtigen, dass die jeweilige Position im sozialen Feld, aber auch der Subjektanteil in Erfahrungsbildungsprozessen von Bedeutung sind, in denen im »Kontext eines historisch-gesell-schaftlich [sic!] und kulturell
1. Theoretische Vorannahmen
bedingten ›Gesamtsystems‹ über intermediäre Systeme, z.B. soziale ›Schichten‹ oder ›Milieus‹, sich biografische Erfahrungen im Subjekt zu bestimmten Wahrnehmungsund Deutungsmustern verdichten.« (Holzbrecher 2003, S. 112) Die Chance einer Irritation und damit die Initiierung eines Bildungsprozesses liegt nach Holzbrecher u.a. darin, dass ein Bildungsprozess kein geradliniger Prozess ist, sondern vielmehr – ähnlich wie Benjamin Jörissen und Winfried Marotzki es auch beschreiben – ein »ergebnisoffener Such- und Konstruktionsprozess […], bei dem das lernende Subjekt jeden Schritt daraufhin überprüfen muss, ob er ›gangbar‹ ist. Jede neue Aktivität wird im Spannungsfeld zwischen einem Rückblick, d.h. eine Einordnung in das System bisheriger Erfahrungen, und einer Einschätzung künftiger Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten beurteilt.« (Holzbrecher 2003, S. 115) Nach Holzbrecher geht es deshalb darum, einen Prozess der Suche zu organisieren: eine Suche nach »neuen, angemessenen Deutungs- und Ausdrucksformen« (a.a.O., S. 120), die das Subjekt ermächtigen »innere Widerstände (z.B. biografisch bzw. entwicklungsbedingte Ängste) zu bewältigen und sich zugleich auch äußeren Widerständen gegenüber als handlungsfähig zu erfahren.« (Ebd.) Um Bildungsprozesse anregen zu können, in denen dies möglich wird, scheint ein Wissen über mögliche innere Widerstände, aber auch über mögliche äußere Widerstände bedeutsam, die von angehenden Grundschullehrer*innen in Bezug auf das Lernen mit, durch und über Medien in der Grundschule wahrgenommen werden. Damit rückt ein Ergebnis aus der Studie zur Medienintegration in Grundschulen von Breiter, Aufenanger, Averbeck, Welling und Wedjelek in den Fokus: Von den Grundschullehrer*innen werden nicht nur Aufgaben genannt, die sie so auslasten, dass ihnen Zeit für den Medieneinsatz und Medienerziehung im Unterricht fehlt, sondern sie sagen, dass sie sich aufgrund des Medienwandels auch überfordert fühlen, wie ein exemplarisches Zitat einer Lehrerin aus der Studie zeigt: »Die Medienwelt ändert sich so rasch, dass mir der Überblick fehlt, um die Konsequenzen im Unterricht zu thematisieren…« (Breiter et al. 2013, S. 121) Die befragten Lehrer*innen geben an, dass sie lieber nicht mit digitalen Medien arbeiten, sondern auf Bewährtes zurückgreifen: »Ich arbeite im Unterricht lieber mit traditionellen Medien als mit digitalen…« (Ebd.) Die zunehmend artikulierte gesellschaftliche Erwartung, digitale Medien auch in der Grundschule einzusetzen und zum Thema zu machen, könnte von (angehenden) Lehrer*innen entsprechend als Krise erlebt werden, die ein Potenzial von Lerngelegenheiten in sich trägt, »bei denen auf eine ›Verflüssigung‹ vertrauter Deutungsmuster mit realitätsangemesseneren geantwortet wird, wenn bzw. indem aktiv nach neuen Möglichkeiten der Wahrnehmung, der Reflexion und des Ausdrucks gesucht wird…« (Hervorheb. i. Orig., Holzbrecher 2003, S. 113) Eine Arbeit am Habitus, wie Holzbrecher sie anregt, erfordert Lern- und Bildungsprozesse, die vorhandene Schemata der Lernenden irritieren, die Außenstehenden nicht zugänglich sind. Damit wird angedeutet, dass Medienkompetenzmodelle das für die Irritation Notwendige nicht ohne Weiteres fassen können, da es nicht unabhängig von der Lernsituation vorab formuliert werden kann. Angesichts aktueller Medienentwicklungen lässt sich vermuten, dass sich Anforderungen, mit denen angehende Grundschullehrer*innen in der Praxis konfrontiert werden, so verändern, dass sich ihre einverleibten Schemata nicht mehr eignen, um an eben dieser Praxis zu partizipieren. Um mögliche Krisen auszumachen, die zur Entwicklung
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neuer Schemata führen könnten und damit zu Bildungsprozessen, bearbeite ich in meiner Arbeit die Frage, »wie sich Subjektfiguren zu reflexiven Selbstentwürfen und habituell verankerten Orientierungsmustern (Orientierungsrahmen im Sinne der praxeologischen Wissenssoziologie, vgl. Bohnsack 2010) verhalten…« (Geimer 2014a, S. 200f.) Dabei sind nicht nur auf das Lernen mit, durch und über Medien bezogene Subjektfiguren und Orientierungen in den Blick zu nehmen, wie der folgende Abschnitt zeigt, in dem ich vor allem auf Ergebnisse aus den Studien von Moritz Meurer, Ralf Biermann und Marion Brüggemann eingehe, da durch sie deutlich wird, dass auch Orientierungen, die sich auf Kindheit, Unterricht, Lehren und Lernen beziehen, in den Blick zu nehmen sind.
Über die Bedeutung von Orientierungen ohne unmittelbaren Medienbezug Neben Orientierungen, die sich auf Medien beziehen, sind nach Meurer auch Haltungen und Vorstellungen, die sich auf Kindheit beziehen zu reflektieren. (vgl. Meurer 2006, S. 205f.) Meurer hat Interviews mit Grundschullehrer*innen geführt und ausgehend von ihnen einen bewahrpädagogischen Habitus rekonstruiert, der zu »Vermeidungs- und Rechtfertigungsstrategien« (a.a.O., S. 205) führt, die »inhärenter Teil eines technikskeptischen Habitus sind…« (Ebd.) Daraus folgt für Meurer: »Wenn der Medieneinsatz in der Schule in den nächsten Jahren gefördert werden soll, reicht es […] keinesfalls aus, den Lehrerinnen und Lehrern Unterrichtsbeispiele und -konzepte und immer neue Software an die Hand zu geben. Vielmehr erscheint es insbesondere für Lehrkräfte der Primarstufe unerlässlich, die eigenen Einstellungen zu Medien und Kindheit kritisch zu reflektieren und vor dem Hintergrund vorliegender Forschungsergebnisse gegebenenfalls zu revidieren.« (Ebd.) Diese Erkenntnis aufgreifend betonen Breiter, Aufenanger, Averbeck, Welling und Wedjelek die Bedeutung, die handlungsleitende Orientierungen, die sich auf Unterricht, Lehren und Lernen beziehen, für die Frage haben, ob und wie Medien von Lehrer*innen im Unterricht eingesetzt und zum Thema gemacht werden oder nicht. Sie verweisen in diesem Zusammenhang auf eine Studie, für die Helena P. Miranda und Michael Russell 1.040 Lehrkräfte an Grundschulen in Massachusetts (USA) schriftlich befragt haben. Die Auswertung der Befragung zeigt nach Miranda und Russell, dass für Lehrer*innen vor allem entscheidend ist, welchen Mehrwert digitale Medien für ihren Unterricht bzw. für das Unterrichten haben: »At the classroom level, results suggest that the strongest predictor of reported teacher directed student use might be teachers‘ belief about the instructional benefits of technology, followed by teachers‘ experience with technology and teachers‘ perceived pressure to use technology.« (Miranda & Russell 2011, S. 317) Die Studie zeige zudem, dass lerntheoretische Orientierungen von Bedeutung sind: »Analog zur Untersuchung von Blömeke et al. in weiterführenden Schulen (Blömeke et al. 2005) kommen Miranda und Russell für Grundschulen zu der Annahme, dass Lehrkräfte, die einen konstruktivistisch orientierten Unterricht durchführen, häufiger digitale Medien einsetzen als Lehrkräfte, die konstruktivistischen Ansätzen weniger zugetan sind.« (Breiter et al. 2013, S. 39f.) Auch bei Biermann findet sich eine Verknüpfung zwischen dem Professionsverständnis von (angehenden) Lehrer*innen und ihrem Umgang mit Medien in der Schule:
1. Theoretische Vorannahmen
Er kommt in seiner Arbeit zu dem Schluss, dass das Professionsverständnis in Bezug auf Medien zum Problem wird, wenn der Computer, der von (angehenden) Lehrer*innen als Arbeitsgerät eingeordnet wird, von Schüler*innen spielerisch genutzt wird. Pädagogische Professionalität gebe hier das Ideal vor, dass »die Lehrperson die Kontrolle über den Lernprozess behält« (Biermann 2009, S. 74), diese Kontrolle gerate ins Wanken, wenn der »Pädagoge […] nicht mehr der alleinige Ansprechpartner und Kontrolleur [ist], da auch die Schüler über Kompetenzen verfügen.« (Ebd.) Nach Biermann werden entsprechend Office-Anwendungen im Unterricht akzeptiert, der Einsatz von Medien wie Fernsehen, Chats oder Computerspiele dagegen abgelehnt. (Vgl. a.a.O., S. 87) Besonders deutlich macht Brüggemann, dass nicht nur explizit medienbezogene Orientierungen in den Blick zu nehmen sind. Brüggemann hat eine rekonstruktive Studie zum Medienhandeln und berufsbezogenen Orientierungen durchgeführt und dafür zehn Gruppendiskussionen mit beruflich erfahrenen Lehrer*innen an einem Gymnasium, einer Realschule und mehren Gesamtschulen geführt und dokumentarisch ausgewertet. (Vgl. Brüggemann 2013, S. 65) Als Ergebnis ihrer Arbeit präsentiert sie nicht wie Biermann und Kommer einen medialen Habitus, der die Schulpraxis in Bezug auf Medien strukturiert, sondern einen medienbezogenen Habitus, der sich dadurch auszeichnet, dass die »herausgearbeiteten Orientierungen in Bezug auf die Mediennutzung in der Schule […] nicht ausschließlich an den Umgang mit digitalen Medien gekoppelt [sind], vielmehr sind die Orientierungsmuster von allgemeiner, übergreifender Relevanz und gehen über das spezifische Medienhandeln der Lehrkräfte weit hinaus.« (A. a. O., S. 286) So handeln Lehrer*innen im Unterricht »auf der Grundlage tief verankerter Orientierungsmuster, die die Unterrichtspraxis und damit auch die Medienintegration strukturieren.« (A. a. O., S. 288) Die Autorin geht davon aus, dass die Basistypik, die sie fassen kann, »möglicherweise nicht nur im medienbezogenen Kontext rekonstruierbar ist, sondern Ausdruck grundlegender Orientierungsmuster zum Lehren und Lernen ist und möglicherweise mit fachspezifischen Orientierungsmustern korrespondiert, die sich im Kontext der Nutzung digitaler Medien zeigen.« (A. a. O., S. 287) Daraus folgt für mich, dass auch Identitätsnormen, die sich auf das zukünftige Handlungsfeld der angehenden Grundschullehrer*innen beziehen, näher zu betrachten sind.
1.4
Aneignung normativer Subjektfiguren
Geht es darum herauszufinden, welche diskursiven Subjektfiguren Vorstellungen von zukünftigen Grundschullehrer*innen strukturieren und die Kontexte zu beschreiben, in denen diese ihnen begegnen, wird kein interpretatives Denken betrachtet, das sich explizit erschließt, sondern ein unmittelbares Verstehen im Sinne Mannheims (vgl. 1980), wie Geimer betont: »Während Deutungen der Regelung des reflexiven Verhältnisses zu sich selbst wie der expliziten Distinktion von Anderen dienen, führen Aneignungsprozesse zur Reproduktion oder Transformation eines impliziten Erfahrungswissens und damit potenziell zu Bildungsprozessen.« (Geimer 2014a, S. 202) Nach Geimer kann es hierbei zu dissoziativen Aneignungen kommen, »in denen sich reflexive Selbstentwürfe an Subjektfiguren ausrichten, aber zugleich habituell-implizite Wissensstrukturen nicht beeinträchtigt werden.« (Ebd.) So wäre es möglich, dass angehen-
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de Grundschullehrer*innen die Bedeutung von Medienpädagogik in der Grundschule – insbesondere angesichts aktueller Debatten über eine so genannte digitale Bildung und den Einsatz von Tablets in Grundschulen, in denen Erwartungen in Bezug auf das Lernen mit, durch und über Medien in der Grundschule formuliert werden – explizit anerkennen bzw. diese »auf der Ebene identitätsbezogener Reflexion des Selbst einerseits in hohem Maße relevant sind und andererseits zugleich für die habituellen Grundlagen des Gewohnheitshandelns weitgehend unbedeutend bleiben.« (Hervorheb. i. Orig., a.a.O., S. 203) Sprich: es kann ein Bewusstsein für die Bedeutung des Themas ausgebildet sein und auch benannt werden, ohne dass dieses Bewusstsein etwas in der Praxis verändert. Ich gehe davon aus, dass im Hochschulkontext – auch ohne, dass es ein Curriculum bzw. Dokument gibt, das medienpädagogische Lernziele explizit und fächerübergreifend abgestimmt ausformuliert – normative Subjektfiguren und damit Deutungsangebote in Bezug auf das Lernen mit, durch und über Medien das Potenzial haben, Vorstellungen der Student*innen bzgl. ihrer zukünftigen medienpädagogischen und mediendidaktischen Praxis als Grundschullehrer*innen mitzustrukturieren und entsprechend als »kollektiv geteilte Normalitätshorizonte von mehr oder weniger hegemonialer Durchsetzungsfähigkeit« (Geimer 2013, S. 101) bezeichnet werden können. Welche dies sind, soll untersucht werden, um sich der Reichweite normativer Subjektfiguren in Bezug auf das Lernen mit, durch und über Medien anzunähern. (Vgl. a.a.O., S. 102) Ziel ist dabei nicht in einem normativen Sinne zu kritisieren was handlungsleitend wird, wohl aber Verhältnisse zwischen Subjektfiguren und reflexiven sowie impliziten Wissensbeständen offenzulegen und in ihrer Bedeutung für die Gestaltung von LehrLernprozessen im Grundschullehramt zu diskutieren. So lassen sich möglicherweise Lern- und Bildungsprozesse verhindernde Subjektivierungsprozesse in den Blick nehmen, in denen Subjektfiguren nur soweit angeeignet werden, dass habituell-implizite Wissensstrukturen sich nicht wandeln, obwohl »Veränderungen im Selbstverständnis und Selbstentwurf des Subjekts impliziert sind. Im Sinne der praxeologischen Wissenssoziologie handelt es sich um eine Form einer identitätsprägenden Bezugnahme auf ›Theorien des Common Sense mit ihren legitimatorischen Funktionen‹ (Bohnsack 2012: 124).« (A. a. O., S. 105) So lassen sich argumentativ kritische Haltungen einnehmen, die letztlich jedoch das Kritisierte legitimieren, wie Geimer mit Verweis auf Angela McRobbie illustriert, die 2009 »feststellt, dass über den popkulturell und medial omnipräsenten Feminismus eine Sensibilität für Geschlechterfragen zum Common Sense gehört, während genau dadurch jedoch alltäglich Ungleichheiten eher verschleiert als gesehen werden.« (A. a. O., S. 105) Diese Feststellung führt zurück zu Popkewitz und offenbart, dass die Frage danach, wie normative Subjektfiguren von Grundschullehramtsstudent*innen angeeignet werden und inwiefern diese habituell-implizite Wissensstrukturen und damit Handlungspraxis beeinflussen, nicht nur grundlegend für die Formulierung von Lern- und Bildungszielen und damit Curricula sind, sondern auch grundlegend für Transformationsprozesse im Sinne von Bildungsprozessen: »The philosophy of consciousness gives sovereignty to actors and agency to humans in explanations of change in those structures.« (Popkewitz 2001, S. 156) Nur wenn nachvollziehbar wird, dass Geschichte und Kultur und damit eben auch das, was wir wissen können oder sollen, sich nicht aus sich
1. Theoretische Vorannahmen
selbst heraus entwickelt, sondern gemacht ist, können sich Akteur*innen als mögliche Gestalter*innen von Kultur und Geschichte wahrnehmen. (Vgl. a.a.O., S. 158)
1.5
Lernen mit, durch und über digitale Medien
Wenn ich danach frage, inwiefern normative Subjektfiguren die Vorstellungen angehender Grundschullehrer*innen in Bezug auf das Lernen mit, durch und über Medien in der Grundschule mitstrukturieren, geht es zunächst einmal nicht nur um digitale, sondern generell um Medien. Damit wird mit Bezug auf Gerhard Tulodziecki und Silke Grafe darauf verwiesen, dass in »medienpädagogischen Zusammenhängen […] die digitalen Medien […] nicht isoliert, sondern im Kontext des gesamten Medienspektrums gesehen [werden]…« (Tulodziecki & Grafe 2013, S. 11) Auf den Punkt bringen Tulodziecki und Grafe diese Perspektive mit folgender Formulierung: »Den lebensweltlichen Ausgangspunkt für medienpädagogische Überlegungen bildet die Medienlandschaft, in der Presse und Buch, Hörfunk und Tonträger, Film und Fernsehen, Computer und Internet den Heranwachsenden ein weit gefächertes Programm für Informationen und Kommunikation, für Unterhaltung und Spiel, für Bildung und Beratung bieten.« (A. a. O., S. 12) Dass von mir mit der Forschungsfrage nicht ein ausschließliches Interesse an digitalen Medien kommuniziert wird, ist aber auch mit Ergebnissen eines Forschungsprojektes zu erklären, für das Lehrer*innen im Kontext von Fortbildungen nach ihrer Mediennutzung im Unterricht gefragt wurden, um herauszufinden, »wie weit analoge Medien den Unterricht noch heute dominieren, bzw. wie stark in den letzten Jahren digitale computerbasierte Medien genutzt werden. Gleichzeitig stellt sich aber auch die Frage, ob es typische didaktische Arrangements gibt, in deren Kontext die befragten Lehrkräfte eher analoge bzw. digitale Medien einsetzen.« (Moser 2006, S. 1/20) So nutzten die für das Forschungsprojekt befragten Lehrer*innen am häufigsten die Wandtafel, den Overheadprojektor oder über einen Computer den Beamer, um etwas in ihrem Unterricht zu erklären oder darzustellen, wobei von den befragten Grundschullehrer*innen dazu vor allem die analoge Wandtafel genutzt wurde. (Vgl. a.a.O., S. 9/20) Sollten Schüler*innen jedoch etwas üben, wurde dafür auch in der Grundschule auf digitale Medien zurückgegriffen. (Vgl. a.a.O., S. 13/20) Dieses Ergebnis ist interessant, obwohl das Forschungsprojekt mehr als zehn Jahre zurückliegt, weil als Grund für den Vorzug der analogen Wandtafel nicht einfach eine fehlende digitale Medienausstattung genannt wird, sondern Moser hier auf Lernkulturen verweist und damit auf eine theoretische Annahme, von der ich in meiner Arbeit grundsätzlich ausgehe: So schreibt Moser, dass die Wahl der Methode und damit der Medien durch den Unterrichtsinhalt mitbestimmt wird, »wie wenn in den Inhalten bestimmte methodische Vermittlungsformen schon angelegt wären. Diese Passung von Medien und Inhalten ist jedoch nicht naturhaft vorgegeben, sondern ein Ergebnis bestimmter geltender Lernkulturen, die z.T. auch stufenspezifisch unterschiedlich ausgebildet sind.« (Ebd.) Moser geht hier, wie die Vertreter*innen der cultural studies also davon aus, dass die analoge Wandtafel ihre Bedeutung, die zu einer bestimmten Unterrichtspraxis führt, nicht per se in sich trägt, sondern dass ihr diese zugeschrieben wird. Die Wandtafel lässt sich damit als ein kulturelles Artefakt begreifen, dessen Bedeutung und daraus hervorgehende Nutzungspraxen u.a. durch
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Lernkulturen – und damit auch durch das, was in diesen unter Lernen und Lehren verstanden wird – geprägt sind.
Meaning-Making Da ich danach frage, welche Vorstellungen Grundschullehramtsstudent*innen von einem Umgang mit Medien in der Grundschule haben und was diese strukturiert, werden Positionen von Medienpädagog*innen, aber auch Positionen, die sich aus bildungspolitischen Debatten herauslesen lassen, von mir als Deutungsangebote präsentiert (vgl. hierzu vor allem Kapitel 3). Es geht mir in diesem Kontext also um die Frage, was Student*innen aus in Diskursen und Debatten sich immer wieder aufdrängenden Beschreibungen bzw. Zuschreibungen machen und nicht um den Versuch, alle in ihnen vorkommende Positionen zu erfassen. Nach Reiner Keller geht es damit um das Diskursive, welches kollektiv erzeugte Wissensordnungen in Bezug auf das Lernen mit, durch und über Medien in der Grundschule fasst, die sich in einer Zeit durchsetzen und institutionalisieren. (Vgl. Keller 2004, S. 7) Im Verlauf der Arbeit spreche ich zunehmend von einem Lernen mit, durch und über digitale Medien, da die Student*innen, mit denen ich Gruppendiskussionen geführt habe, in diesen überwiegend digitale bzw. computerisierte Medien problematisieren. Analoge Medien – wie Bücher, Kreidetafeln oder Arbeitsblätter werden zwar thematisiert, aber – passend zu den Erkenntnissen von Moser – als natürliche Bestandteile von Schule, als nicht zu diskutierend; geradezu so als wäre eine Schule ohne Bücher, Kreidetafeln oder Arbeitsblätter keine mehr. Zu dieser Einordnung passt, dass bestimmte – Schule offensichtlich nicht derart ausmachende – analoge, aber auch digitale Medien in den Gruppendiskussionen kaum auftauchen: So werden weder analoge Kameras, Audiokassetten oder Schallplatten, noch digitale Kameras oder digitale Audiogeräte intensiver besprochen, obwohl sich möglicherweise gerade durch sie etwas über die digitalen Medien, mit denen sich die Student*innen in den Gruppendiskussionen vor allem auseinandersetzen – also Computer, Tablets und Smartphones – erfahren ließe, was sonst nicht erfahrbar wäre: »So lässt sich die Anwendung von einzelnen Geräten und notwendigem Zubehör – […] Audiogeräten, Mikrofonen, Kopfhörern, Lautsprechern, Kabeln und schließlich auch Laptops für die Bearbeitung von Aufnahmen sowie Fotoapparaten für Bild-TonMontagen – als ein Blick hinter die Kulissen verstehen, in dem die in einem Tablet oder auch Smartphone zusammengeführten Gerätetechnologien und ihre Anwendungsmöglichkeiten einzeln begreifbar werden: Anders als bei der Nutzung eines Tablets und der passenden App, die alles für eine Audioaufnahme und deren Bearbeitung Notwendige zusammenführen, habe ich voneinander abgegrenzte Gegenstände, die ich einzeln erfassen und damit einzelne, für eine Aufnahme notwendige Schritte ganz konkret nachvollziehen und anhand der einzelnen Komponenten auch erklären kann…« (Kulcke 2015, S. 1f.) Da ich davon ausgehe, dass die Vorstellungen der Grundschullehramtsstudent*innen nicht allein von stark vertretenen Positionen in medienpädagogischen Diskursen strukturiert werden, sondern auch technische und kulturelle Entwicklungen von Bedeutung sind, erscheinen mir im Kontext von Lernen mit, durch und über Medien Beschreibun-
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gen zentral, die sich auf den Zusammenhang von Kultur und digitale Medien beziehen. Als wesentlich erkenne ich hier zunächst einmal – anschließend an die Feststellung von Hall, dass wir durch Sprache der Welt und den Dingen in ihr Bedeutung zuschreiben, von denen ausgehend wir sozial handeln (vgl. Hall 1997, S. 220f.) –, dass diese Zuschreibungen heute vor allem über digitale Medien vermittelt werden, die eine völlig andere Reichweite haben als analoge Medien: »the significance of the cultural revolutions at the end of the twentieth century resides in their global scope and scale, their breadth of impact, their democratic and popular character.« (A. a. O., S. 209) Digitale Medien führen nach Hall zu einem veränderten allgemeinen Bewusstsein, da wir durch sie zunehmend in vielfältigen und virtuellen Welten leben: »They truncate the speed at which images travel, the distances across which commodities can be assembled, the rate at which profits can be realized…« (A. a. O., S. 210) Verknüpft bzw. in Verbindung gebracht werden so Gesellschaften mit völlig unterschiedlichen historischen und kulturellen Entwicklungen, mit unterschiedlichen Lebensstilen: »These global cultural shifts are creating rapid social change – but also serious cultural dislocation.« (Ebd.) Daraus folge jedoch nicht, dass Menschen nicht mehr an einem Ort lebten, dass diese Orte nicht zu bestimmten Erfahrungen und damit auch lokalen Praktiken führten, auch wenn zunehmend von einer kulturellen Homogenisierung, einer McDonaldisierung gesprochen werde: »The result of cultural mixing, or syncretism, across old frontiers may not be the obliteration of the old by the new, but the creation of some hybrid alternatives, synthesizing elements from both but reducible to neither – as is increasingly the case in the culturally diverse, multicultural societies created by the great migrations of peoples arising from war, poverty and economic hardship in the late twientieth century…« (A. a. O., S. 211) Ins Detail geht hier Geimer, der feststellt, dass es im Zuge dieser Entwicklungen zunehmende, untereinander konkurrierende Angebote zur Subjektivierung gibt, womit Akteur*innen nicht widerspruchsfrei aufgefordert seien, sich auf eine bestimmte Art und Weise selbst zu verstehen und entsprechend auszuformen. (Vgl. Geimer 2012, S. 233) Daraus ergebe sich die Frage – die ich in Bezug auf Vorstellungen von Grundschullehramtsstudent*innen über den Umgang mit Medien in der Grundschule auch in meiner Arbeit stelle –, was sich hier wie von Akteur*innen zu eigen gemacht werde: »Da Subjektivierungsprozesse stets auf – schon angesichts der Pluralisierung sozialer Semantiken konkurrierenden – Angeboten zur Subjektivierung, also Subjektfiguren (oder -positionen) gemäß Normalitätshorizonten, beruhen, stellt sich die Frage, wie Akteure ausgehend von habituellen Orientierungen sich an sie herangetragene Subjektfiguren zu eigen machen oder dies nicht tun.« (A. a. O., S. 233f.) Hierzu passen Ausführungen von Felix Stalder, der der Kultur der Digitalität, wie er sie nennt, zuschreibt, dass sie nicht nur dazu führt, »dass alte kulturelle Formen, Institutionen und Gewissheiten erodieren, sondern auch, dass sich neue herausbilden…« (Stalder 2016, S. 9) Digitalität ermögliche demnach etwas, was vorher nicht möglich gewesen sei. So beteiligten sich immer mehr Menschen »an kulturellen Prozessen, immer weitere Dimensionen der Existenz werden zu Feldern kultureller Auseinandersetzungen, und soziales Handeln wird in zunehmend komplexere Technologien eingebettet, ohne die diese Prozesse kaum zu denken und schon gar nicht zu bewerkstelligen wären. Die Anzahl konkurrierender kultureller Projekte, Werke, Referenzpunkte und -systeme steigt rasant an…« (A. a. O., S. 11) Die Kultur der Digitalität zeichne sich vor allem durch
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Referentialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität aus. Referentialität verweist hier auf »die Nutzung bestehenden kulturellen Materials für die eigene Produktion… Im Kontext einer nicht zu überblickenden Masse von instabilen und bedeutungsoffenen Bezugspunkten werden Auswählen und Zusammenführen zu basalen Akten der Bedeutungsproduktion und Selbstkonstitution.« (A. a. O., S. 13) Die Gemeinschaftlichkeit verdeutlicht, dass Bedeutungen sich nur etablieren, wenn sie über den Einzelnen hinausgehen: »Nur über einen kollektiv getragenen Referenzrahmen können Bedeutungen stabilisiert, Handlungsoptionen generiert und Ressourcen zugänglich gemacht werden.« (Ebd.) Algorithmen automatisieren nach Stalder Entscheidungsverfahren, »die den Informationsüberfluss reduzieren und formen, so dass sich aus den von Maschinen produzierten Datenmengen Informationen gewinnen lassen, die der menschlichen Wahrnehmung zugänglich sind und zu Grundlagen des singulären und gemeinschaftlichen Handelns werden können.« (Ebd.) Stalder geht nicht davon aus, dass technologische Entwicklungen neue Kulturen hervorgebracht haben, die nichts mit den Kulturen zu tun haben, die ohne sie existierten: »die angeblich neuen Arten der Koordination und Kooperation sind so neu […] nicht. Viele von ihnen gibt es schon seit einiger Zeit. Meist hatten sie anfangs mit den Technologien, für die sie dann später relevant werden sollten, gar nichts zu tun. […] Die neuen Technologien trafen […] auf bereits laufende gesellschaftliche Transformationsprozesse.« (A. a. O., S. 21) Neue Technologien entwickeln sich nach Stalder nur dort, wo sie gebraucht werden. Bedarfe für neue Technologien würden entsprechend »durch soziale, politische und ökonomische Krisen geschaffen…« (A. a. O., S. 22) Ausgehend von Marshall McLuhan versteht Werner Sesink Medien als auf ein Medium verweisend – auf einen Raum verweisend, in dem Menschen handeln: »Mit ›dem‹ Medium wird ein weiterer und fundamentalerer Medienbegriff zu Grunde gelegt, demzufolge wir das Medium als Raum verstehen, in dem wir uns bewegen, und als den Schauplatz, auf dem die vielen Medien erscheinen. Das Medium wäre demnach das Medium der (vielen) Medien. Jedes Buch spricht von der Buchkultur, jede Computersimulation von der durch Neue Technologien geprägten vernetzten Informationsgesellschaft.« (Sesink 2008, S. 14) So gesehen ist das Medium ein Raum, der etwas ermöglicht. Wird nun Lernen nicht verstanden als das Vermitteln von etwas, geht es darum »Raum für selbst entdeckte und gewählte Wege zu geben […] [und] Medien in diesem Sinne ein[zusetzen].« (Hervorheb. i. Orig., a.a.O., S. 15) Das Neue an den neuen Medien im Vergleich zu den alten Medien ist nach Sesink vor allem, dass über die alten Medien »die Welt als eine lesbare, beschreibbare, berechenbare Welt [vermittelt wurde]. Das neue Medium dagegen […] vermittelt die Welt als eine konstruierbare (schreibbare und errechenbare).« (A. a. O., S. 18f.) Wobei es Bits und Bytes seien, mit denen diese Welt konstruiert werde. In natürlicher Sprache artikuliere sich »eine kulturelle und sich permanent wandelnde Tradition von Weltrezeption« (a.a.O., S. 28); werde jedoch etwas mit einer Programmiersprache geschrieben, werde etwas vorgeschrieben: der Welt werde vorgeschrieben, »wie sie zu sein, wie sie sich zu verhalten hat. […] Der Text fungiert jetzt als eine An-ordnung […], eine Kette von Befehlen, durch deren Befolgung die Übersetzung in Wirklichkeit zu leisten ist. Welt wird hier nicht mehr beschrieben, sondern ge-schrieben…« (Hervorheb. i.
1. Theoretische Vorannahmen
Orig., ebd.) Für Sesink ist die Informatik entsprechend wegweisend für Bildung: Entstanden sei ein Raum, in dem das Subjekt selbst Welt konstruiere: »Befreit von der alten Welt ist nun alles möglich; allerdings nichts mehr notwendig. Im leeren Raum des Konstruierens gibt es keine Gründe mehr.« (Hervorheb. i. Orig., a.a.O., S. 30) Torsten Meyer beschreibt das Medium nicht als Raum, sondern als Milieu, und macht so deutlich, dass »das Denken, die Art und Weise, wie wir wahrnehmen, erkennen, wissen können, epochenspezifisch, also kulturabhängig ist.« (Meyer 2008, S. 82) Und zu dieser Kultur gehöre Technik, die unsere Wahrnehmung von Welt verändere und damit auch unser Wissen und Denken über diese. Meyer zitiert hier Thomas Weber, der schreibt: »die Einführung des Buchdrucks [hat] keineswegs nur eine höhere Auflage von Büchern und insbesondere der Heiligen Schrift ermöglicht, sondern auch eine Veränderung der Denkweise angestoßen. Der Übergang vom handschriftlich kopierten Manuskript zum gedruckten Buch verbreitete nicht nur die Distributionsbasis des Christentums, sondern zerstörte auch das Interpretationsmonopol von Kirche und Kaiser. Nicht allein der Glaubensinhalt wird verändert, sondern auch die Glaubensweise, was innerhalb der Kirche schließlich zur Reformation führen wird. Doch auch die profane Autorität durchläuft einen Wandel, der durch den Übergang von der feudalen zur absolutistischen Monarchie gekennzeichnet ist…« (Weber 1999, S. 407) Die Beziehung von Medien und Wissen bzw. Medien und Bildung legt für Jörissen und Meyer nahe, dass die zu erwartenden Umbrüche weitaus radikaler sein können, als bisher erfahrene gesellschaftspolitische Herausforderungen an Bildung und Wissen. Sie gehen davon aus, dass in der »informatischen Gesellschaft […] das Prinzip, wonach der Wissenserwerb unauflösbar mit der Bildung des Geistes und der Person verbunden ist, an Bedeutung [verliert]. Wissen wird zu etwas Äußerlichem, das nicht mehr in, sondern zwischen Köpfen gedacht wird. Es beginnt sich eine neue Form des Verhältnisses zum Wissen zu etablieren, die mit Subjekt-Wissen, Mensch-Wissen, Buch-Wissen, Bibliotheks-Wissen und Schul-Wissen nur noch marginal zu tun hat…« (Jörissen & Meyer 2014, S. 7f.) Auch für Erhard Schüttpelz stellt sich in Bezug auf digitale Medien im Unterschied zu analogen Medien vor allem die Frage, ob sich der Zusammenhang zwischen sozialen Praktiken und Medien gewandelt hat. Ihm folgend ist zu fragen, ob Medien sich nach wie vor im Sinne McLuhans als soziale Praktiken bestimmend beschreiben lassen (vgl. McLuhan 1967) oder ob vielmehr Medien »durch ihre soziale oder soziotechnische Modellierung erst ins Leben gerufen [werden], etwa durch die Zielvorstellungen und Zweckentfremdungen bestimmter Medienpraktiken…« (Schüttpelz 2017, S. 148) Medienpraktiken lassen sich nach Schüttpelz nicht einfach als von Medien abhängig fassen: »Medien scheinen sich nach ihrer Computerisierung auf Mediengenres zu reduzieren, die von ständig veränderten Medienpraktiken abhängen, welche sie am Laufen halten. Auch in ganz materieller Hinsicht haben wir nichts als verschiedene Bündel von Ope-
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rationsketten, die über verschiedene vernetzte Recheneinheiten aus Hardware- und Software-Artefakten betrieben werden.« (A. a. O., S. 149) Schüttpelz zeigt anhand der Geschichte der Medienerfindungen, dass Medien – offensichtlich sowohl analoge als auch digitale – vor allem aus sozialen Praktiken hervorgehen und nicht umgekehrt: So hätten die Medien nicht zur Industrialisierung geführt, sondern im Zuge der Industrialisierung wurden bereits existierende »Medien industriell umgestaltet (wie etwa der Buchdruck), bereits erfundene Medien [wurden] einer industrialisierten und laborwissenschaftlichen Verfeinerung unterzogen […] (wie etwa die Telegrafie)…« (A. a. O., S. 155) Digitale vernetzte Medien sind nach Schüttpelz nicht zuletzt »aus den bürokratischen Medien der Vergangenheit und ihrer Fusion mit allen weiteren Arbeitsmedien und den vormaligen Massenmedien hervorgegangen.« (A. a. O., S. 159) Strukturiert werden sie durch die »Anpassung an alle Berufs-, Geschäfts- und Organisationsaufgaben.« (Ebd.) Die Medienentwicklung sei aktuell geprägt von »einer ständigen Ausdehnung der Herstellung und des weltweiten Verbrauchs von Konsumgütern und Industriegütern…« (Ebd.) Ich gehe in meiner Arbeit davon aus, dass die Beschreibung eines Zusammenhangs zwischen historisch bedingten sozialen Praktiken und der Entwicklung digitaler Medien auch für das Handlungsfeld Schule gültig ist. Bezüglich der Frage, wie sich Lehr- und Lernprozesse im Kontext aktueller Medienentwicklungen verändern, schreibt Scholz, dass digital präsentiertes Wissen »einer bestimmten Logik [unterliegt], eben der, dass es kapitalistisch verwertbar sein muss.« (Scholz 2005, S. 34) Scholz bezieht sich hier auf Franҫois Lyotard, der Kriterien benennt, nach denen Wissen im so genannten Informationszeitalter als Wissen anerkannt bzw. präsentiert wird. Demnach müsse eine Erkenntnis das Kriterium erfüllen, dass sie »in Informationsquantitäten übersetzt werden kann. Man kann daher die Prognose stellen, dass all das, was vom überkommenen Wissen nicht in dieser Weise übersetzbar ist, vernachlässigt werden wird, und dass die Orientierung dieser neuen Untersuchungen sich der Bedingung der Übersetzbarkeit etwaiger Ergebnisse in die Maschinensprache unterordnen wird.« (Lyotard 2015, S. 31)7 7
Es ist davon auszugehen, dass Informationen reduziert werden; illustrieren lässt sich das am Beispiel der Übersetzung von analogen in digitale Farben: Die Übergänge zwischen den Farben sind im analogen Zustand stufenlos, während Übergänge zwischen Farben, die ins Digitale übersetzt wurden, immer stufig sind, da sie nummerisch dargestellt werden. Reduziert werden Informationen aber auch über die Einordnung von Informationen in Fake News: »Viele redaktionelle Medien haben bereits auf das Phänomen reagiert und versuchen ihm etwas entgegen zu setzen. So hebt die Studie Süddeutsche.de den Faktenfinder der ARD positiv als kritisches Korrektiv und Richtigsteller falscher Informationen hervor.« (https://algorithmenethik.de/2018/03/29/entwarnungzu-fake-news-neue-studie-zeigt-falschnachrichten-hatten-im-bundestagswahlkampf-einegeringere-reichweite-als-befuerchtet/vom 30.09.2019) Hier stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien wer darüber entscheidet, was als Fake News einzustufen ist und damit Macht über das hat, was als Wissen präsentiert wird. Zugleich suggeriert das Kennzeichnen von so genannten Fake News – zu dem es auch die Idee gibt, dass digitale Algorithmen diese filtern –, dass all die Informationen, die nicht entsprechend gekennzeichnet sind, richtig bzw. ideologiefrei sind. So wird vermittelt, dass es eine Wahrheit gibt. Aus einer lehr-lerntheoretischen Perspektive betrachtet wird also davon ausgegangen, dass Wissen vermittelbar ist und nicht konstruiert wird. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Auseinandersetzung über das so genannte Darknet: Der Ort, an dem frei und anonym kommuniziert werden kann, wird als Darknet bezeichnet und damit
1. Theoretische Vorannahmen
Damit ist anzunehmen, dass Erkenntnisse in Lehr-Lernprozessen vernachlässigt werden, die nicht entsprechend übersetzbar sind. Die Produktion von Wissen verändert sich und damit Lernen: »Die ›Produzenten‹ des Wissens sowie seine Benutzer müssen von nun an über die Mittel verfügen, das in diese Sprachen zu übersetzen, was die einen zu erfinden und die anderen zu lernen trachten. Die Untersuchungen über die Übersetzungsmaschinen sind schon fortgeschritten. Mit der Hegemonie der Informatik ist es eine bestimmte Logik, die sich durchsetzt, und daher auch ein Gefüge von Präskriptionen über die als ›zum Wissen‹ gehörig akzeptierten Aussagen gegeben.« (Ebd.) Unterstellt wird nach Lyotard, dass Wissen nicht ausgehend von Bildungs- und Lernprozessen entsteht, sondern fertig abrufbar präsentiert werden kann: »Die Beziehung der Lieferanten und Benutzer der Erkenntnis zu dieser strebt und wird danach streben, sich in der Form darzustellen, die das Verhältnis der Produzenten und Konsumenten von Waren zu diesen auszeichnet: die Wertform.« (Ebd.) Nach Lyotard wird das Wissen zur Ware und wird entsprechend als solche strukturiert: »Das Wissen ist und wird für seinen Verkauf geschaffen werden, und es wird für seine Verwertung in einer neuen Produktion konsumiert und konsumiert werden: in beiden Fällen, um getauscht zu werden. Es hört auf, sein eigener Zweck zu sein, es verliert seinen ›Gebrauchswert‹.« (Ebd.) Diese Annahmen im Blick, soll im Folgenden näher auf den Begriff Medienbildung bzw. auf die Auslegung des Begriffs eingegangen werden, von der ich in meiner Arbeit ausgehe.
1.6
Medienbildung
Der Begriff der Medienbildung ist in dieser Arbeit zentral in Bezug auf in Diskursen wahrnehmbaren Positionierungen dazu, wie das Grundschullehramtsstudium zu gestalten bzw. Lehre in Bezug auf Medien auszubringen ist. Ich gehe davon aus, dass wenn Medien, wie Jörissen und Marotzki schreiben, relevant für Bildung-, Subjektivierungs- und Orientierungsprozesse sind (vgl. Jörissen & Marotzki 2009, S. 30), Bildungs-, Subjektivierungs- und Orientierungsprozesse in Bezug auf Medien der Kern von Medienbildungsprozessen sind. Dennoch spreche ich in meiner Arbeit vor allem von einem Lernen mit, durch und über Medien und weniger von Medienbildung. Dies tue ich, weil die Gruppendiskussionsteilnehmer*innen den Begriff Medienbildung weder explizit verwendet haben, noch implizit über Medienbildungsprozesse gesprochen haben, die die »Art und Weise oder das Repertoire an Konstruktionsmöglichkeiten von Welt- und auch von Selbstverhältnissen [verändern].« (A. a. O., S. 23) Damit ist es nach Scholz nicht zulässig, von Bildung zu sprechen. (vgl. Scholz 2006a, S. 109) negativ konnotiert; in öffentlichen Debatten wird es vor allem zum Thema, wenn es für Straftaten missbraucht wird. (Vgl. https://www.deutschlandfunkkultur.de/it-experte-ueber-das-darknetmehr-als-die-dunkle-seite-des.1008.de.html?dram:article_id=443345 vom 12.03.2019)
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Jörissen und Marotzki unterscheiden für die Beschreibung von (Medien-)Bildungsprozessen ausgehend von Gregory Bateson zwischen einem Lernen I und II und Bildung I und II8 : »›Lernen I‹ ist die einfachste Variante. Sie besteht in einer Kopplung eines Reizes an eine Reaktion. ›Ich lerne von der Werkssirene, dass es zwölf Uhr ist‹ (Bateson 1964, 368). Reiz und Reaktion sind starr gekoppelt… […] Das Lernen der ›Ebene II‹ ist bereits wesentlich komplexer. Es handelt sich hier um die Lernebene, die in klassischen Lerntheorien erfasst und beschrieben worden ist. ›Lernen II‹ besteht darin, dass die Reaktionen auf Reize nicht starr gekoppelt sind, sondern dass Kontexte betrachtet werden. Ein Reiz kann in diesem Kontext eine andere Bedeutung haben als in jenem.« (Hervorheb. i. Orig., Jörissen & Marotzki 2009, S. 22) Auf der Ebene Lernen II wird also erfasst, dass sich die Bedeutung von Reizen wandeln kann, abhängig von den Kontexten bzw. Situationen, in denen sie auftreten. Während Reize auf dieser Lernebene als ihre Bedeutung verändernd wahrgenommen werden können, werden die Kontexte, auf die sich Reize beziehen, als definiert bzw. feste Ordnungen betrachtet: »Schule ist Schule, Familie ist Familie, Freunde sind Freunde, Arbeit ist Arbeit etc.: Dies sind die kognitiven Muster oder Schemata, die der Kontexterkennung zugrunde liegen.« (Hervorheb. i. Orig., a.a.O., S. 23) Erst wenn diese Rahmungen herausgefordert und nicht mehr als eindeutig eingeordnet werden, ist die Ebene der Bildungsprozesse erreicht: »Solche Lernprozesse, die sich auf die Veränderung von Ordnungsschemata und Erfahrungsmustern beziehen, nennen wir Bildungsprozesse. Bildungsprozesse verändern somit die Art und Weise oder das Repertoire an Konstruktionsmöglichkeiten von Welt- und auch von Selbstverhältnissen.« (Hervorheb. i. Orig., ebd.) Da es auf der Ebene Bildung I um die Veränderung von Verhaltensmustern geht, ist es nicht ohne Weiteres möglich, hier Bildungsprozesse anzustoßen: »einerseits sind unsere Welterfahrungsmuster selbstbestätigend – so lange, bis sie uns in eine ernsthafte kognitive Dissonanz oder soziale Konflikte bringen. Zweitens werden sie überwiegend in der frühen Kindheit erworben, wie Bateson – hierin Sigmund Freud folgend – annimmt.« (A. a. O., S. 24) Dennoch sind Prozesse auf der Ebene möglich. Da der Mensch über sein Verhalten nachdenken und es in Frage stellen kann, »kann er sich auch zu sich selbst anders verhalten, d.h.: Indem der Mensch sich die Welt auf andere Weise zugänglich macht, findet er auch einen anderen Zugang zu sich selbst. Welt- und Selbsterfahrung bilden in diesem Sinne die Grundlogik von Bildungsprozessen.« (Ebd.) Die Ebene Bildung II wird schließlich erreicht, wenn auf sich selbst Bezug genommen und erkannt wird, »dass wir selbst ›die Welt‹ durch unsere Wahrnehmungsweisen konstruieren.« (Hervorheb. i. Orig., a.a.O., S. 24f.) Auf dieser Ebene wird entsprechend gelernt,
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Gregory Bateson beschreibt auch ein Lernen 0: »Zero learning will then be the label for the immediate base of all those acts (simple and complex) which are not subject to correction by trial and error. Learning I will be an appropriate label for the revision of choice within an unchanged set of alternatives; Learning II will be the label for the revision of the set from which the choice is to be made; and so on.« (Bateson 1978, S. 257)
1. Theoretische Vorannahmen
»Gewohnheiten zu bilden, d.h. die Fähigkeit zu flexibilisieren, verschiedene Gewohnheiten übernehmen zu können. […] Durch Prozesse auf der Ebene von Bildung II wird Freiheit von den Gewohnheiten erreicht.« (A. a. O., S. 26) Sich von Gewohnheiten zu befreien ist nach Jörissen und Marotzki jedoch nur begrenzt möglich: »Es liegt auf der Hand, dass man nicht dauerhaft und ständig in dem (selbst-)kritischen Bewusstsein der Relativität aller Erfahrungsschemata durch den Alltag gehen kann. Der wesentliche Punkt ist aber, dass ein solcher Standpunkt, wenn ein Prozess im Sinne von Bildung II einmal erfolgt ist, immer wieder bezogen werden kann.« (Ebd.) Jörissen und Marotzki denken Bildung nicht »als Überführung von Unbestimmtheit in Bestimmtheit« (a.a.O., S. 20), stellen jedoch die Bedeutung einer Auseinandersetzung mit Fakten- oder Orientierungswissen nicht in Frage; dieses sei gerade in nicht überschaubaren gesellschaftlichen Strukturen von Bedeutung, da ansonsten die Gefahr eines Orientierungsverlustes bestünde, der »in die Suche nach einfachen Orientierungsschemata [mündet], wie sie von verschiedenen ideologischen und weltanschaulichen Gruppen angeboten werden.« (A. a O., S. 20f.) Dennoch sind nach Jörissen und Marotzki Unbestimmtheitsbereiche notwendig: »nur dann – wird eine tentative, experimentelle, umspielende, erprobende, innovative, Kategorien erfindende, kreative Erfahrungsverarbeitung möglich. Diese Orte, die eigentlich Leerstellen – Grenzen unserer Selbstund Weltdeutungsschemata – sind, sind die Heimat von Subjektivität.« (A. a. O., S. 21) Unbestimmtheitsbereiche können meiner Ansicht nach in Medienkompetenzmodellen und Medienbildungsstandards nicht mitgedacht werden; vielmehr wird sich mit Modellen und Standards an politisch-gesellschaftlichen Relevanzsetzungen orientiert, die vorgeben, welche Kompetenzen für ein Leben in dieser Gesellschaft notwendig und entsprechend zu entwickeln sind. Damit werden die den Pädagog*innen anvertrauten Menschen »zum Objekt gesellschaftlicher Veränderungen […] und nicht als Subjekte ihres Bildungsprozesses [aufgefasst]…« (Scholz 2005, S. 82) Entscheidend ist nach Jörissen zudem, dass Bildungsprozesse, die als prozessorientiert verstanden werden, nicht als »Bildung von oder über ›etwas‹, wie es beim Lernen der Fall ist« (Jörissen 2011, S. 217) einzuordnen sind. Sie beziehen sich auf reflexive »Bezüge von Subjekten auf sich (aus denen dann entsprechend Weltverhältnisse entstehen).« (Ebd.) Es geht also um Subjektivierungsprozesse und damit um die Subjektwerdung in einer Gesellschaft, wobei ein Subjekt nach Butler nicht gleichzusetzen ist mit einer Person oder einem Individuum, sondern es wird zum Subjekt, indem es die dafür notwendige Sprache ausbildet. (Vgl. Butler 2017, S. 15) Und dieser Prozess ist abhängig »von einem Diskurs, den wir uns nicht ausgesucht haben, der jedoch paradoxerweise erst unsere Handlungsfähigkeit ermöglicht und erhält.« (A. a. O., S. 8) Diese Ausführungen sind zentral für meine Arbeit, da ich davon ausgehe, dass Bildungsprozesse als Transformation von implizitem Erfahrungswissen zu verstehen sind.
Gebrauchstheroie der Bedeutung Weitere Begriffe der Arbeit werden durch ihren Gebrauch in den Gruppendiskussionen der Student*innen und den Diskursen definiert, die in den folgenden Kapiteln präsentiert werden: Im Sinne der Gebrauchstheorie der Bedeutung Ludwig Wittgensteins gehe ich davon aus, dass der Gebrauch der Begriffe sie definiert. (Vgl. Wittgenstein 1991, S. 21)
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Kinder. Medien. Kontrolle.
Dabei wird jedoch nicht angenommen, dass die Bedeutung der Begriffe durch ihren Gebrauch bewusst durch einzelne Subjekte hervorgerufen wird, sondern ihre Bedeutung sich im Sinne Foucaults in diskursiver Praxis als historisch und kulturell bedingte Ordnung entfaltet. (Vgl. Foucault 1981)
2. Beschreibungen des Problems
Im Folgenden präsentiere ich aus dem medienpädagogischen Diskurs Beschreibungen des Problems, die zu meiner Arbeit geführt haben: die wiederholte Kritik an einer fehlenden systematischen Einbettung medienpädagogischer Lehr- und Lerninhalte in die Lehrerbildung. Kammerl und Ostermann sprechen hier von einem Teufelskreislauf fehlender Medienbildung und bringen die Kritik grafisch auf den Punkt. (Siehe Abb. 1)
Abb. 1: Teufelskreislauf fehlender Medienbildung nach Kammerl & Ostermann 2010, S. 48, eigene Darstellung
Die Grafik illustriert die Idee, dass Lehramtsstudent*innen weder in ihrer Schulzeit noch im Studium die Medienkompetenzen entwickeln können, die notwendig sind, um darauf aufbauend medienpädagogische und mediendidaktische Kompetenzen zu entwickeln, die sie wiederum dazu befähigen sollen, ihren zukünftigen Schüler*innen die Entwicklung von Medienkompetenzen zu ermöglichen. Belegt wird diese Kritik in Bezug auf das Studium u.a. von Rudolf Kammerl und Kerstin Mayrberger, die an den Beispielen Bayern, Schleswig-Holstein und Hamburg aufgezeigt haben, wie das Lernen
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Kinder. Medien. Kontrolle.
mit, durch und über Medien in der Lehrer*innenbildung in Studien- und Prüfungsordnungen verortet ist. (Vgl. Kammerl & Mayrberger 2014) Mandy Schiefner-Rohs hat zudem im Rahmen einer Analyse von Studien- und Prüfungsordnungen sowie kommentierten Vorlesungsverzeichnissen exemplarisch untersucht, wie Angebote an der Universität Hamburg, der Universität Duisburg-Essen und der Universität Konstanz in der Lehrerbildung verortet und verankert sind. (Vgl. Schiefner-Rohs 2012, S. 377) SchiefnerRohs wie auch Kammerl und Mayrberger zeigen, dass es nur an wenigen Hochschulen verpflichtende medienpädagogische Veranstaltungen für Student*innen gibt, und eine systematische Einbettung aufeinander aufbauender medienpädagogischer Inhalte fehlt. Nach Niesyto gilt dies auch für die Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, an der ich für die vorliegende Arbeit Gruppendiskussionen mit Grundschullehramtsstudent*innen geführt habe, obwohl sie als eine der ersten Hochschulen in Deutschland verpflichtende Einführungsveranstaltungen zur Medienpädagogik für alle Lehramtsstudiengänge eingeführt hat und »medienpädagogische Fragestellungen verbindlicher Bestandteil aller mündlichen Abschlussprüfungen« (Niesyto 2014, S. 128) im Lehramt sind. Niesyto kritisiert fehlende Ressourcen der Abteilung Medienpädagogik, die die Etablierung einer Grundbildung Medien für alle Lehramtsstudiengänge verhindern. So würden in Ludwigsburg zwar einführende und diese vertiefende Veranstaltungen angeboten; diese würden jedoch in den einzelnen Studiengängen als Online-Seminare bzw. Vorlesungen ausgebracht und von bis zu 300 Student*innen besucht. Zudem setze eine Grundbildung Medien an die Einführungsveranstaltungen anknüpfende Seminare voraus, in denen die Student*innen das in den Vorlesungen und Online-Seminaren präsentierte medienpädagogische Orientierungswissen handlungsbezogen vertiefen könnten. Diese könnten nicht in einem ausreichenden Maße angeboten werden: »Es besteht […] ein großer Bedarf insbesondere an mediengestalterischen/produktionsund projektbezogenen Angeboten sowie an Kooperationsseminaren mit jenen Fächern, die nur über begrenzte Ressourcen für medienbezogene Seminare verfügen.« (Ebd.) Medienpädagogische Inhalte können in einem Erweiterungsstudium, das die Pädagogische Hochschule anbietet, vertieft werden, doch »bisherige Erfahrungen zeigen, dass nur relativ wenige Studierende den Zeitaufwand eines Erweiterungsstudiums auf sich nehmen.« (A. a. O., S. 129) Die Abteilung Medienpädagogik bietet an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg vertiefende Seminare an, auch haben die Lehramtsstudent*innen »die Möglichkeit, in ihren jeweiligen Haupt- und Nebenfächern medienbezogene Seminare zu belegen.« (A. a. O., S. 136) Die Angebote werden jedoch nicht gleichmäßig auf alle Fächer verteilt ausgebracht. So gibt es zahlreiche medienbezogene Angebote im Fach Deutsch, während das Lernen mit, durch und über Medien in anderen Fächern kaum eine Rolle spielt, wie Niesyto feststellt: »Um Studierende vom Mehrwert der Medienintegration in schulische Bildungsprozesse und die Fächer zu überzeugen, sind deutlich mehr Seminarangebote zu spezifischen Themen und zur Medienproduktion/-gestaltung erforderlich – idealiter in Verknüpfung mit schulpraktischen Lerneinheiten und Studien.« (Ebd.) In den Studienordnungen und Modulbeschreibungen für die Lehrämter, die an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg studiert werden können, werden Kompetenzfelder beschrieben, die sich auf Medien beziehen. Es gibt aber bisher kein ausdifferenziertes, fächerübergreifend abgestimmtes Curriculum, in dem explizit medienpädagogische Lehr- und Lernziele benannt werden. Fehlende
2. Beschreibungen des Problems
Curricula werden u.a. von Birgit Eickelmann, Stefan Aufenanger und Bardo Herzig als Grund dafür genannt, dass das Lernen mit, durch und über Medien in der Grundschule weder konsequent als Aufgabe wahrgenommen, noch systematisch umgesetzt wird. (Vgl. Eickelmann, Aufenanger & Herzig 2014, S. 23)
Forderung nach Medienbildungsstandards und Curricula Der Feststellung, dass Medienpädagogik in pädagogischen Ausbildungs- und Studiengängen nicht so verankert ist, dass die Entwicklung medienpädagogischer Kompetenzen von Lehrer*innen ausreichend gefördert werden kann, wird bereits seit einigen Jahren mit der Forderung begegnet, Medienbildungsstandards zu formulieren. Kammerl und Ostermann haben diese Forderung in eine Grafik aufgenommen, die sie als Idealzyklus bezeichnen (vgl. Kammerl & Ostermann 2010) und als Antwort auf den Teufelskreislauf fehlender Medienbildung präsentieren: So legt der Idealzyklus Mindeststandards für das Lernen mit, durch und über Medien in der Schule nahe, mit denen gewährleistet werden soll, dass Studienanfänger*innen bereits vor Beginn ihres Studiums notwendige Medienkompetenzen entwickeln können, auf denen dann eine medienpädagogische und -didaktische Grundbildung für alle Lehramtsstudent*innen aufbauen kann. Im Studium soll eine Grundbildung Medien schließlich dafür sorgen, dass Lehrer*innen in dem Maße medienpädagogisch und -didaktisch qualifiziert sind, dass sie Medien so einsetzen und zum Thema machen können, dass Schüler*innen die in Medienkompetenzmodellen als erforderlich beschriebenen Medienkompetenzen entwickeln können. (Siehe Abb. 2)
Abb. 2: Idealzyklus der Medienbildung nach Kammerl & Ostermann 2010, S. 50, eigene Darstellung
Der Idealzyklus weist vor allem darauf hin, dass Medienkompetenzen, medienpädagogische und mediendidaktische Kompetenzen, die innerhalb von Schule und Hoch-
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schule entwickelt werden sollen, zu standardisieren sind; es wird also nicht nur ein Mindestniveau für die Schule gefordert, sondern mit dem Verweis auf eine medienpädagogische und mediendidaktische Grundbildung wird auch für alle Lehramtsstudent*innen ein Standard angenommen, der zu erreichen ist. Standards formuliert und gesetzt werden auch mit der Forderung einer Grundbildung Medien, die über zu erreichende Kompetenzen beschrieben und gefasst wird. Was unter einer Grundbildung im aktuellen medienpädagogischen Diskurs zu verstehen ist, wird mit Blick auf die Ludwigsburger Erklärung deutlich, mit der erstmals eine solche postuliert wurde. Sie wurde 2008 zunächst vor allem von Hochschullehrer*innen, Dozent*innen und Lehrer*innen aus Baden-Württemberg unterzeichnet und schließlich einer größeren Öffentlichkeit präsentiert. Mit der Erklärung wurde ein Grundlagenmodul Medienbildung1 gefordert. Ein Jahr darauf folgte die Veröffentlichung des Medienpädagogischen Manifests, das wiederum 2011 Grundlage für den bundesweiten Medienpädagogischen Kongress der Initiative ›Keine Bildung ohne Medien!‹ war. In der Dokumentation der Ergebnisse des Kongresses wurden u.a. »acht Kompetenzbereiche für eine medienpädagogische Grundbildung in der Ausbildung« (Imort & Niesyto 2014, S. 16) festgehalten und wie folgt ausformuliert: •
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• •
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1
»Erwerb der Fähigkeit, medienpädagogische Aufgaben und Themen mit dem jeweiligen Fachstudium und den beruflichen Erfordernissen zu verknüpfen und zu einem integralen Bestandteil des Professionswissens zu machen. Reflexive Auseinandersetzung mit den eigenen Medienerfahrungen und den Medienwelten von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen; Auseinandersetzung mit Nutzungspraxen, die bei Kindern und Jugendlichen populär sind, z.B. Computerspiele oder Social Web. Erkennen der Medialität von Bildungs- und Lernprozessen, um mediale Lernkulturen und Lernräume im Sinne einer handlungs- und gestaltungsorientierten Medienarbeit und einer partizipativ-kreativen Netzkultur fördern zu können (inkl. digitale Spiele, mobile learning). Sensibilisierung und Qualifizierung für zielgruppenspezifische Ansätze der Medienbildung und des eigenen Rollenverständnisses als Pädagoge(in). Aneignen von Kompetenzen zur Unterstützung kreativer Medienproduktionen, um Medien für Selbstausdruck, Kommunikation, Lernen und die Artikulation kultureller und sozialer Bedürfnisse und politischer Vorstellungen aktiv nutzen zu können (Hörerziehung und Filmbildung gehören auch im Zeitalter von digitalen Medien und Internet zu dieser Aufgabe). Aneignung von Informationskompetenz, was insbesondere die Auswahl und kritische Bewertung von Informationen betrifft, aber auch die Erziehung von Kindern und Jugendlichen zu selbstbewussten Mediennutzern umfasst. Basiswissen zum Kinder- und Jugendmedienschutz, zu urheberrechtlichen Fragen und zur Auseinandersetzung mit Medienangeboten unter medienethischer Perspektive.
https://www.ph-ludwigsburg.de/fileadmin/subsites/1b-mpxx-t-01/user_files/LudwigsburgerErklaerung.pdf vom 10.03.2019.
2. Beschreibungen des Problems
•
Hintergrundwissen zur Machart von Medienproduktionen und Bewusstseinsbildung zu den wirtschaftlichen Verwertungsinteressen bei Medienanbietern.«2
Die Idee einer Grundbildung Medien wurde in der Folge sowohl vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als auch von der Kultusministerkonferenz aufgegriffen. (Vgl. Imort & Niesyto 2014, S. 16) Der 2017 von der Sektion Medienpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft publizierte Orientierungsrahmen für die Entwicklung von Curricula für medienpädagogische Studiengänge und Studienanteile ist auf die Initiative ›Keine Bildung ohne Medien!‹ zurückzuführen. (Vgl. Sektion Medienpädagogik Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft 2017) Obwohl diese Entwicklungen zeigen, dass die Unterstützung für eine Grundbildung Medien wächst und damit einhergehende Forderungen nach konkreten Vorgaben für Curricula zunehmen, gibt es Zweifel daran, dass allein die Ausformulierung von Curricula die Integration medienpädagogischer Inhalte in die Lehrer*innenausbildung befördern kann. So kommt Schiefner-Rohs in ihrer Arbeit über Kritische Medien- und Informationskompetenz zu der Erkenntnis, »dass eine Integration von kritischer Informations- und Medienkompetenz nicht über Profilbildung oder das Schreiben von Studienordnungen oder Curricula zu erreichen ist, sondern nur über eine umfassende Kulturveränderung zu leisten ist, die neben den Strukturen gerade an Universitäten und Pädagogischen Hochschulen nur über das Personal und die Formulierung von Kompetenzen aufseiten der Studierenden und künftigen Lehrpersonen zu erreichen ist.« (Schiefner-Rohs 2012a, S. 285) Schiefner-Rohs fordert eine Veränderung von Kultur, um medienpädagogische Inhalte im Lehramtsstudium nachhaltig implementieren zu können. Es reiche nicht, Profilbildungen voranzutreiben bzw. Studienordnungen und Curricula zu verfassen. Vielmehr seien Kompetenzen aufseiten der Student*innen und künftigen Lehrpersonen zu formulieren, damit eine umfassende Kulturveränderung möglich werde. Dies erscheint zunächst einmal widersprüchlich, denn die Benennung von Kompetenzen gilt als ein wesentlicher Inhalt von Curricula. (Vgl. Keuffer & Streng 2003, S. 357) Für meine Arbeit bedeutsam ist jedoch vor allem der implizite Hinweis der Autorin auf einen Zusammenhang zwischen Curricula und Kultur, der von mir insofern aufgegriffen und weitergeführt wird, als dass ich Curricula – wie auch Medienkompetenzmodelle und Medienbildungsstandards – als Produkte einer Kultur oder besser als Kulturartefakte verstehe, die Kultur mit hervorbringen und damit Bedeutungen und Werte schaffen, die soziales Handeln strukturieren. Zugleich werden sie von einer Kultur hervorgebracht, gehen also von Bedeutungen und Werten aus. Damit ist es möglich, sich über Curricula, Medienkompetenzmodelle und Medienbildungsstandards der Kultur anzunähern, die soziales Handeln in diesem Kontext strukturiert. Im folgenden Kapitel sollen Studien und medienpädagogische Diskussionen präsentiert werden, die auf Diskursausrichtungen verweisen, die sich auf das Lernen mit,
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www.keine-bildung-ohne-medien.de/kongress-dokumentation/keine-bildung-ohne-medien_ bildungspolitische-forderungen.pdf vom 13.03.2019.
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durch und über Medien beziehen und sich mit ihren Deutungsangeboten besonders aufdrängen. Dabei wird in dieser Arbeit nicht von einem alles dominierenden Diskurs ausgegangen, der jedes Denken bzw. jede Wahrnehmung bestimmt, sondern vielmehr von der Idee, dass in unterschiedlichen Erfahrungsräumen unterschiedliche Orientierungen hervorgebracht werden. Butler macht deutlich, dass auch Foucault nicht von einem alles beherrschenden Diskurs ausgeht: »Natürlich betont Foucault, dass das Subjekt nicht gleichsam ins Dasein ›gesprochen‹ wird und daß die das Subjekt konstituierenden Matrizes von Macht und Diskurs in ihrer Produktionsarbeit weder singulär noch souverän sind.« (Butler 2017, S. 10) Es geht bei Foucault aber darum, – wie bei Geimer und Amling, die sich an Bohnsack orientieren, der sich wiederum auf Mannheim beruft3 –, dass wir Dinge in dieser Welt hervorbringen, und dass diese Hervorbringungen von hegemonialen Diskursen mitstrukturiert werden. Entsprechend geht es darum, Argumentationsregeln und Regeln des Denkens herauszuarbeiten bzw. in einem epistemologischen Sinne, wie Wissen begründet wird.
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»In Abgrenzung von der sozialphänomenologischen Komponente, welche Harold Garfinkel in der Tradition von Alfred Schütz in das Verständnis der Dokumentarischen Methode eingebracht hatte, haben wir uns auf deren praxeologische Komponente in ihrem Ursprung bei Karl Mannheim zurück besonnen und zunehmend ins Zentrum gerückt — beeinflusst auch durch Pierre Bourdieu und die Praxisphilosophie von Martin Heidegger, zu der sich in Ansätzen bereits in den frühen Arbeiten von Karl Mannheim Bezüge finden lassen (u.a. Bohnsack 2010a: Kap. 11). Ich habe deshalb die von uns in der Tradition von Mannheim ausgearbeitete Grundlagentheorie der Dokumentarischen Methode in Anlehnung an die Terminologie von Bourdieu auch als Praxeologische Wissenssoziologie bezeichnet.« (Hervorheb. i. Orig., Bohnsack 2013, S. 176)
3. Medienpädagogische Studien und Diskussionen
Es gibt zunehmend Arbeiten, die sich mit digitalen Medien und Schule beschäftigen. In ihnen wird vor allem die Frage gestellt, wie digitale Medien in Schulen integriert werden können: »Die Anzahl der Untersuchungen, die sich mit der Frage befassen, welche Schwierigkeiten die schulische Integration digitaler Medien begleiten und wie diese gelöst werden können, wächst stetig.« (Breiter et al. 2013, S. 41) Zudem setzt sich ein Großteil dieser Arbeiten mit Medien in weiterführenden Schulen auseinander, wie Breiter, Aufenanger, Averbeck, Welling und Wedjelek mit Verweis auf Studien von Baker et al. 1996, Ely 1999, Weinreich & Schulz-Zander 2000, Preston et al. 2000, Breiter 2001a, Staples et al. 2005, Eickelmann & Schulz-Zander 2006, Tondeur et al. 2008, Eickelmann 2010, Sesink 2010 und Selwyn 2011 feststellen. Dies ist nach Breiter und Averbeck auch 2016 noch so: »Es gibt zahlreiche empirische Studien, die über die organisatorischen, technischen oder rechtlichen Hindernisse des Einsatzes digitaler Medien in schulischen Lehr- und Lernprozessen berichten und Vorschläge unterbreiten, wie diese gelöst werden können… Sie fokussieren allerdings vor allem auf die Sekundarstufe.« (Breiter & Averbeck 2016, S. 65) Ein Grund dafür, dass die Medienintegration in Grundschulen nicht in dem Maße untersucht ist wie die Medienintegration an weiterführenden Schulen, liegt in einer Politik, die die Verwendung von Computern und Internet im Grundschulunterricht lange abgelehnt und nicht ausreichend gefördert hat: »Insgesamt muss hervorgehoben werden, dass bis Anfang des letzten Jahrzehnts in vielen Bundesländern die Verwendung von Computer und Internet in Grundschulen von den entsprechenden Schulministerien pädagogisch entweder nicht gewollt oder nicht besonders unterstützt wurde.« (Breiter et al. 2013, S. 52) So spielte in den nationalen Bildungsberichten von 2008, 2010 und 2012 das Thema Medien bzw. die Medienerziehung in der Grundschule keine Rolle (vgl. ebd.), obwohl in dem nationalen Bildungsbericht von 2006 die unzureichende Ausstattung von Grundschulen mit Computern kritisiert und betont wurde, dass Kenntnisse und Erfahrungen, die sich auf den Computer beziehen, »in einer Welt der Medien und Informationstechnik zum Kern der Allgemeinbildung [dazugehören]…« (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2006, S. 60) Gerhard Tulodziecki und Ulrike Six leiteten zwar vor knapp zwanzig Jahren aus den Lehrplänen von Nordrhein-Westfalen die Aufforderung ab, Medienerziehung als eine Aufgabe von Grundschule anzuerkennen (vgl.
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Tulodziecki & Six 2000, S. 383f.), dennoch bezogen sich weitreichende Forderungen nach einer verbesserten Ausstattung von Schulen mit Computern bis 2012 fast ausschließlich auf weiterführende Schulen: So wurde 2012 von der Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages zu ›Internet und digitale Gesellschaft‹ empfohlen, »›alle Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufen I und II mit mobilen Computern auszustatten und dies mit entsprechenden pädagogischen Konzepten und Qualifizierungsmaßnahmen zu begleiten‹ (Deutscher Bundestag 2012, S. 26). Über die Grundschule gibt es keine Aussagen.« (Breiter et al. 2013, S. 53) Dass der Einsatz von Computern und Internet im Grundschulunterricht lange politisch abgelehnt wurde, zeigt sich auch daran, dass sich die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK) zwischen 1995 und 2012 nicht explizit zum Thema Medienpädagogik geäußert hat. Erst 2012 erschien eine KMK-Erklärung zur Medienbildung in der Schule. (Vgl. Breiter et al. 2013, S. 53) Diese Erklärung lässt sich als ein Wendepunkt in der politischen Einordnung der Bedeutung von Medienerziehung und Medienbildung einordnen. So wurden nach Niesyto: »mit der KMK-Erklärung zu Medienbildung in der Schule (2012) und den Empfehlungen der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft (2012) parteiübergreifend durchaus wichtige Aussagen zur besseren Verankerung von Medienbildung festgehalten…« (Niesyto 2016, S. 22) Auch wenn Niesyto vier Jahre nach der Veröffentlichung der KMK-Erklärung eine Bedeutungsverschiebung ausmacht, die sich zunehmend durchsetzt und das Verständnis von Medienbildung »immer stärker auf Lernen mit Medien, informatische Aspekte und Jugendschutz reduziert« (A. a. O., S. 24), liest sich der Einstieg in das Papier erst einmal wie ein bis dahin nicht dagewesenes Bekenntnis zum Lernen mit, durch und über Medien: »Die Entwicklung von umfassender Medienkompetenz durch Medienbildung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nur im Zusammenwirken von Schule und Elternhaus sowie mit den Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Kultur bewältigt werden kann. Die neue KMK-Erklärung ›Medienbildung in der Schule‹ soll dazu beitragen, Medienbildung als Pflichtaufgabe schulischer Bildung nachhaltig zu verankern sowie den Schulen und Lehrkräften Orientierung für die Medienbildung in Erziehung und Unterricht zu geben. Zugleich sollen die sich durch den didaktisch-methodischen Gebrauch neuer Medien ergebenden Möglichkeiten und Chancen für die Gestaltung individueller und institutioneller Lehr- und Lernprozesse hervorgehoben werden.« (KMK 2012, S. 3) Dieser von der KMK formulierte Anspruch wird nach Breiter, Aufenanger, Averbeck, Welling und Wedjelek in der Grundschule trotz zunehmender Forschung zum Thema Medien und Medienerziehung bisher nicht eingelöst. (Vgl. Breiter et al. 2013, S. 33f.) Grund dafür seien u.a. die Ausrichtungen der Forschungsarbeiten. Die Autor*innen kritisieren sowohl das methodische Vorgehen als auch die Haltung, die sich in vielen Arbeiten ausdrückt: »So haftet beispielsweise nicht wenigen Untersuchungen ein überbordender, über weite Strecken technikdeterministischer Optimismus bezüglich der positiven Auswirkungen digitaler Technologien auf Lern- und Lehrprozesse an…« (A. a. O., S. 42) Die Autor*innen nehmen hier Bezug auf David Buckingham, der feststellt, dass aktuelle Technologien, die es in Schule zu integrieren gilt, nicht nur als das Lernen grundsätzlich verändernd präsentiert werden, sondern als Heilsversprechen: »Techno-
3. Medienpädagogische Studien und Diskussionen
logy, we are frequently told, is fundamentally transforming education. It challenges existing definitions of knowledge, offers new ways of motivating reluctant learners, and promises endless opportunities for creativity and innovation.« (Buckingham 2009, S. 36) Derartige Heilsversprechen in Bezug auf Medien sind nach Buckingham nicht neu und beziehen sich nicht nur auf Computer: »Early advocates of the use of film and television in education, for example, made similarly fantastic predictions that these media would lead to far-reaching changes in the nature of learning – and indeed that the school itself would soon become redundant.« (Ebd.) Nach Buckingham zeigt sich in diesen Darstellungen, dass die Forderung, digitale Medien in Schulen zu integrieren, stark von Unternehmensinteressen geprägt ist: »The current push to insert computers in classrooms is principally driven by commercial companies seeking new and predictable markets for their products; and by governments that are apparently desperate to solve what they regard as the problems of public education.« (Ebd.) Unternehmen und Regierung unterstützen, so Buckingham, einen Glauben, der die zu integrierenden Technologien als eine alles erobernde und alle Probleme bezwingende Kraft beschreibt und dazu führt, dass in Bildungskontexten vor allem das Verständnis von Medien als Lehr- bzw. Lernwerkzeuge betont wird: »Technology is seen as a neutral mechanism for delivering information; and information itself is regarded as a kind of disembodied object that exists independently of human or social interests. This has led to a neglect of basic educational issues, not only about how we teach with technology, but also about what children need to know about it.« (Hervorheb. i. Orig., ebd.) Dass Unternehmensinteressen auch in deutschen Diskursen die Antwort auf die Frage mitstrukturieren, was Kinder in der Grundschule in Bezug auf digitale Medien wissen bzw. lernen sollen, macht Thomas Irion deutlich, wenn er betont, dass es darum gehe zu vermeiden, den Anschluss im internationalen Vergleich zu verlieren: »Gerade im Bereich der digitalen Bildung gilt es auch hinsichtlich informatischer Bildungsinhalte zu vermeiden, dass Grundschulen den Anschluss an internationale Tendenzen verlieren. Für die Entwicklung innovativer medienunterstützter Lernverfahren kommt erschwerend hinzu, dass nur wenige Grundschulklassenzimmer mit Technologien ausgestattet sind, die einen grundschulgerechten Einsatz von Digitalmedien ermöglichen. Technologien mit didaktisch höherem Innovationspotenzial finden somit in der Grundschule weniger Verwendung als in anderen Schularten.« (Irion 2016, S. 29) Irion verweist hier implizit auf die Angst, »Kinder in Deutschland könnten international nicht mehr mit dem Wissen der Kinder in anderen Ländern mithalten.« (Scholz 2006, S. 33) Auch der Begriff der Wissensgesellschaft, den u.a. Eickelmann anführt, um zu begründen, dass der Zugang und Umgang, den Schüler*innen zu und mit digitalen Medien haben, entscheidend ist (vgl. Eickelmann 2009, S. 11), weist nach Scholz auf die Bedeutung des Wissens im internationalen Wettbewerb hin: »Der Begriff Wissensgesellschaft beschreibt die neue Bedeutung von Wissen für die Organisation der Herstellung von Waren und Dienstleistungen, die Organisation ihrer Verteilung und die Organisation der Steuerung der Gesellschaft. Wissen ist in einer global kapitalisierten Welt zu einem entscheidenden Produktionsfaktor geworden.« (Scholz 2006, S. 34)
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Dieser Wettbewerb bildet sich in aktuellen, internationalen Bemühungen ab, immer mehr Schulen mit digitaler Technik auszustatten: So schreiben Aufenanger und Bastian von einem Schub in vielen Ländern, »hin zu digitaler Bildung mit Tablets. Süd-Korea [sic!] beschloss beispielsweise 2011, alle Schulbücher durch digitale Bücher zu ersetzen und die Schülerinnen und Schüler mit Tablets auszustatten.« (Aufenanger & Bastian 2017, S. 1) Die Türkei habe ein vergleichbares Projekt geplant und mit Apple über Tablets für 15 Millionen Schüler*innen verhandelt. »In Thailand wollte man ein eigenes Tablet entwickeln, um die Digitalisierung der Schule voranzutreiben und gründete das One-Tablet-Per-Child-Projekt (Viriyapong und Harfield 2013). Und auch das OneLaptop-per-Child-Projekt von Nicholas Negroponte stellt aktuell vom kleinen Notebook auf das Tablet um, auch wenn es insgesamt in Kritik geraten ist (Cristia et al. 2012).« (A. a. O., S. 2) Neben einer zunehmend an unternehmerischen Interessen ausgerichteten Bildungspolitik erscheint für Breiter, Aufenanger, Averbeck, Welling und Wedjelek als Problem, dass viele Untersuchungen zum Thema Lernen mit, durch und über Medien »assoziieren, Veränderungen ließen sich auf Basis einer simplen Input Output Beziehung herbeiführen. Die identifizierten Wirkungsfaktoren stehen außerdem häufig relativ unverbunden nebeneinander und werden nicht oder nur unzureichend zueinander in Bezug gesetzt.« (Breiter et al. 2013, S. 42) Sie sprechen davon, dass die Studien rationalistisch determiniert seien (vgl. ebd.), was ich im Folgenden darstellen und an Beispielen näher erläutern werde.
3.1
Rationalistische Determinierungen in der Forschung
Die Autor*innen weisen in ihrer Studie Medienintegration in Grundschulen darauf hin, dass viele Untersuchungen zum Thema Lernen mit, durch und über Medien rationalistisch determiniert sind, wobei hier vor allem Studien gemeint sind, die aus dem englischsprachigen Raum kommen. Diese sind jedoch für den Diskurs hierzulande von Bedeutung, da sie in deutschen Publikationen immer wieder als Belege angebracht werden, wenn es um die Frage der Wirksamkeit und Bedeutung digitaler Medien für Lern- und Bildungsprozesse geht. So schreiben Ramona Lorenz und Julia Gerick in ihrem Beitrag Neue Technologien und die Leseleistung von Grundschulkindern, dass Studien von Macaruso, Hook & McCabe von 2006 und von O’Dwyer, Russell, Bebell & Tucker-Seely von 2005 »einen positiven Zusammenhang zwischen der Nutzung digitaler Medien und der Lese- bzw. Rechtschreibleistung« (Lorenz & Gerick 2014, S. 61) belegen und eine Untersuchung von King Luu & John G. Freemann aus dem Jahr 2011 aus Kanada und Australien zeige, dass es auf die Art der Nutzung eines Computers und nicht auf die Häufigkeit ankomme, wenn durch diesen positive Effekte bezüglich der Entwicklung naturwissenschaftlicher Kompetenz erreicht werden sollen. (Vgl. ebd.) John Robertson ordnet Evaluationsstudien, die in Großbritannien seit der Einführung von Informations- und Kommunikationstechniken in Grundschulen Anfang der 80er Jahre durchgeführt wurden, vor allem als kritisch ein, weil die Studien von denen durchgeführt wurden, die an Schulen, in Beratungseinrichtungen für Bildungsbehörden, Lehrerseminaren und Hochschulen arbeiten. Sie seien damit direkt verantwortlich
3. Medienpädagogische Studien und Diskussionen
für die Qualität von Lernen in Schulen, aber auch selbst Produkt dieser Institutionen und entsprechend von rationalistischen Determinierungen geprägt, die diese auszeichnen. »These rational approaches have derived from a core assumption that schools can be understood as systems where the effects of changes in policy, management, staff development and resourcing will result in predictable changes in teaching behaviour and that the latter changes can be explained as a rational response to the former factors.« (Robertson 2002, S. 405f.) Die Studien sind nach Robertson brauchbar für das Nachdenken über die Frage, wie die Einführung von Informations- und Kommunikationstechniken in der Praxis befördert werden kann, aber führen nicht zu einem ausreichenden Verständnis von Potenzialen und anderen Implikationen, die diese mitbringen: »This paper suggests that the adoption of exclusively rational, perhaps hyper-rational, methodologies, by researchers working in the mainstream of schools and teacher education institutions has resulted in a failure to understand the complex cultural, psychological and political characteristics of schools.« (A. a. O., S. 403) Sprechen lässt sich vielleicht nicht unbedingt von einer rationalistischen Determinierung, wohl aber von (zweck)rational ausgerichteten Studien, die von einem verkürzten, einseitigen Denken geprägt sind, das vor allem darauf konzentriert ist, den Nachwuchs konkurrenzfähig zu machen. Folgen für die Gesellschaft werden von Jürgen Habermas in dem Aufsatz Technik und Wissenschaft als ›Ideologie‹ mit Rückgriff auf Max Weber beschrieben: »Die fortschreitende ›Rationalisierung‹ der Gesellschaft hängt mit der Institutionalisierung des wissenschaftlichen und des technischen Fortschritts zusammen. In dem Maße, in dem Technik und Wissenschaft die institutionellen Bereiche der Gesellschaft durchdringen und dadurch die Institutionen selbst verwandeln, werden die alten Legitimationen abgebaut.« (Habermas 1969, S. 48) Unter Rationalisierung ist dabei »die Ausdehnung der gesellschaftlichen Bereiche, die Maßstäben rationaler Entscheidung unterworfen werden« (ebd.) zu verstehen. Habermas nennt in diesem Zusammenhang Herbert Marcuse, der herausgearbeitet hat, dass sich »im Namen der Rationalität eine bestimmte Form uneingestandener politischer Herrschaft durchsetzt.« (Ebd.) Interessen, mit denen Technologien hervorgebracht und angewandt würden, gerieten nicht in den Blick, weil mit dem Fokus auf Rationalität, vor allem »die richtige Wahl zwischen Strategien, die angemessene Verwendung von Technologien und die zweckmäßige Einrichtung von Systemen (bei gesetzten Zielen in gegebenen Situationen)« (ebd.) Thema werde: »Jene Rationalität erstreckt sich überdies nur auf Relationen möglicher technischer Verfügung und verlangt deshalb einen Typ des Handelns, der Herrschaft, sei es über Natur oder Gesellschaft, impliziert. Zweckrationales Handeln ist seiner Struktur nach die Ausübung von Kontrolle. Deshalb ist die ›Rationalisierung‹ von Lebensverhältnissen nach Maßgabe dieser Rationalisierung gleichbedeutend mit der Institutionalisierung einer Herrschaft, die als politische unkenntlich wird…« (Ebd.) Rationalistisch determinierte Studien können demzufolge zur Institutionalisierung einer Herrschaft beitragen. Darüber hinaus fordern sie zu einer Praxis auf, die vor allem auf die Bewältigung von Lebensaufgaben in Strukturen ausgerichtet ist, die vorzufinden sind oder vorgefunden werden sollen, womit der Blick auf gesamtgesellschaftliche Interessenszusammenhänge verstellt wird. So erklärt sich für mich u.a., dass
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Kinder. Medien. Kontrolle.
in der Rezeption des Modells der Medienkompetenz von Dieter Baacke, das von ihm auf einer überindividuellen, gesellschaftlichen Ebene anzusiedelnde Gestaltungsziel, mit dem die »wirtschaftlichen, technischen, sozialen, kulturellen und ästhetischen Probleme« (Baacke 2007, S. 99) zum Thema gemacht werden sollen, gemeinhin ausgeklammert wird. Baacke fasst in seinem Modell zunächst mit der Dimension Vermittlung die Fähigkeit zur Medienkritik und ein Wissen »über heutige Medien und Mediensysteme« (ebd.), das er Medienkunde nennt. Zur Entwicklung von Medienkompetenz gehöre zudem ein Medienhandeln bzw. eine Mediennutzung, die sowohl rezeptiv anwendend als auch interaktiv anbietend zu lernen sei, und die Mediengestaltung, die »innovativ (Veränderungen, Weiterentwicklungen des Mediensystems innerhalb der angelegten Logik) und […] kreativ (Betonung ästhetischer Varianten, das Überdie-Grenzen-der-Kommunikations-Routine-Gehen)« (ebd.) gemeint ist. Medienkompetenz hat nach Baacke aber auch »ein Gestaltungsziel auf überindividueller, eher gesellschaftlicher Ebene […], nämlich den Diskurs der Informationsgesellschaft. Ein solcher Diskurs würde alle wirtschaftlichen, technischen, sozialen, kulturellen und ästhetischen Probleme einbeziehen, um so die ›Medienkompetenz‹ auf dem Laufenden zu halten.« (Ebd.) Dieser Aspekt verbietet eine subjektiv-individualistische Verkürzung des Modells, die aber in aktuellen gesellschaftlichen Diskursen über Medienkompetenz stattfindet: »Betrachtet man die Diskurse insgesamt, fällt auf, dass zuvorderst die Medienkompetenz eines Einzelnen eingefordert wird. Die griffige Forderung nach individueller Medienkompetenz erzeugt jedoch einen blinden Fleck in Bezug auf die mit zu berücksichtigenden Strukturveränderungen.« (Gapski 2017, S. 37) Der digitale Wandel betreffe nicht nur einzelne Menschen, sondern auch Institutionen und damit organisatorische und gesellschaftliche Strukturen: Nach Harald Gapski zeichnen sich digitale Umwelten vor allem dadurch aus, dass der Computer uns in ihnen nicht »als ein greifbares Werkzeug gegenüber[steht], auch wenn die Faustkeil-artige Griffigkeit eines Smartphones diese Interpretation nahelegen mag. Entscheidend sind vielmehr die unsichtbaren Vernetzungen in die Cloud und die Prozesse ›intelligenter‹ Datenauswertungen im Hintergrund. Dies sind die neuen Umwelten, in denen wir kommunizieren.« (A. a. O., S. 39) Die Betonung der individuell zu entwickelnden Medienkompetenz verdecke dies, »auch durch die Rede von der Werkzeugbeziehung des Menschen zum Medium. Im Umgang mit diesem Werkzeug sollte der Einzelne ›fit sein‹. Diese einfache Beziehung löst sich durch die Allgegenwärtigkeit digitaler Umwelten zunehmend auf.« (A. a. O., S. 37) In Studien zur Vermittlung und Entwicklung von Medienkompetenzen steht nicht eine Gestaltung von Gesellschaft auf Grundlage von Kritik und Reflexion im Vordergrund, sondern herausgestellt wird die Notwendigkeit, Strategien zur Nutzung vorhandener Medien und einen reflektierten Umgang mit eben diesen zu entwickeln, wie Studien zeigen, die Breiter, Aufenanger, Averbeck, Welling und Wedjelek nennen: »Zwar gibt es begleitend zum Computereinsatz in der Grundschule eine große Anzahl von Publikationen, die Hinweise auf einen pädagogisch sinnvollen Einsatz bzw. Handreichungen geben (z.B. Arenhövel 1994; Aufenanger 2001a; Büttner 2001; Heyden 1999; Karstel 2001; Krauthausen 1994 und vor allem Mitzlaff 1996; 1997; 1998a; Mitzlaff 2000; Mitzlaff 1998b; Mitzlaff 1990). Ob aber dieser Einsatz insgesamt etwas zur Verbesserung der Lernkultur beitragen konnte, blieb meist unbekannt.« (Breiter et al. 2013, S. 37) Ge-
3. Medienpädagogische Studien und Diskussionen
forscht wird zu Lesekompetenzen, die notwendig sind »für den angemessenen Umgang mit dem Computer bzw. dem Internet durch Grundschulkinder (Toman 2002), zur Internetnutzung (Seib 2006), zu geschlechtsspezifischen Effekten (Jansen-Schulz 2003) oder speziell im Bereich der politisch-historischen Bildung (Sander 2007).« (Ebd.) Es liegen Studien zur Nutzung von Lernprogrammen vor, es wurden Medieninhalte in Fächern untersucht sowie die Mediennutzung von Kindern. So haben Christine Feil, Christoph Gieger und Holger Quellenberg im Rahmen ihrer Studie Lernen mit dem Internet die Internetnutzung von Grundschulkindern beobachtet und sie zu ihrer Internetnutzung befragt. (Vgl. Feil, Gieger & Quellenberg 2009) Von Claudia Henrichwark gibt es aus dem gleichen Jahr eine Studie zum medialen Habitus von Grundschulkindern, in der sie auf milieuspezifische Differenzen bezüglich informeller Medienbildung hinweist, die in der Schule auszugleichen seien. (Vgl. Henrichwark 2009, S. 242) Hier sieht die Autorin besonders die Grundschule in der Verantwortung, da sich im Grundschulalter Einstellungen und Verhaltensweisen bzgl. Medien aufbauten und besonders entwicklungsfähig seien. (Vgl. a.a.O., S. 245) Darüber hinaus kommen Birgit Eickelmann, Stefan Aufenanger und Bardo Herzig zu dem Schluss, dass sich die Mediennutzung von Kindern mit dem Schulbeginn stark verändert: »Die Medienerfahrungen der Kinder finden zunehmend in verschiedenen Kontexten statt, die unterschiedliche Handlungsfelder und Herausforderungen mit sich bringen. […] Eine wechselnde Partizipation in den kulturellen Settings des Alltags geht mit Lernerfahrungen einher, die außerhalb der Schule gemacht werden. Die Kluft zwischen schulischem und außerschulischem Lernen wächst.« (Eickelmann, Aufenanger & Herzig 2014, S. 20f.) Durchgeführt wurden in den vergangenen Jahren zudem Studien ausgehend von der vermehrten Ausstattung von Schulen mit Tablets: »In diesem Zusammenhang sind unter anderem das Paducation-Projekt in Hamburg (Autorengruppe Paducation 2015), das Projekt 1000mal1000: Notebooks im Schulranzen (Schaumburg et al. 2007), das Tablet-Projekt im Wetterau Kreis (Stolpmann et al. 2015), das Wiesbadener PadsWiesan-Programm (Aufenanger 2015), das Projekt zum mobilen Lernen mit Tablet-Computern in Niedersachsen (NLQ 2015) oder auch das große von Samsung unterstützte Tablet-Projekt in der Schweiz (Prasse et al. 2016) zu nennen.« (Hervorheb. i. Orig., Aufenanger & Bastian 2017, S. 4) Bis auf das Projekt in der Schweiz wurden alle genannten Studien jedoch nicht an Grundschulen, sondern nur an weiterführenden Schulen durchgeführt.
3.2
Medienentwicklungen und das Verständnis von Wissen
Dieter Spanhel schreibt von Veränderungen aufgrund von Medienentwicklungen, die »tiefgreifende wirtschaftliche, gesellschaftliche und soziale Wandlungen« (Spanhel 1999, S. 56) zur Folge haben. Bewährtes Wissen, so Spanhel, hat sich mit der Entwicklung digitaler Medien überholt bzw. veraltet Wissen schneller. Er beschreibt Wissen als schnell wachsend bzw. verweist auf neue Erkenntnisse, die frühere Erkenntnisse immer schneller ablösen und Schule nicht mehr erlauben, von einem relativ stabilen und bewährten Wissen auszugehen: »Bisher bestand der Bildungsauftrag der Schule
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Kinder. Medien. Kontrolle.
in der Vermittlung eines systematisierten Grundbestands bewährten Wissens.« (Ebd.) Dagegen sei es heute notwendig, Schüler*innen auf eine Zukunft vorzubereiten, die ungewiss sei: »Zusätzlich zur Tradierung dieses Wissens werden künftig Formen des Lernens, die Qualität der Lernmethoden, das Lernen lernen, Weiterlernen, Umlernen und die Fähigkeit zum Umgang mit dem Nichtwissen immer wichtiger. Es geht dabei um den Aufbau variabler Lerninstrumente bei den Schülern, d.h. um operatives Wissen, um breites und abstraktes Orientierungswissen und um die Fähigkeit zum flexiblen Einsatz dieser Wissensstrukturen auf der Grundlage von vernetztem Denken, von Phantasie und Kreativität…« (Ebd.) Damit fordert sowohl die schnelle Zunahme an Erkenntnissen Schule heraus, als auch die damit einhergehende Annahme, dass es darum gehe, Schüler*innen auf eine Welt vorzubereiten, in der heutige Erkenntnisse möglicherweise keinen Bestand mehr haben. Für Spanhel wird mit dieser Herausforderung zwar eine Veränderung von Lernformen notwendig; letztlich präsentiert er aber ein altes Wissensmodell: das Wissen über Welt � und damit in der Schule zu vermittelndes Wissen � wächst nach Spanhel schneller und nimmt zu; es baut also immer noch aufeinander auf. Abgesehen davon, dass immer schneller, immer mehr Erkenntnisse gewonnen werden, stellt Spanhel fest, dass sich durch digitale Medien neue Präsentationsformen ergeben, mit denen Erkenntnisse präsentiert werden können; um mit diesen umgehen zu können, müssten Schüler*innen eine entsprechende Medienkompetenz entwickeln. Dabei gehe es um die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Zeichensystemen, die über das Zusammenführen unterschiedlicher Medien im Computer zusammenwirkten. Dafür werden nach Spanhel Fähigkeiten »zur Verständigung über Inhalte, zur Herstellung und Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen und zum Aufbau und zur Erhaltung der Identität mittels unterschiedlicher Zeichensysteme (Medien) [benötigt].« (Spanhel 1999, S. 58f.) Bei Norbert Meder lässt sich dagegen nachlesen, dass digitale Medien ein radikal verändertes, neues Lernen bedingen, zu dem ein lehrgangsorientiertes Lernen bzw. Lehren, das Schule nach wie vor präge, nicht mehr passe: »Dieses neue Lernen ist eher ein Sich-verfügbar-machen von Informationen und Wissensbeständen bei aktuellen Problemen; es ist eher eine Art Aktualisierung von in Maschinen gespeichertem Wissen.« (Meder 2006, S. 21) Eine Schuldidaktik bzw. Kursdidaktik im Sinne von Weiterbildungstrainings sei damit überholt. Notwendig sei »eine Didaktik der Verfügbarkeit…« (Ebd.) Dazu gehöre, dass Informationen, die auf Servern bereitgestellt würden, wissensrelevant seien. Dies würden sie nur, wenn sie Antworten auf Fragen geben, »die irgendwelche Nutzer stellen. Die Frage-Antwort-Form der Information macht sie zur Wissensform oder anders ausgedrückt: zur Wissensart. D.h. nur diese Frage-AntwortForm und der damit verbundene Bezug zu einem Nutzer (Menschen !!!) [sic!] und seinem Problem macht aus Information Wissen.« (A. a. O., S. 49f.) Daraus folgt für mich die Frage, woher die Fragen kommen, die sich Nutzer*innen stellen. Nach Scholz ist davon auszugehen, dass diese ihren Ursprung nicht allein in Informationen haben, die auf Servern präsentiert werden, denn sie stellen nur einen »Teil des weltweit vorhandenen Wissens [dar], es ist nur technisch…« (Scholz 2005, S. 34) Span-
3. Medienpädagogische Studien und Diskussionen
hel bestätigt diese Feststellung aus systemtheoretischer Perspektive, wenn er schreibt: Es muss »zunächst klar sein, daß Lernen […] immer ein eigenaktiver und konstruktiver Prozeß ist.« (Spanhel 1999, S. 60) Demnach lässt sich Wissen nicht einfach über Inhalte vermitteln, die auf Servern präsentiert werden, sondern Schüler*innen konstruieren anknüpfend an vorhandene Wissensstrukturen neue Wissensstrukturen: »Aus der Vielfalt der Wahrnehmungen in der Auseinandersetzung mit der Umwelt abstrahieren sie neue Muster, die zu Transformationen der vorhandenen Gefühls-, Denk-, Wertungsund Handlungsmuster führen. Sie sind die Instrumente (in Form von Bewegungs- und Handlungsmustern, Begriffen oder Theorien), mit denen gelernt werden kann.« (Ebd.) Verdeutlicht wird hier nicht nur die Annahme, dass unterschiedliche Arten von Weltwissen von Bedeutung sind, sondern auch, dass es nicht digitale Medien sind, die dazu führen, dass Lernen zu einem konstruktiven Prozess wird. Dieser ist vielmehr an sich konstruktiv, auch wenn nicht mit, durch und über digitale Medien gelernt wird. Diese Position lässt sich jedoch nicht als mediendidaktische und medienpädagogische Diskussionen bestimmend einordnen, die auf die Entwicklung von Medienkompetenzmodelle und Medienbildungsstandards ausgerichtet sind; betont wird hier eher, dass es digitale Medien sind, die konstruktive Lernprozesse ermöglichen, wie sich am Beispiel des medienpädagogischen Kompetenzmodells für die Lehrerausbildung zeigen lässt, das Sigrid Blömeke entwickelt hat: Mitgeprägt hat das Modell Renate Schulz-Zander, die schreibt, dass Schüler*innen lernen müssen, Architekt*innen ihres eigenen Lernprozesses zu werden; damit geht sie nicht davon aus, dass Lernprozesse grundsätzlich konstruktiv sind, sondern dass es konstruktivistische Lehr-Lernansätze gibt, die – hier vor allem durch den Einsatz digitaler Medien – erst ermöglichen, dass Schüler*innen aktiv lernen bzw. Lernen zu einem konstruktiven Prozess wird. (Vgl. Schulz-Zander 1996 zit.n. Blömeke 2000, S. 113) Unabhängig davon, ob davon ausgegangen wird, dass Lernprozesse an sich konstruktiv sind oder digitale Medien dies ermöglichen, erscheint in Diskussionen der Medienpädagogik grundsätzlich die Frage relevant, inwiefern digitale Medien die Gestaltung von Lehr-Lernprozessen – und damit Lernen in seiner Qualität – beeinflussen. Entsprechend schreibt Spanhel: »Die Frage ist also, wie sich Multimedia auf die Lernprozesse von Schülern und auf die Entwicklung ihrer Lernfähigkeit auswirken. Lehrerinnen und Lehrer müssen daher nicht nur die Vorzüge mediengestützter Lernprozesse empirisch und lerntheoretisch begründen, sondern auch mögliche Ambivalenzen und Probleme erkennen und einschätzen können.« (Spanhel 1999, S. 59) Spanhel stellt heraus, dass es nicht mehr um die »Vermittlung eines systematisierten Grundbestands bewährten Wissens geht« (a.a.O., S. 56); mit seinen Ausführungen dazu, welche Fähigkeiten Schüler*innen in einer durch digitale Medien geprägten Welt zu entwickeln haben, folgt er dennoch dem Prinzip der Vermittlung vorgegebener Lernziele: Auch wenn es ihm darum geht zu klären, dass sich keine konkreten Inhalte mehr benennen lassen, die zu vermitteln sind, soll ein bestimmtes Wissen vermittelt werden: nämlich ein Wissen darüber, wie mit Informationen umzugehen ist. Spanhel spricht mit Verweis auf Tulodziecki und Blömeke (vgl. 1997) auch von Zielen: »Diese Ziele liegen auf zwei Ebenen: Zum einen sollen die Schüler zu einem kritischen, sachgerechten und eigenverantwortlichen Umgang mit den Medien befähigt, zum anderen Multimedia als Werkzeuge zur Verbesserung der Lern- und Leistungsfähigkeit der Schüler und zur Vermittlung
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Kinder. Medien. Kontrolle.
von Schlüsselqualifikationen eingesetzt werden…« (Spanhel 1999, S. 58) Damit bleiben Schüler*innen aufgefordert ein bestimmtes Wissen zu konstruieren, auch wenn gefordert wird, dass Lehrer*innen individuell auf sie eingehen, indem sie in der Gestaltung von Lehr-Lernprozessen an ihr mediales Vorwissen anknüpfen. (Vgl. ebd.) Der grundsätzliche Hinweis darauf, dass ein gesellschaftlicher Wandel durch digitale Medien Lernen verändern wird, ist nicht neu. Tulodziecki, Herzig und Grafe schrieben vor einem Jahrzehnt: »Medien – vom Buch bis zu Online-Angeboten im Internet – schaffen in einem bisher nie da gewesenen Ausmaß Möglichkeiten der Information und der Unterhaltung, des Lernens und der Bildung, des Spiels und der Simulation, der Kommunikation und der Kooperation sowie des kreativen Ausdrucks.« (Tulodziecki, Herzig & Grafe 2010, S. 9) Für die Autor*innen steht fest, dass die Art und Weise, wie Kinder sich mit Welt auseinandersetzen, wesentlich von Medien beeinflusst wird. Das betreffe »ihre Realitätsvorstellungen, Emotionen, Verhaltens- und Wertorientierungen…« (Ebd.) Es werden sehr wohl unterschiedliche Positionen dazu ausformuliert, auf welche Art sich das Verständnis von Wissen aufgrund von Medienentwicklungen wandelt. Unbestritten scheint lediglich die Annahme, dass digitale Medien Lernen und Lehren herausfordern und verändern. Studien, in denen sich explizit mit der Bedeutung digitaler Medien für das Lehren und Lernen auseinandergesetzt wird, betonen aber vor allem Effekte auf das Lernen und Lehren, die aus dem Einsatz und dem Umgang mit einzelnen Geräten resultieren (sollen), wie der folgende Abschnitt zeigt.
3.3
Medienentwicklungen und Lerneffektivität
In den vergangenen Jahren hat vor allem der Einsatz von Tablets im Unterricht zugenommen: »Nach Computerräumen, Notebooks und interaktiven Whiteboards spielen seit einigen Jahren Tablets im Klassenraum eine zunehmend bedeutende Rolle. Mit dem Erscheinen des iPads von Apple im April 2010 ist ein regelrechter Boom im Bildungsbereich entstanden. Man sah in den Tablets eine interessante und pädagogisch sinnvolle Erweiterung des Einsatzes digitaler Medien…« (Aufenanger & Bastian 2017, S. 1) Erfahrungsberichte im Internet, aber auch wissenschaftliche Begleitstudien zum Tableteinsatz verweisen nach Aufenanger und Bastian »in vielen Fällen [auf] eine positive Beurteilung und Akzeptanz dieser Geräte durch die Lehrkräfte wie auch die Schülerinnen und Schüler.« (A. a. O., S. 4) Die positive Beurteilung und Akzeptanz der Lehrer*innen ist bemerkenswert, da Breiter, Aufenanger, Averbeck, Welling und Wedjelek in ihrer Studie zur Medienintegration in Grundschulen die Feststellung, dass Medienbildung in der Grundschule weder konsequent als Aufgabe wahrgenommen, noch systematisch angegangen wird u.a. damit begründen, dass Lehrer*innen angeben, dass ihnen hierfür geeignete Methoden fehlen. (Vgl. Breiter et al. 2013, S. 261) Die positive Einstellung von Lehrer*innen bzgl. Tablets präsentiert Aufenanger auch in einem Beitrag über den Stand der Forschung zum Einsatz von Tablets in Schule und Unterricht. (Vgl. Aufenanger 2017) Er verweist auf einen Übersichtsartikel von 2013, für den die Kanadier Thierry Karsenti und Aurélien Fiévez aus mehr als 350 Studien zentrale Effekte herausgearbeitet haben, die dem
3. Medienpädagogische Studien und Diskussionen
Einsatz von Tablets zugeschrieben werden: Hierzu gehörten u.a. die Motivationssteigerung der Schüler*innen, ein vereinfachter Zugang zu Informationen, eine vereinfachte Verwaltung von Informationen sowie ein vereinfachtes Teilen von Informationen, eine Erweiterung von Lehrmethoden bzw. -strategien, die Förderung von Kreativität und individualisiertem Lernen, aber auch eine Ermutigung der Schüler*innen miteinander zu kommunizieren und zu kollaborieren. (Vgl. Karsenti & Fiévez 2013, S. 6) Zu bedenken ist jedoch, dass diese Effekte zunächst einmal als Zuschreibungen einzuordnen sind, da die Studien vor allem auf Befragungen von Schüler*innen und Lehrer*innen basieren und nicht auf Beobachtungen von Unterricht. (Vgl. Aufenanger 2017, S. 127) Mit der Frage, warum Lehrer*innen Tablets positiver bewerten als andere digitale Medien, hat sich auch Welling beschäftigt. Er geht davon aus, dass der Grund dafür vor allem in der Ausstattung von Tablets zu suchen ist: Ein Tablet sei leicht und relativ klein und komme lange ohne Stromzufuhr aus, womit eine mobile und flexible Nutzung möglich sei. Zudem sei ein Tablet einfach zu bedienen: »Gerade die einfache Gestenkommunikation soll insbesondere jüngeren Benutzerinnen und/oder Benutzern entgegenkommen. Drittens machen Kameras für Foto- und Videoaufnahmen, Mikrofone sowie Sensoren in Verbindung mit entsprechenden Applikationen (Apps) das Tablet zu einem Multifunktionsgerät für unterschiedlichste Lernkontexte.« (Welling 2017, S. 17) Es werde aber auch davon ausgegangen, dass Tablets Lern- und Lehrprozesse verbessern könnten; sie würden im Sinne konstruktivistischer Lerntheorien als gestaltbar und kollaboratives Lernen befördernd eingeordnet. (Vgl. a.a.O., S. 15) Diese Potenziale hat Tulodziecki digitalen Medien bereits vor zwanzig Jahren zugeschrieben. (Vgl. Tulodziecki 1999) – wenn auch nicht Tablets, die es damals noch nicht gab. Diese ermöglichen nach Welling heute eine Gestaltung von Lernprozessen, die mit früheren digitalen Medien nur in Ansätzen möglich war: »Durch den Einsatz digitaler Medien können Lernprozesse […] nahtlos erfolgen, wenn sie sich über physische und virtuelle Räume hinweg erstrecken, neben formellen auch informelle Kontexte sowie (vorhandene) Kompetenzen und Interessen der Heranwachsenden gezielt für Lernprozesse nutzbar machen und ihnen so u.a. mehr Authentizität und Bedeutsamkeit verleihen…« (Welling 2017, S. 16) Die Potenziale digitaler Medien seien früh erkannt worden (vgl. a.a.O., S. 16), dennoch fehlten Studien, die genauer beschreiben, welche Folgen der Einsatz von Tablets »auf schulisch konnotierte Lern- und Lehrkontexte hat und welche Ausstattungskonzepte inklusive (medien-)pädagogischer und (medien-)didaktischer Konzepte am besten geeignet sind, die verschiedenen Kompetenzen der Heranwachsenden möglichst optimal zu fördern und Bildungsprozesse im Sinne der Veränderung von Selbst- und Weltreferenzen zu unterstützen…« (A. a. O., S. 18) Auch Aufenanger stellt fest, dass Studien fehlen, merkt jedoch an, dass es zumindest einzelne Projektstudien gibt. (Vgl. Aufenanger 2017, S. 129f.) Bedeutsam erscheint hier vor allem das Ergebnis einer Arbeit von Maura B. Rosenthal und Susan K. Eliason. Sie haben im Rahmen eines Projekts an einer Universität in den USA, für das alle Dozent*innen und Student*innen mit Tablets ausgestattet wurden, festgestellt, dass die Einführung von Tablets in den Unterricht mit der Entwicklung von Curricula einhergehen sollte: notwendig sei demnach eine pädago-
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Kinder. Medien. Kontrolle.
gische Einbettung, um den Medien eine Bedeutung geben zu können. (Vgl. Rosenthal & Eliason 2015) Obwohl konkret zu Tablets in der Schule bisher »keine längerfristigen Studien vorhanden sind« (Aufenanger 2017, S. 120), stellt Heike Schaumburg fest, dass es über die Lernwirksamkeit von digitalen Medien immerhin seit vierzig Jahren Studien gibt: »So finden Hew und Cheung (2013) über 4.600 einschlägige Studien zur Lerneffektivität von Web-2.0-Technologien im Unterricht. Chauhan (2017) identifiziert mehr als 700 Studien zur Lerneffektivität allein im Bereich der Nutzung digitaler Medien in der Grundschule seit dem Jahr 2000…«1 (Schaumburg 2018, S. 27) Die Studien würden positive Lerneffekte belegen, auch wenn sie nicht so ausgeprägt seien wie erwartet: »Angesichts dessen, dass sowohl aus lerntheoretischer Sicht überzeugende Argumente für die potenzielle Lernwirksamkeit digitaler Medien formuliert werden (z.B. Issing, 2009; Hesse, Sassenberg & Schwan, 2016) als auch eine Fülle positiver Befunde aus Modellversuchen berichtet wird, die die prinzipielle Eignung digitaler Medien für die Unterstützung von Lernprozessen belegen (z.B. Herzig, 2014; Aufenanger, 2017; Schaumburg, 2015) stellt sich die Frage, warum sich die Nutzung digitaler Medien nicht in einem deutlicheren Ertrag hinsichtlich der Lernleistungen von Schülerinnen und Schülern niederschlägt.« (A. a. O., S. 30) Schaumburg selbst erklärt die geringe Wirkung damit, dass nicht ausreichend beachtet werde, dass der Einsatz digitaler Medien im Unterricht von zahlreichen Faktoren mitbestimmt werde. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf ein Modell von Bardo Herzig, in dem diese Faktoren veranschaulicht werden. (Siehe Abb. 3) An dem Modell fällt auf, dass ein Wissen darüber, wie Kinder lernen, bzw. was sie selbst unter Lernen verstehen, möglicherweise in dem Modell von Herzig unten rechts mit der bildungswissenschaftlichen Expertise gefasst, aber nicht explizit aufgeführt wird. Der folgende Abschnitt zeigt, dass dieser Frage in medienpädagogischen Texten selten nachgegangen wird, obwohl immer wieder betont wird, dass Lehr- und Lernprozesse mit, durch und über Medien vom Kind ausgehend zu gestalten sind.
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Ein überwiegender Teil der Studien sind so genannte Meta-Analysen; die Erkenntnisse bzgl. der Lerneffektivität digitaler Medien beruhen also im Wesentlicdhen auf Studien, »die die Ergebnisse vieler Untersuchungen zusammenfassen und deren Einzelergebnisse mittels statistischer Verfahren miteinander verrechnen. Auf diese Weise kann über verschiedene Studien hinweg ein gemeinsamer Wert für die Wirksamkeit des Medieneinsatzes, die sogenannte Effektstärke, angegeben werden (Cohen, 1988).« (Schaumburg 2018, S. 27f.) Betrachtet wird die Lerneffektivität im Rahmen dieser Studien vor allem aufgrund von Ergebnissen aus Leistungstests; es gibt hierzu wenig deutsche Publikationen, doch die Daten deutscher Schüler*innen sind Teil der Studien, da viele von ihnen auf Daten beruhen, die aus internationalen Leistungstests stammen. (Vgl. a.a.O., S. 28)
3. Medienpädagogische Studien und Diskussionen
Abb. 3: Wirkungen digitaler Medien im Unterricht nach Herzig 2014, S. 10, eigene Darstellung
3.4
Lernwirksamkeit durch Orientierung an Kindern
In medienpädagogischen Texten wird der Anspruch betont, die Gestaltung von LehrLernprozessen mit digitalen Medien an der Lebenswelt der Kinder zu orientieren2 , aber in seiner Bedeutung selten umfassend ausgeführt. So postuliert Schaumburg eine Lebensweltorientierung, reduziert diese aber vor allem auf die Berücksichtigung der Lernvoraussetzungen, die Schüler*innen mitbringen: Ein Unterricht mit digitalen Medien ist demnach »wie ein qualitätsvoller Unterricht insgesamt, immer an die Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler anzupassen, um seine Lernwirksamkeit zu entfalten. Dabei wären z.B. sowohl medienbezogenes als auch fachliches Vorwissen, Leistungsstärke und Lernmotivation zu berücksichtigen.« (Schaumburg 2018, S. 31) In Bezug auf die Frage, wie sich Lernen mit, durch und über digitale Medien in der Grundschule gestalten lässt, stellen Daniel Autenrieth, Anja Marquardt, Thorsten 2
Der Anspruch medienpädagogische Praxis lebensweltorientiert zu gestalten, ist in medienpädagogischen Diskursen vor allem geprägt durch das, was Baacke diesbezüglich in der Erläuterung und Begründung seines Medienkompetenzmodells ausführt. (Vgl. Baacke 2007) Der Begriff der Lebenswelt verweist auf eine phänomenologisch geprägte Vorstellung davon, wie sich Menschen in dieser Welt Dinge erschließen. Gebraucht wird der Begriff in medienpädagogischen Texten so jedoch kaum. Gefasst wird mit ihm vielmehr Lebensalltag. Gerhard Tulodziecki macht dies explizit, indem er ausführt, dass medienpädagogische Aktivitäten »in handlungsrelevanter Weise unter Berücksichtigung von Bedürfnissen und Lebenssituation sowie von Erfahrungs- und Entwicklungsstand gestaltet werden [sollten].« (Tulodziecki 1999, S. 32) Auch Heinz Moser spricht von Alltag bzw. Alltagserfahrungen: »Heute besteht eine solche Vielfalt an unterschiedlichen Medien (Buch, Zeitung und Zeitschriften, Radio, Fernsehen, Video, Schallplatten, Computer etc.), dass kein einziger Mensch nicht schon in seinen primären Alltagserfahrungen durch Medien bestimmt wird bzw. sich mit ihnen auseinandersetzen muss… Diese verschiedenen Sphären der Wirklichkeit haben sich schon dermaßen durchdrungen, dass es immer schwieriger wird festzuhalten, was das Ursprüngliche und was das Abgeleitete ist.« (Moser 2006a, S. 12)
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Junge und Horst Niesyto im Rahmen der Entwicklungs- und Evaluationsstudie zum Lernen mit digitalen Medien in der Grundschule dileg-SL3 fest, dass dieses nicht »losgelöst von kindheits- und grundschulpädagogischen Überlegungen entwickelt werden [kann], wenn die Absicht besteht, Medienbildung und Medienkompetenz unter Kindern zu fördern. Hier gilt es u.a., die Erfahrungen und die Weltzugänge aus der Perspektive der Kinder zu beachten und nicht einseitig von sachbezogenen Funktionslogiken her Bildungs- und Lernprozesse zu initiieren.« (Autenrieth et al. 2017, S. 4f.) Dieser Anspruch wird in medienpädagogischen Texten nicht selten auf den Hinweis reduziert, dass Kinder von Medien fasziniert sind, und ihr Alltag zunehmend durch digitale Medien geprägt ist. (Vgl. Kulcke 2017, S. 82) Autenrieth, Marquardt, Junge und Niesyto tun dies nicht; es geht ihnen nicht nur darum, dass digitale Medien zum Alltag von Kindern gehören, sondern auch um die Frage, wie Kinder lernen: »Ein solches Verständnis verabschiedet sich auch von einseitig instruktionalen, lernzielorientierten Konzepten der Vermittlung von Wissen und der Überprüfung entsprechender ›Lerneffekte‹ und ›Lernwirkungen‹ und betont Bildungs- und Lernprozesse, die von den Kindern selbst individuell und kooperativ in Gruppen (mit)gestaltet werden (sozial-konstruktivistisches Denken).« (Autenrieth et al. 2017, S. 5) Der Anspruch, dass Kinder mitgestalten oder Kinder selbst individuell und kooperativ in Gruppen Lernen organisieren,4 wird nicht nur in grundschulpädagogischen, sondern auch in bildungspolitischen Diskursen formuliert. So zitiert Scholz bereits 1996
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»Das Projekt dileg-SL (Digitales Lernen Grundschule – Stuttgart/Ludwigsburg) war eines von fünf Projekten, welches die Deutsche Telekom Stiftung im Rahmen des Förderprogramms ›Digitales Lernen Grundschule' von 2016-2019 gefördert hat. Im Projekt dileg-SL kooperierten zwei Bereiche der Erziehungswissenschaft (Medienpädagogik und Pädagogik der Primarstufe) und verschiedene Fächer der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg (Biologie, Deutsch, Englisch, Informatik, Mathematik, Musik, Sport) mit der Rosenstein-Grundschule in Stuttgart. In dem dialogorientierten Entwicklungsprojekt erstellten Studierende des Lehramts Grundschule im Rahmen von Hochschulseminaren verschiedene Konzepte für eine produktive Nutzung digitaler Medien im Grundschulunterricht und eine handlungsorientierte Vermittlung informatischer/algorithmischer Grundkompetenzen.« (https://www.ph-ludwigsburg.de/16553.html vom 02.03.2019) Autenrieth et al. sprechen von Lernprozessen, die Kinder (mit-)gestalten. Aus einer konstruktivistischen Perspektive ist immer davon auszugehen, dass Kinder Lernprozesse mitgestalten. Nach Scholz lernen Kinder auch immer voneinander: »Die Tatsache […], daß alle Lehr-Lernprozesse in der Schule […] soziale Prozesse sind und die, daß die Gruppe der Schüler nicht einfach als vom Lehrer abhängige Variable zu sehen ist, sondern durchaus ein Eigenleben entfaltet, auch wenn der Rahmen dieses Eigenlebens stark von der durch die Schule und den Lehrer geschaffenen Situation abhängig ist, läßt sich generell von einem Lernen der Kinder untereinander sprechen.« (Scholz 1996, S. 15) Dies ist offensichtlich auch so, wenn versucht wird Kinderkultur im Unterricht nicht zu berücksichtigen, bzw. aus dem Unterricht auszuschließen, wie Scholz mit einem Schulerlebnis des Schriftstellers Ludwig Turek illustriert, in dem sich Schüler gegen einen willkürlich schlagenden Lehrer stellen und damit – so Scholz – nicht etwa in einer gestalteten Lehr-Lernsituation, sondern aus einer Notsituation heraus, Solidarität lernen. Die Notsituation führt zu einem Schwur, den die Schüler dem Lehrer aufs Pult legen: »An Herrn Lehrer Rudolph! Wir schwören, daß wir Ihre furchtbaren Prügel von jetzt ab schweigend ertragen werden. Wir sind die körperlich Schwächeren, wollen aber beweisen, daß wir doch die geistig Stärkeren sind. Es ist keine Heldentat, ein Kind zu verhauen. Sind Kinder in Ihren Augen keine Menschen? So, wie Sie uns prügeln, ist es nämlich unmenschlich! Unser Schweigen ist gleichzeitig unser Protest!.« (A. a. O., S. 17)
3. Medienpädagogische Studien und Diskussionen
den damaligen hessischen Kultusminister Hartmut Holzapfel, der mit dem Spiegelredakteur Joachim Mohr unter dem Titel Fluchtreflex der Lehrer über den Schulalltag von morgen gesprochen hat5 und feststellte: »Neben dem traditionellen Unterricht muß es Phasen geben, in denen die Schüler selbstständig arbeiten. Das wird in der Informationsgesellschaft, in der sich das Wissen ständig wandelt, immer wichtiger. Ich denke auch an Stunden, in denen ältere Schüler den jüngeren etwas erklären und beibringen. Solche Tutorensysteme sind in den anglo-amerikanischen Ländern selbstverständlich. Wir glauben in Deutschland noch immer, daß Unterricht nur dann stattfindet, wenn ein Lehrer vor der Klasse steht. Das erzieht die Kinder nicht zur Selbständigkeit.« (Scholz 1996, S. 2) Präsentiert wird hier nicht nur die Idee, dass Kinder von Kindern lernen, sondern es wird eingefordert, dass Kinder von Kindern lernen. Ausformuliert wird auch, was sie voneinander lernen sollen: Kinder sollen sich selbst zur Selbstständigkeit erziehen. Nach Scholz wird mit diesem Zitat auf den Punkt gebracht, wie das Thema Kinder lernen von Kindern in bildungspolitischen und damit auch in von diesen geprägten wissenschaftlichen Diskursen vor allem verstanden wird: Schüler*innen werden zu Hilfslehrer*innen erklärt. »So ein Hilfslehrer bekommt seinen Lehrstoff von einem erwachsenen Lehrer vermittelt und soll ihn anderen Schülern beibringen. Im amerikanischen Sprachgebrauch redet man von ›peer-teaching‹ oder ›cross-age-teaching‹.« (A. a. O., S. 3) Damit wird dem von Autenrieth, Marquardt, Junge und Niesyto formulierten Anspruch im Kontext des Lernens mit, durch und über Medien in der Grundschule nicht widersprochen, aber es wird deutlich, dass nicht allein ein Wissen über den Alltag von Kindern bedeutsam für die Gestaltung von Lehr-Lernprozessen im Kontext von Medien ist, sondern auch ein Wissen darüber, wie Kinder lernen, um hier Zuschreibungen, die von dem ausgehen, was Erwachsene sich vorstellen, und nicht von dem, was für Kinder bedeutsam ist, erkennen zu können. So haben Deckert-Peaceman und Scholz folgend, Kinder ein anderes Verständnis von Lernen als von ihnen in der Schule erwartet wird: Kinder unterscheiden demnach vor allem zwischen Können und Nicht-Können. Können verstünden Kinder »sehr praktisch, als die Fähigkeit, etwas tun zu können. Die Handlung und nicht deren übergreifende Konzeptualisierung haben Kinder im Kopf, wenn sie gefragt werden, was sie können. Und diese Handlung wird nicht losgelöst konzeptualisiert von Situationen oder anderen Menschen, sondern als sinnvoll in diesen Kontext integriert.« (Deckert-Peaceman & Scholz 2016, S. 145) Kinder unterscheiden nach Deckert-Peaceman und Scholz etwas tun können von der Frage, wie etwas getan werden kann, wobei etwas tun können vor allem meint, Regeln folgend etwas mit dem Körper tun zu können: »Für Kinder […] erscheinen abstrakte Qualifikationen, wie etwa ›Schreiben-Können‹ als Fähigkeit, die zum Schreiben-Können gehörenden Körperbewegungen ausführen zu können, das geschriebene Wort lesen zu können und es in einem sinnvollen Zusammenhang sagen zu können.« (Ebd.) Schule verlange dagegen, dass Kinder unabhängig von ihrer Deutungswelt Aufgaben lösten. Bereits Schuleingangstests machen nach Deckert-Peaceman und Scholz deutlich, dass
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www.spiegel.de/spiegel/print/d-8870618.html vom 02.03.2019
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von Kindern vor allem erwartet wird, Aufgaben, die ihnen im Kontext von Schule gestellt werden, nicht im Kontext ihrer Deutungswelt, sondern von dieser abstrahiert zu bearbeiten: So sollen Kinder nicht malen, was sie kennen, z.B. den »Zaun vor dem eigenen Haus« (A. a. O., S. 146), sondern sie sollen so malen, »wie die Diagnostiker glauben, wie Kinder in einem bestimmten Entwicklungsstand in der Lage sein sollten Zäune zu zeichnen. Untersucht wird die Fähigkeit zur Dekontextualisierung, d.h. die Fähigkeit, von seinen eigenen Erfahrungen und seinem eigenen Wissen abstrahieren zu können.« (Ebd.) Dennoch werden solche Aufgaben als vom Kind ausgehend eingeordnet, weil sie etwas beschreiben, was als in der Welt von Kindern vorkommend angenommen wird. Wenn Deckert-Peaceman und Scholz schreiben, dass etwas Tun-Können für Kinder kontextualisiert ist, dann wird hier nicht verlangt, dass ein von Erwachsenen als kindorientiert eingeordneter Kontext für eine Aufgabe geschaffen wird, sondern dass von den Kontexten ausgegangen wird, die die Kinder mitbringen, also von genau dem Zaun, der vor ihrem eigenen Haus steht: In einer kindfähigen Schule müssten sich entsprechend informelle und formelle Bildung »nicht mehr entlang der Institutionen entwickeln, sondern entlang der Entwicklungsmöglichkeiten und Interessen einzelner Kinder.« (A. a. O., S. 143)
Digitale Medien strukturieren Lernprozesse mit Schaumburg betont nicht nur, dass Lernvoraussetzungen von Schüler*innen in der Gestaltung von Unterricht mit digitalen Medien zu berücksichtigen sind, sondern geht auch auf technische Voraussetzungen ein, die Hard- und Software erfüllen müssen. Aufgabe von Lehrer*innen sei es, digitale Medien »auf die entsprechenden Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler ab[zu]stimmen und methodisch-didaktisch sinnvoll in den Unterricht [zu] integrieren.« (Schaumburg 2018, S. 32) Die technischen Voraussetzungen, die nach Schaumburg zu erfüllen sind, sollen vor allem einen problemlosen Ablauf von Unterricht ermöglichen; Unterrichtsstörungen aufgrund technischer Probleme sind zu vermeiden. So schreibt die Autorin u.a. zum interaktiven Whiteboard: »Was die Ausnutzung der technischen Funktionalität angeht, wird in nahezu allen vorliegenden Überblicksarbeiten kritisiert, dass die interaktiven Möglichkeiten der Geräte nicht ausgeschöpft werden und technische Probleme bzw. Probleme mit der Bedienung der Geräte den Unterricht behindern (De Vita et al., 2014; Hennesy, 2017; Higgins, 2010; Kyriakou & Higgings, 2016).« (A. a. O., S. 33) Nach Schaumburg ist es daher notwendig, dass Lehrer*innen in die Lage versetzt werden, Potenziale zu erkennen, die digitale Medien wie ein interaktives Whiteboard für den Unterricht mitbringen, wobei sich diese erst durch eine didaktische Einbettung entfalten würden. (Vgl. a.a.O., S. 37) Nicht gefragt wird in diesem Zusammenhang, welche lerntheoretischen Annahmen die für interaktive Whiteboards oder andere digitale Medien programmierte Software strukturieren,welche sozialen Praktiken sie befördern oder auch verhindern, welche Erkenntnisse durch sie möglich sind bzw. sich durch sie repräsentieren lassen und welche nicht.
