Kants Philosophie des Schönen: Eine kommentarische Interpretation zu den §§ 1-22 der Kritik der Urteilskraft 9783495825440, 9783495492239


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Einleitung
I. Das Erste Moment des Schönen: Qualität. Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Ersten Moments
§ 1 Das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil
1.1 Zur Definition des Geschmacks
1.2 Der ästhetische Charakter des Geschmacksurteils
1.2.1 Subjektive und objektive Beziehungen von Vorstellungen
1.2.2 Das logische Subjekt im ästhetischen Urteil
1.2.3 Das Prädikat im ästhetischen Urteil
1.2.4 Die beteiligten Vermögen
1.3 Zur Definition des ästhetischen Urteils
1.4 Ein Argument für den ästhetischen Charakter des Geschmacksurteils?
1.5 Die Subjektivität des Geschmacksurteils
1.6 Der zweite Absatz von § 1: Kleinere Diskussionskontexte
1.7 Zusammenfassung
1.8 Literaturbericht
§ 2 Die Uninteressiertheitsthese
2.1 Zum Begriff der Lust in der KU
2.2 Zum Begriff des Interesses
2.2.1 Die Begehrensbedingung des Interesses
2.2.2 Die Existenzbedingung
2.3 Die Uninteressiertheitsthese (UT)
2.3.1 Die erste Bedeutung der Uninteressiertheitsthese: Eine unmittelbare Lust an der Reflexion
2.3.2 Die zweite Bedeutung der Uninteressiertheitsthese: Eine (mittelbare) Lust an der Form
2.3.3 Ästhetische Erfahrung und ästhetische Einstellung
2.3.4 Die Fußnote: Warum das Schöne nicht interessant ist
2.4 Eine Begründung für UT
2.4.1 Das gefühlte Faktum der uninteressierten Lust .
2.4.2 Doch ein Argument für die Uninteressiertheitsthese?
2.4.3 Das Palast- Beispiel
2.5 Zusammenfassung
2.6 Literaturbericht
Grundlagen 1: Zum phänomenalen Gehalt der Lust am Schönen
G1.1 Zum phänomenalen Gehalt der Lust im Allgemeinen
G1.2 Die phänomenalen Komponenten der Lust am Schönen
G1.2.1 Uninteressiertheit
G1.2.2 Freiheit
G1.2.3 Allgemeingültigkeit
G1.2.4 Das Bewusstsein des Prinzips a priori der Urteilskraft
G1.3 Die Lust am Schönen als komplexes Gefühl
G1.4 Phänomenologie und Transzendentalphilosophie?
G1.5 Literaturbericht
§ 3 Eine Theorie des Angenehmen
3.1 Zur Definition des Angenehmen
3.1.1 Zwei Formen der Lust am Angenehmen
3.1.2 Objektive und subjektive Empfindungen
3.1.3 Ein mögliches Missverständnis bezüglich der Definition des Angenehmen
3.2 Die These: Die Lust am Angenehmen ist ein Interesse
3.3 Ein Argument für den interessierten Charakter der Lust am Angenehmen
3.3.1 Der erste Teil der Begründung
3.3.2 Der zweite Teil der Begründung
3.4 Kleinere Diskussionskontexte
3.4.1 Zur Lust am Angenehmen als Vergnügen
3.4.2 Eine erste Abgrenzung von der Lust am Schönen
3.5 Zusammenfassung
3.6 Literaturbericht
§ 4 Eine Theorie des Guten
4.1 Eine Definition des Guten: Das Gute allgemein, das Nützliche und das moralisch Gute
4.1.1 Die Lust am Guten als gefühltes Wollen und das Gefühl des Lebens
4.2 Die beiden Arten des Guten
4.2.1 Das Nützliche
4.2.2 Das moralisch Gute
4.3 Die These: Die Lust am Guten ist eine Form von Interesse
4.4 Ein Argument für den interessierten Charakter der Lust am Guten
4.5 Eine erste Abgrenzung der Lust am Guten von der Lust am Angenehmen und Schönen
4.5.1 Eine (antizipierte) Abgrenzung anhand der Begriffslosigkeitsthese
4.5.2 Eine mögliche Verwechslung des Angenehmen mit dem Guten
4.5.3 Zu den Beispielen für die Unterscheidung des Angenehmen vom Guten
4.5.4 Glückseligkeit als potenzielles höchstes Gut
4.6 Das Urteil über das Gute
4.7 Zusammenfassung
4.8 Literaturbericht
§ 5 Ein Vergleich der drei Arten von Lust und die Freiheitsthese
5.1 Abgrenzung des Schönen vom Angenehmen und Guten mittels der Uninteressiertheit
5.2 Die Erweiterung der Begriffslosigkeitsthese
5.3 Begriffliche Differenzierungen innerhalb der verschiedenen Formen der Lust
5.3.1 Pathologisch-bedingte und reine praktische Lust
5.3.2 Vergnügen, bloßes Gefallen und Schätzung
5.4 Kants klassifikatorische These
5.5 Die Freiheitsthese (FT)
5.5.1 Die Unfreiheit der Lust am Angenehmen und Guten
5.5.2 Die Bedeutung der Freiheitsthese auf der Ebene der Lust
5.5.3 Eine Begründung der Freiheitsthese?
5.5.4 Die phänomenologische Bedeutung der Freiheitsthese
5.5.5 Die Bedeutung der Freiheitsthese auf der Grundlagenebene des freien Spiels
5.6 Kleinere Diskussionskontexte
5.6.1 Eine dritte begriffliche Differenzierung der drei Arten von Lust
5.6.2 Die Lust am moralisch Guten und der sittliche Geschmack
5.7 Zusammenfassung
5.8 Literaturbericht
Die Erste Erklärung des Schönen
E1.1 Eine (zweite) Definition des Geschmacks
E1.2 Der Begriff des Schönen
E1.3 Das Missfallen ohne alles Interesse und das Hässliche
E1.4 Literaturbericht
II. Das Zweite Moment des Schönen: Quantität. Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Zweiten Moments
§ 6 Allgemeinheit und Begriffslosigkeit der Lust am Schönen
6.1 Die Allgemeingültigkeitsthese (AT)
6.1.1 Die Allgemeingültigkeitsthese der Lust am Schönen
6.1.2 Die Begriffslosigkeitsthese der Lust am Schönen
6.1.3 Die Allgemeingültigkeitsthese des Geschmacksurteils
6.1.4 Die Begriffslosigkeitsthese des Geschmacksurteils
6.2 Ein Argument für die Allgemeingültigkeitsthese
6.2.1 Die Allgemeingültigkeitsthese als Folgerung aus der Uninteressiertheitsthese
6.2.2 Ein Argument aus der Unabhängigkeit von Neigungen
6.2.3 Ein Argument aufgrund der Freiheit der Lust
6.2.4 Zum phänomenalen Bewusstsein der Allgemeingültigkeit
6.2.5 Weitere mögliche Argumente für die Allgemeingültigkeitsthese
6.2.6 Kann es eine partikular gültige Lust geben?
6.3 Ein Argument für die Begriffslosigkeitsthese
6.4 Ein ästhetisches Urteil unter dem Deckmantel eines logischen Urteils
6.5 Zusammenfassung
6.6 Literaturbericht
§ 7 Die (subjektive) Quantität des Angenehmen, Schönen und Guten
7.1 Zur Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen
7.1.1 Die Lust am Angenehmen ist bloß privatgültig
7.1.2 Eine Begründung der These über die Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen
7.1.3 Der Grundsatz ›Ein jeder hat seinen eigenen Geschmack (der Sinne)‹
7.1.4 Beispiele für Urteile über das Angenehme
7.2 Zur Gegenüberstellung des Schönen und des Angenehmen
7.2.1 Eine Antizipation der Antinomie des Geschmacks
7.2.2 Die richtige Form des Geschmacksurteils
7.3 Generale und universale Regeln sowie komparative und strenge Allgemeinheit
7.4 Zur Abgrenzung des Schönen vom Guten anhand des Kriteriums der Allgemeingültigkeit
7.5 Zusammenfassung
§ 8 Vier Arten von Allgemeinheit und die Idee einer allgemeinen Stimme
8.1 Vier Arten von Allgemeinheit
8.1.1 Bisher identifizierte Formen der Allgemeinheit
8.1.2 Objektive und subjektive sowie logische und ästhetische Allgemeinheit
8.1.3 Anwendung der Begrifflichkeiten auf das logische Urteil und das Geschmacksurteil
8.1.4 Zur objektiven Quantität des Geschmacksurteils
8.1.5 Zur Möglichkeit von objektiv allgemeinen Urteilen über das Schöne
8.1.6 Zur objektiven und subjektiven Quantität beim Angenehmen, Schönen und Guten
8.2 Die Idee einer allgemeinen Stimme
8.2.1 Zur Allgemeinheit beim Schönen als Problem für die Transzendentalphilosophie
8.2.2 Zur allgemeinen Stimme als erste Antwort der Transzendentalphilosophie
8.3 Zur Epistemologie des Geschmacksurteils
8.4 Zusammenfassung
8.5 Literaturbericht
§ 9 Das freie und harmonische Spiel der Erkenntniskräfte
9.1 Einordnung in die Struktur der Analytik des Schönen
9.2 Die Fragestellung
9.3 Die Argumentation
9.3.1 Der erste Argumentationsschritt
Einschub: Allgemeine Mitteilbarkeit
9.3.2 Der zweite Argumentationsschritt
9.3.3 Der dritte Argumentationsschritt
9.3.4 Der vierte Argumentationsschritt
9.3.5 Der fünfte Argumentationsschritt
9.3.6 Der sechste Argumentationsschritt
9.4 Die abschließende Beantwortung der Frage
9.5 Eine Lösung des Paradoxes von Allgemeingültigkeit und Begriffslosigkeit?
9.6 Zur Beantwortung der ›minderen Frage‹
9.6.1 Die Formulierung der minderen Frage
9.6.2 Die Antwort auf die mindere Frage
9.6.3 Belebung, Lust und Lebensgefühl
9.7 Zusammenfassung
9.8 Literaturbericht
Grundlagen 2: Beurteilung, Urteilsfällung und Geschmacksurteil
G2.1 Zur Urteilsfällung beim Urteil über das Angenehme
G2.1.1 Ist die Lust am Angenehmen intentional oder opak?
G2.1.2 Erfordert das Urteil über das Angenehme eine Aktivität der Urteilsfällung?
G2.2 Zur Urteilsfällung bei Urteilen über das Schöne
G2.2.1 Ist die Lust am Schönen intentional oder opak?
G2.2.2 Eine oder zwei Beurteilungsaktivitäten?
G2.3 Literaturbericht
Die Zweite Erklärung des Schönen
III. Das Dritte Moment des Schönen: Relation Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Dritten Moments
§ 10 Begriffsklärungen: Zweck, Zweckmäßigkeit und Zweckmäßigkeit ohne Zweck
10.1 Zur Begriffsbestimmung von »Zweck« und »Zweckmäßigkeit«
10.1.1 Zur Begriffsbestimmung von »Zweck«
10.1.2 Zur Begriffsbestimmung von »Zweckmäßigkeit«
10.1.3 Arten der Zweckmäßigkeit
10.1.4 Zur Begriffsbestimmung von »Lust«
10.2 Warum es eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck geben kann
10.2.1 Zur Zweckmäßigkeit ohne Zweck als epistemische Grundannahme
10.2.2 Zur manifesten subjektiven ZM ohne Zweck
10.3 Zusammenfassung
10.4 Literaturbericht
§ 11 Zur Zweckmäßigkeit ohne Zweck als Grundlage des Geschmacksurteils
11.1 Die These
11.2 Argumentation: Warum dem Geschmacksurteil kein Zweck zugrunde liegen kann
11.2.1 Dem Geschmacksurteil liegt kein subjektiver Zweck zugrunde
11.2.2 Dem Geschmacksurteil liegt kein objektiver Zweck zugrunde
11.3 Argumentation: Warum dem Geschmacksurteil eine Zweckmäßigkeit zugrunde liegt
11.3.1 Warum das Geschmacksurteil überhaupt auf einer Zweckmäßigkeit beruht
11.3.2 Zur Zweckmäßigkeit ohne Zweck als Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils
11.4 Zusammenfassung
11.5 Literaturbericht
Grundlagen 3: Das subjektive Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft
G3.1 Der Inhalt des subjektiven Prinzips a priori der reflektierenden Urteilskraft
G3.2 Zur Anwendung des Prinzips a priori im Allgemeinen
G3.3 Wie findet das Prinzip a priori im Geschmacksurteil Anwendung?
G3.4 Konsequenzen für die ästhetische Einstellung
G3.5 Inwiefern entspringt das Prinzip a priori einem Akt der Heautonomie?
G3.6 Literaturbericht
§ 12 Dem Geschmacksurteil liegt das subjektive Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft zugrunde
12.1 Die These
12.2 Die Ursache einer Lust kann nicht a priori erkannt werden
12.3 Der Entstehungskontext der Lust am moralisch Guten
Exkurs: Ein alternatives Modell der Achtung
12.4 Der Entstehungs- und Erhaltungskontext der Lust am Schönen
12.5 Die Kausalität der Lust selbst, die Verweilensbedingung und die Präsenzbedingung
12.6 Zusammenfassung
12.7 Literaturbericht
§ 13 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils: Zur Unabhängigkeit von Reiz und Rührung (die Formthese)
13.1 Terminologische und sprachliche Vorüberlegungen
13.1.1 Ein Wechsel des kantischen Sprachduktus?
13.1.2 Zu den Begriffen »Reiz« und »Rührung«
13.2 Die Ausgangsthese
13.2.1 Zur Unabhängigkeit von Reizen
13.2.2 Zur Reinheit des Geschmacksurteils
13.3 Ein Argument für die Unabhängigkeit von Reizen
13.4 Zur Zweckmäßigkeit beim Angenehmen
13.5 Die Formthese (FMT)
13.5.1 Die Bedeutung der Formthese
13.5.2 Eine Begründung für die Formthese
13.6 Zusammenfassung
13.7 Literaturbericht
§ 14 Die Rolle von Reizen und Empfindungen in Geschmacksurteilen
14.1 Empirische und reine ästhetische Urteile
14.2 Zwei mögliche Missverständnisse
14.2.1 Erstes Missverständnis: Ein Reiz ist für Schönheit hinreichend
14.2.2 Zweites Missverständnis: Reize können die Schönheit erhöhen
14.3 Eine Theorie der Farben und Töne
14.4 Anwendung der Formthese auf die verschiedenen Künste
14.5 Zur Rolle von Parerga
14.6 Abgrenzung des Schönen von der Rührung
14.7 Zusammenfassung
14.8 Literaturbericht
§ 15 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils: Zur Unabhängigkeit von der Vollkommenheit
15.1 Vorüberlegung: Baumgartens Ästhetik als Gegenstand der Kritik
15.2 Abgrenzung des Schönen von der objektiven Zweckmäßigkeit allgemein
15.3 Zur Abgrenzung des Schönen vom Nützlichen
15.4 Zum Begriff der Vollkommenheit
15.4.1 Der Begriff der Vollkommenheit
15.4.2 Qualitative und quantitative Vollkommenheit
15.5 Abgrenzung des Schönen von der Vollkommenheit
15.5.1 Es kann keine Erkenntnis einer objektiven ZM ohne Zweck geben
15.5.2 Es kann kein ästhetisches Urteil über eine materiale Vollkommenheit geben
15.5.3 Ein Widerspruch bezüglich der Vermögensaktivitäten
15.6 Zusammenfassung
15.7 Literaturbericht
§ 16 Reine versus angewandte Geschmacksurteile
16.1 Freie und anhängende Schönheiten
16.1.1 Zu den Konzeptionen der freien und anhängenden Schönheit
16.1.2 Objekt- oder Subjektabhängigkeit des Status als freie oder anhängende Schönheit
16.2 Reine versus angewandte Geschmacksurteile
16.3 Vor- und Nachteile des angewandten Geschmacksurteils
16.4 Zur Möglichkeit der Abstraktion von Zweckbegriffen
16.5 Zusammenfassung
16.6 Literaturbericht
§ 17 Das (menschliche) Ideal der Schönheit
17.1 Einleitende Vorüberlegungen
17.1.1 Zur Unmöglichkeit einer objektiven Geschmacksregel
17.1.2 Zur Empirie der Allgemeingültigkeit
17.2 Der erste Teil der Argumentation: Das allgemeine Ideal der Schönheit
17.2.1 Es gibt Muster des Geschmacks
17.2.2 Muster des Geschmacks dienen der eigenen Beurteilung
17.2.3 Das höchste Muster des Geschmacks ist eine Idee
17.2.4 Das höchste Muster des Geschmacks ist keine Idee, sondern ein Ideal
17.2.5 Das Ideal der Schönheit ist ein Ideal der Einbildungskraft
17.3 Der zweite Teil der Argumentation: Das konkrete Ideal der Schönheit
17.3.1 Ein Ideal der Schönheit ist nur im Rahmen einer anhängenden Schönheit möglich
17.3.2 Ein Ideal der Schönheit setzt den Begriff a priori eines Zwecks voraus
17.3.3 Nur der Mensch als Zweck an sich selbst ist eines Ideals der Schönheit fähig
17.3.4 Der Zweck des Menschen ist durch eine Normalidee und eine Vernunftidee festgelegt
17.3.5 Das Ideal der Schönheit beruht nicht (wesentlich) auf der Normalidee
17.3.6 Das Ideal der Schönheit besteht im Menschen als Ausdruck sittlicher Ideen
17.4 Zusammenfassung
17.5 Literaturbericht
Grundlagen 4: Das schöne Objekt
G4.1 Unwesentliche Eigenschaften in Bezug auf Schönheit
G4.2 Wesentliche, aber unbestimmte Eigenschaften in Bezug auf Schönheit
G4.3 Können wir einen schönen Gegenstand imaginieren?
Die Dritte Erklärung des Schönen
E3.1 Zum Inhalt der Dritten Erklärung
E3.2 Ein möglicher Einwand
IV. Das Vierte Moment des Schönen: Modalität. Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Vierten Moments
§ 18 Die exemplarische Notwendigkeit des Geschmacksurteils
18.1 Mögliche, wirkliche und notwendige Lust
18.1.1 Zur Möglichkeit der epistemischen Lust
18.1.2 Zur Wirklichkeit der Lust am Angenehmen
18.1.3 Zur Notwendigkeit der Lust am Schönen
18.2 Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils
18.3 Zur Charakterisierung der spezifischen Notwendigkeit des Geschmacksurteils
18.3.1 Zur theoretischen objektiven Notwendigkeit der Lust
18.3.2 Zur praktischen Notwendigkeit der Lust
18.3.3 Keine apodiktische und keine empirische Notwendigkeit
18.3.4 Zur exemplarischen Notwendigkeit
18.4 Zum Bewusstsein der Notwendigkeit
18.5 Zusammenfassung
18.6 Literaturbericht
§ 19 Die subjektive und bedingte Notwendigkeit des Geschmacksurteils
19.1 Der Sollensanspruch des Geschmacksurteils
19.2 Zur subjektiven Notwendigkeit
19.2.1 Zur Bedeutung der subjektiven Notwendigkeit
19.2.2 Ein Argument für die Subjektivität der Notwendigkeit
19.3 Zur bedingten Notwendigkeit
19.3.1 Zur Bedeutung der bedingten Notwendigkeit des Geschmacksurteils
19.3.2 Ein Argument für die Bedingtheit der Notwendigkeit?
19.4 Erste Hinweise auf den Gemeinsinn und ein epistemisches Problem
19.5 Zusammenfassung
19.6 Literaturbericht
§ 20 Der ästhetische Gemeinsinn als Bedingung der Notwendigkeit
20.1 Zum subjektiven Prinzip des Geschmacksurteils
20.1.1 Die bisherige Charakterisierung der Notwendigkeit des Geschmacksurteils
20.1.2 Zum Begriff des Prinzips
20.1.3 Geschmacksurteile haben kein objektives Prinzip
20.1.4 Geschmacksurteile müssen ein Prinzip haben
20.1.5 Geschmacksurteile haben ein subjektives Prinzip
20.2 Zum Gemeinsinn
20.2.1 Zum Gemeinsinn als Sinn
20.2.2 Zur Gemeinschaftlichkeit des Gemeinsinns
20.2.3 Zum Gemeinsinn als Idee
20.3 Der Gemeinsinn als subjektives Prinzip des Geschmacksurteils
20.4 Zusammenfassung
20.5 Literaturbericht
Grundlagen 5: Der gefühlte Syllogismus des Geschmacks
G5.1 Zur Rolle der Grundsätze des reinen Verstandes für Erfahrungsurteile
G5.2 Zum Gemeinsinn als Obersatz eines quasi-Syllogismus
G5.3 Ein Einwand
G5.4 Zum Status des Geschmacksurteils als synthetisches Urteil a priori
G5.5 Literaturbericht
§ 21 Eine Deduktion des ästhetischen Gemeinsinns?
21.1 Zur Ausgangsfrage und ein Problemaufriss
21.2 Die Argumentation
21.2.1 Erkenntnisse und Urteile müssen sich allgemein mitteilen lassen
21.2.2 Die subjektive Bedingung der Erkenntnis muss sich allgemein mitteilen lassen
21.2.3 Die Stimmung der Erkenntniskräfte hat eine verschiedene Proportion
21.2.4 Eine zur Belebung zuträglichste Proportion ist möglich
21.2.5 Das zur Belebung zuträglichste Verhältnis kann nur durch das Gefühl bestimmt werden
21.2.6 Die allgemeine Mitteilbarkeit eines Gefühls setzt einen Gemeinsinn voraus
21.3 Die Konklusion: Der Gemeinsinn als Hypothese
21.4 Zum schönen Objekt und zur Gemeinschaftlichkeit des Gemeinsinns
21.5 Zusammenfassung
21.6 Literaturbericht
Grundlagen 6: Die Deduktion des Gemeinsinns und die zwei Prinzipien der Urteilskraft
G6.1 Zur Deduktion des Gemeinsinns
G6.2 Eine Parallele zur KpV
G6.3 Zwei Prinzipien?
G6.4 Literaturbericht
§ 22 Der Status des Gemeinsinns zum Ende der Analytik des Schönen
22.1 Eine Zusammenstellung der Thesen zur Notwendigkeit
22.2 Zur objektiven Notwendigkeit des Geschmacksurteils
22.3 Ein epistemisches Problem
22.4 Zum Status des Gemeinsinns zum Ende der Analytik
22.4.1 Zum Gemeinsinn als konstitutives Prinzip
22.4.2 Zum Gemeinsinn als regulatives Prinzip
22.4.3 Warum der Gemeinsinn ein konstitutives Prinzip sein muss
22.5 Zur Aufgabe der Analytik des Schönen
22.6 Zusammenfassung
22.7 Literaturbericht
Grundlagen 7: Hat das Hässliche einen Platz in Kants Theorie des Schönen?
G7.1 Warum es das Hässlichen geben muss
G7.2 Warum es ein genuin Hässliches nicht geben kann
G7.2.1 Zu den Charakteristika der Unlust am Hässlichen
G7.2.2 Zur vermögenstheoretischen Grundlage der Unlust am Hässlichen
G7.3 Ist das Hässliche das Erhabene?
G7.4 Gibt es also für Kant kein Hässliches?
G7.5 Literaturbericht
Die Vierte Erklärung des Schönen
Fazit
Literaturverzeichnis
Siglenverzeichnis
Literatur
Personenregister
Sachregister
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Kants Philosophie des Schönen: Eine kommentarische Interpretation zu den §§ 1-22 der Kritik der Urteilskraft
 9783495825440, 9783495492239

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Larissa Berger

Kants Philosophie des Schönen Eine kommentarische Interpretation zu den §§ 1–22 der Kritik der Urteilskraft

ALBER SYMPOSION

https://doi.org/10.5771/9783495825440

.

B

SYMPOSION

A

https://doi.org/10.5771/9783495825440 .

SYMPOSION PHILOSOPHISCHE SCHRIFTENREIHE BEGRÜNDET VON MAX MÜLLER, BERNHARD WELTE, ERIK WOLF HERAUSGEGEBEN VON CHRISTOPH HALBIG, JÖRN MÜLLER Band 140

https://doi.org/10.5771/9783495825440 .

Larissa Berger

Kants Philosophie des Schönen Eine kommentarische Interpretation zu den §§ 1–22 der Kritik der Urteilskraft

Verlag Karl Alber Baden-Baden https://doi.org/10.5771/9783495825440 .

Larissa Berger Kant’s Philosophy of Beauty A commentary on §§ 1–22 of the Critique of Judgment Kant’s Critique of Judgment is a difficult and highly disputed piece of philosophy. This also holds true for its first part – the Analytic of the Beautiful. In this commentary it is investigated what beauty is for Kant, what his theses, for instance on beauty’s disinterestedness and universality, mean and how these theses are inferred. Therefore, Kant’s theses, definitions and arguments are analyzed and reconstructed in a clear and comprehensive manner. The overall aim is to provide the reader with a better understanding of Kant’s theory of beauty as a whole and in detail. The author: Larissa Berger studied philosophy and music at the University of Siegen, where she completed her doctorate with this Karl Alber Prize-winning thesis on Kant’s philosophy of the beautiful. She is currently a fellow at Hannover Institute for Philosophical Research and works on the topic of moral perception. Her research focuses on Kantian studies, aesthetics, metaethics and the philosophy of perception. Stays abroad took her to Northwestern University (Illinois), Institut Jean Nicod (Paris) and Massachusetts Institute of Technology (Boston). Together with Elke E. Schmidt, she is the editor of the Kleines Kant-Lexikon (utb, 2018).

https://doi.org/10.5771/9783495825440 .

Larissa Berger Kants Philosophie des Schönen Eine kommentarische Interpretation zu den §§ 1–22 der Kritik der Urteilskraft Kants Kritik der Urteilskraft ist ein schwieriger und umstrittener Text. Dies gilt auch für den ersten Teilabschnitt – die Analytik des Schönen. Der vorliegende Kommentar geht den Fragen nach, was Kant unter Schönheit versteht, was seine Thesen etwa zur Interesselosigkeit und Allgemeingültigkeit des Schönen bedeuten und wie er diese argumentativ herleitet. Dazu werden Kants Thesen, Definitionen und Argumente klar analysiert und rekonstruiert. Ziel ist es, den Leser*innen ein besseres Verständnis der Kantischen Schönheitstheorie in Gänze und im Detail zu verschaffen. Die Autorin: Larissa Berger studierte Philosophie und Musik an der Universität Siegen, wo sie mit der vorliegenden, mit dem Karl Alber-Preis ausgezeichneten Arbeit zu Kants Philosophie des Schönen promovierte. Derzeit ist sie Fellow am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover und arbeitet zum Thema der moralischen Wahrnehmung. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Kantforschung, der Ästhetik, der Metaethik und der Philosophie der Wahrnehmung. Auslandsaufenthalte führten sie an die Northwestern University (Illinois), ans Institut Jean Nicod (Paris) und ans Massachusetts Institute of Technology. Gemeinsam mit Elke E. Schmidt ist sie Herausgeberin des Kleinen Kant-Lexikons (utb, 2018).

https://doi.org/10.5771/9783495825440 .

© Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Zgl.: Dissertation an der Universität Siegen 2019

© VERLAG KARL ALBER – ein Verlag in der Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2022 Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Satz: SatzWeise, Bad Wünnenberg Gesamtverantwortung für Druck und Herstellung bei der Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei) Printed on acid-free paper

www.verlag-alber.de ISBN 978-3-495-49223-9 (Print) ISBN 978-3-495-82544-0 (ePDF)

https://doi.org/10.5771/9783495825440 .

Man sieht hier leicht, daß Lust oder Unlust, weil sie keine Erkenntnißarten sind, für sich selbst gar nicht können erklärt werden, und gefühlt, nicht eingesehen werden wollen; […]. Immanuel Kant, Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft, 232

https://doi.org/10.5771/9783495825440 .

https://doi.org/10.5771/9783495825440 .

Inhalt

Vorwort und Dank

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

I.

Das Erste Moment des Schönen: Qualität

Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Ersten Moments . .

51

§ 1 Das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil . . . . . .

56

§ 2 Die Uninteressiertheitsthese

. . . . . . . . . . . . . . . 111

Grundlagen 1: Zum phänomenalen Gehalt der Lust am Schönen . § 3 Eine Theorie des Angenehmen

180

. . . . . . . . . . . . . . 205

§ 4 Eine Theorie des Guten . . . . . . . . . . . . . . . . . .

241

§ 5 Ein Vergleich der drei Arten von Lust und die Freiheitsthese

283

Die Erste Erklärung des Schönen

. . . . . . . . . . . . . . . 327

II. Das Zweite Moment des Schönen: Quantität Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Zweiten Moments

. 339

§ 6 Allgemeinheit und Begriffslosigkeit der Lust am Schönen . .

344

§ 7 Die (subjektive) Quantität des Angenehmen, Schönen und Guten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

398

§ 8 Vier Arten von Allgemeinheit und die Idee einer allgemeinen Stimme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

428

§ 9 Das freie und harmonische Spiel der Erkenntniskräfte . . .

470

Kants Philosophie des Schönen

A

https://doi.org/10.5771/9783495825440 .

9

Inhalt

Grundlagen 2: Beurteilung, Urteilsfällung und Geschmacksurteil .

534

Die Zweite Erklärung des Schönen . . . . . . . . . . . . . . .

549

III. Das Dritte Moment des Schönen: Relation Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Dritten Moments . .

555

§ 10 Begriffsklärungen: Zweck, Zweckmäßigkeit und Zweckmäßigkeit ohne Zweck . . . . . . . . . . . . . . .

564

§ 11 Zur Zweckmäßigkeit ohne Zweck als Grundlage des Geschmacksurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

625

Grundlagen 3: Das subjektive Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

657

§ 12 Dem Geschmacksurteil liegt das subjektive Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft zugrunde . . . . . . . . .

691

§ 13 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils: Zur Unabhängigkeit von Reiz und Rührung (die Formthese) .

730

§ 14 Die Rolle von Reizen und Empfindungen in Geschmacksurteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

759

§ 15 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils: Zur Unabhängigkeit von der Vollkommenheit

. . . . . . . 798

§ 16 Reine versus angewandte Geschmacksurteile . . . . . . . .

837

§ 17 Das (menschliche) Ideal der Schönheit . . . . . . . . . . .

884

Grundlagen 4: Das schöne Objekt . . . . . . . . . . . . . . .

942

Die Dritte Erklärung des Schönen . . . . . . . . . . . . . . .

957

IV. Das Vierte Moment des Schönen: Modalität

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Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Vierten Moments . .

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§ 18 Die exemplarische Notwendigkeit des Geschmacksurteils .

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Inhalt

§ 19 Die subjektive und bedingte Notwendigkeit des Geschmacksurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1029 § 20 Der ästhetische Gemeinsinn als Bedingung der Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1057 Grundlagen 5: Der gefühlte Syllogismus des Geschmacks . . . . 1091 § 21 Eine Deduktion des ästhetischen Gemeinsinns?

. . . . . . 1111

Grundlagen 6: Die Deduktion des Gemeinsinns und die zwei Prinzipien der Urteilskraft . . . . . . . . . . . . 1156 § 22 Der Status des Gemeinsinns zum Ende der Analytik des Schönen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1171 Grundlagen 7: Hat das Hässliche einen Platz in Kants Theorie des Schönen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1201 Die Vierte Erklärung des Schönen . . . . . . . . . . . . . . . 1223 Fazit

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1227

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1231 Personenregister

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1247

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1251 Umfassendes Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . 1271

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Vorwort und Dank

Am Anfang meiner Auseinandersetzung mit Kants Analytik des Schönen stand nicht mehr und nicht weniger als eine große Neugierde und ein Drang, mehr zu verstehen: Was bedeutet das, was da steht? Wie begreift Kant das Phänomen der Schönheit, das uns doch allen, die wir Schönheit erleben (oder wenigstens zu erleben meinen), so vertraut zu sein scheint? Auf den ersten Blick schien beides durchaus disparat: Auf der einen Seite stand unser bzw. mein eigenes phänomenal reiches und unmittelbares Erleben von Schönheit – etwa beim Betrachten von Gemälden oder beim Hören von Musik; auf der anderen Seite standen eher technische und abstrakte Formulierungen wie »freies und harmonisches Spiel der Erkenntniskräfte« oder »subjektive Zweckmäßigkeit ohne Zweck«. Und so war es auch mein Ziel, oder jedenfalls meine Hoffnung, durch eine intensive Beschäftigung mit dem kantischen Text die Welten der unmittelbaren ästhetischen Erfahrungen und der kantischen Schönheitstheorie einander ein Stück weit anzunähern. Nun scheint eine detaillierte und penible Textanalyse dem unmittelbaren und bisweilen unbedarften Erleben von Schönheit nicht minder fern zu sein, als der kantische Text selbst. Und dennoch, so meine Überzeugung, können wir uns gerade durch eine solche Textanalyse – das, was Dieter Schönecker »kommentarische Interpretation« genannt hat – dem Text sinnvoll nähern und ihn dadurch gleichsam nahbar machen. Und vielleicht, so die Hoffnung, verstehen wir dann am Ende nicht nur besser, was uns der Text der Analytik des Schönen sagt, sondern bekommen auch ein Gefühl dafür, welche Erfahrungen von Schönheit Kant beschreibt und analysiert. Und möglicherweise lässt sich der kantische Text dann auch insgeheim als eine Aufforderung begreifen, uns für spezifische Schönheitserfahrungen zu öffnen. Den angedeuteten kommentarischen Zugang zu Texten und zur Sprache habe ich, wie so vieles mehr, meinem Doktorvater Dieter Kants Philosophie des Schönen

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Vorwort und Dank

Schönecker zu verdanken. Ich danke ihm für unzählige kontroverse, doch stets konstruktive Diskussionen, seine geduldige Beharrlichkeit, und vor allem sein großes Vertrauen in dieses Projekt und meine Arbeit als Philosophin. Auch hätte ich ohne ihn und seine fürsorgliche Unterstützung bisweilen die Orientierung in dieser oft allzu komplexen akademischen Welt und mitunter die Hoffnung verloren. Meiner Zweitkorrektorin, Andrea Esser, bin ich ebenfalls zu großem Dank verpflichtet – nicht nur, weil sie sich auf diese umfangreiche Doktorarbeit eingelassen hat, sondern auch, weil sie mir ihre Neuedition der »Kritik der Urteilskraft« für die Akademie-Ausgabe vorab zur Verfügung gestellt hat. Ein nicht minder großer Dank für ihre Unterstützung gilt Rachel Zuckert, die die große Gabe besitzt, sich mit Verstand und Bedacht auf Interpretationen einzulassen und stets die richtigen Anregungen sowie Literaturhinweise vorzubringen. Ich hatte das große Glück, meine Thesen und Interpretationsansätze bei vielen Gelegenheiten und mit unzähligen Personen diskutieren zu können – und bekanntermaßen erhalten philosophische Gedanken ja oft erst im Austausch mit anderen die nötige Klarheit. Exemplarisch möchte ich auf anregende Diskussionen verweisen, die ich mit Cord Friebe, den Mitgliedern des Philosophy Departments der Northwestern University, Elisabeth Schellekens und dem Higher Seminar of Aesthetics der Universität Uppsala sowie den TeilnehmerInnen des 11. Siegener Kant-Kurses und der Konferenz »Disinterested Pleasure in Kantian and Contemporary Philosophy« führen durfte. All diesen Personen und unzähligen mehr bin ich zu großem Dank verpflichtet. Für Hinweise zur Mathematik danke ich ferner Gregor Nickel, für Hinweise zur Physik Stephan Hageböck und Vivien Thiel. Von unschätzbarem Wert für meine Arbeit war und ist die Gemeinschaft am Zentrum für kommentarische Interpretationen zu Kant (ZetKIK) sowie am Lehrstuhl für Praktische Philosophie der Universität Siegen – und ohne ebendiese Gemeinschaft wäre auch meine Promotionszeit viel ärmer und einsamer gewesen. Für all dies danke ich dem TeamZetKIK, namentlich vor allem Robinson dos Santos, Jinwoo Kim, Rocco Porcheddu, Maja Schepelmann, Volkmar Schocke, Thomas Sukopp, und natürlich Kim und Kum! Ein ganz besonderer Dank gilt Christian Prust und Elke Schmidt, die nicht nur mit unzähligen Anregungen zu diesem Kommentar beigetragen haben, sondern deren Freundschaft meine Promotionszeit in so vielen Hinsichten begleitet und bereichert hat.

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Vorwort und Dank

Meinen herzlichen Dank möchte ich freilich auch der Fakultät I der Universität Siegen aussprechen, die diese Doktorarbeit angenommen hat. Nicht unerwähnt soll schließlich die finanzielle (und ideelle) Förderung dieses Promotionsprojekts durch das Cusanuswerk sowie die Übergangsfinanzierung für Doktorandinnen und Habilitandinnen der Universität Siegen bleiben, für die ich mich ebenfalls recht herzlich bedanke. Ich habe dieses Vorwort mit einer Bemerkung dazu begonnen, dass Kants Theorie des Schönen unseren ästhetischen Erfahrungen auf den ersten Blick oft allzu fern scheint. Tatsächlich aber hat meine Arbeit an diesem Kommentar in hohem Maße von einer Rückbesinnung auf ihren eigentlichen Untersuchungsgegenstand, nämlich Schönheit, profitiert. In diesem Sinne bin ich dankbar, während dieser Arbeit an der Schönheit teilgehabt haben zu dürfen, vor allem an der Schönheit der Musik. Exemplarisch danke ich hierfür Martin Herchenröder und Uli Exner. Ein letzter Dank gilt meiner Familie, ohne deren große Unterstützung diese Arbeit in jeglicher Hinsicht nicht denkbar gewesen wäre.

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Einleitung

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Methodische Vorüberlegungen

Warum bedarf es überhaupt eines weiteren Kommentars zu einem Text wie der Analytik des Schönen? Wurde nicht alles schon einmal – und womöglich sogar kürzer und prägnanter – gesagt? Solche Fragen lassen sich letztlich auf zwei Zweifel zurückführen: Erstens, so ein wohl weitverbreitetes Vorurteil, könne entweder Kants Philosophie überhaupt oder Kants Theorie des Schönen im Spezifischen für heutige Diskussionen in der sogenannten systematischen Philosophie bzw. Ästhetik keine Relevanz mehr beanspruchen; zweitens sei das kantische Hauptwerk interpretatorisch ausgereizt. Dass der erste Zweifel jeglicher Grundlage entbehrt, ist offensichtlich. Es ist eine empirische Tatsache, dass sich gegenwärtig viele PhilosophInnen mit Kants Theorien auseinandersetzen und dass diese Theorien immer noch einen großen Einfluss auf systematische Diskussionen, etwa in der Ethik oder der politischen Philosophie, haben. Insbesondere hat Kants Theorie des Schönen auch weiterhin einen großen Einfluss auf Diskussionen in der philosophischen Ästhetik, vor allem wenn es um die Frage geht, was Schönheit sei. Die Relevanz der kantischen Theorien für gegenwärtige systematische Diskussionen hängt freilich auch damit zusammen, dass auf die grundlegenden Fragestellungen der Philosophie bislang keine letztgültigen Antworten gegeben werden konnten (und wohl in absehbarer Zeit nicht oder vielleicht auch nie gegeben werden können), sodass Kants Antworten immer noch sinnvolle Denkmöglichkeiten sind. Und so ist auch Kants Theorie des Schönen eine gewinnbringende Denkmöglichkeit in Bezug auf zentrale Fragen der philosophischen Ästhetik. Damit ist aber freilich der zweite Zweifel noch nicht ausgeräumt: Sollten wir nicht wenigstens davon ausgehen können, dass wir die Bedeutungen der kantischen Theorien hinreichend untersucht und erfasst haben? Auch dagegen sprechen empirische Tatsachen: Um die Bedeutung vieler und auch ganz zentraler Aspekte der kantischen Theorie wird immer noch Kants Philosophie des Schönen

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Einleitung

gestritten. Viele interpretatorische Fragen sind weit davon entfernt, abschließend geklärt zu sein. Und auch bezüglich der kantischen Schönheitstheorie gibt es viele ungeklärte und strittige Fragen. Vieles ist unklar, wie etwa die Frage, was man sich denn nun genau unter dem freien und harmonischen Spiel der Erkenntniskräfte zu denken habe. Auch wurden viele Fragen, so werden wir sehen, noch nicht einmal gestellt. Nun ist es nicht nur der Fall, dass die Bedeutung der kantischen Schönheitstheorie noch nicht abschließend geklärt wurde, sondern es ist auch sinnvoll, weiterhin diese Bedeutung zu ergründen. Schließlich kann man nur, wenn man die Bedeutung einer Theorie verstanden hat, darüber urteilen, ob sie wahr ist. In diesem Sinne ist die Interpretation der kantischen Theorien von unmittelbarer Relevanz für den Beitrag, den diese Theorien für systematische Diskussionen leisten können. Will man nun einen kantischen Text verstehen und interpretieren, so stellt sich vorab die Frage nach der Methodik. Wie lässt sich methodisch sicherstellen, dass die angestrebte Interpretation erstens gut ist und zweitens etwas substanziell Neues zur Diskussion beitragen wird? Eine gewinnbringende und sinnvolle Methode ist die der kommentarischen Interpretation, welche den vorliegenden Untersuchungen zur Analytik des Schönen zugrunde gelegt wurde. Ich lege, Vittorio Hösle folgend, zugrunde, dass »man […] nicht nur anders«, sondern »auch besser und schlechter verstehen [kann]« (Hösle 2018, 14). In diesem Sinne wurde die Methode der kommentarischen Interpretation mit dem Ziel gewählt, Kants Theorie des Schönen besser zu verstehen, als sie bisher verstanden wurde. Ich möchte im Folgenden kurz darstellen, was die Methode der kommentarischen Interpretation ist und warum es sinnvoll ist, von ihr Gebrauch zu machen. 1 Die Methode der kommentarischen Interpretation wurde entwickelt, um demjenigen Phänomen entgegenzuwirken, das Schönecker als »Textvergessenheit« bezeichnet (Schönecker 2001, 161). So hat er schon im Jahr 2001 bemängelt, »dass es mit wenigen Ausnahmen keine exegetischen, detaillierten, kontextorientierten und zugleich entwicklungsgeschichtlichen Textanalysen gibt« (Schönecker 2001, 161). Diese Diagnose, so scheint mir, trifft auch auf die Analytik des Schönen zu. Das Phänomen der Textvergessenheit lässt Vgl. hierzu Damschen/Schönecker 2013, 205–211, sowie Schönecker 2001, 159– 181.

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Methodische Vorüberlegungen

sich darauf zurückführen, dass nicht hinreichend zwischen Philosophiegeschichte und systematischer Philosophie unterschieden wird, wenngleich beide verschiedene Ziele verfolgen: »Das Ziel der Philosophiehistorie ist das Verstehen der Bedeutung von Texten und Theorien, die in diesen Texten entfaltet werden; das Ziel der eigentlichen (systematischen) Philosophie ist die Erkenntnis von Wahrheit« (Damschen/Schönecker 2013, 207). In diesem Sinne ist es ausdrücklich und primär das Ziel des vorliegenden Kommentars, die Bedeutung der kantischen Schönheitstheorie zu verstehen. Wie gesagt, nur wenn man die Bedeutung dieser Theorie vollends verstanden hat, ist es möglich, ihren Wahrheitsgehalt und ihre Tragfähigkeit für die systematische Ästhetik zu prüfen. Nun ist es der Anspruch der kommentarischen Interpretation, genau das zu leisten, was im Rahmen textvergessener Interpretationen nicht geleistet wird: eine exegetische, detaillierte und kontextorientierte Textanalyse. Der Kerngedanke ist dabei, dass »im Zentrum der Aufmerksamkeit […] immer der Text selbst stehen [muss]« (Damschen/Schönecker 2013, 205). Und im Zentrum unserer Aufmerksamkeit steht die Analytik des Schönen. Wir wollen bei den folgenden Untersuchungen dieses Textes unter anderem Fragen der folgenden Art stellen: »Was bedeutet das, was da steht? Warum ist es so geschrieben, und nicht anders? Warum benutzt Kant ausgerechnet dieses Wort und nicht ein anderes?« (Schönecker 2001, 165) Bisweilen wird unsere Arbeit in der »Basisarbeit der grammatisch-semantischen Analyse« bestehen (Schönecker 2001, 167). Aber auch bei solchen stark exegetischen Tätigkeiten darf nie vergessen werden, dass es letztlich darum geht, eine philosophische Theorie zu verstehen, die eine mögliche Antwort auf eine philosophische Frage gibt – im Falle dieses Kommentars die Frage, was Schönheit ist. Wenngleich das Ziel der kommentarischen Interpretation nicht die Erkenntnis von Wahrheit ist, so fungiert die Wahrheitssuche dennoch als »ein methodisches Instrument der Bedeutungssuche« (Damschen/Schönecker 2013, 207). Erstens, und vorrangig, begegnet man der zu interpretierenden Theorie mit inneren Kohärenzunterstellungen, d. h. man unterstellt ihr Widerspruchsfreiheit sowie einen »›inneren Zusammenhang‹ der einzelnen Teile des Textes« (Damschen/Schönecker 2013, 206). Zweitens begegnet man der Theorie mit »externe[n] Wahrheitsunterstellungen« (Damschen/Schönecker 2013, 207). Interpretationshypothesen, die eine in systematischer Hinsicht offenkundig absurde Folge hätten, sollten verworfen werden Kants Philosophie des Schönen

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– mindestens dann, wenn Alternativen zur Verfügung stehen, die keine solchen absurden Folgen haben und sich in eine kohärente Interpretation des Textes fügen. In diesem Sinne sollten wir vorab der kantischen Schönheitstheorie unterstellen, dass sie ein kohärentes und zusammenhängendes Bild ergibt; und wir sollten ihr unterstellen, dass in ihr kein völlig absurdes Verständnis von Schönheit propagiert wird. Wenngleich klar geworden sein sollte, dass es Ziel der kommentarischen Interpretation ist, die Bedeutung eines Textes zu verstehen, so ist noch unklar, was die Bedeutung eines Textes eigentlich ist. Schönecker wendet sich überzeugend gegen die Positionen, »dass die Absicht eines Autors festlegt, was sein Text bedeutet (intentio auctoris)« oder »dass der individuelle Leser allein durch seine Lektüre eines Textes festlegt, was der Text bedeutet (intentio lectoris)« (Damschen/ Schönecker 2013, 208 f.). Vielmehr fasst er die Bedeutung eines Textes im Sinne der intentio operis: 2 »Die Bedeutung des Textes entsteht durch den Leser in den Grenzen des Textes (als dem Schwarzen auf dem Weißen) und den Grenzen der Sprache« (Damschen/Schönecker 2013, 210). Nun hat Vittorio Hösle kürzlich eine »intentionalistische Hermeneutik«, oder genauer einen »moderate[n] Intentionalismus« stark gemacht (Hösle 2018, 155), wobei er sich explizit auf die intentio auctoris beruft. 3 Nach dieser Position ist »Verstehen […] ein intentionaler Akt, der auf etwas Mentales, in der Regel auf den intentionalen Akt eines anderen zielt« (Hösle 2018, 155). Sicherlich ist es richtig, dass wir beim Versuch, die Bedeutung von insbesondere sprachlichen Ausdrücken zu verstehen, meist (bewusst oder unbewusst) unterstellen, jemand habe etwas aussagen wollen. Aber erstens ist es keine notwendige Bedingung für das Verstehen von Bedeutung, dass jemand bewusst etwas (Mentales) ausdrücken wollte. 4 Vgl. für die Differenzierung von intentio auctoris, lectoris und operis Eco 1992, 25 & 63 ff. 3 Vgl.: »Nicht das einzige, aber doch ein wichtiges Kriterium gültigen Verstehens ist sicher die Autorintention« (Hösle 2018, 238). 4 Vgl. hierzu das folgende Gedankenexperiment: »Stellen Sie sich vor, ein Affe sitzt vor einem Computer und drückt die Tasten der Tastatur, ohne sich dabei etwas zu denken. Nehmen wir an, dass nach endlosen Versuchen durch Zufall auf dem Bildschirm der Satz ›Ich weiß, dass ich nicht alles weiß; aber zumindest dies weiß ich: das Ganze ist das Wahre‹ erscheint. Wenn die These von der intentio auctoris richtig wäre, würde dieser Satz rein gar nichts bedeuten. Denn der Affe dachte sich bei seinen Fingerübungen auf der Tastatur ja nichts. Dass der Satz deshalb rein gar nichts bedeutet, ist jedoch absurd. Denn für uns, die wir Deutsch sprechen, hat der Satz offensicht2

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Methodische Vorüberlegungen

Zweitens macht Hösle selbst einige Punkte stark, die gegen einen Intentionalismus sprechen. So gesteht er ein, dass die Bedeutung eines Werks die Autorintention transzendieren kann. 5 Auch führt er an, dass AutorInnen sich rückblickend bisweilen falsch daran erinnern, was die Intention ihres Werkes war, sodass diese retrospektiven Interpretationen der AutorInnen nicht als Kriterium für gültige Interpretationen dienen können. 6 Es drängt sich daher die Frage auf, ob Hösle tatsächlich als Intentionalist – wenngleich moderater Natur – gelten kann, oder ob ihm nicht doch ein (moderater) Anti-Intentionalismus nähersteht. 7 Jedenfalls sprechen die genannten Gründe dafür, den Text statt die Autorin oder den Autor ins Zentrum der Interpretation zu rücken. Soviel in aller Kürze zur Methode der kommentarischen Interpretation. Wie genau diese Methode in der Praxis angewendet wird und welche Konsequenzen dies für die resultierende Interpretation hat, kann erst durch Lektüre des Kommentars vollends nachvollzogen werden. 8 Nun ist es eine Sache, sich in einem Arbeitsprozess einer Methode zu bedienen, und eine andere, ob das Resultat dieses Prozesses letztlich den Ansprüchen der gewählten Methode genügt. Stellen wir daher die Frage voran, ob die hier vorgelegten Untersuchungen zur Analytik des Schönen den Ansprüchen der kommentarischen Interpretation genügen. In letzter Instanz bleibt die Beantwortung dieser Frage natürlich jedem einzelnen Rezipienten dieses Kommentars selbst überlassen. Dennoch können wir einige kritische Überlegungen voranschicken. Bei den Untersuchungen der Analytik des Schönen mittels der Methode der kommentarischen Interpretation hat sich gezeigt, dass diese Methode bei längeren Texten an ihre Grenzen stößt. Denn irgendwann steht man vor dem Dilemma, sich entweder für die von der kommentarischen Interpretation geforderte große Genauigkeit oder für die Lesbarkeit der Interpretation entscheiden zu müssen. Obgleich die Analytik des Schönen mit ca. lich eine Bedeutung – wenn vielleicht auch nicht für jeden dieselbe.« (Damschen/ Schönecker 2013, 208) 5 Vgl. Hösle 2018, 204–214. 6 Vgl. Hösle 2018, 51 & 240. 7 Vgl. Schönecker 2020. 8 Vgl.: »Was es nun wirklich bedeutet, Texte sorgfältig zu lesen, kann sich erst […] in der echten Interpretation zeigen. Wer würde schon der These zustimmen wollen, es komme beim Interpretieren nicht darauf an, genau zu lesen?« (Damschen/Schönecker 2013, 205) Kants Philosophie des Schönen

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40 Seiten in der Akademieausgabe verhältnismäßig kurz und übersichtlich wirken mag – jedenfalls im Vergleich zu sehr langen und komplexen Werken wie der Kritik der reinen Vernunft oder auch nur der Transzendentalen Logik –, so lassen sich doch fast unüberschaubar viele Detailfragen an diesen Text stellen. Versucht man, all diese Detailfragen in einem einzigen Kommentar zu stellen und zu beantworten, so werden (vielleicht zwangsläufig) die Grenzen der Lesbarkeit überschritten. Zudem lassen sich auch die folgenden strategischen Gründe nicht völlig ausblenden: Wer nimmt sich die Zeit, einen sehr detaillierten Kommentar zu lesen, der sich über viele hunderte von Seiten erstreckt? Und darf man sich überhaupt die Zeit nehmen, einen solchen Kommentar zu schreiben? Innerhalb dieser Spannungsfelder ist der vorliegende Kommentar entstanden. Und aufgrund ebendieser Spannungsfelder mussten an einigen Stellen Abstriche gemacht werden: Dieser Kommentar ist länger als alle bisherigen Kommentare zur Analytik (oder auch als die meisten Kommentare zu anderen kantischen Texten). Seine Lektüre erfordert daher mehr Zeit als die Lektüre von vielen anderen Werken der Sekundärliteratur, wenngleich es explizit möglich ist, bloß Teilabschnitte des Kommentars zu nutzen. Zugleich, und damit komme ich zum eigentlichen Knackpunkt, ist dieser Kommentar bisweilen weniger detailliert und genau, als es die kommentarische Interpretation fordert. Andererseits, so scheint mir, ist dieser Kommentar genauer als viele andere Interpretationen zur Analytik. Ferner glaube oder hoffe ich jedenfalls, dass es mir gelungen ist, eine kohärente und zusammenhängende Deutung der kantischen Schönheitstheorie zu entwickeln. Wenngleich dieser Kommentar also vielleicht nicht vollends dem Anspruch genügt, kommentarisch zu sein, so ist er doch kommentarischer als viele andere Interpretationen. Und so hege ich trotz aller Schwierigkeiten die Hoffnung, dass ich mit diesem Kommentar vielleicht einige substanziell neue Thesen zur Interpretation der Analytik des Schönen beitragen kann. Obgleich ich mir bewusst bin, dass ich mit meinen Thesen nicht jeden und vielleicht noch nicht einmal die meisten KantforscherInnen überzeugen werde, so hoffe ich, wenigstens neue Fragestellungen und Problemfelder in die Diskussion einzuführen und damit neue Debatten anzuregen.

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Kurze Anleitung zum Umgang mit diesem Kommentar

2.

Kurze Anleitung zum Umgang mit diesem Kommentar

Trotz aller Schwierigkeiten orientiert sich dieser Kommentar in seiner konkreten Methodik an der kommentarischen Interpretation. Da sich dieses Vorgehen in technischer Hinsicht nicht von selbst erklärt, will ich eine kurze Anleitung voranstellen, wie dieser Kommentar konzipiert ist und welche methodischen bzw. technischen Besonderheiten zu beachten sind.

2.1 Zum Aufbau des Kommentars In seinem Aufbau orientiert sich dieser Kommentar am Aufbau der Analytik des Schönen. So setzt sich der Kommentar aus vier Kapiteln zusammen, die den vier Momenten des Schönen korrespondieren. Jedes dieser vier Kapitel besteht aus den folgenden Elementen: In einem ersten Schritt wird eine Zusammenfassung der zentralen Inhalte des jeweiligen Moments gegeben. Ziel dieser Zusammenfassungen ist es, einen kurzen Überblick über meine Hauptthesen und das Gesamtverständnis des jeweiligen Moments zu geben. Im Anschluss folgen Unterkapitel zu den einzelnen Paragraphen, die zum entsprechenden Moment gehören, sowie zur jeweiligen Erklärung des Schönen. In diesen Unterkapiteln werden die zentralen Thesen, Argumente und Gedankengänge des kantischen Textes rekonstruiert. Der Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik wurde kein gesondertes Unterkapitel gewidmet, da Kant hier nur bereits bekannte Thesen und Theoriebausteine aufgreift; wichtige Passagen aus diesem Abschnitt wurden aber bei der Interpretation der einzelnen Paragraphen berücksichtigt. Zwischen den Analysen der einzelnen Paragraphen finden sich bisweilen Unterkapitel, die mit »Grundlagen« überschrieben sind. In diesen Grundlagen-Kapiteln präsentiere und entwickle ich Thesen, die keinem spezifischen Paragraphen der Analytik zuzuordnen sind, sondern übergreifenden Charakter haben. So wird etwa im Kapitel Grundlagen 1 der phänomenale Gehalt der Lust am Schönen behandelt, welcher, wie mir scheint, in der gesamten Analytik eine große Rolle spielt. Meist werden in den Grundlagen-Kapiteln Thesen vorgestellt, die besonders zentral und spezifisch für meine Interpretation der kantischen Theorie sind. Im Ganzen wird im vorliegenden Kommentar ein umfassendes und zusammenhängendes Bild der gesamten Analytik des Schönen Kants Philosophie des Schönen

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Einleitung

entwickelt. Allerdings ist der Kommentar ganz bewusst und mit Bedacht so konzipiert, dass er nicht von vorn bis hinten gelesen werden muss. Er soll vielmehr auch dazu gebraucht werden können, sich über einzelne Paragraphen oder Theorieelemente zu informieren. Aus diesem Grund gibt es immer wieder und an verschiedenen Stellen Zusammenfassungen einzelner Interpretationsteile. Diese können genutzt werden, um an einem bestimmten Punkt in die Interpretation der Analytik einzusteigen. So gebe ich am Anfang der vier Hauptkapitel jeweils einen Überblick über die zentralen Inhalte des jeweiligen Moments. Ferner befindet sich am Ende der Unterkapitel zu den einzelnen Paragraphen eine kurze Zusammenfassung meiner Interpretation des jeweiligen Paragraphen. Schließlich finden sich im fortlaufenden Text immer wieder knappe Wiederholungen meiner zentralen Thesen und Deutungen, die das Lesen des Kommentars erleichtern sollen. Darüber hinaus gibt es in den Fußnoten eine Vielzahl von Verweisen auf frühere oder spätere Kapitel und Unterkapitel. Diese sollen es dem Leser ermöglichen, bei Bedarf tiefer in eine Thematik einzusteigen. Nun enthält bereits der kantische Originaltext einige Wiederholungen und Redundanzen – manche Themen werden in mehreren Paragraphen behandelt und aufgegriffen. In vielen Fällen gehe ich auf solche Wiederholungen in meiner Analyse noch einmal kurz ein. Es versteht sich von selbst, dass dies zu einigen Redundanzen führt. Freilich können solche redundanten oder der Wiederholung dienenden Passagen beim Lesen übersprungen werden. Insgesamt gilt für die kantische Schönheitstheorie dasselbe, was für Kants Philosophie im Ganzen gilt: Alles hängt irgendwie zusammen, und vieles erschließt sich erst durch die gegenseitigen Bezüge einzelner Theoriebausteine. Dennoch hoffe ich, dass mein Kommentar auch für die Deutung einzelner Theoriebausteine oder Spezialfragen ein hilfreiches Instrument ist.

2.2 Zum Umgang mit Primär- und Sekundärliteratur Im Zentrum dieses Kommentars steht die Analytik des Schönen. Daher werden hauptsächlich die einzelnen Sätze und Propositionen, aus denen dieser Text besteht, einer genauen Analyse unterzogen. Nun steht aber ein einzelner Text nicht völlig für sich – insbesondere wenn er von einem Philosophen stammt, der einen so starken Systemgedanken verfolgt, wie es bei Kant der Fall ist. So macht die Ana24

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Kurze Anleitung zum Umgang mit diesem Kommentar

lytik des Schönen nur einen Teil der Kritik der ästhetischen Urteilskraft aus, in der Kant seine umfassende ästhetische Theorie entfaltet. Bei meiner Untersuchung der Analytik werde ich daher bei Bedarf andere Teile der Kritik der ästhetischen Urteilskraft – wie etwa die Deduktionsparagraphen – einbeziehen. Ferner kommen an verschiedenen Stellen – etwa im Kontext der Zweckmäßigkeit – auch die beiden Einleitungen in die KU sowie die Kritik der teleologischen Urteilskraft zum Tragen. 9 Darüber hinaus müssen an bestimmten Stellen andere kantische Werke einbezogen werden. So setzt Kant in der Analytik Thesen aus anderen Werken voraus und ergänzt oder erweitert bestimmte Elemente dieser Werke. Daher werde ich bei Bedarf zentrale Elemente etwa der kantischen Erkenntnistheorie, wie sie in der KrV oder den Prolegomena vorgebracht wird, einbeziehen, ebenso wie wichtige Textpassagen aus den ethischen Schriften. Insgesamt werde ich mich hauptsächlich auf Passagen aus den veröffentlichten Hauptschriften berufen. An einigen wenigen Stellen finden aber auch, trotz ihres problematischen Status, die sogenannten Reflexionen oder Vorlesungsmitschriften Erwähnung. Mitunter verwendet Kant in der Analytik des Schönen spezifische Termini technici, ohne diese zu erklären oder zu definieren (bspw. den Begriff der subjektiven Notwendigkeit). In solchen Fällen gebe ich verschiedene Bedeutungen des entsprechenden Terminus in verschiedenen anderen kantischen Werken knapp wieder. Die entsprechenden Aufzählungen solcher Bedeutungen sind eingerückt und durch einen kleineren Zeilenabstand kenntlich gemacht. Im Großen und Ganzen bleibt die vorliegende Arbeit ein Kommentar zur Analytik des Schönen. Alle anderen Textpassagen und Schriften, die einbezogen werden, dienen also primär einem besseren Verständnis der Analytik des Schönen. Dies bedeutet insbesondere auch, dass ich im Rahmen dieser Arbeit weder eine umfassende Rekonstruktion der kantischen Erkenntnistheorie noch seiner Ethik leisten kann; ebenso wenig kann und werde ich eine zufriedenstellende Analyse der anderen Teile der KU (wie etwa der Deduktion der Geschmacksurteile) leisten. Und selbst wenn zur Analytik des Schönen Ausführungen etwa zum moralisch Guten und zur Achtung gehören, so kann ich diese nur so weit deuten, als sie zum Verständnis des Schönen beitragen. Das Ziel dieser Arbeit ist

Für einen Überblick über die gesamte KU vgl. Berger/Klemme (2018) sowie Bartuschat (2015a).

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eine kohärente Rekonstruktion der kantischen Schönheitstheorie – nicht mehr und nicht weniger. Nun hat Kant seine Philosophie freilich nicht im luftleeren Raum entwickelt. Vielmehr steht sie in einem Dialog mit vorhergehenden und zeitgleich entwickelten philosophischen Theorien. Und so beinhaltet auch Kants Theorie des Schönen klarerweise mannigfaltige Bezüge zu seinen philosophischen Vorgängern und Zeitgenossen. Ich werde, wenn es mir gewinnbringend oder notwendig erscheint, auf die historischen Bezugspunkte der Analytik des Schönen eingehen (bspw. im Kontext der Untersuchungen zur Vollkommenheit). Allerdings ist die entwicklungsgeschichtliche Genese der KU nicht der primäre Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. Ferner sind Kants (explizite oder implizite) Bezüge zu historischen Vorgängern auch mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Denn Kant gibt Begriffen oder Konzeptionen, die er von seinen Vorgängern scheinbar übernimmt oder an die er anschließt, häufig eine (bei näherem Hinsehen) andere und neuartige Bedeutung. Daher können die kantischen Begriffe und Konzeptionen trotz aller historischen Bezüge meist für sich selbst stehen. Ebenso wenig wie sich Kants Theorie des Schönen im luftleeren Raum bewegt, ist dies bei einer Interpretation zu einem so berühmten Text der Fall. Freilich gibt es eine kaum zu überschauende Menge an Sekundärliteratur; und freilich muss ein umfassender Kommentar auf andere Interpretationen des behandelten Textes Bezug nehmen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Lesbarkeit habe ich mich dazu entschieden, die Sekundärliteratur zum Abschluss eines jeden Unterkapitels in gebündelter Form zu diskutieren, wenn auch zuweilen im Fließtext oder in Fußnoten kleinere Hinweise auf die Sekundärliteratur gegeben werden. Am Ende eines jeden Unterkapitels findet sich ein Literaturbericht, in dem ich untersuche, welche Antworten in der Sekundärliteratur auf diejenigen Fragen gegeben werden, die in meiner Interpretation von besonderer Wichtigkeit sind. Unter Umständen kann dabei das Ergebnis sein, dass einzelne Fragen in der Sekundärliteratur kaum oder gar nicht gestellt werden. In anderen Fällen finden sich aber viele unterschiedliche Antworten und Positionen, die ich jeweils kurz nachzeichne und zu meiner Position in Beziehung setze. Wird ein Paragraph des kantischen Textes oder ein Thema aus einem Grundlagen-Kapitel in der Sekundärliteratur kaum berücksichtigt, wurde dazu kein Literaturbericht angefertigt. Dies betrifft im Einzelnen § 7, die Zweite, Dritte und Vierte Erklärung des 26

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Kurze Anleitung zum Umgang mit diesem Kommentar

Schönen sowie Grundlagen 4. Wird ein Thema im Literaturbericht nicht aufgegriffen, obwohl eine Autorin oder ein Autor eine interessante Position dazu vertritt, so wird darauf in Fußnoten zum Haupttext verwiesen. Mitunter wird einem Thema oder einer Position aus der Sekundärliteratur auch ein längerer Abschnitt des Haupttextes gewidmet. (Letzteres ist etwa bei Guyers ›two-acts model‹ und Ginsborgs ›one-act model‹ der Fall.) Freilich war es mir angesichts der Fülle an Sekundärliteratur nicht möglich, alle Texte und AutorInnen zu berücksichtigen. Dennoch hoffe ich, ein umfassendes Bild der verschiedenen aktuell vorherrschenden Positionen nachzuzeichnen. Bei der Auswahl der Sekundärliteratur habe ich mich vor allem auf die einflussreichsten Positionen beschränkt, die seit den 1970er Jahren bis zur Gegenwart vorgebracht wurden. Ich bin mir allerdings bewusst, dass es wohl sehr gute Publikationen und Interpretationen gibt, die ich (in ungewollter und unvermeidbarer Unkenntnis) leider nicht berücksichtigt habe.

2.3 Kurze Anleitung zum Umgang mit den Rekonstruktionen einzelner Propositionen Im Sinne der kommentarischen Interpretation wurde großer Wert darauf gelegt, die einzelnen Propositionen des kantischen Textes in einer solchen Weise zu rekonstruieren, dass ihr Inhalt klar hervortritt. Im Folgenden will ich dieses Verfahren kurz erläutern. Um ihre Bedeutung klarer herauszustellen, wurden viele Sätze der Analytik in einem mitunter mehrstufigen Verfahren (grammatikalisch und inhaltlich) rekonstruiert. Den Ausgangspunkt dieser Rekonstruktionen bildet der Text der Analytik des Schönen, wie er in der Neuedition der Kritik der Urteilskraft für die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaft, die von Andrea Esser erstellt wurde, abgedruckt ist. 10 Sobald eine Proposition (grammatikalisch oder inhaltlich) rekonstruiert wurde, wurde die Orthographie entsprechend der Rechtschreibreform von 1996 angepasst.

Ich möchte mich herzlich und nachdrücklich bei Frau Esser dafür bedanken, dass sie mir ihre Neuedition der Kritik der Urteilskraft vor der Veröffentlichung zur Verfügung gestellt hat. – Weitere Hinweise zur Zitierweise und eine Siglenliste der Werke Kants finden sich im Anhang.

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Einleitung

Jedem Satz der Analytik des Schönen wurde eine Sigle zugeordnet (etwa »§ 1.A.1«). Immer wenn auf diesen Satz verwiesen wird oder dieser zitiert wird, dann wird die entsprechende Sigle angegeben. Die Sigle setzt sich aus dem entsprechenden Paragraphen (etwa § 1), dem Absatz (erster Absatz = A, zweiter Absatz = B usw.) und einer Nummer für die einzelnen Sätze im jeweiligen Absatz (erster Satz = 1 usw.) zusammen. Dem ersten Satz im ersten Absatz von § 1 entspricht demnach die Sigle »§ 1.A.1«. Die Überschriften der einzelnen Paragraphen wurden stets durch ein »T« gekennzeichnet, also etwa § 1.T für die Überschrift von § 1. Den vier Erklärungen des Schönen wurden die Siglen E1, E2 usw. zugeordnet. Lassen sich in einem Satz mehrere Propositionen rekonstruieren, die isoliert werden können, so wurde dies durch kleine Buchstaben gekennzeichnet (also etwa § 1.A.1a, § 1.A.1b). Beispiel: § 4.A.2 »[a] Wir nennen einiges w o z u g u t (das Nützliche), was nur als Mittel gefällt; [b] ein anderes aber a n s i c h g u t , was für sich selbst gefällt« (207,16).

In diesem Satz, dem zweiten Satz im ersten Absatz von § 4, ist die folgende Proposition enthalten: § 4.A.2a Wir nennen einiges w o z u g u t (das Nützliche), was nur als Mittel gefällt.

Einigen wenigen besonderen Propositionen (etwa Definitionen) wurden gesonderte Siglen zugeordnet. So wurde etwa der Definition von »Lust«, die sich im Satz § 10.A.4 (220,9) findet, die Sigle »L« zugeordnet. Zitierten Sätzen, die nicht aus der Analytik des Schönen, sondern aus einem anderen Teil der KU, der EEKU oder aus einem anderen Werk Kants stammen, wurden im Normalfall keine Siglen zugeordnet. Nur in einigen wenigen Ausnahmefällen – nämlich immer wenn ein Zitat von zentraler Wichtigkeit war und zudem einer Rekonstruktion unterzogen wurde – wurden auch hier Siglen genutzt (etwa »LEE« für die Definition der Lust in der EEKU). In einem ersten Schritt wurden in vielen Fällen rein grammatikalische Rekonstruktionen vorgenommen. Dabei wurden etwa bestimmte Pronomina (wie »diese« oder »jener«) durch ihre Referenten ersetzt bzw. ergänzt, elliptische Satzstrukturen um die ausgelassenen Wörter ergänzt usw. Diese grammatikalische Arbeit ist wichtig und 28

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Kurze Anleitung zum Umgang mit diesem Kommentar

unumgänglich, weil bei Kant (noch mehr vielleicht als bei anderen AutorInnen) oft nicht unmittelbar klar ist, wie einzelne Sätze in grammatikalischer Hinsicht konzipiert sind. Oft gibt es verschiedene Möglichkeiten, worauf beispielsweise ein Pronomen wie »diese« referiert. Und diese verschiedenen Möglichkeiten haben offenkundig einen starken Einfluss auf die Bedeutung des Satzes. Rein grammatikalische Rekonstruktionen wurden durch einen Asterisk (*) gekennzeichnet (etwa § 1.A.1*). Bei mehrschrittigen Rekonstruktionen wurden weitere Asteriske angehängt. Beispiel: § 4.A.2

»[a] Wir nennen einiges w o z u g u t (das Nützliche), was nur als Mittel gefällt; [b] ein anderes aber a n s i c h g u t , was für sich selbst gefällt« (207,16). § 4.A.2b* Wir nennen ein anderes an sich gut, was für sich selbst gefällt.

Neben den rein grammatikalischen Rekonstruktionen wurden auch inhaltliche Rekonstruktionen vorgenommen. Ziel solcher inhaltlichen Rekonstruktionen ist es, den Inhalt bzw. die Bedeutung eines Satzes klarer herauszustellen. Dazu wurden etwa bestimmte Begriffe durch andere, besser verständliche Wörter ersetzt, unwichtige Satzteile als solche identifiziert und ausgelassen, implizite Aspekte ergänzt usw. Inhaltliche Rekonstruktionen wurden durch ein tiefergestelltes »R« gekennzeichnet; die beigefügte Nummer gibt den Fortgang der Rekonstruktion in mehreren Schritten wieder (also etwa § 1.A.1R1; § 1.A.1R2). Beispiel: § 4.A.2aR1 Das, was zu etwas gut ist oder nützlich, gefällt nur als Mittel. § 4.A.2aR2 Das, was zu etwas gut ist oder nützlich, gefällt nur als Mittel zu einem Zweck.

Sind zwei verschiedene (grammatikalische oder inhaltliche) Rekonstruktionen denkbar, die in Konkurrenz zueinander stehen, so wurde dies durch kleine Buchstaben gekennzeichnet (also etwa § 1.A.1*a vs. § 1.A.1*b oder § 1.A.1R1a vs. § 1.A.1R1b). Beispiel 1: § 3.D.1 »[a] Daß nun mein Urtheil über einen Gegenstand, wodurch ich ihn für angenehm erkläre, ein Interesse an demselben ausKants Philosophie des Schönen

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Einleitung

drücke, ist daraus schon klar, [b] daß es durch Empfindung eine Begierde nach dergleichen Gegenständen rege macht, […]« (206,37 f.).

Die beiden folgenden grammatikalischen Rekonstruktionen sind denkbar: § 3.D.1b*a Das Urteil über das Angenehme macht durch Empfindung eine Begierde nach dergleichen Gegenständen rege. § 3.D.1b*b Das Interesse (am Angenehmen) macht durch Empfindung eine Begierde nach dergleichen Gegenständen rege.

Beispiel 2: § 4.T »Das Wohlgefallen a m G u t e n ist mit Interesse verbunden« (207,14).

Die beiden folgenden inhaltlichen Rekonstruktionen sind denkbar: § 4.TR1a Das Wohlgefallen am Guten ist nicht selbst eine Form von Interesse, wird aber mit einem Interesse verknüpft, das zusätzlich hinzukommt. § 4.TR1b Das Wohlgefallen am Guten ist selbst eine Form von Interesse.

Dieses Verfahren mag auf den ersten Blick etwas technisch erscheinen. Es dient aber dem Ziel, dass der Fortgang der Rekonstruktion stets gut nachvollzogen werden kann und dass immer klar ist, auf welcher Stufe der Rekonstruktion wir uns jeweils befinden.

3.

Inhaltliche Einleitung in die Analytik des Schönen

Bevor wir uns nun den einzelnen Paragraphen der Analytik des Schönen im Detail zuwenden, wollen wir uns einen Überblick über die Struktur und den Argumentationsgang dieses Textes verschaffen. Kant selbst strukturiert die Analytik anhand der Urteilsfunktionen, die er bereits in der KrV eingeführt hatte. Wir wollen im Folgenden untersuchen, was es mit diesen Urteilsfunktionen auf sich hat und welche Bedeutung ihnen im Kontext des Geschmacksurteils zukommt; dabei wird auch ein erster Eindruck vermittelt, wie die Propositionen des kantischen Textes in methodischer und technischer Hinsicht rekonstruiert werden. Im Anschluss wollen wir uns dann vor Augen führen, wie der Argumentationsgang der Analytik vonstattengeht. 30

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3.2 Zur Textanordnung entlang der Urteilsfunktionen Die Analytik des Schönen besteht aus vier sogenannten Momenten des Schönen. Wie bereits in den zuvor publizierten MAN bedient sich Kant bei dieser Einteilung der Urteilstafel, die er in der KrV eingeführt hat: 11 Er benennt die einzelnen Momente nach den Urteilsfunktionen der Qualität, Quantität, Relation und Modalität. (Dasselbe Verfahren wird er auch in der Analytik des Erhabenen nutzen.) In einer Fußnote zu Beginn der Analytik des Schönen führt Kant zur Gliederung des Textes entlang der Urteilsfunktionen das Folgende aus: »Die Momente, worauf diese [ästhetische] Urtheilskraft in ihrer Reflexion Acht hat, habe ich nach Anleitung der logischen Functionen zu urtheilen, aufgesucht (denn im Geschmacksurtheile ist immer noch eine Beziehung auf den Verstand enthalten.) Die der Qualität habe ich zuerst in Betrachtung gezogen, weil das ästhetische Urtheil über das Schöne auf diese zuerst Rücksicht nimmt« (203 Fn.).

Wir müssen in dieser Passage zwei Thesen unterscheiden: erstens die These, dass die Momente der Analytik entlang der Urteilstafel angeordnet sind, und zweitens die These, dass die Qualität als erstes in Betracht gezogen werden muss. Wir wollen im Folgenden beide Thesen kurz untersuchen. Beginnen wir mit der folgenden These zur Anordnung der Momente (M): M1 Die Momente, auf die die ästhetische Urteilskraft in ihrer Reflexion Acht hat, werden in der Analytik des Schönen nach Anleitung der logischen Urteilsfunktionen aufgesucht.

Ferner findet sich in der Klammerbemerkung die folgende Begründung für M1: M2 Im Geschmacksurteil ist eine Beziehung auf den Verstand enthalten.

Was meint Kant damit, dass die ästhetische ›Urtheilskraft in ihrer Reflexion‹ auf die einzelnen Momente ›Acht hat‹ ? Die ästhetische Urteilskraft ist nichts anderes als der Geschmack. Und zu diesem führt Kant in der Fußnote aus, er sei »das Vermögen der Beurtheilung des Schönen« (203 Fn.). Dies bedeutet, so werden wir sehen, dass der GeEine solche Einteilung findet sich etwa auch in der Einleitung in die Logik, in der Kant die logische Vollkommenheit der Erkenntnisse behandelt (vgl. Log: 40–81).

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schmack das Vermögen ist, Geschmacksurteile zu fällen. 12 Es ist daher naheliegend, dass die ästhetische Urteilskraft beim Fällen von Geschmacksurteilen auf die einzelnen Momente ›Acht hat‹. Dies bedeutet erst einmal nichts anderes, als dass die einzelnen Momente bestimmte Aspekte des Geschmacksurteils betreffen. Mit anderen Worten: Es sind Momente des Geschmacksurteils. In diesem Sinne überschreibt Kant die vier Momente mit »Erstes [bzw. Zweites, Drittes, Viertes] Moment des Geschmacksurtheils« (203,5). Wir können M1 also folgendermaßen vereinfachen: M1R1 Die Momente des Geschmacksurteils werden in der Analytik des Schönen entlang der logischen Urteilsfunktionen angeordnet.

Dass die Urteilskraft auf die vier Momente ›in ihrer Reflexion Acht hat‹ bedeutet aber noch mehr. Wir werden sehen, dass Kant in den einzelnen Momenten nicht nur das Geschmacksurteil, sondern insbesondere auch die darin prädizierte Lust am Schönen bestimmt. Und wir werden ferner sehen, dass wir uns den Charakteristika der Uninteressiertheit, Allgemeingültigkeit und Zweckmäßigkeit im phänomenalen Gehalt der Lust bewusst werden. 13 Wenn also die Urteilskraft auf die verschiedenen Momente Acht hat, dann ist damit auch gemeint, dass wir beim Fällen eines Geschmacksurteils darauf Acht haben, wie sich die empfundene Lust anfühlt. Nun besagt die These M1 erst einmal nicht mehr, als dass Kant den einzelnen vier Unterkapiteln der Analytik je eine Urteilsfunktion zuordnet, d. h. dass er diese Unterkapitel als Momente der Qualität, Quantität, Relation oder Modalität bezeichnet. Entscheidend ist aber die Frage, warum er dieses Vorgehen wählt. Folgt man M2, dann ergibt die Anordnung der Momente entlang der Urteilstafel insofern Sinn, als im Geschmacksurteil irgendeine ›Beziehung auf den Verstand enthalten‹ ist. Wir werden im Zuge der Untersuchungen der Analytik sehen, dass dem Verstand zwei Funktionen im Kontext des Geschmacksurteils zukommen. Erstens ist er neben der Einbildungskraft einer der beiden Akteure im freien Spiel der Erkenntniskräfte, d. h. in derjenigen Reflexionsaktivität, die die vermögenstheoretische Grundlage der Lust am Schönen bildet. 14 Diese Funktion des Verstandes ist in der Sekundärliteratur unbestritten, wenngleich große Uneinigkeit darüber herrscht, welche Tätigkeit der Verstand im freien 12 13 14

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Siehe Kap. 1.1. Für den phänomenalen Gehalt der Lust am Schönen siehe Grundlagen 1. Siehe die Analyse von § 9.

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Spiel konkret ausübt. Ich werde darüber hinaus im Fortgang dieser Arbeit die These vertreten, dass dem Verstand im Geschmacksurteil eine zweite Funktion zukommt, nämlich das Subsumieren der vom Subjekt gefühlten Lust unter den Begriff »schön«. Erst dadurch, dass der Verstand die gefühlte Lust durch den Begriff »schön« erfasst, fällt das urteilende Subjekt ein Geschmacksurteil. Ich werde dies als ›Akt der Urteilsfällung‹ bezeichnen. 15 Nun scheint es naheliegend, dass mit der in M2 angesprochenen ›Beziehung auf den Verstand‹ die Aktivität des Verstandes im freien Spiel gemeint ist. Denn es ist diese Funktion des Verstandes, die Kant im Zuge der Analytik (insbesondere in § 9) als eine Besonderheit des Geschmacksurteils herausstellen wird. Allerdings resultiert aus dem freien Spiel nicht unmittelbar ein Geschmacksurteil. Vielmehr erleben wir das freie Spiel in phänomenaler Hinsicht als Lust, und erst durch die begriffliche Erfassung dieser Lust fällen wir dann das Geschmacksurteil. Da die Aktivität des Verstandes im freien Spiel nicht das Geschmacksurteil zum (unmittelbaren) Resultat hat, scheint unklar, warum das Geschmacksurteil aufgrund dieser Aktivität einen Bezug zu den Urteilsfunktionen aufweisen sollte. Es ist dagegen durchaus plausibel, dass es die begriffliche Erfassung der Lust durch den Verstand, d. h. der Akt der Urteilsfällung, ist, durch den das Geschmacksurteil einen Bezug zu den Urteilsfunktionen aufweist. Und dafür gibt es noch einen weiteren guten Grund. In der Analytik bestimmt Kant nämlich nicht nur das Geschmacksurteil, d. h. das Urteil über das Schöne, anhand der Urteilsfunktionen. Er ordnet auch den Urteilen über das Angenehme und über das Gute, von denen er das Geschmacksurteil abgrenzt, spezifische Urteilsfunktionen zu. Besonders erhellend ist dies im Kontext des Urteils über das Angenehme. Diesem weist Kant die Qualität der interessierten Lust zu, die Quantität der Privatgültigkeit und die Modalität der Wirklichkeit. (Unklar ist, welche Relation das Urteil über das Angenehme aufweist.) Das Urteil über das Angenehme beruht aber auf einer Lust, die wir unmittelbar an einer Empfindung fühlen und die keine Aktivität des Verstandes voraussetzt. Dennoch lässt sich das Urteil über das Angenehme anhand der Urteilsfunktionen bestimmen. Letzteres ist möglich, weil das Urteil über das Angenehme einen Akt der Urteilsfällung durch den Verstand voraussetzt: Auch beim Angenehmen muss der Verstand die gefühlte Lust unter den Begriff »angenehm« subsumieren, um das Urteil »x ist an15

Vgl. insbesondere die Ausführungen zum Subsumtionsmodell in Kap. G2.2.2.

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genehm« zu erzeugen. 16 Anders gesagt: Das Urteil über das Angenehme kann deshalb anhand spezifischer Urteilsfunktionen bestimmt werden, weil es ein Urteil ist; und jedes Urteil erfordert eine Aktivität des Verstandes. 17 Analog ist es die Tatsache, dass ein Urteil vorliegt, aufgrund deren das Geschmacksurteil anhand der Urteilsfunktionen bestimmt werden kann; und das Vorliegen eines Urteils setzt einen Akt der Urteilsfällung durch den Verstand voraus. Wir können also M2 folgendermaßen präzisieren: M2R1 Das Geschmacksurteil setzt eine Aktivität des Verstandes voraus, durch die das Urteil gefällt wird.

Nun ist das Geschmacksurteil kein gewöhnliches Urteil, sondern ein ästhetisches Urteil. Im Geschmacksurteil wird keine Eigenschaft eines Objekts prädiziert, sondern ein Lustgefühl des urteilenden Subjekts. 18 Das Geschmacksurteil ist daher von gewöhnlichen Urteilen – insbesondere von gewöhnlichen empirischen Urteilen – deutlich unterschieden. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass Kant dem Geschmacksurteil nicht die gewöhnlichen, aus der KrV bekannten Urteilsfunktionen zuordnet. Führen wir uns also vor Augen, wie Kant die Qualität, Quantität, Relation und Modalität des Geschmacksurteils bestimmt. Im Anschluss können wir dann auch besser verstehen, warum Kant die Analytik mit dem Moment der Qualität beginnt. Qualität: Das Moment der Qualität umfasst die §§ 1–5. In § 1 erläutert Kant, dass das Geschmacksurteil »x ist schön« ein ästhetisches Urteil ist. Dies bedeutet, grob gefasst, dass wir im Geschmacksurteil ein Gefühl der Lust prädizieren und dass das Geschmacksurteil nur durch das Gefühl der Lust gerechtfertigt werden kann. Vor diesem Hintergrund lässt sich das Urteil »x ist schön« übersetzen mit »x ist mit Lust verbunden«. Was hat dies mit der Urteilsfunktion der Qualität zu tun? Unter diese Urteilsfunktion fallen laut KrV die Momente bejahend, verneinend und unendlich. 19 Nun hat das Urteil »x ist mit Lust verbunden« bzw. »x ist schön« die Form eines bejahenden Urteils – wäre es ein verneinendes Urteil, müsste es »x ist nicht Siehe hierzu Kap. G2.1.2. Vgl. hierzu Kants Aussage, dass »zum Geschmacksurtheil, als ästhetischem Urtheile, auch (wie zu allen Urtheilen) Verstand gehört« (§ 15.D.6, 228,36, m. H.). 18 Siehe die Analyse von § 1, vor allem Kap. 1.2 und 1.3. 19 Vgl. A70/B95. – Für eine kurze Übersicht über die Urteilstafel vgl. Hoeppner (2018). 16 17

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schön« bzw. »x ist nicht mit Lust verbunden« lauten; wäre es unendlich, müsste es »x ist nicht-schön« lauten. Nun ist die These, dass das Geschmacksurteil ein ästhetisches Urteil ist, eigentlich nicht die zentrale These des Ersten Moments. Diese zentrale These ist vielmehr, dass die Lust am Schönen uninteressiert ist (Uninteressiertheitsthese). Das Geschmacksurteil hat also die spezifische Form »x ist mit uninteressierter Lust verbunden«. In diesem Sinne scheint aber das Geschmacksurteil die Qualität eines unendlichen Urteils aufzuweisen – denn als bejahendes Urteil müsste es »x ist mit interessierter Lust verbunden« lauten, als verneinendes Urteil »x ist nicht mit interessierter Lust verbunden«. 20 Folgt man Kants Ausführungen in der KrV, so bedeutet dies das Folgende: Durch das Prädikat der uninteressierten Lust wird nicht bloß »ein[.] Irrtum abgehalten« (A72/B97). (Letzteres wäre der Fall, wenn das Geschmacksurteil ein verneinendes Urteil der Form »x ist nicht mit interessierter Lust verbunden« wäre.) Vielmehr wird die Uninteressiertheit im Urteil »x ist mit uninteressierter Lust verbunden« bejaht. Dabei fällt dann der Gegenstand x in die »unendliche[.] Menge« der mit Lust verbundenen Dinge, »die übrig bleiben«, wenn man die Verbindung mit Interesse wegnimmt (A72/92). 21 (Dies ist freilich insofern etwas seltsam, als Fälle der uninteressierten Lust weitaus seltener sind als Fälle der interessierten Lust. Letzteres ändert aber nichts an der formalen Struktur der Unendlichkeit.) 22 Nun bestimmt Kant mit der Uninteressiertheitsthese aber nicht nur das Geschmacksurteil, sondern auch und eigentlich Vgl. zu diesem Punkt auch Adair 2018, 142–145. Vgl. für ein analoges Beispiel in der KrV: »Hätte ich von der Seele gesagt, sie ist nicht sterblich, so hätte ich durch ein verneinendes Urteil wenigstens einen Irrtum abgehalten. Nun habe ich durch den Satz: die Seele ist nichtsterblich, zwar der logischen Form nach wirklich bejahet, indem ich die Seele in den unbeschränkten Umfang der nichtsterbenden Wesen setze. Weil nun von dem ganzen Umfange möglicher Wesen das Sterbliche einen Teil enthält, das Nichtsterbende aber den andern, so ist durch meinen Satz nichts anders gesagt, als daß die Seele eines von der unendlichen Menge Dinge sei, die übrig bleiben, wenn ich das Sterbliche insgesamt wegnehme. Dadurch aber wird nur die unendliche Sphäre des Möglichen in so weit beschränkt, da das Sterbliche davon abgetrennt, und in den übrigen Raum ihres Umfangs die Seele gesetzt wird« (A72/B97 f.). 22 Vgl. hierzu erneut das Beispiel der unsterblichen Seele: »Dieser Raum bleibt aber bei dieser Ausnahme noch immer unendlich, und können noch mehrere Teile desselben weggenommen werden, ohne daß darum der Begriff von der Seele im mindesten wächst, und bejahend bestimmt wird. Diese unendliche Urteile also in Ansehung des logischen Umfanges sind wirklich bloß beschränkend in Ansehung des Inhalts der Erkenntnis überhaupt« (A72 f./B98). 20 21

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primär die Lust am Schönen. Die Qualität der Lust ist es, uninteressiert zu sein; in diesem Sinne scheint auch die Qualität der Lust eine unendliche zu sein. Sie fällt in die unendliche Menge der Lust, die übrig bleibt, wenn man die interessierte Lust bzw. das Interesse wegnimmt. Wir werden darüber hinaus sehen, dass die Qualität der Uninteressiertheit das wichtigste Charakteristikum des phänomenalen Gehaltes ist, durch den die Lust am Schönen ausgezeichnet ist. 23 Die Qualität der Lust steht in diesem Sinne auch für die Art und Weise, wie sich die Lust am Schönen primär qualitativ anfühlt. Damit können wir eine vielschichtige Deutung des Moments der Qualität vornehmen: Insofern das Geschmacksurteil das gegebene Objekt mit einer Lust verknüpft, zählt es zu den bejahenden Urteilen. Insofern das Geschmacksurteil das Objekt mit einer uninteressierten Lust verknüpft, zählt es zu den unendlichen Urteilen. Ferner wird die Qualität der Lust, d. h. das qualitative Sich-Anfühlen, als uninteressiert ausgewiesen. Quantität: Nach der Urteilsfunktion der Quantität, wie Kant sie in der KrV entwickelt, können Urteile in allgemeine (Alle S sind P), besondere (Einige S sind P) oder einzelne (Ein S ist P) eingeteilt werden. Nun ist das Geschmacksurteil auf den ersten Blick ein einzelnes Urteil der Form »Ein x ist schön«; und auch Kant führt aus: »In Ansehung der logischen Quantität sind alle Geschmacksurtheile e i n z e l n e Urtheile« (§ 8.E.1, 215,14). Allerdings führt Kant im Zweiten Moment (§§ 6–9), dem Moment der Quantität, primär die These ein, dass das Geschmacksurteil einen »Anspruch auf subjective Allgemeinheit« erhebt (§ 6.A.7, 212,4). Wir werden sehen, dass diese Allgemeingültigkeitsthese das Geschmacksurteil in gewisser Hinsicht als ein inhaltlich allgemeines Urteil kennzeichnet. So hat das Urteil »x ist schön« die folgende verdeckte Form: »Alle Urteilenden fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind.« 24 In diesem Sinne ist das Geschmacksurteil ein Urteil der Form »Alle S sind P«, und es verfügt also, ganz im Sinne der KrV, über die Quantität der Allgemeinheit. Aber auch die Allgemeingültigkeitsthese betrifft die Lust am Schönen. Denn diese Lust beansprucht Allgemeinheit und weist somit eine Quantität der Allgemeinheit auf. Die Allgemeinheit der Lust und die des Urteils sind dabei insofern nicht dasselbe, als die Lust (als Gefühl) klarerweise 23 24

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Siehe hierzu Kap. G1.2.1. Siehe hierzu Kap. 6.1.3.

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etwas anderes als ein Urteil ist. Die Allgemeinheit der Lust (d. h. die Tatsache, dass alle Menschen beim Wahrnehmen eines Gegenstandes x Lust am Schönen fühlen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind und wenn x ein schöner Gegenstand ist) ist die Grundlage dafür, dass das Urteil »x ist schön« die Quantität der Allgemeinheit beanspruchen kann. Ferner macht die Allgemeinheit einen weiteren Bestandteil des phänomenalen Gehalts der Lust aus. 25 Auch die Quantität des Schönen ist somit vielschichtig: Das Geschmacksurteil ist ein (verdecktes) allgemeines Urteil der Form »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind.« Die Lust am Schönen verfügt über die Quantität der Allgemeinheit, und diese Allgemeinheit wird uns im phänomenalen Gehalt der Lust bewusst. Relation: Im Dritten Moment, dem Moment der Relation, entfernt sich Kant am weitesten von seinem Verständnis der entsprechenden Urteilsfunktion in der KrV. In der Urteilstafel der KrV unterscheidet er zwischen kategorischen Urteilen der Form »S ist P«, hypothetischen Urteilen der Form »Wenn S ist P, dann T ist R«, und disjunktiven Urteilen der Form »Entweder S ist P, oder T ist R (oder Z ist Y …)«. Vergleicht man das Geschmacksurteil mit diesen drei Optionen, so müsste es ein kategorisches Urteil sein; denn es verfügt ja über die Form »x ist schön« bzw. »x ist mit uninteressierter Lust verbunden«. Allerdings behandelt Kant im Dritten Moment (§§ 10– 17) keineswegs die These, das Geschmacksurteil sei ein kategorisches Urteil. So ist dieses Moment auch nicht bloß mit ›Relation‹ überschrieben, sondern mit »R e l a t i o n der Zwecke, welche in ihnen [den Geschmacksurteilen] in Betrachtung gezogen wird« (219,27, 2. H. m. H.). Kant entfaltet im Dritten Moment die These, dass sich beim Schönen eine subjektive Zweckmäßigkeit ohne Zweck manifestiert: In der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt erweist sich die Form des schönen Gegenstandes als subjektiv zweckmäßig. Durch die Konzeption der subjektiven Zweckmäßigkeit ohne Zweck bestimmt Kant letztlich die Verknüpfung der Vorstellung vom schönen Objekt mit der Lust des urteilenden Subjekts. In diesem Sinne bestimmt Kant das Verhältnis der beiden Teile des Geschmacksurteils (logisches Subjekt und Prädikat), und als eine solche Verhältnisbestimmung der Teile des Urteils weist die Relation des Geschmacksurteils in gewisser Hinsicht einen Bezug zu den Urteilsfunktionen der 25

Siehe Kap. G1.2.3.

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Relation auf. Tatsächlich gibt es aber einen stärkeren Bezugspunkt zur Kategorientafel und den dort aufgelisteten Kategorien der Relation. Unter diesen befindet sich nämlich die »K a u s a l i t ä t und Dependenz (Ursache und Wirkung)« (A80/B106). Im kantischen Verständnis lässt sich die Zweckmäßigkeit auf eine Art von Kausalverhältnis zurückführen: Der Zweckbegriff, der den Willen zur Hervorbringung einer Wirkung bestimmt, ist die Ursache dieser Wirkung. 26 Ein Objekt ist dann zweckmäßig, wenn es durch einen Zweckbegriff bewirkt wurde oder wenn es für einen Urteilenden so scheint, als wäre das Objekt durch einen Zweckbegriff bewirkt worden. In diesem Sinne weist die Relation der Zweckmäßigkeit einen starken Bezug zur Kategorie der Kausalität auf. Im Übrigen gibt es, so werden wir sehen, einen Niederschlag der subjektiven Zweckmäßigkeit im phänomenalen Gehalt der Lust. Modalität: Während die Urteilsfunktionen der Quantität, Qualität und Relation jeweils den Inhalt von Urteilen bestimmen, trägt die Modalität »nichts zum Inhalte des Urteils bei[.], […] sondern [geht] nur den Wert der Copula in Beziehung auf das Denken überhaupt an[.]« (A74/B100). Unter der Urteilsfunktion der Modalität befasst Kant problematische Urteile (es ist möglich, dass S ist P), assertorische Urteile (es ist wirklich, dass S ist P) und apodiktische Urteile (es ist notwendig, dass S ist P). Im Vierten Moment (§§ 18–22) weist Kant das Geschmacksurteil als notwendig aus, wobei er allerdings explizit bestreitet, dass es ein apodiktisches Urteil sei. 27 Vielmehr handele es sich bei der Notwendigkeit des Geschmacksurteils um eine exemplarische Notwendigkeit. 28 Auch zur Lust am Schönen führt Kant aus, sie sei »ein[.] n o t h w e n d i g e [s] Wohlgefallen« (E4, 240,18), d. h. die Vorstellung vom schönen Gegenstand habe »eine n o t h w e n d i g e Beziehung auf das Wohlgefallen« (§ 18.A.3, 236,20). Insgesamt verfügen sowohl die Lust am Schönen als auch das Geschmacksurteil über die Modalität der Notwendigkeit, ohne dass das Geschmacksurteil ein apodiktisches Urteil ist.

Vgl.: »Zweck [ist] der Gegenstand eines Begrifs, sofern dieser als die Ursache von jenem (der reale Grund seiner Möglichkeit) angesehen wird; und die Causalität eines B e g r i f s in Ansehung seines O b j e c t s , ist die Zweckmäßigkeit (forma finalis)« (§ 10.A.1, 220,1). Siehe die Analyse dieser Passage in Kap. 10.1.1 & 10.1.2. 27 Vgl. § 18.A.7, 237,10. 28 Vgl. § 18.A.5, 237,6. – Ferner charakterisiert Kant die Notwendigkeit des Geschmacksurteils als subjektiv und bedingt (vgl. § 19.T, 237,20). 26

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Inhaltliche Einleitung in die Analytik des Schönen

Halten wir zur Beziehung des Geschmacksurteils zu den Urteilsfunktionen fest: i. Qualität: Das Geschmacksurteil ist in einer Hinsicht ein bejahendes Urteil (»x ist schön« bzw. »x ist mit Lust verbunden«) und in einer anderen Hinsicht ein unendliches Urteil (»x ist mit uninteressierter Lust verbunden«). ii. Quantität: Das Geschmacksurteil ist ein verdecktes allgemeines Urteil (»Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind«). Auf den ersten Blick ist das Geschmacksurteil jedoch ein einzelnes Urteil über das Objekt (»Ein x ist schön«). iii. Relation: Das Geschmacksurteil ist oberflächlich ein kategorisches Urteil (»x ist schön«). Primär manifestiert sich im Geschmacksurteil aber ein Verhältnis der subjektiven Zweckmäßigkeit (Ähnlichkeit zur Kategorie der Kausalität). iv. Modalität: Das Geschmacksurteil ist ein notwendiges Urteil. Jedoch ist es kein apodiktisches Urteil; vielmehr verfügt es über eine exemplarische Notwendigkeit. Wenden wir uns abschließend der zweiten These zu, die Kant in der Fußnote zu Beginn der Analytik formuliert. Diese These betrifft den Vorrang der Qualität beim Schönen (Q) und lautet: Q

»Die der Qualität habe ich zuerst in Betrachtung gezogen, weil das ästhetische Urtheil über das Schöne auf diese zuerst Rücksicht nimmt« (203 Fn.).

Wir können diese These folgendermaßen vereinfachen: QR1 Die logische Funktion der Qualität wird zuerst in Betracht gezogen, weil das Geschmacksurteil zuerst auf die Qualität Rücksicht nimmt.

Kant kündigt hier an, dass er in der Analytik das Geschmacksurteil zuerst anhand der Urteilsfunktion der Qualität untersucht. Und er begründet diesen Vorrang der Qualität damit, dass das Geschmacksurteil zuerst auf die Qualität ›Rücksicht nimmt‹. Dies besagt erstens, dass die Qualität für das Geschmacksurteil von besonderer Bedeutung ist. 29 Zweitens legt Kant nahe, dass urteilende Subjekte zuerst auf die Qualität Acht haben, wenn sie ein Geschmacksurteil fällen; Grimm führt zum Begriff »Rücksicht« aus: »rückblick auf verhältnisse, dinge, personen, die für eine handlung oder einen entschlusz von bedeutung sind« (Grimm: Rücksicht).

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und tatsächlich muss ein Urteilender ja zuerst darauf Acht haben, ob er Lust fühlt und ob diese Lust uninteressiert ist, wenn er das Urteil »x ist schön« fällen will. Warum hat die Qualität aber eine solche herausgehobene Bedeutung? Mit Rückgriff auf unsere Ausführungen zur Qualität des Geschmacksurteils sowie der Lust am Schönen können wir dies leicht erklären: Die Qualität des Geschmacksurteils besteht erstens darin, dass im Geschmacksurteil ein Gefühl der Lust prädiziert wird, d. h. dass es ein Urteil der Form »x ist mit Lust verbunden« ist. Diese Form eines ästhetischen Urteils unterscheidet das Geschmacksurteil von gewöhnlichen Urteilen (theoretischen oder praktischen Erkenntnisurteilen). Dieser Umstand hat insbesondere eine wichtige Bedeutung für den Fortgang der Analytik. Weil das Geschmacksurteil ein ästhetisches Urteil der Form »x ist mit Lust verbunden« und in diesem Sinne ein bejahendes Urteil über die Lust ist, können nämlich die Urteilsfunktionen, wie Kant sie in der KrV eingeführt hat, nicht uneingeschränkt angewendet werden; vielmehr müssen sie angepasst werden. Aus diesem Grund muss die Qualität als ästhetisches Urteil vor allen anderen Urteilsfunktionen behandelt werden. Und es gibt noch einen weiteren Grund für die herausgehobene Bedeutung der Qualität. Wir haben gesehen, dass Kant im Ersten Moment die Qualität der Lust am Schönen als uninteressiert ausweist. Es ist diese Qualität der Uninteressiertheit, aufgrund deren die Lust am Schönen sich von allen anderen Arten der Lust unterscheidet. Es ist also ihr spezifisches Charakteristikum. Und die Uninteressiertheit ist auch diejenige Charakteristik des phänomenalen Gehalts der Lust am Schönen, aufgrund deren diese Lust von allen anderen Arten der Lust gefühlt unterschieden werden kann. Es ist also ihre uninteressierte Qualität, durch die wir die gefühlte Lust am Schönen als Lust am Schönen identifizieren können. 30 In § 23 scheint Kant eine weitere Begründung dafür zu geben, warum beim Schönen die Qualität eine vorrangige Bedeutung hat, während beim Erhabenen die Quantität Priorität beansprucht: »Das Schöne der Natur betrift die Form des Gegenstandes, die in der Begränzung besteht; das Erhabene ist dagegen auch an einem formlosen Gegenstande zu finden, sofern U n b e g r ä n z t h e i t an ihm, oder durch dessen Veranlassung, vorgestellt und doch Totalität derselben hinzugedacht wird: so daß das Schöne für die Darstellung eines unbestimmten Verstandesbegrifs, das Erhabene aber, eines dergleichen Vernunftbegrifs, genommen zu werden scheint. Also ist das Wohlgefallen dort mit der Vorstellung der Q u a l i t ä t , hier aber der Q u a n t i t ä t verbunden« (244,23). Nun entfaltet Kant beim Schönen im Moment der Qualität aber weder die These, dass das Schöne die Form des Gegenstandes betrifft noch dass beim Schönen ein ›unbestimmter Verstandesbegriff‹ dargestellt wird. Tatsächlich müsste in

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Wir können nun zur Anordnung der Analytik entlang der Urteilsfunktionen das Folgende festhalten: i. Die Analytik des Schönen kann entlang der Urteilsfunktionen gegliedert werden, weil das Geschmacksurteil ein Urteil ist. ii. Weil das Geschmacksurteil ein ästhetisches Urteil ist, müssen die einzelnen Urteilsfunktionen aber angepasst werden. iii. Die Qualität ist von besonderer Bedeutung und muss daher als erstes untersucht werden, weil sie den Status des Geschmacksurteils als ästhetisches Urteil betrifft, aufgrund dessen die anderen Urteilsfunktionen angepasst werden müssen. Ferner ist die Qualität der Lust als uninteressiert ein spezifisches Charakteristikum des Schönen, durch das es von allen anderen Formen der Lust abgegrenzt werden kann.

3.2 Zur Differenz von epistemischer und vermögenstheoretischer Argumentationsstrategie Nun präsentiert Kant in der Analytik nicht nur vier getrennte Momente mit jeweils verschiedenen Thesen. Vielmehr sind die einzelnen Momente bzw. die einzelnen dort vorgetragenen Thesen durch eine bestimmte Argumentationsstrategie als roten Faden verbunden. Einzelne Argumente dieser Argumentationsstrategie sind in der Sekundärliteratur stark kritisiert worden (etwa Kants Argument für die Allgemeingültigkeitsthese in § 6). Wir wollen uns hier aber noch nicht diesen einzelnen Argumenten im Detail zuwenden. Vielmehr will ich skizzieren, wie Kants Argumentationsstrategie der Analytik im Ganzen zu verstehen ist. Kant eröffnet die Analytik mit der These, das Geschmacksurteil sei ein ästhetisches Urteil (§ 1). Dies bedeutet, dass im Geschmacksurteil ein Gefühl der Lust prädiziert wird und dass das Geschmacksurteil nur durch dieses Gefühl der Lust gerechtfertigt werden kann. Analogie zum Schönen die Quantität des Erhabenen auch nicht in der Formlosigkeit oder Unbegrenztheit des Gegenstandes liegen, sondern in der Allgemeinheit des Urteils sowie der Lust (und Unlust). Wenn Kant hier davon spricht, ›das Wohlgefallen‹ am Erhabenen sei ›mit der Vorstellung…der Quantität verbunden‹, so meint er damit, dass beim Erhabenen – insbesondere beim Mathematisch-Erhabenen – der Gegenstand »s c h l e c h t h i n g r o ß « sei (248,5). Auf diese These und dieses Verständnis von Quantität bezieht sich Kants Begründung, dass beim Erhabenen die Quantität Priorität beanspruche. Kants Philosophie des Schönen

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Nun wird die These, das Geschmacksurteil sei ein ästhetisches Urteil, von Kant scheinbar unbegründet vorausgesetzt; denn er bringt kein Argument vor. Jedoch ist Kants Leserschaft durch ihre eigenen Schönheitserfahrungen bekannt, dass sich Schönheit durch eine Lusterfahrung, d. h. durch ein spezifisches Gefühl, konstituiert. Vor diesem Hintergrund ist es nur naheliegend, dass Geschmacksurteile diese Lusterfahrungen ausdrücken und also ästhetische Urteile sind. Ein ähnliches Bild ergibt sich mit Bezug auf § 2 und die dort eingeführte Uninteressiertheitsthese. Kant scheint völlig unbegründet vorauszusetzen, dass die Lust am Schönen uninteressiert ist. Wir werden jedoch sehen, dass uns die Uninteressiertheit unmittelbar im phänomenalen Gehalt der Lust am Schönen gegeben ist: Die Lust am Schönen fühlt sich uninteressiert an, d. h. wir fühlen kein Begehren oder Wollen. Damit setzt Kants Argumentation in den §§ 1–2 bei der uns gegebenen Qualität von Schönheitserfahrungen im Sinne einer uninteressierten Lust an. Ich werde in diesem Kontext vom gefühlten Faktum der uninteressierten Lust sprechen. 31 Von besonderer Bedeutung ist dieses gefühlte Faktum nicht nur, weil es Kant überhaupt einen Einstieg in seine Theorie des Schönen ermöglicht, sondern auch, weil alle anderen Thesen (ausgenommen der Notwendigkeitsthese) unmittelbar oder mittelbar aus ihm abgeleitet werden. Führen wir uns dies genauer vor Augen. In § 5 trägt Kant die These vor, dass die Lust am Schönen frei ist (Freiheitsthese). Und seine Begründung lautet: »denn kein Interesse, weder das der Sinne, noch das der Vernunft, zwingt den Beyfall ab« (§ 5.B.6, 210,13). Kant scheint also die Freiheitsthese aus der Uninteressiertheitsthese abzuleiten. Wir werden jedoch sehen, dass uns auch die Freiheit der Lust am Schönen primär im phänomenalen Gehalt dieser Lust gegeben ist. In § 6 führt er dann die These ein, die Lust am Schönen sei allgemeingültig (Allgemeingültigkeitsthese). Diese These wird aus der Uninteressiertheitsthese gefolgert. So schreibt Kant: »Denn das, wovon jemand sich bewußt ist, daß das Wohlgefallen an demselben bey ihm selbst ohne alles Interesse sey, das kann derselbe nicht anders als so beurtheilen, daß es einen Grund des Wohlgefallens für jedermann enthalten müsse« (§ 6.A.2, 211,12). Und auch die Begriffslosigkeitsthese, die besagt, dass die Lust am Schönen nicht begrifflich erwirkt ist (weder direkt noch indirekt), folgert Kant aus der Uninteressiertheitsthese. So formuliert er: »Denn von Begriffen giebt es keinen 31

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Siehe hierzu Kap. 2.4.1.

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Uebergang zum Gefühle der Lust oder Unlust (ausgenommen in reinen practischen Gesetzen, die aber ein Interesse bey sich führen, dergleichen mit dem reinen Geschmacksurtheile nicht verbunden ist)« (§ 6.A.6, 211,30 f.). Die Begriffslosigkeitsthese lässt sich ferner auch aus dem Status des Geschmacksurteils als ästhetischen Urteils folgern. Nun bilden die Allgemeingültigkeitsthese und die Begriffslosigkeitsthese in § 9 den Ausgangspunkt derjenigen Argumentation, mittels deren Kant das freie und harmonische Spiel der Erkenntniskräfte als vermögenstheoretische Grundlage der Lust aufdeckt. In diesem Sinne führt Kants argumentativer Weg von der Uninteressiertheitsthese über die Allgemeingültigkeitsthese und die Begriffslosigkeitsthese zum freien Spiel. Im Dritten Moment, insbesondere in § 11, legt Kant dar, dass sich beim Schönen eine subjektive Zweckmäßigkeit ohne Zweck manifestiert. Zwar argumentiert Kant auch für diese These nie explizit, jedoch gibt er einige Hinweise auf ein Argument. Ich werde zeigen, dass beim Schönen deshalb eine subjektive Zweckmäßigkeit vorliegt, weil im freien Spiel eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt statthat. Dass im freien eine solche Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vorliegt, hat Kant in § 9 mittels der Allgemeingültigkeitsthese dargelegt. Dass diese subjektive Zweckmäßigkeit ohne Zweck ist, folgt aus dem Status des Geschmacksurteils als ästhetischen Urteils. 32 Die nächste substanziell wichtige These führt Kant in § 13 ein: Das Geschmacksurteil beruht auf Seiten des schönen Objekts auf der Form (Formthese). Auch diese These scheint Kant nicht zu begründen. Jedoch lassen sich die folgenden Begründungen entwickeln: Erstens kann das Geschmacksurteil weder auf einem Begriff noch auf einer Empfindung beruhen; denn in beiden Fällen wäre die Lust am Schönen ein Interesse, was der Uninteressiertheitsthese entgegensteht. Es muss daher auf der Form beruhen. Zweitens kann die Formthese daraus gefolgert werden, dass sich beim Schönen eine subjektive Zweckmäßigkeit manifestiert; denn jede Zweckmäßigkeit betrifft eine Zusammenstimmung von Teilen, d. h. eine Form. Drittens ist das freie Spiel vordringlich durch eine Aktivität der Einbildungskraft gekennzeichnet, deren spezifische Tätigkeit es ist, das Mannigfaltige an Empfindungen zur Form zuVgl. § 11.A.3, 221,8. – Streng genommen folgt nur die Tatsache, dass dem Geschmacksurteil kein objektiver Zweck zugrunde liegt, aus dem ästhetischen Status dieses Urteils. Dass dem Geschmacksurteil ferner auch kein subjektiver Zweck zugrunde liegt, folgt aus der Uninteressiertheitsthese (vgl. § 11.A.1–2, 221,5).

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sammenzusetzen. Damit folgt die Formthese aus der Uninteressiertheitsthese, dem freien Spiel sowie der Zweckmäßigkeit ohne Zweck. Konnten alle zentralen Thesen der ersten drei Momente unmittelbar oder mittelbar aus dem Faktum der uninteressierten Lust gefolgert werden, so ist dies bei den zentralen Thesen des Vierten Moments nicht der Fall. In § 18 führt Kant die These ein, dass die Lust am Schönen notwendig bzw. notwendig allgemeingültig ist (Notwendigkeitsthese). Auch diese These wird von Kant nicht begründet. Jedoch kann die Notwendigkeitsthese auch gar nicht mit dem Material der ersten drei Momente, d. h. unmittelbar oder mittelbar durch das Faktum der uninteressierten Lust, begründet werden. An dieser Stelle wird der Argumentationsgang der Analytik also unterbrochen bzw. die Argumentation setzt noch einmal neu an. Wir werden sehen, dass Kant davon ausgeht, die Notwendigkeit sei den Urteilenden als das Geschmacksurteil begleitender Gedanke unmittelbar bewusst. 33 Die zweite These des Vierten Moments, die besagt, dem Geschmacksurteil und der Lust am Schönen liege ein Gemeinsinn zugrunde, kann dann aus der Notwendigkeitsthese und dem Status des Geschmacksurteils als ästhetischen Urteils gefolgert werden. Führen wir uns die zentralen Thesen der Analytik sowie ihre Herleitungen noch einmal in übersichtlicher Form vor Augen: (1) Das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil; Begründung: Schönheitserfahrungen sind uns als Lusterfahrungen gegeben. (2) Die Lust am Schönen ist uninteressiert (Uninteressiertheitsthese); Begründung: Schönheitserfahrungen sind uns als Erfahrungen einer uninteressierten Lust gegeben (gefühltes Faktum der uninteressierten Lust). (3) Die Lust am Schönen ist frei (Freiheitsthese); Begründung: Folgerung aus der Uninteressiertheitsthese, und die Freiheit der Lust ist uns im phänomenalen Gehalt der Lust gegeben. (4) Die Lust am Schönen bzw. das Geschmacksurteil ist allgemeingültig (Allgemeingültigkeitsthese); Begründung: Folgerung aus der Uninteressiertheitsthese. (5) Die Lust am Schönen ist nicht begrifflich erwirkt (Begriffslosigkeitsthese); Begründung: Folgerung aus der Uninteressiertheitsthese und dem Status als ästhetischen Urteils. (6) Die vermögenstheoretische Grundlage der Lust am Schönen ist das freie und harmonische Spiel der Erkenntniskräfte; Begrün33

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Siehe Kap. 18.4.

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dung: Folgerung aus der Allgemeingültigkeitsthese und der Begriffslosigkeitsthese. (7) Beim Schönen manifestiert sich eine subjektive Zweckmäßigkeit ohne Zweck; Begründung: Kann aus dem freien Spiel bzw. der darin beinhalteten Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt gefolgert werden. (8) Schönheit bezieht sich auf Seiten des schönen Gegenstandes auf die Form (Formthese); Begründung: Kann aus der Uninteressiertheitsthese, dem freien Spiel sowie der subjektiven Zweckmäßigkeit ohne Zweck gefolgert werden. (9) Die Lust am Schönen bzw. das Geschmacksurteil ist notwendig (Notwendigkeitsthese); Begründung: Bewusstsein der Notwendigkeit im Sinne eines das Urteil begleitenden Gedankens. (10) Der Lust am Schönen und dem Geschmacksurteil liegt der Gemeinsinn zugrunde; Begründung: Kann aus der Notwendigkeitsthese und dem Status als ästhetischen Urteils gefolgert werden. Aus dieser Übersicht geht hervor, dass fast alle Thesen der Analytik aus dem gefühlten Faktum der uninteressierten Lust gefolgert werden oder gefolgert werden können. Dieses gefühlte Faktum bildet, wie gesagt, den Ausgangspunkt der gesamten Argumentation. Es ist dabei von besonderer Wichtigkeit, zu sehen, dass wir vermittelt durch das gefühlte Faktum von all den verschiedenen Thesen wissen. Es bildet daher den Ausgangspunkt einer Argumentation, mittels deren wir in epistemischer Hinsicht die Charakteristika und vermögenstheoretischen Grundlagen der Lust am Schönen aufdecken. In diesem Sinne bezeichne ich die nachgezeichnete Argumentation als epistemische Argumentationsstrategie. Während der Fortgang des kantischen Textes der geschilderten epistemischen Argumentationsstrategie entspricht, lässt sich noch eine zweite, implizite Argumentationsstrategie aufdecken. Ich bezeichne diese als vermögenstheoretische Argumentationsstrategie. Im Vergleich zur epistemischen Argumentationsstrategie nimmt die vermögenstheoretische Argumentationsstrategie einen umgekehrten Verlauf. Ausgehend von der vermögenstheoretischen Grundlage der Lust, nämlich dem freien Spiel der Erkenntniskräfte, in dem sich eine subjektive Zweckmäßigkeit manifestiert, lassen sich Argumente dafür konstruieren, dass die Lust am Schönen uninteressiert, frei und allgemeingültig ist. Die Frage ist hier nicht, wie wir um die einzelnen Thesen wissen, sondern wie die vermögenstheoretische Grundlage Kants Philosophie des Schönen

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der Lust die spezifischen Charakteristika der Schönheitserfahrungen garantiert bzw. ontologisch konstituiert. Führen wir uns auch die vermögenstheoretische Argumentationsstrategie gebündelt vor Augen: (1) Vermögenstheoretische Grundlage der Lust: (a) Freies und harmonisches Spiel der Erkenntniskräfte: Beim Schönen manifestiert sich ein Gemütszustand, der durch eine innere Belebung von Einbildungskraft und Verstand sowie durch eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt gekennzeichnet ist. (b) Subjektive Zweckmäßigkeit ohne Zweck: In der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt erweist sich der schöne Gegenstand als subjektiv zweckmäßig. (2) Phänomenale Ebene: (a) Lust: Weil das freie Spiel durch eine innere Belebung ausgezeichnet ist und wir jede innere Belebung als Lust erleben, schlägt sich das freie Spiel in einem Lusterlebnis nieder. (b) Allgemeingültigkeit: Weil der Zustand des freien Spiels eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt umfasst und sich der schöne Gegenstand darin als subjektiv zweckmäßig erweist, ist die Lust, durch die wir das freie Spiel phänomenal erleben, allgemeingültig. (c) Uninteressiertheit: Weil wir die Lust am Schönen nicht (unmittelbar) an einer Empfindung fühlen, sondern an einer inneren Vermögensaktivität, die keine Aktivität des Willens ist, d. h. weil wir die Lust am Schönen am freien Spiel der Erkenntniskräfte fühlen, ist die Lust kein Interesse bzw. uninteressiert. (d) Freiheit: Weil das freie Spiel der Erkenntniskräfte durch Freiheit gekennzeichnet ist, erleben wir die Lust am Schönen als frei. Warum ist es aber überhaupt wichtig, die epistemische und die vermögenstheoretische Argumentationsstrategie zu unterscheiden? Nun, berücksichtigt man diese Unterscheidung, so erliegt man erstens nicht allzu schnell dem systematisch vielleicht naheliegenden, interpretatorisch aber verhängnisvollen Reiz, Kants Argumentation durch Argumente zu ergänzen, die man selbst für besser erachtet. So wird man nicht ohne Weiteres die Argumentationsstruktur der Analytik um ein Argument für die Uninteressiertheitsthese zu ergänzen suchen, welches auf dem freien Spiel der Erkenntniskräfte be46

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ruht. 34 Denn in epistemischer Hinsicht steht uns das freie Spiel nicht zur Verfügung, um damit die Uninteressiertheit zu begründen. Zweitens wird vor dem Hintergrund dieser Unterscheidung die Struktur der Analytik viel plausibler. Will man nämlich ein Phänomen, wie das Phänomen von Schönheitserlebnissen, analysieren, so ist es eine sinnvolle Strategie, bei dem anzusetzen, was uns phänomenal gegeben ist, und von dort aus in einer epistemischen Argumentation die vermögenstheoretische Grundlage dieses Phänomens aufzudecken. Hingegen würde es wie völlig aus der Luft gegriffen wirken, würde Kant die Analytik mit dem freien Spiel der Erkenntniskräfte beginnen und davon ausgehend auf eine spezifische Schönheitserfahrung schließen. Drittens geht aus dem Verhältnis der beiden Argumentationsstrategien eine Beziehung zwischen der uninteressierten Lust und dem freien Spiel hervor, die dem Verhältnis vom Faktum der Vernunft und der Freiheit in der KpV sehr ähnlich ist. So führt Kant zu Beginn der KpV aus, »daß die Freiheit allerdings die ratio essendi des moralischen Gesetzes, das moralische Gesetz aber die ratio cognoscendi der Freiheit sei« (KpV: 4). Ähnlich ist das freie Spiel (bzw. der Gemeinsinn) die ratio essendi der uninteressierten Lust am Schönen, während die uninteressierte Lust die ratio cognoscendi des freien Spiels (bzw. des Gemeinsinns) ist. 35 Nach diesem kurzen Überblick über den Aufbau der Analytik des Schönen können wir uns nun den einzelnen Momenten und Paragraphen zuwenden. Es versteht sich von selbst, dass sich der Aufbau der Analytik sowie die beiden Argumentationsstrategien erst in Gänze erschließen, wenn man die einzelnen Theoriebausteine der Analytik im Detail erfasst hat.

Vgl. hierzu Guyer 1979, 169. Wir werden sehen, dass der Gemeinsinn nichts anderes als das freie und harmonische Spiel der Erkenntniskräfte verstanden als Vermögen ist. Siehe hierzu Kap. 20.2.

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I. Das Erste Moment des Schönen: Qualität

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Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Ersten Moments

§ 1 Das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil Kant führt aus, dass das Geschmacksurteil ein ästhetisches Urteil und kein Erkenntnisurteil ist. Diesen Status teilt sich das Geschmacksurteil mit Urteilen über das Angenehme. Ästhetische Urteile sind dadurch ausgezeichnet, dass das logische Urteilssubjekt (eine gegebene Vorstellung) mit einem quasi-Prädikat der Lust verbunden wird. Das quasi-Prädikat »ist schön« erfasst keine Eigenschaft des Gegenstandes, sondern drückt ein spezifisches Gefühl der Lust aus. Das Urteil »x ist schön« lässt sich dann übersetzen mit »x ist mit Lust verbunden«. Zudem sind ästhetische Urteile dadurch gekennzeichnet, dass sie einen subjektiven Bestimmungsgrund, d. h. einen Rechtfertigungsgrund der Lust, haben. Das Urteil »x ist schön« wird dadurch gerechtfertigt, dass das urteilende Subjekt wirklich eine Lust am Schönen, die intentional auf x gerichtet ist, fühlt. Dass das Geschmacksurteil ein Gefühl der Lust prädiziert, wird in § 1 unbegründet vorausgesetzt. Begründen lässt sich diese These aber mit Rekurs auf ästhetische Erfahrungen, die sich primär als Lusterfahrungen charakterisieren lassen. Aus der Tatsache, dass das quasi-Prädikat im Geschmacksurteil keinen Objektbezug aufweist, erhellt, dass das Geschmacksurteil kein durch Kategorien konstituiertes Objekt voraussetzt. Da bei Erkenntnisurteilen das durch Kategorien konstituierte Objekt den allgemein zugänglichen Bezugspunkt bildet, durch den das Urteil allgemein mitteilbar ist und notwendige Allgemeingültigkeit beanspruchen kann, bleibt bezüglich des Geschmacksurteils (zunächst) fraglich, wie es notwendige Allgemeingültigkeit beanspruchen kann.

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Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Ersten Moments

§ 2 Die Uninteressiertheitsthese Kant stellt die Uninteressiertheitsthese (UT) vor. Dazu definiert er zunächst, was ein Interesse ist. Zu berücksichtigen ist dabei, dass Kant in der KU mit einem nicht-intellektuellen und – im Gegensatz zur GMS und MdS – weiten Interessensbegriff operiert. Definiert ist das Interesse als eine Form von Lust, die durch eine Existenzbedingung – Interesse ist die Lust an der (gegebenenfalls antizipierten) Existenz eines Gegenstandes – und eine Begehrensbedingung – Interesse bewirkt ein Begehren oder ist ein gefühltes Wollen – gekennzeichnet ist. Die beiden grundlegenden Arten des Interesses sind das Interesse am Angenehmen und am Guten. Die Uninteressiertheitsthese (UT) besagt, dass die Lust am Schönen kein Interesse ist. Sie erfüllt daher weder die Existenzbedingung noch die Begehrensbedingung. Zwei Bedeutungsebenen von UT lassen sich festmachen: Erstens bedeutet UT, dass die Lust am Schönen keine unmittelbare Lust am Gegenstand, sondern eine unmittelbare Lust an einer Vermögensaktivität (dem freien Spiel der Erkenntniskräfte) ist, die keine Aktivität des Willens oder Begehrungsvermögens ist. Zweitens bedeutet UT, dass die Lust am Schönen keine Lust an der Empfindung (Materie der Vorstellung), sondern an der Form der Vorstellung ist, sowie dass sie auf einer Zweckmäßigkeit ohne jeglichen Zweck beruht, der den Willen bestimmen könnte. UT bedeutet jedenfalls nicht, dass uns der schöne Gegenstand völlig gleichgültig ist; vielmehr müssen die Existenzbedingung und die Begehrensbedingung durch eine Präsenzbedingung – der schöne Gegenstand muss uns präsent bleiben – und eine Verweilensbedingung – wir verweilen bei der Vorstellung vom schönen Gegenstand – ersetzt werden. Ferner ist UT zwar vordergründig eine These über die ästhetische Erfahrung, sie hat aber auch Implikationen für die ästhetische Einstellung: Um eine ästhetische Erfahrung machen zu können, sollten wir weder ein (starkes) Interesse am schönen Gegenstand noch an etwas anderem verspüren. Die beiden Bedeutungsebenen von UT stehen dem Leser in § 2 noch nicht zur Verfügung, sondern lassen sich erst mit Vorgriff auf das Zweite und Dritte Moment erschließen. Zudem liefert Kant in § 2 kein Argument für UT, sondern konstatiert diese These, als wäre sie offenkundig gewiss. Beides lässt sich damit erklären, dass UT über eine phänomenale Dimension verfügt und dass diese in § 2 primär angesprochen ist. In phänomenaler Hinsicht bedeutet UT, dass sich 52

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Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Ersten Moments

die Lust am Schönen nicht als Begehren anfühlt. Da Kant mittels dieser phänomenalen Bedeutung von UT den Einstieg in seine Theorie vom Schönen wählt, werde ich den Ausdruck ›gefühltes Faktum der uninteressierten Lust‹ einführen.

§ 3 Eine Theorie des Angenehmen Kant will die uninteressierte Lust am Schönen vom Interesse am Angenehmen und Guten abgrenzen. Zu diesem Zweck führt er zunächst in § 3 das Angenehme ein und legt dar, dass es eine Form von Interesse ist. Kant definiert das Angenehme als, »d a s , w a s d e n S i n n e n i n d e r E m p f i n d u n g g e f ä l l t « (§ 3.A.1, 205,26). Durch diese Definition wird dreierlei deutlich: Erstens ist das Angenehme Gegenstand eines Wohlgefallens oder einer Lust (›gefällt‹); zweitens sind für diese Lust nur die Sinne notwendig, jedoch keine intellektuelle Aktivität von Einbildungskraft, Verstand oder Vernunft; und drittens wird die Lust an einer (objektiven) Empfindung, d. h. an einem Sinneseindruck, gefühlt. Die Lust am Angenehmen kann daher als eine unintellektuelle und passiv empfangene Lust begriffen werden, die auch nicht-vernünftigen Wesen (Tieren) möglich ist. Weil die Lust am Angenehmen darüber hinaus sowohl die Existenzbedingung als auch die Begehrensbedingung des Interesses erfüllt, ist sie ein Interesse. Sie erfüllt die Existenzbedingung, weil sie unmittelbar an einer Empfindung gefühlt wird, wobei Empfindungen unmittelbar von etwas Existierendem hervorgerufen werden. Sie erfüllt die Begehrensbedingung, weil Empfindungen einem Konsumtionseffekt unterliegen und man daher immer neue Gegenstände dergleichen Art hervorbringen muss, um eine Lust am Angenehmen zu erhalten.

§ 4 Eine Theorie des Guten Kant kennt zwei Arten des Guten – das Nützliche und das moralisch Gute –, wobei die Lust an beiden Arten des Guten ein Interesse ist. Das Gute allgemein ist das, »was der Vernunft, durch den bloßen Begrif, gefällt« (§ 4.A.1, 207,15). Auch diese Definition beinhaltet dreierlei: Erstens ist das Gute (im engen Sinne) Gegenstand einer Lust (›gefällt‹); zweitens ist für diese Lust eine Aktivität der Vernunft notwendig; und drittens ist die Lust am Guten begrifflich erwirkt. Die Kants Philosophie des Schönen

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Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Ersten Moments

Lust am Guten kommt dadurch zustande, dass der Wille durch ein Vernunftprinzip – einen hypothetischen Imperativ oder das moralische Gesetz – bestimmt wird und sich diese Willensbestimmung im Sinne der Beförderung einer inneren Aktivität als Lust anfühlt. Beim Nützlichen wird der Wille durch einen hypothetischen Imperativ bestimmt, und der Gegenstand gefällt als Mittel zum Zweck, wobei es sich bei diesem Zweck letztlich um etwas Angenehmes handelt. Beim moralisch Guten wird der Wille durch das moralische Gesetz bestimmt, das den Menschen als Zweck an sich selbst beinhaltet; die gewollte Handlung, die Gegenstand der Lust am moralisch Guten (Achtung) ist, stimmt mit dem Menschen als Zweck an sich selbst zusammen. Beide Formen der Lust am Guten sind ein Interesse, da sie die Begehrensbedingung und die Existenzbedingung erfüllen. Die Begehrensbedingung ist insofern erfüllt, als die Lust am Guten nichts anderes als ein gefühltes Wollen ist. Die Existenzbedingung ist insofern erfüllt, als das gefühlte Wollen immer das Wollen der Existenz von etwas (eines Gegenstandes oder einer Handlung) ist. Wichtig ist, dass das Urteil über das Gute kein ästhetisches Urteil, sondern ein (praktisches) Erkenntnisurteil ist. Nicht die Lust am Guten ist der Bestimmungsgrund des Urteils über das Gute, sondern das Urteil über das Gute bewirkt dasjenige Wollen, das wir als Lust erleben. Die Lust ist vom Urteil abhängig und nicht umgekehrt.

§ 5 Ein Vergleich der drei Arten von Lust und die Freiheitsthese Kant führt die Ergebnisse der §§ 2–4 zusammen. Die Lust am Angenehmen und die Lust am Guten sind jeweils eine Form von Interesse bzw. von praktischer Lust. Die Lust am Schönen lässt sich als uninteressierte Lust bzw. Kontemplation daher eindeutig von der Lust am Angenehmen und Guten abgrenzen. Insbesondere unterscheiden sich auch die Erfahrungen der Lust am Schönen in phänomenaler Hinsicht von den anderen beiden Lusterfahrungen: Während es zum phänomenalen Gehalt der Lust am Angenehmen und Guten gehört, dass wir ein Begehren verspüren, empfinden wir bei der Lust am Schönen kein solches Begehren. Kant führt zwei neue Thesen ein: eine klassifikatorische These und die Freiheitsthese (FT). Die klassifikatorische These besagt, dass sowohl rein sinnliche Wesen (Tiere) als auch sinnlich-vernünftige 54

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Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Ersten Moments

Wesen (Menschen) Lust am Angenehmen empfinden können, dass nur der Mensch Lust am Schönen empfinden kann, und dass sowohl Menschen als auch rein vernünftige Wesen Urteile über das Gute fällen können. Erfahrungen des Schönen erweisen sich dabei in doppelter Hinsicht als zutiefst menschlich: Erstens sind nur Menschen aufgrund ihrer sinnlich-vernünftigen Natur zu Erfahrungen des Schönen fähig; zweitens erfüllt nur der Entstehungskontext der Lust am Schönen diese doppelte Natur des Menschen. Die zentrale Neuerung von § 5 ist die Freiheitsthese (FT). Diese besagt, erstens, dass die Lust am Angenehmen und Guten jeweils eine Form von unfreier Lust sind, und, zweitens, dass die Lust am Schönen einzig eine Form von freier Lust ist. Auf der Ebene der Lust sind das Angenehme und das Gute unfrei, weil uns der Gegenstand der Lust jeweils – entweder durch eine Neigung (Angenehme) oder durch ein Vernunftprinzip (Gute) – aufgezwungen wird. Auf der Grundlagenebene unterliegt die jeweilige der Lust zugrundeliegende Aktivität einem Zwang: Beim Angenehmen wird die Aktivität der Sinne durch einen Gegenstand bewirkt, wobei das Subjekt passiv ist, und beim Guten manifestiert sich in der Willensbestimmung eine freie Unterwerfung unter das moralische Gesetz. Auf der phänomenalen Ebene sind die Lust am Angenehmen und Guten jeweils als Erfahrungen des Zwangs bzw. der Nötigung charakterisiert. Bezüglich der Freiheit der Lust am Schönen (FT) lassen sich ebenfalls verschiedene Ebenen unterscheiden: Auf der Ebene der Lust wird uns der Gegenstand der Lust nicht aufgezwungen. Gleichzeitig können wir aber auch nicht beliebig wählen oder die Absicht treffen, an einem Gegenstand eine Erfahrungen des Schönen zu machen. Wir können nur im Sinne der ästhetischen Einstellung optimale Bedingungen dafür schaffen. Auf der Grundlagenebene finden sich zwei Momente der Freiheit im der Lust zugrundeliegenden freien Spiel der Erkenntniskräfte: Die Aktivität des Auffassens von Formen durch die Einbildungskraft ist insofern frei, als kein Zwang durch Begriffe des Verstandes oder Assoziationsgesetze vorliegt (negative Freiheit). Die Überprüfung der Formen und der Aktivität der Einbildungskraft mittels des subjektiven Prinzips a priori durch den Verstand ist außerdem insofern frei, als wir uns dieses Prinzip als Gesetz selbst geben (positive Freiheit, d. h. Autonomie bzw. Heautonomie). Die Grundlagenebene von FT erschließt sich dem Leser erst im weiteren Verlauf der Analytik. In § 5 erschließt sich FT dagegen zunächst primär phänomenal: Wir fühlen uns beim Schönen frei, d. h. wir fühlen keinen Zwang. Kants Philosophie des Schönen

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§ 1 Das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil

Die Hauptthese des ersten Paragraphen wird von Kant bereits in der Überschrift formuliert. Sie lautet: »Das Geschmacksurtheil ist ästhetisch« (§ 1.T, 203,8). Diese These mag auf den ersten Blick insofern seltsam anmuten, als wir uns doch im Bereich der Ästhetik bzw. in der Kritik der ästhetischen Urteilskraft befinden und es darum trivial erscheint, dass das Geschmacksurteil ästhetisch sein soll. Vorwegnehmend lässt sich hierzu bemerken, dass »ästhetisch« nicht dasselbe bedeutet wie »schön«; vielmehr wird das Adjektiv »ästhetisch« als Kennzeichnung einer spezifischen Klasse von Urteilen genutzt, zu denen neben Geschmacksurteilen auch Urteile über das Angenehme gehören. Ästhetische Urteile, so wird Kant herausarbeiten, zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie keine Eigenschaft des Objekts, sondern ein Gefühl der Lust prädizieren und nur durch Rekurs auf die gefühlte Lust rechtfertigbar sind. Durch die These, Geschmacksurteile seien ästhetische Urteile, stellt Kant gleich zu Beginn der Analytik heraus, dass Geschmacksurteile spezifisch von Erkenntnisurteilen unterschieden sind und in eine eigenständige Klasse von Urteilen fallen. 1 In § 1 lässt sich die folgende Gliederung vornehmen: [Eine vorläufige Definition des Geschmacks (vorangestellte Fußnote; 203,18–21)] 1. These: Das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil (§ 1.A.1– 3, 203,9–204,3) a) Das (quasi-)Prädikat im Geschmacksurteil ist ein Gefühl der Lust (§ 1.A.1, 203,9–12) So ist es in der Analytik des Schönen insgesamt ein Anspruch Kants, Geschmacksurteile »neben theoretischen und reinen praktischen als eigenständige Urteile zu etablieren« (Esser 1997, 60; vgl. auch Wenzel 2008, 4). – Esser spricht in diesem Kontext auch vom »Anspruch ästhetischer Urteile auf Autonomie« (Esser 1995a, 11; vgl. auch Esser 1995b, 430). In diesem Sinne teilt Kant in der Ersten Einleitung »alle unsere Urtheile nach der Ordnung der obern Erkenntnißvermögen, in t h e o r e t i s c h e , ä s t h e t i s c h e und p r a c t i s c h e ein[.]« (EEKU: 226,8).

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Zur Definition des Geschmacks

b) c) 2.

Definition von ›ästhetisches Urteil‹ (§ 1.A.2, 203,13–15) Erläuterung zur Subjektivität der Lust (§ 1.A.3, 203,15– 204,3) Weiterführende Erläuterungen und ein Beispiel (§ 1.B.1–3, 204,4–18) a) Beispiel (§ 1.A.1–2, 204,4–13) b) Das Subjekt des Urteils ist unerheblich für den Status des Urteils als ästhetisch oder logisch (§ 1.A.3, 204,13–18)

1.1 Zur Definition des Geschmacks In einer Fußnote zur Überschrift des Ersten Moments stellt Kant eine erste und vorläufige Definition des Geschmacks voran. 2 Diese Passage lautet: »Die Definition des Geschmacks, welche hier zum Grunde gelegt wird, ist: daß er das Vermögen der Beurtheilung des Schönen sey. Was aber dazu erfordert wird, um einen Gegenstand schön zu nennen, das muß die Analyse der Urtheile des Geschmacks entdecken« (203 Fn.).

Es lässt sich die folgende Definition entnehmen: G Der Geschmack ist das Vermögen der Beurteilung des Schönen.

Es ist plausibel, dass die Formulierung ›Beurtheilung des Schönen‹ das Fällen von Urteilen über das Schöne meint. Daraus ergibt sich die folgende Rekonstruktion: GR1 Der Geschmack ist das Vermögen, Urteile über das Schöne zu fällen.

Für diese Rekonstruktion spricht auch der darauffolgende Satz, in dem es heißt: ›Was aber dazu erfordert wird, um einen Gegenstand schön zu nennen, […]‹. In einem Urteil über das Schöne wird nichts anderes vorgenommen, als einen Gegenstand schön zu nennen. Da nun Urteile über das Schöne die Form »x ist schön« haben, können wir schreiben: GR2 Der Geschmack ist das Vermögen, Urteile der Form »x ist schön« zu fällen.

Der Fortgang der Fußnote wurde bereits in der Einleitung untersucht (siehe Unterpunkt 3.1).

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§ 1 Das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil

Man könnte sich fragen, ob der Geschmack nicht auch das Vermögen sei, Urteile der Form »x ist nicht schön« und »x ist hässlich« zu fällen. So heißt es etwa gleich zu Beginn des ersten Paragraphen: »Um zu unterscheiden, ob etwas schön sey oder nicht, beziehen wir die Vorstellung […] auf das Subject und das Gefühl der Lust oder Unlust desselben« (§ 1.A.1, 203,9, m. H.). Wenngleich Kant in der Analytik auch an anderen Stellen durch den Begriff der Unlust auf so etwas wie das Hässliche hindeutet, entwickelt er keineswegs eine systematische Theorie des Hässlichen. Vielmehr werde ich beizeiten dafür argumentieren, dass Kants Theorie streng genommen keinen Raum für das Hässliche als eigenständige Kategorie lässt, obwohl Kant dem Hässlichen eigentlich Raum gewähren müsste. 3 Für den Moment möchte ich das Hässliche allerdings noch ausblenden. Wenden wir uns wieder dem Geschmack als ›Vermögen der Beurtheilung des Schönen‹ zu. Nimmt man Kants gesamte Theorie des Schönen in den Blick, so kann die ›Beurtheilung des Schönen‹ auch für die Beurteilungsaktivität des freien Spiels der Erkenntniskräfte stehen. 4 Für eine solche Interpretation ist allerdings vorausgesetzt, dass man zwischen der Beurteilungsaktivität des freien Spiels der Erkenntnisvermögen und dem Akt der Urteilsfällung unterscheidet; und diese Unterscheidung geht mit einer Art von »two-acts model« einher. 5 Da ich im Folgenden eine Art von (minimalem) ›two-acts model‹ verteidigen werde, scheint es mir sinnvoll, den Geschmack in doppelter Hinsicht als ein Vermögen der Beurteilung zu verstehen: Erstens ist der Geschmack das Vermögen der Beurteilungsaktivität, in der die Vorstellung vom schönen Objekt verarbeitet wird, d. h. er ist das Vermögen des freien Spiels der Erkenntniskräfte; zweitens ist der Geschmack das Vermögen, Geschmacksurteile der Form »x ist schön« zu fällen. Eine vollständige Bestimmung des Geschmacks umfasst also die folgenden zwei Aspekte:

Siehe hierzu Grundlagen 7. Vgl. die Verwendung des Begriffs »Beurteilung« in § 9, etwa: »Untersuchung der Frage: ob im Geschmacksurtheile das Gefühl der Lust vor der Beurtheilung des Gegenstandes, oder diese vor jener vorhergehe« (§ 9.T, 216,30); »Diese bloß subjective (ästhetische) Beurtheilung des Gegenstandes […] geht nun vor der Lust an demselben vorher, und ist der Grund dieser Lust an der Harmonie der Erkenntnißvermögen« (§ 9.F.1, 218,8). 5 Siehe hierzu Kap. G2.2.2. – Ich übernehme den Begriff »two-acts model« von Ginsborg (vgl. Ginsborg 2015, 33). 3 4

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Zur Definition des Geschmacks

GR3 Der Geschmack ist das Vermögen, Vorstellungen im freien Spiel der Erkenntniskräfte zu beurteilen (Beurteilungsaktivität) und darauf aufbauend ein Urteil der Form »x ist schön« zu fällen.

Freilich sind die Beurteilungsaktivität (das freie Spiel) und das Urteil »x ist schön« miteinander verknüpft, nämlich durch die Lust am Schönen. Die Beurteilungsaktivität, d. h. das freie Spiel der Erkenntniskräfte, wird als Lust am Schönen gefühlt und diese Lust dient als Grundlage des Urteils »x ist schön«. 6 In diesem Sinne lässt sich der Geschmack auch als Vermögen der Lust am Schönen bzw. als Vermögen, eine Lust am Schönen zu fühlen, verstehen. Somit macht der Geschmack mindestens einen Teil des Seelenvermögens der Lust und Unlust aus, wie es von Kant in der Einleitung identifiziert wird. 7 Aber der Geschmack lässt sich nicht nur als Vermögen der Lust begreifen, sondern auch als ästhetische bzw. »ästhetisch reflectirende[.] Urtheilskraft« (247,8). 8 Dies kann man schon daran festmachen, dass Kant die Kritik der ästhetischen Urteilskraft bisweilen als »Critik des Geschmacks« bezeichnet (337,18). 9 Ferner heißt es etwa in der Einleitung: »Die ästhetische Urtheilskraft ist also ein besonderes Vermögen, Dinge nach einer Regel, aber nicht nach Begriffen, zu beurtheilen« (194,22) – wobei Kant damit offenkundig auf die Beurteilung des Schönen rekurriert. 10 Schließlich besteht die Urteilskraft aus einem Zusammenwirken von Einbildungskraft und Verstand, 11 und auch der Geschmack konstituiert sich über ein Zusammenwirken von Einbildungskraft und Verstand, nämlich durch das freie Spiel der Erkenntniskräfte. Daher erachte ich insgesamt eine integrative Konzeption des Geschmacks für sinnvoll, die sowohl das Vermögen der Lust als auch das Vermögen der ästhetischen Urteilskraft berücksichtigt. In diesem Verständnis zeichnet sich der GeFür das Verhältnis vom freien Spiel der Erkenntniskräfte zur Lust am Schönen siehe Kap. 9.6.3. 7 Vgl.: »Denn alle Seelenvermögen, oder Fähigkeiten, können auf die drey zurück geführt werden, welche sich nicht ferner aus einem gemeinschaftlichen Grunde ableiten lassen: das Er k e n n t n i ß v e r m ö g e n , das G e f ü h l d e r L u s t u n d U n l u s t , und das B e g e h r u n g s v e r m ö g e n « (177,17). 8 Auch das Beurteilungsvermögen des Erhabenen scheint zur ästhetischen Urteilskraft zu gehören. Vgl.: »Denn als Urtheil der ästhetischen reflectirenden Urtheilskraft, muß das Wohlgefallen am Erhabenen eben sowohl, als am Schönen, der Quantität nach allgemeingültig […] vorstellig machen« (247,7, m. H. & Kants H. getilgt). 9 Vgl. ferner § 9.A.1, 216,33; § 15.B.4, 227,7; 278,29; 286,11. 10 Vgl. auch 194,9; 350,9. 11 Vgl. 287,7. 6

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§ 1 Das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil

schmack durch einen sinnlichen Teil (Gefühl der Lust) und einen intellektuellen Teil (ästhetische Urteilskraft) aus. Diese beiden Aspekte vereinigt Kant im Vierten Moment im Begriff des Gemeinsinns – und der Gemeinsinn ist nichts anderes als der Geschmack. 12 Fassen wir vorläufig zusammen: i. Der Geschmack ist in zweifacher Hinsicht ein Beurteilungsvermögen: Er ist erstens das Vermögen, gegebene Vorstellungen im freien Spiel der Erkenntniskräfte zu verarbeiten (Beurteilungsaktivität) und zweitens darauf aufbauend ein Urteil der Form »x ist schön« zu fällen. ii. Darüber hinaus lässt sich der Verstand einerseits als Vermögen der Lust sowie andererseits als Vermögen der ästhetischen Urteilskraft verstehen.

1.2 Der ästhetische Charakter des Geschmacksurteils Betrachten wir nun die Kernthese von § 1, die Kant in der Überschrift voranstellt: § 1.T »Das Geschmacksurtheil ist ästhetisch« (203,8).

Mit Vorgriff auf die folgenden Ausführungen lässt sich diese These wie folgt präzisieren: § 1.TR1 Das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil.

Wie bereits angedeutet, bedeutet der Begriff »ästhetisch« nicht dasselbe wie »schön«. Dies ist schon daraus ersichtlich, dass auch Urteile über das Angenehme zu den ästhetischen Urteilen zählen. Folgt man Allison, dann gehört der ästhetische Charakter des Geschmacksurteils zu den »features of judgments of taste that are frequently downplayed« oder »ignored« (Allison 2001, 67). Da aber die These, das Geschmacksurteil sei ein ästhetisches Urteil, den Ausgangspunkt für alle folgenden Untersuchungen der Analytik des Schönen bildet, verdient sie eine intensive Untersuchung. Betrachten wir dazu zunächst den ersten Absatz von § 1: § 1.A.1 »Um zu unterscheiden, ob etwas schön sey oder nicht, beziehen wir die Vorstellung nicht durch den Verstand auf das Object zum Erkenntnisse, sondern durch die Einbildungskraft (vielVgl. zur Identität von Geschmack und Gemeinsinn 293,10; 295,20. – Zur Konzeption des Gemeinsinns siehe Kap. 20.2.

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Der ästhetische Charakter des Geschmacksurteils

leicht mit dem Verstande verbunden) auf das Subject und das Gefühl der Lust und Unlust desselben. § 1.A.2 Das Geschmacksurtheil ist also kein Erkenntnißurtheil, mithin nicht logisch, sondern ästhetisch, worunter man dasjenige versteht, dessen Bestimmungsgrund n i c h t a n d e r s als s u b j e c t i v seyn kann. § 1.A.3 [a] Alle Beziehung der Vorstellungen, selbst die der Empfindungen, aber kann objektiv seyn (und da bedeutet sie das Reale einer empirischen Vorstellung); [b] nur nicht die auf das Gefühl der Lust und Unlust, wodurch gar nichts im Objecte bezeichnet wird, sondern in der das Subject, wie es durch die Vorstellung afficirt wird, sich selbst fühlt« (203,9).

Für einen ersten Überblick können wir diese Passage folgendermaßen gliedern: In § 1.A.1 kontrastiert Kant zwei Beziehungen einer Vorstellung, nämlich eine auf das Objekt und eine auf das Subjekt. Daraus, dass im Geschmacksurteil eine Vorstellung auf das Gefühl der Lust des Subjekts bezogen wird, folgert er (›also‹) in § 1.A.2, dass das Geschmacksurteil ästhetisch statt logisch sei, und er definiert, was ein ›ästhetisches Urteil‹ ist. In § 1.A.3 schließlich nimmt er weitere Erläuterungen zur Subjektivität des Urteils und der Lust vor. Beginnen wir mit einer Untersuchung von § 1.A.1 und arbeiten heraus, was unter einer ›subjektiven‹ und einer ›objektiven Beziehung einer Vorstellung‹ zu verstehen ist.

1.2.1 Subjektive und objektive Beziehungen von Vorstellungen Betrachten wir also § 1.A.1. Wir können zunächst die folgenden simplen Substitutionen und Ergänzungen vornehmen: § 1.A.1* Um zu unterscheiden, ob etwas schön sei oder nicht, beziehen wir die Vorstellung nicht durch den Verstand auf das Objekt zur Erkenntnis, sondern wir beziehen die Vorstellung durch die Einbildungskraft (vielleicht mit dem Verstand verbunden) auf das Subjekt und das Gefühl der Lust und Unlust des Subjekts.

Auf der einen Seite wird eine Beziehung der Vorstellung auf das Subjekt und auf der anderen Seite eine Beziehung der Vorstellung auf das Objekt beschrieben. Wir können in diesem Sinne zwei verschiedene Propositionen isolieren: Kants Philosophie des Schönen

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§ 1 Das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil

S Um zu unterscheiden, ob etwas schön sei oder nicht, beziehen wir die Vorstellung durch die Einbildungskraft (vielleicht mit dem Verstand verbunden) auf das Subjekt und das Gefühl der Lust und Unlust des Subjekts. O Um zu unterscheiden, ob etwas schön sei oder nicht, beziehen wir die Vorstellung nicht durch den Verstand auf das Objekt zur Erkenntnis.

Die Formulierung ›um zu unterscheiden, ob etwas schön sey oder nicht‹ kann durch ›um ein Geschmacksurteil zu fällen‹ ersetzt werden; 13 denn ein Geschmacksurteil ist ein Urteil darüber, ob ein Gegenstand schön ist oder nicht. Damit lässt sich S folgendermaßen rekonstruieren: SR1 Um ein Geschmacksurteil zu fällen, beziehen wir die Vorstellung durch die Einbildungskraft auf das Subjekt und das Gefühl der Lust und Unlust des Subjekts.

Eine ähnliche Substitution können wir auch in O vornehmen. Aufgrund der Formulierung ›zum Erkenntnisse‹ und unter der Berücksichtigung des Satzes § 1.A.2, in dem das Geschmacksurteil vom Erkenntnisurteil abgegrenzt wird (›Das Geschmacksurtheil ist also kein Erkenntnißurtheil‹), kann O in eine positive Aussage über das Erkenntnisurteil verwandelt werden: OR1 Um ein Erkenntnisurteil zu fällen, beziehen wir die Vorstellung durch den Verstand auf das Objekt.

Stellt man S und O gegenüber, so wird deutlich, dass sich Geschmacksurteile und Erkenntnisurteile durch zwei Merkmale unterscheiden: erstens dadurch, worauf die Vorstellung bezogen wird, nämlich einmal auf das Subjekt und einmal auf das Objekt, und zweitens durch das (vornehmlich) aktive Vermögen, nämlich entweder die Einbildungskraft oder der Verstand.

Freilich gilt die Aussage, dass wir die Vorstellung auf das Gefühl der Lust beziehen, nicht nur für Geschmacksurteile, sondern auch für Urteile über das Angenehme bzw. für alle ästhetischen Urteile. Irritierenderweise schreibt jedoch Brandt, dass »die Präzisierung: ›und das Gefühl der Lust und Unlust‹ […] schon die Entscheidung [enthält], daß das Dasein des Gegenstandes selbst irrelevant ist und daß die besondere Erregung des angesprochenen Gefühls durch die bloße Vorstellung die Mitteilbarkeit impliziert« (Brandt 1998, 232), d. h. dass durch diese Präzisierung eindeutig das Geschmacksurteil bezeichnet wird.

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An dieser Stelle muss zunächst gefragt werden, was das Verb ›beziehen‹ in diesem Kontext bedeutet. Um dies zu verstehen, ist die folgende Parallelstelle aus § 36 hilfreich: »Mit der Wahrnehmung eines Gegenstandes kann unmittelbar der Begrif von einem Objecte überhaupt, von welchem jene die empirischen Prädicate enthält, zu einem Erkenntnißurtheile verbunden, und dadurch ein Erfahrungsurtheil erzeugt werden. […] [Absatz] Mit einer Wahrnehmung kann aber auch unmittelbar ein Gefühl der Lust (oder Unlust) und ein Wohlgefallen verbunden werden, welches die Vorstellung des Objects begleitet und derselben statt Prädicats dient, und so ein ästhetisches Urtheil, welches kein Erkenntnißurtheil ist, entspringen« (287,35 f.).

Statt ›beziehen‹ nutzt Kant hier das Verb ›verbinden‹ : ›Mit der Wahrnehmung eines Gegenstandes kann…der Begrif von einem Objecte überhaupt…zu einem Erkenntnißurtheile verbunden…werden‹. Kant umschreibt damit die Verbindung eines logischen Subjekts 14 mit einem Prädikat zu einem Urteil. Dies wird vor allem dadurch deutlich, dass er im Folgenden ausführt, im Falle des ästhetischen Urteils könne ›[m]it einer Wahrnehmung…ein Gefühl der Lust…verbunden werden, welches…derselben [Vorstellung des Objekts] statt Prädicats dient‹. Dem lässt sich entnehmen, dass in einem Erkenntnisurteil bzw. in einer bestimmten Art von Erkenntnisurteil (dem Erfahrungsurteil) eine Wahrnehmung eines Gegenstandes mit einem Prädikat verbunden wird, während in einem Geschmacksurteil eine Wahrnehmung mit einem Gefühl der Lust verbunden wird, welches den Platz des Prädikats einnimmt. Ich werde in Kürze erläutern, dass »ist schön« die zentrale Eigenschaft von Prädikaten verfehlt und in diesem Sinne bloß ›statt Prädicats dient‹. Ich werde für diese Rolle des ›statt Prädikat‹-Dienens der Lust den Ausdruck ›quasi-Prädikat‹ einführen. Das Verb ›beziehen‹ in S und O steht also für das Verbinden von Subjekt und Prädikat (bzw. quasi-Prädikat) zu einem Urteil. In diesem Sinne heißt es auch in der KrV, die Copula ›ist‹ sei das, »was das Prädikat b e z i e h u n g s w e i s e aufs Subjekt setzt« (A599/B627). Nun nutzt Kant in S die Formulierung, dass wir die Vorstellung ›auf das Subject und das Gefühl der Lust und Unlust desselben‹ beziehen. Dies Ich nutze im weiteren Verlauf dieser Arbeit den Begriff »logisches Subjekt« für den Subjektbegriff S in einem Urteil »S ist P«. Das so verstandene logische Subjekt ist vom urteilenden Subjekt, d. h. der Person, die das Urteil fällt, abzugrenzen. Den Begriff »urteilendes Subjekt« nutzt auch Kant (vgl. etwa 194,34; 284,34).

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darf aber nicht so verstanden werden, als gäbe es im Geschmacksurteil zwei verschiedene Beziehungen (und damit womöglich zwei verschiedene Prädikate), nämlich eine auf das Subjekt und eine auf das Gefühl der Lust und Unlust. Vielmehr ist die Beziehung auf das Gefühl der Lust und Unlust eine Beziehung auf das Subjekt. Die Konjunktion ›und‹ hat also eine bloß erläuternde Funktion. Dass Kant die Beziehung auf das Subjekt gesondert aufführt, mag darin begründet sein, dass er den Kontrast zwischen der Beziehung auf das Objekt und auf das Subjekt betonen möchte. Wir können S somit folgendermaßen rekonstruieren: SR2 Um ein Geschmacksurteil zu fällen, verbinden wir die Vorstellung durch die Einbildungskraft mit dem Gefühl der Lust und Unlust des Subjekts als quasi-Prädikat.

Damit sind wir einen Schritt weiter. Aber natürlich ist die entscheidende Frage, wie die beiden Bestandteile eines solchen Geschmacksurteils, d. h. das logische Subjekt und das Prädikat, zu verstehen sind und wie das urteilende Vermögen. Wenden wir uns nun diesen Fragen zu.

1.2.2 Das logische Subjekt im ästhetischen Urteil Beginnen wir mit dem logischen Subjekt des Urteils, also mit demjenigen Gegenstand (im weiten Sinne), auf den ein Prädikat bezogen wird. So heißt es in Meiers Vernunftlehre: »Das Subject eines Urtheils ist derjenige Begrif, von welchem wir uns vorstellen, daß ihm der andere [Begriff, d. h. das Prädikat] zukomme oder nicht zukomme« (Meier 2015, § 326, 485 f.). Vergleicht man die Propositionen S und O, so wird deutlich, dass das logische Subjekt des jeweiligen Urteils identisch ist, nämlich jeweils eine ›Vorstellung‹. 15 In der oben zitierten Passage aus § 36 ist es jeweils eine »Wahrnehmung eines GeDer Begriff der Vorstellung ist hier weit zu verstehen, sodass er – ganz im Sinne der sogenannten Stufenleiter der Vorstellungsarten (vgl. A320/B376 f.) – Empfindungen, Anschauungen und Begriffe umfasst. Dass Kant einen solchen weiten Vorstellungsbegriff nutzt, wird in § 1.A.3 deutlich: »Alle Beziehung der Vorstellungen, selbst die der Empfindungen, […]« (203,15). Im Übrigen verweist der Begriff der Vorstellung darauf, dass wir es in Urteilen nicht mit Dingen an sich sondern Erscheinungen zu tun haben. In diesem Sinne ist das Objekt (als Erscheinung) von der Vorstellung vom Objekt nicht unterschieden. So schreibt auch Eckl, dass Kant in der Analytik mit dem Begriff der Vorstellung oder der Vorstellungsarten »Produkte[.] des Subjekts«

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genstandes« (287,35), welche die Funktion des logischen Subjekts einnimmt. Der Begriff der Wahrnehmung verdeutlicht, dass das Geschmacksurteil seinen Ausgangspunkt bei etwas empirisch Wahrgenommenen nimmt und insofern immer auch einen empirischen Charakter hat. 16 Damit wird deutlich, dass Kant in seiner Gegenüberstellung von Geschmacks- und Erkenntnisurteilen hauptsächlich auf empirische Erkenntnisurteile (Erfahrungsurteile) rekurriert. 17 In § 1 scheint er aber noch offenlassen zu wollen, wie im Geschmacksurteil die Vorstellung, die die Rolle des logischen Subjekts einnimmt, charakterisiert ist, d. h. ob sie empirisch oder rational ist. So heißt es im zweiten Abschnitt von § 1: § 1.B.3 »Gegebene Vorstellungen in einem Urtheile können empirisch (mithin ästhetisch) seyn; das Urtheil aber, das durch sie gefällt wird, ist logisch, wenn jene nur im Urtheile auf das Object bezogen werden. § 1.B.4 Umgekehrt aber, wenn die gegebenen Vorstellungen gar rational wären, würden aber in einem Urtheile lediglich auf das Subject (sein Gefühl) bezogen, so sind sie sofern jederzeit ästhetisch« (204,13).

Kant bedient sich derselben Formulierungen wie in § 1.A.1: Wenn Vorstellungen ›im Urtheile auf das Object bezogen werden‹, dann ist das Urteil ›logisch‹, d. h. ein Erkenntnisurteil; wenn die Vorstellungen aber ›auf das Subject (sein Gefühl) bezogen [werden], so sind sie [die Urteile]…ästhetisch‹. 18 Kant verdeutlicht, dass die Bestimmung eines Urteils als logisch oder ästhetisch nicht von der Art des logischen Subjekts abhängt. Dass die ›[g]egebene[n] Vorstellungen…empirisch bezeichnet, »die es aus sich heraussetzt und an die Stelle verschiebt, an der naiverweise die Gegenstände angenommen werden« (Eckl 2017, 67). 16 Vgl. etwa: »Die Lust ist also im Geschmacksurtheile zwar von einer empirischen Vorstellung abhängig« (191,26; vgl. § 8.F.1, 215,35 f.). Auch Fricke verdeutlicht, dass Geschmacksurteilen immer eine empirische Anschauung als logisches Subjekt dient (vgl. Fricke 1990, 9). 17 Vgl. 190,33 f. 18 Das Personalpronomen ›sie‹ in der Formulierung »so sind sie […] ästhetisch« (204,18) ist durchaus problematisch. Grammatikalisch müsste es sich eigentlich auf die Formulierung ›die gegebenen Vorstellungen‹ rückbeziehen. Dies ergibt aber inhaltlich keinen Sinn, da diese ›gegebenen Vorstellungen‹ als ›rational‹ charakterisiert sind. Kant würde dann aussagen, dass ›sie‹, d. h. die gegebenen rationalen Vorstellungen, ›ästhetisch‹ sind, was ein Widerspruch wäre. Aufgrund der parallelen Struktur von § 1.B.4 und § 1.B.3 ist es sinnvoll, das Pronomen ›sie‹ durch ›Urteile‹ zu ersetzen, wenngleich der Begriff »Urteil« zuvor nur im Singular genannt wurde. Kants Philosophie des Schönen

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(mithin ästhetisch)‹ sind, sagt nichts darüber aus, ob das Urteil ästhetisch oder logisch wäre. Dabei ist unter einer empirischen Vorstellung eine Wahrnehmung (mit Bewusstsein) zu verstehen. 19 In diesem Sinne führt Kant auch in der Passage aus § 36 aus, dass das logische Subjekt in einem Erkenntnisurteil eine ›Wahrnehmung eines Gegenstandes‹ sein kann. Eine solche Wahrnehmung kann als ›ästhetisch‹ bezeichnet werden, weil sie sinnlich ist. 20 Entsprechend heißt es in § 1.A.3: »Alle Beziehung der Vorstellungen, selbst die der Empfindungen, aber kann objektiv seyn (und da bedeutet sie das Reale einer empirischen Vorstellung)« (§ 1.A.3, 203,15, m. H.). Auch Empfindungen lassen sich als empirisch und in diesem Sinne als ästhetisch charakterisieren; denn eine Empfindung ist die »Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit, so fern wir von demselben affiziert werden« (A19/B34). Bei der Verwendung des Adjektivs »ästhetisch« ist also zwischen ästhetischen Urteilen und ästhetischen Vorstellungen zu differenzieren. 21 Rekurriert ein Urteil auf eine ästhetische, d. h. empirische Vorstellung, so ist es ein empirisches Urteil, aber nicht zwangsläufig auch ein ästhetisches Urteil. Empfindungen sind darüber hinaus zunächst als bloß subjektive Zustände zu verstehen 22 – als paradigmatisch können dabei etwa Farbempfindungen gelten. So definiert Kant in der Stufenleiter der KrV die »Empfindung« als »Perzeption, die sich lediglich auf das Subjekt, als die Modifikation seines Zustandes bezieht« (A320/B376, m. H. & Kants H. getilgt). 23 Zudem heißt es in der KrV, dass eine »Empfindung an sich gar keine objektive Vorstellung ist« (B208). Trotz ihres subjektiven Charakters kann eine Empfindung aber Teil Vgl. OP 22: 10, 66, 68. – Es ist wichtig, dass man unter einer empirischen Vorstellung nicht schon eine begrifflich erfasste und durch Kategorien synthetisierte Wahrnehmung verstehen muss. 20 Vgl.: »Der Ausdruck einer ästhetischen Vo r s t e l l u n g s a r t ist ganz unzweydeutig, wenn darunter die Beziehung der Vorstellung auf einen Gegenstand, als Erscheinung, zur Erkenntniß desselben verstanden wird; denn alsdenn bedeutet der Ausdruck des ä s t h e t i s c h e n , daß einer solchen Vorstellung die Form der Sinnlichkeit (wie das Subject afficirt wird) nothwendig anhänge« (EEKU: 221,27). 21 Vgl. hierzu auch Crawford 1974, 30 f. 22 Vgl. Chignell 2015, 494. 23 Die grundsätzliche Subjektivität der Empfindungen wird auch nicht dadurch tangiert, dass Kant in § 3 zwischen subjektiven und objektiven Empfindungen unterscheidet (vgl. § 3.B.1-C.2, 206,19). Diese Differenzierung betrifft bloß den möglichen Gebrauch einer Empfindung zur Erkenntnis bzw. zum Bezug auf ein Objekt. Siehe Kap. 3.1.2. 19

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einer objektiven Beziehung, d. h. eines Erkenntnisurteils, sein. In diesem Sinne ließe sich in § 1.A.3 die folgende Ergänzung vornehmen: ›Alle Beziehung der Vorstellungen, selbst die der Empfindungen‹ – und Empfindungen sind bloße Modifikationen des Zustandes des Subjekts und insofern bloß subjektiv –, ›aber kann objectiv seyn‹. Empfindungen, so lässt sich antizipieren, können erst dadurch Teil einer objektiven Verbindung, d. h. eines Erkenntnisurteils, werden, dass sie unter Kategorien subsumiert werden und somit allererst ein Objekt konstituiert wird. 24 Halten wir also fest: Ob ein Urteil »S ist P« ein Erkenntnisurteil ist, hängt nicht vom Charakter des logischen Subjekts S ab. So kann den Platz des logischen Subjekts eine empirische und in diesem Sinne ästhetische Vorstellung einnehmen. Ebenso kann der Ausgangspunkt des Urteils eine Empfindung, d. h. eine bloße Modifikation des Zustandes des Subjekts, sein. Insofern ein Erkenntnisurteil bzw. eine objektive Verbindung vorliegt, wird diese Empfindung unter einen Begriff subsumiert. Tatsächlich müssen alle Urteile a posteriori, d. h. alle empirischen Urteile, ihren Ausgangspunkt bei Empfindungen nehmen und eine empirische Vorstellung beinhalten. Eine analoge Unabhängigkeit vom logischen Subjekt lässt sich nun bezüglich des ästhetischen Charakters von Urteilen feststellen. Führen wir uns dazu erneut § 1.B.4 vor Augen: § 1.B.4* Umgekehrt aber, wenn die gegebenen Vorstellungen gar rational wären, würden aber in einem Urteil lediglich auf das Subjekt (sein Gefühl) bezogen, so sind die Urteile sofern jederzeit ästhetisch.

Würde in einem Urteil eine rationale Vorstellung mit einem Gefühl der Lust verbunden, so würde es sich dabei also dennoch um ein ästhetisches Urteil handeln. Kant spezifiziert in diesem Kontext nicht, was eine ›rationale Vorstellung‹ ist. Man könnte vermuten, er wolle in § 1.B.3–4 mit der Gegenüberstellung von ›empirisch‹ und ›gar rational‹ auf die Differenzierung der Erkenntnisstämme in SinnlichVgl. Chignell 2015, 495. Es ist in der Literatur umstritten, was dazu notwendig ist, damit Empfindungen etwas, d. h. einen Gegenstand, vorstellen können. Erstens könnte dazu ausreichen, dass sie in Raum und Zeit strukturiert worden sind; zweitens könnte erforderlich sein, dass »sie [die Empfindung] außerdem unter reine und empirische Verstandesbegriffe subsumiert worden ist« (Chignell 2015, 495). Da Kant aber im Kontext von § 1 Empfindungen im Rahmen von Erkenntnisurteilen behandelt, ist offenkundig, dass hier eine Subsumtion unter einen Begriff vorliegen muss.

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keit und Verstand verweisen. 25 Unter dieser Annahme könnte eine rationale Vorstellung ein Begriff sein. Führt man sich aber andere Kontexte vor Augen, in denen Kant den Begriff »rational« nutzt, so wird deutlich, dass meist ein Bezug zur Vernunft besteht. 26 Berücksichtigt man weiterhin, dass Kant von Vorstellungen, die ›gar rational‹ (d. h. ›ganz bzw. vollkommen rational‹) 27 sind, spricht, dann scheint es plausibel, dass hier dem Empirischen nicht das Begriffliche, sondern das Apriorische entgegengesetzt ist. 28 Wir können demnach § 1.B.4 folgendermaßen ergänzen: § 1.B.4R1 Wenn die gegebenen Vorstellungen gar rational, d. h. Begriffe a priori, wären, würden aber in einem Urteil lediglich auf das Gefühl des Subjekts bezogen, so sind die Urteile ästhetisch.

Auch das ästhetische Urteil entlehnt seine Charakterisierung als ästhetisch demnach nicht seinem logischen Subjekt S. Auch wenn S ein Begriff a priori und damit nicht empirisch bzw. ästhetisch wäre, so könnte das Urteil dennoch ästhetisch sein, insofern das (quasi-) Prädikat ein Gefühl (der Lust) des urteilenden Subjekts wäre. Man könnte sich fragen, ob denn ästhetische Urteile möglich sind, an deren Subjektstelle ein Begriff a priori steht. Es ist auffällig, dass Kant in § 1.B.4 den Konjunktiv nutzt, während er in § 1.B.3 den Indikativ verwendet. Dies könnte bedeuten, dass es tatsächlich Erkenntnisurteile gibt, an deren Subjektstelle eine empirische und somit ästhetische Vorstellung steht – nämlich Erfahrungsurteile –, aber dass es keine ästhetischen Urteile gibt, an deren Subjektstelle ein Begriff a priori steht. Unter solch einem Urteil wäre insbesondere ein mögliches ästhetisches Urteil über das Gute zu verstehen, dessen Subjektstelle vom moralischen Gesetz und dessen Prädikatstelle vom Gefühl der Lust am unbedingt Guten eingenommen würde. Ich werde Vgl. A50 ff./B74 ff. Vgl. etwa: »Das Fürwahrhalten aus einem Erkenntnißgrunde, der sowohl objectiv als subjectiv zureichend ist, oder die Gewißheit ist entweder e m p i r i s c h oder r a t i o n a l , je nachdem sie entweder auf E r f a h r u n g […] oder auf Ve r n u n f t sich gründet. Diese Unterscheidung bezieht sich also auf die beiden Quellen, woraus unser gesammtes Erkenntniß geschöpft wird: die E r f a h r u n g und die Ve r n u n f t « (Log: 70). Vgl. auch A835/B863. 27 Das Wort »gar« hat damit nicht die Bedeutung von »sogar«, sondern ist im Sinne von »ganz« oder »vollkommen« zu verstehen (vgl. für diese Bedeutung Grimm: Gar). Diese Bedeutung ist uns heutzutage vor allem aus der Wendung »ganz und gar« vertraut. 28 Vgl. Log: 71; MAN: 468. 25 26

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dafür argumentieren, dass es ein solches ästhetisches Urteil streng genommen nicht gibt, was unter anderem daraus ersichtlich wird, dass auch rein vernünftige Wesen, die keine Lust fühlen können, Urteile über das Gute fällen können. 29 Der Bestimmungsgrund eines Urteils über das Gute kann also »a n d e r s als s u b j e c t i v seyn« (§ 1.A.3, 203,15) und das Urteil ist daher nicht ästhetisch. Schließlich lässt sich auch anhand des Beispiels in § 1.B.1 zeigen, dass das logische Subjekt S irrelevant dafür ist, ob das Urteil ästhetisch oder logisch ist. Dieses Beispiel lautet: § 1.B.1 »Ein regelmäßiges, zweckmäßiges Gebäude mit seinem Erkenntnißvermögen (es sey in deutlicher oder verworrener Vorstellungsart) zu befassen, ist ganz etwas anders, als sich dieser Vorstellung [des regelmäßigen zweckmäßigen Gebäudes] mit der Empfindung des Wohlgefallens bewußt zu seyn« (204,4).

Kant beschreibt hier erstens den Fall, dass jemand ›[e]in regelmäßiges, zweckmäßiges Gebäude mit seinen Erkenntnißvermögen‹ befasst, d. h. ein Erkenntnisurteil fällt, und zweitens den Fall, dass jemand sich der Vorstellung von ebendiesem Gebäude ›mit der Empfindung des Wohlgefallens bewußt‹ ist, d. h. ein ästhetisches Urteil fällt. In beiden Fällen ist es aber die Vorstellung vom Gebäude, die beurteilt wird, und die dementsprechend die Stelle des logischen Subjekts einnimmt. So sind etwa Erkenntnisurteile wie »Dies ist ein Gebäude« oder »Dieses Gebäude ist 50 m hoch« denkbar. Ebenso sind aber auch die ästhetischen Urteile »Dies ist schön« oder »Dieses Gebäude ist schön« denkbar. Aus dem Beispiel erhellt, dass die Vorstellung von ein und demselben Gegenstand sowohl logisches Subjekt in einem Erkenntnisurteil als auch in einem ästhetischen Urteil sein kann. Es gibt damit keine Klasse von Gegenständen, die wir ausschließlich logisch oder ästhetisch beurteilen können, sodass es gewissermaßen zwei getrennte Welten der Erkenntnisgegenstände und der schönen bzw. angenehmen Dinge gäbe. 30 Wir können festhalten, dass das logische Subjekt keinen Einfluss darauf hat, ob das Urteil als ästhetisches Urteil oder Erkenntnisurteil zu charakterisieren ist. Ob das logische Subjekt ästhetisch oder rational (ein Begriff a priori) ist, ist für den Charakter des Urteils als äsSiehe Kap. 4.6. Dafür, ob ein Gegenstand ästhetisch oder logisch beurteilt wird, ist entscheidend, ob eine Erkenntnisabsicht oder eine ästhetische Einstellung vorliegt. Zur ästhetischen Einstellung siehe Kap. 2.3.3 sowie Kap. G3.4.

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thetisch oder logisch irrelevant. Zudem kann dieselbe Vorstellung als logisches Subjekt sowohl in einem Erkenntnisurteil als auch in einem ästhetischen Urteil dienen. Insgesamt konnten wir die folgenden drei Thesen zum logischen Subjekt im ästhetischen Urteil bzw. im Geschmacksurteil herausarbeiten: i. Der Charakter des logischen Subjekts S (ästhetisch oder rational) ist unerheblich dafür, ob das Urteil »S ist P« ästhetisch oder logisch ist. ii. De facto rekurrieren Geschmacksurteile bzw. ästhetische Urteile immer auf etwas empirisch Wahrgenommenes. Daher rührt aber nicht der ästhetische Charakter der Geschmacksurteile; denn auch Erkenntnisurteile können auf etwas empirisch Wahrgenommenes rekurrieren. iii. Ein und dieselbe Vorstellung kann als logisches Subjekt in einem ästhetischen Urteil und einem Erkenntnisurteil dienen (z. B. die Vorstellung von einem Gebäude).

1.2.3 Das Prädikat im ästhetischen Urteil Da der Unterschied zwischen ästhetischen Urteilen und Erkenntnisurteilen nicht im logischen Subjekt des Urteils begründet sein kann, muss er im Prädikat des jeweiligen Urteils liegen. Betrachten wir zunächst noch einmal die Proposition O: OR1 Um ein Erkenntnisurteil zu fällen, beziehen wir die Vorstellung durch den Verstand auf das Objekt.

Im Erkenntnisurteil muss das Prädikat demnach in irgendeiner Form mit dem Objekt zu tun haben. Wie aber lässt sich dies genau begreifen? Folgt man Michael Wolff, dann ist das »Vorbild für Kants Gebrauch von ›Subjekt‹ und ›Prädikat‹ […] ein in der traditionellen Logik üblicher Gebrauch« (M. Wolff 2015, 2203). Dieser übliche Gebrauch findet sich etwa in Meiers Vernunftlehre: »Das Subject eines Urtheils ist derjenige Begrif, von welchem wir uns vorstellen, daß ihm der andere [Begriff, d. h. das Prädikat] zukomme oder nicht zukomme. Derjenige Begrif aber, von welchem wir uns vorstellen, daß er dem Subjecte zukomme, oder nicht zukomme, heißt das Prädicat eines Urtheils« (Meier 2015, § 326, 485 f.). Das Prädikat ist also ein Begriff, der etwas bezeichnet, was einem anderen Begriff, nämlich dem logischen Subjekt des Urteils, zukommt. Bereits daraus wird er70

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sichtlich, dass es eine unmittelbare Beziehung zwischen dem logischen Subjekt und dem Prädikat im Sinne des Zukommens gibt. 31 Zu den Erkenntnisurteilen zählen nun theoretische und praktische Urteile, 32 wobei es sich um synthetische Urteile a priori oder a posteriori handeln kann. Wie bereits angemerkt, bilden aber insbesondere die empirischen Erkenntnisurteile, d. h. die sogenannten Erfahrungsurteile, die primäre Abgrenzungsfläche für Geschmacksurteile. Daher werde ich die folgenden Ausführungen primär den Erfahrungsurteilen widmen. 33 In einem Erfahrungsurteil (wie in jedem Erkenntnisurteil) wird die Prädikatsstelle von einem Begriff eingenommen. 34 Erkenntnisurteile haben immer ein begriffliches Prädikat. Darauf deutet auch die Bezeichnung des logischen Urteils in § 1.A.2 hin (›Das Geschmacksurtheil ist also kein Erkenntnißurtheil, mithin nicht logisch‹); denn das Logische verweist auf das Vermögen des Verstandes sowie auf Begriffe und Regeln, und ist im Gegensatz zum Ästhetischen zu verstehen, das auf Sinnlichkeit verweist. 35 Zum Erfahrungsurteil heißt es ferner in den Prolegomena, dass ein solches »Urteil mit einem Gegenstande übereinstimmt« und »eine Beschaffenheit des Gegenstandes ausdrücke« (Prol: 298). Die Prädikatzuschreibung im Erfahrungsurteil rekurriert somit auf den zu beurteilenden Gegenstand. Das Prädikat ist dann ein Begriff, der eine Eigenschaft oder eben ›Beschaffenheit‹ des Gegenstandes erfasst. So drückt etwa das Urteil »Dieses Gebäude ist 50 m hoch« die Beschaffenheit des Gegenstandes des Gebäudes aus, 50 m hoch zu sein. Das Urteil sagt aus, »was eine Sache ist« (280,34).

Vgl. erneut, dass die Copula ›ist‹ dasjenige ist, »was das Prädikat b e z i e h u n g s w e i s e aufs Subjekt setzt« (A599/B627). 32 Vgl. 280,30. 33 Ich verstehe unter einem ›Erfahrungsurteil‹ ein empirisches Urteil, das eine Subsumtion der gegebenen Vorstellung unter Kategorien voraussetzt. Auf die Differenzierung von Wahrnehmungsurteilen und Erfahrungsurteilen in den Prolegomena (vgl. Prol: 297–302) werde ich in Kap. G5.1 in aller Kürze eingehen. 34 Vgl.: »Das Befremdende und Abweichende liegt nur darin: daß es nicht ein empirischer Begrif, sondern ein Gefühl der Lust (folglich gar kein Begrif) ist, welches doch durch das Geschmacksurtheil, gleich als ob es ein mit dem Erkenntnisse des Objects verbundenes Prädicat wäre, jedermann zugemuthet und mit der Vorstellung desselben verknüpft werden soll« (191,6). 35 Vgl. etwa: »Daher unterscheiden wir die Wissenschaft der Regeln der Sinnlichkeit überhaupt, d. i. Ästhetik, von der Wissenschaft der Verstandesregeln überhaupt, d. i. der Logik« (A52/B76; vgl. EEKU: 221). 31

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Dabei ist das Folgende zu beachten: Nach Kant haben wir bekanntermaßen keine Erkenntnis der Dinge an sich, sondern nur der Dinge, wie sie uns erscheinen. Ein Objekt (im Sinne eines Dinges, wie es uns erscheint) wird erst durch das (urteilende) Subjekt konstituiert, indem es ein Mannigfaltiges zur Form zusammensetzt und unter die Kategorien, d. h. Verstandesbegriffe a priori, subsumiert. 36 Erst durch die Subsumtion des Mannigfaltigen unter Kategorien konstituieren wir also ein Objekt. Wenn wir nun, wie von Kant in O ausgeführt, ›die Vorstellung […] durch den Verstand auf das Object zum Erkenntnisse [beziehen]‹, dann muss eine Subsumtion des Mannigfaltigen unter Kategorien vorangegangen sein. Erfahrungsurteile setzen also eine Anwendung der Kategorien voraus. So heißt es etwa auch in § 36: »Diesem [dem Erfahrungsurteil] liegen nun Begriffe a priori von der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, um es als Bestimmung eines Objects zu denken, zum Grunde; und diese Begriffe (die Categorieen) erfordern eine Deduction, […]« (288,2). 37 Die dem Erfahrungsurteil vorangehende Objektkonstitution durch das urteilende Subjekt und seine Synthesisleistungen (mittels Raum und Zeit und insbesondere der Kategorien) 38 ist insofern von zentraler Bedeutung, als durch diese das Objekt als ein allgemein zugänglicher Bezugspunkt des Urteils bzw. der Prädikatzuschreibung geschaffen wird. Erst durch den Bezug des Prädikats auf ein (durch Kategorien konstituiertes) Objekt ist das Urteil ›allgemein mitteilbar‹ 39 und kann notwendige Allgemeingültigkeit beanspruchen. 40 Der Grundgedanke ist, dass Urteile nur dann allgemein mitteilbar bzw. notwendig allgemeingültig sind, wenn sie einen Bezugspunkt haben, der vom urteilenden Subjekt und seinem bloß subjektiven Zustand verschieden ist. Zwar wird auch das Objekt nur durch das urteilende Subjekt im Akt der Subsumtion unter Kategorien konstituiert; aber dieser Akt kann bei allen Menschen als gleich Vgl. etwa: »Ve r s t a n d ist, allgemein zu reden, das Vermögen der Erkenntnisse. Diese bestehen in der bestimmten Beziehung gegebener Vorstellungen auf ein Objekt. Objekt aber ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist« (B137). 37 Vgl. auch 280,30. 38 Ich kann die Objektkonstitution im Rahmen dieser Arbeit nur verkürzt darstellen. So kann ich etwa nicht genauer auf den Schematismus oder die Grundsätze des reinen Verstandes eingehen. 39 Vgl. hierzu Br 11: 515. 40 Vgl. Prol: 298. 36

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(allgemein) vorausgesetzt werden und ist insofern nicht ›bloß subjektiv‹. 41 Damit können wir nun die folgenden Thesen zum Erkenntnisurteil bzw. zum Erfahrungsurteil festhalten: i. Das Prädikat im Erfahrungsurteil erfasst eine Eigenschaft eines Objekts begrifflich. Wir sagen durch ein solches Urteil aus, was eine Sache ist. ii. Das Objekt wird nur dadurch konstituiert, dass wir ein gegebenes Mannigfaltiges unter Kategorien subsumieren. Daher liegen dem Erfahrungsurteil die Kategorien zugrunde. iii. Der Bezugspunkt des Prädikats, d. h. das Objekt, ist allgemein mitteilbar. Daher beansprucht das Erfahrungsurteil notwendige Allgemeingültigkeit. Wie verhält es sich nun im Gegensatz dazu beim ästhetischen Urteil bzw. beim Geschmacksurteil? Betrachten wir dazu erneut S bzw. SR2: SR2 Um ein Geschmacksurteil zu fällen, verbinden wir die Vorstellung durch die Einbildungskraft mit dem Gefühl der Lust und Unlust des Subjekts als quasi-Prädikat.

Es fällt ins Auge, dass im Geschmacksurteil keine bzw. keine unmittelbare Beziehung zwischen der Vorstellung und dem Objekt besteht. Vielmehr liegt eine Beziehung zwischen der Vorstellung und dem urteilenden Subjekt bzw. der Lust (und Unlust) des Subjekts vor. 42 Dies bedeutet, dass die Lust im Geschmacksurteil die Rolle des Prädikats einnimmt. So heißt es in § 36, dass Geschmacksurteile das »Gefühl der Lust (oder Unlust) zu jener [der Anschauung des Objekts] als Prädicat hinzuthun« (288,34, m. H.). Und in der Einleitung schreibt Kant: »gleich als ob es [das Gefühl der Lust] ein mit dem Erkenntnisse des Objects verbundenes Prädicat wäre, […]« (191,9, m. H.). Somit erfasst das Prädikat »ist schön« keine Eigenschaft des Objekts, sondern vielmehr ein Gefühl der Lust im urteilenden Subjekt. Da »ist schön« die primäre Aufgabe eines Prädikats verfehlt, nämlich Eigenschaften des zu beurteilenden Objekts zu erfassen, bezeichne ich es als ›quasi-Prädikat‹. 43 Im Sinne der Zuschreibung des quasi-Prädikats Vgl. erneut Prol: 298. Ich werde in den folgenden Ausführungen den Begriff der Unlust zunächst nicht berücksichtigen. Siehe hierzu meine Ausführungen zum Hässlichen in Grundlagen 7. 43 Man könnte dagegen einwenden, dass Schönheit eine relationale Eigenschaft des Objekts sein könnte, die darin bestünde, Lust im urteilenden Subjekt zu verursachen. 41 42

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der Lust lässt sich das Urteil »x ist schön« übersetzen mit »x ist mit Lust verbunden«. 44 In einem Erfahrungsurteil ist das Prädikat ein Begriff, der eine Beschaffenheit des Objekts erfasst. Genau dies ist beim quasiPrädikat der Lust nicht der Fall. So heißt es etwa in § 11: »weil es ein ästhetisches und kein Erkenntnißurtheil ist, welches also keinen Begrif von der Beschaffenheit und innern oder äußern Möglichkeit des Gegenstandes, durch diese oder jene Ursache, […] betrift« (§ 11.A.3, 221,11, m. H. & Kants H. getilgt). 45 Ähnlich heißt es in der Ersten Einleitung: »Ein ästhetisches Urtheil im Allgemeinen kann also für dasjenige Urtheil erklärt werden, dessen Prädicat niemals Erkenntniß (Begrif von einem Objecte) seyn kann, […]. Nun ist aber nur eine einzige so genannte Empfindung, die niemals Begrif von einem Objecte werden kann, und diese ist das Gefühl der Lust und Unlust« (EEKU: 224,8, m. H.). Das quasi-Prädikat »ist schön« ist demnach kein Begriff, der eine Eigenschaft eines Gegenstandes erfasst. 46 Ich bezeichne diese These als Begriffslosigkeitsthese des Geschmacksurteils. 47 Dabei ist zu beachten, dass die Begriffslosigkeit des Prädikats im Geschmacksurteil nicht impliziert, »schön« sei kein Begriff und erfasse nichts begrifflich. Vielmehr werde ich dafür plädieren, dass »schön« ein Begriff ist, mit dem wir ein spezifisches Gefühl der Lust Wäre dies der Fall, so würden wir durch »ist schön« doch eine (relationale) Eigenschaft des Objekts erfassen. Gegen Schönheit als relationale Eigenschaft spricht jedoch erstens, dass das Gefühl der Lust nicht einfach passiv im Subjekt bewirkt wird, sondern dass dieses Gefühl auf einer Aktivität des Subjekts beruht; zweitens gibt es neben dem schönen Objekt mit dem Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft noch einen zweiten, subjektinternen Grund der Lust. Für Letzteres siehe Kap. 12.4. 44 Geschmacksurteile verfügen zusätzlich zum offiziellen logischen Subjekt über ein verdecktes logisches Subjekt. Das Urteil »x ist schön« lässt sich auch übersetzen mit »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x uninteressierte Lust, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind«. Siehe hierzu Kap. 6.1.3. 45 Die Formulierung ›innere und äußere Möglichkeit‹ kann hier außer Acht gelassen werden. Sie bezieht sich darauf, dass das Geschmacksurteil keinen Begriff eines Zwecks voraussetzt und keine Vollkommenheit ausdrückt. Siehe hierzu die Analyse von § 15. 46 Ich möchte betonen, dass das quasi-Prädikat keine Eigenschaft des Objekts begrifflich erfasst. Denn in einer bestimmten Hinsicht erfassen wir im Gefühl der Lust am Schönen eine Art Eigenschaft des Objekts (im weiten Sinne), nämlich subjektiv zweckmäßig zu sein. Diese Eigenschaft erfassen wir aber eben nicht begrifflich, sondern gefühlt. Siehe hierzu meine Ausführungen zur Lust als phänomenales Bewusstsein der subjektiven Zweckmäßigkeit in Kap. G1.2.4. 47 Siehe Kap. 6.1.4.

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begrifflich erfassen. Um das Urteil »x ist schön« zu fällen, nehmen wir dann eine (quasi-)Subsumtion einer konkret gefühlten Lust unter den Begriff »schön« vor. 48 Die Pointe der Begriffslosigkeitsthese ist, dass durch »ist schön« keine Eigenschaft des Objekts erfasst wird, sodass »ist schön« von gewöhnlichen Begriffen in Urteilen unterschieden ist. Durch den fehlenden Objektbezug des Prädikats wird deutlich, dass die Verbindung von logischem Subjekt und quasiPrädikat im Geschmacksurteil kein Objekt als gemeinsamen Bezugspunkt voraussetzt. Wir haben gesehen, dass ein Objekt erst durch die Synthesis mittels der Kategorien konstituiert wird. Wenn aber ein Geschmacksurteil kein so konstituiertes Objekt voraussetzt, dann ist für ein solches Urteil auch keine Synthesis durch Kategorien notwendig. 49 Nun hatten wir oben gesehen, dass das Erfahrungsurteil nur durch das mittels der Kategorien konstituierte Objekt einen für alle urteilenden Subjekte zugänglichen Bezugspunkt hat, aufgrund dessen es notwendige Allgemeingültigkeit beanspruchen kann. Da aber in (reinen) Geschmacksurteilen dieser allgemeine Bezugspunkt fehlt oder das Prädikat nicht auf diesen Bezugspunkt bezogen ist, scheint es unklar, wie sie notwendige Allgemeingültigkeit beanspruchen können. Wie sie diese beanspruchen können, ist daher eine der Hauptfragen von Kants Ästhetik. 50 Dass im Geschmacksurteil das quasi-Prädikat der Lust keine Eigenschaft des Objekts ausdrückt, führt zu einem Problem: Wie nämlich beziehen sich in einem solchen Urteil überhaupt logisches Subjekt und Prädikat aufeinander? Betrachten wir zu diesem Zweck erneut die Passage aus § 36. Dort heißt es: »Mit einer Wahrnehmung kann aber auch unmittelbar ein Gefühl der Lust (oder Unlust) […] verbunden werden, welches die Vorstellung des Objects begleitet und derselben statt Prädicats dient, […]« (288,10, m. H.). Das Verb Diese These hängt damit zusammen, dass ich zwei Akte des Urteilens im Geschmacksurteil unterscheide, nämlich erstens eine Aktivität der Beurteilung (freies Spiel der Erkenntniskräfte) und zweitens einen Akt der Urteilsfällung (begriffliche Erfassung der konkret gefühlten Lust durch das Prädikat »ist schön«). Siehe Kap. G2.2. 49 Dies schließt nicht aus, dass wir auch Objekte, d. h. begrifflich synthetisierte Vorstellungen, als »schön« beurteilen können. In den meisten Fällen handelt es sich dann bei diesen Urteilen aber um (zu einem gewissen Grade) angewandte Geschmacksurteile. Siehe hierzu die Analyse von § 16. 50 Wir werden sehen, dass Kants Ästhetik von einem Paradox geprägt ist, nämlich dem Paradox von Allgemeingültigkeit und Begriffslosigkeit. Siehe hierzu vor allem Kap. 6.1. 48

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›begleitet‹ verdeutlicht, dass die Vorstellung (des Objekts) und das Gefühl der Lust mindestens gleichzeitig auftreten: Wir fühlen die Lust, während wir den schönen Gegenstand wahrnehmen. Die bloße Gleichzeitigkeit wäre aber ein sehr schwacher Grund für eine Verbindung der Vorstellung und der Lust, da letztere bloß zufälligerweise auftreten könnte. In § 9 wird Kant jedoch zeigen, dass beider Verbindung viel stärker ist. So wird er erläutern, dass die wahrgenommene Vorstellung beim Schönen einer Beurteilungsaktivität unterzogen wird, die er als ›freies Spiel der Erkenntniskräfte‹ bezeichnet. Dieses freie Spiel ist es, welches wir als Lust erleben. Weil im freien Spiel die gegebene Vorstellung verarbeitet wird, werde ich dafür argumentieren, dass die Lust (unter anderem) intentional auf die Vorstellung gerichtet ist. 51 Vor diesem Hintergrund ist es plausibel, dass im Geschmacksurteil die gegebene Vorstellung bzw. das logische Subjekt mit dem quasi-Prädikat der Lust verbunden werden kann. Wir konnten insgesamt durch den Vergleich von S und O die folgenden Thesen zum Geschmacksurteil bzw. zum ästhetischen Urteil gewinnen: i. Das quasi-Prädikat im Geschmacksurteil erfasst keine Eigenschaft eines Objekts begrifflich. Wir sagen durch ein solches Urteil nicht aus, was eine Sache ist. ii. Vielmehr erfasst das quasi-Prädikat im Geschmacksurteil eine spezifische Lust des urteilenden Subjekts. iii. Das Geschmacksurteil setzt kein Objekt als Bezugspunkt voraus. Die gegebene Vorstellung muss nicht unter Kategorien subsumiert werden, und dem Geschmacksurteil liegen also (unter Umständen) keine Kategorien zugrunde. iv. Das Geschmacksurteil kann seine notwendige Allgemeingültigkeit nicht aus den Kategorien gewinnen. v. Die Verbindung zwischen gegebener Vorstellung (logisches Subjekt) und Gefühl der Lust kann hergestellt werden, weil die Lust (mittels des freien Spiels der Erkenntniskräfte) intentional auf die gegebene Vorstellung gerichtet ist.

Siehe Kap. G2.2.1. – Auch die Lust am Angenehmen ist intentional auf den Gegenstand bzw. die Empfindung gerichtet (siehe Kap. G2.1.1). Vor diesem Hintergrund ist es auch beim Angenehmen plausibel, dass die Lust mit der Vorstellung des Gegenstandes zu einem (ästhetischen) Urteil verbunden werden kann.

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1.2.4 Die beteiligten Vermögen In S und O deutet Kant an, dass sich Erkenntnisurteile und Geschmacksurteile nicht nur durch ihr Prädikat, sondern auch durch die jeweils beteiligten Vermögen unterscheiden. Blicken wir also einmal mehr auf S und O, dieses Mal aber unter der Perspektive der darin vorkommenden Vermögen: SR2 Um ein Geschmacksurteil zu fällen, verbinden wir die Vorstellung durch die Einbildungskraft mit dem Gefühl der Lust und Unlust des Subjekts als quasi-Prädikat. OR1 Um ein Erkenntnisurteil zu fällen, beziehen wir die Vorstellung durch den Verstand auf das Objekt.

Kant legt nahe, dass im Erkenntnisurteil der Verstand die Verbindung zwischen der Vorstellung und dem Objekt herstellt, während im Geschmacksurteil die Einbildungskraft die Verbindung zwischen der Vorstellung und der Lust herstellt. Ist dies aber wirklich der Fall? Beginnen wir erneut mit dem Erkenntnisurteil. Dass für ein Erkenntnisurteil maßgeblich der Verstand verantwortlich ist, scheint nicht weiter verwunderlich. So heißt es in der KrV: »Ve r s t a n d ist, allgemein zu reden, das Vermögen der E r k e n n t n i s s e « (B137), sowie: »daß der Ve r s t a n d überhaupt als ein Ve r m ö g e n z u u rt e i l e n vorgestellt werden kann« (A69/B94). In der Einleitung zur KU wird der Verstand als »Vermögen der Begriffe« bezeichnet (190,7) sowie als »Vermögen, Anschauungen auf Begriffe zu beziehen« (190,5). Eine (empirische) Erkenntnis wird nach Kants Erkenntnistheorie durch ein Zusammenspiel von Einbildungskraft und Verstand erlangt: Die Einbildungskraft synthetisiert das Mannigfaltige zur Form und der Verstand subsumiert diese Form unter Begriffe. So heißt es etwa in § 9: »Nun gehören zu einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, damit überhaupt daraus Erkenntniß werde, E i n b i l d u n g s k r a f t für die Zusammensetzung des Mannigfaltigen der Anschauung, und Ve rs t a n d für die Einheit des Begrifs der die Vorstellungen vereinigt« (§ 9.D.3, 217,26). 52

Erst durch den Akt der Subsumtion unter Begriffe gewinnen wir eine Erkenntnis und fällen ein Urteil. In diesem Sinne ist der Verstand das

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Vgl. ferner: § 21.A.3, 238,29; EEKU: 220,14.

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Vermögen, welches primär für Erkenntnisse und Urteile verantwortlich ist. Zugleich wird aber auch deutlich, dass der Verstand ohne eine vorangehende Aktivität der Einbildungskraft nicht urteilen kann; denn damit der Verstand unter einen Begriff subsumieren kann, muss die Einbildungskraft das Mannigfaltige zur Form synthetisiert haben. Somit ist für Erkenntnisse zwar auch Einbildungskraft notwendig, aber sie subsumiert nicht die Vorstellung unter einen Begriff und stellt damit nicht die Verbindung von Vorstellung und Objekt her. In einem Urteil, das einem Objekt ein empirisches Prädikat zuschreibt (etwa »Dieses Gebäude ist 50 m hoch«), lassen sich, so möchte ich betonen, zwei Handlungen des Verstandes unterscheiden. Erstens ist es der Verstand, der durch Anwendung der Kategorien allererst Objekte konstituiert. Zweitens wendet der Verstand in der Prädikatzuschreibung einen empirischen Begriff an (etwa »ist 50 m hoch«). 53 Wie aber verhält es sich beim Geschmacksurteil? Kant betont in S, dass die Vorstellung und das Gefühl der Lust ›durch die Einbildungskraft‹ verbunden werden. Um diese These richtig zu verstehen, müssen wir einige Theoriestücke der folgenden Paragraphen antizipieren. Die Lust am Schönen ist, so werde ich zeigen, nichts anderes als das gefühlte freie Spiel der Erkenntniskräfte. 54 Das freie Spiel der Erkenntniskräfte aber ist eine spezifische Interaktion von Einbildungskraft und Verstand. Dabei setzt die Einbildungskraft in einer andauernden Aktivität das Mannigfaltige zu Formen zusammen. Der Verstand subsumiert diese Formen und die Aktivität der Einbildungskraft in einer ebenfalls andauernden Aktivität unter das Prinzip a priori der Urteilskraft, welches (inhaltlich) besagt, dass die Formen der Natur und die Aktivität der Einbildungskraft je zweckmäßig für die Tätigkeit des Verstandes sind, Begriffe aufzufinden. 55 Im Gegensatz zu anderen Aktivitäten der Erkenntnisvermögen ist das freie Spiel spezifisch durch das freie Auffassen von Formen durch die Einbildungskraft gekennzeichnet und wird dadurch sogar gewissermaßen dominiert. 56 In einem Erkenntnisurteil steht die Einbildungskraft unter der begrifflichen Dominanz des Verstandes und unterliegt einer Nötigung bzw. einem Zwang: 57 Sie muss das Mannigfaltige zu solVgl. Kants Bemerkung in den Prolegomena, dass »noch ein ganz anderes Urteil voraus[geht], ehe aus Wahrnehmung Erfahrung werden kann« (Prol: 300, m. H.). 54 Siehe Kap. 9.6.3. 55 Siehe Kap. G3.3. 56 Vgl. 240,21. 57 Vgl.: »Wenn aber die Einbildungskraft nach einem bestimmten Gesetze zu verfah53

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chen Formen zusammensetzen, wie es der Begriff des Verstandes vorgibt. Im Geschmacksurteil bzw. im freien Spiel aber ist sie »productiv und selbstthätig« (240,27). Der Verstand hingegen überprüft im besagten ›Spiel‹ die produktive Aktivität der Einbildungskraft bloß anhand des Prinzips a priori, d. h. er überprüft, ob die zusammengesetzten Formen und die Aktivität der Einbildungskraft je zweckmäßig dafür sind, Begriffe aufzufinden. In diesem Sinne nimmt er eine untergeordnete Rolle ein. Man könnte also von einer Dominanz der Einbildungskraft im Geschmacksurteil und einer Dominanz des Verstandes im Erkenntnisurteil sprechen. Wie aber lässt es sich verstehen, dass wir im Geschmacksurteil ›die Vorstellung…durch die Einbildungskraft…auf das Subject und das Gefühl der Lust oder Unlust desselben beziehen‹ ? Führt man sich erneut die Lust als gefühltes Spiel der Erkenntniskräfte vor Augen, so kann man die Einbildungskraft als Verbindung zwischen der gegebenen Vorstellung und der Lust begreifen. Es ist nämlich die Einbildungskraft, die das gegebene Mannigfaltige anordnet und in einer Aktivität des freien Spielens mit Formen innerlich ›bearbeitet‹. Die von der Einbildungskraft dominierte Aktivität des freien Spiels der Erkenntniskräfte fühlt sich dann als Lust an. In diesem Sinne nimmt die Einbildungskraft eine verbindende Funktion zwischen beidem ein. Darüber hinaus ist die Lust am Schönen intentional auf die gegebene Vorstellung gerichtet, sodass bereits in der Lust selbst eine Verbindung zur gegebenen Vorstellung besteht. Auch diese Intentionalität beruht auf dem von der Einbildungskraft dominierten Spiel der Erkenntniskräfte; jedoch ist hier zu berücksichtigen, dass die Intentionalität in hohem Maße durch die Anwendung des Prinzips a priori der Urteilskraft seitens des Verstandes zustande kommt. 58 Es ist also keineswegs so, dass der Verstand gar keine Rolle im Geschmacksurteil spielt. Dies wird auch in § 1.A.1 deutlich: § 1.A.1 Um zu unterscheiden, ob etwas schön sey oder nicht, beziehen wir die Vorstellung nicht durch den Verstand auf das Object zum Erkenntnisse, sondern durch die Einbildungskraft (vielleicht mit dem Verstande verbunden) auf das Subject und das Gefühl der Lust und Unlust desselben.

ren genöthigt wird, so wird ihr Product, der Form nach, durch Begriffe bestimmt, wie es seyn soll« (241,6). 58 Siehe Kap. G2.2.1. Kants Philosophie des Schönen

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Der Verstand ist erstens insofern an der Verbindung von gegebener Vorstellung und Lust beteiligt, als er einer der beiden Akteure im freien Spiel der Erkenntniskräfte ist. Eine Lust am Schönen kann nur vorliegen, wenn Einbildungskraft und Verstand sich im freien Spiel gegenseitig beleben. Insofern das freie Spiel als Bindeglied zwischen der Vorstellung und der Lust fungiert, so stellen also Einbildungskraft und Verstand gemeinsam diese Verbindung her, wenngleich die Einbildungskraft dabei eine dominante Rolle einnimmt. Darüber hinaus darf man Kants Aussage, dass ›die Vorstellung durch die Einbildungskraft…auf…das Gefühl der Lust und Unlust‹ bezogen wird, nicht so missverstehen, als würde die Einbildungskraft das Geschmacksurteil »x ist schön« fällen. Vielmehr gilt auch für das Geschmacksurteil, dass »U r t h e i l e n […] schlechterdings nur dem Verstande […] zu[gehört]« (EEKU: 222,28). Ich werde dafür argumentieren, dass der Akt der Urteilsfällung in allen Urteilen und somit auch in allen ästhetischen Urteilen vom Verstand vollzogen wird. 59 Während aber bei einem Erkenntnisurteil dieser Akt darin besteht, eine Eigenschaft des Objekts begrifflich zu erfassen, so wird in einem Geschmacksurteil die aktual empfundene Lust begrifflich erfasst und eine quasi-Subsumtion unter den Begriff »schön« vorgenommen. 60 Fassen wir nun noch einmal zusammen, welches Vermögen in Erkenntnisurteilen und Geschmacksurteilen je eine herausgehobene Rolle einnimmt: i. Für Erkenntnisurteile (Erfahrungsurteile) und Geschmacksurteile sind jeweils sowohl Einbildungskraft als auch Verstand notwendig. ii. Im Erkenntnisurteil nimmt der Verstand insofern eine herausgehobene Rolle ein, als er durch Anwendung der Kategorien das Objekt konstituiert sowie eine Eigenschaft des Objekts im Prädikat begrifflich erfasst. iii. Im Geschmacksurteil nimmt die Einbildungskraft insofern eine herausgehobene Rolle ein, als sie durch ihr freies Zusammensetzen des Mannigfaltigen zu Formen das freie Spiel der Erkenntniskräfte dominiert.

Vgl.: »und, obgleich zum Geschmacksurtheil, als ästhetischem Urtheile, auch (wie zu allen Urtheilen) Verstand gehört« (§ 15.D.6, 228,36). 60 Dies hängt damit zusammen, dass ich die Position eines Subsumtionsmodells vertrete. Siehe Kap. G2.2.2. 59

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1.3 Zur Definition des ästhetischen Urteils Wir haben in S bereits einen Eindruck davon erhalten, worin der Unterschied zwischen einem ästhetischen Urteil bzw. Geschmacksurteil und einem Erkenntnisurteil besteht. Grob gefasst liegt dieser Unterschied darin, dass das Prädikat im Erkenntnisurteil eine Eigenschaft des Objekts und im ästhetischen Urteil ein Gefühl der Lust des urteilenden Subjekts begrifflich erfasst. In § 1.A.2 liefert Kant nun eine Definition des ästhetischen Urteils. Dazu nutzt er primär den Begriff des Bestimmungsgrundes. Führen wir uns zunächst § 1.A.2 vor Augen: § 1.A.2 »Das Geschmacksurtheil ist also kein Erkenntnißurtheil, mithin nicht logisch, sondern ästhetisch, worunter man dasjenige versteht, dessen Bestimmungsgrund n i c h t a n d e r s als s u b j e c t i v seyn kann« (203,13).

Dieser Satz erfüllt eine doppelte Funktion: Zum einen folgert Kant hier aus § 1.A.1 (›also‹), dass das Geschmacksurteil kein Erkenntnisurteil, sondern ein ästhetisches Urteil ist; zum anderen wird überhaupt erst definiert, was ein »ästhetisches Urteil« ist. Dass das Geschmacksurteil kein Erkenntnisurteil ist, erhellt dabei unmittelbar aus § 1.A.1. Dort hatte Kant nämlich ausgeführt, dass wir, um ein Geschmacksurteil zu fällen, »die Vorstellung nicht durch den Verstand auf das Object zum Erkenntnisse [beziehen]« (§ 1.A.1, 203,9). Insofern aber in Erkenntnisurteilen immer eine Vorstellung ›durch den Verstand auf das Object zum Erkenntnisse‹ bezogen wird, folgt aus § 1.A.1, dass das Geschmacksurteil kein Erkenntnisurteil ist. Warum aber daraus, dass wir im Geschmacksurteil »die Vorstellung […] auf das Subject und das Gefühl der Lust oder Unlust desselben [beziehen]« (§ 1.A.1, 203,9), folgt (›also‹), dass dieses Urteil ein ästhetisches Urteil ist, wird erst aufgrund der Definition von »ästhetisches Urteil« verständlich. Wir können die folgende Definition von »ästhetisches Urteil« aus § 1.A.2 extrahieren: äU Der Bestimmungsgrund eines ästhetischen Urteils kann nur subjektiv sein.

Der zentrale Begriff dieser Definition ist »subjektiver Bestimmungsgrund des Urteils«. Was aber ist ein Bestimmungsgrund oder vielmehr ein Bestimmungsgrund des Urteils? Und was bedeutet es dann, dass ein solcher Bestimmungsgrund eines Urteils subjektiv ist?

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Einschub: Der Begriff des Bestimmungsgrunds in der kantischen Philosophie Der Begriff »Bestimmungsgrund« ist insofern problematisch, als Kant ihn ohne weitere Erklärung in § 1 voraussetzt. Problematisch ist dies auch deshalb, weil Kant diesen Begriff innerhalb seines Gesamtwerks sowie innerhalb der KU in verschiedenen Bedeutungen und eingebettet in verschiedene Kontexte nutzt. Ich werde im Folgenden einige dieser Bedeutungen kurz vorstellen und auf die Konzeption eines Bestimmungsgrundes des Urteils hinleiten. Eine recht häufige Verwendung findet der Begriff »Bestimmungsgrund« im Bereich der Ethik, als Bestimmungsgrund des Willens. 61 Tatsächlich wird der Begriff »Bestimmungsgrund« am häufigsten in der KpV genutzt. 62 Dort differenziert Kant zwischen Prinzipien, »die ein O b j e k t (Materie) des Begehrungsvermögens, als Bestimmungsgrund des Willens, voraussetzen« (KpV: 21), und Prinzipien, »die nicht der Materie, sondern bloß der Form nach, den Bestimmungsgrund des Willens enthalten« (KpV: 27). Kant bezeichnet die erste Art von Bestimmungsgründen auch als »materiale[.]« oder »empirisch[e]« Bestimmungsgründe, die zweite Art aber als »formale[n]« oder »rationale[n]« Bestimmungsgrund (RGV: 3). 63 Offenkundig handelt es sich bei dieser zweiten Art von Bestimmungsgründen um das moralische Gesetz. Gemein ist allen Arten von Bestimmungsgründen, dass sie eine Willensbestimmung, d. h. ein Wollen, verursachen. Der Bestimmungsgrund ist ein Objekt des Willens oder ein Gesetz, das den Willen zum Wollen einer Handlung bestimmt; freilich muss eine Willensbestimmung bzw. ein Wollen aber nicht zwangsläufig in eine entsprechende Handlung münden. Bereits in diesem praktischen Rahmen findet sich eine Differenzierung in einen objektiven und einen subjektiven Bestimmungsgrund des Willens. Dabei ist es für unsere folgenden Untersuchungen zum Bei Adelung findet sich zwar kein eigener Eintrag zu »Bestimmungsgrund«; genannt wird dieser Begriff jedoch ebenfalls überwiegend in praktischen Kontexten. Vgl. etwa die Formulierung »Bestimmungsgrund seines Verhaltens« im Eintrag »Befolgen« (Adelung: Befolgen; vgl. auch Adelung: Die Bestimmung). 62 In der GMS wird die Formulierung »Bestimmungsgrund des Willens« nur marginal verwendet. Vgl. GMS: 401, 459 Fn. 63 Zu beachten ist hier, dass Kant in der MdS die Differenz zwischen »Wille« und »Willkür« an den Begriff des Bestimmungsgrundes bindet, sodass ein materialer Bestimmungsgrund eigentlich ein Bestimmungsgrund der Willkür und nicht des Willens wäre (vgl. MdS: 213). 61

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subjektiven Bestimmungsgrund des ästhetischen Urteils interessant, dass Kant im ethischen Kontext den subjektiven Bestimmungsgrund des Willens an den Begriff der Triebfeder und somit an ein Gefühl der Lust (Achtung) bindet. 64 Verwendungen des Begriffs »Bestimmungsgrund des Willens (oder Begehrungsvermögens)« finden sich auch in der KU. 65 Im Kontext der KU wird der Begriff »Bestimmungsgrund des Willens« im Umfeld der Begriffe des Zwecks und der Zweckmäßigkeit relevant. So heißt es etwa zum Zweck in § 10: »Wo also nicht etwa bloß die Erkenntniß von einem Gegenstande, sondern der Gegenstand selbst […] als Wirkung, nur als durch einen Begrif von der letztern möglich gedacht wird, da denkt man sich einen Zweck. Die Vorstellung der Wirkung ist hier der Bestimmungsgrund ihrer Ursache, und geht vor der letztern vorher« (§ 10.A.2–3, 220,4, m. H.).

Der Grundgedanke ist hier, dass der Zweck, verstanden als Vorstellung bzw. Begriff von einem Gegenstand, die ›Ursache‹ des Gegenstandes ist. 66 Ein Zweck bestimmt den Willen eines Subjekts, sodass dieser Wille (als Ursache) den Gegenstand dann hervorbringt bzw. hervorbringen will. Auch hier lässt sich der Bestimmungsgrund also als ›Bestimmungsgrund des Willens‹ begreifen. Dies wird auch durch die folgende Begriffsbestimmung von »Zweck« aus dem zweiten Teil der KU deutlich: »Denn, die vorgestellte Wirkung, deren Vorstellung zugleich der Bestimmungsgrund der verständigen wirkenden Ursache zu ihrer Hervorbringung ist, heißt Z w e c k « (426,7, 1. H. m. H.).

Die ›verständige[.] wirkende[.] Ursache‹ ist nichts anderes als der Wille, sodass der ›Zweck‹ als ein Bestimmungsgrund des Willens begriffen werden kann. 67

Vgl.: »Das moralische Gesetz also, so wie es formaler Bestimmungsgrund der Handlung ist, durch praktische reine Vernunft, so wie es zwar auch materialer, aber nur objektiver Bestimmungsgrund der Gegenstände der Handlung unter dem Namen des Guten und Bösen ist, so ist es auch subjektiver Bestimmungsgrund, d. i. Triebfeder zu dieser Handlung, indem es auf die Sinnlichkeit des Subjekts Einfluß hat, und ein Gefühl bewirkt, welches dem Einflusse des Gesetzes auf den Willen beförderlich ist« (KpV: 75; vgl. auch KpV: 72). 65 Vgl. § 2.A.2, 204,24. Vgl. weiterhin 169,24; EEKU: 207,11, 246,22. 66 Siehe hierzu Kap. 10.1.1. 67 Vgl. ferner 322,18; 379,10; 405,32 f.; 408,2; 414,6; 425,21; 441,2; 443,36. 64

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Nun interessiert uns im Rahmen der Untersuchung von § 1 nicht der Bestimmungsgrund des Willens, sondern der Bestimmungsgrund des Urteils. 68 Vom Begriff des Bestimmungsgrundes des Willens können wir aber immerhin lernen, dass erstens etwas bestimmt wird und dass zweitens etwas diese Bestimmung verursacht. Fricke betont, dass der »Terminus ›Bestimmungsgrund eines Urteils‹ […] in Kants kritischer Urteilstheorie keine wesentliche Rolle« spiele und in der KrV gar keine Verwendung finde (Fricke 1990, 10). Da Kant auch sonst an keiner Stelle explizit darlegt, was er unter einem »Bestimmungsgrund des Urteils« versteht, wollen wir uns diesem Begriff zunächst systematisch nähern. Dazu scheint ein kurzer Blick auf die beiden Begriffe »Bestimmung« und »Grund« hilfreich. In epistemischer Perspektive bedeutet »[b]estimmen […] synthetisch urtheilen« (FM: 268). Ähnlich heißt es in der KrV: »Aber die B e s t i m m u n g ist ein Prädikat, welches über den Begriff des Subjekts hinzukommt und ihn vergrößert. Sie muß also nicht in ihm schon enthalten sein« (A598/ B626). Eine Bestimmung ist in diesem Sinne eine Prädikatzuschreibung in einem synthetischen Urteil. Dies bedeutet genauer, dass einem Gegenstand von zwei kontradiktorischen Prädikaten P und non-P eines zugeschrieben wird. 69 Zusammenfassend bedeutet damit »Bestimmung« im Rahmen eines Urteils, dass einem Ding eine von zwei entgegengesetzten Eigenschaften im Prädikat zugeschrieben und damit ein synthetisches Urteil gefällt wird. Wie lässt sich dieses Verständnis von »Bestimmung« mit dem Begriff des Grundes verbinden? In einem Brief an Reinhold aus dem Jahr 1789 heißt es: »Grund ist (im Allgemeinen) das, wodurch etwas Anderes (Verschiedenes) b e s t i m m t gesetzt wird« (Br 11: 35). Dies stimmt mit einer frühen Definition aus der Nova Dilucidatio überein, in der es heißt: »Was ein Subjekt in Beziehung auf ein Prädikat bestimmt, wird

Ähnlich wird im Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe von 1890 zwischen logischem und moralischem Bestimmungsgrund differenziert: »Bestimmungsgrund ist logisch der Grund, welcher den Verstand zur Ableitung einer Folgerung, moralisch, der den Willen zum Handeln bestimmt« (Kirchner 1890, 58). 69 Vgl. auch: »Determinare est ponere praedicatum cum exclusione oppositi« (PND: 391). Eine durchgängige Bestimmung des Dinges läge vor, wenn einem Ding von allen möglichen entgegengesetzten Prädikaten je eines zugeschrieben würde (vgl. A571 f./ B599 f.). Ferner dient eine Bestimmung der Unterscheidung von zwei Dingen X und Y, d. h. X und Y »würden […] sich durch die Bestimmungen A und non A unterscheiden« (VBO: 31). 68

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Grund genannt« (PND: 391). 70 Der Grund ist demnach dasjenige, wodurch wir ein Objekt mittels einer Prädikatzuschreibung bestimmen. 71 Grundsätzlich sind zwei Varianten denkbar, wie dann der Bestimmungsgrund zu verstehen ist: Ein Bestimmungsgrund könnte der Grund sein, warum ich einem Objekt ein bestimmtes Prädikat de facto zuschreibe, oder er könnte der Grund sein, warum ich gerechtfertigt bin, einem Objekt ein bestimmtes Prädikat zuzuschreiben. Dass beides nicht dasselbe ist, lässt sich anhand des folgenden Beispiels illustrieren. Ich könnte etwa das Urteil »Heute scheint die Sonne« fällen, weil ich aus dem Fenster gesehen habe und wirklich die Sonne scheint. Ich könnte dieses Urteil aber auch fällen – ohne aus dem Fenster gesehen zu haben –, weil ich vor fünf Tagen die Wetterprognose für den heutigen Tag gelesen habe oder aber weil ich als Landwirt, der die Ernte einfahren will, ein großes Interesse daran habe, dass die Sonne scheint. In allen drei Fällen gibt es einen Grund, warum ich de facto mein Urteil gefällt habe; nur im ersten Fall rechtfertigt dieser Grund aber auch mein Urteil (wenn wir einmal annehmen wollen, dass fünf Tage alte Wetterprognosen nicht sonderlich zuverlässig sind). Für die Interpretation, der Bestimmungsgrund sei der Grund, aufgrund dessen wir de facto ein Urteil fällen, spricht, dass Kant verschiedentlich nahelegt, wir könnten bisweilen (Erkenntnis-)Urteile aufgrund eines subjektiven oder objektiven Bestimmungsgrundes fällen, seien aber nur im Falle des objektiven Bestimmungsgrundes auch gerechtfertigt, dieses Urteil zu fällen. Der subjektive Bestimmungsgrund würde das Urteil also nicht rechtfertigen. So heißt es in § 90: »daß der Beweisgrund, oder der Schluß, nicht bloß ein subjectiver (ästhetischer) Bestimmungsgrund des Beyfalls (bloßer Schein), sondern objektivgültig und ein logischer Grund der Erkenntniß sey« (461,19). Ähnlich heißt es in der Logik: »In gewissem Sinne kann man wohl den Verstand auch zum Urheber der Irrthümer machen, sofern er nämlich aus Mangel an erforderlicher Aufmerksamkeit auf jenen Einfluß der Sinnlichkeit sich durch den hieraus entsprungenen Schein verleiten läßt, bloß subjective Bestim-

Im Lateinischen: »Quod determinat subiectum respectu praedicati cuiusdam, dicitur ratio.« – Vgl. hierzu Hindrichs 2015, 939. 71 Vgl. auch § 15 von Meiers Auszug aus der Vernunftlehre: »Dasjenige, woraus eine Sache, es mag nun dieselbe entweder eine Erkenntniß oder der Gegenstand derselben seyn, erkant werden kan, ist der Grund derselben (ratio), und was aus dem Grunde erkant werden kann, ist die Folge desselben (rationatum)« (Meier 1752, § 15, 5). 70

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mungsgründe des Urtheils für objective zu halten, […]« (Log: 54). 72 In der zweiten Interpretation würde der Bestimmungsgrund, wie gesagt, eine Prädikatzuschreibung nicht bloß de facto bewirken, sondern sie rechtfertigen oder legitimieren. In diesem Sinne schreibt Bojanowski, ein Bestimmungsgrund sei ein »Grund, der es legitimiert, dem Subjekt ein bestimmtes Prädikat zuzuschreiben« (Bojanowski 2006, 74 f.). Der Bestimmungsgrund eines Urteils wäre demnach nichts anderes als ein zureichender Grund für das Fällen oder Annehmen des Urteils, und der Begriff des Bestimmungsgrundes würde auf den sogenannten Satz vom zureichenden Grunde verweisen (verstanden in logischer und nicht in transzendentaler Hinsicht). 73 So heißt es in der Nova Dilucidatio: »Denn das Wort ›zureichend‹ ist, wie derselbe vollauf deutlich macht, zweideutig, weil nicht sofort ersichtlich ist, wie weit er zureicht; bestimmen aber heißt, so zu setzen, daß jedes Gegenteil ausgeschlossen ist, und bedeutet daher das, was mit Gewißheit ausreicht, eine Sache so und nicht anders zu begreifen« (PND: 393). 74 Eine solche Interpretation von Bestimmungsgrund stimmt damit zusammen, dass der lateinische Begriff »ratio«, auf den sich Kant wohl mit dem Begriff »Grund« bezieht, auch Rechenschaft bedeutet. 75 Leider finden sich in den späteren Schriften Kants keine weiteren Ausführungen zum Bestimmungsgrund im Sinne des zureichenden Grundes. 76 Vgl. auch: »Überredung ist ein bloßer Schein, weil der Grund des Urteils, welcher lediglich im Subjekte liegt, für objektiv gehalten wird« (A820/B848). 73 Vgl. Bojanowski 2006, 74. Vgl. weiterhin Fricke 1990, 10. – Vgl. für den Satz vom Widerspruch als logisches oder transzendentales Prinzip ÜE: 193 ff. 74 Übersetzung in Weischedel 1968, 427. – Im Lateinischen: »Quippe ambigua vox est sufficientis, ut idem abunde commonstrat, quia quantum sufficiat, non statim apparet; determinare autem cum sit ita ponere, ut omne oppositum excludatur, denotat id, quod certo sufficit ad rem ita, non aliter, concipiendam.« 75 Tatsächlich findet sich auch im Grimmschen Wörterbuch unter dem Eintrag »Bestimmungsgrund« nur der lateinische Begriff »ratio« (vgl. Grimm: Bestimmungsgrund). 76 In der KrV führt Kant aus, der »S a t z d e s W i d e r s p r u c h s « sei »conditio sine qua non, aber nicht […] Bestimmungsgrunde der Wahrheit unserer Erkenntnis« (A151 f./B191). Dies mag im weitesten Sinne so gedeutet werden, dass der Bestimmungsgrund die Prädikatzuschreibung legitimiert oder rechtfertigt. Ferner weisen freilich Kants Ausführungen zu objektiven und subjektiven Gründen des Führwahrhaltens bzw. von Urteilen im Kapitel Vom Meinen, Wissen und Glauben eine Verwandtschaft zum Bestimmungsgrund des Urteils auf (vgl. A820 ff./B848 ff.). Dabei mag die allgemeine Rede vom ›Grund des Urteils‹ eher im Sinne desjenigen Grundes zu verstehen sein, aufgrund dessen wir ein Urteil fällen, während die Rede vom ob72

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Halten wir zunächst einmal die beiden möglichen Bedeutungen von »Bestimmungsgrund eines Urteils« fest, die sich als weite und enge Bedeutung begreifen lassen: 77 BGw Der Bestimmungsgrund eines Urteils ist der Grund, aufgrund dessen wir de facto eine Prädikatzuschreibung vornehmen. BGe Der Bestimmungsgrund eines Urteils ist der Grund, der eine Prädikatzuschreibung rechtfertigt. 78

Diese Unterscheidung geht damit einher, dass der Bestimmungsgrund im Sinne von BGw deskriptiv zu verstehen ist, während BGe normative Implikationen aufweist. In BGw ist der Bestimmungsgrund einfach eine Beschreibung dessen, warum wir wirklich Urteile fällen. In BGe ist er aber der Grund, mit Rekurs auf den wir ein Urteil fällen sollen. Leider finden sich in der KU keine expliziten Hinweise auf ein Verständnis von »Bestimmungsgrund eines Urteils« im Sinne von BGw oder BGe. Vor dem Hintergrund des Kontrastes der Bestimmungsgründe von ästhetischen Urteilen und Erkenntnisurteilen scheint mir jedoch BGe plausibler. 79 Anhand von BGe lassen sich nämlich ästhetische Urteile und Erkenntnisurteile eindeutig voneinander abgrenzen. So kann das (empirische) Erkenntnisurteil nur durch das mittels der Kategorien konstituierte Objekt gerechtfertigt werden (objektiver Bestimmungsgrund), während das ästhetische Urteil nur durch ein Gefühl der Lust gerechtfertigt werden kann (subjektiver Bestimmungsgrund). Hingegen ist es ohne Weiteres möglich, ein Erkenntnisurteil de facto aufgrund eines subjektiven Grundes zu fällen, etwa aufgrund eines spezifischen Interesses. Ebenso wäre es möglich ein Urteil »x ist schön« aufgrund einer objektiven Eigenschaft (etwa Symmetrie), d. h. aufgrund eines objektiven Grunjektiv oder subjektiv zureichenden Grund im Sinne des Rechtfertigungsgrundes zu verstehen wäre. 77 Diese Unterscheidung in eine weite und eine enge Bedeutung von »Bestimmungsgrund« hat keinen unmittelbaren Bezug zu Kants Differenzierung von objektiven und subjektiven Bestimmungsgründen. 78 Durch diese Trennung ist freilich nicht ausgeschlossen, dass in manchen oder sogar in vielen Fällen der Grund, warum jemand ein Urteil fällt, mit demjenigen Grund zusammenfällt, durch den sich das Urteil rechtfertigen lässt. 79 Vgl. für diesen Kontrast erneut: »Das Geschmacksurtheil ist also kein Erkenntnißurtheil, mithin nicht logisch, sondern ästhetisch, worunter man dasjenige versteht, dessen Bestimmungsgrund n i c h t a n d e r s als s u b j e c t i v seyn kann« (§ 1.A.2, 203,15). Kants Philosophie des Schönen

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des, zu fällen. In beiden Fällen wäre man aber nicht gerechtfertigt, das entsprechende Urteil zu fällen – man hätte keinen zureichenden Grund. Es ist daher sinnvoll, »Bestimmungsgrund« im Sinne von BGe, d. h. als Rechtfertigungsgrund, zu begreifen. Vor diesem Hintergrund können wir nun die Definition von »ästhetisches Urteil« in § 1.A.2 genauer analysieren. Beginnen wir mit dem Bestimmungsgrund des Erkenntnisurteils, von dem ausgehend und zugleich von ihm abgrenzend Kant ja das ästhetische Urteil definiert. Führt man sich erneut § 1.A.2 vor Augen, so wird deutlich, dass Kant hier keine explizite Charakterisierung des Bestimmungsgrundes von Erkenntnisurteilen vornimmt, sondern nur implizit darauf hindeutet: § 1.A.2 Das Geschmacksurtheil ist also kein Erkenntnißurtheil, mithin nicht logisch, sondern ästhetisch, worunter man dasjenige versteht, dessen Bestimmungsgrund n i c h t a n d e r s als s u b j e c t i v seyn kann.

Berücksichtigt man die Abgrenzung des ästhetischen Urteils vom Erkenntnisurteil bzw. logischen Urteil, so liegt die folgende Gegenüberstellung nahe: äU Der Bestimmungsgrund eines ästhetischen Urteils kann nur subjektiv sein. lU Der Bestimmungsgrund eines logischen Urteils muss (mindestens auch) objektiv sein. 80

Dass das Erkenntnisurteil einen ›objektiven‹ Bestimmungsgrund hat, stimmt gut damit zusammen, dass im Erkenntnisurteil eine Eigenschaft des Objekts durch das Prädikat begrifflich erfasst wird (§ 1.A.1), wobei das Objekt allererst durch die Subsumtion einer gegebenen Vorstellung unter Kategorien konstituiert wird. Wie wird eine solche Prädikatzuschreibung gerechtfertigt? Eine naheliegende Antwort lautet: dadurch, dass das Objekt, dem man mittels des Prädikats eine Eigenschaft zuschreibt, wirklich über diese Eigenschaft verfügt. Der Bestimmungsgrund läge also im Objekt. Dieser Bestimmungsgrund lässt sich als begrifflich verstehen, weil das Objekt Es ist denkbar, dass Erkenntnisurteile sowohl einen objektiven als auch einen subjektiven Bestimmungsgrund haben können oder sogar haben müssen. So heißt es etwa in der KrV, Wissen sei »das sowohl subjektiv als objektiv zureichende Fürwahrhalten« (A822/B850).

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durch die Kategorien, d. h. die Anwendung von Begriffen, konstituiert wird. Vor diesem Hintergrund lässt sich begreifen, dass Kant den Bestimmungsgrund des Erkenntnisurteils an verschiedenen Stellen (mindestens implizit) als Begriff oder begrifflich bestimmt. So heißt es etwa in § 9: »Soll nun der Bestimmungsgrund des Urtheils […] bloß subjectiv, nämlich ohne einen Begrif vom Gegenstande gedacht werden, […]« (§ 9.C.4, 217,15); und in § 17 schreibt Kant: »Denn alles Urtheil aus dieser Quelle ist ästhetisch; d. i. das Gefühl des Subjects, und kein Begrif eines Objects, ist sein Bestimmungsgrund« (§ 17.A.2, 231,28, m. H.). 81 Nun ist das Objekt aufgrund seiner Konstituierung mittels der Kategorien, die in allen Menschen vorausgesetzt werden können, allgemein zugänglich. Somit ist der Bestimmungsgrund bzw. Rechtfertigungsgrund des Erkenntnisurteils allgemein zugänglich, und das Urteil ist, modern gesprochen, intersubjektiv rechtfertigbar. Halten wir fest: i. Der Bestimmungsgrund im Erkenntnisurteil liegt im Objekt und ist insofern objektiv. Das Objekt rechtfertigt eine Prädikatzuschreibung dadurch, dass es die Eigenschaft, die das Prädikat dem Objekt zuschreibt, wirklich aufweist. ii. Da das Objekt durch Kategorien, d. h. Begriffe, konstituiert wird, kann der Bestimmungsgrund als begrifflich bzw. ›Begriff vom Objekt‹ verstanden werden. iii. Da das Objekt auf den allgemein im transzendentalen Subjekt vorauszusetzenden Kategorien beruht, ist ein Erkenntnisurteil intersubjektiv rechtfertigbar. Eine kleine Ergänzung: Bisweilen scheint es so, als sei der Bestimmungsgrund von Erkenntnisurteilen eine Regel, eine Formel oder ein Beweisgrund. 82 Der Bestimmungsgrund ist in diesem Sinne (auch) als eine allgemeine Regel zu begreifen, von der das Erkenntnisurteil mittels eines Vernunftschlusses abgeleitet wird. Dies ist aber nicht weiter problematisch. Denn erstens lässt sich die Subsumtion unter Kategorien als ein Vernunftschluss begreifen, dessen Obersatz ein Grundsatz des reinen Verstandes ist. Ich werde später darauf zurückkommen. 83 Zweitens müssen auch alle empirischen Urteile, die als Konklusion eines Vernunftschlusses mit einer empirischen Regel

81 82 83

Vgl. auch § 15.D.1, 228,6; 307,24; 285,34. Vgl. 285,34; 286,3. Siehe hierzu Kap. G5.1.

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als Obersatz zu verstehen sind, letztlich auf ein Objekt bezogen sein und somit Kategorien voraussetzen. Kommen wir nun zum ästhetischen Urteil und betrachten erneut äU: äU Der Bestimmungsgrund eines ästhetischen Urteils kann nur subjektiv sein.

Wir hatten bei der Analyse von § 1.A.1 gesehen, dass wir im Geschmacksurteil eine gegebene Vorstellung mit einem quasi-Prädikat der Lust verbinden. Was aber könnte eine solche quasi-Prädikatzuschreibung rechtfertigen? Die offenkundige Antwort lautet: das Gefühl der Lust, welches das urteilende Subjekt fühlt. Ein Bestimmungsgrund bzw. Rechtfertigungsgrund wäre dann insofern subjektiv, als er im urteilenden Subjekt oder genauer in seinem Gefühl läge. Diese Vermutung wird durch die oben bereits zitierte Passage aus § 17 bestätigt, in der es heißt: »Denn alles Urtheil aus dieser Quelle ist ästhetisch; d. i. das Gefühl des Subjects, und kein Begrif eines Objects, ist sein Bestimmungsgrund« (§ 17.A.2, 231,28, m. H.). 84 Dass der Bestimmungsgrund eines ästhetischen Urteils nur subjektiv sein kann, bedeutet damit, dass das Urteil nur durch ein Gefühl der Lust des Subjekts rechtfertigbar ist. Aus § 17.A.2 lässt sich auch entnehmen, dass das ästhetische Urteil ›kein[en] Begrif eines Objects‹ zum Bestimmungsgrund hat und also nicht durch Rekurs auf das durch Kategorien konstituierte Objekt gerechtfertigt werden kann. Dadurch ist es eindeutig vom Erkenntnisurteil abzugrenzen. Nun bildet beim Erkenntnisurteil das Objekt den gemeinsamen Bezugspunkt des logischen Subjekts und des Prädikats; in diesem Sinne kann durch das Objekt gerechtfertigt werden, dass dem logischen Subjekt ein bestimmtes Prädikat zugeschrieben wird. Inwiefern sollte sich aber im ästhetischen Urteil die Lust als gemeinsamer Bezugspunkt von logischem Subjekt und Prädikat qualifizieren? Wir werden später sehen, dass die Lust am Schönen und am Angenehmen je intentional auf die

Vgl. auch: »Die Lust ist also im Geschmacksurtheile zwar von einer empirischen Vorstellung abhängig, und kann a priori mit keinem Begriffe verbunden werden […]; aber sie ist doch der Bestimmungsgrund dieses Urtheils nur dadurch, […]« (191,26); »Also kann nichts anders als die subjective Zweckmäßigkeit in der Vorstellung eines Gegenstandes, ohne allen […] Zweck, […] das Wohlgefallen, […] mithin den Bestimmungsgrund des Geschmacksurtheils, ausmachen« (§ 11.B.2, 221,21). Vgl. ferner EEKU: 224,8.

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Vorstellung vom schönen bzw. angenehmen Objekt gerichtet sind. 85 Vor diesem Hintergrund wird bei ästhetischen Urteilen die Verknüpfung von quasi-Prädikat und logischem Subjekt (d. h. der gegebenen Vorstellung vom schönen oder angenehmen Objekt) dadurch gerechtfertigt, dass die Lust intentional auf die gegebene Vorstellung gerichtet ist. Das Erkenntnisurteil wird durch die Kategorien, die das Objekt konstituieren, intersubjektiv rechtfertigbar. Hingegen scheint die Lust, durch die ästhetische Urteile gerechtfertigt werden, ein paradigmatischer Fall von etwas zu sein, das nur dem Subjekt in der ersten Person zugänglich ist. Dies lässt auf den ersten Blick vermuten, dass ästhetische Urteile nicht intersubjektiv rechtfertigbar sind. Wir werden aber sehen, dass es ein wichtiges Anliegen Kants in der Analytik ist, zu zeigen, wie das Geschmacksurteil trotz seines subjektiven Bestimmungsgrundes intersubjektiv rechtfertigbar ist. Kant sichert die intersubjektive Rechtfertigbarkeit des Geschmacksurteils dadurch ab, dass er mit der subjektiven Bedingung der Erkenntnis eine Art Pendant zu den Kategorien (objektive Bedingung der Erkenntnis) identifiziert. Halten wir fest: i. Der Bestimmungsgrund des ästhetischen Urteils liegt im Subjekt und ist daher subjektiv. Die quasi-Prädikatzuschreibung der Lust im ästhetischen Urteil kann nur dadurch gerechtfertigt werden, dass das urteilende Subjekt wirklich eine Lust fühlt. ii. Es scheint daher naheliegend, dass ästhetische Urteile nicht intersubjektiv rechtfertigbar sind. Für Geschmacksurteile (nicht aber für Urteile über das Angenehme) wird Kant jedoch im weiteren Verlauf der Analytik zeigen, dass sie intersubjektiv rechtfertigbar sind. Mit Rekurs auf andere Passagen aus der KU lassen sich noch einige Ergänzungen zum Bestimmungsgrund im Geschmacksurteil vornehmen. In den folgenden Paragraphen (vor allem §§ 2–16) der Analytik des Schönen wird Kant analysieren, wie die Lust am Schönen, die ja der Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils ist, zu charakterisieren ist und worauf sie beruht; zugleich finden sich in diesem Kontext verschiedene Formulierungen dazu, wie die Lust am Schönen und der Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils nicht zu charakterisieren sind. So weist Kant in § 2 die Lust am Schönen als uninteressiert aus und bemerkt, »[d]aß das Geschmacksurtheil, wodurch etwas für schön erklärt wird, kein Interesse zum B e s t i m m u n g s g r u n d e 85

Siehe hierzu erneut G2.2.1.

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haben müsse« (296,16). 86 Weitere Abgrenzungen finden sich im Rahmen von Kants Theorie der Reinheit des Geschmacksurteils im Dritten Moment. Dort heißt es, »[e]in Geschmacksurtheil« sei »nur sofern rein, als kein bloß empirisches Wohlgefallen«, d. h. keine Lust am Angenehmen, »dem Bestimmungsgrunde desselben beygemischt wird« (§ 14.B.1, 224,1). 87 Damit hängt zusammen, dass sich weder Reiz noch Rührung in den Bestimmungsgrund des reinen Geschmacksurteils mischen dürfen: »und so hat ein reines Geschmacksurtheil weder Reiz noch Rührung, mit einem Worte keine Empfindung, als Materie des ästhetischen Urtheils, zum Bestimmungsgrunde« (§ 14.J.2, 226,18). 88 Ferner darf der Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils nicht in fremden Urteilen bestehen: »Der Geschmack macht bloß auf Autonomie Anspruch. Fremde Urtheile sich zum Bestimmungsgrunde des seinigen zu machen, wäre Heteronomie« (282,30). Das Geschmacksurteil beinhaltet zentral einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Dieser Anspruch darf aber nicht durch eine Art empirische Erhebung gerechtfertigt werden, durch die man feststellt, dass alle Menschen einen bestimmten Gegenstand schön finden; 89 denn das Geschmacksurteil beansprucht strenge bzw. notwendige Allgemeingültigkeit. 90 In diesem Sinne können fremde Urteile nicht den Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils ausmachen. Zudem gibt es auch Passagen, in denen Kant etwas anderes als das Gefühl der Lust als Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils identifiziert. Ist das nicht ein Widerspruch? Ich denke nicht. Denn der Grundgedanke in diesen Passagen ist jeweils, dass dasjenige, was der Lust am Schönen zugrunde liegt, als mittelbarer Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils verstanden werden kann, während die Lust der unmittelbare Bestimmungsgrund ist. Ein solcher mittelbarer Bestimmungsgrund ist, erstens, der Gemütszustand des freien und harmonischen Spiels der Erkenntniskräfte. So heißt es in § 9: »Soll nun der Bestimmungsgrund des Urtheils über diese allgemeine Mittheilbarkeit der Vorstellung bloß subjectiv, nämlich ohne einen Begrif vom Gegenstande gedacht werden, so kann er kein anderer als der Vgl. auch § 5.B.9, 210,20. – Zur Uninteressiertheitsthese siehe Kap. 2.3. Zu Kants Konzeption des reinen Geschmacksurteils siehe Kap. 13.2.2. 88 Vgl. auch § 13.A.2, 223,8. 89 Dies ist ein Indiz dafür, dass Kant wohl die sogenannte experimentelle Philosophie ablehnen würde. 90 Vgl. § 18.A.7–8, 237,13. – Siehe auch Kap. 7.3. 86 87

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Gemüthszustand seyn, der im Verhältnisse der Vorstellungskräfte zu einander angetroffen wird, sofern sie eine gegebene Vorstellung auf E r k e n n t n i ß ü b e r h a u p t beziehen« (§ 9.C.4, 217,15). 91 Damit umschreibt Kant (teilweise) das freie und harmonische Spiel der Erkenntniskräfte, das sich unter anderem durch besagtes Verhältnis zur ›Erkenntniß überhaupt‹ auszeichnet. Die Lust am Schönen aber ist nichts anderes als die Art und Weise, wie sich das freie und harmonische Spiel anfühlt, d. h. wie wir es phänomenal erleben. Somit kann das freie und harmonische Spiel der Erkenntniskräfte als mittelbarer – oder in dem Sinne, dass das freie Spiel und die Lust zwei Aspekte ein und desselben Gemütszustandes sind, sogar als unmittelbarer – Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils verstanden werden. 92 In § 13 wird, zweitens, die Zweckmäßigkeit der Form als (mittelbarer) Bestimmungsgrund des reinen Geschmacksurteils ausgewiesen, wenn es heißt: »Ein Geschmacksurtheil, auf welches Reiz und Rührung keinen Einfluß haben […], welches also bloß die Zweckmäßigkeit der Form zum Bestimmungsgrunde hat, ist ein r e i n e s G e s c h m a c k s u r t h e i l « (§ 13.C.1, 223,22). Nun bildet aber die Zweckmäßigkeit der Form (des schönen Gegenstandes) die Grundlage für das freie Spiel der Erkenntniskräfte und damit auch für die Lust am Schönen. Außerdem wird im Spiel der Erkenntniskräfte die Zweckmäßigkeit der Form beurteilt. Wieder gilt: Da die Lust das gefühlte freie Spiel der Erkenntniskräfte ist, die Zweckmäßigkeit der Form (des schönen Gegenstandes) aber dem freien Spiel zugrunde liegt bzw. im freien Spiel beurteilt wird, kann auch die Zweckmäßigkeit der Form als indirekter Bestimmungsgrund verstanden werden. Eine äußerst komplizierte Bestimmung des Bestimmungsgrundes des Geschmacksurteils findet sich, drittens, in der Ersten Einleitung: »denn wenn das ästhetische Urtheil dergleichen [allgemeine Gültigkeit und Notwendigkeit] bey sich führt, so macht es auch Anspruch darauf, daß sein Bestimmungsgrund n i c h t b l o s i m G e f ü h l e der Lust und Unlust für sich allein, sondern z u g l e i c h i n e i n e r R e g e l der oberen Erkenntnißvermögen und namentlich hier in der der Urtheilskraft, liegen müsse, […]« (EEKU: 225,15). Kurz darauf legt Kant nahe, dass das Geschmacksurteil einen Bestimmungsgrund a priori habe: »Es muß sich aus der Exposition dieser Art Urtheile [Geschmacksurteile] in der Abhandlung allererst ergeben, ob sie eine Allgemeinheit und 91 92

Für eine Analyse dieses Satzes siehe Kap. 9.3.4. Vgl. hierzu auch EEKU: 224,18.

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§ 1 Das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil

Nothwendigkeit bey sich führen, welche sie zur Ableitung von einem Bestimmungsgrunde a priori qualificire. In diesem Falle würde das Urheil zwar vermittelst der Empfindung der Lust oder Unlust, aber doch auch zugleich über die Allgemeinheit der Regel, sie mit einer gegebenen Vorstellung zu verbinden, durch das Erkenntnißvermögen (namentlich die Urtheilskraft) a priori etwas bestimmen« (EEKU. 229,15). Kants wenige Andeutungen zum Grund a priori des Geschmacksurteils sind, wie wir noch genauer sehen werden, notorisch unklar. 93 Mir scheint es aber, dass Kant in der soeben zitierten Passage auf das Prinzip a priori der Urteilskraft hindeutet, welches, so werde ich zeigen, neben dem schönen Objekt eine der beiden Ursachen des freien Spiels und damit der Lust ist. 94 Auch das Prinzip a priori der Urteilskraft kann somit als ein mittelbarer Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils gelten. Schließlich finden sich, viertens, Anmerkungen zum Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils auch im Rahmen der Antinomie des Geschmacks (§§ 55–57). So heißt es in § 56 einerseits: »der Bestimmungsgrund dieses Urtheils [des Geschmacksurteils] ist bloß subjectiv (Vergnügen oder Schmerz)« (338,5); und andererseits: »der Bestimmungsgrund eines Geschmacksurtheils mag zwar auch objectiv seyn, aber er läßt sich nicht auf bestimmte Begriffe bringen« (338,11). Vor dem Hintergrund, dass Kant in § 1 betont, der Bestimmungsgrund von ästhetischen Urteilen könne »n i c h t a n d e r s als s u b j e c t i v seyn« (§ 1.A.2, 203,15), ist es irritierend, dass es in § 56 nun heißt, der ›Bestimmungsgrund eines Geschmacksurtheils‹ möge ›auch objectiv seyn‹. Dies lässt sich durch die folgende Unterscheidung plausibilisieren. Wenn Kant in § 1 dem Geschmacksurteil einen subjektiven Bestimmungsgrund zuschreibt, dann will er es von objektiven Bestimmungsgründen im oben geschilderten Sinn (Rechtfertigungsgründen von Erfahrungsurteilen) abgrenzen. Diese objektiven Bestimmungsgründe bestehen im durch Kategorien konstituierten Objekt. Nun sind aber Kategorien bestimmte Begriffe, da sie eine Anwendung auf Erscheinungen haben. In diesem Sinne ist ein objektiver Bestimmungsgrund eines Erfahrungsurteils ein bestimmter Begriff. In § 56 verwendet Kant den Begriff des objektiven Bestimmungsgrundes aber in einer erweiterten Bedeutung, nämlich im In der Analytik des Schönen spricht Kant einzig in der Überschrift zu § 12 von »Gründen a priori« (§ 12.T, 221,29). 94 Siehe die Ausführungen zum Prinzip a priori der Urteilskraft in Kap. G3.3. 93

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Sinne von Begriffen allgemein, sodass sowohl bestimmte als auch unbestimmte Begriffe als objektive Bestimmungsgründe gelten können. In diesem weiten Sinn kann ›der Bestimmungsgrund eines Geschmacksurtheils…auch objectiv seyn‹, lässt sich aber ›nicht auf bestimmte Begriffe bringen‹. Was das bedeutet, wird dann in § 57 klar, in dem es heißt, dass »der Bestimmungsgrund desselben [Geschmacksurteils] vielleicht im Begriffe von demjenigen liegt, was als das übersinnliche Substrat der Menschheit angesehen werden kann« (340,20). Besagter Begriff vom ›übersinnliche[n] Substrat der Menschheit‹ ist ein unbestimmter Begriff, d. h. eine Idee. Für den Moment reicht es, anzumerken, dass sich dieser Begriff auf den Gemeinsinn beziehen lässt. 95 Da der Gemeinsinn konstitutiv für die Lust am Schönen ist, besteht auch hier kein Widerspruch dazu, dass die Lust der Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils ist.

1.4 Ein Argument für den ästhetischen Charakter des Geschmacksurteils? Wir haben in § 1.A.1 gelernt, dass in einem Geschmacksurteil eine gegebene Vorstellung mit einem Gefühl der Lust des urteilenden Subjekts verbunden wird, d. h. dass das Geschmacksurteil ein quasiPrädikat der Lust hat. Wir haben dann in § 1.A.2 erfahren, dass ein ästhetisches Urteil durch seinen bloß subjektiven Bestimmungsgrund definiert ist, d. h. dass das Urteil durch die vom urteilenden Subjekt gefühlte Lust gerechtfertigt wird. Nun beginnt § 1.A.2 mit den Worten: »Das Geschmacksurtheil ist also kein Erkenntnißurtheil, mithin nicht logisch, sondern ästhetisch, […]« (§ 1.A.2, 203,13, m. H.). Kant scheint demnach ein Argument anzuführen (›also‹), warum das Geschmacksurteil ein ästhetisches Urteil ist. Wie also begründet Kant diese These? Mit Rekurs auf § 1.A.1–2 scheint das folgende Argument auf der Hand zu liegen: P1 Wenn in einem Urteil eine Vorstellung mit einem Gefühl der Lust verbunden wird, dann hat dieses Urteil einen bloß subjektiven Bestimmungsgrund. [implizit] P2 Wenn ein Urteil einen bloß subjektiven Bestimmungsgrund hat, dann ist das Urteil ein ästhetisches Urteil. [§ 1.A.2]

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Siehe Kap. G6.3.

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Also: Wenn in einem Urteil eine Vorstellung mit einem Gefühl der Lust verbunden wird, dann ist das Urteil ein ästhetisches Urteil. P3 In einem Geschmacksurteil wird eine Vorstellung mit einem Gefühl der Lust verbunden. [§ 1.A.1] Also: Das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil. [§ 1.A.2]

Die erste Prämisse wird zwar bloß implizit angenommen, scheint aber gerechtfertigt zu sein. Denn es ist nur konsequent, dass die (quasi-)Prädikatzuschreibung der Lust im Urteil »x ist schön« – was ja nichts anderes bedeutet als »x ist mit Lust verbunden« – nur dadurch gerechtfertigt werden kann, dass das Subjekt eine intentional auf x gerichtete Lust fühlt. Problematisch scheint aber P3. Wieso ist im Geschmacksurteil die Vorstellung mit einem Gefühl der Lust verbunden? Diese These wird von Kant an keiner Stelle begründet, sondern in § 1.A.1 einfach gesetzt. Wir werden im weiteren Verlauf unserer Untersuchungen der Analytik sehen, dass dies nicht die einzige These ist, die Kant unbegründet voraussetzt. 96 Dies ist aber nicht einfach fahrlässig, sondern hat einen tieferen Grund – ich denke und behaupte nämlich, dass man dabei stets voraussetzen muss, dass Kant im Hintergrund und unausgesprochen auf den phänomenalen Gehalt der Erfahrung mit dem Schönen rekurriert, und zwar auf die Erfahrung der Leserinnen und Leser. Er muss dann die jeweiligen Thesen nicht begründen, weil es den Leserinnen und Lesern aus ihrer eigenen Erfahrung mit dem Schönen klar ist, dass es sich beim Schönen eben so und so verhält. Im Falle des ästhetischen Charakters des Geschmacksurteils bedeutet dies, dass die urteilenden Subjekte bereits Erfahrungen des Schönen als Lusterfahrungen gehabt haben und dass sie, wenn sie ein Geschmacksurteil fällen, auf diese Lusterfahrung rekurrieren. Dagegen lässt sich natürlich einwenden, urteilende Subjekte seien sich gerade oft nicht darüber im Klaren, dass ihr Urteil »x ist schön« kein Erkenntnisurteil ist, d. h. dass sie durch das Prädikat der Schönheit keine Eigenschaft des Gegenstandes bezeichnen. Kants Antwort darauf müsste aber lauten, dass sie es nicht wissen, weil sie nicht wirklich darauf Acht haben, wie sie Schönheit erfahren und wie sie Geschmacksurteile fällen. Würden sie aber darauf Acht haben, d. h. aufmerksam Introspektion betreiben, so wäre ihnen klar, dass Erfahrungen des Schönen Lusterfahrungen sind und Geschmacksurteile Weitere Beispiele sind die Uninteressiertheitsthese in § 2 sowie die Notwendigkeitsthese in § 18. Siehe hierzu Kap. 2.4 sowie Kap. 18.4.

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auf diese Lusterfahrungen rekurrieren; ich komme auf diesen phänomenologischen Hintergrund der kantischen Theorie noch ausführlich zurück. 97

1.5 Die Subjektivität des Geschmacksurteils Wir haben gesehen, dass das Geschmacksurteil ein quasi-Prädikat der Lust sowie einen subjektiven Bestimmungsgrund hat. Dabei wurde auch deutlich, dass das Geschmacksurteil durch eine gewisse Subjektivität ausgezeichnet ist; denn die Lust, die im Geschmacksurteil prädiziert wird und die die quasi-Prädikatzuschreibung rechtfertigt, ist ein Gefühl und somit ein paradigmatischer Fall von etwas Subjektivem. Dabei darf aber die Subjektivität des Geschmacksurteils nicht so missverstanden werden, als wäre das Geschmacksurteil bloß beliebig und privatgültig. Ich möchte im Folgenden mit Rückgriff auf § 1.A.3 einen weiteren Aspekt der Subjektivität des Geschmacksurteils herausstellen: § 1.A.3 »[a] Alle Beziehung der Vorstellungen, selbst die der Empfindungen, aber kann objektiv seyn (und da bedeutet sie das Reale einer empirischen Vorstellung); [b] nur nicht die auf das Gefühl der Lust und Unlust, wodurch gar nichts im Objecte bezeichnet wird, sondern in der das Subject, wie es durch die Vorstellung afficirt wird, sich selbst fühlt« (203,15 f.).

An dieser Stelle interessiert uns der zweite Teil dieses Satzes (§ 1.A.3b), in dem Kant weiterführende Erläuterungen zum quasiPrädikat vornimmt. Wir können drei Propositionen identifizieren: § 1.A.3b1* Die Beziehung der Vorstellungen auf das Gefühl der Lust und Unlust kann nicht objektiv sein. § 1.A.3b2* Durch die Lust wird gar nichts im Objekt bezeichnet. § 1.A.3b3* In der Lust fühlt sich das Subjekt selbst, wie es durch die Vorstellung affiziert wird. 98

Siehe insbesondere Grundalgen 1. In § 1.A.3b2–3 stellt sich die Frage, worauf sich ›wodurch‹ und ›in der‹ jeweils beziehen. Es kommen ›die Beziehung der Vorstellungen auf das Gefühl der Lust und Unlust‹ oder ›Lust‹ in Frage. Inhaltlich scheint es jedoch plausibler, dass die Lust, d. h. das (quasi-)Prädikat des Geschmacksurteils bzw. ästhetischen Urteils, ›nichts im Objecte bezeichnet‹, sowie dass sich das Subjekt in der Lust selbst fühlt.

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Wir erfahren hier zunächst, dass eine Beziehung der Vorstellung auf das Gefühl der Lust nicht objektiv sein kann (§ 1.A.3b1). Grund dafür ist, dass durch die Lust ›gar nichts im Objecte bezeichnet wird‹ (§ 1.A.3b2). Diese These findet sich bereits in der Einleitung, wenn es heißt: »Dasjenige Subjective aber an einer Vorstellung, w a s g a r k e i n E r k e n n t n i ß s t ü c k w e r d e n k a n n , ist die mit ihr verbundene L u s t oder U n l u s t ; denn durch sie erkenne ich nichts an dem Gegenstande der Vorstellung, […]« (189,16). Statt dass durch die Lust etwas ›im Objecte bezeichnet wird‹, fühlt sich ›das Subject, wie es durch die Vorstellung afficirt wird, […] selbst‹ (§ 1.A.3b3). 99 Dies lässt sich folgendermaßen verstehen: Lust ist allgemein eine gefühlte (innere) Aktivität bzw. Belebung des Subjekts. 100 Das Subjekt fühlt sich demnach insofern selbst, als es seine eigene innere Aktivität fühlt. Die innere Aktivität wird zwar in den meisten Fällen durch ein Objekt angeregt (das Subjekt wird durch das Objekt affiziert), aber die Lust selbst ist doch bloß ein Bewusstsein der eigenen Aktivität des Menschen. 101 In dieser Hinsicht scheint sich die Lust auch von ›objektiven‹ Empfindungen, d. h. etwa Farbempfindungen, zu unterscheiden. Dadurch, dass sich das Subjekt durch die Lust seiner inneren Aktivität bewusst wird, wird es sich in einer spezifischen Hinsicht seiner selbst bewusst, nämlich als lebendes Wesen, und erfährt sich in der Lust selbst. Damit ist freilich nicht impliziert, dass sich das Subjekt nicht auch in anderer Hinsicht seiner selbst bewusst wird bzw. ist, etwa im Akt des Denkens. Ich vertrete darüber hinaus die These, dass wir uns nach Kant in der Lust am Schönen als eine besondere Art Wesen erfahren, nämlich als zur Erkenntnis fähige Wesen. 102 Wenn Kant in § 1 ausführt, dass das Geschmacksurteil eine ›Beziehung‹ auf das Subjekt ausdrückt und einen ›subjektiven Bestimmungsgrund‹ hat, so ist damit auch angedeutet, dass es in gewisser

Dieser Gedanke findet sich schon in Sulzers Anmerkungen über den verschiedenen Zustand, wenn es heißt: »Empfindung nenne ich jede Vorstellung in so fern sie angenehm oder unangenehm ist, oder in so fern sie Verlangen oder Abscheu hervorbringt. Die Empfindung ist also eine Handlung der Seele, die mit dem Gegenstande, der sie hervorbringt, oder veranlasset, nichts gemein hat. Was Descartes gesagt hat, das der Schmerz nicht in der Nadel liege, die ihn hervorbringt, das gilt von allen Gegenständen, die eine gewisse Empfindung in der Seele erwecken. Nicht den Gegenstand empfindet man, sondern sich selbst« (Sulzer 1974, 229, m. H.). 100 Siehe insbesondere Kap. 9.6.3. 101 Dies schließt jedoch nicht aus, dass die Lust intentional auf ein Objekt gerichtet ist. 102 Siehe G1.2.4 sowie G3.3. 99

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Hinsicht ein Urteil über das Subjekt ist. Das urteilende Subjekt drückt in einem Geschmacksurteil aus, dass es eine Lust fühlt. Es drückt damit auch aus, dass es sich im Zustand der inneren Belebung befindet – man könnte auch sagen, dass es seine Lebendigkeit ausdrückt – sowie dass es ein zur Erkenntnis fähiges Wesen ist.

1.6 Der zweite Absatz von § 1: Kleinere Diskussionskontexte Kants Ausführungen im ersten Absatz von § 1 sind hinreichend, um die Differenz zwischen ästhetischen Urteilen und Erkenntnisurteilen zu verstehen. Der zweite Absatz dient dann hauptsächlich dazu, diese Differenz zu illustrieren und weiter zu erläutern. Dabei finden sich einige interessante Formulierungen, auf die ich im Folgenden eingehen möchte. Kant behandelt im zweiten Absatz das Beispiel eines Gebäudes. An dieser Stelle geht es mir um einige Spezifika dieses Beispiels. Betrachten wir zu diesem Zwecke zunächst § 1.B.1: § 1.B.1 »Ein regelmäßiges, zweckmäßiges Gebäude mit seinem Erkenntnißvermögen (es sey in deutlicher oder verworrener Vorstellungsart) zu befassen, ist ganz etwas anders, als sich dieser Vorstellung [des regelmäßigen, zweckmäßigen Gebäudes] mit der Empfindung des Wohlgefallens bewußt zu seyn« (204,4).

Zunächst möchte ich den Blick auf die Formulierung ›[e]in regelmäßiges, zweckmäßiges Gebäude‹ lenken. Sowohl der Begriff der Regelmäßigkeit als auch der der Zweckmäßigkeit haben eine gewisse Relevanz für Kants Theorie des Schönen; jedoch sind sie im Rahmen dieses Beispiels durchaus problematisch. Dass Kant das Gebäude als ›regelmäßig‹ kennzeichnet, ist insofern problematisch, als ein schöner Gegenstand keine zu starke Regelmäßigkeit aufweisen darf. In der Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik heißt es: »Alles steif-regelmäßige (was der mathematischen Regelmäßigkeit nahe kommt) hat das Geschmackswidrige an sich« (242,34). Grund dafür ist, dass die Einbildungskraft bei einem zu regelmäßigen Gegenstand nicht mit Formen spielen kann und der Verstand den Gegenstand vielmehr unmittelbar unter einen Begriff subsumiert. 103 Es kommt daher zu keinem freien Spiel, und der Gegenstand kann nicht 103

Siehe hierzu Kap. G6.2.

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als schön beurteilt werden. Wenn Kant das Gebäude als ›regelmäßig‹ kennzeichnet, so darf es also nicht als zu ›steif-regelmäßig‹ verstanden werden. Vielmehr kann damit nur ein gewisser Grad an Regelmäßigkeit gemeint sein, welcher der Einbildungskraft noch genug Raum zum Spielen lässt. Dass Kant das Gebäude überhaupt als regelmäßig beschreibt, mag darin begründet sein, dass ein Gebäude einem gewissen Zweck untersteht. So heißt es ganz explizit: »An einem Dinge, das nur durch eine Absicht möglich ist, einem Gebäude, selbst einem Thier, muß die Regelmäßigkeit, die in der Symmetrie besteht, die Einheit der Anschauung ausdrücken, welche den Begrif des Zwecks begleitet, und gehört mit zum Erkenntnisse« (242,21, m. H.). Gebäude sind immer angewandte Schönheiten und keine reinen Schönheiten. 104 Das Beispiel ist daher insofern ungewöhnlich, als es keinen paradigmatischen Fall einer kantischen Schönheit schildert. Ferner charakterisiert Kant das Gebäude als ›zweckmäßig‹. Nun spielen im Rahmen der KU verschiedene Arten von Zweckmäßigkeit eine Rolle. Insbesondere ist auch die Vorstellung vom schönen Gegenstand durch eine bestimmte Art von Zweckmäßigkeit, nämlich subjektive Zweckmäßigkeit, ausgezeichnet. In Verbindung mit der Charakterisierung als ›regelmäßig‹ ist es aber naheliegend, dass Kant in § 1.B.1 nicht auf die subjektive, sondern vielmehr auf die objektive (innere) Zweckmäßigkeit rekurriert. 105 Eine solche objektive Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes meint, dass das Mannigfaltige zum Begriff des Zwecks, d. h. dazu, was der Gegenstand sein soll, zusammenstimmt. Eine andere Bezeichnung für diese Art von Zweckmäßigkeit ist ›Vollkommenheit‹. Ein zweckmäßiges Gebäude ist dann ein (mindestens zu einem gewissen Grad) vollkommenes Gebäude. Dies wird auch durch die Klammerbemerkung ersichtlich, in der Kant auf die Differenzierung zwischen »deutlicher oder verworrener Vorstellungsart« verweist (§ 1.B.1, 204,5), die sich als Anspielung auf Baumgartens Konzeption der Schönheit als verworrene Vorstellung der Vollkommenheit verstehen lässt. Nun ist es aber gerade ein zentrales Anliegen Kants, das (reine) Geschmacksurteil von Urteilen über die Vollkommenheit abzugrenzen. Von Bedeutung ist die Vollkommenheit eines Gegenstandes nur in angewandten Geschmacksurteilen. Dass Kant im Beispiel das Gebäude als ›zweckmäßig‹ charakterisiert, ist also insofern irreführend, als die (objektive) Zweckmäßigkeit des 104 105

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Siehe zu dieser Differenz Kap. 16.1. Für die verschiedenen Arten von Zweckmäßigkeit siehe Kap. 10.1.3.

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Gebäudes entweder keine Rolle für die Beurteilung des Gegenstandes als reine Schönheit spielt, oder aber bloß für ein angewandtes Geschmacksurteil relevant ist, wodurch dann kein paradigmatischer Fall des Schönen behandelt würde. Nimmt man zusammen, dass Kant das Gebäude als ›regelmäßig‹ und ›zweckmäßig‹ charakterisiert, so ist dieses Beispiel mindestens ungewöhnlich, auf keinen Fall aber ein paradigmatischer Fall des Schönen. Wie bereits angemerkt, nimmt Kant in der Klammerbemerkung eine Differenzierung zwischen einer deutlichen und einer verworrenen Vorstellungsart vor, die als unterschwellige Anspielung auf eine bestimmte Strömung in der philosophischen Ästhetik gewertet werden kann, die prominent etwa von Baumgarten und Mendelssohn vertreten wurde. In dieser Strömung wird Schönheit als (klare aber) verworrene Vorstellung der Vollkommenheit verstanden. 106 Dabei sind es sinnliche Vorstellungen, die typischerweise als klar und verworren zu charakterisieren sind. Eine verworrene Vorstellung der Vollkommenheit wäre damit eine sinnliche Vorstellung der Vollkommenheit. Wir werden insbesondere bei unserer Analyse von § 15 sehen, dass Kant die Konzeption einer sinnlichen Vorstellung der Vollkommenheit ablehnt. 107 Nun ordnet Kant in § 1.B.1 die ›verworrene Vorstellungsart‹ dem Erkenntnisurteil zu (›mit seinen Erkenntnißvermögen…zu befassen‹). Kant macht damit von Anfang an mindestens implizit deutlich, dass er verworrene Vorstellungen der Vollkommenheit der Erkenntnis bzw. den Erkenntnisurteilen zuordnet. Ferner verdeutlicht er in § 1, dass ein spezifischer Unterschied zwischen Geschmacksurteilen und Erkenntnisurteilen besteht, indem erstere einen subjektiven und letztere einen objektiven Bestimmungsgrund haben. Mit dem Verweis auf die ›verworrene Vorstellungsart‹ deutet Kant dann implizit an, dass es einen spezifischen Unterschied zwischen Urteilen über eine verworrene Vorstellung der Vollkommenheit und Geschmacksurteilen gibt. 108 Dass Kant bereits Siehe hierzu Kap. 15.1. Vgl. § 15.C.1–6, 227,10 f. – Siehe Kap. 15.5. 108 Diese These wird dann in § 15 explizit formuliert, wenn es heißt: »und der Unterschied zwischen den Begriffen des Schönen und Guten, als ob beide nur der logischen Form nach unterschieden, die erste bloß ein verworrener, die zweyte ein deutlicher Begrif der Vollkommenheit, sonst aber dem Inhalte und Ursprunge nach einerley wären, ist nichtig: weil alsdann zwischen ihnen kein s p e c i f i s c h e r Unterschied, sondern ein Geschmacksurtheil eben so wohl ein Erkenntnißurtheil wäre, als das Urtheil, wodurch etwas für gut erklärt wird« (§ 15.D.2, 228,11). 106 107

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in § 1 den spezifischen Unterschied zwischen Geschmacksurteil und Erkenntnisurteil herausstellt, hat damit auch den Zweck, seine eigene Position von vornherein von der Position Baumgartens abzugrenzen. Nachdem Kant das Erkenntnisurteil und das Geschmacksurteil über das Gebäude unterschieden hat, nimmt er die folgende (eher spätere Theoriestücke antizipierende) Anmerkung vor: § 1.B.2 »[a] Hier [beim Schönen] wird die Vorstellung gänzlich auf das Subject, und zwar auf das Lebensgefühl desselben, unter dem Namen des Gefühls der Lust oder Unlust, bezogen: [b] welches ein ganz besonderes Unterscheidungs- und Beurtheilungsvermögen gründet, das zum Erkenntniß nichts beyträgt, sondern nur die gegebene Vorstellung im Subjecte gegen das ganze Vermögen der Vorstellungen hält, dessen sich das Gemüth im Gefühl seines Zustandes bewußt wird« (204,7, m. H.).

Kant führt hier die Begriffe des Lebensgefühls und des Gefühls der Lust und Unlust eng. Tatsächlich vertrete ich die These, dass das Gefühl der Lust und Unlust genau dieses Lebensgefühl ist. Dies bedeutet konkret, dass jedes Gefühl der Lust ein Gefühl der Beförderung und jedes Gefühl der Unlust ein Gefühl der Hemmung des Lebens, verstanden als eine innere Aktivität des Subjekts, ist. 109 Meine These ist, dass wir jede Belebung – sei es der Organe, der intellektuellen (theoretischen) Fähigkeiten oder des Willens bzw. Begehrungsvermögens – in phänomenaler Hinsicht als Lust erleben, während wir jede Hemmung einer Aktivität als Unlust erleben. Ich werde auf diese These später zurückkommen. 110 In § 1.B.2 stellt Kant ferner einen Zusammenhang zwischen dem Vermögen des Geschmacks und dem Vermögen der Vorstellungen her. Der entsprechende Teilsatz lässt sich folgendermaßen rekonstruieren: § 1.B.2b* Das Lebensgefühl gründet ein ganz besonderes Unterscheidungs- und Beurteilungsvermögen, das die gegebene Vorstellung im Subjekt gegen das ganze Vermögen der Vorstellungen hält, dessen [des Vermögens der Vorstellungen] sich das Gemüt im Gefühl seines Zustandes bewusst wird.

So bezeichnet Kant etwa das Vergnügen, d. h. die Lust am Angenehmen, als »Gefühl der Beförderung des gesammten Lebens des Menschen« (331,1). 110 Siehe hierzu Kap. 9.6.3 sowie 4.1.1. 109

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Das ›ganz besondere Unterscheidungs- und Beurtheilungsvermögen‹ ist nichts anderes als der Geschmack. Dass das Lebensgefühl (bzw. das Gefühl der Lust) den Geschmack ›gründet‹, ist dabei so zu verstehen, dass der Geschmack sich durch das Gefühl der Lust konstituiert; oder anders formuliert: Der Geschmack ist nichts anderes als das Vermögen, eine spezifische Lust zu haben, nämlich die Lust am Schönen. Der Geschmack ist ferner insofern ein ›Unterscheidungsvermögen‹, als wir durch ihn unterscheiden, was schön und was hässlich bzw. nicht-schön ist. In diesem Sinne hieß es ja bereits in § 1.A.1: »Um zu unterscheiden, ob etwas schön sey oder nicht, […]« (§ 1.A.1, 203,9, m. H.). Der Geschmack ist insofern ein ›Beurtheilungsvermögen‹, als wir erstens durch ihn Geschmacksurteile der Form »x ist schön« fällen und er sich zweitens durch das freie und harmonische Spiel der Erkenntnisvermögen, d. h. eine spezifische Beurteilungsaktivität, konstituiert. Wie verhält sich aber der so verstandene Geschmack zum ›ganze[n] Vermögen der Vorstellungen‹ ? Und was ist überhaupt das ›ganze Vermögen der Vorstellungen‹ ? Es mag naheliegend scheinen, die Einbildungskraft mit dem Vermögen der Vorstellungen zu identifizieren – zumal Kant in § 1.A.1 bereits die hervorgehobene Rolle der Einbildungskraft herausgestellt hat. Jedoch legt Kant, erstens, durch die Formulierung ›ganzes Vermögen der Vorstellungen‹ nahe, dass sich dieses Vermögen aus mehreren (Teil-)Vermögen zusammensetzt. Diese Annahme wird, zweitens, dadurch gestützt, dass im Geschmacksurteil die ›gegebene Vorstellung‹ durch das freie Spiel von Einbildungskraft und Verstand verarbeitet wird. Es ist daher naheliegend, unter dem ›ganze[n] Vermögen der Vorstellungen‹ die beiden Vermögen Einbildungskraft und Verstand zu verstehen. Diese Interpretation ist insofern nicht abwegig, als Kant an anderer Stelle den Verstand als »discursives Vorstellungsvermögen« bezeichnet (VT: 400 Fn.). In der KU nutzt Kant darüber hinaus den analogen Begriff der Vorstellungskräfte, und verwendet Formulierungen wie »freyes Spiel der Vorstellungskräfte« (242,25) sowie »Verhältniß der Vorstellungskräfte zu einander« (§ 11.A.3, 221,14). Dabei rekurriert er jeweils auf den Gemütszustand des freien und harmonischen Spiels von Einbildungskraft und Verstand. Wenn Kant nun in § 1.B.2 schreibt, dass der Geschmack ›die gegebene Vorstellung im Subjecte gegen das ganze Vermögen der Vorstellungen hält‹, so ist damit gemeint, dass der Geschmack die Vorstellung gegen Einbildungskraft und Verstand hält. Kants Philosophie des Schönen

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§ 1 Das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil

Was bedeutet es aber, dass das ›Unterscheidungs- und Beurtheilungsvermögen…die gegebene Vorstellung…gegen das ganze Vermögen der Vorstellungen hält‹ ? Vorläufig ist dazu zu bemerken, dass wir im Geschmacksurteil die gegebene Vorstellung auf das freie und harmonische Spiel von Einbildungskraft und Verstand beziehen. Anders formuliert: Um ein Geschmacksurteil zu fällen, müssen wir darauf Acht haben, ob wir bei einer Vorstellung eine Lust am Schönen fühlen, d. h. ob bei dieser Vorstellung ein freies Spiel von Einbildungskraft und Verstand (›Vermögen der Vorstellung‹) vorliegt (›gegen…hält‹); denn die Lust am Schönen ist das gefühlte Bewusstsein des freien Spiels. Liegt ein freies Spiel vor und fühlen wir eine Lust (Lebensgefühl) am Schönen, so können wir ein Geschmacksurteil fällen. Interessanter ist jedoch die Aussage, dass sich das Gemüt des ganzen Vorstellungsvermögens ›im Gefühl seines Zustandes bewußt wird‹. Kurz gefasst werden wir uns also in der Lust (›im Gefühl seines Zustandes‹) der Einbildungskraft und des Verstandes ›bewußt‹. Dies bedeutet zweierlei: Erstens werden wir uns durch die Lust des freien und harmonischen Spiels der Erkenntnisvermögen, d. h. einer Aktivität von Einbildungskraft und Verstand, bewusst. Zweitens werden wir uns dabei aber auch dessen bewusst, dass Einbildungskraft und Verstand im freien Spiel der Erkenntniskräfte zweckmäßig zusammenstimmen. 111 Halten wir als Rekonstruktion von § 1.B.2b fest: § 1.B.2bR1 Der Geschmack hält die gegebene Vorstellung im Subjekt gegen das ganze Vermögen der Vorstellungen (Einbildungskraft und Verstand), d. h. das urteilende Subjekt hat darauf Acht, ob es bei der gegebenen Vorstellung ein Gefühl der Lust am Schönen hat und folglich ein freies Spiel von Einbildungskraft und Verstand vorliegt. Das Gemüt wird sich des ganzen Vermögens der Vorstellungen (Einbildungskraft und Verstand) im Gefühl seines Zustandes, d. h. im Gefühl der Lust am Schönen, bewusst.

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Siehe Kap. 1.2.4.

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Der ästhetische Charakter des Geschmacksurteils

1.7 Zusammenfassung Geschmacksurteile sind – wie auch Urteile über das Angenehme – ästhetische Urteile. Für die Klassifikation eines Urteils als ästhetisch ist nicht das logische Subjekt entscheidend, sondern das Prädikat. So verbinden wir in ästhetischen Urteilen eine gegebene Vorstellung mit einem Gefühl der Lust. Das Geschmacksurteil weist daher ein quasiPrädikat der Lust auf. Durch das quasi-Prädikat der Lust sind ästhetische Urteile spezifisch von Erkenntnisurteilen unterschieden; denn anders als im Erkenntnisurteil erfassen wir durch die Prädikatzuschreibung im ästhetischen Urteil keine Eigenschaft des Objekts. Der Begriff des ästhetischen Urteils wird von Kant durch Rekurs auf den Bestimmungsgrund des Urteils, d. h. den Rechtfertigungsgrund, definiert. Ästhetische Urteile haben einen subjektiven Bestimmungsgrund. Dies bedeutet, dass sich die quasi-Prädikatzuschreibung der Lust nur durch Rekurs auf die vom Subjekt empfundene Lust rechtfertigen lässt. Im Gegensatz dazu wird in einem Erkenntnisurteil die Prädikatzuschreibung durch Rekurs auf das Objekt gerechtfertigt, welches durch Kategorien konstituiert wurde. Erkenntnisurteile haben daher einen objektiven Bestimmungsgrund. Die These, dass Geschmacksurteile ästhetische Urteile sind bzw. dass Geschmacksurteile ein quasi-Prädikat der Lust haben, wird von Kant unbegründet vorausgesetzt. Dieses Vorgehen ergibt dann Sinn, wenn man Kant unterstellt, dass er sich auf die Erfahrungen seiner Leserschaft stützt (phänomenologische Strategie). Die Leserinnen und Leser sind sich bewusst, dass Erfahrungen des Schönen Lusterfahrungen sind und dass ihre Geschmacksurteile auf solchen Lusterfahrungen beruhen. Durch die Charakterisierung als ästhetisch weist Kant das Geschmacksurteil in gewisser Hinsicht als subjektiv aus. Diese Subjektivität bedeutet unter anderem, dass das Geschmacksurteil mindestens teilweise ein Urteil über das urteilende Subjekt ist. Ferner bildet die Kennzeichnung des Geschmacksurteils als subjektiv auch einen Teil eines Paradoxes, das der gesamten Analytik des Schönen unterliegt. Dieses Paradox beinhaltet, dass das Geschmacksurteil einerseits subjektiv und damit an die Lust des einzelnen urteilenden Subjekts gebunden ist, andererseits aber Allgemeingültigkeit beansprucht. Die Auflösung des Paradoxes ›subjektiv, aber allgemeingültig‹ kann als zentrales Problem von Kants Theorie des Schönen insgesamt be-

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§ 1 Das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil

griffen werden. In § 1 stellt Kant den ersten Teil dieses Paradoxes vor, während er den zweiten erst in § 6 einführt. 112 Abschließend möchte ich noch eine kurze Bemerkung zum Status von § 1 innerhalb des Ersten Moments machen. Dieser Paragraph wird häufig als eine Vorbemerkung zur gesamten Analytik des Schönen und damit als eigentlich nicht zum Ersten Moment gehörend betrachtet. 113 Diese Überlegung scheint insofern sinnvoll, als Kant in der gesamten Analytik primär eine Theorie der Lust am Schönen entwickelt, und dafür ist es grundlegend, dass das Geschmacksurteil überhaupt einen Bezug zur Lust hat. Andererseits wird aber mit der Interesselosigkeit im Ersten Moment das vielleicht wichtigste Charakteristikum dieser Lust vorgestellt. Daher gibt es doch eine starke Bindung von § 1 an das Erste Moment. Dies wird auch durch die Erste Erklärung des Schönen deutlich, in der Kant die Hauptthese des Ersten Moments präsentiert. Diese Erklärung lautet: »GESCHMACK ist das Beurtheilungsvermögen eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen, oder Mißfallen, o h n e a l l e s I n t e r e s s e . Der Gegenstand eines solchen Wohlgefallens heißt S c h ö n « (E1.1–2, 211,2). Kant führt hier explizit an, dass der Geschmack ein ›Beurtheilungsvermögen…durch ein Wohlgefallen‹ ist. Dies ist insofern auffällig, als Kant in der Zweiten und Dritten Erklärung des Schönen nicht mehr explizit den Begriff des Wohlgefallens nutzt. Damit kann der Inhalt von § 1 als zentraler Bestandteil der Hauptthese des Ersten Moments gewertet werden – und § 1 gehört also doch zum Ersten Moment. 114

1.8 Literaturbericht Wir sind schon vereinzelt auf die Forschungsliteratur eingegangen; werfen wir nun noch einmal einen zusammenhängenden und vergleichenden Blick auf die Literatur. – Unsere Analyse des ersten Paragraphen begann mit einer Untersuchung der vorangestellten Fußnote, in der Kant eine erste DeIch werde später zeigen, dass die geschärften Varianten dieses Paradoxes ›begriffslos, aber allgemeingültig‹ sowie ›begriffslos, aber notwendig‹ lauten. Siehe Kap. 6.1 sowie 18.1.3. 113 Vgl. bspw. Allison 2001, 68, Guyer 1979, 167 & Wenzel 2000, 72. 114 Im Übrigen gibt es ja auch andere Paragraphen, die zwar zu einem bestimmten Moment gehören, aber dennoch einen gewissen Sonderstatus innerhalb dieses Moments aufweisen. Paradigmatisch ist hier § 9 zu nennen. 112

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finition des Geschmacks vornimmt. Diese erste Definition des Geschmacks findet in der Literatur kaum Beachtung und wird von einigen AutorInnen wie etwa Allison (2001), Crawford (1974), Fricke (1990), Kern (2000), Kulenkampff (1994), Matthews (1997) und McCloskey (1987) gar nicht berücksichtigt. Bei anderen AutorInnen wird die Fußnote zwar zitiert, es wird aber nicht auf die Definition des Geschmacks, sondern nur auf Kants Ausführungen zu den vier Momenten der Urteilstafel eingegangen. Wir haben gesehen, dass der Begriff »Beurteilung« in der Bestimmung »Vermögen der Beurtheilung des Schönen« (203 Fn.) durchaus zweideutig ist, da er entweder für das Fällen des Geschmacksurteils oder die Beurteilungsaktivität des freien Spiels stehen kann. Explizit im Sinne des Geschmacksurteils versteht Wenzel den Begriff »Beurteilung« (vgl. Wenzel 2000, 72). Im Sinne der Beurteilungsaktivität, d. h. des freien Spiels, versteht wohl Meerbote »Beurteilung«; denn er schreibt zur Fußnote: »the capacity of taste is defined as the capacity of appraising the beautiful« (Meerbote 1982, 56); und zum ›appraising‹ heißt es dann weiter: »To be appraising, in turn, is to be reflecting« (Meerbote 1982, 56). Ebenfalls im Sinne des freien Spiels deutet Pollok die Definition des Geschmacks (vgl. Pollok 2017, 290 f.). Er verweist zudem darauf, dass Kant durch diese Definition das Hässliche vom Geschmack ausschließe (vgl. Pollok 2017, 290). Im Großen und Ganzen ist Allisons Beobachtung zuzustimmen, der ästhetische Charakter des Geschmacksurteils gehöre zu den »features of judgments of taste that are frequently downplayed« oder »ignored« (Allison 2001, 67). Ein Blick in die Sekundärliteratur zeigt, dass die Charakterisierung des Geschmacksurteils als ästhetisch zwar meistens erwähnt, dass sie jedoch kaum näher erläutert oder analysiert wird. Oft finden sich nur sehr allgemeine Erläuterungen dazu, was ein ästhetisches Urteil ist. So wird das ästhetische Urteil von Guyer als »one which is made on the basis of the experience of pleasure itself« (Guyer 1979, 148) und von Matthews als »based on a pleasure« (Matthews 1997, 22) bestimmt. Wenzel bescheinigt ästhetischen Urteilen einen »wesentlichen Bezug auf das Gefühl der Lust und Unlust« (Wenzel 2000, 73). Pollok erläutert: »an aesthetic judgment does not articulate the cognition of an object but rather expresses the subjective response we experience vis-à-vis a given object« (Pollok 2017, 273). Longuenesse schreibt zum Ersten Moment als Moment der Qualität: »what is being affirmed is not an objective property of the object, but a feeling that is elicited in us when we perceive the object« (Longuenesse 2003, 150). Ähnlich schreibt Kern: »In einem Urteil über die Schönheit eines Gegenstands bestimmt man nicht den Gegenstand, sondern man artikuliert seine Lust an ihm« (Kern 2000, 20; vgl. ähnlich Kern 2002, 84). Ginsborg bestimmt ästhetische Urteile als »Urteile, die sich auf subjektive Empfindungen von Lust oder Unlust bei der Vorstellung eines Objekts beziehen« (Ginsborg 2008, 60 f.). Esser schreibt, dass »[i]n allen ästhetischen Urteilen […] das Prädikat […] nicht die Verbindung einer Vorstellung mit einem objektiven Kants Philosophie des Schönen

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Begriff, sondern mit einem Zustand des Urteilenden aus[drückt]. Dieser Zustand wird nicht objektiv erkannt, sondern als Gefühl der Lust oder Unlust empfunden« (Esser 1997, 60; vgl. ähnlich Esser 1995a, 10). (Esser geht allerdings als eine der wenigen AutorInnen überhaupt auf den Begriff des Bestimmungsgrundes näher ein.) Ähnlich schreibt auch Allison: »the significance of the fact that judgments of taste are aesthetic is that it indicates that they are based on feeling« (Allison 2001, 68). Darüber hinaus problematisiert Allison das Prädikat des ästhetischen Urteils: »Clearly, Kant does not intend us to understand that the feeling functions as a logical (not to mention a real) predicate, since the judgment of taste is noncognitive. The point is rather that the feeling serves as the vehicle through which we perceive the aptness or subjective purposiveness (or lack thereof) of a given representation for the proper exercise of our cognitive faculties« (Allison 2001, 71). Die Besonderheit des Prädikats (oder vielmehr quasi-Prädikats) in ästhetischen Urteilen tritt auch bei Zuckert hervor: »In aesthetic judging, Kant claims, we connect our representation of the object not with a conceptual, objective predicate, but with pleasure, which cannot be attributed to objects« (Zuckert 2007, 175). Zudem schlägt sie die folgende Deutung des Geschmacksurteils vor: »We misspeak, then, when we say that an object is beautiful; more properly, we should say, ›I take pleasure in representing this object, and all should take pleasure in it too (though for no specifiable reason, on the basis of no objective property of the object)‹« (Zuckert 2007, 175). Auch Crawford – einer der wenigen Autoren, die § 1 eine sehr lange Passage widmen – problematisiert das Prädikat im ästhetischen Urteil, da kein Einzelding auf den Begriff vom Objekt oder eine Universalie bezogen würde und somit die eigentlichen Bedingungen für ein Urteil verfehlt würden (vgl. Crawford 1974, 32). Ähnlich wie Zuckert bemerkt auch er die verschleierte Form des Geschmacksurteils und bezeichnet es als »disguised liking-report« (Crawford 1974, 37). Kulenkampff bestimmt das ästhetische Urteil als subjektives Urteil, d. h. als eine »Behauptung über das Bestehen eines bestimmten subjektiven privaten Sachverhalts« bzw. ein »Urteil des Subjekts über sich selbst«, welches eigentlich nur »für dies eine Subjekt gültig« sei (Kulenkampff 1994, 70). Normalerweise habe »das korrekt formulierte subjektive Urteil stets einen verbalen Index, durch den angegeben ist, auf welches Subjekt es sich bezieht« (Kulenkampff 1994, 71); das Geschmacksurteil aber sei durch »Indexlosigkeit« ausgezeichnet, d. h. der »explizite Bezug auf das emotional reagierende Subjekt« fehle (Kulenkampff 1994, 77 f.). Damit steht Kulenkampffs Position im direkten Gegensatz zu Zuckerts Deutung des Geschmacksurteils. Crawford betont, dass der Begriff »ästhetisch« in der Bezeichnung »ästhetisches Urteil« nicht dafür stehe, dass die beinhalteten Vorstellungen ästhetisch, d. h. sinnlich oder empirisch, seien (vgl. Crawford 1974, 31). Prauss schreibt zum ästhetischen Urteil: »Mit einem Urteil wie ›diese Tulpe ist rot‹ bringt ein Subjekt eine objektive Erkenntnis von diesem Ding zum Ausdruck, mit einem Urteil wie ›Diese

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Tulpe ist schön‹ dagegen nur ein subjektives Wohlgefallen an diesem Ding« (Prauss 1981, 267). Darüber hinaus geht er explizit auf das logische Subjekt des Geschmacksurteils ein und betont, dass an der Stelle des logischen Subjekts immer ein begrifflich erfasstes Objekt (etwa ›Diese Tulpe‹) stehen müsse (vgl. Prauss 1981, 275). Auch Fricke behandelt das logische Subjekt und betont ganz im Gegensatz zu Prauss, dass zwar an der Stelle des logischen Subjekts ein »conceptus singularis«, jedoch auch »ein indexikalische[r] Ausdruck[.]« (›dies‹) stehen könne (Fricke 1990, 8). Makkreel widmet sich insbesondere der Tatsache, dass ästhetische Urteile bzw. Geschmacksurteile synthetisch sind. Er schreibt: »Schönheit ist nicht etwas, was mit der Rose als eine ihrer Eigenschaften verknüpft werden kann. Es gibt keinen Akt der Synthesis, der den Begriff einer Rose erweiterte«; und: »Statt etwas über die objektiven Eigenschaften eines Gegenstandes zu behaupten, offenbart das Geschmacksurteil etwas über unsern subjektiven Bewußtseinszustand beim Auffassen der Form eines Objektes« (Makkreel 1997, 67). ›Synthetisch‹ meine bei Geschmacksurteilen nur, dass diese Urteile eine synthetische Form hätten, d. h. den »Inhalt des Subjektterminus« erweitern würden (Makkreel 1997, 67). Eine von den meisten anderen Interpretationen unterschiedene Position vertritt Savile. Er betont, dass »the features of perceptual experience, of subjectivity (the judge’s own pleasure) and disinterest« (Savile 1993, 5) nichts zum Inhalt des Geschmacksurteils beitrügen, sondern zu den Gründen gehörten, warum wir diesen Inhalt im Urteil ausdrücken (vgl. Savile 1993, 3–7). Urteile der Form »x ist schön« könnten wir auch aufgrund von anderen Gründen fällen. Er wendet sich damit unter anderem explizit gegen die Positionen von Kulenkampff und Crawford. Besonders auffällig ist, dass die allermeisten AutorInnen die Wendung »Bestimmungsgrund des Urteils« nicht berücksichtigen und dann auch nicht genauer erläutern, was ein subjektiver Bestimmungsgrund ist. Damit wird aber Kants Definition von »ästhetisches Urteil« nicht in die Untersuchung einbezogen. Einige AutorInnen, wie Allison (2001), Crawford (1974), McCloskey (1987), Wenzel (2008) und Zuckert (2007), erwähnen diese Wendung (›Bestimmungsgrund des Urteils‹) nicht einmal. In anderen Fällen, wie bei Guyer (1979), Kern (2000), Kulenkampff (1994), Matthews (1997) und Wenzel (2000), wird die Wendung ›subjektiver Bestimmungsgrund‹ zwar zitiert, aber nicht weiter erläutert. Zwei Gegenbeispiele sind Esser und Fricke. Esser führt zum Bestimmungsgrund aus: »Als Bestimmungsgrund eines Urteils gilt nach Kant der Grund, bzw. die Regel, nach der ein Prädikat mit einer Vorstellung im Urteil verbunden wird« (Esser 1997, 131). Fricke zitiert einige Passagen aus der Nova Dilucidatio zum Thema Bestimmungsgrund, macht aber nicht explizit, wie sie die Wendung ›Bestimmungsgrund des Urteils‹ versteht. Zum Bestimmungsgrund des logischen Urteils führt sie das Folgende aus: »Für synthetische objektive kategorische Erkenntnisurteile […] können objektive Begriffe als Gründe Kants Philosophie des Schönen

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angegeben werden, nämlich die genannten Relationskategorien und die objektiven Begriffe, die als Subjekt- und Prädikatterminus in diesen Urteilen verbunden werden« (Fricke 1990, 11). Zum Geschmacksurteil heißt es dann, dass »Schönheit kein objektiver Begriff ist. Unter den Begriff der Schönheit können anschauliche Vorstellungen von Objekten nicht subsumiert werden« (Fricke 1990, 11). In seinen Ausführungen zur Einleitung in die KU geht auch Euler auf den Begriff des Bestimmungsgrundes ein. Er erläutert (mit Hinblick auf das Schöne): »›Bestimmungsgrund‹ bedeutet jedenfalls nicht […], dass er die Instanz anzeigt, die einen Erkenntnisgegenstand in einem Urteil a priori objektiv bestimmt. Bestimmend ist das Gefühl der Lust nämlich allein dadurch, dass es unter bestimmten Voraussetzungen mit einem vorgestellten (schönen) Gegenstand innerhalb der S-PBeziehung eines Urteils identisch ist (zusammenstimmt)« (W. Euler 2018, 527). Nicht nur der Begriff des Bestimmungsgrundes wird kaum beachtet. Auch Kants Zuordnung der Vermögen zur jeweiligen Verbindung von Subjekt und Prädikat (»Um zu unterscheiden, ob etwas schön sey oder nicht, beziehen wir die Vorstellung nicht durch den Verstand auf das Object zum Erkenntnisse, sondern durch die Einbildungskraft […] auf das Subject und das Gefühl der Lust oder Unlust desselben«; § 1.A.1, 203,9, m. H.) wird kaum oder vielmehr gar nicht untersucht. In keinem in dieser Arbeit berücksichtigten Sekundärtext wurde diese Zuordnung näher untersucht. Etwas mehr, wenngleich nicht viel Aufmerksamkeit ist der Frage gewidmet worden, ob Kant eine Begründung dafür anbietet, dass das Geschmacksurteil ein ästhetisches Urteil ist. Kulenkampff betont, es fänden sich »keine Belege oder Beweise für diese These«; vielmehr fuße Kant »auf der Entwicklung, die die Ästhetik im 18. Jahrhundert genommen hatte« (Kulenkampff 1994, 72). Crawford führt zwei Argumente an: erstens eine sogenannte »absent of proof thesis« – »Judgments of taste do not relate a representation to a concept; if they did, they would be susceptible of proof, which they are not« (Crawford 1974, 35) – und zweitens eine »[p]henomenological observation« – »there is a qualitative difference in the feeling or experience on which the judgment is based« (Crawford 1974, 36). Diese zweite These habe auch ich in dieser Arbeit vertreten.