3. Medienpädagogische Studien und Diskussionen
Hinweise darauf, wie lerntheoretische Annahmen Software strukturieren, finden sich bei Paul Thomas Mohr. (Siehe Abb. 4) Nach Mohr wurden Anfang der 2000er Jahre in der Grundschule neben Betriebssoftware überwiegend Schreib-, Mal- und Lernprogramme eingesetzt. (Vgl. Mohr 2003, S. 57) Mohr unterscheidet hier mono- und polyvalente Software, wobei Monosoftware entsprechend eines programmierten Unterrichts genaue Vorgaben dazu macht, wie Inhalte zu bearbeiten sind: »Polyvalente Software ermöglicht dagegen unterschiedliches Herangehen und Lösen von Problemen. Informationen können auf verschiedene Weise gewonnen und auch ergänzt werden.« (A. a. O., S. 58) Abb. 4: Lernsoftware und Lerntheorien nach Mohr 2003, S. 27, eigene Darstellung
Karen Weddehage stellt knapp zehn Jahre später fest, dass der wissenschaftliche Diskurs über das Lernen »zwar vor allem von konstruktivistischen Leitgedanken getragen wird, dass die Lernsoftwareentwicklung jedoch immer noch von behavioristischem und kognitivistischem Gedankengut beherrscht wird…« (Weddehage 2011, S. 3) Lernsoftware werde vor allem genutzt, um bereits im Unterricht behandelte Inhalte zu wiederholen oder zu üben. Neben behavioristisch und kognitivistisch ausgerichteter Lernsoftware gebe es zwar auch Software, die eher konstruktivistischen Lerntheorien folgend gestaltet sei, diese würden Lehrer*innen aber oft nicht kennen. (Vgl. a.a.O., S. 12) Aktuelle Studien, mit denen nicht nur Lernsoftware bzw. Lernapps in den Blick genommen werden, sondern auch so genannte Kreativapps, bestätigen die Einordnung von Weddehage. So wurden im Rahmen des Projekts dileg-SL Kreativapps wie Book-
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Creator 6 , Comic Life7 oder Stop Motion Studio8 genutzt, um davon ausgehend gemeinsam mit Lehramtsstudent*innen der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg Unterrichtsmaterialien für die Grundschule zu entwickeln und gemeinsam mit Schüler*innen auszuprobieren. Die zu dieser Studie bisher präsentierten Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Wahl der Software mitbestimmt, ob es möglich wird, Räume zu öffnen, in denen Kinder Inhalte mitgestalten bzw. zu aktiven Produzent*innen von Medieninhalten werden können. Niesyto stellt hierzu fest, dass die an dem Projekt beteiligten Student*innen sehr motiviert waren »praxisbezogen digitale Möglichkeiten einer aktiv-produktiven Gestaltung in der Integration von Schrift, Ton, Foto und Bewegtbild kennenzulernen.« (Niesyto 2018, S. 16) Problematisch sei in diesem Zusammenhang jedoch, »dass die meisten Studierenden nur über rudimentäre Kenntnisse in der aktivproduktiven Gestaltung mit digitalen Medien verfügen. Auch zeigte sich in der konkreten Unterrichtspraxis, dass viele Studierende nur ansatzweise pädagogisch-didaktische Kompetenzen im Hinblick auf Unterrichtsgestaltung und Klassenführung haben…« (A. a. O., S. 16) Für Niesyto zeigt sich damit, dass das Lernen mit, durch und über digitale Medien mit Herausforderungen einhergeht, »die weit über fachdidaktische und medienpädagogische Grundkompetenzen hinausreichen und grundlegende Fragen betreffen (Auseinandersetzung mit dem eigenen Bildungs- und Lernverständnis; ›Reflexivität‹ als Haltung; Fähigkeit zu eigenen, kriteriengeleiteten Einschätzungen und Bewertungen etc.).« (Ebd.) Eine Auseinandersetzung mit Bildungs- und Lernverständnissen oder auch die Entwicklung der Fähigkeit, kriteriengeleitet Einschätzungen und Bewertungen vorzunehmen, erscheint mir aber nicht nur notwendig für einen aktiv-produktiven Umgang mit digitalen Medien, sondern auch für deren Auswahl. Zu berücksichtigen ist hier, wozu die Medien jeweils herausfordern: Denn Materialien – und damit auch digitale Medien –, die für den Grundschulunterricht angeboten oder für diesen als geeignet eingeordnet werden, sind im Sinne eines Kulturprodukts nicht nur Ausdruck kultureller Praxis, sondern strukturieren diese auch mit; ein didaktisch begründeter Einsatz digitaler Medien setzt voraus, dass diese als Kulturprodukte wahrgenommen werden.
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Zu Book Creator schreiben die Redakteure der App-Datenbank des Deutschen Jugendinstituts: »Book Creator ist eine Kreativ-App, mit der auch jüngere Kinder schon selbstständig ein eigenes eBook erstellen können. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig: Es können beispielsweise Geschichten abgebildet und vertont, Ereignisse aus dem Alltag festgehalten, Buchvorstellungen präsentiert oder Geräuschrätsel aufgenommen werden.“ (https://www.dji.de/en/the-dji/projects/ projekte/apps-fuer-kinder-angebote-und-trendanalysen/datenbank-apps-fuer-kinder/projektapps-fuer-kinder-praxisbericht-book-creator.html vom 02.03.2019) Die App Comic Life kam u.a. in dem Teilprojekt »Intermediales Geschichtenverstehen und Digital Storytelling« vor. Comic Life ist »eine App mit der Fotos, Texte und graphische Elemente in vorgefertigten Formatvorlagen miteinander kombiniert werden können. In den Unterrichtsversuchen wurde die App dazu eingesetzt, eine selbsterdachte Geschichte als Foto-Story umzusetzen. […] Mit der App kann die Tablet-Kamera angesteuert und erstellte Fotos direkt in die Geschichte eingefügt werden.« (Boelmann, König & Rymeš 2017, S. 2) Die App Stop Motion Studio, »zeichnet sich durch eine zunächst sehr einfache Bedienoberfläche aus. Weitgehend intuitiv bedienbar ist es damit möglich, beispielsweise einfache Alltagsgegenstände, aber auch fein ausgearbeitete Legetrick- oder modellierte Knetfiguren mit der sogenannten StopMotion-Technik zum Leben zu erwecken.« (Imort & Trüby 2017, S. 3)
3. Medienpädagogische Studien und Diskussionen
Das Projekt dilegSL zeigt vor allem, welche Bedeutung digitale Medien für die aktive Medienarbeit in der Grundschule haben können. Digitale Medien sind aber auch als Repräsentationen von Bedeutung, mit denen etwas von Welt gezeigt wird, was nicht direkt zur Darstellung gebracht werden kann. Klaus Mollenhauer folgend ist damit immer auch zu fragen, wie sich eine Repräsentation zu dem verhält, was repräsentiert werden soll. (Vgl. Mollenhauer 1998, S. 77) Scholz verlangt daher eine pädagogische Begründung für den Einsatz von Materialien und Medien und erläutert dies näher am Beispiel des Sachunterrichts:9 »Seine grundsätzliche didaktische Zielsetzung besteht […] darin, mit Sachzusammenhängen umzugehen und nicht mit Bildern und Texten über Sachen. Mit Sachen umgehen kann heißen, sie in Realität, also außerhalb von Schule aufzusuchen oder sie in die Schule hereinzuholen.« (Scholz 2004, o. S.) Ist ein direkter Umgang mit Sachzusammenhängen also möglich, sollte dieser – im Sinne der grundsätzlichen didaktischen Zielsetzung des Sachunterrichts – nicht durch Materialien und Medien ersetzt werden. (Vgl. ebd.) Damit schließt Scholz nicht aus, dass Materialien und damit Medien zum Einsatz kommen. So ist ein Einsatz von Medien für ihn nachvollziehbar, wenn es um Dinge in dieser Welt geht, mit denen es nicht möglich ist, direkt umzugehen: »Etwa: Einen Ameisenhaufen darf man nicht zerstören und eine Schulklasse kann man nicht bei einer Geburt zuschauen lassen.« (Ebd.) Auch könnten Materialien, Bücher, Bilder und damit digitale Medien Anregungen für einen Umgang mit den Dingen liefern und Komplexität reduzieren. (Vgl. ebd.) Werden aber Dinge in dieser Welt über Medien repräsentiert, werden diese nur abgebildet und sind entsprechend als Abbilder zu präsentieren: »Die Grundformel für das, was heute pädagogische Repräsentation sein kann, wäre also, daß wir Kindern sagen: ›Ceci n’est pas le monde.‹ Nur ein Abbild, nur eine Spiegelung.« (Mollenhauer 1998, S. 77) Die Notwendigkeit, dass angehende Grundschullehrer*innen, die in Zukunft im Unterricht mit Medien umgehen sollen, sich nicht nur mit ihrem eigenen Bildungsund Lernverständnis auseinandersetzen, sondern auch wissen, inwiefern Materialien und Medien die Auseinandersetzung mit den Dingen in dieser Welt verändern bzw. strukturieren,10 soll im folgenden Abschnitt an Hand von Überlegungen, die aus Tex9
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Der Sachunterricht ist für das Lernen mit, durch und über digitale Medien in der Grundschule von besonderer Bedeutung. So schreibt Markus Peschel dem Sachunterricht folgende Aufgaben zu: »Die Grundschule nimmt als Sozialisations- und Bildungsinstanz eine besondere Rolle bei einer systematischen Medienerziehung – insbesondere im Sachunterricht – ein. Während in anderen Fächern eher Übungsprogramme bzw. Apps zum Lernen genutzt werden, sind im Sachunterricht vor allem das Recherchieren, Informieren und Kommunizieren wichtige Elemente bei der Arbeit.« (Peschel 2016, S. 33) Und: »Diese Hervorhebung des Lernens mit und über Medien im Sachunterricht hat demnach die wesentliche Aufgabe, neben dem Lernen mit Medien im Sinne eines fachdidaktischen Nutzens vor allem das Lernen über Medien zu thematisieren und im Sinne einer Sachbegegnung zu reflektieren.« (A. a. O., S. 34) Daran scheinen sich aktuelle Forderungen nach mehr Wissen über »Technologien, technische Abläufe und Prozesse« (Knaus 2017, S. 63) anknüpfen zu lassen. So schreibt Thomas Knaus: »Da nun gerade digitale Technik mehr ist als ein bloßer ›Mittler‹, sondern sie auch an der Herstellung von (Medien-)Inhalten beteiligt ist (vgl. Schelhowe 2007: 45f.) und selbst Interpretationen vornimmt, rückt ein weiteres Ziel von Medienkompetenz in den Fokus der Betrachtung: die Kenntnis der technischen und organisatorischen Bedingungen. Wichtig ist also, dass alle Menschen in der Lage sind, die Technik selbst, die Algorithmen, auf deren Grundlage sie arbeitet, sowie generell Prozesse der
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Kinder. Medien. Kontrolle.
ten von Stefan Welling, Gerold Scholz und Patrick Sunnen stammen, näher erläutert werden.
Digitale Artefakte und Praxis Mit der Frage, welche sozialen Praktiken digitale Medien ermöglichen und welche sie möglicherweise verhindern, hat sich u.a. Welling näher auseinandergesetzt, wobei er sich auf Tablets fokussiert und zunächst einmal davon ausgeht, dass die »Qualitäten digitaler Artefakte u.a. darin [bestehen], dazu beizutragen, soziale und andere Beziehungen zu novellieren, zu vermitteln, zu mobilisieren, zu materialisieren sowie zu intensivieren.« (Welling 2017, S. 23) Er verweist auf Arnd-Michael Nohl und seine Pädagogik der Dinge (vgl. Nohl 2011) und damit auf die Akteur-Netzwerk Theorie von Bruno Latour, dessen Kernthese Ingo Schulz-Schaeffer wie folgt fasst: »Wissenschafts- und Technikentwicklung […] ist das Resultat der Verknüpfung heterogener Komponenten zu Netzwerken, ein Prozess, der in dem Maße erfolgreich ist, in dem es gelingt, die beteiligten Komponenten dazu zu bringen, sich in einer aufeinander abgestimmten Weise zu verhalten.« (Schulz-Schaeffer 2000, S. 187) Technische Artefakte fordern demzufolge Handlungen heraus, aber steuern deshalb nicht den Umgang mit ihnen: »Die Eigenschaften und Verhaltensweisen der beteiligten belebten oder unbelebten Natur, die der involvierten technischen Artefakte und die der betreffenden Akteure, Normen oder Institutionen – sie alle sind Gegenstand und Resultat der wechselseitigen Relationierungen im Netzwerk. Und zugleich werden sie allesamt als die (potentiellen) Handlungssubjekte solcher Prozesse betrachtet.« (Ebd.) Die Verbindung zwischen Mensch und Ding drücke sich in sozialen Praktiken aus und finde nicht isoliert statt, sondern in Erfahrungsräumen (vgl. Welling 2017, S. 28), in denen sich handlungsleitende Orientierungen ausbilden. In Bezug auf die Frage, welche handlungsleitenden Orientierungen und Konstruktionen von Kind und Kindheit sich im Kontext von Medienentwicklungen herausbilden, merkt Scholz an, dass die »technologische Entwicklung, wofür die Neuen Medien hier als Metapher stehen, […] Entstehung und Reproduktion von Wissen nachzuvollziehen.« (Knaus 2017, S. 63) Gemeint sei damit nach Knaus nicht, dass es darum geht »technische Prozesse umfänglich erschließen oder ›programmieren‹ zu können […], sondern ein Grundverständnis für Technologien«. (Ebd.) Er betont, dass »neue Techniken und Technologien unsere Gesellschaften und die Interaktionen der Individuen innerhalb dieser Gesellschaften [verändern]« (a.a.O., S. 61) und dass es Diskurse darüber geben müsse, »was Technik darf und künftig können soll.« (Ebd.) Versprochen wird keine Emanzipation durch Programmierkenntnisse, vielmehr wird betont, dass digitale Medien – wie andere Medien auch – von Menschen hervorgebracht werden. Entscheidend sei, Angst vor der Technik zu nehmen (vgl. a.a.O., S. 52); dies soll nicht zuletzt über die aktive Gestaltung digitaler Medien möglich werden, die erfahrbar mache, dass Algorithmen von Menschen gemacht seien. (Vgl. a.a.O., S. 51) Wenn es aber darum gehen soll, was Technik darf und künftig können soll, erscheint die Formel »Fürchte dich nicht. Gestalte!« (a.a.O., S. 49) zu kurz gefasst, denn – wie Knaus selbst herausstellt –, neue Technologien verändern Gesellschaft; die Veränderung findet aber nicht auf Ebene der Algorithmen statt, bzw. hilft mir das Wissen darüber, wie ein Algorithmus funktioniert nicht, die Frage zu beantworten, was Technik können soll und darf; auch ist damit nicht erkennbar, welche Informationen von wem mit welchen Interessen ausgewählt und digital bereit gestellt und als Wissen über die Welt präsentiert werden und welche nicht.
3. Medienpädagogische Studien und Diskussionen
zu neuen Kindheitsbildern [führt], deren gesellschaftliche Konsequenzen nur gelegentlich aufscheinen, von denen sich aber sagen lässt, dass sie tiefgreifende Veränderungen in unserer Kultur zur Folge haben werden.« (Scholz 1996, S. 21) So würden Kinder zunehmend als diejenigen dargestellt, die besser mit digitalen Medien umgehen könnten als ihre Eltern, womit die traditionelle Vorstellung, dass die Älteren das Wissen über die Welt an die Jüngeren weitergeben, ins Wanken gerate. (Vgl. ebd.) Damit stellt sich für mich die Frage, ob und inwiefern sich Vorstellungen von Kind und Kindheit und Vorstellungen davon, wie Kinder lernen, die Diskurse über das Lernen mit, durch und über Medien in Grundschule strukturieren – und damit sich aus ihnen ergebende didaktische Konzepte und Methoden, die angehende Grundschullehrer*innen anwenden (können) –, im Zuge aktueller Medienentwicklungen wandeln. Sunnen hat näher untersucht, was Kinder überhaupt am Computer lernen (können). Er fragt in seiner Studie: Welchen »Sinn macht das Einbeziehen des Computers in das schulische Aufgabenfeld, d.h. lernen Kinder dabei etwas, was sie ohne Computer nicht lernen würden«? (Sunnen 2006, S. 141) Dafür hat Sunnen in einer dritten Klasse teilnehmend beobachtet: »Mit Hilfe von digitalen Videokameras habe ich sowohl die Kindergruppe vor dem Computer als auch das Geschehen am Bildschirm aufgezeichnet.« (Ebd.) Da Interpretationen auch hypermedial dargestellt werden, ordnet Sunnen seine Studie unter anderem dem Ansatz der digitalen Ethnografie nach Ricki Goldman-Segall zu.11 (Vgl. ebd.) Damit wird deutlich, dass Sunnen die Studie so angelegt hat, dass sie nicht auf den Computer als Werkzeug reduziert. Sunnen konzentriert sich vor allem auf das Handeln von Kindern am Computer: Es kann »nicht nur darum gehen, dass die Kinder die Kompetenz aufbauen, mit einer Videoschnittsoftware einen Film zu bearbeiten, also zu wissen, wie und wann sie die Computerzeichen am Bildschirm manipulieren müssen, um zu einem bestimmten Ergebnis zu kommen.« (Sunnen 2006, S. 143) Vielmehr gehe es darum zu erkennen, dass »die Beziehungen zwischen den vorhandenen Zeichen und Bedeutungen (dies enthält die Beziehung zwischen den Handelnden und den Dingen) entsprechend den Affordanzen des Computers neu organisiert und gestaltet [werden], so dass neue Zeichen und neue Bedeutungen entstehen.« (Ebd.) Entsprechend werde der Computer von den Kindern in der Studie u.a. mit seinen Möglichkeiten entdeckt, neue Wirklichkeiten zu schaffen, aber auch als »Sinnbild der Postmoderne, worin m.E. sein eigentlicher Bildungswert liegt, denn die Mehrdeutigkeit der Computerzeichen enthält u.a. die Lernmöglichkeit, sich auf verschiedenen Bedeutungsebenen (z.B. durch ironisierende Distanzierung) zu bewegen, 11
Die digitale Ethnografie hat sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt bzw. ausdifferenziert; entsprechend sind neue Bezeichnungen, aber auch neue Perspektiven hinzugekommen. So schreiben Daniel Domínguez, Anne Beaulieu, Adolfo Estalella, Edgar Gómez, Bernt Schnettler und Rosie Read im Forum Qualitative Sozialforschung: »Die gegenwärtige virtuelle Ethnografie ist ein sehr heterogenes Feld, und über die vergangenen Jahre hinweg sind kontinuierlich neue Vorschläge unterbreitet worden. Der methodologische Ansatz einer virtuellen Ethnografie ist dabei kontinuierlich erweitert und reformuliert worden: Digitale Ethnografie, Netnografie, Ethnografie im (oder über bzw. durch das) Netz, Webnografie, Cyberethnografie usw. lauten beispielsweise die in diesem Forschungsfeld verbreiteten Bezeichnungen. Jeder dieser Ansätze tritt mit der etablierten ethnografischen Praxis in einen eigenen Dialog.« (Domínguez, Beaulieu, Estalella, Gómez, Schnettler & Read 2007, o. S.)
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die die Kinder hier [in der Studie von Sunnen, G.K.] auch realisieren.« (A. a. O., S. 145) Das Medium ermögliche, dass »Kinder den Dingen, sich selbst und anderen begegnen, sie organisierend und gestalterisch tätig werden (können).« (Ebd.) Sunnen folgert aus den Handlungen, die die Kinder in seiner Studie am Computer präsentieren, »dass unser Umgang mit dem Computer, unser Verhältnis zu uns selbst und zu der uns umgebenden Welt unter vollständig neue Bedingungen gestellt wird.« (Ebd.) Für ihn wird deutlich, dass sich Denk- und Handlungsmuster mit einem zunehmenden Einsatz von Computern grundsätzlich verändern werden: »Auch die Schule wird sich dem nicht entziehen können, da das, was wir unter Lehren und Lernen verstehen, viel grundsätzlicher in Frage gestellt wird, als die meisten Pädagog/innen wahrhaben wollen.« (Ebd.) Welcher Art die Veränderungen genau sein werden, ist nach Sunnen nicht bis zuletzt auszumachen. Konkret genannt wird von ihm jedoch die Notwendigkeit, »Wissensformen zu vermitteln, die nicht Antworten auf gegenwärtige Fragen geben, sondern es den Kindern ermöglicht [sic!], sich in ihrer Zukunft mit Fragen auseinanderzusetzen, von denen zurzeit niemand etwas ahnen kann. Dazu gehören auch der Umgang mit Vielstimmigkeit und das Aushalten von Widersprüchen.« (Ebd.)
3.5
Medien verändern Lernkulturen
In mehreren Studien wird nicht wie von Sunnen danach gefragt, was Kinder am Computer lernen (können), sondern inwiefern der Einsatz des Computers bzw. digitaler Medien Lernkulturen entsprechend für das Lernen angenommener positiver Eigenschaften fördern kann. Breiter, Aufenanger, Averbeck, Welling und Wedjelik nennen hier u.a. Mayrberger, die sich mit der Frage beschäftigt hat, inwiefern der Computereinsatz soziales bzw. kooperatives Lernen unterstützen kann. Besonders interessiert hat die Autorin, wie digitale Medien partizipatives Lernen ermöglichen können. In einem Aufsatz von 2012 stellt sie hierzu fest: »Das partizipative Netz bietet neben offensichtlichen Grenzen (u.a. Reinmann, Sporer und Vohle 2007; Schulmeister 2009; Grell und Rau 2010) das Potenzial, vielfältiger miteinander kommunizieren und interagieren zu können, kollaborativ und kooperativ zu arbeiten sowie Inhalte zu produzieren und zu veröffentlichen.« (Mayrberger 2012a, S. 2/25) Mayrberger geht davon aus, dass Social Media partizipatives Lernen nicht nur ermöglicht, sondern grundsätzlich herausfordert – unter der Bedingung, dass »ihr Potenzial bei den didaktischen Entscheidungen und in der methodischen Gestaltung des Unterrichts ausgeschöpft wird.« (A. a. O., S. 3/25) Die Autorin beschreibt aber auch das Paradox der verordneten Partizipation im Unterricht: So könnten mediendidaktische Entscheidungen für die Unterrichtsgestaltung zu der Annahme führen, Partizipation im Unterricht werde ermöglicht, ohne dass dem tatsächlich so sei. Um das Paradox näher zu erläutern, klärt sie zunächst den Begriff der Partizipation: »Insgesamt lässt sich sagen, dass Partizipation von der Bereitschaft der einen Seite lebt, Verantwortung für Entscheidungen bzw. Entscheidungsmacht abzugeben und durch die Bereitschaft und Kompetenz der anderen Seite, Verantwortung für Entscheidungen zu übernehmen.« (A. a. O., S. 5/25) An einem partizipativ gestalteten Prozess könnten Einzelne teilnehmen, aber auch Gruppen »wie z.B. Politiker und Bürger, Lehrende
3. Medienpädagogische Studien und Diskussionen
und Lernende oder Eltern und Kind/er. Partizipation betrifft demnach allgemein das Verhältnis von Akteuren zueinander und die Machtverteilung zwischen ihnen.« (Ebd.) Mayrberger präsentiert dazu ein Stufenmodell, mit dem es für sie möglich wird, den Grad der Partizipation einzuordnen: »Für den vorliegenden Beitrag erscheint vor allem das Neun-Stufen-Modell von Schröder (1995) zum Grad der Beteiligung oder Einmischung von Kindern zwischen Fremdbestimmung und Selbstorganisation anschlussfähig. Denn hier wird mit spezifischen Begriffen wie Mitbestimmung und Selbstbestimmung gearbeitet, wie sie seit Längerem im Zuge der Diskussion um offene Lehr- und Lernformen verwendet werden (vgl. u.a. Häcker 2007) und wie sie zur Zeit auch in der Diskussion um das Social Web (vgl. u.a. Reinmann 2010) eine zentrale Rolle spielen.« (A. a. O., S. 6/25) Die Stufen beginnen mit der Fremdbestimmung, der Alibi-Beteiligung, dem Mitmachen und führen von der Selbstbestimmung bis hin zur Selbstverwaltung und -organisation. Ausgehend von diesem Stufenmodell beginnt für Mayrberger Partizipation erst da, wo sie voraussetzungsfrei ist. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die Idee des Offenen Unterrichts und auf Merkmale von Projektarbeit, die sich nach Herbert Gudjons (2008) u.a. durch Zusammenarbeit und solidarisches Handeln der Schüler*innen auszeichnet. Trotz dieser Konzepte und der Möglichkeiten, die digitale Medien bieten, wird nach Mayrberger Unterricht selten wirklich partizipativ gestaltet. (Vgl. a.a.O., S. 9/25) Notwendig wäre hierfür zunächst einmal eine Klärung der Rollen, die Lernende und Lehrende innehaben: So hätten Lehrer*innen einerseits die Aufgabe, Lernumgebungen so zu gestalten, dass sich ein Raum öffne, in dem alle an der Aushandlung von Lernzielen, -inhalten und -formen beteiligt werden. »Andererseits müssen Lernende diese zur Verfügung gestellten Räume auch wahrnehmen wollen und können und hier folgenreiche Entscheidungen hinsichtlich des eigenen Lernprozesses treffen (dürfen).« (A. a. O., S. 10/25) Umgegangen werden müsse zudem mit dem Widerspruch, der sich aus der Anordnung ergebe, autonom bzw. voraussetzungsfrei zu handeln: Damit werde verlangt zu etwas freiwillig bereit zu sein. (Vgl. a.a.O., S. 11/25) Herausfordernd sei nach Mayrberger darüber hinaus, dass es nicht nur auf den Einsatz digitaler Medien im Unterricht und didaktische Entscheidungen ankommt, sondern darauf, die Schüler*innen zu einem partizipativen Lernen zu befähigen: »Mit der Integration von Social Software in pädagogische Zusammenhänge geht zugleich auch die Aufgabe einher, den Lernenden das Lernen im und mit dem Social Web beizubringen, damit sich hier nicht eine weitere Quelle für die ›Digital Divide‹ auftut. Erst die allmähliche Übertragung von Verantwortung für die Gestaltung der gemeinsamen und eigenen Lernprozesse kann die Kompetenz möglichst vieler Lernender stärken, eröffnete Handlungsräume für sich selbstbestimmt nutzen zu können. Wenn Schüler/innen beispielsweise ganz im Sinne der konstruktivistisch orientierten Perspektive der Sinn zur Nutzung eines Blogs oder von virtuellen Lesezeichensammlungen erfahrungsorientiert und situiert deutlich wird, wissen sie um deren Potenziale für das Lernen und können solche Anwendungen bei Bedarf auch an anderer Stelle selbst nutzen.« (A. a. O., S. 16/25)
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Die Anforderungen, die daran anschließend Lehrkräfte zu erfüllen haben, sind für Mayrberger »ein relativ hohes Mass einer erweiterten (medien-)didaktischen und (medien-)pädagogischen Kompetenz […], um den Lernenden die Chancen dieser Lernform mit digitalen Medien adäquat durch Eröffnung entsprechender Lernräume zu ermöglichen und letztlich auch die sinnvolle individuelle, kooperative und kollaborative Verwendung von Social Software wie Blogs, Social Bookmarking oder die Arbeit mit Wikis für das individuelle und gemeinsame Lernen ›beizubringen’…« (A. a. O., S. 17/25) Mayrberger begründet die Bedeutung des partizipativen Lernens u.a. mit Franz Emanuel Weinert und stellt damit auch eine Verbindung zwischen partizipativem Lernen, Selbstbestimmung und Selbststeuerung her: »Weinert plädiert ausdrücklich für die Relevanz der institutionellen Förderung von Kompetenzen zur Selbststeuerung: ›Wer die Autonomie und Mündigkeit des Menschen sowie die Erziehung zu lebenslangem Lernen als übergeordnete pädagogische Ziele verbindlich akzeptiert, wird der Förderung des selbstgesteuerten Lernens in der Schule besondere Aufmerksamkeit widmen müssen‹ (ebd., S. 103).« (A. a. O., S. 10/25) Wird mit dem Verweis auf das Konzept des Offenen Unterrichts und Projektarbeit zunächst die Idee einer Orientierung am Kind platziert, macht die Autorin mit dem Zitat von Weinert nun einen Bedeutungsraum auf, in dem die Berücksichtigung der Ideen, Vorstellungen oder auch Bedürfnisse aller mit einer Individualisierung von Verantwortung einhergehen: Selbststeuerung schließt immer auch Selbstverantwortung ein und verweist damit auf Individualisierungsprozesse, die nach Deckert-Peaceman und Scholz insgesamt in der Grundschule zu beobachten sind. Der Individualisierungsbegriff beschreibe hier nicht nur eine zunehmende Autonomie, sondern auch ein höheres »Maß an Selbstkontrolle und Selbstverantwortung.« (Deckert-Peaceman & Scholz 2016, S. 43) Während selbstbestimmtes Arbeiten bzw. Lernen eigene Lernwege zulässt, ist selbstreguliertes Lernen vorstrukturiert und vorbestimmt und dieser Vorstrukturierung und Vorbestimmung entsprechend umzusetzen. Das Zitat von Weinert formuliert aber auch pädagogische Ziele, mit denen die für Partizipation notwendige Voraussetzungslosigkeit, die Mayrberger als größte Herausforderung beschreibt, nicht mehr nur als eine Herausforderung innerhalb von Unterricht und Schule offenbar wird, sondern als eine Herausforderung, die auch von außen an Schule herangetragen wird. Mayrberger löst das Dilemma mit der Idee, Kinder zu Partizipation zu befähigen; doch lässt sich das Dilemma so nicht lösen, sondern nur umformulieren: Kinder werden dazu gebracht, etwas freiwillig zu tun. Von einer Freiwilligkeit des Kindes kann im Kontext von Erziehung nach Scholz jedoch grundsätzlich nicht ausgegangen werden, da Erziehung nicht vom Kind kommt, sondern von den Erwachsenen, die sie für notwendig halten. (Vgl. Scholz 2001, S. 29) Obwohl in medienpädagogischen Texten wiederholt das Potenzial digitaler Medien für die Weiterentwicklung von Lernkulturen betont wird, greifen medienpädagogische Publikationen, die sich auf Schule beziehen, bis heute auf Grundvorstellungen und Dimensionen zum Lernen mit, durch und über Medien zurück, die Tulodziecki bereits in den 1990er Jahren entwickelt hat, wie die folgende Auseinandersetzung mit Thesen zur Bedeutung von Medien für Schule und Unterricht zeigt.
3. Medienpädagogische Studien und Diskussionen
3.6
Medien in Schule und Unterricht
Tulodziecki stellt zunächst einmal heraus, dass Bedeutungen, die digitalen Medien für Schule zugeschrieben werden, von dem in gesellschaftlichen Diskursen vorherrschendem Verständnis von Schule und Lernen abhängig sind. (Vgl. Tulodziecki 1999, S. 20) Dieses Verständnis sei wiederum von Medienentwicklungen abhängig: »In der öffentlichen Diskussion um ›Multimedia‹ und ›Computernetze‹ ist unbestritten, daß sich die Schule unter dem Einfluß der Informations- und Kommunikationstechnologien erheblich wandeln muss. Die Wandlungsnotwendigkeiten werden zum Teil mit dem Hinweis begründet, daß die Schule nicht mehr über ihr traditionelles Informations- und Lernmonopol verfüge…« (Ebd.) Die Forderung, dass Schule sich aufgrund aktueller Medienentwicklungen wandeln muss, lässt sich demnach offensichtlich nicht auf die Frage beschränken, »ob man mit neuen Medien besser lernen [Hervorheb. G.K.] kann als im herkömmlichen Unterricht oder wie viele Netzanschlüsse oder Multimedia-PCs eine Schule benötigt …« (Ebd.) Obwohl die Bedeutung von Medienentwicklungen von Tulodziecki selbst herausgestellt wird, werden Antworten, die die Medienpädagogik auf die Frage gibt, wie das Lernen mit, durch und über digitale Medien in (Grund-)Schule zu gestalten ist, ausgehend von Grundvorstellungen und Dimensionen beantwortet, die Tulodziecki vor drei Jahrzehnten formuliert hat. So ordnet Blömeke in ihrer Publikation zur medienpädagogischen Kompetenz Tulodziecki als denjenigen ein, der »für die medienpädagogische Tradition einer Auseinandersetzung mit der Medienthematik aus Sicht der Schulpädagogik und Allgemeinen Didaktik [steht]…« (Blömeke 2000, S. 64) Und noch siebzehn Jahre danach schreibt Eickelmann mit Verweis auf Tulodziecki: »Der Begriff der Medienkompetenz ist in Deutschland für den Schulbereich seit nunmehr 20 Jahren konzeptionell einschlägig beschrieben.« (Eickelmann 2017, S. 146) Auch der Band mit dem Titel Medienbildung in Schule und Unterricht, den Tulodziecki, Herzig und Grafe 2010 veröffentlicht haben und der Möglichkeiten für das Lehren und Lernen mit, durch und über Medien in der Schule präsentiert, baut auf den Grundvorstellungen und Dimensionen auf, die Tulodziecki in den 90er Jahren ausgearbeitet hat. Das hierzu entwickelte Kompetenz-Standard-Modell für die Medienbildung (vgl. Tulodziecki, Herzig & Grafe 2010, S. 367ff.) wird 2019 von Heike Schaumburg und Doreen Prasse als ein Modell eingeordnet, »das aus einer systematischen Problemanalyse konkrete Hinweise für medienpädagogische Handlungsfelder in und außerhalb der Schule herleitet« (Schaumburg & Prasse 2019, S. 110); entsprechend sollen im Folgenden die Grundvorstellungen und Dimensionen, die Tulodziecki ausgearbeitet hat, näher vorgestellt werden. Für die Ausarbeitung der Grundvorstellungen und Dimensionen zum Lernen mit, durch und über Medien im Kontext von Schule hat Tulodziecki zunächst im Fachdiskurs dominierende Grundvorstellungen zur Schule näher betrachtet, denn mit »verschiedenen Grundvorstellungen zur Schule sind in der Regel auch unterschiedliche Auffassungen zur Bedeutung von Medien verbunden.« (Tulodziecki 1999, S. 21) Um diese Abhängigkeit zu verdeutlichen, präsentiert er fünf dieser Grundvorstellungen und mit ihnen einhergehende Bedeutungen, die Medien zugeschrieben werden:
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Kinder. Medien. Kontrolle. 1. Wird Schule »als Einrichtung und zur Vermittlung nützlicher Kenntnisse und Fertigkeiten betrachtet« (a.a.O., S. 21), ist davon auszugehen, dass Medien vor allem als Mittel angesehen werden, »die den Erwerb von Kenntnissen und Fertigkeiten optimieren können, und andererseits als beruflich und gesellschaftlich relevante informationstechnische Systeme, zu deren Nutzung bestimmte Kenntnisse und Fertigkeiten benötigt werden.« (Hervorheb. i. Orig., ebd.) 2. Mit Verweis auf Rousseau stellt Tulodziecki fest, dass Schule auch als Raum verstanden wird, der Kinder schützen und bewahren soll, in dem sie »unmittelbare Erfahrungen frei von gesellschaftlichen Zwängen […] [machen können] und sich in natürlicher Weise […] entwickeln. […] In diesem Falle werden Medien als zivilisatorische und gesellschaftliche Erscheinungen eher als hinderlich für die kindliche Entwicklung betrachtet. Im Extremfall werden sie sowohl als Mittel als auch als Gegenstand schulischen Lernens abgelehnt.« (Ebd.) 3. Mit Blick auf politische Kaderschulen, aber auch auf Waldorfschulen lässt sich Schule »als Institution zur Durchsetzung und Legitimation eines politisch oder weltanschaulich fundierten Programms« (Hervorheb. i. Orig., ebd.) verstehen. Je nachdem wie geeignet Medien hier erscheinen, das Programm durchzusetzen und zu legitimieren, werden sie bedeutsam für Schule. (Vgl. ebd.) 4. Eine Vorstellung von Schule, in der davon ausgegangen wird, dass diese ein »Ort der Persönlichkeitserziehung und -bildung und als Hilfe zur Vorbereitung auf das Leben in der Gesellschaft« (Hervorheb. i. Orig., ebd.) ist, betont nach Tulodziecki vor allem den Dialog und Begegnungen von Mensch zu Mensch, so dass »gegenüber den Medien als Mittel von Lehr- und Lernprozessen eher Zurückhaltung geübt [wird], während der Auseinandersetzung mit Medien als Inhalt des Lernens eine wichtige Funktion im Sinne der Vorbereitung auf die Gesellschaft zugestanden wird.« (A. a. O., S. 21f.) 5. Verstanden wird Schule auch als Einrichtung, die »allen Kindern und Jugendlichen gleiche Chancen auf den Erwerb von Qualifikationen bieten soll.« (Hervorheb. i. Orig., a.a.O., S. 22) Schule erteilt in diesem Verständnis auch »Berechtigungen auf weitere Bildungswege und berufliche Laufbahnen. Medien können dabei als Hilfe für eine angemessene Qualifikationsvermittlung, als eigener Qualifikationsbereich und als Mittel der Prüfungsobjektivierung zur Absicherung von Berechtigungen angesehen werden.« (Ebd.)
Diese Grundvorstellungen zur Schule sind nach Tulodzieki historisch bedingt, tauchen aber nicht in der Reihenfolge auf, in der er sie präsentiert. Vielmehr sei es so, dass sie nebeineinander existierten. Entsprechend legt sich auch Tulodziecki nicht auf eine Grundvorstellung fest, von der ausgehend er Dimensionen bzgl. des Lernens mit, durch und über Medien ausarbeitet, sondern erklärt einzelne Aspekte aus den unterschiedlichen Verständnissen von Schule für bedeutsam. Besonders hervorgehoben wird von ihm � mit Verweis auf Ilse Lichtenstein-Rother und Edeltraud Röbe � die Schule als Lernort, als Erfahrungs-, Entwicklungs- und Lebensraum. Damit macht Tulodziecki deutlich, dass er von dem Anspruch ausgeht, dass die Grundschule Kindern ermöglichen soll, ihren Weg zu finden und zu bestimmen, was nach Lichtenstein-Rother und Röbe wiederum eine Lehrkraft voraussetzt,
3. Medienpädagogische Studien und Diskussionen
»die sich dem Kind zuwendet, ihm die Gehalte erfahrbar und transparent macht und die den Auftrag der Schule als Anforderung an ihre eigene Person versteht. Die Kinder bedürfen aber auch des Raumes als einer vorgeordneten Lebenswelt, der Geborgenheit und Sicherheit ermöglicht, weil er dem Kind und seinen Lebensbedürfnissen gemäß ist, weil er ihm Spielraum gibt, kindgemäß zu handeln und zu lernen. Auf der Grundlage dieser Sicherheit und Geborgenheit erweitert sich dann der schulische Raum in neue Erfahrungsmöglichkeiten und -ebenen.« (Lichtenstein-Rother & Röbe 2005, S. 19) Diesem Verständnis von Schule folgend sind Medien nach Tulodziecki »Hilfsmittel des Lernens und der Entwicklungsförderung« (Tulodziecki 1999, S. 22), aber auch einzuordnen »als wichtige Elemente der Erfahrung und der Lebenssituation bzw. als bedeutsamer Gegenstand inhaltlicher Auseinandersetzung.« (Hervorheb. i. Orig., ebd.) Grundlegend für seine Entwicklung von Grundvorstellungen und Dimensionen bzgl. des Lernens mit, durch und über Medien in der Grundschule ist zudem eine Leitidee für Schule, die sich für ihn in einer Informationsgesellschaft ergibt, und die er ausgehend von Zielen zusammenfasst, die die Kultusministerkonferenz (KMK) und die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung für Schule festgelegt haben: »Die Schülerinnen und Schüler sollen die Fähigkeit und Bereitschaft zu einem sachgerechten, selbstbestimmten und kreativen Handeln in sozialer Verantwortung erwerben.« (A. a. O., S. 23) Sachgerecht, selbstbestimmt, kreativ und in sozialer Verantwortung handeln sind damit auch die Kriterien für seine Einordnung von Medien bzw. das Lernen mit, durch und über Medien in Schule: So geht es darum, Wirklichkeitsvorstellungen zu bearbeiten, die durch Medien aufgebaut werden und sachgerechtes Handeln verhindern. Es geht darum, selbstbestimmtes Handeln zu ermöglichen, indem Schüler*innen erkennen, wie Medien ihre Vorstellungen von den Dingen in der Welt prägen können. Auch die Zieldimension sozialverantwortliches Handeln verlangt nach Tulodziecki in Bezug auf Medien vor allem eine kritische Auseinandersetzung mit Darstellungen in Medien »u.a. mit Blick auf potentielle Verhaltensbeeinflussungen, z.B. durch die häufige Präsentation von ich-orientierten und hedonistischen Verhaltensmustern.« (Ebd.) Kreatives Handeln soll erfahren werden, indem Kinder selbst Medieninhalte produzieren und gestalten. Möglich werde über diesen Umgang mit Medien dann eine angemessene Nutzung von Medien »für Information und Lernen, für Spiel und Unterhaltung, für Problemlösung und Entscheidungsfindung, für Bildungszwecke und Kommunikation…« (A. a. O., S. 23f.) Eine Auseinandersetzung und ein Umgang mit Medien in der oben beschriebenen Form ist nach Tulodziecki aber nur umsetzbar, indem »die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen, ihre Bedürfnislage sowie ihr Kenntnis- bzw. Erfahrungsstand und das Entwicklungsniveau in intellektueller und sozial-moralischer Hinsicht hinreichend beachtet werden.« (Hervorheb. i. Orig., a.a.O., S. 24) Sollen Lebenssituation und Bedürfnisse von Kindern berücksichtigt werden, sind Lehr-Lernprozesse mit Medien entsprechend zu gestalten. Das schließt für Tulodziecki vor allem die in öffentlichen Debatten präsentierte Vorstellung einer Schule aus, die durch »computergestützte individualisierte Lernformen mit entsprechendem Coaching durch eine Lehrperson« (ebd.) bestimmt wird. Er plädiert – die Heterogenität von Interessen und Lernvoraussetzungen im Blick – für freies und selbstständiges Arbeiten, das
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durch Medien wie Bücher, aber auch durch digitale Medien unterstützt werden kann. Dabei könne es jedoch nicht darum gehen, vor allem individuelles Lernen zu ermöglichen: »Das wäre aus pädagogischer Sicht nicht sinnvoll, weil eine auf Verantwortung zielende soziale Entwicklung der personalen Begegnung und der sozialen Interaktion bedarf, Lern- und Arbeitsformen die Möglichkeit bieten sollen, soziale Bedürfnisse einzubringen…« (A. a. O., S. 25) Zusammenfassend hält Tulodziecki fest, dass Medien in Schule »als Mittel der Präsentation lern- und entwicklungsanregender Aufgaben, als Informationsquelle und Lernhilfe, als Werkzeug oder Instrument bei Aufgabenlösungen, als Gegenstand von Analysen sowie als Instrument der Planung, des Austauschs, der Speicherung und der eigenen Präsentation von Informationen dienen. Dabei bieten die Netzwerktechnologien besondere Möglichkeiten der Information und des Austausches.« (A. a. O., S. 26) Für die Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen fordert Tulodziecki, dass Medienkompetenzen und medienpädagogische Kompetenzen entwickelt werden, wobei sich die zu entwickelnden Kompetenzen vor allem auf einen Umgang mit einzelnen Geräten und Techniken beziehen. Tulodzieckis Position drängt sich im medienpädagogischen Diskurs immer wieder auf. In diesem wird aber auch zunehmend der Begriff Medienbildung verwendet, der andeutet, dass es nicht nur um die Fähigkeit geht, mit Medien umzugehen, sondern um Bildungsprozesse, die mit, durch und über Medien stattfinden. Die unterschiedlichen Bedeutungsräume, die mit der Verwendung der Begriffe Medienkompetenz bzw. Medienbildung aufgemacht werden, finden jedoch in bildungspolitischen und medienpädagogischen Diskursen nicht immer Beachtung, wie Kapitel 4 zeigt.
4. Anworten auf den Teufelskreislauf »The word ›learning‹ undoubtly denotes change of some kind. To say what kind is a delicate matter.« Gregory Bateson 1978, S. 253
Breiter, Aufenanger, Averbeck, Welling und Wedjelek haben für ihre Studie zur Medienintegration in Grundschulen Grundschullehrer*innen an 137 Grundschulen in NordrheinWestfalen schriftlich befragt, aber auch qualitative Fallstudien durchgeführt, zu denen sowohl Gruppendiskussionen als auch Unterrichtsbeobachtungen gehörten. Dabei stellte sich für sie heraus, dass Grundschullehrer*innen »den Einsatz des Computers nicht nur als wichtig [erachten], weil so an die Lebenswelt der Kinder angeknüpft werden kann, sondern auch, weil sozialer Benachteiligung entgegen gewirkt werden kann.« (Breiter et al. 2013, S. 36) Diese positive Einstellung spiegele sich jedoch nicht in der Praxis: Die Autor*innen konnten in ihrer Untersuchung zwar verschiedene Veränderungsprozesse in Grundschulen identifizieren, »die eng mit dem Medienwandel verbunden sind« (a.a.O., S. 258) – so hat »die Beschäftigung mit Medien im Allgemeinen und die Nutzung von digitalen Medien im Besonderen in den letzen [sic!] zehn Jahren an Bedeutung gewonnen« (a.a.O., S. 257) –, doch seien hier »erhebliche Unterschiede – je nach Standort, Zugangsvoraussetzungen, Schulkultur, medienpädagogischer Kompetenz oder subjektiver Einstellungen und Orientierungen – zu beobachten…« (Ebd.) So setze nur »ein Fünftel der Lehrkräfte […] das Internet wöchentlich ein. Am häufigsten findet dies im Deutsch- und Sachunterricht oder im Rahmen von AGs statt. Zweck des Internetbesuchs ist dabei häufig die Beschaffung von Informationen.« (A. a. O, S. 36) Während digitale Medien als Lernwerkzeuge für Lehrkräfte in fast allen Fächern an Bedeutung gewonnen hätten, finde nur selten eine »kritisch-reflektierende Thematisierung von Medien in der Lebenswelt der Kinder und ihrer gesellschaftlichen Bedingungen« statt. (A. a. O., S. 258) Die Autor*innen präsentieren Antworten, die die Lehrer*innen selbst auf die Frage geben, wieso sie Computer so verhalten nutzen, obwohl sie sie für bedeutsam halten: Demnach befürchteten die befragten Lehrer*innen, dass der Einsatz des Computers zu technischen Problemen führen könnte, »weil z.B. die Ausstattung veraltet sei.« (A. a. O., S. 37) Angenommen werde von Lehrer*innen aber auch, »dass die Unterrichts-
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vorbereitung wesentlich aufwendiger sei.« (Ebd.) Bezugnehmend auf die Studie von Christine Feil, Christoph Gieger und Holger Quellenberg von 2009, mit der diese das Lernen mit dem Internet in der Grundschule untersucht haben, wird von Breiter, Aufenanger, Averbeck, Welling und Wedjelek zudem angenommen, dass es Lehrer*innen an Unterstützung fehlt, wenn es um den Einsatz und die Thematisierung digitaler Medien bzw. des Internets geht. Entsprechend schlussfolgern sie, dass es notwendig ist, dass Lehrer*innen Kompetenzen im Umgang mit dem Internet entwickeln. Gleichzeitig sei es notwendig, medienpädagogische Konzepte an den Schulen zu entwickeln, an denen Lehrer*innen sich bzgl. eines möglichen Einsatz des Internets im Unterricht, aber auch der Thematisierung des Internets orientieren können. (Vgl. Breiter et al. 2013, S. 367) Damit kommen die Autor*innen in ihrer Studie zu einem ähnlichen Ergebnis wie Tulodziecki und Six dreizehn Jahre zuvor: Auch in der Vorläuferstudie Medienerziehung in der Grundschule zeigt sich, dass die Bedeutung, die Lehrer*innen einer Auseinandersetzung mit Medien in der Grundschule zuschreiben, nicht ihrem tatsächlichen Umgang mit diesen im Unterricht entspricht. In der Studie von Tulodziecki und Six geben Lehrer*innen mit hoher Übereinstimmung an, dass sie eine systematische Medienerziehung für notwendig halten. Zu dieser gehöre, dass Kinder bereits in der Grundschule lernen, mit dem Computer zu arbeiten, aber auch in ihrer Mediennutzung erzogen würden, vor allem bzgl. ihrer Fernsehnutzung. (Vgl. Tulodziecki & Six 2000, S. 470) Diese Aufgabe könne nach Angaben der Grundschullehrer*innen nicht einfach Eltern überlassen werden. Sie selbst erfüllen sie jedoch laut Tulodziecki und Six auch nur unzureichend: »Die Wichtigkeit der Medienerziehung wird keineswegs in Frage gestellt, zugleich wird aber häufig die mangelnde Zeit und die Priorität anderer Aufgaben – insbesondere der Entwicklung von Lesen, Schreiben und Rechnen – hervorgehoben.« (Ebd.) Breiter, Aufenanger, Averbeck, Welling und Wedjelek kommen darüber hinaus zu dem Schluss, dass viele Lehrer*innen vor allem dem »nicht-schulischen Medienhandeln der Kinder […] mit Misstrauen und Ablehnung [begegnen]. Die Förderung von Medienkompetenz reduziert sich vor diesem Hintergrund häufig auf eine Art ›Gefahrenabwehr‹ und Vermittlung instrumentell-technischer Bedienkompetenzen…« (Breiter et al. 2013, S. 259) Ausgehend von den Ergebnissen ihrer Studie fordern die Autor*innen für die erste Phase der Grundschullehrerbildung »eine verstärkte Integration von Medienbildung in die fachdidaktische und erziehungswissenschaftliche Ausbildung sowie von Medienkompetenz als Querschnittsaufgabe…« (A. a. O., S. 263). Notwendig sei eine in den Prüfungs- und Studienordnungen verbindlich fest geschriebene Medienbildung. Zudem könne in Schulpraktika »durch Festlegung eines Medienschwerpunkts die Arbeit mit und über Medien an Bedeutung gewinnen…« (A. a. O., S. 264) Es sei notwendig, dass Grundschullehramtsstudent*innen Medienkompetenzen aber auch medienpädagogische Kompetenzen entwickelten. (Vgl. a.a.O., S. 48) Eine fehlende Medienkompetenzförderung von (angehenden) Lehrer*innen wird auch in anderen Arbeiten dafür verantwortlich gemacht, dass Herausforderungen, die der Medienwandel mit sich bringt, in der Grundschule kaum angegangen und Potenziale, die neue Medien mit sich bringen, nicht erkannt werden. So stellt André Gysbers in seiner Studie über die medienpädagogische Performanz niedersächsischer Lehrkräfte fest, dass diese sich ihr Medienwissen vor allem selbst angeeignet haben. Dieses beziehe sich überwiegend auf informationstechnische Grundlagen und weniger auf mediener-
4. Anworten auf den Teufelskreislauf
zieherische und mediengestalterische Aspekte. (Vgl. Gysbers 2008, S. 13) Die meisten Lehrer*innen, die Gysbers befragt hat, halten »die Vermittlung von Medienkompetenz für eine wichtige Aufgabe der Schule« (ebd.); umgesetzt werde sie jedoch selten, da die »medienpädagogische Qualifikation der Lehrer […] unzureichend [ist].« (Ebd.) Auch Eickelmann, Aufenanger und Herzig fordern eine systematische Einbindung von Medienbildung in »Curricula und in die Lehrer(aus)bildung im Primarbereich…« (Eickelmann, Aufenanger & Herzig 2014, S. 23) Für Wolfgang Schill muss es in der Lehrerausbildung vor allem um die Entwicklung medienpädagogischer Kompetenz gehen, damit Lehrer*innen selbstständig Curricula entwickeln und weiterentwickeln können, um eine situationsbezogene und an aktuellen Herausforderungen orientierte Medienerziehung in der Grundschule realisieren zu können. (Vgl. Schill 2008, S. 77) Diejenigen, die sich aus medienpädagogischer Perspektive mit der Frage auseinandersetzen, welche Bedeutung die erste Phase der Grundschullehrerbildung für das Lernen mit, durch und über Medien in der Grundschule hat, vertreten damit eine gemeinsame Position, die sich mit dem Teufelskreislauf fehlender Medienbildung von Kammerl und Ostermann zusammenfassen lässt. Dieser ist mit der Forderung bundesweit geltender Mindeststandards für die schulische Medienbildung, aber auch mit der Forderung einer systematischen Auseinandersetzung mit Medien in der Lehrerausbildung verknüpft, damit der Teufelskreislauf durchbrochen werden kann. (Vgl. Kammerl & Ostermann 2010, S. 50) Diese Forderung wird von Vertreter*innen der Medienpädagogik aktiv in bildungspolitische Diskurse eingebracht, indem sie Kompetenzmodelle ausarbeiten, mit denen sie die Fertigkeiten und Fähigkeiten, die es in Bezug auf Medien zu entwickeln gilt, beschreiben und klären. (Vgl. u.a. Moser 2010, Mayrberger 2012 und Tulodziecki 2012) Eingebracht wird sich aber auch über Initiativen, wie vor allem das Beispiel der von Niesyto angeregten Initiative Keine Bildung ohne Medien! zeigt, auf die ich im folgenden Abschnitt näher eingehe.
4.1
Keine Bildung ohne Medien
Die Initiative Keine Bildung ohne Medien! geht auf das Medienpädagogische Manifest von 20091 zurück und sollte vor allem verdeutlichen, dass es immer wieder einzelne medienpädagogische Aktivitäten und Projekte gibt, aber keine nachhaltige Förderung des Lernens mit, durch und über Medien: »Es besteht eine große Diskrepanz zwischen allgemeinen Proklamationen in Regierungserklärungen (›Medienkompetenz ist eine zentrale Schlüsselkompetenz‹) und der medienpädagogischen Praxis in den meisten Einrichtungen der frühkindlichen Bildung, der Eltern- und Familienbildung, in Schulen und Hochschulen, der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit sowie der Erwachsenenund Seniorenbildung.«2 Die von Erziehungswissenschaftler*innen gegründete Initiative definiert auf ihrer Webseite das sich für sie daraus ergebende Ziel:
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https://www.keine-bildung-ohne-medien.de/medienpaedagogisches-manifest/ vom 02.03.2019 https://www.keine-bildung-ohne-medien.de/kongressdokumentation/ vom 02.03.2019
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Kinder. Medien. Kontrolle.
»Wir streben eine breitenwirksame, systematische und nachhaltige Verankerung von Medienpädagogik in allen Bildungsbereichen der Gesellschaft an: 1 2 3 4 5 6
Medienbildung in frühkindlicher Bildung und Schule, in außerschulischen Bildungsangeboten und bei der Inklusion von Menschen mit Behinderungen Medienpädagogische Elternarbeit besonders in bildungsbenachteiligten Milieus Regelfinanzierung medienpädagogischer Angebote Ausbau und Förderung medienpädagogischer Netzwerke Verpflichtende Grundbildung Medien in allen pädagogischen Studiengängen und feste Verankerung der Medienbildung in der Fort- und Weiterbildung Ausbau der medienpädagogischen Forschung.«3
Um die Umsetzung ihrer Ziele zu erreichen, erklärt die Initiative auf der Webseite, dass sie in den Dialog mit der Fachöffentlichkeit und der Politik gehen werde. »Neben einer kontinuierlichen Öffentlichkeitsarbeit, der Beteiligung an Fachkommissionen und runden Tischen zur Medienbildung in den Bundesländern sind vor allem Kampagnen zu spezifischen Handlungsfeldern geplant.«4 Auf das medienpädagogische Manifest zurückzuführen ist auch die Forderung nach einer Grundbildung Medien für alle pädagogischen Fachkräfte, die Niesyto und Imort für die Hochschule näher ausführen. (Vgl. Imort & Niesyto 2014a) Grundsätzlich geht es im Rahmen der geforderten Grundbildung Medien um Kompetenzen, die die Initiative Keine Bildung ohne Medien! wie folgt beschreibt und einordnet: »Um die ihnen anvertrauten Menschen kompetent beim Aufwachsen in einer mediatisierten Gesellschaft zu begleiten und sie für ein gelingendes Leben in dieser Gesellschaft vorzubereiten, sind vielfältige medienbezogene Kompetenzen nötig. Dazu gehören unter anderem: 1. Reflexion der grundsätzlichen Medialität von Bildungs- und Lernprozessen, der eigenen Mediennutzung und der eigenen professionellen Rolle, um mediale Lernkulturen und -räume zu gestalten und Konzepte für Medienbildung zu entwickeln. 2. Kenntnisse und Fähigkeiten, um Medienbildung im Kontext verschiedener Bildungsorte (z.B. in Kooperation mit Fachdidaktiken) und bildungsbiografischer Perspektiven fördern zu können. 3. Professionelles Handlungswissen, um in allen pädagogischen Handlungsfeldern eine kritische Auseinandersetzung mit Medienentwicklungen und ihren technologischen, ästhetischen, sozial-kommunikativen, ethischen und wirtschaftlichen Dimensionen anzustoßen. 4. Didaktische, technische und gestalterische Fertigkeiten, um zielgruppenbezogen Medien als Mittel des Selbstausdrucks, der Kommunikation, des Lernens und der Artikulation zu nutzen.
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https://www.keine-bildung-ohne-medien.de/ueber-uns/ vom 02.03.2019 https://www.keine-bildung-ohne-medien.de/ueber-uns/ vom 02.03.2019
4. Anworten auf den Teufelskreislauf 5. Methodenrepertoire, um Fähigkeiten im Hinblick auf Informationsbeschaffung und die Einschätzung von Quellen sowie ein Grundwissen zum Daten- und Persönlichkeitsschutz, zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie zum Kinderund Jugendmedienschutz zu fördern. 6. Grundlage für die professionellen, medienbildnerischen Kompetenzen ist eine umfassende Medienkompetenz. Ohne das Wissen über Funktionen, Strukturen und gesellschaftliche Auswirkungen digitaler Medien, die Reflexion medienethischer Prinzipien, eigene Informations- und Gestaltungskompetenz, Basiswissen zur Mediensozialisation von Kindern und Jugendlichen und zum Kinder- und Jugendmedienschutz und nicht zuletzt auch technische Fertigkeiten, können pädagogische Fachkräfte ihren anspruchsvollen Aufgaben nicht gerecht werden.«5
Obwohl die KMK die von der Initiative Keine Bildung ohne Medien! angeregten Inhalte nicht direkt für die Entwicklung ihres aktuellen Kompetenzmodells berücksichtigt hat,6 lässt sich sagen, dass die Initiative wahrgenommen wird, denn das Medienpädagogische Manifest von 2009 führte laut Niesyto und Imort dazu, dass »mehrere Gruppen und Gremien die Forderung nach einer medienpädagogischen Grundbildung auf[-griffen]…« (Niesyto & Imort 2014, S. 10) Auch für das KMK-Papier von 2012 wurden Inhalte aus dem Manifest übernommen: »Im Hinblick auf die Lehrerbildung und die schulische Medienbildung verabschiedete […] das Kultusministerium Baden-Württemberg 2011 neue Prüfungsordnungen zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Darin sind medienpädagogische Fragestellungen als verbindlicher Bestandteil der mündlichen Abschlussprüfungen in allen Fächern vorgesehen.« (Niesyto 2016, S. 18) Scholz folgend nehme ich an, dass dies vor allem gelungen ist, weil die Forderungen der Initiative bildungspolitisch ausgerichtet sind: Deutlich wird dies vor allem an der Formulierung, dass es darum gehe, Kompetenzen zu entwickeln, mit denen Pädagog*innen befähigt werden sollen, die ihnen »anvertrauten Menschen kompetent beim Aufwachsen in einer mediatisierten Gesellschaft zu begleiten und sie für ein gelingendes Leben in dieser Gesellschaft vorzubereiten…«7 Damit argumentiert die Initiative bildungspolitisch; sie hat »einen Beitrag zur Verbesserung der Planung zu bieten…« (Scholz 2005, S. 70) Umgekehrt bringen sich aber auch Politiker*innen und Unternehmen – diese vor allem über Stiftungen – in die Gestaltung des Bildungssystems ein, nicht zuletzt über die Finanzierung von Projekten an Schulen und Hochschulen. Für Scholz ist dieser Einfluss bereits 2005 stärker als der von Pädagog*innen: »Es fällt […] auf, dass die Diskussion über Änderungen im Bildungssystem weniger von Pädagogen als vielmehr von Politikern und Ökonomen bestimmt wird. Eine herausragende Rolle haben faktisch Unternehmensberater und Stiftungen großer Konzerne, wie die Bertelsmann Stiftung.« (Scholz 2005, S. 67) Ich möchte mit zwei Beispielen illustrieren, wie sich Unternehmen im Kontext von Medien und Schule einsetzen.
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Hervorheb. i. Orig., https://www.keine-bildung-ohne-medien.de/grundbildungmedien/ vom 02.03.2019 Vgl. https://www.kmk.org/themen/bildung-in-der-digitalen-welt/strategie-bildung-in-derdigitalen-welt.html vom 02.03.2019 Ebd.
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Telekom Stiftung8 Die Telekom Stiftung finanziert zahlreiche Projekte und Studien zum Thema Lehren und Lernen mit, durch und über Medien, wobei die Stiftung in ihren Veröffentlichungen vor allem von digitalem Lernen oder auch digitaler Bildung spricht. Diese Bezeichnungen sind im Kontext von Projekten und Studien, die die Stiftung fördert, offensichtlich einzuordnen wie Horst Hischer es für den Monitor Digitale Bildung9 macht, den die Bertelsmann Stiftung herausgibt und mit der die Telekom Stiftung u.a. im Forum Bildung Digitalisierung e.V. kooperiert: »Hier wird ›digitale Bildung‹ auf den pädagogisch befremdlichen Terminus ›digitalisiertes Lernen‹ reduziert, womit offenbar der Einsatz entsprechender, aktuell oft so genannter ›digitaler Werkzeuge‹ bzw. ›digitaler Medien‹ gemeint ist.« (Hischer 2018, S. 10) Die Telekom-Stiftung kooperiert für ihre Projekte und Studien wiederum mit Schulen und Hochschulen. So u.a. für die Projekte Berufsschule digital10 , Data Science11 , Digitales Lernen in der Grundschule,12 oder auch GestaltBar – die digitale Werkstatt. Die digitale Werkstatt wird zusammen mit Hauptschulen, Partner*innen aus der Jugendhilfe und weiteren außerschulischen Einrichtungen ausgestaltet: »Ziel ist es, Jugendliche praxisnah an digitale Technologien heranzuführen und ihnen erste Einblicke in technische Berufsbilder zu geben. Auf dem Programm stehen Kurse zu Themen wie Robotik, App-Entwicklung oder 3D-Druck.«13 Darüber hinaus hat die Telekom Stiftung gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung, der Dieter Schwarz Stiftung, der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, der Robert Bosch Stiftung, der Siemens und der Mercator Stiftung das Forum Bildung Digitalisierung e.V. gegründet. Der Verein hat sich nach eigener Aussage zum Ziel gesetzt, »den digitalen Wandel im Bildungsbereich zu gestalten und die Chancen digitaler Medien für die Schul- und Unterrichtsentwicklung zu
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»Die Deutsche Telekom Stiftung wurde 2003 gegründet, um den Bildungs-, Forschungs- und Technologiestandort Deutschland zu stärken. Mit einem Kapital von 150 Millionen Euro gehört sie zu den großen Unternehmensstiftungen in Deutschland. Die Stiftung engagiert sich für gute Bildung in der digitalen Welt und konzentriert sich dabei auf die Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT).« (https://www.telekom-stiftung.de/sites/default/files/ files/media/publications/Jahresbericht_17-18_Web.pdf vom 30.09.2019) »Viele Fragen zur digitalen Bildung warten noch auf empirisch fundierte Antworten: Welche Verbreitung haben digitale Lerntechnologien und wie werden sie eingesetzt? Welche pädagogischen Konzepte betten digitale Lerntechnologien am besten ein? Trägt die Digitalisierung zur Verbesserung der Chancengerechtigkeit bei oder vergrößert sie gar soziale Unterschiede in der Teilhabe? Gemeinsam mit dem mmb-Institut für Medien- und Kompetenzforschung hat die Bertelsmann Stiftung den ‘Monitor Digitale Bildung‘ ins Leben gerufen, um diese Fragen zu klären. Der Monitor erfasst die unterschiedlichen Ausprägungen digitalen Lernens in Schule, Ausbildung, Hochschule und Weiterbildung. Der Fokus liegt dabei klar auf den staatlichen bzw. öffentlich geförderten Einrichtungen.« (https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/teilhabe-in-einerdigitalisierten-welt/projektthemen/projektthemen-monitor/ vom 07.03.2019) https://www.telekom-stiftung.de/projekte/berufsschule-digital vom 02.03.2019 »Im Projekt entwickeln Mathematik- und Informatikdidaktiker der Universität Paderborn gemeinsam mit zwei Pilotschulen in Paderborn einen Projektkurs für die gymnasiale Oberstufe. Dieser Kurs vermittelt Schülern statistische und informatische Grundlagen sowie aktuelle Methoden der Künstlichen Intelligenz.« (https://www.telekom-stiftung.de/projekte/data-science vom 30.09.2019) https://www.telekom-stiftung.de/projekte/digitales-lernen-grundschule vom 02.03.2019 https://www.telekom-stiftung.de/projekte/gestaltbar-die-digitale-werkstatt vom 02.03.2019
4. Anworten auf den Teufelskreislauf
nutzen.«14 Dafür bietet der Verein Akteur*innen »aus Bildungspraxis, Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft eine Plattform, bildet unterstützende Netzwerke, führt den Dialog und arbeitet in Werkstätten und Veranstaltungen an der Vision von Bildung in der digitalen Welt und an ihrer Verwirklichung.«15 Hinzu kommen zahlreiche Studien, die die Telekom Stiftung finanziert. Unter anderem veröffentlicht die Stiftung jährlich einen Ländervergleich zu Kompetenzen von Lehrer*innen im Umgang mit digitalen Medien unter dem Titel Schule digital. Der Länderindikator.16 Die einleitenden Worte des Leiters der Studie von 2016 – Wilfried Bos vom Institut für Schulentwicklungsforschung der Technischen Universität Dortmund – verweisen darauf, dass es hier weniger um einen pädagogisch begründeten Umgang mit Medien geht, als vielmehr um einen internationalen Wettbewerb: »Die weiterführenden Schulen in Deutschland sind auf einem guten Weg in die digitale Zukunft. Im internationalen Vergleich schneiden sie aber noch immer nur mittelmäßig ab.«17 Die Studie erfasst die Kompetenzen von Schüler*innen mit Hilfe des Kompetenzstufenmodells, das die internationale Schulleistungsstudie ICILS (International Computer and Information Literacy Study) 2013 entwickelt hat. Erfasst werden mit dem Kompetenzstufenmodell computer- und informationsbezogene Fähigkeiten und Kenntnisse von Achtklässler*innen. Die internationale Schulleistungsstudie ICILS hat sich für die Entwicklung des Kompetenzmodells u.a. an dem ICT Literacy Panel von ETS18 aus dem Jahr
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https://www.forumbd.de/der-verein/ vom 02.03.2019 Ebd. https://www.telekom-stiftung.de/sites/default/files/files/media/publications/studie_5chu led1g1tal-2016_web.pdf vom 02.03.2019 Ebd. ETS steht für Educational Testing Service und kommt aus den USA: »In 1947, three organizations — the American Council on Education, the Carnegie Foundation for the Advancement of Teaching, and the College Entrance Examination Board — contributed testing programs, assets and key employees to form ETS.« (https://www.ets.org/about/who/heritage/ vom 30.09.2019) Zunächst wurde von diesem Zusammenschluss die Notwendigkeit formuliert, ICT literacy länderübergreifend und in unterschiedlichen Institutionen wie Schulen und Unternehmen zu messen, wobei ICT für Informations- und Kommunikationstechnologien steht und der Begriff literacy hier zu verstehen ist, wie er laut David Buckingham oft präsentiert wird: reduziert auf Kompetenzen bzw. Fertigkeiten und Fähigkeiten. (Vgl. Buckingham 2015) Reduziert ist dieser Begriff in Bezug auf digitale Medien nach Buckingham deshalb, weil Medien nicht angemessen verstanden werden können, wenn sie nur als Maschinen und Technologien betrachtet werden: »The internet, computer games, digital video, mobile phones and other contemporary technologies provide new ways of mediating and representing the world, and of communicating. Outside school, children are engaging with these media, not as technologies but as cultural forms. If educators wish to use these media in schools, they cannot afford to neglect these experiences: on the contrary, they need to provide students with means of understanding them. This is the function of what I am calling digital literacy.« (Ebd.) Ausgehend von einem diese Aspekte nicht beachtenden Begriff von ICT literacy hat ETS eine Rahmenstruktur für ICT literacy entwickelt: »This framework would provide a foundation for the design of instruments including large-scale assessments intended to inform public policy and diagnostic measures to test an individual’s skills associated with information and communication technology. Given the enormous and growing importance of technology in people’s everyday lives, the panel set out both to frame what we already know about ICT literacy and to define what we don’t know. The panel also advances a set of policy recommendations directed to
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2002, den National Educational Technology Standards von ISTE19 aus dem Jahr 1998 und dem National Assessment Program ICT Literacy von MCEETYA von 2007 orientiert: »Diese Konzepte berücksichtigen neben technischer Kompetenz (computer literacy), worunter grundlegendes deklaratives und prozedurales Funktionswissen über Programmanwendungen zu verstehen ist (vgl. z.B. Markauskaite, 2006; Richter, Naumann & Horz, 2010), vor allem Aspekte der Informationskompetenz (information literacy).« (Hervorheb. i. Orig., Senkbeil et al. 2014, S. 87) Unter Informationskompetenz wird hier »die Fähigkeit verstanden, mit Hilfe digitaler Medien Informationen zu ermitteln, diese kritisch auszuwählen und effektiv zu nutzen (vgl. ETS, 2002).« (Ebd.) Eingeordnet werden digitale Medien dabei als Werkzeuge, mit denen »Informationen in verschiedenen Anforderungssituationen (z.B. Schule, Arbeit, Freizeit) für spezifische Zielsetzungen genutzt und erzeugt werden können.« (Ebd.) Wilfried Bos ist einer der Mitherausgeber der Schulleistungsstudie ICILS; an ihr beteiligt ist aber auch die Telekom Stiftung: »Die Durchführung der Studie ICILS 2013 wird in Deutschland durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert, unterstützt durch Mittel der Europäischen Kommission. Die Deutsche Telekom Stiftung fördert zudem ein Vertiefungsmodul.« (Bos & Eickelmann 2014, S. 8) Das bildungspolitische Ziel der Studie wird wie folgt formuliert: »Der in ICILS 2013 eingesetzte Kompetenztest für Schülerinnen und Schüler fokussiert mit Blick auf computerund informationsbezogene Kompetenzen auf Wissensbestände und Fertigkeiten über die Achtklässlerinnen und Achtklässler für eine Lebensführung, die persönlichen und gesellschaftlichen Ansprüchen gerecht wird, verfügen sollten…« (Senkbeil et al. 2014, S. 83) Dass diese Studien und Projekte, an denen die Telekom Stiftung beteiligt ist, wiederum wissenschaftliche Diskurse mitstrukturieren, zeigt die Dagstuhl-Erklärung,20 in der der Begriff der Digitalen Bildung ebenfalls verwendet wird, und für die in der Erklärung gefordert wird, dass sie »aus technologischer, gesellschaftlich-kultureller und anwendungsbezogener Perspektive in den Blick genommen werden«21 muss. Die Verwendung des Begriffs deutet an, wie der wissenschaftliche Diskurs an bildungspolitische und marktorientierte Forderungen anschließt und damit das verkürzte Verständnis digitaler Bildung als Einsatz »entsprechender Geräte im Unterricht als Lernhilfen« (Hischer 2017, S. 8) mit etabliert.
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governments, educators, NGOs, labor, and industry regarding ICT literacy.« (https://www.ets.org/ research/policy_research_reports/publications/report/2002/cjik vom 25.03.2019) ISTE ist die Abkürzung für International Society for Technology in Education aus den USA: »ISTE is a nonprofit, public-benefit corporation that is governed by an elected board of directors. The board provides strategic leadership and fiduciary oversight as it works to ensure progress toward organizational goals.« (https://www.iste.org/about/board-of-directors vom 25.03.2019) Der Name des Papiers führt auf ein Seminar zurück, das die Gesellschaft für Informatik 2016 im Saarland auf Schloss Dagstuhl organisiert hat. Die Ergebnisse dieses Seminars wurden im März 2016 unter dem Namen »Dagstuhl-Erklärung« veröffentlicht. https://www.gi.de/aktuelles/meldungen/detailansicht/article/dagstuhl-erklaerung-bildungin-der-digitalen-vernetzten-welt.html vom 02.03.2019
4. Anworten auf den Teufelskreislauf
Joint Research Center der Europäischen Kommission Neben der ICILS-Studie ist das Kompetenzmodell DigComp, das das Joint Research Center der Europäischen Union entwickelt hat, Grundlage für den von der Kultusministerkonferenz (KMK) entwickelten Kompetenzrahmen, der 2017 mit dem Papier Zur Bildung in der digitalen Welt veröffentlicht wurde. Das Joint Research Center 22 der Europäischen Kommission schreibt zur Begründung seiner Arbeit, zu der auch die Entwicklung eines digitalen Kompetenzmodells für Lehrende – das European Framework for the Digital Competence of Educators (kurz: DigCompEdu) – gehört: »Learning and skills are key contributors to society and the economy. As modern societies and economies are changing due to, amongst others, globalisation and technological progress, a fundamental transformation of education and training (E&T) throughout Europe is required to deliver the knowledge and skills needed for growth, employment and participation in society. This forms an important part of the Europe 2020 agenda and its various flagships and policy initiatives.«23 Der von der EU für die Förderung digitaler Kompetenzen entwickelte Rahmenplan wird den EU-Mitgliedsstaaten als Orientierungshilfe angeboten, kann aber auch als Vorgabe eingeordnet werden. So hat das Joint Research Center einen Guide für die Implementierung ihres Kompetenzmodells in den Ländern mit dem Titel DigComp into Action. Get inspired. Make it happen. A user guide to the European Digital Framework veröffentlicht.24 Was der Titel bereits impliziert – nämlich, dass hier nicht nur eine Orientierungshilfe angeboten wird – zeigt sich auch in weiteren Beschreibungen zum European Digital Framework, in denen u.a. festgestellt wird, dass dem Kompetenzmodell zugrunde gelegte Begriffsbestimmungen Ausgangspunkt einer weiteren Verständigung sind; die EU gibt also vor, was unter digitaler Kompetenz zu verstehen ist: »Being a new and relatively complex notion, digital competence is understood and described in many different ways. Stakeholders underline that DigComp has provided a common language and terminology to talk about and design new projects on digital competence in all kinds of areas.«25 Und nicht nur Begriffsbestimmungen werden in den Bildungssystemen der EU-Mitgliedsstaaten aufgegriffen, auch das Modell: »Ministries of education and training and other related agencies at national and regional level have been among the early adopters of DigComp. Policy makers also develop digital competence in employment, economic development, public administration, information society and dig-
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Das Joint Research Centre (JRC) der Europäischen Kommission beschäftigt Wissenschaftler*innen, die die Grundlage für die Politik bzw. für politische Entscheidungen auf europäischer Ebene liefern sollen. Die Frage stellt sich, ob diese in ihrer Forschung frei sein können – wie das JRC in einer Selbstdarstellung behauptet –, wenn sie Angestellte eben der Einrichtung sind, deren Arbeit und Maßnahmen sie wissenschaftlich begründen sollen: »The Joint Research Centre (JRC) is the European Commission’s science and knowledge service which employs scientists to carry out research in order to provide independent scientific advice and support to EU policy.« (https://ec.europa.eu/ jrc/en/about/jrc-in-brief vom 02.03.2019) https://ec.europa.eu/jrc/en/research-topic/learning-and-skills vom 02.03.2019 Vgl. http://publications.jrc.ec.europa.eu/repository/bitstream/JRC110624/dc_guide_may18.pdf vom 02.03.2019 A. a. O., S. 23
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ital agenda.«26 Dazu gehört auch die Kultusministerkonferenz (KMK), wie das von ihr 2017 veröffentlichte Papier Bildung in der digitalen Welt. Strategie der Kultusministerkonferenz zeigt.27 In diesem Papier heißt es: »Für den vorgelegten Kompetenzrahmen wurden drei bekannte und bewährte Kompetenzmodelle herangezogen: 1. das von der EU-Kommission in Auftrag gegebene und vom Institute for Prospective Technological Studies, JRC-IPTS, in umfangreichen Studien entwickelte Kompetenzmodell ›DigComp‹, 2. das in Deutschland weithin bekannte ‘Kompetenzorientierte Konzept für die schulische Medienbildung‚ der Länderkonferenz MedienBildung vom 29.01.2015 und 3. das der ICILS-Studie von 2013 ›Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in der 8. Jahrgangsstufe im internationalen Vergleich‹ zugrundeliegende Modell der ›computer- und informationsbezogenen Kompetenzen‹.«28
Hier stellt sich die Frage, warum DigComp oder auch die ICILS-Studie Grundlage für das entwickelte Kompetenzmodell sind und nicht Empfehlungen der Sektion Medienpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft oder Veröffentlichungen, die aus der Medienpädagogik zu diesem Thema vorliegen. Eine Antwort auf diese Frage mag die seit den 80er Jahren zunehmende Outputsteuerung sein, die Bildungs- und Wissenschaftssysteme entmachtet: Diese zielt nach Richard Münch auf »die fortlaufende Steigerung des Outputs und seiner Qualität. Es geht vor allem um die Effizienz. Mit den eingesetzten Mitteln soll der größtmögliche Erfolg erzielt werden. Das heißt, dass die Bildungsökonomie und die Forschungsökonomie zu den Königsdisziplinen der neuen Steuerung von Bildung und Forschung werden.« (Münch 2018, S. 19) Die Telekom Stiftung und das Joint Research Center der Europäischen Kommission sind sehr eklatante Beispiele für einen zunehmend politischen und ökonomischen Einfluss auf die Gestaltung von Bildungssystemen in Bezug auf Medien. Sind Konstruktionen, Konzepte und Kategorien in kulturelle Praxis eingeschrieben, lassen sie sich nicht ohne Weiteres explizieren (vgl. Popkewitz 2001, S. 169) bzw. eindeutig einer Argumentationslinie zuschreiben. Wenn Tulodziecki jedoch die Entwicklung von Medienkompetenzmodellen und darin formulierte Medienbildungsstandards u.a. damit begründet, dass »Fragen der Wirksamkeit der Lehrerbildung, ihrer Evaluation und Qualitätssicherung […] stärker in den Blickpunkt öffentlichen Interesses getreten [sind]« (a.a.O., S. 273), lassen sich wohl Deutungsangebote aus bildungspolitischer und unternehmerischer Perspektive wiedererkennen. So müssen für die Qualitätssicherung, die sich, wie Münch zeigt, auf den Output bezieht, Leistungen von Schüler*innen und Student*innen messbar sein; notwendig werden damit Daten, die sich in Zahlen fassen lassen. Dafür eignen sich Bildungsstandards, die – wie Tulodziecki selbst anmerkt – ja auch
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A. a. O., S. 53 Vgl. https://www.kmk.org/themen/bildung-in-der-digitalen-welt/strategie-bildung-in-derdigitalen-welt.html vom 02.03.2019 A. a. O., S. 15
4. Anworten auf den Teufelskreislauf
eine Evaluationsfunktion haben: »Mit der Evaluationsfunktion wird darauf aufmerksam gemacht, dass Standards dazu dienen können, Aktivitäten zur Lehrerbildung hinsichtlich ihrer Zielerreichung zu prüfen und gegebenenfalls zu bewerten…« (Hervorheb. i. Orig., A. a. O., S. 274) Neben Tulodziecki fordert Moser, dass Standards in der Medienbildung entwickelt bzw. weiterentwickelt werden, da sich als Reaktion auf die schlechten TIMSS- und PISA-Ergebnisse »eine verstärkte Ausrichtung am Output« (Moser 2012, S. 249) durchgesetzt habe. Dieser Ausrichtung ist nach Moser nachzukommen, damit Medienbildungsinhalte – Moser nimmt hier Bezug auf die Schule – nicht zunehmend verdrängt werden: »Generell scheint es notwendig, Überlegungen und Entwicklungen zu Standards in der Medienbildung nachhaltiger voranzutreiben. Wenn domänenspezifische Inhalte der traditionellen Fächer durch die Formulierung von Bildungsstandards stark in den Vordergrund treten, könnten die fachübergreifenden Inhalte der Medienbildung in den Schulen noch stärker vernachlässigt werden, als dies heute bereits der Fall ist…« (A. a. O., S. 255) Moser weist darauf hin, »dass Bildungsstandards zwar Testitems empirisch validieren, aber immer auch mit normativen Entscheidungen verbunden sind. Eine gewisse Gefahr besteht darin, dass die faktische Macht der Experten diesen normativen Charakter in den Hintergrund drängt – so dass Inhalte, die in Bildungsstandards eingehen, zum [sic!] Vorneherein als legitimatorisch gerechtfertigt erscheinen.« (Ebd.)
4.2
Kompetenz-Standard-Modell für die Medienbildung
Medienkompetenzen, deren Entwicklung Pädagog*innen im Kontext von Schule fördern sollen, werden ausgehend von den Dimensionen und Grundvorstellungen, die Tulodziecki in den 90er Jahren zum Lernen mit, durch und über Medien in der Schule ausgearbeitet hat, spezifiziert. Er hat zunächst einen Koordinierungsrahmen ausgearbeitet und darauf aufbauend mit Kolleg*innen ein Kompetenz-Standard-Modell für die Medienbildung entwickelt, das für viele Autor*innen nach wie vor wegweisend zu sein scheint, wie in Diskussionen, Texten und Ausführungen zum Thema Medien und Schule deutlich wird. (Vgl. Abschnitt 3.6 in diesem Buch) Tulodziecki benennt in seinem Koordinierungsrahmen folgende Aufgabenbereiche: »Auswählen und Nutzen von Medienangeboten«, »eigenes Gestalten und Verbreiten von Medienbeiträgen«, »Verstehen und Bewerten von Mediengestaltungen«, »Erkennen und Aufarbeiten von Medieneinflüssen« und »Durchschauen und Beurteilen von Bedingungen…« (Tulodziecki 1999, S. 33) Diese bilden den Rahmen für das KompetenzStandard-Modell für die Medienbildung, das Tulodziecki mit Herzig und Grafe entwickelt hat und im Folgenden in einer Tabelle präsentiert werden soll. (Siehe Abb. 5) Von mir in die Tabelle eingefügt wurden die von den Autor*innen ausgearbeiteten Standards zu Niveau 1, das zum Ende des vierten Schuljahrs von Schüler*innen erreicht werden soll. (Vgl. Tulodziecki, Herzig & Grafe 2010, S. 369f.) Mit dem Kompetenz-Standard-Modell werden nicht nur zu erreichende Kompetenzen präsentiert, sondern konkrete Inhalte und Aufgaben für die Schule benannt. Nach
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Brüggemann orientieren sich Tulodziecki, Herzig und Grafe damit weniger an theoriegeleiteten Medienbildungskonzepten als an einem gezielten Kompetenzerwerb: »Der Begriff der Medienbildung wird auch in einer speziell auf das schulische Lernen abgestimmten Variante ausformuliert und im Grunde wieder in den Rahmen des gezielten Kompetenzerwerbs gestellt. Tulodziecki, Herzig und Grafe verwenden den Begriff z.B. im Anschluss an die gesellschaftliche Anforderung der Vermittlung von Medienkompetenz als Voraussetzung zur Teilhabe am beruflichen und kulturellen Leben in unserer Gesellschaft. Der Schule kommt in diesem Zusammenhang die Aufgabe zu, Medien sinnvoll für das Lehren und Lernen zu nutzen und sich gleichzeitig den medienbezogenen Anforderungen an die Bildung und Erziehung insgesamt zu stellen…« (Brüggemann 2013, S. 31) Tulodziecki, Herzig und Grafe verwenden damit den Medienbildungsbegriff nicht im Sinne einer Medienbildung, die auf Bildungs- und Subjektivierungsprozesse verweist, die sich nach Marotzki und Jörissen »grundsätzlich in medial geprägten kulturellen Lebenswelten und in medialen Interaktionsräumen ereignen…« (Marotzki & Jörissen 2010, S. 19) Vielmehr grenzen sie sich hierzu bereits in ihrem Vorwort ab, in dem sie erläutern, worum es ihnen geht: Es sollen Möglichkeiten präsentiert werden, die Medien für das Lernen und Lehren bieten, wobei in diesem Kontext auch »besondere Anforderungen an Erziehung und Bildung [gestellt werden].« (Tulodziecki, Herzig & Grafe 2010, S. 9) So beschreibt der Begriff »verschiedene medienpädagogisch bedeutsame Ansätze […] – von der unterrichtlichen Medienverwendung über die Medienerziehung und die Informationstechnische Grundbildung bis zu bildungsrelevanten Aktivitäten in medialen Räumen. Gleichzeitig signalisiert der Begriff, dass es uns ein besonderes Anliegen ist, die Nutzung von und die Auseinandersetzung mit Medien in den Rahmen der allgemeinen Erziehungsund Bildungsaufgaben von Schule zu stellen.« (Ebd.) Tulodziecki, Herzig und Grafe haben das Kompetenz-Standard-Modell mit exemplarischen Inhalten gefüllt, an denen die Problematik verdeutlicht werden kann, dass die Grundvorstellungen, von denen das Modell ausgeht, aus den neunziger Jahren stammen. Für die Einordnung der Inhalte unterscheiden sie ausgehend von Aufgabenbereichen, die sie für die Medienbildung annehmen, zwei Handlungszusammenhänge – das Auswählen und Nutzen von Medien sowie das Gestalten und Verbreiten von Medieninhalten – und drei Inhaltsbereiche: »Mediengestaltungen/Medieneinflüsse/Bedingungen der Medienproduktion und Medienverbreitung…« (Tulodziecki, Herzig & Grafe 2010, S. 187) Zu allen Inhaltsbereichen werden Inhalte präsentiert. Ich werde hier exemplarisch näher auf den ersten Bereich eingehen – die Mediengestaltung –, um zu verdeutlichen, dass die Präsentation der Inhalte durch das didaktische Prinzip der Alters- und Entwicklungsgerechtigkeit strukturiert wird. In Bezug auf die Gestaltungsmöglichkeiten von Medien konzentrieren sich die Autor*innen auf die formale Gestaltung, »welche die Eindrücke und Einflüsse mitbestimmt, die von einem Medienangebot ausgehen können.« (Ebd.) Analysiert werden sollen hierzu von Schüler*innen »Codierungsarten (z.B. abbildhaft oder symbolisch), die Sinnesmodalitäten (z.B. visuell oder auditiv), die Darstellungsformen (z.B. schrift-
4. Anworten auf den Teufelskreislauf
licher Text oder Grafik), die Gestaltungstechniken (z.B. Einstellungsgröße oder Kameraperspektive), die Gestaltungsformen (z.B. Bericht oder Kommentar), die Ablaufstrukturen (z.B. linear oder responsiv) sowie die Gestaltungsarten (z.B. Videoclip oder Webseite)…« (A. a. O., S. 187f.) Im Unterricht soll dazu gefragt werden, »welche Möglichkeiten genutzt werden und ob die Gestaltungsentscheidungen im Hinblick auf den Inhalt angemessen sind.« (A. a. O., S. 188) Näher betrachtet werden sollen auch die Gestaltungstechniken der Darstellungsformen, die die Autor*innen als grundlegend einordnen. Dazu gehören Text, Bild, Audio und Film: »Diese vier Darstellungsformen treten sowohl einzeln als auch in vielfältigen Kombinationen – insbesondere im Bereich digitaler Medien – auf.« (Ebd.) In der Auseinandersetzung mit Text gelte es zunächst herauszuarbeiten, dass dieser sowohl handgeschrieben, gedruckt, aber auch digital hervorgebracht werden kann, was zu unterschiedlichen Merkmalen führe. Am Beispiel gedruckter, journalistischer Texte präsentieren die Autor*innen, welche Textsorten und damit einhergehende Textkriterien sich vermitteln lassen. Der Verweis auf gedruckte, journalistische Texte ist exemplarisch gedacht, doch insofern interessant, als dass Tulodziecki im Rahmen der Aufgabenbereiche, die er Ende der 90er Jahre in Bezug auf die Frage, mit welchen Medien das Lernen über Medien in der Grundschule beginnen sollte, empfohlen hat, mit Zeitungen und Zeitschriften zu beginnen, wie Blömeke feststellt: »Von den Medienarten her gesehen sollte nach den Vorstellungen des Paderborner Hochschullehrers in der Grundschule mit den Printmedien begonnen werden, gefolgt von den audiovisuellen Medien und schließlich erst in der Sekundarstufe I vom Einbezug des Computers.« (Blömeke 2000, S. 140) Obgleich Blömeke in einer Fußnote anmerkt, dass in späteren Texten von Tulodziecki auch der Computer als Lerninhalt, -gegenstand und -werkzeug für die Grundschule eingeordnet wird (vgl. ebd.), werden in der Publikation mit Herzig und Grafe von 2010 die Inhalte wieder mit den Printmedien beginnend präsentiert: Zunächst wird auf den Text am Beispiel von gedruckten, journalistischen Texten eingegangen, dann auf das Bild am Beispiel der Fotografie. Hier werden die Gebrauchsfotografie, die Dokumentarfotografie und die schöpferische Fotografie genannt, um davon ausgehend näher auf die Bildgestaltung einzugehen. Im Kontext der Bildgestaltung wird erwähnt, dass die digitale Fotografie vor allem die Möglichkeiten der Fotomontage und der nachträglichen Bildveränderung erweitere, alles Weitere wird jedoch mit Blick auf die analoge Fotografie erläutert. (Vgl. Tulodziecki, Herzig & Grafe 2010, S. 193) Es folgen Gestaltungsmittel von Hörbeiträgen, die sich an Radioformaten orientieren. Auch hier werden besonders journalistische Darstellungsformen und ihre Gestaltungsmerkmale betont. Technische Gestaltungsmöglichkeiten werden genannt, und da diese heute in der Regel digital umgesetzt werden, lässt sich von einer Auseinandersetzung mit digitalen Medien sprechen; doch die Autor*innen präsentieren in ihren Ausführungen zu den Gestaltungsmöglichkeiten von Audioproduktionen keinen Unterschied zwischen analog und digital. Gleiches gilt für ihre Präsentation von Möglichkeiten, Filmproduktionen zu gestalten. (Vgl. a.a.O., S. 194f.) Explizit auf die Gestaltungsmöglichkeiten von digitalen Medien wird mit Verweis auf Webseiten eingegangen, wobei mit dem Fokus auf Internetseitenmenüs die Gestaltung digitaler Medien sehr reduziert thematisiert wird. (Vgl. a.a.O., S. 198)
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Möglicherweise ist die präsentierte Reihenfolge der Medienarten nicht als Empfehlung intendiert, diese entsprechend im Unterricht einzuführen. Dennoch mutet die Darstellung wie ein empfohlener Lehrgang an. Zusätzlich gestützt wird dieser Eindruck dadurch, dass die Autor*innen mit ihrer Darstellung eine historische Entwicklung der Medien nachzeichnen: So gab es Printmedien bevor es Audiomedien und audiovisuelle Medien gab, die schließlich digitalisiert wurden. Darüber hinaus zeichnet die Darstellung nicht nur die historische Entwicklung von Medien nach, sondern auch ihre zunehmende Komplexität. Damit folgen die Autor*innen einem didaktischen Grundprinzip, in dem davon ausgegangen wird, dass Kinder sich mit zunehmendem Alter mit zunehmend komplexeren Inhalten auseinandersetzen können. Dazu passend fordern die Autor*innen in ihrem Kapitel Bedingungen des Handelns in Medienzusammenhängen und Leitideen für die Medienbildung: »Die Verarbeitungsmöglichkeiten sind vor allem durch bisherige Erfahrungen und den Entwicklungsstand im Rahmen der jeweiligen Lebenssituation bedingt. In diesem Sinne sind für die Mediennutzung und mögliche pädagogische Aktivitäten bestimmte Bedingungen auf Seiten der Kinder […] zu beachten.« (A. a. O., S. 43) Angenommen wird, dass für die Gestaltung medienpädagogischer Aktivitäten der Wissens- und Erfahrungsstand der Kinder von Bedeutung ist, aber auch ihre intellektuelle Entwicklung. Die intellektuelle Entwicklung wird an Hand zunehmend komplexer werdender gedanklicher Prozesse skizziert, zu denen Kinder entsprechend ihres Alters in der Lage sein sollen. Die mit dem Alter zunehmende Fähigkeit mit Komplexität umzugehen, wird mit Handlungsmöglichkeiten beschrieben, die Kinder in Entscheidungsprozessen in den Blick nehmen können sollen: »Dazu ist zunächst die empirische Frage wichtig, welches intellektuelle Niveau bei Kindern […] vorwiegend anzutreffen ist. Insgesamt liegt die Vermutung nahe, dass die Denkstruktur von Kindern in vielen Fällen eher der Stufe 2 und von Jugendlichen eher der Stufe 3 als den Stufen 4 und 5 entspricht…« (A. a. O., S. 61) Die Stufen werden von Tulodziecki, Herzig und Grafe ausgehend von O. J. Harvey, David E. Hunt und Harold M. Schroder und ihrem kognitiven Modell der Conceptual Systems (vgl. Harvey, Hunt & Schroder 1961) wie folgt gefasst: 1. Auf der ersten Stufe wird nur von einer adäquaten Handlungsmöglichkeit ausgegangen. Da nicht über Alternativen nachgedacht wird, wird hier auch von einem »fixierten Denken« (Tulodziecki, Herzig & Grafe 2010, S. 59) gesprochen: »Bezogen auf die Mediennutzung bedeutet dies, dass in bestimmten Situationen, z.B. Langeweile, nur eine Verhaltensmöglichkeit gesehen wird, z.B. das Einschalten des Fernsehen.« (Ebd.) 2. Ein »isolierendes Denken« (ebd.) beschreibt die Stufe zwei: es wird mehr als eine Handlungsoption erfasst, diese werden aber sehr undifferenziert betrachtet und »isoliert bewertet. […] Im Hinblick auf die Mediennutzung heißt dies, dass man zwar in der Lage ist, Alternativen zum Medienkonsum zu bedenken, diese jedoch mehr oder weniger pauschal oder nur mit Bezug auf Einzelheiten im Aspekt der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung beurteilt.« (Ebd.) 3. Die dritte Stufe ist komplexer, weil hier Handlungsmöglichkeiten bewertet und abgewogen werden; es werden Vor- und Nachteile von Handlungsmöglichkeiten in den Blick genommen, wobei die Gewichtung insofern undifferenziert ist, da sich in
4. Anworten auf den Teufelskreislauf
der Regel für die Handlungsmöglichkeit entschieden wird, die die meisten Vorteile bietet. Insofern muss die Förderung des intellektuellen Niveaus als eine wichtige Aufgabe der Erziehung und Bildung insgesamt und der Medienpädagogik im Besonderen angesehen werden. (Vgl. ebd.) Diese einfache Gewichtung wird durch eine auf Kriterien bezogene Gewichtung auf der vierten Stufe abgelöst: 4. »Im Hinblick auf die Mediennutzung ist der Einzelne in der Lage, Kriterien für seine Medienentscheidungen zu benennen und eine systematische Beurteilung der Mediennutzung vorzunehmen.« (A. a. O., S. 60) 5. Auf der letzten Stufe werden dann die Kriterien zunehmend reflektiert, Bezug genommen wird nicht nur auf die konkrete Entscheidung, um die es geht, sondern auch auf übergreifende Prinzipien: »Ein Denken dieser Art lässt sich als ›kritisch-reflektierendes Denken‹ charakterisieren. Mediennutzung bzw. Medienentscheidungen können jetzt vor dem Hintergrund übergreifender Prinzipien kritisch reflektiert werden.« (Ebd.) Die Autor*innen merken zu diesem Stufenmodell an, dass unterschiedliche Situationen und Inhalte zu berücksichtigen sind, und dass das von den Entwicklungspsychologen Harvey, Hunt und Schroder präsentierte Modell nicht generalisiert werden darf. Sie begründen dennoch die von ihnen benannten Lernziele mit eben diesem Modell und bezeichnen entsprechend »die Förderung des intellektuellen Niveaus als eine wichtige Aufgabe der Erziehung und Bildung insgesamt und der Medienpädagogik im Besonderen… Dazu ist die Annahme wichtig, dass von der Auseinandersetzung mit Denkweisen, die etwas oberhalb des jeweiligen Niveaus liegen, Anregungen ausgehen, die langfristig zum Erreichen der nächsthöheren Stufe führen.« (A. a. O., S. 61) Nicht zuletzt ausgehend von Tulodziecki und seinen Ausführungen zur Entwicklung von Medienkompetenzen in der Schule hat Blömeke definiert, was unter der Entwicklung von medienpädagogischen Kompetenzen verstanden werden kann. Nach Blömeke hat sich der Begriff »in Analogie zum Medienkompetenzbegriff gebildet, in diesem Fall für die Ebene der Pädagoginnen und Pädagogen, die Kinder und Jugendliche bei dem Erwerb von Medienkompetenz unterstützen wollen bzw. sollen, insbesondere also für Lehrerinnen und Lehrer.« (Blömeke 2000, S. 81) Der Begriff soll im Folgenden präzisiert werden, um ihm zugrundeliegende Annahmen offenlegen zu können.
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Abb. 5: Kompetenz-Standard-Modell nach Tulodziecki, Herzig & Grafe 2010, S. 369, eigene Darstellung Kompetenzbereich
Auswählen und Nutzen von Medienangeboten
Kompetenzerwartung
Verschiedene Medienangebote und nicht-mediale Möglichkeiten im Hinblick auf angestrebte Nutzungszusammenhänge – Information und Lernen, Unterhaltung und Spiel, Austausch und Kooperation, Analyse und Simulation – kriterienbezogen vergleichen und bewerten sowie situationsangemessen bzw. begründet auswählen und unter Beachtung sozialer bzw. gesellschaftlicher Verantwortung nutzen
Niveaudifferenzierung
Entwicklungsaspekte und Entwicklungsniveaus bezüglich der affektiv-motivationalen, der intellektuellen und der sozial-moralischen Dimension von Medienkompetenz
Kompetenzaspekte
Information
Standards zu Niveau 1 (Ende der vierten Jahrgangsstufe)
Verschiedene mediale und nicht-mediale Möglichkeiten zur Information/zum Lernen/für Unterhaltung und Spiel unter Beachtung von Unterschieden beschreiben. Möglichkeiten zur Information zum Lernen/für Unterhaltung und Spiel im Hinblick auf einzelne Situationen auswählen sowie sachgemäß handhaben und nutzen
Kompetenzbereich
Gestalten und Verbreiten von eigenen medialen Beiträgen
Kompetenzerwartung
Eigene Aussagen unter Verwendung begründet ausgewählter Gestaltungsmöglichkeiten in Bildern, schriftlichen Texten, Hör- und Videobeiträgen sowie interaktiven Beiträgen mit sachgemäßer Handhabung der jeweiligen Technik und situationsangemessener Planung sowie unter Beachtung sozialer bzw. gesellschaftlicher Verantwortung gestalten und an Einzelne, bestimmte Gruppen oder öffentlich verbreiten
Kompetenzaspekte
Bilder/Fotos
Standards zu Niveau 1 (Ende der vierten Jahrgangsstufe)
Technische Hilfsmittel für die eigene Gestaltung und Präsentation von Bildern/ Fotos/schriftlichen Texten/Hörbeiträgen beschreiben und funktionsgerecht handhaben. Einen Plan für die eigene Gestaltung und Präsentation von Bildern/Fotos/eines Printmediums/eines Hörbeitrags unter Anleitung situationsbezogen entwickeln und ausführen
Kompetenzbereich
Verstehen und Bewerten von Mediengestaltungen
Kompetenzerwartung
Gestaltungsmöglichkeiten von Medien, d.h. Darstellungsformen, Gestaltungstechniken, Gestaltungsformen, Ablaufstrukturen und Gestaltungsarten, hinsichtlich unterschiedlicher Gesichtspunkte erläutern, bei Medienangeboten und eigenen Medienbeiträgen die verwendeten Gestaltungsmittel analytisch erfassen bzw. bedenken, ihre Bedeutung für mediale Aussagen einschätzen und hinsichtlich des Verhältnisses von Form und Inhalt sowie weiterer Kriterien bewerten
Kompetenzaspekte
Darstellungsformen
Standards zu Niveau 1 (Ende der vierten Jahrgangsstufe)
Verschiedene Darstellungsformen/Gestaltungstechniken unter Beachtung von Unterschieden beschreiben. Bei vorhandenen Medienangeboten und eigenen Medienbeiträgen Darstellungsformen/Gestaltungstechniken bedenken.
Kompetenzbereich
Erkennen und Aufarbeiten von Medieneinflüssen
Kompetenzerwartung
Medieneinflüsse auf Emotionen, Realitätsvorstellungen, Verhaltens- und Wertorientierungen sowie soziale Zusammenhänge und mögliche Folgen nach unterschiedlichen Gesichtspunkten beschreiben und bewerten, mögliche problematische Einflüsse bei der Nutzung vorhandener Angebote und bei der Gestaltung eigener Beiträge analytisch erfassen und in geeigneten Formen aufarbeiten bzw. ihnen gegenzusteuern
Kompetenzaspekte
Emotionen
Standards zu Niveau 1 (Ende der vierten Jahrgangsstufe)
Mit Bezug auf Beispiele Emotionen/Realitätsvorstellungen beschreiben, die bei der Mediennutzung hervorgerufen werden können. Anhand von Beispielen erläutern, was man gegen unangenehme medienbedingte Emotionen/irreführende Vorstellungen über die Wirklichkeit tun kann.
Kompetenzbereich
Durchschauen und Beurteilen von Bedingungen der Medienproduktion und Medienverbreitung
Kompetenzerwartung
Ausgewählte technische, ökonomische, rechtliche, personale und andere institutionelle sowie politische und weitere gesellschaftliche Bedingungen von Medienproduktion und Medienverbreitung erläutern, Verbindungen zwischen solchen Bedingungen und den Medienprodukten sowie ihrer Nutzung herzustellen, die Bedingungen in Orientierung am gesellschaftlich Wünschenswerten beurteilen und Einflussmöglichkeiten beim eigenen Medienhandeln skizzieren und wahrnehmen
Kompetenzaspekte
Technische Bedingungen
Standards zu Niveau 1 (Ende der vierten Jahrgangsstufe)
Für ausgewählte Produkte und Leistungen im Medienbereich beschreiben, welche technischen Voraussetzungen sie haben/welche Kosten sie verursachen. Verschiedene Produkte und Leistungen im Medienbereich hinsichtlich des KostenNutzen-Verhältnisses vergleichen.
Lernen
Printmedien
Gestaltungstechniken
Vorstellungen
Ökonomische Bedingungen
Unterhaltung und Spiel
Hörbeiträge
Austausch und Kooperation
Videobeiträge
Gestaltungsformen Ablaufstrukturen
Verhaltensorientierungen
Rechtliche Bedingungen
Wertorientierungen
Personale und andere institutionelle Bedingungen
Analyse und Simulation
Interaktive Beiträge
Gestaltungsarten
Soziale Zusammenhänge
Politische und weitere gesellschaftliche Bedingungen
4. Anworten auf den Teufelskreislauf
4.3
Medienpädagogische Kompetenz
Blömeke geht in ihrem Modell zur Entwicklung medienpädagogischer Kompetenz von Lehrkräften – wie die meisten Autor*innen, die Modelle zur Medienkompetenzentwicklung von Kindern und Jugendlichen ausgearbeitet haben – zunächst von Baacke aus. Dieser spricht zwar nicht explizit von medienpädagogischer Kompetenz, aber von einer von Lehrkräften zu entwickelnden Medienkompetenz, die sich von der Medienkompetenz, die Schüler*innen entwickeln sollen, insofern unterscheidet, als dass sie im Kontext einer wissenschaftlich ausgerichteten Lehrerausbildung zu entwickeln ist und dazu befähigen soll, Schüler*innen in ihrer Medienkompetenzentwicklung zu unterstützen. (Vgl. Baacke 1995, S. 3f.) Dabei gehe es nicht allein um eine Medienerziehung, die darauf konzentriert sei, Schüler*innen eine bestimmte Mediennutzung zu vermitteln, sondern sie »auch fähig zu machen, kompetent Medien-Sprache wahrnehmen und entziffern zu können (Bildungsdimension) sowie diese Fähigkeiten auf […] [ihr] eigenes Leben in der Familie, im Beruf und in sozialen Bezügen anzuwenden (Handlungsdimension)…« (Baacke 1995, S. 4f.) Für Blömeke sind damit die Fähigkeiten, die Lehrer*innen in Bezug auf Medien brauchen, nicht differenziert und ausreichend geklärt. Grundlage für ihre weiteren Ausführungen ist daher auch das Modell zum Erwerb Informations- und Kommunikationstechnologischer Bildung (IKB) von Renate Schulz-Zander. Schulz-Zander weist vor allem auf Möglichkeiten hin, die sich durch digitale Medien für die Öffnung von Schule und die Gestaltung konstruktivistischer Lernprozesse ergeben. (Vgl. Schulz-Zander 1997, S. 11) Für sie bieten digitale Medien den Vorteil, Wissen ganzheitlicher darzustellen und abstrakte Prozesse visuell zu präsentieren. (Vgl. Schulz-Zander 1996) Blömeke gibt aus einem Thesenpapier zur 51. Sitzung der Gemischten Kommission der KMK von 1996 wieder, welche Kompetenzen nach Schulz-Zander in der Lehrerausbildung entwickelt werden sollten: Damit Lehrer*innen Chancen nutzen können, die sich durch digitale Medien ergeben, sollten sie sich damit auseinandersetzen, was Informations- und Kommunikationstechnologien für Erziehung und Bildung bedeuten. Notwendig sei es, dass Lehrer*innen in der Lage sind, zu beurteilen, wie Medien auf Kinder wirken, wie sie Medien als Lern- und Lehrwerkzeuge im Unterricht einsetzen können und was ihr Einsatz für die Interaktion zwischen Lehrer*in und Schüler*innen bedeutet. Lehrer*innen müssten die Fähigkeit entwickeln, digitale Medien selbst zu gestalten und im Unterricht einzusetzen. (Vgl. Blömeke 2000, S. 114) Blömeke kritisiert, dass Schulz-Zander keine Theorieeinordnung vornimmt bzw. das von ihr präsentierte Modell nicht ausreichend wissenschaftlich fundiert ist, zu wenig auf analoge Medien eingeht (vgl. a.a.O., S. 118) und Medien vor allem als Werkzeuge versteht. (Vgl. a.a.O., S. 123) Um diesen Mangel zu kompensieren, greift sie auf Tulodziecki zurück, der seine Thesen zur Entwicklung medienpädagogischer Kompetenz in didaktische Grundsätze zur Gestaltung von Unterricht eingeordnet habe, wobei sich diese Grundsätze vor allem in einem handlungsorientierten Unterricht realisieren ließen, »der folgende Aspekte als Ausgangspunkt berücksichtigt: die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen, ihre Lebenssituation sowie ihren Kenntnis- und Erfahrungsstand.« (A. a. O., S. 126) Die Ausführungen von Tulodziecki und die Modelle von Baacke sowie Schulz-Zander zusammenführend formuliert Blömeke ein eigenes Modell, mit dem sie vier Kompetenzen fasst und ausdifferenziert, die angehende Lehrer*innen in
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ihrem Studium bzgl. Medien entwickeln sollten: Hier nennt sie zunächst die medienpädagogische Kompetenz und definiert sie als »die reflektierte Verwendung von Medien und Informationstechnologien im Unterricht – das Gebiet also, was traditionell unter dem Begriff der ›Mediendidaktik‹ verstanden wird…« (Blömeke 2000, S. 156) Inbegriffen sei hier die »Gestaltung weiterentwickelter schulischer Lehr- und Lernformen…« (A. a. O., S. 157) Als zweite Kompetenz nennt Blömeke die medienerzieherische Kompetenz, die die Fähigkeit fasst »Medienthemen im Sinn pädagogischer Leitideen im Unterricht behandeln zu können…« (A. a. O., S. 159) Die sozialisationsbezogene Kompetenz im Medienzusammenhang beinhaltet die »Fähigkeit zur konstruktiven Berücksichtigung der Lernvoraussetzungen beim medienpädagogischen Handeln« (a.a.O., S. 162), die Schulentwicklungskompetenz im Medienzusammenhang schließlich die »Fähigkeit zur innovativen Gestaltung der Rahmenbedingungen medienpädagogischen Handelns…« (A. a. O., S. 165) Diese Kompetenzen setzten eine Medienkompetenz voraus, wie sie Tulodziecki näher beschrieben hat (siehe Abschnitt 4.2 in diesem Buch). Tulodziecki hat aber auch – ausgehend von dem von Blömeke ausgearbeiteten Modell zur medienpädagogischen Kompetenzentwicklung – Medienbildungsstandards ausgearbeitet, die in Abschnitt 4.4 dargelegt werden sollen, weil sie u.a. in den 2017 von der Sektion Medienpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft veröffentlichten Orientierungsrahmen für die Entwicklung von Curricula für medienpädagogische Studiengänge und Studienanteile mündeten. Genannt werden im Folgenden aber auch Begründungen für die Ausarbeitung von Medienbildungsstandards, die andeuten, dass nicht allein medienpädagogische, grundschulpädagogische oder erziehungswissenschaftliche Positionen und Argumente wirksam werden, sondern dass diese Positionen von anderen Diskursen mitstrukturiert werden. Wie ich diese Mitstrukturierung durch andere Diskurse verstehe, zeigt sich in einer kurzen Beschreibung von Popkewitz. Seine Zusammenfassung einer Studie aus den USA über städtische Schulen und Schulen im ländlichen Raum präsentiert zu welcher Art Aussagen das Ineinandergreifen oder auch Überlappen von unterschiedlichen Diskursen führen kann: »Teachers in a study of urban and rural schools, for example, gave intent and purposes to the practices of teaching through an overlapping of different discourses about the ›needy‹ child that embodied a particular population reasoning to classify children of color and poverty (Popkewitz 1998). The children were defined as having particular attributes in need of remediation - the child’s whose ›learning style‹ is ›field-dependent‹, who learns only ›by doing‹, who lacks a ›healthy self-concept‹, and whose parents are on welfare or whose mother is an ›unwed mother‹. The population reasoning inscribed in this speech is not ›natural‹ to the teacher […] The practices of population reasoning in teacher discourses positioned the children of color and poverty as the anthropological ›others‹ who were normatively different.« (Popkewitz 2001, S. 167)
4.4
Medienbildungsstandards in der Lehrer*innenbildung
Blömeke hat ihr Modell zur medienpädagogischen Kompetenz auf Baacke, SchulzZander, aber vor allem auf Tulodziecki aufgebaut. Dieser hat wiederum auf Basis
4. Anworten auf den Teufelskreislauf
der benannten medienpädagogischen Kompetenzen Medienbildungsstandards für die Lehrerbildung ausgearbeitet. Da Tulodziecki in einem Aufsatz von 2012 die Medienbildungsstandards nicht nur darstellt, sondern auch begründet, lässt sich davon ausgehend nachvollziehen, von welchen Diskursen und damit verbundenen gesellschaftlichen Erwartungen diese u.a. mitstrukturiert sind. Der »Begriff ›Medienkompetenz‹ – angeregt durch die Arbeit von Baacke (1973) – […] wurde bis zu den 1990er Jahren sowohl für die medienpädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen als auch für die Lehrerbildung verwendet.« (Tulodziecki 2012, S. 271) Seit Mitte der 90er Jahre hat sich nach Tulodziecki jedoch für die Lehrer*innenbildung der Begriff der medienpädagogischen Kompetenz durchgesetzt. Verdeutlicht werde damit, »dass Lehrpersonen über eigene Medienkompetenz hinaus in der Lage sein müssen, Lernbedingungen zu schaffen, die Schülerinnen und Schülern die (Weiter-)Entwicklung ihrer Medienkompetenz ermöglichen.« (Ebd.) Etabliert wurde der Begriff im Rahmen des Hochschulnetzwerks Lehrerausbildung und neue Medien, das Ende der 90er Jahre auch begonnen hat, »verschiedene Zielkataloge für die Lehrerbildung [zu] entwickeln, wobei u.a. zwischen einer Basisqualifikation für alle Lehramtsstudierenden und einer Zusatzqualifikation im Sinne einer möglichen Schwerpunktsetzung und besonderen Zertifizierungen unterschieden wurde (vgl. Spanhel/Tulodziecki 2001, 10ff.).« (A. a. O., S. 271f.) Tulodziecki begründet die Entwicklung von Zielkatalogen, die klären sollten, »welche Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten von zukünftigen und gegenwärtigen Lehrpersonen im Medienbereich zu verlangen sind« (a.a.O., S. 272) mit den Standards, die Mitte der 90er Jahre generell für die Lehrerbildung aufgrund des schlechten Abschneidens deutscher Schüler*innen bei der Third International Mathematics and Science Studie (TIMSS) und dem Programme for International Student Assessment (PISA) gefordert wurden: »Mit deren Ergebnissen war und ist generell ein wachsender Legimitationsund Veränderungsdruck auf das Bildungssystem verbunden, der auch die Lehrerbildung betrifft. (Vgl. Terhart 2004, S. 17) Fragen der Wirksamkeit von Lehrerbildung, ihrer Evaluation und Qualitätssicherung sind damit stärker in den Blickpunkt öffentlichen Interesses getreten.« (A. a. O., S. 273) Somit ist nach Tulodziecki auch die Medienpädagogik aufgefordert, Bildungsstandards zu entwickeln. Hinzu kämen die von der KMK 2004 veröffentlichten Standards für die Bildungswissenschaften, in denen medienpädagogische Inhalte zum Thema gemacht wurden, sowie die Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Master: »Im Kontext dieser Diskussion ist die Frage nach Standards für die Lehrerausbildung besonders wichtig geworden – gelten Standards doch als ›Gelenkstellen‹ für die Entwicklung angemessener Studienprogramme und deren Evaluation im Sinne der Qualitätssicherung. Für die Medienpädagogik stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach einer Verankerung in den neu zu gestaltenden Studiengängen.« (Ebd.) Wenn Tulodziecki von Bildungsstandards spricht, versteht er diese »als Ausdruck von Kompetenzen […], die im Rahmen der Lehrerbildung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht sein sollen.« (A. a. O., S. 274) Standards bzw. Kompetenzen haben nach Tulodziecki sowohl Orientierungs-, Qualifizierungs-, Curriculum-, Reform-, Professionalisierungs- und Zertifizierungsfunktion. (Vgl. ebd.) Während die Orientierungsfunktion Dozent*innen ermöglichen soll zu erfassen, »welches Wissen und
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Kinder. Medien. Kontrolle.