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In § 1 hat Kant ausgeführt, dass das Geschmacksurteil als ästhetisches Urteil ein quasi-Prädikat der Lust beinhaltet. Die Klasse der ästhetischen Urteile umfasst allerdings neben Geschmacksurteilen auch Urteile über das Angenehme. Kant muss nun also zeigen, wie sich das Geschmacksurteil von Urteilen über das Angenehme unterscheidet. Da im Geschmacksurteil ein Gefühl der Lust prädiziert wird, muss er dazu die spezifische Lust im Geschmacksurteil charakterisieren. Eine ebensolche Charakterisierung nimmt Kant in § 2 vor, indem er die Lust am Schönen als interesselos bzw. uninteressiert ausweist. Mittels dieses Kriteriums grenzt er sie dann in den §§ 3–5 von der Lust am Angenehmen und Guten ab. In § 2 formuliert Kant die Uninteressiertheitsthese der Lust am Schönen und damit die Kernthese des Ersten Moments. Ein fundiertes Verständnis von § 2 ist damit von immenser Wichtigkeit. Kants Vorgehen in § 2 lässt sich dabei grob zweiteilen: In einem ersten Schritt definiert er, was ein Interesse ist; in einem zweiten Schritt führt er dann aus, dass die Lust am Schönen kein Interesse ist. Eine detailliertere Gliederung sieht folgendermaßen aus: 1. Begriffsbestimmung von »Interesse« (§ 2.A.1–2, 204,22–26) 2. Die Uninteressiertheitsthese (§ 2.A.3–9, 204,26–205,17) a) Formulierungen der Uninteressiertheitsthese (§ 2.A.3 & § 2.A.6–9, 204,26–30 & 205,7–17) b) Das Palast-Beispiel (§ 2.A.4–5, 204,30–205,7) [Exkurs: reines Geschmacksurteil (§ 2.A.8, 205,13–15)] 3. Überleitung zur Abgrenzung vom Angenehmen und Guten (§ 2.B.1, 205,18–23) [Fußnote: Abgrenzung von »interessiert/uninteressiert« zu »interessant« (205,31–36)] Es fällt auf, dass Kant zwar mehrmals die Uninteressiertheitsthese (UT) formuliert, jedoch keine explizite Begründung für UT zu liefern scheint. Bei den folgenden Untersuchungen muss demnach auch ge-

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§ 2 Die Uninteressiertheitsthese

fragt werden, ob und wie Kant UT (in § 2 oder im Ersten Moment insgesamt) begründet.

2.1 Zum Begriff der Lust in der KU Bereits in § 1 war der Begriff der Lust zentral für Kants Ausführungen zum ästhetischen Urteil. Wir werden gleich sehen, dass auch in der Definition von »Interesse« der Begriff des Wohlgefallens bzw. der Lust von zentraler Bedeutung ist. Dies ist durchaus problematisch; denn Kant definiert erst viel später, nämlich in § 10, was »Lust« ist. Dafür kann man aber drei Gründe benennen: Erstens könnte diese verspätete Definition dem Aufbau der Analytik geschuldet sein. So findet sich in § 10 eine ganze Ansammlung von Definitionen, die auf die eine oder andere Weise im Kontext des Begriffs des Zwecks anzusiedeln sind. Kant scheint auch die Lust im weitesten Sinne in diesem Kontext zu verorten. 1 Zweitens ist der Begriff »Lust« in gewisser Hinsicht gar nicht definierbar. Denn Lust ist ein Gefühl und als solches primär dadurch ausgezeichnet, dass es sich auf eine bestimmte Art und Weise anfühlt. Zu dieser grundsätzlichen Definitionsproblematik heißt es, »daß Lust oder Unlust, weil sie keine Erkenntnißarten sind, für sich selbst gar nicht können erklärt werden, und gefühlt, nicht eingesehen werden wollen« (EEKU: 232,1, m. H.). 2 Unter anderem deshalb werde ich im Folgenden nicht mehr von einer Definition der Lust, sondern nur noch von einer Begriffsbestimmung oder Erklärung sprechen. 3 Die Definitionsproblematik der Lust mag Kant jedenfalls davon abgehalten haben, bereits zu Beginn der Analytik eine Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Kant die Bestimmung der Lust in § 10 einleitet mit »Das Bewußtseyn der Causalität […] kann hier im Allgemeinen das bezeichnen, was man Lust nennt« (§ 10.A.4, 220,9, m. H.). Der Begriff »hier« könnte verdeutlichen, dass Kant diese Bestimmung der Lust explizit in den Kontext des Zwecks und der Zweckmäßigkeit eingebettet verstanden will. Siehe hierzu auch Kap. 10.1.4. 2 In der Einleitung zur KpV führt Kant aus, dass man eine Erklärung vom »Begriff des B e g e h r u n g s v e r m ö g e n s , oder des G e f ü h l s d e r L u s t « »als in der Psychologie gegeben, billig sollte voraussetzen können« (KpV: 9 Fn.). Auch dies deutet darauf hin, dass »Lust« eigentlich nur als gefühlte bestimmt werden kann, wobei eine solche Bestimmung in die Psychologie fallen würde. 3 Berücksichtigt werden muss freilich auch Kants generelle Skepsis in Bezug auf Definitionen. So räumt er in der KrV nur für mathematische Begriffe die Möglichkeit von Definitionen ein, während er insbesondere in Bezug auf empirische Begriffe von 1

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Zum Begriff der Lust in der KU

Definition bzw. Bestimmung der Lust anzuführen. Drittens kann Kant aber eben aus dem Grunde, dass Lust ein Gefühl ist, voraussetzen, dass seine LeserInnen auf eine phänomenale Art und Weise damit vertraut sind. Ich werde auf diesen phänomenalen Zugang zur Lust in Kürze zurückkommen. 4 Zunächst wollen wir aber die Bestimmung der Lust aus § 10 untersuchen. Diese lautet: § 10.A.4 »Das Bewußtseyn der Causalität einer Vorstellung in Absicht auf den Zustand des Subjects, es in demselben z u e r h a l t e n , kann hier im Allgemeinen das bezeichnen, was man Lust nennt; wogegen Unlust diejenige Vorstellung ist, die den Zustand der Vorstellungen zu ihrem eigenen Gegentheile zu bestimmen (sie abzuhalten oder wegzuschaffen) den Grund enthält« (220,9). 5

Kant bestimmt hier neben »Lust« auch »Unlust«. Ich möchte mich aber zunächst auf den Begriff der Lust konzentrieren. Wir können die folgende Erklärung extrahieren: L

Lust ist das Bewusstsein der Kausalität einer Vorstellung in Absicht auf den Zustand des Subjekts, es in demselben zu erhalten. 6

Das Pronomen ›es‹ muss sich auf das ›Subject‹ beziehen, während ›demselben‹ den ›Zustand des Subjects‹ meinen muss. Wir können also schreiben: L* Lust ist das Bewusstsein der Kausalität einer Vorstellung in Absicht auf den Zustand des Subjekts, das Subjekt in demselben Zustand zu erhalten.

der generellen Unmöglichkeit von Definitionen ausgeht (vgl. A727–723/B755–760). Offenkundig ist »Lust« ein empirischer Begriff. 4 Siehe auch Kap. G1.1. 5 Ähnlich heißt es in der Anthropologie mit Bezug auf die Lust am Angenehmen: »Was unmittelbar (durch den Sinn) mich antreibt, meinen Zustand zu v e r l a s s e n (aus ihm herauszugehen): ist mir u n a n g e n e h m – es schmerzt mich; was ebenso mich antreibt, ihn zu e r h a l t e n (in ihm zu bleiben): ist mir a n g e n e h m , es vergnügt mich« (Anth: 231). Auf die berühmte Bestimmung von »Lust« in MdS: 211 werde ich in Kürze eingehen. 6 Kants Formulierung ist eigentlich vorsichtiger, da er nur schreibt ›kann hier im Allgemeinen das bezeichnen‹. Der Einfachheit halber habe ich mich dazu entschieden, diese vorsichtige Formulierung durch ein ›ist‹ zu ersetzen. Im direkten Anschluss verwendet Kant in Bezug auf die Unlust dann ja auch selbst das Verb ›ist‹. Kants Philosophie des Schönen

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§ 2 Die Uninteressiertheitsthese

Das zentrale Moment dieser Begriffsbestimmung ist das Erhalten. Denken wir an unsere eigenen Erfahrungen mit dem Gefühl der Lust: Es ist ein positives Gefühl; es fühlt sich gut an. In diesem Sinne möchte ich wohl in den meisten Fällen, dass dieses positive Gefühl andauert. An L ist mindestens ungewöhnlich, dass Kant »Lust« nicht als Gefühl, sondern als ›Bewußtseyn‹ bezeichnet. Jedoch kann ein Gefühl insofern als ›Bewußtseyn‹ bezeichnet werden, als uns durch ein Gefühl etwas bewusst werden kann. Daher sollte man vielleicht eher schreiben ›Lust ist ein Gefühl, durch das uns etwas bewusst wird‹ statt ›Lust ist ein Bewußtseyn‹. Ferner ist auch die Formulierung ›Causalität einer Vorstellung in Absicht auf den Zustand des Subjects, es in demselben zu erhalten‹ ungewöhnlich oder vielmehr sperrig. Sie lässt sich aber einfach damit übersetzen, die Vorstellung verursache (›Causalität‹), dass der Zustand des Subjekts erhalten wird (›in Absicht auf‹). Wir können L nun folgendermaßen rekonstruieren: LR1 Lust ist ein Gefühl, durch das sich das Subjekt bewusst wird, dass eine Vorstellung verursacht, dass das Subjekt in einem bestimmten Zustand erhalten wird.

Es stellt sich nun freilich die Frage, was denn der ›Zustand des Subjects‹ ist. Die einzig sinnvolle Antwort scheint mir zu sein, dass es der ›Zustand der Lust‹ selbst ist, in dem sich das Subjekt befindet. 7 Eine Alternative wäre noch, den ›Zustand des Subjects‹ als ›Zustand der Vorstellungen‹ zu verstehen, da Kant diese Formulierung in der Begriffsbestimmung der Unlust verwendet. Aber der ›Zustand der Vorstellung‹, also der Zustand, in dem das Subjekt eine gewisse Vorstellung präsent hat, ist ja gerade der Zustand, der als lustvoll (oder unlustvoll) empfunden wird. Ich schlage daher die folgende Rekonstruktion vor: LR2 Lust ist ein Gefühl, durch das sich das Subjekt bewusst wird, dass eine Vorstellung verursacht, dass das Subjekt im Zustand der Lust erhalten wird. 8 Denkbar wäre natürlich auch, dass ein dem Gefühl der Lust zugrundeliegender Zustand gemeint sein könnte, etwa der Zustand des freien Spiels der Erkenntniskräfte beim Schönen oder der Zustand des Wollens beim Guten. Allerdings würde eine solche Auslegung letztlich auf dasselbe hinauslaufen, da in beiden Fällen das Gefühl der Lust nur die fühlbare Seite dieses Zustandes ist. Siehe Kap. 9.6.3. 8 Durch diese Rekonstruktion wird deutlich, dass Kant keine Definition im engen Sinne vornehmen kann. Denn als Definition wäre LR2 freilich stark zirkulär. 7

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Zum Begriff der Lust in der KU

Aber auch diese Rekonstruktion ist noch nicht zufriedenstellend. Zunächst einmal mag es verwirren, dass es eine Vorstellung und kein Objekt ist, welche die Erhaltung des Zustandes der Lust verursacht. Ist es nicht das wirkliche Eis und nicht bloß die Vorstellung von Eis, die meine Lust verursacht? Und ist es nicht der wirkliche Hammer, der mir auf den Fuß fällt, und nicht bloß die Vorstellung vom Hammer, die meinen Schmerz, d. h. meine Unlust, verursacht? Diese Problematik lässt sich leicht dadurch lösen, dass man auf den kantischen Unterschied von Erscheinung und Ding an sich verweist. Wenngleich hinter der Ursache meines Schmerzes in letzter Instanz in irgendeiner Form der wirkliche Hammer, d. h. der Hammer an sich, stehen mag, so habe ich doch immer nur Zugriff auf den Hammer als Erscheinung und in diesem Sinne auf die Vorstellung vom Hammer. Ein anderes Problem lässt sich jedoch nicht so leicht lösen. Problematisch ist nämlich auch, dass L an unserem normalen Verständnis der Lust vorbeizugehen scheint. Wie bereits angedeutet, zeichnet sich dieses Verständnis nämlich dadurch aus, dass Lust ein Gefühl ist und sich auf eine bestimmte Art und Weise anfühlt. Ich möchte daher an dieser Stelle kurz auf den Aspekt des ›sich Anfühlens‹, d. h. auf den phänomenalen Gehalt der Lust, eingehen. Einschub: Zum phänomenalen Gehalt der Lust Lust ist ein Gefühl, dass sich als solches auf eine bestimmte Art und Weise anfühlt. Lust ist damit durch einen bestimmten phänomenalen Gehalt gekennzeichnet. Dabei verstehe ich unter »phänomenalen Gehalt«, dass es eine bestimmte Art und Weise gibt, wie es für ein Subjekt ist, eine Lust zu haben (»what it is like to have x«). 9 Ich möchte im Folgenden darlegen, dass auch Kant die Lust als Gefühl versteht und ihr damit mindestens unterschwellig einen phänomenalen Gehalt beilegt. 10

Diesen Status, über ein ›what it is like‹ zu verfügen, teilt die Lust in systematischer Hinsicht mit anderen Arten von Erfahrungen, wie etwa Wahrnehmungen (vgl. Siegel 2016). – Die Wendung des »what it is like« ist freilich insbesondere durch Nagels einflussreichen Aufsatz »What Is It Like to Be a Bat?« (1974) berühmt geworden. Das damit verbundene knowledge argument ist ein klassisches (und starkes) Argument gegen den Physikalismus und Funktionalismus in der Philosophie des Geistes; vgl. dazu aus kantischer Perspektive Schönecker (2018). 10 Für eine umfassende Analyse des phänomenalen Gehalts der Lust am Schönen siehe Grundlagen 1. 9

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Wie bereits angemerkt, operiert Kant zwar von vornherein (schon ab § 1) mit dem Begriff der Lust, bestimmt bzw. erklärt diesen aber erst in § 10. Dies ist insofern auffällig, als Lust sowohl in § 1 als auch in den §§ 2–5 einer der zentralen Begriffe ist. 11 Vor diesem Hintergrund wäre es eigentlich naheliegend, eine Definition oder Erklärung der Lust bereits in § 1 voranzustellen. Kants Strategie ergibt aber durchaus Sinn, wenn man ihm unterstellt, dass er das Phänomen der Lust als bekannt voraussetzt. Und er kann die Lust insofern als bekannt voraussetzen, als sie einen phänomenalen Gehalt aufweist, d. h. sich auf eine bestimmte Art und Weise anfühlt. In diesem Sinne haben alle Menschen aus ihrer Erfahrung ein gefühltes Bewusstsein davon, was Lust ist. Jeder weiß aus der Erste-Person-Perspektive, was es bedeutet, ein Gefühl der Lust zu haben, und selbst wenn man diese Lust aus der Dritte-Person-Perspektive – also etwa aus der Perspektive der Philosophie – weiter analysieren und beschreiben kann, wäre diese Dritte-Person-Perspektive unmöglich ohne die Basis der ErstePerson-Perspektive. Tatsächlich führt Kant im Rahmen seiner Bestimmung von »Lust« in der Ersten Einleitung explizit an, dass Lust etwas ist, das gefühlt wird. So heißt es dort: »Man sieht hier leicht, daß Lust oder Unlust, weil sie keine Erkenntnißarten sind, für sich selbst gar nicht können erklärt werden, und gefühlt, nicht eingesehen werden wollen; daß man sie daher nur durch den Einfluß, den eine Vorstellung vermittelst dieses Gefühls auf die Thätigkeit der Gemüthskräfte hat, dürftig erklären kann« (EEKU: 232,1, m. H.). 12

Hier wird deutlich, dass Lust auch für Kant primär ›gefühlt‹ wird. 13 Zudem wird deutlich, dass er den gefühlten Charakter der Lust expli-

Diese Auffälligkeit wird dadurch verstärkt, dass Kant zwar noch in der Ersten Einleitung eine Begriffsbestimmung der Lust vornimmt, es dann aber in der offiziellen Einleitung einer solchen Begriffsbestimmung gänzlich ermangelt. 12 Es fällt auf, dass Kant hier davon spricht, man könne die Lust bloß ›dürftig erklären‹, und dass er keinesfalls schreibt, man könne die Lust definieren. Auch dies spricht dafür, dass er die Lust in § 10 sowie in dieser Passage aus der Ersten Einleitung nicht definiert, sondern bloß erklärt. 13 Guyer wertet Kants unmittelbar vorhergehende Erklärung der Lust als Hinweis darauf, dass Lust und Unlust überhaupt keine Gefühle seien, dass sie deshalb über keinen phänomenalen Gehalte verfügen würden, und dass sie vielmehr »behavioral dispositions« seien (Guyer 2018, 148). Aber Guyer erwähnt dabei mit keinem Wort, dass Kant ausdrücklich schreibt, Lust und Unlust wollten ›gefühlt…werden‹. 11

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zit nicht in seine Erklärung der Lust aufnehmen will oder vielmehr kann, da dieser dem ›Einsehen‹ und ›Erklären‹ entgegensteht. Man kann Lust als Gefühl nicht (theoretisch) ›erklären‹, sondern muss sie fühlen; 14 wenngleich man sie aber als qualitatives Gefühl ›für sich‹ nicht erklären kann, so kann man doch mit Rekurs auf ihre Wirkung eine Art indirekte Erklärung vornehmen. Vor dem Hintergrund der Nicht-Erklärbarkeit ergibt es Sinn, dass Kant auch in seiner Bestimmung in § 10 den gefühlten Charakter der Lust nicht erwähnt. 15 Dass Lust und Unlust Gefühle sind, erhellt auch aus der Einleitung in die MdS, in der es heißt: »Mit dem Begehren oder Verabscheuen ist e r s t l i c h jederzeit L u s t oder U n l u s t , deren Empfänglichkeit man G e f ü h l nennt, verbunden, […]« (MdS: 211). Wenn Kant hier von der ›Empfänglichkeit‹ der Lust und Unlust redet, so meint er damit freilich nicht ein konkretes Gefühl der Lust oder Unlust, sondern die allgemeine Disposition dazu, Lust und Unlust zu fühlen. Und diese Disposition, Lust und Unlust zu haben, ist das Gefühl – oder vielmehr, so möchte man sagen, das Vermögen des Gefühls. Abstrahiert man vom Aspekt des ›Begehrens oder Verabscheuens‹, so ist bemerkenswert, dass sich das (Vermögen zum) Gefühl in Lust und Unlust zu erschöpfen scheint. Demnach würden sich alle unsere Gefühle letztlich auch phänomenal auf Lust- oder Unlusterlebnisse zurückführen lassen. Vor diesem Hintergrund wird dann die Frage vordringlich, wie sich denn nun eine Lust anfühlt. Berücksichtigt man erstens das Moment des Erhaltens der Lust (wir möchten, dass der Zustand der Lust andauert), sowie zweitens, dass das Gefühl der Lust verschiedene Arten und Unterarten von Gefühlen umfassen muss, so scheint es am plausibelsten, eine Lust phänomenal dadurch zu charakterisieren, dass sie sich positiv anfühlt. Hingegen muss dann die Unlust dadurch gekennzeichnet sein, dass sie sich negativ anfühlt. Eine solche Abgrenzung des Gefühls von der Erkenntnis findet sich bereits in Kants frühen Schriften. So heißt es in den Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen: »Man thut einander zwar Unrecht, wenn man denjenigen der den Werth, oder die Schönheit dessen, was uns rührt, oder reizt, nicht einsieht, damit abfertigt, d a ß e r n i c h t v e r s t e h e . Es kommt hiebei nicht so sehr darauf an, was der Ve rs t a n d einsehe, sondern was das Gefühl empfinde« (GSE: 225). 15 Ein weiterer Grund dafür mag sein, dass Kant in § 10 und in der Ersten Einleitung je eine transzendentale Erklärung der Lust aufstellen will, während eine Bestimmung der Lust vor dem Hintergrund ihres gefühlten Charakters wohl zu einer empirischen Erklärung führen würde (vgl. EEKU: 230 Fn.). 14

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Halten wir fest: Auch für Kant ist Lust ein Gefühl, welches dadurch gekennzeichnet ist, dass es sich auf eine bestimmte Art und Weise anfühlt. Daher ist ein Gefühl eigentlich nicht definierbar oder erklärbar, sondern muss vielmehr gefühlt werden. Aus diesem Grund muss Kant »Lust« zu Beginn der Analytik des Schönen nicht definieren bzw. erklären; denn er kann voraussetzen, dass seine Leserschaft aus ihrer eigenen Erfahrung ein Bewusstsein davon hat, was Lust ist und wie sie sich anfühlt. Fragt man aber, wie sich Lust anfühlt, so scheint die plausibelste und umfassendste Antwort zu sein, dass sie sich positiv anfühlt. Kehren wir zurück zur Bestimmung der Lust (L) in § 10. Durch eine Lust werden wir uns, so der zentrale Gedanke von L, bewusst, dass eine bestimmte Vorstellung den Zustand der Lust erhält. Vor dem phänomenologischen Hintergrund der kantischen Theorie können wir nun eine implizite Annahme ergänzen. Dass mir die Kausalität der Vorstellung bezüglich der Erhaltung meines Zustandes der Lust bewusst wird, ist nur von Bedeutung, insofern ich möchte, dass dieser Zustand andauert (oder nicht andauert). Da sich eine Lust im Sinne ihres phänomenalen Gehalts positiv anfühlt, liegt es auf der Hand, dass ich möchte, dass der Zustand der Lust andauert, und ich ihn daher erhalten will. 16 Diese Annahme wird durch die folgende Aussage aus § 12 bekräftigt: »Sie [die Lust am Schönen] hat aber doch Causalität in sich, nämlich den Zustand der Vorstellung selbst und die Beschäftigung der Erkenntnißkräfte ohne weitere Absicht zu e rh a l t e n « (§ 12.B.4, 222,31). Hier wird deutlich, dass die Lust (am Schönen) verursacht, dass wir den Zustand der Vorstellung, der als lustvoll empfunden wird, erhalten. Wir können ergänzen, dass die Lust insofern eine solche Kausalität hat, als wir aufgrund ihres positiven Sich-Anfühlens wollen, dass die Lust andauert. In diesem Sinne

Ausgehend von § 10.A.4 bzw. L vertritt Guyer das folgende »dispositional model of aesthetic pleasure and pain«: »to feel pleasure would just be to feel disposed to continue in one’s state, and to feel pain would just be to feel disposed to alter it, whatever either of those states of mind might otherwise feel like« (Guyer 2018, 157). Dabei vertritt er explizit die These, dass Lust bzw. Unlust opak seien und sich nicht spezifisch anfühlen würden. Warum aber sollten wir dazu dispositioniert sein, den Zustand der Lust zu erhalten, wenn dieser Zustand nicht in irgendeiner Form positiv wäre? Dass der Zustand aber positiv ist, lässt sich meines Erachtens nur dadurch erklären, dass er sich positiv anfühlt.

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können wir die Lust durch ein dreifaches Erhaltungsmoment beschreiben: 17 La Lust ist ein positives Gefühl, das das Subjekt erhalten möchte. 18 Lb Durch das Gefühl der Lust wird dem Subjekt bewusst, dass eine Vorstellung verursacht, dass der Zustand der Lust des Subjekts erhalten wird. 19 Lc Weil das Subjekt den Zustand des positiven Gefühls erhalten möchte (La) und sich bewusst ist, dass die Vorstellung die Erhaltung des positiven Gefühls verursacht (Lb), möchte das Subjekt die Vorstellung erhalten.

Es wird ersichtlich, dass Lc aus La und Lb gefolgert werden kann. Die zweite Proposition Lb – und eigentlich war diese ja der Inhalt der Ausgangsformulierung § 10.A.4 – ist insbesondere auch aufschlussreich hinsichtlich der Frage, ob Lust ein intentionaler Zustand ist, d. h. über eine Gerichtetheit verfügt. 20 Wenn wir uns in der Lust bewusst sind, dass eine Vorstellung die Lust verursacht, dann muss die Lust intentional auf die Vorstellung gerichtet sein. Eine jede Form von Lust ist daher immer auf diejenige Vorstellung (Empfindung,

Diese Erhaltungsmomente stimmen gut mit Zuckerts These zusammen, dass Lust immer über eine »future-directedness« verfügt (Zuckert 2007, 234; vgl. auch Zuckert 2002, 240). 18 Auch Allison sieht, dass man diese Annahme gerne machen würde, geht aber davon aus, dass sie nicht mit Kants Bestimmung der Lust in § 10 vereinbar sei: »since one would assume that a subject endeavors to preserve a state because it is pleasurable, not that the preservation is what makes the state pleasurable« (Allison 2001, 122). Damit verkennt Allison aber, dass Kant keinesfalls schreibt, unser Gemütszustand sei lustvoll oder ein Zustand der Lust, weil der Zustand erhalten wird. 19 Wir werden sehen, dass beim Schönen die Vorstellung nicht direkt ursächlich für die Lust am Schönen ist. Vielmehr regt die Vorstellung bloß das freie Spiel der Erkenntniskräfte an, das sich als Lust anfühlt. Siehe insbesondere die Analyse von § 9. 20 Wenn ich von der ›Intentionalität‹ bzw. ›Gerichtetheit‹ der Lust spreche, möchte ich damit keinesfalls suggerieren, die Lust selbst sei gerichtet. Streng genommen ist es natürlich das fühlende Subjekt, das im Zustand der Lust auf etwas gerichtet ist. Da aber Gefühle als phänomenale Zustände des Subjekts immer an das fühlende Subjekt gebunden sind – es gibt keine Gefühle unabhängig vom Zustand des Fühlens –, setze ich in der Formulierung ›Intentionalität / Gerichtetheit der Lust‹ voraus, dass es das fühlende Subjekt ist, das im phänomenalen Zustand der Lust auf etwas gerichtet ist. – Siehe zur Intentionalität der Lust am Angenehmen Kap. G2.1.1 sowie zur Intentionalität der Lust am Schönen Kap. G2.2.1. 17

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Form oder Begriff) gerichtet, die die Lust bzw. die Erhaltung der Lust verursacht. 21 Ferner möchte ich betonen, dass laut Lb die Vorstellung zwar unmittelbar die Lust verursacht, mittelbar aber auch als Grund der Erhaltung des Zustandes der Vorstellung begriffen werden kann. Diese implizite Kausalität der Vorstellung ist für die Begriffsbestimmung der Unlust (UL) zentral: UL Unlust ist diejenige Vorstellung, die den Zustand der Vorstellungen zu ihrem eigenen Gegenteil zu bestimmen (sie abzuhalten oder wegzuschaffen) den Grund enthält.

Offenkundig ist hier das Abhalten oder Wegschaffen das zentrale Moment und bildet einen Gegensatz zum Erhalten. Unabhängig von der konkreten Formulierung in UL lässt sich dieses Moment in Analogie zu L und mit Rückgriff auf den phänomenalen Gehalt unserer Erfahrung folgendermaßen begreifen. Unlust ist in phänomenaler Hinsicht dadurch gekennzeichnet, dass sie sich negativ anfühlt. Daher wollen wir den Zustand der Unlust nicht erhalten, sondern ihn vielmehr ›wegschaffen‹. Da wir uns durch die Unlust bewusst sind, dass eine bestimmte Vorstellung den Zustand der Unlust bzw. dessen Erhaltung verursacht, wollen wir diese Vorstellung abhalten oder wegschaffen. Es gibt also wiederum drei Momente: Die Unlust fühlt sich negativ an. Eine Vorstellung verursacht den Zustand der Unlust bzw. erhält ihn. Das Subjekt möchte den Zustand der Unlust und die Vorstellung wegschaffen. Lässt sich dieses Verständnis von »Unlust« aber auch mit der konkreten Formulierung in UL übereinbringen? Zunächst einmal findet sich in UL das Moment des Wegschaffens der Vorstellung in der Formulierung ›den Zustand der Vorstellung zu ihrem eigenen Gegentheile zu bestimmen (sie [die Vorstellung] abzuhalten oder wegzuschaffen) den Grund enthält‹. Dass die Vorstellung ›den Grund enthält‹, den ›Zustand der Vorstellung‹ wegzuschaffen, ist wiederum im Sinne einer mittelbaren Verursachung zu verstehen: Die Vorstellung verursacht (unmittelbar) einen Zustand der Unlust sowie die Erhaltung dieses Zustandes. Dieser Zustand fühlt sich negativ an, sodass wir ihn ›wegschaffen‹ wollen. Daher verursacht die Vorstellung (mittelbar), dass der Zustand der Unlust – und dies ist ja der ›Zustand der Vorstellung‹ – weggeschafft wird. Kants Bestimmung von Lust in § 10 widerspricht damit ganz explizit einem Verständnis von Lust als opak, wie es Guyer vorgeschlagen hat (vgl. Guyer 1979, 119).

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Es scheint problematisch, dass Kant die Unlust mit der Vorstellung identifiziert (›wogegen Unlust diejenige Vorstellung ist‹). Nun ist der Begriff der Vorstellung zwar innerhalb des kantischen Werks ein durchaus mehrdeutiger Begriff; vor dem Hintergrund jedoch, dass Kant in der unmittelbar vorhergehenden Bestimmung von ›Lust‹ (L) zwischen der Vorstellung und dem ›Bewußtseyn der Causalität einer Vorstellung‹ differenziert, wobei die ›Vorstellung‹ sinnvollerweise dasjenige ist, was die Lust bewirkt oder anregt (eine objektive Empfindung, eine Form oder ein Begriff), so scheint es nicht plausibel, dass Unlust in diesem Sinne eine Vorstellung ist. Vielmehr scheint es auch hier sinnvoll, Unlust als ›Bewußtseyn der Causalität einer Vorstellung‹ zu begreifen. Lassen wir also das Prinzip des Wohlwollens gelten und rekonstruieren wir UL folgendermaßen: ULR1 Unlust ist das Bewusstsein der Kausalität der Vorstellung, den Zustand der Vorstellung zu ihrem eigenen Gegenteil zu bestimmen (die Vorstellung abzuhalten oder wegzuschaffen).

Bezieht man nun unsere inhaltlichen Ausführungen ein und nimmt in diesem Sinne eine dreiteilige Rekonstruktion vor, so ergibt sich: ULa Unlust ist ein negatives Gefühl, von dem das Subjekt möchte, dass es aufhört. ULb Durch das Gefühl der Unlust wird dem Subjekt bewusst, dass eine Vorstellung verursacht, dass der Zustand der Unlust des Subjekts erhalten wird. ULc Weil das Subjekt möchte, dass das negative Gefühl aufhört (ULa), und es sich bewusst ist, dass die Vorstellung die Erhaltung des negativen Gefühls verursacht (ULb), möchte das Subjekt die Vorstellung wegschaffen [und die Vorstellung enthält den (mittelbaren) Grund, den Zustand der Vorstellung wegzuschaffen].

Wenden wir uns nun wieder der Lust zu und betrachten eine weitere Begriffsbestimmung (aus der Ersten Einleitung): LEE » L u s t ist ein Z u s t a n d des Gemüths, in welchem eine Vorstellung mit sich selbst zusammenstimmt, als Grund, entweder diesen blos selbst zu erhalten (denn der Zustand einander wechselseitig befördernder Gemüthskräfte in einer Vorstellung erhält sich selbst), oder ihr Object hervorzubringen« (EEKU: 230,11).

Auch hier ist wieder das zentrale Moment die Erhaltung. Doch betrachten wir die Begriffsbestimmung einmal genauer. Das Pronomen ›diesen‹ muss sich auf ›Zustand des Gemüths‹ beziehen. Weiterhin Kants Philosophie des Schönen

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muss der ›Gemütszustand‹ auch der ›Grund‹ sein, ›diesen blos selbst zu erhalten‹. Dafür sprechen die Partikel ›selbst‹ sowie die Klammerbemerkung, in der es ja gerade heißt, dass ein bestimmter (Gemüts-) Zustand ›sich selbst erhält‹. Fraglich ist hingegen, worauf sich das Possessivpronomen ›ihr‹ in ›ihr Object hervorzubringen‹ bezieht. In Frage kommen sowohl ›Lust‹ im Sinne von ›das Objekt der Lust hervorzubringen‹ als auch ›Vorstellung‹ im Sinne von ›das Objekt der Vorstellung hervorzubringen‹. Inhaltlich scheint beides gleichermaßen sinnvoll. Jedoch ergibt vor dem Hintergrund, dass Kant die Begriffsbestimmung der Lust hier im Kontext seiner Ausführungen zum Zweck und zur Zweckmäßigkeit vornimmt, eine Interpretation im Sinne von ›Objekt der Vorstellung‹ mehr Sinn. Denn es ist ein zentrales Moment des Zwecks und der Zweckmäßigkeit, dass die Existenz des Objekts eine Vorstellung des Objekts voraussetzt. 22 Diese Vorstellung vom Objekt bestimmt einen Willen, und der Wille bringt dann das Objekt der Vorstellung hervor. 23 Die Formulierung ›ihr Object hervorzubringen‹ in LEE scheint genau diesen Zusammenhang aufzugreifen. Wir können daher die folgende grammatikalische Rekonstruktion vornehmen: LEE* Lust ist ein Gemütszustand, in welchem eine Vorstellung mit sich selbst zusammenstimmt, als Grund, den Gemütszustand entweder selbst zu erhalten (denn der Zustand einander wechselseitig befördernder Gemütskräfte in einer Vorstellung erhält sich selbst), oder das Objekt der Vorstellung hervorzubringen.

Es ließe sich zunächst fragen, welche Bedeutung es hat, dass die ›Vorstellung mit sich selbst zusammenstimmt‹. Diese Formulierung, so möchte ich vorschlagen, bezeichnet kein zentrales Charakteristikum der Lust, sondern ist vielmehr als Abgrenzung von einem prominent von Leibniz und Wolff vertretenen Begriff der Lust im Sinne einer verworrenen Vorstellung der Vollkommenheit zu verstehen. 24 LeibVgl.: »Denn zweckmäßig nennen wir dasjenige, dessen Daseyn eine Vorstellung desselben Dinges vorauszusetzen scheint« (EEKU: 216,8). 23 Vgl. 426,7; 408,2. 24 Vesper spricht in diesem Kontext von einem »objektiven Begriff der Lust« (Vesper 2015b, 1443), wohl weil wir in diesem Verständnis durch die Lust eine objektive Eigenschaft des Gegenstandes erfassen würden, nämlich vollkommen zu sein. Lust wäre in diesem Sinne eine Art von (objektiver) Erkenntnis. – Gänzlich unklar scheinen mir Eulers Erläuterungen dazu, dass im Zustand der Lust ›eine Vorstellung mit sich selbst zusammenstimmt‹. Er schreibt: »Vermutlich […] setzt ein solches Verhältnis der Sichselbstgleichheit (oder auch Identität) eine Unterschiedenheit voraus, und 22

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niz bezeichnet Lust etwa als »sentiment de perfection« (Leibniz 1990, 194) 25; und Wolff schreibt: »Voluptas est intuitus, seu cognitio intuitiva perfectionis« (C. Wolff 1968, § 511, 389). In der Anmerkung zu Unterpunkt VIII der Ersten Einleitung, in der sich LEE findet, möchte Kant sich von einem solchen objektiven Lustbegriff distanzieren. 26 Dazu heißt es ganz explizit: »Überhaupt hat also der Begrif der Vollkommenheit als objectiver Zweckmäßigkeit mit dem Gefühle der Lust und diese mit jenem gar nichts zu thun« (EEKU: 228,30). Grund dafür ist, dass Vollkommenheit bei Kant nichts anderes als eine objektive Zweckmäßigkeit ist; eine objektive Zweckmäßigkeit kann aber nur durch einen Begriff vom Zweck bemerkt bzw. erkannt werden. Es kann daher keine sinnliche Vorstellung der Vollkommenheit im Sinne einer Lust geben. Zentrales Kennzeichen von Vollkommenheit ist also, dass sie eine ›Zusammenstimmung‹ einer Vorstellung mit dem Begriff davon, was der Gegenstand sein soll (d. h. seinem Zweck), ist. 27 Wenn Kant nun in LEE schreibt, dass in der Lust ›eine Vorstellung mit sich selbst zusammenstimmt‹, so ist dies als Abgrenzung dazu zu verstehen, dass die Vorstellung ›mit einem Begriff bzw. mit ihrem Zweck zusammenstimmt‹. In diesem Sinne muss die Formulierung ›in welchem eine Vorstellung mit sich selbst zusammenstimmt‹ als Abgrenzung von einem Verständnis der Lust als verworrene bzw. sinnliche Vorstellung der Vollkommenheit verstanden werden. Betrachten wir nun LEE ohne die implizite Anspielung auf die Lust als Erkenntnis der Vollkommenheit. Wir können LEE folgendermaßen umformen: LEER1 Lust ist ein Gemütszustand, welcher der Grund dafür ist, den Gemütszustand entweder selbst zu erhalten (denn der Gemütszustand einander wechselseitig befördernder Gemütskräfte in das könnte etwa die Unterscheidung in Inhalt und Form einer Vorstellung sein. Diese – das Gegenständliche und das Formgebende – müssten in Einklang miteinander stehen, um sagen zu können: die Vorstellung stimmt mit sich zusammen. Wäre dies nicht der Fall, so müsste die Vorstellung als unklar oder verworren eingestuft und der Gemütszustand entsprechend negativ belegt werden« (W. Euler 2018, 214). Aber Kants Theorie der Lust scheint keinesfalls zu beinhalten, dass verworrene Vorstellungen nicht mit Lust verbunden sein können. 25 Analog versteht Leibniz die Unlust oder vielmehr den Schmerz (›douleur‹) als »sentiment d’imperfection« (Leibniz 1990, 194). 26 So leitet Kant diese Anmerkung folgendermaßen ein: »Hier ist nun vorzüglich nöthig die Erklärung der Lust, als sinnlicher Vorstellung der Vo l l k o m m e n h e i t eines Gegenstandes zu beleuchten« (EEKU: 226,16). 27 Zu Kants Begriff der Vollkommenheit siehe Kap. 15.4. Kants Philosophie des Schönen

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§ 2 Die Uninteressiertheitsthese

einer Vorstellung erhält sich selbst), oder das Objekt der Vorstellung hervorzubringen.

In einem ersten Schritt identifiziert Kant die Lust hier als Gemütszustand. Zwar wird das Wort »Gemütszustand« von Kant in vielfältiger Weise gebraucht; berücksichtigt man jedoch, dass Kant in der Klammerbemerkung eindeutig die ›Gemüthskräfte‹ benennt, dann wird insgesamt deutlich, dass er mit dem ›Gemütszustand‹ auf einen Zustand der inneren Aktivität der Gemütskräfte hindeutet. Dieser Gemütszustand konstituiert sich beim Schönen aus dem freien Spiel der Erkenntniskräfte, welches Kant im Übrigen auch im weiteren Verlauf der Analytik mit dem Wort »Gemütszustand« bezeichnet. 28 Auch die Lust am Guten beruht auf einer Aktivität der Gemütskräfte bzw. des Willens; die Lust am Angenehmen scheint zwar in erster Linie auf einer körperlichen Regung bzw. einer ›Sinnesempfindung‹ zu beruhen, ist aber als Interesse mindestens auch mit einer Regung des Begehrungsvermögens verbunden. 29 All dies stimmt damit zusammen, dass Lust eine gefühlte Beförderung einer inneren Aktivität ist und als solche mit Kants Konzeption des Lebens übereinstimmt. 30 In LEE ist auffällig, dass Kant nicht »Lust« allgemein definiert, sondern zwei verschiedene Arten von Lust (›entweder….oder‹). Zu beachten ist dabei, dass Kant direkt im Anschluss an LEE das auf der ersten Art von Lust beruhende Urteil als »ästhetisches Reflexionsurteil« und die beiden auf der zweiten Art von Lust beruhenden Urteile als »ästhetisch-pathologisches« und »ästhetisch-practisches Urtheil« bezeichnet (EEKU: 231,4 f.). Vor diesem Hintergrund können wir die erste Art von Lust als Lust am Schönen und die zweite als Lust am Angenehmen oder Guten identifizieren. Wir können nun zwei gesonderte Begriffsbestimmungen formulieren: LEEaR2 Die Lust am Schönen ist ein Gemütszustand, welcher der Grund dafür ist, den Gemütszustand selbst zu erhalten (denn der Gemütszustand einander wechselseitig befördernder Gemütskräfte in einer Vorstellung erhält sich selbst). 31 Vgl. etwa § 9.C.1, 217,8 & § 9.C.4, 217,18. In diesem Kontext ist auch der unmittelbar vorhergehende Satz erhellend: »Eine Erklärung dieses Gefühls im allgemeinen betrachtet, o h n e a u f d e n U n t e rschied zu sehen, ob es die Sinnesempfindung, oder die Reflex i o n , o d e r d i e W i l l e n s b e s t i m m u n g b e g l e i t e , […]« (EEKU: 230,8). 30 Siehe Kap. 9.6.3. 31 Man könnte einwenden, dass in L die Vorstellung des schönen Gegenstandes Kau28 29

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LEEbR2 Die Lust am Angenehmen oder Guten ist ein Gemütszustand, welcher der Grund dafür ist, das Objekt der Vorstellung hervorzubringen bzw. hervorbringen zu wollen. 32

Beide Begriffsbestimmungen lassen sich als Vorgriff auf die Begriffe des Interesses und der uninteressierten Lust verstehen. So ist es zentrales Kriterium der Lust in LEEb, dass das Objekt hervorgebracht wird. Dies verweist auf eine Willensbestimmung oder ein Begehren des Subjekts. Ich werde diesen Bezug des Interesses zum Begehrungsvermögen als Begehrensbedingung bezeichnen. Wir können demnach auch schreiben: LEEbR3 Lust als Interesse ist ein Gemütszustand, welcher der Grund dafür ist, das Objekt der Vorstellung hervorzubringen bzw. hervorbringen zu wollen. 33

Kommen wir nun zu LEEa, worin Kant die uninteressierte Lust (am Schönen) definiert. So scheint für die Erhaltung des freien Spiels der Erkenntniskräfte, d. h. des Gemütszustandes ›einander wechselseitig befördernder Gemüthskräfte‹, tatsächlich nur notwendig, dass die Vorstellung (vom schönen Gegenstand) präsent bleibt. Ist dies aber der Fall, so erhalten das freie Spiel und damit der Zustand der Lust sich selbst. Ich werde in diesem Sinne später den Begriff »Präsenzbedingung« nutzen. Wir können also schreiben: LEEaR3 Uninteressierte Lust ist ein Gemütszustand, welcher der Grund dafür ist, den Gemütszustand selbst zu erhalten (denn der Gemütszustand einander wechselseitig befördernder Gemütskräfte in einer Vorstellung erhält sich selbst).

Denken wir nun noch einmal an die offizielle Begriffsbestimmung der Lust in § 10 zurück: L Lust ist das Bewusstsein der Kausalität einer Vorstellung in Absicht auf den Zustand des Subjekts, es in demselben zu erhalten. salität auf die Erhaltung der Lust hat. Dies ist aber insofern mit LEE vereinbar, als die Vorstellung des schönen Gegenstandes das freie Spiel der Erkenntniskräfte affiziert und in diesem Sinne eine indirekte Kausalität auf die Erhaltung der Lust hat. 32 Wenngleich Kant schreibt, die Lust sei der Grund, das ›Object hervorzubringen‹, ist es evident, dass Kant nicht davon ausgehen kann, eine auf einer Lust gegründete Willensbestimmung werde immer in eine Handlung überführt. Manchmal wollen wir ein Objekt eben nur hervorbringen, aber bringen es letztlich doch nicht hervor. 33 Diese Bestimmung ist in Bezug auf die Lust am moralisch Guten problematisch. Denn der Grund der Handlung ist in diesem Fall nicht eine vorhergehende Lust, sondern vielmehr das moralische Gesetz. Kants Philosophie des Schönen

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§ 2 Die Uninteressiertheitsthese

Wir hatten festgestellt, dass es in L drei Erhaltungsmomente gibt. Dabei besteht ein Erhaltungsmoment darin, dass die Lust ein positives Gefühl ist und wir sie deshalb erhalten möchten. LEE gibt uns Aufschluss darüber, wie diese Erhaltung je erfolgt: Im Falle der Lust am Schönen bzw. der uninteressierten Lust (LLEa) findet die Erhaltung der Lust subjektintern statt. Das freie Spiel der Erkenntniskräfte erhält sich selbst, sofern die Vorstellung vom schönen Gegenstand präsent bleibt. Im Falle des Interesses hingegen (LLEb) muss die Erhaltung der Lust subjektextern erfolgen. Die Erhaltung des Zustandes der Lust kann nur dadurch gesichert werden, dass wir einen Gegenstand (oder genauer einen Gegenstand der Art, der besagte Lust bewirkt) hervorbringen. Halten wir alle Aspekte des Begriffs der Lust in einer umfassenden Erklärung fest: i. Lust ist ein Gefühl und daher primär dadurch gekennzeichnet, wie es sich anfühlt (phänomenaler Gehalt). Lust fühlt sich positiv an. ii. Lust ist durch drei Erhaltungsmomente charakterisiert: La Lust ist ein positives Gefühl, das das Subjekt erhalten möchte. Lb Durch das Gefühl der Lust wird dem Subjekt bewusst, dass eine Vorstellung verursacht, dass der Zustand der Lust des Subjekts erhalten wird. Lc Weil das Subjekt den Zustand des positiven Gefühls erhalten möchte (La) und sich bewusst ist, dass die Vorstellung die Erhaltung des positiven Gefühls verursacht (Lb), möchte das Subjekt die Vorstellung erhalten. iii. Insofern uns durch die Lust bewusst wird, dass eine Vorstellung ihre Erhaltung verursacht (Lb), ist die Lust intentional auf diese Vorstellung gerichtet. iv. Es gibt zwei Arten von Lust, nämlich Interesse und uninteressierte Lust: Uninteressierte Lust ist ein Gemütszustand, der sich selbst erhält (subjektinterne Erhaltung). Interesse ist ein Gemütszustand, der Grund dafür ist, das Objekt der Vorstellung hervorzubringen (subjektexterne Erhaltung).

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Zum Begriff des Interesses

2.2 Zum Begriff des Interesses Nachdem wir erarbeitet haben, wie sich der Begriff der Lust verstehen lässt, können wir nun zu einer spezifischen Form von Lust, nämlich dem Interesse, übergehen. Der Begriff des Interesses wird von Kant zu Beginn von § 2 folgendermaßen bestimmt: 34 § 2.A.1 »Interesse wird das Wohlgefallen genannt, was wir mit der Vorstellung der Existenz eines Gegenstandes verbinden. § 2.A.2 [a] Ein solches hat daher immer zugleich Beziehung auf das Begehrungsvermögen, [b] entweder als Bestimmungsgrund desselben, oder doch als mit dem Bestimmungsgrunde desselben nothwendig zusammenhängend« (204,22).

Wenden wir uns zunächst § 2.A.1 zu. Berücksichtigt man andere Verwendungen des Begriffs »Interesse« in der Analytik, so lässt sich die Formulierung ›das Wohlgefallen…, was wir mit der Vorstellung der Existenz eines Gegenstandes verbinden‹ substituieren durch ›das Wohlgefallen an der Existenz eines Gegenstandes‹. 35 Zudem können wir ›Wohlgefallen‹ durch ›Lust‹ ersetzen. Daraus ergibt sich: § 2.A.1R1 Interesse ist die Lust an der Existenz eines Gegenstandes.

Es fällt auf, dass Kant das Interesse als eine Form von Wohlgefallen bzw. Lust identifiziert. Es wäre daher irreführend, davon auszugehen, das Interesse komme irgendwie zur Lust hinzu. Allerdings legt Kant dies selbst nahe, wenn er in den §§ 3 und 4 schreibt, das Wohlgefallen am Angenehmen und das Wohlgefallen am Guten seien »mit Interesse verbunden« (§ 3.T, 205,25 & § 4.T, 207,14, m. H.). Ich werde später auf diese Problematik zurückkommen. Für den Moment ist festzuhalten, dass das Interesse eine Form von Lust ist. Damit gelten für das Interesse die oben vorgestellten Charakteristika der Lust, insbesondere dass sich die Lust positiv anfühlt und man darum den Zustand der Lust erhalten möchte.

Auch hier scheint es problematisch, Kant zu unterstellen, er wolle im engen Sinne eine Definition von »Interesse« vornehmen; denn dagegen spricht der Status des Interesses als Gefühl (›Wohlgefallen‹), das gefühlt werden will, sowie die generelle Unmöglichkeit der Definition von empirischen Begriffen. Ich werde daher erneut nur von einer Bestimmung oder Erklärung des Interesses sprechen. 35 Vgl.: »ein Wohlgefallen am D a s e y n eines Objects oder einer Handlung, d. i. irgend ein Interesse« (§ 4.A.3, 207,19); »an dem Daseyn desselben ein Wohlgefallen haben d. i. daran ein Interesse nehmen« (§ 4.E.3, 209,11). 34

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Betrachten wir nun den zweiten Teil von Kants Bestimmung des Interesses (§ 2.A.2). Die Formulierung ›Ein solches‹ muss sich auf ›Interesse‹ aus § 2.A.1 rückbeziehen. Die zweifach verwendete Partikel ›desselben‹ bezieht sich auf ›Begehrungsvermögen‹. Isoliert man darüber hinaus zwei Propositionen, so ergibt sich das folgende Bild: § 2.A.2a* Ein Interesse hat immer zugleich Beziehung auf das Begehrungsvermögen. § 2.A.2b* Das Interesse ist entweder der Bestimmungsgrund des Begehrungsvermögens oder das Interesse hängt mit dem Bestimmungsgrund des Begehrungsvermögens notwendig zusammen.

Es erhellt, dass das Interesse erstens einen Bezug auf das Begehrungsvermögen hat und somit eine Beziehung zum Begehren aufweisen muss, sowie dass sich zweitens diese Beziehung auf das Begehrungsvermögen auf zwei verschiedene Weisen gestalten kann. Ich möchte nun vorschlagen, dass Kant das »Interesse« anhand zweier Bedingungen bestimmt: erstens anhand einer Existenzbedingung (§ 2.A.1) und zweitens anhand einer Begehrensbedingung (§ 2.A.2). Ich werde im Folgenden diese beiden Bedingungen erläutern.

2.2.1 Die Begehrensbedingung des Interesses Die Begehrensbedingung lässt sich gut anhand der Begriffsbestimmung von »Lust« aus der Ersten Einleitung (LEE) entwickeln. Wir hatten die folgende Proposition zum Interesse rekonstruiert: LEEbR3 Lust als Interesse ist ein Gemütszustand, welcher der Grund dafür ist, das Objekt der Vorstellung hervorzubringen bzw. hervorbringen zu wollen.

Zentrales Moment dieser Lust ist das Hervorbringen des Objekts der Lust. Dies lässt sich folgendermaßen in den oben erläuterten Kontext der Lust einbetten: Wir haben gesehen, dass wir bei einer Lust die Vorstellung vom Gegenstand erhalten wollen, da diese den Zustand der Lust erhält und wir den Zustand der Lust erhalten möchten, weil er sich positiv anfühlt. Gehen wir nun einmal davon aus, dass die Vorstellung sich nicht einfach so erhält, sondern dass wir einen immer neuen Gegenstand der Art, wie er in der Vorstellung gegeben ist, hervorbringen müssen, um den Zustand zu erhalten. Insofern ich nun 128

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wollte, dass mein Zustand der Lust andauert, müsste ich immer neue Gegenstände der Art, wie er in der Vorstellung gegeben ist, hervorbringen. Beim Angenehmen mag dies etwa bedeuten, dass ich eine Lust am Geschmack von Schokolade verspüre und mir bewusst bin, dass die Schokolade dieses positive Gefühl erhält. Ist die Schokolade aufgegessen, möchte ich neue Schokolade hervorbringen, d. h. etwa eine neue Tafel Schokolade kaufen. Anders formuliert: Ich begehre mehr Schokolade. In diesem Sine heißt es auch in § 3 zum Angenehmen, »daß es durch Empfindung eine Begierde nach dergleichen Gegenständen rege macht […]« (§ 3.D.1, 207,2). Dass es bei einem Interesse letztlich darum geht, einen Gegenstand hervorbringen zu wollen, wird auch deutlich, wenn wir Kants Hinweis auf das Begehrungsvermögen in § 2.A.2 mit der Definition von »Begehrungsvermögen« aus der KpV abgleichen: »Das B e g e h r u n g s v e r m ö g e n ist das Ve r m ö g e n desselben [Wesens], d u r c h s e i n e Vo r s t e l l u n g e n U r s a c h e v o n d e r W i r k l i c h k e i t d e r G e g e n s t ä n d e d i e s e r Vo r s t e l l u n g e n z u s e i n « (KpV: 9 Fn.). 36

Dass man ›Ursache von der Wirklichkeit‹ bestimmter Gegenstände ist, bedeutet nichts anderes, als diese Gegenstände hervorzubringen. Also ist das Begehrungsvermögen letztlich nichts anderes als ›das Vermögen…, durch seine Vorstellungen‹ die Gegenstände der Vorstellung hervorbringen zu wollen. Die ›Beziehung auf das Begehrungsvermögen‹, über die das Interesse verfügt (§ 2.A.2), läuft damit darauf hinaus, dass das Subjekt das Objekt der Lust hervorbringen will. Die Begehrensbedingung bedeutet also, dass wir den Gegenstand der Lust hervorbringen wollen – oder eben, dass wir ihn begehren. Es wird deutlich, dass ein Interesse immer praktische Implikationen aufweist. Die Begehrensbedingung ist auch deswegen so zentral, weil sie, so denke ich, den phänomenalen Gehalt des Interesses charakterisiert. Wir fühlen ja ein Begehren bzw. ein Begehren fühlt sich spezifisch an. In diesem Sinne muss sich ein Interesse erstens positiv anfühlen – denn es ist ja eine Form von Lust – und zweitens als Begehren.

Vgl. auch: »B e g e h r u n g s v e r m ö g e n ist das Vermögen durch seine Vorstellungen Ursache der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein« (MdS: 211).

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Des Weiteren eignet sich die Begehrensbedingung dafür, die beiden Arten des Interesses zu unterscheiden. So nimmt Kant selbst in § 2.A.2b die folgende Differenzierung vor: § 2.A.2b* Das Interesse ist entweder der Bestimmungsgrund des Begehrungsvermögens oder das Interesse hängt mit dem Bestimmungsgrund des Begehrungsvermögens notwendig zusammen.

Diese Differenzierung betrifft die Unterscheidung zwischen dem Interesse am Angenehmen und dem Interesse am (moralisch) Guten. 37 Kant nimmt diese Differenzierung anhand des Begriffs ›Bestimmungsgrund des Begehrungsvermögens‹ vor. Darunter ist ein Grund zu verstehen, der ein Wollen von etwas hervorruft. Dabei legt dieser Grund zwar fest, was gewollt wird (etwa ein Stück Schokolade), aber er muss nicht begrifflich sein. (Wir können auch einfach mehr von einer unbekannten Empfindung wollen, die wir gerade haben.) Ferner gilt: Wenngleich ein Bestimmungsgrund zwar ein Wollen hervorruft und inhaltlich bestimmt, so verursacht er nicht auch zwangsläufig die entsprechende (gewollte) Handlung. Ein Interesse, das zum ›Bestimmungsgrund‹ des Begehrungsvermögens dient, ist ein Interesse am Angenehmen. Eigentlich ist dies der paradigmatische Fall der Begehrensbedingung. Wir fühlen hier an einer Empfindung eine Lust am Angenehmen und möchten, dass dieses positive Gefühl andauert. Ist die Empfindung »verbraucht« – ich spreche hier von einem Konsumtionseffekt –, so will man daher mehr Empfindungen derselben Art. In diesem Sinne bestimmt dann die Lust das Begehrungsvermögen, und wir wollen einen weiteren angenehmen Gegenstand hervorbringen. Gewissermaßen einen Sonderfall bildet dagegen die Lust am moralisch Guten. In § 2.A.2b heißt es dazu, dass dieses Interesse ›mit dem Bestimmungsgrunde desselben [Begehrungsvermögens] nothwendig zusammenhängend‹ ist. Etwas eindeutiger schreibt Kant in der Einleitung, dass die Lust »beym oberen [Begehrungsvermögen], nur aus der Bestimmung desselben [oberen Begehrungsvermögens] durch das moralische Gesetz folge« (178,15 f.). Dies können wir folgendermaßen deuten: Beim moralisch Guten wird der Wille durch das moralische Gesetz bestimmt, d. h. das moralische Gesetz ist der Ich möchte hier das Nützliche noch nicht in die Untersuchung einbeziehen; denn das Nützliche weist in gewisser Hinsicht eher eine Ähnlichkeit zum Angenehmen als zum moralisch Guten auf. Für die Analyse des Nützlichen siehe Kap. 4.2.1.

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Bestimmungsgrund des Willens. Der so bestimmte und belebte Wille fühlt sich als Lust an. 38 Da diese Lust aber nichts anderes als eine gefühlte Willensaktivität bzw. ein gefühltes Wollen ist, ist klar, dass diese Lust ein Begehren beinhaltet. Halten wir zur Begehrensbedingung des Interesses fest: i. Ein Interesse beinhaltet, dass wir einen Gegenstand begehren, d. h. hervorbringen wollen. Ein Interesse hat daher immer praktische Implikationen. ii. Ein Interesse fühlt sich als Begehren an (phänomenaler Gehalt). iii. Es gibt zwei verschiedene Verhältnisse des Interesses zum Begehrungsvermögen: Beim Interesse am Angenehmen bestimmt das Interesse das Begehrungevermögen. Beim moralisch Guten bestimmt das moralische Gesetz das Begehrungsvermögen bzw. den Willen, und dieser bestimmte Wille fühlt sich als Interesse an.

2.2.2 Die Existenzbedingung Kommen wir nun zur Existenzbedingung, die Kant in § 2.A.1 formuliert. Wir hatten diesen Satz bereits folgendermaßen rekonstruiert: § 2.A.1R1 Interesse ist die Lust an der Existenz eines Gegenstandes.

Aber was genau bedeutet dies? Um die Existenzbedingung genauer zu verstehen, möchte ich wieder auf die beiden Arten des Interesses getrennt eingehen. Betrachten wir zunächst das Interesse am Angenehmen. Wir empfinden die Lust am Angenehmen unmittelbar an einer (objektiven) Empfindung, beispielsweise am Geschmack von Schokolade. 39 Eine Empfindung bezieht sich auf die Materie der Erscheinung 40 bzw. kann als das »Reale einer empirischen Vorstellung« (§ 1.A.3, 203,17) oder »die Materie der Vorstellungen« (§ 14.C.2, 224,11) begriffen

Vgl.: »Der Gemüthszustand aber eines irgend wodurch bestimmten Willens ist an sich schon ein Gefühl der Lust und mit ihm identisch« (§ 12.A.5, 222,11). – Siehe Kap. 4.1.1 sowie 12.3. 39 Vgl.: »ANGENEHM i s t d a s , w a s d e n S i n n e n i n d e r E m p f i n d u n g g e f ä l l t « (§ 3.A.1, 205,26). 40 Vgl. A20/B34. 38

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werden. 41 Dies bedeutet aber erstens, dass einer Empfindung etwas »Reale[s] […] an dem Gegenstande entspricht« (A166). 42 Folgt man Chignell, dann rufen die realen Dinge in der Welt die Empfindung, verstanden als Zustand des Subjekts, hervor. 43 So wird meine Empfindung des Geschmacks von Schokolade von der realen Schokolade hervorgerufen. Vor diesem Hintergrund ist eine Empfindung an die Existenz des korrespondierenden Gegenstandes gebunden. Nun ist die Lust am Angenehmen nichts anderes als eine unmittelbare Lust an der Empfindung. In diesem Sinne wird auch die Lust mittels der Empfindung von den realen Dingen in der Welt hervorgerufen und ist also eine Lust an der Existenz des Gegenstandes. Meine Lust an der Schokolade, die ich gerade esse, ist in diesem Sinne an die Empfindung des Geschmacks der Schokolade gebunden, wobei diese Geschmacksempfindung von der existierenden Schokolade hervorgerufen wird. Dieses Verständnis der Existenzbedingung greift nicht beim Interesse am Guten, da dieses nicht unmittelbar auf einer Empfindung beruht. Jedoch ist die Lust am Guten eine gefühlte Willensbestimmung; 44 und eine Willensbestimmung ist immer ein Wollen, etwas (einen Gegenstand) hervorzubringen. Damit ist das Interesse am Guten letztlich nichts anderes als ein gefühltes Wollen, einen Gegenstand bzw. die Existenz eines Gegenstandes hervorzubringen. In diesem Sinne ist die Lust auf die Existenz des Gegenstandes gerichtet. So heißt es in der KpV:

Die Bezeichnung der Empfindung als etwas Reales kann entweder als Gegenbegriff zum Formalen, d. h. zu Raum und Zeit, begriffen werden, oder als Verweis darauf, dass uns durch Empfindungen etwas Existierendes gegeben wird. 42 Vgl. auch: »Realität ist im reinen Verstandesbegriffe das, was einer Empfindung überhaupt korrespondiert; dasjenige also, dessen Begriff an sich selbst ein Sein (in der Zeit) anzeigt. […] Da die Zeit nur die Form der Anschauung, mithin der Gegenstände, als Erscheinungen, ist, so ist das, was an diesen der Empfindung entspricht, die transzendentale Materie aller Gegenstände, als Dinge an sich (die Sachheit, Realität)« (A143/B182); »Sie [Erscheinungen] enthalten also über die Anschauung noch die Materien zu irgend einem Objekte überhaupt (wodurch etwas Existierendes im Raume oder der Zeit vorgestellt wird), d. i. das Reale der Empfindung« (A166/B207). 43 Vgl.: »Die Empfindung ist der subjektive Zustand, den die realen Dinge (äußere Gegenstände oder unser eigener Geist) in uns hervorrufen, welche als Dinge in der Welt (bzw. als Zustände unseres eigenen empirischen Ichs) einen objektiven Status innehaben« (Chignell 2015, 496). 44 Vgl. erneut: »Der Gemüthszustand aber eines irgend wodurch bestimmten Willens ist an sich schon ein Gefühl der Lust und mit ihm identisch« (§ 12.A.5, 222,11). 41

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»Ich verstehe unter der Materie des Begehrungsvermögens einen Gegenstand, dessen Wirklichkeit begehret wird. Wenn die Begierde nach diesem Gegenstande nun vor der praktischen Regel vorhergeht und die Bedingung ist, sie sich zum Prinzip zu machen, so sage ich (erstlich): dieses Prinzip ist alsdenn jederzeit empirisch. Denn der Bestimmungsgrund der Willkür ist alsdenn die Vorstellung eines Objekts, und dasjenige Verhältnis derselben zum Subjekt, wodurch das Begehrungsvermögen zur Wirklichmachung desselben bestimmt wird. Ein solches Verhältnis aber zum Subjekt heißt die Lust an der Wirklichkeit eines Gegenstandes« (KpV: 21, m. H. & Kants H. getilgt).

Dieses Zitat betrifft offenkundig maßgeblich das Nützliche. Dennoch lässt sich für alles Wollen, d. h. auch für das moralische Wollen, festhalten, dass es einen Zweck, d. h. eine Materie des Begehrungsvermögens, beinhalten muss und dass diese Materie immer auf die Wirklichkeit eines Gegenstandes abzielt. 45 An dieser Stelle muss noch kurz auf zwei Fragen eingegangen werden. Die erste Frage betrifft die konkrete Formulierung der Bestimmung von »Interesse«: § 2.A.1 Interesse wird das Wohlgefallen genannt, das wir mit der Vorstellung der Existenz eines Gegenstandes verbinden.

Crawford wirft die Frage auf, wofür hier der Begriff der Vorstellung stehe. Erstens könne »Vorstellung« bloß in der bei Kant üblichen Verwendung für »any object of awareness, anything of which we are immediately aware« gebraucht sein (Crawford 1974, 39), d. h. als Bezeichnung für etwa eine Empfindung, eine Anschauung oder einen Begriff. In diesem Verständnis wäre der Begriff »Vorstellung« wenig aussagekräftig und würde nur anzeigen, dass wir immer nur Zugriff auf Erscheinungen haben. Zweitens könnte ›Vorstellung der Existenz eines Gegenstandes‹ aber auch bedeuten, dass der Gegenstand nicht wirklich existieren muss, sondern imaginiert sein kann. 46 Für diese Interpretation sprächen, so Crawford, insbesondere Fälle, bei denen

Vgl.: »Z w e c k ist ein G e g e n s t a n d der freien Willkür, dessen Vorstellung diese zu einer Handlung bestimmt (wodurch jener hervorgebracht wird). Eine jede Handlung hat also ihren Zweck, […]« (TL: 384 f.); »weil doch keine Handlung zwecklos sein kann« (TL: 385); »Da nun keine freie Handlung möglich ist, ohne daß der Handelnde hierbei zugleich einen Zweck (als Materie der Willkür) beabsichtigte, […]« (TL: 389). Für den Begriff des Zwecks siehe Kap. 10.1.1. – Vgl. auch Kants Ausführungen zum Gegenstand des Wollens beim moralisch Guten in KpV: 57 f. 46 Vgl. Crawford 1974, 40. 45

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wir ein Interesse an einem Gegenstand nehmen, der nicht existiert oder nicht existieren kann. 47 Mir scheint der Text der Kritik der ästhetischen Urteilskraft eindeutig für die erste Interpretation zu sprechen; denn in den meisten Rückverweisen auf die Begriffsbestimmung des Interesses lässt Kant den Begriff der Vorstellung weg. 48 Dennoch stellt sich die zweite Frage, ob bei einem Interesse der betreffende Gegenstand immer schon existieren muss. Mir scheint, dass Kants Interessensbegriff mindestens auch Fälle umfassen muss, in denen der Gegenstand noch nicht existiert, das Subjekt ihn aber hervorbringen möchte, d. h. ihm Existenz verschaffen will. In solchen Fällen antizipiert man die Lust am (zukünftigen) Gegenstand und lässt dadurch seinen Willen dazu bestimmen, den Gegenstand hervorzubringen. 49 Dies scheint beim Nützlichen sogar der Regelfall zu sein. Obgleich in solchen Fällen der Gegenstand (noch) nicht existiert, ist die Lust dennoch als Lust an der (antizipierten) Existenz des Gegenstandes zu verstehen. Wir können schreiben: § 2.A.1R2 Interesse ist die Lust an der (gegebenen oder antizipierten) Existenz eines Gegenstandes.

Es ist freilich eine andere Frage, ob wir auch ein Interesse im eigentlichen Sinn für Gegenstände empfinden können, die gar nicht existieren können oder deren Existenz zu erlangen uns mindestens unmöglich ist. Selbstverständlich sind Personen denkbar, die ein Interesse am Jungbrunnen haben, obwohl es diesen nicht gibt, oder an der Quadratur des Kreises, obwohl diese unmöglich ist. 50 Aber man würde Vgl. erneut Crawford 1974, 40. Vgl.: »ein Wohlgefallen am D a s e y n eines Objects oder einer Handlung, d. i. irgend ein Interesse« (§ 4.A.3, 207,19); »wenn wir gleich am Objecte gar kein Interesse haben, d. i. die Existenz desselben uns gleichgültig ist« (249,18); »eine L u s t a n d e r E x i s t e n z desselben [des Gegenstandes] (als worin alles Interesse besteht)« (296,23); »welche beide ein Wohlgefallen am Daseyn eines Objects enthalten, und so den Grund zu einem Interesse an demjenigen legen können, […]« (296,29). Auch in der Einleitung in die MdS spricht Kant von einer »Lust an der Existenz des Objekts der Vorstellung« (MdS: 212). 49 So schreibt Chignell, es könne eine »auf Erfahrung beruhende Antizipation einer angenehmen Empfindung« geben (Chignell 2015, 495), die praktisch wirksam sei. Ähnlich erläutert Kant in der KpV: »Wenn der Begriff des Guten nicht von einem vorhergehenden praktischen Gesetze abgeleitet werden, sondern diesem vielmehr zum Grunde dienen soll, so kann er nur der Begriff von etwas sein, dessen Existenz Lust verheißt und so die Kausalität des Subjekts zur Hervorbringung desselben, d. i. das Begehrungsvermögen bestimmt« (KpV: 58). 50 Diese Beispiele werden von Crawford vorgebracht (vgl. Crawford 1974, 40). 47 48

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diesen Personen wohl unterstellen, sie hätten nicht wirklich verstanden, dass es den Jungbrunnen nicht gibt oder dass die Quadratur des Kreises unmöglich ist. Aus psychologischer Sicht scheint es fragwürdig, jemand könne wirklich verstanden haben, dass etwas unmöglich ist, dieses etwas aber dennoch begehrt. Halten wir zur Existenzbedingung des Interesses fest: i. Ein Interesse ist immer eine Lust an der (gegebenen oder antizipierten) Existenz eines Gegenstandes. ii. Eine Lust kann auf zweierlei Weisen auf die Existenz des Gegenstandes bezogen sein: Die Lust am Angenehmen wird unmittelbar an der Empfindung gefühlt, die durch das Reale der Gegenstände in der Welt hervorgerufen wird. Die Lust am Guten ist das gefühlte Wollen, das auf die Hervorbringung der Existenz eines Gegenstandes abzielt. Wir haben in den letzten beiden Abschnitten die beiden zentralen Bedingungen, die ein Interesse erfüllen muss, d. h. die Begehrensbedingung und die Existenzbedingung, erläutert. Ich möchte im Folgenden kurz auf andere Bestimmungen des Interesses aus Kants Schriften eingehen und zeigen, inwiefern der Interessensbegriff der KU davon abweicht. Einschub: Der Begriff des Interesses in der KU im Vergleich zur GMS und MdS Ich möchte an dieser Stelle auf zwei Bestimmungen von »Interesse« aus der GMS und der MdS eingehen, um den Interessensbegriff der KU davon abzugrenzen. Ich werde herausstellen, dass Kant in der KU eine Akzentverschiebung vornimmt, die zu einen weiten Interessensbegriff führt. Im zweiten Teil der GMS definiert Kant »Interesse« in der folgenden Fußnote: »Die Abhängigkeit eines zufällig bestimmbaren Willens aber von Prinzipien der Vernunft heißt ein Interesse« (GMS: 413 Fn.).

Dazu kommt eine zweite Begriffsbestimmung von »Interesse«, die Kant im dritten Teil der GMS, ebenfalls in einer Fußnote, vornimmt: »Interesse ist das, wodurch Vernunft praktisch, d. i. eine den Willen bestimmende Ursache wird. Daher sagt man nur von einem vernünftigen Wesen, daß es woran ein Interesse nehme, vernunftlose Geschöpfe fühlen nur sinnliche Antriebe« (GMS: 459 Fn.).

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In GMS: 413 bestimmt Kant das Interesse also als ›Abhängigkeit eines zufällig bestimmbaren Willens von Prinzipien der Vernunft‹, und in GMS: 459 als dasjenige, ›wodurch Vernunft praktisch, d. i. eine den Willen bestimmende Ursache wird‹. Diesen beiden Bestimmungen ist das Moment der Willensbestimmung gemein. Dieses steht in direktem Zusammenhang zur Begehrensbedingung des Interesses in der KU. Ein Äquivalent zur Existenzbedingung findet sich jedoch nicht. Für den Interessensbegriff der GMS sind nun insbesondere die Begriffe des Willens und der Prinzipien der Vernunft zentral. Dies hängt damit zusammen, dass der Wille das »Vermögen, nach der Vorstellung der Gesetze, d. i. nach Prinzipien zu handeln« (GMS: 412), ist. 51 Wir können in diesem Sinne festhalten: Für den Interessensbegriff der GMS ist das Moment der Willensbestimmung durch ein Vernunftprinzip zentral. Werfen wir nun einen Blick auf die Einleitung in die Metaphysik der Sitten. Kant nimmt hier die folgenden Differenzierungen vor: »Man kann die Lust, welche mit dem Begehren (des Gegenstandes, dessen Vorstellung das Gefühl so affiziert) notwendig verbunden ist, p r a k t i s c h e L u s t nennen: sie mag nun Ursache oder Wirkung vom Begehren sein. Dagegen würde man die Lust, die mit dem Begehren des Gegenstandes nicht notwendig verbunden ist, die also im Grunde nicht eine Lust an der Existenz des Objekts der Vorstellung ist, sondern bloß an der Vorstellung allein haftet, bloß kontemplative Lust oder u n t ä t i g e s Wo h l g e f a l l e n nennen können. Das Gefühl der letzteren Art von Lust nennen wir G e s c h m a c k . […] Was aber die praktische Lust betrifft, so wird die Bestimmung des Begehrungsvermögens, v o r w e l c h e r diese Lust, als Ursache, notwendig vorhergehen muß, im engen Verstande B e g i e r d e , die habituelle Begierde aber N e i g u n g heißen, und, weil die Verbindung der Lust mit dem Begehrungsvermögen, sofern diese Verknüpfung durch den Verstand nach einer allgemeinen Regel (allenfalls auch nur für das Subjekt) gültig zu sein geurteilt wird, I n t e r e s s e heißt, so wird die praktische Lust in diesem Falle ein Interesse der Neigung; dagegen wenn die Lust nur auf eine vorhergehende Bestimmung des Begehrungsvermögens folgen kann, so wird sie eine intellektuelle Lust und das Interesse an dem Gegenstande ein Vernunftinteresse genannt werden müssen; […]« (MdS: 212).

Das Interesse wird hier als ›Verbindung der Lust mit dem Begehrungsvermögen‹, die ›durch den Verstand nach einer allgemeinen Regel gültig zu sein geurteilt wird‹, bestimmt. Auch hier lässt sich mit Vgl. auch die Bestimmung des Willens in der Analytik des Schönen als eines »durch Vernunft bestimmten Begehrungsvermögens« (§ 5.E.2, 209,10).

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der Formulierung ›Verbindung der Lust mit dem Begehrungsvermögen‹ ein Äquivalent zur Begehrensbedingung identifizieren, und auch hier findet sich kein Äquivalent zur Existenzbedingung. Vielmehr ist es für diese Bestimmung des Interesses zentral, dass die Verbindung von Lust und Begehrungsvermögen ›durch den Verstand nach einer allgemeinen Regel gültig zu sein geurteilt wird‹. 52 Diese allgemeine Regel meint wohl dasselbe wie die ›Prinzipien der Vernunft‹ aus der Begriffsbestimmung der GMS. Es wird jedenfalls deutlich, dass die Bestimmung des Begehrungsvermögens mittels einer Regel, d. h. begrifflich, erfolgt. Vergleicht man die beiden Bestimmungen von »Interesse« aus der GMS und der MdS mit jener aus der KU, so fallen die folgenden Unterschiede auf: Erstens findet sich keine Existenzbedingung; zweitens beinhaltet ein Interesse stattdessen eine Willensbestimmung durch ein Vernunftprinzip oder eine allgemeine Regel, sodass sich von einem intellektuellen Interessensbegriff sprechen lässt. Nun wäre es denkbar, dass Kant in der KU einen anderen Fokus setzt, während er dennoch an seinem intellektuellen Interessensbegriff der GMS und MdS festhält. Dagegen sprechen aber dreierlei Gründe, die jeweils mit dem Interesse am Angenehmen zusammenhängen: In § 5 konstatiert Kant, dass »Annehmlichkeit […] auch für vernunftlose Thiere [gilt]« (§ 5.B.4, 210,6). Ist aber die Lust am Angenehmen essentiell als Interesse charakterisiert und würde ein Interesse eine Willensbestimmung durch ein Prinzip voraussetzen, so könnten Tiere keine Lust am Angenehmen empfinden. So heißt es in der GMS ja auch explizit, dass »man nur von einem vernünftigen Wesen [sagt], daß es woran ein Interesse nehme«, während »vernunftlose Geschöpfe […] nur sinnliche Antriebe [fühlen]« (GMS: 459 Fn.). Zweitens ist das Interesse am Angenehmen grundlegend dadurch ausgezeichnet, nicht begrifflich erwirkt zu sein; gerade dadurch unterscheidet es sich vom Guten. So heißt es in § 4: »Das Angenehme, das, als ein solches, den Gegenstand lediglich in Beziehung auf den Sinn vorstellt, muß allererst durch den Begrif eines Zwecks unter Principien der Vernunft gebracht werden, um es, als Gegenstand des Willens, gut zu nennen« (§ 4.C.3, 208,1). 53 Wäre die Lust am Angenehmen ein Dass diese Verbindung ›durch den Verstand…gültig zu sein geurteilt wird‹, muss nicht bedeuten, dass der Verstand die Regeln gibt. Vielmehr könnte der Verstand die Verbindung als durch allgemeine Regeln konstituiert erkennen. 53 Siehe hierzu Kap. 4.5.2. 52

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Interesse im Sinne des intellektuellen Interessensbegriffs, so würde es bereits ›Principien der Vernunft‹ einschließen und wäre also nicht vom Guten unterschieden. Drittens unterscheidet sich das Angenehme auch dadurch vom Guten, dass es nicht mit dem Willen, sondern dem unteren Begehrungsvermögen verbunden ist. So heißt es in der Einleitung: »da mit dem Begehrungsvermögen nothwendig Lust oder Unlust verbunden ist (es sey daß sie, wie beym unteren, vor dem Princip desselben vorhergehe, oder wie beym oberen, nur aus der Bestimmung desselben durch das moralische Gesetz folge) […]« (178,13 f., m. H.). Ist das Interesse, wie in der GMS, durch eine Bestimmung des Willens (des oberen Begehrungsvermögens) mittels eines Vernunftprinzips definiert, so würde beim Angenehmen kein Interesse vorliegen. Tatsächlich scheint der Interessensbegriff der GMS mit der Lust am Guten der KU deckungsgleich. So heißt es zur Lust am Guten: »Denn das Gute ist das Object des Willens (d. i. eines durch Vernunft bestimmten Begehrungsvermögens). Etwas aber wollen, und an dem Daseyn desselben ein Wohlgefallen haben d. i. daran ein Interesse nehmen, ist identisch« (§ 4.E.2–3, 209,9, m. H.). 54 Nimmt man all dies zusammen, dann scheint Kant in der KU einen anderen bzw. einen erweiterten Interessensbegriff im Vergleich zur GMS und zur MdS zu haben. 55 An dieser Stelle ist es aufschlussreich, einen Blick auf den Begriff der praktischen Lust aus der MdS zu werfen: pL »Man kann die Lust, welche mit dem Begehren (des Gegenstandes, dessen Vorstellung das Gefühl so affiziert) notwendig verbunden ist, p r a k t i s c h e L u s t nennen: sie mag nun Ursache oder Wirkung vom Begehren sein« (MdS: 212).

Wir können die folgende Umformung vornehmen: pLR1 Praktische Lust ist eine Form der Lust, die notwendig mit dem Begehren (des Gegenstandes, dessen Vorstellung das Gefühl so affiziert) verbunden ist. Praktische Lust ist entweder Ursache oder Wirkung vom Begehren.

Erneut finden sich einige Parallelen zum Interessensbegriff der KU. Erstens liegt eine Form von Lust vor, die, zweitens, ›notwendig mit dem Begehren…verbunden ist‹. Damit ist die Begehrensbedingung erfüllt. Drittens wird bloß eine Beziehung zum Begehren, nicht zum 54 55

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Für eine Analyse dieser Passage siehe Kap. 4.1.1. Vgl. ähnlich auch Matthews 1997, 21 f.

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Willen konstatiert. Viertens wird zwischen zwei Arten von praktischer Lust differenziert (›sie mag nun Ursache oder Wirkung vom Begehren sein‹), die mit den beiden Arten des Interesses in der KU, d. h. dem Interesse am Angenehmen und (moralisch) Guten, zusammenfallen. Insgesamt stimmen damit die Bestimmungen von ›praktische Lust‹ in der MdS und von ›Interesse‹ in der KU in zentralen Punkten überein. Wir können also vermuten, dass ›praktische Lust‹ in der MdS nichts anderes als ›Interesse‹ in der KU meint. Dafür spricht auch die Abgrenzung der praktischen von der kontemplativen Lust: »Dagegen würde man die Lust, die mit dem Begehren des Gegenstandes nicht notwendig verbunden ist, die also im Grunde nicht eine Lust an der Existenz des Objekts der Vorstellung ist, sondern bloß an der Vorstellung allein haftet, bloß kontemplative Lust oder u n t ä t i g e s Wo h l g e f a l l e n nennen können. Das Gefühl der letzteren Art von Lust nennen wir G e s c h m a c k « (MdS: 212).

Kant stellt hier der praktischen Lust die Lust am Schönen als kontemplative Lust gegenüber. Es ist naheliegend, dass er damit dieselbe Gegenüberstellung wie in den §§ 2–5 der KU nutzt, sodass die praktische Lust nichts anderes als das Interesse ist, so wie Kant es in der KU versteht. Es ist dann auffällig, dass die kontemplative Lust als eine Lust nicht ›an der Existenz des Objekts der Vorstellung‹ bezeichnet wird. Damit ist für die praktische Lust die Existenzbedingung mindestens indirekt impliziert. Wir können »praktische Lust« folgendermaßen bestimmen: pLR2 Praktische Lust ist eine Form der Lust, die notwendig mit dem Begehren verbunden ist und die eine Lust an der Existenz des Objekts der Vorstellung ist. Praktische Lust ist entweder Ursache oder Wirkung vom Begehren.

Damit beinhaltet die praktische Lust der MdS mindestens implizit sowohl die Begehrensbedingung als auch die Existenzbedingung. Der Interessensbegriff der KU ist also deckungsgleich mit dem Begriff der praktischen Lust der MdS. Halten wir fest: Der (intellektuelle) Interessensbegriff der GMS und der MdS beinhaltet als wesentliches Moment eine Willensbestimmung durch ein Vernunftprinzip. Diese Bestimmung von Interesse trifft nur auf das Interesse am Guten aus der KU zu, nicht aber auf das Interesse am Angenehmen. Kant vertritt also in der GMS und der MdS einen engen, in der KU aber einen weiten Interessensbegriff. Kants Philosophie des Schönen

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§ 2 Die Uninteressiertheitsthese

Letzterer ist dadurch gekennzeichnet, dass die Begehrensbedingung bloß eine Beziehung der Lust auf das Begehrungsvermögen meint, unabhängig davon, ob diese durch ein Prinzip vollzogen wird oder nicht, und auch unabhängig davon, ob der Wille oder bloß das untere Begehrungsvermögen bestimmt wird. In dieser Hinsicht stimmt der weite Interessensbegriff der KU mit dem Begriff der praktischen Lust aus der MdS überein. Fassen wir abschließend noch einmal im Überblick zusammen, wie ›Interesse‹ in der KU bestimmt wird und durch welche Bedingungen es sich auszeichnet. i. Das Interesse ist eine Form von Lust. ii. Das Interesse ist vornehmlich durch die Existenzbedingung und die Begehrensbedingung ausgezeichnet. iii. Die Begehrensbedingung besagt, dass das Interesse einen Bezug zum Begehrungsvermögen hat, d. h. dass wir den Gegenstand der Lust bzw. mehr dergleichen Gegenstände hervorbringen wollen. Dabei kann das Interesse selbst das Begehrungsvermögen bestimmen oder aber es ist die gefühlte Willensbestimmung. Durch die Begehrensbedingung wird deutlich, dass ein Interesse praktische Implikationen hat. iv. Die Existenzbedingung besagt, dass das Interesse eine Lust an der (gegebenen oder antizipierten) Existenz des Gegenstandes ist. Dies kann bedeuten, dass die Lust unmittelbar an der Empfindung, d. h. der Materie der Erscheinungen, empfunden wird, oder dass die Lust das gefühlte Wollen davon ist, die Existenz eines Gegenstandes hervorzubringen. v. Der Interessensbegriff der KU stimmt mit Kants Konzeption der praktischen Lust aus der MdS überein. Er kann als weiter Interessensbegriff verstanden werden und ist vom intellektuellen Interessensbegriff der GMS und MdS zu unterscheiden, der eine Willensbestimmung durch ein Vernunftprinzip einschließt. vi. Der phänomenale Gehalt des Interesses ist dadurch ausgezeichnet, dass es sich als ein Wollen oder Begehren anfühlt.

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Zum Begriff des Interesses

2.3 Die Uninteressiertheitsthese (UT) Kant formuliert die Uninteressiertheitsthese (UT) das erste Mal in der Überschrift zu § 2: »Das Wohlgefallen, welches das Geschmacksurtheil bestimmt, ist ohne alles Interesse« (§ 2.T, 204,20). Zum Ende von § 2 spricht er dann erneut vom »uninteressirten Wohlgefallen im Geschmacksurtheile« (§ 2.B.1, 205,19). Auffällig ist, dass er UT in § 2 sonst nicht mehr in dieser direkten Form formuliert, sondern vielmehr indirekt mittels der Abgrenzung von der Existenzbedingung. Insgesamt finden sich vier solcher (indirekten) Formulierungen von UT: § 2.A.3 (UT1) »Nun will man aber, wenn die Frage ist, ob etwas schön sey, nicht wissen, ob uns, oder irgend jemand, an der Existenz der Sache irgend etwas gelegen sey, oder auch nur gelegen seyn könne; sondern, wie wir sie in der bloßen Betrachtung (Anschauung oder Reflexion) beurtheilen« (204,26). § 2.A.6 (UT2) »Man will nur wissen, ob die bloße Vorstellung des Gegenstandes in mir mit Wohlgefallen begleitet sey, so gleichgültig ich auch immer in Ansehung der Existenz des Gegenstandes dieser Vorstellung seyn mag« (205,7). § 2.A.7 (UT3) »Man sieht leicht, daß es auf das, was ich aus dieser Vorstellung in mir selbst mache, nicht auf das, worin ich von der Existenz des Gegenstandes abhänge, ankomme, um zu sagen, er sey s c h ö n , und zu beweisen, ich habe Geschmack« (205,10). § 2.A.9 (UT4) »Man muß nicht im mindesten für die Existenz der Sache eingenommen, sondern in diesem Betracht ganz gleichgültig seyn, um in Sachen des Geschmacks den Richter zu spielen« (205,15).

In UT1–3 findet sich jeweils ein Gegensatz (›sondern‹ in UT1, ›nicht auf das‹ in UT3). Damit hängt zusammen, dass hier jeweils eigentlich zwei Thesen über das Wesen des Geschmacksurteils bzw. der Lust am Schönen beinhaltet sind – eine negative These darüber, wie dieses Wesen nicht ist (UT-), und eine positive These darüber, wie es ist (UT+). UT4 drückt zwar vordergründig auch einen Gegensatz aus (›sondern‹ in UT4), beinhaltet aber eigentlich nur zweifach die negative These. Stellt man die fünf negativen Formulierungen von UT zusammen, so ergibt sich das folgende Bild: Kants Philosophie des Schönen

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§ 2 Die Uninteressiertheitsthese

UT-R1 Wenn die Frage ist, ob ein Gegenstand schön sei: (1) ist es unerheblich, ob mir etwas an der Existenz des Gegenstandes gelegen ist. (2) kann mir die Existenz des Gegenstandes gleichgültig sein. (3) kommt es nicht darauf an, worin ich von der Existenz des Gegenstandes abhänge. (4a) darf man überhaupt nicht für die Existenz des Gegenstandes eingenommen sein. (4b) muss man gegenüber der Existenz des Gegenstandes ganz gleichgültig sein.

Alle fünf Formulierungen verneinen also, dass die Existenz des Gegenstandes für das Schöne von Bedeutung ist (Existenzbedingung des Interesses). Die Formulierungen (4a) und (4b) sind dabei am stärksten, da hier ausgeschlossen wird, dass die Existenz der Sache überhaupt eine Rolle spielen darf. Weiterhin benennen (1), (2) und (4b) eine Gleichgültigkeit gegenüber der Existenz des Gegenstandes als Bedingung, während (3) darauf hinweist, dass keine Abhängigkeit 56 gegenüber der Existenz des Gegenstandes besteht. Eine Abhängigkeit gegenüber der Existenz eines Gegenstandes besteht bei einer Lust aber dann, so kann man ergänzen, wenn ein auf den Gegenstand gerichtetes Bedürfnis besteht. Damit deutet der Begriff der Abhängigkeit auf die Begehrensbedingung des Interesses hin. Denn etwas, wovon ich abhängig bin und dessen ich in diesem Sinne bedarf, begehre ich wohl auch. Insgesamt stehen die Bedingungen der »Gleichgültigkeit« und »nicht-Abhängigkeit« in einem engen Zusammenhang: Wenn ich von einem Gegenstand nicht abhängig bin, dann ist er mir gleichgültig. Und wenn ich von einem Gegenstand abhängig bin, dann ist er mir nicht gleichgütig. 57 Interessant ist, wie Adelung den Begriff »Gleichgültigkeit« definiert, nämlich als »Abwesenheit der Das Moment der Abhängigkeit ist auch zentral für die Freiheitsthese, die Kant in § 5 einführt: »Man kann sagen: daß unter allen diesen drey Arten des Wohlgefallens, das des Geschmacks am S c h ö n e n einzig und allein ein uninteressirtes und f r e y e s Wohlgefallen sey; denn kein Interesse, weder das der Sinne, noch das der Vernunft, zwingt den Beyfall ab« (§ 5.B.6, 210,11). Für die Analyse der Freiheitsthese siehe Kap. 5.5. 57 Losgelöst von Kants Theorie scheint es denkbar, dass mir etwas an der Existenz eines Gegenstandes gelegen ist, ohne dass ich von diesem Gegenstand abhängig bin. Es würde dann so etwas wie ein freies Interesse geben. Innerhalb der kantischen Theorie der Lust ist aber kein Raum für eine solche Form von Interesse, da Existenzbedingung und Begehrensbedingung immer Hand in Hand gehen. 56

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Zum Begriff des Interesses

Lust und Unlust gegen eine Sache« (Adelung: Die Gleichgültigkeit). Wenn Kant konstatiert, dass wir beim Schönen einem Gegenstand eine Lust entgegenbringen und gleichzeitig der Existenz des Gegenstandes gegenüber gleichgültig sind, so mag dies dem zeitgenössischen Leser vor dem Hintergrund des offenkundig vorherrschenden (bei Adelung belegten) Sprachgebrauchs seiner Zeit entgegenstehen. Dadurch wird deutlich, wie ambitioniert Kants These ist. Wir können die These UT- nun (in ihrer stärksten Variante, bei der mir die Existenz des Gegenstandes gleichgültig sein ›muss‹ und nicht bloß sein ›kann‹) folgendermaßen zusammenfassen: UT-R2 Beim Geschmacksurteil muss mir die Existenz des Gegenstandes gleichgültig sein und es darf meinerseits keine Abhängigkeit von der Existenz des Gegenstandes bestehen.

Im Lichte des Dritten Moments ist es fraglich, ob Kants These wirklich so stark ist. Denn Kant führt dort aus, dass ich einen Gegenstand in einem unreinen Geschmacksurteil sowohl als schön als auch als angenehm beurteilen kann. 58 Mir wäre dabei die Existenz des Gegenstandes nicht gleichgültig, aber die Tatsache, dass mir etwas an der Existenz des Gegenstandes gelegen wäre, wäre unerheblich für seine Beurteilung als schön. Da Kant aber seine Theorie der unreinen Geschmacksurteile in § 2 noch nicht entfaltet hat, können wir ihm zugestehen, dass er sich mit (der starken Variante von) UT bloß auf reine Geschmacksurteile bezieht. Berücksichtigt man, dass das Interesse eine ›Lust an der Existenz eines Gegenstandes‹ ist (Existenzbedingung), dann läuft UT- darauf hinaus, dass »[d]as Wohlgefallen, welches das Geschmacksurtheil bestimmt, […] ohne alles Interesse [ist]« (§ 2.T, 204,20). Nachdem wir die negative Uninteressiertheitsthese betrachtet haben, können wir uns ihrer positiven Variante UT+ zuwenden. Wir können die drei Formulierungen zunächst folgendermaßen zusammenfassen: UT+R1 Wenn die Frage ist, ob etwas schön sei: (1) will man wissen, wie wir den Gegenstand in der bloßen Betrachtung (Anschauung oder Reflexion) beurteilen. (2) will man wissen, ob die bloße Vorstellung des Gegenstandes in mir mit Wohlgefallen begleitet sei.

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Siehe Kap. 14.1.

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(3) kommt es darauf an, was ich aus der Vorstellung des Gegenstandes in mir selbst mache.

Die Formulierungen ›bloße Betrachtung‹ und ›bloße Vorstellung‹ stehen im direkten Gegensatz zur ›Existenz des Gegenstandes‹. Die zentrale Frage ist dann, worin sich die ›bloße Vorstellung des Gegenstandes‹ und die ›Existenz des Gegenstandes‹ unterscheiden. Die erste und dritte Formulierung verweisen darüber hinaus auf eine (innere) Aktivität des Subjekts: So spricht Kant davon, dass ich etwas ›aus der Vorstellung in mir selbst mache‹, und er nutzt den Begriff der Reflexion. Antizipierend können wir diese innere Aktivität als das freie Spiel der Erkenntniskräfte begreifen, welches Kant in § 9 einführt. Ich werde dies gleich genauer erläutern. Zunächst können wir aber UT+ folgendermaßen zusammenfassen: UT+R2 Beim Geschmacksurteil will man wissen, ob die bloße Vorstellung des Gegenstandes in mir mit Wohlgefallen begleitet sei, und es kommt darauf an, was ich aus der Vorstellung des Gegenstandes in mir, d. h. im freien Spiel der Erkenntniskräfte, selbst mache. 59

Wir werden in Kürze sehen, dass vor allem UT+ zentral für das Verständnis von UT ist. Dies hängt mit der Frage zusammen, ob Kant mit UT wirklich die eher abwegige Position vertreten möchte, dass mir, wenn ich eine Lust am Schönen empfinde, der korrespondierende schöne Gegenstand vollkommen egal sein muss. Muss es mir beispielsweise egal sein, ob ein Verrückter im nächsten Augenblick die Mona Lisa zerschneiden wird, wenn ich gerade im Louvre dieses Gemälde betrachte und es für schön befinde? 60

2.3.1 Die erste Bedeutung der Uninteressiertheitsthese: Eine unmittelbare Lust an der Reflexion Wir können das gerade formulierte Problem auch anders fassen. Dazu müssen wir uns noch einmal kurz auf unsere Rekonstruktion der Begriffsbestimmung von »Lust« aus § 12 rückbesinnen: Es ist nicht ganz klar, ob ›selbst‹ ein Attribut zu ›in mir‹ oder ›machen‹ ist. Im Kontrast zum Begriff der Abhängigkeit in UT-, der eine Passivität impliziert, scheint es mir plausibler, ›selbst‹ als Attribut zu ›machen‹ zu deuten. Kant würde dann durch das Selbstmachen die Aktivität des urteilenden Subjekts betonen. 60 Für ein ähnliches Beispiel vgl. Crawford 1974, 53. 59

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La Lust ist ein positives Gefühl, das das Subjekt erhalten möchte. Lb Durch das Gefühl der Lust wird dem Subjekt bewusst, dass eine Vorstellung verursacht, dass der Zustand der Lust des Subjekts erhalten wird. Lc Bei einer Lust möchte das Subjekt die Vorstellung erhalten.

Wenn wir aber anerkennen, dass die Lust am Schönen als Lust durch die Erhaltung der Vorstellung charakterisiert ist (Lc), inwiefern ergibt es dann überhaupt Sinn, zu sagen, dass uns die Existenz der Vorstellung gleichgültig sein muss? 61 Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns zunächst damit beschäftigen, welche Rolle die Existenz des Gegenstandes beim Angenehmen und Guten einerseits und beim Schönen andererseits spielt. Die entscheidende Frage ist dabei, woran ich in den drei Fällen eigentlich Lust empfinde. Die Lust am Angenehmen und Guten sind jeweils Formen von Interesse; somit handelt es sich dabei jeweils um eine Lust an der Existenz des Gegenstandes. Wir können schreiben: I1 Die Lust am Angenehmen und die Lust am Guten sind jeweils eine Lust an der Existenz des Gegenstandes.

Fragt man nun im Gegenzug, woran wir die Lust am Schönen empfinden, so ist die folgende Passage aus § 9 aufschlussreich: »Diese bloß subjective (ästhetische) Beurtheilung des Gegenstandes, oder der Vorstellung wodurch er gegeben wird, geht nun vor der Lust an demselben vorher, und ist der Grund dieser Lust an der Harmonie der Erkenntnißvermögen« (§ 9.F.1, 218,8).

Dieses Zitat ist gewiss nicht eindeutig und unproblematisch; ich werde es beizeiten genauer analysieren. 62 Ich setze an dieser Stelle aber voraus, dass Kant hier (unter anderem) die folgende These formuliert: Die Lust am Schönen ist eigentlich keine Lust am schönen Gegenstand, sondern vielmehr eine Lust an der (subjektiven ästhetischen) Beurteilung des Gegenstandes; und diese (subjektive ästhetische) Beurteilung ist das freie Spiel der Erkenntniskräfte. Diese These hatte Kant nicht zuletzt bereits vage in UT+ angedeutet. Das freie

Hierbei handelt es sich um ein prominentes Problem in der Sekundärliteratur zum Ersten Moment. Benannt wird es etwa von Allison (Allison 2001, 85 f.) und Ginsborg (Ginsborg 2008, 63). 62 Siehe hierzu Kap. 9.4. 61

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§ 2 Die Uninteressiertheitsthese

Spiel der Erkenntniskräfte ist eine innere Aktivität des Subjekts. Wir können daher schreiben: UTa Die Lust am Schönen ist eine Lust an einer inneren Aktivität des Subjekts, nämlich am freien Spiel der Erkenntniskräfte.

Nun bedarf es für das freie Spiel einer gegebenen Vorstellung von einem Gegenstand, die im freien Spiel verarbeitet werden kann. Man könnte daher sagen, dass wir indirekt eine Lust am schönen Gegenstand empfinden. Noch einmal auf den Punkt gebracht lautet die These: UTaR1 Die Lust am Schönen ist: (a) eine direkte Lust an einer inneren Aktivität des Subjekts. (b) eine indirekte Lust am schönen Gegenstand.

Dass die Lust am Schönen unmittelbar am freien Spiel der Erkenntniskräfte und nicht an der Vorstellung vom schönen Gegenstand bzw. seiner empirischen Anschauung empfunden wird, bestätigt ferner das folgende Zitat aus der Ersten Einleitung: »Im ästhetischen Sinnes-Urtheile ist es diejenige Empfindung [der Lust], welche von der empirischen Anschauung des Gegenstandes unmittelbar hervorgebracht wird, im ästhetischen Reflexionsurtheile aber die, welche das harmonische Spiel der beyden Erkenntnißvermögen der Urtheilskraft, Einbildungskraft und Verstand im Subjecte bewirkt« (EEKU: 224,18, m. H.). 63

Den genauen Zusammenhang zwischen dem freien Spiel und der Lust am Schönen werden wir im Kontext von § 9 genauer untersuchen. An dieser Stelle müssen wir aber zunächst einmal verstehen, was die These UTaR1 nun im Gegenzug für das Angenehme und das Gute bedeutet. Man könnte die folgende Annahme machen: I2 Die Lust am Angenehmen und die Lust am Guten sind jeweils eine direkte Lust am Gegenstand.

Vgl. auch: »Ginge die Lust an dem gegebenen Gegenstande [der Beurteilung] vorher, und nur die allgemeine Mittheilbarkeit derselben sollte im Geschmacksurtheile der Vorstellung des Gegenstandes zuerkannt werden, so würde ein solches Verfahren mit sich selbst im Widerspruche stehen. Denn dergleichen Lust würde keine andere, als die bloße Annehmlichkeit in der Sinnenempfindung seyn, und daher ihrer Natur nach nur Privatgültigkeit haben können, weil sie von der Vorstellung, wodurch der Gegenstand gegeben wird, unmittelbar abhinge« (§ 9.B.1–2, 216,35 f., m. H. & Kants H. getilgt).

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Beim Angenehmen lässt sich dies folgendermaßen begreifen: Wir fühlen die Lust am Angenehmen unmittelbar an einer Empfindung (etwa dem Geschmack von Schokolade), die unmittelbar durch einen realen Gegenstand verursacht wird. Damit stehen der Gegenstand und die Lust in einem unmittelbaren Abhängigkeitsverhältnis, und die Lust wird gewissermaßen direkt durch den realen Gegenstand verursacht. Komplizierter verhält es sich beim Guten. So fühlen wir die Lust am Guten nämlich an einer inneren Aktivität, und zwar an einer Aktivität des Willens. In gewisser Hinsicht empfinden wir somit auch die Lust am Guten unmittelbar an einer inneren Aktivität. Insbesondere im Vergleich zur Lust am Angenehmen wäre es daher problematisch, die Lust am Guten als eine unmittelbare Lust am Gegenstand zu bezeichnen. Allerdings lässt sich ein anderes Abgrenzungskriterium zur Lust am Schönen formulieren. So ist die innere Aktivität, die der Lust am Guten zugrunde liegt, eine Aktivität des Willens, d. h. ein Wollen; ein Wollen ist aber immer ein Wollen von etwas, d. h. ich will die Existenz von etwas hervorbringen. 64 Die innere Aktivität beim Guten unterscheidet sich in diesem Sinne insofern von der inneren Aktivität beim Schönen, als sie eine Aktivität des Willens ist. Das freie Spiel aber ist keine Aktivität des Willens und impliziert daher auch kein Wollen. Wir können also zur Lust am Angenehmen und Guten das Folgende festhalten: I2R1 Die Lust am Angenehmen ist eine direkte Lust am Gegenstand (an einer Empfindung). Die Lust am Guten ist eine direkte Lust an einer Aktivität des Willens.

In Abgrenzung dazu können wir die Bedeutung von UT folgendermaßen präzisieren: UTaR2 Die Lust am Schönen ist: (a) eine direkte Lust an einer inneren Aktivität des Subjekts, die keine Aktivität des Willens oder Begehrungsvermögens ist. (b) eine indirekte Lust am schönen Gegenstand.

Kehren wir zu unserer Ausgangsfrage zurück: Inwiefern ist uns der Gegenstand beim Schönen gleichgültig oder nicht? Ich hatte ausgeführt, dass Lust allgemein das Moment der Erhaltung des Zustan64

Vgl. hierzu erneut: »Eine jede Handlung hat also ihren Zweck, […]« (TL: 385).

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des (der Lust) beinhaltet. Die Lust am Schönen empfindet man nun unmittelbar am freien Spiel der Erkenntniskräfte. Wenn man also will, dass die Lust am Schönen andauert, dann will man zunächst einmal, dass das freie Spiel andauert. Es ist aber die Vorstellung des schönen Gegenstandes, die dieses freie Spiel allererst anregt und die präsent sein muss, damit das freie Spiel andauert. Da die Lust am Schönen indirekt eine Lust an der Vorstellung vom Gegenstand ist, kann mir (der ich diese Lust empfinde) diese Vorstellung auch nicht völlig egal sein. Genau diesen Gedanken äußert Kant selbst, wenn er in § 12 schreibt: »Diese Lust [am Schönen] ist auch auf keinerley Weise praktisch, weder, wie die aus dem pathologischen Grunde der Annehmlichkeit, noch die aus dem intellectuellen des vorgestellten Guten. Sie hat aber doch Causalität in sich, nämlich den Zustand der Vorstellung selbst und die Beschäftigung der Erkenntnißkräfte ohne weitere Absicht zu e r h a l t e n . Wir w e i l e n bey der Betrachtung des Schönen, weil diese Betrachtung sich selbst stärkt und reproducirt« (§ 12.B.3–5, 222,28).

Wenn die Lust am Schönen dazu führt, dass ich ›den Zustand der Vorstellung selbst…erhalten‹ will, dann bedeutet dies doch, dass ich möchte, dass die Vorstellung des Gegenstandes andauert; daher verweile ich bei der Vorstellung des schönen Gegentandes. Ich möchte demnach auch, dass die Mona Lisa weiterhin vor mir ausgestellt bleibt, während ich sie im Louvre betrachte. Ich möchte, dass mir der schöne Gegenstand präsent bleibt. Ein zentraler Unterschied zwischen diesem Verweilen bei der Vorstellung und dem Begehren der Existenz eines Gegenstandes besteht darin, dass ich beim Verweilen nichts hervorbringen will. Es reicht, dass ich den Gegenstand weiterhin wahrnehme. Die Lust am Schönen ist in diesem Sinne »auf keinerley Weise praktisch« (§ 12.B.3, 222,28). Dies lässt sich mit Rückgriff auf das Angenehme besser verstehen: Das Angenehme wird unmittelbar an der Empfindung gefühlt (etwa dem Geschmack von Schokolade). Diese Empfindung verbraucht sich (oder nutzt sich ab), und ich bedarf daher eines immer neuen Inputs, um mein Gefühl der Lust zu erhalten. Beim Schönen hingegen tritt dieser Konsumtionseffekt nicht auf, da sich das Spiel der Erkenntniskräfte – so lange der schöne Gegenstand präsent bleibt, aber ohne dass das Subjekt dabei eines neuen Inputs bedürfte – von alleine »stärkt und reproducirt« (§ 12.B.5, 222,34). 65 65

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Vgl. hierzu auch die Begriffsbestimmung der Lust in der Ersten Einleitung: »L u s t

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Muss aber der Gegenstand, der mir präsent sein muss, auch existieren? Oder kann ich ihn mir auch bloß ausdenken? Ich will diese Frage hier noch nicht umfassend beantworten. 66 Vielmehr will ich mich vorläufig mit drei Anmerkungen begnügen: Erstens muss im engen Sinne die Lust am Schönen insofern immer auf einen wirklich existierenden Gegenstand bezogen sein, als sonst ihr Allgemeingültigkeitsanspruch untergraben würde. Zweitens scheint Kant aber mindestens an einer Stelle einzuräumen, dass wir eine Lust am Schönen auch an Fantasien, d. h. erdichteten Gegenständen, empfinden können. 67 Im erweiterten Sinne scheinen also Schönheitserfahrungen an imaginierten Gegenständen möglich. Drittens können wir aber auch eine Lust am Angenehmen bloß an imaginierten, d. h. insbesondere an antizipierten Gegenständen empfinden (Lust auf etwas). 68 Eine solche Lust wäre aber dennoch ein Interesse, sodass die Uninteressiertheit der Lust am Schönen gerade nicht bedeuten kann, dass der Gegenstand der Lust imaginiert sein kann. Wir können abschließend zwei Bedingungen der uninteressierten Lust als Analoga zu den beiden Bedingungen des Interesses formulieren: i. Die uninteressierte Lust ist zwar keine Lust an der Existenz des schönen Gegenstandes, aber dennoch muss die Vorstellung des schönen Gegenstandes präsent bleiben, damit sich die Lust erhält (Präsenzbedingung). ii. Die uninteressierte Lust hat keine Beziehung auf das Begehren, aber man verweilt bei der schönen Vorstellung und möchte, dass sie andauert (Verweilensbedingung).

ist ein Z u s t a n d des Gemüths, in welchem eine Vorstellung mit sich selbst zusammenstimmt, als Grund, entweder diesen blos selbst zu erhalten (denn der Zustand einander wechselseitig befördernder Gemüthskräfte in einer Vorstellung erhält sich selbst), oder ihr Object hervorzubringen« (EEKU: 230,11). 66 Siehe hierzu meine Ausführungen zum schönen Objekt in Kap. G6.3. 67 Vgl. Kants Ausführungen zu ›schönen Aussichten auf Gegenstände‹ in 243,29. – Durch die Möglichkeit von imaginierten schönen Gegenständen lassen sich auch Phänomene wie der taube Beethoven erklären, dem man trotz allem eine Lust an seiner (innerlich gehörten) Musik unterstellen möchte. 68 Siehe hierzu Kap. 3.1.1. Kants Philosophie des Schönen

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2.3.2 Die zweite Bedeutung der Uninteressiertheitsthese: Eine (mittelbare) Lust an der Form Mit unseren Ausführungen zum freien Spiel haben wir bereits auf § 9 rekurriert und sind also deutlich über § 2 hinausgegangen. Ich möchte nun ausführen, dass ein umfassendes Verständnis der Bedeutung von UT sogar erst auf Grundlage des Dritten Moments – oder genauer auf Grundlage der Formthese (§ 13) und der Zweckmäßigkeit ohne Zweck (§ 11) – möglich ist. Im Dritten Moment führt Kant unter anderem aus, dass sich Schönheit nur auf die Form, nicht aber auf die Materie des Gegenstandes bezieht (Formthese). 69 Wenn ich ein (reines) Geschmacksurteil fälle, dann beurteile ich den Gegenstand »der bloßen Form nach« (§ 16.C.1, 229,33). Hingegen fühlen wir die Lust am Angenehmen, wie bereits erwähnt, unmittelbar an einer Empfindung. Empfindungen aber sind in der kantischen Theorie die Materie der Vorstellung. So heißt es mit Bezug auf angenehme Vorstellungen, dass sie »bloß die Materie der Vorstellungen, nämlich lediglich Empfindung, zum Grunde zu haben scheinen, und darum nur angenehm genannt zu werden verdienten« (§ 14.C.2, 224,11, m. H.). 70 In diesem Sinne lassen sich die Lust am Schönen und Angenehmen als Lust an der Form und Lust an der Materie bestimmen. Nun heißt es in der Einleitung: »E m p f i n d u n g (hier die äußere) drückt […] das bloß Subjective unserer Vorstellungen der Dinge außer uns aus, aber eigentlich das Materielle (Reale) derselben (wodurch etwas Existirendes gegeben wird) […]« (189,10, 2. & 3. H. m. H.).

Folgt man diesem Zitat, dann ist uns durch die Empfindung ›etwas Existirendes gegeben‹. Insofern nun die Lust am Angenehmen eine unmittelbare Lust an der Empfindung ist, hat sie einen unmittelbaren Bezug auf das gegebene Existierende. Genau in diesem Sinne lässt sich die Lust am Angenehmen als Lust an der Existenz des Gegenstandes, d. h. als Interesse, begreifen. Das Schöne ist nun aber auf die Form des Gegenstandes bezogen (Formthese). Folgt man Kants Ausführungen in der KrV, dann bildet die Form der Vorstellung unter Siehe Kap. 13.5. Vgl. auch: »Materie d. i. Empfindung« (294,6). Ähnlich in der KrV: »In der Erscheinung nenne ich das, was der Empfindung korrespondiert, die M a t e r i e derselben« (A20/B34).

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anderem insofern einen Kontrast zur Materie, als sie uns nicht gegeben ist bzw. von uns passiv empfangen wird; vielmehr gelangen wir zur Form des Gegenstandes erst, indem unsere Einbildungskraft das Mannigfaltige der Erscheinung, d. h. die Empfindungen, in Raum und Zeit zusammensetzt. 71 In diesem Sinne rekurriert die Form nicht bzw. nicht unmittelbar auf etwas gegebenes ›Existirendes‹, sondern auf eine »Konstruktionsleistung« des Subjekts. Freilich sind für das Zusammensetzen zur Form Empfindungen vorausgesetzt, die dann allererst zusammengesetzt werden; 72 aber erstens wird die Lust nicht unmittelbar an diesen Empfindungen empfunden, zweitens sind nicht spezifische isolierte Empfindungen (wie etwa eine isolierte Rotempfindung) relevant für das Schöne, und drittens scheint die Möglichkeit der (nachträglichen) Abstraktion von den spezifischen gegebenen Empfindungen zu bestehen. 73 Als eine weitere Bedeutung von UT lässt sich nun das Folgende festhalten: UTb Die Lust am Schönen wird nicht an der Materie der Vorstellung (Empfindung), durch die etwas Existierendes gegeben wird, gefühlt, sondern sie wird an der Form der Vorstellung gefühlt, die auf einer Konstruktionsleistung des Subjekts beruht.

Auch diese Bedeutung von UT verweist darauf, dass wir die Lust am Schönen bloß indirekt an etwas Existierendem fühlen. Empfindungen sind dennoch insofern indirekt bedeutsam, als aus diesen allererst die Form konstruiert wird. Bei meinen Ausführungen zum Dritten Moment werde ich zeigen, dass beim Schönen eine doppelte Unabhängigkeit von der Materie und ein doppelter Bezug zur Form vorliegen. 74 Das Schöne beruht nicht nur auf der Form des schönen Gegenstandes statt auf der Empfindung als Materie, sondern ihm liegt mit der (subjektiven) Zweckmäßigkeit ohne Zweck auch eine bloße Form der Zweckmäßigkeit ohne Materie, d. h. ohne Zweck, zugrunde. 75 Nun ist ein Urteil Vgl. für den Gegensatz von Form und Materie A20/B34. Eine ähnliche Beobachtung nimmt auch McCloskey vor, wenn sie schreibt, »that some reference to real existence is already contained in the notion of being ›a representation‹ as Kant standardly employs it« (McCloskey 1987, 31). 73 Für die Rolle von Empfindungen für das Schöne siehe Kap. 14.2 sowie 14.4. 74 Siehe hierzu Kap. 13.2.2. 75 Vgl.: »Also können wir eine Zweckmäßigkeit der Form nach, auch ohne daß wir ihr einen Zweck (als die Materie des nexus finalis) zum Grunde legen, wenigstens beobachten, und an Gegenständen, wiewohl nicht anders als durch Reflexion, bemerken« (§ 10.B.5, 220,27). – Dass dem Schönen eine subjektive Zweckmäßigkeit ohne 71 72

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über eine Zweckmäßigkeit mit Zweck, d. h. mit Materie, in den meisten Fällen ein Erkenntnisurteil im theoretischen Kontext (ein Urteil über die Vollkommenheit, wie etwa »Dieses Pferd ist vollkommen«, oder die Nützlichkeit, wie etwa »Dieser Hammer ist nützlich zum Zweck des Nägel Einschlagens«), welches keinen Bezug zur Lust hat. 76 Jedoch kann die Erkenntnis eines Zwecks als Ausgangspunkt für eine Lust am Guten dienen. Denn hier ist es der Zweck, der den Willen bestimmt (sodass ich beispielsweise einen Hammer kaufen will), wobei sich diese Willensbestimmung als Lust am Guten anfühlt. 77 Würde die Lust am Schönen auf einer Zweckmäßigkeit mit Zweck, d. h. mit Materie, beruhen, dann wäre es eine Lust am Guten und also ein Interesse. Wir können nun abschließend zur Bedeutung von UT in Bezug auf Materie und Form das Folgende festhalten: UTbR1 Die Lust am Schönen ist: (a) keine Lust an der Materie der Vorstellung (Empfindung), durch die uns (unmittelbar) etwas Existierendes gegeben ist, sondern eine Lust an der Form der Vorstellung, die durch eine Konstruktionsleistung des Subjekts erlangt wird. (b) eine Lust, die auf einer Form der Zweckmäßigkeit, d. h. einer Zweckmäßigkeit ohne Zweck, beruht und die also keinen Zweck als Materie voraussetzt, durch den potenziell der Wille bestimmt werden könnte. 78

Zweck zugrunde liegt, bedeutet (grob gesagt), dass im freien Spiel der Erkenntniskräfte eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt von Einbildungskraft und Verstand vorliegt; in dieser Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt erweist sich das schöne Objekt als subjektiv zweckmäßig, d. h. als zweckmäßig für die menschlichen Erkenntnisvermögen, ohne dass der Verstand dabei den Begriff eines Zwecks anwenden würde. Ich werde diesen Zusammenhang beizeiten genauer erläutern. Siehe Kap. 11.3. 76 Vgl.: »Überhaupt hat also der Begrif der Vollkommenheit als objectiver Zweckmäßigkeit mit dem Gefühle der Lust und diese mit jenem gar nichts zu thun« (EEKU: 228,30). – Siehe zu dieser Thematik Kap. 16.2. 77 Vgl.: »In beiden [im Nützlichen und an sich Guten] ist immer der Begrif eines Zwecks, mithin das Verhältniß der Vernunft zum (wenigstens möglichen) Wollen, folglich ein Wohlgefallen am D a s e y n eines Objects oder einer Handlung, d. i. irgend ein Interesse, enthalten« (§ 4.A.3, 207,18). 78 Auch Crawford scheint die tiefere Bedeutung von UT in der der Lust am Schönen zugrundeliegenden formalen Zweckmäßigkeit zu verorten (vgl. Crawford 1974, 38 f.).

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2.3.3 Ästhetische Erfahrung und ästhetische Einstellung Ich habe soeben verschiedene Aspekte der Bedeutung von UT vorgestellt, die zusammen ein umfassendes und komplexes Bild von UT ergeben. Wir haben UT dabei stets so interpretiert, dass damit eine spezifische Charakterisierung der Lust am Schönen vorgenommen wird. In diesem Sinne haben wir UT als eine These über die ästhetische Erfahrung gedeutet; denn die ästhetische Erfahrung konstituiert sich primär durch die Lust am Schönen. Mit Rückgriff auf unsere obigen Ausführungen zu UT sind wir dann auch in der Lage, eine komplexe Beschreibung der ästhetischen Erfahrung zu liefern: Ästhetische Erfahrung i. Phänomenaler Gehalt der ästhetischen Erfahrung: Die Lust am Schönen fühlt sich uninteressiert an, d. h. nicht als Begehren. ii. Theoretische Charakterisierung der ästhetischen Erfahrung: Die Lust am Schönen ist • eine direkte Lust an einer inneren Aktivität des Subjekts, die keine Aktivität des Willens oder Begehrungsvermögens ist, und nur eine indirekte Lust am schönen Gegenstand. • eine indirekte Lust an der Form des schönen Gegenstandes (und keine Lust an der Empfindung als Materie der Vorstellung) und eine Lust, die auf einer Form der Zweckmäßigkeit ohne Materie (Zweck) beruht. Ist UT aber wirklich nur eine These über die ästhetische Erfahrung? Ich möchte nun zeigen, dass UT auch die ästhetische Einstellung betrifft. So spricht Reicher etwa von der »von Immanuel Kant stammende[n] Charakterisierung der ästhetischen Einstellung als interesseloses Wohlgefallen« (Reicher 2010, 43). Einen Hinweis auf die ästhetische Einstellung gibt UT-: UT-R2 Beim Geschmacksurteil muss mir die Existenz des Gegenstandes gleichgültig sein und es darf meinerseits keine Abhängigkeit von der Existenz des Gegenstandes bestehen.

Nun ist es denkbar, dass jemand bereits vor einer möglichen ästhetischen Erfahrung von dem Gegenstand abhängig ist bzw. ein Interesse an dem Gegenstand verspürt. Wenn etwa ein Liebhaber seiner Angebeteten einen Strauß Rosen kauft und damit den Zweck verfolgt, sich bei ihr einzuschmeicheln, so begehrt er die Rosen als Mittel zum Zweck und er hat ein Interesse an ihnen. Er begegnet den Rosen bereits mit einer interessierten Einstellung und ist von ihnen abhänKants Philosophie des Schönen

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gig, weil er sie begehrt. In diesem Fall ist es für den Liebhaber mindestens sehr schwierig, in einen Zustand der uninteressierten Lust einzutreten. Dass keine Abhängigkeit meinerseits gegenüber dem Gegenstand bestehen darf und dass ich »nicht im mindesten für die Existenz der Sache eingenommen […] seyn« darf (§ 2.A.9, 205,15), ist in diesem Sinne auch eine Charakterisierung der ästhetischen Einstellung. Diese ästhetische Einstellung ist dann so zu charakterisieren, dass man kein Interesse für den schönen Gegenstand empfinden darf. Damit ist auch ausgeschlossen, dass man ein theoretisches Interesse am schönen Gegenstand hat, d. h. eine Erkenntnis über ihn treffen will. 79 Ferner muss die ästhetische Einstellung insofern exklusiv sein, als sie sich nicht mit irgendwelchen Formen von Interesse kombinieren lässt. Ein Interesse am Angenehmen führt dazu, dass ich mich auf eine spezifische Empfindung fokussiere und nicht mehr die Form wahrnehme, die doch für das freie Spiel notwendig ist; ein Interesse am Guten führt dazu, dass ich den Gegenstand unter den Begriff eines Zwecks subsumiere, sodass das freie Spielen der Einbildungskraft verhindert wird; und ein theoretisches Interesse zielt auf die begriffliche Erfassung des Gegenstandes, die dem ziellosen Charakter des freien Spiels entgegensteht. 80 Damit haben wir aber nur einen Teilaspekt der ästhetischen Einstellung erfasst. Es gibt nämlich auch noch Fälle, in denen man zwar kein Interesse am schönen Gegenstand, wohl aber an etwas anderem hat. Auch ein solches Interesse für einen anderen Gegenstand als den schönen steht der ästhetischen Einstellung entgegen. Machen wir uns dies kurz klar: Jedes Interesse ist phänomenal dadurch gekennzeichnet, dass wir ein Begehren empfinden. Denken wir an unsere eigenen Erfahrungen mit dem Begehren, so kann dies ein sehr starkes und dominantes Gefühl sein. Hingegen ist die Lust am Schönen ein sehr fragiles Gefühl; 81 denn das freie Spiel der Erkenntniskräfte erfordert eine starke Fokussierung der Aufmerksamkeit auf den schönen Gegenstand, ohne dass man seine Aufmerksamkeit im Sinne eines InteVgl. hierzu § 5.A.4, 209,25. Daraus wird auch ersichtlich, dass die beschriebene ästhetische Einstellung nur für reine Schönheitserfahrungen bzw. reine Geschmacksurteile gilt. Bei unreinen Geschmacksurteilen ist es ja gerade die Pointe, dass die Lust am Schönen mit einem Interesse vermischt wird, wobei es unproblematisch zu sein scheint, dass dieses Interesse der ästhetischen Erfahrung vorhergeht. Siehe die Analyse der unreinen Geschmacksurteile in Kap. 13.3 sowie 16.2. 81 Ich spreche hier von Kants Fragilitätsthese. Siehe Kap. 13.3. 79 80

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resses bewusst auf den Gegenstand lenkt. Wenn man stark auf einen anderen Gegenstand fokussiert ist, weil man ihn aktual begehrt (wenn man etwa ein sehr starkes Begehren im Sinne eines Hungergefühls verspürt oder sehr müde ist), so wird man wohl kaum oder jedenfalls nur schwerlich in einen Zustand uninteressierter Lust eintreten. Auch ein sehr starkes moralisches Interesse könnte einer ästhetischen Erfahrung entgegenstehen. Die ästhetische Einstellung ist also dadurch gekennzeichnet, dass wir erstens kein Interesse für den schönen Gegenstand und zweitens kein anderes starkes Interesse empfinden dürfen. Ich werde später dafür argumentieren, dass damit immer noch bloß ein Teil der ästhetischen Einstellung erfasst ist, nämlich der Aspekt der Uninteressiertheit. Daneben, so werden wir sehen, bedarf es für eine ästhetische Einstellung noch der Bereitschaft zur Reflexion. 82 Wir können an dieser Stelle aber bereits als ersten Aspekt der ästhetischen Einstellung festhalten: i. Uninteressiertheit: Das Subjekt verspürt kein Interesse bzw. Begehren für den schönen Gegenstand oder für einen anderen Gegenstand. Damit lässt sich UT als eine These sowohl über die ästhetische Erfahrung als auch über die ästhetische Einstellung verstehen.

2.3.4 Die Fußnote: Warum das Schöne nicht interessant ist In einer Fußnote zu § 2.A.1 nimmt Kant eine Ergänzung zu UT vor. Wenngleich einige AutorInnen die dort formulierte These für ambitionierter als UT selbst halten, möchte ich an dieser Stelle nur kurz darauf eingehen. In besagter Fußnote schreibt Kant: »Ein Urtheil über einen Gegenstand des Wohlgefallens kann ganz u n i n t e r e s s i r t , aber doch sehr i n t e r e s s a n t seyn, d. i. es gründet sich auf keinem Interesse, aber es bringt ein Interesse hervor; dergleichen sind alle reine moralische Urtheile. Aber die Geschmacksurtheile begründen an sich auch gar kein Interesse. Nur in der Gesellschaft wird es i n t e r e s s a n t , Geschmack zu haben, wovon der Grund in der Folge angezeigt werden wird« (205 Fn.).

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Siehe hierzu Kap. G3.4.

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Die zentrale These ist hier, dass ›Geschmacksurtheile…an sich auch gar kein Interesse [begründen]‹. Diese These konfligiert offenkundig mit der Tatsache, dass Menschen ein großes Interesse am Schönen beweisen, wenn sie etwa viel Geld ausgeben, um in ein Museum oder ein Konzert zu gehen. Aber besteht hier wirklich ein Konflikt? Das Interesse etwa an Gemälden, welches mich dazu bewegt, Museen aufzusuchen, ist selbst keine Lust am Schönen. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Art antizipierte Lust am Angenehmen. So schreibt Kant in § 3: »Alles Wohlgefallen, (sagt oder denkt man) ist selbst Empfindung (einer Lust). Mithin ist alles, was gefällt, eben hierin, daß es gefällt, angenehm« (§ 3.A.3–4, 205,29 f.). In diesem Sinne ist uns die Lust am Schönen als positives Gefühl auf einer Art MetaEbene angenehm, ohne selbst eine Lust am Angenehmen zu sein. Wenn ich etwa ins Museum gehe, dann mag dies daran liegen, dass ich ein Interesse daran habe, ästhetische Erfahrungen zu haben, die sich positiv anfühlen und die mir in diesem Sinne angenehm sind. Dieses Meta-Interesse ist aber selbst keine Lust am Schönen. Damit unterscheidet es sich ausdrücklich vom im Zitat erwähnten Interesse, das durch ein reines moralisches Urteil hervorgebracht wird. Denn dieses moralische Interesse ist nichts anderes als die Lust am moralisch Guten selbst. Um Kants These in obigem Zitat plausibel zu machen, muss man also nur das Folgende ergänzen: ›Aber die Geschmacksurteile begründen an sich auch gar kein Interesse im Sinne eines Interesses am Schönen‹. 83

2.4 Eine Begründung für UT 2.4.1 Das gefühlte Faktum der uninteressierten Lust Wie wir gesehen haben, ist auf dem Stand der Argumentation von § 2 und ohne Vorgriff auf die folgenden Momente überhaupt nicht klar, was UT eigentlich bedeuten soll. Darüber hinaus ist aber auch nicht klar, ob es überhaupt eine uninteressierte Lust geben kann. So könnte man denken, dass das Begehren allgemein zum Charakter der Lust

Ähnlich schlägt auch Allison vor, Kant wolle in der Fußnote bloß ausschließen, dass Geschmacksurteile nicht wesentlich ein Interesse hervorbringen, dies aber zufällig tun können (vgl. Allison 2001, 95 f.; vgl. ähnlich auch Matthews 1997, 26).

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zählt. Dieser Gedanke ist insofern nicht abwegig, als sowohl Adelung als auch Grimm »Lust« mit Rekurs auf das Begehren oder das Angenehme definieren. So heißt es bei Grimm: »lust, heftiges verlangen, begierde: appetitus« (Grimm: Lust). 84 Bei Adelung hat der Begriff der Lust einen direkten Bezug zum Angenehmen. So identifiziert er die beiden folgenden Bedeutungen von »Lust«: »1. Die Äußerung der anschauenden Erkenntniß des Angenehmen, und diese anschauende Erkenntniß selbst. […] 2. Die Neigung, das Verlangen nach einer angenehmen, oder doch als angenehm gedachten Sache« (Adelung: Die Lust). Die sprachliche Verwendung des Begriffs »Lust« zu Kants Zeit scheint damit nicht unbedingt damit vereinbar, dass es so etwas wie eine uninteressierte Lust gibt. Vor diesem Hintergrund ließe sich zweierlei fragen: Kann es erstens so etwas wie uninteressierte Lust geben? Wie lässt sich zweitens begründen, dass die Lust am Schönen uninteressiert ist? Führen wir uns zunächst noch einmal die vier Formulierungen von UT vor Augen, um zu sehen, ob wir vielleicht so etwas wie eine Argumentstruktur erkennen können: § 2.A.3 (UT1) Nun will man aber, wenn die Frage ist, ob etwas schön sey, nicht wissen, ob uns, oder irgend jemand, an der Existenz der Sache irgend etwas gelegen sey, oder auch nur gelegen seyn könne; sondern, wie wir sie in der bloßen Betrachtung (Anschauung oder Reflexion) beurtheilen. § 2.A.6 (UT2) Man will nur wissen, ob die bloße Vorstellung des Gegenstandes in mir mit Wohlgefallen begleitet sey, so gleichgültig ich auch immer in Ansehung der Existenz des Gegenstandes dieser Vorstellung seyn mag. § 2.A.7 (UT3) Man sieht leicht, daß es auf das, was ich aus dieser Vorstellung in mir selbst mache, nicht auf das, worin ich von der Existenz des Gegenstandes abhänge, ankomme, um zu sagen, er sey s c h ö n , und zu beweisen, ich habe Geschmack.

Auch die anderen von Grimm angeführten Bedeutungen von »Lust« scheinen zumindest einen indirekten Bezug zum Begehren zu haben: »das behagen, das in der befriedigung eines verlangens erwächst, freude, vergnügen, ergötzung: delectatio« (Grimm: Lust).

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§ 2.A.9 (UT4) Man muß nicht im mindesten für die Existenz der Sache eingenommen, sondern in diesem Betracht ganz gleichgültig seyn, um in Sachen des Geschmacks den Richter zu spielen.

Leider wird man in keiner dieser Thesen fündig; und auch im restlichen § 2 findet sich kein Hinweis auf ein Argument zur Begründung von UT. Setzt Kant UT also vielleicht einfach völlig unbegründet voraus? Wenden wir uns erneut den Formulierungen von UT zu, so fällt auf, dass Formulierungen der Art ›nun will man aber‹, ›man will nur‹, ›man sieht leicht‹ oder ›man muß‹ dominieren. Diese suggerieren, es bestehe gar kein Zweifel, sondern es sei vielmehr allgemein akzeptiert und offenkundig klar, dass die Lust am Schönen uninteressiert sei. Diese rhetorische Strategie macht deutlich, dass Kant an die Erfahrungen seiner Leserinnen und Leser appellieren will. Bereits bezüglich der Bestimmung von »Lust« habe ich dafür argumentiert, dass Kant den Begriff »Lust« nicht bereits zu Beginn des Ersten Moments erklärt (sondern erst in § 10), weil er voraussetzt, seine Leserinnen und Leser seien durch ihre eigene Erfahrung der Lust mit der Bedeutung dieses Begriffs auf eine phänomenale Art und Weise vertraut. Sie wissen, wie es ist, eine Lust zu empfinden. Ich möchte nun dafür plädieren, dass es sich ebenso mit der Uninteressiertheit der Lust verhält. Kant muss kein Argument für die Uninteressiertheit der Lust am Schönen liefern, weil er voraussetzen kann, dass seine Leserinnen und Leser auf eine phänomenale Weise mit der Lust am Schönen vertraut sind und ihnen daher bewusst ist, dass diese Lust sich uninteressiert anfühlt. Wenn Kant in den verschiedenen Fassungen von UT Formulierungen wie ›nun will man aber‹, ›man will nur‹, ›man sieht leicht‹ oder ›man muß‹ nutzt, dann rekurriert er damit auf den phänomenalen Gehalt der Lust am Schönen und die ästhetischen Erfahrungen seiner Leserschaft. Man sieht (oder fühlt) leicht, dass die Lust am Schönen uninteressiert ist, weil sie sich uninteressiert anfühlt. Und es gibt noch ein weiteres Argument für die These, dass Kant in § 2 eine phänomenologische Vorgehensweise nutzt. Den vier Momenten des Schönen sind bekanntlich die vier Urteilsfunktionen Qualität, Quantität, Relation und Modalität zugeordnet. 85 Die vier 85

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Siehe hierzu Unterpunkt 3.1 der Einleitung zu diesem Kommentar.

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Momente des Schönen lassen sich einerseits als Bestimmung des Geschmacksurteils verstehen, andererseits aber mindestens auch oder vielleicht sogar primär als Bestimmungen der Lust am Schönen. In diesem Sinne wird in der Zweiten und Vierten Erklärung des Schönen jeweils das Wohlgefallen (und nicht das Urteil) als allgemein und notwendig bestimmt. 86 Nun wird dem Ersten Moment die Urteilsfunktion der Qualität zugeordnet. Was aber könnte die Qualität der Lust, d. h. eines Gefühls, wohl sein? Die naheliegende Antwort lautet, dass mit der Qualität eines Gefühls primär gemeint ist, wie sich dieses Gefühl anfühlt. 87 Geht man davon aus, dass Kant UT als eine These begreift, die er nicht eigens beweisen muss, sondern deren Gehalt und Wahrheit er als durch die ästhetische Erfahrung seiner Leserschaft gegeben voraussetzen darf, so kann damit natürlich nicht gemeint sein, diese These sei in ihrem ganzen Umfang in der Erfahrung gegeben. Vielmehr muss gemeint sein, dass der phänomenologische Anteil von UT in der Erfahrung gegeben ist. Dieser phänomenologische Anteil besagt, dass die Lust am Schönen ein positives Gefühl ist, das sich nicht als Begehren anfühlt. Wir wissen dann um die Uninteressiertheit der Lust am Schönen, weil wir schon ästhetische Erfahrungen hatten, die durch ein positives Gefühl ausgezeichnet waren, das sich nicht als Begehren anfühlte. Nun bildet UT gewissermaßen den Ausgangspunkt von Kants Theorie des Schönen überhaupt. Dieser Ausgangspunkt besteht dann darin, wie uns das Schöne in der Erfahrung gegeben ist, nämlich als uninteressierte Lust. Man kann daher von einem Faktum der uninteressierten Lust oder von einem gefühlten Faktum des Schönen sprechen. Wir wissen in diesem Sinne überhaupt darum, dass es so etwas wie das Schöne gibt, weil uns das Schöne in der ästhetischen Erfahrung gegeben ist. Dieses Vorgehen ist weder unplausibel noch unkantisch. Es ist plausibel, wenn man zugesteht, dass Schönheit keine Eigenschaft des Objekts ist, sondern sich in irgendeiner Form durch eine ästhetische Erfahrung konstituiert. Gesteht man dies zu, so ist es Vgl.: »S c h ö n ist das, was ohne Begrif allgemein gefällt« (E2, 219,25); »S c h ö n ist, was ohne Begrif als Gegenstand eines n o t h w e n d i g e n Wohlgefallens erkannt wird« (E4, 240,18). 87 Ich werde später ausführen, dass die Lust am Schönen noch durch weitere phänomenale Komponenten charakterisiert werden kann (siehe Grundlagen 1). Dennoch ist die Uninteressiertheit der Lust am Schönen die eindeutigste Bestimmung und in diesem Sinne primäre Qualität der Lust. 86

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eine legitime Vorgehensweise, in seiner Argumentation für das Schöne auf die ästhetische Erfahrung zu rekurrieren. 88 Und da eine Erfahrung allgemein immer dadurch gekennzeichnet ist, dass es eine bestimmte Art und Weise gibt, wie es ist, diese Erfahrung zu haben (phänomenaler Gehalt der Erfahrung), so ist es legitim, auf diesen phänomenalen Gehalt zu rekurrieren. Eine solche phänomenologische Vorgehensweise ist zudem auch nicht unkantisch; denn sie stimmt in vielerlei Hinsicht mit Kants Vorgehen in der KpV überein. So ist es Teil von Kants Argumentation in der KpV, dass uns »das moralische Gesetz gleichsam als ein Faktum der reinen Vernunft […] gegeben« ist (KpV: 47). Auch hier geht Kant also von etwas aus, das uns gegeben wird. Darüber hinaus lässt sich das Gegeben-Sein des moralischen Gesetzes in einer bestimmten Interpretation als »gefühltes Faktum der Vernunft« verstehen. 89 Diese von Schönecker vertretene Interpretation besagt: »Das Bewusstsein des KI ist vermittelt durch die Achtung; und da die Achtung ein Gefühl ist, lautet die Faktum-These Kants: Wir erkennen durch ein unmittelbar gegebenes Gefühl die Geltung des KI« (Schönecker 2013, 102). Im Sinne dieser Interpretation ist es demnach mindestens möglich, anzunehmen, dass auch in der KpV ein Teil der kantischen Argumentation auf einem Faktum beruht, welches sich durch ein Gefühl (Achtung) konstituiert. Vor diesem Hintergrund bildet Kants Vorgehen in der Analytik ausgehend vom Faktum der uninteressierten Lust eine Parallele zur Argumentation der KpV.

2.4.2 Doch ein Argument für die Uninteressiertheitsthese? Vielleicht waren wir aber zu vorschnell. Vielleicht formuliert Kant zwar in § 2 kein Argument für UT, liefert aber ein solches im weiteren Verlauf der Analytik nach. Ich möchte daher abschließend den gesamten Text der Analytik in dieser Hinsicht in den Blick nehmen und fragen, ob in diesem erweiterten Kontext nicht doch ein Argument für UT zu finden ist. Man könnte zunächst vermuten, dass sich ein Argument für UT aus dem größeren Kontext des Ersten Moments entwickeln lässt; so ließe sich für die §§ 2–5 die folgende ArgumentaSiehe hierzu auch meine Ausführungen zur epistemischen Argumentationsstrategie in Unterpunkt 3.2 der Einleitung zu diesem Kommentar. 89 Vgl. hierzu Schönecker (2013). 88

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tionsstrategie antizipieren: Grundlegender Gedanke wäre, dass es nur zwei Arten von Interesse gäbe, nämlich das Interesse am Angenehmen und am Guten. Davon ausgehend würde Kant darlegen, dass die Lust am Schönen von der Lust am Angenehmen und am Guten unterschieden sei. Er könnte dann schließen, dass die Lust am Schönen kein Interesse, d. h. uninteressiert, sei (UT). Das Argument – Crawford nennt es »elimination argument« (Crawford 1974, 42) – würde lauten: P1

Alles Interesse ist entweder eine Lust am Angenehmen oder eine Lust am Guten. P2 Die Lust am Schönen ist weder eine Lust am Angenehmen noch am Guten. Also: Die Lust am Schönen ist kein Interesse.

Genau diese Strategie scheint Kant im letzten Absatz von § 2 anzukündigen: § 2.B.1 »[a] Wir können aber diesen Satz, der von vorzüglicher Erheblichkeit ist, nicht besser erläutern, als wenn wir dem reinen uninteressirten Wohlgefallen im Geschmacksurtheile dasjenige, was mit Interesse verbunden ist, entgegensetzen: [b] vornehmlich wenn wir zugleich gewiß seyn können, daß es nicht mehr Arten des Interesse gebe, als die eben jetzt namhaft gemacht werden sollen« (205,18).

Die Wendung ›diesen Satz‹ bezieht sich auf die vierte Formulierung von UT, die diesem Absatz direkt vorangeht. Die beiden ›Arten des Interesse‹, ›die eben jetzt namhaft gemacht werden sollen‹, meinen das Interesse am Angenehmen und Guten; denn diese beiden Arten des Interesses werden in den §§ 3–4 ›namhaft gemacht‹. Wir können daher schreiben: § 2.B.1R1 [a] Wir können UT nicht besser erläutern, als wenn wir dem reinen uninteressierten Wohlgefallen im Geschmacksurteil dasjenige Wohlgefallen, was mit Interesse verbunden ist, entgegensetzen; [b] vornehmlich, wenn wir zugleich gewiss sein können, dass es nicht mehr Arten des Interesses gebe, als das am Angenehmen und Guten.

Die entscheidende Frage ist nun, wie Kant das Verb ›erläutern‹ gebraucht: Könnte damit so etwas wie ›beweisen‹ gemeint sein? Oder ist ›erläutern‹ bloß explikativ zu verstehen? Laut dem Adelung Wörterbuch ist ›erläutern‹ im Sinne von »begreiflich machen« zu verKants Philosophie des Schönen

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stehen, wobei es gerade in Abgrenzung zum Beweisen steht. 90 Dies schließt natürlich nicht grundsätzlich aus, dass sich in den §§ 2–5 nicht zusätzlich zum ›Erläutern‹ auch ein Beweis findet. Kant kündigt also die Strategie an, das Wohlgefallen am Schönen mit den beiden Formen des Interesses zu vergleichen. So lautet die Überschrift von § 5: »Vergleichung der drey specifisch verschiedenen Arten des Wohlgefallens« (§ 5.T, 209,14). Warum aber diese Strategie des Vergleichs so vielversprechend ist, erläutert Kant in § 2.B.1b: ›vornehmlich, wenn wir zugleich gewiß seyn können, daß es nicht mehr Arten des Interesse gebe, als die eben jetzt namhaft gemacht werden sollen.‹ Dieser Gedanke korrespondiert mit der ersten Prämisse des obigen Arguments (›Alles Interesse ist entweder eine Lust am Angenehmen oder eine Lust am Guten‹). Problematisch ist jedoch, dass Kant an keiner Stelle für die These argumentiert, es gebe nur diese zwei Arten von Interesse. 91 Stattdessen lässt er sie gewissermaßen als unhinterfragte Voraussetzung bereits implizit in seine Bestimmung von »Interesse« einfließen, wenn es heißt: »Ein solches [Interesse] hat daher immer zugleich Beziehung auf das Begehrungsvermögen, entweder als Bestimmungsgrund desselben, oder doch als mit dem Bestimmungsgrunde desselben nothwendig zusammenhängend« (§ 2.A.2, 204,23, m. H.). 92 Dass es nur zwei Arten des Interesses gibt, mag in diesem Sinne eine Verankerung in Kants Theorie des Interesses haben. Dennoch wäre es für ein Argument der oben geschilderten Art wünschenswert, wenn diese These und damit die erste Prämisse begründet würde. Vor diesem Hintergrund ist es aufschlussreich, dass Kant bloß hypothetisch schreibt: ›vornehmlich, wenn wir zugleich gewiß sein können, daß es nicht mehr Arten des Interesse gebe, als die eben jetzt namhaft gemacht werden sollen‹. Neben P1 erweist sich insbesondere P2 als problematisch. Zwar vergleicht Kant in den §§ 3–5 die Lust am Schönen mit der Lust am Angenehmen und Guten; jedoch findet sich hier kein Argument dafür, dass die Lust am Schönen von der Lust am Angenehmen und Guten unterschieden ist, oder vielmehr: Es findet sich kein solches Argument, das unabhängig von UT wäre. Statt ein von UT unabhängiges Abgrenzungsmerkmal zu benennen, konstatiert Kant in der entscheidenden, den Vergleich der Lust am Schönen mit der Lust am 90 91 92

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Vgl.: »Beyspiele beweisen nicht, sie erläutern nur« (Adelung: Erläutern). Diese Diagnose wird auch von Crawford gestellt (Crawford 1974, 43). Vgl. hierzu auch MdS: 212.

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Angenehmen und Guten betreffenden Passage in § 5 einfach: »Daher ist das Geschmacksurtheil bloß c o n t e m p l a t i v d. i. ein Urteil welches, indifferent in Ansehung des Daseyns eines Gegenstandes, nur seine Beschaffenheit mit dem Gefühl der Lust und Unlust zusammenhält« (§ 5.A.3, 209,22). Im Sinne der Formulierung ›indifferent in Ansehung des Daseyns eines Gegenstandes‹ muss diese Passage als bloße Reformulierung von UT gewertet werden, und damit kann Kants Strategie in § 5 nicht im Sinne des obigen Arguments verstanden werden. Er schließt nicht von der Abgrenzung der Lust am Schönen vom Interesse am Angenehmen und Guten auf die Uninteressiertheit der Lust am Schönen. Vielmehr funktioniert seine Strategie umgekehrt: Weil die Lust am Schönen uninteressiert ist, lässt sie sich eindeutig von der Lust am Angenehmen und Guten abgrenzen. Das obige Argument lässt sich also mindestens nicht in § 5 verorten. Allerdings gibt es im Ersten Moment eine weitere Stelle, in der Kant die Lust am Schönen von der Lust am Angenehmen und Guten abgrenzt, und zwar ohne sich dabei (unmittelbar) auf UT zu stützen. Der betreffende Absatz aus § 4 lautet: § 4.B.1 »Um etwas gut zu finden, muß ich jederzeit wissen, was der Gegenstand für ein Ding seyn solle, d. i. einen Begrif von demselben haben. § 4.B.2 Um Schönheit woran zu finden, habe ich das nicht nöthig. […] § 4.B.4 Das Wohlgefallen am Schönen muß von der Reflexion über einen Gegenstand, die zu irgend einem Begriffe (unbestimmt welchem) führt, abhängen; und unterscheidet sich dadurch auch vom Angenehmen, welches ganz auf der Empfindung beruht« (207,22).

Kant nutzt in dieser Passage jeweils ein verschiedenes Kriterium, um die Lust am Schönen vom Angenehmen und Guten abzugrenzen: Die Abgrenzung von der Lust am Guten erfolgt mittels der von mir so benannten Begriffslosigkeitsthese, die besagt, dass die Lust am Schönen nicht auf Begriffen beruht; die Abgrenzung vom Angenehmen erfolgt über die der Lust am Schönen zugrundeliegende Reflexionsaktivität, ›die zu irgend einem Begriffe (unbestimmt welchem) führt‹, d. h. das freie Spiel der Erkenntniskräfte. 93 Jedoch eignen sich beide Ich werde später erläutern, inwiefern das freie Spiel einen Bezug zu Begriffen aufweist bzw. selbst die Anwendung eines Begriffs beinhaltet (siehe Kap. G3.3).

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Abgrenzungskriterien nicht als Begründung von UT, da sie erst mittels UT hergeleitet werden. So heißt es zur Begriffslosigkeit der Lust am Schönen in § 6, in dem die Begriffslosigkeitsthese offiziell eingeführt wird: »Aber aus Begriffen kann diese Allgemeinheit [der Lust am Schönen] auch nicht entspringen. Denn von Begriffen giebt es keinen Uebergang zum Gefühle der Lust oder Unlust (ausgenommen in reinen practischen Gesetzen, die aber ein Interesse bey sich führen, dergleichen mit dem reinen Geschmacksurtheile nicht verbunden ist)« (§ 6.A.5–6, 211,29, m. H.). Ähnlich wird die Reflexionsaktivität beim Schönen, d. h. das freie Spiel der Erkenntniskräfte, in § 9 mittels der Allgemeingültigkeit der Lust am Schönen hergeleitet, wobei diese Allgemeingültigkeit in § 6 aus UT gefolgert wird. 94 Auch die zitierte Passage aus § 4 ist demnach nicht geeignet, das oben angeführte Argument abzusichern, sodass dieses Argument insgesamt scheitert. Es sind aber noch zwei weitere Argumente denkbar. Ein erstes Argument könnte dabei ansetzen, dass die Lust am Schönen eine unmittelbare Lust am freien Spiel der Erkenntniskräfte ist und nur mittelbar eine Lust am schönen Gegenstand. 95 In diesem Sinne heißt es etwa in der Allgemeinen Anmerkung zur Exposition der ästhetischen reflektierenden Urteile: »S c h ö n ist das, was in der bloßen Beurtheilung (also nicht vermittelst der Empfindung des Sinnes [noch] nach einem Begriffe des Verstandes) gefällt. Hieraus folgt von selbst, daß es ohne alles Interesse gefallen müsse« (267,25).

Diese Passage können wir folgendermaßen verstehen: Die Lust am Schönen wird nur mittelbar am schönen Gegenstand, unmittelbar aber am freien Spiel, d. h. an einer Art von Beurteilung, empfunden. Ein Interesse ist immer eine Lust, die entweder unmittelbar an einer Empfindung, d. h. am Realen der Vorstellung und somit an der Existenz des Gegenstandes, oder an einer Willensaktivität gefühlt wird. Folglich kann die Lust am Schönen kein Interesse sein. Das Argument würde lauten: Vgl. § 6.A.1, 211,10. – Siehe Unterpunkt 3.2 der Einleitung zu diesem Kommentar. In diese Richtung deutet insbesondere Guyer, wenn er schreibt: »the fact that the disinterestedness of aesthetic response is a consequence of its explanation as due to the harmony of imagination and understanding, rather than vice versa« (Guyer 1979, 169; vgl. auch 178). Zu betonen ist aber, dass Guyer der doppelten Struktur der Analytik im Sinne der epistemischen und der vermögenstheoretischen Argumentationsstrategie keine Beachtung schenkt.

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Ein Interesse ist eine Lust an der Existenz des Gegenstandes – entweder als Lust an der Materie des Gegenstandes, d. h. der Empfindung, oder als Lust an einer auf die Existenz gerichteten Willensaktivität. P2 Die Lust am Schönen ist keine Lust an der Existenz des Gegenstandes, sondern eine unmittelbare Lust an einer Reflexionsaktivität. Also: Die Lust am Schönen ist kein Interesse.

Aber auch dieses Argument ist problematisch. Denn zum einen hat Kant im Ersten Moment noch nicht offiziell das freie Spiel der Erkenntniskräfte eingeführt (wenngleich er implizit mittels des Begriffs der Reflexion darauf hindeutet); zum anderen führt er, wie bereits dargelegt, erst mittels der Allgemeingültigkeitsthese (AT) auf das freie Spiel der Erkenntniskräfte, wobei AT in § 6 erst aus UT gefolgert wird. Daher kann UT nicht mittels der Reflexionsaktivität des freien Spiels begründet werden, ohne dabei zirkulär zu verfahren. Schließlich lässt sich noch ein Argument über denjenigen Bedeutungskontext von UT konstruieren, der auf Materie und Form abhebt. Ich habe ausgeführt, dass die Lust am Schönen in doppelter Hinsicht unabhängig von der Materie ist: Erstens ist sie unabhängig von der Materie der Erscheinung, d. h. der Empfindung; zweitens ist sie unabhängig von der Materie der Willkür, d. h. einem Zweckbegriff. Dass die Lust am Schönen keine Lust an der Existenz des Gegenstandes, also kein Interesse, ist, kann dann auch so verstanden werden, dass sie weder auf die Materie der Erscheinung noch auf die Materie der Willkür zurückzuführen ist. In diesem Sinne wäre das folgende Argument denkbar: P1

Ein Interesse ist immer entweder in der Materie der Erscheinung (Empfindung) oder in der Materie der Willkür (Zweck) gegründet. P2 Die Lust am Schönen ist in der Form des Gegenstandes (nicht in der Materie) und in einer formalen Zweckmäßigkeit (ohne Zweck) gegründet. Also: Die Lust am Schönen ist kein Interesse.

Dieses Argument ist aus ähnlichen Gründen wie das vorige problematisch: Erstens hat Kant im Ersten Moment das nötige Material für dieses Argument noch nicht entwickelt, da insbesondere die Formthese erst im Dritten Moment angeführt wird. Zweitens nimmt Kants Gesamtargumentation, die im Dritten Moment auf die FormKants Philosophie des Schönen

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these und die Zweckmäßigkeit ohne Zweck führt, bei UT ihren Ausgang. Es wird also von UT vermittelt über andere Argumentationsschritte auf die Formthese und die Zweckmäßigkeit ohne Zweck geschlossen, sodass UT nicht aus diesen Thesen abgeleitet werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass wir uns im Rahmen der epistemischen Argumentationsstrategie befinden; im Sinne der vermögenstheoretischen Argumentationsstrategie sind alle genannten Argumente sinnvoll. 96 Damit ergibt sich bezüglich einer Begründung für UT insgesamt das folgende Bild: i. Alle Argumente für UT scheitern daran, dass das nötige Material in § 2 noch nicht zur Verfügung steht und dass Kant dieses Material vielmehr erst mittels UT herleitet. ii. Kant muss UT nicht durch ein Argument begründen, sondern kann auf die Erfahrungen seiner Leserinnen und Leser mit der Lust am Schönen rekurrieren. Die uninteressierte Lust am Schönen ist das gefühlte Faktum des Schönen.

2.4.3 Das Palast- Beispiel Führen wir uns abschließend noch das Beispiel vor Augen, das Kant zwischen den einzelnen Formulierungen von UT einfügt. In besagtem Beispiel stellt Kant die Frage, was man von einer Person wissen will, wenn man sie fragt, ob sie einen bestimmten Palast schön finde. Kant führt mehrere Dinge an, die man in diesem Fall nicht wissen möchte. Konkret heißt es: § 2.A.4 »Wenn mich jemand fragt, ob ich den Pallast, den ich vor mir sehe, schön finde; so mag ich zwar sagen: [a1] ich liebe dergleichen Dinge nicht, die blos für das Angaffen gemacht sind, [a2] oder, wie jener Irokesische S a c h e m , 9 7 ihm gefalle in Paris nichts besser als die Garküchen; [b] ich kann noch überdem auf die Eitelkeit der Großen auf gut R o u s s e a u i s c h schmälen, welche den Schweis des Volks auf so entbehrliche Dinge verwenden; [c] ich kann mich endlich gar leicht überzeugen, daß, wenn ich mich auf einem unbewohnten Eylande, ohne Hofnung jemals wieder zu Menschen zu kommen, befände, 96 97

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Siehe erneut Unterpunkt 3.2 der Einleitung zu diesem Kommentar. Kant bezeichnet damit den Häuptling eines Stammes der Irokesen.

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und ich durch meinen bloßen Wunsch ein solches Prachtgebäude hinzaubern könnte, ich mir auch nicht einmal diese Mühe darum geben würde, wenn ich schon eine Hütte hätte, die mir bequem genug wäre. § 2.A.5 Man kann mir alles dieses einräumen und gutheißen; nur davon ist jetzt nicht die Rede« (204,30).

In den einzelnen Propositionen [a1]-[c] grenzt Kant das Urteil »Dieser Palast ist schön« von anderen Urteilen ab, die sich jeweils auf das Angenehme, Nützliche und moralisch Gute beziehen. In [a2] skizziert er ein Beispiel für das Angenehme; denn die Garküchen referieren wohl auf eine Lust, die an leckerem Essen (oder dem Geruch davon), d. h. unmittelbar an einer Empfindung, gefühlt wird. In [b] schildert er ein Beispiel für ein Urteil über das moralisch Gute; denn das Verhalten des Herrschers (›der Großen‹), die Arbeitskraft seines Volkes zu verschwenden, wird hier wohl als moralisch verwerflich beurteilt. In [c] schildert Kant schließlich den Fall eines Urteils über das Nützliche; denn der Palast als Prachtgebäude wird wohl als unnütz für das einsame, nicht gesellschaftliche Leben auf einer Insel beurteilt. 98 Die Proposition [a1] lässt sich schließlich in keine der drei Kategorien (angenehm, nützlich, gut) einordnen, sondern ist im Sinne einer Meta-Reflexion über das Angenehme zu verstehen. 99 So wäre eine Lust am Angaffen [a1] wohl eine Lust am Angenehmen, insofern nämlich das ›Gaffen‹ ein unreflektiertes und nicht intellektuell verarbeitetes Wahrnehmen bezeichnet. Dass man ›dergleichen Dinge, die blos für das Angaffen gemacht sind‹, nicht liebt, deutet auf zweierlei hin: Erstens könnte damit gemeint sein, dass man (bspw. als Asket) grundsätzlich Dinge ablehnt, die bloß auf angenehme Empfindungen abzielen; zweitens könnte damit auch gemeint sein, dass man bei Dingen, die primär auf eine Lust am Angenehmen abzielen, sich nicht in eine ästhetische Einstellung versetzen will bzw. kann und somit keine Lust am Schönen empfinden bzw. den Gegenstand nicht lieben kann. 100 So oder so wird deutlich, dass im Fall [a1] eine Art Meta-Urteil über zum Zweck des Angenehmen geschaffene Für ein ähnliches Beispiel vgl. Anth: 240. Crawford versteht dieses Beispiel allerdings als ein Beispiel für das Nützliche (vgl. Crawford 1974, 43). 100 Es ist auffällig, dass Kant den Begriff des Liebens in der KU unter den drei Arten der Lust für die Lust am Schönen zu reservieren scheint. Vgl. hierzu 267,35; 271,25; 299,8; 380,20. 98 99

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Gegenstände gefällt wird. Wir können das Palast-Beispiel also folgendermaßen rekonstruieren: § 2.A.4R1 Wenn mich jemand fragt »Ist dieser Palast hier schön?«, könnte ich das Folgende antworten: (a1) Ich liebe Dinge nicht, die bloß für das Angaffen, d. h. für das Angenehme, gemacht sind. Der Palast ist ein Ding, das bloß für das Angaffen gemacht ist. 101 [Meta-Reflexion über angenehme Produkte] (a2) Ich könnte (wie jener irokesische Sachem) antworten: Mir gefällt in Paris nichts besser als die Garküchen. [Dies wäre ein Urteil über das Angenehme.] (b) Ich kann meinen Unmut über die Eitelkeit der Herrscher äußern, welche die Arbeitskraft des Volks auf so unnötige Dinge wie einen Palast verwenden. [Dies wäre ein Urteil über das moralisch Gute.] (c) Ich kann mich von Folgendem überzeugen: Wenn ich mich auf einer unbewohnten Insel befände und ich durch meinen bloßen Wunsch einen Palast hinzaubern könnte, würde ich mir die Mühe, einen Palast hinzuzaubern, nicht machen, wenn ich schon eine Hütte hätte, die mir bequem genug wäre. [Dies wäre ein Urteil über das Nützliche.]

Kant grenzt das Schöne dann in § 2.A.5 von allen diesen vier Fällen ab: § 2.A.5R1 Man kann mir alles dieses [§ 1.A.4a–c] einräumen und gutheißen; nur davon ist jetzt, d. h. bei einem Urteil über das Schöne, nicht die Rede.

Insgesamt nimmt das Beispiel die Abgrenzung der Geschmacksurteile von Urteilen über das Angenehme und Gute vorweg, die Kant in den nächsten drei Paragraphen entwickeln wird. Aber das Palast-Beispiel ist auch innerhalb der phänomenologischen Argumentationsstrategie von Relevanz. Denn es ist der Kern dieses Beispiels, dass alle geschilderten Fälle (eines Urteils über das Angenehme, moralisch Gute und Nützliche) keine Beispiele für Urteile über das Schöne sind; und für diese Abgrenzung wird nicht argumentiert, sondern sie wird vielIn allen Fällen – mit Ausnahme von [1b] – schwingt immer mit, dass das Schöne keine Funktionalität besitzt, d. h. ohne Zweck ist (›nur für das Angaffen gemacht‹, ›so entbehrliche Dinge‹).

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mehr einfach als offenkundig vorausgesetzt. Dies spricht dafür, dass Kant an die Erfahrung seiner Leserschaft appelliert, denen der Bereich des Schönen als distinkt vom Angenehmen und Guten in phänomenaler Hinsicht gegeben ist.

2.5 Zusammenfassung Lust ist durch ein dreifaches Erhaltungsmoment ausgezeichnet: Erstens ist die Lust ein positives Gefühl, das wir erhalten wollen; zweitens sind wir uns in der Lust bewusst, dass eine Vorstellung die Lust verursacht und erhält; und drittens wollen wir daher die Vorstellung erhalten. Kant muss seiner Theorie des Schönen keine Begriffsbestimmung der Lust voranstellen, weil jeder ein phänomenales Bewusstsein davon hat, was Lust ist, nämlich ein Gefühl, das sich positiv anfühlt (phänomenaler Gehalt der Lust). Kant bestimmt das »Interesse« als eine Form von Lust, die durch die Existenzbedingung und die Begehrensbedingung gekennzeichnet ist. Der Interessensbegriff wird dabei weit und nicht intellektuell gefasst. Insgesamt besteht das Interesse im Sinne der KU aus zwei grundlegenden Formen: dem Interesse am Angenehmen und dem Interesse am Guten. Der phänomenale Gehalt eines Interesses ist dadurch charakterisiert, dass es sich als ein Begehren anfühlt. Ausgehend von dieser Bestimmung von »Interesse« charakterisiert Kant die Lust am Schönen als uninteressiert (UT). Diese These ist auf der Argumentationsstufe von § 2 eigentlich unverständlich; sie kann erst mit Rückgriff auf die im Anschluss eingeführten Theoriebausteine entfaltet werden. Erstens bedeutet UT dann, dass die Lust am Schönen keine unmittelbare Lust an der Existenz des Gegenstandes ist, sondern eine unmittelbare Lust an einer inneren Vermögensaktivität (freies Spiel), die keine Aktivität des Willens oder Begehrungsvermögens ist. Zweitens bedeutet UT, dass die Lust auf Seiten des Gegenstandes nicht an der Empfindung als Materie der Vorstellung, sondern an der Form gefühlt wird, sowie dass die Lust auf einer Form der Zweckmäßigkeit beruht, d. h. auf einer Zweckmäßigkeit ohne einen Zweck, der den Willen bestimmen könnte. UT bedeutet insbesondere nicht, dass uns der Gegenstand völlig gleichgültig ist. Vielmehr werden die Existenzbedingung und die Begehrensbedingung durch eine Präsenzbedingung und eine Verweilensbedingung ersetzt. Charakteristisch ist für die Lust am Schönen insbesondere, Kants Philosophie des Schönen

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dass sie keine praktischen Implikationen im Sinne eines Hervorbringens eines Gegenstandes hat. UT kann schließlich als eine These sowohl über die ästhetische Erfahrung als auch die ästhetische Einstellung verstanden werden. Schließlich stellt sich die Frage nach einem Argument oder einer Begründung für UT. In § 2 selbst findet sich kein solches Argument, und auch mit Rekurs auf die folgenden Paragraphen und Theoriebausteine lässt sich kein Argument konstruieren, das nicht (implizit) UT schon voraussetzen würde. Stattdessen habe ich dafür plädiert, dass Kant UT als in der Erfahrung (phänomenal) gegeben voraussetzen kann: Wir wissen, dass die Lust am Schönen uninteressiert ist, weil sich unsere Erfahrungen mit dem Schönen uninteressiert, d. h. nicht als Begehren, anfühlen. Kants Einstieg in die Theorie des Schönen vollzieht sich in diesem Sinne mittels eines gefühlten Faktums der uninteressierten Lust.

2.6 Literaturbericht Ich habe meine Analyse von § 2 mit einem Exkurs zu Kants Verständnis der Lust begonnen und mich dabei insbesondere auf die Bestimmung der Lust in § 10 berufen. Dabei habe ich vorgeschlagen, dass die Lust durch drei Erhaltungsmomente ausgezeichnet ist. Wie wird die Lust in der Literatur verstanden? Nur zwei Erhaltungsmomente scheint Wenzel zu identifizieren, wenn er schreibt: »The representation seems to cause our pleasure, and our becoming aware of this seems to be the cause for our wanting to remain in this state« (Wenzel 2008, 56). Wenzel beschreibt aber nicht das von mir identifizierte dritte Erhaltungsmoment, welches besagt, dass sich die Lust positiv anfühlt und wir sie deswegen erhalten wollen. Allison schlägt eine Interpretation vor, die den von mir identifizierten drei Erhaltungsmomenten nahekommt: »it is our liking for the representation (and the object occasioning it) that stems from our consciousness of its capacity to keep us in a mental state; but it has this capacity only because the state itself (not the causal power of the representation to preserve it) is inherently pleasurable, which induces the subject to endeavor to remain in it« (Allison 2001, 123). Demnach ist der Gemütszustand lustvoll, weshalb wir ihn erhalten wollen und weshalb dann die Vorstellung ihr Potential entfaltet, den Zustand zu erhalten. Problematisch scheint mir daran aber, dass die Vorstellung doch eigentlich den Gemütszustand unabhängig davon, ob dieser Zustand lustvoll ist, erhält. Das Sich-lustvoll-oder-positiv-Anfühlen ist nur ausschlaggebend dafür, ob wir uns der Vorstellung weiter aussetzen. Interessant ist aber an Allisons Position, dass er die Rolle der Lust als Lebensgefühl he-

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rausstellt. Er schreibt, »that the feelings of pleasure and displeasure be viewed respectively as a sense of the increase or diminution of one’s level of activity, particularly as a thinking being« (Allison 2001, 122). Eine sehr ähnliche Position werde auch ich im weiteren Verlauf dieser Arbeit vertreten. 102 Fricke proklamiert ein begriffliches Verständnis der Lust, wenn sie in Bezug auf die Bestimmung der Lust in § 10 schreibt: »Als Zweckvorstellung hat die so definierte Lust den Status einer (wenn auch nicht hinreichenden) Ursache der Wirklichkeit des Gegenstandes dieser Vorstellung, einer Ursache, die allerdings nicht nur begriffliche Vorstellung, sondern auch Gefühlsempfindung ist« (Fricke 1990, 79). Damit scheinen aber die jeweils nicht-begriffliche Lust am Angenehmen und die Lust am Schönen nicht berücksichtigt zu werden. Zudem würde jede Lust ein Interesse sein. Letzteres scheint auch Kulenkampff in seiner Rekonstruktion der Bestimmung aus § 10 nahezulegen: »Diese [die Lust] besteht also a) in dem Bewußtsein, daß ein bestimmter Sachverhalt einen subjektiv fühlbaren Effekt hat, und b) in der damit immediat gegebenen Absicht, diesen Zustand zu erhalten. Das heißt, die unmittelbar empfundene Lust an etwas impliziert das Interesse an der Ursache als dem angemessenen Mittel, den Zustand der Lust […] wiederzuerzeugen oder aufrechtzuerhalten« (Kulenkampff 1994, 127). Etwas vorsichtiger schreibt Zuckert der Lust eine motivationale Kraft zu: »pleasure seems to be in itself an end-state, a state in which we want to remain; an end of action. But pleasure is also motivational: If we are pleased by something, that pleasure motivates us to act, to seek out that thing. Kant’s definition of pleasure, as consciousness of a present state as causing one to want to maintain that state in the future, captures both of these aspects of pleasure – its intrinsic ›value‹ or ›satisfying‹ character, and its motivating force« (Zuckert 2002, 245; vgl. auch Zuckert 2007). Zuckert kennzeichnet die Lust zudem als intentional (s. u.) und formal, wobei der formale Aspekt der Lust in ihrer »future directedness« (Zuckert 2002, 240), d. h. einer Relation in der Zeit, bestehe. Ferner versteht Zuckert die Lust insbesondere nicht als »indefinable, primitive mental state« (Zuckert 2007, 233 & Zuckert 2002, 240). Damit wendet sie sich explizit gegen Guyers Verständnis der Lust. Dieser vertritt die These, dass das Gefühl der Lust über keinen spezifischen phänomenalen Gehalt bzw. keine spezifische Qualität verfüge, sodass verschiedene Formen von Lust nicht unterscheidbar seien. So konstatiert er etwa, alle Gefühle der Lust seien »qualitatively identical« (Guyer 1979, 117 & Guyer 2018, 155; vgl. ähnlich auch Kern 2000, 21), es gebe eine »phenomenological uniformity of different feelings of pleasure« (Guyer 1979, 118), und »its [the pleasure’s] content as a conscious state of the mind is the same« (Guyer 1979, 118). Jüngst hat Guyer dieses Verständnis als »opaque-sensation model« bezeichnet (Guyer 2018, 164). Dieses er-

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Siehe Kap. 4.1.1 und 9.6.3.

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gänzt er um ein »dispositional model«, bei dem die Lust darin besteht, »just to feel disposed to continue in one’s state« (Guyer 2018, 157). Guyers Verständnis der Lust ist insbesondere auch dadurch ausgezeichnet, dass die verschiedenen Arten von Lust »internally opaque with regard to their diverse causal histories or relations to their objects« seien (Guyer 1979, 119). Dies schließt vor allem ein, dass Lust nicht durch Intentionalität ausgezeichnet ist. Allerdings geht, so haben wir gesehen, bereits aus der Bestimmung der Lust in § 10 hervor, dass sie intentional auf ihr Objekt gerichtet ist. Auch in der Sekundärliteratur wird und wurde Guyer vielfach dafür kritisiert, der Lust ihre Intentionalität absprechen zu wollen, etwa prominent durch Aquila (1982) und Allison (2001). Letzterer vertritt ein Modell, in dem die Lust am Schönen intentional auf das freie und harmonische Spiel der Erkenntniskräfte gerichtet ist (vgl. Allison 2001, 53 f. & 122 f.). Ginsborg unterstützt einerseits Allisons intentionales Modell (vgl. Ginsborg 2015, 94–110), wendet sich aber gegen Allisons Annahme, auf die Lust am Schönen müsse dennoch eine Reflexionsaktivität folgen, um ein Geschmacksurteil zu erzeugen. 103 Ginsborg wertet die Intentionalität der Lust gerade als einen Beleg dafür, dass die Lust selbst bereits das Geschmacksurteil sei. Ein weiteres intentionales Modell der Lust wird von Zuckert (2002 & 2007) vertreten. Sie schreibt: »Kant does not mean by ›feeling‹ that pleasure is an indefinable, primitive mental state, as empiricists tend to assume. Instead, pleasure is apparently a mental state that is about another mental state, specifically about the continuation in time of that mental state. [Absatz] Thus pleasure is an intentional or second-order mental state« (Zuckert 2007, 233). Dabei sei Lust zudem »the consciousness of a representation as a state of the subject« (Zuckert 2007, 233), sodass die Lust mindestens indirekt auch immer auf ein Objekt gerichtet sei (vgl. auch Zuckert 2002, 249). Eine Intentionalität der Lust (am Schönen) bezüglich des Objekts nehmen ebenfalls McCloskey (vgl. 1987, 18–23) sowie Prauss (1981) an. Letzterer entlehnt die Intentionalität der Lust aber aus seiner These, dass dem interesselosen Wohlgefallen eine Objektkonstitution im Sinne eines theoretischen Urteils vorhergehe (vgl. Prauss 1981, 275 f.). Das Hauptthema von § 2 ist freilich nicht die Bestimmung der Lust, sondern die Uninteressiertheitsthese. Um diese zu verstehen, ist es jedoch unverzichtbar, zunächst nachzuvollziehen, was ein Interesse ist. Umso erstaunlicher ist es, dass sich etwa bei Esser (1997), 104 Kern (2000) und Wenzel (2000 & 2008) keine Bestimmung des kantischen Interessensbegriffs in der KU findet. Nur sehr knappe und vage Erläuterungen des Interessensbegriffs finden sich unter anderem bei Meerbote (»In a state of interested pleasure, a person takes an interest in the existence of the object of his pleasure«; MeerSiehe hierzu meine Ausführungen zum ›two-acts model‹ in Grundlagen 2. Die Uninteressiertheitsthese scheint allerdings für Essers Rekonstruktion der kantischen Theorie insgesamt nicht von großer Wichtigkeit zu sein.

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bote 1982, 59) und Crowther (»It is pleasure grounded on the real existence of its object«; Crowther 2010, 70). An Crowthers Bestimmung des Interesses fällt jedoch ins Auge, dass er Interesse implizit als eine Art von Lust versteht. Auch Fricke betont: »Interesse ist selbst ein Wohlgefallen« (Fricke 1990, 16). Ebenso bestimmt Crawford Interesse als »a feeling of pleasure« (Crawford 1974, 38). Kulenkampff unterscheidet »die realisierte oder antizipierte unmittelbare Lust an etwas und die motivierende Lust, etwas zu tun, die Lust zu etwas« (Kulenkampff 1994, 74); und er ergänzt dann zum Interesse: »im konkret bestimmten Willen liegt ein komplexes Verhältnis beider vor, das Kant Interesse nennt« (Kulenkampff 1994, 75). Dass bzw. ob das Interesse ein (wie auch immer geartetes) Gefühl der Lust ist, ist in der Literatur durchaus umstritten. Explizit nicht als Lust interpretiert Matthews das Interesse: »Although Kant appears to identify pleasure with interest, we should understand this as the claim that interest is always connected with pleasure« (Matthews 1997, 20 f.). Kern schreibt zwar nicht explizit, dass das Interesse kein Gefühl der Lust sei, nutzt aber Formulierungen, die ebendies nahelegen, etwa: »Während […] das Interesse an der Existenz des Angenehmen durch das Gefühl der Lust allererst hervorgebracht wird, besteht das Interesse an der Existenz des Guten unabhängig vom Gefühl der Lust« (Kern 2000, 25). Guyer sieht zwar, dass Kant »Interesse« in § 2 als Lust identifiziert, bemerkt aber, das Interesse müsse eher »a source rather than a kind of pleasure« sein (Guyer 1979, 174 f.). Er schreibt zudem: »the interest is more intelligibly equated with the conceptualization of the object as promising delight than with the feeling of pleasure itself« (Guyer 1979, 183). Aus dieser Bestimmung des Interesses erhellt, dass Guyer einen intellektuellen Interessensbegriff proklamiert, bei dem ein Interesse immer die Anwendung eines Begriffs voraussetzt. So schreibt er: »an interest is always a concept of an object or action which has a relation to the faculty of desire: it is a cognitive representation which is an incentive for that faculty« (Guyer 1979, 187). 105 Ähnlich heißt es bei Hilgers, ein Interesse sei »an incentive that makes us seek, do, or produce something according to a conception of it« (Hilgers 2017, 17). Einen intellektuellen Interessensbegriff vertritt auch Fricke, wenn sie schreibt: »Mit der Interessenahme an der Existenz eines Gegenstandes ist also immer eine begriffliche Vorstellung von ihm sowie von dem lustvollen Empfindungszustand, den er zu bewirken vermag, verbunden« (Fricke 1990, 16). Zuckert versteht Interesse Dieses Zitat entstammt einer umfassenden Bestimmung des Interesses durch Guyer. Weiter heißt es darin: »Second, an interest is always connected to the existence of an object, for an incentive of the will is always an incentive to will the existence of something. Third, interest is always connected to delight, for an incentive to will something is either a promise of pleasure in its existence or the conformity of the object of the will to the moral law, the consciousness of which produces a feeling of or like pleasure« (Guyer 1979, 187).

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als »rule-governed« (Zuckert 2007, 253). Dazu führt sie genauer aus: »interested pleasures are interested in that they are connected lawfully to the power of desire and thence causally to the existence of objects« (Zuckert 2007, 261). Allison bezieht das Interesse auf Zweckbegriffe: »What is liked is not the mere existence of some object or state of affairs per se, but rather its contribution to the attainment of some desired end« (Allison 2001, 90). Dabei geht er insbesondere davon aus, Kant habe seinen Interessensbegriff in der KU im Vergleich zur KpV und GMS nicht tiefergreifend verändert (vgl. Allison 2001, 88). Eine der wenigen AutorInnen, die explizit einen nicht-intellektuellen, weiten Interessensbegriff proklamiert, ist Matthews. Dabei betont sie, dass beim Interesse am Angenehmen keine begriffliche Erfassung des Objekts erfordert sei (vgl. Matthews 1997, 21). Bei meiner Analyse habe ich herausgestellt, dass Kant den Interessensbegriff durch zwei Bedingungen charakterisiert: die Existenzbedingung und die Begehrensbedingung. In der Sekundärliteratur wird diese Differenzierung nur in seltenen Fällen nachgezeichnet. Explizit wird zwischen diesen beiden Bedingungen bei McCloskey unterschieden (vgl. McCloskey 1987, 30 ff.), wobei sie diese Bedingungen aber letztlich beide für nicht hinreichend erachtet. Ginsborg (2008) entfaltet die beiden Bedingungen zwar nicht mit Bezug auf das Interesse, aber mit Bezug auf die Interesselosigkeit. Interesselos sei nämlich ein Wohlgefallen, das »nicht verbunden […] mit einer Vorstellung der ›Existenz‹ des Gegenstandes« sei und das »keine Beziehung zum Begehrungsvermögen« habe (Ginsborg 2008, 61). Kants Hauptaugenmerk in § 2 liegt auf der Uninteressiertheitsthese UT. Ich habe hier eine umfassende Deutung von UT mit zwei Bedeutungsebenen und jeweils zwei Abgrenzungskriterien zum Interesse am Angenehmen und Guten vorgeschlagen. Eine solche umfassende Bestimmung von UT findet sich, so scheint mir, bislang nicht in der Sekundärliteratur, jedoch finden sich bisweilen Einzelaspekte. Eine bloße Erwähnung ohne weiterführende Interpretation findet UT bei Esser (Esser 1997, 61). 106 Wird UT genauer rekonstruiert, sind etwa Rekonstruktionen verbreitet, bei denen die Uninteressiertheit der Lust primär in der Ermangelung eines Bezugs zum Wollen bzw. zum Willen besteht. Crawford formuliert, die uninteressierte Lust am Schönen sei »not connected to desire or the will« (Crawford 1974, 46). Matthews schreibt: »objects of beauty are not primarily related to the will« (Matthews 1997, 25); vielmehr würden sie primär auf ›Erkenntnis überhaupt‹ bezogen. Kulenkampff schreibt, dass die Lust am Schönen »keinerlei ausdrückliche Rücksicht auf den Zustand des Subjekts [nimmt] und […] keine Beziehung auf das Subjekt eines Willens oder möglicher HandAn anderer Stelle formuliert Esser UT bloß in Abgrenzung zum Angenehmen: »Ästhetische Urteile [d. h. Urteile über das Schöne] bringen keine private Befindlichkeit zum Ausdruck. Sie formulieren ›kein Interesse‹. Daher bezeichnen sie nicht den unmittelbaren Effekt, den eine Darstellung im Betrachter auslöst« (Esser 2000, 128).

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lungen [enthält]«; sie könne »deshalb keine Lust zu etwas meinen«, sondern nur eine Lust an etwas (Kulenkampff 1994, 76). An anderer Stelle schreibt er, die Lust am Schönen sei »als Ausdruck von etwas zu begreifen, was zwar aktuell den einzelnen Betrachter des schönen Gegenstandes betrifft, aber doch gerade nicht von seiner Privatnatur abhängt« (Kulenkampff 1995, 31). Allison bestimmt UT als Unabhängigkeit der Lust am Schönen von (sinnlichen oder moralischen) Bedürfnissen (vgl. Allison 2001, 94). Ähnlich schreibt Zangwill: »pleasure is disinterested when the route from the representation of the object to the response of pleasure entirely bypasses desire« (Zangwill 1992, 149 f.). Auch nach Prauss ist UT letztlich als Abgrenzung vom Wollen im Sinne der Verwirklichung eines Gegenstandes zu begreifen: »In praktischer Einstellung ist ein Subjekt stets auf die Existenz von etwas aus, indem es versucht, im weitesten Sinne des Wortes etwas noch nicht Wirkliches allererst zu verwirklichen. In ästhetischer Einstellung dagegen ist ein Subjekt, nach Kant, an der Existenz von etwas ›uninteressiert‹ in dem Sinne, dass es dabei in ›blossem Urteil‹ über etwas begriffen ist, in ›blosser Betrachtung‹ oder in ›blosser Kontemplation‹« (Prauss 1981, 267). 107 Im weiten Sinne lässt sich ferner Wenzels sehr allgemeines Verständnis von UT als Abgrenzung vom Wollen oder Begehren begreifen: »Ich muß in dieser Beurteilung ganz unabhängig von der Frage nach der Existenz des Gegenstands sein. Ich muß frei von jeglichem Interesse sein, sei es ihn zu haben und zu genießen oder sei es ihn hervorzubringen« (Wenzel 2000, 80). McCloskey differenziert zwischen einer negativen und einer positiven Bedeutung von UT, wobei die negative Bedeutung im Sinne der Unabhängigkeit vom Wollen zu verstehen ist: »We may take ›disinterested pleasure‹ to mean solely a pleasure which does not presuppose a pre-existing want of the subject. On the other hand, we may take it to mean that it is a pleasure which is felt towards the object which itself pleases rather than towards the subject’s getting, having or making use of the object« (McCloskey 1987, 35). 108 Anders als in der von mir vertretenen Rekonstruktion von UT bezieht sie die positive Bedeutung von UT aber nicht auf das freie Spiel der Erkenntniskräfte. Auf die Unabhängigkeit vom Wollen, aber auch auf die Unabhängigkeit von der Existenz des Gegenstandes ist die Interpretation von Longuenesse bezogen: »To say that aesthetic pleasure is disinterested is not to say that the object doesn’t need to exist for the pleasure to be elicited. Rather, it is to say that the object’s existence is not Prauss betont dabei, dass wir letztlich auch in theoretischer Einstellung, d. h. wenn wir theoretische Urteile über einen Gegenstand fällen, auf die praktische Hervorbringung dieses Gegenstandes ausgerichtet seien. UT diene daher nicht nur als Abgrenzung von praktischen Urteilen, sondern auch von theoretischen Urteilen. 108 McCloskey bemängelt, dass Kant mit dieser These die Lust am Schönen nicht vom wissenschaftlichen Interesse abgrenzen könne und dass Kants Theorie im Ersten Moment daher unvollständig sei (vgl. McCloskey 1987, 36). 107

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what causes our pleasure; nor does our faculty of desire strive to cause the existence of the object. Instead, the object’s existence is only the occasion for the pleasure, which is elicited by what Kant calls the ›free play of the imagination and the understanding‹ in apprehending the object« (Longuenesse 2006, 197). Aus diesem Zitat geht auch hervor, dass Longuenesse UT explizit nicht so versteht, als könne die Lust am Schönen bloß an einem imaginierten oder erträumten Gegenstand empfunden werden (vgl. hierzu auch Fricke 1990, 25). Andere KommentatorInnen vertreten dagegen die These, es gehöre zur Bedeutung von UT, dass wir die Lust am Schönen an imaginierten oder erträumten Gegenständen empfinden könnten. So schreibt Makkreel: »Kants Behauptung, daß ästhetische Lust ohne Interesse auftritt, bedeutet, daß ich gegenüber der Existenz des beurteilten Gegenstandes indifferent sein muß. Meine Indifferenz gegenüber der Existenz eines ästhetischen Gegenstands meint, daß er keins meiner empirischen Interessen befriedigt. Der ästhetische Gegenstand könnte ebenso gut ein bloß eingebildeter sein« (Makkreel 1997, 121). Ähnlich schreibt Wenzel: »I should be free from considerations regarding the existence of the object, that is, my satisfaction should not depend on them. I should not be disappointed when I realize that it was all only a dream« (Wenzel 2008, 20). Auch bei Crowther findet sich ein Verweis auf imaginierte bzw. illusionäre Gegenstände. Er versteht Uninteressiertheit als »a logical rather than psychological criterion of the aesthetics. This holds, simply, that in order to take pleasure in the way a form appears to the senses per se it is not logically presupposed that we believe the object to have any broader practical significance or value for us. In fact, in the strictest terms, mere illusion or appearance will do just as well« (Crowther 2010, 71 f.). 109 Ein weiterer, sehr einflussreicher Ansatz zum Verständnis von UT wurde von Guyer entwickelt. Dieser Ansatz beruht darauf, dass das Schöne nicht-begrifflich ist, wobei zudem ein intellektueller Interessensbegriff angenommen wird. So schreibt Guyer: »Since an interest, whatever else it is, is always a concept of an object, and since the beautiful is the object of a judgment made apart from any concept of an object, the beautiful must be the object of a judgment made apart from any interest« (Guyer 1979, 187 f.; vgl. auch 190, 199 f.). Ähnlich heißt es auch bei Meerbote: »The reason why the pleasure is disinterested is that because of the absence of determinate concepts and hence of any specific epistemic goals there are no sources of interest of any kind« (Meerbote 1982, 73). Eine abgewandelte Version dieser Interpretation vertritt Zuckert, die UT auf die Unabhängigkeit des Schönen von Zweckbegriffen zurückführt. Sie schreibt, die Lust am Schönen sei »purposive without a purpose (or, equivalently, I shall argue, disinterested)« (Zuckert 2007, 231; vgl. auch 262 f.). Auch ich habe dafür plädiert, dass UT zum Teil bedeutet, dass die Lust am Schönen Crowther wendet sich zudem gegen Dickies Verständnis von Uninteressiertheit als »some kind of detached psychological attitude« (Crowther 2010, 71).

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auf einer Zweckmäßigkeit ohne Zweck beruht, wobei kein Zweck potenziell den Willen bestimmen kann. Zuckert deutet ferner an einer Stelle an, UT hänge damit zusammen, dass die Lust am Schönen nicht bloß passiv empfangen werde, sondern auf einer Aktivität des Subjekts beruhe, die keine Aktivität des Willens sei (vgl. Zuckert 2007, 265). Ich habe diese These in dieser Arbeit selbst vertreten. Kehren wir noch einmal zur Interpretation von UT im Sinne der Begriffslosigkeit des Schönen zurück. Gegen diese Interpretation (und dabei explizit gegen Guyer) wendet sich Fricke. Sie stellt zudem heraus, dass wir sehr wohl empirische Begriffe von als schön erlebten Gegenständen bilden könnten (vgl. Fricke 1990, 21 f.). Sie schlägt stattdessen eine Rekonstruktion von UT vor, die an den Kontrast von Materie und Form der Vorstellung gebunden ist: »Am angenehmen Gegenstand gefällt einem Menschen also die Beziehung der Existenz dieses Gegenstandes auf sich, dieser Gegenstand gefällt in der Empfindung. Am schönen Gegenstand dagegen […] gefällt nicht die Existenz oder die Empfindung, nicht der materiale Gehalt seiner anschaulichen Vorstellung, sondern der formale Gehalt dieser Vorstellung sowie die Reflexion über dieselbe« (Fricke 1990, 26). Damit sei »jedoch ein Interesse an dem formalen Gehalt der anschaulichen Vorstellung des Schönen und an der Reflexion über diesen nicht aus[geschlossen]« (Fricke 1990, 27). Dass UT nicht bedeutet, wir hätten gar kein Interesse am Schönen, wird auch von verschiedenen anderen AutorInnen betont. Insbesondere wird dabei oft herausgestellt, dass die Lust am Schönen bzw. das Geschmacksurteil zwar auf keinem Interesse beruhen dürfe, wohl aber ein Interesse bewirken könne (vgl. Allison 2001, 96; Crawford 1974, 50–53). Erwähnenswert sind schließlich noch Kerns und Ameriks’ Untersuchungen zu UT. Kern nimmt die folgende Rekonstruktion von UT vor dem Hintergrund der Abgrenzung vom Angenehmen und Guten vor: »Das Wohlgefallen am Schönen empfinden wir weder, weil das Schöne für unser glückseliges Leben gut ist, noch, weil es gut überhaupt ist. Es ist ein Vergnügen, das wir vielmehr gar nicht mit Bezug auf etwas, als nur ›um seiner selbst willen‹ empfinden« (Kern 2000, 28). Ameriks’ Untersuchungen beziehen sich weniger auf den Inhalt als auf die Rolle von UT. Er schreibt UT keine logische Funktion in Kants Argumentationsgang, sondern bloß eine epistemische Funktion für das urteilende Subjekt zu: »disinterest might be helpful, not logically but epistemologically, for distinguishing aesthetic judgments; a judgment’s not appearing interested […] to us may be a ground for considering that judgment genuinely aesthetic« (Ameriks 2003, 295). Eigentlich sei UT aber auch epistemisch entbehrlich; denn »determining disinterestedness is impossible or insignificant without first determining certain features of the object to which the judgment is directed« (Ameriks 2003, 295; vgl. 305). Diese Kritik beruht darauf, dass Ameriks Schönheit als objektive Eigenschaft versteht. Ein wichtiges Anliegen meiner Rekonstruktion von UT besteht darin, zu zeigen, dass diese These auch eine phänomenologische Bedeutung hat, Kants Philosophie des Schönen

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§ 2 Die Uninteressiertheitsthese

d. h. auch als Charakterisierung des phänomenalen Gehalts der Lust am Schönen verstanden werden muss. Soweit mir bekannt, scheint eine solche phänomenologische Bedeutung von UT bislang in der Literatur kaum und jedenfalls nicht in voller Konsequenz vertreten zu werden. Einzig bei Wenzel findet sich die folgende Annahme: »Daß das Wohlgefallen am Schönen ein interesseloses ist, ist für Kant ein empirisches Faktum« (Wenzel 2000, 79); und: »Die Interesselosigkeit des Wohlgefallens ist für Kant einfach faktisch, dem phänomenalen Befund nach, ein Grund der Bejahung der Schönheit eines Gegenstandes« (Wenzel 2000, 80). Leider erläutert Wenzel diese These nicht weiter. Explizit gegen ein phänomenologisches Verständnis von UT wenden sich Kern (2000, 21), Kulenkampff (1994, 76) sowie Guyer. Letzterer schreibt: »In defining the ›quality‹ of aesthetic judgment Kant is not making a phenomenological distinction between different kinds of feelings of pleasure, but a distinction between the ways in which different instances of pleasure may be occasioned« (Guyer 1979, 171; vgl. auch 203 f.). Ferner habe ich herausgestellt, dass UT nicht nur eine These über die ästhetische Erfahrung, sondern auch über die ästhetische Einstellung ist. Dass Uninteressiertheit eine Charakterisierung der ästhetischen Einstellung ist, wurde in systematischer Hinsicht vor allem von Dickie kritisiert, der unter Uninteressiertheit ›inattention‹ versteht (vgl. Dickie 1964). Zangwill hat dieses Verständnis von UT als ›unkantian‹ kritisiert, da UT bei Kant gar keine These über die ästhetische Einstellung sei (vgl. Zangwill 1992, 150 f.). Crowther wendet gegen Dickie ein, UT fordere keinesfalls eine »detached psychological attitude« (Crowther 2010, 71); damit sei aber nicht impliziert, dass UT keine These über die ästhetische Einstellung sei. Auch McCloskey verteidigt UT als These über die ästhetische Einstellung gegen Dickie (vgl. McCloskey 1987, 40–49). Ebenso schreibt Hilgers UT eine Bedeutung für die ästhetische Einstellung zu (vgl. Hilgers 2017, 22 f.). Kurz verweisen möchte ich darauf, dass der Begriff der ästhetischen Einstellung bisweilen nicht einheitlich gebraucht zu werden scheint. So verwendet etwa Prauss (1981) diesen Begriff in einer Weise, die nahelegt, dass er damit auf die Schönheitserfahrung als dasjenige, was dem Geschmacksurteil zugrunde liegt, rekurriert. Ebenfalls selten oder bloß randständig behandelt wird die Frage, ob und wie Kant UT begründet bzw. epistemisch herleitet. Nichts dazu findet sich etwa bei Crowther (2010), Fricke (1990), Kern (2000), Kulenkampff (1994) und Wenzel (2008). In einigen Fällen wird ein sogenanntes ›elimination argument‹ angeführt, so etwa von Ameriks: »The main point is that Kant concludes to the feature of disinterest only via a quick argument by exclusion: he says that, since in fact the only types of interest we are familiar with are sensual and moral, and that since he believes he can show that aesthetic judgment cannot be based on either mere sensual or moral grounds, it follows that aesthetic judgment is disinterested« (Ameriks 2003, 294). Dabei verkennt Ameriks (sowie die anderen AutorInnen, die ein ›eli-

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mination argument‹ vorbringen) jedoch, dass UT selbst das ursprüngliche Abgrenzungsmoment vom Angenehmen und Guten bildet und nicht umgekehrt. Auch Allison formuliert das obige ›elimination argument‹ (vgl. Allison 2001, 90). Er bringt dabei jedoch das Problem vor, dass nicht klar sei, warum das Interesse am Angenehmen und Guten die einzigen beiden Arten von Interesse seien. Dieses Problem sieht er dann darin gelöst, dass ein Verhältnis der Lust zum Begehrungsvermögen nur darin bestehen könne, dass sie entweder Grund oder Produkt des Begehrens sei (vgl. Allison 2001, 93). Das ›elimination argument‹ sowie dieselbe Kritik, wie sie Allison vorbringt, formuliert auch Crawford (vgl. Crawford 1974, 42 f.). Ferner bringt Crawford als weiteres Argument ein sogenanntes ›verification argument‹ vor: »If a given property or characteristic is the determining ground of the judgment ›This is beautiful,‹ then when we ask ›Is this beautiful?‹ we must be asking whether the object has the given property or characteristic. With respect to judgments of taste, however, we do not inquire into either our own or others’ desire for something to exist […] in order to find out whether we find the object beautiful« (Crawford 1974, 41 f.). Eine andere Strategie verfolgt Guyer. Er kritisiert, dass UT durch das Theoriestück des harmonischen Spiels der Erkenntniskräfte begründet werde und nicht umgekehrt. Er spricht von »the fact that the disinterestedness of aesthetic response is a consequence of its explanation as due to the harmony of imagination and understanding, rather than vice versa« (Guyer 1979, 169; vgl. auch 178, 182). Damit übersieht er den Unterschied zwischen der epistemischen und der vermögenstheoretischen Argumentationsstrategie Kants. Man muss Guyer jedoch zugestehen, dass er auch bemerkt, Kant wolle in § 2 an unsere »pretheoretic intuitions« (Guyer 1979, 174) und eine Art »common consent« appellieren (Guyer 1979, 176). Ähnlich beobachtet Matthews: »Kant appeals to our intuitions« (Matthews 1997, 23). Am nächsten an die in dieser Arbeit vertretene Position, dass Kant UT als gefühltes Faktum voranstellt, kommt Wenzels Rekonstruktion der Begründung von UT. Wie bereits oben erwähnt, versteht er die Uninteressiertheit der Lust als »ein empirisches Faktum« (Wenzel 2000, 79). Zudem bezeichnet er die Erste Erklärung des Schönen (E1) als »nur zum Teil logische und darüber hinaus auch eine phänomenologische ›Folgerung‹« (Wenzel 2000, 80).

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An dieser Stelle wollen wir den kantischen Text des Ersten Moments für einen kurzen Moment verlassen und eine grundlegende Frage bezüglich Kants Verständnis der Lust am Schönen in den Blick nehmen, nämlich ob diese einen spezifischen phänomenalen Gehalt aufweist. Ich werde im weiteren Verlauf des Öfteren solche allgemeinen, übergreifenden Grundlagen meiner Interpretation der kantischen Theorie vorstellen. 1 Ich habe bei meinen Ausführungen zu § 2 dafür plädiert, dass sowohl die Lust im Allgemeinen als auch die uninteressierte Lust am Schönen im Speziellen durch einen spezifischen phänomenalen Gehalt gekennzeichnet sind. Ich möchte im Folgenden darlegen, dass fast alle zentralen Thesen der Analytik des Schönen neben einer theoretischen Bedeutung auch eine phänomenologische Bedeutung haben. Ich werde dann dafür plädieren, dass die Lust am Schönen ein komplexes Gefühl mit einem reichen phänomenalen Gehalt ist. Wenn ich im Folgenden bisweilen den Begriff der Phänomenologie nutze, dann gebrauche ich ihn weder im Sinne eines spezifischen Autors, wie etwa Edmund Husserl oder Maurice MerleauPonty, noch im Sinne einer damit verbundenen philosophischen Strömung. 2 Vielmehr befasse ich mich im Folgenden mit dem phänomenalen Gehalt, d. h. dem »what it is like« der ästhetischen Erfahrung. Den Begriff der Phänomenologie gebrauche ich als Bezeichnung für diejenige Wissenschaft, die sich mit dem phänomenalen Gehalt von (im weiten Sinne) Erfahrungen befasst. 3 Siehe hierzu auch die Anleitung zum Umgang mit diesem Kommentar in Unterpunkt 2.1 der Einleitung. 2 Für eine Verbindung der kantischen Ästhetik mit der Phänomenologie Husserls vgl. Kuspit (1974). 3 Im Eintrag »Phenomenology« der Stanford Encyclopedia of Philosophy wird zwischen Phänomenologie als »disciplinary field in philosophy« und als »a movement in the history of philosophy« unterschieden (Smith 2013). Ich beziehe mich auf Ersteres, 1

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G1.1 Zum phänomenalen Gehalt der Lust im Allgemeinen Ich bin bereits im Rahmen meiner Untersuchungen zur Begriffsbestimmung von »Lust« auf den phänomenalen Gehalt der Lust eingegangen. Ich werde daher die entscheidenden Punkte an dieser Stelle nur noch einmal wiederholen. Den Ausgangspunkt meiner Argumentation bildete der folgende Befund: Kant operiert in § 1 und in § 2 ganz zentral mit dem Begriff der Lust. So legt er in § 1 dar, dass ästhetische Urteile ein Gefühl der Lust zum Bestimmungsgrund haben, und in § 2 argumentiert er, dass die Lust am Schönen uninteressiert ist. Jedoch definiert er »Lust« erst in § 10. Dieser Befund fügt sich nur dann in ein kohärentes Bild, wenn man annimmt, dass die Lust über einen spezifischen phänomenalen Gehalt verfügt. Wir haben alle ein implizites Verständnis davon, was Lust ist, weil wir selbst schon Lust erfahren haben und wissen, wie es ist, Lust zu fühlen. Dass die Lust durch einen spezifischen phänomenalen Gehalt ausgezeichnet ist, wird durch das folgende Zitat aus der Ersten Einleitung deutlich: »Man sieht hier leicht, daß Lust oder Unlust, weil sie keine Erkenntnißarten sind, für sich selbst gar nicht können erklärt werden, und gefühlt, nicht eingesehen werden wollen; daß man sie daher nur durch den Einfluß, den eine Vorstellung vermittelst dieses Gefühls auf die Thätigkeit der Gemüthskräfte hat, dürftig erklären kann« (EEKU: 232,1, m. H.).

Aus diesem Zitat wird ersichtlich, dass die Lust etwas ist, das primär gefühlt wird, und dass wir, um zu verstehen, was Lust ist, diese primär fühlen müssen. Da für Kant Lust etwas ist, das in erster Linie gefühlt werden muss, so lässt sich fragen, wie sich Lust denn anfühlt. Kant selbst äußert sich hierzu freilich nicht. Wir hatten aber als allgemeinste Charakterisierung des phänomenalen Gehalts der Lust angenommen, dass sie sich positiv anfühlt. Hingegen ist die Unlust dadurch gekennzeichnet, dass sie sich negativ anfühlt.

d. h. »the study of structures of consciousness as experienced from the first-person point of view« (Smith 2013). Kants Philosophie des Schönen

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G1.2 Die phänomenalen Komponenten der Lust am Schönen G1.2.1 Uninteressiertheit Wir haben im Rahmen der Untersuchungen zur Uninteressiertheitsthese (UT) in § 2 bereits gesehen, warum diese These auch eine phänomenologische Bedeutung haben muss und warum diese Bedeutung in § 2 Vorrang vor den theoretischen Bedeutungen von UT hat. Erneut möchte ich daher an dieser Stelle nur die wichtigsten Punkte zusammenfassen. Der zentrale Befund war, dass UT auf der Argumentationsstufe von § 2 eigentlich nicht verständlich ist. So habe ich erläutert, dass UT erstens bedeutet, die Lust am Schönen sei keine unmittelbare Lust am Gegenstand, sondern eine unmittelbare Lust an einer inneren Aktivität, die kein Wollen ist. Zweitens ist die Lust am Schönen keine Lust an der Empfindung, wobei Empfindungen unmittelbar von existierenden Gegenständen verursacht werden, sondern eine Lust an der Form, die sich durch eine Konstruktionsleistung des Subjekts konstituiert. Schließlich liegt der Lust am Schönen eine Zweckmäßigkeit ohne jeglichen Zweck zugrunde, der den Willen bestimmen könnte. Diese verschiedenen Bedeutungsebenen von UT sind aber allesamt nur verständlich, wenn man auf Theoriestücke vorgreift, die Kant erst im Zweiten und Dritten Moment einführt. Die primäre Bedeutung von UT muss daher auf der Argumentationsstufe von § 2 eine andere sein, nämlich eine phänomenologische. 4 Dies wird durch einen weiteren Befund gestützt: UT scheint zum Entwicklungspunkt der Argumentation in § 2 von Kant völlig unbegründet vorausgesetzt zu werden und zudem auch, zu diesem Punkt, unbegründbar; denn alle denkbaren Argumente für UT setzen Material voraus, das erst im weiteren Verlauf der Analytik mithilfe von UT hergeleitet wird. 5 Statt ein Argument zu liefern, operiert Kant in § 2 mit Formulierungen wie »Man will nur wissen« (§ 2.A.6, 205,7), »Man sieht leicht« (§ 2.A.7, 205,10) und »Man muß nicht« (§ 2.A.9, 205,15). Diese Formulierungen ergeben dann Sinn, wenn sie als Hinweis auf den phänomenalen Gehalt der Lust am Schönen gewertet Dass eine uninteressierte Lust durch keinen spezifischen phänomenalen Gehalt gekennzeichnet ist, wird prominent von Guyer vertreten (vgl. Guyer 1979, 203). Zu betonen ist dabei aber, dass Guyer grundsätzlich bestreitet, verschiedene Arten von Lust würden einen je verschiedenen phänomenalen Gehalt aufweisen. 5 Auch Guyer bemerkt, dass ein Argument für UT den theoretischen Hintergrund von § 9 voraussetzen müsste (vgl. Guyer 1979, 167–183). 4

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werden. Man ›sieht‹ in diesem Sinne ›leicht‹, dass die Lust am Schönen uninteressiert ist, weil sie sich uninteressiert anfühlt. Kant bedarf dann auch keines Arguments für UT, weil wir die Lust am Schönen als uninteressiert erleben; die Uninteressiertheit der Lust ist uns gefühlt gegeben. Ein weiterer Grund für die phänomenologische Bedeutung von UT findet sich im Aufbau der Analytik entlang der vier Momente der Urteilstafel. 6 Die Momente der Qualität, Quantität, Relation und Modalität sind nicht nur Charakterisierungen des Geschmacksurteils, sondern auch und sogar primär Charakterisierungen der Lust. 7 Nun widmet sich das erste Moment der Qualität. Fragt man aber, was die Qualität einer Lust, d. h. eines Gefühls, sein kann, so scheint die offenkundigste Antwort, dass die Qualität eines Gefühls darauf rekurriert, wie sich das Gefühl (vordringlich) anfühlt. Die Uninteressiertheit als Qualität der Lust am Schönen drückt damit aus, wie sich die Lust am Schönen vordringlich anfühlt. 8 Wie aber fühlt sich eine uninteressierte Lust an? Fragt man zunächst, wie sich eine interessierte Lust anfühlt, so scheint es naheliegend, dass wir (im Sinne der Begehrensbedingung) ein Begehren fühlen; denn ein Begehren scheint immer etwas zu sein, das wir (auch) fühlen oder spüren. Vor diesem Hintergrund lässt sich dann der phänomenale Gehalt einer uninteressierten Lust dadurch charakterisieren, dass wir kein Begehren fühlen. Man könnte einwenden, wir könnten nicht einfach fühlen, dass kein Begehren vorliegt, sondern wir könnten immer nur aufgrund einer begrifflichen Reflexion mittels des Begriffs des Begehrens beurteilen, dass kein Begehren vorliegt. Allerdings spricht dies nicht dagegen, dass sich die Lust am Schönen auch ohne Reflexion auf den Begriff des Begehrens anders anfühlt als ein Interesse. Für meine These reicht es aus, dass sich eine uninteressierte Lust erstens anders anfühlt als ein Interesse, indem wir beim Interesse ein Begehren fühlen und bei einer uninteressierten Lust nicht, und dass wir zweitens – möglicherweise mittels einer Für diesen Aufbau siehe Unterpunkt 3.1 der Einleitung zu diesem Kommentar. So führt auch Zuckert aus: »in the four moments Kant provides […] a characterization of aesthetic experience« (Zuckert 2007, 174). 8 Dies schließt nicht aus, dass sich die Lust am Schönen nicht auch noch durch andere phänomenale Komponenten auszeichnet. Die Uninteressiertheit ist aber insofern die vordringlichste phänomenale Komponente und daher die Qualität der Lust, als sich die Lust am Schönen durch die Uninteressiertheit von allen anderen Arten der Lust eindeutig abgrenzen lässt. 6 7

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Reflexion auf den Begriff des Begehrens – dieses Sich-andersAnfühlen durch das Charakteristikum der Uninteressiertheit erfassen können Ich möchte erneut betonen, dass sich UT nicht in der phänomenologischen Bedeutung erschöpft. Vielmehr haben die oben erläuterten Bedeutungen bezüglich der der Lust zugrundeliegenden inneren Aktivität und der Form des Gegenstandes weiterhin Geltung. Meine These ist aber, dass sich diese theoretischen Bedeutungen von UT erst im weiteren Verlauf der Analytik erschließen. Wenn Kant also UT in § 2 einführt, rekurriert er primär auf die phänomenologische Bedeutung von UT. Da aber UT den Einstieg in Kants Theorie des Schönen bildet, so lässt sich dieser Einstieg phänomenologisch begreifen. Ich habe daher dafür argumentiert, die uninteressierte Lust als gefühltes Faktum des Schönen zu verstehen. Umgekehrt erschöpft sich die Rolle der phänomenologischen Bedeutung von UT aber nicht darin, bloß den Einstieg in Kants Theorie des Schönen zu ebnen. Vielmehr ist Kants Theorie des Schönen insgesamt auch als eine Charakterisierung des phänomenalen Gehalts (d. h. des Sich-Anfühlens) der Lust am Schönen zu begreifen.

G1.2.2 Freiheit In § 5 führt Kant eine These ein, die ich als Freiheitsthese (FT) bezeichne. Sie lautet: »Man kann sagen: daß unter allen diesen drey Arten des Wohlgefallens, das des Geschmacks am Schönen einzig und allein ein uninteressirtes und f r e y e s Wohlgefallen sey« (§ 5.B.6, 210,11). 9 Ich werde im Rahmen von § 5 ausführen, dass sich eine Bedeutung von FT auf der Ebene der Lust und eine Bedeutung auf der Grundlagenebene des freien Spiels unterscheiden lassen. Die Bedeutung von FT besagt auf der Ebene der Lust, dass uns erstens der Gegenstand weder durch eine Neigung noch durch ein Vernunftgesetz als Gegenstand der Lust aufgezwungen wird und dass zweitens keine Abhängigkeit von der Existenz des Gegenstandes besteht. FT geht auf Man könnte vermuten, dass nur die Lust am Schönen ›uninteressiert und frei‹ sei, während es aber sehr wohl weitere Formen von Lust gebe, die ›interessiert und frei‹ seien. Aus dem Gesamtkontext der Freiheitsthese geht aber hervor, dass die einzigen beiden anderen (grundlegenden) Arten von Lust, nämlich die Lust am Angenehmen und Guten, jeweils unfrei sind. Damit ist nur die Lust am Schönen eine freie Lust. Siehe Kap. 5.5.

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dieser Ebene eigentlich nicht über UT hinaus. Auf der Grundlagenebene des freien Spiels lassen sich zwei Momente der Freiheit unterscheiden. Im freien Spiel fasst erstens die Einbildungskraft frei Formen auf, ohne dass sie einem Zwang, der von Begriffen des Verstandes oder Assoziationsgesetzen ausgeht, unterliegt (negative Freiheit); zweitens wendet der Verstand im freien Spiel das Prinzip a priori der Urteilskraft an, das sich die Urteilskraft in einem Akt der Autonomie bzw. Heautonomie 10 selbst gibt (positive Freiheit). 11 Nun geht, wie bereits erwähnt, die Bedeutung von FT auf der Ebene der Lust eigentlich nicht über UT hinaus. In diesem Sinne ist die Bedeutung von FT auf der Grundlagenebene des freien Spiels eigentlich zentral. Diese Bedeutung von FT lässt sich aber erst mit Vorgriff auf später eingeführte Theoriestücke erschließen und steht damit in § 5 noch nicht zur Verfügung. Es ist darum naheliegend, auch für FT eine phänomenologische Bedeutung anzunehmen, auf die Kant in § 5 primär rekurriert. Dies wird dadurch unterstützt, dass FT in § 5 nicht bzw. nicht hinreichend begründet scheint. Denn aus der Tatsache, dass die Lust am Schönen weder auf eine Neigung noch auf Vernunftgesetze zurückzuführen ist und keine Lust an der Existenz des Gegenstandes ist, folgt nicht, dass nicht von etwas anderem ein Zwang ausgeht. Kant stützt FT aber durch die Beobachtung, dass sich die Lust am Schönen frei anfühlt: »Denn da es [das Wohlgefallen am Schönen] sich nicht auf irgend eine Neigung des Subjects (noch auf irgend ein anderes überlegtes Interesse) gründet, sondern da der Urtheilende sich in Ansehung des Wohlgefallens, welches er dem Gegenstande widmet, völlig f r e y fühlt; […]« (§ 6.A.2, 211,15). In dieser Formulierung macht Kant explizit, dass man sich beim Schönen ›völlig frey fühlt‹, d. h. dass wir die Freiheit fühlen. Es lässt sich fragen, wie sich eine freie Lust denn anfühlt, und wie schon bei der Uninteressiertheit lässt sich nur eine negative Charakterisierung dieser Komponente des phänomenalen Gehalts der Lust geben. Es scheint plausibel, dass wir beim Angenehmen und Guten den jeweiligen Zwang fühlen; denn ein Zwang ist etwas, das man erfahren bzw. spüren kann. In diesem Sinne könnte sich die Lust am Vgl. hierzu: »Die Urtheilskraft hat also auch ein Princip a priori für die Möglichkeit der Natur, aber nur in subjectiver Rücksicht, in sich, wodurch sie, nicht der Natur (als Avtonomie), sondern ihr selbst (als Heavtonomie) für die Reflexion über jene, ein Gesetz vorschreibt« (185,35 f.; vgl. auch EEKU: 225,15). Siehe Kap. 5.5. 11 Für die Unterscheidung von positiver und negativer Freiheit vgl. GMS: 446 f. 10

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Schönen dann insofern frei anfühlen, als wir keinen Zwang fühlen. Wie schon bei der Uninteressiertheit muss dies nicht bedeuten, dass wir den Unterschied zwischen einer freien und einer unfreien Lust nur durch Reflexion auf den Begriff des Zwangs feststellen können. Vielmehr fühlt sich eine freie Lust unmittelbar anders an als eine unfreie Lust. Dieses Sich-anders-Anfühlen können wir dann dadurch erfassen, dass wir auf den Begriff des Zwangs reflektieren und die Lust als unabhängig von Zwang und somit frei ausweisen.

G1.2.3 Allgemeingültigkeit In § 6 führt Kant die These ein, dass die Lust am Schönen allgemeingültig ist. 12 So heißt es in der Überschrift zu § 6: »Das Schöne ist das, was ohne Begriffe, als Object eines a l l g e m e i n e n Wohlgefallens vorgestellt wird« (§ 6.T, 211,8). Nach allem, was wir bisher über UT gelernt haben, wird es nicht verwundern, dass ich dieser Allgemeingültigkeitsthese (AT) neben einer theoretischen auch eine phänomenologische Bedeutung beimesse. Nun muss man freilich, um die Bedeutung der These zu verstehen, dass die Lust am Schönen allgemeingültig ist, weder auf Theoriestücke vorgreifen, die Kant erst im weiteren Verlauf der Analytik entwickelt, noch ist man auf den phänomenalen Gehalt der Lust angewiesen. Dennoch spricht einiges dafür, auch der Allgemeingültigkeit eine phänomenologische Bedeutung beizumessen. Wie bereits erwähnt, entwickelt Kant die Analytik entlang der vier Momente der Urteilstafel, wobei diese jeweils primär die Lust am Schönen betreffen. Folgt man nun Kants Ausführungen zur Urteilstafel in der KrV, dann betreffen die Momente der Qualität, Quantität und Relation jeweils den Inhalt des Urteils, während das Moment der Modalität die Geltung des Urteils betrifft. 13 Überträgt man dies auf die Lust am Schönen, dann betreffen die Momente der Qualität, Quantität und Relation jeweils den Inhalt der Lust. Fragt man aber, was der Inhalt eines Gefühls ist, so liegt es nahe, dass dieser im phänomenalen Gehalt der Lust besteht. Dies gilt umso mehr, als die Momente der Qualität und Relation tatsächlich je ein phänome-

Diese These bezüglich der Allgemeingültigkeit der Lust ist von der These unterschieden, die besagt, dass das Geschmacksurteil allgemeingültig ist. Siehe Kap. 6.1. 13 Vgl. A74/B99 f. 12

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nales Charakteristikum der Lust einführen, wie wir gesehen haben bzw. sehen werden. Dass die Allgemeingültigkeit der Lust am Schönen auch im phänomenalen Gehalt der Lust erfahren wird, lässt sich erstens durch das folgende Zitat stützen: »Also ist es nicht die Lust, sondern die A l l g e m e i n g ü l t i g k e i t d i e s e r L u s t , die mit der bloßen Beurtheilung eines Gegenstandes im Gemüthe als verbunden wahrgenommen wird« (289,22). Kant führt hier aus, dass die Allgemeingültigkeit der Lust am Schönen ›mit der bloßen Beurtheilung eines Gegenstandes im Gemüthe als verbunden wahrgenommen wird‹. Dies impliziert, dass die Allgemeingültigkeit der Lust am Schönen wahrgenommen wird; und es ist naheliegend, dass wir diese Allgemeingültigkeit im phänomenalen Gehalt der Lust ›wahrnehmen‹. Zweitens spricht Kant in § 22 von der »objective[n] Nothwendigkeit des Zusammenfließens des Gefühls von jedermann mit jedes seinem besondern« (§ 22.B.2, 240,9). Kant umschreibt hier die Notwendigkeit der Allgemeingültigkeit im Geschmacksurteil. Die Formulierung ›des Zusammenfließens des Gefühls von jedermann mit jedes seinem besonderen‹, durch welche Kant die Allgemeingültigkeit der Lust umschreibt, lässt sich dabei als Hinweis auf den phänomenalen Gehalt der allgemeingültigen Lust verstehen. Das Bild des Zusammenfließens ergibt nämlich insbesondere Sinn, wenn man es als Beschreibung dessen wertet, wie sich die Lust am Schönen anfühlt – nämlich so, als würde sie mit der Lust der anderen Menschen zusammenfließen. Konkret bedeutet dies, dass man in der Lust am Schönen eine Verbundenheit mit seinen Mitmenschen fühlt. Ferner ist die Allgemeingültigkeit der Lust auch dadurch gekennzeichnet, dass »keine Privatbedingungen als Gründe des Wohlgefallens« fungieren (§ 6.A.3, 211,19). Nun sind, folgt man Kants Ausführungen in § 6, Neigungen (im weiten Sinne) die einzigen möglichen Privatbedingungen für eine Lust, 14 sodass wir in der Lust am Schönen eine Abwesenheit von Neigungen erleben – und diese Abwesenheit fühlt sich anders an als das Vorliegen von Neigungen. In diesem Sinne fühlt man, dass man seine bloßen Privatbedingungen transzendiert. Schließlich können wir auch Kants Wortwahl in den §§ 6–7 als Indiz dafür werten, dass die Allgemeingültigkeit der Lust phänomenal erlebt wird. Diese Wortwahl suggeriert, es sei für den Urteilenden völlig klar und offenkundig, dass seine Lust am Schönen allgemein14

Vgl. Kants Argumentation in § 6.A.2–3, 211,12. Siehe Kap. 6.2.

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gültig sei und dass er sie daher seinen Mitmenschen zumuten könne. So heißt es etwa: »wenn er aber etwas für schön ausgiebt, so muthet er andern eben dasselbe Wohlgefallen zu« (§ 7.B.4, 212,31). Es ergibt aber Sinn, dass man den anderen sein Wohlgefallen am Schönen (auch ohne Kenntnisse der kantischen Theorie) zumutet, wenn sich diese Lust allgemeingültig anfühlt und man daher ein intuitives Bewusstsein der Allgemeingültigkeit der Lust hat. Unterstellt man in diesem Sinne einen phänomenalen Zugriff auf AT, so erscheint insbesondere auch Kants Argumentation in § 6 plausibler und weniger ambitioniert. Ich werde darauf zurückkommen. 15

G1.2.4 Das Bewusstsein des Prinzips a priori der Urteilskraft Als eine vierte phänomenale Komponente der Lust am Schönen können wir das Bewusstsein des Prinzips a priori der Urteilskraft identifizieren. Das Prinzip a priori der Urteilskraft wird von Kant in der Einleitung als »P r i n z i p d e r Z w e c k m ä ß i g k e i t für unser Erkenntnißvermögen« bestimmt (184,8). Nun ist klar, dass dem Geschmacksurteil dieses Prinzip in irgendeiner Form zugrunde liegt, wenngleich Kant in der Analytik selbst dieses Prinzip fast mit keinem Wort explizit erwähnt. Es scheint jedoch offenkundig, dass er in § 12 auf die Rolle des Prinzips a priori (mindestens implizit) eingeht; denn die Überschrift von § 12 lautet: »Das Geschmacksurtheil beruht auf Gründen a priori« (§ 12.T, 221,29, m. H.). Allerdings gibt es in § 12 nur einen Satz, der auf diese Gründe bzw. das Prinzip a priori hindeutet – und dieser beginnt so: »Das Bewußtseyn der bloß formalen Zweckmäßigkeit im Spiele der Erkenntnißkräfte des Subjects, bey einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, ist die Lust selbst« (§ 12.B.2, 222,20). Nun ist es erstens plausibel, dass Kant mit der ›bloß formalen Zweckmäßigkeit‹ auf eine Instanziierung des Prinzips a priori der Urteilskraft hindeutet. 16 Erhellend ist dann zweitens, dass Kant die Lust am Schönen mit dem ›Bewußtseyn der bloß formalen Zweckmäßigkeit‹ identifiziert (›ist diese Lust selbst‹). Diese Identifizierung der Lust mit dem Bewusstsein der Zweckmäßigkeit ergibt dann Sinn, wenn die Lust am Schönen die Zweckmäßigkeit phänomenal beinhaltet. Wir würden uns dann der formalen Zweck15 16

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Siehe insbesondere Kap. 6.2.5. Siehe meine Rekonstruktion dieses Satzes in Kap. 12.4.

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mäßigkeit dadurch bewusst, dass wir sie in der Lust fühlen. Vor diesem Hintergrund lassen sich dann auch diejenigen Aussagen in ein kohärentes Bild fügen, in denen Kant eine Identität der Lust am Schönen und der subjektiven Zweckmäßigkeit proklamiert. So heißt es etwa in der Ersten Einleitung: »Dagegen ist die Vorstellung einer subjectiven Zweckmäßigkeit eines Objects mit dem Gefühle der Lust so gar einerley« (EEKU: 228,34). 17 Eine Identität von Lust und subjektiver Zweckmäßigkeit lässt sich damit erklären, dass die Lust die subjektive Zweckmäßigkeit phänomenal beinhaltet. 18 Ein weiteres Indiz dafür, dass wir in der Lust am Schönen ein phänomenales Bewusstsein der Zweckmäßigkeit bzw. des Prinzips a priori haben, steckt in Kants Aussage, ein Geschmacksurteil sei »ein ästhetisches Urtheil über die Zweckmäßigkeit des Objects« (190,11). Wir schreiben in einem Geschmacksurteil dem Gegenstand das quasiPrädikat der Lust zu. Wenn aber das Geschmacksurteil ein Urteil ›über die Zweckmäßigkeit des Objects ist‹ und dieses Urteil ein quasi-Prädikat der Lust aussagt, dann ist es naheliegend, dass die Lust, die prädiziert wird, die ›Zweckmäßigkeit des Objects‹ beinhaltet. Insofern die Zweckmäßigkeit des Gegenstandes im Geschmacksurteil ausgedrückt wird und wir uns dieser Zweckmäßigkeit bewusst sind, was das ›über‹ nahelegt, scheint die Lust die Zweckmäßigkeit des Objekts phänomenal zu beinhalten. Fragen wir, wie sich denn eine Lust anfühlt, die ein Bewusstsein der formalen Zweckmäßigkeit bzw. des Prinzips a priori beinhaltet. Dazu muss ich kurz auf mein Verständnis des genauen Inhalts des Prinzips a priori der Urteilskraft eingehen. 19 Ich gehe davon aus, dass das Prinzip a priori eine doppelte Zweckmäßigkeit beinhaltet: erstens eine Zweckmäßigkeit der Form des Gegenstandendes sowie zweitens eine Zweckmäßigkeit der Aktivität der Einbildungskraft jeweils für die Tätigkeit des Verstandes, Begriffe aufzufinden. Dieses Prinzip findet im freien Spiel der Erkenntniskräfte durch den Verstand Anwendung, indem dieser überprüft, ob die apprehendierten Formen und die Aktivität der Einbildungskraft (d. h. das Zusammensetzen des Mannigfaltigen zu Formen) je zweckmäßig dafür sind, Begriffe aufzufinVgl. auch: »Eine blos subjectiv beurtheilte Zweckmäßigkeit, […] ist die Beziehung aufs Gefühl der Lust und Unlust« (EEKU: 248,27). 18 Der Begriff der subjektiven Zweckmäßigkeit ist äußerst schwer zu verstehen und wird von Kant nicht eindeutig gebraucht. Ich werde später darauf zurückkommen. Siehe Kap. 10.1.3. 19 Siehe Kap. G3.1. 17

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den. Da die Lust am Schönen nichts anderes als das gefühlte Spiel der Erkenntniskräfte ist, scheint es sinnvoll, dass sie ein Bewusstsein der Instanziierung beider Komponenten des Prinzips a priori beinhaltet: Man fühlt erstens, dass ein Objekt bzw. die Natur mit den eigenen intellektuellen Vermögen zusammenstimmt, und zweitens, dass die eigenen intellektuellen Fähigkeiten untereinander zusammenstimmen. Konkret bedeutet dies, dass man ein harmonisches Zusammenstimmen mit der Natur und mit sich selbst fühlt. 20 Das phänomenale Bewusstsein des Prinzips a priori bedeutet also nicht, dass wir uns des wörtlichen, abstrakten Gehalts des Prinzips a priori gefühlt bewusst wären; und dies wäre ja auch offenkundig absurd.

G1.3 Die Lust am Schönen als komplexes Gefühl Die zentralen Thesen der kantischen Theorie des Schönen, so haben wir gesehen, lassen sich so verstehen, dass sie auch (aber nicht ausschließlich) eine phänomenologische Bedeutung haben. Diese Annahme lässt sich unter anderem dadurch stützen, dass sie den Aufbau und Kants Vorgehen in der Analytik verständlich macht. Insbesondere die Uninteressiertheitsthese als Ausgangspunkt der ganzen Theorie wäre völlig unbegründet, würde man dieser These nicht auch eine phänomenologische Bedeutung unterstellen, auf die Kant in § 2 primär rekurrieren würde. Betonen möchte ich dabei noch einmal, dass ich selbstverständlich nicht davon ausgehe, die Bedeutung der einzelnen Thesen und Theoriebausteine erschöpfe sich jeweils in der phänomenologischen Bedeutung; vielmehr beanspruche ich, dass alle Thesen jeweils auch eine tiefergehende, theoretische Bedeutung haben. Wir können nunmehr eine umfassende Charakterisierung des Gefühls der Lust am Schönen als komplexes Gefühl mit verschiedenen phänomenalen Komponenten vornehmen: i. Uninteressiertheit: Die Lust am Schönen fühlt sich nicht als Interesse an, d. h. wir fühlen kein Begehren. ii. Freiheit: Die Lust am Schönen fühlt sich frei an, d. h. wir fühlen keinen Zwang. Vgl.: »Die Schöne Dinge zeigen an, daß der Mensch in die Welt passe und selbst seine Anschauung der Dinge mit den Gesetzen seiner Anschauung stimme« (Refl: 1820a).

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iii. Allgemeingültigkeit: Die Lust am Schönen fühlt sich allgemeingültig an, d. h. wir fühlen ein Transzendieren unserer Privatbedingungen und ein Verbundensein mit unseren Mitmenschen. iv. Bewusstsein des Prinzips a priori der Urteilskraft: Die Lust am Schönen beinhaltet ein gefühltes Bewusstsein des Prinzips a priori der Urteilskraft, d. h. wir fühlen ein harmonisches Zusammenstimmen mit der Natur und uns selbst. Die Lust am Schönen ist somit hinsichtlich ihres phänomenalen Gehalts ein komplexes Gefühl, das sich durch mindestens vier phänomenale Komponenten auszeichnet. Ich erhebe dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit. So könnte man etwa auch annehmen, die Harmonie der Erkenntnisvermögen werde in der Lust erfahren. In diesem Sinne schreibt etwa Wenzel: »The ›accord‹ is manifest subjectively in the pleasure I feel« (Wenzel 2008, 42). Tatsächlich ist in meinem Ansatz aber die Harmonie der Erkenntniskräfte im Bewusstsein des Prinzips a priori im Sinne des Fühlens der harmonischen Zusammenstimmung mit uns selbst mindestens implizit aufgefangen. 21 Betonen möchte ich jedenfalls, dass die These, die Lust am Schönen sei ein »n o t h w e n d i g e [ s ] Wohlgefallen« (E4, 240,18), keine phänomenologische Bedeutung hat bzw. haben kann. Würde sich die Lust am Schönen nämlich notwendig anfühlen, so müsste man in irgendeiner Form einen Zwang fühlen; dies aber würde der phänomenalen Komponente der Freiheit entgegenstehen. 22 Eine Charakterisierung des phänomenalen Gehalts ließe sich in Analogie zur Lust am Schönen auch je für die Lust am Angenehmen und Guten formulieren. Ich kann dies hier nur kurz andeuten. Die Lust am Angenehmen ist ein Interesse, sodass wir ein Begehren fühlen; sie ist unfrei, d. h. wir fühlen einen Zwang; sie ist bloß privatgültig, d. h. wir fühlen Neigungen und somit kein Transzendieren unserer Privatbedingungen, und wir fühlen uns nicht mit unseren Mitmenschen verbunden; und sie beinhaltet schließlich auch kein Bewusstsein irgendeines Prinzips a priori. Die Lust am Guten – hier der Einfachheit halber nur in Form des Gefühls der Lust am moralisch Guten (Achtung) – ist ebenfalls ein Interesse, sodass wir ein Begehren bzw. Wollen (aber kein blindes, sinnliches Begehren) fühlen; sie beAuch Recki versteht das »Gefühl der Harmonie« beim Schönen als Gefühl davon, dass man »sich bei sich selbst und in der Welt gut aufgehoben [fühlt]« (Recki 2004, 284). 22 Siehe Kap. 18.1.3. 21

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inhaltet Autonomie und zugleich eine Nötigung, d. h. wir fühlen mindestens auch einen Zwang; sie ist (wie die Lust am Schönen) allgemeingültig, d. h. wir fühlen keine Neigungen und somit ein Transzendieren unserer Privatbedingungen, und wir fühlen uns mit unseren Mitmenschen verbunden; und sie kann ebenfalls als Bewusstsein eines Prinzips a priori, nämlich des kategorischen Imperativs, begriffen werden, was bedeuten könnte, dass wir in der Achtung das moralische Sollen erfahren. 23 Durch die verschiedenen phänomenologischen Charakterisierungen der jeweiligen Lust wird zweierlei deutlich: Erstens ist die Lust am Schönen aufgrund ihres phänomenalen Gehalts eindeutig und gefühlt von den anderen Arten der Lust unterscheidbar. Dies ist insofern zentral, als wir nur aufgrund dieser phänomenalen Unterscheidbarkeit die drei Arten von Lust jeweils auch begrifflich differenzieren können. Konkret bedeutet dies: Nur weil sich die Lust am Schönen spezifisch anfühlt, können wir sie unter den Begriff »schön« subsumieren. 24 Zweitens wird durch eine Gegenüberstellung des jeweiligen phänomenalen Gehalts der drei Arten von Lust deutlich, dass die Lust am Schönen phänomenale Gemeinsamkeiten mit der Lust am moralisch Guten aufweist; denn beide fühlen sich allgemeingültig an und beinhalten ein Bewusstsein eines Prinzips a priori. Dadurch ist bereits durch den phänomenalen Gehalt der Lust am Schönen angedeutet, dass das Schöne eher eine Nähe zum moralisch Guten als zum Angenehmen aufweist. Schließlich lässt sich durch den komplexen phänomenalen Gehalt der Lust am Schönen verdeutlichen, dass sich diese nicht immer gleich anfühlen muss. Zunächst einmal ist es ganz offenkundig, dass sich eine Vermischung einer Lust am Schönen mit einer Lust am Angenehmen und Guten, wie sie bei unreinen bzw. angewandten Geschmacksurteilen vorliegt, anders anfühlt als eine reine Lust am Schönen. 25 Ich plädiere darüber hinaus dafür, dass sich auch eine reine Lust am Schönen nicht immer auf dieselbe Art und Weise anfühlen muss. Zwar muss eine Lust am Schönen immer über alle phänomenalen Komponenten der obigen Aufzählung verfügen; aber damit ist Vgl. hierzu Schöneckers Interpretation der sogenannten Faktumtheorie der KpV. So schreibt Schönecker etwa: »ich erkenne dieses Sollen im Gefühl der Achtung« (Schönecker 2013, 103). 24 Siehe hierzu Kap. G2.2.2. 25 Damit eine vermischte Lust am Schönen und Angenehmen bzw. Guten vorliegen kann, darf das entsprechende Interesse, d. h. die Lust am Angenehmen oder Guten, nicht zu dominant sein. Siehe hierzu Kap. 13.3. 23

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nicht impliziert, dass all diese Komponenten immer mit derselben Stärke auftreten müssen. So mag ich etwa in einem Fall der Lust am Schönen die phänomenale Komponente der Allgemeingültigkeit sehr stark erleben, d. h. mich stark mit meinen Mitmenschen verbunden fühlen, während ich in einem anderen Fall die Komponente der Freiheit sehr stark erleben könnte, d. h. mich frei von allem Zwang fühle. Gründe für solche Unterschiede könnten entweder im jeweiligen schönen Objekt oder im urteilenden Subjekt liegen. So könnte etwa in den geschilderten Fällen das Subjekt entweder zuvor ein starkes Gefühl der zwischenmenschlichen Isolation gehabt haben oder ein starkes Gefühl des Zwangs. Stimmt es, dass sich die (reine) Lust am Schönen unterschiedlich anfühlen kann, dann eröffnet sich die Möglichkeit für ein reiches Spektrum an verschiedenen Erfahrungen des Schönen. Für ein solch reiches Spektrum an verschiedenen Erfahrungen des Schönen hat systematisch etwa Jerrold Levinson mit seiner variety-thesis argumentiert. 26 Es soll nicht verschwiegen werden, dass eine Theorie des komplexen phänomenalen Gehalts in systematischer Hinsicht durchaus problematisch ist. Wenn ein Gefühl sich nämlich aus verschiedenen phänomenalen Komponenten zusammensetzt, die sich je spezifisch anfühlen, so ist nicht mehr klar, ob wir noch von einem oder eigentlich von mehreren Gefühlen reden. Es besteht also die Gefahr, dass das eine Gefühl eigentlich ein Konglomerat verschiedener Gefühle ist. Erwidern lässt sich hierauf bloß, dass Kant erstens immer nur von einem Gefühl der Lust bzw. des Wohlgefallens am Schönen spricht und dass er zweitens vermutlich gar kein Bewusstsein der geschilderten Problematik hatte.

G1.4 Phänomenologie und Transzendentalphilosophie? Nun könnte man mir zugestehen, dass es in systematischer Hinsicht zwar plausibel sei, bei einer Analyse des Schönen auf die Art und Weise, wie wir Schönheit in phänomenaler Hinsicht erleben, zu rekurrieren; jedoch konfligiere ein solches Verfahren mit Kants Anspruch, eine transzendentalphilosophische Analyse der Schönheit zu vollziehen. Ferner, so könnte ein davon noch unterschiedener Vorwurf lauten, würde die von mir vorgeschlagene Analyse des phäno26

Siehe Levinson (2011).

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menalen Gehalts der Lust zu einer petito principii führen: Wenn nämlich die Allgemeingültigkeit bereits im phänomenalen Gehalt der Lust gegeben sei, so werde ein zentrales Ergebnis der transzendentalen Analyse in den Ausgangspunkt verschoben. Wie verhält sich also der in dieser Arbeit verteidigte phänomenologische Ansatz zur Transzendentalphilosophie? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir offenkundig zunächst in aller gebotenen Kürze klären, was Transzendentalphilosophie ist, welche (methodischen) Ansprüche sie erhebt und welche Vorgehensweisen dadurch ausgeschlossen werden. In der KrV führt Kant zum Begriff »transzendental« bzw. »transzendentale Erkenntnis« das Folgende aus: »Ich nenne alle Erkenntnis t r a n s z e n d e n t a l , die sich nicht so wohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, so fern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt. Ein System solcher Begriffe würde Tr a n s z e n d e n t a l - P h i l o s o p h i e heißen« (B25). »daß nicht eine jede Erkenntnis a priori, sondern nur die, dadurch wir erkennen, daß und wie gewisse Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe) lediglich a priori angewandt werden, oder möglich sein, transzendental (d. i. die Möglichkeit der Erkenntnis oder der Gebrauch derselben a priori) heißen müsse« (A56/B8).

Transzendentale Erkenntnisse sind also apriorisch, und sie ermöglichen die Erkenntnis von Gegenständen. 27 Und die Transzendentalphilosophie ist entsprechend ein System solcher apriorischen Erkenntnisse, die Erkenntnisse (im Sinne von Erfahrung) ermöglichen. Nun kann diese Bedeutung von »transzendental« aber im Rahmen von Kants Schönheitstheorie offenkundig keine Anwendung finden. Zwar sind Geschmacksurteile in gewisser Hinsicht Urteile a priori, aber sie sind keine Erkenntnisurteile und nicht Gegenstandserkenntnis ermöglichend. 28 Jedoch hat der Begriff »Transzendentalphilosophie« noch weitere Bedeutungen. Hinske unterscheidet drei solcher Bedeutungen: Vgl. in diesem Sinne auch: »Ein transscendentales Princip ist dasjenige, durch welches die allgemeine Bedingung a priori vorgestellt wird, unter der allein Dinge Objecte unserer Erkenntniß überhaupt werden können« (181,15). 28 Wir werden aber sehen, dass Geschmacksurteile unter anderem auf der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt beruhen und damit auf der subjektiven Bedingung der Erkenntnis, die auch Gegenstandserkenntnis ermöglichend ist. 27

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(1) »die apriorische Erkenntnis selbst bzw. den Inbegriff aller Erkenntnisse a priori«; (2) »die Reflexion auf die Erkenntnis a priori bzw. die ›Philosophie über dieselbe‹. 29 Sie erörtert insbesondere deren verschiedenartige Inhalte, systematische Beziehungen untereinander, Geltung, Grenzen und Verankerung im erkennenden Subjekt«; (3) Transzendentalphilosophie »findet ihr genuines Thema in der Frage nach der Möglichkeit der Erkenntnis a priori« 30 (Hinske 2017). 31 Die dritte angeführte Bedeutung findet sich zuerst explizit in den Prolegomena. Dort bezeichnet Kant die Frage »W i e s i n d s y n t h e t i s c h e S ä t z e a p r i o r i m ö g l i c h ?« (Prol: 276) 32 als »transzendentale Hauptfrage« (Prol: 280); 33 und er erläutert dazu, dass »die ganze Transzendentalphilosophie […] selbst nichts anderes als bloß die vollständige Auflösung der hier vorgelegten Frage sei, nur in systematischer Ordnung und Ausführlichkeit« (Prol: 279). Da Geschmacksurteile keine Erkenntnisurteile, wohl aber synthetische Urteile a priori sind, kann Kant in der Kritik der ästhetischen Urteilskraft nur in diesem dritten Sinne Transzendentalphilosophie betreiben, nämlich im Sinne der Frage ›Wie sind Geschmacksurteile als synthetische Urteile a priori möglich?‹. Dies wird durch Kants folgende Erklärung bestätigt: »Daß Geschmacksurtheile synthetische sind, ist leicht einzusehen, weil sie über den Begrif, und selbst die Anschauung des Objects, hinausgehen, und etwas, das gar nicht einmal Erkenntniß ist, nämlich Gefühl der Lust (oder Unlust) zu jener als Prädicat hinzuthun. Daß sie aber, obgleich das Prädikat (der mit der Vorstellung verbundenen e i g e n e n Lust) empirisch ist, gleichwohl, was die geforderte Beystimmung v o n j e d e r m a n n betrift, Zitat aus Refl: 4890. Hinskes Formulierung dieser Bedeutung muss insofern als ungenau gelten, als Kant nicht nach der Möglichkeit aller Erkenntnisse a priori, sondern spezifisch der synthetischen Erkenntnisse a priori fragt. – Ferner scheint mir nicht ganz klar, wie sich die zweite und die dritte Bedeutung zueinander verhalten. So scheint die dritte Bedeutung in der zweiten Bedeutung mindestens implizit schon enthalten zu sein. 31 Für eine Übersicht über Entwicklungen und Transformationen des Begriffs »Transzendentalphilosophie« im kantischen Gesamtwerk vgl. auch Förster (2015). 32 Kurz darauf reformuliert Kant diese Frage folgendermaßen: »W i e s i n d s y n t h e t i s c h e E r k e n n t n i s s e a p r i o r i m ö g l i c h ? « (Prol: 278) Daraus geht hervor, dass Kant hier noch nicht die Möglichkeit von synthetischen Urteilen a priori, die keine Erkenntnisurteile sind, in Betracht zieht. 33 Vgl. auch B19. 29 30

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Urtheile a priori sind, oder dafür gehalten werden wollen, ist gleichfalls schon in den Ausdrücken ihres Anspruchs enthalten; und so gehört diese Aufgabe der Critik der Urtheilskraft [d. h. die Aufgabe: Wie sind Geschmacksurteile möglich?] unter das allgemeine Problem der Transscendentalphilosophie: Wie sind synthetische Urtheile a priori möglich?« (288,32 f.)

Hier stellt Kant erstens heraus, dass Geschmacksurteile synthetische Urteile a priori sind, und zweitens, dass die Frage, wie solche Geschmacksurteile möglich sind, aufgrund dieses Status der Geschmacksurteile als synthetische Urteile a priori ›unter das allgemeine Problem der Transscendentalphilosophie‹ gehört. 34 Und dieses ›allgemeine Problem‹ bestimmt er mit der Frage ›Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?‹. Kant nutzt hier also eindeutig die dritte oben genannte Bedeutung von »Transzendentalphilosophie«. Halten wir fest: Die Transzendentalphilosophie beschäftigt sich mit der Hauptfrage ›Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?‹. Geschmacksurteile sind synthetische Urteile a priori und fallen daher unter die Hauptfrage der Transzendentalphilosophie. Ausgehend vom bisherigen Befund können wir zwei positive Bedingungen für eine transzendentale Untersuchung formulieren: (a) Der Gegenstand einer transzendentalen Untersuchung sind synthetische Urteile a priori. (b) In einer transzendentalen Untersuchung werden die Bedingungen der Möglichkeit dieser synthetischen Urteile a priori identifiziert und deduziert. Durch diese beiden Bedingungen können wir ferner zweierlei ausschließen: (c) Der Gegenstand einer transzendentalen Untersuchung sind keine empirischen Urteile bzw. keine Urteile a posteriori (sowie natürlich keine analytischen Urteile). (d) Wenn man in der Untersuchung nicht die Ebene der empirischen Beschreibung eines Phänomens verlässt und also nicht die Frage Vgl. auch: »nämlich sie [die Kritik des Geschmacks] ist die Kunst oder Wissenschaft, das wechselseitige Verhältniß des Verstandes und der Einbildungskraft zu einander in der gegebenen Vorstellung (ohne Beziehung auf vorhergehende Empfindung oder Begrif), mithin die Einhelligkeit oder Mißhelligkeit derselben, unter Regeln zu bringen, und sie in Ansehung ihrer Bedingungen zu bestimmen. Sie ist K u n s t , wenn sie dieses nur an Beyspielen zeigt; sie ist W i s s e n s c h a f t , wenn sie die Möglichkeit einer solchen Beurtheilung von der Natur dieser Vermögen, als Erkenntnißvermögen überhaupt, ableitet. Mit der letzteren, als transscendentalen Critik haben wir es hier überall allein zu thun« (286,12).

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nach den Bedingungen der Möglichkeit der zu untersuchenden Urteile stellt, liegt keine transzendentale Untersuchung vor. 35 Dass Kant selbst das Geschmacksurteil nicht den empirischen Urteilen zuordnet 36 und klarerweise zu den Bedingungen der Möglichkeit der Geschmacksurteile vorzudringen meint, ist schon aus der oben zitierten Passage klar. Die entscheidende Frage ist jedoch: Wird durch den in dieser Arbeit vorgeschlagenen phänomenologischen Ansatz der Anspruch Kants untergraben, eine transzendentale Untersuchung vorzubringen? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir fragen, ob der vorgeschlagene phänomenologische Ansatz das Geschmacksurteil erstens in ein empirisches Urteil verkehrt und ob zweitens dieser Ansatz es unmöglich macht, überhaupt zu den Bedingungen der Möglichkeit des Geschmacksurteils vorzudringen. Nun ist das Geschmacksurteil deshalb ein Urteil a priori, weil in ihm eine in der ersten Person gefühlte Lust a priori auf alle anderen Urteilenden ausgedehnt wird. 37 Das Geschmacksurteil beruht aber eben immer auch auf einer in der ersten Person aktual gefühlten Lust und weist also immer eine empirische Komponente auf. Und auf diese empirische Komponente, d. h. die erlebte Lust, bezieht sich die Analyse des phänomenalen Gehalts der Lust. Durch diese phänomenologische Analyse wird aber ja keinesfalls eine Analyse der apriorischen Komponente des Geschmacksurteils und der dieser Komponente zugrundeliegenden Bedingungen der Möglichkeit unmöglich gemacht. Eine Kombination einer Analyse des phänomenalen Gehalts der empirisch erfahrenen Lust und einer Analyse der apriorischen Ausdehnung dieser Lust auf alle Menschen ist nicht mehr oder weniger plausibel oder unplausibel, als die Zwitterstellung des Geschmacksurteils selbst, als eines Urteils, das einerseits eine empirisch erlebte Lust umfasst und andererseits hinsichtlich seiner Allgemeinheit ein apriorisches Urteil ist. Eine phänomenologische Beschreibung der Lust am Schönen steht ferner auch nicht dem Schritt entgegen, zu den Bedingungen der Möglichkeit des Geschmacksurteils vorzudringen. Der phänomenale Gehalt der Lust am Schönen gehört nur selbst nicht zu Beim Schönen kommt dazu, dass die transzendentale Untersuchung des Geschmacksvermögens »nicht zur Bildung und Cultur des Geschmacks […] angestellt [wird]« (170,6). 36 In der KrV ging Kant jedoch noch davon aus, bezüglich der »Beurteilung des Schönen« seien alle »gedachte[n] Regeln, oder Kriterien, […] ihren vornehmsten Quellen nach bloß empirisch« (A21/B36). 37 Vgl. 289,22; siehe auch Kap. G5.4. 35

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diesen Bedingungen der Möglichkeit. Jedoch, so möchte ich nun zeigen, kann der phänomenale Gehalt einen Beitrag auf dem Weg hin zur Aufdeckung dieser Bedingungen der Möglichkeit leisten. Zunächst ist klar, dass durch eine transzendentale Untersuchung der Geschmacksurteile nicht ausgeschlossen wird, gewissermaßen propädeutisch oder mäeutisch eine empirische Untersuchung der Geschmacksurteile voranzustellen. 38 In diesem Sinne ist also nicht ausgeschlossen, dass einer transzendentalen Untersuchung zunächst eine empirische – also etwa eine phänomenologische – Beschreibung des beim Schönen Gegebenen, d. h des Gefühls der Lust, vorhergeht. Deutlich stärker ist schon, zweitens, die These, dass insbesondere im Kontext des Schönen eine transzendentale Untersuchung sogar auf einen empirischen Ausgangspunkt (der freilich überwunden werden muss) angewiesen ist. Denn um die Bedingungen der Möglichkeit von etwas aufzudecken, muss in einem ersten Schritt vorläufig geklärt sein, was überhaupt der Untersuchungsgegenstand ist, was also dieses etwas ist, von dem man die Bedingungen der Möglichkeit auffinden will. 39 Man muss also den Gegenstandsbereich der transzendentalen Untersuchung klären und abstecken. Wird, wie Esser erläutert, in der Transzendentalphilosophie »die Frage nach den Möglichkeitsbedingungen dieser [faktischen] Ereignisse und Sachverhalte gestellt und dabei zugleich auf die Möglichkeit der Beobachtung und Beschreibung selbst reflektiert« (Esser 1995a, 12), dann wird damit Vgl. Kants Ausführungen zu Burkes »empirische[r] Exposition des Erhabenen und Schönen« (277,4): »so muß ihm [dem Geschmacksurteil] irgend ein (es sey objectives oder subjectives) Princip a priori zum Grunde liegen, zu welchem man durch Aufspähung empirischer Gesetze der Gemüthsveränderungen niemals gelangen kann: weil diese nur zu erkennen geben, wie geurtheilt wird, nicht aber gebieten, wie geurtheilt werden soll, und zwar gar so, daß das Gebot u n b e d i n g t ist; dergleichen die Geschmacksurtheile voraussetzen, indem sie das Wohlgefallen mit einer Vorstellung u n m i t t e l b a r verknüpft wissen wollen. Also mag die empirische Exposition der ästhetischen Urtheile immer den Anfang machen, um den Stof zu einer höhern Untersuchung herbeyzuschaffen; eine transcendentale Erörterung dieses Vermögens ist doch möglich, und zur Critik des Geschmacks wesentlich gehörig« (278,22). 39 Dies konfligiert auch nicht damit, dass die »transzendentalen Bedingungen nach Kants Überzeugung nicht von dem jeweiligen Phänomen abgelesen oder abstraktiv gewonnen werden [können]« (Esser 1995a, 13). Denn es geht mir nicht darum, dass die Bedingungen der Möglichkeit etwa der Lust am Schönen, d. h. beispielsweise das freie Spiel und der Gemeinsinn, aus dem Erleben dieser Lust am Schönen unmittelbar abgelesen werden sollen; vielmehr geht es darum, dass mit Rekurs auf die erfahrene Lust derjenige Bereich bestimmt und abgegrenzt wird, dessen Bedingungen der Möglichkeit dann durch eine transzendentale Untersuchung aufgedeckt werden sollen. 38

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schon eine Bezugnahme auf diese faktischen Ereignisse und Sachverhalte bzw. auf ihre ›Beobachtung und Beschreibung‹ vorausgesetzt. 40 Damit eine solche Bezugnahme möglich ist, muss aber in einem ersten Schritt der zu untersuchende Sachverhalt bestimmt und von anderen Sachverhalten abgegrenzt werden. Und für den Sachverhalt des Schönen lautet eine solche Bestimmung: Geschmacksurteile zeichnen sich dadurch aus, dass ihnen eine phänomenal ausgezeichnete Lusterfahrung zugrunde liegt. Nichts anderes besagt Kants These, dass Geschmacksurteile ästhetische Urteile sind (§ 1). Um dann den Gegenstandsbereich der Untersuchung weiter einzugrenzen, ist es erforderlich, diese Lusterfahrung genauer zu bestimmen und von anderen Arten der Lust abzugrenzen. Dies geschieht in den §§ 2–8 – und zwar unter anderem, so meine These, durch eine phänomenologische Beschreibung dieser Lust. Diese phänomenologische Beschreibung dient also dazu, dasjenige Phänomen zu bestimmen, von dem im nächsten Schritt die Bedingungen der Möglichkeit aufgedeckt werden. Freilich hat dabei die Art des Phänomens auch einen wichtigen Einfluss darauf, welche Bedingungen der Möglichkeit ihm zugrunde liegen. So wird etwa durch das Phänomen des Schönen bereits festgelegt, dass ihm keine begrifflichen Prinzipien als Bedingungen zugrunde liegen können. Schließlich können wir, drittens, noch fragen, woran man allererst erkennt, dass sich ein Phänomen bzw. ein Urteil für eine transzendentale Untersuchung eignet. Nun kann ja der Gegenstand einer solchen Untersuchung nur ein synthetisches Urteil a priori sein. In der KrV erläutert Kant dazu bekanntermaßen: »Es kommt hier auf ein Merkmal an, woran wir sicher ein reines Erkenntnis von empirischen unterscheiden können. […] Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit sind also sichere Kennzeichen einer Erkenntnis a priori, und gehören auch unzertrennlich zu einander« (B3 f.).

Ein synthetisches Urteil a priori wird somit als solches dadurch kenntlich, dass es Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit beansprucht. In diesem Sinne muss ein wenigstens vorläufiges Wissen Freilich wird durch die Offenlegung der Bedingungen der Möglichkeit eines Phänomens das letztere insofern allererst konstituiert, als wir die Konstitutionsbedingungen des Phänomens offenlegen (vgl. Esser 1995a, 14 f.). Aber diese Konstitutionsbedingungen sind ja auch schon am Werk, bevor wir sie theoretisch offenlegen, sodass es das Phänomen selbst vor der Durchführung der transzendentalen Untersuchung bereits gibt.

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um die Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit eines Urteils der transzendentalen Untersuchung eben dieses Urteils vorhergehen. Wie es möglich ist, dass das Urteil Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit beansprucht, und dass das Urteil diesen Anspruch zu Recht erhebt, kann dann freilich erst die transzendentale Untersuchung (und die Deduktion der bei dieser Untersuchung aufgedeckten Bedingungen) leisten. Dass auch die transzendentale Untersuchung der ästhetischen Urteile eine solche Kenntnis des Anspruchs auf Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit voraussetzt, geht etwa aus der folgenden Passage hervor (die sich zwar im Kontext des Erhabenen findet, aber problemlos übertragbar ist): »Denn die [Modalität der Notwendigkeit] macht eben an ihnen [ästhetischen Urteilen] ein Princip a priori kenntlich und hebt sie aus der empirischen Psychologie, in welcher sie sonst unter den Gefühlen des Vergnügens und Schmerzes […] begraben bleiben würden, um sie, und vermittelst ihrer die Urtheilskraft, in die Classe derer zu stellen, welche Principien a priori zum Grunde haben, als solche aber, sie in die Transcendentalphilosophie hinüberzuziehen« (266,11). 41

Durch unser Bewusstsein von der Notwendigkeit nicht nur des Urteils über das Erhabene, sondern auch des Urteils über das Schöne wird also kenntlich, dass diesem Urteil ein Prinzip a priori zugrunde liegt. Dieses Bewusstsein der Notwendigkeit ist uns, so werde ich später zeigen, zwar nicht im phänomenalen Gehalt der Lust gegeben, wohl aber als ein das Urteil begleitender Gedanke. 42 In diesem Sinne geht unsere Kenntnis von der Notwendigkeit des Geschmacksurteils der transzendentalen Untersuchung dieses Urteils vorher. Da nun Vgl. auch: »so wäre es, wenn man einem solchen Urtheile dergleichen Anspruch [auf Notwendigkeit] zugesteht, ungereimt, ihn dadurch zu rechtfertigen, daß man den Ursprung des Urtheils psychologisch erklärte. […] und, wenn die versuchte Erklärung vollkommen gelungen wäre, so würde sie beweisen, daß das Urtheil auf Nothwendigkeit schlechterdings keinen Anspruch machen kann, eben darum, weil man ihm seinen empirischen Ursprung nachweisen kann. [Absatz] Nun sind die ästhetischen Reflexionsurtheile (welche wir künftig unter dem namen der Geschmacksurtheile zergliedern werden) von der oben genannten Art. Sie machen auf Nothwendigkeit Anspruch und sagen nicht, daß jedermann so urtheile – dadurch sie eine Aufgabe zur Erklärung für die empirische Psychologie seyn würden – sondern daß man so urtheilen s o l l e , welches so viel sagt, als: daß sie ein Princip a priori für sich haben« (EEKU: 238,28 f.). 42 Siehe Kap. 18.4. – Vgl. auch: »Findet sich also Erstlich ein Satz, der zugleich mit seiner Notwendigkeit gedacht wird, so ist er ein Urteil a priori« (B3, m. H. & Kants H. getilgt). 41

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»Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit […] auch unzertrennlich zu einander [gehören]« (B4), reicht bereits die Kenntnis der Notwendigkeit oder der strengen Allgemeinheit eines Urteils aus, um es als einer transzendentalen Untersuchung fähig auszuweisen. Daher ist im obigen Zitat der Hinweis auf die Notwendigkeit des Geschmacksurteils hinreichend. Wichtiger ist aber noch, dass ebenso bereits ein Hinweis auf die Allgemeinheit bzw. Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils hinreichend ist, um es als Gegenstand einer transzendentalen Untersuchung zu qualifizieren. Und es ist genau dieser Weg, den Kant selbst in der Analytik des Schönen beschreitet. So schreibt Kant, nachdem er im Zweiten Moment die Allgemeingültigkeitsthese des Geschmacksurteils (und der Lust) eingeführt hat: »Diese besondere Bestimmung der Allgemeinheit eines ästhetischen Urtheils, die sich im Geschmacksurtheile antreffen läßt, ist eine Merkwürdigkeit […] für den Transscendental-Philosophen, welche seine nicht geringe Bemühung auffordert, um den Ursprung derselben zu entdecken« (§ 8.A.1, 213,28). Es ist also eigentlich die Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils, mittels deren Kant zur Ebene der transzendentalen Untersuchung überleitet. Und diese Allgemeingültigkeit ›treffen‹ wir im Geschmacksurteil ›an‹, d. h. wir haben ein Bewusstsein von der Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils, das der transzendentalen Untersuchung vorhergeht. Und da sich die Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils auf die Allgemeingültigkeit der Lust gründet, muss es unser Bewusstsein der Allgemeingültigkeit der Lust sein, das eigentlich der transzendentalen Untersuchung vorhergeht. Anders als bei der Notwendigkeit besteht unser Bewusstsein der Allgemeingültigkeit nicht (oder nicht primär) in einem das Urteil begleitenden Gedanken, sondern es manifestiert sich im phänomenalen Gehalt der Lust. Freilich kann dann erst die transzendentale Untersuchung zeigen, welches die Bedingungen der Möglichkeit dieser spezifischen Allgemeingültigkeit sind und dass diese Allgemeingültigkeit zu Recht beansprucht wird. Eine Kenntnis der Allgemeingültigkeit – sei sie im phänomenalen Gehalt der Lust oder anderweitig gegeben – muss aber immer schon der transzendentalen Analyse vorhergehen. Somit greift der zu Beginn genannte Kritikpunkt nicht, durch die Annahme, die Allgemeingültigkeit sei im phänomenalen Gehalt der Lust gegeben, werde ein zentrales Ergebnis der transzendentalen Analyse in den Ausgangspunkt verschoben. 43 Denn durch die Annahme der 43

Ich möchte allerdings betonen, dass uns die Allgemeingültigkeit der Lust nicht nur

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im phänomenalen Gehalt der Lust gegebenen Allgemeingültigkeit wird ja keineswegs das Ergebnis der transzendentalen Analyse vorweggenommen, welches besagt, dass diese Allgemeingültigkeit auf dem freien und harmonischen Spiel der Erkenntniskräfte bzw. dem Gemeinsinn und dem Prinzip a priori der Urteilskraft beruht und dass das Geschmacksurteil bzw. die Lust diese Allgemeingültigkeit zu Recht beansprucht. Ein phänomenologisches Verständnis der Lust am Schönen widerspricht also nicht dem transzendentalphilosophischen Ansatz Kants, sondern geht mit diesem sogar Hand in Hand. Halten wir die wichtigsten Punkte noch einmal fest: (i) Eine empirische und eine transzendentalphilosophische Untersuchung des Geschmacksurteils schließen sich nicht aus. Wichtig ist nur, dass im Laufe der Untersuchung ein Übergang von der Ebene der empirischen Beschreibung zur transzendentalen Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit stattfindet. (ii) Eine transzendentalphilosophische Untersuchung setzt voraus, dass der Gegenstandsbereich dieser Untersuchung zuvor bestimmt und abgegrenzt wird. Der Gegenstandsbereich des Schönen wird (unter anderem) durch eine phänomenologische Beschreibung der Lust am Schönen eingegrenzt. (iii) Eine transzendentalphilosophische Untersuchung kann nur auf synthetische Urteile a priori Anwendung finden. Dass das Geschmacksurteil unter die Klasse der synthetischen Urteile a priori fällt, wird durch seine Allgemeingültigkeit (und Notwendigkeit) kenntlich. Die Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils beruht auf der Allgemeingültigkeit der Lust am Schönen, wobei uns letztere (unter anderem) im phänomenalen Gehalt der Lust gegeben ist.

G1.5 Literaturbericht Die Frage, wie sich die Lust am Schönen anfühlt, d. h. wie der spezifische phänomenale Gehalt dieser Lust zu charakterisieren ist, wird in der Sekundärliteratur nur selten gestellt; eine Ausnahme dazu bildet vor allem Recki im phänomenalen Gehalt der Lust gegeben ist, sondern dass die Allgemeingültigkeitsthese auch aus der Uninteressiertheitsthese abgeleitet werden kann (siehe Kap. 6.2). Die Uninteressiertheit der Lust als Ausgangspunkt der ganzen Analyse muss aber, wie erläutert, primär phänomenologisch gedeutet werden.

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(2004). 44 Von einigen AutorInnen wird sogar bestritten, dass die Lust am Schönen überhaupt über einen spezifischen phänomenalen Gehalt verfügt und dadurch von anderen Arten der Lust unterscheidbar ist. Die These, dass die verschiedenen Formen von Lust über keinen unterscheidbaren phänomenalen Gehalt verfügen, wurde ursprünglich, wie schon bemerkt, von Guyer vorgebracht (vgl. Guyer 1979, 116–119; Guyer 2018). Guyers These haben sich etwa Esser und Kern angeschlossen (vgl. Esser 1997, 128; Esser 1995b, 433; Kern 2000, 21). Allerdings findet sich bei Esser die folgende Formulierung, die ganz so klingt, als nehme sie an, wir hätten in der Lust am Schönen ein phänomenales Bewusstsein der Freiheit: »Im ästhetischen Urteil fühlt sich der Urteilende bezüglich seines Lustgefühls frei von äußeren Bestimmungen« (Esser 1997, 135). Und in einem Text Kerns findet sich die Andeutung, wir würden beim Schönen »fühlen, daß wir in die Welt passen« (Kern 2002, 111). Eine etwas schwächere These, nämlich dass Kant sich bei der Differenzierung der verschiedenen Arten von Lust nicht auf deren phänomenalen Gehalt beziehe, vertritt Ameriks: »Kant makes no intrinsic distinction between these [merely sensual reaction and genuinely disinterested aesthetic response] (e. g. by appealing to different felt qualia of pleasure)« (Ameriks 2003, 304 f.). Ähnlich schreibt Kulenkampff: »Kant hat an keiner Stelle Erlebnisqualitäten von Lust unterschieden, er hat keine Phänomenologie des Gefühls gegeben. Und er war offenbar der Meinung, daß die Differenzierung des subjektiven Bewußtseins hinsichtlich seiner Erlebnisqualitäten von keiner großen Verläßlichkeit sein kann« (Kulenkampff 1994, 76; vgl. auch Kulenkampff 1995, 41). Zuckert geht davon aus, dass »phenomenological distinctions« bzw. »qualitative differentiations among pleasures« für Kant »the results of empirical, psychological investigation« wären (Zuckert 2002, 243; vgl. auch Zuckert 2007, 242 f.) und daher nicht zu seinem eigenen Projekt gehörten. Wir könnten die verschiedenen Arten von Lust aber aufgrund ihrer verschiedenen Intentionalität unterscheiden: »For on an intentional view of pleasure, pleasures have ›contents‹ that differentiate pleasures internally« (Zuckert 2002, 243). Wenngleich die allermeisten AutorInnen nicht explizit auf den phänomenalen Gehalt der Lust am Schönen eingehen, so finden sich doch bisweilen Formulierungen, die andeuten, dass spezifischen Thesen Kants eine phänomenologische Bedeutung beigemessen wird. In Richtung eines phänomenologischen Verständnisses der Uninteressiertheitsthese deutet Wenzel (vgl. Wenzel 2000, 79 f.). An anderer Stelle legt er zudem nahe, dass sich die Zweckmäßigkeit ohne Zweck im phänomenalen Gehalt der Lust niederschlage. Er spricht diesbezüglich vom »feeling that we belong and fit into Bezüglich des Erhabenen betont Deligiorgi: »they [›What is it like?‹ questions] continue to have a role in the discussion of the sublime in the third Critique, since the felt quality of the experience still has a place in the analysis of the sublime« (Deligiorgi 2018, 170).

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nature« (Wenzel 2008, 59; vgl. auch 124). Ähnlich spricht Breitenbach (mit Bezug auf die Schönheit in der Wissenschaft) von »the feeling that our minds are in harmony with the world as a whole« und »this experience of being in tune with the world around us« (Breitenbach 2018, 298). Ginsborg legt ein phänomenologisches Verständnis der Allgemeingültigkeitsthese nahe, da sie in der Lust ein Bewußtsein der Allgemeingültigkeit des mentalen Zustandes verortet (vgl. Ginsborg 2015, 29 ff.). Zudem heißt es: »To feel pleasure in the beautiful is simply to be aware that one’s present state of awareness is appropriate given one’s current objective environment« (Ginsborg 2015, 29). Explizit ein phänomenologisches Verständnis von AT findet sich bei Aquila: »The universal validity of the pleasure in question is […] something which is not merely thought but which is actually felt or in some sense perceived« (Aquila 1982, 99). Wieland nimmt verschiedene Anmerkungen zum phänomenalen Gehalt der Lust vor. So heißt es etwa zum Bewusstsein der Zweckmäßigkeit: »Im Gefühl des interesselosen Wohlgefallens wird demnach vom Urteilenden auch die – auf seine Urteilskraft bezogene – Zweckmäßigkeit des das Urteil veranlassenden Gegenstandes empfunden« (Wieland 2001, 267). Und zur Allgemeingültigkeit führt er aus: »Die Gemeingültigkeit des Geschmacksurteils gehört zugleich zu seinem Inhalt, wie er vom Urteilenden empfunden wird« (Wieland 2001, 282; vgl. auch 284). Recki misst der Freiheitsthese eine phänomenologische Bedeutung zu: »Man fühlt sich frei« (Recki 2004, 285). Ferner scheint sie auch ein phänomenologisches Verständnis der Zweckmäßigkeit ohne Zweck zu haben, ohne dass sie dabei jedoch explizit auf den Terminus »Zweckmäßigkeit ohne Zweck« verweist: »Man fühlt sich bei sich selbst und in der Welt gut aufgehoben« (Recki 2004, 284). Als weitere Komponente des phänomenalen Gehalts der Lust am Schönen identifiziert sie schließlich das Folgende: »Man fühlt sich animiert, denn die ästhetische Reflexion, das freie Spiel der Erkenntniskräfte, bewirkt ein Gefühl, in dem die eigene Lebendigkeit bewusst wird« (Recki 2004, 284). Dieser letzten These Reckis würde ich nicht widersprechen wollen; jedoch würde ich sie als Kennzeichnung einer jeden Lust verstehen, da ich jede Lust als gefühltes Bewusstsein einer inneren Belebung verstehe.

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§ 3 Eine Theorie des Angenehmen

Zum Ende von § 2 kündigt Kant an, dem »reinen uninteressirten Wohlgefallen im Geschmacksurtheile dasjenige, was mit Interesse verbunden ist, entgegen[zu]setzen« (§ 2.B.1, 205,19). Zudem äußert er die These, »daß es nicht mehr Arten des Interesse gebe, als die eben jetzt namhaft gemacht werden sollen« (§ 2.B.1, 205,21). Die beiden Arten des Wohlgefallens, die er daraufhin ›namhaft macht‹, sind das Wohlgefallen am Angenehmen (§ 3) und am Guten (§ 4). Kants Ausführungen zur Lust am Schönen, Angenehmen und Guten münden dann in § 5 in eine »Vergleichung der drey specifisch verschiedenen Arten des Wohlgefallens« (§ 5.T, 209,14). In § 3 behandelt Kant also die Lust am Angenehmen als eine der beiden Arten von Lust, die mit Interesse verbunden sind bzw. selbst ein Interesse sind. Seine Ausführungen in diesem Paragraphen haben die folgende Gliederung: 1. Definition des Angenehmen (§ 3.A.1, 205,26–27) 2. Einschub: Ein mögliches Missverständnis (§ 3.A.2-C.2, 205,27– 206,36) a) Benennung des Missverständnisses und der Konsequenzen (§ 3.A.2–7, 205,27–206,18) b) Unterscheidung von objektiver und subjektiver Empfindung (§ 3.B.1-C.2, 206,19–36) 3. Begründung der These, dass das Angenehme mit Interesse verbunden ist (§ 3.D.1, 206,37–207,5) 4. Abgrenzung des Interesses am Angenehmen von der uninteressierten Lust am Schönen (§ 3.D.2–3, 207,5–12) Für die Abgrenzung der Lust am Schönen von der Lust bzw. dem Interesse am Angenehmen sind insbesondere die Unterpunkte 1. und 3. relevant.

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3.1 Zur Definition des Angenehmen In § 3 verwendet Kant zum ersten Mal im Text der Analytik des Schönen den Begriff des Angenehmen. 1 Er führt diesen Begriff durch die folgende Definition offiziell ein: § 3.A.1 »ANGENEHM i s t d a s , w a s d e n S i n n e n i n d e r E m p f i n d u n g g e f ä l l t « (205,26).

Wir können in dieser Definition drei zentrale Bestandteile identifizieren: ›Sinne‹, ›Empfindung‹ und ›gefallen‹. Ich werde im Folgenden auf alle drei Bestandteile einzeln eingehen. Zum ›Gefallen‹ : Das Verb ›gefällt‹ verweist auf das Wohlgefallen; denn der ganze Kontext des Ersten Moments besteht darin, verschiedene Arten des Wohlgefallens vorzustellen und voneinander abzugrenzen. So überschreibt Kant § 3 mit: »Das Wohlgefallen am A n g e n e h m e n ist mit Interesse verbunden« (§ 3.T, 205,25). Ich gehe davon aus, dass Kant die Begriffe »Wohlgefallen« und »Lust« in der KU synonym verwendet. 2 Kant führt dann in § 3.A.1 an, dass sich das Angenehme durch ein Wohlgefallen oder eben eine Lust konstituiert. In dieser Eigenschaft stimmt es mit dem Schönen und Guten überein. Die entscheidende Frage ist demnach, wie sich die spezifische Lust am Angenehmen von den anderen Arten der Lust unterscheidet. Wir können aber zunächst festhalten: A1 Das Angenehme konstituiert sich durch eine Lust.

Im Verlauf von § 3 wird Kant erläutern, dass eine Lust auch als subjektive Empfindung bezeichnet werden kann und von der objektiven Empfindung unterschieden ist. So gehört »die Annehmlichkeit« einer grünen Wiese »zur s u b j e c t i v e n Empfindung« (§ 3.C.2, 206,32).

Dies ist insofern erstaunlich, als das Angenehme sowohl in § 1 (Urteile über das Angenehme sind ästhetische Urteile) als auch in § 2 (Das Angenehme ist eine Form von Interesse) implizit eine Rolle spielt. 2 Kant verwendet in Bezug auf das Angenehme auch mehrfach den Begriff der Lust. Vgl. etwa: »Das Angenehme, das Schöne, das Gute bezeichnen also drey verschiedene Verhältnisse der Vorstellungen zum Gefühl der Lust und Unlust« (§ 5.B.1, 209,29); »Denn dergleichen Lust würde keine andere, als die bloße Annehmlichkeit in der Sinnenempfindung seyn« (§ 9.B.2, 217,3). Auch bei Grimm wird als erste Bedeutung von »Wohlgefallen« »lust, freude« angegeben (Grimm: Wohlgefallen). Vgl. für die Synonymie beider Begriffe auch Hilgers 2017, 15. 1

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§ 3 Eine Theorie des Angenehmen

Zu den ›Sinnen‹ : Ein erstes Spezifikum der Lust am Angenehmen besteht darin, dass es die Sinne sind, denen hier etwas gefällt. 3 Dies darf selbstverständlich nicht so verstanden werden, als würden die Sinne hier selbst Lust empfinden; denn freilich kann nur ein Wesen mit Bewusstsein, und nicht irgendein isoliertes (Sinnes-)Organ Lust fühlen. Vielmehr ist gemeint, dass es (ausschließlich) eine Aktivität der Sinne ist, die für eine Lust am Angenehmen vorausgesetzt ist. 4 So heißt es in § 4: § 4.C.4 »Das Angenehme, das, als ein solches, den Gegenstand lediglich in Beziehung auf den Sinn vorstellt, […]« (208,1, m. H.).

Wir werden gleich sehen, dass wir eine Lust am Angenehmen unmittelbar an einem Sinneseindruck, d. h. einer objektiven Empfindung, fühlen. Daher bedarf ein Subjekt nur der Sinnesorgane (und keiner intellektuellen Vermögen), um eine solche Lust zu fühlen. Dies ist ein erstes Abgrenzungskriterium gegenüber der Lust am Schönen und am Guten. So liegt der Lust am Schönen ein freies Spiel von Einbildungskraft und Verstand zugrunde und die Lust am Guten setzt eine Aktivität des Willens bzw. der Vernunft voraus. Im Gegensatz dazu ist die Lust am Angenehmen viel weniger voraussetzungsreich. Dies hat weitreichende Konsequenzen dafür, was wir als angenehm empfinden. Da erstens keine Aktivität des Verstandes notwendig ist, müssen wir keinen Gegenstand begrifflich erfassen. Dies schließt nicht aus, dass man einen angenehmen Gegenstand (etwa Schokolade) begrifflich erfassen kann; aber die begriffliche Erfassung ist nicht konstitutiv für die Lust am Angenehmen. Dass für die Lust am Angenehmen keine Aktivität des Verstandes notwendig ist, bedeutet allerdings nicht, dass für ein Urteil über das Angenehme keine Aktivität des Verstandes notwendig ist. 5 Zweitens ist auch keine Aktivität der Einbildungskraft konstitutiv für das Angenehme. Ich muss also das Mannigfaltige der Empfindungen nicht zur Form (etwa eines Baumes) zusammengesetzt haben, sondern kann einen bloßen einzelnen

Vgl. auch: »Ve r g n ü g e n ist eine Lust durch den Sinn, und was diesen belustigt, heißt a n g e n e h m « (Anth: 230). 4 Ich werde später darlegen, dass es eine Belebung der Sinnesorgane ist, die vom fühlenden Subjekt als Gefühl der Lust am Angenehmen erlebt wird. Grundsätzlich vertrete ich die These, dass jede innere Belebung – sei sie physisch oder intellektuell – vom Subjekt als Lust erlebt wird. Siehe Kap. 9.6.3 sowie 4.1.1. 5 Siehe Kap. G2.1.2. 3

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Sinneseindruck (etwa des Grüns) als angenehm empfinden. 6 Diese Unabhängigkeit von intellektuellen Vermögen macht es möglich, dass auch Tiere, die nicht über intellektuelle Vermögen verfügen, Lust am Angenehmen empfinden können. Daher kann Kant in § 5 schreiben: »Annehmlichkeit gilt auch für vernunftlose Thiere« (§ 5.B.4, 210,6). Wir können insgesamt als weitere Charakterisierung des Angenehmen festhalten: A2 Für eine Lust am Angenehmen bedarf es nur einer Aktivität der Sinnesorgane (nicht aber der intellektuellen Vermögen).

Zur ›Empfindung‹ : Der zentrale Begriff der Definition des Angenehmen ist »Empfindung«. Ich möchte an dieser Stelle die Differenzierung zwischen objektiver und subjektiver Empfindung, die Kant in den folgenden Absätzen vornimmt, noch nicht genauer betrachten. Hier reicht es aus, kurz zu bemerken, dass eine objektive Empfindung ein Sinneseindruck ist, während eine subjektive Empfindung ein Gefühl der Lust oder Unlust ist. 7 Zur Definition des Angenehmen in § 3.A.1 heißt es erläuternd: § 3.C.1a »Wir verstehen aber in der obigen Erklärung unter dem Worte Empfindung eine objective Vorstellung der Sinne; […]« (206,26).

Nun ist die Definition des Angenehmen in § 3.A.1 die einzige ›Erklärung‹, die Kant in den ersten beiden Absätzen von § 3 vorbringt. Dies wird auch daran deutlich, dass er im unmittelbaren Anschluss an § 3.A.1 zur Problematik der Doppeldeutigkeit des Begriffs »Empfindung« übergeht. Wir können somit Kants Aussage in § 3.C.1a auf § 3.A.1 anwenden und erhalten: § 3.A.1R1a Angenehm ist das, was den Sinnen in der objektiven Empfindung (Sinneseindruck) gefällt.