Können und welche Einstellungen wünschenswert erscheinen und welches Handeln angestrebt werden sollte« (ebd.) und die Curriculumfunktion eine entsprechende Entwicklung von Aus- und Fortbildungsprogrammen herausfordere, deute die Evaluationsfunktion darauf hin, »dass Standards dazu dienen können, Aktivitäten zur Lehrerbildung hinsichtlich ihrer Zielerreichung zu prüfen und gegebenenfalls zu bewerten, wobei entsprechende Einschätzungen letztlich der Anregung möglicher Verbesserungen dienen sollen.« (Ebd.) Vor allem letztere Funktion ist jedoch kritisch zu hinterfragen: Eine Kompetenz wird in einer bestimmten, sie herausfordernden Situation aufgerufen, um eine Handlung zu ermöglichen; dabei wird diese aber nicht sichtbar. Sichtbar wird allein die ausgeführte Handlung bzw. Performanz; entsprechend lässt sich auch nur diese bewerten und nicht die dahinterstehende Kompetenz. So verwundert es auch nicht, dass Tulodziecki die von (angehenden) Lehrkräften zu entwickelnde eigene Medienkompetenz fasst, indem er nicht Kompetenzen benennt, sondern vor allem Performanzen bzw. sichtbare Handlungen, die durch Kompetenzen, die sich nicht eindeutig bestimmen lassen, hervorgebracht werden. Demnach sollen Lehrer*innen u.a. »Medienangebote und nicht-mediale Möglichkeiten im Hinblick auf angestrebte Nutzungszusammenhänge […] erläutern und sachgemäß […] handhaben, kriterienbezogen […] vergleichen und […] bewerten, begründet aus[…]wählen sowie unter Beachtung sozialer bzw. gesellschaftlicher Verantwortung […] nutzen.« (A. a. O., S. 276) Lehrer*innen sollen sozial verantwortlich, zielgruppen- und situationsorientiert Medien gestalten und sich in ihnen ausdrücken. Sie sollen die dafür geeigneten Medien selbstständig auswählen können, Ausdrucksmöglichkeiten, die Medien bieten, erkennen und benennen können, sie sollen Medieneinflüsse erfassen können und in der Lage sein, »problematische Einflüsse der Mediennutzung in geeigneten Formen aufzuarbeiten und ihnen entgegenzuwirken sowie Medieneinflüsse bei der eigenen Mediengestaltung und Verbreitung berücksichtigen…« (Ebd.) Auch für die Beschreibung der von Lehrer*innen bzw. angehenden Lehrer*innen zu entwickelnden medienpädagogischen Kompetenz gilt, dass nicht die Kompetenz an sich gefasst wird, sondern vielmehr Handlungen, von denen angenommen wird, dass sie durch die Kompetenz hervorgebracht werden. Hier stellen sich nach Tulodziecki für die Schule »vor allem drei Herausforderungen: die reflektierte Mediennutzung für Lernen und Lehren, die Wahrnehmung von Erziehungs- und Bildungsaufgaben im Medienbereich, sowie die Entwicklung schulinterner medienpädagogischer Konzepte…« (A. a. O., S. 277) Gebraucht wird dafür nach Tulodziecki ein Wissen über die Bedeutung, die Medien im Alltag von Kindern und Jugendlichen haben. »Des Weiteren ist es wichtig, die sozialisatorische Bedeutung der Medien bei ihrer Nutzung im Unterricht sowie bei medienerzieherischen Aktivitäten in angemessener Weise zu berücksichtigen.« (Ebd.) Der Einsatz von Medien im Unterricht beinhaltet nach Tulodziecki, dass Medienangebote kritisch für den Unterricht ausgewählt, aber auch selbst hergestellt werden. (Vgl. a.a.O., S. 278) Ein von ihm mit Wahrnehmung von Erziehungs- und Bildungsaufgaben im Medienbereich überschriebenes Kompetenzfeld fordert eine Auseinandersetzung mit Medien im Unterricht, die dazu führt, dass Schüler*innen lernen, selbstbestimmt, reflektiert und kritisch mit Medien umzugehen. Darüber hinaus sollen ausgebildete Lehrer*innen in
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der Lage sein, medienpädagogische Konzepte zu dokumentieren, zu bewerten, aber auch selbst zu entwickeln. (Vgl. ebd.) In seinem Kompetenz-Standard-Modell zur Medienpädagogik formuliert Tulodziecki auch Standards bzw. Niveaustufen aus. (Vgl. ebd.) Das Modell ist eine Grundlage des Orientierungsrahmens für die Entwicklung von Curricula für medienpädagogische Studiengänge und Studienanteile, den die Sektion Medienpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft entwickelt hat. Das Modell von Tulodziecki wurde diskutiert, inhaltlich präzisiert, ergänzt und von der Sektion wie folgt verabschiedet. (Siehe Abb. 6) Zusammenfassend lässt sich sowohl für das Kompetenz-Standard-Modell zur Medienpädagogik als auch für den Orientierungsrahmen sagen, dass erwünschtes bzw. erwartetes Handeln beschrieben wird, während dafür notwendige Kompetenzen unbestimmt bleiben; es wird aufgefordert, sich entsprechend der in diesen Beschreibungen enthaltenen Normen und Idealen zu verhalten. Damit geht es nicht um Lern- und Bildungsprozesse, sondern um Anpassung, auch wenn Tulodziecki betont, »dass Standards für die Lehrerbildung vor allem dann positive Wirkungen entfalten, wenn sie weniger zur Steuerung von Lern- und Lehrprozessen, sondern vor allem als Reflexionshilfen und als Anlässe für eine diskursive Verständigung zwischen Lernenden und Lehrenden dienen.« (Tulodziecki 2012, S. 293) Die formulierten Erwartungen an das zukünftige Handeln von angehenden Lehrer*innen in Bezug auf Medien bleiben auch dann anzusteuern, wenn Lehre, wie Tulodziecki fordert, fall- und handlungsorientiert gestaltet wird, also »durch eine erkundungs-, problem-, entscheidungs— [sic!], gestaltungs- und beurteilungsorientierte Auseinandersetzung mit praktisch und theoretisch relevanten Fällen im Sinne forschenden Lernens gekennzeichnet ist.« (A. a. O., S. 294) Angeregt werden soll zwar »die für die Professionalisierung wichtige Reflexivität als Bindeglied zwischen Fallverstehen und Handeln… Dem kommt auch die – bei der Festlegung von Kompetenzaspekten – geforderte Analyse und Bewertung vorhandener Beispiele und die Entwicklung und Erprobung eigener Beispiele entgegen« (ebd.), doch sind die Kriterien für die Analyse und Bewertung in den Bildungsstandards – also in der Beschreibung des von den zukünftigen Lehrer*innen im Kontext von schulischem Lernen erwarteten Umgangs mit Medien – bereits vorgegeben. Zentral ist hier die Forderung reflektiert zu handeln, und damit die kritische Distanznahme zum eigenen Handeln. Was darunter zu verstehen ist, ist eingebettet in die Kultur einer wissenschaftlichen Lehrerbildung, die sich seit vierzig Jahren als eine reflexive versteht und als solche zu reflexiven Praktiken auffordert. (Vgl. Berndt, Häcker & Leonhard 2017, S. 11) Diese reflexiven Praktiken beziehen sich in Lehrveranstaltungen in der Regel nicht auf ein konkretes Problem, das in einer Situation entsteht und zu lösen ist, sondern auf fiktive, theoretisch entworfene Probleme, die zur Präsentation routinierter, von Normen der Reflexivität geprägten Praktiken auffordern. So wird Reflexion u.a. »eine wichtige Funktion dabei zugeschrieben, Alltagstheorien, subjektive Theorien bzw. implizites Wissen, das im Handeln zum Ausdruck kommt, in explizites Wissen zu transformieren, auf wissenschaftliches Theorie- und Forschungswissen zu beziehen, um dann später im wissenschaftlich fundierten interventionspraktischen Handeln die angezielte pädagogische Professionalität zu realisieren (vgl. Korthagen 2001, 53; Oevermann 2009, 115f.; Neuweg 2011, 466, 469).« (Häcker 2017, S. 22) Gehe ich nun davon aus, dass im Sinne von Popkewitz Theorie- und
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Forschungswissen Regeln und Standards setzen, wie etwas in dieser Welt zu verstehen ist, steht zugleich die Erwartung im Raum, diesen Regeln und Standards entsprechend reflexive Praktiken auszuführen. Auch wenn die Sektion Medienpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft herausstellt, dass sie zu Mediatisierungs- und Digitalisierungsprozessen kritisch Stellung nimmt, ist der Ausgangspunkt ihrer curricularen Überlegungen bzgl. medienpädagogischer Inhalte, die im Kontext pädagogischer Studiengänge zu thematisieren sind, auch bildungspolitisch ausgerichtet. So heißt es von den Autor*innen: »Der vorliegende Orientierungsrahmen greift aktuelle bildungspolitische Diskussionen auf und zeigt, wie die Medienpädagogik gesellschaftliche Verantwortung übernimmt, indem sie einerseits zu Mediatisierungs- und Digitalisierungsprozessen kritisch Stellung nimmt, zum anderen aber auch grundsätzliche Voraussetzungen für die medienpädagogische Professionalisierung aufführt.«29 Der Orientierungsrahmen soll laut der Autor*innen Hochschulen darin unterstützen, medienpädagogische Lehrinhalte zu entwickeln und zu begründen: »Der Orientierungsrahmen bildet eine Grundlage für die Gestaltung und Begründung von Studiengängen mit medienpädagogischer Thematik. Insgesamt knüpft der Orientierungsrahmen an die Entwicklung von Kerncurricula durch andere Fachdisziplinen an und führt die von der Initiative ›Keine Bildung ohne Medien!‹ angestoßene Diskussion um eine ›Grundbildung Medien‹ konstruktiv fort.«30 Die Aufgabe der Medienpädagogik wird in diesem Zusammenhang damit gefasst, dass sie gesellschaftliche Medienentwicklungen aus pädagogischer Perspektive beschreibt und einordnet, »sowie im Hinblick auf pädagogisches Handeln reflektiert…«31 Es wird betont, dass es im Kontext der Entwicklung von medienpädagogischer Kompetenz auch »um die Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit – unter anderem mit der Reflexion der eigenen Werthaltungen und des eigenen Habitus«32 geht; die zu erwerbende medienpädagogische Kompetenz wird jedoch vor allem damit begründet, dass »medienpädagogisch Tätige bei ihren späteren Zielgruppen Lern- und Bildungsprozesse mit, über und durch Medien im Sinne von Medienkompetenz anregen und unterstützen können.«33 Die Lern- und Bildungsprozesse in Bezug auf Medien werden wiederum ausgehend von gesellschaftlichen Medienentwicklungen formuliert, bzw. werden sie als erforderlich für eine Teilhabe »in einer mediatisierten Wissensund Informationsgesellschaft«34 beschrieben. Es soll die Fähigkeit entwickelt werden, Prozesse der Mediatisierung und Digitalisierung im gesellschaftlichen Kontext in ihrer Bedeutung für Lernen, Erziehung und Bildung zu erfassen.35 Damit werden Kompetenzkataloge mit dem Anspruch erstellt, auf wandelnde Bedingungen, aber auch auf individuelle Interessen und Bedürfnisse einzugehen. Es geht um eine forschende Grund29 30 31 32 33 34 35
https://www.medienpaed.com/article/view/603/563 vom 02.03.2019 Ebd. Ebd. A. a. O., S. 2 A. a. O., S. 3 Ebd. Vgl. a.a.O., S. 4
4. Anworten auf den Teufelskreislauf
haltung, um die Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit. Dennoch sind die zu entwickelnden Kompetenzen nicht unbestimmt bzw. erlauben die Auseinandersetzung mit jedem möglichen Problem, jeder möglichen Situation oder auch jedem möglichen Kontext, sondern gehen von Strukturen aus, die angenommen werden. Entsprechend werden sie begründet: sie befähigen dazu, in den angenommenen Strukturen zu leben bzw. sich in diesen behaupten zu können. Die Ausführungen der Sektion bringen die Notwendigkeit zum Ausdruck, sich als erziehungswissenschaftliche Disziplin an bildungspolitischen Diskursen zu beteiligen, um erziehungswissenschaftliche Positionen in diesen zu platzieren. Damit dies gelingt, muss sie sich in diesen verständlich machen, bzw. sind Probleme so zu beschreiben, dass sie in eben diesem Diskursen wahrgenommen werden, wie auch folgende Einordnung von Moser zeigt: Er begründet die Forderung, dass Medienkompetenz in allen Schulfächern »als Teil einer mediatisierten Alltagswirklichkeit entwickelt werden muss« (Moser 2012, S. 276), und »alle Lehrerinnen und Lehrer befähigt werden müssen, in ihren Fächern jene Querschnittskompetenzen zu entwickeln, die kompetentem medienbildnerischen Handeln in der Schule zugrunde liegen« (ebd.), nicht zuletzt mit Anforderungen, die sich in der Berufswelt ergeben. Moser betont, dass es nicht um die Entwicklung voneinander abgegrenzter Fähigkeiten geht, sondern um handlungsorientierte medienpädagogische Kompetenzen im Sinne »selbstorganisierter Problemlösefähigkeit« (a.a.O., S. 264), da in der Berufswelt »nicht nur Befähigungen gefragt [sind], welche von einem klar definierten Anfangszustand zu einem klar definierten Ziel gelangen; vielmehr sind umfassende Kompetenzen notwendig, komplexe Sachverhalte zu analysieren, innovativ zu handeln, Neues zu entwickeln…« (Ebd.) Bereits 2001 stellte Gapski fest, dass der Medienkompetenzdiskurs nicht vorrangig pädagogisch ausgerichtet ist, sondern sich hier vielmehr unterschiedliche Diskurse durchdringen und gegenseitig beeinflussen, wie der folgende Abschnitt zeigt.
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Abb. 6: Orientierungsrahmen für die Entwicklung von Curricula für medienpädagogische Studiengänge und Studienanteile der Sektion Medienpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft ( www.dgfe.de/fileadmin/OrdnerRedakteure/Sektionen/Sek12_MedPaed/ Orientierungsrahmen_Sektion_Medienpaed_final.pdf vom 09.03.2019), eigene Darstellung Aufgaben- und Reflexion und Handeln in medienpädagogischer Verantwortung bzw. berufsethischer Haltung Reflexionsfelder unter den Perspektiven von:
Bereiche des Wissens, Könnens und der Reflexion
Erziehung: Anleitung und Unterstützung eines förderlichen, sozialkommunikativen Medienverhaltens
Bildung: Anregung und Unterstützung beim Lernen über Medien und deren Reflexion sowie bei der Gestaltung mit Medien
Didaktik: Lehren und Lernen mit Medien bzw. in digitalen Lernumgebungen
Grundbegriffe und Fragestellungen der Medienpädagogik verstehen und in reflexiver Weise nutzen
Grundbegriffe, z.B. Medien, Mediatisierung, Medialität, Digitalisierung, Medienkonvergenz, Medienkompetenz, Mediensozialisation, Medienaneignung, Medienanalyse, Medienkritik Fragestellungen der Medienpädagogik und ihrer Teilbereiche, z.B. von Ansätzen zur Medienerziehung, Medienbildung und Mediendidaktik (auch unter Einbezug historischer Entwicklungen)
Rahmende Strukturen medienpädagogischen Handelns wissenschaftlich beobachten bzw. erfassen, reflektieren, beachten und auf diese Einfluss nehmen
Entwicklungen im Medienbereich, Prozesse der Mediatisierung und Digitalisierung im gesellschaftlichen Kontext (einschließlich digitaler Ungleichheit, Kommerzialisierung, Datafizierung, Wandel von Öffentlichkeit), Bedeutung für Lernen, Erziehung und Bildung Ansätze zu Mediensozialisation und Medienaneignung (einschließlich Fragen des Medieneinflusses sowie des informellen Lernens mit, über und durch Medien) Soziale und kulturelle Praxen im Kontext von Medien (Medienkulturen) Medienpädagogisch relevante Ergebnisse, z.B. der Kommunikationswissenschaft, Medien(kultur)wissenschaft, Informatik, Mediensoziologie, Medienpsychologie und Medienphilosophie
Medienangebote und Medienwelten analysieren, reflektieren und (mit) gestalten
Medienanalyse, Medienkritik und Mediengestaltung aus der Sicht von Erziehung und Bildung unter Einbezug medienwissenschaftlicher Ansätze
Medienpädagogische Ansätze zur Medienerziehung Ansätze zur Medienbildung Konzeptionen, Modelle und (einschließlich des Kinder- und (einschließlich Anteilen Theorien Jugendmedienschutzes) informatischer Bildung) verstehen, analysieren, kritisch einordnen und in Beziehung zu eigenen Vorstellungen setzen
Medienanalyse, Medienkritik und Mediengestaltung aus der Sicht von Lernen und Lehren unter Einbezug mediendidaktischer Ansätze Ansätze zur Mediendidaktik (einschließlich lern-lehrtheoretischer Grundlagen)
Ergebnisse und Methoden medienpädagogischer Forschung erläutern, kritisch einordnen und einzelne Verfahren in exemplarischer Weise erarbeiten und reflektiert anwenden
Forschungsergebnisse zu Erziehungs- und Bildungsaufgaben in Forschungsergebnisse zur Zusammenhängen von Mediatisierung und Digitalisierung Verwendung, Gestaltung und Weiterentwicklung von Medien und digitalen Lernumgebungen
Medienpädagogische Praxissituationen vor dem Hintergrund von Theorie und Empirie analysieren und bewerten sowie selbst gestalten und evaluieren
Praktische Erziehungs- und Beratungssituationen mit ihren Intentionen und Vorgehensweisen
Bildungsangebote und institutionelle Bedingungen medienpädagogischen Handelns erfassen, bewerten und weiterentwickeln
Unterschiedliche Bildungsangebote und Bildungsorte mit ihren institutionellen Bedingungen (einschließlich Verknüpfungen zwischen formalen, non-formalen und informellen Bildungsprozessen sowie von rechtlichen, ökonomischen, ausstattungsbezogenen, organisatorischen, personalen und curricularen Bedingungen und ethischen Anforderungen), z.B. in frühkindlicher Bildung, Schule, außerschulischer Jugendbildung, Sozialer Arbeit, beruflicher Bildung, Erwachsenen- und Weiterbildung, Seniorenbildung
Methodologische bzw. wissenschaftstheoretische Grundlagen der Forschung und Forschungsparadigmen (einschließlich gestaltungsorientierter Forschung) Qualitativ-empirische und quantitativ-empirische Forschung Methoden der Forschung: Verfahren (einschließlich Evaluation und Praxisforschung) sowie Techniken (einschließlich visueller Methoden), jeweils in ihrer Bedeutung für die medienpädagogische Forschung Medienpädagogische Praxisprojekte, z.B. zur Gestaltung und Reflexion von Medienprodukten und/oder Lern-Lehr- Situationen über Medienthemen mit ihren Zielen, Inhalten und Vorgehensweisen
Lern-Lehr-Sequenzen mit Medienverwendung bzw. in digitalen Umgebungen mit ihren Intentionen, Inhalten und Vorgehensweisen
4. Anworten auf den Teufelskreislauf
4.5
Medienkompetenzdiskurs
Harald Gapski hat für seine Untersuchung 104 Auslegungen des Begriffs Medienkompetenz näher betrachtet und diesen schließlich elf Perspektiven zugeordnet, die er wie folgt benennt: medientechnischer Diskurs, biologistischer Diskurs, linguistischer Diskurs, soziologischer Diskurs, psychologischer Diskurs, medienpädagogischer Diskurs, institutioneller Diskurs, medienpolitischer Diskurs und medientheoretischer Diskurs. (Vgl. Gapski 2001, S. 46) Mit den Perspektiven lässt sich nach Gapski systematisch zeigen, wie sich unterschiedliche Diskurse durchdringen und gegenseitig beeinflussen. Um Deutungsangebote zum Medienkompetenzbegriff klassifizieren zu können, hat Gapski ein Raster mit sechs Kategorien entwickelt: »Dieses Raster versucht ein breites Spektrum von Differenzierungen abzubilden… Leitend bei der Aufteilung dieser sechs Kategorien war ihre systematisierende und ordnende Funktion…« (A. a. O., S. 171) Mit den sechs Kategorien werden Begriffsmerkmale gefasst, die Gapski medienkundliche, selbst-reflexive, praktisch-instrumentelle, kreativ-gestalterische, normative, sozial-reflexive und affektive Begriffsmerkmale der Medienkompetenz nennt. (Vgl. a.a.O., S. 172) Dabei beschreibt das erste Begriffsmerkmal Wissen und Kenntnisse »über Medienzusammenhänge und das Hintergrundwissen über (De-)Codierungen und Zeichensysteme« (ebd.) und das zweite »das ›Subjekt der Medienkompetenz‹ in seiner Beziehung zur medialen Umwelt…« (Ebd.) Das dritte Merkmal verweist auf die Nutzung und den Umgang mit Medien, das vierte auf die Gestaltung von Medien, das fünfte ist überindividuell einzuordnen und bezieht sich »auf ein wertorientiertes Handeln vor dem Hintergrund sozialer Verantwortlichkeit (ethisch-moralische Dimension) und politischer Handlungsfähigkeit (Partizipation, demokratische Komponenten)…« (Ebd.) Das sechste Begriffsmerkmal beschreibt schließlich »emotionale und affektive Dimensionen der Auseinandersetzung mit Medien und der individuellen Bewältigung von Medienwirkungen. In ihrer Ausprägung reichen sie von ›Genuss‹ bis ›Angst‹.« (Ebd.) Die Begriffsmerkmale sind nicht ohne Weiteres mit Kategorien zu vergleichen, die aus anderen Medienkompetenzmodellen bekannt sind: mal sind sie differenzierter, mal weniger differenziert, wie der Vergleich mit unterschiedlichen Modellen zeigt. (Siehe Abb. 7) Gapski hat sich für seine inhaltsanalytische Studie journalistische Printmedien näher angesehen, wissenschaftliche und allgemeine Publikationen, zu denen auch abgedruckte Interviews, Kommentare und Texte aus Broschüren zählen. (Vgl. Gapski 2001, S. 174) Neben einer insgesamt zunehmenden Verwendung des Begriffs Medienkompetenz, die nach Gapski auf eine zunehmende gesellschaftliche Relevanz des Begriffes Medienkompetenz hinweist (vgl. a.a.O., S. 192), und unterschiedlichen Auslegungen des Begriffs, erkennt er in seiner Arbeit, dass die Diskurse insgesamt eher subjektzentriert ausgerichtet sind: »Die Mehrheit der Definitionen sprechen über Medienkompetenz im Sinne einer [sic!] Fähig- oder Fertigkeiten eines Subjektes…« (Ebd.) Überindividuell präsentiert würden vor allem »normative Rahmenbedingungen oder Voraussetzungen…« (Ebd.) So erscheint das Subjekt – der*die Mediennutzer*in, der*die Lerner*in oder auch der*die Medienkonsument*in – vor allem als »›Objekt‹ geeigneter Maßnahmen zur Förderung von Medienkompetenz, zu deren Durchführung gesellschaftliche Rahmenbedingungen erfüllt sein müssen.« (Ebd.) Zudem würden in den untersuchten Begriffsauslegungen besonders praktisch-instrumentelle Begriffsmerkmale fokussiert.
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(Vgl. ebd.) Im Folgenden präsentiere ich eine medienpädagogische Studie, die in ihrer Umsetzung meiner Ansicht nach durch diese Begriffsauslegung strukturiert wird, obwohl die theoretischen Erläuterungen zu der Studie darauf hinweisen, dass genau dies vermieden werden sollte.
Abb. 7: Vergleich Medienkompetenzmodelle nach Gapski 2001, S. 171, eigene Darstellung Autor/Diff. Gapski (2001)
Aufenanger (1997)
Baacke (1999a)
Dewe/Sander (1996)
KBE (1999)
Kübler (1999)
Lange (1999)
Wissen und Kenntnisse über Medienzusammenhänge
Kognitive Dimensionen
Medienkunde
Sachkompetenz
Wahrnehmungskompetenz
kognitive Fähigkeiten
Individuelle Ebene
das Subjekt der Moralische Medienkompetenz Dimensionen in seiner Beziehung zur medialen Umwelt
Medienkritik
Selbstkompetenz
Verarbeitungskompetenz
analytische und evaluative Fähigkeiten
Qualifikatorische Ebene
Nutzung und Umgang mit Medien
Soziale Dimensionen
Medien-nutzung Sozialkompetenz
Beurteilungs- sozial, und reflexive SelektionsFähigkeiten kompetenz
Gestaltung von Medien
Affektive Dimensionen
Mediengestaltung
Kritische Nutzungskompetenz
wertorientiertes Ästhetische Handeln vor dem Dimensionen Hintergrund sozialer Verantwortlichkeit emotionale und Handlungsaffektive Dimension Dimensionen der Auseinandersetzung mit Medien
Kreative Handlungskompetenz
handlungsorientierte Fähigkeiten
Gesellschaftliche Ebene
4. Anworten auf den Teufelskreislauf
4.6
Medienkompetenzen messen
Neben Medienbildungsstandards und Medienkompetenzmodellen wird versucht Instrumente für die Messung von Medienkompetenz zu entwickeln. Dieser Versuch soll im Folgenden an der Arbeit von Johannes Zylka näher präsentiert werden, da sie meines Erachtens nach zu einer Auslegung des Begriffs Medienkompetenz führt, die Gapskis Ergebnisse bestätigt, obwohl Zylka sich in den theoretischen Ausführungen zu seiner Studie anders positioniert. Zylka hat einen Test entwickelt, mit dem informationstechnisches Wissen von Lehrkräften, Lehramtsanwärter*innen und Lehramtsstudent*innen gemessen werden können soll, obwohl der Titel seiner Arbeit � Medienkompetenzen und Instrumente ihrer Messung – sowie seine Ausführungen zu theoretischen Vorannahmen, von denen er ausgegangen ist, weitaus mehr versprechen. So geht Zylka zur Begründung seines Vorhabens zunächst ausführlich auf den Diskurs zum Medienkompetenzbegriff ein. In diesem Kontext wirft er Probleme auf, die mit der Idee einhergehen, Medienkompetenz messen zu wollen. So gelte es zunächst einmal, ein geeignetes Verständnis von Medienkompetenz zu formulieren. Zylka selbst macht hier einen weiten theoretischen Raum auf, um schließlich festzustellen, dass es nicht möglich ist, Medienkompetenz in einem weiten Verständnis zu messen, sondern nur einzelne Medienkompetenzen, aus denen sich Medienkompetenz zusammensetze. Aus diesen Medienkompetenzen greift er das informationstechnische Wissen mit der Begründung heraus, dass es sich so operationalisieren lasse, dass es quantitativ messbar werde. Gleichzeitig betont er, dass er den Medienkompetenzbegriff damit nicht auf technisch-instrumentelles Wissen reduzieren will. Als Grund für seine Entscheidung ausschließlich informationstechnisches Wissen zu messen, führt er die Kompetenzpyramide Virtuelle Medien an. (Siehe Abb. 8) »So geht Hurst (2007, S. 49) in Anlehnung an Groebel (1997, S. 112) davon aus, ›dass es Basiskompetenzen und darauf aufbauende übergeordnete Kompetenzen gibt‹. Als Basiskompetenzen verstehen die Autoren zunächst instrumentell-technische Kompetenzen, auf denen weiterführende Dimensionen (inhaltich-kognitive Kompetenzen, sozial-kommunikative Kompetenzen, emotionale Kompetenzen und kritisch-reflexive Kompetenzen) basieren (vgl. Hurst 2007, S. 49).« (Zylka 2013, S. 38) Idee ist also, dass ohne informationstechnisches Wissen alles andere nicht geht, sich fehlende instrumentell-technische Fähigkeiten und Fertigkeiten negativ auf alle darauf aufbauenden Dimensionen auswirken. (Vgl. a.a.O., S. 38) Zudem ist für Zylka die Konzentration auf Fähigkeiten und Fertigkeiten von Einzelnen im Umgang mit Informations- und Kommunikationstechnologien legitim, weil sie zu der KMK-Forderung einer Informationstechnischen Grundbildung (vgl. KMK 2012, S. 7) passe. Zylka formuliert ein ausdifferenziertes Verständnis von Medienkompetenz als Ausgangspunkt seines Vorhabens, indem er zunächst den von Habermas aufgebrachten Begriff der Kommunikativen Kompetenz präsentiert, den Baacke in seiner Habilitationsschrift verwendet und »als Fähigkeit des Menschen zur Verständigung über Symbole sprachlicher und nicht-sprachlicher Art versteht.« (Zylka 2013, S. 29) Er kritisiert ein reduziertes Verständnis von Medienkompetenz, das sich in den vergangenen Jahrzehnten im Kontext zunehmend computerbasierter Technologien durchgesetzt habe: Der
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Begriff werde zunehmend »auf das Beherrschen technischer Abläufe reduziert, was dazu führte, dass medienpädagogische Gesichtspunkte weitestgehend keine Beachtung fanden…« (A. a. O., S. 30) Auch wenn Medienkompetenz nach Zylka inzwischen wieder mit einem erweiterten Verständnis diskutiert wird, hält er fest, dass »in der alltäglichen Verwendung das Beherrschen der Medientechnik die am häufigsten mit dem Medienkompetenzbegriff in Verbindung gebrachte Dimension [bleibt].« (Ebd.) Grund dafür sei nicht zuletzt die Annahme, »dass diesen instrumentell-qualifikatorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten im Hinblick auf die Qualifikation von Individuen für das Berufsleben eine wesentliche Rolle zukommt.« (Ebd.) Um den Medienkompetenzdiskurs näher zu beleuchten, verweist Zylka auch auf Gapski und seine Untersuchung von Diskursen zum Medienkompetenzbegriff. Er zitiert Gapskis Feststellung, dass Medienkompetenz in unterschiedlichen Diskursen vor allem verstanden wird als »Fähig- oder Fertigkeiten eines Subjektes« (Gapski 2001, S. 192), die mit Hilfe geeigneter Maßnahmen gefördert werden sollten. Von einem solchen reduzierten Verständnis grenzt er sich ab, indem er auf eine Definition von Medienkompetenz von Bernd Schorb zurückgreift. Zylka ordnet das Medienkompetenzverständnis, das Schorb formuliert, in seiner Arbeit als state of the art ein (vgl. Zylka 2013, S. 36), obwohl es, wie das folgende Zitat unterstreicht, deutlich macht, dass Medienkompetenz nicht mit Wissenstests erfasst werden kann: »Medienkompetenz ist die Fähigkeit, auf Basis strukturierten zusammenschauenden Wissens und einer ethisch fundierten Bewertung der medialen Erscheinungsformen und Inhalte, sich Medien anzueignen, mit ihnen kritisch, genussvoll und reflexiv umzugehen und sie nach eigenen inhaltlichen und ästhetischen Vorstellungen, in sozialer Verantwortung sowie in kreativem und kollektiven Handeln zu gestalten.« (Schorb 2005, S. 262) Das Medienkompetenzverständnis von Schorb legitimiert damit Zylkas Forschungspraxis, aber strukturiert diese nicht. Ähnlich einzuordnen ist aus meiner Sicht die Verwendung des Medienbildungsbegriffs im Kontext von Medienkompetenzforderungen oder der Idee Medienkompetenzen messen zu können. Der Medienbildungsbegriff wird seit den neunziger Jahren immer öfter verwendet, was in der Medienpädagogik zu der Frage geführt hat, was Medienbildung im Unterschied zu Medienkompetenz meint, wie u.a. der Band Medienbildung und Medienkompetenz zeigt, den Heinz Moser, Petra Grell und Horst Niesyto 2011 veröffentlicht haben. In ihrem Vorwort schreiben die Autor*innen zu dem Diskurs über Medienkompetenz und Medienbildung, dass es vielfältige Gründe dafür gibt, dass er geführt wird. Sie »hängen u.a. mit der Akzentuierung unterschiedlicher theoretischer Begründungszusammenhänge, mit Weiterentwicklungen der Theoriebildung auf dem Hintergrund des rasanten medialen Wandels, aber auch mit disziplinären Konstellationen bei dem Aufbau neuer BA- und MA-Studiengänge im Bereich Medienpädagogik und Medienbildung zusammen.« (Moser, Grell & Niesyto 2011, S. 7) Interessant ist im Kontext dieses Diskurses die Position von Schorb. Für ihn werden mit den beiden Begriffen keine Gegensätze präsentiert, vielmehr ergänzten sich diese gegenseitig (Vgl. Schorb 2009, S. 8), denn mit Medienkompetenz sei nicht allein »eine Aneignung funktionalen Medienwissens« (a.a.O., S. 4) gemeint. Mit Verweis auf Arbei-
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ten von Dieter Baacke, Norbert Groeben, Gerhard Tulodziecki et al. klärt Schorb, dass in der Medienpädagogik Medienkompetenzmodelle vorgelegt worden seien, in denen sich bemüht wurde »Fähigkeiten zu bündeln, die grundsätzlich den Umgang der Subjekte mit ihrer Welt beschreiben, spezifiziert auf den Umgang mit Medien.« (Ebd.) Während für Schorb eine Gegenüberstellung der Begriffe damit obsolet ist, hält Spanhel die Auseinandersetzung über die beiden Begriffe für entscheidend, da durch sie deutlich werde, dass medienpädagogische Forschung und Praxis zu Unterschiedlichem aufgefordert wird – je nachdem, ob von Medienkompetenz oder Medienbildung gesprochen wird: »Ich betrachte diese Auseinandersetzung nicht als einen müßigen Streit, denn Begriffe stehen für Theorien. Die Begriffe Medienkompetenz und Medienbildung führen zwangsläufig zu ganz unterschiedlichen Zugangsweisen, Beschreibungen und Abgrenzungen des Gegenstandsbereichs der Medienpädagogik: Hinter dem Begriff Medienkompetenz steht eine Kompetenztheorie, während der Begriff der Medienbildung auf eine Bildungstheorie verweist. Kompetenztheorien richten sich auf spezifische Ausprägungen der allgemeinen menschlichen Handlungsfähigkeit, hier im Umgang mit oder in der Aneignung von Medien (Medien-Kompetenz), Bildungstheorien beschreiben dagegen grundlegende Merkmale und Aspekte des als autonom gedachten menschlichen Bildungsprozesses und die in der Person und in ihrer Umwelt liegenden Bedingungen (Medien-Bildung). Daher muss eine Medienpädagogik auf bildungstheoretischer Grundlage völlig anders konzipiert werden als eine kompetenztheoretisch begründete Medienpädagogik (Spanhel 2010 c).« (Hervorheb. i. Orig., Spanhel 2011, S. 97) Nach Spanhel drückt der Begriff Medienbildung u.a. aus, dass es um einen von außen nicht steuerbaren Prozess geht: »Bildung ist ein vom Heranwachsenden selbst gesteuerter Prozess. Medienerziehung darf daher nicht im Sinne eines kausal-mechanistischen Zusammenhangs missverstanden werden.« (Spanhel 2006, S. 190) Ich lese in dieser Begriffsauslegung auch einen Verweis auf das von Niklas Luhmann und Karl Eberhard Schorr beschriebene Technologiedefizit. Die mit diesem verbundene Herausforderung wird von Spanhel an einem Beispiel näher erläutert, das sich auf Medien bezieht: So könnten Pädagog*innen im Rahmen eines Projektes zum Thema Film Lehrund Lernziele formulieren. Wie sich die Lernprozesse der Lerner*innen aber tatsächlich gestalten würden, sei von außen nicht zu klären. »Der Heranwachsende abstrahiert aus den pädagogisch gestalteten Lernumgebungen bestimmte Wahrnehmungs, Wertungs-, Denk- und Handlungsmuster, integriert sie in sein psychisches System und baut daraus seine eigenen Wissensstrukturen und Handlungspläne. In diese inneren Prozesse haben wir als Erzieher keinen Einblick, wir können nur einiges davon aus nachfolgenden Verhaltensweisen oder Kommunikationen erschließen.« (Spanhel 2006, S. 190) Demnach lassen sich also in Medienbildungsprozessen entwickelte Medienkompetenzen nicht vollständig erschließen, womit ausgeschlossen ist, dass sie messbar sind, also eindeutig beschreibbar. Grund dafür ist nach Luhmann und Schorr, dass Pädagogik keine Technologie ist, die sie als »die Wissenschaft von den Kausalverhältnissen [beschreiben], die praktischen Intentionen zugrunde liegen und nach denen das Handeln sich richten muß, wenn es Erfolg haben muß.« (Luhmann & Schorr 1982, S. 11) Damit sei vorausgesetzt, dass Handelnde wissen, welche Ursache welche Wirkung hat.
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Im Schulunterricht seien jedoch die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen individuellen und sozialen Prozessen von einer Lehrkraft nicht vollständig zu erfassen und zu berücksichtigen, so dass diese nicht wissen könne, was sie wie genau bewirke: So sei das Erziehungsziel in der Schule die »Entwicklung von Selbstreferenz zur Fähigkeit, in Übereinstimmung mit sich selbst zu erleben und zu handeln…« (A. a. O., S. 17) Selbstreferenz trete jedoch im Schulunterricht bei allen Teilnehmer*innen auf, »und zwar in den psychischen Systemen je individuell wie auch im System der sozialen Kommunikation« (ebd.), so dass diese nicht von einem Standpunkt aus überblickbar sei, »zumal dieser Standpunkt als der des Lehrers selbst aktiv im System involviert ist.« (Ebd.) Damit werde es unmöglich »die faktisch ablaufenden Entscheidungsprozesse durch Setzung von Entscheidungsprämissen zu steuern…« (A. a. O., S. 15) Für Luhmann und Schorr folgt aus dem Technologiedefizit, dass eine Lehrkraft »situationsrelative Kausalpläne benutzen und sich primär variablen Faktoren, ja an Ereignissen orientieren [muss]«. (A. a. O., S. 27) Entsprechend eigne sich für Unterricht nur eine Technologie, »die am reagierenden Objekt operieren und ihre Entscheidungen treffen muß.« (A. a. O., S. 28) Nicht gelingen könne Unterricht dagegen, wenn versucht werde, in ihm Wirkungen zu bezwecken. Auszugehen ist »von Problemstellungen und Situationstypisierungen…« (A. a. O., S. 29) Es gehe darum zu erhalten, »was man Sensibilität für Zufälle und Chancen nennen könnte.« (Ebd.) Das Technologiedefizit führt nach Luhmann und Schorr in der Pädagogik nicht grundsätzlich zu einer Abkehr von Technologie oder zu einem Nachdenken darüber, wie sie verbessert werden könnte, sondern vielmehr werde versucht mit dem Technologiedefizit auszukommen bzw. es »durch Idealisierungen oder Moralisierungen oder Mißerfolgszurechnungen« (ebd.) zu nivellieren. Zylka löst das Problem für seine Arbeit, indem er schreibt: »Auch wenn im Rahmen dieser Arbeit durchaus eingeräumt werden kann, dass Kompetenzen prinzipiell nur sehr schwer in ihrer Gänze abgebildet werden können (dies entspräche dem oben angeführten hermeneutischen Ansatz), so ist gleichwohl einer eher praxisbezogenen Sichtweise zuzugestehen, dass verschiedene Prädikatoren zumindest partiell Schlüsse auf Kompetenzen zulassen und damit deren Verwendung im Kontext der Kompetenzerfassung durchaus sinnvoll sein kann.« (Zylka 2013, S. 76) Damit wendet sich Zylka einem kognitionspsychologischen Kompetenzverständnis zu. (Vgl. Zylka 2013, S. 81) Mit dem Verweis auf Verfahren, die nach Katharina Müller eingesetzt werden, um berufliche Handlungskompetenzen zu erfassen (vgl. Müller 2010), stellt Zylka heraus – auch wenn er dies nicht unbedingt intendiert, sondern vielmehr versucht sein weiteres Vorgehen zu begründen –, dass Methoden fehlen, mit denen Kompetenzentwicklungen von Lernenden tatsächlich erfasst werden können. So entlarvt Müller an Hand von vier Verfahren, die für die Erfassung von beruflichen Handlungskompetenzen angewandt werden, dass mit ihnen nicht Kompetenzen, sondern andere Dinge erfasst werden: So werden Handlungskompetenzen versucht zu erfassen, indem Lernende aufgefordert werden, sich selbst zu beurteilen. Dabei handelt es sich jedoch um subjektive Selbsteinschätzungen (Vgl. a.a.O., S. 58), mit denen keine Kompetenzen abgebildet werden können, sondern nur Einschätzungen von Kompetenzen. Genannt werden von der Autorin zudem Beobachtungen, mit denen das Verhalten
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von Proband*innen in einer Situation erfasst wird. Auch diese eignen sich nicht zur Erfassung von Kompetenzen, da Kompetenzen nicht beobachtet werden können: Eine Kompetenz meint nicht die Ausführung einer Handlung, sondern zum einen die Fähigkeit und zum anderen die Macht, etwas tun zu können. Beobachtet werden kann nur die Performanz der Proband*innen, nicht die zu dieser führende Kompetenzen. Als dritte Methode nennt Müller Entwicklungsaufgaben, zu denen unter anderem die Ausarbeitung eines Portfolios gehören kann, in denen Lernende ihre eigenen Handlungen reflektieren. Hier ist davon auszugehen, dass Dokumente entstehen, in denen Selbstbeurteilungen präsentiert werden, aber sich auch Performanz zeigt u.a. in Form reflektierter Schreibhandlungen. Als viertes nennt Müller Tests: Leistungstests, Fähigkeitstests, Interessentests oder auch Persönlichkeitstests. Tests liegen Konstruktionen zu Grunde bzgl. dessen, was Leistung oder auch eine Persönlichkeit ausmacht. Diese Konstruktionen müssen für eine quantitative Erhebung quantitativ erfassbar sein. Alles, was sich nicht quantitativ erfassen lässt, kann nicht berücksichtigt werden. Hier wird ein weiteres Problem von Messinstrumenten deutlich, die versucht werden, für die Kompetenzmessung zu entwickeln – und damit ein weiteres Problem in Zylkas Studie: Er entscheidet sich, einen Wissenstest zu entwickeln, mit dem quantitativ Medienwissen von Lernenden erhoben werden soll. Einem solchen Test kann nur die Annahme zugrunde liegen, dass Wissen vermittelt, aber nicht aktiv von Lernenden produziert wird, denn überprüft werden kann in einem solchen nur, was ich annehme, was gewusst werden sollte. Zylka schreibt zwar, dass ein »Schwerpunkt der Fragen auf praxisorientierte bzw. -alltagsrelevante Fragen gelegt wurde« (Zylka 2013, S. 109), was suggeriert, dass von dem Wissen ausgegangen wird, was von den Lernenden mitgebracht wird. Tatsächlich gibt er mit seinem Test aber vor, was für die zu testenden Lernenden alltagsrelevant ist. Entwickelt hat er die Fragen für den Test zudem auf Grundlage eines internationalen Standardwerks, »das beansprucht, alles notwendige Wissen zum Umgang mit Computern bzw. der Informationstechnik zu beinhalte[n]…« (Ebd.) Im Folgenden soll näher erläutert werden, welches Verständnis von Lernen mit dem Kompetenzbegriff und der Art verknüpft ist, wie er in der Arbeit von Zylka verwendet wird. Dabei ist die Arbeit als Exempel zu verstehen, denn medienpädagogische Praxis und Forschung scheint überwiegend von dem Lernverständnis strukturiert, das mit der Verwendung des Medienkompetenzbegriffs einhergeht: » Mag diese Grundsatzdebatte auch vielen Praktikern ungelegen kommen, ihnen als unsinnige begriffliche Haarspalterei erscheinen oder sie gar in ihrer Arbeit verunsichern. Sie müssen zur Kenntnis nehmen: Begriffe sind Handlungsmandate, die zu ganz unterschiedlichen pädagogischen Handlungsaufforderungen und Aufgaben führen. Medienkompetenz fordert zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit des Menschen im Umgang mit den modernen technischen Medien auf, zu einem pädagogischen Handeln als Hilfe zur Medienaneignung, als Medienkompetenzförderung, möglichst im Rahmen praktischer Medienarbeit (vgl. Schorb 2009). Medienbildung dagegen fordert nach meiner Vorstellung dazu auf, die anthropologische Bedeutung von Medialität für den menschlichen Bildungsprozess zu erkennen und dementsprechend die Bildungsprogramme in unserer mediatisierten Gesellschaft umzugestalten…« (Hervorheb. i. Orig., Spanhel 2011, S. 97)
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Abb. 8: Kompetenzpyramide Virtuelle Medien nach Zylka 2013, S. 38, eigene Darstellung
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4.7
Reduktion von Lernen auf das Lösen von Problemen
Das Kompetenzverständnis, das der Arbeit von Zylka zugrunde liegt, entspricht Jochen Krautz folgend einem weitverbreiteten Verständnis, das auf Franz Emanuel Weinert zurückzuführen ist. (Vgl. Krautz 2015) Weinert versteht Kompetenz als »die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.« (Weinert 2001, S. 27f.) Für Krautz definiert Weinert Kompetenzen als »zweckgerichtete (funktionale) Fähigkeiten des Denkens (Kognition), um Probleme zu lösen, sowie die dazu notwendige Motivation, der Wille und die sozialen Einstellungen…« (Krautz 2015, S. 8) Damit werde Lernen auf das Lösen von Problemen reduziert, obwohl es in der Schule um weitaus mehr gehe: »Eine Vielzahl schulischer Lernvorgänge in Fächern wie Deutsch, Musik, Kunst, Sport, Geschichte u.a. lässt sich damit nicht erfassen. Und es sind gerade diese Anteile des Unterrichts, die nach Sinn und Bedeutung der Sache für den Lernenden fragen, die wir als ›bildend‹ bezeichnen.« (Ebd.) Ausgegangen werde im Kontext der Orientierung an Kompetenzen nicht mehr von Inhalten. Im Kontext von Medienpädagogik geht es also dann nicht mehr um Medien, was sie kulturell und gesellschaftlich bedeuten, sondern um den kompetenten bzw. richtigen Umgang mit ihnen. Ausgangspunkt sind nach Krautz Methoden, mit denen Fertigkeiten trainiert und angeeignet werden können sollen. »Die Frage nach dessen Sinn und Bedeutung ist letztlich nebensächlich und beliebig. Kompetent ist nun, wer mit Wissen ›umzugehen‹, Informationen ›abzurufen‹ und zu ›organisieren‹ versteht.« (A. a. O., S. 11) Wer jedoch mit Hilfe einer Suchmaschine zu einer Sache Informationen im Internet recherchieren könne, habe damit eine Sache nicht verstanden, bzw. mögliche Bedeutungen geklärt, die diese für einen selbst und die Welt haben können: »Google bildet nicht Verständnis und Urteilskraft.« (Ebd.) Nun betont Tulodziecki, dass im Anschluss an die von der Kultusministerkonferenz 2004 veröffentlichten Standards für die Lehrerbildung (vgl. KMK 2004) die erste Phase vor allem das Ziel habe, »dass die Studierenden wissenschaftliche Grundlagen für die berufliche Handlungsfähigkeit erwerben.« (Tulodziecki 2012, S. 283) Mit Blick auf die von Student*innen zu entwickelnde medienpädagogische Kompetenz, geht es nach Tulodziecki damit um »wissenschaftliche Grundlagen für die Medienverwendung im Unterricht, für die Wahrnehmung medienbezogener Erziehungs- und Bildungsaufgaben sowie für die Entwicklung medienpädagogischer Konzepte…« (Ebd.) Damit weist auch er darauf hin, dass es nicht allein um die Entwicklung von Kompetenzen gehen kann, sondern darüber hinaus ein Wissen notwendig und entsprechend aufzubauen ist, welches er als wissenschaftliche Grundlagen bezeichnet. An diesem Punkt sei noch einmal betont, dass es keinesfalls darum geht, alle Verwendungen des Begriffs Medienkompetenz und damit alle Medienkompetenzmodelle gleichzumachen. So lassen sich nach Niesyto unterschiedliche Entwicklungspfade fassen, die unterschiedlich ausgerichtete Medienkompetenzmodelle hervorgebracht haben. Einen zentralen Entwicklungspfad fasst Niesyto als Bildungsprozesse mit Medienbezug: Ausgegangen wird hier »vom vorhandenen Mediengebrauch der Menschen«
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(Hervorheb. Orig., Niesyto 2011, S. 3) Intendiert sei »die Förderung eines medienkompetenten Handelns. Dabei ist zu beachten, dass die Menschen und die verschiedenen Sozialgruppen unterschiedliche Bedürfnisse, Muster und Präferenzen des Mediengebrauchs haben.« (Hervorheb. i. Orig., ebd.) Der zweite Entwicklungspfad ist technischfunktional ausgerichtet und fokussiert nach Niesyto »vor allem anwendungsbezogenes Bedien- und Funktionswissen im Umgang mit Medien. Dieses Modell ist eng mit wirtschaftlichen Interessen verknüpft.« (Niesyto 2011, S. 3) Auch Modelle, die als eng mit wirtschaftlichen Interessen verknüpft einordbar sind, sind dieses nicht unbedingt, weil bewusst versucht wird, ökonomisch und politisch motivierte Ziele durchzusetzen. Wenn ich Ausformulierungen von Medienkompetenzmodellen, Medienbildungsstandards und sich daraus entwickeln sollende Curricula als kulturelle Artefakte verstehe, die Konzepte, Methoden, Inhalte sowie Lehr- und Lernstrategien präsentieren, die von Annahmen und Vorstellungen bzgl. Lernen, Entwicklung, Bildung o. ä. geprägt sind, behaupte ich nur, dass ökonomische Interessen das bildungspolitische Engagement der Medienpädagogik mitstrukturieren. Mit dieser Einordnung vertrete ich eine Position, die auch in der Medienpädagogik diskutiert wird. So bezweifelt neben Spanhel auch Bachmair, dass es ausreicht, das Ziel der Medienpädagogik ausschließlich mit Medienkompetenz zu fassen: »Will man sich der Bildungsaufgabe theoretisch wie praktisch stellen, dann geht es um nicht weniger als die Frage, wie Medien in das Verhältnis der Menschen zu sich, zu anderen, zur Kultur, zu den Dingen und Ereignissen vermittelnd eingreifen, vielleicht sogar Prägekraft entwickeln.« (Bachmair 2005, S. 255) Bachmair fordert daher die Aufgaben der Medienpädagogik kulturtheoretisch zu betrachten. (Vgl. a.a.O., S. 265f.) Zu berücksichtigen sind hier zentrale gesellschaftliche Entwicklungen, die Bachmair als »aktuelle krisenhafte Umbruchssituation« (a.a.O., S. 266) fasst: »Enttraditionalisierung der westlichen Industriegesellschaft«, »Individualisierung der Lebensrisiken (Krankheit, Arbeit) und Lebensformen«, „Globalisierung als Lebensform der ›globalen Netzwerke der Instrumentalität‹“, »Ästhetisierung der Lebensformen und die Verschiebung der Sozialisationsperspektive von einer objektiven gesellschaftlichen Wirklichkeit zur individuellen ›Erlebnisrationalität‹…« (Ebd.) Der folgende Abschnitt verdeutlicht, dass nicht nur die von Bachmair präsentierte Kritik an einer Fokussierung auf Medienkompetenz Teil des medienpädagogischen Diskurses ist, sondern auch die Kritik an einer undifferenzierten Verwendung und Auslegung des Begriffs Medienbildung. (Vgl. Jörissen 2011, S. 212)
4.8
Reduktion auf die Vermittlung von Medienkompetenz
Bachmairs Ausführungen machen deutlich, dass die Kritik an einer Fokussierung auf die Vermittlung von Medienkompetenz vor allem durch das Erkennen eines sozialen Wandels geprägt ist, von dem Pädagogik nicht unberührt gedacht werden kann. Er spricht von einer krisenhaften Umbruchssituation; das passt insofern, als dass es offensichtlich nicht gelingt, wie Michael Wimmer schreibt, die Zeit, in der wir leben – wenn das überhaupt je möglich war – »auf einen Begriff zu bringen.« (Wimmer 2002, S. 287) Die Suche nach Begriffen in den Sozialwissenschaften zeige, dass es nicht möglich sei, die Situation in Gänze zu beschreiben: »Globalisierung (vgl. Bauer u.a. 1999), Moder-
4. Anworten auf den Teufelskreislauf
nisierung (vgl. Beck/Giddens/Lash 1996), dritte technologische Revolution (Bell 1990), Postmoderne (Lyotard 1982), Posthistoire (Kamper 1988; Sloterdijk 1988).« (Ebd.) Die fehlende oder unzureichende Standortbestimmung führt nach Wimmer dazu, dass »basale Grundannahmen des Begreifens dabei sind, ihre Geltung zu verlieren oder sie schon verloren haben.« (A. a. O., S. 288) Die sich verändernde Gesellschaft führe damit auch zu veränderten Aufgaben in der Pädagogik, die mit zunehmenden Unbestimmtheiten konfrontiert sei: »Was man lange für einen sicheren Grund hielt, der Standhaftigkeit und Bodenhaftung garantierte, Gewißheit und Weltbezug, ist eine (sprachlich evozierte) Fiktion, Konstruktion, Interpretation und als solche kulturell relativ und historisch kontingent.« (A. a. O., S. 290) Damit lässt sich nach Wimmer nicht von Tatsachen ausgehen, nicht von einer Wahrheit: »Tatsachen sind Interpretationen und Wahrheit ist gemacht und plural dazu. Was dies für die Erziehungswissenschaften allerdings bedeutet, zeigt sich nicht einem kosmischen Blick, sondern offenbart sich nur einer Innenperspektive.« (Ebd.) Wie mit dieser Entwicklung umgegangen werden kann, scheint bislang in der Pädagogik – und damit auch in der Medienpädagogik –nicht ausreichend geklärt. Kade stellt bereits 1997 fest, dass sich auflösende Ordnungen und Strukturen in pädagogischen Diskursen thematisiert werden, doch bleibt »ungeklärt, wie die durch zunehmende Pluralität, ja, Beliebigkeit pädagogischer Ziele, durch thematisch-inhaltliche Ausdehnung massenmediale Erweiterung der Reichweite und die umfassende soziale Inklusion der Bevölkerung gewachsene Komplexität des Pädagogischen theoretisch wieder unter Kontrolle gebracht werden kann.« (Kade 1997, S. 32) Nach Kade ist das Pädagogische »die Praxis des Vermittelns von Wissen an die als Subjekte verstandenen Individuen, und es ist ein Ort, an dem das Vermitteln unterschiedlicher Welten als soziale Praxis unmittelbar geschehen soll.« (A. a. O., S. 36) Damit werde Wissen vorausgesetzt. Dieses werde nicht von der Pädagogik, sondern von Wissenschaft und Massenmedien hervorgebracht. Pädagogik produziere kein Wissen, wähle es aber aus: nach der Logik vermittelbar oder nicht-vermittelbar. (Vgl. a.a.O., S. 39) Dieses ist nach Kade der Grund für »die inhaltliche Beliebigkeit des Pädagogischen.« (A. a. O., S. 41) Während die traditionelle Pädagogik sich »über einen bei ihren Adressaten zu erreichenden, positiv bewerteten Zustand, etwa der Vollkommenheit, Mündigkeit, Emanzipation [definierte]« (a.a.O., S. 43), stelle sich nun allein die Frage, ob etwas vermittelbar sei oder nicht, wobei »die Identifizierung des pädagogischen Systems mit ›vermittelbar‹ als positivem Wert [impliziert], daß das, was vermittelbar ist, auch vermittelt wird.« (A. a. O., S. 45) Nicht gefasst sei in diesem Code, wie etwas zu vermitteln sei und ob etwas vermittelt werde. (Vgl. a.a.O., S. 47) Werden also wie in dem für die Lehrer*innenbildung von Tulodziecki entwickelten Standard-Kompetenz-Modell zur Medienpädagogik ausgehend von zu entwickelnden Kompetenzen Standards formuliert und diese wiederum in Niveaustufen eingeteilt (vgl. Tulodziecki 2012, S. 289), wird zum einen impliziert, dass diese vermittelbar sind, und zum anderen, dass Lernen von außen planbar ist. Damit ergibt sich nach Scholz u.a. das Problem, dass das »Nicht-Planbare […] als ›nicht-existent‹ einfach ausgegrenzt [wird].« (Scholz 2005, S. 70) Wird davon ausgegangen, dass Lernen planbar und damit kein offener Prozess ist, dessen Grundlage »die Komplexität einer Umgebung [ist], die sich nicht vollständig analytisch erkennen lässt, in der er es aber notwendig ist, zu han-
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Kinder. Medien. Kontrolle.
deln« (ebd.), werden also nur Inhalte berücksichtigt, die sich vorab benennen und bestimmen lassen. Dies sei vor allem problematisch, da wir immer mehr über die Welt wüssten und unser Wissen zunehmend vernetzten, womit die »Komplexität der realen, also politischen, ökonomischen, kulturellen, technischen Welt« (a.a.O., S. 71) und damit auch »die Komplexität von Wissen [steigt]…« (Ebd.) Für Scholz müsste daraus folgen, dass Lernen zur Lebensaufgabe wird. Beobachtbar sei jedoch weniger die Ausrichtung an einer Lerngesellschaft als an einer Wissensgesellschaft: »die Veränderungen im Bildungsbereich lassen sich zusammenfassend charakterisieren als Veränderung vom Lernen zum Wissen. Wissen bezeichnet das, was bereits bekannt ist. Lernen bezieht sich auf das noch Unbekannte. […] Wissen als schon immer bereits vorhandenes, schließt als zu lernend aus, was nicht als Wissen klassifiziert wird.« (A. a. O., S. 72) Ich gehe davon aus, dass der medienpädagogische Diskurs wesentlich von der Idee strukturiert wird, dass Lernen planbar ist, und es darum geht, vorhandenes Wissen zu vermitteln. Die Fokussierung auf Medienkompetenzmodelle und die Entwicklung von Medienbildungsstandards zeigt, dass Unbestimmtheiten in diesem Diskurs zwar als Problem benannt werden; das Problem wird aber im Kontext der Frage, was wie zu vermitteln ist, ausgeblendet. Jörissen kritisiert zudem eine undifferenzierte Verwendung und Auslegung von Begriffen im medienpädagogischen Diskurs und benennt damit verbundene Folgen für die Gestaltung von Lern- und Bildungsprozessen. Er problematisiert, dass bildungspolitische Auslegungen des Begriffs Medienbildung in den Fachdiskurs dringen und diesen mitstrukturieren: »Man wird solche Importe faktisch nicht vermeiden können (und möglicherweise erfüllen sie fachpolitisch eine wichtige Funktion der strukturellen Kopplung von Bildungspolitik und erziehungswissenschaftlichem Diskurs; ermöglichen also Anschlüsse und Kommunikationen)« (Jörissen 2011, S. 212); für solche Anschlüsse und Kommunikationen müssten jedoch Differenzen in der Begriffsauslegung geklärt werden. (Vgl. ebd.) Abhängig sei die Auslegung des Begriffs zunächst einmal von dem Kontext, in dem der Begriff verwendet werde; hier unterscheidet Jörissen den öffentlich-politisch-administrativen, den praxistheoretisch-pädagogischen und den begrifflich-theoretisch fokussierten Kontext; diese seien punktuell miteinander verbunden, doch seien die mit den einzelnen Kontexten jeweils »verbundenen Perspektiven auf Bildung so unterschiedlich, dass […] auf einer begriffslogischen Ebene die jeweiligen Bildungsverständnisse nicht – zumindest nicht unmittelbar – miteinander vergleichbar oder zueinander in Beziehung zu setzen sind.« (Ebd.) Um wesentliche Unterschiede in den Begriffsauslegungen darlegen zu können, präsentiert Jörissen drei zentrale Interpretationen des Begriffs: »›Bildung‹ als Output im Bildungswesen (bildungspolitische, administrative Perspektive)« (a.a.O., S. 213), »›Bildung‹ als Ergebnis oder Ziel individueller Lernprozesse« (a.a.O., S. 215) und »›Bildung‹ als transformatorisches Prozessgeschehen…« (A. a. O., S. 220) Bildung als Output »zielt auf die Bereitstellung von Optionen für Individuen im Interesse des Erwerbs von Wissen und Kompetenzen durch entsprechende gesellschaftliche Maßnahmen…« (A. a. O., S. 213) Diese Begriffsauslegung gebe keine Hinweise darauf, wie pädagogische Praxis bzw. Lernprozesse gestaltet werden könnten:
4. Anworten auf den Teufelskreislauf
»›Medienbildung‹ – gerne mit bestimmten Artikel als ›die Medienbildung‹ zum Bildungssektor gleichsam vergegenständlicht – wäre auf dieser Ebene als ein übergreifendes, breitbandiges Konzept zu verstehen, das den gesellschaftlichen Bildungsauftrag vor der zeitdiagnostischen Folie einer durchgängig und tiefgreifend mediatisierten Gesellschaft neu bewertet,‹ ohne dadurch schon begriffliche Vorentscheidungen dezidiert zu treffen.« (A. a. O., S. 214) So zeige sich u.a. in Publikationen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), dass die Begriffe Medien und Bildung »mal im mediendidaktischen Sinne (BMBF 2000), mal im Sinne kultureller Medienbildung (BMBF 2004) und mal im Sinne von Medienkompetenz als ›Arbeitstechnik‹ ›für die Welt von morgen‹ (BMBF 2009b) thematisiert werden.« (Ebd.) Nach Jörissen prägt dieses Verständnis sowohl Ausführungen zur Medienbildung von Moser als auch von Tulodziecki: »Der Bezug zur Bildungspolitik im Kontext mit dem Ausdruck Medienbildung wird dabei direkt hergestellt (vgl. Moser 2010, 69). Ebenso wie Moser thematisiert Tulodziecki (2010) unter dem Titel ›Standards für die Medienbildung‹ eine ›Diskussion um Medienkompetenz und Medienbildung‹ (ebd., 87).« (Jörsissen 2011, S. 214) Tulodziecki nutze den Begriff der Medienbildung aber um eine »›schulische Medienbildung‹, also schulische Umsetzung von Medienkompetenzanforderungen [zu beschreiben].« (Ebd.) Wird Bildung als Ziel benannt, wird sie nach Jörissen nicht als Prozess in den Blick genommen, »sondern als […] erreichtes Niveau, gedacht; allerdings als Ergebnis individueller Lernprozesse und nicht als abstrakter ›Output‹ eines Bildungssystems. Neben formaler Bildung findet die Bedeutung von (selbst)sozialisatorischem und informellem Lernen Anerkennung (Overwien 2004).« (a.a.O., S. 215) Der Fokus liege dennoch auf dem, was in Bezug auf einen Lerngegenstand oder ein Lernfeld gelernt wurde bzw. zu lernen ist. (Vgl. a.a.O., S. 217) »Im Sinne dieses Bildungsverständnisses wird der Terminus ›Medienbildung‹ nah an formalen pädagogischen Vermittlungsprozessen diskutiert. In diesem Sinne findet beispielsweise der Terminus ›Mediengrundbildung‹ als Analogon zur ›Grundbildung‹ Verwendung, worunter die Vermittlung von Medienkompetenzen verstanden wird (vlg. [sic!] BMBF 2009).« (A. a. O., S. 218) Fokussiert werde hier auf den Aufbau von Dispositionen, nicht aber auf die Transformation von Dispositionen, welche »durch Kompetenzbeschreibungen nicht ›vor-geschrieben‹ werden können.« (A. a. O., S. 219) Werde Bildung dagegen als Prozess verstanden, in dem es um die Transformation von Selbst- und Weltverhältnissen gehe, stünden nicht Ergebnisse oder Resultate des Bildungssystems oder Resultate, die auf individuelle Lernprozesse zurückzuführen sind, im Fokus. Verstanden werde Bildung aus dieser Perspektive vielmehr »als prinzipiell unabgeschlossen-prozesshaftes Geschehen der Transformation von Sichtweisen auf Welt und Selbst (Kokemohr/Koller 1996). Bildung wird also differenz-theoretisch gedacht; sie ist nicht in einem Outputmodell oder einem Kompetenzkatalog ›fest-stellbar‹.« (Hervorheb. i. Orig., a.a.O., S. 220)
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5. Konstituierung des Forschungsgegenstandes
Nach Ewald Terhart werden in der Lehrerbildung grundlegende berufliche Fähigkeiten entwickelt, »eine Basis, die jedoch bestenfalls zum gut qualifizierten Berufsanfänger führt. Die weitere Entwicklung der beruflichen Kompetenzen findet nachhaltig in den ersten Berufsjahren statt, wird jedoch hier nicht abgeschlossen: Berufliche Kompetenzentwicklung bezieht sich auf den gesamten Prozess von der Berufswahlentscheidung über die Berufsausbildung bis zur Berufsausübung selbst…« (Terhart 2010, S. 238) Terhart geht davon aus, dass sich mit der Entwicklung der beruflichen Fähigkeiten auch Einstellungen verändern: »Insbesondere die in der Ausbildung erworbenen eher ›liberalen‹ pädagogischen Haltungen scheinen im Lauf der ersten Berufsjahre zurückzugehen zugunsten ›realistischerer‹, an den Schulalltag und die Möglichkeiten des Berufs angepasster Überzeugungen…« (Ebd.) Angenommen wird hier, dass sich im Studium berufsbezogene Einstellungen entwickeln. Sollen diese nun in Bezug auf Medien näher betrachtet werden, ist das Studium zunächst mit seinen Inhalten und seiner Struktur zu beschreiben, um davon ausgehend den Gegenstand der Untersuchung konstituieren zu können, wobei hierfür neben der Beschreibung der inhaltlichen Ausgestaltung der Lehrer*innenbildung auch aktuelle Herausforderungen genannt werden, die ihr zugeschrieben werden, sowie die Situation an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg näher beschrieben wird, an der ich für meine empirische Studie Gruppendiskussionen mit Grundschullehramtsstudent*innen geführt habe.
5.1
Lehrer*innenbildung
Die inhaltliche Gestaltung der Lehrer*innenbildung richtet sich deutschlandweit an den von der Kultusministerkonferenz (KMK) veröffentlichten Standards für die Bildungswissenschaften (2004) und Fachwissenschaften (2008) aus. Sie stellen verbindliche Empfehlungen für die Lehrer*innenbildung dar. Vorgaben für die Lehrer*innenbildung gibt es seit der Lehrerprüfungsordnung, die Wilhelm von Humboldt vor knapp 220 Jahren veröffentlicht hat. »Ziel des Schulunterrichts war eine umfassende Allgemeinbildung, so dass diese auch von den Lehrern gefordert wurde…« (Landmann 2013, S. 18) Bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts gelten vor allem das Unterrichten
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und Erziehen als die zentralen Aufgaben von Lehrer*innen, »wobei im 19. Jahrhundert keine eindeutige Trennung der Handlungsfelder erfolgt. Der erste bildungspolitische Hinweis auf eine mögliche Trennung der Handlungsfelder wird 1926 von Kultusminister Becker gegeben, der auf eine Verschiebung der Anteile des Erziehens und der Wissensvermittlung von der Volksschule zur höheren Schule hinweist.« (A. a. O., S. 23) So wird die Aufgabe der Beurteilung nach Mareike Landmann erst mit den Empfehlungen des Bildungsrates von 1970 zum festen Bestandteil der Lehrer*innenrolle. Auch eine »explizite, ausdifferenzierte Beschreibung der Aufgaben der Schulentwicklung, Evaluation, Qualitätssicherung, Kooperation bzw. des Innovierens erfolgt […] bundesweit erst in den Empfehlungen des Bildungsrates 1979.« (Ebd.) Mit der Einführung von Bachelor und Master wird nach Josef Keuffer vor allem über die Veränderungen der Studienstrukturen diskutiert; entscheidend sei jedoch »die Absicht, curriculare Reformen über die Einführung von Kerncurricula einzuleiten.« (Keuffer 2005, S. 83) Zentrale Frage ist hier nach Landmann, »welche Fähigkeiten die Lehramtsausbildung angehenden LehrerInnen vermitteln soll und auf welche Handlungsfelder der Lehrerrolle sich die Lehramtsbefähigung bezieht.« (Landmann 2013, S. 11) Auch Herrmann Giesecke stellt heraus, dass es um eine berufsorientierte Ausbildung geht, was bedeutet, dass »sie so gut wie möglich auf das künftige berufliche Handeln zu beziehen [ist].« (Giesecke 2001, S. 93) Dabei sei es nicht möglich, in einem wissenschaftlichen Studium das zukünftige berufliche Handeln direkt in den Blick zu nehmen. Pädagogisches Handeln sei zwar soziales Handeln, »gleichwohl aber jedes Mal ein individuelles, einmaliges, unwiederholbares« (Hervorheb. Orig., ebd.) und könne nicht wissenschaftlich thematisiert werden, da wissenschaftliches Denken verallgemeinere, was »dem Handeln seinen ursprünglichen Sinn [nimmt], vernachlässigt jedenfalls seine subjektive Substanz.« (A. a. O., S. 94) Das Handeln von Lehrer*innen sei darüber hinaus durch nicht miteinander vereinbare Anforderungen herausgefordert, die in ihm aufeinandertreffen würden. (Vgl. ebd.) Werner Helsper spricht hier von Antinomien, die vier Ebenen zuordbar sind. Auf der ersten Ebene beschreibt er die »konstitutiven, nicht aufhebbaren, sondern lediglich reflexiv zu handhabenden Antinomien des Lehrerhandelns« (Hervorheb. i. Orig., Helsper 2002, S. 75): So potenzierten sich im lebenspraktischen Handeln angelegte Antinomien im professionellen Lehrer*innenhandeln, das sich als »stellvertretende, vermittelnde Lebenspraxis für die Bildung einer anderen Lebenspraxis« (ebd.) fassen lasse. Hinzukommt nach Helsper die »widerspruchsvolle Anforderung sowohl universalistischer-distanzierter, spezifischrollenförmiger, emotional distanzierter Haltungen einerseits, als auch partikularer, diffuser, anteilnehmender, nicht rollenförmiger Handlungen andererseits […], also um die widerstreitende Vermittlung von zugleich nahen und zugleich distanzierten Handlungsformen, die in ihrer jeweiligen Handlungslogik eigentlich unterschiedlichen sozialen Handlungsbereichen angehören.« (Ebd.) Diese Antinomien lassen sich weiter ausdifferenzieren u.a. in eine Begründungsantinomie, die sich in »Phasen starker sozialer und kultureller Transformationen, starker Wandlungsprozesse auf Seiten der Adressaten oder innerhalb der Profession, etwa ihrer Zuständigkeiten und Arbeitsfelder, [zu-]spitzt« (a.a.O., S. 77), da abgesicherte Begründungen »noch nicht oder nicht mehr gegeben [sind].« (Ebd.) Die Begründungs-
5. Konstituierung des Forschungsgegenstandes
antinomie ist für die Lehrer*innenprofession so bedeutsam, da ein Lehrer ein durch seine Lehramtsausbildung qualifizierter Erwachsener ist, der »mit einer relativ großen Gruppe von Kindern konfrontiert ist, zu deren späteren Erwachsenheit er beitragen soll.« (Brück 1978, S. 38) Nach Brück ist die wesentliche Aufgabe einer Lehrkraft, ihre »berufliche Qualifikation einzusetzen mit dem Ziel, die Kinder dazu zu bewegen, ihre Kindlichkeit nach und nach aufzugeben und sie durch die Merkmale zu ersetzen, die in unserer Gesellschaft Erwachsenheit bezeichnen.« (A. a. O., S. 37) Es soll also etwas erreicht werden, was nicht unmittelbar sichtbar wird. »Daraus resultiert nun die Antinomie, ständig entscheiden zu müssen, dies legitimerweise aber nur zu dürfen, wenn abgesicherte Begründungen vorliegen.« (Helsper 2002, S. 77) Mit der Begründungsantinomie verknüpft ist die Praxisantinomie, denn es bedarf für ihre »Begründung und Legitimation theoretischer, wissenschaftlicher Erkenntnisse, die methodisiert angeeignet und abrufbar sein müssen.« (A. a. O., S. 78) Die Verwendungsforschung zeige jedoch, dass sich diese nicht ohne Weiteres in Praxis umsetzen lassen. (Vgl. ebd.) Auch sei es nicht möglich, von einem Fall auf den anderen zu schließen, obwohl aufgrund von theoretischen Erklärungsmodellen Typisierungen notwendig seien. »Im Unterschied zu technischem Expertenwissen, das aus allgemeinen Sätzen auf Einzelphänomene schließen kann, bedarf professionelles Handeln sowohl der allgemeinen kategorisierenden Zuordnung als auch der Rekonstruktion in der Logik und Sprache des Einzelfalles.« (A. a. O., S. 79) Damit verbunden sei die Herausforderung, dass es für das professionelle Handeln »der gesicherten Routinen bedarf« (ebd.), aber gleichzeitig »eine bewusste Haltung der Skepsis gegenüber jeder Routine und damit eine habitualisierte Unterstellung der Normalität der Krise, die als Scheitern der Routine an jeder Stelle des professionellen Handelns eintreten kann…« (Ebd.) Verbunden sei hiermit das Problem, dass zu einem professionellen Handeln gehöre, dass in Aussicht gestellt werden könne, dass das erreicht werde, was erreicht werden soll. Dies sei jedoch nicht möglich, »weil es keine expertenhafte Ableitung des Konkreten gibt […] und weil Lernerfolg oder bildende Auseinandersetzung mit einem Inhalt immer nur durch nicht einseitig steuerbare Interaktionen unter Mitwirkung des Schülers möglich ist…« (A. a. O., S. 80) Dabei ist die Lehrer*innenrolle strukturiert durch gesellschaftliche Erwartungen, »die an LehrerInnen auf Grund ihrer sozialen Position gerichtet werden. Diese Erwartungen beziehen sich vorrangig auf Anforderungen, die typische Aufgaben bzw. Tätigkeiten von LehrerInnen betreffen.« (Landmann 2013, S. 11) Als fähig gelten Lehrer*innen nach Landmann, wenn sie die an sie gestellten Anforderungen erfüllen können. (Vgl. ebd.) Die Anforderungen und damit auch die Ausdifferenzierung in Handlungsfelder ist mit der Bologna-Reform und der daraus resultierenden Neugestaltung der Lehramtsstudiengänge neu diskutiert worden; hierzu soll im Folgenden auf einige den Diskurs prägende Aspekte eingegangen werden. Aus dem wissenschaftlichen Diskurs zur Neugestaltung der Lehramtsstudiengänge lassen sich nach Landmann zwei Positionen ausmachen: »Die erste Position vertritt eine grundständige Lehrerrolle, die sich auf die Kernbereiche des Unterrichtens und Erziehens beschränkt. Die zweite Position vertritt eine erweiterte Auffassung der Lehrerrolle, die neben diesen Kernaufgaben die Handlungs-
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felder des Beurteilens und Beratens, Innovierens und – am Rande – fachwissenschaftlich geprägte Aufgaben einbezieht.« (Ebd.) Die von der Kultusministerkonferenz (KMK) veröffentlichten Standards für die Bildungswissenschaften (2004) und Fachwissenschaften (2008) werden von Landmann der zweiten Auffassung der Lehrer*innenrolle zugeordnet. Sie benennen »die Handlungsfelder ›Unterrichten‹, ›Erziehen‹, ›Beurteilen‹ und ›Innovieren‹.« (A. a. O., S. 12) Einher gehe mit dieser Auffassung der Lehrer*innenrolle die Forderung einer Orientierung an gesellschaftlicher Realität und die Frage, ob Standards die Komplexität der Lehrer*innenrolle abbilden könnten. (Vgl. a.a.O., S. 24f.) Schulentwicklungsdiskurse, die gesellschaftliche Veränderungen berücksichtigen, die den gesellschaftlichen Auftrag von Schule verändern, betonen nach Landmann »in der Hauptsache bildungspolitische Vorgaben zur fortschreitenden Autonomie der Einzelschule, die zunehmende Wahrnehmung des Erziehungsauftrages durch die Familie sowie die Technologisierung und Medialisierung der Gesellschaft…« (A. a. O., S. 27) Der Übergang von der Systemschule zur Einzelschule erhöht nach Herbert Altrichter die Verantwortung, die das Schulkollegium für das Gelingen von Schule trägt. (Altrichter 2000, S. 147) Damit werde das »›alte Berufsbild des berufsfertigen Fachlehrers‹ angegriffen. Die Mitarbeit in einem Unterrichtsentwicklungsteam, die Verpflichtung sich mit Kolleginnen bezüglich der fachübergreifenden Aspekte des Unterrichts abzustimmen, der Zwang, Schülerfeedback einzuholen, der Anspruch, mit Eltern in einer nicht-defensiven Weise zu kommunizieren« (a.a.O., S. 149) führten zu einer veränderten Lehrer*innenrolle. Bedroht würden damit die Autonomie von Lehrer*innen sowie das Prinzip ihrer Gleichheit: Über Evaluationen steige der Einfluss der schulischen Verwaltung auf den Unterricht; zudem bringe sie Informationen hervor, mit denen »informell, aber auch offiziell zwischen Kolleginnen differenziert werden [könnte]…« (A. a. O., S. 152) Damit ist von einer zunehmenden Belastung von Lehrer*innen auszugehen. (Vgl. a.a.O., S. 153) Zu den aktuellen Entwicklungen gehört nach Heike Deckert-Peaceman und Anja Seifert vor allem auch, dass Standards und keine Unterrichtsinhalte mehr thematisiert werden. (Vgl. Deckert-Peaceman & Seifert 2013, S. 31) Während mit der Bildungsreform der 60er und 70er Jahre »über Sprachcodes, Herrschaftswissen, repressionsfreie Kindererziehung, über Themen wie Sexualpädagogik, Auseinandersetzung mit der NSZeit, Homosexualität, Frühenglisch, Mengenlehre, über den richtigen Leselehrgang und die Auswirkung von Stereotypen in Fibeln, über Populärkultur in Texten, Bildern und Musik [gestritten wurde]…« (Ebd.), sei die heutige Debatte von der Frage dominiert, welche Kulturtechnologien zu erlernen seien und was in der Grundschule grundlegend gelernt werden müsse, um auf die weiterführende Schule vorzubereiten. (Vgl. a.a.O., S. 32) Die fehlende Auseinandersetzung über Inhalte führt nach Deckert-Peaceman und Seifert zu willkürlichen Entscheidungen bzgl. der Lehr- und Lerninhalte: »erst in der inhaltlichen Auseinandersetzung erfolgt eine gründliche Bestandsaufnahme und eine Klärung darüber, was an die jüngere Generation vermittelt werden soll.« (A. a. O., S. 31) Anschlussfähige Bildungswege sind nach Deckert-Peaceman kein neues Thema, sondern seit der Bildungsreform der 1960er und 1970er »mehr oder minder Anliegen des pädagogischen Programms…« (Deckert-Peaceman 2014, S. 193) Doch pädagogisch-
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didaktische Entscheidungen seien zunehmend outputorientiert und würden bestimmt durch »Standardisierung und Kontrolle« (a.a.O., S. 196); es gehe um Qualitätsstandards, wobei diese sich nicht ausschließlich auf Lern- und Bildungsprozesse bezögen, sondern auch auf Betreuungsangebote der Grundschule: So entwickle sich die Grundschule immer mehr zu einer Dienstleistungsorganisation. (Vgl. a.a.O., S. 198) Grund hierfür sei eine »Neuverteilung der Sorgearbeit, [durch die] sowohl Familie als auch Kindergarten und Grundschule stärker als zuvor an den Arbeitsmarkt und an ökonomische Prinzipien gekoppelt werden, insbesondere über Zeitregimes.« (A. a. O., S. 199) Für Kinder folge daraus, dass sich die Zeit verlängere, die sie täglich in der Schule seien. Gepaart sei diese Entwicklung »mit einem beschleunigten Durchlaufen der Grundschule (frühere Einschulung, kürzere Verweildauer) und erhöhten Leistungsanforderungen…« (Ebd.) Hier zeigt sich nach Deckert-Peaceman, dass der Anspruch, der mit dem Weimarer Schulkompromiss verbunden ist, immer mehr aus dem Blick gerät. Beschlossen wurde mit dem Schulkompromiss eine gemeinsame Grundschule für alle und die Einführung der Grundschulpflicht: »Seit ihren Weimarer Anfängen galt die Grundschule als Ort und Symbol für gesellschaftliche Gleichheit und Gerechtigkeit sowie für Chancen auf der Basis des Leistungsprinzips. Diese Ansprüche konnten in der Praxis nie ganz erfüllt werden, aktuell noch bedenklicher ist allerdings, dass diese Orientierung zunehmend an Bedeutung verliert.« (A. a. O., S. 195) Gleichzeitig strukturieren nach Deckert-Peaceman einzelne Prinzipien aus der Weimarer Zeit weiterhin die Gestaltung pädagogischer Praxis in der Grundschule und verdecken die wachsende Outputorientierung: »Dazu gehört u.a. das Selbstverständnis einer pädagogischen Insel, die zwar alle Kinder als Mitglieder der Gesellschaft besuchen, die aber durch ihre Konzentration auf eine angenommene kindlich-naive Sicht gesellschaftliche Widersprüche ausklammern und damit auch vermeintlich erträglicher machen.« (A. a. O., S. 200) Christa Weitzel stellt fest, dass die von Deckert-Peaceman beschriebene Entwicklung der Grundschule zu einer Betreuungsinstitution auch Einfluss auf öffentliche Debatten über den Lehrer*innenberuf hat: Angesichts der Neuverteilung der Sorgearbeit gerate die Frage in den Fokus, »wie weit das Mandat von LehrerInnen angesichts grundlegender Wandlungsprozesse im Erziehungs- und Sozialisationsbereich reichen soll und kann.« (Weitzel 2005, S. 21) An dieser Frage zeige sich, dass die Diskussion um die Professionalisierung »einer Dynamik zwischen Binnenaspekten und Außeneinflüssen unterliegt…« (A. a. O., S. 22) Nach Weitzel ist diese Dynamik besonders stark in Reformund Aufbruchsphasen wahrnehmbar, in denen Lehrer*innen »zu Hoffnungsträgern für eine Erneuerung der Gesellschaft und Kultur werden…« (A. a. O., S. 20); misslinge eine Erneuerung werde entsprechend der Berufsstand verantwortlich gemacht. Der Lehrer*innenberuf ist nach Weitzel besonders anfällig für solche Schuldzuweisungen, da Lehramtsstudiengänge als Studiengänge zweiter Wahl gelten würden, aber auch weil Lehrer*innen Veranstaltungen, die in den Erziehungswissenschaften angeboten würden, in ihrer Bedeutung unterschätzten und ihnen damit oft ein gut begründetes pädagogisch-professionelles Selbstverständnis fehle. (Vgl. ebd.)
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Das negative Image (angehender) Lehrer*innen Dass Lehramtsstudiengänge als Studiengänge zweiter Wahl betrachtet werden und der Lehrerberuf trotz aller Herausforderungen ein negatives Image hat, zeigt sich in öffentlichen und medialen Diskursen, wie Martin Rothland mit Verweis auf Ewald Terhart deutlich macht: »Angefangen beim Lehrer als Prügler und Pauker, den man für ›pedantisch, despotisch, weltfremd, schwächlich, unsportlich, technisch ahnungslos, mit Ticks behaftet, wunderlich, für alles andere als sexy, politisch unterwürfig‹ hält, bis zu den gängigen Vorurteilen von den Lehrerinnen und Lehrern, die man ›nachmittags von zwei bis vier im Bett und danach auf dem Tennisplatz oder in der Sauna‹ wähnt und die man abends ›in einer Partei-, Verband- oder Vereinssitzung‹ vermutet (Terhart 1994, S. 133)…« (Rothland 2016, S. 70) Eine von Blömeke durchgeführte Inhaltsanalyse der Magazine Der Spiegel und Focus aus den Jahren 1990 bis 2004 bestätigt den Eindruck der negativen Berichterstattung über den Lehrer*innenberuf: »32 der 41 Artikel vermitteln ein eher negatives Lehrerbild.« (Blömeke 2005, S. 27) Dieses zeichne sich vor allem dadurch aus, »dass Lehrpersonen Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten abgesprochen werden.« (Ebd.) Das negative Bild führt nach Rothland auch bei Lehramtsstudent*innen zu Status- und Anerkennungsproblemen: »Angehende Lehrkräfte werden bereits als Studierende mit dem Bild des Lehrerberufs in der Öffentlichkeit konfrontiert, das schließlich in der künftigen Berufstätigkeit eine relevante Bedingung ihrer Berufssituation mit potenziellen Auswirkungen auf das Berufsleben sein wird.« (Rothland 2016, S. 67) In einer in den Jahren 2005 bis 2011 von Martin Rothland und Sarah Pinn durgeführten Inhaltsanalyse von drei überregionalen Tageszeitungen, der Wochenzeitung Die Zeit und dem Magazin Der Spiegel (vgl. Pinn & Rothland 2011) wird darüber hinaus deutlich, dass Medien auch Lehramtsstudent*innen negativ beschreiben: »Die pauschale Abwertung des Lehrernachwuchses, die in der Berichterstattung vorherrscht, kann als einflussreiche, meinungsprägende Facette der in der Öffentlichkeit insgesamt anzutreffenden pauschalen Lehrerschelte angesehen werden.« (Rothland 2016, S. 71) Die Zuschreibungen, die Pinn und Rothland mit ihrer Inhaltsanalyse herausgearbeitet haben, lassen sich wie folgt zusammenfassen: »Es sind eher die Dummen, Neurotischen, falsch Motivierten, kurzum die aufgrund ihrer Leistungs- und Persönlichkeitsmerkmale sowie aufgrund ihrer studien- und berufsbezogenen Interessen und Motive Ungeeigneten.« (Ebd.) Dieses negative Image steht nicht für sich allein. Rothland bestätigt die von Weitzel dargestellte gesellschaftliche Erwartung an Lehrer*innen, die sich auch über die Medien vermittelt: Lehrer*innen sollen gesellschaftliche Entwicklung ermöglichen oder aber gesellschaftliche Fehlentwicklungen ausgleichen bzw. verhindern: »In der Gegenwart wird vor allem das hohe Maß gesellschaftlicher wie auch – mit Blick auf die einzelnen Schülerinnen und Schüler – individueller Verantwortung betont, was sich in Zuständigkeitszuschreibungen wie der Folgenden ausdrückt: ›Der Auftrag für den Lehrerberuf beinhaltet nichts Geringeres als die Daseinsvorsorge für junge Menschen und für unser Gemeinwesen insgesamt‹ (Dannhäuser, 2004, S. 131).« (A. a. O., S. 72) Die Vorstellung von Lehrer*innen als Heilsbringer*innen zeigt sich also auch in den Medien – dies gilt nach Rothland vor allem für Filme, in denen u.a. »das ›reformpädagogische Genie‹ zu
5. Konstituierung des Forschungsgegenstandes
bewundern [ist], das aus einer Horde zur Chancenlosigkeit verdammter bildungsferner, dafür aber gewaltnaher Zöglinge prosoziale und lerneifrige Schülerinnen und Schüler mittels pädagogischer Einflussnahme macht…« (A. a. O., S. 73) Präsentiert würden hier jedoch Idealvorstellungen von Lehrer*innen, die insofern ein Problem darstellten, als dass sie Vorstellungen und Erwartungen an Lehrer*innen prägten, die diese nicht erfüllen könnten. (Vgl. ebd.) Für Rothland sind damit »Enttäuschungen, Versagensvorwürfe sowie die Herabsetzung und Verachtung im Anschluss an die Diagnose des kollektiven Scheiterns und Versagens gemessen an den Idealbildern vorprogrammiert, wenn die Anforderungen und Aufgabenzuweisungen so hoch und umfangreich sind, dass ihnen kein irdisches Wesen entsprechen kann.« (A. a. O., S. 74) Grundsätzlich lasse sich sagen, dass der Beruf an sich in der Gesellschaft als bedeutsam eingeordnet und wertgeschätzt werde; damit gehe aber nicht unbedingt einher, dass auch die, die ihn ausübten anerkannt würden. (Vgl., a.a.O., S. 81) Grund hierfür sind nicht allein mediale Darstellungen. Zu bedenken ist hier nach Rothland auch die Besonderheit, dass jede*r Schulerfahrungen macht und damit der »allgemeinen Einschätzung des Lehrerberufs die individuellen Erfahrungen mit konkreten Lehrpersonen in der Vergangenheit und Gegenwart gegenüberstehen, also Erfahrungen mit den eigenen Lehrern, die jeder macht, den Lehrern der eigenen Kinder etc.« (Ebd.) Diese Erfahrungen seien von starken Gefühlen bestimmt. Dabei gehe es um Enttäuschungen, die in der eigenen Schulzeit erlebt wurden, »Erfahrungen oder die Bildungskarriere der eigenen Kinder – all diese Aspekte können das Ansehen der Berufsinhaber, der typischen, der realen Lehrpersonen prägen. Das konkrete, häufig emotional aufgeladene, dauerhafte Bild des Lehrers dürfte daher in der Regel weniger von der Schwierigkeit und Komplexität des Berufsauftrags bestimmt werden.« (Ebd.)
Studienwahlmotive Das negative Image, das in den Medien von Lehrer*innen gezeichnet wird, prägt nach Rothland die Selbstwahrnehmung der Lehramtsstudent*innen, womit sich die Frage stellt, warum überhaupt auf Lehramt studiert bzw. der Lehrerberuf gewählt wird. Jürgen Oelkers stellt hierzu fest, dass die, die auf Grundschullehramt studieren, dies vor allem tuen, weil es ihnen um einen Umgang mit kleinen Kindern geht, »der aufgrund des Bildes kleiner Kinder in der Öffentlichkeit außerordentlich positiv besetzt ist… Die Grundschule wird idealisiert, weil die Kinder idealisiert werden. Die tatsächlichen Anforderungen sollen dann diesem Bild entsprechen, das zugleich ein Grundmotiv für die Berufswahl darstellt und eigentlich nicht enttäuscht werden darf.« (Oelkers 2009, S. 71) Die Grundschule hat nach Oelkers das Image der Schule für kleine Kinder, womit sowohl eine Feminisierung des Berufs als auch des Studiums einhergehe. (Vgl. ebd.) Die Student*innenzahlen an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg bestätigen, dass sich vor allem Frauen für den Studiengang entscheiden: So waren im Wintersemester 2017/2018 89,6 Prozent der Grundschullehramtsstudent*innen weiblich.1 Dazu passt auch das Ergebnis einer Interviewstudie mit Lehramtsstudent*innen an der Universität Leipzig: Während die Student*innen für das Lehramt auf Gymnasium ihre Stu1
https://www.ph-ludwigsburg.de/17428.html vom 28.01.2019
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Kinder. Medien. Kontrolle.
dienwahl damit begründeten, dass sie sich für einzelne Fächer und den Austausch mit Student*innen aus den Fachwissenschaften interessierten, gaben Grundschullehramtsstudent*innen an, dass es ihnen vor allem darum gehe, die Entwicklung von Kindern zu unterstützen, ihnen zu helfen und sie zu erziehen; die Vermittlung von Wissen oder das Interesse an einzelnen Fächern wurden dem untergeordnet. (Vgl. Herfter, Schroeter & Bergau 2010, S. 3) Eine Schule für kleine Kinder bedeutet wohl auch, an einer Schule mit Menschen zu arbeiten, von denen angenommen werden kann, dass sie weniger wissen als man selbst bzw., dass man selbst weiß und kann, was sie von einem lernen sollen. Lehramtsstudent*innen sind nach Rothland bereits vor ihrem Studium mit einer Abwertung ihres Berufs konfrontiert; diese Abwertung begegnet ihnen nicht nur in den Medien, sondern auch in der eigenen Familie. Studien zeigen jedoch, dass sich Lehramtsstudent*innen auch gegen den Willen ihrer Familie oder gegen die Empfehlung eigener Lehrer*innen für ihr Studium entschieden haben; damit wird nach Oelkers deutlich, dass das Lehramt kein – wie in medialen Debatten häufig platziert – Verlegenheitsstudium ist: »Wer sich an deutschen Universitäten und Hochschulen für Lehrämter ausbilden lässt, hat in den meisten Fällen eine bewusste Wahl getroffen.« (Oelkers 2009, S. 73) Ergebnisse einer Studie, die u.a. Rosemarie Godel-Gaßner und Cornelia Rémon zum Thema Studienwahlmotive und Gender bei Lehramtsstudierenden an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg durchgeführt haben, scheinen dies zu bestätigen. So erreichen in den quantitativen Befragungen der Student*innen − für die Studie wurden 947 Lehramtsstudent*innen befragt, die die Studiengänge Grundschule, Sekundarstufe I und Sonderpädagogik studieren2 − »klassische pädagogische Motive eine enorm hohe Zustimmung bei beiden Geschlechtern, wobei die Zustimmung der weiblichen Befragten die der männlichen noch signifikant übertrifft.« (Godel-Gaßner & Rémon 2019, S. 177) Von Bedeutung ist nach den Ergebnissen der Studie für die Student*innen das Interesse an ihrem Fach und weniger der Nutzen, der ihnen der Beruf bringt, wobei es hier Unterschiede bei den Geschlechtern gibt: »Sicherheit, Ansehen, Zeit neben dem
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Befragt wurden 752 Studentinnen und 195 Studenten im Alter von 18 bis 49 Jahren. Davon kamen 35,2 Prozent aus dem Grundschullehramt. »Die deutliche Mehrheit der befragten Studierenden ist ledig, nur 5,0 % sind verheiratet und 0,7 % geschieden. Eigene Kinder haben lediglich 3,3 %.« (Godel-Gaßner & Rémon 2019, S. 171) Erhoben haben die Autorinnen auch Daten zur Kindheit und zum familiären Umfeld der befragten Student*innen: »Die Befragten sind größtenteils mit beiden Elternteilen (82,1 %) in ungewöhnlich kinderreichen Familien aufgewachsen (M = 2,65). Der allergrößte Teil hat Geschwister (92,7 %)«. (A. a. O., S. 172) Aufgewachsen sind die Student*innen eher in ländlichen Regionen: »Etwa die Hälfte der befragten Studierenden wuchs in einer kleinen Ortschaft bzw. in einem Dorf auf (51 %), weitere 38,4 % in einer Kleinstadt und nur 10,7 % in einer Großstadt, obwohl die geographische Lage der PH Ludwigsburg im Einzugsgebiet Stuttgart dies nicht sogleich vermuten ließe.« (Ebd.) Mit dem Studium verbunden ist für viele der Befragten ein Bildungsaufstieg im Vergleich zu ihren Eltern: »In unserer Stichprobe verfügen 20,8 % der Mütter und 34,5 % der Väter der Befragten über ein abgeschlossenes Hochschulstudium, bei 33,9 % gilt dies für mindestens einen der beiden Elternteile.« (A. a. O., S. 173) Die meisten der Befragten haben die Schule mit dem Abitur abgeschlossen, »auffallend ist aber, dass viele über den Weg der Realschule und den anschließenden Besuch eines beruflichen Gymnasiums oder einer anderen beruflichen Schule ihre Hochschulzugangsberechtigung erwarben (38 %).« (A. a. O., S. 173)
5. Konstituierung des Forschungsgegenstandes
Beruf oder ein festes Gehalt sind den männlichen Probanden wichtiger als den weiblichen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie dagegen den weiblichen.« (Ebd.) Die Entscheidung für das Studium mag gegen die Eltern getroffen werden, dennoch scheinen sie einen Einfluss auf die Studienwahl ihrer Kinder zu haben. So erklären GodelGaßner und Rémon den hohen Frauenanteil im Grundschullehramt auch damit, dass die »deutliche geschlechterorientierte elterliche Erziehung, die überdies von den heutigen Studierenden befürwortet wird« (ebd.) zum Tragen kommt: »Die Vermutung liegt nahe, dass dieser Einfluss der Eltern auch Auswirkungen auf die spätere Studiengangund Fächerwahl hatte, zumal diese häufig Geschlechterstereotypen folgte: der Weg zum Grundschullehramt wird vermehrt von Frauen eingeschlagen, naturwissenschaftliche Fächer werden eher von Männern gewählt.« (Ebd.) Von einer Vererbung des Berufs gehen sie deshalb aber nicht aus: »Die gängige These einer ,Berufsvererbung‹ von Eltern im Lehramt auf ihre Kinder (Rothland et al. 2015, S. 136; Treptow 2006; Kühne 2006, S. 628; Cramer 2012, S. 165; Überblick s. Rothland 2014a, S. 253) können wir nicht bestätigen; es finden sich auch keine positiveren Reaktionen der Eltern auf die Studienwahl unserer Befragten, wenn einer der Elternteile Lehrer/-in ist. Wohl aber haben 35,5 % der Befragten eine Lehrerin oder einen Lehrer in ihrem erweiterten verwandtschaftlichen Umfeld.« (Ebd.)
5.2
Der Studiengang
Im Folgenden soll der konkrete Aufbau des Grundschullehramtsstudiums präsentiert werden, um das Forschungsfeld besser einordnen zu können, wobei der Fokus auf der ersten Phase liegt, also auf dem Studium, da ich Gruppendiskussionen mit Grundschullehramtsstudent*innen während ihres Studiums geführt habe. Die Lehramtsausbildung wird in Deutschland trotz der Bologna-Beschlüsse von 1999, mit denen »das traditionelle Modell des grundständigen Staatsexamensstudiengangs zunehmend durch verschiedene Formen modularisierter konsekutiver Studiengangsmodelle ersetzt [wurde]« (Bauer et al. 2012, S. 101), sehr unterschiedlich umgesetzt. Dennoch lässt sich grundsätzlich sagen, dass die »erste Phase […] der Vermittlung und Aneignung der fachlichen und erziehungswissenschaftlichen Grundlagen des Lehrerberufs [dient] und […] traditionell mit der Ersten Staatsprüfung ab[schließt]. Im Zuge der Umstellung aller HochschulStudiengänge auf das Bachelor-Master System wird derzeit in den meisten Bundesländern der Master Abschluss (Master of Education) als Erstes Staatsexamen anerkannt.« (Terhart 2009, S. 425) Obwohl mit Bologna das Ziel verbunden sei, »die Transparenz von Studienanforderungen zu erhöhen und die Flexibilität und Mobilität der Studierenden zu fördern« (Bauer et al. 2012, S. 102), wird in Bezug auf die Umstellung der Lehramtsstudiengänge auf Bachelor und Master kritisiert, dass die Studiengänge mehr heterogene Strukturen aufweisen als zuvor. Als Grund für die heterogenen Strukturen wird u.a. die selbstbe-
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Kinder. Medien. Kontrolle.
stimmte Umsetzung der Bologna-Beschlüsse an den Hochschulen genannt.3 (Vgl. ebd.) Die Heterogenität zeichne sich vor allem durch »Unterschiede im Umfang verschiedener Studienanteile und ihrer vorgesehenen zeitlichen Abfolge im Studienverlauf [aus].« (Ebd.) Um zu verdeutlichen, wie sich das Studium konkret für die Grundschullehramtsstudent*innen gestaltet, mit denen ich die Gruppendiskussionen geführt habe, gehe ich näher auf den an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg angebotenen Studiengang ein. Die Student*innen, mit denen ich gesprochen habe, haben nach der Studienordnung der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg für den Studiengang Lehramt Grundschulen von 2011 studiert und damit nach einer Studienordnung vor der Einführung der Bachelorund Masterabschlüsse, die im Wintersemester 2015/2016 stattfand: »Zum Wintersemester 2015/16 fand in Baden-Württemberg landesweit die Umstellung auf eine gestufte Studienstruktur mit Abschluss Bachelor/Master statt. Seit diesem Zeitpunkt ist also nur noch eine Immatrikulation in einen Lehramtsstudiengang mit gestufter Studienstruktur möglich.«4 Die Umstellung hat vor allem zu einer veränderten Studienstruktur geführt, weniger zu veränderten Inhalten, die studiert werden. Die erste Stufe ist die Bachelor-Phase mit einer Regelstudienzeit von sechs Semestern. Die zweite Stufe ist die Master-Phase, die in zwei Semestern studierbar sein soll.5 In der Studienordnung von 2011 wird die gesamte Regelstudienzeit – inklusive der schulpraktischen Studien und aller Prüfungen – mit acht Semestern angegeben. (Vgl. Pädagogische Hochschule 2011, S. 2) Inhaltlich lässt sich das Studienangebot im Lehramt in der ersten Phase auch nach der Einführung von Bachelor und Master nach wie vor in vier Elemente aufteilen, bestehend aus »dem Studium der Fächer, den Fachdidaktiken, den erziehungswissenschaftlichen Studien und den Praktika.« (Terhart 2009, S. 427) Damit hat sich das Studienangebot mit der Studien- und Prüfungsordnung von 2015 im Vergleich zur Studienund Prüfungsordnung von 2011 inhaltlich also nicht entscheidend geändert. 3
4 5
Als Grund lassen sich aber auch kulturelle Zuschreibungen und Bewertungen der Lehrämter nennen, die eine Abgrenzung der Ausbildung für das Grundschullehramt und das Lehramt Sekundarstufe I vom Lehramt Gymnasium und damit der Schule für die höhere Bildung evozieren: So ist es an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg nicht möglich, einen Bachelor auf Grundschullehramt zu studieren und dann im Master das Lehramt Gymnasium, aber mit einem Bachelor für das Lehramt Sekundarstufe I kann an die Universität Stuttgart gewechselt und dort der Master auf Lehramt Gymnasium studiert werden. Es ist zu vermuten, dass eine unterschiedliche und instransparente Organisation der Studiengänge an den einzelnen Hochschulen verhindert, dass solch ein Wechsel häufig geschieht. https://www.monitor-lehrerbildung.de/web/universitaet/paedagogische-hochschuleludwigsburgvom 19.03.2019 Vgl. https://www.ph-ludwigsburg.de/index.php?eID=tx_nawsecuredl&u=0&g=0&t=1552993851&hash=7439f59c9c74082ac4a11cc1885820a49882de62&file=fileadmin/subsites/9i-verw-t-01/user_files/Download-Zentrum/Ordnungen_und_Satzungen_fuer_den_Bereich_Studien-_und_Pruefungsangelegenheiten/PO_2015/1.7_Studien_und_Pruefungsordnung_BA_Lehramt_Grundschule.pdf vom 18.03.2019. Die Master-Phase beträgt im Unterschied dazu in den anderen Lehramtsstudiengängen vier Semester (vgl. https://www.ph-ludwigsburg.de/index.php?eID=tx_nawsecuredl&u=0&g=0&t=1552993851 &hash=f7c075a72dc860f81ef50fde78258cbb5a6c5643&file=fileadmin/subsites/9i-verw-t-01/ user_files/Download-Zentrum/Ordnungen_und_Satzungen_fuer_den_Bereich_Studien-_und_ Pruefungsangelegenheiten/PO_2015/3.8_StPO_MA_LA_SOP.pdf vom 18.03.2019)
5. Konstituierung des Forschungsgegenstandes
Im Folgenden soll näher auf das inhaltliche Studienangebot eingegangen werden, da die »Umfänge der Studienbereiche, verstanden als spezifische formelle Lerngelegenheiten, […] mit unterschiedlichen Lernzuwächsen im professionellen Wissen assoziiert werden…« (Kauper, Bernholt & Bauer 2018, S. 232) Nach der Studienordnung von 2011 beinhaltet das Grundschullehramtsstudium an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg sieben Studienbereiche: »1. die Bildungswissenschaften (Erziehungswissenschaft, Psychologie, Grundfragen der Bildung mit dem Pflichtbereich der christlichen und abendländischen Bildungsund Kulturwerte sowie den Wahlpflichtfächern evangelische bzw. katholische Theologie, Philosophie, Soziologie und Politikwissenschaft), 2. das Hauptfach I (Deutsch oder Mathematik als Vertiefungsfach einschließlich des Kompetenzbereichs I), 3. das Hauptfach II ([…] als Vertiefungsfach einschließlich des Kompetenzbereichs II), 4. den Kompetenzbereich III (Mathematik oder Deutsch, nicht als Hauptfach I gewähltes Fach), 5. den Kompetenzbereich IV (ein weiterer Kompetenzbereich), 6. die schulpraktischen Studien (Orientierungspraktikum, integriertes Semesterpraktikum, Professionalisierungspraktikum), 7. das Modul »Grundlagen des Sprechens und interdisziplinäres Projekt« (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg 2011, S. 2) Für das Studium müssen entweder Deutsch oder Mathematik als erstes Hauptfach bzw. Vertiefungsfach studiert werden. Je nachdem, welches Fach hier gewählt wird, muss zusätzlich der Kompetenzbereich des jeweils anderen Fachs studiert werden. Dazu kommt das zweite Hauptfach inklusive Kompetenzbereich. Zusätzlich muss ein Kompetenzbereich, das einem bisher nicht gewählten Fach zugeordnet ist, studiert werden. (Siehe Abb. 9)
Abb. 9: Kompetenzbereiche und Vertiefungsfächer (vgl. a.a.O., S. 3 ) Kompetenzbereiche
Zugeordnete Vertiefungsfächer
Deutsch einschließlich Deutsch als Zweitsprache
1. Deutsch
Mathematik
2. Mathematik
Naturwissenschaften und Technik
3. Biologie, Chemie, Physik, Technik
Sozialwissenschaften
4. Geographie, Geschichte, Politikwissenschaft, Wirtschaft
Fremdsprachen
5. Englisch, Französisch, jeweils einschließlich bilingualer Aspekte
Kunst und Musik
6. Kunst, Musik
Sport und Gesundheit
7. Sport
Evangelische Theologie/Religionspädagogik
8. Evangelische Theologie/Religionspädagogik
Katholische Theologie/Religionspädagogik
9. Katholische Theologie/Religionspädagogik
Islamische Theologie/Religionspädagogik
ohne Vertiefungsfach
Für jedes Hauptfach müssen drei Module studiert werden: ein Grundlagenmodul, ein Aufbaumodul und ein Vernetzungsmodul, in dem didaktische und methodische Grundlagen sowie fachliche Erweiterungen thematisiert werden. Für die zwei Kompe-
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Kinder. Medien. Kontrolle.
tenzbereiche, die nicht als Fach studiert werden, gibt es eigene Module, die zu studieren sind. Hier werden bis zu sieben Veranstaltungen belegt. Dazu kommen die Bildungswissenschaften. Zu ihnen gehören die »Erziehungswissenschaft, Psychologie und die evangelisch-theologischen beziehungsweise katholischtheologischen, philosophischen, soziologischen und politikwissenschaftlichen Grundfragen der Bildung sowie die christlichen und abendländischen Bildungs- und Kulturwerte unter besonderer Berücksichtigung der Pädagogik und Didaktik der Primarstufe und der frühkindlichen Bildung sowie medienpädagogischer und genderbezogener Themenstellungen.« (A. a. O., S. 3) Das Modul in den Bildungswissenschaften ist in drei Teile aufgeteilt, die jeweils für sich auch als Module bezeichnet werden. Das erziehungswissenschaftliche Modul beinhaltet ein Grundlagenmodul, für das die Vorlesungen Einführung in die Allgemeine Pädagogik, Einführung in die Schulpädagogik und Lehrveranstaltungen zu Grundfragen der Erziehung und Bildung in Profilbereichen sowie die Begleitveranstaltung zum Orientierungs- und Einführungspraktikum besucht werden müssen. (Vgl. a.a.O., S. 7) Zu den Profilbereichen gehören Erziehung – Bildung – Sozialisation – Lernen, Kindheit und Jugend, Bildungssystem und Schule, Didaktik und Unterricht, Pädagogisches Handeln in verschiedenen Kontexten, Medienpädagogik sowie Fragen und Methoden der Forschung. (Vgl. a.a.O., S. 9) Im Aufbaumodul ist die Vorlesung Einführung in die Medienpädagogik, die begleitende Lehrveranstaltung zum Integrierten Semesterpraktikum und eine Lehrveranstaltung aus den Profilbereichen zu besuchen. (Vgl. ebd.) Das daran anschließende Vertiefungs- und Vernetzungsmodul schreibt den Besuch einer Veranstaltung zu Diagnose und Förderung vor sowie eine weitere Lehrveranstaltung aus den Profilbereichen. (Vgl. a.a.O., S. 11) Zu den schulpraktischen Studien gehören das Orientierungs- und Einführungspraktikum, das im ersten oder zweiten Semester absolviert wird und im Kontext eines Begleitseminars vor- und nachbereitet wird. Das integrierte Semesterpraktikum soll von einer Ausbildungslehrkraft begleitet werden und sieht vor, dass die Student*innen am gesamten Schulleben teilnehmen. Dazu gehören u.a. »Hospitation und angeleiteter eigener Unterricht im Umfang von in der Regel 130 Unterrichtsstunden, davon angeleiteter eigener Unterricht im Umfang von insgesamt mindestens 30 Unterrichtsstunden…« (Vgl. a.a.O., S. 3) Zum Integrierten Semesterpraktikum (ISP) finden begleitende Veranstaltungen an der Hochschule statt. Das integrierte Semesterpraktikum findet im vierten oder fünften Semester statt, das Professionalisierungspraktikum kann ab dem sechsten Semester absolviert werden. Es »dient der Planung, Realisierung und Reflexion eines Unterrichtsprojekts oder der Durchführung praxisbezogener Forschung. Es wird individuell von einem Hochschuldozenten betreut.« (A. a. O., S. 4) Die Pädagogische Hochschule Ludwigsburg hat die Ausrichtung des Studiengangs auf ihrer Internetseite in einem Kurzporträt zusammengefasst und betont hier vor allem die Entwicklung der Personalkompetenz, aber auch integrative und inklusive Bildungsangebote: »Das in den Grundschulen vorherrschende Klassenlehrerprinzip bedingt eine breit angelegte Ausbildung der Lehrkräfte dieser Schulart, wobei der Entwicklung der Personalkompetenz besondere Bedeutung beigemessen wird. Angesichts der heterogenen Lerngruppen in der Grundschule nehmen die Kooperation mit den Eltern und die Ent-
5. Konstituierung des Forschungsgegenstandes
wicklung der interkulturellen Kompetenz sowie der Diagnostik- und Förderkompetenz, insbesondere im Hinblick auf integrative und inklusive Bildungsangebote, einen hohen Stellenwert ein. Weitere Querschnittskompetenzen sind in der Vermittlung von Deutsch als Unterrichtssprache in der Medienkompetenz und -erziehung, der Gesundheitserziehung, der Gendersensibilität, dem Führen einer Klasse, der Projektkompetenz und in der Fähigkeit zur Teamarbeit zu sehen.«6 Medienpädagogische Inhalte können in einem Erweiterungsstudium, das die Pädagogische Hochschule anbietet, vertieft werden, doch »bisherige Erfahrungen zeigen, dass nur relativ wenige Studierende den Zeitaufwand eines Erweiterungsstudiums auf sich nehmen.« (Niesyto 2014., S. 129) Seit dem Wintersemester 2014/2015 gibt es zudem für alle Lehrämter die Option das Profil Grundbildung Medien zu studieren. »Hiermit möchte die PH Ludwigsburg möglichst vielen Studierenden in den Lehramtsstudiengängen die Möglichkeit bieten, sich grundlegende Kompetenzen im Bereich Medienbildung/Medienpädagogik im Studium anzueignen und hierüber einen speziellen Nachweis zu erwerben.« (Trüby 2017, S. 1) Das Profil umfasst Lehrveranstaltungen im Umfang von zehn Semesterwochenstunden und Workshops im Medienzentrum der Hochschule. (Siehe Abb. 10) »Am Profil Grundbildung Medien beteiligen sich insgesamt 16 Fachwissenschaften, Fachdidaktiken, Abteilungen und Fachbereiche, indem sie ihre Veranstaltungen für das Profil öffnen.« (a.a.O., S. 2) Das Profilangebot setzt sich aus folgenden Bausteinen zusammen:
Abb. 10: Profil Grundbildung Medien (vgl. Trüby 2017, S. 2 ) Baustein 1: Veranstaltung aus der Medienpädagogik
Baustein 2: Veranstaltungen aus den beteiligten Fächern
Vorlesung: Einführung in die Medienpädagogik Weitere Seminare aus dem Profilbereich Medienpädagogik
Wahl von zwei fachdidaktischen/fachwissenschaftlichen Veranstaltungen oder sonderpädagogischen Fachrichtungen/Förderschwerpunkten mit einem medienbezogenen Schwerpunkt.
Baustein 3: Medienprojekt mit praktischem Produktionsbezug Medienprojekt, das in Seminarkontexten der Bildungswissenschaften oder der Fächer angeboten wird.
Grundlagen praxisorientierter Mediengestaltung & Recherchekompetenz Workshops im Medienzentrum der PHL nach Wahl (40 Punkte)
Im Sommersemester 2017 wurde das Profil Grundbildung Medien evaluiert. Hierzu wurden die 363 Student*innen zu einer Onlineumfrage eingeladen, die in dem Semester für das Profil angemeldet waren. Von den eingeladenen Student*innen nahmen knapp 23 Prozent an der Umfrage teil. Die meisten von ihnen kamen aus dem Lehramt Sekundarstufe (41 Prozent), 28 Prozent aus dem Lehramt Grundschule. (Vgl. a.a.O., S. 3) Als Gründe dafür, warum sie das Profil studieren, nannten 92 Prozent, »dass Lehrkräfte grundlegende Kompetenzen im pädagogischen Umgang mit Medien haben sollten, gefolgt von der Aussicht auf einen späteren beruflichen Vorteil (63 %) und eine eigene Einsicht auf Anwendbarkeit der vermittelten Inhalte im späteren Betätigungsfeld (59 %). Für 53 % der Teilnehmenden war darüber hinaus ein generelles inhaltliches Interesse an den zu Grunde liegenden Seminaren für das Studium des Profils relevant.« (Ebd.) Der Onlinefragebogen ermöglichte es den Student*innen in eigenen Worten zu 6
https://www.ph-ludwigsburg.de/15900.html vom 02.03.2019
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formulieren, welche positiven Erfahrungen sie mit dem Profil bisher gemacht haben, und was sie verbessern würden. Hier wurde von den meisten der Praxisbezug der Seminarangebote als sehr positiv bewertet. »Ein weiterer Schwerpunkt in den Statements stellte der vorhandene Bezug zur Schule und die Übertragbarkeit der erlernten und selbst erprobten Inhalte auf den späteren Schulalltag dar…« (A. a. O., S. 6)
6. Zur Methodologie und Methode der empirischen Studie
6.1
Rekonstruktive Sozialforschung
Entscheidend scheint mir die Feststellung von Gabriele Rosenthal, dass wenn Beobachtungen, Dokumente oder Gespräche nach dem Prinzip der Rekonstruktion interpretiert werden, keine vorab entwickelten Kategorien vorliegen. Das zu interpretierende Material wird nicht aus seinem Entstehungskontext gelöst »und anderen, von den ForscherInnen konstruierten Sinnzusammenhängen zugeordnet.« (Rosenthal 2015, S. 59) Weder werden aus der Theorie vorab entwickelte Kategorien an das Material angelegt, noch werden wie – z.B. in der qualitativen Inhaltsanalyse – induktiv an einem Einzelfall herausgearbeitete Kategorien an weitere Fälle angelegt. So soll vermieden werden, dass schließlich doch deduktiv vorgegangen wird und vor der Analyse des empirischen Materials Kategorien aus vorhandenen Theorien erarbeitet werden, mit denen dann Inhalte im Material gesucht werden, die diese bestätigen, »ohne jedoch deren funktionale Bedeutsamkeit für den Gesamttext rekonstruiert zu haben.« (Ebd.) Rekonstruktive Verfahren verlangen, dass jeder Text, jedes Interview, jede Beobachtung bzw. jedes Gespräch neu interpretiert wird, denn was »sich für den einen Fall als eine wichtige ›Kategorie‹ erweisen kann, kann im anderen Fall nur wenig wirksam oder bedeutungslos sein.« (A. a. O., S. 60) Damit wird deutlich, dass qualitative Verfahren nicht nur eine Erhebung von Daten erfordern, die so offen gestaltet wird, dass Proband*innen ihre Relevanzsysteme in ihnen entfalten können, sondern auch eine entsprechende Auswertung, die nach Aglaja Przyborski aus zwei wesentlichen Schritten besteht: »Die wissenschaftlichen Konstruktionen sind der beobachtbaren Praxis durch die Art der Erhebung angemessen und in dem Maß gültig, als sie die Common-Sense-Konstruktionen – in einem ersten Schritt – adäquat rekonstruieren…« (Hervorheb. i. Orig., Przyborski 2004, S. 41) Darüber hinaus ist es in einem zweiten Schritt erforderlich – damit die Rekonstruktionen nicht auf der Ebene des Common-Sense verbleiben – herauszuarbeiten, »wie gesellschaftliche Tatsachen hergestellt werden…« (Ebd.) Möglich wird eine Rekonstruktion der für die Proband*innen in ihren Erfahrungsräumen üblichen Konstruktionen nach Przyborski mit
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der Anknüpfung an die Phänomenologie nach Alfred Schütz, der Ethnomethodologie nach Harold Garfinkel, der Wissenssoziologie nach Karl Mannheim und der Konversationsanalyse nach Harvey Sacks, Emanuel A. Schegloff und Gail Jefferson. Diskursive Praxis lasse sich rekonstruieren, indem die Standards der Kommunikation rekonstruiert würden und damit die impliziten Regeln der Kommunikation, die Verständigung ermöglichten. (Vgl. Przyborski 2004, S. 42) Die Frage danach, wie sich diskursive Praxis gestalte, ermögliche einen »Zugang zum konjunktiven, zum dokumentarischen Sinngehalt seitens eines/r dem jeweiligen Erfahrungsraum fremden Interpreten/in. Dabei wird der ›verkörperte‹ Anteil des Diskurses in den Blick genommen.« (A. a. O., S. 27) Erfasst wird, was an erlebter Handlungspraxis im Diskurs bildhaft und metaphorisch zum Ausdruck gebracht wird, wobei hier vor allem Erzählungen und Beschreibungen der Proband*innen in den Blick zu nehmen sind, aber auch »die Art und Weise der Hervorbringung, alle gestalterischen Elemente des Diskurses, wie z.B. und ganz wesentlich die wechselseitige Bezugnahme aufeinander, also die Performativität des Diskurses.« (Hervorheb. i. Orig., Przyborski 2004, S. 27) Die Art und Weise wie Gruppen in Gruppendiskussionen miteinander interagieren und kommunizieren, verweist auf ihre konjunktiven Erfahrungsräume, von denen ausgehend sie ihre Praxen gestalten und damit auch ihre diskursive Praxis. Erfahrungsräume, an denen Mitglieder einer Gesellschaft teilhaben, sind auf Sozialisationsprozesse und das Erleben von Zuschreibungen zurückzuführen. »Jede/r von uns ist Teilhaber/in vieler unterschiedlicher Erfahrungsräume. So lassen sich z.B. geschlechts-, bildungsmilieu- und generationstypische Erfahrungsräume voneinander unterscheiden.« (A. a. O., S. 29) Przyborski führt geschlechtstypische Erfahrungsräume auf »Handlungs- bzw. Interpretationspraxis geschlechtsspezifischer Sozialisation und des Erlebens von (Fremd-)Zuschreibungen und Interpretationen in dieser Hinsicht« (ebd.) zurück, während Erfahrungsräume, die als bildungsmilieutypisch bezeichnet werden können, »im gemeinsamen Erleben von Wissensvermittlung in den je unterschiedlichen öffentlichen Institutionen fundiert und den entsprechenden biographischen Ablaufmustern [sind].« (A. a. O., S. 29f.) Konjunktive Erfahrungsräume ergeben sich also nicht dadurch, dass gemeinsam etwas erlebt wurde, »vielmehr ist es wichtig, dass die Erlebnisse in einer strukturähnlichen, in einer homologen Art und Weise gemacht werden.« (A. a. O., S. 48) Konjunktive Erfahrungsräume sind nicht zu verstehen als von Gruppen geteilte Räume, deren Teilnehmer*innen sich kennen; wird ein Erfahrungsraum geteilt, zeigt sich dies vielmehr daran, dass es zu einer unmittelbaren Verständigung kommt: »Die Verständigung beruht weniger auf der allgemeinbegrifflichen Bedeutung der Sprache, es bedarf keiner Erklärungen. Beschreibungen und Erzählungen werden unmittelbar verstanden und können von unterschiedlichen Individuen gleichermaßen erzählt oder fortgesetzt werden.« (A. a. O., S. 29) Es geht nicht um die Beschreibung von Erfahrungen einer expliziten, konkreten Gruppe, sondern die Proband*innen verbindet, dass »sie an Wissensund Bedeutungsstrukturen teilhaben, welche in einem bestimmten Erfahrungsraum gegeben sind.« (Ebd.) Unter den Grundschullehramtsstudent*innen, die ich zu Gruppendiskussionen eingeladen habe, waren nicht nur Gespräche möglich, die einen Zugang zu konjunktiven Erfahrungsräumen ermöglichen, weil die Student*innen die Erfahrung teilen,
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Student*in zu sein. Sie teilen darüber hinaus die Erfahrung, an einer Hochschule in einer Stadt dasselbe zu studieren. Aufgrund dieser Gemeinsamkeiten ist davon auszugehen, dass sie auf gemeinsame Wissensbestände zurückgreifen und sich in Bezug auf diese unmittelbar verstehen, auch wenn sie sich nicht kennen, nicht dieselben Seminare besuchen und somit keine konkreten Erlebnisse teilen. Um die Aspekte herauszuarbeiten, die in den Gruppendiskussionen auf gemeinsame Erfahrungen und damit auf kollektive Wissensbestände und Orientierungen verweisen, ist es notwendig, vor allem die Verständigung auf konjunktiver Ebene zu rekonstruieren. Diese findet besonders in Erzählungen und Beschreibungen statt und weniger in Argumentationen und Bewertungen, die auf kommunikativer Ebene ausgetauscht werden. (Vgl. a.a.O., S. 30) Es geht weder um Einzelmeinungen noch um Gruppenmeinungen. Gegenstand der Analyse sind kollektive Orientierungen, also »Handlungsorientierungen […], die konjunktive Erfahrungsräume strukturieren und durch sie strukturiert sind… Sie sind dann – valide und reliabel – rekonstruiert, wenn sich ihre Reproduktionsgesetzlichkeit über unterschiedliche Themen und Phasen der einzelnen Gruppendiskussion wie auch über den Vergleich mit anderen Gruppen hinweg nachweisen lässt.« (A. a. O., S. 36)
Rekonstruktion von Orientierungen und Orientierungsrahmen Mit Orientierungen sind Sinnmuster gemeint, »die unterschiedliche (einzelne) Handlungen strukturieren, hervorbringen. Sie sind Prozessstrukturen, die sich in homologer Weise in unterschiedlichen Handlungen, also auch den Sprechhandlungen, ebenso wie in den Darstellungen von Handlungen reproduzieren.« (Przyborski 2004, S. 55) Mit Hilfe der Dokumentarischen Methode lassen sich kollektive Orientierungen herausarbeiten, »d.h. Orientierungen, durch die Menschen in einer Art und Weise miteinander verbunden sind, die es rechtfertigt, von (der Zugehörigkeit zu) einem Milieu, einer Generation, einem Geschlecht zu reden.« (Bohnsack 2004, S. 11) Ob Erfahrungsräume geteilt werden oder nicht, und durch was sie strukturiert sind »findet seinen formalen Ausdruck in der Art und Weise, wie die am Diskurs Beteiligten interaktiv aufeinander Bezug nehmen.« (Hervorheb. i. Orig., ebd.) Entsprechend bewegt sich die Analyse von Gesprächen »zwischen den Polen Form und Bedeutung.« (Hervorheb. i. Orig., Przyborski 2004, S. 19) Die Dokumentarische Methode unterscheidet zwei Sinnebenen: »Als immanent sind Sinngehalte zu verstehen, die sich auf ihre Richtigkeit – unabhängig von ihrem Entstehungszusammenhang – überprüfen lassen. Ein philosophisches System kann man z.B. aus einem anderen philosophischen System heraus verstehen und aus dieser Perspektive seine Richtigkeit, seine Gültigkeit beleuchten, es überprüfen.« (A. a. O., S. 22) Dagegen nimmt der dokumentarische Sinngehalt den »Entstehungszusammenhang bzw. das, was sich davon manifestiert hat, in den Blick…« (Ebd.) Grundlage für die Analyse »bleibt das Wissen der Akteure […], ohne aber deren subjektiven Sinnzuschreibungen aufzusitzen. Auch auf der semantischen Ebene geht es darum, einen Zugang zu einer Wirklichkeit zu finden, die weder jenseits des Akteurswissen als objektiv definiert wird noch sich im subjektiv gemeinten Sinn der Akteure (dem ›intentionalen Ausdruckssinn‹ nach Mannheim) erschöpft.« (Nohl 2017, S. 35)
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Ein Zugang zu Sinngehalten kann Mannheim folgend über Gebilde gelingen, die eine Kultur hervorbringt und die sich entsprechend auch als Produkte einer Kultur bezeichnen lassen. Diese Gebilde, zu denen sowohl Sprache, politische Ideologien, kulturelle Gegenstände, aber auch jede Form von kultureller Praxis gehören, gehen aus Erlebniszusammenhängen hervor: »Das Individuum lebt nicht nur allein und für sich: Was aus einem Erlebniszusammenhang als herausstellbares Gebilde auftaucht, besitzt nicht nur hinsichtlich seines Erlebnisstroms einen Funktionalitätsbezug. Einen großen Teil seines Erlebnisbestandes hat es gemeinsam mit anderen Individuen.« (Mannheim 1980, S. 77) Damit gibt es nach Mannheim nicht lauter einzelne Erlebnisse von einzelnen Individuen, sondern es gibt so genannte konjunktive Erfahrungsräume, die durch gemeinsame Erlebnisgehalte einer Gruppe strukturiert werden. (Vgl. a.a.O., S. 78) Der konjunktive Erfahrungsraum verweist auf »das menschliche Miteinandersein, das sich im Medium des Selbstverständlichen in der gelebten Praxis fraglos vollzieht« (Przyborski 2004, S. 23), sowie das »Wissen, das in dieser Praxis angeeignet wird und das diese Praxis zugleich orientiert« (ebd.), wobei dieses Wissen nach Mannheim nicht aus wissenschaftlich hervorgebrachten Erkenntnissen stammt, sondern aus dem gelebten Leben: »Das Theoretisieren beginnt […] keineswegs mit der Wissenschaft, die vorwissenschaftlich alltägliche Erfahrung ist auch theoretisch durchsetzt. Das fließende gelebte Leben ist ein Auf- und Absteigen vom Theoretischen zum Atheoretischen…« (Mannheim 1964, S. 100) Es ist also das Wissen, das notwendig ist, um dabei zu sein, es strukturiert Praxis, »besteht mithin im Mitmachen-Können und muss nicht reflexiv verfügbar sein. In diesem Sinne ist das atheoretische Wissen auch und ganz wesentlich ein ver-körpertes [sic!] Wissen, das durch ›körperlichhabituellen, szenisch-mimetischen Nachvollzug‹ (Wulf et al. 2001, S. 342) angeeignet wird.« (Przyborski 2004, S. 24) Dieses Wissen prägt auch diskursive Praxis und wird zugänglich über die Art und Weise wie Sprache gestaltet wird, wie etwas zum Thema wird, wie etwas betont oder auch rhythmisiert wird: »Je konjunktiver die Verständigung ist, desto stärker werden Bedeutungen durch die Gestaltungsebenen mitgetragen, desto feiner funktioniert auch diese Ebene. Je kommunikativer die Verständigung ist, desto stärker liegt das Gewicht der Bedeutung auf den einzelnen Worten und weniger auf der Ebene der Gestaltung.« (Hervorheb. i. Orig., Przyborski 2004, S. 27) Mit der dokumentarischen Methode wird der Sinn herausgearbeitet, der von den Gruppendiskussionsteilnehmer*innen unmittelbar verstanden wird, »auf der Grundlage von je milieuspezifischen kollektiven bzw. konjunktiven Erfahrungen. Es ist die Explikation jener Orientierungen, durch die die Praxis der jeweiligen konjunktiven Erfahrungsräume gestaltet ist…« (Ebd.) Ziel der Dokumentarischen Methode ist nicht, Orientierungen von Einzelfällen herauszuarbeiten, sondern kollektive Orientierungen, wobei Orientierungsgehalte zu Orientierungen führen, die auf einen Rahmen bzw. ein kommunikatives Regelsystem verweisen, das die Bearbeitung von Themen strukturiert. Fundiert werden die Orientierungen dabei von einem Orientierungsrahmen: er stellt das Prinzip dar, nach dem handlungsleitende Orientierungen strukturiert sind. Es geht um »die implizite Regelhaftigkeit von Erfahrungen [die über den Einzelfall hinausgehen, G.K.] und den in dieser Regelhaftigkeit liegenden dokumentarischen Sinngehalt, d.h. den Orientierungsrahmen dieser Erfahrungen zu rekonstruieren« (Nohl 2017, S. 36) und damit um einen
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wesentlichen Orientierungsrahmen, der sich sowohl von einem Thema als auch von einem Fall abhebt und mehrere Themen und Fälle strukturiert. Dafür ist sowohl die komparative Sequenzanalyse notwendig, die ermöglicht »über eine Sequenz von (erzählten) Handlungen hinweg Kontinuitäten zu identifizieren« (ebd.) als auch der fallübergreifende Vergleich. Um den Orientierungsrahmen zu erfassen, der unterschiedlichen Abschnitten gemein ist, werden Abschnitte bzw. Passagen innerhalb einer Gruppendiskussion oder eines Interviews, in denen unterschiedliche Themen bearbeitet werden, sowie Abschnitte bzw. Passagen aus mehreren Gruppendiskussionen, in denen vergleichbare Themen bearbeitet werden, vergleichend analysiert. Mit der komparativen Sequenzanalyse wird dann auch die »Generierung mehrdimensionaler Typologien« (Hervorheb. i. Orig., a.a.O., S. 41) möglich. Dafür lassen sich in Bezug auf die themenbezogene Gemeinsamkeit sinngenetische Typen bilden, für die die rekonstruierten Orientierungsrahmen von den Fällen gelöst werden: »Die sinngenetische Typenbildung zeigt, in welch unterschiedlichen Orientierungsrahmen die erforschten Personen jene Themen und Problemstellungen bearbeiten, die im Zentrum der Forschung stehen. Sie kann aber nicht deutlich machen, in welchen sozialen Zusammenhängen und Konstellationen die typisierten Orientierungsrahmen stehen.« (Hervorheb. i. Orig., a. a. O., S. 43) Für meine Arbeit ist die Genese von Orientierungsrahmen insofern Thema, als dass mit Hilfe der rekonstruktiven Subjektivierungsforschung herausgearbeitet werden soll, inwiefern Identitätsnormen bzw. normative Subjektfiguren, die in gesellschaftlichen Diskursen angeboten werden, Teil der Strukturierung von Alltagspraxis sind und damit auch als handlungsleitende Orientierungen zu rekonstruieren sind.