Ich hatte bereits den Begriff des Sinneseindrucks als alternative Bezeichnung für »objektive Empfindung« genutzt. In diesem Sinne spricht Kant selbst von den »Eindrücke[n] der Sinne, welche die NeiDies bedeutet nicht, dass wir nicht (in den meisten Fällen) das Mannigfaltige der Empfindungen zur Form auffassen, etwa zur Form eines Baumes. Aber was ich als angenehm empfinde, ist nicht die Form des Baumes, sondern die (einzelne) Grünempfindung. 7 Vgl.: »Wenn eine Bestimmung des Gefühls der Lust oder Unlust Empfindung genannt wird, so bedeutet dieser Ausdruck etwas ganz anderes, als wenn ich die Vorstellung einer Sache (durch Sinne, als eine zum Erkenntnißvermögen gehörige Receptivität) Empfindung nenne« (§ 3.B.1, 206,19). – Siehe Kap. 3.1.2. 6

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gung […] bestimmen« (§ 3.A.5, 206,4, m. H.). Ein Beispiel für einen solchen Sinneseindruck wäre etwa die »grüne Farbe der Wiesen« (§ 3.C.2, 206,31) (wobei es für die bloße Empfindung des Grüns unerheblich ist, dass es das Grün einer Wiese ist). Innerhalb der kantischen Erkenntnistheorie lässt sich die Rolle der Empfindung nun folgendermaßen begreifen: Gegenstände affizieren unsere Sinne. »Die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit, so fern wir von demselben affiziert werden, ist E m p f i n d u n g « (A19 f./ B34). 8 Empfindungen sind somit Sinneseindrücke, die unmittelbar von Gegenständen im Menschen hervorgerufen werden; 9 der Mensch selbst ist dabei passiv. Da Empfindungen allein auf der Sinnlichkeit beruhen, sind sie dem Bereich des Empirischen beizuzählen und sind also Vorstellungen a posteriori. 10 Weil nun Empfindungen von Gegenständen, die unsere Sinnlichkeit affizieren, hervorgerufen werden, setzen sie immer die Existenz des Gegenstandes voraus, der uns affiziert. Umgekehrt ist dann die Empfindung dasjenige, durch die uns etwas Existierendes gegeben ist. So heißt es in der Einleitung zur KU: »E m p f i n d u n g (hier die äußere) drückt […] das bloß Subjective unserer Vorstellungen der Dinge außer uns aus, aber eigentlich das Materielle (Reale) derselben [Dinge außer uns] (wodurch etwas Existirendes gegeben wird)« (189,10). Wie bereits bei den Untersuchungen von § 2 angedeutet, ist es genau dieser Bezug zum existierenden Gegenstand, der zentral für das Verständnis der Lust am Angenehmen als Interesse ist. Ferner ist die Empfindung die Materie der Erscheinung und steht damit im Gegensatz zur Form. 11 Während wir die Form eines Gegenstandes erst dadurch erlangen, dass die Einbildungskraft das Mannigfaltige der Empfindungen mittels der Anschauungsformen a priori (Raum und Zeit) ordnet, ist uns die Empfindung als Materie, die angeordnet wird, passiv gegeben. Schließlich weisen Empfindungen, da sie weder mittels der Anschauungsformen a priori noch der Begriffe a priori (Kategorien) synthetisiert werden, einen problematischen epistemischen Status auf. Laut der StufenVgl. auch die korrespondierende Definition von Sinnlichkeit als »[d]ie Fähigkeit, (Rezeptivität) Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen« (A19/B33). 9 Vgl. dazu Chignell 2015, 496. 10 Vgl.: »Empfindung ist das eigentliche empirische unserer Erkenntnis« (Refl: LX E 28 – A 143). 11 Vgl.: »In der Erscheinung nenne ich das, was der Empfindung korrespondiert, die M a t e r i e derselben« (A19/B34). 8

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leiter der KrV ist eine Empfindung »[e]ine P e r z e p t i o n , die sich lediglich auf das Subjekt, als die Modifikation seines Zustandes bezieht« (A320/B376). Sie ist daher in einem starken Sinne subjektiv, d. h. sie kann bei verschiedenen Subjekten unterschiedlich sein. So heißt es in § 14: »weil die Qualität der Empfindungen selbst nicht in allen Subjecten als einstimmig, und die Annehmlichkeit einer Farbe vorzüglich vor der andern, […] sich schwerlich bey jedermann als auf gleiche Art beurtheilt annehmen läßt« (§ 14.C.3, 224,17, m. H.). 12 Im Fall der grünen Wiese kann es demnach sein, dass zwei Personen jeweils eine andere Farbempfindung haben. Die Subjektivität von Empfindungen ist insbesondere für die bloße Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen relevant. Kehren wir zur Lust am Angenehmen zurück. Sie kann als Lust an einer objektiven Empfindung, d. h. als Lust an einem Sinneseindruck, begriffen werden. Sie ist also unmittelbar daran gebunden, wie uns ein (existierender) Gegenstand affiziert, und hat in diesem Sinne einen unmittelbaren Bezug zum existierenden Gegenstand. Da die Empfindung selbst nur die Fähigkeit zur Sinnlichkeit voraussetzt, setzt auch die Lust am Angenehmen als Lust unmittelbar an der Empfindung nur Sinnlichkeit und keine Aktivität von Einbildungskraft, Verstand oder Vernunft voraus. Die Lust am Angenehmen ist dabei in zweierlei Hinsicht unmittelbar: Erstens ist sie insofern unmittelbar, als sie ohne eine vorhergehende intellektuelle Verarbeitung an der gegebenen Vorstellung bzw. Empfindung gefühlt wird. Sie hängt »von der Vorstellung, wodurch der Gegenstand g e g e b e n w i r d , unmittelbar ab[.]« (§ 9.B.2, 217,6). Zweitens ist die Lust am Angenehmen auch insofern unmittelbar, als der korrespondierende Gegenstand nicht bloß als Mittel zum Zweck gefällt. In dieser Eigenschaft stimmt das Angenehme mit dem Schönen (und moralisch Guten) überein, ist aber vom Nützlichen unterschieden. 13 Im Übrigen ist das Angenehme nicht an einen spezifischen Sinn gebunden. Vielmehr können wir an allen Arten von Empfindungen (des Seh-, Hör-, Geruchs-, Geschmacks- und Tastsinns) eine Lust am Angenehmen fühlen. 14 So benennt Kant als Beispiele für das AngeVgl. auch: »So kann dem, welchem der Sinn des Geruchs fehlt, diese Art der Empfindung nicht mitgetheilt werden; und, selbst wenn er ihm nicht mangelt, kann man doch nicht sicher seyn, ob er gerade die nämliche Empfindung von einer Blume habe, die wir davon haben« (291,28). 13 Vgl. hierzu § 4.C.5, 208,4. 14 Darin unterscheidet sich das Angenehme vom Schönen; denn auf Seiten der Sinn12

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nehme etwa die »grüne Farbe der Wiesen« (§ 3.C.2, 206,31), ein »durch Gewürze und andre Zusätze den Geschmack erhebenden Gerichte« (§ 4.D.2, 208,13), den Geschmack von »Canariensect« (§ 7.A.2, 212,12), den bloßen Ton »einer Violine« (§ 14.C.2, 224,9) sowie den Geruch einer Rose (vgl. § 8.E.5, 215,25). Wir können nunmehr zur Definition des Angenehmen das Folgende festhalten: i. Das Angenehme ist Gegenstand einer Lust. ii. Für eine Lust am Angenehmen bedarf es nur des Vermögens der Sinnlichkeit, nicht aber der Einbildungskraft, des Verstandes oder der Vernunft. iii. Die Lust am Angenehmen wird unmittelbar an einer (objektiven) Empfindung, d. h. an einem Sinneseindruck, gefühlt. Eine Empfindung wird unmittelbar durch einen existierenden Gegenstand verursacht. Sie kann in verschiedenen Personen unterschiedlich sein.

3.1.1 Zwei Formen der Lust am Angenehmen An dieser Stelle ist es sinnvoll, zwei Arten der Lust am Angenehmen zu unterscheiden. Die Lust am Angenehmen, wie sie in § 3.A.1 eingeführt wird, ist eine Lust an einer (gegebenen) Empfindung, etwa am Geschmack von Schokolade. In solchen Fällen haben wir wirklich eine Empfindung und fühlen daran wirklich eine Lust. Davon zu unterscheiden sind Fälle, bei denen wir das Angenehme bloß antizipieren. So können wir etwa den Geschmack von Schokolade sowie die daran empfundene Lust antizipieren; diese Antizipation des Angenehmen kann als Bestimmungsgrund unseres Begehrungsvermögens dienen. Wir werden dann etwa Schokolade kaufen. Im Sinne eines solchen antizipierten Angenehmen führt Kant in der KpV aus: »Ich verstehe unter der Materie des Begehrungsvermögens einen Gegenstand, dessen Wirklichkeit begehret wird. Wenn die Begierde nach diesem Gegenstande nun vor der praktischen Regel vorhergeht und die Bedingung ist, sie sich zum Prinzip zu machen, so sage ich (e r s t l i c h ): dieses Prinzip ist alsdenn jederzeit empirisch. Denn der Bestimmungsgrund der Willkür lichkeit sind Erfahrungen des Schönen immer nur im Bereich des Sehens oder Hörens (Fernsinne) möglich. – Es scheint mir außerdem unklar, ob wir auch durch den inneren Sinn angenehme Empfindungen erhalten können. Kants Philosophie des Schönen

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§ 3 Eine Theorie des Angenehmen

ist alsdenn die Vorstellung eines Objekts, und dasjenige Verhältnis derselben zum Subjekt, wodurch das Begehrungsvermögen zur Wirklichmachung desselben bestimmt wird. Ein solches Verhältnis aber zum Subjekt heißt die L u s t an der Wirklichkeit eines Gegenstandes« (KpV: 21).

In dem hier geschilderten Fall wird die Willkür durch ›die Vorstellung eines Objekts‹ bestimmt, wobei dieses Objekt noch nicht existiert, sondern vielmehr erst wirklich gemacht werden soll (›Wirklichmachung‹). Diese Bestimmung der Willkür erfolgt mittels eines Gefühls der Lust; denn die Lust ist ›dasjenige Verhältnis derselben [Willkür] zum Subjekt, wodurch das Begehrungsvermögen zur Wirklichmachung desselben [Gegenstandes] bestimmt wird‹. Diese Lust wird als eine ›Lust an der Wirklichkeit des Gegenstandes‹ identifiziert. Da dieser Gegenstand aber eben noch nicht existiert, muss es sich um eine Lust an der antizipierten Wirklichkeit des Gegenstandes handeln. Bei dieser Lust handelt es sich offenkundig um eine Lust am Angenehmen. Es gibt demnach eine Lust am Angenehmen an der antizipierten Wirklichkeit eines Gegenstandes. Man könnte hier von der Lust auf etwas (etwa auf Schokolade) sprechen. 15 Diese Lust am antizipierten Gegenstand bestimmt, folgt man dem obigen Zitat, das Begehrungsvermögen. 16 Der Grundgedanke ist dabei, dass wir einen angenehmen Gegenstand antizipieren, von dem wir uns eine Lust erwarten, und bereits am antizipierten Gegenstand eine Lust am Angenehmen fühlen; diese wirklich gefühlte Lust am antizipierten Gegenstand bestimmt dann unser Begehrungsvermögen. 17 Bei einer solchen Lust auf etwas muss die Realisierung der angenehmen Empfindung wahrscheinlich sein. Sie ist damit von derjenigen Lust auf etwas unterschieden, bei der eine Realisierung der angenehmen Empfindung sehr unwahrscheinlich oder ausgeschlossen ist; denn eine solche Lust auf etwas geht offenkundig mit einer Unlust einher. Man denke nur an die Lust auf Schokolade während der Fastenzeit. 16 Auch Kants Ausführungen im Triebfedernkapitel legen nahe, dass eine Willensbestimmung, sofern sie nicht durch das moralische Gesetz vorgenommen wird, durch ein Gefühl erfolgt. Vgl.: »Geschieht die Willensbestimmung zwar gemäß dem moralischen Gesetze, aber nur vermittelst eines Gefühls, welcher Art es auch sei, das vorausgesetzt werden muß, damit jenes ein hinreichender Bestimmungsgrund des Willens werde, […]« (KpV: 71). 17 Man könnte einwenden, Kant führe in der Anthropologie aus, dass nicht »der Prospekt des E i n t r e t e n s in einen künftigen [Zustand] in uns die Empfindung des Vergnügens erwecke«, sondern nur »das Bewußtsein des Ve r l a s s e n s des gegenwärtigen Zustandes« (Anth: 231; vgl. für eine ausführliche Diskussion dieser Passage Zuckert 2007, 272–275). Allerdings ist es nicht meine These, dass wir bei einer anti15

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§ 3 Eine Theorie des Angenehmen

Um eine Lust am Angenehmen zu antizipieren, ist Erfahrung nötig. So spricht auch Chignell von der »auf Erfahrung beruhende[n] Antizipation einer angenehmen Empfindung« (Chignell 2015, 495). Ich antizipiere eine Lust an Schokolade, weil ich bereits (mindestens einmal) Schokolade gegessen habe und dabei eine Lust am Angenehmen empfunden habe. In diesem Sinne schreibt Kant in § 3.D.1, dass die Lust am Angenehmen »durch Empfindung eine Begierde nach dergleichen Gegenständen rege macht« (207,2, m. H.). 18 Wir können abschließend die folgenden beiden Arten der Lust am Angenehmen unterscheiden: LA1 Die Lust am Angenehmen als Lust an einer real gegebenen Empfindung. LA2 Die Lust am Angenehmen als Lust an einer antizipierten Empfindung.

Eine Lust an einer antizipierten Empfindung ist ein Beispiel dafür, dass ein Interesse nicht immer an einer bereits gegebenen Existenz eines Gegenstandes empfundenen werden muss. Dass ein Interesse ein Wohlgefallen ist, »was wir mit der Vorstellung der Existenz eines Gegenstandes verbinden« (§ 2.A.1, 204,22), bedeutet daher nicht, dass der dem Interesse korrespondierende Gegenstand bereits existieren muss.

3.1.2 Objektive und subjektive Empfindungen Ein beachtlicher Teil von § 3 wird von Erläuterungen zur Differenzierung zwischen objektiven und subjektiven Empfindungen eingenommen. Die entsprechende Passage lautet:

zipierten Lust das erwartete ›Eintreten[.] in einen künftigen [Zustand]‹ als lustvoll erleben; vielmehr erleben wir unseren aktuellen Zustand als lustvoll, wobei wir in diesem Zustand eine spezifische Empfindung (etwa den Geschmack von Schokolade) antizipieren und dabei diese Empfindung bereits imaginiert erleben. 18 Vgl. auch: »Also müßte diese [Lust] als Bedingung der Möglichkeit der Bestimmung der Willkür vorausgesetzt werden. Es kann aber von keiner Vorstellung irgend eines Gegenstandes, welche sie auch sei, a priori erkannt werden, ob sie mit L u s t oder U n l u s t verbunden oder i n d i f f e r e n t sein werde. Also muß in solchem Falle der Bestimmungsgrund der Willkür jederzeit empirisch sein, mithin auch das praktische materiale Prinzip, welches ihn als Bedingung voraussetzte« (KpV: 21). Kants Philosophie des Schönen

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§ 3.B.1 »Wenn eine Bestimmung des Gefühls der Lust oder Unlust Empfindung genannt wird, so bedeutet dieser Ausdruck etwas ganz anderes, als wenn ich die Vorstellung einer Sache (durch Sinne, als eine zum Erkenntnißvermögen gehörige Receptivität) Empfindung nenne. § 3.B.2 Denn im letztern Falle wird die Vorstellung auf das Object, im erstern aber lediglich auf das Subject bezogen, und dient zu gar keinem Erkenntnisse, auch nicht zu demjenigen, wodurch sich das Subject selbst e r k e n n t . [Absatz] § 3.C.1 Wir verstehen aber in der obigen Erklärung unter dem Worte Empfindung eine objective Vorstellung der Sinne; und, um nicht immer Gefahr zu laufen, mißgedeutet zu werden, wollen wir das, was jederzeit blos subjectiv bleiben muß und schlechterdings keine Vorstellung eines Gegenstandes ausmachen kann, mit dem sonst üblichen Namen des Gefühls benennen. § 3.C.2 Die grüne Farbe der Wiesen gehört zur o b j e c t i v e n Empfindung, als Wahrnehmung eines Gegenstandes des Sinnes; die Annehmlichkeit derselben aber zur s u b j e c t i v e n Empfindung, wodurch kein Gegenstand vorgestellt wird: d. i. zum Gefühl, wodurch der Gegenstand als Object des Wohlgefallens (welches kein Erkenntniß desselben ist) betrachtet wird« (206,19).

Aufgrund der Komplexität dieser Ausführungen ist es sinnvoll, die einzelnen Ausführungen zur objektiven und subjektiven Empfindung getrennt aufzulisten, um ein umfassendes Bild des jeweiligen Begriffs zu erhalten. Beginnen wir mit der objektiven Empfindung. Ich hatte diese bereits als Sinneseindruck identifiziert. Wir können die folgenden Bestimmungen auflisten: • Die objektive Empfindung ist ›die Vorstellung einer Sache (durch Sinne, als eine zum Erkenntnißvermögen gehörige Receptivität)‹ (§ 3.B.1). • Bei der objektiven Empfindung wird ›die Vorstellung auf das Object […] bezogen‹ (§ 3.B.2). • ›Die grüne Farbe der Wiesen gehört zur o b j e c t i v e n Empfindung, als Wahrnehmung eines Gegenstandes des Sinnes‹ (§ 3.C.2).

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Darüber hinaus lassen sich in Abgrenzung zu einigen Bestimmungen der subjektiven Empfindung die folgenden impliziten Bestimmungen identifizieren: • Die objektive Empfindung kann zu einer Erkenntnis dienen (§ 3.B.2). • Die objektive Empfindung kann eine ›Vorstellung eines Gegenstandes ausmachen‹ (§ 3.C.1). • Durch die objektive Empfindung kann ein ›Gegenstand vorgestellt‹ werden (§ 3.C.2). Aus diesen Bestimmungen können wir zwei verschiedene Momente der objektiven Empfindung bzw. des Sinneseindrucks entnehmen: das Moment des Gegenstandes bzw. Objekts und das Moment der Erkenntnis. Der Bezug der objektiven Empfindung zum Objekt lässt sich in zweierlei Hinsicht begreifen. Wir haben bereits gesehen, dass objektive Empfindungen unmittelbar von Gegenständen verursacht werden, indem die Gegenstände unsere Sinnlichkeit affizieren. In diesem Sinne hat eine Empfindung einen Gegenstandsbezug, weil sie von Gegenständen hervorgerufen wird. 19 In einer weiteren Hinsicht ist die Empfindung aber auch konstitutiv für das Objekt. So konstituieren wir im Erkenntnisprozess Objekte dadurch, dass wir ein Mannigfaltiges an Empfindungen zur Form zusammensetzen und dann unter Kategorien subsumieren. 20 In diesem Sinne sind Empfindungen das Material, aus dem wir mittels der Anschauungsformen a priori und der Kategorien Objekte (im Sinne von Erscheinungen) konstituieren. Die Empfindung selbst ist aber noch keine Vorstellung vom Objekt. Ähnlich ist die Rolle der Empfindung für empirische Erkenntnisse zu verstehen. Sinnlichkeit, als Fähigkeit, Empfindungen zu empfangen, ist neben dem Verstand eines der Grundvermögen, durch das wir (empirische) Erkenntnisse erhalten. 21 Objektive EmpfindunEs scheint mir plausibel, dass unter dem Gegenstand hier das Ding an sich zu verstehen ist. Vgl.: »so ist das, was an diesen [Erscheinungen] der Empfindung entspricht, die transzendentale Materie aller Gegenstände, als Dinge an sich (die Sachheit, Realität)« (A143/B182). Ich kann auf diese Debatte aber nicht näher eingehen. 20 Vgl. etwa: »Ve r s t a n d ist, allgemein zu reden, das Vermögen der Erkenntnisse. Diese bestehen in der bestimmten Beziehung gegebener Vorstellungen auf ein Objekt. Objekt aber ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist« (B137). 21 Vgl.: »Unsre Erkenntnis entspringt aus zwei Grundquellen des Gemüts, deren die erste ist, die Vorstellungen zu empfangen (die Rezeptivität der Eindrücke), die zweite 19

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gen machen in diesem Sinne neben den Begriffen einen Teil des Materials aus, aus dem wir Erkenntnisse bilden. Daher können uns objektive Empfindungen zu einer Erkenntnis dienen (§ 3.B.2), und daher gehören die Sinne ›zum Erkenntnisvermögen‹ (§ 3.B.1). 22 Einen direkten Kontrast zur objektiven Empfindung bilden subjektive Empfindungen, da sie weder eine Rolle in der Objektkonstitution noch in der Bildung von Erkenntnissen einnehmen können. Wir können die folgenden Charakterisierungen Kants zusammenstellen: • Eine subjektive Empfindung ist ›eine Bestimmung des Gefühls der Lust oder Unlust‹ (§ 3.B.1). • Im Fall einer subjektiven Empfindung wird ›die Vorstellung […] lediglich auf das Subject bezogen, und dient zu gar keinem Erkenntnisse, auch nicht zu demjenigen, wodurch sich das Subject selbst e r k e n n t ‹ (§ 3.B.2). • ›[W]ir [wollen] das was jederzeit blos subjectiv bleiben muß und schlechterdings keine Vorstellung eines Gegenstandes ausmachen kann, mit dem sonst üblichen Namen des Gefühls benennen‹ (§ 3.C.1). • ›[D]ie Annehmlichkeit derselben [grünen Farbe der Wiesen] […] [gehört] zur s u b j e c t i v e n Empfindung, wodurch kein Gegenstand vorgestellt wird: d. i. zum Gefühl, wodurch der Gegenstand als Object des Wohlgefallens (welches kein Erkenntniß desselben ist) betrachtet wird‹ (§ 3.C.2). Zunächst einmal erfahren wir, dass eine subjektive Empfindung ›eine Bestimmung des Gefühls der Lust und Unlust‹ (§ 3.B.1) bzw. ein ›Gefühl‹ (§ 3.C.1 & § 3.C.2) ist. Eine subjektive Empfindung ist also ein (aktual empfundenes) Gefühl der Lust oder Unlust. Nun ist es Kants grundsätzliche Einschätzung des Gefühls der Lust und Unlust, dass

das Vermögen, durch diese Vorstellungen einen Gegenstand zu erkennen (Spontaneität der Begriffe); […]. Anschauung und Begriffe machen also die Elemente aller unsrer Erkenntnis aus, so daß weder Begriffe, ohne ihnen auf einige Art korrespondierende Anschauung, noch Anschauung ohne Begriffe, ein Erkenntnis abgeben können. Beide sind entweder rein, oder empirisch. E m p i r i s c h , wenn Empfindung (die die wirkliche Gegenwart des Gegenstandes voraussetzt) darin enthalten ist: r e i n aber, wenn der Vorstellung keine Empfindung beigemischt ist. Man kann die letztere die Materie der sinnlichen Erkenntnis nennen« (A50/B74). 22 Die Rolle der Empfindung für die Objektkonstitution und die Erkenntnis gilt auch für Empfindungen des inneren Sinnes, durch die wir uns selbst als Objekt konstituieren und Erkenntnisse über uns selbst treffen. Für die Differenzierung zwischen äußeren Sinnen und innerem Sinn vgl. Anth: 153.

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wir durch es (mindestens im theoretischen Sinne) nichts erkennen. 23 Daher dient eine subjektive Empfindung ›zu gar keinem Erkenntnisse‹ (§ 3.B.2). In diesem Sinne hatte es bereits in der Einleitung geheißen: »Dasjenige Subjective […] an einer Vorstellung, w a s g a r k e i n E r k e n n t n i ß s t ü c k w e r d e n k a n n , ist die mit ihr verbundene L u s t oder U n l u s t « (189,16); und in § 1 hieß es: »Alle Beziehung der Vorstellungen, selbst die der Empfindungen, aber kann objectiv seyn […]; nur nicht die auf das Gefühl der Lust und Unlust, wodurch gar nichts im Objecte bezeichnet wird, sondern in der das Subject, wie es durch die Vorstellung afficirt wird, sich selbst fühlt« (§ 1.A.3, 203,15 f.). Wenngleich eine Lust durch einen Gegenstand affiziert oder angeregt werden kann, so fühlt das Subjekt in der Lust nur ›sich selbst‹, d. h. seine eigenen (physischen oder intellektuellen) Aktivitäten oder Regungen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich ein Gefühl als subjektive Empfindung ganz zentral von einer objektiven Empfindung; denn im Gefühl wird dem Subjekt nichts vom Gegenstand gegeben. Aus der so verstandenen Subjektivität der Lust erhellt, dass die Lust weder eine Rolle in der Objektkonstituierung noch in der empirischen Erkenntnis einnehmen kann, insofern Objekte als Gegenstände der Außenwelt verstanden werden. In § 3.B.2 äußert Kant jedoch die ambitioniertere These, dass bei einer subjektiven Empfindung die Vorstellung ›zu gar keinem Erkenntnisse, auch nicht zu demjenigen, wodurch sich das Subject selbst e r k e n n t ‹, dient (§ 3.B.2). Diese These scheint Kant einfach unbegründet vorauszusetzen. Ein Ansatz einer Erklärung findet sich in der Anthropologie. Kant unterscheidet dort zwischen dem inneren Sinn und dem Gefühl der Lust als inwendigen Sinn: »Die Sinne aber werden wiederum in die ä u ß e r e n und den i n n e r e n Sinn (sensus internus) eingeteilt; der erstere ist der, wo der menschliche Körper durch körperliche Dinge, der zweite wo er durchs Gemüt affiziert wird; wobei zu merken ist, daß der letztere als bloßes Wahrnehmungsvermögen (der empirischen Anschauung) vom G e f ü h l der Lust und Unlust, d. i. der Empfänglichkeit des Subjekts, durch gewisse Vorstellungen zur ErBereits in der KrV schreibt Kant, dass das Gefühl »keine Vorstellungskraft der Dinge ist, sondern außer der gesamten Erkenntniskraft liegt« (A801/B829 Fn.). – Vor dem Hintergrund von Kants Faktum-Theorie in der KpV ist es fraglich, ob Kant allen Gefühlen der Lust und Unlust grundsätzlich eine erkenntnisstiftende Funktion abspricht. So lässt sich die Faktum-Theorie so verstehen, dass wir durch das Gefühl der Achtung die Geltung des kategorischen Imperativs erkennen (freilich im Sinne einer praktischen Erkenntnis). Vgl. hierzu Schönecker 2013, 100–104.

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haltung oder Abwehrung des Zustandes dieser Vorstellungen bestimmt zu werden, verschieden gedacht wird, den man den i n w e n d i g e n Sinn (sensus interior) nennen könnte« (Anth: 153).

Der Unterscheid zwischen innerem und inwendigen Sinn (dem Gefühl der Lust und Unlust) besteht darin, dass wir durch den inneren Sinn gewissermaßen innere Sinneseindrücke unserer selbst erhalten, während sich das Gefühl der Lust primär durch die Erhaltung der Sinneseindrücke bzw. Vorstellungen auszeichnet. Bei meiner Analyse von § 2 habe ich auf die verschiedenen Erhaltungsmomente innerhalb von Kants Konzeption der Lust verwiesen. 24 Ich habe dabei erläutert, dass wir bei einem Gefühl der Lust erstens die gegebene Vorstellung erhalten wollen, zweitens den Zustand der Lust erhalten wollen, und uns drittens bewusst sind, dass die gegebene Vorstellung den Zustand der Lust erhält. Letztlich basieren diese Erhaltung des Zustandes der Lust und der gegebenen Vorstellung darauf, dass der Zustand der Lust sich in phänomenaler Hinsicht positiv anfühlt. Ich habe dafür argumentiert, dass ein Gefühl der Lust primär durch dieses SichAnfühlen gekennzeichnet ist. Es bleibt dann zu vermuten, dass es genau dieses Sich-Anfühlen als primäres Charakteristikum der Lust ist, durch welches das Gefühl sich als ungeeignet für Erkenntnis erweist. 25 Systematisch ist es allerdings fraglich, ob es Sinn ergibt, der Lust jegliche erkenntnisstiftende Funktion abzusprechen; denn es scheint plausibel, dass wir durch die Lust wenigstens erkennen können, dass wir Wesen sind, die Lust empfinden können. Halten wir abschließend zur objektiven und subjektiven Empfindung das Folgende fest: i. Objektive Empfindungen sind Sinneseindrücke, die von (existierenden) Objekten hervorgerufen werden. Objektive Empfindungen haben eine Funktion in der Objektkonstituierung sowie in der Bildung von empirischen Erkenntnissen. ii. Subjektive Empfindungen sind Gefühle der Lust und Unlust. Solche Gefühle sind zentral durch ein Sich-Anfühlen gekennzeichnet. Daher sind sie ungeeignet zur Objektkonstituierung sowie zum Gewinn von empirischen Erkenntnissen. Das Subjekt fühlt sich hier vielmehr selbst. Siehe Kap. 2.1. Dies schließt nicht aus, dass wir uns durch die Lust auf eine bestimmte Weise erleben können. So erleben wir uns durch die Lust am Schönen als Wesen, die zur Erkenntnis fähig sind. Siehe Kap. G1.2.4 sowie G3.3.

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3.1.3 Ein mögliches Missverständnis bezüglich der Definition des Angenehmen Nachdem Kant in § 3.A.1 eine Definition des Angenehmen formuliert hat, verweist er auf ein mögliches Missverständnis: § 3.A.2 »Hier zeigt sich nun sofort die Gelegenheit, eine ganz gewöhnliche Verwechselung der doppelten Bedeutung, die das Wort Empfindung haben kann, zu rügen und darauf aufmerksam zu machen« (205,27).

Mit der ›doppelten Bedeutung, die das Wort Empfindung haben kann‹, meint Kant die Differenzierung zwischen objektiver (Sinneseindruck) und subjektiver Empfindung (Gefühl der Lust); diese Differenzierung wird von ihm dann ja auch im unmittelbaren Anschluss eingeführt. In diesem Sinne gibt es zwei Möglichkeiten, die Definition des Angenehmen in § 3.A.1 zu verstehen: § 3.A.1R1a Angenehm ist das, was den Sinnen in der objektiven Empfindung (Sinneseindruck) gefällt. § 3.A.1R1b Angenehm ist das, was den Sinnen in der subjektiven Empfindung (Gefühl der Lust) gefällt.

Ich hatte bereits oben angeführt, dass § 3.A.1R1a die richtige Rekonstruktion ist. Interessant ist aber, dass es Kant im ersten Absatz nicht nur darum geht, besagtes Missverständnis bezüglich des Wortes »Empfindung«, sondern auch ein grundlegenderes Missverständnis bezüglich des Begriffs des Angenehmen auszuräumen, das damit zu tun hat, was wir als angenehm bezeichnen sollten und was nicht. Die Ausführungen zu diesem grundlegenden Missverständnis kulminieren dabei schließlich in einer (impliziten) Kritik am Epikureismus. Nachdem er auf die ›gewöhnliche Verwechselung der doppelten Bedeutung‹ von »Empfindung« aufmerksam gemacht hat, fährt Kant folgendermaßen fort: § 3.A.3 »Alles Wohlgefallen, (sagt oder denkt man) ist selbst Empfindung (einer Lust). § 3.A.4 Mithin ist alles, was gefällt, eben hierin, daß es gefällt, angenehm (und nach den verschiedenen Graden oder auch Verhältnissen zu andern angenehmen Empfindungen a n m u t h i g , l i e b l i c h , e r g ö t z e n d , e r f r e u l i c h usw.)« (205,30 f.).

In § 3.A.3 gibt Kant den Gedanken wieder, dass ein Wohlgefallen selbst eine Art von Empfindung ist; mit Vorgriff auf die folgende DifKants Philosophie des Schönen

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ferenzierung zwischen objektiver und subjektiver Empfindung können wir präzisieren, dass ein Wohlgefallen eine subjektive Empfindung ist. In § 3.A.4 wird dann ein falsches Verständnis der Definition des Angenehmen formuliert, das sich folgendermaßen paraphrasieren lässt: Alles Wohlgefallen ist angenehm bzw. das Angenehme ist das, was in der subjektiven Empfindung (im Gefühl der Lust) gefällt. Implizit mag diesem falschen Verständnis zugrunde liegen, dass sich Lust in phänomenaler Hinsicht positiv anfühlt. Ein positives SichAnfühlen könnte man aber grundsätzlich als angenehm interpretieren – und zwar in dem Sinne, dass es etwas ist, das wir gerne fühlen. Dies ist aber offenkundig ein ganz anderes Verständnis von »angenehm«, als wenn wir eine spezifische Art von Lust, nämlich die unmittelbare Lust an einem Sinneseindruck als Lust am Angenehmen bezeichnen. Versteht man alle Arten von Lust als angenehm, so wird der Begriff des Angenehmen gewissermaßen aufgeweicht. Kant befürchtet in diesem Sinne, dass wir die verschiedenen Arten der Lust nicht mehr voneinander unterscheiden könnten. 26 So schreibt er: § 3.A.5 »Wird aber das eingeräumt, so sind Eindrücke der Sinne, welche die Neigung, oder Grundsätze der Vernunft, welche den Willen, oder bloße reflectirte Formen der Anschauung, welche die Urtheilskraft bestimmen, was die Wirkung auf das Gefühl der Lust betrift, gänzlich einerley. § 3.A.6 [a] Denn diese [Wirkung auf das Gefühl der Lust] wäre die Annehmlichkeit in der Empfindung seines Zustandes; [b] und, da doch endlich alle Bearbeitung unserer Vermögen aufs Practische ausgehen und sich darin als in ihrem Ziele vereinigen muß, so könnte man ihnen keine andere Schätzung der Dinge und ihres Werths zumuthen, als die in dem Vergnügen besteht, welches sie [die Dinge] versprechen. § 3.A.7 [a] Auf die Art, wie sie dazu gelangen, kömmt es am Ende gar nicht an; [b] und da die Wahl der Mittel hierin allein einen Unterschied machen kann, so könnten Menschen einander wohl der Thorheit und des Unverstandes, niemals aber der Niederträchtigkeit und Bosheit beschuldigen: [c] weil sie [die Menschen] doch alle, ein jeder nach seiner Art die Sachen zu sehen, nach einem Ziele laufen, welches für jedermann das Vergnügen ist« (206,4). Eine ähnliche Passage findet sich in der KpV, wobei Kant auch explizit auf Epikur verweist (vgl. KpV: 23 ff.).

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Ich kann hier keine detaillierte Analyse dieser Passage vornehmen, sondern möchte nur den Grundgedankengang nachzeichnen. In § 3.A.5 sagt Kant, dass alle drei Arten der Lust (am Angenehmen, Schönen und Guten) nicht zu unterscheiden bzw. ›einerley‹ wären, wenn man bloß auf das positive Sich-Anfühlen der Lust selbst sehen würde. Dabei würde dann insbesondere nicht berücksichtigt, dass alle drei Arten von Lust auf eine ganz verschiedene Art und Weise zustande kommen. So wird die Lust am Angenehmen durch die ›Eindrücke der Sinne‹ affiziert, die Lust am Guten durch die ›Grundsätze der Vernunft‹ und die Lust am Schönen durch ›bloße reflectirte Formen der Anschauung‹. Auf diesen Entstehungskontext der Lust würde aber keine Rücksicht genommen, insofern man alle Lusterlebnisse als Erlebnisse des Angenehmen qualifizieren würde. Im Folgenden (§ 3.A.6b) macht Kant zwei Annahmen: (1) Alle ›Bearbeitung unserer Vermögen‹ bzw. alle Vermögensaktivitäten müssen teleologisch auf ein praktisches Ziel ausgerichtet sein. Damit scheint ein Ziel gemeint zu sein, das uns zur Willensbestimmung dient bzw. dienen soll. (2) Im beschriebenen Szenario, in dem alle Lust als angenehm verstanden würde, wäre dieses praktische Ziel das ›Vergnügen‹, 27 was sich als Maximierung des Angenehmen verstehen lässt. 28 In einem solchen Szenario könnte aller Wert der Dinge nur daran bemessen werden, ob und wieviel sie zur Maximierung des Angenehmen beitrügen. Aus beiden Annahmen folgert Kant in § 3.A.7, dass in diesem Szenario jedes Mittel erlaubt wäre, das zum Ziel der Maximierung des Angenehmen beitrüge. 29 Es gäbe keine ›NiederDiese Annahme scheint durchaus problematisch. Denn daraus, dass man die verschiedenen Arten der Lust nicht aufgrund ihrer Entstehung unterscheidet, sondern sie bloß als angenehm qualifiziert, folgt nicht, dass man das letzte Ziel des Praktischen insgesamt im Angenehmen lokalisieren muss. Plausibler scheint hingegen Kants Argumentation in der KpV. Ausgehend von der Annahme des Epikureismus, d. h. dem Vergnügen als letztes Ziel des Praktischen, folgert er dort, dass unter dieser Annahme alle Lust unabhängig von ihrer Entstehung gleich zu evaluieren sei: »Denn es kommt, wenn man nach den Bestimmungsgründen des Begehrens frägt und sie in einer von irgend etwas erwarteten Annehmlichkeit setzt, gar nicht darauf an, wo die Vo r s t e l l u n g dieses vergnügenden Gegenstandes herkomme, sondern nur, wie sehr sie v e rg n ü g t « (KpV: 23). 28 Vgl. hierzu: »Beruht die Willensbestimmung auf dem Gefühle der Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit, die er aus irgend einer Ursache erwartet, so ist es ihm gänzlich einerlei, durch welche Vorstellungsart er affiziert werde. Nur wie stark, wie lange, wie leicht erworben und oft wiederholt diese Annehmlichkeit sei, daran liegt es ihm, um sich zur Wahl zu entschließen« (KpV: 23). 29 Vgl. auch: »Annehmlichkeit ist Genuß. Ist es aber auf diesen [Genuß] allein ange27

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trächtigkeit und Bosheit‹, sondern nur ›Thorheit und…Unverstand‹, wobei sich letztere wohl dadurch auszeichnen würden, dass jemand unangemessene Mittel ergreifen würde, um das Angenehme zu bewirken. Es gäbe aber keine genuin unmoralischen Handlungen. 30 Insgesamt wird durch die Passage § 3.A.5–7 deutlich, dass Kant sowohl Formen des Epikureismus ablehnt als auch die damit einhergehende Annahme, alle Lust sei bloß eine Form des Angenehmen. Vielmehr plädiert er (implizit) dafür, die drei verschiedenen Arten der Lust aufgrund ihrer Entstehung bzw. aufgrund dessen, woran sie jeweils empfunden werden, zu unterscheiden. Genau diese Strategie verfolgt er ja auch selbst in seinen Definitionen des Angenehmen und Guten in den §§ 3–4.

3.2 Die These: Die Lust am Angenehmen ist ein Interesse Kommen wir nun zur Hauptthese von § 3. Diese wird bereits in der Überschrift vorangestellt: § 3.T »Das Wohlgefallen am A n g e n e h m e n ist mit Interesse verbunden« (205,25).

Vorab eine Klarstellung: Kant nutzt häufig die Formulierung ›Wohlgefallen am Angenehmen‹. Diese ist erst einmal bloß als Bezeichnung für eine spezifische Lust zu werten, die von anderen Formen der Lust, nämlich der Lust am Schönen und der Lust am Guten, unterschieden ist. Keinesfalls kann die Formulierung aber dafür stehen, dass das Angenehme (etwa in Form eines angenehmen Gegenstandes bzw. einer angenehmen Empfindung) unabhängig von der Lust bestehen würde. Vielmehr konstituiert sich das Angenehme erst durch die Lust. Von einem angenehmen Gegenstand oder einer angenehmen Empfindung lässt sich nur im erweiterten Sinne sprechen; darunter ist ein

legt, so wäre es thöricht, scrupulös in Ansehung der Mittel zu seyn, die ihn uns verschaffen, ob er leidend, von der Freygebigkeit der Natur, oder durch Selbstthätigkeit und unser eignes Wirken erlangt wäre« (§ 4.D.7–8, 208,26). Siehe Kap. 4.5.4. 30 Kant geht davon aus, dass »[g]lücklich zu sein, […] notwendig das Verlangen jedes vernünftigen aber endlichen Wesens, und also ein unvermeidlicher Bestimmungsgrund seines Begehrungsvermögens [ist]« (KpV: 25). Daher scheint im geschilderten Fall ein unmoralisches Verhalten insofern unmöglich, als jeder Mensch notwendig nach dem Ziel des maximal angenehmen Zustandes streben würde und dieses Ziel also nicht negieren könnte.

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Gegenstand oder vielmehr eine Empfindung zu verstehen, die eine Lust am Angenehmen hervorruft. Kehren wir zur Hauptthese in § 3.T zurück. Eine weitere Formulierung dieser These lautet: § 3.D.1 »[a] Daß nun mein Urtheil über einen Gegenstand, wodurch ich ihn für angenehm erkläre, ein Interesse an demselben ausdrücke, ist daraus schon klar, [b] daß es durch Empfindung eine Begierde nach dergleichen Gegenständen rege macht, [c] mithin das Wohlgefallen nicht das bloße Urtheil über ihn, sondern die Beziehung seiner Existenz auf meinen Zustand, sofern er durch ein solches Object afficirt wird, voraussetzt« (206,37 f.).

Im Moment interessiert uns noch nicht die Begründung für die These (§ 3.D.1b–c), sondern nur die These selbst. Diese können wir folgendermaßen isolieren: § 3.D.1a* Mein Urteil über einen Gegenstand, wodurch ich ihn für angenehm erkläre, drückt ein Interesse an dem Gegenstand aus.

Das ›Urteil‹ ist offenkundig ein Urteil der Form »x ist angenehm«. Wir können daher schreiben: § 3.D.1aR1 Mein Urteil »x ist angenehm« über einen Gegenstand x drückt ein Interesse an x aus.

Vergleicht man diese These mit § 3.T, so fällt auf, dass § 3.T eine These über das Wohlgefallen bzw. die Lust am Angenehmen ist, § 3.D.1a aber eine These über das Urteil. Nun ist ein Urteil über das Angenehme ein ästhetisches Urteil. In einem ästhetischen Urteil und damit auch in einem Urteil über das Angenehme verbindet man eine gegebene Vorstellung (logisches Subjekt des Urteils) mit einem Gefühl der Lust als Prädikat. § 3.D.1a muss daher so verstanden werden, dass die spezifische Lust, die man in einem Urteil über das Angenehme prädiziert, ein Interesse ist. Da man in einem Urteil über das Angenehme eine Lust am Angenehmen prädiziert, so lautet die These eigentlich, dass die Lust am Angenehmen ein Interesse ist. Vor diesem Hintergrund ist § 3.D.1a indirekt auch eine These über die Lust am Angenehmen. Betrachten wir aber nun § 3.T genauer, so wird deutlich, dass es hier nicht heißt, die Lust am Angenehmen sei ein Interesse, sondern vielmehr, die Lust am Angenehmen sei ›mit Interesse verbunden‹. Diese Formulierung legt nahe, dass die Lust am Angenehmen selbst kein Interesse ist, sondern dass vielmehr zur eigentlichen Lust am Kants Philosophie des Schönen

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Angenehmen eine weitere Lust, die als Interesse zu charakterisieren ist, hinzukommt. Dagegen suggeriert der Satz § 3.D.1a, so wie wir ihn erklärt haben, dass die Lust am Angenehmen selbst ein Interesse ist. Wir können also zwei mögliche Lesarten von § 3.T unterscheiden: § 3.TR1a Das Wohlgefallen am Angenehmen ist nicht selbst eine Form von Interesse, wird aber mit einem Interesse verknüpft, das zusätzlich hinzukommt. § 3.TR1b Das Wohlgefallen am Angenehmen ist selbst eine Form von Interesse.

Für die Rekonstruktion § 3.TR1a spricht zunächst, dass Kant zum Ende von § 2 ankündigt, »dem reinen uninteressirten Wohlgefallen im Geschmacksurtheile dasjenige, was mit Interesse verbunden ist«, entgegenzusetzen (§ 2.B.1, 205,19, m. H.). Allerdings sprechen verschiedene andere Gründe stark gegen § 3.TR1a. Erstens ist das Interesse definiert als »das Wohlgefallen […], das wir mit der Vorstellung der Existenz eines Gegenstandes verbinden« (§ 2.A.1, 204,22). Interesse ist in diesem Sinne selbst ein Wohlgefallen bzw. eine Lust. Es wäre aber seltsam, wenn es zwei miteinander irgendwie verbundene Arten der Lust am Angenehmen gäbe: eine eigentliche Lust am Angenehmen, die kein Interesse wäre, und ein Interesse. Zweitens besagt § 3.D.1a, dass im Urteil »x ist angenehm« ein Interesse prädiziert wird. Es ist aber wenig plausibel, dass im Urteil über das Angenehme nicht die eigentliche Lust am Angenehmen, sondern bloß ein irgendwie damit verbundenes Interesse prädiziert oder ausgedrückt würde. Drittens werden wir in Kürze sehen, dass die Lust am Angenehmen, wie sie in § 3.A.1 definiert wird, beide Bedingungen für ein Interesse, d. h. die Existenzbedingung und die Begehrensbedingung, erfüllt. Führt man in diesem Sinne die Begriffsbestimmungen des Interesses und des Angenehmen zusammen, so wird deutlich, dass die Lust am Angenehmen selbst ein Interesse sein muss. Somit beansprucht insgesamt § 3.TR1b mehr Evidenz. Dass die Lust am Angenehmen ein Interesse ist (und nicht nur von einem Interesse ›begleitet‹ wird), bedeutet insbesondere, dass es alle im Folgenden aufgelisteten Charakteristika des Interesses, die wir bei unserer Analyse von § 2 identifiziert hatten, erfüllt: i. Ein Interesse ist durch die Existenzbedingung und die Begehrensbedingung ausgezeichnet. ii. Die Begehrensbedingung besagt, dass das Interesse einen Bezug zum Begehrungsvermögen hat, d. h. dass wir den Gegenstand 224

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der Lust bzw. mehr dergleichen Gegenstände hervorbringen wollen. Dies bedeutet beim Angenehmen, dass das Interesse das Begehrungsvermögen bestimmt. Ein Interesse hat also praktische Implikationen. iii. Die Existenzbedingung besagt, dass das Interesse eine Lust an der (gegebenen oder antizipierten) Existenz des Gegenstandes ist. Dies bedeutet beim Angenehmen, dass die Lust unmittelbar an der Empfindung, d. h. der Materie der Erscheinungen, empfunden wird. iv. Der phänomenale Gehalt des Interesses ist dadurch ausgezeichnet, dass es sich als ein Wollen oder Begehren anfühlt. Für Kants Begründung, dass die Lust am Angenehmen ein Interesse ist, sind insbesondere die Existenzbedingung und die Begehrensbedingung zentral. Tatsächlich habe ich in der obigen Auflistung bereits angedeutet, inwiefern die Lust am Angenehmen beide Bedingungen erfüllt. Ich werde im Folgenden genauer auf Kants Begründung der These eingehen, dass die Lust am Angenehmen ein Interesse ist und dabei die Rolle der Existenzbedingung sowie der Begehrensbedingung erläutern.

3.3 Ein Argument für den interessierten Charakter der Lust am Angenehmen 3.3.1 Der erste Teil der Begründung Wir haben gesehen, dass Kant die Lust am Angenehmen als ein Interesse begreift. Aber wie begründet er diese These? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns § 3.D.1 zuwenden: § 3.D.1 »[a] Daß nun mein Urtheil über einen Gegenstand, wodurch ich ihn für angenehm erkläre, ein Interesse an demselben ausdrücke, ist daraus schon klar, [b] daß es durch Empfindung eine Begierde nach dergleichen Gegenständen rege macht, [c] mithin das Wohlgefallen nicht das bloße Urtheil über ihn, sondern die Beziehung seiner Existenz auf meinen Zustand, sofern er durch ein solches Object afficirt wird, voraussetzt« (206,37 f.).

In [b] und [c] finden sich zwei Begründungen für die Interessiertheit der Lust am Angenehmen, die durch das Wort ›mithin‹ verknüpft sind. Beginnen wir mit der Begründung in § 3.D.1b. Kants Philosophie des Schönen

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Kants zentrale Aussage ist, dass beim Angenehmen ›eine Begierde nach dergleichen Gegenständen rege‹ gemacht wird. Beim Angenehmen begehren wir mehr Empfindungen derselben Art wie die ursprüngliche angenehme Empfindung, um die Lust zu erhalten; und dies bedeutet, dass wir Gegenstände begehren, die insofern dem ursprünglichen angenehmen Gegenstand gleichen, als sie in uns dieselbe (objektive) Empfindung hervorrufen. Wenn man etwa an der Geschmacksempfindung von Schokolade eine Lust am Angenehmen fühlt, so begehrt man mehr Schokolade, die eine solche Geschmacksempfindung hervorruft. Dabei, so möchte ich betonen, muss man keinen Begriff davon haben, was der angenehme Gegenstand für ein Ding ist. Es reicht, dass man einfach mehr von einer spezifischen Empfindung begehrt. Doch versuchen wir § 3.D.1b einmal genauer zu rekonstruieren. Zunächst müssen wir fragen, worauf sich das Pronomen ›es‹ bezieht. Grammatikalisch wäre es möglich, dass sich dieses Pronomen entweder auf ›mein Urtheil über einen Gegenstand, wodurch ich ihn für angenehm erkläre‹, d. h. auf das Urteil über das Angenehme, oder auf ›Interesse‹ bezieht. Es ergeben sich also die folgenden beiden möglichen Rekonstruktionen: § 3.D.1b*a Das Urteil über das Angenehme macht durch Empfindung eine Begierde nach dergleichen Gegenständen rege. § 3.D.1b*b Das Interesse (am Angenehmen) macht durch Empfindung eine Begierde nach dergleichen Gegenständen rege.

Auf den ersten Blick mag die Rekonstruktion § 3.D.1b*b unter inhaltlichen Gesichtspunkten sinnvoller erscheinen. Denn es ist doch das Interesse (bzw. die Lust), das eine Begierde rege macht, unabhängig davon, ob man auch ein Urteil über das Angenehme fällt. Jedoch ist § 3.D.1b*b mit dem folgenden Problem belastet: In § 3.A.1a wird die These konstatiert, dass Urteile über das Angenehme ein Interesse ausdrücken. Diese These soll in § 3.D.1b begründet werden. Es wäre aber zirkulär, wenn Kant in dieser Begründung das Interesse am Angenehmen bereits voraussetzen würde. Genau dies wäre aber in der Rekonstruktion § 3.D.1b*b der Fall. Vor diesem Hintergrund ist also die Rekonstruktion § 3.D.1b*a sinnvoller. Was aber soll es bedeuten, dass das Urteil über das Angenehme ›eine Begierde…rege macht‹ ? Sollte es nicht vielmehr die Lust am Angenehmen sein, die ›eine Begierde…rege macht‹ ? Nun schreibt Kant aber auch gar nicht, dass das Urteil ›eine Begierde…rege macht‹, sondern dass das Urteil ›durch 226

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Empfindung eine Begierde…rege macht‹. Demnach könnte es auch die Empfindung sein, durch die eine Begierde rege gemacht wird; das Urteil würde dabei nur indirekt die Begierde rege machen, nämlich dadurch, dass es die besagte Empfindung beinhaltet oder voraussetzt. Welche ›Empfindung‹ meint Kant aber? Vor dem Hintergrund von Kants Differenzierung zwischen objektiven und subjektiven Empfindungen sind zwei Interpretationen möglich: § 3.D.1bR1a Das Urteil über das Angenehme macht durch objektive Empfindung (einen Sinneseindruck) eine Begierde nach weiteren Gegenständen, die dieselbe angenehme objektive Empfindung hervorrufen, rege. § 3.D.1bR1b Das Urteil über das Angenehme macht durch subjektive Empfindung (das Gefühl der Lust) eine Begierde nach weiteren Gegenständen, die dieselbe angenehme objektive Empfindung hervorrufen, rege.

Nun hat Kant in § 3.C.1 erklärt, er wolle »das, was jederzeit blos subjectiv bleiben muß und schlechterdings keine Vorstellung eines Gegenstandes ausmachen kann«, d. h. die subjektive Empfindung, »mit dem sonst üblichen Namen des Gefühls benennen« (206,28). Dies spricht dafür, dass er in § 3.D.1b mit dem Begriff »Empfindung« kein Gefühl, sondern eine objektive Empfindung, d. h. einen Sinneseindruck, bezeichnet (§ 3.D.1bR1a). Freilich ist Kant aber auch für seine notorische Inkonsequenz im Gebrauch gewisser Termini bekannt. Von daher ist es durchaus möglich, dass er in § 3.D.1 mit ›Empfindung‹ inkonsequenterweise ein Gefühl meint. 31 Dafür, dass Kant in § 3.D.1b mit dem Begriff der Empfindung auf das Gefühl rekurriert, lässt sich zudem ein triftiger inhaltlicher Grund anführen. Dazu müssen wir uns vor Augen führen, was Kant unter einer Begierde versteht – denn eine solche soll ja durch die Empfindung rege gemacht werden. In der Einleitung in die MdS heißt es zur Begierde: »Was aber die praktische Lust betrifft, so wird die Bestimmung des Begehrungsvermögens, v o r w e l c h e r diese Lust, als Ursache, notwendig vorhergehen muß, im engen Verstande B e g i e r d e , die habituelle Begierde aber N e i g u n g heißen« (MdS: 212).

In der Tat hat Kant seiner Ankündigung, den Begriff »Empfindung« nur noch für objektive Empfindungen zu gebrauchen, ja bereits in § 3.C.2 zuwider gehandelt, indem er die Formulierung »s u b j e c t i v e [.] Empfindung« verwendet hat (206,33).

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Dieser Passage können wir die folgende Erklärung von »Begierde« entnehmen: B Eine Begierde ist eine Bestimmung des Begehrungsvermögens, vor welcher die praktische Lust als Ursache notwendig vorhergehen muss.

Folgt man dieser Erklärung, so wird eine Begierde durch eine Lust – oder genauer eine praktische Lust – bewirkt (›als Ursache‹). Damit ist es eine Lust, die eine Begierde ›rege macht‹, d. h. in Bewegung versetzt bzw. bewirkt, dass sie sich regt. 32 In Bezug auf das Angenehme muss es dann die Lust am Angenehmen sein, die eine Begierde bewirkt. Dies wird auch durch Kants Formulierung in § 2 deutlich, dass das Interesse am Angenehmen »Bestimmungsgrund desselben [Begehrungsvermögens]« sei (§ 2.A.2, 204,24). Vor diesem Hintergrund beansprucht § 3.D.1bR1b eine starke Evidenz und wir können also vereinfacht schreiben: § 3.D.1bR2 Das Urteil über das Angenehme bewirkt durch das Gefühl der Lust am Angenehmen eine Begierde nach weiteren Gegenständen, die dieselbe angenehme objektive Empfindung hervorrufen.

Insofern die Lust am Angenehmen eine Begierde bewirkt, erfüllt sie ganz offenkundig die Begehrensbedingung des Interesses. Folgt man nämlich Kants Ausführungen in der MdS, dann ist eine Begierde nichts anderes als eine ›Bestimmung des Begehrungsvermögens‹. Die Lust am Angenehmen muss dann als Bestimmungsgrund des Begehrungsvermögens dienen – und genau so hatte Kant die Begehrensbedingung des Interesses in § 2 eingeführt. 33 Aber was haben wir dadurch gewonnen? Konstatiert Kant dann nicht einfach bloß, dass die Lust am Angenehmen die Begehrensbedingung erfüllt, ohne dies auch nur ansatzweise zu begründen? – Nicht unbedingt, so möchte ich nun zeigen. Erstens können wir auch im Kontext des Angenehmen auf den phänomenalen Gehalt der Lust rekurrieren. Wir haben gesehen, dass sich die Uninteressiertheit der Lust am Schönen phänomenal niederschlägt, indem wir bei einer solchen Lust kein BeVgl. zum Begriff »rege machen« bei Adelung: »Rege machen. Die Bienen rege machen, machen, daß sie sich bewegen, in Bewegung gerathen« (Adelung: Rege). 33 Vgl.: »Ein solches hat daher immer zugleich Beziehung auf das Begehrungsvermögen, entweder als Bestimmungsgrund desselben, oder doch als mit dem Bestimmungsgrunde desselben nothwendig zusammenhängend« (§ 2.A.2, 204,23). 32

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gehren fühlen. Konsequenterweise muss sich auch die Interessiertheit der Lust am Angenehmen phänomenal niederschlagen, und zwar dadurch, dass wir ein Begehren fühlen. Eine Begierde ist aber nichts anderes als eine bestimmte Art von Begehren – und tatsächlich fühlen oder spüren wir ja auch Begierden. In diesem Sinne wissen wir, dass die Lust am Angenehmen eine Begierde rege macht, weil wir bei einer Lust am Angenehmen eine Begierde bzw. ein Begehren fühlen. In diesem Kontext fällt auf, dass Kant in § 3.D.1 schreibt, es sei »schon klar« (207,1, m. H.), dass die Lust am Angenehmen ein Interesse sei. Wie schon im Fall von UT setzt Kant als selbstverständlich voraus, dass die Lust am Angenehmen mit einer Begierde bzw. mit einem Begehren verbunden ist. Dies ist aber selbstverständlich, weil wir bei einer Lust am Angenehmen eine Begierde fühlen. Dass eine Lust am Angenehmen eine Begierde bewirkt, lässt sich ferner durch die Rolle der objektiven Empfindungen, d. h. der Sinneseindrücke, für die Lust am Angenehmen zeigen. Dazu müssen wir uns den folgenden Zusammenhang vor Augen führen: Eine objektive Empfindung ist immer zeitlich begrenzt, da sie sich entweder verbraucht oder abnutzt (Konsumtionseffekt). 34 Ein Reiz, der eine Empfindung hervorruft, stimuliert uns nur kurzzeitig. Bei Geschmacksund Hörempfindungen ist dies offensichtlich: Ich schmecke nur so lange Schokolade, bis ich sie aufgegessen habe, und ich höre nur so lange einen Ton, wie er erklingt. Dies mag bei einer Sehempfindung anders sein: Solange ich auf die grüne Wiese blicke, habe ich auch (konstant) eine Grünempfindung. Aber diese Empfindung nutzt sich ab; da die bloße Empfindung keine intellektuelle Verarbeitung involviert, sondern bloß passiv empfangen wird, vermag sie uns nicht über einen längeren Zeitraum zu beschäftigen bzw. anzureizen. In allen Fällen von angenehmen Empfindungen brauche ich also nach kurzer Zeit eine weitere oder eine neue Empfindung, um weiterhin angeregt zu werden und Lust zu empfinden. Dass sich Empfindungen verbrauchen und abnutzen, stimmt auch damit zusammen, dass »Neigungen wechseln, […] mit der Begünstigung, die man ihnen widerfahren läßt [wachsen], und […] immer ein noch größeres Leeres übrig [lassen], als man auszufüllen gedacht hat« (KpV: 118). Begünstigt man eine Ergänzen ließe sich, dass auch der Mensch selbst hinsichtlich angenehmer Empfindungen immer mehr abstumpfen kann. Vgl.: »Eine a n d e r e Art [sich zu vergnügen] aber ist A b n u t z u n g : welche uns des ferneren Genusses immer weniger fähig mach« (Anth: 236 f.).

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Neigung, indem man etwa Schokolade isst, und ist die angenehme Empfindung dann verbraucht, so wird der Mangel an angenehmer Empfindung nur noch stärker empfunden, und man möchte noch mehr Schokolade. Wenn sich objektive Empfindungen verbrauchen oder abnutzen, ich aber eine Lust aufgrund ihres positiven Sich-Anfühlens erhalten will, so werde ich neue angenehme Empfindungen hervorbringen wollen. In diesem Sinne lasse ich dann durch die Lust meinen Willen bestimmen, um ›dergleiche[.] Gegenstände[.]‹ hervorzubringen. 35 Damit gibt es einen Zusammenhang zwischen der Tatsache, dass ich die Lust am Angenehmen an einer objektiven Empfindung fühle, und der Tatsache, dass durch die Lust am Angenehmen eine Begierde hervorgerufen wird. Wir können diesen Zusammenhang nun abschließend in § 3.D.1b integrieren, wobei aber unangetastet bleibt, dass die Rekonstruktion § 3.D.1bR1b richtig ist: § 3.D.1bR3 Das Urteil über das Angenehme bewirkt durch das Gefühl der Lust am Angenehmen eine Begierde nach weiteren Gegenständen, die dieselbe angenehme objektive Empfindung hervorrufen; denn die Lust am Angenehmen beruht auf einer objektiven Empfindung, wobei sich letztere verbraucht oder abnutzt, sodass man zur Erhaltung der Lust neue objektive Empfindungen bzw. Gegenstände derselben Art hervorbringen muss.

Diese Begründung für die Interessiertheit der Lust am Angenehmen schließt die oben formulierte phänomenologische Begründung keineswegs aus. Einerseits ist es insofern ›klar‹, dass die Lust am Angenehmen ein Interesse ist, als wir bei einer solchen Lust eine Begierde fühlen; andererseits lässt sich das Auftreten dieser Begierde aber dadurch erklären, dass die Lust am Angenehmen an einer objektiven Empfindung gefühlt wird. Durch die unmittelbare Beziehung der Lust am Angenehmen zur Begierde wird auch deutlich, warum das Angenehme eng mit Neigungen verknüpft ist. So heißt es in § 3.D.3: Mir scheint es nicht der Fall, dass das Begehren von ›dergleichen Gegenständen‹ immer eine begriffliche Erfassung des Gegenstandes voraussetzt (vgl. hierzu Allison 2001, 91). So kann ich auch einfach mehr von einer konkreten, gerade gespürten Empfindung begehren (etwa dem Geschmack einer mir unbekannten exotischen Frucht), ohne dabei konkret zu wissen, wie sich diese Empfindung begrifflich fassen lässt.

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§ 3.D.3 »[a] Es ist nicht ein bloßer Beyfall, den ich ihm widme, sondern Neigung wird dadurch erzeugt« (207,6).

Bekanntermaßen ist eine Neigung eine »habituelle Begierde« (MdS: 212). Wie soeben erläutert, bewirkt die Lust am Angenehmen Begierden. Vor diesem Hintergrund kann es zwei mögliche Beziehungen zwischen der Lust am Angenehmen und der Neigung geben. Erstens kann eine Lust an einer spezifischen angenehmen Empfindung (etwa der Empfindung von Schokolade) mehrfach unser Begehrungsvermögen bestimmen, sodass die Begierde nach Schokolade habituell wird; in diesem Fall wird dann wirklich eine (neue) Neigung ›erzeugt‹. Zweitens kann aber auch bereits eine Neigung (etwa für Schokolade) bestehen. Wenn ich nun eine Lust am Angenehmen beim Schmecken von Schokolade empfinde, so wird dadurch zwar keine neue Neigung erzeugt, aber eine bereits bestehende Neigung wird angeregt oder belebt. Wir haben im ersten Teil der Begründung erfahren, dass die Lust am Angenehmen die Begehrensbedingung erfüllt. Wie steht es aber um die Existenzbedingung? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir den zweiten Teil der Begründung untersuchen.

3.3.2 Der zweite Teil der Begründung Nachdem Kant in § 3.D.1b angeführt hat, dass die Lust am Angenehmen die Begehrensbedingung erfüllt, zeigt er in § 3.D.1c, dass diese Lust auch die Existenzbedingung erfüllt. Betrachten wir noch einmal den gesamten Satz § 3.D.1: § 3.D.1 »[a] Daß nun mein Urtheil über einen Gegenstand, wodurch ich ihn für angenehm erkläre, ein Interesse an demselben ausdrücke, ist daraus schon klar, [b] daß es durch Empfindung eine Begierde nach dergleichen Gegenständen rege macht, [c] mithin das Wohlgefallen nicht das bloße Urtheil über ihn, sondern die Beziehung seiner Existenz auf meinen Zustand, sofern er durch ein solches Object afficirt wird, voraussetzt« (206,37 f.).

Wir können § 3.D.1c folgendermaßen isolieren und grammatikalisch rekonstruieren:

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§ 3.D.1c* Das Wohlgefallen setzt nicht das bloße Urteil über den Gegenstand, sondern die Beziehung der Existenz des Gegenstandes auf meinen Zustand, sofern mein Zustand durch ein solches Objekt affiziert wird, voraus.

Das ›Wohlgefallen‹ meint offenkundig das Wohlgefallen bzw. die Lust am Angenehmen. Die Formulierung ›setzt nicht das bloße Urtheil über den Gegenstand…voraus‹ kann als Abgrenzung des Angenehmen vom Schönen verstanden werden. Dabei kann das ›bloße Urtheil‹ nicht das Geschmacksurteil meinen; vielmehr muss die Beurteilungsaktivität beim Schönen, d. h. das freie Spiel der Erkenntniskräfte, gemeint sein. Denn diese Beurteilungsaktivität ›geht‹ wirklich der Lust ›voraus‹, während das Geschmacksurteil die Lust (als Bestimmungsgrund) voraussetzt. 36 Da die Abgrenzung vom Schönen für die besagte Begründung nicht zentral ist, können wir verkürzt schreiben: § 3.D.1c** Die Lust am Angenehmen setzt die Beziehung der Existenz des Gegenstandes auf meinen Zustand, sofern mein Zustand durch ein solches Objekt affiziert wird, voraus.

Ist § 3.D.1c erst einmal auf diese Weise rekonstruiert, so sieht man recht leicht, dass Kant in diesem zunächst sehr schwer anmutenden Teilsatz offenkundig die Existenzbedingung des Interesses auf die Lust am Angenehmen anwendet. Wir haben bereits im Rahmen der Untersuchungen zur Begriffsbestimmung von »Interesse« gesehen, inwiefern die Lust am Angenehmen eine Lust an der Existenz des Gegenstandes ist. Rufen wir uns diesen Zusammenhang noch einmal in Erinnerung: Die Lust am Angenehmen wird unmittelbar an einer objektiven Empfindung gefühlt. Dabei ist eine Empfindung das »Reale einer empirischen Vorstellung« (§ 1.A.3, 203,17) bzw. »die Materie der Vorstellungen« (§ 14.C.2, 224,11). Die Empfindung entspricht etwas »Reale[m] […] an dem Gegenstande« (A166), da sie unmittelbar durch den Gegenstand verursacht wird, indem dieser die Sinne affiziert. Damit wird eine Empfindung unmittelbar durch etwas in der Vgl. hierzu die berühmte Überschrift von § 9: »Untersuchung der Frage: ob im Geschmacksurtheile das Gefühl der Lust vor der Beurtheilung des Gegenstandes, oder diese vor jener vorhergehe« (§ 9.T, 216,30). Ich werde bei meiner Analyse dieses Satzes zeigen, dass wir beim Schönen die Beurteilungsaktivität, d. h. das freie Spiel der Erkenntniskräfte, vom eigentlichen Geschmacksurteil »x ist schön« unterscheiden müssen. Während die Beurteilungsaktivität die Grundlage für die Lust am Schönen bildet, ist die Lust wiederum der Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils. Siehe Kap. 9.2.

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Welt Existierendes verursacht. Da die Lust am Angenehmen unmittelbar an einer (objektiven) Empfindung gefühlt wird, so wird diese Lust an einem existierenden Gegenstand gefühlt. Genau auf diesen Zusammenhang verweist Kant in § 3.D.1c. Der ›Zustand‹, der ›durch ein solches Object afficirt‹ wird, ist derjenige Zustand, in dem das Subjekt eine objektive Empfindung hat. Die ›Beziehung der Existenz des Gegenstandes auf meinen Zustand‹ ist dann die Verursachung meines Zustandes der objektiven Empfindung (etwa meines Zustandes des Geschmacks von Schokolade) durch den existierenden Gegenstand (das existierende Stück Schokolade). Diese Verursachungsbeziehung der objektiven Empfindung wird von der Lust am Angenehmen vorausgesetzt. Wir können daher § 3.D.1c folgendermaßen ergänzen: § 3.D.1cR1 Die Lust am Angenehmen setzt die Beziehung der Existenz des Gegenstandes auf meinen Zustand der objektiven Empfindung, sofern dieser Zustand der objektiven Empfindung durch ein existierendes Objekt affiziert bzw. hervorgerufen wird, voraus.

Knüpft man die objektive Empfindung in diesem Sinne an die Existenz des Gegenstandes, dann ist es offenkundig, dass die Lust am Angenehmen die Existenzbedingung des Interesses erfüllt. Insgesamt erfüllt sie also beide Bedingungen, die ein Interesse erfüllen muss, und kann als Interesse gelten. Unklar scheint mir, warum Kant die Teilsätze § 3.D.1b und § 3.D.1c durch das Bindewort ›mithin‹ aneinanderknüpft. Versteht man dieses Wort im Sinne von »folglich«, 37 so ist unklar, warum aus § 3.D.1b, worin Kant die Begehrensbedingung des Interesses auf die Lust am Angenehmen bezieht, § 3.D.1c, worin die Existenzbedingung auf die Lust am Angenehmen bezogen wird, folgen sollte. Eine mögliche Lösung könnte darin bestehen, dass ›mithin‹ in § 3.D.1 keine Folge ausdrückt, sondern im Sinne einer Gleichzeitigkeit zu verstehen ist. 38 Kant würde dann ausdrücken, dass die Lust am Angenehmen die Begehrensbedingung (§ 3.D.1b) und dabei gleichzeitig auch die Existenzbedingung erfüllt (§ 3.D.1c). Da mir der Zusammenhang zwischen § 3.D.1b und § 3.D.1c nicht zentral erscheint, um zu verstehen, warum die Lust am Angenehmen ein Interesse ist, werde Vgl. hierzu Adelung: Mithin. Für die zeitliche Bedeutung von »mithin« siehe den entsprechenden Eintrag bei Grimm (Grimm: Mithin).

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ich die Rolle des Wortes ›mithin‹ an dieser Stelle nicht weiter untersuchen. Wir können abschließend zur Begründung der These, dass die Lust am Angenehmen ein Interesse ist, das Folgende festhalten: i. Die Lust am Angenehmen erfüllt sowohl die Existenzbedingung als auch die Begehrensbedingung des Interesses. ii. Die Lust am Angenehmen erfüllt die Begehrensbedingung, weil sie eine Lust an der objektiven Empfindung ist, wobei sich solche Empfindungen schnell verbrauchen oder abnutzen (Konsumtionseffekt). Da wir die Lust erhalten wollen, wird die Lust das Begehrungsvermögen bestimmen, sodass wir mehr Gegenstände von dergleichen Art wie der angenehme Gegenstand hervorbringen wollen. iii. Die Lust am Angenehmen erfüllt die Existenzbedingung, weil sie unmittelbar an der objektiven Empfindung gefühlt wird, die unmittelbar von einem existierenden Gegenstand verursacht wird.

3.4 Kleinere Diskussionskontexte 3.4.1 Zur Lust am Angenehmen als Vergnügen Nach der Begründung dafür, dass die Lust am Angenehmen ein Interesse ist, schließt Kant an: § 3.D.2 »Daher man von dem Angenehmen nicht blos sagt, es g e f ä l l t , sondern es v e r g n ü g t « (207,5).

Ähnlich heißt es auch in § 5: »A n g e n e h m heißt Jemandem das, was ihn VERGNÜGT« (§ 5.B.3, 210,3). In beiden Formulierungen ordnet Kant der Lust am Angenehmen den Begriff des Vergnügens zu. Bei Adelung heißt es zum Vergnügen: »die Empfindung des Angenehmen, zunächst so fern sie aus einem befriedigten Verlangen entstehet« (Adelung: Das Vergnügen). Auffällig ist daran, dass das Vergnügen erstens als ›Empfindung des Angenehmen‹ bezeichnet wird, was exakt der kantischen Verwendung dieses Begriffs entspricht. Zweitens fällt auf, dass die besagte ›Empfindung des Angenehmen,…aus einem befriedigten Verlangen entstehet‹. 39 Auch in der Definition 39

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Der Bezug zwischen Vergnügen und Verlangen scheint darauf zu beruhen, dass das

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von Adelung gibt es damit einen starken Bezug zwischen der Lust am Angenehmen bzw. dem Vergnügen und dem Begehren bzw. der Begierde. Dass Kant der Lust am Angenehmen den Begriff des Vergnügens zuordnet, entspricht damit erstens der Verwendung dieses Begriffs zu seiner Zeit; zweitens scheint Kant mit der Begehrensbedingung, die durch die Lust am Angenehmen erfüllt wird, auf eine bereits im Begriff des Vergnügens beinhaltete Komponente zu verweisen.

3.4.2 Eine erste Abgrenzung von der Lust am Schönen Kant beendet § 3 damit, dass er eine erste (implizite) Abgrenzung der Lust am Angenehmen von der Lust am Schönen vornimmt. Zu dieser Abgrenzung gehört auch die soeben erläuterte Spezifizierung der Lust am Angenehmen als Vergnügen. Im abschließenden Satz von § 3 heißt es dann ergänzend: § 3.D.3 »[a] Es ist nicht ein bloßer Beyfall, den ich ihm [dem Angenehmen] widme, sondern Neigung wird dadurch erzeugt; [b] und zu dem, was auf die lebhafteste Art angenehm ist, gehört so gar kein Urtheil über die Beschaffenheit des Objects, daß diejenigen, welche immer nur auf das Genießen ausgehen (denn das ist das Wort, womit man das Innige des Vergnügens bezeichnet), sich gerne alles Urtheilens überheben« (207,6).

Wir haben gesehen, inwiefern durch die Lust am Angenehmen Neigungen ›erzeugt‹ werden. Dieses Erzeugen von Neigungen steht nun im Gegensatz zum ›bloße[n] Beyfall‹, der beim Schönen vorliegt. Dabei ist ›Beyfall‹ nicht im heutigen Sinne, d. h. als Applaus, zu verstehen, sondern als das Billigen von etwas oder die Zustimmung zu etwas. 40 Bezogen auf das Schöne meint »Beifall« damit wohl die positive Reaktion auf den Gegenstand im Sinne einer Lust. Dass nun der ›bloße[.] Beyfall‹ beim Schönen insofern vom Angenehmen unterschieden ist, als beim Angenehmen eine Neigung erzeugt wird, verVerb vergnügen ursprünglich »genug geben oder machen, d. i. das fehlende, den Abgang an etwas ersetzen«, bedeutete, wovon sich dann die Bedeutung »Jemandes Verlangen oder Forderung befriedigen, ihm genug thun, ihn befriedigen« ableitete (Adelung: Das Vergnügen). 40 Vgl. den Eintrag »Der Beyfall« bei Adelung: »der Zustand des Gemüthes, da man die Worte oder Handlungen eines andern billiget« (Adelung: Der Beyfall). Kants Philosophie des Schönen

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weist darauf, dass die Lust am Angenehmen praktische Implikationen hat. Genau in diesem Sinne unterscheidet Kant in der MdS die praktische Lust, wozu die Lust am Angenehmen zählt, von der »kontemplative[n] Lust« bzw. dem »untätige[n] Wohlgefallen« (MdS: 212, Kants H. getilgt). Eine weitere Unterscheidung findet sich in § 3.D.3b. Dort heißt es, dass zum Angenehmen ›gar kein Urtheil über die Beschaffenheit des Objects‹ gehört. Da es nun aber offenkundig Urteile über das Angenehme gibt, muss Kant in dieser Formulierung unter ›Urtheil‹ etwas anderes verstehen. Kant muss mit ›Urtheil‹ auf die Beurteilung bzw. Beurteilungsaktivität verweisen, die er in § 9 hinsichtlich des Schönen als freies Spiel der Erkenntniskräfte identifiziert. 41 Beim Angenehmen beurteilen wir in diesem Sinne den Gegenstand nicht, weil wir eine unmittelbare Lust an der Empfindung fühlen; wir verarbeiten die Empfindung bzw. das gegebene Mannigfaltige an Empfindungen nicht erst durch eine intellektuelle Beurteilungsaktivität, sondern der bloße Sinneseindruck wird als angenehm empfunden. In diesem Sinne ist die Lust am Angenehmen eine unintellektuelle Lust, was sie von der Lust am Schönen unterscheidet.

3.5 Zusammenfassung Die Lust am Angenehmen ist eine unmittelbare Lust an der objektiven Empfindung, d. h. an einem Sinneseindruck. (Kant unterscheidet objektive Empfindungen, d. h. Sinneseindrücke, von subjektiven Empfindungen, d. h. Gefühlen.) Die objektive Empfindung wird unmittelbar von einem (existierenden) Gegenstand hervorgerufen; das Subjekt ist dabei passiv. Um einen Sinneseindruck zu haben, bedarf es keiner intellektuellen Aktivität (von Einbildungskraft, Verstand oder Vernunft); vielmehr müssen nur die Sinne affiziert werden. Daher können auch Tiere eine Lust am Angenehmen empfinden. Es lassen sich zwei Arten der Lust am Angenehmen unterscheiden: die Lust an einer wirklichen Empfindung (etwa dem Geschmack von Schokolade, den ich gerade habe) und die Lust an einer antizipierten angenehmen Empfindung (etwa dem Geschmack von Schokolade, den ich mir vorstelle).

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Zur Unterscheidung von »Urteil« und »Beurteilung« siehe Kap. 9.2 sowie G2.2.2.

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Die Lust am Angenehmen erfüllt sowohl die Existenzbedingung als auch die Begehrensbedingung und kann daher als Interesse gelten. Sie erfüllt die Existenzbedingung, weil sie eine unmittelbare Lust an der objektiven Empfindung ist, wobei diese Empfindung unmittelbar von einem existierenden Gegenstand hervorgerufen wird. Sie erfüllt die Begehrensbedingung, weil sich objektive Empfindungen schnell verbrauchen bzw. abnutzen (Konsumtionseffekt). Um die Lust am Angenehmen zu erhalten, bedarf es daher immer neuer Empfindungen, sodass wir mehr angenehme Gegenstände hervorbringen wollen. Abschließend möchte ich noch betonen, dass auch die Lust am Angenehmen in Übereinstimmung mit dem kantischen Begriff des Lebens gebracht werden kann. So lässt sich eine Empfindung als eine innere Belebung der Sinne begreifen. Insofern sich aber jede innere Belebung als Lust im Sinne eines Lebensgefühls anfühlt (und jede Hemmung als Unlust), muss sich auch eine Belebung der Sinne als Lust anfühlen.

3.6 Literaturbericht Die §§ 3–4 werden in der Sekundärliteratur kaum diskutiert, wohl weil sie keinen unmittelbaren Beitrag zu Kants Verständnis des Schönen leisten; ich habe zu zeigen versucht, dass sich eine Analyse trotzdem lohnt, und zwar auch in Bezug auf die Theorie des Schönen. So finden etwa Kants lange Ausführungen zur Differenzierung von objektiven und subjektiven Empfindungen kaum Beachtung, was allerdings auch darin seinen Grund haben mag, dass diese Passage recht klar und unproblematisch ist. Eine kurze Wiedergabe der Differenzierung von objektiven und subjektiven Empfindungen findet sich etwa bei Ginsborg (2008, 61), Matthews (1997, 24), Pollok (2017, 275) und Wenzel (2000, 79 f.). Eine genauere Untersuchung nimmt Deligiorgi vor. Zu objektiven Empfindungen führt sie aus: »the characterization ›objective‹ captures the role of perception in establishing such [reliable] connections [to our environment]« (Deligiorgi 2018, 171). Hingegen gebe es bei subjektiven Empfindungen »no characteristic mode of perception through which we establish a reliable connection to our environment« (Deligiorgi 2018, 172). Eine durchaus kontroverse und problematische These zur subjektiven Empfindung formuliert Guyer (1979). Er argumentiert dafür, dass wir, obwohl Kant dies explizit verneint, durch subjektive Empfindungen, d. h. Lustgefühle, eine Art von Selbsterkenntnis (›selfknowledge‹) erlangen würden (vgl. Guyer 1979, 172 f.). Die Hauptfrage in Bezug auf § 2 ist, inwiefern die Lust am Angenehmen als Interesse zu qualifizieren ist. Oft finden sich dazu nur kurze und Kants Philosophie des Schönen

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eher allgemein gehaltene Erläuterungen (etwa mit Rekurs auf die Existenzbedingung). So schreibt etwa Wenzel: »What we like in sensation determines an inclination and a desire, and therefore we are not free in such a state of mind. We depend on the existence of the object and on the fact that it produces in us such a sensation, which then is a satisfaction in the agreeable« (Wenzel 2008, 24). Ähnlich allgemein spricht Kulenkampff vom »Zusammenhang von rezeptiver Lust am gegenwärtig bestehenden angenehmen Zustand und daraus resultierender, Interesse nehmender und Aktionen des Subjekts motivierender Lust zur Erhaltung bzw. Wiederherstellung des angenehmen Zustandes« (Kulenkampff 1994, 75; vgl. auch 77). Crowther bindet das Interesse am Angenehmen an die reale Existenz des Gegenstandes und nimmt an, dass wir ein solches Interesse nicht an Phantasien oder Träumen haben könnten: »Agreeable sensations only arise from real causal impacts on the relevant senses. We have, accordingly, an interest that the objects which promise to deliver them are likewise real. Mere appearances will not do« (Crowther 2010, 70). Kern bindet das Interesse am Angenehmen an den Zusammenhang zwischen der Lust am Angenehmen und der Glückseligkeit: »Die Lust am Angenehmen ist mit einem Interesse unsererseits verbunden, weil sie eine Lust ist, die für unser glückseliges Leben gut ist« (Kern 2000, 25). Jenseits solch allgemeiner Bestimmungen des Interesses am Angenehmen ist insbesondere die Frage, ob das Interesse am Angenehmen eine begriffliche Erfassung des angenehmen Gegenstandes voraussetzt, relevant sowie Gegenstand von Kontroversen. Ob man von einer solchen begrifflichen Erfassung ausgeht, hängt freilich davon ab, ob man grundsätzlich in der KU einen intellektuellen Interessensbegriff verortet oder nicht. Ich habe dafür argumentiert, dass Kant in der KU einen nicht-intellektuellen, weiten Interessensbegriff nutzt und dass das Interesse am Angenehmen keine begriffliche Bestimmung des (oberen) Begehrungsvermögens einschließt. Dass das Interesse am Angenehmen eine begriffliche Erfassung des angenehmen Gegenstandes erfordert, hat dagegen prominent Guyer vertreten: »Given one’s past experiences of agreeableness, thinking of a given object under a certain concept – say, chocolate – would provide a promise of pleasure, and thus an incentive for action toward the realization or possession of the object. Agreeableness may presuppose no interest, but in this way it can produce one« (Guyer 1979, 188). Dieser Position hat sich jüngst etwa Hilgers angeschlossen (vgl. Hilgers 2017, 17). Zammito beschreibt einen Prozess der »cognitive generalization«. Zunächst gebe es eine »original physiological experience of pleasure in the presence of X«; diese werde dann einer »cognitive generalization« unterzogen, bei der das Urteil »X is agreeable« in »X’s are agreeable« oder »I want things like X« verwandelt werde, wodurch dann ein »awakening desire« entstehe (Zammito 1992, 109). Das größte Problem für eine Interpretation, die das Interesse am Angenehmen an eine begriffliche Erfassung des angenehmen Gegenstandes bindet, ist Kants These, dass auch Tiere eine Lust bzw. ein

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Interesse am Angenehmen haben können. Dazu schreibt etwa Fricke: »Bei vernunftlosen Wesen bestimmt die praktische Lust unmittelbar das Begehrungsvermögen und ist ›Begierde‹. Vernunftbegabte Wesen dagegen verknüpfen die Vorstellung der praktischen Lust durch den Verstand nach einer allgemeinen Regel mit dem Begehrungsvermögen« (Fricke 1990, 17). Ähnlich schreibt Allison, der für das Interesse am Angenehmen ebenfalls eine begriffliche Erfassung des angenehmen Objekts voraussetzt (vgl. Allison 2001, 91): »for Kant, all animal likings or pleasures are without interest; although they are clearly not disinterested in the manner of the likings for the beautiful and the sublime« (Allison 2001, 361). Für Zuckert setzt das Interesse am Angenehmen den Begriff eines Zwecks, oder genauer ein Urteil der Form »objects of x’s type cause me […] pleasure« voraus (Zuckert 2007, 260; vgl. auch Zuckert 2002, 246 f.). Zur Problematik der Lust am Angenehmen bei Tieren führt sie dann das Folgende aus: »In other words, Kant here makes theoretical room both for claims that animals have and act on pleasures in the agreeable, as we do, and for claims that our rational action prompted by these pleasures is rather different from that of animals, because it is mediated by judgment. On Kant’s view, animals also act on representations (by desire) but not on judgments; rather, they act in accord with an association of ideas (of pleasure with some representation of an object)« (Zuckert 2007, 260). Eine der wenigen AutorInnen, die sich gegen eine begriffliche Erfassung des angenehmen Objekts im Rahmen ihres Verständnisses des Interesses wendet und stattdessen in der KU einen weiten Interessensbegriff verortet, ist Matthews (vgl. Matthews 1997, 21). Eine weitere Problematik, die ich bei meiner Analyse kurz beleuchtet habe (und auf die ich in ähnlicher Form noch einmal im Rahmen von § 4 eingehen werde), ist die Frage, ob die Lust am Angenehmen (sowie die Lust am Guten) selbst ein Interesse ist oder ob sie bloß mit Interesse verbunden ist. Diese Frage scheint mir in der Literatur nicht explizit berücksichtigt zu werden. Bisweilen finden sich Hinweise darauf, dass die Lust bloß mit einem Interesse verbunden wird. So schreibt etwa Crawford: »Satisfaction in the good, like that in the pleasurable to sense, is always tied to an interest in an object« (Crawford 1974, 55). Guyer (1979) geht zwar auf die Frage, ob die Lust am Angenehmen bzw. Guten selbst ein Interesse oder mit Interesse verbunden ist, nicht näher ein; da er jedoch annimmt, das Interesse sei gar kein Gefühl (vgl. Guyer 1979, 174 & 183), scheint es naheliegend, dass in seiner Interpretation die Lust am Angenehmen bzw. Guten mit Interesse verbunden ist. Ebenfalls kaum beachtet wird Kants Begründung dafür, dass die Lust am Angenehmen ein Interesse ist. Bisweilen wird die Begründung im letzten Absatz von § 3 zwar kurz zitiert, jedoch nicht weiter erläutert (vgl. etwa Ginsborg 2008, 62). Bei Matthews findet sich die folgende Erläuterung der kantischen Begründung: »If we take pleasure in a certain shade of blue, then other objects with the same blue shade will also promise to give us pleasure Kants Philosophie des Schönen

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and be prima facie objects of the will. But this fact shows that in judging an object to be agreeable, in that very judgment we connect the pleasure with the existence of the object […]. We are considering how the existence of the object affects our state. We are considering the object as a possible object of the will« (Matthews 1997, 25). Eine Kritik an der kantischen Begründung findet sich bei Guyer (1979, 177 f.). Primär kritisiert Guyer, diese Begründung nehme nicht zum Ausgang, dass wir die Lust am Angenehmen an der Existenz des Objekts empfinden, obwohl das Interesse so in § 2 eingeführt worden sei.

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Kants Ausführungen zum Guten sind komplexer als die zum Angenehmen. Dies liegt schon darin begründet, dass es zwei Formen des Guten gibt: das Nützliche und das moralisch Gute. Grundlegend lautet die Hauptthese von § 4: »Das Wohlgefallen a m G u t e n ist mit Interesse verbunden« (§ 4.T, 207,14). Wie schon in § 3 verwendet Kant aber relativ wenig Raum auf diese Hauptthese. Insgesamt lässt sich § 4 folgendermaßen gliedern: 1. Definition des Guten sowie der zwei Formen des Guten (§ 4.A.1– 2, 207,15–17) 2. Erste Begründung der Interessiertheit der Lust am Guten (§ 4.A.3, 207,18–21) 3. Der begrifflichen Charakter des Guten; Abgrenzung vom Angenehmen und Schönen (§ 4.B.1–3, 207,22–30) 4. Vergleich des Guten mit dem Angenehmen (§ 4.C.1–D.11, 207,31–209,2) 5. Zweite Begründung der Interessiertheit der Lust am Guten (§ 4.E.1–3, 209,3–12) Wenngleich Kant über die Hälfte seiner Ausführungen auf den Vergleich des Guten mit dem Angenehmen verwendet, sind für § 4 insgesamt eigentlich erstens die Definition des Guten und zweitens die These, dass die Lust am Guten ein Interesse ist, zentral. Wir wollen daher auch auf diese beiden Punkte unser Hauptaugenmerk legen.

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4.1 Eine Definition des Guten: Das Gute allgemein, das Nützliche und das moralisch Gute Zu Beginn von § 4 definiert Kant, was das Gute überhaupt ist. Dazu heißt es: § 4.A.1 »G U T ist das, was vermittelst der Vernunft, durch den bloßen Begrif, gefällt. § 4.A.2 [a] Wir nennen einiges w o z u g u t (das Nützliche), was nur als Mittel gefällt; [b] ein anderes aber a n s i c h g u t , was für sich selbst gefällt« (207,15).

Im Satz § 4.A.1 wird das Gute allgemein definiert, während in § 4.A.2 das Nützliche und moralisch Gute differenziert werden. Betrachten wir zunächst das Gute allgemein. Wie schon beim Angenehmen lässt sich die Definition anhand dreier Begriffe aufschlüsseln: ›Vernunft‹, ›Begriff‹ und ›gefällt‹. Beginnen wir mit dem Begriff des Gefallens. Zum ›Gefallen‹ : Wie beim Angenehmen definiert Kant das Gute als etwas, das gefällt. Dies lässt sich so verstehen, dass das Gute Gegenstand eines Wohlgefallens oder einer Lust ist. So heißt es etwa in § 7: »allein das Gute wird nur durch einen Begrif als Object eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt« (§ 7.C.5, 213,21, m. H. & Kants H. getilgt). Wie bereits erläutert, gehe ich davon aus, dass die Begriffe »Wohlgefallen« und »Lust« gleichbedeutend sind, sodass sich sowohl vom Wohlgefallen als auch von der Lust am Guten sprechen lässt. 1 Im Vergleich zum Angenehmen und zum Schönen muss aber bereits an dieser Stelle eine Besonderheit bezüglich der Lust am Guten vermerkt werden: Urteile über das Gute sind keine ästhetischen Urteile. Sie prädizieren daher kein Gefühl der Lust und haben kein (oder nicht ausschließlich ein) Gefühl der Lust zum Bestimmungsgrund. 2 Vielmehr sind Urteile über das Gute (praktische) Erkenntnisurteile und können daher prinzipiell auch gefällt werden, ohne dass man eine Lust fühlt. 3 Erst wenn die Erkenntnis des Guten im Sinne einer WilAuch in Bezug auf das Gute verwendet Kant wahlweise die Begriffe des Wohlgefallens oder der Lust. Für Verwendungen des Begriffs »Lust« in Bezug auf das (moralisch) Gute vgl. etwa § 12.A.1–5, 221,30 f. 2 Zu den Charakteristika des ästhetischen Urteils siehe Kap. 1.2 und 1.3. 3 Problematisch ist daran, dass Urteile über das (moralisch) Gute für uns Menschen primär in imperativischer Form auftreten. Für die Erfahrung des imperativischen Gehalts ist es aber notwendig, dass wir Achtung als eine spezifische Lust (bzw. ein spezifisches Doppelgefühl aus Unlust und Lust) fühlen (vgl. hierzu Schönecker 2013). Insofern aber auch rein vernünftige Wesen Urteile über das Gute fällen können – und 1

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lensbestimmung wirksam wird, ist sie (beim Menschen) mit einer Lust verbunden. Nun legt Kant aber in § 3.A.1 nahe, das Gute sei dadurch charakterisiert, dass es gefalle, d. h. dass es Gegenstand einer Lust sei. Man könnte daher einen weiten und einen engen Begriff des Guten unterscheiden: In einem weiten Verständnis wäre das gut, was (gegebenenfalls auch unabhängig vom Gefühl der Lust) als gut erkannt wird; in einem engen Verständnis wäre das gut, was Gegenstand einer Lust ist. Kants Ausführungen in § 4 sowie im gesamten Ersten und Zweiten Moment beziehen sich primär auf diesen engen Begriff des Guten. 4 Wir können in diesem Sinne festhalten: GT1 Das Gute (im engen Sinne) ist Gegenstand einer Lust.

Zur ›Vernunft‹ : Kant ordnet dem Guten das Vermögen der Vernunft zu. Bereits durch dieses Kriterium kann die Lust am Guten eindeutig vom Angenehmen und Schönen unterschieden werden: So setzt die Lust am Angenehmen nur das Vermögen der Sinnlichkeit voraus, und das Schöne beruht im Sinne des freien Spiels der Erkenntniskräfte auf einer gemeinsamen Aktivität von Einbildungskraft und Verstand. Da für das Gute im Gegensatz dazu eine Aktivität der Vernunft notwendig ist, heißt es in § 5, das Gute gelte »für jedes vernünftige Wesen überhaupt« (§ 5.B.4, 210,9). Zu berücksichtigen ist aber, dass nur das Urteil, nicht aber die Lust am Guten für ›jedes vernünftige Wesen‹ gilt; denn als Gefühl setzt die Lust am Guten das Vermögen der Sinnlichkeit voraus. Dass das Gute eine Aktivität der Vernunft voraussetzt, erklärt sich dadurch, dass es ›durch den bloßen Begriff, gefällt‹, wobei dieser Begriff als »Begrif eines Zwecks« zu verstehen ist (§ 4.A.3, 207,18). Ein ›Begrif eines Zwecks‹ ist aber erstens ein Ver-

dadurch unterscheiden sich Urteile über das Gute ja von Urteilen über das Schöne und Angenehme (vgl. § 5.B.4, 210,6) –, ist ein Urteil über das moralisch Gute kein Urteil, »dessen Bestimmungsgrund n i c h t a n d e r s a l s s u b j e c t i v seyn kann« (§ 1.A.2, 203,14), d. h. kein ästhetisches Urteil. Ferner können Urteile über das Gute auch für Menschen nicht ausschließlich durch Rekurs auf ein Gefühl gerechtfertigt werden. Auf die Problematik der Abhängigkeit von kategorischen Imperativen vom Gefühl der Achtung werde ich in Kürze zurückkommen. Siehe Kap. 4.2.2. 4 Wir werden später sehen, dass Kant im Dritten Moment seinen Begriff des Guten anhand des Begriffs der objektiven Zweckmäßigkeit erweitert. Das Gute umfasst hier auch die Erkenntnisse der Nützlichkeit und Vollkommenheit, ohne dass diese praktisch wirksam und daher mit Lust verbunden sein müssen. Siehe Kap. 15.4.1. Kants Philosophie des Schönen

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nunftbegriff; 5 und zweitens ist das Gute in ein Vernunftprinzip eingebunden, das den Willen bestimmt. 6 Wir können festhalten: GT2 Für eine Lust am Guten bedarf es einer Aktivität der Vernunft.

Zum ›Begriff‹ : Der ›Begrif‹ ist das zentrale Merkmal der Definition des Guten; denn im Vergleich zur Lust am Angenehmen und am Schönen ist die Lust am Guten als einzige begrifflich erwirkt. Was aber ist genau darunter zu verstehen, dass das Gute ›vermittelst der Vernunft, durch den bloßen Begriff, gefällt‹ ? Ich hatte bereits angedeutet, dass der ›Begriff‹ als Begriff eines Zwecks zu verstehen ist. Dies wird insbesondere durch § 4.A.3 deutlich: § 4.A.3 »In beiden [im Nützlichen und an sich Guten] ist immer der Begrif eines Zwecks, mithin das Verhältniß der Vernunft zum (wenigstens möglichen) Wollen, folglich ein Wohlgefallen am D a s e y n eines Objects oder einer Handlung, d. i. irgend ein Interesse, enthalten« (207,18, 1. H. m. H.).

Wir können hieraus die folgende Proposition ziehen: ›Im Guten ist immer der Begriff eines Zwecks.‹ Es ist naheliegend, dass der ›Begrif‹ in § 4.A.1 ebendiesen ›Begrif eines Zwecks‹ meint. § 4.A.1 kann dann folgendermaßen ergänzt werden: § 4.A.1R1 Gut ist das, was vermittelst der Vernunft, durch den bloßen Begriff eines Zwecks, gefällt.

Im folgenden Absatz findet sich dann auch eine (implizite) Erläuterung davon, was genau der ›Begrif eines Zwecks‹ ist: § 4.B.1 »Um etwas gut zu finden, muß ich jederzeit wissen, was der Gegenstand für ein Ding seyn solle, d. i. einen Begrif von demselben haben« (207,22, m. H.).

Dies gilt sowohl für den Begriff eines Zwecks, der in einer Willensbestimmung involviert ist – so ist die reine praktische Vernunft nichts anderes als »ein Vermögen der Zwecke überhaupt« (TL: 395) –, als auch für den Begriff eines Zwecks, der für die theoretische Beurteilung einer Zweckmäßigkeit notwendig ist (vgl. EEKU: 233,10). Vgl. auch: »Zwecke haben eine gerade Beziehung auf die Ve r n u n f t , sie mag nun fremde, oder unsere eigene sein. Allein um sie auch in fremder Vernunft zu setzen, müssen wir unsere eigene wenigstens als ein Analogon derselben zum Grunde legen: weil sie ohne diese gar nicht vorgestellt werden können« (ÜGTP: 182). – Für eine Analyse des Zweckbegriffs siehe Kap. 10.1.1. 6 Vgl.: »Das Angenehme […] muß allererst durch den Begrif eines Zwecks unter Principien der Vernunft gebracht werden, um es, als Gegenstand des Willens, gut zu nennen« (§ 4.C.4, 208,1). 5

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Kant identifiziert hier das Wissen darum, ›was der Gegenstand für ein Ding seyn solle‹, mit dem ›Begrif von demselben [Ding]‹. An anderer Stelle heißt es dann: »Z w e c k (was das Ding seyn solle)« (§ 15.C.4, 227,28). 7 Der Begriff eines Zwecks ist also ein Begriff davon, was ein Ding sein soll. Wir können § 4.A.1 somit um die folgende Erläuterung erweitern: § 4.A.1R2 Gut ist das, was vermittelst der Vernunft, durch den bloßen Begriff eines Zwecks, d. h. durch einen Begriff davon, was der Gegenstand sein soll, gefällt.

Auch aus dieser erweiterten Definition erschließt sich aber noch nicht, was denn nun genau die Lust am Guten ist, geschweige denn, wie sie zustande kommt. In diesem Kontext ist erneut § 4.A.3 aufschlussreich. Kant schreibt dort, dass im Guten »immer der Begrif eines Zwecks, mithin das Verhältniß der Vernunft zum (wenigstens möglichen) Wollen […] enthalten [ist]« (§ 4.A.3, 207,18, m. H.). Der Begriff des Wollens verdeutlicht, dass wir uns im Bereich des Praktischen befinden. Der Begriff eines Zwecks muss in der Definition des Guten also im Sinne eines Zwecks in einem praktischen Kontext, d. h. im Kontext einer Willensbestimmung, begriffen werden. 8 In diesem praktischen Kontext fungiert der Zweck als »Materie der Willkür« (TL: 389); er »ist ein Gegenstand der Willkür (eines vernünftigen Wesens), durch dessen Vorstellung diese zu einer Handlung, diesen Gegenstand hervorzubringen, bestimmt wird« (TL: 381). Der Zweck legt also fest, was durch die Handlung, zu der der Wille bestimmt wird, hervorgebracht werden soll. Er ist dann ein Begriff davon, was der Gegenstand, der hervorgebracht werden soll, ›für ein Ding seyn solle‹. Das Gute lässt sich nun als etwas verstehen, was vermittelst des Begriffs eines Zwecks Gegenstand einer Willensbestimmung ist. Dieses Verständnis des Guten wird durch die folgende Passage aus der KpV bestätigt: »Unter einem Begriffe eines Gegenstandes der praktischen Vernunft verstehe ich die Vorstellung eines Objekts als einer möglichen Wirkung durch Vgl. auch: »So wie nun Zweck überhaupt dasjenige ist, dessen B e g r i f als der Grund der Möglichkeit des Gegenstandes selbst angesehen werden kann: so wird, um sich eine objective Zweckmäßigkeit an einem Dinge vorzustellen, der Begrif von diesem, w a s e s f ü r e i n D i n g s e y n s o l l e , voran gehen« (§ 15.C.2, 227,14). 8 In der KU kennt Kant auch eine Rolle von Zweckbegriffen in einem theoretischen Kontext, nämlich im Kontext der theoretischen Beurteilung von objektiven Zweckmäßigkeiten. Siehe hierzu Kap. 10.1.1 sowie 10.1.2. 7

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Freiheit. Ein Gegenstand der praktischen Erkenntnis, als einer solchen, zu sein, bedeutet also nur die Beziehung des Willens auf die Handlung, dadurch er, oder sein Gegenteil, wirklichgemacht würde« (KpV: 57).

Kant identifiziert hier als ›Gegenstand[.] der praktischen Vernunft… die Vorstellung eines Objekts‹, welches durch eine ›Beziehung auf den Willen wirklichgemacht‹ werden kann. Kurz darauf schreibt er dann: »Die alleinigen Objekte einer praktischen Vernunft sind […] die vom G u t e n und B ö s e n . Denn durch das erstere versteht man einen notwendigen Gegenstand des Begehrungs-, durch das zweite des Verabscheuungsvermögens, beides aber nach einem Prinzip der Vernunft« (KpV: 58).

Das Gute ist demnach ein ›Objekt‹ der ›praktischen Vernunft‹ als ›notwendigen Gegenstandes des Begehrungsvermögens…nach einem Prinzip der Vernunft‹. Anders formuliert ist das Gute etwas, das begehrt oder vielmehr gewollt wird, wobei die Willensbestimmung durch ein ›Prinzip der Vernunft‹ erfolgt. Dieser Zusammenhang zwischen dem Guten und der Willensbestimmung nach Vernunftprinzipien wird von Kant auch in § 4 angeführt: § 4.C.4 »Das Angenehme […] muß allererst durch den Begrif eines Zwecks unter Principien der Vernunft gebracht werden, um es, als Gegenstand des Willens, gut zu nennen« (208,1, m. H.).

Damit etwas »gut« heißen kann, darf es also nicht bloß begehrt werden, sondern es muss aufgrund einer Willensbestimmung durch ein Vernunftprinzip gewollt werden. So heißt es in der KpV: »Das G u t e oder B ö s e bedeutet aber jederzeit eine Beziehung auf den W i l l e n , so fern dieser durchs Ve r n u n f t g e s e t z bestimmt wird, sich etwas zu seinem Objekte zu machen; wie er denn durch das Objekt und dessen Vorstellung niemals unmittelbar bestimmt wird, sondern ein Vermögen ist, sich eine Regel der Vernunft zur Bewegursache einer Handlung (dadurch ein Objekt wirklichwerden kann) zu machen« (KpV: 60).

Beim Guten wird der Wille ›durchs Vernunftgesetz bestimmt…, sich etwas zu seinem Objekte zu machen‹. Dabei lassen sich die Vernunftgesetze als hypothetische Imperative oder das moralische Gesetz verstehen. So könnte meiner Willensbestimmung etwa das Vernunftprinzip »Wenn du Klavierspielen willst, musst du üben« und meine Zwecksetzung, Klavierspielen zu wollen, zugrunde liegen. Mein Wille würde dann dazu bestimmt, die Handlung des Übens hervorzubringen. Das Üben wäre in diesem Fall nützlich bzw. gut für etwas (einen bestimmten Zweck). Das Gute, in diesem Sinne verstanden, ist 246

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von einer unmittelbaren Bestimmung des Begehrungsvermögens durch die Lust am Angenehmen zu unterscheiden. Darauf verweist Kant damit, dass der Wille ›durch das Objekt und dessen Vorstellung niemals unmittelbar bestimmt wird‹. Wenn ich Schokolade esse, an diesem Geschmack eine Lust am Angenehmen empfinde und allein durch diese Lust mein (unteres) Begehrungsvermögen dahingehend bestimmen lasse, immer mehr Schokolade zu essen, so ist kein Vernunftprinzip involviert. Mein Begehrungsvermögen wird vielmehr unmittelbar durch die angenehme Empfindung bestimmt. Dass das Gute immer eine Willensbestimmung durch Vernunft voraussetzt, macht Kant später in § 4 noch einmal ganz explizit: § 4.E.2 »Denn das Gute ist das Object des Willens (d. i. eines durch Vernunft bestimmten Begehrungsvermögens)« (209,9).

Wie aber hängt nun die Willensbestimmung mittels eines Vernunftprinzips mit dem Begriff eines Zwecks und somit mit der Definition des Guten in § 4.A.1 zusammen? Es ist zu vermuten, dass der Zweck im jeweiligen Vernunftprinzip beinhaltet ist. Ich werde gleich auf die konkrete Rolle des Zwecks in den beiden Arten von Vernunftprinzipien (hypothetische Imperative und das moralische Gesetz) eingehen. Aus unseren obigen Ausführungen zu § 4.A.1 bzw. § 4.B.1 ist jedoch klar, dass der Zweck in irgendeiner Form demjenigen Gegenstand korrespondieren muss, der für gut befunden wird (›Um etwas gut zu finden, muß ich jederzeit wissen, was der Gegenstand für ein Ding seyn solle, d. i. einen Begrif von demselben haben‹). Halten wir an dieser Stelle zunächst einmal zur Definition des Guten das Folgende fest: i. Das Gute (im engen Sinne) ist Gegenstand einer Lust (aber diese Lust ist nicht Bestimmungsgrund des Urteils über das Gute). ii. Für eine Lust am Guten bedarf es einer Aktivität der Vernunft. iii. Das Gute wird durch den Begriff eines Zwecks bestimmt, d. h. durch einen Begriff davon, was der Gegenstand sein soll. Dieser Begriff des Zwecks ist in eine Willensbestimmung durch ein Vernunftprinzip (einen hypothetischen Imperativ oder das moralische Gesetz) involviert. Der Gegenstand des Zwecks, der hervorgebracht werden soll, heißt »gut«. Aus dieser Auflistung geht leider nicht hervor, wie (i) und (iii) zusammenhängen. Inwiefern ist ein Objekt unseres Willens, d. h. ein Gegenstand, den wir aufgrund einer Willensbestimmung durch ein Vernunftprinzip hervorbringen wollen, ein Gegenstand einer Lust? Kants Philosophie des Schönen

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4.1.1 Die Lust am Guten als gefühltes Wollen und das Gefühl des Lebens Anders als beim Angenehmen, bei dem unmittelbar einleuchtet, dass wir manche Empfindungen (wie den Geschmack von Schokolade) als lustvoll erfahren, ist es beim Guten nicht offensichtlich, dass wir eine Lust aufgrund des Begriffs eines Zwecks empfinden können. Ein möglicher Hinweis auf den Zusammenhang vom Begriff des Zwecks und dem Gefühl der Lust findet sich im letzten Absatz von § 4: § 4.E.2 »Denn das Gute ist das Object des Willens (d. i. eines durch Vernunft bestimmten Begehrungsvermögens). § 4.E.3 Etwas aber wollen, und an dem Daseyn desselben ein Wohlgefallen haben d. i. daran ein Interesse nehmen, ist identisch« (209,9).

In § 4.E.2 konstatiert Kant, das Gute sei etwas, das man aufgrund einer Willensbestimmung durch ein Vernunftprinzip (›eines durch Vernunft bestimmten Begehrungsvermögens‹) hervorbringen will. Das Gute ist in diesem Sinne etwas, das man durch Vernunft will. In § 4.E.3 heißt es aber nun, dass ›etwas…wollen und an dem Daseyn desselben ein Wohlgefallen haben…identisch‹ seien. Kant macht hier deutlich, dass ein Wollen immer mit einer Lust verbunden ist bzw. in gewisser Hinsicht sogar als Lust gelten kann (›ist identisch‹). Diese These wird in § 12 noch einmal explizit formuliert: § 12.A.5 »Der Gemüthszustand aber eines irgend wodurch bestimmten Willens ist an sich schon ein Gefühl der Lust und mit ihm identisch, folgt also nicht als Wirkung daraus« (222,11).

Wir lernen hier, erstens, über den ›Gemüthszustand‹ des bestimmten Willens, dass er nicht kausal die Lust hervorruft und die Lust nicht seine ›Wirkung‹ ist. Vielmehr, so erfahren wir zweitens, ist der Gemütszustand des bestimmten Willens mit der Lust ›identisch‹. Dies können wir so verstehen, dass die Lust (als Gefühl) nichts anderes als die Art und Weise ist, wie es sich anfühlt, einen bestimmten Willen zu haben. Die Lust ist demnach die phänomenale, gefühlte Seite des bestimmten Willens (oder des Wollens). Da sich Lust allgemein immer positiv anfühlt, ist ein Zustand eines bestimmten Willens ein Zustand, der sich positiv anfühlt. Dabei kann die Lust auch so verstanden werden, dass uns durch sie die Willensbestimmung bewusst wird. 9 9

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Ich habe dargelegt, dass wir im Gefühl der Lust am Schönen ein Bewusstsein vom

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Dass sich der bestimmte Wille als Lust anfühlt, wird vor dem Hintergrund der kantischen Konzeption des Lebens verständlich. Bereits in § 1 hat Kant vom »Lebensgefühl desselben [Subjekts], unter dem Namen des Gefühls der Lust und Unlust gesprochen« (§ 1.B.2, 204,8). Ähnlich heißt es in der Anthropologie zur Lust am Angenehmen: »Vergnügen ist das Gefühl der Beförderung, Schmerz das einer Hindernis des Lebens« (Anth: 231). 10 An einer Stelle der KU heißt es dann ergänzend zur Lust am Angenehmen (wenngleich mit Rekurs auf Epikur): »weil das Leben ohne das Gefühl des körperlichen Organs bloß Bewußtseyn seiner Existenz, aber kein Gefühl des Wohl- oder Uebelbefindens, d. i. der Beförderung oder Hemmung der Lebenskräfte sey; weil das Gemüth für sich allein ganz Leben (das Lebensprincip selbst) ist, und Hindernisse oder Beförderungen außer demselben und doch im Menschen selbst, mithin in der Verbindung mit seinem Körper, gesucht werden müssen« (277,32 f., m. H.).

Die zentrale Formulierung ist hier ›Beförderung oder Hemmung der Lebenskräfte‹. Versteht man ›Lebenskräfte‹ als innere, physische bzw. organische Regungen des Menschen, dann ist die Lust am Angenehmen als eine gefühlte Beförderung solcher körperlichen Regungen zu verstehen. Analog dazu fühlt sich eine Hemmung einer inneren, körperlichen Regung als Übelbefinden bzw. Unlust am Unangenehmen an. Ich möchte dafür plädieren, dass sich dieses Prinzip des SichAnfühlens einer inneren Belebung bzw. Hemmung als Lust bzw. Unlust (Lebensgefühl) auf alle Arten von Lust und Unlust übertragen lässt. 11 Der Unterschied zum Angenehmen besteht bei den anderen Arten von Lust nur darin, dass sie nicht an einer körperlichen, sondern an einer intellektuellen Belebung empfunden werden. Wir werden

Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft haben (siehe Kap. G1.2.4). Es scheint plausibel, dass wir analog dazu in der Lust am Guten ein Bewusstsein der Willensbestimmung durch einen kategorischen oder hypothetischen Imperativ haben. 10 Vgl. auch: »Wodurch sind S c h a u s p i e l e […] so anlockend? Weil in allen gewisse Schwierigkeiten […] eintreten und so das Spiel einander widriger Affekten beim Schlusse des Stücks dem Zuschauer Beförderung des Lebens ist, indem es ihn innerlich in Motion versetzt hat« (Anth: 232; vgl. weiter Anth: 233). 11 Ähnlich, aber mit anderem Fokus heißt es bei Zuckert zum Leben: »[…] life may be understood as the purposive functioning of an organism to maintain the dynamic state that it is in; pleasure, on Kant’s definition, is the consciousness of just such a state, a state of dynamic self-preservation« (Zuckert 2007, 235). Kants Philosophie des Schönen

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später beim Schönen sehen, dass das freie Spiel der Erkenntniskräfte durch eine gegenseitige Belebung von Einbildungskraft und Verstand ausgezeichnet ist; 12 und ich werde dann dafür argumentieren, dass wir aufgrund dieser inneren Belebung im Sinne einer Beförderung des Lebens eine Lust fühlen. 13 Dass nun auch die Lust am Guten eine gefühlte Beförderung einer inneren Aktivität ist, lässt sich dem Triebferdernkapitel der KpV entnehmen. 14 Kant schildert dort das Entstehen des Gefühls der Achtung, welches er als Zusammenspiel einer Unlust (Demütigung) und einer Lust charakterisiert. In diesem Zusammenhang findet sich die folgende Passage: »Weil aber dasselbe Gesetz doch objektiv, […] ein unmittelbarer Bestimmungsgrund des Willens ist, folglich diese Demütigung nur relativ auf die Reinigkeit des Gesetzes stattfindet, so ist die Herabsetzung der Ansprüche der moralischen Selbstschätzung, d. i. die Demütigung auf der sinnlichen Seite, eine Erhebung der moralischen, d. i. der praktischen Schätzung des Gesetzes selbst, auf der intellektuellen, mit einem Worte Achtung für das Gesetz, als auch ein, seiner intellektuellen Ursache nach, positives Gefühl, das a priori erkannt wird. Denn eine jede Verminderung der Hindernisse einer Tätigkeit ist Beförderung dieser Tätigkeit selbst. Die Anerkennung des moralischen Gesetzes aber ist das Bewußtsein einer Tätigkeit der praktischen Vernunft aus objektiven Gründen, […]« (KpV: 79, m. H.).

Aus dieser Passage geht hervor, dass im Falle der Achtung eine Beförderung einer Tätigkeit vorliegt, die sich als Bestimmung des Willens bzw. ›Tätigkeit der praktischen Vernunft‹ verstehen lässt. Weiterhin heißt es, dass die ›Anerkennung des moralischen Gesetzes…das Bewußtsein einer Tätigkeit der praktischen Vernunft‹ ist. Versteht man die ›Anerkennung des moralischen Gesetzes‹ als Gefühl der Achtung und die ›Tätigkeit der praktischen Vernunft‹ als Wollen, 15 dann ist die Achtung nichts anderes als ›das Bewußtsein einer Tätigkeit der praktischen Vernunft‹ bzw. des Wollens (der moralischen Maxime). In Vgl. etwa § 9.I.6, 219,11; § 12.B.2, 222,20; § 21.A.5, 238,34; 316,27. Vgl.: »Die Belebung beider Vermögen (der Einbildungskraft und des Verstandes) zu unbestimmter, aber doch, vermittelst des Anlasses der gegebenen Vorstellung, einhelliger Thätigkeit, derjenigen nämlich, die zu einem Erkenntniß überhaupt gehört, ist die Empfindung, deren allgemeine Mittheilbarkeit das Geschmacksurtheil postulirt« (§ 9.I.5, 219,4, m. H.); »indem dieses (das Schöne) directe ein Gefühl der Beförderung des Lebens bey sich führt« (244,32, m. H.). – Siehe insbesondere Kap. 9.6.3. 14 Vgl. insbesondere KpV: 78 f. – Für eine sehr genaue Untersuchung dieser Passage siehe Schmidt (2013). 15 Vgl. hierzu Schmidt 2013, 58. 12 13

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diesem Sinne lässt sich Achtung (bzw. die Lust im Gefühl der Achtung) als gefühlte Beförderung einer Tätigkeit der praktischen Vernunft, d. h. als ein gefühltes Wollen, begreifen. (Analog ist die Demütigung als gefühlte Hemmung einer inneren Tätigkeit, nämlich der Neigung, zu verstehen.) Als gefühlte Beförderung oder Belebung einer inneren Aktivität ist die Lust am Guten ein Lebensgefühl. Erinnern wir uns nun noch einmal an § 12.A.5: § 12.A.5 Der Gemüthszustand aber eines irgend wodurch bestimmten Willens ist an sich schon ein Gefühl der Lust und mit ihm identisch, folgt also nicht als Wirkung daraus.

Der ›Gemüthszustand…eines…bestimmten Willens ist an sich schon ein Gefühl der Lust‹, weil dieser Gemütszustand durch eine Beförderung einer inneren Aktivität ausgezeichnet ist und wir eine solche Beförderung als Lust erleben. Da auch beim Nützlichen ein Wollen als innere Aktivität vorliegt, kann auch hier eine gefühlte innere Beförderung einer Aktivität (des Wollens) angenommen werden, die wir als Lust erleben. Wir können nun erklären, wie beim Guten die Willensbestimmung durch einen Zweck und die Lust zusammenhängen: Der Wille wird durch ein Vernunftprinzip (einen hypothetischen Imperativ oder das moralische Gesetz) bestimmt, das den Begriff eines Zwecks beinhaltet. Der bestimmte Wille bzw. das Wollen ist als Beförderung einer inneren Aktivität zu verstehen. Eine solche Beförderung erleben wir als Lebensgefühl, d. h. als Lust. Versuchen wir nun zu verstehen, welche Rolle der Begriff des Zwecks bei den beiden Arten des Guten spielt.

4.2 Die beiden Arten des Guten Wenden wir uns nun den beiden Unterarten des Guten zu. Kant differenziert folgendermaßen zwischen dem Nützlichen und dem moralisch Guten: § 4.A.2 [a] Wir nennen einiges w o z u g u t (das Nützliche), was nur als Mittel gefällt; [b] ein anderes aber a n s i c h g u t , was für sich selbst gefällt.

Wir können die beiden folgenden Propositionen isolieren:

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§ 4.A.2a

Wir nennen einiges wozu gut (das Nützliche), was nur als Mittel gefällt. § 4.A.2b* Wir nennen ein anderes an sich gut, was für sich selbst gefällt.

Wir wollen an dieser Stelle zunächst analysieren, was Kant unter dem Nützlichen versteht. 16

4.2.1 Das Nützliche Wir können § 4.A.2a folgendermaßen rekonstruieren: § 4.A.2aR1 Das, was zu etwas gut ist oder nützlich, gefällt nur als Mittel.

Etwas später schreibt Kant, »daß beym Guten immer die Frage ist, ob es blos mittelbar-gut oder unmittelbar-gut (ob nützlich oder an sich gut) sey« (§ 4.C.5, 208,7, m. H.). Auch im letzten Absatz nutzt Kant die Wendung »das mittelbar Gute (das Nützliche)« (§ 4.E.1, 209,6). Das Nützliche kann demnach auch als das mittelbar Gute sowie als das wozu Gute 17 bezeichnet werden. Bereits aus diesen Bezeichnungen ist ersichtlich, dass das Nützliche nicht unmittelbar oder für sich Gegenstand einer Lust ist, sondern nur durch die Beziehung auf etwas anderes. Es gefällt ›nur als Mittel‹. Da ein Mittel aber ein Mittel zu einem Zweck ist, können wir § 4.A.2a folgendermaßen ergänzen: § 4.A.2aR2 Das, was zu etwas gut ist oder nützlich, gefällt nur als Mittel zu einem Zweck.

In § 4.E.1 erläutert Kant, worin dieser Zweck besteht. Dort heißt es: »das mittelbar Gute (das Nützliche) welches als Mittel zu irgend einer Annehmlichkeit gefällt« (§ 4.E.1, 209,6, m. H.). 18 § 4.A.2a lässt sich dann folgendermaßen ergänzen: Siehe zum Nützlichen auch Kap. 10.1.3. Auch in der KpV verwendet Kant die Formulierung »i r g e n d w o z u Gutes« (KpV: 59). 18 Ähnlich heißt es in der KpV, man würde »g u t nennen, was ein M i t t e l zum Angenehmen […] ist« (KpV: 58). Vgl. auch: »das Gute würde jederzeit bloß das Nützliche sein, und das, wozu es nutzt, müßte allemal außerhalb dem Willen in der Empfindung liegen. Wenn diese nun, als angenehme Empfindung, vom Begriffe des Guten unterschieden werden müßte, so würde es überall nichts unmittelbar Gutes geben, sondern das Gute nur in den Mitteln zu etwas anderm, nämlich irgend einer Annehmlichkeit, gesucht werden müssen« (KpV: 59). 16 17

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§ 4.A.2aR3 Das, was zu etwas gut ist oder nützlich, gefällt nur als Mittel zum Angenehmen (als Zweck).

Machen wir uns diesen Zusammenhang durch ein Beispiel klar. Schokolade ist mir grundsätzlich angenehm; und nehmen wir an, ich habe gerade Lust auf Schokolade, d. h. ich antizipiere eine Lust am Angenehmen. Nun habe ich derzeit keine Schokolade im Haus. Jedoch weiß ich, dass das Kaufen von Schokolade ein Mittel zum Zweck ist, Schokolade zu essen. Dies lässt sich durch den folgenden hypothetischen Imperativ darstellen: »Wenn du Schokolade essen willst und du keine hast, musst du Schokolade kaufen.« 19 Dieser hypothetische Imperativ und der Zweck, Schokolade essen zu wollen, können meinen Willen dazu bestimmen, Schokolade zu kaufen. Diese Willensbestimmung ist eine Beförderung einer inneren Aktivität und fühlt sich daher als Lust am Nützlichen an. 20 Durch das Beispiel wird deutlich, wie die Lust am Nützlichen zustande kommt und warum der nützliche Gegenstand (bzw. die nützliche Handlung) gefällt. Es lässt sich auch leicht erklären, warum der nützliche Gegenstand im Sinne von § 4.A.1 »vermittelst der Vernunft« gefällt (207,15). So gehört nämlich »die Beurteilung des Verhältnisses der Mittel zu Zwecken […] allerdings zur Vernunft« (KpV: 58). In diesem Sinne heißt es auch in § 4.C.4: »Das Angenehme […] muß allererst durch den Begrif eines Zwecks unter Principien der Vernunft gebracht werden, um es, als Gegenstand des Willens, gut zu nennen« (208,1). Dieses Zitat lenkt uns allerdings auf ein Problem: Was ist beim Nützlichen genau der Zweck? Einerseits legt § 4.C.4 nahe, dass der angenehme Gegenstand der Zweck ist – und dafür spricht auch die Zweck-Mittel-Relation des hypothetischen Imperativs; andererseits hatten wir vermutet, dass der gute bzw. nützliche Hypothetische Imperative sind immer wahr. Daher müssten sie eigentlich sehr genau und detailliert formuliert werden, etwa: »Wenn du Schokolade essen möchtest, keine Schokolade zuhause hast und keine Schokolade selbst herstellen kannst, dann musst du Schokolade kaufen.« 20 In gewisser Hinsicht stellt sich beim Verhältnis von hypothetischen Imperativen und der Lust am Nützlichen eine ähnliche Frage wie beim Verhältnis von kategorischen Imperativen und der Lust am moralisch Guten (Achtung). Ich werde in Kürze darlegen, dass wir uns erst durch die Achtung des imperativischen Charakters des moralischen Gesetzes bewusst werden, sodass die Achtung ein Bestandteil des kategorischen Imperativs ist. Es scheint mir unklar, ob wir uns auch erst durch die Lust am Nützlichen des imperativischen Charakters des hypothetischen Imperativs bewusst werden. Da das Nützliche und das moralisch Gute nicht das eigentliche Thema dieser Arbeit sind, kann ich hier auf diese Frage nicht näher eingehen. 19

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Gegenstand dem Begriff des Zwecks korrespondieren muss, was insbesondere § 4.B.1 nahelegt (›Um etwas gut zu finden, muß ich jederzeit wissen, was der Gegenstand für ein Ding seyn solle, d. i. einen Begrif [des Zwecks] von demselben haben‹). Diese Problematik können wir dadurch auflösen, dass wir zwei Zwecke im Komplex des Nützlichen unterscheiden. Erstens kann das Angenehme, das durch das Mittel hervorgebracht werden soll, als übergeordneter Zweck verstanden werden. Zweitens kann auch das Mittel selbst als (untergeordneter) Zweck verstanden werden. Dies ist schon daraus ersichtlich, dass ein Zweck die »Materie der Willkür« ist (TL: 389). Ein Zweck ist daher das, was gewollt wird. Im Falle des Nützlichen wird aber (mindestens auch) der nützliche Gegenstand gewollt – aber eben nur in Relation zu einem übergeordneten Zweck. Ferner bedarf ich, um ein Nützliches zu wollen, d. h. um einen nützlichen Gegenstand hervorzubringen, eines Begriffs davon, was dieser nützliche Gegenstand sein soll. Ich muss also über einen Begriff des Zwecks vom Gegenstand verfügen. 21 Es ist daher plausibel, dass auch der nützliche Gegenstand der Gegenstand eines Zweckbegriffs ist. Es ist dann dieser Zweck, dem die Lust am Nützlichen korrespondiert. Beim Nützlichen spielen aber nicht nur zwei Zwecke, sondern auch zwei Gefühle der Lust eine Rolle. Erstens fühlen wir die eigentliche Lust am Nützlichen, die dem Begriff des Zwecks vom nützlichen Gegenstand korrespondiert und die das gefühlte Wollen des nützlichen Gegenstandes ist. Zweitens ist auch eine Lust am Angenehmen in Form einer antizipierten Lust involviert. Wir haben im Rahmen Man könnte hier zwischen inneren und äußeren Zwecken eines Gegenstandes differenzieren. Dazu heißt es in § 15: »Die objective Zweckmäßigkeit zu beurtheilen, bedürfen wir jederzeit den Begrif eines Zwecks, und [wenn jene Zweckmäßigkeit nicht eine äußere (Nützlichkeit), sondern eine innere seyn soll] den Begrif eines innern Zwecks, der den Grund der innern Möglichkeit des Gegenstandes enthalte« (§ 15.C.1, 227,10). Dass es einen inneren Zweck als Unterart des Oberbegriffs »Zweck« gibt, legt nahe, dass es auch einen äußeren Zweck gibt. Es ließe sich vermuten, dass darunter ein Begriff davon zu verstehen ist, wozu der Gegenstand gebraucht werden soll. Und tatsächlich ist ein solcher Begriff notwendig, um meinen Willen im Sinne des Nützlichen bestimmen zu können. Wenn ich nicht weiß, dass ein Hammer dazu gebraucht werden soll, um Nägel einzuschlagen, so kann ich meinen Willen nicht dazu bestimmen, einen Hammer zu kaufen, um damit Nägel einzuschlagen. Aber um einen Hammer hervorzubringen (bspw. um ihn zu kaufen), muss ich mindestens auch einen groben Begriff seines inneren Zwecks haben, d. h. einen Begriff davon, was der Gegenstand sein soll. Ich muss etwa mindestens grob wissen, welche Form ein Hammer hat, aus welchen Materialien er gewöhnlich besteht usw. Siehe hierzu auch Kap. 10.1.1.

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der Untersuchungen zum Angenehmen gesehen, dass wir die Existenz von angenehmen Gegenständen sowie die damit verbundene Lust antizipieren können. 22 Der Zweck, für den das Nützliche zuträglich ist, besteht nun immer (mittelbar oder unmittelbar) in einer erwarteten Annehmlichkeit, d. h. einer erwarteten Lust. 23 Ich habe dafür plädiert, dass sich eine solche erwartete Lust bereits als Lust anfühlt. Ist dies der Fall, dann fühlen wir beim Nützlichen zugleich eine Lust am Nützlichen und eine antizipierte Lust am Angenehmen. Betrachten wir noch einmal im Zusammenhang, wie es zu einer Lust am Nützlichen kommt und welche Rolle der Zweck spielt: i. Das Nützliche ist nur mittelbarer Gegenstand einer Lust, d. h. es gefällt nur als Mittel zu einem übergeordneten Zweck, wobei dieser Zweck letztlich etwas Angenehmes ist. Das Nützliche ist aber selbst auch ein (untergeordneter) Zweck. ii. Das beim Nützlichen involvierte Vernunftprinzip ist ein hypothetischer Imperativ. iii. Die Entstehung der Lust am Nützlichen lässt sich folgendermaßen erklären: Ich begehre einen angenehmen Gegenstand x. Ich weiß zudem, dass ein Gegenstand y ein Mittel ist, um x zu erlangen (hypothetischer Imperativ). Dass ich x will und weiß, dass y Mittel für x ist, führt dann dazu, dass ich meinen Willen dazu bestimme, y hervorzubringen. Die Willensbestimmung fühlt sich im Sinne einer Beförderung einer inneren Aktivität als Lust an. iv. Beim Nützlichen sind zwei Zwecke involviert: Erstens ein übergeordneter Zweck, für den der nützliche Gegenstand (bzw. die nützliche Handlung) Mittel ist; dieser Zweck ist (unmittelbar oder mittelbar) ein angenehmer Gegenstand. Zweitens ist der Begriff des nützlichen Gegenstandes (bzw. der nützlichen Handlung) selbst ein (untergeordneter) Zweck, der angibt, was der nützliche Gegenstand sein soll, und dadurch den Willen bestimmt.

Vgl. KpV: 21 ff. Siehe auch Kap. 3.1.1. Vgl.: »das Gute würde jederzeit bloß das Nützliche sein, und das, wozu es nutzt, müßte allemal außerhalb dem Willen in der Empfindung liegen. Wenn diese nun, als angenehme Empfindung, vom Begriffe des Guten unterschieden werden müßte, so würde es überall nichts unmittelbar Gutes geben, sondern das Gute nur in den Mitteln zu etwas anderm, nämlich irgend einer Annehmlichkeit, gesucht werden müssen« (KpV: 59).

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v.

Beim Nützlichen sind zwei Arten von Lust involviert: eine Lust am antizipierten angenehmen Gegenstand und eine Lust am Nützlichen als gefühlte Willensbestimmung.

4.2.2 Das moralisch Gute Kommen wir nun zum moralisch Guten, das in § 4.A.2b definiert wird: § 4.A.2b* Wir nennen ein anderes an sich gut, was für sich selbst gefällt.

Auch für das an sich Gute finden sich in § 4 verschiedene weitere Bezeichnungen. So nennt Kant dieses auch »unmittelbar-gut« (§ 4.C.5, 208,8) sowie »das schlechterdings und in aller Absicht Gute, nemlich das moralische« (§ 4.E.1, 209,7). Die Unmittelbarkeit des an sich Guten stellt dabei eine Gemeinsamkeit mit dem Schönen und Angenehmen dar: Der jeweilige Gegenstand ist unmittelbar mit der jeweiligen Form von Lust verbunden und nicht bloß mittelbar, d. h. im Hinblick auf einen anderen Gegenstand (wie beim Nützlichen). 24 Insbesondere ist wichtig, dass das an sich Gute das moralisch Gute ist. Wir können somit § 4.A.2b folgendermaßen ergänzen (und leicht umformen): § 4.A.2bR1 Das, was an sich gut ist, d. h. das moralisch Gute, gefällt für sich selbst.

Die Lust, die in dieser Definition durch das Verb ›gefällt‹ zum Ausdruck kommt, ist offenkundig das Gefühl der Achtung. So heißt es in § 5: »Daher könnte man von dem Wohlgefallen sagen: es beziehe sich in den drey genannten Fällen [des Angenehmen, Schönen und (moralisch) Guten] auf N e i g u n g , oder G u n s t , oder A c h t u n g « (§ 5.B.6, 210,14). Aus der Konzeption der Achtung ergibt sich aber eine strukturelle Schwierigkeit: Wie mit Rekurs auf die KpV bereits angedeutet, versteht Kant Achtung als Doppelgefühl aus Unlust (Demütigung) und Lust. Dieses Verständnis von Achtung wird in der KU dadurch deutlich, dass Kant die Achtung in die Nähe des Gefühls des Erhabenen rückt, welches ebenfalls ein Doppelgefühl aus Unlust und Diese Unmittelbarkeit ist von derjenigen Unmittelbarkeit des Angenehmen unterschieden, die darin besteht, dass die Lust am Angenehmen unmittelbar an einer Empfindung (ohne intellektuelle Verarbeitung) gefühlt wird. Siehe Kap. 3.1.

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Lust ist. 25 Wenn Kant aber nun die Lust am moralisch Guten in § 4 (bzw. insgesamt in den ersten beiden Momenten) behandelt, dann scheint er dabei immer nur einen Teil des Gefühls der Achtung, nämlich nur die Lust und nicht die Unlust, in den Blick zu nehmen. Daher müssen Kants Ausführungen zur Lust am moralisch Guten in gewisser Hinsicht als unvollständig angesehen werden. 26 Wie es zu einem Gefühl der Lust am moralisch Guten kommt, hatten wir bereits kurz angedeutet. In § 12 heißt es dazu: § 12.A.2 »Zwar haben wir in der Critik der praktischen Vernunft wirklich das Gefühl der Achtung […] von allgemeinen sittlichen Begriffen a priori abgeleitet. […] § 12.A.4 Allein selbst da [in der Kritik der praktischen Vernunft] leiteten wir eigentlich nicht dieses G e f ü h l [der Achtung] von der Idee des Sittlichen als Ursache her, sondern bloß die Willensbestimmung wurde davon abgeleitet. § 12.A.5 Der Gemüthszustand aber eines irgend wodurch bestimmten Willens ist an sich schon ein Gefühl der Lust und mit ihm identisch, folgt also nicht als Wirkung daraus; […]« (222,2). 27

Erstens liegt bei der Achtung eine ›Willensbestimmung‹ vor, die ›von der Idee des Sittlichen‹ verursacht wird. Dies lässt sich so verstehen, dass das moralische Gesetz den Willen bestimmt, d. h. das Wollen einer bestimmten Handlung bzw. eines Gegenstandes bewirkt. 28 Vgl.: »und, indem das Gemüth von dem Gegenstande nicht bloß angezogen, sondern wechselweise auch immer wieder abgestoßen wird, das Wohlgefallen am Erhabenen nicht sowohl positive Lust als vielmehr Bewunderung oder Achtung enthält, d. i. negative Lust genannt zu werden verdient« (245,7; vgl. auch 249,32; 271,25). – Zu Kants Gefühls-Taxonomie siehe Kap. G7.1. 26 Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, dass sich die Achtung als Doppelgefühl strukturell stark von der Lust am Schönen und Angenehmen unterscheidet. Dies führt dazu, dass die Lust am Schönen mit dem Gefühl der Achtung nicht verknüpfbar ist. Ich werde daher dafür plädieren, dass eine Verknüpfung der Lust am Schönen und am moralisch Guten nur insofern möglich ist, als die Lust am Guten hier kein Gefühl der Achtung, sondern eine Liebe des Wohlgefallens ist. Siehe Kap. 16.2. 27 Der Kontext dieser Passage ist, dass Kant zunächst behauptet, wir könnten Kausalrelationen, bei denen eine Lust oder Unlust verursacht wird, im Bereich des Empirischen immer nur a posteriori erkennen. Als eine mögliche Ausnahme, die aber eben nicht ausschließlich im Bereich des Empirischen zu verorten ist, identifiziert er dann die Bewirkung der Achtung durch das moralische Gesetz. Siehe hierzu die Analyse dieser Passage in Kap. 12.3. 28 Dass das (moralisch) Gute sich primär auf Handlungen bezieht, wird unter ande25

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Zweitens fühlt sich der bestimmte Wille (d. h. das Wollen) als Gefühl der Lust, d. h. als Achtung, an. 29 Die Lust am moralisch Guten ist in diesem Sinne die gefühlte Seite einer Willensbestimmung; denn diese Willensbestimmung kann als Beförderung einer inneren Aktivität verstanden werden und wird daher als Lebensgefühl fühlbar. Beim moralisch Guten stehen wir nun vor zwei Problemkomplexen, die ich hier leider nur ansatzweise beleuchten kann: Wie verhalten sich, erstens, das moralische Gesetz, die Willensbestimmung und die Achtung genau zueinander? Was ist, zweitens, in diesem Kontext der Zweck? Der erste Problemkomplex lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Unter anderem in der oben zitierten Passage aus § 12 scheint Kant den folgenden Kausalzusammenhang zu beschreiben. Das moralische Gesetz verursacht eine Willensbestimmung, d. h. es bestimmt den Willen dazu, etwas zu wollen. Diese Willensbestimmung bzw. dieses Wollen erleben wir als Gefühl der Achtung, d. h. als ein Doppelgefühl aus Unlust und Lust. 30 Die Achtung scheint daher eine Art indirekte Wirkung des moralischen Gesetzes zu sein, und das moralische Gesetz scheint in diesem Sinne Priorität vor dem Gefühl der Achtung zu haben. Andererseits macht aber, folgt man Schöneckers Interpretation der Achtung im Rahmen der Faktumthese, die Achtung selbst insofern einen Bestandteil des moralischen Gesetzes aus, als wir uns erst durch sie des imperativischen Charakters, den das moralische Gesetz für uns sinnlich-vernünftige Wesen hat, bewusst werden. 31 Dann hätte das moralische Gesetz aber keine rem in der folgenden Passage deutlich: »Das Gute oder Böse wird eigentlich auf Handlungen, nicht auf den Empfindungszustand der Person bezogen, und, sollte etwas schlechthin (und in aller Absicht und ohne weitere Bedingung) gut oder böse sein, oder dafür gehalten werden, so würde es nur die Handlungsart, die Maxime des Willens und mithin die handelnde Person selbst, als guter oder böser Mensch, nicht aber eine Sache sein, die so genannt werden könnte« (KpV: 60). 29 Vgl. hierzu auch: »[…] Achtung, welche bloß das Bewußtsein der Unterordnung meines Willens unter einem Gesetze, ohne Vermittelung anderer Einflüsse auf meinen Sinn, bedeutet. Die unmittelbare Bestimmung des Willens durchs Gesetz und das Bewußtsein derselben heißt Achtung, so daß diese als Wirkung des Gesetzes aufs Subjekt und nicht als Ursache desselben angesehen wird« (GMS: 401 Fn.). 30 Vgl. auch KpV: 78 f. 31 Vgl.: »Das Bewusstsein des KI ist vermittelt durch die Achtung; und da die Achtung ein Gefühl ist, lautet die Faktum-These Kants: Wir erkennen durch ein unmittelbar gegebenes Gefühl die Geltung des KI« (Schönecker 2013, 102); »Dieses Sollen ist aber integraler Bestandteil des KI (sein normativer Gehalt); also erkenne ich den KI – das moralische Gesetz als Imperativ für unvollkommen vernünftige Wesen – nicht

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Priorität vor dem Gefühl der Achtung, sondern wäre vielmehr davon abhängig. Eine mögliche Lösungsstrategie, die ich hier nur in aller Kürze skizzieren kann, lautet folgendermaßen: Priorität besitzt nicht der kategorische Imperativ, sondern das moralische Gesetz in nichtimperativischer Form. Dieses bestimmt den Willen, d. h. es verursacht ein Wollen. Oder wie es im Triebfedernkapitel der KpV heißt: »Zuerst bestimmt das moralische Gesetz objektiv und unmittelbar den Willen im Urteile der Vernunft« (KpV: 78). Das Wollen erleben wir durch das Gefühl der Lust bzw. der Achtung; denn ein Wollen ist nichts anderes als eine innere Belebung. 32 Im Gefühl der Achtung erfahren wir aber gleichsam ein Sollen, d. h. eine Nötigung. Erst durch diese Nötigung, die sich in der Achtung zeigt, konstituiert sich das moralische Gesetz als kategorischer Imperativ. In unseren Erfahrungen mit dem moralischen Gesetz kulminieren die objektive Willensbestimmung durch das moralische Gesetz, das Gefühl der Achtung und der kategorische Imperativ in ein und derselben moralischen Erfahrung der Nötigung durch das moralische Gesetz. 33 In diesem Sinne schreibt Kant, die Achtung sei »unzertrennlich mit der Vorstellung des moralischen Gesetzes in jedem endlichen vernünftigen Wesen verbunden« (KpV: 80). In dieser Interpretation weist das (nicht-imperativische) moralische Gesetz zwar prinzipiell eine Priorität gegenüber und Unabhängigkeit von der Achtung auf, und es ist insofern kein

ohne die Achtung (Schönecker 2013, 103). – Für diese Deutung spricht auch das folgende Zitat aus § 18: »eine praktische [Notwendigkeit], wo durch Begriffe eines reinen Vernunftwillens, welcher freyhandelnden Wesen zur Regel dient, dieses Wohlgefallen die nothwendige Folge eines objectiven Gesetzes ist, und nichts anders bedeutet, als daß man schlechterdings (ohne weitere Absicht) auf eine gewisse Art handeln solle« (§ 18.A.4, 237,2; siehe Kap. 18.3.2). 32 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Kant auch in der KpV in der entscheidenden Passage zum Entstehungskontext der Achtung von einer »Beförderung« (der Tätigkeit der reinen Vernunft) spricht (KpV: 79). Wie bereits früher erwähnt, ist der Entstehungskontext der Achtung freilich komplexer. Denn eigentlich bewirkt die Willensbestimmung zunächst eine Hinderung der Tätigkeit der Neigungen, die sich als Unlust, d. h. Demütigung, anfühlt; diese Hinderung der Tätigkeit der Neigungen ist aber mit einer Beförderung der Tätigkeit der praktischen Vernunft und insofern mit einer inneren ›Belebung‹ verbunden, die sich dann als Lust anfühlt (vgl. KpV: 78 f.; für eine Analyse dieser Passage siehe erneut Schmidt 2013). 33 In diesem Sinne stimme ich mit Schönecker überein, dass es sich nicht so verhält, »als hätte derjenige, der ein moralisches Bewusstsein hat, zuerst ein achtungsfreies Bewusstsein des KI, das sich erst dann mit dem Gefühl der Achtung verbindet« (Schönecker 2013, 103). Kants Philosophie des Schönen

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ästhetisches Urteil 34 – dies wird auch schon daraus ersichtlich, dass das nicht-imperativische moralische Gesetz auch für rein vernünftige Wesen gilt, die keine Achtung fühlen können; 35 beim Menschen hat das Bewusstsein des moralischen Gesetzes (in Handlungskontexten) aber immer die Form eines Imperativs und ist abhängig von der Erfahrung der imperativischen Nötigung im Gefühl der Achtung. Die zweite Schwierigkeit entsteht bei dem Versuch, die Frage zu beantworten, was genau beim moralisch Guten der Zweck ist, den wir in der allgemeinen Definition des Guten lokalisiert hatten. 36 Wir haben soeben gesehen, dass das beim moralisch Guten eingebundene »Princip[.] der Vernunft« (§ 4.C.4, 208,3) das moralische Gesetz bzw. in gewisser Hinsicht der kategorische Imperativ ist. In der GMS bestimmt Kant als »Grund eines möglichen kategorischen Imperativs, d. i. praktischen Gesetzes«, etwas, das ein »Zweck an sich selbst« ist (GMS: 428), 37 und identifiziert diesen mit dem Menschen bzw. allen vernünftigen Wesen: »Nun sage ich: der Mensch und überhaupt jedes vernünftige Wesen existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen, sondern muß in allen seinen, sowohl auf sich selbst, als auch auf andere vernünftige Wesen gerichteten Handlungen, jederzeit zugleich als Zweck betrachtet werden« (GMS: 428).

Damit scheint der in einer Willensbestimmung durch den kategorischen Imperativ involvierte Zweck der Mensch (bzw. jedes vernünftige Wesen) als Zweck an sich selbst zu sein. Das Problem an dieser Lesart ist aber, dass bei einer Willensbestimmung durch einen Zweck der gute Gegenstand bzw. die gute Handlung erst hervorgebracht Denn ein ästhetisches Urteil ist ein Urteil, »dessen Bestimmungsgrund n i c h t a n d e r s als s u b j e c t i v seyn kann« (§ 1.A.2, 203,14). 35 Dass das moralische Gesetz kein ästhetisches Urteil ist, lässt sich auch mit Rekurs auf seinen Inhalt zeigen. In ästhetischen Urteilen wird ein Gefühl der Lust prädiziert und die Lust ist somit Inhalt des Urteils. Hingegen ist der Inhalt des moralischen Gesetzes – Schönecker spricht hier vom »formalen Inhalt (das, was geboten ist, also, kurz gesagt: die Universalisierung)« (Schönecker 2013, 103) – unabhängig vom Gefühl der Achtung oder von irgendeiner anderen Lust. 36 Vgl. hierzu: »Da nun keine freie Handlung möglich ist, ohne daß der Handelnde hierbei zugleich einen Zweck (als Materie der Willkür) beabsichtigte, […]« (TL: 389). Vgl. auch: »Unter I m p e r a t i v überhaupt ist jeder Satz zu verstehen, der eine mögliche freie Handlung aussagt, wodurch ein gewisser Zweck wirklich gemacht werden soll« (Log: 86). 37 Für eine Analyse dieser Passage, der sogenannten ›ground-thesis‹, siehe Schmidt/ Schönecker (2018a), 88–92. 34

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werden soll. Der Mensch als Zweck an sich selbst ›existiert‹ aber ja bereits; denn dieser Status kommt dem Menschen qua seines Status als vernünftigen bzw. autonomen Wesens zu. 38 Diese Problematik wird noch verschärft, wenn man die Beispiele für das moralisch Gute (als Gegenstand der reinen praktischen Vernunft) in der KpV betrachtet. Kant spricht hier etwa von »der Wahrhaftigkeit im Gegensatz mit der Lüge« sowie »der Gerechtigkeit im Gegensatz [mit] der Gewalttätigkeit« (KpV: 61). Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit sind zwar Dinge bzw. Handlungen, die allererst hervorgebracht werden müssen, aber sie sind ja nicht dasselbe wie der Mensch als Zweck an sich selbst. In gewisser Hinsicht scheint es daher so, als habe der Zweck beim moralisch Guten eine etwas andere Funktion als im Rahmen von gewöhnlichen Willensbestimmungen. Während ein normaler Zweck die Funktion hat, festzulegen, was der Wille hervorbringen will (d. h. die Beschaffenheit des spezifischen, zu bewirkenden Gegenstandes), so legt der Zweck an sich selbst fest, was der Mensch qua Autonomie bereits ist. Handlungen, die dann durch eine Willensbestimmung mittels des Zwecks an sich selbst hervorgebracht werden, konstituieren nicht erst diesen Zweck im Sinne eines Produkts, sondern sie stimmen mit dem bereits existierenden Zweck zusammen. In diesem Sinne lesen sich auch die folgenden Beispiele Kants aus der GMS: »nach dem Begriffe der notwendigen Pflicht gegen sich selbst, [wird] derjenige, der mit Selbstmorde umgeht, sich fragen, ob seine Handlung mit der Idee der Menschheit, als Zwecks an sich selbst, zusammen bestehen könne« (GMS: 429). »in Ansehung der zufälligen (verdienstlichen) Pflicht gegen sich selbst ist’s nicht genug, daß die Handlung nicht der Menschheit in unserer Person, als Zweck an sich selbst, widerstreite, sie muß auch dazu zusammenstimmen« (GMS: 430). »diese [die Anlagen zu größerer Vollkommenheit] zu vernachlässigen, würde allenfalls wohl mit der Erhaltung der Menschheit als Zwecks an sich selbst, aber nicht der Beförderung dieses Zwecks bestehen können« (GMS: 430). »Nun würde zwar die Menschheit bestehen können, wenn niemand zu des anderen Glückseligkeit was beitrüge, dabei aber ihr nichts vorsätzlich entVgl. auch: »Der Grund dieses Prinzips [d. h. des obersten praktischen Prinzips] ist: die vernünftige Natur existiert als Zweck an sich selbst« (GMS: 429).

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zöge; allein es ist dieses doch nur eine negative und nicht positive Übereinstimmung zur Menschheit als Zweck an sich selbst, wenn jedermann auch nicht die Zwecke anderer, soviel an ihm ist, zu befördern trachtete« (GMS: 430).

Folgt man diesen Zitaten, dann ist eine gute Handlung dadurch gekennzeichnet, dass sie mit dem (bereits existierenden) Zweck an sich selbst, nämlich dem Menschen als vernünftigen, autonomen Wesen, zusammenstimmt oder diesen Zweck sogar befördert. Eine gute Handlung ist demnach eine solche, die durch den Menschen als Zweck an sich selbst, der Gegenstand des moralischen Gesetzes ist, bestimmt wurde und mit diesem Zweck zusammenstimmt bzw. ihn befördert. 39 Die Handlung ist dann an sich gut und nicht gut dafür, einen angenehmen Gegenstand hervorzubringen. 40 Betrachten wir an dieser Stelle noch einmal den Satz § 4.B.1: § 4.B.1 Um etwas gut zu finden, muß ich jederzeit wissen, was der Gegenstand für ein Ding seyn solle, d. i. einen Begrif von demselben haben.

In Bezug auf das moralisch Gute müssen wir diesen Satz folgendermaßen rekonstruieren: [§ 4.B.1R1 Um eine Handlung moralisch gut zu finden, muss ich jederzeit wissen, was der Mensch ist und sein soll, d. h. ich muss einen Begriff vom Menschen als Zweck an sich haben.]

Wir können nun zum moralisch Guten insgesamt das Folgende festhalten:

In der sieben Jahre nach der KU publizierten Tugendlehre kennt Kant dann zwei konkretere moralische Zwecke bzw. »Zwecke, die zugleich Pflichten sind«, nämlich »[ e ] i g e n e Vo l l k o m m e n h e i t « und »f r e m d e G l ü c k s e l i g k e i t « (TL: 385). Freilich lässt sich auch eine gute Handlung so interpretieren, dass sie mit diesen Zwecken zusammenstimmen muss; und in diesem Fall existieren diese Zwecke ja noch nicht bereits. Allerdings finden sich meines Wissens nach weder in der KU noch in anderen vor der KU erschienenen Schriften Hinweise auf diese beiden Zwecke, die zugleich Pflicht sind. 40 Vgl. hierzu auch: »Der kategorische Imperativ würde der sein, welcher eine Handlung als für sich selbst, ohne Beziehung auf einen anderen Zweck, als objektiv-notwendig vorstellte« (GMS: 414); »Wenn nun die Handlung bloß wozu anderes, als Mittel, gut sein würde, so ist der Imperativ hypothetisch; wird sie als an sich gut vorgestellt, mithin als notwendig in einem an sich der Vernunft gemäßen Willen, als Prinzip desselben, so ist er kategorisch« (GMS: 414). 39

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i.

Das moralisch Gute ist unmittelbarer Gegenstand einer Lust, d. h. es gefällt an sich selbst. ii. Das beim moralisch Guten involvierte Vernunftprinzip ist das moralische Gesetz bzw. der kategorische Imperativ. iii. Der beim moralisch Guten involvierte Zweck ist der Mensch (bzw. jedes vernünftige Wesen) als Zweck an sich selbst. Eine moralisch gute Handlung stimmt mit diesem Zweck, der bereits existiert, zusammen oder befördert ihn. vi. Die Entstehung der Lust am moralisch Guten lässt sich folgendermaßen erklären: Der Wille wird durch das nicht-imperativische moralische Gesetz (Vernunftprinzip) bestimmt. Dieses Gesetz beinhaltet den Begriff vom Menschen als Zweck an sich selbst. Die Willensbestimmung ist eine Beförderung einer inneren Aktivität und fühlt sich daher als Lust (Lebensgefühl) an. In der Lust erfahren wir eine Nötigung, sodass wir in der Lust die Willensbestimmung durch den kategorischen Imperativ erfahren. vii. Das Gefühl der Lust beim moralisch Guten ist das Gefühl der Achtung. An dieser Stelle ist noch anzumerken, dass an vielen Stellen der Analytik des Schönen Kants primäres Augenmerk auf dem moralisch Guten und nicht auf dem Nützlichen liegt. 41 Dies zeigt sich etwa daran, dass Kant in § 5 dem Guten den Begriff der Achtung zuordnet. 42 Diese Priorisierung des moralisch Guten mag unter anderem darin begründet liegen, dass das Nützliche in vielerlei Hinsicht eine starke Nähe zum Angenehmen aufweist.

4.3 Die These: Die Lust am Guten ist eine Form von Interesse Die zentrale These von § 4 lautet, dass die Lust am Guten mit Interesse verbunden bzw. ein Interesse ist. Diese These wird in der Überschrift und im letzten Absatz formuliert: § 4.T

»Das Wohlgefallen a m G u t e n ist mit Interesse verbunden« (207,14). § 4.E.1 »Aber, ungeachtet aller dieser Verschiedenheit zwischen dem Angenehmen und Guten, kommen beide doch darin überein: 41 42

Diese Einschätzung teile ich mit Wenzel. Vgl. Wenzel 2008, 25. Vgl. § 5.B.4, 210,16.

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daß sie jederzeit mit einem Interesse an ihrem Gegenstande verbunden sind, nicht allein das Angenehme §. 3, und das mittelbar Gute (das Nützliche) welches als Mittel zu irgend einer Annehmlichkeit gefällt, sondern auch das schlechterdings und in aller Absicht Gute, nemlich das moralische, welches das höchste Interesse bey sich führt« (209,3).

Verkürzt und vereinfacht lässt sich die zentrale These in § 4.E.1 folgendermaßen fassen: § 4.E.1R1 Das Angenehme, Nützliche und moralisch Gute sind jeweils mit einem Interesse an ihrem Gegenstand verbunden.

Während § 4.T eine These über das ›Wohlgefallen am Guten‹ ist, weist § 4.E.1 sowohl die Lust am Angenehmen als auch die Lust am Guten als Interesse aus. Letzteres ist freilich für die Abgrenzung des Schönen vom Angenehmen und Guten zentral. Bei § 4.T stellt sich dann – wie schon bei § 3.T – die Frage, ob das Wohlgefallen am Guten selbst ein Interesse ist oder ob es bloß mit einem Interesse verbunden ist. Es ergeben sich die folgenden möglichen Deutungen: § 4.TR1a Das Wohlgefallen am Guten ist nicht selbst eine Form von Interesse, wird aber mit einem Interesse verknüpft, das zusätzlich hinzukommt. § 4.TR1b Das Wohlgefallen am Guten ist selbst eine Form von Interesse.

Gegen die erste Lesart (§ 4.TR1a) sprechen die folgenden Gründe: Da ein Interesse ein »Wohlgefallen« ist, »was wir mit der Vorstellung der Existenz eines Gegenstandes verbinden« (§ 2.A.1, 204,22, m. H.), würde das eigentliche Wohlgefallen am Guten mit einem weiteren Wohlgefallen, nämlich dem Interesse, verbunden werden. Dies scheint aber mindestens seltsam. Ferner erfüllt die Lust am Guten, wie sie in § 4.A.1 definiert wird, sowohl die Begehrensbedingung als auch die Existenzbedingung und muss daher ein Interesse sein. Schließlich bezeichnet Kant insbesondere die Lust am moralisch Guten, d. h. die Achtung, an verschiedenen Stellen als Interesse. 43 Damit beansprucht die Rekonstruktion § 4.TR1b mehr Evidenz. Die zentrale These von § 4 ist damit, dass die Lust am Guten ein Interesse ist. Mit dieser These geht dann wiederum einher, dass die Lust am Guten durch alle Charakteristika des Interesses ausgezeichnet ist, die wir in § 2 identifiziert hatten. Diese lauten im Einzelnen: Vgl. etwa: »Alles moralische so genannte Interesse besteht lediglich in der Achtung fürs Gesetz« (GMS: 401 Fn.). Vgl. auch KpV: 79 ff.

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i.

Ein Interesse ist durch die Existenzbedingung und die Begehrensbedingung ausgezeichnet. ii. Die Begehrensbedingung besagt, dass das Interesse einen Bezug zum Begehrungsvermögen hat, d. h. dass wir den Gegenstand der Lust bzw. mehr dergleichen Gegenstände hervorbringen wollen. Dies bedeutet beim Guten, dass das Interesse die gefühlte Willensbestimmung ist. iii. Die Existenzbedingung besagt, dass das Interesse eine Lust an der (gegebenen oder antizipierten) Existenz des Gegenstandes ist. Dies bedeutet beim Guten, dass wir die Existenz eines Gegenstandes bzw. einer Handlung hervorbringen wollen. iv. Der phänomenale Gehalt des Interesses ist dadurch ausgezeichnet, dass es sich als ein Wollen oder Begehren anfühlt. Zu betonen ist dabei, dass beide Formen der Lust am Guten, d. h. sowohl die Lust am Nützlichen als auch am moralisch Guten, jeweils ein Interesse sind, wie Kant explizit in § 4.D.1 formuliert. Warum aber qualifizieren sich beide Arten der Lust am Guten als Interesse?

4.4 Ein Argument für den interessierten Charakter der Lust am Guten In § 4 findet sich an zwei Stellen eine Begründung dafür, dass die Lust am Guten ein Interesse ist. Im ersten Absatz heißt es: § 4.A.3 »[a] In beiden [dem Nützlichen und moralisch Guten] ist immer der Begrif eines Zwecks, mithin das Verhältniß der Vernunft zum (wenigstens möglichen) Wollen, [b] folglich ein Wohlgefallen am D a s e y n eines Objects oder einer Handlung, d. i. irgend ein Interesse, enthalten« (207,18).

Im letzten Absatz findet sich dann die folgende Begründung: § 4.E.1R1 Das Angenehme, Nützliche und moralisch Gute sind jeweils mit einem Interesse an ihrem Gegenstand verbunden. § 4.E.2 »Denn das Gute ist das Object des Willens (d. i. eines durch Vernunft bestimmten Begehrungsvermögens). § 4.E.3 Etwas aber wollen, und an dem Daseyn desselben ein Wohlgefallen haben d. i. daran ein Interesse nehmen, ist identisch« (209,9).

Beide Passagen stimmen darin überein, dass erst ein Zusammenhang zwischen dem Guten und dem Wollen hergestellt wird und dann daKants Philosophie des Schönen

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raus geschlossen wird, dass ein Wohlgefallen am ›Daseyn‹ eines Objekts und somit ein Interesse vorliegt. Kant legt damit erst dar, dass die Lust am Guten die Begehrensbedingung erfüllt und schließt dann auf die Existenzbedingung. Beginnen wir mit der Begehrensbedingung. Diese bezieht Kant folgendermaßen auf das Gute: § 4.A.3a* Im Nützlichen und moralisch Guten ist immer der Begriff eines Zwecks enthalten, mithin das Verhältnis der Vernunft zum (wenigstens möglichen) Wollen. § 4.E.2 Denn das Gute ist das Object des Willens (d. i. eines durch Vernunft bestimmten Begehrungsvermögens).

Beide Aussagen können wir mit Rückgriff auf unsere obigen Ausführungen leicht verstehen. Beginnen wir mit § 4.E.2. Dass das Gute ›Object des Willens‹ ist, bedeutet, dass wir etwas wollen. So heißt es in § 4.E.3: ›Etwas aber wollen…‹. Beim Guten wird der Wille durch ein Vernunftprinzip, d. h. einen hypothetischen oder kategorischen Imperativ (bzw. das moralische Gesetz), bestimmt. In diesem Sinne liegt ein ›durch Vernunft bestimmtes Begehrungsvermögen‹ vor. Dasjenige, was man aufgrund der Willensbestimmung durch das Vernunftprinzip will, ist nichts anderes als ›das Gute‹. Nun ist die Lust die gefühlte Willensbestimmung bzw. das gefühlte Wollen. In diesem Sinne ist es offenkundig, dass sie die Begehrensbedingung erfüllt, d. h. eine »Beziehung auf das Begehrungsvermögen« hat (§ 2.A.2, 204,24). In § 4.A.3a wird dieser Zusammenhang um den Begriff des Zwecks ergänzt. Wir haben gesehen, dass beim Guten ein Zweck in das Vernunftprinzip, das den Willen bestimmt, eingeschlossen ist (bzw. zwei Zwecke sind eingeschlossen). Da ein Zweck (in praktischer Hinsicht) nichts anderes als die »Materie der Willkür« (TL: 389) ist – er ist der Begriff, der bestimmt, was wir wollen –, hat ein Zweck einen eindeutigen Bezug zum ›Wollen‹. 44 Das ›Verhältnis der Vernunft zum…Wollen‹ meint dann nichts anderes, als dass die Vernunft mittels des jeweiligen Vernunftprinzips, das einen Zweck einschließt, den Willen bestimmt und ein Wollen hervorruft. 45 Dieses Wollen erSiehe auch Kap. 10.1.1. Dass Kant schreibt, es liege ein ›Verhältnis der Vernunft zum (wenigstens möglichen) Wollen‹ vor, darf nicht weiter verwirren. So ist es möglich, dass ich über gewisse hypothetische oder kategorische Imperative verfüge, ohne dass mein Wille (aktuell) dadurch bestimmt wird. Nur im Falle einer wirklichen Willensbestimmung empfinden wir aber ein Gefühl der Lust bzw. ein Interesse. Das Vorliegen eines Wollens impliziert nicht bereits, dass wir die entsprechende Handlung ausführen.

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leben wir dann als Lust, wobei diese Lust offenkundig die Begehrensbedingung erfüllt. Wie verhält es sich mit der Existenzbedingung? Aufschluss darüber geben § 4.A.3b und § 4.E.3. Ein Wollen ist immer ein Wollen von etwas. Etwas zu wollen bedeutet aber nichts anderes, als das Dasein dieses etwas – sei es ein Gegenstand oder eine Handlung – hervorzubringen. ›Etwas…wollen‹ ist dann insofern damit identisch, ›an dem Daseyn desselben [dieses etwas] ein Wohlgefallen‹ zu haben (§ 4.E.3), 46 als das Wollen erstens auf das Hervorbringen des Daseins von etwas gerichtet ist und sich zweitens als Lust anfühlt. Da die Lust dann ein gefühltes Wollen des Daseins von etwas ist, kann sie als Lust am Dasein dieses Gegenstandes verstanden werden. In diesem Sinne impliziert die Erfüllung der Begehrensbedingung beim Guten die Erfüllung der Existenzbedingung. Und daher kann Kant in § 4.A.3b, nachdem er in § 4.A.3a die Erfüllung der Begehrensbedingung im Sinne des Vorliegens eines Wollens dargelegt hat, schreiben, ›folglich‹ sei ›ein Wohlgefallen am Daseyn eines Objects oder einer Handlung…enthalten‹. Hervorzuheben ist mit Bezug auf § 4.A.3b ferner, dass Kant hier explizit betont, ein Interesse könne auch ein Wohlgefallen am Dasein einer Handlung sein. Dies ist insofern relevant, als die Lust am moralisch Guten primär als Lust an Handlungen zu verstehen ist. Zur Begründung der These, dass die Lust am Guten ein Interesse ist, können wir das Folgende zusammenfassen: i. Beim Guten wird der Wille durch ein Vernunftprinzip zur Hervorbringung von x (eines Gegenstandes bzw. einer Handlung) bestimmt. Die Lust am Guten ist nichts anderes als das gefühlte Wollen von x. Als gefühltes Wollen erfüllt sie die Begehrensbedingung des Interesses. ii. Da das Wollen, das sich als Lust anfühlt, immer auf das Hervorbringen des Daseins von x bezieht, ist die Lust am Guten eine Lust am Dasein von x. Sie erfüllt daher auch die Existenzbedingung des Interesses. Es scheint umgekehrt nicht der Fall, dass ein Wohlgefallen am Dasein von etwas, also ein Interesse, immer identisch mit einem Wollen von etwas ist (vgl. Guyer 1979, 180 f.). So liegt beim Angenehmen erstens kein (vernünftiges) Wollen, sondern bloß ein (sinnliches) Begehren vor. Zweitens ist die Lust am Angenehmen kein gefühltes Wollen; vielmehr bewirkt sie allererst eine Bestimmung des Begehrungsvermögens. Man kann daher allein daraus, dass die Lust am Schönen nicht auf einem Wollen beruht, nicht folgern, dass sie kein Interesse ist.

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4.5 Eine erste Abgrenzung der Lust am Guten von der Lust am Angenehmen und Schönen 4.5.1 Eine (antizipierte) Abgrenzung anhand der Begriffslosigkeitsthese Im Verlauf von § 4 nimmt Kant erste Abgrenzungen des Guten vom Angenehmen und Schönen vor. Im zweiten Absatz findet sich eine solche Abgrenzung des Guten anhand des Kriteriums, dass die Lust am Guten begrifflich erwirkt ist. Die entsprechende Passage lautet: § 4.B.1 »Um etwas gut zu finden, muß ich jederzeit wissen, was der Gegenstand für ein Ding seyn solle, d. i. einen Begrif von demselben haben. § 4.B.2 Um Schönheit woran zu finden, habe ich das nicht nöthig. § 4.B.3 Blumen, freye Zeichnungen, ohne Absicht in einander geschlungene Züge, unter dem Namen des Laubwerks, bedeuten nichts, hängen von keinem bestimmten Begriffe ab, und gefallen doch. § 4.B.4 [a] Das Wohlgefallen am Schönen muß von der Reflexion über einen Gegenstand, die zu irgend einem Begriffe (unbestimmt welchem) führt, abhängen; [b] und unterscheidet sich dadurch auch vom Angenehmen, welches ganz auf der Empfindung beruht« (207,22).

Diese Passage beinhaltet die folgenden Thesen über das Gute, Angenehme und Schöne: § 4.B.1*

Um etwas gut zu finden, muss man jederzeit wissen, was der Gegenstand für ein Ding sein soll, d. h. man muss einen Begriff vom Gegenstand haben. § 4.B.2* Um etwas schön zu finden, ist es nicht nötig, einen Begriff von diesem schönen Gegenstand zu haben. § 4.B.4a* Das Wohlgefallen am Schönen hängt von der Reflexion über einen Gegenstand, die zu irgendeinem Begriff (unbestimmt welchem) führt, ab. § 4.B.4bR1 Das Angenehme beruht ganz auf der Empfindung, d. h. man muss weder einen Begriff vom Gegenstand haben noch hängt es von einer Reflexion ab, die zu irgendeinem Begriff führt.

Beginnen wir mit der These bezüglich des Guten (§ 4.B.1). Dass das Gute einen Begriff vom Gegenstand voraussetzt, wird daraus ersicht268

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lich, dass die Lust am Guten eine Willensbestimmung durch einen Begriff des Zwecks voraussetzt. Ich muss also ›einen Begriff von dem Gegenstand‹ bzw. davon, ›was der Gegenstand für ein Ding seyn solle‹, haben, um eine Lust am Guten zu empfinden. Die Lust am Guten muss in diesem Sinne als begrifflich oder begrifflich gewirkt verstanden werden. 47 In 4.B.4b heißt es zum Angenehmen, dass es ›ganz auf der Empfindung beruht‹. Im Rahmen der Untersuchungen von § 3 haben wir bereits gesehen, dass die Lust am Angenehmen unmittelbar an einer Empfindung gefühlt wird und nur eine Aktivität der Sinne, jedoch keine begriffliche Erfassung eines Gegenstandes durch den Verstand erfordert. In diesem Sinne kann sie als begriffslos bezeichnet werden. In § 4.B.2 äußert Kant nun die These, dass wir beim Schönen ebenfalls keinen Begriff vom Gegenstand ›nöthig‹ haben, d. h. dass die Lust am Schönen begriffslos ist. Diese These, die ich als Begriffslosigkeitsthese (BT) bezeichne, wird im Zweiten Moment größere Bedeutung erlangen. 48 Ich werde daher im Rahmen meiner Untersuchungen des Zweiten Moments (insbesondere von § 6) auf diese These genauer eingehen. 49 Für den Moment möchte ich nur ihre Grundzüge darlegen: Weder um ein Geschmacksurteil zu fällen, noch um eine Lust am Schönen zu empfinden, bedarf es eines Begriffs davon, was der Gegenstand ist bzw. sein soll oder über welche spezifischen Eigenschaften er verfügt. Jedoch wird im Spiel der Erkenntniskräfte, das der Lust am Schönen zugrunde liegt, durch den Verstand (anhand des Prinzips a priori der Urteilskraft) überprüft, ob die von der Einbildungskraft frei apprehendierten Formen potenziell geeignet wären, um einen Begriff aufzufinden. 50 In diesem Sinne kann Kant in § 4.B.4 schreiben, dass ›das Wohlgefallen am Schönen… von der Reflexion über einen Gegenstand [abhängen muss], die zu irgend einem Begriffe (unbestimmt welchem) führt‹.

Vgl. auch: »Denn von Begriffen giebt es keinen Uebergang zum Gefühle der Lust oder Unlust (ausgenommen in reinen practischen Gesetzen, die aber ein Interesse bey sich führen, dergleichen mit dem reinen Geschmacksurtheile nicht verbunden ist)« (§ 6.A.7, 211,30 f.). 48 Vgl.: »Das Schöne ist das, was ohne Begriffe, als Object eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt wird« (§ 6.T, 211,8, m. H. & Kants H. getilgt; vgl. auch § 6.A.7–8, 211,29 f.). 49 Siehe hierzu Kap. 6.1.2 sowie 6.1.4. 50 Siehe hierzu Kap. G3.3. 47

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Eine interessante Funktion scheint mir im Übrigen § 4.B.3 einzunehmen. Kant verweist hier auf (für ihn) eindeutige Beispiele des Schönen, bei denen wir keinen Begriff davon haben, was der Gegenstand sein soll (›Blumen, freye Zeichnungen, ohne Absicht in einander geschlungene Züge, unter dem Namen des Laubwerks‹). Diese Gegenstände ›hängen von keinem bestimmten Begriffe ab‹. Dennoch ›gefallen‹ sie, d. h. wir empfinden eine Lust am Schönen. Diese Lust kann daher nicht durch einen Begriff erwirkt sein. Interessant ist an dieser Passage, dass Kant die Begriffslosigkeitsthese (vorläufig) mit Rekurs auf Erfahrungen des Schönen und nicht mittels eines Arguments belegt.

4.5.2 Eine mögliche Verwechslung des Angenehmen mit dem Guten Bereits in § 3 hat Kant auf einen möglichen falschen Gebrauch des Begriffs »angenehm« aufmerksam gemacht. 51 Im dritten Absatz von § 4 benennt er nun ein ähnliches Missverständnis bezüglich des Begriffs »gut«: § 4.C.1 »Zwar scheint das Angenehme mit dem Guten in vielen Fällen einerley zu seyn. § 4.C.2 So wird man gemeiniglich sagen: alles (vornehmlich dauerhafte) Vergnügen ist an sich selbst gut; welches ungefähr so viel heißt, als dauerhaft angenehm oder gut seyn, ist einerley. § 4.C.3 Allein man kann bald bemerken, daß dieses blos eine fehlerhafte Wortvertauschung sey, da die Begriffe, welche diesen Ausdrücken eigenthümlich anhängen, keineswegs gegen einander ausgetauscht werden können« (207,31 f.).

In § 4.C.1 und § 4.C.2 benennt Kant das mögliche Missverständnis, welches darin besteht, dass man ›angenehm oder gut sein‹ für ›einerley‹ bzw. dasselbe hält. In diesem Kontext müssen allerdings zwei Aussagen unterschieden werden, wovon nur eine problematisch ist: 1. Derselbe Gegenstand, der für angenehm befunden wird, wird zugleich für gut befunden. 2. »Angenehm« ist gleichbedeutend mit »gut«.

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Vgl. § 3.A.2–7, 205,27 f. – Siehe Kap. 3.1.3.

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Die erste Aussage ist unproblematisch. So kann es innerhalb der kantischen Theorie durchaus sein, dass mir ein Gegenstand angenehm ist und ich ihn zugleich für gut (bspw. nützlich) befinde. So kann mir ein süßer Hustensaft angenehm und zugleich nützlich zum Zweck der Heilung sein; und man kann auch zugleich eine Lust am Angenehmen und am Guten fühlen. Problematisch ist hingegen die zweite Aussage, in der die Begriffe »angenehm« und »gut« ›gegeneinander ausgetauscht‹ werden. Die falsche Annahme besteht darin, dass »angenehm« oder vielmehr »dauerhaft angenehm« nichts anderes bedeute als »gut«. Wenn ich etwa in ein südliches Land fahre und dort eine dauerhafte Empfindung von Wärme habe, die ich als angenehm empfinde, so würde ich dieser Annahme folgend denken, dass diese angenehme Empfindung gut sei. Die Begriffe des Angenehmen und Guten würden sich dabei gewissermaßen in einander auflösen. Warum die Begriffe »angenehm« und »gut« ihrer Bedeutung nach nicht gleichgesetzt werden dürfen, erläutert Kant in § 4.C.4: § 4.C.4 »Das Angenehme, das, als ein solches, den Gegenstand lediglich in Beziehung auf den Sinn vorstellt, muß allererst durch den Begrif eines Zwecks unter Principien der Vernunft gebracht werden, um es, als Gegenstand des Willens, gut zu nennen« (208,1).

Kant rekurriert hier auf seine Definitionen des Angenehmen und Guten. Das Angenehme stellt ›den Gegenstand lediglich in Beziehung auf den Sinn vor[.]‹ ; es ist »das, was den Sinnen in der Empfindung gefällt« (§ 3.A.1, 205,26, m. H. & Kants H. getilgt). Das Angenehme bedarf nur der Sinnlichkeit, während das Gute ein ›Gegenstand des Willens‹ ist und ›durch den Begrif eines Zwecks unter Principien der Vernunft gebracht werden‹ muss. Im Vergleich zum Angenehmen setzt das Gute also erstens eine Aktivität der Vernunft voraus, zweitens den Begriff eines Zwecks, der drittens in ein Prinzip der Vernunft eingebunden ist. An dieser Stelle besteht Kants Begründung, warum eine Gleichsetzung vom Angenehmen und Guten problematisch ist, demnach bloß darin, dass das Angenehme und Gute je anders definiert sind. (Damit ist aber wiederum nicht ausgeschlossen, dass ein und dieselbe Sache sowohl angenehmen als auch gut sein kann. Wärme kann mir sowohl angenehm als auch als Heilmittel gut sein; aber die Gutheit der Wärme besteht nicht darin, dass sie angenehm ist.) Kants Philosophie des Schönen

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Kant bemerkt im Folgenden einen weiteren Unterschied zwischen dem Guten und dem Angenehmen: § 4.C.5 »[a] Daß dieses aber alsdann eine ganz andere Beziehung auf das Wohlgefallen sey, wenn ich das, was vergnügt, zugleich g u t nenne, ist daraus zu ersehen, daß beym Guten immer die Frage ist, ob es blos mittelbar-gut oder unmittelbar-gut (ob nützlich oder an sich gut) sey; [b] da hingegen beym Angenehmen hierüber gar nicht die Frage seyn kann, indem das Wort jederzeit etwas bedeutet, was unmittelbar gefällt. § 4.C.6 (Eben so ist es auch mit dem, was ich schön nenne, bewandt.)« (208,4)

Kant verweist hier auf die Unterscheidung vom mittelbar und unmittelbar Guten. Es lässt sich je eine Aussage über das Gute, das Angenehme und das Schöne identifizieren: § 4.C.5aR1 Beim Guten stellt sich immer die Frage, ob es bloß mittelbar-gut oder unmittelbar-gut, d. h. ob es nützlich oder an sich gut sei. § 4.C.5bR1 Beim Angenehmen kann sich nicht die Frage stellen, ob es mittelbar-angenehm oder unmittelbar-angenehm sei; das Wort »angenehm« steht jederzeit für ein unmittelbares Wohlgefallen. § 4.C.6R1 Ebenso ist es auch mit dem Schönen bewandt, d. h. es stellt sich nicht die Frage, ob es mittelbar-schön oder unmittelbarschön sei; denn das Wort »schön« steht jederzeit für ein unmittelbares Wohlgefallen.

Dass ein mittelbar und ein unmittelbar Gutes – nämlich das Nützliche und das moralisch Gute – zu unterscheiden sind (§ 4.C.5a), haben wir oben gesehen. So ist die Lust am Nützlichen insofern ein mittelbares Wohlgefallen, als der nützliche Gegenstand nur gefällt, weil er als Mittel auf einen angestrebten Zweck bezogen wird. Dass die Lust am Angenehmen immer eine unmittelbare Lust an der Empfindung ist, haben wir bei den Untersuchungen von § 3 gesehen. Die These, dass das Schöne – ebenso wie das Angenehme – unmittelbar gefällt (§ 4.C.6), ist an dieser Stelle völlig unbegründet und in gewisser Hinsicht unverständlich. Kurz gefasst ist sie so zu verstehen, dass der schöne Gegenstand selbst und nicht als Mittel für etwas anderes gefällt. Diese Unmittelbarkeit beruht darauf, dass die Vorstellung des schönen Gegenstandes im freien Spiel innerlich verarbeitet wird und wir diese Verarbeitungsaktivität als Lust am Schö272

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nen erleben. 52 Der schöne Gegenstand gefällt hier insofern unmittelbar, als es die Vorstellung von ihm selbst ist, die innerlich verarbeitet wird und sich dadurch lustvoll anfühlt. Die Passage § 4.C.5–6 beinhaltet nun die folgende Begründung, warum das Angenehme nicht gleichbedeutend mit dem Guten ist: Wenn das Angenehme gleichbedeutend mit dem Guten wäre, müsste man beim Angenehmen zwischen einer mittelbaren und einer unmittelbaren Lust unterscheiden können. Wir können beim Angenehmen aber nicht zwischen einer mittelbaren und einer unmittelbaren Lust unterscheiden; denn das Angenehme wird immer unmittelbar an der Empfindung gefühlt. Also kann das Angenehme nicht gleichbedeutend mit dem Guten sein. Kant grenzt damit im dritten Absatz das Angenehme auf zweierlei Weisen vom Guten ab: Erstens verweist er darauf, dass die Lust am Guten immer den Begriff eines Zwecks und Prinzipien der Vernunft voraussetzt, während es für eine Lust am Angenehmen immer nur einer Affizierung der Sinne bedarf (§ 4.C.4). Zweitens verweist er darauf, dass das Angenehme immer unmittelbarer Gegenstand einer Lust ist, während beim Guten zwischen dem mittelbar und dem unmittelbar Guten unterschieden werden muss (§ 4.C.5).

4.5.3 Zu den Beispielen für die Unterscheidung des Angenehmen vom Guten Im folgenden Absatz illustriert Kant die Unterscheidung des Angenehmen und Guten durch zwei Beispiele: das Beispiel von den Gewürzen und das von der Gesundheit. Das Beispiel von den Gewürzen: Das erste Beispiel zeichnet den Kontrast des Angenehmen mit dem Nützlichen anhand eines gewürzten Gerichts nach. Das Beispiel lautet:

Ich habe bereits früher darauf aufmerksam gemacht, dass sich zwei Arten der Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit der Lust unterscheiden lassen. In dem Sinne, dass es jeweils der Gegenstand ist, der für sich und ohne Bezug auf einen anderen Gegenstand gefällt, sind die Lust am Angenehmen, Schönen und moralisch Guten je unmittelbar. In dem Sinne aber, dass es bloß die gegebene Empfindung ist, die gefällt, und keine intellektuelle Verarbeitung der gegebenen Empfindung vorausgesetzt ist, ist nur die Lust am Angenehmen unmittelbar.

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§ 4.D.2 »Von einem durch Gewürze und andre Zusätze den Geschmack erhebenden Gerichte sagt man ohne Bedenken, es sey angenehm, und gesteht zugleich, daß es nicht gut sey: weil es zwar unmittelbar den Sinnen b e h a g t , mittelbar aber, d. i. durch die Vernunft, die auf die Folgen hinaus sieht, betrachtet, missfällt« (208,13).

Wir können dieses Beispiel hinsichtlich des Angenehmen und Guten folgendermaßen aufteilen: § 4.D.2-A Von einem durch Gewürze und andere Zusätze den Geschmack erhebenden Gericht sagt man ohne Bedenken, es sei angenehm, weil es unmittelbar den Sinnen behagt. § 4.D.2-N Von einem durch Gewürze und andere Zusätze den Geschmack erhebenden Gericht sagt man, dass es zwar angenehm, aber nicht gut sei, weil es mittelbar, d. i. durch die Vernunft, die auf die Folgen hinaussieht, betrachtet, missfällt.

In § 4.D.2-A wird die bekannte Definition des Angenehmen auf das Beispiel eines gewürzten Gerichts angewandt: Wir empfinden an der Geschmacksempfindung dieses Gerichts eine Lust am Angenehmen. In § 4.D.2-N wird dann damit kontrastiert, dass das Gericht als ›nicht gut‹ beurteilt werden kann. Dies können wir so deuten, dass das gewürzte Gericht gewisse ›Folgen‹ hat, die mit einem (nicht benannten) Zweck nicht zusammenstimmen. Dieser Zweck könnte etwa Gesundheit sein; denn das nächste Beispiel handelt von der Gesundheit (§ 4.D.3–4). In § 4.D.2-N gibt Kant also ein Beispiel dafür, dass ein Gegenstand nicht gut im Sinne von unnütz ist. Wir können ergänzen: § 4.D.2-NR1 Von einem durch Gewürze und andere Zusätze den Geschmack erhebenden Gericht sagt man, dass es zwar angenehm, aber nicht gut im Sinne von unnütz sei, weil dieses Gericht mittelbar, d. h. durch die Vernunft, die auf die Folgen hinaussieht und diese Folgen mit dem Begriff eines Zwecks (bspw. der Gesundheit) vergleicht, betrachtet, missfällt.

Insgesamt schildert Kant hier also ein Beispiel dafür, dass ein und derselbe Gegenstand sowohl mit einer Lust am Angenehmen als auch mit einer Unlust am Nicht-Guten bzw. Unnützen verbunden sein kann. 53 Das Angenehme und Gute lassen sich hier also eindeutig unterscheiden. 53

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Davon leicht unterschieden sind Fälle, bei denen die Lust am Angenehmen selbst

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Das Beispiel von der Gesundheit: Im zweiten Beispiel schildert Kant einen Fall, in dem ein Gegenstand sowohl angenehm als auch gut im Sinne von nützlich ist. 54 Das Beispiel lautet: § 4.D.3 »Selbst in der Beurtheilung der Gesundheit kann man noch diesen Unterschied bemerken. § 4.D.4 Sie ist jedem, der sie besitzt, unmittelbar angenehm (wenigstens negativ, d. i. als Entfernung aller körperlichen Schmerzen). § 4.D.5 Aber, um zu sagen, daß sie gut sey, muß man sie noch durch die Vernunft auf Zwecke richten, nehmlich daß sie ein Zustand ist, der uns zu allen unsern Geschäften aufgelegt macht« (208,17).

In § 4.D.4 konstatiert Kant, dass die Gesundheit angenehm sei. Es ist nicht ganz klar, ob er damit ausdrücken will, dass wir am Zustand der Gesundheit eine positive Lust am Angenehmen empfinden oder (meistens) bloß negativ keine Unlust fühlen (›wenigstens negativ, d. i. als Entfernung aller körperlichen Schmerzen‹). In § 4.D.5 beschreibt Kant dann, dass wir den Zustand der Gesundheit im Sinne des Nützlichen auch als gut beurteilen können. Wir können Gesundheit als Mittel zu einem spezifischen Zweck, nämlich ›zu allen unsern Geschäften aufgelegt‹ zu sein, beurteilen. Zu bemerken ist dabei, dass wir im Falle einer solchen Beurteilung der Gesundheit nicht unbedingt eine Lust am Nützlichen fühlen; denn eine solche Lust würden wir nur fühlen, wenn wir unseren Willen durch den hypothetischen Imperativ dazu bestimmen lassen, einen Zustand der Gesundheit hervorzubringen. Das Beispiel von den Gewürzen und das Beispiel von der Gesundheit deuten darauf hin, dass es im Bereich des Nützlichen eine Hierarchie von Zwecken und Mitteln gibt oder jedenfalls geben kann, wobei jeder Zweck wiederum als Mittel dienen kann. 55 So ist im Beials nicht-gut bzw. schlecht beurteilt wird und mit einer Unlust am Schlechten verbunden ist (vgl. hierzu Anth: 237). 54 Es ließe sich ein drittes Beispiel ergänzen, in dem ein Gegenstand zwar nützlich, aber nicht angenehm ist. Vgl.: »Wir können aber etwas ein Übel nennen, welches doch jedermann zugleich für gut, bisweilen mittelbar, bisweilen gar unmittelbar erklären muß. Wer eine chirurgische Operation an sich verrichten läßt, fühlt sie ohne Zweifel als ein Übel; aber durch Vernunft erklärt er, und jedermann, sie für gut« (KpV: 61). Eine Operation ist nicht angenehm, sie ist ein Übel; aber, etwa auf den Zweck der Gesundheit bezogen, ist sie nützlich, d. h. mittelbar gut. 55 Vgl.: »denn in der Reihe der einander subordinirten Glieder einer Zweckverbindung muß ein jedes Mittelglied als Zweck […] betrachtet werden, wozu seine nächste Ursache das Mittel ist« (367,36 f.). Kants Philosophie des Schönen

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spiel von den Gewürzen die Gesundheit ein potenzieller Zweck, auf den das gewürzte Gericht als Mittel bezogen wird. Im Beispiel von der Gesundheit ist die Gesundheit dann aber das Mittel zum Zweck, ›zu allen unsern Geschäften aufgelegt‹ zu sein. Gesundheit und ›zu allen unsern Geschäften aufgelegt sein‹ können aber wiederum als Mittel zum Zweck der Glückseligkeit betrachtet werden. Der Glückseligkeit als mögliches unbedingtes Gut widmet Kant dann auch den weiteren Verlauf des vierten Absatzes.

4.5.4 Glückseligkeit als potenzielles höchstes Gut Im weiteren Verlauf des vierten Absatzes führt Kant das Folgende zur Glückseligkeit aus: § 4.D.6 »In Absicht der Glückseligkeit glaubt endlich doch jedermann, die größte Summe (der Menge sowohl als Dauer nach) der Annehmlichkeiten des Lebens, ein wahres, ja sogar das höchste Gut nennen zu können. § 4.D.7 Allein auch dawider sträubt sich die Vernunft. § 4.D.8 Annehmlichkeit ist Genuß. § 4.D.9 [a] Ist es aber auf diesen [Genuß] allein angelegt, so wäre es thöricht, scrupulös in Ansehung der Mittel zu seyn, die ihn [den Genuß] uns verschaffen, [b] ob er [der Genuß] leidend, von der Freygebigkeit der Natur, oder durch Selbstthätigkeit und unser eignes Wirken erlangt wäre. § 4.D.10 [a] Daß aber eines Menschen Existenz an sich einen Werth habe, welcher [Mensch] bloß lebt (und in dieser Absicht noch so sehr geschäftig ist) um zu g e n i e ß e n , sogar wenn er [der Mensch] dabey Andern, die alle eben so wohl nur aufs Genießen ausgehen, als Mittel dazu aufs beste beförderlich wäre, und zwar darum, weil er [der Mensch] durch Sympathie alles Vergnügen mit genösse: [b] das wird sich die Vernunft nie überreden lassen. § 4.D.11 [a] Nur durch das, was er [der Mensch] thut, ohne Rücksicht auf Genuß, in voller Freyheit und unabhängig von dem, was ihm [dem Menschen] die Natur auch leidend verschaffen könnte, giebt er [der Mensch] seinem Daseyn als der Existenz einer Person einen absoluten Werth; [b] und die Glückselig-

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keit ist, mit der ganzen Fülle ihrer Annehmlichkeit, bey weitem nicht ein unbedingtes Gut« (208,22 f.).

Ich kann an dieser Stelle nur den groben Gedankengang dieser Passage nachzeichnen. Sie schließt an Kants Ausführungen im ersten Absatz von § 3 an 56 und lässt sich als ein Exkurs im Sinne einer Kritik an der (oder einer) epikureischen Ethik verstehen. Kant behandelt eine mögliche Konzeption der Glückseligkeit, die in der ›größten Summe (der Menge sowohl als Dauer nach) der Annehmlichkeit des Lebens‹, d. h. einem Maximum der Lust am Angenehmen, bestünde. Glückseligkeit wäre zudem ›das höchste Gut‹ bzw. ›ein unbedingtes Gut‹, d. h. ein (freilich falsch verstandener) Zweck an sich selbst. In einer solchen Konzeption wäre jedes Mittel erlaubt, das der Glückseligkeit als Zweck dienlich wäre; es wäre daher ›thöricht, scrupulös in Ansehung der Mittel zu seyn‹ (§ 4.D.9a). Als eine erste Schwäche dieser Konzeption eines höchsten Guts lässt sich daher festhalten, dass alles erlaubt wäre. Darüber hinaus wäre es bei dieser Konzeption auch unerheblich, ob der Genuss bloß auf Sinnlichkeit beruhen würde, oder eine Aktivität der Vernunft (im Sinne eines hypothetischen Imperativs) notwendig wäre (§ 4.D.9b). Das für Kant zentrale Problem scheint aber zu sein, dass man der ›Existenz‹ des Menschen nur bezüglich des ›unbedingten‹ Zwecks der Glückseligkeit, d. h. des Maximums an Annehmlichkeit, einen Wert zuschreiben könnte (§ 4.D.10a). Kant liefert an dieser Stelle keine Erklärung dafür, was an dieser Konzeption eines Werts des Menschen problematisch wäre. Vielmehr hält er nur dagegen, dass sich die Vernunft zu einem solchen Verständnis des Werts des Menschen ›nie überreden lassen‹ würde. 57 Kant stellt nun seine eigene Konzeption eines Werts in § 4.D.11a dagegen: ›Nur durch das, was er [der Mensch] thut, ohne Rücksicht auf Genuß, in voller Freyheit und unabhängig von dem, was ihm [dem Menschen] die Natur auch leidend verschaffen könnte, giebt er [der Mensch] seinem Daseyn als der Existenz einer Person einen absoluten Werth‹. Das Tun ›in voller Freyheit‹ bildet hier offenkundig einen Kontrast zum leidend Verschaffen. 58 Mit dem Begriff Vgl. § 3.A.2–7, 205,27. Siehe die Analyse dieser Passage in Kap. 3.1.3. Für Ansätze einer Begründung vgl. 430,6 f. und 434 Fn. Hauptproblem scheint zu sein, dass wir einen letzten Zweck der Glückseligkeit nie erreichen könnten. Denn erstens hat uns die Natur nicht dazu begünstigt, und zweitens arbeitet der Mensch in Kriegen usw. selbst dagegen. Für einen weiteren Begründungsansatz vgl. 436 Fn. 58 Nicht das Tun allgemein, sondern nur das freie Tun ist letzter Zweck. Vgl.: »Es bleibt also wohl nichts übrig, als der Werth, den wir unserem Leben selbst geben, 56 57

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der Freiheit verweist Kant auf die Autonomie. Der Mensch erhält damit durch sein autonomes bzw. moralisches Handeln einen Wert. Dabei scheint es auf den ersten Blick so, als würde der Mensch sich selbst dadurch, dass er frei bzw. moralisch handelt, überhaupt erst einen Wert geben. 59 Plausibler scheint mir allerdings, dass sich der Mensch nicht durch sein de facto moralisches Handeln einen Wert gibt, sondern vielmehr, dass er einen Wert hat, weil er fähig ist, moralisch zu handeln, d. h. ein autonomes Wesen ist. Ich kann diese Diskussion hier nicht weiter verfolgen. Zu betonen ist nur, dass Kant explizit herausstellt, einzig der Mensch als autonomes bzw. moralisches Wesen sei Zweck an sich selbst. Dadurch wird dann auch noch einmal deutlich, dass das unbedingt Gute nur Anwendung auf den Menschen als Zweck an sich selbst bzw. auf Handlungen in Übereinstimmung mit diesem Zweck an sich selbst hat.

4.6 Das Urteil über das Gute Ich habe bereits angedeutet, dass Urteile über das Gute keine ästhetischen Urteile, sondern (praktische) Erkenntnisurteile sind. 60 Daher haben sie einen anderen Status als Urteile über das Angenehme und Schöne. Ich möchte nun noch einmal auf diesen Sonderstatus des Urteils über das Gute eingehen. In einem Urteil »x ist gut« drücken wir immer eine Erkenntnis aus. So drücken wir im Urteil »x ist nützlich für y« die Erkenntnis aus, dass ein Gegenstand x Mittel für den Zweck y ist; und im Urteil »x ist moralisch gut«, dass eine Handlung x mit dem Menschen als Zweck an sich selbst zusammenstimmt. Beide Urteile stimmen darin überein, dass sie keine Lust als Bestimmungsgrund haben und keine Lust als quasi-Prädikat aussagen. Wie verhält sich aber die Lust am Guten zum Urteil über das Gute? In einer Fußnote in § 2 schreibt Kant:

durch das, was wir nicht allein thun, sondern auch so unabhängig von der Natur zweckmäßig thun, daß selbst die Existenz der Natur nur unter dieser Bedingung Zweck seyn kann« (434 Fn.). 59 Für eine solche Interpretation des kantischen Wert- und Würdebegriffs vgl. Sensen (2011). Für eine Kritik an Sensen vgl. Schmidt/Schönecker (2018a, 2018b). 60 So schreibt Kant in § 15, in einem falschen Verständnis des Geschmacksurteils wäre dieses »eben so wohl ein Erkenntnißurtheil […], als das Urtheil, wodurch etwas für gut erklärt wird« (§ 15.D.2, 228,16).

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»Ein Urtheil über einen Gegenstand des Wohlgefallens, kann ganz u n i n t e r e s s i r t , aber doch sehr i n t e r e s s a n t seyn, d. i. es gründet sich auf keinem Interesse, aber es bringt ein Interesse hervor; dergleichen sind alle reine moralische Urtheile. Aber die Geschmacksurtheile begründen an sich auch gar kein Interesse« (205 Fn.).

Aus diesem Zitat geht hervor, dass die Lust am moralisch Guten erst durch ein Urteil (über das Gute) hervorgebracht wird. Wie bereits erläutert, bestimmt das Urteil über das moralisch Gute meinen Willen und das Wollen fühlt sich als Lust (Achtung) an. Ähnlich bestimmen das Urteil über das Nützliche in Form eines hypothetischen Imperativs und ein angestrebter Zweck meinen Willen, und der bestimmte Wille fühlt sich als Lust an. Anzumerken ist beim Nützlichen jedoch, dass auch eine antizipierte Lust am Angenehmen vorhergehen muss, damit der hypothetische Imperativ den Willen bestimmen kann. Betrachtet man abschließend das Abhängigkeitsverhältnis von Lust und Urteil, so lässt sich eine interessante Beobachtung festhalten. Beim Angenehmen und Schönen ist das jeweilige Urteil abhängig von der Lust. Da das Urteil (etwa »x ist angenehm«) als ästhetisches Urteil eine Lust zum Bestimmungsgrund hat, kann man dieses Urteil nur fällen, wenn man eine Lust fühlt. Beim Guten verhält es sich aber genau andersherum. Die Lust am Guten ist abhängig vom Urteil über das Gute. Ich kann nur eine Lust am Guten fühlen, wenn ich ein Urteil »x ist gut« gefällt habe und dieses Urteil meinen Willen bestimmt. Bezüglich des moralisch Guten möchte ich aber erneut betonen, dass nur ein nicht-imperativisches Urteil »x ist gut« unabhängig von der Lust ist; insofern »x ist gut« aber als Gebot, d. h. imperativisch, auftritt, ist das Erleben der Achtung vorausgesetzt.

4.7 Zusammenfassung Die Lust am Guten ist ein gefühltes Wollen. Sie entsteht dadurch, dass der Wille durch ein Vernunftprinzip (moralisches Gesetz oder hypothetischer Imperativ) bestimmt wird, welches einen Zweck beinhaltet. Der bestimmte Wille fühlt sich im Sinne einer Beförderung einer inneren Aktivität als Lust an. Das Wollen (und ebenso das Sollen) erleben wir im jeweiligen Gefühl der Lust. Das Gute ist in das mittelbar Gute bzw. das Nützliche und das unmittelbar Gute bzw. Kants Philosophie des Schönen

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das moralisch Gute unterteilt. Beim Nützlichen erfolgt die Willensbestimmung mittels eines hypothetischen Imperativs in Kombination mit einem gewollten Zweck des Angenehmen. Das dementsprechend gewollte Mittel ist dann gut bzw. nützlich für diesen (übergeordneten) Zweck. Da das Mittel selbst gewollt wird, kann es aber auch als (untergeordneter) Zweck verstanden werden, und die Lust am Guten wird daher am Gegenstand eines Zwecks gefühlt. Beim moralisch Guten erfolgt die Willensbestimmung mittels des moralischen Gesetzes, das den Menschen (bzw. jedes vernünftige Wesen) als Zweck an sich selbst beinhaltet. Die gewollte Handlung ist insofern gut, als sie mit dem Menschen als Zweck an sich selbst zusammenstimmt oder diesen befördert. Die Lust am Guten erfüllt ganz offenkundig die Begehrensbedingung, da sie nichts anderes als das gefühlte Wollen ist. Sie erfüllt aber auch die Existenzbedingung, da das Wollen immer als Wollen des Daseins von etwas (eines Gegenstandes oder einer Handlung) verstanden werden muss. Damit ist die Lust am Guten eine Form von Interesse. Im Gegensatz zur Lust am Angenehmen und Schönen ist die Lust am Guten begrifflich erwirkt; denn die Willensbestimmung, die sich lustvoll anfühlt, wird durch den Begriff eines Zwecks hervorgerufen. Damit hängt zusammen, dass die Lust am Guten abhängig vom Urteil über das Gute ist; denn mittels dieses Urteils erfolgt die Willensbestimmung, die sich als Lust anfühlt. Das Urteil aber prädiziert kein Gefühl der Lust; es ist daher kein ästhetisches Urteil, sondern ein (praktisches) Erkenntnisurteil.

4.8 Literaturbericht Wie schon § 3 wird auch § 4 in der Sekundärliteratur nur wenig berücksichtigt. Insbesondere das Verhältnis zwischen der Lust am Guten und den Urteilen über das Gute wird kaum behandelt oder untersucht. Eine sehr kurze Bemerkung dazu findet sich bei Matthews: »In the moral judgment, pleasure in the existence of the object is part of the subjective aspect of that judgment. Moral judgments directly give rise to an interest without involving any further acts« (Matthews 1997, 26). Eine ähnlich unkonkrete Formulierung, allerdings ohne Bezug auf das Urteil über das Gute, findet sich bei Crowther: »our pleasure in the good entails that we know it in relation to an item or action of an end-orientated kind, and that we desire that this end should be realizable in actual, concrete terms. In either case here,

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our liking is dependent on beliefs concerning real existence – that is, that these sorts of items or actions will lead to the right sorts of material outcome« (Crowther 2010, 70). Eine etwas genauere Erläuterung zu den Urteilen und der Lust am Guten findet sich in der folgenden Passage bei Fricke: »Die Urteile über das Nützliche gehören zu den Urteilen der theoretischen Erkenntnis, die Urteile über das sittlich Gute zu denen der praktischen Erkenntnis. Von Erkenntnisurteilen anderer Art unterscheiden sich die Urteile über das Gute dadurch, daß sie von einer Lustempfindung des Urteilssubjekts begleitet werden. Das Wohlgefallen am Guten ist ein Gefühl der Lust, das in einer begrifflichen Einsicht gründet und diese begleitet, nämlich entweder in der Einsicht in die Nützlichkeit eines Gegenstandes, oder in der Einsicht in die sittliche Qualität einer Handlung« (Fricke 1990, 15). Eine der genausten Bestimmungen des Verhältnisses vom Urteil über das (moralisch) Gute und der entsprechenden Lust findet sich bei Zuckert. Sie schreibt: »In the moral case, our conceptual representation of the object (the morally good) ›immediately‹ determines the will and also pleases, thus […] respect may be understood as the subjective counterpart of determining our wills to be moral (i. e., respect is the way it feels to determine the will morally)« (Zuckert 2007, 255). Zuckert vertritt zudem das folgende Modell einer doppelten Lust am Guten: »Kant’s full account of pleasure in the good as interested or practical pleasures runs, then, as follows: the subject judges an object to be good; feels pleasure in the object so judged (pleasure 1); produces the object (desire); and then feels pleasure (2) in having done so« (Zuckert 2007, 257). Ebenso wenig wie das Verhältnis der Lust am Guten zum Urteil über das Gute behandelt wird, wird die Frage berücksichtigt, was genau das entsprechende Urteil über das Gute ist. Insbesondere wird im Falle des moralisch Guten nicht zwischen dem nicht-imperativischen Gesetz und dem kategorischen Imperativ sowie dem jeweiligen Verhältnis zur Lust am Guten differenziert. Auch die Frage, was genau der Zweck beim moralisch Guten ist, wird meines Wissens nach nicht behandelt. Ferner scheint mir auch die Frage kaum berücksichtigt zu werden, warum wir beim Guten überhaupt eine Lust fühlen. Wiederum findet sich aber bei Zuckert eine etwas genauere Erläuterung zu dieser Frage: »For here simply what it is to be pleased by a judgment of an object as good or to ›take an interest‹ in an object is to desire it, i. e., to determine one’s will to bring about that object in accord with one’s representation of it« (Zuckert 2007, 254). 61

An anderer Stelle verweist Zuckert zudem auf die Entstehung einer zweiten Lust am moralisch Guten: »The moral agent feels respect for the moral law, is inspired by this respect to act, and then (one supposes) feels pleasure at having acted morally, thereby earning respect for herself or himself (as an agent to the moral law)« (Zuckert 2002, 244; vgl. auch Zuckert 2007, 256 f.).

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Schließlich wird auch nur selten untersucht, wie Kant begründet, dass die Lust am Guten ein Interesse ist. Mit Bezug auf den Begriff des Zwecks, der beim Guten eingebunden ist, formuliert Allison die folgende Begründung: »What is of immediate concern, however, is the connection of the liking for the good with the concept of a purpose, since this provides the basis of the conclusion that such liking concerns the existence of its object and is thereby connected with an interest« (Allison 2001, 92). Es wird deutlich, dass Allison seine Begründung an die Existenzbedingung knüpft. Eine etwas andere Begründung liefert Wenzel, wobei diese sich jedoch bei genauerem Hinsehen eher als Begründung für die Freiheitsthese (FT) entpuppt. (Allerdings scheint Wenzel nicht zwischen der Uninteressiertheitsthese und der Freiheitsthese zu differenzieren.) Er schreibt: »Satisfaction in the morally good is not free but interested, because once we understand what is morally good, Kant argues, our will to realize it is determined by this understanding. Satisfaction in the good depends on concepts, purposes, values, and our interests in bringing the object or the act into existence« (Wenzel 2008, 25).

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§ 5 Ein Vergleich der drei Arten von Lust und die Freiheitsthese

Kant hat in den §§ 3 und 4 die Lust am Angenehmen und Guten jeweils definiert und gezeigt, dass beide ein Interesse sind. In § 5 nimmt er nun einen abschließenden Vergleich dieser beiden Arten von Lust mit der Lust am Schönen vor. Darüber hinaus wird mit der Freiheit aber auch ein neues Charakteristikum der Lust am Schönen eingeführt. Ich schlage die folgende Gliederung von § 5 vor: 1. Allgemeine Abgrenzung des Schönen vom Angenehmen und Guten mittels des Kriteriums der Uninteressiertheit (§ 5.A.1–3, 209,16–25) [Einschub: Erweiterung der Begriffslosigkeitsthese (§ 5.A.4, 209,25–28)] 2. Begriffliche Differenzierung der drei Arten von Lust (§ 5.B.1–3, 209,29–210,6) 3. Eine klassifikatorische These (§ 5.B.4, 210,6–9) 4. Die Freiheitsthese (§ 5.B.5-C.4, 210,9–35) a) Formulierung und Erläuterung der Freiheitsthese (§ 5.B.5– 10, 210,9–22) b) Beispiele für die Unfreiheit der Lust am Angenehmen und Guten (§ 5.C.1–4, 210,23–35)

5.1 Abgrenzung des Schönen vom Angenehmen und Guten mittels der Uninteressiertheit In der Überschrift zu § 5 kündigt Kant an, eine »Vergleichung der drey specifisch verschiedenen Arten des Wohlgefallens«, d. h. der Lust am Angenehmen, Schönen und Guten, vorzunehmen (§ 5.T, 209,14). Diese ›Vergleichung‹ nimmt er anhand des Merkmals der Uninteressiertheit bzw. Interessiertheit im ersten Absatz vor. Die entsprechende Passage lautet:

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§ 5.A.1 »[a] Das Angenehme und Gute haben beide eine Beziehung auf das Begehrungsvermögen, [b] und führen sofern, jenes ein pathologisch-bedingtes (durch Anreize, Stimulos), dieses ein reines practisches Wohlgefallen bey sich, welches nicht bloß durch die Vorstellung des Gegenstandes, sondern zugleich durch die vorgestellte Verknüpfung des Subjects mit der Existenz desselben bestimmt wird. § 5.A.2 Nicht bloß der Gegenstand, sondern auch die Existenz desselben gefällt. § 5.A.3 Daher 1 ist das Geschmacksurtheil bloß c o n t e m p l a t i v d. i. ein Urtheil welches, indifferent in Ansehung des Daseyns eines Gegenstandes, nur seine Beschaffenheit mit dem Gefühl der Lust und Unlust zusammenhält« (209,16). 2

In § 5.A.3 formuliert Kant die Uninteressiertheitsthese (UT) der Lust am Schönen. 3 Im Kontrast dazu betont er in § 5.A.1 und § 5.A.2 noch einmal, dass die Lust am Angenehmen und Guten jeweils eine Form von Interesse sind. Insgesamt liefern die Sätze § 5.A.1–3 wenig wirklich neue Erkenntnisse; aber sie können uns helfen, mit Kant die wichtigsten Punkte noch einmal zu betrachten und zugleich durch zwei Hinweise zu ergänzen. Beginnen wir mit der These, dass die Lust am Angenehmen und die Lust am Guten je eine Form von Interesse sind. Wir können in § 5.A.1 die folgenden Ersetzungen und Ergänzungen vornehmen: § 5.A.1* [a] Das Angenehme und Gute haben beide eine Beziehung auf das Begehrungsvermögen, [b] und das Angenehme und Gute führen sofern, das Angenehme ein pathologisch-bedingtes Das einleitende ›daher‹ scheint an dieser Stelle nicht sinnvoll, da sich die vorangehenden Sätze nicht auf das Schöne, sondern auf das Angenehme und Gute bezogen haben. Der Korrekturvorschlag von Rosenkranz, das Adverb ›daher‹ durch ›dagegen‹ zu ersetzen, beansprucht somit eine große Plausibilität. 2 Guyer wertet diese Passage als Hinweis darauf, dass der Unterschied zwischen den drei Arten der Lust nicht in einem möglichen verschiedenen phänomenalen Gehalt dieser drei Gefühle begründet liege (vgl. Guyer 2018, 147 f.). Aber erstens ist der phänomenale Gehalt der Lust hier unter Umständen gar nicht thematisch, wodurch ja nicht ausgeschlossen ist, dass er an anderen Stellen sehr wohl thematisch ist. Zweitens impliziert insbesondere die ›Beziehung auf das Begehrungsvermögen‹, dass die Erfahrungen der Lust am Angenehmen und Guten mit einem Begehren einhergehen; und wir haben gesehen, dass sich ein Begehren spezifisch anfühlt. Siehe Kap. 2.2.1. 3 Zur Bedeutung der Uninteressiertheitsthese siehe Kap. 2.3. 1

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(durch Anreize, Stimulos), das Gute ein reines praktisches Wohlgefallen bei sich, welches nicht bloß durch die Vorstellung des Gegenstandes, sondern zugleich durch die vorgestellte Verknüpfung des Subjekts mit der Existenz des Gegenstandes bestimmt wird.

Wir können nunmehr drei Propositionen isolieren: § 5.A.1a*

Das Angenehme und Gute haben beide eine Beziehung auf das Begehrungsvermögen. § 5.A.1b1** Das Angenehme und Gute führen ein praktisches Wohlgefallen bei sich, welches nicht bloß durch die Vorstellung des Gegenstandes, sondern zugleich durch die vorgestellte Verknüpfung des Subjekts mit der Existenz des Gegenstandes bestimmt wird. § 5.A.1b2** Das Angenehme führt ein pathologisch-bedingtes (durch Anreize, Stimulos), das Gute ein reines praktisches Wohlgefallen bei sich.

Betrachtet man nun § 5.A.1 und § 5.A.2 im Zusammenhang, so lassen sich die folgenden Thesen unterscheiden: In § 5.A.1a bezieht Kant die Begehrensbedingung und in § 5.A.2 die Existenzbedingung des Interesses auf das Angenehme und Gute; in § 5.A.1b1 findet sich eine abgewandelte Formulierung der Existenzbedingung in Bezug auf das Angenehme und Gute; und in § 5.A.1b2 nimmt Kant eine begriffliche Differenzierung der beiden Arten von Lust bzw. Interesse vor. Dass ›[d]as Angenehme und Gute…beide eine Beziehung auf das Begehrungsvermögen [haben]‹ (§ 5.A.1a) und somit die jeweilige Lust die Begehrensbedingung erfüllt, wurde in den §§ 3–4 deutlich. So fühlen wir die Lust am Angenehmen unmittelbar an einer Empfindung, die sich schnell verbraucht oder abnutzt (Konsumtionseffekt), sodass wir um der Erhaltung der Lust willen unser Begehrungsvermögen dazu bestimmen, mehr dergleichen Gegenstände hervorzubringen. Beim Guten wollen wir aufgrund einer Willensbestimmung durch ein Vernunftprinzip einen Gegenstand hervorbringen, und dieses Wollen fühlt sich als Lust am Guten an. Somit erfüllen beide Arten von Lust die Begehrensbedingung. 4 Ebenso erfüllen beide die Existenzbedingung; sowohl beim Angenehmen als auch beim Guten gefällt ›[n]icht bloß der Gegenstand, sondern auch die Existenz desselben [GegenZur Begehrensbedingung und Existenzbedingung beim Angenehmen siehe Kap. 3.3; zur Begehrensbedingung und Existenzbedingung beim Guten siehe Kap. 4.4.

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standes]‹ (§ 5.A.2). So ist die Lust am Angenehmen eine unmittelbare Lust an einer Empfindung, die durch einen existierenden Gegenstand verursacht wird; sie steht damit in einem direkten Abhängigkeitsverhältnis von der Existenz des Gegenstandes. Beim Guten ist es das Wollen der Hervorbringung der Existenz eines Gegenstandes, welches sich als Lust anfühlt. In beiden Fällen hat die Lust demnach einen unmittelbaren Bezug zur Existenz des Gegenstandes und erfüllt daher die Existenzbedingung. Das alles haben wir schon kennengelernt. Nun formuliert Kant in § 5.A.1b1 aber eine abgewandelte Variante der Existenzbedingung. 5 Die Formulierung ›vorgestellte Verknüpfung des Subjects mit der Existenz desselben [Gegenstandes]‹ deutet darauf hin, dass besagte Verknüpfung noch nicht besteht, d. h. dass sie bloß imaginiert oder antizipiert wird. Dass beim Guten eine antizipierte Verknüpfung meiner selbst mit dem Gegenstand das Wohlgefallen ›bestimmt‹, erhellt daraus, dass man das Hervorbringen eines Gegenstandes als ›Verknüpfung des Subjects‹ mit der Existenz des Gegenstandes verstehen kann. Versteht man das Wollen aber so, dass es eine antizipierte oder ›vorgestellte‹ Hervorbringung des Gegenstandes enthält, dann lässt sich die Lust am Guten, die nichts anderes als das gefühlte Wollen ist, so verstehen, dass sie ›durch die vorgestellte Verknüpfung des Subjekts mit der Existenz des Gegenstandes bestimmt wird‹. Dies alles ist freilich nichts Neues und nicht weiter problematisch. Problematischer ist die Formulierung ›vorgestellte Verknüpfung des Subjects mit der Existenz desselben [Gegenstandes]‹ mit Bezug auf das Angenehme. Zur Existenzbedingung beim Angenehmen hatten wir bislang ausgeführt, dass die eigentliche Lust am Angenehmen an einem bereits existierenden Gegenstand gefühlt wird, der in mir eine objektive Empfindung verursacht. Die ›Verknüpfung des Subjects mit der Existenz‹ des Gegenstandes scheint daher bereits real und nicht bloß vorgestellt zu sein. Jedoch hat die Lust am Angenehmen immer eine Beziehung zum Begehren. Dabei fühle ich entweder an einer gegebenen Empfindung eine Lust am Angenehmen und begehre daraufhin mehr dergleichen Gegenstände – dann lässt sich dieses Begehren als ›vorgestellte Verknüpfung des Subjekts mit der Existenz‹ von dergleichen Gegenständen verstehen; oder es ist von vornherein noch kein angenehmer Gegenstand gegeben, sondern ich antizipiere Einige AutorInnen sehen in der gewollten Existenz eines Gegenstandes die primäre Bedeutung dessen, was ich Existenzbedingung nenne (vgl. etwa Zuckert 2007, 251).

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diesen bloß und fühle in diesem Sinne bloß eine antizipierte Lust am Angenehmen – dann lässt sich das Begehren des angenehmen Gegenstandes ebenso als ›vorgestellte Verknüpfung mit der Existenz‹ des antizipierten angenehmen Gegenstandes verstehen. Somit liegt in Bezug auf die Lust am Angenehmen eine abgewandelte Existenzbedingung vor. Schließlich ist bezüglich des Zusammenhangs von § 5.A.1b1 und § 5.A.1a das Folgende zu bemerken: Die abgewandelte Variante der Existenzbedingung im Sinne der ›vorgestellte[n] Verknüpfung des Subjekts mit der Existenz des Gegenstandes‹ (§ 5.A.1b1) folgt aus der Begehrensbedingung (§ 5.A.1a); denn die Begehrensbedingung besagt nichts anderes, als dass die Lust einen Bezug zum Begehren hat, d. h. dass wir in irgendeiner Form die Existenz eines Gegenstandes oder einer Handlung hervorbringen wollen. Daher kann Kant § 5.A.1a und § 5.A.1b1 mittels der Konjunktion ›sofern‹ aneinanderknüpfen. Weil wir wissen, dass die Lust am Angenehmen und die Lust am Guten die Begehrensbedingung erfüllen (§ 5.A.1a), wissen wir, dass sie die (abgewandelte) Existenzbedingung erfüllen und jeweils eine Form von praktischer Lust sind (§ 5.A.1b1). Insgesamt können wir festhalten, dass Kant in § 5.A.1–2 nur noch einmal die Ergebnisse von §§ 3–4 zusammenstellt, nämlich dass die Lust am Angenehmen und Guten jeweils die Begehrensbedingung sowie die Existenzbedingung erfüllen und somit als Interesse oder als ›praktisches Wohlgefallen‹ gelten können. 6 In § 5.A.3 grenzt Kant die Lust am Schönen davon als uninteressierte bzw. kontemplative Lust ab. Wir können in diesem Satz drei verschiedene Aussagen über das Geschmacksurteil isolieren und rekonstruieren: § 5.A.3a* Das Geschmacksurteil ist bloß kontemplativ. § 5.A.3b1* Das Geschmacksurteil ist ein Urteil, welches nur die Beschaffenheit eines Gegenstandes mit dem Gefühl der Lust und Unlust zusammenhält. § 5.A.3b2R1 Das Geschmacksurteil ist ein Urteil, welches indifferent in Ansehung des Daseins eines Gegenstandes ist.

Mit der These, das Geschmacksurteil sei ›indifferent in Ansehung des Daseyns eines Gegenstandes‹, greift Kant erneut die Existenzbedingung des Interesses auf und legt dar, dass diese beim Schönen nicht Der Begriff des praktischen Wohlgefallens erinnert an den Begriff der praktischen Lust aus der Einleitung in die MdS (vgl. MdS: 212). Ich habe darauf verwiesen, dass der weite Interessensbegriff der KU mit dem Begriff der praktischen Lust aus der MdS übereinstimmt (siehe Kap. 2.2).

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erfüllt ist. Auf diese Art und Weise, d. h. mittels der Existenzbedingung, hatte er auch in § 2 die Uninteressiertheitsthese (UT) mehrfach formuliert. Dass wir beim Schönen ›indifferent in Ansehung des Daseyns eines Gegenstandes‹ sind – dies habe ich als negative Uninteressiertheitsthese (UT-) bezeichnet –, habe ich im Rahmen von § 2 folgendermaßen erklärt: Erstens ist die Lust am Schönen keine unmittelbare Lust am (existierenden) schönen Gegenstand. Zweitens wird sie nicht an der Empfindung als Materie der Vorstellung, die vom existierenden Gegenstand hervorgerufen wird, gefühlt. Drittens beruht sie auf einer Zweckmäßigkeit ohne Zweck, d. h. sie setzt keinen Zweck voraus, der potenziell den Willen bestimmen könnte. All dies konnten wir aber nur mit Vorgriff auf das Zweite und Dritte Moment des Schönen ausführen. Die umfassende Bedeutung von UT muss darum auch in § 5 für Kants Leserschaft eigentlich noch völlig unklar sein. In § 5.A.3b1 führt Kant nun ähnlich wie verschiedentlich in § 2 eine positive Formulierung der Uninteressiertheitsthese (UT+) an. 7 Diese lautet: § 5.A.3b1* Das Geschmacksurteil ist ein Urteil, welches nur die Beschaffenheit eines Gegenstandes mit dem Gefühl der Lust und Unlust zusammenhält.

Ähnlich hieß es in § 2, dass man beim Schönen nur wissen will, »ob die bloße Vorstellung des Gegenstandes in mir mit Wohlgefallen begleitet sey« (§ 2.A.6, 205,7). Die Formulierungen ›die bloße Vorstellung‹ und ›nur die Beschaffenheit eines Gegenstandes‹ dienen primär als Kontrast zur Existenzbedingung. Jedoch scheint mir die Formulierung ›nur die Beschaffenheit eines Gegenstandes‹ einen interessanten Verweis auf ein späteres Theoriestück zu beinhalten. So lässt sich der Begriff der Beschaffenheit als Verweis auf die Form des Gegenstandes werten. 8 Dass die Lust am Schönen an der Form des Gegenstandes und nicht an der Empfindung (als Materie) gefühlt wird, macht aber gerade einen Teil der Bedeutung von UT aus. Für die uninteressierte Lust am Schönen führt Kant in § 5.A.3a den Begriff »kontemplativ« ein: Zur positiven Uninteressiertheitsthese siehe Kap. 2.3. Vgl. hierzu auch Mechtenberg: »Unter einer Form im Gegensatz zur Materie ist laut Kant allgemein die ›Bestimmung‹ im Gegensatz zum ›Bestimmbare[n]‹ zu verstehen, d. h. die Beschaffenheit von etwas im Gegensatz zu dem, das diese Beschaffenheit besitzt (KrV A 266/B 322)« (Mechtenberg 2015, 615).

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§ 5.A.3a* Das Geschmacksurteil ist bloß kontemplativ.

Zwar schreibt Kant hier, das Geschmacksurteil sei kontemplativ, jedoch verwendet er in § 12 sowie in der Einleitung in die MdS auch die Formulierung »kontemplative Lust« (MdS: 212; vgl. § 12.B.1, 222,18) in Bezug auf die Lust am Schönen. 9 Der Begriff »kontemplativ« kann dabei mit Rekurs auf das lateinische »contemplare« im Sinne von betrachten oder beobachten verstanden werden. In diesem Sinne hatte Kant bereits in § 2 geschrieben, dass man beim Schönen wissen will, »wie wir sie [die Sache] in der bloßen Betrachtung […] beurtheilen« (§ 2.A.3, 204,29, m. H.). Bei Kant bildet das Kontemplative insbesondere einen Gegenbegriff zum Praktischen, 10 sodass der Begriff der kontemplativen Lust im direkten Kontrast zum praktischen Wohlgefallen in § 5.A.1 steht. Beim Schönen ist das bloße Betrachten des Gegenstandes (in der Reflexion) hinreichend, und es liegt keine praktische Aktivität des Subjekts vor, irgendetwas hervorzubringen bzw. hervorbringen zu wollen. Insgesamt liefern, wie oben schon bemerkt, die Sätze § 5.A.1–3 keine wirklich neuen Erkenntnisse. Vielmehr stellt Kant hier bloß noch einmal gegenüber, dass die Lust am Angenehmen und die Lust am Guten jeweils eine Form von Interesse sind, während die Lust am Schönen uninteressiert ist. Die einzigen Neuerungen sind die abgewandelte Existenzbedingung, welche auf das Begehren der Existenz des Gegenstandes verweist, sowie der Begriff der Kontemplation.

5.2 Die Erweiterung der Begriffslosigkeitsthese Im letzten Satz des ersten Absatzes grenzt Kant das Schöne von Erkenntnisurteilen ab. Dass Geschmacksurteile ästhetische Urteile und keine Erkenntnisurteile sind, hatte er bereits in § 1 ausgeführt. 11 In § 5.A.4 findet sich dazu jedoch eine interessante Ergänzung: § 5.A.4 »[a] Aber diese Contemplation selbst ist auch nicht auf Begriffe gerichtet; [b] denn das Geschmacksurtheil ist kein Erkenntnißurtheil (weder ein theoretisches noch praktisches), und daher In der KU verwendet Kant auch den allgemeineren Begriff der Kontemplation (vgl. 247,26; 258,12; 263,32). 10 Vgl.: »contemplativa von der practica unterschieden« (Refl: 6578; vgl. ferner Theo: 270; Refl: 1705). 11 Siehe Kap. 1.2. 9

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auch nicht auf Begriffe g e g r ü n d e t , oder auch auf solche a b g e z w e c k t « (209,25).

Bemerkenswert ist insbesondere die Aussage, dass die ›Contemplation…auch nicht auf Begriffe gerichtet‹ ist (§ 5.A.4a). 12 Diese Aussage ist ein Verweis darauf, dass wir beim Schönen keine auf Erkenntnis gerichtete Absicht haben. Wir beabsichtigen es nicht, für den Gegenstand, den wir wahrnehmen, einen Begriff aufzufinden, unter den wir den Gegenstand subsumieren und ihn somit erkennen könnten. Hätten wir aber eine solche Absicht, so hätten wir ein theoretisches Interesse am schönen Gegenstand. Es gehört damit auch zur ästhetischen Einstellung im Sinne der Uninteressiertheit, kein theoretisches Interesse zu haben. 13 Kant begründet die These, die Kontemplation beim Schönen sei nicht auf Erkenntnis gerichtet, damit, dass das Geschmacksurteil ›kein Erkenntnißurtheil‹ ist (§ 5.A.4b). Dem liegt der Zusammenhang zugrunde, dass eine auf Erkenntnis gerichtete Betrachtung (in einem erfolgreichen Szenario) in eine Erkenntnis münden würde. Da aber die Betrachtung beim Schönen nie in ein Erkenntnisurteil mündet, kann sie nicht auf Erkenntnis ausgerichtet sein. 14

5.3 Begriffliche Differenzierungen innerhalb der verschiedenen Formen der Lust Wir haben oben dem Begriff der Kontemplation den Begriff der praktischen Lust entgegengesetzt. In der Proposition § 5.A.1b2, die bisher außer Acht gelassen wurde, nimmt Kant eine begriffliche Differenzierung innerhalb des Begriffs der praktischen Lust vor. Wir wollen im Folgenden diese sowie eine weitere begriffliche Differenzierung untersuchen.

Durch den Begriff »auch« zeigt Kant an, dass die Lust am Schönen nicht nur kein praktisches Interesse ist, sondern auch kein theoretisches Interesse ist bzw. kein theoretisches Interesse bewirkt. 13 Zur ästhetischen Einstellung im Sinne der Uninteressiertheit siehe Kap. 2.3.3. 14 Eine Schwäche dieser Argumentation besteht darin, dass das Schöne in einer auf Erkenntnis gerichteten Betrachtung bestehen könnte, die aber missglückt. Dass dies nicht der Fall sein kann, lässt sich aber daran zeigen, dass das Nicht-Erreichen einer Absicht (hier der Erkenntnis) nicht mit Lust, sondern Unlust verbunden wäre (vgl. 187,11). 12

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5.3.1 Pathologisch-bedingte und reine praktische Lust Kant unterscheidet die folgenden beiden Arten von praktischer Lust: § 5.A.1b2** Das Angenehme führt ein pathologisch-bedingtes (durch Anreize, Stimulos), das Gute ein reines praktisches Wohlgefallen bei sich.

Die Lust am Angenehmen wird hier als ›pathologisch-bedingtes (durch Anreize, Stimulos)…practisches Wohlgefallen‹ 15 und die Lust am Guten als ›reines practisches Wohlgefallen‹ bezeichnet. Zunächst haben wir es hier mit der üblichen Theorie und Terminologie zu tun: Der Begriff des Pathologischen verweist auf Sinnlichkeit. So schreibt Kant in der KrV: »Eine Willkür nämlich ist bloß t i e r i s c h (arbitrium brutum), die nicht anders als durch sinnliche Antriebe, d. i. p a t h o l o g i s c h bestimmt werden kann« (A802/B830). 16 Man könnte die Lust am Angenehmen in diesem Sinne auch ein sinnlichbedingtes Wohlgefallen nennen. Dabei verweist der Begriff »pathologisch« seinem griechischen Ursprung nach darauf, dass das Subjekt leidend, d. h. bloß passiv, ist. Die Lust wird in diesem Sinne bloß von außen angereizt, aber nicht durch das Subjekt selbst hervorgerufen. Dabei deutet der Begriff des Anreizes auf den Begriff des Reizes aus dem Dritten Moment hin. Wir werden sehen, dass ein Reiz nichts anderes als eine Empfindung ist, die eine Lust bewirkt. 17 Das pathologisch- bzw. sinnlich-bedingte praktische Wohlgefallen bildet nun einen direkten Kontrast zum reinen praktischen Wohlgefallen. So kann der Begriff »rein« im Sinne von »unabhängig von Erfahrung« oder »nicht mit Empirischem vermischt« verstanden werden. 18 Ein Mir scheint, dass man den Begriff »praktisch« beiden Arten des Wohlgefallens zuordnen muss, sodass die Lust am Angenehmen ein ›pathologisch bedingtes…. practisches Wohlgefallen‹ wäre. Dies ergibt insofern Sinn, als auch die Lust am Angenehmen eine Beziehung auf das Begehrungsvermögen hat und daher praktische Implikationen aufweist. Darüber hinaus verwendet Kant in der MdS »praktische Lust« als Oberbegriff für die Lust am Angenehmen und Guten (vgl. MdS: 212). Zur praktischen Lust siehe Kap. 2.2. 16 Vgl. auch KpV: 24 f. 17 Siehe Kap. 13.1.2. 18 Vgl.: »Ich nenne alle Vorstellungen r e i n (im transzendentalen Verstande), in denen nichts, was zur Empfindung gehört, angetroffen wird« (A20/B34); »Es heißt aber jede Erkenntnis r e i n , die mit nichts Fremdartigen vermischt ist. Besonders aber wird eine Erkenntnis schlechthin rein genannt, in die sich überhaupt keine Erfahrung oder Empfindung einmischt, welche mithin völlig a priori möglich ist« (A11). Vgl. ferner B3; ÜGTP: 183 f. 15

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reines praktisches Wohlgefallen ist damit ein Wohlgefallen, das unabhängig von sinnlichen Einflüssen ist. Wir wissen in diesem Sinne schon aus § 4, dass das Interesse am moralisch Guten auf einer Willensbestimmung bloß durch die Vernunft beruht. Damit verweist die Differenz zwischen pathologisch-bedingt und rein erstens auf die Differenz zwischen Sinnlichkeit und Vernunft sowie zweitens auf die damit verknüpfte Differenz zwischen bloß leidend bzw. Passivität und autonom bzw. Aktivität. Problematisch ist aber an dieser Differenzierung, dass das Gute allgemein dem reinen praktischen Wohlgefallen zugeordnet wird. Zum Guten gehört aber auch das Nützliche, das wohl kaum als reines praktisches Wohlgefallen gelten kann, sondern aufgrund der antizipierten Lust am Angenehmen pathologisch-bedingt sein muss. Im Unterschied zur Lust am Angenehmen, die ein »bloß empirisches Wohlgefallen« ist (§ 14.B.1, 224,1, m. H.), ist die Lust am Nützlichen einerseits empirisch bzw. pathologisch-bedingt, andererseits aber auch intellektuell. Diesen gemischten Status teilt sie sich in gewisser Hinsicht mit der Lust am Schönen, wenngleich diese keine praktische Lust ist. Festzuhalten ist bezüglich der Differenzierung der Lust am Angenehmen und Guten in pathologisch-bedingtes und reines praktisches Wohlgefallen, dass diese auf den Entstehungskontext der jeweiligen Lust abhebt. Genauer gesagt wird durch diese Differenzierung festgehalten, ob im Entstehungskontext der Lust Sinnlichkeit eine Rolle spielt oder nicht. Gemein ist aber beiden Formen der praktischen Lust, dass sie von der Lust am Schönen unterschieden sind, welche sich durch eine bloße Betrachtung auszeichnet und keine praktischen Implikationen aufweist. Die Differenzierung innerhalb der Formen von Lust ist damit gewissermaßen zweistufig: Auf der ersten Stufe wird zwischen praktischer Lust und bloßer Kontemplation unterschieden. Auf der zweiten Stufe wird dann die praktische Lust in die pathologisch-bedingte und die reine praktische Lust unterteilt.

5.3.2 Vergnügen, bloßes Gefallen und Schätzung Im zweiten Absatz von § 5 nimmt Kant eine weitere Differenzierung innerhalb des Begriffs der Lust vor. Die entsprechende Passage lautet:

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§ 5.B.1 »Das Angenehme, das Schöne, das Gute bezeichnen also drey verschiedene Verhältnisse der Vorstellungen zum Gefühl der Lust und Unlust, in Beziehung auf welches wir Gegenstände, oder Vorstellungsarten, von einander unterscheiden. § 5.B.2 Auch sind die jedem angemessenen Ausdrücke, womit man die Complacenz in denselben bezeichnet, nicht einerley. § 5.B.3 A n g e n e h m heißt Jemandem das, was ihn VERGNÜGT; s c h ö n , was ihm blos GEFÄLLT; g u t , was GESCHÄTZT, g e b i l l i g t , d. i. worin von ihm ein objectiver Werth gesetzt wird« (209,29 f.).

Beginnen wir mit § 5.B.1. Die Formulierung, dass ›das Angenehme, das Schöne, das Gute…drey verschiedene Verhältnisse der Vorstellungen zum Gefühl der Lust und Unlust‹ bezeichnen, ist einfach zu deuten und sie enthält auch nichts Neues: Beim Angenehmen, Schönen und Guten liegen jeweils drei verschiedene Gefühle der Lust vor und insofern muss auch ein je verschiedenes Verhältnis zur zugrundeliegenden Vorstellung bestehen. Die Verschiedenheit der drei Arten von Lust kommt nur dadurch zustande, dass jeweils etwas anderes an der Vorstellung die Lust hervorruft oder affiziert, nämlich im Fall der Lust am Angenehmen eine Empfindung, im Fall der Lust am Schönen eine Form und im Fall der Lust am Guten ein Vernunftbegriff. Zentral und auch schwieriger sind die Sätze § 5.B.2–3. Zunächst können wir in § 5.B.2 ›jedem‹ und ›denselben‹ durch das »Angenehme, Schöne und Gute« ersetzen. Zudem können wir ›Complacenz‹ durch den Begriff des Wohlgefallens substituieren. 19 Wir erhalten dann: § 5.B.2* Die dem Angenehmen, Schönen und Guten angemessenen Ausdrücke, womit man das Wohlgefallen im Angenehmen, Schönen und Guten bezeichnet, sind nicht einerlei.

Die drei entsprechenden Ausdrücke benennt Kant dann in § 5.B.3. Wir können hier die folgenden drei Propositionen isolieren: § 5.B.3a* Angenehm heißt jemandem das, was ihn vergnügt. § 5.B.3b* Schön heißt jemandem das, was ihm bloß gefällt. § 5.B.3c* Gut heißt jemandem das, was geschätzt, gebilligt, d. i. worin von ihm ein objektiver Wert gesetzt wird.

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Von lateinisch complacere, was »gefallen« bedeutet.

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Beginnen wir mit der Lust am Schönen. Warum heißt schön das, was ›bloß gefällt‹ ? Offenkundig ist die Lust am Schönen in irgendeiner Form weniger reich oder einfacher als die Lust am Guten; 20 oder anders gesagt, bei der Lust am Angenehmen und Guten muss zum bloßen Wohlgefallen noch etwas hinzukommen – und das ist der interessierte Charakter. Dies erinnert daran, dass Kant beim Angenehmen und Guten jeweils schreibt, das Wohlgefallen sei »mit Interesse verbunden« (§ 3.T, 205,25 & § 4.T, 207,14). Wir haben gesehen, dass dies nicht bedeuten kann, zur eigentlichen Lust am Angenehmen und Guten komme eine weitere Lust, d. h. ein Interesse, hinzu. 21 Was jedoch hinzukommt, ist ein spezifisches Charakteristikum des phänomenalen Gehalts der Lust, nämlich die Tatsache, dass wir ein Begehren fühlen. Diese phänomenale Komponente des Begehrens fehlt der Lust am Schönen. In dieser Hinsicht fühlt sie sich bloß als Wohlgefallen oder Lust an, ohne ein Begehren zu beinhalten. Dies bedeutet aber nicht, dass die Lust am Schönen nicht darüber hinaus auch einen reichen phänomenalen Gehalt aufweist. Der Lust am Angenehmen ordnet Kant den Begriff des Vergnügens zu. Bereits in § 3 hatte er geschrieben, dass »man von dem Angenehmen nicht blos sagt, es g e f ä l l t , sondern es v e r g n ü g t « (§ 3.D.2, 207,5). 22 Ich habe in diesem Kontext bereits darauf verwiesen, dass der Begriff des Vergnügens, folgt man Adelung, erstens tatsächlich auf das Angenehme bezogen zu sein scheint und zweitens einen Bezug zum Begehren aufweist. 23 Kant schließt daher mit dem Begriff des Vergnügens als Bezeichnung für die Lust am Angenehmen an den Sprachgebrauch seiner Zeit an. Schließlich heißt es zum Guten, es sei das, ›was geschätzt, gebilligt d. i. worin von ihm ein objectiver Werth gesetzt wird‹. Kants Rede vom Schätzen und vom (objektiven) Wert ist aus dem Bereich seiner moralphilosophischen Schriften bekannt. 24 Das Wort »geSo heißt es bezeichnenderweise bei Adelung zum Verb »Gefallen«: »diese Empfindung, welche ein geringerer Grad des Vergnügens ist, erwecken« (Adelung: Gefallen). 21 Siehe Kap. 3.2 sowie 4.3. 22 Auch in § 4 greift Kant den Begriff des Vergnügens auf. Vgl. etwa: »So wird man gemeiniglich sagen: alles (vornehmlich dauerhafte) Vergnügen ist an ich selbst gut« (§ 4.C.2, 207,32, m. H.). Auch in der Anthropologie nutzt Kant den Begriff des Vergnügens als Bezeichnung für die Lust m Angenehmen (vgl. Anth: 230 f.). 23 Vgl.: »die Empfindung des Angenehmen, zunächst so fern sie aus einem befriedigten Verlangen entstehet« (Adelung: Das Vergnügen, m. H.). Siehe auch Kap. 3.4.1. 24 Vgl. insbesondere GMS: 434 ff. 20

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schätzt« bzw. »schätzen« bedeutet allgemein, dass etwas ein Wert beigemessen wird. 25 In diesem Sinne heißt es dann ja auch, dass im Guten ›ein objectiver Werth gesetzt wird‹. Darüber hinaus kann »schätzen« auch – im Sinne von hochschätzen – eine positive Konnotation aufweisen. 26 Genau diese Konnotation hat »schätzen« bezüglich des Guten; denn dem Guten wird ja ein positiver Wert zugesprochen. Das Prädikat »gebilligt« kann im Sinne der Anerkennung oder des gut Heißens von etwas verstanden werden. 27 Auch an späterer Stelle ordnet Kant den Begriff der Billigung der Lust am Guten zu, wenn es in § 54 heißt: »Das Wohlgefallen oder Mißfallen beruht hier auf der Vernunft, und ist mit der B i l l i g u n g oder M i ß b i l l i g u n g einerley« (331,14). 28 Interessant ist dabei aber, dass Kant den Begriff des Billigens mitunter auch in Bezug auf nicht moralische Handlungen bzw. Gegenstände verwendet. 29 Der Begriff »gebilligt« scheint damit ebenso wie der Begriff »geschätzt« grundsätzlich auch auf das Nützliche anwendbar zu sein. Dass § 5.B.3c dagegen ausschließlich vom moralisch Guten handelt, wird durch die Erläuterung ›d. i. worin von ihm ein objectiver Werth gesetzt wird‹ deutlich. Denn der Begriff des objektiven Werts verdeutlicht, dass dieser Wert subjektunabhängig und demnach allgemein und absolut gilt. Einen solchen absoluten Wert misst Kant aber allein dem Moralischen, d. h. dem Menschen als autonomen Wesens, bei. 30 Wie schon im ersten Vgl. den Eintrag »Schätzen« bei Adelung: »Den Werth, den Preis eines Dinges bestimmen« (Adelung: Schätzen). 26 Vgl. erneut den Eintrag »Schätzen« bei Adelung: »Hoch schätzen, hoch halten, einem Dinge einen hohen Werth beylegen« (Adelung: Schätzen). 27 Kant unterscheidet in einer Reflexion zwei Bedeutungen von Billigung: »entweder die negative des zulassenden oder positive des begehrenden Willens« (Refl: 6627). Es ist naheliegend, dass Kant in § 5 auf die positive Bedeutung der Billigung rekurriert; denn das Interesse ist auf das Begehren bezogen. 28 Ähnlich nutzt Kant den Begriff der Billigung in der KpV, um auf eine mögliche Reaktion angesichts eines tugendhaften Verhaltens zu verweisen (vgl. KpV: 155 f.). 29 Vgl.: »Ebenso kann ich für Neigung überhaupt, sie mag nun meine oder eines anderen seine sein, nicht Achtung haben, ich kann sie höchstens im ersten Falle billigen, im zweiten bisweilen selbst lieben, […]« (GMS: 400). 30 Für die Verknüpfung zwischen moralischer Gesetzgebung, unbedingtem Wert, Schätzung und Lust im Sinne von Achtung vgl.: »Die Gesetzgebung selbst aber, die allen Wert bestimmt, muß eben darum eine Würde, d. i. unbedingten, unvergleichbaren Wert haben, für welchen das Wort Achtung allein den geziemenden Ausdruck der Schätzung abgibt, die ein vernünftiges Wesen über sie anzustellen hat« (GMS: 436). – Auch in § 4 hatte Kant bereits ausgeführt, dass der Mensch »[n]ur durch das, was er thut, ohne Rücksicht auf Genuß, in voller Freyheit und unabhängig von dem, 25

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Absatz behandelt Kant demnach in § 5.B.3 nur die Differenzierung zwischen dem Angenehmen, Schönen und moralisch Guten, während er das Nützliche ausklammert. Zur Differenzierung der drei Arten von Lust im Sinne des Vergnügens, bloßen Gefallens und Geschätzten muss schließlich das Folgende festgehalten werden. Dass wir die drei Arten von Lust auf diese Weise sprachlich differenzieren können, verdeutlicht, dass wir die drei Arten von Lust unterscheiden können. Dies liegt daran, dass die drei Arten von Lust sich je unterschiedlich anfühlen, d. h. über einen je unterschiedlichen phänomenalen Gehalt verfügen. Nach allem, was wir bisher wissen, zeichnet sich der phänomenale Gehalt der Lust am Angenehmen und Guten dadurch aus, dass sie sich beide als Begehren anfühlen. Hingegen fehlt diese phänomenale Komponente des Begehrens im Gefühl der Lust am Schönen, weshalb es ›bloß gefällt‹. Die Lust am Guten ist schließlich dadurch von der Lust am Angenehmen unterschieden, dass sie die Erfahrung eines (objektiven) Werts beinhaltet und insofern im Sinne einer Hochschätzung erfahren wird. Abschließend können wir die verschiedenen Begriffe, die Kant in den beiden ersten Paragraphen differenziert, in der folgenden Tabelle gegenüberstellen: Form der Lust

Bezug zum Begehren

Entstehungskontext

Phänomenaler Gehalt

Lust am Angenehmen praktisches Wohlpathologisch-bedingt gefallen bzw. Interesse (bloß sinnlich)

Vergnügen

Lust am (moralisch) Guten

praktisches Wohlrein (durch Vernunft) gefallen bzw. Interesse

Hochschätzung / Billigung

Lust am Schönen

Kontemplation (bloße Betrachtung)

bloßes Wohlgefallen

sinnlich und intellektuell 31

was ihm die Natur auch leidend verschaffen könnte, […] seinem Daseyn als der Existenz einer Person einen absoluten Werth [giebt]« (§ 4.D.11, 208,35 f.; siehe hierzu Kap. 4.5.4). 31 In der Anthropologie ordnet Kant den Geschmack (gemeinsam mit dem Angenehmen) der sinnlichen Lust zu (vgl. Anth: 230). Dies erklärt sich durch den Vorrang der Einbildungskraft beim Schönen.

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5.4 Kants klassifikatorische These Kant ordnet das Angenehme, Schöne und Gute auch bestimmten Klassen von Wesen zu. Die entsprechende Stelle lautet: § 5.B.4 »[a] Annehmlichkeit gilt auch für vernunftlose Thiere; [b] Schönheit [gilt] nur für Menschen, d. i. thierische, aber doch vernünftige Wesen, aber auch nicht blos als solche (z. B. Geister), sondern zugleich als thierische [Wesen]; [c] das Gute aber [gilt] für jedes vernünftige Wesen überhaupt« (210,6).

Mit dieser These – ich bezeichne sie als Kants klassifikatorische These – verweist Kant offenkundig auf die Dichotomie zwischen Sinnlichkeit und Vernunft bzw. Intellektualität. Da das Angenehme allein auf der Empfindung beruht, erfordert es nur Sinnlichkeit, über die auch ›vernunftlose Thiere‹ verfügen. Das (moralisch) Gute beruht nur auf einem Vernunftprinzip und gilt daher ›für jedes vernünftige Wesen überhaupt‹. Schönheit erfordert aber einerseits Sinnlichkeit, andererseits ist im freien Spiel der Erkenntniskräfte auch der Verstand involviert. Daher ist Schönheit nur sinnlich-vernünftigen Wesen, d. h. Menschen, zugänglich. Und da das Angenehme, Schöne und Gute in der KU primär im Sinne der jeweiligen Lust behandelt werden, dürfen wir § 5.B.4, so hat es den Anschein, folgendermaßen rekonstruieren: § 5.B.4aR1 Alle Wesen, die Sinnlichkeit besitzen (sowohl vernunftlose Tiere als auch sinnlich-vernünftige Menschen), können Lust am Angenehmen empfinden. § 5.B.4bR1 Nur sinnliche und vernünftige Wesen (Menschen) können Lust am Schönen empfinden. § 5.B.4cR1a Alle vernünftigen Wesen (sowohl rein vernünftige Wesen als auch Menschen) können Lust am (moralisch) Guten empfinden.

Die Rekonstruktion 5.B.4R1 ist jedoch mit dem Problem behaftet, dass rein vernünftige Wesen kein Gefühl der Lust oder Unlust empfinden können. 32 Da diese Wesen dadurch charakterisiert sind, dass sie nicht

Vgl.: »Hiebei ist nun zu bemerken, daß, so wie die Achtung eine Wirkung aufs Gefühl, mithin auf die Sinnlichkeit eines vernünftigen Wesens ist, es diese Sinnlichkeit, mithin auch die Endlichkeit solcher Wesen, denen das moralische Gesetz Achtung auferlegt, voraussetze, und daß einem höchsten, oder auch einem von aller Sinn-

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über das Vermögen der Sinnlichkeit verfügen, können sie keine Gefühle, die der Sinnlichkeit beizuzählen sind, empfinden. Achtung, als die spezifische Lust am moralisch Guten, kann damit nur von sinnlich-vernünftigen Wesen, d. h. Menschen, empfunden werden. Man könnte nun annehmen, Kant behandle in § 5.B.4 statt der jeweiligen Lust am Angenehmen, Schönen und Guten die entsprechenden Urteile; denn alle vernünftigen Wesen können Urteile über das Gute fällen. Jedoch bereitet dann das Angenehme Probleme; denn sinnliche, aber vernunftlose Wesen können zwar eine Lust am Angenehmen empfinden, aber nicht darüber urteilen. 33 Dazu fehlen ihnen nämlich die entsprechenden begrifflichen Fähigkeiten. Diese Problematik hängt insgesamt damit zusammen, was beim Angenehmen, Schönen und Guten jeweils den Vorrang hat (die Lust oder das Urteil) und in welchem Abhängigkeitsverhältnis die Lust und das Urteil stehen. Während beim Angenehmen und Schönen jeweils die Lust den Vorrang hat und das Urteil von der Lust abhängig ist, beansprucht beim Guten das Urteil den Vorrang und die Lust ist von diesem abhängig. 34 Passt man nun die ›Geltung‹ in § 5.B.4 an diese Spezifika an, so ist die folgende Rekonstruktion angebracht: § 5.B.4aR2 Annehmlichkeit gilt für alle Wesen, die Sinnlichkeit besitzen (sowohl vernunftlose Tiere als auch sinnlichvernünftige Menschen). Alle sinnlichen Wesen können Lust am Angenehmen empfinden. § 5.B.4bR2 Schönheit gilt nur für sinnliche und vernünftige Wesen (Menschen). Nur Menschen können Lust am Schönen empfinden. § 5.B.4cR1b Das (moralisch) Gute gilt für jedes vernünftige Wesen (sowohl rein vernünftige Wesen als auch Menschen). Alle vernünftigen Wesen können Urteile über das Gute fällen.

Es ist bemerkenswert, dass allein der Bereich des Schönen exklusiv dem Menschen zugänglich ist. Nach Kant können also nur Menschen ästhetische Erfahrungen machen. Zugleich erfüllt nur der Entstehungskontext der Lust am Schönen die spezifische Natur des Menlichkeit freien Wesen, […] Achtung fürs G e s e t z nicht beigelegt werden könne« (KpV: 76). 33 Um ein Urteil zu fällen, benötigt man nämlich Verstand. So schreibt Kant in § 15: »und obgleich zum Geschmacksurtheil, als ästhetischem Urtheile, auch (wie zu allen Urtheilen) Verstand gehört« (§ 15.D.6, 228,36). 34 Siehe Kap. 4.6.

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schen als sinnlich und vernünftig. 35 Dagegen beruhen die Lust am Angenehmen und am Guten entweder nur auf Sinnlichkeit oder nur auf Intellektualität und sprechen den Menschen somit nur einseitig an. (Freilich erfordert aber das Fühlen der Achtung selbst auch Sinnlichkeit, sodass Erfahrungen der Achtung ebenfalls Intellektualität und Sinnlichkeit erfordern.) In diesem Sinne sind ästhetische Erfahrungen zutiefst menschlich.

5.5 Die Freiheitsthese (FT) Kant widmet sich im weiteren Verlauf von § 5 der These, dass die Lust am Schönen eine freie Lust ist. Ich bezeichne diese These als Freiheitsthese (FT). Im zweiten Absatz heißt es zu FT: § 5.B.5 »Ein Satz, der nur in der Folge seine vollständige Rechtfertigung und Erklärung bekommen kann. § 5.B.6 [a] Man kann sagen: [b] daß unter allen diesen drey Arten des Wohlgefallens, das des Geschmacks am Schönen einzig und allein ein uninteressirtes und f r e y e s Wohlgefallen sey; [c] denn kein Interesse, weder das der Sinne, noch das der Vernunft, zwingt den Beyfall ab. § 5.B.7 [a] Daher könnte man von dem Wohlgallen sagen: [b] es beziehe sich in den drey genannten Fällen auf N e i g u n g , oder G u n s t , oder A c h t u n g . § 5.B.8 Denn GUNST ist das einzige freye Wohlgefallen. § 5.B.9 Ein Gegenstand der Neigung, und einer, welcher durch ein Vernunftgesetz uns zum Begehren auferlegt wird, lassen uns keine Freyheit, uns selbst irgend woraus einen Gegenstand der Lust zu machen. § 5.B.10 [a] Alles Interesse setzt Bedürfniß voraus, oder bringt eines hervor; [b] und, als Bestimmungsgrund des Beyfalls, läßt es das Urtheil über den Gegenstand nicht mehr frey seyn« (210,9).

Zu berücksichtigen ist, dass das Schöne nur insofern der Natur des Menschen korrespondiert, als innerhalb seiner sinnlich-vernünftigen Natur keine Hierarchie angenommen wird. Versteht man aber den Menschen als Intelligenz als das »eigentliche Selbst« des Menschen (GMS: 457), dann korrespondiert das Gute dieser eigentlichen Natur.

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In dieser Passage finden sich eigentlich zwei miteinander verknüpfte Thesen: erstens die These, dass die Lust am Schönen frei ist, und zweitens die These, dass die Lust am Angenehmen und Guten unfrei sind. Wir wollen im Folgenden zunächst die Unfreiheit der Lust am Angenehmen und Guten untersuchen und im Anschluss vor diesem Hintergrund FT entwickeln. 36

5.5.1 Die Unfreiheit der Lust am Angenehmen und Guten In § 5.B.6 lassen sich zwei implizite Aussagen über das Angenehme und das Gute identifizieren. Da Kant schreibt, das Wohlgefallen ›des Geschmacks am Schönen‹ sei ›einzig und allein ein uninteressirtes und freyes Wohlgefallen‹, müssen das Wohlgefallen am Angenehmen und Guten jeweils interessiert und unfrei sein. 37 Ebenso lassen sich die Ausführungen in § 5.B.6c auf das Angenehmen und Gute beziehen. Wir erhalten dann als implizite Propositionen: § 5.B.6bR1 Das Wohlgefallen am Angenehmen und Guten sind jeweils ein interessiertes und unfreies Wohlgefallen. § 5.B.6cR1 Ein Interesse, entweder das der Sinne oder das der Vernunft, zwingt den Beifall ab.

In § 5.B.6c findet sich eine erste Begründung dafür, dass die Lust am Angenehmen unfrei ist, wie auch die Lust am Guten. Weitere Begründungen werden in § 5.B.9–10 vorgebracht. Nimmt man einige Ersetzungen vor, so lauten hier die einzelnen Propositionen: § 5.B.9*

Ein Gegenstand der Neigung und ein Gegenstand, welcher durch ein Vernunftgesetz uns zum Begehren auferlegt wird, lassen uns keine Freiheit, uns selbst irgendworaus einen Gegenstand der Lust zu machen. § 5.B.10a* Alles Interesse setzt ein Bedürfnis voraus oder bringt ein Bedürfnis hervor. § 5.B.10b* Als Bestimmungsgrund des Beifalls lässt das Interesse das Urteil über den Gegenstand nicht mehr frei sein. 38

Auf § 5.B.5 komme ich später zurück. Siehe Kap. 5.5.5. Dass beide Bestandteile der Konjunktion, d. h. ›uninteressiert und frei‹, beim Angenehmen und Guten verneint werden müssen, ist daraus klar, dass erstens beide Arten des Wohlgefallens bereits als Interesse ausgewiesen wurden und es zweitens in § 5.B.8 heißt, ›Gunst‹ sei ›das einzige freye Wohlgefallen‹. 38 Das Pronomen ›es‹ muss sich auf ›Interesse‹ und nicht auf ›Bedürfnis‹ beziehen; 36 37

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Untersuchen wir zunächst die Unfreiheit der Lust am Angenehmen. Dazu lassen sich die folgenden Aussagen zusammenstellen: These

Das Wohlgefallen am Angenehmen ist ein unfreies Wohlgefallen. [§ 5.B.6b] Begründung Das Interesse der Neigung zwingt den Beifall ab. [§ 5.B.6c] Ein Gegenstand der Neigung lässt uns keine Freiheit, uns selbst aus irgendetwas einen Gegenstand der Lust zu machen. [§ 5.B.9] Das Interesse am Angenehmen setzt ein Bedürfnis voraus. [§ 5.B.10a] Als Bestimmungsgrund des Beifalls lässt das Interesse am Angenehmen das Urteil über den Gegenstand nicht mehr frei sein. [§ 5.B.10b]

Diese Propositionen beinhalten einige Komplikationen. Erstens ist nicht klar, wovon eigentlich der Zwang ausgeht; denn als mögliche Quellen des Zwangs kommen das Interesse (der Neigung), der Gegenstand der Neigung sowie das Bedürfnis in Frage. Zweitens ist nicht klar, was erzwungen wird; denn als mögliches Ziel des Zwangs benennt Kant das Wohlgefallen am Angenehmen, den Beifall und das Urteil über das Angenehme. 39 Betrachten wir, um diese Komplikationen aufzulösen, zunächst ein Beispiel aus dem letzten Absatz von § 5: § 5.C.1 »Was das Interesse der Neigung beym Angenehmen betrift, so sagt jedermann: Hunger ist der beste Koch, und Leuten von gesundem Appetit schmeckt alles, was nur eßbar ist; mithin beweiset ein solches Wohlgefallen keine Wahl nach Geschmack« (210,23).

In diesem Beispiel verspürt eine Person starken Hunger bzw. hat einen ›gesunde[n] Appetit‹. Sie hat also ein starkes Bedürfnis. Wenn diese Person nun irgendetwas zu essen bekommt, egal worum es sich dabei handelt (›alles, was nur eßbar ist‹), so wird sie daran eine Lust am Angenehmen empfinden. Die Lust am Angenehmen ist in diesem Fall nicht frei, weil sie bloß eine Reaktion auf eine Bedürfniserfüllung denn der Bestimmungsgrund des ästhetischen Urteils ist ein Gefühl der Lust und kein Bedürfnis. 39 Der Gegenstand des Zwangs ist jedoch explizit keine Handlung. Freilich ist aber eine Handlung, die aus einem Interesse am Angenehmen erwächst, im kantischen Sinne eine unfreie Handlung. Kants Philosophie des Schönen

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ist. Ein Bedürfnis ist eine Mangelerfahrung, die befriedigt werden will; insofern sie befriedigt wird, empfinden wir Lust. Der Zwang geht also hier von einem Bedürfnis aus, welches sich als sehr stark und rudimentär bestimmen lässt. Da die Begierde nach Nahrung beim Menschen habituell ist, kann man ihm eine Neigung für Nahrung unterstellen; in Kants Beispiel vom Hunger ist diese Neigung aktiv, sodass der hungrige Mensch ein Bedürfnis verspürt. 40 Der Zwang geht in diesem Sinne also auch von der Neigung aus. Nun ist aber auch der folgende Fall denkbar: Eine Person ist nicht besonders hungrig. Sie bestellt in einem Café ein Stück Schokoladenkuchen. Beweist sie dann (wie es in § 5.C.1 heißt) ebenfalls ›keine Wahl‹ und ist demnach nicht frei? Erneut kommt hier die Neigung zum Tragen. Wenn die Person eine Neigung etwa für Schokolade entwickelt hat, so wird sie den Schokoladenkuchen und nicht den Zitronenkuchen bestellen. Sobald ihre Neigung für Schokoladenkuchen angeregt wird (etwa durch den Besuch eines Cafés), verspürt sie ein Bedürfnis danach. In beiden geschilderten Fällen geht der Zwang von einer Neigung und einem damit verbundenen Bedürfnis aus. 41 Der Zwang bezieht sich jeweils darauf, woran ich die Lust am Angenehmen empfinde. Wir können nunmehr die einzelnen Aussagen, die wir oben zusammengestellt haben, erklären. Das ›Interesse am Angenehmen‹ kann auf zwei verschiedene Weisen ein Bedürfnis voraussetzen (§ 5.B.10a): Entweder die Lust am Angenehmen ist eine Reaktion auf eine Bedürfniserfüllung; oder die Lust ist eine antizipierte Lust am Angenehmen, die wir empfinden, weil wir aktuell ein spezifisches Bedürfnis empfinden. Das Interesse ist dabei immer an ein Bedürfnis gebunden, d. h. an eine Mangelerfahrung, und ist insofern nicht frei. Fällt man aufgrund des verspürten Interesses ein Urteil über das Angenehme, so hat dieses Urteil eine unfreie Lust zum Bestimmungsgrund. Das Urteil kann daher (mittelbar) als ›nicht mehr frey‹ bzw. unfrei bezeichnet werden (§ 5.B.10b). Ein ›Gegenstand der Neigung‹ (§ 5.B.9) ist ein Gegenstand, der einer meiner Neigungen entIn diesem Sinne bezeichnet Kant in der GMS auch die Neigungen als »Quellen der Bedürfnisse« (GMS: 428). 41 Es stellt sich die Frage, ob wir denn nicht zu einem gewissen Grad frei sind, spezifische Neigungen (wie etwa die Neigung für Schokolade) entstehen zu lassen. Wenn mir beim ersten Probieren Schokolade gut schmeckt, könnte ich ja danach bewusst nie wieder Schokolade essen, um keine Neigung für Schokolade entstehen zu lassen. Ich kann auf diese Frage hier nicht weiter eingehen. 40

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spricht. Meine (antizipierte) Lust an diesem Gegenstand kann als bloße Reaktion auf diese Neigung verstanden werden und ist insofern unfrei. Dass schließlich das ›Interesse der Neigung…den Beyfall ab[zwingt]‹ (§ 5.B.6c), bedeutet, dass das Interesse am Angenehmen selbst durch die Neigung erzwungen ist und dieses Interesse dann die Grundlage für den Beifall im Sinne einer positiven Einstellung zum Gegenstand ist. Der Zwang beim Angenehmen geht also von unseren Neigungen und den damit verbundenen Bedürfnissen aus. Das Erzwungene ist dabei die Lust. Dazu muss noch das Folgende angemerkt werden. Kant legt durch die Aussage, dass man bei starkem Hunger alles angenehm fände und »ein solches Wohlgefallen keine Wahl nach Geschmack« beweise (§ 5.C.1, 210,25), nahe, die zur Debatte stehende Freiheit sei eine Art von Wahlfreiheit. Ich werde später erläutern, dass dies nur bedingt richtig ist. Zunächst muss aber angemerkt werden, dass die Unfreiheit beim Angenehmen weiter geht. So schreibt Kant in § 5.B.9, wir hätten keine Freiheit, ›uns selbst irgend woraus einen Gegenstand der Lust zu machen‹. Diese Aussage zeigt an, die Unfreiheit beim Angenehmen bestehe (auch) darin, dass der Lust am Angenehmen keine Aktivität zugrunde liege, die Freiheit beinhaltet. Wir werden sehen, dass gerade das Moment der Freiheit in der der Lust zugrundeliegenden Aktivität zentral für FT ist. Kommen wir nun zur Unfreiheit der Lust am (moralisch) Guten. Stellen wir zunächst wieder die entscheidenden Propositionen zusammen: These

Das Wohlgefallen am Guten ist ein unfreies Wohlgefallen. [§ 5.B.6b] Begründung Das Interesse der Vernunft zwingt den Beifall ab. [§ 5.B.6c] Ein Gegenstand, welcher durch ein Vernunftgesetz uns zum Begehren auferlegt wird, lässt uns keine Freiheit, uns selbst aus irgendetwas einen Gegenstand der Lust zu machen. [§ 5.B.9] Das Interesse bringt ein Bedürfnis hervor. [§ 5.B.10a]

Die wichtigste Aussage findet sich in § 5.B.9: Beim Guten wird uns der Gegenstand ›durch ein Vernunftgesetz‹, d. h. durch das moralische Gesetz, ›zum Begehren auferlegt‹. So schreibt mir etwa das moralische Gesetz vor, den Armen zu helfen, und ich muss diese Handlung daher wollen. In diesem Sinne sind wir nicht frei, zu wählen, Kants Philosophie des Schönen

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was wir (in moralischer Hinsicht) wollen. Da das Interesse am Guten aber nichts anderes als das gefühlte Wollen ist, so kann auch das Interesse als unfrei gelten. So heißt es in der GMS: »Das erste [praktische Interesse] zeigt nur Abhängigkeit des Willens von Prinzipien der Vernunft an sich selbst […] an« (GMS: 413 Fn., m. H.). Der Wille bzw. das Wollen ist demnach von Vernunftprinzipien abhängig und das Interesse ist dieses gefühlte (abhängige) Wollen. Nun könnte man das folgende Problem aufwerfen: Es ist ein zentraler Gedanke der kantischen Ethik, dass die moralische Gesetzgebung durch Autonomie erfolgt und insofern frei ist. 42 Müsste daher die Lust am Guten, da sie auf einen autonomen Akt der Gesetzgebung zurückzuführen ist, nicht als frei gelten? – Darauf lässt sich erwidern, dass das moralische Gesetz bei uns sinnlich-vernünftigen Wesen immer ein Imperativ ist. Unser Wille unterliegt daher beim moralischen Wollen immer auch einem Zwang; das Wollen ist immer auch ein Sollen. 43 In diesem Sinne bestimmt Kant die Achtung in der GMS als »Bewußtsein der Unterordnung meines Willens unter einem Gesetze, ohne Vermittelung anderer Einflüsse auf meinen Sinn« (GMS: 401 Fn.). In der KpV heißt es ähnlich, die Achtung sei »[d]as Bewußtsein einer f r e i e n Unterwerfung des Willens unter das Gesetz« (KpV: 80). Dies stimmt gut damit zusammen, dass wir die Achtung als Bewusstsein der im KI enthaltenen Nötigung gedeutet haben. 44 Insofern wir in der Achtung die Nötigung durch das moralische Gesetz erleben, ist Achtung eben auch eine phänomenale Erfahrung eines Zwangs. Dazu kommt, dass die Willensbestimmung beim moralisch Guten in einer ›freien Unterwerfung‹ besteht – ›erzwungen‹ und ›frei‹ bilden hier also keine Gegenbegriffe, sondern können zusammen bestehen. Die Willensbestimmung erfolgt zwar durch ein autonom selbst-gegebenes Gesetz, aber diese Gesetzgebung beinhaltet eben auch eine Selbstverpflichtung, sodass vom moralischen Gesetz ein gewisser »S e l b s t z w a n g « (TL: 379) ausgeht. 45 In diesem Vgl. etwa GMS: 446 f. So heißt es in § 18, die Notwendigkeit beim Schönen sei »auch nicht eine praktische, wo durch Begriffe eines reinen Vernunftwillens, welcher freyhandelnden Wesen zur Regel dient, dieses Wohlgefallen die nothwendige Folge eines objectiven Gesetzes ist, und nichts anderes bedeutet, als daß man schlechterdings (ohne weitere Absicht) auf gewisse Art handeln solle« (§ 18.A.4, 237,2). 44 Siehe Kap. 4.2.2. 45 Die Konzeption eines Selbstzwanges oder einer Selbstverpflichtung ist freilich auch nicht unproblematisch, insofern es so scheint, als könne man sich selbst auch wieder 42 43

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Sinne hat die Lust am Guten eine Art Zwitterstellung als einerseits erzwungen und unfrei sowie andererseits frei. Dagegen findet sich in der Lust am Schönen kein Moment des Zwangs, sodass sie vollständig frei ist. In der Hinsicht aber, dass sich sowohl bei der Lust am Guten als auch bei der Lust am Schönen ein Moment der Freiheit findet, stimmen beide überein. 46 Wie beim Angenehmen lassen sich bei der Lust am Guten zwei Momente der Unfreiheit unterscheiden. Erstens gibt es keine Wahlfreiheit, an welchem Gegenstand bzw. an welcher Handlung wir eine Lust am Guten fühlen. So heißt es im zweiten Absatz: § 5.C.4 »Denn wo das sittliche Gesetz spricht, da giebt es, objectiv, weiter keine freye Wahl in Ansehung dessen, was zu thun sey; […]« (210,29). 47

Da aber das, ›was zu thun sey‹, d. h. die Handlung, dasjenige ist, was gewollt (und gesollt) wird und somit der Gegenstand der Lust ist, haben wir ›keine freie Wahl‹ in Ansehung dieses Gegenstandes der Lust. (Problematisch ist daran freilich, dass bei weiten Pflichten ein Spiel-

von der Verpflichtung lossprechen. Diese Problematik behandelt Kant in den §§ 1–3 der Tugendlehre. Im notorisch unklaren § 3 scheint Kant vorzubringen, dass das aktiv verpflichtende Subjekt vom verpflichteten (im Sinne einer passiven Nötigung) Subjekt zu unterscheiden ist – und er bindet diese Unterscheidung an die Differenz von homo noumenon und homo phaenomenon, verstanden als »vernünftiges N a t u rw e s e n « (TL: 418), das in der Sinnenwelt handelt. Schönecker interpretiert diese These so, »dass das noumenale, verpflichtete Ich (das ja auch das verpflichtende Ich ist), insofern als verpflichtetes Ich auch als Sinnenwesen betrachtet wird, als die Handlungen dieses verpflichteten Ich in der Sinnenwelt erscheinen« (Schönecker 2010a, 258). Das verpflichtende Ich wäre also der homo noumenon und das verpflichtete Ich der homo noumenon, insofern er zugleich auch der in der Sinnenwelt handelnde homo phaenomenon ist. Ähnlich mag auch der in der Achtung beinhaltete Zwang dem homo noumenon, insofern er zugleich ein in der Sinnenwelt fühlender homo phaenomenon ist, zuzuschreiben sein. 46 Vgl. hierzu: »Die F r e y h e i t der Einbildungskraft […] wird in der Beurtheilung des Schönen mit der Gesetzmäßigkeit des Verstandes als einstimmig vorgestellt (im moralischen Urtheile wird die Freyheit des Willens als Zusammenstimmung des letzteren mit sich selbst nach allgemeinen Vernunftgesetzen gedacht)« (354,5). 47 Es scheint mir nicht klar, warum Kant schreibt, es bestehe ›weiter keine freie Wahl‹ ; denn dadurch suggeriert er, dass zunächst eine freie Wahl besteht, dass diese Wahlfreiheit aber erlischt, sobald das ›sittliche Gesetz‹ gesprochen hat. Nun ist es zwar richtig, dass die Selbstgesetzgebung des moralischen Gesetzes in Freiheit erfolgt, und dass diese in gewisser Hinsicht dem ›Sprechen‹ des moralischen Gesetzes in spezifischen Situationen vorhergehen muss. Aber bei der Freiheit der Selbstgesetzgebung handelt es sich um keine Wahlfreiheit. Kants Philosophie des Schönen

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raum gegeben ist, sodass doch eine Wahl besteht. Bei weiten Pflichten würde uns demnach nur ein bestimmter Bereich von Handlugen vorgegeben, die wir alle Wollen können und die daher allesamt Gegenstand der Lust sein könnten, ohne dass sie es aber im Einzelnen müssten.) Zweitens ist die Aktivität des Willens, die sich als Lust am Guten anfühlt, zwar einerseits durch Freiheit, andererseits aber auch durch Zwang und Unfreiheit ausgezeichnet. Betrachten wir noch einmal unsere Zusammenstellung der Aussagen über die Unfreiheit beim moralisch Guten. In § 5.B.10a heißt es, dass das Interesse am moralisch Guten ein Bedürfnis hervorbringt. 48 Was auch immer dies bedeutet, so ist jedenfalls das Bedürfnis für die Unfreiheit des Interesses irrelevant; denn das Interesse am Guten wird gerade nicht durch das Bedürfnis hervorgerufen und kann daher auch nicht dadurch erzwungen sein. Vorstellbar wäre hingegen, dass das Bedürfnis einen Beitrag zum phänomenalen Gehalt des Interesses am Guten bzw. der Achtung leistet. Das Fühlen des Bedürfnisses würde dann einen Teil dessen ausmachen, wie es ist, eine erzwungene Lust zu fühlen. Es bleibt schließlich zu fragen, ob wir mit Rückgriff auf § 5.B.10b auch die folgende Aussage aufstellen können: Als Bestimmungsgrund des Beifalls lässt das Interesse am Guten das Urteil über den Gegenstand nicht mehr frei sein. [§ 5.B.10b]

Der ›Beifall‹ ist hier im Sinne einer positiven Einstellung zum Gegenstand zu deuten, die auf der Lust bzw. dem Interesse beruht. Eine solche positive Einstellung kommt in ästhetischen Urteilen zum Ausdruck. Wie bereits dargelegt, hat das Urteil über das Gute, insofern darunter das nicht-imperativische moralische Gesetz verstanden wird, einen Vorrang gegenüber der Lust am Guten, und die Lust ist vielmehr von diesem Urteil abhängig. Urteile über das Gute sind keine ästhetischen Urteile; denn ihr Bestimmungsgrund kann »a n d e r s a l s s u b j e c t i v seyn« (§ 1.A.2, 203,15). Insofern nun das moralische

Einen ähnlichen Zusammenhang schildert Kant in der MdS: »Obgleich, wo ein bloß reines Vernunftinteresse angenommen werden muß, ihm kein Interesse der Neigung untergeschoben werden kann, so können wir doch, um dem Sprachgebrauche gefällig zu sein, einer Neigung, selbst zu dem, was nur Objekt einer intellektuellen Lust sein kann, ein habituelles Begehren aus reinem Vernunftinteresse einräumen, welche alsdann aber nicht die Ursache, sondern die Wirkung des letzteren Interesses sein würde, und die wir die s i n n e n f r e i e N e i g u n g (propensio intellectualis) nennen können« (MdS: 213).

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Gesetz prinzipiell unabhängig von der Achtung ist, ist es im engen Sinne nicht plausibel, dass das Interesse am Guten ›das Urtheil über den Gegenstand nicht mehr frey seyn‹ lässt. Insofern aber der kategorische Imperativ bzw. imperativische Urteile über das Gute eine Nötigung beinhalten, die wir in der Lust erfahren, lässt sich in einem erweiterten Sinne doch sagen, dass die Achtung als das spezifische Interesse am Guten diese Art imperativischer Urteile ›nicht mehr frei sein‹ lässt. In diesem erweiterten Sinne ist die obige, aus § 5.B.10b gewonnene Aussage daher doch sinnvoll. Wir können abschließend zur Unfreiheit der Lust am Angenehmen und am moralisch Guten das Folgende festhalten: i. Die Lust bzw. das Interesse am Angenehmen und moralisch Guten sind jeweils unfrei. ii. Beim Angenehmen geht der Zwang von einer Neigung und einem damit verbundenen Bedürfnis aus. Bei der Lust am moralisch Guten geht der Zwang vom moralischen Gesetz in Form des kategorischen Imperativs aus. iii. Die Unfreiheit besteht in beiden Fällen darin, dass (1.) wir nicht frei wählen können (Wahlfreiheit), an welchem Gegenstand wir eine Lust empfinden, dass (2.) die der Lust zugrundeliegende (physische oder intellektuelle) Aktivität entweder als vollständig erzwungen (Angenehme) oder frei und zugleich erzwungen (moralisch Gute) gelten muss, und dass (3.) sich der Zwang im phänomenalen Gehalt der Lust niederschlägt.

5.5.2 Die Bedeutung der Freiheitsthese auf der Ebene der Lust Nachdem wir die Unfreiheit der Lust am Angenehmen und Guten untersucht haben, können wir nunmehr auf die Freiheitsthese (FT) der Lust am Schönen zurückkommen. Führen wir uns dazu die beiden Formulierungen von FT in § 5.B.6 und § 5.B.9 vor Augen: § 5.B.6 [a] Man kann sagen: [b] daß unter allen diesen drey Arten des Wohlgefallens, das des Geschmacks am Schönen einzig und allein ein uninteressirtes und f r e y e s Wohlgefallen sey; [c] denn kein Interesse, weder das der Sinne, noch das der Vernunft, zwingt den Beyfall ab.

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§ 5.B.7 [a] Daher könnte man von dem Wohlgefallen sagen: [b] es beziehe sich in den drei genannten Fällen auf N e i g u n g , oder G u n s t , oder A c h t u n g . § 5.B.8 Denn GUNST ist das einzige freye Wohlgefallen. § 5.B.9* Ein Gegenstand der Neigung und ein Gegenstand, welcher durch ein Vernunftgesetz uns zum Begehren auferlegt wird, lassen uns keine Freiheit, uns selbst irgendworaus einen Gegenstand der Lust zu machen.

Ich habe oben zwei Momente der Unfreiheit der Lust am Angenehmen und Guten festgehalten: Erstens besteht bei beiden keine Wahlfreiheit, an welchem Gegenstand wir eine Lust empfinden (§ 5.B.9); zweitens findet sich in der Aktivität, die der Lust zugrunde liegt, jeweils ein Zwang. Betrachten wir an dieser Stelle zunächst das Moment der Wahlfreiheit näher. Nehmen wir einmal an, eine solche Wahlfreiheit sei beim Schönen gegeben; wie genau wäre FT dann zu verstehen? Eine mögliche Wahlfreiheit beim Schönen kann nicht bedeuten, dass wir uns jeden Gegenstand zu einem Gegenstand der Lust am Schönen machen können. 49 Denn in diesem Fall würde erstens das Theoriestück der Allgemeingültigkeit der Lust unterlaufen: Die Lust am Schönen wäre trivialerweise allgemeingültig, da jeder Gegenstand mit einer solchen Lust verbunden werden könnte. Zweitens führt Kant im Dritten Moment aus, dass auf Seiten des schönen Gegenstandes die Form für die Lust am Schönen relevant ist (Formthese FMT). Dabei ist es offenkundig, dass nicht jede Form als schön gelten kann. So schließt Kant bekanntlich »[a]lles steif-regelmäßige« als »[g]eschmackswidrig[.]« vom Schönen aus (242,34). Es ist somit offenkundig, dass wir uns nicht jeden Gegenstand zu einem Gegenstand der Lust am Schönen machen können. Es scheint jedoch möglich, dass wir bei einem gegebenen schönen Gegenstand in gewisser Hinsicht die Wahl haben, eine Lust am Schönen zu fühlen oder nicht. Dies kann aber nicht bedeuten, dass wir es uns in einer freien Entscheidung zur Absicht machen, eine Lust am Schönen zu fühlen. Denn durch diese Absicht hätten wir ein Interesse am schönen Gegenstand. Was wir jedoch beeinflussen können, ist die ästhetische Einstellung. Ich kann in diesem Sinne eine gute Voraussetzung dafür schaffen, eine Lust am Schönen zu fühlen; und nur in diesem Sinne habe ich beim Schönen eine Wahl. Ob sich aber eine Lust am Schönen einstellt, obliegt nicht meiner freien Ent49

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Vgl. hierfür auch Allison 2001, 93.

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scheidung. Gleichzeitig wird uns der Gegenstand der Lust aber auch nicht durch eine Neigung oder ein Vernunftgesetz aufgezwungen. Wenden wir uns der zentralen Formulierung von FT in § 5.B.6 zu. Kant legt hier nahe, die Lust am Schönen sei deshalb frei, weil sie keine Form von Interesse sei (›denn kein Interesse…zwingt den Beyfall ab‹). Wenn aber die Uninteressiertheit der Lust am Schönen irgendwie eine Begründung dafür darstellt, dass diese Lust frei ist, so muss die Bedeutung von FT in irgendeiner Form mit dieser Uninteressiertheit zu tun haben. Nun hatten wir § 5.B.6 bisher so interpretiert, dass nicht das Interesse der Quell des Zwangs ist, sondern dass dieses Interesse selbst erzwungen ist. Aber der Zwang beim Interesse lässt sich noch auf eine andere Weise – und zwar mit Rekurs auf die Begriffsbestimmung von »Interesse« – verstehen. So beinhaltet die Begriffsbestimmung von »Interesse« die Existenzbedingung, welche besagt, dass ein Interesse eine Lust an der (antizipierten) Existenz eines Gegenstandes ist. Interessant ist dabei, wie die Lust am Schönen von der Existenzbedingung abgegrenzt wird. So heißt es in § 2: § 2.B.7 »Man sieht leicht, daß es auf das, was ich aus dieser Vorstellung in mir selbst mache, nicht auf das, worin ich von der Existenz des Gegenstandes abhänge, ankomme, um zu sagen, er sey s c h ö n , und zu beweisen, ich habe Geschmack« (205,10, 1. H. m. H.).

Beim Interesse besteht also eine Abhängigkeit von der Existenz des Gegenstandes. Selbstverständlich konstituiert sich diese Abhängigkeit beim Angenehmen über die Neigung bzw. das Bedürfnis und beim moralisch Guten über das moralische Gesetz. Bemerkenswert ist aber, dass die Abhängigkeit von der Existenz des Gegenstandes als Bestimmung der Unfreiheit beim Angenehmen und Guten begriffen werden kann. Man könnte dann im Gegenzug annehmen, dass eine freie Lust unabhängig von der Existenz des Gegenstandes ist. Man müsste FT demnach folgendermaßen formulieren: FT Die Lust am Schönen ist insofern frei, als sie keine Lust an der Existenz des Gegenstandes der Lust ist und daher kein Abhängigkeitsverhältnis gegenüber dem Gegenstand besteht.

Das offenkundige Problem dieser Interpretation besteht darin, dass FT nichts anderes als eine abgewandelte Version der Uninteressiertheitsthese (UT) wäre. Kant würde damit keine neue These einführen, sondern nur einen Aspekt von UT, nämlich die Unabhängigkeit von Kants Philosophie des Schönen

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der Existenz des Gegenstandes, mit dem Begriff der Freiheit benennen. 50 Obgleich die bisher skizzierte Bedeutung von FT, welche die Lust am Schönen betrifft, einen Teil der Bedeutung von FT ausmacht, scheint die umfassende Bedeutung von FT deutlich darüber und damit über UT hinauszugehen. Ich werde daher in Kürze auf weitere Bedeutungen eingehen; bisher können wir zur Bedeutung von FT aber nur das Folgende festhalten: i. Die Lust am Schönen ist insofern frei, als kein Zwang (weder durch eine Neigung bzw. ein Bedürfnis noch durch ein Vernunftgesetz) besteht, an einem bestimmten Gegenstand Lust zu empfinden. (Dies bedeutet aber nicht, dass wir an jedem beliebigen Gegenstand eine Lust am Schönen fühlen können oder dass wir uns im Sinne einer Absicht dazu entscheiden könnten, an einem bestimmten Gegenstand Lust am Schönen zu empfinden.) ii. Die Lust am Schönen ist nicht von der Existenz des Gegenstandes abhängig und insofern frei.

5.5.3 Eine Begründung der Freiheitsthese? Wir haben bereits gesehen, dass Kant in § 5.B.6 so etwas wie eine Begründung für FT zu liefern scheint. Führen wir uns diesen Satz noch einmal vor Augen: § 5.B.6 [a] Man kann sagen: [b] daß unter allen diesen drey Arten des Wohlgefallens, das des Geschmacks am Schönen einzig und allein ein uninteressirtes und f r e y e s Wohlgefallen sey; [c] denn kein Interesse, weder das der Sinne, noch das der Vernunft, zwingt den Beyfall ab.

Die Begründung, wenn es denn eine ist, findet sich in § 5.B.6c. Das folgende Argument scheint sich aufzudrängen: P1 Wenn eine Lust unfrei ist, dann ist sie ein Interesse. P2 Die Lust am Schönen ist kein Interesse. Also: Die Lust am Schönen ist frei.

Ähnlich konstatiert Guyer: »Freedom and disinterestedness, in other words, are merely different names for one fact, the absence of a proscribed connection between pleasure and interest« (Guyer 1979, 203).

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Bezieht man ein, dass der Zwang im Interesse entweder von einer Neigung oder einem Vernunftgesetz ausgeht, so lässt sich das Argument folgendermaßen erweitern: P1a

Wenn eine Lust unfrei ist, dann beruht sie entweder auf einer Neigung oder einem Vernunftgesetz. P1b Wenn eine Lust entweder auf einer Neigung oder einem Vernunftgesetz beruht, dann ist sie ein Interesse. Also: Wenn eine Lust unfrei ist, dann ist sie ein Interesse. P2 Die Lust am Schönen ist kein Interesse. Also: Die Lust am Schönen ist frei.

Das Problem dieses Arguments besteht in P1 bzw. P1a. Es scheint überhaupt nicht klar, warum die einzigen Quellen des Zwangs für eine Lust eine Neigung oder ein Vernunftgesetz sein sollen. Selbst wenn es stimmen würde, dass ein Zwang im Sinne einer Abhängigkeit von der Existenz des Gegenstandes nur von Neigungen oder Vernunftgesetzen ausgehen könnte, so wäre nicht oder jedenfalls nicht ohne weitere Begründung klar, warum beim Schönen kein irgendwie anders gearteter Zwang bestehen könnte. Ich plädiere daher an dieser Stelle dafür, dass Kant in § 5 tatsächlich noch gar kein Argument für FT liefert, ebenso wie die umfassende Bedeutung von FT auf der Argumentationsstufe von § 5 noch nicht eingesehen werden kann. Vor diesem Hintergrund ist FT einer ähnlichen Problematik wie schon UT (in § 2) ausgesetzt. Ich möchte zweierlei vorschlagen: Erstens ist § 5.B.6c nicht als Begründung, sondern vielmehr als Erläuterung von FT zu verstehen. Statt FT abschließend zu beweisen, verweist Kant nur auf bekannte Fälle einer erzwungenen Lust (nämlich die beiden Fälle von Interesse) und erinnert daran, dass die Lust am Schönen von diesen Fällen unterschieden ist. Zweitens konstatiert Kant FT nicht bloß völlig unbegründet, sondern er rekurriert (implizit) auf den phänomenalen Gehalt der Lust am Schönen. Auf ebendiesen Aspekt des phänomenalen Gehalts werde ich jetzt eingehen.

5.5.4 Die phänomenologische Bedeutung der Freiheitsthese Ich habe eben angedeutet, dass FT auch eine phänomenologische Bedeutung hat. Dafür gibt es ein eindeutiges Indiz:

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§ 6.A.3 »Denn da es [das Wohlgefallen] sich nicht auf irgend eine Neigung des Subjects (noch auf irgend ein anderes überlegtes Interesse) gründet, sondern da der Urtheilende sich in Ansehung des Wohlgefallens, welches er dem Gegenstande widmet, völlig frey fühlt […]« (211,15, m. H. & Kants H. getilgt).

Kant konstatiert hier, dass sich der Urteilende ›völlig frey fühlt‹ ; wir fühlen also, anders gesagt, die Freiheit, um die es in FT geht. In diesem Sinne ist die Freiheit ein Moment der Lust am Schönen, sofern wir sie erfahren; Freiheit ist also (neben der Uninteressiertheit) eine weitere phänomenale Komponente der Lust am Schönen. Im Gegensatz dazu sind die Lust am Angenehmen und Guten immer dadurch ausgezeichnet, dass sie sich unfrei anfühlen. Fragt man, wie sich eine freie Lust anfühlt, so gibt es in gewisser Hinsicht bloß eine negative Antwort: Wir können nur darlegen, wie sich diese Lust nicht anfühlt. Dass sich die Lust frei anfühlt, bedeutet in diesem Sinne primär, dass man keinen Zwang fühlt. Allerdings erleben wir die Abwesenheit des Zwangs auf eine phänomenale Art und Weise. Es gilt: Erstens fühlt sich eine freie Lust anders an als eine unfreie Lust, indem wir bei einer unfreien Lust einen Zwang erleben und bei einer freien Lust eine Abwesenheit von Zwang. Zweitens können wir dieses Sichanders-Anfühlen der Lust durch den Begriff der Freiheit erfassen. Stimmt es, dass sich die Lust am Schönen frei anfühlt, dann muss Kant in erster Instanz nicht zwangsläufig ein Argument für FT anführen. Vielmehr kann er an die Erfahrungen seiner Leserinnen und Leser appellieren. Er kann dann voraussetzen, dass die Lust am Schönen frei ist, weil seine Leserschaft aus ihrer eigenen Erfahrung mit dem Schönen weiß, dass diese Lust sich frei anfühlt. Erhellend ist schließlich, dass die phänomenale Komponente der Freiheit (wie schon die Uninteressiertheit) ein exklusives Kennzeichen der Lust am Schönen ist; denn die beiden einzigen anderen (grundlegenden) Arten der Lust, nämlich die Lust am Angenehmen und am Guten, sind unfrei und werden (mindestens teilweise) als Zwang erlebt. Die Freiheit der Lust kann damit als sicheres Kriterium dafür gelten, dass eine Lust eine Lust am Schönen ist.

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5.5.5 Die Bedeutung der Freiheitsthese auf der Grundlagenebene des freien Spiels Wir haben zur Bedeutung von FT bislang das Folgende herausgefunden: Im Kontext der Lust und ihres Gegenstandes bedeutet FT, dass die Lust am Schönen keinem Zwang unterliegt, der entweder von einer Neigung oder einem Vernunftgesetz ausgeht, und dass in der Lust keine Abhängigkeit von der Existenz des Gegenstandes besteht. Wir haben ferner gesehen, dass sich FT im phänomenalen Gehalt der Lust niederschlägt; die Freiheit wird als Zwanglosigkeit phänomenal erlebt. Ich werde nun eine weitere, tiefergehende Bedeutung von FT aufzeigen. Wir haben bereits bei unseren Untersuchungen zur Unfreiheit der Lust am Angenehmen und Guten gesehen, dass sich ein Moment der Unfreiheit in der Aktivität verorten lässt, die der Lust zugrunde liegt. So beruht die Lust am Angenehmen auf einer physischen Aktivität bzw. Regung. Da diese Aktivität durch einen Gegenstand verursacht wird und das Subjekt dabei passiv ist, ist sie durch Unfreiheit und Zwang gekennzeichnet. Beim Guten findet sich zwar in der Selbstgesetzgebung des moralischen Gesetzes ein Moment der Freiheit, gleichzeitig legen wir uns damit aber selbst einen Zwang auf. Beim Schönen, so werde ich nun darlegen, ist die der Lust zugrundeliegende Aktivität in zweierlei Hinsicht durch Freiheit ausgezeichnet. Der Lust am Schönen liegt die Aktivität des »freyen Spiel[s]« von Einbildungskraft und Verstand zugrunde (§ 9.D.1, 217,22, m. H.). 51 Bereits aus dieser Formulierung wird ersichtlich, dass diese Aktivität durch Freiheit gekennzeichnet ist. Ein erstes Moment der Freiheit findet sich dabei in der spezifischen Aktivität der Einbildungskraft, nämlich im Zusammensetzen des Mannigfaltigen zu Formen. So schreibt Kant in der Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik: »Wenn man das Resultat aus den obigen Zergliederungen zieht, so findet sich, daß alles auf den Begrif des Geschmacks herauslaufe: daß er ein Beurtheilungsvermögen eines Gegenstandes in Beziehung auf die f r e y e G e s e t z m ä ß i g k e i t der Einbildungskraft sey. Wenn nun im Geschmacksurtheile die Einbildungskraft in ihrer Freyheit betrachtet werden muß, so Dass sich die Bedeutung der Freiheitsthese (mindestens auch) durch das freie Spiel der Erkenntniskräfte konstituiert, wird von Ginsborg explizit bestritten (vgl. Ginsborg 2008, 62 f.). – Zur Freiheit im Spiel der Erkenntniskräfte siehe Kap. 9.3.5.

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wird sie erstlich nicht reproductiv, wie sie den Associationsgesetzen unterworfen ist, sondern als productiv und selbstthätig (als Urheberin willkührlicher Formen möglicher Anschauungen) angenommen« (240,22).

Im Geschmack ist die Einbildungskraft ›productiv und selbstthätig‹ wirksam; sie ist ›Urheberin willkürlicher Formen möglicher Anschauung‹. Dies bedeutet konkret, dass die Einbildungskraft frei von jedem Zwang das gegebene Mannigfaltige zu Formen zusammensetzt. Wenn der Einbildungskraft ein sehr reichhaltiges und komplexes Mannigfaltiges an Empfindungen gegeben ist (bspw. der Schatten eines Laubbaumes an einer Wand), dann kann die Einbildungskraft verschiedene Elemente herausgreifen und verschieden kombinieren. Dabei kann sie aus dem gegebenen Material immer neue Formen hervorbringen, d. h. mit den Formen spielen. Als eine mögliche Quelle des Zwangs benennt Kant die ›Associationsgesetze[.]‹, die besagen: »empirische Vorstellungen, die nacheinander oft folgten, bewirken eine Angewohnheit im Gemüt, wenn die eine erzeugt wird, die andere auch entstehen zu lassen« (Anth: 176). Eine weitere (und wichtigere) Quelle des Zwangs sind Begriffe. Wird eine Erkenntnis angestrebt oder erlangt, so unterliegt die Einbildungskraft dem Zwang eines Begriffs, der ihr vorschreibt, wie die Form auszusehen hat, die sie auffasst. 52 So schreibt Kant: »Nur, da im Gebrauch der Einbildungskraft zum Erkenntnisse, die Einbildungskraft unter dem Zwange des Verstandes und der Beschränkung unterworfen ist, dem Begriffe desselben angemessen zu seyn; in ästhetischer Absicht aber die Einbildungskraft frey ist, […]« (316,27 f., m. H.).

Bei einer Erkenntnis ist also die Einbildungskraft (in ihrer Aktivität des Apprehendierens von Formen) einem Zwang ausgesetzt, der vom Verstand bzw. von den Begriffen des Verstandes ausgeht. Diesem Zwang unterliegt die Einbildungskraft beim Schönen nicht. Wir können damit als ein erstes Moment der Freiheit in der Aktivität des Spiels der Erkenntniskräfte das vom Zwang unabhängige Vgl.: »Die Geschicklichkeit der Menschen sich ihre Gedanken mitzutheilen, erfordert auch ein Verhältniß der Einbildungskraft und des Verstandes, um den Begriffen Anschauungen und diesen wiederum Begriffe zuzugesellen, die in ein Erkenntniß zusammenfließen; aber alsdann ist die Zusammenstimmung beider Gemüthskräfte g e s e t z l i c h , unter dem Zwange bestimmter Begriffe. Nur da, wo Einbildungskraft in ihrer Freyheit den Verstand erweckt, und dieser ohne Begriffe die Einbildungskraft in ein regelmäßiges Spiel versetzt; da theilt sich die Vorstellung, […] als inneres Gefühl eines zweckmäßigen Zustandes des Gemüths, mit« (295,30 f.).

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Apprehendieren von Formen durch die Einbildungskraft identifizieren. Da diese Freiheit primär in der Unabhängigkeit von (äußeren) Zwängen (durch Begriffe oder Assoziationsgesetze) besteht, kann sie – mit der Terminologie der GMS (im weiten Sinne) – als negative Freiheit bezeichnet werden. 53 Ich werde nun zeigen, dass es beim Schönen auch ein Moment der positiven Freiheit gibt. Im freien Spiel ist es die Aufgabe des Verstandes, die von der Einbildungskraft apprehendierten Formen und die Aktivität der Einbildungskraft anhand des Prinzips a priori der Urteilskraft zu überprüfen. 54 Dieses Prinzip bzw. Gesetz gibt sich die Urteilskraft in einem Akt der Autonomie bzw. Heautonomie selbst. 55 So heißt es in der Einleitung: »Die Urtheilskraft hat also auch ein Princip a priori für die Möglichkeit der Natur, aber nur in subjectiver Rücksicht, in sich, wodurch sie, nicht der Natur (als Avtonomie), sondern ihr selbst (als Heavtonomie) für die Reflexion über jene, ein Gesetz vorschreibt, […]« (185,35 f.). 56

Da das Prinzip a priori der Urteilskraft im freien Spiel der Erkenntniskräfte – zwar nicht als Vorschrift, aber im Sinne einer Überprüfungsaktivität – zum Tragen kommt, kann man im freien Spiel bzw. in der Aktivität der Urteilskraft (oder genauer des Verstandes) ein Moment der Autonomie (bzw. Heautonomie) verorten. In diesem Sinne heißt es etwa auch in § 58, dass »die ästhetische Urtheilskraft in Ansehung des Urtheils, ob etwas schön sey oder nicht, selbst gesetzgebend ist« (350,9, m. H.). 57 Da Autonomie in der Terminologie der GMS positive Freiheit heißt, 58 können wir festhalten, dass das Geschmacksurteil auch ein Moment der positiven Freiheit aufweist. Dieses besteht darin, dass im freien Spiel das Prinzip a priori der Ur-

Vgl. GMS: 446. – Man kann im Falle von FT nur im erweiterten Sinne von negativer Freiheit sprechen; denn der Terminus »negative Freiheit« meint im engen Sinne die Unabhängigkeit von Naturgesetzen. Die Einbildungskraft ist aber primär unabhängig von Begriffen, wobei Begriffe nicht naturgesetzlich wirken. 54 Siehe hierzu Kap. G3.3. 55 Zum Begriff der Heautonomie siehe Kap. G3.5. 56 Vgl. auch EEKU: 225,15. 57 Ferner bemerkt Kant, dass beim Schönen das Urteil »frey« ist und »Autonomie zum Grunde« hat (350,27), dass »[d]er Geschmack […] auf Autonomie Anspruch [macht]« (282,30), und er spricht von »einer Autonomie des über das Gefühl der Lust […] urtheilenden Subjekts« (281,11). 58 Vgl. GMS: 446 f. 53

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teilskraft vom Verstand angewendet wird, wobei dieses Prinzip selbstgegeben ist. Im freien Spiel der Erkenntniskräfte lassen sich also zwei Momente der Freiheit identifizieren: erstens ein Moment der negativen Freiheit in der Aktivität des Apprehendierens von Formen, da diese Aktivität frei vom Zwang der Begriffe und der Assoziationsgesetze ist; zweitens ein Moment der positiven Freiheit in der Überprüfungsaktivität anhand des Prinzips a priori der Urteilskraft durch den Verstand, da sich die Urteilskraft dieses Prinzip selbst gibt und es somit einem Akt der Autonomie entstammt. Beide Momente der Freiheit und damit die Bedeutung von FT auf der Ebene des freien Spiels sind den Leserinnen und Lesern in § 5 noch nicht zugänglich. Die volle Bedeutung von FT lässt sich damit erst rückwirkend begreifen. Wohl aus diesem Grund stellt Kant seinen Ausführungen zu FT den folgenden Hinweis voran: § 5.B.5 Ein Satz, der nur in der Folge seine vollständige Rechtfertigung und Erklärung bekommen kann.

Der ›Satz‹, so mein Vorschlag, ist nichts anderes als FT, wie sie im darauffolgenden Satz § 5.B.6 formuliert wird (›Man kann sagen: daß unter allen diesen drey Arten des Wohlgefallens das des Geschmacks am Schönen einzig und allein ein uninteressirtes und f r e y e s Wohlgefallen sey‹). Ihre ›vollständige Rechtfertigung und Erklärung‹ bekommt FT erst ›in der Folge‹, weil ihre umfassende Bedeutung erst im weiteren Verlauf der Analytik eingesehen werden kann. Es ist allerdings nicht eindeutig, was der ›Satz‹ in § 5.B.5 ist; denn grammatikalisch ist es völlig unklar, ob besagter ›Satz‹ vorher (in § 5.B.4) oder im Anschluss (in § 5.B.6) formuliert wird. 59 Unmittelbar zuvor formuliert Kant aber die klassifikatorische These, und mindestens die Aussage, dass »Schönheit nur für Menschen d. i. thierische, aber doch vernünftige Wesen« gilt (§ 5.B.4, 210,7), ist ebenfalls nur mit Vorgriff auf § 9 verständlich. Auch inhaltlich scheint es demnach möglich, dass sich § 5.B.5 auf die unmittelbar zuvor formulierte klassifikatorische These bezieht. Insgesamt scheint es mir kein sicheres In der alten Edition der Akademieausgabe sind die Sätze § 5.B.4 und § 5.B.5 bloß durch ein Semikolon voneinander getrennt. Da in der Neuedition durch Andrea Esser (wie auch bei Meiner) beide Sätze durch einen Punkt getrennt sind, gehe ich davon aus, dass es sich bei dem Semikolon um einen Fehler handelt. Dieser Fehler wird interessanterweise durch die englischen Übersetzungen von Guyer (2000) sowie Pluhar (1987) übernommen.

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Indiz für die eine oder die andere Interpretation zu geben. Dennoch scheint es mir eher wahrscheinlich, dass sich Kants Hinweis in § 5.B.5 auf FT bezieht; denn von ihrer Bedeutung und Tragweite her ist FT wichtiger und zentraler. Wir können nunmehr die verschiedenen Bedeutungsebenen von FT zusammenstellen: (i) Auf der Ebene der Lust selbst bedeutet FT, dass kein Zwang vorliegt, an einem bestimmten Gegenstand eine Lust am Schönen zu fühlen (negative Freiheit). Dieser Zwang könnte entweder von einer Neigung oder von einem Vernunftgesetz ausgehen. Ferner lässt sich der Zwang auf der Ebene der Lust auch so begreifen, dass in der Lust am Schönen keine Abhängigkeit von der Existenz des Gegenstandes besteht. (ii) Auf der Ebene des phänomenalen Gehalts der Lust bedeutet FT, dass sich die Lust am Schönen frei anfühlt. Dies bedeutet (bloß negativ), dass sich die Lust am Schönen nicht als Zwang anfühlt. (iii) Auf der Grundlagenebene des freien Spiels bedeutet FT, dass erstens die Einbildungskraft beim Apprehendieren von Formen keinem Zwang durch einen Begriff oder die Assoziationsgesetze unterliegt (negative Freiheit), und dass zweitens der Verstand im freien Spiel eine Überprüfung anhand des Prinzips a priori der Urteilskraft vornimmt, das sich die Urteilskraft in einem Akt der Autonomie selbst gibt (positive Freiheit). Ich möchte noch betonen, dass die Freiheit als Komponente des phänomenalen Gehalts der Lust einen unmittelbaren Bezug zu den beiden Aspekten der Freiheit im freien Spiel hat. So ist die Lust am Schönen nichts anderes als die Art und Weise, wie wir das freie Spiel erleben. Insofern sich aber in der Aktivität des Spiels zwei Momente der Freiheit manifestieren und die Lust nichts anderes als diese gefühlte Aktivität ist, ist es plausibel, dass sich die Freiheit auch im phänomenalen Gehalt der Lust manifestiert.

5.6 Kleinere Diskussionskontexte 5.6.1 Eine dritte begriffliche Differenzierung der drei Arten von Lust Im zweiten Absatz findet sich eine weitere begriffliche Differenzierung zwischen den drei Formen von Lust, die bisher noch nicht berücksichtigt wurde. Diese lautet: Kants Philosophie des Schönen

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§ 5.B.7 »Daher könnte man von dem Wohlgefallen sagen: es beziehe sich in den drey genannten Fällen [beim Angenehmen, Schönen und Guten] auf N e i g u n g , oder G u n s t , oder A c h t u n g « (210,14).

Eine Problematik dieser Formulierung besteht darin, dass Kant mit der ›Neigung‹ auf etwas verweist, das einer Lust zugrunde liegt, mit ›Achtung‹ aber die spezifische Bezeichnung einer der drei Arten von Lust anführt. Es ist daher nicht ohne Weiteres klar, was Kant an dieser Stelle differenzieren will. Zu beachten ist aber, dass sich § 5.B.7 im Rahmen der Erläuterung von FT befindet. Da § 5.B.7 mit ›Daher‹ eingeleitet wird, muss die darin vorgenommene Differenzierung einen Bezug zu FT aufweisen. Im Falle des Begriffs der Neigung liegt dieser Bezug zu FT auf der Hand; wir haben ja bereits gesehen, dass im Falle der Lust am Angenehmen der Zwang und somit die Unfreiheit von der Neigung ausgeht. Da es die Neigung ist, auf welche diese Lust als Reaktion antwortet, ist es plausibel, dass Kant schreibt, das Wohlgefallen ›beziehe sich‹ auf Neigung. Dazu passt, dass kurz darauf die Lust am Angenehmen als »Interesse der Neigung« bezeichnet wird (§ 5.C.1, 210,23). Obgleich »Neigung« keine adäquate Bezeichnung für die Lust am Angenehmen ist, so ist doch »Interesse der Neigung« eine solche adäquate Bezeichnung. Der Lust am Guten wird nun der Begriff der Achtung zugeordnet. Bekanntermaßen ist »Achtung« Kants Bezeichnung für das Interesse am moralisch Guten und nicht bloß für etwas, worauf sich dieses Interesse ›bezieht‹, wie Kant in § 5.B.7 schreibt. Kants Formulierung in § 5.B.7 ist damit bestenfalls ungenau. Ferner zeigt der Begriff der Achtung an, dass Kants eigentliches Hauptaugenmerk beim Guten auf dem moralisch Guten und nicht dem Nützlichen liegt. Schließlich lässt sich fragen, wie der Bezug zwischen dem Begriff der Achtung und der Unfreiheit der Lust am moralisch Guten ist. Möglich wäre, dass Kant an seine eigenen Bestimmungen der Achtung aus früheren Schriften erinnern will, in denen er diese an die Unterwerfung unter das sittliche Gesetz gebunden hatte. 60 Kommen wir schließlich zur Gunst. Auch der Begriff »Gunst« ist eine Bezeichnung für eine Lust, nämlich die Lust am Schönen, und nicht für etwas, worauf sich die Lust ›bezieht‹. So heißt es im

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Vgl. erneut GMS: 401 Fn.; KpV: 80.

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darauffolgenden Satz: »Denn GUNST ist das einzige freye Wohlgefallen« (§ 5.B.8, 210,16). Wenn nun die begriffliche Differenzierung in § 5.B.7 in einem direkten Zusammenhang zu FT steht, so müsste der Begriff »Gunst« in irgendeiner Form auf die Freiheit der Lust am Schönen verweisen. Genau dies ist auch wirklich der Fall. Wir kennen den Begriff »Gunst« heutzutage aus Formulierungen wie etwa »In der Gunst von jemandem stehen«. Nun ist der Begünstigte zwar von demjenigen abhängig, der die Gunst erweist, aber dieser, der die Gunst erweist, ist im Erweisen der Gunst nicht vom Begünstigten abhängig und insofern frei. Bei Adelung heißt es zum Begriff der Gunst: »In engerer Bedeutung, derjenige Zustand des Gemüthes, da man das Gute, welches einem andern widerfähret, nicht nur mit Zufriedenheit, mit Vergnügen siehet, sondern auch geneigt ist, ihm solches selbst zu verschaffen« (Adelung: Die Gunst). Daran ist bemerkenswert, dass Gunst als ein ›Zustand des Gemüths‹, in dem sich ›Zufriedenheit‹ und ›Vergnügen‹, d. h. eine Art von Lust oder Wohlgefallen, findet, bestimmt wird. 61 Mit Rückgriff auf das Grimm’sche Wörterbuch lässt sich auch bestätigen, dass derjenige, der eine Gunst erweist, in keinem Abhängigkeitsverhältnis zum Begünstigten steht. So heißt es: »von der zuneigung unter personen, die nicht in einem äuszeren abhängigkeitsverhältnis stehen, oder bei denen eine solche abhängigkeit keine beziehung zu ihrem gemütsverhältnis hat« (Grimm: Gunst). Nach Adelung und Grimm ist »Gunst« also erstens ein positives Gefühl, das zweitens nicht aufgrund eines Abhängigkeitsverhältnisses desjenigen, der Gunst erweist, vom Begünstigten besteht. Beides trifft auf die Lust am Schönen zu: Sie ist ein positives Gefühl und bei ihr besteht kein Abhängigkeitsverhältnis desjenigen, der Gunst erweist, vom Begünstigten, d. h. vom schönen Gegenstand. Wir können nun unsere Tabelle der begrifflichen Differenzierungen der Lust folgendermaßen ergänzen:

Bei Grimm wird Gunst noch expliziter als »seelische haltung, stimmung des gemütes: ›liebe, zuneigung, neigung, wohlwollen‹« bestimmt (Grimm: Gunst).

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§ 5 Ein Vergleich der drei Arten von Lust und die Freiheitsthese Form der Lust

Bezug zum Begehren

Entstehungskontext Phänomenaler Gehalt

Freiheit oder Zwang

Lust am Angenehmen

praktisches Wohlgefallen bzw. Interesse

pathologisch-bedingt (bloß sinnlich)

Vergnügen

(Interesse der) Neigung

Lust am (moralisch) Guten

praktisches Wohlgefallen bzw. Interesse

rein (durch Vernunft)

Hochschätzung / Gunst Billigung

Lust am Schönen

Kontemplation (bloße Betrachtung)

sinnlich und intellektuell

bloßes Wohlgefallen

Achtung

5.6.2 Die Lust am moralisch Guten und der sittliche Geschmack Kant beschließt § 5 mit der folgenden Gegenüberstellung von Sittlichkeit und sittlichem Geschmack: § 5.C.3 »Eben so giebt es Sitten (Conduite) ohne Tugend, Höflichkeit ohne Wohlwollen, Anständigkeit ohne Ehrbarkeit u. s. w. § 5.C.4 [a] Denn wo das sittliche Gesetz spricht, da giebt es, objectiv, weiter keine freye Wahl in Ansehung dessen, was zu thun sey; [b] und Geschmack in seiner Aufführung (oder in Beurtheilung anderer ihrer [Aufführung]) zeigen, ist etwas ganz anderes, als seine moralische Denkungsart äußern: [c] denn diese [moralische Denkungsart] enthält ein Gebot und bringt ein Bedürfniß hervor, [d] da hingegen der sittliche Geschmack mit den Gegenständen des Wohlgefallens nur spielt, ohne sich an einen [Gegenstand des Wohlgefallens] zu hängen« (210,27).

In § 5.C.3 benennt Kant Fälle, bei denen kein moralisches Handeln, jedoch so etwas wie ein Schein des Guten vorliegt. Machen wir uns dies kurz an den drei Formulierungen klar. ›Sitten (Conduite) ohne Tugend‹ sind hier offenkundig nicht als Sitten im Sinne der Moral zu verstehen, sondern im Sinne einer alltagssprachlichen Bedeutung, zu der es in der MdS heißt: »obgleich das deutsche Wort S i t t e n , ebenso wie das lateinische mores, nur Manieren und Lebensart bedeutet« (MdS: 216). Auf diese eher allgemeine Bedeutung verweist auch der Begriff »Conduite«, der sich allgemein im Sinne von Verhalten verstehen lässt. Da aber der eher alltagssprachliche Begriff der Sitten als ›Manieren und Lebensart‹ dennoch eine positive Kon320

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notation hat – und zwar im Sinne von etwas, das gesellschaftlich erwünscht ist –, so stehen ›Sitten ohne Tugend‹ für ein gesellschaftlich positiv konnotiertes, aber nicht moralisches Verhalten. Als zweites nennt Kant ›Höflichkeit ohne Wohlwollen‹. Kant definiert »H ö f l i c h k e i t « allgemein als »Schein der Herablassung, der Liebe einflößt«, und zählt etwa »Ve r b e u g u n g e n (Komplimente) und die ganze h ö f i s c h e Galanterie« dazu (Anth: 152). In der Tugendlehre ordnet er die Höflichkeit den sogenannten Umstandstugenden zu, die »nur A u ß e n w e r k e oder Beiwerke (parerga) [sind], welche einen schönen tugendähnlichen Schein geben, der auch nicht betrügt« (TL: 473). Für unsere aktuellen Zwecke ist dabei wichtig, dass die Höflichkeit zwar ein ›tugendähnlicher Schein‹, aber eben keine genuin moralische Handlung ist, d. h. nicht aus Pflicht erfolgt. In § 5.C.3 wird dies insbesondere dadurch deutlich, dass es sich um eine ›Höflichkeit ohne Wohlwollen‹ handelt. Dabei ist unter ›Wohlwollen‹ vermutlich die »Maxime des Wohlwollens (die praktische Menschenliebe)« zu verstehen, die »aller Menschen Pflicht gegeneinander« (TL: 450) ist und die als ein »tätiges praktisches Wohlwollen« verstanden werden muss (TL: 452). Würde eine höfliche Handlung aus dieser Pflicht des Wohlwollens erfolgen, so wäre sie moralisch. Der letzte geschilderte Fall in § 5.C.3 ist ›Anständigkeit ohne Ehrbarkeit‹. Auch die Anständigkeit zählt zum »erlaubten moralischen Schein« (Anth: 151). 62 So spricht Kant in der KrV von der »Schminke der Anständigkeit« (A748/ B776). 63 Auch eine Handlung mit Ehrbarkeit kann als eine tugendhafte Handlung begriffen werden. So bezeichnet Kant in der Tugendlehre die mit der Ehrbarkeit eng verwandte Ehrliebe als Tugend. 64 Insgesamt lassen sich alle drei geschilderten Fälle im Sinne von Handlungen verstehen, die nicht aus Pflicht oder Tugend erfolgen und insofern nicht moralisch sind, jedoch einen moralischen Schein erzeugen.

Vgl.: »Der gute ehrbare A n s t a n d ist ein äußerer Schein, der anderen A c h t u n g einflößt (sich nicht gemein zu machen)« (Anth: 152). (Der Begriff »ehrbar« ist hier anders als in § 5.B.3 nicht moralisch zu verstehen.) 63 Vgl.: »Die Sittlichkeit aus Grundsätzen ist die Tugend, die Sittlichkeit aus Geschmak die Anständigkeit (politesse)« (Refl: 1173). 64 Vgl. TL: 420. Darüber hinaus bezeichnet Kant in der RL die »r e c h t l i c h e E h rb a r k e i t (honestas iuridica)«, die »im Verhältnis zu Anderen seinen Wert als den eines Menschen zu behaupten« besteht, als »Pflicht« (RL: 236). 62

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In § 5.C.4 erfolgt eine Gegenüberstellung der ›moralische[n] Denkungsart‹ und des ›sittliche[n] Geschmack[s]‹. Die Aussagen zum moralisch Guten sind uns bereits bekannt. Sie lauten: § 5.C.4a Denn wo das sittliche Gesetz spricht, da gibt es, objektiv, weiter keine freie Wahl in Ansehung dessen, was zu tun sei § 5.C.4c* Die moralische Denkungsart enthält ein Gebot und bringt ein Bedürfnis hervor.

Wie wir oben gesehen haben, beschreibt Kant hier die Unfreiheit beim moralisch Guten. Die Lust am Guten unterliegt einem vom moralischen Gesetz ausgehenden Zwang und ist nicht frei bzw. fühlt sich nicht frei an. Dem stellt Kant nun den sittlichen Geschmack gegenüber. Dazu können wir die folgenden Propositionen zusammenstellen: § 5.C.4b* Geschmack in seiner Aufführung (oder in Beurteilung anderer ihrer Aufführung) zeigen, ist etwas ganz anderes, als seine moralische Denkungsart äußern. § 5.C.4d* Der sittliche Geschmack spielt nur mit den Gegenständen des Wohlgefallens, ohne sich an einen Gegenstand des Wohlgefallens zu hängen.

Kant kontrastiert den ›Geschmack in seiner Aufführung‹, d. h. im Verhalten eines Menschen, – dazu zählen die in § 5.C.3 geschilderten Fälle – mit Äußerungen der moralischen Denkungsart, d. h. mit moralischen Handlungen. Dabei ist ein solcher ›sittlicher Geschmack‹ durch Freiheit, d. h. eine Unabhängigkeit vom Gegenstand, gekennzeichnet. Wir sind nicht gezwungen, am Gegenstand ein Wohlgefallen zu empfinden (wir ›hängen‹ nicht an ihm bzw. sind nicht von ihm abhängig). Offenkundig versteht Kant unter dem sittlichen Geschmack eine Sonderform oder Abwandlung des ästhetischen Geschmacks; denn wie der ästhetische Geschmack ›spielt‹ der sittliche Geschmack ›mit den Gegenständen des Wohlgefallens‹. Es ist daher zu vermuten, dass dem sittlichen Geschmack auch ein freies Spiel der Erkenntniskräfte zugrunde liegt. So heißt es in der Anthropologie: »Selbst der Schein des Guten an anderen muß uns wert sein: weil aus diesem Spiel mit Vorstellungen, welche Achtung verdienen, endlich wohl Ernst werden kann« (Anth: 153, m. H.). Zu bemerken ist zu solchen Fällen des schönen Scheins 65 aber das Folgende: Insofern der Geschmack kein praktisches Vermögen, sondern ein bloßes Beurtei65

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Vgl. hierzu TL: 473 f.; Anth: 151 ff.; Refl: 1482, 1513.

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lungsvermögen ist, kann der sittliche Geschmack nicht auf den Vollzug eigener Handlungen bezogen sein, die den Anschein von Sittlichkeit haben, sondern er muss auf die Beurteilung solcher Handlungen bezogen sein. Dies ist schon deshalb klar, weil die Lust des sittlichen Geschmacks kein Interesse ist und in diesem Sinne keine praktischen Implikationen haben kann. Ob der sittliche Geschmack dem ästhetischen Geschmack beizuzählen ist, scheint mir nicht abschließend zu beantworten. 66 Was jedoch in § 5.C.3–4 deutlich wird, ist, dass die unfreie Lust am Guten von einer möglichen freien Lust des sittlichen Geschmacks zu unterscheiden ist, die man bei der Beurteilung des moralischen Scheins empfinden kann.

5.7 Zusammenfassung Kant hat zunächst die drei Formen von Lust anhand des Kriteriums der Interessiertheit bzw. Uninteressiertheit gegenübergestellt. Die Lust am Angenehmen und die Lust am Guten sind jeweils eine Form von Interesse bzw. praktischer Lust; denn beide erfüllen sowohl die Begehrensbedingung als auch die Existenzbedingung (in der allgemeinen und der abgewandelten Variante). Die Lust am Schönen hingegen ist eine uninteressierte Lust und kann als »Kontemplation« bezeichnet werden. Sie konstituiert sich in der bloßen Betrachtung, d. h. insbesondere ohne Bezug zum Begehren. In diesem Kontext vertritt Kant auch eine klassifikatorische These: Der Bereich des Schönen ist einzig dem Menschen als sinnlich-vernünftiges Wesen zugänglich. Hingegen sind auch Tiere als bloß sinnliche Wesen befähigt, Lust am Angenehmen zu empfinden; Urteile über das Gute können neben Menschen auch rein vernünftige Wesen fällen. Ferner beruht die Lust am Schönen auf einer sinnlichen und zugleich intellektuellen Aktivität, während die Lust am Angenehmen nur Sinnlichkeit voraussetzt und die Lust am Guten ausschließlich vernunftgewirkt ist. Damit erfüllt einzig der Entstehungs-

Denkbar wäre auch, dass der sittliche Geschmack nicht zu reinen, sondern nur zu angewandten Geschmacksurteilen fähig wäre. Für diesen Fall läge jedoch eine Vermischung der Lust am Schönen und der Lust am Guten vor, welche sich in phänomenaler Hinsicht nicht völlig frei anfühlen würde.

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kontext der Lust am Schönen die vollständige Natur des Menschen. Das Schöne kann somit als zutiefst menschlich gelten. Die eigentliche Innovation in § 5 ist die Freiheitsthese, die besagt, dass nur die Lust am Schönen eine freie Lust ist. Dagegen sind die Lust am Angenehmen und Guten unfrei. Auf der Ebene der Lust besteht beim Angenehmen und Guten insofern ein Zwang, als der Gegenstand der Lust von Neigungen bzw. Bedürfnissen (Lust am Angenehmen) oder vom moralischen Gesetz (Lust am moralisch Guten) aufgezwungen wird. Auf der Grundlagenebene liegt auch in der der Lust zugrundeliegenden Aktivität ein Zwang vor; denn beim Angenehmen wird die (physische) Aktivität bzw. Regung kausal durch einen Gegenstand bewirkt und beim moralisch Guten schreibt das moralische Gesetz die Willensbestimmung vor. Schließlich macht Zwang bzw. Unfreiheit in beiden Fällen einen Anteil am phänomenalen Gehalt der Lust aus. Analog dazu manifestiert sich die Freiheit der Lust am Schönen ebenfalls auf verschiedenen Ebenen. Auf der Ebene der Lust wird uns der Gegenstand der Lust nicht durch eine Neigung oder ein Vernunftgesetz aufgezwungen, und das Subjekt ist nicht von der Existenz des Gegenstandes abhängig. Das Subjekt kann aber nicht beliebig wählen, welchen Gegenstand es schön findet; und es kann sich auch nicht beliebig zur Absicht machen, eine Lust am Schönen zu empfinden. Es kann im Sinne der ästhetischen Einstellung nur optimale Bedingungen für eine ästhetische Erfahrung schaffen. Auf der Grundlagenebene des freien Spiels lassen sich zwei Momente der Freiheit identifizieren: Erstens unterliegt die Einbildungskraft beim Apprehendieren von Formen keinem Zwang durch Begriffe oder Assoziationsgesetze (negative Freiheit); zweitens wendet der Verstand im freien Spiel das Prinzip a priori der Urteilskraft an, welches einem Akt der Selbstgesetzgebung (Autonomie bzw. Heautonomie) entstammt (positive Freiheit). Schließlich manifestiert sich die Freiheit auch im phänomenalen Gehalt der Lust am Schönen. Die Lust fühlt sich insofern frei an, als wir keinen Zwang fühlen.

5.8 Literaturbericht Der wichtigste neue Schritt in Kants Gedankengang ist die Einführung der Freiheitsthese (FT). Ein Blick in die Sekundärliteratur macht jedoch deutlich, dass FT im Vergleich zur Uninteressiertheitsthese (UT) deutlich weniger Aufmerksamkeit bekommt. Insbesondere die Frage, was genau die Un-

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§ 5 Ein Vergleich der drei Arten von Lust und die Freiheitsthese

freiheit beim Angenehmen und Guten bedeutet, wird in der Literatur kaum gestellt, was insofern erstaunlich ist, als ein Verständnis dieser Unfreiheit die Grundlage für das Verständnis der Freiheit beim Schönen bilden muss. Gar nichts zur Unfreiheit der Lust am Angenehmen und Guten findet sich etwa bei Crawford (1974), Crowther (2010), Fricke (1990), Guyer (1979), Kulenkampff (1994) und Matthews (1997). Eine knappe Bestimmung der Unfreiheit formuliert Allison: »this liking [for the beautiful], in contrast to the liking for both the agreeable and the good, is not compelled by any factors extrinsic to the act of contemplation itself […]. In the case of the agreeable, the extrinsic factor is our sensuous nature and, therefore, ultimately the laws of nature; in the case of the good, it is the moral law which ›compels‹ approval« (Allison 2001, 94). Wenngleich aus dieser Bestimmung hervorgeht, wovon der Zwang beim Angenehmen und Guten jeweils ausgeht, so wird doch letztlich nicht klar, was genau erzwungen wird. Eine Deutung der Unfreiheit im Sinne eines Zwangs bezüglich des Gegenstandes der Lust findet sich bei Kern: »Ob wir einen Gegenstand angenehm finden, ist kein Akt einer freien Wahl, sondern Reflex der kausalen Einwirkung eines Gegenstands auf unsere Sinnlichkeit. […] Ob wir an etwas moralisches Wohlgefallen finden oder nicht, ergibt sich aus dem Gebot des sittlichen Gesetzes. Wer das Sittengesetz für verbindlich erachtet, für den entsteht das moralische Wohlgefallen als eine notwendige Folge dieses objektiven Gesetzes« (Kern 2000, 28). Angesichts der geringen Beachtung der Unfreiheit am Angenehmen und Guten stellt sich die Frage, ob denn wenigstens die Freiheit der Lust am Schönen (FT) untersucht wird. Erstaunlicherweise findet aber auch FT bei einigen AutorInnen gar keine Beachtung, darunter Crowther (2010), Kulenkampff (1994), Matthews (1997) und McCloskey (1987). Bei anderen AutorInnen gibt es eher allgemeine Verweise darauf, dass die Lust am Schönen irgendwie frei sei, so etwa bei Fricke: »Das Wohlgefallen am Schönen ist frei von dem determinierenden Einfluß durch Neigungen, ebenso wie es frei ist von dem verpflichtenden Einfluß durch das Sittengesetz« (Fricke 1990, 28). Ähnlich allgemein gibt Ginsborg FT wieder, wenn sie schreibt, »daß es [das Wohlgefallen am Schönen] ›frei‹ sei, weil es nicht durch ein Interesse, weder der Sinne noch der Vernunft, erzwungen werde« (Ginsborg 2008, 62). Dabei betont sie, dass FT kein Verweis auf die Freiheit im Spiel sei (vgl. Ginsborg 2008, 62 f.). Ferner weist Ginsborgs Wiedergabe von FT eine starke Nähe zu UT auf. In der Tat identifizieren einige AutorInnen FT explizit mit UT. In diesem Sinne schreibt etwa Guyer: »the freedom of pleasure is nothing but its independence of any interest« (Guyer 1979, 203); und: »Freedom and disinterestedness […] are merely different names for one fact, the absence of a proscribed connection between pleasure and interest« (Guyer 1979, 203). Wenzel identifiziert in FT einen positiven und einen negativen Aspekt der Freiheit: »Freiheit von einem Interesse bzw. Freiheit zu einer Kontemplation und einem Spiel« (Wenzel 2000, 82). Dabei Kants Philosophie des Schönen

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ist mindestens der negative Aspekt der Freiheit nichts anderes als UT. Eckl bestimmt als »Bedingung der Möglichkeit, die im ersten Moment gedacht wird«, dass die Lust am Schönen frei und belebend empfunden werde (Eckl 2017, 69). Dabei bleibt aber letztlich unklar, ob die Freiheit der Lust mit ihrer Uninteressiertheit gleichzusetzen ist. Nicht als gleichbedeutend mit UT scheint Zammito FT zu verstehen. Er rekonstruiert FT folgendermaßen: »Kant insists that ›taste lays claim simply to autonomy.‹ It is a free choice. Indeed, Kant argues, it is the freest choice possible for man, and a kind of freedom which man alone enjoys, just by virtue of his complex nature« (Zammito 1992, 93). Dabei bleibt aber letztlich unklar, ob die Lust am Schönen durch eine wie auch immer zu verstehende Wahlfreiheit oder Autonomie (oder auch eine Kombination von beidem) ausgezeichnet ist. Dagegen nutzt Kern explizit den Terminus der »freien Wahl«, und sie interpretiert diesen mit Bezug auf das Schöne so, dass »die ästhetische Lust […] eine Lust [ist], die wir uns selber machen, weil sie […] sich auf den aktiven Vollzug einer bestimmten Erfahrung bezieht« (Kern 2000, 29). Gegen ein Verständnis von FT im Sinne einer Wahlfreiheit wendet sich Allison, wenn er schreibt: »Kant is not, of course, suggesting that one can freely decide whether or not to find a particular object beautiful« (Allison 2001, 93). Stattdessen versteht er FT folgendermaßen: »The point is rather that this liking, in contrast to the liking for both the agreeable and the good, is not compelled by any factors extrinsic to the act of contemplation itself« (Allison 2001, 93 f.), d. h. die Lust am Schönen wird nicht durch Naturgesetze oder das moralische Gesetz erzwungen. Es bleibt aber letztlich unklar, was genau nicht erzwungen wird und warum es sich dann um keine Wahlfreiheit handelt. Eine recht eigentümliche Interpretation der Freiheit beim Schönen findet sich bei Prauss. Nach seiner Interpretation wird beim Schönen zunächst das Objekt (etwa »diese Tulpe«) durch ein theoretisches Urteil in Spontaneität konstituiert, nur damit sich das Subjekt im Anschluss von dieser Spontaneität »aus Spontaneität heraus wieder [befreit]« (Prauss 1981, 279). Esser nimmt keine explizite Rekonstruktion von FT und den entsprechenden Passagen in § 5 vor, erläutert jedoch ausführlich, dass in der ästhetischen Beurteilung Freiheit im Sinne der Abstraktion von »begrifflichen Intentionen« (Esser 1997, 127) sowie eine »freie[.] Apprehension« durch die Einbildungskraft vorliege (Esser 1997, 164).

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Als Abschluss des Ersten Moments fasst Kant das zentrale Ergebnis der §§ 1–5 in einer sogenannten Erklärung des Schönen zusammen. Der offenkundige Inhalt dieser Ersten Erklärung des Schönen ist die Uninteressiertheitsthese (UT). Kant bestimmt aber nicht nur noch einmal die Lust am Schönen als uninteressiert, sondern formuliert erstens eine Definition des Geschmacks sowie zweitens des schönen Gegenstandes. Darüber hinaus findet sich drittens auch eine Andeutung zum Hässlichen. Ich werde im Folgenden auf alle drei Punkte kurz eingehen.

E1.1 Eine (zweite) Definition des Geschmacks Die Erste Erklärung des Schönen lautet wie folgt: E1.1 »GESCHMACK ist das Beurtheilungsvermögen eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen, oder Misfallen, o h n e a l l e s I n t e r e s s e . E1.2 Der Gegenstand eines solchen Wohlgefallens heißt S c h ö n « (211,2).

In E1.1 nimmt Kant eine Bestimmung des Geschmacks vor und in E1.2 eine Bestimmung des Schönen (bzw. des schönen Gegenstandes). Wenden wir uns zunächst dem Geschmack zu. Es fällt auf, dass Kant nur in der ersten der vier Erklärungen des Schönen eine Definition des Geschmacks vornimmt. Überhaupt behandelt Kant in der gesamten Analytik nur an zwei Stellen explizit den ›Geschmack‹ – nämlich in der Ersten Erklärung sowie in einer der gesamten Analytik vorangestellten Fußnote. Dieser Befund ist insofern verwunderlich, als wir uns doch in der »Critik des G e s c h m a c k s « befinden (EEKU: 250,32). Allerdings muss berücksichtigt werden, dass der Geschmack in der gesamten Analytik implizit bestimmt wird. Denn primär wird das Prädikat »ist schön« zergliedert bzw. analysiert, und dieses PräKants Philosophie des Schönen

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dikat wird in Geschmacksurteilen angewendet. Der Geschmack ist aber in gewisser Hinsicht nichts anderes als das Vermögen, Geschmacksurteile zu fällen. In diesem Sinne kann Kant in der Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik schreiben: »Wenn man das Resultat aus den obigen Zergliederungen zieht, so findet sich, daß alles auf den Begrif des Geschmacks herauslaufe« (240,21, m. H.). Wie aber bestimmt Kant den Geschmack? Zunächst möchte ich noch nicht berücksichtigen, dass Kant diesen als ›Beurtheilungsvermögen…durch ein Wohlgefallen, oder Misfallen‹ bezeichnet. Ich werde auf den Begriff des Missfallens und die Möglichkeit von Urteilen über das Hässliche zurückkommen. Wir können daher zunächst verkürzt schreiben: E1.1* Geschmack ist das Beurteilungsvermögen eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen ohne alles Interesse.

Wir können verschiedene Komponenten dieser Definition unterscheiden. Erstens wird der Geschmack als Beurteilungsvermögen bestimmt; zweitens wird das, was beurteilt wird, mit einem Gegenstand oder einer Vorstellungsart identifiziert; drittens beurteilt der Geschmack durch ein Wohlgefallen; und viertens wird dieses Wohlgefallen als ›Wohlgefallen ohne alles Interesse‹ charakterisiert. Betrachten wir diese Komponenten etwas genauer. Zum ›Beurteilungsvermögen‹ : Bereits in der dem Ersten Moment vorangestellten Fußnote hat Kant den Geschmack als »Vermögen der Beurtheilung des Schönen« bezeichnet (203 Fn.). Wir haben gesehen, dass der Geschmack in doppelter Hinsicht als ›Beurtheilungsvermögen‹ verstanden werden kann: 1 Erstens ist er das Vermögen, Urteile der Form »x ist schön« zu fällen. Zweitens liegt einem solchen Urteil eine Lust zugrunde, welche das gefühlte Spiel der Erkenntniskräfte ist. Das Spiel der Erkenntniskräfte ist aber nichts anderes als eine Beurteilungsaktivität. 2 Wir hatten daher die folgende Definition des Geschmacks aufgestellt:

Siehe Kap. 1.1. Vgl. § 9.F.1, 218,8. Siehe die Ausführungen zum Subsumtionsmodell in Kap. G2.2.2.

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GR3 Der Geschmack ist das Vermögen, Vorstellungen im freien Spiel der Erkenntniskräfte zu beurteilen (Beurteilungsaktivität) und darauf aufbauend ein Urteil der Form »x ist schön« zu fällen.

Da es in E1.1 heißt, der Geschmack sei ›ein Beurtheilungsvermögen…durch ein Wohlgefallen‹, was nahelegt, dass der Geschmack durch Wohlgefallen urteilt, scheint mir in E1.1 primär der Geschmack als Vermögen, Urteile der Form »x ist schön« zu fällen, angesprochen. Denn insofern im Urteil »x ist schön« eine Lust prädiziert wird, wird hier durch Wohlgefallen bzw. Lust geurteilt. Hingegen geht die Beurteilungsaktivität des freien Spiels der Lust vorher und macht sie allererst möglich. Ferner hatte ich bei der Untersuchung der ersten Definition des Geschmacks ausgeführt, dass der Geschmack einerseits als Vermögen der Lust (und Unlust) sowie andererseits als das Vermögen der ästhetischen Urteilskraft verstanden werden kann und in diesem Sinne sowohl einen sinnlichen als auch einen intellektuellen Anteil aufweist. In E1.1 sind beide Komponenten implizit angesprochen; denn einerseits wird der Geschmack als ›Beurtheilungsvermögen‹ bestimmt, was auf die ästhetische Urteilskraft hindeutet, und andererseits wird er als ›Beurtheilungsvermögen…durch ein Wohlgefallen‹ bestimmt, was auf das Vermögen der Lust (und Unlust) hindeutet. Zum ›Gegenstand‹ und zur ›Vorstellungsart‹ : Dasjenige, was durch den Geschmack beurteilt wird, ist ›ein[.] Gegenstand[.] oder eine[.] Vorstellungsart‹. Zum schönen Gegenstand selbst hat Kants Leserschaft im Ersten Moment eigentlich noch nichts erfahren; die Argumentation befindet sich noch ganz im Bereich des urteilenden Subjekts. Erst im Dritten Moment wird sich Kant mit der Formthese dem schönen Gegenstand zuwenden. 3 Interessant ist an dieser Stelle, dass Kant nicht bloß vom Gegenstand sondern von einem Gegenstand ›oder einer Vorstellungsart‹ spricht. 4 Folgt man der Stufenleiter der KrV, in der bekanntermaßen verschiedene Vorstellungsarten differenziert werden, so können etwa Empfindungen, Anschauungen oder Begriffe als Vorstellungsarten gelten. 5 Bezüglich des Schönen wird Kant später ausführen, dass eine Anschauung beurteilt oder vielmehr Zur Formthese siehe Kap. 13.5. Siehe auch die Ausführungen zum schönen Objekt in Grundlagen 6. 4 Kant verwendet noch an anderen Stellen in Bezug auf das Schöne den Begriff der Vorstellungsart (vgl. etwa § 9.E.1, 217,35; § 11.T, 221,2; § 14.A.2, 223,29; 306,3). 5 Vgl. A320/B376 f. 3

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verarbeitet wird, insofern man darunter das zur Form aufgefasste Mannigfaltige versteht (Formthese). Im Kontext des Ersten Moments ist aber nur klar, dass das Schöne weder unmittelbar auf die Empfindung rekurrieren kann – denn dann wäre es das Angenehme –, noch auf einen Begriff – denn dann wäre es das Gute. Zum ›Wohlgefallen‹: Dass wir beim Schönen den Gegenstand bzw. die Vorstellung durch ein Gefühl des Wohlgefallens beurteilen, wird von Kant bereits in § 1 mittels der These, das Geschmacksurteil sei ein ästhetisches Urteil, eingeführt. Dass ein Geschmacksurteil ein ästhetisches Urteil ist, bedeutet zweierlei: Erstens schreiben wir in einem Geschmacksurteil dem logischen Subjekt des Urteils ein quasiPrädikat der Lust zu; zweitens (und damit verbunden) hat das Urteil einen subjektiven Bestimmungsgrund, d. h. es kann nur durch Rekurs auf die (gefühlte) Lust gerechtfertigt werden. Wir urteilen in diesem Sinne ›durch ein Wohlgefallen‹, indem das Wohlgefallen selbst als quasi-Prädikat des Urteils dient und das Urteil nur mit Rekurs auf die wirklich gefühlte Lust gerechtfertigt werden kann. Zur Interesselosigkeit: Das Theoriestück der Uninteressiertheit der Lust am Schönen hat Kant in §§ 2–5 entfaltet. Tatsächlich ist die von mir als Uninteressiertheitsthese bezeichnete These das zentrale Theoriestück des Ersten Moments. Dabei muss noch einmal betont werden, dass sich Kants Leserschaft im Kontext der Ersten Erklärung des Schönen die vollständige Bedeutung von UT noch nicht erschließen kann. Dass die Lust am Schönen nicht an der Empfindung gefühlt wird, sondern an einer Vermögensaktivität, die kein Begehren bzw. Wollen ist, kann die Leserin bzw. der Leser erst in § 9 nachvollziehen. Dass die Lust darüber hinaus auf die Form des Gegenstandes rekurriert, d. h. auf eine Konstruktionsleistung des Subjekts, und dass in der Beurteilung der Form eine Zweckmäßigkeit ohne jeglichen Zweck, der den Willen bestimmen könnte, statthat, erfährt der Leser erst im Dritten Moment. In diesem Sinne muss in der Ersten Erklärung immer noch die phänomenologische Bedeutung von UT den Vorrang haben. Insgesamt führt Kant in der Definition des Geschmacks in E1.1 die zwei Hauptthesen des Ersten Moments zusammen. Die Formulierung ›Beurtheilungsvermögen…durch ein Wohlgefallen…ohne alles Interesse‹ führt zusammen, dass wir beim Schönen durch Lust urteilen, d. h. dass das Urteil ein ästhetisches Urteil ist (§ 1), und dass diese Lust uninteressiert ist (§§ 2–5). Dadurch wird auch bestätigt, dass § 1 330

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nicht bloß eine Vorüberlegung ist, sondern einen Teil der Theorie des Ersten Moments ausmacht.

E1.2 Der Begriff des Schönen Wenden wir uns nun der Bestimmung des Schönen in E1.2 zu: E1.2 Der Gegenstand eines solchen Wohlgefallens heißt S c h ö n .

Die Formulierung ›eines solchen Wohlgefallens‹ bezieht sich offenkundig auf das ›Wohlgefallen…ohne alles Interesse‹. Wir können also schreiben: E1.2* Der Gegenstand eines Wohlgefallens ohne alles Interesse heißt »schön«.

Diese Proposition lässt sich erstens als eine Bestimmung des Begriffs »schön«, zweitens aber (in gewisser Hinsicht) auch als eine Bestimmung des schönen Gegenstandes begreifen. Erstens bedeutet der Begriff »schön« bzw. das Prädikat »ist schön« nichts anderes, als dass das urteilende Subjekt eine uninteressierte Lust fühlt. Zweitens ist ein schöner Gegenstand ein solcher, bei dem bzw. bei dessen Betrachtung wir eine uninteressierte Lust fühlen. Durch diese Bestimmung des schönen Gegenstandes wird freilich keine direkte Eigenschaft des Gegenstandes (wie etwa Symmetrie) benannt, sondern vielmehr bloß eine Beziehung des Gegenstandes auf das Subjekt bzw. auf die uninteressierte Lust. Dabei bleibt aber (noch) unbestimmt, was am Gegenstand ausschlaggebend für diese Beziehung ist. In E1.2 wird noch einmal der Status des Prädikats »ist schön« als Ausdruck einer Lust deutlich. Ich habe »ist schön« aufgrund dieses besonderen Status als quasi-Prädikat bezeichnet. Das Geschmacksurteil »x ist schön« lässt sich im Sinne von E1.2 mit »x ist mit uninteressierter Lust verbunden« übersetzen. Dabei wird die Zwitterstellung des Geschmacksurteils als Urteil erstens über den schönen Gegenstand und zweitens über das urteilende Subjekt deutlich. Wir werden in Kürze sehen, dass das Geschmacksurteil ein doppeltes logisches Subjekt besitzt, nämlich erstens den schönen Gegenstand als offizielles logisches Subjekt und zweitens das urteilende Subjekt als verdecktes logisches Subjekt. Das Urteil »x ist schön« lässt sich daher auch übersetzen mit »Ich fühle beim Betrachten von x uninteressierte Lust«. 6 6

Wir werden im Zweiten Moment des Schönen sehen, dass die korrekte Übersetzung

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Betrachten wir abschließend E1.1 und E1.2 noch einmal kurz zusammen: E1.1* Geschmack ist das Beurteilungsvermögen eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen ohne alles Interesse. E1.2* Der Gegenstand eines Wohlgefallens ohne alles Interesse heißt »schön«.

Führt man E1.1 und E1.2 zusammen, so kann man festhalten: »Geschmack ist das Beurteilungsvermögen des Schönen.« Genau so hatte Kant aber den Geschmack in der Fußnote zu Beginn der Analytik eingeführt: »Die Definition des Geschmacks, welche hier zum Grunde gelegt wird, ist: daß er das Vermögen der Beurtheilung des Schönen sey« (203 Fn.). Daraus wird ersichtlich, dass Kant in E1.1 und E1.2 diese erste Definition nur erweitert bzw. präzisiert.

E1.3 Das Missfallen ohne alles Interesse und das Hässliche Abschließend möchte ich mich noch dem Begriff des Missfallens zuwenden. Rufen wir uns dazu noch einmal die ursprüngliche Formulierung von E1.1 vor Augen: E1.1 GESCHMACK ist das Beurtheilungsvermögen eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen, oder Misfallen, o h n e a l l e s I n t e r e s s e .

Mit dem Begriff des Missfallens deutet Kant an, dass es negative Geschmacksurteile geben könnte. Es scheint naheliegend, dass ein solches negatives Geschmacksurteil das Urteil »x ist hässlich« wäre. In E1.1 würde Kant dann ausführen, dass im Urteil »x ist hässlich« ein ›Misfallen ohne alles Interesse‹ prädiziert würde. 7 Wie aber lässt sich der Begriff eines Missfallens ohne Interesse bzw. eines uninteressierten Missfallens verstehen? Ist dieser Begriff überhaupt konsistent? Das offenkundige Problem des Begriffs eines uninteressierten Missfallens besteht darin, dass ein Missfallen trivialerweise immer uninteressiert bzw. ›ohne alles Interesse ist‹. Denn »Interesse« ist als des Geschmacksurteils eigentlich nicht »Ich fühle beim Betrachten von x uninteressierte Lust« ist, sondern »Alle Menschen fühlen beim Betrachten von x uninteressierte Lust, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind«. Siehe hierzu Kap. 6.1.3. 7 Für eine ausführliche Untersuchung des Hässlichen siehe Grundlagen 7.

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ein »Wohlgefallen« definiert (§ 2.A.1, 204,22). Vor diesem Hintergrund kann ein Interesse gar nicht in einem Missfallen bestehen. Ferner liegt beim Interesse immer ein Bezug zum Begehren (Begehrensbedingung) vor, wobei dies bedeutet, dass wir den Gegenstand der Lust hervorbringen wollen. Dieses Hervorbringen korrespondiert dem Erhaltungsmoment, welches die Lust bzw. das Wohlgefallen charakterisiert. 8 Die Unlust ist dagegen durch ein Moment des Abhaltens oder Wegschaffens charakterisiert: »wogegen Unlust diejenige Vorstellung ist, die den Zustand der Vorstellungen zu ihrem eigenen Gegentheile zu bestimmen (sie abzuhalten oder wegzuschaffen) den Grund enthält« (§ 10.A.4, 220,12, m. H.). In diesem Sinne aber begehren wir einen Gegenstand der Unlust gerade nicht und die Begehrensbedingung des Interesses kann nicht erfüllt sein. Aber es gibt vielleicht eine andere Möglichkeit, den Begriff einer uninteressierten Unlust konsistent zu denken. So könnte man in Analogie zur Konzeption der praktischen Lust aus der MdS annehmen, dass es ein praktisches Missfallen gebe. Die praktische Lust ist definiert als »Lust, welche mit dem Begehren (des Gegenstandes, dessen Vorstellung das Gefühl so affiziert) notwendig verbunden ist« (MdS: 212). Analog dazu wäre eine praktische Unlust dadurch definiert, dass sie notwendig mit einem Begehren verbunden ist; im Unterschied zur praktischen Lust würde aber nicht der Gegenstand bzw. das Hervorbringen des Gegenstandes begehrt, sondern das Wegschaffen des Gegenstandes. Da auch das Begehren des Wegschaffens des Gegenstandes als eine Beziehung auf das Begehrungsvermögen und als praktische Implikation verstanden werden muss, so scheint die Konzeption einer praktischen Unlust konsistent zu sein. In diesem Sinne ließe sich eine interessierte Unlust im Sinne einer praktischen Unlust denken, wobei der Begriff des Interesses hier uneigentlich gebraucht würde. Im Kontrast dazu würden wir dann bei einer uninteressierten Unlust das Wegschaffen des Gegenstandes trotz der empfundenen Unlust nicht begehren. Aber auch eine solche Konzeption der uninteressierten Unlust ist problematisch. Wie wir gesehen haben, ist die Lust durch ein Erhaltungsmoment und die Unlust durch ein Moment des WegschafVgl.: »Das Bewußtseyn der Causalität einer Vorstellung in Absicht auf den Zustand des Subjects, es in demselben z u e r h a l t e n , kann hier im Allgemeinen das bezeichnen, was man Lust nennt« (§ 10.A.4, 220,9). Siehe insbesondere auch die Ausführungen zu den Begriffsbestimmungen von »Lust« in Kap. 2.1.

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fens definiert. Bezüglich einer nicht-praktischen, uninteressierten Lust oder Unlust ist dann jeweils die Frage, wie dieses Moment ohne praktische Implikationen erfüllt werden kann. Bei der uninteressierten Lust hatte ich ausgeführt, dass das Erhaltungsmoment insofern gegeben ist, als wir beim schönen Gegenstand verweilen. Die Begehrensbedingung wird durch die Verweilensbedingung ersetzt. Bei einer Unlust aber scheint das Moment des Wegschaffens nur durch praktische Implikationen erfüllbar zu sein und es scheint daher kein Analogon zur Verweilensbedingung zu geben. Es wäre zwar denkbar, dass man bei einem Gegenstand der Unlust verweilt und seine Präsenz erleidet, aber durch dieses Erleiden würde das Moment des Wegschaffens gerade nicht erfüllt. Die Konzeption einer uninteressierten Unlust scheint also nicht mit der Begriffsbestimmung der Unlust in § 10 vereinbar. Nun könnte man einen Fehler in der Begriffsbestimmung der Unlust in § 10 vermuten und Kant unterstellen, dass diese zu eng sei; aber schon rein systematisch ist es durchaus plausibel, dass die Unlust immer das Moment des Wegschaffenwollens und somit praktische Implikationen aufweist. Damit ist freilich nicht gemeint, dass wir den Gegenstand der Unlust immer wirklich wegschaffen, sondern nur, dass wir die Unlust, weil sie sich (in phänomenaler Hinsicht) negativ anfühlt, beenden wollen, weshalb wir es jeweils begehren, den Gegenstand der Unlust wegzuschaffen. Schaffen wir den Gegenstand nicht wirklich weg und erleiden seine Präsenz, so ist es wohl nicht der Fall, dass wir nicht begehren, ihn wegzuschaffen; vielmehr stehen dem aktiven Wegschaffen des Gegenstandes andere Gründe entgegen, sodass das Begehren des Wegschaffens nicht handlungswirksam wird. Ein klassisches Beispiel wäre hier der Patient, der eine schmerzvolle Behandlung erleidet. Dass er diese Behandlung erleidet, bedeutet nicht, dass er es nicht begehrt, diese Behandlung und die damit verbundenen Schmerzen zu beenden; aber er weiß, dass nur diese Behandlung ihm Heilung verspricht, weshalb er sie erleidet. Insgesamt spricht vieles dafür, dass es keine uninteressierte Unlust im Sinne einer nicht-praktischen Unlust geben kann. Worauf könnte Kant sich aber dann mit der Formulierung ›Misfallen ohne alles Interesse‹ beziehen? Eine Unlust ohne Interesse scheint dann ein sinnvoller Begriff zu sein, wenn nicht die Unlust selbst uninteressiert ist, sondern wenn die Unlust mit einer uninteressierten Lust verbunden ist. Die Formulierung ›ohne Interesse‹ würde sich dann primär auf die mit der Unlust verbundene Lust beziehen, während die Unlust nur indirekt ohne Interesse wäre. Damit wäre sowohl das 334

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Problem gelöst, dass die Unlust per definitionem eigentlich nicht als Interesse gelten kann, als auch dass sie immer praktische Implikationen aufweisen muss. Man müsste demnach E1.1 folgendermaßen rekonstruieren: E1.1R1 Geschmack ist das Beurteilungsvermögen eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen ohne alles Interesse oder durch ein Doppelgefühl des Missfallens und Wohlgefallens ohne alles Interesse.

Was aber würde dies für das Hässliche bedeuten? Die Vermutung, dass es kein uninteressiertes Missfallen im eigentlichen Sinne geben kann, sondern nur ein Doppelgefühl aus Unlust und uninteressierter Lust, legt nahe, dass das Hässliche Gegenstand eines solchen Doppelgefühls ist. Tatsächlich wird im weiteren Verlauf der Kritik der ästhetischen Urteilskraft dasjenige Doppelgefühl, welches aus einer Unlust und einer uninteressierten Lust besteht, als das Gefühl am Erhabenen identifiziert. So heißt es etwa zur Uninteressiertheit beim Erhabenen: »Denn als Urtheil der ästhetischen reflectirenden Urtheilskraft, muß das Wohlgefallen am Erhabenen eben sowohl, als am Schönen, […] der Q u a l i t ä t nach ohne I n t e r e s s e « sein (247,7). Es ist daher plausibel, dass Kant in E1.1 mit seiner Formulierung ›Misfallen ohne alles Interesse‹ auf das Erhabene hindeutet. Dies hängt insgesamt damit zusammen, dass Kants Theorie, so scheint mir, eigentlich keinen Raum für das Hässliche lässt, obwohl sie einen solchen Raum gewährleisten müsste. Dabei bildet allerdings das Erhabene in vielerlei Hinsicht ein Analogon zum Hässlichen. 9 Allerdings müssen wir an dieser Stelle einräumen, dass meine Interpretation des Missfallens in E1.1 insofern problematisch ist, als Kant das Erhabene nicht dem Geschmack zuordnet, sondern dem Geistesgefühl. 10 In E1.1 wird aber der Geschmack definiert und diesem wird auch das Missfallen zugeordnet. Darauf lässt sich erwidern, dass bereits der Begriff des Missfallens – unabhängig davon, ob man ihn als Siehe Grundlagen 7. Vgl.: »und dadurch geschieht es: daß das ästhetische Urtheil, nicht bloß als Geschmacksurtheil, auf das Schöne, sondern auch, als einem Geistesgefühl entsprungenes, auf das E r h a b e n e bezogen« wird (192,8); »Diesem gemäß enthält die Critik der ästhetischen Urtheilskraft erstlich die Critik des G e s c h m a c k s (Beurtheilungsvermögen des Schönen) zweitens die Critik des G e i s t e s g e f ü h l s , denn so nenne ich vorläufig das Vermögen an Gegenständen eine Erhabenheit vorzustellen« (EEKU: 250,31); »das E r h a b e n e gehört zwar auch zur ästhetischen Beurteilung, aber nicht für den Geschmack« (Anth: 241). Vgl. ferner EEKU: 251,24.

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Verweis auf ein mögliches eigenständiges Hässliches oder auf das Erhabene wertet – eigentlich nicht zum Begriff des Geschmacks passt; denn der Geschmack wird von Kant mehrfach als das »Vermögen der Beurtheilung des Schönen« definiert (203 Fn.). 11 In diesem Sinne muss der Begriff des Missfallens in E1.1 immer wie eine Art Fremdkörper erscheinen. Es scheint dann auch nicht weiter problematisch, wenn man diesen Begriff als Verweis auf das Erhabene wertet.

E1.4 Literaturbericht Die Erste Erklärung des Schönen (E1) findet in der Sekundärliteratur kaum Beachtung. Keine Erwähnung findet sie etwa bei Allison (2001), Crawford (1974), Crowther (2010) und Fricke (1990). Nur kurz erwähnt wird sie bei Kulenkampff (1994, 76), Matthews (1997, 29) und Guyer (1979, 167). Dabei wird jedoch nicht bemerkt, dass Kant mittels des Begriffs des Missfallens auf das Hässliche hindeutet. Brandt hingegen vermutet, dass der Leser bei E1 ergänzt: »und der Gegenstand des Mißfallens heißt nicht-schön oder häßlich« (Brandt 1998, 238). Ein ganzes Kapitel widmet Wenzel dem Hässlichen (vgl. Wenzel 2000, 83–88), wobei er E1 jedoch nur ganz kurz erwähnt.

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Vgl. EEKU: 250,31.

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II. Das Zweite Moment des Schönen: Quantität

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Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Zweiten Moments

§ 6 Allgemeinheit und Begriffslosigkeit der Lust am Schönen Nach der Uninteressiertheitsthese UT und der Freiheitsthese FT führt Kant eine dritte zentrale These in seine Theorie des Schönen ein, nämlich die Allgemeingültigkeitsthese (AT). In diesem Kontext müssen vier eng miteinander verknüpfte Thesen unterschieden werden: zum einen die eigentliche Allgemeingültigkeitsthese AT und die darin implizit beinhaltete Begriffslosigkeitsthese BT, zum anderen jeweils eine auf die Lust (ATLust und BTLust) und auf das Urteil (ATUrteil und BTUrteil) bezogene Variante dieser beiden Thesen. Die Allgemeingültigkeitsthese bezüglich der Lust am Schönen (ATLust) kann erstens als deskriptive These formuliert werden: Alle Menschen fühlen an einem Gegenstand x eine Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind und x ein schöner Gegenstand ist. Zweitens kann sie auch als präskriptive These formuliert werden: Alle Menschen sollen an einem schönen Gegenstand x eine Lust am Schönen fühlen, wenn x ein schöner Gegenstand ist. Im präskriptiven Sollen ist dabei implizit beinhaltet, dass sich die anderen Urteilenden in die ästhetische Einstellung versetzen sollen. Drittens hat ATLust auch eine phänomenologische Bedeutung: Man fühlt sich in der Lust am Schönen mit seinen Mitmenschen verbunden und fühlt ein Transzendieren seiner Privatbedingungen. Die Allgemeingültigkeitsthese bezüglich des Geschmacksurteils (ATUrteil) ist, erstens, eine These über den Inhalt des Geschmacksurteils, die besagt, dass das Geschmacksurteil ein verdecktes Urteil der Form »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind« ist. Zweitens ist ATUrteil auch eine These über die evaluative Geltung des Geschmacksurteils; sie besagt, dass das Geschmacksurteil rechtmäßige Geltung für alle Urteilenden beansprucht. ATLust und ATUrteil beinhalten jeweils eine Variante der Begriffslosigkeitsthese (BT). Bezüglich der Lust am Schönen besagt die Kants Philosophie des Schönen

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Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Zweiten Moments

Begriffslosigkeitsthese (BTLust), dass die Lust weder direkt durch einen Begriff hervorgerufen wird noch indirekt durch eine begrifflich erfasste oder erfassbare Eigenschaft eines Objekts. Bezüglich des Geschmacksurteils besagt die Begriffslosigkeitsthese (BTUrteil), dass das Prädikat »ist schön« keine Eigenschaft des Objekts oder des urteilenden Subjekts begrifflich erfasst und dass das Geschmacksurteil nicht aus einer begrifflichen, objektiven Geschmacksregel abgeleitet werden kann. Das Zusammenspiel von AT und BT bildet ein Paradox, das gewissermaßen die Agenda für alle weiteren Untersuchungen Kants in der Analytik des Schönen vorgibt: Wie sollen eine Lust und ein Urteil möglich sein, die einerseits allgemeingültig sind und andererseits nicht auf Begriffen (vom Objekt) beruhen?

§ 7 Die (subjektive) Quantität des Angenehmen, Schönen und Guten Mittels der Allgemeingültigkeitsthese (AT) und der Begriffslosigkeitsthese (BT) kann das Schöne eindeutig vom Angenehmen und Guten abgegrenzt werden. Dabei vollzieht sich die Abgrenzung vom Angenehmen mittels AT, da die Lust und das Urteil über das Angenehme bloß privatgültig sind, und die Abgrenzung vom Guten vollzieht sich mittels BT, da die Lust und das Urteil über das Gute begrifflich bzw. begrifflich erwirkt sind. Die Lust am Angenehmen ist bloß privatgültig. Dies bedeutet deskriptiv, dass ich (und nicht alle) an einem Gegenstand x eine Lust am Angenehmen fühle; in präskriptiver Hinsicht ist mit der Lust am Angenehmen kein rechtmäßiger allgemeiner Sollensanspruch verbunden. Die Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen schlägt sich insofern im phänomenalen Gehalt der Lust nieder, als man sich in dieser Lust als Individuum mit spezifischen Neigungen und Privatbedingungen erlebt. Da das Urteil über das Angenehme auf der privatgültigen Lust am Angenehmen beruht, kann es ebenfalls nur Privatgültigkeit beanspruchen. Dies bedeutet, dass das Urteil immer die (verdeckte) Form »Ich fühle beim Wahrnehmen von x Lust am Angenehmen« hat. Zudem kann das Urteil keine rechtmäßige Geltung für alle Urteilenden beanspruchen, und man kann von anderen nicht (rechtmäßig) fordern, dem Urteil zuzustimmen. Urteile über das Angenehme sind wesentlich Urteile der Form 340

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»Ich fühle beim Wahrnehmen von x Lust am Angenehmen«. Zwar sind auch Urteile der Form »Allen bzw. den meisten Menschen ist x angenehm« denkbar. Aber bei dieser Allgemeinheit handelt es sich nur um eine komparative Allgemeinheit, die durch Induktion gewonnen wird und Ausnahmen zulässt. Zudem ist das entsprechende Urteil kein ästhetisches, sondern ein logisches Urteil. Dagegen haben Urteile über das Schöne wesentlich die Form »Alle Urteilenden fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind«. Diese Allgemeinheit ist eine strenge Allgemeinheit, die auf einem Prinzip a priori (oder etwas dazu Analogem) beruht. Urteile über das Gute beanspruchen zwar wie Geschmacksurteile Geltung für alle Urteilenden; sie sind aber keine ästhetischen Urteile, sondern Erkenntnisurteile. Auch die Lust am Guten ist allgemeingültig; anders als die Lust am Schönen ist sie jedoch begrifflich erwirkt.

§ 8 Vier Arten von Allgemeinheit und die Idee einer allgemeinen Stimme Kant differenziert zwischen verschiedenen Arten von Allgemeinheit bzw. Allgemeingültigkeit. Erstens unterscheidet er zwischen objektiver und subjektiver Allgemeinheit. Dabei betrifft die objektive Allgemeinheit den Umfang des logischen Subjekts, d. h. der zu beurteilenden Objekte, und bezeichnet eine inhaltliche Allgemeinheit der Form »Alle S sind P«. Hingegen betrifft die subjektive Allgemeinheit die Sphäre der urteilenden Subjekte und bezeichnet die Geltung des Urteils für alle Urteilenden. Zweitens unterscheidet Kant zwischen logischer und ästhetischer Allgemeinheit. Der Begriff »logische Allgemeinheit« steht für die Geltung eines logischen Urteils, beruht auf Begriffen vom Objekt und beinhaltet sowohl eine objektive als auch eine subjektive Allgemeinheit. Der Begriff »ästhetische Allgemeinheit« steht für die Geltung eines ästhetischen Urteils, kann daher nicht auf Begriffen vom Objekt beruhen und beinhaltet nur eine subjektive Allgemeinheit. Logische Urteile verfügen immer über subjektive Allgemeinheit; denn sie setzen das (durch Kategorien konstituierte) Objekt als allgemeinen Bezugspunkt voraus. Sie sind aber auch immer mindestens potenziell objektiv allgemeingültig; denn in ihnen wird eine Eigenschaft des Objekts begrifflich erfasst. Ästhetische Urteile hingegen können nur subjektive Allgemeinheit beanspruchen – Kants Philosophie des Schönen

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und dies ist bei Geschmacksurteilen in der Tat der Fall. Diese subjektive Allgemeinheit beruht aber nicht auf dem Objekt als allgemeinen Bezugspunkt. Ästhetische Urteile können nie auch nur potenziell über objektive Allgemeinheit verfügen; denn in ihnen wird gar keine Eigenschaft des Objekts begrifflich erfasst. Hinsichtlich ihrer objektiven Quantität sind Geschmacksurteile daher immer einzelne Urteile der Form »Ein x ist schön«. Urteile über das Angenehme sind ebenfalls einzelne Urteile der Form »Ein x ist angenehm«; sie verfügen aber nur über subjektive Privatgültigkeit. Urteile über das Gute sind wie Geschmacksurteile subjektiv allgemeingültig. Anders als Geschmacksurteile sind sie jedoch auch objektiv allgemeine Urteile der Form »Alle x sind gut«. Als eine erste, vorläufige Antwort auf die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit des Geschmacksurteils, d. h. eines Urteils, das begriffslos ist (BTUrteil) und dennoch Allgemeingültigkeit beansprucht (ATUrteil), führt Kant seine Konzeption einer allgemeinen Stimme ein. Bei der »allgemeinen Stimme« handelt es sich jedoch noch um einen recht unbestimmten Begriff, der gewissermaßen bloß Platzhalterfunktionen für den später eingeführten Gemeinsinn übernimmt. Durch die allgemeine Stimme deutet Kant aber bereits an, dass die begriffslose Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils auf ein allgemeines Vermögen zurückzuführen ist.

§ 9 Das freie und harmonische Spiel der Erkenntniskräfte Kant dringt schließlich zu den Grundlagen der Lust am Schönen vor und liefert dabei den ersten Teil einer Lösung des Paradoxes von Allgemeingültigkeit und Begriffslosigkeit. Mit dem Theoriebaustein des freien und harmonischen Spiels der Erkenntniskräfte legt er nämlich dar, dass es einen Gemütszustand gibt, den wir als Lust erleben und der zugleich über eine nicht-begriffliche Allgemeingültigkeit verfügt. Das freie und harmonische Spiel der Erkenntniskräfte konstituiert sich durch eine gemeinsame Aktivität von Einbildungskraft und Verstand, die durch die beiden Aspekte der Harmonie und des freien Spiels gekennzeichnet ist. Der Aspekt der Harmonie erklärt, warum der Gemütszustand des freien und harmonischen Spiels allgemeingültig ist. »Harmonie« bedeutet hier, dass Einbildungskraft und Verstand zu einer Erkenntnis überhaupt zusammenstimmen. Dies lässt sich vorläufig so ver342

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stehen, dass der Gemütszustand durch dasjenige Verhältnis ausgezeichnet ist, welches auch für jede Erkenntnis notwendig ist. Die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt ist die subjektive Bedingung zur Erkenntnis, d. h. sie muss in einem Subjekt notwendig gegeben sein, damit das Subjekt eine Erkenntnis gewinnen kann. Da nun eine Erkenntnis nur dann allgemeingültig sein kann, wenn ihre Bedingungen allgemeingültig sind, und wir zudem wissen, dass Erkenntnisse allgemeingültig sein müssen, so muss auch die subjektive Bedingung der Erkenntnis allgemeingültig sein. Die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt ist also allgemeingültig und bildet daher die vermögenstheoretische Grundlage dafür, dass die Lust am Schönen allgemeingültig ist. Der Aspekt des freien Spiels erklärt, warum überhaupt eine Lust vorliegt. Der Zustand des freien Spiels lässt sich als ein Zustand der inneren Belebung begreifen. Eine innere Belebung fühlt sich als Lebensgefühl, d. h. als Lust, an. Der Aspekt der Belebung bzw. des freien Spiels bildet damit die vermögenstheoretische Grundlage dafür, dass wir überhaupt eine Lust fühlen. Das freie Spiel konstituiert sich dadurch, dass die Einbildungskraft in einer andauernden Aktivität frei Formen apprehendieren kann, weil sie keinem begrifflichen Zwang des Verstandes unterliegt. Der Verstand überprüft diese Formen anhand des Prinzips a priori der Urteilskraft, d. h. er prüft, ob die apprehendierten Formen und die Aktivität des Apprehendierens von Formen durch die Einbildungskraft je zweckmäßig dafür sind, Begriffe aufzufinden. Wenn diese Überprüfung positiv ausfällt, wird die Einbildungskraft befördert, weitere Formen zu apprehendieren, die der Verstand dann erneut überprüft. In diesem Sinne kommt es zu einer gegenseitigen Belebung von Einbildungskraft und Verstand.

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§ 6 Allgemeinheit und Begriffslosigkeit der Lust am Schönen

Im Ersten Moment hat Kant erstens gezeigt, dass das Geschmacksurteil ästhetisch ist und somit einen Bestimmungsgrund der Lust hat (§ 1), sowie zweitens, dass die Qualität dieser Lust uninteressiert ist (§§ 2–5). Im Zweiten Moment bestimmt er nun die Quantität der Lust bzw. des Geschmacksurteils als allgemein bzw. allgemeingültig. Während die Uninteressiertheitsthese (UT) eine These über die Lust am Schönen ist, betrifft die Allgemeingültigkeitsthese (AT) sowohl die Lust als auch das Geschmacksurteil. Ich werde daher zwischen zwei Varianten von AT – ATLust und ATUrteil – differenzieren. Darüber hinaus ist AT implizit mit der von mir so bezeichneten Begriffslosigkeitsthese (BT) verknüpft: Die Lust am Schönen und das Geschmacksurteil sind allgemeingültig, obwohl sie nicht-begrifflich sind. Damit ist gleichsam auch das Paradox offengelegt, dessen Auflösung Kant im weiteren Verlauf der Analytik unter anderem auf das freie Spiel der Erkenntniskräfte leiten wird. Insgesamt lässt sich die folgende Gliederung von § 6 vornehmen: 1. Erste Formulierung der Allgemeingültigkeitsthese (ATLust) (§ 6.T, 211,8–9) 2. Begründung der Allgemeingültigkeitsthese (§ 6.A.1–3, 211,10– 23) [Exkurs: Ein ästhetisches Urteil unter dem Deckmantel eines logischen Urteils (§ 6.A.4, 211,23–29)] 3. Begründung der Begriffslosigkeitsthese (§ 6.A.5, 211,29–212,1) 4. Zweite Formulierung der Allgemeingültigkeitsthese (ATUrteil) (§ 6.A.6–7, 212,1–5)

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Die Allgemeingültigkeitsthese (AT)

6.1 Die Allgemeingültigkeitsthese (AT) Bereits in der Überschrift zu § 6 findet sich eine erste Formulierung von AT: § 6.T (AT1) »Das Schöne ist das, was ohne Begriffe, als Object eines a l l g e m e i n e n Wohlgefallens vorgestellt wird« (211,8).

Eine weitere Formulierung von AT findet sich dann in der Zweiten Erklärung des Schönen (E2): E2 (AT2) »S c h ö n ist das, was ohne Begrif allgemein gefällt« (219,25).

Eine dritte Formulierung von AT liefert Kant im letzten Satz von § 6: § 6.A.7 (AT3) »Folglich muß dem Geschmacksurtheile, mit dem Bewußtseyn der Absonderung in demselben von allem Interesse, ein Anspruch auf Gültigkeit für jedermann, ohne auf Objecte gestellte Allgemeinheit anhängen, d. i. es muß damit ein Anspruch auf subjective Allgemeinheit verbunden seyn« (212,1).

Da wir uns derzeit noch nicht mit der Ableitung von AT aus der Uninteressiertheitsthese (UT) beschäftigen müssen, lässt sich AT3 zunächst folgendermaßen verkürzen: AT3* Dem Geschmacksurteil muss ein Anspruch auf Gültigkeit für jedermann, ohne auf Objekte gestellte Allgemeinheit, anhängen, d. i. es muss mit dem Geschmacksurteil ein Anspruch auf subjektive Allgemeinheit verbunden sein.

Vergleicht man die verschiedenen Formulierungen (AT1–3), so wird deutlich, dass sich AT3 von den beiden anderen Formulierungen unterscheidet: Behandeln AT1 und AT2 die Allgemeinheit der Lust am Schönen, so bezieht sich AT3 auf das Geschmacksurteil. Diese Differenz lässt sich auf die bereits angedeuteten zwei Varianten von AT als These über die Lust (ATLust) und über das Geschmacksurteil (ATUrteil) zurückführen. Überhaupt changiert Kant in seinen Ausführungen in den §§ 6–8 stets zwischen der Allgemeingültigkeit der Lust und des Urteils, sodass ATLust und ATUrteil nicht immer klar voneinander zu unterscheiden sind. Tatsächlich sind beide Thesen ja auch eng miteinander verknüpft. So verfügt das Geschmacksurteil als ästhetisches Urteil über ein quasi-Prädikat und einen Bestimmungsgrund der Lust. Daher kann das Geschmacksurteil nur Allgemeingültigkeit beanspruchen, wenn die prädizierte Lust allgemeingültig

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§ 6 Allgemeinheit und Begriffslosigkeit der Lust am Schönen

ist. Dennoch ist es sinnvoll, die beiden Thesen ATLust und ATUrteil separat zu untersuchen. Beginnen wir mit ATLust.

6.1.1 Die Allgemeingültigkeitsthese der Lust am Schönen Sowohl AT1 als auch AT2 sind Formulierungen von ATLust. Zwar sind beide prima facie Bestimmungen des schönen Gegenstandes – sie besagen, dass ein schöner Gegenstand ›Object eines a l l g e m e i n e n Wohlgefallens‹ ist; eigentlich wird aber jeweils die Lust am Schönen als allgemein bestimmt. Dabei werden zwei Thesen miteinander verknüpft: erstens die eigentliche Allgemeingültigkeitsthese (›allgemeines Wohlgefallen‹ ; ›allgemein gefällt‹) und zweitens die Begriffslosigkeitsthese (›ohne Begriffe‹ ; ›ohne Begrif‹). An dieser Stelle interessiert uns aber zunächst nur ATLust. Diese These lautet vereinfacht: ATLust Die Lust am Schönen ist eine allgemeine Lust.

Man fragt sich freilich, was diese These denn genau bedeutet. Eine naheliegende Vermutung wäre, dass alle Menschen an einem bestimmten Gegenstand x eine Lust am Schönen empfinden – und zwar nicht nur manchmal, sondern immer, wenn sie diesen Gegenstand wahrnehmen. Wir müssten dann ATLust folgendermaßen rekonstruieren: ATLustR1a Alle Menschen fühlen an einem schönen Gegenstand x immer eine Lust am Schönen.

Da die Formulierung ›alle Menschen‹ eigentlich impliziert, dass die Menschen an x ›immer‹ eine Lust fühlen, ist der Begriff »immer« pleonastisch verwendet und kann daher weggelassen werden. Gegen die vorgeschlagene Rekonstruktion sprechen aber unsere Erfahrungen mit dem Schönen. Es ist einfach nicht wahr, dass alle Menschen an einem Gegenstand x wirklich eine Lust am Schönen fühlen. Auch Kant ist sich dieses Umstandes bewusst, wenn er schreibt: »Viel weniger kann sie [die Notwendigkeit des Geschmacksurteils] aus der Allgemeinheit der Erfahrung (von einer durchgängigen Einhelligkeit der Urtheile über die Schönheit eines gewissen Gegenstandes) geschlossen werden. Denn nicht allein, daß die Erfahrung hiezu schwerlich hinreichend viele Beläge schaffen würde, […]« (§ 18.A.7–8, 237,13). 1 1

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Für eine Analyse dieser Passage siehe Kap. 18.3.3. – Vgl. auch: »der Reflexions-

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Die Allgemeingültigkeitsthese (AT)

Kant ist sich also sehr wohl bewusst, dass oft Uneinigkeit darüber herrscht, ob ein Gegenstand schön ist oder nicht. Würde AT aber im Sinne von ATLustR1a besagen, dass alle Menschen an einem schönen Gegenstand wirklich immer eine Lust am Schönen empfinden, so müsste sich dies in der Erfahrung niederschlagen. ATLust muss demnach eine andere Bedeutung haben. Nun kann ATLust aber auch nicht für die bloße Möglichkeit stehen, dass andere Menschen an einem schönen Gegenstand x eine Lust am Schönen empfinden; denn dies wäre freilich keine Allgemeinheit und daher zu wenig. Ich möchte daher vorschlagen, ATLust mit Rückgriff auf die ästhetische Einstellung zu rekonstruieren. Meine These ist, dass nach ATLust alle Menschen an einem schönen Gegenstand x wirklich immer eine Lust am Schönen fühlen, vorausgesetzt, sie sind in ästhetischer Einstellung: ATLustR1b Alle Menschen fühlen an einem Gegenstand x eine Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind und x ein schöner Gegenstand ist. 2

Ich habe bei meinen Untersuchungen von UT im Rahmen von § 2 bereits ausgeführt, dass sich die ästhetische Einstellung zum Teil durch Uninteressiertheit konstituiert. 3 Ich werde zudem später zeigen, dass die ästhetische Einstellung daneben noch durch eine Bereitschaft zur Reflexion gekennzeichnet ist. 4 Die ästhetische Einstellung besteht daher aus den beiden folgenden Elementen: ii. Uninteressiertheit: Das Subjekt verspürt kein Interesse bzw. Begehren für den schönen Gegenstand oder für einen anderen Gegenstand. iii. Bereitschaft zur Reflexion: Das Subjekt befindet sich in einem Zustand der Bereitschaft zur Reflexion, d. h. es erlaubt seiner Einbildungskraft, Formen zu apprehendieren, und hat die Prüfung anhand des Prinzips a priori der Urteilskraft aktiviert. Geschmack, der doch auch oft genug, mit seinem Anspruche auf die allgemeine Gültigkeit seines Urtheils (über das Schöne) für jedermann, abgewiesen wird, wie die Erfahrung lehrt« (§ 8.B.3, 214,20). 2 Auch Fricke bezieht bei ihrer Interpretation von ATLust die ästhetische Einstellung ein. Jedoch ist Frickes Interpretation von ATLust insofern schwächer, als sie bloß ein präskriptives Sollen und keine deskriptive Allgemeinheit annimmt: »Alle vernünftigen Menschen können und sollen in ästhetischer Einstellung zu einem schönen Gegenstand […] ein interesseloses Wohlgefallen empfinden« (Fricke 1990, 33, m. H.). 3 Siehe Kap. 2.3.3. 4 Siehe Kap. G3.4. Kants Philosophie des Schönen

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§ 6 Allgemeinheit und Begriffslosigkeit der Lust am Schönen

Vor dem Hintergrund dieser beiden Elemente der ästhetischen Einstellung lässt sich ATLust folgendermaßen präzisieren: ATLustR2 Alle Menschen fühlen an einem Gegenstand x eine Lust am Schönen, wenn sie im Zustand der Uninteressiertheit und in Bereitschaft zur Reflexion sind und wenn x ein schöner Gegenstand ist.

Die ästhetische Einstellung ist keine notwendige Bedingung dafür, dass eine Person an einem schönen Gegenstand eine Lust am Schönen fühlt. So ist es möglich, dass eine Person ein Interesse am Gegenstand fühlt und dennoch in einen Zustand der Lust am Schönen eintritt. Dass dies möglich ist, ist ja gewissermaßen die Pointe an unreinen Geschmacksurteilen. 5 Jedoch kann durch ein Interesse verhindert werden, dass die Person in einen Zustand der Lust am Schönen eintritt. In diesem Sinne ist die ästhetische Einstellung gemeinsam mit dem Gegeben-Sein eines schönen Gegenstandes eine hinreichende Bedingung dafür, dass eine Person in einen Zustand der Lust am Schönen eintritt. Dass ein schöner Gegenstand gegeben ist, lässt sich nach der kantischen Theorie allerdings nur durch das Fühlen der Lust am Schönen beim Wahrnehmen dieses Gegenstandes feststellen. Nun könnte man gegen diese Rekonstruktion einwenden, dass sie dem präskriptiven Charakter vieler kantischer Formulierungen von ATLust (oder auch ATUrteil) nicht gerecht wird. So spricht Kant in § 6.A.3 davon, dass der Urteilende 6 »glauben [muß] Grund zu haben, jedermann ein ähnliches Wohlgefallen zuzumuthen« (211,22, m. H.). In § 7 heißt es: »wenn er aber etwas für schön ausgiebt, so muthet er andern eben dasselbe Wohlgefallen zu« (§ 7.B.4, 212,31, m. H.). 7 Eine entscheidende Frage ist daher, ob ATLust eine präskriptive These darüber ist, dass alle Menschen an einem Gegenstand x eine Lust am Schönen fühlen sollen, oder eine deskriptive These darüber, dass alle Menschen (in ästhetischer Einstellung) an einem Gegenstand x eine Lust fühlen. Als präskriptive These würde ATLust lauten:

Siehe hierzu die Analyse von § 14 und § 16, vor allem Kap. 14.1 sowie 16.2. Ich gebrauche fortan für das urteilende Subjekt bisweilen den Begriff »Urteilender«. Diesen Terminus übernehme ich von Kant (vgl. etwa § 6.A.3, 211,17; § 8.B.3, 214,26). 7 Vgl. auch: »daß man durch das Geschmacksurtheil (über das Schöne) das Wohlgefallen an einem Gegenstande j e d e r m a n n ansinne« (§ 8.B.1, 213,35 f.). Vgl. ferner § 8.B.3, 214,20; § 8.F.4, 216,4; § 8.G.2, 216,15. 5 6

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Die Allgemeingültigkeitsthese (AT)

ATLust-p Alle Menschen sollen an einem schönen Gegenstand x eine Lust am Schönen fühlen.

Ich möchte dafür plädieren, dass sowohl ATLustR2 als auch ATLust-p korrekt sind und je einen wichtigen Aspekt von Kants Theorie des Schönen wiedergeben. Dafür spricht bereits, dass es sowohl deskriptive (etwa § 6.T und E.1) als auch präskriptive (s. o.) Formulierungen von ATLust gibt. Dennoch muss die deskriptive Variante von ATLust eine gewisse Priorität gegenüber der präskriptiven Variante beanspruchen; denn die deskriptive Allgemeinheit bildet die Grundlage für das präskriptive Sollen. Weil alle Menschen in ästhetischer Einstellung eine Lust am schönen Gegenstand x fühlen, können wir diese Lust von anderen Menschen (rechtmäßig) einfordern. Dass umgekehrt die präskriptive Variante von ATLust von Kant so häufig formuliert wird, lässt sich auf die Wichtigkeit der ästhetischen Einstellung zurückführen. Es ist eben nicht so, dass alle Menschen immer schon eine Lust am Schönen fühlen, wenn sie nur den schönen Gegenstand x wahrnehmen. Ich kann darum nicht einfach deskriptiv aussagen, dass mein Gegenüber eine Lust am Schönen fühlt. Vielmehr muss ich erst sicherstellen, dass sich mein Gegenüber in ästhetischer Einstellung befindet. Genau an dieser Stelle setzt ATLust-p an. Indem ich mein Gegenüber auffordere, in meine Lust am Schönen einzustimmen, fordere ich es auch auf, sich in eine ästhetische Einstellung zu versetzen. In diesem Sinne kann das Zumuten, Ansinnen und Fordern der Lust am Schönen auch als Aufforderung dazu verstanden werden, sich in eine ästhetische Einstellung zu versetzen. Neben der deskriptiven und der präskriptiven Bedeutung gibt es noch eine weitere Bedeutung von ATLust. Wir haben bereits gesehen, dass sich AT auch phänomenologisch verstehen lässt, d. h. als These darüber, wie sich die Lust am Schönen anfühlt. 8 Eine Beschreibung dieser phänomenalen Komponente der Lust findet sich in folgendem Zitat: »die objective Nothwendigkeit des Zusammenfließens des Gefühls von jedermann mit jedes seinem besondern« (§ 22.B.2, 240,9). Man fühlt sich in diesem Sinne in der Lust am Schönen mit seinen Mitmenschen verbunden und fühlt, dass man seine bloßen Privatbedingungen transzendiert. Schließlich hat ATLust auch Implikationen für den Entstehungskontext der Lust. Die Allgemeinheit der Lust impliziert, dass ihr Ent-

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Siehe Kap. G1.2.3.

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§ 6 Allgemeinheit und Begriffslosigkeit der Lust am Schönen

stehungskontext nicht durch Privatbedingungen (etwa Neigungen oder eine spezifische intellektuelle Ausstattung des Subjekts) ausgezeichnet sein kann. (Darauf beruht letztlich Kants Argumentationsstrategie in § 6.) Positiv gewendet bedeutet dies, dass die Lust am Schönen auf einer Bedingung beruhen muss, die man in allen Menschen voraussetzen kann. Diese Bedingung wird Kant in § 20 als Gemeinsinn bestimmen. Insgesamt müssen damit die folgenden Bedeutungen von ATLust unterschieden werden: i. In ihrer deskriptiven Variante bedeutet ATLust: Alle Menschen fühlen an einem Gegenstand x immer eine Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung (Zustand der Uninteressiertheit und Bereitschaft zur Reflexion) sind und x ein schöner Gegenstand ist. ii. In ihrer präskriptiven Variante bedeutet ATLust: Alle Menschen sollen an einem schönen Gegenstand x eine Lust am Schönen fühlen. Aus der Perspektive desjenigen, der die Lust fühlt, beinhaltet die präskriptive Variante von ATLust, dass er von seinem Gegenüber fordert, sich in eine ästhetische Einstellung zu versetzen. iii. Phänomenologisch bedeutet ATLust, dass man sich in der Lust am Schönen mit seinen Mitmenschen verbunden sowie ein Transzendieren seiner Privatbedingungen fühlt. iv. Bezüglich des Entstehungskontextes der Lust am Schönen impliziert ATLust, dass die Lust nicht auf bloße Privatbedingungen des Subjekts zurückzuführen ist, sondern sich durch etwas konstituiert, was man in allen Menschen voraussetzen kann.

6.1.2 Die Begriffslosigkeitsthese der Lust am Schönen Ich habe bereits angedeutet, dass § 6.T (AT1) und E.2 (AT2) neben der eigentlichen Allgemeingültigkeitsthese implizit auch die Begriffslosigkeitsthese beinhalten: AT1 Das Schöne ist das, was ohne Begriffe, als Object eines a l l g e m e i n e n Wohlgefallens vorgestellt wird. AT2 S c h ö n ist das, was ohne Begrif allgemein gefällt.

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Die Allgemeingültigkeitsthese (AT)

Wie AT ist auch BT sowohl eine These über das Geschmacksurteil (BTUrteil) als auch über die Lust (BTLust). Auch diese beiden Thesen sollen gesondert untersucht werden. Fragen wir zunächst, was es bedeuten kann, dass etwas mit Begriff gefällt. Die folgenden drei Fälle sind denkbar: (1) Die Lust wird direkt begrifflich erwirkt. Zunächst sind Fälle denkbar, bei denen die Lust unmittelbar durch einen Begriff erwirkt wird und dieser Begriff selbst der Gegenstand der Lust ist. Es wäre dann eine Lust an einem Begriff. Vermutlich fällt die Achtung bzw. die Lust am moralisch Guten in manchen Fällen in diese Kategorie, insofern sie nämlich als Lust am moralischen Gesetz (bzw. als »Achtung fürs Gesetz«; GMS: 400) begriffen wird, wobei das moralische Gesetz klarerweise ein Begriff bzw. ein begriffliches Gesetz ist. (In vielen Fällen ist es wohl aber so, dass mindestens auch die moralische Handlung oder eine moralisch handelnde Person Gegenstand der Achtung sind.) 9 (2) Die Lust ist indirekt begrifflich erwirkt. Der Gegenstand der Lust ist zwar eigentlich eine Eigenschaft des Objekts, aber die begriffliche Erfassung dieser Eigenschaft ist notwendig für die Lust. In diese Kategorie fällt die Lust am Nützlichen. Machen wir uns dies am Beispiel eines Schlüssels klar. Der Schlüssel verfügt über die Eigenschaft, ein Schloss zu öffnen. Diese Eigenschaft des (womöglich verloren geglaubten) Schlüssels ist nur mit Lust verbunden, weil ich sie auf den Zweck beziehe, das Haus aufzuschließen. (3) Die Lust wird (unmittelbar) durch eine Eigenschaft des Objekts bewirkt. Diese Eigenschaft ist begrifflich erfassbar, aber ihre begriffliche Erfassung ist weder notwendig noch hinreichend für die Lust. In diese Kategorie würden etwa Geschmacksregeln der folgenden Form fallen: »Alles, was symmetrisch ist, ist mit Lust (am Schönen) verbunden.« Der eigentliche Grund der Lust wäre die Eigenschaft eines Gegenstandes, symmetrisch zu sein, die das fühlende Subjekt wahrnimmt. Dadurch, dass sich diese Eigenschaft begrifflich erfassen ließe, würde aber (kontrafaktisch gesprochen) unabhängig vom Wahrnehmen des Gegenstandes und vom Fühlen der Lust bestimmt werden können, dass ein Gegenstand mit Lust verbunden ist. Damit würde das Fühlen der Lust Ich werde herausstellen, dass die moralische Vollkommenheit unserer Mitmenschen Gegenstand einer Lust am moralisch Guten sein kann. Siehe Kap. 16.2.

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§ 6 Allgemeinheit und Begriffslosigkeit der Lust am Schönen

für ein Urteil über die Lust obsolet sein. Das Urteil wäre dann kein ästhetisches Urteil, da die Lust nicht unbedingt als Bestimmungsgrund dienen müsste, sondern das Urteil auch mit Rekurs auf das Objekt gerechtfertigt werden könnte. Ein ästhetisches Urteil ist aber ein Urteil, »dessen Bestimmungsgrund n i c h t a n d e r s als s u b j e c t i v seyn kann« (§ 1.A.2, 203,14). 10 Kant schließt explizit aus, dass es solche Geschmacksregeln gibt. 11 Mittels der Abgrenzung von diesen drei Fällen können wir BTLust wie folgt rekonstruieren: BTLust Die Lust am Schönen (a) ist nicht direkt begrifflich erwirkt, weil sie nicht durch einen Begriff hervorgerufen wird. (b) ist nicht indirekt begrifflich erwirkt, weil sie nicht auf eine Eigenschaft des Objekts zurückgeführt werden kann, die nur mit Lust verbunden wäre, weil wir sie begrifflich erfassten. (c) beruht nicht auf einer Eigenschaft eines Objekts, die sich begrifflich erfassen lässt.

Die Kombination von ATLust und BTLust bildet ein Paradox: Die Lust am Schönen ist allgemeingültig, aber begriffslos. Eigentlich ist dieses Paradox sogar zweistufig: Auf einer ersten Stufe scheint bereits der Begriff einer allgemeingültigen Lust paradox, da ein Gefühl in gewisser Hinsicht immer persönlich und privat ist. Diese erste Stufe des Paradoxes betrifft auch die Lust am moralisch Guten. Auf einer zweiten Stufe ist dann aber insbesondere eine nicht begrifflich erwirkte und dennoch allgemeingültige Lust, d. h. die Lust am Schönen, paradox; denn woher sollte die Lust ihre Allgemeingültigkeit entlehnen, wenn nicht aus Begriffen? Kant formuliert dieses Paradox folgendermaßen: »so hat ein solches Urtheil – wie das Geschmacksurtheil in der That ist – eine zwiefache und zwar logische Eigenthümlichkeit: nämlich e r s t l i c h die Allgemeingültigkeit a priori, und

Siehe hierzu auch Kap. 1.3. Vgl.: »Es kann keine objective Geschmacksregel, welche durch Begriffe bestimmte, was schön sey, geben. Denn alles Urtheil aus dieser Quelle ist ästhetisch; d. i. das Gefühl des Subjects, und kein Begrif eines Objects, ist sein Bestimmungsgrund. Ein Princip des Geschmacks, welches das allgemeine Criterium des Schönen durch bestimmte Begriffe angäbe, zu suchen, ist eine fruchtlose Bemühung, weil, was gesucht wird, unmöglich und an sich selbst widersprechend ist« (§ 17.A.1–2, 231,27). – Siehe Kap. 17.1.1 sowie 20.1.3.

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Die Allgemeingültigkeitsthese (AT)

doch nicht eine logische Allgemeinheit nach Begriffen, sondern die Allgemeinheit eines einzelnen Urtheils« (281,14). Dieses Paradox wird uns im Fortgang des Zweiten Moments begleiten.

6.1.3 Die Allgemeingültigkeitsthese des Geschmacksurteils Wenden wir uns nun der Allgemeingültigkeitsthese bezüglich des Geschmacksurteils (ATUrteil) zu. Führen wir uns dazu noch einmal AT3 vor Augen: AT3* Dem Geschmacksurteil muss ein Anspruch auf Gültigkeit für jedermann, ohne auf Objekte gestellte Allgemeinheit anhängen, d. i. es muss mit dem Geschmacksurteil ein Anspruch auf subjektive Allgemeinheit verbunden werden.

Nun ist die hier formulierte ›Gültigkeit für jedermann‹ nichts anderes als Allgemeingültigkeit. Zwar schreibt Kant, dass dem Geschmacksurteil eine solche Allgemeingültigkeit ›anhängen muß‹ ; aber damit meint er freilich, dass das Geschmacksurteil allgemeingültig ist. Lassen wir die Differenzierung zwischen objektiver und subjektiver Allgemeinheit vorläufig außer Acht, so können wir ATUrteil folgendermaßen bestimmen: ATUrteil Das Geschmacksurteil ist allgemeingültig.

Was bedeutet ATUrteil aber? Vordringlich ist insbesondere die Frage, ob ATUrteil etwas über den Inhalt oder über die Geltung des Geschmacksurteils aussagt. Machen wir uns zunächst diesen Unterschied klar. Ein Urteil ist ein inhaltlich allgemeines Urteil, wenn es die Form »Alle S sind P« hat. Durch den Begriff der Allgemeinheit wird dabei etwas über die Extension des Subjektbegriffs ausgesagt, nämlich dass der Subjektbegriff in vollem Umfang unter den Prädikatbegriff fällt. 12 So fällt im Urteil »Alle Menschen sind sterblich« alles, was unter den Subjektbegriff »Mensch« fällt, nämlich ›alle Menschen‹, unter den Prädikatbegriff »sind sterblich«. Es ist diese inhaltliche Allgemeinheit, die Kant in der Urteilstafel unter der Vgl. hierzu: »Im a l l g e m e i n e n Urtheile wird die Sphäre eines Begriffs ganz innerhalb der Sphäre eines andern beschlossen« (Log: 102). – Wenn ich im Folgenden vom »Subjektbegriff« spreche, meine ich damit das logische Subjekt (also etwa das Subjekt S in »S ist P«). Im Kontext der Begriffslosigkeitsthese scheint es mir sinnvoll, zu betonen, dass es sich beim logischen Subjekt um einen Begriff handelt, was durch den Terminus »Subjektbegriff« ausgedrückt wird.

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§ 6 Allgemeinheit und Begriffslosigkeit der Lust am Schönen

Quantität der Allgemeinheit versteht; allgemeine Urteile der Form »Alle S sind P« sind dabei von Urteilen der Form »Ein S ist P« und »Einige S sind P« abzugrenzen. 13 Von der inhaltlichen Allgemeinheit ist die Allgemeingültigkeit im Sinne der evaluativen Geltung eines Urteils unterschieden. 14 Diese evaluative Geltung sagt nichts über den Inhalt des Urteils und die Extension des Subjektbegriffs, sondern etwas über die Sphäre der Urteilenden aus. Ein evaluativ allgemeingültiges Urteil beansprucht Geltung für alle Urteilenden: Ein Urteilender muss einem solchen Urteil zustimmen, und er kann es nicht sinnvollerweise verneinen. Natürlich kann ein Urteilender de facto das Urteil »Diese Rose ist schön« verneinen; aber er fällt dann ein irriges Geschmacksurteil. 15 Im Sinne der evaluativen Geltung mag das Urteil »Alle Menschen sind sterblich« für alle Urteilenden gelten, ebenso wie die Urteile »Alle Pferde sind sterblich« oder »Sokrates ist sterblich«. Würde ATUrteil nun den Inhalt des Urteils betreffen, so wäre das Geschmacksurteil ein Urteil der Form »Alle S sind P«; würde ATUrteil hingegen die evaluative Geltung des Urteils betreffen, so müssten alle Urteilenden dem Urteil »x ist schön« zustimmen. Warum sollte diese Differenzierung aber von Relevanz sein? Würde ATUrteil (nur) die evaluative Geltung des Urteils betreffen, so wäre erstens nicht klar, warum diese These die Quantität des Geschmacksurteils betreffen sollte; denn durch die Urteilsfunktion der Quantität wird eigentlich der Inhalt eines Urteils bestimmt. 16 Zweitens wäre nicht klar, wie das Zweite Moment vom Vierten Moment abgegrenzt werden sollte; denn in beiden würde die evaluative Geltung des Geschmacksurteils bestimmt. Vgl. A70/B95. Ich nutze den Begriff der evaluativen Geltung, um die Geltung eines Urteils für eine bestimmte Menge von Urteilenden zu bezeichnen. So würde ein Urteil etwa nur über evaluative Privatgültigkeit verfügen, wenn es nur für einen einzelnen Urteilenden gilt (z. B. »Schokolade ist angenehm«). Hingegen ist ein Urteil evaluativ allgemeingültig, wenn es für alle Urteilenden gilt, d. h. wenn alle Urteilenden ihm zustimmen müssen und es nicht sinnvollerweise verneinen können. Über evaluative Allgemeingültigkeit können auch Urteile verfügen, die nicht inhaltlich allgemeingültig sind, etwa »Sokrates ist sterblich«. 15 An dieser Stelle tritt die Problematik zutage, dass Geschmacksurteile nicht wahr oder falsch sein können, da sie keine Eigenschaft des Objekts prädizieren, sodass ihnen trivialerweise keine Übereinstimmung mit dem Objekt zukommen kann. Jedoch können sie korrekt oder irrig sein. Siehe Kap. 8.3. 16 Vgl. A74/B99. 13 14

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Die Allgemeingültigkeitsthese (AT)

Nun betont Kant aber explizit, dass ein Geschmacksurteil immer ein inhaltlich einzelnes Urteil der Form »Ein x ist schön« ist: »In Ansehung der logischen Quantität sind alle Geschmacksurtheile e i n z e l n e Urtheile. Denn weil ich den Gegenstand unmittelbar an mein Gefühl der Lust und Unlust halten muß, und doch nicht durch Begriffe, so kann es nicht die Quantität eines objectiv-gemeingültigen Urtheils haben; […]« (§ 8.E.1–2, 215,14). 17

Aber ist damit wirklich ausgeschlossen, dass ATUrteil den Inhalt des Geschmacksurteils betrifft? Ich werde im Folgenden darlegen, dass ein Geschmacksurteil zwar oberflächlich die Form »Ein x ist schön« hat, jedoch in einer anderen Hinsicht ein inhaltlich allgemeines Urteil der Form »Alle S sind P« ist. Wir haben in § 1 gelernt, dass das Geschmacksurteil ein ästhetisches Urteil ist. Dies bedeutet, dass dieses Urteil über ein quasiPrädikat und einen Bestimmungsgrund der Lust verfügt. 18 Man kann das Geschmacksurteil »x ist schön« daher folgendermaßen übersetzen: GU1 x ist mit Lust am Schönen verbunden.

Nun muss die in diesem Urteil prädizierte Lust allererst vom urteilenden Subjekt gefühlt werden, damit das Urteil gefällt werden kann. In diesem Sinne beinhaltet das Urteil »x ist mit Lust am Schönen verbunden« implizit das Urteil »Ich fühle Lust am Schönen«. Das Geschmacksurteil verfügt damit aber eigentlich über zwei logische Subjekte: Das explizite logische Subjekt ist das schöne Objekt und das implizite logische Subjekt ist das fühlende Subjekt. Es scheinen daher die folgenden zwei Rekonstruktionen des Geschmacksurteils mit einem jeweils anderen logischen Subjekt denkbar: GU1* x ist bei mir mit Lust am Schönen verbunden. GU2 Ich fühle beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen.

Bei diesen beiden Rekonstruktionen handelt es sich nicht um zwei verschiedene Modelle des Geschmacksurteils. Vielmehr bedeuten GU1 und GU2 dasselbe. Jedoch wird durch das verschiedene logische Subjekt ein jeweils anderer inhaltlicher Aspekt des Urteils – nämlich entweder das schöne Objekt oder das fühlende Subjekt – besonders

Vgl. auch: »Daher sind auch alle Geschmacksurtheile einzelne Urtheile, weil sie ihr Prädicat des Wohlgefallens nicht mit einem Begriffe, sondern mit einer gegebenen einzelnen empirischen Vorstellung verbinden« (289,19). 18 Siehe Kap. 1.2 sowie 1.3. 17

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betont. Kombiniert man diese Rekonstruktionen mit ATUrteil, so ergibt sich das folgende Bild: GU1R1 x ist bei allen Menschen mit Lust am Schönen verbunden. GU2R1 Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen.

Wie schon bei unserer Rekonstruktion von ATLust stehen wir aber nun vor dem Problem, dass in den meisten Fällen oder vielleicht sogar immer Uneinigkeit über die Schönheit eines Gegenstandes herrscht. Um dieses Problem zu lösen, müssen wir wieder die ästhetische Einstellung in unsere Rekonstruktion einbeziehen: GU1R2 x ist bei allen Menschen mit Lust am Schönen verbunden, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind (Zustand der Uninteressiertheit und Bereitschaft zur Reflexion). GU2R2 Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind (Zustand der Uninteressiertheit und Bereitschaft zur Reflexion).

GU2R2 ist offenkundig ein allgemeines Urteil der Form »Alle S sind P«. Bezüglich seines expliziten logischen Subjekts – dem schönen Objekt x – ist das Geschmacksurteil weiterhin ein einzelnes Urteil der Form »Ein x ist schön«; bezüglich seines impliziten Subjekts – nämlich dem fühlenden Subjekt – ist es aber ein allgemeines Urteil im Sinne von GU2R2. Das Geschmacksurteil ist sogar wesentlich ein Urteil der Form »Alle Menschen fühlen uninteressierte Lust beim Wahrnehmen von x, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind«. Dies bedeutet, dass das Urteil »x ist nur für mich schön« bzw. »Nur ich fühle beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen« kein Geschmacksurteil und in gewisser Hinsicht sogar widersprüchlich ist; denn das Prädikat »ist schön« beinhaltet, dass alle Menschen (in ästhetischer Einstellung) diese Lust am Schönen fühlen. Man würde also urteilen: »Nur ich fühle beim Wahrnehmen von x allgemeine Lust am Schönen.« 19 Das Geschmacksurteil ist also ein inhaltlich allgemeines Urteil der Form »Alle S sind P«. 20 Erschöpft sich aber die Bedeutung von Siehe hierzu auch Kap. 7.2.1. Dass das Moment der Quantität etwas über den Inhalt des Geschmacksurteils aussagt, wird prominent von Allison vertreten (vgl. etwa Allison 2001, 104 f.). Er geht jedoch davon aus, dass dieser inhaltliche Bestandteil des Geschmacksurteils in einem normativen Geltungsanspruch bestehe.

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Die Allgemeingültigkeitsthese (AT)

ATUrteil in der inhaltlichen Allgemeinheit? Oder ist ATLust zusätzlich auch eine These über die evaluative Geltung des Urteils für alle Urteilenden? 21 Ich plädiere dafür, dass ATLust sowohl eine These über die deskriptiv inhaltliche Allgemeinheit als auch über die präskriptiv evaluative Allgemeingültigkeit ist, und dass beides sogar tatsächlich Hand in Hand geht. Einerseits sage ich mit meinem Urteil »x ist schön« inhaltlich aus, dass alle Menschen an dem Gegenstand x Lust am Schönen fühlen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind; andererseits impliziert der Umstand, dass alle Menschen an einem Gegenstand x Lust fühlen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind, auch, dass alle Menschen dem Urteil »x ist schön« zustimmen müssen (wenn sie in ästhetischer Einstellung sind). Dass ATUrteil sowohl inhaltlich als auch evaluativ zu verstehen ist, wird unter anderem dadurch deutlich, dass Kant im Zweiten Moment zwar einerseits die Quantität des Geschmacksurteils bestimmt, wobei die Quantität eine inhaltliche Bestimmung eines Urteils ist, 22 andererseits ATUrteil aber fast ausschließlich so formuliert, dass damit die evaluative Geltung für alle Urteilenden bezeichnet zu sein scheint. 23 Dass insgesamt präskriptive, die Geltung des Urteils betreffende Formulierungen überwiegen, lässt sich auf die Bedeutung der ästhetischen Einstellung für die Allgemeinheit des Urteils zurückführen. Denn durch das Fordern der Zustimmung zum Geschmacksurteil fordert man den anderen Urteilenden (indirekt) auf, sich in eine ästhetische Einstellung zu versetzen; und erst dadurch ist dann die ästhetische Einstellung sichergestellt, die auch für die deskriptive Allgemeinheit relevant ist. Dass Eine dritte Möglichkeit bestünde darin, dass das Geschmacksurteil die Allgemeingültigkeit im Sinne einer normativen Komponente zum Inhalt haben würde. Das Geschmacksurteil wäre dann ein verdeckter Imperativ der Form »Alle Menschen sollen beim Wahrnehmen von x eine Lust am Schönen fühlen«. Eine solche Deutung von ATLust ist aber mit dem Problem behaftet, dass sie der Freiheitsthese entgegensteht; denn ein Imperativ der geschilderten Form würde einem Urteilenden die Lust aufzwingen. 22 Vgl. erneut A74/B99 f. 23 Vgl. etwa: »Er sagt daher, die S a c h e ist schön; und rechnet nicht etwa darum auf Anderer Einstimmung in sein Urtheil des Wohlgefallens, weil er sie mehrmalen mit dem seinigen einstimmig befunden hat, sondern f o r d e r t es von ihnen. Er tadelt sie, wenn sie anders urtheilen, und spricht ihnen den Geschmack ab, von dem er doch verlangt, daß sie ihn haben sollen; und sofern kann man nicht sagen: ein jeder hat seinen besondern Geschmack. Dieses würde so viel heißen, als: es giebt gar keinen Geschmack, d. i. kein ästhetisches Urtheil, welches auf jedermanns Beystimmung rechtmäßigen Anspruch machen könnte« (§ 7.B.5–7, 212,34). 21

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aber die deskriptive Allgemeinheit des Geschmacksurteils von zentraler und vielleicht sogar größerer Wichtigkeit für das Zweite Moment ist, wird schon dadurch deutlich, dass dieses Moment mit Quantität betitelt ist. Und die Quantität betrifft, wie gesagt, gewöhnlich den Inhalt des Urteils. Die zentrale Relevanz der deskriptiven Allgemeinheit für das gesamte Projekt einer Theorie des Geschmacksurteils erhellt daraus, dass das Geschmacksurteil nur aufgrund dieser inhaltlichen Allgemeinheit als synthetisches Urteil a priori gelten kann. Ich werde auf diesen letzten Punkt später genauer eingehen. 24 Ich möchte noch einmal zur Formulierung von ATUrteil in § 6.A.7 (AT3) zurückkehren: AT3* Dem Geschmacksurteil muss ein Anspruch auf Gültigkeit für jedermann, ohne auf Objekte gestellte Allgemeinheit anhängen, d. i. es muss mit dem Geschmacksurteil ein Anspruch auf subjektive Allgemeinheit verbunden werden.

Wir haben bisher die Differenzierung zwischen objektiver und subjektiver Allgemeinheit außer Acht gelassen. Da diese Differenzierung von Kant in § 8 noch einmal explizit und detaillierter behandelt werden wird, 25 wollen wir an dieser Stelle nur kurz darauf eingehen. Grob gefasst betrifft die objektive Allgemeinheit die Sphäre der zu beurteilenden Objekte und meint eine inhaltliche Quantität der Form »Alle S sind P«. Hingegen meint die subjektive Allgemeinheit die (evaluative) Geltung eines Urteils für alle Urteilenden. Eine objektive Allgemeinheit im engen Sinne kann nur dann vorliegen, wenn das Urteil einen Objektbezug aufweist, und da das Geschmacksurteil als ästhetisches Urteil keinen Objektbezug aufweist, kann es keine objektive Allgemeinheit beanspruchen. Es beansprucht jedoch eine subjektive Allgemeinheit, d. h. Geltung für alle Urteilenden (›Gültigkeit für jedermann‹). Wir müssen die These, dass das Geschmacksurteil allgemeine Geltung beansprucht, noch präzisieren. Kant formuliert diese These häufig so, dass ein Urteilender anderen Urteilenden die Zustimmung zum Urteil ›ansinnt‹ oder ›zumutet‹, d. h. allgemeine Zustimmung fordert. Nun kann ich natürlich bei jedem beliebigen Urteil fordern, dass mir ein anderer Urteilender oder auch alle Urteilenden zustimmen sollen. Ich kann etwa fordern, dass mein Gegenüber meinem Ur24 25

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Siehe hierzu Kap. G3.4. Vgl. § 8.C.1-D.3, 214,30 f. – Für eine Analyse siehe Kap. 8.1.2.

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Die Allgemeingültigkeitsthese (AT)

teil »Diese Schokolade ist lecker« zustimmt. Die Pointe von ATUrteil ist jedoch, dass man die allgemeine Zustimmung zum Urteil »x ist schön« mit Recht fordern kann. Beim Geschmacksurteil kann man, so betont Kant, »auf jedermanns Beystimmung rechtmäßigen Anspruch machen« (§ 7.B.6, 213,6, m. H.). Dies bedeutet, dass der Allgemeingültigkeitsanspruch des Geschmacksurteils durch einen Grund legitimiert wird. Genauer rührt die Rechtmäßigkeit des Allgemeingültigkeitsanspruchs daher, dass das Geschmacksurteil aus einer Art von apriorischem Prinzip abgeleitet wird, nämlich dem Gemeinsinn. 26 Dass das Geschmacksurteil einen rechtmäßigen Allgemeingültigkeitsanspruch erhebt, wird in letzter Instanz in der Deduktion der reinen ästhetischen Urteile gezeigt. Und tatsächlich leitet Kant den Deduktionsteil folgendermaßen ein: »Der Anspruch eines ästhetischen Urtheils auf allgemeine Gültigkeit für jedes Subject bedarf, als ein Urtheil welches sich auf irgend ein Princip a priori fußen muß, einer Deduction (d. i. Legitimation seiner Anmaßung)« (279,7). 27 Beim Geschmacksurteil bin ich also berechtigt, von allen anderen zu fordern, dass sie meinem Urteil zustimmen. Im Gegensatz dazu wäre meine Forderung, meinem Urteil »Diese Schokolade ist lecker« zuzustimmen, nicht rechtmäßig; sie würde auf keinem (apriorischen) Prinzip beruhen und ließe sich nicht durch eine Deduktion legitimieren. Nachdem wir die Bedeutung von ATUrteil nun umfassend geklärt haben, können wir fragen, wie sich ATUrteil denn zu ATLust verhält. Zu diesem Zweck ist ein Vergleich von ATLust mit der Rekonstruktion des Geschmacksurteils GU2R2 sehr erhellend: ATLustR2 Alle Menschen fühlen an einem Gegenstand x eine Lust am Schönen, wenn sie im Zustand der Uninteressiertheit und in Bereitschaft zur Reflexion sind und wenn x ein schöner Gegenstand ist. GU2R2 Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind (Zustand der Uninteressiertheit und Bereitschaft zur Reflexion). Siehe hierzu Kap. G5.2. Vgl. auch: »Die Rechtslehrer, wenn sie von Befugnissen und Anmaßungen reden, unterscheiden in einem Rechtshandel die Frage über das, was Rechtens ist, (quid iuris) von der, die die Tatsache angeht, (quid facti) und indem sie von beiden Beweis fordern, so nennen sie den erstern, der die Befugnis, oder auch den Rechtsanspruch dartun soll, die D e d u k t i o n « (A84/B116).

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§ 6 Allgemeinheit und Begriffslosigkeit der Lust am Schönen

Man sieht sofort, dass ATLust sich inhaltlich mit GU2R2 deckt. (Dass ein schöner Gegenstand gegeben ist, wird durch das Urteil »x ist schön« ja bereits impliziert.) Damit ist GU2R2 bzw. ATUrteil nichts anderes als die propositional erfasste, bereits in der Lust am Schönen beinhaltete Allgemeinheit. In diesem Sinne beansprucht ATLust Priorität gegenüber ATUrteil. Wir können nun abschließend das folgende umfassende Bild von ATUrteil zeichnen: i. ATUrteil ist eine These über den Inhalt und über die Geltung des Geschmacksurteils: • Als These über den Inhalt des Geschmacksurteils bedeutet ATUrteil, dass das Geschmacksurteil im Sinne seines verdeckten logischen Subjekts ein inhaltlich allgemeines Urteil ist. Dieses verdeckte Urteil lautet: »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind.« • Als These über die Geltung des Geschmacksurteils bedeutet ATUrteil, dass das Urteil »x ist schön« für alle Urteilenden gilt. Die (präskriptive) Forderung, dem Urteil »x ist schön« zuzustimmen, impliziert zugleich, dass sich die anderen Urteilenden in eine ästhetische Einstellung versetzen sollen. ii. ATUrteil beruht insofern auf ATLust, als das Urteil nur (inhaltliche) Allgemeinheit und Gültigkeit für alle Urteilenden beanspruchen kann, weil die Lust, die im Urteil prädiziert wird, allgemeingültig ist. iii. Dass das Urteil subjektive Allgemeinheit beansprucht, besagt, dass die Allgemeinheit des Geschmacksurteils nicht die Sphäre der schönen Objekte im Sinne eines Urteils »Alle x sind schön«, sondern die Sphäre der urteilenden Subjekte (Menschen) betrifft.

6.1.4 Die Begriffslosigkeitsthese des Geschmacksurteils ATLust beinhaltet implizit die Begriffslosigkeitsthese BTLust. Lässt sich dies auf ATUrteil übertragen, d. h. beinhaltet auch ATUrteil implizit eine Begriffslosigkeitsthese? Dagegen scheint zunächst zu sprechen, dass in AT3 die Begriffslosigkeit nicht explizit benannt wird. An anderer Stelle verbindet Kant jedoch sehr wohl die Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils mit einer Form von Begriffslosigkeit, etwa in der folgenden Formulierung: 360

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Die Allgemeingültigkeitsthese (AT)

»Hier ist nun allererst zu merken, daß eine Allgemeinheit, die nicht auf Begriffen vom Objecte […] beruht, gar nicht logisch, sondern ästhetisch sey, d. i. keine objective Quantität des Urtheils, sondern nur eine subjective enthalte« (§ 8.C.1, 214,30, m. H.).

Ich setze an dieser Stelle voraus, dass Kant mit der ästhetischen Allgemeinheit bzw. der nur subjektiven Allgemeinheit die spezifische Allgemeinheit des Geschmacksurteils umschreibt. 28 Wir können dann BTUrteil folgendermaßen rekonstruieren: BTUrteil Die Allgemeinheit des Geschmacksurteils beruht nicht auf Begriffen vom Objekt.

Was bedeutet BTUrteil aber? Welcher Begriff »fehlt« im Geschmacksurteil, der in einem normalen Erkenntnisurteil enthalten ist? Da ein Urteil einen Subjektbegriff und einen Prädikatbegriff beinhaltet, muss einer dieser Begriffe im Geschmacksurteil irgendwie anders sein als in einem gewöhnlichen Urteil. 29 Gegen eine Nicht-Begrifflichkeit des logischen Subjekts sprechen schon alleine Kants eigene Beispiele, in denen meist an der Subjektstelle der Begriff eines konkreten Gegenstandes steht, beispielweise »die Rose, die ich anblicke, erkläre ich durch ein Geschmacksurtheil für schön« (§ 8.E.3, 215,21, m. H.) oder »Ob ein Kleid, ein Haus, eine Blume schön sey: dazu läßt man sich sein Urtheil durch keine Gründe oder Grundsätze beschwatzen« (§ 8.F.3, 215,37 f., m. H.). Dabei sind ›Rose‹, ›Kleid‹, ›Haus‹ und ›Blume‹ eindeutig Begriffe bzw. Begriffe von Objekten. Es kann also im Geschmacksurteil an der Stelle des logischen Subjekts problemlos ein Begriff stehen. 30 Das logische Subjekt im Geschmacksurteil muss allerdings kein Begriff vom Objekt sein. So kann ein Geschmacksurteil auch bloß »Dies ist schön« lauten. 31 Für eine genaue Analyse dieser Bezeichnungen siehe Kap. 8.1. Auf die Dringlichkeit, die Begriffslosigkeitsthese genau zu untersuchen, hat etwa Ameriks verwiesen (vgl. Ameriks 2003, 307–323). Ich stimme mit Ameriks überein, dass BTUrteil nicht bedeutet, im Geschmacksurteil würden gar keine Begriffe eine Rolle spielen. Jedoch scheint mir Ameriks’ Position dahingehend zu weit zu gehen, dass sie letztlich in einer Form von ästhetischem Objektivismus kulminiert. 30 Vgl. hierzu auch Ginsborg 2008, 66. – Damit an der Stelle des logischen Subjekts ein Begriff vom Objekt stehen kann, muss ein logisches Urteil vorhergehen. So muss etwa dem Urteil »Diese Rose ist schön« das Urteil »Dies ist eine Rose« vorhergehen. 31 Dies wird von Prauss bestritten, der davon ausgeht, dass ein ästhetisches Urteil eigentlich die Form »Dies ist eine Tulpe und ist schön« hat, und voraussetzt, dass »jedes ästhetische Urteil […] notwendigerweise als solches selbst schon immer ein 28 29

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§ 6 Allgemeinheit und Begriffslosigkeit der Lust am Schönen

Da der Subjektbegriff im Geschmacksurteil nicht anders als in gewöhnlichen Urteilen ist, muss sich BTUrteil auf den Prädikatbegriff beziehen. Was würde es aber bedeuten, dass das Prädikat des Geschmacksurteils (»ist schön«) nicht-begrifflich ist? Dass dieses Prädikat nicht-begrifflich sein soll, scheint schon deshalb verwirrend, weil »schön« klarerweise ein Begriff ist. Und wir werden im weiteren Verlauf dieser Untersuchungen sehen, dass durch »schön« tatsächlich etwas begrifflich erfasst wird, nämlich die gefühlte Lust am Schönen. 32 Das Prädikat »schön« ist demnach sehr wohl ein Begriff; jedoch ist es kein »Begriff[.] vom Objecte« (§ 8.C.1, 214,31, m. H.). So heißt es in der Ersten Einleitung zum logischen Urteil: »Ein jedes b e s t i m m e n d e U r t h e i l ist l o g i s c h , weil das Prädicat desselben ein gegebener objectiver Begrif ist« (EEKU: 223,27).

Kurz darauf heißt es dann zum ästhetischen Urteil: »Ein ästhetisches Urtheil im Allgemeinen kann also für dasjenige Urtheil erklärt werden, dessen Prädicat niemals Erkenntniß (Begrif von einem Objecte) seyn kann, (ob es gleich die subjective Bedingungen zu einem Erkenntniß überhaupt enthalten mag). In einem solchen Urtheile ist der Bestimmungsgrund Empfindung. Nun ist aber nur eine einzige so genannte Empfindung, die niemals Begrif von einem Objecte werden kann, und diese ist das Gefühl der Lust und Unlust. Diese ist blos subjectiv, da hingegen alle übrigen Empfindungen zur Erkenntniß gebraucht werden kann« (EEKU: 224,8, m. H.).

In einem Erkenntnisurteil bzw. logischen Urteil ist das Prädikat immer ein ›objectiver Begrif‹, d. h. ein Begriff vom Objekt. Dagegen ist in einem ästhetischen Urteil das Prädikat niemals ein ›Begrif von einem Object‹. Dem folgend bedeutet BTUrteil, dass das Prädikat »ist schön« niemals Begriff von einem Objekt ist, d. h. dass durch dieses Prädikat keine Eigenschaft des (schönen) Objekts begrifflich erfasst wird. 33 Streng genommen geht Kants These sogar noch weiter; denn theoretisches Urteil [enthält]« (Prauss 1981, 275). Aus dem kantischen Text geht allerdings an keiner Stelle hervor, dass dies der Fall sein muss. Vielmehr steht eine begriffliche Erfassung des gegebenen Mannigfaltigen der von Kant geforderten Freiheit der Einbildungskraft entgegen. 32 Siehe hierzu Kap. G2.2.2. 33 Vgl. auch: »weil es ein ästhetisches und kein Erkenntnißurtheil ist, welches also keinen Begrif von der Beschaffenheit und innern oder äußern Möglichkeit des Gegenstandes durch diese oder jene Ursache, […] betrift« (§ 11.A.3, 221,11, m. H. & Kants H. getilgt).

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durch »ist schön« scheint nicht nur keine Eigenschaft eines Objekts, sondern auch keine Eigenschaft des urteilenden bzw. fühlenden Subjekts begrifflich erfasst zu werden. So betont Kant mehrfach, dass das Gefühl der Lust keine erkenntnisstiftende Funktion hat. Sie »dient zu gar keinem Erkenntnisse, auch nicht zu demjenigen, wodurch sich das Subject selbst e r k e n n t « (§ 3.B.2, 206,24). Durch eine Lust ist demnach weder eine Erkenntnis eines Objekts noch eine Selbsterkenntnis des Subjekts möglich. 34 Da das Prädikat »ist schön« ein momentanes Lustgefühl des Subjekts erfasst, durch das wir keine Erkenntnis vom Objekt oder Subjekt gewinnen, ist es nicht erkenntnisstiftend und in diesem Sinne nicht-begrifflich. Kommt uns das aber nicht bekannt vor? Ist diese Bedeutung von BTUrteil nicht bloß eine Ausbuchstabierung des Status des Geschmacksurteils als ästhetischen Urteils? Ein ästhetisches Urteil ist ja gerade so definiert, dass es über ein (quasi-)Prädikat und einen Bestimmungsgrund der Lust verfügt. 35 Damit ist impliziert, dass das Prädikat erstens keine Eigenschaft des (schönen) Objekts und zweitens keine Eigenschaft des urteilenden Subjekts begrifflich erfasst. Schließlich ist ein ästhetisches Urteil gerade kein Erkenntnisurteil. BTUrteil, so möchte ich ergänzen, impliziert auch, dass die Prädikatzuschreibung im Geschmacksurteil nicht durch Subsumtion eines Objekts unter eine objektive (Geschmacks-)Regel erfolgt sein kann. Gäbe es etwa eine Geschmacksregel der Form »Alles, was symmetrisch ist, ist schön« und würde darunter das Urteil »x ist symmetrisch« subsumiert, so würde das resultierende Urteil »x ist schön« über ein begriffliches Prädikat verfügen, das eine Eigenschaft des Gegenstandes erfasst. Ich werde auf die Unmöglichkeit von objektiven Geschmacksregeln später zurückkommen. 36 Unsere Untersuchung von BTUrteil hat das Folgende zutage gebracht: i. BTUrteil kann nicht darin bestehen, dass das logische Subjekt des Geschmacksurteils kein Begriff von einem Objekt (etwa »diese Rose«) sein könnte.

Vgl. auch Anth: 153. – Systematisch kann diese These freilich nicht überzeugen. So können wir durch das Gefühl der Lust wohl wenigstens erkennen, dass wir zur Lust fähige Wesen sind (siehe hierzu auch Kap. 3.1.2). 35 Siehe Kap. 1.2 und 1.3. 36 Vgl. hierzu § 17.A.1–2, 231,27. Siehe auch Kap. 17.1.1 sowie 20.1.3. 34

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§ 6 Allgemeinheit und Begriffslosigkeit der Lust am Schönen

ii.

BTUrteil steht dafür, dass das quasi-Prädikat »ist schön« keine Eigenschaft eines Objekts oder des urteilenden Subjekts begrifflich erfasst. iii. BTUrteil bedeutet nicht, dass das Prädikat »ist schön« kein Begriff ist. Vielmehr wird durch »ist schön« ein Gefühl der Lust des urteilenden Subjekts begrifflich erfasst. iv. BTUrteil impliziert, dass das Geschmacksurteil nicht aus einer objektiven Geschmacksregel abgeleitet werden kann. Wie schon im Fall von ATLust und BTLust beschreibt auch das Zusammenspiel von ATUrteil und BTUrteil ein Paradox: Das Geschmacksurteil ist einerseits allgemeingültig, andererseits aber begriffslos. Empirische Urteile – und dazu zählt ja das Geschmacksurteil, insofern es immer eine empirische Anschauung voraussetzt – können jedoch nur dann notwendige Allgemeingültigkeit (notwendige Geltung für alle Urteilenden) beanspruchen, wenn sie aus einer objektiven, apriorischen Regel abgeleitet werden. Im Kontext der Erfahrungsurteile sind die Grundsätze des reinen Verstandes solche Regeln a priori. 37 Da das Geschmacksurteil aber nicht aus einer objektiven Regel abgeleitet sein kann, fragt sich, ob und wie es überhaupt Allgemeingültigkeit beanspruchen kann. Neben dieser Variante des Paradoxes, die sich auf ATUrteil im Sinne der evaluativen Geltung bezieht, gibt es auch eine Variante, die den Fokus auf die inhaltliche Allgemeinheit legt. So gibt es zwei Möglichkeiten, ein inhaltlich allgemeines Urteil zu fällen: entweder induktiv oder deduktiv. Offenkundig wird die Allgemeinheit des Geschmacksurteils aber nicht durch Induktion gewonnen; denn sie soll eine strenge Allgemeinheit sein. 38 Das allgemeine Geschmacksurteil kann aber auch nicht deduktiv durch Anwendung einer allgemeinen (begrifflichen) Regel gewonnen werden. Es stellt sich daher die Frage, auf welcher Grundlage seine Allgemeinheit stehen kann. Die Lösung dieses Paradoxes wird uns im weiteren Verlauf des Zweiten Moments begleiten.

37 38

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Vgl. etwa Prol: 305 f. – Siehe hierzu auch Kap. G5.1. Vgl. § 7.C.3, 213,15. Für eine Analyse dieses Satzes siehe Kap. 7.3.

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Ein Argument für die Allgemeingültigkeitsthese

6.2 Ein Argument für die Allgemeingültigkeitsthese Man stellt sich nun natürlich die Frage, woher wir überhaupt wissen, dass die Lust am Schönen und das Geschmacksurteil allgemeingültig sind. Wie lässt sich AT (epistemisch) herleiten? 39 Dazu gibt Kant im ersten Satz von § 6 den folgenden Hinweis: § 6.A.1 »Diese Erklärung des Schönen kann aus der vorigen Erklärung desselben, als eines Gegenstandes des Wohlgefallens ohne alles Interesse, gefolgert werden« (211,10).

Die Formulierung ›diese Erklärung‹ bezieht sich auf die Überschrift von § 6, also auf AT1 (›Das S c h ö n e ist das, was ohne Begriffe als Object eines a l l g e m e i n e n W o h l g e f a l l e n s vorgestellt wird‹). Eine weitere Formulierung dieser ›Erklärung‹ findet sich in der Zweiten Erklärung des Schönen, nämlich: »S c h ö n ist das, was ohne Begrif allgemein gefällt« (E2, 219,25). Die ›vorige Erklärung desselben‹ meint klarerweise die Erste Erklärung des Schönen: E1.1 »GESCHMACK ist das Beurtheilungsvermögen eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen, oder Misfallen, o h n e a l l e s I n t e r e s s e . E1.2 Der Gegenstand eines solchen Wohlgefallens heißt S c h ö n « (211,2).

Wir können E1 auf eine ähnliche Formulierung wie E2 bringen, nämlich: ›Schön ist das, was ohne Interesse gefällt‹. Damit lässt sich 6.A.1 folgendermaßen rekonstruieren: § 6.A.1R1 Aus dem Satz ›Schön ist das, was ohne Interesse gefällt‹ folgt der Satz ›Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt‹.

Noch kürzer können wir schreiben: § 6.A.1R2 Aus der Uninteressiertheitsthese (UT) folgt die Allgemeingültigkeitsthese (AT).

Dabei sind sowohl UT als auch AT als Thesen über die Uninteressiertheit bzw. Allgemeinheit der Lust zu verstehen (›allgemeinen Wohlgefallens‹, ›Wohlgefallens…ohne Interesse‹). Mit AT ist hier also ATLust gemeint. Auf der Grundlage der angedeuteten ›Folgerung‹ lässt sich nun das folgende Argument für ATLust rekonstruieren:

Zur Unterscheidung von epistemischer und vermögenstheoretischer Argumentationsstrategie siehe Unterpunkt 3.2 der Einleitung zu diesem Kommentar.

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§ 6 Allgemeinheit und Begriffslosigkeit der Lust am Schönen

P1 Wenn eine Lust kein Interesse ist, dann ist sie allgemein. P2 Die Lust am Schönen ist kein Interesse. [UT] Also: Die Lust am Schönen ist allgemein. [ATLust]

Die zentrale Frage ist aber: Warum ist eine Lust ›ohne alles Interesse‹ bzw. eine uninteressierte Lust eine allgemeingültige Lust? Wie lässt sich P1 begründen? Zunächst ist anzumerken, dass Uninteressiertheit keine notwendige Bedingung für die Allgemeinheit einer Lust sein kann; denn die Lust am Guten ist ein Interesse, aber allgemein. 40 Vielmehr muss Uninteressiertheit eine hinreichende (aber eben nicht notwendige) Bedingung für die Allgemeinheit sein. Aber warum sollte Uninteressiertheit eine solche hinreichende Bedingung sein? Damit stehen wir vor dem zentralen Problem von Kants Argumentation in § 6. So kritisiert etwa Guyer prominent: »From the fact that a delight is not caused by any interest or desire, it does not follow that it is valid for everyone« (Guyer 1979, 132). Ist diese Kritik aber berechtigt? Kann man P1 nicht doch begründen? Und findet sich diese Begründung nicht vielleicht sogar in § 6? Letzteres wollen wir nun untersuchen.

6.2.1 Die Allgemeingültigkeitsthese als Folgerung aus der Uninteressiertheitsthese Im direkten Anschluss an § 6.A.1 scheint Kant mindestens auf den ersten Blick eine Begründung für die These anzuführen, dass ATLust aus UT ›folge‹ (›Denn‹). Diese lautet: § 6.A.2 »Denn das, wovon jemand sich bewußt ist, daß das Wohlgefallen an demselben bey ihm selbst ohne alles Interesse sey, das kann derselbe nicht anders als so beurtheilen, daß es einen Grund des Wohlgefallens für jedermann enthalten müsse. § 6.A.3 [a] Denn da es sich nicht auf irgend eine Neigung des Subjects (noch auf irgend ein anderes überlegtes Interesse) gründet, sondern da der Urtheilende sich in Ansehung des Wohlgefallens, welches er dem Gegenstande widmet, völlig f r e y fühlt: [b] so kann er keine Privatbedingungen als Gründe des Wohlgefallens auffinden, an die sich sein Subject allein hinge, und

Vgl.: »allein das Gute wird nur durch einen Begrif als Object eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt« (§ 7.C.5, 213,21, m. H. & Kants H. getilgt).

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muß es daher als in demjenigen begründet ansehen, was er auch bey jedem andern voraussetzen kann; [c] folglich muß er glauben Grund zu haben, jedermann ein ähnliches Wohlgefallen zuzumuthen« (211,12).

Es fällt auf, dass Kant diese Begründung aus Sicht einer urteilenden Person (›jemand‹) formuliert, die gerade eine uninteressierte Lust fühlt. Wenngleich diese Perspektive kein bloßes stilistisches Mittel ist, sondern vielmehr einen Teil der Argumentation ausmacht, möchte ich sie zunächst noch ausklammern. Wir können dann § 6.A.2 folgendermaßen rekonstruieren: § 6.A.2R1 Wenn das Wohlgefallen an etwas bei einem Subjekt ohne alles Interesse ist, dann muss dieses etwas einen Grund des Wohlgefallens für jedes Subjekt enthalten.

Fragen wir zunächst, was hier das etwas ist, woran das Subjekt ein Wohlgefallen empfindet. Dieses ›etwas‹ könnte (1) für einen schönen Gegenstand, (2) für das freie Spiel der Erkenntniskräfte oder (3) für die »Gründe[.] a priori«, die Kant in § 12 anführt (§ 12.T, 221,29), stehen. Nimmt man Kants gesamte Theorie in den Blick, dann sind diese drei Optionen nicht nur logisch möglich, sondern auch inhaltlich sinnvoll. Der schöne Gegenstand (1) muss insofern ›einen Grund des Wohlgefallens für jedermann enthalten‹, als er logisches Subjekt des Urteils »Dieser Gegenstand ist schön« ist und es die in diesem Urteil ausgedrückte Verbindung von Gegenstand und Lust ist, welche Allgemeingültigkeit beansprucht. 41 Das freie Spiel der Erkenntniskräfte (2) ist die spezifische Funktionsweise des Gemeinsinns bzw. der Gemeinsinn ist nichts anderes als das Vermögen des freien Spiels. Damit gilt das freie Spiel für alle Menschen und ist also ein ›Grund des Wohlgefallens für jedermann‹. 42 Schließlich gelten auch die ›Gründe[.] a priori‹ (3), d. h. das Prinzip a priori der Urteilskraft, das im freien Spiel Anwendung findet, für alle Menschen. Dieses Prinzip schreibt uns vor, beim Reflektieren so zu verfahren, als ob die Welt zweckmäßig für unsere Erkenntnisvermögen und als ob unsere ErDamit soll Schönheit freilich zu keiner Eigenschaft des Objekts gemacht werden. So können wir erstens nicht begrifflich erfassen, was genau am Gegenstand der Grund der Lust ist. Zweitens bewirkt der Gegenstand die Lust nicht einfach passiv im Subjekt; vielmehr bedarf es einer Aktivität, ja sogar einer autonomen Aktivität des Subjekts. Ich werde auf das Zusammenspiel der verschiedenen Gründe der Lust bei meiner Analyse von § 12 genauer eingehen (siehe Kap. 12.4). 42 Siehe hierzu Kap. 20.2.2. 41

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kenntnisvermögen zweckmäßig füreinander angeordnet wären. Im freien Spiel überprüft der Verstand die apprehendierten Formen sowie die Aktivität der Einbildungskraft anhand dieses Prinzips. 43 In der Lust am Schönen wirken nun die drei genannten Komponenten zusammen: Das freie Spiel und damit auch die (allgemeingültige) Lust am Schönen beruhen auf zwei Gründen, nämlich dem schönen Gegenstand (1) und dem Prinzip a priori der Urteilskraft (3); 44 jede (allgemeingültige) Lust am Schönen ist eine Instanziierung des Gemeinsinns als Vermögen des freien Spiels (2). Insgesamt konstituiert sich damit die Allgemeingültigkeit der Lust durch verschiedene Komponenten, die alle ineinandergreifen. Allerdings sind wir in § 6 eigentlich noch gar nicht zu diesen Gründen der Lust vorgedrungen. Mein Vorschlag ist daher, dass Kant ganz bewusst in § 6.A.2 nicht genauer bestimmt, was der ›Grund des Wohlgefallens‹ ist. Vielmehr will er nur zeigen, dass besagter Grund der Lust, worin auch immer er besteht, bei allen Menschen eine Lust hervorrufen muss. Dies stimmt mit seiner allgemeinen Argumentationsstrategie überein, die bei der uninteressierten Lust als gefühltem Faktum des Schönen einsetzt und zur Grundlage dieser Lust vordringt. 45 Wir können § 6.A.2 nun vereinfacht folgendermaßen rekonstruieren: § 6.A.2R2 Wenn eine Lust uninteressiert ist, dann ruft der Grund dieser Lust bei allen Menschen eine Lust hervor.

Kants erster Schritt zur Begründung der These, dass ATLust aus UT folgt, besteht also in der Überlegung, dass eine uninteressierte Lust auf eine allgemeine Grundlage bzw. einen allgemeinen Grund zurückzuführen ist. Es stellt sich dann aber natürlich sofort die Frage: Warum sollte dies der Fall sein? Warum kann eine uninteressierte Lust nicht auf einer bloß privaten Grundlage beruhen? Eine Antwort darauf findet sich in § 6.A.3: § 6.A.3* [a] Denn da das Wohlgefallen sich nicht auf irgendeine Neigung des Subjekts (noch auf irgendein anderes überlegtes Interesse) gründet, sondern da der Urteilende sich in Ansehung des Wohlgefallens, welches er dem Gegenstand widmet, völlig

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Siehe Kap. G3.3. Siehe erneut Kap. 12.4. Zum gefühlten Faktum der uninteressierten Lust siehe Kap. 2.4.1.

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frei fühlt: [b] so kann der Urteilende keine Privatbedingungen als Gründe des Wohlgefallens auffinden, an die sich sein Subjekt allein hinge, und der Urteilende muss das Wohlgefallen daher als in demjenigen begründet ansehen, was er auch bei jedem anderen Urteilenden voraussetzen kann; [c] folglich muss der Urteilende glauben Grund zu haben, jedermann ein ähnliches Wohlgefallen zuzumuten.

Ein Anschluss an die These, dass die Lust am Schönen auf einer allgemeinen Grundlage beruht, findet sich in § 6.A.3b. Im ersten Teil von § 6.A.3b schließt Kant aus, dass das Wohlgefallen bzw. die Lust auf Privatbedingungen beruht (›so kann der Urteilende keine Privatbedingungen als Gründe des Wohlgefallens auffinden, an die sich sein Subjekt allein hinge‹). Im zweiten Teil von § 6.A.3b schließt (›daher‹) er dann daraus, dass die Lust auf etwas beruhen muss, was man in allen Urteilenden voraussetzen kann. Wir können mit diesem Material das folgende Argument rekonstruieren: P1

Wenn eine Lust nicht auf Privatbedingungen beruht, dann beruht sie auf etwas, das man in allen Urteilenden voraussetzen kann. P2 Die Lust am Schönen beruht nicht auf Privatbedingungen. Also: Die Lust am Schönen beruht auf etwas, das man in allen Urteilenden voraussetzen kann.

Man fragt sich natürlich sofort, warum denn die Lust am Schönen nicht auf Privatbedingungen beruht (P2). Bevor ich diese Frage beantworte, möchte ich kurz auf den weiteren Verlauf der Argumentation in § 6.A.3c eingehen. Kant schließt hier letztlich darauf, dass die Lust am Schönen allgemeingültig ist (ATLust). Dabei mag die Formulierung verwirren, dass man Grund hat, ›jedermann ein ähnliches Wohlgefallen zuzumuthen‹. So scheint man doch im Sinne von ATLust den anderen Menschen nicht bloß ein ähnliches, sondern »eben dasselbe Wohlgefallen« zuzumuten (§ 7.B.4, 212,32, m. H.). Diese Verwirrung lässt sich jedoch leicht aufklären: Zwar mutet man insofern den anderen Menschen dieselbe Lust zu, als man ihnen die Lust am Schönen zumutet, die immer durch dieselben (phänomenalen) Komponenten (Uninteressiertheit, Freiheit, Allgemeingültigkeit, Bewusstsein des Prinzips a priori) ausgezeichnet ist; aber damit mutet man den anderen keine qualitativ völlig identische Lust zu. So können die verschiedenen phänomenalen Komponenten mit verschiedener Intensität auftreten, sodass sich die Lust am Schönen nicht Kants Philosophie des Schönen

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immer auf dieselbe Art und Weise anfühlen muss. 46 Zudem weiß aus epistemischer Sicht natürlich niemand, ob sich die Lust des anderen auf dieselbe Art und Weise anfühlt wie die eigene Lust. Jenseits der verwirrenden Formulierung des ähnlichen Wohlgefallens, ist aber klar, dass Kant in § 6.A.3c ATLust formuliert. Dabei wird ATLust in § 6.A.3c aus § 6.A.3b gefolgert (›folglich‹). Das folgende Argument liegt auf der Hand: P1

Wenn eine Lust auf etwas beruht, das man in allen Menschen voraussetzen kann, dann ist sie allgemeingültig. P2 Die Lust am Schönen beruht auf etwas, das man in allen Menschen voraussetzen kann. Also: Die Lust am Schönen ist allgemeingültig.

Die beiden Teilsätze § 6.A.3b–c lassen sich demnach in ein kohärentes argumentatives Gesamtbild fügen. Das zentrale Problem ist aber weiterhin P2 des vorigen Arguments (›Die Lust am Schönen beruht auf keinen Privatbedingungen‹). Die Argumentation steht und fällt aber mit dieser Prämisse. Begründet Kant diese Prämisse irgendwo? Betrachtet man noch einmal § 6.A.3, so findet sich eine solche Begründung. Dass die Lust am Schönen auf keinen Privatbedingungen beruht (§ 6.A.3b), soll in irgendeiner Form aus § 6.A.3a gefolgert werden (›Denn…, so…‹). Dabei werden in § 6.A.3a eigentlich zwei verschiedene Begründungen dafür angeführt, dass die Lust am Schönen auf keinen Privatbedingungen beruht. Diese lauten: § 6.A.3a1** Denn da das Wohlgefallen sich nicht auf irgendeine Neigung des Subjekts (noch auf irgendein anderes überlegtes Interesse) gründet, [kann der Urteilende keine Privatbedingungen als Gründe des Wohlgefallens auffinden.] § 6.A.3a2** Denn da der Urteilende sich in Ansehung des Wohlgefallens, welches er dem Gegenstand widmet, völlig frei fühlt, [kann der Urteilende keine Privatbedingungen als Gründe des Wohlgefallens auffinden.]

Wir wollen im Folgenden diese beiden möglichen Begründungen separat analysieren und auf ihre Tragweite zur Begründung von ATLust hin untersuchen.

Siehe hierzu die Ausführungen zum phänomenalen Gehalt der Lust am Schönen in Kap. G1.3.

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6.2.2 Ein Argument aus der Unabhängigkeit von Neigungen Betrachtet man § 6.A.3a1, so ist das folgende Argument naheliegend: P1

Wenn eine Lust sich auf Privatbedingungen gründet, dann gründet die Lust sich auf eine Neigung. P2 Die Lust am Schönen gründet sich auf keine Neigung. Also: Die Lust am Schönen gründet sich auf keine Privatbedingungen.

Ich bezeichne dieses Argument als Argument aus der Unabhängigkeit von Neigungen. Dass die Lust am Schönen nicht auf Neigungen beruht (P2), lässt sich unmittelbar aus ihrer Uninteressiertheit ableiten; denn eine Lust, die auf Neigungen (habituellen Begierden) beruht, hat eine Beziehung auf das Begehrungsvermögen und ist daher ein Interesse. Ferner lässt sich die Unabhängigkeit der Lust am Schönen von Neigungen auch durch ihr Charakteristikum der Freiheit belegen. Denn eine Neigung bedeutet immer einen Zwang, während die Lust am Schönen frei ist. 47 In jedem Fall ist also P2 auf der Argumentationsstufe von § 6 gesichert. Größere Probleme bereitet P1: Sind Neigungen wirklich die einzigen Privatbedingungen, auf die sich eine Lust gründen kann? Genau an dieser Stelle setzt eigentlich Guyers Einwand an: »From the fact that a delight is not caused by any interest or desire, it does not follow that it is valid for everyone. It might be entirely accidental, or based on some other kind of merely private condition« (Guyer 1979, 132). Nun ist es eine Frage, ob sich in systematischer Hinsicht keine anderen Privatbedingungen für eine Lust auffinden lassen. Eine andere Frage ist es aber, ob es innerhalb des kantischen Theoriegebäudes keine anderen Privatbedingungen geben kann. Uns interessiert hier nur die zweite Frage. Denkt man einmal an Kants ethische Schriften, so findet sich häufig eine Art Dualismus von bloß privatgültigen Neigungen und der allgemeingültigen Form des Gesetzes. Unter anderem lassen sich die folgenden Stellen anführen: (1) Zunächst lässt sich auf Kants Gegenüberstellung von Handlungen aus Neigung und aus Pflicht verweisen, die insbesondere in den verschiedenen Beispielen in GMS: 397–399 zum Tragen kommt. Der Dualismus zwischen Neigung und Pflicht tritt dort Vgl.: »Ein Gegenstand der Neigung, und einer, welcher durch ein Vernunftgesetz uns zum Begehren auferlegt wird, lassen uns keine Freyheit, uns selbst irgend woraus einen Gegenstand der Lust zu machen« (§ 5.B.9, 210,17). Siehe die Analyse der Freiheitsthese in Kap. 5.5.

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in Formulierungen zutage, wie etwa: »nicht aus Neigung oder Furcht, sondern aus Pflicht« (GMS: 398), »denn der Maxime fehlt der sittliche Gehalt, nämlich solche Handlungen nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht zu tun« (GMS: 398), »und täte die Handlung ohne alle Neigung, lediglich aus Pflicht« (GMS: 398), »daß er wohltue, nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht« (GMS: 399) und »seine Glückseligkeit zu befördern, nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht« (GMS: 399). Diese Gegenüberstellungen legen nahe, dass eine Handlung ausschließlich entweder aus Neigung oder aus Pflicht erfolgen kann. Insofern Pflicht Allgemeingültigkeit mit sich bringt, so sind Neigungen die einzigen Privatbedingungen, auf denen Handlungen beruhen können. (2) Erhellend ist insbesondere die folgende Passage: »Was kann das aber wohl für ein Gesetz sein, dessen Vorstellung, auch ohne auf die daraus erwartete Wirkung Rücksicht zu nehmen, den Willen bestimmen muß, damit dieser schlechterdings und ohne Einschränkung gut heißen könne? Da ich den Willen aller Antriebe beraubt habe, die ihm aus der Befolgung irgend eines Gesetzes entspringen könnten, so bleibt nichts als die allgemeine Gesetzmäßigkeit der Handlung überhaupt übrig, welche allein dem Willen zum Prinzip dienen soll, d. i. ich soll niemals anders verfahren als so, daß ich auch wollen könne, meine Maxime solle ein allgemeines Gesetz werden« (GMS: 402). Dabei sind die ›Antriebe‹, ›deren‹ Kant den ›Willen beraubt‹ hat, Gegenstände der Neigung; denn kurz zuvor heißt es: »Nun soll eine Handlung aus Pflicht den Einfluß der Neigung, und mit ihr jeden Gegenstand des Willens ganz absondern, also bleibt nichts für den Willen übrig, was ihn bestimmen könne, als objektiv das Gesetz und subjektiv reine Achtung für dieses praktische Gesetz« (GMS: 400, m. H. & Kants H. getilgt). Man kann somit die Passage aus GMS: 401 wie folgt rekonstruieren: ›Da ich den Willen aller Neigungen beraubt habe, so bleibt nichts als die allgemeine Gesetzmäßigkeit der Handlung überhaupt übrig.‹ 48 Kant schließt damit vom Ausschluss der Neigungen auf die Allgemeinheit der GeErgänzend lassen sich Stellen anführen, in denen Kant die Notwendigkeit einer Handlung mit der Unabhängigkeit der Willensbestimmung von Neigungen engführt. Vgl.: »Ich verknüpfe mit dem Willen, ohne vorausgesetzte Bedingung aus irgend einer Neigung, die Tat a priori, mithin notwendig […]« (GMS: 420 Fn.); »der Wille ist ein Vermögen, nur dasjenige zu wählen, was die Vernunft, unabhängig von der Neigung, als praktisch notwendig, d. i. als gut erkennt« (GMS: 412).

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setzgebung. Das Argumentationsmodell ›keine Neigung, also allgemein‹ findet also in der GMS Verwendung. Im Kontext der Lust scheint dieses Modell aber nicht mehr oder weniger abwegig als im Kontext von Handlungen. (3) Im Rahmen seiner Ausführungen zur Tafel der Kategorien der Freiheit in der KpV führt Kant zu den Kategorien der Quantität das Folgende aus: »So weiß man z. B. aus obiger Tafel und der ersten Nummer derselben sogleich, wovon man in praktischen Erwägungen anfangen müsse: von den Maximen, die jeder auf seine Neigung gründet, den Vorschriften, die für eine Gattung vernünftiger Wesen, so fern sie in gewissen Neigungen übereinkommen, gelten, und endlich dem Gesetze, welches für alle, unangesehen ihrer Neigungen, gilt« (KpV: 67). Kant bindet hier die bloß private und partikulare Geltung von Maximen daran, dass diese Maximen sich auf Neigungen gründen; hingegen gilt das (moralische) Gesetz ›für alle, unangesehen ihrer Neigung‹. Erneut findet sich also eine Engführung von Privatgültigkeit (und partikularer Gültigkeit) mit dem Beruhen auf Neigungen und von Allgemeingültigkeit mit der Unabhängigkeit von Neigungen. (4) Schließlich möchte ich noch auf die von Kant so oft bemühten Differenzierungen von Sinnenwelt und Verstandeswelt einerseits und Heteronomie und Autonomie andererseits verweisen. In GMS III heißt es: »Als bloßen Gliedes der Verstandeswelt würden also alle meine Handlungen dem Prinzip der Autonomie des reinen Willens vollkommen gemäß sein; als bloßen Stücks der Sinnenwelt würden sie gänzlich dem Naturgesetz der Begierden und Neigungen, mithin der Heteronomie der Natur gemäß, genommen werden müssen« (GMS: 453). In diesem Zitat findet sich erstens ein Komplex von Verstandeswelt und (Prinzip der) Autonomie sowie zweitens ein Komplex von Sinnenwelt, Heteronomie und ›Begierden und Neigungen‹. Mit Bezug auf Handlungen scheinen die Bestandteile dieser Komplexe immer zusammenzugehen: Eine Handlung aus Neigung bzw. Begierde erfolgt aus Heteronomie und ist dem Menschen als Glied der Sinnenwelt zuzurechnen; eine Handlung, die aus Autonomie erfolgt, ist dem Menschen als Glied der Verstandeswelt zuzurechnen. Lässt sich aber ausschließen, dass eine Handlung aus Neigung (bzw. Begierde) erfolgt, so erfolgt sie nicht aus Heteronomie, sondern muss aus Autonomie erfolgen und ist der Verstandeswelt beizuzählen. Kants Philosophie des Schönen

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Vor dem Hintergrund dieser Passagen aus der GMS und der KpV scheint die Prämisse ›Wenn sich eine Lust auf Privatbedingungen gründet, dann gründet sich die Lust auf eine Neigung‹ durchaus plausibel. Wenn es für Handlungen bzw. Maximen keine anderen Privatbedingungen als Neigungen gibt, warum sollte dies bei Gefühlen anders sein? Insbesondere die unter (2) angeführte Tatsache, dass Kant in GMS: 402 von der Unabhängigkeit von Neigungen auf die Allgemeingültigkeit der Gesetzgebung schließt, ist von zentraler Bedeutung. Ich behaupte: Kant wendet in § 6 einfach einen analogen Schluss an, und dieser ist vielleicht nicht mehr, jedenfalls aber auch nicht weniger gerechtfertigt als jener Schluss im Bereich der Ethik. Wenngleich man sich zwar vielleicht (systematisch) immer noch eine Begründung dafür wünschen mag, dass es keine anderen Privatbedingungen als Neigungen für eine Lust geben kann, so ist diese Prämisse mindestens innerhalb des kantischen Theoriegebäudes tief verankert. Fragen wir doch einfach, welche anderen Privatbedingungen Kant kennen könnte. Als Antwort, so scheint mir, ist die folgende Diagnose Allisons unausweichlich: »it seems difficult to avoid the conclusion that the ›merely private condition‹ to which Guyer obliquely refers must be characterized as an inclination in the broad sense, that is, some kind of desire or aversion connected with our sensuous nature« (Allison 2001, 101 f.). Dabei darf eine Neigung nicht im ganz engen Sinne als »habituelle Begierde« (MdS: 212, m. H.) verstanden werden, sondern sie muss vielmehr im Sinne einer auf Sinnlichkeit gerichteten Begierde begriffen werden, die noch nicht unbedingt habitualisiert sein muss. 49 In der Tat ist es innerhalb des kantischen Theoriegebäudes fraglich, welche Privatbedingungen einer Lust nicht letztlich auf eine Neigung in diesem weiten Verständnis zurückzuführen sein sollten. Letztlich obliegt dann Guyer und allen anderen, die eine Kritik im Guyer’schen Sinne äußern, die Beweislast, eine Privatbedingung zu benennen, die nicht auf einer solchen Neigung beruht. Insgesamt ist also das kantische Argument, das von der Unabhängigkeit der Lust von Neigungen auf die Unabhängigkeit von Privatbedingungen und von dort auf die Allgemeinheit der Lust schließt, durchaus plausibel und gerechtfertigt. Tatsächlich scheint mir dieser Argumentationsstrang aber auch nur einen Teil der Argumentation in § 6 auszumachen. Ich werde im Folgenden noch weitere 49

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Vgl. Allison 2001, 362.

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Ein Argument für die Allgemeingültigkeitsthese

Argumentationslinien in § 6 aufzeigen. Zuvor möchte ich aber noch auf ein Spezifikum der kantischen Wortwahl in den Sätzen § 6.A.2–3 aufmerksam machen. Diese Passage ist aus der Sicht einer Person geschrieben, die eine Lust am Schönen fühlt. Diese Person ist sich ›bewußt‹, dass die von ihr gefühlte Lust ›ohne alles Interesse‹ ist, und diese Person ›kann…nicht anders‹, als diese Lust für allgemeingültig zu befinden. Der Urteilende ›muß…glauben Grund zu haben, jedermann ein ähnliches Wohlgefallen zuzumuthen‹. Damit macht Kant erstens deutlich, dass gewöhnliche Urteilende immer schon davon ausgehen, dass ihre Lust am Schönen allgemeingültig ist. Zweitens expliziert er, dass das von ihm vorgebrachte Argument von jedem gewöhnlichen Urteilenden nachvollzogen werden kann. Würde sich ein solcher Urteilender fragen, ob seine Lust allgemeingültig sei, so könnte er den von Kant geschilderten Argumentationsgang selbst hervorbringen.

6.2.3 Ein Argument aufgrund der Freiheit der Lust Kommen wir zur zweiten in § 6.A.3 angedeuteten Begründung dafür, dass die Unabhängigkeit von Privatbedingungen aus der Unabhängigkeit von Neigungen folgt. Diese Begründung lautet: § 6.A.3a2** Denn da der Urteilende sich in Ansehung des Wohlgefallens, welches er dem Gegenstand widmet, völlig frei fühlt, [kann der Urteilende keine Privatbedingungen als Gründe des Wohlgefallens auffinden.]

Lässt man die Erste-Person-Perspektive zunächst außer Acht, lautet das Argument so: P1

Wenn eine Lust eine freie Lust ist, dann beruht sie nicht auf Privatbedingungen. P2 Die Lust am Schönen ist eine freie Lust. Also: Die Lust am Schönen beruht nicht auf Privatbedingungen.

P2 ist insofern unproblematisch, als Kant die Freiheitsthese (FT) bereits in § 5 eingeführt hat (»Man kann sagen: daß unter allen diesen drey Arten des Wohlgefallens, das des Geschmacks am Schönen einzig und allein ein uninteressirtes und f r e y e s Wohlgefallen sey«; § 5.B.6, 210,11). 50 Problematisch ist aber P1: Inwiefern besteht ein 50

Zur Begründung von FT siehe Kap. 5.5.3 und 5.5.4.

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§ 6 Allgemeinheit und Begriffslosigkeit der Lust am Schönen

Zusammenhang zwischen der Freiheit einer Lust und ihrer Allgemeingültigkeit? Die Freiheit einer Lust kann kein notwendiges Kriterium für die Allgemeingültigkeit dieser Lust sein. So beansprucht auch die Lust am (moralisch) Guten Allgemeingültigkeit, wobei sie jedoch nicht (oder nicht nur) durch Freiheit ausgezeichnet ist. 51 Die Freiheit der Lust kann also nur ein hinreichendes Kriterium für die Allgemeingültigkeit der Lust sein. Um dies besser zu verstehen, müssen wir uns zunächst an die Freiheitsthese FT erinnern. Wir hatten die folgenden drei Bedeutungsebenen unterschieden: 52 (i) Auf der Ebene der Lust selbst bedeutet FT, dass kein Zwang vorliegt, an einem bestimmten Gegenstand eine Lust am Schönen zu fühlen. Dieser Zwang könnte entweder von einer Neigung oder von einem Vernunftgesetz ausgehen. Ferner lässt sich der Zwang auf der Ebene der Lust auch so begreifen, dass in der Lust am Schönen keine Abhängigkeit von der Existenz des Gegenstandes besteht. (ii) Auf der Ebene des phänomenalen Gehalts bedeutet FT, dass sich die Lust am Schönen frei anfühlt. Dies bedeutet (bloß negativ), dass sich die Lust am Schönen nicht als Zwang anfühlt. (iii) Auf der Grundlagenebene des freien Spiels bedeutet FT, dass erstens die Einbildungskraft beim Apprehendieren von Formen keinem Zwang durch einen Begriff oder die Assoziationsgesetze unterliegt (negative Freiheit), und dass zweitens der Verstand im freien Spiel eine Überprüfung anhand des Prinzips a priori der Urteilskraft vornimmt, das sich die Urteilskraft in einem Akt der Autonomie selbst gibt (positive Freiheit). Auf der Ebene der Lust selbst (i) sowie der Ebene des phänomenalen Gehalts (ii) besagt FT primär, dass die Lust am Schönen keinem Zwang ausgesetzt ist, wobei ein solcher Zwang nur von einer Neigung oder einem Vernunftgesetz (einem kategorischen oder hypothetischen Imperativ) ausgehen könnte. Nun ist die Unabhängigkeit von Vernunftgesetzen keine Begründung dafür, dass eine Lust allgemeingültig ist; denn ein Vernunftgesetz ist ja gerade durch Allgemeingültigkeit ausgezeichnet. Die Unabhängigkeit von Neigungen Vgl.: »Ein Gegenstand der Neigung, und einer, welcher durch ein Vernunftgesetz uns zum Begehren auferlegt wird, lassen uns keine Freyheit, uns selbst irgend woraus einen Gegenstand der Lust zu machen« (§ 5.B.9, 210,17). Für eine Analyse dieser Passage siehe Kap. 5.5.1. 52 Siehe Kap. 5.5. 51

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Ein Argument für die Allgemeingültigkeitsthese

kann jedoch, wie im vorigen Abschnitt (6.2.1) gezeigt, als Begründung dafür herangezogen werden, dass die Lust auf keinen Privatbedingungen beruht und somit allgemeingültig sein muss. Durch die Freiheitsthese FT kann daher noch einmal begründet werden, dass die Lust am Schönen nicht auf Neigungen beruht. Haben wir dadurch aber irgendetwas gewonnen? Nicht viel, so möchte man meinen. Wir hätten nur P2 aus dem Argument aus der Unabhängigkeit von Neigungen abgesichert (›Die Lust am Schönen gründet sich auf keine Neigung‹). Wie aber bereits oben erläutert, ist diese Prämisse eigentlich unproblematisch und unkontrovers. Nehmen wir einmal die Grundlagenebene von FT (iii) in den Blick. Diese Ebene beinhaltet unter anderem ein Moment der positiven Freiheit (Autonomie bzw. Heautonomie). Erinnern wir uns an die oben geschilderte Dichotomie von Heteronomie und Autonomie: Heteronomie ist immer mit Privatgültigkeit, Autonomie aber mit Allgemeingültigkeit verbunden. In diesem Sinne könnte man das folgende Argument konstruieren: P1

Wenn eine Lust auf einem Akt der Autonomie beruht, dann ist sie allgemeingültig. P2 Die Lust am Schönen beruht auf einem Akt der Autonomie. Also: Die Lust am Schönen ist allgemeingültig.

Autonomie im kantischen Sinne ist durch Unabhängigkeit vom Bereich der Sinnlichkeit gekennzeichnet, wodurch der Bereich des bloß Privaten und Arbiträren ausgeschlossen ist. So heißt es etwa zum Verhältnis von Autonomie und Allgemeingültigkeit in der Ersten Einleitung: »denn wenn das ästhetische Urtheil dergleichen [Allgemeinheit und Notwendigkeit] bey sich führt, so macht es auch Anspruch darauf, daß sein Bestimmungsgrund n i c h t b l o s i m G e f ü h l e der Lust und Unlust für sich allein, sondern z u g l e i c h i n e i n e r R e g e l der oberen Erkenntnißvermögen, und namentlich hier in der der Urtheilskraft, liegen müsse, die also in Ansehung der Bedingungen der Reflexion a priori gesetzgebend ist und Avtonomie beweiset; diese Avtonomie aber ist […] blos subjectiv, für das Urtheil aus Gefühl gültig, welches, wenn es auf Allgemeingültigkeit Anspruch machen kann, seinen auf Principien a priori gegründeten Ursprung beweiset« (EEKU: 225,15).

Kant stellt hier den folgenden epistemischen Zusammenhang her: Wenn ein ästhetisches Urteil allgemeingültig und notwendig ist – und wir wissen um diese Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit –, Kants Philosophie des Schönen

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§ 6 Allgemeinheit und Begriffslosigkeit der Lust am Schönen

dann wissen wir, dass das Urteil auf einem Akt der Autonomie (der Gesetzgebung von Prinzipien a priori) beruht. Diesem epistemischen Zusammenhang liegt der folgende vermögenstheoretische Zusammenhang zugrunde: Ein Urteil ist allgemeingültig, genau dann wenn es auf einem Akt der Autonomie beruht. 53 Dies ist insofern plausibel, als nur aus einem Akt der Autonomie (Selbstgesetzgebung) Gesetze bzw. Prinzipien a priori entspringen, die durch Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit ausgezeichnet sind. 54 Analog zum Urteil könnte auch für die Lust gelten: Eine Lust ist allgemeingültig, genau dann wenn sie auf einem Akt der Autonomie (der Gesetzgebung von Prinzipien a priori) beruht. In diesem Zusammenhang ist P1 des obigen Arguments (›Wenn eine Lust auf einem Akt der Autonomie beruht, dann ist sie allgemeingültig‹) beinhaltet. Das offenkundige Problem des Arguments besteht aber darin, dass uns P2 (›Die Lust am Schönen beruht auf einem Akt der Autonomie‹) noch nicht zur Verfügung steht. Da die epistemische Argumentationsstrategie in § 6 noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass sie den (he)autonomen Akt der Selbstgesetzgebung des Prinzips a priori aufgedeckt hat, 55 kann das Argument nicht zur epistemischen Herleitung von ATLust dienen. Dennoch, so werden wir nun sehen, kann der geschilderte Zusammenhang von Autonomie und Allgemeingültigkeit in einem schwachen Sinn bereits in § 6 zum Tragen kommen. Erinnern wir uns zunächst daran, dass es darum geht, im Sinne der epistemischen Argumentationsstrategie herzuleiten, dass die Lust allgemeingültig ist. Wollen wir dazu die Autonomie als eine Art von Prämisse nutzen, so müssen wir zunächst epistemisch herleiten, dass der Lust ein Akt der Autonomie zugrunde liegt. Werfen wir nun zunächst einen kurzen Blick auf die Wortwahl von § 6.A.3. Auffälligerweise schreibt Kant nicht: ›Die Lust ist frei, also beruht sie nicht auf Privatbedingungen und also ist sie allgemeingültig‹. Vielmehr schreibt er: ›da der Urtheilende sich in Ansehung des Wohlgefallens….völlig frey fühlt: so kann er keine Privatbedingungen als Gründe des Wohlgefallens auffinden…; folglich muß er glauben Grund zu haben, jedermann Vgl. hierzu: »Der Anspruch eines ästhetischen Urtheils auf allgemeine Gültigkeit für jedes Subject bedarf, als ein Urtheil welches sich auf irgend ein Princip a priori fußen muß, einer Deduction« (279,7). 54 Autonomie ist hier nicht nur als praktische Selbstgesetzgebung zu verstehen, sondern umfasst insbesondere auch die spontane Selbstgesetzgebung im theoretischen Bereich. Vgl. hierzu EEKU: 225,21. 55 Siehe Unterpunkt 3.2 der Einleitung zu diesem Kommentar. 53

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Ein Argument für die Allgemeingültigkeitsthese

ein ähnliches Wohlgefallen zuzumuthen‹. Den Ausgangspunkt der Argumentation bildet damit ein Gefühl, und zwar das Gefühl der Freiheit der Lust; Kant beginnt mit dem phänomenalen Gehalt der Lust, also damit, dass die Lust sich frei anfühlt. 56 Die phänomenale Komponente der Freiheit besteht darin, dass das Subjekt keinen Zwang fühlt. Freilich ist das Nicht-Fühlen eines Zwangs nicht hinreichend, um zu belegen, dass der Lust ein Akt der Autonomie zugrunde gelegt ist. Jedoch kann die phänomenal erlebte Freiheit einen (gefühlten) Hinweis darauf geben, dass diesem Gefühl ein Akt der Autonomie zugrunde liegt. Ein Mensch, der bei einer Lust keinen Zwang fühlt, könnte aufgrund dieses Bewusstseins der (negativen) Freiheit annehmen, dass seiner Lust auch eine Form von positiver Freiheit, d. h. Autonomie, zugrunde liegt. Und die Annahme, dass der Lust ein Akt der Autonomie zugrunde liegt, würde ihn vermuten lassen, dass die Lust allgemeingültig ist. Wir können diesen epistemischen Zusammenhang folgendermaßen darstellen: Ich fühle eine Lust am Schönen, die sich frei anfühlt. (Ich fühle keinen Zwang.) Aufgrund des Sich-frei-Anfühlens der Lust nehme ich an, dass der Lust ein Akt der Autonomie zugrunde liegt. Meine Annahme, dass der Lust ein Akt der Autonomie zugrunde liegt, bringt mit sich die Annahme, dass meine Lust allgemeingültig ist.

Ich möchte betonen, dass dieser Zusammenhang freilich nicht den Status einer logischen Begründung beansprucht und damit keinesfalls beweist, dass die Lust am Schönen allgemeingültig ist. Vielmehr bildet dieser Zusammenhang nur ab, warum es für einen Urteilenden plausibel erscheinen mag, dass seine gefühlte Lust allgemeingültig ist. Der Zusammenhang hat damit den Status einer Plausibilitätsüberlegung aus Sicht desjenigen, der die ästhetische Lust fühlt. In dieser Funktion kann der Zusammenhang unterstützend zum Argument aus der Unabhängigkeit von Neigungen wirken.

Tatsächlich habe ich diese Formulierung aus § 6.A.3a als Beleg dafür angeführt, dass die Freiheit einen Bestandteil des phänomenalen Gehalts der Lust am Schönen ausmacht. Siehe Kap. G1.2.2.

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6.2.4 Zum phänomenalen Bewusstsein der Allgemeingültigkeit Die Allgemeingültigkeit, so haben wir gesehen, macht eine Komponente des phänomenalen Gehalts der Lust am Schönen aus: Phänomenologisch bedeutet ATLust, dass man sich in der Lust am Schönen mit seinen Mitmenschen verbunden sowie ein Transzendieren seiner Privatbedingungen fühlt.

Wir haben also ein gefühltes Bewusstsein von ATLust. Genau aus diesem Grund klingt es in den §§ 6–7 bisweilen so, als ob es für einen Urteilenden völlig offenkundig und klar sei, dass seine Lust allgemeingültig ist. So heißt es etwa in § 7: »wenn er aber etwas für schön ausgiebt, so muthet er andern eben dasselbe Wohlgefallen zu: er urtheilt nicht bloß für sich, sondern für jedermann, […]« (§ 7.B.4, 212,31). In § 8 schildert Kant, dass Urteilende keinesfalls »wegen der Möglichkeit eines solchen Anspruchs [der Allgemeingültigkeit] in Streite sind, sondern sich nur in besondern Fällen wegen der richtigen Anwendung dieses Vermögens [des Reflexionsgeschmacks] nicht einigen können« (§ 8.B.3, 214,26). Wenngleich Urteilende manchmal die Korrektheit von Geschmacksurteilen anzweifeln, so würden sie nie anzweifeln, dass Geschmacksurteile den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben. Und sie zweifeln deshalb nie an diesem Allgemeinheitsanspruch, so mein Vorschlag, weil sie ein unmittelbares, phänomenales Bewusstsein der Allgemeinheit der Lust am Schönen haben; und es ist ja diese Lust, welche die Urteilenden im Geschmacksurteil prädizieren. Es stellt sich aber dann die Frage: Wenn die Lust am Schönen bereits ein phänomenales Bewusstsein von ATLust beinhaltet, warum bedarf es dann noch eines Arguments für ATLust? Zunächst einmal wirkt Kants Argument für die Allgemeingültigkeitsthese unterstützend zum phänomenalen Bewusstsein von ATLust. Ohne Frage ist ATLust eine der ambitioniertesten Thesen der gesamten Theorie – insbesondere vor dem Hintergrund des damit verbundenen zweistufigen Paradoxes von Allgemeingültigkeit und Lust sowie Allgemeingültigkeit und Begriffslosigkeit. Aufgrund dieses Paradoxes besteht ein nachdrücklicher Bedarf, ATLust zu begründen. Schließlich mag sich auch der gemeine Mensch, der eine Lust am Schönen fühlt, fragen, wie denn ein Gefühl jene Allgemeingültigkeit beanspruchen kann, deren er sich doch unmittelbar bewusst ist. Insgesamt ist aber festzuhalten, dass Kants Argument nicht mehr bei Null ansetzen 380

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Ein Argument für die Allgemeingültigkeitsthese

muss. Vielmehr kann vorausgesetzt werden, dass wir immer schon unsere Lust am Schönen als allgemeingültig erfahren. Das Argument muss dieses Bewusstsein nur noch argumentativ unterfüttern. Bei aller Schwäche, die man der kantischen Argumentation in § 6 unterstellen mag, muss man dies immer vor Augen haben.

6.2.5 Weitere mögliche Argumente für die Allgemeingültigkeitsthese Man könnte sich fragen, ob Kant nicht viel stärkere Argumente für eine Begründung von ATLust zur Verfügung stehen könnten, etwa diese: Erstens könnte Kant ausgehend vom Prinzip a priori der Urteilskraft argumentierten, dass die Lust am Schönen deswegen allgemeingültig ist, weil ihr ein Prinzip a priori zugrunde liegt und weil Prinzipien a priori immer notwendig allgemeingültig sind. Zweitens könnte er ausgehend vom freien Spiel der Erkenntniskräfte bzw. vom Gemeinsinn argumentieren, dass die allgemeingültige Lust einem allgemeinen Vermögen entstammt, d. h. einem Vermögen, das allen Menschen gleichermaßen zukommt, das bei allen Menschen auf dieselbe Art und Weise operiert (funktioniert) und in den gleichen Situationen zu den gleichen Ergebnissen führt. 57 Wenngleich beide Argumente vielleicht überzeugender wirken mögen, als Kants Argument aus der Unabhängigkeit von Neigungen, so muss erneut daran erinnert werden, dass diese Argumente in § 6 noch nicht zur Verfügung stehen; denn auf das Theoriestück des Prinzips a priori leitet Kant erst in § 12 hin und auf das Theoriestück des Gemeinsinns erst in §§ 20–21. Ferner ist an die Differenzierung zwischen epistemischer und vermögenstheoretischer Argumentationsstrategie zu erinnern: Es ist richtig, dass die Lust am Schönen aus vermögenstheoretischer Perspektive deswegen allgemeingültig ist, weil ihr ein Prinzip a priori zugrunde liegt und weil sie dem Vermögen des Gemeinsinns entVgl. für eine ähnliche Argumentation: »Eben so macht derjenige, welcher in der bloßen Reflexion über die Form eines Gegenstandes, ohne Rücksicht auf einen Begrif, Lust empfindet, ob zwar dieses Urtheil empirisch und einzelnes Urtheil ist, mit Recht Anspruch auf Jedermanns Beystimmung; weil der Grund zu dieser Lust in der allgemeinen obzwar subjectiven Bedingung der reflektierenden Urtheile, nämlich der zweckmäßigen Uebereinstimmung eines Gegenstandes […] mit dem Verhältniß der Erkenntnißvermögen unter sich, die zu jedem empirischen Erkenntniß erfordert werden (der Einbildungskraft und des Verstandes), angetroffen wird« (191,17).

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springt. Epistemisch aber sind uns diese Theoriestücke erst aufgrund unseres Wissens um die Allgemeingültigkeit der Lust zugänglich.

6.2.6 Kann es eine partikular gültige Lust geben? Gegen das Argument aus der Unabhängigkeit von Neigungen lässt sich der folgende Einwand vorbringen: Dieses Argument beinhaltet einen Schluss, bei dem man ausgehend von der Prämisse, dass die Lust nicht auf Privatbedingungen beruht, auf die Allgemeingültigkeit der Lust schließt. Ist dies aber legitim? Könnte es nicht auch eine bloß partikular gültige Lust geben? Dieses Problem führt Wenzel an: »If the grounds we are looking for are not personal ones, why should we have to go so far as to demand grounds that are valid for everyone? Why should it not be possible that there be grounds that apply just to a particular group of people? After all, in the first Critique, in the table of judgments regarding quantity, we already find that Kant admits not only singular and universal judgments, but also particular ones« (Wenzel 2008, 28). 58 Eine solche partikulare Lust läge vor, wenn einige Menschen beim Wahrnehmen von x uninteressierte Lust fühlten. Die entscheidende Frage ist dabei: Welche Gründe könnte es haben, dass eine bestimmte Lust einer partikularen Gruppe von Menschen zukommt? Denkbar wäre etwa, dass einige Menschen bloß zufällig eine Lust an einem bestimmten Gegenstand (bspw. Schokolade) teilen. Denkbar wäre auch, dass einige Menschen eine Lust an einem Gegenstand teilen, weil sie einer gemeinsamen Kultur oder einem gemeinsamen Zeitgeist entstammen. Diesen Fällen ist gemein, dass die jeweilige Lust auf Neigungen zurückzuführen ist, die von einer Gruppe geteilt werden – womit sie doch letztlich auf Privatbedingungen beruhen, wobei diese (mehr oder weniger zufällig) in mehreren Subjekten gegeben wären. Die These, dass eine partikular geteilte Lust letztlich auf Neigungen zurückzuführen ist, lässt sich mit Rekurs auf die KpV bestätigen. Im Rahmen der Tafel der Kategorien der Freiheit führt Kant nämlich zum Geltungsbereich von Maximen aus: »So weiß man z. B. aus obiger Tafel und der ersten Nummer [der Quantität] derselben sogleich, wovon man in praktischen Erwägungen anfangen müsse: von den Maximen, die jeder auf seine Neigung gründet, den Vorschriften, die für eine Gattung vernünfti58

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Vgl. auch Wenzel 2000, 95.

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Ein Argument für die Begriffslosigkeitsthese

ger Wesen, so fern sie in gewissen Neigungen übereinkommen, gelten, und endlich dem Gesetze, welches für alle, unangesehen ihrer Neigungen, gilt« (KpV: 67). Es ist naheliegend, dass Kant analog dazu sowohl die bloß private als auch die partikulare Lust auf Neigungen zurückführt. Denken wir an Kants Dichotomie zwischen Sinnenwelt und Verstandeswelt sowie Heteronomie und Autonomie zurück, so gibt es eigentlich nur zwei Bereiche für eine Lust: Entweder sie beruht ganz auf Heteronomie und gehört ganz zur Sinnenwelt – dann ist sie privatgültig oder partikular gültig –, oder sie beruht (mindestens auch) auf Autonomie und gehört daher (teilweise) zur Verstandeswelt – dann ist sie allgemeingültig. 59

6.3 Ein Argument für die Begriffslosigkeitsthese Wir haben bisher untersucht, wie Kant herleitet, dass die Lust am Schönen allgemeingültig ist (ATLust). Nun beinhaltet AT aber implizit auch die Begriffslosigkeitsthese BT. Wie begründet Kant diese These? Die entsprechende Passage lautet: § 6.A.5 »Aber aus Begriffen kann diese Allgemeinheit auch nicht entspringen. § 6.A.6 Denn von Begriffen giebt es keinen Uebergang zum Gefühle der Lust oder Unlust (ausgenommen in reinen practischen Gesetzen, die aber ein Interesse bey sich führen, dergleichen mit dem reinen Geschmacksurtheile nicht verbunden ist)« (211,29 f.).

In § 6.A.5 findet sich eine auf AT bezogene Formulierung von BT. Welche ›Allgemeinheit‹ und Begriffslosigkeit sind aber hier gemeint – die Allgemeingültigkeit und Begriffslosigkeit der Lust (ATLust und BTLust) oder des Geschmacksurteils (ATUrteil und BTUrteil)? Unmittelbar davor heißt es, dass »es [das Geschmacksurteil] doch mit dem logischen die Aehnlichkeit hat, daß man die Gültigkeit desselben Ähnlich heißt es auch bei Wenzel: »It seems to me that there is no place for considerations of particular groups of people in Kant’s transcendental philosophy. Either you think of yourself as an individual with personal interests, or you think of yourself as a representative of humanity in general. Within the framework of transcendental philosophy, there is nothing in between: you cannot think of yourself as a member of a particular group, because the characteristics of such a group would be empirical and never a priori« (Wenzel 2008, 29; vgl. auch Wenzel 2000, 95).

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für jedermann daran voraussetzen kann« (§ 6.A.4, 211,27). Demnach müssten wir § 6.A.5 folgendermaßen rekonstruieren: § 6.A.5R1 Aus Begriffen kann die Allgemeinheit des Geschmacksurteils nicht entspringen.

Allerdings behandelt Kant im anschließenden Satz § 6.A.6 primär die Frage, ob die Lust am Schönen auf Begriffen beruhen kann. Da das Geschmacksurteil ein ästhetisches Urteil ist, das durch ein quasiPrädikat der Lust ausgezeichnet ist, ist BTUrteil auf BTLust zurückzuführen. Die folgende Ergänzung ist daher sinnvoll: § 6.A.5R2 Aus Begriffen kann die Allgemeinheit der Lust am Schönen und damit des Geschmacksurteils nicht entspringen.

Wie wird diese These aber nun begründet? Kant konstatiert, dass es ›von Begriffen…keinen Uebergang zum Gefühle der Lust oder Unlust [gibt] (ausgenommen in reinen practischen Gesetzen…)‹. Damit sagt er eigentlich aus, dass es nur einen einzigen Übergang von einem Begriff zum Gefühl der Lust und Unlust gibt, nämlich denjenigen Übergang, der bei reinen praktischen Gesetzen seinen Ausgang nimmt. § 6.A.6 muss somit wie folgt rekonstruiert werden: § 6.A.6R1 Von Begriffen gibt es nur einen einzigen Übergang zum Gefühl der Lust oder Unlust, nämlich den Übergang von reinen praktischen Gesetzen zum Gefühl der Lust und Unlust, wobei diese praktischen Gesetze aber ein Interesse bei sich führen, dergleichen mit dem reinen Geschmacksurteil nicht verbunden ist.

Nun habe ich bei meinen Untersuchungen des Ersten Moments und insbesondere von § 4 dafür plädiert, dass die Lust am Guten ein Interesse ist (und dass sie nicht bloß irgendwie mit einem Interesse verbunden ist). 60 Vom Interesse am Guten grenzt Kant dann das Geschmacksurteil mittels der Uninteressiertheitsthese UT ab (›dergleichen [Interesse] mit dem reinen Geschmacksurtheile nicht verbunden ist‹). Wir können vereinfacht schreiben:

In § 6.A.6 spricht Kant nicht nur vom Gefühl der Lust, sondern auch vom Gefühl der Unlust. Dasjenige Gefühl der Unlust, welches durch das moralische Gesetz bewirkt wird, ist das Gefühl der Demütigung (vgl. KpV: 73–80). Bei der Demütigung handelt es sich freilich um kein Interesse; denn ein Interesse ist immer ein Gefühl der Lust (vgl. § 2.A.1, 204,22). Jedoch ist die Demütigung eine Form von praktischer Unlust. Siehe zu dieser Problematik auch Kap. E1.3.

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Ein Argument für die Begriffslosigkeitsthese

§ 6.A.6R2 Von Begriffen gibt es nur einen einzigen Übergang zum Gefühl der Lust (oder Unlust), nämlich den Übergang von reinen praktischen Gesetzen zum Gefühl der Lust (und Unlust), das dabei ein Interesse ist; die Lust am Schönen (die dem Geschmacksurteil zugrunde liegt) ist kein Interesse (UT).

Kants Argument beruht also, wie so oft, auf UT. Es lautet: P1

Wenn eine Lust begrifflich erwirkt ist, dann ist sie eine Lust am (moralisch) Guten. P2 Wenn eine Lust eine Lust am (moralisch) Guten ist, dann ist sie ein Interesse. Also: Wenn eine Lust begrifflich erwirkt ist, dann ist sie ein Interesse. P3 Die Lust am Schönen ist kein Interesse. Also: Die Lust am Schönen ist nicht begrifflich erwirkt.

Wenn die Lust am Schönen im Sinne der Konklusion nicht begrifflich erwirkt ist, dann kann auch die Allgemeingültigkeit dieser Lust nicht begrifflich erwirkt sein. Soweit ist die Begründung für die Kombination von ATLust und BTLust durchaus nachvollziehbar. Es stellen sich aber zwei Fragen: (1) Warum kann nur die Lust am moralisch Guten, die ›von reinen praktischen Gesetzen‹ bewirkt wird, als begrifflich erwirkt gelten (§ 6.A.6)? Hätte Kant hier nicht auch die Lust am Nützlichen anführen müssen? (2) Warum kann nur die Lust am Guten begrifflich erwirkt sein und warum gibt es keinen anderen ›Uebergang‹ ›von Begriffen….zum Gefühle der Lust und Unlust‹ (P1 bzw. § 6.A.6)? Auf die erste Frage können wir wie folgt antworten: Zwar ist auch die Lust am Nützlichen insofern begrifflich erwirkt, als sie auf einer Willensbestimmung durch einen hypothetischen Imperativ beruht; sie ist aber nicht ausschließlich begrifflich erwirkt, sondern setzt auch eine antizipierte Lust am Angenehmen und in diesem Sinne eine Neigung voraus. Dies hat unter anderem zur Folge, dass die Lust am Nützlichen nur bedingt allgemeingültig ist, d. h. nur unter der Bedingung, dass der Zweck gewollt wird. Zwar sind hypothetische Imperative allgemeingültig – denn sie sind analytische Sätze; 61 jedoch erfolgt durch sie nur dann eine Willensbestimmung, wenn der Zweck gewollt wird, wobei dieser letztlich im Bereich des Angenehmen zu verorten ist. Da eine Zwecksetzung im Sinne des Angenehmen bloß So sind die Imperative der Geschicklichkeit und der Klugheit je analytisch (vgl. GMS: 417 f.).

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§ 6 Allgemeinheit und Begriffslosigkeit der Lust am Schönen

privatgültig ist – in der Tat ist sie ja an Neigungen gebunden –, so ist die Lust am Nützlichen mindestens nur eingeschränkt oder eben bedingt allgemeingültig. Vor diesem Hintergrund ist der Fall des Nützlichen für die Begründung der Kombination von AT und BT irrelevant; denn es ist kein Fall einer allgemeingültigen Lust im eigentlichen Sinn. 62 Und warum kann es keinen anderen ›Uebergang‹ ›von Begriffen….zum Gefühle der Lust und Unlust‹ geben? Für Kant ist eine begrifflich erwirkte Lust per definitionem eine Lust am Guten. 63 Es gibt daher keinen anderen ›Übergang‹ ›von Begriffen….zum Gefühle der Lust und Unlust‹ als den beim Guten, weil das Gute bzw. die Lust am Guten gerade durch diesen ›Übergang‹ definiert ist. Insgesamt ist BTLust weniger problematisch und kontrovers als ATLust, weshalb sich Kant wohl nur kurz der Begründung von BTLust zuwendet. Zudem mag uns BTLust intuitiv plausibel erscheinen; denn wir können tatsächlich oft nicht auf Begriffe bringen, warum wir einen spezifischen Gegenstand als schön erfahren. In diesem Sinne geht Kant davon aus, dass wir von BTLust (wie von ATLust) ein unmittelbares Bewusstsein haben. So heißt es in § 8: »Wenn man Objecte bloß nach Begriffen beurtheilt, so geht alle Vorstellung der Schönheit verloren. Also kann es auch keine Regel geben, nach der jemand genöthigt werden sollte, etwas für schön anzuerkennen. Ob ein Kleid, ein Haus, eine Blume, schön sey: dazu läßt man sich sein Urtheil durch keine Gründe oder Grundsätze beschwatzen. Man will das Object seinen eignen Augen unterwerfen, gleich als ob sein Wohlgefallen von der Empfindung abhinge« (§ 8.F.1–4, 215,35 f.).

Diese Passage ist erneut aus der Sicht von Personen, die eine Lust am Schönen fühlen bzw. über das Schöne urteilen, verfasst (›Wenn man

Im Übrigen scheint mir Kant das Nützliche kurz in § 6.A.3 zu behandeln. Dort heißt es: »Denn da es [das Wohlgefallen] sich nicht auf irgend eine Neigung des Subjects (noch auf irgend ein anderes überlegtes Interesse) gründet, [….]« (211,15). Da Kant in diesem Satz ATLust begründen möchte, muss er die Lust am Schönen nicht von der Lust am moralisch Guten als einer Form von ›überlegte[m] Interesse‹ abgrenzen. Die Klammerbemerkung ergibt aber Sinn, wenn sie sich auf die Lust am Nützlichen, die in gewisser Hinsicht bloß privatgültig ist, bezieht. Kant würde dann betonen, dass die Lust am Schönen nicht nur unmittelbar auf keiner Neigung beruht, sondern auch auf keinem ›überlegte[n] Interesse‹, das eine Zwecksetzung, die einer Neigung korrespondiert, voraussetzt und insofern privatgültig ist. 63 Vgl.: »G U T ist das, was vermittelst der Vernunft, durch den bloßen Begrif, gefällt« (§ 4.A.1, 207,15). – Die Prämisse, dass nur die Lust am Guten begrifflich erwirkt ist, wird etwa von Fricke als unbegründet kritisiert (vgl. Fricke 1990, 31). 62

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Ein ästhetisches Urteil unter dem Deckmantel eines logischen Urteils

Objecte…beurtheilt‹, ›dazu läßt man sich…‹, ›Man will…‹): Wir wollen beim Schönen den Gegenstand selbst betrachten, denn wir vertrauen nicht auf das Zeugnis oder auf die Gründe Dritter. In diesem Sinne verfahren wir beim Urteilen, nach Kant, immer schon intuitiv in Übereinstimmung mit BTLust bzw. BTUrteil. 64

6.4 Ein ästhetisches Urteil unter dem Deckmantel eines logischen Urteils Wir haben einen Satz bislang noch nicht beachtet, nämlich § 6.A.4. In ihm bestimmt Kant das Verhältnis von Geschmacksurteilen zu logischen Urteilen hinsichtlich ihrer Allgemeinheit: § 6.A.4 »[a] Er wird daher vom Schönen so sprechen, als ob Schönheit eine Beschaffenheit des Gegenstandes und das Urtheil logisch (durch Begriffe vom Objecte eine Erkenntniß desselben ausmache) wäre; [b] ob es gleich nur ästhetisch ist und bloß eine Beziehung der Vorstellung des Gegenstandes auf das Subject enthält: [c] darum, weil es doch mit dem logischen die Aehnlichkeit hat, daß man die Gültigkeit desselben für jedermann daran voraussetzen kann« (211,23).

Das Personalpronomen ›Er‹ muss sich auf »der Urtheilende« aus § 6.A.3 beziehen (211,17), die Partikel ›es‹ und ›desselben‹ beziehen sich auf ›Urtheil‹. Bei diesem ›Urtheil‹ handelt es sich ganz offenkundig um das Geschmacksurteil; denn der Urteilende spricht hier ja ›vom Schönen‹. Die Partikel ›desselben‹ in der Klammerbemerkung bezieht sich schließlich auf ›Gegenstandes‹. Isoliert man darüber hinaus drei Proposition, so ergibt sich das folgende Bild: § 6.A.4a* Der Urteilende wird daher vom Schönen so sprechen, als ob Schönheit eine Beschaffenheit des Gegenstandes und das Geschmacksurteil logisch wäre (durch Begriffe vom Objekt eine Erkenntnis desselben Gegenstandes ausmache).

Ergänzend könnte man auch noch anführen, dass wir von vielen Gegenständen, die wir als schön erleben, keinen oder nur einen sehr vagen Begriff haben. So heißt es in § 4: »Blumen, freye Zeichnungen, ohne Absicht in einander geschlungene Züge, unter dem Namen des Laubwerks, bedeuten nichts, hängen von keinem bestimmten Begriffe ab, und gefallen doch« (§ 4.B.3, 207,24).

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§ 6 Allgemeinheit und Begriffslosigkeit der Lust am Schönen

§ 6.A.4b* Das Geschmacksurteil ist nur ästhetisch und enthält bloß eine Beziehung der Vorstellung des Gegenstandes auf das Subjekt. § 6.A.4c* Das Geschmacksurteil hat mit dem logischen Urteil die Ähnlichkeit, dass man die Gültigkeit des Urteils für jedermann daran voraussetzen kann.

In § 6.A.4b erinnert Kant an das Resultat von § 1: Das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil; und ein ästhetisches Urteil drückt eine Beziehung einer Vorstellung »auf das Subject und das Gefühl der Lust und Unlust desselben« aus (§ 1.A.1, 203,12). 65 Das Geschmacksurteil enthält also insofern ›bloß eine Beziehung der Vorstellung des Gegenstandes auf das Subject‹, als es ein (verdecktes) Urteil der Form »x ist mit Lust verbunden« ist. Das Prädikat erfasst keine Eigenschaft des Objekts begrifflich (BTUrteil), sondern ein Gefühl der Lust des urteilenden Subjekts. Dem ästhetischen Urteil ist nun das logische Urteil entgegengesetzt. Dieses wird in der Klammerbemerkung in § 6.A.4a so bestimmt, dass es ein Urteil ist, welches ›durch Begriffe vom Object eine Erkenntniß‹ des Gegenstandes ausmacht. Auch dies ist freilich eine Reminiszenz an § 1. Kant grenzt in § 6.A.4 aber nicht nur das Geschmacksurteil vom logischen Urteil ab. Er legt auch dar, dass beide in einer bestimmten Hinsicht eine Ähnlichkeit aufweisen und man beim Schönen sogar so urteilt, ›als ob Schönheit eine Beschaffenheit des Gegenstandes‹ wäre. Man urteilt in diesem Sinne, als ob ›das Geschmacksurteil logisch… wäre‹. Eine ähnliche Bemerkung findet sich auch in § 7: »er urtheilt nicht bloß für sich, sondern für jedermann, und spricht alsdann von der Schönheit, als wäre sie eine Eigenschaft der Dinge. Er sagt daher, die S a c h e ist schön; […]« (§ 7.B.4–5, 212,32).

Dass ein Urteilender ›von der Schönheit‹ so spricht, ›als wäre sie eine Eigenschaft der Dinge‹, bedeutet, dass man so urteilt, als ob das Urteil »x ist schön« ein logisches Urteil wäre. Man verbirgt somit in gewisser Hinsicht den ästhetischen Charakter des Geschmacksurteils. Wie aber kommt es zu dieser Verhüllung? Erstens verbirgt das Prädikat »ist schön« bereits insofern den Status als ästhetisches Urteil, als aus diesem Prädikat nicht ersichtlich wird, dass eine Lust des urteilenden Subjekts bezeichnet wird. Man sagt eben nicht »Ich fühle Lust am Schönen«, sondern »x ist schön« bzw. ›die Sache ist schön‹. 65

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Zur objektiven und subjektiven Beziehung der Vorstellungen siehe Kap. 1.2.1.

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Zusammenfassung

In diesem Sinne kann der Akt der begrifflichen Erfassung der Lust durch das Prädikat »ist schön« als Verhüllungsakt begriffen werden. Dies gilt aber auch für das Urteil »x ist angenehm«; denn auch dieses Urteil lautet nicht etwa »Ich fühle Lust am Angenehmen«. Zweitens entspringt dem Akt der begrifflichen Erfassung der Lust durch den Begriff »schön« ein allgemeingültiges Urteil. Hinsichtlich seiner allgemeinen Geltung stimmt das Geschmacksurteil mit dem logischen Urteil überein. Aufgrund seiner allgemeinen Geltung erscheint das Geschmacksurteil daher wie ein logisches Urteil. 66 In diesem Sinne heißt es in § 6.A.4c, das Geschmacksurteil habe ›mit dem logischen [Urteil] die Aehnlichkeit, daß man die Gültigkeit desselben für jedermann daran voraussetzen kann‹. Aufgrund der Allgemeingültigkeit kann ein Urteilender sich also täuschen und denken, sein Urteil »x ist schön« wäre ein logisches Urteil. Dieses zweite Verhüllungs- bzw. Täuschungsmoment liegt beim Urteil über das Angenehme nicht vor und ist daher ein Spezifikum des Geschmacksurteils.

6.5 Zusammenfassung Kant hat die Allgemeingültigkeitsthese AT neu eingeführt. Dabei sind eigentlich vier verschiedene Thesen zu unterscheiden: Die eigentliche Allgemeingültigkeitsthese lässt sich in eine These über die Lust (ATLust) und eine These über das Geschmacksurteil (ATUrteil) differenzieren. (1) ATLust besagt in ihrer deskriptiven Variante: »Alle Menschen fühlen an einem Gegenstand x eine Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind und x ein schöner Gegenstand ist.« In ihrer präskriptiven Variante besagt ATLust: »Alle Menschen sollen an einem schönen Gegenstand x eine Lust am Schönen fühlen.« In diesem Sollensanspruch ist beinhaltet, dass die anderen Urteilenden sich in eine ästhetische Einstellung versetzen sollen. Phänomenologisch bedeutet ATLust, dass man sich in der Lust am Schönen mit seinen Mitmenschen verbunden sowie ein Transzendieren seiner Privatbedingungen fühlt. (2) ATUrteil beruht insofern auf ATLust, als das Geschmacksurteil, welches ja eine Lust prädiziert, nur dann allgemeingültig sein kann, wenn diese prädizierte Lust allgemeingültig ist. Als These bezüglich des Inhalts des GeschmacksurVgl. hierzu auch: »Geschmacksurtheil hat darinn etwas Logisches, daß es allgemeine Beystimmung Gebietet« (Refl: 993, AA 15: 437). – Siehe auch Kap. G5.4.

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§ 6 Allgemeinheit und Begriffslosigkeit der Lust am Schönen

teils bedeutet ATUrteil, dass das Geschmacksurteil im Sinne seines verdeckten logischen Subjekts als allgemeines Urteil der Form »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind« rekonstruiert werden kann. Als These über die Geltung des Geschmacksurteils bedeutet ATUrteil, dass das Urteil »x ist schön« für alle Urteilenden gilt. ATLust und ATUrteil beinhalten indirekt jeweils eine Form der Begriffslosigkeitsthese (BT). (3) BTLust besagt, dass die Lust am Schönen weder direkt noch indirekt begrifflich erwirkt ist. Letzteres wäre der Fall, wenn die Lust durch eine Eigenschaft des Objekts hervorgerufen würde, die begrifflich erfasst werden würde oder könnte. (4) BTUrteil besagt, dass das Prädikat »ist schön« keine Eigenschaft des Objekts oder des urteilenden Subjekts begrifflich erfasst und dass das Geschmacksurteil nicht aus einer objektiven Regel abgeleitet werden kann. Insgesamt bildet das Zusammenspiel von AT und BT ein Paradox: Wie sollen eine Lust und ein Urteil möglich sein, die nicht-begrifflich sind und denen somit keine (objektiven) Begriffe a priori zugrunde liegen, die aber dennoch allgemeingültig sind? Eine Begründung von AT ist daher von besonderer Relevanz. Ich habe gezeigt, dass sich ein Argument konstruieren lässt, welches bei der Unabhängigkeit der Lust am Schönen von Neigungen ansetzt. Darüber hinaus hat eine Person, die Lust am Schönen fühlt, aber auch ein unmittelbares, phänomenales Bewusstsein von der Allgemeingültigkeit ihrer Lust. Kants Begründung von BT ist deutlich simpler. Sie setzt dabei an, dass per definitionem nur die Lust am moralisch Guten begrifflich erwirkt ist. Aufgrund ihrer Uninteressiertheit ist die Lust am Schönen aber wesentlich von der Lust am Guten unterschieden.

6.6 Literaturbericht Ich habe herausgestellt, dass zwei verschiedene Allgemeingültigkeitsthesen zu unterscheiden sind, nämlich ATLust und ATUrteil. Explizit scheint mir diese Unterscheidung in der Sekundärliteratur bislang nicht präsent zu sein. Bisweilen wird zwar erläutert, dass sich die Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils auf die Allgemeingültigkeit der Lust gründet; so heißt es etwa bei Fricke: »Der Anspruch auf subjektive Allgemeingültigkeit, der mit reinen Geschmacksurteilen verbunden wird, gründet sich also auf die Allgemeinheit des diesem Urteil zugrundeliegenden Wohlgefallens« (Fricke

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Literaturbericht

1990, 33; vgl. ähnlich auch Kern 2000, 44; Matthews 1997, 32; McCloskey 1987, 50). Jedoch werden dann die jeweiligen Bedeutungen der Allgemeingültigkeitsthesen sowie ihr Zusammenhang nicht weiter entwickelt. Allison unterscheidet insofern zwischen ATUrteil und ATLust, als er anführt, die Allgemeingültigkeit der Lust (ATLust) mache einen Teil des Inhalts des Urteils aus, während der Allgemeingültigkeitsanspruch des Urteils (ATUrteil) zur evaluativen Geltung des Urteils gehöre (vgl. Allison 2001, 104). Bei Ginsborg (2015) kann aus systematischen Gründen keine Unterscheidung zwischen ATLust und ATUrteil vorgenommen werden, da für sie die Lust am Schönen und das Geschmacksurteil nicht unterschieden sind (vgl. Ginsborg 2015, 96). Meiner Interpretation folgend ist es sowohl für eine Rekonstruktion von ATLust als auch von ATUrteil unumgänglich, die ästhetische Einstellung einzubeziehen. In der Sekundärliteratur wird die ästhetische Einstellung im Kontext von AT jedoch mit einer Ausnahme nicht berücksichtigt. Diese Ausnahme ist Fricke, die AT folgendermaßen rekonstruiert: »Alle vernünftigen Menschen können und sollen in ästhetischer Einstellung zu einem schönen Gegenstand nicht nur ein interesseloses Wohlgefallen empfinden, sondern auch diesen Gegenstand als schön beurteilen« (Fricke 1990, 33, m. H.; vgl. auch 35). Keine explizite Erwähnung findet die ästhetische Einstellung – mindestens im Rahmen von AT – etwa bei Allison (2001), Crawford (1974), Ginsborg (2008 & 2015), Kern (2000), Kulenkampff (1994), Matthews (1997), McCloskey (1987), Wenzel (2000 & 2008) und Zuckert (2007). Bei einigen AutorInnen finden sich andere Einschränkungen von AT, so etwa »ideal conditions« bei Guyer (1979, 147) oder der Standpunkt eines »ideal critic[.]« bei Savile (1993, 15). Hinsichtlich der Bedeutung von AT, oder vielmehr von ATUrteil, lassen sich grundsätzlich drei Deutungen unterscheiden: (1) Deutungen im Sinne der evaluativen Geltung des Geschmacksurteils; (2) Deutungen im Sinne des Inhalts des Geschmacksurteils, wobei die Allgemeinheit normativ zu verstehen ist; und (3) Deutungen im Sinne des Inhalts des Geschmacksurteils, wobei die Allgemeinheit deskriptiv zu verstehen ist. Vorherrschend sind Deutungen der Art (1). So schreibt Zuckert: »such universal validity is better understood as characterizing the status of the judgment […], or as a claim on others (not about others)« (Zuckert 2007, 334). Ähnlich heißt es bei Meerbote: »Such validity is not part of the logical form of such judgments. Rather, it signifies a generality of human judgers« (Meerbote 1998, 418). Auch Kulenkampff betont, dass die Quantität der Allgemeingültigkeit beim Geschmacksurteil nicht wie gewöhnlich die »Bedeutung des Urteils« betreffe, sondern sich auf den »Geltungsmodus« beziehe (Kulenkampff 1994, 81 f.). Ähnlich schreibt Wieland: »Dieser Anspruch [d. h. der universale Geltungsanspruch] repräsentiert eine Urteilsquantität besonderer Art, weil er sich nicht auf eine Allheit von Urteilsinhalten, sondern auf eine Allheit urteilender Subjekte bezieht« (Wieland 2001, 248). Zammito Kants Philosophie des Schönen

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spricht von einer »intersubjective validity of the judgment, namely, its claim on all observers« (Zammito 1992, 92). Wenzel formuliert: »All human beings should agree to my judgment of taste« (Wenzel 2008, 33; vgl. ähnlich Kern 2002, 84). Bei Fricke heißt es ähnlich: »Alle vernünftigen Menschen können und sollen in ästhetischer Einstellung zu einem schönen Gegenstand nicht nur ein interesseloses Wohlgefallen empfinden, sondern auch diesen Gegenstand als schön beurteilen« (Fricke 1990, 33). Eckls Formulierung der »allgemeinen Zustimmungsfähigkeit« (Eckl 2017, 69) ist zwar ebenfalls im Sinne der Geltung des Urteils zu verstehen; jedoch ist eine bloße allgemeine Zustimmungsfähigkeit freilich ein schwächerer Anspruch als ein Anspruch auf allgemeine Geltung. Versteht man AT (ausschließlich) im Sinne eines Geltungsanspruchs, so bereitet offenkundig das Verhältnis des Zweiten Moments zum Vierten Moment Probleme. So interpretiert dann auch Guyer das Zweite und Vierte Moment als Einheit (vgl. Guyer 1979, 122 f.); eine ähnliche Engführung findet sich bei McCloskey (vgl. McCloskey 1987, 50–59). Die Problematik des Verhältnisses vom Zweiten und Vierten Moment hat Allison dazu veranlasst, AT als These über den Inhalt des Geschmacksurteils zu verstehen. Er schreibt: »the subjective universality (or universal communicability) of one’s feeling is part of what one means in judging an object beautiful« (Allison 2001, 80). Dieser Inhalt des Urteils bestehe im normativen Anspruch der Lust, für alle zu gelten (vgl. Allison 2001, 104). Diese Interpretation lässt sich also als Deutung im Sinne des Inhalts des Geschmacksurteils einstufen, wobei die Allgemeinheit normativ zu verstehen ist (2). Auch Longuenesses Rekonstruktion des (impliziten) Geschmacksurteils ist im Sinne von (2) zu verstehen: »This object is such that apprehending it elicits in me a pleasure such that all judging subjects, in apprehending this same object, ought to experience the same pleasure and agree with my judgment« (Longuenesse 2006, 201; vgl. auch Longuenesse 2003, 151). Ginsborg rekonstruiert AT als Bewusstsein einer normativen Forderung, wobei dieses Bewusstsein Inhalt der Lust sei – und die Lust ist in ihrer Interpretation mit dem Urteil identisch: »For to be aware of the appropriateness of my own state of mind under my present circumstances is to be aware that anyone else in the same circumstances ought to be in the same state of mind as I am. So if I feel this kind of pleasure when a given object is presented to my senses, I am at the same time aware that everyone else who perceives the object ought to share my state of mind« (Ginsborg 2015, 30; vgl. auch 44 f.). Auf den normativen Inhalt der ästhetischen Erfahrung bezieht auch Aquila AT: »the aesthetic experience carries the semantical weight of a demand that everyone relate what the ›predicate‹ of pleasure signifies with the object of the intuition to which that pleasure is attached« (Aquila 1982, 110). Ich habe in meiner Interpretation vorgeschlagen, dass ATUrteil (unter anderem) eine These über den deskriptiven Inhalt des Geschmacksurteils ist (3). Eine solche Deutung findet sich in der Sekundärliteratur kaum. Ansatzweise lässt sie sich bei Savile

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verorten, der AT zwar deskriptiv deutet, sie aber nicht spezifisch auf den Inhalt des Urteils bezieht: »the familiar universality amounts to no more than the contention that any ideally-placed judge will find a given beautiful object pleasing« (Savile 1993, 32). Expliziter im Sinne von (3) rekonstruiert Pollok AT: »the point in aesthetic matters is not that all, some or this rose is beautiful, but rather that this rose is apt to make anybody with free imagination and lawful understanding feel pleasure in view of it« (Pollok 2017, 293). Nicht gut einordnen lässt sich schließlich Guyers Rekonstruktion von AT. Manchmal nutzt er Formulierungen, die klarerweise im Sinne eines allgemeinen Geltungsanspruchs (1) zu verstehen sind, wie etwa »calling something beautiful is making a judgment which claims to be valid for all« (Guyer 1979, 126), oder seine Rede von einer »intersubjective validity« (Guyer 1979, 135). An anderen Stellen nutzt er aber Formulierungen, die sich im Sinne einer inhaltlich deskriptiven Allgemeinheit (3) lesen. So schreibt er etwa: »But that is too weak a characterization of the content of aesthetic judgment, for such a judgment asserts not merely that others may feel the pleasure I feel – that is always possible – but that, at least under certain conditions, they do or will feel such a pleasure« (Guyer 1979, 144). An wieder anderen Stellen versteht er AT aber als eine These über den epistemischen Status des Geschmacksurteils: »The universality of an aesthetic judgment […] is not an internal or formal feature of its content, but is its epistemological status – its imputability to or acceptability for all judges or subjects« (Guyer 1979, 149). Nicht in die drei vorgeschlagenen Deutungen einordnen lässt sich schließlich Esser, die AT an die Form des Gegenstandes bindet: »In der sinnlichen individuellen Form eines Gegenstandes muß die Potenz liegen, von allen möglichen Betrachtern prinzipiell in einer Weise reflektiert zu werden, die allgemein als subjektiv zweckmäßig und insofern als lustvoll erfahren wird« (Esser 1997, 185; vgl. auch 165 Fn., 168). Aus diesem Zitat geht zudem hervor, dass sie einen sehr schwachen Begriff von Allgemeinheit zugrunde legt. Ebenfalls einen schwachen Begriff von Allgemeinheit nutzt in gewisser Hinsicht Makkreel für das Schöne. Er unterscheidet die folgenden drei Stufen von Allgemeinheit: »(1) a shared pleasure that is the product of a common background, (2) a general pleasure that is reflective or comparative in a purifying sense – here the subject abstracts from its private peculiarities – and (3) Kant’s own ideal of a shared aesthetic pleasure that is universal in claiming to be valid for all human beings« (Makkreel 2006, 234). Während (2) am ehesten das sei, was Kant rechtfertige, habe (3) bloß einen regulativen und hypothetischen Charakter. Wir haben gesehen, dass Kant einen Großteil des Textes von § 6 auf eine (epistemische) Herleitung von AT verwendet, welche bei UT bzw. der Unabhängigkeit von Neigungen ihren Ausgang nimmt. Findet dieses Argument in der Literatur Berücksichtigung? Und wird es dann als stichhaltig anerkannt? Einige AutorInnen gehen gar nicht auf Kants Argument ein, darunter Crawford (1974), Kern (2000), Kulenkampff (1994), McCloskey Kants Philosophie des Schönen

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§ 6 Allgemeinheit und Begriffslosigkeit der Lust am Schönen

(1987), Zuckert (2007) und Wenzel (2008). An anderer Stelle nimmt Wenzel jedoch eine recht genaue Analyse der Argumentation vor (vgl. Wenzel 2000, 91–96). Interessanterweise problematisiert er dabei jedoch nicht den Schluss von der Unabhängigkeit von Neigungen auf die Allgemeingültigkeit. Wieland problematisiert das Argument für AT ebenfalls nicht, gibt es aber folgendermaßen wieder: »Veranlaßt ein Gegenstand oder die Vorstellung von ihm bei einem Urteilenden den Zustand interesselosen Wohlgefallens, so ist damit nicht nur jedes auf die reale Existenz einer Sache gerichtete Interesse neutralisiert; eingeklammert sind zugleich alle Kontingenzen, die mit seiner Individualität verbunden sind« (Wieland 2001, 252). Die wohl bekannteste Kritik an Kants Argument wurde von Guyer vorgebracht, der bemerkt: »this ›deduction‹ is invalid. From the fact that a delight is not caused by any interest or desire, it does not follow that it is valid for everyone« (Guyer 1979, 132; vgl. auch 143). In ähnlicher Form wird diese Kritik von Fricke (vgl. 1990, 30) vorgebracht. Auch Longuenesse kritisiert, dass Kants Argument fehlschlage. Dazu verweist sie auf Aktivitäten wie Schachspielen, die auf einer Aktivität des Spiels unserer mentalen Fähigkeiten beruhten und bei denen wir eine uninteressierte Lust empfänden, bei denen wir jedoch keine Allgemeinheitsansprüche erheben würden (vgl. Longuenesse 2003, 152). Gegen Guyers Einwand bringt Allison treffend hervor, dass es im kantischen System keine anderen Privatbedingungen einer Lust als Neigungen (im weiten Sinne) gebe (vgl. Allison 2001, 101 f.). Auch Longuenesses Beispiel des Schachspielens lässt sich, so scheint mir, damit erklären, dass die Person erstens vermutlich eine Neigung für Schach entwickelt hat, und zweitens wohl eine Vielzahl intellektueller Absichten verfolgt (wie etwa den bestmöglichen Spielzug zu finden). Eine kurze Wiedergabe des Arguments aus § 6 und der grundlegenden Kritik, aber keine eigene Positionierung hinsichtlich der Stichhaltigkeit findet sich bei Matthews (vgl. 1997, 31 & 193). Auch Ginsborg gibt Kants Argument kurz wieder (vgl. 2008, 64 f.). Sie verortet zudem in § 7 eine weitere, von UT unabhängige Begründung, die darin besteht, dass es »[i]m Falle der Schönheit […] einen wirklichen Disput geben [kann]« (Ginsborg 2008, 65). Eine besondere Deutung von § 6 findet sich bei Allison. Seiner Meinung nach lässt sich in diesem Paragraphen nur die folgende Annahme verorten: »if I regard my liking as free (in the sense indicated in § 5), then I am likewise constrained to assume that it must have some intersubjectively valid ground« (Allison 2001, 102 f.). Problematisch scheint mir an dieser Begründung, dass wir in epistemischer Hinsicht bereits (aus § 5) wissen, dass die Lust am Schönen frei ist. Insofern müssten wir Allisons Prämisse folgend auch wissen, dass die Lust intersubjektiv gültige Gründe hat. Offen ist vielmehr nur, was die vermögenstheoretische Grundlage der Lust ist, d. h. was genau die intersubjektiven Gründe sind. Ich habe nicht nur dafür argumentiert, dass Kants Argumentation in § 6 mindestens innerhalb des kantischen Systems Geltung beanspruchen

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kann, sondern auch dafür, dass Kant nahelegt, jeder gemeine Urteilende könne dieses Argument nachvollziehen. Zudem lassen sich Hinweise auf ein unmittelbares phänomenales Bewusstsein der Allgemeingültigkeit identifizieren. Dass Kant seine Argumentation für AT aus der Sicht eines Urteilenden verfasst, ist in der Sekundärliteratur nicht unbemerkt geblieben. So schreibt etwa Wenzel: »A particular feature of the argument in section 6 is its psychological and phenomenological character« (Wenzel 2008, 28). An anderer Stelle betont Wenzel zudem, dass Kant nicht nur einen psychologischen Zwang, sondern auch einen logischen Schluss beschreibe (vgl. Wenzel 2000, 94). Guyer erläutert ähnlich: »Kant’s text describes a person trying to evaluate the intersubjective validity of his response and using disinterestedness to comply with the presupposed demand for universality« (Guyer 1979, 132). Guyer stellt zudem heraus, dass sich Kant auch in den §§ 7–8 stark auf unseren gewöhnlichen Sprachgebrauch, d. h. »ordinary language«, berufe (Guyer 1979, 138). Allison verortet in § 6 eine psychologische Figur: »Rather than speaking simply of a logical inference form disinterestedness to universality, Kant seems to be making a psychological claim concerning the mind-set of someone who takes something to be beautiful on the basis of a putatively disinterested liking« (Allison 2001, 100). Grund für diese psychologische Behauptung sei, dass Kants eigentliches Argument noch unvollständig und vorläufig sei. Ohne konkrete Bezugnahme auf § 6 führt Wieland aus, Kant könne »an die Einstellung dessen, der ein Geschmacksurteil fällt und sich nicht damit begnügt, nur für seine eigene Person urteilen zu wollen, [anknüpfen]« (Wieland 2001, 250). Crawford wertet die sprachliche Auffälligkeit, dass Kant in der Argumentation Wörter wie ›glauben‹ verwendet, als Beleg dafür, dass es sich nur um eine empirische, nicht aber um eine transzendentale Deduktion der Allgemeingültigkeit handele (vgl. Crawford 1974, 61 f.). Gegenstand großer Kontroversen ist die Begriffslosigkeitsthese – insbesondere in ihrer Variante BTUrteil, wobei zu betonen ist, dass die AutorInnen gemeinhin nicht zwischen BTLust und BTUrteil unterscheiden. Wenigstens angedeutet wird eine solche Unterscheidung bei Kern: »Daß das Urteil über das Schöne nicht begründet werden kann, meint […], daß man weder Begriffe als Gründe des Urteils noch Begriffe als Gründe des Gefühls anführen kann« (Kern 2000, 41). Eine Deutung, in der BTLust zwar angedeutet wird, aber insgesamt die Begriffslosigkeit des Urteils und der Lust verschwimmen, findet sich bei Guyer: »All that Kant is actually arguing is that the subsumption of an object under a classificatory concept is not a basis for responding to it pleasurably or for validly imputing that response to another person; in this sense, aesthetic judgment, as the complex activity of reflective judgment and its outcome, is independent of the subsumption of its object under concepts« (Guyer 1979, 150). Im Folgenden will ich mich primär auf Kontroversen bezüglich der Bedeutung von BTUrteil beschränken. Die einfachste Deutung von BTUrteil besteht darin, dass im Kants Philosophie des Schönen

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§ 6 Allgemeinheit und Begriffslosigkeit der Lust am Schönen

Geschmacksurteil die Rolle des Prädikats von der Lust eingenommen wird (vgl. etwa Matthews 1997, 35), dass dieses Prädikat »kein theoretischer Erkenntnisbegriff (weder ein empirischer noch ein Begriff a priori)« ist (Nachtsheim 2015b, 789), und dass Geschmacksurteile somit unmittelbar von einer »Reaktion der jeweils urteilenden Person« abhängig sind (Ginsborg 2008, 68). Eine damit verwandte Deutung besteht darin, dass Geschmacksurteile keines Beweises fähig sind und kein objektives Prinzip aufweisen (vgl. Kulenkampff 1994, 84; Nachtsheim 2015b, 790). Eine etwas ausgefeiltere Deutung präsentiert Makkai: »the thought I am drawing from Kant is that although beauty is (or at least may be) ›of‹ the object – part of the world – it is not a property of the object« (Makkai 2009, 400). Jenseits dieser insgesamt recht unspezifischen und daher unstrittigen Deutungen von BT lassen sich sehr starke sowie eher schwache Deutungen von BT unterscheiden. Sehr starke Deutungen liegen insbesondere dann vor, wenn nicht nur das Prädikat, sondern auch das logische Subjekt des Geschmacksurteils als nicht-begrifflich eingestuft wird. So schreibt etwa Nachtsheim: »Das Urteilssubjekt (die Anschauung) ist in einem bloß ästhetischen Urteil logisch nicht bestimmt, nicht einmal durch Kategorien« (Nachtsheim 2015b, 289). Das offenkundige Problem einer solchen Deutung besteht aber darin, dass Kants eigene Beispiele von Geschmacksurteilen oft über ein begriffliches logisches Subjekt verfügen, wie etwa »Diese Rose ist schön«. Umgekehrt vertritt daher Guyer sogar die These, dass im Geschmacksurteil an der Stelle des logischen Subjekts immer ein empirischer Begriff stehen müsse: »An aesthetic judgment does not have the form ›This is beautiful‹ but rather ›This F is beautiful‹« (Guyer 2006, 179). Dagegen teilt Meerbote mit Nachtsheim die Position, dass das logische Subjekt kein Begriff sein dürfe: »The concept of being a rose must not occur in the subject term of a judgment of taste, […]. The judgment ›this rose is beautiful‹ is not a judgment of taste« (Meerbote 1998, 425). Insgesamt räumt Meerbote Begriffen jedoch eine tragende Rolle im Geschmacksurteil ein, sodass seine Position eher der schwachen Interpretation zugeordnet werden kann. Nicht nur ist »schön« seiner Interpretation folgend ein Begriff, sondern auch die Lust am Schönen ist ein »propositional feeling, a priori imputable to other human beings« (Meerbote 1998, 418; vgl. auch 424). Dabei weise das Geschmacksurteil sogar einen Objektbezug auf, nur dass es sich bei diesem Objekt um einen inneren Zustand des Subjekts handele: »What needs stressing is that we are dealing here with direct-object reference to a subject’s states to the exclusion of any reference to any outer object a« (Meerbote 1998, 425). Problematisch ist an dieser Interpretation freilich Kants Betonung, dass Lust »zu gar keinem Erkenntnisse [dient], auch nicht zu demjenigen, wodurch sich das Subject selbst e r k e n n t « (§ 3.B.2, 206,24). Eine entgegengesetzte Position zu Meerbote vertritt Savile, der konstatiert: »we shall be making judgments about objects rather than just about subjects’ own mental states« (Savile 1993, 11). Saviles Meinung nach wenden wir

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im Geschmacksurteil einen unbestimmten Begriff an, durch den wir Eigenschaften des Objekts erfassen, die »humanly relational« sind: »The subjective property that the object has is, then, nothing other than that of being liable to produce the relevant affective response in us« (Savile 1993, 13 f.). In ähnlicher Manier betont auch Ameriks, dass Geschmacksurteile (aufgrund ihrer Allgemeingültigkeit) Begriffe beinhalten müssten und einen objektiven Status aufweisen würden (vgl. etwa Ameriks 2003, 313). (Für eine Kritik von Ameriks’ Position siehe Ginsborg 2015, 29; für eine Diskussion von Ameriks’ und Ginsborgs Position siehe Makkai 2009). Den schwachen Positionen ist schließlich auch Makkreel beizuzählen, der betont: »Die einzige Art von Begriff, die spezifisch entbehrt wird, ist der empirische Begriff, weil nur ein solcher für bestimmte Erkenntnis des Gegenstandes ausreichen würde« (Makkreel 1997, 72). Eine Position, nach der im Geschmacksurteil sogar bestimmte (empirische) Begriffe Anwendung finden, vertritt schließlich Cohen. Ihm folgend wendet der Verstand im freien Spiel fortlaufend Begriffe an, die dem Objekt aber nie in Gänze gerecht werden (vgl. T. Cohen 2002, 3). Eine solche Position vertritt auch Crowther (2010, 61 Fn.). 67 Ich selbst vertrete insofern eine schwache Position, als ich erstens annehme, dass »schön« ein Begriff ist, durch den wir ein Gefühl der Lust erfassen, und zweitens, dass im freien Spiel der Erkenntniskräfte das Prinzip a priori der Urteilskraft als eine Art von Begriff zur Anwendung kommt. Erwähnen möchte ich noch Zinkins Deutung von BT, die an ihren individuellen Ansatz gebunden ist, dem Schönen liege die Form intensiver Größen zugrunde: »what distinguishes aesthetic judgments from cognitive judgments is the intensive form in which the imagination creates an image or intuition of the manifold. It is because of this difference in the form of intuition that aesthetic judgments are not based on concepts, since concepts can only recognize what has been apprehended in an extensive form of time« (Zinkin 2006, 156).

Siehe hierzu auch die Ausführungen zur ›multicognitive interpretation‹ des freien Spiels in Kap. 9.8.

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§ 7 Die (subjektive) Quantität des Angenehmen, Schönen und Guten

In § 6 hat Kant die Allgemeingültigkeitsthese (AT) mit ihren vier Bestandteilen eingeführt und epistemisch hergeleitet: die eigentliche Allgemeingültigkeitsthese in ihren beiden auf die Lust (ATLust) oder das Urteil (ATUrteil) bezogenen Varianten sowie die implizit beinhalteten Varianten der Begriffslosigkeitsthese (BTLust und BTUrteil). Damit ist die (erste) zentrale These des Zweiten Moments entwickelt und begründet. In den §§ 7–8 wird diese These nun weiter konkretisiert und erläutert. Dabei knüpft Kant in § 7 an seine Strategie aus dem Ersten Moment an: Er vergleicht die Lust am Schönen mit der Lust am Angenehmen und Guten. So heißt es in der Überschrift: »Vergleichung des Schönen mit dem Angenehmen und Guten durch obiges Merkmal« (§ 7.T, 212,7), wobei mit besagtem ›Merkmal‹ die begriffslose Allgemeingültigkeit gemeint ist. § 7 lässt sich folgendermaßen gliedern: 1. Die Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen (§ 7.A.1–5, 212,9–23) 2. Ergänzungen zur Allgemeingültigkeit der Lust am Schönen (§ 7.B.1–7, 212,24–213,7) 3. Die komparative Allgemeingültigkeit beim Angenehmen und die strenge Allgemeingültigkeit beim Schönen (§ 7.C.1–4, 213,8–20) 4. Die begriffliche Allgemeingültigkeit der Lust am Guten (§ 7.C.5, 213,21–24) Wenden wir uns zunächst der Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen zu.

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Zur Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen

7.1 Zur Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen 7.1.1 Die Lust am Angenehmen ist bloß privatgültig Den ersten Absatz widmet Kant der These, dass die Lust am Angenehmen und das Urteil über das Angenehme nicht allgemeingültig, sondern bloß privatgültig sind: 1 § 7.A.1 »In Ansehung des A n g e n e h m e n bescheidet sich ein jeder: daß sein Urtheil, welches er auf ein Privatgefühl gründet, und wodurch er von einem Gegenstande sagt, daß er ihm gefalle, sich auch bloß auf seine Person einschränke. § 7.A.2 [a] Daher ist er es gern zufrieden, daß, wenn er sagt, der Canariensect ist angenehm, ihm ein anderer den Ausdruck verbessere und ihn erinnere, er solle sagen: er ist m i r angenehm; [b] und so nicht allein im Geschmack der Zunge, des Gaumens und Schlundes, sondern auch in dem, was für Augen und Ohren jedem angenehm seyn mag. § 7.A.3 Dem einen ist die violette Farbe sanft und lieblich, dem andern todt und erstorben. § 7.A.4 Einer liebt den Ton der Blasinstrumente, der andre den von den Saiteninstrumenten. § 7.A.5 [a] Darüber in der Absicht zu streiten, um das Urtheil anderer, welches von dem unsrigen verschieden ist, gleich als ob es diesem logisch entgegen gesetzt wäre, für unrichtig zu schelten, wäre Thorheit; [b] in Ansehung des Angenehmen gilt also der Den Begriff »privatgültig« bzw. »Privatgültigkeit« übernehme ich von Kant. Dieser schreibt in § 9, eine Lust, welche eine »bloße Annehmlichkeit in der Sinnenempfindung« ist, d. h. die Lust am Angenehmen, könne »ihrer Natur nach nur Privatgültigkeit haben« (§ 9.B.2, 217,4). Ebenso spricht er im Kontext der Antinomie des Geschmacks von »Gründe[n] des Urtheils, die nicht bloß Privatgültigkeit haben« (338,28). Auch in Bezug auf Urteile über das Angenehme verwendet Kant bisweilen den Begriff der Privatgültigkeit (vgl. Refl: 1512; Refl: 1829). Im Kapitel Vom Meinen, Glauben und Wissen weist er Urteile, die auf Überredung beruhen, als privatgültig aus: »Überredung ist ein bloßer Schein, weil der Grund des Urteils, welcher lediglich im Subjekte liegt, für objektiv gehalten wird. Daher hat ein solches Urteil auch nur Privatgültigkeit, und das Fürwahrhalten läßt sich nicht mitteilen« (A820/B848). Der Begriff »Gültigkeit« darf dabei freilich nicht in Engführung mit dem Begriff der Wahrheit gedacht werden. Vielmehr muss »Privatgültigkeit« einen Gegensatz zur »Allgemeingültigkeit« bzw. zur »allgemeinen Mitteilbarkeit« bilden. Die Privatgültigkeit ist dann dadurch ausgezeichnet, dass am Gefühl bzw. am Urteil keine allgemeine bzw. intersubjektive Teilhabe möglich ist.

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§ 7 Die (subjektive) Quantität des Angenehmen, Schönen und Guten

Grundsatz: e i n j e d e r h a t s c h m a c k (der Sinne)« (212,9).

seinen

eigenen

Ge-

Die zentrale These dieser Passage – nämlich die These, dass das Angenehme nur privatgültig ist – findet sich in § 7.A.1. Dabei sind zwei Varianten dieser These zu unterscheiden: eine These über die Lust und eine über das Urteil. Zum Urteil über das Angenehme heißt es: § 7.A.1R1 In Ansehung des Angenehmen bescheidet sich ein jeder: dass sein Urteil sich auch bloß auf seine Person einschränke.

Vereinfacht bedeutet dies: § 7.A.1R2 Urteile über das Angenehme sind bloß privatgültig.

Daneben findet sich in § 7.A.1 die Aussage, dass der Urteilende ›sein Urtheil…auf ein Privatgefühl gründet‹. Dieses ›Privatgefühl‹ meint ganz klar die Lust am Angenehmen. Wir können daher bezüglich der Lust am Angenehmen die folgende These rekonstruieren: Die Lust am Angenehmen ist bloß privatgültig. Die Privatgültigkeit des Urteils und der Lust am Angenehmen stehen in folgendem Zusammenhang: Das Urteil über das Angenehme ist ein ästhetisches Urteil, d. h. es prädiziert eine Lust und hat ein Gefühl der Lust zum Bestimmungsgrund. Diese Lust ist bloß privatgültig. Die Privatgültigkeit des Urteils leitet sich in diesem Sinne aus der Privatgültigkeit der zugrundeliegenden Lust ab. Auf den Punkt gebracht: Das Urteil ist bloß privatgültig, weil die zugrundeliegende und prädizierte Lust privatgültig ist. Wir können § 7.A.1 in diesem Sinne folgendermaßen rekonstruieren: § 7.A.1R3 Urteile über das Angenehme sind bloß privatgültig, weil die Lust am Angenehmen bloß privatgültig ist.

Versuchen wir, die Privatgültigkeit der Lust und des Urteils genauer zu verstehen. Die Bedeutung der Privatgültigkeit beim Angenehmen wird dabei insbesondere in Abgrenzung zu den beiden Allgemeingültigkeitsthesen ATLust und ATUrteil deutlich. Beginnen wir mit ATLust. 2 Deskriptiv bedeutet ATLust, dass alle Menschen an einem Gegenstand x Lust am Schönen fühlen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind und x ein schöner Gegenstand ist. In Abgrenzung dazu bedeutet die Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen, dass ich an einem Gegenstand x eine Lust am Angenehmen fühle. (Eine spezifische Einstellung ist in diesem Fall irrelevant.) Freilich könnten an2

400

Siehe Kap. 6.1.1.

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Zur Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen

dere Urteilende zufällig auch eine Lust am Angenehmen an x fühlen; aber diese Übereinstimmung ist eben nur zufällig und daher nicht wesentlich für die Lust am Angenehmen. Präskriptiv steht ATLust für den rechtmäßigen Anspruch, dass alle Menschen an einem schönen Gegenstand x eine Lust am Schönen fühlen sollen. Die Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen impliziert im Gegensatz dazu, dass wir beim Angenehmen keinen solchen (rechtmäßigen) Sollensanspruch erheben können; es gibt keinen (apriorischen) Grund, der einen allgemeinen Sollensanspruch legitimieren würde. Bezüglich des Entstehungskontextes bedeutet ATLust, dass sich die Lust am Schönen durch etwas konstituiert, das man in allen Menschen voraussetzen kann. Hingegen beruht die Lust am Angenehmen auf Privatbedingungen, d. h. auf etwas, das man nicht in allen Menschen voraussetzen kann. In phänomenologischer Hinsicht bedeutet ATLust schließlich, dass man sich in der Lust am Schönen mit seinen Mitmenschen verbunden sowie ein Transzendieren seiner Privatbedingungen fühlt. Dagegen fühlt man beim Angenehmen kein Transzendieren seiner Privatbedingungen und keine Verbundenheit mit seinen Mitmenschen; gegebenenfalls erlebt man sich aber in der Lust am Angenehmen als Individuum mit spezifischen Privatbedingungen und -bedürfnissen. Halten wir zur Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen fest: i. Deskriptiv bedeutet die Privatgültigkeit des Angenehmen, dass ich (und nicht alle) an einem Gegenstand x eine Lust am Angenehmen fühle. ii. Wir können bezüglich der Lust am Angenehmen keine (rechtmäßigen) Sollensansprüche erheben. iii. Die Lust am Angenehmen ist auf bloße Privatbedingungen des Subjekts zurückzuführen, und nicht auf etwas, das man in allen Menschen voraussetzen kann (Entstehungskontext). iv. In phänomenologischer Hinsicht erlebt man sich in der Lust am Angenehmen als Individuum mit spezifischen Privatbedingungen und -bedürfnissen. Kommen wir nun zur Privatgültigkeit des Urteils. Wir können wieder auf unsere Ausführungen zur Allgemeinheit des Schönen, d. h. genauer auf ATUrteil, zurückgreifen. 3 Ich habe erläutert, dass das Geschmacksurteil »x ist schön« die folgende verdeckte Form hat (inhaltliche Allgemeinheit): »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von 3

Siehe Kap. 6.1.3.

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§ 7 Die (subjektive) Quantität des Angenehmen, Schönen und Guten

x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind.« Hingegen hat das Urteil über das Angenehme »x ist angenehm« die folgende verdeckte Form eines einzelnen Urteils: »Ich fühle beim Wahrnehmen von x Lust am Angenehmen.« Dass dies eine korrekte Rekonstruktion des Urteils über das Angenehme ist, wird durch § 7.A.2a deutlich: § 7.A.2a Daher ist er es gern zufrieden, daß, wenn er sagt, der Canariensect ist angenehm, ihm ein anderer den Ausdruck verbessere und ihn erinnere, er solle sagen: er ist m i r angenehm.

Kant stellt hier die beiden Urteile »Der Kanariensekt ist angenehm« und »Der Kanariensekt ist mir angenehm« gegenüber. Dabei ist das zweite Urteil das ›verbesserte‹ und damit das korrekte Urteil über das Angenehme. Es gilt daher, dass Urteile über das Angenehme wesentlich einzelne Urteile sind. Urteile der Form »x ist allen Menschen angenehm« sind falsch, und Urteile der Form »x ist einigen Menschen angenehm« sind keine ästhetischen Urteile. 4 Ferner hat ATUrteil eine präskriptive Komponente: Das Urteil »x ist schön« beansprucht rechtmäßig Geltung für alle Menschen. Hingegen können Urteile über das Angenehme keine solche rechtmäßige Geltung für alle Menschen beanspruchen, sondern immer nur für den Urteilenden selbst. Ich kann daher nicht von anderen Urteilenden (rechtmäßig) fordern, meinem Urteil »x ist angenehm« zuzustimmen. Grund dafür ist, dass die Prädikatzuschreibung »ist angenehm« keinen allgemeinen Bezugspunkt hat – weder das (durch Kategorien konstituierte) Objekt noch ein allen Menschen gemeines Vermögen (wie den Gemeinsinn) –, durch welchen der Anspruch auf Allgemeingültigkeit legitimiert werden könnte. Zusammenfassend können wir zur Privatgültigkeit des Urteils über das Angenehme festhalten: i. Als These über die inhaltliche Quantität besagt die Privatgültigkeit des Urteils über das Angenehme, dass das Urteil die (verdeckte) Form »Ich fühle beim Wahrnehmen von x Lust am Angenehmen« hat. ii. Als These über die Geltung des Urteils über das Angenehme besagt die Privatgültigkeit, dass dieses Urteil nur für den Urteilenden in der ersten Person gilt. Der Urteilende kann daher nicht

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Zu partikularen Urteilen über das Angenehmen siehe Kap. 7.3.

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Zur Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen

rechtmäßig fordern, dass ihm andere Urteilenden zustimmen sollen. iii. Die Privatgültigkeit des Urteils impliziert, dass das Urteil keinen allgemeinen Bezugspunkt – weder im (durch Kategorien konstituierten) Objekt noch in allen Subjekten – hat. Alles in allem sollte deutlich geworden sein, dass sich Geschmacksurteile und Urteile über das Angenehme mittels der Allgemeingültigkeitsthese eindeutig voneinander abgrenzen lassen. Wie steht es aber um die Begriffslosigkeitsthese? Tatsächlich gilt diese These nicht nur für das Schöne, sondern auch für das Angenehme: Die Lust am Angenehmen ist eine Lust unmittelbar an der Empfindung und ist daher nicht begrifflich erwirkt: »ANGENEHM i s t d a s , w a s d e n S i n n e n i n d e r E m p f i n d u n g g e f ä l l t « (§ 3.A.1, 205,26). 5 Als ästhetisches Urteil prädiziert das Urteil über das Angenehme (wie das Urteil über das Schöne) weder eine begrifflich erfasste Eigenschaft des Objekts noch des Subjekts, sondern nur ein momentanes Gefühl der Lust. 6 Wenngleich aber die Begriffslosigkeitsthese auch für das Angenehme gilt, ist diese These hier nicht maßgeblich; denn die Privatgültigkeit und die Begriffslosigkeit des Angenehmen bilden kein Paradox.

7.1.2 Eine Begründung der These über die Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen Es stellt sich die Frage, ob und wie Kant begründet, dass die Lust und das Urteil über das Angenehme bloß privatgültig sind. Allerdings stellt eine solche Begründung im Falle der Privatgültigkeit kein besonderes Desiderat dar. So gilt die Lust aufgrund ihres Status als Gefühl gemeinhin als etwas, das an das einzelne, die Lust fühlende Subjekt gebunden ist. Somit scheint es unmittelbar plausibel, dass eine Lust bloß privatgültig ist. Betrachtet man den ersten Absatz von § 7, so fällt auf, dass Kant kein Argument für die Privatgültigkeit des Angenehmen liefert. Dazu besteht aber, wie gesagt, auch keine unbedingte Notwendigkeit. Auffällig ist jedoch, dass Kant diesen Absatz aus der Sicht einer Lust

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Siehe Kap. 3.1. Vgl. auch § 4.B.1–4, 207,22.

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§ 7 Die (subjektive) Quantität des Angenehmen, Schönen und Guten

fühlenden und über das Angenehme urteilenden Person schreibt. So heißt es etwa: ›In Ansehung des Angenehmen bescheidet sich ein jeder: daß sein Urtheil…sich auch bloß auf seine Person einschränke‹ (§ 7.A.1); oder: ›Daher ist er es gern zufrieden…‹ (§ 7.A.2). Kant suggeriert damit, beim Angenehmen sei sich jeder Urteilende bewusst, dass sein Urteil und seine Lust bloß für ihn gelten. Dafür sind zwei Gründe denkbar: Erstens könnte es in der Lust am Angenehmen ein phänomenales Bewusstsein davon geben, dass die Lust bloß privatgültig ist – und in der Tat denke ich, dass es ein solches Bewusstsein gibt. Wir erleben uns in der Lust als Individuen mit spezifischen Privatbedingungen und -bedürfnissen. Zweitens kann die Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen mittels des folgenden Arguments begründet werden: P1

Wenn sich eine Lust auf eine Neigung gründet, dann ist sie bloß privatgültig. P2 Die Lust am Angenehmen gründet sich auf eine Neigung. Also: Die Lust am Angenehmen ist bloß privatgültig.

Da beide Prämissen (mindestens innerhalb der kantischen Philosophie) unmittelbar einleuchten (P1) bzw. früher begründet wurden (P2) 7, ist dieses Argument völlig unproblematisch. Es lässt sich aber noch ein weiteres Argument für die Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen konstruieren. Kant hat in § 3 das Angenehme als das definiert, »w a s d e n S i n n e n i n d e r E m p f i n d u n g g e f ä l l t « (§ 3.A.1, 205,26). Dies bedeutet, dass wir eine Lust am Angenehmen unmittelbar an einer (objektiven) Empfindung fühlen. 8 Nun ist eine Empfindung laut der Stufenleiter der KrV »[e]ine P e r z e p t i o n , die sich lediglich auf das Subjekt, als die Modifikation seines Zustandes bezieht« (A320/B376). Dass sich eine Empfindung ›lediglich auf das Subjekt…bezieht‹, bedeutet auch, dass sie im starken Sinne bloß subjektiv, d. h. bloß für das einzelne Subjekt gültig, ist. Empfindungen können daher bei verschiedenen Menschen

Vgl. § 3.D.3, 207,6; § 5.B.8, 210,14. – Streng genommen muss sich natürlich nicht jede Lust am Angenehmen auf eine Neigung als habituelle Begierde gründen, sondern sie könnte auch bloß auf einer (noch) nicht habitualisierten Begierde beruhen. ›Neigungen‹ müssen hier also im weiten Sinne, d. h. letztlich als Begierden, verstanden werden. 8 Zur Unterscheidung von objektiven und subjektiven Empfindungen siehe Kap. 3.1.2. 7

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Zur Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen

unterschiedlich sein. Dies wird von Kant selbst in den beiden folgenden Passagen betont: »weil die Qualität der Empfindungen selbst nicht in allen Subjecten als einstimmig, und die Annehmlichkeit einer Farbe vorzüglich vor der andern, oder des Tons eines musikalischen Instruments vor dem eines andern sich schwerlich bey jedermann als auf gleiche Art beurtheilt annehmen läßt« (§ 14.C.3, 224,17, m. H.). »So kann dem, welchem der Sinn des Geruchs fehlt, diese Art der Empfindung nicht mitgetheilt werden; und, selbst wenn er ihm nicht mangelt, kann man doch nicht sicher seyn, ob er gerade die nämliche Empfindung von einer Blume habe, die wir davon haben« (291,28).

Denken wir an Kants Beispiel des Kanariensekts 9: Zwei Menschen, die von ein und demselben Kanariensekt kosten, müssen nicht dieselbe Geschmacksempfindung haben. Vielleicht hat Person A eine eher säuerliche, Person B aber eine eher süßliche Geschmacksempfindung. Da nun die Lust am Angenehmen unmittelbar an einer Empfindung gefühlt wird, Empfindungen aber bei verschiedenen Menschen unterschiedlich sein können und somit bloß privatgültig sind, muss auch die Lust bloß privatgültig sein. Wir können das folgende Argument formulieren: P1

Wenn eine Lust unmittelbar an einer Empfindung gefühlt wird, dann ist sie bloß privatgültig. P2 Die Lust am Angenehmen wird unmittelbar an einer Empfindung gefühlt. Also: Die Lust am Angenehmen ist bloß privatgültig.

Wie oben dargelegt, argumentiert Kant selbst nicht für die Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen. Die beiden Argumente zeigen jedoch, dass sich diese These problemlos begründen lässt.

Bei Kanariensekt handelt es sich um Wein von den kanarischen Inseln. So heißt es in Meyers Großem Konversationslexikon von 1907: »Kanarienweine, die Weine der Kanarischen Inseln, die aber selten unter diesem Namen, sondern meist als Madeira und als Sherry auf den Markt kommen« (Meyer: Kanarienweine).

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§ 7 Die (subjektive) Quantität des Angenehmen, Schönen und Guten

7.1.3 Der Grundsatz ›Ein jeder hat seinen eigenen Geschmack (der Sinne)‹ Zum Abschluss des ersten Absatzes formuliert Kant den folgenden ›Grundsatz‹ : § 7.A.5 »[a] Darüber in der Absicht zu streiten, um das Urtheil anderer, welches von dem unsrigen verschieden ist, gleich als ob es diesem logisch entgegen gesetzt wäre, für unrichtig zu schelten, wäre Thorheit; [b] in Ansehung des Angenehmen gilt also der Grundsatz: e i n j e d e r h a t s e i n e n e i g e n e n G e s c h m a c k (der Sinne)« (212,19).

Beginnen wir mit dem Teilsatz § 7.A.5a, der auf den in § 7.A.5b formulierten ›Grundsatz‹ vorbereitet. Das Adverb ›Darüber‹ bezieht sich offenkundig auf die vorangehenden Beispiele für das Angenehme. Diese lauten: »Dem einen ist die violette Farbe sanft und lieblich, dem andern todt und erstorben. Einer liebt den Ton der Blasinstrumente, der andre den von Saiteninstrumenten« (§ 7.A.3–4, 212,16). Wir können daher schreiben: § 7.A.5a* Über das Angenehme in der Absicht zu streiten, um das Urteil anderer, welches von unserem Urteil verschieden ist, gleich als ob das Urteil anderer unserem Urteil logisch entgegengesetzt wäre, für unrichtig zu schelten, wäre Torheit.

Kant beschreibt hier eine Situation der folgenden Art: Ein Urteilender A fällt das Urteil »x ist angenehm« (z. B. »Diese violette Farbe ist angenehm«). Ein anderer Urteilender B fällt hingegen das Urteil »x ist nicht angenehm« (z. B. »Diese violette Farbe ist nicht angenehm«). Es stehen sich also die beiden folgenden Urteile gegenüber: UA1 x ist angenehm. UA2 x ist nicht angenehm.

Kant stellt nun die Frage, ob beide Urteile ›logisch entgegen gesetzt‹ sind, oder mindestens einen dazu analogen Widerspruch bilden. ›Logisch entgegen gesetzt‹ wären die beiden Urteile, wenn dem Urteilssubjekt zwei sich widersprechende Prädikate P und nicht-P zugeordnet würden. Dies wäre etwa der Fall bei den Urteilen »x ist ein Quadrat« und »x ist kein Quadrat« oder »Pferde sind Säugetiere« und »Pferde sind keine Säugetiere«. In einem solchen Fall kann ein Urtei-

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Zur Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen

lender das Urteil seines Gegenübers ›für unrichtig schelten‹. 10 Die beiden Urteile »x ist angenehm« und »x ist nicht angenehm« bilden aber keinen solchen (logischen) Widerspruch, was deutlich wird, wenn wir die Präzisierung des Urteils, nämlich »x ist mir angenehm«, nutzen: UA1R1 x ist mir (Urteilendem A) angenehm. UA2R1 x ist mir (Urteilendem B) nicht angenehm.

Noch deutlicher wird dieses Bild, wenn wir die verdeckten Urteile gegenüberstellen: UA1R2 Ich (Urteilender A) fühle beim Wahrnehmen von x Lust am Angenehmen. UA2R2 Ich (Urteilender B) fühle beim Wahrnehmen von x keine Lust am Angenehmen.

Zwischen diesen beiden Urteilen besteht kein logischer oder einem logischen ähnlicher Widerspruch; denn die beiden verdeckten logischen Subjekte (›ich‹) sind nicht identisch. Die Urteile »x ist mir (Urteilendem A) angenehm« und »x ist mir (Urteilendem B) nicht angenehm« können also problemlos und widerspruchsfrei nebeneinander bestehen. Daher gibt es keine Grundlage eines Streits über das Angenehme (›Über das Angenehme…zu streiten‹, § 7.A.5a). So heißt es zum Streiten im Rahmen der Antinomie des Geschmacks: »streiten (auf nothwendige Einstimmung anderer mit diesem Urtheile Anspruch machen)« (339,1). Dass man über das Angenehme nicht streiten kann, bedeutet in diesem Sinne, dass wir auf keine ›nothwendige Einstimmung anderer‹ mit unserem Urteil über das Angenehme ›Anspruch‹ erheben können – und nichts anderes bedeutet ja die Privatgültigkeit des Urteils. 11 Wir können vor diesem Hintergrund einen ersten (impliziten) Grundsatz des Angenehmen formulieren GA1 Über das Angenehme lässt sich nicht streiten, d. h. auf die notwendige Einstimmung anderer mit dem Urteil über das Angenehme Anspruch erheben. Eigentlich kann der Urteilende aber nur auf den Widerspruch verweisen, um darzulegen, dass mindestens eines der Urteile »x ist P« und »x ist non-P« falsch sein muss; der Widerspruch selbst ist nicht hinreichend, um eines der Urteile als wahr auszuweisen (vgl. Log: 51). 11 Grund dafür ist, dass das Urteil über das Angenehme weder bestimmte (Verstandes-) Begriffe noch unbestimmte (Vernunft-)Begriffe zugrunde legt (vgl. 339,14 f.). 10

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§ 7 Die (subjektive) Quantität des Angenehmen, Schönen und Guten

Kommen wir nun zu § 7.A.5b und dem dort formulierten zweiten offiziellen ›Grundsatz‹ : GA2 Ein jeder hat seinen eigenen Geschmack (der Sinne).

Im Endeffekt ist dieser Grundsatz nur eine andere Formulierung für die These der Privatgültigkeit der Urteile über das Angenehme. Dies lässt sich folgendermaßen verdeutlichen: Den Begriff des Geschmacks der Sinne oder des »Sinnen-Geschmack[s]« (§ 8.B.2, 214,11) führt Kant offiziell in § 8 ein. Er ist das Vermögen, Urteile über das Angenehme zu fällen. 12 In diesem Sinne bedeutet der Grundsatz aus § 7.A.5b: ›ein jeder hat sein eigenes Vermögen, Urteile über das Angenehme zu fällen‹. Dies bedeutet aber wiederum nur, dass Urteile, die der Sinnengeschmack fällt, bloß privatgültig sind – oder einfacher: ›Urteile über das Angenehme sind bloß privatgültig‹. Entsprechend heißt es auch in § 8, dass »der erstere [d. h. der Sinnengeschmack] bloß Privaturtheile […] fället« (§ 8.B.2, 214,12).

7.1.4 Beispiele für Urteile über das Angenehme Neben der Privatgültigkeit des Angenehmen und den beiden Grundsätzen schildert Kant im ersten Absatz auch einige Beispiele für das Angenehme: § 7.A.2 [a] Daher ist er es gern zufrieden, daß, wenn er sagt, der Canariensect ist angenehm, ihm ein anderer den Ausdruck verbessere und ihn erinnere, er solle sagen: er ist m i r angenehm; [b] und so nicht allein im Geschmack der Zunge, des Gaumens und Schlundes, sondern auch in dem, was für Augen und Ohren jedem angenehm seyn mag. § 7.A.3 Dem einen ist die violette Farbe sanft und lieblich, dem andern todt und erstorben.

Es ist fraglich, inwiefern es überhaupt Sinn ergibt, dem Angenehmen ein eigenes Vermögen zuzuordnen. Denn für das Haben der Lust am Angenehmen selbst bedarf es (anders als beim Schönen) keines spezifischen Vermögens, sondern bloß der (äußeren) Sinne. Für das Urteil über das Angenehme bedarf es zwar des Verstandes, aber dieser wirkt hier nicht als ein besonderes Vermögen. Es scheint demnach so, als ließe sich nur im uneigentlichen Sinne von einem eigenen Vermögen des Angenehmen sprechen. Zu betonen ist jedenfalls, dass der Sinnengeschmack – anders als der Reflexionsgeschmack – kein oberes »Seelenvermögen« ist, d. h. kein Seelenvermögen, das »Avtonomie« enthält (196,23).

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Zur Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen

§ 7.A.4 Einer liebt den Ton der Blasinstrumente, der andre den von den Saiteninstrumenten.

Diese Beispiele dienen natürlich primär der Illustration der Privatgültigkeit des Angenehmen. Sie sind aber auch in anderer Hinsicht aufschlussreich. Erstens sind die Beispiele aufschlussreich bezüglich der Frage, welche (äußeren) Sinne beim Angenehmen involviert sein können. In § 3 wird das Angenehme als das definiert, »was den Sinnen in der Empfindung gefällt« (§ 3.A.1, 205,26, m. H. & Kants H. getilgt). In § 7.A.2b führt Kant explizit einige dieser Sinne an, nämlich den ›Geschmack der Zunge, das Gaumens und des Schlundes‹ sowie ›Augen und Ohren‹. Auch die Beispiele betreffen den Geschmackssinn (›Canariensect‹), den Sehsinn (›violette Farbe‹) und den Hörsinn (›Ton der Blasinstrumente‹). Diese Aufzählung ist deshalb interessant, weil sie verdeutlicht, dass nicht nur Empfindungen der Nahsinne (Geschmack, Geruch, Tastsinn), sondern auch der Fernsinne (Hörsinn und Sehsinn) angenehm sein können. Zwar sind wohl Empfindungen des Geruchs- und Geschmackssinns die eindeutigsten und primären Fälle von angenehmen Empfindungen; denn »die Vorstellung durch dieselbe[n] ist mehr die des G e n u s s e s , als der Erkenntnis des äußeren Gegenstandes« (Anth: 154). Jedoch können eben auch Empfindungen des Seh- und Hörsinns angenehm sein, obwohl diese Sinne »mehr objektiv, als subjektiv [sind], d. i. […] als empirische A n s c h a u u n g mehr zur Erkenntnis des äußeren Gegenstandes bei[tragen], als sie das Bewußtsein des affizierten Organs rege machen« (Anth: 154). Für das Schöne eignen sich im Übrigen nur empirische Anschauungen des Seh- und Hörsinns. Die zweite Auffälligkeit von § 7.A.3–4 besteht darin, dass Kant nicht mit dem Prädikat »ist angenehm« bzw. »ist unangenehm« operiert, sondern ›ist jemandem sanft und lieblich‹ und ›ist jemandem todt und erstorben‹ sowie ›lieben‹. Dadurch wird deutlich, dass es innerhalb der Lust am Angenehmen Differenzierungen geben muss. Die Lust am Angenehmen ist demnach ein Oberbegriff, unter den verschiedene, sich jeweils anders anfühlende Lustzustände fallen. Grund dafür könnte erstens sein, dass die phänomenalen Komponenten der Lust am Angenehmen (Interesse, Zwang usw.) mit verschiedener Stärke erlebt werden können. 13 Zweitens antwortet die Lust am Angenehmen jeweils auf spezifische Neigungen, wobei sich diese

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Zu dieser These in Bezug auf das Schöne siehe Kap. G1.3.

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§ 7 Die (subjektive) Quantität des Angenehmen, Schönen und Guten

Neigungen im phänomenalen Gehalt der jeweiligen Lust niederschlagen könnten. Wenn ich etwa eine Neigung für Pastellfarben habe, so mag mir ein zartes Violett angenehm sein, wobei ich das Violett entsprechend dieser Neigung als ›sanft und lieblich‹ erlebe.

7.2 Zur Gegenüberstellung des Schönen und des Angenehmen 7.2.1 Eine Antizipation der Antinomie des Geschmacks Im zweiten Absatz stellt Kant der Privatgültigkeit beim Angenehmen die Allgemeingültigkeit beim Schönen gegenüber. Dabei besteht die entscheidende Neuerung im Vergleich zu § 6 in der Frage, ob der Grundsatz ›ein jeder hat seinen eigenen Geschmack‹ (G2) auch Anwendung auf das Schöne hat. Betrachten wir zunächst den zweiten Absatz in Gänze: § 7.B.1 »Mit dem Schönen ist es ganz anders bewandt. § 7.B.2 Es wäre (gerade umgekehrt) lächerlich, wenn jemand, der sich auf seinen Geschmack etwas einbildete, sich damit zu rechtfertigen gedächte: dieser Gegenstand (das Gebäude, was wir sehen, das Kleid, was jener trägt, das Concert, was wir hören, das Gedicht, welches zur Beurtheilung aufgestellt ist) ist f ü r m i c h schön. § 7.B.3 Denn er muß es nicht s c h ö n nennen, wenn es bloß ihm gefällt. § 7.B.4 [a] Reiz und Annehmlichkeit mag für ihn Vieles haben, darum bekümmert sich niemand; [b] wenn er aber etwas für schön ausgiebt, so muthet er andern eben dasselbe Wohlgefallen zu: [c] er urtheilt nicht bloß für sich, sondern für jedermann, und spricht alsdann von der Schönheit, als wäre sie eine Eigenschaft der Dinge. § 7.B.5 [a] Er sagt daher, die S a c h e ist schön; [b] und rechnet nicht etwa darum auf Anderer Einstimmung in sein Urtheil des Wohlgefallens, weil er sie mehrmalen mit dem seinigen einstimmig befunden hat, sondern f o r d e r t es von ihnen. § 7.B.6 [a] Er tadelt sie, wenn sie anders urtheilen, und spricht ihnen den Geschmack ab, von dem er doch verlangt, daß sie ihn haben sollen; [b] und sofern kann man nicht sagen: ein jeder hat seinen besondern Geschmack.

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Zur Gegenüberstellung des Schönen und des Angenehmen

§ 7.B.7 Dieses würde so viel heißen, als: es giebt gar keinen Geschmack, d. i. kein ästhetisches Urtheil, welches auf jedermanns Beystimmung rechtmäßigen Anspruch machen könnte« (212,24 f.).

Betrachtet man § 7.B.1, so stellt man sich natürlich die Frage, in welcher Hinsicht es denn ›mit dem Schönen…ganz anders bewandt [ist]‹. Nun hat Kant unmittelbar zuvor (in § 7.A.5) bezüglich des Angenehmen den Grundsatz GA2 formuliert: »e i n j e d e r h a t s e i n e n e i g e n e n G e s c h m a c k (der Sinne)« (212,22). Es ist daher naheliegend, dass es ›[m]it dem Schönen‹ insofern ›ganz anders bewandt [ist]‹, als hier GA2 nicht gilt. Entsprechend können wir § 7.B.1 folgendermaßen rekonstruieren: § 7.B.1R1 Mit dem Schönen ist es ganz anders bewandt, d. h. es gilt nicht der Grundsatz: ein jeder hat seinen eigenen Geschmack.

Diese Rekonstruktion wird dadurch bestätigt, dass Kant in § 7.B.6 formuliert: ›und sofern kann man nicht sagen: ein jeder hat seinen besondern Geschmack‹. Nun lässt sich aus dieser Ablehnung von GA2 aber auch ein positiver Grundsatz über das Schöne gewinnen. Insofern dem Besonderen das Allgemeine entgegengesetzt ist, muss dieser positive Grundsatz lauten: Der Geschmack ist allgemein. 14 Dies ist natürlich nichts anderes als AT. Schließlich ist der Geschmack das Vermögen, Geschmacksurteile zu fällen, und Geschmacksurteile sind allgemeingültig. In diesem Sinne kann der Geschmack als allgemein gelten. 15 Wir können demnach bezüglich des Schönen den folgenden Grundsatz als Pendant zu GA2 aufstellen: GG2 Der Geschmack ist allgemein.

In Abgrenzung vom Sinnengeschmack, d. h. vom Vermögen, Urteile über das Angenehme zu fällen, nutzt Kant bisweilen für das Vermögen, Urteile über das Schöne zu fällen, den Begriff des Reflexionsgeschmacks (vgl. § 8.B.2, 214,10). Ich nutze im Folgenden – wie überhaupt in dieser Arbeit – den Begriff »Geschmack« ausschließlich für das Vermögen, Urteile über das Schöne zu fällen. Ist vom Vermögen, Urteile über das Angenehme zu fällen, die Rede, so nutze ich stets den Begriff »Sinnengeschmack«. 15 Erhellend ist in diesem Kontext insbesondere auch, dass Kant den Geschmack mit dem (ästhetischen) Gemeinsinn identifiziert (vgl. »Vom Geschmacke als einer Art von sensus communis«, 293,10; vgl. auch 295,21; 295 Fn.). Ein Gemeinsinn ist aber gerade dadurch gekennzeichnet, dass er allgemein ist; Kant spricht hier auch vom »gemeinschaftlichen Sinn[.]« (295,23, m. H.). Zur Gemeinschaftlichkeit des Gemeinsinns siehe Kap. 20.2.2. 14

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§ 7 Die (subjektive) Quantität des Angenehmen, Schönen und Guten

Nun führt Kant im Kontext der Antinomie des Geschmacks (§ 58) aber als einen »Gemeinort des Geschmacks« an: 16 »E i n j e d e r h a t s e i n e n e i g n e n G e s c h m a c k « (338,3). Allerdings hat dieser ›Gemeinort‹ die folgende Bedeutung: »der Bestimmungsgrund dieses Urteils [des Geschmacksurteils] ist bloß subjektiv« (338,5). 17 Dies bedeutet, dass es ein ästhetisches Urteil ist, und damit ist impliziert, dass es keine begrifflichen Regeln des Geschmacks gibt sowie dass das Urteil keine Eigenschaft eines Objekts oder des Subjekts prädiziert (BTUrteil). Plastisch formuliert bedeutet damit der ›Gemeinort‹ (›ein jeder hat seinen eignen Geschmack‹), dass man »das Object seinen eignen Augen unterwerfen [will]« (§ 8.F.1, 216,2) und dabei eine Lust fühlen muss, um ein ästhetisches Urteil zu fällen. 18 Dieser Gemeinort betrifft neben dem Schönen auch das Angenehme. Im Kontext der Grundsätze GA2 und GG2 betrifft ›ein jeder hat seinen eigenen Geschmack‹ aber nur das Angenehme. Dieser Grundsatz sagt nämlich aus, dass die vom (Sinnen-)Geschmack gefällten Urteile nur privatgültig und nicht allgemeingültig sind. In Bezug auf diese private oder allgemeine Geltung kann man beim Schönen »nicht sagen: ein jeder hat seinen besondern Geschmack« (§ 7.B.6, 213,4). Gibt es auch ein Pendant zu GA1, d. h. zum Grundsatz ›Über das Angenehme lässt sich nicht streiten‹ ? § 7.B.6a ist hier aufschlussreich: § 7.B.6a* Er [der Urteilende] tadelt die anderen, wenn sie anders urteilen, und spricht den anderen den Geschmack ab, von dem er doch verlangt, dass sie ihn haben sollen.

Unter einem Gemeinort versteht man eine allgemein bekannte Phrase oder Floskel. So schreibt Campe im Wörterbuch der deutschen Sprache: »ein alltäglicher Satz, eine bekannte Sache, und deren gewöhnliche schon von vielen widerholte Erklärung oder Anführung« (Campe 1808, 301). 17 Weiter heißt es: »und das Urtheil hat kein Recht auf die nothwendige Beystimmung anderer« (338,7). Diese These gilt freilich in der Form nicht für das Schöne. Es gilt jedoch, dass das Geschmacksurteil ›kein Recht auf die nothwendige Beystimmung anderer‹ hat, insofern diese durch einen (bestimmten) Begriff bewirkt werden könnte. 18 Vgl. auch: »Nun geht das Geschmacksurtheil auf Gegenstände der Sinne, aber nicht um einen B e g r i f derselben für den Verstand zu bestimmen; denn es ist kein Erkenntnißurtheil. Es ist daher, als auf das Gefühl der Lust bezogene anschauliche einzelne Vorstellung, nur ein Privaturtheil: und sofern würde es seiner Gültigkeit nach auf das urtheilende Individuum allein beschränkt seyn: der Gegenstand ist f ü r m i c h ein Gegenstand des Wohlgefallens, für andre mag es sich anders verhalten; – ein jeder hat seinen Geschmack« (339,24). 16

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Zur Gegenüberstellung des Schönen und des Angenehmen

Kant umschreibt in diesem Satz den präskriptiven Allgemeinheitsanspruch des Geschmacksurteils, d. h. den (rechtmäßigen) Anspruch eines Urteilenden an alle anderen Urteilenden, seinem Urteil »x ist schön« zuzustimmen. Mit diesem Anspruch ist impliziert, dass sich über Geschmack streiten lässt. So formuliert Kant in der Antinomie des Geschmacks die Antithesis: »Das Geschmacksurtheil gründet sich auf Begriffen; denn sonst ließe sich, ungeachtet der Verschiedenheit desselben, darüber auch nicht einmal streiten (auf die nothwendige Einstimmung anderer mit diesem Urtheile Anspruch machen)« (338,35 f.). Wir können also den folgenden Grundsatz GG1 aufstellen: GG1 Über den Geschmack bzw. das Schöne lässt sich streiten, d. h. auf die notwendige Einstimmung anderer mit diesem Urteil Anspruch machen. 19

Es ist in diesem Kontext auch aufschlussreich, dass zwischen zwei Geschmacksurteilen »x ist schön« und »x ist nicht schön« eine Art von Widerspruch vorliegt. Das Urteil »x ist nicht schön« beinhaltet nämlich mindestens das Urteil »Einige Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x keine Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind«. Stellt man nun beide Urteile gegenüber, ergibt sich das folgende kontradiktorische Verhältnis: U1 Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind. U2 Einige Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x keine Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind.

Der Widerspruch müsste, wie im logischen Quadrat, eigentlich darin bestehen, dass die Konjunktion »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen … und einige Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x keine Lust am Schönen …« notwendigerweise falsch wäre. Allerdings finden die Kategorien der Wahrheit und Falschheit beim Schönen keine Anwendung. Im Sinne von BT erfasst das Prädikat »ist schön« nämlich keine Eigenschaft des Objekts (oder urteilenden Subjekts) und das Urteil »x ist schön« ist kein Erkenntnisurteil. Nach Kant ist Wahrheit aber die »Übereinstimmung einer Erkenntnis mit ihrem Gegenstande« (B83). Da offenkundig dennoch zwischen U1 und U2 eine Art von Widerspruch vorliegt, der in gewisVgl. auch: »Das Urtheil des Geschmaks betrift eigentlich die Allgemeingültigkeit und das Wohlgefallen an dem Gegenstande um dieser allgemein Gültigkeit wegen. Darum ist es auch moglich, über den Geschmak zu streiten« (Refl: 830, AA 15: 370).

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ser Hinsicht eine Ähnlichkeit zu einem logischen Widerspruch aufweist, schlage ich vor, von einem ästhetischen Widerspruch zu sprechen. Dieser besteht darin, dass die Konjunktion »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen … und einige Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x keine Lust am Schönen …« nicht sinnvollerweise von Urteilenden angenommen werden kann. Freilich kann ein Urteilender diese Konjunktion de facto annehmen; und da in dieser Konjunktion keine Eigenschaft des Objekts erfasst wird, kann sie nicht falsch sein. Dennoch ist diese Konjunktion irrig bzw. inkorrekt. Kehren wir zu den beiden Grundsätzen GG1 (›Über den Geschmack bzw. das Schöne lässt sich streiten, d. h. auf die notwendige Einstimmung anderer mit diesem Urteil Anspruch machen‹) und GG2 (›Der Geschmack ist allgemein‹) zurück. Diese harmonieren offenkundig miteinander: Wenn der Geschmack allgemein ist (GG2), dann lässt sich ›auf notwendige Einstimmung anderer‹ mit dem eigenen Geschmacksurteil ›Anspruch machen‹, d. h. es lässt sich über das Schöne streiten (GG1). Nimmt man jedoch den gesamten § 7 in den Blick, so gibt es einen impliziten Konflikt, der sich als Antizipation der Antinomie des Geschmacks begreifen lässt. 20 Zum Ende des dritten Absatzes formuliert Kant die Begriffslosigkeitsthese BTLust: § 7.C.5 »[a] In Ansehung des Guten machen die Urtheile zwar auch mit Recht auf Gültigkeit für jedermann Anspruch; [b] allein das Gute wird nur d u r c h e i n e n B e g r i f als Object eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt, welches weder beym Angenehmen noch beym Schönen der Fall ist« (213,20).

Die Formulierung ›allein das Gute wird nur durch einen Begrif als Object eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt, welches weder beym Angenehmen noch beym Schönen der Fall ist‹ bedeutet für das Schöne, dass es nicht ›durch einen Begrif‹ (BTLust), sehr wohl aber ›als Object eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt [wird]‹ (ATLust). Nun ist BTLust eng mit BTUrteil verknüpft: Da das Geschmacksurteil ein ästhetisches Urteil ist und daher ein quasiPrädikat der Lust hat, diese Lust aber nicht begrifflich erwirkt ist (BTLust), ist das Geschmacksurteil nicht-begrifflich, d. h. das quasiPrädikat erfasst keine Eigenschaft eines Objekts (oder des urteilenden Auch Crawford zieht eine Parallele zwischen den §§ 7–8 und der Antinomie des Geschmacks (vgl. Crawford 1974, 63).

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Subjekts) begrifflich (BTUrteil). 21 In diesem Sinne gründet sich das Geschmacksurteil nicht auf (bestimmte) Begriffe. Wirft man einen Blick auf die Thesis der Antinomie des Geschmacks, so wird deutlich, dass diese zentral BTUrteil beinhaltet: »1. T h e s i s . Das Geschmacksurtheil gründet sich nicht auf Begriffen; denn sonst ließe sich darüber disputiren (durch Beweise entscheiden)« (338,33, 2. H. m. H.).

Nun lautet, wie bereits erwähnt, die Antithesis: »2. A n t i t h e s i s . Das Geschmacksurtheil gründet sich auf Begriffen; denn sonst ließe sich, ungeachtet der Verschiedenheit desselben, darüber auch nicht einmal streiten (auf die nothwendige Einstimmung anderer mit diesem Urtheile Anspruch machen)« (338,35).

Die Antithesis ist mindestens teilweise im oben formulierten Grundsatz GG1 enthalten: GG1 Über den Geschmack bzw. das Schöne lässt sich streiten, d. h. auf die notwendige Einstimmung anderer mit diesem Urteil Anspruch machen.

Insgesamt wird deutlich, dass sowohl die Thesis als auch die Antithesis der Antinomie des Geschmacks in § 7 vorweggenommen werden. Damit findet die Antinomie eine Antizipation in § 7, wenngleich sie erst in den §§ 56–57 ausdrücklich formuliert und aufgelöst wird. 22 Mir scheint es jedoch wichtig, auf diese Antizipation hinzuweisen. Denn aus dieser Antizipation wird ersichtlich, dass sich die Antinomie letztlich auf den scheinbaren Konflikt zwischen der Begriffslosigkeitsthese BTUrteil (Thesis) und der Allgemeingültigkeitsthese ATUrteil (Antithesis) zurückführen lässt.

Für die Analyse von BTLust siehe Kap. 6.1.2. Auch Zammito verortet in § 7 eine Art antizipierte (frühe) Version der Antinomie des Geschmacks ebenso wie eine vorläufige Lösung derselben: »The odd thing is, § 7 also solves the ›Dialectic,‹ for the key to the antinomy is that the thesis is true of aesthetic judgments of sense, while the antithesis is true of aesthetic judgments of taste« (Zammito 1992, 122).

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7.2.2 Die richtige Form des Geschmacksurteils Wir haben gesehen, dass Urteile über das Angenehme die verdeckte Form »Ich fühle beim Wahrnehmen von x Lust am Angenehmen« haben. Im Rahmen der Analyse von § 6 haben wir gesehen, dass Geschmacksurteile hingegen die verdeckte Form »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind« haben. 23 Auch in § 7 finden sich Hinweise auf die allgemeine Form des Geschmacksurteils, etwa: § 7.B.2 »Es wäre (gerade umgekehrt) lächerlich, wenn jemand, der sich auf seinen Geschmack etwas einbildete, sich damit zu rechtfertigen gedächte: dieser Gegenstand (das Gebäude, was wir sehen, das Kleid, was jener trägt, das Concert, was wir hören, das Gedicht, welches zur Beurtheilung aufgestellt ist) ist f ü r m i c h schön. § 7.B.3 Denn er muß es nicht s c h ö n nennen, wenn es bloß ihm gefällt« (212,24).

In § 7.B.2 formuliert Kant das Urteil ›dieser Gegenstand…ist für mich schön‹. Dies lässt sich übersetzen mit ›Ich fühle beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen‹. Dazu heißt es dann in § 7.B.3: ›er muß es [das Ding] nicht schön nennen, wenn es bloß ihm gefällt‹. Das Verb ›muß‹ ist dabei im Sinne von ›darf‹ zu verstehen. Wir können also schreiben: § 7.B.3R1 Der Urteilende darf einen Gegenstand nicht schön nennen, wenn der Gegenstand bloß ihm gefällt.

Gemeint ist damit offenkundig, dass ein Urteilender, der an einem Gegenstand x eine bloß privatgültige Lust fühlt und ein Urteil »x ist schön« fällt, einen Fehler begeht. Ich werde später darlegen, dass wir durch den Begriff »schön« die sich spezifisch anfühlende Lust am Schönen begrifflich erfassen. 24 Fühlt sich eine Lust uninteressiert, frei, allgemeingültig und als Bewusstsein des Prinzips a priori der Urteilskraft an, dann und nur dann dürfen wir sie unter den Begriff »schön« subsumieren. Fühlt sich die Lust bloß privatgültig, interessiert, unfrei usw. an und würden wir sie dennoch unter den Begriff »schön« subsumieren, so würden wir einen Fehler begehen. 25 Wenn 23 24 25

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Siehe Kap. 6.1.3. Siehe hierzu die Ausführungen zum Subsumtionsmodell in Kap. G2.2.2. Für die Möglichkeit von irrigen Geschmacksurteilen siehe Kap. 8.3.

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Zur Gegenüberstellung des Schönen und des Angenehmen

ich aber eine Lust am Schönen, d. h. eine allgemeingültige Lust, fühle, so wäre es umgekehrt ›lächerlich‹, wenn ich darauf aufbauend das Urteil ›dieser Gegenstand…ist für mich schön‹ bzw. ›(Nur) ich fühle beim Wahrnehmen von x eine Lust am Schönen‹ fällen würde. Dies wäre insofern ›lächerlich‹, als meine Lust (schon allein in phänomenaler Hinsicht) mehr als Privatgültigkeit hergibt. Es wäre in gewisser Hinsicht sogar falsch bzw. widersprüchlich. Geschmacksurteile sind nämlich wesentlich inhaltlich allgemeine Urteile der Form »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind« und haben wesentlich Geltung für alle Menschen. Wenngleich »x ist schön« das Urteil »Ich fühle eine Lust am Schönen« impliziert, so ist doch dieses implizierte Urteil selbst kein Geschmacksurteil. Darauf verweist § 7.B.7: § 7.B.7 »Dieses [ein jeder hat seinen eigenen Geschmack] würde so viel heißen, als: es giebt gar keinen Geschmack, d. i. kein ästhetisches Urtheil, welches auf jedermanns Beystimmung rechtmäßigen Anspruch machen könnte« (213,5).

Kant umschreibt hier das Geschmacksurteil als ›ästhetisches Urtheil, welches auf jedermanns Beystimmung rechtmäßigen Anspruch‹ macht. Nur aufgrund dieses rechtmäßigen Anspruchs auf Allgemeingültigkeit scheint es aber überhaupt einen Geschmack zu geben – und, so ließe sich ergänzen, nur Urteile mit diesem Anspruch auf Allgemeingültigkeit können als Geschmacksurteile gelten. Dass inhaltliche Allgemeinheit und Geltung für alle Urteilenden wesentlich zum Geschmacksurteil gehören, lässt sich ferner den folgenden Passagen entnehmen: »und daß dieser Anspruch auf Allgemeingültigkeit so wesentlich zu einem Urtheil gehöre, wodurch wir etwas für s c h ö n erklären, daß, ohne dieselbe [Allgemeingültigkeit] dabey zu denken, es niemand in die Gedanken kommen würde, diesen Ausdruck [»schön«] zu gebrauchen« (§ 8.B.1, 214,3, m. H.). »Sagen: diese Blume ist schön, heißt eben so viel, als ihren eigenen Anspruch auf jedermanns Wohlgefallen ihr nur nachsagen« (281,35 f.). »dasjenige [Urteil] aber, wodurch ich eine einzelne gegebene Tulpe schön, d. i. mein Wohlgefallen an derselben allgemeingültig finde, ist allein das Geschmacksurtheil« (285,17).

Aus § 8.B.1 geht eindeutig hervor, dass der ›Anspruch auf Allgemeingültigkeit…wesentlich zu einem Urtheil gehöre, wodurch wir etwas Kants Philosophie des Schönen

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für schön erklären‹, d. h. zu einem Geschmacksurteil. Aus den beiden anderen Zitaten lässt sich ablesen, dass das Prädikat »ist schön« unter anderem aussagt, dass die Lust allgemeingültig ist. Dieser Umstand lässt sich mit Vorgriff auf ein späteres Theoriestück, nämlich den Gemeinsinn als »subjectives Princip« (§ 20.A.3, 238,4), erklären. Ich werde dafür argumentieren, dass der Gemeinsinn als Obersatz in einem quasi-Syllogismus fungiert. 26 Wenn wir eine aktual gefühlte Lust (Untersatz) unter den Gemeinsinn subsumieren – und dies geschieht, indem wir unsere gefühlte Lust unter den Begriff »schön« subsumieren –, dann und nur dann erhalten wir das Geschmacksurteil »x ist schön« als Konklusion. Da sich das Urteil »x ist schön« durch eine Anwendung des Gemeinsinns konstituiert, ist es immer ein allgemeines Urteil der Form »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x uninteressierte Lust, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind«. Ferner sind Geschmacksurteile wesentlich synthetische Urteile a priori, wobei ihnen dieser Status nur aufgrund ihrer inhaltlichen Allgemeinheit zukommt. So schreibt Kant: »Es ist ein empirisches Urtheil: daß ich einen Gegenstand mit Lust wahrnehme und beurtheile. Es ist aber ein Urtheil a priori: daß ich ihn schön finde, d. i. jenes Wohlgefallen jedermann als nothwendig ansinnen darf« (289,26). 27 Stimmt es nun, dass das Prädikat »ist schön« nichts anderes bedeutet als »Alle Menschen fühlen Lust am Schönen …«, dann würde das Urteil »x ist für mich schön« einen Widerspruch oder Fehler beinhalten. Es sollte damit deutlich geworden sein, dass Geschmacksurteile immer und wesentlich die allgemeine Form »Alle Urteilenden fühlen beim Wahrnehmen von x eine Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind« haben und wesentlich durch Allgemeingültigkeit ausgezeichnet sind. Es wäre dabei sowohl ein Fehler, eine bloß privatgültige Lust unter den Begriff »schön« zu subsumieren, als auch, eine Lust am Schönen durch das Urteil »(Nur) ich fühle beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen« zu erfassen.

Siehe hierzu Kap. G5.2. Vgl. auch 288,35 f., 289,22. – Vor dem Hintergrund dieser Passagen scheint es mir unklar, warum Ameriks Geschmacksurteilen den Status als Urteile a priori abzusprechen scheint: »although aesthetic judgments are not themselves a priori, Kant says they are in some sense ›pure‹, and so they can even be given a transcendental deduction« (Ameriks 2003, 334).

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Generale und universale Regeln sowie komparative und strenge Allgemeinheit

7.3 Generale und universale Regeln sowie komparative und strenge Allgemeinheit Kant hat dafür plädiert, dass Urteile über das Angenehme immer nur Privatgültigkeit beanspruchen. Aber stimmt das? Fällen wir nicht auch manchmal allgemeine Urteile über das Angenehme? Kant gesteht genau dies in der folgenden Passage ein: § 7.C.1 »Gleichwohl findet man auch in Ansehung des Angenehmen, daß in der Beurtheilung desselben sich Einhelligkeit unter Menschen antreffen lasse, in Absicht auf welche man doch einigen den Geschmack abspricht, andern ihn zugesteht, und zwar nicht in der Bedeutung als Organsinn, sondern als Beurtheilungsvermögen in Ansehung des Angenehmen überhaupt. § 7.C.2 So sagt man von jemanden, der seine Gäste mit Annehmlichkeiten (des Genusses durch alle Sinne) so zu unterhalten weiß, daß es ihnen insgesamt gefällt: er habe Geschmack. § 7.C.3 Aber hier wird die Allgemeinheit nur comparativ genommen; und da giebt es nur g e n e r a l e (wie die empirischen alle sind), nicht u n i v e r s a l e Regeln, welche letzteren das Geschmacksurtheil über das Schöne sich unternimmt oder darauf Anspruch macht. § 7.C.4 Es ist ein Urtheil in Beziehung auf die Geselligkeit, sofern sie auf empirischen Regeln beruht« (213,8).

Betrachten wir zunächst den Satz § 7.C.1. Vom Zusatz ›und zwar nicht in Bedeutung als Organsinn, sondern als Beurtheilungsvermögen in Ansehung des Angenehmen‹ können wir abstrahieren, da Kant dadurch nur verdeutlicht, dass er vom Sinnengeschmack und nicht vom Geschmackssinn spricht. Wir können den Satz folgendermaßen vereinfachen: § 7.C.1* Man findet auch, dass sich in der Beurteilung des Angenehmen Einhelligkeit unter Menschen antreffen lasse, in Absicht auf welche [Einhelligkeit] man doch einigen Menschen den Sinnengeschmack abspricht, anderen Menschen den Sinnengeschmack zugesteht.