Rekonstruktive Subjektivierungsanalyse Um sich normativen Subjektfiguren annähern zu können, werden vor allem Argumentationen und Positionierungen in den Blick genommen, die Probend*innen hervorbringen; dennoch lassen sich normative Subjektfiguren, die Bohnsack als Identitätsnormen bezeichnet (vgl. Bohnsack 2017), nicht einfach als explizite Handlungsentwürfe von Akteur*innen einordnen: »gerade die Unterscheidung zwischen einem imaginären und einem imaginativen impliziten und kommunikativen Wissen erscheint hierbei hochgradig relevant, weil die Analysen durch den Rückgriff auf diese Differenzierung für den potenziell handlungsleitenden Charakter von Identitätsnormen sensibel bleiben.« (Hervorheb. i. Orig., Geimer & Amling 2018, S. 308) Soll nachvollzogen werden, wie sich in Handlungspraxis auf Erwartungen und Normen bezogen wird bzw. wie mit diesen umgegangen wird, rückt das kommunikativ-generalisierte Wissen so in den Fokus, dass die klare Trennung zwischen eben diesem Wissen und dem konjunktiven Wissen nicht aufgehoben wird, kommunikativ-generalisiertes Wissen jedoch als ein Wissen verstanden wird, das auch implizite Anteile hat. Dabei geht es um kommunikativ-generalisiertes Wissen und die Frage, wie es »die AkteurInnen an[regt], an die implizierte normative Erwartung gemäß ihrer habituellen Dispositionen anzuschließen.« (Amling & Geimer 2016, S. 5) So ist der Umgang mit Subjektfiguren nicht als eine reflektierte Entscheidung Einzelner zu verstehen: »Subjektivierung oder Subjektivation vollzieht sich eben nicht nur durch einzelne oder isolierte Individuen bzw. durch deren (reflek-
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tierende) Positionierung gegenüber diskursiven Subjektfiguren aus Spezialdiskursen (dazu auch Geimer 2017), sondern auch in Kollektiven, die eigene normative Standards ausbilden (können).« (Geimer & Amling 2018, S. 309) Dies konnten Geimer & Amling vor allem mit ihrer Untersuchung zum Ethos der Entgrenzung der Kunst zeigen: Offensichtlich wird das Ethos, so Geimer und Amling, nur in Gruppendiskussionen, nicht aber in Interviews, die mit den Künstler*innen geführt wurden. (Vgl. ebd.) Das Ethos scheint an einen geteilten Erfahrungsraum gebunden, so dass es sich erst in der Interaktion derer zeigt, die diesen teilen. Da sich diskursiv-hegemoniale Subjektfiguren nicht ohne Weiteres dem kommunikativ-generalisierten Wissen auf der einen Seite oder dem konjunktivem Wissen auf der anderen Seite zuordnen lassen, knüpfen Geimer und Amling an das von Bohnsack überarbeitete Modell des erweiterten Orientierungsrahmens an (siehe Abb. 11), in dem Identitätsnormen und damit normative Subjektfiguren als ein Teil des kommunikativgeneralisierten Wissens verstanden werden. Es trifft in einer Schnittmenge auf konjunktives Wissen und führt hier nach Bohnsack zu einem Spannungsverhältnis: »Das Spannungsverhältnis von Habitus und Norm, welches ich, wenn es um die normativen Erwartungen an die Selbstpräsentationen der AkteurInnen geht, auch als Spannungsverhältnis von Habitus und Identität bezeichne, stellt den Regel-, nicht den Ausnahmefall der alltäglichen Praxis dar.« (Bohnsack 2017, S. 49)
Abb. 11: Konjunktiver Erfahrungsraum nach Bohnsack 2017, S. 103, eigene Darstellung
Das Wissen an dieser Schnittstelle bezeichnet Bohnsack als implizites, kommunikativ-generalisiertes Wissen, wobei dieses Wissen sich wiederum in ein imaginatives, kommunikatives Wissen und in ein imaginäres, kommunikatives Wissen ausdifferenzieren lässt: Demnach werden imaginative soziale Identitäten handlungslei-
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tend. Die imaginären sozialen Identitäten beschreiben dagegen Entwürfe, von denen die Handelnden nicht annehmen, dass sie diese umsetzen können, »das heißt eine Beziehung zur Performanz im Sinne einer möglichen Enaktierung, einer Neuorientierung wird von ihnen selbst ausgeschlossen beziehungsweise nicht mit dargestellt.« (A. a. O., S. 142) Nach Bohnsack sind hier jedoch auch noch einmal zwei Formen zu unterscheiden: das Imaginäre, das als Ideal präsentiert wird, aber in der Praxis nicht vorkommt – weder bei einem selbst, noch bei anderen –, und das Imaginäre, das als Ideal präsentiert wird und in der Praxis vorkommt: nicht bei einem selbst, aber bei denen, deren Habitus sich zum Vorbild genommen wird. »Exemplarisch finden wir dies etwa im Verhältnis zwischen ›Schüler‹ und ›Meister‹.« (A. a. O., S. 156) So wird der Habitus des Meisters zum Vorbild für den*die Schüler*in, »zum imaginativen Erwartungshorizont, und in dem Sinne zur – wie ich es nennen möchte – imaginativen sozialen Identität«. (Ebd.) So ist die eigene Praxis nicht meisterhaft, aber orientiert sich an der meisterhaften Praxis. Im Kontext meiner Arbeit vermute ich daher, dass eine Lehramtsstudentin den Habitus einer erfahrenen Lehrerin zum Vorbild hat bzw. deren – als gelungen wahrgenommene – Performanz. Diese Orientierung kommt bei der Lehramtsstudentin dann zum Ausdruck, wenn sie sich von ihrer eigenen, unvollkommenen Performanz distanziert. Der erweiterte Orientierungsrahmen und die eingeführten Kategorien des imaginären, kommunikativen Wissens sowie des imaginativen, kommunikativen Wissens dienen Geimer und Amling als Ausgangspunkt für eine rekonstruktive Subjektivierungsanalyse, wobei sie davon ausgehen, dass es hier nicht nur zu Spannungen zwischen normativen Subjektfiguren und Alltagspraxis kommt, sondern auch zu Passungen bzw. zu »Formen einer Aneignung von Normen, die kaum oder nicht mittels des Konzepts des erweiterten Orientierungsrahmens zu fassen sind.« (Hervorheb. i. Orig., Geimer & Amling 2019, S. 125) Geimer und Amling haben in ihren eigenen Studien sowohl Varianten von Spannungsverhältnissen herausgearbeitet, als auch habituelle Passungen zu Identitätsnormen bzw. normativen Subjektfiguren, die aufzeigen, wie und in welcher Form normative Subjektfiguren bzw. Identitätsnormen Praxis leiten bzw. Teil handlungsleitender Orientierungen sind. (Vgl. ebd.) Dieser Fokus ist im Kontext meiner Arbeit von Bedeutung, da sich hier womöglich eine Antwort auf die Frage finden lässt, welche Kultur und damit welche curricularen Vorstellungen und in diesen vermittelte normative Erwartungen die Student*innen wahrnehmen, ob sie und in welcher Form sie handlungsleitend für ihre Praxis sind. So ließe sich schließlich erkennen, welche Normalitätshorizonte eines zu präferierenden Subjekt-Seins für die Student*innen Relevanz haben.
Subjektivierungsprozesse angehender Grundschullehrer*innen Für meine Arbeit habe ich Gruppendiskussionen mit Grundschullehramtsstudent*innen der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg analysiert, um zunächst Subjektfiguren in Bezug auf das Lernen mit, durch und über Medien in der Grundschule herauszuarbeiten und dann »ihr Wirkungspotenzial vor dem Hintergrund alltäglicher Aneignungsprozesse« (Geimer & Amling 2019, S. 117) nachvollziehen zu können. Hier ist ein rekonstruktives Vorgehen notwendig, denn werden normative Subjektfiguren bzw. gesellschaftliche Erwartungen wahrgenommen, ist damit noch nicht geklärt, ob diese
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auch handlungsleitend sind. Geimer geht davon aus, »dass der handlungsleitende Charakter von diskursiven Subjektfiguren nicht metatheoretisch und a priori zu bestimmen ist.« (Geimer 2014, S. 116) Subjektfiguren sind »hegemoniale Adressierungen bzw. dominante Typisierungen, die den Akteuren ein spezifisches Verhältnis zu sich selbst nahelegen. Der normative Gehalt dieser Subjektfiguren und ihr appellativer Charakter kann im Sinne der Dokumentarischen Methode von reflexiven Wissensstrukturen wie auch von impliziten Wissensstrukturen gerahmt sein.« (Ebd.) Um herausarbeiten zu können, welche Subjektfiguren und damit welche gesellschaftlichen Erwartungen von Grundschullehramtsstudent*innen wahrgenommen werden und wie sie mit diesen umgehen, werden in Anlehnung an Amling und Geimer nicht Diskurse analysiert, »sondern Praktiken des Selbst […], die sich als Verschränkung von Reflexionsprozessen mit habituellen Prozessen vor dem Hintergrund […] normativer Erwartungen darstellen, die in diesem Handlungsbereich präsent sind.« (Amling & Geimer 2016, S. 3) Untersucht wird, ob sich in Gruppendiskussionen »Spuren von Diskursen finden lassen […], die mit impliziten Rahmungen des Alltagshandelns zusammentreffen.« (Ebd.) Um zu analysieren, wie Grundschullehramtsstudent*innen auf institutionalisiertes und stereotypisiertes Wissen bzw. normative Erwartungen, die sich auf das Lernen mit, durch und über digitale Medien in der Grundschule beziehen, Bezug nehmen, gilt es zunächst fallintern und fallübergreifend normative Erwartungen zu rekonstruieren. »Dabei steht die Analyse der Form/en der Bezugnahme auf diese Erwartungen durch die infrage stehenden AkteurInnen im Fokus.« (A. a. O., S. 6)
6.2
Datenerhebung
In meiner Datenerhebung offenbart sich zunächst ein vermeintlicher Widerspruch bzgl. des von mir beschriebenen Ausgangspunktes meiner Arbeit: Der Teufelskreislauf fehlender Medienbildung von Kammerl und Ostermann sowie das Konzept einer Grundbildung Medien beschrieben von Niesyto und Imort fordern eine Verstetigung medienpädagogischer Lehr- und Lerninhalte in der Lehre – also in Seminaren und Vorlesungen. Da ich die Gruppendiskussionen jedoch im Kontext von Schulpraxis geführt habe, beziehen sie sich vor allem auf Erfahrungen, die die Student*innen in ihren schulpraktischen Studien gemacht haben. Diese erscheinen jedoch entscheidend in Bezug auf die Frage, was Subjektivierungsprozesse im Kontext des Grundschullehramtsstudiums strukturiert. Die Analyse der Gruppendiskussionen zeigt, dass schulpraktische Studien maßgeblich für die Hervorbringung eines Professionsverständnisses sind, das wiederum zentral für die Vorstellungen und Konstruktionen der Student*innen bezüglich der Gestaltung medienpädagogischer Praxis in der Grundschule ist. Mit den Grundschullehramtsstudent*innen wurden Gruppendiskussionen geführt und mit einem Audiogerät aufgezeichnet, da sich Gruppendiskussionen besonders eignen, um »kollektiv geteilte und implizite Wissensbestände der AkteurInnen zu rekonstruieren…« (Amling & Geimer 2016, S. 7) Wie Geimer und Amling zeigen, eignen sich Gruppendiskussionen auch zur »Rekonstruktion des kommunikativ-generalisier-
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ten Wissens der Befragten, also des Common-Sense-Wissens, und hier insbesondere der Rekonstruktion der berufsbezogenen Normen oder normativen Erwartungen, die die Befragten an sich richten oder gerichtet sehen.« (Ebd.) Um Material hervorzubringen, das dokumentarisch ausgewertet werden kann, ist es notwendig, Gruppendiskussionen zu initiieren, in denen es zu einem selbstläufigen Gespräch zwischen den Gruppendiskussionsteilnehmer*innen kommt: »Die Forscherin steht vor der schwierigen Aufgabe, ein Gespräch zu initiieren, ohne es nachhaltig zu strukturieren.« (Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014, S. 97) Damit dies gelingt, wird empfohlen für die Datenerhebung bzw. die Initiierung von Gruppendiskussionen Gesprächsregeln zu beachten, die auf Erkenntnisse der Konversationsanalyse zurückzuführen sind. So ist zu vermeiden, dass das Gespräch geführt und damit Fragen explizit an einzelne Gesprächsteilnehmer*innen gerichtet werden. Es sollte keine Reihenfolge bestimmt werden, in der die einzelnen Teilnehmer*innen sprechen: »Ein wesentliches Prinzip, um nicht in das bekannte ›’Sprachaustauschsystem‹ der moderierten Diskussion zu geraten, […] ist das Ansprechen der gesamten Gruppe.« (Ebd.) Dies gelingt über einen entsprechenden Blickkontakt und eine alle in der Gruppe ansprechende Gestik. Ziel ist es, den Diskussionsteilnehmer*innen zu ermöglichen ihr Relevanzsystem hervorzubringen und die Diskussion nicht durch Relevanzsetzungen in der Moderation zu lenken. Nur wenn die Diskussionsteilnehmer*innen ihr Relevanzsystem entfalten können, wird deutlich, was diesem eigen ist, und inwiefern es sich von Relevanzsetzungen der Forscherin unterscheidet, so dass ein kontrolliertes Fremdverstehen möglich werden kann. (Vgl. Bohnsack 2014, S. 23) Die Teilnehmer*innen sollen von sich aus ein Gespräch führen, aber auch von sich aus ins Gespräch kommen. Ermöglicht werden soll, dass die Diskussionsteilnehmer*innen die performative Struktur, den Modus Operandi darstellen können, den sie in der Regel nicht in der Lage sind zu explizieren. »Zur Darstellung gebracht wird das performative Wissen, soweit es zum Gegenstand von Propositionen der AkteurInnen selbst wird…« (Bohnsack 2017, S. 151) Dies gelingt vor allem in Erzählungen und Beschreibungen. Entsprechend wurden die Teilnehmer*innen der Gruppendiskussionen, die geführt wurden, zu Beginn der Gespräche zunächst nicht explizit nach einer möglichen Bedeutung von digitalen Medien für das Lernen in der Grundschule gefragt, sondern grundsätzlich nach Vorstellungen, die sie bzgl. ihrer Aufgaben als angehende Grundschullehrer*innen haben, und Erfahrungen, die sie in diesem Zusammenhang aus ihren Schulpraktika mitbringen. Der Medieneinsatz im Unterricht sowie Medien als Thema bzw. Aufgabe in der Grundschule wurden von mir im Verlauf der Gespräche eingebracht, wenn diese nicht von den Gruppendiskussionsteilnehmer*innen selbst zum Thema gemacht wurden. Dabei habe ich jedoch darauf geachtet, dass das Gespräch der Gruppendiskussionsteilnehmer*innen nicht unterbrochen wird. Nachfragen habe ich also erst dann eingebracht, wenn die Diskussionsteilnehmer*innen durch eine deutliche und lange Pause das Gespräch von sich aus nicht fortgesetzt haben, um zu vermeiden selbst am Gespräch beteiligt zu werden: »Als Leiterin einer Gruppendiskussion sollte man erst dann das Rederecht ergreifen, wenn das Gespräch zwischen den Teilnehmern gänzlich zum Erliegen gekommen ist, also besonders lange niemand etwas sagt und man den Eindruck gewinnt, dass ›jetzt wirklich nichts mehr kommt‹.« (Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014, S. 98) Durch die Zurückhaltung soll vermieden werden, dass
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die Gruppendiskussionsteilnehmer*innen an die Diskussionsleitung adressiert erzählen und sich dieser erklären. Es wird ein Raum geöffnet, in dem sich die Diskussionsteilnehmer*innen gegenseitig adressieren. »Zum anderen gibt es den Teilnehmerinnen die Gelegenheit, ja es verpflichtet sie gerade dazu, Themen selbst abzuschließen. Die Art und Weise, wie Themen von einer Gruppe abgeschlossen werden, ist ein wesentliches Element der Auswertung von Gruppendiskussionen.« (Ebd.) Der folgende Abschnitt präsentiert die Schritte, denen folgend ich das empirische Material aufbereitet und analysiert habe.
6.3
Auswertungspraxis
Thematischer Verlauf und Auswahl von Passagen Zunächst habe ich aus dem Audiomaterial die thematischen Verläufe der Gruppendiskussionen festgehalten und Passagen ausgewählt, die ich für die weitere Analyse transkribiert habe. Ausgewählt habe ich aus allen elf Gruppendiskussionen Passagen, in denen Medien nicht nur erwähnt, sondern ausführlich besprochen wurden. Ich habe sie im Sinne des Theoretical Sampling »noch nicht auf der Grundlage einer spezifischen gegenstandsbezogenen sozialwissenschaftlichen Theorie, sondern auf der Grundlage einer ersten vorläufigen Problemdefinition« (Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014, S. 181) ausgewählt. Nach Przyborski und Wohlrab-Sahr ist es ausreichend, wenn nur ausgewählte Passagen transkribiert werden: »Gespräche, Gruppendiskussionen oder Interviews dauern – wenn sie gelingen – in der Regel zwischen einer und vier Stunden. Eine vollständige Transkription und Auswertung des Materials ist nicht notwendig.« (A. a. O., S. 292) Auch Nohl – wobei er sich explizit auf Interviews bezieht – erklärt es für ausreichend, wenn nur ausgewählte Passagen transkribiert und weiter ausgewertet werden, denn es geht nicht darum, »den gesamten Fall in allen seinen Einzelaspekten kennenzulernen (und dafür transkribieren zu müssen).« (Nohl 2017, S. 50) Um Orientierungen der Gruppendiskussionsteilnehmer*innen herausarbeiten zu können, gilt es jedoch nicht nur Passagen auszuwählen, die dem Erkenntnisinteresse folgen, sondern auch solche, in denen die Diskussionsteilnehmer*innen deutlich machen, dass sie ein für sie bedeutsames Thema verhandeln. Zu erkennen sind für die Diskussionsteilnehmer*innen bedeutsame Themen nach Bohnsack und Przyborski u.a. daran, dass sie von diesen in besonders ausführlichen, engagierten und metaphorischen Erzählungen oder Beschreibungen hervorgebracht werden – und damit in so genannten Fokussierungsmetaphern, die sich durch eine »Bildhaftigkeit und Detailliertheit der Darstellung« (Bohnsack & Przyborski 2006, S. 234) auszeichnen, wobei es hier nicht nur um bildhafte Vergleiche geht, sondern tatsächlich auch um Metaphern, in denen wir nach Sunnen Phänomene nach Mustern strukturieren: »Charakteristisch ist der Aufbau eines Spannungsfeldes, denn die Metapher sagt zugleich ›Dies [z.B. ein Baum] ist das [z.B. ein Held]‹ und ›Dies ist nicht das‹. Auf diese Weise schafft eine Metapher einen Raum oder Möglichkeiten für die Entwicklung von neuen Vorstellungen und die Herstellung von Beziehungen zwischen unterschiedlichen Bereichen, Phänomenen und Prozessen.« (Sunnen 2006, S. 33)
6. Zur Methodologie und Methode der empirischen Studie
Iris Nentwig-Gesemann bringt die Bedeutung der Fokussierungsmetapher für die Rekonstruktion von Orientierungen und konjunktiven Erfahrungsräumen wie folgt auf den Punkt: In Fokussierungsmetaphern »kommen die zentralen Erlebniszentren einer Gruppe zum Tragen, und die Verknüpfung von Orientierungen mit ihrer Erfahrungsgebundenheit dokumentiert sich besonders eindrücklich und kann dementsprechend rekonstruiert werden.« (Nentwig-Gesemann 2002, S. 47) Nach Przyborski & Wohlrab-Sahr gehen Fokussierungsmetaphern in Gruppendiskussionen häufig mit einer interaktiven Dichte einher: »Dazu zählen u.a. rasche Sprecherwechsel. Intensität in Gesprächen und Interaktionen kann aber auch durch andere formale Merkmale, wie größere Pausen beim Sprecherwechsel, den Wechsel der bevorzugten Textsorte (von einem eher argumentativen Stil zu einem erzählenden) oder die besonders lange […] Behandlung eines Themas markiert sein.« (Przyborski & WohlrabSahr 2014, S. 293)
Formulierende Interpretation Ich habe die ausgewählten Passagen paraphrasiert bzw. versucht in eigenen Worten zusammenfassend wiederzugeben, um Ober- und Unterthemen der Passagen zu klären. »Bei der formulierenden Interpretation geht es um eine zusammenfassende (Re-)Formulierung des immanenten, des generalisierenden, sozusagen allgemein verständlichen Sinngehalts.« (Przyborski 2004, S. 55) Die Interpretation wird von der Frage geleitet, was zum Thema gemacht wird: »Der Inhalt wird knapp in einer möglichst allgemein verständlichen Sprache wiedergegeben. Ziel ist es, die thematische Struktur, die Gliederung des Textes, die sich meist nicht unmittelbar erschließt, nachzuzeichnen.« (A. a. O., S. 53). Dabei werden Formulierungen, »die auf der Ebene des immanenten Sinns nicht zugänglich sind« bzw. »Wendungen […], die erst auf der Ebene des Dokumentsinns verstehbar werden, […] als wörtliche Zitate in die formulierende Interpretation« (a.a.O., S. 55) aufgenommen und entsprechend durch Anführungszeichen gekennzeichnet.
Reflektierende Interpretation Ziel der reflektierenden Interpretation in der dokumentarischen Methode ist in der Regel »die Rekonstruktion von Orientierungen und Habitus…« (Przyborski 2004, S. 55) Das Ziel der reflektierenden Interpretation der von mir geführten Gruppendiskussionen ist aber auch das Herausarbeiten von Subjektfiguren bzw. Identitätsnormen; wobei diese wiederum in Orientierungen aufgehen, denn sie zeigen, was die Gruppe bzw. die dem konjunktiven Erfahrungsraum Angehörigen habitualisiert haben. »Dabei bezeichnen Orientierungen Sinnmuster, die unterschiedliche (einzelne) Handlungen strukturieren, hervorbringen. Sie sind Prozessstrukturen, die sich in homologer Weise in unterschiedlichen Handlungen, also auch den Sprechhandlungen, ebenso wie in den Darstellungen der Handlungen reproduzieren.« (Ebd.) Die Sinnmuster strukturieren Praxis und werden damit über sie zugänglich. Zu dieser Praxis gehört auch Sprache; so sind Sinnmuster »z.B. in der Metaphorik von Erzählungen und Beschreibungen und von performatorischen Inszenierungen, z.B. der Art und Weise, wie miteinander und mit den Untersuchenden umgangen [sic!] wird, gegeben.« (Ebd.) Verstehen sich die Gruppen-
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diskussionsteilnehmer*innen »ohne einander zu interpretieren« (Ebd.) ist von einem gemeinsamen Erfahrungsraum auszugehen, da er keine Vermittlung über Erklärungen erfordert. (Vgl. ebd.)
Bestimmung Textsorten In der reflektierenden Interpretation habe ich herausgearbeitet, in welchem Orientierungsrahmen die Gruppendiskussionsteilnehmer*innen ein Thema zum Ausdruck bringen. Wird danach gefragt, wie ein Thema hervorgebracht wird, geht es sowohl um die Gestalt als auch um semantische Aspekte, auf die zu achten ist: »Die Semantik des Textes ist von seiner formalen Konstruktion nicht zu trennen, geht es hier doch darum, wie eine Praxis oder eine praktische Erfahrung geschildert wird.« (Nohl 2017, S. 31) Dabei wird nicht nach den Abschnitten vorgegangen, die in der formulierenden Interpretation herausgearbeitet wurden, sondern nach Textsorten. Ausgehend von der Annahme einer Homologie zwischen Erzählung und Erfahrung (vgl. Przyborski u. WohlrabSahr 2014, S. 228) werden in der reflektierenden Interpretation in einem ersten Schritt die Textsorten bestimmt, um »die Passagen zu identifizieren, in denen Erzählungen und Beschreibungen eigener Handlungspraxis vorkommen. Diese gelten in der dokumentarischen Methode als primäre Grundlage der Rekonstruktion von impliziten und handlungsleitenden Wissensbeständen…« (Amling & Geimer 2016, S. 8) Erzählungen sind eng mit erlebten Erfahrungen verknüpft, denn in diesen wird nicht dargelegt, was war, sondern wie es erlebt und erfahren wurde. Die Erfahrung wird in der Erzählung rekonstruiert. In Gruppendiskussionen tauchen jedoch nicht nur Erzählungen auf, sondern auch immer wieder Beschreibungen, Argumentationen und Evaluationen bzw. Bewertungen. So wird sich nach Nohl mit Argumentationen, die in Erzählungen eingebunden werden, gegenüber der Moderator*in des Gesprächs erklärt. (Vgl. Nohl 2017, S. 26) Textsorten werden von Nohl ausgehend von Fritz Schütze wie folgt unterschieden: »Erzählungen zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen der Informant Handlungs- und Geschehensabläufe darstellt, die einen Anfang, ein Ende und einen zeitlichen Verlauf haben.« (A. a. O., S. 32) Erzählungen lassen sich daran erkennen, dass durch sie einmalige Geschehnisse dargestellt werden, die »durch spezifische Zeit- und Ortsbezüge gekennzeichnet« (a.a.O., S. 23) sind sowie dadurch, dass es einen früheren und einen späteren Zeitzustand gibt, der aus dem früheren hervorgeht. (Vgl. ebd.) Eine Erzählung beginnt in der Regel mit einer Zeitangabe und wird »mit Worten wie ›und … dann‹ fortgesetzt…« (Ebd.) Die andere zentrale Textsorte, die neben der Erzählung auf implizite Wissensbestände verweist, ist die Beschreibung: »Beschreibungen zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen immer wiederkehrende Handlungsabläufe oder feststehende Sachverhalte (z.B. ein Bild, eine Maschine) dargestellt werden.« (Nohl 2017, S. 32) Hinweise auf eine Beschreibung sind Worte wie immer, öfters oder auch die Beschreibung von Räumen, Orten, Gegenständen und Personen. In einer Beschreibung wird kein einmaliges Ereignis in seinem Ablauf präsentiert; vielmehr geht es um sich wiederholende Ereignisse, die sich generalisieren lassen, »deren möglichen Konsequenzen und den damit verbundenen Gefühlen…« (Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014, S. 231)
6. Zur Methodologie und Methode der empirischen Studie
Kommunikativ-generalisierte Wissensbestände zeigen sich im Gegensatz zu impliziten bzw. konjunktiven Wissensbeständen vor allem in Argumentationen und Bewertungen bzw. Evaluationen. »Das kommunikative Wissen [im Unterschied zum konjunktiven Wissen, G.K.] bezieht sich zumeist auf die Motive des Handelns (um-zu-Motive im Sinne von Alfred Schütz)…« (Nohl 2017, S. 33) In Argumentationen und Bewertungen tragen die Gruppendiskussionsteilnehmer*innen anders als in Erzählungen »vor allem der Kommunikationssituation und dem Gesprächscharakter […] selbst Rechnung, denn er expliziert und theoretisiert hier ja gegenüber der Interviewerin [bzw. gegenüber der Diskussionsleitung, G. K.] Motive und Gründe seines eigenen Handelns oder nimmt zu diesem evaluativ Stellung.« (A. a. O., S. 32) Nach Nohl, der sich hier auf Schütze bezieht, zeichnen sich Argumentationen durch Quasi-Allsätze aus »mit (im Vergleich zum narrativen Kontext relativ) allgemeinen Prädikaten in behauptender und/oder begründender Funktion…« (Nohl 2017, S. 24) In Bewertungen wird eigenes oder fremdes Handeln beurteilt bzw. evaluiert. (Vgl. a.a.O., S. 32) Erzählungen, Beschreibungen, Argumentationen und Bewertungen folgen in der Regel nicht nacheinander, »sondern stehen meist in einem Vordergrund-HintergrundVerhältnis zueinander.« (A. a. O., S. 24) So kann eine »Haupterzählung […] durch eine Hintergrundkonstruktion im Modus der Beschreibung unterbrochen [werden], innerhalb derer sich dann wieder eine weitere Hintergrundkonstruktion, nun im Modus der Bewertung findet, die selbst wieder durch eine Hintergrundkonstruktion gestützt wird, die vielleicht eine Erzählung ist.« (Ebd.) Das liegt u.a. an dem Relevanzfestlegungs- und Kondensierungszwang, den Werner Kallmeyer und Fritz Schütze herausgearbeitet haben. Demnach ist jemand, der ein Ereignis nacherzählt, dazu »getrieben, nur das zu erzählen, was an Ereignissen als ›Ereignisknoten‹ innerhalb der zu erzählenden Geschichte relevant ist. Das setzt den Zwang voraus, Einzelereignisse und Situationen unter Gesichtspunkten der Gesamtaussage der zu erzählenden Geschichte fortlaufend zu gewichten und zu bewerten…« (Kallmeyer & Schütze 1977, S. 188) Weitere Erzählzwänge, die von Kallmeyer und Schütze beschrieben werden, sind der Detaillierungszwang, der dazu auffordert, sich in einer Erzählung an den Ablauf der erlebten Ereignisse zu halten, sowie der Gestaltschließungszwang, der dazu zwingt, »begonnene kognitive Strukturen abzuschließen…« (Ebd.) Die Zugzwänge sind stärker, wenn die Erzählung länger ist; sie greifen aber auch in kurzen Erzählungen. (Vgl. Nohl 2017, S. 25)
Beschreibung Diskursorganisation Die Diskursorganisation, die beschreibt, wie die Gruppendiskussionsteilnehmer*innen ihre Äußerungen aufeinander beziehen, und ihre Rekonstruktion stellen »eine wesentliche Komponente der reflektierenden Interpretation dar.« (Bohnsack & Schäffer 2007, S. 309) Eine Äußerung zeigt sich in ihrer Bedeutung erst in den Reaktionen auf diese. Analyseeinheiten sind daher »interaktiv hergestellte Sequenzen von Redebeiträgen, also Inter-Akte…« (A. a. O., S. 315) So betonen Bohnsack und Schäffer, dass zu unterscheiden ist, ob die Art und Weise, wie ein Diskurs verläuft »nach dem Muster TheseAntithese-Synthese organisiert ist (›antithetische‹ Diskursorganisation) oder ob in den Redebeiträgen Erzählungen und Beschreibungen ›nebeneinander gestellt‹ werden, in denen ein identisches Orientierungsmuster in Variationen immer wieder zum Aus-
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druck gebracht wird (›parallelisierende‹ Diskursorganisation).« (A. a. O., S. 309) Zu beachten sind insbesondere die bereits erwähnten und näher erläuterten Fokussierungsmetaphern, die schon in der Auswahl der Passagen von Bedeutung sind, da sich in ihnen »die Interaktionsbeteiligten auf ein Zentrum, einen Fokus gemeinsamer Erfahrung ›einpendeln’…« (Ebd.) Um herausarbeiten zu können, wie »ein Orientierungsgehalt unter interagierenden Personen geteilt ist, bedarf es der Betrachtung von mindestens drei Sinneinheiten: Denn erst, wenn die Reaktion als mögliche, passende Reaktion bestätigt wird, wird z.B. deutlich, dass sie nicht nur für den Produzenten der Reaktion (die produzierende Partei) eine passende ist, sondern auch für andere Beteiligte.« (Przyborski 2004, S. 59) Die drei Sinneinheiten, die hier in den Blick genommen werden, lassen sich kurz fassen als die Proposition, mit der zu Beginn einer Passage ein Orientierungsgehalt aufgeworfen wird, die Validierung des aufgeworfenen Orientierungsgehalts und die Konklusion, die das Thema abschließende Diskursbewegung, die sich darin zeigt, dass sich die Gruppe darüber verständigt, dass »niemand mehr was dazu zu sagen hat, also auch jene Partei, welche die erste Bewegung produziert hat. Findet sich auch hier der Orientierungsgehalt, dann kann dies als Einverständnis gelten…« (A. a. O., S. 60) Eine Validierung oder auch mehrere Validierungen des Orientierungsgehalts, »also eine Bestätigung der Proposition, oder eine Ausführung des Orientierungsgehalts in Form von Argumenten und Beispielen, d.h. eine Elaboration« (Hervorheb. i. Orig., a.a.O., S. 59) ohne Konklusion reichen nicht aus, denn eine Validierung »dokumentiert zwar, dass ein Teil der Gruppe auf denselben Orientierungsgehalt abhebt. Das kann aber immer noch jene Partei in der Gruppe sein, die die erste Diskursbewegung produziert hat.« (Ebd.) Es wäre also damit noch nicht klar, ob die gesamte Gruppe auf denselben Orientierungsgehalt abhebt.
Diskursorganisationsmodi Die Art und Weise wie ein Diskurs in einer Gruppe organisiert wird, ist relevant für den Zugang zur Kollektivität. Wie oben bereits angedeutet, sprechen Bohnsack und Schäffer hier von Diskursverläufen, die sich durch ein argumentatives Gegeneinander nach dem Muster These-Antithese-Synthese auszeichnen können, oder durch nebeneinanderstehende Redebeiträge, die in Erzählungen und Beschreibungen immer wieder in unterschiedlichen Variationen ein identisches Orientierungsmuster hervorbringen. (Vgl. Bohnsack & Schäffer 2007, S. 309) Przyborski bezeichnet die parallelisierende Diskursorganisation, aber auch das Muster der These-Antithese-Synthese als inkludierende Modi einer Diskursorganisation. In den inkludierenden Modi sind Formen der Diskursorganisation erfasst, die beschreiben, »wie das ›Kollektiv‹ gemeinsame Orientierungen hervorbringt. Es werden also die Arten und Weisen der Inszenierung bzw. der Artikulation von Gemeinsamkeiten durch das Kollektiv untersucht.« (Przyborski 2004, S. 96) Als inkludierende Modi bezeichnet Przyborski den parallelen, den antithetischen und den univoken Modus. (Vgl. ebd.) Als idealtypisch gilt der parallele Modus, denn hier »artikulieren sich […] gemeinsame Orientierungen auf der Basis gemeinsamer, im Sinne homologer, Erfahrungen. Kennzeichnend für diesen Modus ist, dass eine Aneinanderreihung von Darstellungen,
6. Zur Methodologie und Methode der empirischen Studie
die für eine/n fremde/n Beobachter/in auf den ersten Blick manchmal wenig miteinander zu tun haben, es für die Beteiligten jedoch um die gleiche Sache geht.« (A. a. O., S. 96f.) Der univoke Modus bezieht sich nicht nur auf Erfahrungen, die sich in ihrer Struktur gleichen, sondern auf tatsächlich gemeinsam gemachte Erfahrungen. Da die Grundschullehramtsstudent*innen jedoch keine identischen Erfahrungen gemacht haben, diese also »nicht, zur selben Zeit am selben Ort gewesen [sind]« (a.a.O., S. 196), spielt dieser Modus keine Rolle in meiner Auswertung. Homologe Orientierungen kommen auch im antithetischen Modus zum Ausdruck. Im Unterschied zur parallelisierenden Diskursorganisation werden diese jedoch nicht in einzelnen Redebeiträgen variiert und damit wiederholt. Die gemeinsame Orientierung wird vielmehr »durch Widerstreit und Verneinung, ein oft konkurrierendes Gegeneinander, dessen gemeinsame Orientierungsgrundlage sich für den Interpreten/die Interpretin oft erst in der Synthese der widersprechenden Positionen als einander ergänzende Komponenten einer Orientierung, eines Habitus erschließt« (a.a.O., S. 168) zum Ausdruck gebracht.
Bausteine einer Diskursorganisation Zu Beginn einer Passage wird in der Regel ein Orientierungsgehalt aufgeworfen, eine Proposition: Von einer Proposition wird gesprochen, wenn ein Orientierungsgehalt das erste Mal präsentiert wird. »Das kann auch nur ein erstes Anreißen eines Horizonts sein. Es finden sich also immer dort Propositionen, wo ein neues Thema beginnt.« (Hervorheb. i. Orig., Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014, S. 299). Möglich sind jedoch auch so genannte Transpositionen; das heißt, ein Thema wird abgeschlossen und ein neues aufgemacht, es wird aber kein neuer Orientierungsgehalt aufgeworfen, sondern das Thema wird durch die gleiche Orientierung strukturiert. (Vgl. a.a.O., S. 310) Die Art und Weise, wie auf einen aufgeworfenen Orientierungsgehalt von den Gruppendiskussionsteilnehmer*innen reagiert wird bzw. wie dieser in weiteren Äußerungen bearbeitet wird, wird als Elaboration bezeichnet. In der Elaboration wird der aufgeworfene Orientierungsgehalt weiter ausformuliert: »Die Orientierung tritt dadurch konturierter hervor. Das kann dadurch geschehen, dass sie mit Argumenten (argumentative Elaboration) belegt wird oder durch konkrete Beispiele […] in Form von Erzählungen vertieft wird.« (A. a. O., S. 299) Durch die Elaboration können der positive und negative Horizont einer Orientierung markiert werden, wobei die Grenzen einer Orientierung besonders in so genannten Differenzierungen bearbeitet werden. Hinweise auf homologe Erfahrungshintergründe und damit auf eine kollektive Orientierung sind jedoch erst gegeben, wenn alle Diskussionsteilnehmer*innen die aufgeworfene Orientierung validiert haben. Die Validierung einer Orientierung ist zu unterscheiden von Ratifizierungen, in denen Diskussionsteilnehmer*innen ausschließlich signalisieren, dass sie eine Äußerung verstanden haben, aber nicht ob sie die Orientierung teilen, die diese Äußerung strukturiert. (Vgl. ebd.) Die Bearbeitung eines Themas in einem Orientierungsrahmen endet in der Regel mit einer Konklusion. Zu unterscheiden sind hier nach Przyborski und Wohlrab-Sahr echte und rituelle Konklusionen: echte Konklusionen sind dabei solche, in denen die kollektive Orientierung deutlich wird, während in rituellen Konklusionen Gegensätze nicht aufgehoben werden, sondern nur Themen gewechselt werden. Möglich ist aber auch
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eine »rituelle Konklusion im Modus der Metakommunikation: Hier kommt es zum Gespräch über das Gespräch, z.B. darüber, dass der Gesprächsgegenstand irrelevant ist, oder es wird dazu aufgefordert, neue Themen einzubringen oder das alte zu beenden.« (A. a. O., S. 300) Zu unterscheiden sind zudem die Opposition und die Antithese: So kann einer aufgeworfenen Proposition widersprochen werden, aber im Zuge der Konklusion eine Synthese in Bezug auf die Orientierung hervorgebracht werden. In diesem Fall wird nicht von einer Opposition gesprochen, denn sie kennzeichnet, dass sie weder zu einer aufgeworfenen Orientierung passt, noch mit ihr in Übereinstimmung gebracht werden kann: »Sind derartige nicht auflösbare Widersprüche vorhanden, wird auch davon gesprochen, dass eine Gruppe – in diesem Zusammenhang – keinen gemeinsamen (Orientierungs-)Rahmen hat oder es Rahmeninkongruenzen gibt.« (Ebd.) Durch das Aufgreifen von Aspekten einer aufgeworfenen Orientierung kann zunächst der Eindruck entstehen, dass mit ihr übereingestimmt wird, obwohl sich divergent zu ihr verhalten wird. Die Divergenz äußert sich dann in Formulierungen wie ja, aber. »Die Diskussionsteilnehmer bemerken das oft gar nicht: Sie reden aneinander vorbei.« (Ebd.)
Komparative Analyse Die komparative Analyse ist innerhalb eines Falls von Bedeutung, um herausarbeiten zu können, ob ein Orientierungsrahmen nicht nur eine Passage eines Gesprächs strukturiert, sondern weitere Passagen, in denen weitere Themen bearbeitet werden. So wird festgestellt, ob ein Orientierungsrahmen fallübergreifend gültig ist. Dafür ist es zunächst notwendig, in weiteren Gesprächen nach Passagen zu suchen, in denen ähnliche bzw. vergleichbare Themen behandelt werden: Fokussiert wird auf den minimalen Kontrast, um die aus den Gesprächen herausgearbeiteten Orientierungen in einer Basistypik zu fassen, die sich aus dem Erkenntnisinteresse ableitet. (Vgl. Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014, S. 302f.) Nach maximalen Kontrasten wird dann gesucht, wenn es um »die Spezifizierung der Basistypik gegenüber anderen Typiken, z.B. einer Entwicklungs-, Milieu- oder Generationstypik [geht]…« (Hervorheb. i. Orig., a.a.O., S. 303) Mit der komparativen Analyse werden darüber hinaus Überinterpretationen vermieden. So schreibt Nohl: »Wenn sich die Signifikanz einer Abfolge von Textabschnitten, d.h. ihre Regelhaftigkeit, die als dokumentarischer Sinngehalt den Orientierungsrahmen ausmacht, nur in der Kontrastierung mit anderen, in weiteren empirischen Fällen gegebenen Abfolgen von Textabschnitten erfassen lässt (vgl. Bohnsack 2001, S. 337f.), so dient hier der Vergleich vor allem der Ermöglichung und Erleichterung des interpretatorischen Zugriffs. Er ist aber zudem eine Methode zur Validierung von Interpretationen (dazu: Nohl 2007).« (Nohl 2017, S. 39)
Reflektierende Interpretation unter Berücksichtigung von Subjektfiguren Eine Subjektivierungsanalyse ist ohne das Herausarbeiten des kommunikativ-generalisierten Wissens der Befragten nicht möglich; entsprechend werden auch Passagen, in denen die Gruppendiskussionsteilnehmer*innen argumentieren, sich positionieren
6. Zur Methodologie und Methode der empirischen Studie
und entwerfen ausgewählt, um die sich »darin äußernden normativen Erwartungen, Fremdidentifizierungen usw.« (Amling & Geimer 2016, S. 8) zu analysieren und die Analysen mit den Interpretationen der erzählenden und beschreibenden Passagen in Verhältnis setzen zu können. In der Analyse wird zum einen »innerhalb eines Falls nach Homologien in Bezug auf das konjunktive Wissen gesucht, das sich, so die zentrale Annahme der dokumentarischen Methode, in mehreren Passagen mit Erzählungen und Beschreibungen gleichartiger Weise dokumentiert.« (A. a. O., S. 9) Zum anderen werden die Verhältnisse zwischen dem konjunktiven und kommunikativ-generalisierten Wissen der Gruppendiskussionsteilnehmer*innen rekonstruiert. Schließlich folgt »der Vergleich der konjunktiven und kommunikativ-generalisierten Wissensbestände und ihrer Relationierung in einem Fall zu den Formen eines anderen Falls bzw. mehrerer, anderer Fälle…« (Ebd.) Für die Rekonstruktion der normativen Subjektfiguren bzw. gesellschaftlichen Erwartungen, auf die sich die angehenden Grundschullehrer*innen in den Gruppendiskussionen beziehen, dienen folgende, aus dem Erkenntnisinteresse abgeleitete Leitfragen: • • •
•
Welche Aspekte werden von den Gruppendiskussionsteilnehmer*innen von sich aus in Bezug auf das Lernen mit, durch und über digitale Medien angesprochen? Werden Erwartungen in Bezug auf das Lernen mit, durch und über digitale Medien von den Gruppendiskussionsteilnehmer*innen ähnlich thematisiert? Lassen sich Erwartungen herausarbeiten, von denen angehende Grundschullehrer*innen meinen, dass sie sich mit diesen in Bezug auf Medien auseinandersetzen müssen? Wird ein Verständnis von einer Erwartung in unterschiedlichen Gruppendiskussionen deutlich? Welche Relevanz haben die Erwartungen für die Diskussionsteilnehmer*innen?
Nach der Rekonstruktion von Erwartungen folgt die Bearbeitung der Frage, »inwiefern diese für die AkteurInnen handlungsleitende Kraft gewinnt.« (Amling & Geimer 2016, S. 11) So ließe sich fragen, ob die Verweise auf bestimmte gesellschaftliche Erwartungen diesen nicht entsprechende Praxis legitimieren, bzw. ob es um eine Inszenierung oder Selbstidealisierung geht. Von einer habituellen Passung zu Identitätsnormen sprechen Geimer und Amling dann, wenn es zu keinem »Spannungsverhältnis zwischen Habitus und Identitätsnormen« (vgl. a.a.O., S. 8) kommt – hier grenzen sie sich von Bohnsack ab, der sich nur auf das Spannungsverhältnis zwischen Habitus und Identitätsnorm konzentriert. Geimer und Amling interessieren sich jedoch für die Aneignung von Normen, dazu gehört sowohl die Frage, ob sich diese in der Praxis zu eigen gemacht werden, als auch die Frage, wie sich diese zu eigen gemacht werden, denn eine habituelle Passung bzw. Aneignung der Subjektfigur kann sich unterschiedlich gestalten: so ist es möglich, dass eine Erwartung explizit wahrgenommen und geäußert wird, aber nicht handlungsleitend ist, oder aber nicht explizit geäußert wird, obwohl sie Praxis strukturiert.
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7. Durchführung der empirischen Studie
Im Folgenden wird zunächst das Sample sowie der Kontext präsentiert, in dem die Gruppendiskussionen mit den Grundschullehramtsstudent*innen geführt wurden. Eingegangen wird auf die weitere Bearbeitung des Materials mit der Beschreibung der Analyseschritte, nach denen ich bei der Interpretation der aus den Gruppendiskussionen ausgewählten Passagen vorgegangen bin. In Abschnitt 7.2 führe ich die Interpretation einer Passage exemplarisch vor.
7.1
Empirisches Material
An den elf Gruppendiskussionen (kurz: GD1 bis GD11), die ich im Kontext von Orientierungs- und Einführungspraktika (kurz: OEP) und Integrierten Semesterpraktika (kurz: ISP) initiiert habe, haben insgesamt 40 Student*innen teilgenommen. An den Gruppendiskussionen nahmen jeweils mindestens drei Student*innen teil und maximal elf. Sie dauerten zwischen 55 und 104 Minuten. Die Diskussionen wurden im Kontext von OEP-Begleitseminaren geführt, da diese an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg in der Regel am Ende des ersten Semesters absolviert werden und hier der Perspektivenwechsel von dem*der Schüler*in zum*zur Lehrer*in eingeleitet wird, erste Unterrichtsversuche geplant, durchgeführt und reflektiert werden. (Vgl. Handreichung zum OEP 2018, S. 1) Die OEP-Begleitseminare wurden von Dozentinnen aus der Grundschulpädagogik und der Medienpädagogik angeboten.1 Die weiteren
1
Die Teilnehmerbegrenzung für diese Seminare wurde in der Webanwendung Lehre, Studium, Forschung der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg – kurz LSF – im Wintersemester 2014/2015 und im Sommersemester 2015 mit 25 angegeben. »Insgesamt haben im Wintersemester 2014/2015 543 Studierende OEP-Begleitseminare belegt, davon 150 aus dem Grundschullehramt, im Sommersemester 2015 waren es insgesamt 227 Student*innen, davon 79 Grundschullehramtsstudent*innen.« (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg 2015, S. 29). An der Pädagogischen Hochschule werden die Begleitseminare zur Schulpraxis für alle Lehrämter gemeinsam angeboten. Im Wintersemester 2014/2015 gab es hier insgesamt 24 Seminarangebote, die von Dozent*innen aus den Bildungswissenschaften – also aus der Allgemeinen Pädagogik, der Schulpädagogik, der Medienpädagogik, Soziologie und Psychologie – angeboten wurden, und im folgenden Sommersemester
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Kinder. Medien. Kontrolle.
Gruppendiskussionen fanden im Kontext von ISP-Begleitseminaren statt, die von zwei Dozentinnen aus der Grundschulpädagogik angeboten wurden. Mit vier Gruppen wurden sowohl vor als auch nach der Schulpraxis Gruppendiskussionen geführt. Da sich die Gruppen in Teilen neu zusammengesetzt haben – also Diskussionsteilnehmer*innen, die bei der Diskussion vor der Schulpraxiserfahrung dabei waren, bei der Diskussion nach der Schulpraxiserfahrung fehlten, aber auch weil jede Diskussion eine neue Interaktion zwischen den Gruppendiskussionsteilnehmer*innen bedeutet, werden die Gruppendiskussionen vor und nach dem OEP jeweils als eigenständige Fälle gefasst. Dies entspricht auch dem Ziel der Dokumentarischen Methode, mit der keine Fälle beschrieben werden, sondern Erfahrungsräume, die einzelne Fälle gemein haben. Entsprechend tauchen Gesprächsteilnehmer*innen, die ich mit Tf für weiblich und Tm für männlich abgekürzt habe, in mehr als einer Diskussion auf. Die Gruppendiskussionen fanden alle an der Hochschule statt – zwei in Seminarräumen, die weiteren in kleineren Besprechungsräumen – und wurden mit einem Audiogerät aufgezeichnet.2
Diskussionsteilnehmer*innen Da es mir darum geht, ein Feld zu beschreiben, und keine einzelnen Personen, fasse ich die von den Student*innen angegebenen Sozialdaten zusammen. Die Zusammenfassung bezieht sich auf Daten, die ich von 23 Gesprächsteilnehmer*innen erheben konnte. Ein Teil der Student*innen hat die Angabe von Daten verweigert, von anderen gab es die Zusage, diese per Mail zu schicken, was trotz Nachfrage schließlich nicht erfolgte. An den Gruppendiskussionen nahmen überwiegend Frauen teil – mehr als 80 Prozent der Teilnehmer*innen haben angegeben, dass sie weiblich sind. Die jüngste Teilnehmerin war zum Zeitpunkt der Erhebung 19 Jahre alt, die älteste 35 und der älteste Teilnehmer 38 Jahre. Im Durchschnitt waren die Teilnehmer*innen 23 Jahre alt. Sechs Gesprächsteilnehmer*innen haben angegeben, dass sie vor Beginn ihres Studiums studiert oder eine Ausbildung absolviert haben. Hierzu gehören ein Bachelor in Sportwissenschaft an der Universität Karlsruhe, drei Semester Studium auf Gymnasiallehramt an der Universität Tübingen, fünf Semester Primarlehramt an der Universität Potsdam, ein Semester Betriebswirtschaftslehre, eine Ausbildung zum Industriekaufmann mit Berufserfahrung, eine Ausbildung zur Industriekauffrau, eine Ausbildung zum Koch mit Berufserfahrung, eine Ausbildung zur Krankenschwester mit Berufserfahrung und eine zur Bankkauffrau. Als Geburtsorte wurden fünf Städte in Baden-Württemberg mit mehr als 150.000 Einwohner*innen genannt, drei mit unter 100.000, sieben Städte mit unter 50.000 Einwohner*innen und zwei Städte mit etwa 20.000 Einwohner*innen. Außerhalb von Baden-Württemberg wurde einmal eine Stadt in Hessen mit mehr als 250.000 Einwohner*innen angegeben, eine Stadt in Nordrhein-Westfalen mit mehr als 30.000 Einwohner*innen und eine Stadt in Brandenburg mit unter 20.000. Eine Studentin kommt aus
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waren es 21 Angebote. Die Student*innen können drei Wunschseminare angeben, sind hier jedoch alle Plätze belegt, werden sie vom Schulpraxisamt auf andere Seminare verteilt. Eine tabellarische Übersicht der geführten Gruppendiskussionen befindet sich im Anhang.
7. Durchführung der empirischen Studie
Rumänien. Als Beruf der Mutter wurde Altenpflegerin genannt, Bauzeichnerin, Erzieherin, Forschungsassistentin an einer Universität, Grafikdesignerin, Grundschullehrerin, Kosmetikerin, Nageldesignerin, Psychologin, Realschullehrerin, Sekretärin, Sozialpädagogin und Technische Zeichnerin. Zu den Vätern gab es die Angaben Bankfachwirt, Bauingenieur, Beamter in einem Ministerium, Frisör, Grafikdesigner, Hauptgeschäftsführer, Maschinenbautechniker, Metallbaumeister, Pharmazeut, Produktmanager, Versicherungsfachwirt, Vertriebsdirektor und Zimmermann. Für die Schulpraxis wählen die Student*innen die Schulen selbst aus. Praktikumsschulen, die von den Gruppendiskussionsteilnehmer*innen besucht wurden, befinden sich vor allem in Ludwigsburg sowie Gemeinden und Städten in der näheren Umgebung. Dabei sind Grundschulen, die sich verlässliche Grundschule nennen mit Betreuungsangeboten bis 17 Uhr. Andere bzeichnen sich als Gemeinschaftsschulen. Häufig gibt es das Angebot mittags in der Mensa zu essen. Es wurden von den Student*innen Grundschulen besucht, an denen dreimal nachmittags in der Woche Unterricht stattfindet, und Grundschulen, die eine Schulkindbetreuung anbieten, die von sozialen Trägern übernommen wird. Ausgewählt wurden auch Ganztagesgrundschulen in Wahlform, an denen von 7.50 Uhr bis 15.15 Uhr Unterricht angeboten wird und dazwischen ein Mittagessen, die Betreuungszeit der Kinder aber auf Wunsch der Eltern auch ausgedehnt werden kann, so dass sie morgens um sieben beginnt und nachmittags um 17 Uhr endet. Auf den Webseiten der von den Student*innen genannten Ganztagesschulen wird häufig betont, dass Wert auf einen rhythmisierten Tagesablauf gelegt wird, was mit einem Wechsel zwischen Lernphasen und Bewegungs- bzw. Entspannungsphasen erreicht werden soll. Ausgewählt wurden von den Student*innen keine Schulen, die einen Medienschwerpunkt haben; auch gibt es auf Webseiten der Schulen keine expliziten Hinweise auf eine große Vielfalt bezüglich der sozio-kulturellen Zusammensetzung der Schüler*innen.
Aufbereitung des empirischen Materials Für die Interpretation der Gruppendiskussionen wurden aus dem Audiomaterial Passagen ausgewählt, die transkribiert und dann interpretiert wurden. Dafür habe ich zunächst zwei Gruppendiskussionen vollständig transkribiert, und zu den weiteren neun den Inhalt im Sinne eines thematischen Verlaufs notiert. Für den thematischen Verlauf wurde nicht nur notiert, was für Themen in den einzelnen Gruppendiskussionen angesprochen wurden, sondern auch in welcher Reihenfolge sie zum Thema wurden und wer die Themen jeweils initiiert hat: ich als Moderatorin der Diskussion oder die Gruppendiskussionsteilnehmer*innen. Transkribiert wurde das Audiomaterial in Anlehnung an Nohl. (Vgl. Nohl 2017, S. 123)3 Ausgewählt habe ich im Sinne eines Theoretical Samples Passagen aus allen elf Gruppendiskussionen, in denen Medien nicht nur erwähnt, sondern ausführlich besprochen wurden. (Vgl. Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014, S. 181) Zudem habe ich auf Fokussierungsmetaphern geachtet, also auf Passagen, die sich durch eine hohe inter-
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Eine Übersicht der Transkriptionsregeln befindet sich im Anhang.
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aktive Dichte auszeichnen. Dies war besonders bei Themen der Fall, die von den Student*innen im Zusammenhang mit Unterrichtsstörungen verhandelt wurden.4 Ausgewählt habe ich insgesamt 15 Passagen. Weitere Passagen wurden nicht ausgewählt, da die reflektierende Interpretation der Passagen bereits zu einer Sättigung im Sinne von Barney G. Glaser und Anselm L. Strauss geführt hat. Demnach sollten Kategorien so weit untersucht werden, »bis klar ist, welches die Schlüsselkategorien sind.« (Glaser & Strauss 2008, S. 78) Ziel ist es demzufolge Schlüsselkategorien »möglichst dicht zu entwickeln.« (Ebd.) Mein Vorgehen in der formulierenden und reflektierenden Interpretation präsentiere ich am Beispiel der Passage Medieneinsatz im Unterricht.
7.2
Interpretationsbeispiel
Die Passage Medieneinsatz im Unterricht stammt aus einem Gespräch mit vier Grundschullehramtsstudentinnen. Es hat am Ende ihres ersten Semesters stattgefunden. Die Gruppendiskussion wurde nach ihrem Orientierungs- und Einführungspraktikum (OEP) im Kontext eines viertägigen OEP-Begleitseminars geführt, das von einer Dozentin aus der Grundschulpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg angeboten wurde. Die Diskussion fand in einem Besprechungsraum der Hochschule statt, wurde mit einem Audioaufnahmegerät aufgezeichnet und dauerte 55 Minuten und 35 Sekunden; die Passage beginnt bei Minute 25:11 und dauert bis Minute 30:53. Die vier Diskussionsteilnehmerinnen wurden anonymisiert und mit Tf101, Tf102, Tf103 und Tf104 bezeichnet: •
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•
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Tf101 hat die Hauptfächer Deutsch und Sport gewählt, sie ist zum Zeitpunkt des Gesprächs 20 Jahre alt und hat ihr OEP in einer baden-württembergischen Stadt mit ca. 34.000 Einwohner*innen absolviert. Dort war sie in allen Klassenstufen, meistens aber in einer dritten Klasse. Tf102 studiert die Fächer Deutsch und Englisch und ist 21 Jahre alt. Sie war an einer Grundschule in einer Kommune in Baden-Württemberg mit etwa 3.000 Einwohner*innen. Sie war dort überwiegend in der ersten Klasse. Tf103 studiert die Hauptfächer Deutsch und Religion. Sie ist ausgebildete Industriekauffrau und 22 Jahre alt. Sie war an einer Grundschule in einer oberschwäbischen Stadt mit ca. 17.500 Einwohner*innen. Sie hat dort alle Klassenstufen besucht, war aber hauptsächlich in der vierten Klasse. Tf104 studiert Mathematik und Musik, sie hat noch keine Berufserfahrungen, aber ein Semester BWL studiert. Sie ist zum Zeitpunkt der Gruppendiskussion 19 Jahre alt und hat ihr OEP an einer Schule in einer Stadt mit ca. 48.000 Einwohner*innen in der Nähe von Stuttgart absolviert. Sie hat dort die Klassen eins bis vier besucht, war aber überwiegend in einer dritten Klasse.
Eine Übersicht der einzelnen, ausgewählten Passagen befindet sich im Anhang.
7. Durchführung der empirischen Studie
Transkript-Passage: Medieneinsatz im Unterricht 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43
I: Jetzt ham Sie gesagt das Thema Medien war gar nicht so ein auffallendes wenn man jetzt daran denkt was anders als es vielleicht früher war oder man sich das als Kind selbst vorgestellt hat oder erinnert aus seiner Kindheit, sind denn Medien für Sie jetzt n Thema für die Grundschule oder nicht? ((mehrere TN lachen leise)) Tf104: Also ich könnt s mir schon durchaus vorstellen mal n paar Videos zu zeigen oder sonst noch was (.) da:mit was zu machen also natürlich nicht durch und durch aber man kann s nutzen s gibt s ja braucht man aber nicht unbedingt; was mir jetzt aufgefallen ist an der Schule ist ähm die mussten in MEK Präsentationen machen und die Lehrerin hat das extra im Unterricht machen lassen dass die Eltern da nich so dahinter sind, dass die Eltern quasi das nicht machen und äh bei einer Schülerin die hat dann die Präsentation gehalten und man wusste ganz genau die hat das daheim mit den Eltern gemacht und die kam dann auch noch mit nem Tablet und ham dann n Video abspielen lassen so achtjähriges Mädchen und dann hab ich gedacht okay also von Kindersicht brauche ich das nich; wenn ich das als Lehrperson einsetz gezielt einsetz finde ich das in Ordnung aber dass die Schüler dann ihre Präsentationen wie beim Abi mündlichem Abi oder so einbeziehen hm weiß nich isch vielleicht n bisschen arg heftig. Tf103: °Mhm° (.) m- bei uns das wa- fällt mir jetzt gerad ein zum Stichwort Vergessen @(.)@ ähm da gab s so ne Trennstunde also da hat man die Klasse immer getrennt das war glaub am (.) Mittwoch und am Freitag immer die letzte Stunde; und da war n ähm (.) äh n Laptopwagen un- s war n bestimmter Fachraum halt und je- jedes Kind hat sich dann sein Laptop geholt und hat sich dann eben so hingesetzt, und dann ähm ham die auch mit PowerPoint gearbeitet also die ham dann echt ne PowerPointPräsentation gemacht über n Ro:thirsch oder über n Gra:sfrosch und ähm ham s dann die Bilder auch so einfliegen lassen dann (.) ähm (.) und ich hab gar nicht gewusst dass s so viel @Animationen gibt@ @(.)@ ähm die ham dann teilweise echt tolle Präsentationen gemacht und ham sich da vorne hingestellt und ham halt, klar das vorgelesen was auf der Folie stand aber die ham sich da schon mal n bisschen ausprobiert und (2) des fand ich jetzt nich so schlimm also das fand ich eigentlich (2) ganz gut dass die da auch schon n bisschen ähm Übung haben oder das zumindest mal gesehen haben oder wissen wenn se jetzt n Text schreiben wollen dann gehe ich jetzt nichts in PowerPoint sondern eben ins Word rein; (.) und das ham die da (.) eben auch gelernt; die ham dann auch (.) da gab s so n Ideenwettbewerb und da mussten se ihre Idee beschreiben und des ham sie dann halt nicht ha- handschriftlich -lich geschrieben sondern eben im Word; und ham da dann auch die Rechtschreibkontrolle gehabt und (.) °so weiter;° Tf102: Ich denk auch dass so n gewisser Anteil okay isch bei uns war s
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zum Beispiel einmal so dass der Lehrer (.) n Film, ein kurzen Film von zehn Minuten oder so gezeigt hat und dann aber (.) da- die (.) der Fokus war dann nicht auf diesem Film, sondern ähm auf der Arbeit quasi mit den Informationen aus m Film; und das finde ich dann schon auch das macht denen ja auch (.) also das zieht ja schon wenn man das ab und zu macht; aber ich würd s jetzt nich zur also (.) ich bin nach wie vor der Meinung dass es nicht zur Regel werden lassen sollte, und was ich zum Beispiel aber cool fand es gab n (.) ähm (.) Computerraum also einen für die ganze Schule und ähm da durften zum Beispiel die Viertklässler mussten auch so Präsentationen über irgendwelche Bücher machen und die durften da halt sie mussten das selber schreiben aber sie durften sich jetzt Bilder da- zu a- ausdrucken oder die Überschrift dann mit m Computer schreiben; aber sie mussten halt schon noch n Großteil selber machen und ((holt Luft)) was mich n bisschen erstaunt hat das hätt ich nich gedacht (2) äh:m es gab so ne Aufgabe wo sie bestimmte Arbeitsblätter machen mussten und die letzte Aufgabe war dann, oder eine der Aufgaben war auch am PC; und die Aufgabe am PC die ham so wenig Kinder gemacht (.) d- also die wollten die nicht machen und Tf103: Hm Tf102: das hätt ich nicht gedacht die ham das dann schon gemacht so nacheinander (.) aber das warn dann von zwanzig Kindern warn das drei die die Aufgabe gemacht ham und die anderen ham lieber, auf den Blättern irgendwas gemacht (.) °und das hat mich irgendwie schon° Tf103: @(.)@ Tf102: @vielleicht lag s am Tag oder ich weiß nich, vielleicht an der Klasse@ aber (.) das hat da nicht so gezogen; @vielleicht fanden sie s auch voll langweilig was sie da machen mussten@ Tf103: @(.)@° Tf102: das weiß ich nicht aber (2) hätt ich mehr gedacht also hätt ich gedacht dass da mehr (.) Resonanz °kommt also Rückmeldung kommt.° Tf104: Bei mir wurden vor allem auch in Musik Medien eingesetzt also das fand ich schon ganz geschickt (.) wie sich die Technik da entwickelt hat dass man eben nicht den CD Player nehmen muss sondern äh, der Musiklehrer hat dann (.) oft mit denen was am Xylophon oder eigentlich meistens was am Xylophon eingeübt und das war dann meistens irgend n (2) irgend ne Komposition von Mozart oder so die er dann noch von seinem Tablet halt abspielen lassen hat oder von seinem Smartphone und das angeschlossen hat an die Boxen; und äh das war schon ganz cool weil wenn die Kinder dann irgendwie noch nen Einfall hatten ((verstellt die Stimme, spricht etwas höher)) das hört sich ja an wie des und des ((Veränderung der Stimme Ende)) falls sie was gehört ham das hört sich an wie Schwanensee dann konnte der das da kurz auch abspielen lassen und konnte dann die Kinder vergleichen lassen waru:m das jetzt nicht des isch (.) da fand ich dann die Technik eigentlich schon g- °gut° echt gut Tf102: Ich find s auch� auch gut so lang s die Lehrer nutzen
7. Durchführung der empirischen Studie 89 Tf103: Ja 90 Tf102: und nicht übermäßig einsetzen 91 Tf104: genau die Lehrer ja 92 Tf102: ist das gut aber wenn die Ki- also (2) die Kinder selber zu viel 93 machen lassen (.) lenkt die glaub auch ziemlich ab; also was ich (…) 94 ((im Hintergrund hustet jemand)) voll cool fand ähm da war ja am Freitag 95 dann die Sonnenfinsternis und (.) 96 Tf101: Ah ja @(.)@ ((alle lachen mit)) 97 Tf102: bei uns an der Schule ham sie s am Livestream übertragen (2) und 98 das fanden die natürlich megaklasse aber (1) nachdem hat das (.) die 99 dann voll abgelenkt da hätte dann keiner mehr Luscht auf ähm (3) zurück 100 in n Unterricht sondern da wollten se dann lieber gucken was für nem 101 Programm das jetzt ka:m und welcher Laptop das wa:r und wie die 102 verkabelt sind 103 Tf101: @Hm@ 104 Tf102: klar @sind das spannende Fragen aber@ (.) das hat sie dann 105 irgendwie n bisschen abgelenkt (.) an sich die Idee war mega cool also 106 die Kinder waren begeistert (.) und so das fand ich schon auch gut aber 107 (1) ich fand s gut dass die Le:hrer das gemacht haben und nicht zu den 108 Kindern gesagt habt 109 Tf101: Mach mal 110 Tf102: mach mal
Formulierende Interpretation Thema der Passage: Medieneinsatz im Unterricht (Zeile 1-110) OT Zeile 01-20: Medieneinsatz aus Kindersicht UT Zeile 01-09: Es ist möglich, hin und wieder Videos im Unterricht einzusetzen oder »sonst noch was«, aber aus »Kindersicht« ist es nicht notwendig. UT Zeile 09-15: Präsentationen lieber im Unterricht erstellen, damit Eltern das nicht für ihre Kinder mit Hilfe von Medien machen. UT Zeile 15-16: Aus Kindersicht brauche ich keine Präsentation auf dem Tablet mit Videoeinspielungen. UT Zeile 17-18: Es ist okay, wenn die Lehrkraft ein Tablet oder Computer gezielt einsetzt. UT Zeile 18-20: Es ist ein »bisschen arg heftig«, wenn achtjährige Schüler*innen mit dem Computer oder Tablet Vorträge wie fürs mündliche Abi präsentieren. OT Zeile 21-42: Computerprogramme nutzen und kennen lernen UT Zeile 21-26: Arbeiten mit dem Laptop in einer Trennstunde in einem speziellen Fachraum. UT Zeile 26-30: Animationen für PowerPoint-Präsentationen über Rothirsch und Grasfrosch sind beeindruckend. UT Zeile 31-36: Sich mit PowerPoint-Präsentationen ausprobieren, vor der Klasse zu
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präsentieren, ist »eigentlich ganz gut«, damit die Schüler das üben können und »mal gesehen haben«. UT Zeile 36-41: Die Kinder lernen, welche Programme wofür verwendet werden. UT Zeile 41-42: Wenn sie mit Word schreiben, haben sie »da dann auch die Rechtschreibkontrolle«. OT Zeile 43-110: Medien dürfen nicht ablenken und Aufgaben der Kinder übernehmen UT Zeile 43-50: Filme motivieren, sie dürfen aber nicht zu häufig eingesetzt werden und nicht an sich Thema werden. UT Zeile 50-56: Ein Computerraum, in dem die Viertklässler*innen für Präsentationen zu Büchern am Computer Überschriften und Bilder ausdrucken dürfen, ist gut, wobei es wichtig ist, dass mit der Hand geschrieben wird, und die Schüler*innen das meiste selber machen. UT Zeile 57-73: Aufgaben am Computer kommen bei den Kindern nicht immer gut an, sie wollen unter Umständen lieber mit Arbeitsblättern arbeiten. UT Zeile 74-87: Es ist »geschickt«, wie sich die Technik entwickelt hat; wenn Kinder im Musikunterricht Musik machen, kann der Musiklehrer zum Vergleich das Stück noch einmal auf dem Tablet oder dem Smartphone abspielen lassen. UT Zeile 88-110: Medien sind gut, wenn Lehrer sie in Maßen nutzen, aber es lenkt Kinder vom Unterricht ab, wenn sie selber zu viel mit Medien machen.
Reflektierende Interpretation Zeile 1-5: Immanente Nachfrage von I mit propositionalem Gehalt Die Diskussionsleitung greift auf und fasst zusammen, was in der vorherigen Passage bezüglich der Bedeutung von Medien in der eigenen Kindheit gesagt wurde und leitet in eine geschlossene Frage über, die die TN der Diskussion zu einer Positionierung bezüglich der Frage auffordert, ob Medien ein Thema für die Grundschule sind oder nicht, worauf einige TN mit einem leisen Lachen reagieren. Die Frage hat einen propositionalen Gehalt und gibt eine das Thema betreffende Orientierung vor: Medien sind ein Thema für die Grundschule. Zeile 6-8: Aufwerfen eines normativen Gehalts im Modus einer Imagination durch Tf104 Tf104 bearbeitet die von I aufgeworfene Proposition, indem sie erklärt, dass sie sich nicht nur vorstellen kann Videos zu zeigen, sondern damit auch mehr zu machen, ohne aber zu präzisieren, was sie damit genau meint; ihre Formulierung sonst noch was deutet nicht nur darauf hin, dass sie hier nichts weiter ausdifferenzieren wird, sondern auch, dass es nicht bedeutsam für sie ist. Sie sagt, dass sie sich »durchaus vorstellen kann mal n paar Videos zu zeigen…«; hier geht es nicht um ausgewählte Videos, um eine Auswahl, die sich vorab überlegt wird, sondern irgendwelche, deren Inhalte keine Relevanz haben. In dieser Formulierung dokumentiert sich, dass Videos für sie weder Lerngegenstände noch Lernwerkzeuge sind; sie sind nicht mehr als ein mögliches Extra. Der normative Gehalt wird von Tf104 weiter konturiert, indem sie argumentiert, dass dies »natürlich nicht durch und durch« geht. Die Videos dürfen vorkommen, aber nicht überhandnehmen. Die Verwendung des Wortes natürlich klärt, dass das für sie
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unbestritten ist. Durch und durch ist ein Hinweis auf einen Orientierungsgehalt in Bezug auf Medien: werden sie nicht kontrolliert, gibt es nur noch sie, bzw. bestimmen sie den Unterricht. Zeile 8-9: Argumentative Elaboration des aufgeworfenen Gehalts durch Tf104 Tf104 argumentiert »s gibt s ja«, deshalb »kann man s nutzen«, »braucht man aber nicht unbedingt«: Sie sagt nicht, Videos gibt es ja, sondern ersetzt sie durch ein distanziertes ›s‹ mit dem sie – sich auf die Interviewerin beziehend, die ja nach Medien gefragt hat – offensichtlich mehr meint als Videos, nämlich es, die Sache, die Medien, die man nutzt, da sie wie ein ungebetener Besuch nun schon einmal da sind. Sie sind aber nicht wirklich erwünscht. Zeile 9-16: Differenzierung des Gehalts und Aufwerfen eines Orientierungsgehalts durch Exemplifizierung im Modus einer Erzählung von Tf104 Tfl04 erzählt von einer Schülerin, die eine Präsentation auf dem Tablet mit ihren Eltern gebaut hat, obwohl die Schüler*innen die Präsentation im Unterricht ausarbeiten sollten, damit die Eltern die Aufgabe nicht für ihre Kinder übernehmen. Sie differenziert den normativen Gehalt weiter aus, indem sie argumentiert, dass der von ihr beschriebene Umgang mit Tablets nicht damit begründet werden kann, dass Kinder ihn brauchen: »also von Kindersicht brauche ich das nicht…« Der normative Gehalt, an dem sie sich orientiert, beinhaltet entsprechend nicht nur eine dosierte, kontrollierte Mediennutzung, die nicht unbedingt notwendig ist, sondern auch, dass bei der Frage, ob und wie Kinder Medien nutzen, vom Kind aus gedacht wird. Und vom Kind aus gedacht ist eine Präsentation mit dem Tablet nicht notwendig. Die erfahrungsbasierte Erzählung verweist jedoch auf einen anderen Orientierungsgehalt, der in der Praxis Bedeutung gewinnt: Mit dem Verweis darauf, dass die Präsentation des Mädchens deutlich machte, dass sie sie nicht alleine, sondern mit ihren Eltern gemacht hat, werden Eltern als störend eingeführt, bzw. ist der Umgang mit Medien so zu gestalten, dass Eltern sich nicht einmischen. Der Orientierungsgehalt ist aber anschlussfähig an den Orientierungsgehalt, der von Tf104 aufgeworfen wurde (siehe Zeile 6-8): Medien dürfen nicht überhand nehmen, dürfen den Unterricht nicht bestimmen – offensichtlich bezieht sich der Orientierungsgehalt nicht allein auf Medien, die nicht stören dürfen, sondern auch auf Eltern, die sich nicht einmischen sollen. Zeile 17-20: Argumentative Elaboration des normativen Gehalts kindgerecht durch Tf104 Tfl04 betont noch einmal, dass ihr Maßstab das Kind ist, indem sie sagt, dass es okay ist, wenn eine Lehrkraft ein Medium gezielt einsetzt, aber nicht in Ordnung, wenn Kinder Präsentationen auf dem Tablet bauen müssen wie für’s Abitur. In der Formulierung »hm weiß nich« dokumentiert sich, dass sie in dieser Sache nicht dogmatisch erscheinen will, das sich daran anschließende »vielleicht n bisschen arg heftig« klärt aber, dass die Sache offensichtlich ist, also es keine Frage ist, dass der Tableteinsatz achtjährige Kinder überfordert.
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Zeile 21-32: Elaboration des normativen Gehalts in Form einer Beschreibung und Argumentation durch Tf103; Aufwerfen eines normativen Gehalts durch Tf103 Tf103 ratifiziert die Aussage von Tf104 mit einer leise hervorgebrachten Interjektion: »Mhm«. Sie zeigt damit zunächst an, dass sie den Sinngehalt verstanden hat, aber nicht, ob sie diesen validieren oder differenzieren wird. Tf103 steigt zögerlich mit Wortabbrüchen und einem kurzen Auflachen in ihren Beitrag ein, indem sie zunächst anmerkt, dass ihr aufgrund der Erzählung von Tf104 etwas eingefallen ist, was sie selbst schon vergessen hatte. In ihrer folgenden Beschreibung kommt es zu weiteren Pausen und der Verwendung des Verzögerungslautes ähm. Mit ihrer Beschreibung einer regelmäßigen Trennstunde, in der die Kinder in einem Fachraum am Laptop mit PowerPoint gearbeitet haben, scheint sie zunächst eine Antithese zu formulieren, die aber durch die an die Beschreibung anschließenden Äußerungen eher als Differenzierung des von Tf104 aufgeworfenen normativen Gehalts kindgerecht einzuordnen ist. Sie beschreibt nicht nur, dass sie von Präsentationen beeindruckt war, die Kinder am Computer gemacht haben, indem sie erzählt, dass diese »echt tolle Präsentationen gemacht« haben, sondern auch, dass sie weniger erwartet hatte: »ich hab gar nicht gewusst dass s so viel Animationen gibt…« Mit dem Verweis darauf, dass die Präsentationen der Kinder »über n Ro:thirsch oder über n Gra:sfrosch«, aber auch mit der Beschreibung des Ablaufs und der Herausstellung, dass es ganz bestimmte Zeiten, zweimal eine letzte Stunde in der Woche für die Arbeit am Laptop gab, einen Laptopwagen und »n bestimmter Fachraum halt und je- jedes Kind hat sich dann sein Laptop geholt und hat sich dann eben so hingesetzt«, der Ablauf also geregelt, der Umgang mit Medien begrenzt und der Inhalt für die Kinder passend, und damit der Medieneinsatz gezielt stattfand, validiert sie den von Tf104 aufgeworfenen normativen Gehalt einer am Kind orientierten bzw. kindgerechten Gestaltung des Medienumgangs bzw. der Mediennutzung nicht nur. Sie wirft auch einen mit dem normativen Gehalt kindgerecht in Verbindung stehenden Gehalt auf, bzw. stellt hier dar bzw. präsentiert, wodurch sich eine Realisierung des normativen Gehalts für sie auszeichnet: Es geht um für einen zu Kindern passenden Einsatz von Medien, der nicht übertrieben wird. Sie argumentiert, dass sie »sich da mal n bisschen ausprobiert« haben, was sie »nich so schlimm«, sondern »eigentlich ganz gut« findet, womit sie andeutet, dass die Sache zwiespältig ist: Sie ist nicht eindeutig gut, sondern »nich so schlimm«. Dass sich die Kinder »da mal n bisschen« ausprobieren, aber auch die folgenden Argumente – »dass sie da auch schon n bisschen ähm Übung haben oder das zumindest mal gesehen haben« –, betonen erneut, dass hier ganz behutsam und in Maßen mit etwas umgegangen werden soll, das Risiken mit sich bringt. Als Aufgabe von Lehrer*innen wahrgenommen wird hier, dass Kinder auf Zukunftsanforderungen vorzubereiten sind, wobei der Hinweis »ich hab gar nicht gewusst dass s so viel @Animationen gibt@ @(.)@« in diesem Kontext zusätzlich andeutet, dass es dabei um Fähigkeiten geht, die sie als angehende Lehrerin, aber auch als Zugehörige einer anderen Generation, bisher nicht entwickelt hat. Das Lachen könnte andeuten, dass sie das verunsichert. Die Ideen, die die Kinder in der Trennstunde am PC notiert haben, haben sie nicht mit der Hand notiert; das bringt Tf103 zögernd hervor, als sei es problematisch: »halt nicht ha- handschriftlich -lich…« Damit entspricht es offensichtlich weder dem von ihr bereits validierten normativen Gehalt kindgerecht, noch der von ihr mit ›behutsam‹, ›ein bisschen ausprobieren‹ beschriebenen möglichen Umsetzung
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des normativen Gehalts. Die als Vorteil des Schreibens am PC herausgestellte Rechtschreibkontrolle am Ende ihrer Beschreibung wird nachgeschoben wie ein Argument, von dem sie selbst nicht vollständig überzeugt ist; dass sie hier verunsichert ist, bestätigt sich durch die leise, nach einer kurzen Pause nachgesetzte Formulierung »und so weiter…« Zeile 43-50: Antithese von Tf103 durch eine Exemplifizierung im Modus einer Erzählung, Aufwerfen eines neuen Orientierungsgehalts und Validierung des Orientierungsgehalts Medien dürfen Unterricht nicht kontrollieren bzw. müssen kontrolliert werden durch Tf102 Tf102 scheint die Ausführungen von Tf103 zu validieren, indem sie sagt, »dass so n gewisser Anteil okay isch«, wobei sich die Zustimmung mit dem Praxisbeispiel, von dem sie erzählt, wieder auflöst, da sie hier herausstellt, dass es ihr nicht um eine Auseinandersetzung mit Medien geht, die okay ist, sondern der Fokus liegt »auf der Arbeit quasi mit den Informationen aus m Film…« Obwohl sie die Informationen betont, mit denen aus dem Film gearbeitet wurde, betrachtet sie den Film nicht in seiner Funktion als Vermittler von Informationen oder gar als ein Informationsträger, der Informationen im Vergleich zu anderen Informationsträgern auf eine bestimmte Art und Weise vermittelt, sondern als Motivationsmittel: »und das find ich dann schon auch das macht denen ja auch (.) also das zieht ja schon wenn man das ab und zu macht…« Mit dieser Beschreibung wirft sie einen Orientierungsgehalt auf, mit dem sie Medien weder als Lerngegenstand noch als Lernwerkzeug einordnet – was anschlussfähig an die eingangs von Tf104 formulierte Haltung zu Medien ist –, sondern als Motivation und Belohnung, die wie Süßigkeiten ziehen. Die Medien müssen daher auch wie Süßigkeiten dosiert bzw. kontrolliert werden, in Maßen zugeteilt: »ich würd s jetzt nicht zur also (.) ich bin nach wie vor der Meinung dass es nicht zur Regel werden lassen sollte…« Mit der Formulierung »ich bin nach wie vor der Meinung« betont Tf102, dass sie sich auch unter Berücksichtigung der genannten Aspekte nicht umstimmen lassen wird. Zeile 50-56: Elaboration des Orientierungsgehalts Einsatz von Medien als kontrollierte Motivation, Elaboration normativer Gehalt kindgerecht sowie Elaboration der Antithese durch eine Exemplifizierung im Modus einer Erzählung durch Tf102 Tf102 erzählt von der Schule, an der sie während ihres Praktikums war. An dieser gab es einen Computerraum, in dem die Viertklässler*innen auch Präsentationen gestalten mussten. Sie sagt zunächst, sie durften, dann aber: sie »mussten auch so Präsentationen über irgendwelche Bücher machen…« In der weiteren Erzählung wiederholt sich der Wechsel zwischen durften und mussten mehrmals und ergibt schließlich ein Muster: Geht es um die Nutzung des Computerraums, des Computers, des Druckers – also der Medien – dürfen die Schüler*innen etwas; geht es um »die Präsentation über irgendwelche Bücher«, »selber schreiben« und »selber machen« dann müssen die Schüler*innen. Der Orientierungsgehalt Einsatz von Medien als kontrollierte Motivation wird weiter begrenzt, indem deutlich gemacht wird, dass »halt schon noch n Großteil selber« gemacht werden muss und nicht alles mit dem Computer gemacht werden darf. Medien als Motivation, Anreiz und Belohnung werden betont: Die Schüler*innen dürfen davon haben, aber nicht zu viel, der Großteil muss selber gemacht werden. Die Nutzung von Medien wird in der Beschreibung von Tf102 als Gegenteil von Selbermachen inszeniert:
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»sie mussten das selber schreiben aber sie durften sich Bilder da- zu a- ausdrucken oder die Überschrift mit m Computer schreiben.« Mit dem Muster, das sich aus der Verwendung von Müssen und Dürfen ergibt, wird nicht nur der negative Horizont bzgl. des Orientierungsgehalts ausdifferenziert, der sich auf die Mediennutzung von Kindern in der Schule bzw. ihren Einsatz im Unterricht bezieht, sondern der Orientierungsgehalt wird auf das ausgeweitet, was Grundschüler*innen im Unterricht tun sollen: selber machen und selber schreiben. Sie validiert damit den bereits von Tf103 aufgeworfenen negativen Horizont und spitzt ihn zu: Wenn Kinder den Computer nutzen, machen sie nichts handschriftlich. Zeile 57-73: Validierung des Orientierungsgehalts Medien als Motivation/Belohnung im Modus der Argumentation und einer Hintergrundkonstruktion im Modus einer Erzählung durch Tf102 Tf102 führt ihre Erzählung zunächst ein mit »was mich n bisschen erstaunt hat« und deutet damit an, dass es um etwas gehen wird, das ihrer Erwartung widerspricht. Im Folgenden steigert sie den Ausdruck der Verwunderung, indem sie ergänzt: »das hätt ich nich gedacht…« Die dann beginnende Erzählung scheint dem von ihr im vorherigen Abschnitt selbst angedeuteten negativen Horizont des Orientierungsgehalts zu widersprechen, der Medien als Anreiz und Belohnung, die dosiert und kontrolliert genutzt werden müssen, damit sie nicht überhandnehmen – oder zumindest die Grenzen einer Enaktierung aufzuzeigen, denn die Schüler*innen, von denen sie hier erzählt, die im Unterricht Arbeitsblätter bearbeiten sollten und am Schluss eine Aufgabe am PC, »ham lieber, auf den Blättern irgendwas gemacht« und wollten die Aufgabe am PC nicht machen. Sie betont mit drei lachend hervorgebrachten Argumenten ihr Erstaunen darüber: »@vielleicht lag s am Tag oder ich weiß nich, vielleicht an der Klasse@« und »@vielleicht fanden sie s auch voll langweilig was sie da machen mussten@…« Ihr Verständnis von Medien als didaktisches Bonbon, das sie selbst noch einmal mit der Äußerung akzentuiert »das hat da nicht so gezogen«, scheint in Frage gestellt. Nach einem unterbrechenden Auflachen von Tf103 betont Tf102 erneut ihr Erstaunen: »hätt ich mehr gedacht also hätt ich gedacht dass da mehr (.) Resonanz °kommt also Rückmeldung kommt°…« Die Aufgabe auf den Arbeitsblättern wird von Tf102 lapidar beschrieben mit: Sie haben lieber »auf den Blättern irgendwas gemacht…« Dass die Aufgabe am PC zu langweilig war und den Schüler*innen daher nicht zusagte, ist damit für sie selbst kein ernstzunehmender Grund. Die Nennung der Gründe »vielleicht lag s am Tag« und »vielleicht an der Klasse« sind ebenfalls weniger aufgrund ihres Inhalts von Bedeutung – sie werden lachend hervorgebracht – als vielmehr ein Hinweis von Tf102, dass sie sich alles Mögliche, auch im Grunde absurde Erklärungen überlegt hat, um das Unerwartete zu erklären. Dennoch lässt es sich nicht erklären. Damit bestätigt sie nicht nur ihre Einordnung von Medien als didaktisches Bonbon, sondern indirekt auch einen Orientierungsgehalt, den Tf104 zu Beginn der Passage in Bezug auf Medien eingebracht hat: werden sie nicht kontrolliert, gibt es nur noch sie, bzw. bestimmen sie den Unterricht, wobei Tf102 nicht von den Medien ausgehend auf eine notwendige Kontrolle hinweist, sondern auf die Notwendigkeit, Kinder in ihrer Mediennutzung zu kontrollieren. Sie beschreibt zwar eine Situation, in der Kinder den Computer bzw. digitale Medien gar
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nicht nutzen wollen, obwohl es möglich war, ordnet diese Situation aber als von der Regel abweichend ein. Sie stellt so heraus, dass sie davon ausgeht, dass Kinder sich normalerweise anders verhalten würden, also den Computer nutzen würden statt Aufgaben mit Arbeitsblättern zu bearbeiten. Ausdifferenziert wird hier auch der normative Gehalt kindgerecht; dieser meint offensichtlich nicht, dem Kind entsprechend, sondern gut fürs Kind, wobei das Kind in der Regel nicht von sich aus das tut, was ihm guttut, sondern genau das Gegenteil davon, in diesem Fall: Computer nutzen, statt mit Arbeitsblättern zu arbeiten. Zeile 74-87: Differenzierung des Orientierungsgehalts Medien als mögliches Extra und Validierung des von Tf102 aufgeworfenen Orientierungsgehalts durch Tf104 Tf104 differenziert zunächst den von ihr selbst zu Beginn der Passage aufgeworfenen Orientierungsgehalt, in dem sie Medien als mögliches Extra im Unterricht beschrieben hat: Sie erzählt, dass an der Schule, an der sie war, Medien vor allem in Musik eingesetzt wurden. Sie sagt, »das fand ich schon ganz geschickt«, womit sie den Medieneinsatz nicht uneingeschränkt befürwortet, vielmehr drückt sie mit dem schwäbischen Ausdruck geschickt aus, dass der Medieneinsatz nicht optimal, aber trotz der Nachteile, die er mitbringt, ganz praktisch ist. Wobei sich geschickt hier auf die Entwicklung der Technik bezieht, die es ermöglicht, dass mit Tablets oder Smartphones Musik abgespielt werden kann, und man nicht mehr »den CD-Player nehmen muss…« Damit werden Medien als praktische Lehr-, aber nicht als Lernwerkzeuge und schon gar nicht als Lerninhalte anerkannt, denn betont wird, indem es zweimal wiederholt wird, dass die Schüler*innen Xylophon spielen, also nichts am Tablet selbst machen. Der Verweis auf »Mozart oder so« und »Schwanensee« unterstreicht, dass sich an Lerninhalten und -gegenständen nichts ändern soll. Dass statt von Medien zweimal von »Technik« gesprochen wird, betont ihre Funktion als Lehrwerkzeug, das die Lehre erleichtert, aber auch, dass Medien nicht nur von Lehrkräften kontrolliert, sondern Schüler*innen Medien im Unterricht nicht selbstständig bzw. aktiv nutzen sollten. Damit wird der von Tf102 aufgeworfene Orientierungsgehalt bestätigt, dass die Möglichkeit, digitale Medien selbst zu nutzen, in der Regel bei Schüler*innen überhandnimmt. Zeile 88-93: Validierung der Orientierungsgehalte durch Tf102, Tf103 und Tf104 Tf102, Tf103 und Tf104 validieren durch die Bewertung der Ausführungen von Tf104 und den Rückgriff auf zuvor Gesagtes die Orientierungsgehalte, die sie teilen, wobei die Konklusion bereits eingeleitet wird, als Tf104 ihre Ausführungen abschließend mit »da fand ich dann die Technik eigentlich schon g- °gut° echt gut« bewertet. Der Wortabbruch wirkt zögernd bzw. suchend, als sei für sie noch nicht ganz geklärt, wie gut denn nun der Medieneinsatz tatsächlich ist. Geklärt scheint für Tf102, Tf103 und Tf104, dass der Medieneinsatz gut ist »so lang s die Lehrer nutzen« und das nicht »übermäßig«. Zeile 93-106: Elaboration des Orientierungsgehalts Kinder müssen in ihrer Mediennutzung kontrolliert werden und Aufwerfen eines Orientierungsgehalts bzgl. dessen, was in der Grundschule zu vermitteln ist und wie bzw. inwiefern Medien hier stören im Modus einer Argumentation mit einer Hintergrundkonstruktion im Modus einer Erzählung durch Tf102 Tf102 validiert und differenziert den Orientierungsgehalt weiter aus, dass Lehrkräfte
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Medien einsetzen und Schüler*innen sie nicht selbst nutzen sollen, indem sie argumentiert, dass Kinder das »ziemlich« ablenkt, wenn man sie »selber zu viel machen« lässt. Mit Blick auf die Ausführungen von Tf102, in denen Medien als Gegenspieler des Selbermachens herausgearbeitet werden, ergibt sich die Frage, um was für ein Selbermachen es jeweils geht, bzw. auf was es sich bezieht. Da Tf102 hier erzählt, dass der Medieneinsatz zur Sonnenfinsternis bzw. der Livestream »voll cool« war, und die Schüler*innen den Livestream »natürlich megaklasse« fanden, aber anschließend keiner mehr Lust hatte, in den Unterricht zu gehen, sondern die Schüler*innen lieber wissen wollten, auf »was für nem Programm das jetzt ka:m und welcher Laptop das wa:r wie die verkabelt sind«, dokumentiert sich noch einmal, dass Medien kein Lerninhalt sind. Vielmehr geht es um den Unterricht, von dem und von dessen Inhalten die Schüler*innen nicht abgelenkt werden sollen. Zu den Unterrichtsinhalten gehört dabei nicht die Auseinandersetzung mit digitalen Medien, wobei Tf102 mögliche Einsprüche dagegen vorwegnimmt, indem sie lachend anmerkt: »klar @sind das spannende Fragen«, um dann deutlich zu machen, dass es aber nicht die Fragen sind, um die es in einem Unterricht für Grundschüler*innen geht, mehr noch, dass diese Fragen von dem Eigentlichen ablenken: »aber@ (.) das hat sie dann irgendwie n bisschen abgelenkt (.)…« Im Unterricht für Grundschüler*innen geht es – siehe das in der Sequenz von Zeile 50-56 ausgeführte Beispiel von Tf102 aus dem Computerraum – nicht zuletzt ums Schreiben, das nicht durch den Einsatz von Computern unterstützt werden kann, weil es handschriftlich geschehen soll. Zeile 106-110: Konklusion Tf102 betont noch einmal, dass die Idee des Livestreams »mega cool« war, wobei sie diese Bewertung gleich einschränkt, indem sie darauf verweist, dass die Kinder begeistert waren, und »das fand ich schon auch gut«, aber wichtig bleibt dabei, dass Lehrer*innen digitale Medien kontrolliert einsetzen und Kinder von ihnen nicht abgelenkt werden oder diese unkontrolliert selbst nutzen: »Ich fand s gut dass die Le:hrer das gemacht haben und nicht zu den Kindern gesagt habt [sic!] mach mal.« Damit bestätigt sie den normativen Gehalt kindgerecht bzw. kindorientiert, aber auch die Orientierungsgehalte, die eine am Kind orientierte Praxis strukturieren: Es geht um einen kontrollierten Medieneinsatz durch Lehrkräfte zu Motivationszwecken, der nicht vom Eigentlichen ablenkt, also vom Unterricht und seinen Inhalten, zu denen digitale Medien nicht zählen. Dabei dürfen die Medien nicht den Kindern überlassen werden, da sie mit der Mediennutzung eigene Interessen entfalten, die von dem vorbereiteten Unterricht ablenken und damit zu einem Kontrollverlust der Lehrer*innen führen. Tf101 stimmt hier zu, nachdem sie sich bisher nicht in die Diskussion eingebracht hat, indem sie den Satz von Tf102 mit »Mach mal« beendet, bevor Tf102 es mit der Wiederholung der gleichen Formulierung tut. Tf101 validiert hiermit die von den anderen bereits zuvor validierten Orientierungsgehalte, die Tf102 noch einmal zusammengefasst hat; entsprechend kann hier von einer Konklusion gesprochen werden. Tf101 kündigt mit ihrer Unterbrechung zudem an, dass sie das Wort übernehmen möchte. Da Tf101 im Folgenden das Thema wechselt, wovon die anderen sie nicht abhalten, wird zusätzlich bestätigt, dass das Thema der Passage abgeschlossen ist, es sich hier also um eine Konklusion handelt.
7. Durchführung der empirischen Studie
Zusammenfassender Gedanke Der normative Gehalt, der sich herausarbeiten lässt, ist die Erwartung, dass Lehrkräfte ihren Unterricht kindgerecht bzw. am Kind orientiert gestalten. In der Praxis gelingt dies, indem digitale Medien – die überwiegend als ein mögliches Extra, aber nicht als notwendige Lernwerkzeuge oder Lerninhalte betrachtet werden, vor allem aber als etwas, das Kinder nicht brauchen – kontrolliert werden und nicht überhandnehmen, damit das Kind nicht vom Eigentlichen – dem Unterricht – abgelenkt wird. Die Ablenkung kann durch Medien herbeigeführt werden, wenn die Lehrkraft digitale Medien nicht kontrolliert einsetzt und ihr Einsatz mehr als eine Ausnahme wird. Legitim ist der Einsatz von Medien nur, wenn er für die Gestaltung des Unterrichts praktisch ist oder im Sinne einer Belohnung; wobei der Hinweis auf einen möglichen Medieneinsatz in den höheren Klassenstufen der Grundschule den Orientierungsgehalt in sich trägt, dass Kinder auf die weiterführende Schule vorzubereiten sind. Die Passage wird zudem von dem Orientierungsgehalt strukturiert, dass Kinder in ihren Interessen zu kontrollieren sind. Dazu gehört, dass Kinder nicht zu viel mit digitalen Medien selbst machen dürfen. Das Kind interessiert sich nicht von sich aus für das, was gut für es ist. Entsprechend soll das Kind nicht den Lerngegenstand (mit-)bestimmen: Die Formulierung, die Kinder dürfen an den Computern arbeiten, verweist darauf, dass davon ausgegangen wird, dass sie dies auch wollen. Die Formulierung, dass sie auch selber schreiben und machen müssen, verweist zum einen darauf, dass ihr Interesse auf etwas anderes gerichtet werden muss, aber auch darauf, dass der Computer verhindert, was für das Lernen bzw. für das am Kind orientierte Lernen von Bedeutung ist, also etwas selber machen bzw. etwas Handschriftliches, etwas mit der Hand machen. Zu dem Orientierungsgehalt, der darauf verweist, dass für die Praxis die Vorstellung handlungsleitend ist, dass Kinder sich nicht für das interessieren, was für sie gut ist, passt auch der Livestream, der »mega cool« war, aber auch auslöst, dass sich die Kinder für Kabel und Programme und nicht für den geplanten Unterricht interessieren. Genauso können Eltern stören und vom Weg ablenken, indem sie sich in die Aufgaben einbringen bzw. einmischen, die ihren Kindern gestellt werden.
7.3
Basistypik
Um nachvollziehen zu können, welche gesellschaftlichen Erwartungen bzw. normativen Subjektfiguren von den Grundschullehramtsstudent*innen in Bezug auf das Lernen mit, durch und über digitale Medien in der Grundschule wahrgenommen werden, ob diese und inwiefern sie ihre Vorstellungen strukturieren, ist es nicht möglich, sich auf explizite Einordnungen der Student*innen zu stützen. Notwendig ist die Rekonstruktion aus erzählten Erlebnissen und Erfahrungen, um das implizite Wissen, das die Praxis der Student*innnen strukturiert, herausarbeiten zu können und damit ihr Handeln nicht nur zu beschreiben, sondern verstehen zu können. Um aus den in den einzelnen Gruppen wahrgenommenen normativen Subjektfiguren und ihre in den einzelnen Gruppen präsentierte Relation zu handlungsleitenden Orientierungen theorierelevante Erkenntnisse ableiten zu können, ist es notwendig die Rekonstruktionen aus dem erhobenen Material zu generalisieren, also über den fallinternen Vergleich hin-
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Kinder. Medien. Kontrolle.
aus fallübergreifend zu analysieren. Wie in der quantitativen Forschung, lässt auch in der qualitativen, rekonstruktiven Forschung erst der systematische Vergleich »theorierelevante Generalisierungen von Zusammenhängen zu.« (Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014, S. 359) Notwendig wird die Generalisierung um davon ableitend eine Theorie formulieren zu können. Die Generalisierung »basiert auf Fallvergleichen und/oder auf der systematischen Verwendung von Kontrasthorizonten.« (Hervorheb. i. Orig., ebd.) Meine Arbeit wirft eine Frage auf, die sich im Kontext qualitativer Arbeiten grundsätzlich stellt: Inwiefern kann eine Analyse einer kleinen Anzahl an Fällen zu einer auf Generalisierungen basierenden Theorie führen? Nach Przyborski und Wohlrab-Sahr sind »mit Generalisierung immer zwei Vorgänge bezeichnet […]: Zum einen die Einbettung und Einordnung des Falles in einen größeren Zusammenhang, in dem stets bereits allgemeine Regeln wirksam sind, auf die der Fall Bezug nimmt und zu denen er sich ›verhält‹ (Generalisierung I). Und zum anderen der Schluss von dem, was man am jeweiligen Fall festgestellt hat, auf andere Fälle (Generalisierung II).« (A. a. O., S. 362) Die Generalisierung II wirft wiederum die Frage auf, inwieweit sich Aussagen darüber treffen lassen, dass das, was für mehrere Fälle festgestellt wurde, auch übertragbar ist auf nicht untersuchte Fälle bzw. »ob sich daran etwas Allgemeines, Systematisches oder Gesetzmäßiges zeigen lässt…« (A. a. O, S. 363) Gesetze werden hier aber nicht im Sinne von Naturwissenschaften gedacht, für die situationsunabhängige Kausalitäten herauszuarbeiten sind. Diese lassen sich aus einer erziehungswissenschaftlichen Perspektive bzw. mit Blick auf den Gegenstand von Erziehungswissenschaft zum einen nicht herausarbeiten, weil menschliches Verhalten nicht vollständig berechenbar ist, und zum anderen nicht, weil »die Fülle der Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren, die es zu kontrollieren und zu kennen gälte« (a.a.O., S. 364) nicht zu kontrollieren ist. Auch die Idee, statt Gesetzmäßigkeiten Regelmäßigkeiten menschlichen Verhaltens zu beschreiben, erweist sich als problematisch, wenn »die Besonderheit einzelner Fälle, die sich häufig nicht – oder nur unter Verlust der wesentlichen Informationen – auf einen allgemeinen Nenner bringen lassen, zur Erklärung ansteht.« (Ebd.) Entsprechend wird in der qualitativen Forschung weniger nach einem einzelnen Faktor gesucht, der etwas bewirkt, sondern es werden Sinnzusammenhänge analysiert. Es geht darum zu verstehen, wie Prozesse ablaufen, die zu etwas führen: »Generalisierung heißt dann nicht die Identifikation allgemeiner, von Ort und Zeit unabhängiger Gesetze, sondern die Formulierung einer Theorie darüber, über welchen Mechanismus bestimmte Resultate erzeugt werden.« (Ebd.) Hierbei geht es nicht um die Beschreibung eines linearen Zusammenhangs im Sinne einer Ursache und einer daraus resultierenden Wirkung, sondern es geht darum, »zu zeigen, wie bestimmte Elemente ineinandergreifen und so zu einem spezifischen Resultat führen. Es ist diese erweiterte Form des Erklärens, an die die qualitativen Methoden anschließen können.« (A. a. O., S. 365) Es geht nicht um ein deduktives Erklären, sondern um »das verstehende Erklären, basierend auf der Rekonstruktion von Konfigurationen und Mechanismen…« (A. a. O, S. 366)
Der Idealtypus Um erfassen zu können, was mehrere Fälle gemeinsam haben, eignet sich nach Przyborski und Wohlrab-Sahr der Rückgriff auf den von Max Weber entwickelten Begriff des
7. Durchführung der empirischen Studie
Idealtypus (vgl. Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014, S. 379), für den nicht etwa Merkmale mehrerer Fälle addiert werden, um dann den Durchschnittsfall zu ermitteln, sondern das diesen Fällen tatsächlich Gemeinsame herausgearbeitet wird. (Vgl. Weber 1904) Dafür wird der Einzelfall »in seinem inneren Zusammenhang und Gewordensein« (Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014, S. 376) gefasst: »Erst die Rekonstruktion dieses Zusammenhangs und seiner Genese machen es möglich, so Weber, die Kausalität, also das Zusammenwirken von Ereignissen, die ein bestimmtes Resultat hervorgebracht haben, herauszufinden. Der Idealtypus zielt entsprechend darauf, diese Kausalität so zu verdichten, dass das Ergebnis auf mehrere Erscheinungen und den Prozess ihrer Herausbildung anwendbar ist.« (Hervorheb. i. Orig., ebd.) Entscheidend ist nach Weber, dass nicht etwa ein idealer Typ beschrieben wird, oder der Idealtypus unmittelbar aus gesammelten Daten abgeleitet wird, um tatsächlich Beobachtbares zu beschreiben, sondern der*die Forscher*in mit dem Ziel, die Prinzipien zu fassen, die die Erscheinungen hervorbringen, verdichtet, was er*sie aus dem empirischen Material herauslesen kann: Der Idealtypus »ist ein Gedankenbild, welches nicht die historische Wirklichkeit oder gar die ›eigentliche‹ Wirklichkeit ist, welches noch viel weniger dazu da ist, als ein Schema zu dienen, in welches die Wirklichkeit als Exemplar eingeordnet werden sollte, sondern welches die Bedeutung eines rein idealen Grenzbegriffes hat, an welchem die Wirklichkeit zur Verdeutlichung bestimmter bedeutsamer Bestandteile ihres empirischen Gehaltes gemessen, mit dem sie verglichen wird.« (Weber 1904, S. 68) Entsprechend »bezeichnen Idealtypen theoretisierende Verdichtungen und Vereindeutigungen dessen, was man in der Empirie vorfindet.« (Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014, S. 377) Für die Typenbildung werden die Fälle mit dem so herausgearbeiteten Idealtypus verglichen: »Dieser ständige Vergleich zwischen idealtypischer Konstruktion und empirischer Realität kann auch – darauf weist Weber explizit hin – dazu führen, die idealtypische Konstruktion wieder zu verabschieden.« (Ebd.) In der Dokumentarischen Methode wird sich insofern an dem von Weber herausgearbeiteten Idealtypus orientiert, als dass hier »ausgehend von der jeweiligen Fragestellung des Projektes« (a.a.O., S. 381) eine Basistypik entwickelt wird, um diese dann mit Hilfe weiterer Typiken auszudifferenzieren, aber auch zu prüfen: »Der Abgleich mit anderen Typiken dient der Überprüfung der in der Basistypik enthaltenden Hypothese…« (Ebd.) Hierbei ist zu beachten, dass nicht für jede Typik, die sich rekonstruieren lässt, empirisches Material in dem Maße vorliegt wie für die Basistypik, »so dass manche Spezifizierungen den Charakter von impliziten Schlüssen behalten müssen…« (A. a. O., S. 381f.) Zudem gibt es Typiken, die sich nur bilden lassen, wenn es entsprechende Kontrastgruppen gibt. (Vgl. a.a.O., S. 382) Eine Typik beschreibt das fallübergreifend Gemeinsame bzw. das, was mehrere Fälle gemeinsam strukturiert. Dafür muss zunächst das, was die einzelnen Fälle strukturiert, so verdichtet werden, dass es möglich wird »mehrere Fälle als Ausdruck derselben Struktur« (a.a.O., S. 385) zu fassen. Darauf folgt eine »thematische Kontextualisierung dieser abstrakten Fallstruktur und […] die Herstellung von Kohärenz zwischen den Dimensionen des Typus.« (Hervorheb. i. Orig., ebd.) Um zu analysieren wie Grundschullehramtsstudent*innen auf institutionalisiertes und stereotypisiertes Wissen bzw. normative Erwartungen Bezug nehmen, die sich auf das Lernen mit, durch und über digitale Medien in der Grundschule beziehen, gilt es
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Kinder. Medien. Kontrolle.
zunächst »in einer komparativen Analyse mehrerer Fälle die normativen Erwartungen zu rekonstruieren, die sich […] als besonders wirksam erweisen. Dabei steht die Analyse der Form/en der Bezugnahme auf diese Erwartungen durch die infrage stehenden AkteurInnen im Fokus.« (Amling & Geimer 2016, o. S.) Verbunden ist hiermit die Idee, zum einen herauszuarbeiten, »auf welcher Wissensebene die Bezugnahmen greifen, ob sie also (nur) auf einer Seite der Leitdifferenz der dokumentarischen Methode ansetzen oder ggf. jenseits dieser Dichotomie von kommunikativ-generalisiertem und konjunktivem Wissen und der damit verbundenen Parallelisierung von explizit/nicht handlungsleitend und implizit/handlungsleitend angesiedelt sind.« (Ebd.) Zum anderen wird in der Beschreibung der Relation zwischen normativen Subjektfiguren und handlungsleitenden Orientierungen bzw. der Beantwortung der Frage, ob und wie normative Subjektfiguren handlungsleitend sind, deutlich, welche Bedeutung für die Praxis nicht nur »milieuspezifische Formen der Bezugnahme auf Normen« (ebd.) haben, sondern auch Wissensbestände, die als gesellschaftliche Erwartungen bzw. normative Subjektfiguren einzuordnen sind bzw. Funktionen in Bezug auf Praxis erfüllen, z.B. diese legitimieren. So fragen Amling und Geimer, »ob die gemäß der Selbstthematisierung erfolgende Relationierung von unterschiedlichen Wissensbeständen auch als ›modus operandi des Verhältnisses zu sich selbst‹ (GEIMER 2013, S. 107) verstanden werden kann, der eine eigene Wirksamkeit entfaltet.« (Ebd.)
7.4
Sinngenetische Typenbildung
In der Dokumentarischen Methode werden zwei Typenbildungen unterschieden, die jedoch miteinander in Verbindung stehen: Im Rahmen der sinngenetischen Typenbildung wird der kollektive Orientierungsrahmen rekonstruiert, der die Praxis strukturiert, während in der soziogenetischen Typenbildung herausgearbeitet wird, worauf die Entwicklung des Orientierungsrahmens begründet werden kann. (Vgl. Geimer & Amling 2018, S. 298) Hierbei wird in der Regel in Studien, in denen mit der Dokumentarischen Methode gearbeitet wird, das implizite Wissen rekonstruiert, das – und hier folgt die Dokumentarische Methode dem Habitus-Konzept von Bourdieu5 – als handlungsleitend eingeordnet wird, um dann in der soziogenetischen Typenbildung den kollek5
Nach Bourdieu bringen unterschiedliche Lebenslagen unterschiedliche Habitusformen hervor. (Vgl. Bourdieu 1987, S. 278) Der »Habitus ist Erzeugungsprinzip objektiv klassifizierbarer Formen von Praxis und Klassifikationssystem (principium divisionis) dieser Formen. In der Beziehung dieser beiden den Habitus definierenden Leistungen: der Hervorbringung klassifizierbarer Praxisformen und Werke zum einen, der Unterscheidung und Bewertung der Formen und Produkte (Geschmack) zum anderen, konstituiert sich die repräsentierte soziale Welt, mit anderen Worten der Raum der Lebensstile.« (Hervorheb. i. Orig. Bourdieu 1987, S. 277f.) Dabei wird Praxis nicht nur durch den Habitus strukturiert, sondern durch die durch ihn strukturierte Praxis wird er selbst wieder hervorgebracht. (Vgl. a.a.O., S. 279) »Da strukturierte Produkte (opus operatum) derselben strukturierenden Struktur (modus operandi), von dieser hervorgebracht durch Rückübersetzungen entsprechend der spezifischen Logik eines Feldes, sind die Praxisformen und Werke eines Akteurs fern jedes absichtlichen Bemühens um Kohärenz in objektivem Einklang miteinander und fern jeder bewußten Abstimmung auch auf die Praxisformen aller übrigen Angehörigen derselben Klasse objektiv abgestimmt.« (Hervorheb. i. Orig., a.a.O., S. 281)
7. Durchführung der empirischen Studie
tiven Erfahrungsraum zu erfassen, der den Orientierungsrahmen hervorbringt. Nach Geimer und Amling wird damit die Bedeutung des expliziten bzw. kommunikativen Wissens für die Praxis möglicherweise unterschätzt. Und dies in zweierlei Hinsicht: zum einen in seiner Bedeutung für den Orientierungsrahmen bzw. in Bezug auf die Frage, wie es in diesem wirkt und damit eben neben dem konjunktiven Wissen auch handlungsleitend sein kann, zum anderen aber auch in der Art und Weise, wie es erfahren wird: Den Akteur*innen muss ihre Bezugnahme auf normative Ordnungen nicht unbedingt reflexiv zugänglich werden. (Vgl. Geimer & Amling im 2018, S. 298) Entsprechend hat Bohnsack in seinem Modell des erweiterten Orientierungsrahmens das kommunikative Wissen und seine Bedeutung für soziale Praxis weiter ausdifferenziert: »Das Spannungsverhältnis von Habitus und Norm, welches ich, wenn es um die normativen Erwartungen an die Selbstpräsentation der Akteur_innen geht, auch als Spannungsverhältnis von Habitus und Identität bezeichne, stellt den Regel-, nicht den Ausnahmefall der alltäglichen Praxis dar.« (Hervorheb. i. Orig., Bohnsack 2017, S. 56) Bohnsack spricht in diesem Zusammenhang nicht mehr nur vom kommunikativen Wissen, das es gilt vom konjunktiven Wissen zu unterscheiden, sondern arbeitet implizite Formen des kommunikativen Wissens heraus, indem er imaginatives und imaginäres Wissen unterscheidet. (Vgl. A. a. O., S. 152ff) Hierzu stellen Geimer und Amling fest »die Kategorien eines imaginativen kommunikativen Wissens und eines imaginären kommunikativen Wissens sind nicht nur geeignet, die Schnittstelle zwischen Habitus und Identität weiter zu konkretisieren, sie lassen auch den potenziell handlungsleitenden Charakter von Identitätsnormen bzw. diskursiv-hegemonialen Appellstrukturen und Subjektcodes aufzeigen…« (Geimer & Amling 2018, S. 299) So ist das imaginative kommunikative Wissen nach Bohnsack handlungsleitend bzw. Teil der performativen Logik, während das imaginäre kommunikative Wissen beschreibt, was möglicherweise als Ideal präsentiert wird, aber den Akteur*innen als nicht umsetzbar erscheint. Konzentriert wird sich in diesem Zusammenhang vor allem auf die sinngenetische Typenbildung, sprich auf die Frage, aus welchen Wissensbeständen sich der Orientierungsrahmen, der Praxis strukturiert, zusammensetzt, bzw. welche in diesem wirken und wenn ja, wie. Entsprechend fokussiere ich mich auf das Herausarbeiten einer Basistypik, die sich in einem fallübergreifenden Vergleich, der aus den geführten Gruppendiskussionen rekonstruierten Beziehungen zwischen normativen Subjektfiguren und handlungsleitenden Orientierungen, ableiten lässt.
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8. Darstellung der Ergebnisse You have a time machine and you use it for… watching television? Well, I wouldn’t use it at all if I could get the hang of the video recorder. Douglas Adams 2001, S. 201
Nach Bohnsack folgt auf die Interpretationsschritte der formulierenden und reflektierenden Interpretation die Diskursbeschreibung bzw. Fallbeschreibung: »In der Fallbeschreibung wird die Gesamtgestalt des Falles zusammenfassend charakterisiert. Die Fallbeschreibung hat primär die Aufgabe der vermittelnden Darstellung, Zusammenfassung und Verdichtung der Ergebnisse im Zuge ihrer Veröffentlichung.« (Bohnsack 2014, S. 141) Da ich für meine Arbeit Gruppendiskussionen geführt habe, sind in Diskursbeschreibungen nicht nur zentrale Orientierungen bzw. Rahmenkomponenten eines Falls zu präsentieren. Es geht »auch um die Beschreibung der dramaturgischen Entwicklung der interpretierten Passagen wie auch, zumindest ansatzweise, [sic!] Beschreibung der Form des Diskurses, d.h. der Diskursorganisation.« (Ebd.) Da ich frage, wie sich die Relation normativer Subjektfiguren zu handlungsleitenden Orientierungen beschreiben lässt und damit, wie diese den kollektiven Orientierungsrahmen mitstrukturieren, verzichte ich jedoch in der vermittelnden Darstellung der Ergebnisse auf eine Beschreibung der dramaturgischen Entwicklung, die über die Beschreibung in der reflektierenden Interpretation hinausgeht. Stattdessen präsentiere ich Sequenzen aus der reflektierenden Interpretation, um normative Gehalte und die zentralen Orientierungen bzw. Rahmenkomponenten, die konstitutiv für den Orientierungsrahmen sind, und ihr Verhältnis zueinander darstellen zu können.