Kant beschreibt nun erstens, dass wir manchmal ›Einhelligkeit‹ bezüglich des Angenehmen vorfinden, d. h. es scheint Empfindungen zu geben, die de facto alle Menschen angenehm finden. Aufgrund dieser Allgemeinheit fällen wir manchmal Urteile der Art »Person A hat (Sinnen-)Geschmack« und »Person B hat keinen (Sinnen-) Kants Philosophie des Schönen

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Geschmack«. Wir können § 7.C.1 in diesem Sinne folgendermaßen rekonstruieren: § 7.C.1R1 Manche Gegenstände werden allgemein als angenehm beurteilt. Aufgrund dieser Allgemeinheit fällen wir Urteile der Art »Person A hat (Sinnen-) Geschmack« und »Person B hat keinen (Sinnen-)Geschmack«.

In § 7.C.2 schildert Kant auch ein konkretes Beispiel für eine solche Allgemeinheit beim Angenehmen: Ein Gastgeber bietet seinen Gästen Speisen oder Getränke an, die allgemein (d. h. von allen Gästen) für angenehm befunden werden. Die Gäste fällen das Urteil »x (etwa ein bestimmter Wein) ist allen angenehm« und darauf aufbauend das Urteil »Der Gastgeber hat (Sinnen-)Geschmack«. Analog dazu ist freilich auch ein Fall denkbar, in dem ein Gastgeber Speisen oder ähnliches anbietet, die von seinen Gästen allgemein nicht für angenehm befunden werden. Seine Gäste könnten dann urteilen: »Der Gastgeber hat keinen (Sinnen-)Geschmack.« Nun stehen die beiden Urteile »Person A hat (Sinnen-) Geschmack« und »Person B hat keinen (Sinnen-)Geschmack« im Konflikt zum Grundsatz »e i n j e d e r h a t s e i n e n e i g e n e n G e s c h m a c k (der Sinne)« (§ 7.A.5, 212,22). Wenn nämlich jeder seinen eigenen Geschmack hat und wenn Urteile über das Angenehme bloß privatgültig sind, dann können wir niemandem (rechtmäßig) den Sinnengeschmack zu- oder absprechen. Kants Lösung dieses Problems muss darin bestehen, zwei verschiedene Arten von Allgemeinheit zu unterscheiden, auf deren Grundlage die Sätze ›ein jeder hat seinen eigenen Geschmack‹ und ›Person A hat (Sinnen-) Geschmack‹ je eine andere Bedeutung erhalten. Genau dies ist tatsächlich seine Strategie in § 7.C.3. In diesem Satz müssen sich die beiden Partikel ›hier‹ und ›da‹ beide auf das Angenehme (bzw. auf das vorangehende Beispiel, welches aber das Angenehme betrifft) beziehen. § 7.C.3 muss also folgendermaßen rekonstruiert werden: § 7.C.3* Beim Angenehmen wird die Allgemeinheit nur komparativ genommen; und beim Angenehmen gibt es nur generale Regeln (wie die empirischen Regeln alle sind), nicht universale Regeln, welche letzteren das Geschmacksurteil über das Schöne sich unternimmt oder darauf Anspruch macht.

Es lassen sich dann jeweils eine These über die Allgemeinheit bzw. die Regeln beim Angenehmen und beim Schönen formulieren. Diese beiden Thesen lauten: 420

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Generale und universale Regeln sowie komparative und strenge Allgemeinheit

§ 7.C.3R1 Beim Angenehmen gibt es nur komparative Allgemeinheit und generale Regeln (wie die empirischen Regeln alle sind). Das Geschmacksurteil macht Anspruch auf universale Regeln.

Beginnen wir mit der komparativen Allgemeinheit und den generalen Regeln 28 beim Angenehmen. In Zum ewigen Frieden differenziert Kant folgendermaßen zwischen generalen und universalen Gesetzen: »Sonst wird man bloß g e n e r a l e Gesetze (die im A l l g e m e i n e n gelten), aber keine universale (die a l l g e m e i n gelten) haben« (ZeF: 348 Fn.). Dass generale Gesetze ›im Allgemeinen gelten‹ bedeutet, dass sie für die meisten oder meistens gelten, nicht aber für alle und immer. In diesem Sinne heißt es auch im Handschriftlichen Nachlass zur Logik: »Das generale ist das, was nur einiges, und zwar das, was den meisten Gemein ist, in Betrachtung zieht« (Refl: 3085). Eine generale Regel hat damit die Form »Einige S sind P« bzw. »Die meisten S sind P«; nicht alles, was unter den Subjektbegriff S fällt, fällt auch unter das Prädikat P. 29 Und damit ist dann impliziert, dass wir unter eine generale Regel der Form »Die meisten S sind P« nicht einfach den Satz »a ist S« subsumieren können, um die Konklusion »a ist P« zu gewinnen. 30 Bereits in der Klammerbemerkung in § 7.C.3 deutet Kant an, dass alle empirischen Regeln bloß generale Regeln sind. Ähnlich heißt es in der Logik: »durch Induction bekommt man wohl generale, aber nicht universale Sätze« (Log: 133). Dies ist nichts anderes als das bekannte Induktionsproblem: Auch wenn ich in der Erfahrung nur weiße Schwäne beobachten konnte, folgt daraus nicht,

Statt des Adjektivs »general« würden wir heute wohl eher »generell« nutzen. Im Eintrag »general« bei Adelung heißt es: »ein unabänderliches Beywort, welches aus dem Latein. generalis, allgemein, entlehnet ist, und im gemeinen Leben nur in der Zusammensetzung mit verschiedenen Hauptwörtern vorkommt, deren allgemeine, oder über alle Dinge einer bestimmten Art sich erstreckende Wirkung oder Gewalt zu bezeichnen« (Adelung: General). 29 So auch Wenzel: »We can imagine an exception to a general statement, but not to a universal one« (Wenzel 2008, 32). 30 Vgl. hierzu: »In Absicht auf die Allgemeinheit eines Erkenntnisses findet ein realer Unterschied statt zwischen g e n e r a l e n und u n i v e r s a l e n Sätzen, der aber freilich die Logik nichts angeht. G e n e r a l e Sätze nämlich sind solche, die bloß etwas von dem Allgemeinen gewisser Gegenstände und folglich nicht hinreichende Bedingungen der Subsumtion enthalten, […]. U n i v e r s a l e Sätze sind die, welche von einem Gegenstande etwas allgemein behaupten« (Log: 102; vgl. auch Refl: 3085, AA 16: 650). 28

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dass wirklich alle Schwäne weiß sind. 31 In der KrV schreibt Kant zum Induktionsproblem: »Erfahrung gibt niemals ihren Urteilen wahre oder strenge, sondern nur angenommene und komparative A l l g e m e i n h e i t (durch Induktion), so daß es eigentlich heißen muß: soviel wir bisher wahrgenommen haben, findet sich von dieser oder jener Regel keine Ausnahme« (B3 f.). Gründen wir eine Regel auf Induktion, so wissen wir nicht, ob es nicht Ausnahmen geben könnte. Somit verfügt die Regel nur über komparative Allgemeinheit, d. h. »ausgebreitete Brauchbarkeit« (A92/B124). Dass es für das Angenehme nur generale Regeln geben kann, bedeutet nun insgesamt, dass es nur Regeln der Art »x ist den meisten Menschen angenehm« geben kann. Zu einer solchen Regel (bspw. »Schokolade ist den meisten Menschen angenehm«) gibt es Ausnahmen (d. h. Menschen, die keine Schokolade mögen). Gewonnen werden solche Regeln durch Induktion, d. h. dadurch, dass wir empirisch gegebene Fälle des Angenehmen miteinander vergleichen. Anders verhält es sich nun mit der Allgemeinheit und den Regeln beim Schönen. Kant schreibt in § 7.C.3, dass das Geschmacksurteil ›auf universale Regeln…Anspruch macht‹. Im obigen Zitat aus Zum ewigen Frieden hieß es bereits, dass universale Gesetze »a l l g e m e i n gelten« (ZeF: 348 Fn.). Ähnlich schreibt Kant in der Logik, dass »u n i v e r s a l e Sätze […] die [sind], welche von einem Gegenstande etwas allgemein behaupten« – und nicht »bloß etwas von dem Allgemeinen gewisser Gegenstände« (Log: 102). Kurzum: Universale Sätze gelten für alles, was unter den Subjektbegriff fällt; es gibt keine Ausnahmen. Kant bezeichnet eine solche Form von Allgemeinheit auch als »strenge Allgemeinheit«. Zu dieser heißt es etwa in der KrV: »Wird also ein Urteil in strenger Allgemeinheit gedacht, d. i. so, daß gar keine Ausnahme als möglich verstattet wird, so ist es nicht von der Erfahrung abgeleitet, sondern schlechterdings a priori gültig. […] wo […] strenge Allgemeinheit zu einem Urteile wesentlich gehört, da zeigt diese auf einen besonderen Erkenntnisquell desselben, nämlich ein Vermögen des Erkenntnisses a priori. Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit sind also sichere Kennzeichen einer Erkenntnis a priori, und gehören auch unzertrennlich zu einander« (B4).

Damit ist nicht ausgeschlossen, dass wirklich alle (und nicht nur einige) Schwäne weiß sind. Und dies gilt, mindestens in einigen besonderen Fällen, vielleicht auch für das Angenehme. So ist es nicht ausgeschlossen, dass wirklich alle Menschen das Gefühl der Lust für angenehm befinden.

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Generale und universale Regeln sowie komparative und strenge Allgemeinheit

Wir lernen hier, dass strenge Allgemeinheit ›keine Ausnahme…verstattet‹, und dass ein dadurch ausgezeichnetes Urteil nicht ›aus der Erfahrung abgeleitet, sondern schlechterdings a priori gültig‹ ist. Entsprechend muss eine universale Regel durch Apriorität gekennzeichnet sein. Ein Geschmacksurteil der (verdeckten) Form »Alle Urteilenden fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind« gilt damit erstens ohne Ausnahme für alle Urteilenden, die in ästhetischer Einstellung sind; und zweitens muss es sich dabei um ein Urteil a priori handeln. Dies impliziert, dass es seine Allgemeingültigkeit nicht durch Induktion erlangt haben kann. So heißt es in § 7.B.5b: »und rechnet nicht etwa darum auf Anderer Einstimmung in sein Urtheil des Wohlgefallens, weil er sie mehrmalen mit dem seinigen einstimmig befunden hat« (212,34 f.). 32 Wir können nun § 7.C.3 mit Rückgriff auf unsere Untersuchungen folgendermaßen rekonstruieren: § 7.C.3R2 Beim Angenehmen gibt es nur komparative Allgemeinheit und generale Regeln der Form »x ist den meisten Menschen angenehm«; diese Regeln werden durch Induktion gewonnen. Das Geschmacksurteil macht Anspruch auf strenge Allgemeinheit und universale Regeln der Form »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind«; diese Regeln werden a priori gewonnen.

In der soeben vorgenommenen Rekonstruktion haben wir das Geschmacksurteil selbst als universale Regel a priori interpretiert. Aber ist dies korrekt? Muss das Geschmacksurteil nicht vielmehr aus einer universalen Regel a priori abgeleitet werden? Hierauf lässt sich eine dreigeteilte Antwort geben: Erstens kann das Geschmacksurteil nicht aus einer begrifflichen Regel a priori abgeleitet werden. Denn: »Wenn man Objecte bloß nach Begriffen beurtheilt, so geht alle Vorstellung der Schönheit verloren. Also kann es auch keine Regel geben, nach der jemand genöthigt werden sollte, etwas für schön anzuerkennen«

Vgl. auch: »Ueberdies wird von jedem Urtheil, welches den Geschmack des Subjects beweisen soll, verlangt: daß das Subject für sich, ohne nöthig zu haben, durch Erfahrung unter den Urtheilen anderer herumzutappen, und sich von ihrem Wohlgefallen oder Mißfallen an demselben Gegenstande vorher zu belehren, urtheilen, mithin sein Urtheil nicht als Nachahmung, weil ein Ding etwa wirklich allgemein gefällt, sondern a priori aussprechen solle« (282,11).

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(§ 8.F.1–2, 215,35). 33 Zweitens ist das Geschmacksurteil in gewisser Hinsicht selbst eine Regel. So ist es einerseits ein synthetisches Urteil a priori; 34 andererseits spricht Kant mehrfach davon, dass die Lust am Schönen zur allgemeinen Regel diene, und er legt auch nahe, dass das Geschmacksurteil als allgemeine Regel auftritt. 35 Drittens beruht das Geschmacksurteil auf einer (nicht-begrifflichen) Regel, die bezüglich ihrer (strengen) Allgemeinheit analog zu einer Regel a priori gedacht ist, nämlich dem Gemeinsinn. 36 Kommen wir abschließend noch einmal kurz zum scheinbaren Konflikt zwischen den Urteilen »Person A hat (Sinnen-)Geschmack« bzw. »Person B hat keinen (Sinnen-)Geschmack« und »e i n j e d e r h a t s e i n e n e i g e n e n G e s c h m a c k (der Sinne)« (§ 7.A.5, 212,22). Wir hatten vermutet, dass beide eine unterschiedliche Form von Allgemeinheit als Standard nutzen. Legt man den Standard der strengen Allgemeinheit an, dann sind Urteile über das Angenehme immer privatgültig und es gilt: ›ein jeder hat seinen eigenen Geschmack (der Sinne)‹. Legt man aber den Standard der komparativen Allgemeinheit an, so kann man so etwas wie einen komparativ allgemeinen Sinnengeschmack annehmen.

7.4 Zur Abgrenzung des Schönen vom Guten anhand des Kriteriums der Allgemeingültigkeit Nachdem Kant fast den gesamten § 7 der Abgrenzung des Schönen vom Angenehmen gewidmet hat, wendet er sich im letzten Satz noch kurz dem Guten zu: § 7.C.5 »[a] In Ansehung des Guten machen die Urtheile zwar auch mit Recht auf Gültigkeit für jedermann Anspruch; [b] allein das Gute wird nur d u r c h e i n e n B e g r i f als Object eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt, welches weder beym Angenehmen noch beym Schönen der Fall ist« (213,20). Siehe auch Kap. 20.1.3. Vgl. 288,32 f. 35 Vgl.: »Also ist der Gemeinsinn […] eine bloße idealische Norm, unter deren Voraussetzung man ein Urtheil, welches mit ihr zusammenstimmte und das in demselben ausgedrückte Wohlgefallen an einem Object, für jedermann mit Recht zur Regel machen könnte« (§ 22.A.3, 239,23; vgl. auch 281,5; 300,11; 337,11). 36 Vgl. hierzu die Ausführungen zur exemplarischen Notwendigkeit in Kap. 18.3.4 sowie die Ausführungen zum Gemeinsinn in Kap. G5.2. 33 34

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Zur Abgrenzung des Schönen vom Guten anhand des Kriteriums der Allgemein-

Beginnen wir mit § 7.C.5a. Auch Urteile über das Gute (›In Ansehung des Guten machen die Urtheile…‹) sind allgemeingültig (›Gültigkeit für jedermann‹). Wir können daher schreiben: § 7.C.5aR1 Urteile über das Gute machen mit Recht Anspruch auf Allgemeingültigkeit.

Bezüglich ihrer Geltung für alle Urteilenden stimmen das Urteil über das Gute und das Geschmacksurteil überein (ATUrteil). 37 Jedoch hängen die Allgemeingültigkeit des Urteils (ATUrteil) und der Lust (ATLust) beim Schönen und Guten jeweils anders zusammen. Bezüglich des Schönen haben wir gesehen, dass ATUrteil auf ATLust beruht. Beim Guten verhält es sich aber genau umgekehrt; denn beim Guten ist die Lust vom Urteil abhängig. 38 Die Lust am Guten beansprucht deswegen Allgemeingültigkeit, weil das Urteil, von dem sie abhängig ist, allgemeingültig ist. Und das Urteil (das moralische Gesetz) ist allgemeingütig, weil es ein synthetischer Satz a priori ist. Bereits daraus wird ersichtlich, dass für die Lust am Guten nicht die Begriffslosigkeitsthese (BTLust) gilt. Vielmehr ist die Lust am Guten begrifflich erwirkt (durch das moralische Gesetz) und beansprucht aufgrund dieses Umstandes Allgemeinheit. Darauf verweist § 7.C.5b, den wir folgendermaßen rekonstruieren können: § 7.C.5bR1 Die Lust am Guten beansprucht ihre Allgemeinheit aufgrund eines Begriffs, welches weder beim Angenehmen noch beim Schönen der Fall ist.

Aufgrund der Tatsache, dass die Lust am Guten begrifflich erwirkt ist, lässt sie sich eindeutig von der Lust am Schönen (sowie am Angenehmen) abgrenzen (›welches weder beim Angenehmen noch beim Schönen der Fall ist‹). Die Begriffslosigkeitsthese der Lust am Schönen (BTLust) ist damit nicht nur ein Teil des Paradoxes von Allgemeingültigkeit und Begriffslosigkeit, sondern sie ist auch ein Kriterium, um das Schöne vom Guten abzugrenzen. Wir können abschließend die drei Formen der Lust anhand von AT und BT gegenüberstellen:

Der Geltungsbereich beider Urteile ist allerdings nicht ganz identisch. So gelten Urteile über das Gute für alle vernünftigen Wesen (vgl. § 5.B.4, 210,9), während Geschmacksurteile nur für alle Menschen gelten, da sie sowohl die Fähigkeit zur Intellektualität als auch zur Sinnlichkeit voraussetzen. Siehe hierzu auch Kap. 5.4. 38 Siehe Kap. 4.6. 37

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§ 7 Die (subjektive) Quantität des Angenehmen, Schönen und Guten

Lust am Angenehmen: privatgültig und begriffslos (BT) Lust am Schönen: allgemeingültig (AT) und begriffslos (BT) Lust am Schönen: allgemeingültig (AT) und begrifflich erwirkt

7.5 Zusammenfassung Kant hat die Lust am Schönen mittels der Kriterien der Allgemeingültigkeit (AT) und Begriffslosigkeit (BT) vom Angenehmen und Guten abgegrenzt. Dabei hat er einige ergänzende Bestimmungen der Allgemeingültigkeit der Lust am Schönen vorgenommen. Die Lust am Angenehmen und das Urteil über das Angenehme sind je nur privatgültig. Da die Lust am Angenehmen auf Neigungen bzw. Begierden zurückzuführen ist, kann eine Person, die Lust am Angenehmen fühlt, keine präskriptiven Ansprüche an andere Urteilende erheben. Für das Urteil über das Angenehme bedeutet die Privatgültigkeit, dass es die (verdeckte) Form »Ich fühle beim Wahrnehmen von x Lust am Angenehmen« hat. Das Urteil kann immer nur Geltung für den Urteilenden selbst beanspruchen, d. h. der Urteilende kann nicht rechtmäßig fordern, dass andere seinem Urteil zustimmen sollen. Für das Angenehme gelten die beiden Grundsätze: »Über das Angenehme lässt sich nicht streiten (auf notwendige Einstimmung aller Anspruch erheben)« und »Ein jeder hat seinen eigenen Sinnengeschmack«. Für das Schöne hingegen gelten die Grundsätze: »Über Geschmack lässt sich streiten (auf notwendige Einstimmung aller Anspruch erheben)« und »Der Geschmack ist allgemein«. Urteile über das Angenehme haben wesentlich die Form »Ich fühle beim Wahrnehmen von x Lust am Angenehmen«. Urteile über das Schöne haben hingegen wesentlich die Form »Alle Urteilenden fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind«. Das Urteil »x ist (nur) für mich schön« bzw. »(Nur) ich fühle beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen« würde insofern einen Widerspruch enthalten, als die durch das Prädikat »ist schön« ausgesagte Lust bereits ihre Allgemeinheit beinhaltet. Im Rahmen des Angenehmen gibt es eine Möglichkeit, allgemeine Urteile zu fällen. Bei dieser Allgemeinheit handelt es sich allerdings nur um eine komparative Allgemeinheit, die durch Induktion 426

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Zusammenfassung

gewonnen wird und bei der Ausnahmen möglich sind. Hingegen ist die Allgemeinheit beim Schönen eine strenge Allgemeinheit, die auf universalen Regeln, d. h. auf Regeln a priori, beruht und bei der keine Ausnahme möglich ist. Urteile über das Gute beanspruchen wie Geschmacksurteile (strenge) Allgemeinheit. Jedoch ist hier die Allgemeingültigkeit der Lust (ATLust) abhängig von der Allgemeingültigkeit des Urteils (ATUrteil). Die Allgemeingültigkeit der Lust ist begrifflich erwirkt, sodass sich diese wesentlich von der begriffslosen Allgemeingültigkeit der Lust am Schönen unterscheidet.

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§ 8 Vier Arten von Allgemeinheit und die Idee einer allgemeinen Stimme

Eigentlich, so scheint es, sind wir nach den §§ 6 und 7 umfassend mit der Allgemeingültigkeitsthese AT vertraut: In § 6 hat Kant diese These entwickelt sowie begründet und in § 7 hat er das Schöne anhand dieser These vom Angenehmen und Guten abgegrenzt. Die einzigen offenen Fragen sind noch, wie sich das Paradox von Begriffslosigkeit und Allgemeingültigkeit auflösen lässt und worauf die begriffslose Allgemeingültigkeit der Lust (vermögenstheoretisch) beruht. Diese Fragen wird Kant erst (ansatzweise) in § 9 beantworten. In § 8 gibt er mit der Idee einer allgemeinen Stimme allerdings einen ersten Hinweis auf diese Antwort. Im Zentrum dieses Paragraphen stehen jedoch vorrangig verschiedene begriffliche Differenzierungen sowie ein erneuter Vergleich der Quantität von Urteilen über das Angenehme, Schöne und Gute. Dies wird aus der folgenden Gliederung ersichtlich: 1. Die subjektive Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils als Problem der Transzendentalphilosophie (§ 8.A.1, 213,28–34) 2. Erneute Abgrenzung des Schönen vom Guten und Angenehmen mithilfe des Merkmals der begriffslosen Allgemeinheit (§ 8.B.1– 3, 213,35–214,29) 3. Begriffliche Differenzierung zwischen ästhetischer und logischer sowie subjektiver und objektiver Allgemeinheit bzw. Quantität (§ 8.C.1-D.3, 214,30–215,13) 4. Die logische Quantität des Geschmacksurteils (§ 8.E.1–7, 215,14–34) 5. Erneute Formulierung der Begriffslosigkeitsthese (§ 8.F.1–4a, 215,35–216,4) 6. Die Idee einer allgemeinen Stimme (§ 8.F.4b–G.5, 216,4–28)

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Vier Arten von Allgemeinheit

8.1 Vier Arten von Allgemeinheit Ein Hauptaugenmerk Kants liegt in § 8 auf der Differenzierung von verschiedenen Formen der Allgemeinheit und Quantität. Bevor ich mich dem Text von § 8 zuwende, möchte ich kurz reflektieren, welche Formen von Allgemeinheit wir bisher identifiziert haben.

8.1.1 Bisher identifizierte Formen der Allgemeinheit Zunächst einmal haben wir zwischen inhaltlicher Allgemeinheit – der eigentlichen Quantität im Sinne eines allgemeinen Urteils »Alle S sind P« – und Allgemeingültigkeit im Sinne der evaluativen Geltung eines Urteils für alle Urteilenden unterschieden. 1 Inhaltliche Allgemeinheit: Urteile der Form »Alle S sind P« sind inhaltlich allgemein im Sinne der Quantität. Alles, was unter den Subjektbegriff S fällt, fällt auch unter den Umfang des Prädikatbegriffs P. Allgemeingültigkeit im Sinne der Geltung für alle Urteilenden: Das Urteil beansprucht Geltung für alle Urteilenden.

Beim Geschmacksurteil fallen inhaltliche Allgemeinheit und Allgemeingültigkeit im Sinne der evaluativen Geltung für alle Urteilenden in gewisser Hinsicht zusammen. Im Sinne seines verdeckten logischen Subjekts ist das Geschmacksurteil ein allgemeines Urteil der Form »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind«; damit ist aber auch impliziert, dass alle Menschen dem Urteil »x ist schön« zustimmen müssen (wenn sie in ästhetischer Einstellung sind) und dass das Urteil somit für alle Menschen gilt. In den folgenden Ausführungen zu § 8 dominiert die Allgemeingültigkeit im Sinne der evaluativen Geltung für alle Urteilenden; Kant gebraucht hierfür den Begriff der subjektiven Allgemeinheit. Die inhaltliche Allgemeinheit im Sinne des verdeckten Urteilssubjekts findet in § 8 keine explizite Erwähnung und ist insbesondere nicht mit der objektiven Allgemeinheit identisch. Was genau unter ›objektiver Allgemeinheit‹ zu verstehen ist, werden wir in Kürze sehen.

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Siehe Kap. 6.1.3.

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§ 8 Vier Arten von Allgemeinheit und die Idee einer allgemeinen Stimme

Eine Allgemeingültigkeit im Sinne der Geltung für alle Urteilenden kann auf zwei verschiedenen Gründen beruhen: erstens auf dem (durch Kategorien konstituierten) Objekt als allgemeinen Bezugspunkt oder zweitens auf einem in allen Subjekten liegenden allgemeinen Bezugspunkt. Wir werden im Folgenden sehen, dass Kants Differenzierung zwischen logischer und ästhetischer Allgemeinheit eng mit diesen verschiedenen Bezugspunkten des jeweiligen Urteils verknüpft ist. Erwähnenswert ist ferner, dass Kant in den Prolegomena zwischen objektiver und subjektiver Gültigkeit differenziert. Dort erläutert er, dass ein objektiv gültiges Urteil (wie das Erfahrungsurteil) über »notwendige Allgemeingültigkeit« verfüge; hingegen gelte ein subjektiv gültiges Urteil (wie das Wahrnehmungsurteil) »bloß für uns, d. i. für unser Subjekt« (Prol: 298). Ein objektiv gültiges Urteil beansprucht demnach Allgemeingültigkeit und ein subjektiv gültiges Urteil bloß Privatgültigkeit. Gleichzeitig ist ein objektiv gültiges Urteil dadurch bestimmt, dass es eine »Beziehung […] auf ein Objekt« hat (Prol: 298), wobei dieses Objekt durch die Kategorien (»i m Ve rs t a n d e u r s p r ü n g l i c h e r z e u g t e B e g r i f f e «; Prol: 298) konstituiert wurde. Interessant ist dabei, dass Kant die objektive Gültigkeit mit der (notwendigen) Allgemeingültigkeit identifiziert. 2 Eine subjektive Allgemeingültigkeit wird von Kant in den Prolegomena nicht in Betracht gezogen. Vielmehr unterstellt er noch allen (empirischen) Urteilen, die kein (durch Kategorien konstituiertes) Objekt als allgemeinen Bezugspunkt haben, dass sie nur Privatgültigkeit beanspruchen können. 3 Wir können die objektive und subjektive Gültigkeit im Sinne der Prolegomena folgendermaßen bestimmen: Objektive Gültigkeit: Notwendige Allgemeingültigkeit eines Urteils, die auf dem (durch Kategorien konstituierten) Objekt als allgemeinen Bezugspunkt beruht. Subjektive Gültigkeit: Bloße Privatgültigkeit eines Urteils; das Urteil verfügt über kein (durch Kategorien konstituiertes) Objekt als allgemeinen Bezugspunkt. Vgl.: »Es sind daher objektive Gültigkeit und notwendige Allgemeingültigkeit (für jedermann) Wechselbegriffe, und ob wir gleich das Objekt an sich nicht kennen, so ist doch, wenn wir ein Urteil als gemeingültig und mithin notwendig ansehen, eben darunter die objektive Gültigkeit verstanden« (Prol: 298; vgl. auch A820/B848). 3 So führt Kant aus, dass ein Wahrnehmungsurteil »nur subjektive Gültigkeit [hat]« und »bloß Verknüpfung der Wahrnehmungen in meinem Gemütszustande, ohne Beziehung auf den Gegenstand [ist]« (Prol: 300). 2

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Diese Differenzierung ist für unsere Analyse von § 8 nur insofern relevant, als Kant sie überwindet. Er führt nämlich mit der ästhetischen Allgemeingültigkeit eine Form von Allgemeingültigkeit ein, die nicht auf dem Objekt als allgemeinen Bezugspunkt beruht. Vor dem Hintergrund dieser begrifflichen Differenzierungen 4 sind nun insbesondere die beiden folgenden Fragen relevant: i. Liegt eine inhaltliche Allgemeinheit oder eine Allgemeingültigkeit im Sinne der Geltung für alle Urteilenden vor? ii. Beruht die Allgemeingültigkeit auf dem (durch Kategorien konstituierten) Objekt als allgemeinen Bezugspunkt oder auf einem in allen Subjekten liegenden allgemeinen Bezugspunkt? Bei den folgenden Untersuchungen werden diese beiden Fragen eine wichtige Rolle spielen.

8.1.2 Objektive und subjektive sowie logische und ästhetische Allgemeinheit Führen wir uns zunächst den dritten und den vierten Absatz von § 8 vor Augen, in denen Kant die verschiedenen begrifflichen Differenzierungen einführt sowie auf ästhetische Urteile bzw. Geschmacksurteile und logische Urteile anwendet: § 8.C.1 »[a] Hier ist nun allererst zu merken, daß eine Allgemeinheit, die nicht auf Begriffen vom Objecte (wenn gleich nur empirischen) beruht, gar nicht logisch, sondern ästhetisch sey, d. i. keine objective Quantität des Urtheils, sondern nur eine subjective enthalte, [b] für welche ich auch den Ausdruck G e m e i n g ü l t i g k e i t , welcher die Gültigkeit nicht von der Beziehung einer Vorstellung auf das Erkenntnißvermögen, sondern auf das Gefühl der Lust und Unlust für jedes Subject bezeichnet, gebrauche. § 8.C.2 (Man kann sich aber auch desselben Ausdrucks für die logische Quantität des Urtheils bedienen, wenn man nur dazusetzt o b j e c t i v e Allgemeingültigkeit, zum Unterschiede von der bloß subjectiven, welche allemal ästhetisch ist.) [Absatz] Der Vollständigkeit halber muss noch Kants Unterscheidung von komparativer und strenger Allgemeinheit Erwähnung finden (vgl. § 7.C.3, 213,15). Siehe hierzu Kap. 7.3.

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§ 8 Vier Arten von Allgemeinheit und die Idee einer allgemeinen Stimme

§ 8.D.1 Nun ist ein o b j e c t i v a l l g e m e i n g ü l t i g e s Urtheil auch jederzeit subjectiv, d. i. wenn das Urtheil für alles, was unter einem gegebenen Begriffe enthalten ist, gilt, so gilt es auch für jedermann, der sich einen Gegenstand durch diesen Begriff vorstellt. § 8.D.2 Aber von einer s u b j e c t i v e n A l l g e m e i n g ü l t i g k e i t , d. i. der ästhetischen, die auf keinem Begriffe beruht, läßt sich nicht auf die logische schließen; weil jene Art Urtheile gar nicht auf das Object geht. § 8.D.3 Eben darum aber muß auch die ästhetische Allgemeinheit, die einem Urtheile beygelegt wird, von besonderer Art seyn, weil sie das Prädikat der Schönheit nicht mit dem Begriffe des O b j e c t s , in seiner ganzen logischen Sphäre betrachtet, verknüpft, und doch eben dasselbe über die ganze Sphäre d e r U r t h e i l e n d e n ausdehnt« (214,30 f.).

Kant differenziert hier zwischen logischer und ästhetischer Allgemeinheit sowie zwischen objektiver und subjektiver Allgemeingültigkeit. Wir werden allerdings bei unserer folgenden Analyse sehen, dass diese Differenzierungen selbst nicht ganz eindeutig sind und Kant sie auch keineswegs kohärent gebraucht. Beginnen wir mit § 8.C.1. Zunächst einmal können wir einige einfache grammatikalische Ergänzungen vornehmen: § 8.C.1* [a] Hier ist nun allererst zu merken, dass eine Allgemeinheit, die nicht auf Begriffen vom Objekt (wenngleich nur empirischen Begriffen) beruht, gar nicht logisch, sondern ästhetisch sei, d. i. keine objektive Quantität des Urteils, sondern nur eine subjektive Quantität enthalte, [b] für welche [ästhetische Allgemeinheit] 5 ich auch den Ausdruck Gemeingültigkeit, welcher die Gültigkeit nicht von der Beziehung einer Vorstellung auf das Erkenntnisvermögen, sondern die Gültigkeit von der Beziehung einer Vorstellung auf das Gefühl der Lust und Unlust für jedes Subjekt bezeichnet, gebrauche.

Aus § 8.C.1a lassen sich die folgenden Bestimmungen der ästhetischen und logischen Allgemeinheit gewinnen:

Es wäre auch denkbar, dass sich ›welche‹ auf die ›subjektive Quantität‹ bezieht. Eine ›Quantität‹ aber ist nicht unbedingt eine Allgemeinheit und damit auch nicht zwangsläufig eine ›Gemeingültigkeit‹. Von daher scheint es mir plausibler, dass sich ›welche‹ auf die ästhetische Allgemeinheit bezieht.

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äA1 Eine ästhetische Allgemeinheit beruht nicht auf Begriffen vom Objekt. lA1 Eine logische Allgemeinheit beruht auf Begriffen vom Objekt. 6

Diese Differenzierung erinnert, erstens, an die Begriffslosigkeitsthese BTUrteil und, zweitens, an Kants Unterscheidung von ästhetischen und logischen Urteilen in § 1. 7 Ein ästhetisches Urteil verfügt über kein begriffliches Prädikat, das eine Eigenschaft vom Objekt erfasst. Es beruht daher ›nicht auf Begriffen vom Objecte‹. Hingegen wird in einem logischen Urteil eine Eigenschaft des Objekts prädiziert und es beruht ›auf Begriffen vom Objecte‹. Es ist demnach naheliegend, dass die ästhetische Allgemeinheit ihren Anwendungsbereich bei den ästhetischen Urteilen, die logische Allgemeinheit ihren Anwendungsbereich aber bei den logischen Urteilen hat. Diese Vermutung wird durch § 8.C.1b bestätigt: § 8.C.1b** Für die ästhetische Allgemeinheit gebrauche ich auch den Ausdruck Gemeingültigkeit, welcher die Gültigkeit nicht von der Beziehung einer Vorstellung auf das Erkenntnisvermögen, sondern auf das Gefühl der Lust und Unlust für jedes Subjekt bezeichnet.

Nun steht der Ausdruck ›Gemeingültigkeit‹ für die ästhetische Allgemeinheit. Wir können daher die beiden folgenden Bestimmungen der ästhetischen Allgemeinheit rekonstruieren: äA2a Die ästhetische Allgemeinheit bezeichnet nicht die Gültigkeit von der Beziehung einer Vorstellung auf das Erkenntnisvermögen für jedes Subjekt. äA2b Die ästhetische Allgemeinheit bezeichnet die Gültigkeit von der Beziehung einer Vorstellung auf das Gefühl der Lust und Unlust für jedes Subjekt.

Die Formulierung ›Beziehung einer Vorstellung…auf das Gefühl der Lust und Unlust‹ ist ganz klar eine Umschreibung für das ästhetische Urteil; denn in einem ästhetischen Urteil verbinden wir eine Vor-

Ich lasse die Klammerbemerkung ›wenn gleich nur empirischen [Begriffen]‹ außer Acht. Letztlich verweist diese nur darauf, dass auch empirische Urteile (Erfahrungsurteile), deren Prädikat ein empirischer Begriff ist, über logische Allgemeinheit verfügen können. 7 Zur Begriffslosigkeitsthese BTUrteil siehe Kap. 6.1.4; zur Unterscheidung von ästhetischen und logischen Urteilen siehe Kap. 1.2. 6

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stellung mit einem (quasi-)Prädikat der Lust. 8 Wir können daher schreiben: äA2bR1 Die ästhetische Allgemeinheit bezeichnet die Gültigkeit eines ästhetischen Urteils für jedes Subjekt.

Nun beinhaltet diese Proposition auch, dass es um die ›Gültigkeit‹ des ästhetischen Urteils ›für jedes Subject‹ geht. Die ästhetische Allgemeinheit muss daher für die Allgemeingültigkeit im Sinne der Geltung für alle Urteilenden (und nicht für die inhaltliche Allgemeinheit) stehen. Wir können nun das folgende umfassende Bild der ästhetischen Allgemeinheit zeichnen: Ästhetische Allgemeinheit: Der Begriff »ästhetische Allgemeinheit« steht für die Geltung eines ästhetischen Urteils für alle Subjekte. Sie beruht nicht auf Begriffen vom Objekt.

Können wir eine analoge Bestimmung der logischen Allgemeinheit vornehmen? Wir können zunächst äA2a in eine positive Aussage über die logische Allgemeinheit verwandeln: lA2a Der Begriff »logische Allgemeinheit« steht für die Gültigkeit von der Beziehung einer Vorstellung auf das Erkenntnisvermögen.

Mit der Formulierung ›Beziehung einer Vorstellung auf das Erkenntnißvermögen‹ umschreibt Kant ein logisches Urteil bzw. Erkenntnisurteil. Wir können also schreiben: lA2aR1 Der Begriff »logische Allgemeinheit« steht für die Gültigkeit eines logischen Urteils.

Fehlt in dieser Rekonstruktion aber nicht der Zusatz ›für jedes Subject‹ ? Grammatikalisch ist es nicht ganz klar, ob wir diesen Zusatz hier wirklich mitlesen müssen. Inhaltlich ist es aber durchaus fraglich, ob durch ›die Gültigkeit…für jedes Subject‹ die logische Allgemeinheit schon vollständig bestimmt ist, oder ob die Geltung ›für jedes Subject‹ nur einen Teilaspekt der logischen Allgemeinheit ausmacht. Ich möchte den Zusatz ›für jedes Subject‹ daher zunächst weglassen. 9 Wir können dann vorläufig zur logischen Allgemeinheit festhalten: Vgl.: »Um zu unterscheiden, ob etwas schön sey oder nicht, beziehen wir die Vorstellung […] auf das Subject und das Gefühl der Lust oder Unlust desselben« (§ 1.A.1, 203,9). Siehe hierzu erneut Kap. 1.2. 9 Dies ist schon insofern sinnvoll, als Kant seine Konzeption der logischen Quantität klarerweise auch dazu nutzt, um auf die inhaltliche Allgemeinheit der Form »Alle S sind P« zu verweisen (vgl. § 8.E.1, 215,14). 8

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Logische Allgemeinheit: Der Begriff »logische Allgemeinheit« steht für die Gültigkeit von logischen Urteilen. Sie beruht auf Begriffen vom Objekt.

Soweit scheinen die Begriffe der logischen und ästhetischen Allgemeinheit verständlich. Nun bringt Kant aber auch die Begriffe der subjektiven und objektiven Quantität ins Spiel: § 8.C.1a* Hier ist nun allererst zu merken, dass eine Allgemeinheit, die nicht auf Begriffen vom Objekt (wenngleich nur empirischen Begriffen) beruht, gar nicht logisch, sondern ästhetisch sei, d. i. keine objektive Quantität des Urteils, sondern nur eine subjektive Quantität enthalte.

Kant erläutert in diesem Satz, dass die ästhetische Allgemeinheit keine objektive Quantität, sondern nur eine subjektive Quantität des Urteils enthält. Berücksichtigt man, dass Kant zuvor zwischen der logischen und der ästhetischen Allgemeinheit differenziert hat und diese Differenzierung in § 8.C.1a erläutert (›d. i.‹), so kann man diesem Satz die beiden folgenden Bestimmungen entnehmen: lA3 Eine logische Allgemeinheit enthält eine objektive Quantität des Urteils. äA3 Eine ästhetische Allgemeinheit enthält nur eine subjektive Quantität des Urteils.

Berücksichtigen wir nun, dass es sich bei der objektiven und subjektiven ›Quantität‹ um Formen von Allgemeinheit handeln muss – denn es geht ja gerade darum, die logische und ästhetische Allgemeinheit näher zu bestimmen –, so können wir die beiden obigen Bestimmungen folgendermaßen präzisieren: 10 lA3R1 Eine logische Allgemeinheit enthält eine objektive Allgemeinheit des Urteils. äA3R1 Eine ästhetische Allgemeinheit enthält nur eine subjektive Allgemeinheit des Urteils.

Damit haben wir einen ersten Eindruck erhalten, wie die logische und die ästhetische Allgemeinheit mit der objektiven und der subjektiven Allgemeinheit zusammenhängen: Eine ästhetische Allgemeinheit, die ja ausschließlich bei ästhetischen Urteilen vorliegen kann, ist Damit wird auch dem Missverständnis vorgebeugt, dem ästhetischen Urteil würde überhaupt keine objektive Quantität zukommen. Wie Kant nämlich im fünften Absatz von § 8 darlegt, kommt dem ästhetischen Urteil die objektive Quantität eines einzelnen Urteils zu (vgl. § 8.E.1–2, 215,14).

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immer nur eine subjektive Allgemeinheit; eine logische Allgemeinheit enthält immer eine objektive Allgemeinheit, womöglich aber auch eine subjektive Allgemeinheit. Einen weiteren Hinweis auf diese Zusammenhänge gibt Kant in § 8.C.2: § 8.C.2* Man kann sich des Ausdrucks der Gemeingültigkeit auch für die logische Quantität des Urteils bedienen, wenn man nur dazusetzt objektive Allgemeingültigkeit, im Unterschied zu der bloß subjektiven Allgemeingültigkeit, welche allemal ästhetisch ist.

Wir können dieser Passage die folgende Proposition über die (bloß) subjektive Allgemeingültigkeit entnehmen: sA1 Die bloß subjektive Allgemeingültigkeit ist allemal ästhetisch.

Damit umschreibt Kant scheinbar den folgenden Zusammenhang: Wenn ein Urteil ›bloß‹ über subjektive und nicht (auch) über objektive Allgemeinheit verfügt, dann handelt es sich um eine ästhetische Allgemeingültigkeit. Wir werden später sehen, dass der Zusammenhang so eigentlich nicht richtig ist. Bevor ich mich dieser Problematik zuwende, will ich aber auf das Folgende aufmerksam machen: Der geschilderte Zusammenhang impliziert nicht, dass nur die ästhetische Allgemeinheit eine subjektive Allgemeinheit enthält. Vielmehr könnte auch die logische Allgemeinheit zusätzlich zur objektiven Allgemeinheit eine subjektive Allgemeinheit enthalten – und in der Tat ist dies der Fall. Dass eine logische Allgemeinheit auch eine subjektive Allgemeinheit beinhaltet, wird durch § 8.D.1 bestätigt: § 8.D.1* Ein objektiv allgemeingültiges Urteil ist auch jederzeit subjektiv allgemeingültig, d. i. wenn das Urteil für alles, was unter einem gegebenen Begriff enthalten ist, gilt, so gilt das Urteil auch für jedermann, der sich einen Gegenstand durch diesen Begriff vorstellt.

Wir erfahren, dass ›ein objectiv allgemeingültiges Urtheil auch jederzeit subjectiv [allgemeingültig]‹ ist. Eine objektive Allgemeinheit geht also immer mit einer subjektiven Allgemeinheit einher. Da nun eine logische Allgemeinheit eine objektive Allgemeinheit enthält, die objektive Allgemeinheit aber immer mit einer subjektiven Allgemeinheit einhergeht, muss eine logische Allgemeinheit auch eine subjektive Allgemeinheit enthalten. Wir können damit zur logischen Allgemeinheit festhalten:

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lA3R2 Eine logische Allgemeinheit enthält eine objektive und eine subjektive Allgemeinheit des Urteils.

Was müssen wir uns aber überhaupt unter einer objektiven und einer subjektiven Allgemeinheit denken? Glücklicherweise liefert Kant in § 8.D.1 eine Erläuterung beider Begriffe (›d. i.‹), auf deren Grundlage wir die beiden folgenden Bestimmungen aufstellen können: oA Ein objektiv allgemeingültiges Urteil gilt für alles, was unter einem gegebenen Begriff enthalten ist. sA2 Ein subjektiv allgemeingültiges Urteil gilt für jedermann. 11

Nun ist ein Urteil, das ›für alles [gilt], was unter einem gegebenen Begriffe enthalten ist‹, nichts anderes als ein inhaltlich allgemeines Urteil der Form »Alle S sind P«. Hingegen ist ein Urteil, das ›für jedermann [gilt]‹, ein Urteil, das Geltung für alle Urteilenden beansprucht. Wir können demnach auch schreiben: oAR1 Ein objektiv allgemeingültiges Urteil ist ein inhaltlich allgemeines Urteil der Form »Alle S sind P«. sA2R1 Ein subjektiv allgemeingültiges Urteil beansprucht Geltung für alle Urteilenden.

Diese Rekonstruktion harmoniert gut mit den Begrifflichkeiten der objektiven und subjektiven Allgemeinheit. So betrifft eine objektive Allgemeinheit die Sphäre der zu beurteilenden Objekte, die subjektive Allgemeinheit aber die Sphäre der urteilenden Subjekte. Wir können nun diese Bestimmungen wiederum auf die ästhetische und die logische Allgemeinheit beziehen. lA3R3 Eine logische Allgemeinheit enthält eine objektive Allgemeinheit, d. h. eine inhaltliche Allgemeinheit der Form »Alle S sind P«, und eine subjektive Allgemeinheit, d. h. eine Geltung des Urteils für alle Urteilenden. äA3R2 Eine ästhetische Allgemeinheit enthält nur eine subjektive Allgemeinheit des Urteils, d. h. nur eine Geltung des Urteils für alle Urteilenden (nicht aber eine inhaltliche Allgemeinheit der Form »Alle S sind P«). Ich lasse an dieser Stelle die Formulierung ›der sich einen Gegenstand durch diesen Begriff vorstellt‹ weg. Grund dafür ist, dass wir uns nur in einem logischen Urteil einen Gegenstand durch einen Begriff vorstellen. Die subjektive Allgemeingültigkeit gilt aber auch für ästhetische Urteile. Daher scheint der Zusatz ›der sich einen Gegenstand durch diesen Begriff vorstellt‹ nicht wesentlich für die subjektive Allgemeingültigkeit zu sein.

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§ 8 Vier Arten von Allgemeinheit und die Idee einer allgemeinen Stimme

Diese Erläuterung der ästhetischen Allgemeinheit stimmt gut mit der folgenden Bestimmung der ästhetischen Allgemeinheit zusammen, die wir mit Rückgriff auf § 8.C.1 gewonnen hatten: äA2bR1 Die ästhetische Allgemeinheit bezeichnet die Gültigkeit eines ästhetischen Urteils für jedes Subjekt.

Wir sind nunmehr in der Lage ein umfassendes Bild davon zu zeichnen, was die einzelnen Formen von Allgemeinheit bedeuten und wie sie miteinander zusammenhängen: 1. Differenzierung: Objektive und subjektive Allgemeinheit Objektive Allgemeinheit: Der Begriff »objektive Allgemeinheit« steht für die inhaltliche Allgemeinheit der Form »Alle S sind P«. Subjektive Allgemeinheit: Der Begriff »subjektive Allgemeinheit« steht für die Allgemeingültigkeit im Sinne der Geltung für alle Urteilenden. 2. Differenzierung: Logische und ästhetische Allgemeinheit Logische Allgemeinheit: Der Begriff »logische Allgemeinheit« steht für die allgemeine Geltung eines logischen Urteils. Diese ist folgendermaßen zu charakterisieren: • Sie beruht auf Begriffen vom Objekt. • Sie beinhaltet sowohl die objektive Allgemeinheit (inhaltliche Allgemeinheit der Form »Alle S sind P«) als auch die subjektive Allgemeinheit (Geltung des Urteils für alle urteilenden Subjekte). Ästhetische Allgemeinheit: Der Begriff »ästhetische Allgemeinheit« steht für die allgemeine Geltung eines ästhetischen Urteils. Diese ist folgendermaßen zu charakterisieren: • Sie beruht nicht auf Begriffen vom Objekt. • Sie beinhaltet ausschließlich die subjektive Allgemeinheit (Geltung des Urteils für alle urteilenden Subjekte bzw. Menschen), nicht aber die objektive Allgemeinheit.

8.1.3 Anwendung der Begrifflichkeiten auf das logische Urteil und das Geschmacksurteil Nachdem Kant die Begriffe der ästhetischen und logischen sowie der objektiven und subjektiven Allgemeinheit eingeführt hat, wendet er sie auf das Geschmacksurteil an:

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§ 8.D.1 »Nun ist ein o b j e c t i v a l l g e m e i n g ü l t i g e s Urtheil auch jederzeit subjectiv, d. i. wenn das Urtheil für alles, was unter einem gegebenen Begriffe enthalten ist, gilt, so gilt es auch für jedermann, der sich einen Gegenstand durch diesen Begriff vorstellt. § 8.D.2 Aber von einer s u b j e c t i v e n A l l g e m e i n g ü l t i g k e i t , d. i. der ästhetischen, die auf keinem Begriffe beruht, läßt sich nicht auf die logische schließen; weil jene Art Urtheile gar nicht auf das Object geht. § 8.D.3 Eben darum aber muß auch die ästhetische Allgemeinheit, die einem Urtheile beygelegt wird, von besonderer Art seyn, weil sie das Prädikat der Schönheit nicht mit dem Begriffe des O b j e c t s , in seiner ganzen logischen Sphäre betrachtet, verknüpft, und doch eben dasselbe über die ganze Sphäre d e r U r t h e i l e n d e n ausdehnt« (215,3).

In § 8.D.1 behandelt Kant das logische Urteil, in § 8.D.2–3 das Geschmacksurteil. Wenden wir uns zunächst dem logischen Urteil zu. Wir hatten § 8.D.1 bereits folgendermaßen rekonstruiert: § 8.D.1* Ein objektiv allgemeingültiges Urteil ist auch jederzeit subjektiv allgemeingültig, d. i. wenn das Urteil für alles, was unter einem gegebenen Begriff enthalten ist, gilt, so gilt das Urteil auch für jedermann, der sich einen Gegenstand durch diesen Begriff vorstellt.

Kant beschreibt hier, dass objektive Allgemeinheit subjektive Allgemeinheit impliziert: Wenn ein Urteil objektiv allgemeingültig ist, dann ist es auch subjektiv allgemeingültig. Nun ist eine objektive Allgemeinheit aber nur in der logischen (nicht aber in der ästhetischen) Allgemeinheit enthalten und die logische Allgemeinheit kann nur bei logischen Urteilen vorliegen. Damit lässt sich der oben geschilderte Zusammenhang folgendermaßen präzisieren: Wenn ein logisches Urteil objektiv allgemeingültig ist, dann ist es auch subjektiv allgemeingültig. Dabei ist aber zu beachten, dass das logische Urteil nicht deswegen subjektiv allgemeingültig ist, weil es objektiv allgemeingültig ist. Ich hatte oben zur logischen Allgemeinheit ausgeführt, dass sie auf Begriffen vom Objekt beruht. 12 Nur insofern in einem Urteil »S Vgl. erneut: »Hier ist nun allererst zu merken, daß eine Allgemeinheit, die nicht auf Begriffen vom Objecte (wenn gleich nur empirischen) beruht, gar nicht logisch, sondern ästhetisch sey, d. i. keine objective Quantität des Urtheils, sondern nur eine subjective enthalte« (§ 8.C.1, 214,30).

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ist P« das Prädikat P eine Eigenschaft desjenigen Objekts erfasst, das die Stelle des logischen Subjekts S einnimmt, ist es möglich, die Prädikatzuschreibung auf alle Objekte derselben Art (alle S) auszudehnen. Auch die subjektive Allgemeinheit ist (bei logischen Urteilen) auf den Objektbezug des Urteils zurückzuführen. So setzt die Allgemeingültigkeit im Sinne der Geltung für alle Urteilenden immer einen allgemeinen Bezugspunkt voraus. Das (durch Kategorien konstituierte) Objekt ist ein solcher allgemeiner Bezugspunkt. Da in einem logischen Urteil eine Eigenschaft des Objekts erfasst wird, hat es in diesem Objekt einen allgemeinen Bezugspunkt und kann Geltung für alle Urteilenden (subjektive Allgemeinheit) beanspruchen. 13 Die objektive Allgemeingültigkeit impliziert damit insofern die subjektive Allgemeingültigkeit, als durch die objektive Allgemeingültigkeit sichergestellt ist, dass das Urteil einen Objektbezug und somit auch einen allgemeinen Bezugspunkt aufweist. Lässt sich dieses Verhältnis aber auch umkehren? Impliziert die subjektive Allgemeinheit auch die objektive Allgemeinheit? § 8.D.2 ist diesbezüglich aufschlussreich. Die Formulierung ›jene Art Urtheile‹ in § 8.D.2b muss sich auf die ästhetischen Urteile beziehen. Zwar fällt dieser Begriff zuvor nicht; jedoch nutzt Kant den Begriff der ›ästhetischen [Allgemeingültigkeit]‹ – und zu dieser hatte er in § 8.C.1 ausgeführt, dass sie nur bei ästhetischen Urteilen vorliegt (s. o.). Wir können damit § 8.D.2 folgendermaßen rekonstruieren: § 8.D.2* [a] Von einer subjektiven Allgemeingültigkeit, d. i. der ästhetischen Allgemeingültigkeit, die auf keinem Begriff beruht, lässt sich nicht auf die logische Allgemeingültigkeit schließen; [b] weil die ästhetischen Urteile gar nicht auf das Objekt gehen.

Es stellt sich zunächst das Problem, dass Kant hier die subjektive Allgemeingültigkeit mit der ästhetischen Allgemeingültigkeit zu identifizieren scheint (›d. i.‹). Eine subjektive Allgemeinheit kann jedoch

Vgl. hierzu: »Alle unsere Urteile sind zuerst bloße Wahrnehmungsurteile; sie gelten bloß für uns, d. i. für unser Subjekt, und nur hintennach geben wir ihnen eine neue Beziehung, nämlich auf ein Objekt und wollen, daß es auch für uns jederzeit und ebenso für jedermann gültig sein solle; denn wenn ein Urteil mit einem Gegenstande übereinstimmt, so müssen alle Urteile über denselben Gegenstand auch untereinander übereinstimmen, und so bedeutet die objektive Gültigkeit des Erfahrungsurteils nichts anderes als die notwendige Allgemeingültigkeit desselben« (Prol: 298, m. H.).

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auch bei einer logischen Allgemeinheit vorliegen, wie wir oben gesehen haben. Dieses Problem lässt sich leicht dadurch lösen, dass man den unbestimmten Artikel in der Formulierung ›von einer subjectiven Allgemeingültigkeit‹ betont. Kant würde dann nicht von ›der‹ subjektiven Allgemeinheit überhaupt sprechen, sondern von ›einer‹ bestimmten Art von subjektiver Allgemeinheit, nämlich derjenigen, die bei der ästhetischen Allgemeinheit vorliegt. Wir können demnach § 8.D.2 folgendermaßen rekonstruieren: § 8.D.2R1 [a] Von einer bestimmten subjektiven Allgemeingültigkeit, nämlich der ästhetischen Allgemeingültigkeit, die auf keinem Begriff beruht, lässt sich nicht auf die logische Allgemeingültigkeit schließen; [b] weil die ästhetischen Urteile gar nicht auf das Objekt gehen.

Beachtung verdient ferner der Begriff der logischen Allgemeingültigkeit. Die logische Allgemeingültigkeit, so haben wir gesehen, beinhaltet objektive und subjektive Allgemeingültigkeit. Zudem liegt logische Allgemeingültigkeit nur bei logischen Urteilen vor. Nun wäre es aber seltsam, wenn Kant in § 8.D.2 sagen wollte: Aus der ästhetischen Allgemeinheit, d. h. der subjektiven Allgemeinheit von ästhetischen Urteilen, lässt sich nicht auf die logische Allgemeinheit, d. h. die objektive und subjektive Allgemeinheit von logischen Urteilen, schließen. Es wäre ja umgekehrt auch nicht möglich, von der logischen Allgemeinheit, d. h. der objektiven und subjektiven Gültigkeit eines logischen Urteils, auf die ästhetische Allgemeinheit, d. h. die subjektive Gültigkeit eines ästhetischen Urteils, zu schließen. In Analogie zu § 8.D.1, worin Kant von der objektiven auf die subjektive Allgemeinheit schließt, scheint es daher plausibel, dass Kant in § 8.D.2 mit ›logische Allgemeingültigkeit‹ eigentlich die objektive Allgemeingültigkeit meint. Wir können dann schreiben: § 8.D.2R2 [a] Von einer bestimmten subjektiven Allgemeingültigkeit, nämlich der ästhetischen Allgemeingültigkeit, die auf keinem Begriff beruht, lässt sich nicht auf die objektive Allgemeingültigkeit schließen; [b] weil die ästhetischen Urteile gar nicht auf das Objekt gehen.

Inhaltlich schildert Kant hier den folgenden Zusammenhang: Es ist nur dann möglich, eine Prädikatzuschreibung »ist P« auf die Sphäre aller Objekte, die unter das logische Subjekt S fallen, auszudehnen und ein Urteil der Form »Alle S sind P« zu fällen, wenn P eine Eigenschaft dieser Objekte begrifflich erfasst. Ein ästhetisches Urteil beKants Philosophie des Schönen

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ruht jedoch ›auf keinem Begriffe‹, d. h. durch sein (quasi-)Prädikat wird keine Eigenschaft des Objekts begrifflich erfasst, und das Urteil geht ›gar nicht auf das Object‹. Eine Ausdehnung des (quasi-) Prädikats auf alle Objekte, die unter das logische Subjekt S fallen, ist daher nicht möglich. Wir können § 8.D.2 somit folgendermaßen ergänzen: § 8.D.2R3 [a] Von einer bestimmten subjektiven Allgemeingültigkeit, nämlich der ästhetischen Allgemeingültigkeit, die auf keinem Begriff beruht, lässt sich nicht auf die objektive Allgemeingültigkeit schließen; [b] weil die ästhetischen Urteile gar nicht auf das Objekt gehen und somit über keine objektive Allgemeingültigkeit verfügen können.

Da ästhetische Urteile demnach subjektive Allgemeingültigkeit beanspruchen können, ohne dass sie objektiv allgemeingültig sind, so impliziert eine subjektive Allgemeingültigkeit keine objektive Allgemeingültigkeit. Wir können die drei folgenden Zusammenhänge festhalten: i. Es gilt: Wenn objektive Allgemeinheit, dann subjektive Allgemeinheit. ii. Es gilt: Wenn ästhetische Allgemeinheit, dann nicht objektive Allgemeinheit. iii. Es gilt nicht: Wenn subjektive Allgemeinheit, dann objektive Allgemeinheit. Soweit leuchten Kants Ausführungen zur subjektiven und objektiven Allgemeinheit bei logischen und ästhetischen Urteilen ein. Probleme ergeben sich jedoch, wenn wir § 8.D.3 in unsere Untersuchungen einbeziehen. Nimmt man einige grammatikalische Ersetzungen vor, so lautet dieser Satz: § 8.D.3* [a] Die ästhetische Allgemeinheit, die einem Urteil beigelegt wird, muss von besonderer Art sein, [b] weil die ästhetische Allgemeinheit das Prädikat der Schönheit nicht mit dem Begriff des Objekts, in seiner ganzen logischen Sphäre betrachtet, verknüpft, und doch eben dasselbe Prädikat der Schönheit über die ganze Sphäre der Urteilenden ausdehnt.

Es lassen sich eine These und eine Begründung dieser These isolieren: § 8.D.3aR1 Die ästhetische Allgemeinheit ist von besonderer Art. § 8.D.3bR1 [Begründung] Die ästhetische Allgemeinheit verknüpft das Prädikat der Schönheit nicht mit dem Begriff des Objekts, in

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seiner ganzen logischen Sphäre betrachtet [objektive Allgemeinheit], 14 und dehnt doch das Prädikat der Schönheit über die ganze Sphäre der Urteilenden aus [subjektive Allgemeinheit].

Bei einer ästhetischen Allgemeinheit, d. h. bei der Allgemeinheit des Geschmacksurteils, liegt demnach keine objektive Allgemeinheit der Form »Alle S sind P« vor, jedoch eine subjektive Allgemeingültigkeit im Sinne der Geltung für alle Urteilenden. 15 Nun stellt Kant diesen Umstand als etwas Besonderes (›besonderer Art‹) dar und deutet sogar eine Art Widerspruch an (›und doch‹). Ist dies aber wirklich etwas Besonderes oder irgendwie Widersprüchliches? Klarerweise gibt es nämlich auch logische Urteile, die subjektive Allgemeingültigkeit, aber keine objektive Allgemeingültigkeit beanspruchen. So sind im Bereich der Erfahrungsurteile ganz offensichtlich einzelne Urteile der Art »Ein S ist P« denkbar (bspw. »Dieser Körper ist ausgedehnt«). 16 Insofern diese Urteile aber ein (durch Kategorien konstituiertes) Objekt als allgemeinen Bezugspunkt haben, können sie subjektive Allgemeinheit beanspruchen, d. h. sie gelten für alle Urteilenden. 17 Es ist damit keinesfalls eine Besonderheit des Geschmacksurteils, dass es subjektiv allgemeingültig, aber nicht objektiv allgemeingültig ist. Dass Kant den Begriff »Sphäre« bezüglich der Quantität von Urteilen verwendet, erhellt aus dem folgenden Zitat: »Im a l l g e m e i n e n Urtheile wird die Sphäre eines Begriffs ganz innerhalb der Sphäre eines andern beschlossen; im p a r t i c u l a r e n wird ein Theil des erstern unter die Sphäre des andern, und im e i n z e l n e n Urtheile endlich wird ein Begriff, der gar keine Sphäre hat, mithin bloß als Theil unter die Sphäre eines andern beschlossen« (Log: 102). 15 In gewisser Hinsicht ist Kant ungenau, wenn er schreibt, dass ›das Prädikat der Schönheit nicht mit dem Begriffe des Objectes, in seiner ganzen logischen Sphäre betrachtet‹ verknüpft wird. Streng genommen wird das ›Prädikat der Schönheit‹ nämlich gar nicht mit dem Begriff des Objekts verknüpft, insofern man darunter versteht, dass das Prädikat eine Eigenschaft dieses Objekts erfasst. 16 Diese Urteile entspringen durch Anwendung der objektiv allgemeinen Grundsätze des reinen Verstandes (bspw. »Alle Körper sind ausgedehnt«) auf konkrete Fälle. Dass es einzelne Erfahrungsurteile gibt, die allgemeingültig sind, führt Kant selbst in folgender Passage an: »Ein einzelnes Erfahrungsurtheil, z. B. von dem, der in einem Bergcrystall einen beweglichen Tropfen Wasser wahrnimmt, verlangt mit Recht, daß ein jeder andere es eben so finden müsse, weil er dieses Urtheil, nach den allgemeinen Bedingungen der bestimmenden Urtheilskraft, unter den Gesetzen einer möglichen Erfahrung überhaupt gefället hat« (191,12). 17 Dieses Problem identifizieren etwa auch Allison (2001, 106), Kulenkampff (1994, 82) und Wenzel (2008, 39 f.). 14

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Im Sinne des Prinzips des Wohlwollens gibt es jedoch eine Lesart, durch die § 8.D.3 verständlich wird. Die geschilderte Besonderheit und der (scheinbare) Widerspruch bestehen nicht darin, dass keine objektive Allgemeinheit und doch eine subjektive Allgemeinheit vorliegt; vielmehr bestehen sie darin, dass eine subjektive Allgemeinheit vorliegt, aber weder eine objektive Allgemeinheit vorliegt, noch eine objektive Allgemeinheit vorliegen könnte. Eine objektive Allgemeinheit kann nämlich, wie bereits erläutert, nur dann vorliegen, wenn ein Urteil über ein begriffliches Prädikat verfügt, d. h. über ein Prädikat, das eine Eigenschaft des Objekts begrifflich erfasst. Logische Urteile – und damit auch Erfahrungsurteile – verfügen immer über ein begriffliches Prädikat und können daher potenziell immer objektiv allgemeingültige Urteile sein. Ein ästhetisches Urteil hingegen verfügt über kein begriffliches Prädikat, sodass das Urteil nicht einmal potenziell über objektive Allgemeinheit verfügen könnte. Ich schlage daher vor, § 8.D.3b folgendermaßen zu ergänzen: § 8.D.3bR2 [Begründung] Die ästhetische Allgemeinheit kann das Prädikat der Schönheit nicht mit dem Begriff des Objekts in seiner ganzen logischen Sphäre betrachtet [objektive Allgemeingültigkeit] verknüpfen – denn das Urteil verfügt über kein begriffliches Prädikat –, und dehnt doch, obwohl das Urteil über kein begriffliches Prädikat verfügt, das Prädikat der Schönheit über die ganze Sphäre der Urteilenden aus [subjektive Allgemeingültigkeit].

Die Kombination eines nicht-begrifflichen Prädikats und einer subjektiven Allgemeinheit ist nun wirklich eine Besonderheit und ein (scheinbarer) Widerspruch; denn woher sollte das Urteil seine subjektive Allgemeinheit entlehnen, wenn nicht aus dem Objekt als allgemeinen Bezugspunkt? 18 Diese Besonderheit ist allerdings nichts anderes als das altbekannte Paradox von Allgemeingültigkeit und Begriffslosigkeit. Diese Interpretation von § 8.D.3 ist ferner insofern hilfreich, als sie auch das folgende Problem zu lösen vermag: In § 8.C.2 hat es den Anschein, als wollte Kant aussagen, dass eine »bloß subjective[.]« Vgl. auch: »Darinn aber unterscheidet es [das Geschmacksurteil] sich doch vom Logischen [Urteil], daß diese Allgemeingültigkeit sich nicht auf der Zusammenstimung der Vorstellungsart mit dem Objecte, sondern mit dem Verhältnis der Vorstellungsvermögen (die zum Erkentnis gehören) im Subjecte, und zwar jedem Subjecte, gründet« (Refl: 993, AA 15: 437).

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(215,2) Allgemeingültigkeit immer eine ästhetische Allgemeinheit sei und nur bei ästhetischen Urteilen vorliege. Dann würden uns aber wieder die Erfahrungsurteile ein Problem bereiten; denn auch diese beanspruchen ›bloß subjective‹ Allgemeingültigkeit. Im Sinne unserer obigen Interpretation können wir nun präzisieren, dass die ästhetische Allgemeinheit nicht die einzige Form von Allgemeinheit ist, bei der ausschließlich subjektive Allgemeinheit (und keine objektive Allgemeinheit) vorliegt, sondern die einzige Form von Allgemeinheit, bei der ausschließlich subjektive Allgemeinheit vorliegen kann. Wir müssen demnach § 8.C.2 folgendermaßen deuten: § 8.C.2R1 Man kann sich des Ausdrucks der Gemeingültigkeit auch für die logische Quantität des Urteils bedienen, wenn man nur dazusetzt objektive Allgemeingültigkeit, im Unterschied zu derjenigen Allgemeinheit, die bloß subjektiv sein kann, welche allemal ästhetisch ist.

Eine logische Quantität, insofern darunter die (objektive oder subjektive) Geltung eines logischen Urteils verstanden würde, wäre dann dadurch gekennzeichnet, dass potenziell immer auch eine objektive Allgemeinheit vorliegen kann. Wir können abschließend die Geltung von logischen und ästhetischen Urteilen folgendermaßen gegenüberstellen: i. Logische Urteile beruhen auf Begriffen vom Objekt. Sie sind daher immer mindestens potenziell objektiv allgemeine Urteile der Form »Alle S sind P«; sie sind immer subjektiv allgemeingültige Urteile im Sinne der evaluativen Geltung für alle Urteilenden, da sie das (durch Kategorien konstituierte) Objekt als allgemeinen Bezugspunkt voraussetzen. ii. Ästhetische Urteile beruhen nicht auf Begriffen vom Objekt (BTUrteil). Sie können daher nie objektiv allgemeine Urteile der Form »Alle S sind P« sein; sie können aber subjektiv allgemeingültige Urteile im Sinne der evaluativen Geltung für alle Urteilenden sein.

8.1.4 Zur objektiven Quantität des Geschmacksurteils Wir haben gesehen, dass ein Geschmacksurteil nur über subjektive Allgemeinheit verfügt und dass es nicht über objektive Allgemeinheit verfügen kann. Nun steht die objektive Allgemeinheit für eine inKants Philosophie des Schönen

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haltliche Quantität der Form »Alle S sind P«. Wenn das Geschmacksurteil über keine objektive Allgemeinheit verfügen kann, stellt sich natürlich die Frage, über welche objektive Quantität es stattdessen verfügt. Dazu schreibt Kant: § 8.E.1 »In Ansehung der logischen Quantität sind alle Geschmacksurtheile e i n z e l n e Urtheile. § 8.E.2 [a] Denn weil ich den Gegenstand unmittelbar an mein Gefühl der Lust und Unlust halten muß, und doch nicht durch Begriffe, so kann es nicht die Quantität eines objectiv-gemeingültigen Urtheils haben; [b] obgleich, wenn die einzelne Vorstellung des Objects des Geschmacksurtheils nach den Bedingungen, die das letztere bestimmen, durch Vergleichung in einen Begrif verwandelt wird, ein logisch allgemeines Urtheil daraus werden kann: [c] z. B. die Rose, die ich anblicke, erkläre ich durch ein Geschmacksurtheil für schön. § 8.E.3 Dagegen ist das Urtheil, welches durch Vergleichung vieler einzelnen entspringt: die Rosen überhaupt sind schön, nunmehr nicht bloß als ästhetisches, sondern als ein auf einem ästhetischen gegründetes logisches Urtheil ausgesagt« (215,14).

In § 8.E.1 verwendet Kant den Begriff der logischen Quantität. Diesen hatten wir im Sinne der Gültigkeit eines logischen Urteils bestimmt (»die Gültigkeit […] von der Beziehung einer Vorstellung auf das Erkenntnißvermögen«; § 8.C.1, 214,34). Ist dies richtig, so kann das Geschmacksurteil gar nicht über eine logische Quantität – egal, ob damit die Quantität im Sinne eines einzelnen, partikularen oder allgemeinen Urteils gemeint ist – verfügen; denn das Geschmacksurteil ist kein logisches Urteil. Aus dem Kontext ist aber klar, dass Kant nach der objektiven Quantität, d. h. der Quantität im Sinne der Sphäre des logischen Subjekts, fragt. So heißt es auch in § 8.E.2, dass das Geschmacksurteil ›nicht die Quantität eines objectiv-gemeingültigen Urtheils haben [kann]‹. Wir müssen § 8.E.1 also folgendermaßen präzisieren: § 8.E.1* In Ansehung der objektiven Quantität sind alle Geschmacksurteile einzelne Urteile.

Kant stellt in § 8.E.1 die These auf, dass Geschmacksurteile einzelne Urteile, d. h. Urteile der Form »Ein S ist schön«, sind. Eine Begründung dafür liefert er in § 8.E.2a:

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§ 8.E.2a* Weil ich den Gegenstand unmittelbar an mein Gefühl der Lust und Unlust halten muss, und doch nicht durch Begriffe, so kann das Geschmacksurteil nicht die Quantität eines objektiv-gemeingültigen Urteils haben.

Das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil, das über ein (quasi-) Prädikat und einen Bestimmungsgrund der Lust verfügt. Wir müssen einen Gegenstand x wahrnehmen und dabei eine Lust (am Schönen) fühlen, um ein Geschmacksurteil »x ist schön« fällen zu können. In diesem Sinne muss ›ich den Gegenstand unmittelbar an mein Gefühl der Lust und Unlust halten‹. Nun wäre es aber denkbar, dass es eine begrifflich erfassbare Eigenschaft des Objekts (bspw. Symmetrie) wäre, die die Lust am Schönen affizieren würde. Man könnte dann eine Regel der Form »Alle symmetrischen Gegenstände rufen Lust am Schönen hervor« formulieren. Im Sinne dieser Regel könnte ich einen ›Gegenstand…an mein Gefühl der Lust halten‹ und zwar ›durch Begriffe‹. Durch BTLust wissen wir jedoch, dass die Lust am Schönen weder direkt noch indirekt begrifflich erwirkt ist: Die Lust wird weder unmittelbar durch einen Begriff (etwa das moralische Gesetz) hervorgerufen noch durch eine Eigenschaft des Gegenstandes, die sich begrifflich erfassen lässt (wie im Falle obiger Regel). 19 Es kann daher auch keine begriffliche Geschmacksregel geben, worauf Kant in § 8.F.1–2 verweist: 20 § 8.F.1 »Wenn man Objecte bloß nach Begriffen beurtheilt, so geht alle Vorstellung der Schönheit verloren. § 8.F.2 Also kann es auch keine Regel geben, nach der jemand genöthigt werden sollte, etwas für schön anzuerkennen« (215,35).

Inwiefern erklärt aber BTLust, warum Geschmacksurteile immer einzelne Urteile der Form »Ein S ist P« sind? Da die Lust am Schönen nicht (mittelbar oder unmittelbar) begrifflich erwirkt ist (BTLust), müssen wir einen Gegenstand immer (in ästhetischer Einstellung) betrachten, um urteilen zu können, dass er schön oder nicht schön ist. Da das Geschmacksurteil in diesem Sinne immer an eine gegebene empirische Vorstellung gebunden ist, können Geschmacksurteile immer nur Urteile über einzelne gegebene empirische Vorstellungen sein. So heißt es im sechsten Absatz:

19 20

Siehe die Rekonstruktion von BTLust in Kap. 6.1.2. Siehe hierzu auch Kap. 20.1.3 sowie 17.1.1.

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§ 8.F.3 »Ob ein Kleid, ein Haus, eine Blume schön sey: dazu läßt man sich sein Urtheil durch keine Gründe oder Grundsätze beschwatzen. § 8.F.4a Man will das Object seinen eignen Augen unterwerfen, gleich als ob sein Wohlgefallen von der Empfindung abhinge« (215,37 f., m. H.).

Ähnlich heißt es auch in § 37: »Daher sind auch alle Geschmacksurtheile einzelne Urtheile, weil sie ihr Prädicat des Wohlgefallens nicht mit einem Begriffe, sondern mit einer gegebenen einzelnen empirischen Vorstellung verbinden« (289,19, m. H.).

Halten wir also fest: Die Lust am Schönen ist weder mittelbar noch unmittelbar begrifflich erwirkt (BTLust). Vielmehr können wir eine Lust am Schönen immer nur an einer gegebenen empirischen Anschauung empfinden. Da das Geschmacksurteil wesentlich auf einer Lust am Schönen beruht, setzt es immer eine gegebene empirische Anschauung voraus und ist immer ein einzelnes Urteil ›über‹ diese empirische Anschauung. Wir können nunmehr den Geltungsbereich des Geschmacksurteils sowohl hinsichtlich der objektiven Quantität (Sphäre der zu beurteilenden Objekte) als auch der subjektiven Quantität (Sphäre der urteilenden Subjekte) bestimmen: Das Geschmacksurteil ist ein i. einzelnes Urteil der Form »Ein x ist schön« (objektive Quantität). ii. allgemeingültiges Urteil im Sinne der Geltung für alle Urteilenden (subjektive Quantität). 21

8.1.5 Zur Möglichkeit von objektiv allgemeinen Urteilen über das Schöne Nachdem Kant dargelegt hat, dass Geschmacksurteile immer einzelne Urteile der Form »Ein x ist schön« sind, geht er kurz auf die MöglichIn dieser Aufzählung ist nicht berücksichtigt, dass das Geschmacksurteil ein verdecktes inhaltlich allgemeines Urteil der Form »Alle Urteilenden fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind« ist. Wie früher bemerkt, spielt diese Form der inhaltlichen Allgemeinheit bei Kants begrifflichen Differenzierungen in § 8 keine Rolle.

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keit ein, dass es doch Urteile der Form »Alle x sind schön« geben könnte: § 8.E.2 »[a] Denn weil ich den Gegenstand unmittelbar an mein Gefühl der Lust und Unlust halten muß, und doch nicht durch Begriffe, so kann es nicht die Quantität eines objectiv-gemeingültigen Urtheils haben; [b] obgleich, wenn die einzelne Vorstellung des Objects des Geschmacksurtheils nach den Bedingungen, die das letztere bestimmen, durch Vergleichung in einen Begrif verwandelt wird, ein logisch allgemeines Urtheil daraus werden kann: [c] z. B. die Rose, die ich anblicke, erkläre ich durch ein Geschmacksurtheil für schön. § 8.E.3 Dagegen ist das Urtheil, welches durch Vergleichung vieler einzelnen entspringt: die Rosen überhaupt sind schön, nunmehr nicht bloß als ästhetisches, sondern als ein auf einem ästhetischen gegründetes logisches Urtheil ausgesagt« (215,15).

Kant umschreibt hier, wie aus dem Geschmacksurteil »Diese Rose ist schön« das Urteil »Alle Rosen sind schön« werden kann. In § 8.E.3 erklärt er, wie diese Transformation vonstattengeht. Wir können die folgenden Propositionen identifizieren und rekonstruieren: § 8.E.3R1 Das Urteil »Alle Rosen sind schön« (a) entspringt aus dem Vergleich vieler einzelner Urteile. (b) ist nicht bloß ein ästhetisches Urteil. (c) ist ein auf einem ästhetischen Urteil gegründetes logisches Urteil.

In (a) heißt es, dass das Urteil »Alle Rosen sind schön« ›aus der Vergleichung vieler einzelne[r]‹ Urteile entspringt. Dies lässt sich recht leicht verstehen: Wir fällen viele Urteile der Art »Diese Rose A ist schön«, »Diese Rose B ist schön«, »Diese Rose C ist schön« usw. und vergleichen diese miteinander. Wir stellen dann fest, dass wir bislang alle Rosen für schön befunden haben, und fällen daraufhin das Urteil »Alle Rosen sind schön«. Etwas genauer wird dieses Verfahren in § 8.E.2b beschrieben: § 8.E.2b* Wenn die einzelne Vorstellung des Objekts des Geschmacksurteils nach den Bedingungen, die das Geschmacksurteil bestimmen, durch Vergleichung in einen Begriff verwandelt wird, kann aus dem Geschmacksurteil ein logisch allgemeines Urteil werden.

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Bei den ›Bedingungen‹, die das Geschmacksurteil ›bestimmen‹, kann es sich nicht um irgendwelche Eigenschaften vom Objekt handeln. Vielmehr verfügt das Geschmacksurteil als ästhetisches Urteil über einen Bestimmungsgrund der Lust 22 – oder genauer, der uninteressierten Lust. In diesem Sinne ist die Bedingung, die das Geschmacksurteil bestimmt, die uninteressierte Lust. Wir können § 8.E.2b somit folgendermaßen rekonstruieren: § 8.E.2bR1 Wenn die einzelne Vorstellung des Objekts des Geschmacksurteils nach der Bedingung der uninteressierten Lust, die das Geschmacksurteil bestimmt, durch Vergleich in einen Begriff verwandelt wird, kann aus dem Geschmacksurteil ein logisch allgemeines Urteil werden.

Die angedeutete ›Vergleichung‹ meint, dass ich verschiedene Gegenstände derselben Art (etwa Rosen) dahingehend vergleiche, ob ich beim Wahrnehmen von ihnen eine uninteressierte Lust fühle. Inwiefern verwandle ich aber dabei ›die einzelne Vorstellung des Objects… in einen Begrif‹ ? Die Begriffslosigkeit des Geschmacksurteils (BTUrteil) besteht darin, dass das Prädikat »ist schön« keine Eigenschaft vom Objekt erfasst. Es ist also naheliegend, dass ich das Prädikat »ist schön« im geschilderten Fall in einen Begriff vom Objekt verwandle. 23 Wie aber lässt sich dies begreifen? Die plausibelste Antwort scheint mir zu sein, dass das Geschmacksurteil in ein Urteil über ein Kausalverhältnis ›verwandelt‹ wird. So deutet Kant in § 12 an, dass »[d]ie Verknüpfung des Gefühls einer Lust oder Unlust, als einer Wirkung, mit irgend einer Vorstellung (Empfindung oder Begrif) als ihrer Ursache, […] auszumachen« zwar nicht a priori, wohl aber a posteriori möglich ist und »vermittelst der Erfahrung selbst erkannt werden kann« (§ 12.A.1, 221,30 f., m. H.). Wir könnten etwa beobachten, dass Gegenstände der Art x immer mit einer Lust am Schönen verbunden waren. Wir könnten dann denken, dass Gegenstände der Art x Lust am Schönen verursachen, und wir könnten das Urteil »Alle x verursachen Lust am Schönen« fällen, wobei es sich dabei um ein Erkenntnisurteil handelt. 24 Damit geht einher, dass die Urteile Vgl. § 1.A.2, 203,13. Siehe hierzu Kap. 1.3. Cohen kritisiert diese Verwandlung des Prädikats »ist schön«; die Ausdehnung des Geschmacksurteils zum allgemeinen Urteil »Alle x sind schön« sei in dieser Deutung ein »elementary logical blunder« (T. Cohen 2002, 6). 24 Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Lust am Schönen nur in einem indirekten Sinn als durch den schönen Gegenstand ›verursacht‹ begriffen werden kann. Denn 22 23

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»Alle x sind schön« und »x ist schön« nicht über dasselbe Prädikat verfügen. Denn im Falle »x ist schön« wird mit »ist schön« eine aktual gefühlte Lust begrifflich erfasst; im Falle »Alle x sind schön« wird mit »ist schön« die Eigenschaft von x erfasst, eine Lust zu verursachen. In diesem Sinne ist das Urteil »Alle Rosen sind schön« insofern ein logisches Urteil (§ 8.E.3c), als es eine Eigenschaft des Objekts – nämlich das Verursachen von Lust – begrifflich erfasst. Es ist insofern ›auf einem ästhetischen…Urtheil‹ gegründet, als es viele ästhetische Urteile der Form »x ist schön« voraussetzt. Da das Urteil »Alle x sind schön« bzw. »Alle x verursachen Lust am Schönen« kein ästhetisches Urteil ist, dürfte es eigentlich nicht heißen, dass »Alle Rosen sind schön« ›nicht bloß als ästhetisches…Urtheil ausgesagt‹ wird. Vielmehr muss Kant meinen, dass dieses Urteil gar kein ästhetisches Urteil ist. Wir müssen § 8.E.3b also folgendermaßen präzisieren: § 8.E.3bR2 Das Urteil »Alle Rosen sind schön« ist kein ästhetisches Urteil.

Abschließend möchte ich betonen, dass das Urteil »Alle Rosen sind schön« zwar ein objektiv allgemeines Urteil der Form »Alle S sind P« ist, dass es jedoch nur über komparative und nicht über strenge Allgemeinheit verfügt; denn es wurde nur a posteriori und durch Induktion gewonnen. 25 Es müsste also streng genommen lauten: »Die meisten Rosen sind schön« oder »Alle bisher beobachteten Rosen sind schön«. Ein solches komparativ allgemeines Urteil taugt nicht als objektive Geschmacksregel, unter die man einen Fall x subsumieren könnte, um dadurch das Urteil »x ist schön« zu gewinnen. 26

8.1.6 Zur objektiven und subjektiven Quantität beim Angenehmen, Schönen und Guten Zum Abschluss des fünften Absatzes vergleicht Kant die Urteile über das Angenehme, Schöne und Gute hinsichtlich ihrer Quantität. Ein solcher Vergleich findet sich bereits in § 7, jedoch steht Kant nun ein letztlich muss ich die Lust mittels des freien Spiels selbst »machen« und die Lust beinhaltet einen Akt der Autonomie bzw. Heautonomie. (Zur Heautonomie siehe Kap. G5.5.) 25 Für die Begriffe der komparativen und strengen Allgemeinheit siehe Kap. 7.3. 26 Siehe hierzu auch Kap. 18.3.3. Kants Philosophie des Schönen

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differenzierteres Vokabular zur Verfügung. Zur Abgrenzung des Schönen vom Angenehmen heißt es: § 8.E.4 »Nun ist das Urtheil: die Rose ist (im Geruche) angenehm, zwar auch ein ästhetisches und einzelnes, aber kein Geschmacks-, sondern ein Sinnenurtheil. § 8.E.5 Es [das Sinnenurteil] unterscheidet sich nämlich vom ersteren [Geschmacksurteil] darin: daß das Geschmacksurtheil eine ä s t h e t i s c h e Q u a n t i t ä t der Allgemeinheit, d. i. der Gültigkeit für jedermann bey sich führt, welche im Urtheile über das Angenehme nicht angetroffen werden kann« (215,25).

Das Geschmacksurteil und das Urteil über das Angenehme, d. h. das ›Sinnenurtheil‹, sind jeweils ästhetische Urteile und daher begriffslos. Sie können somit beide nur über eine ästhetische Quantität verfügen, d. h. über eine Geltung der Beziehung einer Vorstellung auf ein Gefühl der Lust. Hinsichtlich der objektiven Quantität sind beide Urteile einzelne Urteile der Form »Ein S ist P«; denn beide Urteile sind begriffslos und setzen eine aktual an einer empirischen Anschauung gefühlte Lust voraus. Hinsichtlich der subjektiven Quantität, d. h. der Geltung bezüglich der Sphäre der Urteilenden, beansprucht das Geschmacksurteil Allgemeinheit, das Urteil über das Angenehme aber nur Privatgültigkeit (›Gültigkeit für jedermann…, welche im Urtheile über das Angenehme nicht angetroffen wird‹). Zum Urteil über das Gute heißt es dann: § 8.E.6 »[a] Nur allein die Urtheile über das Gute, ob sie [Urteile über das Gute] gleich auch das Wohlgefallen an einem Gegenstande bestimmen, haben logische, nicht bloß ästhetische Allgemeinheit; [b] denn sie [die Urteile über das Gute] gelten vom Object, als Erkenntnisse desselben [Objekts], und darum für jedermann« (215,31).

Urteile über das Gute bestimmen zwar ›auch das Wohlgefallen an einem Gegenstande‹ ; denn sie rufen die Lust allererst hervor. Sie sind aber keine ästhetischen Urteile und beruhen daher nicht auf einer Lust. Sie sind Erkenntnisurteile und verfügen über eine logische Quantität. Sie sind zwar wie die Geschmacksurteile subjektiv allgemein, d. h. sie gelten für alle Urteilenden, aber anders als die Geschmacksurteile beanspruchen sie diese subjektive Allgemeinheit, weil ›sie…vom Object, als Erkenntnisse desselben, [gelten]‹. Wenngleich Kant dies an dieser Stelle nicht explizit ausführt, verfügen sie

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auch über objektive Allgemeinheit, d. h. eine Geltung für alle Handlungen, die unter das logische Subjekt fallen. Führen wir uns noch einmal übersichtlich vor Augen, wie sich die verschiedenen Begriffe der Quantität auf die Urteile über das Angenehme, Schöne und Gute beziehen lassen: Urteile über das Angenehme

Geschmacksurteile

Urteile über das Gute

Ästhetische oder logische Quantität

Ästhetische Quantität Ästhetische Quantität Logische Quanti(ästhetisches, nicht(ästhetisches, nichttät (begriffliches begriffliches Urteil) begriffliches Urteil) Erkenntnisurteil)

Objektive Quantität (Sphäre der Objekte bzw. das logischen Subjekts)

Einzelnes Urteil der Form »Ein x ist angenehm«

Einzelnes Urteil der Allgemeines Form »Ein x ist schön« Urteil der Form »Alle x sind gut«

Subjektive Quantität (Sphäre der urteilenden Subjekte)

Privatgültigkeit

Allgemeingültigkeit

Allgemeingültigkeit

8.2 Die Idee einer allgemeinen Stimme 8.2.1 Zur Allgemeinheit beim Schönen als Problem für die Transzendentalphilosophie Wie schon mehrfach betont, sind die §§ 6–8 thematisch insbesondere durch das Paradox von Allgemeingültigkeit und Begriffslosigkeit bestimmt. Bislang sind wir aber einer Auflösung dieses Paradoxes keinen Schritt näher gekommen. Dass sich Kant der Dringlichkeit und Schwierigkeit einer solchen Auflösung bewusst ist, wird zu Beginn von § 8 sichtbar: § 8.T

»Die Allgemeinheit des Wohlgefallens wird in einem Geschmacksurtheile nur als subjectiv vorgestellt. [Absatz] § 8.A.1 [a] Diese besondere Bestimmung der Allgemeinheit eines ästhetischen Urtheils, die sich in einem Geschmacksurtheile antreffen läßt, ist eine Merkwürdigkeit, zwar nicht für den Logiker, aber wohl für den Transscendental-Philosophen, [b] welche seine nicht geringe Bemühung auffordert, um den Ursprung

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derselben zu entdecken, dafür aber auch eine Eigenschaft unseres Erkenntnißvermögens aufdeckt, welche, ohne diese Zergliederung, unbekannt geblieben wäre« (213,26).

Nun ist es klarerweise nicht bloß Kants These, dass wir uns die Allgemeinheit der Lust am Schönen als subjektiv vorstellen, sondern vielmehr, dass diese Allgemeinheit subjektiv ist. Vereinfacht lautet § 8.T demnach: § 8.TR1 Die Allgemeinheit der Lust in einem Geschmacksurteil ist eine nur subjektive Allgemeinheit.

Wie oben erläutert besteht diese Besonderheit der Allgemeinheit beim Schönen darin, dass das Geschmacksurteil subjektive Allgemeinheit beansprucht (ATUrteil), aber keine objektive Allgemeinheit beanspruchen kann. § 8.T müsste in diesem Sinne eigentlich lauten: § 8.TR2 Die Allgemeinheit des Geschmacksurteils ist eine nur subjektive Allgemeinheit und keine potenziell objektive Allgemeinheit.

Darauf aufbauend können wir § 8.A.1a folgendermaßen rekonstruieren: § 8.A.1aR1 Diese besondere Bestimmung der Allgemeinheit des Geschmacksurteils als nur subjektiv und nicht auch potenziell objektiv ist eine Merkwürdigkeit, zwar nicht für den Logiker, aber für den Transzendentalphilosophen.

Die subjektive und nicht potenziell objektive Allgemeinheit des Geschmacksurteils – oder eben das Paradox von Allgemeingültigkeit und Begriffslosigkeit – ist insofern kein Problem für die Logik, als sie keinem logischen Gesetz (wie bspw. dem Satz vom Widerspruch) widerspricht. Sie stellt aber insofern eine Herausforderung für die Transzendentalphilosophie dar, als es schwierig ist, zu begreifen, was die Bedingungen der Möglichkeit eines solchen Urteils sind; denn es ist ja die Aufgabe der Transzendentalphilosophie, nach den Bedingungen der Möglichkeit (von Erkenntnis bzw. Erfahrung) zu fragen. 27 Durch den Verweis auf die Transzendentalphilosophie wird dabei auch deutlich, dass das Paradox von Allgemeingültigkeit und Begriffslosigkeit dadurch gelöst wird, dass man nach den Bedingungen Streng genommen stellt das Geschmacksurteil keine Herausforderung für den Transzendentalphilosophen dar, da dieser sich mit den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis befasst und das Geschmacksurteil gar kein Erkenntnisurteil ist.

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der Möglichkeit des Geschmacksurteils (bzw. der Lust am Schönen) fragt. Worin bestehen aber diese Bedingungen? In § 8.A.1 liefert Kant bereits einen ersten Hinweis. So schreibt er, dass die Transzendentalphilosophie ›eine Eigenschaft unseres Erkenntnißvermögens aufdeckt, welche, ohne diese Zergliederung, unbekannt geblieben wäre‹. Mit dieser ›Eigenschaft unseres Erkenntnißvermögens‹ deutet Kant auf den Theoriebaustein des freien Spiels der Erkenntniskräfte hin, den er im nächsten Paragraphen entwickeln wird. Der erste Absatz von § 8 kann damit gewissermaßen als Ankündigung von § 9 verstanden werden. Bereits aus der Tatsache, dass die Bedingung des Geschmacksurteils eine ›Eigenschaft unseres Erkenntnißvermögens‹ ist, wird schon in § 8 ersichtlich, dass die Allgemeinheit des Geschmacksurteils nicht etwa auf Begriffe oder (begriffliche) Prinzipien zurückzuführen ist, sondern auf eine besondere Funktionsweise unserer Erkenntnisvermögen.

8.2.2 Zur allgemeinen Stimme als erste Antwort der Transzendentalphilosophie Im vorletzten und letzten Absatz von § 8 führt Kant den Begriff einer allgemeinen Stimme ein. Die entsprechende Passage lautet: § 8.F.4 »[b] und dennoch, wenn man den Gegenstand alsdann schön nennt, glaubt man eine allgemeine Stimme für sich zu haben, und macht Anspruch auf den Beytritt von jedermann, [c] da hingegen jede Privatempfindung nur für ihn allein und sein Wohlgefallen entscheiden würde. [Absatz] § 8.G.1 [a] Hier ist nun zu sehen, daß in dem Urtheile des Geschmacks nichts postulirt wird, als eine solche a l l g e m e i n e S t i m m e , in Ansehung des Wohlgefallens ohne Vermittelung der Begriffe; [b] mithin die M ö g l i c h k e i t eines ästhetischen Urtheils, welches zugleich als für jedermann gültig betrachtet werden könne. § 8.G.2 [a] Das Geschmacksurtheil selber p o s t u l i r t nicht jedermanns Einstimmung (denn das kann nur ein logisch allgemeines, weil es Gründe anführen kann, thun), [b] es s i n n e t nur jedermann diese Einstimmung an, als einen Fall der Regel, in

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Ansehung dessen er die Bestätigung nicht von Begriffen, sondern von anderer Beytritt erwartet. § 8.G.3 Die allgemeine Stimme ist also nur eine Idee (worauf sie beruhe, wird hier noch nicht untersucht)« (216,4).

In § 8.C.4b umschreibt die Formulierung ›wenn man den Gegenstand alsdann schön nennt‹ offenkundig das Geschmacksurteil »x ist schön«. Der ›Beytritt von jedermann‹ bezeichnet die Allgemeingültigkeit im Sinne der Geltung für alle Urteilenden. Wir können also schreiben: § 8.F.4bR1 Wenn man das Geschmacksurteil »x ist schön« fällt, glaubt man eine allgemeine Stimme für sich zu haben, und macht Anspruch auf Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils.

Die Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils hängt vermutlich irgendwie mit der allgemeinen Stimme zusammen. Was ist aber diese allgemeine Stimme? Und welche Funktion kommt ihr genau zu? Vielleicht gibt uns diesbezüglich § 8.G.1 Aufschluss. Dieser Satz beinhaltet die beiden folgenden (leicht rekonstruierten) Propositionen: § 8.G.1aR1 Im Geschmacksurteil »x ist schön« wird eine allgemeine Stimme in Ansehung des Wohlgefallens ohne Vermittlung durch Begriffe postuliert. § 8.G.1bR1 Im Geschmacksurteil »x ist schön« wird die Möglichkeit eines ästhetischen Urteils postuliert, welches zugleich als für jedermann gültig betrachtet werden könnte.

In § 8.G.1a formuliert Kant, dass im Geschmacksurteil eine ›allgemeine Stimme‹ ›postulirt‹ wird. Das Postulieren einer allgemeinen Stimme wird in § 8.G.1b durch das Postulieren der ›Möglichkeit eines ästhetischen Urtheils, welches zugleich als für jedermann gültig betrachtet werden könnte‹, erläutert. Nun ist ein Urteil, das ›zugleich als für jedermann gültig betrachtet werden könnte‹, ein (subjektiv) allgemeingültiges Urteil. Wir können daher schreiben: § 8.G.1bR2 Im Geschmacksurteil »x ist schön« wird die Möglichkeit eines (subjektiv) allgemeingültigen ästhetischen Urteils postuliert.

Es ist naheliegend, dass die ›allgemeine Stimme‹ besagte ›Möglichkeit‹ des allgemeingültigen ästhetischen Urteils erklären soll. Oder vielmehr: Die allgemeine Stimme ist die Bedingung der Möglichkeit des allgemeingültigen ästhetischen Urteils. Es ist dabei wichtig, dass Kant nach den Bedingungen der Möglichkeit eines allgemeingültigen 456

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ästhetischen Urteils fragt; denn ein ästhetisches Urteil ist durch Begriffslosigkeit ausgezeichnet (BTUrteil). In diesem Sinne schreibt er in § 8.G.1a, im Geschmacksurteil werde eine ›allgemeine Stimme in Ansehung des Wohlgefallens ohne Vermittelung der Begriffe‹ postuliert. Damit ist die Passage zur ›allgemeinen Stimme‹ im Kontext des Paradoxes von Allgemeingültigkeit und Begriffslosigkeit zu verorten. Die ›allgemeine Stimme‹ ist dann eine erste, vorläufige Lösung dieses Paradoxes. Die besondere Funktion der ›allgemeinen Stimme‹ hängt mit der Besonderheit der Allgemeinheit des Geschmacksurteils zusammen. Diese Besonderheit schildert Kant noch einmal in § 8.G.2 durch den Kontrast von ›postulieren‹ und ›ansinnen‹. Wir können die beiden folgenden Propositionen isolieren: § 8.G.2a* Das Geschmacksurteil selber postuliert nicht jedermanns Einstimmung (denn das kann nur ein logisch allgemeines Urteil, weil das logisch allgemeine Urteil Gründe anführen kann, tun). § 8.G.2b* Das Geschmacksurteil sinnt nur jedermann diese Einstimmung an, als einen Fall der Regel, in Ansehung dessen [dass das Geschmacksurteil ein Fall der Regel ist] der Urteilende die Bestätigung nicht von Begriffen, sondern von anderer Beitritt erwartet.

Worin besteht aber der Unterschied zwischen dem Ansinnen und dem Postulieren von jedermanns Einstimmung? Der zentrale Unterschied scheint darin zu bestehen, dass ich eine allgemeine Einstimmung nur dann postulieren kann, wenn ich das Urteil begründen und somit die anderen Urteilenden durch ›Gründe‹ dazu zwingen kann, meinem Urteil zuzustimmen. Das Verb ›postulieren‹ scheint mir im Übrigen an dieser Stelle nicht als Terminus technicus verwendet zu sein (etwa im Sinne der Postulate der reinen praktischen Vernunft). 28 Vielmehr lässt sich ›postulieren‹ hier mit Rekurs auf das lateinische postulare begreifen, welches so viel wie »fordern« oder »beanspruchen« bedeutet. 29 In diesem Sinne fordern wir bei einem logischen Urteil, dass jedermann dem Urteil zustimmen soll, und Unter einem »P o s t u l a t der reinen praktischen Vernunft« versteht Kant »einen t h e o r e t i s c h e n , als solchen aber nicht erweislichen Satz […], so fern er einem a priori unbedingt geltenden p r a k t i s c h e n Gesetze unzertrennlich anhängt« (KpV: 122). 29 Darauf verweist auch Pollok (vgl. Pollok 2017, 294). 28

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wir haben sogar Gewissheit, dass jedermann dem Urteil zustimmen wird – und zwar, weil wir die Zustimmung durch Gründe erzwingen können. Wir können somit zum logischen Urteil festhalten: § 8.G.2a1R1 Beim logisch allgemeinen Urteil hat man Gewissheit, dass jedermann zustimmt oder zustimmen wird, weil man Gründe anführen kann (und damit die Zustimmung erzwingen kann).

Beim Geschmacksurteil kann man die Zustimmung der anderen dagegen nicht ›postulieren‹, sondern nur ›ansinnen‹. Der Kontrast von ›postulieren‹ und ›ansinnen‹ ist durchaus problematisch; denn eigentlich bedeuten beide Begriffe zunächst einmal ›fordern‹. 30 Der Unterschied muss aber, wie oben bereits angedeutet, darin bestehen, dass man beim Geschmacksurteil keine ›Gründe anführen‹ kann. Man kann die Zustimmung zum Urteil zwar fordern, aber man kann sie nicht durch Gründe erzwingen. So heißt es kurz zuvor: § 8.F.3 »Ob ein Kleid, ein Haus, eine Blume schön sey: dazu läßt man sich sein Urtheil durch keine Gründe oder Grundsätze beschwatzen« (215,37 f., m. H.).

Ähnlich schreibt Kant in einer Reflexion: »Das Geschmaksurtheil ist also immer nur ein einzelnes Urtheil, und man (kan) keinen Grund (davon) angeben, dessen Beweiskraft ein anderer nachgeben müßte, denn es ist kein Erkentnisurtheil« (Refl: 993, AA 15: 438). Wir können nun die beiden Aussagen in § 8.G.2a2 und § 8.G.2b folgendermaßen rekonstruieren: § 8.G.2a2R1 Beim Geschmacksurteil haben wir keine Gewissheit, dass jedermann dem Urteil zustimmen wird; denn wir können keine Gründe anführen und können daher die Zustimmung nicht erzwingen. § 8.G.2bR1 Beim Geschmacksurteil fordern wir von jedermann, dass er zustimmen soll (wir können diese Zustimmung aber eben nicht durch Gründe erzwingen).

Vor diesem Hintergrund muss es die Aufgabe der ›allgemeinen Stimme‹ sein, eine analoge Funktion einzunehmen, wie sie in logischen Urteilen von Gründen eingenommen wird. Im Gegensatz zu Bei Adelung heißt es zum Begriff »ansinnen«: »an einen gesinnen, anmuthen; ein Wort, welches […] mit anmuthen einerley Bedeutung hat. Einem etwas ansinnen, es von ihm verlangen, besonders wenn es unerlaubte oder unanständige Sachen sind, die man verlangt« (Adelung: Ansinnen).

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Gründen muss die allgemeine Stimme aber nicht-begrifflich sein und sie kann somit die Zustimmung nicht erzwingen. Einen ersten Hinweis darauf, wie das Geschmacksurteil seine Allgemeingültigkeit erhält und welche Funktion somit die ›allgemeine Stimme‹ genau einnimmt, gibt Kant mit der Formulierung ›Fall der Regel‹ in § 8.G.2b. Dabei ist das Geschmacksurteil (und nicht etwa die ›Einstimmung‹) besagter ›Fall der Regel‹ : § 8.G.2b* Das Geschmacksurteil sinnt nur jedermann diese Einstimmung an, als einen Fall der Regel, in Ansehung dessen [dass das Geschmacksurteil ein Fall der Regel ist] der Urteilende die Bestätigung nicht von Begriffen, sondern von anderer Beitritt erwartet.

Eine ›Regel‹ ist immer etwas Allgemeines. Man kann eine Regel als Obersatz in einem Syllogismus verwenden, unter den man etwas im Untersatz subsumiert, sodass man als Konklusion einen ›Fall der Regel‹ erhält. 31 So kann man das Urteil »Sokrates ist ein Mensch« unter die Regel »Alle Menschen sind sterblich« subsumieren; und die Konklusion »Sokrates ist sterblich« ist dann ein Fall der Regel »Alle Menschen sind sterblich«. Ist die Regel ein Prinzip a priori, so verfügt die Konklusion über notwendige Allgemeingültigkeit. 32 Wir können in diesem Sinne den folgenden Zusammenhang herstellen: § 8.G.2bR2 Das Geschmacksurteil sinnt jedermann diese Einstimmung an, weil das Geschmacksurteil ein Fall einer (allgemeinen) Regel ist, in Ansehung dessen [dass dieses Geschmacksurteil ein Fall der Regel ist] der Urteilende die Bestätigung nicht von Begriffen, sondern von anderer Beitritt erwartet.

Wie kann das Geschmacksurteil aber ein Fall einer Regel sein? Eine Regel ist schließlich normalerweise begrifflich, während das Geschmacksurteil durch Nicht-Begrifflichkeit (BTUrteil) gekennzeichnet ist und es aus keinen Gründen abgeleitet werden kann. Mit dem Verweis auf die ›Regel‹ deutet Kant explizit in Richtung des Vierten Moments und seiner dort entwickelten Theorie des Gemeinsinns. So spricht er in § 18 von einer »Nothwendigkeit der Beystimmung aller zu einem Urtheil, was [d. h. das Urteil] wie [ein] Beyspiel einer allgemeinen Regel, die man nicht angeben kann, angesehen wird« Vgl. Log: 120. Siehe hierzu auch die Ausführungen zur exemplarischen Notwendigkeit in Kap. 18.3.4. 32 Siehe hierzu Kap. G5.2. 31

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(§ 18.A.5, 237,8, m. H. & Kants H. getilgt). Ich werde bei meinen Untersuchungen von § 18 erläutern, dass besagte ›allgemeine[.] Regel, die man nicht angeben kann‹, der Gemeinsinn ist. 33 Man kann diese Regel nicht angeben, weil der Gemeinsinn ein Vermögen zu einem Gefühl und insofern nicht-begrifflich (keine Proposition) ist. Dennoch fungiert er als Obersatz in einem (quasi-)Syllogismus und somit als ›Regel‹. 34 Wir subsumieren eine aktual gefühlte Lust unter den Gemeinsinn und als Konklusion entspringt ein Geschmacksurteil als ›Fall‹ der ›Regel‹. Dieses Geschmacksurteil verfügt über notwendige Allgemeingültigkeit, weil es ein Fall des Gemeinsinns ist. Freilich ist dieser gesamte Theoriebaustein Kants Leserschaft auf der Argumentationsstufe von § 8 noch nicht zugänglich. Dennoch deutet die Formulierung ›Fall der Regel‹ an, dass das Geschmacksurteil aus etwas abgeleitet wird, das analog zu einer Regel zu verstehen ist. Vorläufig kann die ›allgemeine Stimme‹ als dieses Regel-Analogon begriffen werden. Die ›allgemeine Stimme‹ teilt sich darüber hinaus eine weitere Charakteristik mit dem Gemeinsinn, nämlich den Status als Idee. Dazu heißt es in § 8.G.3: § 8.G.3 Die allgemeine Stimme ist also nur eine Idee (worauf sie beruhe, wird hier noch nicht untersucht).

In der KrV heißt es zur Idee: »Ich verstehe unter der Idee einen notwendigen Vernunftbegriff, dem kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kann« (A327/B383). Dass ›[d]ie allgemeine Stimme…nur eine Idee [ist]‹, bedeutet dann primär, dass uns die Allgemeinheit der Stimme nicht in der Anschauung gegeben werden kann. Dies lässt sich schon daran erkennen, dass in Realität meist keine Einigkeit bezüglich der Schönheit von Gegenständen herrscht. 35 Die ›allgemeine Stimme‹ ist ferner insofern ein ›notwendiger Vernunftbegriff‹, als sie die Bedingung der Möglichkeit des allgemeinen und begriffslosen Geschmacksurteils bzw. des Schönen ist, Siehe hierzu Kap. 18.3.4. Zur Theorie des quasi-Syllogismus siehe Grundlagen 5. 35 Vgl. hierzu: »Viel weniger kann sie [die Notwendigkeit des Geschmacksurteils] aus der Allgemeinheit der Erfahrung (von einer durchgängigen Einhelligkeit der Urtheile über die Schönheit eines gewissen Gegenstandes) geschlossen werden. Denn nicht allein, daß die Erfahrung hiezu schwerlich hinreichend viele Beläge schaffen würde, […]« (§ 18.A.7–8, 237,13). – Auch der Status des Gemeinsinns als Idee ist darauf zurückzuführen, dass die ›Gemeinschaftlichkeit‹ des Gemeinsinns nicht in der Anschauung gegeben werden kann. Siehe Kap. 20.2.3. 33 34

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wobei uns das Schöne durch die uninteressierte Lust als Faktum gegeben ist. 36 Nun schreibt Kant, die ›allgemeine Stimme‹ sei ›also nur eine Idee‹, wodurch er seine Leserschaft denken lässt, er habe ein Argument angeführt. Da Kant zuvor aber keineswegs dargelegt hat, dass die allgemeine Stimme nicht in der Erfahrung gegeben werden kann, scheint mir die Funktion von ›also‹ an dieser Stelle völlig unklar. Wie bereits angedeutet, bezeichnet Kant auch den Gemeinsinn als »Idee« (§ 20.T, 237,33); und auch der Gemeinsinn wird als Bedingung der Möglichkeit des Geschmacksurteils – oder genauer des notwendig allgemeingültigen Geschmacksurteils – eingeführt. 37 Es drängt sich damit der Verdacht auf, dass Kant die vorläufige Konzeption der ›allgemeinen Stimme‹ durch die entfaltete Konzeption des Gemeinsinns ersetzt. Dafür spricht ferner, dass der Begriff der allgemeinen Stimme ausschließlich in den beiden letzten Absätzen von § 8 Verwendung findet. Die plausibelste Erklärung dafür ist, dass dieser Begriff dem Stand der Argumentation von § 8 entspricht: Kants Untersuchungen in den §§ 1–8 behandeln die Oberflächenstruktur des Schönen, nämlich die Lust. Erst ab § 9 deckt Kant dann die vermögenstheoretische Grundlage dieser Lust auf. Die ›allgemeine Stimme‹ entspricht diesem Argumentationsstand, indem die ›Stimme‹ ein Bild für das Aussprechen der Lust im Geschmacksurteil ist. Der Gemeinsinn hingegen, als dasjenige, womit wir den Gegenstand wahrnehmen, entspricht der Ebene der Grundlage der Lust. Im Übrigen stimmen die ›allgemeine Stimme‹ und der Gemeinsinn darin überein, dass es sich dabei um Vermögen handelt. Kant deutet damit bereits in § 8 an, dass die Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils nicht auf Begriffen bzw. begrifflichen Prinzipien, sondern auf einem menschlichen Vermögen beruht. Dass die ›allgemeine Stimme‹ noch nicht Kants endgültige Antwort auf die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit des Geschmacksurteils ist, wird durch den folgenden Hinweis in § 8.G.3 deutlich: ›worauf sie [die Idee einer allgemeinen Stimme] beruhe, wird hier [in § 8] noch nicht untersucht‹. Nach unseren obigen Untersuchungen muss dasjenige, worauf die ›allgemeine Stimme‹ beruht, Siehe die Ausführungen zur Deduktion der Geschmacksurteile in Kap. G6.1. Vgl.: »Die Bedingung der Nothwendigkeit, die ein Geschmacksurtheil vorgiebt, ist die Idee eines Gemeinsinnes« (§ 20.T, 237,32); »Also nur unter der Voraussetzung, daß es einen Gemeinsinn gebe […], nur unter Voraussetzung, sage ich, eines solchen Gemeinsinns kann das Geschmacksurtheil gefällt werden« (§ 20.B.1, 238,12).

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der Gemeinsinn sein. Damit würde die in § 8.G.3 angedeutete Untersuchung des Grundes der ›allgemeinen Stimme‹ in den §§ 20–21 vollzogen; denn Kant deckt dort den Gemeinsinn auf. Da der Gemeinsinn aber erst in § 38 deduziert wird, kommt die besagte Untersuchung erst dort zu einem Ende. Kant vollzieht demnach eine sukzessive Aufdeckung des Gemeinsinns: In § 9 deckt er das freie Spiel der Erkenntniskräfte auf; mithilfe dieses Materials deckt er in den §§ 20–21 den Gemeinsinn auf; und in § 38 wird dieser Gemeinsinn deduziert. Die Funktion der ›allgemeinen Stimme‹ ist dabei vor allem, anzudeuten, dass es eine Bedingung der Möglichkeit des Geschmacksurteils gibt und dass diese im weiteren Verlauf der Kritik der ästhetischen Urteilskraft aufgedeckt werden soll.

8.3 Zur Epistemologie des Geschmacksurteils Kant beschließt § 8 mit einigen Bemerkungen darüber, wie ein Urteilender überprüfen kann, ob er wirklich ein Geschmacksurteil gefällt hat. Allison bemerkt hierzu treffend: »it is one of Kant’s few explicit discussions of what might be termed the epistemology of taste« (Allison 2001, 107). Allison bezieht sich mit dieser Anmerkung primär auf die Sätze § 8.G.4–5. Eine erste Bemerkung zur Epistemologie des Geschmacksurteils findet sich aber bereits in § 8.G.2b: § 8.G.2b* Das Geschmacksurteil sinnt nur jedermann diese Einstimmung an, als einen Fall der Regel, in Ansehung dessen [dass das Geschmacksurteil ein Fall der Regel ist] der Urteilende die Bestätigung nicht von Begriffen, sondern von anderer Beitritt erwartet.

Die Frage, ob ein Geschmacksurteil ein ›Fall der Regel‹ ist, steht letztlich für die Frage, ob ein Urteil, das wie ein Geschmacksurteil aussieht, wirklich ein Geschmacksurteil ist. Es geht also um die Frage, ob man beim Fällen des Urteils »x ist schön« keinen Fehler begangen hat. Ein solcher Fehler läge dann vor, wenn man eine aktual gefühlte Lust unter den Begriff »schön« subsumiert hätte, obwohl die gefühlte Lust keine Lust am Schönen war, sondern etwa eine Lust am Angenehmen. 38 Man würde dann ein »irriges Geschmacksurteil« fällen (§ 8.G.5, 226,28). Ob ein irriges oder ein korrektes Geschmacksurteil 38

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Zur Subsumtion der Lust unter den Begriff »schön« siehe Kap. G2.2.2.

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Zur Epistemologie des Geschmacksurteils

vorliegt, kann der Urteilende nicht begrifflich überprüfen; denn Geschmacksurteile beruhen auf keiner begrifflichen Regel. Ein mögliches Indiz liefert aber der Umstand, ob andere Urteilende dem Geschmacksurteil zustimmen oder nicht. Wenn ich ein Urteil »x ist schön« fälle, andere Menschen auffordere, den Gegenstand ebenfalls in ästhetischer Einstellung zu beurteilen, und die meisten dann auch das Urteil »Ja, x ist schön« fällen, so kann dies als Indiz dafür gelten, dass ich ein korrektes Geschmacksurteil gefällt habe. Wenn aber die meisten anderen Urteilenden bestreiten, dass x schön ist, ist dies ein Indiz dafür, dass mein Urteil ein ›irriges Geschmacksurtheil‹ war. Es handelt sich dabei bloß um ein Indiz und um keinen Beweis; denn ich habe keine Garantie dafür, dass die anderen in ästhetischer Einstellung waren, dass sie mich nicht belogen haben, oder dass sie nicht selbst ein irriges Geschmacksurteil gefällt haben. Ferner darf ich dieses Verfahren nicht dazu anwenden, um darauf die Allgemeinheit meines Urteils zu gründen. 39 Es gibt ein weiteres Verfahren, durch das wir irrige Geschmacksurteile identifizieren können: § 8.G.4 »Daß der, welcher ein Geschmacksurtheil zu fällen glaubt, in der That dieser Idee gemäß urtheile, kann ungewiß seyn; aber daß er es doch darauf beziehe, mithin daß es ein Geschmacksurtheil seyn solle, kündigt er durch den Ausdruck der Schönheit an. § 8.G.5 [a] Für sich selbst aber kann er durch das bloße Bewusstseyn der Absonderung alles dessen, was zum Angenehmen und Guten gehört, von dem Wohlgefallen, was ihm noch übrig bleibt, davon gewiß werden; [b] und das ist alles, wozu er sich die Beystimmung von jedermann verspricht: ein Anspruch, wozu unter diesen Bedingungen er auch berechtigt seyn würde, wenn er nur wider sie nicht öfter fehlte und darum ein irriges Geschmacksurtheil fällete« (216,19).

§ 8.G.4 ist recht leicht zu verstehen. Die Unsicherheit, ob ein Urteilender ›in der Tat dieser Idee [der allgemeinen Stimme] gemäß urVgl.: »Ueberdies wird von jedem Urtheil, welches den Geschmack des Subjects beweisen soll, verlangt: daß das Subject für sich, ohne nöthig zu haben, durch Erfahrung unter den Urtheilen anderer herumzutappen, und sich von ihrem Wohlgefallen oder Mißfallen an demselben Gegenstande vorher zu belehren, urtheilen, mithin sein Urtheil nicht als Nachahmung, weil ein Ding etwa wirklich allgemein gefällt, sondern a priori aussprechen solle« (282,11; vgl. auch 288,27).

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teile‹, besteht in der Unsicherheit, ob ein Urteil »x ist schön« ein korrektes oder irriges Geschmacksurteil ist. Wäre das Urteil nicht der Idee der allgemeinen Stimme ›gemäß‹, so wäre es unter Umständen kein allgemeingültiges Urteil, und da Geschmacksurteile wesentlich allgemeingültig sind, wäre es kein Geschmacksurteil. Wir können also schreiben: § 8.G.4R1 Dass ein Urteilender, welcher ein Geschmacksurteil zu fällen glaubt, in der Tat der Idee der allgemeinen Stimme gemäß urteilt und also ein korrektes (allgemeingültiges) Geschmacksurteil fällt, kann ungewiss sein; aber dass der Urteilende sein Urteil doch auf die allgemeine Stimme bezieht, mithin, dass es ein Geschmacksurteil sein soll, kündigt er durch das (quasi-)Prädikat »ist schön« an.

Für wen herrscht in einem solchen Fall Unsicherheit – für den Urteilenden selbst oder für andere Urteilende? Die Antwort muss in gewisser Hinsicht sein: für beide. Allerdings kann der Urteilende selbst die Ungewissheit evtl. überwinden, während für einen Dritten diese Ungewissheit immer bleibt. So hat der Dritte keinen Zugriff auf das Gefühl der Lust seines Gegenübers und kann folglich nicht wissen, ob es sich dabei um eine Lust am Schönen handelt. 40 In diesem Sinne betont Kant, dass der Urteilende ›für sich selbst‹ Gewissheit erlangen kann. Wie ein Urteilender selbst die Ungewissheit überwinden kann, schildert Kant in § 8.G.4a. Eine wichtige Frage lautet: Worauf bezieht sich in diesem Satz die Partikel ›davon‹ ? Cohen identifiziert vier mögliche Auslegungen von ›davon‹ : »(1) intending to ›lay down‹ a judgment of taste, (2) laying down a judgment of taste, (3) referring one’s judgment to the idea of a universal voice, or (4) judging in conformity with the idea of a universal voice« (T. Cohen 1982, 223). Ich stimme Allison zu, dass die Optionen (3) und (4) auf (1) und (2) reduzierbar sind: 41 ›Sich auf die allgemeine Stimme beziehen‹ (3) impliziert die Intention, ein Geschmacksurteil zu fällen (1), und ›in Übereinstimmung mit der Idee der allgemeinen Stimme urteilen‹ (4) impliziert das tatsächliche Fällen eines Geschmacksurteils (2). Klarerweise muss aber die Frage sein, ob man tatsächlich ein korrektes GeEr kann sich aber selbst in eine ästhetische Einstellung versetzen und den Gegenstand beurteilen. Fühlt er dann keine Lust am Schönen, so mag dies ein Indiz dafür sein, dass das Geschmacksurteil des anderen ›irrig‹ war. 41 Vgl. Allison 2001, 108. 40

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Zur Epistemologie des Geschmacksurteils

schmacksurteil gefällt hat. 42 So steht in § 8.G.3 ganz explizit zur Debatte, ob ›der, welcher ein Geschmacksurtheil zu fällen glaubt, in der That dieser Idee gemäß urtheile‹, und damit, ob er ein korrektes Geschmacksurteil gefällt hat (Option (2) bzw. (4)). Die einzige mit dem Text übereinstimmende Rekonstruktion von § 8.G.4a ist daher: § 8.G.5aR1 Für sich selbst kann der Urteilende durch das bloße Bewusstsein der Absonderung alles dessen, was zum Angenehmen und Guten gehört, von dem Wohlgefallen, was ihm noch übrig bleibt, davon gewiss werden, dass er in der Tat der Idee der allgemeinen Stimme gemäß urteile und dass er somit ein korrektes Geschmacksurteil gefällt hat.

Letztlich scheint mir das geschilderte Verfahren darauf hinauszulaufen, dass wir auf unsere aktual gefühlte Lust Acht haben müssen. Stimmt diese Lust hinsichtlich ihres phänomenalen Gehalts mit der Lust am Schönen überein, d. h. fühlt sie sich uninteressiert, frei, allgemein und als Bewusstsein des Prinzips a priori an, dann habe ich sie korrekt unter den Begriff »schön« subsumiert und korrekterweise das Urteil »x ist schön« gefällt. 43 Es sind aber noch zwei andere Fälle denkbar: Ich habe auf meine Lust Acht und merke, dass ihr phänomenaler Gehalt nicht mit der Lust am Schönen übereinstimmt, d. h. sich nicht uninteressiert, frei usw. anfühlt. So könnte ich etwa feststellen, dass sie sich wie eine Lust am Angenehmen (interessiert, unfrei, privatgültig) anfühlt. Mein Urteil »x ist schön« wäre dann ein irriges Geschmacksurteil. In einem dritten Fall könnte ich aber auch merken, dass ich eigentlich zwei verschiedene Arten von Lust fühle, die sich miteinander vermischt haben. Ich könnte sowohl eine Lust am Schönen als auch am Angenehmen oder sowohl eine Lust am Schönen als auch am Guten fühlen. Ich würde dann feststellen, dass mein Geschmacksurteil zwar korrekt, aber ein unreines Geschmacksurteil ist. 44 In diesem Fall könnte sich der Urteilende also über den

Im strengen Sinne kann man freilich nicht fragen, ob ein Geschmacksurteil wahr oder falsch ist. Denn Wahrheit ist für Kant die »Übereinstimmung einer Erkenntnis mit ihrem Gegenstande« (A58/B83; vgl. A820/B848; Log: 50). Das Geschmacksurteil ist aber weder ein Erkenntnisurteil noch kann es eine Übereinstimmung mit dem Objekt aufweisen. In einem erweiterten Sinne lässt sich aber dennoch fragen, ob ein Geschmacksurteil korrekt oder inkorrekt bzw. ›irrig‹ ist. 43 Zum phänomenalen Gehalt der Lust am Schönen siehe Grundlagen 1. 44 Zur Theorie der unreinen Geschmacksurteile siehe Kap. 13.3 sowie 16.2. 42

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Status seines (richtigen) Geschmacksurteils als reines oder unreines Geschmacksurteil bewusst werden. Für Allison steht in § 8.G.4 ausschließlich die Frage zur Debatte, ob es sich bei einem (potenziellen) Geschmacksurteil um ein reines oder unreines Geschmacksurteil handelt: »Accordingly, the error is not, […] in falsely believing that I have made a judgment of taste at all (it’s difficult to conceive how one can be confused about that), but in claiming that my de facto judgment is pure« (Allison 2001, 109). Da aber Kant die Unterscheidung zwischen reinen und unreinen bzw. angewandten Geschmacksurteilen erst in den §§ 14 und 16 einführt, ist es sehr fragwürdig, ob er diese Unterscheidung bereits in § 8 thematisiert. Darüber hinaus ist es, wie oben beschrieben, gut verständlich, wie wir uns über unsere Geschmacksurteile täuschen können: Wir verwechseln zwei Gefühle und zwar, weil wir nicht genau auf den phänomenalen Gehalt dieser Gefühle Acht haben. Fraglich scheint mir hingegen, ob Kant davon ausgeht, dass wir jemals wirkliche Gewissheit darüber haben, ob wir nun gerade eine Lust am Schönen oder Angenehmen oder Guten fühlen. Wir konnten zwei Indizien zur Überprüfung der Korrektheit eines Geschmacksurteils identifizieren: i. Die Zustimmung anderer Urteilender zu meinem Urteil ist ein (äußeres) Indiz für die Korrektheit meines Geschmacksurteils. ii. Ich selbst kann Gewissheit darüber erlangen, ob mein Geschmacksurteil korrekt ist, indem ich darauf Acht habe, ob meine aktual gefühlte Lust hinsichtlich ihres phänomenalen Gehalts eine Lust am Schönen ist.

8.4 Zusammenfassung Kant hat eigentlich keine substanziell neuen Thesen entwickelt. Vielmehr hat er die Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils (ATUrteil) noch einmal genauer bestimmt und in eine Theorie der Allgemeingültigkeit insgesamt eingeordnet. Vordringlich hat er zwischen verschiedenen Formen der Allgemeinheit differenziert. Zunächst sind subjektive und objektive Allgemeinheit zu unterscheiden. Dabei betrifft die objektive Allgemeinheit die Sphäre der zu beurteilenden Objekte und bezeichnet eine inhaltliche Allgemeinheit der Form »Alle S sind P«; die subjektive Allgemeinheit betrifft hingegen die Sphäre der urteilenden Subjekte und bezeichnet die Allgemein466

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gültigkeit im Sinne der Geltung für alle Urteilenden. Ferner hat Kant zwischen ästhetischer und logischer Quantität bzw. Allgemeinheit differenziert: Die logische Allgemeinheit bezeichnet die Geltung eines logischen Urteils. Diese beruht auf Begriffen vom Objekt und beinhaltet sowohl die objektive als auch die subjektive Allgemeinheit. Die ästhetische Allgemeinheit steht hingegen für die Geltung eines ästhetischen Urteils. Sie beruht nicht auf Begriffen vom Objekt und beinhaltet daher nur die subjektive Allgemeinheit. Die verschiedenen Arten von Allgemeinheit lassen sich auf logische Urteile und ästhetische Urteile bzw. Geschmacksurteile übertragen. Logische Urteile sind immer potenziell objektiv allgemeingültig und immer subjektiv allgemeingültig. Geschmacksurteile hingegen sind nie potenziell objektiv allgemeingültig, sondern immer einzelne Urteile der Form »Ein x ist schön«. Sie verfügen jedoch über subjektive Allgemeinheit. Mittels dieser Charakterisierung lässt sich das Geschmacksurteil von Urteilen über das Angenehme und Gute abgrenzen. So ist ein Urteil über das Angenehme hinsichtlich seiner objektiven Quantität auch ein einzelnes Urteil (»Ein x ist angenehm«); es ist hinsichtlich seiner subjektiven Quantität jedoch bloß privatgültig. Ein Urteil über das Gute ist dagegen zwar wie das Geschmacksurteil ein subjektiv allgemeingültiges Urteil, jedoch auch ein objektiv allgemeines Urteil der Form »Alle x sind gut«. Offen ist noch die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit eines ästhetischen, d. h. begriffslosen, und gleichzeitig (subjektiv) allgemeingültigen Urteils. Als erste, vorläufige Antwort auf diese Frage führt Kant die Konzeption einer allgemeinen Stimme ein. Dabei handelt es sich noch um einen recht unbestimmten Begriff; er wird dann später durch die Konzeption des Gemeinsinns ersetzt. Die allgemeine Stimme deutet bereits an, dass dem Geschmacksurteil ein besonderes Vermögen zugrunde liegt – und zwar ein Vermögen, das allgemein ist.

8.5 Literaturbericht In der Sekundärliteratur findet § 8 (ähnlich wie § 7) kaum Beachtung. Insbesondere die Problematik, wie sich die Begrifflichkeiten der subjektiven und objektiven sowie der ästhetischen und logischen Allgemeinheit zueinander verhalten, wird eigentlich nicht untersucht. Bisweilen werden diese Begrifflichkeiten zwar erwähnt, aber nicht weiter erläutert (vgl. etwa Kants Philosophie des Schönen

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Allison 2001, 106). Teils werden die subjektive und die ästhetische Allgemeinheit unhinterfragt gleichgesetzt (vgl. etwa Fricke 1990, 33 f.; Kulenkampff 1994, 82 f. & 88), teils werden auch nur einzelne, aber nicht alle Begrifflichkeiten, wie etwa nur die subjektive und die logische Allgemeinheit, erwähnt (vgl. Ginsborg 2008, 66). Als einer der wenigen Autoren betont Guyer korrekt, dass die subjektive Allgemeinheit nicht mit der ästhetischen Allgemeinheit gleichgesetzt werden kann, weil auch logische Urteile subjektiv allgemein sein könnten (vgl. Guyer 1979, 149 f.). Matthews unterscheidet zwischen der subjektiven Allgemeinheit und der Gemeingültigkeit, d. h. der spezifischen subjektiven Allgemeinheit bei ästhetischen Urteilen (vgl. Matthews 1997, 31). Wenzel macht auf zwei Bedeutungen des Begriffs »subjektive Allgemeinheit« aufmerksam: Dieser könne entweder für die Geltung eines Urteils für alle urteilenden Subjekte oder dafür stehen, dass das Urteil auf Gründen im Subjekt beruht (vgl. Wenzel 2008, 33 f.). McCloskey unterscheidet eine Art von objektiver und zwei Arten von subjektiver Allgemeinheit: »The species of universal validity are for Kant: Objective universal validity which is unconditionally valid for all members of a class of objects and for all judging subjects, and subjective universality which is of two sorts, that which rests on concepts, for example ›There’s a bubble of water in this rock crystal‹ and that which does not, for example ›This rose is beautiful‹, neither of which are valid for a class of objects but are valid for all judging subjects« (McCloskey 1987, 57). Sie gebraucht dabei jedoch nicht den Begriff der ästhetischen Allgemeinheit. Kern kontrastiert die subjektive Allgemeingültigkeit nicht etwa mit der objektiven Allgemeingültigkeit, sondern mit der objektiven Gültigkeit, wobei objektiv gültige Urteile solche seien, »die erstens wahr sind und zu deren Bestimmungsgründen zweitens objektive Begriffe gehören, d. h. Begriffe, die einen Gegenstand bestimmen« (Kern 2000, 33). Jedoch geht sie davon aus, dass ein objektiv gültiges Urteil »zugleich eine Beziehung auf all die Gegenstände hat, die ebenfalls unter dem gegebenen Begriff enthalten sind« (Kern 2000, 34). Wieland erläutert zur ästhetischen Allgemeingültigkeit, sie sei »eine schwache Form der Allgemeingültigkeit«; diese Schwäche beruhe »auf dem Mangel an einer gegenständlichen Bedingung«, beeinträchtige aber keinesfalls die Tatsache, dass die Allgemeingültigkeit »zum Typus der strengen, apriorisch fundierten Allgemeinheit« gehöre (Wieland 2001, 253 f.). Auch der allgemeinen Stimme, als zweites zentrales Thema von § 8, kommt wenig Beachtung zu. Nichts dazu findet sich etwa bei Crawford (1974), Fricke (1990), Matthews (1997) oder Wenzel (2008). Guyer geht zwar nicht auf die allgemeine Stimme ein, widmet aber dem Begriff des Postulierens, den Kant im Kontext der allgemeinen Stimme nutzt, eine längere Passage (vgl. Guyer 1979, 143 ff.). Allison bezeichnet die allgemeine Stimme als »postulated source of the putative universality of a judgment of taste« und stellt eine Analogie zu Rousseaus volonté general her (Allison

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2001, 107). Kulenkampff versteht die allgemeine Stimme als eine Norm der folgenden Art: »Man beruft sich also beim Geltungsanspruch des Geschmacksurteils nicht auf einen möglichen Beweis, sondern auf eine ursprüngliche einmal durch Zustimmung hergestellte Übereinstimmung aller« (Kulenkampff 1994, 84). Gegen diese Interpretation scheint mir aber Kants Verständnis des Gemeinsinns – und damit auch der allgemeinen Stimme – als ursprüngliches Vermögen zu sprechen. An anderer Stelle vertritt Kulenkampff die schwächere These, die allgemeine Stimme sei »nichts anderes […] als die Übereinstimmung aller im fraglichen Fall«, die faktisch »niemals zu haben« sei, sondern nur als Idee postuliert werde; es werde »ein bestimmter idealer Zustand […] als ein zu erreichender Zielzustand bestimmt« (Kulenkampff 1995, 39 f.). Weniger als Ziel, sondern als IstZustand stuft Kern die allgemeine Stimme ein: »Auch wenn ich jeweils diejenige bin, die das Urteil ausspricht, so spreche ich dabei doch mit einer allgemeinen Stimme. Ich sage etwas über mich; aber das, was ich über mich sage, gilt nicht nur für mich, sondern es gilt für uns alle« (Kern 2002, 86 f.). Ebenso wenig beachtet ist die Frage, ob es irrige Geschmacksurteile gibt und worin diese bestehen. Eine Ausnahme dazu bilden T. Cohen (1982) und Wieland (2001, 240–293). Grundsätzlich lassen sich zwei Interpretationen unterscheiden, worin der Irrtum bei irrigen Geschmacksurteilen besteht. Allison plädiert dafür, dass wir uns nur dahingehend irren können, ob wir ein reines oder ein unreines Geschmacksurteil gefällt haben (vgl. Allison 2001, 109). Die andere Interpretation besteht darin, dass wir uns darüber irren können, ob die richtigen Bedingungen für ein Geschmacksurteil vorlagen, d. h. ein freies und harmonisches Spiel der Erkenntniskräfte (vgl. für diese Position etwa Guyer 1979, 147; Matthews 1997, 38). Wieland spricht von einem »Irrtumsvorbehalt, unter dem das Erkenntnisurteil ebenso wie das Geschmacksurteil steht« (Wieland 2001, 246). Nach ihm entspringen Irrtümer insbesondere daraus, dass wir die Lust am Schönen mit anderen Gefühlen verwechseln (vgl. Wieland 2001, 245). Weiter heißt es: »Aus einem solchen Gefühlsirrtum können dann allerdings Irrtümer über den Status des Urteils und über die Legitimität seines Geltungsanspruchs entspringen« (Wieland 2001, 246). Auch nach Ginsborg können wir uns dahingehend irren, »ob ein bestimmtes Schönheitsurteil richtig ist« (Ginsborg 2008, 68). Jedoch kann der Irrtum im Rahmen ihrer Gesamtrekonstruktion der Analytik nicht darin bestehen, dass wir ein Geschmacksurteil gefällt haben, obwohl kein freies Spiel vorlag; denn bei ihr sind das freie Spiel, die Lust und das Urteil identisch. Vielmehr muss der Irrtum darin bestehen, dass ein freies Spiel und eine Lust am Schönen vorliegen, obwohl dies keine angemessene Reaktion auf den spezifischen Gegenstand ist.

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In den §§ 6–8 hat Kant wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass die Lust am Schönen und das Geschmacksurteil einerseits allgemeingültig (ATLust und ATUrteil), andererseits aber begriffslos sind (BTLust und BTUrteil). 1 Ich habe hier von einem Paradox von Allgemeingültigkeit und Begriffslosigkeit gesprochen. Aus diesem Paradox ergibt sich das Desiderat, die Bedingungen der Möglichkeit einer solchen allgemeinen Lust und eines solchen allgemeinen Urteils aufzudecken. Dies hat Kant in § 8 nicht zuletzt mit der Konzeption der allgemeinen Stimme sowie dem Verweis auf die Transzendentalphilosophie betont. Einen ersten und vielleicht sogar den wichtigsten Schritt in Richtung dieser Bedingungen der Möglichkeit des allgemeingültigen und begriffslosen Urteils vollzieht Kant in § 9, in dem er auch den »Schlüssel zur Critik des Geschmacks« verortet (§ 9.A.1, 216,33). Dieser Schlüssel besteht letztlich im Theoriebaustein des freien und harmonischen Spiels der Erkenntniskräfte. Kant verwendet einen Großteil des Textes von § 9 auf die argumentative Herleitung ebendieses freien Spiels, was schon aus der Gliederung dieses Paragraphen hervorgeht: 1. Aufdeckung des freien und harmonischen Spiels der Erkenntniskräfte (§ 9.T-§ 9.F.1, 216,30–218,14) a) Die Fragestellung (§ 9.T–§ 9.A.1, 216,30–34) b) Argumentation (§ 9.B.1-E.1, 216,35–218,7) c) Abschließende Beantwortung der Frage (§ 9.F.1, 218,8–14) 2. Die mindere Frage: Wie werden wir uns des freien und harmonischen Spiels bewusst? (§ 9.G.1-I.7, 218,15–219,23) a) Überleitung zur minderen Frage (§ 9.G.1-H.1, 218,15–31) b) Beantwortung der minderen Frage (§ 9.I.1–7, 218,32– 219,23)

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Siehe hierzu vor allem Kap. 6.1.

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9.1 Einordnung in die Struktur der Analytik des Schönen § 9 markiert eine Art Wendepunkt innerhalb der Analytik: Hat Kant in den §§ 1–8 vorrangig Eigenschaften der Lust am Schönen (und damit indirekt des Geschmacksurteils) aufgedeckt, so legt er im Folgenden (§§ 9–17) offen, was diesen Eigenschaften zugrunde liegt. Listet man die zentralen Thesen bis hin zu § 9 auf, so ergibt sich das folgende Bild: Ästhetisches Urteil

Das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil und kein Erkenntnisurteil, d. h. es ist durch ein quasi-Prädikat und einen Bestimmungsgrund der Lust ausgezeichnet (§ 1). Uninteressiertheitsthese (UT) Die Lust am Schönen ist uninteressiert (§§ 2–5). Freiheitsthese (FT) Die Lust am Schönen ist frei (§ 5). Allgemeingültigkeitsthese (AT) & Begriffslosigkeitsthese (BT) a) ATLust & BTLust Die Lust am Schönen ist allgemeingültig, aber nicht begrifflich erwirkt (§§ 6–8). b) ATUrteil & BTUrteil Das Geschmacksurteil ist subjektiv allgemeingültig, aber begriffslos (§§ 6–8).

Mit der Uninteressiertheitsthese (UT), der Freiheitsthese (FT) und der Allgemeingültigkeitsthese (AT) weist Kant der Lust am Schönen verschiedene Eigenschaften zu. Zum Ende von § 8 hat er somit ein recht genaues Bild davon gezeichnet, wie die Lust am Schönen zu charakterisieren ist und wie sie sich anfühlt. Er konnte aber noch nicht zeigen, wie diese Lust überhaupt möglich ist und wie sie entsteht. Dabei bedarf insbesondere das Paradox von AT und BT einer Auflösung. Aber auch UT und FT sind auf der Argumentationsstufe von § 8 noch erklärungsbedürftig: So haben wir bei den Untersuchungen von UT gesehen, dass die (theoretische) Bedeutung dieser These nur durch einen Rekurs auf das freie Spiel entfaltet werden kann. 2 Die phänomenologischen Bedeutungen von UT und FT sind dem Leser bereits im Ersten Moment unmittelbar zugänglich. Dies ist insbesondere für UT insofern wichtig, als uns nur durch diese phänomenologische Bedeutung von UT überhaupt ein Einstieg in die Theorie des Schönen ermöglicht wird (siehe Kap. 2.4.1).

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Ähnlich lässt sich die (theoretische) Bedeutung von FT, insofern diese These über UT hinausgehen soll, ebenfalls nur mit Rekus auf die (negative und positive) Freiheit im Spiel der Erkenntniskräfte begreifen. 3 Insgesamt bedürfen also alle von Kant in den §§ 2–8 aufgestellten Thesen einer weiteren Erklärung, die Kant nun in § 9 (mindestens teilweise) liefert. Wir können einen vorausschauenden Blick auf die folgenden Paragraphen wagen und § 9 in die dort präsentierte Argumentation einordnen: Freies und harmonisches Spiel Die Lust am Schönen ist ein gefühlter Gemütszustand, der durch die beiden Aspekte des freien Spiels bzw. der Belebung und der Harmonie (Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt) ausgezeichnet ist (§ 9). Zweckmäßigkeit ohne Zweck Im Zustand der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt manifestiert sich eine subjektive Zweckmäßigkeit der Form des schönen Objekts, die uns ohne Rekurs auf einen Zweck bewusst wird (§ 11). Prinzip a priori Der Verstand überprüft die Form des Gegenstandes und die Aktivität der Einbildungskraft des Apprehendierens von Formen anhand des subjektiven Prinzips a priori der Urteilskraft, d. h. anhand des Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur für die menschlichen Erkenntniskräfte und der Erkenntniskräfte füreinander (§ 12). Formthese (FMT) Auf Seiten des Objekts bezieht sich das Geschmacksurteil bloß auf die Form und nicht auf die Materie (§ 13).

Es zeigt sich, dass das freie und harmonische Spiel nur einen Teil der Grundlage der Lust am Schönen ausmacht. Man könnte sogar sagen, dass das freie Spiel der Erkenntniskräfte gewissermaßen nur die obere Schicht dieser Grundlage repräsentiert. Um zu verstehen, was genau 3

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Siehe die Ausführungen zu FT in Kap. 5.5.

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das freie Spiel ist und was die jeweilige Rolle der beiden »Spieler« (Einbildungskraft und Verstand) ist, muss man auf die Formthese und das Prinzip a priori zurückgreifen. 4

9.2 Die Fragestellung § 9 gliedert sich grob in zwei Teile: Im ersten Teil deckt Kant das freie und harmonische Spiel der Erkenntniskräfte auf, im zweiten Teil befasst er sich mit einer »mindern Frage« (§ 9.H.1, 216,26). Dem ersten Teil stellt Kant die folgende Fragestellung voran: § 9.T (F) »Untersuchung der Frage: ob im Geschmacksurtheile das Gefühl der Lust vor der Beurtheilung des Gegenstandes, oder diese vor jener vorhergehe« (216,30).

F lässt sich grammatikalisch folgendermaßen rekonstruieren – nun zur Frage umgestellt: FR1 Geht im Geschmacksurteil das Gefühl der Lust vor der Beurteilung des Gegenstandes, oder die Beurteilung vor der Lust vorher?

Man könnte denken, Kant meine mit ›Beurtheilung‹ das Geschmacksurteil. F würde dann lauten: FR2a Geht im Geschmacksurteil das Gefühl der Lust vor dem Geschmacksurteil, oder das Geschmacksurteil vor der Lust vorher?

Da die Lust aber klarerweise der Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils ist (§ 1), kann das Geschmacksurteil gar nicht der Lust vorhergehen. Die zweite in FR2a formulierte Möglichkeit würde also ausscheiden. Da Kant aber genau diese zweite Möglichkeit später als richtige Antwort auf die Frage identifiziert (»Diese bloß subjective […] Beurtheilung […] geht nun vor der Lust […] vorher«, § 9.F.1, 218,8), muss ›Beurteilung‹ etwas anderes bedeuten als »Geschmacksurteil«. 5 So kann ›Beurtheilung‹ auch als Beurteilungsprozess oder Ich habe in meiner obigen Auflistung das Vierte Moment ausgespart. Grund dafür ist, dass Kant insbesondere mit dem Gemeinsinn noch einmal eine andere Ebene der Argumentation beschreitet. 5 Vgl. hierzu auch Allison, der das Problem folgendermaßen formuliert: »to explain how the pleasure of taste can be the result of the judgment, when (since the judgment is aesthetic) it is also supposed to be its basis or condition« (Allison 2001, 111; vgl. ähnlich auch Fricke 1990, 43 f.). Allisons Lösung lautet: »The standard device for 4

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-aktivität verstanden werden. In diesem Sinne wird etwa im Adelung’schen Wörterbuch ›Beurteilung‹ als »die Handlung des Beurtheilens« identifiziert (Adelung: Beurtheilen). Mit Vorgriff auf die folgende Argumentation können wir diese Handlung im weitesten Sinne als Interaktion von Einbildungskraft und Verstand interpretieren. Besonders wichtig ist dabei, dass der Verstand in die Handlung eingebunden ist; denn für eine Beurteilung kann niemals bloß Sinnlichkeit ausreichen. 6 Die ›Beurtheilung‹ in F lässt sich also vorläufig als ›Vermögensaktivität des Beurteilens‹ verstehen: FR2b Geht im Geschmacksurteil das Gefühl der Lust vor der Vermögensaktivität des Beurteilens vorher, oder geht diese Vermögensaktivität des Beurteilens der Lust vorher?

Auch FR2a ist in gewisser Hinsicht noch irreführend. Alle Urteile setzen so etwas wie eine Beurteilungsaktivität bzw. einen Akt der Urteilsfällung 7 voraus, der das sprachliche Urteil allererst zum Resultat hat. 8 Ein ästhetisches Urteil hat ein Gefühl der Lust zum Bestimmungsgrund, und so muss die jeweilige Lust der Urteilsfällung vorangehen. Ich werde dafür argumentieren, dass die Urteilsfällung im Fall von ästhetischen Urteilen in einer Minimalaktivität der begrifflichen Erfassung des jeweiligen Lustgefühls durch die Begriffe »schön« oder »angenehm« besteht. 9 Ich unterscheide daher im Geschmacksurteil die beiden folgenden Aktivitäten: erstens eine Aktivität der Beurteilung (das Spiel der Erkenntniskräfte), die der Lust vorhergeht, und zweitens eine Aktivität der Urteilsfällung (eine Minimalaktivität der begrifflichen Erfassung des Lustgefühls als »schön«), der die Lust vorhergehen muss. Wenn Kant in F fragt, ob die Beurteilung der Lust vorhergeht oder umgekehrt, darf diese Beurdealing with the first problem is to draw a distinction between the act of ›judging the object‹ (die Beurtheilung des Gegenstandes) and the ›judgment of taste‹ (Geschmacksurtheil) proper« (Allison 2001, 112). Explizit bestritten wird diese Standardlösung von Ginsborg (vgl. Ginsborg 2017, 422 f.). 6 Vgl.: »Denn Anschauungen können zwar sinnlich seyn, aber U r t h e i l e n gehört schlechterdings nur dem Verstande (in weiterer Bedeutung genommen) zu« (EEKU: 222,27); »Urteilen (das bloß dem Verstande zukommt)« (Prol: 300). 7 Der Begriff der Urteilsfällung mag für heutige Ohren etwas sperrig klingen. Dass er zu Kants Zeit aber durchaus gebräuchlich war, geht etwa aus dem Grimm’schen Wörterbuch hervor (vgl. Grimm: Urtheil). 8 Ginsborg widerspricht dieser These implizit, indem sie die Lust am Schönen selbst als Geschmacksurteil ausweist (vgl. Ginsborg 2015, 96, 105). Siehe G2.2.2. 9 Für meine Interpretation eines Subsumtionsmodells siehe Grundlagen 2.

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teilung also nicht mit der Aktivität der Urteilsfällung verwechselt werden. Vielmehr besteht seine Frage darin, ob der Lust eine Vermögensaktivität des Beurteilens vorhergeht, oder ob diese Lust unmittelbar an gegebenen Sinneseindrücken empfunden wird. Um dem geschilderten Missverständnis vorzubeugen, schlage ich vor, F folgendermaßen zu rekonstruieren: FR3 Folgt im Geschmacksurteil das Gefühl der Lust unmittelbar auf gegebene Sinneseindrücke, oder geht der Lust eine Vermögensaktivität des Beurteilens vorher?

Aber warum, so könnte man fragen, sollte es überhaupt zur Debatte stehen, ob der Lust eine Beurteilung vorhergeht? Betrachtet man Kants Argumentation in § 9, so fällt das Folgende auf: Im ersten Argumentationsschritt schließt Kant aus, dass die Lust am Schönen unmittelbar auf Sinneseindrücken beruht. Er schließt dann aber nicht unmittelbar darauf, dass die Lust auf einer Beurteilung beruht; vielmehr entwickelt er in mehreren Schritten, was der Lust zugrunde liegt, und kommt dann erst im sechsten Argumentationsschritt zur Konklusion, dass es sich dabei um eine »Beurtheilung des Gegenstandes« handelt (§ 9.F.1, 218,8). Wir können somit F abschließend folgendermaßen formulieren: FR4 Folgt im Geschmacksurteil das Gefühl der Lust unmittelbar auf gegebene Sinneseindrücke, oder geht eine Verarbeitung dieser Sinneseindrücke der Lust vorher?

9.3 Die Argumentation Kant entfaltet seine Antwort auf F in sechs Argumentationsschritten. Wir wollen diese sechs Schritte nun detailliert untersuchen. Zusammengefasst lauten diese: (1) Die Lust am Schönen folgt nicht unmittelbar auf gegebene Sinneseindrücke. (2) Die Lust am Schönen beruht auf einem Gemütszustand, der allgemein mitteilbar ist. (3) Nur Erkenntnisse und Vorstellungen, sofern letztere durch die Erkenntniskräfte verarbeitet werden, sind allgemein mitteilbar. (4) Dem Geschmacksurteil liegt ein Zustand zugrunde, bei dem die Erkenntniskräfte im Verhältnis zu einer Erkenntnis überhaupt sind. Kants Philosophie des Schönen

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(5) Dem Geschmacksurteil liegt ein Zustand zugrunde, bei dem die Erkenntniskräfte nicht nur im Verhältnis zu einer Erkenntnis überhaupt, sondern auch in einem freien Spiel sind. (6) Der Zustand zu einer Erkenntnis überhaupt konstituiert sich durch ein Zusammenwirken von Einbildungskraft und Verstand.

9.3.1 Der erste Argumentationsschritt Die erste Antwort Kants auf F besteht zunächst darin, die erste der in F genannten Möglichkeiten auszuschließen: § 9.B.1 »[a] Ginge die Lust an dem gegebenen Gegenstande vorher, [b] und nur die allgemeine Mittheilbarkeit derselben sollte im Geschmacksurtheile der Vorstellung des Gegenstandes zuerkannt werden, [c] so würde ein solches Verfahren mit sich selbst im Widerspruche stehen. § 9.B.2 [a] Denn dergleichen Lust würde keine andere, als die bloße Annehmlichkeit in der Sinnenempfindung seyn, [b] und daher ihrer Natur nach nur Privatgültigkeit haben können, weil sie von der Vorstellung, wodurch der Gegenstand g e g e b e n w i r d , unmittelbar abhinge« (216,35 f.).

Beginnen wir mit § 9.B.1 und nehmen zunächst einige Substitutionen und Ergänzungen vor: § 9.B.1* [a] Ginge die Lust an dem gegebenen Gegenstand der Beurteilung des Gegenstandes vorher, [b] und nur die allgemeine Mitteilbarkeit dieser Lust sollte im Geschmacksurteil der Vorstellung des Gegenstandes zuerkannt werden, [c] so würde ein solches Verfahren mit sich selbst im Widerspruch stehen.

Kant nutzt hier den Konjunktiv, weil er eine irreale Option schildert, die er sogleich ausschließt. Der Einfachheit halber können wir die drei Teilsätze von § 9.B.1 im Indikativ rekonstruieren: § 9.B.1aR1 Die Lust am gegebenen Gegenstand geht der Beurteilung des Gegenstandes vorher. § 9.B.1bR1 Im Geschmacksurteil wird nur die allgemeine Mitteilbarkeit der Lust der Vorstellung des Gegenstandes zuerkannt. § 9.B.1cR1 Dieses Verfahren (§ 9.B.1a–b) steht mit sich selbst im Widerspruch.

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§ 9.B.1b beinhaltet implizit ATLust. Denn die allgemeine Mitteilbarkeit der Lust impliziert eine Allgemeingültigkeit der Lust. 10 Rekonstruieren wir nun auch § 9.B.2: § 9.B.2* [a] Denn eine Lust, die der Beurteilung des Gegenstandes vorhergeht, würde keine andere Lust als die bloße Annehmlichkeit in der Sinnenempfindung sein, [b] und daher ihrer Natur nach nur Privatgültigkeit haben können, weil diese Lust von der Vorstellung, wodurch der Gegenstand gegeben wird, unmittelbar abhinge.

Die Formulierung ›keine andere [Lust], als die bloße Annehmlichkeit in der Sinnenempfindung‹ steht für die Lust am Angenehmen. In zwei Sätze unterteilt lautet § 9.B.2: § 9.B.2aR1 Diejenige Lust, die der Beurteilung des Gegenstandes vorhergeht, ist die Lust am Angenehmen. § 9.B.2bR1 Die Lust am Angenehmen hat ihrer Natur nach nur Privatgültigkeit, weil diese Lust von der Vorstellung, wodurch der Gegenstand gegeben wird, unmittelbar abhängt.

Besonders wichtig ist § 9.B.2b. Kant führt hier nämlich an, dass die entsprechende Lust (am Angenehmen) nur Privatgültigkeit hat; und dies begründet er damit, dass die Lust unmittelbar an gegebenen Sinneseindrücken (›gegeben‹) empfunden wird und keine intellektuelle Tätigkeit (›Beurtheilung‹) voraussetzt. Besonders hervorzuheben sind dabei die Begriffe ›gegeben‹ und ›unmittelbar‹. Der Begriff »gegeben« verweist darauf, dass der Mensch bei dieser Vorstellung – oder vielmehr bei der Empfindung – und damit auch bei der Lust bloß passiv und leidend ist. 11 Der Begriff der unmittelbaren Abhängigkeit ergänzt, dass diese Lust ausschließlich auf der passiv empfangenen Empfindung beruht und dass also keine Aktivität des Subjekts bzw. kein Akt der Spontaneität oder gar der Autonomie vorausgesetzt ist. 12 Vgl. das Kap. Einschub: Allgemeine Mitteilbarkeit. Vgl.: »Die Fähigkeit, (Rezeptivität) Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen, heißt Sinnlichkeit. Vermittelst der Sinnlichkeit also werden uns Gegenstände g e g e b e n , und sie allein liefert uns A n s c h a u u n g e n « (A19/B33). 12 Der Begriff der Unmittelbarkeit ist doppeldeutig. Erstens können die Lust am Angenehmen, Schönen und moralisch Guten jeweils als Lust unmittelbar am Gegenstand begriffen werden, weil der Gegenstand nicht als Mittel zum Zweck gefällt. In diesem Sinne ist nur die Lust am Nützlichen eine mittelbare Lust (vgl. § 4.C.5, 208,4; 10 11

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Dass die Lust am Angenehmen nur privatgültig ist, hat Kant bereits in den §§ 6–8 erläutert. 13 Diese Privatgültigkeit liegt erstens darin begründet, dass die Lust am Angenehmen auf einer Neigung beruht, und zweitens, dass sie unmittelbar an einer Empfindung gefühlt wird, wobei Empfindungen nur privatgültig sind. 14 Zwischen der Privatgültigkeit und der allgemeinen Mitteilbarkeit der Lust (bzw. ATLust), findet sich dann der in § 9.B.1c angeführte ›Widerspruch‹. Die ganze Passage lässt sich damit folgendermaßen rekonstruieren: § 9.B.1aR2 Die Lust am gegebenen Gegenstand geht der Beurteilung des Gegenstandes vorher (und folgt nicht auf eine Beurteilungsaktivität). 15 § 9.B.1bR2 Im Geschmacksurteil wird die allgemeine Mitteilbarkeit dieser Lust der Vorstellung des Gegenstandes zuerkannt (ATLust). § 9.B.1cR1 Dieses Verfahren (§ 9.B.1a-b) steht mit sich selbst im Widerspruch.

Dieser Widerspruch (›denn‹) lautet: § 9.B.2aR2 Eine Lust, die nur der Beurteilung des Gegenstandes vorhergeht (und nicht auf eine Beurteilungsaktivität folgt), ist die Lust am Angenehmen. § 9.B.2bR2 Die Lust am Angenehmen hat ihrer Natur nach nur Privatgültigkeit, weil diese Lust von der Vorstellung, wodurch der Gegenstand gegeben wird, unmittelbar abhängt und keine Beurteilungsaktivität voraussetzt.

Versuchen wir, ein Argument zu rekonstruieren, so könnte es in etwa diese Form haben:

siehe hierzu Kap. 4.5.2). Zweitens kann aber auch die Lust am Angenehmen als eine Lust unmittelbar an der Empfindung begriffen werden, während die Lust am Schönen insofern eine vermittelte Lust ist, als die gegebenen Sinneseindrücke hier erst in einer inneren Aktivität (dem freien Spiel) verarbeitet werden müssen (siehe Kap. 3.1). 13 Siehe Kap. 7.1. 14 Vgl.: »weil die Qualität der Empfindungen selbst nicht in allen Subjecten als einstimmig […] sich [….] annehmen läßt« (§ 14.C.3, 224,17). 15 Es ist interessant, dass Kant hier einen Fall schildert, in dem die Lust der Beurteilung vorhergeht und diesen als einen Fall des Angenehmen identifiziert. Zwar muss auf die Lust am Angenehmen ein Akt der Urteilsfällung folgen, durch den die Lust begrifflich erfasst wird (siehe Kap. G2.1); dabei handelt es sich aber um eine ganz andere Art der ›Beurteilung‹ als bei der der Lust am Schönen vorhergehenden Aktivität des Beurteilens.

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P1

Wenn eine Lust unmittelbar auf gegebene Sinneseindrücke folgt, dann ist es eine Lust am Angenehmen. [§ 9.B.2a–b] P2 Wenn eine Lust eine Lust am Angenehmen ist, dann ist diese Lust bloß privatgültig. [§ 9.B.2b] Also: Wenn eine Lust unmittelbar auf gegebene Sinneseindrücke folgt, dann ist diese Lust bloß privatgültig. P3 Die Lust am Schönen ist nicht bloß privatgültig, sondern allgemeingültig. [ATLust] Also: Die Lust am Schönen kann nicht unmittelbar auf gegebene Sinneseindrücke folgen.

Erinnern wir uns nun an unsere Rekonstruktion von F: FR4 Folgt im Geschmacksurteil das Gefühl der Lust unmittelbar auf gegebene Sinneseindrücke oder geht eine Verarbeitung dieser Sinneseindrücke der Lust vorher?

Das Ergebnis des ersten Argumentationsschritts lautet nun: Die Lust am Schönen folgt nicht unmittelbar auf gegebene Sinneseindrücke. Bezieht man dies auf die beiden Möglichkeiten in F, so folgt, dass der Lust am Schönen eine Verarbeitung der gegebenen Sinneseindrücke, d. h. eine Beurteilung, vorhergehen muss. Wir werden aber sehen, dass Kant diese Folgerung im nächsten Schritt noch nicht vollzieht.

Einschub: Allgemeine Mitteilbarkeit Bereits in § 9.B.1 hat Kant den Begriff »allgemeine Mitteilbarkeit« verwendet und auch im folgenden Schritt wird er mit dem Begriff »allgemein mitteilbar« operieren, der zwar mit dem Begriff der Allgemeingültigkeit verwandt ist, aber einen anderen Fokus hat. Im Kapitel Vom Meinen, Wissen und Glauben der KrV nennt Kant die allgemeine Mitteilbarkeit eines Fürwahrhaltens den »Probierstein des Fürwahrhaltens, ob es Überzeugung oder bloße Überredung sei« (A820 f./B848 f.). Lässt sich eine Meinung allgemein mitteilen, dann handelt es sich um Überzeugung; lässt sie sich nicht allgemein mitteilen, dann ist es bloß Überredung. Nur die Überzeugung, so der Stand der KrV, ist allgemeingültig, weil sie auf objektiven Gründen beruht bzw. einen objektiven Bestimmungsgrund hat, um mit den Worten der KU zu sprechen. 16 16

Vgl.: »denn alsdenn ist wenigstens eine Vermutung, der Grund der Einstimmung

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Der Begriff »mitteilbar« oder »Mitteilbarkeit« hat eine stärkere Bedeutung als etwa bloß »aussprechen«. Dies wird durch Adelungs Wörterbuch bestätigt: »Theil an etwas nehmen lassen, einen Theil seines Eigenthumes einem anderm übertragen, demselben eigen machen, am häufigsten von Dingen, welche man andern ohne Lohn oder Vergeltung eigen macht« (Adelung: Mittheilen). 17 Wenn man jemandem etwas mitteilt, so lässt man den anderen daran teilhaben. 18 So erläutert auch Vesper, Kant verstehe »[u]nter Mitteilbarkeit […] die Möglichkeit anderer Subjekte, an Erkenntnis, Urteil, Überzeugung oder Gemütszustand teilzunehmen« (Vesper 2015c, 1583). Wenn nun ein Fürwahrhalten allgemein mitteilbar ist, so bedeutet dies, dass die anderen Menschen an den Gründen dieses Fürwahrhaltens teilhaben können, d. h. dass ihnen diese Gründe zugänglich sind. Anders formuliert, genau dann wenn p allgemein mitteilbar ist, kann p intersubjektiv gerechtfertigt werden. 19 Bei einem ästhetischen Urteil besteht dann offenkundig das Problem, dass der Bestimmungsgrund, durch den das Urteil gerechtfertigt wird, ein Gefühl ist. An einem Gefühl kann aber immer nur der Fühlende selbst teilhaben; es ist in diesem Sinne nicht intersubjektiv. Dennoch ist die Lust am Schönen, so Kants These, allgemein mitteilbar. 20 Dies kann nicht bedeuten, dass andere Menschen Zugriff auf mein Gefühl haben, sondern nur, dass sie das gleiche Gefühl selbst haben können sowie dass sie Zugang zu den Gründen des Gefühls haben. Wir werden sehen, dass beim Schönen der Gemeinsinn als ein Vermögen, das allen Menschen gleialler Urteile, ungeachtet der Verschiedenheit der Subjekte untereinander, werde auf dem gemeinschaftlichen Grunde, nämlich dem Objekte, beruhen, mit welchem sie daher alle zusammenstimmen und dadurch die Wahrheit des Urteils beweisen werden« (A820 f./B848 f.). 17 Ähnlich auch im Eintrag »Mittheilen« bei Grimm: »theilend einem etwas mitoder hingeben, zu theil werden lassen: mit teilen, impartire, […]; mitteilen, geben, impertire, theilhaftig machen« (Grimm: Mittheilen). 18 In diesem Sinne verstehen etwa auch Allison, Fricke, Ginsborg und Kulenkampff den Begriff der allgemeinen Mitteilbarkeit (vgl. Allison 2001, 110; Fricke 1990, 39 f.; Ginsborg 1990, 21; Kulenkampff 1994, 224 f.). Guyer kontrastiert die allgemeine Mitteilbarkeit mit Situationen ohne »possibility of communication«, d. h. »solipsistic situation[s]« bzw. »solitude« (Guyer 1979, 155). Dies scheint mir nahezulegen, dass er die ›allgemeine Mitteilbarkeit‹ zu stark an die tatsächlich stattfindende menschliche Kommunikation bindet. 19 Kant selbst verwendet den Begriff der Intersubjektivität nicht. Es scheint aber naheliegend, dass er dasjenige Phänomen, welches später mit »Intersubjektivität« bezeichnet wird, mit dem Begriff der allgemeinen Mitteilbarkeit auffängt. 20 Vgl. 293,6.

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chermaßen zukommt und auf dieselbe Art und Weise operiert (›gemein‹), die Rolle des intersubjektiv geteilten Grundes der Lust und des Geschmacksurteils einnimmt. Das freie Spiel der Erkenntniskräfte antizipiert dabei bereits zentrale Bestandteile des Gemeinsinns.

9.3.2 Der zweite Argumentationsschritt Wir wissen aus dem ersten Schritt, dass die Lust nicht unmittelbar auf gegebene Sinneseindrücke folgen kann. Was stattdessen der Lust vorangeht, benennt Kant in § 9.C.1: § 9.C.1 »Also ist es die allgemeine Mittheilungsfähigkeit des Gemüthszustandes in der gegebenen Vorstellung, welche als subjective Bedingung des Geschmacksurtheils, demselben zum Grunde liegen, und die Lust an dem Gegenstande zur Folge haben muß« (217,8).

Was bedeutet aber die Formulierung ›Gemüthszustand[.] in der gegebenen Vorstellung‹ ? Für Kant ist die Lust am Schönen nicht einfach kausal durch eine gegebene Vorstellung bewirkt; denn das freie Spiel beinhaltet einen Akt der Autonomie bzw. Heautonomie. 21 Man könnte vielleicht sagen, dass der Gemütszustand die Vorstellung begleitet: 22 § 9.C.1R1 Die allgemeine Mitteilungsfähigkeit des Gemütszustandes, der die gegebene Vorstellung begleitet, (a) ist die subjektive Bedingung des Geschmacksurteils und muss dem Geschmacksurteil zugrunde liegen. (b) muss die Lust am Gegenstand der gegebenen Vorstellung zur Folge haben.

Der Begriff ›gegebene Vorstellung‹ verweist auf einen rohen Sinneseindruck. Durch den Begriff »gegeben« betont Kant, dass das Subjekt etwas passiv empfängt; eine ›gegebene Vorstellung‹ wurde in diesem Sinne noch nicht vom Subjekt verarbeitet. Wichtig ist dabei, dass die Formulierung ›Gemüthszustand[.] in der gegebenen Vorstellung‹ Siehe hierzu die Erläuterungen zu den beiden Gründen des Geschmacksurteils in Kap. 12.4. Zum Begriff der Heautonomie siehe Kap. G3.5. 22 Der Begriff »begleiten« scheint mir insofern auch nicht ganz ideal, als er nahelegen könnte, es gäbe gar keine Beziehung zwischen der gegebenen Vorstellung vom schönen Gegenstand und dem Gemütszustand. Tatsächlich bildet aber die Vorstellung vom Gegenstand einen Teil der Grundlage für den Gemütszustand. 21

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nicht bedeuten kann, dass der Gemütszustand nur der Zustand bei einer passiv empfangenen Empfindung ist. Vielmehr muss es sich bei dem Gemütszustand um einen solchen handeln, in dem eine ›gegebene Vorstellung‹, d. h. ein passiv empfangener Sinneseindruck, intellektuell verarbeitet wird. Ferner bezeichnet der Begriff »Gemütszustand« kein Gefühl, sondern ist etwa im Sinne von »mentaler Zustand« zu verstehen. Tatsächlich ist der Zustand der Verarbeitung des rohen Sinneseindrucks gemeint, der vorher mit ›Beurteilung‹ bezeichnet wurde. Dieser Gemütszustand soll über eine ›allgemeine Mitteilungsfähigkeit‹ verfügen, d. h. allgemein mitteilbar bzw. allgemein zugänglich sein. Ich stimme dabei mit Wenzel überein, dass es sich bei ›allgemeine Mittheilungsfähigkeit des Gemüthszustandes‹ um einen genitivus objectivus handelt. 23 In dieser Interpretation hat der Gemütszustand nicht die Fähigkeit, etwas allgemein mitzuteilen, sondern er kann selbst allgemein mitgeteilt werden. Der Begriff der allgemeinen Mitteilungsfähigkeit ist also gleichbedeutend mit ›allgemeine Mitteilbarkeit‹. Warum müssen wir den Gemütszustand aber als allgemein mitteilbar annehmen? Der Grund dafür ist – mit Rückgriff auf § 9.B.1–2: Wenn der Gemütszustand, der der Lust zugrunde liegt, nicht allgemein mitteilbar wäre, dann wäre die Lust am Schönen nicht allgemein mitteilbar. Wir wissen aber, dass die Lust allgemein mitteilbar ist (ATLust). Die zentrale These in § 9.C.1 ist demnach, dass die Verarbeitung der rohen Sinneseindrücke, die der Lust vorhergeht, bei allen Menschen gleich ist und dass alle Menschen in diesem Sinne daran teilhaben können. Eine vorläufige Beantwortung von F findet sich in (b). Was bedeutet es aber, dass die uninteressierte Lust ›Folge‹ der ›allgemeine[n] Mittheilungsfähigkeit des Gemüthszustandes‹ ist? Erstens kann keine temporäre Priorität des Gemütszustandes vor der Lust gemeint sein; denn wenn die Lust der gefühlte Gemütszustand ist, so treten beide gleichzeitig auf. Zweitens darf Kant nicht so missverstanden werden, als würde der Gemütszustand (oder die Mitteilbarkeit des Gemütszustandes) die Lust verursachen. Vielmehr wird der Gemütszustand als Lust erlebt, und die Lust ist das Bewusstsein der inneren

Vgl. Wenzel 2008, 48; vgl. auch die Übersetzung durch Guyer 2000, 102. In einer früheren Interpretation scheint Wenzel allerdings davon auszugehen, dass Kant in besagter Formulierung sowohl einen genitivus objectivus als auch einen genitivus subjectivus nutzt (vgl. Wenzel 2000, 172 f.).

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Tätigkeit der Erkenntniskräfte. 24 Ich werde diese Interpretation des Verhältnisses von Gemütszustand und Lust unten genauer darlegen. Den Begriff ›Folge‹ verstehe ich jedenfalls so, dass das freie Spiel der Erkenntniskräfte initiiert wird und diese Initiierung der Lust vorangeht; das freie Spiel und die Lust sind aber untrennbar verbunden, indem die Lust das gefühlte freie Spiel ist. Ich schlage daher die folgende Rekonstruktion vor: § 9.C.1bR2 Die Initiierung eines die Wahrnehmung begleitenden Gemütszustandes, der allgemein mitteilbar ist, geht der Lust am Gegenstand der Wahrnehmung vorher; die Lust ist aber nichts anderes als der gefühlte Gemütszustand. 25

Damit können wir dann auch § 9.C1a besser verstehen (›Also ist es die allgemeine Mittheilungsfähigkeit des Gemüthszustandes…, welche als subjective Bedingung des Geschmacksurtheils, demselben zum Grunde liegen…muß‹): Wenn die Lust der gefühlte Gemütszustand des freien Spiels und zudem der Bestimmungsgrund des Urteils ist (§ 1), dann kann auch das freie Spiel problemlos als Bestimmungsgrund des Urteils bezeichnet werden und liegt insofern dem Urteil ›zum Grunde‹. Nun ist die Rekonstruktion § 9.C.1bR2 aber insofern problematisch, als Kant die Lust nicht als ›Folge‹ des Gemütszustandes, sondern als Folge der ›allgemeinen Mitteilungsfähigkeit des Gemütszustandes‹ bezeichnet. Es wäre aber ganz unplausibel, die Lust in dem Sinne als ›Folge‹ der allgemeinen Mitteilbarkeit des Gemütszustandes zu begreifen, wenn wir darunter verstünden, dass wir desSiehe hierzu Kap. 9.6.3. – Eine Interpretation der Lust als Bewusstsein des Zustandes des freien Spiels ist auch insofern fruchtbar, als dadurch einem Problem vorgebeugt wird, das Allison aufzeigt: »The second, and more serious, problem is to explain how, as the text seems to indicate, the pleasure of taste can be the result of the very universal communicability of the mental state in the judgment. Since the universally communicable mental state is presumably itself pleasurable (at least in the case of positive judgments of beauty), this seems to commit Kant to the view that the pleasure of taste must be in the universal communicability of the pleasure of taste, which seems hopelessly circular, to say the best« (Allison 2001, 111). Es ist in Bezug auf dieses Problem auch aufschlussreich, dass in der von Allison verwendeten Übersetzung durch Werner Pluhar das ›Folge Sein‹ mit ›being its consequence‹ übersetzt wird (vgl. ebenso die Übersetzung durch Guyer 2000, 102). 25 Die Lust kann einerseits als gefühlter Gemütszustand des freien Spiels und andererseits als Lust am ›Gegenstande‹ verstanden werden; denn insofern das freie Spiel eine innere Verarbeitung der Vorstellung vom Gegenstand und damit auf den Gegenstand gerichtet ist, kann die Lust als intentional auf den Gegenstand gerichtet begriffen werden. Zur Intentionalität der Lust am Schönen siehe Kap. G2.2.1. 24

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wegen Lust fühlten, weil der Gemütszustand allgemein mitteilbar wäre. Denn dann müsste bei allen Erkenntnisurteilen, die ja ebenfalls einen allgemein mitteilbaren Gemütszustand involvieren, 26 ein Gefühl der Lust hervorgerufen werden. Es gibt aber zwei (miteinander verknüpfte) Lesarten von ›zur Folge haben‹, durch die sich § 9.C1b in ein kohärentes Gesamtbild bringen lässt. Dabei muss grundsätzlich betont werden, dass nicht die Lust selbst die Folge der allgemeinen Mitteilbarkeit des Gemütszustandes ist; vielmehr ist die allgemeine Mitteilbarkeit bzw. Allgemeingültigkeit der Lust die Folge der allgemeinen Mitteilbarkeit des Gemütszustandes. Zudem kann mit der Folge keine temporäre Folge gemeint sein; denn die (allgemein mitteilbare) Lust am Schönen tritt gleichzeitig mit dem allgemein mitteilbaren Gemütszustand auf. Vielmehr lässt sich ›zur Folge haben‹ erstens im Sinne einer logischen Folge verstehen, wobei der Begriff der logischen Folge nicht deduktiv, sondern material implikativ verwendet wird. Dies bedeutet, dass die allgemeine Mitteilbarkeit des Gemütszustandes die allgemeine Mitteilbarkeit der Lust impliziert: Wenn der Gemütszustand allgemein mitteilbar ist, dann ist die Lust allgemein mitteilbar (und umgekehrt). Zweitens ist die allgemeine Mitteilbarkeit der Lust am Schönen auch insofern eine Folge der allgemeinen Mitteilbarkeit des Gemütszustandes, als die allgemeine Mitteilbarkeit des Gemütszustandes die vermögenstheoretische Grundlage der allgemeinen Mitteilbarkeit der Lust bildet. Drittens kann auch das in der Lust beinhaltete phänomenale Bewusstsein der Allgemeingültigkeit als ›Folge‹ der allgemeinen Mitteilbarkeit des Gemütszustandes begriffen werden. Dass sich die Lust allgemeingültig anfühlt, ist dann in der allgemeinen Mitteilbarkeit des Gemütszustandes gegründet. 27 Auf diesen Deutungen aufbauend, können wir die folgende Rekonstruktion von § 9.C.1b vornehmen: § 9.C.1bR3 Die allgemeine Mitteilbarkeit des Gemütszustandes impliziert die allgemeine Mitteilbarkeit der Lust und die allgemeine Mitteilbarkeit des Gemütszustandes liegt der

Vgl.: »Sollen sich aber Erkenntnisse mittheilen lassen, so muß sich auch der Gemüthszustand, d. i. die Stimmung der Erkenntnißkräfte zu einer Erkenntniß überhaupt, […] allgemein mittheilen lassen« (§ 21.A.2, 238,23). 27 Wie bereits dargelegt, nehme ich an, dass der phänomenale Gehalt der Lust am Schönen durch verschiedene Komponenten gekennzeichnet ist. Siehe hierzu Grundlagen 1. 26

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(gefühlten) Allgemeingültigkeit der Lust vermögenstheoretisch zugrunde.

Was also lernen wir im zweiten Argumentationsschritt? Das Ergebnis lautet: Die Lust am Schönen beruht auf einem Gemütszustand, der allgemein mitteilbar ist, d. h. an dem alle Menschen insofern teilhaben können, als sie diesen Gemütszustand selbst haben können. 28 Die Lust am Schönen wird nicht unmittelbar an gegebenen Sinneseindrücken empfunden, sondern diese Sinneseindrücke affizieren einen Gemütszustand, den wir als Lust erleben.

9.3.3 Der dritte Argumentationsschritt Kant nähert sich der allgemeinen Mitteilbarkeit nun von einem anderen Standpunkt aus. Er fragt nämlich, was normalerweise allgemein mittteilbar ist. Dazu heißt es: § 9.C.2 »Es kann aber nichts allgemein mitgetheilt werden, als Erkenntniß, und Vorstellung, sofern sie zum Erkenntniß gehört. § 9.C.3 Denn sofern ist die letztere nur allein objectiv, und hat nur dadurch einen allgemeinen Beziehungspunkt, womit die Vorstellungskraft Aller zusammenzustimmen genöthigt wird« (217,11).

Beginnen wir wieder mit einer grammatikalischen Rekonstruktion. Auf den ersten Blick ist nicht unmittelbar klar, worauf sich ›die letztere‹ bezieht. Grammatikalisch kommen sowohl ›Erkenntniß‹ als auch ›Vorstellung, sofern sie zum Erkenntniß gehört‹ als Bezugswort in Betracht. Kant greift in § 9.C.3 durch die Partikel ›sofern‹ jedoch eindeutig die Bedingung ›sofern sie zum Erkenntniß gehört‹ auf, sodass sich ›die letztere‹ auf ›Vorstellung, sofern sie zum Erkenntniß gehört‹ beziehen muss: § 9.C.2* Nur Erkenntnis, und Vorstellung, sofern diese Vorstellung zur Erkenntnis gehört, können allgemein mitgeteilt werden.

Kant zeigt in diesem zweiten Argumentationsschritt keineswegs bereits, dass der Lust am Schönen eine Beurteilung vorhergehen muss. Vielmehr erfolgt dieser Schritt erst ganz am Schluss der Argumentation. Die folgende Kritik Frickes greift daher zu kurz: »Die Behauptung, daß der Lust am Schönen eine Beurteilung des Gegenstandes vorhergeht, läßt sich allein aus der Prämisse, derzufolge die Lust am Schönen der Beurteilung des Gegenstandes nicht vorhergeht, […] nicht ableiten« (Fricke 1990. 43).

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§ 9.C.3* Denn nur sofern die Vorstellung zur Erkenntnis gehört, ist die Vorstellung objektiv, und nur dadurch hat die Vorstellung einen allgemeinen Beziehungspunkt, womit die Vorstellungskraft aller zusammenzustimmen genötigt wird.

Erinnern wir uns, wie es, mit Kant und allgemein gesprochen, zu einer Erkenntnis kommt: Die Einbildungskraft synthetisiert das Mannigfaltige der Sinneseindrücke zu einer Form und der Verstand subsumiert diese Form unter Begriffe. So heißt es im weiteren Verlauf von § 9: »Nun gehören zu einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, damit überhaupt daraus Erkenntniß werde, E i n b i l d u n g s k r a f t für die Zusammensetzung des Mannigfaltigen der Anschauung, und Ve r s t a n d für die Einheit des Begrifs der die Vorstellung vereinigt« (§ 9.D.3, 217,26). Erst durch diese beiden Tätigkeiten – und dabei insbesondere durch die Subsumtionsleistung des Verstandes – wird eine Erkenntnis erzeugt, die allgemein mitteilbar ist. Wir haben bereits bei unseren Untersuchungen von § 1 gesehen, dass eine Erkenntnis vom Objekt eine Objektkonstitution durch die Kategorien voraussetzt. 29 Ein Urteil, in dem der Verstand eine Eigenschaft eines solchen Objekts begrifflich erfasst, ist insofern allgemein mitteilbar, als es mit dem durch Kategorien konstituierten Objekt einen allgemein zugänglichen Bezugspunkt hat. Der Verstand hat in diesem Sinne eine doppelte Rolle für den Objektbezug im (empirischen) Erkenntnisurteil: Erstens konstituiert der Verstand durch die Anwendung der Kategorien überhaupt erst das Objekt und zweitens erfasst er dann eine Eigenschaft dieses Objekts begrifflich. In diesem Sinne können wir § 9.C.3 folgendermaßen rekonstruieren: § 9.C.3R1 Denn nur sofern eine Vorstellung zur Erkenntnis gehört, d. h. nur indem der Verstand eine Eigenschaft des durch Kategorien konstituierten Objekts unter einen Begriff subsumiert, ist die Vorstellung objektiv, und nur dadurch hat die Vorstellung einen allgemeinen Beziehungspunkt, – nämlich das durch Kategorien konstituierte Objekt –, womit die Vorstellungskraft aller zusammenzustimmen genötigt wird.

Das durch Kategorien konstituierte Objekt ist also der ›allgemeine Beziehungspunkt‹, ›womit die Vorstellungskraft Aller zusammenzustimmen genöthigt wird‹. Durch die Anwendung der Kategorien wird sichergestellt, dass alle Menschen bei demselben gegebenen em29

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Siehe hierzu Kap. 1.2.3.

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pirischen Material dasselbe Objekt wahrnehmen und ihre Vorstellungen in diesem Sinne ›zusammenstimmen‹. Allerdings wird dabei auch ein Zwang auf die Einbildungskraft bzw. ›Vorstellungskraft‹ ausgeübt (›genöthigt‹), sodass sie nicht frei mit Formen spielen kann. Kant erreicht die neue Argumentationsstufe, dass der Gemütszustand, den wir als Lust empfinden, irgendetwas mit Erkenntnis zu tun haben muss. Kant sagt aber auch, dass nicht nur die ›Erkenntniß‹ allgemein mitteilbar ist, sondern auch schon die ›Vorstellung, sofern sie zum Erkenntniß gehört‹. Damit könnte gemeint sein, dass nicht nur eine aus einer Beurteilung resultierende Erkenntnis allgemein mitteilbar ist, sondern bereits die Vorstellung, die im Sinne einer Erkenntnis verarbeitet wird, wenngleich diese Verarbeitung (noch) nicht in eine Erkenntnis und womöglich noch nicht einmal in eine Objektkonstitution durch Kategorien gemündet ist. Die folgende Rekonstruktion scheint damit naheliegend: § 9.C.2R1 Nur Erkenntnis und Vorstellung, sofern diese Vorstellung in der Tätigkeit von Einbildungskraft und Verstand verarbeitet wird oder wurde, können allgemein mitgeteilt werden.

Damit scheint aber doch der Konflikt zu erwachsen, dass nur dann ein Objektbezug vorliegt, wenn eine Objektkonstitution durch Kategorien stattgefunden hat und eine Eigenschaft des so konstituierten Objekts begrifflich erfasst wird. Eine sich bloß in intellektueller Verarbeitung befindende Vorstellung würde keine Objektkonstitution durch Kategorien voraussetzen, hätte keinen Objektbezug und wäre nicht allgemein mitteilbar. Da das Geschmacksurteil kein Erkenntnisurteil ist, setzt es ebenfalls weder eine Objektkonstitution voraus noch wird eine Eigenschaft eines Objekt begrifflich erfasst. Wie soll aber dann eine allgemeine Mitteilbarkeit vorliegen? Eine Lösung dieses Problems findet sich im nächsten Schritt. Halten wir aber zunächst das Ergebnis des dritten Schritts fest: Nur Erkenntnisse und Vorstellungen, sofern sie durch die Erkenntniskräfte verarbeitet werden, sind allgemein mitteilbar.

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9.3.4 Der vierte Argumentationsschritt Inwiefern kann also das Geschmacksurteil, obwohl es kein Erkenntnisurteil ist, dennoch einen Bezug zur Erkenntnis haben? § 9.C.4 »[a] Soll nun der Bestimmungsgrund des Urtheils über diese allgemeine Mittheilbarkeit der Vorstellung bloß subjectiv, nämlich ohne einen Begrif vom Gegenstande gedacht werden, [b] so kann er kein anderer als der Gemüthszustand seyn, der im Verhältnisse der Vorstellungskräfte zu einander angetroffen wird, sofern sie eine gegebene Vorstellung auf E r k e n n t n i ß ü b e r h a u p t beziehen« (217,15).

In § 9.C.4a greift Kant das Paradox von Allgemeingültigkeit und Begriffslosigkeit auf. Dieser Satz kann im Sinne der grundlegenden Problemstellung des Zweiten Moments rekonstruiert werden: § 9.C.4aR1 Das Geschmacksurteil beansprucht eine allgemeine Mitteilbarkeit der Vorstellung, hat aber nur einen subjektiven Bestimmungsgrund (ein Gefühl der Lust) und ist nichtbegrifflich.

Die Formulierung ›diese allgemeine Mittheilbarkeit der Vorstellung‹ rekurriert klarerweise auf § 9.C.3 (›Vorstellung, sofern sie zum Erkenntniß gehört‹). Zwar wird im Geschmacksurteil eigentlich die Lust allgemein mitgeteilt; diese Lust wird aber von der Vorstellung (indirekt) ausgelöst. Ferner besteht eine Spannung zum vorangegangenen Argumentationsschritt: Wenn nur Erkenntnis mitgeteilt werden kann, das Geschmacksurteil aber ›ohne einen Begrif vom Gegenstande‹ gefällt wird und somit keine Erkenntnis ausdrückt, dann kann das Geschmacksurteil nicht allgemein mitgeteilt werden. Wir wissen aber, dass es allgemein mitgeteilt werden kann (ATUrteil). Kants Lösung führt auf den ›Gemüthszustand‹ (aus § 9.C.1) zurück und lautet (nimmt man einige simple Substitutionen vor) folgendermaßen: § 9.C.4b* Der Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils ist der Gemütszustand, der im Verhältnis der Vorstellungskräfte zueinander angetroffen wird, sofern diese Vorstellungskräfte eine gegebene Vorstellung auf Erkenntnis überhaupt beziehen.

Die eigentliche Neuerung dieses Argumentationsschritts besteht in der Formulierung ›sofern sie‹, d. h. die Vorstellungskräfte, ›eine gegebene Vorstellung auf E r k e n n t n i ß ü b e r h a u p t beziehen‹. 488

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Diese Formulierung können wir vorläufig so verstehen, dass der beschriebene Gemütszustand bzw. das Verhältnis der Vorstellungskräfte für jede Erkenntnis notwendig ist. Kant deutet damit an, dass es ein spezifisches ›Verhältnis‹ von Einbildungskraft und Verstand gibt, das für jede Erkenntnis notwendig ist und in diesem Sinne eine Bedingung der Erkenntnis ist. Kant nimmt damit einen Theoriebaustein vorweg, den er explizit erst in § 21 einführt: 30 § 21.A.2 »Sollen sich aber Erkenntnisse mittheilen lassen, so muß sich auch der Gemüthszustand, d. i. die Stimmung der Erkenntnißkräfte zu einer Erkenntniß überhaupt, und zwar diejenige Proportion, welche sich für eine Vorstellung (wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird) gebührt, um daraus Erkenntniß zu machen, allgemein mittheilen lassen: weil ohne diese, als subjective Bedingung des Erkennens, das Erkenntniß, als Wirkung, nicht entspringen könnte« (238,23).

Kant legt hier dar, dass es eine subjektive Bedingung des Erkennens geben muss, die sich ebenso wie die Erkenntnis selbst ›allgemein mittheilen‹ lässt (im Sinne von ›daran teilhaben‹). 31 Es gibt demnach zwei Bedingungen für Erkenntnisse: eine objektive Bedingung im Sinne eines Bezugs auf das durch Kategorien konstituierte Objekt und eine subjektive Bedingung, die sich durch die ›Stimmung der Erkenntnißkräfte zu einer Erkenntniß überhaupt‹ konstituiert. Die subjektive Bedingung besteht also in ebenjenem ›Gemüthszustand‹ des Subjekts, den Kant auch in § 9.C.4b schildert. Wir können somit für den vierten Argumentationsschritt die folgende implizite Prämisse formulieren: Damit die Erkenntnis allgemein mitteilbar ist, müssen sowohl die objektive als auch die subjektive Bedingung der Erkenntnis allgemein mitteilbar sein. Und die Argumentationsstruktur sieht dann so aus: § 9.C.2*

Nur Erkenntnis, und Vorstellung, sofern diese Vorstellung zur Erkenntnis gehört, können allgemein mitgeteilt werden. (§ 21.A.2) Damit eine Erkenntnis allgemein mitteilbar ist, müssen sich sowohl die objektive Bedingung (Objektbezug durch Be-

Eine Andeutung auf diesen Theoriebaustein findet sich aber bereits in § 9.E.1. Siehe Kap. 9.5. 31 An dieser Stelle kann Kants Begründung dieser Annahme, die auf einer Ablehnung des Skeptizismus beruht, nicht detailliert erläutert werden. Ich werde dies aber bei meinen Untersuchungen von § 21 nachholen. Siehe Kap. 21.2.1 und 21.2.2. 30

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griffe) als auch die subjektive Bedingung (Gemütszustand des Erkennens) allgemein mitteilen lassen (§ 9.C.4a) Das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil, d. h. kein Erkenntnisurteil (und damit nicht-begrifflich). Also: Das Geschmacksurteil erfüllt nicht die objektive Bedingung der Erkenntnis. (§ 9.C.4a) Das Geschmacksurteil enthält eine allgemeine Mitteilbarkeit der Vorstellung. (§ 9.C.4b) Also: Das Geschmacksurteil erfüllt die subjektive Bedingung der Erkenntnis.

An dieser Stelle ist ein Rückgriff auf § 9.C.1a interessant: § 9.C.1R1 Die allgemeine Mitteilungsfähigkeit des Gemütszustandes, der die gegebene Vorstellung begleitet, (a) ist die subjektive Bedingung des Geschmacksurteils und muss dem Geschmacksurteil zugrunde liegen.

Hier nutzt Kant die Formulierung ›subjektive Bedingung des Geschmacksurteils‹. § 9.C.4 und § 21.A.2 zeigen, dass diese subjektive Bedingung des Geschmacksurteils mit der subjektiven Bedingung der Erkenntnis übereinstimmt. Eine objektive Bedingung des Geschmacksurteils im Sinne eines Objektbezugs gibt es hingegen nicht. Was aber genau ist die subjektive Bedingung der Erkenntnis? Kant verwendet die Formulierung ›Verhältnis[.] der Vorstellungskräfte zueinander…, sofern sie eine gegebene Vorstellung auf Erkenntniß überhaupt beziehen‹. 32 Ich habe bereits angedeutet, dass die zentrale Formulierung ›Erkenntniß überhaupt‹ ist; dieser wird sich Kant auch im weiteren Verlauf der KU bedienen, um AT zu begründen. 33 Der Begriff »überhaupt« verdeutlicht, dass es um eine Klarerweise fungiert ›überhaupt‹ als Attribut zu ›Erkenntniß‹ und nicht zu ›beziehen‹. Dies ist schon deshalb klar, weil Kant im Fortgang der Analytik vielfach die Wendung ›Erkenntnis überhaupt‹ nutzt. 33 Vgl. § 9.C.4, 217,15; § 21.A.4, 238,32; 290 Fn.; 292,36. – Fricke verweist auf einen Gebrauch der Formulierung ›Erkenntnis überhaupt‹ in § 12 der B-Auflage der KrV und gründet ihre Interpretation des freien und harmonischen Spiels darauf (vgl. Fricke 1990, 58 ff.). Jedoch behandelt dieser § 12 »logische Erfordernisse und Kriterien aller Erkenntnis der Dinge überhaupt« (B114, m. H. & Kants H. getilgt) bzw. »logische Kriterien der Möglichkeit der Erkenntnis überhaupt« (B115, m. H.). Damit sind diese Kriterien aber offenkundig vom »Gemüthszustand […], der im Verhältnisse der Vorstellungskräfte zu einander angetroffen wird, sofern sie eine gegebene Vorstel32

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Stimmung bzw. ein ›Verhältnis‹ geht, das bei jeder Erkenntnis vorliegt. 34 Und tatsächlich soll das ›Verhältnis…zur Erkenntnis überhaupt‹ ja auch eine Bedingung für Erkenntnis sein. Damit nun die subjektive Bedingung der Erkenntnis erfüllt ist, reicht es nicht, dass bloß die beiden Vermögen (irgendwie) aktiv sind, die für jede Erkenntnis erforderlich sind, nämlich Einbildungskraft und Verstand. Vielmehr müssen diese beiden Vermögen in einem spezifischen Verhältnis bzw. einer spezifischen »Proportion« (§ 21.A.2, 238,25), nämlich einer »Stimmung […] zu einer Erkenntniß überhaupt« (§ 21.A.2, 238,24), zueinanderstehen. 35 Was ist aber unter einer solchen Stimmung zur Erkenntnis überhaupt zu verstehen? Statt des Begriffs der Stimmung nutzt Kant bisweilen den Begriff der Zusammenstimmung, beispielsweise »Zusammenstimmung beider Gemüthskräfte« (295,33) oder »Gemüthszustand in dem freyen Spiele der Einbildungskraft und des Verstandes (sofern sie unter einander, wie es zu einem E r k e n n t n i s s e ü b e r h a u p t erforderlich ist, zusammenstimmen)« (§ 9.E.1, 217,37 f.). 36 Der Begriff der Zusammenstimmung hat zu Kants Zeiten noch einen starken Bezug zum musikalischen Zusammenklang und ist in diesem Sinne positiv konnotiert. 37 Ich möchte im Folgenden anhand dreier Momente (a)–(c) genauer erlung auf Erkenntniß überhaupt beziehen«, unterschieden (§ 9.C.4, 217,18, m. H. & Kants H. getilgt); denn ein Gemütszustand ist kein logisches Kriterium. 34 Vgl. etwa bei Adelung zu »überhaupt«: »In allem, alles zusammen genommen«, wobei ›überhaupt‹ »dem insonderheit entgegen stehet« (Adelung: Überhaupt). 35 Den Begriff »Proportion« bzw. die Formulierung ›Proportion der Erkenntniskräfte‹ verwendet Kant im Anschluss an Meier (vgl. Gardner 2015, 1857). So schreibt letzterer in § 529 seines Auszuges aus der Vernunftlehre: »Das erste Stück des allgemeinen Characters eines Gelehrten besteht in dem gelehrten Naturel (natura erudita), oder in derjenigen Proportion aller Kräfte der Seele, vermöge deren ein Mensch zu der gelehrten Erkentniß geschickt und geneigt ist« (Meier 1752, § 529, 147). Im darauffolgenden Paragraphen heißt es dann: »Zu dem gelehrten Naturel gehört 1) der Mutterwitz, der gelehrte Kopf (ingenium eruditum), die Proportion der Erkenntnißkräfte, wodurch ein Mensch zur gelehrten Erkentniß geschickt ist« (Meier 1752, § 530, 147). – Im Übrigen erfährt der Begriff der Proportion im Rahmen der kantischen Ästhetik eine interessante Transformation. So ist es etwa bei Boethius und in der pythagoreischen Tradition die Welt, welche proportioniert eingerichtet und in diesem Sinne schön ist – man denke nur an den goldenen Schnitt. Hingegen sind es bei Kant die menschlichen Erkenntnisvermögen, die beim Schönen in einem proportionierten Verhältnis stehen. 36 Vgl. auch § 9.F.1, 219,11; 256,3; EEKU: 220,31 f. 37 Vgl. bei Adelung: »Eigentlich. Zwey Instrumente stimmen zusammen wenn sie beyde das gehörige Verhältniß des Tones oder Klanges haben, wofür man auch nur schlechthin sagt, sie stimmen. Die Violine stimmt nicht zur Trompete. Das Clavier Kants Philosophie des Schönen

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läutern, was eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt ist. Wichtig ist dabei, dass diese drei Momente zwar jeweils einen anderen für die KU bzw. Kants Philosophie wichtigen Terminus aufgreifen, jedoch letztlich immer für ein und dasselbe stehen. (a) Verhältnis der Subsumtion: Eine ›Zusammenstimmung‹ der Erkenntnisvermögen kann als Vereinigung dieser Vermögen verstanden werden und meint den Zustand bei einer Subsumtion, bei der die von der Einbildungskraft apprehendierte Form durch den Verstand unter einen Begriff subsumiert wird. (Inwiefern beim Schönen eine Art von Subsumtion vorliegt, werde ich im Zuge des Dritten Moments erläutern.) 38 Leider gibt es keine Textstelle, in der Kant explizit die ›Stimmung zur Erkenntnis überhaupt‹ im Sinne einer Subsumtion bestimmen würde; jedoch deutet die folgende Passage aus § 21 darauf hin: »Sollen sich […] Erkenntnisse mittheilen lassen, so muß sich auch der Gemüthszustand, d. i. die Stimmung der Erkenntnißkräfte zu einer Erkenntniß überhaupt, und zwar diejenige Proportion, welche sich für eine Vorstellung (wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird) gebührt, um daraus Erkenntniß zu machen, allgemein mittheilen lassen: […]. Dieses geschieht auch wirklich jederzeit, wenn ein gegebener Gegenstand vermittelst der Sinne die Einbildungskraft zur Zusammensetzung des Mannigfaltigen, diese aber den Verstand zur Einheit desselben in Begriffen, in Thätigkeit bringt« (§ 21.A.2–3, 238,23, m. H.). 39 Kant schildert hier klarerweise, dass bei einer Zusammensetzung des Mannigfaltigen zur Form durch die Einbildungskraft und anschließender Subsumtion dieser Form unter einen Begriff durch den Verstand eine ›Stimmung…zu einer Erkenntniß überhaupt‹ vorliegt. (b) Zweckmäßigkeit: Die Zusammenstimmung kann ferner als eine zweckmäßige Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand spezifiziert werden – und tatsächlich ist die Zweckmäßigkeit nichts anderes als ein Zusammenstimmen von verschiedenen Teilen. 40 Mit einer solchen Zweckmäßigkeit von Einstimmt rein, wenn alle Saiten die verhältnißmäßige Tonhöhe haben« (Adelung: Stimmen). 38 Siehe Kap. G3.3. 39 Vgl. auch 287,6; 295,30. 40 Siehe hierzu die Ausführungen zur Zweckmäßigkeit in Kap. 10.1.2.

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bildungskraft und Verstand ist aber nicht die grundsätzlich zweckmäßige Einrichtung der Erkenntnisvermögen gemeint, sondern eine sich konkret instanziierende zweckmäßige Interaktion in einer konkreten Situation. Genauer bedeutet dies, dass die Tätigkeit der Einbildungskraft (das Auffassen von Formen) zur Tätigkeit des Verstandes (der Anwendung von Begriffen) zusammenstimmt, d. h. die von der Einbildungskraft apprehendierte Form eignet sich zur begrifflichen Erfassung durch den Verstand und der Begriff des Verstandes eignet sich für die von der Einbildungskraft apprehendierte Form. Kant selbst spricht mit Bezug auf den Gemütszustand beim Schönen mehrfach von einer zweckmäßigen Stimmung der Erkenntnisvermögen, etwa in der folgenden Passage: »Denn im obigen Fall [des Schönen] konnte die Vorstellung der Dinge, weil sie etwas in uns ist, als zu der innerlich zweckmäßigen Stimmung unserer Erkenntnißvermögen geschickt und tauglich, ganz wohl auch a priori gedacht werden« (359,17, m. H.). 41 Diese Interpretation fügt sich gut ins Gesamtkonzept der KU. Wie sich noch zeigen wird, ist die Zweckmäßigkeit der Erkenntnisvermögen füreinander ein Teil des Prinzips a priori der reflektierenden Urteilskraft. 42 (c) Urteilskraft: Mit ›Stimmung zu einer Erkenntnis überhaupt‹ wird schließlich auch die Urteilskraft selbst bezeichnet. So werden »in der Urtheilskraft […] Verstand und Einbildungskraft im Verhältnisse gegen einander betrachtet« (EEKU: 223,9). 43 Ganz explizit heißt es in § 35: »Die subjective Bedingung aller Urtheile ist das Vermögen zu urtheilen selbst, oder die Urtheilskraft. Diese, in Ansehung einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, gebraucht, erfordert zweyer Vorstellungskräfte Zusammenstimmung: nämlich der Einbildungskraft (für die Anschauung und die Zusammensetzung des Mannigfaltigen derselben), und des Verstandes (für den Begrif als Vorstellung der Einheit dieser Zusammenfassung)« (287,6, m. H.). Die Urteilskraft als »Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken« (179,19), konstituiert sich durch die (zweckmäßig) zusammenwirkenden Fähigkeiten, Formen zu apprehendieren (Einbildungskraft) und Begriffe anzuwenden (Ver41 42 43

Vgl. ferner 295,30 f.; 344,8; 350,20. Siehe hierzu Kap. G3.1. Vgl. auch EEKU: 220,27.

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stand). Die Einbildungskraft, welche sich auf die Sinnlichkeit bezieht, stellt durch ihre Tätigkeit das Besondere bereit und der Verstand mit seinen Begriffen das Allgemeine. Die Urteilskraft ist dabei als aktive Urteilskraft zu verstehen, d. h. als die Urteilskraft, wie sie im Falle einer Erkenntnis (oder im Falle des Schönen) vorliegt, statt eines bloß dispositionalen, inaktiven Vermögens. Nimmt man (a)–(c) zusammen, dann ist die ›Stimmung zur Erkenntnis überhaupt‹ eine zweckmäßige Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand im Sinne einer Subsumtion der von der Einbildungskraft apprehendierten Form unter einen Begriff des Verstandes, wobei dies nichts anderes als eine Aktivität der Urteilskraft ist. Führen wir uns dies einmal anhand einer gewöhnlichen empirischen Erkenntnis vor Augen – etwa der Erkenntnis eines Dreiecks. Um eine empirische Erkenntnis zu gewinnen, muss die Einbildungskraft das gegebene Mannigfaltige zur Form bzw. zur »Gestalt eines Triangels« verbinden (A124), d. h. sie muss das gegebene Mannigfaltige so zusammensetzen, dass es das Bild eines Dreiecks ergibt. 44 Der Verstand muss dann diese Form unter den Begriff »Dreieck« subsumieren. Glückt dieser Prozess, dann stimmen Einbildungskraft und Verstand zusammen; die Tätigkeiten beider Vermögen greifen ineinander, und zwar so, dass eine Erkenntnis entspringt (nämlich: »Dies ist ein Dreieck«). Dabei erweisen sich diese Vermögen in ihren Tätigkeiten als zweckmäßig füreinander. Denn die von der Einbildungskraft apprehendierte Form eignet sich zur begrifflichen Erfassung durch den Verstand; und der vom Verstand angewandte Begriff eignet sich für die von der Einbildungskraft aufgefasste Form. Es instanziiert sich also eine Zweckmäßigkeit der Erkenntnisvermögen. 45 Zusammengenommen machen diese zusammenstimmenden Tätigkeiten die spezifische Tätigkeit der Urteilskraft aus – und in der Tat entspringt dann ja auch das Urteil »Dies ist ein Dreieck«. Die UrteilsVgl. auch das Beispiel eines Hauses: »Wenn ich also z. B. die empirische Anschauung eines Hauses durch Apprehension des Mannigfaltigen derselben zur Wahrnehmung mache, so liegt mir die n o t w e n d i g e E i n h e i t des Raumes und der äußeren sinnlichen Anschauung überhaupt zum Grunde, und ich zeichne gleichsam seine Gestalt, dieser synthetischen Einheit des Mannigfaltigen im Raume gemäß« (B162). 45 Um dieses Zusammenwirken stärker an Kants Konzeption der Zweckmäßigkeit festzumachen, können wir auch sagen, dass Einbildungskraft und Verstand so zusammenwirken, als seien sie intentional von einem Willen nach einem Zweckbegriff angeordnet worden. Zum Begriff der Zweckmäßigkeit siehe Kap. 10.1.2. 44

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kraft ist in diesem Sinne kein eigenständiges Vermögen, sondern sie steht für eine Fähigkeit, die sich aus dem Zusammenwirken zweier anderer Fähigkeiten (bzw. der entsprechenden Vermögen) zusammensetzt. Aus diesen Ausführungen geht auch hervor, dass ich die kantischen Vermögen im Sinne spezifischer Fähigkeiten deute, die sich in konkreten Tätigkeiten manifestieren. So ist die Einbildungskraft das Vermögen, das Mannigfaltige an Empfindungen zu einer Form zusammenzusetzen; und sie manifestiert sich in der entsprechenden Tätigkeit. Keinesfalls dürfen die kantischen Vermögen aber im Sinne von Organen begriffen werden, und sei es auch nur im analogen Sinne. »Einbildungskraft«, »Verstand« usw. sind nur Ausdrücke für bestimmte Tätigkeiten, die hinreichend klar voneinander unterschieden sind, um sie verschieden zu benennen. Wichtig ist nun, dass das geschilderte Zusammenwirken von Einbildungskraft und Verstand bei jeder gewonnenen Erkenntnis vorliegen muss, und zwar völlig losgelöst davon, was der konkrete Gegenstand der Erkenntnis bzw. was das gegebene Mannigfaltige und was der konkrete Begriff ist. Die Stimmung zur Erkenntnis überhaupt, d. h. das zweckmäßige Zusammenwirken von Einbildungskraft und Verstand, ist für jede Erkenntnis als Voraussetzung erforderlich (subjektive Bedingung der Erkenntnis). Sie bildet damit ein Pendant zu den Kategorien, die Kant auch als »formale und objektive Bedingungen einer Erfahrung überhaupt« (A223/B271) – und damit als objektive Bedingungen der empirischen Erkenntnis – bestimmt. Die zentrale These des vierten Argumentationsschritts ist nun, dass auch beim Schönen eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vorliegen muss. Dies bedeutet, dass auch beim Schönen die Fähigkeit, das gegebene Mannigfaltige zur Form zusammenzusetzen, mit der Fähigkeit zusammenstimmt, Formen begrifflich zu erfassen. Freilich kann es nicht zu einer begrifflichen Erfassung der Form unter einem bestimmten Begriff kommen – dies wissen wir bereits durch die Begriffslosigkeitsthese. Vielmehr besteht der Grundgedanke darin, dass beim Schönen eine Tätigkeit ausgeübt wird, die der begrifflichen Erfassung einer Form hinreichend ähnlich ist, sodass sie dem Vermögen des Verstandes beizuzählen ist. Und diese Tätigkeit muss mit der Tätigkeit der Einbildungskraft, Formen zu apprehendieren, zusammenstimmen. Zusammengenommen müssen dann diese ineinandergreifenden Tätigkeiten eine Tätigkeit der Urteilskraft ausmachen. Wie genau all dies zu begreifen ist, wird sich uns erst im Zuge unserer Untersuchungen des Dritten Moments in Gänze erKants Philosophie des Schönen

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schließen. 46 Halten wir aber zunächst zum vierten Argumentationsschritt das Folgende fest: Das Geschmacksurteil beruht auf der subjektiven Bedingung der Erkenntnis, d. h. derjenigen Interaktion von Einbildungskraft und Verstand, bei der sie sich im Verhältnis zur Erkenntnis überhaupt befinden. Damit soll sichergestellt sein, dass das Geschmacksurteil und die Lust am Schönen allgemeingültig sind.

9.3.5 Der fünfte Argumentationsschritt Im fünften Argumentationsschritt führt Kant den Theoriebaustein der Freiheit im Spiel der Erkenntniskräfte ein. Damit erreicht er nach der Stimmung zur ›Erkenntnis überhaupt‹ das zweite Ziel seiner Argumentation. § 9.D.1 »Die Erkenntnißkräfte, die durch diese Vorstellung ins Spiel gesetzt werden, sind hiebey in einem freyen Spiele, weil kein bestimmter Begrif sie auf eine besondere Erkenntnißregel einschränkt« (217,21).

Während die Stimmung zur ›Erkenntnis überhaupt‹ eine Übereinstimmung von Geschmacksurteil und Erkenntnisurteil ausdrückt, ist das freie Spiel dasjenige Spezifikum, mit dem das Geschmacksurteil auf der Ebene der Vermögensaktivität vom Erkenntnisurteil abgegrenzt werden kann. Reduzieren wir § 9.D.1 auf die entscheidenden Komponenten, nämlich das ›freie Spiel‹ und die Begründung dafür, so erhalten wir: § 9.D.1R1 Die Erkenntniskräfte, d. h. Einbildungskraft und Verstand, sind beim Gemütszustand des Schönen in einem freien Spiel, weil kein bestimmter Begriff diese Erkenntniskräfte auf eine besondere Erkenntnisregel einschränkt.

Was aber bedeutet ›freies Spiel‹ ? Ungeachtet aller Probleme des Spielbegriffs, wie sie etwa Wittgenstein aufgezeigt hat, 47 zeichnet sich wohl jedes Spiel durch zwei Kriterien aus: 1. Die Spieler müssen aktiv sein; ein Spiel ist eine Tätigkeit. 2. Die Tätigkeit des Spielens ist ein Selbstzweck, d. h. sie ist auf keinen Zweck jenseits des Spielens selbst gerichtet. 48 46 47 48

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Siehe erneut Kap. G3.3. Vgl. Wittgenstein 2003, 56 f. Zuckert identifiziert für den Spielbegriff bei Kant Abwechslung bzw. Wechsel

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Beide Kriterien finden sich auch bei Adelung: »In engerer und theils figürlicher Bedeutung ist das Spiel eine Bewegung und Beschäftigung, welche aus keiner andern Absicht als zum Zeitvertreibe oder zur Ergetzung des Gemüthes unternommen wird« (Adelung: 2. Das Spiel). 49 Die beiden Kriterien lassen sich auf die Interaktion der Erkenntniskräfte beim Schönen beziehen: Sowohl Einbildungskraft als auch Verstand müssen aktiv sein, aber ihre Tätigkeit ist nicht auf den Zweck der Erkenntnis gerichtet. Vielmehr ist das freie Spiel der Erkenntniskräfte ein Selbstzweck. Dies bestätigt die folgende Passage aus § 12: »Sie [die Lust am Schönen] hat aber doch Causalität in sich, nämlich den Zustand der Vorstellung selbst und die Beschäftigung der Erkenntnißkräfte ohne weitere Absicht zu erhalten. Wir weilen bey der Betrachtung des Schönen, weil diese Betrachtung sich selbst stärkt und reproducirt« (§ 12.B.4–5, 222,31, m. H. & Kants H. getilgt).

Wenngleich ein Spiel nicht zweckgerichtet ist, so kann es natürlich doch bestimmten Regeln unterliegen; man denke etwa nur an die Regeln im Fußballspiel. An dieser Stelle setzt nun der Begriff der Freiheit an. Mit dieser ›Freiheit‹ könnte eine positive oder eine negative Freiheit gemeint sein. Negative Freiheit ist, grob gesagt, Unabhängigkeit von einem Zwang, und positive Freiheit Autonomie, d. h. Selbstgesetzgebung. 50 In § 9.D.1 scheint Kant einen negativen Freiheitsbegriff zu nutzen, der eine Unabhängigkeit vom Zwang durch Begriffe bezeichnet. 51 Kants Argument für das freie Spiel erfolgt dann über die Begriffslosigkeitsthese BT (›weil kein bestimmter Begrif die Erkenntnißkräfte auf eine besondere Erkenntnisregel ein(»change«) als zentrales Kriterium (vgl. Zuckert 2007, 285). Wenngleich dieses Kriterium nicht bei jeder Form des (kindlichen) Spielens zu greifen scheint, so kann mindestens das Apprehendieren von Formen im kantischen Spiel der Erkenntniskräfte durch einen »Wechsel« der Formen charakterisiert werden. 49 Ähnlich bei Grimm: »I. spiel im allgemeinen. 1) spiel bezeichnet im allgemeinen eine thätigkeit, die man nicht um eines resultats oder eines praktischen zweckes willen, sondern zum zeitvertreib, zur unterhaltung und zum vergnügen übt« (Grimm: Spiel). – Das Kriterium, nicht zweckgerichtet zu sein, erfüllen nicht alle Spiele. So weisen viele Spiele etwa den Zweck des Gewinnens auf. In diesem Sinne mag das kantische Spiel eher mit gewissen Formen kindlichen Spielens übereinstimmen, etwa dem sich gegenseitigen Zuwerfen eines Balls. 50 Vgl. GMS: 446–447. 51 Auch für das Schöne gibt es einen positiven Freiheitsbegriff, nämlich ›Heautonomie‹ (vgl. 185,37; EEKU: 225,27). Zur Heautonomie siehe Kap. G3.5; zur positiven und negativen Freiheit beim Schönen siehe auch Kap. 5.5. Kants Philosophie des Schönen

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schränkt‹). Unter der Annahme, dass ein Begriff die einzige Möglichkeit eines Zwangs in der Aktivität von Einbildungskraft und Verstand ist, folgt aus BT die (negative) Freiheit als Unabhängigkeit von Zwang in der Interaktion der Erkenntniskräfte. 52 Diese Unabhängigkeit vom begrifflichen Zwang betrifft primär die Aktivität der Einbildungskraft; denn es ist eigentlich ihre Aktivität des Apprehendierens von Formen, die bei Erkenntnisurteilen einem von Begriffen ausgehenden Zwang ausgesetzt ist. 53 Im Geschmacksurteil geht kein Zwang von einem ›bestimme[n] Begrif‹, d. h. einem »Verstandesbegrif« (339,19), der Anwendungen auf empirische Anschauungen hat, aus. Nachdem Kant nunmehr das ›freie Spiel‹ eingeführt hat, kann er die folgende Konklusion aus seiner bisherigen Argumentation insgesamt ziehen: § 9.D.2 »Also muß der Gemüthszustand in dieser Vorstellung der [Gemütszustand] eines Gefühls des freyen Spiels der Vorstellungskräfte an einer gegebenen Vorstellung zu einem Erkenntnisse überhaupt seyn« (217,23).

Da die Lust das gefühlte freie Spiel ist, können wir auch schreiben: § 9.D.2R1 Also muss der Gemütszustand in der gegebenen Vorstellung ein als Lust gefühltes freies Spiel der Vorstellungskräfte an einer gegebenen Vorstellung zu einer Erkenntnis überhaupt sein.

Erneut verwendet Kant die Formulierung ›Erkenntnis überhaupt‹. Nun unterscheidet sich aber der Gemütszustand beim Schönen durch das Kriterium des freien Spiels gerade vom Gemütszustand bei einer Erkenntnis. Was vielmehr übereinstimmt sind die beteiligten Erkenntniskräfte (Einbildungskraft und Verstand), ihre Tätigkeit sowie ihre Vereinigung bzw. Harmonie. Eine bessere Rekonstruktion ist daher:

Diese Annahme scheint mir im Rahmen von Kants Theorie des Erkenntnisprozesses auch nicht abwegig. Das gegebene Material der Empfindungen gibt zwar einen gewissen Rahmen vor, ist aber im Sinne des Mannigfaltigen noch hinreichend offen. Auch die Zusammensetzung des Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft erlaubt verschiedene Möglichkeiten und ist daher offen. Erst die Subsumtion unter Begriffe lässt keine Offenheit mehr zu und kann als Zwang begriffen werden. 53 Vgl. 240,24 f. – Die Einbildungskraft darf beim Schönen auch nicht dem Zwang der Assoziationsgesetze unterliegen, da sie sonst nicht produktiv wirken kann (vgl. 240,24). 52

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§ 9.D.2R2 Also muss der Gemütszustand in der gegebenen Vorstellung ein als Lust gefühltes freies Spiel der Vorstellungskräfte an der gegebenen Vorstellung sein; dabei sind die Vorstellungskräfte auch in einer Stimmung zur Erkenntnis überhaupt.

Insgesamt konnte Kant im fünften Argumentationsschritt das folgende Ergebnis erzielen: Dem Geschmacksurteil liegt ein Zustand zugrunde, bei dem die Erkenntniskräfte nicht nur im Verhältnis zu einer Erkenntnis überhaupt sind, sondern auch in einem freien Spiel.

9.3.6 Der sechste Argumentationsschritt Bislang hat Kant in seiner Argumentation nur die Begriffe ›Vorstellungskräfte‹ und ›Erkenntniskräfte‹ genutzt, ohne explizit zu machen, dass es sich dabei um Einbildungskraft und Verstand handelt. Dies holt er in einem letzten Argumentationsschritt nach: § 9.D.3 »Nun gehören zu einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, damit überhaupt daraus Erkenntniß werde, E i n b i l d u n g s k r a f t für die Zusammensetzung des Mannigfaltigen der Anschauung, und Ve r s t a n d für die Einheit des Begrifs der die Vorstellungen vereinigt« (217,26).

Die Formulierung ›Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird‹ können wir erneut durch ›gegebene Sinneseindrücke‹ ersetzen: § 9.D.3R1 Damit aus gegebenen Sinneseindrücken Erkenntnis werde, bedarf es der Einbildungskraft für die Zusammensetzung des Mannigfaltigen der Anschauung, und des Verstandes für die Einheit des Begriffs, der die Vorstellungen vereinigt.

Dieser Satz birgt ein Missverständnis: Kant hat gerade dargelegt, dass sich die Erkenntniskräfte beim Schönen zwar im Verhältnis zur ›Erkenntnis überhaupt‹ befinden, ihre Interaktion aber ohne Begriff auskommt und insofern frei ist. Die Interaktion von Einbildungskraft und Verstand ist demnach beim Schönen gerade nicht dadurch ausgezeichnet, dass der Verstand ›für die Einheit des Begrifs‹ sorgt. Wenngleich das freie Spiel 54 eine Aktivität von Einbildungskraft und Ich nutze im Folgenden die Wendung ›freies Spiel‹ meist als verkürzte Bezeichnung für das freie und harmonische Spiel von Einbildungskraft und Verstand, d. h. für den Gemütszustand, der aus einem freien Spiel von Einbildungskraft und Verstand sowie einer Zusammenstimmung dieser Vermögen zu einer Erkenntnis überhaupt besteht.

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Verstand ist und somit dieselben Erkenntnisvermögen wie bei einem Erkenntnisurteil beteiligt sind, so muss der Verstand im freien Spiel doch eine andere Rolle ausüben. Wir werden später sehen, dass der Verstand auch im freien Spiel eine vereinigende Funktion hat, d. h. eine Art von Subsumtion vollzieht; jedoch handelt es sich dabei nicht um eine Subsumtion der gegebenen Vorstellung unter einen bestimmten Begriff vom Objekt, sondern um eine Art von Subsumtion der Form des Gegenstandes sowie der Aktivität der Einbildungskraft unter das Prinzip a priori der Urteilskraft. 55 Im sechsten Argumentationsschritt wird zum ersten Mal in der Analytik des Schönen deutlich, warum Geschmacksurteile und die Lust am Schönen etwas mit dem Vermögen der Urteilskraft zu tun haben und warum daher die Theorie des Geschmacksurteils der Kritik der Urteilskraft beizuzählen ist. Denn die Urteilskraft konstituiert sich, wie gesagt, durch ein Zusammenwirken von Einbildungskraft und Verstand; 56 und im sechsten Argumentationsschritt macht Kant zum ersten Mal explizit, dass der Lust am Schönen ein solches Zusammenwirken von Einbildungskraft und Verstand zugrunde liegt. 57 Das Ergebnis des letzten Argumentationsschritts ist: Der Zustand zu einer Erkenntnis überhaupt konstituiert sich durch ein Zusammenwirken von Einbildungskraft und Verstand.

9.4 Die abschließende Beantwortung der Frage Fassen wir das Ergebnis der Argumentation kurz zusammen: Der Lust am Schönen liegt ein Gemütszustand zugrunde, der durch zwei zentrale Aspekte gekennzeichnet ist. (1.) Der Gemütszustand beinhaltet eine Stimmung zur ›Erkenntnis überhaupt‹, d. h. die subjekWird explizit nur der Aspekt der Freiheit im Spiel behandelt, so wird dies kenntlich gemacht. 55 Siehe hierzu erneut Kap. G3.3. 56 Vgl.: »Denn in der Urtheilskraft werden Verstand und Einbildungskraft im Verhältnisse gegen einander betrachtet« (EEKU: 223,9; vgl. auch 287,6). 57 Seltsamerweise nutzt Kant in der gesamten Analytik kein einziges Mal den Begriff der Urteilskraft. Warum dies der Fall ist, scheint mir völlig unklar. Möglicherweise sah er schlicht keine Notwendigkeit, zu erläutern, warum Geschmacksurteile dem Vermögen der Urteilskraft beizuzählen sind, da er darauf bereits in der Einleitung eingegangen war (vgl. insbesondere 193,6 f.). Möglicherweise wird die Urteilskraft aber auch in der Formulierung ›Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt‹ aufgefangen, die, wie oben erläutert, für die aktive Urteilskraft steht.

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Die abschließende Beantwortung der Frage

tive Bedingung der Erkenntnis. (2.) Im Unterschied zu einem Erkenntnisurteil befinden sich Einbildungskraft und Verstand aber in einem freien Spiel. Kants abschließende Beantwortung der Frage F gibt dieses Ergebnis leider weniger eindeutig wieder: § 9.F.1a »Diese bloß subjective (ästhetische) Beurtheilung des Gegenstandes, oder der Vorstellung wodurch er gegeben wird, geht nun vor der Lust an demselben vorher, und ist der Grund dieser Lust an der Harmonie der Erkenntnißvermögen« (218,8).

Durch die Formulierung ›oder der Vorstellung, wodurch der Gegenstand gegeben wird‹ zeigt Kant nur an, dass das Geschmacksurteil bei etwas »Gegebenem«, d. h. bei gegebenen Sinneseindrücken, seinen Ausgang nimmt. Wenn wir diese Ergänzung weglassen und zwei Propositionen isolieren, so erhalten wir: § 9.F.1aR1 Die bloß subjektive (ästhetische) Beurteilung des Gegenstandes (1) geht vor der Lust an dem Gegenstand vorher. (2) ist der Grund dieser Lust an der Harmonie der Erkenntnisvermögen.

Im ersten Teilsatz liefert Kant die eigentliche Beantwortung von F. Diese Ausgangsfrage, ob der Lust eine Beurteilung vorhergeht oder ob bloß eine Beurteilung auf die Lust folgt, wird zugunsten der ersten Möglichkeit beantwortet: Der Lust geht eine Beurteilung vorher. Diese Beurteilung wird als ›bloß subjective (ästhetische) Beurtheilung‹ spezifiziert. Damit wird erstens verdeutlicht, dass diese Beurteilung nicht in ein objektives Urteil mündet; zweitens umschreibt Kant damit auch, dass uns die Beurteilung durch ein Gefühl der Lust bewusst wird und insofern ›ästhetisch[.]‹ ist. Im zweiten Teilsatz kann der Begriff ›Grund‹ keine kausale Bedeutung haben. Vielmehr muss er so etwas wie ›zugrunde liegen‹ bedeuten: § 9.F.1aR2 Die bloß subjektive (ästhetische) Beurteilung des Gegenstandes (2) liegt der Lust an der Harmonie der Erkenntnisvermögen zugrunde.

Es stellt sich die Frage, was genau der Lust zugrunde liegt bzw. woran die Lust empfunden wird. Einerseits scheint Kant nahezulegen, dass diese Rolle der ›bloß subjective[n] (ästhetische[n]) Beurtheilung des Gegenstandes‹ zukommt; andererseits aber, dass die Lust ›an der HarKants Philosophie des Schönen

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monie der Erkenntnißvermögen‹ gefühlt wird. Die ›bloß subjective Beurtheilung des Gegenstandes‹ steht, wie oben erläutert, für die Aktivität des Beurteilens (und nicht für den Akt der Urteilsfällung); es ist eine Umschreibung des freien und harmonischen Spiels der Erkenntniskräfte. So liegt insofern eine ›Beurtheilung‹ vor, als, erstens, die beiden Beurteilungsvermögen, d. h. Einbildungskraft und Verstand, involviert sind und diese, zweitens, die gegebenen Sinneseindrücke in ähnlicher Weise wie bei einer Erkenntnis verarbeiten. Diese Beurteilung ist aber insofern ›subjectiv‹ bzw. ›ästhetisch‹, als sie in keine Erkenntnis mündet, sondern uns nur als Gefühl der Lust bewusst wird. Es ist also eigentlich der ästhetische bzw. subjektive Charakter der Beurteilung, der der Lust zugrunde liegt. Nun wird die besagte Lust aber auch ›an der Harmonie der Erkenntnißvermögen‹ empfunden. Dies darf nicht so missverstanden werden, als wäre es die Harmonie der Erkenntnisvermögen, aufgrund deren wir eine Lust fühlen. Denn die Harmonie der Erkenntnisvermögen ist eine Umschreibung der Stimmung zu einer ›Erkenntnis überhaupt‹, d. h. desjenigen Aspekts, den das freie und harmonische Spiel mit dem Gemütszustand bei einer Erkenntnis teilt. Würden wir aufgrund der Stimmung zur ›Erkenntnis überhaupt‹ Lust empfinden, so müsste jede Erkenntnis mit Lust begleitet sein, was offenkundig absurd wäre. Vielmehr muss der Aspekt des freien Spiels die Grundlage der Lust bilden. Ich werde gleich darauf zurückkommen. 58 Kants erneute Betonung des Aspekts der ›Harmonie‹ in § 9.F.1 mag seinen Grund darin haben, dass er die Rolle des freien und harmonischen Spiels für die (vermögenstheoretische) Begründung der Allgemeingültigkeit der Lust herausstellen möchte. Tatsächlich geht Kant dann ja im nächsten Teilsatz auch auf genau diese Begründung ein (»auf jener Allgemeinheit aber der subjectiven Bedingungen der Beurtheilung der Gegenstände gründet sich allein diese allgemeine subjective Gültigkeit des Wohlgefallens, […]«; § 9.F.1b, 218,11). Halten wir fest: Es ist der subjektive bzw. ästhetische Charakter der Beurteilung, der begründet, dass wir eine Lust fühlen; es ist der Aspekt der Harmonie bzw. der Stimmung zur ›Erkenntnis überhaupt‹, der die Allgemeingültigkeit dieser Lust begründet. Weitere Verwirrung erwächst daraus, dass Kant in § 9.F.1a1 von der ›Lust an demselben‹ Gegenstand spricht, in § 9.F.1a2 aber die For-

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Siehe Kap. 9.6.

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mulierung ›Lust an der Harmonie der Erkenntnißvermögen‹ nutzt. Dies könnte nahelegen, dass es zwei Lüste gibt, wovon die eine am Gegenstand und die andere am Spiel der Erkenntniskräfte empfunden wird. Stattdessen beziehen sich aber beide Formulierungen auf die eine Lust am Schönen. Diese ist unmittelbar das gefühlte Spiel der Erkenntniskräfte und mittelbar eine Lust am Gegenstand. Fassen wir abschließend noch einmal das Gesamtergebnis der Argumentation zusammen: i. Die Lust am Schönen folgt nicht unmittelbar auf gegebene Sinneseindrücke; denn sonst wäre sie die Lust am Angenehmen und bloß privatgültig. ii. Der Lust am Schönen liegt vielmehr eine Aktivität des Beurteilens zugrunde, in der die gegebenen Sinneseindrücke innerlich verarbeitet werden. Diese Aktivität des Beurteilens mündet aber nicht in eine Erkenntnis (vom Objekt). iii. Die der Lust zugrundeliegende Aktivität ist ein freies und harmonisches Spiel der Erkenntniskräfte. Dabei sind zwei Aspekte zu unterscheiden: • Der Aspekt der Harmonie, d. h. die Stimmung zur Erkenntnis überhaupt, markiert eine Übereinstimmung mit Erkenntnisurteilen. • Der Aspekt des freien Spiels markiert die Eigenart des Geschmacksurteils. Zwei Fragen sind aber noch offen: Inwiefern kann der so charakterisierte Gemütszustand das Paradox von Allgemeingültigkeit und Begriffslosigkeit lösen? Und warum erleben wir diesen Gemütszustand als Lust? Wir wollen nun auf beide Fragen eingehen.

9.5 Eine Lösung des Paradoxes von Allgemeingültigkeit und Begriffslosigkeit? Inwiefern kann das freie und harmonische Spiel der Erkenntniskräfte das Paradox von Allgemeingültigkeit und Begriffslosigkeit lösen? In § 9 finden sich verschiedene Passagen, in denen die Allgemeingültigkeit der Lust potenziell (vermögenstheoretisch) begründet wird. Ich werde diese im Folgenden beleuchten. Eine erste solche Stelle findet sich im vierten Absatz:

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§ 9.D.4 »[a] Dieser Zustand eines f r e y e n S p i e l s der Erkenntnißvermögen, bey einer Vorstellung wodurch ein Gegenstand gegeben wird, muß sich allgemein mittheilen lassen: [b] weil Erkenntniß, als Bestimmung des Objects, womit gegebene Vorstellungen (in welchem Subjecte es auch sey) zusammen stimmen sollen, die einzige Vorstellungsart ist, die für jedermann gilt« (217,30).

Es lassen sich zwei Propositionen identifizieren: In § 9.D.4a konstatiert Kant, dass sich der Gemütszustand des ›freyen Spiels der Erkenntnißvermögen…allgemein mittheilen lassen‹ muss. Dies ist eine Art Übertragung der Allgemeingültigkeitsthese auf den der Lust zugrundeliegenden Gemütszustand. Diese Übertragung von AT auf den Gemütszustand ist in zweierlei Hinsicht aufschlussreich. Erstens lernen wir, dass die Allgemeingültigkeit der Lust auf einem allgemeingültigen Gemütszustand, der sich durch eine Aktivität der Erkenntnisvermögen konstituiert, beruht. Zweitens erfahren wir, dass dieser Zustand allgemein mitteilbar ist, d. h. dass es eine allgemeine Teilhabe an diesem Zustand geben muss. Leider ist dann die Begründung der Allgemeingültigkeit des Gemütszustandes in § 9.E.1b weniger aufschlussreich. Kant verweist hier darauf, dass die ›Erkenntniß‹ das einzige ist, was allgemeingültig ist (›die für jedermann gilt‹). Problematisch ist daran insbesondere, dass er diese Allgemeingültigkeit an den Objektbezug der Erkenntnis bindet; denn es sei das Objekt, mit dem ›gegebene Vorstellungen (in welchem Subjecte es auch sey) zusammenstimmen sollen‹. Der Objektbezug fehlt aber ja gerade beim Geschmacksurteil. Eine wirkliche Begründung für ATLust ist damit noch nicht gegeben. Eine weitere Begründung findet sich im sechsten Absatz im Kontext der abschließenden Beantwortung der Frage F aus der Überschrift: § 9.F.1 »[a] Diese bloß subjective (ästhetische) Beurtheilung des Gegenstandes, oder der Vorstellung wodurch er gegeben wird, geht nun vor der Lust an demselben vorher, und ist der Grund dieser Lust an der Harmonie der Erkenntnißvermögen; [b] auf jener Allgemeinheit aber der subjectiven Bedingungen der Beurtheilung der Gegenstände gründet sich allein diese allgemeine subjective Gültigkeit des Wohlgefallens, welches wir mit der Vorstellung des Gegenstandes den wir schön nennen, verbinden« (218,8).

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Eine mögliche Begründung für die Allgemeingültigkeit der Lust am Schönen (›diese allgemeine subjective Gültigkeit des Wohlgefallens, welches wir mit der Vorstellung des Gegenstandes den wir schön nennen, verbinden‹) findet sich in § 9.F.1b. Wir können verkürzt schreiben: § 9.F.1bR1 Die Allgemeingültigkeit der Lust am Schönen gründet sich auf der Allgemeinheit der subjektiven Bedingungen der Beurteilung der Gegenstände.

Die entscheidende Frage ist, was Kant unter der ›Allgemeinheit der subjectiven Bedingungen der Beurtheilung der Gegenstände‹ versteht. Sind mit den ›subjectiven Bedingungen der Beurtheilung der Gegenstände‹ die Bedingungen der ›subjective[n] (ästhetische[n]) Beurtheilung des Gegenstandes‹ gemeint, von der Kant in § 9.F.1a gesprochen hatte, oder die subjektiven Bedingungen der Beurteilung im Sinne von Erkenntnisurteilen? Wenngleich der Anschluss an § 9.F.1a attraktiv scheint, ist die erste Interpretation nicht sinnvoll; denn warum sollte es die ästhetische und subjektive Beurteilung, die spezifisch beim Schönen und nicht bei Erkenntnissen vorliegt, sein, durch die die Allgemeingültigkeit der Lust gesichert werden sollte? Plausibler scheint, dass Kant die ›subjectiven Bedingungen der Beurtheilung‹ in Erkenntnisurteilen meint. So nutzt er auch im vorangehenden Satz § 9.E.1 die Formulierung »subjective[.] Bedingung« (218,6), die eindeutig für die subjektive Bedingung der Erkenntnis stehen muss (»eine jede bestimmte Erkenntniß […], die doch immer auf jenem Verhältniß als subjectiver Bedingung beruht«; 218,5). Tatsächlich spielt § 9.E.1 eine Schlüsselrolle im Verständnis der Begründung von ATLust. Wir wollen diesen Satz daher gleich genauer untersuchen. Zunächst können wir aber die folgende Rekonstruktion von § 9.F.1b festhalten: § 9.F.1bR2 Die Allgemeingültigkeit der Lust am Schönen gründet sich auf der Allgemeinheit der subjektiven Bedingungen der Beurteilung der Gegenstände, die bei Erkenntnisurteilen vorliegt.

Betrachten wir also nun § 9.E1. Er lautet: § 9.E.1 »[a] Die subjective allgemeine Mittheilbarkeit der Vorstellungsart in einem Geschmacksurtheile, da sie ohne einen bestimmten Begrif vorauszusetzen, Statt finden soll, kann nichts anders als der Gemüthszustand in dem freyen Spiele der EinKants Philosophie des Schönen

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bildungskraft und des Verstandes (sofern sie unter einander, wie es zu einem E r k e n n t n i s s e ü b e r h a u p t erforderlich ist, zusammen stimmen) seyn, [b] indem wir uns bewußt sind, daß dieses zum Erkenntniß überhaupt schickliche subjective Verhältniß eben so wohl für jedermann gelten und folglich allgemein mittheilbar seyn müsse, als es eine jede bestimmte Erkenntniß ist, die doch immer auf jenem Verhältniß als subjectiver Bedingung beruht« (217,35 f.).

Die Schlüsselfrage lautet: Wofür stehen die Formulierungen ›dieses zum Erkenntniß überhaupt schickliche subjective Verhältnis‹ und ›auf jenem Verhältnisse‹ in § 9.E.1b? Nun wird in § 9.E.1a ein Verhältnis benannt, nämlich das Zusammenstimmen ›zu einem Erkenntnisse überhaupt‹. Wir können daher in § 9.E.1b die folgenden Ergänzungen vornehmen: § 9.E.1b* Wir sind uns bewusst, dass dieses zur Erkenntnis überhaupt schickliche subjektive Verhältnis, nämlich die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, eben sowohl für jedermann gelten und folglich allgemein mitteilbar sein müsse, als es eine jede bestimmte Erkenntnis ist, die doch immer auf der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt als subjektiver Bedingung beruht.

Aufgrund der Komplexität von § 9.E.1 ist es sinnvoll, einzelne Propositionen herauszugreifen. In § 9.E.1a können wir zunächst die folgende Proposition identifizieren: § 9.E.1a1* Die subjektive allgemeine Mitteilbarkeit der Vorstellungsart in einem Geschmacksurteil setzt keinen bestimmten Begriff voraus.

Diese Proposition ist eine Art Umschreibung des Paradoxes von Allgemeingültigkeit (›allgemeine Mittheilbarkeit‹) und Begriffslosigkeit (›ohne einen bestimmten Begrif vorauszusetzen‹) auf der Ebene des Gemütszustandes. Dabei ist es sinnvoll, die ›Vorstellungsart‹ im Sinne des Gemütszustandes zu verstehen; tatsächlich verwendet Kant selbst kurz darauf ja auch den Begriff des Gemütszustandes (›kann nichts anderes als der Gemüthszustand…‹). Wir erhalten: § 9.E.1a1R1 Die subjektive allgemeine Mitteilbarkeit des Gemütszustandes in einem Geschmacksurteil setzt keinen bestimmten Begriff voraus.

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Diesen Gemütszustand können wir nun mittels der im Fortgang des Satzes formulierten folgenden Proposition genauer bestimmen: § 9.E.1a2* Die subjektive allgemeine Mitteilbarkeit der Vorstellungsart [d. h. des Gemütszustandes] kann nichts anderes als der Gemütszustand im freien Spiel der Einbildungskraft und des Verstandes sein (sofern Einbildungskraft und Verstand unter einander, wie es zu einer Erkenntnis überhaupt erforderlich ist, zusammenstimmen).

Problematisch ist an dieser Proposition, dass die ›subjective allgemeine Mittheilbarkeit der Vorstellungsart‹ bzw. des Gemütszustandes mit einem ›Gemüthszustand‹ identifiziert wird. Sinnvollerweise muss Kant aber nicht die allgemeine Mitteilbarkeit, sondern den allgemein mitteilbaren Gemütszustand mit dem Gemütszustand identifizieren. Wir müssen also schreiben: § 9.E.1a2R1 Der subjektiv allgemein mitteilbare Gemütszustand ist der Gemütszustand im freien Spiel der Einbildungskraft und des Verstandes (sofern Einbildungskraft und Verstand unter einander, wie es zu einer Erkenntnis überhaupt erforderlich ist, zusammenstimmen).

Kant charakterisiert den Gemütszustand als Zustand, in dem Einbildungskraft und Verstand ›unter einander, wie es zu einem Erkenntnisse überhaupt erforderlich ist, zusammen stimmen‹. Anders formuliert liegt beim Schönen eine solche Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand vor, wie sie auch für jede Erkenntnis notwendig ist. Diese Zusammenstimmung zur ›Erkenntnis überhaupt‹ behandelt Kant genauer in § 9.E.1b. Wieder können wir verschiedene Propositionen isolieren: § 9.E.1b1** Dieses zur Erkenntnis überhaupt schickliche subjektive Verhältnis [die Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand zur Erkenntnis überhaupt] muss für jedermann gelten und folglich allgemein mitteilbar sein.

Vereinfacht können wir auch schreiben: § 9.E.1b1R1 Die Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand zur Erkenntnis überhaupt ist allgemeingültig und folglich allgemein mitteilbar.

Mit dieser Proposition leistet Kant einen ersten Schritt zur (vermögenstheoretischen) Begründung von ATLust: Er legt nämlich dar, dass der Gemütszustand, welcher der Lust zugrunde liegt, allgemeinKants Philosophie des Schönen

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gültig und allgemein mitteilbar ist, weil er die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt beinhaltet. Ich hatte in diesem Sinne bereits oben angeführt, dass es der Aspekt der Harmonie im Spiel der Erkenntniskräfte ist, der den Anspruch auf Allgemeingültigkeit der Lust begründet. Besonders wichtig sind nun die beiden folgenden Propositionen, durch die eine Verbindung zu Erkenntnisurteilen hergestellt wird: § 9.E.1b2** Eine jede bestimmte Erkenntnis ist allgemein mitteilbar. § 9.E.1b3** Eine jede bestimmte Erkenntnis beruht auf dem Verhältnis der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt als subjektiver Bedingung.

Dass ›jede bestimmte Erkenntniß‹ allgemein mitteilbar ist, wissen wir bereits. Jedoch bestand das Problem bisher darin, dass die Erkenntnis nur aufgrund ihres Objektbezugs allgemein mitteilbar zu sein schien. Dieses Problem löst Kant in § 9.E.1b3. Er legt nämlich dar, dass eine Erkenntnis über eine ›subjective[.] Bedingung‹ verfügt und dass es sich dabei um die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt handelt. Wir können daher die folgende Proposition zur subjektiven Bedingung der Erkenntnis (sB) aufstellen: sB1 Die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt ist die subjektive Bedingung der Erkenntnis.

Laut § 9.E.1b1 ist die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt allgemeingültig und allgemein mitteilbar. Der folgende Zusammenhang ist damit naheliegend: sB2 Die Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand zur Erkenntnis überhaupt ist allgemeingültig und allgemein mitteilbar, weil sie die subjektive Bedingung der Erkenntnis ist.

Damit ist ein Zusammenhang angedeutet, den Kant in § 21 genauer erläutern wird. 59 Der Grundgedanke ist, dass Erkenntnisse allgemeingültig und allgemein mitteilbar sein müssen, weil sonst der Skeptizismus Recht behalten würde. Wenn aber eine Erkenntnis allgemeingültig und allgemein mitteilbar ist, dann muss auch der der Erkenntnis zugrundeliegende Gemütszustand, d. h. die ›subjektive Bedingung‹ der Erkenntnis, allgemeingültig sein. Wäre diese subjektive Bedingung nicht bei allen Menschen gleich und in diesem Sinne allgemeinVgl. § 21.A1–2, 238,19. – Siehe die Analyse dieser Passage in Kap. 21.2.1 und 21.2.2.

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gültig, so wäre die daraus entspringende Erkenntnis nicht allgemeingültig. Damit lässt sich die Allgemeingültigkeit der Lust am Schönen vermögenstheoretisch auf denjenigen Gemütszustand zurückführen, der (auch) die subjektive Bedingung der (allgemeingültigen) Erkenntnis ist und in diesem Sinne allgemeingültig sein muss. Die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt ist also die Grundlage der Allgemeingültigkeit der Lust am Schönen. Aber was genau soll man sich denn darunter vorstellen? Einen eher kryptischen Hinweis darauf liefert uns der letzte Satz von § 9: § 9.I.7 »Eine Vorstellung, die als einzeln und ohne Vergleichung mit andern, dennoch eine Zusammenstimmung zu den Bedingungen der Allgemeinheit hat, welche das Geschäft des Verstandes überhaupt ausmacht, bringt die Erkenntnißvermögen in die proportionirte Stimmung, die wir zu allem Erkenntnisse fordern, und daher auch für jedermann, der durch Verstand und Sinne in Verbindung zu urtheilen bestimmt ist (für jeden Menschen), gültig zu halten« (219,16).

Versuchen wir zunächst, den Satz ein wenig zu vereinfachen. Eine ›Vorstellung…als einzeln und ohne Vergleichung mit andern…‹ ist eine einzelne Vorstellung. Die ›proportionirte Stimmung, die wir zu allem Erkenntnisse fordern‹ steht für die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt. Diese Zusammenstimmung wird im weiteren Verlauf als allgemeingültig bestimmt (›und daher auch für jedermann, der durch Verstand und Sinne in Verbindung zu urtheilen bestimmt ist (für jeden Menschen), gültig zu halten‹). Wir können § 9.I.7 demnach folgendermaßen rekonstruieren: § 9.I.7R1 Eine einzelne Vorstellung, die eine Zusammenstimmung zu den Bedingungen der Allgemeinheit hat, welche das Geschäft des Verstandes überhaupt ausmacht, bringt die Erkenntnisvermögen in die allgemeingültige Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt.

Kant geht auf den Zusammenhang zwischen einer gegebenen Vorstellung (von einem Objekt) und der allgemeingültigen Stimmung zur Erkenntnis überhaupt ein. 60 Dieser Zusammenhang ist hilfreich, um die Stimmung zur Erkenntnis überhaupt besser zu verstehen. So legt die Formulierung ›Zusammenstimmung zu den Bedingungen der Dadurch ebnet er den Übergang zum Dritten Moment, in dem die Beziehung zwischen dem schönen Objekt und dem urteilenden Subjekt (Relation) thematisch ist.

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Allgemeinheit‹ nahe, die gegebene Vorstellung müsse so beschaffen sein, dass der Verstand sie unter einen Begriff subsumieren könnte. Denn in Kants Erkenntnistheorie sind Begriffe das Allgemeine. 61 Eine gegebene Vorstellung, die ›zu den Bedingungen der Allgemeinheit‹ zusammenstimmt, erfüllt damit die Bedingung der begrifflichen Erfassung. Wir können daher schreiben: § 9.I.7R2 Eine einzelne Vorstellung, die die Bedingung für eine begriffliche Erfassung durch den Verstand erfüllt, bringt die Erkenntnisvermögen in die allgemeingültige Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt.

Die Vorstellung vom schönen Objekt erfüllt also die Bedingungen für eine begriffliche Erfassung durch den Verstand – und dies bedeutet, dass sie über eine gewisse Regelmäßigkeit verfügen muss; denn ohne eine solche Regelmäßigkeit wäre eine begriffliche Erfassung nicht möglich. 62 Wir können aus der obigen Proposition aber auch etwas über die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt lernen, nämlich dass sie irgendetwas mit der begrifflichen Erfassung des schönen Gegenstandes zu tun haben muss. Gleichzeitig wissen wir jedoch durch BTUrteil, dass im Geschmacksurteil keine Eigenschaft des Objekts begrifflich erfasst wird. Ich werde in meinen Untersuchungen des Prinzips a priori der Urteilskraft das Folgende darlegen: 63 Im Geschmacksurteil nimmt der Verstand eine Art von andauernder Subsumtion unter dieses Prinzip vor, welches besagt, dass die Formen der Naturgegenstände zweckmäßig für unsere Erkenntnisvermögen (Objektseite) und dass unsere Erkenntnisvermögen zweckmäßig füreinander sind (Subjektseite). Der Verstand, so meine These, überprüft im freien Spiel die von der Einbildungskraft apprehendierten Formen anhand der Objektseite des Prinzips a priori, und er überprüft die Aktivität der Einbildungskraft anhand der Subjektseite dieses Prinzips. In diesem Sinne überprüft der Verstand, ob das schöne Objekt ›zu den Bedingungen der Allgemeinheit‹ zusammenstimmt, Vgl.: »der Begriff [ist] eine a l l g e m e i n e […] oder r e f l e c t i r t e Vorstellung« (Log: 91). 62 Vgl.: »Die Regelmäßigkeit, die zum Begriffe von einem Gegenstande führt, ist zwar die unentbehrliche Bedingung (conditio sine qua non), den Gegenstand in eine einzige Vorstellung zu fassen und das Mannigfaltige in der Form desselben zu bestimmen« (242,10). – Ich werde später zeigen, dass ein schönes Objekt nicht zu regelmäßig sein darf, sondern hinreichend viel Unregelmäßigkeit zum Spielen mit Formen bieten muss (siehe Kap. G6.2). 63 Siehe Kap. G3.3. 61

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d. h. ob es begrifflich erfassbar ist. Wie verhält sich diese Überprüfung zur Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt? Bei jeder Erkenntnis, d. h. bei einer ›Erkenntnis überhaupt‹, apprehendiert die Einbildungskraft eine Form und der Verstand subsumiert diese Form unter einen Begriff. Im Sinne dieser Subsumtion kommt es zu einer ›Zusammenstimmung‹ oder ›Harmonie‹ von Einbildungskraft und Verstand. 64 Meine These ist, dass beim Schönen auch eine Art von Subsumtion und in diesem Sinne eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vorliegt; denn im weiten Sinne subsumiert der Verstand die apprehendierte Formen und die Aktivität des Apprehendierens von Formen unter das Prinzip a priori der Urteilskraft. Und ein Aspekt der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, so haben wir gesehen, besteht darin, dass der Verstand das von der Einbildungskraft apprehendierte Material unter einen Begriff subsumiert. 65 Was hat Kant nun in § 9 für die Begründung von AT und für die Auflösung des Paradoxes von Allgemeingültigkeit und Begriffslosigkeit geleistet? i. Die Lust am Schönen gründet sich auf einen Gemütszustand, der die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, d. h. die subjektive Bedingung der Erkenntnis, beinhaltet. ii. Die subjektive Bedingung der Erkenntnis muss allgemeingültig sein. iii. Es gibt daher neben dem Objekt einen weiteren allgemeinen (intersubjektiven) Bezugspunkt von Urteilen, nämlich die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt. Damit sind aber noch nicht alle Fragen beantwortet. Insbesondere muss Kant im Anschluss an § 9 noch das Folgende leisten: Vgl. hierzu insbesondere: »und da läßt sich die Gemeinschaft zwischen Verstande und Sinnlichkeit in demselben Subjecte nach gewissen Gesetzen a priori wohl denken und doch zugleich die nothwendige natürliche Abhängigkeit der letzteren von äußeren Dingen, ohne diese dem Idealism preiszugeben. Von dieser Harmonie zwischen dem Verstande und der Sinnlichkeit, so fern sie Erkenntnisse von allgemeinen Naturgesetzen a priori möglich macht, hat die Kritik zum Grunde angegeben, daß ohne diese keine Erfahrung möglich ist, mithin die Gegenstände (weil sie theils ihrer Anschauung nach den formalen Bedingungen unserer Sinnlichkeit, theils der Verknüpfung des Mannigfaltigen nach den Principien der Zusammenordnung in ein Bewußtsein, als Bedingung der Möglichkeit einer Erkenntnis derselben, gemäß sind) von uns in die Einheit des Bewußtseins gar nicht aufgenommen werden und in die Erfahrung hineinkommen, mithin für uns nichts sein würden« (ÜE: 249, m. H.). 65 Siehe Kap. 9.3.4. 64

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i.

Eine Begründung dafür, warum die subjektive Bedingung der Erkenntnis allgemeingültig sein muss: Kant liefert diese in § 21. ii. Eine Erklärung, worin die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt besteht: Eine solche Erklärung wird eigentlich nie gegeben; jedoch finden sich einige verstreute Hinweise im gesamten Text der KU. iii. Eine Antwort auf die Frage, wie die subjektive Bedingung zur Erkenntnis vorliegen kann, ohne dass eine Erkenntnis gefällt wird, d. h. ohne dass ein begrifflicher Objektbezug vorliegt: Diese Antwort wird in § 21 und § 38 gegeben. Das Problem, wie ein Urteil möglich ist, das begriffslos und allgemeingültig ist, wird somit in § 9 noch nicht vollständig gelöst. In diesem Sinne weist Kant zum Ende des sechsten Absatzes darauf hin, dass die Frage nach der Möglichkeit einer Lust, die »wir jedem andern im Geschmacksurtheile als nothwendig zu[muthen], gleich als ob es für eine Beschaffenheit des Gegenstandes, die an ihm nach Begriffen bestimmt ist, anzusehen wäre«, noch nicht beantwortet ist; vielmehr müsse »[d]ie Erörterung dieser Frage […] bis zur Beantwortung derjenigen: ob und wie ästhetische Urtheile a priori möglich sind« (§ 9.G.4, 218,23), d. h. bis zur Deduktion der Geschmacksurteile in § 38, aufgeschoben werden.

9.6 Zur Beantwortung der ›minderen Frage‹ Kant widmet die letzten beiden Absätze einer »mindern Frage« (§ 9.H.1, 218,26). Mittels der Beantwortung dieser Frage gibt er eine Erklärung, warum wir das freie und harmonische Spiel als Lust erleben. Dabei vollzieht er eine Art Richtungswechsel in seiner Argumentation.

9.6.1 Die Formulierung der minderen Frage Kant formuliert die mindere Frage im achten Absatz von § 9: § 9.H.1 »[a] Jetzt beschäftigen wir uns noch mit der mindern Frage: [b] auf welche Art wir uns einer wechselseitigen subjectiven Uebereinstimmung der Erkenntnißkräfte unter einander im Geschmacksurtheile bewußt werden, ob ästhetisch durch den

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Zur Beantwortung der ›minderen Frage‹

bloßen innern Sinn und Empfindung, oder intellectuell durch das Bewußtseyn unserer absichtlichen Thätigkeit, womit wir jene ins Spiel setzen« (218,26).

Wir können § 9.H.1b zunächst folgendermaßen in eine zweiteilige Frage aufgliedern: § 9.H.1bR1 Wie werden wir uns der wechselseitigen subjektiven Übereinstimmung der Erkenntniskräfte untereinander im Geschmacksurteil bewusst: (1) ästhetisch durch den bloßen inneren Sinn und Empfindung? (2) intellektuell durch das Bewusstsein unserer absichtlichen Tätigkeit, durch welche wir die Erkenntniskräfte ins Spiel setzen?

Wenden wir uns zunächst Option (1) zu. Der Begriff »Empfindung« birgt ein Missverständnis. So hat Kant in § 3 zwischen objektiver und subjektiver Empfindung differenziert und dabei angekündigt, subjektive Empfindungen fortan nicht mehr als Empfindungen, sondern mit dem Begriff »Gefühl« zu bezeichnen. 66 Dennoch muss ›Empfindung‹ an dieser Stelle »Gefühl« meinen. Nun ordnet Kant der Empfindung, d. h. dem Gefühl, den ›inneren Sinn‹ zu. In der Anthropologie macht er jedoch deutlich, dass das Gefühl der Lust und Unlust nicht zum inneren Sinn, sondern zum inwendigen Sinn gehört. 67 Auch Option (2) birgt eine Problematik. Nach Option (1) würden wir uns ›durch den inneren Sinn und Empfindung‹, d. h. mittels dieses Sinnes, bewusst. Es wäre aber seltsam, wenn wir uns nach Option (2) ›durch‹, also mittels des ›Bewußtseyn[s] unserer absichtlichen Thätigkeit‹ bewusst würden. Stattdessen muss Kant mit der Formulierung ›durch das Bewußtseyn…‹ die Art des vorliegenden Bewusstwerdens explizieren. Ich schlage also die folgende Rekonstruktion vor: Vgl.: »um nicht immer Gefahr zu laufen, mißgedeutet zu werden, wollen wir das, was jederzeit blos subjectiv bleiben muß und schlechterdings keine Vorstellung eines Gegenstandes ausmachen kann, mit dem sonst üblichen Namen des Gefühls benennen« (§ 3.C.1, 206,27). 67 Vgl.: »wobei zu merken ist, daß der letztere [innere Sinn] als bloßes Wahrnehmungsvermögen (der empirischen Anschauung) vom G e f ü h l der Lust und Unlust, […] verschieden gedacht wird, den man den i n w e n d i g e n Sinn (sensus interior) nennen könnte« (Anth: 153). Der entscheidende Punkt ist, dass uns der innere Sinn Material für Erkenntnisse liefern kann, was beim inwendigen Sinn nicht der Fall ist (siehe hierzu auch Kap. 3.1.2). 66

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§ 9.H.1bR2 Wie werden wir uns der wechselseitigen subjektiven Übereinstimmung der Erkenntniskräfte untereinander im Geschmacksurteil bewusst: (1) ästhetisch durch den inwendigen Sinn und ein Gefühl? (2) intellektuell, d. h. indem wir uns unserer absichtlichen Tätigkeit bewusst werden, durch welche wir die Erkenntniskräfte ins Spiel setzen?

Das Seltsame ist nun, dass Option (2) eigentlich von Vornherein ausscheidet. So ist es eines der zentralen Charakteristika eines Spiels und insbesondere eines freien Spiels, dass die Spieler keine Absicht verfolgen. Eine ›absichtliche[.] Thätigkeit‹ kann daher kein (freies) Spiel sein. Zudem geht es ja um das Bewusstsein der ›Uebereinstimmung der Erkenntnißkräfte unter einander‹. Die einzige Möglichkeit einer absichtlichen Übereinstimmung der Erkenntniskräfte ist aber der Fall einer (absichtlich getroffenen) Erkenntnis. Eine solche absichtliche Übereinstimmung würde offenkundig dem Charakter des Geschmacksurteils als ästhetischen Urteils und der Begriffslosigkeitsthese widersprechen. Zudem wissen wir ja bereits, dass das Geschmacksurteil auf einem Gefühl beruht. Von daher wissen wir eigentlich, dass Option (1) zutreffen muss. Warum stellt Kant dann überhaupt beide Optionen zur Diskussion? Die einzig plausible Antwort ist, dass er an dieser Stelle die Richtung seiner Argumentation umkehrt. Bis zu diesem Punkt der Analytik hat er im Sinne der epistemischen Argumentationsstrategie verschiedene Charakteristika der Lust am Schönen bestimmt und im ersten Teil von § 9 die Grundlage dieser so charakterisierten Lust aufgedeckt. Im zweiten Teil von § 9 dreht er diese Strategie um: Er setzt beim freien und harmonischen Spiel der Erkenntniskräfte an und fragt, wie uns dieses Spiel bewusst wird. Seine Antwort ist, dass uns das freie Spiel durch ein Gefühl der Lust bewusst wird. Durch diesen Richtungswechsel der Argumentation bestätigt er, dass er tatsächlich die Grundlage einer Lust (und nicht etwa einer Erkenntnis) aufgedeckt hat.

9.6.2 Die Antwort auf die mindere Frage Kommen wir zur Antwort auf die ›mindere Frage‹. Wie bereits erläutert, scheidet Option (2) aus. Auch Kant beginnt seine Beantwortung der Frage damit, dass er diese Option ausschließt: 514

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Zur Beantwortung der ›minderen Frage‹

§ 9.I.1 »Wäre die gegebene Vorstellung, welche das Geschmacksurtheil veranlaßt, ein Begrif, welcher Verstand und Einbildungskraft in der Beurtheilung des Gegenstandes zu einem Erkenntnisse des Objects vereinigte, so wäre das Bewußtseyn dieses Verhältnisses intellectuell (wie im objectiven Schematism der Urtheilskraft, wovon die Critik handelt). § 9.I.2 Aber das Urtheil wäre auch alsdenn nicht in Beziehung auf Lust und Unlust gefället, mithin kein Geschmacksurtheil« (218,32).

Kant argumentiert also genau so, wie der aufmerksame Leser es sich auch selbst hätte denken können: Ein intellektuelles Bewusstsein wäre ein Bewusstsein durch einen Begriff; das Geschmacksurteil ist aber nicht-begrifflich, sondern ästhetisch. Verwirren mag dabei nur die Formulierung ›Wäre die gegebene Vorstellung, welche das Geschmacksurtheil veranlaßt, ein Begrif‹. Dies klingt so, als wolle Kant den Fall eines Urteils beschreiben, das nicht bei einer empirischen Anschauung, sondern bei einem Begriff seinen Ausgang nimmt. Seine anderen Ausführungen zu Erkenntnisurteilen in § 9 beziehen sich jedoch auf Erfahrungsurteile, die bei einer empirischen Anschauung ihren Ausgang nehmen. Dies wird insbesondere in § 9.E.3 deutlich: »Nun gehören zu einer Vorstellung, […] damit überhaupt daraus Erkenntniß werde, Einbildungskraft für die Zusammensetzung des Mannigfaltigen der Anschauung, und Verstand für die Einheit des Begrifs« (217,26, m. H. & Kants H. getilgt). Es scheint daher naheliegend, dass die Formulierung ›Wäre die gegebene Vorstellung, welche das Geschmacksurtheil veranlaßt, ein Begrif‹ eigentlich ein Urteil beschreibt, dessen Prädikat ein Begriff (vom Objekt) ist. Wir könnten dann die folgende Rekonstruktion vornehmen: § 9.I.1R1 Wäre das Prädikat des Geschmacksurteils ein Begriff (vom Objekt), welcher Verstand und Einbildungskraft in der Beurteilung des Gegenstandes zu einer Erkenntnis des Objekts vereinigte, so wäre das Bewusstsein dieses Verhältnisses intellektuell.

Fragen wir noch kurz, was es nun bedeutet, dass ›das Bewußtseyn dieses Verhältnisses intellectuell‹ wäre. Das ›Verhältnis[.]‹ muss die Vereinigung von ›Einbildungskraft und Verstand‹ bzw. die ›wechselseitige[.] subjective[.] Uebereinstimmung der Erkenntnißkräfte unter einander‹ (§ 9.H.1b), d. h. die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, meinen. Ein intellektuelles Bewusstsein dieser Zusammenstimmung wäre begrifflich. Wir würden uns in einem solchen Kants Philosophie des Schönen

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§ 9 Das freie und harmonische Spiel der Erkenntniskräfte

Fall der subjektiven Bedingung der Erkenntnis – und nichts anderes ist ja die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt – dadurch bewusst werden, dass wir eine Erkenntnis gewinnen würden. Wir hätten dabei kein unmittelbares Bewusstsein des Gemütszustandes, sondern nur ein durch eine Erkenntnis vermitteltes Bewusstsein. Dass wir beim Geschmacksurteil kein solches intellektuelles Bewusstsein der Zusammenstimmung haben, liegt auf der Hand. Denn das Geschmacksurteil ist kein Erkenntnisurteil. In diesem Sinne schreibt Kant dann auch: § 9.I.2 »Aber das Urtheil wäre auch alsdenn nicht in Beziehung auf Lust und Unlust gefället, mithin kein Geschmacksurtheil. § 9.I.3 Nun bestimmt aber das Geschmacksurtheil, unabhängig von Begriffen, das Object in Ansehung des Wohlgefallens und des Prädikats der Schönheit« (218,36 f.).

Die Argumentationsstruktur ist eindeutig: Ein intellektuelles Bewusstsein der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt liegt dann vor, wenn das Prädikat des Urteils eine Eigenschaft des Objekts begrifflich erfasst (§ 9.I.1). Ist dies der Fall, dann verfügt das Urteil über kein (quasi-)Prädikat der Lust; es wäre ›nicht in Beziehung auf Lust und Unlust‹ gefällt (§ 9.I.2). Das Geschmacksurteil verfügt aber über kein Prädikat, das eine Eigenschaft des Objekts begrifflich erfasst, sondern über ein (quasi-)Prädikat der Lust (§ 9.I.3). Also kann es im Geschmacksurteil kein intellektuelles Bewusstsein der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt geben. Aufgrund der in der Ausgangsfrage (§ 9.H.1) formulierten Dichotomie von ästhetischem und intellektuellem Bewusstsein der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt folgt durch Ausschluss des intellektuellen Bewusstseins, dass im Geschmacksurteil ein ästhetisches Bewusstsein dieser Zusammenstimmung vorliegen muss. So folgert auch Kant: § 9.I.4 »Also kann jene subjective Einheit des Verhältnisses sich nur durch Empfindung kenntlich machen« (219,3).

Dabei muss ›Empfindung‹ wiederum »Gefühl« bedeuten, sodass wir schreiben können: § 9.I.4* Also kann jene subjektive Einheit des Verhältnisses sich nur durch ein Gefühl kenntlich machen.

Warum, so fragt man sich nun, wird uns die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt durch ein Gefühl bewusst? Eine Antwort darauf findet sich in den beiden folgenden Sätzen: 516

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§ 9.I.5 »Die Belebung beider Vermögen (der Einbildungskraft und des Verstandes) zu unbestimmter, aber doch, vermittelst des Anlasses der gegebenen Vorstellung, einhelliger Thätigkeit, derjenigen nämlich, die zu einem Erkenntniß überhaupt gehört, ist die Empfindung, deren allgemeine Mittheilbarkeit das Geschmacksurtheil postulirt. § 9.I.6 Ein objectives Verhältniß kann zwar nur gedacht, aber, so fern es seinen Bedingungen nach subjectiv ist, doch in der Wirkung auf das Gemüth empfunden werden; und bey einem Verhältnisse, welches keinen Begrif zum Grunde legt (wie das der Vorstellungkräfte zu einem Erkenntnißvermögen überhaupt) ist auch kein anderes Bewußtseyn desselben, als durch Empfindung der Wirkung, die im erleichterten Spiele beider durch wechselseitige Zusammenstimmung belebten Gemüthskräfte (der Einbildungskraft und des Verstandes) besteht, möglich« (219,4).

Das Schlüsselwort, so werde ich nun zeigen, ist jeweils ›Belebung‹ bzw. ›belebten‹. Dies wird insbesondere in § 9.I.5 deutlich. Der Begriff ›Empfindung‹ muss hier erneut für »Gefühl« stehen. Reduziert man den Satz zudem auf seine Kernaussage, so erhält man: § 9.I.5* Die Belebung beider Vermögen ist das Gefühl, dessen allgemeine Mitteilbarkeit das Geschmacksurteil postuliert.

Erstens lässt sich also der Gemütszustand des freien Spiels als Zustand der Belebung charakterisieren; zweitens identifiziert Kant die Belebung mit dem Gefühl der Lust am Schönen. Letzteres bedeutet, dass der Gemütszustand der Belebung sich als Lust anfühlt. Mein Vorschlag ist, dass wir nur deshalb beim Schönen eine Lust fühlen, weil eine innere Belebung vorliegt und weil wir jede innere Belebung als Lust erleben. Ich werde auf diesen Punkt gleich zurückkommen, möchte allerdings noch kurz bei § 9.I.5 verweilen. Mehrere Aspekte dieses Satzes bedürfen nämlich noch der kurzen Erläuterung. Dass die Tätigkeit ›unbestimmt[.]‹ ist, verweist letztlich darauf, dass der Verstand die von der Einbildungskraft aufgefassten Formen nicht unter einen Begriff vom Objekt, d. h. unter einen bestimmten Begriff, subsumiert. Die Formulierung ›einhelliger Thätigkeit, derjenigen nämlich, die zu einem Erkenntniß überhaupt gehört‹ ist nur eine andere Formulierung für die Zusammenstimmung der Erkenntnisvermögen zur Erkenntnis überhaupt. § 9.I.5 kann somit folgendermaßen rekonstruiert werden:

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§ 9.I.5R1 Die Belebung von Einbildungskraft und Verstand zu unbestimmter, aber insofern einhelliger Tätigkeit, als eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vorliegt, ist das Gefühl, dessen allgemeine Mitteilbarkeit das Geschmacksurteil postuliert.

Wir müssen in dieser Proposition zwei vermögenstheoretische Begründungsmomente unterscheiden. Die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt bzw. der Aspekt der Einhelligkeit der Tätigkeit begründet, warum die Lust allgemein mitteilbar ist. 68 Die Belebung innerhalb der Tätigkeit aber begründet, dass wir überhaupt eine Lust fühlen. Dass es die Belebung ist, die wir beim Schönen fühlen, lässt sich auch in § 9.I.6 erahnen. Kant spricht dort von der ›Empfindung der Wirkung, die im erleichterten Spiele beider durch wechselseitige Zusammenstimmung belebten Gemüthskräfte […] besteht‹. Da ›Empfindung‹ wieder als Gefühl (der Lust) zu deuten ist, so legt die Formulierung nahe, dass wir die ›belebten Gemüthskräfte‹ als Lust erleben. Halten wir fest: Der Gemütszustand des freien und harmonischen Spiels der Erkenntniskräfte wird uns als Gefühl, d. h. als Lust, bewusst, weil es ein Zustand der Belebung ist und wir jeden Zustand der inneren Belebung als Lust erleben. Damit sind aber noch zwei Fragen offen: Wer belebt hier wen und wodurch? Und warum fühlt sich eine innere Belebung überhaupt als Lust an?

9.6.3 Belebung, Lust und Lebensgefühl In § 9.I.5 hatten wir die folgende Proposition identifiziert: § 9.I.5* Die Belebung beider Vermögen ist das Gefühl, dessen allgemeine Mitteilbarkeit das Geschmacksurteil postuliert.

Dieses Zitat verdeutlicht erstens, dass beim Schönen eine ›Belebung‹ von Einbildungskraft und Verstand vorliegt, d. h. dass das freie und harmonische Spiel als eine belebende Aktivität zu charakterisieren ist, sowie zweitens, dass es diese ›Belebung‹ ist, die als Lust gefühlt wird (›Die Belebung…ist die Empfindung‹ bzw. das Gefühl). Ähnlich heißt es in § 35:

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Dieses Begründungsmoment hatte Kant in § 9.E.1 erläutert. Siehe Kap. 9.5.

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»so muß das Geschmacksurtheil auf einer bloßen Empfindung der sich wechselseitig belebenden Einbildungskraft in ihrer Freyheit, und des Verstandes mit seiner Gesetzmäßigkeit, also auf einem Gefühle beruhen« (287,17, m. H. & Kants H. getilgt).

Erneut stellt Kant heraus, dass eine Belebung der Erkenntniskräfte vorliegt, und er setzt diese mit einem Gefühl gleich. 69 Es ist die Belebung, so mein Vorschlag, die wir als Lust erleben. 70 Ich möchte kurz skizzieren, wie sich diese Belebung im freien Spiel konstituiert. 71 Die Einbildungskraft apprehendiert frei Formen und spielt mit diesen, ohne dass der Verstand die Einbildungskraft durch einen Begriff einschränkt. Der Verstand überprüft die apprehendierten Formen und die Aktivität des Apprehendierens durch die Einbildungskraft anhand des Prinzips a priori der Urteilskraft. Diese Überprüfung fällt positiv aus. Das positive Ergebnis der Überprüfung befördert die Einbildungskraft, weiter Formen zu apprehendieren, die der Verstand wieder anhand des Prinzips a priori überprüft. In diesem Sinne kommt es zu einer befördernden Interaktion oder eben gegenseitigen Belebung von Einbildungskraft und Verstand. Es gilt zu beachten: Die Vermögen Einbildungskraft und Verstand sind keine Organe oder dergleichen, sondern stehen für spezifische Tätigkeiten. Diese Tätigkeiten greifen beim Schönen so ineinander, dass sie sich nicht nur gegenseitig erhalten, sondern auch zu stärkerer Tätigkeit anregen. Warum aber erleben wir diese Belebung als Lust? Wir hatten bereits beim Angenehmen gesehen, dass wir eine Empfindung als eine innere (physische) Belebung verstehen können und dass sich diese Belebung im Sinne des Prinzips des Lebens als Lust anfühlt. 72 So heißt es in der Anthropologie zur Lust am Angenehmen: »Vergnügen Auch in Kants Argumentation für den Gemeinsinn in § 21 spielt die Konzeption der Belebung eine zentrale Rolle: »Gleichwohl aber muß es eine [Stimmung] geben, in welcher dieses innere Verhältniß zur Belebung (einer durch die andere) die zuträglichste für beide Gemüthskräfte in Absicht auf Erkenntniß (gegebener Gegenstände) überhaupt ist; und diese Stimmung kann nicht anders als durch das Gefühl (nicht nach Begriffen) bestimmt werden« (§ 21.A.5, 238,34, m. H.). Bei der Untersuchung von § 21 werden wir sehen, dass der Gemeinsinn nur aufgrund dieser Komponente der Belebung als ›Gefühl…bestimmt werden kann‹ (siehe Kap. 21.5). 70 Makkreel macht darauf aufmerksam, dass »der Ausdruck ›Leben‹ und seine Ableitungen öfter in der Kritik der Ästhetischen Urteilskraft auf[treten] als in der Kritik der Teleologischen Urteilskraft« (Makkreel 1997, 118). 71 Siehe hierzu insbesondere auch Kap. G3.3. 72 Siehe hierzu Kap. 4.1.1. 69

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ist das Gefühl der Beförderung, Schmerz das einer Hindernis des Lebens« (Anth: 231). In der KU heißt es: »weil das Leben ohne das Gefühl des körperlichen Organs bloß Bewußtseyn seiner Existenz, aber kein Gefühl des Wohl- oder Uebelbefindens, d. i. der Beförderung oder Hemmung der Lebenskräfte sey« (277,32 f., m. H.). Wir haben ferner gesehen, dass nicht nur körperliche Belebungen als Lust bzw. Lebensgefühl empfunden werden, sondern auch intellektuelle Belebungen. Mit Rekurs auf das Triebfedernkapitel der KpV habe ich gezeigt, dass wir eine Lust am moralisch Guten fühlen, weil eine Beförderung einer intellektuellen Tätigkeit, nämlich des moralischen Wollens, vorliegt. 73 Als Zustand der Beförderung oder Belebung ist »[d]er Gemüthszustand […] eines irgend wodurch bestimmten Willens […] an sich schon ein Gefühl der Lust und mit ihm identisch« (§ 12.A.5, 222,11). Beim Schönen verhält es sich ähnlich. Das freie Spiel der Erkenntniskräfte als Zustand einer inneren Belebung fühlt sich als Lust an; denn der Zustand einer inneren Belebung ist ein Zustand der Beförderung des Lebens. So spricht Kant bereits in § 1 vom »Lebensgefühl desselben [Subjekts], unter dem Namen des Gefühls der Lust und Unlust« (§ 1.B.2, 204,8). Und in § 23 heißt es: »indem dieses (das Schöne) directe ein Gefühl der Beförderung des Lebens bey sich führt« (244,32, m. H.). Halten wir also fest: Die Aktivität des freien und harmonischen Spiels lässt sich als eine innere Belebung charakterisieren. Eine innere Belebung – egal ob physischer oder intellektueller Natur – fühlt sich als Lust im Sinne eines Lebensgefühls an. Fragen wir abschließend, wie das Verhältnis des Gemütszustands des belebenden Spiels und der Lust am Schönen zu bestimmen ist. Sind beide womöglich kausal verbunden? Diese Annahme mag naheliegend sein; denn Kant selbst scheint ein solches Kausalverhältnis mit einigen seiner Formulierungen heraufzubeschwören. So heißt es etwa in der Ersten Einleitung, dass die »Empfindung«, d. h. die Lust, vom »harmonische[n] Spiel der beyden Erkenntnißvermögen der Urteilskraft […] bewirkt« werde (EEKU: 224,21, m. H.). 74 Zudem spricht Kant mehrfach davon, dass das freie Spiel der Grund der Lust Siehe erneut Kap. 4.1.1.Vgl. auch KpV: 79. Vgl. auch: »und daß die ästhetische Urtheilskraft eher als die intellectuelle den Namen eines gemeinschaftlichen Sinnes führen könne, wenn man ja das Wort Sinn von einer Wirkung der bloßen Reflexion auf das Gemüth brauchen will: denn da versteht man unter Sinn das Gefühl der Lust« (295,22, m. H.).

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sei. 75 Der Begriff »Grund« kann jedoch auch bloß im Sinne eines ontologischen Zugrundeliegens gedeutet werden, ohne dass dadurch ein Kausalverhältnis impliziert sein muss. In meine obigen Ausführungen zur Belebung und zum Lebensgefühl ist nun bereits implizit das Folgende eingeflossen: Ich gehe davon aus, dass sich die innere Belebung als Lust anfühlt bzw. als Lust erlebt wird und dass die Belebung nicht eine Lust (kausal) bewirkt. 76 Auch diese Interpretation wird durch Textpassagen gestützt, sodass der kantische Text insgesamt nicht eindeutig für oder gegen eine kausale Interpretation spricht. Zunächst lässt sich erneut die bereits zitierte und analysierte Stelle aus § 9 anführen: § 9.I.5* Die Belebung beider Vermögen ist das Gefühl, dessen allgemeine Mitteilbarkeit das Geschmacksurteil postuliert.

Die Belebung wird hier mit dem Gefühl identifiziert (›ist‹). Dies legt nahe, dass kein Kausalverhältnis besteht, sondern dass die Belebung und die Lust in irgendeiner Form dasselbe sind. Auch in der Ersten Einleitung gibt es Passagen, die diese Interpretation stützen, etwa: »aber man kann eben dieses Verhältniß zweyer Erkenntnißvermögen doch auch blos subjectiv betrachten, so fern eins das andere in eben derselben Vorstellung befördert oder hindert und dadurch den G e m ü t h s z u s t a n d afficirt und also ein Verhältniß, welches e m p f i n d b a r ist« (EEKU: 223,12). 77

Dieses Zitat verdeutlicht, dass das freie Spiel bzw. der Zustand der Beförderung als Lust empfunden wird. An anderer Stelle spricht Kant auch vom »innere[n] Gefühl eines zweckmäßigen Zustandes des Gemüths« (296,4). All dies legt nahe, dass das freie Spiel, d. h. der Zustand der Belebung beim Schönen, als Lust empfunden wird und nicht eine Lust kausal hervorbringt. Dafür sprechen schließlich insbesondere auch Kants Ausführungen in § 12. Kant schildert in diesem Vgl.: »Diese bloß subjective (ästhetische) Beurtheilung des Gegenstandes, oder der Vorstellung wodurch er gegeben wird, geht nun vor der Lust an demselben vorher, und ist der Grund dieser Lust an der Harmonie der Erkenntnißvermögen« (§ 9.F.1, 218,8, m. H.); »Die Spontaneität im Spiele der Erkenntnißvermögen, deren Zusammenstimmung den Grund dieser Lust enthält« (197,10, m. H.). 76 Für eine Kritik der »causal theory« siehe Aquila 1982, 93–99 sowie Zuckert 2002, 244. 77 Vgl. auch: »die subjective blos empfindbare Bedingung des objectiven Gebrauchs der Urtheilskraft (nämlich die Zusammenstimmung jener beyden Vermögen unter einander)« (EEKU: 223,34, m. H.). 75

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Paragraphen eine Analogie zwischen der Achtung und der Lust am Schönen. Dabei gibt er den Entstehungszusammenhang der Achtung folgendermaßen wieder: Das moralische Gesetz verursacht (als Grund a priori) eine Willensbestimmung; »[d]er Gemüthszustand aber eines irgend wodurch bestimmten Willens ist an sich schon ein Gefühl der Lust und mit ihm identisch, folgt also nicht als Wirkung daraus« (§ 12.A.5, 222,11). 78 Überträgt man dies auf das Schöne, so ergibt sich das folgende Bild: Das Prinzip a priori der Urteilskraft verursacht (partiell) das freie Spiel der Erkenntniskräfte, und dieser Zustand der inneren Aktivität ist in einer gewissen Hinsicht mit der Lust am Schönen identisch. 79 Wie ist diese Art von Identität aber zu verstehen? Ist eine Identität des belebten Willens und der Lust am Guten bzw. eine Identität des freien Spiels und der Lust am Schönen nicht insofern absurd, als es sich doch jeweils um zwei verschiedene Dinge zu handeln scheint? Mein Vorschlag, diese Identität zu deuten, lautet folgendermaßen: Das freie Spiel und die Lust am Schönen sind Aspekte ein und desselben Gemütszustandes des Subjekts, und das freie Spiel kann nicht ohne eine Lust am Schönen vorliegen sowie die Lust am Schönen nicht ohne das freie Spiel. Beschreibt man diesen Gemütszustand unter vermögenstheoretischen Gesichtspunkten, so ist es ein freies und harmonisches Spiel von Einbildungskraft und Verstand. Beschreibt man diesen Zustand aber unter phänomenalen, qualitativen Gesichtspunkten, so ist es ein Zustand der Lust. Freilich ist damit keine Identitätsrelation im eigentlichen Sinne beschrieben; es scheint nicht erkennbar, dass zwischen dem freien Spiel und der Lust am Schönen eine Identitätsrelation im strengen Sinne vorliegen sollte, wie sie etwa zwischen den Gliedern eines analytischen Satzes (etwa »Junggeselle« und »unverheirateter Mann«) besteht. 80 Wenngleich das freie Spiel und die Lust Aspekte ein und desselben Gemütszustandes sind, ist ferner nicht ausgeschlossen, dass diese Aspekte sich auf eine spezifische Art und Weise zueinander verhalten: Es ist das freie Spiel (bzw. die im freien Spiel beinhaltete Belebung), das uns durch den phänomenalen Aspekt der Lust bewusst wird und das wir als Lust erleben. Aber dies bedeutet nicht, dass das freie Spiel die Lust kausal bewirkt. Würde die Lust am Schönen nämlich durch das freie Vgl. § 12.A.2–5, 222,2. Siehe die Analyse dieser Passage in Kap. 12.3. Siehe hierzu Kap. 12.4. 80 Vgl.: »A n a l y t i s c h e Sätze heißen solche, deren Gewißheit auf I d e n t i t ä t der Begriffe (des Prädicats mit der Notion des Subjects) beruht« (Log: 111). 78 79

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Spiel in einem Kausalverhältnis bewirkt, so bestünde die Gefahr, dass dieses Kausalverhältnis (wie Kausalverhältnisse im Normalfall) in den Bereich des Empirischen fallen würde. Wäre aber Letzteres der Fall, dann wäre das Geschmacksurteil bloß ein Urteil a posteriori. 81 Da es aber mindestens ein Kausalverhältnis gibt, bei dem die Ursache in den Bereich des Noumenalen fällt – nämlich die Verursachung der Achtung bzw. der Willensbestimmung durch das moralische Gesetz –, so wäre es denkbar, dass dies auch für den Fall der Verursachung der Lust am Schönen durch das freie Spiel gelten würde. Vertreter eines Kausalmodells müssten Letzteres allerdings gut begründen können. 82 (Problematisch scheint daran, dass die Vermögen der Einbildungskraft und des Verstandes nicht in den Bereich des Noumenalen fallen.) Insgesamt scheint mir die Analogie zum in § 12 geschilderten Entstehungskontext der Achtung hinreichend stark, um anzunehmen, dass die Lust am Schönen nicht durch das freie Spiel bewirkt wird, sondern dass die Lust am Schönen bloß die Art und Weise ist, wie wir das freie Spiel phänomenal erleben und wie es uns bewusst wird. Wir können insgesamt zum Verhältnis des freien Spiels und der Lust am Schönen festhalten: i. Das freie und harmonische Spiel der Erkenntniskräfte und die Lust am Schönen sind zwei Aspekte ein und desselben Gemütszustandes. ii. Das freie Spiel ist eine Aktivität der inneren Belebung. Diese innere Belebung erleben wir als Gefühl der Lust. iii. Das freie Spiel bewirkt die Lust am Schönen nicht kausal. Die Lust ist die Art und Weise, wie wir das freie Spiel phänomenal erleben.

Für einen ähnlichen Einwand vgl. Ginsborg 2015, 38 sowie Ginsborg 2017, 427. Ich werde im Zuge der Analyse von § 12 darlegen, dass das freie Spiel kausal bewirkt wird und dass dabei eine Analogie zur Bewirkung der Achtung durch eine intelligible Ursache vorliegt. So beruht das freie Spiel unter anderem auf einer Ursache a priori – nämlich dem Prinzip a priori der Urteilskraft; diesen Teil des Entstehungskontextes der Lust am Schönen können wir a priori erkennen. Dadurch ist aber keineswegs impliziert, dass erstens das freie Spiel die Lust am Schönen kausal bewirkt und dabei zweitens das freie Spiel eine noumenale Ursache ist. Siehe hierzu erneut Kap. 12.4.

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9.7 Zusammenfassung In § 9 hat Kant mit dem freien und harmonischen Spiel der Erkenntniskräfte die der Lust am Schönen zugrundeliegende Vermögensaktivität aufgedeckt. Den Ausgangspunkt seiner Argumentation bildete die Allgemeingültigkeitsthese AT. Der entscheidende Argumentationsschritt zur Herleitung des freien und harmonischen Spiels bestand darin, dass die Lust am Schönen etwas mit Erkenntnis zu tun haben muss; denn Erkenntnisse waren bislang das einzige, was Allgemeingültigkeit beanspruchen konnte. Da die Übereinstimmung mit dem Objekt als Grund der Allgemeingültigkeit beim Schönen ausscheidet, plädiert Kant dafür, dass der Lust derjenige (allgemeingültige) Gemütszustand zugrunde liegt, der für jede Erkenntnis notwendig ist (Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte zur Erkenntnis überhaupt). Das Spezifikum des Gemütszustandes beim Schönen, wodurch er sich vom Gemütszustand bei einer Erkenntnis unterscheidet, ist, dass er ein freies Spiel beinhaltet. Die beiden Bestandteile des Gemütszustandes können jeweils als vermögenstheoretische Grundlage der allgemeingültigen Lust am Schönen herangezogen werden: Wir fühlen überhaupt Lust, weil ein freies Spiel der Erkenntniskräfte und in diesem Sinne eine innere Belebung vorliegt; weil zudem auch eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vorliegt, d. h. die subjektive Bedingung der Erkenntnis, beansprucht die Lust Allgemeingültigkeit. In § 9 findet sich eine Andeutung, inwiefern die Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand zur Erkenntnis überhaupt Allgemeingültigkeit bzw. allgemeine Mitteilbarkeit beanspruchen kann. Diese Zusammenstimmung wird als subjektive Bedingung der Erkenntnis identifiziert, d. h. wenn sie nicht vorliegt, kann keine Erkenntnis entspringen. Da die Erkenntnis allgemeingültig ist und sie aber nicht allgemeingültig wäre, wenn ihre subjektive Bedingung nicht auch allgemeingültig wäre, so muss die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt als subjektive Bedingung der Erkenntnis allgemeingültig sein.

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Literaturbericht

9.8 Literaturbericht Zunächst stellt sich die Frage, wie andere AutorInnen den Terminus ›Beurtheilung‹ in der Frage F verstehen (»Untersuchung der Frage: ob im Geschmacksurtheile das Gefühl der Lust vor der Beurtheilung des Gegenstandes, oder diese vor jener vorhergehe«, 216,30). Viele AutorInnen, darunter Allison (2001, 112), Crawford (1974, 70 f.) oder Wenzel (2008, 47 & 50), deuten diesen Begriff im Sinne einer Beurteilungsaktivität, die sie dezidiert vom eigentlichen Geschmacksurteil unterschieden wissen wollen. Longuenesse geht zwar nicht genauer auf die Verwendung des Terminus ›Beurtheilung‹ in F ein, identifiziert jedoch die Beurteilung, die der Lust am Schönen vorhergeht, als »the act of reflecting upon an object« (Longuenesse 2006, 206). Ein Sonderfall ist die Interpretation Guyers, der ›Beurtheilung‹ zwar auch im Sinne einer Reflexionsaktivität deutet, jedoch bemängelt, dass Kant dabei die beiden Arten von Reflexionsaktivität vermische, die Guyer in seinem ›two-acts model‹ unterscheidet (das freie und harmonische Spiel als erste Beurteilungsaktivität und eine Reflexion über die Ursache der Lust als zweite Beurteilungsaktivität). 83 Auch Fricke unterscheidet zwei Bedeutungen von ›Beurtheilung‹ in F, die jedoch im Sinne der Beurteilungsaktivität und des ästhetischen Urteils zu verstehen sind: »Erstens bezeichnet er [Kant] mit diesem Terminus das nur privatgültige ästhetische Urteil über das Angenehme, dem die Lust am Angenehmen vorhergeht. Und zweitens bezeichnet er mit diesem Terminus eine Beurteilung, die der Lust am Schönen vorhergeht«; diese zweite Beurteilung identifiziert sie als »Akt der Reflexion« (Fricke 1990, 44). Klarerweise im Sinne des Geschmacksurteils liest Ginsborg den Begriff ›Beurtheilung‹ (vgl. Ginsborg 2015, 30 & 33 f.; Ginsborg 2008, 69 & 72 f.). Diese Interpretation ergibt sich aus ihrem selbstreferenziellen ›one-act model‹, in dem das freie Spiel (d. h. die Beurteilungsaktivität), die Lust am Schönen und das Geschmacksurteil nicht unterschieden werden. Ähnlich nimmt auch Kulenkampff, der ebenfalls eine Art von ›one-act model‹ vertritt, an, dass die ›Beurtheilung‹ in F das Geschmacksurteil meine (vgl. Kulenkampff 1994, 91). Matthews vertritt eine Art von ›one-act model‹, wobei die Beurteilung bzw. das Urteil die ratio essendi der Lust, die Lust aber die ratio cognoscendi der Beurteilung bzw. des Urteils seien; dadurch will sie die Problematik in F gelöst wissen (vgl. Matthews 1997, 34). Schließlich versteht auch Ameriks unter ›Beurtheilung‹ das Geschmacksurteil, wobei er den folgenden Zusammenhang zugrunde legt: »the mandated universal approval of a beautiful object, but not the feeling as such, can be within an aesthetic judgment, even if from such a judgment it follows – as a causal effect in one’s own case and as a Für meine Auseinandersetzung mit dem ›two-acts model‹ siehe Grundlagen 2. Siehe insbesondere auch den Literaturbericht zum ›one-act model‹ und ›two-acts model‹ in Kap. G2.3.