8.1
Normative Subjektfigur: am Kind orientiert handeln
In meiner Arbeit drängte sich in der reflektierenden Interpretation der von mir aus den Gruppendiskussionen ausgewählten Passagen immer wieder eine normative Subjektfigur auf: am Kind orientiert handeln. Gleichzeitig verweisen die aus den Passagen rekonstruierten handlungsleitenden Orientierungen auf einen von allen Gruppen geteilten
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Kinder. Medien. Kontrolle.
Orientierungsrahmen hin, der sich mit der Formulierung über die Selbstpräsentation ›am Kind orientiert‹ handeln Individualisierung von Verantwortung und selektierende Praktiken legitimierend fassen lässt. Es war mir nicht möglich überzeugende bzw. trennscharfe Varianzen aus dem Material herauszuarbeiten, die für die Präsentation unterschiedlicher Fälle und eine davon ausgehende Typenbildung notwendig sind. Ich gehe daher von einem fallübergreifenden Handlungsmuster aus, das die Kommunikation der Student*innen über das Lernen mit, durch und über digitale Medien in der Grundschule und damit die Vorstellungen von ihrem zukünftigen Handlungsfeld strukturiert, wobei die Analyse zeigt, dass sich sowohl konkret auf Medien beziehende Passagen und Sequenzen als auch Passagen und Sequenzen, in denen die Student*innen andere Themen verhandeln, von den gleichen Grundpositionen strukturiert werden. Im Folgenden beschreibe ich zunächst die normative Subjektfigur.
Normativer Gehalt: an Themen und Interessen der Kinder orientiert In der Sequenz Englandflagge aus der Gruppendiskussion GD2 taucht die Erwartung, am Kind orientiert zu handeln, explizit auf: Interessen, die Lehrkräfte bei den Kindern annehmen, werden als Ausgangspunkt des Unterrichts für die Auseinandersetzung mit Inhalten im Unterricht präsentiert. Zugleich wird hier der Einsatz eines Smartphones als Recherchewerkzeug legitimiert, wobei dies nicht widerspruchsfrei gelingt: Sequenz Englandflagge (GD2 nach OEP Passage Smartphonenutzung Lehrkräfte Zeile 112-1321 ) Tf101: ja das war bei mir auch mal so da hat n Junge aus der dritten Klasse n Pulli angehabt mit der Englandflagge vorne drauf und der hat dann irgendwie mit der Lehrerin gesprochen und dann hat sie so gefragt ja weischt n weischt denn du aus welchen Flaggen diese ((schnalzt)) Großbritannienflagge da besteht; und dann hat er so geguckt und hat hm @und sie wusste es also sie wusste schon dass der (.) Junion Jack heißt und dass da (2) hm °okay° @South Wales ((die anderen lachen mit)) und was weiß ich einfach was da alles dabei isch@ @(.)@ ähm und äh sie wusste dann halt eins hat noch gefehlt und dann hat sie auch zu mir gesagt ja guck du mal im Internet und dann hab ich halt auch mein Smartphone rausgeholt und hab dann halt geguckt ((holt Luft)) und s ihr dann gesagt und die Schüler waren dann auch ganz interessiert ja und du (.) wie und was noch und lass mal sehen die Flagge und dann hab ich s halt immer so die Flagge dann so gezeigt und ähm und dann hat die Lehrerin ähm mir dann halt auch danach gesagt ja sowas ist dann schon mal in Ordnung; dafür sind die Dinger ja auch geschickt dass halt die Kinder dann (.) auch vielleicht lernen dass sie irgend- Information daraus ziehen und jetzt nicht nur (.) SMS schreiben können telefonieren sondern dass man s halt für solche Zwecke (.) auch benutzen könnte; °also das war jetzt° eine Situation wo wo ich s mal quasi °gebraucht hab.°
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Die Zeilenangaben beziehen sich auf das vollständige Originaltranskript und sind hier angegeben, um eine ungefähre Einordnung bzgl. der Frage zu ermöglichen, ob etwas eher zum Einstieg, im Verlauf oder am Ende einer Passage Thema wurde.
8. Darstellung der Ergebnisse
Auch in der Sequenz Ro:thirsch und Grasfrosch werden Inhalte als am Kind orientiert bzw. für Kinder geeignet eingeordnet; zugleich präsentiert sich hier jedoch die Orientierung als Legitimationsfigur: es dokumentiert sich, dass von der Idee ausgegangen wird, dass Kinder abhängig von ihrem Alter festgelegte Entwicklungsstufen durchlaufen, denen entsprechend für sie geeignete Inhalte auszuwählen sind. Der Verweis darauf, dass die Kinder die Medien »ein bisschen ausprobieren« unterstützt die Annahme von Entwicklungsstufen, die nicht nur vorgeben, welche Inhalte sich für Kinder eignen, sondern auch welcher Umgang mit digitalen Medien: Sequenz Ro:thirsch und Grasfrosch (GD2 nach OEP Passage Medieneinsatz im Unterricht Zeile 21-42) Tf103: °Mhm° (.) m- bei uns das wa- fällt mir jetzt gerad ein zum Stichwort Vergessen @(.)@ ähm da gab s so ne Trennstunde also da hat man die Klasse immer getrennt das war glaub am (.) Mittwoch und am Freitag immer die letzte Stunde; und da warn ähm (.) äh n Laptopwagen un- s war n bestimmter Fachraum halt und je- jedes Kind hat sich dann sein Laptop geholt und hat sich dann eben so hingesetzt, und dann ähm ham die auch mit PowerPoint gearbeitet also die ham dann echt ne PowerPointPräsentation gemacht über n Ro:thirsch oder über n Gra:sfrosch und ähm ham s dann die Bilder auch so einfliegen lassen dann (.) ähm (.) und ich hab gar nicht gewusst dass s so viel @Animationen gibt@ @(.)@ ähm die ham dann teilweise echt tolle Präsentationen gemacht und ham sich da vorne hingestellt und ham halt, klar das vorgelesen was auf der Folie stand aber die ham sich da schon mal n bisschen ausprobiert und (2) des fand ich jetzt nich so schlimm also das fand ich eigentlich (2) ganz gut dass die da auch schon n bisschen ähm Übung haben oder das zumindest mal gesehen haben oder wissen wenn se jetzt n Text schreiben wollen dann gehe ich jetzt nichts in PowerPoint sondern eben ins Word rein; (.) und das ham die da (.) eben auch gelernt; die ham dann auch (.) da gab s so n Ideenwettbewerb und da mussten se ihre Idee beschreiben und des ham sie dann halt nicht ha- handschriftlich -lich geschrieben sondern eben im Word; und ham da dann auch die Rechtschreibkontrolle gehabt und (.) °so weiter;° Mit der Beschreibung einer regelmäßigen Trennstunde, in der die Kinder in einem Fachraum am Laptop mit PowerPoint gearbeitet haben, generalisiert Tf103, was gut für ein Kind ist, bzw. was sich eignet und was nicht: Es gibt ganz bestimmte Zeiten − zweimal eine letzte Stunde in der Woche − für die Arbeit am Laptop, einen Laptopwagen und »n bestimmter Fachraum halt und je- jedes Kind hat sich dann sein Laptop geholt und hat sich dann eben so hingesetzt«, womit der Ablauf als geregelt und der Umgang mit Medien als klar begrenzt beschrieben wird. Der Medieneinsatz findet also räumlich und zeitlich begrenzt statt, gezielt und kontrolliert bzw. setzt voraus, dass dies so ist. Dass die Kinder offensichtlich mit PowerPoint auch kreativ umgegangen sind bzw. Dinge realisiert haben, die Tf103 vorher nicht kannte, scheint bedrohlich: »die ham dann echt ne PowerPointPräsentation gemacht über n Ro:thirsch oder über n Gra:sfrosch und ähm ham s dann die Bilder auch so einfliegen lassen dann (.) ähm (.) und ich hab gar nicht gewusst dass s so viel @Animationen gibt@ @(.)@ ähm…« Irritiert wird die Vorstellung von einer guten Lehrerin, die sich dadurch auszeichnet, dass sie weiß, wie es
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geht, und ihren Schüler*innen zeigen kann, wie es geht, weil diese sich mit PowerPoint besser auszukennen scheinen als sie selbst. Die Bewertung, dass es »nich so schlimm« sei, sondern »eigentlich ganz gut«, überzeugt nicht, sondern dokumentiert Unsicherheit, die sich auf die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Erwartung zurückführen lässt, eine zukunftsorientierte Entwicklung von Kindern zu fördern: Es ist ganz gut, da »sie da auch schon n bisschen ähm Übung haben oder das zumindest mal gesehen haben« sollen. Die Erwartung, dass Kinder in Zukunft mit Medien umgehen können müssen wird geteilt, führt aber zu einem Konflikt mit der Idee der altersabhängigen Entwicklungsstufen, nach denen sich Kinder entwickeln. Der Konflikt dokumentiert sich auch in der Beschreibung, dass die Kinder ihre Ideen am PC notiert haben und nicht mit der Hand; Tf103 zögert hier, als wäre das problematisch: »halt nicht ha- handschriftlich -lich«. Sie markiert damit einen negativen Horizont: der Medieneinsatz darf das Schreiben mit der Hand nicht bedrohen. Die Betonung, dass aber trotzdem was gelernt wurde am PC, und die positiv herausgestellte Rechtschreibkontrolle verweisen darauf, dass es nicht nur um die Vorstellung geht, dass das Schreiben lernen mit der Hand für Kinder angemessen ist, sondern dass Vorstellungen bzgl. dessen bedroht sind, was eine Lehrkraft einem Kind zu vermitteln hat bzw. in der Lage zu vermitteln ist: So stellt sich die Frage, was zu vermitteln bleibt, wenn ein*e Lehrer*in Kindern das Schreiben nicht mehr als motorische Fertigkeit vermitteln kann, weil nicht mehr mit der Hand geschrieben wird, sondern am Computer, der in der Vorstellung der angehenden Grundschullehrer*innen das Schreiben für die Kinder übernimmt. Gelöst wird dieses Dilemma, indem der Computer vor allem als Erfahrungen verhindernd eingeordnet wird, die als für Kinder wichtig bzw. zentral eingeordnet werden. Die Annahme von Entwicklungsstufen wird auch in der Sequenz Mit verschiedenen Dingen, die auch greifbar sind deutlich, in der Tf101 den Unterschied zwischen ihrer Aufgabe als zukünftige Grundschullehrerin und einer Lehrerin beschreibt, die an einer weiterführenden Schule arbeitet: Sequenz Mit verschiedenen Dingen die auch greifbar sind (GD1 vor OEP Passage Anforderungen an Lehrkräfte Zeile 1-12) I: ((Aufnahmetaste klickt)) @Und ab jetzt ist das an und das Gerät läuft@ ((Lachen mehrerer Teilnehmer*innen)) und ungefähr eine Stunde wir können es auch je nachdem wie das für Sie läuft und der Einstieg ist wie stellen Sie sich Ihre Aufgabe, Ihren Unterricht (.) als zukünftige Grundschullehrerinnen vor; welche Dinge fallen Ihnen dazu ein? Tf101: ((längere Pause)) Ja dass er abwechslungsreich ist kreativ, und jetzt nicht dass vielleicht so wie man es jetzt von der Realschule oder von der weiterführenden Schule kennt so theorieTf102: wird mehr erzogen Tf101: -lastig @ja genau@ @(.)@ ähm sondern eher mit verschiedenen Materialien mit verschiedenen Dingen die auch greifbar sind und dass man das den Kindern so besser vermitteln kann.
8. Darstellung der Ergebnisse
Tf101 beschreibt ihre zukünftige Aufgabe als abwechslungsreich und kreativ und grenzt sie von der Lehrer*innentätigkeit an einer weiterführenden Schule ab, die sie als theorielastig einordnet. Abwechslungsreich und kreativ bedeutet für sie, dass sie mit verschiedenen Materialien arbeiten wird, mit Dingen, die »greifbar« sind, damit »man das den Kindern so besser vermitteln kann…« Sie wirft damit den Orientierungsgehalt auf, dass Kinder mit der Hand und nicht mit dem Kopf lernen und dass kreativ unterrichten bedeutet, Kindern verschiedene Materialien anzubieten. Dass von für alle Schüler*innen geltenden Entwicklungsstufen ausgegangen wird, betrifft den Umgang mit digitalen Medien, aber auch andere Aspekte, die als von digitalen Medien bedroht – wie Kind sein, aber auch das Schreiben mit der Hand bzw. das Etwas-mit-der-Hand-selbst-machen – eingeordnet werden. Zu den Entwicklungsstufen passt ein*e Lehrer*in, der*die den Schüler*innen passend zu ihrem Entwicklungsstand vormacht, wie es richtig geht und Lerninhalte vorgibt. Dieses Konzept wird in der Vorstellung der Student*innen durch digitale Medien zum einen herausgefordert, weil Medien Interessen bei den Kindern hervorrufen, die von den Inhalten ablenken, die für den Unterricht für sie ausgewählt wurden. Zum anderen befürchten die Student*innen offensichtlich, dass sie ihren eigenen Umgang mit digitalen Medien nicht so kontrollieren können, wie es notwendig scheint, um ein Vorbild für Kinder sein zu können. In der Sequenz Das Erinnerungsfoto dokumentiert sich in der Beschreibung, wie die Mentorin von Tf103 mit ihrem Handy die Klasse fotografiert, die Vorstellung, dass Verhalten von Erwachsenen auf Kinder wirkt. Aufgerufen wird damit nicht nur eine das Professionskonzept der Student*innen bestätigende Vorstellung, die die Lehrkraft als dem Kind Wissen und Können vermittelnd fasst, sondern auch eine Vorstellung vom Kind und von der Art und Weise, wie es lernt: Welt wirkt auf Kinder. Entsprechend ist widersprüchliches und negativ eingeordnetes Verhalten vor den Kindern zu verbergen – wie die Nutzung eines Smartphones. Dazu passt, dass von Erwachsenen Bilder für Kinder produziert werden, in denen sie ihnen versuchen zu vermitteln, was sie erlebt haben bzw. erlebt haben sollen: Sequenz Das Erinnerungsfoto (GD2 nach OEP Passage Smartphonenutzung Lehrkräfte Zeile 145-159) Tf103: also (.) die, meine Mentorin die hat das zwar auch immer ab und zu und hat zum Beispiel immer (1) sie haben so Wasserversuche gemacht und bevor sie angefangen haben hat sie von ihnen n Erinnerungsfoto gemacht kurz mit m Handy und das druckt sie ihnen dann immer aus und dann dürfen sie des immer in ihr Büchle kleben, also das ist ja dann auch wieder was Praktisches weil man öfters eine Kamera eher vergisst, Tf101: Mhm Tf103: und s Handy hat man ja immer dabei; da dacht ich dann so (.) ja das geht; und sie hat dann auch selber gesagt dass sie ähm (1) das Handy eigentlich nur allerhöchstens wenn sie dann alleine kurz im Klassenzimmer ist kurz rausholt und halt wenn sie Fotos macht °und so;° (.) aber dann bei der anderen Lehrerin dass die dann echt immer
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Tf101: @(.)@ Tf103: ähm (.) also ihr iPhone 5 oder nee das iPhone 6 war s genau; Tf101: @(.)@ Die Beschreibung des Smartphoneeinsatzes der Mentorin zeigt, dass es nicht nur einzelne Gelegenheiten und Situationen gibt, in denen das Smartphone eingesetzt wird, denn die Mentorin macht mit dem Smartphone immer wieder Erinnerungsfotos für die Schüler*innen. Es handelt sich also um eine Smartphonenutzung, die sich regelmäßig wiederholt, wie auch die Formulierungen »zwar auch immer ab und zu« und später die Aussage, das Foto »druckt sie ihnen dann immer aus und dann dürfen sie des immer in ihr Büchle kleben« zeigen. Tf103 versucht dennoch den Smartphoneeinsatz ihrer Mentorin von einer abzulehnenden, geregelte Abläufe störenden Smartphonenutzung – die sie in der Sequenz Weil sie noch an ihrem Smartphone hing beschreibt – abzugrenzen: Sequenz Weil sie noch an ihrem Smartphone hing (GD2 nach OEP Passage Smartphonenutzung Lehrkräfte Zeile 137-144) Tf103: aber bei mir is aufgefallen dass es es gab eine Lehrerin (2) das war die Englischlehrerin und die hatte immer ihr Smartphone a- also dann war noch ein Kinotag einmal und dann, ham sich alle Schüler aufgestellt und ma- war eigentlich schon bereit zum Loslaufen aber die Lehrerin war nicht bereit weil sie noch an ihrem Smartphone hing Tf101: Echt? Tf103: und da dachte ich mir dann auch nee das geht eigentlich nicht; Tf101: °Mhm° Während die Englischlehrerin in dieser Sequenz am Smartphone hängt, es also nicht kontrolliert, sondern dauernd nutzt und damit so weit geht, dass sie den Betrieb aufhält, holt die Mentorin von Tf103 in der Sequenz Das Erinnerungsfoto das Smartphone nur »ab und zu« raus, nur wenn es praktisch ist: »also das ist ja dann auch wieder was Praktisches weil man öfters eine Kamera eher vergisst«, während »s Handy hat man ja immer dabei…« Mit dem Pronomen man weist Tf103 in der Sequenz Das Erinnerungsfoto darauf hin, dass nicht nur ihre Mentorin immer ihr Handy dabei hat, sondern jeder, also auch sie selbst. Damit ist es für sie nicht möglich, das Smartphone grundsätzlich abzulehnen, sondern nur eine bestimmte Art und Weise es zu nutzen. Dabei scheint sie sich nicht sicher, ob sie damit überzeugen kann, dass eine Smartphonenutzung dann legitim ist, wenn sie ab und zu aus praktischen Gründen erfolgt, denn sie sagt: »da dacht ich dann so (.) ja das geht…« Die Verunsicherung zeigt sich noch einmal in der Betonung, dass ihre Mentorin »das Handy eigentlich nur allerhöchstens wenn sie dann alleine kurz im Klassenzimmer ist kurz rausholt«: Sie muss das Handy »rausholen«, es liegt also nicht auf dem Pult, nicht in ihren Händen, sie hängt nicht an dem Handy wie die Englischlehrerin, mit deren Art und Weise das Smartphone zu nutzen Tf103 einen negativen Horizont markiert.
8. Darstellung der Ergebnisse
Normativer Gehalt: ganzheitlichen und freien Unterricht gestalten Themen und Interessen der Kinder sollen – so der explizit formulierte Anspruch – zum Inhalt bzw. Lerngegenstand von Unterricht werden, wie die folgende Sequenz zeigt, in der aber auch noch einmal die Vorstellung präsentiert wird, wie Kinder lernen: Sequenz Dann mussten sie das fühlen (GD8 nach OEP Passage Medien im Unterricht Zeile 16-33) Tf402: […] also das war dann eh eher freierer Unterricht wenn wir Buchstaben, also eingeführt haben also vor allem am Anfang (.) ähm wurden die zum Beispiel einmal hatten wir dann auf nem Tisch und da lagen dann so Holzbuchstaben da haben wir dann mal sowas genutzt und da wurde n Tu:ch drüber und dann hat man s weggemacht und dann mussten sie zum Beispiel alle Ms raussuchen die sie gefunden haben Tf401: Mhm Tf402: waren dann natürlich auch ein paar Ws dabei und dass du dann halt erkennst den Unterschied und dann hatten die verschiedene Stationen; dann mussten sie das fühlen die mussten s mit Kastanien nachlegen mit Steinen nachlegen dann mussten sie s so prickeln also mit so nem mit so ner Nadel quasi Tf403: Mhm Tf401: Mhm Tf402: so das Blatt Papier die mussten sie auch kne:ten und immer mit ähm Wachsmalkreide noch nachmalen und dann an der Tafel eben nachspuren so haben die bei uns eingeführt und sonst haben die eigentlich nichts benutzt nix anderes benutzt; Tf402 ordnet die Einführung von Buchstaben, die nicht an der Tafel stattfindet, als freieren Unterricht ein. Freier erscheint der Unterricht, da nicht die Tafel verwendet, sondern auf einem Tisch gearbeitet wird, auf dem mit einem Tuch verdeckte Holzbuchstaben liegen, die enthüllt werden, damit die Kinder vorgegebene Buchstaben raussuchen können. Obwohl es eine klare Arbeitsanweisung und auch ein eindeutiges Richtig und Falsch gibt, also nur einen Lösungsweg – nämlich den richtigen Buchstaben rauszusuchen – wird der Unterricht als freier eingeordnet. Es wird etwas vorgegeben, aber nicht an einem Ort, nicht an der Tafel, sondern an verschiedenen Stationen mit unterschiedlichen Materialien. Suggeriert wird, dass unterschiedliche und damit individuelle Lerntypen berücksichtigende Zugänge zum Lerngegenstand angeboten werden, obwohl es sich um ein gelenktes Lernen handelt, für das ganz bestimmte Schritte zu befolgen bzw. Aufgaben auf einem ganz bestimmten Weg zu lösen sind; in den Vordergrund gestellt wird dabei die haptische Wahrnehmung. Die unterschiedlichen Materialien – Holzbuchstaben, Kastanien, Steine, Prickeln – verweisen zudem auf einen Anspruch der Ganzheitlichkeit. Dass die Buchstaben gefühlt, also ertastet werden müssen, folgt der Annahme, dass Kinder vor allem handlungsorientiert lernen bzw. Kinder ihre Welt und ihre Bedeutung handlungsorientiert begreifen. Diese Leitfigur wird auch im medienpädagogischen Diskurs betont, wenn es darum geht, für Kinder geeignete medienpädagogische Praxis zu beschreiben. So betonen Günther Anfang und Kathrin Demmler, dass das Lernen handlungsorientiert an Lebensrealität orientiert zu gestalten ist: »Somit liegt ein wesentlicher Ankerpunkt einer
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ganzheitlichen Medienpädagogik im handelnden Lernen. Ausgangspunkt dieses Lernprinzips ist ein Lernen in der handelnden Auseinandersetzung mit anderen Gegenständen der Lebensrealität. Theoretisches und praktisches Wissen wird dabei durch eigenes Tun erfahrbar gemacht und angeeignet.« (Anfang & Demmler 2010, S. 48) Tf402 betont, dass »natürlich auch ein paar Ws dabei« waren, »dass du dann halt erkennst den Unterschied…« Hier wird deutlich, dass es darum geht, Kinder zu Schüler*innen zu entwickeln. Das kognitive Lernen wird als das Lernen herausgestellt, auf das es in der Schule ankommt, zu dem Kinder aber in der Vorstellung der Student*innen noch nicht in der Lage sind, wenn sie in die Schule kommen. Es muss ihnen erst beigebracht werden. Dass Buchstaben aus unterschiedlichen Materialien gefühlt und ertastet werden, verweist explizit auf die Idee, dass Kinder Welt und ihre Bedeutung begreifen, was auch die Forderung nach Instrumenten bzw. Gitarren für den Musikunterricht stützt: Sequenz Instrumente war auch sehr rar (GD8 nach OEP Passage Medien im Unterricht Zeile 48-67) Tf401: Also bei uns war auch die ne ganz normale Tafel kein Whiteboard; Tageslichtprojektor hat man bei uns gut benutzt (2) ähm ich hab gesehen die hatten auch n so n fahrbaren Fernseher Tf402: Mhm Tf401: irgendwie mit äh DVD aber das hat man nicht benutzt Tf402: Mhm Tf401: […] u:nd (2) sonst fand ich ähm als- ich studier ja Musik fand ich ähm bisschen schade dass es eigentlich kaum äh Instrumente gab also gerade zwei Zimmer in denen n Klavier stand und äh es wurde eigentlich nie irgendwo ne Gitarre angeboten also man muss alles selber mitbringen und Instrumente war auch sehr rar was man da irgendwie was (2) verteilen kann also f- (.) fand ich jetzt irgendwie schade; (.) und ansonsten ja genau da war halt noch n (2) n CD-Spieler Tf401 beschreibt, dass ihr für den Musikunterricht Instrumente fehlten. Es gab nur in zwei Zimmern jeweils ein Klavier an der Schule, an der sie war. Während es einen Fernseher gibt, der eigentlich nicht gebraucht wird und nur rumsteht, fehlen die Dinge, die Tf401 für den Grundschulunterricht für brauchbar hält. Sie besitzt aber offensichtlich, was gebraucht wird, und weiß damit auch, was gebraucht wird, denn sie spricht davon, dass das, was gebraucht wurde, selbst mitgebracht werden musste. Angesprochen wird mit der Frage, welche Medien und Materialien sich für die Grundschule eignen, auch was Medien für eine Bedeutung in Lernprozessen haben. Grundsätzlich ist eine »Pädagogik, die ohne Mittel und Mittler auskommt, […] ebenso wenig denkbar wie eine Bildungstheorie, die das Verhältnis von Ich und Welt ohne Berücksichtigung medientechnologischer Bedingtheiten zu beschreiben sucht.« (Wimmer 2009, S. 57) Die Gedanken, die die Student*innen bezüglich der Frage artikulieren, welche Medien/Materialien wie für die Grundschule geeignet sind, lässt die Vermutung zu, dass sie der Idee folgen, die nach Michael Wimmer in der vom Poststrukturalismus geprägten Medientheorie vermittelt wird: Nicht das Subjekt, sondern Medien/Materialien strukturieren den Zugang zu Welt und damit die Interpretation von Welt. Oder
8. Darstellung der Ergebnisse
strukturieren sie zumindest vor: die vom Poststrukturalismus inspirierte Medientheorie »verlässt das Sprachspiel, das der hermeneutische Legitimationskanon definiert, indem sie ihre Aufmerksamkeit vom Sinn und seinem Subjekt weg und hin auf seinen Träger und dessen Wirkung richtet. Dabei entdeckt sie die Apriorität des Medialen gegenüber dem Sinn wie dem Subjekt, das sich der Medien für seine Sinnintentionen als Mittel bedienen zu können glaubte.« (A. a. O., S. 58) Der normative Gehalt spielerische und handlungsorientierte Zugänge ermöglichen zeigt jedoch, dass die Student*innen nicht davon ausgehen, über Medien und Materialien eine durch diese beschriebene/interpretierte Bedeutung von Welt zu vermitteln. Sie gehen vielmehr davon aus, dass es darum geht über und durch Medien und Materialien Welt und die Dinge in ihr unmittelbar für Kinder greif- und begreifbar zu machen.
Normativer Gehalt: spielerische und handlungsorientierte Zugänge ermöglichen Der Anspruch, am Kind orientiert zu unterrichten, dokumentiert sich in der Sequenz Gemüse und Eichhörnchen, indem auf die Frage, welche Medien und Materialien in den Schulen eingesetzt wurden, in denen die Student*innen ihre Schulpraxis absolviert haben, Gemüse und ein Kuscheltier als kindgerechtes, didaktisches Werkzeug präsentiert werden. Herausgestellt wird hier auch, dass das für Kinder geeignete Lernen ein spielerisches und handlungsorientiertes ist: Sequenz Gemüse und Eichhörnchen (GD4 nach OEP Passage Medien im Unterricht Zeile 23-40) Tm202: Bei mir gab s noch Gemüse; ((leises Lachen der anderen)) also echtes Gemüse das sie mitgebracht hat, dann hat eine Lehrerin noch irgendwie (.) ich weiß gar nicht mehr n Kuscheltier so n passendes ich weiß gar nicht mehr n Eichhörnchen oder so das dann immer zum Thema gepasst hat; (2) ((holt Luft)) und sonst klar so n Tageslichtprojektor und die Tafel (3) und sonst hab ich mehr hab ich eigentlich gar nicht gesehen; schon hauptsächlich dann auch Arbeitsblätter oder so Gruppenarbeit es gab noch so na ja wobei diese (2) diese Rechensachen (.) mit so Gummis ich weiß nicht ob ihr das auch kennt mit so Gummis dann (.) an so geriffeltem Papier da muss man die Gummis so dass man die richtige das richtige Ergebnis hat dann so rumspannen hascht halt ganz viele Tf201: Ah da gibt s auch diese Spiele Tm201: Ja Tm202: und ja ja solche Sachen gab s schon auch also das nenne ich das würde für mich jetzt kein Arbeitsplatz für mich Arbeitsblatt für mich das ist wieder was anderes Tm201: Ja Tm202 erzählt, dass es bei ihm Gemüse gab, worauf die anderen leise lachen. Er betont, dass es sich um »echtes Gemüse« handelte und damit um Gemüse, das sich anfassen, be-greifen lässt. Dazu gab es ein Kuscheltier »so n passendes ich weiß gar nicht mehr n Eichhörnchen oder so das dann immer zum Thema gepasst hat; (2) ((holt Luft))…« Hier hätte Tm202 auch von einem Stofftier sprechen können; als Kuscheltier wird das Stofftier aber in seiner Bedeutung als Freund, Begleiter und Beschützer von Kindern
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präsentiert; so dokumentiert sich erneut der Anspruch, Unterricht in der Grundschule kindgerecht zu gestalten. Die folgenden Materialen und Medien werden – da sie in der Aufzählung an das echte Gemüse und das Kuscheltier anschließen – von Tm202 ebenfalls als passend für den Grundschulunterricht präsentiert; neben Arbeitsblättern gehören hier Rechenmaterialien dazu, mit denen nicht nur im Kopf, sondern auch mit den Händen, also mit dem Körper gerechnet werden kann: Kinder lernen Mathematik durch Anfassen und Bewegen, sie begreifen Mathematik über ihren Körper, womit Mathematik als etwas Naturgegebenes/ein Naturphänomen präsentiert wird, obwohl Mathematik »durch logische Definitionen selbstgeschaffene abstrakte Strukturen mittels der Logik auf ihre Eigenschaften und Muster untersucht…«2 Tf201 ergänzt, dass es hier auch Spiele gibt, womit sie den Aspekt hinzufügt, dass es um spielerisches Lernen geht. Obwohl ein handlungsorientierter Unterricht betont wird, sind es dennoch Lehrer*innen, die als diejenigen präsentiert werden, die machen, dass Kinder lernen, bzw. dass Kinder das lernen, was Lehrer*innen ihnen präsentieren, wie auch die Sequenz Wenn man selbst viel basteln kann verdeutlicht: Sequenz Wenn man selbst viel basteln kann (GD4 nach OEP Passage Medien im Unterricht Zeile 90-102) Tf201: Also ich persönlich finde, also klar mit diesem Whiteboard vielleicht noch aber an sich, haben die Kinder eh schon so viele neue Eindrücke deswegen bin ich der Meinung so Tafel und wenn man selbst viel basteln kann dass man selber s- mmit Knete das machen lässt oder n Seil am Boden legen lässt den Buchstaben, das solche Sachen wichtiger sind als jetzt Tm201: Ja Tf201: richtig neue Medien weil (.) ja wie gesagt des gibt s eh schon so viele Eindrücke und deswegen finde ich Ta:fel Overhead (.) also für mich würd s reichen weil ich halt dann sag dann mache ich wirklich mehr, ja selbst noch zusätzlich; aber ob ich jetzt den Kindern drei Filme am Tag zeige oder (2) w- was man mit nem Whiteweiß ich nicht ob das so ob das nötig is für das was sie lernen sollen. Die Student*innen gehen davon aus, dass sie durch ihren Unterricht das, was Schüler*innen lernen, aber auch deren Bedürfnisse lenken bzw. steuern können. Unterstützt wird diese Lesart durch die Vorstellung, dass Medien Kinder motivieren, bzw. dass Kinder gerne etwas mit einem interaktiven Whiteboard oder iPad machen, und der Einsatz dieser Medien sie belohnt und motiviert.
Normativer Gehalt: soziale Ungleichheit ausgleichen Die Student*innen nehmen die Erwartung wahr, in der Grundschule soziale Ungleichheit auszugleichen. U. a. in der Sequenz Alle Kinder mitziehen spiegelt sich die Anforderung wider, die Handlungskompetenzen der Kinder zu erhöhen und eine Grundbildung zu ermöglichen, die alle Kinder auf einen gemeinsamen Stand bringt und somit
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https://de.wikipedia.org/wiki/Mathematikvom 17.03.2019
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familiäre Defizite ausgleicht. Die Student*innen sprechen davon, dass alle Kinder mitzunehmen sind, allen ein Grundstock zu vermitteln ist. Dieser Grundstock wird u.a. als die Entwicklung einer Freude am Lernen gefasst. Sequenz Alle Kinder mitziehen (GD1 vor OEP Passage Anforderungen an Lehrkräfte Zeile 13-22) Tf102: Vielleicht auch dass man alle dass man es schafft dass man alle Kinder mitzieht, nicht nur quasi wie das oft später ist in der Weiterführenden dass vor allem die eine Gruppe gefördert wird, also die Starken und die Schwachen sondern dass halt alle irgendwie mitgezogen werden alle Spaß dabei haben oder möglichst alle natürlich; und ähm (.) dass quasi die Freude, der Grund- also die Freude am Lernen so geweckt wird halt; (.) da so ein Grundstock gelegt wird. Tf103: Ja wobei ich auch denke dass es auch also eine Anf- eine Anforderung @ist an uns ist oder?@ Tf102: °Ja selbstverständlich° Tf102 argumentiert, dass in weiterführenden Schulen entweder die Starken oder die Schwachen gefördert werden; für die Grundschule stellt sie sich vor, »dass man es schafft dass man alle Kinder mitzieht«: Die Formulierung »dass man alle Kinder mitzieht« verweist darauf, dass Kinder entwickelt werden müssen, dass die Lehrerin sie entwickelt, womöglich auch gegen den Widerstand der Kinder. Es wird davon ausgegangen, dass es schwache und starke Schüler*innen gibt und die schwachen Schüler*innen ein Problem sind, das die Lehrerin ausgleichen muss. Tf102 stellt heraus, dass nicht nur alle mitgezogen werden sollen, sondern die Schüler*innen sollen auch Spaß haben, bzw. »möglichst alle natürlich…« Tf102 bezweifelt also, dass es möglich ist, dass alle Kinder Spaß haben können und damit womöglich auch, dass es machbar ist, alle Kinder mitzuziehen. Sie sagt, die Freude am Lernen soll geweckt werden – sie geht also davon aus, dass Kinder nicht von sich aus Freude an schulischem Lernen haben. Vielmehr ist diese Freude von der Lehrerin zu wecken, denn die Freude ist der Grundstock, auf dem alles Weitere aufbaut. Sequenz Dass n iPad nich nur Zocken bedeutet (GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 427-462) Tf502: Aber ich muss sagen dass dass ähm (2) bei mir in der Klasse wo jetzt ja eben so viel auch mit iPads gearbeitet wird die Kinder das (.) m- nach meinem Gefühl einfach so auch (.) gelernt haben dass n iPad nich nur Zocken bedeutet sondern dass n iPad genauso bedeutet Rechenaufgaben zu lösen oder n Text abzuschreiben oder zu recherchieren zu nem Thema; also, ähm (.) ich finde (.) das ist was was wir übernehmen können in der Schule Tf503: Mhm Tf502: wir können den Schülern zeigen dass n (.) n Ta:blet nich nur bedeutet dass man in der Welt versumpft wo man irgendwann wieder auftaucht und dann in die Schule muss sondern wo man mit (.) wo man was lernen kann wo man Wissen rausziehen kann wo man (.) was am Ende auf dem Blatt stehen hat und weiß okay das ist alles richtig und das hab ich gemacht oder so also dass die Kinder dafür das Gefühl bekommen (.) was sie zu Hause (3) nich bekommen weil zu Hause das is ja
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(.) wenn du das jetzt nicht machst dann darfst du nich zu Spielen also das is auch die die Eltern sagen oft so die entziehen dann wa:s (.) was gar nich nur negativ is weil n Tablet kann auch (.) Wissen bedeuten und ähm aber das sehen die Eltern auch nich die s- Eltern sehen in dem Tablet nur das Kind zockt da und versumpft; aber das Tablet is viel mehr das kann (3) ja einfach Tf510: Ich denk auch dass das die Realität is die uns einfach später mal erwartet also ich bin mich sicher aber ich bin mir zie:mlich sicher dass es später an jeder Schule Tablets geben wird Tf509: Mhm Tf510: und ich bin mir auch ziemlich sicher dass später jedes Kind irgendwie an nen Tablet rankommen wird in seinem privaten Umfeld und (.) dass man da auch ähm in der Schule dann (.) damit arbeiten muss weil das einfach (.) die Welt is in die wir jetzt kommen es wird halt immer alles mehr Tf502:Ja es is auch Status ne (.) so Tf504: Technolos- °Technologisiert° @wie man sagt@ und ja (.) da (.) muss Tf507: Man hat Tf504: man dann den Kindern auch zeigen was kann man damit machen und °ja.° In der Sequenz Dass n iPad nich nur Zocken bedeutet erläutert Tf502, was Schule in Bezug auf Medien leisten kann. Dabei geht es vor allem darum, die Mediennutzung zu Hause auszugleichen, die in der Vorstellung der Student*innen vor allem darin besteht, mit Medien zu spielen – wobei dieses Spielen als negativ eingeordnet wird und als falsche Vorstellung von dem, was mit Medien eigentlich getan werden sollte. Gleichzeitig wirft Tf502 mit ihrer Beschreibung, wie Medien bzw. iPads einzusetzen sind, einen unterrichtsbezogenen Gehalt auf, der darauf verweist, dass der Einsatz von digitalen Medien Unterrichtsinhalte und -gestaltung nicht verändern soll, denn Kinder lernen, »dass n iPad genauso bedeutet Rechenaufgaben zu lösen oder n Text abzuschreiben oder zu recherchieren zu nem Thema…« Damit wird das iPad als nicht bedrohend für traditionelle Unterrichtskonzepte dargestellt. Auch die darauffolgende Erläuterung, dass man mit iPads »was lernen kann wo man Wissen rausziehen kann wo man (.) was am Ende auf dem Blatt stehen hat und weiß okay das ist alles richtig und das hab ich gemacht oder so«, unterstützt diese Lesart: Die Vorstellung von Unterrichten und damit von der eigenen Rolle als angehende Grundschullehrer*in wird nicht angegriffen. In der Sequenz Dass n iPad nich nur Zocken bedeutet argumentiert Tf502 damit, dass Eltern nicht erkennen, was die positive Bedeutung eines Tablets ist – also Lernen ermöglichen und Wissen zugänglich machen. Sie wirft den Orientierungsgehalt auf, dass Eltern digitale Medien hauptsächlich verwenden, um ihre Kinder zu belohnen oder zu bestrafen, sie also einsetzen, um ein bestimmtes Verhalten bei ihren Kindern zu erreichen. Tf502 kritisiert nicht die Erziehungsmethode, aber dass die positiven Eigenschaften von digitalen Medien nicht wahrgenommen werden: »die die Eltern sagen oft so die entziehen dann wa:s (.) was gar nicht nur negativ is weil n Tablet kann auch (.) Wissen bedeuten…« Damit wird ein reduziertes Verständnis von Wissen präsentiert, das auch Diskurse über die so genannte Wissensgesellschaft strukturiert: »Wissen, so glauben manche, sei in Datenbanken gespeichert und per Zugriff zu diesen Datenbanken kon-
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sumierbar. Zunächst ist festzustellen, dass nicht Wissen gespeichert ist, sondern Informationen. Um daraus Wissen zu machen, ist es notwendig, die Informationen einordnen zu können, sie mit vorhandenem Wissen verbinden zu können.« (Scholz 2005, S. 72)
Normativer Gehalt: auf die Zukunft vorbereiten Tf510 weist darauf hin, dass es sich nicht ändern lässt, dass Kinder einen Umgang mit digitalen Medien haben. Sie formuliert aber auch die Erwartung, dass es an jeder Schule Tablets geben wird, womit sie auf öffentliche Diskurse verweist, in denen genau das gefordert wird. So erklärte Digitalministerin Dorothee Bär im April 2018: »Schüler brauchen: ein Tablet, ihre Sportsachen und das Schulbrot.«3 In den Ausführungen dokumentiert sich, dass es Kinder bzw. Jugendliche sind, die dazu herausfordern, denn an ihre digitalisierte Lebenswelt soll angeknüpft werden. Auch dieser Anspruch wird in Diskursen formuliert, in denen sich vor allem auf quantitative Studien wie die KIM-Studie berufen wird, um zu zeigen, dass Kinder in einer zunehmend von digitalen Medien geprägten Welt aufwachsen: »In Beiträgen zur medienpädagogischen Praxis werden Ideen für die Gestaltung von Medienbildung in Schule und anderen Bildungseinrichtungen […] häufig damit begründet, dass sich die Lebenswelt von Kindern zunehmend mediatisiert.« (Kulcke 2017, S. 82) Studien wie die KIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest4 dienen hier als Beleg und Orientierung. (Vgl. ebd.) Die Student*innen weisen zudem auf eine sich verändernde Arbeitswelt hin, auf die Kinder vorzubereiten sind. So sagt Tf510: »und (.) dass man da auch ähm in der Schule dann (.) damit arbeiten muss weil das einfach (.) die Welt is in die wir jetzt kommen es wird halt immer alles mehr.« Tf502 ergänzt den Gehalt um den Aspekt Status: »Ja es is auch Status ne (.) so…« Tf504 greift den Aspekt auf und erläutert: »Technolos- °Technologisiert° @wie man sagt@ und ja (.) da (.) muss […] man dann den Kindern auch zeigen was kann man damit machen und °ja°…« Es geht also darum Kindern zu vermitteln, wie sie digitale Medien in Zukunft so einsetzen können, dass sie Erfolg in dieser Gesellschaft haben und einen entsprechenden Status in ihr erreichen. Der Einsatz digitaler Medien wird als notwendig erachtet, wenn es darum geht, die gesellschaftliche Erwartung zu erfüllen, auf die weiterführende Schule vorzubereiten. Angesprochen wird in diesem Kontext außerdem eine Zukunftsorientierung, die darüber hinausgeht und sich auch in medienpädagogischen Diskursen wiederfindet: Es geht darum, Kinder auf eine sich durch digitale Medien verändernde Gesellschaft vorzubereiten, bzw. sie in die Lage zu versetzen, sich selbst auf diese vorzubereiten. (Vgl. Irion 2018) So wird in der Sequenz PowerPoint eine Mediennutzung dann als sinnvoll erachtet, wenn sie zukunftsorientiert ist:
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https://www.welt.de/politik/deutschland/article175056948/Digitalministerin-Baer-Schuelerbrauchen-ein-Tablet-ihre-Sportsachen-und-das-Schulbrot.html vom 17.03.2019 »Seit 1999 führt der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest regelmäßig eine Basisstudie zum Stellenwert der Medien im Alltag von Kindern (6 bis 13 Jahre) durch.« (www.mpfs.de/ studien/?tab=tab-18-2 vom 17.03.2019)
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Sequenz PowerPoint (GD3 vor OEP Passage Medienbildung Zeile 51-65) Tf202: @Ja das ist@ ich weiß schon was du meinst; also ich find auch dass es (.) ich find zum Beispiel dass man die Kinder vielleicht früher an die Medien bri- PowerPoint wann hab ich meine erste PowerPoint in der siebten achten neunten Tf202: Gymnasium (.) Tf201: Gymnasium Tf202: war ziemlich spät; Tf201: dass man sowas vielleicht schon früher macht oder (.) in der Schule mal mit nem iPad (2) handhabt oder so dass zu Hause das halt bisschen (2) °nich so° Tm202: Die ETf202: dass es Tm202: ja da müsste man Tf202: dass es was Besonderes ((Tm02 lacht leise)) dass ich einmal die Woche in der Stunde (.) n iPad benutzen darf; Tf202 erzählt, sie selbst habe erst in der Siebten, Achten, Neunten PowerPoint kennengelernt. Und bewertet das als »ziemlich spät…« In dem Vorschlag, die Auseinandersetzung mit PowerPoint früher zu beginnen, dokumentiert sich ein Verständnis der eigenen Rolle als angehende Grundschullehrerin: Grundschullehrer*innen bereiten auf die weiterführende Schule vor, wobei der wiederholte Verweis auf das Gymnasium darauf hindeutet, dass Inhalte wie PowerPoint vor allem in Bezug auf die Vorbereitung auf diese Schulart sinnvoll erscheinen. In der Äußerung »in der Schule mal mit nem iPad (2) handhabt« fällt die Verwendung des Verbs handhaben auf. Gepasst hätte hier eher die Formulierung, dass man mal mit einem iPad was macht oder arbeitet. Handhaben verweist auf mehrere Bedeutungen: Handhabe im Sinne von Handgriff oder auch im Sinne von Handling und damit Gebrauch. In der Regel lässt sich ein Werkzeug handhaben. Wenn etwas handhabbar ist, gilt es auch als leichtgängig. Digitale Medien werden hier also – zumindest im Kontext eines sinnvollen Gebrauchs in der Schule – als Werkzeuge eingeordnet: in diesem Fall nicht nur als mögliche Lehrwerkzeuge, sondern auch als Lernwerkzeuge. Wichtig ist dabei vor allem, dass nicht mit ihnen gespielt wird, wie die Sequenz Dass n iPad nich nur Zocken bedeutet verdeutlicht hat. Ein Umgang mit Medien wird also für notwendig erklärt, um auf die weiterführende Schule vorzubereiten, aber auch um Mediennutzung zu Hause auszugleichen. Diese Notwendigkeit wird auch in medienpädagogischen Texten beschrieben, die Kinder als in einer mediatisierten Welt aufwachsend beschreiben, aber den defizitären Umgang mit Medien in Familien herausstellen, der in der Schule ausgeglichen werden muss. Eine sinnvolle Nutzung digitaler Medien ist in der Vorstellung der Student*innen nicht nur eine, die das Kind auf die Zukunft vorbereitet und Defizite familiärer Mediennutzung ausgleicht, sondern eine, die dem Unterricht dient. In der Sequenz Der Computer für die Informationssuche geht es um den Computer als Informationsquelle und Recherchewerkzeug:
8. Darstellung der Ergebnisse
Sequenz Der Computer für die Informationssuche (GD10 ISP Passage Medienbildung Zeile 6-19) Tf601: Also ich glaub einfach dadurch dass wir im Alltag (.) ein- (.) also es funktioniert ja fast nicht mehr dass wir nicht mit irgendwelchen digitalen Medien konfrontiert werden; (.) ähm weil die Schüler ich glaub wenn sie heimkommen auf m Schulweg im Bus (.) sehen immer wieder Menschen mit Handy mit Tablet (.) daheim am Computer; sie erzählen ja oft schon dass sie Computerspiele spielen oder sonscht (.) die Sachen; deswegen glaub ich ist es echt wichtig dass wir auch schon Medienbildung betreiben, (.) einfach auch n bisschen (.) den (3) des einzugrenzen auch den die Mediennutzung; irgendwie auch vorgeben auch n bisschen dass Medien nicht nur (3) zum Spie:len da sind sondern dass es ja auch noch andere Sachen gibt und dass Medien ja eigentlich (.) oder zum Beispiel der Computer dass der halt vor allem (2) für die (.) Informations- suche sein sollte oder zum (.) n Hilfsmittel da ist und nicht irgendwie so n Lebensmittelpunkt darstellen sollte eigentlich; (.) Tf601 beginnt ihr Argument zunächst mit dem Pronomen wir, distanziert sich dann aber und sagt nicht, dass alle im Alltag Medien nutzen, sondern: »es funktioniert ja fast nicht mehr dass wir nicht mit irgendwelchen digitalen Medien konfrontiert werden…« Die Verantwortung liegt damit nicht bei den Mediennutzer*innen, sondern sie werden mit Medien konfrontiert und können nicht anders als diese nutzen. Das gilt auch für Schüler*innen, wobei Tf601 hier deutlich macht, dass die Konfrontation mit Handy, Tablet oder auch Computer daheim oder auf m Schulweg im Bus stattfindet, nicht aber in der Schule oder im Unterricht. Während die Schüler*innen im öffentlichen Raum andere sehen, die Handys und Tablets nutzen, beobachten sie zu Hause nicht nur die Mediennutzung anderer, sondern nutzen Medien selbst, indem sie am Computer spielen. Das Spielen am Computer wertet Tf601 ab, indem sie ergänzt »und sonscht (.) die Sachen« – sonscht die Sachen drückt eine abwertende Distanz aus, verweist aber auch auf Spielkonsolen und unterstellt Kindern damit, dass sie in einem Computer nicht mehr erkennen als eine Spielkonsole. An die Feststellung, dass Kinder am Computer spielen, knüpft Tf601 ihr Argument, in dem sie klärt: »deswegen glaub ich ist es echt wichtig dass wir auch schon Medienbildung betreiben…« Sie sagt auch schon und verweist so darauf, dass es früh ist, in der Grundschule damit zu beginnen; die Entwicklungen – die Konfrontation mit Medien im Alltag, das Spielen am Computer – machen es aber notwendig. Mit der Formulierung Medienbildung betreiben wirft Tf601 einen Orientierungsgehalt bzgl. Bildung auf: Da die Lehrer*innen diese betreiben, geht es hier nicht um Bildungsprozesse, die von Kindern ausgehen, in denen sie sich mit Welt auseinandersetzen und ein Verhältnis zu sich selbst und Welt entwickeln, sondern um etwas, was von den Lehrer*innen ausgeht, um das sie sich bemühen, worauf sie hinarbeiten, das sie ausüben – möglich ist laut Duden aber auch die Bedeutung führen bzw. etwas unterhalten. Tf601 erläutert ihr Verständnis von Medienbildung, deren Ziel sie in der Eingrenzung der Nutzung digitaler Medien sieht, aber auch darin den Kindern vorzugeben, was sie mit digitalen Medien machen, da diese sie nur zum Spielen nutzen. Sie betont, dass nicht einfach etwas vorgegeben werden soll, sondern nur n bisschen; genauso soll die Mediennutzung nicht einfach eingegrenzt werden, sondern »einfach auch n biss-
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chen…« Es geht also nicht um eine vollständige Eingrenzung und damit um ein Verbot jeglicher Mediennutzung oder darum, vollkommen darüber zu bestimmen, wie Kinder Medien nutzen. Abgegrenzt wird sich damit von einer autoritären Erziehung, die nicht zu der gesellschaftlichen Erwartung passt, dass Medienpädagogik in der Schule zu einer kritischen, kreativen, selbstbestimmten und sozial verantwortlichen Mediennutzung führt. (Vgl. Kammerl & Ostermann 2010, S. 8) Verwiesen wird auf das ambivalente Bild des kompetenten Kindes: Ziel ist kein gehorchendes Kind, sondern vielmehr ein Kind, das von sich aus tut, was es tun soll, um Erwachsene von ihrer Verantwortung zu befreien. Als Begründung dafür, dass Kinder in der Grundschule beginnen sollen, das Recherchieren im Internet zu lernen, dient in der Sequenz Dass sie da schon ne Grundlage haben erneut die Vorbereitung auf die weiterführende Schule: Sequenz Dass sie da schon ne Grundlage haben (GD6 nach OEP Passage Medien in der Grundschule Zeile 244-257) Tf302: aber ich find s schon wichtig dass sie in der Schule (.) auch in der Grundschule anfangen mitzulernen wie man recherchiert auf den Seiten; Tf301: Mhm Tf302: also ich hab gemerkt in meiner vierten Klasse Blinde Kuh als Suchmaschine kannten die gar nich, was ich eigentlich ne sehr gute Variante finde für Kinder weil einfach bestimmte Dinge rausgefiltert sind die f- (.) die Kinder nicht finden sollten und ähm wenn man sich dann überlegt dass an den weiterführenden Schulen so oft gesagt wird recherchiert das sucht euch das raus äh, bringt mal das mit oder jenes mit dass sie da schon ne Grundlage ham und man dann die Kinder nicht reinschickt und sie müssen zu Hause erstmal mit ihren Eltern herausfinden, wo finde ich denn was im Computer; Tf301: Mhm Tf302 präsentiert die Vermittlung von Informationskompetenzen als notwendig zur Vorbereitung auf die weiterführende Schule, in der »so oft gesagt wird recherchiert das sucht euch das raus äh, bringt mal das mit oder jenes mit…« Die Aufzählung zeigt, dass das Recherchieren – auch in der weiterführenden Schule – als ein gelenktes verstanden wird, indem es klare Hinweise auf das gibt, was gefunden werden soll, die Lösung also vorgegeben ist und nichts Neues entdeckt werden soll – möglicherweise für Kinder Ungeeignetes, worauf auch der Hinweis auf die Kindersuchmaschine Blinde Kuh verweist, mit der »einfach bestimmte Dinge rausgefiltert sind die f- (.) die Kinder nicht finden sollten…« Damit geht es also nicht um ein Recherchieren, das laut Duden etwas herausfinden, etwas aufdecken oder erforschen meint, sondern darum gelenkt durch ein hoffnungsvollerweise von einer Kindersuchmaschine abgesichertes Internet zu navigieren. Kindern und Eltern wird dies nicht zugetraut, bzw. kann sich hier nicht auf Eltern verlassen werden, weil sie mit ihren Kindern erst einmal »herausfinden [müssen], wo finde ich denn was im Computer«, was vor allem auch die Gefahr birgt, dass sie genau auf die Dinge stoßen, die nicht für Kinder geeignet sind. Hier kommen digitale Medien als Quelle von Wissen vor, dennoch soll das für das Kind geeignete Wissen ausschließlich von der Lehrkraft kommen. Selbst Eltern werden aufgrund des Wissens
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bzw. der Inhalte, die sie Kindern zugänglich machen, als problematisch beschrieben. Entsprechend können Lehrer*innen auch im Internet nur Zugang zu Wissensräumen akzeptieren, von denen sie annehmen, dass sie kontrolliert und abgegrenzt von ungeeigneten Inhalten sind. Kinder sollen nicht ohne Grundlage in die weiterführende Schule geschickt werden: das Wort Schicken hat laut Duden unter anderem die Bedeutung zu veranlassen, dass etwas zu jemandem gelangt, an einen bestimmten Ort gebracht oder befördert wird. Lehrer*innen entwickeln demnach Kinder, geben ihren Weg vor, geben ihnen mit, was sie brauchen, um weitergeschickt werden zu können.
Normativer Gehalt: durch Medienschulung dosieren und regulieren In der Sequenz Medienschulung wird angedeutet, dass Kinder behutsam an digitale Medien rangeführt werden müssen. Sie müssen in der Vorstellung der Student*innen in ihrem Umgang mit Medien geschult werden, da sie davon ausgehen, dass Messenger wie WhatsApp und Facebook bereits von Achtjährigen genutzt werden. Anwendungen, die für die Medienschulung im Unterricht genutzt werden sollen, werden auf Lernspiele reduziert: Es geht also nicht darum, Kinder über WhatsApp und Facebook aufzuklären. Vielmehr soll erreicht werden, dass in Kindern keine falschen Vorstellungen geweckt werden; vor allem sollen sie keine falschen Gefühle zu digitalen Medien entwickeln: Sequenz Medienschulung (GD3 vor OEP Passage Medienbildung Zeile 1-25) I: Noch eine Sache die ich gehört habe äh:m Umgang mit neuen Medien (2) ist, sollte schon früh stattfinden ich glaub das haben Sie gesagt Tm201: Mhm I: ist aber auch problematisch; (.) Tm201: Nee ich meinte halt das einfach im im Bezug darauf dass halt manche Kinder dann denken irgendwie wenn man halt (2) keine Ahnung jetzt im Unterricht °jetzt fehlt das° Beispiel irgendwie (.) ja Sachen mit dem mit m iPad macht oder so (.) dass die Kinder dann halt irgendwie mmh (.) das Gefühl bekommen dass das normal is dass man s- (.) also dass man was am iPad macht ist auch normal, nur dass sie dann irgendwie denken dass der übermäßige iPad- die übermäßige iPadBenutzung wäre dann irgendwie (.) alltäg- also wie sag ich s jetzt am besten (2) ((klopft mit der leeren Wasserflasche gegen den Tisch)) dass sie denken immer am iPad zu hängen wär auch wär gut (.) weil man da ja was lernt auch wenn se dann nicht irgendwie in dem Lernprogramm oder was auch immer es dann gibt (.) da tätig sind; aber also man muss halt mit nem gewissen Maße die Neuen Medien benutzen, find ich und die Kinder behutsam (.) ranführen (.) dass die halt auch einfach wissen wie man damit umgeht; (.) und vor allem jetzt in Zeiten der (2) WhatsApp-Nutzung und Facebook-Nutzung von Achtjährigen (2) dass da halt dann irgendwie mal so n bisschen Medienschulung stattfindet; was man machen sollte und was nicht; (2) Tf202: Vor allem Tm202: Da @(.)@
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Tf202: was die Sicherheit angeht find ich. Tm201: Ja ja eben. In der Beschreibung von Tm201 fällt auf, dass er sagt, »dass die Kinder dann halt irgendwie mmh (.) das Gefühl bekommen dass das normal is dass man s- (.)« und nicht, dass die Kinder dann denken, dass das normal ist. Es dokumentiert sich ein behavioristisches Verständnis davon, wie Kinder Einstellungen und Haltungen zu etwas entwickeln: Sie entwickeln ein Gefühl zu den Dingen, indem ihnen diese wiederholt auf eine bestimmte Art und Weise präsentiert werden. Er bricht den Satz ab, um nachzusetzen – und zu vermeiden, dass er als Gegner eines Medieneinsatzes in der Grundschule missverstanden wird –, dass das ja eigentlich auch normal ist, dass man was am iPad macht, er aber einen bestimmten Umgang mit dem iPad nicht gutheißt: Kinder sollen das iPad nicht übermäßig nutzen. Hängen als bildhafter Ausdruck im Sinne von in den Seilen hängen, schlaff und nicht engagiert sein fasst zudem die Ablehnung einer von Kindern selbstbestimmten Nutzung von iPads. Als akzeptabel für den Unterricht werden ausschließlich Lernprogramme genannt. Im Zusammenhang mit Lernprogrammen spricht Tm201 dann von tätig sein, was darauf hinweist, dass er davon ausgeht, dass die Nutzung von Lernprogrammen aktiv ist und damit das Gegenteil von »immer am iPad zu hängen…« Indem darauf hingewiesen wird, dass die Gefahr besteht, dass Kinder denken – hier denken Kinder vermutlich, weil es im weiteren Text um Lernen geht –, »immer am iPad zu hängen wär auch wär gut (.) weil man da ja was lernt auch wenn se dann nicht irgendwie in dem Lernprogramm oder was auch immer es dann gibt (.) da tätig sind«, wird unterstellt, dass Kinder mit dem iPad nichts lernen wollen, und eine alltägliche Nutzung von iPads in der Schule die Gefahr birgt, dass Kinder ihr Abhängen am iPad darüber legitimieren. Tf102 präsentiert in der Sequenz Kuck mal wie gefährlich das ist, dass es in der Vermittlung in Bezug auf digitale Medien in der Grundschule vor allem um die Aufklärung über Gefahren gehen sollte, da Peers – oder Eltern wie Tf103 validierend ergänzt –dafür sorgen, dass digitale Medien bzw. Tablets cool gefunden werden: Sequenz Kuck mal wie gefährlich das ist (GD1 vor OEP Passage Medienerziehung in Familie und Schule Zeile 632-647) Tf102: Nein das hab ich nich gesagt; Computerunterricht und so mal erste Internetseiten zeigen is okay aber nich mit TabTf104: Okay; dann habe ich s Tf102: Tablets arbeiten lassen und nicht Apps zeigen oder irgendwie sondern den Kindern das zu erklären und so das find ich schon wichtig das könnte auch, also wird genugend Stoff genü- °genügend Stoff° @(.)@ für n eigenes Unterrichtsfach bieten Tf103: Ja, auf jeden Fall. Tf102: aber nicht auf diese kuck mal wie cool das ist (.) sondern kuck mal wie gefährlich das ist; (.) so würd ich das sehen weil, das es dass es cool ist das wissen sie alle; das ham sie ja von den Nachbarkindern und Freundinnen mitgekriegt Tf103: Oder Eltern.
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Tf102: Oder Eltern; aber wie gefährlich das ist das wissen viele bestimmt nicht; und das finde ich sollt man in der Grundschule (2) °ansetzen° @(.)@ so; @(.)@ (.) Tf102 klammert zunächst Tablets aus – »Computerunterricht und so mal erste Internetseiten zeigen is okay aber nicht mit Tab-…« Die Unterbrechung durch Tf104 führt jedoch dazu, dass Tf102 einlenkt und Tablets zulässt, wenn an ihnen gearbeitet wird – also nicht gespielt –, »und nicht Apps zeigen oder irgendwie den Kindern das so erklären und so das find ich schon wichtig das könnte auch, also wird genugend Stoff genu°genügend Stoff° @(.)@ für n eigenes Unterrichtsfach bieten«, was Tf103 bestätigt. Das ist in sich widersprüchlich, da Tablets nur mit Apps funktionieren; Apps werden damit nicht als Anwendungsprogramme eingeordnet, sondern als die problematischen Inhalte, die es gilt aus dem Unterricht rauszuhalten. Der Verweis, dass es einen Computerunterricht geben soll und der Stoff für ein eigenes Unterrichtsfach reicht, markiert den positiven Horizont, in dem Medienerziehung umgesetzt werden kann: nicht als Querschnittsaufgabe in allen Fächern, sondern vielmehr als Spezialgebiet, das von anderen Lernfeldern abzugrenzen ist, wobei es keine konkreten Vorstellungen davon gibt, was in so einem Unterricht stattfinden könnte, außer »mal erste Internetseiten zeigen…« Entsprechend geht es weniger um einen Unterricht, in dem digitale Medien, ihre Bedeutung und Nutzung zum Inhalt werden, sondern darum, dass Lehrer*innen Regeln aufstellen und vermitteln, von denen ausgehend sich ein Kind schließlich im Umgang mit digitalen Medien selbst schützen kann, wie auch die Sequenz Ne gewisse Medienkompetenz deutlich macht: Sequenz Ne gewisse Medienkompetenz (GD10 ISP Passage Medienbildung in der Grundschule Zeile 43-67) Tf603: Also dadurch bei uns ist auch so dass in Erzählkreisen also montags kommt jedes Mal ja am Wochenende hab ich Zocken dürfen oder so (.) °auf der PS4 keine Ahnung°; ((Räuspern anderer TNin im Hintergrund)) (.) ähm von daher is schon wichtig dass man den Kindern auch (.) ne gewisse Medienkompetenz beibringt finde ich (.) aber auch so wie du gesagt hascht also dass man auch guckt dass die Medien eingegrenzt werden im eben nich so Spiele ab 18 und so gespielt werden, (.) sondern ähm (.) ja dass eher die Medien darstellt als etwas, °wie du gesagt hast zur Informations- suche oder so also;° (.) ähm Tf604: Und auf der anderen Seite machen wir den Schülern ja immer irgendwelche Schutzsachen sie sollen sich ä:h in LOS gehen wir mit ihnen durch dass sie sich vor der Sonne schützen sollen in anderen (…) macht irgendwelche anderen Aufklärungssachen und bei den Medien wenn sie da immer freien Zugang haben müssten wir eigentlich auch (.) sagen wir machen jetzt so Schutzsachen weil sie kommen einfach (.) ähm (2) genau das das will ich ja auch mit Viertklässlern ähm (.) geredet da ham wir n bisschen YouTube geredet und was die sich da für Filme reinziehen das war teilweise wirklich (5) @(.)@ @einfach pornografisch@ und in der vierten Klasse, dann n regelmäßigen Konsu- und ich find da und auch gewalttätige Filme die die sich da angucken; und da ham find ich wir schon auch ne ähm (.) müssen wir einfach denen auch nen gewissen Schutz und nen Wissen mitgeben; dass eben nich alles äh (.) so toll is wenn man da so n freien Zugriff haben, ich glaub sie kön-
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nen auch nen Schaden davontragen wenn sie sich in n nem gewissen Alter schon (.) irgendwelche Sachen ähm reinziehen; Tf603 beschreibt, dass die Kinder an der Schule, an der sie ihr ISP macht, montags im Erzählkreis jedes Mal davon erzählen, dass sie »Zocken dürfen oder so (.) °auf der PS4 keine Ahnung°…« Statt von Zocken am Computer spricht Tf603 von Zocken auf der PS4. Sie tut dies leise und fügt der PS4 noch keine Ahnung hinzu, als könne es auch ein anderes Gerät sein. Offenbar ordnet sie eine Spielkonsole nicht als Computer ein und ist sich unsicher, ob ihr Beispiel als Bestätigung der in der Gruppendiskussion zuvor gemachten Aussage taugt, dass Kinder am Computer ausschließlich spielen. Sie argumentiert dann, dass sie es aufgrund des Zockens schon wichtig findet, dass Kindern eine gewisse Medienkompetenz beigebracht wird, um daran anzuschließen, dass die Begrenzung der Spiele entscheidend ist – hier spricht sie konkret von einer Begrenzung im Sinne eines Verbots nicht altersgerechter Spiele – und die Nutzung des Computers für die Informationssuche. Dabei wendet sie sich zweimal an Tf602, die in einer vorangegangenen Sequenz beschrieben hat, dass Kinder unbegrenzt am Computer spielen und sich auch nur dafür interessieren (vgl. Abschnitt 8.2.4, Sequenz Sie interessieren sich nur für Spiele, Zeile 27-37), um deutlich zu machen, dass sie dieser Einordnung zustimmt: »so wie du gesagt hast…« Die Formulierung »daher is schon wichtig dass man den Kindern auch (.) ne gewisse Medienkompetenz beibringt« deutet durch das Adverb schon an, dass es zwar wichtig ist, aber deshalb nicht ohne Probleme bzw. unbedingt umsetzbar. Tf603 führt den Begriff der Medienkompetenz ein, die man den Kindern beibringt. Die Verantwortung wird auf die Kinder übertragen: Es geht darum, dass sie medienkompetent handeln. Dennoch wird die Medienkompetenz beigebracht und zwar von man, womit eine Distanzierung vermittelt wird und nicht klar wird, ob Tf603 sich selbst in der Rolle bzw. Lage sieht, Medienkompetenz beizubringen. Tf604 argumentiert, dass es dazu gehört, dass Grundschüler*innen vermittelt wird, wie sie sich selbst schützen können, entsprechend passt es für sie, dass ihnen auch vermittelt wird, wie sie sich vor Medien schützen können. Als Beispiel dafür, wie Schüler*innen in anderen Kontexten vermittelt wird, wie sie sich selbst schützen können, nennt sie den Schutz vor der Sonne. Mit diesem Vergleich werden Medien als etwas nicht Gestaltbares, als unveränderbar und in ihrer Erscheinung naturgegeben dargestellt, gegen die sich abgeschirmt werden muss, bzw. zu denen es keinen unbegrenzten Zugang geben darf. Die Formulierung, das gehen wir mit ihnen durch, verweist darauf, dass es Anleitungen dazu gibt, wie sich geschützt werden kann, die von der Lehrkraft vermittelt werden. Erwachsene schützen das Kind also nicht direkt, sondern zeigen ihm, wie es sich selbst schützen kann. Neben der Sonne erwähnt Tf604 »irgendwelche anderen Aufklärungssachen«; die Verwendung des Begriffs Aufklärung deutet darauf hin, dass Lehrer*innen in der Lage sind, Kinder aufzuklären, ihnen also Aufschluss über Zusammenhänge zu geben, ihnen die Welt zu erklären. Vorausgesetzt wird, dass sie das entsprechende Wissen haben, und dass es möglich ist, Wissen an Kinder so heranzutragen, dass es von ihnen aufgenommen wird. Notwendig wird eine Aufklärung, wenn Kinder »da immer freien Zugang haben«, dann »müssten wir eigentlich auch (.) sagen wir machen jetzt so Schutzsachen«: Hier wird nicht eindeutig geklärt, ob eine Aufklärung grundsätzlich für
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alle notwendig ist oder nur für die Kinder, die von zu Hause aus immer freien Zugang haben. In der Sequenz Musik vom Tablet abspielen werden Medien vor allem als praktische Lehrwerkzeuge präsentiert: Sequenz Musik vom Tablet abspielen (GD2 nach OEP Passage Medieneinsatz im Unterricht Zeile 74-93) Tf104: Bei mir wurden vor allem auch in Musik Medien eingesetzt also das fand ich schon ganz geschickt (.) wie sich die Technik da entwickelt hat dass man eben nicht den CD Player nehmen muss sondern äh, der Musiklehrer hat dann (.) oft mit denen was am Xylophon oder eigentlich meistens was am Xylophon eingeübt und das war dann meistens irgend n (2) irgend ne Komposition von Mozart oder so die er dann noch von seinem Tablet halt abspielen lassen hat oder von seinem Smartphone und das angeschlossen hat an die Boxen; und äh das war schon ganz cool weil wenn die Kinder dann irgendwie noch nen Einfall hatten ((verstellt die Stimme, spricht etwas höher)) das hört sich ja an wie des und des ((Veränderung der Stimme Ende)) falls sie was gehört ham das hört sich an wie Schwanensee dann konnte der das da kurz auch abspielen lassen und konnte dann die Kinder vergleichen lassen waru:m das jetzt nicht des isch (.) da fand ich dann die Technik eigentlich schon g- °gut° echt gut Tf102:Ich find s auch� auch gut so lang s die Lehrer nutzen Tf103: Ja Tf102: und nicht übermäßig einsetzen Tf104: genau die Lehrer ja Tf102: ist das gut aber wenn die Ki- also (2) die Kinder selber zu viel machen lassen (.) lenkt die glaub auch ziemlich ab; also was ich (…) Dass statt von Medien zweimal von Technik gesprochen wird, betont ihre Funktion als Lehrwerkzeug, das die Lehre erleichtert, aber auch, dass Medien nicht nur von Lehrkräften kontrolliert, sondern Schüler*innen digitale Medien im Unterricht nicht selbstständig bzw. aktiv nutzen sollten. Digitale Medien werden als etwas präsentiert, das zu einem Kontrollverlust im Unterricht führen kann. Die Lehrkraft verliert die Kontrolle über den Unterricht, wenn sie zu häufig Medien einsetzt, die dann die Kontrolle übernehmen. Tf102 merkt an, dass Kinder das ziemlich ablenkt, wenn man sie »selber zu viel machen« lässt: Digitale Medien sollten also auch deshalb nicht von Schüler*innen im Unterricht genutzt werden, weil sie sie davon abhalten, Dinge selbst zu tun. Wurden in der Schulpraxis Erfahrungen mit digitalen Medien gemacht, wird deren Nutzung im Unterricht zwar nicht pauschal abgewehrt, jedoch auf Funktionen reduziert, die analoge Medien auch bieten. So gelingt die Einbettung in ein Professionalisierungskonzept, das von einem Frontalunterricht ausgeht, in dem Wissen von Lehrer*innen an Schüler*innen herangetragen wird. Ansonsten gelten sie als bedrohlich, weil sie im privaten Kontext – wie Computer generell – vor allem einen Zugang zu digitalen Spielen bieten.
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Normativer Gehalt: mit digitalen Medien motivieren und belohnen Wurden Erfahrungen mit interaktiven Whiteboards gemacht, wird auch deren Nutzung nicht abgewehrt, aber auf Funktionen reduziert, die analoge Tafeln auch bieten: So wird das Whiteboard als Bereicherung für den Unterricht präsentiert, wenn es keine Veränderungen von Unterrichtsmethoden erfordert, wenn sich das Whiteboard in den bestehenden Unterricht, in bestehende Methoden einbinden lässt. Digitale Medien sind demnach eine Bereicherung, wenn sie bewährte Methoden und damit eine lehrerzentrierte Wissensvermittlung stützen. In der folgenden Sequenz wird eine mögliche Verwendung des Whiteboards im Unterricht beschrieben, die sich nicht von der Verwendung einer Kreidetafel unterscheidet – analoge Unterrichtsmethoden werden hier eins zu eins ins Digitale übertragen: Sequenz Das hat denen so wahnsinnig viel Spaß gemacht (GD4 nach OEP Passage Medien im Unterricht Zeile 169-186) Tf202: Also ich fand s Whiteboard ne Erleichterung und eine Bereicherung; also ich fand s richtig gut Tm201: °Mhm° Tm202: Also ich muss echt fragen was genau is n das (.) ich weiß das gar nicht Tf202: Das Whiteboard also das ist (.) innen drin das ist sozusagen außen is ne normale j- ja Tafel ist es nich aber du schreibst da mit so Folienstifte, und dann kannst s aufmachen und dann is inne drin so Touch also du kannst dann da irgendwelche Sachen also zum Beispiel wir ham auch Reime gemacht da gab s dann auch Bilder zum Beispiel Va:se Hase und dann durften die das mit ihren Händen oder dem Stift zuordnen und Tm202: Mhm Tf202: das hat denen so wahnsinnig viel Spa:ß gemacht und die hatten dann nen Anreiz und Tm201: Mhm Tf202: ((Stimme geht nach oben)) oh das war der Wahnsinn also ich fand s richtig gut; oder halt Filme oder sonst irgendwas du kannst das halt so vielseitig vielfältig nutzen Tm202 fragt nach, was ein interaktives Whiteboard genau ist; Tf202 beschreibt es, indem sie es mit einer Kreidetafel vergleicht: Tf202 beschreibt damit einen möglichen Einsatz des Whiteboards im Unterricht, der dem Einsatz einer Kreidetafel gleicht. Den Unterschied, den Tf202 ausmachen kann, ist die Verwendung von Folienstiften statt Kreide, und dass es ein Touchpad gibt, mit dem Bilder aufgerufen werden können, die sonst mit Karten an der Tafel präsentiert werden. Tf202 betont die Aktivität der Kinder, die mit Händen oder mit dem Stift am Whiteboard Begriffe Bildern zuordnen können und den Reiz, den das Whiteboard für Kinder hat, bzw. dass es den Kindern Spaß macht, sie motiviert. Gleichzeitig präsentiert sie den Einsatz des Whiteboards als den traditionellen, instruktiven Unterricht nicht bedrohend: Es wird nach wie vor Wissen präsentiert, das die Kinder aufnehmen und nach Vorgabe verknüpfen und sortieren können. Weitere Möglichkeiten ein Whiteboard im
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Unterricht zu nutzen kann sie nicht näher beschreiben; für sie steht vor allem das Kind im Zentrum, das Spaß hat und motiviert ist, aktiv am Unterricht teilzunehmen. Der Einsatz digitaler Medien als Motivation und Belohnung wird aber auch problematisiert, indem digitale Medien präsentiert werden wie verführerische Süßigkeiten; Medien müssen daher in der Vorstellung der Student*innen dosiert bzw. in Maßen zugeteilt werden, wie die Sequenz Das zieht ja auch deutlich macht: Sequenz Das zieht ja auch (GD2 nach OEP Passage Medieneinsatz im Unterricht Zeile 43-48) Tf102: Ich denk auch dass so n gewisser Anteil okay isch bei uns war s zum Beispiel einmal so dass der Lehrer (.) en Film, ein kurzen Film von zehn Minuten oder so gezeigt hat und dann aber (.) da- die (.) der Fokus war dann nicht auf diesem Film, sondern ähm auf der Arbeit quasi mit den Informationen aus m Film; und das finde ich dann schon auch das macht denen ja auch (.) also das zieht ja schon wenn man das ab und zu macht; Tf102 sagt, »dass so n gewisser Anteil okay isch«, und stellt damit heraus, dass es ihr nicht um eine Auseinandersetzung mit Medien geht, die okay ist, sondern der Fokus liegt »auf der Arbeit quasi mit den Informationen aus m Film…« Obwohl sie auf die Informationen aus dem Film verweist, mit denen gearbeitet wurde, betrachtet sie den Film nicht in seiner Funktion als Vermittler von Informationen oder gar als einen Informationsträger, der Informationen im Vergleich zu anderen Informationsträgern auf eine bestimmte Art und Weise darstellt, sondern als Motivationsmittel. Sie stellt Medien weder als Lerngegenstände noch als Lernwerkzeuge dar, sondern als motivierend und belohnend, die wie Süßigkeiten ziehen. Dabei ist darauf zu achten, dass sie nur ab und zu eingesetzt werden; offensichtlich wird befürchtet, dass sie nicht mehr ziehen, sich ihre belohnende Wirkung abnutzt, wenn sie dauernd eingesetzt werden und sich Kinder daran gewöhnen. In der Sequenz Dann strenge ich mich jetzt lieber mal an werden digitale Medien − hier explizit das interaktive Whiteboard und Tablets − ebenfalls als Kinder motivierend und mögliche Belohnung präsentiert, wobei herausgestellt wird, dass etwas ganz Bestimmtes belohnt werden soll, nämlich ein Unterricht, in dem der Stoff von den Schüler*innen schnell durchgearbeitet wird: Sequenz Dann strenge ich mich jetzt lieber mal an (GD4 nach OEP Passage Medien im Unterricht Zeile 103-118) Tm201: Ich find s halt für die Kinder (.) es ist immer so n Anreiz dann da irgendwie was zu machen; hab ich da- zumindest des Gefühl ich konnt s jetzt nicht erleben wie s is wenn sie bei einem Kind wenn sie wir machen arbeiten jetzt mit dem Whiteboard dass sie sich dann freuen oder so; aber ich kann mir schon vorstellen dass es dann irgendwie wenn man am Anfang der Stunde sagt ja wenn wir schnell durchkommen heute dann können wir später noch ne Übung irgendwie mit m Whiteboard machen oder mit m iPad oder was es dann halt di- in der jeweiligen Schule gibt dass es n Anreiz für die Kinder is weil sie das ja schon gerne machen
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Tf202: Ja Tm201: denke ich °oder ja° dass sie ((Baulärm beginnt)) dann halt einfach sagen ja cool (.) dann strenge ich mich jetzt lieber mal an weil dann kann ich später noch keine Ahnung fünf Minuten am iPad rumdaddeln oder so (2) und deswegen also es is kein Muss aber ich find s halt schon so n netten Anreiz für die Kinder also man man muss ja auch keine Filme zeigen oder so… Tm201 bringt zum Ausdruck, dass Kinder schnell arbeiten sollen und es möglich ist, sie mit der Nutzung digitaler Medien dafür zu belohnen, dass sie dem Unterricht gut folgen. Tf202 unterbricht Tm201 mit einer Validierung, bevor er die Belohnung näher beschreibt, die er sich vorstellen kann: »fünf Minuten am iPad rumdaddeln oder so…« Damit stellt er heraus, dass es nicht um einen Einsatz von digitalen Medien im Unterricht geht, sondern um eine belohnende Pause, was durch den Hinweis bestärkt wird, dass es damit auch nicht notwendig ist, Filme zu zeigen, die möglicherweise zu viel Zeit in Anspruch nehmen, die eigentlich für den Unterricht gebraucht wird. Die Verwendung des Verbs rumdaddeln deutet auf eine Abwertung des Spielens am Tablet hin, womit die Belohnung mit digitalen Medien als Gratwanderung erscheint; ständig droht die Gefahr, dass sie Kinder zu sehr vereinnahmen und ablenken. Hierin dokumentiert sich auch die Wahrnehmung einer Konkurrenz zwischen digitalen Medien und Lehrkraft, wobei sich die Schüler*innen auf letztere konzentrieren sollen, weil sie ihnen das Wissen vermittelt, das sie brauchen. Als dienlich werden digitale Medien nur dann eingeordnet, wenn es darum geht, ein Kind zu belohnen, das den Unterricht so ermöglicht, wie die Lehrkraft es sich vorstellt. In der Sequenz Die halt schnell waren beim Arbeiten wird deutlich, dass ein erfolgreicher Unterricht offensichtlich beinhaltet, weiterzukommen bzw. den für den Unterricht geplanten Stoff durchzubekommen: Sequenz Die halt schnell waren beim Arbeiten (GD6 nach OEP Passage Medien in der Grundschule Zeile 201-211) Tf301: dann gab s ähm an Medien ähm das war neu das gab s vor zehn Jahren noch nicht dass in jedem Raum tatsächlich ein Computer stand hinten aber der aus war aber wenn mal was in meiner Zeit kam er nich zum Einsatz aber wenn mal was sein sollte hätten die Kinder da glaub ich auch mal recherchieren dürfen und so n bisschen auch gelernt wie da so der Umgang damit ist, und klar n CD-Player mit Radioanschluss und so gab s auch in jedem Raum äh:m (.) ja und dann gab s halt ne Ausstattung an ner eigenen Kinderbibliothek und Lernspiele und und und; was ne auch, wenn für Schüler halt, was Schüler sehr viel genutzt haben die halt schnell waren beim Arbeiten sind dann nach hinten gegangen und ham auf m Teppich dann so Spiele Lernspiele halt gespielt. Es werden eine Kinderbibliothek und Lernspiele genannt, mit denen Kinder belohnt werden können, wobei die Belohnungsfunktion verdeutlicht wird, indem erwähnt wird, dass es sich um Spiele handelt, die die Kinder auf einem Teppich spielen. Sie sitzen also nicht mehr an ihren Tischen und folgen dem Unterricht. Dass die Schüler*innen zum Spielen »dann nach hinten gegangen« sind, sie also das Unterrichtsgeschehen verlassen, betont wieder worum es vor allem geht: Störungen vermeiden, einen reibungslosen Unterrichtsablauf garantieren, Zeit sinnvoll nutzen und weiterkommen.
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Kinderbibliotheken im Klassenraum bzw. Ecken, die vom Klassenraum abgetrennt und u.a. mit Sofas ausgestattet wurden, erschließen sich auch in ihrer Bedeutung im Kontext ihrer Geschichte: Neben einer Belohnungsfunktion, einer Rhythmisierung von Arbeit und Lernen, Ritualen, Pausen und Bewegungszeiten, die sie heute mit ermöglichen sollen, waren sie bereits Mitte der 80er Jahre Teil von offenen Unterrichtskonzepten und der Beginn der Idee offener Lernlandschaften, die ein selbstbestimmtes und selbstorganisiertes Lernen ermöglichen soll(t)en, in denen der*die Lehrer*in zum Coach bzw. zum*zur Lernbegleiter*in wird, während das Kind selbsttätig Kompetenzen entwickelt: Der Raum wird zum dritten Erzieher; manchmal auch zum ersten.5 Die Idee, Unterricht mit Hilfe von Medien zu rhythmisieren und ritualisieren, zeigt sich in der Sequenz Halt Musik als Rituale: Sequenz Halt Musik als Rituale (GD6 nach OEP Passage Medien in der Grundschule Zeile 103-121) Tf302: bei uns hieß es nämlich Polylux @(.)@ Tf301: @Okay@ @(.)@ Tf302: damit wurde auch sehr viel gearbeitet einfach nochmal Folien draufgelegt was die Lehrer noch so hatten wei:l wir nur einen Beamer an der Schule hatten mit äh einem Laptop und der war eigentlich immer irgendwo anders also da gab s im Lehrerzimmer eine Liste und die war grundsätzlich voll so dass man eigentlich sehr wenig Chancen hatte Tf301: Mhm Tf302: an den ranzukommen um das zu nutzen ähm wenn dann halt meistens um Filme abzuspielen oder kleine Sequenzen da wir ja jetzt auch keinen (.) doch ich glaube vielleicht an den Lehrer-PCs aber zumindestens kein W-LAN so dass man in jedem Klassenzimmer mal auch n Video v- aus m Internet hätte vorspielen können solche Geschichten; dafür hatten wir in jedem Raum nen Rekorder der, halt auch für Radio oder so mitgenutzt werden konnte den auch einige Lehrer ähm für CDs genommen haben um halt Musik als Rituale, anspielen zu können oder Lernlieder im englischen Bereich haben wir das dann halt genutzt damit die Kinder hö:ren und auch mitsingen konnten (.) und äh ansonsten halt so dieses Klassische die Bücher, und die @Kreide zum Schreiben;@ (.) was man halt so kennt; Das Zeigen von Filmen oder kleinen Sequenzen wird von Tf302 so präsentiert, dass deutlich wird, dass es nicht darum geht, Filme zum Inhalt zu machen, sondern diese in Ausnahmefällen zur Unterhaltung oder als Beiwerk zu präsentieren. Zudem beschreibt Tf302 die Klassenzimmer ihrer Praktikumsschule, in denen es einen Lehrer-PC ohne WLAN gab sowie CD- und Radiorekorder, die für Rituale und Lernlieder genutzt wurden. In der Art der Aufzählungen und Beschreibungen – besonders in der Weiterführung, in der Tf302 noch Bücher und Kreide zum Schreiben aufzählt – dokumentiert sich der Orientierungsgehalt, dass CD- und Radiorekorder bewährt sind, dazugehören, Unterricht ermöglichen, wie er sein soll: »um halt Musik als Rituale anspielen zu können oder Lernlieder im englischen Bereich haben wir das dann halt genutzt damit die 5
vgl. https://www.zukunftsraum-schule.de/pdf/information/raumgestaltung/ZRS %204 % 20Vortrag %20WULF.pdf vom 17.03.2019
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Kinder hö:ren und auch mitsingen können (.) und äh ansonsten halt so dieses Klassische die Bücher, und die @Kreide zum Schreiben;@ (.) was man halt so kennt;…« Die Lehrer*in führt vor – hier mit Hilfe von Medien –, das Kind hört zu, macht mit und nach, wiederholt. Die Musik ist nicht das eigentliche Ritual, sondern kündigt ein Ritual an bzw. begleitet es; die Kinder sind also darauf konditioniert zu tun, was die Musik ankündigt. Hierzu gibt es von Musikverlagen explizit Angebote für den Grundschulunterricht: Aufräummusik, Ferienlieder, Lieder zur Verabschiedung etc.6 Möglicherweise wird der Musik hier auch die Funktion zugeschrieben, die Kinder zu beruhigen: »Dieses Konzept reagiert auf die Beobachtung, daß Kinder ›heute schwieriger, unruhiger, differenzierter, rücksichtsloser, bedürftiger sind als vor 20 oder 30 Jahren’…« (Hiller 2004, S. 5) Demnach haben Konsum und Medien dazu geführt, dass sich Kinder nicht mehr konzentrieren und nicht aus eigener Initiative bzw. selbsttätig handeln. »Das ›Medium Kind‹ wird demzufolge als ein Ensemble von basalen Funktionen vorgestellt, die es mit Hilfe von speziellen Ritualen, Medien und Choreografien zu stimulieren, zu entwickeln und zu differenzieren gilt. Mängel sind zu kompensieren.« (Ebd.) Das Unwissen darüber, welche Medien es tatsächlich an der Schule gab, an der Tf302 ihr Praktikum gemacht hat, verweist auf die geringe Relevanz, die diese für die Vorstellung von Unterrichtspraxis haben: Tf302 weiß nicht, sondern glaubt, dass es keinen Beamer im Klassenzimmer gab, vielleicht nur an den Lehrer-PCs. Tf302 präsentiert das Arbeiten mit einem Overheadprojektor als praktisch und problemlos. Dazu passt die Forderung aus der Sequenz Raum mit Whiteboard, dass es Schulungen zur Nutzung digitaler Medien im Unterricht geben sollte: Sequenz Raum mit Whiteboard (GD6 nach OEP Passage Medien in der Grundschule Zeile 174200) Tf301: Ja ich find s hat zwei Sachen die also zwei Seiten dieser vielfältige Einsatz von Medien; einmal ganz klar die Gefahr entweder die Lehrer können nicht damit umgehen weil sie nicht genug Fortbildungen oder Seminare dazu hatten, ((holt Luft)) oder s einfach noch nich so oft gemacht ham, ode:r irgendwas bei der Technik hängt oder ja irgendn Fehler tritt halt auf; aber ich glaub auf der anderen Seite das is, auch echt ne Bereicherung sein kann; wenn man eben weiß wie man sie einsetzt und wozu; dass man die auch nich überbenutzt und ((verstellt die Stimme)) oh da n toller Effekt und da, ((verstellte Stimme Ende)) also das lernt man ja auch schon irgendwie bei Präsentationen mit ner PowerPoint was man alles machen kann aber was man vielleicht nicht machen sollte weil s sonst komplett vom Inhalt wegführt und vielleicht nur Zeit braucht anstatt wirklich sinnvoll voranzukommen, aber ich glaub wenn s da Schulungen gibt und man da nach und nach so: ähm eingegliedert wird man die auch in Zukunft glaube ich besser und sinnvoller nutzen kann und auch viel dazu beitragen können; ich glaub jetzt auch nich dass in der Grundschule auch nicht in zehn Jahren in jeder Klasse irgendwie nen Whiteboard braucht, wo man dann auch digital irgendwie drauf schreiben kann so
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Vgl. z.B. 17.03.2019.
www.lugert-verlag.de/2015/musik-cd-fuer-rituale-in-der-grundschule.html
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wie wir es am Gymnasium hatten, sondern ähm dass vielleicht auch reicht wenn -s in der Grundschule eine so nen Raum gibt wenn man mal etwas Besonderes machen will und irgendwelche Pfeile und Verbindungen die man vielleicht nicht so schön an der Tafel machen kann dann dazu diesen Raum nutzen kann; also wir hatten tatsächlich an der Grundschule einen Raum mit Whiteboard den ich aber nie gesehen hab und die Lehrerin hat auch (.) fast alles an der Tafel gemacht dann ja manchmal gab s halt Plakate oder aus Pa- oder To:nkarton oder wie heißt das heißt Tonpapier ja gebastelte Schilder oder Verbkarten oder was auch immer; Tf301 beschreibt die Mediennutzung an ihrer OEP-Schule, indem sie betont, dass es einen Raum mit einem interaktiven Whiteboard gab, »wo man dann auch digital irgendwie drauf schreiben kann«, die Lehrerin aber fast alles an der Tafel gemacht hat, ergänzt durch Plakate, Tonkarton und Verbkarten. Da das Whiteboard in einem extra Raum steht und offensichtlich nur eins an der Schule vorhanden ist, wird es einerseits so hervorgehoben bzw. exponiert, dass die Schule als fortschrittlich präsentiert werden kann: Wenn etwas nicht verwendet wird, geschieht dies demnach nicht, weil die Schule technikfeindlich ist, sondern weil sich bewusst dagegen entschieden wurde, weil es sich nicht eignet. Als Exponat in einem extra Raum ist es andererseits aber auch aus dem alltäglichen Handlungsfeld entfernt und kann so den gewohnten Unterricht nicht stören bzw. herausfordern. Tf301 beschreibt Medien nicht nur als störanfällig, aufwändig und voraussetzungsvoll in der Handhabung, sondern präsentiert sie auch als mögliche Bereicherung, »wenn man eben weiß wie man sie einsetzt und wozu;«. Dabei dürfen Medien aber nicht überbenutzt werden und vom eigentlichen Inhalt ablenken. Tf301 argumentiert: Mit Schulungen und »eingegliedert wird man die auch in Zukunft glaube ich besser und sinnvoller nutzen…« Dass bestimmte Medien (noch) nicht eingesetzt werden, wird damit legitimiert, dass noch nicht vermittelt wurde, wie es geht. Die Möglichkeit sich ein Medium selbst zu erschließen, wird nicht in Betracht gezogen. Mit der Forderung, dass Medien eingegliedert werden, wird erneut hervorgehoben, dass das Unterrichten sich nicht verändern soll, Bewährtes soll bereichert werden, aber nicht irritiert. Hervorgebracht wird dieser Orientierungsgehalt auch in der Formulierung sinnvoll nutzen. Für die Grundschule heißt das, so imaginiert Tf301, dass auch in zehn Jahren nicht jede Klasse »ein Whiteboard braucht« wie in einer weiterführenden Schule, sondern der Einsatz von Medien wird abgegrenzt, soll in einem speziellen Raum stattfinden, »wenn man mal etwas Besonderes machen will und irgendwelche Pfeile und Verbindungen die man vielleicht nicht so schön an der Tafel machen kann dann dazu diesen Raum nutzen kann…« In der Beschreibung der Tafelnutzung bzw. der Nutzung eines interaktiven Whiteboards dokumentiert sich die Aufgabe bzw. Rolle von Lehrer*innen: Sie präsentieren Wissen frontal, bereiten es auf, bieten es so dar, dass es von Schüler*innen aufgenommen werden kann; digitale Medien ermöglichen dabei eine ansprechende Gestaltung, bzw. dass etwas als besonders dargeboten werden kann. Sie haben damit vor allem Unterhaltungswert. Im folgenden Abschnitt werde ich die durch die normativen Gehalte beschriebene normative Subjektfigur in ihrem Verhältnis zum kollektiven Orientierungsrahmen präsentieren, womit ihre Funktion als Legitimationsfigur für die handlungsleitenden Ori-
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entierungen deutlich wird, die die Vorstellungen bzw. Konstruktionen der Student*innen in Bezug auf das Lernen mit, durch und über digitale Medien in der Grundschule strukturieren.
8.2
Relation normative Subjektfigur – kollektiver Orientierungsrahmen
Die Relation zwischen der normativen Subjektfigur und den handlungsleitenden Orientierungen zeichnet sich in allen Gruppendiskussionen vor allem dadurch aus, dass die normative Subjektfigur am Kind orientiert handeln die Funktion einer Legitimationsfigur für auf das zukünftige Handlungsfeld der Grundschullehramtsstudent*innen bezogene Praktiken erfüllt. Diese werden durch einen kollektiven Orientierungsrahmen strukturiert, den ich als über die Selbstpräsentation ›am Kind orientiert handeln‹ Individualisierung von Verantwortung und selektierende Praktiken legitimierend bezeichne: Demnach sollen sich Kinder selbst entfalten, aber im Sinne eines Entwicklungsmodells, das sich an Bedürfnissen ausrichtet, die ihnen zugeschrieben werden. Die Bedürfnisse, die Kindern in den Gruppendiskussionen zugeschrieben werden, sind offensichtlich Bedürfnisse, die die Student*innen aus der eigenen Kindheit erinnern, was sich vor allem an ihrer Einordnung heutiger Kinder als digital natives zeigt. Geimer folgend lässt sich das von mir aus den Gruppendiskussionen herausgearbeitete Verhältnis zwischen der normativen Subjektfigur und den handlungsleitenden Orientierungen als dissoziativ beschreiben. Es macht eine »Bildung als Prozess der Transformation von Selbst- und Weltverhältnissen unwahrscheinlich« (Geimer 2012, S. 236): Die normative Subjektfigur am Kind orientiert handeln ist nicht handlungsleitend, sondern legitimiert und verdeckt vielmehr selektierende Praktiken und die Individualisierung von Verantwortung, wie die folgende Darstellung der Konstruktionen zeigt, die durch den kollektiven Orientierungsrahmen hervorgebracht werden.
8.2.1
Konstruktion: digitale Medien
In der Rekonstruktion der die Kommunikation der Student*innen strukturierenden Orientierungen zeigt sich, dass die Student*innen das Lernen mit, durch und über digitale Medien auf die Aufgabe reduzieren, die Mediennutzung von Kindern zu dosieren und zu kontrollieren; die aktuelle Medienentwicklung und die entsprechende Nutzung digitaler Medien von Kindern werden dabei als nicht kontrollierbar eingeordnet, so dass die Aufgaben, die die Grundschullehramtsstudent*innen in Bezug auf digitale Medien sehen, nicht wahrgenommen werden können: Sequenz Dieser Grat is schwierig (GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 362-370) Tf509: Und ich find vor allem auch dieser Grat is schwierig Tf506:°Ja° Tf509: wie viel kann man und Tf502: Mhm Tf509: wie viel nich; und dass es heutzutage glaub ich immer (.) also Thema is das
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muss man akzeptieren; das is ja auch teilweise gut so dass es das alles gibt Tf502: Ja Tf509: aber wo: setzt man da so n bisschen die Grenze find ich Tf509 weist darauf hin, dass es nicht um eine Kritik an gesellschaftlichen Entwicklungen geht – vielmehr wirft sie den Gehalt auf, dass die Entwicklung nicht veränderbar ist und auch gute Seiten hat. Die Medienerziehung aber wird als schwieriger Grat bezeichnet und damit als Kante eines Bergrückens bzw. scharfe Kammlinie: Mit der Vorstellung digitale Medien für didaktische Zwecke im Unterricht einzusetzen, ist die Angst verbunden, Kontrolle über den Unterricht zu verlieren. Als geeignete Medien erscheinen vielmehr analoge Medien wie die Kreidetafel. Kriterium für die Akzeptanz von Medien ist, dass sie schnell parat und einsatzfähig sind; wenig Medien bzw. gewohnte Medien erscheinen nicht nur ausreichend, sondern übersichtlicher und praktischer, so dass auf digitale Medien verzichtet werden kann. Sequenz Wenn man selbst viel basteln kann (GD4 nach OEP Passage Medien im Unterricht Zeile 90-102) Tf201: Also ich persönlich finde, also klar mit diesem Whiteboard vielleicht noch aber an sich, haben die Kinder eh schon so viele neue Eindrücke deswegen bin ich der Meinung so Tafel und wenn man selbst viel basteln kann dass man selber s- mmit Knete das machen lässt oder n Seil am Boden legen lässt den Buchstaben, das solche Sachen wichtiger sind als jetzt Tm201: Ja Tf201: richtig neue Medien weil (.) ja wie gesagt des gibt s eh schon so viele Eindrücke und deswegen finde ich Ta:fel Overhead (.) also für mich würd s reichen weil ich halt dann sag dann mache ich wirklich mehr, ja selbst noch zusätzlich; aber ob ich jetzt den Kindern drei Filme am Tag zeige oder (2) w- was man mit nem Whiteweiß ich nicht ob das so ob das nötig is für das was sie lernen sollen. Tf201 argumentiert, dass ein interaktives Whiteboard eventuell passt, aber eigentlich nicht notwendig ist, da »Kinder eh schon so viele neue Eindrücke« haben, dass eine Tafel und Bastelmaterialien reichen. Sie verweist auf die Vorstellung, dass Kinder vor allem mit dem Körper lernen und begreifen: »dass man selber s- m- mit Knete das machen lässt oder n Seil am Boden legen lässt den Buchstaben, das solche Sachen wichtiger sind als jetzt…« Sie wird von Tm201 unterbrochen, der sie bestätigt, »richtig neue Medien weil (.) ja wie gesagt des gibt s eh schon so viele Eindrücke…« Die Wiederholung bestärkt die Einordnung von Medien als ein Zuviel an Eindrücken, was sich auch mit einer Reizüberflutung übersetzen lässt, womit Tf201 den medienbezogenen Orientierungsgehalt aufwirft, dass neue Medien für eine Reizüberflutung sorgen, die es auszugleichen gilt.
Orientierung: digitale Medien stören Unterricht Papier, Stift und Kreidetafel werden von den Student*innen als nach wie vor passende und zeitgemäße bzw. nicht zu ersetzende Medien für den Unterricht eingeordnet. Neue Techniken sind in den Unterricht miteinzubauen, Techniken bzw. Medien, die hier als Techniken verstanden werden, sollen sich in bestehende Unterrichtsmethoden ein-
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fügen und nichts verändern, ansonsten sind sie abzuwehren. Die Abwehr digitaler Medien wird nicht nur mit ihrer Störanfälligkeit legitimiert, sondern auch damit, dass sie unpraktisch sind: Sequenz Da geht wieder hier das Knöpfchen nich oder das funktioniert nich (GD6 nach OEP Passage Medien in der Grundschule Zeile 121-132) Tf302: […] wobei ich da auch glaub ich immer noch der Meinung bin das liegt ununter anderem mit daran ähm Whiteboards hatten wir jetzt nich Tf301: Mhm Tf302: dass man sagen kann dass sich die Lehrer damit auseinandersetzen mussten aber umso mehr Technik is, umso eher kann der Unterricht aufgrund der Technik gestört werden; da geht wieder hier das Knöpfchen nich oder das funktioniert nich und wir müssen uns wieder jemand Externen holen oder jemand anders fragen der da von Ahnung hat dass die Lehrer eher sagen wir nehmen das wo wir wissen das funktionie:rt; weil mit ner Tafel und ner Kreide kann das Schlimmste passieren man verschreibt sich nimmt nen Schwamm dann ist das Ganze wieder behoben; Während das interaktive Whiteboard, das in dieser Sequenz implizit mit der Kreidetafel verglichen wird, eine Tafel mit einer Technik ist, die den Unterricht stören kann, bietet die Kreidetafel ganz einfach und problemlos das, was in der Vorstellung der Student*innen zum Unterrichten gebraucht wird. Positive Effekte für Lernen, die dem interaktiven Whiteboard in der Literatur zugeschrieben werden u.a. kollaboratives und kooperatives Arbeiten an dokumentierten Inhalten, prozessuales Arbeiten bzw. Inhalte aktiv mit Schüler*innen teilen, aufgreifen, gestalten und weiterbearbeiten7 _sind nicht bekannt oder aber fordern Frontalunterricht und damit das Professionskonzept der Student*innen heraus, so dass sie nicht genannt werden. Mit der einfachen Handhabung einer Kreidetafel lässt sich zudem legitimieren, dass es nicht lohnt, sich mit anderen Techniken auseinanderzusetzen. Die Sequenz Ich hab s draußen so stehen sehen für Eventualitäten passt zu der in allen Gruppendiskussionen abgewehrten Aufgabe einer Auseinandersetzung mit Medien, zeigt aber eine etwas folgenreichere Ausprägung: Medien wie Film und Computer werden bewusst nicht genutzt, weil sie als nicht brauchbar für den Grundschulunterricht eingeordnet werden, während sie in den anderen Gruppendiskussionen u.a. als Belohnung oder Anreiz durchaus akzeptiert werden:
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So benennen Thomas Irion und Trudy Sweeney mit Verweis auf einen Modellversuch in England u.a. folgende Vorteile, die der Einsatz eines interaktiven Whiteboards im Unterricht mit sich bringen kann: »Lernpotenziale werden […] in der Motivationssteigerung, erhöhten Partizipationsmöglichkeiten, der Förderung kreativer Präsentationen der Schüler, dem tastaturunabhängigen Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) für Kinder und im erleichterten Zugang zu Unterrichtsressourcen gesehen, die es Lehrkräften ermöglichen, Unterrichtsmedien stärker auf verschiedene Lernstile abzustimmen.« (Irion & Sweeney 2010, S. 103f.)
8. Darstellung der Ergebnisse Sequenz Ich hab s draußen so stehen sehen für Eventualitäten (GD8 nach OEP Passage Medien im Unterricht Zeile 35-54)
Tf402: halt also jetzt so Medien im Sinne von (.) Film Computer Tf401: Mhm mhm Tf402: Tageslichtprojektor sowas wurde bei uns ga:r nicht Tf401: Mhm Tf402: also habe ich auch bei keiner Unterrichtsstunde wo ich besucht habe mitbekommen; auch nicht in der vierten Klasse oder so es war eigentlich fast immer die Tafel Tf401: @(.)@ Tf402: oder diese komischen alten Kartenständer wo man dann halt mal so riesige Plakate Tf401: Mhm Tf402: reingeklemmt die hatten wir auch; aber was anderes (.) hatten wir nicht obwohl s dagewesen wär aber das haben die nicht so benutzt Tf401: Also bei uns war auch die ne ganz normale Tafel kein Whiteboard; Tageslichtprojektor hat man bei uns gut benutzt (2) ähm ich hab gesehen die hatten auch n so n fahrbaren Fernseher Tf402: Mhm Tf401: irgendwie mit äh DVD aber das hat man nicht benutzt Tf402: Mhm Tf401: aber ich hab s draußen so stehen sehen also für Eventualitäten; Selbst ein Fernseher wird als nicht wirklich brauchbar für den Grundschulunterricht eingeordnet; nicht etwa weil er als überholt eingeordnet wird, sondern weil er nicht in den Alltag einer Grundschule bzw. die Vorstellungen von Grundschulunterricht passt. Das gilt nicht nur für den Schulanfang, sondern auch für den Unterricht in der vierten Klasse. Tf402 weist darauf hin, dass sie nicht nur in der ersten Klasse Unterricht besucht hat, um die Einordnung zu belegen, dass die Tafel das klassische Medium ist, mit dem an einer Grundschule durchweg unterrichtet wird und werden sollte. Klassisch meint laut Duden althergebracht, aber auch mustergültig, als Maßstab geltend. In der Gruppendiskussion GD7 werden darüber hinaus digitale Lernspiele abgelehnt, die in anderen Gruppendiskussionen als Motivation und Belohnung akzeptiert werden: selbst »wenn s Spiele sind die für Erstklässler konzipiert sind«. Sequenz Das sind halt Sachen die kann man ja auch so machen (GD7 vor OEP Passage Medien im Unterricht Zeile 10-32) Tf404: Also ich find s eigentlich schon wichtig dass man Medien irgendwie integriert aber (.) bei meinem Praktikum da sind wir jetzt in der ersten Klasse einfach dann an n Computer gegangen mit den Grundschülern die haben da irgendwelche Spiele gemacht aber a- also ich fand das irgendwie nich gut; ich bin da jetzt niemand der sagt irgendwie Medien sind schlecht aber (2) ich würd das irgendwie
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anders machen; ich weiß nicht wie (.) aber das find ich auch nicht den richtigen Ansatz; die dann einfach an den Computer zu setzen. Tf403: Hmhm; ((verneinend)) °das find ich auch nich so;° Tf404: Selbst wenn s Spiele sind die für Erstklässler konzipiert sind. Tf401: °Mhm° Tf403: °Oder° vielleicht eine Unterrichtsstunde in der Woche oder so was einlegen wo man einfach mal wirklich gerade an n Computer geht oder so; (3) aber sonst eher Tf401:Aber was macht man dann da? Tf403: Das weiß ich also ich hab °das auch noch nich (…)° Tf402:Wir hatten das auch nie� Tf404: Das waren so M- Mathespiele so Zählspiele aber Tf403:Mhm Tf404: das sind halt Sachen die kann man ja auch so machen also Tf403: Ja °(…)° Tf404: da könnte man auch n Spiel in der Klasse spielen; °also da braucht man nicht unbedingt halt nen Computer dazu;° Tf404 sagt, es ist »eigentlich schon wichtig dass man Medien irgendwie integriert«: eigentlich und schon relativieren aber dieses Argument bzw. weisen darauf hin, dass eine Enaktierung nicht für möglich gehalten wird; es gibt keine Vorstellung davon, wie die Integration der Medien aussehen könnte, worauf auch das Adverb irgendwie hinweist. Tf404 erzählt, dass in einem Praktikum, das sie gemacht hat, in der ersten Klasse »einfach dann an n Computer gegangen« wurde, »die haben da irgendwelche Spiele gemacht…« Die Formulierung irgendwelche Spiele deutet an, dass es sich um eine unüberlegte bzw. nicht vorab überlegte Auswahl von Spielen handelte, möglicherweise aber auch, dass Spiele am Computer an sich problematisch sind. Tf404 bewertet die Erfahrung als nicht gut, fügt dieser Bewertung aber hinzu, dass sie Medien nicht grundsätzlich schlecht findet, womit sie sich als Medien nicht grundsätzlich ablehnend präsentiert, was sich jedoch als eine Reaktion im Sinne einer sozialen Erwünschtheit lesen lässt. Generell sollte mit Kindern lieber nicht an den Computer gegangen werden; selbst eine Extrastunde einmal in der Woche wird als nicht notwendig eingeordnet, weil die Dinge, die mit einem Computer in der Grundschule gemacht werden können – wie Mathe- und Zählspiele –, auch ohne Computer gemacht werden können.
Orientierung: digitale Medien bedrohen Kindheit In den Gruppendiskussionen dokumentiert sich die Vorstellung, dass Medien auf Kinder wirken und sie verändern; die Medienwirkung, die die Student*innen in der Sequenz Hey gehen wir Bahnhof annehmen, ist von eigenen Medienerfahrungen bzw. eigenem Medienhandeln abgeleitet und wird auf Kinder übertragen. Die sich verändernde Sprache der Kinder wird nicht als ein Problem für das Kind beschrieben, sondern vor allem als ein Problem für Schule bzw. ein Problem, das Kinder in die Schule mitbringen:
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Sequenz Hey gehen wir Bahnhof (GD5 vor OEP Passage Themen, die Kinder mit in die Schule bringen Zeile 147-164) Tm301: […] und was bei den Medien mir so aufgefallen is ähm dass sich die unsere Spra- äh dass sich die Sprache von den Kindern verändert weil wir halt wie wir in WhatsApp halt schreiben (.) jo gleich da Tf301: @(.)@ Tm301: nich mehr ich bin gleich da; also die Sprache ändert sich einfach wenn man wenn wir jetzt immer so in Kurzform auch schreiben ähm hab ich auch schon Kinder gehört die dann teilweise halt so reden, (.) ni- nich dauerhaft aber dann heißt s halt, (.) ja dann wird halt der Artikel weggelassen oder was man früher immer gedacht hat was halt die (2) ja (.) die Lans halt so sagen ((verstellt die Stimme)) hey gehen wir Bahnhof Tf301: @(.)@ Tm301: oder aber dass das auch auch die Kinder jetzt so machen und teilweise auch wenn s nur vereinzelte Sätze sind so sprechen wie wenn sie jetzt auf m Handy dir ne kurze WhatsApp-Nachricht schreiben; und äh also (.) das fänd ich extrem schade wenn das, wenn die das so mitbringen und des sich dann da auch noch in der Schule irgendwie (2) vervielfältigt oder festsetzt (6) ((pfeift leise, alle TN lachen)) Tm301 beschreibt Auswirkungen, die Medien auf die Sprache von Kindern haben, geht dabei aber von eigenen Medienerfahrungen aus, was sich vor allem dadurch vermittelt, dass er mal von wir und dann wieder von den Kindern spricht. Tm301 bewertet den Einfluss der Kurznachrichtensprache auf die Sprache der Kinder, wobei die veränderte Sprache weniger als ein Problem für das Kind als ein Problem für Schule beschrieben wird: »das fänd ich extrem schade wenn da, wenn die das so mitbringen und des sich dann da auch noch in der Schule irgendwie (2) vervielfältigt oder festsetzt (6) ((pfeift leise, alle TN lachen))…« Festsetzen bedeutet laut Duden sich an einem Ort niederlassen, aber auch sich ansammeln, haften bleiben; das Verb vervielfältigen ruft zudem die Konnotation sich vermehren bzw. verstärken hervor – Kinder lernen demnach die Sprache nicht, sondern sie vermehrt sich, breitet sich aus wie eine Krankheit. In allen Gruppendiskussionen wird vor allem das Internet abgewehrt: Es wird als Bedrohung eingeordnet, weil es einen unkontrollierbaren Zugang zur Erwachsenenwelt und damit zu Erwachsenenwissen ermöglicht. Sequenz Das Internet ist kein geschützter Raum (GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 142166) Tf505: dass die das so, wirklich (2) ja: uneingeschränkten Zugriff haben; und ähm es gab dann auch den Vorfall da war ich leider in der Klasse nich anwesend meine Mentorin war krank und die Vertretungslehrerin war da (.) und dann hat die Schülerin eine Geschichte vorgelesen (.) und hat dann über (.) Selbstmord geschrieben also dass äh ne Freundin irgendwie gestorben is und das Mädchen hatte dann hinterher Selbstmordgedanken weil die Freundin nich mehr da war und hat zweimal versucht umzubringen; und dann hat mir das die Vertretungslehrerin erzählt und ich war echt (.) wirklich schockiert und hab dann am nächsten Tag sofort mit meiner Mentorin gesprochen, die hat sich dann mit dem Mädchen unterhalten und hat denn gefragt ähm (.) woher sie denn die Geschichte hat ob sie sich die ausge-
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dacht hat (.) und die Schülerin hat dann gesagt nee ich hab bei YouTube traurige Geschichten eingegeben; (.) und dann kam das eben als Vorschlag (.) und die hat das abgeschrieben; (2) Tf5011:°Krass° Tf505: und und hat da gar nich drüber nachgedacht oder reflektiert sondern hat einfach (2) hat das einfach abgeschrieben; (2) Tf502: ATf505: und der Klasse vorgelesen; Tf511: Das Internet is einfach kein geschützter Raum also ((mehrere TN stimmen mit Ja zu)) das war s vielleicht früher zeitweise mal aber dieser unbegrenzte Zugang ich find da es gibt einfach so viele Sachen was nich für Kinderaugen gemacht is und das ist die Problematik bei dem Thema Die Erzählung von dem Mädchen, das eine Selbstmordgeschichte aus dem Internet kopiert bzw. bei YouTube gefunden, diese als wahr ausgegeben und behauptet hat, sie hätte zweimal versucht sich selbst umzubringen, führt vor, dass sich Kinder in der Vorstellung der Student*innen, Inhalte aus dem Internet zu eigen machen, die nicht Teil von Welt sein sollen. Entsprechend muss Kindern vermittelt werden, dass das, was ihnen im Internet begegnet, nicht wahr ist. Tf505 betont, dass das Mädchen die Geschichte aus dem Internet »einfach abgeschrieben« hat und sie ohne darüber nachzudenken und zu reflektieren, der Klasse vorgelesen hat. Das Mädchen ist offenbar anmaßend. Kinder können in der Vorstellung der Student*innen mit Inhalten aus dem Netz nicht nur nicht umgehen, sondern geben die für sie ungeeigneten Inhalte auch an andere Kinder weiter, womit die Vorstellung aus der Sequenz Hey wir gehen Bahnhof bestätigt wird, dass sich das Negative, das digitalen Medien zugeschrieben wird, wie eine ansteckende Krankheit ausbreitet. Tf505 validiert die Gehalte und ergänzt sie um den Aspekt, dass das Internet »einfach kein geschützter Raum« ist. Kinder brauchen also geschützte Räume. Tf505 fährt mit der These fort, dass das Internet »vielleicht früher zeitweise mal« ein geschützter Raum war. Das klingt nicht überzeugt, ist möglicherweise jedoch eine notwendige Botschaft, weil sie auf die eigene Kindheit verweist, die anders war, geschützter – womit die These aufrechterhalten werden kann, dass der »unbegrenzte Zugang« zum Internet ein Problem für die Entwicklung heutiger Kinder ist, ohne die Mediennutzung in der eigenen Kindheit in Frage zu stellen. Die Sequenz Auf einmal nen Video vom IS präsentiert Kinder in Bezug auf das Internet und darin präsentierter Inhalte als verführbar, aber auch als selbst verführend bzw. eine ganze Klasse in Chaos versetzend: Kinder verführen andere Kinder dazu, sich Inhalte anzugucken, die nicht für sie geeignet sind:. Sequenz Auf einmal nen Video vom IS gefunden (GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 105-118) Tf511: Ja: und äh was ich dann auch zusätzlich schlimm fand erzählen sie n ja wir saßen da zu zweit oder ich hab mich mit dem und dem aus der Klasse getroffen (.) ähm vor YouTube und wir ham Vi:deos angeschaut und dann hat auch einer angefangen er hätt auf einmal nen Video vom IS gefunden wo ich mir dann, und hätten des angeschaut oder war mal der neuste Trend mit den Killerclowns ((einige TN stöhnen leise auf)) und dann ham sie s in der ganzen Klasse weitererzählt und die
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Videos und ham alle Kinder verrückt gemacht wo ich mir einfach denke ich wurde ich wurde nich so erzogen und meine Eltern haben geschaut was ich im Fernsehen und im Internet anschaue und ich hatte nich diesen unbegrenzten Zugang Tf502: Ja Tf511: und vor allem auch unbegrenzte Zei:t (.) Tf502: Ja Das Stöhnen, mit denen einige TN auf die Nennung der Killer-Clowns reagieren, verweist darauf, dass sie offenbar die Killer-Clowns auch kennen. Der Trend der KillerClowns kommt ursprünglich aus den USA. Die Killer-Clowns stellen gefilmte Überfälle, die sie zu Halloween real auf Passanten verüben, auf YouTube.8 Wie das Video über den Islamischen Staat so verweisen auch die YouTube-Clips der Killer-Clowns auf etwas, was es außerhalb des Internets gibt; dennoch werden die Inhalte von den Student*innen präsentiert als seien sie nur auf das Internet zurückzuführen, ihm entwachsen. Mit dem Verweis auf die eigenen Eltern, die sie nicht so erzogen haben, beschreibt Tf511 zudem nicht nur das aktuelle Internet als eines, das nicht mehr so ist, wie es in der eigenen Kindheit war, sondern stellt heraus, dass Eltern heute auch anders sind und zu wenig Verantwortung übernehmen. Die Verantwortung, die sie übernehmen sollen – und damit die von ihnen erwartete Medienerziehung – besteht darin, Medieninhalte zu kontrollieren, zu denen Kinder Zugang haben: »meine Eltern haben geschaut, was ich im Fernsehen und im Internet anschaue…« Neben den Inhalten ist zudem die Nutzungsdauer von Medien zu reglementieren: »ich hatte nich diesen unbegrenzten Zugang […] und vor allem auch unbegrenzte Zei:t…« Das Internet stellt offensichtlich auch das Konzept von Wissen über die Welt und damit das Konzept der Wissensvermittlung der angehenden Grundschullehrer*innen in Frage: Es entstehen Unsicherheiten bezüglich Beschreibungen von Welt und damit bezüglich ihres Wissens über diese Welt, das sie an Schüler*innen weitergeben (können), da sich die Quelle des Wissens nicht auf einzelne Bücher begrenzen lässt. Das Internet wird von den Student*innen als mögliche Informationsquelle für Kinder erkannt; das über das Internet informierte Kind ist aber eine Bedrohung und wird abgewehrt, indem im Internet präsentierte Informationen als unseriös oder unwahr eingeordnet werden, was Kinder nicht nur nicht erkennen, sondern auch nicht annehmen wollen, selbst wenn es ihnen immer wieder gesagt wird: Sequenz Dass das was im Internet steht nich alles wahr is (GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 127-140) Tf505: Also ich hatte jetzt schon n paar Freundebücher daheim und da stand dann bei Traumberuf bei ganz ganz vielen Youtuber; ((einige TN lachen)) YouTuber ((einige TN lachen)) dass die nen eigenen Kanal haben möchten und da Videos posten und ähm (.) das is also das is ne vierte Klasse aber ich war ganz erschrocken dass das mittlerweile als Traumberuf ((einige lachen)) für die Schüler angesehen wird ((einige lachen)) und im im Stuhlkreis musst meine Lehrerin oder meine Mentorin 8
vgl. https://www.stern.de/panorama/stern-crime/killer-clowns-wie-ein-phaenomen-nachdeutschland-schwappt-7112374.html vom 11.03.2019
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die muss so: oft predigen dass das was im Internet steht nich alles wahr is dass man da auch schauen muss was was das steht dass das wirklich nich alles der Wahrheit entspricht weil Schüler die lesen dann irgendwas und äh kommen da dann auch wirklich und (.) grad bei den Killerclowns; da hat jeder hatte irgend ne Horrorgeschichte das hab ich im Internet gesehen wo ich mir gedacht hab ähm wie kommen die überhaupt dazu dass sie das im Internet sehen können? Tf505 betont, dass YouTube und das Internet nichts für Kinder sind, da sie nicht verstehen, dass nicht alles wahr ist, was im Netz steht. Das Internet wird aber nicht nur als Quelle unwahrer Informationen präsentiert, sondern auch als Quelle böser Informationen, die es nicht gibt oder nicht geben soll – wie die Killer-Clowns. Inhalte, die sich Kinder unkontrolliert über das Internet erschließen, fordern nicht zu einer kritischen Auseinandersetzung mit diesen heraus, sondern es wird versucht, sie ihnen auszureden, wie die Beschreibung des Stuhlkreises zeigt. Dieser hat offensichtlich nicht die Funktion eines Erzählkreises, in dem Erlebnisse und Erfahrungen ausgetauscht werden, sondern die Funktion dass das, was erlebt und erfahren wurde, von der Lehrerin eingeordnet wird. So nutzt die Lehrerin den Erzählkreis, um zu predigen, »dass das was im Internet steht nicht alles wahr is…« Dass sie predigen muss, verweist auf die Vorstellung der Student*innen, dass Kinder nicht verstehen, sondern ihnen die Dinge, die sie lernen sollen, eingetrichtert werden müssen. Mit der betonten Wiederholung, dass das, was im Internet steht, wirklich nicht alles wahr ist, scheint Tf505 sich selbst zu beschwören, dass das, was über das Internet kommuniziert wird, nicht Teil von Welt ist, sein kann. Als Problem wird nicht nur beschrieben, was Kindern im Internet begegnet, sondern auch das, was sie selbst ins Netz stellen, wie die Erzählung von Tf502 zeigt, mit der sie deutlich macht, dass Kinder heute davon träumen, YouTuber zu werden. Obwohl andere TN lachen und damit zeigen, dass sie wissen, was mit YouTuber gemeint ist, hängt Tf505 eine Erklärung an: »dass die nen eigenen Kanal haben möchten und da Videos posten…« Offensichtlich geht es nicht um eine notwendige Erklärung, sondern um eine Betonung oder auch Verstärkung des Entsetzens über den Traumberuf der Kinder, was Tf505 mit dem Folgesatz unterstreicht: »das is also das is ne vierte Klasse aber ich war ganz erschrocken dass das mittlerweile als Traumberuf ((einige lachen)) für die Schüler angesehen wird ((einige lachen))…« Die Formulierung »für die Schüler angesehen wird« geht über die Erzählung hinaus, dass YouTuber ein Traumberuf der Schüler*innen selbst ist: Er wird auch als Traumberuf für Schüler*innen angesehen. Damit verweist Tf505 möglicherweise auf mediale Debatten, in denen YouTuber oder auch Influencer seit langem als beliebte Berufe präsentiert werden. Damit stellt sich die Frage, warum es erschreckend sein soll, dass Viertklässler*innen auf die Idee kommen, als Traumberuf YouTuber zu nennen, es sei denn die Student*innen folgen einer Ideologie ihrer Eltern, in der ein YouTuber nicht ernst genommen werden kann, weil er keinen Beruf ausübt, der zu einem sicheren Arbeitsplatz mit langfristigen Chancen führt. Möglicherweise ist der Beruf YouTuber aber auch abzuwehren, weil er den Wunsch in sich trägt, einflussreich zu sein; ein einflussreiches Kind stellt eine Bedrohung dar, weil es, wie der Zugang zu Inhalten im Internet, die Trennung zwischen erwachsen sein und Kind sein auflöst: einflussreich sind Erwachsene, nicht Kinder.