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normative claim for others – that there should come a certain kind of feeling« (Ameriks 2003, 311). Der Status des Geschmacksurteils als ästhetisches Urteil widerspricht dieser Deutung allerdings offenkundig. Beim Blick in die Sekundärliteratur wird insgesamt der folgende Zusammenhang deutlich: Ob AutorInnen unter ›Beurtheilung‹ eine Beurteilungsaktivität oder das Geschmacksurteil verstehen, hängt primär davon ab, ob sie eine Identität von freiem Spiel (als potenzielle Beurteilungsaktivität) und Geschmacksurteil annehmen oder nicht, womit die Frage einhergeht, ob ein ›one-act model‹ oder ein ›two-acts model‹ vertreten wird; ich werde im nächsten Kapitel (Grundlagen 2) genauer auf diese Modelle eingehen. Die dringlichste Frage, die sich mit Bezug auf § 9 stellt, ist freilich die, was unter dem freien und harmonischen Spiel der Erkenntniskräfte zu verstehen ist. Wenngleich es noch weitestgehend Konsens zu sein scheint, dass die Einbildungskraft in irgendeiner Form mit Formen spielt, so ist insbesondere hoch umstritten, worin die Harmonie bzw. die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt besteht und wie sich diese konstituiert. Einigkeit herrscht jedoch größtenteils dahingehend, dass diese Harmonie bzw. die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt die Allgemeingültigkeit der Lust bzw. AT erklären bzw. begründen soll. Ein solches Begründungsmodell findet sich etwa bei Breitenbach (2018, 288), Crawford (1974, 91), Kern (2000, 46 f. & 67), Kulenkampff (1994, 91), Makkreel (1997, 84 & 122), Matthews (1997, 33), Wenzel (2008, 50 f.) und Zammito (1992, 117 f.). Ein expliziter Verweis, dass es sich bei der Harmonie bzw. der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt um die subjektive Bedingung der Erkenntnis handelt, findet sich etwa bei Eckl (2017, 71), Guyer (1979, 159), Vesper (2015a, 557) und Zhouhuang (2016, 90). Kern bezeichnet die »Zusammenstimmung unserer beiden Vermögen« als »die gemeinsame Form aller Erkenntnisse« (Kern 2002, 98). Ein ganz anderes (von McDowell und Wiggins inspiriertes) Begründungsmodell rekonstruiert Ginsborg, wenn sie schreibt: »the claim to universal agreement is underwritten by the idea of appropriateness or merit. The judgment of beauty can claim universal agreement because the pleasure on which it is based is the awareness that a certain feeling is appropriate given the presence of a certain object« (Ginsborg 2015, 31). Was aber wird in der Literatur unter Kants Konzeption der Harmonie bzw. der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt verstanden? Bisweilen finden sich nur sehr allgemeine Erläuterungen dieser Konzeption, wie etwa bei Eckl, der von »eine[r] Bedingung« spricht, »die lediglich das feststellt, was auf Seiten des erkennenden Subjekts erfüllt sein muss, damit Erkenntnis zustande kommt« (Eckl 2017, 71; für eine ebenso allgemeine Erklärung vgl. Matthews 1997, 79, Pollok 2017, 295 f. sowie Wenzel 2008, 51). Ähnlich allgemein scheint mir auch Ameriks’ Verständnis des Zustandes zur Erkenntnis überhaupt zu sein, wobei er jedoch die Harmonie als einen spezifischen Zustand beim Schönen identifiziert, nämlich als »a

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Literaturbericht

›special‹ harmony in that it goes beyond the minimal fit required for us to be able to have empirical knowledge at all« (Ameriks 2003, 336). Jenseits solch allgemeiner Charakterisierungen ist die entscheidende Frage, welche Rolle dem Verstand als Vermögen der Begriffe im spezifischen Zustand zur Erkenntnis überhaupt, wie er beim Schönen vorliegt, zukommt. Guyer schlägt vor, zwischen »precognitive« und »multicognitive [interpretations]« zu unterscheiden (Guyer 2006, 165 f.; für eine Diskussion vgl. auch Ostaric 2017). (Ähnlich unterscheidet Kern zwischen einem materialistischen und einem hermeneutischen Verständnis des freien Spiels, wobei Ersteres mit der ›precognitive‹ und Letzteres mit der ›multicognitive interpretation‹ übereinstimmt; vgl. Kern 2000, 50–55) Bei ›precognitive interpretations‹ sind alle Bedingungen oder Leistungen für eine Erkenntnis erfüllt, außer der begrifflichen Erfassung des Mannigfaltigen durch einen (bestimmten) Begriff; bei ›multicognitive interpretations‹ sind alle Bedingungen oder Leistungen für eine Erkenntnis erfüllt, allerdings wird »an indeterminate or open-ended manifold of concepts for the manifold of intuition« angewendet, ohne dass das Objekt abschließend durch eine bestimmte Erkenntnis beurteilt wird (Guyer 2006, 165 f.). Eine Mehrheit von AutorInnen stimmt, so mein Eindruck, eher der ›precognitive interpretation‹ zu. Paradigmatisch spricht etwa Crawford vom »reordering or relating of the various parts of the manifold of intuition to find an organization capable of being conceptualized«, wobei aber »the activity of relating the various parts of the manifold of intuition either ignores or does not result in an organization capable of being conceptualized according to definite or determinate rules« (Crawford 1974, 90 f.). Ähnlich spricht auch Longuenesse von der »imagination being in agreement with understanding without falling under the rule of any particular concept in the case of aesthetic judgment« (Longuenesse 2006, 205). 84 Und Vesper konstatiert: »Demnach gehört es zur Harmonie der Erkenntnisvermögen, dass Anschauungen ohne Darstellung spezifischer Begriffe in einer generell für die Darstellbarkeit von Begriffen durch die Urteilskraft geeigneten Weise zusammengesetzt sind« (Vesper 2015a, 558). Ausgehend von den drei Synthesisakten, die Kant in der KrV benennt, spricht Guyer (in einer frühen Interpretation) dem Schönen die Synthesisakte der Apprehension und Reproduktion, nicht aber die Rekognition durch Begriffe zu (vgl. Guyer 1979, 86 f.). Makkreel betont, dass sich die Übereinstimmung von Einbildungskraft und Verstand nicht durch eine Synthesis konstituiere, weil diese »einen einseitigen Einfluß im Interesse strikter Einheit ein[schließe]« (Makkreel 1997, 66). Weiter heißt es: »Obwohl Kant von einer Übereinstimmung des Verstandes mit der EinbilIrritierenderweise spricht Longuenesse bisweilen auch davon, dass ein »peculiar failure of concept-determination« vorliege (Longuenesse 2003, 147). Ein solches Scheitern der begrifflichen Erfassung müsste aber als Unlust erfahren werden, statt als Lust.

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dungskraft spricht, sind die Relata, die tatsächlich in ästhetischer Einbildung verglichen werden, zwei Produkte der Einbildungskraft, nämlich eine durch die Einbildung aufgefaßte Form und Schemata als zeitliche Regeln der Einbildungskraft« (Makkreel 1997, 77). Makkreel bestreitet allerdings explizit, dass diese Position zu den ›precognitive interpretations‹ gehöre; er klassifiziert sich stattdessen als »meta-experiential« (Makkreel 2006, 242). Eine Art von ›precognitive interpretation‹ scheint schließlich auch Meerbote nahezulegen, wenn er schreibt: »in a mere reflection the object of reflection is a comparison of the relation in which the imagination (including perception) and the understanding stand on the occasion of a perception with the relation in which they are to stand überhaupt for the capacity of judgment to do its work« (Meerbote 1982, 72). Zum Schönen heißt es dann: »it will require apprehended invariant features of the manifold for the comparison to find that the manifold conforms to the understanding« (Meerbote 1982, 72 f.). 85 Eine besondere Ausprägung der ›precognitive interpretation‹ findet sich bei Zinkin. Ihr Modell lautet: »it is precisely the relationship between the understanding, which can only think what is apprehended extensively, and the imagination, which, in this case, is apprehending representations intensively, that enables the faculties to ›reciprocally animate each other‹ (V:287). Indeed, this is the only way the relationship between the imagination and the understanding can be conceived in order for what is apprehended by the imagination to be, on the one hand, purposive for conceptualization by the understanding and yet, on the other hand, still not be subsumable by concepts« (Zinkin 2006, 152). In einem jüngeren Text vertritt auch Ginsborg eine Art von ›precognitive interpretation‹, wobei sie sich aber insgesamt auf die Aktivität der Einbildungskraft fokussiert: »For it is possible that a given object might elicit an activity of imagination such that rather than becoming aware of specific features of that activity which exemplify rules for how the object ought to be perceived, I take the activity to be exemplary simpliciter of how the object ought to be perceived. I take it – as I am entitled to take my imaginative activity in general – to set a standard for how my or anyone else’s imagination ought to function with respect to the object which elicits it« (Ginsborg 2015, 88). Da dabei eine Übereinstimmung der Einbildungskraft mit Regeln vorliege, liege eo ipso auch eine Beziehung zum Verstand vor (vgl. Ginsborg 2015, 91). In früheren Varianten ihrer Interpretation vertritt Ginsborg nur das folgende selbstreferenzielle Modell, welches sich weder der ›precognitive‹ noch der ›multicognitive interpretation‹ zuordnen lässt: »I take my mental state in perceiving an object to be universally communicable, where my mental state is nothing other than the mental state of performing that very In gewisser Hinsicht kommt diese Interpretation meiner eigenen sehr nahe, da wir beide den Vergleich bzw. die ›Abgleichung‹ der Formen der Einbildungskraft betonen. Siehe hierzu Kap. 5.3.

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act of judgment, that is, of taking my mental state in the object to be universally communicable« (Ginsborg 2015, 41; vgl. auch Ginsborg 2008, 76). – Kommen wir zu den ›multicognitive interpretations‹. Eindeutig dieser Interpretationslinie zuzuordnen ist Crowthers Verständnis der Harmonie der Erkenntnisvermögen: »It [my own view] holds that whilst the pure aesthetic judgment does not involve any definite concept as an outcome, definite concepts involving the categories and transcendental schemata are involved in it in a ceaseless play of interactions« (Crowther 2010, 61 Fn.); fast identisch deutet auch Cohen die Harmonie der Erkenntnisvermögen (vgl. T. Cohen 2002, 3). Fricke schreibt zur Aktivität des Verstandes: »So wie die Einbildungskraft immer mehr Elemente des Mannigfaltigen der Anschauung dieses Gegenstandes in der Einheit eines Schemas zu verbinden sucht, sucht der Verstand eine immer genauere Beschreibung dieses Gegenstandes zu entwickeln« (Fricke 1990, 147). Dabei bediene sich der Verstand »zunächst der begrifflichen Mittel, die ihm eine natürliche Sprache bereitstellt«, erweitere und verdichte aber in der Folge das Begriffsschema dieser natürlichen Sprache (Fricke 1990, 147). Auch Zuckerts Interpretation fügt sich in eine ›multicognitive interpretation‹. Sie spricht von »(1) an alternation of attention among heterogeneous (particular, empirical) properties of the object, or ›play.‹ Such play is (2) free or unrestricted by an overarching determinate concept, attending rather to indeterminately many of the heterogeneous properties of the object. But it is play (3) with the understanding, insofar as we indicate conceptually the various aspects of the whole or their interrelations, and is (4) in (free) harmony with the understanding because the manifold is nonetheless taken to belong together, to be unified, indeed in a way that corresponds to the logical norms of the understanding for ideal empirical conceptual content (perfection)« (Zuckert 2007, 291 f.). Guyer stuft auch die Interpretation Allisons als ›multicognitive‹ ein (vgl. Guyer 2006, 169 f.). Dies scheint insofern sinnvoll, als Allison die gegenseitige Belebung von Einbildungskraft und Verstand folgendermaßen beschreibt: »the basic idea is presumably that the imagination in its free play stimulates the understanding by occasioning it to entertain fresh conceptual possibilities, while, conversely, the imagination, under the general direction of the understanding, strives to conceive new patterns of order« (Allison 2001, 171). Unklar scheint mir, wie und ob sich die Positionen Essers und Kulenkampffs in Guyers Einteilung fügen. Nach Kulenkampff ist die spezifische ›Erkenntnis überhaupt‹, wie sie beim Schönen vorliegt, als »unbestimmte Übereinstimmung der mit empirischem Material befaßten Einbildungskraft und des Verstandes als des Vermögens unbestimmt und unabsehbar vieler empirischer Begriffe« zu verstehen (Kulenkampff 1994, 105). Die Urteilskraft beziehe sich dann reflexiv auf die Interaktion von Einbildungskraft und Verstand und betrachte ihre formale Übereinstimmung. Ein ähnliches Modell der »anläßlich einer gegebenen Vorstellung vollzogene[n] Reflexion der Urteilskraft auf sich selbst« beschreibt auch Kern (2000, 57). Esser Kants Philosophie des Schönen

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konstatiert, beim Schönen würden Einbildungskraft und Verstand insofern übereinstimmen, als die Urteilskraft einen »Vergleich der freien Apprehension einer Vorlage mit der Verfahrensweise im Schematismus eines bestimmten Begriffs« vornehme und dabei »die Vorlage als eine ästhetisch vermittelte Darstellung dieses Begriffs qualifiziere[.]« (Esser 1997, 178 f.). 86 Kehren wir noch einmal zu Guyers Einteilung zurück. Das offenkundige Problem der ›precognitive interpretation‹ besteht darin, dass sie nicht zufriedenstellend erklären kann, warum überhaupt der Verstand (als Vermögen der Begriffe) eine Rolle spielen sollte. 87 Gegen die ›multicognitive interpretation‹ spricht hingegen die Begriffslosigkeitsthese (BTLust und BTUrteil). Guyers eigener Vorschlag besteht dann in einem »›metacognitive‹ approach« (Guyer 2006, 182; vgl. auch Guyer 2017, 414). Der Grundgedanke dieser Interpretation lautet, dass wir den Gegenstand zwar begrifflich erfassen, wobei unsere Erfahrung des Gegenstandes aber über die begrifflichen Bestimmungen hinausgeht. Dazu schildert Guyer das folgende Beispiel: »A beautiful plate satisfies the necessary conditions for the application of the concept plate […], but the relations among the precise features of its shape, material, decoration, and so on provide a further gratification for the understanding’s interest in coherence that is not specified by any further determinate concept and cannot be captured by one« (Guyer 2006, 187 f.). Das Problem dieser Interpretation besteht jedoch darin, dass es zwar mit dem Fall anhängender Schönheiten, aber nicht mit dem Fall reiner Schönheiten übereinzustimmen scheint, da es der Begriffslosigkeitsthese entgegensteht. Eine Art ›metacognitive interpretation‹ bringt auch Ostaric vor (vgl. Ostaric 2017, 1401): »the connections of the imagination are purposive, not for our cognition, but for our cognitive faculty of the understanding insofar as it is possible for us to ›think it clearly‹ (LA, MenschenUm diese Deutung zu verstehen, ist das folgende Beispiel Essers äußerst hilfreich: »So kann die Betrachtung eines Ornaments, einer gezeichneten S-Form, mit dem Begriff Bewegung ausgedrückt werden. Denn in der Reflexion auf die Tätigkeit des Wahrnehmens, auf das Abtasten dieser Form mit dem Blick, ist auf den faktischen Wahrnehmungsvollzug dieser Form das Schema der Bewegung, wonach Anfangsund Endpunkt der zeitlichen Apprehension an verschiedenen Orten im Raum liegen, anwendbar. Weder die gezeichnete S-Form selbst ist also bewegt, noch würde ihre Schematisierung zu diesem Begriff führen, sondern der Begriff ›Bewegung‹ beschreibt hier die Tätigkeit der Kontemplation und ist daher nur indirekt, d. i. symbolisch mit der empirischen Form verbunden« (Esser 1995b, 440; vgl. auch Esser 2000, 130). 87 Guyer identifiziert als weiteres Problem, dass nach dieser Interpretation alles schön sein müsste (vgl. Guyer 2006, 172 ff.). Dieses Problem setzt aber voraus, dass neben der (vorbegrifflichen) Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt keine weitere Charakteristik des Gemütszustandes vorliegt, die für die Lust am Schönen verantwortlich ist und möglicherweise nur bei spezifischen Gegenständen – nämlich schönen Gegenständen – vorliegt. 86

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kunde, AA 25: 946) although never exhaustively. This entails that the universal the imagination quasi schematizes in its synthesis, while presupposing a number of determinate cognitions, exceeds them« (Ostaric 2017, 1394 f.). Meine eigene Interpretation fügt sich weder in das Bild des ›precognitive‹ noch des ›multicognitive‹ noch des ›metacognitive approaches‹. Ich werde im weiteren Verlauf meiner Untersuchungen zeigen, dass die spezifische Aktivität des Verstandes im freien Spiel darin besteht, die apprehendierten Formen und die Aktivität der Einbildungskraft anhand des Prinzips a priori der Urteilskraft zu überprüfen. 88 Dadurch kommt es (im weiten Sinne) zu einer Art von Subsumtion und zweckmäßiger Vereinigung von Einbildungskraft und Verstand. Da sich ein Zustand zur Erkenntnis überhaupt in meinem Verständnis durch eine Vereinigung von Einbildungskraft und Verstand im Sinne einer Subsumtion und zweckmäßigen Zusammenstimmung auszeichnet, liegt beim Schönen ein solcher Zustand vor. Ebenfalls nicht in das Bild von ›precognitive‹, ›multicognitive‹ und ›metacognitive approach‹ fügt sich Gorodeiskys Verständnis der Rolle des Verstandes, welches auf ihrer Konzeption einer singulären Notwendigkeit beruht: »the ›lawfulness‹ of the understanding in general refers to the understanding’s requirement that anything we experience be experienced as necessarily (lawfully) unified, and to its coresponding capacity to generate through spontaneity necessities in general« (Gorodeisky 2011, 433). Dabei liege beim Schönen insofern eine ›singular necessity‹ vor, als erstens »[a]esthetic value calls for acknowledgement through pleasure«, und zweitens »beautiful objects present themselves as inevitable in that they look as if each of the parts that compose their beauty ought to be just the way it is« (Gorodeisky 2011, 432). Dabei scheint mir jedoch unklar, inwiefern das letzte bereits als Gesetzmäßigkeit gelten kann. Ich habe herausgestellt, dass wir nicht deswegen eine Lust am Schönen fühlen, weil ein Zustand zur Erkenntnis überhaupt vorliegt; denn ansonsten müssten wir bei jeder Erkenntnis eine Lust am Schönen fühlen. Vielmehr habe ich dafür plädiert, dass wir deswegen diese Lust fühlen, weil das freie und harmonische Spiel durch eine gegenseitige Beförderung bzw. Belebung der Erkenntnisvermögen gekennzeichnet ist. Im Gegensatz zur Frage nach der Bedeutung des Zustandes zur Erkenntnis überhaupt wird die Frage nach der (vermögenstheoretischen) Grundlage der Lust am Schönen eher selten behandelt. Bei einigen AutorInnen, wie Crawford (1974), Fricke (1990) oder Wenzel (2008), findet sich gar kein Hinweis auf den Grund der Lust. Bei einer Vielzahl weiterer AutorInnen findet sich zwar meist irgendeine Anmerkung dazu, was die Grundlage der Lust bildet oder warum wir eine Lust fühlen, ohne dass dies aber weiter erklärt würde. Oft wird dabei die Lust in irgendeiner Form auf die Harmonie der Erkenntnis88

Siehe erneut Kap. 3.3.

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vermögen zurückgeführt. So schreibt etwa Guyer: »Kant’s theory is that the harmony of the faculties causes pleasure because it represents an unusual fulfillment of our most general objective in cognition, the unification of the manifold of imagination« (Guyer 1979, 157). Ähnlich heißt es bei Vesper: »In der Folge ruft die Harmonie der Erkenntnisvermögen eine Lust hervor, weil sie auf die Zweckmäßigkeit der Natur für das Erkenntnisvermögen zurückgeht, die objektiv zufällig, deren Annahme aber subjektiv notwendig […] ist« (Vesper 2015a, 558). Esser erläutert: »Das Wohlgefallen ist damit nicht Wirkung einer Harmonie, die Eigenschaft eines Gegenstandes ist, sondern einer Harmonie, die in dem jeweiligen Subjekt realisiert werden muß, […]« (Esser 1997, 63). Auch Matthews spricht von einer »harmony of the imagination and understanding which is felt as pleasurable« (Matthews 1997, 39). Allison verortet den Grund der Lust im freien Spiel, insofern dieses harmonisch ist, während ein freies Spiel, insofern es unharmonisch wäre, Grund einer Unlust wäre (vgl. Allison 2001, 116 f.). Allerdings versteht er im Allgemeinen Lust auch als Lebensgefühl und sieht eine Rückbindung der Lust an die Aktivität des Subjekts: »feelings of pleasure and displeasure be viewed respectively as a sense of the increase or diminution of one’s level of activity, particularly as a thinking being« (Allison 2001, 122). Eine andere Antwort auf die Frage nach dem (vermögenstheoretischen) Grund der Lust schlägt Crowther vor. Er verortet besagten Grund in einem »set of rich cognitive relations« (Crowther 2010, 84). Kern sieht den »Grund der ästhetischen Lust« darin, dass das »Spiel [unserer Vermögen] in uns die Vorstellung einer Zweckmäßigkeit erweckt, nämlich die Vorstellung einer Zweckmäßigkeit des gegebenen Gegenstands für den Gebrauch unserer Urteilskraft selbst« (Kern 2000, 92). Eine individuelle Antwort auf die Frage nach dem Grund der Lust, die freilich an ihre ohnehin sehr individuelle Rekonstruktion der Analytik gebunden ist, gibt Ginsborg. Sie schreibt: »the act of self-referentially taking my mental state to be universally communicable with respect to a given object consists, phenomenologically, in a feeling of pleasure in that object« (Ginsborg 2015, 41). Longuenesse, die insgesamt zwei Instanziierungen von Lust im Zustand des Schönen verortet, lokalisiert den (vermögenstheoretischen) Grund der ›first order‹ Lust im freien Spiel, d. h. einer gegenseitigen Belebung der Erkenntniskräfte, und den Grund der ›second order‹ Lust in der allgemeinen Mitteilbarkeit der ›first order‹ Lust (vgl. Longuenesse 2003, 153 ff. & 2006, 207 f.). Darüber hinaus versteht Longuenesse die Lust am Schönen aber auch als Lebensgefühl: »I thus suggest that the aesthetic pleasure, according to Kant, is a Lebensgefühl in the additional sense that it is a feeling of the life (the capacity to be the cause and effect of itself) of an a priori grounded community of judging subjects« (Longuenesse 2006, 200). Frierson knüpft die Lust ebenfalls an die Konzeptionen des Lebens und der inneren Aktivität: »Because pleasure involves consciousness of a mental state that is both self-perpetuating and involves the activity of one’s powers, the ongoing

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activity of mental powers in reflection necessarily brings a feeling of pleasure« (Frierson 2018, 128). Eine explizite Rückbindung der Lust an das Leben und die Aktivität des Subjekts findet sich auch in einer neueren Interpretation Guyers (2018, 158–162). Dabei geht er davon aus, dass eine solche Aktivität immer von Hinderungen durchzogen sei: »In other words, our experiences of the beautiful and sublime can be understood as pleasurable forms of mental activity in the face of potential hindrances to the continued possibility of such activity« (Guyer 2018, 160). Es ist dann aber freilich nicht mehr klar, wie sich die Erfahrungen des Erhabenen und Schönen unterscheiden sollen, worauf Guyer selbst hindeutet (vgl. Guyer 2018, 165). Ebenfalls an den Begriff des Lebensgefühls bindet Ostaric die Lust am Schönen, welches sie als Ausdruck der übersinnlichen Freiheit deutet: »it [the imagination] intimates the supersensible ground of freedom that manifests itself as ›the feeling of life‹« (Ostaric 2017, 1376). Eine der wenigen AutorInnen, die die Frage nach der Grundlage der Lust explizit und ausführlich behandelt, ist Zuckert (vgl. Zuckert 2007, 308–315). Sie versteht »aesthetic pleasure« als »the consciousness of the state of aesthetic judging« (Zuckert 2007, 313), deutet aber an einer Stelle auch an, dass die Lust auf die innere Belebung zurückzuführen sein könnte und somit ein Lebensgefühl sei (vgl. Zuckert 2007, 318). Auch Makkreel widmet den Grundlagen der Lust ein längeres Kapitel (vgl. Makkreel 1997, 119–130) und bindet die Lust ebenfalls an die innere Belebung: »Es ist diese belebende Harmonie, die die Lust in der gesamten Vitalität unseres geistigen Lebens konstituiert und die mehr umfaßt, als die Beziehung zwischen Einbildungskraft und Verstand« (Makkreel 1997, 122). Neben der Frage, was die Grundlage der Lust bildet, stellt sich auch die Frage, wie die Lust mit ihrer Grundlage, d. h. im weitesten Sinne dem Zustand des freien und harmonischen Spiels, verbunden ist. Erstens werden in diesem Kontext kausale Lesarten vertreten. Eine kausale Verknüpfung zwischen dem Zustand des freien Spiels und der Lust propagiert etwa Guyer (vgl. Guyer 1979, 106–11 & 218; Guyer 2018, 155). Auch Crawford spricht davon, die Lust sei »a consequent of the activity of judging the object« (Crawford 1974, 74). Ebenso bezeichnet Ameriks die Lust als »causal effect« des ästhetischen Urteils bzw. der ästhetischen Beurteilung, wobei dies (Urteil und Beurteilung) bei ihm dasselbe ist (Ameriks 2003, 311). Eine scharfe Kritik des (ausschließlich) kausalen Modells findet sich bei Aquila (1982) sowie Allison (1998). Beide Autoren schlagen vor, das Kausalmodell durch eine Intentionalitätsbeziehung zwischen der Lust und dem freien Spiel zu ersetzen oder zu ergänzen. Dabei betont Allison zwar diese Intentionalitätsbeziehung, hält aber zusätzlich auch am Kausalmodell fest (vgl. Allison 2001, 53 f.). Explizit keine Kausalrelation beschreibt Zuckert: »aesthetic pleasure is, simply, the consciousness of the state of aesthetic judging« (Zuckert 2007, 313). Ginsborg nimmt schließlich eine Identität von Lust, Urteil und Beurteilung an (vgl. Ginsborg 2015, 42). Kants Philosophie des Schönen

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Grundlagen 2: Beurteilung, Urteilsfällung und Geschmacksurteil

In § 9 hat Kant die Frage gestellt, »ob im Geschmacksurtheile das Gefühl der Lust vor der Beurtheilung des Gegenstandes, oder diese vor jener vorhergehe« (§ 9.T, 216,30). Wir haben gesehen, dass der Begriff ›Beurtheilung‹ hier nicht für das Geschmacksurteil steht, sondern vielmehr für diejenige Beurteilungsaktivität, die Kant dann als freies Spiel der Erkenntniskräfte identifiziert. Damit ist aber noch offen, wie sich diese Beurteilung, d. h. das freie Spiel, und wie sich die Lust am Schönen und das Geschmacksurteil zueinander verhalten. Es stellen sich zwei Fragen: Wie verhalten sich, erstens, Beurteilung (freies Spiel) und Lust zueinander? Ich habe bereits dafür argumentiert, dass die Beurteilung und die Lust nicht kausal verbunden sind, sondern dass die Lust einfach die Art und Weise ist, wie wir die Beurteilung bzw. das freie Spiel phänomenal erleben. Wie verhalten sich aber, zweitens, Beurteilung und Lust zum Geschmacksurteil? Ist noch eine zweite, zusätzliche Beurteilungsaktivität notwendig, um ein Geschmacksurteil zu fällen, oder ist die Lust am Schönen selbst bereits das Geschmacksurteil? Wir wollen im Folgenden diese zweite Frage untersuchen. In der Sekundärliteratur lassen sich zwei entgegengesetzte Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis vom freien Spiel und der Lust zum Geschmacksurteil finden: Auf der einen Seite steht eine Identität von Lust und Urteil, 1 auf der anderen Seite stehen Positionen eines sogenannten ›two-acts models‹, bei dem eine zusätzliche Reflexion über die Lust oder das freie Spiel für ein Geschmacksurteil notwendig ist. 2 Ich werde im Folgenden für eine Zwischenposition argumentieren, bei der es neben der Beurteilungsaktivität im Sinne des Spiels der Erkenntniskräfte noch eine Minimalaktivität der

Vgl. Ginsborg 2015, 96. Die Frage, ob das Geschmacksurteil zweier Beurteilungsaktivitäten bedürfe, wurde von Guyer (1979) initiiert (vgl. etwa 151). 2 Vgl. Guyer 1979, 110–119. 1

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Zur Urteilsfällung beim Urteil über das Angenehme

Urteilsfällung geben muss. Um diese Position herzuleiten, werde ich mich einer Analogie zu Urteilen über das Angenehme bedienen.

G2.1 Zur Urteilsfällung beim Urteil über das Angenehme Urteile über das Angenehme sind, wie Geschmacksurteile, ästhetische Urteile. Ihr Prädikat erfasst somit keine Eigenschaft des Objekts, sondern steht für ein Gefühl der Lust. Man könnte nun denken, dass wir, um ein ästhetisches Urteil zu fällen, die gegebene Vorstellung vom Objekt, d. h. das logische Subjekt des Urteils, mit dem Prädikat der Lust verbinden müssen. Es gäbe demnach einen Akt der Urteilsfällung, durch den die gegebene Vorstellung x mit der Lust zum Urteil »x ist angenehm« oder »x ist schön« verknüpft würde. Würde ich etwa das Urteil »Schokolade ist angenehm« fällen, so würde ich durch den Akt der Urteilsfällung die Schokolade mit meinem Gefühl der Lust, das ich beim Essen der Schokolade empfinde, verknüpfen. Ein solcher Akt der Verknüpfung scheint aber nur dann sinnvoll, wenn die Lust, die durch das Prädikat ausgedrückt wird, nicht bereits intentional auf den Gegenstand gerichtet ist; 3 denn für diesen Fall wären die gegebene Vorstellung und die Lust bereits in der Lust selbst verknüpft. Mein Gefühl der Lust wäre etwa bereits auf die Schokolade gerichtet und würde in diesem Sinne die Schokolade beinhalten. Wir müssen daher im Folgenden zunächst fragen, ob die Lust am Angenehmen eine Form von intentionaler Lust ist.

G2.1.1 Ist die Lust am Angenehmen intentional oder opak? Einem intentionalen Verständnis der Lust steht diejenige Position gegenüber, nach der Lust ein opakes Gefühl ist, d. h. ein Gefühl, welches über keine Intentionalität verfügt und dessen verschiedene Ausprägungen phänomenal nicht unterschieden sind. Nach einem solchen Modell wäre etwa die Lust am Angenehmen allein aufgrund ihres Die Intentionalität von Gefühlen darf nicht so missverstanden werden, als würden sie durch ihre Gerichtetheit auf ein Objekt eine erkenntnisrelevante Funktion erlangen. Dies würde freilich Kants These widersprechen, dass ich durch die Gefühle der Lust und Unlust »nichts an dem Gegenstande der Vorstellung [erkenne]« (189,18). Siehe hierzu auch Aquila (1982, 92 f.) sowie Allison (1998, 474).

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Grundlagen 2: Beurteilung, Urteilsfällung und Geschmacksurteil

phänomenalen Gehalts weder von der Lust am Schönen noch der Lust am Guten unterschieden. So spricht Guyer von einer »phenomenological uniformity of different feelings of pleasure« (Guyer 1979, 118); und er versteht alle Formen von Lust als »internally opaque with regard to their diverse causal histories or relations to their objects« (Guyer 1979, 119). Nun ist der phänomenale Gehalt eines Gefühls nicht, oder nicht zwangsläufig, mit seiner Intentionalität identisch; uns interessiert an dieser Stelle nur eine Gegenüberstellung von intentionalen und nicht-intentionalen Modellen der Lust. 4 Kant bezeichnet weder die Lust am Angenehmen noch am Schönen explizit als intentional bzw. nicht-intentional oder opak. Dennoch gibt es gute Gründe, die Lust am Angenehmen als intentional zu begreifen. Dies lässt sich insbesondere damit begründen, dass die Lust am Angenehmen »mit Interesse verbunden« (§ 3.T, 205,25) bzw. ein Interesse ist. Ein Interesse ist definiert als »Wohlgefallen […], was wir mit der Vorstellung der Existenz eines Gegenstandes verbinden« (§ 2.A.1, 204,22). Damit muss die Lust am Angenehmen als Interesse bereits ›mit der Vorstellung der Existenz des Gegenstandes‹ verbunden sein (Existenzbedingung des Interesses). Ferner beinhaltet ein Interesse immer ein Begehren des Gegenstandes (Begehrensbedingung des Interesses). 5 Nun ist ein Begehren stets ein Begehren von etwas und muss immer auf dieses etwas gerichtet sein. Beim Interesse am Angenehmen begehren wir mehr »dergleichen Gegenstände[.]« (§ 3.D.1, 207,2) bzw. mehr dergleichen Empfindungen. 6 Daher muss das Interesse am Angenehmen auf eine bestimmte Empfindung, wovon wir mehr dergleichen begehren, gerichtet sein. Die Intentionalität der Lust am Angenehmen lässt sich ferner durch die folgende Passage begründen: »die Annehmlichkeit derselben [grünen Farbe der Wiesen] aber [gehört] zur subjectiven Empfindung [Gefühl], wodurch kein Gegenstand vorgestellt wird: d. i. zum Gefühl, wodurch der Gegenstand als Object des Wohlgefallens (wel4

Für die Analyse des phänomenalen Gehalts der Lust am Schönen siehe Grundlagen

1. Zu den beiden Bedingungen des Interesses siehe Kap. 2.2. Da die Lust am Angenehmen unmittelbar an der Empfindung gefühlt wird, bedarf es keiner begrifflichen Erfassung des korrespondierenden Gegenstandes. In diesem Sinne muss auch das aus der Lust resultierende Begehren nicht unbedingt auf mehr dergleichen (begrifflich erfasste) Gegenstände gerichtet sein, sondern kann auch auf mehr dergleichen Empfindungen gerichtet werden. Siehe hierzu auch Kap. 3.1.1 sowie die Ausführungen zum weiten Interessensbegriff in Kap. 2.2.

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Zur Urteilsfällung beim Urteil über das Angenehme

ches kein Erkenntniß desselben ist) betrachtet wird« (§ 3.C.2, 206,32, m. H. & Kants H. getilgt). Der Umstand, dass ›durch das Gefühl‹ (›wodurch‹) ›der Gegenstand als Object des Wohlgefallens betrachtet wird‹, legt eine Gerichtetheit der Lust am Angenehmen auf den Gegenstand nahe. Es ist damit insgesamt plausibel, die Lust am Angenehmen als intentional zu deuten. Was ist aber das intentionale Objekt der Lust am Angenehmen? Das Angenehme ist dasjenige, »was d e n S i n n e n i n d e r E m p f i n d u n g g e f ä l l t « (§ 3.A.1, 205,26). Die Lust am Angenehmen kann damit bloß auf eine objektive Empfindung (etwa die Empfindung der grünen Farbe) gerichtet sein, ohne dass das korrespondierende Objekt (etwa die Wiese) begrifflich erfasst worden sein muss.

G2.1.2 Erfordert das Urteil über das Angenehme eine Aktivität der Urteilsfällung? Versteht man die Lust am Angenehmen als intentional, so wäre es unplausibel, anzunehmen, dass sie allererst mit der Vorstellung verbunden werden müsste, um ein Urteil über das Angenehme zu erzeugen. Stattdessen sollte man eine der beiden folgenden Interpretationen des Verhältnisses von Lust und Urteil vertreten: (1) Die intentionale Lust am Angenehmen ist bereits das Urteil über das Angenehme. (2) Obwohl die Lust am Angenehmen intentional auf das Objekt bzw. die Empfindung gerichtet ist, ist eine Aktivität der Urteilsfällung erforderlich. Diese Aktivität besteht aber nicht darin, die Vorstellung mit der Lust zu verbinden. Option (1) ist unhaltbar. Wäre bereits die intentionale Lust das Urteil über das Angenehme, so wäre keine Aktivität des Verstandes erforderlich, um dieses Urteil zu fällen; denn die Lust am Angenehmen selbst setzt keine Aktivität des Verstandes voraus. Der Verstand aber ist gerade das »Ve r m ö g e n z u u r t e i l e n « (A69/B94). Auch eine Aktivität der Urteilskraft wäre dann nicht erforderlich, da sich die Urteilskraft durch ein Zusammenwirken von Einbildungskraft und Verstand konstituiert. 7 Wie aber kann man ohne eine Aktivität von Verstand und Urteilskraft sinnvollerweise von einem Urteil spre-

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Vgl. 287,6.

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Grundlagen 2: Beurteilung, Urteilsfällung und Geschmacksurteil

chen? 8 Ferner würde Option (1) Kants Aussage widersprechen, dass »zum Geschmacksurtheil, als ästhetischem Urtheile, auch (wie zu allen Urtheilen) Verstand gehört« (§ 15.D.6, 228,36). Wenn ›zu allen Urtheilen‹ Verstand gehört, dann gehört auch zum Urteil über das Angenehme Verstand. Und wenn ›zum Geschmacksurtheil, als ästhetischem Urtheile…Verstand gehört‹, dann muss auch zum Urteil über das Angenehme ›als ästhetischem Urtheile‹ Verstand gehören. Wir sollten daher annehmen, dass für das Fällen eines Urteils über das Angenehme eine Aktivität des Verstandes notwendig ist und Option (2) zutrifft. Worin aber besteht diese Aktivität des Verstandes bzw. der Akt der Urteilsfällung? Anders als bei einem Erkenntnisurteil kann die Aktivität des Verstandes ja nicht darin bestehen, eine gegebene Vorstellung unter einen Begriff vom Objekt zu subsumieren. Eine naheliegende Alternative dazu wäre aber, dass der Verstand die gefühlte Lust unter einen Begriff subsumiert und sie in diesem Sinne begrifflich erfasst. Der Akt der Urteilsfällung würde dann darin bestehen, die intentionale Lust am Angenehmen in eine sprachliche Form zu übertragen, d. h. in das Urteil »x ist angenehm«. Da es mir nicht eindeutig scheint, ob Kant den Begriff »Subsumtion« auf das begriffliche Erfassen von Eigenschaften eines Objekts beschränkt, 9 werde ich das begriffliche Erfassen einer Lust als »quasiSubsumtion« bezeichnen. Dass für ein Urteil über das Angenehme eine quasi-Subsumtion der Lust unter den Begriff »angenehm« erforderlich ist, scheint insofern nicht trivial, als es mindestens drei verschiedene Arten von Lust gibt – nämlich die Lust am Angenehmen, Schönen und Guten. Um eine Lust korrekt zu subsumieren, muss der Urteilende dann über zweierlei verfügen: Erstens muss er mit dem Begriff »angenehm« vertraut sein und diesen richtig beherrschen; zweitens muss er darauf Acht haben, wie sich seine aktual empfundene Lust anfühlt. Fühlt sich die Lust interessiert, unfrei und privatDieses Problem bemerkt auch Zammito (vgl. Zammito 1992, 108). Auf dieses Problem, allerdings mit Bezug auf Geschmacksurteile, verweist ferner Ameriks (Ameriks 2003, 309, 334). Und Meerbote bringt die verwandte Kritik vor, dass Urteile eine Anwendung von Begriffen voraussetzen, sodass Gefühle nicht als Urteile gelten können (vgl. Meerbote 1998, 416). 9 Vgl. hierzu: »In allen Subsumtionen eines Gegenstandes unter einen Begriff muß die Vorstellung des ersteren mit der letzern g l e i c h a r t i g sein, d. i. der Begriff muß dasjenige enthalten, was in dem darunter zu subsumierenden Gegenstande vorgestellt wird, denn das bedeutet eben der Ausdruck: ein Gegenstand sei unter einem Begriffe enthalten« (A137/B176). 8

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gültig an (phänomenaler Gehalt der Lust am Angenehmen), so kann er sie unter den Begriff »angenehm« subsumieren und fällt in diesem Sinne ein korrektes Urteil über das Angenehme. Halten wir zum Urteil über das Angenehme fest: i. Die Lust am Angenehmen ist intentional auf die gegebene Vorstellung gerichtet. Beim Fällen des Urteils muss die Vorstellung also nicht mit der Lust verknüpft werden. ii. Das Urteil über das Angenehme erfordert dennoch einen Akt der Urteilsfällung, bei dem der Verstand die gefühlte Lust unter den Begriff »angenehm« subsumiert.

G2.2 Zur Urteilsfällung bei Urteilen über das Schöne Wie verhält es sich nun bei Urteilen über das Schöne? Wieder wollen wir zunächst fragen, ob die Lust am Schönen intentional ist und ob daher für ein Geschmacksurteil die Vorstellung des schönen Gegenstandes allererst mit der Lust verbunden werden muss.

G2.2.1 Ist die Lust am Schönen intentional oder opak? Bezüglich einer möglichen Intentionalität der Lust am Schönen lassen sich drei Positionen unterscheiden: 10 (i) Die Lust am Schönen ist nicht intentional, sondern ein opakes Gefühl. (Diese Position wird etwa von Guyer vertreten.) 11 (ii) Die Lust am Schönen ist intentional auf das freie Spiel der Erkenntniskräfte gerichtet. (Diese Position wird etwa von Allison vertreten.) 12 (iii) Die Lust am Schönen ist intentional auf die Vorstellung vom schönen Gegenstand gerichtet. Um nun zu beantworten, ob die Lust am Schönen intentional oder opak ist, können wir uns nicht auf Kants Konzeption des Interesses berufen – denn die Lust am Schönen ist bekanntermaßen uninteresA. Cohen vertritt bezüglich der Lust allgemein eine These, nach der »the aboutness of feelings is not intrinsic to feelings themselves«, sondern »is derived from our reflective interpretation of them« (A. Cohen 2019, 9–10). Eine solche indirekte bzw. abgeleitete Intentionalität der Lust wird hier nicht näher in Betracht gezogen. 11 Vgl. Guyer 1979, 119; Guyer (2018). 12 Vgl. Allison 2001, 53 f.; Allison 1998, 468 f. 10

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siert; wir müssen vielmehr beim freien Spiel der Erkenntniskräfte ansetzen. Ich habe bereits dargelegt, dass ich die Lust am Schönen als gefühltes freies Spiel der Erkenntniskräfte deute. 13 Das Verhältnis der Lust und des freien Spiels ist dabei nicht kausal, sondern die Lust ist einfach die Art und Weise, wie wir die innere Aktivität des freien Spiels qualitativ erleben. Durch das freie Spiel der Erkenntniskräfte wird nun eine gegebene Vorstellung innerlich verarbeitet. Antizipieren wir an dieser Stelle kurz, wie sich das freie Spiel konstituiert: Die Einbildungskraft apprehendiert in einer andauernden Aktivität Formen und der Verstand nimmt eine andauernde Überprüfungsaktivität anhand des Prinzips a priori der Urteilskraft vor. Genauer gesagt prüft der Verstand erstens, ob die apprehendierten Formen, und zweitens, ob die Aktivität des Apprehendierens von Formen durch die Einbildungskraft je zweckmäßig für seine eigene Tätigkeit sind, Begriffe aufzufinden. Ich werde diese beiden Aspekte als Objekt- und Subjektseite des Prinzips a priori bezeichnen. 14 Das Spiel der Erkenntniskräfte ist nun erstens auf die gegebene Vorstellung des schönen Objekts gerichtet; denn sowohl das Apprehendieren von Formen durch die Einbildungskraft als auch die Überprüfung anhand der Objektseite des Prinzips a priori durch den Verstand sind auf die gegebene Vorstellung gerichtet. Zweitens ist das Spiel der Erkenntniskräfte auf das Subjekt gerichtet; denn der Verstand überprüft die Aktivität der Einbildungskraft anhand der Subjektseite des Prinzips a priori. Somit, so meine These, liegt eine doppelte Intentionalität der Lust am Schönen vor. In Abgrenzung von den drei oben geschilderten Deutungen der Lust schlage ich die folgende vierte Option vor: (iv) Die Lust am Schönen ist intentional auf die Vorstellung des schönen Objekts und die zweckmäßige Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte im Subjekt gerichtet. 15 Die These der doppelten Intentionalität wird durch die folgende Bemerkung Kants aus § 12 bekräftigt. Er schreibt: »Sie [die Lust am Schönen] hat aber doch Causalität in sich, nämlich den Zustand der Siehe Kap. 9.6.3. Siehe hierzu Grundlagen 3, insbesondere die Unterkapitel G3.1 und G3.3. 15 Die doppelte Intentionalität der Lust besteht nicht etwa darin, dass die Lust am Schönen einerseits auf das schöne Objekt und andererseits auf das freie Spiel der Erkenntniskräfte gerichtet wäre (vgl. für diese mögliche Ambiguität des Objekts der Lust Aquila 1982, 100 f.). Vielmehr beruht die doppelte Intentionalität darauf, dass das freie Spiel selbst eine doppelte Gerichtetheit auf das Objekt und das urteilende Subjekt aufweist. 13 14

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Vorstellung selbst und die Beschäftigung der Erkenntnißkräfte ohne weitere Absicht zu e r h a l t e n « (§ 12.B.4, 222,31). 16 Wenn die Lust am Schönen eine Kausalität beinhaltet, den ›Zustand der Vorstellung selbst und die Beschäftigung der Erkenntnißkräfte…zu erhalten‹, so muss die Lust auf diesen Zustand der Vorstellung und die Beschäftigung der Erkenntniskräfte gerichtet sein. Dabei ist der ›Zustand der Vorstellung‹ derjenige Zustand, in dem die Vorstellung des schönen Gegenstandes gegeben ist, und, dass wir diesen Zustand erhalten wollen, impliziert eine Intentionalität bezüglich des schönen Objekts; mit der ›Beschäftigung der Erkenntnißkräfte‹ ist die zweckmäßige Zusammenstimmung gemeint und somit die Intentionalität bezüglich des Subjekts. 17 Nun wird in einem Geschmacksurteil die Lust am Schönen mit der Vorstellung vom Objekt verknüpft. Für die Frage nach dem Akt der Urteilsfällung ist daher vorrangig die Intentionalität bezüglich des Objekts relevant. Dass Lust allgemein auf Vorstellungen von gegebenen Objekten gerichtet ist, wird durch Kants Begriffsbestimmung der Lust in § 10 belegt: »Das Bewußtseyn der Causalität einer Vorstellung in Absicht auf den Zustand des Subjects, es in demselben z u e r h a l t e n , kann hier im Allgemeinen das bezeichnen, was man Lust nennt« (§ 10.A.4, 220,9). Die Lust wird hier mit dem ›Bewußtseyn der Causalität der Vorstellung‹ identifiziert, das Subjekt in einem Zustand, nämlich dem Zustand der Lust, zu erhalten. Ich habe diesbezüglich das Folgende dargelegt: Wir sind uns in der Lust bewusst, dass eine spezifische Vorstellung die Lust verursacht und erhält, weshalb wir diese Vorstellung erhalten wollen. 18 Wenn wir uns aber in der Lust bewusst sind, dass eine Vorstellung die Lust verursacht sowie erhält, so muss die Lust auf diese spezifische Vorstellung gerichtet sein. Kehren wir kurz zu den verschiedenen Interpretationen der Intentionalität oder Opazität der Lust am Schönen zurück. Die genannten Zitate – insbesondere die Begriffsbestimmung der Lust in § 10 – sprechen eindeutig gegen die von Guyer vertretene Position (i), wonach die Lust am Schönen nicht intentional, sondern ein opakes GeFür eine Analyse dieses Satzes siehe Kap. 12.5. Für die doppelte Intentionalität der Lust am Schönen scheint mir auch die folgende Passage zu sprechen: »mithin das Wohlgefallen an der bloßen Darstellung oder dem Vermögen derselben geknüpft ist« (244,14, m. H.). 18 Für die Rekonstruktion der Begriffsbestimmung von »Lust« siehe Kap. 2.1. 16 17

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fühl sei. Mit der von Allison vertretenen Position (ii) – die Lust am Schönen ist auf das freie Spiel der Erkenntniskräfte gerichtet – stimme ich dahingehend überein, dass die Lust mindestens auch auf das Subjekt gerichtet ist. Anders als Allison gehe ich aber nicht davon aus, dass die Lust auf das freie Spiel der Erkenntniskräfte gerichtet ist. Schließlich stimme ich mit Position (iii) – die Lust am Schönen ist auf die Vorstellung vom schönen Objekt gerichtet – darin überein, dass die Lust auf die Vorstellung vom Objekt gerichtet ist. Ich ergänze aber im Sinne der doppelten Intentionalität, dass sie auch auf das Subjekt bzw. die Zweckmäßigkeit der Erkenntnisvermögen gerichtet ist.

G2.2.2 Eine oder zwei Beurteilungsaktivitäten? Geht man davon aus, dass die Lust am Schönen mindestens auch auf die Vorstellung vom schönen Objekt gerichtet ist, so kann man mit Ginsborg die folgende Frage stellen: »If the feeling in taste is intentional, then why does it not, on its own, amount to a judgment of beauty?« (Ginsborg 2015, 105) Ginsborgs Antwort lautet, dass die Beurteilungsaktivität des freien Spiels insofern für das Geschmacksurteil hinreichend ist, als die damit verbundene Lust eben dieses Urteil ist. 19 Aber ist diese Antwort zwingend? Könnte man nicht auch die These vertreten, dass die Lust am Schönen nicht schon das Geschmacksurteil ist, sondern dass auf diese Lust eine weitere Urteilsaktivität folgen muss, damit ein Geschmacksurteil gefällt werden kann? Um beide Aktivitäten begrifflich zu unterscheiden, werde ich das freie Spiel der Erkenntniskräfte als Beurteilungsaktivität bezeichnen, und die zweite, der Lust nachgeordnete Aktivität als Akt der Urteilsfällung. Die entscheidende Frage ist: Müssen wir einen solchen Akt der Urteilsfällung annehmen? Erinnern wir uns an das Urteil über das Angenehme. Wenn, wie im Kapitel G2.1.2 gezeigt, die intentionale Lust am Angenehmen Ginsborgs »one-act model« beruht auf einem spezifischen Verständnis des freien Spiels als selbstbezüglicher Akt. Zusammengefasst lautet ihre These: »Die Tätigkeit, die Kant als ›freies Spiel‹ bezeichnet, ist meines Erachtens die Gemütstätigkeit, durch die man bei der Wahrnehmung eines Objekts die eigene Gemütstätigkeit bezüglich dieser Objektwahrnehmung für allgemein gültig hält; das heißt, es ist der selbstbezügliche Akt des Urteilens, daß man so über das Objekt urteilt, wie jeder urteilen sollte« (Ginsborg 2008, 76).

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nicht als Urteil gelten kann, warum sollte dann die intentionale Lust am Schönen als Urteil gelten können? Wenn vielmehr beim Angenehmen eine begriffliche Erfassung der Lust notwendig ist, sollte dies nicht auch beim Schönen der Fall sein? Schon unsere Sprache ist hier ein guter und wichtiger Indikator. Denn mit dem Begriff »Gefühl« bezeichnen wir andere Phänomene als mit dem Begriff »Urteil«. Ebenso wenig wie wir ein aktuales Gefühl der Lust am Geschmack von Schokolade oder ein Gefühl der sexuellen Lust als Urteil bezeichnen würden, würden wir eine aktual gefühlte Lust beim Betrachten eines Gemäldes als Urteil bezeichnen – und wir sollten auch Kant keine solche Gleichsetzung unterstellen. Beim Angenehmen, so haben wir gesehen, muss die gefühlte Lust unter den Begriff »angenehm« subsumiert werden. Analog müsste dann auch die gefühlte Lust am Schönen unter den Begriff »schön« subsumiert werden, um das Urteil »x ist schön« zu erzeugen. Der Akt der Urteilsfällung würde demnach in einer quasiSubsumtion der gefühlten Lust unter den Begriff »schön« bestehen. Ich bezeichne diese Interpretation als ›Subsumtionsmodell‹. Zwar handelt es sich bei meinem Subsumtionsmodell auch um eine Art von ›two-acts model‹ ; aber anders als etwa Guyer gehe ich nicht davon aus, dass eine zusätzliche Reflexionsaktivität, etwa über »the context and history of one’s own mental state«, erfolgen muss (Guyer 1979, 8). 20 Vielmehr gehe ich, wie erläutert, bloß von einem Akt der Subsumtion aus. Es könnte der folgende Einwand vorgebracht werden. Meine Argumentation für einen Akt der Urteilsfällung im Urteil über das Angenehme beruht primär darauf, dass dieses Urteil wie alle Urteile einer Aktivität des Verstandes bedarf. Beim Geschmacksurteil aber ist eine Aktivität des Verstandes schon im freien Spiel der Erkenntniskräfte gegeben. Ein zusätzlicher Akt der Urteilsfällung kann demnach nicht damit begründet werden, dass das Geschmacksurteil sonst ohne jegliche Aktivität des Verstandes auskommen würde. – Es ist zwar richtig, dass das freie Spiel eine Aktivität des Verstandes beinhaltet, jedoch kann diese Aktivität des Verstandes nicht als Akt der Urteilsfällung verstanden werden. Vielmehr nimmt der Verstand hier bloß eine andauernde Überprüfungsaktivität mittels des Prinzips Guyer hält an dieser These bis zum heutigen Tag fest (vgl. Guyer 2018, 155). Für eine Auseinandersetzung mit der Position Guyers vgl. Ginsborg 1990, 6–19, Ginsborg (2017) sowie Allison 1998, 477–483.

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a priori der Urteilskraft vor, welche die Aktivität der Einbildungskraft befördert. Diese Überprüfungsaktivität des Verstandes hat kein Urteil zum Ergebnis, sondern führt gemeinsam mit dem freien Apprehendieren der Einbildungskraft zu einem Gefühl der Lust. Die entscheidende Frage ist dann, ob diese Lust bereits das Geschmacksurteil ist; und hier setzt die Analogie mit dem Urteil über das Angenehme an. Wenn in einem Fall die intentionale Lust nicht als Urteil gelten kann, warum sollte sie es dann in einem anderen Fall? Schließlich sprechen auch zwei systematische Gründe dafür, neben der Beurteilungsaktivität einen Akt der Urteilsfällung anzunehmen. Erstens können durch einen Akt der Urteilsfällung fehlerhafte bzw. »irrige[.] Geschmacksurtheil[e]« erklärt werden (§ 8.G.5, 216,28). Besteht der Akt der Urteilsfällung darin, die gefühlte Lust unter den Begriff »schön« zu subsumieren, dann muss man, wie bereits erläutert, mit diesem Begriff hinreichend vertraut sein sowie auf den phänomenalen Charakter der gefühlten Lust sorgfältig Acht haben. Fühlt sich eine Lust uninteressiert, frei, allgemeingültig und als Bewusstsein des Prinzips a priori der Urteilskraft an (phänomenaler Gehalt der Lust am Schönen), so kann man diese Lust unter den Begriff »schön« subsumieren. Beherrscht man aber den Begriff »schön« nicht richtig oder hat man auf seine gefühlte Lust nicht richtig Acht, so kann dies zu fehlerhaften Urteilen führen. Man würde etwa das Urteil »x ist schön« fällen, obwohl man eigentlich eine Lust am Angenehmen fühlt. Nimmt man an, dass die Lust am Schönen selbst schon das Geschmacksurteil ist, so wäre die Möglichkeit von fehlerhaften ästhetischen Urteilen nicht gegeben. 21 Man könnte höchstens annehmen, dass die Lust am Schönen selbst fehlerhaft sein kann – und genau diese Strategie verfolgt auch Ginsborg. 22 Aber dies würde entweder der Allgemeingültigkeit der Lust entgegenstehen, oder man müsste Menschen in ziemlich vielen Fällen ein defektes Geschmacksvermögen zuschreiben. Dass die Möglichkeit zu fehlerhaften Geschmacksurteilen besteht, sagt Kant eindeutig in § 8 (vgl. § 8.G.4–5, 216,19). Siehe zu dieser Passage auch Kap. 8.3. – Auch Guyer betont, dass die Möglichkeit von fehlerhaften Geschmacksurteilen ein Problem für Ginsborgs ›one-act model‹ darstellt (vgl. Guyer 2017, 412). 22 Vgl.: »We ascribe error, on this view, when we see others taking the ›wrong‹ things to be beautiful, or failing to take the ›right‹ things to be beautiful – which is to say, when they fail to share our disinterested pleasure in the things we take to be beautiful but instead feel disinterested pleasure in things which we do not ourselves find beautiful« (Ginsborg 2017, 429 f.). 21

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Zweitens liefert der Akt der Urteilsfällung eine gute Erklärung dafür, warum Geschmacksurteile bisweilen so aussehen, als wären sie Erkenntnisurteile. Denn durch die quasi-Subsumtion der gefühlten Lust unter den Begriff »schön« wird – anders als durch Begriffe wie »Vergnügen« oder »traurig« – gewissermaßen verborgen, dass ein Gefühl bezeichnet wird. 23 Das Urteil »x ist schön« ist dann nicht mehr auf den ersten Blick von einem Erkenntnisurteil zu unterscheiden. Diese Verhüllung wird dadurch verstärkt, dass das Geschmacksurteil allgemeingültig ist und wir uns dieses Status unmittelbar bewusst sind. 24 Wäre die Lust selbst aber schon das Geschmacksurteil, scheint mir (trotz des Bewusstseins der Allgemeingültigkeit) nicht erklärbar, warum wir Geschmacksurteile oft fälschlicherweise für Erkenntnisurteile halten. Halten wir zum Akt der Urteilsfällung beim Schönen fest: i. Die Lust am Schönen verfügt über eine doppelte Intentionalität: Sie ist erstens auf die Vorstellung vom schönen Objekt und zweitens auf die zweckmäßige Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte im Subjekt gerichtet. Wir müssen die Lust am Schönen daher nicht erst mit der Vorstellung vom schönen Objekt verbinden, um ein Geschmacksurteil zu fällen. ii. Wie das Urteil über das Angenehme erfordert das Geschmacksurteil dennoch einen Akt der Urteilsfällung, bei dem der Verstand die gefühlte Lust unter den Begriff »schön« subsumiert. iii. Dieser Akt der Urteilsfällung ist von der Beurteilungsaktivität, d. h. dem freien Spiel der Erkenntniskräfte, zu unterscheiden. Handelt es sich beim freien Spiel um eine Reflexionsaktivität, so handelt es sich beim Akt der Urteilsfällung um eine Subsumtionsaktivität. Diese Position lässt sich als Subsumtionsmodell bezeichnen. iv. Der Akt der Urteilsfällung erklärt insbesondere die Möglichkeit von fehlerhaften Geschmacksurteilen sowie die Verhüllung des Geschmacksurteils als scheinbares Erkenntnisurteil. Im Rahmen meiner Untersuchungen zum Gemeinsinn werde ich darlegen, dass der Akt der Urteilsfällung, d. h. die Erfassung der Lust In diesem Kontext ist es auch interessant, dass es ja für alle drei von Kant identifizierten Formen von Lust eine spezifische Bezeichnung gäbe, die wir aber in den jeweiligen ästhetischen Urteilen nicht nutzen: »A n g e n e h m heißt Jemandem das, was ihn VERGNÜGT; s c h ö n , was ihm blos GEFÄLLT; g u t , was GESCHÄTZT, g e b i l l i g t , […] wird« (§ 5.B.3, 210,3). 24 Vgl. § 6.A.4, 211,23; § 7.B.4–5, 212,32. 23

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durch den Begriff »schön«, von zentraler Bedeutung ist. 25 Denn diese begriffliche Erfassung erfolgt dadurch, dass wir die konkret gefühlte Lust in einem (quasi-)Syllogismus unter den Gemeinsinn als subjektives Prinzip subsumieren. Nur dadurch kann die Konklusion, d. h. das Geschmacksurteil »x ist schön«, notwendige Allgemeinheit beanspruchen; und nur dadurch ist es ein synthetisches Urteil a priori.

G2.3 Literaturbericht Wenn wir uns nun abschließend der Sekundärliteratur zuwenden, sollen drei Fragen im Mittelpunkt stehen: Ist die Lust am Schönen (oder Lust generell) intentional oder opak? Wird ein ›one-act model‹ oder ein ›two-acts model‹ vertreten? Muss die Lust am Schönen begrifflich erfasst werden, damit ein Geschmacksurteil gefällt wird? Bezüglich der Frage nach der Intentionalität oder Opazität habe ich bereits auf Guyer als prominentesten Vertreter der Position verwiesen, dass die Lust am Schönen sowie Lust und Unlust allgemein opak seien (vgl. Guyer 1979, 119; Guyer 2018, 162–165). Die Position, dass die Lust am Schönen intentional ist, weist, wie ich versucht habe herauszuarbeiten, drei Spielarten auf. In einer ersten Spielart ist die Lust intentional auf das freie und harmonische Spiel der Erkenntniskräfte gerichtet. Diese Position hat prominent Allison vertreten (vgl. Allison 1998, 468 sowie Allison 2001, 53 f.). Die zweite Spielart besteht darin, dass die Lust (am Schönen) auf das (schöne) Objekt gerichtet ist. In diesem Sinne schreibt etwa Schaper: »feelings are about something, namely an object« (Schaper 1979, 52). Auch Ginsborg nimmt eine Intentionalität bezüglich des Objekts an: »Pleasure does present itself to us as awareness of a feature of the objects that please us: different feelings of pleasure under different circumstances may present objects to us as beautiful, agreeable, charming, delicious, and so forth« (Ginsborg 2015, 25 & 125 f.). Etwas spezifischer bezieht Aquila die Intentionalität auf die Form des Objekts, wenn er von der »intentionality of a pleasure in some object’s form« spricht (Aquila 1982, 100). Die dritte Spielart, die ich selbst vertreten habe, besteht darin, dass die Lust sowohl auf die Form des Objekts als auch auf die Zweckmäßigkeit der Erkenntnisvermögen gerichtet ist (doppelte Intentionalität). Siehe hierzu Grundlagen 5. – Meine Position unterscheidet sich damit von Positionen, in denen das Geschmacksurteil zwar eine sprachliche Erfassung der Lust voraussetzt, dieser sprachlichen Erfassung aber keine tiefere Bedeutung zugesprochen wird. Vgl. etwa Fricke: »Das Geschmacksurteil DIES IST SCHÖN ist nichts anderes als die sprachliche Formel für die ästhetische Beurteilung, die in diesem Wohlgefallen bewußt ist« (Fricke 1990, 45).

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Literaturbericht

Kommen wir zum ›one-act model‹ und zum ›two-acts model‹. Wie bereits erläutert, wurde das ›two-acts model‹ von Guyer entworfen (vgl. Guyer 1979, 151 & 159; Guyer 2017). Dabei ist erneut zu betonen, dass dieses Modell von zwei Reflexionsaktivitäten ausgeht, nämlich dem freien Spiel (erste Reflexionsaktivität), das die Lust verursacht, und einer zweiten Reflexion über die Ursache der Lust. 26 Allison lehnt dieses Modell explizit ab, unterscheidet aber zwischen der Lust am Schönen und dem Geschmacksurteil (vgl. Allison 1998, 477). Ähnlich lehnt auch Fricke das ›two-acts model‹ ab (vgl. Fricke 1990, 46 Fn.), geht aber dennoch davon aus, dass eine sprachliche Erfassung der Lust für das Geschmacksurteil notwendig sei (vgl. Fricke 1990, 45). Auch Pollok lehnt Guyers Modell, das er als »two-judgments interpretation« bezeichnet, ab (Pollok 2017, 289). Er vertritt stattdessen das folgende dreiteilige Modell: »first, the contemplation of the subjective purposiveness of a given object, second (but simultaneously), the feeling of pleasure, […] as we enjoy the animating effect of this contemplation; and third, the articulation of a judgment of taste with the claim to subjective universality based on the assumption that everyone else should be able to feel the animating effect of their free reflection« (Pollok 2017, 289). Dabei wird aber nicht klar, welche Aktivität für die ›articulation of a judgment of taste‹ erforderlich ist. Das ›one-act model‹ geht auf Ginsborg zurück, die zugleich die stärkste Verfechterin dieses Modells ist. Grundlegend besagt ihre These, dass die Beurteilungsaktivität des freien Spiels, die Lust am Schönen und das Geschmacksurteil in gewisser Hinsicht alle dasselbe sind. Sie schreibt: »There is a single act of judgment involved in the exercise of taste: namely, the act of self-referentially judging that one’s mental state in that very act of judging is universally communicable or universally valid with respect to an object. This act of judgment is manifest to consciousness as a feeling of pleasure. It precedes the pleasure, not in a temporal sense, but in the sense that the pleasure is felt in virtue of the act of judgment. But it is at the same time an act of judging one’s feeling of pleasure to be universally valid. This means that it is also the act of judging the object to be beautiful, that is, the judgment of taste proper« (Ginsborg 2015, 42; vgl. auch Ginsborg 2008, 73 f.). Ohne an diesem Modell zu rütteln, gesteht Ginsborg in einer neueren Version ihrer Theorie ein, dass die Lust am Schönen von ihrer verbalen Erfassung im Urteil »x ist schön« unterschieden ist (vgl. Ginsborg 2015, 118 & 121). Allerdings betont sie, dass bereits die Schönheitserfahrung und nicht erst der sprachliche Ausdruck »Dies ist schön« als Geschmacksurteil gelten müsse (vgl. Ginsborg 2017, 432 ff.). Ebenfalls eine Art selbstreflexives Modell scheint Wieland zu vertreten: Bisweilen finden sich bei Guyer sehr allgemeine und unkonkrete Formulierungen des ›two-acts models‹, welche auch mit meinem Subsumtionsmodell zusammenbestehen können. Vgl. etwa: »First Beurteilung, then pleasure, then Geschmacksurteil, which is about that pleasure« (Guyer 2017, 411).

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»Nur dann kann die vom Urteil beanspruchte Allgemeinheit der in ihm enthaltenen Lust zugleich eine Lust an eben dieser Allgemeinheit sein« (Wieland 2001, 283). Dass die Lust am Schönen und das Geschmacksurteil letztlich dasselbe sind, vertritt auch Kulenkampff: »Weil das Gefühl hier der Modus der Kenntnis ist, gehen Urteil und Gefühl ineinander über« (Kulenkampff 1994, 99). Matthews betont, eine Art von ›one-act model‹ zu vertreten, welches aber ohne die selbstreferenzielle Komponente von Ginsborgs Modell auskomme (vgl. Matthews 1997, 35). Allerdings scheint bei ihr das Urteil als Ausdruck der Lust dennoch von der Lust selbst verschieden zu sein (vgl. Matthews 1997, 36). Kritik an Guyers ›two-acts model‹ findet sich ferner bei Esser, die gleichsam eine Art von ›one-act model‹ vertritt, bei dem uns im Vollzug des Urteilens die Allgemeinheit und Notwendigkeit des Urteils empirisch gegeben sind (vgl. Esser 1997, 128–137). Zudem seien wir uns in der Lust bewusst, »daß sie Wirkung einer Regelanwendung« – nämlich des Prinzips a priori der Urteilskraft – sei (Esser 1997, 133). 27 Longuenesse vertritt schließlich ein Modell der Lust (und nicht des Urteils), welches eine starke Verwandtschaft zum ›two-acts model‹ aufweist: »the first order pleasure taken in the free play of the faculties is supplemented by a second order pleasure taken in the universal communicability of the first order pleasure, without any deliberate act of judging being necessary to elicit the awareness of the disinterested character of the first order pleasure« (Longuenesse 2003, 154). Die Frage, ob die Lust am Schönen oder gar die Lust am Angenehmen begrifflich erfasst werden müssen, um ein Geschmacksurteil oder ein Urteil über das Angenehme zu fällen, wird in der Literatur meines Wissens nach fast nicht gestellt. Auf das Problem, dass der Lust am Angenehmen keine Beurteilung vorhergeht und dass sie daher einer sprachlichen Erfassung bedarf, um in ein Urteil überführt zu werden, macht Fricke aufmerksam (vgl. Fricke 1990, 47). Fricke unterscheidet daher auch zwischen der »gefühlsmäßig bewußte[n] Beurteilung des Gegenstandes« und der »sprachlichen Formulierung DIES IST SCHÖN« (Fricke 1990, 47). Sie misst dieser Unterscheidung allerdings keine große Bedeutung bei. Auch Zuckert betont, dass die Lust nicht als Urteil gelten kann: »But I believe that Kant’s considered view must be that pleasure itself (even aesthetic pleasure) is not a judgment, for, as a feeling, it does not itself establish, make claims to, or expressly have as its content any rule-governed connection among representations« (Zuckert 2007, 270). Betonen möchte ich noch, dass die Frage, ob wir die Lust durch einen Begriff erfassen müssen, von der Frage unterschieden ist, ob »schön« ein Begriff ist; denn man könnte ja auch annehmen, dass wir durch den Begriff »schön« eine wie auch immer geartete Eigenschaft des Objekts erfassen. Es bleibt dabei unklar, ob die Lust selbst schon das Urteil ist, oder ob es dazu eines zusätzlichen nicht-reflexiven Akts der Urteilsfällung bedarf.

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Die Zweite Erklärung des Schönen

Kant beschließt auch das Zweite Moment mit einer »[a]us dem zweyten Moment gefolgerte[n] Erklärung des Schönen« (219,24). Im Gegensatz zur Ersten Erklärung des Schönen ist diese Zweite Erklärung aber sehr kurz und beinhaltet nur eine Charakterisierung des schönen Gegenstandes – oder vielmehr der Lust am Schönen –, nicht aber des Geschmacks. 1 So lautet die Zweite Erklärung des Schönen: E2 »S c h ö n ist das, was ohne Begrif allgemein gefällt« (219,25).

Eigentlich wiederholt Kant hier nur seine zentrale These des Zweiten Moments, nämlich die Allgemeingültigkeitsthese. Daher haben die folgenden Ausführungen eher wiederholenden Charakter. Tatsächlich greift Kant in E2 fast wörtlich die Überschrift von § 6 auf: § 6.T »Das Schöne ist das, was ohne Begriffe, als Object eines a l l g e m e i n e n W o h l g e f a l l e n s vorgestellt wird« (211,8).

Aufgrund dieser fast wörtlichen Übereinstimmung haben wir beide Sätze bei der Untersuchung von § 6 als Ausdruck ein und derselben These, nämlich der Allgemeingültigkeitsthese bezüglich der Lust (ATLust), gewertet. Wir haben E2 daher auch bereits im Rahmen von § 6 untersucht. Kurz zusammengefasst bedeutet ATLust und damit auch E2, dass die Lust am Schönen für alle Urteilenden gilt (die eigentliche Allgemeingültigkeitsthese), ohne dass sie begrifflich erwirkt ist (die Begriffslosigkeitsthese BTLust). Als deskriptive These hatten wir ATLust folgendermaßen rekonstruiert: ATLustR2 Alle Menschen fühlen an einem Gegenstand x eine Lust am Schönen, wenn sie im Zustand der Uninteressiertheit und in Bereitschaft zur Reflexion sind und wenn x ein schöner Gegenstand ist. Da der Geschmack nichts anderes als das Vermögen ist, Lust am Schönen zu fühlen, so ist freilich jede Charakterisierung der Lust am Schönen auch eine indirekte Charakterisierung des Geschmacks (siehe die Analyse der Definition des Geschmacks in Kap. 1.1).

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Zudem habe ich die folgende präskriptive Variante von ATLust identifiziert: ATLust-p Alle Menschen sollen an einem schönen Gegenstand x eine Lust am Schönen fühlen.

Die präskriptive Variante von ATLust ist insofern relevant, als sie die implizite Forderung an alle Urteilenden beinhaltet, sich in die ästhetische Einstellung zu versetzen. Schließlich habe ich dafür plädiert, dass ATLust auch eine phänomenologische Bedeutung hat: Man fühlt sich in der Lust am Schönen mit seinen Mitmenschen verbunden und fühlt, dass man seine bloßen Privatbedingungen transzendiert. Zur Bedeutung der Begriffslosigkeitsthese BTLust habe ich ausgeführt, dass die Lust am Schönen weder direkt noch indirekt begrifflich erwirkt ist: BTLust Die Lust am Schönen (a) ist nicht direkt begrifflich erwirkt, weil sie nicht durch einen Begriff hervorgerufen wird. (b) ist nicht indirekt begrifflich erwirkt, weil sie nicht auf eine Eigenschaft des Objekts zurückgeführt werden kann, die nur mit Lust verbunden wäre, weil wir sie begrifflich erfassten. (c) beruht nicht auf einer Eigenschaft eines Objekts, die sich begrifflich erfassen lässt.

Die Bestimmung der Lust am Schönen als allgemeingültig, aber nicht-begrifflich kann zur Abgrenzung der Lust am Schönen von der Lust am Angenehmen und am Guten genutzt werden – und genau eine solche Abgrenzung hat Kant ja auch in § 7 vorgenommen. Die Lust am Angenehmen ist privatgültig und nicht-begrifflich, während die Lust am Guten allgemeingültig und (direkt) begrifflich erwirkt ist. Insofern es nur die drei genannten Arten von Lust gibt, können ATLust und BTLust als hinreichende Bedingungen gelten, um eine Lust als Lust am Schönen zu identifizieren. ATLust und BTLust bilden zusammen das Paradox, welches das Zweite Moment dominiert hat. So ist es die Hauptproblematik des Zweiten Moments – und vielleicht sogar von Kants Theorie des Schönen insgesamt –, wie eine Lust möglich sein soll, die allgemeingültig ist, deren Allgemeingültigkeit aber nicht auf Begriffen (vom Objekt) beruht. Mit der Aufdeckung des freien und harmonischen Spiels der Erkenntniskräfte hat Kant in § 9 den ersten Schritt zur (vermögenstheoretischen) Begründung der Möglichkeit einer allgemeinen und 550

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begriffslosen Lust geleistet; denn er hat gezeigt, dass der Lust am Schönen ein Gemütszustand zugrunde liegt, der mit der Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand zur Erkenntnis überhaupt die subjektive Bedingung der Erkenntnis beinhaltet. Obgleich Kant in E2 also eigentlich nur diejenige These wiederholt, die er bereits in § 6 vorgestellt hat, so erscheint diese These nun in einem ganz neuen Licht. Denn nach § 9 können wir zumindest ansatzweise verstehen, wie diese These überhaupt haltbar sein kann. Allerdings erinnert die erneute Formulierung von ATLust und BTLust auch daran, dass das Paradox von AT und BT noch nicht vollständig aufgelöst ist. So ist insbesondere noch unklar, wie die subjektive Bedingung der Erkenntnis, d. h. die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, im freien Spiel der Erkenntniskräfte beinhaltet sein kann, ohne dass eine Erkenntnis gewonnen wird. Dieses Problem wird Kant im Dritten Moment durch das Prinzip a priori der Urteilskraft sowie seine Konzeption der subjektiven Zweckmäßigkeit lösen. In diesem Sinne bereitet die erneute Formulierung von ATLust und BTLust auch den Übergang zum nächsten Moment des Schönen.

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III. Das Dritte Moment des Schönen: Relation

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Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Dritten Moments

§ 10 Zweck, Zweckmäßigkeit und Zweckmäßigkeit ohne Zweck Im Dritten Moment befasst sich Kant mit der Relation der Vorstellung vom schönen Objekt zum urteilenden Subjekt. Diese Relation bestimmt er durch die Konzeption der subjektiven Zweckmäßigkeit ohne Zweck. Um diese Konzeption zu entfalten, bedarf es zunächst einiger Begriffsklärungen, nämlich insbesondere Erklärungen der Begriffe »Zweckmäßigkeit« und »Zweck«. Ein Zweck meint bei Kant primär einen Begriff, der festlegt, was ein Objekt sein soll. So legt der Zweckbegriff der Geige fest, was eine Geige sein soll; sie muss etwa über einen Korpus, einen Hals und ein Griffbrett, vier Saiten usw. verfügen. Der Zweck findet zunächst im praktischen Kontext Anwendung: Durch einen Zweckbegriff wird ein Wille (wie etwa der Wille des Geigenbauers) dazu bestimmt, das dem Zweckbegriff korrespondierende Objekt (die Geige) hervorzubringen. Zweckbegriffe können aber auch in einem epistemischen Kontext eine Rolle spielen, wenn wir etwa urteilen, dass ein Gegenstand (die Geige, die vor uns auf dem Tisch liegt) nach einem Zweckbegriff durch einen Willen hervorgebracht wurde. Ein Gegenstand ist zweckmäßig, wenn er mit seinem Zweck, d. h. damit, was er sein soll, übereinstimmt. So ist die Geige zweckmäßig, wenn sie über einen Korpus, einen Hals und ein Griffbrett, vier Saiten usw. verfügt. In ontologischer Hinsicht ist ein Gegenstand nur dann zweckmäßig, wenn er wirklich durch einen Willen nach einem Zweckbegriff hervorgebracht wurde. So ist die Geige in ontologischer Hinsicht zweckmäßig, weil sie absichtlich vom Geigenbauer nach einem Zweckbegriff hervorgebracht wurde. In epistemischer Hinsicht können wir aber auch Gegenstände als zweckmäßig annehmen, bloß weil sie so scheinen, als wären sie von einem Willen nach einem Zweckbegriff hervorgebracht worden. So können wir etwa auch den Organismus als zweckmäßig annehmen, obwohl er gegebeKants Philosophie des Schönen

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nenfalls von keinem Willen (oder mindestens keinem menschlichen Willen) absichtlich hervorgebracht wurde. Zweckmäßigkeit (ZM) bezieht sich immer auf die Form von Gegenständen; denn bei einer ZM geht es immer darum, dass Teile durch einen Willen zu einem spezifischen Ganzen, d. h. einer Form, angeordnet werden. Eine isolierte Empfindung kann keine ZM beanspruchen. ZM ist zudem selbst eine Form, d. h. eine formale Verknüpfung zwischen irgendeinem Zweckbegriff und einem Objekt. Erst durch den konkreten Zweck (beispielsweise den Zweckbegriff der Geige) erhält diese formale Verknüpfung eine inhaltliche Bestimmung (Materie). Es gibt vier Arten von ZM. Die objektive ZM konstituiert sich durch eine Beziehung auf ein Objekt. Dabei kann das Objekt entweder mit einem Zweckbegriff davon, was es selbst sein soll (objektive innere ZM bzw. Vollkommenheit), oder mit einem Zweckbegriff davon, wozu es nützlich sein soll (objektive äußere ZM bzw. Nützlichkeit), zusammenstimmen. So weist die Geige objektive innere ZM (Vollkommenheit) auf, wenn sie damit übereinstimmt, was sie sein soll, d. h. wenn sie über einen Korpus, vier Saiten usw. verfügt; sie verfügt über objektive äußere ZM (Nützlichkeit), wenn sie dem Zweck dienlich ist, Musik zu machen. Bei einer subjektiven ZM stimmt das Objekt mit den Erkenntnisvermögen eines Subjekts zusammen. Weist das Objekt eine Beziehung zur Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt auf, so beansprucht es subjektive innere ZM. Wenn ein urteilendes Subjekt etwa eine Rose erkennt und somit eine Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand zur Erkenntnis überhaupt vorliegt, dann erweist sich die Rose als subjektiv zweckmäßig. Stimmt ein Objekt nicht mit den Erkenntnisvermögen (Einbildungskraft und Verstand) zusammen, ist aber mittelbar dienlich für eine Aktivität der Vernunft, so liegt eine subjektive äußere ZM vor. Dies ist insbesondere beim Erhabenen der Fall. Wenn beispielsweise die Einbildungskraft beim Anblick eines riesigen Gebirges scheitert, kann dadurch eine Aktivität der Vernunft angeregt werden. Wenn ein Subjekt einen Gegenstand als objektiv zweckmäßig erkennt, dann liegt immer auch eine subjektive ZM vor. Umgekehrt kann aber eine subjektive ZM vorliegen, ohne dass der Gegenstand als objektiv zweckmäßig erkannt wird. Letzteres ist beim Schönen und Erhabenen der Fall. Da sich eine subjektive ZM durch einen Bezug auf einen Gemütszustand des Subjekts konstituiert, besteht die Möglichkeit, dass wir uns dieser ZM nicht durch den Bezug auf einen

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Zweckbegriff, sondern durch ein Gefühl bewusst werden. Es liegt dann eine ZM ohne Zweck vor. Die (subjektive) ZM ohne Zweck ist für die KU von besonderer Relevanz. Erstens macht sie den Gehalt des Prinzips a priori der Urteilskraft aus. Dieses besagt, die Formen der Natur seien so beschaffen, als wären sie intentional von einem Willen so angeordnet worden, dass wir sie erkennen könnten (Objektseite); und es besagt, unsere Erkenntnisvermögen seien so beschaffen, als wärem sie intentional von einem Willen so hervorgebracht worden, dass wir mittels der Erkenntnisvermögen Erkenntnisse gewinnen könnten (Subjektseite). Wir unterstellen nun durch das Prinzip a priori im Sinne einer epistemischen Grundannahme, die Gegenstände der Natur wären intentional durch einen Willen so angeordnet worden, dass wir sie erkennen könnten. Dabei beziehen wir die Natur weder auf einen konkreten Zweck noch erkennen wir, dass ein (göttlicher) Wille die Natur wirklich intentional angeordnet hat. Zweitens kann sich in einer Reflexionsaktivität ohne Erkenntnisgewinn eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt und somit eine subjektive ZM manifestieren. Da durch diese Reflexionsaktivität keine Erkenntnis durch einen Zweckbegriff gewonnen wird, liegt eine subjektive ZM ohne Zweck vor.

§ 11 Zur Zweckmäßigkeit ohne Zweck als Grundlage des Geschmacksurteils Im Gemütszustand des freien Spiels der Erkenntniskräfte, auf dem die Lust am Schönen gegründet ist, liegt eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vor. Der schöne Gegenstand, der das freie Spiel anregt, erweist sich in dieser Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt als subjektiv zweckmäßig; denn eine subjektive ZM ist nichts anderes als die Beziehung eines Gegenstandes zur Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt des Subjekts. Nun werden wir uns durch das Gefühl der Lust am Schönen des freien Spiels und der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt bewusst. Somit kann diese Lust als Bewusstsein der subjektiven ZM des schönen Gegenstandes verstanden werden. Bereits daraus, dass wir die subjektive ZM nicht durch Rekurs auf einen Zweckbegriff erkennen, sondern sie in der Lust fühlend erleben, wird ersichtlich, dass es sich um eine subjektive ZM ohne Zweck handeln muss. Darüber hinaus lässt sich Kants Philosophie des Schönen

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auch zeigen, dass dem Geschmacksurteil weder ein subjektiver noch ein objektiver Zweck zugrunde liegen kann. Ein subjektiver Zweck entspricht einer Zwecksetzung im Sinne des Angenehmen. Ein subjektiver Zweck ist daher mit einem privatgültigen Interesse verbunden, während die Lust am Schönen uninteressiert und allgemeingültig ist. Urteile, denen ein objektiver Zweck zugrunde liegt, sind (theoretische oder praktische) Erkenntnisurteile über die Vollkommenheit oder die Nützlichkeit. Da das Geschmacksurteil ein ästhetisches Urteil ist, kann ihm kein objektiver Zweck zugrunde liegen.

§ 12 Dem Geschmacksurteil liegt das subjektive Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft zugrunde Im freien Spiel ist es die Aufgabe der Einbildungskraft, Formen frei, d. h. ohne von Begriffen ausgehenden Zwang, zu apprehendieren. Was ist aber die Funktion des Verstandes? Mein Vorschlag ist, dass der Verstand eine andauernde Überprüfungsaktivität mittels des Prinzips a priori der reflektierenden Urteilskraft vornimmt. Das Prinzip a priori hat zwei Aspekte: Wir sollen beim Reflektieren so verfahren, als ob die Formen der Naturgegenstände zweckmäßig für unsere Erkenntnisvermögen wären (Objektseite) und als ob unsere Erkenntnisvermögen zweckmäßig füreinander wären (Subjektseite). Bei jeder Aktivität der reflektierenden Urteilskraft nimmt der Verstand eine Überprüfung anhand dieses Prinzips vor: Er prüft, ob die apprehendierten Formen sowie die Aktivität des Apprehendierens durch die Einbildungskraft je zweckmäßig für seine Tätigkeit sind, Begriffe aufzufinden. Genau diese Überprüfung ist die Aufgabe des Verstandes im freien Spiel. Da diese Überprüfung im freien Spiel stets positiv ausfällt, wird die Einbildungskraft bestärkt, weitere Formen zu apprehendieren; und so kommt es zu einer gegenseitigen Belebung beider Vermögen. Auf diese Weise ist das Prinzip a priori ein Bestimmungsgrund des freien Spiels: Durch die Anwendung des Prinzips a priori wird das Andauern der inneren Belebung und damit der Lust bewirkt. Auch das gegebene Objekt ist gleichsam ein Grund des freien Spiels; denn es ist die Vorstellung vom Objekt, die allererst dieses Spiel anregt. In diesem Sinne wird das freie Spiel durch zwei Gründe bewirkt bzw. angeregt. Weil wir uns das Prinzip a priori in einem Akt der Heautonomie selbst geben, ist es nicht dem Bereich des Empirischen, son558

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dern des Übersinnlichen beizuzählen. Daher können wir a priori erkennen, dass dieses Prinzip das Andauern des freien Spiels und der Lust am Schönen bewirkt. Wir können aber nicht a priori erkennen, welches gegebene Objekt allererst das freie Spiel anregt. In der Lust am Schönen werden wir uns der positiven Instanziierung der beiden Aspekte des Prinzips a priori der Urteilskraft im freien Spiel bewusst: Wir fühlen ein harmonisches Zusammenstimmen mit der Welt und uns selbst.

§ 13 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils: Zur Unabhängigkeit von Reiz und Rührung (die Formthese) Hat Kants Theorie bislang von Geschmacksurteilen allgemein gehandelt, so differenziert er nun zwischen reinen und unreinen Geschmacksurteilen. Ein reines Geschmacksurteil ist erstens von der Materie der Vorstellung (Empfindungen) und zweitens von der Materie der Zweckverbindung (dem Zweckbegriff) unabhängig. Gleichzeitig beruht es erstens auf der Form der Vorstellung und zweitens auf der bloßen Form der Zweckverbindung (ZM ohne Zweck). Einem reinen Geschmacksurteil darf keine Lust am Angenehmen (zusätzlich zur Lust am Schönen) zugrunde liegen. Die Lust am Angenehmen wird von (objektiven) Empfindungen hervorgerufen. Empfindungen, die eine Lust am Angenehmen bewirken, bezeichnet Kant als Reize. Reine Geschmacksurteile sind daher durch eine Unabhängigkeit von Reizen gekennzeichnet. Statt auf Reizen beruhen die Lust am Schönen und somit auch das Geschmacksurteil auf der Form des schönen Objekts (Formthese FMT). Eine Form ist eine Anordnung des Mannigfaltigen in Raum und Zeit, die durch eine Synthesisleistung der Einbildungskraft erzeugt wird. Das freie Spiel zeichnet sich durch ein freies Apprehendieren von Formen durch die Einbildungskraft aus. Zudem erweist sich in der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, die im freien Spiel vorliegt, die Form der Vorstellung als subjektiv zweckmäßig. FMT ist daher ein Korollarium aus den vorigen Theoriestücken.

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§ 14 Die Rolle von Reizen und Empfindungen in Geschmacksurteilen Kant unterscheidet nicht nur zwischen reinen und unreinen Geschmacksurteilen, sondern auch zwischen reinen und empirischen ästhetischen Urteilen. Urteile über das Angenehme sind empirische ästhetische Urteile; sie prädizieren eine Lust, die durch Reize bewirkt wird. Geschmacksurteile sind reine ästhetische Urteile; sie prädizieren eine Lust, die auf der Form des Gegenstandes beruht, und sind (hinsichtlich ihrer Allgemeinheit) Urteile a priori. Welche Rolle spielen Reize im Geschmacksurteil? Reize sind weder selbst schön noch können sie die Schönheit erhöhen. Vielmehr unterbinden sie das freie Spiel, insofern sie die Aufmerksamkeit des Urteilenden zu stark auf sich ziehen. Dennoch können Reize und Empfindungen verschiedene positive Funktionen im Rahmen des Schönen ausüben: Erstens können Reize eine pädagogische Funktion ausüben und das Subjekt dazu motivieren, seinen (noch ungeübten) Geschmack zu kultivieren. Zweitens können Reize die Aufmerksamkeit des Subjekts auf den schönen Gegenstand lenken bzw. darauf erhalten und somit eine aufmerksamkeitsrichtende und aufmerksamkeitserhaltende Funktion ausüben. Drittens können spezifische Empfindungen, nämlich Farben und Töne, potenziell selbst schön sein – unter der Voraussetzung, dass die Wellentheorie Eulers zutrifft und wir das Mannigfaltige an Wellen zu einer Form synthetisieren können. Viertens tragen Farben und Töne, insofern sie Kontraste bilden, zentral zur Formwahrnehmung bei, sodass spezifische Farbkombinationen und Instrumentierungen einen maßgeblichen Beitrag zur Schönheit leisten können. Reine Geschmacksurteile sind nicht nur von Reizen, sondern auch von der Rührung, d. h. einem Doppelgefühl aus Unlust am Unangenehmen und Lust am Angenehmen, abzugrenzen; denn die Lust am Schönen kann nur mit dem einfachen Gefühl der Lust und nicht mit Doppelgefühlen aus Unlust und Lust vermischt werden.

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§ 15 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils: Zur Unabhängigkeit von der Vollkommenheit Das Geschmacksurteil ist kein Urteil über eine objektive ZM; denn eine objektive ZM kann immer nur als ZM mit Zweck erkannt werden, während dem Geschmacksurteil eine ZM ohne Zweck zugrunde liegt. Da Nützlichkeit und Vollkommenheit Formen der objektiven ZM sind, ist das Geschmacksurteil weder ein Urteil über die Nützlichkeit noch über die Vollkommenheit. Damit grenzt Kant sich von rationalistischen Positionen in der Ästhetik ab, nach denen Schönheit eine verworrene (d. h. sinnliche) Erkenntnis der Vollkommenheit ist. Vollkommenheit bedeutet nach Kant, dass ein Gegenstand in seiner spezifischen Beschaffenheit mit seinem (inneren) Zweck zusammenstimmt, d. h. mit dem Begriff davon, was der Gegenstand sein soll. Eine Vollkommenheit kann daher nicht ohne Rekurs auf ebendiesen Zweckbegriff erkannt werden, sodass eine rein sinnliche Erkenntnis der Vollkommenheit ohne Bezug auf einen Zweckbegriff unmöglich und widersprüchlich ist. Wäre Schönheit aber eine Erkenntnis der Vollkommenheit durch einen Zweckbegriff, so hätten Geschmacksurteile den Zweckbegriff zum Bestimmungsgrund und wären Erkenntnisurteile.

§ 16 Reine versus angewandte Geschmacksurteile Ein Geschmacksurteil kann mit einem Urteil über die Vollkommenheit kombiniert werden. Solche angewandten Geschmacksurteile, die zu den unreinen Geschmacksurteilen zählen, werden in einem zweistufigen Verfahren gefällt: Auf der ersten Stufe wird der Gegenstand im Hinblick auf seine Vollkommenheit beurteilt und auf der zweiten Stufe im Hinblick auf seine Schönheit. Wird der Gegenstand als vollkommen beurteilt, so kann er als schön oder nicht schön beurteilt werden; wird der Gegenstand aber als unvollkommen beurteilt, so kann er nicht als schön beurteilt werden. Wenn Menschen üblicherweise über einen Zweckbegriff von einem bestimmten Gegenstand verfügen und sie ihn daher üblicherweise durch ein angewandtes Geschmacksurteil beurteilen, dann ist dieser Gegenstand eine anhängende Schönheit. Wenn Menschen hingegen üblicherweise über keinen (oder nur einen sehr vagen) Zweckbegriff von einem bestimmten Gegenstand verfügen, dann ist dieser Gegenstand eine freie SchönKants Philosophie des Schönen

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heit. Beim Beurteilen von freien Schönheiten ist die Einbildungskraft völlig frei; beim Beurteilen einer anhängenden Schönheit kann sie hingegen nur in demjenigen Rahmen spielen, der ihr durch den Zweckbegriff vorgegeben ist. (Theoretische) Urteile über die Vollkommenheit sind gewöhnlich nicht mit einer Lust verbunden. Daher wird die Lust am Schönen in den meisten angewandten Geschmacksurteilen nicht mit einer zweiten Lust kombiniert. (Praktische) Urteile über die moralische Vollkommenheit eines Menschen sind jedoch mit einer Lust, nämlich der Liebe des Wohlgefallens, verbunden. In angewandten Geschmacksurteilen, in denen auf der ersten Stufe die moralische Vollkommenheit eines Menschen beurteilt wird, vermischt sich die Lust am Schönen daher mit einer Lust am moralisch Guten.

§ 17 Das (menschliche) Ideal der Schönheit Der Mensch strebt danach, ein höchstes Muster der Schönheit, d. h. ein Ideal der Schönheit, in sich hervorzubringen. Ein solches müsste im urteilenden Subjekt mit einem Maximum der Aktivität des freien Spiels sowie der Lust am Schönen verbunden sein. Das Problem eines solchen Ideals ist jedoch, dass wir keinerlei Vorstellung haben, wie das entsprechende Objekt aussehen müsste. Da es keine objektiven Geschmacksregeln gibt, können wir keine Eigenschaft eines Objekts maximieren, um dadurch ein Ideal der Schönheit zu erzeugen. Das höchste Muster der Schönheit scheitert somit in erster Instanz an der Begriffslosigkeit des Schönen. Allerdings gibt es im Rahmen der angewandten Geschmacksurteile objektive Regeln, sodass hier ein Ideal der Schönheit möglich ist. Jedoch betreffen die entsprechenden Regeln die Vollkommenheit, sodass das Ideal der Schönheit an ein Ideal der Vollkommenheit gebunden wird. Ein Ideal der Vollkommenheit kann nur vorliegen, wenn der Gegenstand durch einen apriorischen Zweckbegriff vollständig fixiert wird. Zudem lässt nur ein apriorischer Zweckbegriff, da er nicht die äußere Erscheinung des Gegenstandes betrifft, Raum für das freie Spielen der Einbildungskraft. Der einzige apriorische Zweckbegriff, über den wir verfügen, ist der moralische Zweckbegriff vom Menschen. Also können wir ein Ideal der Vollkommenheit und der Schönheit nur bezüglich des Menschen ausbilden. Eine menschliche Gestalt muss zwei Kriterien erfüllen, um als Ideal der Schönheit 562

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zu gelten: Erstens darf sie der Normalidee des Menschen nicht widersprechen; zweitens muss sich in ihr die (innerliche) moralische Vollkommenheit des Menschen äußerlich manifestieren. Da die Darstellung und Beurteilung einer solchen äußerlichen moralischen Vollkommenheit mit einer hohen Aktivität der Einbildungskraft und gleichzeitig einem großen moralischen Interesse (Liebe des Wohlgefallens) verbunden ist, liegen ein Maximum der Aktivität der Einbildungskraft sowie ein Maximum der kombinierten Lust am Schönen und am Guten vor.

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§ 10 Begriffsklärungen: Zweck, Zweckmäßigkeit und Zweckmäßigkeit ohne Zweck

Das Zweite Moment ist in der Offenlegung des freien und harmonischen Spiels der Erkenntniskräfte kulminiert (§ 9). Damit hat Kant im Kern das Paradox von Allgemeingültigkeit und Begriffslosigkeit gelöst; denn er konnte die Allgemeingültigkeit der Lust am Schönen auf die subjektive Bedingung der Erkenntnis, d. h. auf die Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand zur Erkenntnis überhaupt, zurückführen. Damit sind aber noch lange nicht alle Fragen beantwortet. Wie kann etwa die subjektive Bedingung der Erkenntnis realisiert sein, ohne dass ein Objektbezug und somit die objektive Bedingung der Erkenntnis vorliegt? Welche Aktivitäten üben Einbildungskraft und Verstand im freien Spiel genau aus? Welche Rolle spielt das schöne Objekt im freien Spiel? Es ist diese Beziehung des schönen Objekts zum freien Spiel bzw. zur Lust, die im Dritten Moment primär thematisch ist; denn dieses ›Moment‹ behandelt die »R e l a t i o n « (219,27). Es wird sich zeigen, dass sich diese ›Relation‹ des schönen Objekts und des urteilenden Subjekts durch den Begriff der subjektiven Zweckmäßigkeit bestimmen lässt. § 10 hat für diese Bestimmung eine vorbereitende Funktion; denn Kant führt hier den Begriff der Zweckmäßigkeit allererst ein. Darüber hinaus bestimmt er weitere für die Zweckmäßigkeit relevante Begriffe, nämlich »Zweck«, »Wille« und »Lust«. Schließlich leitet er zur Zweckmäßigkeit ohne Zweck und damit implizit zum Schönen über. Insgesamt lässt sich dieser Paragraph folgendermaßen gliedern: 1. Begriffsbestimmungen (§ 10.A.1-B.1, 219,31–220,17) a) Bestimmung von »Zweck« und »Zweckmäßigkeit« (§ 10.A.1–3, 219,31–220,9) b) Bestimmung von »Lust« und »Unlust« (§ 10.A.4, 220,9–14) c) Bestimmung von »Wille« (§ 10.B.1, 220,15–17) 2. Argumentation für die Möglichkeit einer Zweckmäßigkeit ohne Zweck (§ 10.B.2–5, 220,17–31)

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Zur Begriffsbestimmung von »Zweck« und »Zweckmäßigkeit«

10.1 Zur Begriffsbestimmung von »Zweck« und »Zweckmäßigkeit« Um den Begriff der »Zweckmäßigkeit« (im Folgenden ZM) dreht sich in der KU gewissermaßen alles: Erstens ist er in beiden Teilen der KU von zentraler Bedeutung; zweitens werden mittels dieses Begriffs sowie seiner Verwendung im Prinzip a priori der Urteilskraft die beiden Teile der KU miteinander verknüpft. Daher haben die Begriffsbestimmungen in § 10 nicht nur eine Relevanz für Kants Theorie des Schönen, sondern auch für seine Theorie der teleologischen Urteile. Freilich interessiert uns an dieser Stelle aber vordringlich die Bedeutung des Begriffs der ZM im Rahmen des Schönen.

10.1.1 Zur Begriffsbestimmung von »Zweck« Den Begriff des Zwecks 1 führt Kant zu Beginn von § 10 zusammen mit dem Begriff der Zweckmäßigkeit ein. Die gesamte Passage lautet: § 10.A.1 »[a] Wenn man, was ein Zweck sey, nach seinen transcendentalen Bestimmungen (ohne etwas Empirisches, dergleichen das Gefühl der Lust ist, vorauszusetzen) erklären will: [b] so ist Zweck der Gegenstand eines Begrifs, sofern dieser als die Ursache von jenem (der reale Grund seiner Möglichkeit) angesehen wird; [c] und die Causalität eines B e g r i f s in Ansehung seines O b j e c t s , ist die Zweckmäßigkeit (forma finalis). § 10.A.2 Wo also nicht etwa bloß die Erkenntniß von einem Gegenstande, sondern der Gegenstand selbst (die Form oder Existenz desselben) als Wirkung, nur als durch einen Begrif von der letztern möglich gedacht wird, da denkt man sich einen Zweck. § 10.A.3 Die Vorstellung der Wirkung ist hier der Bestimmungsgrund ihrer Ursache, und geht vor der letztern vorher« (219,31 f.). Unbestreitbar weisen Kants Begriffsbestimmungen von »Zweck« und »Zweckmäßigkeit« eine Vielzahl von Bezügen zu vorangegangenen historischen Positionen auf. Vor dem Hintergrund der langen und umfangreichen Geschichte des Zweckbegriffs sowie der Teleologie, angefangen bei Platon und vor allem Aristoteles, kann hier keine Diskussion dieser historischen Vorbilder der kantischen Theorie geleistet werden. Für einen umfassenden Überblick über die philosophiegeschichtliche Entwicklung des Zwecks vgl. Hoffmann (2004).

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§ 10 Begriffsklärungen: Zweck, Zweckmäßigkeit …

Kant stellt voran, dass er eine transzendentale Bestimmung vornehmen möchte, die nichts ›Empirisches, dergleichen das Gefühl der Lust ist, voraus[setzt]‹. Warum aber sollte eine Begriffsbestimmung von »Zweck« überhaupt den Begriff der Lust beinhalten? Zwecke haben insofern einen Bezug zur Lust, als sie in praktischen Kontexten der Zwecksetzung und des Handelns nach Zwecken eine Rolle spielen. Die Lust übernimmt in solchen Kontexten meist eine motivationale Funktion. Die Motivation zur Realisierung von Zwecksetzungen würde nach Kant wohl in den Bereich der empirischen Psychologie fallen und wäre daher ungeeignet für sein transzendentales Projekt. Erwähnenswert ist der Verweis auf die Lust insofern, als Kant damit auf die Einbindung von Zwecken in praktische Kontexte hindeutet. Auch seine transzendentale Bestimmung von »Zweck« hat einen Bezug zum Bereich des Praktischen. Isoliert man die Definition von ›Zweck‹ in § 10.A.1b, so erhält man: Z1 Zweck ist der Gegenstand eines Begriffs, sofern dieser als die Ursache von jenem (der reale Grund seiner Möglichkeit) angesehen wird.

Zunächst müssen ›dieser‹ und ›jenem‹ durch ihre jeweiligen Bezugswörter ersetzt werden, wozu sich ›Zweck‹, ›Gegenstand‹, ›Begrif[.]‹ und ›Gegenstand eines Begrifs‹ anbieten. Da Kant den ›Zweck‹ mit dem ›Gegenstand eines Begrifs‹ identifiziert, kann der ›Gegenstand eines Begrifs‹ nicht die ›Ursache‹ des Zwecks sein. Daher lautet die einzige sinnvolle Lesart: Z1* Zweck ist der Gegenstand eines Begriffs, sofern der Begriff als die Ursache vom Gegenstand (der reale Grund der Möglichkeit des Gegenstandes) angesehen wird.

Es wird deutlich, dass Kant »Zweck« primär durch eine Kausalrelation bestimmt. 2 Diese findet sich auch in der folgenden Begriffsbestimmung aus der Ersten Einleitung:

Darauf verweist auch der Begriff des realen Grundes in der Klammerbemerkung. So differenziert schon der vorkritische Kant zwischen dem Realgrund und dem bloß logischen Grund. Dabei wird durch einen logischen Grund bloß eine Prädikatzuschreibung verursacht, während durch einen Realgrund die Existenz eines Gegenstandes verursacht wird (vgl. Berger/Onof 2018, 183 f.).

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Zur Begriffsbestimmung von »Zweck« und »Zweckmäßigkeit«

Z2 »Weil nun der Begrif von einem Objekt, sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objects enthält, der Z w e c k […] heißt« (180,31).

Ersetzt man ›er‹ durch ›Begriff‹ und ändert die Satzstruktur, so erhält man: Z2R1 Ein Zweck ist der Begriff von einem Objekt, sofern der Begriff zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objekts enthält.

Auf Grundlage von Z1 und Z2 können wir die folgende Kausalrelation aufstellen: K Der Begriff ist die Ursache des Objekts.

Wie aber kann ein Begriff die Ursache eines Objekts sein? Die Lösung dafür liefert die Einbettung des Zwecks in praktische Kontexte: Der Begriff selbst kann freilich kein Objekt bewirken, jedoch kann dies ein Wille, der nach Zwecken handelt. 3 Dementsprechend findet sich in § 82 die folgende weitere Begriffsbestimmung von »Zweck«: Z3 »Denn, die vorgestellte Wirkung, deren Vorstellung zugleich der Bestimmungsgrund der verständigen wirkenden Ursache zu ihrer [der Wirkung] Hervorbringung ist, heißt Z w e c k « (426,7).

Nehmen wir an, dass die ›vorgestellte Wirkung‹ den Begriff und die ›Wirkung‹ das Objekt aus K meint, dann ist der Begriff ›der Bestimmungsgrund der verständigen wirkenden Ursache zur…Hervorbringung‹ des Objekts. Da eine ›verständige wirkende Ursache‹ nichts anderes als ein Wille ist, so besagt Z3: Z3R1 Ein Zweck ist der Begriff von einem Objekt, der zugleich der Bestimmungsgrund des Willens zur Hervorbringung des Objekts ist.

Wir können unser Kausalverhältnis K in diesem Sinne ergänzen: KR1 Der Begriff ist der Bestimmungsgrund des Willens, und der Wille bringt das Objekt hervor. 4

Wir befinden uns damit insgesamt im Kontext der Hervorbringung von Artefakten. Naturdinge können dabei nur im uneigentlichen Sinne als Zwecke bzw. zweckmäßig gelten. Zammito schreibt dazu: »the relation of purpose involves intelligent agency, or ›will‹« (Zammito 1992, 91). 4 So heißt es auch bei Adelung zum Zweck: »Dasjenige, warum eine Handlung geschiehet, die im Gemüthe vorher bestimmte Wirkung eines Mittels, so wohl in Rücksicht auf die handelnde Person, als auch auf das Mittel« (Adelung: Der Zweck). 3

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§ 10 Begriffsklärungen: Zweck, Zweckmäßigkeit …

Verdeutlichen wir uns K einmal anhand des Beispiels einer Geige, die von einem Geigenbauer hergestellt (›hervorgebracht‹) wird. Der Wille des Geigenbauers wird durch den Begriff der Geige bzw. durch den Begriff davon, was eine Geige sein soll, bestimmt. So soll eine Geige etwa über einen Korpus, einen Hals und ein Griffbrett, einen Steg, vier Saiten usw. verfügen. Aufgrund der Bestimmung seines Willens durch den Begriff davon, was eine Geige sein soll, kann der Geigenbauer eine Geige herstellen, die eben genau über diese Bestandteile (Korpus, Hals, usw.) verfügt. In K ist bewusst noch nicht vom Zweck die Rede; denn wir werden sehen, dass nicht klar ist, wofür in diesem Kausalverhältnis der Zweck steht. Zunächst können wir aber feststellen, dass sich KR1 auch andeutungsweise in § 10.A.3 wiederfindet: § 10.A.3 Die Vorstellung der Wirkung ist hier der Bestimmungsgrund ihrer Ursache, und geht vor der letztern [Ursache] vorher.

Die ›Vorstellung der Wirkung‹ muss die begriffliche Vorstellung vom Objekt sein; denn das Objekt ist in K die Wirkung. Da der Begriff als ›Bestimmungsgrund‹ der ›Ursache‹ identifiziert wird, kann die ›Ursache‹ nicht der Begriff sein. Eine sinnvolle Lesart ist, dass die Ursache ein Wille ist, der den Gegenstand bewirkt. Dass die Wirkung ›der letztern [Ursache] vorhergeht‹ bedeutet damit, dass der Begriff dem Willen insofern vorhergeht, als der Begriff den Willen bestimmt. Da dies aber bereits durch den Begriff des Bestimmungsgrundes ausgesagt wird, können wir vom zweiten Teil von § 10.A.3 (›und geht vor der letztern vorher‹) abstrahieren. Wir können § 10.A.3 somit folgendermaßen rekonstruieren: § 10.A.3R1 Die begriffliche Vorstellung der Wirkung, d. h. der Begriff, ist der Bestimmungsgrund des Willens, und der Wille (als Ursache) bringt das Objekt (als Wirkung) hervor.

An dieser Stelle ist es sinnvoll, einen Blick auf die Begriffsbestimmung von »Wille« zu werfen. Dass der Begriff des Zwecks eng mit dem Begriff des Willens verknüpft ist, wird unmittelbar durch Kants Begriffsbestimmung von »Wille« deutlich: W (§ 10.B.1) »Das Begehrungsvermögen, sofern es nur durch Begriffe, d. i. der Vorstellung eines Z w e c k s gemäß zu handeln, bestimmbar ist, würde der Wille seyn« (220,15).

Der Wille ist eine spezifische Ausprägung des Begehrungsvermögens, zu dem es in der Einleitung heißt: 568

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Zur Begriffsbestimmung von »Zweck« und »Zweckmäßigkeit«

»die Definition des Begehrungsvermögens, als Ve r m ö g e n s d u r c h s e i n e Vo r s t e l l u n g e n U r s a c h e v o n d e r W i r k l i c h k e i t d e r G e g e n s t ä n d e d i e s e r Vo r s t e l l u n g e n z u s e y n [ … ] « (177 Fn.). 5

Dass das Begehrungsvermögen ›Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstände‹ ist, bedeutet nichts anderes, als dass wir durch das Begehrungsvermögen Gegenstände hervorbringen. Wir können das Begehrungsvermögen daher folgendermaßen fassen: BV Das Begehrungsvermögen ist das Vermögen, durch seine Vorstellungen die der Vorstellung korrespondierenden Gegenstände hervorzubringen.

Dies alles ist freilich nicht so zu verstehen, als könnten wir bloß durch unsere Vorstellungskraft Gegenstände herbeizaubern. Vielmehr muss ein Begehren in Handlungen münden, durch die wir dann Gegenstände hervorbringen. So muss der Geigenbauer eben spezifische Handlungen ausführen, um eine Geige herzustellen. Bezieht man nun BV auf die Bestimmung von »Wille« in § 10.B.1, so ergibt sich das folgende Bild: WR1 Der Wille ist das Vermögen, mittels der Bestimmung durch Zweckbegriffe zu handeln, d. h. die dem Zweckbegriff korrespondierenden Gegenstände hervorzubringen. 6

Den Zusammenhang von Zweckbegriff und Wille können wir folgendermaßen konkretisieren: Der Zweckbegriff bestimmt den Willen. Wenn diese Willensbestimmung handlungswirksam wird, bringt der Mensch den Gegenstand, der dem Zweckbegriff korrespondiert, hervor. Im Unterschied zum unteren Begehrungsvermögen ist der Wille nicht durch irgendwelche sinnlichen Reize bestimmt, sondern durch Begriffe, d. h. Zwecke. 7 Daher ist der Wille das »Vermögen der ZweDiese Definition übernimmt Kant aus der KpV: »Das B e g e h r u n g s v e r m ö g e n ist das Ve r m ö g e n desselben [Wesens], d u r c h s e i n e Vo r s t e l l u n g e n U r s a c h e v o n d e r W i r k l i c h k e i t d e r G e g e n s t ä n d e d i e s e r Vo r s t e l l u n g e n z u s e i n « (KpV: 9 Fn.). Vgl. auch: »das Vermögen, durch seine Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstände dieser Vorstellungen zu seyn« (EEKU: 230 Fn., Kants H. getilgt). 6 Vgl. hierzu auch: »Z w e c k ist ein Gegenstand der Willkür (eines vernünftigen Wesens), durch dessen Vorstellung diese [Willkür] zu einer Handlung, diesen Gegenstand hervorzubringen, bestimmt wird« (TL: 381). 7 Vgl. hierzu auch Kants Rede von Zwecken als Materie des Willens bzw. der Willkür: »Zwecke[.] (als der Materie der Willkür)« (TL: 380); »Die Ethik dagegen gibt noch 5

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cke« (280,12) oder »das Vermögen, nach Zwecken zu handeln« (370,12). Der Wille und der Zweckbegriff sind somit eng miteinander verknüpft. 8 Kehren wir zur Begriffsbestimmung von »Zweck« und dem Kausalverhältnis K zurück: KR1 Der Begriff ist der Bestimmungsgrund des Willens, und der Wille bringt das Objekt hervor.

Aus dem Einbezug des Willens wird deutlich, dass das Objekt intentional hervorgebracht wird. Was aber ist eigentlich in K der Zweck – der Begriff oder das Objekt? Es ist naheliegend, den Begriff als Zweck zu verstehen. Im Beispiel des Geigenbauers wäre also der Begriff, der festlegt, was eine Geige sein soll (d. h. dass sie über einen Korpus, vier Saiten usw. verfügen soll), der Zweck. Dass Kant unter Zwecken solche Begriffe versteht, verdeutlicht insbesondere die Bestimmung von »Wille« in § 10.B.1, in der Kant die Formulierung ›nur durch Begriffe, d. i. der Vorstellung eines Z w e c k s gemäß zu handeln‹ nutzt. Dass ein Zweck ein Begriff ist, legt ferner die folgende Bestimmung nahe: Z4 »[ … ] Z w e c k (was das Ding seyn solle) [ … ] « (§ 15.C.2, 227,28).

Demnach ist der Zweck etwas, das festlegt, ›was‹ ein ›Ding seyn solle‹. Dasjenige, das festlegt, ›was das Ding seyn solle‹, muss vom Ding selbst (bzw. davon, was das Ding ist) unterschieden sein. Ein Zweckbegriff, der unseren Willen bestimmt, legt fest, was das hervorzubringende Ding sein soll. So legt in unserem Beispiel der Zweckbegriff »Geige« fest, was eine Geige sein soll und was der Wille hervorbringen bzw. der Akteur herstellen soll. Dass der Zweck festlegt, ›was das Ding seyn solle‹, ist insofern erhellend, als dadurch ein Unterschied des Zweckbegriffs von anderen Begriffen deutlich wird. Nehme ich etwa eine Geige wahr und subsumiere meine Vorstellung unter den Begriff »Geige«, so bestimme ich damit, was das Ding ist, nicht aber, was das Ding sein soll. Wird hingegen mein Wille durch den Zweckbegriff der Geige bestimmt, so wird dadurch festgelegt, was das Ding, das ich hervorbringen bzw. herstellen will, sein soll, nämlich dass es über einen Korpus, einen Steg, vier Saiten usw. verfügen soll. Vom Zweckbegriff geht also eine eine M a t e r i e (einen Gegenstand der freien Willkür), einen Z w e c k der reinen Vernunft, […]« (TL: 380). 8 Vgl.: »Nun ist das, was dem Willen zum objektiven Grunde seiner Selbstbestimmung dient, der Zweck« (GMS: 427).

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Normativität aus. Die Unterscheidung des Zweckbegriffs von gewöhnlichen Begriffen tritt auch in § 10.A.1–2 zutage. Betrachten wir dazu erneut Z1 (§ 10.A.1b): Z1* Zweck ist der Gegenstand eines Begriffs, sofern der Begriff als die Ursache vom Gegenstand (der reale Grund der Möglichkeit des Gegenstandes) angesehen wird.

Kant spezifiziert, um welche Art von Begriff es sich bei einem Zweck handelt (›sofern‹). Dabei stellt sich die Frage, von welchen anderen Begriffen der Zweckbegriff abzugrenzen ist. Eine Antwort darauf gibt § 10.A.2: § 10.A.2 Wo also nicht etwa bloß die Erkenntniß von einem Gegenstande, sondern der Gegenstand selbst (die Form oder Existenz desselben) als Wirkung, nur als durch einen Begrif von der letztern [Wirkung] möglich gedacht wird, da denkt man sich einen Zweck.

Interessanterweise grenzt Kant den Zweck von einer anderen Art von Begriffen ab. Es lassen sich die beiden folgenden Propositionen isolieren und rekonstruieren: § 10.A.2aR1 Wo bloß die Erkenntnis von einem Gegenstand nur durch einen Begriff möglich ist, da denkt man sich keinen Zweck. § 10.A.2bR1 Wo der Gegenstand selbst (die Form oder Existenz des Gegenstandes) als Wirkung nur als durch einen Begriff von der Wirkung möglich gedacht wird, da denkt man sich einen Zweck.

Vereinfacht können wir auch schreiben: § 10.A.2aR2 Ein Begriff von einem Gegenstand, durch den man bloß eine Erkenntnis von einem Gegenstand gewinnt, ist kein Zweck. § 10.A.2bR2 Ein Begriff von einem Gegenstand, durch den der Gegenstand bewirkt wird, ist ein Zweck.

Diese Gegenüberstellung suggeriert, dass Zweckbegriffe nur in praktischen Kontexten eine Rolle spielen, während die anderen Begriffe – man könnte sie »Erkenntnisbegriffe« nennen – nur in epistemischen Kontexten, d. h. bei der Erkenntnis von Gegenständen, eine Rolle spielen. Nun ist es zwar richtig, dass wir durch Erkenntnisbegriffe nur Erkenntnisse gewinnen können; jedoch können wir durch Zweckbegriffe nicht nur Gegenstände hervorbringen, sondern auch Erkenntnisse gewinnen. So schreibt Kant in § 10.A.2: ›Wo also nicht Kants Philosophie des Schönen

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etwa bloß die Erkenntniß von einem Gegenstande…nur als durch einen Begrif….möglich gedacht wird‹. Erinnern wir uns an Z1, so fällt auf, dass die Formulierung epistemisch gefärbt ist. Der Begriff ist nicht die Ursache vom Gegenstand, sondern er wird als Ursache vom Gegenstand ›angesehen‹. Dieser Befund wird durch zwei weitere Bestimmungen von »Zweck« bestätigt: Z5 »So wie nun Zweck überhaupt dasjenige ist, dessen B e g r i f als der Grund der Möglichkeit des Gegenstandes selbst angesehen werden kann« (§ 15.C.2, 227,14, 2. H. m. H.). Z6 »Da das Ganze nun aber alsdann eine Wirkung (P r o d u c t ) seyn würde, dessen Vo r s t e l l u n g als die U r s a c h e ihrer Möglichkeit angesehen wird, das Product aber einer Ursache, deren Bestimmungsgrund bloß die Vorstellung seiner Wirkung ist, ein Zweck heißt, […]« (408,2, 4. H. m. H.).

Die Annahme, dass Zweckbegriffe auch in epistemischen Kontexten eine Rolle spielen können, ist schon insofern sinnvoll, als Kant in der KU insgesamt nicht das praktische Hervorbringen von Gegenständen untersucht. Vielmehr geht es ihm gerade im zweiten Teil um Erkenntnisse von Gegenständen als Naturzwecke. Z1 muss daher folgendermaßen ergänzt werden: Z1R1 Ein Zweck ist der Gegenstand eines Begriffs, sofern der Begriff als die Ursache vom Gegenstand (der reale Grund der Möglichkeit des Gegenstandes) und nicht bloß als Begriff in einem Erkenntnisurteil angesehen wird.

Freilich ist die Erkenntnis eines Gegenstandes durch einen Zweckbegriff anders als die Erkenntnis durch einen Erkenntnisbegriff; denn durch einen Erkenntnisbegriff erkennen wir, was ein Gegenstand ist, und durch einen Zweckbegriff, was ein Gegenstand sein soll. Beurteile ich einen Gegenstand durch einen Zweckbegriff, so kann dies zweierlei bedeuten: Erstens urteile ich damit im Sinne der Kausalverbindung K, dass der Gegenstand durch einen Willen absichtlich hervorgebracht wurde; zweitens kann ich mittels eines Zweckbegriffs beurteilen, ob ein Gegenstand vollkommen ist, d. h. ob er mit dem Begriff davon, was er sein soll, übereinstimmt. Betrachte ich etwa eine Geige, so kann ich erstens urteilen, dass sie absichtlich von einem Willen – oder vielmehr von einem Geigenbauer – hergestellt wurde. Ich kann aber zweitens auch urteilen, dass sie mit ihrem Zweckbegriff völlig übereinstimmt, d. h. dass sie über einen Korpus, einen Steg, vier Saiten usw. verfügt, und somit eine vollkommene Geige ist. Ich 572

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werde auf beides später zurückkommen. 9 Festzuhalten ist zunächst einmal, dass Zweckbegriffe auch eine epistemische Funktion haben können. Vergleicht man die verschiedenen Begriffsbestimmungen von »Zweck« – insbesondere Z1 und Z2 –, so zeigt sich eine weitere Komplikation: Z1* Zweck ist der Gegenstand eines Begriffs, sofern der Begriff als die Ursache vom Gegenstand (der reale Grund der Möglichkeit des Gegenstandes) angesehen wird. Z2* Der Begriff von einem Objekt heißt Zweck, sofern der Begriff zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objekts enthält.

Bisher haben wir den Zweck als eine Art von Begriff bestimmt. Während damit übereinstimmend in Z2 der ›Begrif von einem Objekt‹ als Zweck bezeichnet wird, so steht in Z1 der Zweck für den ›Gegenstand eines Begrifs‹. Auf die Kausalrelation K bezogen, wird damit einmal die Ursache, d. h. der Begriff, und einmal die Wirkung, d. h. das Objekt, als Zweck identifiziert. 10 In unserem Beispiel könnte damit einmal der Begriff davon, was eine Geige sein soll, und einmal die fertige, hergestellte Geige der Zweck sein. Dafür, den Zweck primär als Begriff zu verstehen, spricht allerdings unter anderem Kants Bestimmung des Willens: W Das Begehrungsvermögen, sofern es nur durch Begriffe, d. i. der Vorstellung eines Z w e c k s gemäß zu handeln, bestimmbar ist, würde der Wille seyn.

Zudem hat Kant in § 4 zum Guten geschrieben: »In beiden [im Nützlichen und moralisch Guten] ist immer der Begrif eines Zwecks, mithin das Verhältniß der Vernunft zum (wenigstens möglichen) Wollen« (§ 4.A.3, 207,18, m. H.).

Aber es gibt auch Passagen, die dafür sprechen, dass ein Zweck ein Objekt ist. So schreibt Kant etwa in Z6, dass »das Product […] einer Ursache, deren Bestimmungsgrund bloß die Vorstellung seiner WirZur Erkenntnis, dass ein Gegenstand von einem Willen hervorgebracht wurde, siehe Kap. 10.2. Zur Vollkommenheit siehe Kap. 10.1.3 sowie Kap. 15.4. 10 Eine ähnliche Doppeldeutigkeit des ›Zwecks‹ findet sich auch bei Wolff. Dieser schreibt einerseits: »finis est causa actionis causae efficientis« (›Der Zweck ist die Ursache der Tätigkeit der Wirkursache‹); und andererseits: »finis est effectus causae efficientis« (›Der Zweck ist die Wirkung der Wirkursache‹) (C. Wolff 1962, § 933 & 935, 679). 9

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kung ist, ein Zweck heißt« (408,4, m. H.). Kant identifiziert hier den Zweck mit dem ›Product‹ der ›Ursache‹, d. h. mit der Wirkung im Kausalverhältnis K und somit mit dem hervorgebrachten Gegenstand. 11 Es gibt sogar noch eine dritte Deutung, wofür »Zweck« stehen könnte. Darauf verweist Z3: Z3 Denn die vorgestellte Wirkung, deren Vorstellung zugleich der Bestimmungsgrund der verständigen wirkenden Ursache zu ihrer Hervorbringung [der Wirkung] ist, heißt Zweck.

Kant identifiziert den Zweck mit der ›vorgestellte[n] Wirkung‹. Nun muss die vorgestellte Wirkung zwar die Ursache im Kausalverhältnis K meinen, aber sie muss nicht unbedingt für einen Begriff stehen. Vielmehr könnte auch gemeint sein, dass man sich die Wirkung, d. h. den hervorzubringenden Gegenstand, vorstellt, d. h. den Gegenstand (anschaulich) antizipiert. 12 So hat etwa der Geigenbauer vermutlich eine anschauliche Vorstellung davon, wie die Geige, die er herstellen will, aussehen soll. Auch dieser anschaulich vorgestellte, antizipierte Gegenstand könnte dann mit ›Zweck‹ bezeichnet werden. Freilich müsste er aber begrifflich erfasst werden, damit er den Willen bestimmen könnte. Insgesamt wird deutlich, dass Kant den Begriff »Zweck« in der KU nicht eindeutig verwendet. Daher ist eine komplexe Begriffsbestimmung von »Zweck« sinnvoll: (Z) Kausalverhältnis: Der Begriff davon, was ein Gegenstand sein soll, ist der Bestimmungsgrund des Willens und der Wille bringt diesen Gegenstand hervor. In diesem Kausalverhältnis kann als Zweck bezeichnet werden: (a) Der Begriff davon, was der Gegenstand sein soll. (b) Der anschaulich antizipierte Gegenstand, der durch den Begriff erfasst wird. (c) Der durch den Begriff bewirkte, existente Gegenstand.

Wir müssen an dieser Stelle eine Differenzierung innerhalb des Zweckbegriffs vornehmen. Wir haben bislang unter einem ZweckAuch Kants Rede vom Naturzweck im zweiten Teil der KU bezieht sich auf Objekte. Vgl. etwa: »ein Ding existirt als Naturzweck, wenn es von sich selbst […] Ursache und Wirkung ist« (370,36, m. H. & Kants H. getilgt). 12 Vgl. auch: »Die Vorstellung der Wirkung ist hier der Bestimmungsgrund ihrer Ursache, und geht vor der letztern vorher« (§ 10.A.3, 220,8). 11

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begriff einen Begriff verstanden, der festlegt, was ein Ding sein soll. Und auch Kant selbst spricht etwa vom »Begrif von diesem, w a s e s f ü r e i n D i n g s e y n s o l l e « (§ 15.C.2, 227,17). Bei diesen Zweckbegriffen, die für die kantische Theorie paradigmatisch sind, handelt es sich um innere Zwecke. Daneben gibt es aber auch Zweckbegriffe, die festlegen, wozu ein Gegenstand dienen soll, sogenannte äußere Zwecke. So schildert Kant das folgende Beispiel: »Wie z. B., wenn ich im Walde einen Rasenplatz antreffe, um welchen die Bäume im Cirkel stehen, und ich mir dabey nicht einen Zweck, nämlich daß er etwa zum ländlichen Tanz dienen solle, vorstelle« (§ 15.C.5, 227,34). Ein solcher äußerer Zweck oder Zweckbegriff legt fest, wozu ein Gegenstand als Mittel nützlich sein soll. Machen wir uns auch den Unterschied zwischen inneren und äußeren Zwecken am Beispiel der Geige klar: Der innere Zweckbegriff der Geige legt fest, was die Geige sein soll, d. h. dass sie über einen Korpus, vier Saiten usw. verfügen soll. Ihr äußerer Zweckbegriff legt fest, wozu die Geige dienlich sein soll, d. h. dass sie als Mittel dazu dienen soll, Musik zu machen. Halten wir zu den beiden Arten des Zwecks das Folgende fest: Innerer Zweck Ein innerer Zweck ist ein Begriff davon, was der Gegenstand selbst sein soll. Äußerer Zweck Ein äußerer Zweck ist ein Begriff davon, wozu der Gegenstand nützlich sein soll.

Wir werden sehen, dass dem inneren Zweck die innere Zweckmäßigkeit (Vollkommenheit) korrespondiert und dem äußeren Zweck die äußere Zweckmäßigkeit (Nützlichkeit). Ich möchte noch eine weitere Differenzierung innerhalb der Bedeutung von »Zweck« vorschlagen. Ich habe oben zwischen einem epistemischen und einem praktischen Kontext des Zwecks unterschieden. Wir können auch noch einen ontologischen Kontext ergänzen. Werfen wir dazu noch einmal einen Blick auf Z2 und Z5: Z2* Der Begriff von einem Objekt heißt Zweck, sofern der Begriff zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objekts enthält. Z5 So wie nun Z w e c k überhaupt dasjenige ist, dessen B e g r i f als der Grund der Möglichkeit des Gegenstandes selbst angesehen werden kann.

Diese beiden Bestimmungen unterscheiden sich dahingehend, dass in Z2 die Wirklichkeit des Objekts behandelt wird, in Z5 aber seine Möglichkeit. Dabei lässt sich Z5 gut in den epistemischen Kontext des Zwecks einordnen. Wenn, so wie es in Z5 heißt, ›der Begrif als Kants Philosophie des Schönen

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der Grund der Möglichkeit des Gegenstandes selbst angesehen‹ wird, dann erkennen oder urteilen wir über einen Gegenstand, dass er nur durch einen Zweckbegriff möglich ist. Wenn nun im Gegensatz dazu die Wirklichkeit von einem Objekt durch einen Begriff mittels einer Willensbestimmung verursacht wird, wie in Z2 angedeutet, dann ist damit ein ontologischer Kontext beschrieben. Ein Gegenstand wird nicht bloß danach beurteilt, ob er absichtlich und durch einen Zweck möglich ist, sondern er existiert so (als Zweck), weil er von einem durch einen Zweckbegriff bestimmten Willen absichtlich hervorgebracht wurde. So können wir uns die Geige nicht anders denken, als dass sie durch einen Zweckbegriff und von einem Willen hervorgebracht wurde (epistemischer Kontext). Und die Geige wurde ja auch wirklich vom Geigenbauer, d. h. durch einen Willen, hervorgebracht (ontologischer Kontext). Wir können uns aber auch einen Organismus (etwa eines Pferdes) nicht anders denken, als dass er durch einen Zweckbegriff und von einem Willen hervorgebracht wurde (epistemischer Kontext). Jedoch wurde der Organismus (möglicherweise) nicht von einem Willen hervorgebracht (ontologischer Kontext). Die Differenzierung zwischen diesem ontologischen und dem epistemischen Kontext von »Zweck« ist insofern wichtig, als Kant in der KU insbesondere auch Fälle behandelt, in denen wir Gegenstände als nur durch Zweckbegriffe möglich beurteilen, ohne dass diese ontologisch wirklich durch einen Willen nach Zweckbegriffen hervorgebracht worden sein müssen. Wir können nunmehr also drei Kontexte identifizieren, in denen Zweckbegriffe eine Rolle spielen: Praktischer Kontext: Der Zweckbegriff dient der Willensbestimmung, sodass der Wille das dem Zweckbegriff korrespondierende Objekt hervorbringt. Epistemischer Kontext: Wir können uns die Möglichkeit eines Gegenstandes nicht anders denken, als dass der Gegenstand durch einen Zweckbegriff mittels eines Willens hervorgebracht wurde. Wir erkennen den Gegenstand mittels des Zweckbegriffs. Ontologischer Kontext: Die Wirklichkeit eines Gegenstandes wurde durch einen Willen, der durch einen Zweckbegriff bestimmt wurde, hervorgerufen.

Nur im epistemischen Kontext ist eine ZM ohne Zweck möglich. Doch um dies zu verstehen, müssen wir uns zunächst vor Augen führen, was überhaupt »Zweckmäßigkeit« bedeutet.

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10.1.2 Zur Begriffsbestimmung von »Zweckmäßigkeit« Den Begriff der Zweckmäßigkeit bestimmt Kant folgendermaßen: ZM1 »und die Causalität eines B e g r i f s in Ansehung seines O b j e c t s ist die Zweckmäßigkeit (forma finalis)« (§ 10.A.1c, 220,3).

Ersetzt man ›seines‹ durch das einzig mögliche Bezugswort, nämlich ›Begrif‹, so erhält man: ZM1* Die Kausalität eines Begriffs in Ansehung des Objekts dieses Begriffs ist die Zweckmäßigkeit (forma finalis).

Es wird deutlich, dass diese Begriffsbestimmung ebenfalls das Kausalverhältnis K beinhaltet: KR1 Der Begriff ist der Bestimmungsgrund des Willens, und der Wille bringt das Objekt hervor.

In ZM1 identifiziert Kant die ZM mit der Kausalität. Aber was bedeutet dies? Ich stimme nicht mit Guyer und Allison überein, dass ›Causalität‹ eine Eigenschaft des Begriffs bezeichnen muss. 13 Vielmehr kann mit ›Causalität‹ auch das gesamte Kausalverhältnis bezeichnet sein, etwa im Sinne einer geglückten Kausalität, bei der der Begriff bereits den Gegenstand hervorgerufen hat. 14 Die ›Causalität eines Begrifs in Ansehung seines Objects‹ würde dann die bereits vollzogene Bewirkung des Gegenstandes durch den Begriff beschreiben. Wäre es etwa dem Geigenbauer geglückt, durch den Zweckbegriff der Geige eine wirkliche Geige herzustellen, so läge zwischen dem Zweckbegriff der Geige und dem Objekt der Geige eine Zweckmäßigkeitsbeziehung vor. Wir können ZM1 demnach folgendermaßen ergänzen: ZM1R1 Die Zweckmäßigkeit (forma finalis) 15 ist die geglückte Kausalität eines Begriffs in Ansehung des Objekts dieses Begriffs.

Diese Deutung harmoniert gut damit, dass Kant ZM im Verlauf von § 10 als »nexus finalis« bezeichnet (§ 10.B.5, 220,29); 16 denn der lateiVgl.: »Thus, purposiveness is now treated as the property of a concept, specifically, the property of having causality with regard to its object (a purpose)« (Allison 2001, 121). Vgl. auch Guyer: »Kant first explains finality as a property of the kind of concept which can lead to the production of an end, […]« (Guyer 1979, 212). 14 Vgl. ähnlich Fricke 1990, 73. 15 Ich werde auf den Begriff der forma finalis in Kürze genauer eingehen. 16 In Kants Differenzierung zwischen der »Causalverbindung […] der wirkenden Ursachen (nexus effectivus)« und der »Causalverbindung nach einem Vernunftbegriffe 13

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nische Terminus »nexus« bedeutet Verknüpfung. Eine ZM ist die Verknüpfung des Begriffs (als Ursache) mit dem Objekt (als Wirkung). Ferner ist die Rekonstruktion ZM1R1 aus einer linguistischen Perspektive sinnvoll: Ein Ding ist zweckgemäß, wenn es seinem Zweck gemäß ist, d. h. seinem Zweck entspricht. Da ein Zweckbegriff festlegt, »was das Ding seyn solle« (§ 15.C.4, 227,28), ist ein Gegenstand dann seinem Zweck gemäß, wenn er damit übereinstimmt, was er sein soll. 17 Versteht man ›Causalität‹ in ZM1 als geglückte Kausalität, dann ist der Gegenstand wirklich seinem Zweck gemäß. Wenn ZM bedeutet, etwas sei seinem Zweck gemäß, so müsste das in K thematisierte Objekt zweckmäßig sein. Dies wird durch eine weitere Bestimmung von ZM bestätigt: ZM2 »Denn zweckmäßig nennen wir dasjenige, dessen Daseyn eine Vorstellung desselben Dinges vorauszusetzen scheint« (EEKU: 216,8).

Ersetzt man ›dasjenige‹ durch ›Ding‹, was insofern sinnvoll ist, als Kant die Formulierung ›desselben Dinges‹ nutzt, so erhält man: ZM2* Wir nennen ein Ding zweckmäßig, wenn das Dasein dieses Dinges eine Vorstellung desselben Dinges vorauszusetzen scheint.

In einem engen Sinn ist ZM also nicht als geglückte Kausalität, sondern als Eigenschaft eines Objekts zu verstehen. Es sind Dinge (wie etwa die hergestellte Geige), die zweckmäßig sind. Ein Vergleich von ZM1 und ZM2 ist noch aus einem weiteren Grund aufschlussreich. Ich habe oben einen epistemischen und einen ontologischen Kontext des Zwecks unterschieden. Diese Unterscheidung lässt sich auf die ZM übertragen. Wenn Kant ZM mit der ›Causalität eines Begrifs in Ansehung seines Objects‹ identifiziert (ZM1), dann ist diese Formulierung auf der ontologischen Ebene anzusiedeln; denn bei einer geglückten Kausalität wird das Objekt durch einen Zweckbegriff verursacht. Hingegen müssen wir ZM2 im epistemischen Kontext verorten. Dies ist erstens daraus ersichtlich, dass Kant darlegt, unter welchen Umständen wir ein Ding zweckmäßig ›nennen‹, und nicht, unter welchen Umständen es zweckmäßig ist. (von Zwecken)«, dem »nexus finalis« (372,23), klingt freilich Aristoteles’ Unterscheidung von »causa finalis« und »cause effectivus« an (vgl. Aristoteles: Physik, Buch II, Kap. 3, 194b-195a). 17 Vgl. in diesem Sinne die Definition von »zweckmäßig« bei Grimm: »seiner bestimmung gut angepaszt, geeignet, nützlich, passend« (Grimm: Zweckmäszig).

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Zur Begriffsbestimmung von »Zweck« und »Zweckmäßigkeit«

Zweitens heißt es nicht, dass das Dasein des Dinges ›eine Vorstellung desselben Dinges‹ voraussetzt, sondern dass es eine solche Vorstellung ›vorauszusetzen scheint‹. Unter welchen Umständen nennen wir aber ein Ding zweckmäßig? Das Kausalverhältnis K beinhaltet einen Willen, der den Gegenstand intentional hervorbringt. Wenn wir daher ein Ding als zweckmäßig bezeichnen, so unterstellen wir ihm, dass es intentional hervorgebracht wurde und nicht zufällig entstanden ist. Dies impliziert nicht, dass der Gegenstand in ontologischer Hinsicht intentional hervorgebracht wurde, sondern nur, dass wir uns seine Beschaffenheit nicht anders erklären können. Machen wir uns die Unterscheidung zwischen dem ontologischen und dem epistemischen Kontext der ZM erneut anhand des Beispiels der Geige klar: Die Geige ist zweckmäßig, weil sie intentional von einem Willen, d. h. vom Geigenbauer, hervorgebracht wurde (ontologischer Kontext). Ein Urteilender 18 kann die Geige zudem als zweckmäßig erkennen, insofern er nämlich urteilt, sie stimme mit ihrem Zweckbegriff überein (epistemischer Kontext). Dagegen ist etwa ein Organismus möglicherweise insofern nicht zweckmäßig, als er nicht intentional durch einen Willen hervorgebracht wurde (ontologischer Kontext). Ein Urteilender kann dem Organismus aber dennoch unterstellen, dass dieser intentional hervorgebracht worden sei, und ihn gegebenenfalls sogar auf einen Zweckbegriff beziehen, d. h. auf einen Begriff davon, was dieser Organismus sein soll (epistemischer Kontext). Eine weitere Bestimmung von »ZM« deutet ebenfalls in Richtung des epistemischen Kontextes: ZM3 »und die Uebereinstimmung eines Dinges mit derjenigen Beschaffenheit der Dinge, die nur nach Zwecken möglich ist, [heißt] die Z w e c k m ä ß i g k e i t der Form derselben [Dinge]« (180,32).

Kant schreibt nicht, dass die ›Uebereinstimmung eines Dinges mit derjenigen Beschaffenheit‹, die durch einen konkreten Zweckbegriff festgelegt ist, ZM heißt. Vielmehr spricht er von der ›Uebereinstimmung eines Dinges mit derjenigen Beschaffenheit der Dinge, die nur nach Zwecken möglich ist‹. Diese Zwecke können irgendwelche Zwecke sein. Es muss daher nicht um die Beschaffenheit eines Dinges gehen, das durch einen konkreten Zweck hervorgebracht wurde; es Wie bereits früher angemerkt, übernehme ich den (vielleicht etwas sperrig anmutenden) Begriff »Urteilender« von Kant (vgl. etwa 190,19 oder § 6.A.3, 211,17).

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§ 10 Begriffsklärungen: Zweck, Zweckmäßigkeit …

kann auch nur nach irgendeinem Zweck möglich sein. Wir müssen die ZM also nicht immer auf einen konkreten Zweck beziehen. So kann der Gegenstand eine solche Form aufweisen, die uns vermuten lässt, er sei durch einen Willen nach einem Zweck hervorgebracht worden, ohne dass wir erstens wissen, dass der Gegenstand wirklich durch einen Willen hervorgebracht wurde, und ohne dass wir zweitens den entsprechenden Zweckbegriff kennen. Würde ich etwa eine sehr alte Maschine finden, von der ich weder wüsste, was sie sein soll, noch wozu sie nützlich sein soll, so könnte ich dennoch annehmen, sie sei ein menschliches Produkt und somit einem Zweck gemäß bzw. zweckmäßig. Die Differenz zwischen dem ontologischen und dem epistemischen Verständnis von ZM lässt sich anhand der folgenden Gegenüberstellung illustrieren: Ontologisch: Ein Objekt ist zweckmäßig, wenn es intentional durch einen Willen und nach einem Zweckbegriff hervorgebracht wurde. Epistemisch: Ein Objekt wird zweckmäßig genannt, wenn es eine solche Beschaffenheit aufweist, die eine intentionale Hervorbringung durch einen Willen und nach (irgend)einem Zweckbegriff voraussetzt oder vorauszusetzen scheint.

Es ist wichtig, dass wir im epistemischen Kontext Gegenstände nicht immer als Produkte eines Willens erkennen müssen. Vielmehr können wir auch bloß annehmen, ihre Beschaffenheit sei so, als ob sie Produkt eines Willens wären. Dadurch wird auch Raum dafür geschaffen, dass wir nicht nur Artefakte, sondern auch Naturdinge als zweckmäßig bezeichnen können. 19 Beziehen wir die Differenz von ontologischem und epistemischem Kontext der ZM auf die offizielle Begriffsbestimmung von ZM in § 10 (ZM1), so ergibt sich aber ein Problem. ZM1 muss nämlich auf der ontologischen Ebene verortet werden. Jedoch wählt Kant, erstens, in der KU insgesamt einen epistemischen Zugang zum Begriff der ZM. Daher ist es problematisch, dass er gerade die offizielle Bestimmung der ZM in einen ontologischen Kontext einbettet. Zweitens kulminiert § 10 in der Konzeption einer ZM ohne Zweck. Eine ZM ohne Zweck ist aber nur auf der epistemischen und nicht auf der Vgl.: »Denn nur an P r o d u c t e n d e r K u n s t können wir uns der Caussalität der Vernunft von Objecten, die darum zweckmäßig oder Zwecke heißen, bewußt werden« (EEKU: 234,30).

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Zur Begriffsbestimmung von »Zweck« und »Zweckmäßigkeit«

ontologischen Ebene möglich. Warum Kant seine offizielle Begriffsbestimmung von ZM auf der ontologischen Ebene vornimmt, scheint mir unklar; und es scheint mir keine Lösung für das geschilderte Problem zu geben. Abschließend möchte ich kurz auf die doppelte Rolle der Form für die ZM eingehen. In ZM3 bestimmt Kant ZM als die ›Uebereinstimmung eines Dinges mit derjenigen Beschaffenheit der Dinge, die nur nach Zwecken möglich ist‹. ZM bezieht sich demnach darauf, dass ein Ding auf eine spezifische Art und Weise beschaffen ist. Da mit der ›Beschaffenheit‹ eines Gegenstandes nichts anderes als seine Form gemeint ist, ist es ebenjene Form, die sich als zweckmäßig erweist. In diesem Sinne deutet Kant bereits in § 10.A.3 an, dass der Begriff der ZM auf die »Form oder Existenz« eines Gegenstandes anzuwenden ist (220,6, m. H.). Mit der These, die ZM eines Gegenstandes beziehe sich auf seine Form, geht einher, dass die bloße Materie, d. h. isolierte Empfindungen, nicht zweckmäßig sein können. 20 Dies ist auch in systematischer Hinsicht plausibel. Ein Objekt ist ja dann zweckmäßig, wenn es von einem Willen nach einem Zweckbegriff hervorgebracht wurde und also ein Produkt ist. Ein Wille bringt ein Objekt dadurch hervor, dass er die Materie zu einer Form zusammensetzt, und nicht dadurch, dass er allererst die rohe Materie erschafft. Schließlich erhellt aus den verschiedenen Verwendungsweisen von ZM in der KU, dass Kant auch die verschiedenen Unterarten von ZM auf die Form von Objekten bezieht. Zur subjektiven und objektiven ZM erläutert er beispielsweise: »An einem in der Erfahrung gegebenen Gegenstande kann Zweckmäßigkeit vorgestellt werden: entweder aus einem bloß subjectiven Grunde, als Uebereinstimmung seiner Form, in der Auffassung (apprehensio) desselben vor allem Begriffe, mit den Erkenntnißvermögen, um die Anschauung mit Begriffen zu einem Erkenntniß überhaupt zu vereinigen; oder aus einem objectiven, als Uebereinstimmung seiner Form mit der Möglichkeit des Dinges selbst, nach einem Begriffe von ihm, der vorhergeht und den Grund dieser Form enthält« (192,16, m. H. & Kants H. getilgt). 21 Dadurch soll nicht ausgeschlossen sein, dass ein Gegenstand aufgrund einer spezifischen Empfindung erst als zweckmäßig (etwa im Sinne von »nützlich«) gelten kann. So könnte etwa die leuchtend gelbe Farbe einer Blume dafür zweckmäßig sein, Insekten anzulocken. Aber es ist nicht die leuchtend gelbe Farbe als solche, die zweckmäßig ist. Vielmehr ist sie nur insofern zweckmäßig, als sie die Eigenschaft einer Blume ist. 21 Auch die Vollkommenheit als objektive innere ZM (vgl. § 15.C.2, 227,18) und die im Prinzip a priori der Urteilskraft beinhaltete subjektive ZM (vgl. 180,34) bezieht 20

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Diesem Zitat folgend ist es jeweils die Form des Gegenstandes, die sich als objektiv oder subjektiv zweckmäßig erweist. Wir können also festhalten, dass ZM insgesamt eine Eigenschaft der Form eines Gegenstandes ist. Dies ist insofern wichtig, als damit auch die ZM, die beim Schönen Anwendung findet, die Form des schönen Gegenstandes betreffen muss. 22 Daher kann Kant später problemlos konstatieren, dass das Geschmacksurteil »bloß die Zweckmäßigkeit der Form zum Bestimmungsgrunde hat« (§ 13.C.1, 223,24). Daneben wird die ZM selbst als »forma finalis« bezeichnet (ZM1, 220,4). Kant differenziert zwischen nexus finalis und nexus effectivus, wobei das erste für eine teleologische und das zweite für eine mechanische Kausalverbindung steht. 23 Im Rahmen des nexus finalis lässt sich zwischen der Materie und der Form unterscheiden. So bezeichnet Kant den Zweck als »die Materie des nexus finalis« (§ 10.B.5, 220,29) und die ZM eben als ›forma finalis‹. Im Sinne von ZM1 steht die ZM für eine Kausalverknüpfung, d. h. dafür, dass irgendein Begriff ein Objekt verursacht hat. Der Zweck gibt dieser Verknüpfung einen konkreten Inhalt; denn er zeigt an, welcher Begriff als Ursache wirkt und wie der Gegenstand daher beschaffen sein soll. So gibt der Zweckbegriff der Geige in unserem Beispiel der Zweckverbindung erst einen konkreten Inhalt; denn er gibt an, dass der hervorgebrachte Gegenstand eine Geige sein und daher etwa über einen Korpus, vier Saiten usw. verfügen soll. Im Sinne dieser inhaltlichen Bestimmung der Zweckverbindung ist der Zweck die Materie ebendieser Zweckverbindung. Die ZM kann somit als die inhaltsleere, formale Verknüpfung des Mannigfaltigen durch irgendeinen Zweckbegriff verstanden werden, während der Zweckbegriff dieser Verknüpfung einen Inhalt gibt. 24 Die ZM selbst ist daher immer formal; jedoch tritt sie normalerweise in Union mit einem Zweck auf.

Kant explizit auf die Form des Gegenstandes. – Zu den verschiedenen Formen der ZM siehe Kap. 10.1.3. 22 Vgl. hierzu etwa EEKU: 249,26. – Zur Formthese siehe Kap. 13.5. 23 Vgl. 372,19; A687/B715. 24 Vgl. zu Form und Materie im Allgemeinen: »Der erstere [Begriff der Materie] bedeutet das Bestimmbare überhaupt, der zweite [Begriff der Form] dessen Bestimmung […]. In jedem Urteile kann man die gegebenen Begriffe logische Materie (zum Urteile), das Verhältnis derselben (vermittelst der Copula) die Form des Urteils nennen. In jedem Wesen sind die Bestandstücke desselben (essentialia) die Materie; die Art, wie sie in einem Dinge verknüpft sind, die wesentliche Form« (A266/B322).

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Zur Begriffsbestimmung von »Zweck« und »Zweckmäßigkeit«

Die Innovation der KU besteht darin, dass es eine ZM ohne Zweck, d. h. eine bloß formale ZM, geben kann. 25 Die ZM betrifft also einerseits immer die Form des Gegenstandes, andererseits ist sie selbst eine Art von Form. Diese doppelte Relevanz der Form muss betont werden, da Kant im Dritten Moment verschiedentlich von der Form der Zweckmäßigkeit oder der Zweckmäßigkeit der Form spricht, ohne dass dabei immer unmittelbar klar ist, wofür der Begriff »Form« steht. Ich werde in Zukunft die Formulierung »zweckmäßige Form des Gegenstandes« dafür verwenden, dass eine ZM die Form des Gegenstandes betrifft, und »formale Zweckmäßigkeit« bzw. »Zweckmäßigkeit ohne Zweck« für eine ZM ohne Zweck. Was haben wir insgesamt über die ZM erfahren? i. Die ZM ist erstens eine geglückte Kausalität, d. h. sie liegt vor, wenn ein Objekt durch einen Willen mittels eines Zweckbegriffs hervorgerufen wird. ii. Zweitens ist die ZM eine Eigenschaft von Objekten. Wenn ein Objekt mit seinem Zweck zusammenstimmt, d. h. damit, was es sein soll, dann ist es zweckmäßig. iii. ZM kann in einem ontologischen und in einem epistemischen Kontext vorliegen. Wenn ein Objekt wirklich durch einen Willen nach einem Zweckbegriff hervorgebracht wird, ist das Objekt im ontologischen Sinne zweckmäßig. Wenn ein Objekt eine solche Beschaffenheit aufweist, die aus Sicht des Urteilenden eine intentionale Hervorbringung durch einen Willen und mittels eines Zweckbegriffs vorauszusetzen scheint, dann ist es in epistemischer Hinsicht zweckmäßig. iv. Es gibt eine doppelte Relevanz der Form für die ZM: Die ZM eines Objekts betrifft immer die Form des Objekts, d. h. seine Beschaffenheit. Zudem ist die ZM selbst als Verknüpfung von irgendeinem Begriff und einem Objekt formal. Der Begriff des Zwecks ist die Materie dieser Verknüpfung.

Vgl.: »Das Bewußtseyn der bloß formalen Zweckmäßigkeit […]« (§ 12.B.2, 222,20). Vgl. auch: »F o r m d e r Z w e c k m ä ß i g k e i t « (§ 11.T, 221,2); »bloße Form der subjectiven Zweckmäßigkeit« (§ 12.B.2, 222,27). – Zur Konzeption der ZM ohne Zweck siehe Kap. 10.2.

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10.1.3Arten der Zweckmäßigkeit Kants Verwendungen des Begriffs der ZM in der KU sind sehr vielfältig. Es mag dabei insgesamt fraglich und einer gesonderten Untersuchung wert sein, ob sich all diese Verwendungen überhaupt in ein kohärentes Bild fügen lassen. Eine solche Untersuchung kann an dieser Stelle jedoch nicht geleistet werden. Vielmehr möchte ich nur darlegen, welche Arten von ZM Kant (im epistemischen Kontext) unterscheidet. (a) Objektive und subjektive Zweckmäßigkeit Kant differenziert erstens zwischen subjektiver und objektiver ZM und zweitens zwischen innerer und äußerer (bzw. relativer) ZM. In Kombination ergeben sich vier Arten von ZM, die in der folgenden Passage aufgezählt werden: »Allein man kann alle Z w e c k m ä ß i g k e i t , sie mag subjectiv oder objectiv sein, in i n n e r e und r e l a t i v e eintheilen, davon die erstere in der Vorstellung des Gegenstandes an sich, die zweite blos im zufälligen G e b r a u c h e derselben gegründet ist« (EEKU: 249,23).

Beginnen wir mit der Unterscheidung von subjektiver und objektiver ZM. Grob gefasst bezeichnet eine objektive ZM die Beziehung eines Objekts (nämlich des zweckmäßigen Objekts) zu einem anderen Objekt oder auch zu sich selbst (dem Zweck); dagegen bezeichnet die subjektive ZM die Beziehung eines Objekts (des zweckmäßigen Objekts) zu einem Subjekt (dem Zweck im weiten Sinne). 26 So schreibt Kant etwa: »Bei beiden [Teilen der KU] aber wird die Natur als technisch, d. i. als zweckmäßig in ihren Producten betrachtet, einmal subjectiv, in Absicht auf die bloße Vorstellungsart des Subjects, in dem zweiten Falle aber, als objectiv zweckmäßig in Beziehung auf die Möglichkeit des Gegenstandes selbst« (EEKU: 249,12).

Wir können je eine Proposition zur subjektiven und zur objektiven ZM isolieren:

Vgl. zu dieser Bedeutung von ›subjektiv‹ : »Was an der Vorstellung eines Objects bloß subjectiv ist, d. i. ihre Beziehung auf das Subject, nicht auf den Gegenstand ausmacht, ist die ästhetische Beschaffenheit derselben« (188,33).

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Zur Begriffsbestimmung von »Zweck« und »Zweckmäßigkeit«

ZMs Die Natur wird in ihren Produkten als subjektiv zweckmäßig für die bloße Vorstellungsart des Subjekts betrachtet. ZMo Die Natur wird in ihren Produkten als objektiv zweckmäßig für die Möglichkeit des Gegenstandes selbst betrachtet.

Beurteilt man einen Gegenstand als objektiv zweckmäßig, dann wird er in seiner spezifischen Beschaffenheit, d. h. in der Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu einer bestimmten Form, als intentional durch einen Willen mittels eines Zweckbegriffs hervorgebracht beurteilt. Beurteile ich etwa, dass die Geige intentional durch einen Willen nach dem Zweckbegriff der Geige hervorgebracht wurde und damit übereinstimmt, was sie sein soll (d. h. über einen Korpus, vier Saiten usw. verfügt), dann beurteile ich sie als objektiv zweckmäßig. Eigentlich lautete genau so auch die allgemeine Bestimmung der ZM: ZM3* Die Übereinstimmung eines Dinges mit derjenigen Beschaffenheit der Dinge, die nur nach Zwecken möglich ist, heißt die Zweckmäßigkeit der Form der Dinge.

Wenn aber ZM allgemein auf diese Weise definiert ist, was soll oder könnte dann überhaupt eine subjektive ZM sein? In Analogie zur objektiven ZM liegt die Vermutung nahe, ein Objekt sei dann subjektiv zweckmäßig, wenn es eine solche Beziehung zum Subjekt aufweist, die nur als intentionales Produkt eines Willens möglich ist. Worauf im Subjekt soll sich aber der Gegenstand beziehen? Leider findet sich darauf im kantischen Text keine eindeutige Antwort. Teilweise scheint Kant unter einer subjektiven ZM eine Beziehung des Objekts auf die Lust zu verstehen, teilweise eine Beziehung auf die Erkenntnisvermögen. Dafür, dass die subjektive ZM eine Beziehung auf die Lust meint, sprechen die folgenden Passagen: »Eine bloß subjectiv beurtheilte Zweckmäßigkeit, die sich also auf keinen Begrif gründet, noch, so fern als sie blos subjectiv beurtheilt wird, gründen kann, ist die Beziehung aufs Gefühl der Lust und Unlust« (EEKU: 248,27). »das Gefühl der Lust (welches mit der Vorstellung der s u b j e c t i v e n Z w e c k m ä ß i g k e i t einerlei ist)« (EEKU: 249,2). »Dagegen ist die Vorstellung einer subjectiven Zweckmäßigkeit eines Objects mit dem Gefühle der Lust so gar einerley« (EEKU: 228,34).

Dafür, dass die subjektive ZM eine Beziehung des Objekts auf das Gefühl der Lust bezeichnet, spricht zudem, dass Kant auch im Bereich des Angenehmen eine ZM verortet:

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»Das ästhetische Sinnesurtheil enthält materiale, das ästhetische Reflexionsurtheil aber formale Zweckmäßigkeit. Aber, da das erstere sich gar nicht aufs Erkenntnißvermögen bezieht, sondern unmittelbar durch den Sinn aufs Gefühl der Lust, so ist nur das letztere als auf eigenthümlichen Principien der Urtheilskraft gegründet anzusehen. Wenn nämlich die Reflexion über eine gegebene Vorstellung vor dem Gefühle der Lust […] vorhergeht, so wird die subjective Zweckmäßigkeit gedacht, ehe sie in ihrer Wirkung empfunden wird, [….]« (EEKU: 224,29 f., m. H. & Kants H. getilgt). 27

Demnach liegt auch beim Angenehmen eine Art von subjektiver ZM vor. Da sich das Angenehme durch eine unmittelbare Beziehung des Objekts (bzw. der Empfindung) auf das Gefühl der Lust konstituiert, muss die subjektive ZM in ebendieser Beziehung bestehen. Nach dieser Deutung der subjektiven ZM wäre etwa die Schokolade insofern subjektiv zweckmäßig, als sie in einem Subjekt ein Gefühl der Lust (am Angenehmen) hervorruft. Es gibt jedoch auch Passagen, die darauf hindeuten, dass bei einer subjektiven ZM eine Beziehung auf das Erkenntnisvermögen des Subjekts vorliegt: »die Lust kann nichts anders als die Angemessenheit desselben [Objekts] zu den Erkenntnißvermögen, die in der reflectirenden Urtheilskraft im Spiel sind, und sofern sie darin sind, also bloß eine subjective formale Zweckmäßigkeit des Objects ausdrücken« (189,36 f.). »Man hat, nach transcendentalen Principien, guten Grund, eine subjective Zweckmäßigkeit der Natur in ihren besondern Gesetzen, zu der Faßlichkeit für die menschliche Urtheilskraft, und der Möglichkeit der Verknüpfung der besondern Erfahrungen in ein System derselben, anzunehmen« (359,3).

Kant versteht also unter der subjektiven ZM mindestens manchmal eine Beziehung des Objekts auf die menschlichen Erkenntnisvermögen. Tatsächlich, so behaupte ich, ist dies sogar die primäre Bedeutung der subjektiven ZM; denn in genau dieser Bedeutung handelt das Prinzip a priori der Urteilskraft, das Kant auch als »P r i n c i p d e r Z w e c k m ä ß i g k e i t für unser Erkenntnißvermögen« bezeichnet (184,8), von der subjektiven ZM der Gegenstände der Natur. 28 Auf diese Passage verweist auch Christel Fricke, die ebenfalls dafür argumentiert, dass der Begriff der subjektiven ZM auch das Angenehme umfasst (vgl. Fricke 1990, 103 f.). 28 Vgl. hierzu: »Der transscendentale Grundsatz […], sich eine Zweckmäßigkeit der Natur in subjektiver Beziehung auf unser Erkenntnißvermögen an der Form eines Dinges als ein Princip der Beurtheilung derselben vorzustellen, […]« (194,3); »daß 27

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Diese Beziehung des Objekts auf die Erkenntnisvermögen können wir auch noch genauer bestimmen. Ganz offenkundig ist es die Aufgabe der Erkenntnisvermögen, Erkenntnisse zu gewinnen. Wenn ein Gegenstand erkannt wird, liegt eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt als subjektive Bedingung der Erkenntnis vor. 29 Ich plädiere daher dafür, dass eine subjektive ZM dann vorliegt, wenn ein Gegenstand eine Beziehung auf die Zusammenstimmung der Erkenntnisvermögen zur Erkenntnis überhaupt hat. Dass Kant eine solche Beziehung als ZM bezeichnet, geht aus der folgenden Passage hervor: »An einem in der Erfahrung gegebenen Gegenstande kann Zweckmäßigkeit vorgestellt werden: entweder aus einem bloß subjectiven Grunde, als Uebereinstimmung seiner Form, in der A u f f a s s u n g (apprehensio) desselben vor allem Begriffe, mit den Erkenntnißvermögen, um die Anschauung mit Begriffen zu einem Erkenntniß überhaupt zu vereinigen« (192,16).

Es ist offenkundig, dass Kant in diesem Zitat eine subjektive ZM schildert; und es ist ebenso offenkundig, dass sich diese subjektive ZM durch die Beziehung des Gegenstandes auf die Zusammenstimmung der Erkenntnisvermögen ›zu einem Erkenntniß überhaupt‹ konstituiert. Darauf aufbauend können wir Kants Konzeption der subjektiven ZM folgendermaßen präzisieren: Eine subjektive ZM liegt nicht schon vor, wenn ein Gegenstand irgendeine Beziehung auf die Erkenntnisvermögen hat; vielmehr liegt sie nur vor, wenn der Gegenstand eine Beziehung auf die Zusammenstimmung zur Erdie erstere [bestimmende Urteilskraft] nur s c h e m a t i s c h , unter Gesetzen eines andern Vermögens (der Verstandes), die zweite [reflektierende Urteilskraft] aber allein t e c h n i s c h (nach eigenen Gesetzen), verfahre und daß dem letztern Verfahren ein Princip der Technik der Natur, mithin der Begrif einer Zweckmäßigkeit, die man an ihr a priori voraussetzen muß, zum Grunde liege, welche zwar nach dem Princip der reflectirenden Urtheilskraft nur als subjectiv, d. i. beziehungsweise auf dieses Vermögen selbst nothwendig von ihm vorausgesetzt wird, aber doch auch den Begrif einer möglichen objectiven Zweckmäßigkeit, d. i. der Gesetzmäßigkeit der Dinge der Natur als Naturzwecke, bei sich führt« (EEKU: 248,17, m. H. & Kants H. getilgt). – Zum Inhalt des Prinzips a priori der reflektierenden Urteilskraft siehe Kap. G3.1. 29 Vgl.: »Sollen sich aber Erkenntnisse mittheilen lassen, so muß sich auch der Gemüthszustand, d. i. die Stimmung der Erkenntnißkräfte zu einer Erkenntniß überhaupt, und zwar diejenige Proportion, welche sich für eine Vorstellung (wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird) gebührt, um daraus Erkenntniß zu machen, allgemein mittheilen lassen: weil ohne diese, als subjective Bedingung des Erkennens, das Erkenntniß, als Wirkung, nicht entspringen könnte« (§ 21.A.2, 238,23). – Zur ›Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt‹ siehe Kap. 9.3.4. Kants Philosophie des Schönen

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kenntnis überhaupt hat, d. h. wenn sich Einbildungskraft und Verstand beim Verarbeiten der Vorstellung vom Objekt (im Sinne einer Subsumtion) vereinigen. Wenn ein Urteilender etwa ein gegebenes Mannigfaltiges zusammenfassen und unter den Begriff »Rose« subsumieren kann, dann stimmen Einbildungskraft und Verstand zusammen und die Rose ist subjektiv zweckmäßig. Halten wir zu den beiden ersten Formen der ZM das Folgende fest: ZMoR1 Die objektive ZM bezeichnet eine Beziehung eines Objekts auf ein Objekt (auf sich selbst oder auf ein anderes Objekt). Die spezifische Beschaffenheit des Objekts wird als intentionales Produkt eines Willens angesehen. ZMsR1 Die subjektive ZM bezeichnet eine Beziehung eines Objekts auf ein Subjekt. Die Beschaffenheit des Objekts, durch die sich diese Beziehung konstituiert, wird als intentional durch einen Willen hervorgebracht angesehen. Es sind zwei Formen von subjektiver ZM zu unterscheiden: (a) Die Beziehung eines Objekts auf das Gefühl der Lust des Subjekts. (b) Die Beziehung eines Objekts auf das Erkenntnisvermögen des Subjekts, d. h. auf die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt.

b)

Innere und relative ZM

Die beiden Arten der subjektiven und der objektiven ZM differenziert Kant mittels der Konzeptionen von innerer und relativer ZM. Erinnern wir uns dazu an das folgende Zitat: »Allein man kann alle Z w e c k m ä ß i g k e i t , sie mag subjectiv oder objectiv sein, in i n n e r e und r e l a t i v e eintheilen, davon die erstere in der Vorstellung des Gegenstandes an sich, die zweite blos im zufälligen G e b r a u c h e derselben [Vorstellung des Gegenstandes] gegründet ist« (EEKU: 249,23).

Hieraus lassen sich die folgenden Bestimmungen von innerer und relativer ZM gewinnen: ZMi Die innere ZM ist in der Vorstellung des Gegenstandes an sich gegründet.

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ZMr Die relative ZM ist im zufälligen Gebrauch der Vorstellung des Gegenstandes gegründet.

Die innere ZM konstituiert sich demnach durch einen Bezug des Gegenstandes bzw. der Vorstellung des Gegenstandes auf sich selbst, während sich die relative ZM durch einen (möglichen) Gebrauch des Gegenstandes für etwas außer ihm Liegendes konstituiert. 30 Bei der inneren ZM ist der zweckmäßige Gegenstand ein Selbstzweck und bei der relativen ZM bloß ein Mittel zum Zweck. Diese Unterscheidung wird deutlicher, wenn wir sie je auf die objektive und die subjektive ZM anwenden. So heißt es zur objektiven ZM in § 15: »Die objective Zweckmäßigkeit ist entweder die äußere, d. i. die N ü t z l i c h k e i t , oder die innere, d. i. die Vo l l k o m m e n h e i t des Gegenstandes« (§ 15.B.1, 226,31).

Die objektive relative (bzw. äußere) ZM und die objektive innere ZM können demnach folgendermaßen bestimmt werden: ZMor Die objektive relative ZM ist die Nützlichkeit des Gegenstandes. ZMoi Die objektive innere ZM ist die Vollkommenheit des Gegenstandes.

Machen wir uns zunächst klar, was die objektive innere ZM bzw. die Vollkommenheit eines Gegenstandes ist. Wir haben gesehen, dass durch einen inneren Zweck festgelegt wird, was ein Ding sein soll. 31 Bei einer objektiven inneren ZM wird dementsprechend festgelegt, was der Gegenstand selbst für ein Ding sein soll; und der Gegenstand ist insofern zweckmäßig bzw. vollkommen, als er damit übereinstimmt, was er sein soll. So heißt es in § 15: »So wie nun Z w e c k überhaupt dasjenige ist, dessen B e g r i f als der Grund der Möglichkeit des Gegenstandes selbst angesehen werden kann: so wird, um sich eine objective Zweckmäßigkeit an einem Dinge vorzustellen, der Begrif von diesem, w a s e s f ü r e i n D i n g s e y n s o l l e , voran gehen« (§ 15.C.2, 227,14). Treffend findet sich diese Differenzierung auch bei Schelling: »Aber was ist denn Zweckmäßigkeit? Es gibt innere und äußere Zweckmäßigkeit. Jene ist, wenn in jedem Theil eines Ganzen der Begriff des Ganzen liegt, diese, wenn in dem Begriff eines Dings zugleich der Begriff anderer Dinge enthalten ist. Aber diese Zweckmäßigkeit [d. h. die innere Zweckmäßigkeit] hat eine Maschine auch. Denn in jeder Maschine ist der Begriff des Theils durch den Begriff des Ganzen bestimmt, sowie überhaupt in jedem Werkzeug als solchem eigentlich der Begriff eines andern liegt als es selbst« (Schelling 1962, 308). 31 Zum inneren und äußeren Zweck siehe Kap. 10.1.1. 30

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Dieses Zitat bestätigt, dass eine objektive innere ZM, d. h. eine Vollkommenheit, darin besteht, dass ein Gegenstand damit zusammenstimmt, was er sein soll. 32 Im Falle der Geige liegt etwa eine objektive innere ZM vor, wenn die Geige völlig mit ihrem Zweckbegriff übereinstimmt, d. h. wenn sie über einen Korpus, einen Steg, vier Saiten usw. verfügt. Sie ist dann eine vollkommene Geige. (Würde die Geige etwa über keine Saiten verfügen, dann wäre sie nicht ihrem objektiven inneren Zweck gemäß, d. h. sie wäre unvollkommen.) Die objektive relative ZM steht für die Nützlichkeit, wobei der Gegenstand ein Mittel zum Zweck ist. Dies wird durch die folgenden Passagen belegt: »Unter der äußern Zweckmäßigkeit verstehe ich diejenige, da ein Ding der Natur einem andern als Mittel zum Zwecke dient« (425,4, m. H.). »die äußere Zweckmäßigkeit (Zuträglichkeit eines Dings für andere)« (368,32). »N ü t z l i c h k e i t , nämlich die Übereinstimmung zu einem Zwecke der in anderen Dingen liegt« (EEKU: 250,29).

Beim Nützlichen bezeichnet also der Zweckbegriff etwas außerhalb des Objekts Liegendes (ein anderes Objekt). Der nützliche Gegenstand stimmt insofern mit diesem äußeren Zweck zusammen, als er dem Gegenstand, dem dieser Zweck korrespondiert, zuträglich ist. Als Beispiele für »äußere zweckmäßige Beziehungen« führt Kant etwa an: »wie das Gras dem Vieh, wie dieses dem Menschen als Mittel zu seiner Existenz nöthig sey« (378,24). 33 Im Falle der Geige würde etwa dann eine objektive äußere ZM vorliegen, wenn sie sich dafür eignen würde, Musik auf ihr zu spielen; sie wäre dann Mittel zum (äußeren) Zweck, Musik zu machen. (Hätte die Geige aber keine Saiten und könnte man daher keine Musik auf ihr spielen, so wäre sie unnütz.) Halten wir kurz fest: ZMoiR1 Eine objektive innere ZM, d. h. Vollkommenheit, liegt vor, wenn der Zweckbegriff ein Begriff davon ist, was das Objekt selbst sein soll, und der Gegenstand mit diesem (inneren) Zweck zusammenstimmt. Einen Sonderfall bildet dabei der Naturzweck. Die objektive innere ZM ist beim Naturzweck dadurch bestimmt, dass »das Mannigfaltige in ihm zu einander sich wechselseitig als Zweck und Mittel verhält« (EEKU: 250,27). 33 Für weitere Beispiele aus dem Bereich der Naturteleologie vgl. 367,11. 32

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ZMorR1 Eine objektive relative ZM, d. h. Nützlichkeit, liegt vor, wenn der Zweckbegriff ein Begriff davon ist, wozu das Objekt zuträglich sein soll, und der Gegenstand als Mittel zu diesem (äußeren) Zweck zusammenstimmt.

Wie verhält es sich mit der inneren und relativen subjektiven ZM? »Allein man kann alle Z w e c k m ä ß i g k e i t , sie mag subjectiv oder objectiv sein, in i n n e r e und r e l a t i v e eintheilen, davon die erstere in der Vorstellung des Gegenstandes an sich, die zweite blos im zufälligen G e b r a u c h e derselben gegründet ist. Diesem gemäß kann die Form eines Gegenstandes e r s t l i c h schon für sich, d. i. in der bloßen Anschauung ohne Begriffe für die reflectirende Urtheilskraft als zweckmäßige wargenommen werden, und alsdenn wird die subjective Zweckmäßigkeit dem Dinge und der Natur selbst beigelegt, z w e y t e n s mag das Object für die Reflexion bei der Warnehmung nicht das mindeste Zweckmäßige zu Bestimmung seiner Form an sich haben, gleichwohl aber kann dessen Vorstellung, auf eine a priori im Subjecte liegende Zweckmäßigkeit, zur Erregung eines Gefühls derselben, (etwa der übersinnlichen Bestimmung der Gemüthskräfte des Subjects) angewandt, ein ästhetisches Urtheil gründen, welches sich auch auf ein (zwar nur subjectives) Princip a priori bezieht, aber nicht, so wie das erstere, auf eine Z w e c k m ä ß i g k e i t d e r N a t u r in Ansehung des Subjects, sondern nur auf einen möglichen zweckmäßigen G e b r a u c h gewisser sinnlicher Anschauungen ihrer Form nach vermittelst der blos reflectirenden Urtheilskraft. Wenn also das erstere Urtheil den Gegenständen der Natur S c h ö n h e i t beilegt, das zweite aber E r h a b e n h e i t und zwar beide blos durch ästhetische (reflectirende) Urtheile, ohne Begriffe vom Object, blos in Rücksicht auf subjective Zweckmäßigkeit, […]« (EEKU: 249,26 f.).

Ich kann diese Passage aus der Ersten Einleitung nicht detailliert untersuchen; vielmehr möchte ich nur einige Aspekte bezüglich der subjektiven ZM kurz beleuchten. Eine subjektive innere ZM liegt beim Schönen vor. Die ›Form des Gegenstandes‹ wird dabei ›für sich, d. i. in der bloßen Anschauung ohne Begriffe für die reflectirende Urtheilskraft als zweckmäßig wargenommen‹. Nun hatten wir oben zur inneren ZM allgemein das Folgende festgehalten: ZMi Die innere ZM ist in der Vorstellung des Gegenstandes an sich gegründet.

Führt man dies mit der subjektiven ZM zusammen, so ergibt sich das folgende Bild:

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§ 10 Begriffsklärungen: Zweck, Zweckmäßigkeit …

ZMsi Die subjektive innere ZM meint, dass die Vorstellung eines Gegenstandes selbst für das Subjekt, d. h. für die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt der Erkenntnisvermögen oder das Gefühl der Lust, zweckmäßig ist.

Die Beschaffenheit des Gegenstandes stimmt entweder mit der Beschaffenheit der menschlichen Erkenntnisvermögen zusammen, d. h. damit, was es bedarf, damit das Subjekt eine Erkenntnis des Gegenstandes gewinnen kann; oder die Beschaffenheit des Gegenstandes stimmt mit dem Gefühl der Lust zusammen, d. h. der Gegenstand ist so beschaffen, dass er beim Menschen eine Lust hervorruft. Im ersten Fall wäre etwa eine Rose dann subjektiv zweckmäßig, wenn sie mit einer Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt verbunden wäre. Dies wäre dann der Fall, wenn wir entweder eine Erkenntnis über die Rose gewinnen könnten oder wenn wir beim Wahrnehmen der Rose in ein freies und harmonisches Spiel der Erkenntniskräfte eintreten würden. Im zweiten Fall wäre die Rose dann subjektiv zweckmäßig, wenn wir an ihr eine Lust empfinden würden. Kommen wir zur subjektiven relativen ZM. Diese liegt beim Erhabenen vor. Wir haben die relative ZM allgemein folgendermaßen bestimmt: ZMr Die relative ZM ist im zufälligen Gebrauch der Vorstellung des Gegenstandes gegründet.

In diesem Sinne spricht Kant im obigen Zitat vom ›möglichen zweckmäßigen G e b r a u c h gewisser sinnlicher Anschauungen‹. Ohne die vollständige Theorie des Erhabenen sind Kants Ausführungen allerdings sehr schwer zu verstehen. An dieser Stelle soll das Folgende genügen: Bei der subjektiven relativen ZM ist nicht der Gegenstand selbst zweckmäßig für die Erkenntnisvermögen, d. h. er ist nicht so beschaffen, dass das Subjekt eine Erkenntnis von ihm gewinnen kann (›z w e y t e n s mag das Object…nicht das mindeste Zweckmäßige zur Bestimmung seiner Form an sich haben‹); und er ist nicht so beschaffen, dass er potenziell beim Menschen eine Lust hervorruft. Vielmehr ist er so beschaffen, dass er dafür gebraucht werden kann, die Vernunft in eine Aktivität zu versetzen, die sich als Lust niederschlägt. Das Objekt ist mittelbar zweckmäßig, um eine Aktivität der Vernunft und dadurch ein Gefühl anzuregen; allerdings ist diese Aktivität der Vernunft keine Verarbeitung des Objekts im Sinne einer Erkenntnis, und die Lust ist keine Lust am Objekt selbst. Beispielsweise liegt »bey dem Anblicke himmelansteigender Gebirgsmassen« (269,14) keine 592

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Zur Begriffsbestimmung von »Zweck« und »Zweckmäßigkeit«

Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vor, weil die Einbildungskraft daran scheitert, das gegebene Mannigfaltige zu einer Form zusammenzusetzen; aber mittelbar wird durch die Gebirgsmassen eine Aktivität der Vernunft angeregt. Wir können festhalten: ZMsr Die subjektive relative ZM steht für einen zweckmäßigen Gebrauch der Vorstellung eines Gegenstandes durch das Subjekt; die Vorstellung ist Mittel zum Zweck für die Erkenntnisvermögen oder das Gefühl der Lust.

Wir haben nun vier Arten der ZM unterschieden: objektive innere und objektive relative sowie subjektive innere und subjektive relative ZM. Es drängt sich die Frage auf, wie sich diese zueinander verhalten. Wenn ein Gegenstand als objektiv zweckmäßig, d. h. als vollkommen oder nützlich, beurteilt wird, so gewinnt man eine Erkenntnis des Gegenstandes. Durch diese Erkenntnis manifestiert sich eine Beziehung des Gegenstandes auf das Erkenntnisvermögen des Subjekts. Der Gegenstand ist so beschaffen, dass eine Erkenntnis von ihm gewonnen werden kann; er verfügt also auch über subjektive innere ZM. So merkt Kant an: »Die Zweckmäßigkeit ist hier offenbar objectiv und intellectuell, nicht aber bloß subjectiv und ästhetisch« (362,10, m. H.). 34 Demnach kann es einerseits eine bloß subjektive ZM geben – damit ist offenkundig der Fall des Schönen beschrieben – und andererseits gibt es auch eine objektive ZM, die mit einer subjektiven ZM einhergeht. Während die Erkenntnis einer objektiven ZM immer mit einer subjektiven ZM einhergeht, so kann sich eine subjektive ZM ohne objektive ZM manifestieren. Haben wir aber nicht die wichtigste Art von ZM vergessen, nämlich die ZM ohne Zweck? Grob gefasst ist eine ZM ohne Zweck eine Art von ZM, die wir ohne Rekurs auf einen Zweckbegriff bemerken können. Nun meint eine objektive ZM die Zusammenstimmung eines Dinges dazu, was es sein soll (oder wozu es nützlich sein soll), d. h. zu einem Zweckbegriff. Um daher zu erkennen, ob ein Ding objektiv zweckmäßig ist, muss ein Urteilender das Mannigfaltige auf einen Zweckbegriff beziehen. So schreibt Kant: »Die o b j e c t i v e Zweckmäßigkeit kann nur vermittelst der Beziehung des Mannigfaltigen auf einen bestimmten Zweck, also nur durch einen Begrif erkannt werden« (§ 15.A.1, 226,24). Eine objektive ZM ist also immer

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Vgl. auch 193,12.

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eine ZM mit Zweck. 35 Anders verhält es sich mit der subjektiven ZM. Diese besteht primär in einer Beziehung des Objekts auf die Erkenntniskräfte. Folgt man der Beantwortung der ›minderen Frage‹ in § 9, dann kann uns eine Aktivität der Erkenntniskräfte als Gefühl der Lust bewusst werden. 36 Es ist daher zu vermuten, dass wir uns einer subjektiven ZM durch ein Gefühl der Lust und somit ohne Bezug auf einen Zweckbegriff bewusst werden können. 37

10.1.4 Zur Begriffsbestimmung von »Lust« Die Erklärung der Lust, die Kant im Anschluss an die Begriffsbestimmungen von »Zweck« und »Zweckmäßigkeit« formuliert, wurde bereits im Rahmen von § 2 untersucht. 38 Wir wollen an dieser Stelle nur kurz darauf eingehen, warum Kant »Lust« im Rahmen von § 10 bestimmt. Der erste und simpelste Grund ist, dass Kant diesen Paragraphen zu einem Großteil den Begriffsbestimmungen zentraler Begriffe widmet. Da er »Lust« bislang noch nicht bestimmt hat, holt er dies im Kontext der anderen Begriffsbestimmungen nach. Der zweite Grund besteht darin, dass die Begriffe des Zwecks, der Zweckmäßigkeit, des Willens und eben der Lust alle in den praktischen Kontext der Willensbestimmung und des intentionalen Handelns eingeordnet werden können. Drittens ist die Begriffsbestimmung der Lust zentral durch mehrere Erhaltungsmomente gekennzeichnet: Weil sich die Lust positiv anfühlt, wollen wir sie erhalten; wir sind uns bewusst, dass die Vorstellung vom Gegenstand die Lust erhält; wir wollen daher die Vorstellung vom Gegenstand erhalten. Eine Möglichkeit die In § 62 schildert Kant den Fall einer objektiven formalen ZM, d. h. einer objektiven ZM ohne Zweck. Diese liegt bei einer geometrischen Figur vor, die »zur Erzeugung vieler abgezweckte[r] Gestalten« angemessen ist, wobei die Figur aber »nicht bloß in Rücksicht auf diesen Gebrauch als möglich angesehen wird« (362,12). Eine solche objektive formale ZM ist aber nur bei »nach einem Princip a priori bestimmte[n] Vorstellung[en] in mir« möglich, nicht aber bei empirischen Gegenständen; die »(empirische) Zweckmäßigkeit [ist], als real, von dem Begriffe eines Zwecks abhängig« (364,22). Da sich Kants Theorie der ZM in den beiden Teilen der KU insgesamt auf empirische Gegenstände bezieht, können wir diesen Fall der objektiven ZM ohne Zweck außer Acht lassen. 36 Siehe hierzu Kap. 9.6. 37 Es wäre freilich falsch, davon zu sprechen, dass wir eine subjektive ZM ohne Zweck erkennen können, da zu einer Erkenntnis ein Begriff gehört. 38 Siehe Kap. 2.1. 35

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Warum es eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck geben kann

Vorstellung vom Gegenstand zu erhalten, besteht darin, den Willen durch einen Zweckbegriff dahingehend zu bestimmen, dass er mehr dergleichen Gegenstände hervorbringt. Insgesamt ist es demnach durchaus plausibel, dass Kant »Lust« im Rahmen von § 10 bestimmt.

10.2 Warum es eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck geben kann Nachdem Kant verdeutlicht hat, was er unter »Zweck« und »Zweckmäßigkeit« versteht, legt er dar, dass es eine ZM ohne Zweck geben kann. Diese gesamte Argumentation bewegt sich im epistemischen Kontext; denn im praktischen oder ontologischen Kontext kann es freilich keine ZM ohne Zweck geben. So wäre es widersprüchlich, einen Gegenstand intentional, d. h. nach einem Zweckbegriff, hervorzubringen, ohne einen Zweckbegriff von diesem Gegenstand anzuwenden. Und ein Objekt kann nicht in ontologischer Hinsicht zweckmäßig sein, wenn es nicht intentional durch einen Willen, nach einem bestimmten Zweckbegriff hervorgebracht wurde. In epistemischer Hinsicht ist eine ZM ohne Zweck aber denkbar. So impliziert eine epistemische ZM keine ontologische ZM: Ich kann einen Gegenstand als einem bestimmten Zweck gemäß beurteilen, ohne damit zu unterstellen, der Gegenstand sei wirklich intentional durch einen Willen hervorgebracht worden. Ich beurteile den Gegenstand dann bloß, als ob er intentional von einem Willen hervorgebracht worden wäre. Insbesondere kann ich einem Gegenstand auch bloß unterstellen, er sei irgendeinem, mir noch unbekannten Zweck gemäß; und ich kann dann diese Annahme zum Anlass nehmen, um diesen noch unbekannten Zweck zu erkennen. Schließlich eröffnet insbesondere die Konzeption der subjektiven ZM die Möglichkeit für eine ZM ohne Zweck. Da sich nämlich die subjektive ZM durch eine Beziehung des Objekts auf ein Subjekt manifestiert, ist es plausibel, dass das Subjekt diese ZM anders als durch eine Erkenntnis und mittels eines Zweckbegriffs bemerken kann. Ich schlage vor, Kants Argumentation in zwei Stufen zu unterteilen, auf denen er zwei verschiedene Anwendungsbereiche der ZM ohne Zweck offenlegt: Auf der ersten Stufe zeigt Kant, dass es eine ZM ohne Zweck als epistemische Grundannahme geben kann, womit er auf das Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft hindeutet. Auf der zweiten Stufe legt er dar, dass es in Reflexionsaktivitäten Kants Philosophie des Schönen

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§ 10 Begriffsklärungen: Zweck, Zweckmäßigkeit …

ohne Erkenntnisabsicht zu einer Instanziierung der subjektiven ZM eines Gegenstandes kommen kann.

10.2.1 Zur Zweckmäßigkeit ohne Zweck als epistemische Grundannahme Der erste Argumentationsschritt wird von Kant wie folgt formuliert: § 10.B.2 »Zweckmäßig aber heißt ein Object, oder Gemüthszustand, oder eine Handlung auch, wenn gleich ihre Möglichkeit die Vorstellung eines Zwecks nicht nothwendig voraussetzt, bloß darum, weil ihre Möglichkeit von uns nur erklärt und begriffen werden kann, sofern wir eine Causalität nach Zwecken, d. i. einen Willen, der sie nach der Vorstellung einer gewissen Regel so angeordnet hätte, zum Grunde derselben annehmen. § 10.B.3 Die Zweckmäßigkeit kann also ohne Zweck seyn, sofern wir die Ursache dieser Form nicht in einem Willen setzen, aber doch die Erklärung ihrer Möglichkeit, nur indem wir sie von einem Willen ableiten, uns begreiflich machen können« (220,17).

In § 10.B.2 verwendet Kant die Pronomen ›ihre‹, ›sie‹ und ›derselben‹, die sich aufgrund des Singulars jeweils auf ›Handlung‹ beziehen müssen. Inhaltlich beziehen sich Kants Ausführungen aber auch auf das ›Object‹ und den ›Gemühtszustand‹. Da Kant die Begriffsbestimmungen von »Zweck« und »Zweckmäßigkeit« jeweils auf Gegenstände bezieht, ist es insgesamt sinnvoll, § 10.B.2 mit Bezug auf das ›Object‹ zu rekonstruieren: 39 § 10.B.2* Zweckmäßig heißt ein Objekt auch, wenn die Möglichkeit des Objekts die Vorstellung eines Zwecks nicht notwendig voraussetzt, bloß darum, weil die Möglichkeit des Objekts von uns nur erklärt und begriffen werden kann, sofern wir eine Kausalität nach Zwecken, d. i. einen Willen, der das Objekt nach der Vorstellung einer gewissen Regel so angeordnet hätte, zum Grunde des Objekts annehmen.

Es darf aber nicht völlig ausgeblendet werden, dass eine ZM ohne Zweck auch in Bezug auf Gemütszustände vorliegen kann. So ist beim Schönen der zugrundeliegende Gemütszustand als eine zweckmäßige Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand zu begreifen. Siehe hierzu insbesondere Kap. 11.3.

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Erstens setzt die Möglichkeit des Objekts ›die Vorstellung eines Zwecks nicht nothwendig voraus‹, aber zweitens kann die Möglichkeit des Objekts ›von uns nur erklärt und begriffen werden, sofern wir…einen Willen…zum Grunde‹ des Objekts annehmen. Da Kant in § 10.B.3 folgert, dass ›[d]ie Zweckmäßigkeit…also ohne Zweck sein‹ kann, ist es naheliegend, die beiden Teilaussagen von § 10.B.2 als Umschreibung von »ZM« und von »ohne Zweck« zu begreifen. Es ergibt sich das folgende Bild: § 10.B.2R1 Zweckmäßig heißt ein Objekt auch unter den folgenden Bedingungen: 40 (a) Die Möglichkeit des Objekts setzt die Vorstellung eines Zwecks nicht notwendig voraus. [ohne Zweck] (b) Die Möglichkeit des Objekts kann von uns nur erklärt werden, sofern wir einen Willen, der das Objekt nach der Vorstellung einer gewissen Regel so angeordnet hätte, zum Grunde des Objekts annehmen. [ZM]

Bevor wir (a) und (b) genauer untersuchen, wollen wir erst § 10.B.3 auf eine ähnliche Weise rekonstruieren. Zunächst müssen wir fragen, worauf sich ›ihrer‹ in ›ihrer Möglichkeit‹ und ›sie‹ beziehen. Inhaltlich kann sich ›ihrer‹ nur auf ›Form‹ beziehen. 41 Das Pronomen ›sie‹ kann sich hingegen auf ›Form‹, ›Möglichkeit [der Form]‹ oder ›Erklärung ihrer Möglichkeit‹ beziehen. Inhaltlich besteht zwischen den drei möglichen Substituten kein großer Unterschied; grammatikalisch ist aber durch den unmittelbaren Anschluss ›Möglichkeit [der Form]‹ das plausibelste Bezugswort. Wir erhalten: § 10.B.3* Die Zweckmäßigkeit kann also ohne Zweck sein, sofern wir die Ursache dieser Form nicht in einem Willen setzen, aber doch die Erklärung der Möglichkeit der Form uns nur begreiflich machen können, indem wir die Möglichkeit der Form von einem Willen ableiten.

Warum spricht Kant aber von ›dieser Form‹, wenngleich der Begriff der Form in den vorangegangenen Sätzen gar nicht gefallen ist? In Der Begriff der Bedingung ist hier nicht so zu verstehen, als wären (a) und (b) notwendige Bedingungen für das Vorliegen einer ZM. Vielmehr ist (a) (›ohne Zweck‹) gerade keine notwendige Bedingung für das Vorliegen einer ZM, sondern stellt sogar ein scheinbares Problem oder eine Herausforderung für das Vorliegen einer ZM dar. 41 Grammatikalisch wäre auch ›Ursache‹ als Bezugswort für ›ihrer‹ denkbar. Jedoch ergibt dies inhaltlich keinen Sinn; denn es ist die Form des Objekts und nicht die Ursache dieser Form, die bei einer ZM beurteilt wird. 40

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§ 10.A.2 hat Kant bemerkt, dass bei einem Zweck »der Gegenstand selbst (die Form oder Existenz desselben) als Wirkung, nur als durch einen Begrif von der letztern [Wirkung] möglich gedacht wird« (220,5, m. H.). Wir haben gesehen, dass bei der Beurteilung einer ZM immer die Form, d. h. die Beschaffenheit des Gegenstandes, beurteilt wird. Nun nutzt Kant in § 10.B.2 die Beschreibung, dass das Objekt »nach der Vorstellung einer gewissen Regel so angeordnet« wurde (220,21), wobei die ›Anordnung‹ eines Gegenstandes eine Umschreibung seiner Form ist. Die folgende Rekonstruktion ist also naheliegend: § 10.B.3**a Die Zweckmäßigkeit kann also ohne Zweck sein, sofern wir die Ursache der Form des Objekts nicht in einem Willen setzen, aber doch die Erklärung der Möglichkeit der Form des Objekts uns nur begreiflich machen können, indem wir die Form des Objekts von einem Willen ableiten.

Es gibt allerdings noch eine weitere Möglichkeit, die Formulierung ›diese Form‹ zu interpretieren. So ist die ZM selbst eine »forma finalis« (§ 10.A.1, 220,4), d. h. eine Art von Form. Und tatsächlich nutzt Kant in § 10.B.3, unmittelbar vor der Formulierung ›dieser Form‹, den Begriff der ZM. Wäre also auch die folgende Rekonstruktion denkbar? § 10.B.3**b Die Zweckmäßigkeit kann also ohne Zweck sein, sofern wir die Ursache der Zweckmäßigkeit nicht in einem Willen setzen, aber doch die Erklärung der Möglichkeit dieser Zweckmäßigkeit uns nur begreiflich machen können, indem wir die Zweckmäßigkeit von einem Willen ableiten.

Diese Interpretation ist aus zwei Gründen unwahrscheinlich: Erstens würde in § 10.B.3**b eine Redundanz vorliegen. Denn eine ZM ist gerade dadurch definiert, dass wir die Form eines Gegenstandes als intentional angeordnet verstehen, d. h. sie ›von einem Willen ableiten‹. Damit würde aber in § 10.B.3**b ausgesagt, dass wir die ZM, d. h. die Form eines Gegenstandes, die wir von einem Willen ableiten, von einem Willen ableiten. Zweitens kann die Interpretation § 10.B.3**a den Anschluss an § 10.B.2 deutlich besser erklären. So greift die Formulierung ›sofern wir…die Erklärung der Möglichkeit der Form des Gegenstandes nur, indem wir die Form des Gegenstandes von einem Willen ableiten, uns begreiflich machen können‹ die Umschreibung der ZM aus § 10.B.2 auf (›weil ihre Möglichkeit von uns nur erklärt und begriffen werden kann, sofern wir…einen Wil598

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len, der sie nach der Vorstellung einer gewissen Regel so angeordnet hätte, zum Grunde derselben annehmen‹). In beiden Formulierungen ist nämlich beschrieben, dass wir die Möglichkeit der Form (›Anordnung‹) eines Objekts nur erklären können, indem wir diese Form von einem Willen ableiten. Insgesamt beansprucht § 10.B.3**a damit mehr Evidenz. Wir können in diesem Satz nunmehr wieder je eine Umschreibung von »ZM« und von »ohne Zweck« identifizieren: § 10.B.3R1 Die Zweckmäßigkeit kann unter den folgenden Bedingungen ohne Zweck sein: (a) Wir setzen die Ursache der Form des Objekts nicht in einen Willen. [ohne Zweck] (b) Wir können uns die Erklärung der Möglichkeit der Form des Objekts nur begreiflich machen, indem wir die Form des Objekts von einem Willen ableiten. [ZM]

Vergleichen wir diese Rekonstruktion mit unserer Rekonstruktion von 10.B.2: § 10.B.2R1 Zweckmäßig heißt ein Objekt auch unter den folgenden Bedingungen: (a) Die Möglichkeit dieses Objekts setzt die Vorstellung eines Zwecks nicht notwendig voraus. [ohne Zweck] (b) Die Möglichkeit des Objekts kann von uns nur erklärt werden, sofern wir einen Willen, der das Objekt nach der Vorstellung einer gewissen Regel so angeordnet hätte, zum Grunde des Objekts annehmen. [ZM]

In (a) scheint jeweils eine Umschreibung von »ohne Zweck« vorzuliegen. Besagen aber die beiden Propositionen § 10.B.2a und § 10.B.3a dasselbe? In § 10.B.2a heißt es, dass die ›Möglichkeit‹ des Objekts ›die Vorstellung eines Zwecks nicht nothwendig voraussetzt‹. Dies klingt wie eine ontologische Beschreibung. Allerdings ist dies irreführend. In ontologischer Perspektive wurde ein Gegenstand durch einen Willen absichtlich hervorgerufen oder eben nicht, d. h. er ist zweckmäßig mit Zweck oder gar nicht zweckmäßig. Nur im epistemischen Kontext kann es unter Umständen der Fall sein, dass wir nicht wissen, ob ein Gegenstand absichtlich hervorgebracht wurde oder nicht. Auch dass wir ›die Ursache‹ der Form des Gegenstandes ›nicht in einen Willen setzen‹ (§ 10.B.3a), ist eine Beschreibung einer epistemischen Offenheit: Wir wissen nicht, ob ein Objekt durch einen Willen hervorgebracht wurde oder nicht. Den Aspekt »ohne Zweck« können wir somit insgesamt folgendermaßen fassen: Kants Philosophie des Schönen

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Ohne Zweck: Wir wissen nicht, ob der Gegenstand absichtlich durch einen Willen hervorgebracht wurde. Wir sind in diesem Sinne epistemisch offen, ob der Gegenstand ein Produkt eines Willens ist oder nicht.

Inwiefern kann in einem solchen Fall eine ZM vorliegen? Kerngedanke ist in den beiden Formulierungen dieses Kriteriums (§ 10.B.2b und § 10.B.3b), dass wir die Möglichkeit (der Form) eines Objekts nur erklären können, wenn wir annehmen, das Objekt sei absichtlich durch einen Willen hervorgebracht worden. Aber dies lässt sich auf zweierlei Weisen verstehen: (1) Wir haben die Form des Gegenstandes bereits erkannt und begrifflich erfasst. Wir können uns aber nicht vorstellen, dass diese Form bloß zufällig entstanden sein kann, und nehmen daher an, sie sei absichtlich, nach dem uns nun bekannten Zweckbegriff hervorgebracht worden. (2) Wir wollen die Form des Gegenstandes erst erkennen. Um eine solche Erkenntnis überhaupt gewinnen zu können, nehmen wir an, der Gegenstand sei absichtlich durch einen Willen hervorgebracht worden. Die erste Möglichkeit scheint Kant im folgenden Beispiel zu thematisieren: »Wenn jemand in einem ihm unbewohnt scheinenden Lande eine geometrische Figur, allenfalls ein reguläres Sechseck, im Sande gezeichnet wahrnähme; so würde seine Reflexion, indem sie an einem Begriffe derselben [geometrischen Figur] arbeitet, der Einheit des Princips der Erzeugung desselben [regulären Sechsecks], wenn gleich dunkel, vermittelst der Vernunft inne werden, und so, dieser gemäß, den Sand, das benachbarte Meer, die Winde, oder auch Thiere mit ihren Fußtritten, die er kennt, oder jede andere vernunftlose Ursache nicht als einen Grund der Möglichkeit einer solchen Gestalt beurtheilen: weil ihm die Zufälligkeit, mit einem solchen Begriffe, der nur in der Vernunft möglich ist, zusammen zu treffen, so unendlich groß scheinen würde, daß es eben so gut wäre, als ob es dazu gar kein Naturgesetz gebe, daß folglich auch keine Ursache in der bloß mechanisch wirkenden Natur, sondern nur der Begrif von einem solchen Object, als Begrif, den nur die Vernunft geben und mit demselben den Gegenstand vergleichen kann, auch die Causalität zu einer solchen Wirkung enthalten, folglich diese durchaus als Zweck, aber nicht Naturzweck, d. i. als Product der K u n s t , angesehen werden könne (vestigium hominis video)« (370,16).

Kant schildert in dieser Passage das folgende Beispiel: Jemand findet eine geometrische Figur. Er reflektiert über diese Form und bestimmt 600

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sie durch den Begriff des regulären Sechsecks. Er kann nicht anders, als diese Form, die ›mit einem solchen Begriffe, der nur in der Vernunft möglich ist‹, d. h. dem Zweckbegriff eines regulären Sechsecks, zusammenstimmt, auf einen Willen zurückzuführen. Er nimmt also an, dass das Objekt durch einen Willen absichtlich hervorgebracht wurde und sieht es ›als Product der Kunst‹ an. Er weiß aber nicht, ob dieses Objekt wirklich durch einen Willen hervorgebracht wurde. – Könnte Kant in § 10.B.2–3 einen solchen Fall meinen? Dagegen sprechen mehrere Gründe: Erstens hat der Urteilende im Beispiel einen Begriff vom Gegenstand (nämlich »regelmäßiges Sechseck«) gebildet. Würde er den Gegenstand als zweckmäßig beurteilen, dann würde er urteilen, dass der Gegenstand mit dem Zweckbegriff eines regelmäßigen Sechsecks zusammenstimmt. Es würde also eine ZM mit Zweck vorliegen. Zweitens ist nicht zu erkennen, warum der Urteilende im Beispiel ›die Ursache‹ der Form des Gegenstandes ›nicht in einen Willen‹ setzt; denn er sieht den Gegenstand ja gerade als ›Product der Kunst‹ und somit als Produkt eines Willens an. 42 Die geschilderte erste Option für eine ZM ohne Zweck scheint vor diesem Hintergrund nicht plausibel. Steht es um die zweite Option besser? Kerngedanke der zweiten Option ist, dass wir die Form eines spezifischen Gegenstandes nicht erkennen können, sofern wir nicht unterstellen, sie sei absichtlich von einem Willen hervorgebracht worden. Wir erkennen dabei weder, dass der Gegenstand wirklich absichtlich durch einen Willen hervorgebracht wurde, noch beziehen wir die Form des Gegenstandes bereits (wie in Option (1)) auf einen konkreten Zweckbegriff. In § 10.B.3 schreibt Kant, dass wir uns ›die Erklärung ihrer Möglichkeit‹, d. h. der Möglichkeit der Form des Objekts, nur ›begreiflich machen können‹, ›indem wir sie von einem Willen ableiten‹. Dies stimmt sehr gut mit Option (2) zusammen: Dass wir uns die ›Erklärung‹ der ›Möglichkeit‹ der Form eines Objekts ›begreiflich machen‹, bedeutet dann nämlich, dass wir die Form des Gegenstandes erkennen. Ich schlage die folgende Rekonstruktion von § 10.B.3b vor:

Für Kant liegt eine ZM mit Zweck bereits vor, wenn wir einen Gegenstand als irgendein Kunstprodukt ansehen, selbst wenn wir noch keinen konkreten (Zweck-) Begriff vom Objekt gebildet haben: »Allein, daß man sie für ein Kunstwerk ansieht, ist schon genug, um gestehen zu müssen, daß man ihre Figur auf irgend eine Absicht und einen bestimmten Zweck bezieht« (236 Fn.). Für meine Deutung dieser Passage siehe E3.2.

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§ 10.B.3R2 Die Zweckmäßigkeit kann unter den folgenden Bedingungen ohne Zweck sein: (b) Wir können die Form des Objekts nur dadurch überhaupt erkennen, dass wir unterstellen, die Form sei absichtlich durch einen Willen hervorgebracht worden. [ZM]

Option (2) lässt sich zudem gut in § 10.B.2b verorten. Kant schreibt, dass wir ›einen Willen‹, der das Objekt ›nach der Vorstellung einer gewissen Regel so angeordnet hätte, zum Grunde‹ des Objekts ›annehmen‹. Eine gewisse Regel ist eine nicht weiter spezifizierte Regel, d. h. irgendeine Regel. 43 Hätten wir aber die Form des Objekts bereits durch einen Begriff erkannt (etwa als regelmäßiges Sechseck), so müssten wir dem Objekt unterstellen, es sei nach einer bestimmten Regel hervorgebracht worden (bspw. nach dem Begriff eines regelmäßigen Sechsecks). Wir sollten § 10.B.2 demnach folgendermaßen rekonstruieren: § 10.B.2R2 Zweckmäßig heißt ein Objekt auch unter den folgenden Bedingungen: (b) Die Form des Objekts kann von uns nur erkannt werden, sofern wir einen Willen, der das Objekt nach der Vorstellung irgendeiner, uns noch unbekannten Regel angeordnet hat, annehmen. [ZM]

Diese Rekonstruktion ist insofern aufschlussreich, als sie deutlich macht, dass unsere obige Charakterisierung von »ohne Zweck« unvollständig ist. Eine ZM ohne Zweck ist nämlich nicht nur dadurch gekennzeichnet, dass wir nicht wissen, ob ein Objekt absichtlich durch einen Willen hervorgebracht wurde; vielmehr ist sie primär dadurch gekennzeichnet, dass wir den Gegenstand (noch) nicht durch einen Zweckbegriff erkannt haben. Wenn ein Biologe eine ihm unbekannte Pflanze entdeckt, dann weiß er noch nicht, wie die einzelnen Teile dieser Pflanze zusammenstimmen und mit welchem bestimmVgl. hierzu bei Adelung zum Wort »gewiß«: »Nach einer noch weitern Figur gebraucht man es, doch gleichfalls nur als ein Adjectiv und ohne Comparation, von solchen Dingen, von welchen man nur einige allgemeine Bestimmungen weiß, oder die man nur allgemein bestimmen will. Ich verspüre eine gewisse Widersetzlichkeit bey mir, von der ich keinen Grund anzugeben weiß, ich verspüre etwas bey mir, wovon ich weiter nichts weiß, als daß es Widersetzlichkeit ist, von der u. s. f. Ich habe so eine gewisse Vermuthung, daß Greif der Dieb ist, eine dunkle, unbestimmte Vermuthung« (Adelung: Gewiß).

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ten Zweckbegriff sie übereinstimmen; er nimmt aber an, dass sie zweckmäßig angeordnet sind. Damit können wir die in § 10.B.2–3 beschriebene ZM ohne Zweck insgesamt folgendermaßen charakterisieren: Ohne Zweck: Wir wissen nicht, ob der Gegenstand absichtlich durch einen Willen hervorgebracht wurde, d. h. wir sind epistemisch offen, ob der Gegenstand ein Produkt eines Willens ist oder nicht. Wir haben den Gegenstand (noch) nicht durch einen spezifischen (Zweck-)Begriff erkannt. ZM: Wir unterstellen dem Gegenstand, dass er zweckmäßig ist, d. h. zu irgendeinem Zweck zusammenstimmt und von einem Willen absichtlich hervorgebracht wurde, um seine Form überhaupt erkennen zu können.

Diese Interpretation ist insofern attraktiv, als sie einen der zentralen Fälle von ZM ohne Zweck wiedergibt, die Kant in der KU schildert. Dass man zum Ziel des Erkenntnisgewinns annimmt, ein Gegenstand sei zweckmäßig angeordnet, ohne den konkreten Zweck zu kennen und ohne zu unterstellen, der Gegenstand sei wirklich absichtlich durch einen Willen hervorgebracht worden, ist nämlich nichts anderes als der Inhalt des Prinzips a priori der Urteilskraft. 44 Dieses Prinzip wird von Kant als »Princip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur« bezeichnet (181,13) – und eine formale ZM ist nichts anderes als eine ZM ohne Zweck. Es ist daher durchaus sinnvoll, dass Kant in seiner Argumentation für die ZM ohne Zweck das Prinzip a priori der Urteilskraft anführt. Diese Interpretation hat zur Folge, dass Kant in § 10.B.2–3 keine konkrete Manifestation bzw. Erkenntnis einer ZM ohne Zweck beschreibt, sondern eine epistemische Grundannahme, die der Erkenntnis vorhergeht. Können wir die ZM ohne Zweck als Gehalt des Prinzips a priori der Urteilskraft in die Unterscheidung zwischen subjektiver und obVgl. etwa: »so ist das Princip der Urtheilskraft in Ansehung der Form der Dinge der Natur unter empirischen Gesetzen überhaupt, die Z w e c k m ä ß i g k e i t d e r N a t u r in ihrer Mannigfaltigkeit. D. i. die Natur wird durch diesen Begrif so vorgestellt, als ob ein Verstand den Grund der Einheit des Mannigfaltigen ihrer empirischen Gesetze enthalte. [Absatz] Die Zweckmäßigkeit der Natur ist also ein besonderer Begrif a priori, der lediglich in der reflectirenden Urtheilskraft seinen Ursprung hat. Denn den Naturproducten kann man so etwas, als Beziehung der Natur an ihnen auf Zwecke, nicht beylegen, sondern diesen Begrif nur brauchen, um über sie in Ansehung der Verknüpfung der Erscheinungen in ihr, die nach empirischen Gesetzen gegeben ist, zu reflectiren« (180,34 f.).

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jektiver ZM einordnen? Es klingt in § 10.B.2–3 so, als beträfe dieses Prinzip eine angenommene objektive ZM, d. h. als nähmen wir an, der Gegenstand stimmte zu einem (unbekannten) Zweckbegriff davon, was das Objekt sein soll, zusammen. In der Einleitung bezeichnet Kant jedoch das Prinzip a priori als ein »P r i n c i p d e r Z w e c k m ä ß i g k e i t für unser Erkenntnißvermögen« (184,8), d. h. als Prinzip einer subjektiven ZM. Wenngleich die subjektive ZM tatsächlich primär den Inhalt des Prinzips a priori ausmacht, so ist diese implizit mit einer Art von objektiver ZM verbunden. Die Gegenstände werden nämlich insofern als zweckmäßig für unsere Erkenntnisvermögen angenommen (subjektive ZM), als man annimmt, dass ein Verstand sie nach einem Zweck hervorgebracht hat (objektive ZM). 45 Fassen wir den ersten Argumentationsschritt zusammen: i. Es gibt eine ZM ohne Zweck als hypothetische Grundannahme, die wir zugrunde legen, um überhaupt die Form von Naturgegenständen erkennen zu können. ii. Um den Gegenstand zu erkennen, müssen wir annehmen, dass ein Wille ihn anhand eines Zweckbegriffs hervorgebracht hat. (ZM) iii. Wir erkennen nicht, dass ein Wille den Gegenstand hervorgebracht hat. Insbesondere beziehen wir den Gegenstand (noch) nicht auf einen bestimmten Zweck. (ohne Zweck) iv. Die so beschriebene ZM ohne Zweck ist nichts anderes als das subjektive Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft.

10.2.2 Zur manifesten subjektiven ZM ohne Zweck Im zweiten Argumentationsschritt, so meine These, führt Kant die Konzeption einer an einem Objekt konkret beobachteten ZM ohne Zweck ein. Bei dieser ZM ohne Zweck handelt es sich um diejenige ZM, die sich beim Schönen manifestiert. Die letzten beiden Sätze von § 10 bilden damit gleichsam den Übergang zu den §§ 11–12. Sie lauten: § 10.B.4 »Nun haben wir das, was wir beobachten, nicht immer nöthig durch Vernunft (seiner Möglichkeit nach) einzusehen. Zum Gehalt des Prinzips a priori siehe auch Kap. G3.1. – Das tatsächliche Vorliegen einer objektiven ZM kann man freilich nur durch Rekurs auf einen Zweckbegriff und somit als ZM mit Zweck erkennen.

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Warum es eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck geben kann

§ 10.B.5 Also können wir eine Zweckmäßigkeit der Form nach, auch ohne daß wir ihr einen Zweck (als die Materie des nexus finalis) zum Grunde legen, wenigstens beobachten, und an Gegenständen, wiewohl nicht anders als durch Reflexion, bemerken« (220,26).

In § 10.B.4 formuliert Kant eine neue Prämisse, aus der er in § 10.B.5 herleitet (›Also‹), dass es eine (weitere) ZM ohne Zweck geben kann. Dazu führt er in § 10.B.4 eine einschränkende Bedingung ein: Wir müssen etwas Bestimmtes nicht immer tun, nämlich etwas Beobachtetes ›durch Vernunft (seiner Möglichkeit nach)‹ einsehen. Was tun wir aber in einem solchen Fall alternativ? Eine erste solche Alternative könnte folgendermaßen lauten: § 10.B.4R1a Wir müssen das, was wir beobachten, nicht immer durch Vernunft (seiner Möglichkeit nach) einsehen, sondern wir können es auch in Referenz auf den Willen einsehen.

Für diese Lesart spricht die Aussage, dass wir die ›Form‹ des Gegenstandes ›von einem Willen ableiten‹ (§ 10.B.3). Kants Gedankengang wäre dann der folgende: Wir leiten einen Gegenstand x von einem Willen ab und machen uns x dadurch ›begreiflich‹ ; das, was wir uns begreiflich machen (›einsehen‹), müssen wir uns nicht immer ›durch Vernunft‹ begreiflich machen (sondern eben auch durch einen Willen); also ›bemerken‹ wir x ›durch einen Willen‹, insofern wir in der ›Reflexion‹ von Einbildungskraft und Verstand x als durch einen Willen hervorgebracht begreifen. Die Formulierung ›durch den Willen‹ wäre dabei nicht so zu verstehen, dass der Wille etwas erkennt oder einsieht, sondern dass wir die ZM mit Rekurs auf einen hypothetisch angenommenen Willen, der den Gegenstand hervorgebracht hat, ›einsehen‹. In dieser Deutung geht es dann letztlich um den Kontrast zwischen einer Erkenntnis nur durch die theoretische Vernunft bzw. den Verstand und einer Erkenntnis, bei der wir auf einen Willen rekurrieren müssen. In dieser Interpretation werden jedoch drei Umstände nicht berücksichtigt: Erstens nimmt sie keine Rücksicht auf zentrale Unterschiede zwischen den von Kant in § 10.B.4–5 verwendeten Verben (›beobachten‹ und ›durch Reflexion bemerken‹ versus ›einsehen‹). Zweitens wird nicht berücksichtigt, dass jede Erkenntnis einer ZM mit Zweck durch bzw. mit Rekurs auf die (praktische) Vernunft bzw. den Willen erfolgt. 46 In § 10.B.4 geht es aber gerade um 46

Vgl. ÜGTP: 182.

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eine ZM ohne Zweck. Drittens ist es offenkundig, dass das Einsehen ›durch Vernunft (seiner Möglichkeit nach)‹ eine Umschreibung einer ZM mit Zweck sein muss. Wenn mit der ›Vernunft‹ jedoch die theoretische Vernunft oder der Verstand gemeint wäre, so wäre nicht klar, inwiefern durch diese Vermögen eine Erkenntnis der ZM mit Zweck erfolgen sollte. 47 Ich schlage daher die folgende, alternative Lesart vor: § 10.B.4R1b Wir müssen das, was wir beobachten, nicht immer durch Vernunft (seiner Möglichkeit nach) einsehen, sondern wir können es auch einfach nur ohne Einbeziehung der Vernunft durch Reflexion beobachten.

Diese Interpretation stützt sich auf den Kontrast, der zwischen den Verben in § 10.B.4–5 besteht: Wir müssen einen Gegenstand nicht immer als Zweck erkennen (›durch Vernunft‹ einsehen), sondern wir können auch bloß über den Gegenstand reflektieren (›beobachten‹, ›durch Reflexion‹). So besteht offenkundig ein Unterschied zwischen dem Verb ›einsehen‹, das für einen Erkenntnisgewinn steht, und den Verben ›beobachten‹ sowie ›bemerken‹, die nicht unbedingt einen Erkenntnisgewinn implizieren. Versuchen wir § 10.B.4–5 genauer aufzuschlüsseln: Was bedeutet es, dass wir einen Gegenstand ›durch Vernunft (seiner Möglichkeit nach)‹ einsehen? Ich habe bereits angedeutet, dass wir Zwecke immer nur mittels der Vernunft erkennen können. So heißt es in der Schrift Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie von 1788: »Zwecke haben eine gerade Beziehung auf die Ve r n u n f t , sie mag nun fremde, oder unsere eigene sein. Allein um sie auch in fremder Vernunft zu setzen, müssen wir unsere eigene wenigstens als ein Analogon derselben zum Grunde legen: weil sie ohne diese gar nicht vorgestellt werden können« (ÜGTP: 182).

Aus dieser Passage geht hervor, dass wir Zwecke immer nur durch die (praktische) Vernunft erkennen können; denn wir müssen unsere eigene Vernunft als eine Art Analogon zur Zwecksetzung durch die fremde Vernunft bzw. den fremden Willen gebrauchen. Wenn wir demnach eine ZM mit Zweck erkennen, so muss unsere Vernunft einen Anteil an dieser Erkenntnis haben. Dies wird durch die folgende Passage aus der Ersten Einleitung bestätigt: Dass insbesondere der Verstand gerade keine ZM mit Zweck erkennen kann, wird in 372,19 deutlich.

47

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»Allein nun soll sie [die Natur], als Object einer teleologischen Beurtheilung auch mit der Ve r n u n f t , nach dem Begriffe den sie sich von einem Zwecke macht, als ihrer Caussalität nach übereinstimmend gedacht werden; das ist mehr, als der Urtheilskraft allein zugemutet werden kann, welche zwar für die Form der Anschauung, aber nicht für die Begriffe der Erzeugung der Dinge eigene Principien a priori enthalten kann. […], so wird sie [die Urteilskraft] in der teleologischen Zweckmäßigkeit der Dinge, als Naturzwecke, die nur durch Begriffe vorgestellt werden kann, den Verstand mit der Vernunft (die zur Erfahrung überhaupt nicht nothwendig ist) in Verhältnis setzen müssen, um Dinge als Naturzwecke vorstellig zu machen« (EEKU: 233,10).

Wir können demnach Zwecke (seien es Naturzwecke oder menschliche Produkte) nur durch die Vernunft erkennen; die Urteilskraft, die sich aus Einbildungskraft und Verstand konstituiert, kann keine Zwecke erkennen (›das ist mehr, als der Urtheilskraft allein zugemutet werden kann‹). Wenn Kant nun in § 10.B.4 schreibt, dass wir etwas nicht immer ›durch Vernunft (seiner Möglichkeit nach)‹ einsehen müssen, dann muss damit gemeint sein, dass wir dieses etwas nicht durch einen Zweckbegriff erkennen müssen; denn eine Erkenntnis durch einen Zweckbegriff kann nur ›durch Vernunft‹ gewonnen werden. Die Frage ist aber, ob das Einsehen eines Gegenstandes ›seiner Möglichkeit nach‹ auch wirklich im Sinne einer Erkenntnis durch einen Zweckbegriff verstanden werden kann. Dazu ist die folgende Passage aufschlussreich: »An einem in der Erfahrung gegebenen Gegenstande kann Zweckmäßigkeit vorgestellt werden: […] aus einem objectiven [Grund], als Uebereinstimmung seiner Form mit der Möglichkeit des Dinges selbst, nach einem Begriffe von ihm, der vorhergeht und den Grund dieser Form enthält« (192,16).

Kant formuliert, dass bei einem Objekt eine ›Uebereinstimmung seiner Form mit der Möglichkeit des Dinges selbst‹ vorliegt, wobei diese Möglichkeit darauf beruht, dass der Gegenstand durch einen ›Begriffe von ihm‹, d. h. durch einen Zweckbegriff, hervorgebracht wurde. Die ›Möglichkeit des Dinges selbst‹ liegt in diesem Sinne in der Hervorbringung durch einen Zweck. Wenn man demnach einen Gegenstand ›seiner Möglichkeit nach‹ – und zwar ›durch Vernunft‹ – einsieht, dann liegt eigentlich auf der Hand, dass man dabei den Gegenstand durch seinen Zweckbegriff erkennt. 48 Man erkennt dann nämlich, dass der Gegenstand nur durch einen Zweckbegriff möglich 48

Vgl. auch: »Wo […] der Gegenstand selbst […] als Wirkung, nur als durch einen

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ist, der festlegt, was der Gegenstand sein soll. So würden wir im Fall des regelmäßigen Sechsecks erkennen, dass der Gegenstand nur durch den Zweckbegriff eines regelmäßigen Sechsecks möglich ist. Wir können § 10.B.4 in diesem Sinne ergänzen: § 10.B.4R2 Wir müssen einen Gegenstand, den wir beobachten, nicht immer durch Vernunft durch einen Zweckbegriff (der Möglichkeit des Gegenstandes nach) erkennen, sondern wir können den Gegenstand auch einfach nur ohne Einbeziehung der Vernunft und ohne Bezug auf einen Zweckbegriff durch Reflexion beobachten.

Kant betont, dass wir den Gegenstand nicht immer durch einen Zweckbegriff erkennen müssen bzw. dies nicht immer ›nöthig‹ haben. Damit ist eingeschlossen, dass wir nicht immer die Absicht haben müssen, einen Gegenstand ›durch Vernunft (seiner Möglichkeit nach) einzusehen‹. Wir haben nicht immer die Absicht, Erkenntnisse zu gewinnen. Damit wird ein Aspekt der ästhetischen Einstellung aufgegriffen, nämlich dass wir nicht die Absicht haben dürfen, einen Gegenstand zu erkennen. 49 Wir haben also nicht immer die Absicht, eine ZM zu erkennen, und wir erkennen auch nicht immer eine ZM. Warum aber liegt in solchen Fällen überhaupt eine ZM vor? Vielleicht gibt uns § 10.B.5 darüber Aufschluss: § 10.B.5 Also können wir eine Zweckmäßigkeit der Form nach, auch ohne daß wir ihr einen Zweck (als die Materie des nexus finalis) zum Grunde legen, wenigstens beobachten, und an Gegenständen, wiewohl nicht anders als durch Reflexion, bemerken.

Eine ›Zweckmäßigkeit der Form nach, auch ohne daß wir einen Zweck (als Materie des nexus finalis) zum Grunde legen‹, ist eine ZM ohne Zweck. Wir können daher schreiben: § 10.B.5R1 Wir können eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck wenigstens beobachten und an Gegenständen durch Reflexion bemerken.

Wie früher erläutert, muss betont werden, dass wir die ZM ohne Zweck nur ›beobachten‹ und ›nicht anders als durch Reflexion, beBegrif von der letztern [Wirkung] möglich gedacht wird, da denkt man sich einen Zweck« (§ 10.A.2, 220,4, m. H.). 49 Ich habe diese Komponente der ästhetischen Einstellung dem Aspekt der Uninteressiertheit beigezählt. Siehe Kap. 2.3.3.

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merken‹ können. Wir gewinnen keine Erkenntnis, sondern beobachten und reflektieren bloß. Wir erkennen insbesondere keinen Zweck, sodass das Kriterium »ohne Zweck« erfüllt ist. Aber es bleibt die Frage: Warum liegt überhaupt eine ZM vor? Wie schon in § 10.B.4 findet sich auch in § 10.B.5 dazu keine Information. Es scheint demnach, als würde Kant in § 10.B.4–5 zwar zeigen, dass wir Gegenstände beobachten können, ohne einen Zweck zu erkennen, aber nicht, warum in diesen Fällen überhaupt eine ZM vorliegt. Nun könnte man denken, dass man an dieser Stelle das Ergebnis des ersten Argumentationsschritts (§ 10.B.2–3) einbeziehen muss. Man könnte annehmen, dass auch dem bloßen Reflektieren und Beobachten die epistemische Grundannahme, dass der Gegenstand von einem Willen absichtlich angeordnet wurde, zugrunde liegt. In der Tat werde ich später dafür argumentieren, dass diese epistemische Grundannahme, d. h. das Prinzip a priori der Urteilskraft, jeder Aktivität der reflektierenden Urteilskraft und also jedem Reflektieren zugrunde liegt. 50 Aber ist das alles? Schließlich schreibt Kant in § 10.B.5 nicht, dass wir eine ZM ohne Zweck bloß ›annehmen‹, sondern dass wir sie beobachten und bemerken. Leitet Kant im zweiten Argumentationsschritt doch noch auf eine andere ZM ohne Zweck hin? Dass Kant im zweiten Argumentationsschritt tatsächlich mehr zeigt, wird ersichtlich, wenn wir uns an seinen Begriff der subjektiven ZM erinnern. Eine subjektive ZM besteht darin, dass ein Gegenstand zweckmäßig für die Erkenntnisvermögen des Subjekts ist. Nun liegt beim bloßen Reflektieren ohne Erkenntnisgewinn eine Aktivität der reflektierenden Urteilskraft vor. Könnte dies nicht bedeuten, dass sich beim bloßen Reflektieren der Gegenstand insofern als zweckmäßig erweist, als wir überhaupt über ihn reflektieren können? Wir haben gesehen, dass die subjektive ZM primär in der Beziehung eines Gegenstandes auf die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt der menschlichen Erkenntnisvermögen besteht. 51 Vor diesem Hintergrund können wir die folgende implizite Prämisse formulieren: Wenn beim Reflektieren über einen Gegenstand eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vorliegt, dann erweist sich der Gegenstand in der Aktivität des Reflektierens als subjektiv zweckmäßig. Mithilfe dieser impliziten Prämisse können wir das folgende Argument rekonstruieren: 50 51

Siehe Kap. G3.2. Siehe Kap. 10.1.3.

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P1

Wenn beim Reflektieren über einen Gegenstand eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vorliegen kann, dann kann sich der Gegenstand in der Aktivität des Reflektierens als subjektiv zweckmäßig erweisen. P2 Beim Reflektieren über einen Gegenstand ohne Erkenntnisgewinn kann eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vorliegen. Also: Beim Reflektieren über den Gegenstand ohne Erkenntnisgewinn kann sich der Gegenstand in der Aktivität des Reflektierens als subjektiv zweckmäßig erweisen.

Damit haben wir nun wirklich eine neue Form der ZM ohne Zweck identifiziert. Bei dieser ZM ohne Zweck manifestiert sich eine subjektive ZM in einer Reflexionsaktivität, bei der eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vorliegt; diese Reflexionsaktivität führt aber zu keinem Erkenntnisgewinn, sodass kein Zweck erkannt wird. Damit ist mehr gewonnen, als man auf den ersten Blick denken könnte. Denn das freie Spiel der Erkenntniskräfte ist eine solche Reflexionsaktivität, bei der eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, aber kein Erkenntnisgewinn vorliegt. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass nur bei einer Reflexion ohne Erkenntnisgewinn eine (subjektive) ZM ohne Zweck vorliegen kann. Zwar liegt auch im Falle einer Reflexionsaktivität mit Erkenntnisgewinn eine subjektive ZM vor; insofern diese Aktivität aber in eine Erkenntnis vom Gegenstand mündet, ist sie mit einer objektiven ZM mit Zweck verbunden. 52 Die subjektive ZM wird dann vermittelt durch eine objektive ZM mit Zweck. Dabei ist insbesondere die folgende Frage entscheidend: Wie werden wir uns der jeweiligen subjektiven ZM des Gegenstandes bewusst? Bei einer Reflexionsaktivität mit Erkenntnisgewinn können wir uns der subjektiven ZM nur durch das Auffinden eines Begriffs, d. h. mittels der Erkenntnis einer objektiven ZM mit Zweck, bewusst werden. Bei einer Reflexionsaktivität ohne Erkenntnisgewinn muss aber ein anderes Bewusstsein der ZM möglich sein, insofern wir die subjektive ZM wirklich ›bemerken‹. Nach all dem, was Kant bislang in der Analytik ausgeführt hat, ist es naheliegend, dass sich dieses Bewusstsein der subjektiven ZM durch

Insofern diese Aktivität aber nicht in eine Erkenntnis mündet, weil sich der Gegenstand als unerkennbar erweist, kann der Gegenstand nicht als subjektiv zweckmäßig gelten.

52

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ein Gefühl vollzieht. 53 So scheint Kant in § 9 davon auszugehen, dass man sich einer Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt nur intellektuell, d. h. mittels einer Erkenntnis, oder durch ein Gefühl bewusst werden kann. 54 Nun konstituiert sich eine subjektive ZM durch eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt; und da bei einer subjektiven ZM ohne Zweck gerade keine Erkenntnis vorliegen kann, können wir uns, so scheint es, dieser subjektiven ZM nur durch ein Gefühl bewusst werden. All dies deutet eindeutig in Richtung des Schönen. Nach all diesen Überlegungen können wir § 10.B.5 schlussendlich folgendermaßen rekonstruieren: § 10.B.5R2 Wir können eine subjektive Zweckmäßigkeit ohne Zweck, d. h. eine Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes für die reflektierende Urteilskraft, in einer Reflexion ohne Erkenntnisgewinn bemerken; der Gegenstand erweist sich dadurch als subjektiv zweckmäßig, dass die Erkenntnisvermögen in der Reflexion zur Erkenntnis überhaupt zusammenstimmen. Das Bewusstsein der subjektiven ZM vollzieht sich nicht mittels der Erkenntnis (eines Zwecks), sondern durch ein Gefühl.

Insbesondere die Ergänzung der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt findet sich selbstverständlich in § 10.B.4–5 nicht. Jedoch werden wir bei der Analyse von § 11 sehen, dass wir das Vorliegen der subjektiven ZM ohne Zweck beim Schönen ohne dieses Theorieelement nicht verstehen können. 55 Und will man Kant nicht unterstellen, dass sich in jedem irgendwie gearteten Reflektieren Vgl. auch: »und die Lust kann nichts anders als die Angemessenheit desselben [Objekts] zu den Erkenntnißvermögen, die in der reflectirenden Urtheilskraft im Spiel sind, und sofern sie darin sind, also bloß eine subjective formale Zweckmäßigkeit des Objects ausdrücken« (189,36 f.). 54 Vgl. etwa die »minder[e] Frage: auf welche Art wir uns einer wechselseitigen subjectiven Uebereinstimmung der Erkenntnißkräfte unter einander im Geschmacksurtheile bewußt werden, ob ästhetisch durch den bloßen innern Sinn und Empfindung, oder intellectuell durch das Bewußtseyn unserer absichtlichen Thätigkeit, womit wir jene ins Spiel setzen« (§ 9.H.1, 218,26); vgl. auch: »Ein objectives Verhältniß kann zwar nur gedacht, aber, so fern es seinen Bedingungen nach subjectiv ist, doch in der Wirkung auf das Gemüth empfunden werden; und bey einem Verhältnisse, welches keinen Begrif zum Grunde legt (wie das der Vorstellungskräfte zu einem Erkenntnißvermögen überhaupt) ist auch kein anderes Bewußtseyn desselben, als durch Empfindung der Wirkung […] möglich« (§ 9.I.6, 219,9). – Siehe zu diesen Passagen Kap. 9.6. 55 Siehe Kap. 11.3. 53

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schon eine (subjektive) ZM manifestiert, so ist ein Einbezug dieses Theorieelements in § 10.B.5 hilfreich und sinnvoll. Halten wir das Ergebnis des zweiten Argumentationsschritts fest: i. Eine ZM ohne Zweck kann in einer Reflexionsaktivität ohne Erkenntnisabsicht und ohne Erkenntnisgewinn bemerkt werden. ii. In der Reflexionsaktivität erweist sich der Gegenstand insofern als subjektiv zweckmäßig, als eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vorliegt. iii. Da die Reflexionsaktivität nicht in die Erkenntnis einer objektiven ZM mit Zweck mündet, wird uns die subjektive ZM nicht mittels eines Zweckbegriffs bewusst. Es liegt also eine ZM ohne Zweck vor. Wir werden uns dieser ZM ohne Zweck durch ein Gefühl bewusst. Stellen wir abschließend die Ergebnisse des ersten und zweiten Argumentationsschritts gegenüber: 1. Argumentationsschritt: Es gibt eine subjektive ZM ohne Zweck als hypothetische Grundannahme (subjektives Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft). Wir nehmen eine ZM des Gegenstandes für unsere Erkenntniskräfte an, um den Gegenstand erkennen zu können. Da der Gegenstand nicht bereits durch einen bestimmten Zweckbegriff erkannt wird, liegt eine ZM ohne Zweck vor. 2. Argumentationsschritt: Die Manifestation einer subjektiven ZM ohne Zweck kann in einer Reflexionsaktivität ohne Erkenntnisabsicht bemerkt werden. Der Gegenstand erweist sich in der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt als subjektiv zweckmäßig. Da aus der Reflexion keine Erkenntnis einer objektiven ZM mit Zweck entspringt, liegt eine ZM ohne Zweck vor.

Kant beschreibt also im ersten und zweiten Argumentationsschritt zwei verschiedene Arten von ZM ohne Zweck. Wir werden sehen, dass beide im Kontext des Schönen eine wichtige Rolle spielen.

10.3 Zusammenfassung Kant hat die Begriffe des Zwecks, der ZM, der Lust und des Willens bestimmt. Von primärem Interesse sind dabei die Begriffe des Zwecks und der Zweckmäßigkeit. Die Bedeutung beider Begriffe setzt das fol612

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Zusammenfassung

gende Kausalverhältnis voraus: Der Begriff davon, was ein Gegenstand sein soll, ist der Bestimmungsgrund des Willens, und der Wille bringt diesen Gegenstand hervor. In diesem Verhältnis kann entweder der Begriff, der antizipierte Gegenstand (der durch den Begriff erfasst wird) oder der bewirkte Gegenstand als »Zweck« bezeichnet werden. Im Rahmen des Schönen verwendet Kant »Zweck« primär als Bezeichnung für den Zweckbegriff. Es müssen darüber hinaus drei Kontexte des Zweckbegriffs unterschieden werden: der praktische Kontext der Willensbestimmung durch Zwecke, der epistemische Kontext der Erkenntnis von Gegenständen durch Zweckbegriffe und der ontologische Kontext der Existenz von Gegenständen, die durch einen Zweckbegriff hervorgebracht wurden. Gegenstände sind dann zweckmäßig, wenn sie mit ihrem Zweckbegriff übereinstimmen. Wieder müssen ein epistemischer und ein ontologischer Kontext unterschieden werden: Im ontologischen Kontext ist ein Gegenstand zweckmäßig, wenn er wirklich nach einem Zweckbegriff durch einen Willen hervorgebracht wurde; im epistemischen Kontext bezeichnet ein Urteilender Gegenstände als zweckmäßig, wenn sie eine Beschaffenheit aufweisen, die eine Hervorbringung durch einen Willen und mittels eines Zweckbegriffs vorauszusetzen scheint. Eine ZM betrifft immer die Form des Gegenstandes und ist selbst immer formal, d. h. eine bloß formale Beziehung, zu der der konkrete Zweckbegriff die Materie bildet. Kant unterscheidet vier Arten von ZM: Die objektive ZM, verstanden als Oberbegriff, meint eine zweckmäßige Beziehung eines Objekts auf ein Objekt. Die objektive innere ZM meint eine Zusammenstimmung des Gegenstandes zu einem Zweck, der festlegt, was der Gegenstand selbst sein soll (Vollkommenheit). Die objektive relative ZM meint eine Zusammenstimmung des Gegenstandes zu einem außer ihm liegenden Zweck; der Gegenstand ist Mittel zum Zweck (Nützlichkeit). Die subjektive ZM allgemein meint eine zweckmäßige Beziehung eines Objekts auf ein Subjekt – insbesondere auf das Erkenntnisvermögen. Wird der Gegenstand selbst in der Erkenntnisaktivität verarbeitet und ist eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt gegeben, liegt eine subjektive innere ZM vor. Ist der Gegenstand unzweckmäßig für die Erkenntnisvermögen, regt aber eine innere Aktivität an, die eine Selbsterkenntnis des Subjekts beinhaltet, so liegt eine subjektive äußere ZM vor. Kant hat ferner gezeigt, dass es auf zwei Ebenen eine ZM ohne Zweck geben kann. Erstens gibt es eine subjektive ZM ohne Zweck als Kants Philosophie des Schönen

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epistemische Grundannahme im Rahmen des subjektiven Prinzips a priori der reflektierenden Urteilskraft. Wir nehmen dabei den Gegenstand als zweckmäßig, d. h. als von einem Willen intentional hervorgebracht, an, ohne ihn schon auf einen konkreten Zweckbegriff zu beziehen. Zweitens kann sich eine subjektive ZM ohne Zweck in einer Reflexionsaktivität ohne Erkenntnisgewinn manifestieren, sofern eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vorliegt. Diese ZM ohne Zweck kann nur durch ein Gefühl der Lust bemerkt werden.

10.4 Literaturbericht Kants Argumentation im Dritten Moment beruht maßgeblich auf den Termini »Zweck« und »Zweckmäßigkeit« sowie den verschiedenen Arten von Zweckmäßigkeit. Man sollte daher erwarten, dass diese Begrifflichkeiten in der Sekundärliteratur ausgiebig analysiert würden. Umso erstaunlicher ist es, dass ihre Begriffsbestimmungen bei einigen AutorInnen weder rekonstruiert noch (in eigenen Worten) wiedergegeben werden. So wird der Begriff des Zwecks etwa bei Esser (1997), Kulenkampff (1994), Makkreel (1997), Savile (1993) und Wenzel (2000) nicht bestimmt oder erklärt. Unabhängig davon scheint Kants Verständnis des Zwecks eher unkontrovers zu sein. Unterschiede in den Deutungen bestehen höchstens dahingehend, ob der Zweck eher im Sinne des Objekts oder des Begriffs interpretiert wird. Ich habe diesbezüglich dargelegt, dass Kant »Zweck« sowohl als Bezeichnung für Objekte als auch für Zweckbegriffe nutzt, wobei in der Analytik die Bedeutung im Sinne des Zweckbegriffs vorherrschend ist, während in der Definition in § 10 die Bedeutung im Sinne des Objekts angeführt wird. Mit Bezug auf Kants Begriffsbestimmung in § 10.A.1 deuten die meisten AutorInnen »Zweck« zunächst als Objekt bzw. Produkt. So schreibt etwa Allison: »a purpose in the broadest sense is the product of an intentional causality, one which presupposes a concept of what the thing is meant to be« (Allison 2001, 121). Ganz analog bestimmt Fricke »Zweck« (vgl. Fricke 1990, 74); sie macht aber auch deutlich, dass nicht nur ein Gegenstand, »der von einem vernünftigen Menschen absichtlich hervorgebracht bzw. bewirkt worden ist«, ein Zweck ist, sondern auch ein Gegenstand, »der als Produkt der absichtlichen Handlung eines vernünftigen Menschen angesehen wird« (Fricke 1990, 75). Ebenfalls mit Bezug auf das Objekt, aber mit etwas stärkerem Fokus auf den Akteur formuliert Ginsborg: »If a thing is intentionally produced, there is a concept of the thing in the mind of the agent which is antecedent to the thing’s existence, and which governs or determines the agent’s activity in producing it« (Ginsborg 2015, 229). Ähnlich schreibt Guyer: »we are saying that a thing which is an end is the product of causality

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Literaturbericht

through a concept, or of action undertaken by an agent capable of conceptual representation« (Guyer 1979, 211). Und Ostaric erläutert: »the concept of a purpose is conceived as an intentional representation of a rational being that gives a rule according to which the end is going to be brought about« (Ostaric 2017, 1378). Den Kontrast zwischen Objekten als Zwecken und der begrifflichen Erkenntnis von Objekten stellt Matthews besonders heraus: »An object is a purpose if we not only have a concept of that object, as in the case of knowing the object, but if that object came about by means of its concept« (Matthews 1997, 40). Wenngleich die genannten AutorInnen Zwecke als Objekte oder Produkte identifizieren, stellen die meisten mehr oder weniger explizit heraus, dass Kant unter Zwecken auch bisweilen Begriffe versteht. Deutlich wird dies bei Ginsborg (2015, 230), Guyer (1979, 55), Fricke (1990, 74) und Matthews (1997, 196). Auch Wenzel versteht den Zweck als Begriff: »the concept of the roof, as an end, ›caused‹ the roof to come into existence« (Wenzel 2008, 55). Schließlich gibt es auch AutorInnen, die den Begriff des Zwecks eher auf die antizipierte Vorstellung vom Objekt bzw. die Absicht des Akteurs beziehen; auch diese Bedeutung von »Zweck«, so haben wir gesehen, wird von Kant bisweilen genutzt. Im Sinne dieser Deutung schreibt etwa Crowther: »In general terms, an end is an intended outcome, brought about through adopting the appropriate means. Given this outcome, one might regard the achieved end as, in effect, the causal ground of the means and materials which are involved in its realization« (Crowther 2010, 62). Crawford versteht unter »Zwecken« Absichten: »An object is said to have a purpose when its form and existence is conceived as the result of a plan or rule (concept). Concepts are supplied by human beings. Thus, purposes (aims, goals, intentions) are linked to wills« (Crawford 1974, 93). Ähnlich formuliert Rivera de Rosales, ein Zweck bedeute »in erster Linie das Verlangen dessen […], was noch nicht da ist, aber durch die vernünftige Handlung sein soll« (Rivera de Rosales 2008, 81). Auch Zuckert interpretiert Zwecke als Absichten, wobei sie aber betont, dass diese begrifflich erfasst sein müssen: »A purpose is an agent’s aim (described by a concept) or an object created by such an agent, in accord with the agent’s intention« (Zuckert 2006, 605; vgl. auch Zuckert 2007, 79). Es wird deutlich, dass Zuckert unter Zwecken Vorstellungen und Begriffe, aber auch Objekte versteht. Noch expliziter werden diese drei Bedeutungen von Euler herausgestellt: »Objektiv betrachtet sind Zwecke Dinge (Gegenstände, Produkte), deren Ermöglichungsbedingung in einer Ursache gesucht werden muss, deren Wirkungsvermögen durch Vernunftbegriffe bestimmt wird. […] Er ist insofern kein Ding, sondern nur der Begriff von einem Objekt, der zugleich den ›Grund‹ (5:180) dafür abgibt, dass das Objekt, das er bezeichnet, Wirklichkeit wird: […]. In subjektiver Hinsicht dagegen bezeichnet der Zweck den ›Grund‹ der Kausalität und ist eine ›bloße Idee‹ oder (Vorstellung)« (W. Euler 2015, 2745). Diese umfassende Bestimmung von »Zweck« kommt meiner komplexen Begriffsbestimmung nahe. Erwähnenswert sind noch Kants Philosophie des Schönen

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einige abweichende Interpretationen von »Zweck«. McCloskey stellt einen Bezug zu Gütern her: »ends relate to goods and explain why the design of anything is what it is«; und: »Kant’s ›ends‹ do not necessarily relate to wills of creatures and they are not necessarily ›that for the sake of which‹ some creature acts« (McCloskey 1987, 66). 56 Mit dieser Bestimmung bewegt sie sich im epistemischen Kontext. Eher im Sinne von Kants Bestimmung von ZM fasst Zammito den Zweck: »Purpose is the relation between a concept and an object whereby the concept acts as cause of the actuality (existence) of the object« (Zammito 1992, 91). Eine eher auf das Nützliche bezogene Bestimmung bringt Kern vor: »Der Grund der Wirklichkeit des Hammers, so Kant, ist sein Zweck, d. h., der Grund dafür, daß es Hämmer gibt, liegt darin, daß sie für den Zweck hergestellt werden, Nägel in die Wand zu schlagen« (Kern 2000, 71). Einigkeit herrscht dahingehend, dass die kantische Konzeption des Zwecks auf den Willen bzw. absichtlich handelnde Akteure rekurriert. Deutlich tritt dieser Bezug zum Willen etwa bei Allison (2001, 123), Crawford (1974, 93), Rivera de Rosales (2008, 80), Fricke (1990, 75), Wenzel (2008, 55) und Zammito (1992, 91 & 95) hervor. Ein Bezug zu einem Akteur (›agent‹) findet sich bei Ginsborg (2015, 229), Guyer (1979, 211) und Zuckert (2006, 605 & 2007, 79). Ich habe in dieser Arbeit zwischen einem praktischen, ontologischen und epistemischen Kontext des Zwecks unterschieden. Eine solche Unterscheidung findet sich, soweit ich es überblicken kann, bislang in der Literatur nicht (oder mindestens nicht explizit). Kommen wir zum eigentlich zentraleren Begriff der Zweckmäßigkeit. Wieder ist es auffällig, dass einige AutorInnen auf diesen Begriff gar nicht eingehen bzw. nur auf das Spezifikum der ZM ohne Zweck – so etwa Crawford (1974), Esser (1997), Kulenkampff (1994), Savile (1993) und Wenzel (2000 & 2008). Bei denjenigen AutorInnen, die insbesondere auf Kants offizielle Begriffsbestimmung der ZM in § 10 eingehen, ist interessant und aufschlussreich, wie die Identifizierung der ZM mit der »Causalität eines B e g r i f s in Ansehung eines O b j e c t s « gedeutet wird (§ 10.A.1, 220,3). Allison versteht in diesem Kontext unter ZM die Eigenschaft eines Begriffs, nämlich »the property of having causality with regard to its object (a purpose)« (Allison 2001, 121; vgl. ähnlich Ostaric 2017, 1378); und Guyer interpretiert die ZM als »causal efficacy of a concept which produces an end« (Guyer 1979, 212). Ich habe die ›Causalität‹ dagegen als Verhältnis zwischen dem Zweckbegriff und dem Objekt, d. h. als geglückte Kausalität, interpretiert. Sowohl Allison als auch Guyer machen korrekt darauf aufmerksam, dass Kant dann im zweiten Absatz von § 10 mit »Zweckmäßigkeit« Bemerkenswert ist im Übrigen, dass McCloskey in ihrer gesamten Rekonstruktion der Analytik an keiner Stelle explizit auf eine Passage aus dem Dritten Moment eingeht.

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Literaturbericht

eine Eigenschaft von Objekten bezeichnet (vgl. Allison 2001, 124). Guyer führt dazu aus: »the most natural meaning of ›finality‹ when applied to an object will be that it has been produced by a final concept, or a prior representation of itself in an agent capable of action according to concepts. Thus to attribute finality to an object is to attribute to it a certain kind of causal history« (Guyer 1979, 212; vgl. auch 55). Auch Matthews bemerkt, dass Kant ZM zuerst auf Begriffe und dann auf Objekte beziehe, was sie dazu veranlasst, ein umfassendes Verständnis von ZM als ›relational property‹ vorzuschlagen: »This can be described as the concept’s having a certain causality with respect to the object and its arrangement. It can also be described as the arrangement or matter of the elements of the object appearing to be directed at a concept; the object appears to be the way that it is for a reason. Purposiveness would then point to a certain relation, but one that can be expressed by focusing on either of the relata« (Matthews 1997, 41; vgl. auch 61). Ein Verständnis von ZM im Sinne einer Relation oder eines Verhältnisses, wie auch ich es mit Bezug auf die Begriffsbestimmung in § 10 vorgeschlagen habe, findet sich etwa bei Zammito und Meerbote. Zammito schreibt: »The form of purpose is design, i. e., the relation of an idea as cause of the actuality of an object« (Zammito 1992, 95). Und Meerbote schildert das folgende Beispiel: »For example, my writing this paper (the object of an intention) is the effect of my intending to display my ignorance (the concept), and purposiveness in this case would be the relation between the intention and the state of affairs obtaining because of this intention« (Meerbote 1982, 60). Auch Fricke identifiziert eine Bedeutung von ZM im Sinne einer Relation. Folgt man ihr, dann »bezeichnet er [Kant] mit diesem Terminus die kausale Relation zwischen einer Zweckvorstellung«, d. h. dem Begriff eines Zwecks, »und einem Zweck«, hier verstanden als Objekt (Fricke 1990, 74). Zudem verwende Kant »diesen Terminus jedoch auch noch in einem zweiten Sinne, nämlich zur Bezeichnung einer formalen Eigenschaft eines Gegenstandes, der notwendigerweise als ein Zweck angesehen werden muß« (Fricke 1990, 74; vgl. auch 75). Diese beiden Bedeutungen von ZM habe auch ich herausgestellt. Ähnlich versteht Ginsborg unter ZM einerseits eine Art von Relation – »we may take purposiveness to be exemplified by the characteristic causality – namely that of human design – which is required for the production of artefacts« (Ginsborg 2015, 230); andererseits versteht sie darunter eine Eigenschaft von Objekten – »the term ›purposiveness‹ usually denotes the characteristic property of a designed object rather than the causality by which such an object is produced« (Ginsborg 2015, 230). Ferner schlägt sie ein weiteres Verständnis von ZM vor, nach dem »objective purposiveness may be equated with conformity to normative law« (Ginsborg 2015, 239). Eine Art von relationalem Verständnis von ZM, allerdings mit Fokus auf den Akteur, beschreibt Zuckert: »›Purposive‹ describes the causality of such an agent, viz., that she produces an object in accordance with her intentions. (Kant’s claim that ›purposive‹ describes the Kants Philosophie des Schönen

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causality of a concept should be understood as shorthand for the claim that a conceptually guided agent was the cause of this object)« (Zuckert 2007, 79; vgl. ähnlich Zuckert 2006, 605). Zuckert betont ferner, dass ZM auch eine Eigenschaft von Objekten bezeichnen könne: »purposiveness (with a purpose) describes either activity, or objects produced by activity, in accord with conceptual intentions« (Zuckert 2007, 79). Darüber hinaus identifiziert sie zwei Kennzeichen der ZM, nämlich »future-directedness, and the unity of the diverse as such« (Zuckert 2007, 277). Insbesondere mit dem Aspekt ›unity of the diverse‹ macht sie, so scheint mir, auf einen wichtigen Aspekt der ZM aufmerksam; denn eine ZM besteht immer in der Anordnung verschiedener Bestandteile zu einem Ganzen. Ähnlich wie bei Zuckert fasst auch Rivera de Rosales ZM mit Bezug auf einen Akteur; dabei scheint es jedoch so, als sei ZM ein Kennzeichen des Handelns selbst: »In der eigentlichen Bedeutung der Zweckmäßigkeit muß man nach Kant an die Handlung eines bewußten Willens denken, der durch einen in einen Begriff gefaßten Zweck schon im voraus weiß, was er will« (Rivera de Rosales 2008, 80). Versteht man ZM als Eigenschaft des Objekts, so ist damit meist (nur) der ontologische Kontext der ZM eingefangen, etwa bei Kern: »Das heißt, ein Gegenstand ist dann als zweckmäßig zu beurteilen, wenn er so beschaffen ist, daß der Grund seiner Wirklichkeit ein bestimmter Zweck ist und der Gegenstand zu diesem Zweck dienlich ist« (Kern 2000, 71). Eine ähnliche ontologische Konnotation weist Bartuschats Bestimmung der ZM auf: »Zweckmäßig sind insofern alle Dinge, die ihre Wirklichkeit in der Kausalität eines Urhebers haben, der sie nach einem Begriff und darin regelgeleitet absichtsvoll zustandebringt« (Bartuschat 2015b, 2756). Er ergänzt jedoch, nunmehr mit epistemischer Konnotation, ZM sei die »Beschaffenheit eines Dinges, von der angenommen wird, dass sie von einer zielgerichteten Ursache bewirkt worden ist« (Bartuschat 2015b, 2756; für eine ähnliche Differenzierung vgl. erneut Fricke 1990, 74). Ähnlich bemerkt Sweet zu zweckmäßigen Objekten: »their form cannot be conceived by us other than as deliberately brought into being through a will«; dann ergänzt sie jedoch die folgende eher ontologische Formulierung: »A prior concept – conceived of by a will – is the ground and cause of the object coming into being as what it is« (Sweet 2018, 138 f.). Wird die ZM ausschließlich ontologisch gedeutet, so ergibt sich offenkundig das Problem, dass eine ZM ohne Zweck unmöglich wäre. Grundsätzlich findet sich jedoch in der Literatur bislang keine explizite Unterscheidung zwischen einem praktischen, ontologischen und epistemischen Kontext des Zwecks und der ZM. Ich habe verschiedene Arten der ZM unterschieden, nämlich subjektive und objektive ZM, innere und äußere ZM sowie ZM mit Zweck und ohne Zweck. Eine solche systematische Abgrenzung der verschiedenen Arten von ZM findet sich bei den meisten AutorInnen nicht. Eine bedeutsame Ausnahme bildet freilich die umfassende Untersuchung der ZM durch Zuckert (2007). Eine kurze Unterscheidung von vier Arten der ZM – anhand

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der Merkmale »subjective – objective, formal – real, internal – external and unconditional – conditional (i. e. relative – absolute)« (McCloskey 1987, 66) – hat auch McCloskey vorgebracht. Verstreute Charakterisierungen der verschiedenen Arten von ZM finden sich aber auch bei anderen AutorInnen. So unterscheidet etwa Zammito objektive formale und materiale sowie subjektive formale und materiale ZM (vgl. Zammito 1992, 96 f.); er geht zudem auf die Unterscheidung von Nützlichkeit und Vollkommenheit ein (vgl. Zammito 1992, 98 ff.). Die formale und materiale ZM unterscheidet etwa auch Euler: »›Formal‹ heißt sie [die ZM] deswegen, weil sie als Prinzip der reflektierenden Urteilskraft bloß auf die (nichtintellektuelle, subjektive Beziehung) der Form des empirischen Mannigfaltigen bezogen ist, nicht – wie die materiale – auf Begriffe von Dingen als Naturzwecken« (W. Euler 2018, 455 f.). Neben der Tatsache, dass nicht nur Naturzwecke über materiale ZM verfügen, scheint mir die Suggestion problematisch, das Formale der ZM beziehe sich darauf, dass die bloße Form des Gegenstandes behandelt werde. Vielmehr scheint mir das Formale ein Kennzeichen der Zweckmäßigkeitsbeziehung zu sein. Die für das Schöne vordringliche Frage lautet freilich, was unter der subjektiven ZM verstanden wird. Im allgemeinsten Verständnis bedeutet subjektive ZM »that the purpose lies in the subject and not in the object (as in an artifact of human creation)« (Sweet 2018, 139). Ähnlich allgemein erläutert Kern, »daß es sich um eine Zweckmäßigkeit handelt, die sich nicht auf das Objekt der Beurteilung, sondern auf das Verhältnis des Objekts zum Subjekt der Beurteilung bezieht« (Kern 2002, 104). Einige AutorInnen verstehen die subjektive ZM spezifischer als eine Beziehung auf das Gefühl der Lust. So konstatiert Fricke: »Der eine Empfindung der Lust verursachende Gegenstand ist zweckmäßig, weil er ein geeignetes Mittel zur Verursachung einer Lustempfindung ist, und er ist subjektiv zweckmäßig, weil er geeignetes Mittel zu einem subjektiven Zweck ist. Unter einem subjektiven Zweck ist hier der Empfindungszustand der Lust eines Menschen zu verstehen« (Fricke 1990, 103). Etwas unklarer formuliert Kern, »daß jede Vorstellung einer subjektiven Zweckmäßigkeit stets ein Gefühl der Lust impliziert« (Kern 2000, 69). Ähnlich vage schreibt Wenzel: »the subject and its feelings are involved« (Wenzel 2008, 57). Auch Savile und Matthews führen die Subjektivität darauf zurück, dass diese sich durch ein Gefühl der Lust manifestiert (vgl. Savile 1993, 96 f.; Matthews 1997, 41). Ich habe dargelegt, dass Kant zwar manchmal die subjektive ZM mit Bezug auf die Lust bestimmt, während er die subjektive ZM jedoch primär als Bezug eines Objekts auf die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt versteht. Während die auf die Lust bezogenen Deutungen der subjektiven ZM grundsätzlich auch auf das Angenehme anwendbar sind, charakterisieren einige AutorInnen die subjektive ZM als Beziehung auf das freie und harmonische Spiel. Diese Deutung findet sich beispielsweise bei Allison: »an object is represented as subjectively purposive for judgment when, in its Kants Philosophie des Schönen

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apprehension, the imagination in its ›free play‹ harmonizes with the lawfulness of the understanding without being guided by a determinate cognitive goal« (Allison 1998, 476). Auch Wenzel (vgl. Wenzel 2000, 98) und Guyer (vgl. Guyer 1979, 216) verstehen die subjektive ZM als Relation des Objekts zum freien und harmonischen Spiel; und letzterer begründet das Vorliegen einer ZM in diesem Fall damit, dass »the harmony of the faculties itself pleases as an unusual accomplishment of our general cognitive aim or purpose« (Guyer 1979, 216). Etwas allgemeiner schreibt Ginsborg: »the purposiveness is subjective because it applies only in relation to the faculties of the subject« (Ginsborg 2015, 236). Auch ich habe dargelegt, dass sich die subjektive ZM durch eine Beziehung auf die menschlichen Erkenntnisvermögen konstituiert, wobei ich allerdings betont habe, dass die Erkenntnisvermögen dabei in einer Stimmung zur Erkenntnis überhaupt sein müssen. Letztlich scheint auch Crawfords Charakterisierung der subjektiven ZM auf eine Beziehung zu den Erkenntnisvermögen hinzudeuten: »the purposiveness of form in objects considered as to their beauty is merely subjective, in the sense that it is the purposiveness of an arrangement of the manifold of intuition by the intuiting subject through the joint efforts of the imagination and understanding: we are able to see the formal characteristics of the object as being purposive« (Crawford 1974, 95 f.). Neben den beiden vorgestellten Deutungen der subjektiven ZM als Beziehung zur Lust oder zum freien Spiel setzen einige KantforscherInnen die subjektive ZM auch mit der formalen ZM bzw. der ZM ohne Zweck gleich. So schreibt Guyer: »the subjective or formal finality of an object does indeed consist in its standing in a certain relation to a subject« (Guyer 1979, 216). Meerbote konstatiert, subjektive ZM bedeute, dass »there is no purpose or cause« (Meerbote 1982, 60). Wir sind dagegen davon ausgegangen, dass eine subjektive ZM mit der Erkenntnis einer objektiven ZM einhergehen kann, wobei uns die subjektive ZM dann mittels der Erkenntnis des Zwecks bewusst wird und somit eine ZM mit Zweck ist. Gegen eine Gleichsetzung von subjektiver ZM und formaler ZM hat Zuckert vorgebracht, dass es auch formale objektive ZM gäbe: »As we can see from Kant’s characterization of perfection as formal purposiveness, ›formal purposiveness‹ refers not to causal relations among parts nor to the causal history of the object […] but to the arrangement (or combination) of properties of an object as unified toward the end of conceptualization of that object« (Zuckert 2006, 614). Zuckert setzt dabei aber sehr wohl subjektive ZM und ZM ohne Zweck gleich: »Kant’s claim, then, that the beautiful object is characterized by merely subjective formal purposiveness, or is purposive without a purpose (by contrast to perfection) means that the object is purposively unified for judgment, but without a concept that articulates the unity or ›end‹ of the classification of the object« (Zuckert 2006, 615). Anders als Zuckert deute ich formale ZM und ZM ohne Zweck synonym – nämlich als Bezeichnung für eine bloße Form der ZM ohne Zweck als Materie –, während ich die subjektive ZM

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im Sinne der Beziehung eines gegebenen Mannigfaltigen zur Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt deute. Eine von den angeführten Deutungen gänzlich unterschiedene Interpretation von subjektiver ZM vertritt Bartuschat; denn er versteht darunter eine »subjektinterne Zweckmäßigkeit der Glieder dieses Spiels«, d. h. des freien und harmonischen Spiels von Einbildungskraft und Verstand (Bartuschat 2015b, 2758). Diese Deutung krankt jedoch daran, dass Kant mit seiner Konzeption der subjektiven ZM ohne Zweck offenkundig die Beziehung des schönen Objekts zum Subjekt bestimmen will. Euler identifiziert die subjektive ZM schließlich einfach mit der ästhetischen ZM (und die objektive ZM mit der teleologischen ZM), ohne genauer zu erläutern, wofür diese Begriffe genau stehen (vgl. W. Euler 2015, 2747). Im zweiten Absatz von § 10 führt Kant seine Konzeption einer ZM ohne Zweck ein. Ich habe in diesem Kontext dafür argumentiert, dass Kant zwei verschiedene Anwendungsbereiche der ZM ohne Zweck angibt: ihre Eingebundenheit in eine epistemische Grundannahme (das Prinzip a priori der Urteilskraft) sowie ihre Manifestation in der Reflexionsaktivität des freien Spiels der Erkenntniskräfte. In der Sekundärliteratur wird dagegen meist nur eine Anwendung der ZM ohne Zweck benannt, die sich zumeist nicht auf das Schöne beschränkt. Dabei ist es symptomatisch, dass die allermeisten AutorInnen nur auf den ersten Teil des zweiten Absatzes (§ 10.B.2– 3), nicht aber auf den zweiten Teil (§ 10.B.4–5) eingehen. (Manche AutorInnen gehen auch gar nicht auf den gesamten zweiten Absatz von § 10 und die ZM ohne Zweck ein, darunter Makkreel (1997), Savile (1993) und Wenzel (2008)). Grundsätzlich können wir zwei Grundlinien bezüglich der Deutungen der ZM ohne Zweck unterscheiden: eine Deutung, nach der dem Gegenstand keine ontologische ZM unterstellt wird, und eine Deutung, nach der man den Zweck des Gegenstandes nicht kennt. Beide Deutungen werden von Kern benannt. Zur ersten Deutung schreibt sie: »In ihrer allgemeinsten Verwendung bedeutet die Formel ›Zweckmäßigkeit ohne Zweck‹, wie Kant sie hier einführt, somit allein die Negation der Vorstellung eines Zwecks als die tatsächliche Ursache des als zweckmäßig beurteilten Gegenstands und nicht die Negation der Vorstellung eines Zwecks überhaupt« (Kern 2000, 72; vgl. auch 82 f.). In einer zweiten Deutung und im starken Sinne gebe es bei einer ZM ohne Zweck »gar keinen Bezug auf einen bestimmen Zweck« (Kern 2000, 91). Die allermeisten AutorInnen propagieren eher die erste, schwächere Deutung der ZM ohne Zweck, nach der dem Gegenstand keine ontologische ZM beigelegt wird. Das Problem dieser schwachen Deutung ist allerdings, dass es eine objektive ZM ohne Zweck geben würde, obwohl Kant herausstellt, dass wir eine solche ZM immer nur mit Rekurs auf einen Zweckbegriff erkennen können. Im Sinne der schwachen Deutung schreibt etwa Zuckert: »We may understand an object as purposive in reflection or ›as to form,‹ Kant claims here, without claiming that it was created by an intentional agent. […] we judge it ›as if‹ Kants Philosophie des Schönen

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it were so brought into existence« (Zuckert 2007, 79). 57 Ähnlich heißt es bei Ostaric: »we do not make claims that the purposiveness of the object has its cause in a specific intention but that in order to explain the possibility of the object we regard the object as a product of some intention in general« (Ostaric 2017, 1378). Prägnant bestimmt Zammito die ZM ohne Zweck als »appearance of design, which does not necessarily entail its actuality« (Zammito 1992, 95). Crawford schildert dieses ontologische Verständnis der ZM ohne Zweck mit Rekurs auf Kants Beispiel des gleichseitigen Sechsecks: »That the object in this case is conceived as having a purpose is owing to our apprehension of certain formal relationships exemplifying a rule; they are then conceived by us as the effects of the causality of a concept. […]. If we go further and actually place the cause of this form (this purposiveness) in a will, we then attribute a purpose to the object« (Crawford 1974, 94 f.; vgl. auch 93 f.). Dagegen habe ich dafür argumentiert, dass das Beispiel des regelmäßigen Sechsecks ein Beispiel für eine ZM mit Zweck ist. Fricke wendet das ontologische Verständnis der ZM ohne Zweck auf Naturprodukte und das Betreiben von Naturwissenschaft an: »Derjenige, dem ein Gegenstand als nach Naturgesetzen zufällig erscheint, der aber dennoch nicht auf eine Erklärung der Möglichkeit dieses Gegenstandes verzichten will, kann diesem Gegenstand in einer hypothetischen Erklärung eine Beziehung auf eine begriffliche Ursache zuschreiben, d. h. er kann diesen Gegenstand betrachten, als ob er ein Zweck, die Wirkung einer Zweckvorstellung sei, obwohl dieser Gegenstand kein Artefakt, sondern ein Naturprodukt ist« (Fricke 1990, 81). 58 Ebenfalls der ontologischen Deutung lassen sich Allison (vgl. Allison 2001, 124) sowie Wenzel (vgl. Wenzel 2000, 97) beizählen. An anderer Stelle erweitert Zuckert ihre Interpretation aber so, dass auch der stärkere Sinn von ZM ohne Zweck, nämlich das Nicht-Kennen des Zwecks umfasst zu sein scheint: »If we judge an object as purposive without a purpose, we judge it as if it were created intentionally, designed for a purpose, according to rules, but without claiming definitely that it was designed, and/or without knowing the rules, intention, or purpose according to which the thing might have been made« (Zuckert 2006, 605, m. H.). 58 Eine ähnlichen Rückbindung an Naturwissenschaft bzw. empirische Erkenntnis erhält die ZM ohne Zweck auch bei Zammito: »But the occasion for this account is nonetheless the perplexity of empirical cognition. We are struggling to ›explain‹ and to ›conceive.‹ Purposiveness is a cognitive language to which we resort in the extremity of empirical anomaly« (Zammito 1992, 96). – In einer neueren Interpretation der ZM ohne Zweck, die sich allerdings explizit auf das Schöne bezieht, ergänzt Fricke die obige ontologische Deutung darum, dass die Form nicht durch einen Begriff erfasst werden kann: »Eine Form der Zweckmäßigkeit ohne Zweck im Kantischen Sinn dieses Ausdrucks ist diese Form, sofern das einheitliche Motiv nicht in einem objektiven diskursiven Verstandesbegriff gedacht werden kann und sofern mit der Beziehung eines anschaulich gegebenen Mannigfaltigen auf ein einheitliches Gestaltungsmotiv nicht unterstellt wird, daß der in diesem Mannigfaltigen angeschaute 57

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Auch Guyers Bestimmung der ZM ohne Zweck scheint mir letztlich ontologisch gemeint zu sein: »certain objects have an appearance of design, an appearance which forces us to postulate a designer for them« (Guyer 1979, 221). Mit der ontologischen Deutung verwandt ist Polloks Deutung: »the idea of purposiveness invoked by these reflective judgments is based on the representation of an object as if a will had arranged it, without the assumption of a possible cognition of the existence of such a will« (Pollok 2017, 276). Kommen wir zur zweiten Deutung der ZM ohne Zweck, die darin besteht, dass man den Zweck, auf den sich die ZM bezieht, (noch) nicht kennt. Eine solche Deutung vertritt vor allem Kulenkampff: »Es gibt den Fall, daß man irgendwo eine offenkundig sinn- und zweckvolle Ordnung oder Gestaltung wahrnimmt, ohne daß man auch schon wüßte, wozu die Einrichtung so getroffen wäre« (Kulenkampff 1994, 128). 59 (Auf diese Interpretation bezieht er insbesondere auch die Sätze § 10.B.4–5). Mir scheint allerdings, dass Kant eine solche ZM, bei der wir den Zweck bloß noch nicht kennen, als ZM mit Zweck verstehen würde, was durch sein Beispiel der »aus alten Grabhügeln gezogenen, mit einem Loche als zu einem Hefte, versehenen steinernen Geräthe« deutlich wird (236 Fn.). Dieses Problem betrifft allerdings nicht die Deutung Sweets: »they [objects] appear to us only as if they were brought into being through a will. No concept or purpose, however, is discernable in its appearance« (Sweet 2018, 139). 60 Die Interpretation von Matthews umfasst schließlich sowohl die schwache, ontologische Deutung der ZM ohne Zweck als auch die stärkere Deutung im Sinne der Unkenntnis des Zwecks: »We might have an object that fits a concept, even though there is no purpose because there is no will – the concept has no causality. Or, the object appears to be purposive without appearing to be ordered by a determinate purpose« (Matthews 1997, 42). Nicht gut einordnen lässt sich die Position Meerbotes, der die ZM ohne Zweck mit Bezug auf das Schöne, aber ohne Rekurs auf § 10 folgendermaßen bestimmt: »in the aesthetic context it is according to him [Kant] illuminating Gegenstand Produkt einer absichtlichen, von eben diesem Motiv bestimmten vernünftigen Tätigkeit sei« (Fricke 2000, 53). 59 Kulenkampff macht deutlich, dass eine ZM immer auf einen Zweck bezogen sein muss, aber dass dieser Zweck bisweilen unbekannt sein kann: »Man kann deshalb nicht im absoluten Sinn von einer ›Zweckmäßigkeit ohne Zweck‹ oder der ›Form der Zweckmäßigkeit‹ sprechen, sondern immer nur von einer Zweckmäßigkeit ohne gegebenen, aber intendierten – oder ohne bekannten, aber bezogen auf irgendeinen bestimmten Zweck« (Kulenkampff 1994, 130). 60 Interessanterweise versteht Sweet solche Erscheinungen nicht als Objekte im engen Sinn: »In a way, these are not, strictly speaking, objects, as they have no purpose or conceptual ground. They are, we can say, things that are object-like. […] for Kant, the full determination of something – a true cognition of it – requires that we are able to place it in a longer chain of existence. Namely, we are able to determine something – at least in part – insofar as we can grasp its causality« (Sweet 2018, 139). Kants Philosophie des Schönen

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to think that the forms which are the objects of aesthetic appraisal are as if purposefully arranged in a way suitable for (nonaesthetic) cognition but without postulating either intentions or means and relations« (Meerbote 1982, 60). Ich habe in meiner Rekonstruktion von § 10 dafür plädiert, dass Kant im zweiten Absatz zwei Anwendungsbereiche der ZM ohne Zweck benennt, wobei der zweite Anwendungsbereich im Bereich des Schönen liegt (ohne dass Kant schon explizit darauf aufmerksam machen würde). Eine solche Zweiteilung des zweiten Absatzes (bzw. der Sätze § 10.B.2–5) ist mir ausschließlich von Ginsborg bekannt. Im ersten Teil des Absatzes verortet sie eine ZM ohne Zweck im ontologischen Sinn: »Here Kant allows that we may assert that an object is purposive even if it is not the product of design. It is sufficient that we be unable to conceive how the object is possible without appealing to the assumption that it was designed. Briefly put, a thing may be called purposive on the grounds that it is ›as if‹ designed« (Ginsborg 2015, 230 f.). Zum zweiten Teil des Absatzes schreibt sie aber dann: »The purposiveness to which Kant is here alluding is the purposiveness involved in a judgment of beauty«; und sie erläutert weiter: »there is a kind of purposiveness whose ascription does not depend on a consideration of the object’s possibility. It is observed ›only through reflection‹, that is, by reflective judgment alone, without any use of reason« (Ginsborg 2015, 233). Ansonsten wird eine solche oder ähnliche Zweiteilung in der Sekundärliteratur nicht vorgenommen. Bisweilen finden sich allerdings Bemerkungen dazu, ob in § 10 schon die ZM ohne Zweck beim Schönen behandelt wird. Fricke betont, dass sich der Begriff der Reflexion aus § 10.B.5 allgemein auf die Tätigkeit der reflektierenden Urteilskraft beziehe (vgl. Fricke 1990, 83). Wenzel konstatiert, dass in § 10 noch die ZM ohne Zweck allgemein und »ohne besondere Rücksicht auf das Geschmacksurteil« behandelt werde (Wenzel 2000, 98). Und Kulenkampff problematisiert, dass die Konzeption der ZM ohne Zweck aus § 10 nicht mit der ZM ohne Zweck im Geschmacksurteil identisch sei (vgl. Kulenkampff 1994, 137). Zuckert geht zwar davon aus, dass sich der zweite Absatz von § 10 insgesamt auf das Schöne beziehe, zugleich bemerkt sie aber, dass die Bestimmung der ZM ohne Zweck auch für andere Arten der ZM in der KU gelte (vgl. Zuckert 2007, 80).

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§ 11 Zur Zweckmäßigkeit ohne Zweck als Grundlage des Geschmacksurteils

Zum Ende von § 10 hat Kant den Theoriebaustein der ZM ohne Zweck eingeführt. Er hat dafür argumentiert, dass es erstens eine ZM ohne Zweck als epistemische Grundannahme geben kann und dass sich zweitens eine (subjektive) ZM ohne Zweck in einer Reflexionsaktivität ohne Erkenntnisgewinn manifestieren kann. 1 Dabei leitet Letzteres bereits implizit zum Schönen über. In § 11 macht Kant nun explizit, dass sich beim Schönen wirklich eine ZM ohne Zweck manifestiert. Sein Hauptaugenmerk liegt dabei darauf, zu zeigen, dass dem Geschmacksurteil kein Zweckbegriff und folglich keine ZM mit Zweck zugrunde liegen kann. Warum sollte das Geschmacksurteil aber überhaupt auf einer ZM beruhen? Man könnte Kant unterstellen, er konstatiere in § 11 plötzlich, dem Geschmacksurteil liege eine ZM zugrunde, ohne jemals dafür argumentiert zu haben. Wir werden im Zuge der folgenden Untersuchungen jedoch sehen, dass sich sehr wohl begründen lässt, warum dem Geschmacksurteil eine ZM zugrunde liegt, und dass Kant selbst einige Hinweise auf eine solche Begründung gibt. Doch führen wir uns zunächst den Aufbau von § 11 vor Augen: 1. These: Dem Geschmacksurteil liegt eine ZM ohne Zweck zugrunde (§ 11.T, 221,2–4) 2. Argumentation dafür, dass dem Geschmacksurteil kein Zweck zugrunde liegt (§ 11.A.1–3, 221,5–15) a) Dem Geschmacksurteil liegt kein subjektiver Zweck zugrunde (§ 11.A.1–2, 221,5–8) b) Dem Geschmacksurteil liegt kein objektiver Zweck zugrunde (§ 11.A.3, 221,8–15) 3. Argumentation dafür, dass dem Geschmacksurteil eine subjektive ZM ohne Zweck zugrunde liegt (§ 11.B.1–2, 221,16–27)

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Siehe Kap. 10.2.

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§ 11 Zur Zweckmäßigkeit ohne Zweck als Grundlage des Geschmacksurteils

11.1 Die These Wie so oft stellt Kant in der Überschrift seine zentrale neue These voran: § 11.T »Das Geschmacksurtheil hat nichts als die F o r m d e r Z w e c k m ä ß i g k e i t eines Gegenstandes (oder der Vorstellungsart desselben) zum Grunde« (221,2).

Der Begriff der Vorstellungsart verweist darauf, dass uns Gegenstände immer nur als Vorstellungen gegeben sind und dass das Schöne nur bei einer spezifischen Vorstellungsart, nämlich der Form bzw. Anschauung, vorliegen kann. Folgt man der sogenannten Stufenleiter der Vorstellungsarten, dann können etwa Empfindungen, Anschauungen oder Begriffe als Vorstellungsarten gelten. Mit Rekurs auf den Begriff der ZM, der immer die Form eines Gegenstandes betrifft, und mit Vorgriff auf die ab § 13 entfaltete Formthese ist offenkundig, dass es die Form des schönen Gegenstandes ist, die als zweckmäßig gelten muss. Die entsprechende Vorstellungsart ist dann eine Anschauung. Der Begriff der Form leitet direkt zur ersten Komplikation von § 10.T über: Was meint Kant mit der ›Form der Zweckmäßigkeit‹ ? Der Begriff der Form nimmt nämlich eine doppelte Rolle ein: Erstens ist es die Form des schönen Gegenstandes, die zweckmäßig ist; zweitens ist eine ZM ohne Zweck eine bloße Form der ZM. Es ergeben sich zwei mögliche Lesarten: § 11.TR1a Das Geschmacksurteil hat die Form der Zweckmäßigkeit, d. h. die Zweckmäßigkeit ohne Zweck, eines Gegenstandes zum Grunde. § 11.TR1b Das Geschmacksurteil hat die Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes zum Grunde, d. h. die Form des Gegenstandes erweist sich im Geschmacksurteil als zweckmäßig.

Freilich lässt sich allein aufgrund von § 11.T nicht entscheiden, welche Rekonstruktion mehr Evidenz beanspruchen kann. Zieht man jedoch den gesamten Paragraphen zurate, so wird nur die ZM ohne Zweck und nicht die Form des Gegenstandes behandelt. Unter inhaltlichen Gesichtspunkten scheint daher § 11.TR1b eher unplausibel. Dies wird insbesondere deutlich, wenn wir die Konklusion von Kants Argumentation zum Ende von § 11 betrachten:

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Die These

»Also kann nichts anders als die subjective Zweckmäßigkeit in der Vorstellung eines Gegenstandes, ohne allen (weder objectiven noch subjectiven) Zweck, folglich die bloße Form der Zweckmäßigkeit in der Vorstellung, wodurch uns ein Gegenstand g e g e b e n wird, […] den Bestimmungsgrund des Geschmacksurtheils, ausmachen« (§ 11.B.2, 221,21).

Aus dem Vorliegen einer ›subjective[n] Zweckmäßigkeit…ohne allen…Zweck‹ folgert Kant (›folglich‹) das Vorliegen einer ›bloße[n] Form der Zweckmäßigkeit‹ – und dies ergibt nur Sinn, wenn man die ›bloße Form der Zweckmäßigkeit‹ als Synonym zur ZM ohne Zweck versteht. Die Konklusion von Kants Argumentation lautet demnach, dass der Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils eine subjektive ZM ohne Zweck ist. Insofern § 11.T diese Konklusion vorwegnimmt, muss auch in diesem Satz mit ›Form der Zweckmäßigkeit‹ eine ZM ohne Zweck gemeint sein. § 11.TR1a ist also die korrekte Rekonstruktion. Während Kant in § 11.T schreibt, das Geschmacksurteil habe die ZM ohne Zweck des Gegenstandes ›zum Grunde‹, identifiziert er in § 11.B.2 die ZM ohne Zweck als ›Bestimmungsgrund des Geschmacksurtheils‹. Wir können dies in § 11.T ergänzen: § 11.TR2 Das Geschmacksurteil hat die Form der Zweckmäßigkeit, d. h. die Zweckmäßigkeit ohne Zweck, eines Gegenstandes zum Bestimmungsgrund.

Der Begriff des Bestimmungsgrundes ist uns bereits aus § 1 vertraut. Kant hat dort ausgeführt, dass das Geschmacksurteil einen subjektiven Bestimmungsgrund, d. h. einen Bestimmungsgrund der Lust, hat. 2 Inwiefern es miteinander vereinbar ist, dass das Geschmacksurteil die Lust zum Bestimmungsgrund und gleichzeitig die ZM ohne Zweck zum Bestimmungsgrund hat, soll erst zum Ende dieses Unterkapitels untersucht werden. Wichtig ist, dass Kant von der ›Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes‹ spricht. Damit wendet er sich nämlich zum ersten Mal in der Analytik explizit dem schönen Gegenstand zu – und es scheint sogar so, als würde er eine Eigenschaft dieses Gegenstandes identifizieren, nämlich zweckmäßig zu sein. Dieser Eindruck ist jedoch trügerisch. Denn erstens handelt es sich bei besagter ZM des Gegenstandes um eine subjektive ZM, d. h. um eine ZM, die sich nur durch eine Beziehung des Objekts zum Subjekt konstituiert. Zweitens wird diese 2

Siehe Kap. 1.3.

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§ 11 Zur Zweckmäßigkeit ohne Zweck als Grundlage des Geschmacksurteils

subjektive ZM nicht durch einen Begriff erfasst, sondern sie wird uns durch ein Gefühl bewusst. Damit ist sie wesentlich von denjenigen Eigenschaften unterschieden, die wir Objekten in Erkenntnisurteilen zuschreiben. 3 Dennoch erreicht Kants Theorie des Schönen mit dem Theoriebaustein der ZM ohne Zweck insofern einen neuen Fokus, als nunmehr die Beziehung des schönen Objekts zum urteilenden Subjekt im Mittelpunkt steht. Die Hauptthese von § 11 besagt nach § 11.T insgesamt, dass das Geschmacksurteil eine ZM ohne Zweck zum Bestimmungsgrund hat. Ich werde im Folgenden genauer untersuchen, was diese These bedeutet und inwiefern sie von Kant begründet wird.

11.2 Argumentation: Warum dem Geschmacksurteil kein Zweck zugrunde liegen kann Die Frage, warum dem Geschmacksurteil überhaupt eine ZM zugrunde liegt, ist wohl die vordringlichste Frage, die sich der Leser nach der Lektüre der Überschrift stellt. Statt sich jedoch dieser Frage zu widmen, leitet Kant seine Argumentation damit ein, zu zeigen, dass dem Geschmacksurteil weder ein subjektiver noch ein objektiver Zweck zugrunde liegen kann. Wenden wir uns zunächst dieser These zu.

11.2.1 Dem Geschmacksurteil liegt kein subjektiver Zweck zugrunde Im ersten Argumentationsschritt bestreitet Kant, dass dem Geschmacksurteil ein subjektiver Zweck zugrunde liegt: § 11.A.1 »Aller Zweck, wenn er als Grund des Wohlgefallens angesehen wird, führt immer ein Interesse, als Bestimmungsgrund des Urtheils über den Gegenstand der Lust, bey sich. § 11.A.2 Also kann dem Geschmacksurtheil kein subjectiver Zweck zum Grunde liegen« (221,5). Vgl. zu diesem Punkt auch Allison: »Nevertheless, it is clear from both the inclusion of the discussion in the moment of relation and the emphasis placed on the representation of the object that the concern is not with the inherent nature of such an object, not even considered as phenomenon, but rather with the object qua represented, that is, apprehended in mere reflection, and its aesthetic, and therefore noncognitive and nonpractical, relation to the subject« (Allison 2001, 119).

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Warum dem Geschmacksurteil kein Zweck zugrunde liegen kann

In § 11.A.2 formuliert Kant die These, dass ›dem Geschmacksurtheil kein subjectiver Zweck zum Grunde‹ liegt; diese These wird in § 11.A.1 begründet. Der Grundgedanke dieser Begründung ist zunächst recht einfach: Ein subjektiver Zweck ist immer mit einem Interesse verbunden. Die Lust am Schönen ist uninteressiert (Uninteressiertheitsthese UT). Also kann der Lust am Schönen kein subjektiver Zweck zugrunde liegen. So klar die Argumentation auf den ersten Blick erscheint, so problematisch ist sie auf den zweiten. Was ist überhaupt ein subjektiver Zweck? Inwiefern kann ein mit einem subjektiven Zweck verbundenes Interesse als Bestimmungsgrund eines Urteils fungieren? Und welchen Fall einer Lust bzw. eines Urteils beschreibt Kant? Im Sinne seiner Abgrenzungsstrategie des Schönen vom Angenehmen und Guten scheint es naheliegend, dass Kant den Fall des Angenehmen beschreibt; denn in § 11.A.3 wendet er sich dem Guten zu. Nehmen wir in diesem Sinne vorläufig an, dass sich § 11.A.1 auf das Angenehme bezieht. Was ist aber ein subjektiver Zweck? In § 11.A.1 spricht Kant von einem ›Zweck, wenn er als Grund des Wohlgefallens angesehen wird‹. In § 11.A.2 nutzt er dann den Begriff des ›subjective[n] Zweck[s]‹. Es ist damit naheliegend, den subjektiven Zweck folgendermaßen zu bestimmen: sZ1 Ein subjektiver Zweck ist ein Zweck, der als Grund des Wohlgefallens angesehen wird.

Wenn ich etwa Erdbeeren esse und diese ›als Grund‹ meiner Lust ›ansehe‹, sind dann die Erdbeeren ein subjektiver Zweck? Das Problem daran ist, dass nicht klar ist, warum man in diesem Fall überhaupt von einem Zweck sprechen sollte. Wir haben oben den Begriff des Zwecks auf das folgende Kausalverhältnis zurückgeführt: KR1 Der Begriff ist der Bestimmungsgrund des Willens, und der Wille bringt das Objekt hervor.

Wenn ich nun am Geschmack der Erdbeeren Lust empfinde und die Erdbeeren als Grund dieser Lust identifiziere, ist damit keineswegs impliziert, dass ich unterstelle, die Erdbeeren seien intentional durch einen Willen und nach einem Zweckbegriff hervorgebracht worden. Nicht jede Erkenntnis eines Kausalverhältnisses (›Grund‹) ist ja auch eine Erkenntnis eines Zwecks. Vielmehr identifiziere ich die Ursache oder den Grund erst dadurch als Zweck, dass ich ihr unterstelle, sie (oder er) sei intentional durch einen Willen hervorgebracht worden, um ihre Wirkung zu verursachen. Warum sollte ich dies aber im Falle Kants Philosophie des Schönen

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§ 11 Zur Zweckmäßigkeit ohne Zweck als Grundlage des Geschmacksurteils

des Angenehmen tun? Vielleicht ist es hilfreich, wenn wir uns andere Stellen vor Augen führen, in denen Kant von subjektiven Zwecken spricht. In der KU heißt es an einer Stelle: »Menschen mögen sie [die Glückseligkeit] sich immer zu ihrem letzten subjectiven Zwecke machen« (436 Fn.); an einer anderen Stelle spricht Kant vom »subjectiven Zweck[.] (der Glückseligkeit)« (443,26). In beiden Fällen wird die Glückseligkeit als subjektiver Zweck identifiziert. Und diese Glückseligkeit ist etwas, das sich Menschen ›zu ihrem…subjectiven Zwecke machen‹. Es geht im Kontext der Glückseligkeit als subjektiven Zwecks also nicht um das Erkennen, sondern um das Setzen eines Zwecks, d. h. wir befinden uns im praktischen Kontext. Dies geht auch aus der folgenden Passage der Tugendlehre hervor: »Jenem Zweck [der Glückseligkeit] aber eine vorgebliche Ve r b i n d l i c h k e i t entgegenzusetzen, meine e i g e n e (physische) Glückseligkeit auch besorgen zu müssen und so diesen meinen natürlichen und bloß subjektiven Zweck zur Pflicht (objektiven Zweck) machen, […]« (TL: 388).