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Sequenz YouNow (GD1 vor OEP Passage Medienerziehung in Familie und Schule Zeile 506-532) Tf102: Und dann gibt s da kam vor kurzem bei ähm Spiegel TV, so n äh ne Reportage über YouKnow oder so; Tf101: Ah: Tf103:YouNow Tf101: YouNow ja stimmt genau das hat mein Vater mir erzählt Tf102: YouNow genau und das find ich sowas von krank Tm101: Was ist das? Tf102: Das ist das ist n live, da sitzen die Kinder vorm vorm vor ner Kamera, und übertragen live quasi ins Internet Tf103: Nen Chat Tf102: nen Chat; und erzählen da alles und jeder sieht das Tf103: was sie täglich macht und jetzt lieg ich gerade im Bett und davor habe ich das und das gemacht Tf102: genau und jeder kann des sehen Tf103: Ja Tf102: und ähm s geht da darum möglichst ähm (.) hoch zu steigen, also möglichst äh bekannt quasi zu werden und da dafür machen die alles; Tf103: Möglichst coolere Videos zu drehen und dann gibt s halt also du kannst auch anonym in den Chat und (.) ja Tf102: Genau Tm101: Holla die Waldfee; Tf102: und da haben und (.) das ist on- also du bist halt direkt drin Tf103: ich denk du kannst praktisch immer dann während Tf102: also du bist halt direkt drin Tf103: genau Tf102: und die Eltern kriegen das nicht mit Tf103: Da war n achtjähriges Kind In dem Gespräch über die Plattform YouNow9 fällt zunächst die Einordnung von Tf102 auf: YouNow ist »sowas von krank«, also von der Norm abweichend. Die Beschreibung der Plattform spiegelt ihr Entsetzen, wobei sie vor allem herausstellt, dass Kinder live ins Internet übertragen: »Das ist das ist n live, da sitzen die Kinder vorm vorm vor ner Kamera, und übertragen live quasi ins Internet…« Eine Liveübertragung wird auch als Direktübertragung bezeichnet; damit betont Tf102 das Unmittelbare der Übertragungstechnik, die keine Distanzierung erlaubt, keinen Schutz, kein Abgrenzen oder Auswählen zulässt von dem, was gezeigt wird. Diese Vorstellung wird durch das Beispiel von Tf103 zugespitzt, in dem sie die Aussage von Tf102, dass die Kinder da alles erzählen
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YouNow ist ein Portal aus den USA, auf dem es möglich ist eigene Live-Streams zu präsentieren und die Streams anderer Nutzer*innen anzusehen, aber auch zu bewerten. Im Jahr 2015 war das Videoportal das beliebteste Video-Live-Stream-Portal von Kindern und Jugendlichen. (Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/YouNow vom 24.03.2019)
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und jeder das sieht, wie folgt illustriert: »was sie täglich macht und jetzt lieg ich gerade im Bett und davor habe ich das und das gemacht…« Die Formulierungen was sie täglich macht und davor habe ich das und das gemacht verweisen auf die Vorstellung einer kontinuierlichen Überwachung, während mit jetzt lieg ich gerade im Bett ein intimer Ort angesprochen wird: der Ort, an dem man vor allem schläft; laut Duden ist das Bett aber auch der Ort von Geburt und Tod, Liebe und Gewalt, Einsamkeit und Zweisamkeit. Das Internet wird als Bedrohung der Intimsphäre von Kindern präsentiert und Pädophilie begünstigend. Tf102 validiert diese Vorstellung mit der Äußerung: »genau und jeder kann des sehen…« Sie spitzt sie weiter zu, indem sie erklärt: »und ähm s geht darum möglichst ähm (.) hoch zu steigen, also möglichst äh bekannt quasi zu werden und da dafür machen die alles…« Kinder werden verführt, sie werden von den Student*innen dafür aber auch selbst verantwortlich gemacht, da sie sich auf YouNow präsentieren und alles von sich erzählen. Es kommt hier zu einer hohen Interaktion zwischen Tf102, Tf103 und Tm101, so dass an dieser Stelle von einer Fokussierungsmetapher gesprochen werden kann. Die Wiederholung von Tf102 »also du bist halt direkt drin« und die Ergänzung, dass die Eltern das nicht mitkriegen, sowie die Betonung, dass es in dem Spiegel-TV-Bericht, auf den sich die Erzählungen von Tf103 über YouNow beziehen, um ein achtjähriges Kind geht, sind strukturiert von der Orientierung einer Machtlosigkeit der Erwachsenen. Auch die Sequenz Ich setz dich jetzt vor die Tür verweist auf diese Machtlosigkeit: Sequenz Ich setz dich jetzt vor die Tür (GD1 vor OEP Passage Medienerziehung in Familie und Schule Zeile 194-209) Tf102: Und das is halt das Schwierige glaube ich das was also was ich schwierig sehe an dem Jetzigen, dass die (.) dass die Medien so groß sind inzwischen dass du da kein Einfluss drauf mehr nehmen kannst Tm101: Mhm Tf102: da also bei den Hippies konntest zum Beispiel noch sagen (.) du kiffst mir zu viel du ich setz dich jetzt vor die Tür; aber als mit den Tf104: Das kannst du als Eltern immer noch machen; Tf102: mit das Tm101: Des glaub ich nich; Tf102: glaub ich nich; du kannst die Kinder auch nicht aus der fernhalten davor das find ich so schwierig. Tf101: Nee Tm10: das glaub ich nich der M- der M- (2) der Mediendruck ist inzwischen Tf104: Nich fernhalten aber fernhalten muss auch nich sein aber ich glaub du kannscht als Eltern durchaus sagen, nee Tf102 erklärt, dass »Medien so groß sind inzwischen dass du da kein Einfluss drauf mehr nehmen kannst…« Sie sagt nicht, Eltern können keinen Einfluss mehr nehmen, sondern man; es können also nicht nur Eltern keinen Einfluss mehr nehmen, sondern niemand mehr. In der Formulierung dokumentiert sich ein Orientierungsgehalt, der das Verständnis von Medien strukturiert: Medien sind nicht kontrollierbar, vielmehr kommen sie wie eine Naturgewalt über uns. Während die Probleme in der Hippie-Zeit
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geklärt werden konnten, indem jemand ausgeschlossen wurde, bzw. vor die Tür gesetzt wurde, sind die Probleme in Bezug auf Medien so gestaltet, dass dies nicht mehr möglich ist. Die Formulierung »du kannst die Kinder auch nicht aus der fernhalten davor« verweist auf Medien als Gefahr, vor der Kinder zu beschützen sind, was jedoch angesichts aktueller Entwicklungen nicht mehr möglich scheint. Tf102 ordnet Eltern als machtlos gegenüber den Medien ein, womit es offensichtlich legitim wird, Kinder autoritär zu erziehen: »da also bei den Hippies konntest zum Beispiel noch sagen (.) du kiffst mir zu viel du ich setz dich jetzt vor die Tür…« Neben dem Internet werden auch Apps explizit zum Thema: Sie werden nicht unbedingt als schädlich eingeordnet, aber eben auch nicht als die Entwicklung eines Kindes fördernd; vielmehr verdrängen sie für die Entwicklung notwendige Erfahrungen, wie die Sequenz Drachen basteln zeigt: Sequenz Drachen basteln (GD1 vor OEP Medienerziehung in Familie und Schule Zeile 237-246) Tm101:Ja natürlich man soll ja n- man darf das nicht verpennen aber muss es denn mit acht Jahren sein oder muss es mit zehn Jahren sein; muss ich da in der Grundschule mit mit kleinen Kindern muss ich da mit nem Tablet arbeiten; nur damit ich dann vielleicht mit s (.) Tf104:Wieso nich? Tm101: Aber wieso? wieso soll ich nich sagen okay wir, wir basteln uns jetzt nen Drachen dass man überhaupt Drachen steigen lassen kann und kucken uns nich Tf104: Kann man ja jetzt (…) Tm101: im Tablet an irgendwie wie es theoretisch geht Tm101 bezweifelt, dass es trotz der Medienentwicklung notwendig ist, in der Grundschule mit dem Tablet zu arbeiten. Es fällt auf, dass er zunächst in der Grundschule sagt und dann hinzufügt »mit mit kleinen Kindern«, womit er deutlich macht, dass Grundschüler*innen für ihn kleine Kinder sind, und das Arbeiten am Tablet nicht kindgerecht ist, was er zusätzlich hervorhebt, indem er das Basteln eines Drachens als eine geeignete Tätigkeit nennt. Das Drachenbeispiel führt er weiter aus, indem er darauf hinweist, dass man einen Drachen steigen lassen kann. Indem er dies mit der Formulierung tut, »dass man überhaupt Drachen steigen lassen kann«, präsentiert er die Vorstellung, dass Kinder diese Erfahrung in der Regel nicht mehr machen, sondern an diese herangeführt werden müssen. Dass die fehlende Erfahrung auf die digitalen Medien zurückgeführt und damit ein medienbezogener Orientierungsgehalt präsentiert wird, zeigt sich an dem Gegensatz, den Tm101 aufmacht, indem er das Tablet als die theoretische Ersatzerfahrung zum tatsächlichen Drachensteigen darstellt. Apps verhindern wichtige Erfahrungen, oder sie sind ein schlechter Ersatz für echte Erfahrungen; legitim nur, wenn echte Erfahrungen durch finanzielle Not ganz ausbleiben müssen, wie die Auseinandersetzung über Musikinstrumente-Apps hervorbringt: Sequenz Singstar und Guitar Hero (GD 1 Passage Medienerziehung in Familie und Schule Zeile 548-571) Tf104: aber gerad zum Beispiel bei sowas wie Singstar oder so, da sage ich okay natürlich ist das unnötig die können auch n Musikinstrument spielen aber solche
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Sachen werden halt häufig von Leuten gespielt die nich so viel Geld haben; und Musikunterricht ist eine kostspielige Angelegenheit warum sollen sie nicht bei so was mal singen; natürlich muss man das irgendwie eingrenzen und das ist dann wieder ne Aufgabe von den Eltern; so seh ich das weil Tm101: Also es ist keine °ja° Tf104: also ich find man sollte damit einfach (.) w- warum warum sollen die nicht den Spaß haben und damit in Berührung kommen? natürlich sollen die das nicht acht Stunden am Tag machen aber das is wieder ne Sache von Erziehung. Tm101: Ja aber da- das ist hat auch nichts mit finanz- also man kann heute n Instrument spielen, und das konnt man früher auch schon man kriegt das Instrument gestellt von der äh Musikschule und alles Mögliche das is das ist n intellekt- es ist n Tf104: Aber Unterricht kostet sechzig Euro im Monat. Tm101: nee kriegst du auch gezahlt vom äh vom Sozialamt wenn du dir das nicht leisten kannst; es ist ne intellektuelle Frage ob das ob du willst ob du dich bemühst dass dein Kind n Instrument lernt; und es ist natürlich vie:l einfacher n Singstar da hinzustellen; aber ob des da dann singen lernt und vor allem wie und was, ob das n intellektuell- das Kind weiterbringt ist die Frage; und da denk ich einfach ein Gitarrenunterricht ist immer noch besser wie Guitar Hero (.) Tf104 argumentiert, dass Musikinstrumente-Apps ein guter Ersatz für die sind, die sich keine Instrumente leisten können; hierin dokumentiert sich, dass Apps nicht so gut sind wie Instrumente, sondern nur ein Ersatz, aber besser als gar nichts, wie Tf104 weiter ausführt: »Musikunterricht ist eine kostspielige Angelegenheit warum sollen sie nicht bei so was mal singen…« Tf104 validiert in ihrer weiteren Ausführung nicht, den in der Passage zuvor aufgeworfenen Gehalt, dass es unmöglich ist, Medien zu kontrollieren, aber doch, dass ein Kontrollverlust droht, den es zu vermeiden gilt, indem sie sagt: »natürlich muss man das irgendwie eingrenzen und das ist dann wieder ne Aufgabe von den Eltern; so seh ich das weil…« Sie wird hier von Tm101 unterbrochen, der ihr widersprechen möchte. Doch Tf104 führt ihre Ausführungen mit einer rhetorischen Frage fort: »w- warum sollen die nicht den Spaß haben und damit in Berührung kommen? natürlich sollen die das nicht acht Stunden am Tag machen aber das is wieder ne Sache von Erziehung.« Sie verschiebt den Fokus von den digitalen Medien auf die Eltern. Während Tm101 Apps grundsätzlich ablehnt bzw. in Frage stellt, dass digitale Medien irgendeinen positiven Einfluss auf die Entwicklung eines Kindes haben können, stellt Tf104 heraus, dass sie eine Alternative für andere Erfahrungen sein können, ja auch Spaß machen dürfen, wenn denn die Erziehung dazu passt, Medien richtig kontrolliert und dosiert werden. Tm101 geht auf das Thema Erziehung ein. Es geht ihm aber nicht um den richtigen Umgang mit Apps oder digitalen Medien, sondern er stellt die Nutzung von Apps als Kennzeichen einer schlechten bzw. nicht wünschenswerten Erziehung dar: »und es ist natürlich vie:l einfacher n Singstar da hinzustellen; aber ob des da dann singen lernt und vor allem wie und was, ob das n intellektuell- das Kind weiterbringt ist die Frage; und da denk ich einfach ein Gitarrenunterricht ist immer noch besser wie Guitar Hero…«
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Orientierung: Medienerlebnisse und -erfahrungen bedrohen Unschuld des Kindes Medienerlebnisse und -erfahrungen, die Kinder mit in die Schule bringen, indem sie von ihnen erzählen – sei es einzelnen Mitschüler*innen oder der ganzen Klasse in Erzählkreisen – werden von den Student*innen immer wieder als Problem dargestellt, wie die Sequenzen Auf einmal nen Video vom IS gefunden und YouNow zeigen. In der Gruppendiskussion GD7 geht die Abwehr so weit, dass Erlebnisse und Erfahrungen, die sich auf Medien beziehen, von Kindern in Erzählkreisen nicht zum Thema gemacht werden dürfen bzw. tabuisiert werden: Sequenz Erzählkreise (GD7 vor OEP Passage Medien im Unterricht Zeile 43-70) Tf402: […] ich würd auch es gibt ja auch immer ganz oft diese Erzählkreise die sie immer montags morgens haben (.) Tf403:Mhm Tf402: in der Grundschule Tf401: Mhm Tf402: und dass man da vielleicht auch schon sagt dass einfach nicht erzählt wird ich hab den und den Film gesehen oder ich hab das mit meinem Smartphone gemacht sondern dass das einfach aus so nem Dings komplett rausfällt und dass man (.) da halt Sachen also ich wo ich damals war haben die halt von Erlebnissen erzählt Tf403: Mhm Tf402: oder die durften auch von Träu:men oder so was erzählen und manchmal gibt s das ja dass die Kinder weil die am Wochenende nich so viel gemacht haben und dass die dann halt nich (.) nichts zu erzählen haben dann musste man durfte man von Träumen erzählen oder von halt Sachen die man am Wochenende gemacht hat; aber wenn die dann halt über Filme und so dann hat die Lehrerin nee darüber reden wir nicht das (.) Tf401: Mhm Tf402: interessiert sie nicht so also nicht so hart aber irgendwie anders halt Tf403: Mhm Tf402: und die das war einfach kein Thema; da wurde nich über (.) Fernseher Handy sonst was geredet das wurde da schon, raus- gestrichen und das fand ich eigentlich voll gut Tf403: Mhm Tf402: weil das find ich auch voll den guten Ansatz Tf404: Ja, das find ich auch� Tf402: °ja;° (.) Tf402 fordert, dass Schüler*innen dazu angehalten werden, in Erzählkreisen nicht über Filme oder Smartphones zu sprechen. Sie erzählt von einem Praktikum an einer Schule, wo die Kinder nur von Erlebnissen oder Träumen erzählen durften. Nicht nur Filme und Smartphones werden hier tabuisiert, sondern auch der Umgang bzw. die Auseinandersetzung mit ihnen: Sie wird nicht als Erlebnis eingeordnet. Für ein Erlebnis muss vielmehr etwas gemacht werden, was offensichtlich mit Medien nicht geht; wobei machen laut Duden u.a. etwas tun, etwas unternehmen, etwas ausführen meint. Mediennutzung wird so als Medienkonsum eingeordnet. Damit wird ein Bedeutungsraum aufgemacht,
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mit dem Medien negativ eingeordnet werden, denn normalerweise werden Lebensmittel, aber auch Rauschmittel konsumiert. Die Lehrerin hat in der Schule, in der Tf402 ein Praktikum gemacht hat, den Schüler*innen deutlich gemacht, dass sie an Filmgeschichten nicht interessiert ist, was Tf402 als guten Ansatz bezeichnet. Damit wird ein Teil der Erlebniswelt von Kindern ausgesperrt. Sie werden dazu aufgefordert, einen Teil ihres Welterlebens zu ignorieren und damit sich von sich selbst zu entfremden; entsprechend geht es im Unterricht nicht darum, wie Kinder Welt erleben, konstruieren und reflektieren. Aufgabe der Lehrkraft ist es vielmehr, Grundschule und Grundschulunterricht als Nest zu gestalten, in das weder digitale Medien, noch Erlebnisse und Erfahrungen mit ihnen passen.
Orientierung: digitale Medien machen soziale Ungleichheit sichtbar In der Sequenz Vorteil Tablet dokumentiert sich, dass die Student*innen die gesellschaftliche Erwartung wahrnehmen, soziale Ungleichheit auszugleichen, wie sie diese Erwartung abwehren, aber auch, wie das Lernen mit, durch und über digitale Medien in der Grundschule in diese Erwartung eingebettet ist. Digitale Medien werden von den Student*innen als soziale Ungleichheiten sichtbar machend präsentiert: Es werden Eltern beschrieben, die sich um die Schulaufgaben ihrer Tochter bemühen und dafür digitale Medien nutzen, mit denen sich das Mädchen einen Vorteil gegenüber anderen Schüler*innen verschaffen kann. Um dies zu vermeiden, sind Aufgaben zu stellen, in die sich Eltern nicht einmischen können. Hier vermittelt sich die Vorstellung, dass ein zukunftsorientierter Medienumgang vor allem in sozial bevorteilten Familien zu erwarten ist: Das achtjährige Mädchen hat Eltern, die sie – nicht zuletzt über ihren Medienbesitz – so fördern können, dass sie Aufgaben so bearbeiten kann, dass sie Qualitäten aufweisen, die eigentlich erst von Abiturient*innen zu verlangen sind. Sequenz Vorteil Tablet (GD2 nach OEP Medieneinsatz im Unterricht Zeile 6-20) Tf104: Also ich könnt s mir schon durchaus vorstellen mal n paar Videos zu zeigen oder sonst noch was (.) da:mit was zu machen also natürlich nicht durch und durch aber man kann s nutzen s gibt s ja braucht man aber nicht unbedingt; was mir jetzt aufgefallen ist an der Schule ist ähm die mussten in MEK Präsentationen machen und die Lehrerin hat das extra im Unterricht machen lassen dass die Eltern da nich so dahinter sind, dass die Eltern quasi das nicht machen und äh bei einer Schülerin die hat dann die Präsentation gehalten und man wusste ganz genau die hat das daheim mit den Eltern gemacht und die kam dann auch noch mit nem Tablet und ham dann n Video abspielen lassen so achtjähriges Mädchen und dann hab ich gedacht okay also von Kindersicht brauche ich das nich; wenn ich das als Lehrperson einsetz gezielt einsetz finde ich das in Ordnung aber dass die Schüler dann ihre Präsentationen wie beim Abi mündlichem Abi oder so einbeziehen hm weiß nich isch vielleicht n bisschen arg heftig. Tf104 präsentiert sich als Anwältin des Kindes, das vor seinen überehrgeizigen Eltern zu schützen ist. Sie stellt das Kind als Maßstab dar, indem sie klärt, dass es okay ist, wenn eine Lehrkraft ein Medium gezielt einsetzt, aber nicht in Ordnung, wenn Kinder Präsentationen auf dem Tablet bauen müssen wie fürs Abitur. In der Formulierung »hm
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weiß nich« dokumentiert sich, dass sie in dieser Sache nicht dogmatisch erscheinen will. Die sich daran anschließende Äußerung »vielleicht n bisschen arg heftig« klärt aber, dass die Sache offensichtlich ist, es also keine Frage ist, dass der Tableteinsatz achtjährige Kinder überfordert. Im Gegensatz zu den Eltern nimmt sie die Perspektive des Kindes ein bzw. weiß, was für das Kind gut ist. Entsprechend ist ihre Auswahl an Medien einzuordnen, die sie sich vorstellen kann, im Unterricht zu nutzen. Deutlich wird, dass Medien vor allem dann für Kinder als passend gelten, wenn sie nicht zu viel Raum einnehmen, was durch die beschreibende Äußerung mal n paar unterstützt wird. Selbst wenn Tf104 davon spricht, dass es darum geht, Videos gezielt einzusetzen, geht es nicht um einen gezielten Einsatz in Lehr-Lernkontexten, sondern um den gezielten Einsatz im Sinne einer Abwechslung bzw. Motivation der Schüler*innen. Es dokumentiert sich, dass Videos weder Lerngegenstände noch Lernwerkzeuge sind; sie sind nicht mehr als ein mögliches Extra. Die Videos dürfen vorkommen, aber nicht überhandnehmen. Die Verwendung des Adjektivs natürlich verdeutlicht, dass das unbestritten ist. Es scheint notwendig, Lebenslagen der Kinder zu berücksichtigen und sich daraus ergebende soziale Ungleichheiten auszugleichen, um Kindern zukunftsorientierte Kompetenzen zu vermitteln und für Chancengerechtigkeit zu sorgen. Die performative Logik strukturierend ist jedoch die Vorstellung, dass soziale Ungleichheit zu verbergen ist: So sind teure Smartphones wegzustecken, damit keine Begehrlichkeiten geweckt werden, die zu einer Ablenkung vom Wesentlichen und damit zu Kontrollverlusten in Bezug auf die eigentliche Aufgabe von Grundschullehrer*innen führen: Sequenz Das Smartphone als Statussymbol (GD2 nach OEP Passage Smartphonenutzung Lehrkräfte Zeile 160-182) Tf103: weil das war dann nämlich so besonders weil dann war Sporttag (1) und die Kinder haben ne coole Station gmacht und irgendwann hat sie dann gemeint sie müsste sie auch machen was aber schon auch blöd war weil ne total die lange Schlange war und dann hat sie aber als Ältere sich vorgedrängelt Tf101: @(.)@ Tf103: fand ich auch schon blöd und dann hat sie aber ihr Handy weil sie ja keine Hosentasche hatte und nichts und s immer in der Hand hatten hatte ((klopft auf den Tisch)) hat sie s nem Schüler geben; und der Schüler ist natürlich @total ausgerastet Tf101: @(2)@ Tf103: weil er ein iPhone 6 in der Hand hatte@ und das fand ich dann auch wieder total unpassend weil eigentlich ging es um die Sportaufgabe ((klopft auf den Tisch)) um Sportmachen und sie hat das dann wieder so auf ihr iPhone 6 gelenkt und das war einfach (.) also das fand ich das war total daneben also das geht nicht; es ist okay in einem gewissen Maße und gerade für so etwas abspielen; aber dass dann eine Lehrerin selber, und ich hab ganz genau gesehen dass das die in WhatsApp war (.) also das war jetzt nix dass die irgendwie geguckt hat @wo s Kino is oder Tf101: @(.)@ Tf103: sowas@ das war einfach irrelevant was die da grad gemacht hat; und dass
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dann alle Klassen auf sie warten mussten das fand ich dann schon (.) °also nicht so;° @(.)@ Der Hinweis auf das iPhone als Statussymbol und die beschriebene Reaktion der Schüler*innen auf das Smartphone machen deutlich, dass Medien zu verbergen sind, damit sie keine Begehrlichkeiten wecken, die auf bestehende soziale Ungleichheiten zurückzuführen sind. Tf103 erzählt, dass die Kinder »eine coole Station gmacht« haben – die Kinder haben also alles richtig gemacht. Aber die Englischlehrerin hat es – ohne Grund, denn die Kinder haben ihr keinen Grund gegeben – nicht richtig gemacht: Sie hat »gemeint sie müsste« die Station auch machen, obwohl es »total die lange Schlange war…« Sie hat sich damit nicht nur in der Situation unangemessen verhalten bzw. diese ignoriert, sondern sich etwas auf sich selbst eingebildet, was in der Darstellung ihres weiteren Verhaltens betont wird, in der Tf103 hervorhebt, dass sie sich »als Ältere« vorgedrängelt hat. Die Bewertung »fand ich auch schon blöd«, die sich an das Auflachen von Tf101 anschließt, kündigt an, dass es zu einer Steigerung kommt. Sie erzählt, dass die Englischlehrerin ihr Handy immer in der Hand hat. Ihr Klopfen dazu und die Beschreibung dessen, was die Englischlehrerin nicht tut – es nicht in der Hosentasche bei sich tragen – deutet darauf hin, wie es andere tun und damit, wie es zu tun ist: Das Handy gehört in die Tasche und ist nur hervorzuholen, wenn man dazu aufgefordert wird; am besten nicht in Gegenwart von Schüler*innen und nur, wenn es wirklich notwendig ist. Auf die von einem Lachen begleitete Ausführung von Tf103, dass die Englischlehrerin, um die Station auf dem Sporttag machen zu können, ihr Handy einem Schüler geben musste, »der natürlich @total ausgerastet [ist] weil er ein iPhone 6 in der Hand hatte@«, reagiert Tf101 mit einem längeren Auflachen. Das Lachen von Tf101 und Tf103 bewertet das Verhalten der Englischlehrerin und ordnet es als absurd ein, aber weist auch auf das Wissen hin, dass ein iPhone 6 eine solche Reaktion bei einem Schüler auslöst. Sie ordnen damit das Smartphone als ein Objekt der Begierde ein, das Schüler*innen außer Kontrolle geraten lässt. Die Erzählung unterstützt die These, dass das Handy von dem ablenkt, um das es in der Schule bzw. im Unterricht – hier an einem Sporttag – eigentlich geht: »eigentlich ging es um die Sportaufgabe ((klopft auf den Tisch)) um Sportmachen und sie hat das dann wieder so auf ihr iPhone 6 gelenkt…« Tf103 spricht zunächst von Sportaufgabe und dann von Sportmachen. Sie baut hier – obwohl es um einen Sporttag geht, von dem in der Regel nicht als normaler Schultag gesprochen wird – über den Begriff Sportaufgabe die Brücke zum eigentlichen Thema: dem Unterricht, in dem es um Aufgaben geht, die gestellt werden. Das Verhalten der Englischlehrerin bewertet sie mit: »also das fand ich total daneben also das geht nicht«, und schiebt nach, dass ihr Urteil nicht überzogen, sondern durchdacht, ja ausgewogen ist, indem sie fortfährt: »es ist okay in einem gewissen Maße und gerade für sowas…« Das gewisse Maß hat da seine Grenze, wo eine Lehrerin mit dem Smartphone nicht mehr ihre Aufgabe erfüllt. Es ist okay, etwas im Unterricht abzuspielen, etwas zu recherchieren, was den Unterricht oder auch einen Schulausflug betrifft, aber nicht, dass eigenen Bedürfnissen, Interessen mit dem Smartphone nachgegangen wird: »aber dass dann eine Lehrerin selber, und ich hab ganz genau gesehen
8. Darstellung der Ergebnisse
dass das die in WhatsApp war (.) also das war jetzt nix dass die irgendwie geguckt hat @wo s Kino is oder sowas@…« Es dokumentiert sich die Erwartung, dass sich eine gute Lehrerin vollständig auf ihre Aufgabe konzentriert, also auf die Schüler*innen, auf den kontrollierten Ablauf des Unterrichts und Schulalltags, was durch die abschließende Bewertung zusätzlich bestärkt wird: »das war einfach irrelevant was die da grad gemacht hat: und dass dann alle Klassen auf sie warten mussten das fand ich dann schon (.) °also nicht so;…°«
8.2.2
Konstruktion: Lehrkraft
In der Sequenz Wow das machst du jetzt noch präsentiert Tf103 ihre Zweifel daran, dass es ohne Weiteres möglich sein wird, Erwartungen zu erfüllen, die an ein*e Grundschullehrer*in gestellt werden: Sequenz Wow das machst du jetzt noch (GD1 vor OEP Passage Anforderungen an Lehrkräfte Zeile 23-39) Tf103: @Okay@ @(.)@ ähm also dass es nicht unanspruchsvoll ist weil, ich finde dass man jetzt schon wenn man immer sich manchmal mit Leuten was machst du? und dann ((Tm101 hustet im Hintergrund)) sagt Grundschullehramt dann sagen schon viele oh wow das machst du jetzt noch; also weil sich eben voll viel verändert und die Kinder nicht mehr so sind wie früher was ja jeder sagt, wobei ich oft auch sage das hat man bestimmt früher bei uns auch schon gesagt dass wir immer schlimmer werden Tf102: Mhm Tf103: aber eben dass halt dass man von vielen so das hört dass, also das immer anspruchsvoller wird und dass das Lehrerdasein immer schwieriger wird; Tf102: °Mhm° Tf103: (.) und sich da: vielleicht auch dass es immer schwieriger wird sich da auch fair zu verhalten (.) und ein guter Lehrer zu sein ((mehrere TN lachen leise auf)) Tf101: °Stimmt.° Tf103 sagt, »dass es nicht unanspruchsvoll ist…«: Mit der doppelten Verneinung vermeidet sie das Adjektiv anspruchsvoll. Auch in der Art, wie sie den Beleg dafür ausführt, dass die Aufgabe anspruchsvoll ist, distanziert sie sich, als wolle sie vermeiden, dass der Eindruck entsteht, dass sie sich selbst den Anforderungen nicht gewachsen fühlt, die an eine Lehrerin gestellt werden. Sie sagt nicht, dass sie selbst sieht, dass »sich eben voll viel verändert« hat, und »die Kinder nicht mehr so sind wie früher«, sondern dass andere das zu ihr sagen und ihr gegenüber Erstaunen zum Ausdruck bringen, dass sie Grundschullehrerin werden will. Das Erstaunen derer, die sie fragen, was sie macht, gibt sie wieder mit: »oh wow das machst du jetzt noch…« In dieser Formulierung drückt sich nicht nur ein Erstaunen aus, sondern auch Bewunderung. Die Formulierung weist zudem darauf hin, dass es früher nicht nur etwas anderes war, sondern auch einfacher. Als wolle sie sich Mut machen, sagt Tf103 zu sich selbst: »das hat man bestimmt früher bei uns auch schon gesagt dass wir immer schlimmer werden…«
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Kinder sind also nicht nur anders, sondern schlimmer als früher. Auch wenn sich Tf103 zunächst davon zu distanzieren scheint, macht sie sich mit dieser Einschätzung gemein. Tf102 stimmt dem Gehalt mit Mhm zu, und Tf103 erweitert ihn mit dem Hinweis, dass es auch immer schwieriger wird, ein guter Lehrer zu sein, wobei sie einen guten Lehrer als einen fairen Lehrer beschreibt. Da Kinder nicht mehr so sind wie früher, sind sie offensichtlich der Grund dafür, dass der zu erfüllende Anspruch an sich selbst nicht erfüllt werden kann.
Orientierung: ein*e Lehrer*in kontrolliert Unterricht und Lernprozesse Das Kind wird als ein Problem für die Lehrkraft und die Ansprüche präsentiert, die sie an sich stellt bzw. die Erwartungen, die sie an sich gestellt wahrnimmt. Das Kind darf nicht mehr können und wissen als sie, da es sonst ihre Rolle in Frage stellt. Daraus resultiert ein Dilemma. Die folgende Sequenz zeigt, wie es gelöst wird: Sequenz Was Kinder schon wissen darüber (GD5 vor OEP Passage Themen, die Kinder mit in die Schule bringen Zeile 15-27) Tf302: Also ich denke ein ganz großer Aspekt ist mittlerweile die Technik; (.) ähm was Kinder schon Tf301: Mhm Tf302: wissen darüber Tm302: °Mhm;° Tf302: was sie schon selber haben was sie benutzen; weil es is halt einfach so wenn wir nur noch mit m Polylux arbeiten um da (.) ähm ja (2) in dem Sinne ganz böse gesagt jeder @kriegt ne Schiefertafel hingelegt und schreibt mit der Kreide@ das ist halt auch nich mehr zeitgemäß sondern dass man da halt auch gucken muss dass man solche (.) Techniken die ja auch mittlerweile mehr und mehr an den Schule ankommen halt miteinzubauen weil die Schüler selber auch lernen sollen wie ist das mit dem Umgang welche Gefahren kommen dort mit (.) Für Tf302 ist es nicht mehr zeitgemäß, wenn Lehrkräfte »mit m Polylux arbeiten«, ein ursprünglich in der DDR hergestellter Tageslichtprojektor. Sie macht eine Sprechpause, um dann ihr Bild zu erläutern bzw. zuzuspitzen: »in dem Sinne ganz böse gesagt jeder @kriegt ne Schiefertafel hingelegt und schreibt mit der Kreide@…« Die Zuspitzung könnte darauf hinweisen, dass sie befürchtet mit der in der DDR geläufigen Bezeichnung Polylux nicht verstanden zu werden. In der Zuspitzung dokumentiert sich aber auch, dass für sie der Overheadprojektor als Vergleich nicht passt, um auf einen unzeitgemäßen Einsatz von Medien in der Grundschule hinzuweisen. Nur die Schiefertafel ist eindeutig überholt. Angesichts aktueller Debatten bzgl. digitaler Medien und der Abschaffung der Schreibschrift, wäre es jedoch auch möglich, einen unzeitgemäßen Einsatz von Medien über die Verwendung von Papier, Stift und großen Wandkreidetafeln zu illustrieren. Das ist für Tf302 offensichtlich nicht möglich, worin sich ein Orientierungsgehalt dokumentiert, der Papier, Stift und Kreidetafel als nach wie vor passende und zeitgemäße bzw. nicht zu ersetzende Medien einordnet. Tf302 argumentiert, dass neuere Techniken in den Unterricht miteinzubauen sind, womit sie darauf verweist, dass Techniken bzw. Medien, die hier als Techniken verstanden werden, in Bestehendes
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eingefügt werden und nichts verändern sollen. Als Begründung für die Integration der Techniken nennt Tf302 die Schüler*innen, die den Umgang »selber auch lernen sollen«, aber auch, »welche Gefahren kommen dort mit…« Für Tf302 scheint es möglich, dass nicht nur Lehrkräfte, sondern auch Schüler*innen selbst Medien im Unterricht nutzen. Es soll mit Medien umgegangen werden, um zu lernen, wie mit ihnen umzugehen ist und um Gefahren einschätzen zu können; handlungsleitende Kraft entfaltet damit ein korrekter Umgang mit Medien, nicht aber das Ermöglichen von Medienerfahrungen. Die Medienkompetenz des Kindes kann zu einem Kontrollverlust der Lehrkraft führen, die nicht nur befürchten muss, weniger zu wissen und zu können als das Kind, sondern von diesem vorgeführt zu werden. In der Sequenz Nicht gewohnt sind nen Stift zu halten dokumentiert sich zudem, dass Medienkompetenz vor allem als technische Bedienkompetenz eingeordnet wird, die nicht so wichtig ist wie die Entwicklung anderer Fähigkeiten, die durch die Technik verhindert wird. Zunächst wird der Umgang mit digitalen Medien als unumgänglich bezeichnet, dann aber doch abgewehrt. Eine Lehrkraft muss höchstens Kompetenzen in Bezug auf digitale Medien entwickeln, um die Kontrolle über den Unterricht zu behalten, nicht aber um Lehr-Lernprozesse zu gestalten, in denen Kinder etwas mit, durch oder über digitale Medien lernen können: Sequenz Nicht gewohnt sind nen Stift zu halten (GD5 vor OEP Passage Themen, die Kinder mit in die Schule bringen Zeile 92-120) Tf301: […] zum Thema Medien ist es ja auch so dass wir quasi jetzt neu an der PH auch dieses Fach Medien überhaupt haben und (2) immer der Begriff Medienkompetenz fällt die wir er- erwerben sollen die wir den Kindern beibringen sollen und trotzdem gleichzeitig da ja noch sehr kritisch gesehen wird also das ja auch glaub ich ähm (.) ja (.) in Diskussion is oder an manchen Schulen schon eingeführt dass man nich mehr mit Papier schreibt sondern jeder sein Tablet hat ((holt Luft)) und es von Wissenschaftlern aber auch ganz unterschiedlich gesehen und gewertet wird und ich weiß nich ob das von mir aus konservativ is oder einfach nur kritisch weil (.) ich irgendwie so das Gefühl hab dass (2) klar muss man mit Medien umgehen grad in so ner digitalisierten Welt wie wir heutzutage leben aber ich glaub dass ganz viele wichtigen Fähigkeiten verloren gehen wenn man nur noch mit diesen Medien, und, Bildschirmen arbeitet weil einfach das glaub ich auch bewiesen is dass die Konzentration nachs- lässt dass man viel schneller müde wird durch die Strahlen durch die Technik durch was auch immer und sich vielleicht da ablenken lässt und Kinder dann halt Schwierigkeiten ham mal von Hand irgendwie nen Zettel auszufüllen weil sie s nich gewohnt sind nen Stift zu halten und mit nem Stift umzugehen und ich glaub das is halt auch nochmal (2) n neuer technischer Wandel der jetzt auch quasi in unserer Berufung (.) also (.) als Lehrer ne wichtige und neue Rolle spielt; und teilweise vielleicht die Kinder sogar n besseren Umgang mit so Medien haben als wir wo wir auch andere Kompetenzen erwerben müssen damit die nich irgendwie mit nem Handy irgendwas freischalten und plötzlich geht dei:n Bildschirm nich weil die da so n Knopf drücken und du bist da und bist überfordert und die lachen dich aus weil sie irgendwie mehr Ahnung haben als du; und
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Kinder. Medien. Kontrolle.
da vielleicht andere Erfahrungen @schon mitbringen@ @(.)@ Tm302: °@(.)@ Tf301 stellt fest, dass Kinder »ganz viele wichtige Fähigkeiten« verlieren, wenn sie nur noch mit digitalen Medien umgehen. Die wissenschaftlichen Belege, die sie in ihrer Argumentation heranzieht, fokussieren zunächst auf eine gesundheitliche Perspektive – die Konzentration lässt nach, man wird viel schneller müde durch Strahlen – dann aber wird deutlich, dass vor allem Schüler*innen imaginiert werden, die ein Problem für den Unterricht darstellen bzw. das Unterrichten erschweren, weil sie unkonzentriert, müde und abgelenkt sind sowie »Schwierigkeiten ham mal von Hand irgendwie nen Zettel auszufüllen weil sie s nich gewohnt sind nen Stift zu halten und mit nem Stift umzugehen…« Es dokumentiert sich, dass zu einem guten Unterricht konzentrierte Schüler*innen gehören, die nicht abgelenkt sind und mit Stift und Papier arbeiten können. Es zeigt sich, dass die Aufgabe als angehende Lehrerin nicht erfüllt werden kann, wenn Schüler*innen unkonzentriert und abgelenkt sind. Es geht nicht um die Perspektive der Kinder, sondern um die Perspektive der Lehrerin und ihre Aufgabe zu unterrichten. Tf302 spricht unmittelbar nach der Beschreibung der unkonzentrierten, abgelenkten Schüler*innen von unserer Berufung. Sie geht also davon aus, dass sie und ihre Kommiliton*innen als angehende Lehrer*innen sich nicht zu Lehrer*innen entwickeln, sondern berufen bzw. auserwählt sind. Sie bringen schon mit, was gebraucht wird. Heutige Kinder bringen jedoch aufgrund ihrer Mediennutzung nicht mit, was für den Unterricht gebraucht wird, sondern stören diesen, so dass die Erfüllung der eigenen Aufgabe bedroht ist. Die Forderung, dass Schüler*innen mit Stift und Papier umgehen können müssen, verweist auf den Computer als mögliche Bedrohung von Konzepten, die sich u.a. auf die Vermittlung von Schreibkompetenzen beziehen. Wird nicht mehr mit der Hand schreiben gelernt bzw. schreiben geübt und damit, wie ein Stift zu halten und zu führen ist, bleibt offen, was als Aufgabe bzgl. der Vermittlung von Schreibkompetenzen bleibt. Der Computer bedroht nicht nur einen Vermittlungsinhalt. Es offenbart sich auch, dass Schreiben bzw. das Hervorbringen von Text nicht allein auf eine motorische Fertigkeit zu reduzieren ist, sondern weitaus komplexer ist, womit bestehende Vermittlungskonzepte grundsätzlich in Frage gestellt werden. Das hier etwas als bedrohlich und herausfordernd wahrgenommen wird, zeigt sich in der Sequenz Kann s auch geben so ne Welt, in der das, was die Gegenwart beschreibt, als Zukunftsszenario inszeniert wird, um es abwehren zu können: Sequenz Kann s auch geben so ne Welt (GD3 vor OEP Passage Medienbildung Zeile 103-132) Tf201: Vielleicht müssen wir uns auch komplett umstellen; dass wir so wir s machen dass s die Kinder ist jetzt halt so; könnte auch sein die T- rein theoretisch was alles geben könnte Tm202: Ja Tf201: komplett hat jedes Kind von vom Land n iPad zur Verfügung (.) blöd gesagt aber das ist einfach die komplette Medien- (4) wie sagt man (.) Gebrauch von Medien keine Ahnung ((lässt Hand auf den Tisch fallen)) ihr wisst was ich meine dass man das komplett umstellt (.) und alles nur noch online läuft dass auch Kinder in
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der Grundschule Hausaufgaben per Mail verschicken, blöd gesagt aber vielleicht oder am Computer ihre Aufsätze schreiben; kann s auch geben so ne Welt. Tm202: Ja na klar, also ich weiß gar nicht wer das erzählt hat aber es gibt auch einen der kann auch gar nicht mehr wirklich von Hand schreiben weil er weil er das so gut wie nie wieder macht und das ist kein Kind das ist also n erwachsener Typ; ((holt Luft)) (2) ja: aber das würd ich jetzt nich unterstützen; dass sie Tf201: Nee nee klar Tm202: ihre Aufsätze nur noch am Computer schreiben Tf201: klar aber war nur so was es geben könnte oder wohin es gehen könnte. Tm202:Ja natürlich, natürlich könnte es das geben;� aber da muss man dann auch aufpassen wo man hin- hinrutscht. Tf201: Aber warum vielleicht wird s ja irgendwann gar nicht mehr gebraucht; Tm202: @Tja schon@ klar klar Tf201: Vielleicht� braucht man dann keine handschriftlichen Briefe mehr; Tm202: Doch wär ich trotzdem wär ich aber einfach dagegen (.) °in dem Fall° Tf201:@(.)@� Tf201 imaginiert ein Szenario, mit dem die vor dieser Sequenz hervorgebrachte Notwendigkeit sich mit Medien zu beschäftigen, um eine negative Mediennutzung in der Familie auszugleichen und auf die weiterführende Schule vorzubereiten, hinfällig wird. Sie präsentiert eine gegenwärtig alltägliche Mediennutzung nicht nur als extrem, sondern als Fiktion, indem sie diese mit folgenden Äußerungen einordnet: »rein theoretisch was alles geben könnte«, »blöd gesagt« und »kann s auch geben so ne Welt…« Auffällig ist an den Ausführungen die wiederholte Nutzung des Wortes komplett, womit Tf201 andeutet, dass ihr die Beschreibungen für eine wirkliche Fiktion, für etwas Nicht-Reales fehlen, wie auch folgende Anmerkung offenbart: »keine Ahnung ((lässt Hand auf den Tisch fallen)) ihr wisst was ich meine dass man das komplett umstellt (.) und alles nur noch online läuft…« Tm202 reagiert auf die Beschreibungen, indem er von jemandem erzählt, der gar nicht mehr mit der Hand schreiben kann. Er entlarvt die Ausführungen von Tf201 so als nicht fiktiv; dennoch validiert er die Abwehr von Tf201, indem er feststellt: »das würde ich jetzt nich so unterstützen dass sie ihre Aufsätze nur noch am Computer schreiben…« Tf201 stimmt dieser Bewertung zu und betont noch einmal, dass sie eine Dystopie beschrieben hat, hinter der sie nicht steht: »klar aber war nur so was es geben könnte oder wohin es gehen könnte…« Die Imagination verweist auf ein Spannungsverhältnis: Mit der Imagination wird etwas präsentiert, das es zu vermeiden gilt. Die Imagination von Tf201 wird von Tm202 aufgegriffen und erneut validiert, indem er betont »Ja natürlich, natürlich könnte es das geben: aber da muss man dann auch aufpassen wo man hin- hinrutscht.« Der Verweis darauf, dass man aufpassen muss, wo man hinrutscht, bestätigt, dass es vor allem um Kontrolle geht, bzw. um die Angst vor Kontrollverlust. Tf201 kontert mit einer rhetorischen Frage, in der sie behauptet, dass man vielleicht in Zukunft keine handschriftlichen Briefe mehr braucht; dieser Konter ist jedoch kein wirklicher Konter, denn wieder ist es keine Dystopie, obwohl sie von ihr als solche präsentiert wird. Abgewehrt wird so die Auseinandersetzung mit digitalen Medien in Schule und Unterricht. Den Student*innen gelingt die Abwehr vor allem, weil sie Entwicklungen ignorieren, bzw. den
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Kinder. Medien. Kontrolle.
bereits bestehenden Umgang mit digitalen Medien nicht anerkennen. So muss schließlich auch an altbewährten Konzepten, mit denen Kinder das Schreiben lernen sollen, nicht gerüttelt werden: Sequenz Die Kinder sollen ja auch das Schreiben selber machen (GD6 nach OEP Medien in der Grundschule Zeile 158-173) Tf302: wo man dann sicherlich sagt gut dann nehme ich die Tafel weil die Kinder sollen ja auch das Schreiben selber machen Tm301: Mhm Tf302: also is es Tf301: Mhm Tf302: angenehmer für sie wenn sie gleichzeitig mit mir schreiben oder sehen dass ich es schreibe in den kleineren Klassen geht s auch nochmal darum wie: schreibe ich dann Tf301: Mhm Tf302: und das lässt sich doch mit der Tafel ob jetzt nun als Whiteboard oder normale Tafel doch etwas einfacher umsetzen (.) als wenn man am Computer Tf301: Mhm Tf302: das Ganze nur vorschreiben würde und sie schreiben s dann da Tf301: Mhm Tf302: vom Textbild ab Tf302 bearbeitet den positiven Horizont – die Tafel als geeignetes Medium für den Unterricht –, indem sie argumentiert, dass Kinder selber schreiben sollen. Es ist »angenehmer für sie wenn sie gleichzeitig mit mir schreiben oder sehen dass ich es schreibe…« Das Schreiben an der Tafel wird als vom Kind aus gedacht präsentiert, also im Sinne des Kindes. Die Tafel ermöglicht das Vorführen des Schreibens, worin sich die Rolle der Lehrerin als Vorbild, als Vermittelnde bestätigt: Die Lehrerin zeigt dem Kind mit dem Schreiben an der Tafel, wie es selbst die Schreibbewegungen ausführen muss, während ein fertiges Textbild, das Kindern am Computer präsentiert wird, eine solche Vorführung nicht erlaubt. In der Argumentation taucht ein Whiteboard auf – hier aber nicht als ein interaktives Whiteboard verstanden, sondern als Wandtafel, auf der mit Filzstiften geschrieben wird. In der Abwehr des Computers kommt es zu einem Fehlschluss, der aber keine*n der Gesprächsteilnehmer*innen irritiert: An einem interaktiven Whiteboard ist das Vorführen des Schreibens technisch durchaus möglich. Wenn Tf302 sagt »wo man dann sicherlich sagt gut dann nehme ich die Tafel weil die Kinder sollen ja auch das Schreiben selber machen«, scheint die Idee impliziert, dass Kinder auch an der Tafel schreiben dürfen. Näher ausgeführt wird die Tafel aber als ein Medium, das nur der*die Lehrer*in nutzt, und von der das Kind nur abschreiben darf/soll. Medien enthalten damit nicht nur Bewertungen bzgl. ihrer Eignung für einen frontalen Unterricht, sondern auch dazu passende Zugangskontrollen. Das Bedürfnis nach Zugangskontrollen, die über die Nutzung analoger statt digitaler Medien offensichtlich aufrecht erhalten werden sollen, bestätigt, dass vor allem Ängste vor Kontrollverlust handlungsleitend sind, was sich auch in der Sequenz Sonnenfinsternis zeigt, in der digitale Medien als Konkurrenz wahrgenommen werden, weil
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sie von der Lehrerin und den von ihr ausgewählten Lerninhalten/-gegenständen ablenken: Sequenz Sonnenfinsternis (GD2 nach OEP Passage Medieneinsatz im Unterricht Zeile 94-110) Tf102: […]; also was ich (…) ((im Hintergrund hustet jemand)) voll cool fand ähm da war ja am Freitag dann die Sonnenfinsternis und (.) Tf101: Ah ja @(.)@ ((alle lachen mit)) Tf102: bei uns an der Schule ham sie s am Livestream übertragen (2) und das fanden die natürlich megaklasse aber (1) nachdem hat das (.) die dann voll abgelenkt da hatte dann keiner mehr Luscht auf ähm (3) zurück in n Unterricht sondern da wollten se dann lieber gucken was für nem Programm das jetzt ka:m und welcher Laptop das wa:r und wie die verkabelt sind Tf101: @Hm@ Tf102: klar @sind das spannende Fragen aber@ (.) das hat sie dann irgendwie n bisschen abgelenkt (.) an sich die Idee war mega cool also die Kinder waren begeistert (.) und so das fand ich schon auch gut aber (1) ich fand s gut dass die Le:hrer das gemacht haben und nicht zu den Kindern gesagt habt Tf101: Mach mal Tf102: mach mal. Tf102 erzählt, dass der Livestream »voll cool« war, und die Schüler*innen den Livestream »natürlich megaklasse« fanden, aber anschließend keiner mehr Lust hatte, in den Unterricht zu gehen. Die Schüler*innen wollten lieber wissen, auf »was für nem Programm das jetzt ka:m und welcher Laptop das wa:r wie die verkabelt sind…« Darin dokumentiert sich, dass Medien kein Lerninhalt sind. Die Auseinandersetzung über Medien ist kein Unterrichtsinhalt, wobei mögliche Einsprüche dagegen lachend vorweggenommen werden: »klar @sind das spannende Fragen…« Aber eben nicht die Fragen, um die es in einem Unterricht für Grundschüler*innen gehen soll; mehr noch: sie lenken vom Eigentlichen ab: »aber@ (.) das hat sie dann irgendwie n bisschen abgelenkt…«
Orientierung: ein*e Lehrer*in ist Vorbild Die Sequenz Die nehmen dich ja als Vorbild wahr bringt die Vorstellung hervor, dass Kinder sich Lehrer*innen zum Vorbild nehmen und sie damit implizit auffordern, sich als solche zu verhalten. Dazu gehört auch eine Vorbildfunktion im Umgang mit digitalen Medien bzw. in Bezug auf eine sinnvolle Mediennutzung, die zum Unterricht passt: Sequenz Die nehmen dich ja als Vorbild wahr (GD2 nach OEP Passage Smartphonenutzung Lehrkräfte Zeile 200-206) Tf101: Ja klar und die Kinder die sehen das ja dann und denk also die (.) nehmen dich ja als Vorbild wahr so n bisschen Tf103: Ja ja und wenn du immer am Handy bischt (.) färbt das ja ab ((holt Luft)) oder auch Tf101: Ja: (.) vor allem wenn auch n @Handyverbot in der Schule ist@
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Kinder. Medien. Kontrolle.
Tf103: ja Tf101: (…) bisschen dumm. Digitale Medien werden als Verführer beschrieben – und zwar sowohl Kinder als auch Erwachsene verführend. Lehrer*innen handeln vorbildlich, indem sie sich selbst disziplinieren und damit das Kind auffordern, sich selbst zu disziplinieren: Sequenz Nutzen wir das richtig? So WhatsApp und Facebook (GD3 vor OEP Passage Medienbildung Zeile 26-50) Tm202: Da muss ich aber sagen äh (2) nutzen wir das richtig? (2) so WhatsAapp und Facebook und das Tm201: Ja wahrscheinlich nicht nee� Tm202: und das alles oder (.) oder w- oder wollen Tm201: (…)� Tm202: wir einfach nur nich dass die Kinder das genauso nutzen wie wir; (.) Tm201: ATf202: DTm202: weil wenn ich hier in die Vorlesung reinkuck ((verstellt die Stimme, spricht schneller, abgehackt)) wo da alle immer am Handy rumdaddeln in Facebook auf WhatsApp i:mmer i:mmer ((spricht wieder normal)) also natürlich nicht alle aber du siehst immer welche Tf201: Aber wir haben nicht mit sechs angefangen oder mit sieben (…) Tm201: Ja Tm202: Ja das ist klar natürlich nicht da gab es das alles auch noch nich Tf201: Ja Tm202: @(.)@ in diesem Umfang Tf202: @(.)@� Tm202: aber äh wollen wir deshalb dass die: Kinder das nich so machen wie wir? Tm201: Na ja wahrscheinlich; aber (.) Tm202: Aber warum? also gut das is nochmal eine andre Diskussion aber (.) @ich frag mich nur äh@ Die eigene Mediennutzung ist ein Problem, da davon ausgegangen wird, dass Kinder vor allem durch Nachahmung lernen. Tm202 beschreibt die Nutzung des Handys von Kommiliton*innen in Vorlesungen mit »wo da alle immer am Handy rumdaddeln in Facebook und WhatsApp i:mmer i:mmer« Er beschreibt die Mediennutzung der Student*innen wie die Mediennutzung von Kindern: Es wird mit dem Handy rumgedaddelt, statt es sinnvoll zu nutzen, also damit zu lernen. Medien nutzend werden Student*innen wieder zu Kindern, die sich ungezügelt bzw. unkontrolliert verhalten. Medien werden übermäßig genutzt, nämlich »i:mmer i:mmer…« Auffällig ist, dass Tm202 mit verstellter Stimme – schneller und abgehackter – spricht. Es kommt zu einer Veränderung der Sprechmelodie, wobei diese ihren Höhepunkt in dem langgezogenen, betonten, wiederholten i:mmer erreicht, womit er offensichtlich klärt, dass es nicht um das Nutzen von WhatsApp oder Facebook geht, sondern um das ständige Nutzen dieser Anwendungen. Die Ablehnung der übermäßigen Nutzung wird durch den Zusatz bestätigt, dass er nicht alle Kommiliton*innen meint. Damit kann er verhindern, dass sich
8. Darstellung der Ergebnisse
die anderen Gruppendiskussionsteilnehmer*innen von ihm angesprochen bzw. kritisiert fühlen, aber auch zeigen, dass er nicht übertreibt, dass seine Beobachtungen differenziert sind. Tf201 weist darauf hin, dass ihre Generation nicht mit der Generation heutiger Kinder zu vergleichen ist, da sie selbst nicht angefangen haben, mit sechs oder sieben ein Handy zu nutzen. Damit wird die eigene Kindheit von der heutigen abgegrenzt und implizit die Befürchtung artikuliert, dass die Entwicklung heutiger Kinder problematischer ist als die eigene. Die eigene Mediennutzung mag unreflektiert sein, aber wie wird erst die zukünftige Mediennutzung der Kinder aussehen, die bereits in der Grundschule ständig digitale Medien nutzen? Die Vorbildfunktion wird in einem weiteren Abschnitt als Problem beschrieben und damit das Lernen mit, durch und über digitale Medien in der Grundschule als nicht umsetzbar präsentiert: Sequenz Alder ich seh dich die ganze Zeit an deinem Handy (GD3 vor OEP Passage Medienbildung Zeile 96-102) Tm202: ja ja ich überleg ja auch nur was und wie man die an die Medien heranführt was genau willscht dene beibringen; willscht dene sagen benutz s nich so oft es könnt dir schaden (.) Tf201: @(.)@ Tm201: @Ha ha@ das klingt dann auch (…) Tm202: D- da sagen die @aber selber Alder ich seh dich die ganze Zeit an deinem Handy@ (.) und so kaum sitzt du im Bus drinnen ((macht Tippgeräusche nach, alle lachen)) Für Tm202 scheint es nichts zu geben, was bezüglich der Anwendung von Programmen oder auch der Art ihrer Anwendung in der Grundschule vermittelbar ist: »was genau willscht dene beibringen; willst dene sagen benutz s nich so oft es könnt dir schaden…« Tm201 deutet an, dass er die Darstellung von Tm202 überzogen findet. Was er sagt, ist nicht vollständig zu hören, weil er von Tm202 unterbrochen wird, der ein weiteres Beispiel zur Unterstützung seiner These einbringt. Er beschreibt dabei nicht nur, wie er sich die Reaktion von Schüler*innen auf seine Handynutzung vorstellt, sondern spielt nach, wie er im Bus an seinem Handy sitzt, tippt und dabei von Schüler*innen beobachtet wird, so dass sie ihm keine Vorgaben bzgl. Mediennutzung abnehmen können. Auf seine Inszenierung reagieren alle mit einem Lachen. Offenbar kennen sie das, was er vorführt, bzw. teilen sie seine Erfahrung. Die Frage, was Kindern in Bezug auf digitale Medien vermittelt werden kann bzw. soll, wird von Tm202 bereits in der Sequenz Hallo: das braucht kein Kind mehr zum Thema gemacht, in der er feststellt, dass Kinder im Grunde schon alles wissen, was sie wissen können bzw. was ihnen in der Grundschule über digitale Medien vermittelt werden kann: Sequenz Hallo: das braucht kein Kind mehr (GD3 vor OEP Passage Medienbildung Zeile 66-94) Tm202: Ja aber dann müsste man denen andere bei- Sachen beibringen zum Beispiel wie kann man so n iPad wie nennt man s rooten oder so; (.)
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Kinder. Medien. Kontrolle.
Tm201: Mhm Tm202: und und nich @wie: kannst du mit deinem iPad des und des machen@ das wissen die alle; Tf201: @(.)@ Tm202: @das glaubscht du mir aber@ Tm201: Mhm Tf202: Aber auch net alle es kommt halt auch voll auf die soziale Herkunft drauf an °und ich find das ist halt auch wieder° Tm202: Klar aber pff� (.) ja dann hat der eine des iPad einmal die Woche in seiner Klasse ich glaub das feiert der dann auch net so ab der wird dann auch seinen Kumpel finden (.) und mit dem iPad abhängen; aber andere Sachen lernen wie installiert man Windows auf nem Rechner hat habt ihr jemals sowas jemals gelernt? so was muss heut is das einfach aber das ging mal schwieriger Tm201: Mhm Tf201: @(.)@ Tm202: und so was musst man sich selber beibringen, (.) ich find wie i- einfach mal n Computer mal die wichtigen Sachen was ist da alles drin (.) we- wenn wenn da auf einmal ganz laut wird der Computer was könnt s sein, ah vielleicht ne Lüftung kaputt oder sowas; (.) und nich nur okay wie funktioniert des Programm ((spricht mit höherer Stimme)) da machst du jetzt n Doppelklick ((die anderen lachen)) kannst auch mit rechts klicken ((alle lachen)) und da- ((senkt Stimmlage wieder)) hallo: das braucht kein Kind mehr; Tm201: Ja nee ((klopft mit der leeren Wasserflasche auf den Tisch)) das mein ich auch nich Tm202: das können sie doch (.) ruckzuck Tm201: ja also (.) In der Äußerung »das können sie doch (.) ruckzuck« dokumentiert sich, dass Lehrer*innen keine Selbstläufer vermitteln, dass sie da sind, um etwas zu vermitteln, etwas zu zeigen, was sich Kinder nicht alleine erschließen können. Tm202 validiert, dass das iPad und seine Handhabung Thema in der Schule werden müssen. Er stellt aber auch heraus, dass es dabei nicht um einfache, oberflächliche Bedienkompetenzen gehen soll: »Ja aber dann müsste man denen andere bei- Sachen beibringen zum Beispiel wie kann man so n iPad wie nennt man s rooten oder so; (.)« Tm201 bestätigt das mit einem unterbrechenden »Mhm«, während Tm202 seine Ausführungen fortsetzt, indem er begründet, dass so etwas wie Rooten ein Lerninhalt ist, den er sich vorstellen kann, weil Kinder die Anwendung eines Tablets bereits beherrschen, wobei er nicht konkretisiert, was er meint, was alle schon können und kennen: »und und nich @wie: kannst mit deinem iPad des und des machen@ das wissen die alle…« Tm201 lacht und deutet damit an, dass er versteht, was Tm202 meint, und Tm202 schiebt hinterher: »@das glaubscht du mir aber@«, womit er darauf hinweist, dass er in diesem Kontext Erfahrungen gemacht hat bzw. weiß, wovon er redet. Hiermit bestätigt Tm202 den normativen Gehalt, dass Kinder bereits Medienerfahrungen mitbringen, die Kinder früher nicht gemacht haben; mehr noch, dass sie mit Erfahrungen in die Schule kommen, die man sich als Lehrkraft nicht unbedingt vorstellt, die sich aber bestätigen, wenn man Kinder außer-
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halb von Schule erlebt. Tm202 spricht Inhalte an, die vermittelt werden sollten, die sich von den bisherigen Andeutungen bzgl. dessen, was vermittelt werden sollte – wie die Nutzung von Powerpoint auf dem Computer oder die Nutzung von Anwendungen auf dem Tablet –, unterscheiden. Der normative Gehalt schließt jedoch an vorherige Ausführungen an, wie auch der von Tm201 aufgeworfene Orientierungsgehalt, dass Lehren und Lernen instruktiv zu gestalten sind: Die Lehrkraft vermittelt, bringt bei. Das Kind lernt, indem ihm etwas beigebracht wird, es lernt das, was es lernen soll. Da für Tm202 in Bezug auf digitale Medien eigentlich nur Lerninhalte in Frage kommen, die voraussetzen, dass die Schüler*innen lesen und schreiben können – wie das Rooten eines iPad – wird die Auseinandersetzung mit digitalen Medien wieder abgewehrt. Während über fehlende Lerninhalte, die sich für die Grundschule eignen, Medien abgewehrt werden können, werden in der Gruppendiskussion GD7 digitale Medien von Beginn an weder als Lehr-, noch als Lernwerkzeuge oder gar Lerninhalte zum Thema. Sie tauchen ausschließlich als praktische Werkzeuge auf, um Unterricht, Schule oder Familie zu organisieren. So wird das Handy zunächst akzeptiert, wenn Eltern es ihren Kindern als Notfallhandy mit in die Schule geben: Sequenz Notfallhandy (GD7 vor OEP Passage Medien im Unterricht Zeile 94-111) Tf403: Also bei uns wurden nur Spiele immer drauf gespielt; also das war so das Wichtigste Tf404:°Mhm° Tf401: aber jetzt nich während dem Unterricht irgendwie ne Tf403: Nee Tf401: so dass man die einsammeln Tf403: Nee nee Tf401: muss oder irgendwas oder was machen die dann damit? Tf403: Also, durften überhaupt nicht rausgeholt werden; sonst werden sie echt gleich eingesammelt Tf401: Mhm Tf402: a:ber ham sie sich auch nicht getraut die Kinder Tf401: Okay Tf402: also da hatten sie dann schon noch (.) Respekt vor; und das war eigentlich auch nur so (.) ja so n Notfallhandy (.) falls mal Tf401: Ja Tf402: was wär von den Eltern mitgegeben Tf401: Ja °okay verstehe°� Tf403 erzählt auf Nachfrage von Tf401, dass die Handys im Unterricht nicht rausgeholt werden dürfen. In der Nachfrage von Tf401 schwingt die Befürchtung mit, dass der Unterricht durch die Handys gestört werden könnte, bzw. die Lehrkraft sich mit den Handys beschäftigen muss, sich um sie kümmern muss, um Störungen zu unterbinden. Tf402 erzählt, dass die Kinder sich nicht getraut haben, die Handys rauszuholen, was Tf401 offensichtlich beruhigt, denn sie reagiert darauf mit einem Okay. Die Lösung des Handyproblems über das Ausüben von Druck verweist auf eine hierarchische Beziehung zwischen Kind und Lehrkraft. Tf402 führt weiter aus: »also da hatten sie dann
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Kinder. Medien. Kontrolle.
schon noch (.) Respekt vor;«: Noch ist das Kind ein Kind, entsprechend hat es »schon noch Respekt« und lässt sich lenken; in dieser Aussage dokumentiert sich die Annahme, dass sich das mit zunehmendem Alter ändert. Dass die Eltern ihren Kindern für den Notfall ein Handy in die Schule mitgeben, wird in der sich anschließenden Sequenz, mit der die Passage endet, problematisiert: Sequenz Sind halt immer Spiele drauf (GD7 vor OEP Passage Medien im Unterricht Zeile 112-122) Tf403: aber klar (.) sind halt immer Spiele drauf und das war halt deswegen so das Tf402: Ja Tf403: Hauptding für die; (2) aber ham sie auch immer erst (.) na:ch der Schulzeit dann rausgeholt; also in der Schule oder in der Pause durften sie s Tf401: Mhm Tf403: überhaupt nicht rausholen (2) Tf401: °Okay° (6) mhm (7) ((TN lachen leise)) I: Okay dann herzlichen Dank (.) dass Sie mitgemacht haben Tf401: °Mhm° Hier wird das Handy als mögliche Unterrichtsstörung inszeniert, weil auf ihm Spiele sind, von denen Kinder nicht lassen können. Da die Eltern den Kindern die Handys mitgeben, erscheinen sie als Ursache des Problems. Ein an der Schule existierendes Handyerbot verhindert jedoch, dass es zu Unterrichtsstörungen kommt, und wird so als einzig mögliche Lösung präsentiert, einen störungsfreien Unterricht zu garantieren.
8.2.3
Konstruktion: Eltern
Als Lehrkraft vom Kind ausgehend zu handeln, beinhaltet anderen gegenüber als Anwalt des Kindes aufzutreten und sie in dieser Rolle aufzufordern, ebenfalls vom Kind ausgehend zu handeln – hierzu gehören vor allem Eltern: Sequenz Moment das Kind ist acht (GD1 vor OEP Passage Anforderungen an Lehrkräfte Zeile 40-53) Tm101: Also was ich auch ganz wichtig ist finde dass gerade in der Grundschule diese dieser Leistungsdruck der in unserer Gesellschaft schon so früh eingebracht wird einfach nochmal ein bisschen gebremst wird und dass da auch viel Arbeit mit den mit den Eltern eben entsteht die dann sagen mein Kind muss aber mein Kind soll aber mein Kind ((holt Luft)) äh hat jetzt Sinologie Bratsche und Klavier und dazwischen soll sie noch Fußball und Ballett machen; und dass man da die El- also auch einen einen großen, Anteil mit den (.) Eltern in Erziehungsfragen klärt; beziehungsweise die vielleicht dann auch ein bisschen bremst und sagt Mo:ment das Kind ist acht (.) das braucht (.) Zeit zum Spielen und darf sich auch mal dreckig machen; dann hat es später dann schon nicht so viele Allergien; °oder so° ((zustimmendes Lachen der anderen)) Tf102: Ich find es auch Tm101: also das finde ich sehr sehr wichtig.
8. Darstellung der Ergebnisse
Tm101 weist auf einen zunehmenden Leistungsdruck in der Gesellschaft hin; dieser Leistungsdruck wird aber individualisiert, indem die Verantwortung dafür, dass Kinder unter Leistungsdruck stehen, den Eltern zugeschrieben wird: Eltern tragen den Druck an die Kinder heran und damit auch in die Schule, wo er zum Problem wird, denn die Überforderung der Kinder durch ihre Eltern muss von der Lehrkraft ausgeglichen werden. Tm101 präsentiert sich als Anwalt des Kindes, wobei sein Bild von den ehrgeizigen Eltern an Presseberichte erinnert, die Eltern als überehrgeizig und ihre Kinder dressierend beschreiben.10 Der Druck, der auf den Kindern lastet, muss nicht nur direkt bei den Kindern ausgeglichen werden, sondern auch bei den Eltern, mit denen es gilt, Erziehungsfragen »zu klären…« Dabei sind Erziehungsfragen jedoch keine Verhandlungssache, sondern Eltern muss die richtige Erziehung vermittelt werden. Tm101 scheint Partei für das Kind zu ergreifen, präsentiert dann jedoch in seiner Beschreibung vor allem, was Eltern in Bezug auf das, was Kinder brauchen, vermittelt werden muss. Dabei geht es um ein bestimmtes Entwicklungsziel, eine Optimierung des Kindes, wenn er sagt: »Mo:ment das Kind ist acht (.) das braucht (.) Zeit zum Spielen und darf sich auch mal dreckig machen; dann hat es später dann schon nicht so viele Allergien; °oder so°…« Er bringt die Allergien vor, als wolle er damit Eltern überzeugen, aber er ordnet Eltern damit auch als übervorsorglich ein und damit die Entwicklung des Kindes behindernd. Die Beschreibung deutet auf die Vorstellung hin, dass nur in einem gesunden Körper ein gesunder Geist lebt, dessen Entwicklung Aufgabe von Lehrer*innen ist. Deutlich wird damit, wie digitale Medien in der Kindheit einzuordnen sind. Damit sie die Entwicklung von Kindern nicht beeinträchtigen, sollten sie in der Kindheit am besten gar nicht vorkommen.
Orientierung: Eltern stören In der folgenden Sequenz wird die Vorstellung, wie Kinder sich richtig entwickeln, weiter zugespitzt: um sich richtig zu entwickeln, müssen sie sich von den Eltern lösen. Sequenz Kinder von Eltern lösen (GD1 vor OEP Passage Anforderungen an Lehrkräfte Zeile 54-61) Tf104: Ja ich find es auch wichtig dass die Eltern mit einbezogen werden aber ich finde das sollte man irgendwie begrenzen dass man die Kinder auf im Unterricht von den Eltern loslöst (.) dass man Tm101: Ja Tf104: die dann irgendwie, keine Ahnung dass man zum Beispiel nicht nu:r dann lernt mit denen sondern dass man auch mal geschwind rausgeht ein Spiel mit denen spielt im Unterricht das bisschen auflockert und dann wieder weitermacht und ((holt Luft)) Tf104 stimmt Tm101 darin zu, dass die Eltern eine Rolle spielen, doch sie verändert den Gehalt. Ihr geht es nicht darum, mit Eltern Erziehungsfragen zu klären, sondern sie nicht in alles einzubeziehen. Kinder sollen im Unterricht von ihren Eltern gelöst
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https://www.stern.de/familie/kinder/ehrgeizige-eltern--die-dressur-zum-perfekten-kind3233626.htmlvom 02.03.2019
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Kinder. Medien. Kontrolle.
werden: »dass man die Kinder auf im Unterricht von den Eltern loslöst (.)…« Im Unterricht gehört das Kind der Lehrkraft, die Lehrkraft bestimmt, wann was gemacht wird und was passt. Mit der Äußerung, dass nicht nur gelernt werden soll, sondern draußen gespielt, inszeniert sich Tf104 als vom Kind ausgehend bzw. am Kind orientiert denkend, als die Interessen des Kindes gegenüber den ehrgeizigen Eltern vertretend. Doch schließlich wird deutlich, dass es vor allem darum geht, den Unterricht aufzulockern und damit das Kind so zu gestalten, dass es sich zu einem*einer Lerner*in entwickelt, oder besser: dass es unterrichtet werden kann, für den Frontalunterricht optimiert wird. In der Sequenz Daimlertypie fordert eine Eins zeigt sich, dass die Vorstellung, dass Kinder in der Schule von ihren Eltern losgelöst werden sollten, in eine Angst vor der Kommunikation mit Eltern eingebettet ist: Sequenz Daimlertypie fordert eine Eins (GD1 vor OEP Passage Anforderungen an Lehrkräfte Zeile 83-93) Tf102: und das finde ich was was (.) so ein bisschen am Anfang unüberwindbar wirkt; so, wie die Eltern da so mit reinTf104: Ja wobei ich finde auch Tf102: °gebracht werden° Tf104: dass die Pädagogen so ein bisschen abgestempelt werden Tf102: °Ja @(.)@° Tf104: so gerade wenn dann so ein Daimlertypie ankommt und dann ist das der Vater und dann sagt der ((leises Lachen im Hintergrund)) zu so einem kleinen unselbstbewussten Mädchen, ja komm mein Sohn der kriegt eine Eins und du bist doch nur dumme Grundschullehrerin Tf102: Mhm Offensichtlich wird befürchtet, dass in der Kommunikation mit Eltern die eigene verbliebene Kindheit aufgerufen wird, die einen für die Ausführung der Lehrer*innenrolle notwendigen, erwachsenen Auftritt gefährdet. Tf104 sagt, dass Pädagoginnen »so ein bisschen abgestempelt« werden; Eltern erkennen demnach die Kompetenzen der (angehenden) Lehrerinnen nicht an – offensichtlich geht es sowohl um die Kompetenzen der Studentinnen, die ins Schulpraktikum gehen, worauf die Äußerung »zu so einem kleinen unselbstbewussten Mädchen« hinweist, als auch um die fertig ausgebildete Grundschullehrerin. Auch sie bleibt eine »dumme Grundschullehrerin…« Der Daimlertypie ist der Gegenpol zu der dummen Grundschullehrerin, der Typ Mensch mit einer Profession am anderen Ende: Er ist selbstbewusst und -sicher, er macht etwas, das in dieser Gesellschaft, aber eben auch von Tf104 anerkannt wird, sonst würde sie ihn nicht als jemanden beschreiben, der sie und ihre zukünftige Profession so abstempeln kann. Tf104 geht davon aus, dass Eltern die Entscheidungen einer Grundschullehrerin nicht als professionell begründet einordnen, entsprechend respektieren sie die Entscheidungen einer Grundschullehrerin nicht, sondern verhandeln mit ihr über diese: »ja komm mein Sohn der kriegt eine Eins…« Tf104 präsentiert hier zudem Schulnoten als die Währung der Schule.
8. Darstellung der Ergebnisse
In einer Folgesequenz Wie mit Eltern kommunizieren, wenn die nicht richtig Deutsch sprechen werden Eltern darüber hinaus als nicht erreichbar für die Vermittlung notwendiger Erziehungshinweise dargestellt, womit die Kommunikation mit Eltern abgewehrt werden kann: Sequenz Wie mit Eltern kommunizieren, wenn die nicht richtig Deutsch sprechen (GD1 vor OEP Passage Anforderungen an Lehrkräfte Zeile 123-131) Tf103: und gerade aber was ich auch finde wobei ich das einerseits gut finde k- in Schriftspracherwerb ähm haben wir viel mit Migrationshintergründen zu tun; also was tun wenn die Kinder eigentlich zu Hause nur Türkisch reden Tf102: Mhm Tf103: und da ist aber dann wieder gleich die Problematik wie will man mit den Eltern kommunizieren wenn die nicht mal richtig Deutsch sprechen; also wie will ich den Eltern zeigen wie sie es besser machen können. Tf103 argumentiert, dass es nicht möglich ist, mit Eltern zu kommunizieren, »wenn die nicht mal richtig Deutsch sprechen…« Ausgehend von der Frage »was tun wenn die Kinder eigentlich zu Hause nur Türkisch reden«, wird der Anspruch, mit Eltern zu kommunizieren als problematisch bzw. nicht umsetzbar dargestellt; obwohl die Kommunikation gerade mit diesen Eltern für besonders wichtig gehalten wird, denn ihnen muss gezeigt werden, »wie sie es besser machen können…« Verknüpft ist hiermit die Vorstellung, dass, wer mit seinen Kindern nicht Deutsch spricht, nicht nur nicht richtig Deutsch sprechen, sondern auch sein Kind nicht richtig erziehen kann. Eltern mit Migrationsgeschichte werden hier stigmatisiert: Sie sind ein noch größeres Problem als andere Eltern. Tf103 beschreibt diese Eltern auch nicht als ein Problem, sondern als eine Problematik, was sich als eine Gesamtheit aller Probleme in Bezug auf einen Sachverhalt lesen lässt. Während es herausfordernd, aber auch überflüssig erscheint, mit einem Daimlermitarbeiter über die Noten seines Sohnes zu feilschen, ist es wichtig, aber unmöglich mit Eltern zu kommunizieren, die eine Migrationsgeschichte haben. Legitimiert wird nicht nur die Abwehr einer Kommunikation mit Eltern, sondern auch ein segregierender Unterricht: Um die Eltern und damit ihre Kinder auf einen Sprachstand bzw. Entwicklungsstand zu bringen, damit man sie »reinkriegt«, wie Tf102 in einer Folgesequenz sagt, muss es erst einmal möglich sein, mit ihnen zu reden. Eltern sind in der Vorstellung der Student*innen Gegenspieler*innen, die entweder nicht zugänglich sind oder mit denen es keinen Sinn macht zu kommunizieren. Am Ende bleibt nur das Kind, über das die notwendige Kommunikation laufen kann: Sequenz In einem Wisch war das weg und vorbei (GD4 nach OEP Passage Störungen Zeile 92-128) Tm201: Also Elternkommunikation is vielleicht auch noch so ne Sache; (.) das muss man glaub ich auch können (.) und üben und irgendwie Tf201: Harte Schale haben Tm201: °ja° Tm201: @Ja da war eine Lehrerin die war echt gut@; also ich glaub die hat das die hat das gar nicht so bewusst gemacht; ich glaub das war auch schon so drin; die
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war auch schon n bisschen älter; da kam so kam @so n Mädel ah-@ (.) so n ganz schüchternes k- kommt so mit ihrer Oma an die sie gerade abgeholt hat das war nach der Schule; und die Oma sagt so ((verstellt die Stimme, spricht langsamer und etwas höher)) o:h die ((spricht wieder normal)) ich weiß gar nich mehr wie sie hieß ((verstellt die Stimme wieder)) die hat den ganzen Tag nichts getrunken ((spricht wieder normal)) und dann geht nur die Lehrerin zu °dem hin° und sagt ha wieso hascht nix dabei gehabt? sagt die Oma wieder ((verstellt die Stimme)) nee nee ((spricht wieder normal)) und sie so aber bei uns gibt s doch was zum Trinken; nächstes Mal sagst du uns einfach Bescheid; zack war alles geregelt; die Oma konnt auch nichts mehr sagen und das Mädchen ist weitergelaufen; Tm201: Ja Tm202: und ich dacht mir erst so oh ey jetzt ist die Oma bestimmt sauer und da geht jetzt noch irgendwas; aber das hat die Lehrerin einfach so tschup (2) in einem Wisch war das weg und vorbei ((schlägt die Hand auf den Oberschenkel)) weiter geht s; das fand ich schon, das fand ich gut Tm201: Ja Tm202: nur nich zu arg drauf einlassen weil mh- (.) was willscht n da machen; kannst dir natürlich auch von der Oma anhören wieso wieso: kriegt kriegt meine Enkeltochter nichts zum Trinken? °oder so° aber so das hat die Lehrerin keine Sekunde so aufgenommen; und ich stand halt direkt daneben und ich war kurz so ho hups Tf202: Wie reagiere ich jetzt am besten (.) °ja° Tm202: Mhm; und die macht das einfach so ganz locker Tf202: locker Tm202: joa das hat mir schon gut gefallen joa @(.)@ Tm201: Das ist aber auch Übungssache wahrscheinlich Tm202: Ja:: die ist wie gesagt die ist auch schon älter die macht das ja auch schon ne Weile Tm201: °Mhm;° Tm201 präsentiert mit seiner Erzählung ein Beispiel für Kommunikation, in der sich eine Lehrerin konsequent durchsetzt und nicht auf eine Beschwerde eingeht, die von einer Großmutter vorgetragen wird. Die Lehrerin geht auf die Großmutter ein, die ihr vorhält, dass ihre Enkelin den ganzen Tag nichts getrunken hat, indem sie sie nicht direkt anspricht, sondern das Kind. Die mit Eltern bzw. mit der Familie unmögliche Kommunikation wird vom Kind kompensiert. Dass hier Verantwortung auf das Kind geschoben wird, wird dadurch deutlich, dass das Kind aufgefordert wird, sich um sich selbst zu kümmern: »und geht nur die Lehrerin zu °dem hin° [zu dem Kind, GK] und sagt ha wieso hascht nix dabei gehabt? […] bei uns gibt s doch was zum Trinken; nächstes Mal sagst du uns einfach Bescheid; zack war alles geregelt…« In der Gruppendiskussion GD7 scheint zunächst genau das Gegenteil gefordert zu werden: Eltern sollen als Hilfslehrer*innen eingespannt werden. Es zeigt sich jedoch in der Sequenz Erst mal mit den Eltern, dass Eltern auch hier – im Bund mit der Medienerziehung – eigentlich aus dem Unterricht verbannt werden sollen:
8. Darstellung der Ergebnisse
Sequenz Erst mal mit den Eltern (GD7 vor OEP Passage Medien im Unterricht Zeile 33-43) Tf402: Ich find das in der Grundschule ist das eher ich weiß nich ob ich da überhaupt (.) einmal die Woche (.) ähm (.) äh da überhaupt i- etwas Tf403: Ja (…)� Tf402: mit dem Computer machen würde; ich meine die müssen irgendwann Tf404: Eigentlich� Tf402: Referate machen; und (.) da werden sie sowieso anfangen wenn sie jetzt zum Beispiel ihren den Hasen vorstellen müssen werden sie sowieso an den Computer gehen; auch erst mal mit den Eltern Tf403: Mhm Tf402: und sich da was raussuchen ich glaub so viel würd ich auch gar nicht machen; Tf402 argumentiert, dass es nicht notwendig ist, einmal in der Woche etwas mit dem Computer in der Grundschule zu machen, da Kinder sich mit ihren Eltern für Referate von sich aus mit dem Computer auseinandersetzen. Es muss also nicht aktiv herbeigeführt werden; gleichzeitig wird die Vorstellung vermittelt, dass sich nicht vermeiden lässt, dass Eltern und Kinder den Computer nutzen, egal welche Haltung eine Lehrkraft dazu hat. Die Motivation von Kindern und Eltern, an den Computer zu gehen, wird von Tf402 als durch die Schule bzw. die Aufgaben, die in der Schule gestellt werden, herausgefordert beschrieben. Dennoch werden die Eltern als diejenigen präsentiert, die Kinder dazu bringen, etwas am Computer zu machen, obwohl es eigentlich nicht passend für sie ist. So kann das Gesicht gewahrt werden: Die Lehrkraft kann sich als kindorientiert präsentieren, ohne sich dem Vorwurf aussetzen zu müssen, dass etwas nicht stattfindet, was aufgrund aktueller Medienentwicklungen als Erwartung an Grundschullehrer*innen herangetragen wird. Eltern führen Kinder nicht nur in den Computer ein, sondern sorgen auch – wie bereits weiter oben erwähnt – dafür, dass Handys in der Schule landen, obwohl sie hier zu Störungen führen können. In der Passage Medien in der Grundschule erzählen die Student*innen auf die offene Frage, welche Erfahrungen sie in ihren Schulpraktika mit dem Thema Medien und Kinder gemacht haben, bzw. was die Kinder in Bezug auf Medien mit in die Schule bringen, sofort, wie Handyverbote an ihren Schulen umgesetzt und beachtet wurden. Es dokumentiert sich erneut, dass Medien für die Gruppendiskussionsteilnehmer*innen vor allem als etwas zu Regelndes/zu Verbietendes Relevanz haben, aber auch, dass sich Eltern als Gegenspieler*innen vorgestellt werden: Sequenz Auf jeden Fall durfte es nicht auf dem Tisch liegen (GD6 nach OEP Passage Medien in der Grundschule Zeile 83-99) Tf302:Also bei uns in der Grundschule war s so dass ich denke für Gameboys komplett nen Verbo- also zumindestens wenn dann nur in der Tasche nicht draußen liegend haben ähm Handy hieß es es gibt n Verbot ich weiß aber dass, zwei drei Kinder eins in der Tasche hatten weil das dann auch mal gepiept hat ähm ob das jetzt an der Stelle daran lag dass dort äh die Eltern gesagt haben für den Notfall
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Kinder. Medien. Kontrolle.
weil das Kind alleine nach Hause laufen soll dass es das dabei hat ähm das weiß ich nich genau aber auf jeden Fall durfte es nicht auf m Tisch liegen; oder irgendwo sichtbar sein und dort hat man ganz stark das Ger- ähm ja diese Gerechtigkeitsgefühle dann gesehen weil ich hab ich musste einen Tag das Handy na- vor- ho:len in der Pause weil ich n auf -nen wichtigen Anruf gewartet habe das hatte ich auch mit der Lehrerin geklärt gehabt und dort ham die Kinder das nach diesem Telefonat gesehen @und mich darauf hingewiesen dass es ja keine Handys in der Klasse geben darf@ ähm das hatten wir dann besprochen warum ich das vorgeholt habe danach war das auch wieder weg und gar kein Thema mehr;… Eltern widersetzen sich Handyverboten, indem sie Kindern für den Notfall ein Handy mitgeben bzw. in die Tasche stecken; sie werden als diejenigen präsentiert, die Störungen in Schule hineintragen. Damit wird notwendig, dass Kinder Regeln so verinnerlichen, dass sie sich selbst kontrollieren bzw. Regeln mit durchsetzen, die Schule und Unterricht erfordern. Tf302 berichtet, dass sie ihr Handy in der Schule hervorgeholt hat und von den Kindern daran erinnert wurde, dass Handys an der Schule nicht erlaubt sind. Lachend erzählt sie, dass die Kinder sie darauf hingewiesen haben, »dass es ja keine Handys in der Klasse geben darf…« Die Kinder haben das Verbot, das vor allem ihnen gilt, so verinnerlicht, dass sie es selbst aussprechen; sie befolgen damit nicht mehr nur Regeln, sondern fordern sie selbstständig ein, reglementieren sich selbst und andere. Präsentiert wird die Internalisierung der Regel aber nicht als beigebracht, vermittelt oder eingeübt. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass sie dem Gerechtigkeitsgefühl von Kindern entspricht. In Bezug auf Schule dokumentiert sich die Orientierung, dass diese nur möglich ist, wenn ihre klar geregelten Strukturen und Hierarchien nicht irritiert werden, womit sich auch ein Orientierungsgehalt bzgl. Lehrer*in sein und Schüler*in sein offenbart: der*die Lehrer*in gibt vor, wo es lang geht, wobei von den Schüler*innen nicht nur eine Nachahmung verlangt wird, sondern die Entwicklung von bestimmten Haltungen, Einstellungen, so dass sie die vorgegebenen Strukturen mit realisieren. Das ist nicht möglich, wenn sie nicht als Kinder in die Schule kommen und sich der Lehrkraft unterordnen, wofür wiederum ihre Eltern verantwortlich sind. In der Gruppendiskussion GD9 erklärt Tf503, dass es notwendig ist, Eltern zu schulen. Dies soll allerdings nicht geschehen, damit Eltern selbst mit Medien umgehen können, sondern nicht das zerstören, was Lehrkräfte bei einem Kind erreicht haben. Eltern werden als Verführer präsentiert: Sequenz Zweigleisig (GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 418-426) Tf503: Aber ich find nich nur mit den Schülern sondern auch mit den Eltern; Tf505:Ja also ja Tf503: weil ich glaub wenn du als Lehrerin anfängst und da schulst und so und die Eltern leben s anders vor die Kinder werden s trotzdem nich so von dir annehmen wie wenn (.) also ich find da muss man schon auch zweigleisig Tf502: Ja (.) ja Tf503: fahren weil sonst erreichst du das nich
8. Darstellung der Ergebnisse
Bezogen auf Sorgearbeit lässt sich eine Konkurrenzsituation zwischen Lehrer*innen und Eltern herauslesen, vor allem aber, dass Grenzen bzgl. Sorgearbeit verschwimmen. So wird angedacht, zweigleisig zu fahren und sowohl Kinder als auch Eltern in Bezug auf Medien zu schulen, aber zugleich auf die Verantwortung, ja auf die Macht der Eltern hingewiesen: Leben sie ihren Kindern etwas falsch vor, können Lehrer*innen nichts mehr ausrichten. Die Idee, Eltern zu schulen, scheint die logische Konsequenz. Zugleich ermöglicht sie aber auch eine Abwehr jeglicher Aufgaben, die mit Medienerziehung zu tun haben: Wenn Eltern sich nicht auf eine Schulung einlassen, ist auch alles andere nutzlos. Präsentiert wird eine Machtlosigkeit von Schule bzw. Lehrer*innen, die auch in der Sequenz Wenn die Eltern zu Hause da nich hinterherrennen hervorgebracht wird. Auch hier wird zunächst betont, dass Eltern mit ins Boot zu holen sind: Sequenz Wenn die Eltern zu Hause da nich hinterherrennen (GD10 ISP Passage Medienbildung in der Grundschule Zeile 128-143) Tm601: ich find man kann im Unterricht noch so viel sagen hey im Internet gibt s auch Suchmaschinen da könnt ihr auch mal gucken (2) keine Ahnung früher war s dieser Felix dieser komische Hase mit dem man dann irgendwie was machen konnte was lernen konnte; heut gibt s da ja auch (.) fünfhundert andere Sachen; (2) wenn die Eltern dann zu Hause da nich hinterherrennen und sagen hey komm setz dich mal an n Computer und guck mal ob da irgendwie zu deinem Thema dass du grad im Sachunterricht hast oder in Deutsch behandelst, wie wär s wenn wir da mal gucken ob wir da noch was finden; vielleicht gibt s ja irgendwie n Spiel mit dem man dann (.) keine Ahnung lernen kann wie die Verben funktionieren wie: Adjektive gehen wie man Substantive schreibt ganz egal; (.) wenn die Eltern da halt nich dabei sind hast du als Lehrer verloren; und deswegen musst du da versuchen die Eltern irgendwie ins Boot zu holen; Tf60?:Mhm Tm601: was dann natürlich auch wieder ne relativ (2) schwere Geschichte sein wird (.) teilweise (2) Die Aufgabe, sich in der Grundschule mit digitalen Medien auseinanderzusetzen, wird abgewehrt, auch wenn es an Medienangeboten, die sich für Kinder eignen bzw. mit denen Kinder etwas spielerisch lernen können, nach Ansicht der Student*innen nicht mangelt. Eine sinnvolle Mediennutzung, sprich: ein Lernen mit Medien bzw. die Nutzung von Medien, mit denen gelernt werden kann, funktioniert aber nicht ohne den Einsatz der Eltern. Hier geht es nicht nur darum, dass Eltern etwas verhindern, sondern dass sie etwas tun müssen: »wenn die Eltern dann zu Hause da nich hinterherrennen und sagen hey komm setz dich mal an n Computer und guck mal ob da irgendwie zu deinem Thema dass du grad im Sachunterricht hast oder in Deutsch behandelst, wie wär s wenn wir da mal gucken ob wir da noch was finden;…« Tm601 beschreibt eine klassische Situation, die eigentlich in die Schule gehört. Er sagt, dass die Eltern »irgendwie ins Boot« geholt werden müssen. Tatsächlich müssen sie nicht irgendwie ins Boot geholt werden, sondern ganz bestimmte Aufgaben übernehmen, von denen angenommen wird, dass Schule sie nicht leisten kann. Sie sollen klassische Aufgaben von Lehrer*innen übernehmen: »vielleicht gibt s ja irgendwie n Spiel mit dem man dann (.) keine
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Ahnung lernen kann wie die Verben funktionieren…« Wobei Tm601 Bedenken bzgl. der Umsetzbarkeit äußert, indem er hinzufügt: »was dann natürlich auch wieder ne relativ (2) schwere Geschichte sein wird (.) teilweise (2)…« Es wird nicht ganz deutlich, ob gemeint ist, dass es schwierig oder aufwändig wird, alle Eltern zu motivieren, ihre Rolle einzunehmen, oder Kinder das Problem sind, die nicht das machen, was sie sollen.
Orientierung: Eltern verantworten Fehlentwicklung ihrer Kinder Medienerziehung wird in den Gruppendiskussionen als ein Teil von Sorgearbeit wahrgenommen; die angehenden Lehrer*innen sehen die Eltern in der Verantwortung bzw. versuchen diese, den Eltern aufzutragen, vermitteln dabei aber gleichzeitig den Eindruck, dass nicht sie eine Verantwortung versuchen abzugeben, sondern Eltern ihnen eine Aufgabe übertragen, die nicht ihre ist: Sequenz Wo erziehen sie noch ihre Kinder (GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 237-263) Tf507: darum find ich auch wenn es grad um das Thema geht was wir jetzt grad besprechen, muss man die Eltern mit ins Boot holen Tf502: Ja Tf507: weil die Schule nimmt eigentlich so gesehen nen kleinen den kleinsten Teil ein vom von der Woche (.) ähm (2) übers Ganze gesehen wenn man jetzt auch nich in der Ganztagsschule is, wie viel sind die Kinder in der Schule? fünf Stunden; und den Rest sind sie zu Hause; das heißt die meiste Zeit (.) ist es die Pflicht der Eltern danach zu schauen Tf502: Ja Tf506: Wobei mittlerweile find ich nich mehr; Tf5011: °Mhm° Tf506: wie viele Mittagsschulen gibt s schon? Tf507: Ja das is dann Tf506: Dann genau aber das hat sich find ich auch entwickelt einfach Tf507: Ja das kann ja positiv Tf506: und welchen Eltern also was nehmen die Elternteile teilweise noch als (.) wo: schulen die noch ihre Kinder wo erziehen sie noch ihre Kinder und ich glaub teilweise ist das Interesse an dem eigenen Kind so: zurückgegangen Tf509: Mhm Tf502: Mhm Tf506: hab ich s Gefühl (2) und ähm wenn ich dann auch hör ja ich war bei der Oma am Wochenende und des is oft oder (3) ja allgemein die Familienverhältnisse sind schon schwieriger, (.) und (.) die Kinder haben oft Langeweile mit was beschäftigen sie sich mit dem was aktuell is; das sind die Medien find ich (.) schon für die Kinder (.) Tf507 argumentiert, dass Eltern verantwortlich sind, weil Kinder mehr Zeit zu Hause verbringen als in der Schule. Ihre Formulierung ist unsicher; als stelle sie während des Sprechens fest, dass der Beleg, den sie für ihr Argument präsentieren möchte, nicht ganz stimmig ist, zumal ihr beim Sprechen offenbar einfällt, dass sie in ihrer Behauptung nicht berücksichtigt hat, dass es Ganztagsschulen gibt. Sie wehrt die gesellschaft-
8. Darstellung der Ergebnisse
liche Erwartung ab, dass Schulen Teile von Sorgearbeit übernehmen. Indem sie klärt, dass es die Pflicht der Eltern ist, nach der Mediennutzung ihrer Kinder zu schauen, dokumentiert sich, dass es um eine Kontrolle bzw. Überwachung der Kinder geht und nicht darum, ihnen etwas über Medien zu vermitteln. Die defizitäre Familie, die von der Schule ausgeglichen werden muss, präsentiert sich auch in der Formulierung von Tf506: »und welchen Eltern also was nehmen Elternteile teilweise noch als (.) wo: schulen die noch ihre Kinder wo erziehen sie noch ihre Kinder und ich glaub teilweise ist das Interesse an dem eigenen Kind so: zurückgegangen…« Familienverhältnisse werden im Vergleich zu früher als schwieriger beschrieben, wobei die Gründe dafür den Eltern zugeschrieben werden, die sich nicht ausreichend für ihre Kinder interessieren. Als Beleg für die veränderten Familienverhältnisse dient, dass Kinder das Wochenende bei ihrer Oma verbringen. Die Verwendung des Begriffs Elternteile deutet an, dass davon ausgegangen wird, dass es mehr alleinerziehende Eltern gibt. Diese Entwicklung wird mit der Nutzung digitaler Medien verknüpft und so negativ konnotiert: Die schwierigen Familienverhältnisse führen bei Kindern zu Langeweile und dadurch zu einer Beschäftigung mit digitalen Medien. In der Sequenz Reizüberflutung verweist Tf502 mit der Beschreibung, dass Eltern es nicht mehr im Griff haben, implizit auf die Wahrnehmung der Erwartung, als angehende Lehrerin Folgen veränderter Familienverhältnisse ausgleichen zu müssen. Tf502 schafft in ihrem Umgang mit dieser Erwartung Entlastung, indem sie von der Perspektive des Kindes auf die Perspektive der Erwachsenen wechselt und davon spricht, dass der Mensch generell »nicht die (.) das ganze Wochenende mich vor (.) nen Bildschirm hocken und irgendwie (.) nichts mehr mitbekommen« sollte. Damit stehen die Eltern wieder in der Verantwortung: Sequenz Reizüberflutung (GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 334-361) Tf502: dass es irgendwie dass man auch wenn auch jetzt grad im ISP wenn man wirklich in Kontakt mit Schülern ist dass man oft hört dass die Eltern dass einfach irgendwie (2) nicht mehr wirklich im Griff haben da (4) in Ordnung zu handeln und auch für die Kinder das Beste zu machen weil das ganze Wochenende zocken ist für das Kind nicht das Beste das is nich (2) das was was n Kind machen sollte in dem Alter; oder auch generell was n Mensch machen sollte; man sollte nicht die (.) das ganze Wochenende mich vor (.) nen Bildschirm hocken und irgendwie (.) nichts mehr mitbekommen; Tf511: Aber i- ich find auch das hat sich irgendwie so entwickelt wenn man Tf503: °Mhm° Tf511: jetzt mal schaut jetzt auch schon Spielsachen für Kleinkinder da blinkt und (.) Tf501: Mhm Tf511: trö- äh also es gibt lauter Laute und äh Geräusche und irgendwelche Reize von sich also, ich denk mir teilweise dann braucht man sich gar nicht mehr wundern was für Kinder man später dann da später hat weil alles nur noch (.) Reizüberzu ner Reizüberflutung irgendwann führt und (.) wenn s jetzt kein normales Buch mehr gibt wo man sondern nur noch mit Tasten drücken
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Kinder. Medien. Kontrolle.
Tf502: Mhm Tf511: oder sonscht was also, so ne gewisse Anzahl is ja alles in Ordnung aber wenn dann alles nur noch blinkt und irgendwie mit Batterien und sonstwas funktioniert Tf502: @(.)@ Tf511: also ich find s echt furchtbar; Tf504: Ja Tf511 illustriert in der Sequenz Reizüberflutung die Vorstellung von einer veränderten Kindheit mit Hilfe blinkender, batteriebetriebener Spielsachen. Dabei entsteht zunächst der Eindruck, dass sich wandelnde Strukturen bzw. größere Zusammenhänge in den Blick genommen werden, die zu einer Medien- und Konsumkindheit führen. Die herausfordernden Strukturen einer Konsumgesellschaft sind aber nicht das eigentliche Thema, sondern von Tf511 wird vielmehr die Verschiebung der Verantwortung auf Eltern wiederholt, über die es heißt, dass sie sich nicht wundern brauchen, wie sich ihre Kinder entwickeln, wenn sie nur reizüberflutendes Spielzeug haben. Tf511 erklärt, dass nicht alles blinken sollte, sondern Kinder auch ein normales Buch brauchen. Das automatisierte Spielzeug, das nur über Tasten und mit Batterien funktioniert, wird mit dem Buch verglichen und normativ aufgeladen: Das Buch ist der Gegenpol, das positiv besetzte Medium, mit dem sich Kinder auseinandersetzen sollen, womit deutlich wird, was Kinder im Grundschulalter vor allem sollen: lesen lernen. Es stellt sich die Frage, über was für Spielzeug Tf511 hier genau spricht, und ob mit diesem auch digitale Medien gemeint sind. Sie verwendet Bilder, die Spielzeuge der vergangenen Jahrzehnte beschreiben, dennoch ist es möglich, dass sie auf eine aktuelle Herausforderung hinweist. So sind Smart-Toys, die vermehrt auf dem Spielzeugmarkt angeboten werden, zwischen Spielzeug und Kommunikationsmitteln anzusiedeln und entsprechend problematisch: »Bei Smart-Toys handelt es sich um neue, zwischen Spielzeug und Kommunikationstool angesiedelte Hybridpuppen oder -geräte. Sie sind über eine Schnittstelle direkt oder indirekt mit dem Internet verbunden und weit mehr als reines elektronisches Spielzeug. Ein Smart-Toy ist ein für ein junges Zielpublikum gedachtes Kommunikationstool.«11 In der Formulierung »man sollte nicht die (.) das ganze Wochenende mich vor (.) nen Bildschirm hocken« und durch das darin verwendete Reflexivpronomen mich dokumentiert sich, dass Tf502 sich selbst disziplinieren muss und Entsprechendes von allen anderen auch erwartet. Die eigenen Bedürfnisse, die es zu kontrollieren gilt, werden nicht nur den Eltern zugeschrieben, sondern auch auf die Kinder projiziert. Eltern übernehmen in der Vorstellung der Student*innen ihre Verantwortung nicht, weil sie sich zu sehr gehen lassen, sich selbst wie Kinder verhalten, für die sie somit keine Vorbilder sein können. Das geht so weit, dass sie von ihren Kindern nichts mehr mitbekommen, weil sie vor dem Bildschirm hocken, statt sich mit ihnen zu beschäftigen und sich um sie zu kümmern. Sie sind aber in der Vorstellung der Student*innen auch zu bequem, wie die folgende Sequenz zeigt:
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https://www.bee-secure.lu/de/themen/internet-of-things/smart-toysvom 11.03.2019
8. Darstellung der Ergebnisse Sequenz Die Bequemlichkeit von den Eltern (GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 299-305)
Tf506: Aber ich glaub das is oft auch bequem; al- also die Bequemlichkeit von den Eltern Tf502: Ja v- ja die denken Tf506: dass es natürlich einfacher is das Kind vors iPad zu setzen anstatt dass ich mich damit beschäftige Tf502: Ja im Restaurant äh man will sich unterhalten hier spiel ((mehrere TN stöhnen))(.) Katastrophe; @(.)@ Tf506 wirft den Orientierungsgehalt auf, dass Eltern aus Bequemlichkeit ihre Verantwortung nicht übernehmen. Dieser Gehalt erscheint wie eine Antwort, wie eine Lösung für das Dilemma bezüglich der Frage, wie sich die Aufgabe abwehren lässt, ohne selbst verantwortungslos handelnd zu erscheinen: Wenn Eltern nur zu bequem sind, ihre Kinder richtig zu erziehen, und nicht etwa veränderte gesellschaftliche Strukturen, die sich auf familiäre Situationen auswirken, dafür der Grund sind, lassen sie sich ohne Bedenken in die Verantwortung nehmen. Tf502 unterbricht Tf506 mit einer Zustimmung und beginnt selbst den Gedanken fortzuführen, wird dabei aber wieder von Tf506 unterbrochen, die argumentiert, dass es einfacher ist, ein Kind vor ein iPad zu setzen als sich mit ihm zu beschäftigen. Damit spitzt sie den Orientierungsgehalt zu: Eltern werden nun nicht mehr nur in die Verantwortung genommen, sondern ihnen wird unterstellt, dass sie sich mit Hilfe von Medien versuchen von ihrer Verantwortung zu befreien. Das Muster der machtlosen Lehrerin, die nichts gegen die Versäumnisse bzw. das Fehlverhalten der Eltern gegenüber ihren Kindern tun kann, zeigt sich auch in der Gruppendiskussion GD10, obwohl hier angedeutet wird, dass sich die Student*innen als angehende Lehrer*innen mit dem Thema Medien auseinandersetzen müssen, um Eltern darauf hinweisen zu können, dass sie den Medienkonsum ihrer Kinder besser kontrollieren sollten: Sequenz Die Lehrkraft kann sagen was sie möchte (GD10 Passage Medienbildung in der Grundschule Zeile 68-96) Tf605: Die Frage is halt auch ähm (2) wenn s die Eltern erlauben (.) dann is es (.) also wenn zu Hause einfach ((Husten Tm601)) die Möglichkeit gegeben is und die Eltern stehen dahinter oder denen is es total egal Tf604: Ja Tf605: dann kann ich mir auch vorstellen dass die Lehrer- kraft sagen kann was sie, möchte, Tf603: Ja aber ich glaub Tf605: (…) Tf603: trotzdem dass man s sagen müsste also Tf605: Ja find ich auch auf jeden Fall Tf603: ja was die dann davon mitnehmen oder so (.) ja wie s dann zu Hause interpretiert wird (…) Tf604: Mhm Tf60?: °Mhm° Tf605: Das hat man dann irgendwie hat nicht in der Hand °also°
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Kinder. Medien. Kontrolle.
Tf604: Ich glaub auch gerade vielleicht wei:l die Me:dien (.) weil die Medienentwicklung in den letzten Jahren so rapide schnell war (.) dass wir da einfach ähm (.) dass die Eltern sich da auch immer noch keine Gedanken so wirklich gemacht haben (2) wie: der Rahmen für die Kinder sein soll mit der Medien- äh im Umgang mit den Medien; und dass wir dann einfach (.) dadurch dass wir dadurch uns (2) mit dem Thema auseinandersetzen, ((räuspert sich)) oder äh durch das Studium auseinandersetzen soll- auseinandersetzen sollten ähm (3) dass wir da deswegen einfach auf jeden Fall mal den Anstoß geben (.) müssen oder Anstoß geben können, für die Eltern dass sie auch darüber nachdenken dass es einfach nich sein kann dass das n Kind (2) zehn Stunden am Tag vor m (.) PC sitzt und irgendwelche (.) Filme auf YouTube anschaut oder irgendwelche Ballerspiele so was spielt; (2) Tf605 präsentiert Eltern als Gegenspieler von Lehrkräften: »dann kann ich mir auch vorstellen dass die Lehrer- kraft sagen kann was sie, möchte,…« Tf603 validiert den Orientierungsgehalt, dass Eltern verhindern können, dass eine Medienerziehung vermittelt durch Lehrer*innen Wirkung zeigen kann, betont aber, »dass man s sagen müsste…« Tf605 bestätigt diesen Gehalt, den Tf603 dann weiter ausführt: »ja was die dann davon mitnehmen oder so (.) ja wie s dann zu Hause interpretiert wird…« Auch wenn sie eine Aufklärung der Eltern für notwendig hält, vermittelt Tf603, dass sie nicht unbedingt davon ausgeht, dass sie etwas bringt, was von Tf604 und einer weiteren Teilnehmerin bestätigt wird. Die Aufgabe von Lehrer*innen in Bezug auf Medien wird von Tf603 mit der Formulierung, »dass man s sagen müsste« auf eine Ansage an die Eltern reduziert, während Tf605 wiederholt die Machtlosigkeit der Lehrer*innen herausstellt – auch die Machtlosigkeit derer, die versuchen Eltern aufzuklären –, indem sie feststellt dass man das, was die Eltern interpretieren »nicht in der Hand« hat. Damit kann es nicht Aufgabe von Lehrer*innen sein, mit Eltern Medienerziehungsfragen auszuhandeln bzw. zu verhandeln. Tf604 differenziert zwar den Gehalt, dass Lehrer*innen auf das, was Eltern ihren Kindern in Bezug auf Medienerziehung bzw. die Nutzung von Medien mitgeben können, keinen Einfluss haben, indem sie anmerkt, dass Lehrer*innen Eltern Impulse geben sollten: »den Anstoß geben (.) müssen oder Anstoß geben können, für die Eltern dass sie auch darüber nachdenken dass es einfach nich sein kann dass das n Kind (2) zehn Stunden am Tag vor m (.) PC sitzt und irgendwelche (.) Filme auf YouTube anschaut oder irgendwelche Ballerspiele so was spielt; (2)…« Hier dokumentiert sich eine Ohnmacht in der Übertreibung zehn Stunden am Tag; auch geht es nicht um irgendwelche Spiele, sondern um irgendwelche Ballerspiele, also Schieß- bzw. Waffen- und Kriegsspiele. Für einen Moment erscheint Tm604 Partei für die Eltern zu ergreifen, da sie feststellt, dass die schnelle Medienentwicklung der vergangenen Jahre Eltern offensichtlich überrumpelt haben muss. Dann erscheinen Eltern aber – im Gegensatz zu den angehenden Lehrer*innen – als gedankenlos; auch wenn Tf604 ansetzt, zunächst sich selbst und ihre Kommiliton*innen ebenfalls als von der Medienentwicklung überrascht zu beschreiben: »dass wir da einfach ähm (.) dass die Eltern sich da auch immer noch keine Gedanken so wirklich gemacht haben (2) wie: der Rahmen für die Kinder sein soll mit den Medien- äh im Umgang mit den Medien…« Sie und ihre Kommiliton*innen sind schließlich doch vorbereiteter bzw. wissender als Eltern, weil sie sich »mit dem Thema auseinandersetzen, ((räuspert sich)) oder äh durch das Studium auseinan-
8. Darstellung der Ergebnisse
dersetzen soll- auseinandersetzen sollten ähm (3) müssen«, wobei das Abbrechen und erneute Ansetzen in der Ausführung dieses Gedankens darauf hindeutet, dass die Auseinandersetzung mit Medien im Studium eher als Soll erlebt wird und nicht als etwas, das tatsächlich im Studium ausreichend stattfindet bzw. stattgefunden hat. Nichtsdestoweniger bleiben die Eltern das entscheidende Problem und die Verantwortung der angehenden Lehrer*innen darauf reduziert, Eltern anzustoßen, sich Gedanken zu machen, denn umsetzen sollen die Medienerziehung Eltern, nicht Lehrer*innen.
Orientierung: Eltern hindern Lehrer*innen daran ihre Aufgabe zu erfüllen Lehrer*innen sind aber nicht nur machtlos aufgrund der Versäumnisse der Eltern, sondern Erziehung – und damit auch Medienerziehung – ist in der Vorstellung der Student*innen eine Aufgabe, die Lehrer*innen zugeteilt wird, obwohl sie im Kontext von Schule gar nicht leistbar ist: Sequenz Dass man das in der Schule eigentlich gar nich leisten kann (GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 270-285) Tf506: Ding und ähm irgendwie is es dann schon immer mehr die Aufgabe, (.) oder wird uns zugeteilt auch die Kinder zu erziehen, (.) was is ich teilweise (.) nich unsere Aufgabe find; aber es wird uns zugeteilt und ich find man muss da trotzdeauch dessen dass es einem auch nich (2) dass ich es teilweise auch nich als meine Aufgabe seh so: viel zu erziehen; weil ich setz eigentlich schon gewisse Grundbausteine voraus und die sind aber teilweise nich gegeben Tf501: Mhm Tf506: ähm (2) muss man s doch auch machen weil sonst die Kinder einem Tf502. Ja ja ich find diese Sensibilisierung is einfach nicht vorhanden Tf506: Ja Tf502: und ähm a- ((eine TN im Hintergrund hustet)) ich ich stimm dir da zu dass man das in der Schule eigentlich gar nich leisten kann weil ähm in der Schule (.) gibt s Regeln an die sich die Kinder dann oft auch halten, und dann kommen die Eltern irgendwie zum Elterngespräch und sagen ja bei mir macht er das nie: so und ähm (.) und dann is halt find ich wirklich zu Hause das Problem Tf506: Mhm Tf502: weil die Eltern inzwischen nicht mehr sagen hier ist die Grenze erreicht und ähm, so und so lange darf du zocken und du darfst das und das Spiel zocken aber andere Sachen werden gar nich auf das iPad runtergeladen das gibt’s hier nich ähm (2) Tf506 stellt fest, dass von Lehrer*innen erwartet wird, dass sie zunehmend Kinder erziehen, weil Eltern ihrer Verantwortung diesbezüglich nicht mehr nachkommen. Sie versucht diese Aufgabe abzuwehren. Die Grammatik bzw. Wort- und Satzabbrüche machen deutlich, dass die Abwehr problematisch ist, denn irgendjemand muss die Erziehungsaufgabe wahrnehmen, da ein erzogenes Kind Voraussetzung für einen erfolgreichen Unterricht ist. Es geht also nicht um das Kind, das zu erziehen ist, damit es mit Medien umgehen kann, sondern darum, die eigene Aufgabe als Lehrer*in erfüllen zu können. Tf506 betont diesen Gehalt, indem sie sagt: »ähm (2) muss man s doch auch
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machen weil sonst die Kinder einem…« Hier wird sie von Tf502 zustimmend unterbrochen. Ein mögliches Ende für den Satz wäre »auf der Nase rumtanzen…« Tf502 ergänzt die Ausführungen von Tf506, indem sie davon spricht, dass die Sensibilisierung nicht vorhanden ist – gemeint ist offensichtlich die Sensibilisierung der Eltern für die Notwendigkeit, ihren Kindern Grenzen zu setzen. Die Übernahme dieser Aufgabe wehrt sie mit der Feststellung ab, dass »man das in der Schule eigentlich gar nich leisten kann…« Sie legitimiert nicht nur die Abwehr der Aufgabe, sondern auch ein mögliches Versagen im Unterricht: Schule kann die Erziehung der Kinder nicht übernehmen. Und wenn Eltern es nicht tun, muss damit gerechnet werden, dass Lehrer*innen den von ihnen erwarteten Unterricht nicht umsetzen können. Tf502 argumentiert, dass sich die Störung, die Eltern dadurch verursachen, dass sie die Verantwortung für die Erziehung ihrer Kinder nicht übernehmen, besonders in der Medienerziehung zeigt bzw. manifestiert: »weil die Eltern inzwischen nicht mehr sagen hier ist die Grenze erreicht und ähm, so und so lange darf du zocken und du darfst das und das Spiel zocken aber andere Sachen werden gar nich auf das iPad runtergeladen das gibt’s hier nich ähm…« Sie wirft damit einen Orientierungsgehalt bzgl. Medienerziehung auf – dieser besteht darin, den Medienkonsum der Kinder in seiner Dauer und inhaltlich zu kontrollieren – aber auch bzgl. Erziehung an sich, die über Verbote und Drohungen gelingen soll, was sich vor allem in der Formulierung »das gibt s hier nich« ausdrückt. Es geht um Selbstverzicht und Selbstregulierung, die Eltern ihren Kindern vermitteln sollen. Aufgeworfen wird ein Orientierungsgehalt bzgl. des Medienumgangs von Kindern sowie ihrer Motivation Medien zu nutzen: Kinder wollen nur mit Medien spielen, und wenn sie nicht reglementiert werden, artet das Spiel aus.