Wieder ist es die ›(physische) Glückseligkeit‹, die als ›subjektive[r] Zweck‹ bezeichnet wird. Diesem subjektiven Zweck wird dabei der objektive Zweck entgegengesetzt, der mit den Begriffen der Pflicht und Verbindlichkeit enggeführt wird. Der Begriff der Pflicht verweist erneut auf den praktischen Kontext, was durch das folgende weitere Zitat bestätigt wird: »Der Begriff eines Z w e c k s , der zugleich Pflicht ist, […] ist es allein, der ein Gesetz für die Maximen der Handlungen begründet, indem der subjektive Zweck (den jedermann hat) dem objektiven (den sich jedermann dazu machen soll) untergeordnet wird« (TL: 389).

Der subjektive Zweck ist demnach ein Zweck, ›den jedermann hat‹, d. h. ein Zweck, den Menschen wirklich haben bzw. den sie sich wirklich setzen. Diese Deutung wird durch die folgende Passage aus der GMS untermauert: »[…] nicht als Zweck der Menschen (subjektiv), d. i. als Gegenstand, den man sich von selbst wirklich zum Zwecke macht« (GMS: 431).

Insgesamt sind alle Passagen, in denen Kant von subjektiven Zwecken spricht, im praktischen Kontext, d. h. im Kontext der Zwecksetzung, anzusiedeln. 4 Vor diesem Hintergrund können wir nunmehr die folgende Deutung von subjektiven und objektiven Zwecken vornehmen: 4

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Für weitere Passagen vgl.: »Dies sind also nicht bloß subjektive Zwecke, deren Exis-

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sZ2 Ein subjektiver Zweck ist ein Zweck, den sich ein Subjekt wirklich setzt. oZ1 Ein objektiver Zweck ist ein Zweck, den sich ein Subjekt setzen soll (Pflicht).

Dabei sind subjektive Zwecke mindestens indirekt immer auf Glückseligkeit ausgerichtet, d. h. sie sind Mittel zum subjektiven Endzweck der Glückseligkeit. 5 Für ein Verständnis von § 11.A.1–2 ist insbesondere wichtig, dass wir subjektive Zwecke im eigentlichen Sinne nicht erkennen, sondern sie uns setzen. Inwiefern hilft uns dieses Verständnis von »subjektiver Zweck«, um § 10.A.1–2 zu verstehen? Erinnern wir uns zunächst an unsere erste, vorläufige Bestimmung von »subjektiver Zweck«: sZ1 Ein subjektiver Zweck ist ein Zweck, der als Grund des Wohlgefallens angesehen wird.

Nun ist in sZ1 offenkundig nicht von einer Zwecksetzung oder vom Handeln nach Zwecken die Rede. Jedoch lässt sich sZ1 gut mit der Konzeption der Zwecksetzung verknüpfen. Machen wir uns dies an einem Beispiel klar. Ich esse Schokolade und fühle dabei eine Lust am Angenehmen. Ich sehe dabei die Schokolade ›als den Grund‹ meines ›Wohlgefallens‹ an. Weil ich meine Lust am Angenehmen erhalten möchte und die Schokolade als den Grund meiner Lust ansehe, setze ich mir den subjektiven Zweck, über mehr Schokolade zu verfügen. Ergänzen wir sZ1 in diesem Sinne: sZ1R1 Ein subjektiver Zweck ist ein Zweck, den sich ein Subjekt setzt, weil es den entsprechenden Gegenstand als Grund einer Lust am Angenehmen ansieht.

tenz, als Wirkung unserer Handlung, für uns einen Wert hat; sondern objektive Zwecke, d. i. Dinge, deren Dasein an sich selbst Zweck ist« (GMS: 428); »Denn der Wunsch, welcher den subjectiven Zweck (der Selbstliebe) zum Grunde hat, kann nicht den objectiven Zweck (der Weisheit), den das Gesetz vorschreibt, bestimmen, welches dem Willen unbedingt die Regel giebt« (Theo: 257 Fn.). 5 Vgl.: »Ein objektiver Zweck (d. i. derjenige, den wir haben sollen) ist der, welcher uns von der bloßen Vernunft als ein solcher aufgegeben wird. Der Zweck, welcher die unumgängliche und zugleich zureichende Bedingung aller übrigen enthält, ist der E n d z w e c k . Eigene Glückseligkeit ist der subjektive Endzweck vernünftiger Weltwesen (den jedes derselben vermöge seiner von sinnlichen Gegenständen abhängigen Natur h a t , und von dem es ungereimt wäre, zu sagen: daß man ihn haben s o l l e )« (RGV: 6 Fn.). Kants Philosophie des Schönen

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Wichtig ist nun, dass sich ein subjektiver Zweck zwar in gewisser Hinsicht auf das Angenehme bezieht, aber die Lust am Angenehmen weder selbst eine subjektive Zwecksetzung voraussetzt, noch notwendig eine solche hervorbringt. 6 Vielmehr muss »[d]as Angenehme, das, als ein solches, den Gegenstand lediglich in Beziehung auf den Sinn vorstellt, […] allererst durch den Begrif eines Zwecks unter Principien der Vernunft gebracht werden, um es, als Gegenstand des Willens, gut zu nennen« (§ 4.C.4, 208,1). In § 4 hat Kant zum Nützlichen ausgeführt, dass es »als Mittel zu irgend einer Annehmlichkeit gefällt« (§ 4.E.1, 209,6). Demnach macht beim Nützlichen eine ›Annehmlichkeit‹ den Zweck, oder genauer den subjektiven Zweck aus, zu dem etwas anderes Mittel ist. In diesem Sinne ist das Angenehme nicht schon an sich ein subjektiver Zweck, sondern nur insofern es begrifflich erfasst, als subjektiver Zweck gesetzt und in eine Nützlichkeitsbeziehung eingebunden wird. Machen wir uns dies am Beispiel der Erdbeeren klar. In mein unmittelbares Lustgefühl am Geschmack der Erdbeeren ist kein Zweckbegriff involviert. Nun kann ich aber die Erdbeeren begrifflich erfassen und erkennen, dass sie der Grund bzw. die Ursache meiner Lust sind. Aufgrund dieser Erkenntnis kann ich die Erdbeeren als Mittel zum Zweck der Annehmlichkeit bzw. Glückseligkeit erkennen. Und ich kann mir dann den subjektiven Zweck setzen, mehr Erdbeeren zu haben. Halten wir also fest: Der subjektive Zweck ist ein begrifflich erfasstes Angenehmes, durch das wir im Sinne einer Zwecksetzung unseren Willen bestimmen. Wie lässt sich dies in die Argumentation in § 11.A.1–2 einordnen? § 11.A.1 Aller Zweck, wenn er als Grund des Wohlgefallens angesehen wird, führt immer ein Interesse, als Bestimmungsgrund des Urtheils über den Gegenstand der Lust, bey sich. § 11.A.2 Also kann dem Geschmacksurtheil kein subjectiver Zweck zum Grunde liegen.

Dass eine Willensbestimmung durch einen subjektiven Zweck, d. h. durch eine Zwecksetzung im Sinne des Angenehmen, ›immer ein Interesse…bey sich [führt]‹, ist insofern klar, als sich ein bestimmter

Ich erinnere daran, dass eine Lust am Angenehmen zwar immer eine Bestimmung des Begehrungsvermögens mit sich bringt (Begehrenskriterium des Interesses), aber dass es sich dabei auch um eine nicht-begriffliche Bestimmung des unteren Begehrungsvermögens handeln kann. Aus diesem Grund kann man auch Tieren ein Interesse am Angenehmen zusprechen. Siehe hierzu Kap. 2.2 sowie 3.3.

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Wille immer als Interesse anfühlt. 7 Nicht ganz klar ist hingegen, von welchem Urteil dieses Interesse den Bestimmungsgrund ausmachen soll. Das Urteil über das Angenehme setzt ja gerade nicht voraus, dass die angenehme Empfindung durch den Begriff eines Zwecks erfasst wurde. Vielmehr spielen subjektive Zwecke, wie oben erläutert, eigentlich im Kontext des Nützlichen eine Rolle; Urteile über das Nützliche sind aber keine ästhetischen Urteile, d. h. keine Urteile, deren »Bestimmungsgrund n i c h t a n d e r s als s u b j e c t i v seyn kann« (§ 1.A.2, 203,14). 8 Die Problematik, welche Urteile ein durch eine subjektive Zwecksetzung hervorgerufenes Interesse zum Bestimmungsgrund haben, soll uns hier allerdings nicht weiter beschäftigen. Für Kants Argument reicht nämlich die folgende hypothetische Annahme aus: Wenn auf einer durch eine subjektive Zwecksetzung hervorgerufenen Lust ein ästhetisches Urteil gegründet würde, so hätte dieses Urteil ein Interesse zum Bestimmungsgrund. Darauf aufbauend können wir das folgende Argument rekonstruieren: P1

Wenn der Lust in einem ästhetischen Urteil ein subjektiver Zweck zugrunde liegt (indem eine Zwecksetzung durch einen subjektiven Zweck erfolgt und sich der bestimmte Wille als Lust anfühlt), dann hat das ästhetische Urteil ein Interesse zum Bestimmungsgrund. P2 Das Geschmacksurteil als ästhetisches Urteil hat kein Interesse zum Bestimmungsgrund. Also: Der Lust im Geschmacksurteil liegt kein subjektiver Zweck zugrunde.

Dieses Argument beruht offenkundig auf der Uninteressiertheitsthese UT. Entscheidend ist für das Argument eigentlich noch nicht einmal, ob auf der entsprechenden Lust ein Urteil gegründet wird. Vielmehr lässt sich das Argument vollständig auf die Lust beziehen und dadurch folgendermaßen vereinfachen: P1

Wenn eine Lust auf einem subjektiven Zweck beruht (indem eine Zwecksetzung durch einen subjektiven Zweck erfolgt und sich der bestimmte Wille als Lust anfühlt), dann ist die Lust ein Interesse. P2 Die Lust am Schönen ist kein Interesse. Also: Die Lust am Schönen beruht auf keinem subjektiven Zweck. 7 8

Siehe hierzu Kap. 4.1.1. Zum Verhältnis von Urteilen über das Gute und der Lust am Guten siehe Kap. 4.6.

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Mit diesem Argument hat Kant eigentlich hinreichend gezeigt, dass der Lust am Schönen kein subjektiver Zweck zugrunde liegen kann. Dennoch kündigt er im zweiten Absatz (in § 11.B.1) ein zusätzliches Argument an, welches auf der Allgemeingültigkeitsthese ATLust beruht: § 11.B.1 »[a] Nun ist dieses Verhältniß in der Bestimmung eines Gegenstandes, als eines schönen, mit dem Gefühle einer Lust verbunden, die durch das Geschmacksurtheil zugleich als für jedermann gültig erklärt wird; [b] folglich kann eben so wenig eine die Vorstellung begleitende Annehmlichkeit, als die Vorstellung von der Vollkommenheit des Gegenstandes und der Begrif des Guten den Bestimmungsgrund enthalten« (221,16).

Das zu Beginn dieses Satzes genannte ›Verhältniß‹ muss sich auf das zuvor genannte »Verhältniß der Vorstellungskräfte zu einander« beziehen (§ 11.A.3, 221,14). Zudem muss der ›Bestimmungsgrund‹ den Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils meinen, der bereits im ersten Absatz thematisch war und in § 11.B.2 wieder aufgegriffen wird. 9 Es ergibt sich: § 11.B.1* [a] Das Verhältnis der Vorstellungskräfte zueinander in der Bestimmung eines Gegenstandes als eines schönen ist mit dem Gefühl einer Lust verbunden, die durch das Geschmacksurteil zugleich als für jedermann gültig erklärt wird; [b] folglich kann eben so wenig eine die Vorstellung begleitende Annehmlichkeit, als die Vorstellung von der Vollkommenheit des Gegenstandes und der Begriff des Guten den Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils enthalten.

In § 11.B.1b folgert (›folglich‹) Kant aus § 11.B.1a, dass weder eine ›Annehmlichkeit‹ noch ›die Vorstellung von der Vollkommenheit des Gegenstandes und der Begrif des Guten den Bestimmungsgrund‹ des Geschmacksurteils ausmachen kann. Im darauffolgenden Satz schließt er daraus § 11.B.1 (›Also‹), dass der Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils »ohne allen (weder objectiven noch subjectiven) Zweck« sein muss (§ 11.B.2, 221,23). Den Ausgangspunkt für die Abgrenzung des Schönen vom Angenehmen bildet die Allgemeingültigkeitsthese ATLust (›Gefühle einer Lust…, die durch das Geschmacksurtheil zugleich als für jedermann gültig erklärt wird‹). Mittels ATLust lässt sich das folgende einfache Argument rekonstruieren, 9

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Vgl. § 11.B.2, 221,27.

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durch das die Lust am Schönen von der Lust am Angenehmen abgegrenzt wird: P1

Wenn eine Lust eine Lust am Angenehmen ist, dann ist sie nicht allgemeingültig. P2 Die Lust am Schönen ist allgemeingültig. Also: Die Lust am Schönen ist keine Lust am Angenehmen.

Dieses Argument ist freilich nichts Neues; denn Kant hatte die beiden Prämissen bereits in den §§ 6–7 vorgebracht. 10 Allerdings hat dieses Argument auf den ersten Blick keinen Bezug zu (subjektiven) Zwecken; denn, wie oben betont, hat das Angenehme selbst gar keinen Bezug zu Zwecken. Jedoch lässt sich auf eine Lust am Angenehmen eine subjektive Zwecksetzung gründen: Ich setze mir dann den Zweck, mehr angenehme Gegenstände derselben Art zu haben. In diesem Sinne ist eine ›die Vorstellung begleitende Annehmlichkeit‹ immer Gegenstand einer potenziellen (subjektiven) Zwecksetzung. Nun ist die Lust am Angenehmen bloß privatgültig. Daher kann auch die darauf aufbauende subjektive Zwecksetzung nur Privatgültigkeit beanspruchen: Der Zweck (etwa über Schokolade zu verfügen) gilt nur für mich, weil die Lust an der Schokolade nur privatgültig ist. Würde ich auf einer solchen subjektiven Zwecksetzung ein (wie auch immer beschaffenes) Urteil gründen, so könnte dieses Urteil nur Privatgültigkeit beanspruchen. Wir können jetzt das folgende Argument aufstellen: P1

Wenn sich ein Zweck auf eine Lust am Angenehmen gründet, dann ist das auf diesem Zweck gegründete Urteil bloß privatgültig. P2 Ein subjektiver Zweck gründet sich auf eine Lust am Angenehmen. Also: Ein Urteil, das sich auf einen subjektiven Zweck gründet, ist bloß privatgültig. P3 Das Geschmacksurteil ist nicht privatgültig (sondern allgemeingültig). Also: Das Geschmacksurteil gründet sich auf keinen subjektiven Zweck.

Halten wir fest: Dem Geschmacksurteil kann deshalb kein subjektiver Zweck zugrunde liegen, weil es ein allgemeingültiges Urteil ist, wähVgl. insbesondere die Gegenüberstellung des Angenehmen und Schönen in § 7 (§ 7.A.1–B.7, 212,9 f.). Siehe hierzu Kap. 7.1.

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rend subjektive Zwecke immer mit bloßer Privatgültigkeit einhergehen. Insgesamt können wir damit zur Abgrenzung des Schönen von subjektiven Zwecken das Folgende festhalten: i. Ein subjektiver Zweck ist ein begrifflich erfasstes Angenehmes, durch das das Subjekt seinen Willen bestimmt. (Das Angenehme wird dabei ins Nützliche überführt.) Subjektive Zwecke liegen daher nur im praktischen Kontext der Zwecksetzung vor. ii. Eine Lust, die auf einer Willensbestimmung durch einen subjektiven Zweck beruht, ist ein Interesse. Da die Lust am Schönen uninteressiert ist (UT), kann sie nicht auf einer Willensbestimmung durch einen subjektiven Zweck beruhen, und das Geschmacksurteil kann keinen subjektiven Zweck zum Bestimmungsgrund haben. iii. Eine Lust, die auf einer Willensbestimmung durch einen subjektiven Zweck beruht, ist bloß privatgültig. Da die Lust am Schönen allgemeingültig ist (ATLust), kann sie nicht auf einer Willensbestimmung durch einen subjektiven Zweck beruhen, und das Geschmacksurteil kann keinen subjektiven Zweck zum Bestimmungsgrund haben. Kant hat damit die erste Stufe seiner Argumentation erreicht: Er hat gezeigt, dass dem Geschmacksurteil kein subjektiver Zweck zugrunde liegt. Nimmt man an, dass es nur subjektive oder objektive Zwecke gibt, so muss er im nächsten Schritt zeigen, dass dem Geschmacksurteil kein objektiver Zweck zugrunde liegt.

11.2.2 Dem Geschmacksurteil liegt kein objektiver Zweck zugrunde Dass das Schöne nicht auf einem objektiven Zweck beruht, begründet Kant folgendermaßen: § 11.A.3 »[a] Aber auch keine Vorstellung eines objectiven Zwecks, d. i. der Möglichkeit des Gegenstandes selbst nach Principien der Zweckverbindung, mithin kein Begrif des Guten kann das Geschmacksurtheil bestimmen; [b] weil es ein ästhetisches und kein Erkenntnißurtheil ist, welches also keinen B e g r i f von der Beschaffenheit und innern oder äußern Möglichkeit des Gegenstandes, durch diese oder jene Ursache, sondern bloß das Verhältniß der Vorstellungskräfte zu einander, sofern sie durch eine Vorstellung bestimmt werden, betrift« (221,8).

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In § 11.A.3a führt Kant die These an, dass das Geschmacksurteil nicht auf einem objektiven Zweck beruhen kann. Diese These wird dann in § 11.A.3b begründet (›weil‹). Daneben erläutert Kant in § 11.A.3a auch, was ein objektiver Zweck ist: oZ2 Ein objektiver Zweck, d. i. die Möglichkeit des Gegenstandes selbst nach Prinzipien der Zweckverbindung.

Nun heißt es im unmittelbaren Anschluss: ›mithin kein Begrif des Guten‹. Unter einem objektiven Zweck muss Kant daher einen Begriff verstehen. 11 Wir können also schreiben: oZ2R1 Ein objektiver Zweck ist ein Begriff von der Möglichkeit des Gegenstandes selbst nach Prinzipien der Zweckverbindung.

In § 11.A.3b differenziert Kant zwischen der ›innern oder äußern Möglichkeit des Gegenstandes‹. Wir können oZ2 demnach folgendermaßen ergänzen: oZ2R2 Ein objektiver Zweck ist ein Begriff von der inneren oder äußeren Möglichkeit des Gegenstandes selbst nach Prinzipien der Zweckverbindung.

Die Differenzierung zwischen der inneren und äußeren ›Möglichkeit des Gegenstandes‹ lässt sich noch weiter spezifizieren. Offenkundig stehen diese beiden Möglichkeiten für die Begriffe des inneren und des äußeren Zwecks. Dabei ist ein innerer Zweck ein Begriff davon, was ein Gegenstand selbst sein soll, und ein äußerer Zweck ein Begriff davon, wozu ein Gegenstand dienen soll. 12 Wir können also schreiben: oZ2R3 Ein objektiver Zweck ist ein Begriff von der inneren oder äußeren Möglichkeit des Gegenstandes selbst nach Prinzipien der Zweckverbindung, d. h. er ist ein Begriff davon, was der Gegenstand selbst sein soll (innerer Zweck) oder wozu er gut sein soll (äußerer Zweck).

Es gibt also zwei verschiedene Arten von objektiven Zwecken. Was aber ist ein objektiver Zweck? Kant bestimmt diesen als Begriff der ›Möglichkeit des Gegenstandes selbst nach Prinzipien der Zweckverbindung‹. Nun sind Zweckbegriffe allgemein in den Kontext der WilEs wäre auch möglich, dass er unter dem objektiven Zweck einen Gegenstand versteht. Siehe hierzu die Rekonstruktion einer komplexen Begriffsbestimmung von »Zweck« in Kap. 10.1.1. 12 Siehe hierzu erneut Kap. 10.1.1. 11

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lensbestimmung eingebunden. Es ist daher naheliegend, unter den ›Prinzipien der Zweckverbindung‹ solche Prinzipien zu verstehen, durch die der Wille bestimmt wird, d. h. hypothetische oder kategorische Imperative. In solchen Imperativen sind ja auch wirklich Zwecke beinhaltet. Dieses Verständnis von ›Prinzipien‹ stimmt gut mit unserer mit Rekurs auf die Tugendlehre (TL: 389) vorgenommenen Bestimmung des objektiven Zwecks zusammen: oZ1 Ein objektiver Zweck ist ein Zweck, den sich ein Subjekt setzen soll (Pflicht).

Allerdings gibt es einen zentralen Unterschied zwischen Kants Verwendung des Begriffs des objektiven Zwecks in § 11 und etwa in der Tugendlehre oder der GMS. In der GMS heißt es: »Dies sind also nicht bloß subjektive Zwecke, deren Existenz, als Wirkung unserer Handlung, für uns einen Wert hat; sondern objektive Zwecke, d. i. Dinge, deren Dasein an sich selbst Zweck ist« (GMS: 428).

Diesem Zitat folgend wären ausschließlich moralische Zwecke objektive Zwecke. In § 11.A.3 geht Kant aber offenkundig auch von der Möglichkeit objektiver ›äußerer Zwecke‹ aus, d. h. von objektiven Zwecken im Bereich des Nützlichen. Wie passt dies zusammen? Offensichtlich verfügt Kant in der KU über einen weiten Begriff von objektiven Zwecken, zu dem auch objektive äußere Zwecke gehören, die im Sinne von Mitteln zu beliebigen subjektiven Zwecken zu verstehen sind. Solche Mittel können insofern als objektiv gelten, als sie in hypothetische Imperative eingebunden sind und die Zweck-Mittel Relation in hypothetischen Imperativen über Notwendigkeit verfügt. 13 Das Wollen der Mittel, d. h. die Zwecksetzung des Mittels, ist daher mit Verbindlichkeit behaftet. Halten wir fest: oZ3 Ein objektiver Zweck ist ein innerer oder äußerer Zweck, der in einen kategorischen oder hypothetischen Imperativ eingebunden ist und den sich das Subjekt setzen soll.

Wie unsere Bestimmung des subjektiven Zwecks ist auch oZ3 im praktischen Kontext anzusiedeln. Sind damit aber alle Bedeutungen Vgl.: »Jene [hypothetischen Imperative] stellen die praktische Notwendigkeit einer möglichen Handlung als Mittel zu etwas anderem, was man will (oder doch möglich ist, daß man es wolle), zu gelangen vor« (GMS: 414; vgl. GMS: 415, 417). Dies hängt auch damit zusammen, dass hypothetische Imperative analytisch sind (vgl. GMS: 417), wenngleich diese These Kants problematisch ist (vgl. Schönecker/Wood 2007, 118–124).

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von »objektiver Zweck« erfasst, die für die Abgrenzung vom Schönen eine Rolle spielen? Im Rahmen unserer Untersuchungen von § 10 haben wir unter anderem einen praktischen und einen epistemischen Kontext des Zwecks unterschieden. 14 Erinnern wir uns kurz daran: Praktischer Kontext: Der Zweckbegriff dient der Willensbestimmung, sodass der Wille das dem Zweckbegriff korrespondierende Objekt hervorbringt. Epistemischer Kontext: Wir können uns die Möglichkeit eines Gegenstandes nicht anders denken, als dass der Gegenstand durch einen Zweckbegriff mittels eines Willens hervorgebracht wurde. Wir erkennen den Gegenstand mittels des Zweckbegriffs.

Bisher haben wir den objektiven Zweck im Rahmen des praktischen Kontextes gedeutet. Jedoch ist auch der epistemische Kontext für Kants Argumentation von großer Relevanz. Im epistemischen Kontext ist ein objektiver Zweck ein Begriff davon, was ein Gegenstand selbst sein soll (objektiver innerer Zweck) oder wozu er nützlich sein soll (objektiver äußerer Zweck), wobei wir mittels dieses Zweckbegriffs beurteilen, ob ein gegebener Gegenstand dem Zweck gemäß (objektiv zweckmäßig) ist oder nicht. Wir fällen dann mittels des objektiven Zweckbegriffs Urteile über die Vollkommenheit (»x ist vollkommen«) oder über die Nützlichkeit des Gegenstandes (»x ist nützlich«). Halten wir auch dies fest: oZ4 Ein objektiver Zweck im epistemischen Kontext ist ein Begriff davon, was ein Gegenstand selbst sein soll oder wozu er nützlich sein soll, mittels dessen wir die Zweckmäßigkeit (Vollkommenheit oder Nützlichkeit) beurteilen.

Eine ausführliche Argumentation dafür, dass das Geschmacksurteil von Urteilen über die Nützlichkeit und insbesondere die Vollkommenheit abzugrenzen ist, wird Kant in § 15 präsentieren. 15 Aber diese Abgrenzung wird bereits in § 11 antizipiert: »folglich kann eben so wenig eine die Vorstellung begleitende Annehmlichkeit, als die Vorstellung von der Vollkommenheit des Gegenstandes und der Begrif des Guten den Bestimmungsgrund [des Geschmacksurteils] enthalten« (§ 11.B.1, 221,18, m. H.). 16 Man könnte zwar einwenden, dass Siehe hierzu Kap. 10.1.1. Siehe Kap. 15.5. 16 Wir werden bei der Untersuchung der §§ 15–16 sehen, dass Urteile über die Vollkommenheit in den meisten Fällen als theoretische Erkenntnisurteile zu verstehen 14 15

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Kant in § 11.A.3 sowie in § 11.B.1 explizit den Begriff des Guten nutzt; jedoch gebraucht er diesen Begriff in der KU ambivalent, nämlich sowohl mit Bezug auf das Gute in praktischer Einstellung, d. h. mit Blick auf die eigene Praxis, als auch in rein theoretischer Einstellung, d. h. mit Bezug auf die Erkenntnis einer Vollkommenheit, die keinen Einfluss auf das eigene Wollen oder Handeln hat. 17 Wenn Kant in § 11.A.3 schreibt ›keine Vorstellung eines objectiven Zwecks, d. i. der Möglichkeit des Gegenstandes selbst nach Principien der Zweckverbindung, mithin kein Begrif des Guten‹, beansprucht er zwar, aus dem Vorliegen einer objektiven Zweckmäßigkeit (›Möglichkeit des Gegenstandes selbst nach Principien der Zweckverbindung‹) folge (›mithin‹), dass ein ›Begrif des Guten‹ vorliege. Damit ist aber erstens nicht gemeint, dass das Gute etwas anderes sei als die objektive ZM (d. h. die Vollkommenheit oder Nützlichkeit); und zweitens ist damit nicht gemeint, dass nur die objektive ZM in praktischer Einstellung als das Gute gelten kann. Vielmehr darf man die Abgrenzung vom objektiven Zweck in § 11.A.3 (sowie in § 11.B.1) nicht nur auf den praktischen Kontext beziehen, sondern muss auch Erkenntnisurteile über die Vollkommenheit (und die Nützlichkeit) in theoretischer Einstellung berücksichtigen. 18 Damit befindet sich § 11 in einer Art Übergang zwischen zwei Abgrenzungsstrategien: Während Kant in den ersten beiden Momenten das Schöne vom Guten im praktischen Kontext, d. h. insbesondere von der Lust am moralisch und praktisch Guten, abgegrenzt hat, so grenzt er es im Dritten Moment primär von (theoretischen) Erkenntnisurteilen über die Voll-

sind. Eine (allerdings sehr wichtige) Ausnahme bilden Urteile über die moralische Vollkommenheit, die den praktischen Erkenntnisurteilen beizuzählen sind. Siehe Kap. 16.2. 17 Vgl. etwa: »Die o b j e c t i v e Zweckmäßigkeit kann nur vermittelst der Beziehung des Mannigfaltigen auf einen bestimmten Zweck, also nur durch einen Begrif erkannt werden. Hieraus allein schon erhellet: daß das Schöne, dessen Beurtheilung eine bloß formale Zweckmäßigkeit […] zum Grunde hat, von der Vorstellung des Guten ganz unabhängig sey« (§ 15.A.1–2, 226,24, m. H.). 18 Dagegen spricht im Übrigen auch nicht Kants Rede von den ›Prinzipien der Zweckverbindung‹ in § 11.A.3. Ich habe zwar dafür plädiert, dass man diese Prinzipien als (kategorische oder hypothetische) Imperative im Kontext einer Willensbestimmung verstehen kann; aber auch im Rahmen der theoretischen Erkenntnis einer objektiven ZM beurteilt man den Gegenstand so, als wäre er absichtlich durch einen Willen hervorgebracht worden, wobei der (fremde) Wille durch Prinzipien bestimmt worden sein muss.

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kommenheit ab, wobei diese dezidiert nicht mit Lust verbunden sind. 19 Wie begründet Kant aber nun in § 11.A.3, dass dem Geschmacksurteil kein objektiver Zweck – weder im praktischen noch im epistemischen Sinne – zugrunde liegt? Die Begründung in § 11.A.3b lässt sich in drei Propositionen gliedern: § 11.A.3bR1 Das Geschmacksurteil (1) ist ein ästhetisches Urteil und kein (praktisches oder theoretisches) Erkenntnisurteil. (2) betrifft keinen Begriff von der Beschaffenheit und inneren oder äußeren Möglichkeit des Gegenstandes, durch diese oder jene Ursache. (3) betrifft bloß das Verhältnis der Vorstellungskräfte zueinander, sofern die Vorstellungskräfte durch eine Vorstellung bestimmt werden.

Für ein Argument sind insbesondere die Propositionen (1) und (2) relevant. In (2) umschreibt Kant mit der Formulierung ›Begrif von der Beschaffenheit und innern oder äußern Möglichkeit des Gegenstandes, durch diese oder jene Ursache‹ den Begriff eines objektiven Zwecks. Wir können zudem das Verb ›betrifft‹ durch ›beruht auf‹ ersetzen: § 11.A.3bR2 Das Geschmacksurteil (2) beruht nicht auf dem Begriff eines objektiven Zwecks.

Es drängt sich nunmehr das folgende Argument auf: P1

Wenn ein Urteil auf dem Begriff eines objektiven Zwecks beruht, dann ist es ein Erkenntnisurteil. P2 Das Geschmacksurteil ist kein Erkenntnisurteil (sondern ein ästhetisches Urteil). Also: Das Geschmacksurteil beruht nicht auf dem Begriff eines objektiven Zwecks.

P2 rekurriert auf den in § 1 eingeführten Status des Geschmacksurteils als ästhetischen Urteils. P1 kann folgendermaßen erklärt werden: Ein Zweckbegriff ist immer ein Begriff davon, was ein Gegenstand bzw. wie die Beschaffenheit eines Gegenstandes sein soll. Wenn in einem Urteil dem Prädikat ein Zweckbegriff zugrunde liegt Vgl.: »Überhaupt hat also der Begrif der Vollkommenheit als objectiver Zweckmäßigkeit mit dem Gefühle der Lust und diese mit jenem gar nichts zu thun« (EEKU: 228,30).

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(wie beim Prädikat »ist vollkommen«), dann wird mit diesem Prädikat eine Eigenschaft bzw. die Beschaffenheit des Objekts begrifflich erfasst. Das Urteil ist also ein Erkenntnisurteil. Im zweiten Absatz – oder genauer in § 11.B.1 – findet sich, so scheint es, eine weitere Begründung dafür, dass dem Schönen kein objektiver Zweck zugrunde liegt: § 11.B.1* [a] Nun ist dieses Verhältnis der Vorstellungskräfte zueinander in der Bestimmung eines Gegenstandes, als eines schönen, mit dem Gefühl einer Lust verbunden, die durch das Geschmacksurteil zugleich als für jedermann gültig erklärt wird; [b] folglich kann eben so wenig eine die Vorstellung begleitende Annehmlichkeit, als die Vorstellung von der Vollkommenheit des Gegenstandes und der Begriff des Guten den Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils enthalten.

Auf den ersten Blick ist weder ersichtlich, worin die Begründung für die Abgrenzung des Schönen von der Vollkommenheit besteht, noch, ob diese von Kants erster Begründung in § 11.A.3 unterschieden ist. Ich schlage die folgende Deutung vor. In § 11.B.1a führt Kant die ›Lust‹ am Schönen an, von der klar ist, dass sie der Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils ist. Diesen Bestimmungsgrund der Lust grenzt er vom ›Begrif des Guten‹ als ›Bestimmungsgrund‹ ab. Da die Differenz zwischen einem Bestimmungsgrund der Lust und einem begrifflichen Bestimmungsgrund gleichbedeutend mit der Differenz zwischen ästhetischen Urteilen und Erkenntnisurteilen ist, rekurriert Kant auf dieselbe Begründung, die er bereits in § 11.A.3 angeführt hat. Ergänzend lässt sich anführen, dass nicht einmal jede ›Vorstellung von der Vollkommenheit eines Gegenstandes‹ und jeder ›Begrif des Guten‹ überhaupt mit einem Gefühl der Lust verbunden sind. Theoretische Erkenntnisse der Vollkommenheit sind nämlich nicht mit Lust verknüpft, was das folgende Zitat verdeutlicht: »Überhaupt hat also der Begrif der Vollkommenheit als objectiver Zweckmäßigkeit mit dem Gefühle der Lust und diese mit jenem gar nichts zu thun« (EEKU: 228,30).

Durch die Tatsache, dass objektive Zwecke im Kontext von theoretischen Erkenntnissen mit keiner Lust verbunden sind, können solche Zwecke vom Schönen abgegrenzt werden.

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Halten wir zur Abgrenzung des Schönen von objektiven Zwecken das Folgende fest: i. Ein objektiver Zweck ist ein Begriff davon, was ein Gegenstand selbst sein soll oder wozu er nützlich sein soll. Er kann im praktischen Kontext und im epistemischen Kontext (der theoretischen Erkenntnis von Vollkommenheit oder Nützlichkeit) Anwendung finden. ii. Ein Urteil, dem ein objektiver Zweck zugrunde liegt, ist ein (praktisches oder theoretisches) Erkenntnisurteil. Da das Geschmacksurteil ein ästhetisches Urteil ist, kann ihm kein objektiver Zweck zugrunde liegen. Kant hat in § 11.A.1–3 und § 11.B.1 gezeigt, dass das Geschmacksurteil weder auf einem objektiven noch einem subjektiven Zweck beruhen kann. Er kann daher folgern: »Also kann nichts anders als die subjective Zweckmäßigkeit in der Vorstellung eines Gegenstandes, ohne allen (weder objectiven noch subjectiven) Zweck, […] den Bestimmungsgrund des Geschmacksurtheils, ausmachen« (§ 11.B.2, 221,21, m. H.). Das Geschmacksurteil kann also nicht auf einer ZM mit Zweck beruhen. Die entscheidende Frage ist jedoch: Warum sollte dem Geschmacksurteil überhaupt eine ZM zugrunde liegen?

11.3 Argumentation: Warum dem Geschmacksurteil eine Zweckmäßigkeit zugrunde liegt 11.3.1 Warum das Geschmacksurteil überhaupt auf einer Zweckmäßigkeit beruht Kant, so haben wir im letzten Unterkapitel gesehen, deutet bereits zum Ende von § 10 implizit an, dass sich beim Schönen (im freien Spiel) eine subjektive ZM manifestiert. Ich möchte nun zeigen, dass es auch in § 11 eine (wenngleich kryptische) Argumentation für die These gibt, dem Geschmacksurteil liege eine ZM – oder genauer eine subjektive ZM ohne Zweck – zugrunde. Erinnern wir uns zunächst an die Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver ZM: 20 Eine objektive ZM steht für eine Beziehung des Gegenstandes auf sich selbst oder ein anderes Objekt; so ist die Geige objektiv zweckmäßig im Sinne der Vollkommenheit, 20

Siehe hierzu Kap. 10.1.3.

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wenn sie damit übereinstimmt, was eine Geige sein soll, d. h. wenn sie über einen Korpus, vier Saiten usw. verfügt. Ferner ist die Geige objektiv zweckmäßig im Sinne der Nützlichkeit, wenn sie dem Zweck, Musik zu machen, dienlich ist. Eine subjektive ZM steht für eine Beziehung des Gegenstandes auf die Erkenntnisvermögen des Subjekts. Konkret verfügt ein Gegenstand dann über subjektive (innere) ZM, wenn er erkannt werden kann, d. h. wenn er mit einer Zusammenstimmung der Erkenntnisvermögen zur Erkenntnis überhaupt verbunden ist. Wenn wir beispielsweise eine Erkenntnis über eine gegebene Rose gewinnen, dann stimmen dabei unsere Erkenntnisvermögen zur Erkenntnis überhaupt zusammen, und die Rose erweist sich als subjektiv zweckmäßig. In § 11.A.3 schildert Kant nun, dass das Geschmacksurteil ›bloß das Verhältniß der Vorstellungskräfte zu einander, sofern sie durch eine Vorstellung bestimmt werden, betrift‹. Mit Rückgriff auf § 9 ist völlig klar, in welchem ›Verhältniß‹ sich die Vorstellungskräfte beim Schönen befinden, nämlich »im Verhältnisse […] zu einander […], sofern sie eine gegebene Vorstellung auf E rk e n n t n i ß ü b e r h a u p t beziehen« (§ 9.C.4, 217,18), oder einfach im Verhältnis »zu einem Erkenntnisse überhaupt« (§ 9.D.2, 217,25). Wir können § 11.A.3b durch diese Bestimmung des Verhältnisses ergänzen: § 11.A.3bR3 Das Geschmacksurteil (3) betrifft das Verhältnis der Vorstellungskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt, sofern die Vorstellungskräfte durch eine Vorstellung bestimmt werden.

Wie oben erläutert, besteht die subjektive ZM in einer Beziehung des Objekts auf die Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte zur Erkenntnis überhaupt. Da beim Schönen eine solche Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vorliegt, wobei die Vorstellungskräfte ›durch eine Vorstellung [vom Objekt] bestimmt werden‹, so erweist sich dieses Objekt beim Schönen als subjektiv zweckmäßig. In diesem Sinne wird in § 11.A.3b implizit angedeutet, warum dem Geschmacksurteil eine subjektive ZM des schönen Objekts zugrunde liegt. Wir können diese implizite Begründung in die folgende Argumentform bringen: P1

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Wenn bei einer Vorstellung vom Objekt ein Verhältnis der Vorstellungkräfte zu einer Erkenntnis überhaupt vorliegt, dann ist die Vorstellung vom Objekt subjektiv zweckmäßig.

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Warum dem Geschmacksurteil eine Zweckmäßigkeit zugrunde liegt

P2

Beim Schönen liegt bei der Vorstellung vom (schönen) Objekt ein Verhältnis der Vorstellungskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt vor. Also: Beim Schönen ist die Vorstellung vom (schönen) Objekt subjektiv zweckmäßig.

Halten wir fest: Das Geschmacksurteil beinhaltet insofern eine subjektive ZM, als das freie Spiel der Erkenntniskräfte, das dem Geschmacksurteil zugrunde liegt, durch eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt ausgezeichnet ist. Da diese Zusammenstimmung durch eine Vorstellung vom Objekt angeregt wird, ist das Objekt zweckmäßig für die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, d. h. subjektiv zweckmäßig. Dieses Ergebnis lässt sich mit den Ergebnissen der anderen Argumentationsstränge zusammenführen, nämlich dass dem Geschmacksurteil kein objektiver und kein subjektiver Zweck zugrunde liegt. Das Gesamtergebnis ist dann, dass dem Geschmacksurteil eine subjektive ZM des Objekts ohne Zweck zugrunde liegt. Genau dies war Kants vorangestellte These in der Überschrift: »Das Geschmacksurtheil hat nichts als die F o r m d e r Z w e c k m ä ß i g k e i t eines Gegenstandes […] zum Grunde« (§ 11.T, 221,2). Doch was bedeutet es eigentlich genau, dass dem Geschmacksurteil eine ZM zugrunde liegt? Inwiefern lässt sich diese ZM ohne Zweck als Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils begreifen?

11.3.2 Zur Zweckmäßigkeit ohne Zweck als Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils In § 11.B.2 konstatiert Kant, dass die subjektive ZM ohne Zweck den Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils ausmache. Um vollends zu verstehen, welche Rolle die subjektive ZM ohne Zweck für das Geschmacksurteil spielt, müssen wir diesen Satz genauer analysieren: § 11.B.2 »Also kann nichts anders als die subjective Zweckmäßigkeit in der Vorstellung eines Gegenstandes, ohne allen (weder objectiven noch subjectiven) Zweck, folglich die bloße Form der Zweckmäßigkeit in der Vorstellung, wodurch uns ein Gegenstand g e g e b e n wird, sofern wir uns ihrer bewußt sind, das Wohlgefallen, welches wir, ohne Begrif, als allgemein mittheilbar beurtheilen, mithin den Bestimmungsgrund des Geschmacksurtheils, ausmachen« (221,21). Kants Philosophie des Schönen

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Da dieser Satz sehr lang und unübersichtlich ist, ist es sinnvoll, ihn zunächst zu vereinfachen. Die Erläuterung ›die bloße Form der Zweckmäßigkeit in der Vorstellung, wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird‹ greift die Formulierung ›subjective Zweckmäßigkeit in der Vorstellung eines Gegenstandes, ohne allen (weder objectiven noch subjectiven) Zweck‹ auf. Kants Betonung, dass diese ZM ›in der Vorstellung, wodurch uns ein Gegenstand g e g e b e n wird‹, vorliegt, ist darauf zurückzuführen, dass wir durch den Begriff der subjektiven ZM die Beziehung des schönen Objekts zum urteilenden Subjekt erfassen: Es geht um die Beziehung von dem, was uns in der Anschauung gegeben wird, zu dem, was wir beim Schönen daraus machen. Ferner können wir die Formulierung ›kann nichts anders als…ausmachen‹ durch ›ist‹ ersetzen. Wir können § 11.B.2 also folgendermaßen vereinfachen: § 11.B.2R1 Die subjektive Zweckmäßigkeit ohne Zweck in der Vorstellung eines Gegenstandes, sofern wir uns dieser Zweckmäßigkeit ohne Zweck bewusst sind, ist das Wohlgefallen, welches wir, ohne Begriff, als allgemein mitteilbar beurteilen, mithin der Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils.

Mit der Umschreibung ›Wohlgefallen, welches wir, ohne Begrif, als allgemein mittheilbar beurtheilen‹ rekurriert Kant auf die Allgemeingültigkeitsthese ATLust und die Begriffslosigkeitsthese BTLust. Wir können daher auch schreiben: § 11.B.2R2 Die subjektive Zweckmäßigkeit ohne Zweck in der Vorstellung eines Gegenstandes, sofern wir uns dieser Zweckmäßigkeit ohne Zweck bewusst sind, ist die allgemeingültige und begriffslose Lust, mithin der Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils.

Entscheidend ist die Formulierung ›sofern wir uns ihrer‹, d. h. der ZM ohne Zweck, ›bewußt sind‹. Die dadurch präzisierte These ist nämlich einfacher verständlich als die ungenauere These aus der Überschrift (§ 11.T), wonach ›das Geschmacksurtheil…nichts als die Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes…zum Grunde [hat]‹. Durch den Zusatz ›sofern wir uns ihrer bewußt sind‹, wird deutlich, dass die Lust am Schönen das gefühlte Bewusstsein der subjektiven ZM ohne Zweck ist. Damit ergibt sich die folgende Rekonstruktion von § 11.B.2:

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§ 11.B.2R3 Die (allgemeingültige und begriffslose) Lust am Schönen ist das Bewusstsein der subjektiven Zweckmäßigkeit ohne Zweck in der Vorstellung eines Gegenstandes.

Inwiefern die Lust das Bewusstsein der subjektiven ZM ist, lässt sich leicht erklären. Die Lust ist das gefühlte freie Spiel der Erkenntniskräfte und in diesem Sinne das ›Bewußtsein‹ des freien Spiels. Nun beinhaltet das freie Spiel eine Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte zur Erkenntnis überhaupt. Als Bewusstsein des freien Spiels können wir die Lust daher auch als Bewusstsein der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt verstehen. Die subjektive ZM des Gegentandes konstituiert sich durch die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, sodass die Lust schließlich auch als Bewusstsein der subjektiven ZM begriffen werden kann. Dies lässt sich mit Rückgriff auf Kants Beantwortung der ›minderen Frage‹ in § 9 belegen. Diese Frage lautet: »auf welche Art [werden] wir uns einer wechselseitigen subjectiven Uebereinstimmung der Erkenntnißkräfte unter einander«, d. h. einer Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, »bewußt« (§ 9.H.1, 218,26)? Kants Antwort lautet: Wir werden uns dieser Zusammenstimmung durch ein Gefühl der Lust bewusst. 21 Die Lust am Schönen ist also das Bewusstsein der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt – und eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt bei einer gegebenen Vorstellung ist eine Manifestation der subjektiven ZM dieser Vorstellung. Diese Deutung der Lust als Bewusstsein der subjektiven ZM ohne Zweck stimmt gut mit unserem Interpretationsansatz zusammen, dass der phänomenale Gehalt der Lust ein Bewusstsein des Prinzips a priori der Urteilskraft beinhaltet. 22 Wir haben gesehen, dass wir uns in der Lust einer Instanziierung der Subjektseite und der Objektseite des Prinzips a priori der Urteilskraft bewusst werden. Dabei besagt die Objektseite des Prinzips a priori, dass die Formen der Natur zweckmäßig für unsere Erkenntnisvermögen sind. 23 Nun ist die Manifestation der subjektiven ZM ohne Zweck des schönen Gegenstandes in der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt nichts anderes als eine Instanziierung der Objektseite des Prinzips a priori. Wie dargelegt, bedeutet das Bewusstsein der Objektseite des Prinzips Vgl. § 9.I.3–6, 219,3. Siehe auch die Analyse dieser Passage in Kap. 9.6. Siehe hierzu Kap. G1.2.4. 23 Zur Differenzierung der Objektseite und der Subjektseite des Prinzips a priori siehe Kap. G3.1. 21 22

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a priori in phänomenologischer Hinsicht, dass wir ein harmonisches Zusammenstimmen mit dem schönen Objekt fühlen. Kehren wir zu unserer Ausgangsfrage zurück. Inwiefern macht die subjektive ZM ohne Zweck – oder vielmehr das Bewusstsein dieser ZM – den ›Bestimmungsgrund des Geschmacksurtheils‹ aus? Das Geschmacksurteil verfügt bekanntermaßen über einen subjektiven Bestimmungsgrund, d. h. einen Bestimmungsgrund der Lust. Wie soeben erläutert, ist die Lust das gefühlte Bewusstsein der subjektiven ZM ohne Zweck. In diesem Sinne ist das gefühlte Bewusstsein der subjektiven ZM ohne Zweck der Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils. Vor diesem Hintergrund wird dann auch verständlich, warum ein Geschmacksurteil »ein ästhetisches Urtheil über die Zweckmäßigkeit des Objects« ist (190,11). Abschließend möchte ich noch auf eine kleine Auffälligkeit eingehen. Kant führt in § 11.B.2 an, dass wir das Wohlgefallen ›ohne Begrif, als allgemein mittheilbar beurtheilen‹. Warum verweist er aber in diesem Sinne explizit auf die Allgemeingültigkeitsthese (ATLust) und die Begriffslosigkeitsthese (BTLust)? 24 Auf den ersten Blick scheinen beide Thesen nicht relevant für die subjektive ZM ohne Zweck zu sein. Auf den zweiten Blick gibt es aber in beiden Fällen eine Verknüpfung. Die allgemeine Mitteilbarkeit der Lust am Schönen beruht nämlich darauf, dass im Zustand des freien Spiels der Erkenntniskräfte eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vorliegt. 25 Und die subjektive ZM konstituiert sich durch ebendiese Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt. Damit ist die Allgemeingültigkeit der Lust (ATLust) eng an die Manifestation der subjektiven ZM geknüpft. Die Begriffslosigkeit der Lust (BTLust) hängt damit zusammen, dass die vorliegende subjektive ZM eine ZM ohne Zweck ist. Würde die Lust auf einer ZM mit Zweck beruhen, so könnte die Lust nicht mehr als nicht-begrifflich gelten. Somit ist der Status der Lust am Schönen als allgemein und begriffslos eng an das Vorliegen einer subjektiven ZM ohne Zweck geknüpft. Für die Analyse dieser beiden Thesen siehe Kap. 6.1.1 sowie 6.1.2. Vgl.: »Es kann aber nichts allgemein mitgetheilt werden, als Erkenntniß, und Vorstellung, sofern sie zum Erkenntniß gehört. […] Soll nun der Bestimmungsgrund des Urtheils über diese allgemeine Mittheilbarkeit der Vorstellung bloß subjectiv, nämlich ohne einen Begrif vom Gegenstande gedacht werden, so kann er kein anderer als der Gemüthszustand seyn, der im Verhältnisse der Vorstellungskräfte zu einander angetroffen wird, sofern sie eine gegebene Vorstellung auf E r k e n n t n i ß ü b e rh a u p t beziehen« (§ 9.C.2 & § 9.C.4, 217,11).

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Zusammenfassung

11.4 Zusammenfassung Kant hat gezeigt, dass dem Geschmacksurteil bzw. der Lust am Schönen weder ein subjektiver noch ein objektiver Zweck zugrunde liegen kann. Würde der Lust am Schönen ein subjektiver Zweck, d. h. eine Zwecksetzung zur Hervorbringung eines angenehmen Gegenstandes, zugrunde liegen, so wäre sie erstens ein Interesse und zweitens bloß privatgültig. Die Lust am Schönen ist aber uninteressiert und allgemeingültig. Würde dem Geschmacksurteil ein objektiver Zweck zugrunde liegen, dann wäre es ein (praktisches oder theoretisches) Erkenntnisurteil. Das Geschmacksurteil ist aber ein ästhetisches Urteil. Insgesamt kann dem Geschmacksurteil also weder ein subjektiver noch ein objektiver Zweck zugrunde liegen; und, da es nur diese beiden Arten von Zwecken gibt, kann ihm gar kein Zweck zugrunde liegen. Dennoch beruht das Geschmacksurteil auf einer ZM, nämlich einer subjektiven ZM ohne Zweck. Im freien Spiel manifestiert sich eine Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte zur Erkenntnis überhaupt. Der schöne Gegenstand, der dieses Spiel und damit diese Zusammenstimmung anregt, erweist sich in dieser Zusammenstimmung als subjektiv zweckmäßig. Im Zustand des freien und harmonischen Spiels manifestiert sich also eine subjektive ZM ohne Zweck. Da die Lust am Schönen das gefühlte Bewusstsein des freien Spiels ist, ist sie ebenso ein Bewusstsein der subjektiven ZM ohne Zweck.

11.5 Literaturbericht Wie oben erläutert werden in § 11 zwei Fragen mehr oder weniger explizit geklärt: Warum liegt dem Geschmacksurteil kein Zweck zugrunde? Und inwiefern liegt dem Geschmacksurteil eine Zweckmäßigkeit zugrunde? Die erste Frage beantwortet Kant, indem er dafür argumentiert, dass dem Geschmacksurteil weder ein subjektiver noch ein objektiver Zweck zugrunde liegt. Wie wird nun Kants Konzeption des subjektiven Zwecks in der Sekundärliteratur gedeutet? Einmal mehr findet sich bei einigen AutorInnen nichts dazu, etwa bei Crawford (1974), Kulenkampff (1994) und Rivera de Rosales (2008). Viele AutorInnen beziehen den subjektiven Zweck auf das Angenehme, so etwa Wenzel (»Ein subjektiver Zweck als Grund des Wohlgefallens findet sich nur beim Wohlgefallen am Angenehmen«; Wenzel 2000, 98) und Allison (»he [Kant] presumably has in mind some object in Kants Philosophie des Schönen

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which one is interested on subjective or desire-based grounds, that is, something agreeable«; Allison 2001, 125). Im Sinne des Angenehmen wird der subjektive Zweck auch bei Bartuschat (vgl. Bartuschat 2015c, 2761) und Matthews (vgl. Matthews 1997, 43) interpretiert. Kern deutet den subjektiven Zweck mit Bezug auf Neigungen und Glückseligkeit, was letztlich auch auf das Angenehme hinausläuft: »subjektive Zwecke sind für Kant solche Zwecke, ›die auf Triebfedern beruhen‹. Subjektive Zwecke sind Gegenstände unserer Neigungen, deren Befriedigung ganz allgemein im Dienste unserer Glückseligkeit steht« (Kern 2000, 87 f.). Bei all diesen Deutungen im Sinne des Angenehmen wird nicht klar, warum in Fällen des Angenehmen überhaupt ein Zweck vorliegt. Dieser Problematik sind diejenigen InterpretInnen nicht ausgesetzt, die die Subjektivität des Zwecks daran festmachen, dass sich ein Subjekt diesen Zweck setzt. So spricht Savile von einem »private end of mine« (Savile 1993, 99); und Guyer schreibt: »a subjective end is […], in its primary sense, a certain aim, purpose, or interest that a person may have. […] regarding an object as a subjective end is regarding it as an object which fulfils a subjective end in this first sense« (Guyer 1979, 213). Auch bei McCloskey findet sich eine Deutung im Sinne von persönlichen Zwecksetzungen; daneben kennt sie aber auch eine absolute subjektive ZM, die sie dem Schönen zuspricht: »subjective ends can be relative (the aims and goals of persons) and absolute (forms final for perception)« (McCloskey 1987, 67). Freilich widerspricht dies aber Kants These, beim Schönen liege eine ZM ohne Zweck vor. Fricke nimmt eine recht lange Untersuchung zum Begriff des subjektiven Zwecks vor (vgl. Fricke 1990, 103–106). Als erste Bedeutung dieses Begriffs benennt sie das Folgende: »Unter einem subjektiven Zweck ist hier der Empfindungszustand der Lust eines Menschen zu verstehen: Zweck ist dieser Empfindungszustand, weil jeder Mensch danach strebt, einen solchen Empfindungszustand zu erreichen; subjektiv aber ist dieser Zweck, weil er ein Empfindungszustand eines Subjekts und kein Objekt in der Erscheinungswelt außerhalb dieses Subjekts ist« (Fricke 1990, 103 f.). Sie kennt darüber hinaus auch eine Deutung im Sinne einer Zwecksetzung des Subjekts: »Bezeichnung eines Gegenstandes, der aus subjektiven Gründen Gegenstand des Interesses eines Menschen ist« (Fricke 1990, 106). Wird die Abgrenzung des Schönen von subjektiven Zwecken behandelt, so wird diese zumeist damit begründet, dass subjektive Zwecke mit einem Interesse einhergehen, während die Lust am Schönen uninteressiert sei. Diese Begründung findet sich etwa bei Allison (2001, 125), Fricke (1990, 105 f.), Guyer (1979, 213) und Matthews (1997, 43). Kern begründet die Abgrenzung mit Rekurs auf die Allgemeingültigkeit des Schönen und die Privatgültigkeit des subjektiven Zwecks (vgl. Kern 2000, 87 ff.). Wenzel gründet diese Abgrenzung darauf, dass sich subjektive Zwecke nur beim Angenehmen finden, von dem das Schöne unterschieden sei (vgl. Wenzel 2000, 98). Aus meinen obigen Erläuterungen geht hervor, dass in Kants Argumentation alle drei Begründungen involviert sind.

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Literaturbericht

Im zweiten Schritt grenzt Kant das Schöne von objektiven Zwecken ab. Insofern dieser Begriff näher behandelt wird, identifiziert man ihn in der Sekundärliteratur oft nur mit dem Guten (vgl. Allison 2001, 125) bzw. dem moralisch Guten oder der Vollkommenheit und dem Nützlichen (vgl. Bartuschat 2015c, 2761 f.). Fricke erläutert Letzteres folgendermaßen: »Zwecke sind das Nützliche und sittlich Gute, weil sie Gegenstände des Interesses eines Menschen sind, objektive Zwecke aber sind diese Gegenstände, weil ein Mensch sie aus objektiven Gründen zu Gegenständen seines Interesses macht« (Fricke 1990, 106 f.). Bei all diesen Deutungen wird allerdings nicht zwischen der Bedeutung des objektiven Zwecks im praktischen und im epistemischen Kontext differenziert. Ohne Bezug auf das Gute bemerkt Guyer korrekt, es sei der objektive Zweck, der eigentlich mit der Begriffsbestimmung des Zwecks zu Beginn von § 10 übereinstimme; er beziehe sich auf »an object represented as possible only on the basis of a certain kind of causal history« (Guyer 1979, 213). In eine ähnliche Kerbe schlägt Matthews, wenn sie schreibt: »To be an objective purpose, an object must have a concept as its cause« (Matthews 1997, 43). Kants Begründung der Abgrenzung des Schönen von objektiven Zwecken wird in der Literatur nur beiläufig behandelt. Diese Begründung wird entweder daran festgemacht, dass Urteile, denen ein objektiver Zweck zugrunde liegt, Erkenntnisurteile und keine ästhetischen Urteile sind (vgl. Kern 2000, 87; Wenzel 2000, 98), oder daran, dass Urteile, denen objektive Zwecke zugrunde liegen, einen Begriff zum Bestimmungsgrund haben (vgl. Allison 2001, 125; Fricke 1990, 108; Matthews 1997, 43). Beide Begründungen, die letztlich auf dasselbe hinauslaufen, stimmen mit der hier rekonstruierten Begründung überein. Mit einem etwas anderen Fokus heißt es bei Guyer: »aesthetic judgment is not determined by causal considerations«; dagegen beziehe sich ein objektiver Zweck immer auf eine »causal history« (Guyer 1979, 213). Die entscheidende Frage, die sich mit Bezug auf § 11 und eigentlich sogar mit Bezug auf das gesamte Dritte Moment stellt, ist freilich, warum und inwiefern dem Geschmacksurteil überhaupt eine Zweckmäßigkeit zugrunde liegt. Diese Frage hängt in den meisten Fällen eng damit zusammen, was die einzelnen AutorInnen unter ZM und spezifisch unter subjektiver ZM verstehen. In der vielleicht simpelsten Deutung ist der schöne Gegenstand insofern subjektiv zweckmäßig, als er in irgendeiner Form mit einem Gefühl der Lust verknüpft ist. In diesem Sinne schreibt etwa Fricke: »Die Vorstellung des Gegenstandes, welche das Verhältnis von Einbildungskraft und Verstand bestimmt, das in dem interesselosen Wohlgefallen am Schönen bewußt ist, ist zweckmäßig hinsichtlich des subjektiven Zwecks dieses Wohlgefallens« (Fricke 1990, 108 f.). 26 Einen ähnlichen Ansatz vertreten Fricke erläutert darüber hinaus, inwiefern diese ZM einerseits mit Zweck und andererseits ohne Zweck sei: »die subjektive Zweckmäßigkeit dieser Vorstellung ist eine

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auch Zammito (vgl. Zammito 1992, 103) und Matthews, wobei letztere schreibt: »In order for the argument to work, it must first be the case that the judgment of taste is based on some kind of purposiveness. This is true if Kant’s definition of pleasure does, indeed, imply that pleasure is based on purposiveness, and specifically on an object’s being directed at our state« (Matthews 1997, 42). Nach solchen Deutungen muss auch beim Angenehmen eine subjektive ZM vorliegen, weshalb der subjektiven ZM keine Begründungsfunktion für die Allgemeingültigkeit der Lust am Schönen zukommen kann. Auch bei Kulenkampff hat es zunächst den Anschein, als deute er die ZM mit Hinblick auf die Lust: »die Wahrnehmung von unbestimmter Zweckmäßigkeit auf der Ebene der Objekte hat insofern eine subjektive Zweckmäßigkeit zur Folge, als sie im Subjekt mit einem nur als Lust fühlbaren Gemütszustand identisch ist« (Kulenkampff 1994, 133). Er schildert mit Bezug auf das Beispiel einer schönen Tulpe aber auch »eine Zweckmäßigkeitsrelation zwischen dem in der Wahrnehmung gegebenen Moment der Tulpe und dem korrelativen Moment des freien Spiels der Vermögen« (Kulenkampff 1994, 142). (Mit Bezug auf § 12 spricht Kulenkampff zudem von einer Zweckmäßigkeit, die »zwischen den beiden Vermögen Verstand und Einbildungskraft und dem abstrakt unbestimmten Zweck des Urteils oder der Erkenntnis überhaupt« herrsche; Kulenkampff 1994, 134). Auch andere AutorInnen deuten die subjektive ZM beim Schönen mit Bezug auf das freie Spiel, so etwa McCloskey: »such forms must be final, that is ›ends‹ for perception; and […] forms which are ends for perception are those which set the cognitive faculties of imagination and understanding in harmonious free play« (McCloskey 1987, 66; vgl. auch 69). 27 Und Pollok erläutert: »they [judgments of taste] rather express the fact that we find the object purposive with respect to the free play of our cognitive powers« (Pollok 2017, 295). Problematisch scheint mir an solchen Deutungen, dass nicht klar wird, auf welchen Aspekt des freien Spiels sich die subjektive ZM bezieht und ob auch bei einer (empirischen) Erkenntnis eine subjektive ZM vorliegt. Die Beziehung auf das freie Spiel macht auch bei Wenzel einen Teil seines Verständnisses der ZM beim Schönen aus. Darüber hinaus nimmt er noch zwei weitere Zweckmäßigkeitsbeziehungen an:

Zweckmäßigkeit mit Zweck; (und hier wird der Terminus ›subjektiver Zweck‹ zur Bestimmung des Lustzustandes eines Menschen verwendet); dennoch ist die Empfindung dieses Wohlgefallens für einen Menschen ein Bewußtsein ohne Zweck, nämlich ohne begriffliche Vorstellung eines objektiven Zwecks und ohne Bezug auf einen subjektiven Zweck, nämlich einen Gegenstand des Interesses; (und hier wird der Terminus ›subjektiver Zweck‹ zur Bezeichnung eines Gegenstandes verwendet, der aus subjektiven Gründen interessiert)« (Fricke 1990, 109). 27 Interessanterweise geht McCloskey davon aus, dass dem Schönen ein Zweck zugrunde liegt, nämlich »reflection upon the beautiful« als »end of the subject« und »internal end« (McCloskey 1987, 67 f.).

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Literaturbericht

»Die Vorstellung wird […] als geeignet, angemessenen und zweckmäßig (Z1) zu einem freien Spiel der Vorstellungskräfte in einem füreinander zweckmäßigen (Z2) Verhältnis [bestimmt], welches wiederum zweckmäßig (Z3) für Erkenntnis überhaupt ist« (Wenzel 2000, 106 f.; vgl. ebenso Wenzel 2008, 62). Ich habe hingegen dafür argumentiert, dass das zweckmäßige Verhältnis von Einbildungskraft und Verstand nichts anderes als der Zustand zur Erkenntnis überhaupt ist. Die ersten beiden von Wenzel aufgelisteten Zweckmäßigkeitsrelationen benennt auch Longuenesse. Erstens identifiziert sie die folgende ZM des schönen Gegenstandes: »this feature of the object, that its form is such that apprehending it or synthesizing it is beneficial to the mutual enhancement of our imagination and understanding, is what Kant calls […] the ›subjective purposiveness in the representation of an object, without any purpose either subjective or objective‹« (Longuenesse 2006, 210 f.). Zweitens benennt sie die folgende intrasubjektive ZM: »The ›formal purposiveness‹ in the play of the subject’s cognitive powers is, I presume, the capacity of the latter to achieve the end of maintaining the mind in the state of harmonious free play and the satisfaction it elicits« (Longuenesse 2003, 157; vgl. auch Longuenesse 2006, 211). Zwar habe auch ich sowohl eine ZM der Vorstellung des schönen Objekts als auch der Erkenntnisvermögen des Subjekts angenommen; jedoch habe ich die letztere als Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt gedeutet und die erste als Beziehung des Objekts zur Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt. Neben Deutungen der ZM, die sich allgemein auf das freie und harmonische Spiel beziehen, binden einige AutorInnen die ZM spezifisch an die Harmonie der Erkenntnisvermögen, die sich im freien Spiel manifestiert. Diese Deutung vertreten etwa Guyer (vgl. 1979, 216) sowie Allison. Letzterer spricht von einem »object whose representation occasions such a harmony in a perceiver that it seems as if it were designed« (Allison 2001, 128). Darüber hinaus interpretiert Allison aber auch den Gemütszustand der Harmonie selbst als zweckmäßig – und zwar weil »it enhances the reciprocal activity of the imagination and understanding« (Allison 2001, 127). Schließlich deutet er auch die Handlung des freien Spiels als zweckmäßig, insofern sie die Harmonie als Produkt herbeiführe (vgl. Allison 2001, 127). Makkreel bezieht die ZM beim Schönen einmal auf die Harmonie der Erkenntnisvermögen (vgl. Makkreel 2006, 233) und einmal auf die Erkenntnis überhaupt (vgl. Makkreel 1997, 83 f.). Auch wir haben dafür argumentiert, dass sich die ZM auf die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt bezieht. In die Interpretationslinie im Sinne des Bezugs zur Erkenntnis überhaupt lässt sich auch Crowther einordnen: »since this interaction [of imagination and understanding] is the general basis of reflective judgment per se (and, indeed, of all cognition), then we can regard forms which facilitate such interaction as subjectively final or purposive in relation to the a priori principle of reflective judgment itself« (Crowther 2010, 68). Allgemeiner spricht Kern davon, der gegebene Gegenstand sei beim Schönen Kants Philosophie des Schönen

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»zweckmäßig allein für den Gebrauch der Urteilskraft selbst«, d. h. für »unser Vermögen, ihn [den Gegenstand] überhaupt zu erkennen« (Kern 2000, 91). Ähnlich identifiziert Crawford eine »fittingness of the form of the object […] for our powers of cognition (imagination and understanding)« (Crawford 1974, 151). Er schreibt aber auch mit stärkerem Bezug zum schönen Objekt: »to say that the object’s formal properties can be related in a purposive way, suitable for the application of a concept even though no concept is available or is being held up to judge the unity at this time« (Crawford 1974, 96). Ebenfalls einen Bezug zur Erkenntnis bzw. den intellektuellen Vermögen scheint Savile vorzuschweben, wenn er die ZM beim Schönen (in Analogie zu Nützlichkeitsverhältnissen in der Natur) als »quasi-nutritive function« und »spiritual nourishment« bestimmt (Savile 1993, 95 & 97). Unter den soeben vorgestellten Deutungen der ZM beim Schönen sind auch einige, bei denen wenigstens eine von mehreren Ausprägungen der ZM intrasubjektiv war. Einige InterpretInnen verorten die ZM beim Schönen ausschließlich oder wenigstens vorrangig intrasubjektiv, d. h. in der Relation der Erkenntnisvermögen. Auch hier wurde dafür argumentiert, dass sich beim Schönen eine zweckmäßige Stimmung von Einbildungskraft und Verstand manifestiert, nämlich die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt. Bereits in die Richtung einer intrasubjektiven ZM deutet Essers Interpretation der ZM: »als ästhetisch zweckmäßig erweist sich ein Gegenstand nur im Verhältnis der Vermögen. Das ästhetische Urteil sagt aus, ob die von der Einbildungskraft generierte qualitative Wertbildung als zweckmäßig gelten kann und somit die Art, eine Gegebenheit aufzunehmen, den Verstand erweckt« (Esser 1997, 176). Noch expliziter und deutlicher benennt Bartuschat »eine subjektinterne Zweckmäßigkeit der Glieder dieses Spiels [von Einbildungskraft und Verstand]« (Bartuschat 2015b, 2758) sowie eine »interne Zweckmäßigkeit der unsere Vorstellung ausmachenden Komponenten Einbildungskraft und Verstand« (Bartuschat 2015c, 2762). Ähnlich spricht Euler von einer »subjektive[n] formale[n] Zweckmäßigkeit unter den Erkenntniskräften Einbildungskraft und Verstand« (W. Euler 2015, 2745). Ebenfalls primär subjektintern versteht Ginsborg die ZM beim Schönen. Sie deutet die in § 11 angeführte ZM der »representation of the object« in dem Sinne, dass »we ascribe purposiveness to the activity of our faculties in judging the object« (Ginsborg 2015, 236). Genauer interpretiert sie ZM allgemein im Sinne eines normativen Anspruchs, den sie beim Schönen folgendermaßen instanziiert sieht: »On my reading, the perception of purposiveness in the activity of the cognitive faculties is the perception of them as functioning as they should function in their response to the object, but this is at the same time a perception of the object as suited for – as being just the way it ought to be in order to make possible – that very activity of the faculties« (Ginsborg 2016, 412; vgl. auch Ginsborg 2015, 246 f.).

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Literaturbericht

Nach meiner Deutung liegt beim Schönen aber nicht nur eine intrasubjektive ZM der Erkenntnisvermögen vor, sondern insbesondere auch eine ZM der Vorstellung vom schönen Objekt für diese zweckmäßige Zusammenstimmung der Erkenntnisvermögen. Einige AutorInnen verorten die ZM dagegen nicht oder nicht nur in der Beziehung des Objekts zum urteilenden Subjekt, sondern im Objekt selbst. So erläutert Rivera de Rosales mit Bezug auf die Überschrift von § 11: »›Zweckmäßigkeit‹ bedeutet hier, daß die verschiedenen Objektteile sich dem Subjekt angemessen in einander einfügen und ein harmonisches Ganzes für dieses bilden, als wäre ein Begriff die Ursache des Ganzen« (Rivera de Rosales 2008, 81). Eine verwandte Deutung findet sich in einem neueren Text Frickes: »Die Ordnungsstruktur, die für die Schönheit eines Gegenstandes konstitutiv ist, ist die Form einer Zweckmäßigkeit ohne Zweck […], weil sie eine ganzheitliche oder systematische Einheit ist, die ein Mannigfaltiges aufweist, insofern seine Teile kein bloßes Aggregat bilden, sondern systematisch miteinander verbunden sind« (Fricke 2000, 53). In eine ähnliche Richtung deutet Zuckert mit ihrer ersten von drei Deutungen der ZM beim Schönen: »The contingent, heterogeneous properties of an object experienced as beautiful function coordinately with one another, are reciprocally ›in tune‹ with one another, in our experience of the object, moreover, in a way analogous to the way in which heterogeneous parts function in an organism: they are internally related to one another, and thus dependent upon the whole« (Zuckert 2007, 193). Für diese zweckmäßige Zusammenstimmung führt sie die Formel »unity of diversity« ein (Zuckert 2007, 194; vgl. auch Zuckert 2006, 610 ff.). Zuckerts zweite Deutung der ZM bezieht sich auf die Lust am Schönen: »aesthetic pleasure is in a representational state that is end-directed precisely towards its own continuance, purposive without a conceptual (or separate) purpose« (Zuckert 2007, 269). Für Zuckert konstituiert sich ZM unter anderem durch ›future directedness‹. Im Sinne dieser ›future directedness‹ ist auch Zuckerts dritte Deutung der ZM zu verstehen, die sich nunmehr auf das freie Spiel bezieht: »in purposive aesthetic judging, each presently intuited sensible property is appreciated as means to the future anticipated whole of which it is part, and thus that future whole (the combination of indeterminately many properties of the object) is thereby already suggested within, or alluded to, in the present« (Zuckert 2007, 304). Insgesamt möchte ich betonen, dass Zuckert die mit Abstand umfassendste und genauste Untersuchung der ZM des Schönen vorgenommen hat. Nicht unerwähnt lassen möchte ich schließlich noch Eckls Interpretation der ZM beim Schönen, die mit keiner der oben genannten Deutungen zusammenfällt. Nach Eckl scheint es so, »›als ob‹ ein[.] vernünftiges oder zur Vernunft befähigtes Subjekt mit dieser Wirkung [d. h. der Lust] eine (vernünftige) Absicht, einen (vernünftigen) Zweck verbunden und den Gegenstand der Beurteilung, von dem wir nur eine Vorstellung haben, ›zweckmäßig‹ eingerichtet hätte«; und diese zweckmäßige Einrichtung bestehe daKants Philosophie des Schönen

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rin, »dass wir angeregt sind, auf der Grundlage einer vernünftigen Einrichtung in der Welt für [die] weitere vernünftig-zweckmäßige Einrichtung in der Welt zu sorgen« (Eckl 2017, 74 f.). Letztlich besteht die ZM des Schönen nach Eckl darin, uns auf moralische Zwecke auszurichten. Es scheint mir aber nicht klar, wie sich diese moralische Deutung der ZM aus dem Text der §§ 10–12 entnehmen lassen sollte. Wenden wir uns dem genauen Wortlaut von § 11 zu. Kant identifiziert die »subjective Zweckmäßigkeit in der Vorstellung eines Gegenstandes, ohne allen […] Zweck« mit dem »Bestimmungsgrund des Geschmacksurtheils« (§ 11.B.2, 221,22, m. H.). Wie wird diese Rolle der ZM als Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils gedeutet? Bei den allermeisten AutorInnen findet sich nichts zu dieser Thematik. Explizit geht Savile darauf ein: »What Kant says […] is that our pleasure is or constitutes our consciousness of the function. We are aware of the functionality of the thing via the pleasure which it gives us, and it is in this sense that functionality is the determining ground of our judgment« (Savile 1993, 94). Diese Lösung stimmt weitestgehend mit der von mir vorgeschlagenen Interpretation überein. Ohne Bezug darauf, dass es das Bewusstsein der subjektiven ZM ist, welches den Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils ausmacht, schreibt Longuenesse: »The ground of the predication, then, in the judgment ›this rose is beautiful‹ is the intuited form’s disposition to elicit the mutually enhancing agreement of imagination and understanding in their apprehension of this form« (Longuenesse 2006, 211; vgl. auch Longuenesse 2003, 156 ff.). Ferner verortet Longuenesse eine subjektinterne ZM im freien Spiel und versteht diese als Grund des impliziten Urteils »all judging subjects, in apprehending this same object, ought to agree with my judgment« (Longuenesse 2006, 212; vgl. auch Longuenesse 2003, 158). Eckl, der ebenfalls nicht den Begriff des Bewusstseins berücksichtigt, interpretiert den Grund des Geschmacksurteils als Grund des Wohlgefallens (vgl. Eckl 2017, 73). An die soeben diskutierte Thematik schließt sich die Frage an, inwiefern wir uns der subjektiven ZM ohne Zweck bewusst sind. Auch hierzu gibt ein Großteil der AutorInnen keine Auskunft. Eine Ausnahme ist Kern, die – ohne expliziten Bezug zu § 11 – den folgenden phänomenologischen Zusammenhang schildert: »In der Erfahrung des Schönen erfahren wir nicht etwas in der Welt, sondern wir erfahren etwas über unser Verhältnis zur Welt. Es ist die Erfahrung eines solchen Passens in die Welt, das den besonderen Gehalt der ästhetischen Erfahrung ausmacht und sie von jeder Form der begrifflichen Erkenntnis unterscheidet« (Kern 2000, 96). Dem stimme ich zu, da die subjektive ZM einen Niederschlag im phänomenalen Gehalt der Lust hat. Andeutungen auf einen Niederschlag der subjektiven ZM im phänomenalen Gehalt der Lust finden sich auch bei Recki (2004, 284), Wenzel (2008, 59 & 124) und Wieland (2001, 267).

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Grundlagen 3: Das subjektive Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft

Nach der Lektüre der Einleitung ist Kants Leserschaft klar, dass das Geschmacksurteil in irgendeiner Form einen Bezug zum subjektiven Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft aufweisen muss. Unklar ist jedoch, worin genau dieser Bezug besteht. Bezeichnend für Kants eher andeutungshafte Formulierungen aus der Einleitung ist etwa das folgende Zitat: »Das ist die Ursache, warum die Urtheile des Geschmacks ihrer Möglichkeit nach, weil diese [Möglichkeit] ein Princip a priori voraussetzt, auch einer Critik unterworfen sind, obgleich dieses Princip weder ein Erkenntnißprincip für den Verstand, noch ein practisches für den Willen, und also a priori gar nicht bestimmend ist« (191,35 f.).

Vor dem Hintergrund der These, dass das Geschmacksurteil ›ein Princip a priori voraussetzt‹, werden Kants Leser wohl erwarten, dass die Rolle dieses Prinzips in der Analytik des Schönen genauer beleuchtet wird. Tatsächlich findet sich jedoch in der gesamten Analytik kein einziger expliziter Verweis auf das subjektive Prinzip a priori der Urteilskraft. Vielmehr deutet Kant nur in der Überschrift von § 12 vage an, dass »[d]as Geschmacksurtheil […] auf Gründen a priori« beruhe (§ 12.T, 221,29), und in § 20 konstatiert er nicht weniger vage, das Geschmacksurteil habe »ein subjectives Princip« (§ 20.A.3, 238,4), welches er mit dem Gemeinsinn identifiziert. Ich möchte für den Moment (noch) nicht fragen, wie sich der Gemeinsinn und das subjektive Prinzip a priori der Urteilskraft zueinander verhalten. 1 Vielmehr werde ich die folgenden Fragen stellen und zu beantworten versuchen: 1. Was ist der Inhalt des subjektiven Prinzips a priori der reflektierenden Urteilskraft? 2. Wie findet das Prinzip a priori im Allgemeinen Anwendung? 3. Wie findet das Prinzip a priori im Geschmacksurteil Anwendung? 1

Siehe hierzu Kap. G6.3.

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Grundlagen 3: Das subjektive Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft

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Welche Konsequenzen hat die Anwendung des Prinzips a priori im Geschmacksurteil für die ästhetische Einstellung? 5. Inwiefern entspringt das Prinzip a priori einem Akt der Heautonomie? Da Kant, wie gesagt, in der Analytik nicht näher auf das Prinzip a priori eingeht, werde ich den folgenden Untersuchungen insbesondere die beiden Einleitungen in die KU zugrunde legen.

G3.1 Der Inhalt des subjektiven Prinzips a priori der reflektierenden Urteilskraft In Unterpunkt III der offiziellen Einleitung äußert Kant die Vermutung, dass die Urteilskraft »ein ihr eigenes Princip nach Gesetzen zu suchen, allenfalls ein bloß subjectives a priori, in sich enthalten dürfte« (177,8). Dieses Prinzip ist ein Prinzip a priori, weil es »nicht von der Erfahrung entlehn[t]« wird (180,7), d. h. nicht empirisch gewonnen wird. Vielmehr ist es ein »transscendentales Princip« (180,11), da es in einer bestimmten Hinsicht eine Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnissen enthält. 2 Konkret enthält das Prinzip a priori der Urteilskraft die Bedingungen der Möglichkeit von empirischen Erkenntnissen der Natur und von einer systematischen Einheit dieser Erkenntnisse. 3 Auf den Punkt gebracht enthält das Prinzip a priori die Bedingung der Möglichkeit dafür, dass wir Naturwissenschaft betreiben können, d. h. ein System empirischer Naturgesetze aufbauen können. Besagtes Prinzip ist aber nicht nur ein Prinzip a priori und transzendental, sondern auch subjektiv. Dieser subjektive Charakter lässt sich gut in Abgrenzung von den objektiven Grundsätzen des reinen Verstandes veranschaulichen. Die Grundsätze des reinen Verstandes, die bekanntermaßen die Kategorien beinhalten, haben auf ErscheiVgl.: »Ein transscendentales Princip ist dasjenige, durch welches die allgemeine Bedingung a priori vorgestellt wird, unter der allein Dinge Objecte unserer Erkenntniß überhaupt werden können« (181,15). 3 Vgl.: »Die reflectirende Urtheilskraft, die von dem Besondern in der Natur zum Allgemeinen aufzusteigen die Obliegenheit hat, bedarf also eines Princips, welches sie nicht von der Erfahrung entlehnen kann, weil es eben die Einheit aller empirischen Principien unter gleichfalls empirischen aber höheren Principien, und also die Möglichkeit der systematischen Unterordnung derselben unter einander, begründen soll« (180,5). 2

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Der Inhalt des subjektiven Prinzips a priori

nungen und somit auf die Natur Anwendung. 4 Sie schreiben, wie Kant gerne formuliert, der Natur Gesetze vor, nach denen sich die Natur (verstanden als das Ganze der Erscheinungen) zu richten hat. Im Gegensatz dazu hat das subjektive Prinzip a priori der Urteilskraft keine Anwendung auf Erscheinungen: Man »schreibt […] weder der Natur ein Gesetz vor, noch lernt man eines von ihr durch Beobachtung (ob zwar jenes Princip durch diese [Natur] bestätigt werden kann)« (186,13). Die Urteilskraft »giebt sich dadurch nur selbst, und nicht der Natur, ein Gesetz« (180,29). Dass wir uns ›nur selbst…ein Gesetz‹ geben, wird verständlich, wenn wir berücksichtigen, dass das Prinzip a priori der Urteilskraft ein »hevristisches« (411,4) und »regulatives Princip« (197,7) ist. Als solches fungiert es im Sinne einer »Methode« (A668/B696) und eines »Leitfaden[s]« (185,20), d. h. es schreibt uns vor, wie wir verfahren sollen und »wie geurtheilt werden soll« (182,30). Dazu schreibt Kant: »Dieser transscendentale Begrif einer Zweckmäßigkeit der Natur ist nun weder ein Naturbegrif, noch ein Freyheitsbegrif, weil er gar nichts dem Objecte (der Natur) beylegt, sondern nur die einzige Art, wie wir in der Reflexion über die Gegenstände der Natur in Absicht auf eine durchgängig zusammenhängende Erfahrung verfahren müssen, vorstellt, folglich ein subjectives Princip (Maxime) der Urtheilskraft« (184,10).

Das Prinzip a priori ist demnach eine Vorschrift, die sich die Urteilskraft selbst gibt. Die Urteilskraft schreibt sich selbst vor, auf eine bestimmte Art und Weise zu verfahren, nämlich so, als ob etwas der Fall wäre. Dabei bleibt offen, ob dieses etwas tatsächlich der Fall ist. Wie lautet nun das Prinzip a priori? Eine erste inhaltlich ausgestaltete Formulierung liefert Kant in Unterpunkt IV der Einleitung: »Nun kann dieses Princip kein anderes seyn, als: daß […] die besondern empirischen Gesetze […] nach einer solchen Einheit betrachtet werden müssen, als ob gleichfalls ein Verstand (wenn gleich nicht der unsrige) sie zum Behuf unserer Erkenntnißvermögen, um ein System der Erfahrung nach besonderen Naturgesetzen möglich zu machen, gegeben hätte« (180,18).

Kurz darauf heißt es dann: »so ist das Princip der Urtheilskraft in Ansehung der Form der Dinge der Natur unter empirischen Gesetzen überhaupt, die Z w e c k m ä ß i g k e i t Vgl. etwa: »Die Critik […] läßt nichts übrig, als was der Ve r s t a n d a priori als Gesetz für die Natur, als den Inbegrif von Erscheinungen (deren Form eben sowohl a priori gegeben ist), vorschreibt« (167,18).

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Grundlagen 3: Das subjektive Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft

d e r N a t u r in ihrer Mannigfaltigkeit. D. i. die Natur wird durch diesen Begrif so vorgestellt, als ob ein Verstand den Grund der Einheit des Mannigfaltigen ihrer empirischen Gesetze enthalte« (180,34 f.).

Bojanowski identifiziert in der erstgenannten Wiedergabe des Prinzips drei Aspekte: den »Aspekt der nicht-menschlichen Verstandesschöpfung«, einen »teleologische[n] Aspekt« und einen »Geltungsaspekt« im Sinne des Status als regulativen Prinzips (Bojanowski 2008, 33). 5 Den Geltungsaspekt haben wir bereits erläutert. Er ist in den beiden Zitaten im Begriff des ›als ob‹ beinhaltet. Den ›teleologischen Aspekt‹ fasst Kant im zweiten Zitat als ›Zweckmäßigkeit der Natur in ihrer Mannigfaltigkeit‹. Dem ersten Zitat folgend ist diese ZM auf das menschliche Erkenntnisvermögen gerichtet (›zum Behuf unserer Erkenntnißvermögen‹). Damit ist die im Prinzip a priori beinhaltete ZM eine subjektive ZM, d. h. eine ZM des Gegenstandes für die menschlichen Erkenntnisvermögen. 6 Diese ZM, so schlage ich vor, kann lokal und global gedeutet werden: Lokal betrachtet bedeutet die subjektive ZM der Natur, dass einzelne Gegenstände zweckmäßig für unsere Erkenntnisvermögen sind, d. h. dass sie je über eine gewisse Regelmäßigkeit verfügen, sodass die reflektierende Urteilskraft (bzw. der Verstand) einen Begriff, d. h. eine Regel, für sie auffinden kann. Global betrachtet bedeutet die subjektive ZM der Natur, dass sich das ›Mannigfaltige ihrer empirischen Gesetze‹ unter eine ›Einheit‹ befassen lässt, d. h. dass wir eine systematische Hierarchie von empirischen Naturgesetzen aufbauen können. 7 Die beiden obigen Zitate verweisen primär auf den globalen Aspekt der subjektiven ZM. Der globale Aspekt muss aber insofern den lokalen Aspekt der subjektiven ZM immer schon voraussetzen, als sich nur dann ein System Euler scheint den ›Geltungsaspekt‹ und den ›Aspekt der nicht-menschlichen Verstandesschöpfung‹ zusammenzufassen, wenn er schreibt: »Diese Einheit [aller empirischer Naturgesetze] ist aber zugleich nur so zu betrachten (zu denken), ›als ob‹ der angenommene Verstand sie ›gegeben hätte‹ […]. Das heißt […] ein solcher Verstand wird nicht als wirklich (existent) angenommen, sondern nur als eine Idee, deren die Urteilskraft zum Reflektieren über die Natur jedoch bedarf« (W. Euler 2018, 452). 6 Siehe die Erläuterungen zu den verschiedenen Arten von ZM in Kap. 10.1.3. 7 Für eine Beschreibung der globalen Bedeutung der subjektiven ZM im Prinzip a priori vgl. insbesondere Unterpunkt VI der Einleitung (186,25 ff.). – Floyd identifiziert drei Bedeutungen des Prinzips a priori, nämlich »that of the application of empirical concepts, that of the systematicity of empirical laws, and that of the systematicity of empirical concepts in terms of genus and species« (Floyd 1998, 211). Während die erste Bedeutung weitestgehend mit der lokalen Bedeutung des Prinzips a priori übereinstimmt, machen die anderen beiden Aspekte die globale Bedeutung aus. 5

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Der Inhalt des subjektiven Prinzips a priori

von empirischen Gesetzen aufbauen lässt, wenn sich überhaupt erst empirische Gesetze auffinden lassen. Kommen wir zum ›Aspekt der nicht-menschlichen Verstandesschöpfung‹. 8 Erinnern wir uns dazu zunächst an das Kausalverhältnis, das dem Begriff der ZM zugrunde liegt: KR1 Der Begriff ist der Bestimmungsgrund des Willens, und der Wille bringt das Objekt hervor.

Vor dem Hintergrund von K ist ein Gegenstand dann zweckmäßig, wenn er absichtlich durch einen Willen hervorgebracht wurde (oder wenn es mindestens so scheint, als könne er nur absichtlich durch einen Willen hervorgebracht worden sein). Damit beinhaltet der Begriff der ZM bzw. der Teleologie bereits den Aspekt einer ›Verstandesschöpfung‹ – oder vielmehr einer ›Willensschöpfung‹. Die einzige Besonderheit bei der im Prinzip a priori beinhalteten ZM besteht darin, dass es sich um einen ›nicht-menschlichen‹ Willen handelt (›wenn gleich nicht der unsrige‹). 9 Dies ist schon daraus ersichtlich, dass das Prinzip a priori eine Teleologie der Natur und nicht der Kunstprodukte betrifft. Ich plädiere daher (gegen Bojanowski) dafür, dass sich das Prinzip a priori auf zwei zentrale Aspekte zurückführen lässt: erstens auf den Geltungsaspekt im Sinne eines ›als ob‹ und eines regulativen Prinzips, und zweitens auf den inhaltlichen Aspekt der subjektiven ZM der Natur. 10 Dieser inhaltliche Aspekt muss dann in die oben geschilderte globale und lokale Bedeutung aufgeteilt werden. Doch haben wir damit den Inhalt des Prinzips a priori schon vollständig erfasst? 11

Im Kontext dieses Aspekts ist auch Zuckerts Anknüpfung an das Leibniz’sche ›argument from design‹ erhellend: »Judgment according to the principle of purposiveness, then, represents a Kantian, critical version of the argument from design, particularly in its cognitive guise (as in Leibniz): design but no dogmatic claims about the designer« (Zuckert 2006, 606). 9 Interessanterweise identifiziert Kant an einer Stelle den ›als-ob Urheber‹ der Zweckmäßigkeit nicht mit einem fremden Willen, sondern mit der menschlichen Urteilskraft: »Naturgesetze aber, die so beschaffen und auf einander bezogen sind, als ob sie die Urtheilskraft zu ihrem eigenen Bedarf entworfen hätte, haben Aehnlichkeit mit der Möglichkeit der Dinge, die eine Vorstellung dieser Dinge, als Grund derselben voraussetzt« (EEKU: 216,9). 10 Dass sich das Prinzip a priori inhaltlich auf die Natur bezieht, wird auch von Guyer betont (vgl. Guyer 1979, 49). Allerdings wertet Guyer dies als Grund dafür, dass das Geschmacksurteil nicht auf dem Prinzip a priori der Urteilskraft beruhen könne. 11 Wenn ich fortan den Inhalt des Prinzips a priori erläutere, werde ich seine Geltung 8

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Grundlagen 3: Das subjektive Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft

In seiner allgemeinsten Form besteht der Inhalt des Prinzips a priori in der »Z w e c k m ä ß i g k e i t [der Natur] für unser Erkenntnißvermögen« (184,9), der »Zusammenstimmung der Natur zu unserem Erkenntnißvermögen« (185,13) oder der »transscendentale[n] Zweckmäßigkeit (in Beziehung auf das Erkenntnißvermögen des Subjects)« (185,17). Dies bedeutet, grob gesprochen, die Natur sei so beschaffen, dass sie für uns erkennbar ist. Ich möchte an dieser Stelle die lokale Bedeutung des Prinzips a priori in den Vordergrund rücken. Diese besagt, dass einzelne Gegenstände zweckmäßig für unsere Erkenntnisvermögen, d. h. erkennbar sind. 12 Unter welchen Umständen ist ein Gegenstand in diesem Sinne erkennbar? Wir haben gesehen, dass sich ZM allgemein immer auf die Form eines Gegenstandes bezieht: Eine ZM liegt vor, wenn das Mannigfaltige von einem Willen absichtlich zu einer bestimmten Form angeordnet wurde (oder es mindestens so scheint). 13 Der Inhalt des Prinzips a priori betrifft somit die »subjective[.] Zweckmäßigkeit der Natur in ihren Formen« (193,7, m. H.) bzw. die »Zweckmäßigkeit der Naturformen« (EEKU: 217,2, m. H.). Es besagt damit, dass die Formen der Natur zweckmäßig für die menschliche Erkenntnis sind. Wofür die Formen der Natur konkret zweckmäßig sind, geht aus dem folgenden Zitat hervor: »die Natur specificirt ihre allgemeinen Gesetze nach dem Princip der Zweckmäßigkeit für unser Erkenntnißvermögen, d. i. zur Angemessenheit mit dem menschlichen Verstande in seinem nothwendigen Geschäfte: zum Besonderen, welches ihm die Wahrnehmung darbietet, das Allgemeine, und zum Verschiedenen (für jede Species zwar Allgemeinen) wiederum Verknüpfung in der Einheit des Princips zu finden« (186,7, m. H.).

im Sinne des ›als ob‹ nicht immer mit aufführen. Damit will ich aber freilich nicht an seinem Status als regulatives Prinzip rütteln. 12 Hughes spricht ähnlich von einem »fit between mind and nature« (Hughes 1998, 182). Interessanterweise verortet sie die Voraussetzung dieser Passung nicht nur in Urteilen der reflektierenden Urteilskraft, sondern interpretiert sie als »indeterminate, necessary and subjectively universal condition of all judgment« (Hughes 1998, 187). 13 Siehe hierzu Kap. 10.1.2. – Vgl. auch: »so ist das Princip der Urtheilskraft in Ansehung der Form der Dinge der Natur unter empirischen Gesetzen überhaupt, die Z w e c k m ä ß i g k e i t d e r N a t u r in ihrer Mannigfaltigkeit« (180,34 f., m. H.); »Die Zweckmäßigkeit kann also ohne Zweck seyn, sofern wir die Ursache dieser Form nicht in einem Willen setzen, aber doch die Erklärung ihrer [der Form] Möglichkeit, nur indem wir sie von einem Willen ableiten, uns begreiflich machen können« (§ 10.B.3, 220,22, m. H.).

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Der Inhalt des subjektiven Prinzips a priori

Die subjektive ZM der Formen bezieht sich demnach primär auf den Verstand. Nun ist es das ›Geschäft‹ des Verstandes, ›zum Besonderen, welches ihm die Wahrnehmung darbietet, das Allgemeine…zu finden‹, d. h. Begriffe aufzufinden. In diesem Sinne bedeutet das Prinzip a priori inhaltlich, dass die Formen der Natur zweckmäßig für das ›Geschäft‹ bzw. die Tätigkeit des Verstandes sind, Begriffe aufzufinden. Damit der Verstand einen Begriff für eine gegebene Form auffinden kann, muss die Form über eine gewisse Regelmäßigkeit verfügen. 14 Damit lässt sich der Inhalt des Prinzips a priori folgendermaßen zusammenfassen: Die Formen der Natur verfügen über eine solche Regelmäßigkeit, dass der Verstand Begriffe für sie auffinden kann. In einem konkreten Fall besagt dieses Prinzip beispielsweise, der Organismus eines beliebigen Tieres (z. B. eines Pferdes) sei so eingerichtet, dass wir Regelmäßigkeit auffinden können und diese durch Begriffe bzw. Gesetze erfassen können. Jedoch ist der Inhalt des Prinzips a priori immer noch nicht vollständig bestimmt. Bekanntermaßen ist uns nach dem kantischen Erkenntnismodell die Form des Gegenstandes nicht einfach gegeben. Gegeben ist uns vielmehr nur das Mannigfaltige der Empfindungen. Davon ausgehend gestaltet sich der Erkenntnisprozess wie folgt: »Nun gehören zu einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, damit überhaupt daraus Erkenntniß werde, E i n b i l d u n g s k r a f t für die Zusammensetzung des Mannigfaltigen der Anschauung, und Ve rs t a n d für die Einheit des Begrifs der die Vorstellungen vereinigt« (§ 9.D.3, 217,26).

Formen setzen demnach eine Zusammensetzungsleistung der Einbildungskraft voraus – und dies gilt auch für diejenigen Formen, die im Prinzip a priori als zweckmäßig für die Begriffsfindung durch den Verstand angenommen werden. Vor diesem Hintergrund ergibt sich ein zweiter inhaltlicher Bestandteil des Prinzips a priori: Nicht nur die Formen des Gegenstandes, sondern auch die Aktivität des Apprehendierens von Formen muss als zweckmäßig für die Tätigkeit des Verstandes, Begriffe aufzufinden, angenommen werden. Ich differenziere daher zwischen einer Objekt- und einer Subjektseite des Prinzips a priori, wobei die Objektseite die ZM der Formen der Natur und Vgl.: »Die Regelmäßigkeit, die zum Begriffe von einem Gegenstande führt, ist […] die unentbehrliche Bedingung (conditio sine qua non), den Gegenstand in eine einzige Vorstellung zu fassen und das Mannigfaltige in der Form desselben zu bestimmen« (242,10).

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die Subjektseite die ZM der Aktivität der Einbildungskraft betrifft. Auf den Punkt gebracht besagt die Subjektseite, dass die menschlichen Erkenntnisvermögen zweckmäßig zusammenstimmen und dass der Mensch aufgrund dieser intellektuellen Ausstattung fähig ist, (empirische) Erkenntnisse zu gewinnen. Halten wir zu den Seiten des Prinzips a priori das Folgende fest: Objektseite: Die Formen der Natur sind zweckmäßig für die Tätigkeit des Verstandes, Begriffe aufzufinden. Subjektseite: Die Einbildungskraft ist in ihrer Aktivität, Formen zu apprehendieren, zweckmäßig für die Tätigkeit des Verstandes, Begriffe aufzufinden.

Dass für die Anlage der KU auch die ZM der Einbildungskraft für den Verstand von zentraler Bedeutung ist, wird exemplarisch durch die beiden folgenden Zitate deutlich: »Denn da das Schöne nicht nach Begriffen beurtheilt werden muß, sondern nach der zweckmäßigen Stimmung der Einbildungskraft zur Uebereinstimmung mit dem Vermögen der Begriffe überhaupt; […]« (344,8, m. H.). »Die Eigenschaft der Natur, daß sie für uns Gelegenheit enthält, die innere Zweckmäßigkeit in dem Verhältnisse unserer Gemüthskräfte in Beurtheilung gewisser Producte derselben wahrzunehmen, […]« (350,20, m. H.).

Zwar beziehen sich beide Passagen nicht explizit auf das Prinzip a priori der Urteilskraft; jedoch können sie, so werde ich später zeigen, als Beschreibung einer Instanziierung des Prinzips a priori gewertet werden. Für den Moment möchte ich nur darauf verweisen, dass Kant zwar die Subjektseite des Prinzips a priori in der KU nicht explizit formuliert, sich dieser Aspekt aber erstens aus dem kantischen Verständnis des Erkenntnisprozesses ergibt und zweitens gut zu Kants verschiedentlichen Bemerkungen passt, beim Schönen liege eine zweckmäßige Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte vor. Wir können jetzt eine Übersicht über die einzelnen Aspekte des Prinzips a priori geben: i. Inhalt: Teleologie der (nicht-menschlichen und menschlichen) Natur 1. Objektseite: Die Formen der Natur sind zweckmäßig für die menschlichen Erkenntnisvermögen. a) Global: Die Formen der Natur sind insofern zweckmäßig für die menschlichen Erkenntnisvermögen, als sich das Mannigfaltige der empirischen Gesetze der 664

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Zur Anwendung des Prinzips a priori im Allgemeinen

Natur unter höhere Prinzipien befassen und sich somit ein System von empirischen Naturgesetzen aufbauen lässt. b) Lokal: Die Formen der Natur sind insofern zweckmäßig für die menschlichen Erkenntnisvermögen, als der Verstand zu einzelnen Formen Begriffe auffinden kann. Dies setzt voraus, dass die Formen über eine gewisse Regelmäßigkeit verfügen. 2. Subjektseite: Die menschlichen Erkenntnisvermögen sind zweckmäßig füreinander, d. h. die Einbildungskraft ist in ihrer Aktivität, das Mannigfaltige zu Formen zusammenzusetzen, zweckmäßig für die Tätigkeit des Verstandes, Begriffe aufzufinden. ii. Geltung: Das Prinzip a priori ist regulativ und heuristisch, d. h. wir schreiben uns dadurch bloß selbst ein Gesetz vor, welches uns methodisch leitet. Insofern das Prinzip keine Anwendung auf Objekte hat, ist es bloß ›subjektiv‹. Die inhaltliche ZM der Natur und der menschlichen Erkenntnisvermögen ist bloß im Sinne eines ›als ob‹ zu denken. Wir haben gesehen, dass das Prinzip a priori im Sinne einer Methode zu verstehen ist. Doch was bedeutet dies genau? Welche Rolle oder Funktion beansprucht dieses Prinzip?

G3.2 Zur Anwendung des Prinzips a priori im Allgemeinen Wir haben gesehen, dass das Prinzip a priori eine heuristische Funktion hat und also bei spezifischen Aktivitäten als Leitfaden, Hilfsmittel oder Methode fungiert. Es stellt sich natürlich die Frage, bei welchen Aktivitäten es denn Anwendung findet. Bekanntermaßen ist es ein Prinzip der reflektierenden Urteilskraft, deren Aufgabe es ist, »von dem Besondern in der Natur zum Allgemeinen aufzusteigen« (180,6). Konkret besteht diese Aufgabe der reflektierenden Urteilskraft darin, empirische Begriffe und Gesetze, die uns noch nicht bekannt sind, aufzufinden, d. h. empirische Naturwissenschaft zu betreiben. Bei ebendieser Aktivität dient das Prinzip a priori als Leitfaden. Dies bedeutet, dass wir bei der Suche nach empirischen Begriffen und Gesetzen als epistemische Grundannahme zugrunde legen, dass die Formen der Natur zweckmäßig für unsere Erkenntnisvermögen und die Erkenntnisvermögen zweckmäßig füreinander Kants Philosophie des Schönen

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sind. 15 Um empirische Naturwissenschaft zu betreiben, nehmen wir an, dass die Natur erkennbar ist und dass wir aufgrund unserer intellektuellen Ausstattung zur Erkenntnis fähig sind. Würden wir diese methodische Grundannahme nicht machen, wäre das ganze Projekt einer empirischen Naturwissenschaft gewissermaßen hoffnungsund sinnlos. Diese epistemische Grundannahme betrifft die subjektive ZM der Formen der Natur, d. h. die Beziehung dieser Formen auf unsere Erkenntnisvermögen, und nicht (oder wenigstens nicht explizit) die objektive ZM dieser Formen, d. h. ihre Nützlichkeit oder Vollkommenheit. Insbesondere betrifft die Grundannahme auch nicht die Existenz einiger Formen der Natur als Naturzwecke. Allerdings legen wir natürlich der Erkenntnis eines Organismus als Naturzweck zugrunde, dass dieser Organismus subjektiv zweckmäßig, d. h. für uns erkennbar ist. Wenngleich die geschilderte Funktion im Sinne einer heuristischen Grundannahme wohl die primäre Aufgabe des Prinzips a priori kennzeichnet, plädiere ich dafür, dass diesem noch eine weitere Funktion zukommt. Um diese zweite Funktion herzuleiten, müssen wir kurz auf das folgende Zitat aus Unterpunkt VII der Einleitung eingehen, in welchem Kant eine spezifische Aktivität der reflektierenden Urteilskraft beim Schönen schildert: »Denn jene Auffassung der Formen in die Einbildungskraft kann niemals geschehen, ohne daß die reflectirende Urtheilskraft, auch unabsichtlich, sie [die Formen] wenigstens mit ihrem Vermögen, Anschauungen auf Begriffe zu beziehen, vergliche« (190,2).

Verschiedene Bestandteile dieses Zitats verdienen der Beachtung. Zunächst möchte ich hervorheben, dass die ›reflectirende Urtheilskraft‹ die Formen ›mit ihrem Vermögen, Anschauungen auf Begriffe zu beziehen‹, vergleicht. Dieses Vermögen ist freilich nichts anderes als der Verstand. Damit beschreibt Kant, dass die reflektierende Urteilskraft die Formen mit dem Verstand vergleicht. Der Begriff des Vergleichens drückt dabei aus, dass eine Ähnlichkeit (etwas ›Gleiches‹) zwischen den beiden Dingen besteht, die miteinander verglichen werden. 16 Ich habe bei meiner Analyse von § 10 gezeigt, dass diese epistemische Grundannahme eine der Möglichkeiten abbildet, bei denen eine ZM ohne Zweck vorliegen kann. Da wir im Prinzip a priori die Formen der Natur als zweckmäßig annehmen, ohne sie auf einen bestimmten Zweckbegriff – einen Begriff davon, was der Gegenstand sein soll – zu beziehen, liegt hier eine ZM ohne Zweck vor. Siehe hierzu Kap. 10.2.1. 16 Vgl. im Adelung’schen Wörterbuch: »Von gleich, ähnlich, ist vergleichen, (1) Die 15

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Zur Anwendung des Prinzips a priori im Allgemeinen

Beim Vergleich der Form mit dem Verstand besteht diese Ähnlichkeit offenkundig darin, dass die Form über eine bestimmte Regelmäßigkeit verfügt und die dem Verstand eigene Tätigkeit des Auffindens von Begriffen auf ebensolche Regelmäßigkeiten rekurriert. Würde etwa die Einbildungskraft die Form eines Dreiecks auffassen, so würde diese über eine hinreichende Regelmäßigkeit verfügen, dass der Verstand einen Begriff für diese Form auffinden könnte (nämlich den Begriff »Dreieck«). Ziel des geschilderten Vergleichs ist demnach, festzustellen, ob die Formen dem Verstand im Sinne einer Regelmäßigkeit ›gleich‹ sind, d. h. ob sie dazu geeignet sind, Begriffe für sie aufzufinden. 17 Dass die Formen dazu geeignet sind, Begriffe für sie aufzufinden, ist aber gerade der Inhalt des Prinzips a priori (in lokaler Bedeutung). In diesem Sinne schildert Kant im obigen Zitat eigentlich einen Vergleich bzw. eine Überprüfung anhand des Prinzips a priori der Urteilskraft: Die reflektierende Urteilskraft überprüft, ob die Formen zweckmäßig dafür sind, Begriffe aufzufinden (Objektseite des Prinzips a priori) – und dies impliziert auch, dass sie überprüft, ob die Aktivität des Apprehendierens von Formen durch die Einbildungskraft zweckmäßig für den Verstand ist (Subjektseite des Prinzips a priori). All dies läuft darauf hinaus, dass die reflektierende Urteilskraft eine Überprüfung anhand des Prinzips a priori der Urteilskraft vornimmt. Es stellen sich zwei Fragen: Welches Vermögen nimmt diese Überprüfung vor? In welchen Fällen wird diese Überprüfung vorgenommen? Kant schreibt, dass das Vergleichen der ›reflectirende[n] Urtheilskraft‹ zukomme. Die Urteilskraft konstituiert sich bekanntermaßen aus einer Zusammenwirkung von Einbildungskraft und Verstand. 18 Nun ist das Prinzip a priori eine Art Regel Gleichheit oder Ungleichheit, Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit zwischen zwey oder mehrern Dingen zu entdecken suchen« (Adelung: Vergleichen). 17 Euler führt den Begriff des Vergleichens mit der Konzeption der »›Einstimmung‹ (Ausgleich, Gleichheit, Harmonie)« zwischen den Erkenntnisvermögen eng (W. Euler 2018, 519). Dies ist insofern interessant, als der von Kant geschilderte Vergleich tatsächlich einen unmittelbaren Bezug zur Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt aufweist, d. h. zum zweckmäßigen Zusammenwirken von Einbildungskraft und Verstand. 18 Vgl.: »Die subjective Bedingung aller Urtheile ist das Vermögen zu urtheilen selbst, oder die Urtheilskraft. Diese, in Ansehung einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, gebraucht, erfordert zweyer Vorstellungskräfte Zusammenstimmung: nämlich der Einbildungskraft (für die Anschauung und die Zusammensetzung des Mannigfaltigen derselben), und des Verstandes (für den Begrif als Vorstellung der Einheit dieser Zusammensetzung)« (287,6; vgl. auch EEKU: 223,9). Kants Philosophie des Schönen

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und der Verstand ist das »Vermögen der Regeln« (A299/B356). Es ist damit naheliegend, dass die beschriebene Überprüfung dem Verstand zukommt. In welchen Fällen nimmt der Verstand diese Überprüfung vor? Kant schreibt, dass die Überprüfung bei der ›Auffassung von Formen‹ und von der ›reflectirenden Urtheilskraft‹ vorgenommen wird. Dem lässt sich entnehmen, dass die Überprüfung immer dann erfolgt, wenn eine Aktivität des Apprehendierens von Formen vorliegt, die in eine Aktivität der reflektierenden Urteilskraft eingebunden ist. Da jedoch bei jeder Aktivität der reflektierenden Urteilskraft bzw. des Reflektierens Formen apprehendiert werden – das Apprehendieren von Formen macht ja einen zentralen Bestandteil des Reflektierens aus –, wird die Überprüfung bei jeder Aktivität der reflektierenden Urteilskraft vorgenommen. Damit ist auch impliziert, dass die Überprüfung anhand des Prinzips a priori nicht nur im freien Spiel, sondern auch bei Aktivitäten der reflektierenden Urteilskraft statthat, die teleologische Erkenntnisse zum Ziel haben. Dabei kann die Überprüfung anhand des Prinzips a priori, dem obigen Zitat folgend, ›auch unabsichtlich‹ erfolgen. Die Überprüfung erfolgt also bisweilen automatisiert und unbewusst bzw. unabsichtlich. Fragen wir uns abschließend noch, welcher Gewinn aus der geschilderten Überprüfung resultiert. Der Inhalt des Prinzips a priori besagt letztlich, dass die Natur erkennbar ist und wir zur Erkenntnis fähig sind. Überprüft nun der Verstand in einer Reflexionsaktivität die aufgefasste Form sowie die Aktivität der Einbildungskraft anhand dieses Prinzips und fällt diese Überprüfung positiv aus, so weist er damit die vorliegende Form als erkennbar und das urteilende Subjekt als erkenntnisfähig aus. Dies kann als Bestärkung dafür dienen, die Reflexionsaktivität, d. h. das Suchen nach empirischen Begriffen und Gesetzen, weiterzuverfolgen. Indem die Erkennbarkeit und Erkenntnisfähigkeit bestätigt wird, wird also das Streben nach (empirischer) Erkenntnis befördert. Insgesamt müssen wir die folgenden beiden Funktionen des Prinzips a priori unterscheiden: i. Das Prinzip a priori liegt als heuristische Grundannahme den Aktivitäten der reflektierenden Urteilskraft mit Erkenntnisabsicht zugrunde. Bei unserer Suche nach empirischer Erkenntnis schreiben wir uns selbst vor, so zu verfahren, als ob die Formen der Natur und die Aktivität der Einbildungskraft zweckmäßig für die Tätigkeit des Verstandes wären, Begriffe aufzufinden.

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Wie findet das Prinzip a priori im Geschmacksurteil Anwendung?

ii.

Bei jeder Aktivität der reflektierenden Urteilskraft nimmt der Verstand eine Überprüfung anhand des Prinzips a priori vor. Er prüft, ob die aufgefasste Form und die Aktivität des Apprehendierens von Formen zweckmäßig für seine Tätigkeit sind, Begriffe aufzufinden. Diese Überprüfung erfolgt automatisiert und (gegebenenfalls) unbewusst. Fällt die Überprüfung positiv aus, so wird die Reflexionsaktivität befördert. Durch seine Rolle in der Überprüfungsaktivität des Verstandes wird das Prinzip a priori nicht in ein konstitutives Prinzip verwandelt. Zwar lässt sich in dieser Überprüfungsaktivität eine Art von Subsumtion verorten – die apprehendierten Formen und die Aktivität der Einbildungskraft werden gewissermaßen unter die Anforderungen des Verstandes subsumiert; aber die Überprüfungsaktivität hat kein Urteil zum Ergebnis, ebenso wenig wie die Konstituierung eines Objekts. Es wird zwar die grundsätzliche Erkennbarkeit des gegebenen Mannigfaltigen bestimmt, aber dadurch bestimmt das Prinzip a priori nichts »in Ansehung seines direkten Gegenstandes« (A680/B708), d. h. es wird keine Eigenschaft (im engen Sinne) des Gegentandes bestimmt. Keinesfalls aber wird durch diese Überprüfung bestimmt, dass das Objekt absichtlich durch einen Willen hervorgebracht wurde. 19

G3.3 Wie findet das Prinzip a priori im Geschmacksurteil Anwendung? Welche Rolle kommt dem Prinzip a priori nun im Geschmacksurteil zu? Um diese Frage zu beantworten, wollen wir für einen Moment den Fokus auf das freie Spiel der Erkenntniskräfte richten. Dieses Spiel ist bekanntermaßen eine Aktivität von Einbildungskraft und Verstand. Dabei ist die Rolle der Einbildungskraft recht klar: Sie setzt aus dem gegebenen Mannigfaltigen an Empfindungen Formen zusammen, wobei sie durch keinen (bestimmten) Begriff des Verstandes

Zum Ende der Einleitung deutet Kant an, dass das Prinzip a priori der Urteilskraft bzw. »[d]er Begrif der Urtheilskraft von einer Zweckmäßigkeit der Natur« beim Geschmacksurteil »in Ansehung des Gefühls der Lust oder Unlust ein constitutives Princip ist« (197,5). Wir werden sehen, dass der Gemeinsinn als eine besondere Ausprägung des Prinzips a priori zu verstehen ist, und dass es dieser Gemeinsinn ist, der im Geschmacksurteil eigentlich als konstitutives Prinzip fungiert. Siehe Kap. 22.4.

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eingeschränkt wird, d. h. frei ist. 20 Welchen Beitrag leistet aber der Verstand zum freien Spiel? Und inwiefern wirken dann beide Erkenntnisvermögen zusammen? 21 Mein Vorschlag ist, dass genau an dieser Stelle das Prinzip a priori ins Spiel gebracht werden muss: Die Aufgabe des Verstandes ist es, das Prinzip a priori der Urteilskraft anzuwenden. Nun haben wir beim Schönen offenkundig nicht die Absicht, eine (naturwissenschaftliche) Erkenntnis zu gewinnen; vielmehr würde eine solche Absicht gerade der ästhetischen Einstellung widersprechen. 22 Daher kann dem Spiel der Erkenntniskräfte das Prinzip a priori nicht als epistemische und heuristische Grundannahme zugrunde liegen. Jedoch ist das freie Spiel eine Aktivität der reflektierenden Urteilskraft. Es ist daher naheliegend, dass der Verstand im freien Spiel die oben geschilderte Überprüfung anhand des Prinzips a priori vornimmt. Tatsächlich haben wir oben diese Überprüfung gerade durch eine Passage hergeleitet, die sich eigentlich auf das Schöne bezieht: »Denn jene Auffassung der Formen in die Einbildungskraft kann niemals geschehen, ohne daß die reflectirende Urtheilskraft, auch unabsichtlich, sie [die Formen] wenigstens mit ihrem Vermögen, Anschauungen auf Begriffe zu beziehen, vergliche. Wenn nun in dieser Vergleichung die Einbildungskraft (als Vermögen der Anschauungen a priori) zum Verstande, als Vermögen der Begriffe, durch eine gegebene Vorstellung unabsichtlich in Einstimmung versetzt und dadurch ein Gefühl der Lust erweckt wird, so muß der Gegenstand alsdann als zweckmäßig für die reflectirende Urtheilskraft angesehen werden. Ein solches Urtheil ist ein ästhetisches Urtheil über die Zweckmäßigkeit des Objects, […]« (190,2).

Vgl. etwa: »Wenn nun im Geschmacksurtheile die Einbildungskraft in ihrer Freyheit betrachtet werden muß, so wird sie erstlich nicht reproductiv, wie sie den Associationsgesetzen unterworfen ist, sondern als productiv und selbstthätig (als Urheberin willkührlicher Formen möglicher Anschauung) angenommen« (240,24, m. H.). 21 Auf das Problem, die Rolle des Verstandes im freien Spiel zu klären, hat unter anderem Esser hingewiesen. Sie konstatiert, bislang sei ungeklärt, »welche Rolle dem Verstand im Spiel zukommt. Dieser soll darin [im freien Spiel] zwar eine Einheit zwischen den freien Einbildungsprodukten schaffen, jedoch ohne als Vermögen der Begriffe Regeln anzuwenden. Was aber der Verstand leistet, wenn er als Vermögen der Begriffe bestimmt, nicht die Sinnlichkeit konzeptualisiert, ist aus den wenigen Textpassagen nicht unmittelbar zu entnehmen« (Esser 1995a, 21). An dieser Unklarheit über die Rolle des Verstandes hat sich, soweit ich sehe, seit Essers Befund aus dem Jahr 1995 nichts geändert. 22 Zur ästhetischen Einstellung im Sinne der Uninteressiertheit siehe Kap. 2.3.3. 20

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Wie findet das Prinzip a priori im Geschmacksurteil Anwendung?

Wie oben erläutert, bedeutet die ›Vergleichung‹ der Formen mit dem ›Vermögen, Anschauungen auf Begriffe zu beziehen‹, dass der Verstand die apprehendierten Formen und die Aktivität der Einbildungskraft einer Überprüfung anhand des Prinzips a priori unterzieht. Genau dies, so meine These, ist die Rolle des Verstandes im freien Spiel: Er überprüft, ob die aufgefassten Formen und die Aktivität der Einbildungskraft je zweckmäßig für seine Tätigkeit sind, Begriffe aufzufinden. Und genau darin besteht auch die Rolle des Prinzips a priori im Geschmacksurteil. Halten wir zu dieser Rolle fest: Im Spiel der Erkenntniskräfte nimmt der Verstand eine Überprüfung anhand des Prinzips a priori vor. Er überprüft, ob die aufgefassten Formen (Objektseite) und die Aktivität der Einbildungskraft (Subjektseite) je zweckmäßig für seine eigene Tätigkeit sind, Begriffe aufzufassen. Durch diese Annahme können wir viel besser nachvollziehen, wie es zur gegenseitigen Belebung der Erkenntnisvermögen und zur Lust am Schönen kommt. Die Überprüfungsaktivität anhand des Prinzips a priori muss positiv ausfallen, wenn wirklich ein schöner Gegenstand vorliegt. Der Verstand befindet dann die aufgefasste(n) Form(en) und die Aktivität der Einbildungskraft je für zweckmäßig. Dieses positive Ergebnis der Überprüfung befördert die Einbildungskraft in ihrer Aktivität, Formen zu apprehendieren bzw. mit Formen zu spielen. Sie fährt daher mit ihrem Zusammensetzen des Mannigfaltigen zu Formen fort. Und diese Formen sowie diese Aktivität werden wiederum vom Verstand anhand des Prinzips a priori überprüft. In diesem Sinne beleben sich Einbildungskraft und Verstand und es kommt zu einer sich selbst befördernden Interaktion beider Vermögen. Erst durch die Annahme der Überprüfungsaktivität anhand des Prinzips a priori wird somit vollends verständlich, warum beim Schönen eine innere Belebung der Erkenntnisvermögen vorliegt. Wie bereits früher erläutert, fühlt sich diese innere Belebung als Lust an. So heißt es auch im obigen Zitat, dass ›ein Gefühl der Lust erweckt‹ wird. 23 Können wir uns diesen ganzen Prozess anhand eines Beispiels verdeutlichen? Nehmen wir einmal an, ein Urteilender beDas Zitat ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Kant selten klar differenziert, was beim Schönen genau die vermögenstheoretische Grundlage der Lust ist. Denn es klingt so, als sei die ›Einstimmung‹ von Einbildungskraft und Verstand der Grund der Lust. Ich habe aber dafür argumentiert, dass die Belebung im freien Spiel die vermögenstheoretische Grundlage der Lust bildet. Dagegen ist die ›Einstimmung‹ bzw. die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt die Grundlage dafür, dass die Lust allgemeingültig ist. Siehe. Kap. 9.4.

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trachtet ein abstraktes Gemälde (etwa »Improvisation Gorge« von Wassily Kandinsky). Durch seine Sinnesorgane wird dem Urteilenden ein Mannigfaltiges an Empfindungen (etwa Farbempfindungen) gegeben. Seine Einbildungskraft beginnt nun, diese Empfindungen zu Formen zusammenzusetzen, wobei diese Formen aber gerade nicht begrifflich erfasst werden und auch nicht begrifflich prädeterminiert sind. Nun gilt es zu bedenken, dass wir genau an dieser Stelle den Prozess des freien Spiels nicht mehr konkret beschreiben können; denn die Begriffslosigkeitsthese verbietet ja gerade, dass wir die Formen, die der Urteilende auffasst, begrifflich beschreiben. Es ist also diese Stelle an der das Schöne an die Grenzen seiner Beispiele stößt und an der man die abstrakte Beschreibungsebene nicht überwinden kann. Wir können an diesem Punkt immer nur auf der abstrakten Beschreibungsebene wiederholen, dass der Verstand des Urteilenden die aufgefassten Formen und die Aktivität der Einbildungskraft anhand des Prinzips a priori überprüft, sodass es zu einer belebenden Interaktion beider Vermögen kommt. Das positive Ergebnis der Überprüfung anhand des Prinzips a priori kann im Sinne einer Art von Subsumtion begriffen werden. Freilich subsumiert der Verstand die apprehendierten Formen nicht unter einen bestimmten Begriff. Vielmehr subsumiert er sie unter die Möglichkeit, begrifflich erfasst zu werden (Objektseite des Prinzips a priori). Ferner wird auch die Aktivität der Einbildungskraft unter die Anforderungen des Verstandes subsumiert, d. h. unter die Anforderungen für eine begriffliche Erfassung (Subjektseite des Prinzips a priori). Letzteres wird von Kant in der folgenden Passage geschildert: »Weil nun dem Urtheile hier kein Begrif vom Objecte zum Grunde liegt, so kann es [das Urteil] nur in der Subsumtion der Einbildungskraft selbst (bey einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird) unter die Bedingung, daß der Verstand überhaupt von der Anschauung zu Begriffen gelangt, bestehen. […] und der Geschmack, als subjective Urtheilskraft, enthält ein Princip der Subsumtion, aber nicht der Anschauungen unter B e g r i f f e , sondern des Ve r m ö g e n s der Anschauungen oder Darstellungen (d. i. der Einbildungskraft) unter das Ve r m ö g e n der Begriffe (d. i. den Verstand), sofern das erstere i n s e i n e r F r e y h e i t zum letzteren i n s e i n e r G e s e t z m ä ß i g k e i t zusammenstimmt« (287,12).

Dass das ›Vermögen[.] der Anschauungen oder Darstellungen (d. i. die Einbildungskraft) unter das Vermögen der Begriffe (d. i. den Ver-

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Wie findet das Prinzip a priori im Geschmacksurteil Anwendung?

stand)‹ subsumiert wird, bedeutet, dass der Verstand die Aktivität der Einbildungskraft unter die Subjektseite des Prinzips a priori subsumiert. Die Subjektseite des Prinzips a priori wird im Zitat durch die Formulierung ›Bedingung, daß der Verstand überhaupt von der Anschauung zu Begriffen gelangt‹ erfasst. Halten wir fest: Durch die positiv ausfallende Überprüfung anhand des Prinzips a priori kommt es zu einer Art Subsumtion der apprehendierten Formen und der Aktivität der Einbildungskraft unter die Anforderungen des Verstandes für eine begriffliche Erfassung. In diesem Sinne liegt dann auch eine Vereinigung oder Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand vor. Durch die soeben geschilderte Subsumtion können wir nun viel besser erklären, warum im freien Spiel eine Zusammenstimmung »zu einem E r k e n n t n i s s e ü b e r h a u p t « vorliegt (§ 9.E.1, 218,2). Ich habe nämlich die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt (a) als (geglückte) Subsumtion, (b) als zweckmäßiges Zusammenwirken von Einbildungskraft und Verstand sowie (c) als aktive Urteilskraft interpretiert. 24 Beim positiven Ergebnis der Überprüfung anhand des Prinzips a priori liegt (a) eine Art von Subsumtion (der Form und der Aktivität der Einbildungskraft) unter das Prinzip a priori vor, wobei (b) die Tätigkeiten, die wir mit den vermögenstheoretischen Begriffen »Einbildungskraft« und »Verstand« bezeichnen, zweckmäßig zusammenwirken und (c) die Urteilskraft (im Sinne einer Interaktion von Einbildungskraft und Verstand) aktiv ist. Wir haben gesehen, wie das Prinzip a priori durch den Verstand im freien Spiel Anwendung findet und wie dadurch zentrale Bestandteile des freien Spiels allererst konstituiert werden. In der Folge werde ich zeigen, dass diesem Prinzip noch auf zwei weiteren Ebenen eine Bedeutung im Rahmen des freien Spiels und der Lust am Schönen zukommt. Wie oben erläutert, bedeutet die Objektseite des Prinzips, dass die Formen der Natur zweckmäßig für die menschlichen Erkenntnisvermögen sind. Bisher lag unser Fokus darauf, dass die Formen der Natur zweckmäßig für die Tätigkeit des Verstandes sind, Begriffe aufzufinden. Man kann die Objektseite aber auch so deuten, dass die Formen der Natur zweckmäßig für die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt sind. Eine solche Zusammenstimmung liegt nämlich genau dann vor, wenn der Verstand die von der Einbildungskraft aufgefassten Formen unter einen Begriff subsumiert. Nun 24

Siehe Kap. 9.3.4.

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Grundlagen 3: Das subjektive Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft

liegt aber, wie soeben geschildert, im freien Spiel eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vor, und in dieser Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt erweist sich die Form des schönen Gegenstandes als subjektiv zweckmäßig. 25 Es wird nunmehr ersichtlich, dass diese Manifestation der subjektiven ZM gleichzeitig eine Instanziierung der Objektseite des Prinzips a priori ist. Darüber hinaus erweisen sich bei einer Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt auch die beiden Erkenntnisvermögen als zweckmäßig füreinander. Es liegt also auch eine Instanziierung der Subjektseite des Prinzips a priori vor. Somit instanziieren sich in der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt sowohl die Objekt- als auch die Subjektseite des Prinzips a priori. Ferner wird das freie Spiel als Lust erlebt. 26 Nun instanziieren sich im freien Spiel die Objekt- und die Subjektseite des Prinzips a priori. Ich habe daher bereits früher dafür argumentiert, dass wir uns im phänomenalen Gehalt der Lust der Instanziierung des Prinzips a priori bewusst werden. 27 Dazu findet sich in § 12 der folgende Hinweis: »Das Bewußtseyn der bloß formalen Zweckmäßigkeit im Spiele der Erkenntnißkräfte des Subjects, bey einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, ist die Lust selbst« (§ 12.B.2, 222,20). 28 Ich habe das in diesem Zitat angedeutete phänomenale Bewusstsein der Instanziierung des Prinzips a priori folgendermaßen bestimmt: Bewusstsein des Prinzips a priori der Urteilskraft: Die Lust am Schönen beinhaltet ein gefühltes Bewusstsein des Prinzips a priori

Siehe Kap. 11.3. Vgl. § 9: »und bey einem Verhältnisse, welches keinen Begrif zum Grunde legt (wie das der Vorstellungskräfte zu einem Erkenntnißvermögen überhaupt) ist auch kein anderes Bewußtsein desselben, als durch Empfindung der Wirkung, die im erleichterten Spiele beider durch wechselseitige Zusammenstimmung belebten Gemüthskräfte (der Einbildungskraft und des Verstandes) besteht, möglich« (§ 9.I.6, 219,11, m. H.). Siehe hierzu Kap. 9.6.3. 27 Siehe Kap. G1.2.4. – Vgl. auch die folgende Aussage Kerns: »Nur indem die Urteilskraft nichts erkennt, kann sie erfahren, daß sie erkennen kann« (Kern 2002, 107). 28 Für eine detaillierte Analyse dieses Satzes siehe Kap. 12.4. – Vgl. auch die folgende Aussage aus der EEKU: »Eben so wird das ästhetische Reflexionsurtheil uns in seiner Auflösung, den in ihm enthaltenen, auf einem Princip a priori beruhenden Begrif der formalen aber subjectiven Zweckmäßigkeit der Objecte darlegen, der mit dem Gefühle der Lust im Grunde einerley ist, aber aus keinen Begriffen abgeleitet werden kann« (EEKU: 230,1). 25 26

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Wie findet das Prinzip a priori im Geschmacksurteil Anwendung?

der Urteilskraft, d. h. wir fühlen ein harmonisches Zusammenstimmen mit der Welt und uns selbst.

In diesem Sinne schreibt Kant in einer Reflexion zur Logik: »Die Schöne Dinge zeigen an, daß der Mensch in die Welt passe und selbst seine Anschauung der Dinge mit den Gesetzen seiner Anschauung stimme« (Refl: 1820a). Zusammengenommen schlage ich vor, drei Ebenen zu unterscheiden, auf denen das Prinzip a priori der Urteilskraft beim Schönen eine Rolle spielt: i. Ebene der Anwendung des Prinzips a priori: Im freien Spiel der Erkenntniskräfte nimmt der Verstand eine Überprüfung anhand des Prinzips a priori vor. Er überprüft, ob die apprehendierten Formen (Objektseite) und die Aktivität des Apprehendierens von Formen durch die Einbildungskraft (Subjektseite) je zweckmäßig für seine Tätigkeit sind, Begriffe aufzufinden. ii. Ebene der Instanziierung des Prinzips a priori: Die Aktivität des freien Spiels ist durch eine Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte zur Erkenntnis überhaupt gekennzeichnet. Damit instanziiert sich erstens eine subjektive ZM des Gegenstandes für die Erkenntnisvermögen (Objektseite des Prinzips a priori) und zweitens eine ZM der Erkenntniskräfte füreinander (Subjektseite des Prinzips a priori). iii. Ebene des Bewusstseins des Prinzips a priori: Die Lust am Schönen ist das gefühlte Bewusstsein des freien Spiels. Sie ist damit auch das gefühlte Bewusstsein der Instanziierung der Objektseite und Subjektseite des Prinzips a priori. Die Instanziierung schlägt sich im phänomenalen Gehalt der Lust nieder. Wir werden bei der Analyse des Vierten Moments sehen, dass es noch eine weitere Ebene des Prinzips a priori gibt. Der Gemeinsinn lässt sich nämlich als eine Art Übertragung dieses Prinzips in ein Vermögen verstehen. 29 Doch dazu später mehr.

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Siehe hierzu Kap. G6.3.

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G3.4 Konsequenzen für die ästhetische Einstellung In G3.2 haben wir darauf hingewiesen, dass die Überprüfungsaktivität anhand des Prinzips a priori automatisiert und gegebenenfalls unbewusst erfolgt, und zwar immer dann, wenn eine Aktivität der reflektierenden Urteilskraft vorliegt. Nun ist das freie Spiel der Erkenntniskräfte eine Aktivität der reflektierenden Urteilskraft, sodass die Überprüfung anhand des Prinzips a priori auch hier Anwendung finden muss. Eine andere Frage ist es freilich, welche Voraussetzungen im Subjekt erfüllt sein müssen oder sollten, damit es überhaupt zu einem freien Spiel kommt. Diese Frage zielt offenkundig auf die ästhetische Einstellung ab. Bei der Analyse von § 2 haben wir bereits einen ersten Teilaspekt der ästhetischen Einstellung entwickelt: 30 i. Uninteressiertheit: Das Subjekt verspürt kein Interesse bzw. Begehren für den schönen Gegenstand oder für einen anderen Gegenstand. Allerdings sind durchaus Fälle denkbar, in denen das Subjekt zwar in einer uninteressierten Einstellung ist, aber dennoch nicht in einem Zustand des freien Spiels. Erstens liegt Uninteressiertheit beispielsweise wohl auch im Zustand des Schlafens vor. Es ist aber natürlich sehr fraglich, ob es beim Schlafen zu einer Aktivität des Verstandes kommen kann. Zweitens könnte ein Subjekt auch tagträumen, wobei zwar die Einbildungskraft gegebenenfalls mit Formen spielen würde, der Verstand aber gänzlich inaktiv wäre und insbesondere keine Überprüfung anhand des Prinzips a priori vornähme. In Fällen des Tagträumens phantasiert die (dichtende) Einbildungskraft zügellos und regellos; 31 und es wäre höchst unplausibel, dass in allen diesen Fällen der Verstand eine Überprüfung anhand des Prinzips a priori durchführen würde. Denn da die Einbildungskraft zügellos und regellos phantasierte, wären die apprehendierten Formen und die Aktivität der Einbildungskraft gerade nicht zweckmäßig für den Verstand. Würde also eine Überprüfung anhand des Prinzips a priori vorgenommen, so würde sie negativ ausfallen, weshalb der Verstand die Aktivität der Einbildungskraft nicht befördern, sondern behindern würde. Konsequenterweise müssten wir eine Unlust fühlen. DementSiehe Kap. 2.3.3. Vgl. hierzu Anth: 180 f. – Vgl. insbesondere: »Die Vergehungen (vitia) der Einbildungskraft sind: daß ihre Dichtungen entweder bloß z ü g e l l o s oder gar r e g e l l o s sind (effrenis aut perversa)« (Anth: 181).

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Konsequenzen für die ästhetische Einstellung

gegen fühlen sich Zustände des freien und zügellosen Phantasierens in Realität aber meist gerade lustvoll an. Letzteres ergibt einen guten Sinn, wenn wir annehmen, dass in solchen Fällen erst gar keine Überprüfung durch den Verstand stattfindet. Zustände des Tagträumens im Sinne des regellosen Phantasierens scheinen somit dadurch ausgezeichnet zu sein, dass der Verstand inaktiv ist und keine Überprüfung anhand des Prinzips a priori vornimmt. 32 In solchen Fällen des Tagträumens würden wir, wie beim Schlafen, in kein freies Spiel eintreten, obwohl wir völlig uninteressiert sein könnten. Drittens sind schließlich auch Fälle denkbar, in denen wir zwar uninteressiert sind, aber weder eine Aktivität des Verstandes noch der Einbildungskraft erfolgt, und in denen wir vielmehr geistig völlig abwesend wären. Vor dem Hintergrund der drei geschilderten Fälle möchte ich vorschlagen, die ästhetische Einstellung um eine zweite Komponente zu ergänzen, die ich als Bereitschaft zur Reflexion bezeichne. Ich verstehe darunter einen Zustand, in dem das Subjekt erstens seiner Einbildungskraft erlaubt, Formen zu apprehendieren, und zweitens die Überprüfung mittels des Prinzips a priori aktiviert hat. Anders formuliert handelt es sich bei der Bereitschaft zur Reflexion um einen Zustand, in dem die reflektierende Urteilskraft aktiviert ist. Dies beinhaltet beispielsweise, dass man dem schönen Gegenstand Aufmerksamkeit schenkt, ihn über einen längeren Zeitraum betrachtet und sich auf ihn einlässt. Die Bereitschaft zur Reflexion beinhaltet aber keine Erkenntnisabsicht. 33 Zur Uninteressiertheit kommt also noch hinzu: ii. Bereitschaft zur Reflexion: Das Subjekt befindet sich in einem Zustand der Bereitschaft zur Reflexion, d. h. es erlaubt seiner Damit liegt kein Widerspruch dazu vor, dass die »Auffassung der Formen in die Einbildungskraft […] niemals geschehen [kann], ohne daß die reflektierende Urteilskraft […] sie wenigstes mit ihrem Vermögen, Anschauungen auf Begriffe zu beziehen, vergliche« (190,2). Denn beim Phantasieren liegt keine »gegebene Vorstellung« vor (190,8) und keine ›Auffassung von Formen‹, sondern bloß ein Erdichten von Formen. – Auf die schwierige Frage, ob auch imaginierte Gegenstände schön sein können, werde ich später eingehen. Siehe Kap. G4.3. 33 Esser bestimmt die ästhetische Einstellung als »Abstraktionsleistung des Subjekts, in der das Wahrnehmungsbild aus seinen intellektuellen Kontexten herausgelöst wird« (Esser 1995b, 436). Freilich ist es korrekt, dass wir uns beim Schönen von Erkenntnisabsichten und insofern von ›intellektuellen Kontexten‹ lösen müssen; gleichsam müssen wir das Wahrnehmungsbild aber auch insofern in einem ›intellektuellen Kontext‹ platzieren, als der Verstand im Sinne einer Reflexionsaktivität aktiv werden muss. 32

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Einbildungskraft, Formen zu apprehendieren, und hat die Prüfung mittels des Prinzips a priori der Urteilskraft aktiviert. Eine ästhetische Einstellung ist immer durch beide Komponenten ausgezeichnet. Zusammengenommen sind die Uninteressiertheit und die Bereitschaft zur Reflexion eine hinreichende Bedingung dafür, dass der Urteilende in einen Zustand des freien Spiels eintritt, vorausgesetzt es liegt ein schöner Gegenstand vor. Da es jedoch vermutlich möglich ist, dass ein urteilendes Subjekt unverhofft von einem schönen Gegenstand in dessen Bann gezogen wird, obwohl das Subjekt vielleicht gerade ein starkes Interesse an irgendetwas verspürt oder gedanklich völlig abwesend ist, können Uninteressiertheit und eine Bereitschaft zur Reflexion nicht als notwendige Bedingungen für das Eintreten in einen Zustand des freien Spiels gelten.

G3.5 Inwiefern entspringt das Prinzip a priori einem Akt der Heautonomie? Aber woher kommt das Prinzip a priori eigentlich? Im Rahmen der kantischen Philosophie gibt es grundsätzlich zwei mögliche Quellen für Gesetze, nämlich den Bereich des Empirischen – hier lernt man das Gesetz durch Beobachtung (Heteronomie) – oder die intellektuellen Vermögen des Subjekts – hier gibt sich das Subjekt selbst das Gesetz (Autonomie). 34 Bereits aufgrund seines Status als Prinzip a priori ist natürlich klar, dass das Prinzip a priori der Urteilskraft einem Akt der Autonomie entspringen muss. Verwirrenderweise verwendet Kant jedoch im Kontext dieses Prinzips nicht den Begriff der Autonomie, sondern spricht von »Heautonomie«. Was hat man sich darunter vorzustellen? Zunächst handelt es sich beim Begriff »Heautonomie« um einen Neologismus von Kant. 35 Selbst im Werk Kants findet sich dieser Terminus aber nur an zwei Stellen, nämlich in der In der KU nutzt Kant einen weiten Begriff von Autonomie, der nicht auf die Selbstgesetzgebung des moralischen Gesetzes restringiert ist (vgl. etwa 195,2 ff.). 35 In der Nachfolge Kants findet dieser Begriff insbesondere bei Schiller Verwendung, der darunter jedoch eine Eigenschaft der Form von Naturgegenständen versteht und sie als »objektive Beschaffenheit[.] der Gegenstände« begreift (Schiller 2016, 76). Fricke verweist darauf, dass »Heautonomie« mit Rekurs auf Schiller auch in der gegenwärtigen Literaturtheorie – etwa in Renate Homanns »Theorie der Lyrik. Heautonome Autopoiesis als Paradigma der Moderne« (1999) – Verwendung findet (vgl. Fricke 2015, 1011). 34

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Inwiefern entspringt das Prinzip a priori einem Akt der Heautonomie?

offiziellen Einleitung (185,37) sowie in der Ersten Einleitung (EEKU: 225,27). Anders als dem Begriff der Autonomie kommt »Heautonomie« im kantischen Gesamtwerk daher kein großer Stellenwert zu. Nun bedeutet Autonomie bekanntermaßen Selbstgesetzgebung bzw. »e i g e n e G e s e t z g e b u n g « (KpV: 33). Das zugefügte Präfix »he« verweist auf das griechische »ἑαυτός« und bedeutet »selbst«. »Heautonomie« bedeutet also wörtlich »Selbst-Selbstgesetzgebung«. Was drückt das doppelte »Selbst« aber aus? Es scheint naheliegend, das eine »selbst« auf den Gesetzgeber und das andere auf den Adressaten der Gesetzgebung zu beziehen. Bei einer heautonomen Gesetzgebung würde demnach ein Subjekt als Gesetzgeber sich selbst als Adressaten ein Gesetz geben. Überträgt man dies auf das Prinzip a priori der Urteilskraft, dann würde die Urteilskraft als Gesetzgeber (auto) sich selbst als Adressat (he) dieses Prinzip vorschreiben. 36 Diese Deutung ist aber mit dem folgenden Problem behaftet: Auch für die Autonomie im Bereich des Moralischen gilt, dass das Subjekt als Gesetzgeber sich selbst als Adressat ein Gesetz gibt. Soll dem Präfix »he« also eine Bedeutung zukommen, müssen wir den Begriff der Heautonomie anders deuten. Vielleicht geben uns ja die zwei einzigen Textstellen, in denen Kant den Begriff der Heautonomie nutzt, darüber Auskunft, wie das Präfix »he« zu deuten ist und inwiefern die Heautonomie von der Autonomie unterschieden ist. Die erste dieser Textstellen lautet: »Die Urtheilskraft hat also auch ein Princip a priori für die Möglichkeit der Natur, aber nur in subjectiver Rücksicht, in sich, wodurch sie [die Urteilskraft] nicht der Natur (als Avtonomie), sondern ihr [der Urteilskraft] selbst (als Heavtonomie) für die Reflexion über jene [Natur], ein Gesetz vorschreibt, welches man das G e s e t z d e r S p e c i f i c a t i o n d e r N a t u r in Ansehung ihrer empirischen Gesetze nennen könnte, das sie [die Urteilskraft] a priori an ihr [der Natur] nicht erkennt, sondern zum Behuf einer für unseren Verstand erkennbaren Ordnung derselben [Natur] in der Eintheilung, die sie [die Urteilskraft] von ihren [der Natur] allgemeinen Gesetzen macht, annimmt, wenn sie [die Urteilskraft] diesen [allgemeinen GesetVgl. auch Allison: »To claim that the judgment is ›heautonomous‹ in its reflection is just to say that it is both source and referent of its own normativity« (Allison 2001, 41). – Im Übrigen liegt beim Prinzip a priori sogar eigentlich ein dreifacher Bezug auf die Urteilskraft vor. Erstens ist es die Urteilskraft, die selbst das Gesetz gibt; zweitens ist die Urteilskraft selbst der Adressat des Prinzips; und drittens besagt das Prinzip inhaltlich, dass die Natur subjektiv zweckmäßig, d. h. zweckmäßig für die Urteilskraft ist.

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zen] eine Mannigfaltigkeit der besondern [Gesetze] unterordnen will« (185,35 f.).

Kant erläutert, dass die Urteilskraft durch das Prinzip a priori ›ihr selbst (als Heautonomie)‹ ein Gesetz vorschreibt. Es scheint demnach so, als beziehe sich das Präfix »he« doch darauf, dass die Urteilskraft selbst Adressat des Prinzips a priori ist: HA1 Die Urteilskraft schreibt sich selbst für die Reflexion über die Natur ein Gesetz vor.

Kant bestimmt im obigen Zitat Heautonomie in Abgrenzung zur Autonomie. Letztere läge vor, wenn die Urteilskraft ›der Natur‹ ein Gesetz vorschriebe. Der Adressat des Gesetzes wäre dann nicht die Urteilskraft selbst, sondern die Natur. Dabei bezieht sich die Klammerbemerkung ›als Avtonomie‹ nicht darauf, dass die Natur selbst irgendwie eine Autonomie wäre; vielmehr bezieht diese Formulierung sich darauf, dass ein Vermögen ›als Avtonomie‹, d. h. als selbstgesetzgebendes Vermögen, ein Gesetz ›vorschreibt‹. Eine solche Selbstgesetzgebung (Autonomie), durch die der Natur ein Gesetz vorgeschrieben wird, geht vom Verstand aus; 37 beim besagten Gesetz handelt es sich dann um die Grundsätze des reinen Verstandes. Dass Kant die Gesetzgebung des Verstandes mit dem Begriff der Autonomie bezeichnet, ist freilich eher ungewöhnlich. Normalerweise verwendet Kant nämlich im Kontext der Gesetzgebung des Verstandes den Begriff der Spontaneität, 38 während er den Begriff der Autonomie für den Kontext der Selbstgesetzgebung des moralischen Gesetzes durch die Vernunft reserviert. 39 Wir können HA1 nun den folgenden Fall der Autonomie entgegensetzen: A1 Der Verstand schreibt der Natur ein Gesetz vor. So spricht Kant von der Autonomie »des Verstandes, in Ansehung der theoretischen Gesetze der Natur« (EEKU: 225,21). 38 Vgl. etwa A50 f./B74 f.; A68/B93. 39 Vgl. etwa GMS: 446 f. – Dass Kant in der KU einen weiten Begriff der Autonomie nutzt, geht etwa aus der folgenden Passage hervor: »In Ansehung der Seelenvermögen überhaupt, sofern sie als obere, d i. als solche die eine Avtonomie enthalten, betrachtet werden, ist für das E r k e n n t n i ß v e r m ö g e n (das theoretische der Natur) der Verstand dasjenige, welches die c o n s t i t u t i v e n Principien a priori enthält; für das G e f ü h l d e r L u s t u n d U n l u s t ist es die Urtheilskraft unabhängig von Begriffen und Empfindungen, die sich auf Bestimmung des Begehrungsvermögens beziehen und dadurch unmittelbar practisch seyn könnten; für das B e g e h r u n g s v e r m ö g e n die Vernunft, welche ohne Vermittelung irgend einer Lust, woher sie auch komme, practisch ist, und demselben, als oberes Vermögen, den Endzweck be37

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Inwiefern entspringt das Prinzip a priori einem Akt der Heautonomie?

Vergleicht man HA1 und A1, so hat es tatsächlich den Anschein, als bestünde der Unterschied zwischen Autonomie und Heautonomie darin, dass bei der Autonomie ein Vermögen (bspw. der Verstand) der Natur ein Gesetz vorschreibt, während bei der Heautonomie ein Vermögen (bspw. die Urteilskraft) sich selbst ein Gesetz vorschreibt. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass der Kontrast zwischen der Gesetzgebung des Verstandes für die Natur und der Gesetzgebung der Urteilskraft für sich selbst im gesamten Unterpunkt V der Einleitung, in den die obige Passage zur Heautonomie eingebettet ist, präsent ist. 40 Wie bereits erwähnt, bereitet aber dann die Autonomie der (praktischen) Vernunft bzw. des Willens Probleme, die in der moralischen Selbstgesetzgebung besteht. Im Falle dieser Gesetzgebung ist der Wille selbst der Adressat. Man denke nur an Kants Bestimmung von »Autonomie des Willens« als »die Beschaffenheit des Willens, dadurch derselbe ihm selbst (unabhängig von aller Beschaffenheit der Gegenstände des Wollens) ein Gesetz ist« (GMS: 440, m. H.). 41 Nun grenzt Kant die Selbstgesetzgebung des Willens als Autonomie explizit von der Heautonomie ab. So lautet die zweite die Heautonomie betreffende Passage: »denn wenn das ästhetische Urtheil dergleichen [einen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit und Notwendigkeit] bey sich führt, so macht es auch Anspruch darauf, daß sein Bestimmungsgrund n i c h t b l o s i m G e f ü h l e der Lust und Unlust für sich allein, sondern z u g l e i c h i n e i n e r R e g e l der oberen Erkenntnißvermögen, und namentlich hier in der [Regel] der Urtheilskraft, liegen müsse, die [Urteilskraft] also in Ansehung der Bedingungen der Reflexion a priori gesetzgebend ist und Avtonomie beweiset; diese Avtonomie aber ist nicht (so wie die des Verstandes, in Ansehung der theoretischen Gesetze der Natur, oder der Vernunft, in practischen Gesetzen der Freiheit) objectiv d. i. durch Begriffe von Dingen oder möglichen Handlungen, sondern blos subjectiv, für das Urtheil aus Gefühl gültig, welches [Urteil], wenn es auf Allgemeingültigkeit Anspruch machen kann, seistimmt, der zugleich das reine intellectuelle Wohlgefallen am Objecte mit sich führt« (196,23; vgl. auch EEKU: 225,15). 40 Vgl. etwa: »Für die Natur nun überhaupt (als Gegenstand möglicher Erfahrung) wird jenes Gesetz als schlechterdings nothwendig erkannt« (183,12, m. H.); »so muß die Urtheilskraft für ihren eigenen Gebrauch es als Princip a priori annehmen, […]« (183,34, m. H.). Vgl. ferner: »Ein solches transscendentales Princip kann also die reflectirende Urtheilskraft sich nur selbst als Gesetz geben, nicht anderwärts hernehmen (weil sie sonst bestimmende Urtheilskraft seyn würde), noch der Natur vorschreiben« (180,11, m. H.). 41 Vgl. auch GMS: 446 f. Kants Philosophie des Schönen

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nen auf Principien a priori gegründeten Ursprung beweiset. Diese Gesetzgebung müßte man eigentlich Heavtonomie nennen, da die Urtheilskraft nicht der Natur, noch der Freyheit, sondern lediglich ihr [sich] 42 selbst das Gesetz giebt und kein Vermögen ist, Begriffe von Objecten hervorzubringen, sondern mit denen [Fällen], die ihr anderweitig gegeben sind, vorkommende Fälle zu vergleichen und die subjective Bedingungen der Möglichkeit dieser Verbindung a priori anzugeben« (EEKU: 225,15).

Kant ordnet die Gesetzgebung ›der Vernunft, in practischen Gesetzen der Freiheit‹ (ebenso wie die Selbstgesetzgebung des Verstandes) der Autonomie, nicht aber der Heautonomie zu. Zentral ist dabei insbesondere die folgende Aussage: ›Diese Gesetzgebung müßte man eigentlich Heavtonomie nennen, da die Urtheilskraft nicht der Natur, noch der Freyheit, sondern lediglich ihr selbst das Gesetz giebt‹. Es wäre daher die folgende Gegenüberstellung denkbar: A2

Der Verstand gibt der Natur ein Gesetz und die Vernunft gibt der Freiheit ein Gesetz. HA2 Die Urteilskraft gibt sich selbst ein Gesetz.

Auch diese Gegenüberstellung ist jedoch trügerisch. Man könnte nämlich meinen, die Autonomie im Kontext der Vernunft bzw. der Freiheit, d. h. im moralischen Kontext, bestünde darin, dass die Vernunft der Freiheit, als etwas von der Vernunft Verschiedenes, ein Gesetz vorschriebe. Ist aber nicht eigentlich die praktische Vernunft selbst, wie oben erläutert, der Adressat der moralischen Gesetzgebung? 43 Diese Spannung können wir dadurch lösen, dass wir ›Freyheit‹ als Kausalität durch Freiheit deuten, wobei diese für den (noumenalen) Willen steht. 44 In diesem Sinne schreibt Kant in der Einleitung: »Die Vernunft ist a priori gesetzgebend für die Freyheit und ihre eigene Caussalität, als das Uebersinnliche in dem Subjecte, zu einem unbedingt-practischen Erkenntniß« (195,6). Demnach können wir A2 folgendermaßen rekonstruieren:

Es scheint mir bloß eine Auffälligkeit der Ersten Einleitung, dass Kant hier ›ihr selbst‹ und nicht ›sich selbst‹ schreibt. 43 Vgl. GMS: 446 f. 44 Vgl.: »Der Wille ist eine Art von Kausalität lebender Wesen, sofern sie vernünftig sind, und Freiheit würde diejenige Eigenschaft dieser Kausalität sein, da sie unabhängig von fremden sie bestimmenden Ursachen wirkend sein kann« (GMS: 446). Vgl. ferner für den Willen als eine Art von Kausalität: »eine Causalität nach Zwecken, d. i. einen Willen« (§ 10.B.2, 220,20). 42

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Inwiefern entspringt das Prinzip a priori einem Akt der Heautonomie?

A2R1 Der Verstand gibt der Natur ein Gesetz und die (praktische) Vernunft gibt dem Willen, d. h. der Kausalität aus Freiheit, ein Gesetz.

Insofern der Wille im moralischen Kontext nichts anderes als die praktische Vernunft ist, 45 besteht die Autonomie im Falle der Vernunft darin, dass die (praktische) Vernunft sich selbst das moralische Gesetz gibt. Wie bereits angedeutet, ist dann aber nicht mehr klar, worin sich dieser Fall von Autonomie von der Heautonomie unterscheidet. Ich schlage daher eine Modifikation von HA2 vor. Dazu müssen wir uns an den Inhalt des Prinzips a priori der Urteilskraft erinnern: Es betrifft erstens die subjektive ZM der Gegenstände der Natur (Objektseite) sowie zweitens die ZM der Erkenntnisvermögen füreinander (Subjektseite). Mindestens die Objektseite bezieht sich auf die Natur – und letztlich bezieht sich auch die Subjektseite auf die Natur im Menschen. Obgleich aber das Prinzip a priori inhaltlich die Natur betrifft, so wird der Natur durch dieses Gesetz nichts vorgeschrieben. Der inhaltliche Bezugspunkt und der Adressat dieses Gesetzes klaffen also auseinander. Vor diesem Hintergrund können wir A2 und HA2 folgendermaßen modifizieren: A2R2

HA2R1

Der Verstand gibt der Natur ein Gesetz, das inhaltlich die Natur betrifft, und die Vernunft gibt dem Willen ein Gesetz, das inhaltlich den Willen betrifft. Die Urteilskraft gibt sich selbst ein Gesetz, das inhaltlich die Natur betrifft.

Wir können jetzt die Bedeutung von »Heautonomie« präziser fassen. Das Präfix »he« steht nicht dafür, dass die Urteilskraft selbst der Adressat des Gesetzes ist; vielmehr steht es dafür, dass wir uns selbst (als Adressat) ein Gesetz vorschreiben, obwohl sich dieses Gesetz inhaltlich auf die Natur bezieht und es daher naheliegender wäre, dass die Natur der Adressat dieses Gesetzes wäre. Das Gesetz lautet weder »Sei zweckmäßig!« (Adressat wäre das Subjekt) noch »Alle Formen der Natur sind zweckmäßig« (Adressat wäre die Natur), sondern »Verfahre so, als ob die Natur zweckmäßig wäre«. Im Gegensatz dazu bezieht sich das moralische Gesetz inhaltlich auf den Willen und wird auch dem Willen als Adressat vorgeschrieben. Letztlich greift damit der Begriff »Heautonomie« den subjektiven (»nur in subjectiver Vgl.: »so ist der Wille nichts anderes als praktische Vernunft« (GMS: 412; vgl. KpV: 55).

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Rücksicht«; 185,36) und regulativen Status des Prinzips a priori auf: Die Urteilskraft schreibt sich selbst vor, so zu verfahren, als ob in der Natur etwas der Fall wäre. Halten wir insgesamt zur Heautonomie fest: i. Das Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft entspringt einem Akt der Selbstgesetzgebung (Autonomie) durch die Urteilskraft als Gesetzgeber. Darauf verweist bereits die Apriorität dieses Prinzips. ii. Die Urteilskraft ist selbst der Adressat dieses Prinzips a priori, obwohl der Inhalt des Prinzips die Natur betrifft (Heautonomie). iii. Dass das Prinzip a priori einem Akt der Heautonomie entspringt, ist somit eng damit verknüpft, dass dieses Prinzip regulativ und subjektiv ist.

G3.6 Literaturbericht Sichtet man die Sekundärliteratur zum Prinzip a priori bzw. zur Rolle dieses Prinzips im Geschmacksurteil, so stellt sich zunächst die Frage, wie der Inhalt dieses Prinzips rekonstruiert und gedeutet wird. Es ist erstaunlich, dass in einigen Gesamtinterpretationen der Analytik des Schönen der Inhalt und die Rolle des Prinzips a priori gar nicht thematisiert werden, insbesondere bei Crawford (1974), Savile (1993) und Wenzel (2000). Bisweilen finden sich auch nur eher allgemeine Wiedergaben dieses Prinzips, etwa bei Crowther (»Kant holds that we must think of nature on the model of human artifice, or, more specifically, as if it had been designed so as to facilitate cognition of it«; Crowther 2010, 66) oder Esser (»Prinzip der reflektierenden Urteilskraft ist deshalb der apriorische Begriff der ›subjektiven Zweckmäßigkeit‹«; Esser 1997, 63). Nun habe ich vorgeschlagen, dass das Prinzip a priori über eine Objekt- und eine Subjektseite verfügt, wobei die Objektseite in eine globale und eine lokale Bedeutung eingeteilt werden kann. In der Sekundärliteratur wird häufig ausschließlich dasjenige angeführt, was ich als globalen Aspekt der Objektseite bezeichne. So schreibt Guyer: »the a priori principle of reflective judgment is nothing but the postulation that the object of this faculty, nature itself, possesses a special property in virtue of which it conforms with the objective of this faculty, that is, the property of systematicity« (Guyer 1979, 47). Und nach Fricke stellt dieses Prinzip »die Natur in Form eines logischen Systems nach empirischen Gesetzen vor[.]« (Fricke 1990, 88). Eine solche globale Deutung findet sich auch bei W. Euler (2018, 452 f.), Kern (2000, 76 f.) sowie Kulenkampff (1994, 60). Auch Makkreel (1997, 74–80 sowie 2006, 229) und Matthews (1997, 55 & 60) beziehen sich primär auf die globale Bedeutung des Prinzips a priori,

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wobei letztere auch betont, dass der Aufbau eines Systems der Natur einen »state [of mind] that is useful for proceeding toward a system of nature« voraussetze (Matthews 1997, 70). Bei einigen AutorInnen findet sich sowohl die globale als auch die lokale Bedeutung des Prinzips a priori. So sieht Allison die beiden folgenden Aspekte im Prinzip a priori vereinigt: »the quest for the conditions of the possibility of empirical concepts and for the systematic organization of empirical laws are best seen as two poles of a quest for the conditions of empirical knowledge of nature qua empirical, or equivalently, for judgments of experience« (Allison 2001, 31). Ganz ähnlich verortet auch Ginsborg im Prinzip a priori sowohl die »presupposition that nature is systematically organized« (Ginsborg 2015, 136) als auch die Annahme, die Natur sei so beschaffen, dass wir empirische Begriffe auffinden könnten (vgl. Ginsborg 2015, 137). 46 Eher nur die lokale Bedeutung des Prinzips a priori scheint Frierson vor Augen zu haben, wenn er schreibt: »the a priori principle of reflective judgment according to which manifold particulars can be subsumed« (Frierson 2018, 127). 47 Auch eher eine lokale Bedeutung legt die folgende Formulierung Ostarics nahe: »the principle of nature’s purposiveness represents nature as if the multiplicity of its natural forms were purposively ordered by an understanding more powerful than our own for the sake of our power of judgment« (Ostaric 2017, 1379). Ich habe dafür plädiert, dass das Prinzip a priori auch eine Subjektseite umfasst, die besagt, unsere Erkenntnisvermögen seien so eingerichtet, dass wir empirische Erkenntnisse treffen könnten. Angedeutet wird diese Subjektseite (zusätzlich zur globalen Bedeutung der Objektseite) bei Bojanowski. Seiner Interpretation folgend werden die empirischen Naturgesetze »so gedacht, als ob sie unserem Erkenntnisvermögen angemessen sind und unser Verstand so eingerichtet ist, daß er sie erkennen kann« (Bojanowski 2008, 33, m. H.). Hughes führt zunächst den globalen Aspekt des Prinzips a priori an (vgl. Hughes 1998, 177), interpretiert dieses Prinzip aber sodann im Sinne eines »fit between mind and nature«, wobei dieser »best understood as the activity of synthesis itself« sei (Hughes 1998, 182 & 191). Im Sinne der Synthesis scheint das Prinzip bei Hughes also auch einen subjektiven Aspekt zu umfassen. Auch Bartuschat legt einen starken Fokus auf das urteiInteressanterweise interpretiert sie die Annahme der Systematizität empirischer Gesetze als Voraussetzung für das Auffinden empirischer Begriffe (vgl. Ginsborg 2015, 138). 47 Zudem stellt Frierson heraus, dass das Prinzip a priori eigentlich ein Prinzip für das Vermögen der Lust und Unlust sei: »The a priori principle of reflecting judgment is a teleology that precedes any cognition of the object, a teleological suitability of the object for us and our faculties of cognition, that is, subjectively. But then this teleological principle cannot regulate any objective faculty. Purposiveness, properly speaking, is felt rather than cognized or desired. So the a priori principle of reflecting judgment, teleology, can only be a principle for the faculty of feeling« (Frierson 2018, 125). 46

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lende Subjekt. Zwar gibt er den Inhalt des Prinzips a priori allgemein mit »Zweckmäßigkeit der Natur« wieder; gleichzeitig spricht er aber von einem »Gesetz der Reflexion auf das subjektinterne Verhältnis unserer Vermögen. Und allein im Hinblick auf dieses Reflektieren wird die Natur als zweckmäßig angesehen, d. h. als zweckmäßig für unsere auf Erkenntnis gerichtete Absicht« (Bartuschat 2015b, 2757). Zuckerts Interpretation scheint mir in letzter Instanz sowohl die lokale Bedeutung der Objektseite des Prinzips a priori als auch die Subjektseite zu umfassen, wobei der Schwerpunkt auf letzterem liegt. Sie schreibt: »The principle of purposiveness characterizes and derives from the ›procedure‹ of empirical judging: in cognitive engagement with empirically diverse and contingent aspects of objects, we judge purposively. [Absatz] In reflective empirical judging, we judge purposively without a purpose. Such judging retains the form of empirical determinative judging – selection and unification of empirical diverse properties – but without guidance by an empirical concept, which serves as the ›purpose‹ in judging, the rule whereby we select properties for attention and synthesis« (Zuckert 2007, 76; für einen stärkeren Fokus auf die lokale Bedeutung der Objektseite vgl. Zuckert 2006, 606). Schließlich weist auch Floyds Rekonstruktion des Prinzips a priori einen starken Bezug zum Subjekt auf, wobei diese Rekonstruktion in ihrer Rückbindung an die Aktivität der (reflektierenden) Urteilskraft jener Zuckerts ähnelt: »The ›a priori‹ principle of reflective judgment, then, is just that good judgment is possible. This is the concept which judgment gives itself heautonomously, i. e., circularly and self-reflectively. The content of the principle of reflective judgment is (and can only be) a self-picturing of the activity of judgment itself« (Floyd 1998, 207). Ich habe dafür argumentiert, dass das Prinzip a priori nicht nur eine heuristische Funktion als epistemische Grundannahme ausübt, sondern auch im Sinne einer Überprüfungsaktivität allen Aktivitäten der reflektierenden Urteilskraft zugrunde liegt. In der Sekundärliteratur wird meines Wissens nach eine solche Überprüfungsaktivität bislang nicht vertreten. Worin sehen die einzelnen InterpretInnen aber dann die Rolle des Prinzips a priori beim Geschmacksurteil? Tatsächlich gehen einige davon aus, dass das Prinzip a priori gar keine Rolle im Geschmacksurteil spielt. Eine solche Problematisierung der (nicht vorhandenen) Rolle des Prinzips a priori wird von Guyer (1979, 50 & 63 f. & 67) sowie Kulenkampff (1994, 59–66) vorgebracht. Vor dem Hintergrund der Prominenz des Prinzips a priori der Urteilskraft in der Einleitung sowie der Tatsache, dass es ein Prinzip der reflektierenden und nicht etwa bloß der teleologischen Urteilskraft ist, scheint diese Annahme jedoch unplausibel. Allison bemerkt zwar auch, dass dem Geschmacksurteil nicht das »transcendental principle of reflective judgment, namely, the logical purposiveness of nature or systematicity« zugrunde liege (Allison 2001, 169); er stellt jedoch die folgende Verbindung im Sinne eines vereinigenden Prinzips her: »the true relationship between

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formal or logical purposiveness and taste is not that the former is itself the principle of the latter; it is rather that the principle licensing the former (the conditions of a reflective use of judgment) is identical to the principle underlying the latter« (Allison 2001, 64). Kern unterscheidet zwischen Form und Inhalt der ästhetischen und logischen ZM: »Daß Kant die ästhetische Zweckmäßigkeit als eine formale subjektive Zweckmäßigkeit bezeichnet, […] bedeutet, daß sie dieselbe Struktur wie die logische Zweckmäßigkeit hat. Sie hat jedoch, und dies muß ihre Besonderheit als ästhetische Zweckmäßigkeit ausmachen, nicht denselben Inhalt wie diese. Denn während das Urteil über die logische Zweckmäßigkeit ein Urteil ist über das Verhältnis von Begriffen und Gesetzen, ist das Urteil über die Schönheit ein Urteil über einen konkreten Gegenstand« (Kern 2000, 86). Die meisten anderen AutorInnen, insofern sie die Rolle des Prinzips a priori im Geschmacksurteil behandeln, scheinen davon auszugehen, dass dieses Prinzip selbst eine Funktion beim Schönen einnimmt. Dabei wird stets bloß angenommen, dass eine Instanziierung des Prinzips a priori vorliegt. Eine sehr allgemeine Deutung der Rolle des Prinzips a priori vertritt Wenzel. Er geht von einer ZM des Gegenstandes für die Erkenntnisvermögen, einer ZM der Erkenntnisvermögen füreinander im freien Spiel sowie einer ZM des Verhältnisses der Erkenntnisvermögen für Erkenntnis überhaupt aus, wobei er dann diese Zweckmäßigkeiten als Instanziierungen des Prinzips a priori, d. h. des »principle of subjective purposiveness« (Wenzel 2008, 57), einstuft. Ginsborg führt nur sehr allgemein aus, dass das Geschmacksurteil seine Legitimität und sein Recht auf Allgemeingültigkeit aus dem Prinzip a priori ableiten müsse (vgl. Ginsborg 2015, 147); worin aber genau die Rolle dieses Prinzips besteht, wird nicht klar. Ebenfalls eher vage Angaben zur Rolle des Prinzips a priori macht Frierson. Er schreibt: »Hence is born a free play between the imagination – as the locus of ›intuitions‹ or ›sensibility‹ – and the understanding, which play is regulated by an a priori principle of reflective judgment«; dabei heißt es zum Prinzip a priori: »according to which manifold particulars can be so subsumed« (Frierson 2018, 127). Unter denjenigen Deutungen der Rolle des Prinzips a priori, die etwas genauer oder fundierter sind, lassen sich solche unterscheiden, die sich auf eine ZM des Objekts oder auf eine innere Aktivität des Subjekts beziehen. Unter die erste Klasse fällt Makkreels Interpretation, der davon ausgeht, dass »unsere Urteile über Schönheit mit Bezug auf eine Zweckmäßigkeit des Objekts gefällt werden« (Makkreel 1997, 111); diese ZM des Objekts sei zusammen mit der ZM des Bewusstseins des Subjekts – diese wird nach Makkreel im Erhabenen realisiert – im Prinzip a priori impliziert. Dagegen habe ich dafür argumentiert, dass sich auch beim Schönen eine subjektinterne ZM und damit die Subjektseite des Prinzips a priori instanziiert. Ebenfalls eher auf das Objekt bezogen ist die Interpretation Frickes: »In der ästhetischen Beurteilung eines anschaulich vorgestellten Gegenstandes ist die reflektierende Urteilskraft nach ihrem Prinzip in seiner allgemeinen Form Kants Philosophie des Schönen

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tätig: Sie versucht, Einbildungskraft und Verstand in ein Verhältnis gegenseitiger Zusammenstimmung zu bringen, in dem sich eine Zweckmäßigkeit der Natur bzw. des jeweils vorgestellten Teils der Natur für das menschliche Erkenntnisvermögen manifestiert« (Fricke 1990, 124). Diese Interpretation stimmt mit der von mir vorgeschlagenen Manifestation der Objektseite des Prinzips a priori im freien Spiel überein. Esser sieht das Prinzip a priori im Verhältnis der Erkenntniskräfte manifestiert: »So realisiert der Urteilende das apriorische Prinzip der subjektiven Zweckmäßigkeit kraft einer bestimmten Konstellation seiner Erkenntnisvermögen. Das apriorische Prinzip bestimmt also keinen Gegenstand, sondern leitet nur die Reflexion über einen Gegenstand« (Esser 1995a, 19; vgl. ähnlich Esser 1997, 136). Da diese Konstellation der Erkenntnisvermögen anlässlich »einer sinnlichen Form« hergestellt werde, gelte diese Form »als subjektiv zweckmäßig bzw. ästhetisch valent« (Esser 1997, 136). Ähnlich verortet Hughes die Manifestation des Prinzips der Urteilskraft in der Synthesisaktivität der Erkenntnisvermögen: »the purposiveness of an object which we judge beautiful is exemplary of the general purposiveness of the empirical world for our power of judgment. As the judgment of beauty is singular, it cannot be the basis for a generalisation, but it can provide us with a heightened awareness of a fit between mind and nature which we can then carry over into our more humdrum empirical experience« (Hughes 1998, 186); dabei bestehe der ›fit between mind and nature‹ in der Synthesisaktivität der Erkenntnisvermögen, die auch beim Schönen stattfinde (vgl. Hughes 1998, 190). Eine sehr ähnliche Interpretation bringt Zuckert vor, wobei diese freilich an Zuckerts Deutung des Prinzips a priori als ›unity in diversity‹ gebunden ist: »For we must engage in such non-conceptually governed unification of empirical representations of objects to grasp order in nature beyond that legislated by the categories. The subjective principle of purposiveness as governing the subject’s representational activity in aesthetic experience may then be a subjective condition for the possibility of experience« (Zuckert 2006, 622). Weil beim Schönen bzw. im freien Spiel eine Aktivität des Herbeiführens einer ›unity in diversity‹ vorliege, urteile das Subjekt hier geleitet vom Prinzip a priori (vgl. etwa Zuckert 2007, 368). Matthews sieht das Prinzip a priori schließlich sowohl im freien Spiel, also intrasubjektiv, als auch im schönen Objekt manifestiert: »They [aesthetic judgments] provide a state of mind, a free reciprocal harmony between imagination and understanding, that is the sort of state that is useful for making systematic connections in nature. In addition, beautiful objects give us an initial sense that there is order in the world by exhibiting purposiveness, and give us an indication where we might start looking for that order« (Matthews 1997, 79). Abschließend möchte ich ausdrücklich betonen, dass in keinem der hier behandelten Texte der Sekundärliteratur verschiedene Ebenen des Prinzips a priori unterschieden werden, d. h. keine Ebene der Anwendung des Prin-

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zips, der Manifestation und des phänomenalen Bewusstseins in der Lust. Ebenso werden keine Rückschlüsse auf die ästhetische Einstellung gezogen. Bevor wir zum nächsten Paragraphen übergehen, wollen wir noch kurz die Frage stellen, ob und wie der Begriff der Heautonomie interpretiert wird. In vielen Fällen findet sich nichts dazu – etwa bei Crawford (1974), Esser (1997), Fricke (1990), Kulenkampff (1994) und Wenzel (2000 & 2008) – oder der Begriff wird nur zitiert, ohne gedeutet zu werden (vgl. Matthews 1997, 78). Sehr allgemein schreibt Clewis: »the power of judgment legislates not to nature, but to itself« (Clewis 2018, 329). Zuckert deutet den Begriff der Heautonomie so, dass das urteilende Subjekt der Adressat des Prinzips ist: »this principle is a distinctively subjective principle of the subject’s activity: it characterizes the subject as ›heautonomous,‹ legislating not for objects, but for itself alone« (Zuckert 2007, 305). Eine ähnliche Deutung nimmt auch Bartuschat vor: »ihr [der Urteilskraft] Reflektieren ist eine Reflexion auf das Verhältnis der im Urteilsakt beteiligten subjektiven Erkenntnisvermögen untereinander, wofür die Urteilskraft sich selbst ein Gesetz (›als Heautonomie‹, 5:185; vgl. 20:225) gibt« (Bartuschat 2015b, 2757). Euler schreibt: »weil sich ihre [der Urteilskraft] Gesetzgebung eben weder auf die Natur noch auf die Freiheit richtet, gibt sie sich selbst das Gesetz. Deshalb müsste mit Bezug auf diese Gesetzgebung nach Kant statt von Autonomie eigentlich von ›Heavtonomie‹ gesprochen werden« (W. Euler 2018, 188; vgl. auch 486). Das Problem dieser Deutungen ist, wie oben herausgestellt, dass auch das in Autonomie (und nicht in Heautonomie) gegebene moralische Gesetz das Subjekt zum Adressaten hat. Ich habe daher vorgeschlagen, die Heautonomie bestehe darin, dass das Subjekt sich selbst ein Gesetz gibt, welches sich inhaltlich auf die Natur bezieht. In die Richtung einer solchen Interpretation deuten Allison (»Thus, even though the principle concerns nature as the object of investigation, its prescriptive force is directed back to judgment itself«; Allison 2001, 41), Bojanowski (»Damit ist die UK nicht selbst gesetzgebend in bezug auf die Natur, sondern nur in bezug auf ihre Reflexionsart über die Natur«; Bojanowski 2008, 34) und Ostaric (»reflective judgment in its technical procedure does not prescribe this purposive order to nature, but only to itself«; Ostaric 2017, 1379). Eine recht genaue sprachliche Analyse des Begriffs »Heautonomie« nimmt Floyd vor: »Heautonomy derives from the Greek definite article he being attached to the Greek pronoun for ›self‹, or ›itself‹ : auto. The resulting term, heauto, means just what auto does except that it may only appear grammatically in a sentence reflexively (as in, e. g., ›I wash myself‹, ›He praised himself‹, etc.), and never intensively, as an emphasizer (as in, e. g., ›I myself think we ought to vote‹, or ›You yourself said so!‹)« (Floyd 1998, 205). Darüber hinaus präsentiert Floyd auch die folgende inhaltliche Analyse, in der sie Heautonomie explizit von der Autonomie des moralischen Gesetzes abgrenzt: »Heautonomy does not serve for Kant, as autonomy does, to express the sort of reflexivity which is (my) self’s spontaneity and Kants Philosophie des Schönen

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freedom, i. e., my ability to legislate rules for my own will a priori and unconditionally, and to act in such a way that I see myself acting from (my own) freedom. […] Reflective judgment can only be exercised relative to itself, that is, relative to its own reflective exercise with objects of nature« (Floyd 1998, 205). Pollok begreift ›Heautonomie‹ als »the authority that relates to the reflective power of judgment« (Pollok 2017, 279). Er diskutiert, ob die ästhetische mit der teleologischen Heautonomie übereinkomme, wobei er letztlich die folgende kompatibilistische Deutung vorschlägt: »teleological and aesthetic legislation must be seen as two different applications of the general principle of the reflective power of judgment, in the former case on the basis of an empirical law pertinent to the particular occasion, and in the latter without such a law« (Pollok 2017, 284). Daraus geht aber nicht hervor, was der Begriff der Heautonomie im Unterschied zur Autonomie bedeutet.

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§ 12 Dem Geschmacksurteil liegt das subjektive Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft zugrunde

In den §§ 10–11 haben wir gelernt, dass sich im freien Spiel der Erkenntniskräfte eine subjektive ZM ohne Zweck manifestiert: Der schöne Gegenstand erweist sich in der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt als subjektiv zweckmäßig, ohne dass wir ihn mittels eines Zweckbegriffs erkennen. Damit hat Kant die Relation des schönen Gegenstandes zum urteilenden Subjekt bestimmt. Im nächsten Schritt legt er nun dar, dass »[d]as Geschmacksurtheil […] auf Gründen a priori [beruht]« (§ 12.T, 221,29). Wie wir sehen werden, ist es kaum möglich, zu identifizieren, wo und wie Kant in § 12 auf diese ›Gründe[.] a priori‹ eingeht. Damit erweist sich § 12 insgesamt als vielleicht dunkelster und kryptischster Paragraph in der ganzen Analytik. Bevor wir versuchen wollen, etwas Licht in diese Dunkelheit zu bringen, können wir zunächst die folgende Gliederung vornehmen: 1. These: Das Geschmacksurteil beruht auf Gründen a priori (§ 12.T, 221,29) 2. Die Ursache einer Lust kann nicht a priori erkannt werden (§ 12.A.1, 221,30–222,2) 3. Der Entstehungskontext der Lust am moralisch Guten (§ 12.A.2–5, 222,2–17) 4. Analogie: Der Entstehungskontext der Lust am Schönen (§ 12.B.1–2, 222,18–28) 5. Das Weilen beim Schönen (§ 12.B.3–5, 222,28–37)

12.1 Die These Kant stellt seinen Ausführungen die folgende These voran: § 12.T »Das Geschmacksurtheil beruht auf Gründen a priori« (221,29).

Diese These ist auf den ersten Blick so klar wie inhaltsleer: Klar ist, dass dem Geschmacksurteil Gründe a priori zugrunde liegen müssen. Kants Philosophie des Schönen

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§ 12 Dem Geschmacksurteil liegt das subjektive Prinzip a priori … zugrunde

Diese These ist aber insofern inhaltsleer, als Kant nicht offenlegt, um welche Gründe es sich dabei handelt und welche Rolle sie im Geschmacksurteil spielen. Allerdings liegen die folgenden Vermutungen nahe: Erstens befinden wir uns im Kontext der subjektiven ZM ohne Zweck, die Kant in den §§ 10–11 entwickelt hat. Womöglich haben die ›Gründe a priori‹ etwas mit dieser subjektiven ZM ohne Zweck zu tun. Zweitens ist Kants Leserschaft ein Prinzip a priori aus der Einleitung bekannt, das in enger Verknüpfung zur subjektiven ZM ohne Zweck steht, nämlich das Prinzip a priori der Urteilskraft. Wie im Kapitel Grundlagen 3 erläutert, umfasst dieses Prinzip zwei Aspekte: Seine Objektseite besagt, dass die Formen der Natur zweckmäßig für unsere Erkenntnisvermögen sind, und seine Subjektseite besagt, dass die menschlichen Erkenntnisvermögen zweckmäßig füreinander sind. 1 Ferner haben wir, drittens, bezüglich des Schönen drei Ebenen des Prinzips a priori unterschieden: 2 i. Ebene der Anwendung des Prinzips a priori: Im freien Spiel der Erkenntniskräfte nimmt der Verstand eine Überprüfung anhand des Prinzips a priori vor. Er überprüft, ob die apprehendierten Formen (Objektseite) und die Aktivität des Apprehendierens von Formen durch die Einbildungskraft (Subjektseite) je zweckmäßig für seine Tätigkeit sind, Begriffe aufzufinden. ii. Ebene der Instanziierung des Prinzips a priori: Die Aktivität des freien Spiels ist durch eine Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte zur Erkenntnis überhaupt gekennzeichnet. Damit instanziiert sich erstens eine subjektive ZM des Gegenstandes für die Erkenntnisvermögen (Objektseite des Prinzips a priori) und zweitens eine ZM der Erkenntniskräfte füreinander (Subjektseite des Prinzips a priori). iii. Ebene des Bewusstseins des Prinzips a priori: Die Lust am Schönen ist das gefühlte Bewusstsein des freien Spiels. Sie ist damit auch das gefühlte Bewusstsein der Instanziierung der Objektseite und Subjektseite des Prinzips a priori. Die Instanziierung schlägt sich im phänomenalen Gehalt der Lust nieder. Alle drei Ebenen spielen in § 12 eine Rolle. Für den Kontext der ›Gründe a priori‹ ist insbesondere die Ebene der Anwendung des Prinzips a priori durch den Verstand relevant; denn auf dieser Ebene

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Siehe Kap. G3.1. Siehe Kap. G3.3.

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Die Ursache einer Lust kann nicht a priori erkannt werden

ist das Prinzip a priori als eine Art Grund wirksam. Was dies genau bedeutet, werde ich in diesem Kapitel unter anderem herausarbeiten.

12.2 Die Ursache einer Lust kann nicht a priori erkannt werden Kants Ausführungen im ersten Absatz führen uns, so scheint es, von der These aus der Überschrift weg. Kant fragt nämlich nicht mehr nach den Gründen a priori, die angeblich dem Geschmacksurteil zugrunde liegen, sondern er fragt, ob wir, ganz allgemein gesprochen, a priori erkennen können, welche Vorstellung mit einem Gefühl der Lust verknüpft ist. Die entsprechende Passage lautet: § 12.A.1 »[a] Die Verknüpfung des Gefühls einer Lust oder Unlust, als einer Wirkung, mit irgend einer Vorstellung (Empfindung oder Begrif) als ihrer Ursache, a priori auszumachen, ist schlechterdings unmöglich; [b] denn das wäre ein Causalverhältniß, welches (unter Gegenständen der Erfahrung) nur jederzeit a posteriori und vermittelst der Erfahrung selbst erkannt werden kann« (221,30 f.).

Die These in § 12.A.1a über das die Lust betreffende Kausalverhältnis lautet also: § 12.A.1aR1 Es ist unmöglich, ein Kausalverhältnis zwischen dem Gefühl einer Lust oder Unlust als Wirkung mit irgendeiner Vorstellung (Empfindung oder Begriff) als Ursache a priori zu erkennen.

Ganz vereinfacht lautet die These: § 12.A.1aR2 Es ist unmöglich, a priori zu erkennen, welche Vorstellung (Empfindung oder Begriff) als Ursache eine Lust oder Unlust bewirkt. 3

Warum lässt sich aber ein solches Kausalverhältnis nicht a priori erkennen? Dies erläutert Kant in § 12.A.1b. In diesem Satz bezieht sich das Pronomen ›das‹ offenkundig auf das in § 12.A.1a beschriebene Bewirken der Lust durch die Vorstellung. Wir können daher formulieren: Eine ähnliche These formuliert Kant auch in der KpV: »Weil es nun unmöglich ist, a priori einzusehen, welche Vorstellung mit L u s t , welche hingegen mit U n l u s t werde begleitet sein, […]« (KpV: 58).

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§ 12 Dem Geschmacksurteil liegt das subjektive Prinzip a priori … zugrunde

§ 12.A.1bR1 Das Bewirken einer Lust durch eine Vorstellung ist ein Kausalverhältnis. Ein Kausalverhältnis kann (unter Gegenständen der Erfahrung) nur a posteriori und vermittelst der Erfahrung erkannt werden.

Das in dieser Passage beinhaltete Argument können wir leicht identifizieren: P1

Alle Kausalverhältnisse können nur a posteriori (und nicht a priori) erkannt werden. P2 Die Verknüpfung einer Vorstellung mit einer Lust ist ein Kausalverhältnis. Also: Die Verknüpfung einer Vorstellung mit einer Lust kann nur a posteriori (und nicht a priori) erkannt werden.

Die Prämisse P1 ist tief in Kants Philosophie verankert. Zwar ist die »K a u s a l i t ä t und Dependenz (Ursache und Wirkung)« eine Kategorie (der Relation) (A80/B106) und somit ein Begriff a priori; und ebenso ist der entsprechende »Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität« (A189/B232) – nämlich »Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung der Ursache und Wirkung« (A189/B232) – ein synthetischer Satz a priori. Um aber einen konkreten Fall von Kausalität zu erkennen, muss die Kategorie bzw. der Grundsatz der Kausalität auf etwas empirisch Gegebenes angewendet werden. Daher kann eine konkrete Kausalitätsbeziehung nur a posteriori erkannt werden. Dies illustriert Kant in der KrV folgendermaßen: »Wenn also vorher festgewesenes Wachs schmilzt, so kann ich a priori erkennen, daß etwas vorausgegangen sein müsse, (z. B. Sonnenwärme,) worauf dieses nach einem beständigen Gesetze gefolgt ist, ob ich zwar, ohne Erfahrung, aus der Wirkung weder die Ursache, noch aus der Ursache die Wirkung, a priori und ohne Belehrung der Erfahrung b e s t i m m t erkennen könnte« (A766/B794).

Ich kann demnach nur a priori erkennen, dass eine Veränderung (wie das Schmelzen des Wachses) irgendeine Ursache haben muss. Um welche konkrete Ursache es sich dabei handelt, kann ich jedoch nur a posteriori erkennen. Somit kann ich beim Auftreten einer Lust zwar a priori erkennen, dass sie irgendeine Ursache haben muss. Um welche konkrete Ursache es sich dabei handelt, kann ich aber nur a posteriori erkennen. Dies ist beim Schönen schon allein daraus er-

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Die Ursache einer Lust kann nicht a priori erkannt werden

sichtlich, dass man den Gegenstand selbst seinen Augen unterwerfen und dabei Lust fühlen muss, wie Kant verschiedentlich betont: »Ob ein Kleid, ein Haus, eine Blume schön sey: dazu läßt man sich sein Urtheil durch keine Gründe oder Grundsätze beschwatzen. Man will das Object seinen eignen Augen unterwerfen, […]« (§ 8.F.3–4, 215,37 f.). »Die Lust ist also im Geschmacksurtheile zwar von einer empirischen Vorstellung abhängig, und kann a priori mit keinem Begriffe verbunden werden (man kann a priori nicht bestimmen, welcher Gegenstand dem Geschmacke gemäß seyn werde, oder nicht, man muß ihn versuchen)« (191,26).

Ich kann ›a priori nicht bestimmen, welcher Gegenstand dem Geschmacke gemäß sein werde‹, d. h. welcher Gegenstand mit einer Lust am Schönen verbunden ist. Vielmehr muss ich den Gegenstand meinen ›eignen Augen unterwerfen‹ und darauf Acht haben, ob sich eine Lust am Schönen einstellt oder nicht. Auch beim Schönen können wir also nicht a priori erkennen, welche Vorstellung eine Lust am Schönen bewirkt. Dies ist jedoch in gewisser Hinsicht problematisch. Denn liegt beim Schönen überhaupt ein Kausalverhältnis zwischen der Vorstellung und der Lust vor? Lässt sich demnach die Prämisse P2 überhaupt auf die Lust am Schönen anwenden? Bereits in § 2 hat Kant klargestellt, dass es beim Schönen darauf ankommt, »was ich aus dieser Vorstellung [des Gegenstandes] in mir selbst mache« (§ 2.A.7, 205,10, m. H.). Die Lust am Schönen wird demnach nicht bloß durch einen Gegenstand bewirkt und das Subjekt ist dabei nicht passiv, sondern die Lust am Schönen erfordert ein ›Machen‹ durch das Subjekt, d. h. eine Aktivität des freien Spiels der Erkenntniskräfte. Ich werde in Kürze darlegen, dass der in diesem ›Machen‹ beinhaltete Akt der Heautonomie zentral dafür ist, dass wir in gewisser Hinsicht doch apriorische Einsicht in die Bewirkung der Lust am Schönen haben. Auf eine kleine Auffälligkeit in § 12.A.1a sollten wir aufmerksam machen: In der Klammerbemerkung nennt Kant nur ›Empfindung oder Begriff‹ als potenzielle Ursachen einer Lust. Nun ist eine Lust, die (unmittelbar) durch eine Empfindung hervorgerufen wird, eine Lust am Angenehmen und eine Lust, die durch einen Begriff bewirkt wird, eine Lust am Guten. Spart Kant damit womöglich bewusst die Lust am Schönen, die ja auf der Form beruht, aus? Plausibler scheint mir, dass Kant in dieser Klammerbemerkung ›Empfindung‹ als Synonym für alle sinnlichen Ursachen verwendet – denn Kants Philosophie des Schönen

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§ 12 Dem Geschmacksurteil liegt das subjektive Prinzip a priori … zugrunde

in letzter Instanz ist uns ja alles Sinnliche durch Empfindungen gegeben – und ›Begriff‹ als Synonym für alle intellektuellen Ursachen. Kant betont dann durch die Klammerbemerkung, dass wir sowohl bei sinnlichen als auch bei intellektuellen Ursachen nicht a priori erkennen können, dass bzw. ob sie eine Lust bewirken. Dies gilt freilich nur für Kausalverhältnisse ›unter Gegenständen der Erfahrung‹, d. h. empirische Ursachen. Wie es um Kausalverhältnisse steht, bei denen die Ursache ein Begriff a priori ist, wird Kant erst im Folgenden erläutern. Ich habe zu Beginn dieses Unterpunkts bemerkt, dass § 12.A.1 scheinbar keinen Bezug zur Überschrift § 12.T hat. So ist es eine Sache, ob eine Lust auf Gründen a priori beruht, und eine andere, ob wir a priori erkennen können, durch welche Ursache eine Lust bewirkt wird. Dennoch gibt es eine Verbindung zwischen beidem. So führt Kant in § 12.A.1 zwar aus, dass wir Kausalverhältnisse immer nur a posteriori erkennen können. Jedoch konstatiert er in den folgenden Sätzen § 12.A.2–5, wir könnten im Falle der Achtung a priori erkennen, dass sie vom moralischen Gesetz bewirkt werde. Dies ist deshalb möglich, weil das moralische Gesetz ein Grund a priori ist. Wie genau dies zu verstehen ist, wollen wir im Folgenden sehen. Bereits jetzt können wir aber die folgende Vermutung anstellen: Würde Kant zeigen, dass die Lust am Schönen ebenso wie die Achtung auf ›Gründen a priori‹ beruht, so bestünde die Möglichkeit, dass wir doch a priori einsehen könnten, durch welche Ursache die Lust am Schönen bewirkt wird.

12.3 Der Entstehungskontext der Lust am moralisch Guten Kant verwendet den gesamten weiteren Verlauf des ersten Absatzes darauf, den Entstehungskontext der Lust am moralisch Guten, d. h. der Achtung, zu schildern. Den Ausgangspunkt dafür bildet seine These in § 12.A.1, dass wir nur a posteriori erkennen können, welche Ursache eine Lust bewirkt; denn die Bewirkung der Achtung bildet in gewisser Hinsicht eine Ausnahme dazu. Die entsprechende Passage lautet: § 12.A.2 »Zwar haben wir in der Critik der praktischen Vernunft wirklich das Gefühl der Achtung (als eine besondere und eigenthümliche Modification dieses Gefühls, welches weder mit

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Der Entstehungskontext der Lust am moralisch Guten

der Lust noch Unlust, die wir von empirischen Gegenständen bekommen, recht übereintreffen will) von allgemeinen sittlichen Begriffen a priori abgeleitet. § 12.A.3 Aber wir konnten dort auch die Gränzen der Erfahrung überschreiten, und eine Causalität, die auf einer übersinnlichen Beschaffenheit des Subjects beruhete, nämlich die der Freyheit, herbey rufen. § 12.A.4 [a] Allein selbst da leiteten wir eigentlich nicht dieses G e f ü h l von der Idee des Sittlichen als Ursache her, [b] sondern bloß die Willensbestimmung wurde davon abgeleitet. § 12.A.5 [a] Der Gemüthszustand aber eines irgend wodurch bestimmten Willens ist an sich schon ein Gefühl der Lust und mit ihm identisch, folgt also nicht als Wirkung daraus: [b] welches letztere nur angenommen werden müßte, wenn der Begrif des Sittlichen als eines Guts vor der Willensbestimmung durch das Gesetz vorherginge; [c] da alsdann die Lust, die mit dem Begriffe verbunden wäre, aus diesem als einer bloßen Erkenntniß vergeblich würde abgeleitet werden« (222,2).

Wir können diese Passage folgendermaßen gliedern: In § 12.A.2 identifiziert Kant den Entstehungskontext der Achtung, den er als Ausnahme zu seiner in § 12.A.1 entwickelten These versteht, dass wir die Ursache einer Lust nicht a priori erkennen können. In § 12.A.3 legt er dar, dass wir uns beim Entstehungskontext der Achtung nicht ›unter Gegenständen der Erfahrung‹ bewegen, sondern dass eine Kausalität aus Freiheit wirksam ist. In § 12.A.4–5 relativiert er schließlich wenigstens zum Teil, dass wir die Bewirkung des Gefühls der Achtung a priori erkennen; denn er erläutert, dass das moralische Gesetz eigentlich nicht die Achtung, sondern eine Willensbestimmung bewirkt. Dabei ist allerdings zu betonen, dass die Willensbestimmung und die Achtung nicht voneinander zu trennen sind. So ist die Achtung die Art und Weise, wie wir die (moralische) Willensbestimmung erleben, ähnlich wie die Lust am Schönen die Art und Weise ist, wie wir das freie Spiel erleben. 4 Beginnen wir mit Kants Ausgangsthese in § 12.A.2. In der Klammerbemerkung bezeichnet Kant die Achtung als ›eine besondere und eigenthümliche Modification dieses Gefühls‹ der Lust und Unlust. Dabei ist das Gefühl der Lust und Unlust der Oberbegriff, unter den

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Siehe Kap. 4.1.1 sowie Kap. 9.6.3.

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§ 12 Dem Geschmacksurteil liegt das subjektive Prinzip a priori … zugrunde

die Achtung als eine spezifische ›Modification‹ bzw. Unterart der Lust und Unlust fällt. Die Besonderheit und Eigentümlichkeit der Achtung kann vielerlei bedeuten: Erstens ist der Entstehungskontext der Achtung ein besonderer, insofern die Achtung nämlich ein »durch einen Vernunftbegriff selbstgewirktes Gefühl« ist (GMS: 401 Fn.). Zweitens verfügt die Achtung über einen besonderen phänomenalen Gehalt, d. h. sie fühlt sich eigentümlich an. Insbesondere beinhaltet ihr phänomenaler Gehalt ein Bewusstsein des moralischen Gesetzes. 5 Insgesamt ist die Klammerbemerkung aber nicht wesentlich für den Argumentationsgang. Wir können sie daher fortan weglassen. Die Kernaussage von § 12.A.2, welche sich freilich auf das moralische Gesetz bezieht (›von allgemeinen sittlichen Begriffen‹), lautet dann: § 12.A.2R1 Wir haben das Gefühl der Achtung vom moralischen Gesetz a priori abgeleitet.

Erinnern wir uns an Kants These in § 12.A.1: § 12.A.1aR2 Es ist unmöglich, a priori zu erkennen, welche Vorstellung (Empfindung oder Begriff) als Ursache eine Lust oder Unlust bewirkt.

Es scheint naheliegend, dass wir dieser These in § 12.A.2 das Folgende entgegenhalten müssen: § 12.A.2R2 Wir erkennen a priori, dass das moralische Gesetz die Achtung bewirkt.

Nun nutzt Kant in § 12.A.2 gar nicht den Begriff ›bewirkt‹ oder eine andere Terminologie, die explizit auf ein Kausalverhältnis verweist. Gibt es dennoch Gründe, im Kontext der Achtung ein solches Kausalverhältnis zu verorten? Kants Rede vom »selbstgewirkte[n] Gefühl« (GMS: 402 Fn.) liefert ein erstes Indiz. Weiterhin verweist Kant selbst in § 12.A.2 auf die KpV; und tatsächlich schildert Kant in der KpV, wie die Achtung durch das moralische Gesetz bewirkt wird. Die Achtung ist bekanntermaßen ein Doppelgefühl aus Unlust – der sogenannten Demütigung – und Lust. Zur ›Bewirkung‹ der Demütigung heißt es: »Folglich können wir a priori einsehen, daß das moralische Gesetz als Bestimmungsgrund des Willens dadurch, daß es allen unseren Neigungen Eintrag tut, ein Gefühl bewirken müsse, welches Schmerz genannt werden kann, und hier haben wir nun den ersten, vielleicht auch einzigen Fall, da wir aus Begriffen a priori das Verhältnis eines Erkenntnisses (hier ist es 5

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Zum komplexen phänomenalen Gehalt von Lustgefühlen siehe Kap. G1.3.

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[das] einer reinen praktischen Vernunft) zum Gefühl der Lust oder Unlust bestimmen konnten« (KpV: 73, m. H.). 6

Demnach können wir a priori erkennen, dass das moralische Gesetz ein Gefühl der Unlust (Demütigung) ›bewirkt‹. Dazu erläutert Schmidt: »Dass wir (bei ausreichender Selbstprüfung) gedemütigt werden, wissen wir nicht, weil wir es bereits einmal erfahren haben, sondern weil wir wissen, dass durch dieses Bewusstsein [des moralischen Gesetzes] der beschriebene Vergleich [vom moralischen Gesetz mit dem sinnlichen Hang des Menschen] ausgelöst wird, der notwendig in die Demütigung mündet« (Schmidt 2013, 51). Damit ist aber nicht impliziert, dass wir a priori erkennen, in welchen konkreten Situationen das moralische Gesetz Demütigung bzw. Achtung bewirkt. 7 Wie steht es aber um die Lust am moralisch Guten, d. h. um die eigentliche Achtung? In der KpV erläutert Kant, dass wir auch ihre Bewirkung durch das moralische Gesetz a priori erkennen: »Da dieses Gesetz [das moralische Gesetz] aber doch etwas an sich Positives ist, nämlich die Form einer intellektuellen Kausalität, d. i. der Freiheit, so ist es, indem es im Gegensatze mit dem subjektiven Widerspiele, nämlich den Neigungen in uns, den Eigendünkel s c h w ä c h t , zugleich ein Gegenstand der A c h t u n g , und indem es ihn sogar n i e d e r s c h l ä g t , d. i. demütigt, ein Gegenstand der größten A c h t u n g , mithin auch der Grund eines positiven Gefühls, das nicht empirischen Ursprungs ist, und a priori erkannt wird. Also ist Achtung fürs moralische Gesetz ein Gefühl, welches durch einen intellektuellen Grund gewirkt wird, und dieses Gefühl ist das einzige, welches wir völlig a priori erkennen, und dessen Notwendigkeit wir einsehen können« (KpV: 73). 8

Vgl. auch: »[…] so ist die Wirkung dieses Gesetzes [des moralischen Gesetzes] aufs Gefühl bloß Demütigung, welche wir also zwar a priori einsehen, […]« (KpV: 78). 7 Vielmehr ist es möglich, dass wir erst durch das Gefühl der Achtung Zugang zum Sollen in konkreten Handlungssituationen haben. Siehe hierzu Schönecker 2013, 98. 8 Vgl. auch: »Da nun alles, was in der Selbstliebe angetroffen wird, zur Neigung gehört, alle Neigung aber auf Gefühlen beruht, mithin, was allen Neigungen insgesamt in der Selbstliebe Abbruch tut, eben dadurch notwendig auf das Gefühl Einfluß hat, so begreifen wir, wie es möglich ist, a priori einzusehen, daß das moralische Gesetz, indem es die Neigungen und den Hang, sie zur obersten praktischen Bedingung zu machen, d. i. die Selbstliebe, von allem Beitritte zur obersten Gesetzgebung ausschließt, eine Wirkung aufs Gefühl ausüben könne, welche einerseits bloß n e g a t i v ist, andererseits, und zwar in Ansehung des einschränkenden Grundes der reinen praktischen Vernunft, p o s i t i v ist, […]« (KpV: 74 f., 1. H. m. H.). 6

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Diesem Zitat folgend erkennen wir a priori, dass das moralische Gesetz ein Gefühl der Lust (ein ›positives Gefühl‹) bewirkt. Wiederum erkennen wir aber nicht a priori, in welchen konkreten Situationen Achtung bewirkt wird. Wir erkennen nur a priori, dass das moralische Gesetz, sofern es den Willen bestimmt, Achtung bewirkt. Die entscheidende Frage ist natürlich, was es eigentlich bedeutet, dass wir die Bewirkung der Achtung a priori erkennen. Die schwächere Lesart wäre, dass Kant bloß betont, die Achtung sei ein Gefühl a priori, d. h. ein Gefühl, ›das nicht empirischen Ursprungs ist‹. Aber ganz offenkundig behauptet Kant im ersten Absatz von § 12 mehr, nämlich dass wir die (kausale) Bewirkung der Achtung als solche durch das moralische Gesetz a priori erkennen; denn dieser ganze Absatz dreht sich ja um die Erkenntnis der kausalen Bewirkung von Gefühlen. Die stärkere und besser mit dem Text zusammenstimmende Lesart lautet daher, wir könnten a priori erkennen, dass das moralische Gesetz die Achtung kausal bewirkt. Dies lässt sich auf einer konkreten und einer abstrakten Ebene begreifen. Auf der konkreten Ebene wäre die These, dass wir beim aktualen Fühlen der Achtung a priori auf die Ursache dieses Gefühls, nämlich das moralische Gesetz, zurückschließen können. Und es ist ja trivialerweise wahr, dass wir diese Ursache, sofern wir sie erkennen, a priori erkennen müssen; denn das moralische Gesetz ist eine noumenale Ursache. Auf der abstrakten Ebene wäre die These, wir könnten a priori und losgelöst von einer konkret gefühlten Lust erkennen, dass das moralische Gesetz, wann immer es den Willen bestimmt, ein Gefühl der Achtung bewirkt. Nun scheint das konkrete Modell letztlich das abstrakte Modell vorauszusetzen. Denn wie sollten wir darauf schließen können, dass ein konkret erlebtes Gefühl durch das moralische Gesetz bewirkt wurde, wenn wir nicht einen generellen Kausalzusammenhang zwischen dem moralischen Gesetz und der Achtung erkannt hätten? Nun ist aber diese Deutung im Sinne der abstrakten Ebene mit einem Problem behaftet. In der GMS hat Kant nämlich die folgende Problematik bezüglich der Erkenntnis der Achtung geschildert: »Es ist aber gänzlich unmöglich, einzusehen, d. i. a priori begreiflich zu machen, wie ein bloßer Gedanke, der selbst nichts Sinnliches in sich enthält, eine Empfindung der Lust oder Unlust hervorbringe; denn das ist eine besondere Art von Kausalität, von der, wie von aller Kausalität, wir gar nichts a priori bestimmen können, sondern darum allein die Erfahrung befragen müssen. Da diese aber kein Verhältnis der Ursache zur Wirkung, als zwischen zwei Gegenständen der Erfahrung, an die Hand geben kann, hier aber

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reine Vernunft durch bloße Ideen (die gar keinen Gegenstand für Erfahrung abgeben) die Ursache von einer Wirkung, die freilich in der Erfahrung liegt, sein soll, so ist die Erklärung, wie und warum uns die Allgemeinheit der Maxime als Gesetzes, mithin die Sittlichkeit, interessiere, uns Menschen gänzlich unmöglich« (GMS: 460).

Kant scheint hier zu bestreiten, dass wir das Kausalverhältnis zwischen dem moralischen Gesetz (›bloße Ideen‹) und der Achtung a priori erkennen – und zwar gerade deshalb, weil das moralische Gesetz kein ›Gegenstand der Erfahrung‹, sondern noumenal ist. Lässt sich diese in der GMS geschilderte Problematik in irgendeiner Form mit Kants Ausführungen in der KpV und der KU zusammenführen? Die einzige plausible Lösung scheint mir darin zu bestehen, herauszustellen, was wir im Kontext der Bewirkung der Achtung a priori erkennen können. Vielleicht ist es Kants These in der KpV und der KU, wir könnten a priori erkennen, dass das moralische Gesetz (mittels der Willensbestimmung) Achtung bewirkt. Dagegen wäre es die These der GMS, wir könnten nicht erkennen, wie das moralische Gesetz die Achtung bewirken kann, d. h. wie eine noumenale Ursache eine Wirkung in der Erfahrung haben kann. Freilich ist dies alles immer noch sehr schwer zu begreifen; allerdings sind der Entstehungskontext der Achtung und die Erkennbarkeit des Kausalverhältnisses vom moralischen Gesetz und der Achtung nicht das Thema unserer Untersuchungen, sodass wir hier keine genauere Analyse der Achtung leisten können. Unser Exkurs in die KpV hat gezeigt, dass wir die (kausale) Bewirkung der Achtung durch das moralische Gesetz a priori erkennen. Unsere Rekonstruktion § 12.A.2R2 ist somit korrekt. Damit bleibt aber die Spannung zwischen § 12.A.1 und § 12.A.2 bestehen. Kant scheint zu behaupten, wir könnten keine kausale Bewirkung einer Lust a priori erkennen, und er behauptet zugleich, wir könnten die kausale Bewirkung der Achtung durch das moralische Gesetz a priori erkennen. Wie lässt sich diese Spannung lösen? Ein erster Lösungsansatz findet sich in § 12.A.3: § 12.A.3* Wir konnten in der Kritik der praktischen Vernunft die Grenzen der Erfahrung überschreiten, und eine Kausalität, die auf einer übersinnlichen Beschaffenheit des Subjekts beruhte, nämlich die Kausalität der Freiheit, herbeirufen.

In § 12.A.1b hat Kant fast beiläufig angemerkt, dass wir Kausalverhältnisse ›unter Gegenständen der Erfahrung‹ nicht a priori, sondern Kants Philosophie des Schönen

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›jederzeit nur a posteriori‹ erkennen können. In § 12.A.3 illustriert er nun, dass wir im Kontext der Bewirkung der Achtung ›die Gränzen der Erfahrung überschreiten‹. Dadurch eröffnet er die Möglichkeit, dass wir die Bewirkung der Achtung durch das moralische Gesetz a priori erkennen, ohne damit seiner These in § 12.A.1 zu widersprechen. Wir ›überschreiten‹ im Kontext der Achtung insofern ›die Gränzen der Erfahrung‹, als wir uns das moralische Gesetz selbst in einem Akt der Autonomie geben. 9 Die Selbstgesetzgebung des moralischen Gesetzes fällt dem noumenalen Selbst des Menschen zu. So heißt es in der berühmten Hebung des sogenannten Zirkels in der GMS: »Als ein vernünftiges, mithin zur intelligiblen Welt gehöriges Wesen kann der Mensch die Kausalität seines eigenen Willens niemals anders als unter der Idee der Freiheit denken; […]. Mit der Idee der Freiheit ist nun der Begriff der Autonomie unzertrennlich verbunden, mit diesem aber das allgemeine Prinzip der Sittlichkeit, […]« (GMS: 452).

Der Akt der Selbstgesetzgebung des moralischen Gesetzes fällt in den Bereich des Noumenalen. Kants These in § 12.A.3 ist dann offenkundig, dass wir aufgrund dieses übersinnlichen Status der Ursache, d. h. des moralischen Gesetzes, das Kausalverhältnis a priori erkennen können. Zu beachten ist aber, dass die Achtung, d. h. die Wirkung im Kausalverhältnis, als ein Gefühl dem Bereich des Sinnlichen beizuzählen ist. 10 Wir erkennen damit a priori, dass eine übersinnliche Ursache eine Wirkung im Bereich der Sinnlichkeit hat. Halten wir fest: Das in § 12.A.2 geschilderte Kausalverhältnis unterscheidet sich durch den übersinnlichen Charakter der Ursache maßgeblich von den in § 12.A.1 behandelten Kausalverhältnissen. Daher liegt kein Widerspruch zwischen § 12.A.1 und § 12.A.2 vor. Kant lässt es aber nicht darauf beruhen, sondern relativiert in einem zweiten Schritt (§ 12.A.4–5), dass überhaupt ein (unmittelbares) Kausalverhältnis zwischen dem moralischen Gesetz und der Achtung besteht: Vgl. etwa GMS: 446 f. Vgl. etwa: »Hiebei ist nun zu bemerken, daß, so wie die Achtung eine Wirkung aufs Gefühl, mithin auf die Sinnlichkeit eines vernünftigen Wesens ist, es diese Sinnlichkeit, mithin auch die Endlichkeit solcher Wesen, denen das moralische Gesetz Achtung auferlegt, voraussetzt, und daß einem höchsten, oder auch einem von aller Sinnlichkeit freien Wesen, welchem diese also auch kein Hindernis der praktischen Vernunft sein kann, Achtung fürs G e s e t z nicht beigelegt werden könne« (KpV: 76).

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§ 12.A.4* [a] Allein selbst da [in der KpV] leiteten wir eigentlich nicht dieses Gefühl der Achtung von der Idee des Sittlichen als Ursache her, [b] sondern bloß die Willensbestimmung wurde von der Idee des Sittlichen als Ursache abgeleitet. § 12.A.5* [a] Der Gemütszustand eines irgend wodurch bestimmten Willens ist an sich schon ein Gefühl der Lust und mit dem Gemütszustand des bestimmten Willens identisch, folgt also nicht als Wirkung aus dem bestimmten Willen: [b] welches letztere nur angenommen werden müsste, wenn der Begriff des Sittlichen als eines Guts vor der Willensbestimmung durch das Gesetz vorherginge; [c] da alsdann die Lust, die mit dem Begriff des Sittlichen als eines Guts verbunden wäre, aus diesem Begriff des Sittlichen als eines Guts als einer bloßen Erkenntnis vergeblich würde abgeleitet werden.

In § 12.A.4 können wir zunächst die beiden folgenden Beschreibungen von Kants Vorgehen in der KpV isolieren: § 12.A.4a** Wir leiteten eigentlich nicht das Gefühl der Achtung von der Idee des Sittlichen als Ursache her. § 12.A.4b** Die Willensbestimmung wurde von der Idee des Sittlichen als Ursache abgeleitet.

Kant stellt damit klar, welches Kausalverhältnis genau in der KpV behandelt und als a priori erkennbar ausgewiesen wurde. Dabei betont er in § 12.A.4b, dass die Wirkung in diesem Kausalverhältnis (zunächst) die Willensbestimmung ist. Wir können diese Aussage folgendermaßen rekonstruieren: 11 § 12.A.4bR1 Die Willensbestimmung wird vom moralischen Gesetz als Ursache (kausal) bewirkt.

Kant selbst nutzt in § 12.A.4 freilich nicht das Verb ›bewirken‹, sondern ›ableiten‹. Aufgrund des gesamten Kontextes muss aber eine kausale Bewirkung gemeint sein. 12 Das moralische Gesetz bewirkt also eine Willensbestimmung, d. h. ein Wollen. 13 Die entscheidende Ich ersetze die ›Idee des Sittlichen‹ durch das ›moralische Gesetz‹. Dies ist insofern legitim, als es ja das moralische Gesetz ist, welches unseren Willen bestimmt. Dass Kant von ›Ideen der Sittlichkeit‹ spricht, mag seinen Grund nur darin haben, dass der Begriff der Idee auf den Bereich des Übersinnlichen verweist. 12 In diesem ganzen Kontext eines Kausalverhältnisses, dessen Ursache noumenal und somit nicht empirisch ist, tritt freilich die bekannte Problematik zutage, dass die Kategorie der Ursache und Wirkung eigentlich nur auf Erscheinungen anwendbar ist. 13 Aus diesem Wollen muss freilich nicht zwangsläufig eine Handlung resultieren. 11

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Frage ist natürlich, wie sich denn nun die Achtung in dieses Kausalverhältnis zwischen dem moralischen Gesetz als Ursache und der Willensbestimmung als Wirkung einordnen lässt. Eine Antwort darauf gibt Kant in § 12.A.5a. So ist ›[d]er Gemüthszustand […] eines irgend wodurch bestimmten Willens […] an sich schon ein Gefühl der Lust und mit ihm identisch‹. Die Achtung ist also der Gemütszustand des durch das moralische Gesetz bestimmten Willens und ›folgt…nicht als Wirkung‹ aus der Willensbestimmung. Wir dürfen also nicht ein zweites Kausalverhältnis annehmen, nach dem die Willensbestimmung bzw. der bestimmte Wille die Achtung bewirkt. Insofern aber das moralische Gesetz die Willensbestimmung bewirkt und der Gemütszustand der Willensbestimmung die Achtung ist, muss das moralische Gesetz (mindestens indirekt) die Achtung bewirken. 14 Wie genau müssen wir aber die Identität vom Gemütszustand des bestimmten Willens und der Achtung verstehen? Dazu hatten wir bereits festgehalten: 15 Jede innere Aktivität – sei sie physisch oder intellektuell –, sofern sie befördernd bzw. belebend ist, wird qualitativ als Lust erlebt. Der bestimmte Wille ist eine solche befördernde und belebende Aktivität. Daher erleben wir einen bestimmten Willen bzw. ein Wollen als Gefühl der Lust. Die Vermögensaktivität des bestimmten Willens und das Gefühl der Lust sind dann insofern ›identisch‹, als sie Teil desselben Gemütszustandes sind. Damit ist aber nicht impliziert, dass die Vermögensaktivität und das Gefühl im strengen Sinne dasselbe sind. Vielmehr ist die Lust das gefühlte Bewusstsein oder das ›what it is like‹ des bestimmten Willens. Dabei werden wir uns im phänomenalen Gehalt der Lust auch von der Anwendung des moralischen Gesetzes auf den Willen und somit mindestens indirekt des moralischen Gesetzes selbst bewusst. 16 In diesem Grundsätzlich scheint Kant aber auch andeuten zu wollen, dass wir die Achtung nicht unmittelbar aus dem moralischen Gesetz, d. h. aus Begriffen, ableiten können. So hat er in der EEKU erläutert, »daß vom Erkenntniß zum Gefühl der Lust und Unlust kein Übergang d u r c h B e g r i f f e von Gegenständen (so fern diese auf jenes in Beziehung stehen sollen) statt finde, und daß man also nicht erwarten dürfe, den Einfluß, den eine gegebene Vorstellung auf das Gemüth thut, a priori zu bestimmen, so wie wir ehedem in der Crit. d. pract. V., daß die Vorstellung einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit des Wollens zugleich Willen bestimmend und dadurch auch das Gefühl der Achtung erweckend seyn müsse, als ein in unsern moralischen Urtheilen und zwar a priori enthaltenes Gesetz, bemerken, aber dieses Gefühl nichts desto weniger aus Begriffen doch nicht ableiten konnten« (EEKU: 229,27 f.). 15 Siehe Kap. 4.1.1 sowie 9.6.3. 16 Vgl. zur Achtung als Bewusstsein des moralischen Gesetzes etwa: »Das Bewußt14

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Sinne ist die Achtung eine Art doppeltes Bewusstsein: Erstens wird uns durch die Achtung eine Tätigkeit der reinen praktischen Vernunft bewusst und zweitens ein Gesetz, nämlich das moralische Gesetz (in seiner Geltung). 17 Ich schlage insgesamt die folgende Rekonstruktion von § 12.A.5a vor: § 12.A.5aR1 Ein bestimmter Wille ist eine befördernde Aktivität und wird daher qualitativ als Lust erlebt. Insofern der bestimmte Wille und die Lust Momente desselben Gemütszustandes sind, können sie als identisch gelten. Die Lust wird nicht im Sinne eines Kausalverhältnisses von der Willensbestimmung bewirkt. 18

Was haben wir in den Sätzen § 12.A.4–5a zur apriorischen Erkenntnis der (kausalen) Bewirkung der Lust erfahren? Kants Überlegungen lassen sich folgendermaßen zusammenstellen: i. Wir erkennen a priori, dass das moralische Gesetz eine Willensbestimmung bewirkt. ii. Das moralische Gesetz ist dem Bereich des Noumenalen beizuzählen (§ 12.A.3). Die Erkenntnis des Kausalverhältnisses in i. fällt also nicht unter die Einschränkung, dass wir Kausalverhältnisse ›unter Gegenständen der Erfahrung‹ nur a posteriori erkennen können (§ 12.A.1). iii. Die belebende Aktivität des bestimmten Willens wird als Lust bzw. Achtung erlebt (§ 12.A.5a). Die Achtung wird nicht durch den bestimmten Willen im Sinne eines Kausalverhältnisses bewirkt (§ 12.A.5a).

sein einer f r e i e n Unterwerfung des Willens unter das Gesetz, doch als mit einem unvermeidlichen Zwange, der allen Neigungen, aber nur durch eigene Vernunft angetan wird, verbunden, ist nun die Achtung für das Gesetz« (KpV: 80). 17 Ich lege an dieser Stelle die Interpretation zur Faktum-These von Schönecker zugrunde (Schönecker 2013). Demnach ist uns durch die Achtung die Geltung des kategorischen Imperativs bewusst; »ich erkenne dieses Sollen im Gefühl der Achtung« (Schönecker 2013, 103). In diesem Sinne ist das Gefühl der Achtung ein Bewusstsein der Geltung des kategorischen Imperativs in einer konkreten Handlungssituation (vgl. Schönecker 2013, 103). 18 Das in § 12.A.5a Geschilderte gilt grundsätzlich auch für die Lust am Nützlichen (vgl. hierzu auch § 4.E.3, 209,1). Wohl aus diesem Grund spricht Kant davon, dass ›[d]er Gemüthszustand eines irgend wodurch bestimmten Willens […] an sich schon ein Gefühl der Lust‹ sei. Jedoch liegt an dieser Stelle natürlich der Fokus auf der Lust am moralisch Guten. Und freilich erfolgt die Willensbestimmung beim Nützlichen auch nicht durch eine noumenale Ursache. Kants Philosophie des Schönen

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§ 12 Dem Geschmacksurteil liegt das subjektive Prinzip a priori … zugrunde

iv.

Wir haben somit insgesamt a priori Einsicht in den Entstehungskontext der Lust am moralisch Guten bzw. der Achtung (§ 12.A.2). Den Grund, weshalb Kant so ausführlich die Achtung thematisiert, benennt er in 12.B.1 selbst: »Nun ist es auf ähnliche Weise mit der Lust im ästhetischen Urtheile bewandt« (222,18). In irgendeiner Form muss sich demnach der Entstehungskontext der Lust am Schönen in Analogie zum Entstehungskontext der Achtung denken lassen.

Exkurs: Ein alternatives Modell der Achtung Wir haben bei der bisherigen Analyse die Teilsätze § 12.A.5b–c nicht berücksichtigt. Grund dafür ist, dass Kant in diesen Teilsätzen nicht sein eigenes Modell des Entstehungskontextes der Achtung schildert, sondern ein Alternativmodell. Kant leitet § 12.A.5b mit der Formulierung ›welches letztere nur angenommen werden müßte‹ ein. Dabei stellt sich die Frage, was denn das ›letztere‹ sei. Grammatikalisch müsste es sich eigentlich auf ›folgt also nicht als Wirkung daraus‹ beziehen. Es würde sich dann ergeben: § 12.A.5b**a Dass die Lust als Wirkung aus dem Gemütszustand des bestimmten Willens folgt, müsste nur angenommen werden, wenn der Begriff des Sittlichen als eines Guts vor der Willensbestimmung durch das Gesetz vorherginge.

Das Problem dieser Rekonstruktion besteht darin, dass überhaupt nicht klar ist, warum das Vorhergehen des ›Begrif[s] des Sittlichen als eines Guts vor der Willensbestimmung durch das Gesetz‹ irgendetwas mit einem möglichen Kausalverhältnis von Willensbestimmung und Lust zu tun haben sollte. Vielmehr behandelt Kant dann in § 12.A.5c die Verbindung der Lust ›mit dem Begrif des Sittlichen als eines Guts‹ – und es ist naheliegend, dass mit dieser Verbindung ein Kausalverhältnis gemeint ist. Und konsequenterweise würde dieses Kausalverhältnis auch in § 12.A.5b thematisiert. Wir müssten § 12.A.5b dann folgendermaßen rekonstruieren: § 12.A.5b**b Dass die Lust durch sittliche Begriffe kausal bewirkt wird, müsste nur angenommen werden, wenn der Begriff des Sittlichen als eines Guts vor der Willensbestimmung durch das Gesetz vorherginge.

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Der Entstehungs- und Erhaltungskontext der Lust am Schönen

Kant diskutiert hier ziemlich offenkundig ein Modell, gegen das er schon im Zweiten Hauptstück der KpV argumentiert hat. Grundgedanke dieses Modells ist, dass sich das moralische Gesetz auf den Begriff des Guten gründet, etwa auf den Begriff des Glücks. Dazu heißt es: »Weil es nun unmöglich ist, a priori einzusehen, welche Vorstellung mit L u s t , welche hingegen mit U n l u s t werde begleitet sein, so käme es lediglich auf Erfahrung an, es auszumachen, was unmittelbar gut oder böse sei« (KpV: 58). Der Begriff des Guts würde für einen Gegenstand stehen, der Lust bewirkt. An dieser Stelle greift Kants These aus § 12.A.1, dass wir ›unter Gegenständen der Erfahrung‹ Kausalverhältnisse nur a posteriori erkennen: Da das Gut ein Gegenstand wäre, der Lust verursacht, könnten wir dieses Gut nur a posteriori und nicht a priori erkennen. Genau dies formuliert Kant, wenngleich dunkel, in § 12.A.5c. Es lässt sich jedoch etwas Licht in diesen Satz bringen, wenn wir die Formulierung ›einer bloßen Erkenntniß‹ als ›Erkenntnis a priori‹ deuten: § 12.A.5cR1 Die Lust, die mit dem Begriff des Sittlichen als eines Guts verbunden wäre, würde aus diesem Begriff des Sittlichen als eines Guts als Erkenntnis a priori vergeblich abgeleitet werden.

Vereinfacht man dies weiter, so erhält man: § 12.A.5cR2 Wir würden vergeblich versuchen, die Bewirkung der Lust durch den Begriff des Sittlichen als eines Guts a priori zu erkennen.

Wie oben geschildert, können wir nur a posteriori erkennen, welcher Gegenstand eine Lust bewirkt und sich somit als ein Gut (im Sinne dieses Modells) qualifiziert. Würden wir aber aus einem solchen ›Begrif des Sittlichen als eines Guts‹ ableiten, dass dieses Gut eine Lust bewirkt, so wäre dies dann ebenfalls keine Erkenntnis a priori, sondern eine Erkenntnis a posteriori.

12.4 Der Entstehungs- und Erhaltungskontext der Lust am Schönen Nachdem Kant den Entstehungskontext der Achtung beschrieben hat, stellt er einen Vergleich zwischen dem Entstehungskontext der Achtung und dem der Lust am Schönen her, und er behauptet, sie seien ›ähnlich‹ : Kants Philosophie des Schönen

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§ 12 Dem Geschmacksurteil liegt das subjektive Prinzip a priori … zugrunde

§ 12.B.1 »[a] Nun ist es auf ähnliche Weise mit der Lust im ästhetischen Urtheile bewandt: [b] nur daß sie hier bloß contemplativ, und ohne ein Interesse am Object zu bewirken; [c] im moralischen Urtheil hingegen praktisch ist« (222,18).

In § 12.B.1b–c benennt Kant das primäre Unterscheidungskriterium der Lust am Schönen und der Achtung: Während die Lust am Schönen uninteressiert und in diesem Sinne ›contemplativ‹ ist (Uninteressiertheitsthese UT), ist die Achtung ›praktisch‹, d. h. ein Interesse. 19 Trotz dieser Differenz besteht eine ›Ähnlichkeit‹ zwischen beiden Formen von Lust. Wie buchstabiert Kant diese Analogie aus? Genau genommen buchstabiert er sie gar nicht aus. Zwar skizziert er in § 12.B.2 den Entstehungskontext der Lust am Schönen. Diese Beschreibung ist aber extrem gedrängt und verworren; und zudem findet sich kein expliziter Vergleich mit dem Guten. Versuchen wir dennoch, uns einen Weg durch das Dickicht dieses Satzes zu bahnen: § 12.B.2 »[a] Das Bewußtseyn der bloß formalen Zweckmäßigkeit im Spiele der Erkenntnißkräfte des Subjects, bey einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, ist die Lust selbst, [b] weil es einen Bestimmungsgrund der Thätigkeit des Subjects in Ansehung der Belebung der Erkenntnißkräfte desselben, also eine innere Causalität (welche zweckmäßig ist) in Ansehung der Erkenntniß überhaupt, aber ohne auf eine bestimmte Erkenntniß eingeschränkt zu seyn, [c] mithin eine bloße Form der subjectiven Zweckmäßigkeit einer Vorstellung in einem ästhetischen Urtheile enthält« (222,20).

Beginnen wir mit § 12.B.2a. Wir können zunächst die Formulierung ›bloß formalen Zweckmäßigkeit‹ durch ›ZM ohne Zweck‹ ersetzen. Zudem können wir die Formulierung ›bey einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird‹ durch ›bei einer gegebenen Vorstellung vom Gegenstand‹ substituieren: § 12.B.2aR1 Das Bewusstsein der ZM ohne Zweck im Spiel der Erkenntniskräfte bei einer gegebenen Vorstellung vom Gegenstand ist die Lust selbst.

Nähern wir uns dieser Proposition zunächst vom Aspekt der ZM ohne Zweck her. Kant spricht von einer ZM ohne Zweck ›im Spiele der Erkenntnißkräfte‹. Wir haben gesehen, dass sich im freien Spiel

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Zur Uninteressiertheitsthese siehe Kap. 2.3.

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Der Entstehungs- und Erhaltungskontext der Lust am Schönen

der Erkenntniskräfte aufgrund der darin enthaltenen Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt eine doppelte ZM ohne Zweck manifestiert: Erstens manifestiert sich eine subjektive ZM des schönen Objekts für die Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte zur Erkenntnis überhaupt und zweitens eine ZM der Erkenntniskräfte füreinander. Die Manifestationen dieser Zweckmäßigkeiten ist an die beiden Aspekte des Prinzips a priori der Urteilskraft rückgebunden: Die ZM des Objekts für die Erkenntnisvermögen ist eine Instanziierung der Objektseite und die ZM der Erkenntnisvermögen füreinander eine Instanziierung der Subjektseite des Prinzips a priori. 20 Da Kant in § 12.B.2a explizit auf die ›Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird‹, verweist, stehen wohl die Objektseite des Prinzips a priori und die Manifestation der subjektiven ZM des Objekts im Zentrum. Dennoch sollten wir auch die Subjektseite des Prinzips a priori im Blick behalten. Fragen wir nun, inwiefern die Lust ein ›Bewußtseyn‹ dieser ZM ist. Dass die Lust als ›Bewußtseyn‹ der ZM ohne Zweck ausgewiesen wird, bedeutet zunächst, dass wir uns durch die Lust der ZM ohne Zweck bewusst werden: § 12.B.2aR2 Durch die Lust am Schönen wird uns die ZM ohne Zweck im Spiel der Erkenntniskräfte bei einer gegebenen Vorstellung vom Gegenstand bewusst.

Führen wir uns einmal mehr vor Augen, wie sich das freie Spiel und die Lust zueinander verhalten. Ich habe dafür argumentiert, dass das freie Spiel eine sich befördernde und belebende Aktivität ist und daher als Lust erlebt wird. 21 Nun ist das freie Spiel nicht nur durch eine Belebung ausgezeichnet, sondern auch durch eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt. In dieser Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt manifestieren sich die beiden Aspekte des Prinzips a priori (Objektseite und Subjektseite). Vor diesem Hintergrund ist die Lust insofern das Bewusstsein der ZM ohne Zweck, als sie dasjenige ist, was uns vom Spiel der Erkenntniskräfte, welches eine ZM ohne Zweck beinhaltet, bewusst wird. Sie ist gewissermaßen das bewusste Output eines Prozesses, der uns ansonsten unbewusst ist. Darüber hinaus plädiere ich dafür, dass die Lust auch ein inhaltliches Bewusstsein der ZM ohne Zweck ist: Die Manifestation der 20 21

Siehe Kap. G3.3. Siehe hierzu Kap. 9.6.3.

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beiden Aspekte des Prinzips a priori schlägt sich im phänomenalen Gehalt der Lust nieder. Wir fühlen, dass der schöne Gegenstand zweckmäßig für unsere Erkenntnisvermögen ist und dass unsere Erkenntnisvermögen zweckmäßig füreinander sind. Dies bedeutet konkret, dass wir ein harmonisches Zusammenstimmen mit der Welt und uns selbst fühlen. 22 Wir werden uns also im engen Sinne wirklich der ZM ohne Zweck bewusst, d. h. wir erfahren in der Lust von dieser ZM ohne Zweck. Ich schlage daher die folgende Rekonstruktion von § 12.B.2a vor: § 12.B.2aR3 Im phänomenalen Gehalt der Lust am Schönen werden wir uns der ZM ohne Zweck im Spiel der Erkenntniskräfte bei der gegebenen Vorstellung vom Gegenstand bewusst.

Diese Rekonstruktion hilft uns, eine erste Analogie zwischen der Achtung und der Lust am Schönen zu identifizieren. Wir haben gesehen, dass wir uns durch die Achtung erstens der Willensaktivität und zweitens des moralischen Gesetzes (in seiner Geltung) bewusst werden. (Diese Charakteristik hat Kant allerdings im ersten Absatz nicht explizit benannt.) In Analogie dazu werden wir uns durch die Lust am Schönen erstens der inneren Aktivität des freien Spiels der Erkenntniskräfte und zweitens einer Instanziierung der Objekt- und Subjektseite des Prinzips a priori der Urteilskraft bewusst. Lassen sich im weiteren Verlauf von § 12.B.2 noch andere Elemente der Analogie bestimmen? Betrachtet man § 12.B.2b-c, so stellt sich zunächst die Frage, worauf sich das Pronomen ›es‹ bezieht (›weil es einen Bestimmungsgrund…‹). Grammatikalisch könnte sich ›es‹ entweder auf das ›Bewußtseyn der bloß formalen Zweckmäßigkeit im Spiele der Erkenntnißkräfte‹ oder auf das ›Spiele der Erkenntnißkräfte‹ beziehen. Da in den Teilsätzen § 12.B.2b-c explizit Charakteristika des freien Spiels benannt werden – nämlich die ›Belebung der Erkenntnißkräfte‹ und die Zusammenstimmung zur ›Erkenntniß überhaupt‹ –, ist es naheliegender, ›es‹ auf das Spiel der Erkenntniskräfte zu beziehen. 23 Ich schlage daher die folgende Rekonstruktion vor: Siehe G1.2.4. – Tatsächlich habe ich mich bei meiner Rekonstruktion der phänomenalen Komponente des Bewusstseins des Prinzips a priori der Urteilskraft stark auf § 12.B.2 berufen. 23 Wenzel bezieht das Pronomen ›es‹ auf das ›Bewußtseyn der bloß formalen Zweckmäßigkeit…‹ und damit auf die Lust am Schönen (vgl. Wenzel 2000, 100; vgl. auch die Übersetzung durch Pluhar 1987, 68 sowie Matthews 1997, 44; Zuckert 2007, 311). Wenzel deutet dann die ›innere Kausalität‹ im Sinne der kurz darauf von Kant einge22

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SYMPOSION

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Der Entstehungs- und Erhaltungskontext der Lust am Schönen

§ 12.B.2b* Das Spiel der Erkenntniskräfte enthält einen Bestimmungsgrund der Tätigkeit des Subjekts in Ansehung der Belebung der Erkenntniskräfte des Subjekts, also eine innere Kausalität (welche zweckmäßig ist) in Ansehung der Erkenntnis überhaupt, aber ohne auf eine bestimmte Erkenntnis eingeschränkt zu sein. § 12.B.2c* Das Spiel der Erkenntniskräfte enthält eine bloße Form der subjektiven Zweckmäßigkeit einer Vorstellung in einem ästhetischen Urteile.

Nun sollen die Teilsätze § 12.B.2b-c begründen (›weil‹), dass die Lust das Bewusstsein der ZM ohne Zweck im Spiel der Erkenntniskräfte ist (§ 12.B.2a). Bringt Kant eine solche Begründung aber wirklich in § 12.B.b-c vor? Fragen wir dies zunächst mit Bezug auf § 12.B.2c. Die ›bloße Form der subjectiven Zweckmäßigkeit‹ ist nichts anderes als die ZM ohne Zweck. Verkürzt können wir schreiben: § 12.B.2cR1 Das Spiel der Erkenntniskräfte enthält eine subjektive Zweckmäßigkeit ohne Zweck einer Vorstellung.

Kant konstatiert, dass das freie Spiel eine subjektive ZM ohne Zweck einer Vorstellung enthält. Ich habe oben daran erinnert, dass sich in der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt die Vorstellung vom schönen Gegenstand sowie die Erkenntniskräfte als zweckmäßig erweisen. In diesem Sinne enthält das freie Spiel eine (bzw. zwei) ›Zweckmäßigkeit[en] ohne Zweck‹. Da Kant von der ›subjectiven Zweckmäßigkeit einer Vorstellung‹ spricht, liegt sein Fokus allerdings wohl auf der subjektiven ZM des schönen Objekts. Durch seinen Verweis in § 12.B.2c, dass sich im freien Spiel eine subjektive ZM ohne Zweck manifestiert, begründet Kant zum Teil, dass die Lust das Bewusstsein der ›bloß formalen Zweckmäßigkeit im Spiele der Erkenntnißkräfte‹ ist (§ 12.A.2a); denn er legt dar, dass im freien Spiel eine ZM ohne Zweck beinhaltet ist. Warum aber wird uns diese ZM ohne führten Kausalität der Lust, »den Zustand der Vorstellung selbst und die Beschäftigung der Erkenntnißkräfte ohne weitere Absicht zu e r h a l t e n « (§ 12.B.4, 222,31). Das Problem dieser Interpretation besteht aber darin, dass nicht deutlich wird, worin die Analogie bezüglich der Entstehungskontexte der Achtung und der Lust am Schönen besteht. Ferner kann Wenzels Interpretation auch nicht erklären, inwiefern der zweite Absatz von § 12 an die These vom Beginn anschließt, nach der wir Kausalverhältnisse im Sinne der Bewirkung einer Lust nur a posteriori erkennen können. – Auffällig ist auch, dass Guyer ›es‹ völlig zusammenhangslos mit »aesthetic judgmet« übersetzt (Guyer 1979, 217). (Dieser Fehler findet sich allerdings nicht mehr in Guyers Übersetzung für die Cambridge Edition; vgl. Guyer 2000, 107.) Kants Philosophie des Schönen

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§ 12 Dem Geschmacksurteil liegt das subjektive Prinzip a priori … zugrunde

Zweck durch die Lust bewusst? Vielleicht findet sich eine Antwort auf diese Frage in § 12.B.2b. Wir können die folgenden beiden Propositionen unterscheiden: § 12.B.2b1*

Das Spiel der Erkenntniskräfte enthält einen Bestimmungsgrund der Tätigkeit des Subjekts in Ansehung der Belebung der Erkenntniskräfte des Subjekts. § 12.B.2b2** Das Spiel der Erkenntniskräfte enthält eine innere Kausalität (welche zweckmäßig ist) in Ansehung der Erkenntnis überhaupt, aber ohne auf eine bestimmte Erkenntnis eingeschränkt zu sein.

Kant verknüpft beide Propositionen durch ein ›also‹ (»also eine innere Causalität«; 222,25). Das Wort ›also‹ darf jedoch nicht im Sinne einer Folgerung interpretiert werden; denn der Aspekt der ›Erkenntnis überhaupt‹ kann schlicht nicht aus dem Aspekt der ›Belebung‹ gefolgert werden. Vielmehr ist ›also‹ an dieser Stelle im Sinne von ›so‹ bzw. ›dabei gleichsam‹ zu verstehen. Kant drückt demnach aus, dass das Spiel der Erkenntniskräfte erstens einen ›Bestimmungsgrund der Thätigkeit des Subjects in Ansehung der Belebung der Erkenntnißkräfte‹ enthält (§ 12.B.2b1) und dabei gleichsam ›eine innere Causalität (welche zweckmäßig ist) in Ansehung der Erkenntniß überhaupt‹ (§ 12.B.2b2). Die beiden Aspekte der Belebung und der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt sind uns bereits aus der Analyse von § 9 bekannt. 24 Die in § 12.B.2b1 benannte ›Belebung‹ der Erkenntnisvermögen bildet, wie früher erläutert, die vermögenstheoretische Grundlage dafür, dass wir überhaupt eine Lust fühlen. Die in § 12.B.2b1 thematische (Zusammenstimmung zur) ›Erkenntniß überhaupt‹ steht hingegen für die Manifestation einer subjektiven ZM; und da diese Zusammenstimmung vorliegt, ›ohne auf eine bestimmte Erkenntniß eingeschränkt zu seyn‹, ist der beschriebene Zustand eine Manifestation einer subjektiven ZM ohne Zweck. Zusammengenommen bilden die beiden Aspekte der ›Belebung‹ und der Zusammenstimmung zur ›Erkenntniß überhaupt‹ die Grundlage dafür, dass die Lust das Bewusstsein einer subjektiven ZM ohne Zweck ist. Genau in diesem Sinne ist § 12.B.2b eine Begründung für die These in § 12.B.2a (›weil‹). Wir können nun die beiden Propositionen § 12.B.1b1 und § 12.B.1b2 folgendermaßen ergänzen:

24

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Siehe hierzu Kap. 9.4.

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§ 12.B.2b1R1 Das Spiel der Erkenntniskräfte enthält einen Bestimmungsgrund der Tätigkeit des Subjekts in Ansehung der Belebung der Erkenntniskräfte des Subjekts. Aufgrund dieser Belebung fühlen wir eine Lust. § 12.B.2b2R1 Das Spiel der Erkenntniskräfte enthält eine innere Kausalität (welche zweckmäßig ist) in Ansehung der Erkenntnis überhaupt, aber ohne auf eine bestimmte Erkenntnis eingeschränkt zu sein. In der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt manifestiert sich eine subjektive ZM ohne Zweck, der wir uns im phänomenalen Gehalt der Lust bewusst werden.

Mit dieser Rekonstruktion haben wir § 12.B.2b noch nicht vollständig durchdrungen. Vor allem haben wir noch nicht erläutert, ob und inwiefern mit § 12.B.2b eine Verbindung zu den ›Gründen a priori‹ aus der Überschrift gewährleistet wird. Werfen wir zunächst zwei interpretatorische Probleme auf: Worauf bezieht sich in § 12.B.2b1 der Begriff des Bestimmungsgrundes? Und worauf bezieht sich in § 12.B.2b2 die Formulierung ›innere Causalität (welche zweckmäßig ist)‹ ? Wenden wir uns zunächst dem Begriff des Bestimmungsgrundes in § 12.B.2b1 zu. Mein Vorschlag ist, dass es im Kontext des freien Spiels zweierlei Bestimmungsgründe gibt und dass beide im vorliegenden Satz angesprochen sind. Erstens ist die Vorstellung vom schönen Objekt (bzw. das gegebene Mannigfaltige) ein ›Bestimmungsgrund des Subjects in Ansehung der Belebung der Erkenntnißkräfte‹. So ist es die Vorstellung vom schönen Objekt, die allererst das freie Spiel der Erkenntniskräfte, das durch Belebung gekennzeichnet ist, anregt. Dies stimmt gut damit zusammen, dass Kant in § 12.B.2a explizit die ›Vorstellung, wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird‹, anführt sowie dass er in § 12.B.2c von der ›Zweckmäßigkeit einer Vorstellung‹ spricht. Konkret bedeutet dies, dass etwa eine Rose bzw. das gegebene Mannigfaltige, was einer Rose entspricht, die Einbildungskraft anregt, mit Formen zu spielen. Zweitens fungiert auch das Prinzip a priori der Urteilskraft als ›Bestimmungsgrund des Subjects in Ansehung der Belebung der Erkenntnißkräfte‹. Zwar wird das Apprehendieren von Formen durch die Einbildungskraft in erster Instanz durch die Vorstellung vom schönen Objekt angeregt, aber zu einer belebenden Aktivität beider Erkenntnisvermögen kommt es nur dadurch, dass der Verstand eine (andauernde) Überprüfung anhand des Prinzips a priori der Urteilskraft vornimmt. Der Verstand überprüft, Kants Philosophie des Schönen

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ob die von der Einbildungskraft apprehendierten Formen (Objektseite des Prinzips a priori) und die Aktivität des Apprehendierens von Formen durch die Einbildungskraft (Subjektseite des Prinzips a priori) je zweckmäßig für seine Tätigkeit sind, Begriffe aufzufinden. 25 Da diese Überprüfung jeweils positiv ausfällt, wird die Einbildungskraft bestärkt und belebt, weitere Formen zu apprehendieren. Erst durch die Anwendung des Prinzips a priori kommt es also zu einer gegenseitigen Belebung beider Vermögen. Im Beispiel der Rose würde dies bedeuten, dass der Verstand die von der Einbildungskraft aufgefassten Formen sowie die Tätigkeit der Einbildungskraft dahingehend überprüft, ob sie zweckmäßig für seine Tätigkeit sind, Begriffe aufzufinden. Erweist sich beides als zweckmäßig, wird die Einbildungskraft angeregt, aus dem gegebenen Material, das der Rose entspricht, weitere Formen zusammenzusetzen. Durch die Deutung des Prinzips a priori als zweiten Bestimmungsgrund des freien Spiels wird vor allem ein Bezug zur These aus der Überschrift hergestellt, die besagt, dass das Geschmacksurteil ›auf Gründen a priori‹ beruht. Das Prinzip a priori der Urteilskraft als Bestimmungsgrund ist nämlich ein Grund a priori. Zudem wird durch diese Interpretation des Prinzips a priori die Analogie zur Achtung verständlich; denn auch die Achtung beruht mit dem moralischen Gesetz auf einem Grund a priori, der den Willen zu einer belebenden Aktivität bestimmt. Und tatsächlich weist der Begriff des ›Bestimmungsgrundes‹ allein sprachlich eine Ähnlichkeit zur ›Willensbestimmung‹ (durch das moralische Gesetz) auf. Halten wir fest: Die belebende Aktivität des freien Spiels verfügt über zwei Bestimmungsgründe, nämlich die Vorstellung vom schönen Objekt, die das freie Spiel allererst anregt, und das Prinzip a priori der Urteilskraft, durch dessen Anwendung die andauernde gegenseitige Belebung beider Vermögen hervorgerufen wird. § 12.B.2b1 muss also folgendermaßen rekonstruiert werden: § 12.B.2b1R2 Das Spiel der Erkenntniskräfte enthält einen doppelten Bestimmungsgrund der Belebung der Erkenntniskräfte, nämlich erstens die Vorstellung vom schönen Objekt und zweitens das Prinzip a priori der Urteilskraft.

Im folgenden Teilsatz § 12.B.2b2 nutzt Kant die Formulierung ›innere Causalität (welche zweckmäßig ist)‹, womit er die Rede vom ›Bestimmungsgrund‹ aufgreift. Im Sinne des geschilderten doppelten Be25

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Siehe Kap. G3.3.

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stimmungsgrundes kann sich die ›innere Causalität (welche zweckmäßig ist)‹ entweder auf die Vorstellung des Objekts oder auf das Prinzip a priori der Urteilskraft beziehen. Die Vorstellung vom Objekt übt insofern eine Art von Kausalität aus, als sie das freie Spiel allererst anregt. Dabei kommt es zu einer Instanziierung der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, wodurch sich der Gegenstand als subjektiv zweckmäßig erweist. Insofern kann die ›Causalität‹ als ›zweckmäßig‹ gelten (›welche zweckmäßig ist‹). Die Kausalität kann darüber hinaus insofern als ›innere Kausalität‹ verstanden werden, als besagte ZM eine subjektive innere ZM ist, bei der die Vorstellung des Gegenstandes selbst zweckmäßig für die Zusammenstimmung zur Erkenntnis ist. 26 Nun kann die ›innere Causalität (welche zweckmäßig ist)‹ aber auch für die Kausalität des Prinzips a priori stehen. Diese Kausalität ist insofern eine ›innere‹, als sie intrasubjektiv ist; denn etwas im Subjekt selbst bewirkt die Zusammenstimmung zur ›Erkenntniß überhaupt‹. Das Prinzip a priori bewirkt (›Causalität‹) insofern die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, als die Formen und die Aktivität der Einbildungskraft unter dieses Prinzip subsumiert werden, wobei sich durch diese Subsumtion die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt konstituiert. 27 Das Prinzip a priori der Urteilskraft ist zudem insofern ›zweckmäßig‹, als es gerade die ZM (der Natur und der Erkenntnisvermögen) zum Inhalt hat. Anders als im Falle des Begriffs des Bestimmungsgrundes in § 12.B.2b1 ist es nicht möglich, beide Deutungen der Formulierung ›innere Causalität (welche zweckmäßig ist)‹ in einer Rekonstruktion von § 12.B.2b2 zu vereinen; denn in beiden Deutungen werden die Begriffe ›innere‹ und ›zweckmäßig‹ völlig unterschiedlich interpretiert. Halten wir daher beide Interpretationen getrennt fest: § 12.B.2b2R2a Das Spiel der Erkenntniskräfte enthält eine innere Kausalität der Vorstellung vom Objekt (welche zweckmäßig ist) in Ansehung der Erkenntnis überhaupt, aber ohne auf eine bestimmte Erkenntnis eingeschränkt zu sein. Die Vorstellung vom Objekt ruft eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt hervor, durch welche dieses Objekt seine subjektive innere ZM beweist.

26 27

Für die verschiedenen Arten von ZM siehe Kap. 10.1.3. Siehe hierzu erneut Kap. G3.3.

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§ 12.B.2b2R2b Das Spiel der Erkenntniskräfte enthält eine innere, d. h. subjektinterne, Kausalität des Prinzips a priori der Urteilskraft (welche insofern zweckmäßig ist, als das Prinzip a priori die subjektive ZM der Natur zum Inhalt hat) in Ansehung der Erkenntnis überhaupt, aber ohne auf eine bestimmte Erkenntnis eingeschränkt zu sein. Das Prinzip a priori bewirkt im Sinne einer Subsumtion unter dieses Prinzip die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt.

Inhaltlich spiegeln beide Rekonstruktionen in meinem Verständnis einen Aspekt von Kants Theorie des Schönen wieder. Dennoch spricht einiges dafür, § 12.B.2b2 im Sinne des Prinzips a priori zu rekonstruieren (§ 12.B.2b2R2b). Erstens ist es plausibler, die Formulierung ›innere Kausalität‹ im Sinne einer intrasubjektiven Kausalität als im Sinne einer inneren ZM zu interpretieren. Zweitens ist durch § 12.B.2b2R2b insbesondere ein Anschluss an die Überschrift gewahrt (›Das Geschmacksurtheil beruht auf Gründen a priori‹); und tatsächlich ist § 12.B.2 der einzige Satz, in dem dieser Anschluss hergestellt werden kann. Zwar lässt sich nicht leugnen, dass Kant in § 12.B.2c von der ›subjectiven Zweckmäßigkeit einer Vorstellung‹ spricht, was auf den ersten Blick dafür sprechen mag, dass in § 12.B.2b2 die ZM der Vorstellung vom schönen Objekt thematisch ist; jedoch betrifft die Überprüfung mittels des Prinzips a priori ja gerade die subjektive ZM der Vorstellung vom Gegenstand. Insgesamt koinzidieren in § 12.B.2 diverse Momente: die Suche nach einem Grund a priori des Geschmacksurteils, die Thematik der subjektiven ZM des schönen Objekts, die Lust als Bewusstsein der ZM ohne Zweck, die Analogie der Lust am Schönen zur Achtung usw. Vor diesem Hintergrund erweist sich § 12.B.2 nicht nur als vielschichtig und komplex, sondern auch als mehrdeutig. Ich möchte noch einmal auf den doppelten Bestimmungsgrund des freien Spiels zurückkommen. Im Falle des Schönen (und auch das moralisch Guten) ist der Bestimmungsgrund etwas, das etwas (eine innere Aktivität) bewirkt. Es liegt demnach eine Art von Kausalverhältnis vor, wobei eine innere Aktivität bewirkt wird, die wir als Lust erleben. Es stellt sich die Frage, ob und inwiefern wir dieses Kausalverhältnis a priori erkennen können. Genau an diesem Punkt schließt sich der Kreis zum Beginn von § 12; und genau an diesem Punkt können wir die Analogie mit dem Entstehungskontext der Achtung 716

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ansetzen. Wir können diese Analogie folgendermaßen ausbuchstabieren: 1. Die Achtung ist eine gefühlte innere Aktivität (des Willens), die durch ein Prinzip a priori (das moralische Gesetz) bewirkt wird. Die Lust am Schönen ist eine gefühlte innere Aktivität (von Einbildungskraft und Verstand), die erstens durch das schöne Objekt und zweitens durch das Prinzip a priori der Urteilskraft bewirkt wird. 2. Das moralische Gesetz entspringt einem Akt der Autonomie und lässt sich im Bereich des Noumenalen verorten. Daher können wir die Kausalbeziehung zwischen dem moralischen Gesetz und der Willensbestimmung a priori erkennen. Ähnlich gibt sich der Mensch das Prinzip a priori der Urteilskraft in einem Akt der Heautonomie selbst; dieses Prinzips ist somit nicht im Bereich des Empirischen zu verorten. Aus diesem Grund können wir die Kausalbeziehung zwischen dem Prinzip a priori der Urteilskraft und dem freien Spiel a priori erkennen. (Wir können aber nicht die Kausalbeziehung zwischen konkreten Objekten und dem freien Spiel a priori erkennen.) 3. Wir können a priori erkennen, dass die Achtung indirekt durch das moralische Gesetz bewirkt wird. Analog können wir a priori erkennen, dass die Lust am Schönen indirekt (und teilweise) durch das Prinzip a priori der Urteilskraft bewirkt wird. 4. Die Achtung ist ein doppeltes Bewusstsein: Uns wird erstens die Willensaktivität bewusst und zweitens das moralische Gesetz (in seiner Geltung). Auch die Lust am Schönen ist ein doppeltes Bewusstsein: Uns wird erstens eine innere Tätigkeit, nämlich das freie Spiel, bewusst, und uns wird zweitens eine Instanziierung des Prinzips a priori der Urteilskraft bewusst. Wir haben gesehen, dass das freie Spiel sowohl einen empirischen Bestimmungsgrund – die Vorstellung vom schönen Objekt – als auch einen apriorischen (wie Kant auch sagen würde: ›übersinnlichen‹) Bestimmungsgrund – das Prinzip a priori der Urteilskraft – hat. Wir können dies auf die Ausgangsthese beziehen, dass wir Kausalverhältnisse ›unter Gegenständen der Erfahrung‹ nur a posteriori erkennen können (§ 12.A.1). Wir können zwar a priori erkennen, dass bei jeder Anwendung des Prinzips a priori im Kontext einer freien Aktivität der Einbildungskraft eine Lust am Schönen bewirkt wird. Wir können aber nicht a priori erkennen, welche Objekte (bzw. Vorstellungen von Objekten) eine Aktivität der Einbildungskraft anregen, durch die Kants Philosophie des Schönen

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§ 12 Dem Geschmacksurteil liegt das subjektive Prinzip a priori … zugrunde

dann auch eine Anwendung des Prinzips a priori in Gang gesetzt wird. Wir können damit nicht a priori erkennen, bei welchen konkreten Objekten wir eine Lust am Schönen fühlen. Schließlich können wir nun auch die Überschrift erklären: »Das Geschmacksurtheil beruht auf Gründen a priori« (§ 12.T, 221,29). Das freie Spiel der Erkenntniskräfte wird zum Teil durch das Prinzip a priori der Urteilskraft bewirkt. Das freie Spiel wird uns als Lust bewusst; und es ist diese Lust, die wir im Geschmacksurteil prädizieren. Somit liegt dem Geschmacksurteil oder vielmehr der Lust, die im Geschmacksurteil ausgesagt wird, ein Grund a priori zugrunde. Daneben liegt dem freien Spiel und der Lust auch ein Grund a posteriori zugrunde, nämlich die Vorstellung vom schönen Objekt. In diesem Sinne beruhen die Lust am Schönen und somit auch das Geschmacksurteil sowohl auf empirischen als auch apriorischen Gründen. Beim Schönen wirken demnach eine empirische und eine noumenale Kausalität zusammen. Dies ist mindestens ein Teil der Erklärung dafür, warum im Geschmacksurteil bzw. in der Lust am Schönen eine Verbindung zwischen dem Bereich der Natur und der Freiheit geschaffen wird – was Kant bekanntermaßen in der Einleitung behauptet. 28

12.5 Die Kausalität der Lust selbst, die Verweilensbedingung und die Präsenzbedingung In § 12.B.2 hat Kant unter anderem eine der Lust am Schönen zugrundeliegende Kausalität untersucht. In den Sätzen § 12.B.3–5 behandelt er nunmehr eine von der Lust am Schönen ausgehende Kausalität. Dazu heißt es: § 12.B.3 »Diese Lust ist auch auf keinerley Weise praktisch, weder, wie die aus dem pathologischen Grunde der Annehmlichkeit, noch die aus dem intellectuellen des vorgestellten Guten. § 12.B.4 Sie hat aber doch Causalität in sich, nämlich den Zustand der Vorstellung selbst und die Beschäftigung der Erkenntnißkräfte ohne weitere Absicht zu e r h a l t e n . § 12.B.5 [a] Wir w e i l e n bey der Betrachtung des Schönen, weil diese Betrachtung sich selbst stärkt und reproducirt: [b] welches derjenigen Verweilung analogisch (aber doch mit ihr nicht einer-

28

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Vgl. 195,2 ff.

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ley) ist, da ein Reiz in der Vorstellung des Gegenstandes die Aufmerksamkeit wiederholentlich erweckt, wobey das Gemüth passiv ist« (222,28).

Diese Passage wurde bereits bei der Analyse der Uninteressiertheitsthese (UT) untersucht. 29 Ich möchte nun, vor dem Hintergrund von § 12, noch einige neue Aspekte ergänzen. § 12.B.3 ist eine Reformulierung von UT. Die Kernaussage lautet: § 12.B.3R1 Die Lust am Schönen ist keine praktische Lust.

Die praktische Lust bestimmt Kant in der MdS als »Lust, welche mit dem Begehren (des Gegenstandes, dessen Vorstellung das Gefühl so affiziert) notwendig verbunden ist« (MdS: 212). Damit formuliert er nichts anderes als das Begehrenskriterium des Interesses; und in der Tat haben wir ja gesehen, dass Kant in der MdS den Begriff der praktischen Lust synonym zum Begriff des Interesses aus der KU verwendet. 30 Erinnern wir uns kurz an das Interesse am Angenehmen. Dieses verfügt insofern über eine Kausalität, als es das Begehrungsvermögen dazu bestimmt, mehr angenehme Gegenstände derselben Art hervorzubringen; 31 das Interesse ist der Bestimmungsgrund des Begehrungsvermögens. 32 Über eine solche Kausalität bezüglich des Begehrungsvermögens verfügt die Lust am Schönen nicht; denn sie ist uninteressiert, ›auf keinerley Weise praktisch‹ und ein »u n t ä t i g e s Wo h l g e f a l l e n « (MdS: 212). Dennoch, so betont Kant in § 12.B.4, kommt der Lust am Schönen eine Form von Kausalität zu. Dass die Lust ›Causalität in sich‹ hat, bedeutet nichts anderes, als dass die Lust etwas bewirkt. Ferner muss die Formulierung ›Beschäftigung der Erkenntnißkräfte‹ für das freie Spiel der Erkenntniskräfte stehen. Es ergibt sich:

Siehe Kap. 2.3.1. Siehe Kap. 2.2. 31 Vgl. § 3.D.1, 206,37 f. – Siehe Kap. 3.3.1. 32 Vgl.: »Ein solches [Interesse] hat daher immer zugleich Beziehung auf das Begehrungsvermögen, entweder als Bestimmungsgrund desselben, […]« (§ 2.A.2, 204,23). Ich habe bei meiner Untersuchung von § 2 darauf hingewiesen, dass dieser Fall eines Interesses den Fall des Angenehmen beschreibt (siehe Kap. 2.2.1). – Vgl. auch: »Was aber die praktische Lust betrifft, so wird die Bestimmung des Begehrungsvermögens, vor welcher diese Lust, als Ursache, notwendig vorhergehen muß, im engen Verstande Begierde, die habituelle Begierde aber Neigung heißen« (MdS: 212, m. H. & Kants H. getilgt). 29 30

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§ 12 Dem Geschmacksurteil liegt das subjektive Prinzip a priori … zugrunde

§ 12.B.4R1 Die Lust am Schönen bewirkt, dass das Subjekt den Zustand der Vorstellung selbst und das freie Spiel der Erkenntniskräfte ohne weitere Absicht und ohne Interesse erhalten will.

Dass die Lust am Schönen im Subjekt bewirkt, ›den Zustand der Vorstellung…ohne weitere Absicht zu erhalten‹, stimmt mit Kants Verständnis von Lust allgemein überein. Erinnern wir uns an unsere Rekonstruktion der Bestimmung von Lust in § 10 mittels eines dreifachen Erhaltungsmoments: 33 La Lust ist ein positives Gefühl, das das Subjekt erhalten möchte. Lb Durch das Gefühl der Lust wird dem Subjekt bewusst, dass eine Vorstellung verursacht, dass der Zustand der Lust des Subjekts erhalten wird. Lc Weil das Subjekt den Zustand des positiven Gefühls erhalten möchte (La) und sich bewusst ist, dass die Vorstellung die Erhaltung des positiven Gefühls verursacht (Lb), möchte das Subjekt die Vorstellung erhalten.

In diesem Sinne ist es der positive phänomenale Charakter der Lust allgemein, der bewirkt, dass wir diejenige Vorstellung erhalten wollen, die die Lust bewirkt. Es wirken dabei zwei Kausalitäten zusammen: Die Vorstellung hat Kausalität bezüglich der Lust, d. h. die Vorstellung bewirkt (auf die eine oder andere Weise) die Lust, und die Lust hat Kausalität bezüglich der Erhaltung der Vorstellung, d. h. die Lust bewirkt, dass das Subjekt die Vorstellung erhalten will. Nun bildet bei der Lust am Schönen das freie Spiel die unmittelbare vermögenstheoretische Grundlage der Lust (aber nicht ihre kausale Ursache). 34 Um die Lust zu erhalten, muss daher das freie Spiel erhalten werden. Da das freie Spiel (zum Teil) durch die Vorstellung vom schönen Objekt bewirkt wird, muss auch diese Vorstellung erhalten werden. Nichts anderes besagt § 12.B.4. Inwiefern ist diese Kausalität der Lust am Schönen von der Kausalität der praktischen Lust unterschieden? Entscheidend ist, dass die Lust am Schönen kein Bestimmungsgrund des Begehrungsvermögens ist. Beim Schönen müssen wir keinen neuen oder weiteren Gegenstand hervorbringen, um die Lust zu erhalten; denn die Lust am Schönen ist weder eine gefühlte Willensaktivität noch beruht sie 33 34

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Siehe Kap. 2.1. Zum Verhältnis von freiem Spiel und Lust siehe Kap. 9.3.6.

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Die Kausalität der Lust selbst, die Verweilensbedingung und …

auf einer Empfindung, die einem Konsumtionseffekt unterliegt. 35 Vielmehr muss für die Erhaltung der Lust am Schönen nur die Vorstellung vom Gegenstand präsent bleiben, wozu keine Aktivität des Begehrensvermögens nötig ist. Dies lässt sich mit Rekurs auf § 12.B.5 präzisieren: § 12.B.5a* Wir weilen bei der Betrachtung des Schönen, weil die Betrachtung des Schönen sich selbst stärkt und reproduziert.

Das, was ›sich selbst stärkt und reproducirt‹, ist das freie Spiel der Erkenntniskräfte: § 12.B.5aR1 Wir weilen bei der Betrachtung des Schönen, weil die Betrachtung des Schönen, d. h. das freie Spiel der Erkenntniskräfte, sich selbst stärkt und reproduziert, wenn die Vorstellung weiterhin präsent ist.

Die Betrachtung des Schönen, d. h. das freie Spiel, ›stärkt und reproducirt sich selbst‹. Ähnlich heißt es im Rahmen der Begriffsbestimmung von »Lust« in der Ersten Einleitung, dass »der Zustand einander wechselseitig befördernder Gemüthskräfte in einer Vorstellung […] sich selbst [erhält]« (EEKU: 230,13 f.). Das freie Spiel erhält sich insofern selbst, als es keines neuen oder weiteren Inputs bedarf, damit das Spiel andauert. Vielmehr muss nur der Gegenstand bzw. die Vorstellung von ihm präsent bleiben (Präsenzbedingung der Lust am Schönen). Vor dem Hintergrund von § 12 können wir nunmehr besser verstehen, warum es keines weiteren Inputs bedarf. Dem freien Spiel, so haben wir gesehen, liegen zwei Bestimmungsgründe zugrunde: Erstens wird es durch die gegebene Vorstellung vom Objekt angeregt; zweitens wird die andauernde Belebung durch die Anwendung des Prinzips a priori der Urteilskraft bewirkt. In diesem Sinne ›stärkt und reproducirt‹ das freie Spiel ›sich selbst‹, weil es durch eine ›innere‹ bzw. subjektinterne ›Causalität‹, d. h. durch das Prinzip a priori, zur Belebung bestimmt wird. Vor diesem Hintergrund können wir UT um einen weiteren Bedeutungsaspekt ergänzen: UTR4 Die Lust am Schönen wird zwar durch eine gegebene Vorstellung angeregt, die Erhaltung der Lust wird aber durch das Prinzip a priori der Urteilskraft bewirkt. Insofern die Vorstellung vom schönen Gegenstand präsent bleibt, werden das freie Spiel und die Lust intrasubjektiv erhalten.

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Siehe hierzu Kap. 2.3.1 und 2.3.2.

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Freilich kann sich das freie Spiel nur dann selbst erhalten, wenn das Material zum Spielen, d. h. die Vorstellung vom schönen Gegenstand, präsent bleibt. Vor diesem Hintergrund etablieren sich dann die Präsenzbedingung und die Verweilensbedingung der Lust am Schönen als Analoga zur Existenzbedingung und zur Begehrensbedingung des Interesses. 36 Abschließend wollen wir noch kurz die Analogie zwischen dem Erhaltungsmoment der Lust am Schönen und der Lust am Angenehmen, die Kant in § 12.B.5b zieht, in den Blick rücken: § 12.B.5b* Das Weilen beim Schönen ist derjenigen Verweilung analogisch (aber doch mit ihr nicht einerlei), da ein Reiz in der Vorstellung des Gegenstandes die Aufmerksamkeit wiederholt erweckt, wobei das Gemüt passiv ist.

Die Analogie besteht darin, dass wir auch beim Angenehmen manchmal bei ›der Vorstellung des Gegenstandes‹ verweilen. Jedoch ist beim Angenehmen ›das Gemüth passiv‹. Der Lust am Angenehmen liegt keine intellektuelle Vermögensaktivität zugrunde, sondern bloß eine körperliche oder physische Aktivität, die unmittelbar durch einen Reiz bewirkt wird. Insbesondere erfolgt das Erhalten der Lust nicht intrasubjektiv durch eine ›innere Causalität‹, sondern es muss eine immer neue Reizung durch Empfindungen stattfinden. Beim Schönen bedarf es keiner solchen ständig neuen Reizung. Widerspricht die Tatsache, dass wir auch beim Angenehmen manchmal bei der Vorstellung des Gegenstandes verweilen, aber nicht den praktischen Implikationen des Interesses am Angenehmen? Nun, auch wenn wir bei einer Vorstellung verweilen, ist die dabei empfundene Lust am Angenehmen immer insofern ein Interesse, als sie durch eine Empfindung bewirkt wird, die durch etwas Existierendes hervorgerufen wird; sie ist daher eine Lust an der Existenz des Gegenstandes (Existenzbedingung des Interesses). Das Besondere am in § 12.B.5b geschilderten Fall besteht nur darin, dass ein und dieselbe Empfindung (etwa eine spezifische Farbe auf einem Gemälde) ›wiederholentlich‹ meine ›Aufmerksamkeit…erweckt‹ und somit wohl meine Lust am Angenehmen über einen längeren Zeitraum erhält. Ein und derselbe Reiz ist hier mehrfach kausal wirksam und bewirkt über einen längeren Zeitraum eine Lust am Angenehmen. Dies bedeutet aber explizit nicht, dass die Lust (oder gar ein der Lust zu36

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Siehe erneut Kap. 2.3.1.

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Zusammenfassung

grundeliegender Gemütszustand) sich selbst erhält. Die Erhaltung erfolgt extrasubjektiv.

12.6 Zusammenfassung Kant hat angedeutet, dass die Lust am Schönen mit dem Prinzip a priori der Urteilskraft auf einem Grund a priori beruht. Dazu hat er eine Analogie zum Entstehungskontext der Achtung bemüht. Die Achtung wird indirekt durch das moralische Gesetz, d. h. ein Prinzip a priori, bewirkt; das moralische Gesetz bewirkt eine Willensbestimmung, und der bestimmte Wille wird als Lust bzw. Achtung erlebt. Wir können dieses Kausalverhältnis a priori erkennen, weil das moralische Gesetz dem Bereich des Übersinnlichen bzw. Noumenalen zuzuordnen ist. Ferner wird uns durch die Achtung erstens die Willensaktivität bewusst und zweitens das moralische Gesetz (in seiner Geltung). Wie die Achtung ist die Lust am Schönen eine gefühlte innere Aktivität, nämlich das gefühlte freie Spiel der Erkenntniskräfte. Das freie Spiel hat zwei Ursachen bzw. Bestimmungsgründe: Erstens wird es durch das schöne Objekt bewirkt bzw. angeregt, und zweitens wird die andauernde Belebung durch das Prinzip a priori der Urteilskraft bewirkt. Das gegebene Mannigfaltige, das etwa einer Rose entspricht, regt die Einbildungskraft an, Formen aufzufassen. Der Verstand überprüft anhand des Prinzips a priori, ob diese Formen und die Aktivität der Einbildungskraft zweckmäßig für die ihm eigene Tätigkeit sind, Begriffe aufzufinden. Fällt diese Überprüfung positiv aus, treten beide Vermögen in eine Interaktion der gegenseitigen Belebung ein. Nun gibt sich der Mensch das Prinzip a priori in einem Akt der Heautonomie selbst, sodass dieses Prinzip dem Bereich des Übersinnlichen zuzuordnen ist. Aus diesem Grund können wir a priori erkennen, dass die Lust am Schönen (indirekt und teilweise) durch das Prinzip a priori der Urteilskraft bewirkt wird. Wir können aber nicht a priori erkennen, welche Gegenstände ein freies Spiel und damit eine Lust anregen. Als gefühltes freies Spiel ist die Lust am Schönen das Bewusstsein des freien Spiels der Erkenntniskräfte. Dabei werden wir uns auch der Instanziierung des Prinzips a priori der Urteilskraft bewusst. Die Lust am Schönen wirkt ferner selbst kausal. Sie bewirkt, dass das Subjekt die Vorstellung vom Objekt und das Spiel der ErkenntKants Philosophie des Schönen

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niskräfte erhält. Diese Erhaltung des freien Spiels wird durch das Prinzip a priori der Urteilskraft und somit intrasubjektiv bewirkt. Daher bedarf es zur Erhaltung der Lust am Schönen nur der andauernden Präsens des schönen Objekts.

12.7 Literaturbericht Eines der größten interpretatorischen Probleme bezüglich § 12 besteht darin, was die ›Gründe a priori‹ aus der Überschrift sind. Insgesamt findet aber nicht nur diese Überschrift, sondern der gesamte § 12 in der Sekundärliteratur nur wenig Beachtung. So gehen beispielsweise Crawford (1974) sowie Fricke (1990) gar nicht auf diesen Paragraphen ein. Ferner findet die Überschrift (§ 12.T) bei Esser (1997), Guyer (1979), Kulenkampff (1994), Savile (1993) und Zuckert (2007) keine Berücksichtigung. Allison zitiert zwar die Überschrift (vgl. Allison 2001, 130), erläutert aber nicht, was die Gründe a priori sind. Einzig Wenzel erläutert etwas genauer: »In § 12 wird für die Apriorität dieser Zweckmäßigkeit als eines Grundes des Wohlgefallens am Schönen argumentiert« (Wenzel 2000, 99); und diese ZM beschreibt er folgendermaßen: »Der Gegenstand kann als a priori zweckmäßig für ein Verhältnis unserer Erkenntniskräfte, nicht aber als a priori ein derartiges Verhältnis bewirkend angesehen werden« (Wenzel 2000, 99). Worin allerdings genau die Apriorität der ZM besteht – zumal es sich um eine ZM des empirischen Gegenstandes handelt –, wird nicht deutlich. Ohne Bezug auf § 12 (sondern mit Bezug auf die Einleitung) deutet Makkreel die Einbildungskraft als Quelle der Apriorität: »Im ästhetischen Urteil vollführt die Einbildungskraft nicht ihre normale wahrnehmende Aufgabe, sondern nimmt eine a priori urteilende Rolle an. Daher ist, was in ästhetischer Form aufgefaßt wird, nicht nur eine wahrnehmbare Form, sondern eine Zweckmäßigkeit. Diese in der Form eines Gegenstands aufgefaßte Zweckmäßigkeit ist das Element a priori, das durch die Einbildungskraft in ihrem Spiel mit dem Verstand beigetragen wird« (Makkreel 1997, 83). Ebenfalls ohne Bezug auf § 12 deutet Rivera de Rosales das zweckmäßige Verhältnis von Einbildungskraft und Verstand als transzendentalen – und damit vermutlich auch apriorischen – Grund: »Das also ist der transzendentale Grund des ästhetischen Gefühls: das zweckmäßige Verhältnis der Vorstellungskräfte bei einer Vorstellung, ›wo Einbildungskraft in ihrer Freiheit den Verstand erweckt, und dieser ohne Begriffe die Einbildungskraft in ein regelmäßiges Spiel versetzt‹ (296,1 ff.)« (Rivera de Rosales 2008, 86). Nicht nur die Überschrift, sondern auch Kants Ausführungen zum Entstehungskontext der Achtung bleiben in der Sekundärliteratur im Großen und Ganzen unberücksichtigt. Von den in dieser Arbeit berücksichtigten AutorInnen begründet einzig Allison, warum wir a priori Einsicht in

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Literaturbericht

den Entstehungskontext der Achtung haben, nämlich weil ihr eine »intelligible, rather than empirical, causality« zugrunde liege und sie nicht durch die Willensbestimmung verursacht werde (Allison 2001, 130). Ebenfalls kaum Aufmerksamkeit wurde der Frage gewidmet, inwiefern die Achtung identisch mit dem bestimmten Willen ist. Allison merkt bloß kurz an, die Lust sei »an ingredient in the consciousness of such a determination [of the will through the moral law]« (Allison 2001, 130). Ebenfalls im Sinne des Bewusstseins der Willensbestimmung schreibt Guyer: »Kant argues that in the case of moral judgment the mental state (by which he apparently means consciousness) of the determination of the will and the feeling of pleasure are identical« (Guyer 1979, 217). Eine genauere Analyse findet sich bei Zuckert. Sie interpretiert Lust allgemein als ›state of future directedness‹ und führt darauf aufbauend aus: »as Kant emphasizes here, respect or moral pleasure is identical to the state of mind of determination of the will because pleasure is the consciousness of a state of future-directedness. Thus the consciousness of the determination of the will, i. e., a state of being-directed-and-motivated-towards acting to accomplish certain ends or according to certain laws, would, indeed, be one kind of pleasure« (Zuckert 2007, 310). Da der Entstehungskontext der Achtung kaum untersucht wird, erstaunt es kaum, dass auch die Analogie dieses Entstehungskontextes mit dem Entstehungskontext der Lust am Schönen kaum beachtet wird. Ganz im Gegensatz zu dieser Analogie schreibt Wenzel sogar: »Kant stresses a difference between beauty and morality in section 12« (Wenzel 2008, 58). Zwar ist es unbestreitbar, dass zwischen der Schönheit und der Moral große Unterschiede bestehen; aber in § 12 stellt Kant ja heraus, dass »es auf ähnliche Weise mit der Lust im ästhetischen Urtheile bewandt [ist]« (§ 12.B.1, 222,18, m. H.) wie mit der Lust am moralisch Guten. An anderer Stelle schildert Wenzel dann allerdings die folgende vage Analogie: »In einem gewissen Sinne übernimmt hier in der Kritik der ästhetischen Urteilskraft eine subjektive formale Zweckmäßigkeit die Rolle der Kausalität der Freiheit« (Wenzel 2000, 99). Oft wird die Analogie darin gesehen, dass beide Arten von Lust eine Art von Bewusstsein sind. Recht unspezifisch schreibt Kulenkampff dazu: »auch diese Lust [am Schönen] ist keine Wirkung von etwas, sondern mit dem bestimmten Bewußtsein von etwas identisch« (Kulenkampff 1994, 134). Allison sieht eine Analogie zwischen der Lust am Schönen als Bewusstsein der ZM und der Achtung als Bewusstsein des moralischen Gesetzes (vgl. Allison 2001, 130). Und Guyer vermutet die Analogie in der Achtung als Bewusstsein des bestimmten Willens und der Lust am Schönen als Bewusstsein des freien Spiels (vgl. Guyer 1979, 217). Eine gänzlich andere Deutung der Analogie findet sich bei Matthews: »In that section [12] he tells us that the purposiveness of a beautiful object is like the purposiveness of the morally good, in that the purposiveness is not based on a pleasure« (Matthews 1997, 43). Ähnlich schreibt Zuckert, beide Kants Philosophie des Schönen

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Arten von Lust seien »pleasure in purposive form« (Zuckert 2007, 311). Zudem identifiziert sie den folgenden Anknüpfungspunkt der Analogie: »though aesthetic judging is not directly practical (unlike the moral determination of the will), it shares the end- or future-directedness of practical orientation« (Zuckert 2007, 311). 37 Ich habe bereits im Literaturbericht zu § 11 ein Bild davon gezeichnet, welche Positionen in der Sekundärliteratur dazu vertreten werden, dass dem Geschmacksurteil eine subjektive ZM ohne Zweck zugrunde liegt. Mit Bezug auf § 12 stellt sich die zusätzliche interpretatorische Frage, was es bedeutet, dass »im Spiele der Erkenntniskräfte« eine »bloß formale[.] Zweckmäßigkeit« statthat (§ 12.B.2, 222,21). Longuenesse erläutert dazu: »The ›formal purposiveness‹ in the play of the subject’s cognitive powers is, I presume, the capacity of the latter to achieve the end of maintaining the mind in the state of harmonious free play and the satisfaction it elicits« (Longuenesse 2003, 157). In diesem Sinne deutet ihre Interpretation bereits auf die später genannte Kausalität der Lust sowie das Weilen bei der Vorstellung hin. Eine davon unterschiedene Deutung präsentiert Kulenkampff: »›Formale Zweckmäßigkeit‹ bezeichnet hier das Spiel der Vermögen bloß als Vermögen, das in § 9 auch als Harmonie oder Übereinstimmung beschrieben worden war. Eine Zweckmäßigkeit herrscht zwischen den beiden Vermögen Verstand und Einbildungskraft und dem abstrakt unbestimmten Zweck des Urteils oder der Erkenntnis überhaupt. ›Formal‹ mag dieses Verhältnis heißen, weil der die Übereinstimmung bindende Zweck ein ganz abstrakt Allgemeines ist« (Kulenkampff 1994, 134). Es wird deutlich, dass sich Kulenkampffs Interpretation auf die ZM der Zusammenstimmung der Erkenntnisvermögen in Bezug auf Erkenntnis überhaupt fokussiert. In diesem Sinne deutet auch Matthews die Passage (vgl. Matthews 1997, 44). Guyer bezieht die formale ZM zwar letztlich auf so etwas wie die Erkenntnis überhaupt, spricht aber von einer »finality of an object of taste« und einer »causality of the object in respect of the general condition of cognition« (Guyer 1979, 217). Es stellt sich dann natürlich die Frage, inwiefern diese ZM im Spiel der Erkenntniskräfte statthat. Zuckert geht zwar auf den Satz § 12.B.2 genauer ein, erläutert aber nicht explizit, was sie an dieser Stelle unter der ›bloß formalen Zweckmäßigkeit im Spiele der Erkenntniskräfte‹ versteht (vgl. Zuckert 2007, 310). Es ist jedoch naheliegend, dass sie, in Übereinstimmung mit ihrem Verständnis der ZM insgesamt, an die »end- or future-directedness« im »aesthetic judging«, d. h. im freien Spiel, denkt (Zuckert 2007, 311). Auch Ginsborg geht kurz auf besagte Passage ein: »Pleasure in taste is ›the consciousness of…purposiveness in the play of the subject’s cognitive powers‹ (CJ, § 12, 5:222) because it is the feeling Allerdings versteht Zuckert Lust allgemein als ›future directed‹ (vgl. Zuckert 2002, 240). In diesem Sinne müsste eigentlich auch die Lust am Angenehmen unter die Analogie fallen.

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Literaturbericht

that my cognitive powers are functioning as they ought with respect to the object« (Ginsborg 2015, 248). Dabei besteht, Ginsborg folgend, die ZM in der geschilderten Erfüllung eines normativen Anspruchs (›ought‹). Mit Bezug auf § 12.B.2 stellt sich auch die Frage, inwiefern »die Lust selbst« als »Bewußtseyn der bloß formalen Zweckmäßigkeit« gelten kann (222,21). Auf diese Frage werden in der Sekundärliteratur kaum Antworten gegeben. Bisweilen wird der Zusammenhang zwar kurz wiedergegeben (vgl. etwa Wenzel 2000, 100), aber nicht weiter erläutert. Zuckert versteht die Lust als »consciousness of our purposive judging« (Zuckert 2007, 311). Ginsborg schlägt vor, dass die Lust das Bewusstsein von zweierlei Zweckmäßigkeiten sei: »it [the pleasure] is an awareness of purposiveness in the workings of our own cognitive faculties«; und: »it is also the awareness of formal purposiveness in the object judged to be beautiful« (Ginsborg 2015, 235). Aus diesen Interpretationen geht aber nicht hervor, ob die Lust bloß das bewusste Endprodukt eines (inneren) Prozesses ist, der uns ansonsten gänzlich unbewusst ist, oder ob wir uns im phänomenalen Gehalt der Lust wirklich der sich manifestierenden ZM bewusst sind. Ebenfalls quasi nicht untersucht wird die Frage, was der »Bestimmungsgrund der Thätigkeit des Subjects in Ansehung der Belebung der Erkenntnißkräfte desselben« ist (§ 12.B.2, 222,23, m. H.). Einzig Kulenkampff bestimmt diesen Bestimmungsgrund als »die Vorstellung […], ›wodurch ein Gegenstand gegeben wird‹« (Kulenkampff 1994, 135). Er rekonstruiert den Teilsatz § 12.B.2b (»weil es einen Bestimmungsgrund der Thätigkeit des Subjects in Ansehung der Belebung der Erkenntnißkräfte desselben, also eine innere Causalität (welche zweckmäßig ist) in Ansehung der Erkenntniß überhaupt, aber ohne auf eine bestimmte Erkenntniß eingeschränkt zu seyn, […] enthält«; 222,23) dann folgendermaßen: »Der immanente Grund der Lust, die der Prädikatsbegriff im reinen Geschmacksurteil ausdrückt, ist eine anschauliche unbestimmt zweckmäßige Gestalt, und zwar deshalb, weil sie in der Wahrnehmung für das Subjekt zweckmäßig ist, das dann diese subjektive Zweckmäßigkeit als Lust erfährt« (Kulenkampff 1994, 135). Etwas mehr Aufmerksamkeit wurde der Frage gewidmet, was die »innere Causalität (welche zweckmäßig ist)« meint (§ 12.B.2, 222,25, m. H.). In einigen Fällen wird diese innere Kausalität mit dem freien Spiel identifiziert. So schreibt Bartuschat: »Diese eine Lust ermöglichende Tätigkeit [des Subjekts in Ansehung der Belebung der Erkenntniskräfte] nennt Kant ›eine innere Causalität (welche zweckmäßig ist)‹ (5:222); eine innere ist sie, weil sie auf nichts anderes aus ist als ›den Zustand der Vorstellung selbst und die Beschäftigung der Erkenntnißkräfte ohne weitere Absicht zu erhalten‹ (5:222)« (Bartuschat 2015c, 2762). Allerdings schreibt Kant, es sei die Lust, welche dazu Kausalität habe, ›den Zustand der Vorstellung selbst und die Beschäftigung der Erkenntnißkräfte…zu erhalten‹. Auch Rivera de Rosales identifiziert die ›innere Kausalität‹ mit dem freien Spiel der ErkenntnisKants Philosophie des Schönen

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kräfte, ohne dass klar wird, warum hier überhaupt eine Kausalität vorliegt (vgl. Rivera de Rosales 2008, 86). Wenzel identifiziert die ›innere Kausalität‹ mit der »Beförderung des Spiels der Erkenntniskräfte«, wobei sich diese Kausalität darin zeige, »daß wir den ›Zustand der Vorstellung selbst und die Beschäftigung der Erkenntniskräfte ohne weitere Absicht zu erhalten‹ bestrebt sind und bei der Betrachtung des Schönen ›weilen‹« (Wenzel 2000, 99). Später erläutert er, dass »die Lust am Schönen […] Ursache und Wirkung der ›Belebung‹ der Erkenntniskräfte [ist] und […] uns darum bei der Betrachtung verweilen [läßt]« (Wenzel 2000, 100). Ich habe dagegen bestritten, dass es eine Kausalbeziehung zwischen dem freien Spiel (bzw. der Belebung) und der Lust gibt. Eine andere Interpretationslinie besteht darin, die ›innere Kausalität‹ in § 12.B.2 damit zu identifizieren, dass die Lust »doch Causalität in sich [hat], nämlich den Zustand der Vorstellung selbst und die Beschäftigung der Erkenntnißkräfte ohne weitere Absicht zu e rh a l t e n « (§ 12.B.4, 222,31). So bezieht Zuckert die ›innere Causalität‹ auf die ästhetische Lust und schlägt dann die folgende Rekonstruktion des zweiten Absatzes von § 12 vor: »we feel pleasure as consciousness of our purposive judging, but such pleasure may also (then) lead us to continue to engage in (more) purposive judging, which (again) is pleasing (grounds or precedes pleasure)« (Zuckert 2007, 311). Eine ähnliche Deutung findet sich bei Kulenkampff (vgl. Kulenkampff 1994, 36 f.). Dagegen habe ich vertreten, dass die in § 12.B.2 angeführte Kausalität nicht von der Lust (als Ursache) ausgeht, sondern sich auf das freie Spiel und die Lust (als Wirkung) bezieht. In einer dritten Interpretationslinie wird die ›innere Causalität‹ dem schönen Objekt zugeschrieben. Diese Deutung propagiert Guyer, wenn er schreibt: »The internal causality […] is the power of a representation to produce a feeling of pleasure by producing the harmony of the faculties« (Guyer 1979, 218). Dass die Vorstellung des Objekts eine (Teil-) Kausalität bezüglich des freien Spiels ausübt, habe auch ich vertreten; jedoch habe ich herausgestellt, dass neben der Vorstellung vom schönen Objekt auch das Prinzip a priori der Urteilskraft das freie Spiel bzw. das Andauern des freien Spiels verursacht. Fragen wir abschließend noch, inwiefern und warum die Lust am Schönen »doch Causalität in sich [hat]« (§ 12.B.4, 222,31). Zammito und Allison geben bloß kurz wieder, dass sich die Kausalität der Lust darauf bezieht, »den Zustand der Vorstellung selbst und die Beschäftigung der Erkenntnißkräfte ohne weitere Absicht zu erhalten« (§ 12.B.4, 222,31; vgl. Zammito 1992, 95 & Allison 2001, 131). Wenzel bringt die folgende doppelte kausale Einbindung der Lust vor: »Dieses ›Bewußtsein‹ [der bloß formalen ZM im Spiele], die Lust am Schönen, ist Ursache und Wirkung der ›Belebung‹ der Erkenntniskräfte und läßt uns darum bei der Betrachtung verweilen« (Wenzel 2000, 100). Ähnlich bezieht auch Guyer die Kausalität der Lust auf die Erhaltung der Lust und ihrer Grundlage, d. h. des freien Spiels: »the intrinsic causality […] is the efficacy of the feeling of pleasure

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Literaturbericht

itself to produce a tendency toward its own continuation and the preservation of anything on which it depends« (Guyer 1979, 218). Gleichzeitig betont Guyer, dass dieser Erhaltungseffekt »simply a general effect of any feeling of pleasure« sei (Guyer 1979, 218). Dieser Einwand – sofern es denn einer ist – betrifft auch die Interpretationen von Zuckert und Rivera de Rosales. So schreibt Zuckert: »Kant thus suggests that aesthetic pleasure has ›causality‹ or that we linger in judging the beautiful because it is pleasurable« (Zuckert 2007, 311; vgl. ähnlich Rivera de Rosales 2008, 86). Ich gebe zwar Guyer Recht, dass es eine grundsätzliche Eigenschaft der Lust ist, die Erhaltung der Vorstellung zu bewirken. Allerdings nimmt diese Erhaltung nur beim Schönen die Form eines Verweilens an, während wir bei allen anderen Arten der Lust weitere Gegenstände oder Empfindungen hervorbringen müssen (Begehrenskriterium des Interesses). Eine interessante Bemerkung zwar nicht direkt zur Kausalität der Lust, sondern zum Erhalten findet sich schließlich bei Makkreel: »Hier gebraucht Kant die Sprache von Erhaltung und Selbstreproduktion, die zur Beschreibung organischen Lebens oft von Biologen gebraucht wird. Der Unterschied ist jedoch, daß Kant nur vom geistigen Leben spricht« (Makkreel 1997, 123).