Orientierung: Eltern erziehen ihre Kinder nicht Eltern sind in der Vorstellung der Student*innen im Umgang mit digitalen Medien und der aktuellen Medienwelt, vor der sie ihre Kinder bewahren sollen, überfordert und daddeln selber rum. Ihnen fehlen Medienwissen und -kompetenzen für einen adäquaten bzw. erwachsenen Umgang mit digitalen Medien. Dennoch werden Medienwissen und -kompetenzen in der folgenden Sequenz nicht als Lösung präsentiert. Vielmehr werden digitale Medien als so wirkmächtig dargestellt, dass selbst Wissende – womit sich die Student*innen vor allem selbst meinen und entsprechend ihr eigenes Medienhandeln als bedacht und zurückhaltend beschreiben – ständig herausgefordert werden. Mehr noch: der Mediendruck steigt so, dass sich ihm selbst Student*innen, die sich den Medien verweigern wollen, hingeben müssen: Sequenz Die daddeln die ganze Zeit nur rum (GD1 vor OEP Passage Medienerziehung in Familie und Schule Zeile 476-505) Tm101: °Ja° oder w- wie soll denn n Grundschulkind damit umgehen können wenn pff i m- ich sag jetzt mal einfach nicht mal wir mit umgehen können; Tf102: Mhm Tm101: also wir sind da auch noch überhaupt nicht bereit; also man muss irgendwelche (.) Pärchen oder oder Freundes- (.) also Cliquen oder oder ja Pärchen is n gutes Beispiel, es geht n Pärchen essen da müsst ihr mal drauf kucken wie oft der
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eine oder andere Partner da immer auf sein Smartphone kuckt und dann denk ich (3) was was Tf104: Das ist auch häufig n Thema @wie glücklich man miteinander ist@ @(.)@ ((alle lachen)) Tm101: @was was postet ihr denn was postet ihr denn@ oder ich hab Kumpels dass die ihren Morgenstuhl nicht posten ist echt alles ((schlägt mit den Händen auf seine Oberschenkel, die anderen lachen)) also die posten wirklich alles und ich denk warum ist das denn wichtig für die Welt? (.) hä äh, also das is und äh Tf102: °Ja° (…) Tm101: echt und gerade bei Pärchen ist es so schlimm, ich sitz dann da mit meinem mit meiner Freundin dann denk ich so (.) ((leises Lachen andere TN)) pf äh also ich gut ich hab kein Smartphone; sie hat sich -s auch schon beklagt; sie hat gesagt mit dir kann ich gar nicht WhatsApp machen Tf102: @(.)@ Tm101: aber ich mein sorry ((lässt Hände in den Schoß fallen)); aber es ist halt echt so die daddeln die ganze Zeit nur rum. Tf102: Und das ist eben die Kinder ler- sehen das bei uns; die sehen wie wir das machen; Tm101: Und wir können s nicht und wir können es nicht kontrollieren Tf102: eben wir können nicht damit umgehen Tm101: wie können wir es von einem Zehnjährigen verlangen; Tm101 validiert zunächst einen in einer vorangegangenen Sequenz von Tf103 aufgeworfenen Orientierungsgehalt und wirft dann einen neuen Orientierungsgehalt auf bzw. deutet einen Themenwechsel an: Ihm geht es darum, zu problematisieren, wie zum einen Erwachsene Smartphones nutzen und zum anderen seine Distanz zu dieser Nutzung zu präsentieren. Er fragt lachend, was da in Sozialen Netzwerken gepostet wird, und betont mit der rhetorischen Frage weniger Nicht-Wissen als Unverständnis für das, was da gepostet wird. Er unterstreicht mit einer Erläuterung, dass seine Kumpel nicht nur private, sondern intime Inhalte posten und sie so für ihn völlig unverständlich öffentlich machen: »dass die ihren Morgenstuhl nicht posten ist echt alles ((schlägt mit den Händen auf seine Oberschenkel, die anderen lachen)) also die posten wirklich alles…« Er ordnet die Posts als ungeeignet und überflüssig für die öffentliche Kommunikation in Sozialen Netzwerken ein, was der Nachsatz »also die posten wirklich alles und ich denk warum ist das denn wichtig für die Welt?« bestätigt. Dass er sich davon distanziert, dass er aus Überzeugung nicht mitmacht, klärt vor allem der Hinweis, dass er kein Smartphone hat, obwohl seine Freundin sich schon darüber beschwert hat, weil sie nicht mit ihm über WhatsApp kommunizieren kann. Der Verweis auf die Freundin zeigt, wie Techniken und Kommunikationsformen auch in sein Leben eindringen, obwohl er sich aktiv dagegen wehrt: Medien werden damit als überwältigend beschrieben, als eine Macht, gegen die sich eigentlich niemand wehren kann. Anknüpfend an die Feststellung, dass an den Smartphones die ganze Zeit rumgedaddelt wird, argumentiert Tf102, dass Kinder sich das von den Erwachsenen abgucken. Tf102 will erst sagen, dass Kinder lernen, korrigiert sich dann aber: »Und das ist eben die Kinder ler- sehen das bei uns; die sehen wie wir das machen …« Tf102 geht
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davon aus, dass Kinder sich das Verhalten der Erwachsenen abgucken und es übernehmen, aber nicht lernen – hinweisen könnte sie damit auf die Vorstellung, dass Lernen etwas ist, das nur in der Schule, nicht außerhalb von ihr stattfindet, aber auch auf die Vorstellung, dass Kinder erst einmal nicht denken und lernen, sondern vor allem nachahmen. Umso bedeutsamer ist es, dass Erwachsene sich als Vorbilder präsentieren. Doch im Kontext von digitalen Medien sind sie vor allem schlechte Vorbilder. Dies scheint nicht nur durch die Mediennutzung der Eltern, sondern auch durch aktuelle Familienstrukturen bedingt. So wird in der Gruppendiskussion GD1 zunächst über den Computer und das Internet gesprochen, das von Tm101 als bedrohend eingeordnet wird: »und das is ganz arg ganz also das seh ich gerade in eine gefährliche Richtung laufen muss ich ganz ehrlich sagen; weil man kann sich über das Internet inzwischen a:lles anschauen; auch wenn man irgendwelche Seiten gesperrt hat oder sonst irgendwas;…« (Gruppendiskussion GD1 vor OEP Passage Medienerziehung in Familie und Schule Zeile 315-318) Diese Einordnung führt schließlich zu einer lebhaften Auseinandersetzung über aktuelle Familienstrukturen; der schnelle Sprecherwechsel deutet auf eine Fokussierungsmetapher hin und damit auf eine für die Student*innen hohe Relevanz des Themas: Sequenz Dann lass ich mich eben scheiden (GD1 vor OEP Passage Medienerziehung in Familie und Schule Zeile 323-376) Tf101: also was bei uns denk ich mal noch anders war, also bei mir zumindest, war halt dass meine Mama daheim war; die hat ähm ich war das ers- erste Kind und dann kamen noch zwei weitere und sie war halt immer daheim; das heißt ich hatte auch halt ne Ansprechpartnerin und ich glaub isch immer der Drang da dazu äh mein Kind so schnell wie möglich wieder abzugeben dass ich wieder arbeiten kann; und ich glaub des is vielleicht auch ähm (.) n Problem die Eltern haben da oft auch gar keine Handhabe weil sie nicht wissen was ihr Kind eigentlich macht während ich beim Arbeiten bin Tf104: Genau des ist es Tf103: °Ja° Tf101: in in klar also die in Tf103: Aber man kann s sich auch nich mehr leisten dass die Mutter zu Hause bleibt; Tf101: Nee Tf103: das geht auch f- finde ich in der heutigen Gesellschaft nicht mehr Tf101: Ja Tf102: Eben Tf103: außer der Mann verdient so viel aber, das ist einfach so dass man in der Gesellschaft Tf102: Ja Tf103: immer dann auch wieder arbeiten muss. Tf102: ja Tf104: Beziehungsweise arbeiten will es gibt einfach so viele Frauen die so karrieregeil sind; Tf103: Ja klar (2) die ja
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Tf104: aber ich denk des ist das ist n wichtiger Punkt weil meine Ansicht ist dass es natürlich, natürlich n schwieriges Thema isch aber dass es machbar ist weil ihr alle behauptet hättet es wär überhaupt nicht machbar die Kinder davon (.) hm galso dass die gar nich damit in Berührung Berührung kommen; Tf103: Nee °nee° Tf104: gut das hab ich auch nich gemeint aber, also was ich mein wenn s ne heile Familie ist funktioniert das auch und dann wird es auch funktionieren wie es bei uns war; das ist gut dass du das gesagt hast Tf101: Aber s gibt aber Tf104: mit den Alleinerziehenden oder was weiß ich klar da ist es schwieriger Tf101: ja s gibt halt weniger hei- äh heile Familien; also @wenn wir mal ehrlich sind ähm@ Tf104:Klar; aber Tm101: Mhm. Tf104: Ja: Tf101: da hab ich n Problem mit meinem Ehepartner, gut, dann lass ich mich scheiden; Tf103: Ja Tf101: okay früher waren es, @äh jetzt driften wir voll ab vom Thema aber@ @(.)@ ((die anderen TN lachen mit)) @aber trotzdem@ früher war das halt voll verpönt wenn man sich scheiden lassen hat da hat man sich so zusammengerauft und sich d- wieder dass ne Familie da: ist; und das ist halt heute auch nicht mehr so; Tf103: Ja heute macht man es °(…)° Tf105: Das stimmt. Tf101 erzählt, dass ihre Mutter immer da war und sie immer eine Ansprechpartnerin hatte, während heute »isch immer der Drang da dazu äh mein Kind so schnell wie möglich wieder abzugeben dass ich wieder arbeiten kann; und ich glaub des is vielleicht auch ähm (.) n Problem…« Indem sie davon spricht, dass es den Drang gibt, mein Kind abzugeben, fällt sie in die erste Person Singular zurück und weist darauf hin, dass sie den Drang für sich selbst imaginiert. Das frühe Abgeben des Kindes führt zu einem Kontrollverlust über das Kind: »Eltern haben da oft auch gar keine Handhabe weil sie nicht wissen was ihr Kind eigentlich macht während ich beim Arbeiten bin…« Der beschriebene Drang wird zunächst als gesellschaftlicher Druck präsentiert und nicht als etwas, was Eltern vorzuhalten ist. Tf104 münzt den gesellschaftlichen Druck jedoch in eine persönliche Entscheidung um, indem sie nicht mehr davon spricht, dass es in der Gesellschaft nicht möglich ist, als Frau nicht zu arbeiten, sondern viele Frauen arbeiten, weil sie »so karrieregeil sind…« Frauen müssen also nicht nur aus finanziellen Gründen arbeiten, sondern arbeiten, weil sie Karriere machen wollen. In der Wahl des Adjektivs karrieregeil dokumentiert sich die Annahme einer egoistischen Haltung: Ohne Rücksicht auf Verluste werden von Frauen eigene Interessen in den Vordergrund gestellt und damit über das Kind, was Tf104 mit folgender Ausführung stützt: »des ist das ist n wichtiger Punkt weil meine Ansicht ist dass es natürlich, natürlich n schwieriges Thema isch aber dass es machbar ist…« Wer will, kann also anders, bzw. »wenn s ne heile Familie ist funktioniert das auch und dann wird es auch funktionieren wie es bei
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uns war…« Tf104 idealisiert Vergangenes und damit die eigene Kindheit. Der Begriff heile Familie entlarvt ihre Idealisierung, denn er verweist auf ein überholtes traditionelles Familienbild, das die Mutter als ausschließlich für die Kinder sorgend und den Vater als Alleinverdiener beschreibt. Tf101 unterbricht Tf104 und kündigt mit »Aber s gibt aber« eine Divergenz oder zumindest eine Differenzierung an. Bevor Tf101 ihren Einwand einbringen kann, präsentiert Tf104 ihn jedoch selbst: »mit den Alleinerziehenden oder was weiß ich klar da ist es schwieriger…« Die Formulierung »oder was weiß ich« deutet an, dass sie diesen Aspekt nicht weiter vertiefen wird bzw. will: Entsprechend unterbricht sie Tf101 als diese versucht, erneut Raum für ihr Argument zu gewinnen, dass es weniger heile Familien gibt als früher. Der von Tf101 lachend gesprochene Zusatz: »also @wenn wir mal ehrlich sind ähm@« ordnet die von Tf104 als Lösung präsentierte heile Familie jedoch als Illusion ein. Tf104 versucht dem zu widersprechen, aber Tm101 stimmt Tf101 zu, die dann weiter ausführt, dass es heute die Regel ist, sich bei Problemen zu trennen, was früher verpönt war. Damit ermöglicht sie, dass die heile Familie, die sie zunächst als nicht zeitgemäß einordnet, als Ideal aufrechterhalten erhalten werden kann und sich gesellschaftliche Entwicklungen und Herausforderungen auf Familien abwälzen lassen. In der Art und Weise, wie das Argument vorgetragen wird, und in dem Zusatz »da hat man sich so zusammengerauft und sich d- wieder dass ne Familie da: ist: und das ist halt heute nicht mehr so«, dokumentiert sich wieder eine Idealisierung der Vergangenheit und der eigenen Kindheit, in der Familie noch etwas bedeutet hat und sich für die Familie zusammengerauft wurde. Wobei zusammenraufen auch an zusammennehmen erinnert und damit an etwas bezwingen, etwas beherrschen bzw. sich beherrschen. Die Formulierung »da hab ich n Problem mit meinem Ehepartner, dann lass ich mich scheiden;« klingt dagegen so, als ob Eltern sich gehen lassen, sich nicht bemühen bzw. so für ihr Kind aufopfern, wie es notwendig ist.
8.2.4
Konstruktion: Kind
Da Eltern ihre Verantwortung nicht ausreichend übernehmen bzw. ihre Erziehung nicht so gestalten, wie es in der Vorstellung der Student*innen notwendig ist, bleibt nur die Verantwortung auf das Kind zu übertragen. Sie müssen von sich aus tun, was sie tun sollen: Sequenz Das kommt auf deine Erziehung an (GD1 vor OEP Passage Medienerziehung in Familie und Schule Zeile 208-225) Tf104: Nich fernhalten aber fernhalten muss auch nich sein aber ich glaub du kannscht als Eltern durchaus sagen, nee Tf101: Ja aber Tf104: du kuckscht jetzt kein Fernsehen mehr; du kannst doch Fernsehgucken verbieten. Tf103: Ja dann geht er zum Nachbarn; (.) °also wir waren auch immer° Tf102: dann geht er zum Nachbarn Tf104: Nee aber dann lässt man das Kind halt nicht zu den Nachbarn ich mein das kommt wirklich auf dein S-
8. Darstellung der Ergebnisse
Tf101: @(.)@ @Du sperrst s ein@ ((mehrere TN lachen)) Tf104: ich find das kommt nee das nich aber ich find das kommt auf deine Erziehung an also keine Ahnung gut ich bin auch in nem Dorf aufgewachsen, die Leute um mich rum sind in nem Dorf aber (.) ich find es gibt halt wirklich so Eltern die sagen ha ja dann kuckscht halt dann machst halt des dann machst halt des aber es gibt auch Eltern die können den Kindern dann Alternativen auf- anzeigen die sagen komm lassen mir nen Drachen steigen; das gibt s noch. Tf101: Ja. Dem Hinweis von Tf104, dass es möglich ist, den Kindern nicht zu erlauben, zu den Nachbarn zu gehen, entgegnet Tf101 den lachend gesprochenen Satz: »@Du sperrst s ein@…« Damit betont Tf101 die Machtlosigkeit gegenüber Medien, wobei eine Machtlosigkeit bzw. Ohnmacht gegenüber den Medien hier weniger durch aktuelle Medienentwicklungen begründet wird, sondern zu einer Frage des Erziehungsstils wird. Auf die Aussage von Tf104, dass es möglich ist, den Kindern zu verbieten, zu den Nachbarn zu gehen und dort fernzusehen, antwortet Tf101 lachend, dass dies nur möglich sei, wenn Tf104 sie einsperrt. Das Lachen ordnet das Einsperren des Kindes als nicht akzeptabel bzw. absurd ein – es deutet sich ein Orientierungsdilemma an: Die Medienentwicklung erfordert einen Erziehungsstil, der nicht akzeptabel ist. Tf104 verteidigt zwar die Position, dass es auf die Erziehung ankommt, und bietet einen Ausweg aus dem Dilemma an, indem sie darauf hinweist, dass Eltern Kindern Alternativen aufzeigen müssen; schließlich ist aber doch das Kind verantwortlich, denn auch sie zweifelt daran, dass Eltern dies tun. Vielmehr gibt es Eltern, die sich von ihrem Kind lenken lassen, ihrem Kind zu sehr nachgeben: »es gibt halt wirklich so Eltern die sagen ha ja dann kukscht halt…«
Orientierung: Kinder sind selbst verantwortlich Die Mediennutzung findet unbemerkt im Kinderzimmer statt, ist aber auch unkontrollierbar für Eltern, weil es keine Filter gibt, mit denen Schonräume für Kinder geschaffen bzw. digitale Medien kindersicher gestaltet werden können. Entsprechend wird es notwendig, dass Kinder sich selbst disziplinieren: Sequenz Während du zehn Seiten sperrst gibt s schon wieder zehn neue (GD1 vor OEP Passage Medienerziehung in Familie und Schule Zeile 257-268) Tf102: Was ich da was ich da halt auch so schwierig find das kann schon Tm101: °und da kommen wir auch nich mehr zurück.° Tf102: sein dass du deinen Kinder sagst ähm du ich will nich dass du das machst und vielleicht macht er es auch nich aber dann sagt ein Freund du hey hast mal die Seite gesehen im Ding ä äh im Internet irgendwie, und dann macht das Kind das halt trotzdem und dann die Eltern haben überhaupt, was w- die wissen ja oft gar nicht mehr was in den Kinderzimmern passiert; weil sie überhaupt das nicht einschränken können ((holt Luft)) klar kannst du Internetseiten sperren lassen für deine Kinder, aber während du zehn Seiten sperrst gibt s schon wieder zehn neue Seiten die genau den gleichen Scheiß machen; (.) und des finde ich halt so schwierig.
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In dem von Tf102 beschriebenen Fall dokumentiert sich erneut der Orientierungsgehalt, demzufolge Medien und ihre Nutzung unkontrollierbar sind, aber auch, dass Verbote und damit Erziehungsstile nichts ändern können. Bestätigt wird dies in Form eines Arguments: Eltern wissen nicht mehr, was in Kinderzimmern passiert, weil das Internet und seine Inhalte nicht zu kontrollieren sind. Es bringt nichts, Internetseiten zu sperren, weil »während du zehn Seiten sperrst gibt s schon wieder zehn neue Seiten die genau den gleichen Scheiß machen…« Hier hilft es auch nicht, technische Lösungen zu kennen oder sich mit Medien auszukennen. In dem Moment, in dem etwas unter Kontrolle gebracht wird, taucht das Problem woanders wieder auf. Zudem bleibt Kindern über Freunde und Nachbarn immer ein Zugang zu digitalen Medien, die einen nicht begrenzbaren Zugang zu Inhalten bieten, die nicht für sie geeignet sind. Die Darstellung machtloser Erwachsener geht in den Gruppendiskussionen mit einem zunehmenden Fokus auf das Kind einher. So werden Kinder in der folgenden Sequenz als sich gegenseitig verführend beschrieben: Sequenz Einfluss von zu Hause (GD3 vor OEP Passage Medienbildung Zeile 182-197) Tf201: Ja das ist Einflu- einfach der Einfluss von zu Hause ist das; ob ich jetzt n großen Bruder hab macht nen Unterschied Tm202: Ja natürlich Tf201: oder ob ich ne kleine Schwester hab; Tm202: und auch was für n großen Bruder vielleicht hast du nen großen Bruder @der nimmt nur diese Le:rnprogramme dann Tm201: @(.)@ Tm202: wirst du vielleicht auch so ((Tür auf dem Gang fällt zu)) dann hast du einen der lässt da seine Pornoseite mal offen und dann hast du den kleinen Grundschüler der sich jeden Tag nur noch Pornos reind- und denkst dir o:h was willst du dem sagen@ ((alle lachen)) @(.)@ ey was willst da machen das weiß ich nich; Tf202: Dann lädt der seine Kumpels aus der Klasse ein und sagt °hä mein Bruder hat mal n Mac° Tm202: Ja und das is halt Internet hey das wTf201: °Ja° Tf201 greift einen bereits präsentierten Gehalt auf, der darauf verweist, dass die Herkunft eines Kindes, die Familiensituation aus der es kommt, Probleme hervorbringt. Dabei geht Tf201 nicht nur auf Eltern ein, sondern auf ältere Geschwister; hier konkret auf einen älteren Bruder, womit sie nicht nur darauf hinweist, dass ältere Geschwister einen negativen Einfluss auf die Mediennutzung von Kindern haben, sondern dieser Einfluss auch geschlechtsabhängig ist. Die Bedeutung des Geschlechts verstärkt sie, indem sie eine kleine Schwester als positiven Gegenpol zum älteren Bruder nennt. Dabei wird sie von Tm202 unterstützt, der aber die Bedeutung des Geschlechts und des Alters abschwächt, indem er in einer Beschreibung imaginiert, dass der große Bruder Lernprogramme nutzen oder aber Pornoseiten angucken könnte. Für ihn sind es also nicht per se ältere Brüder und damit Jungen, die das Problem ausmachen. Tf201 und Tm202 gehen beide davon aus, dass ältere Geschwister eine Vorbildfunktion für ihre
8. Darstellung der Ergebnisse
jüngeren Geschwister haben, und dass das Verhalten der älteren Geschwister auf die jüngeren wirkt. In dem Ausruf »@(.)@ ey was willst du da machen das weiß ich nich;« dokumentiert sich die Ohnmacht gegenüber dem Einfluss der Familie: Hier lässt sich nichts ändern, die Wirkung der Familie ist zu stark. Tf202 ergänzt, dass das Problem nicht innerhalb einer Familie bleibt, sondern Kinder dies weitertragen: Kinder verführen sich gegenseitig und werden so zum Problem für sich selbst. Für dieses Problem haben Lehrer*innen keine Handhabe: Die Dynamik ist nicht kontrollierbar − wie das Internet: »Ja und das is halt Internet hey das w-…« Herausfordernde Familienverhältnisse werden als in Schule hineinwirkend beschrieben. Sie führen zu Störungen im Unterricht. Dabei erwarten die Student*innen in ihrer Vorstellung nicht nur, dass Kinder sich trotzdem so verhalten, dass es zu keinen Störungen kommt, sondern dass sie auch Mitschüler*innen, die in der folgenden Sequenz als Problemkinder bezeichnet werden, integrieren und so ein Klassenklima herstellen, in dem Unterricht ohne Störungen möglich wird: Sequenz Problemkinder haben von zu Hause aus nicht viel (GD3 vor OEP Passage Problemkinder – Störungen Zeile 503-531) Tf201: Ich glaube auch es gibt eine andere Seite von Problemkindern und zwar die Kinder die von zu Hause aus nicht viel haben und auch vielleicht gemobbt werden; das habe ich schon erlebt (.) da war ein Kind (.) das kam in die Schule und hat gesagt jetzt haben wir, dass jetzt die Mama und jetzt das war eine Woche im Monat und ja es hat ich werde verhungern hat sie gesagt und verdursten weil wir nichts mehr zu essen haben und (.) sie sitzt den ganzen Tag nur vor dem Computer mit meiner Schwester und kümmert sich um, das sind auch auf einer anderen Seite Problemkinder dass man ja und dann den anderen Kindern vielleicht mal verdeutlichen was sie dann sich darüber lustig machen dass er (.) die Haare ganz strubbelig hat weil ihm niemand geholfen hat die Haare zu waschen oder solche Sachen dass man da den anderen Kindern vielleicht auch verdeutlicht dass es nicht jedem so gut geht wie es den anderen Kindern vielleicht geht dass es auch so gewisse Probleme sind; weil er war dann auch total schlecht in der Schule und hat ganz schlecht gelesen und wurde dann auch ausgelacht und (.) ich glaube das ist auch so eine Herausforderung die man da zu bewältigen hat dass man da irgendwie so ein gutes Klassenklima hinkriegt wenn es auch einfach Kinder gibt denen es nicht so gut geht. ((längere Pause)) Tf202: Was ich mir noch vorstellen könnte gerade zum Beispiel äh Kinder Deutsch als Zweitsprache; das sind t- teilweise auch Problemkinder, klar sie können nichts dafür aber sie haben halt einfach Probleme sich zu integrieren weil sie teilweise (.) die Sprache nicht verstehen; die können es einfach nicht nachempfinden und ich glaube teilweise die anderen die deutschen Kinder haben dann auch keine Lust immer alles zu erklären (.) und sich da dann da so reinzuversetzen in die anderen, ich glaube das ist in dem Alter noch ziemlich schwierig; dass dann auch da der Lehrer kompetent zur Seite steht und denen auch hilft; also dass die gut integriert werden.
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Heterogenität wird als Problem beschrieben, das zu Störungen führt und auszugleichen ist. Es wird von einer Norm ausgegangen, der Schüler*innen zu entsprechen haben. Mit dem Verweis auf kulturelle Identitäten oder auch soziale Milieus, in denen Kinder aufwachsen, ließe sich annehmen, dass kulturelle Aspekte berücksichtigt werden, bzw. das Kind nicht losgelöst von sozialen, kulturellen und historischen Bedingungen betrachtet wird; doch diese Aspekte werden als eine normale Entwicklung störend und damit für Heterogenität sorgend eingeordnet, die den Unterricht für eine*n Lehrer*in zu einer Herausforderung macht, die sie*er nicht bewältigen kann. Die Aufgabe wird abgewehrt, indem Kinder in die Verantwortung genommen werden. So fordert Tf201, dass Schüler*innen, die sozial gut gestellt sind, vermittelt wird, Empathie für Kinder zu entwickeln, die sozial benachteiligt sind. Die Verantwortung von Lehrer*innen besteht allein darin, die Kinder aufzufordern, diese Empathie zu entwickeln: Es wird nicht in Betracht gezogen, sozial benachteiligten Kindern zu helfen oder an ihrer Situation etwas zu ändern, sondern ausschließlich, den anderen Kindern zu erklären, dass sie sich nicht über sozial benachteiligte Kinder lustig machen dürfen. Schlecht in der Schule sein wird mit schlecht lesen können gleichgesetzt, womit auf die hohe Bedeutung verwiesen wird, die dem Lesen lernen in der Grundschule zugeschrieben wird, aber auch auf Unterrichtsgestaltung: Schüler*innen müssen im Unterricht laut vorlesen; wer das nicht kann, wird ausgelacht, was wiederum zu einem schlechten Klassenklima führt, das den*die Lehrer*in herausfordert. Es geht darum, ein Klassenklima herzustellen, in dem Unterricht entsprechend des Professionsverständnisses der angehenden Lehrer*innen umsetzbar ist, nicht aber um den Ausgleich sozialer Ungleichheit, obwohl diese gesellschaftliche Erwartung im Raum steht bzw. offensichtlich von den Lehramtsstudent*innen implizit wahrgenommen wird. Mit dem Argument, dass die deutschen Kinder keine Lust mehr haben, »immer alles zu erklären« und sich »dann da so reinzuversetzen«, werden Kinder als die für die Integration sozial benachteiligter Kinder mit Migrationsgeschichte Verantwortlichen präsentiert, auch wenn Tf202 andeutet, dass sie vom Kind aus denkt, wenn sie sagt: »ich glaube das ist in dem Alter noch ziemlich schwierig…« Sie rückt nicht von der Verantwortung ab, die den Kindern zugeschrieben wird, denn sie erklärt, dass es darum geht, »dass der Lehrer kompetent zur Seite steht und denen auch hilft; also dass die gut integriert werden…« Die Lehrkraft wird auf eine Begleitung reduziert; realisieren und ermöglichen müssen die Kinder die Integration selbst. Tf201 ergänzt den Aspekt, dass Kinder die Aufgabe haben, einem störenden Kind durch ihr normales Verhalten zu zeigen, dass es nicht dazugehört. Damit wird noch einmal herausgestellt, dass ein*e Lehrer*in, ohne die Schüler*innen, ein Problemkind nicht in den Griff bekommen könnte, aber auch, dass sie normal sein müssen, denn Heterogenität führt dazu, dass Problemkinder nicht in den Griff zu bekommen sind.
Orientierung: Kinder sind maßlos Kinder werden in der Vorstellung der Student*innen nicht nur mit einer herausfordernden Medienentwicklung konfrontiert, sondern nutzen Medien so, dass sie selbst zum Problem werden. So bringen Kinder Technikwissen mit in die Schule, das Lehrer*innen nicht haben. Entsprechend wird die Mediennutzung der Kinder abgewertet:
8. Darstellung der Ergebnisse
Am Handy sitzen und schreiben wird nicht als Kommunikation eingeordnet, sondern als Kommunikation verhindernd. Die eigene Handynutzung wird als reflektiert präsentiert, während Kinder mit Handys maßlos umgehen: Sequenz Dass man nich nur am Handy sitzt und schreibt (GD5 vor OEP Passage Themen Schule Kinder Zeile 121-132) Tf302: Ich find in dem Zusammenhang auch ganz wichtig dass mit Kindern die Kommunikation äh mit verdeutlicht werden sollte; also dass man (.) nich nur am Handy sitzt und schreibt oder wenn man sich selber mal ertappt man trifft sich mit Freunden und nach (.) dreißig Minuten sitzt jeder wieder doch und schaut aufs Handy und äh (.) ob das denn (.) so sein sollte ob es da nich auch wichtig is in der Kompetenz (.) äh selber in den Medien ähm mit festzustellen dass man auch mal ohne die ganze Technik halt kann und das einfach mal weglegen kann; also diese g- Sachen halt mit, zu thematisieren die dann drinne sind, weil sie halt sehr viel auch dran sitzen ich glaube wir wissen das alle dass auch wir selber schon sehr viel am Handy sitzen als vielleicht vor zehn zwanzig Jahren (2) °die Generation°. (4) Für Tf302 ist es »ganz wichtig dass mit Kindern die Kommunikation äh mit verdeutlicht werden sollte…« Sie ordnet dabei das, was Kinder machen, wenn sie am Handy sitzen und schreiben, nicht als Kommunikation ein, sondern als Kommunikation verhindernd. Sie formuliert als Teil von Medienkompetenz die bewusste Entscheidung, auch etwas »ohne die ganze Technik« zu machen. Während Erwachsene bzw. die Gruppendiskussionsteilnehmer*innen als angehende Lehrer*innen sich ja auch dabei »ertappen« – womit die ausgedehnte Handynutzung als verbotene oder zumindest unerwünschte Handlung eingeordnet, aber auch ein Überraschen über das eigene, unerwartete, in diesem Fall abzulehnende Handeln zum Ausdruck gebracht wird –, wird beim Kind der kritisierte Umgang mit dem Handy als unreflektiert und über die Maßen beschrieben: »die dann doch sehr viel auch dran sitzen…« Daran anknüpfend wird die eigene Handynutzung problematisiert: »ich glaube wir wissen das alle dass auch wir selber schon sehr viel am Handy sitzen als vielleicht vor zehn zwanzig Jahren (2) °die Generation°. (4) « Während Kinder »dann doch sehr viel« am Handy sitzen, sitzen sie »schon sehr viel« am Handy, was sich zu schon auch sehr viel erweitern ließe und damit zu einer Art Eingeständnis wird. Dennoch lässt sich ein Unterschied zu den Kindern aufrechterhalten. Die Formulierung dann doch weist darauf hin, dass sie ein klares, überlegtes Urteil fällen, in dem auch ein anderes, mögliches Urteil berücksichtigt ist. In der Gruppendiskussion GD10 stellt sich heraus, dass das, was mit einem Computer sinnvoll gemacht werden kann und damit Thema in Schule werden könnte, Grundschulkinder nicht erreicht, weil sie sich nicht dafür interessieren bzw. noch nicht ausreichend lesen und schreiben können – dementsprechend kann der Norm am Kind orientiert handeln nicht entsprochen werden, wenn Computer im Unterricht genutzt werden: Sequenz Sie interessieren sich nur für Spiele (GD10 ISP Passage Medienbildung Zeile 27-38) Tf602: und die sind in der zweiten Klasse die sind sechs sieben Jahre alt ((leises Lachen im Hintergrund)) und ähm hm (.) die wollen auch nix anderes hören also sie
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wollen nur das ist dieses Zocken das kennen sie von ihren (.) größeren Geschwistern von Freunden (.) also das ja das interessiert sie auch gar nich, ((räuspert sich)) was man mit so nem was man mit so nem Computer noch so alles anstellen oder (.) so s Google so ne Suchmaschine (.) @sie können das Wort ja nich mal richtig @(.)@ schreiben@ Tf601: Mhm Tf602: also sie interessieren sich eigentlich für gar nichts was man, mit diesem Computer anstellen kann sondern nur für Spiele Tf601: Mhm Der eigene, aber eben auch in medien- und grundschulpädagogischen Diskursen formulierte Anspruch, Unterricht vom Kind ausgehend zu gestalten, wird für unmöglich erklärt. Vorgeführt wird aber auch der in medien- und grundschulpädagogischen Diskursen gepflegte Mythos, dass die Interessen des Kindes bzw. das, was es in seinem Alltag erlebt und erfährt, Ausgangspunkt dessen sein sollte, was von ihm als zu lernen verlangt wird. In Bezug auf den Computer ist dies nicht möglich, weil Kinder sich hier für das Falsche interessieren.
Orientierung: Kinder entwickeln sich nicht richtig In der folgenden Sequenz wird der Mediennutzung von Kindern zugeschrieben, dass sie die Entwicklung von notwendigen Fähigkeiten behindert; dabei geht es nicht zuletzt um Fähigkeiten, die Kinder in der Vorstellung der Student*innen brauchen, um unterrichtet werden zu können: Sequenz Weil die einfach nich mehr durch n Wald springen (GD5 vor OEP Passage Themen, die Kinder mit in die Schule bringen Zeile 74-92) Tf301: Ja und was ich noch sagen wollte neben den kognitiven und sozialen Fähigkeiten die die Kinder unterschiedliche mitbringen auch ähm ja was du angesprochen hast den der Umgang mit Medien irgendwie das (.) heutzutage man in so ner Gesellschaft auf- wächst also ich hab s grad mitgekriegt ich hab Abitur gemacht und dann saßen plötzlich die Fünftklässler mit (.) ähm Tablets und mit (.) Smartphones da und ham in der Pause irgendwelche Spiele gezockt während wir halt irgendwie Tischtennis gespielt ham und draußen rumgeturnt haben und rumgeturnt sind an der frischen Luft, ((schnieft)) dass irgendwie (.) ähm hatte neulich auch n Gespräch mit ner Lehrerin dass die meinte (.) dass die Kinder auch irgendwie motorisch ganz andere Fähigkeiten heutzutage ham weil die halt nich mehr rausgehen weil die vor n PC sitzen ((holt Luft)) vorm Fernseher sitzen vorm Handy vorm Bildschirm ((holt Luft)) und dadurch irgendwie über n Kabel stolpern wenn sie mal ne Stereoanlage aufgebaut hat weil sie irgendwie nen Theaterstück mit den Kindern einproben wollte weil die einfach ähm ni- nich mehr durch n Wald springen und auf Bäume klettern sondern irgendwie überall von den Eltern hinbegleitet werden oder vorm (.) Handy sitzen und irgendwie ganz anders aufwachsen und grad (.) Tf301 ordnet in ihrer Erzählung die Mediennutzung von Kindern als Gegenpol zu Bewegungen im Freien ein. Die aktuelle Mediennutzung führt dazu, dass Kinder »auch
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irgendwie motorisch ganz andere Fähigkeiten heutzutage ham weil die halt nicht mehr rausgehen weil die vor n PC sitzen ((holt Luft)) vorm Fernseher sitzen vorm Handy vorm Bildschirm ((holt Luft))…« Medien können laut dieser Beschreibung nur sitzend genutzt werden und verhindern, dass Kinder rausgehen und sich mehr bewegen, wobei die Formulierung »irgendwie motorisch ganz andere Fähigkeiten« zunächst eine Defizitorientierung verdeckt, weil von anderen Fähigkeiten gesprochen wird, die entwickelt werden, die aber im Folgenden eindeutig als Unfähigkeiten vermittelt werden: »und dadurch irgendwie über n Kabel stolpern wenn sie mal ne Stereoanlage aufgebaut hat weil sie irgendwie nen Theaterstück mit den Kindern einproben wollte weil die einfach ähm ni- nicht mehr durch n Wald springen und auf Bäume klettern…« Die Nutzung von Tablets und Smartphones wird durch die Beschreibung »irgendwelche Spiele gezockt« abgewertet; im Gegensatz dazu wird die eigene Kindheit in Bewegung und an der frischen Luft präsentiert: »während wir halt irgendwie Tischtennis gespielt haben und draußen rumgeturnt haben und rumgeturnt sind an der frischen Luft.« Die Bewegung in der eigenen Kindheit wird idealisiert; die Idealisierung zeigt sich besonders an dem Verb springen, das zu dem im vorherigen Abschnitt verwendeten Verb rumturnen passt. So erscheinen Kinder, die digitale Medien über die Maßen nutzen, den Student*innen als nicht beschulbar: Sequenz Total apa:thisch (GD10 ISP Passage Medienbildung in der Grundschule Zeile 96-110) Tf604: […] ich hab jetzt auch in der dritten Klasse nen Jungen der (.) ich glaub der kommt heim und spielt tatsächlich den ganzen Tag einfach nur (.) ähm am PC, (.) also so was er immer erzählt das ich glaub seine ganze ((andere TNin räuspert sich)) (.) ich weiß nich mal mehr ob er mittlerweile nen richtigen Realitätsbezug manchmal hat wenn des isch total (2) also der sitzt im Unterricht so da ((Pause, in der sie offensichtlich zeigt, wie er dasitzt)) und man kann ihn ansprechen und es passiert wirklich nichts; (.) wenn wir zum Beispiel n S- Sitzkreis oder n Stuhlkreis machen ((schlägt auf den Tisch)) (2) dann sitzt er sich einfach (.) total (2) apa:thisch so richtig also auch manchmal in die hinteren Reihen (.) oder wir ham n Kinositz gemacht den ham sie immer an n Lehrertisch gesetzt weil er einfach gar nicht (.) also der kann mit anderen Mit- Mitschülern gar nich umgehen ((Husten einer anderen TNin im Hintergrund)) (.) @das is total@ also (2) er geht auch wirklich auf Abstand (2) Tf604 erzählt von einem Jungen, der zu Hause den ganzen Tag am PC spielt. Sie sagt den ganzen Tag, obwohl sie den Jungen aus der Schule kennt. Er muss den halben Tag in der Schule sein und kann gar nicht den ganzen Tag am PC spielen. Sie übertreibt also, spitzt ihre Erzählung zu, in der sie dadurch, dass sie sagt »ich glaub« und »so was er immer erzählt« andeutet, dass sie nicht ganz sicher ist, ob es tatsächlich so ist, wie sie es erzählt: »ich glaub der kommt heim und spielt tatsächlich den ganzen Tag einfach nur (.) ähm am PC, (.) also so was er immer erzählt…« Tf604 stellt fest, dass der Junge durch das Spielen am PC keinen Bezug zur Realität mehr hat. Mit dem Begriff Realitätsbezug unterstellt sie nicht nur, dass es eine wahrzunehmende Realität gibt – womöglich ihre, bzw. eine, die sie herstellt oder im Klas-
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senzimmer hergestellt wird –, die der Junge nicht wahrnimmt, sondern auch, dass es einen richtigen Realitätsbezug gibt, womit es auch einen falschen geben kann, der durch das Spielen am PC hervorgebracht wird. In der anschließenden Beschreibung wird der Junge als abwesend, als nicht erreichbar beschrieben: »also der sitzt im Unterricht so da […] und man kann ihn ansprechen und es passiert wirklich nichts …« Diese Aussage steht im Widerspruch zu dem, was sie zu Beginn der Sequenz sagt: Hier sagt sie, der Junge erzählt immer was, woraus sie ja auch folgert, dass er den ganzen Tag am PC spielt. Die Möglichkeit, dass der Junge den Stuhlkreis ablehnt und sich deshalb in diesen »einfach (.) total (2) ap:athisch« reinsetzt, zieht Tf604 nicht in Betracht; Grund bleibt das Spielen am PC. Dem Jungen wird unterstellt, dass er »auch wirklich auf Abstand« geht, obwohl − so wie Tf604 die Situation nacherzählt − der Junge auf Abstand gehalten wird: »wir ham n Kinositz gemacht den ham sie immer an n Lehrertisch gesetzt weil er einfach gar nicht (.) also der kann mit anderen Mit- Mitschülern gar nich umgehen…«12
Orientierung: das kreative Kind Die Orientierung, dass Wissen von außen an das Kind herangetragen, von Lehrer*innen etwas vorgemacht wird, was Kinder nachahmen, strukturiert die von den Student*innen beschriebenen Lernsituationen und in diesen verwendete Materialien und Medien. In der folgenden Sequenz bildet ein einfaches Nachahmen – wie das Nachfahren von Buchstaben – jedoch einen negativen Horizont: Formuliert wird vielmehr der Anspruch, ein kreatives Lernen mit unterschiedlichen Materialien zu ermöglichen. Im Zuge dessen wird auch das Lernen mit digitalen Medien abgewehrt. Konstruiert wird hierfür ein Kind, das in seiner Kreativität zu schützen ist. Präsentiert wird die Vorstellung, dass Kinder unbedarft und aus sich heraus bzw. von Natur aus kreativ sind. Von Natur aus impliziert, dass es Grundbedürfnisse gibt, die alle Kinder besitzen; Bedürfnisse von Kindern werden damit generalisiert, entsprechend gibt es normale Bedürfnisse und Bedürfnisse, die darauf hinweisen, dass sich ein Kind nicht normal entwickelt: Sequenz Einfach mal kreativ sein (GD4 nach OEP Passage Medien im Unterricht Zeile 140-168) Tm202: Wenn i- wenn ich jetzt direkt an meine Schule denk dann würde ich jetzt nich sagen dass die da irgendwie so n iPad oder so brauchen da hätt ich s viel schöner gefunden wenn die zum Beispiel einfach mal so mit Wasserfarben oder sowas malen Tm201: °Ja° Tm202: einfach mal kreativ sein Tm201: Mhm Tm202: das hätt mir viel mehr gefallen und sowas gab s halt nich so wirklich; gut du hast dein ((holt Luft)) dein Arbeitsblatt gehabt da gab s nen Igel drauf jetzt mal mal den Igel an; schon auch nich schlecht aber einfach mal so machen lassen das 12
Der Kinositz ist eine von mehreren Sitzordnungen, deren wechselnde Anwendung Schüler*innen motivieren soll bzw. auffordert, konzentriert bei der Sache zu bleiben. Für den Kinositz sitzen Schüler*innen »bei Klassengesprächen oder Präsentationen auf einer Reihe zusammengeschobener Bänke und einer davorstehenden Reihe Stühle.« (https://www.klippert-medien.de/media/ ntx/klippert/sample/09247_ Musterseite.pdf vom 22.03.2019)
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gab s wenig; es gab dann so ne kurze Übung da gab s so (.) so ne Hand voll Perlen und daraus sollte man dann irgendwie Zahlen oder Buchstaben machen sowas fand ich ja auch schon ganz nett das s besser als nur nachzufahren °oder° Tm201: Mhm ja auf jeden Fall Tm202: ((Baulärm setzt wieder ein)) aber sowas find ich (2) a- uch gar nicht so unwichtig und das b- @(.)@ @das find ich einfach besser als irgendwie n Film angucken@ oder n (.) (…) n Spiel auf m (.) Touchpad sonstwas Tm201: Ja klar (2) Tm202: Oder und Mu:sik auch das hat mir auch n bisschen gefehlt es gab eine Lehrerin die hat auch mit der Gitarre dann da ham sie auch alle voll schön gesungen konnten das Lied auch (.) voll gut auswendig das hat mir auch richtig Spaß gemacht °ja° Tf201: @(.)@ Tm202: und dene auch (.) aber es war auch n bisschen selten; s da kommt dann auch so zack Kassettenrekorder an und (3) ja find ich schon live dann schöner Tm201: °Ja auf jeden Fall° Beschrieben werden unterschiedliche Zugänge zu Inhalten, z.B. ein aktiver, handlungsorientierter, körperlicher Zugang zur Mathematik. Tablets und Arbeitsblätter werden als Kinder einschränkend präsentiert. Auch das Tablet ermöglicht wie Arbeitsblätter nur Nachahmungslernen. Damit werden digitale Medien als etwas eingeordnet, mit dem Kinder nicht kreativ sein können. Lernen sollte handlungsorientiert gestaltet werden. Medien werden nicht nur kritisiert, weil Erfahrungen, die sie ermöglichen, nicht vielfältig genug bzw. reduziert sind, sondern weil sie kreative, handlungsorientierte Erfahrungen zerstören. Der Kassettenrekorder verweist darauf, dass nicht nur digitale Medien ein Problem sind, sondern auch Medien als Abspielgeräte, da sie verhindern, dass etwas selbst gemacht wird. Wobei sich die Frage stellt, wie weit das Selbermachen gehen darf: Geht es darum etwas zu tun, um motorische Fähigkeiten zu entwickeln, oder geht es darum, Erfahrungen zu ermöglichen, die ein eigenständiges Tun voraussetzen?
Orientierung: das fremde Kind Mit der Beschreibung, dass die Kinder montags verstrahlt in die Schule kommen, werden sie als wirr und entrückt eingeordnet und damit wieder als Problem für die Schule bzw. für Lehrkräfte: Sequenz Teilweise echt verstrah:lt (GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 261-269) Tf506: […] (.) und (.) die Kinder haben oft Langeweile mit was beschäftigen sie sich mit dem was aktuell is; das sind die Medien find ich (.) schon für die Kinder (.) und ähm °ja° (.) und die kommen wirklich also ich find schon auch teilweise echt verstrah:lt dann montags in die Schule Tf502: Ja Tf506: wo ich echt denk die kommen aus nem ganz anderen (.) Tf50?: Ja Tf502: Universum
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Digitale Medien machen Kinder zu Kindern, die nicht bereit sind für das, was Schule bzw. Unterricht bedeutet: Lehrer*innen konzentriert und aufmerksam Folge leisten. Das Universum verweist darauf, dass Kinder in eine Medienwelt abtauchen, die für sie ungeeignet ist, sie aber auch entfremdet. In der folgenden Sequenz Die wissen dann mit der Streichbewegung sofort wie das funktioniert wird das Kind ganz konkret vom Smartphone verführt bzw. als von diesem verführbar präsentiert. Dass Kinder sofort wissen, wie ein Smartphone funktioniert, machen das Gerät und das Kind unheimlich, als würden Kind und Gerät verschmelzen, irgendwie zusammengehören. Tatsächlich gibt es auch in medienpädagogischen Texten den wiederholten Verweis darauf, wie intuitiv Kinder mit Smartphone und Tablet umgehen, als seien die Geräte besonders für sie geeignet, womöglich vor allem für sie gebaut: »Natürlich sind die digitalen Medien attraktiv. Sie bieten leichten und schnellen Zugang zur Welt, sie bieten Unterhaltung und Spaß, aber auch viele Informationen und Neuigkeiten. Warum sollten Kinder dies nicht nutzen? Und die Technik macht es ihnen dazu noch leicht. Während ihre Eltern noch mühsam den Computer hochfahren mussten, das Programm starten und dann möglicherweise noch, falls sie ins Internet wollten, ein Modem anschließen, gelingt es heute schon Zweijährigen, sich mit einem Fingertipp die digitale Welt zu erschließen. Die Touchscreen-Technologie mit ihrer Gestenkommunikation – dem Wischen, Zoomen und virtuellen Tippen – macht es ihnen leicht.« (Aufenanger 2015, S. 12) Abgewehrt werden in der Sequenz Die wissen dann mit der Streichbewegung sofort wie das funktioniert nicht mehr nur die Medien, sondern das durch Medien entfremdete Kind: Sequenz Die wissen dann mit der Streichbewegung sofort wie was funktioniert (GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 385-417) Tf511: Aber man sieht s auch find ich an kleinen Kindern schon also der Sohn von meinem Cousin ((holt Luft)) die reagieren auf diese Sachen auch viel mehr also (.) äh meine Mama hatte letzt auf nem Geburtstag n normales Buch in der Hand, (3) und irgendjemand andres am Tisch hat das Smartphone in der Hand so zu wem is er dann auf n Schoß gegangen, ne Tf502: Mhm Tf511: und die wissen dann sofort mit der Streichbewegung wie was funktioniert Tf504: (…) Tf511: und Fotos oder sonst was Tf502: Mhm Tf511: gell Tf502: ja das Video nochmal anschauen wollen und so Tf511: °Das is° so: extrem schon Tf502: das is bei kleinen Kindern wirklich so ja Tf511: ich mein mit zwei Jahren also Tf507: Ja meine Cousine aber auch die ham auch äh dann das alte Handy dann wo von der Mama wurde dann zum Spielen die wusste dann schon die hat das wie der Papa gemacht
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Tf509: Mhm; Tf507: die schauen sich das halt dann auch ab, und ähm (.) die hat jetzt auch ähm @meine Mutter die hat versucht n Foto von sich zu machen meine Cousine wusste wie es geht, die is dreieinhalb@ @(.)@ Tf502: °Boah krass° Tf507: @Ja:@ Tf505: Aber wenn Tf505: Aber wenn es doch im Leben von den Kindern (.) schon von früh auf so: (.) verankert is und irgendwie n Teil davon is dann gehört es doch auch irgendwie zu uns als (.) als Grundschullehrerin die Aufgabe dass man (.) sie da n bisschen sensibilisiert und schult dafür dass sie (3) wenn des grad die Eltern vielleicht auch nich leisten äh dass dass man da irgendwie denen hilft damit umzugehen dass sie Tf510: Mhm Tf505: den richtigen Umgang haben; Tf511 spricht zunächst von diese Sachen, dann aber erzählt sie von einer Situation mit einem Smartphone, das sie als Spielzeug präsentiert. Das Smartphone verführt das Kind, womit das Kind als verführbar inszeniert wird. Digitale Spielzeuge und damit digitale Medien werden im Kontrast zum Buch präsentiert, bzw. als das Buch verdrängend, das als nicht so reizvoll für Kinder beschrieben wird. Darin dokumentiert sich die Vorstellung, dass Kinder zum Lesen von Büchern hingeführt werden müssen, sie sich nicht von sich aus für Bücher interessieren, was wiederum auf eine gesellschaftliche Erwartung verweist, die in öffentlichen Diskursen thematisiert wird: »Seit Jahren zeigen PISA-Studien und OECD-Berichte für die Lesekompetenz deutscher Kinder große Defizite auf: 16,2 Prozent der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler verfügen nur über eine (sehr) schwache Lesekompetenz (PISA 2015). Rund 7,5 Millionen Erwachsene sind hierzulande laut LEO-Studie 2011 funktionale Analphabeten und nur jeder Fünfte in Deutschland liest regelmäßig ein Buch. Deshalb setzt sich die Stiftung Lesen dafür ein, dass jedes Kind und jeder Erwachsene in Deutschland über die notwendige Lese- und Medienkompetenz verfügt und Lesefreude entwickelt.«13 Um zu zeigen, dass Kinder mit Smartphones intuitiv umgehen können, werden in der Sequenz die Streichbewegungen um den Aspekt ergänzt, dass zweijährige Kinder mit einem Smartphone fotografieren und Videos angucken können. Es wird darauf hingewiesen, dass Kinder Bilder herstellen bzw. Bildmaterial abrufen können, denn es sind Bilder, die Kindern einen Zugang zur Erwachsenenwelt bzw. zu Inhalten verschaffen, die für sie als nicht geeignet eingeordnet werden, womit auf eine alte Debatte im Kontext der Fernsehnutzung von Kindern verwiesen wird, die auf Neil Postman zurückzuführen ist: »Kinder sind eine Gruppe von Menschen, die von bestimmten Dingen, über die die Erwachsenen Bescheid wissen, keine Ahnung haben. Im Mittelalter gab es keine ›Kinder‹, weil auch die Erwachsenen keine Möglichkeit hatten, exklusives Wissen zu erlangen.
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https://www.stiftunglesen.de/ueberuns/portraet/ vom 22.03.2019
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Im Zeitalter Gutenbergs entwickelte sich ein solches Mittel. Im Zeitalter des Fernsehens zerfällt es wieder.« (Postman 2009, S. 72) Die Student*innen wehren eine Auseinandersetzung mit Medien wie Smartphones im Unterricht ab, obwohl sie die Smartphonenutzung als ein Problem von Kindern einordnen, indem sie sich des Bildes des digital natives bedienen und damit dem Kind unterstellen, dass es von sich aus mit einem Smartphone umgehen kann. Gleichzeitig wird diese Fähigkeit aber auch als extrem bewertet – möglicherweise extrem im Unterschied zur eigenen Kindheit. So kann das Internet vor allem nicht zum Inhalt von Unterricht werden, weil es Kindern einen Zugang zu pornografischen Inhalten und Gewalt ermöglicht: Sequenz Ich weiß nich wie du das aus so nem Kind rauskriegen willst (GD3 vor OEP Passage Medienbildung Zeile 144-181) Tm202: da gibt s dann auch so äh verschiedene Sachen aber sonst denke ich (2) hm muss ja auch wissen was für Interessen die haben und so und ich find also was mir manche schon erzählt haben @was die sich für Sachen im Internet ankucken in dem Alter@ @(.)@ ((alle lachen)) @oh mein Go:tt hey; es geht in alle Richtungen; d- die sagen da Seiten wo ich denk oah ey die hab ich mir einmal angeschaut das war sogar mir zu viel ((die anderen lachen)) und ich kuck mir auch echt viel Scheiß im Internet an@ aber die Kinder toppen das manchmal; ((zieht hörbar Luft ein)) Tf201: Aber was sagst du dann so nem Kind? Tm202: Ja was willst dem sagen, sag hallo woher kennst du denn die Seite ja: mein Bruder kuckt das immer äh na gut ((zieht hörbar Luft ein)) hm was sagst so nem Kind Tf201: Ja Tm202: ja (.) ja wenn s gesehen hat wie da einer erhängt wird oder so n Scheiß und so was sieht man halt da; was willst da sagen? °@(.)@° weiß ich nich (.) ja Tf201: Ja aber das wär zum Beispiel n Problem ich wüsst nicht wie ich dann auf so was reagiere oder wie natürlich hast du ne Reaktion drauf aber was ist jetzt die richtige Reaktion drauf so; Tm202: Ja aber da- das Ding ist halt er lacht sich dann zum Beispiel n Arsch ab der Kleine der das gesehen hat wi- willst du dann sagen warum lachst du da das ist ne ernste Sache Tf201: Ja genau was macht ja das ist das das is so Tm202: d- ja wo ich mir sage °ah okay° (.) keine Ahnung hey ich haTf201: Oder man sagt ja okay Kinderhirn; Tm202: @Ja:@ Tf201: hat das jetzt alles verniedlicht (.) Tm202: Aber ich weiß nich wie du das aus so nem Kind rauskriegen willst Tf201: Ja ja genau Tm202: dass er sich so verrückte Sachen ankuckt ((zieht Luft ein)) Tm201: Klar Tm202: und das glaub ich auch nich dass das so einfach geht; (.) darum denke ich dann bring ihm lieber irgendwie nützliche Sachen bei (.) für diese ganzen Handy-
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Computerzeugs (2) die ihm vielleicht noch was bringen; (.) und nich nur ähm ja die Seiten wärn nich so gut jetzt machst vielleicht öfter mal mit dem Lernprogramm ((zieht Luft ein)) ha Tm201: Mhm Erfahrungen, die Kinder hier machen, werden als Zugang zu einer Welt bzw. zu Inhalten beschrieben, die nicht für Kinder geeignet sind; präsentiert wird aber auch ein Orientierungsgehalt, der die Vorstellung strukturiert, dass Kinder über diesen Zugang zur Welt selbst unkontrollierbar werden: Sie machen Erfahrungen, die selbst Erwachsene, die sich auskennen, überfordern, womit sich die Erfahrungen der Kinder Erwachsenen entziehen. Es ergibt sich ein Spannungsverhältnis zu der wahrgenommenen Erwartung, Kinder behutsam an Medien heranzuführen. Abgewehrt wird die Aufgabe Kinder an Medien heranzuführen aber auch, weil es offensichtlich irritiert, den Eltern erklären zu müssen, dass der Sohn Zugang zu pornografischen Inhalten hat, wie am Ende und damit in der Konklusion der Passage Medienbildung deutlich wird. Womöglich wird eine Reaktion der Eltern befürchtet, mit der nicht umgegangen werden kann, weil es um Sexualität geht und damit zum einen um ein Tabuthema und zum anderen um ein Thema, das das Potenzial hat, verbliebene Kindheit aufzurufen und damit das Professionskonzept zu gefährden, das von einem*r Lehrer*in verlangt, erwachsen aufzutreten und zu handeln: Sequenz Schmuddelheftchen (GD3 vor OEP Passage Medienbildung Zeile 189-218) Tm202: […] dann hast du einen der lässt da seine Pornoseite mal offen und dann hast du den kleinen Grundschüler der sich jeden Tag nur noch Pornos reind- und denkst dir o:h was willst du dem sagen@ ((alle lachen)) @(.)@ ey was willst da machen das weiß ich nich; Tf202: Dann lädt der seine Kumpels aus der Klasse ein und sagt °hä mein Bruder hat mal n Mac° Tm202: Ja und das is halt Internet hey das wTf201: °Ja° Tm202: ich weiß noch früher als wir klein waren da hat man so die Schmuddelheftchen von dem Bruder irgendwo gefunden und die angeschaut Tf201: °@(.)@° Tm202: @jetzt gibst du bei Google irgendwas ein@ ((verstellt die Stimme, wird tiefer)) oah nackte Frau große Brüste psche:ng ((alle lachen)) @und kriegt dann Millionen Seiten; kein Problem das ma-@ ((zieht Luft ein)) (2) ja: das h- ändert sich halt schon @(.)@ @so mit dem den Medien Tm201: °nackte Frauen (…)° Tm202: in der Schule wird das schwer daran was zu ändern.@ Tf201: Ja weil s halt einfach von zu Hause kommt Tm202: Da musst halt echt einen Elternabend nach dem anderen machen und den Eltern irgendwie sagen hey helft mal mit; Tf201:@(.)@ Tf202: @(.)@ Dein Sohn @dein achtjähriger Sohn bringt Schmuddelheftchen mit@
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Tm201: @(.)@ Tm202: Nich mal Schmuddelheftchen Schmuddelvideos auf dem Handy halt und was für welche; @(.)@ (4) Tm201: @Ja:@ Tf202: Gibt schon viele Sachen (.) die da so kommen (2) auf uns zukommen (4) Indem hier explizit auf eine veränderte Kindheit verwiesen wird, in der heutige Kinder über eine entgrenzte, digitale Medienwelt einen unkontrollierbaren Zugang zu Inhalten haben, die sich nicht für sie eignen, wird sich implizit noch einmal selbst davon abgegrenzt: Die Student*innen haben als Kinder nicht in den Weiten des Internets Pornos geguckt, sondern in »Schmuddelheftchen von dem Bruder…« Die Bezeichnung Schmuddelheftchen verweist auf eine Zeit, die nicht zu der Kindheit eines heute Anfang oder auch Mitte 20-Jährigen passt. Vielmehr verweist sie auf die Kindheit der eigenen Eltern oder noch früherer Generationen. Damit wird der Topos der veränderten Kindheit bedient. Die Darstellung selbst nicht mit digitalen Medien, sondern vielmehr mit Druckerzeugnissen aufgewachsen zu sein, ermöglicht eine Abgrenzung. Das Schmuddelheft wird als ein isoliertes, nicht verbreitetes, sondern vereinzelt mal auftauchendes Problem beschrieben und damit als ein handhabbares, was sich besonders in der darauffolgenden Beschreibung von Tm202 zeigt, der das Problem darstellt, das im Gegensatz dazu das Internet bereitet: Es erscheint unendlich, allgegenwärtig, alles zu durchsetzen, und Pornographie ein ständig auftauchender Inhalt darin zu sein. Das Internet wird nicht gleichgesetzt mit Pornografie; aber was man auch bei Google eingibt, sie taucht immer wieder auf. Die Hilflosigkeit, die sich in der Frage ausdrückt »ey was willst da machen das weiß ich nich;« und der im Schluss des Zitats formulierte Hinweis, man müsste den Eltern mitteilen, dass ihr Sohn Schmuddelheftchen anguckt, was in Schmuddelvideos korrigiert wird, zeigt, dass die eigene Kindheit mit zum Thema wird – was in der Mitte des Zitats auch explizit geäußert wird: »ich weiß noch früher als wir klein waren da hat man so die Schmuddelheftchen von dem Bruder irgendwo gefunden und die angeschaut…« Die Sequenz Ihr kriegt alle Drohnen geschenkt und Handys stützt die Lesart, dass die eigene Kindheit eine andere war und die heutige kaum nachvollziehbar ist, verweist aber auch darauf, dass es in der Vorstellung der Student*innen notwendig ist, eigene Bedürfnisse zu unterdrücken. Digitale Medien rufen problematisches kindliches Verhalten hervor – bei den Schüler*innen, aber auch bei den Student*innen –, wodurch zu kontrollierende Abläufe gestört werden: Sequenz Ihr kriegt alle Drohnen geschenkt und Handys (GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 18-45) Tf502: Ja auch was jetzt bei mir nach den Weihnachtsferien wie viele erzählt ham ich hab nen Handy bekommen mit dem kann ich auch meine Droh:ne steuern (.) ((einige TN lachen leise)) wo ich dachte krass ey ihr seid Zweitklässler ne ((einige TN lachen)) also (.) ey ich hab auch ne Drohne bekommen ((einige TN lachen)) wo ich einfach denke ((einige TN lachen)) @wir haben irgendwie draußen Seil gespielt und irgendwie (2) ((einige TN lachen)) wir sind auf m Fahrrad reitend durch n Wald gefahren irgendwie ((einige TN lachen)) und ihr sp- ielt mit ner Drohne (.)
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((einige TN lachen)) die ihr mit nem Handy steuern könnt@ also es is irgendwie so (2) ((einige TN lachen)) die sind a- jetzt schon auf nem (.) Sta:nd (.) wo ich (.) glaub ich nich hinkommen werde weil ich nie ne Drohne besitze ((leises Lachen einer TN)) weil ich das nich sinnvoll find ((mehrere TN lachen lauter)) @weil s, auf mich ja@ und es is halt Wahnsinn irgendwie so; und ich musste auch echt drauf achten dass mein Gesicht nicht entgleitet weil ich irgendwie dachte ((einige lachen)) (.) und die erzählen das als ob s das Norma:lste wäre und ich sitz da und denk mir (.) ey es war Weihnachten und ihr kriegt alle Drohnen geschenkt und Handys und (3) irgendwie äh ((leises Lachen einiger TN)) Tf508: Was is so ne Drohne? Tf502: Ne @ja@ ne Drohne is so n (.) Ding das kannste wie n wie so n ferngesteuerter Hubschrauber aber das hat (.) so ne Kamera und dann kannst du quasi Bilder Tf503: Filmen Tf502: von oben (.) machen und und äh es sieht cool aus aber (3) man braucht s nich wirklich Tf503: Ja Tf506: Das is auch super teuer oder? Tf502: Ja (3) Tf502 erzählt, dass in ihrer Schule viele Kinder zu Weihnachten Handys geschenkt bekommen haben, mit denen sie Drohnen steuern können. Sie setzt mehrmals neu an, was auf eine hohe Emotionalität hinweisen kann, aber auch auf eine Suche nach einem stimmigen Ausdruck für die Botschaft, die vermittelt werden soll. Sie beginnt den Satz mit viele Kinder haben erzählt, spricht dann jedoch in direkter Rede und in der ersten Person Singular weiter. Sie ahmt damit nicht nur nach, was ein Kind ihr erzählt hat und verleiht ihrer Erzählung einen besonders authentischen Eindruck, sondern gibt auch den Hinweis, dass es doch nicht viele Kinder waren, die Handys bekommen haben, mit denen sie Drohnen steuern können, sondern nur ein Kind ein solches Handy hat. Sie artikuliert ihre Ablehnung, ihr Unverständnis oder gar Entsetzen mit der Äußerung »krass ey ihr seid Zweitklässler ne…« Diese Äußerung formuliert sie, als würde sie die Schüler*innen direkt ansprechen. In der Äußerung dokumentiert sich ein Appell an die Schüler*innen: Sie müssen sich selbst klar machen bzw. einsehen, dass sie zu jung für eine Drohne bzw. ein Handy sind, mit dem eine Drohne gesteuert werden kann. Möglicherweise angeregt durch das ihre Erzählung immer wieder unterbrechende Lachen einiger Teilnehmer*innen, führt Tf502 ihr Erlebnis weiter aus, indem sie ein weiteres Kind nachahmt, das ebenfalls behauptet haben soll, eine Drohne zu Weihnachten geschenkt bekommen zu haben. Sie betont damit, dass sich ihre Geschichte nicht nur auf ein Kind bezieht: Sie macht deutlich, dass sie etwas Generelles über Zweitklässler*innen präsentieren will. Dass ein Bild hervorgerufen wird, mit dem ein ganzer Jahrgang, ja eine ganze Generation beschrieben werden soll und nicht einzelne Kinder, unterstreicht Tf502, indem sie beschreibt, was ihre Generation als Kinder im Gegensatz zur heutigen gemacht hat: »@wir haben irgendwie draußen Seil gespielt, und irgendwie (2) ((einige TN lachen)) wir sind auf m Fahrrad reitend durch n Wald gefahren irgendwie ((einige TN lachen)) und ihr sp- ielt mit ner Drohne (.) ((einige TN lachen)) die ihr mit nem Handy steuern
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könnt@…« Das Spielen mit dem Handy und der Drohne werden dem bewegungsreichen, naturnahen und unschuldigen Spiel der eigenen Generation gegenübergestellt – was nicht nur betont wird, weil der Wald erwähnt wird, sondern auch weil auf dem Fahrrad wie auf einem Pferd geritten und nicht gefahren wird. Die Gegenüberstellung von eigener Kindheit und aktueller Kindheit macht deutlich, dass die Drohne nur ein Beispiel für etwas ist, das generell kritisiert wird: Es geht um aktuelle Medienentwicklungen, die Kindheit verändern. Die Idealisierung der eigenen Kindheit unterstützt diese Lesart, wie auch der als Vorwurf und direkte Ansprache an die Kinder formulierte Abschluss der Beschreibung, auf die eine explizite Bewertung der Beschreibung folgt: »die sind a- jetzt schon auf nem (.) Sta:nd (.) wo ich (.) glaub ich nich hinkommen werde weil ich nie ne Drohne besitze ((leises Lachen einer TN)) weil ich das nich sinnvoll find ((mehrere TN lachen lauter))…« Tf502 spricht davon, dass sie den Stand, den die Kinder haben, nicht erreichen kann bzw. wird, und verweist so auf eine Erwartung, die sie an Lehrer*innen gerichtet wahrnimmt: Sie vermitteln in der Schule etwas, von dem sie mehr verstehen als Schüler*innen; Kinder müssen etwas von ihnen lernen können, nur dann erfüllen sie ihre Lehrer*innenrolle. Damit gelingt es zu legitimieren, dass digitale Medien nicht zum Inhalt von Unterricht werden können, denn Kinder befinden sich hier auf einem Stand, den Lehrer*innen nicht erreichen werden. Tf501 bestärkt, dass sie entsetzt war über das, was die Kinder ihr erzählt haben, indem sie davon spricht, dass es »halt Wahnsinn irgendwie so« ist und nachsetzt, dass sie darauf achten musste, dass ihr das Gesicht nicht entgleitet. Sie bricht immer wieder Sätze ab und setzt neu an. Das Bild, das sie nutzt, um zu verdeutlichen, dass es ihr schwerfiel, vor den Kindern die Fassung zu wahren, deutet auf eine Erwartung – Lehrer*innen müssen die Fassung wahren – und ist zudem auffällig, weil es nicht korrekt ist: eigentlich muss es heißen, einem entgleisen die Gesichtszüge, womit ein erschrockenes Gesicht beschrieben wird. Da Tf501 aber von entgleiten spricht, vermittelt sie einen drohenden Kontrollverlust, weil die Kinder den Eindruck vermittelten es sei »das Norma:lste«, mit Handys und Drohnen zu spielen. Mit der Betonung über die Dehnung des Vokals, aber auch mit dem Rückgriff auf die Textsorte Erzählung und die Ich-Perspektive betont sie ihr fehlendes Verständnis – für die Nutzung der Medien, aber auch für die Kinder, die diese Mediennutzung als normal einordnen. Das Entsetzen verweist auf den Gehalt, dass Kinder als in anderen Sphären lebend wahrgenommen werden, weil sie über und mit digitalen Medien eine andere Welt erleben und erfahren als Kinder früherer Generationen. Diese Welt ist nicht nur eine andere, sondern auch eine wahnsinnige und damit eine unverständliche, eine nicht sinnvolle. Tf501 ist aber auch entrüstet darüber, dass die abzulehnenden Medien zu Weihnachten verschenkt wurden – Handy und Drohne erscheinen hier geradezu blasphemisch. Tf508 fragt, was eine Drohne ist, worauf Tf502 nach einer Erklärung suchend eine Drohne als Ding beschreibt, »wie n wie so n ferngesteuerter Hubschrauber aber das hat (.) so ne Kamera und dann kannst du quasi Bilder« – hier wird sie von Tf503 unterbrochen: »Filmen« – und fährt dann fort »von oben (.) machen…« Sie zögert, ist sich wohl unsicher, spricht stockend. Sie sucht nach passenden Begriffen und Vergleichen, kann aber nicht genau sagen, was eine Drohne ist, außer dass es mit ihr möglich ist, Aufnahmen zu machen. Sie bewertet die Drohne mit »äh es sieht cool aus aber (3) man
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braucht s nich wirklich…« Was genau cool aussieht – die Drohne oder die Bilder, die sie von oben aufnehmen kann - ist nicht klar. Es lässt sich nicht nachvollziehen, woher sie ihre Informationen hat: Ob sie schon mal eine Drohne gesehen oder etwas über sie gelesen hat, wobei sich aufgrund ihrer positiven Bewertung und der darauffolgenden Pause annehmen lässt, dass sie schon einmal eine gesehen hat, oder Bilder einer Drohne, und davon beeindruckt war. Da sie die rhetorische Nachfrage von Tf506, ob eine Drohne teuer sei, sofort bestätigt, weiß sie wohl, was eine Drohne kostet. Möglicherweise wird sich selbst eine Lust auf etwas verwehrt: Um eigene Bedürfnisse und Wünsche kontrollieren und in der Rolle der Erwachsenen bleiben zu können, werden diese bei den Kindern abgelehnt. Tf506 knüpft mit der Preisfrage an den vorherigen Abschnitt an, indem Tf502 ihr Entsetzen darüber geäußert hat, dass alle Kinder zu Weihnachten ein Handy bekommen haben, das eine Drohne steuern kann. Die Frage nach dem Preis verweist darauf, dass angenommen wird, dass es sich um nicht angemessene, weil zu teure Geschenke handelt. Vor allem im Kontext des Entsetzens darüber, dass es für Kinder normal zu sein scheint, dass sie ein Handy und eine Drohne geschenkt bekommen, wird Kindern unterstellt, dass sie maßlos sind. Angespielt wird damit auf eine veränderte Kindheit, zu der auch das Bild vom Konsumkind gehört, wobei das Bild unterstellt, dass Kinder von sich aus ein Verlangen nach teuren Geschenken entwickeln, und nicht Erwachsene dies hervorrufen, indem sie ihnen teure Geschenke machen.
Orientierung: Kinder stören, wenn sie nicht der Norm entsprechen Kinder sind Störer, wenn sie sich nicht wie erwartet entwickeln, wenn sie nicht einheitlichen und kontrollierbaren Lernstrategien folgen, aber auch wenn sie mehrere Sprachen sprechen, nicht das können, was alle können, sondern weniger oder mehr oder nicht einer Norm entsprechend erzogen werden. Die individuelle Förderung, die damit notwendig wird, wird als überfordernd wahrgenommen, was sich in einem implizit ständig wiederholenden Wunsch nach Homogenität äußert. Die Hoffnung, es in Zukunft mit möglichst homogenen Lerngruppen zu tun zu haben, dokumentiert sich auch darin, dass ältere Kinder als mögliche Problemkinder eingeordnet werden: Sequenz Keiner der irgendwie mit einem Messer in die Schule kommt (GD3 vor OEP Passage Störungen Zeile 540-548) Tm201: für Tm202 waren jetzt hier die die eher die Raufbolde (.) äh Störenfriede oder so jetzt Deutsch als Zweitsprache irgendwie so was Verständnisprobleme, es kann natürlich auch sein dass man dann Problemkinder sagt das sind dann halt Kinder die (.) immer Faxen machen in der Klasse, die Klassenclowns die dann irgendwie alle anderen ablenken; kann man auch als Problemkinder definieren; aber (.) ich denke mal so (.) wir in der Grundschule sind da noch (.) relativ (.) gut dran; also es gibt dann halt bei uns dann keiner der irgendwie (.) jetzt mal im Extremfall @mit einem Messer in die Schule kommt oder so.@ Tm201 ergänzt die Definition Problemkind mit Kindern die »immer Faxen machen in der Klasse, die Klassenclowns die dann irgendwie alle anderen ablenken…« Das Problem, das durch diese Kinder hervorgerufen wird, ist ein gestörter Unterricht, da sie die anderen
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Kinder ablenken. Auch die Verwendung des Begriffs Störenfried verweist auf das Thema, das in Bezug auf Problemkinder für die Student*innen von Bedeutung ist: Problemkinder rufen im Unterricht Störungen hervor. Problemkinder bzw. -schüler*innen sind aber erst – so die Hoffnung – ein wirkliches Problem in der weiterführenden Schule. Die Herausforderung in der Grundschule wird als eher harmlos eingestuft, wobei die Sprechpausen darauf hinweisen, dass dies zögerlich geschieht. Tm201 nutzt das Adjektiv relativ in Bezug auf die zu erwartende Herausforderung, als wolle er den anderen Diskussionsteilnehmer*innen, deren Positionen er zuvor validierend zusammengefasst hat, nicht widersprechen. Möglicherweise ist er sich seiner Sache aber auch nicht sicher: Das Beispiel, das er aus der weiterführenden Schule wählt, um den Umgang mit Problemkindern an der Grundschule als harmlos einzustufen, bezeichnet er selbst als extrem; es scheint nicht sicher, ob sich Grundschüler*innen tatsächlich so klar von Schüler*innen weiterführender Schulen abgrenzen lassen. Über das Beispiel vermittelt sich die Hoffnung bzw. der Wunsch, dass die Grundschule Teil einer heilen Welt ist, in der man es mit Kindern zu tun haben wird, die noch unbedarft sind und nicht mit Schüler*innen, die mit Messern in die Schule kommen. Sind Kinder zu weit entwickelt, werden sie zu einem Problem, wie auch die Sequenz Auf nem Entwicklungsstand von nem Erwachsenen deutlich macht. Der Entwicklungsstand von Kindern ist dabei mit ihrer Nutzung digitaler Medien verknüpft: Sequenz Auf nem Entwicklungsstand von nem Erwachsenen (GD6 nach OEP Passage Medien in der Grundschule Zeile 15-41) Tf301: […] ähm ich hatte tatsächlich nur eine Situation, also irgendwie haben Medien oder Handys oder elektronische Geräten in meiner Klasse noch in der anderen Klasse in der ich war gar keine Rolle gespielt und auch auf dem Schulhof nicht also es war auch von der Schule eigentlich vorgegeben dass die Handys zu Hause bleiben also nich mal aus m Schulranzen sind sondern eigentlich gar nicht mit in die Schule gebracht werden, und zwa:r (.) das einzige Kind was sein Handy dabei hatte wa:r ähm eben Flüchtlingsjunge ähm de:r sich auch sehr schwer getan hat an die Rahmenbedingungen in der Klasse oder in diese Strukturen diese vorgegebenen Sachen zu halten, was völlig verständlich ist wenn man n also was völlig verständlich war nachdem wir ein Gespräch hatten mit der Sozialarbeiterin die sich um seine Familie kümmert die uns dann eben auch erzählt hat ((holt Luft)) ähm ja dass der zum Beispiel in Bulgarien auf der Flucht war und kleinere Geschwister hat und er als ältester Junge die Mutter war hoch schwanger morgens raus und abends heim kam den ganzen Tag gebettelt hat und Brot organisiert hat so dass die Familie überleben konnte; und das ist ziemlich krass sich zu überlegen das ist n neunjähriger Junge der da nicht seinen Tag mit Spielen verbringt sondern auf der Straße mit Betteln und irgendwie dafür sorgt dass seine Familie überleben kann und dann ist es auch klar verständlich dass es solchen Kindern schwer fällt plötzlich in so ner strukturierten Klasse zu sitzen wo die Lehrerin sagt was Sache is und man quasi von der Entwicklung vielleicht (.) teilweise (.) bei manchen Sachen auf nem Entwicklungsstand von nem Erwachsenen ist weil man einfach sich ums Über-
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leben irgendwie gesorgt hat und nich dieses unbesorgte Kind sein konnte (.) und ähm der hatte halt auch eben ein Handy dabei und ähm (.) Tf301 erzählt, dass »Medien oder Handys oder elektronische Geräten« in der Klasse, in der sie war, und auf dem Schulhof »gar keine Rolle gespielt« haben. Sie begründet das mit dem Handyverbot der Schule, da es verbietet, dass Handys mit in die Schule gebracht werden. Ihre Annahme, dass »Handys gar keine Rolle gespielt« haben, beruht darauf, dass sie keine gesehen hat. Mit der Erzählung von einem geflüchteten Jungen, »das einzige Kind was sein Handy dabei hatte«, wirft sie einen propositionalen Gehalt auf, der die Fluchterfahrungen des Jungen als nicht vereinbar mit dem Besuch einer funktionierenden Klasse beschreibt, »wo die Lehrerin sagt was Sache is…« Der Junge braucht das Handy, um für seine Familie sorgen zu können. Er übernimmt also mit Hilfe des Handys eine Aufgabe, die normalerweise Erwachsene innehaben. Mit dieser Beschreibung werden Medien als nicht geeignet für Kinder eingeordnet, denn der Junge wird nicht als Kind, sondern als erwachsen beschrieben. Durch die Fluchterfahrungen konnte er nicht Kind sein – was für Tf301 bedeutet den »Tag mit Spielen« zu verbringen. Er muss mit neun Jahren erwachsen sein: »auf der Straße mit Betteln und irgendwie dafür sorgt dass seine Familie überleben kann…« Der Junge bringt eine Lebenserfahrung mit, die das Rollenverständnis der Student*innen herausfordert: In ihrem Verständnis sind die Lehrer*innen die Erfahrenen, nicht die Schüler*innen. Es geht nicht allein darum, dass Schüler*innen sich zu wenig anpassen – denn der geflüchtete Junge passt sich ja an, indem er sein Handy in der Regel nicht aus der Tasche holt. Aber seine Erfahrungen bedrohen das Klassengefüge so, dass er in nicht wirklich aufgenommen werden kann, nicht integriert werden kann: Sequenz Ob er in dieser normalen Regelschule bleiben kann (GD6 nach OEP Passage Medien in der Grundschule Zeile 62-82) Tf301: […] ja und vielleicht grad noch zu dem Schüler weil ich da kon- schon so ausgeführt hab bei: dem war dann halt wirklich so die Frage ob er in dieser normalen Regelschule bleiben kann oder ob der n anderen Rah:men brauch; weil bei 26 Schülern hat man als einzelne Lehrperson einfach nicht die Möglichkeit so individuell auf manche Schule- Schüler einzugehen wie sie s tatsächlich bräuchten oder grad, wir hatten auch keine Schulpsychologin oder (.) sondern -ne wir hatten ne Schulsozialarbeiterin aber sonst niemand der vielleicht (2) wirklich da: wär für Kinder die auch wirklich traumatisiert sind oder Fluchterfahrungen ham ((holt Luft)) sondern von denen wird halt einfach erwartet dadurch dass quasi versucht wird normaler Alltag herzu- herzustellen dass sie sich so eingewöhnen und einleben und irgendwie ein- gliedern wenn man s jetzt hart sagen will ähm (.) und (.) ja deswegen war für mich das jetzt auch nicht schlimm oder erschreckend dass er da so n Handy dabei hatte weil für mich das völlig selbstverständlich war dass der das halt braucht quasi für seinen Alltag; ((holt Luft)) aber er hat das dann auch eingesehen dass es in n Schulranzen muss und danach war es auch nicht mehr auffällig und bei den anderen Schülern, hab ich sowas nie festgestellt und auch nicht in ner anderen Klasse; also s kann natürlich auch in anderen Schulen anders sein und je nachdem wie streng oder wie klar es ausgedrückt is (.) ja;
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Mit der Beschreibung des geflüchteten Jungen, dem das Handy nicht mehr zu nehmen ist, wird geschlussfolgert, dass er nicht an der Schule bleiben kann, dass er nicht beschulbar ist. Dies gilt vor allem, weil er ein schlechtes Vorbild für die anderen Schüler*innen ist, bzw. aufgrund seiner Lebenserfahrung Strukturen und Hierarchien sowie die Lehrerin in ihrer Rolle als Erfahrene und Wissende, die den Kindern Wissen vermittelt, in Frage stellt. Das Handy wird als ein Medium für Erwachsene präsentiert, indem der Junge als jemand eingeordnet wird, der kein Kind mehr ist und nicht in eine Schule gehört. Die Geschichte des geflüchteten Jungen verweist auf eine zunehmende Heterogenität, von der angenommen wird, dass sie nicht zu bewältigen ist. Tf301 erzählt, dass in der Schule darüber nachgedacht wurde, ob der Junge in eine Regelschule passt oder »ob der n anderen Rah:men brauch…« Diese Frage wird gerechtfertigt, da »man als einzelne Lehrperson einfach nicht die Möglichkeit so individuell auf manche Schule- Schüler einzugehen wie sie s tatsächlich bräuchten…« Eine Regelschule hat demnach Strukturen, in denen das Eingehen auf individuelle Erfahrungen nicht möglich ist. In der Betonung, dass eine einzelne Lehrkraft nicht auf jeden einzeln eingehen kann, dokumentiert sich, dass die Erwartung wahrgenommen wird, individuell auf Kinder einzugehen. Der geflüchtete Junge steht für eine zunehmende Heterogenität, die das für die Student*innen unmöglich zu machen scheint.
Orientierung: Kinder brauchen, was wir als Kinder hatten Die Sequenz Was konnten die Dinger damals schon zeigt nicht nur auf, wie es den Student*innen gelingt über die Beschreibung sich wandelnder Familienverhältnisse, wandelnder Mediennutzungsgewohnheiten und veränderter Kindheit, Eltern in die Verantwortung zu nehmen. In die Verantwortung genommen werden auch Kinder: die Student*innen gehen nicht nur davon aus, dass sie mit anderen, harmloseren Medien aufgewachsen sind, sondern dass sie als Kinder Interessen und Bedürfnisse hatten, die zu Kindern passen. Nur wenn heutige Kinder diese Interessen und Bedürfnisse teilen, scheint es für die angehenden Grundschullehrer*innen tatsächlich möglich sie zu unterrichten bzw. mit ihnen umzugehen: Sequenz Was konnten die Dinger damals schon (GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 174-217) Tf506: Und ich glaub da war s auch noch nich so Thema (2) Tf511: wenn man überlegt Tf502: Ja bei uns war das auch noch nich so auf Tf506: die Medien die ja, da wa:r das alles noch Thema ich hatte mein erstes Handy glaub in der fünften Klasse Tf502: Ja (.) ich auch Tf506: und da fand ich s schon (.) also mich hat das auch nich interessiert Tf511: Mhm und was konnten die Dinger damals also Tf510: Und mit den Handys konntest du auch nich in YouTube gehen Tf506: Eben eben Tf511: Ja ja Tf502: Nee Tf510: das is ja heutzutage (.) wenn du n Handy hascht hast du Internet wenn wir
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früher Handy hatten dann hatten wir Tf503: Ja Tf510: unsere Notizen die wir uns Tf50?: Genau Tf510: ber per Bluetooth vielleicht @zuschicken konnten oder so@ (.) °das hatte meins noch nich mal° Tf511: °Ja° Tf504: Ja Tf511: Oder n Telefonat für die Eltern aber mehr halt nich deswegen is es echt extrem; Tf510: Ja (.) das (.) mehr gab s da ja gar nich Tf502: Aber auch zum Beispiel Tf510: wa- wie oft bist du sind wir an den Computer gekommen? vielleicht einmal die Woche wenn wir Glück hatten Tf511: Ja Tf506: Aber das war find ich ((eine TN räuspert sich)) das war auch nich in meinem Interesse Tf511: Nee Tf506: und das war generell auch wenn ich so die (.) Tf504: Ja Tf506: meine Grundschulklasse seh da war das noch nich Thema; Tf502: Nee Tf506: man hat sich getroffen um (2) Grundschullehrerin zu spielen Tf510: °Ja° Tf506: letztendlich an ner oder (2) keine Ahnung Tf510: Ja Tf502: irgendwas zu spielen; draußen zu spielen Tf506: norma:le Sachen zu spielen und da war des einfach noch nich (.) auch so präsent allgemein in der Welt find ich Tf502: Ja Abgegrenzt wird die eigene Kindheit zunächst über die Beschreibung veränderter Technik, wobei diese von zahlreichen Widersprüchen geprägt ist, die die Studentinnen nicht zu irritieren scheinen. So erzählt Tf510: »wenn wir früher Handys hatten dann hatten wir unsere Notizen die wir uns ber per Bluetooth vielleicht @zuschicken konnten oder so@ (.) °das hatte meins noch nich mal°…« Das Versenden von Kurznachrichten ist seit Anfang der 90er Jahre möglich, so dass hier davon auszugehen ist, dass Tf510 von dem Versenden von Kurznachrichten bzw. SMS spricht. Dass sie hier nicht von Simsen spricht – wie das Versenden von Kurznachrichten in ihrer Kindheit genannt wurde � oder von SMS, sondern von Notizen, die auch analog vorstellbar wären, deutet darauf hin, dass es darum geht, die eigene Handynutzung in Abgrenzung zur heutigen zu beschreiben. Denn passen würde die Beschreibung eher auf eine Handynutzung in den 90er Jahren, weniger in die Zeit, in der die Studentinnen in der fünften Klasse waren, also Mitte der 2000er. Auch werden SMS in der Regel über das Mobilfunknetz verschickt und nicht über Bluetooth, eine Funktechnik für die kurze Distanz, die zwar
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für die Datenübertragung zwischen Geräten genutzt wird, aber weniger für das Senden von Kurznachrichten. Der Nachsatz »°das hatte meins noch nich mal°« betont noch einmal, worum es geht: Die Geräte von früher hatten kaum Funktionen und sind nicht mit dem zu vergleichen, was Kinder heute besitzen. Die Handynutzung in der eigenen Kindheit wird so verharmlost. Die Formulierung »Oder n Telefonat für die Eltern aber mehr halt nich deswegen is es echt extrem« stellt heraus, dass die Studentinnen annehmen als Kinder vor allem deshalb Handys besessen zu haben, weil ihre Eltern dies wollten. Die Handys waren in der Vorstellung der Studentinnen dazu da, die Eltern zu informieren, damit sie sich keine Sorgen um ihre Kinder machen mussten. Tf510 stellt die rhetorische Frage, »wa- wie oft bis zu sind wir an den Computer gekommen? vielleicht einmal die Wochen wenn wir Glück hatten…« In dieser Frage dokumentiert sich, dass sie die Erlaubnis als Kind etwas am Computer machen zu dürfen als Belohnung erinnert. Auffällig ist der Wechsel von du zu wir; womit sie sich mit den anderen Gruppendiskussionsteilnehmerinnen gemein macht und ihre Botschaft stärkt, dass es um einen Generationenunterschied geht. Tf506 wirft den Orientierungsgehalt auf, dass es nicht in ihrem und auch nicht im Interesse anderer war, an den Computer zu gehen, »und das war generell auch wenn ich so die (.) [Tf504: Ja] meine Grundschulklasse seh das war da noch nich Thema…« Hier dokumentiert sich, dass veränderte Kindheit in der Vorstellung der Studentinnen nicht nur auf einen Technologiewandel zurückzuführen ist, sondern davon ausgegangen wird, dass auch Kinder früher anders waren, was mit der Erwartung verknüpft wird, dass sich Kinder heute auch anders verhalten könnten, nämlich so wie damals. Tf506 erzählt, dass sie und ihre Mitschüler*innen in der Grundschule sich nicht für Handys bzw. Medien interessiert haben, sondern für andere Dinge: »man hat sich getroffen um (2) Grundschullehrerin zu spielen [Tf510: °Ja°] letztendlich an ner oder (2) keine Ahnung…« Während es zunächst um ihre Grundschulklasse geht, verweist Tf506 mit der Verwendung des Pronomen man darauf, dass sie mehr – womöglich eine ganze Generation – beschreibt und nicht nur ihre eigene Grundschulklasse. Dass Tf506 das Nachspielen ihres eigenen Berufs einfällt, steht möglicherweise in Zusammenhang mit der bereits erwähnten Diskussion bzw. dem geäußerten Entsetzen darüber, dass Kinder davon träumen YouTuber zu werden (vgl. Sequenz Dass das was im Internet steht nich alles wahr is); aufgeworfen wird damit der Orientierungsgehalt, dass Kindheit eine Vorbereitung auf das Erwachsensein ist. Entsprechend sollen Kinder sich für Berufe interessieren, die der eigenen Vorstellung von einem guten und seriösen Beruf entsprechen, um sich richtig – also so wie man selbst – entwickeln zu können. Dass es um einen guten und seriösen Beruf geht und die eigene Entwicklung als Vorbild, lässt sich daraus schließen, dass der eigene Beruf genannt wird. Die Einordnung erfolgt dann über folgende Bewertung: »norma:le Sachen zu spielen…« Wiederholt und verstärkt wird, dass eine andere Welt für Kinder geeigneter wäre, nämlich die, die selbst als Kind erlebt wurde: »und da war des einfach noch nich (.) auch so präsent allgemein in der Welt find ich…« Tf502 validiert den Gehalt. Nachdem sie bereits das Grundschullehrerin-Spielen durch die Aspekte »irgendwas zu spielen; draußen zu spielen« ergänzt hat, womit sie einmal darauf verweist, dass das, was Kinder heute tun, wenn sie mit Medien umgehen, kein Spielen ist, und des Weiteren die Erwartung formuliert, dass Kinder draußen spielen sollten.
8. Darstellung der Ergebnisse
Die Mediennutzung in der eigenen Kindheit wird idealisiert und offensichtlich auch für heutige Kinder gewünscht: Sequenz Ich hab mich noch mit Modem eingewählt (GD1 vor OEP Passage Medienerziehung in Familie und Schule Zeile 283-299) Tf101: […] das war anders bei uns Tf104: Ja natürlich war s anders Tf101: also ich hab mich noch mit Modem eingewählt und musste ne halbe Stunde @warten bis ich im Internet war@ ((mehrere lachen)) Tf103: @Genau@ Tf104: Ja klar klar war s anders aber ich meine bei uns gab s immer irgendwelche Sachen, die Tf101: ((räuspert sich)) Tf104: böse waren und irgendwie sind wir da trotzdem mit in Kontakt gekommen; natürlich geht es jetzt leichter aber ich glaub nich dass das je- dass das die Kinder komplett verkorkst durch das Internet es gibt doch nicht nur Scheiß da drin also Tm101: Nein nein es verkorkst nich total aber es gibt keinen Weg mehr zurück, es wird immer Tf101: Ja Tm101: und es wird immer schnelllebiger ((trommelt kurz auf den Tisch, spricht schneller)) und es wird immer mehr und immer mehr Tf101 stellt fest, dass das Internet bzw. die Internetnutzung heute anders ist als früher. Mit der langen Wartezeit – sie »musste ne halbe Stunde @warten« - verweist sie darauf, dass es mühsam war und Geduld erforderte, also aufwändig war. In der Andeutung, dass es etwas Besonderes und damit eher die Ausnahme war, dass sich ins Internet eingewählt wurde, deutet sich an, dass Kinder heute ohne Wartezeit, ohne Verzögerung und damit nicht nur im Ausnahmefall, sondern vielmehr dauernd bzw. ständig im Internet sind. Tf104 stimmt Tf101 zu, dass es in der eigenen Kindheit anders war und es heute leichter ist, ins Internet zu gehen, argumentiert aber, dass es schon immer problematische Dinge bzw. Gefahren gab, mit denen Kinder konfrontiert wurden – womit sie validiert, dass es negative Inhalte im Netz gibt, aber nicht, dass diese immer zu einem Problem für Kinder werden müssen. Die Formulierung »ich glaub nich dass das je- dass das die Kinder komplett verkorkst durch das Internet es gibt doch nicht nur Scheiß da drin« verweist zudem auf eine medienbezogene Orientierung, die das Internet als Gefäß mit einem Inhalt fasst, der vor allem konsumiert und nicht (mit)gestaltet wird. Mit dem Verb verkorksen wird dem Internet eine Wirkungsmacht zugeschrieben: Es kann Kinder vielleicht nicht komplett verkorksen, aber es kann sie verkorksen. Verkorksen ist laut Duden abwertend gemeint und kann mehrere Bedeutungen haben: verderben, verbocken, vergeigen, vermurksen, verpatzen oder auch verpfuschen. Es dokumentiert sich eine Orientierung, die das Kind und seine Entwicklung betreffen: Nicht das Kind entwickelt sich, sondern es wird entwickelt und zwar auch über den Einfluss digitaler Medien, die es verkorksen können; hier zeigt sich deutlich wie Orientierungen, die sich auf digitale Medien beziehen, durch Orientierun-
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gen mitstrukturiert werden, die sich auf das Kind sowie Lehren und Lernen beziehen, so dass ihnen eine grundlegende Relevanz zugeschrieben werden kann. Tm101 stimmt zu, dass das Internet Kinder nicht total verkorkst, aber argumentiert, es gebe keinen Weg mehr zurück. In der Formulierung dokumentiert sich wieder eine Idealisierung der Vergangenheit: es wird sich nach ihr zurückgesehnt. Das Internet erscheint in der Beschreibung von Tm101 als wachsende Bedrohung, immer schnelllebiger verweist auf die Unkontrollierbarkeit des Internets. Es ist schnelllebig und damit durch einen ständigen Wandel gekennzeichnet; zugeschrieben wird ihm aber auch ein Eigenleben, in das nicht eingegriffen werden kann.
Orientierung: Hilf mir, es selbst zu tun14 Den Student*innen gelingt es, einen Wandel in der Kindheit zu beschreiben, obwohl Erinnerungen an die eigene Kindheit aufkommen, die der Idee widersprechen, dass die eigene Kindheit im Vergleich zur heutigen völlig anders war. Diese Widersprüche sind den Student*innen nicht reflexiv zugänglich, so dass es ihnen ohne irritiert zu werden gelingt, Aufgaben abzuwehren, die sie als angehende Lehrer*innen in Bezug auf das Lernen mit, durch und über digitale Medien in der Grundschule erwarten: Sequenz Ich wusste genau was ich angucken kann (GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 218-235) Tf507: Ja gut ich muss dazu sagen ich hab zum Beispiel sehr viel Fernsehen geschaut weil meine Mama vollzeitig berufstätig ist und ich allein daheim war und ich hatte da schon ziemlich unbegrenzten Zugang; a:ber (.) meine Mutter muss mir ich weiß nich wie irgendwie vermittelt haben was ich angucken darf und was nich weil wenn ich überleg was ich mir angeschaut hab dann waren das alles Sachen die ich heute als angehende Lehrkraft als pädagogisch wertvoll erachten würde; also was hab ich angeschaut ähm (.) ähm Schloss Einstein oder so Tf509: Ja Tf507: ich wusste genau was ich angucken kann, was Mama auch okay findet und was nich; Tf501: Mhm Tf507: und wenn ich wusste die dieses findet sie nich in Ordnung Tf501: Mhm Tf507: hab ich das nich angeschaut; Tf501: Mhm Tf507: das heißt ähm es is ja auch irgendwie bisschen, die Erziehung (.) oder es is ja die Erziehung Tf507 erzählt, dass sie als Kind sehr viel ferngesehen hat, was sie damit begründet, dass ihre Mutter Vollzeit arbeitete. Die Vollzeitbeschäftigung ihrer Mutter erscheint nicht nur als Erklärung, sondern als Legitimation dafür, dass sie allein vor dem Fernseher saß. Damit verweist sie auf die Erwartung, dass Mütter eigentlich für ihre Kinder
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Leitsatz der Theorie Maria Montessoris (vgl. Hellwig 2009, S. 6)
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da sein und sie nicht alleine dem Fernseher überlassen sollten. Wie ein Eingeständnis erzählt sie, dass sie alleine zu Hause war und »da schon ziemlich unbegrenzten Zugang« hatte. Sie rückt damit von dem zuvor von den anderen Diskussionsteilnehmer*innen idealisierten Bild der eigenen Kindheit in Bezug auf die Frage ab, wie hier Medien genutzt wurden und vorkamen. Mit dem Hinweis, dass ihre Mutter ihr »irgendwie vermittelt« haben muss, was sie angucken durfte, bearbeitet sie einen bereits aufgeworfenen Orientierungsgehalt bzgl. Eltern, die hier Verantwortung zu übernehmen haben. Ihre Mutter hat dies in ihrer Erinnerung für sie erfüllt. Sie sagt, sie weiß nicht, wie ihre Mutter ihr vermittelt hat, was sie gucken darf und was nicht. Damit wirft sie den Orientierungsgehalt auf, dass gute Mütter dies intuitiv können bzw. früher intuitiv konnten, was auf die Vorstellung verweist, dass heute nicht nur Kinder anders sind als früher, sondern auch Eltern. Sie ordnet das, was ihre Mutter ihr erlaubt hat zu gucken, als »angehende Lehrkraft als pädagogisch wertvoll« ein: Das, was ihre Mutter ausgewählt hat, entspricht nicht nur aus professioneller Perspektive dem, was für ein Kind gut ist, sondern es hat auch heute noch Bestand. So wird die Erwartung offenbar, dass Kinder heute das gucken sollten, was früher geguckt wurde. Tf509 validiert den Gehalt, wobei nicht deutlich wird, worauf sie sich bezieht: dass Schloss Einstein eine pädagogisch wertvolle Sendung ist, oder Eltern früher anders waren und in der Lage, ihren Kindern zu vermitteln, was pädagogisch wertvoll ist und geguckt werden darf. Tf507 sagt, dass sie nur das geguckt hat, was ihre Mutter »auch okay findet«. Ihre Mutter hat ihr also nicht vermittelt, wie sie einen Inhalt bzw. eine Sendung auswählen kann, oder wonach sie selbst diese auswählt, sondern Tf507 hat das getan, was ihre Mutter von ihr verlangt hat. Kinder müssen demnach so diszipliniert werden, dass sie von sich aus tun, was gut für sie ist. Tf501 unterbricht sie mehrmals mit einem zustimmenden Mhm, bevor Tf507 abschließend deutlich macht, dass die Geschichte eine Exemplifizierung für ihr Argument darstellt, dass es auf die Erziehung ankommt, wobei diese These von ihr zögernd hervorgebracht wird, als ob sie überlegen würde, ob das, was sie sagt, wirklich den Kern trifft: »das heißt ähm es is ja auch irgendwie bisschen, die Erziehung (.) oder es is ja die Erziehung…« Im folgenden Kapitel ordne ich die hier dargestellten Ergebnisse in Literatur ein; deutlich wird dabei vor allem, dass die normative Subjektfigur als hegemoniales Deutungsangebot einzuordnen ist, das sich auch in pädagogischen und bildungspolitischen Diskursen immer wieder aufdrängt.
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9. Einordnung der empirischen Ergebnisse Everybody’s Free To Wear Sunscreen. Baz Luhrmann
Es zeigt sich, dass die Grundschullehramtsstudent*innen sowohl in der Schule als auch in der Hochschule Umgangsweisen mit Medien erfahren, die zu einem Erfahrungswissen führen, das ihre Vorstellungen in Bezug auf das Lernen mit, durch und über digitale Medien in der Grundschule strukturiert. Von Bedeutung sind aber auch wissenschaftliche Diskurse über Medienkompetenzen und Medienbildung sowie die Rolle der Student*innen auf dem Weg von der Schüler*in (vom Kind) zur Lehrer*in (zum Erwachsenen). Entsprechend spiegeln die von mir aus den Gesprächen rekonstruierten handlungsleitenden Orientierungen auch Interpretationen der eigenen Professionalisierung. Die normative Subjektfigur am Kind orientiert handeln erfüllt in allen Gruppendiskussionen die Funktion einer Legitimationsfigur für die auf das zukünftige Handlungsfeld der Student*innen bezogenen Praktiken. Der diese Praktiken strukturierende kollektive Orientierungsrahmen lässt sich entsprechend wie folgt fassen: über die Selbstpräsentation ›am Kind orientiert‹ handeln Individualisierung von Verantwortung und selektierende Praktiken legitimierend. Präsentiert wird von den Student*innen die Vorstellung, dass sich Kinder von sich aus entfalten sollen, aber im Sinne eines Entwicklungsmodells, das sich an Bedürfnissen ausrichtet, die sie ihnen zuschreiben und offensichtlich als Bedürfnisse aus der eigenen Kindheit erinnern. Der kollektive Orientierungsrahmen bringt Konstruktionen von digitalen Medien, der eigenen Profession, von Eltern, Kind und Kindheit hervor, über die ein Lernen mit, durch und über digitale Medien in der Grundschule abgewehrt werden kann. Die normative Subjektfigur am Kind orientiert handeln strukturiert sowohl Argumente und Positionierungen der Student*innen, als auch Beschreibungen und Erzählungen. Dies gilt nicht nur, wenn von den Student*innen in den Gruppendiskussionen das Lernen mit, durch und über digitale Medien zum Thema gemacht wird, sondern auch wenn sie über Unterricht und ihre Rolle als angehende Lehrer*innen und die Rolle von Schüler*innen sprechen. Die in allen Gruppendiskussionen auftauchende normative Subjektfigur zeigt, dass die Student*innen die Erwartung wahrnehmen, pädagogische Praxis vom Kind ausgehend zu gestalten, Ressourcen der Kinder zu berücksichtigen, aber auch ihre Interessen, Themen sowie ihre jeweiligen Lebenslagen. Damit verwei-
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sen sie auf die in öffentlichen und bildungspolitischen Debatten über die Bedeutung des Lernens mit, durch und über digitale Medien implizierte Aufforderung sich in der Gestaltung ihrer pädagogischen Praxis an der Lebenswelt der Kinder zu orientieren. Exemplarisch ist hierfür die Sequenz Dann mussten sie das fühlen aus der Gruppendiskussion GD8 (Passage Medien im Unterricht Zeile 16-33): Tf402: […] also das war dann eh eher freierer Unterricht wenn wir Buchstaben, also eingeführt haben also vor allem am Anfang (.) ähm wurden die zum Beispiel einmal hatten wir dann auf nem Tisch und da lagen dann so Holzbuchstaben da haben wir dann mal sowas genutzt und da wurde n Tu:ch drüber und dann hat man s weggemacht und dann mussten sie zum Beispiel alle Ms raussuchen die sie gefunden haben Tf401: Mhm Tf402: waren dann natürlich auch ein paar Ws dabei und dass du dann halt erkennst den Unterschied und dann hatten die verschiedene Stationen; dann mussten sie das fühlen die mussten s mit Kastanien nachlegen mit Steinen nachlegen dann mussten sie s so prickeln also mit so nem mit so ner Nadel quasi Tf403: Mhm Tf401: Mhm Tf402: so das Blatt Papier die mussten sie auch kne:ten und immer mit ähm Wachsmalkreide noch nachmalen und dann an der Tafel eben nachspuren so haben die bei uns eingeführt und sonst haben die eigentlich nichts benutzt nix anderes benutzt; Die Student*innen präsentieren eine Auslegung von individualisiertem Lernen, die auch schulpädagogische Diskurse strukturiert, indem sie ein offensichtlich gelenktes Lernen als freies und ganzheitliches Lernen und der Natur des Kindes entsprechend präsentieren. Hierzu lässt sich bei Peter Faulstich und Rosa Bracker nachlesen: »Klassifizierende Aussagen über personenbezogen als relativ stabil unterstellte Lernstrategien werden oft als Lerntypen gefasst. Solche als Personenmerkmale pointierte Typen werden pädagogisch-psychologisch in zahlreichen und von Lehrenden breit rezipierten Veröffentlichungen unterstellt (z.B. früh: Vester 1978; Honey/Mumford 1992). Die Lerntypen-Konstruktion befriedigt einen Rezeptbedarf, stellt aber ein durchaus problematisches Konzept dar (Looß 2001). Die ›Lerntypen‹ modellieren differentielle, aber nur scheinbar stabile Strategiekonzepte von Personen; sie werden der Situativität von Lernprozessen aber nicht gerecht.« (Faulstich & Bracker 2015, S. 16) Die Student*innen erzählen in der Sequenz davon, dass von den Schüler*innen Buchstaben aus unterschiedlichen Materialien – Holzbuchstaben, Kastanien, Steine, Prickeln – ertastet werden mussten und verweisen damit auf einen Anspruch der Ganzheitlichkeit: Dass die Buchstaben gefühlt, also ertastet werden müssen, folgt der Annahme, dass Kinder vor allem handlungsorientiert lernen bzw. Kinder ihre Welt und ihre Bedeutung handlungsorientiert begreifen. Diese Leitfigur wird auch im medienpädagogischen Diskurs hervorgehoben, wenn es darum geht, für Kinder geeignete medienpädagogische Praxis zu beschreiben: So befähigt eine handlungsorientierte Medienpädagogik nach Franz Josef Röll zu einer komplexen Wahrnehmung. Mit ih-
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rer Hilfe könnten »die innere und äußere Lebenswelt gedeutet, Erfahrungen organisiert, erklärt, überprüft, verarbeitet, gegliedert und geformt werden […] Ästhetisches Lernen und ästhetische Erfahrung kann helfen, den multioptionalen Ansprüchen der Wissensgesellschaft innovative und kreative Kompetenzen entgegenzusetzen…« (Röll 2006, S. 21) Auch bei Günther Anfang und Kathrin Demmler lässt sich nachlesen, dass entsprechend der Idee einer ganzheitlichen Bildung nach Johann Heinrich Pestalozzi (vgl. Riemeck 2014, S. 129ff) Lernen handlungsorientiert und an Lebensrealität orientiert zu gestalten ist: »Somit liegt ein wesentlicher Ankerpunkt einer ganzheitlichen Medienpädagogik im handelnden Lernen. Ausgangspunkt dieses Lernprinzips ist ein Lernen in der handelnden Auseinandersetzung mit anderen Gegenständen der Lebensrealität. Theoretisches und praktisches Wissen wird dabei durch eigenes Tun erfahrbar gemacht und angeeignet.« (Anfang & Demmler 2010, S. 48) Die Idee, dass pädagogische Praxis von der kindlichen Lebenswelt aus zu gestalten ist, ist in medienpädagogischen Kontexten bzw. Diskursen vor allem auf Baacke zurückzuführen. Korrespondierend zu der von mir gefassten normativen Subjektfigur, die den kollektiven Orientierungsrahmen der Student*innen mitstrukturiert, zeigt sich bei Baacke, dass es sich auch in der Theorie bei der Figur am Kind orientiert, um eine aus der Erwachsenenperspektive angefertigte Fremdbeschreibung dessen handelt, was als kindgemäß eingeordnet wird. Es wird nicht die Perspektive von Kindern eingenommen oder sich dieser angenähert. Vielmehr wird – wie Deckert-Peaceman und Scholz feststellen – eine grundlegende »Differenz zwischen Kindern und Erwachsenen« (DeckertPeaceman & Scholz 2016, S. 168) unterstellt und suggeriert, dass es möglich ist, »gewissermaßen alles Wissen der Erwachsenen Kindern auf eine Weise zu vermitteln, die es diesen erlaubt auf eine für sie spezifische Weise zu verstehen, was gelehrt wird. Dieses Wissen der Erwachsenen müsse nur – so die These – auf eine den Kindern gemäße Weise vermittelt werden. Mit diesen Annahmen lässt sich eine harmonische Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen denken.« (Ebd.) So fordert Baacke, dass sich ein Wissen darüber angeeignet wird, was Kinder im Wesentlichen auszeichnet, um pädagogische Praxis kindgemäß gestalten zu können: »Indem ich die Entwicklungsaufgaben des Kindes zu verstehen suche, kann ich am besten Strategien der Unterstützung entwickeln, die ›gemäß‹ sind. Es war schon betont worden, daß es nicht ausreicht, Kinder als unmündige Wesen zu betrachten – ebenso wie es verkürzt ist, in ihnen nur kleine Erwachsene zu sehen. Kinder besitzen einen eigenen Statuts.« (Baacke 1984, S. 104f.) Diesen Status beschreibt Baacke mit folgenden Eigenschaften: »Wesentlich sind - die Dynamik des kindlichen Lebensvollzugs - die Ursprünglichkeit kindlichen Denkens und kindlicher Phantasie - die Konkretheit kindlichen Weltumgangs - die Spontaneität des Gestaltens und Improvisierens - die große Erlebnisfähigkeit - die Unmittelbarkeit des Fragens - die Bedeutung der Bewegungs- und Tätigkeitsfreude, des Spiels und der Motorik für die körperliche, seelische und geistige Entwicklung
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- das bedingungslose Vertrauen, das das Kind dem Erwachsenen entgegenbringt und das so leicht mißbraucht werden kann.« (A. a. O., S. 105) Deutlich wird, wie auch in den Gruppendiskussionen der Student*innen, dass das, was »unter Kindgemäßheit zu verstehen ist, […] abhängig von den vorhandenen Kindheitskonstruktionen [ist]. Als Bild oder Metapher ist ›Kindgemäßheit‹ allerdings zentral für die Grundschuldidaktik, weil das Bild den Schein ermöglicht, Kind und Gesellschaft oder kindliche Welt und die Welt der Erwachsenen seien ohne grundsätzliche Konflikte miteinander verbindbar.« (Deckert-Peaceman & Scholz 2016, S. 168) Die Figur der Ganzheitlichkeit taucht also nicht nur in der Medienpädagogik auf, sondern auch in grundschulpädagogischen Diskursen. Hierzu schreibt Joachim Kahlert: »An der Schule wird häufig kritisiert, ihre Lernangebote seien einseitig kognitiv ausgerichtet, förderten die sinnliche Begegnung mit dem Lerngegenstand zu wenig und wirkten lebensfern. Notwendig wäre ein eher ›ganzheitliches Lernen‹, ein Lernen, ›mit allen Sinnen‹, mit ›Kopf Herz und Hand‹.« (Kahlert 2007, S. 1) Der Anspruch der Ganzheitlichkeit suggeriert nach Kahlert »es gäbe einen Weltzugang, der Fähigkeiten, Bedürftigkeit und Möglichkeiten des Einzelnen zu einer, wenn nicht vollkommenen, so doch harmonischen Einheit verbindet.« (Ebd.) Die Forderung nach Ganzheitlichkeit verweise auf die Annahme eines zu verkopften, schulischen Lernens. Gefordert werde daher eine stärkere Betonung von Emotionen. (Vgl. a.a.O., S. 2) Die Forderung unterstellt dabei Schulanfänger*innen – einer deutschen Tradition folgend, wie DeckertPeaceman und Scholz feststellen – »dass sie nur nach dem Gefühl handeln und […] nicht denken.« (Deckert-Peaceman & Scholz 2016, S. 173) Die Ganzheitlichkeit eignet sich als Legitimation für Lerninhalte und -strategien, die nur scheinbar vom Kind ausgehend ausgewählt sind, weil sie »hochgradig zustimmungsfähig ist, weil sie zu nichts verpflichtet und zugleich höchste moralisch [sic!] Ansprüche artikuliert.« (Oelkers 2005, S. 122) Nach Oelkers werden diese Ziele nie wirklich umgesetzt: »Ganzheitlichkeit‹ ist nur eine Formel, sie ist nicht dann erfüllt, wenn neben Mathematik noch Turnen und Handarbeit unterrichtet werden, und dies nicht nur aus dem Grunde, dass diese Fächer auf der Stundentafel völlig unterschiedliche Gewichtungen erhalten.« (Ebd.) Auch der Hinweis der Student*innen auf ein Lernen an Stationen in der Sequenz Dann mussten sie das fühlen macht einen Bedeutungsraum auf, der die Legitimation einer Praxis erlaubt, die anders ausgerichtet ist als propagiert. Kahlert ordnet die Stationsarbeit wie folgt ein: »Bei der Stationsarbeit handelt es sich um eine Form des Lernens, bei der verschiedene Lernvoraussetzungen, Zugänge und unterschiedliches Lerntempo berücksichtigt werden können. Den Kindern werden Angebote zu Arbeitsstationen gemacht, deren Reihenfolge sie frei wählen können und deren Bearbeitung nicht an die Länge einer Unterrichtsstunde gebunden ist.« (Kahlert 2007, S. 4) In der Sequenz Dann mussten sie das fühlen wird zwar von Stationsarbeit gesprochen und ein freier bzw. offener Unterricht angedeutet; das, was die Kinder entdecken sollen und auf welchem Weg sie dies tun, ist jedoch genau vorgegeben, so dass vielmehr von einem Nachahmungslernen als von einem offenen Unterricht zu sprechen ist. Die Figur am Kind orientiert handeln stellt sich in den Gruppendiskussionen nicht als auf das Kind zugehend, seine Wahrnehmungen von Welt bzw. Zugänge zu Welt berücksichtigend dar, sondern vielmehr wird gewusst, was für das Kind gut ist, was zu
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seinem Wohle ist, seine Entwicklung nicht stört. Kindgerecht oder zum Wohle des Kindes wird auch als ein Weiterkommen (und damit als Optimierung im Sinne der Erwachsenen) des Kindes präsentiert. So erklären die Student*innen es zu einem Problem, dass Kinder sich am Computer für nichts außer Spiele interessieren (vgl. Abschnitt 8.2.4, Sequenz Sie interessieren sich nur für Spiele , Zeile 27-38), weil es aus der Perspektive von Erwachsenen nicht kindgemäß, bzw. nicht gut für die Entwicklung von Kindern ist. Vorgeführt wird von den Student*innen aber auch der in medien- und grundschulpädagogischen Diskursen gepflegte Mythos, dass die Interessen des Kindes bzw. seine Lebenswelt sich linear mit dem verknüpfen lassen, was von ihm verlangt wird zu lernen. Offenbar wird hier, was Marcus Rauterberg bereits 1999 für die Didaktik des Sachunterrichts annimmt: Lernziele werden nicht vom Kind ausgehend formuliert, sondern Kinder werden vielmehr entsprechend gesellschaftlicher und fachlicher Ziele konstruiert (vgl. Rauterberg 1999, S. 2), wobei dies widerspruchsfrei möglich wird, wenn davon ausgegangen wird, »dass Lebenswelt und System eine Einheit bilden« (Deckert-Peaceman & Scholz 2016, S. 170) und aus der Wissenschaft extrahierte, scheinbar kindgemäß aufbereitete Inhalte als »Ergebnis einer Auseinandersetzung mit Lebenswelt« (ebd.) verstanden werden. Die empirischen Ergebnisse meiner Arbeit bestätigen Brüggemann, die in ihrer Arbeit aufzeigt, was neben möglicherweise fehlenden Ressourcen und Kompetenzen, eine schulische Medienintegration verhindert: Sie geht nicht wie Biermann und Kommer von einem medialen Habitus aus,1 sondern von einem medienbezogenen Habitus und betont damit, dass die von ihr »herausgearbeiteten Orientierungen in Bezug auf die Mediennutzung in der Schule […] nicht ausschließlich an den Umgang mit digitalen Medien gekoppelt [sind], vielmehr sind die Orientierungsmuster von allgemeiner, übergreifender Relevanz und gehen über das spezifische Medienhandeln der Lehrkräfte weit hinaus.« (Brüggemann 2013, S. 286) Die von mir herausgearbeitete Basistypik offenbart, dass bereits für angehende Lehrer*innen nicht ausschließlich medienbezogene Orientierungen Vorstellungen von Lernen mit, durch und über digitale Medien strukturieren, sondern sich medienbezogene Orientierungen vielmehr als »Ausdruck grundlegender Orientierungsmuster zum Lehren und Lernen« (a.a.O., S. 287) fassen lassen. So werden digitale Medien von den Student*innen, mit denen ich für meine Arbeit gesprochen habe, nicht nur abgewehrt, weil die Student*innen ein Problem damit haben, sich von didaktischen Prinzipien zu lösen, sondern weil sie digitale Medien insgesamt als Schule bzw. ihre zukünftige Rolle als Lehrer*innen bedrohend wahrnehmen. Die Student*innen verweisen auf die Verknüpfung von Medientechnologien und kultureller Praxis und ahnen, dass ihr Konzept von Lehren und Lernen nicht zu den aktuellen Medientechnologien passt. Problematisch ist für sie hier jedoch nicht die sich
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Kommer und Biermann fassen den medialen Habitus wie folgt: »Unter medialem Habitus verstehen wir ein System von dauerhaften medienbezogenen Dispositionen, die als Erzeugungs- und Ordnungsgrundlagen für mediale Praktiken und auf Medien und den Medienumgang bezogene Vorstellungen und Zuschreibungen fungieren und die im Verlauf der von der Verortung im sozialen Raum und der strukturellen Koppelung an die mediale und soziale Umwelt geprägten Ontogenese erworben werden.« (Kommer & Biermann 2012, S. 90)
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durch die digitalen Medien verändernde »Natur des Wissens« (vgl. Meyer 2008, S. 91), die nach Meyer, der in diesem Zusammenhang auf Lyotard verweist, Schule und Hochschule herausfordert, sondern sie greifen vielmehr auf eine von Postman in Bezug auf das Fernsehen formulierte Vision zurück (vgl. Postman 2009, S. 80), die sie auf das Internet übertragen: Kindheit verschwindet, da das Internet eine Symbolwelt schafft, die allen – egal wie alt sie sind – alle Informationen zugänglich macht. Kindern wird damit Erwachsenenwissen zugänglich und das Wissensmonopol der Erwachsenen aufgelöst, »das Kinder und Erwachsene voneinander trennte…« (a.a.O., S. 90) Da das Professionskonzept der Student*innen von eben diesem Wissensmonopol ausgeht, stellt die Auseinandersetzung mit dem Internet in Schule und Unterricht eine Bedrohung dar und wird abgewehrt. Zugleich führt diese Abwehr dazu, dass sich nicht mit der Frage, die Meyer mit Lyotard aufwirft – nämlich inwiefern sich Wissen in der Informationsgesellschaft verändert – auseinandergesetzt wird, obwohl die Veränderung zentral für die Frage ist, wie sich die Konstruktion von Wissen und damit Lernen wandelt bzw. gewandelt hat. Lyotard stellt hierzu fest, dass in der Informationsgesellschaft nur das Wissen erfasst wird, was »in Informationsquantitäten übersetzt werden kann.« (Lyotard 2015, S. 30) Damit wird das Prinzip in Frage gestellt, »wonach der Wissenserwerb unauflösbar mit der Bildung des Geistes und selbst der Person verbunden ist…« (A. a. O., S. 31) Wissen erfährt eine zunehmende »Veräußerlichung im Verhältnis zum ›Wissenden‹ und eine Entfremdung zu seinen Benützern…« (A. a. O., S. 39) Für Lyotard stellt sich damit die Frage neu, wer »entscheidet, was Wissen ist, und wer weiß, was es zu entscheiden gilt…« (A. a. O, S. 41) Diese Frage ist für die Gesellschaft insgesamt von Bedeutung; es ist aber auch eine Machtfrage, die sich konkret in der Schule und damit in Bezug auf die Interaktion zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen stellt, die sich als Wissen Übermittelnde bzw. Vermittelnde verstehen. Die angehenden Grundschullehrer*innen zeigen in den Gruppendiskussionen, dass sie in digitalen Medien sehr wohl mehr sehen als »neue Werkzeuge […], mit denen [wir] das, was wir seit einigen Jahrhunderten tun, nun genauso, nur vielleicht etwas schneller tun können« (Meyer 2008, S. 74), auch wenn sie ständig bemüht sind, sie auf Lehr- oder Lernwerkzeuge zu reduzieren. Sunnen folgend, der am Beispiel des Computers herausgearbeitet hat, wie Vorstellungen von Lernen und Lehren Vorstellungen von digitalen Medien prägen, ist es ihnen offenbar nur so möglich, ihre Vorstellung von Lernen aufrecht zu erhalten. So wird der Computer nach Sunnen aus einer behavioristischen Perspektive vor allem als Behälter verstanden, »in dem nach Gutdünken Informationen oder ›Stimuli‹, in der richtigen Reihenfolge und adäquat portioniert, beliebig oft an die Lernenden herangetragen werden können. Zudem ist er eine Art ausdauernder Verstärkungs- oder Bestrafungsgenerator (z.B. ›Super‹, ›Leider falsch‹) der diese Stimuli im ›richtigen‹ Moment einbringt.« (Sunnen 2006, S. 78) Dabei ist nach Sunnen der Computer vom Buch nicht etwa dadurch zu unterscheiden, »dass der Computer die Bedeutung des zu lernenden Inhaltes mitgestaltet, sondern darin, dass dieser einfach attraktiver präsentiert werden kann und interaktiv in dem Sinn ist, das kontingente Rückmeldungen zu dem Antworteverhalten [sic!] der Lernenden unabhängig von den Lehrenden gegeben werden können.« (Ebd.) Damit bleibt der Computer reduziert auf ein didaktisches Werkzeug, »ein Instrument zur ›Optimierung‹ des Lernens vorgeschriebener Inhalte und ihm wird kein medialer Charakter zugesprochen.« (Ebd.) Diese
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Zuschreibungen scheinen in den Erzählungen und Beschreibungen der Student*innen immer wieder durch, aber es gelingt ihnen nicht widerspruchsfrei, den Computer auf ein didaktisches Werkzeug zu reduzieren. Die Kommunikation in den für diese Arbeit geführten Gruppendiskussionen wird von einer Vorstellung strukturiert, die Postman in Bezug auf das Fernsehen beschrieben hat, sich hier aber auf den Computer bezieht – zu denen auch Tablets und Smartphones gehören – und den über ihn möglichen Zugang zum Internet: Das Internet realisiert scheinbar, was nach Postman der Zugang zu Informationen über den Fernseher androhte: »Wenn Schüler wüßten, was ihre Lehrer wissen, braucht man zwischen Schülern und Lehrern keinen Unterschied zu machen. Und wenn die Schüler der fünften Klasse wüßten, was die Schüler der achten Klasse wissen, dann hätte es keinen Sinn überhaupt Klassen zu bilden.« (Postman 2009, S. 101) Ausgehend von den Gruppendiskussionen, in denen die Student*innen das Medienwissen und die Medienkompetenzen von Kindern immer wieder als ihr eigenes Wissen und ihre eigenen Kompetenzen übersteigend beschreiben, lässt sich diese Befürchtung weiter ausführen: Wenn Schüler*innen mehr als Lehrer*innen wissen, macht Schule keinen Sinn mehr. Die logische Folge ist damit die Abwehr einer Auseinandersetzung mit digitalen Medien. Im Folgenden sollen einzelne, wenn auch immer wieder stark ineinandergreifende zentrale Aspekte, präzisiert werden, die die Auswertung der Gruppendiskussionen hervorgebracht hat, und die von Bedeutung in Bezug auf die Frage erscheinen, inwiefern Medien nach den Vorstellungen der Student*innen zum Thema werden können oder sollten, indem sie in den Zusammenhang weiterer Diskurse und Studien gestellt werden.
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Ausrichtung an einer (digitalen) Wissensgesellschaft
Die Student*innen präsentieren in ihren Diskussionen eine Ausrichtung an einer Wissensgesellschaft, die auch in gesellschaftlichen und politischen Diskursen betont wird. Nach Scholz vermittelt sich in der Idee einer Wissensgesellschaft im Informationszeitalter ein reduziertes Verständnis von Wissen. (Vgl. Scholz 2005, S. 71) Was mit der Schrift beginnt – die Möglichkeit, Erfahrung zu übergehen, weil Realität in Texten beschrieben wird, so dass es möglich wird, »sich nur mit Sätzen zu beschäftigen, ohne die hinter dem Satz liegende Realität betrachten zu müssen« (a.a.O., S. 84) – setzt sich nach Scholz im so genannten Informationszeitalter fort: »die Welt in der Form aufzufassen, wie sie aufgeschrieben ist…« (Scholz 1994, S. 117) Erkenntnisse sind demnach immer seltener auf direkte Erfahrungen zurückzuführen. Vielmehr wachsen »im Gegensatz zu dem aus unmittelbarer Erfahrung gewonnenen persönlichen Wissen […] die unpersönlichen Erkenntnisse aus objektiver Beobachtung, Aufzeichnung von Folgerungen und darauf aufbauenden Hypothesen und Theorien und Experimenten […] immer weiter an.« (Laing 1983, S. 19f.) Aber die von Wissenschaft scheinbar objektiv beschriebene Welt »ist nicht die Welt des realen Lebens. Sie ist ein äußerst kompliziertes Kunstprodukt, geschaffen in vielfältigen Operationen, die die unmittelbare Erfahrung in ihrer ganzen scheinbaren Unzuverlässigkeit aus ihrer Gedankenfolge wirkungsvoll und wirksam ausschließt.« (A. a. O., S. 22) Beschreibungen von Welt kommen jetzt aus dem Com-
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puter, bzw. ist das Wissen über die Welt »in Datenbanken gespeichert und per Zugriff zu diesen Datenbanken konsumierbar.« (Scholz 2005, S. 72) In der Passage Medienerziehung der Gruppendiskussion GD9 wird nicht nur deutlich, dass die Student*innen den Umgang von Kindern mit digitalen Medien vor allem auf das Problem reduzieren, dass sie mit diesen spielen (vgl. Abschnitt 8.1, Sequenz Dass n iPad nicht nur Zocken bedeutet, Zeile 429f.) und nicht lernen, »dass n iPad genauso bedeutet Rechenaufgaben zu lösen oder n Text abzuschreiben oder zu recherchieren zu nem Thema;…« (A. a. O., Zeile 430f.), sondern sie präsentieren Wissen hier auch, wie von Scholz beschrieben, als in Datenbanken gespeichert und konsumierbar. So stellt Tf502 in der Sequenz heraus, dass man mit iPads »was lernen kann wo man Wissen rausziehen kann wo man (.) was am Ende auf dem Blatt stehen hat und weiß okay das ist alles richtig und das hab ich gemacht oder so…« (A. a. O., Zeile 437-440) Ausgehend von der Annahme, dass wir immer mehr über die Welt wissen und unser Wissen zunehmend vernetzen, steigt die »Komplexität der realen, also politischen, ökonomischen, kulturellen, technischen Welt« (Scholz 2005, S. 71) und damit auch »die Komplexität von Wissen…« (Ebd.) Für Scholz müsste hieraus folgen, dass Lernen zur Lebensaufgabe wird – was ja auch bildungspolitisch unter dem Label lebenslanges Lernen gefordert wird; beobachtbar ist jedoch weder bei den Student*innen, noch in gesellschaftlichen und politischen Diskursen die Ausrichtung an einer Lerngesellschaft, sondern an einer Wissensgesellschaft. Nicht ausreichend in den Blick genommen wird zudem, dass sich die Beziehung von Medien und Wissen bzw. Medien und Bildung durch digitale Medien grundsätzlich verändert. So stellen Jörissen und Meyer fest, dass die Produktion von Wissen nicht mehr unmittelbar mit Personen verbunden ist: »Wissen wird zu etwas Äußerlichem, das nicht mehr in, sondern zwischen Köpfen gedacht wird. Es beginnt sich eine neue Form des Verhältnisses zum Wissen zu etablieren, die mit Subjekt-Wissen, Mensch-Wissen, Buch-Wissen, Bibliotheks-Wissen und Schul-Wissen nur noch marginal zu tun hat…« (Jörissen & Meyer 2014, S. 7f.) Das Internet stellt aber auch das Konzept von Wissen über diese Welt und damit das Konzept der Wissensvermittlung der angehenden Grundschullehrer*innen in Frage: Es entstehen Unsicherheiten bezüglich Beschreibungen von Welt und damit bezüglich ihres Wissens über diese Welt, das sie an Schüler*innen weitergeben (können), da sich die Quelle des Wissens nicht auf einzelne Bücher begrenzen lässt. Entsprechend stellt Sunnen mit Bezug auf Siegfried Schmidt fest: »der Computer [bringt] neue Kategorien- oder Unterscheidungssets mit sich. Neben die traditionellen dichotomischen Unterscheidungen Wahrheit/Lüge, Sein/Schein, Wirklichkeit/Fiktion, Wirklichkeit/Utopie und Wirklichkeit/Simulation tritt nun die Unterscheidung Wirklichkeit/Virtualität/Hyper-Wirklichkeit, was mit sich bringt, dass alle anderen Unterscheidungen neu kontextualisiert und uminterpretiert werden müssen, wodurch unsere Kultur komplexer wird. Der Zugang zu den nur im Computer existierenden Parallelwelten, erlaubt es uns die Differenz zwischen Wirklichkeit und virtuellen Welten zu beobachten und zu reflektieren, d.h. Einsicht in die Konstruiertheit von Erlebniswirklichkeiten und der Bewertungskategorien der dort gültigen Realitätskriterien zu nehmen.« (Sunnen 2006, S. 81)
9. Einordnung der empirischen Ergebnisse
Durch den Einsatz des Computers wird sichtbar, dass Texte sich nicht unmittelbar auf Handlungen, sondern vor allem auf andere Texte beziehen; Texte entstehen damit überwiegend aus Texten, nicht aus einer direkten Beschreibung von Welt. Dies gilt auch für Texte, die in analogen Medien wie Büchern präsentiert werden, es ist aber der Computer, der offenbart, dass Texte auf Texten basieren, da diese in ihm nicht nur linear, sondern auf andere Texte verlinkt präsentiert werden, auch wenn die Linearität sich nicht ganz auflöst: »denn einerseits können die Autor/innen schon einen bestimmten Pfad nahe legen oder sogar aufzwingen, andererseits kreieren die Leser/innen ein Nacheinander durch ihre Entscheidungen.« (A. a. O., S. 120) Nach Sunnen lässt sich hier von einer Multilinearität sprechen. Möglich macht der Computer in diesem Zusammenhang auch, dass »verschiedene Arten von Daten (Fotos, Filme, Texte etc.) integriert und untereinander, sowie mit Interpretationen und theoretischen Hintergrundinformationen, verknüpft werden. Eine solche Hypermedia-Umgebung erlaubt es auch multiple Interpretationen und Kommentare von allen Beteiligten (z.B. Schüler/innen, Lehrer/innen) einzubeziehen und darzustellen.« (Ebd.) Die Student*innen gehen jedoch davon aus, dass sie als angehende Lehrer*innen frontal als Vermittler*innen von objektivierbarem, eindeutig beschreibbarem Wissen auftreten werden. Damit erklärt sich auch eine Abwehr von Lernen in Gruppen, das kooperativ, kollaborativ oder ko-konstruktiv gestaltet wird. Die Student*innen vermitteln die Idee von einem Kind, das gestellte Aufgaben selbstorganisiert und selbstgesteuert, aber eben genauen Anweisungen folgend ausführen soll. Die von Medienpädagog*innen in diesem Zusammenhang vermittelte Idee, dass der Einsatz digitaler Medien vor allem kooperative, kollaborative und ko-konstruktive Lern- und Bildungsprozesse ermöglichen kann, wird verdeckt, indem diese Selbstorganisation und Selbststeuerung mit Selbstbestimmtheit gleichgesetzt wird. So erscheinen die Gruppendiskussionen der Student*innen als ein Spiegel von Diskursen, in denen zwar von Bildungsprozessen gesprochen wird, das damit verbundene Konzept aber abgelehnt wird.
Digital Natives Kinder werden als digital natives konstruiert, die sich bereits vor der Grundschule im Alter von zwei, drei Jahren mit digitalen Medien auskennen bzw. wissen, wie sie ein Smartphone bedienen können. Damit grenzen die Lehramtsstudent*innen ihre eigene Kindheit von der heutiger Kinder ab, obwohl sie nach Jutta Wiesemann und Inka Fürtig selbst als digital natives einzuordnen sind: So schreiben die Autorinnen, dass die Eltern heutiger Kinder – die eher älter sind als die an der Gruppendiskussion beteiligten Student*innen – »der alltägliche Umgang mit digitalen Medien (nicht jedoch mit Smartphones) bereits Teil der eigenen Sozialisation gewesen ist.« (Wiesemann & Fürtig 2018, S. 199) Teil der eigenen Sozialisation war zudem die Idee, dass sie als Kinder nicht nur mit digitalen Medien aufgewachsen sind, sondern diese im Gegensatz zu ihren Eltern unvoreingenommen und mit einer Begeisterung für Computertechnologie genutzt haben. (Vgl. Papert 1998, S. 7) Mehr noch, ihnen wurde bereits zugeschrieben, dass sie »das Programmieren lernen [wollen], weil sie danach streben, den Computer zu beherrschen« (a.a.O., S. 22), wie Seymour Papert schreibt, einer der Erfinder der
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Programmiersprache Logo.2 Und: »Kinder verblüffen ihre Eltern oft mit ihrer Technologiebeherrschung. Während der Vater beinahe verrückt wird, bis seine neueste Software läuft, schaut Lauren, acht Jahre alt, über seine Schulter und sagt: ›Lass mich mal versuchen.‹ Kurzerhand erscheint ein Menü, die Maus klickt einen der Eingabebefehle an und die Software ist installiert und funktioniert.« (A. a. O., S. 38f.) Die Student*innen bedienen sich dem sowohl in der Medienpädagogik, als auch in öffentlichen Debatten diskutierten Bild der digital natives, die in die digitale Welt hineinwachsen und intuitiv mit ihr umgehen können: »Mit beinah jedem neuen medientechnischen Entwicklungsschub wird eine neue ›Generation‹ aus der Traufe gehoben […]. Ende der 1990er, Anfang der 2000er Jahre war bspw. Don Tapscotts ›Net Generation‹ (1998) extrem erfolgreich und die 2001 ausgerufene Generation der ›Digital Natives‹ von Marc Prensky (2001) schlägt ja, aufgrund ihres überaus reichen Assoziationshofs, noch Wellen […] und findet Niederschlag in einschlägigen Veröffentlichungen…« (Schäffer 2012, S. 32) Das Bild der digital natives, die in die digitale Welt hineinwachsen und intuitiv mit ihr umgehen können, betont auch die Verantwortung des Einzelnen bzw. präsentiert Medienentwicklungen als von Einzelnen bewältigbar. Die Medienpädagogik stellt in ihren Diskursen neben der Notwendigkeit, Medienkompetenzen zu entwickeln, ebenfalls die Verantwortung des Einzelnen heraus, formuliert aber auch die Erwartung an Lehrer*innen, die Entwicklung von Medienkompetenzen zu ermöglichen, was hier von den Student*innen als Aufgabe abgewiesen werden kann, indem sie sich des Bildes des digital natives bedienen und dem Kind unterstellen, dass es von selbst mit einem Smartphone umgehen kann. Um zu zeigen, dass Kinder mit Smartphones intuitiv umgehen können, beschreiben die Student*innen zweijährige Kinder, die mit Smartphones fotografieren und Videos angucken können. Auffallend ist, dass darauf hingewiesen wird, dass Kinder Bilder herstellen bzw. Bildmaterial abrufen können, denn es sind Bilder, die Kinder einen Zugang zur Erwachsenenwelt bzw. zu Inhalten verschaffen, die für sie als nicht geeignet eingeordnet werden. Sie schreiben dem Smartphone und dem Internet, zu dem das Smartphone einen Zugang verschafft, das zu, was Postman ursprünglich dem Fernsehen zugeschrieben hat: die Trennung zwischen Kind und erwachsen sein durch ausschließlich für Erwachsene zugängliches Wissen. (Vgl. Postman 2009, S. 72) Der Umgang von Kindern mit digitalen Medien, bzw. die ihnen mit dem Bild des digital native unterstellten Fähigkeiten in Bezug auf digitale Medien werden von den Student*innen als extrem bewertet – und zwar extrem im Unterschied zu Fähigkeiten, die in Bezug auf Medien in der eigenen Kindheit entwickelt wurden, womit heutige Kinder als anders, fremd, möglicherweise auch beängstigend konstruiert werden. 2
»Die Programmiersprache Logo […] wurde bereits Ende der Sechziger Jahre […] am MIT entwickelt, um Programmieren in Bildungskontexten effektiv einzusetzen. Insbesondere die Turtle-Grafiken eignen sich […] für ein schrittweises Erkunden von Programmierprinzipien. Hier ›übersetzt‹ eine virtuelle Schildkröte die eingegebenen Codezeilen in Bewegung und zeichnet dabei ihren Weg nach. Die Programmiersprache Logo ist Grundlage vieler Coding-Angebote für Kinder und Jugendliche. Auch weil man nicht nur grafisch am Bildschirm arbeiten kann, sondern auch Zeichenroboter, wie zum Beispiel den Mirobot programmieren kann.« (https://www.code-your-life.org/Praxis/ Logo_Turtle/1301_Turtle.htm vom 12.03.2019)
9. Einordnung der empirischen Ergebnisse
Beängstigend sind Kinder aber nicht nur, weil sie anders sind als die Student*innen erinnern selbst als Kind gewesen zu sein, sondern weil befürchtet wird, dass sie ein Wissen mitbringen, das das Wissen der (angehenden) Lehrer*innen so übersteigt, dass ein etabliertes Hierarchiegefüge ins Wanken gerät – hier der*die wissende Lehrer*in, da das unwissende Kind: »ich glaub das is halt auch nochmal (2) n neuer technischer Wandel der jetzt auch quasi in unserer Berufung (.) also (.) als Lehrer ne wichtige und neue Rolle spielt; und teilweise vielleicht die Kinder sogar n besseren Umgang mit so Medien haben als wir wo wir auch andere Kompetenzen erwerben müssen damit die nich irgendwie mit nem Handy irgendwas freischalten und plötzlich geht dei:n Bildschirm nich weil die da so n Knopf drücken und du bist da und bist überfordert und die lachen dich aus weil sie irgendwie mehr Ahnung haben als du; und da vielleicht andere Erfahrungen @schon mitbringen@ @(.)@…« (Gruppendiskussion GD5 vor OEP Passage Themen, die Kinder mit in die Schule bringen Zeile 111-119) Der Umgang von Kindern mit digitalen Medien wird nicht nur wahrgenommen, sondern er irritiert auch. Trotz Irritation wird jedoch kein Bildungsprozess initiiert; offensichtlich fehlen den Student*innen »Schematisierungsalternativen« (Ebrecht 2002, S. 236), die für das Hervorbringen neuer Schemata notwendig sind. (Vgl. ebd.) Eine weitere Auseinandersetzung mit Medienpraktiken von Kindern wird entsprechend abgewehrt, indem das Kind als fremd und damit als Problem, bzw. als sich nicht angemessen entwickelnd beschrieben wird: »dass die Kinder auch irgendwie motorisch ganz andere Fähigkeiten heutzutage ham weil die halt nich mehr rausgehen weil die vor n PC sitzen ((holt Luft)) vorm Fernseher sitzen vorm Handy vorm Bildschirm ((holt Luft)) […] weil die einfach ähm ni- nich mehr durch n Wald springen und auf Bäume klettern sondern irgendwie überall von den Eltern hin begleitet werden oder vorm (.) Handy sitzen und irgendwie ganz anders aufwachsen…« (Gruppendiskussion GD5 vor OEP Passage Themen, die Kinder mit in die Schule bringen Zeile 84-92)
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Das kompetente, moderne Kind
Die Gruppendiskussionen der angehenden Grundschullehrer*innen lassen sich auch als ein Abbild der von Luise Winterhager-Schmid beschriebenen Debatte fassen, die zwischen einem traditionellen und einem modernen Kindheitsbild hinundherpendelt: »Moderne Kinder leben demnach als ›selbstständige Akteure‹ in einer ›eigenen Welt der Kinder‹« (Winterhager-Schmid 2013, S. 121), während traditionelle Kindheitsbilder »Momente der Sorge für Kinder, ihren Schutz und Behütung, Förderung und […] ihre Erziehung für unverzichtbar wichtig halten.« (Ebd.) Im Kontext medienpädagogischer Debatten werden vor allem bewahrpädagogische Orientierungen von pädagogischen Fachkräften als das Bollwerk beschrieben, das Lernen mit, durch und über digitale Medien und damit die von Medienpädagog*innen als notwendig beschriebene Entwicklung von Medienkompetenzen verhindert. So schreibt Aufenanger:
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»Historisch ist die Bewahrpädagogik eine der ältesten Positionen in der Medienpädagogik und hat sich jeweils mit den ›neuen‹ Medien kritisch auseinandergesetzt. Sie ist heute noch in den Köpfen vieler Pädagoginnen und Pädagogen und in den entsprechenden pädagogischen Institutionen wirksam, etwa wenn elektronische und digitale Medien in der pädagogischen Arbeit nicht zugelassen werden, da man ihre negativen Einflüsse fürchtet oder meint, dies sei nur Zeitverschwendung. […] Ein typisches Kennzeichen der bewahrpädagogischen Position ist, dass sie den Menschen und insbesondere Kinder und Jugendliche als hilflose Opfer der entsprechenden Medien sieht…« (Aufenanger 2018, S. 464) Es läss sich jedoch auch das »Konzept des modernen Kindes, [mit] diesem selbständigen [sic!] Akteur seiner Lebenswelt« (Winterhager-Schmid 2013, S. 121) als »eine normativ aufgeladene neue Erziehungsnorm zur Beschleunigung der Kindheit [fassen], welche Kinder schon sehr früh als ›junge Menschen‹ in die Nähe von Jugendlichen rückt und ihnen damit sehr viel mehr Eigenverantwortung zumutet als bisher…« (A. a. O., S. 121f.) So stellt Gapski fest, dass in Diskursen vor allem gefordert wird, dass jede*r Einzelne Medienkompetenzen entwickelt und damit jede*r Einzelne Verantwortung übernimmt; dies führe zu einem »blinden Fleck in Bezug auf die mit zu berücksichtigenden Strukturveränderungen. Denn auch die Institutionen und Prozesse bleiben durch die Digitalisierung nicht die gleichen. Diese organisatorischen und gesellschaftlichen Strukturveränderungen werden weitgehend verdeckt.« (Gapski 2017, S. 37) Deckert-Peaceman und Seifert weisen im Hinblick auf Modernisierungsprozesse zudem auf sich widersprechende Zuschreibungen an Kinder und Grundschule hin. Demnach wird Kindern auf der einen Seite unterstellt, sie seien nicht ausreichend auf zukünftige Herausforderungen vorbereitet, auf der anderen Seite gibt es »die Auffassung, wie sie beispielsweise im Zehnten Kinder- und Jugendbericht formuliert ist, dass ›Kinder die modernen Menschen seien.‹« (Deckert-Peaceman & Seifert 2013, S. 25) Die Grundschule wird parallel dazu als »Modernisierungsnische« (ebd.) bzw. als Schule beschrieben, »die Modernisierungsprozesse negiert« (ebd.), obwohl »Modernisierungstendenzen schon vielfach Spuren hinterlassen [haben].« (Ebd.) Die Modernisierung, die sich an der Grundschule verdeckt von der Zuschreibung einer sich angeblich nicht entsprechend gesellschaftlicher Entwicklungen entwickelnden Schule vollzieht, zeigt sich nach Deckert-Peaceman und Seifert vor allem in einer zunehmenden Standardisierung. Dafür wird »ein Bild von Kind bemüht, das zwar rhetorisch Individualität betont, aber letztlich als Kunstfigur die Normierung des Kindseins bedeutet, über die die Kindgemäßheit von Schule vermessen wird.« (A. a. O., S. 25f.) Das Bild der Modernisierungsnische wird auch in Publikationen zum Lernen mit, durch und über Medien in der Grundschule sowie der Beschreibung ihrer Ausstattung mit digitalen Medien unterstützt, besonders im Vergleich und damit im Wettbewerb mit anderen Ländern: »Hinsichtlich des Ausstattungsverhältnisses zeigt sich weiterhin, dass ein Drittel (31,5 % in 2011, zum Vergleich in 2001: 6,3 %) der Grundschülerinnen und Grundschüler eine Schule besucht, an der sich 3 oder weniger Grundschulkinder einen Computer teilen und damit zumindest in diesen Schulen eine Größenordnung vorzufinden ist, in der individualisiertes Lernen mit digitalen Medien und neue Unterrichtsformen
9. Einordnung der empirischen Ergebnisse
möglich sind. Zu ergänzen ist im internationalen Vergleich allerdings, dass in vielen Ländern wie beispielsweise England (93,3 %), Frankreich (48,9 %), den Niederlanden (44,5 %), Norwegen (63,1 %) und den USA (74,8 %), der entsprechende Anteil an Schulen mit einem Computer-Schüler-Verhältnis von 1:3 oder besser, teilweise beachtlich höher liegt.« (Eickelmann 2016, S. 80) Die Grundschullehramtsstudent*innen präsentieren Kinder nicht als sich in Auseinandersetzung mit Gesellschaft, in ihren Strukturen und Bedeutungen entwickelnd. Vielmehr wird eine Entwicklung orientiert am Alter angenommen. Basil Bernstein spricht in diesem Zusammenhang von sequencing rules: »If they are explicit, then it means that children of 5 years of age are expected to develop particular competences, to behave in a particular way, and at 6 years of age they are expected to have different competences.« (Bernstein 2003, S. 199) Das entscheidende Entwicklungsziel der Grundschule ist das Lesenlernen: »Early reading is crucial to a visible pedagogy and is an early requirement of the sequencing rules. Psychologists tell us that at a given age a child should be able to read. […] The age by which a child should be able to read is a function of the sequencing rules of the pedagogic practice of the school.« (A. a. O., S. 204) Und sobald ein Kind lesen kann, verändert sich Lernen: »Once a child can read, independent solitary work is possible. He/she is also gradually introduced into a non-oral form of discourse, the rules of which are often at variance with oral forms. It is not only that reading involves the acquisition of a new symbolic relay but that what is relayed is itself different from the content of oral forms.« (Ebd.) Das Kind wird über das Lesen unabhängiger von seinen Lehrer*innen; es kann sich unabhängig von ihnen Perspektiven auf Dinge erschließen. Erreicht ein Kind dieses Entwicklungsziel jedoch nicht, bleibt es abhängig von seinen Lehrer*innen: »Thus those children who are unable to meet sequencing rules as they apply to reading become more dependent upon the teacher and upon oral forms of discourse.« (A. a. O., S. 204f.) Kinder, die vorgegebene Entwicklungsstufen und Standards nicht erreichen, landen nach Bernstein in einem Reparatursystem, aus dem sie sich nicht befreien können. Sequencing rules tragen somit zu Selektionsprozessen bei, die Kinder – nach Bernstein sind das in der Regel Kinder aus sozial benachteiligten Familien – zu Verlieren und Gewinnern in einem marktorientierten System machen; die Gewinner sind hierbei Kinder, die aus eher privilegierten sozialen Schichten kommen und denen es gelingt, die Anforderungen der sequencing rules zu erfüllen: »Children who can meet the requirements of the sequencing rules will eventually have access to the principles of their own discourse. These children are more likely to be middle class and are more likely to come to understand that the heart of discourse is not order but disorder, not coherence but incoherence, not clarity but ambiguity, and that the heart of discourse is the possibility of new realities.« (A. a. O., S. 205) Nach Bernstein sind jedoch am Ende selbst die, die im Laufe ihrer Schullaufbahn aufgrund ihrer privilegierten Stellung Diskursfähigkeiten entwickeln, mit denen sie Diskurse gestalten und auch verändern könnten, nicht in der Lage etwas in der Gesellschaft zu ändern. Grund dafür sei die Harmlosigkeit der gesellschaftlichen Diskurse, die systembedrohende Diskurse verhinderten, bzw. verhinderten, dass Lernende auf
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Kinder. Medien. Kontrolle.
diese kommen: »And the answer must be that socialization into a visible pedagogy tries, though not always successfully, to ensure that its discourse is safe rather than dangerous.« (Ebd.) Die Verharmlosung der Diskurse zeichnet sich in den Gruppendiskussionen der Student*innen u.a. darin ab, dass Medienerziehung reduziert wird auf den Versuch, Zugänge zu ungeeigneten Medieninhalten zu kontrollieren sowie die Nutzungsdauer von Medien zu reglementieren, während Kinder sich selbst bereits als aktive Gestalter*innen im Netz präsentieren und eigene YouTube-Videos produzieren sowie davon träumen, YouTuber zu werden. Diese Träume werden von den Student*innen als fremd und entrückt abgewehrt, obwohl sie nicht nur von Kindern hervorgebracht werden, sondern genauso in öffentlichen Debatten präsentiert werden. So hat die Bundesagentur für Arbeit 2016 auf einem Berufswahlmagazin für Schüler*innen mit dem YouTube-Star DagiBee und ihren Stärken geworben: »Sie hat Millionen Follower: DagiBee ist eine der erfolgreichsten deutschen YouTuberinnen. Sie veröffentlicht auf ihrem Onlinekanal Videos zum Thema ›Beauty, Lifestyle und Comedy‹. Hier spricht sie über ihre Stärken und ob sie auch mal ›abschaltet‹.«3 Und 2017 haben YouTuber*innen für die Bundeszentrale für politische Bildung über die Bundestagswahlen informiert: »Mit ihren SocialWeb-Formaten zur Bundestagswahl 2017 richtet sich die bpb an Menschen, die sich überwiegend in sozialen Medien informieren und ihre Meinung bilden.«4 Digitale Medien werden von den Student*innen nicht als gestaltbar wahrgenommen bzw. präsentiert. So wird in der Gruppendiskussion GD9 das Internet mit der Formulierung »mit den Handys konntest du auch nich in YouTube gehen« (GD9 ISP Passage Medienerziehung, Zeile 183) als Raum präsentiert, in den Kinder hineingehen und dort mit Inhalten konfrontiert werden, die nicht für sie geeignet sind. Inhalte werden nicht als ausgewählt, aber auch nicht als auswählbar, nicht als gestaltet oder gar gestaltbar präsentiert, sondern als Bestand eines Raumes, dem Kinder ausgesetzt werden, mehr noch, in dem Kinder sich gegenseitig zum Konsum ungeeigneter Inhalte verführen: »Ja: und äh was ich dann auch zusätzlich schlimm fand erzählen sie n ja wir saßen da zu zweit oder ich hab mich mit dem und dem aus der Klasse getroffen (.) ähm vor YouTube und wir ham Vi:deos angeschaut und dann hat auch einer angefangen er hätt auf einmal nen Video vom IS gefunden wo ich mir dann, und hätten des angeschaut oder war mal der neuste Trend mit den Killerclowns…« (Gruppendiskussion GD9 ISP Passage Medienerziehung, Zeile 105-110) Es stellt sich nicht die Frage, wie mit diesen Medienerlebnissen und -erfahrungen der Kinder umgegangen werden kann, wie Inhalte hier bearbeitet und eingeordnet werden können, sondern allein die Frage danach, wie sich die Auseinandersetzung mit dem, was die Kinder erleben und erfahren, vermeiden lässt.
3 4
Vgl. www.planet-beruf.de/fileadmin/assets/PDF/Hefte/Berufswahlmagazin_2016_01.pdf vom 03.03.2019 https://bildungsklick.de/bildung-und-gesellschaft/meldung/webvideo-projekte-youtuberinformieren-ueber-die-bundestagswahl/ vom 03.03.2019
9. Einordnung der empirischen Ergebnisse
Dabei ahnen die Student*innen, dass didaktische Modelle, die klassischen Entwicklungsmodellen folgen, im Kontext digitaler Medien offensichtlich nicht greifen. Es hilft nicht zu sagen, dass Kinder erst einmal Kompetenzen wie Schreiben und Lesen lernen sollten, bevor sie sich mit digitalen Medien wie dem Internet beschäftigen. Plakativstes Beispiel dafür, dass sie damit wohl Recht haben sind Sprachassistenten, die auch Menschen einen Zugang zum Internet ermöglichen, die (noch) nicht lesen und schreiben können.5 Für die Student*innen erscheint es nicht möglich, den Zugang ins Internet zu regulieren oder didaktisch aufzubereiten. Was bleibt sind Verzicht und Selbstregulierung, die Kindern zu vermitteln sind; wie dies geschehen kann, scheint jedoch nicht klar zu sein. Ideen dazu klingen vielmehr verzweifelt und hilflos: »und im im Stuhlkreis musst meine Lehrerin oder meine Mentorin die muss so: oft predigen dass das was im Internet steht nich alles wahr is dass man da auch schauen muss was was das steht dass das wirklich nich alles der Wahrheit entspricht…« (Gruppendiskussion GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 133-136) Die Student*innen führen schwierige Familienverhältnisse an, die ihren Vorstellungen nach dazu führen, dass Kinder sich aus Langeweile sinnlos mit Medien beschäftigen und übertragen damit Verantwortung auf Eltern, die ihre Kinder nicht adäquat beschäftigen bzw. sich nicht um sie kümmern: »hab ich s Gefühl (2) und ähm wenn ich dann auch hör ja ich war bei der Oma am Wochenende und des is oft oder (3) ja allgemein die Familienverhältnisse sind schon schwieriger, (.) und (.) die Kinder haben oft Langeweile mit was beschäftigen sie sich mit dem was aktuell is; das sind die Medien find ich (.) schon für die Kinder (.)…« (Gruppendiskussion GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 259-263). In Kombination mit der Beschreibung, dass Kinder »teilweise echt verstrah:lt dann montags in die Schule« (GD9 ISP Passage Medienerziehung, Zeile 264f.) kommen, werden Kinder als wahnsinnig, als wirr und entrückt eingeordnet und als Problem für die Schule, womit der Orientierungsgehalt aufgeworfen wird, dass Medien Ursache von Störungen sind bzw. Kinder, die nicht bereit sind für das, was Schule bzw. Unterricht bedeutet: konzentriert und aufmerksam Folge leisten. So lässt sich jede Abwehr einer Auseinandersetzung mit Medien im Unterricht legitimieren, aber immer auch ein mögliches eigenes Scheitern im Unterricht. Die Student*innen beschreiben die Medienerfahrungen und -erlebnisse der Kinder wiederholt als nicht sinnvoll, als Spielerei. Begründet wird so die Abwehr, sich mit dem auseinanderzusetzen, was die Kinder an Medienerlebnissen und -erfahrungen mit in die Schule bringen, bzw. was sie an Medien interessiert: »…und die sind in der zweiten Klasse die sind sechs sieben Jahre alt ((leises Lachen im Hintergrund)) und ähm hm (.) die wollen auch nix anderes hören also sie wollen nur
5
So war in der Onlineausgabe des Stern am 02. Januar 2019 zu lesen: »Der sechsjährige Jariel aus New Jersey musste seine Mathehausaufgaben machen. Doch statt das Ergebnis einer Subtraktionsaufgabe auszurechnen, wie der Erstklässler es hätte tun sollen (und dabei nicht die Finger benutzen!), fand Jariel einen anderen Weg. Als Digital Native den naheliegendsten: Er diktierte seine Aufgabe an Amazons Sprachassistenten Alexa. Völlig selbstverständlich brüllt er das Gerät an: ›Alexa, 5 minus 3.‹ Und Alexa verrät ihm das Ergebnis.« (https://www.stern.de/familie/kinder/mutter-erwischt-sechsjaehrigen--der-alexa-seinehausaufgaben-machen-laesst-8513012.html vom 11.03.2019)
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Kinder. Medien. Kontrolle.
das ist dieses Zocken das kennen sie von ihren (.) größeren Geschwistern von Freunden (.) also das ja das interessiert sie auch gar nich, ((räuspert sich)) was man mit so nem was man mit so nem Computer noch so alles anstellen oder (.) so s Google so ne Suchmaschine (.) @sie können das Wort ja nich mal richtig @(.)@ schreiben@…« (Gruppendiskussion GD10 ISP Passage Medienbildung Zeile 27-34) Und wieder scheint die Identitätsnorm kindorientiert auf: Zum einen indem angedeutet wird, dass Kinder Medien so nutzen, wie sie es von ihren älteren Geschwistern vorgeführt bekommen und damit nicht so, wie es für ihr Alter angemessen ist. Zum anderen indem herausgestellt wird, dass von den Interessen der Kinder versucht wird auszugehen, was jedoch unmöglich ist, weil die sich auf nichts anderes als Zocken einlassen. Zurückgewiesen wird eine Auseinandersetzung mit Medieninhalten darüber hinaus, indem betont wird, dass die Kinder noch nicht richtig lesen können. Ausgegangen wird damit wieder von einer generalisierbaren Abfolge von Entwicklungsschritten, die bei Kindern zu fördern ist. Eine sinnvolle Mediennutzung in der Schule ist demnach erst möglich, wenn die Grundlage dafür geschaffen wurde. Dies zu erreichen, erscheint als Aufgabe der Grundschule, nicht aber die Auseinandersetzung mit Computern, da ein im Sinne der Student*innen sinnvoller Umgang mit ihnen verlangt – z.B. die Recherche von Informationen im Internet –, dass Kinder lesen können. Jeder andere Umgang mit Medien ist bloße Spielerei.
9.3
Das konsumorientierte Kind
Die Student*innen präsentieren digitale Medien u.a. als Statussymbole, die vor allem Kinder interessieren und verführen. Die von ihnen unterstellte Verführbarkeit der Kinder versetzt die Student*innen in Erstaunen. Mit diesem Erstaunen bringen sie zum Ausdruck, dass sie das Interesse von Kindern an Statussymbolen für nicht altersgemäß halten bzw. für die Entwicklung der Kinder störend. Wird jedoch ein Kind als Teil dieser Gesellschaft verstanden, in ihr lebend und sich entwickelnd, ist das Erstaunen der Student*innen darüber, dass Kinder sich für Technikmarken interessieren, nicht nachvollziehbar. So findet sich in einem der größten deutschen Onlinemagazine mit den Schwerpunkten Technik, Games und Entertainment folgende Einordnung: »Das iPhone X ist nicht nur ein Stück Technik, das seinen Zweck erfüllt. Es ist ein Statussymbol – und das ist Absicht. Wie bei einem Aston Martin oder einer Louis-Vuitton-Tasche schwingt hier eine materielle Aussage mit, vielleicht auch ein Fashion-Statement. Eben das, was etwa einem Lenovo Moto G5 fehlt. Das iPhone X kann mehr als Technik – und das kostet.«6 Und für die österreichische Tageszeitung Der Standard erscheint das Smartphone inzwischen sogar als so etwas wie eine Rolex oder ein Sportwagen.7 Die Student*innen generieren sich als seien ihnen diese Einordnungen völlig fremd. So musste eine Studentin für ein Projekt Fotos von Schüler*innen machen. 6 7
https://www.giga.de/smartphones/iphone-8/news/iphone-8-das-statussymbol-das-du-nichthaben-willst/ vom 11.03.2019 Vgl. https://www.derstandard.de/story/2000063905079/iphone-x-das-1000eurostatussymbolvom 11.03.2019
9. Einordnung der empirischen Ergebnisse
(Vgl. Gruppendiskussion GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 86ff) In diesem Zusammenhang wurde sie zu ihrem Entsetzen nach der Marke ihres Handys gefragt. In der Gruppendiskussion wird dazu die Frage gestellt, in welcher Klasse die Kinder waren, die nach der Marke des Handys gefragt haben, worin sich dokumentiert, dass es für sie völlig unverständlich und damit wohl auch unverhältnismäßig ist, dass sich (junge) Kinder für Marken von Handys interessieren. Das Kind wird so in einen Schonraum verwiesen, der eine Legitimation für die Vermeidung der Nutzung und Thematisierung von Handys bzw. Smartphones im Unterricht möglich macht. Obwohl das Interesse, das Kinder für Marken äußern, nicht zu den Vorstellungen einer altersgemäßen Entwicklung passt, wird das Kind gleichzeitig als besonders verführbar bzw. anfällig für Statussymbole präsentiert; eine Vorstellung, die auch auf Onlineplattformen und -ratgebern für Eltern präsentiert wird, die nach Bröckling Handeln anleiten bzw. »einen Raum des Sag- und Wissbaren« (Bröckling 2007, S. 10) definieren und so gesellschaftliche Erwartungen beschreiben – in diesem Fall das Kind zu schützen bzw. vor Konsum zu bewahren: So findet sich hierzu auf der Online-Plattform schauhin! Was dein Kind mit Medien macht – eine Initiative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der öffentlich-rechtlichen Sender Das Erste und ZDF sowie der Programmzeitschrift TV SPIELFILM: »Kommen neue Mediengeräte auf den Markt und werden massiv beworben, wächst auch bei vielen Kindern der Wunsch danach. Eltern sensibilisieren ihr Kind am besten dafür, dass es dem Druck von Schulhof und Werbung widersteht und nicht das neueste Marken-Gerät haben muss.«8 Diese Konstruktion findet sich auch in Presseberichten.9 Und wie in diesen Berichten,10 so wird in den Gruppendiskussionen der Student*innen immer dann, wenn es um den Konsum von Kindern geht, auch auf Medien verwiesen. Nach Heinz Bonfadelli wurde die Konsumkindheit in den 90er Jahren vor allem unter der Überschrift Kinder und Werbung thematisiert. In dieser Zeit setzte sich in der medienpädagogischen Literatur ein Bild vom Kind durch, das nach wie vor den medienpädagogischen Diskurs bestimmt: Kinder sind medienkompetent bzw. können Medien-kompetenzen entwickeln und sind daher den Medien, die sie aktiv rezipieren – dazu gehört auch Werbung –, nicht wehrlos ausgeliefert: »Das Thema ›Kinder/Jugend und Werbung‹ hat Anfang der 90er Jahre im deutschen Sprachraum unter dem Stichwort ›Konsumkids‹ (Der Spiegel Nr. 50, Dezember 1993) in den Medien eine neue Karriere erlebt und im Gefolge davon öffentliche Diskussionen ausgelöst, die wiederum Anlass für medienwissenschaftliche Studien waren (z.B. Baacke u.a. 1993; Charlton u.a. 1995).« (Bonfadelli 1999, S. 220) Thematisiert wurde nach Bonfadelli zwar immer »eine verstärkte Manipulation durch Werbung. Beispielhaft für eine solche Position im deutschen Sprachraum ist die Publikation von Ulrich Eicke: ›Die Werbelawine. Angriff auf unser Bewusstsein‹ (1991)« (a.a.O., S. 223), parallel dazu gab es aber auch einen Paradigmenwechsel: »In einer
8 9 10
https://www.tvspielfilm.de/kids-tv/elterntipp/infos/der-neueste-schrei-muss-kind-das-neueste-handymodel-haben,6227837,ApplicationArticle.html vom 16.03.2019 Vgl. www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/konsum-studie-kinder-im-kaufrausch-a-915048. htmlvom 19.03.2019 Vgl. https://www.stern.de/nido/familienleben/ab-wie-viel-jahren-sollten-kinder-ein-eigenessmartphone-besitzen---7917472.htmlvom 19.03.2019
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Kinder. Medien. Kontrolle.
neutralen Position werden nicht nur die Medien, sondern auch die Werbung als wesentliche Elemente der Kultur und der heutigen Gesellschaft betrachtet. Argumentiert wird unter Bezugnahme auf einen Paradigmenwechsel weg vom passiven und wehrlosen Heranwachsenden als Opfer von persuasiven Medienbotschaften und hin zum Kind und Jugendlichen als eigenbestimmten Mediennutzer.« (Ebd.) Der Paradigmenwechsel zeige sich u.a. in Slogans wie »›Kinder können fernsehen‹ (Rogge 1990; Charlton, Neumann-Braun 1992) oder in der Betonung von sog. ›Fakten‹ wie ›TV-Werbung ist im Alltag der Kinder eine Randerscheinung‹ oder ›Werbekompetenz stellt sich nicht erst im Erwachsenenalter ein‹ (Nickel 1997).« (Ebd.) Dargestellt werden Medien nach Bonfadelli in diesem Kontext als Mittel, die Kinder und Jugendliche aktiv zur »Informationsbeschaffung, Bildung und Freizeitgestaltung, aber auch zur Bewältigung von Alltagsaufgaben und zur Mitgestaltung einer eigenen Identität [benutzen]…« (Ebd.) Diese Perspektive führt zu einer Fokussierung auf von Kindern zu entwickelnde Kompetenzen und verhindert die Thematisierung eines wachsenden Zugriffs des Marktes auf Kinder (vgl. Deckert-Peaceman 2014, S. 192f.) Buckingham fasst diese Entwicklung zusammen: »From the moment they are born, children today are already consumers. Contemporary childhoods are lived out in a world of commercial goods and services. Marketing to children is by no means new, but children now play an increasingly important role, both as consumers in their own right and as influences on parents. They are exposed to a growing number and range of commercial messages, which extend far beyond traditional media advertising. They are surrounded by invitation and inducements to buy and to consume; and commercial forces also increasingly impact on their experiences in areas such as public broadcasting, education and play.« (Buckingham 2011, S. 5) Auch Daniela Bickler beschreibt veränderte gesellschaftliche Strukturen und neue Medienentwicklungen, die zu einer Konsumkindheit führen. Doch damit einhergehend fordert die Autorin dazu auf, diese Strukturen und Entwicklungen zu akzeptieren und Kinder für ein Leben in und mit diesen zu qualifizieren; mehr noch werden Kinder selbst aufgefordert, sich hierfür zu qualifizieren: So sei ein Leben ohne Medien nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Kindheit nicht mehr vorstellbar. Damit verbunden sei die Entdeckung des Kindes als Konsument. »Auch wenn Erwachsene Kinder manchmal am liebsten von den Medien fernhalten würden, ist die moderne Kindheit zu einer Medien- und Konsumkindheit geworden, in der Kinder Qualifikationen im Umgang mit den Medien und mit dem Markt erwerben müssen.« (Bickler 2001, S. 1) Die angehenden Lehrer*innen scheinen die gesellschaftliche Erwartung wahrzunehmen, die Entwicklung dieser Kompetenzen zu ermöglichen, wehren diese Aufgabe aber ab, indem sie darauf verweisen, dass sie aufgrund des zunehmenden Mediendrucks bzw. aktueller Medienentwicklungen keine Chance haben etwas zu verändern: »es gibt keinen Weg mehr zurück, es wird immer […] und es wird immer schnelllebiger ((trommelt kurz auf den Tisch, spricht schneller)) und es wird immer mehr und immer mehr…« (Gruppendiskussion GD1 vor OEP Passage Medienerziehung Zeile 295-299) Schuld sind schließlich die Eltern, die nicht nur ihren Teil nicht leisten, die ihren Kindern keine Bücher schenken, sondern mit dem Handy steuerbare Drohnen oder blinkendes Spielzeug, das zu Reizüberflutungen führt: »ich denk mir teilweise dann braucht man sich
9. Einordnung der empirischen Ergebnisse
auch nicht mehr wundern was für Kinder man später dann da später hat weil alles nur noch (.) Reizüber- zu ner Reizüberflutung irgendwann führt und (.) wenn s jetzt kein normales Buch mehr gibt…« (Gruppendiskussion GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 350-353)
9.4
Aspekte der Individualisierung von Kindheit
Die Student*innen nehmen in den Gruppendiskussionen die Eltern in die Verantwortung, wenn es um eine Medienerziehung geht, in der der Zugang zu Medieninhalten kontrolliert und die Nutzungsdauer von Medien reglementiert werden soll. Eltern werden hinsichtlich dieser Aufgabe als nachlässig beschrieben, was wiederum als Bedrohung erfahren wird, denn damit kommt die Aufgabe der Medienerziehung den Lehrkräften zu. Diese Verantwortung wird von den Student*innen abgewehrt, indem sie das Kind in die Verantwortung nehmen. Die Verschiebung der Verantwortung aufs Kind betrifft dabei seine vollständige Entwicklung. Nach Deckert-Peaceman und Scholz findet im Kontext des Anspruchs Lernen zu individualisieren und damit am Kind auszurichten auch in grundschulpädagogischen Diskursen eine Verschiebung von Verantwortung aufs Kind statt. So werde Individualisierung im grundschulpädagogischen Diskurs als die Notwendigkeit präsentiert, Lernmethoden am Lernstand der einzelnen Schüler*innen auszurichten: »Hier werden alte Traditionen einer passgenauen Lernförderung aufgenommen, wie sie am Beispiel des programmierten Unterrichts schon vor Jahrzehnten kontrovers diskutiert wurden. Allerdings erfolgt das heutzutage durch eine Ausdehnung kognitivistisch orientierter evidenzbasierter Bildungsforschung auf weite Bereiche der Grundschulforschung.« (Deckert-Peaceman & Scholz 2017, S. 41) Dabei komme es zu Spannungen zwischen reformpädagogischen Ansprüchen bzgl. der Gestaltung von Schule und Unterricht, die Grundschule nach wie vor strukturieren, und zunehmenden Standardisierungsansprüchen. Dieser Widerspruch werde versucht über die Konstruktion einer am Kind orientierten Gestaltung von Unterricht und Schule zu lösen: »Nicht Erwachsene sollen bestimmen, welche gesellschaftlichen Anforderungen an Kinder angemessen und gut sind, sondern die Orientierung am einzelnen Kind wird zum Gradmesser für schulisches Handeln. Dabei werden gesellschaftliche Analysen (Heterogenität: Heute ist jedes Kind anders.), didaktischmethodische Konzepte (Differenzierung) und anthropologische Prämissen argumentativ miteinander verknüpft.« (Ebd.) Die Student*innen präsentieren die Ausrichtung pädagogischer Praxis am Kind als Norm; diese entlarvt sich jedoch in den Gruppendiskussionen als eine Legitimationsfigur für Normierung und Standardisierung, die auch im Grundschuldiskurs verdeckt und nicht ausreichend diskutiert wird. (Vgl. a.a.O., S. 42) So lässt sich Individualisierung zwar als die Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen erweiternd darstellen, nicht in den Blick genommen wird in diesem Zusammenhang jedoch die daraus folgende zunehmende »Selbstkontrolle und Selbstverantwortung« (a.a.O., S. 43):
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»Gerade in der deutschen Grundschulpädagogik zeigt sich in der Abwehr gesellschaftlicher Ansprüche (politisch, ökonomisch) mit der Metapher ›Rettung des Kindes‹ wiederholt die Tendenz, einem bestimmten deutschen Muster zu folgen und auf private Ambivalenzbewältigung zu setzen, anstatt andere ökonomische und politische Bedingungen für Bildungsprozesse in der Schule zu fordern. Die programmatische Forderung nach einem ›offenen Unterricht‹, in dem den ›Kindern das Wort gegeben werden‹ sollte und sie da ›abgeholt werden sollten, wo sie stehen‹, erweist sich inzwischen als Einfallstor für eine stärkere Regulierung von Kindern im Sinne ihrer ökonomischen Verwertbarkeit.« (A. a. O., S. 45) Die Student*innen beschreiben Familienstrukturen und Arbeitsbedingungen, die Auswirkungen auf Schule haben und Lehrkräfte herausfordern bzw. Erwartungen an Lehrkräfte mit sich bringen und ihnen Erziehungsaufgaben zuteilen, die die Student*innen offensichtlich als Überforderung wahrnehmen, was ihre wiederholte Konstruktion von Eltern als beratungsresistent und falschen Erziehungsstilen nachhängend nachvollziehbar macht. So werden sie selbst machtlos und können in dieser Sache nichts erreichen. Dazu heißt es in der Passage Medienerziehung in der Gruppendiskussion GD9: »Aber ich denk auch dass es vielen Eltern auch gar nich bewusst ist oder sie wollen s gar nich wahrhaben; also ich hatte zum Beispiel in meiner OEP Schule auch die Erfahrung gemacht (.) da kamen Kinder wirklich morgens wirklich total verstrah:lt und verstört in die Schule und als man dann mal nachgefragt hat ((holt Luft)) ja die Mama is um halb sechs Arbeiten gegangen und ich saß jetzt bis um halb acht vorm Fernseher; also die hat nen Fernseher angemacht, hat das Kind beschäftigt und das kam dann alleine in die Schule und hat irgendwie nen Wecker gestellt okay wenn s klingelt okay jetzt muscht zur Haustür raus…« (Gruppendiskussion GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 306-314) Diskutiert wird die Frage, ob Eltern bewusst ist, dass es nicht richtig ist, ihre Kinder den Medien zu überlassen bzw. Medien als Babysitter zu nutzen. Abgeschlossen wird die Diskussion mit dem Hinweis, dass die Situation der Mutter, die ihr Kind mit Medien beschäftigen muss, vielleicht extrem ist, aber dennoch ein Beispiel für ein generelles Problem: »Ja und der Punkt ist ja einfach dass es inzwischen viele solche Stories gibt…« (A. a. O., Zeile 331f.) Wahrgenommen wird eine Neuverteilung von Sorgearbeit, die wie DeckertPeaceman feststellt, mit einer zeitökonomischen »Verdichtung von Arbeitsprozessen und der Zunahme an institutionalisierter Kindheit mit einer zeitlichen Verdichtung des Schullernens [einhergeht]…« (Deckert-Peaceman 2014, S. 198) Um qualifizierte Mütter in den Arbeitsmarkt zu bringen, wird Schule zunehmend Betreuungsarbeit zugeschrieben, was dazu führt, dass die »Zeit des formalen Lernens […] verkürzt und verdichtet [werden muss], d.h. gleichzeitig effizienter im Sinne eines höheren Outputs gesteigert werden [muss], sodass auch die nachfolgende Generation schneller und besser qualifiziert dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht (vgl. Zeiher 2005, S. 215).« (Ebd.) Die Entwicklungen führen dazu, dass Familie und Grundschule »stärker als zuvor an den Arbeitsmarkt und an ökonomische Prinzipien gekoppelt werden, insbesondere über Zeitregimes.« (A. a. O., S. 199) Kinder verbringen entsprechend täglich
9. Einordnung der empirischen Ergebnisse
mehr Zeit in der Schule, müssen diese aber auch schneller durchlaufen: »Für Kinder in der Grundschule zeigt sich die Verdichtung an der längeren Aufenthaltsdauer in der Institution pro Tag verbunden mit einem beschleunigten Durchlaufen der Grundschule (frühere Einschulung, kürzere Verweildauer) und erhöhten Leistungsanforderungen.« (Ebd.) Die Student*innen betonen, dass Kinder sehr früh mit Medien umgehen können. Dabei sind es Eltern, die ihren Kindern den Zugang zu neuen Medien ermöglichen bzw. Eltern ermöglichen, dass Kinder mit Medien spielen: »Ja meine Cousine aber auch die ham auch äh dann das alte Handy dann wo von der Mama wurde dann zum Spielen die wusste dann schon die hat das wie der Papa gemacht […] die schauen sich das halt dann auch ab, und ähm (.) die hat jetzt auch ähm @meine Mutter die hat versucht n Foto von sich zu machen meine Cousine wusste wie es geht, die is dreieinhalb@ @(.)@…« (Gruppendiskussion GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 401-407) Eltern sind Verführer, ja Gegenspieler der Lehrkräfte: »Aber ich find nich nur mit den Schülern sondern auch mit den Eltern; […] weil ich glaub wenn du als Lehrerin anfängst und da schulst und so und die Eltern leben s anders vor die Kinder werden s trotzdem nich so von dir annehmen wie wenn (.) also ich find da muss man schon auch zweigleisig […] fahren weil sonst erreichst du das nich…« (A. a. O., Zeile 418-426) Mit Blick auf die von Deckert-Peaceman beschriebenen Veränderungen in der Sorgearbeit lässt sich eine daraus resultierende Konkurrenzsituation zwischen Lehrkräften und Eltern ausmachen, aber auch, dass Grenzen bzgl. Sorgearbeit verschwimmen. Es wird die Erwartung abgewehrt, sich um die Medienerziehung von Kindern zu kümmern, auch wenn eine Lösung – nämlich zweigleisig zu fahren und sowohl Kinder als auch Eltern zu schulen – angeboten wird. Diese Lösung wird mit der Vorstellung verknüpft, dass Eltern einen unmittelbareren Zugang bzw. einen größeren Einfluss auf ihre Kinder haben: Wenn sie nicht mitmachen, kann eine Lehrkraft auch nichts tun. Es spiegelt sich die Uneindeutigkeit in der Gesellschaft darüber, wer für Kinder zu sorgen und sie zu erziehen hat. Rianne Mahon fasst diese als crisis of care und care deficit: »The decline of the male-breadwinner family challenges states to take on new responsibilities.« (Mahon 2002, S. 1) Da nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass Mütter, Frauen und Töchter zu Hause sind und für die Kinderbetreuung, aber auch für die Betreuung und Pflege älterer und kranker Menschen zur Verfügung stehen, sind staatliche Institutionen herausgefordert. »Quality early childhood care and education can also contribute to greater social equality and provide the foundations for lifelong learning.« (Ebd.) In den Ausführungen von Mahon spiegeln sich gesellschaftliche Erwartungen, die sich offensichtlich an ökonomischen Prinzipien orientieren: Es geht um eine soziale Investition, bzw. den scheinbaren Ausgleich von Ungleichheiten, die durch marktorientierte Strukturen geschaffen werden. Die in den staatlichen Institutionen tätigen Menschen nehmen die Erwartung wahr, dass sie hier Aufgaben und Verantwortung übernehmen sollen, wie auch die angehenden Lehrer*innen in den Gruppendiskussionen demonstrieren.
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Soziale Ungleichheit Die Student*innen nehmen die Erwartung wahr, soziale Ungleichheit auszugleichen, deren Ursache vor allem Eltern zugeschrieben wird: Auf Eltern ist bzgl. Chancen und Möglichkeiten, die sie ihren Kindern bieten, kein Verlass, vor allem nicht auf arme bzw. sozial benachteiligte Eltern. So verweisen die Student*innen auf familiäre Verhältnisse, die aus ihrer Sicht die Mediennutzung der Kinder mitbestimmen: »des is oft oder (3) ja allgemein die Familienverhältnisse sind schon schwieriger…« (Gruppendiskussion GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 261) Diese These findet sich auch in medienpädagogischen Texten: »Kinder begegnen digitalen Medien derzeit noch überwiegend im Rahmen der familiären Sozialisation, und die Entwicklung der erforderlichen Nutzungskompetenzen steht in starker Abhängigkeit von den Einstellungen und Kompetenzen der Eltern, die wiederum in Zusammenhang mit dem kulturellen Kapital der Eltern stehen (Kutscher 2014).« (Irion 2018, S. 5) Daher ist es nach Irion notwendig, dass Schule einen Ausgleich schafft: »Ein Verzicht auf die Vermittlung der für die kritisch-selbstbestimmte Mediennutzung erforderlichen Kompetenzen würde daher auch zu einer Vertiefung bestehender und zu einer Entstehung neuer sozialer Ungerechtigkeiten führen (Irion/Sahin 2018). Grundschulbildung als basale Bildung für alle Kinder kann es nicht dem Zufall überlassen, ob ein Kind die für sein weiteres Leben wichtigen Kompetenzen und Einstellungen in dieser wichtigen Phase seiner Entwicklung entfalten kann.« (Ebd.) Die Student*innen wehren die Aufgabe ab, indem sie Eltern vorwerfen, zu bequem zu sein, aber auch indem sie das, was Eltern ihren Kindern erlauben bzw. durchgehen lassen, als so folgenschwer beschreiben, dass sie als angehende Lehrer*innen machtlos sind: »Die Frage is halt auch ähm (2) wenn s die Eltern erlauben (.) dann is es (.) also wenn zu Hause einfach […] die Möglichkeit gegeben is und die Eltern stehen dahinter oder denen is es total egal […] dann kann ich mir auch vorstellen dass die Lehrer- kraft sagen kann was sie, möchte…« (Gruppendiskussion GD10 Passage Medienbildung in der Grundschule Zeile 68ff.) Digitale Medien werden von den Student*innen dennoch als etwas eingeordnet, was Kinder in Zukunft beherrschen müssen, um Erfolg in der Arbeitswelt zu haben; eine Position, die sich auch in medienpädagogischen Diskursen findet: »Informationsund Kommunikationstechnologien sind in vielen Berufen und Lebensbereichen angekommen. Die analoge Schule muss langfristig zur digitalen Schule werden, um auf die moderne Arbeitswelt vorbereiten zu können.« (Irion 2018, S. 5) In der Passage Medienerziehung in der Gruppendiskussion GD9 taucht dieser Gehalt u.a. in der Konklusion der Passage auf: »Technolos- °Technologisiert° @wie man sagt@ und ja (.) da (.) muss […] man dann den Kindern auch zeigen was kann man damit machen und °ja°…« (GD9 ISP Passage Medienerziehung Zeile 458-462) Da zuvor in der Passage herausgearbeitet wurde, welche Bedeutung Medien in Zukunft haben werden – »und ich bin mir auch ziemlich sicher dass später jedes Kind irgendwie an nen Tablet rankommen wird in seinem privaten Umfeld und (.) dass man da auch ähm in der Schule dann (.) damit arbeiten muss weil das einfach (.) die Welt is in die wir jetzt kommen es wird halt immer alles mehr« – lässt sich annehmen, dass es um die Vermittlung der Nützlichkeit geht, also wie Kinder digitale Medien in Zukunft so einsetzen können, dass sie Erfolg
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in dieser Gesellschaft haben. Und in dieser Gesellschaft wird Nützlichkeit, so Scholz, in Geld gemessen: »Das betrifft die Forschung ebenso wie die Lehre. Das betrifft auch die Schüler.« (Scholz 2005, S. 69) Wird nun der Erwerb von Wissen vor allem verstanden als ein Erwerb von Nützlichkeiten, die einen Geldwert besitzen, »erscheint das erzielbare Einkommen, der eigene Lebensstandard als Ergebnis der eigenen Leistung. Dieser ideologische Schein blendet aus, dass der für die eigene Arbeit und eigene Leistung erzielbare Preis von einer Reihe von Faktoren abhängig ist, die weder der Einzelne, noch das Gespann von Lehrer und Schüler beeinflussen kann.« (A. a. O., S. 69f.) Tatsächlich steigen nach Scholz die Abhängigkeiten des Einzelnen: »Die Paradoxie besteht also darin, dass der Preis für die eigene Leistung in einer sich entwickelnden globalisierten Gesellschaft d.h. miteinander vernetzten Welt, immer stärker von Bedingungen abhängt, die der Einzelne nicht übersehen und nicht beeinflussen kann und gleichzeitig eine Ideologie sich durchsetzt, nach der die Leistung von diesen Rahmenbedingungen unabhängig sei.« (a.a.O., S. 70)
Das sich selbst optimieren wollende Kind Kinder werden von den Student*innen vor allem dann verantwortlich gemacht, wenn Zweifel am Willen, aber auch an der Fähigkeit der Eltern aufkommen, ihrer Verantwortung bezüglich Medienerziehung gerecht zu werden. Die Verlagerung der Verantwortung auf das Kind erfolgt, indem es implizit aufgefordert wird, sich selbst zu disziplinieren und zu optimieren und damit selbst zu wollen, was Entwicklungsnormen, die die Student*innen präsentieren, von ihnen verlangen. Das entsprechend kompetente Kind ermöglicht den Student*innen, sich am Kind orientiert zu präsentieren. Dabei kommt es zwar zu Widersprüchen; diese führen bei den Student*innen aber nicht zu Irritationen, die im Sinne von Marotzki und Jörissen Bildungsprozesse initiieren könnten, sondern vielmehr gelingt es, »das Unbekannte unter die eigenen Schemata zu subsumieren. Das Andere wird dabei dem Eigenen gleichgemacht, es wird an die eigenen Wahrnehmungs- und Weltordnungsmuster assimiliert; das Neue reduziert sich dabei auf das Bekannte.« (Hervorheb. i. Orig., Jörissen & Marotzki 2009, S. 18) So werden Medienentwicklungen als zunehmend bedrohlich beschrieben und veränderte gesellschaftliche Erwartungen bzw. steigende Erwartung an Schule wahrgenommen (z.B. in Bezug auf Sorgearbeit), und doch sollen sich Kinder die aktuelle Generation der Erwachsenen zum Vorbild nehmen; sie sollen offensichtlich werden wie ihre Eltern, aber aus eigenem Antrieb. In dieser Idee treffen zwei sich ursprünglich widersprechende Vorstellungen davon aufeinander, was Kinder wie zu lernen haben, bzw. verschmelzen sie hier. Auch wenn Mollenhauer schreibt, dass Erziehung immer »zuallererst Überlieferung [ist], Mitteilung dessen, was uns wichtig ist« (Mollenhauer 1998, S. 20) und kein »pädagogischer Akt […] denkbar [ist], in dem der Erwachsene nicht etwas über sich und seine Lebensform mitteilt, willentlich oder unwillkürlich« (ebd.), gibt es doch zwei Perspektiven darauf, was das Kind zu leisten hat: Kultur einzuüben und damit zu erhalten (vgl. a.a.O., S. 47) oder diese zu heilen, wie Scholz schreibt: »Der moderne Kindheitskult projiziert in das Kind die Hoffnung und Erlösung durch die Unschuld des Kindes. Ein Aspekt dieser Hoffnung auf Erlösung durch das Kind be-
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zieht sich auf die Kreativität des Kindes. Seine Ursprünglichkeit in der Wahrnehmung von Welt und deren künstlerischer Entwurf soll wieder zu einer Einheit zusammenfügen, was zerbrochen scheint: die Einheit von Fühlen und Denken, Körper und Geist, Natur und Kultur.« (Scholz 1994, S. 86) In beiden Perspektiven, aber auch in ihrer Verschmelzung zeigt sich die Sehnsucht nach einer Ordnung in einer offensichtlich zunehmend komplexer werdenden sozialen Welt (vgl. Mollenhauer 1998, S. 20), wobei die Verschmelzung der beiden Perspektiven Erwachsene nicht nur von ihrer Verantwortung befreit, sondern scheinbar auch die in öffentlichen Debatten als überwunden dargestellte, auf Gehorsam basierende Interaktion zwischen Erwachsenen und Kindern in eine hierarchielos erscheinende Interaktion verwandelt.
Vom Traum YouTuber zu werden Die Orientierung Verantwortung für den Umgang mit Medien auf Eltern und Kinder zu übertragen, ist zentral, wie auch der Schluss der Passage Medienbildung in der Grundschule der Gruppendiskussion GD10 zeigt, in dem die Student*innen betonen, dass es darum geht, Kinder »Kompetenzen erwerben zu lassen, dass sie das eigenständig reflektieren können was sie da überhaupt tun…« (Gruppendiskussion GD10 ISP Passage Medienbildung in der Grundschule Zeile 175-180) Auch die Verantwortung dafür, ob Kompetenzen entwickelt werden können oder nicht, wird auf die Lernenden übertragen. Pädagog*innen werden als Begleiter*innen der Kompetenzentwicklung eingeordnet, wobei diese Idee auch pädagogische Diskurse prägt. So wird mit dem Konzept der kindfähigen Schule zum Ausdruck gebracht, dass in der Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen von jedem einzelnen Kind auszugehen ist, dass ihre individuelle Entwicklung begleitet wird, statt mit dem Kind Praktiken einzuüben, die den Anforderungen der Schule entsprechen: »Schulfähigkeit kann aus zweierlei Sicht definiert werden: als die Fähigkeit der Kinder, mit den Anforderungen der Schule zurecht zu kommen, oder als Fähigkeit der Schule, den Möglichkeiten der Kinder zu entsprechen. Nur im zweiten Fall ist die Schule ›kindfähig‹.« (Bartnitzky 2008, S. 76) In einer kindfähigen Schule wird demnach nicht davon ausgegangen, dass sich alle Kinder in Abhängigkeit von ihrem Alter gleich entwickeln. Lernen wird als »individueller und aktiver Prozess« (ebd.) verstanden, Kinder werden so angenommen, »wie sie sind und […] [in ihrem] weiteren Entwicklungsprozess durch eine anregende Lernumgebung förderlich begleitet.« (Ebd.) Offensichtlich wird aber in den Gruppendiskussionen der Student*innen, dass es nicht darum geht, dass Kinder sich ihrer Möglichkeiten entsprechend entwickeln, sondern es wird ein kompetentes Kind konstruiert, das sich selbst diszipliniert, um nicht diszipliniert werden zu müssen. So wird zum einen eine Befreiung aus autoritären Rollen möglich. Zum anderen aber auch die Übertragung überfordernder Verantwortung auf Kinder. Die Vorstellung, dass Kinder sich am besten so entwickeln wie man sich selbst entwickelt hat, entlarvt, dass das eigene Verhalten nicht widerspruchsfrei ist. So stellen die Student*innen in der Passage Medienbildung in der Gruppendiskussion GD3 u.a. fest, dass sie ja selbst ständig das Handy nutzen und dabei von Kindern beobachtet werden und ihnen so kein Vorbild sein können. (Vgl. Abschnitt 8.2.2, Sequenz Alder ich seh dich die ganze Zeit an deinem Handy, Zeile 100ff) Die Vorstellung, dass die ältere Generation
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der jüngeren traditionelles Wissen vermitteln kann, damit die Welt in Ordnung bleibt, bzw. Kinder sie in Ordnung bringen, wird irritiert. Die Widersprüche lassen sich aber mit der Konstruktion eines Kindes ertragen, das sich von sich aus so entwickeln will, wie Eltern und Lehrer*innen es sich vorstellen, was die Student*innen in der Passage Medienerziehung in der Gruppendiskussion GD9 besonders stark herausarbeiten, indem sie sich wünschen, dass heutige Kinder - so wie sie selbst früher � Grundschullehrer*in spielen statt davon zu träumen, YouTuber zu werden. (Vgl. Abschnitt 8.2.4, Sequenz Was konnten die Dinger damals schon, Zeile 208ff) Zum Ausdruck kommt die Vorstellung, dass sichergestellt sein muss, dass Kinder sich so entwickeln, dass sie die eigene Generation im Alter versorgen können. Diese Vorstellung wird in öffentlichen Diskursen als zunehmend bedroht dargestellt: Seit Ende des zweiten Weltkrieges lässt sich ein Kind wohl als nützlich beschreiben, wenn es sich so entwickelt, dass es als Erwachsener in der Lage ist, die Renten seiner Eltern zu zahlen. (Vgl. Bühler-Niederberger 2005, S. 135) Dass Kinder dazu in der Lage sein werden, wird in öffentlichen Debatten jedoch bezweifelt. So titelt das Handelsblatt in seiner Onlineausgabe im Juni 2018: Denn eins ist nicht sicher – die Rente.11 Die Verantwortung dafür wird von den Student*innen implizit den Kindern zugeschrieben, indem sie ihnen unterstellen, sich für das Falsche – siehe Berufswunsch YouTuber*in statt Grundschullehrer*in – zu interessieren. Die Konstruktion des Kindes hat hier die Funktion, Muster und Vorgaben zu legitimieren; diese Funktion hat sie nach Doris Bühler-Niederberger auch in öffentlichen Diskursen: »Nebst den Bestrebungen um die gesellschaftliche Ordnung schlechthin, sind es Anklagen des politischen, weltanschaulichen oder religiösen Gegners, eigene moralische Gewinne sowie Legitimation von Familienmustern und Geschlechtsvorgaben, die alle durch die Konstruktion ›Kind‹ ermöglicht werden.« (A. a. O., S. 147)
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Mediennutzung erzeugt Strukturen und Ängste
Die Vorstellung, dass Lehrer*innen nur noch als Begleiter*innen bzw. Coaches von Lernprozessen der Schüler*innen auftreten, ist im Kontext von Lernen mit, durch und über digitale Medien relevant, weil sie suggeriert, Schüler*innen würden ihre Lernprozesse zunehmend selbstständig und selbstbestimmt organisieren. Die Vorstellung verdeckt, dass diese von Materialien und damit auch von Medien mitstrukturiert werden, die ihnen von Lehrer*innen angeboten werden. Und Materialien – für mich gehören dazu auch digitale Medien -, die Lehrer*innen einsetzen, sagen etwas über Inhalte und Ziele aus, die sie mit ihrem Unterricht verbinden, wie Gundel Schümer festgestellt hat. (Vgl. Schümer 1991, S. 808) Schümer hat 827 Grundschullehrer*innen aus vier Bundesländern befragt, in welchem Unterricht und mit welcher Begründung sie Arbeitsblätter einsetzen. Davon gaben 97 Prozent an, in Deutsch, Mathematik und im Sachunterricht Arbeitsblätter einzusetzen. U. a. wurde der Einsatz der Arbeitsblätter mit dem Wunsch
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https://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/kommentar-denn-eins-ist-nicht-sicherdie-rente/22646558.html?ticket=ST-3905885-Xb4odwi2Txq1aWlGPlQl-ap5 vom 02.03.2019
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begründet, Zeit zu sparen oder Unterricht überhaupt zu ermöglichen, weil Arbeitsblätter Kinder motivieren oder dazu beitragen sollen, dass sie sich konzentrieren. (Vgl. ebd.) Nun ist die Studie von Schümer bald dreißig Jahre alt, doch scheint das Arbeitsblatt trotz aktueller medialer Entwicklungen und Digitalisierung für die angehenden Grundschullehrer*innen nach wie vor ein zentrales Medium zu sein. Nach Schümer werden Arbeitsblätter meistens in Stillarbeitsphasen und Einzelarbeitsphasen oder auch Lernerfolgskontrollen eingesetzt. (Vgl. a.a.O., S. 811f.) Da es nicht an Lehrbüchern fehlt, und Arbeitsblätter in der Regel auch nicht für einen binnendifferenzierten Unterricht genutzt werden, sondern vor allem zum Üben, Wiederholen und Vertiefen, stellt Schümer die Frage, welche Motive hinter der häufigen Verwendung von Arbeitsblättern stehen. Sie schlussfolgert, dass es dabei nicht zuletzt um die Disziplinierung der Schüler*innen geht. (Vgl. a.a.O., S. 812) In der Gruppendiskussion GD6 wird nicht diskutiert, was auf einem Arbeitsblatt steht, was ein Arbeitsblatt vermitteln, verstärken, zeigen oder nicht zeigen kann, sondern wie sich möglichst ohne technischen Aufwand und Zeitverlust Arbeitsblätter oder auch Folien, die nach Schümer häufig eingesetzt werden, um zeitaufwändige Tafelaufschriebe zu vermeiden (vgl. a.a.O., S. 822), für den Unterricht aufbereiten lassen: »und halt auch die Einweisungen; ähm (.) fehlen also wir ham s gemerkt, es gab wohl eine Einweisung in das Laminie:rgerät was jetzt nicht unbedingt nen Medium i- in dem Sinne darstellt sondern nur, für das Papier dann da is aber selbst da hat man dann gemerkt hm ich weiß wie viel Grad ich einstellen muss ich weiß welche Folie ich nehme trotzdem kommt ein welliges laminiertes Blatt Papier raus; das sollte nicht passieren und dann standen wir wirklich fünfzehn Minuten da um dieses eine Problem zu beheben um @drei Blätter zu laminieren;@ und das sind dann einfach so Sachen…« (Gruppendiskussion GD6 nach OEP Passage Medien in der Grundschule Zeile 148-156) Das Argument der Zeitersparnis verdeckt jedoch das, was Arbeitsblätter, wie Schümer herausgearbeitet hat, aber auch der Einsatz anderer Medien vor allem ermöglichen sollen: Einzelarbeitsphasen, in denen Schüler*innen eigenverantwortlich Lernstoff wiederholen, üben, vertiefen und ihren eigenen Lernstand überprüfen. Medien kommen in den Gruppendiskussionen als Technik, als einzelne Geräte, die sich an- und ausschalten lassen, als didaktische Werkzeuge, Disziplinierungswerkzeuge und Zugang zu Informationen vor – wie das Thema Recherche mit Kindersuchmaschinen in Gruppendiskussion GD6 zeigt –, aber sie kommen nicht im Sinne eines Lernens über Medien vor. Es wird nicht thematisiert, welche Bedeutung Medien für die Wahrnehmung von Welt oder das Wissen über Welt haben, wie sie durch ihre Grammatik und Syntax Wissen formen: So lässt sich McLuhan folgend fragen, was ein Medium verstärkt, was es verdeckt, auf was es zurückgreift und auf was es verweist. (Vgl. McLuhan 1967) Zwar kommen digitale Medien als Quelle von Wissen vor – wie der Verweis auf Recherchen im Netz in mehreren Gruppendiskussionen zeigt –, aber das für das Kind geeignete Wissen soll vor allem von den Lehrer*innen kommen. Selbst Eltern werden aufgrund der Inhalte, die sie Kindern zugänglich machen, als problematisch beschrieben. Entsprechend können Lehrer*innen auch im Internet nur Zugang zu Wissensräumen akzeptieren, von denen sie annehmen, dass sie kontrolliert und abgegrenzt von
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ungeeigneten Inhalten sind, wie der Verweis auf Kindersuchmaschinen zeigt. Thematisiert werden Medien dabei nicht als das Lernen mitstrukturierend; auch hier spiegeln die Student*innen Diskurse bzw. den Forschungsstand in Bezug auf die Bedeutung von Materialien und Medien für Unterricht und Schule: »Während Nachbardisziplinen der Erziehungswissenschaft – wie Philosophie und Soziologie auf einen tradierten Diskurs zur Rolle von Objekten und ihre Bedeutungsgenese im menschlichen Miteinander blicken können (z.B. Heidegger 1927, Ihde 1993, Bourdieu 1982, Latour 2005), wird die schulische bzw. unterrichtliche Relevanz dieser Thematik seit relativ kurzer Zeit entdeckt und empirisch bearbeitet (Priem u.a. 2012; Reh/Scholz 2012; König 2012; Nohl/Wulf 2013).« (Wiesemann & Lange 2015, S. 81) Für Wiesemann und Lange sind in Bezug auf Lehrmittel, die im Unterricht eingesetzt werden, folgende Fragen zu stellen: »Welche Ideen und Vorstellungen von schulischer Praxis werden unter welchen Bedingungen materialisiert? Wie werden Handlungsprobleme der schulischen Praxis expliziert und wird ihnen (präventiv) begegnet? Wie figurieren Lehrmittel den späteren Unterricht?« (A. a. O., S. 82) Wiesemann und Lange kommen mit der Analyse eines Experimentierkoffers für den Sachunterricht zu dem Schluss, dass dieser entsprechend einer fachkulturellen Schullogik bzw. schulischer Wissenskultur zu einem »Prozess der Anonymisierung natürlicher Phänomene« (a.a.O., S. 88) herausfordert: »Mit diesem wird das Phänomen systematisch bearbeitbar gemacht, das als Alltagserfahrung – samt einer zugehörigen und impliziten Wissensform den SchülerInnen bereits präsent ist. Es wird mit den zughörigen Materialien eingeschult.« (Ebd.) Wiesemann und Lange verweisen damit auf ein Grundprinzip von Schule, das auch Deckert-Peaceman und Scholz herausarbeiten: Vor allem Schuleingangstests zeigen, dass von Kindern erwartet wird, dass sie Aufgaben, die ihnen im Kontext von Schule gestellt werden, nicht im Kontext ihrer Deutungswelt bearbeiten, sondern von dieser abstrahiert. (Vgl. Deckert-Peaceman & Scholz 2016, S. 146) Bestätigt wird hier auch Schüttpelz mit der These, dass Medien durch historisch gewachsene soziale Praktiken hervorgebracht und strukturiert werden und weniger umgekehrt. (Vgl. Schüttpelz 2017, S. 159)
Vor Medien schützen wie vor der Sonne Obwohl zum Einstieg in die Gruppendiskussionen nicht explizit nach digitalen Medien gefragt wird, sondern generell nach Erfahrungen, die mit Medien im Kontext von ersten Schulpraxiserfahrungen gemacht wurden, ordnen die Student*innen analoge Medien nicht als die Medien ein, die in Bezug auf das Lernen mit, durch und über Medien in der Grundschule zu problematisieren sind. Das Verständnis von digitalen Medien bleibt reduziert auf Lehr- und Lernwerkzeuge, auch wenn dieses Verständnis irritiert wird und mit dem Internet ein unkontrollierbarer Raum wahrgenommen wird. Ich sehe in dieser Irritation einen Grund dafür, dass das Lernen über Medien nicht thematisiert wird. Das Internet wird besonders herausgestellt – und zwar als Bedrohung, da es Kindern einen unkontrollierbaren Zugang zur Erwachsenenwelt bietet. Dabei wird das Internet beschrieben wie eine Datenbank: den Kindern begegnet hier Wissen, das noch nichts für sie ist. Es wird nicht »als Medium der sozialen Kommunikation« (Jörissen & Marotzki 2009, S. 169) verstanden, auch nicht als möglicher »Bildungsraum«, bzw. als
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»Aktionsraum des Wissens« (Meder 2000, S. 34) oder »Lernumgebung« (a.a.O., S. 38), wobei mit dieser Bezeichnung nicht gemeint ist, dass das Internet Wissen bereitstellt: »Die Computertechnologie ermöglicht im Feature Internet eine chaotische Lernumgebung von höchster Aktualität, sie ermöglicht aber auch das bewusste Arrangement von Lernumgebungen. Das Internet bildet sich als ein Raum aus, in dessen Tiefe man entdeckend vorstoßen kann; es mediatisiert die Tiefe des postmodernen semantischen Raumes.« (A. a. O., S. 38f.) Auch wenn Meder das Internet mit einer Enzyklopädie vergleicht, »mit der Tendenz bzw. der Fiktion die ganze Welt abzubilden« (a.a.O., S. 39), so ist sein Verständnis keineswegs mit dem zu vergleichen, was die Student*innen sich vorstellen; ihnen geht es nicht um Abbildungen »möglicher Welten« (ebd.), die einladen, Selbst- und Weltverhältnisse zu irritieren, sondern vor allem um Informationen, die über das Internet abrufbar sind und Kindheit bedrohen. Die verdorbene Erwachsenenwelt, die sich im Internet präsentiert, wird von den Student*innen vor allem über den wiederholten Verweis auf pornografische Inhalte konstruiert, die nicht nur Teil des Internets zu sein scheinen, sondern dieses geradezu ausmachen: »@jetzt gibst du bei Google irgendwas ein@ […] oah nackte Frau große Brüste psch:ng ((alle lachen)) @und kriegt dann Millionen Seiten; kein Problem das ma-@ […] ja: das h- ändert sich halt schon@(.)@ @ so mit den Medien…« (Gruppendiskussion GD3 vor OEP Passage Medienbildung, Zeile 201-204). Die für Kinder als ungeeignet präsentieren Internetinhalte verbieten offenbar ein Anerkennen des Internets als Bildungsraum oder Aktionsraum des Wissens, da sich das, was Kindern in diesem Raum begegnen kann, nicht kontrollieren, nicht so aufbereiten lässt, wie es notwendig erscheint, um es in den Unterricht zu integrieren, den sich die Student*innen vorstellen. Diese Vorstellung erinnert an historische Anfänge der Schule und ihrer Funktion, die Gerhard Petrat nicht nur als Disziplinierung, sondern auch als Reinigung von Schüler*innen beschreibt. (Vgl. Petrat 1979, S. 250) Zur Reinigung gehört nach Scholz, dass die den Kindern bzw. Schüler*innen »angebotene Welt in der Weise didaktisch zuzubereiten ist, daß die didaktisch vermittelte Welt die Kinder vor der verdorbenen Welt der Erwachsenen bewahrt. Das betrifft u.a. die Reinigung der Lehrgegenstände, die Reinigung der Sprache und der Begriffsbildung.« (Scholz 1996, S. 10) Zur Reinigung der Lehrgegenstände heißt es bei Petrat zudem: »Wenn davon ausgegangen wird, daß ein Übel nicht von selbst entsteht, sondern stets eine Ursache hat, dann läßt sich auch umgekehrt folgern, daß die Herbeiführung des Guten eines dafür präparierten Mediums bedarf.« (Petrat 1979, S. 254) Der Versuch, das Internet entsprechend zu präparieren, drückt sich in der Idee aus, dass Kindersuchmaschinen »ne sehr gute Variante für Kinder« sind (Gruppendiskussion GD6 nach OEP Passage Medien in der Grundschule Zeile 249f) Doch wie auch in medienpädagogischen Diskursen festgestellt wird, hilft am Ende in der Vorstellung der Student*innen nur der Selbstschutz durch die Entwicklung entsprechender Medienkompetenzen oder aber die Abwehr einer Auseinandersetzung mit dem Internet in der Grundschule, da es sich nicht in der Art kontrollieren bzw. reinigen lässt, wie es erforderlich wäre, um damit Schule zu machen: »klar kannst du Internetseiten sperren lassen für deine Kinder, aber während zu zehn Seiten sperrst gibt s schon wieder zehn neue Seiten die genau den gleichen Scheiß machen…« (GD1 vor OEP Passage Medienerziehung in Familie und Schule Zeile 265-267)
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Die Frage, woher die Informationen im Internet kommen, wird von den Student*innen nicht aufgeworfen bzw. entsteht der Eindruck, dass sie davon ausgehen, dass sich hier Informationen in einer Eigendynamik vermehren und ausweiten wie eine bedrohliche Naturgewalt. Als kultureller Raum, »in dem Menschen sich selbst entwerfen, indem sie ihre Handlungen koordinieren und ihrem Zusammenleben über Prozesse wie z.B. Symbolisierung und der Ritualisierung Bedeutung verschaffen« (Jörissen & Marotzki 2009, S. 176), wird das Internet nicht gesehen. Entsprechend werden durch die Digitalisierung bzw. Computerisierung neu hervorgebrachte Symbolsysteme nicht problematisiert; keine der Student*innen spricht von digitalen Algorithmen oder greift die aktuelle Forderung auf, dass Kinder in der Grundschule programmieren lernen sollten, die bundesweit aktive Initiativen platzieren, »die mit Projekten wie Calliope das Programmieren für Kinder vorantreiben und versprechen, das Mini-Computer der Einstieg in die Mitgestaltung der digitalen Welt sind.« (Kulcke 2018, S. 183f.) Das Bild von den digitalen Medien, vor denen es sich zu schützen gilt wie vor der Sonne, welches von den Student*innen in der Gruppendiskussion GD10 gezeichnet wird, steht hier stellvertretend für die Grundhaltung der Student*innen: »Tf604: Und auf der anderen Seite machen wir den Schülern ja immer irgendwelche Schutzsachen sie sollen sich ä:h in LOS gehen wir mit ihnen durch dass sie sich vor der Sonne schützen sollen in anderen (…) macht irgendwelche anderen Aufklärungssachen und bei den Medien wenn sie da immer freien Zugang haben müssten wir eigentlich auch (.) sagen wir machen jetzt so Schutzsachen weil sie kommen einfach (.) ähm (2) genau das das will ich ja auch mit Viertklässlern ähm (.) geredet da ham wir n bisschen YouTube geredet und was die sich da für Filme reinziehen das war teilweise wirklich (5) @(.)@ @einfach pornografisch@ und in der vierten Klasse, dann n regelmäßigen Konsu- und ich find da und auch gewalttätige Filme die die sich da angucken; und da ham find ich wir schon auch ne ähm (.) müssen wir einfach denen auch nen gewissen Schutz und nen Wissen mitgeben; dass eben nich alles äh (.) so toll is wenn man da so n freien Zugriff haben, ich glaub sie können auch nen Schaden davontragen wenn sie sich in n nem gewissen Alter schon (.) irgendwelche Sachen ähm reinziehen;« (Gruppendiskussion GD10 ISP Passage Medienbildung in der Grundschule Zeile 52-67)
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Blinde Flecken …what we are concerned with here is the fundamental interconnectedness of all things. Douglas Adams 2001, S. 115
Die Schutz-Losung fasst nicht nur eine Grundhaltung der Student*innen gegenüber digitalen Medien, sondern lässt sich zugleich als Spiegel des blinden Flecks begreifen, den Gapski im Zusammenhang mit der Fokussierung auf Medienkompetenzen ausmacht, die jede*r Einzelne zu entwickeln hat, und der damit vernachlässigten Betrachtung von Strukturveränderungen. (Vgl. Gapski 2017, S. 37ff) Medienkritik muss nach Gapski nicht nur digital hervorgebrachte Bilder und Oberflächen in den Blick nehmen, sondern
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auch auf Algorithmen basierende Entscheidungen:12 »Wenn Asylanträge, Kreditvergaben, Konsumentscheidungen, politische Willensbildungsprozesse oder Bildungschancen errechneten Entscheidungsprozessen unterliegen, dann stellen sich Fragen einer ›rationalen Diskriminierung‹ (Selke 2015) oder neuen algorithmisierten Spaltungen in der digitalen Gesellschaft.« (A. a. O., S. 44) Der Einsatz digitaler Medien in Schule und Unterricht trägt zu diesen errechneten Entscheidungsprozessen bei, wie u.a. das Kooperationsprojekt der Pädagogischen Hochschule Freiburg mit dem Friedrich-Gymnasium in Freiburg zeigt, das 2016 mit dem Deutschen Lehrpreis der Vodafone Stiftung in der Kategorie Unterricht innovativ ausgezeichnet wurde: Durchgeführt wurden hier von Schüler*innen Experimente mit ihren eigenen Smartphones und Tablets im Sinne des Konzepts Bring Your Own Device:13 Die Schüler*innen führten mit ihren privaten Geräten Schallmessungen, Flächenberechnungen mit GPS-Daten und Pulsmessungen durch, für die sie Apps wie HRV Logger, What‘s My Heart Rate, Google Maps, Runtastic14 and Fields Area Measure nutzten. Suggeriert wird ein erweiterter Zugang zu Sachverhalten, obwohl Inhalte wie Schallmessungen klassische Unterrichtsinhalte sind, und es hierfür seit langem – auch analoge – Schallpegelmessgeräte gibt, die im Unterricht eingesetzt werden.15 Nicht berücksichtigt wird, dass die Apps nicht als Lehr- und Lernwerkzeuge konzipiert sind, sondern vor allem als Datensammler. So weist Andreas Bernard darauf hin, dass Apps sowie das Internet zunehmend ausgerichtet sind »auf Struktur, Berechenbarkeit, Standardisierung…« (Ebd.) Ohne dieses Wissen bzw. Bewusstsein lassen sich von Lehrer*innen keine ethikbasierten Entscheidungen bzgl. des Umgangs und der Nutzung digitaler Medien im Unterricht treffen. Eva Norén, die eine Studie an einer schwedischen Schule durchgeführt hat, die von Kindern zwischen sechs und dreizehn Jahren besucht wird, hat zudem nicht nur festgestellt, dass die Bedeutung des Einsatzes digitaler Medien für das Lernen bisher kaum 12
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Ich gehe davon aus, dass hier digitale algorithmische Entscheidungsprozesse gemeint sind, denn grundsätzlich ist jeder Entscheidungsprozess, der auf einer Ablaufbeschreibung beruht – dies kann auch eine analoge sein –, ein algorithmischer Entscheidungsprozess. https://mascil.ph-freiburg.de/aufgabensammlung/experimente-mit-dem-smartphone/ einfuehrung-in-das-schuelerprojekt vom 26.02.2019 Welche Daten mit den Apps u.a. erfasst werden, soll hier beispielhaft an der App Runtastic gezeigt werden: »Personenbezogene Daten wie Name und Geburtsdatum werden an den Drittanbieter Pushwoosh gesendet und Informationen zur berechneten Herzfrequenz gehen an Google. GPS-Daten und Vitaldaten (Schritte, Herzfrequenz, Kalorien usw.) erfasst die App nur, wenn man manuell in der App eine Aktivität beginnt, zum Beispiel einen Lauf. Dies widerspricht explizit den Angaben in der Datenschutzerklärung von Runtastic, in denen der Hersteller versichert, gerade Informationen zur Herzfrequenz nicht weiterzugeben. […] Wer sein Runtastic-Konto mit Freunden verbindet, teilt diesen in der Standard-Einstellung auch die eigenen Angaben zu Gewicht, Größe und sportlicher Leistung mit. […] Über die Datenschutzerklärung lässt sich Runtastic die Einwilligung geben, Nutzerdaten an zugehörige Unternehmen, wie zum Beispiel die Adidas AG weiterzugeben, aber auch an andere Dienstleister.« (https://mobilsicher.de/apps/runtastic-lieblingssportdatenschleudern vom 26.02.2019) »Schallpegelmesser bestehen grundsätzlich aus einem Messmikrofon mit Kugelcharakteristik mit einem Vorverstärker, einer Auswerteeinheit und einer Anzeige… Moderne Schallpegelmesser sind mit einer digitalen Anzeige ausgestattet, viele ältere Modelle haben Analoganzeigen.« (https://de. wikipedia.org/wiki/Schallpegelmesser vom 26.02.2019)
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erforscht ist (vgl. Norén 2017, S. 145ff), sondern Tablets vor allem für die Dokumentation eingesetzt wurden: »Early during the field studies I discovered that the tablets were often used for documentation during building and constructing phases like writing stories, drawing, taking photos, and voice recordings of readings and mathematical discoveries.« (A. a. O., S. 153) Nun ist das Interesse an der Dokumentation von Lernprozessen nicht neu, um einen Einblick in eben diese zu gewinnen. Werden für die Dokumentation jedoch digitale Applikationen verwendet, ist zu fragen, inwiefern damit Unternehmen oder auch politische und gesetzgebende Institutionen Einblick in pädagogische Settings erhalten und was daraus folgt. So oder so wird deutlich, dass der eingangs präsentierte Teufelskreislaufs fehlender Medienbildung (vgl. Kammerl & Ostermann 2010, S. 48) zu erweitern ist, um deutlich zu machen, dass das Lernen mit, durch und über Medien in Schule und Hochschule nicht isoliert zu betrachten ist, da es von kulturellen und sozialen Praktiken außerhalb von Schule und Hochschule mitstrukturiert wird. (Siehe Abb. 12) Mit der Konzentration auf die Entwicklung von Medienkompetenzen, die Schüler*innen und Lehramtsstudent*innen entwickeln sollen, wird dieser Aspekt in medien- und grundschulpädagogischen Diskussion bisher nicht ausreichend genug in den Blick genommen.
Abb. 12: Erweiterter Teufelskreislauf der Medienbildung – alle Icons CC BY; von links oben nach rechts unten: João Paulo/Noun Project, Gregor Cresnar/Noun Project, LAFS/Noun Project, Gregor Cresnar/Noun Project, LUTFI GANI AL ACHMAD/Noun Project, eragon/Noun Project, fizae/Noun Project, H Alberto Gongora/Noun Project, Humantech/Noun Project, IconPai/Noun Project, Vectors Point/Noun Project und unilimicon/Noun Project.
Der von mir erweiterte Kreislauf zeigt, wie Schüler*innen, die im Unterricht mit Apps umgehen, indem sie mit ihnen Aufgaben bearbeiten, mit anderen interagieren – seien es Lehrer*innen oder Mitschüler*innen – oder aber dokumentieren, was sie im Unterricht wahrnehmen und erfahren, zu Datenlieferant*innen von Akteur*innen werden, die sich außerhalb von Schule befinden. So landen mit der Nutzung digitaler
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Medien potenziell Daten bei Firmen, die digitale Medien herstellen oder auch Medieninhalte anbieten. Daten können aber auch in der Forschung oder in staatlichen und damit gesetzgebenden Institutionen landen, die diese wiederum für die Optimierung ihrer jeweiligen Systeme nutzen (können). So beschreibt Ramón Reicherts die aktuelle Bedeutung Sozialer Netzwerke und Online-Plattformen für die Forschung wie folgt: »Soziale Netzwerke und Online-Plattformen haben sich innerhalb der letzten Jahre zu gewichtigen Quellensammlungen für die statistische Massenerhebung entwickelt und haben mithilfe datenbasierter digitaler Methoden neue Formen sozialempirischen Wissens hervorgebracht. Ihre gigantischen Datenbanken dienen der systematischen Informationsgewinnung und werden für das Sammeln, Auswerten und Interpretieren von sozialstatistischen Daten und Informationen eingesetzt. In ihrer Funktion als Speicher-, Verarbeitungs- und Verbreitungsmedium von Massendaten haben soziale Netzwerke umfangreiche Datenaggregate hervorgebracht, die zur Prognose von gesellschaftlichen Entwicklungen herangezogen werden. Soziale Netzwerke haben der empirischen Sozialforschung neue Möglichkeiten der Quellenerschließung eröffnet.« (Reichert 2017, S. 183) Für Hersteller*innen von Soft- und Hardware können diese Daten Grundlage für die Weiterentwicklung digitaler Medien sein und damit auch Grundlage für die Gestaltung weiterer Lehr- und Lernangebote, die schließlich in Schule und Unterricht eingesetzt werden. Die Daten, aber auch auf ihrer Basis entwickelte Soft- und Hardware, erreichen zudem Entscheidungsträger*innen wie die Kultusministerkonferenz, die Beschlüsse und Empfehlungen formulieren, auf deren Grundlage Curricula entwickelt werden sollen. So strukturieren diese Angebote das Verständnis von Lehren und Lernen mit, wobei zu berücksichtigen ist, dass Unternehmer*innen in der Entwicklung digitaler Produkte vor allem gewinnorientiert ausgerichtet sind und die Entwicklung ihrer Produkte nicht pädagogisch begründen.16 Deutlich wird an dem erweiterten Zyklus auch, dass
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Die Organisation EDUCAUSE aus den USA, in der Informatiker*innen, aber auch Forscher*innen, Dozent*innen, Lehrer*innen und Leiter*innen von Hochschulen vertreten sind, verweist entsprechend auf den zunehmenden Trend der Evaluation und Dokumentation von Lernen bzw. »Lernfortschritten, Kompetenzentwicklung und anderen lernbezogenen Bedarfen von Studierenden…« (https://www.nmc.org/publication/nmc-horizon-report-2017-higher-education-editionde/schlusseltrends-die-den-einsatz-von-technologien-im-hochschulbereich-befordern-2017nmc-horizon-report-he/mittelfristiger-trend-antriebsfaktoren-fur-die-technologieeinfuhrungim-zeithorizont-drei-bis-funf-jahre-2017-higher-education-edition-de/zunehmender-fokus-aufder-messung-von-lernprozessen-2017-higher-education-edition-de/ vom 19.03.2019) Dabei wird davon ausgegangen, dass gesellschaftliche »und ökonomische Faktoren […] [vorgeben], welche Fähigkeiten in der heutigen Arbeitswelt verlangt werden. Daher müssen Colleges und Universitäten überdenken, wie Kompetenzerwerb und Soft Skills, z.B. Kreativität und Teamarbeit, in einem Studienfach definiert, gemessen und belegt werden können. Die Verbreitung von Datamining-Software und die Entwicklungen in der Online-Lehre, im mobilen Lernen und in Lernmanagementsystemen verbinden sich zu Lernumgebungen, die Learning Analytics und Visualisierungssoftware einsetzen, um Lerndaten multidimensional und übertragbar darzustellen. In Online- und hybriden Lehrveranstaltungen können Daten darüber Aufschluss geben, wie die Aktivitäten der Lernenden zu ihrem Fortschritt und zu spezifischen Lernerfolgen beitragen.« (Ebd.)
9. Einordnung der empirischen Ergebnisse
die Bedeutung, die das Sammeln von Daten über die Verwendung digitaler Medien hat, sich Student*innen auch nicht erschließen wird, wenn Medienkompetenzmodelle durch den Aspekt ergänzt werden, dass im Studium informatische Kompetenzen vermittelt werden: Ein Einblick in für das Sammeln von Daten programmierte Algorithmen sagt nichts darüber aus, mit welchen Interessen Daten gesammelt werden und zu welchen Entscheidungen sie bezüglich der Gestaltung von Schule und Lernen führen.
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10. Methodenreflexion
Die Gruppendiskussionen, die ich an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg initiiert habe, zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass die Student*innen immer wieder von sich aus und vor allem in ihrer Sprache ins Gespräch kommen. Die Student*innen haben ihr Relevanzsystem so entfalten können, dass durch die Interpretation der Gespräche deutlich wird, was es auszeichnet, bzw. durch was es strukturiert wird. Die Gruppendiskussionen wurden so geführt, dass es möglich war, »kollektiv geteilte und implizite Wissensbestände der Akteur_innen zu rekonstruieren.« (Geimer & Amling 2018, S. 302) Damit überzeugt die Entscheidung, sich in der Arbeit auf Gruppendiskussionen zu konzentrieren, diese dokumentarisch und detailliert auszuwerten. Die Arbeit, in der es nicht darum ging, einzelne Positionen von Student*innen herauszuarbeiten, sondern ein Feld zu beschreiben, bestätigt damit die von Geimer und Amling betonte Aussagekraft von Gruppendiskussionen in Bezug auf die Frage, welche normativen Gehalte einen Erfahrungsraum, den Akteur*innen teilen, mitstrukturieren. Obwohl ich im Kontext meines Forschungsvorhabens auch Einzelinterviews mit Student*innen geführt habe, habe ich mich ausschließlich auf Gruppendiskussionen konzentriert, da Geimer und Amling in einer Studie, für die sie Gruppendiskussionen und Interviews mit Künstler*innen geführt haben, festgestellt haben, dass »anhand der Interviews mit Künstler_innen nur eingeschränkt gemeinsame normative Bezugspunkte (und ihr Bezug zum Habitus der Praxis des Kunst-Machens) rekonstruiert werden konnten…« (Hervorheb. i. Orig., a.a.O., S. 303) In den Gruppendiskussionen wurden dagegen »normative Anforderungen an das Künstler_in-Sein […] in auffallend gleichartiger Weise thematisiert.« (Hervorheb. i. Orig., ebd.) Die Analyse der von mir erhobenen Daten brachte normative Anforderungen hervor, die in allen Gruppendiskussionen, die ich für diese Arbeit geführt habe, von Bedeutung waren. Nach Geimer und Amling ist dies nur möglich, wenn diejenigen, die einen Erfahrungsraum teilen, miteinander ins Gespräch kommen bzw. untereinander sprechen. (Vgl. a.a.O., S. 307) Es werden also in einem »erfahrungsraumtypischen Austausch […] affirmative Bezugnahmen auf Normen sichtbar« (a.a.O., S. 309), die in Interviews nicht bzw. anders geartet kommuniziert werden. Entsprechend schlussfolgern die Autoren, dass »Subjektivierung oder Subjektivation […] sich eben nicht durch einzelne oder isolierte Individuen bzw. durch deren (reflektierende) Positionierung gegenüber diskursi-
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ven Subjektfiguren aus Spezialdiskuren […] [vollzieht], sondern […] in Kollektiven, die eigene normative Standards abbilden (können).« (Ebd.) Dennoch ist mit Blick auf die von mir erhobenen Daten zu fragen, ob sich die Student*innen möglicherweise von der Geltung normativer Anforderungen gegenseitig überzeugen bzw. diese in der Diskussion argumentativ aushandeln, wie die folgende Sequenz zeigt: Sequenz Wenn s ne heile Familie ist funktioniert das (GD1 vor OEP Passage Medienerziehung in Familie und Schule, Zeile 350-375) Tf104: aber ich denk des ist das ist n wichtiger Punkt weil meine Ansicht ist dass es natürlich, natürlich n schwieriges Thema isch aber dass es machbar ist weil ihr alle behauptet hättet es wär überhaupt nicht machbar die Kinder davon (.) hm galso dass die gar nich damit in Berührung Berührung kommen; Tf103: Nee °nee° Tf104: gut das hab ich auch nich gemeint aber, also was ich mein wenn s ne heile Familie ist funktioniert das auch und dann wird es auch funktionieren wie es bei uns war; das ist gut dass du das gesagt hast Tf101: Aber s gibt aber Tf104: mit den Alleinerziehenden oder was weiß ich klar da ist es schwieriger Tf101: ja s gibt halt weniger hei- äh heile Familien; also @wenn wir mal ehrlich sind ähm@ Tf104: Klar; aber Tm101: Mhm. Tf104: Ja: Tf101: da hab ich n Problem mit meinem Ehepartner, gut, dann lass ich mich scheiden; Tf103: Ja Tf101: okay früher waren es, @äh jetzt driften wir voll ab vom Thema aber@ @(.)@ ((die anderen TN lachen mit)) @aber trotzdem@ früher war das halt voll verpönt wenn man sich scheiden lassen hat da hat man sich so zusammengerauft und sich d- wieder dass ne Familie da: ist; und das ist halt heute auch nicht mehr so; Tf103: Ja heute macht man es °(…) Die Sequenz präsentiert ein Aushandeln bzw. den Versuch, sich gegenseitig von den eigenen Argumenten zu überzeugen. Dabei idealisiert Tf104 Vergangenes bzw. die eigene Kindheit, indem sie auf ein idealisiertes, traditionelles Familienbild verweist, in dem die Mutter sich um die Kinder sorgt, und der Vater genügend Geld verdient, um die Familie zu versorgen. Tf101 unterbricht sie und kündigt mit »Aber s gibt aber« eine Divergenz oder zumindest eine Differenzierung an. Bevor Tf101 ihren Einwand einbringen kann, präsentiert Tf104 ihn jedoch selbst: »mit den Alleinerziehenden oder was weiß ich klar da ist es schwieriger…« Die Formulierung »oder was weiß ich« deutet darauf hin, dass sie diesen Aspekt nicht weiter vertiefen möchte, denn das würde die zwischen ihr und den anderen bestehenden Widersprüche wieder in den Vordergrund stellen. Entsprechend unterbricht sie Tf101, als diese versucht, erneut Raum für ihr Argument zu gewinnen: nämlich dass es weniger heile Familien gibt als früher. Der von Tf101 lachend
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gesprochene Zusatz: »also @wenn wir mal ehrlich sind ähm@« ordnet die von Tf104 als Lösung präsentierte heile Familie sogar als Illusion ein bzw. deutet an, dass es die heile Familie, von der Tf104 spricht, so eigentlich nicht mehr gibt. Tf104 versucht dem zu widersprechen, Tm101 stimmt Tf101 zu, die dann weiter ausführt, dass es heute die Regel ist, sich bei Problemen zu trennen, während das früher verpönt gewesen sei, aber auch anmerkt, dass die Diskussion ihrer Ansicht nach das Thema verlässt. Der damit von ihr angesprochene Perspektivwechsel auf das Thema verdeckt, dass die Widersprüche zwischen Tf104 und den anderen eigentlich nicht gelöst wurden. Darüber hinaus war es für mich in der reflektierenden Interpretation der Passagen nicht ohne Weiteres möglich, die Analyseschritte, mit denen ich die normative Subjektfigur mit ihren Dimensionen und den kollektiven Orientierungsrahmen herausgearbeitet habe, sauber voneinander zu trennen. Vielmehr drängten sich in der Rekonstruktion der Subjektfigur immer wieder handlungsleitende Orientierungen auf. Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass sich normative Subjektfiguren vor allem aus Argumentationen und Positionierungen rekonstruieren lassen, während sich davon abgegrenzt handlungsleitende Orientierungen vor allem in Erzählungen und Beschreibungen ausdrücken. Da sich jedoch auch normative Subjektfiguren nicht einfach als explizite Handlungsentwürfe von Akteur*innen einordnen lassen, verwundert es nicht, dass sie auch Erzählungen und Beschreibungen mitstrukturieren: Geht es darum nachzuvollziehen, wie sich in Handlungspraxis auf Erwartungen und Normen bezogen wird, bzw. wie mit diesen umgegangen wird, rückt das kommunikativ-generalisierte Wissen so in den Fokus, dass die klare Trennung zwischen diesem Wissen und dem konjunktiven Wissen zwar nicht aufgehoben wird, kommunikativ-generalisiertes Wissen jedoch als ein Wissen verstanden wird, dass auch implizite Anteile hat. Dabei geht es um kommunikativ-generalisiertes Wissen und die Frage, wie es »die AkteurInnen an[regt], an die implizierte normative Erwartung gemäß ihrer habituellen Dispositionen anzuschließen.« (Amling & Geimer 2016, S. 5) So ist auch der Umgang mit Subjektfiguren nicht als eine reflektierte Entscheidung Einzelner zu verstehen.1 Problematisch erscheint mir daher die Formulierung, in der das Ziel der Analyse gefasst wird: Beschreibung der Relation von normativen Subjektfiguren zu handlungsleitenden Orientierungen. Diese macht deutlich, dass normative Subjektfiguren aus dem Material herauszuarbeiten sind, um ihre Wirkmacht im Orientierungsrahmen beschreiben zu können, aber ruft zugleich die Begleitvorstellung hervor, dass sich normative Subjektfiguren und Orientierungsrahmen wie Pole gegenüberstehen, obwohl Subjektfiguren als ein Bestandteil des Orientierungsrahmens Praxis mitstrukturieren und nicht von außen auf diesen wirken. In dieser Arbeit wird die Wirkmacht der normativen Subjektfigur vor allem über die Konstruktionen deutlich, die der kollektive Orientierungsrahmen hervorbringt: Ihre Beschreibung und Einordnung bestätigt immer wieder die
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Ich danke Alexander Geimer für die Beantwortung meiner Fragen in Bezug auf die Anwendung der Methode zur Auswertung meines Materials und den entscheidenden Hinweis, dass eine formelhafte Anwendung von Vorgehensweisen in der qualitativen Forschung meistens kaum möglich ist; gerade wenn an methodologisch-methodisch relativ neuen Aspekten der Auswertung des Materials sowie der Theoriegenerierung gearbeitet wird.
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Legitimationsfunktion, die die normative Subjektfigur am Kind orientiert handeln für die Individualisierung von Verantwortung und selektierende Praktiken hat.
11. Fazit und Ausblick Louisa* geht nicht mehr in den Hort und organisiert sich nun selbst zuhause mit Lernen. Sie stellt sich den Wecker, damit sie sich ein Zeitgefühl antrainieren kann – halbe Stunde lernen, halbe Stunde Pause. Je nachdem wieviel sie noch lernen muss, und dann hat sie spätestens ab 17 Uhr Zeit zum Spielen und Entspannen. Freunde treffen muss dann geplant werden, und gegebenenfalls weiß sie dann auch, dass sie vorlernen muss. Sie hat sich das Ziel gesetzt, dass sie aufs Gymnasium möchte, und sie weiß, dass man dort selbstständig und bereit sein muss zu lernen und sich zu organisieren. Nachricht einer Mutter in einer ElternWhatsApp-Gruppe einer Hamburger Grundschule, 3. Klasse, *Name geändert
Bei den Student*innen, mit denen ich Gruppendiskussionen geführt habe, lässt sich eine dissoziative Aneignung einer normativen Subjektfigur beobachten; »Bildung als Prozess der Transformation von Selbst- und Weltverhältnissen [wird so] unwahrscheinlich…« (Geimer 2012, S. 236) Eine Ausdifferenzierung der Basistypik ist im vorliegenden Material nicht erkennbar; die normative Subjektfigur legitimiert in allen Gruppendiskussionen selektierende Praktiken und die Individualisierung von Verantwortung. Da dies für alle Gruppendiskussionen zutrifft, lässt sich hier von einem fallübergreifenden Handlungsmuster sprechen, bzw. lassen sich alle »Fälle als Ausdruck derselben Struktur [fassen]…« (Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014, S. 377) Die Relevanz des Handlungsmusters zeigt sich vor allem dadurch, dass es nicht nur medienbezogene Äußerungen der Student*innen strukturiert, sondern auch die Darstellung anderer Themen. Im Kontext der Frage, welche curricularen Inhalte für das Grundschullehramt in Bezug auf das Lernen mit, durch und über digitale Medien in der Grundschule zu fokussieren sind, zeigen die Ergebnisse meiner Arbeit die Notwendigkeit, die handlungslei-
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tende Orientierungen verdeckende und legitimierende Subjektfigur am Kind orientiert handeln in Reflexionsprozessen mit Student*innen zu dekonstruieren. Dies setzt u.a. eine Reflexion derjenigen hegemonialen Deutungsangebote voraus, welche die normative Subjektfigur immer wieder aufs Neue betonen und stärken. Entsprechend würde sich nach Scholz pädagogische Professionalität darin zeigen, dass Pädagog*innen »in der Gesellschaft der Erwachsenen die Ansprüche des von ihnen konstruierten Kindes zur Sprache brächten. Die Legitimation dazu ergibt sich daraus, dass diese Konstruktion nicht willkürlich ist, sondern durchaus als Ergebnis kultureller Entwicklung verstanden werden kann. Gegenstand der Erziehungswissenschaft wäre nicht allein die Erziehungstatsache, sondern die Tatsache einer Abfolge von Generationen.« (Scholz 2001, S. 29) Die Arbeit zeigt, dass die normative Subjektfigur nicht nur eine Abwehr von Lernen mit, durch und über digitale Medien in der Grundschule, sondern auch von kooperativen, kollaborativen und ko-konstruktiven Lernformen und -prozessen bewirkt. In den Fachdiskursen legitimiert wird diese Abwehrhaltung über Medienkompetenzmodelle und Medienbildungsstandards, die auf die Entwicklung individueller Kompetenzen fokussiert sind und die Verantwortung des Einzelnen betonen. So beschreiben Medienkompetenzmodelle vor allem einen Umgang, den jede*r Einzelne mit Medien erreichen sollte, um an aktuellen gesellschaftlichen Strukturen partizipieren zu können. Davon abgeleitete Standards lassen sich als Entwicklungsstufen lesen, aber auch als Legitimierung selektiver Praktiken: Wird ein Standard nicht erreicht, ist der*die Einzeln*e selbst verantwortlich dafür, dass er*sie nicht an Gesellschaft teilhaben kann – selektive Praktiken, die Menschen ausgrenzen, lassen sich so verdecken. Es wäre noch genauer zu klären, um welche gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Interessen es geht. Philip Green stellt hierzu fest: »in liberal societies people generally get what they deserve, or if they don’t they should, and that’s all they should get; and what they deserve is purely and simply a consequence of their own individual character and actions, nothing else.« (Green 1981, S. 167) Green folgend lässt sich so ein Status Quo in einer Gesellschaft legitimieren, die sich als demokratisch und gleichberechtigt präsentiert, in ihrer Praxis aber dem kapitalistischen Ethos systematisierter Ungleichheit folgt. (Vgl. a.a.O., S. 2) Und auch das Paradigma der Individualisierung in der Grundschule, das verlangt, dass ein*e Lehrer*in jedem einzelnen Schüler bzw. jeder einzelnen Schülerin gerecht werden soll, unterstützt die Fokussierung auf den einzelnen Schüler bzw. die einzelne Schülerin und seine/ihre individuelle Leistung. Für die Grundschullehrer*innenbildung stellt sich damit die Frage, ob – und wenn ja wie – es vor diesem Hintergrund möglich ist, neben der Förderung individueller Medienkompetenzen auch gesellschaftliche und politische Zusammenhänge zu thematisieren, denn Bildungsfragen sind auch als Machtfragen einzuordnen. Angesichts der zunehmenden Deutungsmacht von Wirtschaftsunternehmen hinsichtlich der Nutzung digitaler Medien und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung, stellt sich die Frage, wie ein diese Machtfragen erkennendes und verhandelndes Lernen mit, durch und über Medien in einem Lehramtsstudium aussehen könnte. Meine Arbeit führt vor, dass sich Vorstellungen von angehenden Grundschullehrer*innen bzgl. dessen, was und wie mit, durch und über digitale Medien in der Grund-
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schule gelernt werden soll, nicht ohne Weiteres auf ein zunehmendes, kognitiv aufeinander aufbauendes Wissen zurückführen lassen, sondern dass es vor allem Haltungen, Bilder, Wahrnehmungen und vermutlich Affekte sind, die diese Vorstellungen strukturieren, wobei sich hinsichtlich der Affekte vor allem Gefühle von Überforderung und Ängstlichkeit zeigen. Die in der Arbeit nachgewiesene Bedeutung von Selbstverständnissen und Orientierungen von Student*innen wird in medienpädagogischen Diskursen zwar wahrgenommen, aber in Medienbildungsstandards und davon ausgehenden Curricula nicht gefasst. Brück weist bereits im Kontext der Schulreform und der Curriculumdebatte der 60er und 70er Jahre auf dieses Problem hin: »Am Ausgangspunkt all dieser Veränderungen standen die Fragen, was denn Inhalt des schulischen Vermittlungsauftrags sein soll und welche Organisationsform denn dem so gefaßten Vermittlungsauftrag angemessen sei. Im Verlauf und am vorläufigen Ende dieser Veränderungen interessieren die Fragen nach der Effizienz der Organisationsform.« (Brück 1978, S. 10) Damit aber, so Brück, gerät aus dem Blick, »was denn wie und wo vermittelt werden soll«, es gerät aus dem Blick »wer sich wem vermitteln soll.« (Hervorheb. i. Orig., a.a.O., S. 10) Ich plädiere dafür, die Professionalisierung der Student*innen in Bezug auf den Umgang mit Medien in der Grundschule als Teil eines Subjektivierungsprozesses zu verstehen, und dann die Frage zu klären, mit welchen Mitteln sich überholte Professionskonzepte sowie die Konstruktionen von Kindheit im Sinne einer erinnerten Kindheit der Student*innen irritieren ließen. Die Studie von Brüggemann zeigt, dass neben fehlenden Ressourcen und Kompetenzen, die schulische Medienintegration durch grundlegende Orientierungsmuster zum Lehren und Lernen verhindert werden kann. (Vgl. Brüggemann 2013, S. 287) In meiner Arbeit zeige ich, dass es sich dabei nicht nur um grundlegende Orientierungsmuster zum Lehren und Lernen handelt, sondern dass es daneben auch spezifische Konstruktionen von Kind und Kindheit sind, die die medienbezogenen Orientierungen strukturieren. Auch wenn die Student*innen versuchen Medien für den Unterricht immer wieder auf Werkzeuge zu reduzieren, erahnen sie offenbar, was Sesink meint, wenn er schreibt, dass Medien auf einen offenen Raum verweisen (Vgl. Sesink 2008, S. 15), der sich nicht ihrer tendenziell bewahrpädagogischen Haltungen entsprechend kontrollieren lässt. Hier zeigt sich, wie etablierte Schemata zum Problem werden: Die Student*innen brechen ihre routinierte Selbstreflexion ab, die von Modellvorstellungen und veralteten Lehrkonzepten strukturiert wird, da es zu einer Handlungssituation kommt, »die von den Akteuren vor dem Hintergrund ihrer vorhandenen habituellen Dispositionen gar nicht verstanden werden kann, weil ihnen die entsprechenden Schemata der Interpretation fehlen, die Handlungssituation ihnen gewissermaßen so fremd ist, dass sie außerstande sind entsprechende Handlungen zu vollziehen.« (Ebrecht 2002, S. 231) Die Student*innen schreiben Kindern wiederholt mehr Medienkompetenz zu als sich selbst, womit ihr sich aufbauendes, professionelles Selbst gefährlich ins Wanken gerät, da es auf einem Wissensmonopol auf Seiten der Lehrenden basiert; Bildungs- und Lernprozesse werden blockiert, die für die Enwicklung eines neuen, der Komplexität der Problemlage angemesseneren Verständnisses notwendig wären. Stattdessen befreien sich die Student*innen aus der unangenehmen,
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weil überfordernden Handlungssituation, indem sie die Verantwortung auf Eltern und Kinder verschieben. Hier zeigt sich eine Aufgabe zukünftiger erziehungswissenschaftlicher Forschung: sie ist aufgefordert, sich um Deutungsangebote zu bemühen, d.h. wissenschaftlich fundierte Interpretationen anzubieten, mithilfe derer sich die beschriebenen Überforderungskreisläufe auflösen ließen. Noch »fehlt ein empirisch fundiertes Wissen über Prozess und Verlauf von frühen (ästhetischen) Lern- und Bildungsprozessen.« (Schneider 2017, S. 11) Um mehr darüber erfahren zu können, wie der Umgang von Kindern mit digitalen Medien zum Aufbau praktischen Wissens beiträgt, wären sich mit dieser Frage beschäftigende qualitative Studien notwendig. Nur so ließe sich meiner Ansicht nach auch der in medienpädagogischen Diskursen formulierte Anspruch der Lebenswelt- oder besser: Lebensalltagsnähe einlösen, der bisher vor allem verdeckt, »dass nicht von den Erfahrungen der Kinder […] ausgegangen wird, sondern vielmehr von den Vorstellungen, die Erwachsene von diesen haben, von denen ausgehend wiederum Lernziele formuliert werden, die als Erfahrungen von Kindern bezeichnet werden.« (Kulcke 2017, S. 89) Notwendig erscheinen systematische Auseinandersetzungen mit strukturellen Herausforderungen – sowohl in der Forschung als auch im Studium –, die im aktuellen medienpädagogischen Diskurs über die Etablierung von Medienkompetenzmodellen und Medienbildungsstandards zum Problem einzelner Lehrer*innen, Eltern oder Schüler*innen erklärt werden. Diese Zuschreibung ist nicht zuletzt zurückzuführen auf die »in der Modernisierungstheorie verankerte ›Diagnose der ›Wissensgesellschaft‹, [die] […] alle sozialen Akteure darauf fest[legt], sich auf die Aneignung individueller Bildungsressourcen, […] um biografische Chancen auf immer dynamischeren Arbeitsmärkten zu maximieren und Kompetenzen auszubilden, die als Gegengewicht gegen eine verstärkte biografische Unsicherheit fungieren…« (Drucks & Bittlingmayer 2009, S. 241) Meine Studie zeigt, dass die angehenden Grundschullehrer*innen die individuelle Zuschreibung struktureller Probleme als Überforderung wahrnehmen und die Verantwortung dafür abwehren. Im Studium sind digitale Medien daher nicht nur bezüglich ihrer möglichen Effekte auf Lernprozesse in den Blick zu nehmen, sondern es sind die Bildungs- und Subjektivierungsprozesse selbst aufzugreifen, die zu verstehen sind »als eine Form komplexer selbstreflexiver Lern- und Orientierungsprozesse…« (Marotzki & Jörissen 2008, S. 51) Und so geht es nicht um zu erreichende Lernziele und damit Kompetenzen, sondern vielmehr um Prozesse, »in welchen vorhandene Strukturen und Muster der Weltaufforderung durch komplexere Sichtweisen auf Welt und Selbst ersetzt werden…« (Ebd.)
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325
Abbildungen
Abb. 1: Teufelskreislauf fehlender Medienbildung nach Kammerl & Ostermann 2010, S. 48, eigene Darstellung .......................................................................................................... 41 Abb. 2: Idealzyklus der Medienbildung nach Kammerl & Ostermann 2010, S. 50, eigene Darstellung....................................................................................................... 43 Abb. 3: Wirkungen digitaler Medien im Unterricht nach Herzig 2014, S. 10, eigene Darstellung...... 59 Abb. 4: Lernsoftware und Lerntheorien nach Mohr 2003, S. 27, eigene Darstellung .................... 63 Abb. 5: Kompetenz-Standard-Modell nach Tulodziecki, Herzig & Grafe 2010, S. 369, eigene Darstellung....................................................................................................... 90 Abb. 6: Orientierungsrahmen für die Entwicklung von Curricula für medienpädagogische Studiengänge und Studienanteile der Sektion Medienpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, eigene Darstellung ..................................................................... 98 Abb. 7: Vergleich Medienkompetenzmodelle nach Gapski 2001, S. 171, eigene Darstellung ........... 100 Abb. 8: Kompetenzpyramide Virtuelle Medien nach Zylka 2013, S. 38, eigene Darstellung ............ 106 Abb. 9: Kompetenzbereiche und Vertiefungsfächer (vgl. a.a.O., S. 3 )...................................... 123 Abb. 10: Profil Grundbildung Medien (vgl. Trüby 2017, S. 2 ) ................................................... 125 Abb. 11: Konjunktiver Erfahrungsraum nach Bohnsack 2017, S. 103, eigene Darstellung .............. 132 Abb. 12: Erweiterter Teufelskreislauf der Medienbildung – alle Icons CC BY; von links oben nach rechts unten: João Paulo/Noun Project, Gregor Cresnar/Noun Project, LAFS/Noun Project, Gregor Cresnar/Noun Project, LUTFI GANI AL ACHMAD/Noun Project, eragon/Noun Project, fizae/Noun Project, H Alberto Gongora/Noun Project, Humantech/Noun Project, IconPai/Noun Project, Vectors Point/Noun Project und unilimicon/Noun Project. ....................................... 295 Übersicht der geführten Gruppendiskussionen ................................................................. 329 Transkriptionsregeln nach Nohl (vgl. Nohl 2017, S. 123 )....................................................... 330
Anhang
Übersicht der geführten Gruppendiskussionen Name der Gruppe
Teilnehmer*innen
Zeitpunkt im Studium
Dauer Diskussion
GD1 vor OEP
5 x f und 1 x m
Ende erstes Semester (WiSe 14/15)
55:13 min
GD2 nach OEP
5xf
Beginn zweites Semester (SoSe 15)
55:31 min
GD3 vor OEP
2 x f und 2 x m
Ende erstes Semester (SoSe 15)
55:03 min
GD4 nach OEP
2 x f und 2 x m
Beginn zweites Semester (WiSe 15/16)
55:01 min
GD5 vor OEP
2 x f und 2 x m
Ende erstes Semester (SoSe 16)
104:54 min
GD6 nach OEP
2 x f und 2 x m
Beginn zweites Semester (WiSe 16/17)
86:40 min
GD7 vor OEP
4xf
Ende erstes Semester (SoSe 17)
53:57 min
GD8 nach OEP
3xf
Beginn zweites Semester (WiSe 17/18)
60:49 min
GD9 ISP
11 x f
fünftes Semester (WiSe 17/18)
60:01 min
GD10 ISP
7 x f und 1 x m
viertes und fünftes Semester (WiSe 16/17)
44:43 min
GD11 ISP
3xf
fünftes Semester (WiSe 16/17)
72:30 min
330
Kinder. Medien. Kontrolle.
Transkriptionsregeln nach Nohl (vgl. Nohl 2017, S. 123 ) (2) bzw. (.):
Dauer einer Pause in Sekunden, bzw. Pause unter einer Sekunde
vielleicht
betont
vielleicht
laut
°vielleicht°
leise gesprochen
.
stark sinkende Intonation
;
sinkende Intonation
,
schwach sinkende Intonation
Ges-
Abbruch des Wortes
(…)
unverständliche Äußerung
((schluckt))
parasprachliche Ereignisse
@vielleicht@
lachend gesprochen
@(.)@
kurzes Auflachen Überlappung Redebeiträge
Aus den Gruppendiskussionen ausgewählte Passagen • • • • • • • • • • • • • • •
GD1 vor OEP – Passage: Anforderungen Lehrkräfte GD1 vor OEP – Passage: Medienerziehung GD2 nach OEP – Passage: Medieneinsatz im Unterricht GD2 nach OEP – Passage: Smartphonenutzung Lehrkräfte GD3 vor OEP – Passage: Medienbildung GD3 vor OEP – Passage: Problemkinder und Störungen GD4 nach OEP – Passage: Medien im Unterricht GD4 nach OEP – Passage: Störungen GD5 vor OEP – Passage: Themen, die Kinder mit in die Schule bringen GD6 nach OEP – Passage: Medien in der Grundschule GD7 vor OEP – Passage: Medien im Unterricht GD8 nach OEP – Passage: Medien im Unterricht GD9 ISP – Passage: Medienerziehung GD10 ISP – Passage: Medienbildung in der Grundschule GD11 ISP – Passage: Medienerfahrungen im ISP
Pädagogik Kay Biesel, Felix Brandhorst, Regina Rätz, Hans-Ullrich Krause
Deutschland schützt seine Kinder! Eine Streitschrift zum Kinderschutz 2019, 242 S., kart., 1 SW-Abbildung 22,99 € (DE), 978-3-8376-4248-3 E-Book: 20,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4248-7 EPUB: 20,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4248-3
Nadja Köffler, Petra Steinmair-Pösel, Thomas Sojer, Peter Stöger (Hg.)
Bildung und Liebe Interdisziplinäre Perspektiven 2018, 412 S., kart., 11 SW-Abbildungen 39,99 € (DE), 978-3-8376-4359-6 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4359-0
Monika Jäckle, Bettina Wuttig, Christian Fuchs (Hg.)
Handbuch Trauma – Pädagogik – Schule 2017, 726 S., kart., 13 SW-Abbildungen 39,99 € (DE), 978-3-8376-2594-3 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2594-7
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Pädagogik Jasmin Donlic, Elisabeth Jaksche-Hoffman, Hans Karl Peterlini (Hg.)
Ist inklusive Schule möglich? Nationale und internationale Perspektiven 2019, 312 S., kart., Dispersionsbindung, 11 SW-Abbildungen 29,99 € (DE), 978-3-8376-4312-1 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4312-5
Sybille Wiescholek
Textile Bildung im Zeitalter der Digitalisierung Vermittlungschancen zwischen Handarbeit und Technisierung 2019, 258 S., kart., Dispersionsbindung, 53 SW-Abbildungen 39,99 € (DE), 978-3-8376-4687-0 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4687-4
Ina Henning, Sven Sauter, Katharina Witte (Hg.)
Kreativität grenzenlos!? Inner- und außerschulische Expertisen zu inklusiver Kultureller Bildung 2019, 194 S., kart., 20 SW-Abbildungen, 6 Farbabbildungen 29,99 € (DE), 978-3-8376-4350-3 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4350-7
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de