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§ 13 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils: Zur Unabhängigkeit von Reiz und Rührung (die Formthese)

In den §§ 10–12 erläutert Kant mehr oder weniger explizit, inwiefern dem Geschmacksurteil das Prinzip a priori der Urteilskraft zugrunde liegt und inwiefern die Relation vom schönen Gegenstand zum freien Spiel im Sinne einer subjektiven ZM begriffen werden kann. Damit sind in gewisser Hinsicht die zentralen Thesen des Dritten Moments offengelegt. Kant nutzt aber die folgenden fünf Paragraphen, um eine Theorie des reinen Geschmacksurteils zu entwickeln. Dazu grenzt er reine von unreinen Geschmacksurteilen ab. Dass die Entwicklung einer Theorie des reinen Geschmacksurteils so viel Raum einnimmt, hat seinen Grund wohl darin, dass Kant sich in diesem Zusammenhang von zwei konkurrierenden Positionen in der Ästhetik abgrenzt, nämlich erstens von empiristischen Positionen (etwa vertreten durch Burke) und zweitens von rationalistischen Positionen (etwa vertreten durch Baumgarten). Dabei widmet er die §§ 13–14 der Abgrenzung von empiristischen Positionen. Darüber hinaus kommt § 13 insofern eine besondere Rolle zu, als Kant mit der Formthese (FMT) eine neue zentrale These einführt bzw. explizit macht. Damit verlagert er den Fokus von der »F o r m d e r Z w e c k m ä ß i g k e i t « (§ 11.T, 221,2), d. h. von der ZM ohne Zweck, zur »Zweckmäßigkeit der Form« des Gegenstandes (§ 13.C.1, 223,24). Wir können unseren Untersuchungen von § 13 die folgende Gliederung voranstellen: 1. Ausgangsthese: Das reine Geschmacksurteil beansprucht eine Unabhängigkeit von Reiz und Rührung (§ 13.T, 223,2–3) 2. Begründung der These (§ 13.A.1–3, 223,4–14) 3. Einführung der Formthese und Abwehr eines möglichen Missverständnisses (§ 13.B.1-C.1, 223,15–25)

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Terminologische und sprachliche Vorüberlegungen

13.1 Terminologische und sprachliche Vorüberlegungen 13.1.1Ein Wechsel des kantischen Sprachduktus? Wenn Kant in den ersten beiden Momenten neue Thesen einführt, so wählt er oft Formulierungen, die nahelegen, diese Thesen seien seiner Leserschaft offenkundig klar und bekannt. Dies ist vor allem bei der Uninteressiertheitsthese und der Allgemeingültigkeitsthese der Fall. Ich habe diesen sprachlichen Duktus damit erklärt, dass diese Thesen einen Niederschlag im phänomenalen Gehalt der Lust am Schönen haben. 1 Sie müssten dem Leser daher wirklich offenkundig klar sein (mindestens bei sorgfältiger Introspektion). Spätestens seit der Einführung des Theoriestücks des freien Spiels der Erkenntniskräfte hat sich Kant aber von dieser unmittelbar zugänglichen Argumentationsebene entfernt. Interessant ist in diesem Kontext eine Beobachtung Allisons bezüglich der kantischen Sprache in den §§ 13–14: »An additional noteworthy feature of these sections is Kant’s sharp change of tone in the presentation of his claims. Whereas in the first two moments, Kant often wrote as if he were presenting generally acceptable views […], he now seems to take pains to point out that he is going against the consensus. Thus, while insisting on a sharp distinction between beauty and charm, he notes that this is widely ignored (KU 5: 223; 69). He further admits that ›most people‹ will declare a mere color or tone to be ›beautiful in themselves‹ (KU 5: 224; 70); but he then proceeds to argue that they are either simply wrong or correct for the wrong reasons. In short, Kant here seems to be taking the offensive, arguing explicitly for a nonstandard position« (Allison 2001, 131).

Allisons Beobachtung ist treffend. Was aber sind die Gründe für diesen Wechsel des Sprachduktus? Erstens befinden wir uns in § 13 thematisch nicht mehr im Kontext der phänomenalen Ebene des Schönen, d. h. es ist nicht mehr die Lust thematisch, die uns unmittelbar und gefühlt zugänglich ist. Dass die Lust auf der Form des Objekts beruht, ist uns durch den phänomenalen Gehalt der Lust nicht gegeben. Zweitens widmet sich Kant in den §§ 13–14 dem Unterschied von reinen und unreinen Geschmacksurteilen. Dieses Unterschiedes sind sich viele Urteilende aber wohl nicht bewusst. Drittens grenzt Kant in den §§ 13–16 seine Theorie des Schönen explizit von den

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Siehe Kap. 2.4.1 sowie 6.2.4.

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§ 13 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils

Positionen Burkes 2 und Baumgartens ab. Nimmt man diese drei Neuerungen der §§ 13 ff. zusammen, so ergibt es durchaus Sinn, dass sich Kant eines offensiveren Sprachduktus bedient.

13.1.2Zu den Begriffen »Reiz« und »Rührung« Kant führt die Begriffe des Reizes und der Rührung nicht systematisch ein. Um die Abgrenzung des Schönen von Reiz und Rührung zu verstehen, ist eine Klärung dieser Begriffe aber unumgänglich. Beginnen wir mit dem Begriff des Reizes. Heutzutage versteht man unter einem Reiz meist etwas, das im (menschlichen) Organismus eine unwillentliche Reaktion hervorruft (z. B. einen Sinnenreiz). 3 Wenngleich die Verwendungen des Begriffes »Reiz« in der KU damit zusammenhängen, so hat das Wort bei Kant doch einen anderen Fokus. Eine gute Orientierung liefert dabei Adelungs Wörterbuch, in dem es zum »Reitz« heißt: »dasjenige an einem Dinge, was sinnliche Begierden in uns erwecket, wo es doch nur in engerer Bedeutung üblich ist, von demjenigen, was einen lebhaften Grad angenehmer Empfindungen in uns hervor bringet« (Adelung: Der Reitz). 4 Folgt man dieser Definition, dann ist ein Reiz etwas, das eine Lust am Angenehmen bewirkt. Nun wird bei Kant eine Lust am Angenehmen unmittelbar durch eine Empfindung bewirkt. 5 Demnach wäre ein Reiz eine Empfindung, die eine Lust am Angenehmen bewirkt. Bei der Bewirkung einer solchen Lust ist »das Gemüth passiv« (§ 12.B.5, 222,37, m. H.). 6 Auch in Kants Verständnis vom Reiz wird also, so scheint es, etwas im Subjekt unwillentlich, von außen bewirkt bzw. gereizt. Dass Kant unter Reizen tatsächlich Empfindungen versteht, die eine Lust am Angenehmen bewirken, lässt sich durch die folgenden Passagen belegen: Für einen expliziten Verweis auf Burke vgl. 277,1. Diese Bedeutung wird bereits im Grimm’schen Wörterbuch vermerkt: »reiz als bezeichnung eines vorganges wird besonders in der schulsprache der psychologie und physiologie von jeder erregung der empfindung vermittelnden organe gebraucht« (Grimm: Reiz). Im Adelung’schen Wörterbuch findet sich diese Bedeutung zwar nicht beim Wort »Reitz«, wohl aber beim Verb »Reitzen« (vgl. Adelung: 2. Reitzen). 4 Selbstverständlich ist uns auch heute diese Bedeutung nicht fremd, vor allem bezüglich des Adjektivs »reizend«. Man denke etwa an Formulierungen wie »eine reizende Frau«, »Das ist ganz reizend von Ihnen!« etc. 5 Vgl.: »A N G E N E H M i s t d a s , w a s d e n S i n n e n i n d e r E m p f i n d u n g g e f ä l l t « (§ 3.A.1, 205,26). Siehe hierzu auch Kap. 3.1. 6 Vgl. auch 291,36 f. 2 3

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Terminologische und sprachliche Vorüberlegungen

»Die Reize in der schönen Natur, welche so häufig mit der schönen Form gleichsam zusammenschmelzend angetroffen werden, sind entweder zu den Modificationen des Lichts (in der Farbengebung) oder des Schalles (in Tönen) gehörig. Denn diese sind die einzigen Empfindungen, […]« (302,5, m. H.). »Setzt man aber das Wohlgefallen am Gegenstande ganz und gar darin, daß dieser durch Reiz oder durch Rührung vergnügt […]« (278,7, m. H.). »Angenehme Künste sind die, welche bloß zum Genusse abgezweckt werden; dergleichen alle die Reize sind, welche die Gesellschaft an einer Tafel vergnügen können« (305,24, m. H.).

Diesen Zitaten folgend ist ein Reiz eine Empfindung (wie etwa eine Farbe oder ein Ton), die ein Vergnügen bewirkt. »Vergnügen« ist bei Kant aber bloß eine andere Bezeichnung für die Lust am Angenehmen. 7 Ganz explizit heißt es in der Logik: »das R e i z e n d e oder R ü h r e n d e , was den Sinnen in der bloßen Empfindung gefällt«; und: »von dem A n g e n e h m e n , das lediglich in der Empfindung durch Reiz oder Rührung gefällt« (Log: 37). 8 Halten wir also fest: Reiz Ein Reiz ist eine Empfindung, die eine Lust am Angenehmen bewirkt.

Da die Lust am Angenehmen bloß privatgültig ist, so ist es ebenfalls privatgültig bzw. subjektabhängig, welche Empfindungen als Reize wirksam sind. 9 Erwähnenswert ist ferner, dass Kant den Begriff des Reizes nicht überall einheitlich verwendet. So kennt er in der Tugendlehre neben dem »pathologischen Reize« (TL: 400) auch einen sittlichen Reiz. 10 In der KU verwendet Kant den Begriff des Reizes jedoch

Vgl.: »A n g e n e h m heißt Jemandem das, was ihn VERGNÜGT« (§ 5.B.3, 210,3). Siehe Kap. 3.4.1. 8 Erwähnenswert sind mitunter auch Kants Bemerkungen in der Anthropologie zu den Reizen der Frauen, die ebenfalls offenkundig auf das Hervorrufen einer Lust am Angenehmen abheben (vgl. Anth: 305, 307). 9 Zur Privatgültigkeit des Angenehmen siehe Kap. 7.1. – Allerdings lassen sich wohl empirisch kulturgeprägte oder sogar kulturübergreifende (komparativ) allgemeine Reize bestimmen (bspw. sexuelle Reize). Vgl. zur komparativen Allgemeinheit beim Angenehmen § 7.C.1–3, 213,8; siehe insbesondere auch Kap. 7.3. 10 Vgl.: »Ohne alles moralische Gefühl ist kein Mensch; denn bei völliger Unempfänglichkeit für diese Empfindung wäre er sittlich tot, und, wenn […] die sittliche Lebenskraft keinen Reiz mehr auf dieses [moralische] Gefühl bewirken könnte, […]« (TL: 400). 7

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konsequent in der oben genannten, auf das Angenehme bezogenen Bedeutung. Wenden wir uns nun dem Begriff der Rührung zu. Anders als der Begriff des Reizes steht »Rührung« nicht für die Ursache eines Gefühls, sondern für das Gefühl selbst. So schreibt Kant in § 14: »R ü h r u n g , eine Empfindung, wo Annehmlichkeit nur vermittelst augenblicklicher Hemmung und darauf erfolgender stärkerer Ergießung der Lebenskraft gewirkt wird« (§ 14.J.1, 226,13). 11 Demnach liegt bei einer Rührung zunächst eine ›augenblickliche[.] Hemmung…der Lebenskraft‹ vor. Beziehen wir dies auf unsere Interpretation der Unlust als gefühlte Hinderung einer inneren Aktivität, dann liegt bei einer Rührung zunächst eine Unlust vor. 12 Auf diese Unlust folgt eine ›stärkere[.] Ergießung der Lebenskraft‹, d. h. ein Gefühl der Lust. Rührung ist damit ein Doppelgefühl aus Lust und Unlust. Dabei ist die zeitliche Abfolge so, dass wir zuerst eine Unlust empfinden, zu der dann eine Lust hinzukommt. Schließlich heißt es im obigen Zitat noch, dass auf die ›Hemmung…der Lebenskraft‹, d. h. auf die Unlust, eine ›Annehmlichkeit‹ folgt. 13 Die Lust im besagten Doppelgefühl muss daher eine Lust am Angenehmen sein; und konsequenterweise muss dann die Unlust an etwas Unangenehmem gefühlt werden. Wie beim Reiz wird die Rührung von außen hervorgerufen, d. h. das Subjekt ist dabei passiv; es ist eine »bloß leidende[.] Gemüthsfassung« (273,22). Die konkrete phänomenale Ausprägung der Rührung kann im Übrigen ganz unterschiedlich sein. So schreibt Kant: »Daher sind die R ü h r u n g e n , welche bis zum Affect stark werden können, auch sehr verschieden. Man hat m u t h i g e , man hat z ä r t l i c h e Rührungen« (273,1). Ebenso können die Ursachen der Rührung sehr verschieden sein; sie reichen von »weinerliche[n] Schauspiele[n]« (273,10), über einen »Religionsvortrag, welcher kriechende, niedrige Gunstbewerbung und Einschmeichelung empfiehlt« (273,16), bis zu den Massagen der »Wollüstlinge des Orients« (274,3). Wir können zur Rührung festhalten: Rührung Rührung ist ein Doppelgefühl aus einer Unlust am Unangenehmen und einer Lust am Angenehmen.

Vgl. ähnlich 245,1. Siehe hierzu Kap. 4.1.1 sowie 9.6.3. 13 Vgl. auch: »Setzt man aber das Wohlgefallen am Gegenstande ganz und gar darin, daß dieser durch Reiz oder durch Rührung vergnügt: […]« (278,7, m. H.). 11 12

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Die Ausgangsthese

Hierzu möchte ich noch zweierlei bemerken: Erstens ist die Rührung als Mischung aus Unlust und Lust in phänomenaler Hinsicht gänzlich verschieden von der Lust am Schönen. Daher, so werden wir sehen, kann die Lust am Schönen nicht mit der Rührung kombiniert werden. 14 Zweitens nutzt Kant den Begriff der Rührung bisweilen auch für das Gefühl des Erhabenen: »jenes aber (das Gefühl des Erhabenen) [ist] eine Lust […], welche nur indirecte entspringt, nämlich so daß sie durch das Gefühl einer augenblicklichen Hemmung der Lebenskräfte und darauf sogleich folgenden desto stärkern Ergießung derselben erzeugt wird, mithin als Rührung kein Spiel, sondern Ernst in der Beschäftigung der Einbildungskraft zu seyn scheint« (245,1). 15

Wenn Kant aber in den §§ 13–14 die Lust am Schönen und das reine Geschmacksurteil von der Rührung abgrenzt, so ist unter »Rührung« einzig das oben beschriebene Doppelgefühl aus einer Unlust am Unangenehmen und einer Lust am Angenehmen zu verstehen. 16

13.2 Die Ausgangsthese 13.2.1Zur Unabhängigkeit von Reizen Nachdem wir uns die Bedeutung der Begriffe »Reiz« und »Rührung« vor Augen geführt haben, können wir uns nunmehr Kants Ausgangsthese in der Überschrift zuwenden: § 13.T »Das reine Geschmacksurtheil ist von Reiz und Rührung unabhängig« (223,2).

Da wir nun wissen, was Reize und Rührungen sind, können wir § 13.T genauer bestimmen: § 13.TR1 Das reine Geschmacksurteil ist von Reizen, d. h. von Empfindungen, die eine Lust am Angenehmen bewirken, und von der Rührung, d. h. einem Doppelgefühl aus einer Unlust am Un-

Siehe Kap. 14.6. Vgl. auch: »Das Erhabene ist also zwar nicht ein Gegenstand für den Geschmack, sondern für das Gefühl der Rührung« (Anth: 243). 16 Vgl. erneut: »R ü h r u n g , eine Empfindung, wo Annehmlichkeit nur vermittelst augenblicklicher Hemmung und darauf erfolgender stärkerer Ergießung der Lebenskraft gewirkt wird« (§ 14.J.1, 226,13, 2. H. m. H.). 14 15

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angenehmen und einer Lust am Angenehmen, das durch Empfindungen bewirkt wird, unabhängig.

Ist das aber nicht bloß die wohlbekannte These, die Lust am Schönen sei von der Lust am Angenehmen unterschieden? In gewisser Hinsicht schwingt diese These natürlich in § 13.T wie auch im ersten Absatz von § 13 mit. Das Novum von § 13.T ist jedoch der Begriff des Reizes, der auf die Grundlage der Lust am Angenehmen verweist. Zwar wissen wir bereits aus § 3, dass die Lust am Angenehmen auf einer Empfindung beruht – und in gewisser Hinsicht steht der Reiz ja bloß für eine Empfindung; wichtig ist jedoch, dass Kant die Abgrenzung von Reizen dazu nutzt, um die Formthese FMT einzuführen. 17 Die These, dass ›das reine Geschmacksurtheil…von Reiz und Rührung unabhängig‹ ist, bildet damit einen ersten Schritt zu FMT. Mit § 13.T sagt Kant aus, dass die reine Lust am Schönen gar nicht, d. h. weder notwendig noch zufällig und auch nicht bloß teilweise, auf Empfindungen beruhen darf (›unabhängig‹). Die reine Lust am Schönen beruht insbesondere auch nicht auf der Form und der Materie (Empfindung) des schönen Objekts. Kants umfassende These lautet damit: § 13.TR2 Für die dem reinen Geschmacksurteil zugrundeliegende Lust sind Empfindungen (Reize) weder eine hinreichende noch eine notwendige noch eine mögliche zusätzliche Grundlage.

Wie bereits angedeutet, hat diese These einen unmittelbaren Bezug zu FMT: Wenn die Lust am Schönen in keiner Weise auf einer Empfindung beruhen kann, so kann sie (im Sinne des kantischen Erkenntnisprozesses) entweder auf der Form oder auf einem Begriff beruhen. Schließt man aus, dass sie auf einem Begriff beruht – und dies muss schon deshalb der Fall sein, weil sie keine Lust am Guten ist –, so muss sie auf der Form beruhen.

Darüber hinaus dient die Abgrenzung von Reizen natürlich zur Abgrenzung von empiristischen Positionen in der Ästhetik wie jener Burkes. So schreibt letzterer etwa: »beauty demands no assistance from our reasoning; even the will is unconcerned; the appearance of beauty as effectually causes some degree of love in us, as the application of ice or fire produces the ideas of heat or cold« (Burke 2015, 74).

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Die Ausgangsthese

13.2.2 Zur Reinheit des Geschmacksurteils In § 13.T verwendet Kant zum ersten Mal in der Analytik den Begriff des reinen Geschmacksurteils. Dass Geschmacksurteile überhaupt rein sein können, mag durchaus verwundern; denn unter »Reinheit« versteht Kant gemeinhin die Unabhängigkeit von allem Empirischen. So heißt es in der KrV: »Von den Erkenntnissen a priori heißen aber diejenigen r e i n , denen gar nichts Empirisches beigemischt ist« (B3). 18 Dagegen ist ein Geschmacksurteil in doppelter Hinsicht dem Empirischen verpflichtet: Erstens nimmt es immer bei einer empirischen Vorstellung und bei etwas Gegebenem seinen Ausgang; man muss »das Object seinen eignen Augen unterwerfen« (§ 8.F.4, 216,2). Zweitens hat das Geschmacksurteil einen Bestimmungsgrund der Lust, wobei Gefühle ebenfalls dem Bereich des Empirischen beizuzählen sind. Die Reinheit des Geschmacksurteils muss also für etwas anderes als die gänzliche Unabhängigkeit von allem Empirischen stehen. Die einfachste Interpretation wäre dabei, die Reinheit des Geschmacksurteils auf die Reinheit der Lust am Schönen zu beziehen, wobei diese Reinheit darin bestünde, dass die Lust am Schönen nicht mit anderen Formen von Lust vermischt wäre. Darüber hinaus gibt es auch noch eine komplexere Interpretation der Reinheit, die sich auf die folgende Aussage aus der KrV stützt: »Ich nenne alle Vorstellungen r e i n (im transzendentalen Verstande), in denen nichts, was zur Empfindung gehört, angetroffen wird« (A20/B34). Die Reinheit der Vorstellungen wird in diesem Zitat an die Unabhängigkeit von Empfindungen geknüpft. In § 13.T beansprucht Kant nun gerade, dass ›[d]as reine Geschmacksurtheil…von Reiz und Rührung unabhängig‹ ist, und dies bedeutet ja, dass die Lust am Schönen unabhängig von Empfindungen ist. In diesem Sinne sind die Lust am Schönen und das darauf beruhende Geschmacksurteil insofern rein, als in ihnen ›nichts was zur Empfindung gehört, angetroffen wird‹. So heißt es in § 14: »und so hat ein reines Geschmacksurtheil weder Reiz noch Rührung, mit einem Worte keine Empfindung, als Materie des ästhetischen Urtheils, zum Bestimmungsgrunde« (§ 14.J.2, 226,18). Vgl. auch: »Es heißt aber jede Erkenntnis r e i n , die mit nichts Fremdartigen vermischt ist. Besonders aber wird eine Erkenntnis schlechthin rein genannt, in die sich überhaupt keine Erfahrung oder Empfindung einmischt, welche mithin völlig a priori möglich ist« (A11).

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Mit der Unabhängigkeit von der Empfindung, die Kant bisweilen auch als »die Materie der Vorstellungen« oder der Erscheinung bezeichnet (§ 14.C.2, 224,11), 19 ist aber nur ein Teil der Reinheit des Geschmacksurteils bestimmt. Darüber hinaus wird Kant in den §§ 15–16 dafür argumentieren, dass das reine Geschmacksurteil unabhängig von Zweckbegriffen ist. Nun ist ein Zweckbegriff die Materie einer Zweckmäßigkeitsverbindung. 20 Daher ist das reine Geschmacksurteil auch auf der Ebene der ZM unabhängig von der Materie. Beim reinen Geschmacksurteil liegt also die folgende doppelte Unabhängigkeit von der Materie vor: 1. Das reine Geschmacksurteil ist nicht bestimmt durch die Empfindung als die Materie der Erscheinung. 2. Das reine Geschmacksurteil ist unabhängig von jeglichem Zweckbegriff als Materie der Zweckverbindung. Wir können diesen beiden negativen Thesen zwei Thesen zur Form gegenüberstellen: 1. Das reine Geschmacksurteil wird durch die Form des schönen Gegenstandes angeregt (FMT). 2. Das reine Geschmacksurteil beruht auf der Form der Zweckmäßigkeit des schönen Gegenstandes (ZM ohne Zweck). Das reine Geschmacksurteil ist demnach durch eine doppelte Unabhängigkeit von der Materie und einen doppelten Bezug zur Form gekennzeichnet. Im Folgenden wollen wir uns der jeweils ersten These, d. h. der Unabhängigkeit von der Empfindung als Materie der Erscheinung und dem Bezug zur Form der Anschauung (FMT), zuwenden.

13.3 Ein Argument für die Unabhängigkeit von Reizen Im ersten Absatz argumentiert Kant dafür, dass das reine Geschmacksurteil nicht auf Reizen beruht. Wir wollen in der Folge versuchen, sein Argument zu rekonstruieren. Dabei werde ich ausblenden, dass Kant auch die Unabhängigkeit des reinen Geschmacksurteils von der Rührung einbezieht, da Kant für die Unabhängigkeit von der Rührung

Vgl. auch A20/B34. Vgl.: »Zweck (als die Materie des nexus finalis)« (§ 10.B.5, 220,28). Siehe hierzu Kap. 10.1.2.

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Die Ausgangsthese

noch ein eigenständiges und stärkeres Argument vorbringen wird. 21 Zur Unabhängigkeit von Reizen heißt es jedenfalls in § 13.A.1–2: § 13.A.1 »[a] Alles Interesse verdirbt das Geschmacksurtheil und nimmt ihm seine Unparteylichkeit, [b] vornehmlich, wenn es nicht, so wie das Interesse der Vernunft, die Zweckmäßigkeit vor dem Gefühle der Lust voranschickt, sondern sie auf diese gründet; [c] welches letztere allemal im ästhetischen Urtheile über etwas, sofern es vergnügt oder schmerzt, geschieht. § 13.A.2 Daher Urtheile, die so afficirt sind, auf allgemeingültiges Wohlgefallen entweder gar keinen, oder so viel weniger Anspruch machen können, als sich von der gedachten Art Empfindungen unter den Bestimmungsgründen des Geschmacks befinden« (223,4).

Zunächst können wir § 13.A.1 folgendermaßen präzisieren: § 13.A.1* [a] Alles Interesse verdirbt das Geschmacksurteil und nimmt dem Geschmacksurteil seine Unparteilichkeit, [b] vornehmlich, wenn das Interesse nicht, so wie das Interesse der Vernunft, die Zweckmäßigkeit vor dem Gefühl der Lust voranschickt, sondern die Zweckmäßigkeit auf die Lust gründet; [c] welches letztere allemal im ästhetischen Urteil über etwas, sofern es vergnügt oder schmerzt, geschieht.

Ich möchte die Aufmerksamkeit zunächst auf § 13.A.1a lenken. Kant setzt beim Begriff des Interesses an. Auffällig ist daran, dass er die Formulierung ›Alles Interesse‹ nutzt, womit auch das Interesse am Guten eingeschlossen wäre. Wir müssten demnach schreiben: § 13.A.1aR1 Alles Interesse, d. h. sowohl das Interesse am Angenehmen als auch am Guten, verdirbt das Geschmacksurteil und nimmt dem Geschmacksurteil seine Unparteilichkeit.

Was bedeutet es aber, dass das Geschmacksurteil verdorben wird? In gewisser Hinsicht scheint ›verdorben‹ bloß den Gegensatz zu ›rein‹ zu bilden. Ein verdorbenes Geschmacksurteil wäre demnach ein unreines Geschmacksurteil. Der Begriff des Verdorbenen legt zudem eine gewisse Minderwertigkeit nahe. 22 Jedoch ist ein verdorbenes Geschmacksurteil immer noch ein Geschmacksurteil. Kant grenzt demnach, anders als im Ersten und Zweiten Moment, das GeschmacksVgl. § 14.J.1–2, 226,13. Siehe hierzu Kap. 14.6. Bemerkenswert ist dabei, dass auch ein Einfluss des Interesses am Guten zu einem verdorbenen und insofern minderwertigen Geschmacksurteil führt.

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urteil nicht mehr von Urteilen über das Angenehme und Gute ab, sondern das reine Geschmacksurteil von unreinen bzw. verdorbenen Geschmacksurteilen. Inwiefern sind aber unreine Geschmacksurteile ›verdorben‹ bzw. minderwertig? Ein Grund der Verdorbenheit ist, dass unreine Geschmacksurteile ihre ›Unparteylichkeit‹ einbüßen. Der Begriff der Unparteilichkeit lässt einen sofort an die Allgemeingültigkeitsthese denken; und man könnte meinen, ein parteiliches Urteil sei bloß privatgültig. Jedoch nimmt auch das Interesse am Guten dem Geschmacksurteil seine Unparteilichkeit; das Interesse am Guten ist aber nicht privatgültig, sondern allgemeingültig. 23 Der Begriff der Unparteilichkeit kann allerdings auch eine andere Bedeutung als »Allgemeingültigkeit« haben. So steht in Adelungs Wörterbuch zur »Parteylichkeit«: »In engerer Bedeutung ist die Parteylichkeit die Fertigkeit, sich in dem Beurtheilen andrer, in seine Neigung gegen sie, durch außerwesentliche Umstände bestimmen zu lassen« (Adelung: Parteylichkeit). Im übertragenen Sinne wäre damit ein unreines Geschmacksurteil insofern ›parteilich‹, als es ›durch außerwesentliche Umstände‹ bestimmt würde. Offenkundig sind das Interesse am Angenehmen und das Interesse am Guten nicht wesentlich für ein Geschmacksurteil; sie sind dem Geschmacksurteil ›außerwesentlich‹. Das Geschmacksurteil wird also insofern durch das Interesse am Angenehmen oder Guten ›verdorben‹, als ein Interesse nicht wesentlich zu einem durch uninteressierte Lust gekennzeichneten Geschmacksurteil gehört. Damit haben wir aber freilich nicht viel gewonnen. Nun spielt die Allgemeingültigkeitsthese (ATUrteil) im Kontext des reinen Geschmacksurteils dennoch eine Rolle, allerdings nur, wenn es um die Abgrenzung vom Interesse am Angenehmen (und nicht am Guten) geht. Darauf deutet § 13.A.2 hin. Um diesen Satz besser zu verstehen, können wir die Formulierung ›Urtheile, die so afficirt sind‹ ersetzen durch ›Urteile, die durch Reize affiziert sind‹ ; denn ebendiese Urteile stehen ja zur Debatte. Ebenso muss sich die Formulierung ›von der gedachten Art Empfindungen‹ auf Reize beziehen. Wir erhalten dann: § 13.A.2* Urteile, die durch Reize affiziert sind, können auf allgemeingültiges Wohlgefallen entweder gar keinen, oder so viel weniger Anspruch machen, als sich Reize unter den Bestimmungsgründen des Geschmacks befinden. 23

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Siehe hierzu Kap. 7.4.

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Die Ausgangsthese

Es lassen sich nun zwei unterschiedlich starke Thesen identifizieren und rekonstruieren: § 13.A.2aR1 Einige Urteile, die durch Reize affiziert sind, können auf allgemeingültiges Wohlgefallen gar keinen Anspruch machen. § 13.A.2bR1 Einige Urteile, die durch Reize affiziert sind, können auf allgemeingültiges Wohlgefallen so viel weniger Anspruch machen, als sich Reize unter den Bestimmungsgründen des Geschmacks befinden.

Diese beiden Thesen beziehen sich auf verschiedene Fälle: Bei Urteilen, die durch Reize affiziert sind und die auf kein ›allgemeingültiges Wohlgefallen‹ Anspruch machen können (§ 13.A.2a), handelt es sich um Urteile über das Angenehme. Bei Urteilen, die durch Reize affiziert sind und die auf ›allgemeingültiges Wohlgefallen‹ weniger Anspruch machen können (§ 13.A.2b), handelt es sich um unreine Geschmacksurteile. Es ist dieser zweite Fall, der eigentlich zur Debatte steht. Was soll es aber bedeuten, dass ein Urteil über ›weniger Allgemeingültigkeit‹ verfügt? Sollte Kant etwa die offenkundig falsche These vertreten wollen, es gäbe ein Mehr oder Weniger an Allgemeingültigkeit? Dies sollten wir ihm freilich nicht unterstellen. Vielmehr muss Kants These in § 13.A.2b die folgende sein: Je mehr Reize einem ästhetischen Urteil zugrunde liegen, desto größer ist die Gefahr, dass es bloß ein Urteil über das Angenehme ist und daher nur Privatgültigkeit beansprucht. Es gilt aber weiterhin: Entweder ist ein Urteil ein (reines oder unreines) Geschmacksurteil – und dann beansprucht es Allgemeingültigkeit; oder das Urteil ist kein Geschmacksurteil, sondern ein Urteil über das Angenehme – und dann beansprucht es bloß Privatgültigkeit. Die These ist demnach nicht, dass ein Urteil mehr oder weniger Allgemeingültigkeit beansprucht oder mehr oder weniger ein Geschmacksurteil ist, sondern vielmehr: Wenn ein Urteil auch auf Reizen und in diesem Sinne auf einer Lust am Angenehmen beruht, dann besteht immer die Gefahr, dass das Urteil gar kein Geschmacksurteil ist und somit gar keine Allgemeingültigkeit beansprucht. Dieser Zusammenhang beruht darauf, dass Kant, so denke ich, implizit die folgende These vertritt: Die Lust am Schönen ist ein sehr fragiles Gefühl und das freie Spiel ist ein sehr fragiler Zustand. Wir können diese These als Kants Fragilitätsthese bezeichnen. Wird eine Lust am Schönen mit einem Interesse am Angenehmen vermischt, so wird das Subjekt sehr schnell seine AufKants Philosophie des Schönen

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merksamkeit auf den dieses Interesse auslösenden Reiz fokussieren. Durch eine starke Fokussierung auf einen Reiz wird jedoch das freie Spiel unterbunden und damit die Lust am Schönen verhindert. Je mehr Reize auf ein Subjekt einwirken und je stärker die Lust am Angenehmen ist, desto eingeschränkter ist die Möglichkeit, dass zusätzlich eine Lust am Schönen vorliegt, auf der aufbauend man ein allgemeingültiges Urteil fällen könnte. Kehren wir zu unserer Ausgangsfrage zurück: Lässt sich im ersten Absatz ein Argument dafür finden, dass das reine Geschmacksurteil von Reizen unabhängig ist? Explizit findet sich zwar kein solches Argument. Jedoch beinhaltet der erste Absatz (implizit) den folgenden Gedanken: Wenn ein Urteil (teilweise) auf einer durch Reize bewirkten Lust beruht, dann läuft es Gefahr, bloß privatgültig zu sein. Denn eine auf Reizen beruhende Lust ist, wie soeben geschildert, immer dazu geneigt, das freie Spiel und damit die (allgemeingültige) Lust am Schönen zu unterbinden. Darauf aufbauend können wir das folgende Argument konstruieren: P1

Wenn ein ästhetisches Urteil (teilweise) auf einer durch Reize (Empfindungen) bewirkten Lust beruht, dann läuft das Urteil Gefahr, bloß privatgültig zu sein. P2 Das reine Geschmacksurteil läuft nicht Gefahr, bloß privatgültig zu sein. (Es ist immer allgemeingültig.) Also: Das reine Geschmacksurteil beruht nicht (teilweise) auf einer durch Reize bewirkten Lust.

Kants Strategie knüpft damit an die Allgemeingültigkeitsthese ATUrteil an, d. h. an die These, dass das reine Geschmacksurteil wesentlich allgemeingültig ist. 24 Um diese wesentliche Allgemeingültigkeit zu gewährleisten, muss ein reines Geschmacksurteil von allen Fällen abgesondert werden, in denen potenziell bloß Privatgültigkeit vorliegen könnte.

13.4 Zur Zweckmäßigkeit beim Angenehmen In § 13.A.1b behandelt Kant eine (mögliche) beim Angenehmen vorliegende ZM. Dazu können wir die folgenden drei Propositionen isolieren: 24

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Zur wesentlichen Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils siehe Kap. 7.2.2.

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Zur Zweckmäßigkeit beim Angenehmen

§ 13.A.1b1* Das Interesse der Vernunft schickt die Zweckmäßigkeit vor dem Gefühl der Lust voran. § 13.A.1b2* Ein anderes Interesse gründet die Zweckmäßigkeit auf die Lust. § 13.A.1b3* [Dass das Interesse die Zweckmäßigkeit auf die Lust gründet,] geschieht allemal im ästhetischen Urteil über etwas, sofern es vergnügt oder schmerzt.

Das in § 13.A.1b3 beschriebene Urteil ist offenkundig ein Urteil über das Angenehme: § 13.A.1b3R1 [Dass das Interesse die Zweckmäßigkeit auf die Lust gründet,] geschieht im Urteil über das Angenehme.

Vor diesem Hintergrund können wir das in § 13.A.1b2 benannte Interesse genauer bestimmen: § 13.A.1b2R1 Das Interesse am Angenehmen gründet die Zweckmäßigkeit auf die Lust.

Insgesamt kontrastiert Kant die ZM im Rahmen des Angenehmen mit der ZM im Rahmen des Guten. Dass beim ›Interesse der Vernunft‹, d. h. beim Interesse am Guten, die ZM der Lust vorhergeht, ist recht leicht zu verstehen. Das Interesse am Guten beruht auf einer Willensbestimmung durch ein Prinzip (d. h. einen kategorischen oder hypothetischen Imperativ), das einen Zweckbegriff beinhaltet. Da dieses Prinzip den Willen dazu bestimmt, einen zweckmäßigen Gegenstand oder eine zweckmäßige Handlung hervorzubringen, muss es eine Erkenntnis davon beinhalten, unter welchen Bedingungen ein Gegenstand bzw. eine Handlung besagtem Zweck gemäß ist. Bei dieser ZM handelt es sich offenkundig um eine praktische Form von ZM, d. h. eine Form von ZM, die zur Willensbestimmung dient und insofern (potenziell) handlungswirksam ist. So könnte ich mir etwa durch einen hypothetischen Imperativ vorschreiben, Klavier zu üben, und zwar, weil ich mir den Zweck gesetzt habe, Klavierspielen zu können. Dabei ist die Handlung des Klavierübens zweckmäßig (nützlich) dafür, Klavierspielen zu können. Um nun meinen Willen dazu zu bestimmen, Klavier zu üben, muss ich erkannt haben, dass das Üben dem Zweck gemäß ist, Klavierspielen zu können. Schwieriger verständlich ist, inwiefern beim Angenehmen eine ZM auf der Lust gegründet wird. Bekanntermaßen wird die Lust am Angenehmen unmittelbar durch eine Empfindung hervorgerufen. In diesem Sinne kann der Lust keine ZM vorhergehen. Nun haben wir Kants Philosophie des Schönen

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§ 13 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils

bei der Analyse von § 11 erläutert, dass aufgrund einer Lust am Angenehmen eine subjektive Zwecksetzung erfolgen kann und dass das Angenehme also mit einem »subjective[n] Zweck« verbunden werden kann (§ 11.A.2, 221,7). 25 Dabei wird der angenehme Gegenstand als zweckmäßig für die Lust bzw. für die Glückseligkeit begriffen. Ich kann diese Zweckmäßigkeit des Gegenstandes nur dadurch erkennen, dass ich die Lust am Angenehmen beim Wahrnehmen des Gegenstandes fühle. Da die Lust am Angenehmen aber bloß privatgültig ist, so ist auch die ZM bloß privatgültig. So könnte Schokolade zweckmäßig für die Lust bzw. Glückseligkeit von Person A sein, nicht aber für die Lust von Person B. Diese Privatgültigkeit der ZM verdeutlicht noch einmal, dass das Angenehme in einem starken Sinne ›parteilich‹ ist.

13.5 Die Formthese (FMT) 13.5.1 Die Bedeutung der Formthese Im zweiten Absatz räumt Kant ein potenzielles Missverständnis aus, nämlich dass Reize als schön gelten können. Da dieses Missverständnis in § 14 erneut behandelt wird, werde ich es für den Moment ausklammern. 26 Ebenso werde ich Kants Bemerkung, dass ein »Geschmack […] jederzeit noch barbarisch [ist], wo er die Beymischung der R e i z e und R ü h r u n g e n zum Wohlgefallen bedarf« (§ 13.A.3, 223,12), erst im Rahmen von § 14 untersuchen. Jetzt müssen wir uns der Formthese (FMT) zuwenden. In § 13.B.1 findet sich die folgende Bemerkung: § 13.B.1a »Indessen werden Reize doch öfter nicht allein zur Schönheit (die doch eigentlich bloß die Form betreffen sollte) als Beytrag zum ästhetischen allgemeinen Wohlgefallen gezählt, sondern sie werden wohl gar an sich selbst für Schönheiten, mithin die Materie des Wohlgefallens für die Form ausgegeben« (223,15).

Aus der Klammerbemerkung können wir die folgende Formulierung von FMT extrahieren: 25 26

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Siehe Kap. 11.2.1. Für eine Analyse dieses Missverständnisses siehe Kap. 14.2.1.

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Die Formthese (FMT)

FMT1 Schönheit sollte eigentlich bloß die Form betreffen.

Mit dieser Form ist freilich die Form des schönen Gegenstandes gemeint. Eine weitere Formulierung von FMT findet sich im dritten Absatz: § 13.C.1 »Ein Geschmacksurtheil, auf welches Reiz und Rührung keinen Einfluß haben, (ob sie sich gleich mit dem Wohlgefallen am Schönen verbinden lassen) welches also bloß die Zweckmäßigkeit der Form zum Bestimmungsgrunde hat, ist ein r e i n e s G e s c h m a c k s u r t h e i l « (223,22).

Isolieren wir wieder die eigentliche Formulierung von FMT, so erhalten wir: FMT2 Das reine Geschmacksurteil hat bloß die Zweckmäßigkeit der Form zum Bestimmungsgrund.

FMT ist diejenige These der kantischen Schönheitstheorie, die am stärksten auf den schönen Gegenstand bezogen ist. Mit der Form wird dasjenige am Gegenstand identifiziert, was die Lust am Schönen anregt. Allerdings ist der Begriff der Form natürlich sehr unkonkret. Durch FMT wird nämlich nicht festgelegt, wie genau eine Form beschaffen sein muss, damit sie sich als Grundlage für eine Lust am Schönen qualifiziert. Kant formuliert keine konkreten Regeln der Art »Alle Formen der Art x sind schön« (bspw. »Alle dreieckigen Formen sind schön«). Um FMT zu verstehen, müssen wir uns zunächst an das Begriffspaar »Materie« und »Form« erinnern, das bei Kant in ganz verschiedenen Kontexten Anwendung findet. 27 So differenziert er etwa zwischen der Materie und der Form von Erkenntnissen oder des Wollens. In der KU bezieht er dieses Gegensatzpaar unter anderem auf die ZM bzw. den nexus finalis. 28 Der für FMT relevante Kontext ist jedoch klarerweise derjenige der Materie und Form von Vorstellungen bzw. Erscheinungen. 29 Wir haben diese Unterscheidung zwischen der Materie und der Form einer Erscheinung bzw. Vorstellung bereits im

Für eine Übersicht siehe Mechtenberg 2015, 615–618. Vgl. § 10.B.5, 220,27. Siehe zu dieser Passage Kap. 10.1.2. 29 Kurz erwähnen möchte ich wenigstens, dass im zweiten Teil der KU eine ganz andere Art der Materie thematisch sein wird, nämlich Materie im naturwissenschaftlichen Sinn. In diesem Kontext differenziert Kant zwischen der »rohen unorganisirten Materie« (419 Fn.) als »niedrigste[.] uns merkliche[.] Stufe der Natur« (419,4) und den »organisirte[n] Materien« (413,24), d. h. Organismen. 27 28

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Rahmen der Uninteressiertheitsthese UT kurz behandelt. 30 Die Materie der Vorstellung steht für die Empfindung oder vielmehr die »o b j e c t i v e [ . ] Empfindung« (§ 3.C.2, 206,31). So kontrastiert Kant eines »Gegenstandes Form« mit dem »Materielle[n] seiner Vorstellung, als Empfindung« (190,13). Noch expliziter heißt es in § 14: »[…] ob zwar beide [eine bloße Farbe und ein bloßer Ton] bloß die Materie der Vorstellungen, nämlich lediglich Empfindung, zum Grunde zu haben scheinen« (§ 14.C.2, 224,10). 31 Ein Beispiel für eine Empfindung ist »[e]ine bloße Farbe, z. B. die grüne eines Rasenplatzes« (§ 14.C.2, 224,8). Bei der Materie der Vorstellung handelt es sich um einen rohen Sinneseindruck, d. h. etwa eine Rotempfindung. Im Gegensatz dazu ist die Form der Erscheinung eine Anordnung bzw. Zusammensetzung der Materie, d. h. der Empfindungen. So identifiziert Kant »[d]as Formale in der Vorstellung eines Dinges« mit der »Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu Einem« (§ 15.C.4, 227,25). Bekanntermaßen unterscheidet Kant zwischen den reinen Formen der Anschauung, nämlich Raum und Zeit, und den Formen konkreter Gegenstände. Die reinen Formen sind »das, worinnen sich die Empfindung allein ordnen, und in gewisse Form gestellet werden können«; sie liegen »im Gemüte a priori bereit« (A20/B34). Dagegen bestehen konkrete Formen in einer Anordnung (der Materie) in Raum und Zeit. Wir können hier beispielsweise an die Form eines Dreiecks oder das Bild eines Hauses denken, zu dem das urteilende Subjekt ein gegebenes Mannigfaltiges zusammengesetzt hat. 32 Eine solche konkrete Form ist eine Art von Begrenzung: »Das Schöne der Natur betrift die Form des Gegenstandes, die in der Begränzung besteht« (244,23, m. H.). 33 Eine (konkrete) Form setzt eine Aktivität des Anordnens oder vielmehr der Synthesis durch das Subjekt voraus. Diese Synthesisleistung vollbringt die Einbildungskraft: »Nun ist das, was das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung verknüpft, Einbildungskraft« Siehe Kap. 2.3.2. Vgl. auch: »In der Erscheinung nenne ich das, was der Empfindung korrespondiert, die M a t e r i e derselben« (A20/B34). 32 Vgl. A124 sowie B162. 33 Kant nimmt diese Charakterisierung in Abgrenzung zum Erhabenen vor. Zum Erhabenen heißt es im direkten Anschluss: »das Erhabene ist dagegen auch an einem formlosen Gegenstande zu finden, sofern U n b e g r ä n z t h e i t an ihm, oder durch dessen Veranlassung, vorgestellt und doch Totalität derselben hinzugedacht wird« (244,24). 30 31

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Die Formthese (FMT)

(B164). Ist damit die Form bloß eine beliebige Konstruktion des Subjekts? Dazu ist die folgende Passage erhellend: »und, ob sie [die Einbildungskraft] zwar bey der Auffassung eines gegebenen Gegenstandes der Sinne an eine bestimmte Form dieses Objects gebunden ist und sofern kein freyes Spiel (wie im Dichten) hat, so läßt sich doch noch wohl begreifen: daß der Gegenstand ihr gerade eine solche Form an die Hand geben könne, die eine Zusammensetzung des Mannigfaltigen enthält, wie sie die Einbildungskraft, wenn sie sich selbst frey überlassen wäre, in Einstimmung mit der Verstandesgesetzmäßigkeit überhaupt entwerfen würde« (240,28 f., m. H. & Kants H. getilgt).

Aus dieser Passage geht hervor, dass der gegebene Gegenstand der Einbildungskraft eine ›Form an die Hand gibt‹ und dass die Einbildungskraft beim Auffassen von Formen ›an eine bestimmte Form des Objects gebunden ist‹. Die Einbildungskraft kann daher nicht beliebig irgendwelche Formen auffassen. Dadurch ist (auch beim Schönen) sichergestellt, dass verschiedene Personen nicht völlig unterschiedliche Formen apprehendieren. Halten wir an dieser Stelle zur Form allgemein fest: i. Unter der Form der Vorstellung versteht Kant eine Anordnung des Mannigfaltigen in Raum und Zeit (den reinen Formen der Anschauung). Diese Anordnung ist im Sinne einer Begrenzung zu verstehen. ii. Die Form wird durch eine Synthesisleistung der Einbildungskraft erzeugt. iii. Die Formen werden von der Einbildungskraft nicht beliebig aufgefasst; vielmehr gibt es eine Rückbindung an den Gegenstand. Wir können diese Charakterisierung der Form nunmehr als Ausgangspunkt nehmen, um FMT zu verstehen. Dass Schönheit ›bloß die Form betreffen sollte‹ (FMT1) oder vielmehr betrifft, bedeutet, dass das Schöne auf der durch die Einbildungskraft hervorgerufenen Zusammensetzung bzw. Begrenzung des Mannigfaltigen beruht. Dies ergibt schon insofern Sinn, als der Lust am Schönen das freie Spiel der Erkenntniskräfte zugrunde liegt. Das freie Spiel ist aber dadurch gekennzeichnet, dass die Einbildungskraft frei Formen apprehendiert. Die positive These, dass Schönheit ›bloß die Form‹ betrifft, geht mit zwei negativen Thesen einher. Erstens beruht Schönheit nicht auf der bloßen rohen Empfindung; genau darauf hat Kant mit der Unabhängigkeit von Reizen verwiesen. Zweitens beruht Schönheit nicht auf einem Begriff; dies hat Kant bereits durch die BegriffsKants Philosophie des Schönen

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losigkeitsthese BT gezeigt sowie dadurch, dass dem Schönen kein Zweckbegriff zugrunde liegt (§ 11). 34 Aus dieser doppelten Abgrenzung wird auch ersichtlich, dass das Schöne mit der Form gewissermaßen auf einem bis zur mittleren Stufe vorgedrungenen Erkenntnisprozess beruht. So ist uns im Erkenntnisprozess zuerst ein Mannigfaltiges an Empfindungen gegeben. Dann bedarf es zweitens der »E i n b i l d u n g s k r a f t für die Zusammensetzung des Mannigfaltigen der Anschauung« und drittens »Ve r s t a n d für die Einheit des Begrifs der die Vorstellungen vereinigt« (§ 9.D.3, 217,27). FMT2 (›Das reine Geschmacksurteil hat bloß die Zweckmäßigkeit der Form zum Bestimmungsgrund‹) geht über FMT1 hinaus; denn Kant nutzt hier die Wendung ›Zweckmäßigkeit der Form‹. Er macht damit explizit, dass die subjektive ZM des Gegenstandes von seiner Form ausgeht. Und damit macht er etwas explizit, was implizit in den §§ 11–12 schon thematisch war. So habe ich bei meinen Untersuchungen von § 10 bereits dargelegt, dass eine ZM sich im eigentlichen Sinne immer auf die Form einer Vorstellung bzw. eines Gegenstandes bezieht; denn eine ZM liegt vor, wenn ein Wille das Mannigfaltige nach einer bestimmten Regel, d. h. einem Zweck, angeordnet hat. 35 Da wir erstens wissen, dass das Geschmacksurteil auf einer subjektiven ZM eines Gegenstandes beruht, und zweitens, dass im eigentlichen Sinne nur Formen zweckmäßig sein können, liegt es eigentlich auf der Hand, dass sich das Geschmacksurteil auf die Form des schönen Gegenstandes bezieht. Wir können zu FMT insgesamt das Folgende festhalten: i. Schönheit beruht auf Seiten des Objekts auf der Form der Vorstellung, d. h. auf der Zusammensetzung des Mannigfaltigen in Raum und Zeit. Zur Begriffslosigkeitsthese siehe Kap. 6.1.2 und 6.1.4; zur Unabhängigkeit von Zwecken siehe Kap. 11.2. 35 Vgl.: »und die Uebereinstimmung eines Dinges mit derjenigen Beschaffenheit der Dinge, die nur nach Zwecken möglich ist, [heißt] die Z w e c k m ä ß i g k e i t der Form desselben [Dinges]« (180,32); »An einem in der Erfahrung gegebenen Gegenstande kann Zweckmäßigkeit vorgestellt werden: entweder aus einem bloß subjectiven Grunde, als Uebereinstimmung seiner Form, in der Auffassung (apprehensio) desselben vor allem Begriffe, mit den Erkenntnißvermögen, um die Anschauung mit Begriffen zu einem Erkenntniß überhaupt zu vereinigen; oder aus einem objectiven [Grund], als Uebereinstimmung seiner Form mit der Möglichkeit der Dinge selbst, nach einem Begriffe von ihm, der vorhergeht und den Grund dieser Form enthält« (192,16, m. H. & Kants H. getilgt). Siehe auch die Analyse des Begriffs der ZM in Kap. 10.1.2. 34

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Die Formthese (FMT)

ii.

Für das Apprehendieren von Formen ist die Einbildungskraft zuständig. Die Aktivität des Apprehendierens von Formen vollzieht sich im freien Spiel der Erkenntniskräfte. iii. Die Form des Gegenstandes ist subjektiv zweckmäßig, d. h. zweckmäßig für die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt. iv. Schönheit beruht nicht (und auch nicht teilweise) auf der Empfindung oder auf einem Begriff.

13.5.2 Eine Begründung für die Formthese Auf den ersten Blick führt Kant FMT ad hoc ein. Wenn überhaupt, so scheint es, argumentiert er in § 13 nur dafür, dass dem reinen Geschmacksurteil keine Reize zugrunde liegen. Wie oben gezeigt, lässt sich für diese These ein Argument rekonstruieren, das sich auf die Allgemeingültigkeitsthese gründet. 36 Aus diesem Argument folgt allerdings nicht, dass das Geschmacksurteil ›bloß die Form‹ betrifft. Nimmt man an, dass es die drei grundlegenden Vorstellungsarten Empfindung, Form und Begriff gibt – und diese Dreiteilung liegt ja der ganzen Analytik zugrunde –, so muss Kant zusätzlich ausschließen, dass dem Geschmacksurteil kein Begriff (vom Objekt) zugrunde liegt. 37 Dazu heißt es etwa in § 15: »Nun ist das Geschmacksurtheil ein ästhetisches Urtheil, d. i. ein solches, was auf subjectiven Gründen beruht, und dessen Bestimmungsgrund kein Begrif […] seyn kann« (§ 15.D.1, 228,6). 38 Darauf aufbauend können wir das folgende Argument rekonstruieren: P1

Wenn ein Urteil auf einem Begriff (vom Objekt) beruht, dann ist es ein Erkenntnisurteil (und kein ästhetisches Urteil). P2 Das Geschmacksurteil ist kein Erkenntnisurteil (sondern ein ästhetisches Urteil). Also: Das Geschmacksurteil beruht nicht auf einem Begriff. Siehe Kap. 13.3. Wir müssen die Lust durch den Begriff »schön« erfassen, um ein Geschmacksurteil zu fällen. Es wäre daher falsch, anzunehmen, dass das Geschmacksurteil gar keinen Begriff beinhaltet. Siehe Kap. G2.2.2. 38 Ähnlich heißt es bereits in § 11: »weil es [das Geschmacksurteil] ein ästhetisches und kein Erkenntnißurtheil ist, welches also keinen B e g r i f von der Beschaffenheit […] des Gegenstandes […], sondern bloß das Verhältniß der Vorstellungskräfte zu einander, sofern sie durch eine Vorstellung bestimmt werden, betrift« (§ 11.A.3, 221,11). 36 37

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An dieses Argument sowie an das oben rekonstruierte Argument zur Abgrenzung von Reizen lässt sich dann das folgende Argument anschließen: P1

Ein Urteil gründet sich entweder auf eine Empfindung oder eine Form oder einen Begriff. P2 Das Geschmacksurteil gründet sich auf keine Empfindung und auf keinen Begriff. Also: Das Geschmacksurteil gründet sich auf die Form. 39

Diese Argumentationsstrategie wird ganz offenkundig im Dritten Moment von Kant verfolgt, wenngleich sie nicht explizit ausbuchstabiert wird. Es wäre aber jedenfalls falsch, zu behaupten, Kant habe kein Argument für die Formthese. 40 Selbst wenn man die soeben illustrierte Argumentationsstrategie nicht für stichhaltig hält, so sind weitere, stärkere Argumente denkbar. Die obige Argumentationsstrategie ist negativ (durch Ausschluss). Wir können aber auch positive Argumente für FMT formulieren. Ein erstes Argument bezieht sich auf die im freien Spiel manifestierte subjektive ZM des Gegenstandes. Wie oben angemerkt, bezieht sich eine ZM im eigentlichen Sinne immer auf die Form eines Gegenstandes. 41 Darauf aufbauend bietet sich das folgende Argument an: P1 P2

Alle ZM bezieht sich auf die Form des Gegenstandes. Das Geschmacksurteil beruht auf der Manifestation einer subjektiven ZM eines Gegenstandes. Also: Die Manifestation der subjektiven ZM, auf der das Geschmacksurteil beruht, bezieht sich auf die Form eines Gegenstandes.

Schließlich können wir auch mit Rekurs auf das Theoriestück des freien Spiels der Erkenntniskräfte argumentieren. Bekanntermaßen ist die Einbildungskraft das Vermögen des Auffassens von Formen und der Verstand das Vermögen der Begriffe. Nun ist es im freien Streng genommen setzt das Geschmacksurteil natürlich einen Begriff voraus – nämlich den Begriff »schön« – sowie (mindestens in den allermeisten Fällen) ein Mannigfaltiges an gegebenen Empfindungen. Die Pointe der kantischen Argumentation besteht aber darin, dass erstens die Lust am Schönen weder unmittelbar an der Empfindung gefühlt wird, noch an einem Begriff oder einer begrifflich erfassten Eigenschaft, sowie zweitens darin, dass im Geschmacksurteil keine Eigenschaft des schönen Objekts begrifflich erfasst wird. 40 Vgl. für diese Position etwa Guyer 1979, 224 ff. 41 Siehe Kap. 10.1.2. 39

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Zusammenfassung

Spiel die Aufgabe der Einbildungskraft, frei Formen zu apprehendieren, und es ist die Aufgabe des Verstandes, das Prinzip a priori anzuwenden. Und dieses Prinzip ist auf die Formen der Natur bezogen (Objektseite des Prinzips a priori). Wenngleich sich aus dieser Überlegung nicht unbedingt ein Argument im strikten Sinne gewinnen lässt, so wird durch diese doch deutlich, dass das freie Spiel der Erkenntniskräfte zentral als eine innere Verarbeitung der Form des Gegenstandes konzipiert ist. 42 Wir können bezüglich eines Arguments für FMT das Folgende festhalten: i. Das reine Geschmacksurteil muss auf der Form des Gegenstandes beruhen, weil es weder auf einer Empfindung (Reiz) noch auf einem Begriff beruhen kann. ii. Das Geschmacksurteil muss auf der Form beruhen, weil ihm eine subjektive ZM des Gegenstandes zugrunde liegt, wobei im eigentlichen Sinn nur Formen zweckmäßig sind. iii. Das Geschmacksurteil beruht auf dem freien Spiel der Erkenntniskräfte, welches zentral eine innere Verarbeitung der Form ist. Diese Überlegungen zeigen, dass das Geschmacksurteil wesentlich auf der Form beruht. Durch diese Überlegungen wird aber nicht ausgeschlossen, dass das Geschmacksurteil nicht zusätzlich auf Empfindungen beruhen könnte. Letzteres wird erst in § 14 im Zentrum stehen.

13.6 Zusammenfassung Kant hat den Begriff des reinen Geschmacksurteils eingeführt. Das reine Geschmacksurteil ist unabhängig von der Materie der Vorstellung (Empfindung bzw. Reiz) und von der Materie der Zweckverbindung (Zweckbegriff), und es ist bezogen auf die Form der Vorstellung sowie auf die bloße Form der ZM (ZM ohne Zweck). In § 13 thematisiert Kant diese Unabhängigkeit von Reizen sowie den Bezug zur Form der Vorstellung (FMT). Ein Reiz ist eine Empfindung, die eine Lust am Angenehmen bewirkt. Eine Rührung ist ein Doppelgefühl, das sich aus einer Unlust am Unangenehmen und einer Lust am Angenehmen zusammensetzt, Eine ähnliche Überlegung ließe sich auch mit Rekurs auf die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt anstellen. Vgl. Allison 2001, 136.

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wobei die Unlust und die Lust jeweils durch eine Empfindung hervorgerufen werden. Die These, dass das reine Geschmacksurteil von Reiz und Rührung unabhängig ist, bedeutet daher, dass die Lust, die diesem Urteil zugrunde liegt, nicht (auch nicht nur teilweise) auf einer Empfindung beruht. Stattdessen beruht das reine Geschmacksurteil bzw. die Lust im reinen Geschmacksurteil auf Seiten des schönen Gegenstandes ausschließlich auf der Form (Formthese FMT). Dabei ist unter der Form (der Vorstellung) eine Anordnung des Mannigfaltigen in Raum und Zeit und eine Begrenzung zu verstehen. Sie wird durch eine Synthesisleistung der Einbildungskraft erzeugt. Beim Schönen vollzieht sich das Apprehendieren von Formen im Spiel der Erkenntniskräfte, wobei die Einbildungskraft frei agiert. In der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, die im freien Spiel vorliegt, erweist sich die Form der Vorstellung als subjektiv zweckmäßig. FMT impliziert nicht nur, dass das reine Geschmacksurteil von Reizen, sondern auch dass es von Begriffen unabhängig ist. Letzteres wird Kant in den §§ 15–16 erläutern.

13.7 Literaturbericht Insgesamt gesehen werden in den §§ 13–17 wenige neue Thesen zum eigentlichen Kernthema der Analytik des Schönen entwickelt, nämlich den reinen Geschmacksurteilen. Vielmehr erörtert Kant durch die Abgrenzungen vom Reiz und von der Vollkommenheit noch einmal bereits bekannte Thesen wie die Begriffslosigkeitsthese und die Allgemeingültigkeitsthese. Einen substanziell neuen Beitrag zur Theorie reiner Geschmacksurteile leistet primär die Formthese FMT. Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter verwunderlich, dass die §§ 13–17 in einigen Werken der Sekundärliteratur quasi keine Berücksichtigung finden, so etwa bei Fricke (1990), Matthews (1997) und Ginsborg (2015); Makkreel (1997) geht zwar nicht auf die §§ 13–16, allerdings auf § 17 ein. Insbesondere in kürzeren Aufsätzen, die naturgemäß einen eher knappen Überblick über die Analytik geben, wird das Dritte Moment jenseits von § 12 oft nicht berücksichtigt. Exemplarisch sind hier Eckl (2017) und Longuenesse (2003 und 2006) zu nennen. In einigen Werken werden zwar Kants Ausführungen zur Vollkommenheit, nicht aber die Abgrenzung des reinen Geschmacksurteils von Reizen in den §§ 13–14 berücksichtigt. Letzteres ist etwa bei Crowther (2010), Kern (2000) und Savile (1993) der Fall.

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Literaturbericht

Wird § 13 untersucht, so wird meist nicht erläutert, was eigentlich Reize sind und was Rührung ist. Zum Begriff des Reizes findet sich nichts bei Allison (2001), Crawford (1974), Kulenkampff (1994) und McCloskey (1987). Einige AutorInnen setzen Reize mit dem Gefühl der Lust am Angenehmen gleich. So konstatiert Guyer: »Such sensory and interested feelings of pleasure are now called ›charms‹ and ›emotions‹ (Reize and Rührungen)« (Guyer 1979, 225). Und Zuckert schreibt: »›charms,‹ i. e., pleasures in mere sensation« (Zuckert 2007, 183; vgl. auch Zuckert 2006, 602). Damit übersehen sie aber, dass es Reize sind, die die Lust am Angenehmen hervorrufen. Andere AutorInnen deuten Reize als Empfindungen, d. h. als »sensory stimuly« (Meerbote 1982, 59), so etwa Esser (vgl. Esser 1995b, 434). Sie betont zudem die Privatheit der Reize und konstatiert, sie seien eine »private Konnotation« des Wahrnehmungsbildes (Esser 1997, 124). In diesen Deutungen fehlt jedoch, dass Reize eine Lust am Angenehmen hervorrufen. Letzteres wird dagegen von jenen AutorInnen richtig erkannt, die unter Reizen Empfindungen verstehen, die eine Lust am Angenehmen auslösen. So heißt es bei Zammito: »the agreeable is occasioned not by the ›aesthetic form‹ (as in the beautiful) but by the ›aesthetic matter‹ in sensation. This is the significance of the Kantian term Reiz« (Zammito 1992, 110). Auch Wenzel stellt heraus, dass die auf Reizen beruhende Lust eine Lust am Angenehmen sei (vgl. Wenzel 2000, 104). Er erläutert zudem, dass Kant Reize mit der Materie assoziiere (vgl. Wenzel 2008, 61) und dass das Subjekt bei Reizen passiv sei: »Charm is more of a direct result of our being affected by the object and involves to a lesser degree, if at all, any acts of reflection on our side« (Wenzel 2008, 61). Schließlich versteht auch Rivera de Rosales den Reiz als etwas, das eine Lust am Angenehmen bewirkt, stellt aber gleichzeitig eine verwirrende Verbindung zur Nützlichkeit her: »Das materielle Angenehme versteht Kant hier als ›Reiz und Rührung‹, als etwas, das uns ›vergnügt oder schmerzt‹ (223, 2, 8), also eigentlich etwas, das wir um seiner Nützlichkeit willen gebrauchen, um unseren physischen, psychologischen oder sozialen Bedürfnissen zu entsprechen« (Rivera de Rosales 2008, 88). Der Begriff der Rührung wird in keinem berücksichtigten Werk der Sekundärliteratur näher untersucht. Ohne den Charakter der Rührung als Doppelgefühl zu berücksichtigen, versteht Guyer darunter einfach ein »sensory and interested feeling[.] of pleasure« (Guyer 1979, 225). Wenigstens andeutungsweise tritt der doppelte Charakter der Rührung bei Wenzel hervor: »We have this kind of sensation when we feel touched by something. It often has moral elements and is similar to the feeling of the sublime« (Wenzel 2008, 60). Zur Reinheit des Geschmacksurteils, wie Kant sie in § 13 herausarbeitet, findet sich in der Literatur ebenfalls sehr wenig. (Etwas mehr Berücksichtigung findet hingegen die Unterscheidung von reinen und empirischen ästhetischen Urteilen, die von Kant in § 14 vorgebracht wird.) Immerhin Kants Philosophie des Schönen

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eine kurze Bemerkung dazu macht Crawford: »It should be recalled that freedom from concepts is a necessary but not a sufficient condition for a judgment of taste to be pure. To be a pure judgment of taste, a judgment that something is beautiful must be devoid of all appeal to charm, emotion, and sense pleasure as well« (Crawford 1974, 114). Wieland problematisiert, dass das Geschmacksurteil »empirische Elemente« enthalte, nämlich den »Gegenstand mitsamt der Vorstellung von ihm« (Wieland 2001, 289). Er löst dieses Problem damit, dass die Lust am Schönen vom Gegenstand nicht »unmittelbar ausgelöst« werde (Wieland 2001, 290). Nicht nur der Begriff des Reizes, sondern auch Kants Argumentation für die Unabhängigkeit des Geschmacksurteils von Reizen wird überwiegend nicht näher erläutert. Nichts dazu findet sich etwa bei Allison (2001), Kulenkampff (1994), Zammito (1992) und Zuckert (2007). Guyer und Wenzel bemerken bzw. zitieren zwar, dass Reize die Unparteilichkeit des Geschmacksurteils beeinträchtigen, erläutern aber nicht, was dies bedeutet (vgl. Guyer 1979, 224; Wenzel 2008, 61). Mit Rekurs auf § 14 erläutert Wenzel jedoch, dass eine auf Reizen beruhende Lust nicht allgemeingültig sei und daher der Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils entgegenstehe (vgl. Wenzel 2000, 104 & Wenzel 2008, 64). Ebenfalls mit Rekurs auf die Differenz von Privatgültigkeit und Allgemeingültigkeit der Lust argumentiert Crawford (1974, 108). McCloskey (1987, 6 f.) und Esser betonen eher die Privatgültigkeit der Empfindungen. So schreibt Esser: »Die sinnlichen Empfindungen selbst als die Materie einer anschaulichen Vorstellung sind monadisch verfaßt – weder ihre unmittelbare Qualität noch ihre Wirkung kann bei anderen Subjekten in gleicher Weise vorausgesetzt werden« (Esser 1997, 120). Eine eher unklare Begründung zur Abgrenzung vom Reiz bietet Rivera de Rosales an: »Wir hätten dann nicht die nötige Distanz des Spiels, des ›als ob‹, und wir wären von der Realität der Sache angezogen und betroffen« (Rivera de Rosales 2008, 88). Es ist natürlich nicht erstaunlich, dass die Formthese FMT in der Literatur viel Aufmerksamkeit erhält. Ich werde an dieser Stelle noch nicht auf den oft geäußerten Formalismus-Vorwurf eingehen; vielmehr werde ich darauf erst im Rahmen meiner Untersuchungen von § 14 eingehen. 43 Für den Moment möchte ich zunächst nur fragen, welche Bedeutung FMT zugeschrieben wird. In ihrer allgemeinsten Form lautet sie (in den Worten Allisons): »a pure judgment of taste attends exclusively to the form of the object or its representation« (Allison 2001, 131). In weiteren, eher allgemeinen Rekonstruktionen von FMT wird eine Rückbindung an das Theoriestück der subjektiven ZM ohne Zweck vorgenommen, so etwa bei Wenzel (»Zweckmäßigkeit der Form des Gegenstandes, d. h. dessen ›Gestalt‹ und ›Spiel‹«; Wenzel 2000, 102), Kulenkampff (»Schön ist danach die in sich und ohne den Hinblick auf einen gegebenen bestimmten Zweck zweckvolle 43

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Siehe Kap. 14.8.

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Literaturbericht

Gegenstandsgestalt, […]«; Kulenkampff 1994, 145), Gammon (»judgments of taste are solely concerned with the pure finality of the form of the object judged«; Gammon 1999, 150) und Matthews (»the object is purposive on account of its perceptual form«; Matthews 1997, 45). Letztere ergänzt: »Kant refers specifically to the play of shapes in space (design) and the play of sensations in time (composition)« (Matthews 1997, 45). Eine solche Rekonstruktion von FMT mit Bezug auf die raum-zeitliche Form findet sich bei vielen AutorInnen. So schreibt Guyer: »The form of finality is finally linked to the finality of form, by being assigned to these purely formal features of spatially and temporally extended objects of perception« (Guyer 1979, 226; vgl. auch Guyer 2006, 176). 44 Ähnlich heißt es bei Savile: »Under the heading of the formal elements of experience, Kant understands anything that is mathematically representable, fundamentally the spatial and the temporal and anything explicable in terms of them, notably, movement« (Savile 1993, 126). Und Wenzel konstatiert: »it is only the form of an object, its spatial and temporal structures, that can possibly play a role in a judgment of taste« (Wenzel 2008, 62). Meerbote gibt die folgende allgemeine Bestimmung der Form: »it is the coming together (in a manifold of an object) of some or all of the elements of the manifold in a unity in accordance with some concept or in a unity suitable for some possible, even if unspecified, concept« (Meerbote 1982, 58). Letztlich deutet er die schöne Form aber dann auch als eine raum-zeitliche Geordnetheit (vgl. Meerbote 1982, 80). Ebenfalls eine Deutung im Sinne einer »spatial or temporal ›form‹« nimmt Aquila vor (Aquila 1982, 112). Ferner betont dieser, dass die Lust intentional auf die Form gerichtet und in diesem Sinne »a pleasure in the form of some object« sei (Aquila 1982, 100). – Auch Crawford interpretiert FMT im Sinne von »spatial and temporal relations« (Crawford 1974, 100). Zudem deutet er an, dass es beim Schönen um ein (zweckmäßiges) Ganzes gehe: »In looking at, or listening to, something in an attempt to discover whether it is beautiful, what we (ought to) do is to reflect on or contemplate – somehow judge – the way in which the various sensations or sensa (sights, sounds) we have are, or can be, ordered or related into a purposive whole« (Crawford 1974, 98). Dass FMT auf eine zweckmäßige Vereinigung heterogener Bestandteile zu einem Ganzen abziele, hat prominent Zuckert herausgestellt: »Kant’s claim that beautiful objects are beautiful in virtue of their purposive form can, I submit then, be taken to mean that beautiful objects are beautiful in virtue of all (or indeterminately many of) their sensible properties as they are reciprocally related to one another, i. e., briefly, in virtue of their overall design or arrangement – their form« (Zuckert 2007, 194; vgl. ähnlich Zuckert 2006, 612). Zuckert gesteht Vgl. auch: »Kant’s use of such terms as ›drawing‹ and ›outline‹ suggests that nothing but the lineal, geometrical, or spatial properties of even complexly colored objects are responsible for their beauty« (Guyer 1979, 226).

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§ 13 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils

dabei ein, dass ein solches Ganzes in Raum und Zeit angeordnet sei; bloß sei dies eben nicht die Bedeutung von FMT. So schreibt sie, die schöne Form »comprises a spatio-temporally arranged, ordered complex of properties (as opposed to the ›absolute unity‹ of sensations), and is an imaginatively represented array richer, more complete, and more internally unified than can be discursively, conceptually represented« (Zuckert 2007, 202). Ähnlich schreibt Gorodeisky: »The judgment of a beautiful object is based on the imaginative capacity to see its parts and its whole as reciprocating. […] the forms of beautiful objects have to be judged holistically, or ›all at once‹, as individuals whose parts are abstractions of their wholes« (Gorodeisky 2011, 426; vgl. auch Gorodeisky 2013, 62–67). Aus Zuckerts Lesart geht auch hervor, dass FMT explizit auf keine begrifflich erfasste Form bzw. keine Vereinigung zur Form unter der Leitung eines Begriffs bezogen ist (vgl. auch Zuckert 2007, 183). Dies wird ebenfalls von McCloskey (vgl. McCloskey 1987, 62) und Makkreel betont. Makkreel schreibt, dass »schöne Formen […] nur Chiffren sind und keine bestimmte Bedeutung tragen« (Makkreel 1997, 87 f.). Auch Esser hebt den Aspekt der Nicht-Begrifflichkeit der Form hervor, wenn sie die schöne Form als empirische Form bestimmt: »Die empirische Form, in der das faktisch Geschehene dem wahrnehmenden Subjekt präsent ist, ist die sinnliche Form eines Individuums, des sich aus den Empfindungen des jeweiligen Subjektes aufbauenden Bildes. Diese Form ist nicht die allgemeine Form des jeweiligen Begriffes, wie etwa ›Hund‹ oder ›Haus‹, sondern die sinnliche Form einer in der Wahrnehmung gegebenen Präsenz« (Esser 1997, 121). Dabei versteht sie diese Form ebenfalls im Sinne von »individuellen, raum-zeitlichen Verhältnissen von Empfindungen« (Esser 1997, 121). Sie betont ferner die Intersubjektivität dieser Form: »In der Apprehension bloß privater Empfindungen in den apriorischen Formen der Sinnlichkeit konstituiert sich daher die sinnliche Form als individuelle, aber doch für alle Wahrnehmenden gleich bestimmte Erscheinung« (Esser 1997, 122). Auf die Allgemeinheit der Form geht auch Brandt ein, der zudem betont, dass die Form immer eine Eigenleistung des urteilenden Subjekts ist: »Erstens wird das Referenzobjekt mit der Bezugnahme nur auf seine Form zu etwas identisch Reproduzierbarem. Der Gegenstand der Kantischen Ästhetik ist zwar das singuläre ›Dies‹, aber an ihm zählt im reinen Geschmacksurteil nur, was allgemein ist und als solches dem allgemeinheitsfähigen Spiel der Erkenntniskräfte korrespondiert. Zweitens, damit verbunden: Die Gegenstände können uns nur material, nicht aber mit ihrer Form affizieren; die Form ist also eigentlich Sache nur des Subjekts, nicht des Objekts« (Brandt 1998, 236). Erwähnenswert ist noch die Interpretation Zammitos, der die Leistung der Einbildungskraft herausstellt: »Imagination takes the merely given and reconfigures it, taking joy in just this reconfigurative play. Obviously imagination is in no position to supply the matter in sensation, for that is simply given. What it can and does reconfigure is the form« (Zammito 1992, 114).

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Literaturbericht

Weniger diskutiert ist die Frage, wie und ob Kant FMT begründet (oder ob sich zumindest eine Begründung aus den kantischen Theoriestücken gewinnen lässt). Nicht diskutiert wird diese Frage etwa bei Crawford (1974), Esser (1997), Kulenkampff (1994), McCloskey (1987), Wenzel (2008) und Zammito (1992). Ein explizites Argument formuliert Zuckert (und sie verortet dieses auch im kantischen Text der §§ 13–16): »(i) aesthetic judgments must be based either on sensations or on form or on concepts because these three options exhaust the kinds of representations we have; but (ii) aesthetic judgments are not based on concepts; and (iii) they are not based on sensations. So (iv) they must be based on form« (Zuckert 2007, 184; vgl. ähnlich Zuckert 2006, 604). Neben diesem Argument durch Ausschluss werden in der Literatur auch stärker inhaltliche Argumente vorgebracht. Fricke schildert etwa (allerdings mit Bezug auf § 35) den folgenden Zusammenhang: »Weil in dem interesselosen Wohlgefallen am Schönen die Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes bzw. einer Vorstellung desselben für die Urteilskraft bewußt wird, ist es ein Wohlgefallen an der Form eines Gegenstandes bzw. einer Vorstellung desselben« (Fricke 1990, 157). Einen ähnlichen Zusammenhang mit Bezug zur Zweckmäßigkeit und zur Form schildert Wenzel. Er schreibt, dass »genau dasjenige am sinnlich gegebenen Gegenstand, was ihn als zweckmäßig für eine formale Zweckmäßigkeit (b) erscheinen lassen kann, nichts anderes als die Form (a) dieses Gegenstandes ist. Das zweckmäßige Verhältnis von Einbildungskraft und Verstand in Hinsicht auf Erkenntnis überhaupt (b) kann als Anlaß nur die die Anschauungsformen Raum und Zeit betreffenden Bestimmungen des Gegenstandes, d. h. dessen Form, zulassen« (Wenzel 2000, 101). Offenkundig geht Wenzel auch von einem Zusammenhang zwischen dem freien Spiel bzw. der Vereinigung zur Erkenntnis überhaupt und der Form aus. Etwas deutlicher wird dieser Zusammenhang bei Allison: »the connection with form follows directly from the reflective nature of the judgment of taste. Since the harmony of the faculties must be one in ›mere reflection,‹ the sensible data must provide something on which to reflect, and this can only consist in a certain order or arrangement, which counts as ›form‹ in Kant’s sense« (Allison 2001, 288). (Allison bemerkt im Übrigen auch, dass Kant selbst in § 13 kein Argument für FMT vorbringt; vgl. Allison 2001, 132. Dies wird auch von Guyer beobachtet; vgl. Guyer 1979, 225.) In einer anderen Argumentationslinie folgt FMT aus der Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils. Diesen Zusammenhang gibt etwa Savile wieder, der zugleich seine Gültigkeit bezweifelt: »If on anything it rests on the unhappy epistemological idea that there is no answer to scepticism about the common nature of our secondary quality experience, whereas primary quality (i. e. ›formal‹) experience is not so endangered. Since the judgment of taste requires everyone who makes the same judgment as I do to take pleasure in the object which I claim is beautiful, I shall need some assurance that others’ assent and dissent is rooted in an experience of it that they share with me. Kants Philosophie des Schönen

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§ 13 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils

Ergo, it has to be an experience rooted in formal matters« (Savile 1993, 123). Letzteres Argument sowie zwei weitere Argumente benennt Guyer, wobei er annimmt, dass alle drei letztlich scheitern: (1) »Kant would be seen as simply assuming that formal and material judgments of pleasure must take the form and matter of appearance as their objects«; (2) »one might view Kant as revolving the argument on the notion of the harmony of the faculties. Treating this harmony as a relation among items in a manifold of appearance, Kant would then be using the definition of form as what grounds such a relation, and assuming that, as with cognition in general, so in the case of the merely subjective harmony of the faculties it is spatial and temporal form which fills this role«; (3) »since the sensory matter of appearance can ground only empirical judgments, and only the pure form of appearance can ground a priori judgments, and since the requirement that aesthetic judgment possess subjective universal validity precludes its dependence on strictly empirical judgment, the judgment of taste must be a pure judgment in the sense of the first Critique – that is, a judgment on spatial and temporal form« (Guyer 1979, 229 f.).

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§ 14 Die Rolle von Reizen und Empfindungen in Geschmacksurteilen

Eigentlich hat Kant in § 13 bereits das Verhältnis von Reizen zum (reinen) Geschmacksurteil bestimmt. So ist das reine Geschmacksurteil von Reizen unabhängig und beruht auf Seiten des schönen Gegenstandes gänzlich auf der Form (FMT). Offenkundig ist diese Abgrenzung für Kant aber noch nicht zufriedenstellend, sodass er die Rolle von Reizen in § 14 noch einmal genauer unter die Lupe nimmt. Dabei werden verschiedene (kleinere) Themenkomplexe berührt, wie etwa Kants Verständnis von Farben und Tönen in physikalischer Hinsicht oder die Rolle von FMT für die schönen Künste. Der Paragraph ist folgendermaßen gegliedert: 1. Zur Differenzierung von empirischen und reinen ästhetischen Urteilen (§ 14.A.1-B.2, 223,28–224,4) 2. Erstes Missverständnis: Ein Reiz ist für Schönheit hinreichend (§ 14.C.1–3, 224,5–21) 3. Eine Theorie der Farben und Töne (§ 14.D.1-E-2, 224,22–225,2) 4. Zweites Missverständnis: Schönheit kann durch Reize erhöht werden (§ 14.F.1–3, 225,3–15) 5. Anwendung der Formthese auf die verschiedenen Künste (§ 14.G.1-H.2, 225,16–226,3) Einschub: Die Rolle von Parerga (§ 14.I.1–2, 226,4–12) 6. Abgrenzung des Schönen von der Rührung (§ 14.J.1–2, 226,13– 20)

14.1 Empirische und reine ästhetische Urteile In § 13 hat Kant den Begriff des reinen Geschmacksurteils eingeführt. Im ersten Absatz von § 14 differenziert er nun zwischen reinen und empirischen ästhetischen Urteilen. Ist ein reines ästhetisches Urteil aber dasselbe wie ein reines Geschmacksurteil? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst herausarbeiten, was ein reines ästhetisches Urteil ist: Kants Philosophie des Schönen

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§ 14 Die Rolle von Reizen und Empfindungen in Geschmacksurteilen

§ 14.A.1 »Aesthetische Urtheile können, eben sowohl als theoretische (logische), in empirische und reine eingetheilt werden. § 14.A.2 Die erstern sind die, welche Annehmlichkeit und Unannehmlichkeit, die zweyten die, welche die Schönheit von einem Gegenstande, oder von der Vorstellungsart desselben, aussagen; jene sind Sinnenurtheile (materiale ästhetische Urtheile), diese (als formale) allein eigentliche Geschmacksurtheile« (223,28).

Wir können zunächst die folgenden offensichtlichen Ersetzungen vornehmen: § 14.A.1* Ästhetische Urteile können, eben sowohl als theoretische (logische) Urteile, in empirische ästhetische Urteile und reine ästhetische Urteil eingeteilt werden. § 14.A.2* Die empirischen ästhetischen Urteile sagen Annehmlichkeit und Unannehmlichkeit von einem Gegenstand aus, die reinen ästhetischen Urteile sagen Schönheit von einem Gegenstand, oder von der Vorstellungsart des Gegenstandes, aus; die empirischen ästhetischen Urteile sind Sinnenurteile (materiale ästhetische Urteile), die reinen ästhetischen Urteile (als formale ästhetische Urteile) sind allein eigentliche Geschmacksurteile.

Mit Rekurs auf § 14.A.2 können wir die folgenden Bestimmungen der beiden Arten von ästhetischen Urteilen rekonstruieren: Ue Die empirischen ästhetischen Urteile sind die Urteile über das Angenehme und Unangenehme. Dies sind die Sinnenurteile und die materialen ästhetischen Urteile. Ur Die reinen ästhetischen Urteile sind die Urteile über das Schöne. Dies sind die eigentlichen Geschmacksurteile und die formalen ästhetischen Urteile.

Kant identifiziert also die empirischen ästhetischen Urteile mit den Urteilen über das Angenehme. Dies ergibt insofern Sinn, als die Lust am Angenehmen, die im Urteil über das Angenehme prädiziert wird, unmittelbar an einer Empfindung gefühlt wird und somit unmittelbar auf Sinnlichkeit angewiesen ist. Die Urteile über das Angenehme können dabei insofern als ›materiale ästhetische Urtheile‹ bezeichnet werden, als die Lust am Angenehmen von der Materie der Vorstellungen, d. h. von den Empfindungen, bewirkt wird. Sie heißen ›Sinnenurtheile‹, weil sie erstens nur eine Aktivität der Sinne (bspw. 760

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Empirische und reine ästhetische Urteile

des Sehsinns oder Geschmackssinns) voraussetzen, 1 und weil Kant zweitens das Vermögen, Urteile über das Angenehme zu fällen, als »Sinnen-Geschmack« bezeichnet (§ 8.B.2, 214,11). Im Gegensatz dazu identifiziert Kant Geschmacksurteile als reine ästhetische Urteile. Geschmacksurteile sind insofern ›formal‹, als die Lust am Schönen auf der Form des Gegenstandes beruht (FMT) und sie die Manifestation einer formalen ZM (ZM ohne Zweck) beinhalten. Urteile über das Schöne sind insofern die ›eigentliche[n] Geschmacksurtheile‹, als der Geschmack in enger Bedeutung das Vermögen des Schönen ist. 2 Die entscheidende Frage ist aber: Warum sollte man Geschmacksurteile als ›reine‹ ästhetische Urteile bezeichnen? Inwiefern ist der Begriff eines reinen ästhetischen Urteils überhaupt sinnvoll und nicht widersprüchlich? Kant selbst zieht in § 14.A.1 eine Analogie zur Unterscheidung von reinen und empirischen theoretischen Urteilen. 3 Zur Reinheit von theoretischen Urteilen bzw. Erkenntnissen führt er in der KrV aus: »Von den Erkenntnissen a priori heißen aber diejenigen r e i n , denen gar nichts Empirisches beigemischt ist« (B3); sowie: »Besonders aber wird eine Erkenntnis schlechthin rein genannt, in die sich überhaupt keine Erfahrung oder Empfindung einmischt, welche mithin völlig a priori möglich ist« (A11). Ein reines Erkenntnisurteil liegt also nur vor, wenn das Urteil unabhängig von allem Empirischen ist bzw. wenn die Verbindung von logischem Subjekt und Prädikat unabhängig von Empirie, d. h. a priori, erfolgt. 4 Nun muss man bei einem Geschmacksurteil »das Object seinen eignen Augen unterwerVgl.: »ANGENEHM i s t d a s , w a s d e n S i n n e n i n d e r E m p f i n d u n g g e f ä l l t « (§ 3.A.1, 205,26). Siehe hierzu Kap. 3.1. 2 Vgl.: »Die Definition des Geschmacks, welche hier zum Grunde gelegt wird, ist: daß er das Vermögen der Beurtheilung des Schönen sey« (203 Fn.). Für eine Analyse dieser Definition siehe Kap. 1.1. 3 Zammito beschreibt auch eine Analogie zu praktischen Urteilen: »Kant distinguished, in strict analogy to the moral problem, between empirical (heteronomous) and pure (autonomous) judgments« (Zammito 1992, 93). 4 Ich blende hier aus, dass Kant eine schwächere und eine stärkere Bedeutung von »reine Erkenntnis« kennt (vgl. ÜGTP: 183 f.; vgl. hierzu Zimmermann 2018, 230). Im schwachen Sinne sind alle Erkenntnisse a priori rein, bei denen die Verbindung der Begriffe zu einem Urteil ohne Rekurs auf Empirie vorgenommen wird. Im starken Sinne sind nur diejenigen Erkenntnisse a priori rein, deren Begriffe nicht empirischen Ursprungs sind. Für das Geschmacksurteil gelten auf den ersten Blick beide Bedeutungen von »rein« nicht. Ich werde im Folgenden mit der schwachen Bedeutung von »rein« operieren. 1

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§ 14 Die Rolle von Reizen und Empfindungen in Geschmacksurteilen

fen, gleich als ob sein Wohlgefallen von der Empfindung abhinge« (§ 8.F.4, 216,2). Um eine gegebene Vorstellung mit dem Prädikat »ist schön« verbinden zu können, muss man eine (intentional auf den Gegenstand gerichtete) Lust fühlen. Es bedarf also ganz offenkundig der Empirie, was bereits der Begriff des ästhetischen Urteils anzeigt. 5 Ist vor diesem Hintergrund ein Urteil, das zugleich rein und ästhetisch ist, nicht ein Widerspruch? Nun, nicht unbedingt. Erstens ist Reinheit ein Kennzeichen von Urteilen a priori; denn die Verbindung von logischem Subjekt und Prädikat erfolgt in solchen Urteilen unabhängig von Empirie. Es ist aber gerade eine zentrale These Kants, dass Geschmacksurteile synthetische Urteile a priori sind. Diese These besagt jedoch keineswegs, dass die Verbindung der gefühlten Lust mit der gegebenen Vorstellung a priori erfolgt; vielmehr ist es die (inhaltliche) Allgemeinheit des Geschmacksurteils im Sinne eines Urteils der Form »Alle Urteilenden fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind«, die a priori mit der Lust verbunden wird. 6 Hinsichtlich seiner inhaltlichen Allgemeinheit ist das Geschmacksurteil demnach ein reines Urteil; hinsichtlich der Voraussetzung des Fühlens von Lust ist es jedoch empirisch. Die zweite Möglichkeit, die Reinheit eines ästhetischen Urteils zu interpretieren, harmoniert gut mit der Thematik der Formthese. Betrachten wir dazu die folgende Passage aus der KrV: »So, wenn ich von der Vorstellung eines Körpers das, was der Verstand davon denkt, als Substanz, Kraft, Teilbarkeit etc. imgleichen, was davon zur Empfindung gehört, als Undurchdringlichkeit, Härte, Farbe etc. absondere, so bleibt mir aus dieser empirischen Anschauung noch etwas übrig, nämlich Ausdehnung und Gestalt. Diese gehören zur reinen Anschauung, die a priori, auch ohne einen wirklichen Gegenstand der Sinne oder Empfindung, als eine bloße Form der Sinnlichkeit im Gemüte stattfindet« (A20 f./B35).

Kant schildert hier ein Verfahren, wie man eine bloße Form, die ›zur reinen Anschauung gehört‹, erlangen kann. Dazu muss man von allem, was ›zur Empfindung gehört‹ (bspw. ›Undurchdringlichkeit, Härte, Farbe‹) abstrahieren. Übrig bleibt dann noch ›Ausdehnung Vgl. EEKU: 221,27 ff. Vgl.: »Es ist ein empirisches Urtheil: daß ich einen Gegenstand mit Lust wahrnehme und beurtheile. Es ist aber ein Urtheil a priori: daß ich ihn schön finde, d. i. jenes Wohlgefallen jedermann als nothwendig ansinnen darf« (289,26).

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Empirische und reine ästhetische Urteile

und Gestalt‹ – und ›Ausdehnung und Gestalt‹, bei denen von den Empfindungen abstrahiert wird, gehören zur ›reinen Anschauung‹. Nun machen ›Ausdehnung und Gestalt‹ (egal ob dabei von den Empfindungen abstrahiert wird oder nicht) eine Form aus; und tatsächlich beruht auch das Geschmacksurteil bzw. die Lust am Schönen auf der ›Ausdehnung und Gestalt‹ eines Gegenstandes. 7 Zudem ist eine Abstraktion von allem, was ›zur Empfindung gehört‹, in gewisser Hinsicht auch beim Schönen gegeben; denn die Lust am Schönen muss unabhängig von jeglicher Lust sein, die auf Empfindungen bzw. Reizen beruht. Im Sinne dieser Unabhängigkeit weist die Lust am Schönen eine Ähnlichkeit zur Form bzw. ›Gestalt‹ der reinen Anschauung auf. Und diese Interpretation des reinen ästhetischen Urteils ergibt insofern einen guten Sinn, als sie mit der Deutung des empirischen (nicht-reinen) ästhetischen Urteils als eines Urteils, das wesentlich auf der Empfindung beruht, zusammenstimmt. Halten wir zum reinen ästhetischen Urteil fest: i. Das Geschmacksurteil ist ein Urteil a priori. Die Apriorität des Geschmacksurteils betrifft nicht die Verbindung der Lust mit der Vorstellung vom schönen Gegenstand, sondern die (inhaltliche) Allgemeinheit. Da Urteile a priori rein sind, kann der (inhaltliche) Aspekt der Allgemeinheit als rein gelten. ii. Die Lust am Schönen beruht auf der Form der Vorstellung vom schönen Gegenstand, d. h. auf seiner Gestalt und Ausdehnung. Dabei ist es Kants These, dass das Subjekt von Reizen, d. h. Empfindungen, die eine Lust am Angenehmen bewirken, abstrahieren soll. Damit weist die Lust am Schönen eine Ähnlichkeit zur reinen Anschauung auf. Unsere Ausgangsfrage war, ob ein reines ästhetisches Urteil dasselbe wie ein reines Geschmacksurteil ist. Diese Frage müssen wir insofern bejahen, als alle reinen Geschmacksurteile auch reine ästhetische Urteile sind und alle reinen ästhetischen Urteile auch reine Geschmacksurteile. Jedoch dienen die Begriffe des reinen ästhetischen Urteils und des reinen Geschmacksurteils jeweils zu einer anderen Abgrenzung. Vgl.: »Der Anspruch eines ästhetischen Urtheils auf allgemeine Gültigkeit für jedes Subject bedarf, als ein Urtheil welches sich auf irgend ein Princip a priori fußen muß, einer Deduction […]; welche über die Exposition desselben noch hinzukommen muß, wenn es nämlich ein Wohlgefallen oder Mißfallen an der F o r m d e s O b j e c t s betrift. Dergleichen sind die Geschmacksurtheile über das Schöne der Natur. Denn die Zweckmäßigkeit hat alsdann doch im Objecte und seiner Gestalt ihren Grund« (279,7, 3. H. m. H.).

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§ 14 Die Rolle von Reizen und Empfindungen in Geschmacksurteilen

Das reine ästhetische Urteil bildet einen Kontrast zum empirischen ästhetischen Urteil. Die Reinheit steht dann insbesondere dafür, dass die Lust (d. h. der Bestimmungsgrund des Urteils) auf der Form des Gegenstandes beruht und unabhängig von Empfindungen ist, weshalb diese Lust einen Bezug zur reinen Anschauung aufweist (ii.). Das reine Geschmacksurteil bildet hingegen einen Kontrast zum unreinen Geschmacksurteil. Ein reines Geschmacksurteil ist dadurch gekennzeichnet, dass es weder mit dem Angenehmen noch dem Guten vermischt ist. So heißt es in der KrV: »Es heißt aber jede Erkenntnis r e i n , die mit nichts Fremdartigen vermischt ist« (A11). In diesem Sinne ist ein Geschmacksurteil dann rein, wenn es mit keiner fremdartigen Lust (am Angenehmen) und keiner fremdartigen Vorstellung (Begriff) bzw. keiner fremdartigen Beurteilung (über die Vollkommenheit) vermischt ist. Das reine Geschmacksurteil ist damit, erstens, von solchen unreinen Geschmacksurteilen abzugrenzen, die auf einer mit der Lust am Angenehmen vermischten Lust beruhen. In diesem Sinne schreibt Kant: § 14.B.1 »Ein Geschmacksurtheil ist also nur sofern rein, als kein bloß empirisches Wohlgefallen dem Bestimmungsgrunde desselben beygemischt wird. § 14.B.2 Dieses aber geschieht allemal, wenn Reiz oder Rührung einen Antheil an dem Urtheile haben, wodurch etwas für schön erklärt werden soll« (224,1). 8

Das ›empirische Wohlgefallen‹ ist die Lust am Angenehmen. Dass diese Lust ›dem Bestimmungsgrunde‹ des Geschmacksurteils ›beygemischt wird‹, bedeutet, dass sie mit der Lust am Schönen vermischt wird und diese vermischte Lust dem Urteil als Bestimmungsgrund dient. In einem solchen Fall ist das Geschmacksurteil nicht rein. Zweitens ist das reine Geschmacksurteil vom »angewandte[n] Geschmacksurtheil« abgegrenzt (§ 16.H.3, 231,24). Ein solches liegt vor, wenn dem eigentlichen Geschmacksurteil ein Urteil über das Gute, d. h. über die Vollkommenheit, vorhergeht. 9

Diese These ist uns schon aus § 13 bekannt (vgl. § 13.C.1, 223,22). Siehe hierzu Kap. 13.2.2. 9 Vgl.: »So wie nun die Verbindung des Angenehmen (der Empfindung) mit der Schönheit, die eigentlich nur die Form betrift, die Reinigkeit des Geschmacksurtheils verhinderte; so thut die Verbindung des Guten (wozu nämlich das Mannigfaltige dem Dinge selbst, nach einem Zwecke, gut ist) mit der Schönheit, der Reinigkeit desselben 8

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Zwei mögliche Missverständnisse

Wir können zu den beiden Formen von ›Reinigkeit‹ jetzt das Folgende festhalten: i. Ein reines ästhetisches Urteil ist vom empirischen ästhetischen Urteil abgegrenzt. Es ist primär dadurch gekennzeichnet, dass es auf die Form des Objekts rekurriert. ii. Ein reines Geschmacksurteil ist von unreinen Geschmacksurteilen abgegrenzt, die mit etwas ›Fremdartigem‹ vermischt sind. Ein unreines Geschmacksurteil liegt erstens vor, wenn der Bestimmungsgrund des Urteils aus einer vermischten Lust am Schönen und Angenehmen besteht, und zweitens, wenn das Geschmacksurteil durch ein Urteil über das Gute (Vollkommenheit) bedingt ist.

14.2 Zwei mögliche Missverständnisse 14.2.1 Erstes Missverständnis: Ein Reiz ist für Schönheit hinreichend Im dritten Absatz schildert Kant ein erstes mögliches Missverständnis bezüglich des Verhältnisses von Reizen zum Schönen: § 14.C.1 »Nun thun sich wieder manche Einwürfe hervor, die zuletzt den Reiz nicht bloß zum nothwendigen Ingrediens der Schönheit, sondern wohl gar als für sich allein hinreichend, um schön genannt zu werden, vorspiegeln. § 14.C.2 [a] Eine bloße Farbe, z. B. die grüne eines Rasenplatzes, ein bloßer Ton (zum Unterschiede vom Schalle und Geräusch), wie etwa der einer Violine, wird von den Meisten an sich für schön erklärt; [b] ob zwar beide bloß die Materie der Vorstellungen, nämlich lediglich Empfindung, zum Grunde zu haben scheinen, und darum nur angenehm genannt zu werden verdienten« (224,5).

Das Missverständnis besteht in der Annahme, dass Reize einen Beitrag zum Schönen leisten. Kant benennt die beiden folgenden Varianten dieses Missverständnisses:

[Geschmacksurteils] Abbruch« (§ 16.D.2, 230,9). Für eine Analyse dieser Passage siehe Kap. 16.2. Kants Philosophie des Schönen

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§ 14 Die Rolle von Reizen und Empfindungen in Geschmacksurteilen

§ 14.C.1a* Der Reiz ist ein notwendiges Ingrediens der Schönheit. § 14.C.1b* Der Reiz ist für sich allein hinreichend, um schön genannt zu werden.

In § 13 hat Kant bereits ein ähnliches Missverständnis erörtert: § 13.B.1 »[a] Indessen werden Reize doch öfter nicht allein zur Schönheit (die doch eigentlich bloß die Form betreffen sollte) als Beytrag zum ästhetischen allgemeinen Wohlgefallen gezählt, [b] sondern sie werden wohl gar an sich selbst für Schönheiten, mithin die Materie des Wohlgefallens für die Form ausgegeben: [c] ein Mißverstand, […]« (223,15).

Wieder können wir zwei Spielarten des Missverständnisses identifizieren: § 13.B.1a* Reize werden zur Schönheit als Beitrag zum ästhetischen allgemeinen Wohlgefallen gezählt. § 13.B.1b* Reize werden an sich selbst für Schönheiten ausgegeben.

Die in § 13.B.1a geschilderte Spielart des Missverständnisses ist mit § 14.C.1a nicht deckungsgleich; denn wenn man Reize ›als Beytrag zum ästhetischen allgemeinen Wohlgefallen‹ zählt, so könnten die Reize bloß ein möglicher zusätzlicher, aber weder ein notwendiger noch ein hinreichender Bestandteil sein. Damit gibt es insgesamt drei Spielarten des Missverständnisses: M1a Reize sind ein möglicher zusätzlicher Bestandteil der Schönheit. 10 (§ 13.B.1a) M1b Reize sind ein notwendiger Bestandteil der Schönheit. (§ 14.C.1a) M1c Reize sind hinreichend für Schönheit, d. h. Reize können selbst schön sein. (§ 13.B.1b; § 14.C.1b)

Im zweiten Absatz von § 14 wendet sich Kant primär gegen die dritte Spielart M1c. Dies erhellt aus § 14.C.2a; denn Kant schildert in dieser Proposition Beispiele für Reize (›[e]ine bloße Farbe, z. B. die grüne eines Rasenplatzes, ein bloßer Ton […], wie etwa der einer Violine‹), die ›an sich für schön erklärt‹ werden. Kant deutet auch ein Argument an, warum Reize nicht selbst schön sein können: Reize sind bloße Empfindungen (›die Materie der Vorstellungen zum Grunde zu haben scheinen‹), und Empfindungen können nur eine Lust am Nach diesem Missverständniss würden Reize zwar nur einen zusätzlichen, jedoch direkten Beitrag zur Schönheit leisten. Wir werden sehen, dass Kant Reizen sehr wohl indirekte Funktionen für die Schönheit zugesteht, nämlich eine pädagogische Funktion und eine aufmerksamkeitsrichtende und aufmerksamkeitserhaltende Funktion.

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Zwei mögliche Missverständnisse

Angenehmen bewirken (›und darum nur angenehm genannt zu werden verdienen‹). Die Lust am Schönen ist aber wesentlich von der Lust am Angenehmen unterschieden. Das Argument lautet also: P1

Wenn Empfindungen eine Lust bewirken, dann ist es eine Lust am Angenehmen. P2 Die Lust am Schönen ist keine Lust am Angenehmen. Also: Die Lust am Schönen wird nicht von Empfindungen bewirkt.

Gegen die Spielarten M1a und M1b argumentiert Kant in § 14 nicht explizit. Jedoch hat er bereits in § 13 dafür argumentiert, dass das (reine) Geschmacksurteil von Reizen unabhängig ist. 11 Dieses Argument lässt sich gegen M1a und M1b (sowie M1c) vorbringen: P1

Wenn ein ästhetisches Urteil (teilweise) auf einer durch Reize (Empfindungen) bewirkten Lust beruht, dann läuft das Urteil Gefahr, bloß privatgültig zu sein. P2 Das reine Geschmacksurteil läuft nicht Gefahr, bloß privatgültig zu sein. (Es ist immer allgemeingültig.) Also: Das reine Geschmacksurteil beruht nicht (teilweise) auf einer durch Reize bewirkten Lust.

Alle drei Spielarten des Missverständnisses erweisen sich also als unhaltbar oder eben als Missverständnis.

14.2.2 Zweites Missverständnis: Reize können die Schönheit erhöhen Im sechsten Abschnitt schildert Kant ein zweites Missverständnis. Seine Diskussion dieses Missverständnisses ist vor allem deswegen interessant, weil Kant in diesem Kontext eine legitime Funktion von Reizen für das Schöne erläutert. Die Passage lautet: § 14.F.1 »[a] Was aber die dem Gegenstande seiner Form wegen beygelegte Schönheit, sofern sie, wie man meynt, durch Reiz wohl gar könne erhöht werden, anlangt, so ist dies ein gemeiner und dem ächten unbestochenen gründlichen Geschmacke sehr nachtheiliger Irrthum; [b] ob sich zwar allerdings neben der Schönheit auch noch Reize hinzufügen lassen, um das Gemüth durch die Vorstellung des Gegenstandes, außer dem trockenen

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Siehe hierzu Kap. 13.3.

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§ 14 Die Rolle von Reizen und Empfindungen in Geschmacksurteilen

Wohlgefallen, noch zu interessiren, und so dem Geschmacke und dessen Cultur zur Anpreisung zu dienen, vornehmlich wenn er noch roh und ungeübt ist. § 14.F.2 Aber sie thun wirklich dem Geschmacksurtheile Abbruch, wenn sie die Aufmerksamkeit als Beurtheilungsgründe der Schönheit auf sich ziehen. § 14.F.3 Denn es ist so weit gefehlt, daß sie dazu beytrügen, daß sie vielmehr, als Fremdlinge, nur sofern sie jene schöne Form nicht stören, wenn der Geschmack noch schwach und ungeübt ist, mit Nachsicht müssen aufgenommen werden« (225,3).

Das eigentliche Missverständnis formuliert Kant in § 14.F.1a. Es lautet: M2 Die (auf der Form beruhende) Schönheit eines Gegenstandes kann durch Reize erhöht werden.

Dieses Missverständnis bildet ganz offenkundig einen direkten Gegensatz zu der folgenden, in § 14.F.2 formulierten These: § 14.F.2* Reize tun dem Geschmacksurteil Abbruch, wenn sie die Aufmerksamkeit als Beurteilungsgründe der Schönheit auf sich ziehen.

Kants Gegenthese ist demnach nicht bloß, dass Reize die Schönheit nicht erhöhen, sondern vielmehr, dass sie einen negativen Einfluss auf die Schönheit haben. In diesem Sinne hatte er bereits in § 13 formuliert, dass »[a]lles Interesse […] das Geschmacksurtheil [verdirbt]« (§ 13.A.1, 223,4). Nun scheinen Reize dem Geschmacksurteil aber nicht immer ›Abbruch‹ zu tun, sondern nur, ›wenn sie die Aufmerksamkeit als Beurtheilungsgründe der Schönheit auf sich ziehen‹. Dies deute ich folgendermaßen: Ich habe bereits früher erläutert, dass die Lust am Schönen ein sehr fragiles Gefühl ist und dass Reize das freie Spiel der Erkenntniskräfte unterbinden können (Fragilitätsthese). 12 Wenn nämlich ein Reiz die volle Aufmerksamkeit auf sich zieht, so kann die Einbildungskraft nicht mehr frei und »ungesucht« spielen (243,3). Der fragile Zustand des freien Spiels wird beendet oder kommt erst gar nicht zustande; und damit wird auch die Lust am Schönen verhindert. Reize tun also ›dem Geschmacksurtheile Abbruch, wenn sie die Aufmerksamkeit…auf sich ziehen‹, indem die Reize das Geschmacksurteil verhindern. Das Subjekt mag die Reize bzw. die damit verbundene Lust zwar (fälschlicherweise) als ›Be12

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Siehe erneut Kap. 13.3.

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Zwei mögliche Missverständnisse

urtheilungsgründe der Schönheit‹ werten, aber das gegebenenfalls darauf gegründete Urteil ›x ist schön‹ ist dann ein »irriges Geschmacksurtheil« (§ 8.G.5, 216,28). 13 Der Satz § 14.F.2 kann somit folgendermaßen präzisiert werden: § 14.F.2R1 Reize verhindern das Geschmacksurteil, wenn sie die Aufmerksamkeit als Beurteilungsgründe auf sich ziehen und dadurch das freie Spiel sowie die Lust am Schönen unterbinden.

Dennoch können Reize durchaus eine Art positiven Effekt auf den Geschmack ausüben. Diese Funktion können sie allerdings nur dann entfalten, ›wenn sie die Aufmerksamkeit als Beurtheilungsgründe der Schönheit‹ nicht ›auf sich ziehen‹ und wenn ›sie jene schöne Form nicht stören‹. Ist dies gewährleistet, dann unterbinden die Reize auch nicht das freie Spiel. Eine Umschreibung der positiven Funktion, die die Reize dann ausüben können, findet sich in § 14.F.1b: § 14.F.1b* Neben der Schönheit lassen sich auch noch Reize hinzufügen, um das Gemüt durch die Vorstellung des Gegenstandes, außer dem trockenen Wohlgefallen, noch zu interessieren, und so dem Geschmack und der Kultur des Geschmacks zur Anpreisung zu dienen, vornehmlich wenn der Geschmack noch roh und ungeübt ist.

Die hier beschriebene Funktion der Reize bezeichne ich als pädagogische Funktion. Der Grundgedanke ist, dass Reize eine positive Wirkung auf die Kultivierung des Geschmacks haben können. Die Lust am Schönen wird von Kant als ›trocken‹ bezeichnet – und dies scheint für jede Schönheitserfahrung zu gelten. Dem steht das Interesse am Angenehmen gegenüber, welches wohl lebhafter oder einfach stärker ist. Leider erläutert Kant nicht, inwiefern die Lust am Schönen ›trocken‹ ist. Es bleibt zu vermuten, dass sie deshalb im Vergleich zur Lust am Angenehmen ›trockener‹ ist, weil die Lust am Schönen eher intellektuell und weniger körperlich ist. Das eher körperliche bzw. lebhafte Interesse am Angenehmen mag dann eine stärker motivationale Funktion haben als die ›trockene‹ Lust am Schönen. Entscheidend ist, dass eine Vermischung der (trockenen) Lust am Schönen mit einer (lebhaften und starken) Lust am Angenehmen, die ja von Reizen bewirkt wird, dazu führen kann, dass man den Geschmack kultiviert. Allerdings, so scheint mir, können Reize diese Funktion 13

Für die Möglichkeit von irrigen Geschmacksurteilen siehe Kap. 8.3.

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§ 14 Die Rolle von Reizen und Empfindungen in Geschmacksurteilen

nur ausüben, wenn sich das Subjekt nicht darüber im Klaren ist, dass die Reize bzw. die Lust am Angenehmen eigentlich Fremdkörper im Geschmacksurteil sind. Dass eine solche Fehleinschätzung vorliegt, ist insofern plausibel, als es ja gerade um den Geschmack geht, der noch ›roh und ungeübt‹ bzw. ›schwach und ungeübt‹ ist. In § 13 vertritt Kant sogar die These, dass ein solcher ungeübter bzw. barbarischer Geschmack der Reize bedürfe, um allererst kultiviert zu werden (»Der Geschmack ist jederzeit noch barbarisch, wo er die Beymischung der R e i z e und Rü h r u n g e n zum Wohlgefallen bedarf«; § 13.A.3, 223,12). Wir können jedenfalls festhalten, dass Reize insofern eine positive Wirkung auf den Geschmack haben können, als sie das Subjekt dazu motivieren können, den Geschmack zu kultivieren. Aber es gibt noch eine weitere positive Funktion von Reizen für das Geschmacksurteil. Im weiteren Verlauf von § 14 deutet Kant an, dass Farben und Töne »durch ihren Reiz die Vorstellung beleben« können, »indem sie die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand selbst erwecken und erhalten« (§ 14.H.2, 226,1). Kant schreibt also Reizen eine aufmerksamkeitsrichtende und aufmerksamkeitserhaltende Funktion zu. Wie müssen wir das verstehen? Empfindungen (etwa eine grelle gelbe Farbe in einem Gemälde) mögen schon per se unsere Aufmerksamkeit stärker erwecken als Formen. Ganz besonders erwecken sie aber unsere Aufmerksamkeit, wenn sie mit einer Lust am Angenehmen verbunden und somit als Reize wirksam sind. Aufgrund der Lust am Angenehmen richten wir unsere Aufmerksamkeit auf den Gegenstand; und wenn wir ihn dann genauer betrachten, können wir gegebenenfalls in einen Zustand des freien Spiels eintreten. 14 Neben dieser aufmerksamkeitsrichtenden Funktion schreibt Kant den Reizen auch eine aufmerksamkeitserhaltende Funktion zu. Dies mag insofern verwundern, als das freie Spiel sich doch eigentlich selbst erhält. 15 Um diese Verwirrung zu beseitigen, müssen wir uns vor Augen führen, dass die aufmerksamkeitserhaltende Funktion von Reizen nur beim ›rohen und ungeübten‹ Geschmack zum Tragen kommt. Beim ungeübten Geschmack ist die trockene Lust in ihrer phänomenalen Charakteristik des sich positiv Anfühlens nicht stark genug, um das Subjekt dazu zu bewegen, beim Gegenstand zu verDies kann wiederum nur geschehen, wenn die Lust am Angenehmen nicht zu stark und dominant ist. 15 Vgl.: »denn der Zustand einander wechselseitig befördernder Gemüthskräfte in einer Vorstellung erhält sich selbst« (EEKU: 230,13 f.). – Siehe hierzu auch Kap. 12.5. 14

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Eine Theorie der Farben und Töne

weilen und die Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet zu lassen. Damit das Subjekt seine Aufmerksamkeit dennoch weiterhin auf den Gegenstand richtet, können Reize ihre aufmerksamkeitserhaltende Funktion entfalten, indem sie eine lebhafte und starke Lust am Angenehmen bewirken. Geben wir eine vorläufige Übersicht über die Funktion von Reizen. Reize können die beiden folgenden Funktionen nicht ausüben: i. Reize sind weder ein möglicher zusätzlicher oder notwendiger Bestandteil von Schönheit noch sind sie hinreichend für Schönheit. ii. Die Schönheit kann nicht durch Reize erhöht werden. Reize können aber die folgenden positiven Funktionen für den (ungeübten) Geschmack haben: i. Reize können eine pädagogische Funktion ausüben. Wenn eine Lust am Angenehmen, die durch Reize bewirkt wird, mit der Lust am Schönen vermischt wird, so kann dies das Subjekt dazu motivieren, seinen ungeübten Geschmack zu kultivieren. ii. Reize können eine aufmerksamkeitsrichtende und aufmerksamkeitserhaltende Funktion ausüben. Eine Lust am Angenehmen, die durch einen Reiz bewirkt wird, kann die Aufmerksamkeit eines Subjekts auf einen Gegenstand lenken; das Subjekt kann dann beim genaueren Betrachten des Gegenstandes in einen Zustand des freien Spiels eintreten. Zudem kann sich eine Lust am Angenehmen, die durch einen Reiz bewirkt wird, mit einer Lust am Schönen vermischen. Durch die stärkere und belebte Lust am Angenehmen kann ein Subjekt mit ungeübtem Geschmack dazu bewegt werden, die Aufmerksamkeit weiter auf den Gegenstand zu richten, sodass gegebenenfalls auch das freie Spiel erhalten wird.

14.3 Eine Theorie der Farben und Töne Im vierten und fünften Absatz nimmt Kant einen kurzen Exkurs in die Physik vor und präsentiert (mit Rekurs auf Euler) eine Theorie der reinen Farben und Töne. Den Ausgangspunkt dieser Überlegungen bildet die Frage, ob Farben und Töne unter bestimmten Umständen nicht doch als schön gelten können. Dazu erläutert Kant:

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§ 14 Die Rolle von Reizen und Empfindungen in Geschmacksurteilen

§ 14.C.3 »[a] Allein man wird doch zugleich bemerken, daß die Empfindungen der Farbe sowohl als des Tons sich nur sofern für schön zu gelten berechtigt halten, als beide r e i n sind; [b] welches eine Bestimmung ist, die schon die Form betrift, [c] und auch das einzige, was sich von diesen Vorstellungen mit Gewißheit allgemein mittheilen läßt; […]« (224,13).

Wir können die drei beinhalteten Propositionen folgendermaßen rekonstruieren: § 14.C.3aR1 Die Empfindungen der Farbe und des Tons können insofern schön genannt werden, als sie rein sind. § 14.C.3bR1 Die Reinheit von Farben und Tönen ist eine Bestimmung, die die Form betrifft. § 14.C.3cR1 Die Reinheit von Farben und Tönen ist das einzige, was sich mit Gewissheit von den Vorstellungen der Farben und Töne allgemein mitteilen lässt.

In § 14.C.3b vermutet Kant, dass Farben und Töne über eine Form verfügen können. Sie wären in diesem Sinne nicht bloß Empfindungen, sondern auch ein Zusammengesetztes und würden eine Synthesisleistung der Einbildungskraft voraussetzen. Ein solches Zusammengesetztes wäre keine bloße Materie der Vorstellung und im eigentlichen Sinne keine Empfindung, wenngleich Kant irritierenderweise in § 14.C.3a von den ›Empfindungen der Farbe sowohl als des Tons‹ spricht. Kants These ist nun, dass spezifische Formen unter den bloßen Farben und Tönen schön sein könnten, nämlich diejenigen Formen, die bei reinen Farben und Tönen vorliegen (§ 14.C.1a). Er konstatiert, dass die Reinheit ›das einzige ist, was sich von diesen Vorstellungen‹, d. h. von Farben und Tönen, ›mit Gewißheit allgemein mittheilen läßt‹ (§ 14.C.3c). 16 Die entscheidenden Fragen sind dabei: (1) Inwiefern verfügen Farben und Töne über eine Form? (2) Was bedeutet die »Reinheit« der Farben und Töne, d. h. was sind reine Farben und reine Töne?

Diese Aussage scheint mir nur dann sinnvoll, wenn Kant auf das freie Spiel der Erkenntniskräfte als Zustand bei der Form hindeutet und meint, dass dieser Zustand allgemein mitteilbar ist. Denn in § 9 macht Kant deutlich, dass »nichts allgemein mitgetheilt werden [kann], als Erkenntniß, und Vorstellung, sofern sie zum Erkenntniß gehört« (§ 9.C.2, 217,11). Um aber zur Erkenntnis zu gehören, muss eine Vorstellung einen Bezug zu Begriffen bzw. zum Verstand aufweisen. Eine bloße Form kann daher eigentlich nicht allgemein mitteilbar sein.

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Eine Theorie der Farben und Töne

Die Antwort auf die erste Frage gibt Kant im vierten Absatz. Dieser lautet: § 14.D.1 »[a] Nimmt man, mit E u l e r n , an, daß die Farben gleichzeitig auf einander folgende Schläge (pulsus) des Aethers, so wie Töne der im Schalle erschütterten Luft sind, [b] und, was das vornehmste ist, das Gemüth nicht bloß, durch den Sinn, die Wirkung davon auf die Belebung des Organs, sondern auch, durch die Reflexion, das regelmäßige Spiel der Eindrücke (mithin die Form in der Verbindung verschiedener Vorstellungen) wahrnehme (woran ich doch gar sehr zweifle); [c] so würde Farbe und Ton nicht bloße Empfindungen, sondern schon formale Bestimmung der Einheit eines Mannigfaltigen derselben seyn, und alsdann auch für sich zu Schönheiten gezählt werden könne« (224,22).

Kant rekurriert in dieser Passage auf Leonhard Eulers Wellentheorie des Lichts. Es wurde in der Sekundärliteratur vielfach darauf aufmerksam gemacht, dass sich Kants Einstellung zu dieser Theorie im Zuge der dritten Auflage der KU geändert habe: Während er in den ersten beiden Auflagen die Formulierung ›woran ich doch gar sehr zweifle‹ einschiebt, heißt es in der dritten Auflage ›woran ich doch gar nicht zweifle‹. 17 Dazu ist zu bemerken, dass der Gegenstand des Zweifels nicht zwangsläufig Eulers Theorie als solche sein muss; vielmehr könnte Kant auch die Wellentheorie Eulers anerkennen und nur daran zweifeln, dass wir über die Wellen bzw. Schläge reflektieren und sie zu einer Form synthetisieren können (›das Gemüth… durch die Reflexion, das regelmäßige Spiel der Eindrücke (mithin die Form in der Verbindung verschiedener Vorstellungen) wahrnehme‹). Die Position der Klammerbemerkung ›woran ich doch gar sehr zweifle‹ im Satz legt nahe, dass sich Kants Zweifel auf den Effekt der Wellen bzw. Schläge auf das Gemüt bezieht (d. h. darauf, dass wir über die Schläge reflektieren und eine Form apprehendieren können). 18 Diese Bemerkt wurde diese Textänderung zuerst von Wilhelm Windelband, der die KU im Rahmen der Akademieausgabe herausgab (vgl. Allison 2001, 134). In der Neuedition der Akademieausgabe durch Andrea Esser ist die Formulierung der ersten beiden Auflagen im Haupttext abgedruckt. 18 Für eine ähnliche Interpretation vgl. auch Allison 2001, 134. – Als Gegenstand des Zweifels kommen grundsätzlich in Frage: (1) Eulers Theorie, dass ›Farben gleichzeitig aufeinander folgende Schläge des Aethers…sind‹ (und ›Töne der im Schalle erschütterten Luft‹); (2) Der Effekt der ›Schläge‹ auf das Gemüt, nämlich dass ›das Gemüth… durch die Reflexion das regelmäßige Spiel der Eindrücke (mithin die Form in der Ver17

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§ 14 Die Rolle von Reizen und Empfindungen in Geschmacksurteilen

Deutung des Zweifels ist aus zwei Gründen sinnvoll: Erstens äußert sich Kant in seinen Schriften und Vorlesungen positiv über die Farbentheorie Eulers – und zwar von den MAN bis zum Opus Postumum. 19 In seinen Vorlesungen über die Physik gibt Kant sogar explizit der Wellentheorie Eulers den Vorzug vor Newtons Korpuskulartheorie. 20 Zweitens äußert Kant mitunter tatsächlich Zweifel, ob wir unter der Annahme, dass Eulers Theorie zutrifft, die Schwingungen der Luft (Schall) oder des Äthers (Farben) im Gemüt intellektuell verarbeiten, d. h. eine Form apprehendieren können. So diskutiert er in § 51 der KU die beiden Möglichkeiten, dass wir solche Formen apprehendieren können oder nicht, ohne zu einer Entscheidung zu kommen. 21 Doch kehren wir zu unserer Ausgangsfrage zurück: Wie genau ist die Theorie Eulers zu verstehen? Und inwiefern eröffnet diese eine Möglichkeit, dass Farben und Töne nicht oder nicht bloß Empfindungen, sondern in gewisser Hinsicht schon Formen sind? Den Satz § 14.D.1 können wir dreiteilen: In § 14.D.1a erläutert Kant kurz die Theorie Eulers, in § 14.D.1b führt er eine mögliche Konsequenz dieser Theorie hinsichtlich einer Reflexion über bloße Töne und Farben an; und in § 14.D.1c folgert er, dass unter der Annahme der in § 14.D.1a-b geschilderten Hypothesen bloße Farben und Töne schön sein könnten. Wenden wir uns zunächst der Theorie Eulers zu. In § 14.D.1a lassen sich die beiden folgenden Pulsus-Hypothesen unterscheiden: § 14.D.1a1* Farben sind gleichzeitig aufeinander folgende Schläge (pulsus) des Äthers. § 14.D.1a2* Töne sind gleichzeitig aufeinander folgende Schläge der im Schall erschütterten Luft.

Kant referiert hier in knappen Worten die Wellentheorie des Schalls und des Lichts. Dabei bemerkt er, dass die Wellentheorie des Lichts eine Analogie zur Theorie des Schalls bildet; dieser Analogie bedient sich schon Euler selbst. 22 Eulers Theorie folgend weisen Farben und bindung verschiedener Vorstellungen) wahrnehme‹ ; (3) Eulers Wellentheorie und der Effekt der Wellen bzw. Schläge auf das Gemüt. 19 Vgl. MAN: 519 Fn.; OP 21: 523. Zweifel bezüglich der Wellentheorie des Lichts (nicht aber des Schalls) äußert Kant allerdings in Anth: 156. 20 Vgl. V-Phys/Mron: 84 f., 150, 253. 21 Vgl. 324,28 f. – Seltsamerweise klingt es in einer Passage nur einige Seiten zuvor noch so, als gehe Kant davon aus, dass wir in den geschilderten Fällen von Farben und Tönen eine Form apprehendieren können (vgl. 302,5). 22 Vgl. etwa: »Die Analogie zwischen Schall und Licht ist so vollkommen, daß sie sich

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Eine Theorie der Farben und Töne

Töne eine bestimmte Struktur auf, nämlich eine Wellenstruktur. Kant reformuliert diesen Gedanken mit der Wendung von den ›gleichzeitig aufeinanderfolgenden Schlägen‹. 23 Wichtig ist, dass die Schläge ein gegebenes Mannigfaltiges bilden. Damit bewegen wir uns bereits auf § 14.D.1b zu: § 14.D.1b* Das Gemüt nimmt nicht bloß, durch den Sinn, die Wirkung von den Schlägen (des Äthers bzw. der Luft) auf die Belebung des Organs, sondern auch, durch die Reflexion, das regelmäßige Spiel der Eindrücke (mithin die Form in der Verbindung verschiedener Vorstellungen) wahr.

Wir können zwei Propositionen unterscheiden: § 14.D.1b1** Das Gemüt nimmt durch den Sinn die Wirkung der Schläge (des Äthers bzw. der Luft) auf die Belebung des Organs wahr. § 14.D.1b2** Das Gemüt nimmt durch die Reflexion das regelmäßige Spiel der Eindrücke (mithin die Form in der Verbindung verschiedener Vorstellungen) wahr.

Träfe bloß die in § 14.D.1b1 geschilderte Option zu, d. h. würden die Schläge nur die Organe beleben, 24 so änderte die Wellentheorie des

auch in den kleinsten Umständen bestätigt« (L. Euler 1986, 33). – Anzumerken ist, dass Eulers Wellentheorie des Lichts ihre Vorläufer bei Huygens hat. 23 Kants Verständnis der Wellentheorie Eulers tritt an verschiedenen Stellen in den Vorlesungsmitschriften zutage. Vgl. etwa: »Euler vergleicht das Licht mit dem Schall und nach diesem werden alle Theile auch in der Entfernung beleuchtet. Diese Meynung ist viel richtiger. Was der Ton in Ansehung des Schalls ist, das sind die Farben in Ansehung des Lichts. Was der Schall in Ansehung der Luft ist, das ist das Licht in Ansehung des Äthers. [Absatz] Der S c h a l l ist eine continuirliche gleiche Eintheilung der Zeit. Es muß aber eine solche unendliche feine Eintheilung seyn, daß wir sie ohne Bewustseyn wahrnehmen. [Absatz] Die F a r b e n sind Bebungen des Lichts die gleichzeitig, und so klein sind, daß wir sie nicht mit Bewustseyn wahrnehmen. […] [Absatz] Die Modification des Lichts durch dichte Körper giebt Farben. Es sind also keine Farben selbst ständig da, sondern sie entstehen durch die Modification des Lichts, so wie durch die Modification des Schalles die Töne entstehn. Licht und Schall, Farben und Töne sind analogisch. Erstere entstehn durch Bewegung des Äthers, die zweiten durch Bewegung der Luft. Wie sehr diese beyde Arten analogisch sind, kann man aus folgenden experimenten sehen. Wenn man einen Strahl durch ein Prisma fallen läßt, so verhalten sich die Intervalle der Farben, so wie die intervalle der Töne auf einem monochord« (V-Phys/Mron: 84 f.). 24 Diese Option schildert Kant auch in § 51, wenn er schreibt, dass »nur die W i rk u n g dieser Zitterungen [der Licht- und Luftbebungen] auf die elastischen Theile unsers Körpers […] empfunden [werde]« (324,35). Kants Philosophie des Schönen

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§ 14 Die Rolle von Reizen und Empfindungen in Geschmacksurteilen

Schalls und des Lichts nichts am Status von Farben und Tönen als bloße Empfindungen; denn Farben und Töne würden weiterhin bloß von außen in uns bewirkt, wobei das Subjekt selbst passiv wäre. Damit Farben und Töne schön sein können, muss vielmehr die in § 14.D.1b2 geschilderte Option zutreffen; es muss Reflexion hinzukommen. In § 51 heißt es zu dieser zweiten Option, dass »die Z e i t e i n t h e i l u n g durch dieselbe [Zitterung der Licht- und Luftbebungen] […] bemerkt und in Beurtheilung gezogen« werde (324,37 f.). Der Grundgedanke ist der folgende: Uns ist ein Mannigfaltiges an Schlägen (Wellen) bzw. ›Zeiteintheilungen‹ gegeben. Das urteilende Subjekt kann dieses Mannigfaltige zu einer Form synthetisieren, d. h. eine ›Form in der Verbindung verschiedener Vorstellungen‹ (von Schlägen) apprehendieren. In einem weiten Sinne läge damit eine ›Beurtheilung‹ bzw. ›Reflexion‹ vor, in der das Mannigfaltige intellektuell verarbeitet würde. 25 (Mir scheint insgesamt nicht klar, ob Kant in diesem Kontext ›Beurtheilung‹ und ›Reflexion‹ so gebraucht, dass eine begriffliche Aktivität des Verstandes eingeschlossen ist.) Die in § 14.D.1b geschilderten Optionen müssen also folgendermaßen gedeutet werden: § 14.D.1b1R1 Die Schläge (des Äthers bzw. der Luft) beleben die Organe. Farben und Töne sind uns passiv als Empfindungen gegeben. § 14.D.1b2R1 Das Mannigfaltige der Schläge (des Äthers bzw. der Luft) kann durch die Einbildungskraft zu einer Form synthetisiert werden.

Ich möchte zweierlei ergänzen: Erstens scheint Kant davon auszugehen, dass sich beide Optionen nicht ausschließen (›nicht bloß… sondern auch‹). Dies eröffnet die Möglichkeit, dass eine bloße Farbe als qualitativer Sinneseindruck gegeben sein kann – Kant spricht in § 14.E.1 von der »Qualität jener Empfindungsart« (224,35) – und sie gleichzeitig eine zusammengesetzte Form sein kann. Zweitens spricht Kant in § 14.D.1b2 bereits von einem ›regelmäßigen Spiel der Eindrücke‹. Damit deutet er an, dass die Wellen oder Schläge über eine Regelmäßigkeit verfügen können. Diese Annahme bildet die Grundlage für sein Verständnis von reinen Farben.

Kant spricht auch von der Möglichkeit, »die Empfindungen von beiden [Farben und Tönen] nicht als bloßen Sinneneindruck, sondern als die Wirkung einer Beurtheilung der Form im Spiele vieler Empfindungen anzusehen« (325,13).

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Würden nun Eulers Theorie (§ 14.D.1a) und die Konsequenz, dass Farben und Töne Formen sein könnten (§ 14.D.1b), zutreffen, so würde sich die folgende Möglichkeit eröffnen: § 14.D.1cR1 Wenn die Pulsus-Hypothesen zutreffen, würden Farben und Töne nicht bloße Empfindungen, sondern schon formale Bestimmung der Einheit eines Mannigfaltigen der Empfindungen sein, und alsdann würden Farben und Töne auch für sich zu Schönheiten gezählt werden können.

Bereits in § 14.D.1b hatte Kant erläutert, dass wir gegebenenfalls die Schläge zu einer Form synthetisieren könnten. Es würde dann eine ›formale Bestimmung der Einheit des Mannigfaltigen‹ vorliegen. Da nun Schönheit auf der Form von Gegenständen beruht (FMT), wären bloße Farben und Töne Kandidaten für Schönheit. Wir könnten sie im freien Spiel verarbeiten. Fassen wir noch einmal kurz den Exkurs zu Euler zusammen: i. Wellentheorie Eulers: Farben sind Schläge (bzw. Wellen) des Äthers, Töne sind Schläge (bzw. Wellen) der Luft. ii. Konsequenz für den Status von bloßen Farben und Tönen: Bloße Farben und Töne sind uns als Mannigfaltiges an Schlägen gegeben. Wir können sie daher zu einer Form synthetisieren. (Die Schläge haben aber auch eine unmittelbare Wirkung auf die Organe, sodass uns Farben und Töne weiterhin als qualitative Empfindungen gegeben sind.) iii. Konsequenz für das Schöne: Wenn bloße Farben und Töne aus einem Mannigfaltigen an Schlägen bestehen, das wir zu einer Form synthetisieren können, dann können bloße Farben und Töne im freien Spiel verarbeitet und als »schön« beurteilt werden. Im folgenden Absatz nimmt Kant jedoch eine Einschränkung vor, nach der nicht alle Farben für schön befunden werden können, sondern nur einfache und reine Farben: § 14.E.1 »[a] Das Reine aber einer einfachen Empfindungsart bedeutet: daß die Gleichförmigkeit derselben durch keine fremdartige Empfindung gestört und unterbrochen wird, [b] und gehört bloß zur Form; [c] weil man dabey von der Qualität jener Empfindungsart (ob, und welche Farbe, oder ob, und welcher Ton sie vorstelle) abstrahiren kann. § 14.E.2 [a] Daher werden alle einfache Farben, sofern sie rein sind, für schön gehalten; [b] die gemischten haben diesen Vorzug nicht: eben darum, weil, da sie nicht einfach sind, man keinen MaaßKants Philosophie des Schönen

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§ 14 Die Rolle von Reizen und Empfindungen in Geschmacksurteilen

stab der Beurtheilung hat, ob man sie rein oder unrein nennen solle« (224,32 f.).

Ich werde kurz erläutern, was reine und unreine sowie einfache und gemischte Farben sind. Einfache und gemischte Farben: Kant erklärt in der oben zitierten Passage nicht, was einfache und gemischte Farben sind. Eine Erklärung findet man bei Euler: »Durch die Brechung also werden wir gewahr, welches die wirklich einfachen Farben sind. Sie folgen in den gebrochenen Stralen in der Ordnung auf einander: 1) der rothe, 2) der orange, 3) der gelbe, 4) der grüne, 5) der blaue, 6) der violette Stral« (L. Euler 1986, 36 f.).

Mit dem Begriff der einfachen Farben sind, so hat es den Anschein, die sechs Spektralfarben bezeichnet. Dies ist aber durchaus irreführend. Denn Euler schreibt weiter: »Aber man darf nicht glauben, daß es nicht mehr wie sechs Farben gäbe; denn da das Wesen einer jeden in einer gewissen Zahl der Schwingungen, die in einer bestimmten Zeit geschehen, besteht, so ist es klar, daß die Zahlen, die dazwischen liegen, ebenfalls einfache Farben geben. Aber es fehlt uns an Worten, diese Farben zu bezeichnen. So sieht man in der That zwischen dem Gelben und dem Grünen, mittlere Farben, aber die keinen besondern Namen haben« (L. Euler 1986, 37, m. H.).

Die einfachen Farben sind damit nicht eine bestimmte Menge von sechs (oder sieben) Farben. Vielmehr sind alle Farben einfach, die nur aus Wellen mit einer einzigen Länge (einfache Frequenz) bestehen. Diese Farben entstehen etwa, wenn man einen gebündelten Lichtstrahl durch ein Prisma bricht und auf eine weiße Wand leitet, sodass ein Farbspektrum sichtbar wird; würden wir (durch Brechung an weiteren Prismen) eine distinkte Frequenz aus dem Farbspektrum herauslösen, sodass nur noch ein spezifisch blauer Strahl auf die weiße Wand fiele, so wäre dies eine einfache Farbe. Diese Farbe würde, um mit Kants Worten zu sprechen, über eine Regelmäßigkeit der Schläge bzw. Wellen, d. h. Wellenlängen von genau einer Art, verfügen. Würden wir nun ebenso einen gelben Lichtstrahl mit einer einfachen Frequenz herauslösen und würden dann der blaue und der gelbe Lichtstrahl aufeinander treffen, so würde aus der Überlagerung ein Grün entstehen. Da dieses Grün aus der Überlagerung von zwei Frequenzen bestünde, wäre es keine einfache, sondern eine gemischte Farbe. Aufgrund der Überlagerung von zwei verschiedenen Frequenzen läge 778

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Eine Theorie der Farben und Töne

keine (oder mindestens keine simple) Regelmäßigkeit der Schläge bzw. Wellen vor. Wichtig ist, dass ein für den Betrachter qualitativ identisches Grün auch als reine Farbe vorliegen könnte. Halten wir fest: Reine Farben verfügen über eine einfache Frequenz und in diesem Sinne über eine Regelmäßigkeit der Schläge. Gemischte Farbe entstehen durch eine Überlagerung von (mindestens) zwei Frequenzen und verfügen in diesem Sinne über keine (simple) Regelmäßigkeit der Schläge. 26 Reine (und unreine) Farben: In Bezug auf Farben hat »Reinheit« die Bedeutung, dass ›die Gleichförmigkeit einer einfachen Empfindungsart durch keine fremdartige Empfindung gestört und unterbrochen wird‹. In diesem Sinne ist eine reine Farbe erst einmal dasselbe wie eine einfache Farbe, d. h. reine Farben sind ebenfalls durch eine Gleichförmigkeit bzw. Regelmäßigkeit der Schläge oder Wellen gekennzeichnet. Bei unreinen Farben würde dagegen keine Regelmäßigkeit vorliegen, sondern diese würde durch ›fremdartige Empfindungen gestört und unterbrochen‹. Dies bedeutet, dass die Regemäßigkeit der Schläge durch eine andere ›Zeiteintheilung‹ unterbrochen würde. Konkret würde eine andere Farbe (punktuell) die Regelmäßigkeit stören. Man könnte hier etwa wieder an den blauen Lichtstrahl denken, der punktuell durch einen gelben Lichtstrahl durchbrochen würde. In diesem Sinne sind also unreine Farben den gemischten Farben ähnlich, außer dass bei unreinen Farben eine einfache Farbe die Basis bildet, die (bloß partiell) durch eine andere Farbe gestört würde. Inwiefern hilft uns all dies beim Verstehen des fünften Absatzes weiter? Kant deutet in § 14.E.1 an, dass das Attribut der Reinheit nur Anwendung auf einfache Farben hat, d. h. auf ›einfache Empfindungsart[en]‹, die über eine ›Gleichförmigkeit‹ der Schläge verfügen. Es stellt sich natürlich die Frage, ob Kant dieses Verständnis von einfachen und gemischten Farben überhaupt teilt. Dafür spricht ganz explizit die folgende Passage aus einer Vorlesungsmitschrift: »Wenn ein Körper mehr als eine Art des auf ihn fallenden Lichts nach allen Seiten wieder umher strahlet, so entstehen die vermischten oder zusammengesetzten Farben nach dem verschiedenen Verhältnisse der Menge des von jeder einfachen Art wieder zurück und umher strahlenden Lichts. Die weisse Farbe ist eine Vermischung aller Grundfarben im gehörigen Verhältniß, weil das aus allen Orten vermischte Sonnenlicht die weisse Farbe hat« (V-Phys/Mron: 252). Ferner spricht für das geschilderte Verständnis von reinen und vermischten Farben, dass Kant einerseits etwa Grün offenkundig den sieben Spektralfarbe zuordnet, sich gleichzeitig aber bewusst ist, dass Grün aus der Mischung zweier Farben entspringen kann (vgl. V-Lo/Pölitz: 537; V-Lo/Wiener: 841).

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§ 14 Die Rolle von Reizen und Empfindungen in Geschmacksurteilen

Dies deute ich folgendermaßen: Kant unterlegt seiner Argumentation die These, dass bei gemischten und unreinen Farben die Schläge so unregelmäßig und schnell aufeinander folgen, dass wir sie nicht zu einer Form synthetisieren können. Man hat dann bei solchen gemischten Farben ›keinen Maaßstab der Beurtheilung,…, ob man sie rein oder unrein nennen solle‹, weil man das Mannigfaltige an (unregelmäßigen) Schlägen nicht zu einer Form synthetisieren kann; diese Farben sind uns nur qualitativ als Empfindungen gegeben und man kann nicht ›von der Qualität (ob, und welche Farbe…sie vorstelle) abstrahiren‹. Um die Reinheit oder Unreinheit der Farben festzustellen, fehlt also der ›Maaßstab‹ der Form. Da gemischte Farben nicht zur Form synthetisiert werden können, können sie auch nicht als schön gelten. Hingegen können einfache Farben aufgrund der Regelmäßigkeit der Schläge zu einer Form synthetisiert werden, sodass sie schön sein können. Ist aber eine einfache Farbe nicht rein, d. h. werden die regelmäßigen Schläge durch eine fremdartige Frequenz gestört, so liegt im eigentlichen Sinne schon eine gemischte Farbe vor; diese ist wiederum nicht durch Regelmäßigkeit der Schläge ausgezeichnet, weshalb wir keine Form apprehendieren können und die Farbe folglich nicht schön sein kann. Halten wir fest: i. Einfache Farben verfügen über nur eine Frequenz (Wellenlänge), d. h. die Schläge folgen mit Regelmäßigkeit aufeinander. Daher lässt sich bei einfachen Farben das Mannigfaltige der Schläge zu einer Form synthetisieren, und einfache Farben können schön sein. Einfache Farben müssen aber rein sein; werden sie durch eine fremde Frequenz gestört, zählen sie bereits zu den gemischten Farben. ii. Gemischte Farben bestehen aus einer Überlagerung von mehreren Frequenzen, weshalb die Schläge nicht mit (simpler) Regelmäßigkeit aufeinander folgen. Das Mannigfaltige der Schläge lässt sich daher nicht zu einer Form synthetisieren, und gemischte Farben können nicht schön sein.

14.4 Anwendung der Formthese auf die verschiedenen Künste Im siebten und achten Absatz bezieht Kant die Formthese auf die verschiedenen Künste. Diese Textstelle ist die einzige in der Analytik, die explizit den schönen Künsten gewidmet ist. Erst in den §§ 43–53, die 780

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Anwendung der Formthese auf die verschiedenen Künste

formal dem Deduktionsabschnitt zuzuordnen sind, widmet sich Kant dieser Thematik dann intensiver. Im achten Absatz nimmt Kant die folgende Einteilung der Künste vor: § 14.H.1 »Alle Form der Gegenstände der Sinne (der äußern sowohl als mittelbar auch des innern) ist entweder G e s t a l t , oder S p i e l : im letztern Falle entweder Spiel der Gestalten (im Raume, die Mimik und der Tanz); oder bloßes Spiel der Empfindungen (in der Zeit)« (225,26).

Kant präsentiert eine zweiteilige Gliederung der Formen: Erstens gliedert er sie in ›Gestalt‹ und ›Spiel‹, wobei die Gestalt für eine Form im Raum und das Spiel für eine Form, die sich in der Zeit ändert, steht. Es kann dann erstens eine bloße Gestalt geben, d. h. eine Form im Raum, die sich nicht in der Zeit ändert. Zweitens kann ein Spiel entweder eine Form im Raum sein, die sich in der Zeit ändert, d. h. ein ›Spiel der Gestalten‹, oder eine zeitliche Abfolge von Empfindungen, die eine Anordnung (Form) ausschließlich in der Zeit ergeben, d. h. ein ›Spiel der Empfindungen‹. Dabei scheinen sich die ›Gestalt‹ und das ›Spiel der Gestalten‹ primär aus visuellen Empfindungen und das Spiel der ›Empfindungen‹ aus akustischen Empfindungen zu konstituieren. Dem (visuellen) Spiel der Gestalten ordnet Kant die ›Mimik und den Tanz‹ zu. Im vorangehenden Absatz benennt er die folgenden Künste, die er allesamt als (bloße) ›Gestalt‹ einstuft: »Malerei, Bildhauerkunst, ja alle[.] bildenden Künste[.], […] Baukunst, Gartenkunst, sofern sie schöne Künste sind« (§ 14.G.1, 225,16). Unter dem ›Spiel der Empfindungen‹ versteht Kant offenkundig die Musik. 27 Es ergibt sich damit die folgende Einteilung der Künste: 1. Bloße Gestalt = Form im Raum, die sich nicht in der Zeit ändert und die auf visuellen Empfindungen beruht. Zugeordnete Künste: die bildenden Künste allgemein, Malerei, Bildhauerkunst und Gartenkunst. 2. Spiel = Form, die sich in der Zeit ändert.

Vgl. 324,13. Kant ordnet in dieser Passage dem ›Spiel der Empfindungen‹ neben der Musik auch die »Farbenkunst« zu (324,19). Da Kant in § 14.H.1 aber vom ›Spiel der Empfindungen (in der Zeit)‹ spricht, kann hier mit ›Spiel der Empfindungen‹ nur die Musik gemeint sein.

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§ 14 Die Rolle von Reizen und Empfindungen in Geschmacksurteilen

a)

Spiel der Gestalten = Form im Raum, die sich in der Zeit ändert; beruht auf visuellen Empfindungen. Zugeordnete Künste: Mimik und Tanz. b) Spiel der Empfindungen = Form ausschließlich in der Zeit, die auf akustischen Empfindungen beruht. Zugeordnete Künste: Musik. In den einzelnen Zuordnungen wird bereits FMT auf die Künste bezogen: So ist die bloße ›Gestalt‹ eine Bezeichnung für eine (bloß räumliche) Form, 28 und unter einem ›Spiel‹ ist eine Anordnung von Empfindungen oder räumlichen Formen in der Zeit zu verstehen. Kant bestimmt darüber hinaus noch genauer, worauf die Schönheit der einzelnen Künste rekurriert: § 14.H.2a »Der R e i z der Farben, oder angenehmer Töne des Instruments, kann hinzukommen, aber die Z e i c h n u n g in der ersten [Gestalt] und die Composition in dem letzten [Spiel] machen den eigentlichen Gegenstand des reinen Geschmacksurtheils aus« (225,29).

Zur Zeichnung hatte Kant bereits kurz zuvor das Folgende erläutert: § 14.G.1 »In der Malerei, Bildhauerkunst, ja allen bildenden Künsten, in der Baukunst, Gartenkunst, sofern sie schöne Künste sind, ist die Z e i c h n u n g das Wesentliche, in welcher nicht, was in der Empfindung vergnügt, sondern bloß was durch seine Form gefällt, den Grund aller Anlage für den Geschmack ausmacht« (225,16).

Kant identifiziert die ›Zeichnung‹ als Grundlage des Schönen im Rahmen der ›Gestalt‹, d. h. der bildenden Künste, und die ›Composition‹ als Grundlage des Schönen im Rahmen des Spiels, d. h. von Mimik, Tanz und Musik. Eigentlich bezieht er sich aber mit der Zeichnung primär auf die Malerei und mit der Komposition auf die Musik. Ich werde im Folgenden kurz erläutern, was unter ›Zeichnung‹ und ›Composition‹ zu verstehen ist. Zeichnung: Eine Zeichnung besteht bloß aus Umrissen, d. h. aus Begrenzungslinien, die keine Farbe im engeren Sinne haben, sondern schwarz oder grau sind. So heißt es im Adelung’schen Wörterbuch zum Verb »zeichnen«: »Die Umrisse eines Gegenstandes und jeder sichtbaren Partie desselben durch Linien nachbilden; wodurch es sich 28

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Vgl. A20 f./B35.

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Anwendung der Formthese auf die verschiedenen Künste

von Mahlen unterscheidet« (Adelung: Zeichnen). 29 Eine ›Zeichnung‹ in Reinform liegt etwa bei einer Bleistiftzeichnung oder einem Kupferstich vor. Aber auch einem farbigen Gemälde kann in gewisser Hinsicht eine ›Zeichnung‹ zugrunde liegen; 30 diese erlangt man, wenn man von den Farben abstrahiert und sich nur die Umrisse der einzelnen farbigen Flächen vor Augen führt. Komposition: Der Begriff der Komposition steht erst einmal für jedes Zusammengesetzte. 31 Im engeren Sinne ist unter einer »Komposition« aber die musikalische Komposition zu verstehen. Bei letzterer handelt es sich um eine horizontale (Melodik) und vertikale (Harmonik) Zusammensetzung von Tönen mit einer bestimmten Tonhöhe und Tondauer (sowie Pausen). Diejenigen Empfindungen bzw. Bestandteile der Empfindung, von denen dabei abstrahiert werden muss, sind wohl insbesondere die Klangfarbe (etwa eines spezifischen Instruments) und die Dynamik. Interessant ist, dass die musikalische Komposition viel stärker auf Empfindungen angewiesen ist, als die Zeichnung. Während man in der Zeichnung von Farben abstrahieren kann, kann man in der Musik nicht von den Tönen abstrahieren (insbesondere nicht von der Tonhöhe). Dies passt gut dazu, dass Kant die Musik als ›Spiel der Empfindungen‹ bezeichnet; denn Töne, aus denen Musik ja besteht, sind Empfindungen. 32 Wie sollen wir Kants Anwendung von FMT auf die Malerei und die Musik im Sinne von Zeichnung und Komposition bewerten? In gewisser Hinsicht ist der Befund nicht weiter erstaunlich. Hat Kant zuvor dargelegt, dass Reize – und dazu zählen Farben und Töne – keinen Beitrag zur Schönheit leisten und diese sogar verderben können, so ist es nur konsequent, dass er der schönen Kunst dasjenige zugrunde legt, was möglichst frei von Reizen ist – und Letzteres trifft weitestgehend auf die Zeichnung und die Komposition zu. Bedeutet dies aber, dass Farben und die Töne spezifischer Instrumente gar keinen Beitrag zum Schönen leisten? Widerspricht dies nicht unseren

Vgl. auch bei Grimm: »die nachbildung eines gegenstandes mit umriszlinien auf dem papier, wobei auch bisweilen licht und schatten wiedergegeben werden« (Grimm: Zeichnung). 30 Nicht jedes farbige Gemälde beinhaltet Umrisse von Formen. Man denke etwa an einfarbige Gemälde, wie Yves Kleins Monochromien. 31 Vgl. etwa: »Zusammensetzung (composition)« (OP 22: 187). Vgl. auch 325,1; OP 22: 69; A436/B464. 32 Vgl. auch 321,1. 29

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§ 14 Die Rolle von Reizen und Empfindungen in Geschmacksurteilen

Erfahrungen mit Kunstwerken, deren Schönheit sehr häufig von der spezifischen Farbwahl oder Instrumentierung abzuhängen scheint? Wir haben oben drei mögliche Funktionen von Farben und Tönen für die Schönheit identifiziert: (1) Reine Farben (und Töne) können selbst schön sein, da sie (im Sinne der Wellentheorie Eulers) möglicherweise eine Form haben. (2) Farben und Töne können als Reize eine pädagogische Funktion ausüben: Sie können ein Subjekt mit einem ungeübten Geschmack dazu motivieren, den Geschmack zu kultivieren. (3) Farben und Töne können als Reize eine aufmerksamkeitsrichtende und aufmerksamkeitserhaltende Funktion ausüben: Sie können die Aufmerksamkeit des Subjekts auf den Gegenstand richten und es dazu motivieren, die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand zu erhalten. Alle drei Funktionen können den obigen Einwand aber nicht entkräften: Es ist nicht die Reinheit einer Farbe oder eines Tons, die wir etwa in einem Gemälde oder einer Symphonie für schön befinden, ebenso wenig wie die Tatsache, dass einzelne Farben oder Töne unsere Aufmerksamkeit erregen. Vielmehr scheint es doch das Zusammenspiel von verschiedenen Farben und Tönen zu sein, das wir für schön befinden. Hat Kant für das Phänomen, dass wir oft das Zusammenspiel von Farben und Tönen für schön befinden, Raum? Tatsächlich identifiziert Kant eine weitere Funktion von Farben und Tönen für die Schönheit: § 14.G.2 »Die Farben, welche den Abriß illuminiren, gehören zum R e i z ; […]« (225,20, m. H.). § 14.H.2 »[…]; und daß die Reinigkeit der Farben sowohl als der Töne, oder auch die Mannigfaltigkeit derselben und ihre Abstechung zur Schönheit beyzutragen scheint, will nicht so viel sagen, daß sie darum, weil sie für sich angenehm sind, gleichsam einen gleichartigen Zusatz zu dem Wohlgefallen an der Form abgeben, sondern weil sie diese letztere nur genauer, bestimmter und vollständiger anschaulich machen, und überdem durch ihren Reiz die Vorstellung beleben, indem sie die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand selbst erwecken und erhalten« (225,32 f., m. H.).

Kant bestimmt in diesen Passagen eine Funktion der ›Mannigfaltigkeit‹ an Farben und Tönen, die in einem Kunstwerk gegeben ist. Als 784

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Anwendung der Formthese auf die verschiedenen Künste

Mannigfaltigkeit können Farben und Töne ›den Abriß illuminiren‹, d. h. den Umriss (›Abriß‹) des Gegenstandes – und damit ist letztlich die Form des Gegenstandes gemeint – kenntlich machen. 33 Dies wird deutlicher wenn wir den Begriff der Abstechung einbeziehen, der im Sinne von ›Kontrast‹ zu verstehen ist. 34 Wenn zwei verschiedenfarbige Flächen aneinandergrenzen, so bilden diese Flächen einen Kontrast. Es wird dann die Trennung oder vielmehr Begrenzung der beiden farbigen Flächen sichtbar – und dies bedeutet nichts anderes, als dass die Form sichtbar wird. In diesem Sinne kann ein Mannigfaltiges an kontrastierenden Farben statt einer Zeichnung (im Sinne von schwarzen Linien) der in einem Gemälde dargestellten Form zur Grundlage dienen. Kant betont sogar, dass die Farben die Form ›genauer, bestimmter und vollständiger anschaulich machen‹. In gewisser Hinsicht haben also Farben bezüglich der Erfassung der Form sogar einen Vorzug vor der Zeichnung. Dies ergibt insofern Sinn, als sich durch Farben etwa Tiefe bzw. Dreidimensionalität plastischer darstellen lässt und wichtige Aspekte der Form durch stärkere Kontraste besser hervorgehoben werden können. Ähnliches gilt natürlich auch für die Instrumentierung eines Musikstücks. So lässt sich etwa der Kontrast zwischen dem Hauptthema und dem Seitenthema einer Sinfonie besser erfassen, wenn eines dieser Themen von Streichinstrumenten und das andere von Holzblasinstrumenten gespielt wird. Insofern nun Farben und Töne im geschilderten Sinne zur Darstellung der Form beitragen, können sie auch etwas zur Schönheit beitragen. Wir können somit die folgende vierte Funktion der Farben und Töne für die Schönheit festhalten: (4) Farben und Töne (spezifischer Instrumente) können zur Darstellung bzw. zu unserer Apprehension der Form beitragen, indem sie durch Kontraste Begrenzungen sichtbar bzw. hörbar werden lassen. Durch diesen Beitrag zur Form können Farben und Töne als Mannigfaltiges (mindestens indirekt) einen Beitrag zur Schönheit leisten. Man versteht jetzt vielleicht, warum gegen Kant schon früh der Formalismus-Vorwurf vorgebracht wurde. Und ist die kantische Vgl. auch bei Adelung zum Verb »illuminiren«: »Farben auf eine Zeichnung oder auf einen Kupferstich tragen, die Theile derselben durch verschiedene Farben kenntlicher machen« (Adelung: Illuminiren). 34 Vgl. im Grimm’schen Wörterbuch: »ABSTECHUNG, f. franz. Contraste« (Grimm: Abstechung). 33

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§ 14 Die Rolle von Reizen und Empfindungen in Geschmacksurteilen

Theorie des Schönen nicht in der Tat zu rigide auf die Form des Gegenstandes versteift und blendet sie nicht die Rolle von sekundären Qualitäten (wie Farben) zu stark aus? Zunächst müssen wir klären, was überhaupt ein ästhetischer Formalismus ist. Wir können dabei Zuckert folgen, die zwischen drei Spielarten des Formalismus differenziert: »Property-formalism is the view that the form of an object can be described in terms of a set of specific spatial or temporal properties that characterize the relations that hold among different parts of the object, and that these properties are responsible for the beauty of the object«; »Kind-formalism, by contrast, identifies the form of an object as that which makes it a (good) exemplar of its kind«; »Wholeformalism« sei die These, »that an object is beautiful if it is ordered or unified, if its parts harmonize to form a whole – or, more specifically, that beauty is a unity of diversity or of variety« (Zuckert 2006, 600 f.). Klarerweise kann Kants Theorie des Schönen aufgrund der Begriffslosigkeitsthese weder im Sinne eines ›Property-formalism‹ noch eines ›Kind-formalism‹ begriffen werden. Ich stimme vielmehr mit Zuckert überein, dass Kants ästhetischer Formalismus im Sinne eines ›Whole-formalism‹ verstanden werden muss. 35 Dabei ist es wichtig, zu berücksichtigen, wogegen sich Kant eigentlich wendet. Er wendet sich nicht gegen die These, dass Empfindungen bzw. sekundäre Qualitäten irgendeinen Einfluss auf das Schöne haben können; vielmehr wendet er sich dagegen, dass einzelne isolierte Empfindungen, d. h. etwa eine »bloße Farbe« (§ 14.C.2, 224,8), selbst schön sein können. Dies muss er schon deshalb ablehnen, weil in seiner Theorie eine (unmittelbare) Lust an einer einzelnen Empfindung eine Lust am Angenehmen ist, von der er die Lust am Schönen wesentlich unterscheiden will. Dies bedeutet aber nicht, dass Empfindungen für reine Geschmacksurteile gar keine Rolle spielen dürfen. So können erstens einzelne reine Farben bzw. Töne gegebenenfalls eine Form aufweisen (1) und zweitens kann insbesondere ein Mannigfaltiges an Farben bzw. spezifischen Tönen durch Kontrast wesentlich zur Auffassung der Formen beitragen (4). Ich möchte betonen, dass uns insbesondere die Natur – und Kants Theorie bezieht sich ja primär auf Naturschönheiten – normalerweise durch Farben gegeben ist und dass sich in der Kant als ›whole formalist‹ zu begreifen, wobei Schönheit in einer ›unity of the diverse‹ besteht, ergibt insbesondere vor dem Hintergrund des Theoriestücks der ZM Sinn. So ist, folgt man Hoffmann, »seit Platon […] die Lehre von Ziel und Z[weck] dem Problem von Einheit und Vielheit eingeschrieben« (Hoffman 2004, 1488).

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Anwendung der Formthese auf die verschiedenen Künste

Natur bloß in den allerseltensten Fällen ›Zeichnungen‹ finden (etwa auf dem Rücken von Zebras). Wir apprehendieren in diesem Sinne die Formen der Natur normalerweise mittels des Kontrasts eines Mannigfaltigen an Farben. Zudem ist in der kantischen Erkenntnistheorie tief verankert, dass uns allererst Empfindungen gegeben sein müssen, damit wir etwas zu einer Form synthetisieren können; die Empfindungen bilden die Grundlage oder ›Materie‹, aus der wir allererst Formen zusammensetzen können. So heißt es in der KrV: »Erscheinungen, als Gegenstände der Wahrnehmung, sind nicht reine (bloß formale) Anschauungen, wie Raum und Zeit, (denn die können an sich gar nicht wahrgenommen werden). Sie enthalten also über die Anschauung noch die Materien zu irgend einem Objekte überhaupt (wodurch etwas Existierendes im Raume oder der Zeit vorgestellt wird), d. i. das Reale der Empfindungen, also bloß subjektive Vorstellung, von der man sich nur bewußt werden kann, daß das Subjekt affiziert sei, und die man auf ein Objekt überhaupt bezieht, in sich« (B207 f.).

Demnach müssen uns Empfindungen gegeben sein, damit wir eine Form apprehendieren können. Dies schließt allerdings nicht aus, dass wir nachträglich von der Qualität der Empfindung (bspw. den verschiedenen Farben) abstrahieren und uns nur noch den Umriss der Form (also gewissermaßen die ›Zeichnung‹) vorstellen können. 36 Wenngleich Farben und Töne einen wichtigen Beitrag zur Apprehension von Formen und somit zur Schönheit leisten, so bleibt doch eine Art Formalismus-Einwand bestehen: Farben und Töne, so der Einwand, werden in Kants Theorie auf ihren Beitrag zum raumzeitlichen Ordnen reduziert, 37 wobei unerheblich ist, welche spezifische Farbkomposition vorliegt. Diesen Einwand bringt Dunham vor, wenn er das folgende Gedankenexperiment schildert: »imagine the performance of a symphony in which the violin parts are played by the horns and the horn parts by the violin« (Dunham 1939, 374). 38 Tatsächlich scheint es mir korrekt, 39 dass Farben und spezifische Töne Vgl. A20 f./B35. Vgl. etwa Guyer 1979, 224–237. 38 Vgl. auch: »violet, as a single color, may be liked or disliked as you ease, even though no experience will yield you a sensation of violet alone. In a painting, however, where the violet serves a definite artistic purpose, it cannot avoid being a necessary part of the total effect. The solitary notes of a trombone may be pleasant perhaps only to the player, but in the performance of a symphony they may be so necessary that the music would be crippled by a loss of them« (Dunham 1939, 372 f.). 39 In § 42 gibt es eine Passage, die nahelegt, dass die Farben und spezifischen Töne der 36 37

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§ 14 Die Rolle von Reizen und Empfindungen in Geschmacksurteilen

nach Kant primär insofern zur Schönheit beitragen können, als sie durch Kontrast eine funktionale Rolle für die raum-zeitliche Anordnung einnehmen. Jedoch darf man diese Funktion nicht geringer einstufen, als sie tatsächlich ist. Wenn ich in einer Symphonie die Stimme der Violinen von Hörnern spielen lasse, so werden sich die Kontrastverhältnisse massiv verändern. Man stelle sich nur den Extremfall vor, dass die Trompetenstimme der Symphonie von Blockflöten gespielt würde. Ebenso kann man in einem Bild die Farben oder auch nur die Farbintensitäten nicht ändern, ohne die Kontrastverhältnisse zu ändern (man stelle sich vor, Monets London-Bilder würden in extrem intensiven Neonfarben reproduziert). Ich möchte erneut betonen: Kants These ist in gewisser Hinsicht nur, dass einzelne, isolierte Farben und Töne nicht schön sein können. Dass aber ein Mannigfaltiges an Farben oder Tönen zu einer spezifischen Form synthetisiert werden und insofern schön sein kann, ist damit nicht ausgeschlossen.

14.5 Zur Rolle von Parerga Wir müssen noch ganz kurz auf die Rolle der sogenannten ›Parerga‹ eingehen, die Kant im neunten Absatz erläutert. 40 Er schreibt: § 14.I.1 »Selbst was man Z i e r r a t h e n (Parerga) nennt, d. i. dasjenige, was nicht in die ganze Vorstellung des Gegenstandes als Bestandstück innerlich, sondern nur äußerlich als Zuthat gehört und das Wohlgefallen des Geschmacks vergrößert, thut dieses doch auch nur durch seine Form: wie Einfassungen der Gemälde, oder Gewänder an Statuen, oder Säulengänge um Prachtgebäude. § 14.I.2 Besteht aber der Zierrath nicht selbst in der schönen Form, ist er, wie der goldene Rahmen, bloß um durch seinen Reiz das Gemälde dem Beyfall zu empfehlen angebracht; so heißt er als-

Natur eine weitere, eher assoziative Bedeutung für die Schönheit haben können. So soll etwa »die weiße Farbe der Lilie das Gemüth zu Ideen der Unschuld« oder die rote Farbe »zur Idee der Erhabenheit« stimmen (302,12). Auf diese Rolle kann ich allerdings nicht weiter eingehen. Zudem scheint mir nicht klar, ob etwa Farben nicht auch eine spezifische Funktion im Rahmen von ästhetischen Ideen haben können. 40 Für eine ausführliche Diskussion von Kants Konzeption der Parerga vgl. Gammon 1999, 149–158.

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Abgrenzung des Schönen von der Rührung

dann S c h m u c k , und thut der ächten Schönheit Abbruch« (226,4).

Ein Zierrat oder Parergon ist also etwas, das zusätzlich zu einer (Kunst-)Schönheit dazukommt. Ein Paradebeispiel ist der Bilderrahmen. Kants Punkt in dieser Passage ist recht einfach: Ein Zierrat kann nur etwas zur Schönheit des Gegenstandes beitragen, wenn er durch seine Form eine Lust am Schönen anregt. Dadurch würde dann die Intensität der Lust am Schönen erhöht bzw. ›vergrößert‹. Wenn der Zierrat aber primär durch einen Reiz gekennzeichnet ist und eine Lust am Angenehmen bewirkt, so ›thut er‹ – wie jeder bloße Reiz bzw. jede Lust am Angenehmen – ›der ächten Schönheit Abbruch‹. 41 Dass der ›Reiz das Gemälde dem Beyfall‹ empfiehlt, bedeutet, dass er die oben erläuterte aufmerksamkeitsrichtende und aufmerksamkeitserhaltende Funktion ausübt. Wenngleich diese Funktion dem ungeübten Geschmack dienlich sein kann, so werden dadurch doch eine reine Lust am Schönen und ein reines Geschmacksurteil unterbunden.

14.6 Abgrenzung des Schönen von der Rührung Im letzten Absatz bringt Kant kurz eine Begründung vor, warum das Schöne nicht mit der Rührung vermischt werden kann. Dazu heißt es: § 14.J.1 »R ü h r u n g , eine Empfindung, wo Annehmlichkeit nur vermittelst augenblicklicher Hemmung und darauf erfolgender stärkerer Ergießung der Lebenskraft gewirkt wird, gehört gar nicht zur Schönheit. § 14.J.2 [a] Erhabenheit (mit welcher das Gefühl der Rührung verbunden ist) aber erfordert einen andern Maaßstab der Beurtheilung, als der Geschmack sich zum Grunde legt; [b] und so hat ein reines Geschmacksurtheil weder Reiz noch Rührung, mit einem Worte keine Empfindung, als Materie des ästhetischen Urtheils, zum Bestimmungsgrunde« (226,13).

Bei der Analyse von § 13 haben wir Rührung als ein Doppelgefühl aus einer Unlust am Unangenehmen und einer Lust am Angenehmen be-

41

Siehe hierzu Kap. 13.3.

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§ 14 Die Rolle von Reizen und Empfindungen in Geschmacksurteilen

stimmt. 42 Genau diese Charakteristik als Doppelgefühl wird in § 14.J.1 durch die Formulierung ›augenblickliche[.] Hemmung und darauf erfolgende[.] stärkere[.] Ergießung der Lebenskraft‹ ausgedrückt. Nun schreibt Kant in § 14.J.2, dass mit der ›Erhabenheit… das Gefühl der Rührung verbunden ist‹. Dies muss bedeuten, dass das Gefühl des Erhabenen bisweilen mit einer Rührung im obigen Sinne vermischt werden kann; 43 und ein Urteil über das Erhabene, das auf einem solchen vermischten Gefühl beruht, wäre dann ein unreines Urteil über das Erhabene. 44 Aber könnte nicht auch dem (unreinen) Geschmacksurteil eine Rührung zugrunde liegen? Kant führt aus, dass ›Erhabenheit…einen andern Maaßstab der Beurtheilung [erfordert], als der Geschmack sich zum Grunde legt‹. Dieser ›Maaßstab‹ des Urteils über das Erhabene, so mein Vorschlag, ist nichts anderes als das Doppelgefühl aus Unlust und Lust. Im Gegensatz dazu ist der Maßstab beim Geschmacksurteil das einfache Gefühl der Lust. Die Rührung ›gehört gar nicht zur Schönheit‹, weil sie diesem Maßstab eines einfachen Gefühls nicht entspricht. Dabei liegt implizit die folgende These zugrunde: Einfache Formen der Lust lassen sich nur mit einfachen Formen der Lust vermischen; Doppelgefühle aus Unlust und Lust lassen sich nur mit Doppelgefühlen aus Unlust und Lust vermischen. 45 Diese These wird durch die folgende Passage aus § 23 bestätigt: »indem dieses (das Schöne) directe ein Gefühl der Beförderung des Lebens bey sich führt, und daher mit Reizen und einer spielenden Einbildungskraft vereinbar ist; jenes aber (das Gefühl des Erhabenen) eine Lust ist, welche Siehe Kap. 13.1.2. Kant bezeichnet manchmal das Gefühl des Erhabenen selbst als Rührung (vgl. 245,1). Dass er sich in § 14.J.2 mit dem Begriff der Rührung nicht auf das Gefühl des Erhabenen beziehen kann, ist daraus klar, dass er in § 14.J.1 die Rührung mit Rekurs auf die ›Annehmlichkeit‹ bestimmt. 44 Vgl. zur Möglichkeit von unreinen Urteilen über das Erhabene: »daß in der transcendentalen Aesthetik der Urtheilskraft lediglich von reinen ästhetischen Urtheilen die Rede seyn müsse, folglich die Beyspiele nicht von solchen schönen oder erhabenen Gegenständen der Natur hergenommen werden dürfen, die den Begrif von einem Zwecke voraussetzen; denn alsdann würde es entweder teleologische, oder sich auf bloßen Empfindungen eines Gegenstandes (Vergnügen oder Schmerz) gründende, mithin im ersteren Falle nicht ästhetische, im zweyten nicht bloße formale Zweckmäßigkeit seyn« (269,36 f., m. H.). 45 Diese These hat zur Konsequenz, dass die Lust am Schönen auch nicht mit der Achtung vermischt werden kann; denn die Achtung ist ebenfalls ein Doppelgefühl aus Unlust (Demütigung) und Lust. Siehe hierzu Kap. 16.2. 42 43

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Zusammenfassung

nur indirecte entspringt, nämlich so daß sie durch das Gefühl einer augenblicklichen Hemmung der Lebenskräfte und darauf sogleich folgenden desto stärkern Ergießung derselben erzeugt wird, mithin als Rührung kein Spiel, sondern Ernst in der Beschäftigung der Einbildungskraft zu seyn scheint. Daher es auch mit Reizen unvereinbar ist« (244,32 f.).

Demnach ist das Gefühl des Schönen mit Reizen vereinbar, weil es ›directe ein Gefühl der Beförderung des Lebens‹, d. h. eine Lust, ist; hingegen ist das Gefühl des Erhabenen ›mit Reizen unvereinbar‹, weil die Lust hier ›nur indirecte entspringt‹, d. h. weil ein Doppelgefühl aus Unlust und Lust vorliegt. Halten wir fest: Die Lust am Schönen kann nicht mit einer Rührung vermischt werden, weil die Rührung ein Doppelgefühl aus Unlust und Lust ist und eine Lust nur mit einer einfachen Lust vermischt werden kann. Nimmt man an, dass die Lust am Angenehmen und die Rührung die einzigen beiden Gefühle sind, die durch Empfindungen erwirkt werden, so kann Kant in § 14.J.2b folgern: 46 ›und so hat ein reines Geschmacksurtheil weder Reiz noch Rührung, mit einem Worte keine Empfindung, als Materie des ästhetischen Urtheils, zum Bestimmungsgrunde‹. Denn dass das reine Geschmacksurteil unabhängig von Reizen ist, hat er bereits in § 13 gezeigt.

14.7 Zusammenfassung Kant unterscheidet reine und empirische ästhetische Urteile: Ein empirisches ästhetisches Urteil ist ein Urteil über das Angenehme; es prädiziert eine Lust, die durch einen Reiz (Empfindung) bewirkt wird. Ein reines ästhetisches Urteil ist ein Urteil über das Schöne; es prädiziert eine Lust, die auf die Form des Objekts zurückzuführen ist. Kant unterscheidet zudem zwischen reinen und unreinen Geschmacksurteilen: Bei unreinen Geschmacksurteilen ist die Lust am Schönen mit etwas Fremdartigem (etwa einer Lust am Angenehmen) vermischt; reinen Geschmacksurteilen liegt dagegen eine unvermischte Lust am Schönen zugrunde. Kant wendet sich gegen das Missverständnis, Reize könnten schön sein; denn Reize sind Empfindungen und können daher nur Freilich wird auch die Unlust am Unangenehmen durch eine Empfindung bewirkt. Vermutlich steht es aber für Kant außer Frage, dass die Lust am Schönen nicht mit einer Unlust vermischt werden kann.

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eine Lust am Angenehmen bewirken. Zudem wendet er sich gegen das Missverständnis, Schönheit könnte durch Reize erhöht werden. Vielmehr verhindern Reize, insofern sie die Aufmerksamkeit stark auf sich ziehen, das freie Spiel und unterbinden damit das Geschmacksurteil. Dennoch können Empfindungen verschiedene Funktionen im Geschmacksurteil oder für den Geschmack einnehmen. Erstens können Reize eine pädagogische Funktion ausüben. Wenn eine durch Reize bewirkte Lust am Angenehmen mit der Lust am Schönen vermischt wird, so kann dies ein Subjekt mit einem ungeübten Geschmack dazu motivieren, den Geschmack zu kultivieren. Zweitens können Reize eine aufmerksamkeitsrichtende und aufmerksamkeitserhaltende Funktion ausüben. Sie können die Aufmerksamkeit des Subjekts auf ein Objekt richten, sodass das Subjekt dann in einen Zustand des freien Spiels eintreten kann; und sie können die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand erhalten, sodass gegebenenfalls auch das freie Spiel erhalten wird. Diese beiden Funktionen von Reizen führen zu unreinen Geschmacksurteilen. Es gibt aber zwei Funktionen von Empfindungen, die auch im reinen Geschmacksurteil Anwendung finden können. Drittens können nämlich im Rahmen der Wellentheorie Eulers reine Farben und Töne selbst schön sein; denn das Mannigfaltige an Wellen bzw. Schlägen lässt sich gegebenenfalls zu einer Form synthetisieren. Viertens kann ein Mannigfaltiges an Farben und Tönen insofern zur Apprehension der Form und damit zum Schönen beitragen, als durch den Kontrast der einzelnen Farben und Töne Begrenzungen sichtbar werden. Insbesondere diese vierte Funktion ist nicht geringzuschätzen; denn sie erklärt warum ganz spezifische Farbkombinationen oder Instrumentierungen einen zentralen Beitrag zur Schönheit leisten können. Schließlich muss das reine Geschmacksurteil nicht nur von Reizen, sondern auch von der Rührung abgegrenzt werden. Die Lust am Schönen kann nur mit anderen Formen von Lust vermischt werden, nicht aber mit Doppelgefühlen aus Unlust und Lust. Da die Rührung ein solches Doppelgefühl ist, kann sie nicht mit der Lust am Schönen vermischt werden und somit nicht dem Geschmacksurteil zugrunde liegen.

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14.8 Literaturbericht § 14 findet in der Literatur oft nur im Rahmen des Formalismus-Vorwurfs Beachtung. Auf diesen Vorwurf werde ich in Kürze genauer eingehen. Zuvor möchte ich jedoch einen Überblick geben, wie andere Themen dieses Paragraphen in der Literatur behandelt werden. Fragen wir zunächst, wie der Kontrast von empirischen und reinen ästhetischen Urteilen interpretiert wird. Bei zahlreichen KommentatorInnen wird dieser Kontrast gar nicht aufgegriffen, nämlich etwa bei Allison (2001), Crawford (1974), Rivera de Rosales (2008), Wenzel (2000), Zammito (1992) und Zuckert (2007). Crowther und Gammon erwähnen diesen Kontrast nur, erläutern ihn aber nicht weiter (vgl. Crowther 2010, 69; Gammon 1999, 157). Guyer versteht den Kontrast so: »Empirical or material judgments of taste are simply those which assert that objects are agreeable, and are grounded on feelings of pleasure ascribed to the physiological effects of objects on the senses. Pure or formal judgments of taste are those which ascribe beauty to an object, and must be founded on the attribution of the felt pleasure to the harmony of the faculties, and on the a priori imputation of pleasure so felt to other persons« (Guyer 1979, 224). Diese Unterscheidung ist zwar richtig; jedoch geht daraus nicht hervor, warum Kant in diesem Kontext den Begriff der Reinheit nutzt. Makkreel kennt irritierenderweise neben dem Geschmacksurteil als reines ästhetisches Urteil zwei unreine ästhetische Urteile: »empirische ästhetische Urteile beruhen auf einem sinnlichen Interesse, intellektuelle ästhetische Urteile auf einem Interesse an Vollkommenheit oder an dem, was ein Objekt sein soll« (Makkreel 1997, 64). Es bleibt dabei jedoch völlig unklar, warum Urteile über die Vollkommenheit überhaupt ästhetische Urteile sein sollten. Wenzel vertritt die ähnlich unklare These, dass ein Geschmacksurteil durch den Einbezug der Vollkommenheit nicht immer zu einem unreinen Urteil würde: »But regarding […] concepts and perfection, there still is a way of integrating them that does not make the judgment totally impure« (Wenzel 2008, 71). Dagegen schließt Kulenkampff sowohl Reize als auch die Vollkommenheit als Fehlerquelle vom (reinen) Geschmacksurteil aus. Zunächst schreibt er: »Die Bestimmung ›rein‹ meint in diesem Fall nichts anderes als die Interesselosigkeit der Lust am Schönen, die der Rechtfertigungsgrund des Urteils ist« (Kulenkampff 1994, 147). Dann ergänzt er: »Die Betonung der Reinheit des Geschmacksurteils dient dazu, auf mögliche Fehlerquellen und Täuschungsmöglichkeiten aufmerksam zu machen; solche Fehlerquellen sind z. B. ›Reiz und Rührung‹«, aber auch die Vollkommenheit (Kulenkampff 1994, 148). Würden Reize oder die Vollkommenheit einbezogen, handele es sich »nur irrtümlich um ein Geschmacksurteil über das Schöne« (Kulenkampff 1994, 148). Ferner betont Kulenkampff, der erste Absatz von § 14 sei insofern irreführend, als Reinheit hier etwas ganz anderes bedeute als in theoretischen Urteilen; denn Geschmacksurteile seien empirische Urteile und setzten mit den ForKants Philosophie des Schönen

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men und Gestalten eine Materie voraus (vgl. Kulenkampff 1994, 230 f.). Ob das reine ästhetische Urteil (§ 14) dasselbe ist wie das reine Geschmacksurteil (§ 13), ist in der Literatur meines Wissens bislang nicht untersucht worden. Die Frage, welche Rolle Reizen bzw. Farben und Tönen im Geschmacksurteil zukommen kann, wird ebenfalls kaum, geschweige denn ausführlich untersucht. Dies ist insofern erstaunlich, als eine Antwort auf diese Frage entscheidende Auswirkungen auf einen möglichen Formalismus-Vorwurf hat. Guyer (1979, 232) und Wenzel (2000, 103 f. & 2008, 63 f.) erwähnen nur kurz die Möglichkeit, dass Farben und Töne im Rahmen der Wellentheorie Eulers selbst schön sein können. Allison verweist ebenfalls auf diese Möglichkeit (vgl. Allison 2001, 134), benennt aber zusätzlich die aufmerksamkeitsrichtende Funktion von Reizen: »charm may have a kind of auxiliary role to play by awakening interest when taste is not yet cultivated« (Allison 2001, 135). Ähnlich schreibt Rivera de Rosales: »Aber der Reiz könnte uns helfen, die Aufmerksamkeit auf das Schöne zu ziehen« (Rivera de Rosales 2008, 88). Gammon stellt die pädagogische Funktion von Reizen heraus: »In the service of cultivating taste, empirical charms help to advertise the designs of the beautiful for those who have a weak or undeveloped sense of taste, by independently appealing to the subjective interest of the observer« (Gammon 1999, 157). Dass Farben und Töne einen Beitrag zur Form leisten, betonen schließlich Zuckert (2007, 183 & 192) und Crawford. Letzterer schreibt: »Kant admits that colors and tones may make a positive contribution to the aesthetic value of the art object. But they do so not because of their own nature or any (aesthetic) pleasure we may take in them, but only insofar as ›they make the form more exactly, definitely, and completely intuitible, and besides, by their charm awaken and fix our attention on the object itself‹« (Crawford 1974, 107 f.). Eulers Wellentheorie soll erklären, unter welchen Umständen isolierte Farben und Töne selbst schön sein können. Wie werden diese Theorie und ihre Anwendung auf das Schöne gedeutet? Wenzel gibt Eulers Theorie folgendermaßen wieder: »Such vibrations are formal, mathematical, and spatio-temporal in nature. Viewed in the light of this explanation, colors and tones are not secondary but primary qualities, which would explain how even colors and tones can be regarded as objects of judgments of taste« (Wenzel 2008, 64). Wenzel erläutert jedoch weder, inwiefern wir über solche Farben und Töne reflektieren können, noch warum nur reine Farben schön sein können. An anderer Stelle deutet er die Reinheit als »Unvermischtheit, Gleichmäßigkeit und ›Gleichförmigkeit‹« (Wenzel 2000, 103); aber auch daraus geht nicht hervor, warum ausschließlich reine Farben schön sein können. Mit diesem Mangel ist auch Crawfords Wiedergabe der Euler-Passage behaftet: »On the assumption that colors and tones are isochronous vibrations of the ether and air, and on the assumption that the mind not only perceives by sense their effect in exciting the appropriate

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sense organ but also perceives by reflection the regular play of impressions (that is, the vibrations themselves), then insofar as given colors or tones are pure (that is, have no admixture of any foreign sensation) they can be beautiful« (Crawford 1974, 108). Zammito scheint nahelegen zu wollen, nur reine Empfindungen verfügten über eine Form. Er schreibt, Kant »had recourse to the theories of Leonhard Euler, who tried to established mathematical regularities in these phenomena [tones and colors] in terms of wave frequencies. […] What Kant believed he had done was to establish the ›purity‹ of these sensations as a kind of form« (Zammito 1992, 120). Expliziter tritt dieser Gedanke bei Allison hervor: »it is the uniformity that pertains to form; while the fact that it can be appreciated in reflection in abstraction from the particular quality of the sensation is apparently what allows such uniformity to be considered beautiful, rather than merely agreeable. This is contrasted with so-called mixed colors, which not being simple, presumably lack the uniformity on the basis of which an appreciation of mere form in abstraction from the matter of sensation is possible« (Allison 2001, 134). Scharfe Kritik an der Euler-Passage äußern schließlich McCloskey und Guyer. Erstere schreibt: »His [Kants] argument to that effect is strained, obscure, and far from impressive« (McCloskey 1987, 63). Guyer kritisiert Kants Ausführungen als unhaltbar, da sie mit Kants Theorie der Musik konfligierten und nicht erklären könnten, warum Mannigfaltigkeiten an Farben und Tönen schön sein können (vgl. Guyer 1979, 232 f.). Letzteres ist aber freilich gar nicht das Ziel der Euler-Passage. Die mit Bezug auf § 14 am meisten diskutierte Frage ist – wie oben bereits angedeutet –, ob Kants Theorie mit einem Formalismus (im schlechten Sinne) behaftet sei. Tatsächlich ist der Formalismus-Vorwurf eine der am häufigsten gegen Kants Ästhetik vorgebrachten Kritiken. Eine hilfreiche Diskussion des Formalismus-Vorwurfs finden sich bei Zuckert (2006); denn sie erörtert überhaupt erst einmal, was genau der Begriff des Formalismus bedeutet und in welcher Hinsicht Kant ein Formalist genannt zu werden verdient. Im Allgemeinen deutet sie den ästhetischen Formalismus folgendermaßen: »Broadly speaking ›formalism‹ is the view that, in aesthetic appreciation of an object (usually a work of art), we do and ought to pay attention not to the object’s representational content, emotional expressiveness, historical, institutional, or social context (whether conditions for the production of the object or its effects), but only to its form. Formalism is characterized in some sense, then, by what it excludes, viz. considerations taken to be external to the object. But it does specify positively (if vaguely) that the form of an object is what makes it beautiful« (Zuckert 2006, 600). Zuckert differenziert dann zwischen den drei Spielarten des Formalismus, die bereits oben eingeführt wurden: ›Property-formalism‹, ›Kind-formalism‹ und ›Whole-formalism‹. 47 AutorInnen, die Kant Forma47

Vgl. Zuckert 2006, 600 f.; siehe Kap. 14.4.

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lismus vorwerfen, verstehen ihn oft als ›property formalist‹ ; eine Möglichkeit, Kant zu verteidigen, besteht darin, ihn als ›whole formalist‹ zu deuten. 48 Wird Kant Formalismus zum Vorwurf gemacht, so kreidet man ihm oft an, er verstehe die Form ausschließlich als raum-zeitliche Gestalt und räume Farben und Tönen keine Rolle für das Schöne ein. Paradigmatisch ist hier etwa die Diagnose Crawfords zu nennen: »Kant is consistently a pure formalist, in the sense that every nonformal feature of an object is completely irrelevant to its beauty and is usually […] also a positive distraction and interferes with the aesthetic experience of beauty« (Crawford 1974, 100); »Kant seems to overlook the fact that both music and the art of color are based on the composition of a variety of tones and colors, respectively, and that for the composition to be beautiful on the basis of its form the elements themselves need be neither beautiful nor not beautiful« (Crawford 1974, 109). Noch deutlicher kritisiert Crowther Kants Formthese, wenn er schreibt: »Kant’s theories of the charming and of the emotional are terribly dated, and should be discarded. He regards, for example, the pleasure in colour as an instance of the charming, and thence one whose origins are causal rather than cognitive. Now, whilst our preference for one particular colour over another may rest on purely personal preference, to take a pleasure in the perceptual relations between colours can go beyond this – in so far as the more such relations are involved in the pleasure the more it is grounded on the harmony of imagination and understanding« (Crowther 2010, 69). Ähnlich harsch bemängelt Zammito: »If, as Kant persuaded himself in § 14, only form as objective reference in a representationof-an-object could elicit a feeling of beauty, then musical tones and the colors in painting – and therewith two of the greatest realms of art – would fall out of the conspectus of his aesthetic theory: a fatal flaw« (Zammito 1992, 119 f.). Formalismus-Vorwürfe im genannten Sinne finden sich ferner auch bei Matthews (1997, 45 f.) und Guyer (1979, 224–237). Auch McCloskey formuliert den geschilderten Formalismus-Vorwurf (vgl. McCloskey 1987, 63 f.). Ergänzend bringt sie die folgende Kritik vor: »Kant goes wrong, I believe, more because he is committed by his epistemology to thinking that the distinction between ›the matter‹ and ›the form‹ of sensation is an absolute one, than because of his insistence upon the importance of perceptual form« (McCloskey 1987, 64). So könne etwa auch die Farbe eines Weins als »a complex of its depth, translucency and shade« gelten (McCloskey 1987, 64). Ich habe oben angeführt, dass nach Zuckerts Kategorisierung eine Replik auf den Formalismus-Vorwurf darin besteht, Kant als ›whole formalist‹ auszuweisen. So schreibt Zuckert selbst: »A color or a line is beautiful in a certain object due to its relations of contrast or complementarity with other, different colors, lines, etc.; these properties ›belong‹ together, harmonize to So auch Zuckert selbst: »Kant is generally taken to be a property-formalist, but ought instead to be understood as a whole-formalist« (Zuckert 2006, 602).

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form a complex whole« (Zuckert 2007, 192). Esser betont, dass sich FMT auf sinnliche Formen bezieht, die Empfindungen (Farben oder Töne) voraussetzen: »Daß Kant Farb- und Klangqualitäten für die ästhetische Kontemplation und die Kunstbetrachtung für belanglos gehalten haben soll, beruht auf einem Mißverständnis seines Begriffes der Form und dessen Funktion. Diese wird dabei als abstrakte, mathematische Gestalt, als bloße Umrißzeichnung – damit aber auch als begriffsbestimmte Form – mißverstanden. Kant versteht jedoch die Form eines Gegenstandes als empirische Form im Sinne einer raum-zeitlichen Geordnetheit von Empfindungen […]. Die gegebene Form als sinnliche konstituiert sich in der Apprehension von Ton-, bzw. Farbempfindungen. So ist die empirische Form nicht abstraktiv gewonnenes Größenverhältnis der Gestalt, nicht begriffsbestimmte Umrißzeichnung, sondern individuelle sinnliche Form eines wahrgenommenen Gegenstandes« (Esser 1997, 169 f.; vgl. ähnlich Esser 2000,128 f.). Auch ich habe betont, dass wir die allermeisten Formen nur mittels eines gegebenen Mannigfaltigen an Empfindungen erlangen. Jedoch scheint mir wenigstens im Bereich der visuellen Formen eine (nachträgliche) Abstraktion von Empfindungen möglich, aus der eine ›Umrisszeichnung‹ resultiert, die nicht ›begriffsbestimmt‹ ist. Während Zuckert und Esser zugestehen, dass die schöne Form als raum-zeitliche Anordnung zu verstehen sei, wird genau dies von anderen AutorInnenn bestritten. So schreibt Allison: »appealing to Guyer’s distinction between a restrictive formalism (where ›form‹ refers merely to spatiotemporal structure) and a broader, nonrestrictive sense (which includes things like the arrangement of colors in painting or instrumentation in music), I argued that Kant’s conception of the harmony of the faculties in free play does entail a formalism of the latter sort« (Allison 2001, 288; vgl. auch 136 f.). Allerdings scheint mir auch ein Farbarrangement an eine raumzeitliche Form gebunden zu sein; denn die Farben müssen ja im Raum geordnet sein. Eine gänzlich andere Strategie verfolgt Savile. Er konstatiert, dass Kant zwar von einer »finality of form« und »form of finality« spreche, dass jedoch keiner der zentralen Theoriebausteine von Kants Theorie des Schönen eine solche Beschränkung auf die Form erfordere (Savile 1993, 120). Wir haben dagegen gesehen, dass sowohl der Theoriebaustein des freien Spiels als auch der subjektiven ZM die Formthese implizieren. Abschließend sei noch kurz darauf verwiesen, dass die Abgrenzung des Schönen von der Rührung fast nie thematisiert wird. Bisweilen werden höchstens knappe Kommentare – wie »Die Rührung wird beim Erhabenen eine Rolle spielen« (Rivera de Rosales 2008, 88) – eingestreut. Dies ist insofern erstaunlich, als Kant mit der Abgrenzung von der Rührung die allgemeine These vertritt, dass die Lust am Schönen nicht mit Doppelgefühlen aus Lust und Unlust kombiniert werden kann.

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§ 15 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils: Zur Unabhängigkeit von der Vollkommenheit

Das reine Geschmacksurteil ist durch eine doppelte Unabhängigkeit von der Materie und einen doppelten Bezug zur Form gekennzeichnet: Erstens ist es unabhängig von der Empfindung als Materie der Erscheinung und beruht stattdessen auf der Form der Erscheinung. Zweitens ist es unabhängig vom Zweck als »Materie des nexus finalis« (§ 10.B.5, 220,29) und beruht stattdessen auf der bloßen Form der ZM, d. h. einer ZM ohne Zweck. Kant hat den jeweils ersten Aspekt (Unabhängigkeit von der Empfindung und Bezug zur Form der Erscheinung) in den §§ 13–14 erläutert. In den §§ 15–16 wendet er sich nun dem jeweils zweiten Aspekt zu, d. h. der Unabhängigkeit vom Zweck und dem Bezug zur Form der ZM. Nun hat Kant eigentlich bereits in den §§ 11–12 dafür argumentiert, dass dem Geschmacksurteil die Manifestation einer subjektiven ZM ohne Zweck zugrunde liegt. Warum bedarf es also einer weiteren Erläuterung dieses Aspekts? Das hat zwei Gründe: Erstens bezieht Kant den Theoriebaustein der ZM ohne Zweck nunmehr auf die Differenzierung von reinem und unreinem Geschmacksurteil. Zweitens wendet Kant sich in den §§ 15–16 der Abgrenzung des Schönen vom Guten – insbesondere von der Vollkommenheit – anhand des Merkmals der subjektiven ZM ohne Zweck zu. Die Dringlichkeit dieser Abgrenzung von der Vollkommenheit ergibt sich daraus, dass Kant sich von rationalistischen Positionen in der Ästhetik abgrenzen möchte, wie sie etwa prominent durch Baumgarten oder Mendelssohn vertreten wurden. Insgesamt lässt sich § 15 folgendermaßen gliedern: 1. Abgrenzung des Schönen von der objektiven Zweckmäßigkeit allgemein (§ 15.A.1–2, 226,24–30) 2. Abgrenzung des Schönen vom Nützlichen (§ 15.B.1–2, 226,31– 227,2) 3. Abgrenzung des Schönen von der Vollkommenheit (§ 15.B.3D.5, 227,3–228,34) a) Entwicklung des Begriffs der Vollkommenheit (§ 15.B.C.1– 3, 227,10–24) 798

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Vorüberlegung: Baumgartens Ästhetik als Gegenstand der Kritik

b)

Probleme des Begriffs einer formalen Vollkommenheit (§ 15.C.4–6, 227,25–228,5) c) Abgrenzung des Schönen von der (materialen) Vollkommenheit (§ 15.D.1–2a, 228,6–11) [Ergänzung: Verworrene und deutliche Begriffe der Vollkommenheit (§ 15.D.2b-5, 228,11–34)] [Ergänzung: Die Rolle des Verstandes im Geschmacksurteil (§ 15.D.6, 228,34–229,5)]

15.1 Vorüberlegung: Baumgartens Ästhetik als Gegenstand der Kritik In den §§ 15–16 grenzt sich Kant primär von Positionen in der philosophischen Ästhetik ab, nach denen Schönheit eine Art von Erkenntnis der Vollkommenheit ist. Einen ganz konkreten Hinweis auf diese Tradition gibt Kant in der folgenden Passage: § 15.B.3 »Aber eine objective innere Zweckmäßigkeit, d. i. Vollkommenheit, kommt dem Prädikate der Schönheit schon näher, und ist daher auch von namhaften Philosophen, doch mit dem Beysatze, w e n n s i e v e r w o r r e n g e d a c h t w i r d , für einerley mit der Schönheit gehalten worden« (227,2).

Wer sind diese ›namhaften Philosophen‹, die Schönheit als eine verworrene Vorstellung der Vollkommenheit deuten, und was genau bedeutet dieses Verständnis der Schönheit? Kant verweist auf die Unterscheidung zwischen deutlichen und verworrenen Vorstellungen und damit auf die Leibniz-Wolff’sche Schule. In dieser Tradition geht der Differenzierung in deutliche und verworrene Vorstellungen eine weitere Unterscheidung vorher, nämlich diejenige zwischen klaren und dunklen Vorstellungen. 1 Eine dunkle Vorstellung ist eine Vorstellung, die nicht von anderen Vorstellungen unterschieden werden kann; eine klare Vorstellung hingegen ist eine distinkte Vorstellung, d. h. sie kann von anderen Vorstellungen unterschieden werden. 2 Insgesamt nimmt etwa Leibniz eine vierstufige Differenzierung vor: »Die Erkenntnis ist also entweder dunkel oder klar und die klare Erkenntnis wiederum entweder verworren oder deutlich, die deutliche Erkenntnis aber entweder inadaequat oder adaequat und gleichfalls entweder symbolisch oder intuitiv« (Leibniz 1965, 33). 2 Vgl. etwa bei Leibniz: »Dunkel ist ein Begriff, der zum Wiedererkennen der dargestellten Sache nicht ausreicht, wie wenn ich mich zum Beispiel irgendeiner Blume 1

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§ 15 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils:

Diese Differenzierung geht bisweilen – etwa bei Meier – damit einher, dass man dunkle Vorstellungen ohne Bewusstsein, klare Vorstellungen aber mit Bewusstsein hat. 3 Dem schließt sich auch Kant an: »Bin ich mir der Vorstellung bewußt: so ist sie k l a r ; bin ich mir derselben nicht bewußt, d u n k e l « (Log: 33). 4 Die klaren Vorstellungen werden auf einer zweiten Stufe in deutliche und verworrene Vorstellungen unterteilt. 5 Dazu führt Bondeli aus: »Die verworrenen Vorstellungen gelten dabei als Vorstellungen, die in ihren Merkmalen unbestimmt bleiben, die deutlichen Vorstellungen als Vorstellungen, die in ihren Merkmalen bestimmt werden« (Bondeli 2015a, 2570). 6 Insbesondere oder eines Tieres, die ich einst gesehen habe, erinnere, jedoch nicht in dem Maße, daß es genug ist, um das Vergessene wiedererkennen und von etwas ihm Nahestehenden unterscheiden zu können; […]. Klar ist also die Erkenntnis, wenn ich sie so habe, daß ich aus ihr die dargestellte Sache wiedererkennen kann, […]. […]; so erkennen wir zwar Farben, Gerüche, Geschmacksempfindungen, und andere den Sinnen eigentümliche Gegenstände hinreichend klar und unterscheiden sie voneinander« (Leibniz 1965, 33 ff.). 3 Vgl. bei Meier: »Wir sind uns unserer Vorstellungen oder unserer Erkenntniß bewußt, in so ferne wir sie und den Gegenstand derselben von andern Vorstellungen und Sachen unterscheiden« (Meier 2015, § 27, 27). 4 An anderer Stelle bringt Kant allerdings die Kritik vor, dass uns mindestens einige dunkle Vorstellungen bewusst sein müssen; klare Vorstellungen seien dann im Gegensatz zu dunklen dadurch gekennzeichnet, dass »das Bewußtsein zum Bewußtsein des U n t e r s c h i e d e s derselben [Vorstellung] von andern zureicht« (B415 Fn.; vgl. auch Bondeli 2015b, 2572). 5 Kant selbst lehnt diese Unterscheidung insofern ab, als er der Deutlichkeit nicht Verworrenheit, sondern Undeutlichkeit entgegensetzt, da es undeutliche Vorstellungen gebe, die nicht verworren seien (vgl. Log: 34). 6 Vgl. bei Leibniz: »Verworren ist sie [die Erkenntnis], wenn ich freilich nicht genügend Kennzeichen gesondert aufzählen kann, um die Sache von anderen zu unterscheiden, wenn auch jene Sache solche Kennzeichen und Merkmale tatsächlich besitzt, in welche ihr Begriff aufgelöst werden kann: so erkennen wir zwar Farben, Gerüche, Geschmacksempfindungen, und andere den Sinnen eigentümliche Gegenstände hinreichend klar und unterscheiden sie voneinander, aber auf Grund des einfachen Zeugnisses der Sinne, nicht jedoch auf Grund aussagbarer Kennzeichen. […] Ein deutlicher Begriff aber ist ein solcher, den die Münzwardeine vom Golde haben, auf daß sie die Sache durch Merkmale und ausreichende Prüfungen von allen anderen ähnlichen Körpern unterscheiden: solche Begriffe pflegen wir in bezug auf die mehreren Sinnen gemeinsam zukommenden Begriffe zu haben, wie die der Zahl, der Größe, der Gestalt, ebenso in bezug auf viele Affekte der Seele, wie Hoffnung und Furcht, das heißt in bezug auf alles, wovon wir eine Nominaldefinition besitzen, die nichts anderes als die Aufzählung der zureichenden Kennzeichen ist. Dennoch gibt es auch eine deutliche Erkenntnis von einem undefinierbaren Begriff, wenn er einfach oder das Kennzeichen seiner selbst ist, das heißt, wenn er nicht aufgelöst und nur durch sich selbst eingesehen werden kann und daher der Merkmale entbehrt« (Leib-

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fallen sinnliche Vorstellungen unter die verworrenen Vorstellungen. Gegen diese letzte These bringt Kant insbesondere zwei Kritikpunkte vor: Erstens kritisiert er die Annahme, dass wir durch Sinnlichkeit undeutliche Vorstellungen der Dinge an sich erhalten würden. 7 Zweitens kritisiert er, dass Sinnlichkeit als verworrene Erkenntnis bzw. verworrener Begriff verstanden wird; denn dadurch werde die Sinnlichkeit intellektualisiert und der spezifische Unterschied zwischen Sinnlichkeit und Verstand bzw. Anschauung und Begriff gehe verloren. 8 Die Unterscheidungen zwischen dunklen und klaren sowie verworrenen und deutlichen Vorstellungen sind für Kants Theorie des Schönen in zweierlei Hinsicht relevant, wobei der Begriff einer klaren und verworrenen Vorstellung im Zentrum steht. Erstens gilt die Lust bei einigen Philosophen, etwa bei Leibniz und Wolff, als eine spezifische klare und verworrene Vorstellung, nämlich als verworrene Vorstellung der Vollkommenheit. 9 So ist Lust bei Leibniz ein »sentiment de perfection« (Leibniz 1990, 194) und bei Wolff eine »cognitio intuitiva perfectionis« (C. Wolff 1968, § 511, 389). Da beide Lust als sinnliche Vorstellung der Vollkommenheit verstehen, wobei sie sinnliche Vorstellungen als klar und verworren bestimmen, so ist die Lust in diesen Theorien eine klare und verworrene Vorstellung der Vollkommenheit. Dieser Deutung der Lust hält Kant entgegen, dass eine »[s]innliche Vorstellung der Vollkommenheit […] ein ausdrücklicher Widerspruch« sei (EEKU: 226,31 f.); denn Vollkommenheit könne immer nur mittels eines Begriffs erkannt werden. Das Verständnis der Lust als klare und verworrene Vorstellung der Vollkommenheit hat zweitens bei einigen Philosophen einen unmittelbaren Bezug zum Schönen. So formuliert bereits Wolff: »Pulchritudo consistit in perfectione rei, quatenus ea vi illius ad niz 1965, 33 ff.). – Vgl. auch Meier: »Wenn wir uns einer Vorstellung oder einer Sache bewußt sind, so kan es auf eine zweyfache Art geschehen. Einmal wenn wir uns derselben, im Ganzen betrachtet, zwar bewußt sind, aber wenn wir mitten in ihrem Umfange nichts von einander unterscheiden, und alsdenn ist unsere Erkentniß eine undeutliche Erkentniß. Wenn wir aber, zum andern, uns einer Sache und einer Vorstellung, nicht nur im Ganzen betrachtet, bewußt sind, wenn wir sie nicht nur im Ganzen von andern unterscheiden, sondern wir auch überdis in der Sache und in der Vorstellung derselben mancherley von einander unterscheiden, so ist unsere Erkentniß eine deutliche Erkentniß« (Meier 2015, § 28, 28 f.). 7 Vgl. A43 f./B60 ff.; Prol: 290. 8 Vgl. A270 f./B326 f.; FM: 279; EEKU: 226,23. 9 Siehe hierzu auch Kap. 2.1. – Vgl. hierzu Vesper 2015b, 1443 f.; Guyer (2014). Kants Philosophie des Schönen

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§ 15 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils:

voluptatem in nobis producendam apta« (C. Wolff 1968, § 544, 420). 10 Berühmt sind dann insbesondere Baumgartens Thesen zum Schönen. Bereits in den meditationes philosophicae de nunolis ad poema pertinentibus entwickelt er die folgenden Gedanken: »klare Vorstellungen sind poetischer […] als dunkle« (Baumgarten 1983, § XIII, 15) und »die verworrenen [klaren Vorstellungen] [sind] poetisch« (Baumgarten 1983, § XV, 17). In der Metaphysik heißt es dann: »Die Vollkommenheit in so ferne sie eine Erscheinung ist, oder in so ferne sie durch den Geschmack in der weitern Bedeutung bemerkt werden kan, ist die Schönheit (pulcritudo); und die Unvollkommenheit in so ferne sie eine Erscheinung ist, oder in so ferne sie durch den Geschmack in der weitern Bedeutung bemerkt werden kan, ist die Häßlichkeit (deformitas)« (Baumgarten 1783, § 488, 238).

Die ›Vollkommenheit in so ferne sie eine Erscheinung ist‹, ist nichts anderes als eine sinnliche Vorstellung der Vollkommenheit, d. h. eine klare und verworrene Vorstellung derselben. In der Nachfolge Baumgartens ist insbesondere Mendelssohn diesem Verständnis von »Schönheit« zuzuordnen. 11 Kehren wir zu Kant zurück. Wenn er formuliert, dass die Vollkommenheit »von namhaften Philosophen, doch mit dem Beysatze, w e n n s i e v e r w o r r e n g e d a c h t w i r d , für einerley mit der Schönheit gehalten worden« (§ 15.B.3, 227,2), dann bezieht er sich damit auf die Tradition von Wolff, Baumgarten und Mendelssohn, die insgesamt in der Nachfolge von Leibniz stehen. Das zentrale Merkmal dieser Tradition besteht darin, dass Schönheit als eine sinnliche und in diesem Sinne klare, aber verworrene Vorstellung der Vollkommenheit gedeutet wird. In § 15 distanziert sich Kant explizit von dieser Konzeption der Schönheit.

15.2 Abgrenzung des Schönen von der objektiven Zweckmäßigkeit allgemein Bevor Kant seine Theorie der Schönheit explizit von den rationalistischen Positionen Wolffs und Baumgartens sowie vom Begriff der

Im Deutschen: »Schönheit besteht in der Vollkommenheit einer Sache, insofern diese geeignet ist, durch ihre Kraft ein Vergnügen in uns hervorzubringen.« 11 Vgl. Guyer (2014). 10

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Abgrenzung des Schönen von der objektiven Zweckmäßigkeit allgemein

Vollkommenheit abgrenzt, legt er zunächst dar, dass das Schöne von der objektiven ZM allgemein unabhängig ist. Dazu heißt es: § 15.A.1 »Die o b j e c t i v e Zweckmäßigkeit kann nur vermittelst der Beziehung des Mannigfaltigen auf einen bestimmten Zweck, also nur durch einen Begrif erkannt werden. § 15.A.2 Hieraus allein schon erhellet: [a] daß das Schöne, dessen Beurtheilung eine bloß formale Zweckmäßigkeit, d. i. eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck, zum Grunde hat, von der Vorstellung des Guten ganz unabhängig sey, [b] weil das letztere eine objective Zweckmäßigkeit, d. i. die Beziehung des Gegenstandes auf einen bestimmten Zweck, voraussetzt« (226,24).

Erinnern wir uns an den Begriff der objektiven ZM, den wir folgendermaßen bestimmt hatten: ZMoR1 Die objektive ZM bezeichnet eine Beziehung eines Objekts auf ein Objekt (auf sich selbst oder auf ein anderes Objekt). Die spezifische Beschaffenheit des Objekts wird als intentionales Produkt eines Willens angesehen.

Die Beschaffenheit eines Objekts stimmt zu einem Zweckbegriff zusammen, der festlegt, »was das Ding seyn solle« (§ 15.C.4, 227,28). Dabei kann der Zweckbegriff entweder ein Begriff davon sein, was das Objekt selbst sein soll – und dann liegt eine objektive innere ZM bzw. Vollkommenheit vor –, oder er ist ein Begriff davon, wozu das Objekt nützlich sein soll – und dann liegt eine objektive relative ZM bzw. Nützlichkeit vor. 12 Nun geht Kant in § 15.A.1 von Fällen aus, in denen eine objektive ZM ›erkannt‹ wird, d. h. wir befinden uns im epistemischen Kontext. 13 Es ist eigentlich offensichtlich, dass eine objektive ZM immer nur durch einen Begriff – nämlich einen Zweckbegriff – erkannt werden kann. Ob die Beschaffenheit eines Gegenstandes zu einem Zweckbegriff zusammenstimmt, erkenne ich eben nur dadurch, dass ich den Gegenstand auf diesen Zweckbegriff beziehe. Dies wird noch deutlicher, wenn wir uns an den Unterschied von objektiver und subjektiver ZM erinnern. Die subjektive ZM besteht in der Beziehung des Gegenstandes auf das Subjekt bzw. auf das Erkenntnisvermögen des Subjekts. Ein Gegenstand ist subjektiv zweckmäßig, wenn er zur Zusammenstimmung der ErkenntnisverSiehe zu dieser Unterscheidung Kap. 10.1.3. Zur Differenzierung zwischen dem epistemischen und dem ontologischen Kontext der ZM siehe Kap. 10.1.2.

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mögen zur Erkenntnis überhaupt zusammenstimmt. Da uns der Gemütszustand der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt auch ohne einen Zweckbegriff bewusst werden kann – nämlich durch ein Gefühl der Lust –, so können wir eine subjektive ZM anders bemerken als durch Rekurs auf einen Zweckbegriff. Eine subjektive ZM kann daher als ZM ohne Zweck bemerkt werden. 14 Die Möglichkeit, die subjektive ZM ohne Rekurs auf einen Zweckbegriff zu bemerken, besteht nur deshalb, weil sich diese ZM durch eine Beziehung des Objekts auf das Subjekt konstituiert. Das ist bei einer objektiven ZM aber offenkundig nicht der Fall. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass Kant in § 15.A.1 konstatiert, die objektive ZM könne ›nur vermittelst der Beziehung des Mannigfaltigen auf einen bestimmten Zweck, also nur durch einen Begrif erkannt werden‹. Auf der Grundlage von § 15.A.1 und § 15.A.2a können wir nunmehr das folgende Argument rekonstruieren: P1

Wenn ein Urteil eine objektive ZM beinhaltet, dann liegt ihm ein Begriff eines Zwecks zugrunde. P2 Dem Geschmacksurteil liegt kein Begriff eines Zwecks zugrunde (sondern eine subjektive ZM ohne Zweck). Also: Das Geschmacksurteil beinhaltet keine objektive ZM. 15

Dazu möchte ich noch dreierlei anmerken: Wenn Kant in § 15.A.2 schreibt, das Schöne habe ›eine bloß formale Zweckmäßigkeit, d. i. eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck, zum Grunde‹, dann bezieht er sich damit auf die Manifestation der subjektiven ZM des schönen Gegenstandes im freien Spiel bzw. in der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt. Er kann sich mit der ›bloß formale[n] Zweckmäßigkeit‹ an dieser Stelle nicht auf die abstrakte, im Prinzip a priori beinhaltete formale ZM beziehen. 16 Zwar liegt auch diese formale ZM dem Geschmacksurteil mittels des Prinzips a priori ›zum Vgl. hierzu Kants Argumentation für eine ZM ohne Zweck in § 10: »Nun haben wir das, was wir beobachten, nicht immer nöthig durch Vernunft (seiner Möglichkeit nach) einzusehen. Also können wir eine Zweckmäßigkeit der Form nach, auch ohne daß wir ihr einen Zweck (als die Materie des nexus finalis) zum Grunde legen, wenigstens beobachten, und an Gegenständen, wiewohl nicht anders als durch Reflexion, bemerken« (§ 10.B.4–5, 220,26). Siehe insbesondere auch die Analyse dieser Passage in Kap. 10.2.2. 15 Kant würde auch ein einfacheres Argument zur Verfügung stehen. Dieses würde darauf aufbauen, dass das Geschmacksurteil nicht-begrifflich ist (BTUrteil), während die ZM mit Zweck nur durch einen Begriff (vom Objekt) erkannt werden kann. 16 Für diese verschiedenen Ebenen der ZM im Geschmacksurteil siehe Kap. G3.3. 14

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Grunde‹, aber dies ist auch bei teleologischen Erkenntnisurteilen über die objektive ZM der Fall. Von genau diesen Urteilen will Kant das Geschmacksurteil aber gerade unterscheiden. Zweitens verweist Kant in § 15.A.1 explizit auf Fälle, in denen eine ›objektive Zweckmäßigkeit…erkannt‹ wird; er bewegt sich also im epistemischen Kontext der ZM. Die Erkenntnis der objektiven ZM bildet dabei einen Kontrast zum Bemerken der subjektiven ZM mittels der Lust beim Schönen. Zudem ist der epistemische Kontext vom praktischen Kontext des Zwecks und der ZM unterschieden, d. h. die Erkenntnis der ZM eines Gegenstandes ist unterschieden vom Hervorbringen eines zweckmäßigen Gegenstandes aufgrund einer Willensbestimmung durch einen Zweckbegriff. 17 (Jedoch beinhaltet der Imperativ, der das willentliche Hervorbringen bewirkt, einen Zweck und die Erkenntnis einer ZM. 18) Damit geht einher, dass Kant die Lust am Schönen nun nicht mehr primär von der Lust am Guten, die im praktischen Kontext auftritt, abgrenzt, sondern vielmehr von der (theoretischen) Erkenntnis der Vollkommenheit. Nun heißt es aber drittens in § 15.A.2a, ›daß das Schöne, dessen Beurtheilung eine bloß formale Zweckmäßigkeit, d. i. eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck, zum Grunde hat, von der Vorstellung des Guten ganz unabhängig sey‹. Ist mit dem ›Guten‹ aber nicht der praktische Kontext der ZM bezeichnet? 19 Diese Vermutung scheint dadurch bestätigt zu werden, dass Kant im nächsten Absatz die Lust am Schönen von der Lust am Nützlichen abgrenzt, wobei eine Lust am Nützlichen nur im praktischen, nicht aber im epistemischen Kontext vorliegt. 20 Im dritten und vierten Absatz Für die Differenzierung der verschiedenen Kontexte des Zwecks und der ZM siehe Kap. 10.1.1 sowie 10.1.2. 18 So setzt ein Imperativ immer ein Wissen darum voraus, wie ein Gegenstand beschaffen sein muss, damit er mit dem im Imperativ eingeschlossenen Zweck zusammenstimmt. Siehe Kap. 11.2.2. 19 Vgl. hierzu etwa: »In beiden [im Nützlichen und an sich Guten] ist immer der Begrif eines Zwecks, mithin das Verhältniß der Vernunft zum (wenigstens möglichen) Wollen, folglich ein Wohlgefallen am D a s e y n eines Objects oder einer Handlung, d. i. irgend ein Interesse, enthalten« (§ 4.A.3, 207,18). – Vgl. insbesondere auch die Verwendung des Begriffs des Guten in der KpV (etwa in KpV: 58). 20 So führt Kant in der Ersten Einleitung zur Vollkommenheit das Folgende aus: »Wenn ich aber von einer Vollkommenheit […] rede, so liegt immer der Begrif von Etwas, als einem Zwecke, zum Grunde, auf welchen jener ontologische, der Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu Einem, angewandt wird. Dieser Zweck darf aber nicht immer ein practischer Zweck seyn, der eine Lust an der Existenz des Objects voraussetzt, oder einschließt, sondern er kann auch zur Technick gehören, betrift also blos die Möglichkeit der Dinge und ist die Gesetzmäßigkeit einer an sich zu17

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grenzt Kant dann aber das Schöne explizit von der Erkenntnis der Vollkommenheit ab; und in Anbetracht der Tatsache, dass Kant sich von Baumgarten abheben will, ist damit wohl primär eine theoretische Erkenntnis der Vollkommenheit gemeint. Mein Vorschlag ist, dass man in § 15.A.2 den Begriff des Guten weit verstehen muss, sodass er sowohl das Gute im praktischen Kontext als auch die (theoretische) Erkenntnis der objektiven ZM umfasst. 21 Ferner gehe ich davon aus, dass Kant das Schöne in den §§ 15–16 sowohl vom Guten im praktischen Kontext als auch von der theoretischen Erkenntnis der Vollkommenheit abgrenzt, wobei sich diese beiden Abgrenzungen bisweilen vermischen oder überlagern.

15.3 Zur Abgrenzung des Schönen vom Nützlichen Nachdem Kant im ersten Absatz das Schöne von der objektiven ZM allgemein abgegrenzt hat, grenzt er es noch einmal gesondert je von der Nützlichkeit und der Vollkommenheit ab. Dazu differenziert er zunächst zwischen diesen beiden Arten der objektiven ZM: § 15.B.1 »Die objective Zweckmäßigkeit ist entweder die äußere, d. i. die N ü t z l i c h k e i t , oder die innere, d. i. die Vo l l k o m m e n h e i t des Gegenstandes« (226,31).

Es schließt sich zunächst eine kurze Passage zur Abgrenzung des Schönen von der Nützlichkeit an. Diese soll, so erläutert Kant, bloß an die Abgrenzung von der Nützlichkeit im Ersten Moment erinnern: § 15.B.2 »[a] Daß das Wohlgefallen an einem Gegenstande, weshalb wir ihn schön nennen, nicht auf der Vorstellung seiner Nützlichkeit beruhen könne, ist aus beiden vorigen Hauptstücken hinreichend zu ersehen: [b] weil es [das Wohlgefallen am Schönen] alsdann nicht ein unmittelbares Wohlgefallen an dem Gegenstande seyn würde, welches letztere die wesentliche Bedingung des Urtheils über Schönheit ist« (226,33 f.).

Dieser Passage können wir das folgende Argument entnehmen: fälligen Verbindung des Mannigfaltigen in demselben« (EEKU: 228,8, m. H. und Kants H. getilgt). 21 Tatsächlich verwendet Kant den Begriff des Guten bisweilen auch für die (theoretische) Erkenntnis der objektiven ZM. Vgl. hierzu: »so thut die Verbindung des Guten (wozu nämlich das Mannigfaltige dem Dinge selbst, nach seinem Zwecke, gut ist) mit der Schönheit, der Reinigkeit desselben Abbruch« (§ 16.D.2, 230,11).

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Zur Abgrenzung des Schönen vom Nützlichen

P1

Wenn eine Lust eine Lust am Nützlichen ist, dann wird sie mittelbar am Gegenstand gefühlt. P2 Die Lust am Schönen wird nicht mittelbar (sondern unmittelbar) am Gegenstand gefühlt. Also: Die Lust am Schönen ist keine Lust am Nützlichen.

Die Lust am Nützlichen ist insofern mittelbar, als der Gegenstand nur deshalb gefällt, weil er Mittel zu einem (außer ihm liegenden) Zweck ist. Der Gegenstand ist daher nur aufgrund seines Bezugs zu einem anderen Gegenstand mit Lust verbunden. Beim Schönen hingegen ist es die Vorstellung vom schönen Gegenstand selbst – ohne Bezug zu einem außer ihm liegenden Gegenstand oder Begriff –, die in einer inneren Verarbeitung als lustvoll erlebt wird. Es stellen sich zwei Fragen: Inwiefern ist erstens die Unmittelbarkeit der Lust ›die wesentliche Bedingung des Urtheils über Schönheit‹ ? Und auf welche Passage bezieht sich Kant in § 15.B.2a (›in den ersten beiden Hauptstücken‹)? Zur ersten Frage müssen wir bemerken, dass die Unmittelbarkeit der Lust insofern nicht die wesentliche Bedingung der Lust am Schönen sein kann, als sie mittels dieser Bedingung nicht von allen anderen Arten der Lust abgegrenzt werden kann; denn auch die Lust am Angenehmen und die Lust am moralisch Guten werden unmittelbar am Gegenstand gefühlt. Jedoch ist umgekehrt die Mittelbarkeit ein Spezifikum der Lust am Nützlichen und somit ihre wesentliche Bedingung. Vor diesem Hintergrund können wir die Unmittelbarkeit der Lust am Schönen als wesentliches Abgrenzungskriterium zur Lust am Nützlichen deuten. Bezüglich der zweiten Frage ist zu bemerken, dass Kant in den ersten beiden Momenten das Schöne eigentlich nicht explizit mittels des Kriteriums der Unmittelbarkeit vom Nützlichen abgrenzt. Dennoch gibt es einen Hinweis auf eine solche Abgrenzung in § 4: »Daß dieses aber alsdann eine ganz andere Beziehung auf das Wohlgefallen sey, wenn ich das, was vergnügt, zugleich g u t nenne, ist daraus zu ersehen, daß beym Guten immer die Frage ist, ob es blos mittelbar-gut oder unmittelbar-gut (ob nützlich oder an sich gut) sey; da hingegen beym Angenehmen hierüber gar nicht die Frage seyn kann, indem das Wort jederzeit etwas bedeutet, was unmittelbar gefällt. (Eben so ist es auch mit dem, was ich schön nenne, bewandt.)« (§ 4.C.5–6, 208,4)

Kant deutet hier immerhin an, dass das Schöne ›unmittelbar gefällt‹, während das Nützliche bloß ›mittelbar-gut‹ sei. Allerdings sind Kants primäre Abgrenzungskriterien des Schönen vom Nützlichen in den Kants Philosophie des Schönen

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§ 15 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils:

ersten beiden Momenten die Uninteressiertheitsthese (UT) und die Begriffslosigkeitsthese (BT).

15.4Zum Begriff der Vollkommenheit Nachdem Kant daran erinnert hat, dass das Schöne von der Nützlichkeit abzugrenzen ist, leitet er mit der folgenden Passage zur Abgrenzung von der Vollkommenheit über: § 15.B.3 »[a] Aber eine objective innere Zweckmäßigkeit, d. i. Vollkommenheit, kommt dem Prädikate der Schönheit schon näher, [b] und ist daher auch von namhaften Philosophen, doch mit dem Beysatze, w e n n s i e v e r w o r r e n g e d a c h t w i r d , für einerley mit der Schönheit gehalten worden. § 15.B.5 Es ist von der größten Wichtigkeit, in einer Critik des Geschmacks zu entscheiden, ob sich auch die Schönheit wirklich in den Begrif der Vollkommenheit auflösen lasse« (227,2).

Den Ausgangspunkt von Kants Ausführungen zur Vollkommenheit bildet die folgende Überlegung: § 15.B.3a* Eine objektive innere Zweckmäßigkeit, d. i. die Vollkommenheit, kommt dem Prädikat der Schönheit schon näher [als die Nützlichkeit].

Warum sollte die Vollkommenheit dem Schönen ›näher kommen‹ als die Nützlichkeit? Erst einmal sind sowohl die Lust an der (moralischen) Vollkommenheit als auch die theoretische Beurteilung der Vollkommenheit unmittelbar auf den Gegenstand bezogen, d. h. sie sind nicht durch Mittelbarkeit ausgezeichnet. Das Schöne und die Vollkommenheit stimmen also darin überein, dass der Gegenstand selbst im Zentrum steht. Zudem lassen sich Beurteilungen der Vollkommenheit und der Schönheit in angewandten Geschmacksurteilen kombinieren, während eine Kombination vom Nützlichen mit dem Schönen nicht möglich ist. In § 15.B.3b verweist Kant auf ›namhafte Philosophen‹. Die These dieser Philosophen lautet auf den Punkt gebracht: § 15.B.3bR1 Schönheit ist eine verworrene Vorstellung der Vollkommenheit.

Wie oben dargelegt, verweist Kant damit auf eine rationalistische Position, wie sie etwa von Wolff, Baumgarten und Mendelssohn vertre808

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ten wurde. 22 Bereits aus der Prominenz dieser Position wird ersichtlich, warum es ›von der größten Wichtigkeit‹ ist, ›zu entscheiden, ob sich auch die Schönheit wirklich in den Begrif der Vollkommenheit auflösen lasse‹. Diese Wichtigkeit wird noch eindringlicher, wenn man sich vor Augen führt, dass nach Kant eine objektive ZM und somit eine Vollkommenheit nur durch einen Begriff erkannt werden kann. Wenn das Schöne bloß eine spezifische Erkenntnis der Vollkommenheit wäre, dann wäre das Geschmacksurteil ein Erkenntnisurteil. Das Geschmacksurteil würde keine spezifische und eigenständige Art von Urteilen ausmachen; »und so würde alle S c h ö n h e i t aus der Welt weggeläugnet« (346,32). Doch was bedeutet der Begriff der Vollkommenheit im kantischen Sinne eigentlich?

15.4.1 Der Begriff der Vollkommenheit Im dritten Absatz erläutert Kant, was er unter »Vollkommenheit« versteht: § 15.C.1 »[a] Die objective Zweckmäßigkeit zu beurtheilen, bedürfen wir jederzeit den Begrif eines Zwecks, [b] und [wenn jene Zweckmäßigkeit nicht eine äußere (Nützlichkeit), sondern eine innere seyn soll] den Begrif eines innern Zwecks, der den Grund der innern Möglichkeit des Gegenstandes enthalte. 23 § 15.C.2 [a] So wie nun Zweck überhaupt dasjenige ist, dessen B e g r i f als der Grund der Möglichkeit des Gegenstandes selbst angesehen werden kann: [b] so wird, um sich eine objective Zweckmäßigkeit an einem Dinge vorzustellen, der Begrif von diesem, w a s e s f ü r e i n D i n g s e y n s o l l e , voran gehen; [c] und die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen in demselben zu diesem Begriffe (welcher die Regel der Verbindung desselben an ihm giebt) ist die q u a l i t a t i v e Vo l l k o m m e n h e i t eines Dinges« (227,10).

Kant stellt voran, dass wir, um eine ›objective Zweckmäßigkeit zu beurtheilen,…jederzeit den Begrif eines Zwecks [bedürfen]‹ (§ 15.C.1a). Damit greift er seine Aussage aus § 15.A.1 auf, dass »[d]ie o b j e c Siehe Kap. 15.1. Die eckigen Klammern zeigen an dieser Stelle keine Ergänzung meinerseits an, sondern sind der Neuedition durch Andrea Esser entnommen.

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§ 15 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils:

t i v e Zweckmäßigkeit […] nur vermittelst der Beziehung des Mannigfaltigen auf einen bestimmten Zweck, also nur durch einen Begrif erkannt werden [kann]« (226,24). Wir haben gesehen, dass wir eine objektive ZM schon deswegen nur durch den Begriff eines Zwecks erkennen können, weil eine ZM dafür steht, dass ein Gegenstand einem Zweck gemäß ist, wobei ein Zweck ein Begriff davon ist, was ein Gegenstand sein soll. Bei einer objektiven inneren ZM, d. h. einer Vollkommenheit, ist dieser Zweck ein innerer Zweck: § 15.C.1b* Um eine innere Zweckmäßigkeit zu beurteilen, bedürfen wir jederzeit den Begriff eines inneren Zwecks, der den Grund der inneren Möglichkeit des Gegenstandes enthält.

Eine (objektive) ›innere Zweckmäßigkeit‹ ist nichts anderes als die Vollkommenheit. Reduziert man die obige Proposition auf ihre Kernaussage, so ergibt sich das folgende Bild: § 15.C.1bR1 Wir können eine Vollkommenheit nur mittels des Begriffs eines inneren Zwecks beurteilen.

In Rahmen unserer Untersuchungen von § 10 haben wir den inneren Zweck (in Abgrenzung vom äußeren Zweck) folgendermaßen charakterisiert: Innerer Zweck Ein innerer Zweck ist ein Begriff davon, was der Gegenstand selbst sein soll. Äußerer Zweck Ein äußerer Zweck ist ein Begriff davon, wozu der Gegenstand nützlich sein soll.

Wir können nun ein umfassenderes Bild des inneren Zwecks zeichnen. So erläutert Kant in der Klammerbemerkung in § 15.C.1b, dass dieser ›Begriffe…die Regel der Verbindung desselben [Mannigfaltigen] an ihm [dem Ding] giebt‹. Dies bedeutet natürlich erst einmal im praktischen Kontext, dass der Begriff des Zwecks, der den Willen bestimmt, die Regel angibt, wie das Mannigfaltige (das Material) angeordnet werden muss. Auf den epistemischen Kontext, in dem sich Kant in § 15 insgesamt bewegt, 24 übertragen, gibt der Begriff des Zwecks an, wie das Mannigfaltige in einem spezifischen gegebenen Gegenstand angeordnet sein muss, damit er als zweckmäßig (dem Wir können einen Gegenstand auch im Sinne der Vollkommenheit beurteilen, wenn er kein (menschliches) Produkt ist, sondern etwa ein Naturgegenstand. Wir unterstellen dem Gegenstand dann bloß eine ›als-ob‹-Zweckmäßigkeit, d. h. wir beurteilen ihn so, als wäre er absichtlich durch einen Willen nach einem bestimmten Zweckbegriff hervorgebracht worden.

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Zweck gemäß) gelten kann. Dies umfasst auch, dass der Begriff des Zwecks angibt, welches Mannigfaltige (Material) überhaupt vorhanden sein muss. Erinnern wir uns an das Beispiel der Geige: Der innere Zweck legt nicht nur fest, dass eine Geige etwa über einen Korpus, einen Hals und ein Griffbrett usw. verfügen muss, sondern er legt auch fest, dass der Hals oberhalb des Korpus angebracht sein muss und das Griffbrett auf dem Hals aufliegen muss. Ebenso legt der innere Zweck fest, dass der Korpus aus Holz bestehen soll. Wir können unsere Bestimmung des inneren Zwecks somit folgendermaßen ergänzen: Innerer Zweck Ein innerer Zweck ist ein Begriff davon, was der Gegenstand selbst sein soll. Dieser Begriff legt fest, welches Mannigfaltige gegeben sein muss und wie es angeordnet sein muss, damit ein bestimmter Gegenstand als diesem Begriff gemäß (zweckmäßig) gelten kann.

Vor diesem Hintergrund schlage ich die folgende Rekonstruktion von § 15.C.1b vor: § 15.C.1bR2 Wir können eine Vollkommenheit nur mittels des Begriffs eines inneren Zwecks beurteilen, d. h. mittels eines Begriffs davon, was der Gegenstand selbst sein soll, wobei dieser Begriff angibt, welches Mannigfaltige gegeben sein muss und wie es angeordnet sein muss.

Um demnach einen Gegenstand als vollkommen zu beurteilen, müssen wir überprüfen, ob das in ihm gegebene und spezifisch angeordnete Mannigfaltige damit übereinstimmt, was der Gegenstand sein soll. Will ich etwa die Geige hinsichtlich ihrer Vollkommenheit beurteilen, so muss ich überprüfen, ob sie über einen Korpus, einen Hals, vier Saiten usw. verfügt. Eine Vollkommenheit liegt dann vor, wenn der Gegenstand wirklich über die entsprechenden Bestandteile verfügt und diese entsprechend angeordnet sind, wie es der Zweckbegriff festlegt. Die Geige wäre also vollkommen, wenn sie aus einem Korpus bestünde, an dem oberhalb ein Hals angebracht wäre, auf dem ein Griffbrett aufläge usw. In diesem Sinne bestimmt auch Kant in § 15.C.2c die Vollkommenheit: § 15.C.2c* Die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen in einem Ding zu dem Begriff davon, was das Ding sein soll (welcher Begriff die Regel der Verbindung des Mannigfaltigen an dem Ding gibt), ist die qualitative Vollkommenheit eines Dinges. Kants Philosophie des Schönen

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Wichtig ist, dass die Vollkommenheit über eine normative Komponente verfügt. Kant bestimmt den (inneren) Zweck als einen Begriff davon, »was das Ding seyn solle« (§ 15.C.4, 227,28, m. H.). Damit unterliegt der Gegenstand, der hervorgebracht wird (praktischer Kontext), bzw. der Gegenstand, der beurteilt wird (epistemischer Kontext), einem gewissen Zwang: Er soll einer bestimmten Regel entsprechen, d. h. er soll über spezifische Bestandteile verfügen und diese sollen auf eine spezifische Art und Weise angeordnet sein. Ein Urteil darüber, ob ein Gegenstand vollkommen ist, ist dann immer ein wertendes Urteil; denn es drückt aus, ob der Gegenstand diesem Sollen genügt. 25 Nun ist aber die Form und in diesem Sinne die Anordnung des Mannigfaltigen in einem Gegenstand nicht einfach gegeben, sondern sie erfordert eine Synthesisleistung der Einbildungskraft. In dieser Aktivität unterliegt die Einbildungskraft ebenfalls der vom Zweckbegriff ausgehenden Normativität, d. h. die Einbildungskraft unterliegt dem Zwang, das Mannigfaltige so zu apprehendieren, dass es dem Zweckbegriff entspricht. So heißt es in der Allgemeinen Anmerkungen zum ersten Abschnitte der Analytik: »Wenn aber die Einbildungskraft nach einem bestimmten Gesetze zu verfahren genöthigt wird, so wird ihr Product, der Form nach, durch Begriffe bestimmt, wie es seyn soll; aber alsdenn ist das Wohlgefallen, wie oben gezeigt, nicht das am Schönen, sondern am Guten (der Vollkommenheit, allenfalls bloß der formalen)« (241,6).

Bei der Beurteilung eines Gegenstandes im Sinne der Vollkommenheit unterliegen damit sowohl das Objekt als auch das urteilende Subjekt einem gewissen Zwang. Wir können insgesamt zur Vollkommenheit das Folgende festhalten: i. Wir beurteilen einen Gegenstand als vollkommen, wenn das Mannigfaltige im Gegenstand mit dem Begriff des inneren Zwecks des Gegenstandes übereinstimmt. ii. Der innere Zweck legt fest, was der Gegenstand sein soll, d. h. über welche Bestandteile er verfügen soll und wie diese Bestandteile angeordnet sein sollen.

Vgl. hierzu auch den Eintrag »Vollkommenheit« im Grimm’schen Wörterbuch: »es wird im allgemeinen nur werthend gebraucht, es bezeichnet also nicht nur vollständigkeit, gänze, vorhandensein aller theile oder bedingungen, sondern verbindet damit ein urtheil im guten sinne« (Grimm: Vollkommenheit).

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iii. Vom Zweck geht eine doppelte Normativität aus: Der Zweck legt erstens fest, wie der Gegenstand beschaffen sein soll, und zweitens, wie die Einbildungskraft beim Apprehendieren der Form verfahren soll.

15.4.2 Qualitative und quantitative Vollkommenheit Neben einer allgemeinen Bestimmung der Vollkommenheit nimmt Kant im dritten Absatz auch eine Differenzierung in qualitative und quantitative Vollkommenheit vor. Ohne zunächst den kantischen Text zu berücksichtigen, können wir die Begriffe der quantitativen und qualitativen Vollkommenheit folgendermaßen deuten: Der Begriff der quantitativen Vollkommenheit steht dafür, dass bei einem Gegenstand alle Bestandteile vorhanden sind, die durch seinen Zweckbegriff festgelegt sind; die qualitative Vollkommenheit steht hingegen dafür, dass der Gegenstand über alle geforderten Bestandteile in der entsprechenden Intensität (Qualität) bzw. Proportion verfügt, die durch seinen Zweckbegriff festgelegt sind. So wäre beispielsweise ein quantitativ vollkommener Caipirinha ein Getränk, das (nur) die Bestandteile Cachaça, Limettensaft, Zucker und Eiswürfel aufweist. 26 Ein qualitativ vollkommener Ciapirinha würde darüber hinaus über diese Bestandteile im richtigen Verhältnis verfügen. Diese Deutung der quantitativen und qualitativen Vollkommenheit stimmt erstens gut mit den Begriffen der Quantität und Qualität zusammen. So fallen unter die Qualität »intensive Größen« 27 und unter die Quantität »extensive Größen« (Imhof 2015, 1873). Zweitens lässt sich dieses Verständnis der quantitativen und qualitativen Vollkommenheit in den Wörterbüchern Adelungs und Grimms nachweisen, ohne dass diese Begriffe selbst fallen. So schreibt Adelung, Vollkommenheit sei »derjenige Zustand, da ein Ding die zu seiner Absicht oder Bestimmung nöthigen Eigenschaften in dem gehörigen Grade besitzet« (Adelung: Die Vollkommenheit, m. H.). 28 Dies deckt sich Ein Caipirinha, dem eine zusätzliche Zutat zugefügt würde, etwa Kirschsaft, wäre ebenfalls kein (quantitativ oder qualitativ) vollkommener Caipirinha. 27 Vgl.: »Quantitas qualitatis est gradus« (Prol: 309 Fn.). Vgl. wortgleich bei Baumgarten: »Quantitas qualitatis est GRADUS (quantitas virtutis)« (Baumgarten 2011, § 246, 150). 28 Im Sinne der qualitativen Vollkommenheit in der geschilderten Bedeutung lässt sich auch die Definition von »Vollkommenheit« durch Sulzer verstehen: »Vollkom26

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§ 15 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils:

mit dem erläuterten Verständnis der qualitativen Vollkommenheit. Bei Grimm heißt es: »im vergleiche mit vollkommen zeigt vollkommenheit im entwickelten nhd. eine starke einschränkung des gebrauchs; es wird im allgemeinen nur werthend gebraucht, es bezeichnet also nicht nur vollständigkeit, gänze, vorhandensein aller theile oder bedingungen, sondern verbindet damit ein urtheil im guten sinne« (Grimm: Vollkommenheit).

Die ›Vollständigkeit, Gänze‹ und das ›Vorhandensein aller Teile oder Bedingungen‹ entspricht unserem Verständnis der quantitativen Vollkommenheit, und der wertende Begriff der Vollkommenheit entspricht unserer Deutung der qualitativen Vollkommenheit. Stimmt aber diese Deutung von quantitativer und qualitativer Vollkommenheit mit Kants Erläuterungen in § 15 überein? Zur qualitativen Vollkommenheit schreibt er: § 15.C.2c* Die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen in einem Ding zu dem Begriff davon, was das Ding sein soll (welcher Begriff die Regel der Verbindung des Mannigfaltigen an dem Ding gibt) ist die qualitative Vollkommenheit eines Dinges.

Zur quantitativen Vollkommenheit heißt es im direkten Anschluss: § 15.C.3 »[a] Hiervon ist die q u a n t i t a t i v e [Vollkommenheit], als die Vollständigkeit eines jeden Dinges in seiner Art, gänzlich unterschieden, und ein bloßer Größenbegrif (der Allheit); [b] bey welchem, w a s d a s D i n g s e y n s o l l e , schon zum voraus als bestimmt gedacht, und nur ob a l l e s dazu Erforderliche an ihm sey, gefragt wird« (227,20).

Insbesondere § 15.C.3 passt gut dazu, was wir zur quantitativen Vollkommenheit vermutet haben. So bestimmt Kant letztere als ›Vollständigkeit eines jeden Dinges in seiner Art‹, wobei der Begriff der Vollständigkeit darauf hindeutet, dass ein Gegenstand alle Bestandteile aufweist, über die er verfügen soll. Auch die Formulierung ›ob alles dazu Erforderliche an ihm sey‹ deutet in diese Richtung. Leider findet sich in § 15.C.2c kein expliziter Hinweis darauf, dass bei einer qualitativen Vollkommenheit die einzelnen Bestandteile in einer bemen ist das, was zu seiner Völle gekommen, oder was gänzlich, ohne Mangel oder Ueberfluß das ist, was es seyn soll. Demnach besteht die Vollkommenheit in gänzlicher Uebereinstimmung dessen, das ist, mit dem, was es seyn soll, oder des Würklichen mit dem Idealen« (Sulzer 1794, 688).

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stimmten Intensität bzw. Proportion vorliegen müssen. Der Begriff der ›Zusammenstimmung des Mannigfaltigen‹ könnte zwar in diesem Sinne gedeutet werden, insofern man den Begriff »Stimmung« in Anlehnung an seine Bedeutung im Akustischen als proportioniertes Abgestimmt-Sein deutet. 29 Diese Interpretation ist aber insofern problematisch, als Kant den Begriff der Zusammenstimmung auch im Rahmen der quantitativen Vollkommenheit nutzt. 30 Dennoch scheint mir insbesondere in Abgrenzung zur Bestimmung der quantitativen Vollkommenheit in § 15.C.3 sowie aufgrund des Begriffs des Qualitativen die Annahme sinnvoll, die qualitative Vollkommenheit bestehe darin, dass die Intensität bzw. Proportion der Bestandteile eines Gegenstandes damit übereinstimmt, wie der Gegenstand nach seinem Zweckbegriff beschaffen sein soll. Auch um eine quantitative Vollkommenheit zu erkennen, muss ich den Gegenstand auf seinen Zweckbegriff beziehen. Ich kann die Vollständigkeit der Bestandteile nur dann beurteilen, wenn ich einen Begriff davon habe, über welche Bestandteile der Gegenstand verfügen soll. 31 Dies verdeutlicht Kant in § 15.C.3b, wenn er schreibt, dass bei der quantitativen Vollkommenheit, ›w a s d a s D i n g s e i n s o l l e , schon zum voraus als bestimmt gedacht und nur, ob a l l e s dazu Erforderliche an ihm sey, gefragt wird‹. Insgesamt setzen dann beide Erkenntnisse der Vollkommenheit einen Zweckbegriff voraus. Halten wir zu den beiden Formen der Vollkommenheit das Folgende fest: Quantitative Vollkommenheit: Ein Gegenstand wird als quantitativ vollkommen beurteilt, wenn seine Bestandteile vollständig sind, d. h. wenn er über alle Bestandteile verfügt, über die er verfügen soll. Über welche Bestandteile er verfügen soll, ist durch seinen Zweckbegriff festgelegt, sodass die quantitative Vollkommenheit nur mit Rekurs auf einen Zweckbegriff erkannt werden kann.

So findet sich bei Adelung unter ›Zusammenstimmung‹ bloß ein Verweis auf ›Zusammenklang‹. Unter diesem Eintrag heißt es dann: »von zusammen klingen, der Zustand, da mehrere Töne in dem gehörigen Verhältnisse gegen einander stehen« (Adelung: Der Zusammenklang). 30 Vgl. EEKU: 228,1. 31 Vgl. auch: »Sinnliche Vorstellung der Vollkommenheit ist ein ausdrücklicher Widerspruch, und wenn die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu Einem, Vollkommenheit heißen soll, so muß sie durch einen Begrif vorgestellt werden, sonst kann sie nicht den Namen der Vollkommenheit führen« (EEKU: 226,31 f.). 29

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§ 15 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils:

Qualitative Vollkommenheit: Ein Gegenstand wird als qualitativ vollkommen beurteilt, wenn seine Bestandteile vollständig sind und wenn diese in einer spezifischen Intensität bzw. Proportion vorliegen. Die Intensität bzw. Proportion der Bestandteile ist durch den Zweckbegriff des Gegenstandes festgelegt. Die qualitative Vollkommenheit kann nur mit Rekurs auf einen Zweckbegriff erkannt werden.

An dieser Stelle möchte ich wenigstens kurz skizzieren, dass Kant den Begriff der quantitativen Vollkommenheit in anderen Texten bisweilen anders verwendet, etwa in den beiden folgenden Passagen aus der Ersten Einleitung und der Tugendlehre: »Ich antworte: Vo l l k o m m e n h e i t , als bloße Vollständigkeit des Vielen, so fern es zusammen Eines ausmacht, ist ein ontologischer Begrif, der mit dem der Totalität (Allheit) eines Zusammengesetzten (durch Coordination des Mannigfaltigen in einem Aggregat, oder zugleich der Subordination desselben als Gründe und Folgen in einer Reihe) einerley ist und der mit dem Gefühle der Lust oder Unlust nicht das Mindeste zu thun hat. Die Vollkommenheit eines Dinges in Beziehung seines Mannigfaltigen auf einen Begrif desselben ist nur formal. Wenn ich aber von e i n e r Vollkommenheit (deren es viele an einem Dinge unter demselben Begriffe desselben geben kann) rede, so liegt immer der Begrif von Etwas, als einem Zwecke, zum Grunde, auf welchen jener ontologische, der Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu Einem, angewandt wird« (EEKU: 228,1). »Das Wort Vo l l k o m m e n h e i t ist mancher Mißdeutung ausgesetzt. Es wird bisweilen als ein zur Transzendentalphilosophie gehörender Begriff der A l l h e i t des Mannigfaltigen, was zusammengenommen ein Ding ausmacht, – dann aber auch, als zur Te l e o l o g i e gehörend, so verstanden, daß es die Zusammenstimmung der Beschaffenheiten eines Dinges zu einem Z w e c k e bedeutet. Man könnte die Vollkommenheit in der ersteren Bedeutung die q u a n t i t a t i v e (materiale), in der zweiten die q u a l i t a t i v e (formale) Vollkommenheit nennen« (TL: 386). 32

Vgl. auch: »In jedem Ding ist auch eine omnitudo – Totalität (jedes Ding macht ein Ganzes aus) des Mannigfaltigen ist die Vollkommenheit, oder eigentlich Vollständigkeit. Unser Autor definirt so: Consensus (variorum) ad unum, das enthält aber noch nicht den Begriff der omnitudo. Die transcendentale Vollkommenheit ist nun leicht zu erkennen. Denn jedes Ding ist seinem Wesen nach transcendental vollkommen. In dieser Zusammenstimmung besteht die formale Vollkommenheit, die materielle aber in dem Einen zu welchem jenes Mannigfaltige zusammenstimmt. Man nennt dies auch die Absicht. Es giebt eine quantitative und qualitative Einheit« (V-Met/Dohna: 631 f., m. H.).

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In beiden Passagen wird nur der qualitativen Vollkommenheit eine Beziehung auf einen ›Zweck‹ beigelegt. Hingegen wird die quantitative Vollkommenheit bloß dadurch bestimmt, dass das Mannigfaltige zu ›Einem‹ zusammenstimmt und ›zusammengenommen ein Ding ausmacht‹. 33 Ein Ding wäre demnach quantitativ vollkommen, wenn sich sein Mannigfaltiges zur Form synthetisieren und unter einen Begriff subsumieren ließe. Daher gehört dieser Begriff auch zur ›Transzendentalphilosophie‹. Insofern aber ein jedes Ding (im Sinne einer Erscheinung) allererst durch eine Zusammensetzung des Mannigfaltigen zur Form und eine Subsumtion unter die Kategorien konstituiert wird, wäre jedes Ding quantitativ vollkommen. Anders als in § 15 setzt die Erkenntnis der quantitativen Vollkommenheit hier keinen Bezug auf einen Zweckbegriff voraus. Den Deutungen der quantitativen Vollkommenheit aus der EEKU und der TL einerseits sowie aus § 15 der KU andererseits ist jedoch gemein, dass sie die Beziehung auf einen Begriff beinhalten. So heißt es in der Passage aus der EEKU: ›Die Vollkommenheit eines Dinges in Beziehung seines Mannigfaltigen auf einen Begrif desselben ist nur formal‹. 34 Somit bildet Kants Verständnis von »quantitativer Vollkommenheit« in allen drei Passagen eine Opposition zur Konzeption der sinnlichen Erkenntnis der Vollkommenheit. Der Begriff der quantitativen Vollkommenheit in § 15 ist aber im Vergleich zur EEKU und TL durch den Einbezug des Zweckbegriffs geschärft. So heißt es im direkten Anschluss an die Differenzierung der beiden Arten von Vollkommenheit: § 15.C.4 »Das Formale in der Vorstellung eines Dinges, d. i. die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu Einem (unbestimmt was es seyn solle) giebt, für sich, ganz und gar keine objective Zweckmäßigkeit zu erkennen; weil, da von diesem Einem a l s Z w e c k (was das Ding seyn solle) abstrahirt wird, nichts als die subjective Zweckmäßigkeit der Vorstellungen im Gemüthe des Anschauenden übrig bleibt, […]« (227,25).

Dies passt gut zur Kategorie der Allheit, die bekanntermaßen eine Kategorie der Quantität ist: »So ist die A l l h e i t (Totalität) nichts anders als die Vielheit als Einheit betrachtet« (B111). 34 In der Passage aus der Tugendlehre schreibt Kant zwar nicht explizit, dass bei einer quantitativen Vollkommenheit ein Begriff involviert ist; jedoch kann ein Mannigfaltiges nur ›zusammengenommen ein Ding‹ ausmachen, wenn das Mannigfaltige unter einen Begriff subsumiert wird. 33

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§ 15 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils:

Diesem Zitat folgend reicht es für eine Vollkommenheit nicht aus, dass wir einen Gegenstand zur Form synthetisieren können und er somit ›Eins‹ ausmacht; vielmehr bedarf es des Bezugs auf einen Zweckbegriff. Diese Schärfung der Konzeption der quantitativen Vollkommenheit durch den Zweckbegriff lässt sich als Kritik an Baumgartens Definition der Vollkommenheit werten. 35 Baumgarten bestimmt »Vollkommenheit« nämlich folgendermaßen: »Wenn mehreres zusammengenommen den zureichenden Grund für Eines ergibt, STIMMT ES ZUSAMMEN. Die Zusammenstimmung selbst ist die VOLLKOMMENHEIT, und das Eine, zu dem es zusammenstimmt, ist der BESTIMMENDE GRUND DER VOLLKOMMENHEIT (Brennpunkt der Vollkommenheit)« (Baumgarten 2011, § 94, 89).

Diese Definition rekurriert nicht auf einen Begriff oder gar einen Zweckbegriff. Dies ergibt insofern Sinn, als Baumgarten gerade davon ausgeht, dass es auch eine sinnliche und in diesem Sinne verworrene Vorstellung von Vollkommenheit gibt. Damit wendet Kant sich insgesamt wohl gegen zweierlei: i. Kant wendet sich gegen Definitionen der Vollkommenheit, nach denen Vollkommenheit bloß in einer Zusammenstimmung zu ›Einem‹ besteht, ohne dass ein Bezug auf einen Zweck vorliegt oder vorliegen muss. ii. Kant wendet sich bereits implizit gegen die Konzeption einer sinnlichen (›verworrenen‹) Erkenntnis der Vollkommenheit.

15.5 Abgrenzung des Schönen von der Vollkommenheit Wir können uns Kants Strategie zur Abgrenzung des Schönen von der Vollkommenheit anhand eines Dilemmas verdeutlichen: Wenn man Schönheit als eine Form der Vollkommenheit versteht, dann kann man diese Vollkommenheit entweder im Sinne einer formalen objektiven ZM, d. h. einer objektiven ZM ohne Zweck, verstehen; aber dann unterliegt der Begriff der formalen objektiven ZM einem Widerspruch, nämlich dass man eine Zusammenstimmung eines Mannigfaltigen zu einem Zweck ohne Rekurs auf einen Zweck erkennen müsste (1. Horn). Oder man versteht die Vollkommenheit im Sinne einer materialen objektiven ZM, d. h. einer objektiven ZM mit 35

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Vgl. hierzu auch Zammito 1992, 99.

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Abgrenzung des Schönen von der Vollkommenheit

Zweck; aber dann ist Schönheit eine Form der Erkenntnis und nicht mehr spezifisch vom Guten unterschieden (2. Horn). Wir wollen im Folgenden auf beide Hörner des Dilemmas eingehen.

15.5.1 Es kann keine Erkenntnis einer objektiven ZM ohne Zweck geben Dem ersten Horn des Dilemmas liegt die Annahme zugrunde, dass Schönheit auf einer formalen objektiven ZM, d. h. einer objektiven ZM ohne Zweck, beruht. Diese Annahme korrespondiert dem Verständnis von Schönheit als verworrene (sinnliche) Erkenntnis der Vollkommenheit. 36 Kant hält diesem Verständnis das Folgende entgegen: § 15.C.4 »[a] Das Formale in der Vorstellung eines Dinges, d. i. die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu Einem (unbestimmt was es seyn solle) giebt, für sich, ganz und gar keine objective Zweckmäßigkeit zu erkennen; [b] weil, da von diesem Einem als Z w e c k (was das Ding seyn solle) abstrahirt wird, nichts als die subjective Zweckmäßigkeit der Vorstellungen im Gemüthe des Anschauenden übrig bleibt, [c] welche wohl eine gewisse Zweckmäßigkeit des Vorstellungszustandes im Subject, und in diesem eine Behaglichkeit desselben eine gegebene Form in die Einbildungskraft aufzufassen, aber keine Vollkommenheit irgend eines Objects, das hier durch keinen Begrif eines Zweck gedacht wird, angiebt. § 15.C.5 Wie z. B., wenn ich im Walde einen Rasenplatz antreffe, um welchen die Bäume im Cirkel stehen, und ich mir dabey nicht einen Zweck, nämlich daß er etwa zum ländlichen Tanze dienen solle, vorstelle, nicht der mindeste Begrif von Vollkommenheit durch die bloße Form gegeben wird. Dass Kant selbst einmal ein solches Verständnis von Schönheit in Betracht gezogen hat, geht aus der folgenden Reflexion aus dem Jahr 1769 hervor: »Man sieht, daß fast alles in der Natur, was sich selbst, abgesondert von dem allgemeinen Klump der Materie, zu bilden die Eigenschaft hat, in den Augen des Menschen schön ist; hieraus ist zu sehen, daß die Schönheit eine folge der Vollkommenheit seyn und daß die sinnliche Anschauung derselben auf eben den Gründen beruhen müsse, worauf die Vollkommenheit selbst nach Begriffen. Vielleicht ist also die Erkenntnis der Vollkommenheit beym Menschen das erste; dieses sinnlich erkannt: die Schönheit; diese in der Empfindung: die Annehmlichkeit« (Refl: 656).

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§ 15 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils:

§ 15.C.6 Eine formale o b j e c t i v e Zweckmäßigkeit aber ohne Zweck, d. i. die bloße Form einer Vo l l k o m m e n h e i t (ohne alle Materie und B e g r i f von dem wozu zusammengestimmt wird, wenn es auch bloß die Idee einer Gesetzmäßigkeit überhaupt wäre) sich vorzustellen, ist ein wahrer Widerspruch« (227,25).

Die erste zentrale Aussage findet sich in § 15.C.4a. Die Formulierung ›[d]as Formale in der Vorstellung eines Dinges‹ muss für eine nicht begrifflich erfasste Form stehen. So spricht Kant in § 15.C.4c von einer ›gegebenen Form‹ und in § 15.C.5 von der ›bloßen Form‹. 37 Wir können daher die folgende Rekonstruktion von § 15.C.4a vornehmen: § 15.C.4aR1 Die nicht begrifflich erfasste Form einer Vorstellung, d. i. die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu Einem (unbestimmt, was es sein soll) gibt, für sich, keine objektive Zweckmäßigkeit zu erkennen.

Kants These ist demnach, wir könnten dadurch, dass wir ein Mannigfaltiges zu einer Form synthetisieren können und das Mannigfaltige damit ›zu Einem‹ zusammenstimmt, keine objektive ZM erkennen. Damit schließt er an seine Ausführungen in § 15.C.1–3 an. So hatte er in § 15.C.1 (sowie in § 15.A.1) betont, dass wir, um »[d]ie objective Zweckmäßigkeit zu beurtheilen, […] jederzeit den Begrif eines Zwecks [bedürfen]« (227,10). Insbesondere aber schließt Kant an seine These in § 15.C.3 an, dass auch bei einer quantitativen Vollkommenheit ein Bezug zu einem Zweck, d. h. darauf, »w a s d a s D i n g s e y n s o l l e « (227,23), vorausgesetzt ist. Mit diesem Verständnis der quantitativen Vollkommenheit wendet sich Kant, wie oben erläutert, explizit dagegen, dass die bloße Zusammenstimmung zu Einem, d. h. eine bloße Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu einer Form ohne Bezug auf einen Zweck, schon als Vollkommenheit gelten kann. Genau diesen Gedanken greift er § 15.C.4a erneut auf. Seine These, dass sich die bloße Form einer Vorstellung ohne Bezug auf einen Zweck nicht als Vollkommenheit qualifiziert, illustriert Kant in § 15.C.5 anhand eines Beispiels. Das bloße Zusammensetzen des In der gesamten Passage muss zwischen der Form des Gegenstandes bzw. der Vorstellung und der Form der ZM, d. h. der ZM ohne Zweck, unterschieden werden. Wenn Kant in § 15.C.5 die Formulierung ›bloße Form‹ nutzt, denn rekurriert er damit auf die Form des Gegenstandes; wenn er aber in § 15.C.6 die Formulierung ›bloße Form einer Vollkommenheit‹ verwendet, dann ist damit eine objektive ZM ohne Zweck gemeint.

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Mannigfaltigen an Bäumen zur Form eines Zirkels ist keine Erkenntnis der Vollkommenheit. Wenn ich aber diese Form auf den (inneren) Zweck beziehe, dass die Bäume einen Zirkel bilden sollen, so kann ich ein Urteil über die Vollkommenheit fällen. 38 In § 15.C.4b–c kontrastiert Kant die objektive ZM mit der subjektiven ZM anhand der Frage, ob sie ohne Zweck auftreten können. Da ich diesen Kontrast bereits früher herausgearbeitet habe, möchte ich nur kurz darauf eingehen. 39 Kant schreibt, dass, ›da von diesem Einem a l s Z w e c k (was das Ding seyn solle) abstrahirt wird, nichts als die subjective Zweckmäßigkeit der Vorstellungen im Gemüthe des Anschauenden übrig bleibt‹ (§ 15.C.4b). Dies ist insofern missverständlich, als man annehmen könnte, jede apprehendierte Form sei subjektiv zweckmäßig. Eine subjektive ZM liegt aber nur vor, wenn eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vorliegt, d. h. wenn der Verstand die Form unter irgendeinen (bestimmten oder unbestimmten) Begriff subsumiert. Kants These in § 15.C.4b kann damit nicht sein, dass jede Form (die Eins ausmacht) subjektiv zweckmäßig ist. Insgesamt spielt Kant mit dem Hinweis auf die subjektive ZM freilich auch auf das Schöne und die sich im Schönen manifestierende subjektive ZM an. So spricht er in § 15.C.4c von einer ›Behaglichkeit desselben [Subjekts] eine gegebene Form in die Einbildungskraft aufzufassen‹, wobei der Begriff der Behaglichkeit wohl für ein Gefühl der Lust steht, sodass insgesamt eine (vage) Beschreibung des Gemütszustandes beim Schönen vorliegt. 40 Der Grundgedanke in § 15.C.4 sollte insgesamt klar sein: Die bloße Form eines Gegenstandes kann niemals für die Erkenntnis einer objektiven ZM bzw. einer Vollkommenheit hinreichen; denn dazu bedarf es der Bezugnahme Dieses Beispiel ist insofern irritierend, als der Zweck darin besteht, ›zum ländlichen Tanz‹ zu dienen. Dabei handelt es sich offenkundig um einen äußeren Zweck. Würde man auf der Grundlage dieses Zwecks ein Urteil fällen, so wäre es ein Urteil über die Nützlichkeit (›dienen solle‹) und nicht über die Vollkommenheit. Dennoch wäre es ein Urteil über eine objektive ZM. So soll das Beispiel vielleicht im Kern bloß zeigen, dass wir durch die bloße Form des Zirkels keine objektive ZM – sei es eine äußere oder innere – erkennen. 39 Zur Unterscheidung von objektiver und subjektiver ZM siehe Kap. 10.1.3. Zur subjektiven ZM ohne Zweck siehe insbesondere Kap. 10.2.2. 40 Nicht jede Manifestation einer subjektiven ZM ist mit einer ›Behaglichkeit‹, d. h. mit einer Lust (am Schönen), verbunden. Vielmehr manifestiert sich eine subjektive ZM auch in jeder Erkenntnis eines gegebenen Gegenstandes – und Erkenntnisse sind gerade nicht mit einer Lust am Schönen (und meistens auch nicht mit irgendeiner anderen Lust) verbunden. 38

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§ 15 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils:

auf einen Zweck. Allerdings kann eine bloße Form für die Manifestation einer subjektiven ZM hinreichend sein. In § 15.C.6 formuliert Kant ein weiteres Argument gegen die Möglichkeit einer objektiven ZM bzw. Vollkommenheit ohne Zweck. Dieses beruht darauf, dass der Begriff einer objektiven ZM ohne Zweck einen Widerspruch enthält. Worin besteht aber dieser Widerspruch? Ich deute ihn folgendermaßen: Eine objektive ZM ist (per definitionem) nichts anderes als die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu einem Zweckbegriff. Eine objektive ZM ohne Zweck wäre dann aber eine Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu einem Zweckbegriff ohne Bezug auf einen Zweckbegriff. Um eine objektive ZM zu beurteilen, muss ich beurteilen, ob ein Gegenstand dazu zusammenstimmt, was er sein soll. Letzteres ist aber durch seinen Zweckbegriff festgelegt. Bei einer objektiven ZM ohne Zweck würde ich also beurteilen wollen, ob ein Gegenstand dazu zusammenstimmt, was er sein soll, ohne ihn darauf zu beziehen, was er sein soll. Aber ist dann nicht jede ZM ohne Zweck ein Widerspruch? Wäre nicht auch die subjektive ZM ohne Zweck ein Widerspruch? Wenn ZM allgemein eine Zusammenstimmung eines Mannigfaltigen zu einem Zweck ist, scheint doch jede Form der ZM vom geschilderten Widerspruch betroffen zu sein. – Nun besteht die subjektive ZM in einer Zusammenstimmung eines Gegenstandes zu den menschlichen Erkenntnisvermögen. Weil der Referenzpunkt dieser ZM im Subjekt liegt, kann sie subjektintern (durch ein Gefühl der Lust) bemerkt werden. Als Zusammenstimmung zu den menschlichen Erkenntnisvermögen ist die subjektive ZM aber in gewisser Hinsicht ein Sonderfall oder ein uneigentlicher Fall der ZM. 41 Halten wir zum ersten Horn des Dilemmas fest: Wenn Schönheit eine Erkenntnis einer Vollkommenheit ohne Zweck wäre, i. dann müsste man die bloße Form eines Gegenstandes ohne Bezug auf einen Zweck als objektiv zweckmäßig erkennen. Eine objektive ZM kann aber immer nur mit Rekurs auf einen Zweck erkannt werden.

Zammito geht sogar so weit, dass die formale subjektive ZM eigentlich gar keine ZM sei: »The notion of ›formal‹ purposiveness invokes similarity or analogy to purpose. It is a figurative use of language. [Absatz] Why does Kant transpose the language of purposiveness from literal to figurative use?« (Zammito 1992, 95 f.)

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ii.

dann läge ein Widerspruch vor; denn die Erkenntnis der Zusammenstimmung eines Mannigfaltigen zu einem Zweck ohne Rekurs auf diesen Zweck ist widersprüchlich.

15.5.2 Es kann kein ästhetisches Urteil über eine materiale Vollkommenheit geben Aus dem Selbstwiderspruch der Konzeption einer objektiven ZM ohne Zweck folgt, dass eine objektive ZM immer eine ZM mit Zweck sein muss. Insofern das Schöne eine Erkenntnis der Vollkommenheit wäre, so müsste es eine Erkenntnis einer ZM mit Zweck sein. An dieser Stelle setzt das zweite Horn des Dilemmas an. Kant erläutert dazu zunächst das Folgende: § 15.D.1 »Nun ist das Geschmacksurtheil ein ästhetisches Urtheil, d. i. ein solches, was auf subjectiven Gründen beruht, und dessen Bestimmungsgrund kein Begrif, mithin auch nicht der [Begriff] eines bestimmten Zwecks seyn kann. § 15.D.2a Also wird durch die Schönheit, als eine formale subjective Zweckmäßigkeit, keineswegs eine Vollkommenheit des Gegenstandes, als vorgeblich-formale gleichwohl aber doch objective Zweckmäßigkeit gedacht« (228,6).

Den Ausganspunkt der Argumentation bildet die These, dass das Geschmacksurteil ein ästhetisches Urteil ist, wobei ästhetische Urteile dadurch gekennzeichnet sind, dass in ihnen keine Eigenschaft des Objekts (sondern ein Gefühl der Lust des Subjekts) begrifflich erfasst wird. Dies verdeutlicht Kant noch einmal im weiteren Verlauf des vierten Absatzes: § 15.D.4 »Das Urtheil heißt auch eben darum ästhetisch, weil der Bestimmungsgrund desselben kein Begrif, sondern das Gefühl (des innern Sinnes) jener Einhelligkeit im Spiele der Gemüthskräfte ist, sofern sie nur empfunden werden kann« (228,27).

Ein Geschmacksurteil verfügt über einen Bestimmungsgrund der Lust (›Gefühl‹). Da der Begriff des Bestimmungsgrundes im Sinne eines Rechtfertigungsgrundes verstanden werden muss, 42 wird das Geschmacksurteil demnach mit Rekurs auf das empfundene Gefühl 42

Siehe Kap. 1.3.

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§ 15 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils:

gerechtfertigt, nicht aber durch einen Begriff (eines Zwecks). In einem Urteil über die Vollkommenheit hingegen wird der Gegenstand auf den Begriff ›eines bestimmten Zwecks‹ bezogen, indem geurteilt wird, ob der Gegenstand mit diesem Zweck übereinstimmt. Der ›Zweck‹ ist dabei insofern der Bestimmungsgrund des Urteils, als das Urteil nur mit Rekurs auf diesen Zweckbegriff gerechtfertigt werden kann. Will ich rechtfertigen, dass ein Gegenstand damit zusammenstimmt, was er sein soll, so muss ich darauf rekurrieren, was er sein soll – und dies legt der Zweckbegriff fest. Wir können das folgende Argument rekonstruieren: P1

Wenn ein Urteil den Begriff eines Zwecks zum Bestimmungsgrund hat, ist es kein ästhetisches Urteil. P2 Das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil. [§ 15.D.1] Also: Das Geschmacksurteil hat keinen Begriff eines Zwecks zum Bestimmungsgrund. [§ 15.D.1] P3 Alle Urteile über die Vollkommenheit haben einen Begriff eines Zwecks zum Bestimmungsgrund. [§ 15.C.1–6] Also: Das Geschmacksurteil ist kein Urteil über die Vollkommenheit. [§ 15.D.2]

Die drei Prämissen dieses Arguments sind unproblematisch. Denn P1 und P2 hat Kant bereits in § 1 eingeführt und P3 entspricht Kants vorhergegangener Argumentation in § 15. Kant hat gezeigt, dass es keine Erkenntnis einer Vollkommenheit ohne Zweck geben kann. Schönheit kann also nicht in einer sinnlichen Erkenntnis der Vollkommenheit bestehen. Kant hat zudem gezeigt, dass das Geschmacksurteil als ästhetisches Urteil kein Urteil über die Vollkommenheit (verstanden als objektive ZM mit Zweck) sein kann. Eigentlich könnte seine Argumentation damit abgeschlossen sein. Dennoch zieht er erneut (hypothetisch) in Betracht, das Geschmacksurteil könne ein Urteil über die Vollkommenheit sein. Dabei stärkt er seine These, dass das Geschmacksurteil ein ästhetisches Urteil ist: § 15.D.2 »[b] und der Unterschied zwischen den Begriffen des Schönen und Guten, als ob beide nur der logischen Form nach unterschieden, die erste [der Begriff des Schönen] 43 bloß ein verworrener, die zweyte [der Begriff des Guten] ein deutlicher Kant schreibt zwar ›die erste‹ und ›die zweite‹ ; jedoch schließe ich mich interpretatorisch der Korrektur durch Vorländer an, dass es eigentlich ›der erste‹ und ›der

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Abgrenzung des Schönen von der Vollkommenheit

Begrif der Vollkommenheit, sonst aber dem Inhalte und Ursprunge nach einerley wären, ist nichtig: [c] weil alsdann zwischen ihnen [dem Begriff des Schönen und dem Begriff des Guten] kein s p e c i f i s c h e r Unterschied, sondern ein Geschmacksurtheil eben so wohl ein Erkenntnißurtheil wäre, als das Urtheil, wodurch etwas für gut erklärt wird; [d] so wie etwa der gemeine Mann, wenn er sagt: daß der Betrug unrecht sey, sein Urtheil auf verworrene, der Philosoph auf deutliche, im Grunde aber beide auf einerley Vernunft-Principien gründen. § 15.D.3 [a] Ich habe aber schon angeführt, daß ein ästhetisches Urtheil einig in seiner Art sey, und schlechterdings kein Erkenntniß (auch nicht ein verworrenes) vom Object gebe: [b] welches letztere nur durch ein logisches Urtheil geschieht; [c] da jenes [ästhetische Urteil] hingegen die Vorstellung, wodurch ein Object gegeben wird, lediglich auf das Subject bezieht, und keine Beschaffenheit des Gegenstandes, sondern nur die zweckmäßige Form in der Bestimmung der Vorstellungskräfte, die sich mit jenem [Gegenstand] beschäftigen, zu bemerken giebt« (228,11).

Kant schildert ein Szenario, bei dem kein ›specifischer Unterschied‹ zwischen dem Geschmacksurteil und dem Erkenntnisurteil bestünde. Dieses Szenario wird in § 15.D.2b genauer beschrieben: Die Begriffe des Schönen und des Guten wären ›dem Ursprunge nach einerley‹. Dieser Ursprung muss ein intellektueller Ursprung sein, denn Schönheit wäre eine Art von ›Erkenntniß‹. 44 Dem ›Ursprunge nach‹ unterschieden wären das Schöne und das Gute als Erkenntnis der Vollkommenheit nur, wenn Schönheit einen sinnlichen Ursprung hätte, d. h. wenn sie eine sinnliche Vorstellung der Vollkommenheit wäre, und wenn das Gute einen intellektuellen Ursprung hätte, d. h. wenn es eine begriffliche Vorstellung der Vollkommenheit wäre. § 15.D.2b muss dann folgendermaßen rekonstruiert werden: § 15.D.2bR1 Würde man die Begriffe des Schönen und Guten nur danach unterscheiden, dass der Begriff des Schönen ein verworrener Begriff der Vollkommenheit und der Begriff des zweite‹ heißen müsste und sich Kant damit auf die zuvor genannten ›Begriffe des Schönen und Guten‹ bezieht. 44 Genauer wäre der Ursprung beider Begriffe die Vernunft; denn Zweckbegriffe sind der Vernunft beizuzählen (vgl. ÜGTP: 182). – Siehe hierzu auch Kap. 10.2.2. Kants Philosophie des Schönen

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§ 15 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils:

Guten ein deutlicher Begriff der Vollkommenheit wäre, wobei sie aber beide eines intellektuellen Ursprungs wären, so wäre dieser Unterschied zwischen dem Schönen und dem Guten nichtig.

Diese Aussage ist mit dem folgenden Problem behaftet: In der Tradition um Baumgarten wird Schönheit als verworrene Vorstellung der Vollkommenheit, d. h. als eine sinnliche Vorstellung der Vollkommenheit, verstanden. Wenn Kant in § 15.D.2 von einem ›verworrene[n]…Begrif der Vollkommenheit‹ spricht, der intellektuellen Ursprungs ist, dann ist damit gerade keine sinnliche Vorstellung, sondern ein (intellektueller) Begriff der Vollkommenheit gemeint. Kant gebraucht den Begriff ›verworren‹ also anders als die Tradition, auf die er sich bezieht. In der Logik erläutert er zu den Begriffen der Deutlichkeit und Undeutlichkeit bzw. Verworrenheit: 45 »Sind wir uns der ganzen Vorstellung bewußt, nicht aber des Mannigfaltigen, das in ihr enthalten ist: so ist die Vorstellung undeutlich« (Log: 34). Zwar kennt Kant auch undeutliche sinnliche Vorstellungen, 46 aber keine sinnliche Vorstellung der Vollkommenheit. Die Undeutlichkeit eines Begriffs bedeutet nun, dass wir uns nicht aller »verschiedene[n] Merkmale« »in diesem Begriffe« bewusst sind (Log: 34). Die Deutlichkeit eines Begriffs entspringt entsprechend aus »der Zergliederung des Begriffs in Ansehung des Mannigfaltigen, das in ihm enthalten liegt« (Log: 35), d. h. aus einer Begriffsanalyse. 47 Kant betont dabei dezidiert, dass der Unterschied zwischen deutlichen und undeutlichen (bzw. verworrenen) Begriffen nicht den Inhalt des Begriffs betrifft, sondern bloß seine Form; 48 aus diesem Grund ist es ein Unterschied ›der logischen Form nach‹ (§ 15.D.2b). 49 Ein Beispiel für einen deutlichen und einen verworrenen Begriff gibt Kant in Kant plädiert in diesem Zusammenhang dafür, den Begriff der Deutlichkeit nicht mit Verworrenheit sondern Undeutlichkeit zu kontrastieren, weil »nicht alle undeutliche Erkenntniß […] eine verworrene« sei (Log: 34). 46 So schildert Kant in der Logik als Beispiel für eine verworrene sinnliche Vorstellung den Fall eines Landhauses, das wir in der Ferne erblicken (vgl. Log: 34). Er betont zudem, dass es eine sinnliche Deutlichkeit gibt, die »in dem Bewußtsein des Mannigfaltigen in der Anschauung [besteht]« (Log: 35). 47 In diesem Sinne ist es Kants Projekt in der Analytik des Schönen einen deutlichen Begriff der Schönheit zu entwickeln. 48 Vgl. Log: 35. 49 Vgl.: »Der Unterschied einer undeutlichen von der deutlichen Vorstellung ist bloß logisch, und betrifft nicht den Inhalt« (A43/B60 f.). 45

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Abgrenzung des Schönen von der Vollkommenheit

§ 15.D.2d: Das Urteil, ›daß der Betrug unrecht sey‹, gründet ›der gemeine Mann…auf verworrene, der Philosoph auf deutliche, im Grunde aber beide auf einerley Vernunft-Principien‹. Dies bedeutet, dass sich sowohl der Philosoph als auch der gemeine Mann auf inhaltlich denselben Begriff des Unrechts beziehen, wobei aber der Philosoph diesen Begriff einer Begriffszergliederung unterzogen hat und sich der einzelnen beinhalteten Merkmale bewusst ist. Hingegen hat der gemeine Mann nur ein vages Verständnis vom Begriff des Unrechts und ist sich seiner verschiedenen Merkmale nicht bewusst. 50 Für § 15.D.2b bedeutet dieses Verständnis der Deutlichkeit und Undeutlichkeit bzw. Verworrenheit von Begriffen das Folgende. Wäre Schönheit ›ein verworrener…Begrif der Vollkommenheit‹, dann würde ein Urteil über Schönheit auf einem Begriff beruhen, der keiner Begriffszergliederung unterzogen worden wäre und dessen Merkmale sich das urteilende Subjekt nicht bewusst wäre. Dies könnte zweierlei bedeuten: Entweder wäre sich das Subjekt der Merkmale des Begriffs der Vollkommenheit selbst nicht bewusst oder es wäre sich der Merkmale des Begriffs der Vollkommenheit eines spezifischen Gegenstandes (bspw. eines vollkommenen Pferdes) nicht bewusst, weil es nur einen undeutlichen Begriff von diesem Gegenstand als Zweck hätte. In jedem Fall aber wäre ein Urteil über die Vollkommenheit ein Erkenntnisurteil, da es einen (wenngleich undeutlichen) Begriff vom Objekt aussagt. Bezüglich dieses Status als Erkenntnisurteil wäre ein Urteil über das Schöne, das einen verworrenen Begriff der Vollkommenheit aussagt, nicht von Urteilen über die Vollkommenheit unterschieden, die einen deutlichen Begriff aussagen. Darauf verweist Kant in § 15.D.2c:

Vgl. für ein ähnliches Beispiel: »Ohne Zweifel enthält der Begriff vom R e c h t , dessen sich der gesunde Verstand bedient, eben dasselbe, was die subtileste Spekulation aus ihm entwickeln kann, nur daß im gemeinen und praktischen Gebrauche man sich dieser mannigfaltigen Vorstellungen in diesen Gedanken, nicht bewußt ist« (A43/B61); vgl. auch: »Wollen wir ferner ein Beispiel von Undeutlichkeit in Begriffen: so möge der Begriff der Schönheit dazu dienen. Ein jeder hat von der Schönheit einen klaren Begriff. Allein es kommen in diesem Begriffe verschiedene Merkmale vor; unter andern, daß das Schöne etwas sein müsse, das 1) in die Sinne fällt und das 2) allgemein gefällt. Können wir uns nun das Mannigfaltige dieser und andrer Merkmale des Schönen nicht auseinandersetzen, so ist unser Begriff davon doch immer noch undeutlich« (Log: 34).

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§ 15 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils:

§ 15.D.2c* Alsdann wäre zwischen dem Begriff des Schönen und Guten kein spezifischer Unterschied, sondern ein Geschmacksurteil wäre ebenso wohl ein Erkenntnisurteil, als das Urteil über das Gute.

Dass das Geschmacksurteil kein Erkenntnisurteil ist, hat Kant bereits in § 1 betont und auch in § 15.D.3 führt er diese These noch einmal ganz explizit an. Besonders wichtig ist dabei die Aussage in § 15.D.2c, dass, wenn Schönheit eine verworrene Erkenntnis der Vollkommenheit wäre, ›kein specifischer Unterschied‹ zwischen dem Schönen und dem Guten bzw. dem Geschmacksurteil und dem Erkenntnisurteil gewährleistet wäre. Denn mit dieser These betont Kant, dass Schönheit dezidiert vom Bereich der Erkenntnis und von Erkenntnisurteilen abzugrenzen ist. Kant betont also die Eigenständigkeit des Schönen. Kant bedient sich im vierten Absatz zweier etwas verschiedener Argumentationsstrategien, um die These abzuwehren, das Schöne bestünde in einer Erkenntnis der Vollkommenheit im Sinne einer ZM mit Zweck. Diese Argumentationsstrategien lauten zusammengefasst: Wenn Schönheit eine Erkenntnis der Vollkommenheit als objektiver ZM mit Zweck wäre, i. dann hätte das Geschmacksurteil den Begriff eines Zwecks, d. h. einen Begriff vom Objekt, zum Bestimmungsgrund. Das Geschmacksurteil hat als ästhetisches Urteil aber keinen Begriff eines Zwecks zum Bestimmungsgrund. ii. dann wäre es ein Erkenntnisurteil und es gäbe keinen spezifischen Unterschied zwischen Urteilen über das Schöne und Urteilen über das Gute. Das Geschmacksurteil ist aber als ästhetisches Urteil spezifisch vom Urteil über das Gute unterschieden.

15.5.3 Ein Widerspruch bezüglich der Vermögensaktivitäten Und Kant führt noch ein weiteres Argument an, warum ein Geschmacksurteil auf keinem verworrenen Begriff der Vollkommenheit beruhen kann. Dieses können wir uns anhand eines weiteren Dilemmas vor Augen führen, dessen Hörner die Vermögen der Sinnlichkeit und des Verstandes betreffen. Kant formuliert dieses Dilemma folgendermaßen: 828

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Abgrenzung des Schönen von der Vollkommenheit

§ 15.D.5 »Dagegen, wenn man verworrene Begriffe und das objective Urtheil, das sie zum Grunde hat, wollte ästhetisch nennen, man einen Verstand haben würde, der sinnlich urtheilt, oder einen Sinn, der durch Begriffe seine Objecte vorstellte, welches beides sich widerspricht. § 15.D.6 [a] Das Vermögen der Begriffe, sie mögen verworren oder deutlich seyn, ist der Verstand; […]« (228,31).

Das eigentliche Dilemma findet sich in § 15.D.5. Es lässt sich folgendermaßen rekonstruieren: § 15.D.5R1 Wenn man verworrene Begriffe und das objektive Urteil, das die verworrenen Begriffe zum Grunde hat, ästhetisch nennen wollte, dann müsste man eines der beiden folgenden Vermögen voraussetzen: (a) einen Verstand, der sinnlich urteilt. [widerspricht sich selbst] (b) einen Sinn, der durch Begriffe sein Objekt vorstellt. [widerspricht sich selbst]

Wir müssen uns zunächst klar machen, welches ›Urtheil‹ Kant hier eigentlich beschreibt. Ein objektives Urteil ist ein Urteil, dessen Prädikat eine Eigenschaft eines Objekts erfasst. Ein ästhetisches Urteil ist normalerweise ein Urteil, dessen Prädikat ein Gefühl der Lust des Subjekts erfasst. Da Kant hier aber von einem objektiven Urteil ausgeht, scheint es plausibel, dass der Begriff »ästhetisch« im weiten Sinne von sinnlich zu verstehen ist. Kant schildert damit in § 15.D.5 den folgenden Fall, den er auch in der Ersten Einleitung beschreibt: »Ein a e s t h e t i s c h U r t h e i l , wenn man es zur objectiven Bestimmung brauchen wollte, würde so auffallend widersprechend seyn, daß man bey diesem Ausdruck wider Misdeutung genug gesichert ist. Denn Anschauungen können zwar sinnlich seyn, aber U r t h e i l e n gehört schlechterdings nur dem Verstande (in weiterer Bedeutung genommen) zu, und ästhetisch oder sinnlich u r t h e i l e n , so fern dieses E r k e n n t n i ß eines Gegenstandes seyn soll, ist selbst alsdann ein Widerspruch, wenn Sinnlichkeit sich in das Geschäft des Verstandes einmengt und (durch ein vitium subreptionis) dem Verstande eine falsche Richtung giebt; das o b j e c t i v e Urtheil wird vielmehr immer nur durch den Verstand gefällt, und kann sofern nicht ästhetisch heißen« (EEKU: 222,24).

Kant beschreibt hier den Fall eines ästhetischen, d. h. sinnlichen, und objektiven (Erkenntnis-)Urteils. Aus dem Zitat geht hervor, dass bereits der Begriff eines ästhetischen und objektiven Erkenntnisurteils Kants Philosophie des Schönen

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§ 15 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils:

für Kant einen Widerspruch enthält. Dieser Widerspruch besteht darin, dass in einem objektiven Urteil eine Eigenschaft des Objekts begrifflich erfasst wird, während das Urteil zugleich sinnlich sein soll. In § 15.D.5 bezieht Kant diesen Widerspruch auf die beiden Vermögen der Sinnlichkeit und des Verstandes. Diese sind bekanntermaßen die beiden Grundstämme der menschlichen Erkenntnis. So heißt es in der KrV, »daß es zwei Stämme der menschlichen Erkenntnis gebe, […] nämlich Sinnlichkeit und Verstand, durch deren ersteren uns Gegenstände g e g e b e n , durch den zweiten aber g e d a c h t werden« (B29). In diesem Zitat wird eine strikte Trennung von Verstand und Sinnlichkeit vorgenommen: Der Verstand ist kein Vermögen der Sinnlichkeit, und die Sinnlichkeit ist kein »Vermögen der Begriffe« (§ 15.D.6, 228,35). Vor diesem Hintergrund können wir die in § 15.D.5 geschilderten Widersprüche folgendermaßen klarer herausstellen: § 15.D.5R2 Wenn man verworrene Begriffe und das objektive Urteil, das die verworrenen Begriffe zum Grunde hat, ästhetisch (d. h. sinnlich) nennen wollte, dann müsste man eines der beiden folgenden Vermögen voraussetzen: (a) einen Verstand, d. h. ein Vermögen der Begriffe und nicht der Sinnlichkeit, der sinnlich urteilt. [widerspricht sich selbst] (b) einen Sinn, d. h. ein Vermögen der Sinnlichkeit und nicht der Begriffe, der durch Begriffe sein Objekt vorstellt. [widerspricht sich selbst]

Damit schildert Kant in § 15 ein weiteres Argument, warum das Geschmacksurteil keine verworrene Erkenntnis der Vollkommenheit beinhalten kann. Er hat somit sehr umfassend begründet, dass das Geschmacksurteil von Urteilen über die Vollkommenheit zu distanzieren ist. Dies macht noch einmal sehr eindringlich deutlich, wie wichtig es ihm ist, sich von den Positionen der Leibniz-Wolff’schen Schule zu distanzieren. Machen wir abschließend noch eine kurze Anmerkung zur Rolle des Verstandes in Erkenntnisurteilen. Man könnte Kant (insbesondere vor dem Hintergrund der oben zitierten Passage aus der Ersten Einleitung) den folgenden Vorwurf machen: Wenn zu allen Urteilen eine Verstandestätigkeit gehört, muss dann nicht auch zum Geschmacksurteil eine Verstandestätigkeit gehören? Wäre dann nicht der Begriff eines ästhetischen Urteils grundsätzlich widersprüchlich? 830

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Abgrenzung des Schönen von der Vollkommenheit

Aber wir haben schon gesehen, dass ästhetische Urteile (sowohl über das Angenehme als auch über das Schöne) nicht dadurch gekennzeichnet sind, dass gar nichts begrifflich erfasst wird; vielmehr wird durch ihr Prädikat ein Gefühl der Lust begrifflich erfasst. 51 Hingegen wird in einem Erkenntnisurteil (bzw. objektiven Urteil) eine Eigenschaft eines Objekts begrifflich erfasst. Genau darauf verweist Kant zum Abschluss von § 15: § 15.D.6b »und, obgleich zum Geschmacksurtheil, als ästhetischem Urtheile, auch (wie zu allen Urtheilen) Verstand gehört, so gehört er zu demselben doch nicht als Vermögen der Erkenntniß eines Gegenstandes, sondern der Bestimmung desselben und seiner Vorstellung, (ohne Begrif) nach dem Verhältniß derselben auf das Subject und dessen inneres Gefühl, und zwar sofern dieses Urtheil nach einer allgemeinen Regel möglich ist« (228,36).

Kant erläutert hier erstens, dass auch zum Geschmacksurteil ›(wie zu allen Urtheilen) Verstand gehört‹, womit impliziert ist, dass zum Urteil über das Angenehme (›als ästhetischem Urtheile‹) ebenfalls ›Verstand‹ gehört. Allerdings wirkt der Verstand in ästhetischen Urteilen nicht ›als Vermögen der Erkenntniß eines Gegenstandes‹. Dies bedeutet aber nichts anderes, als dass der Verstand in ästhetischen Urteilen keine Eigenschaft eines Objekts (oder Subjekts) begrifflich erfasst. So heißt es in der obigen Passage, dass der Verstand zum Geschmacksurteil als Vermögen ›der Bestimmung desselben [Gegenstandes] und seiner Vorstellung, (ohne Begrif) nach dem Verhältniß derselben auf das Subject und dessen inneres Gefühl‹ gehört. Ich habe in diesem Sinne dafür plädiert, dass der Verstand im Geschmacksurteil die intentionale Lust, in der bereits ein ›Verhältniß‹ des Gegenstandes ›auf das Subject‹ besteht, durch einen Begriff erfasst, nämlich den Begriff ›schön‹. Diese begriffliche Erfassung erfolgt mittels einer Subsumtion unter ›eine[.] allgemeine[.] Regel‹, nämlich unter den Gemeinsinn. 52 Wir werden sehen, dass es dieser Akt der Subsumtion unter den Gemeinsinn ist und damit letztlich der Akt der begrifflichen Erfassung der Lust, durch den das Geschmacksurteil seinen Status als notwendig allgemeingültig und als Urteil a priori erhält.

51 52

Siehe Grundlagen 2. Zur Subsumtion der Lust unter den Gemeinsinn siehe Kap. G5.2.

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§ 15 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils:

15.6 Zusammenfassung Kant hat gezeigt, dass das Geschmacksurteil kein Urteil über eine objektive ZM ist. So kann eine objektive ZM allgemein immer nur mit Rekurs auf einen Zweck, d. h. als ZM mit Zweck, erkannt werden; dem Geschmacksurteil liegt aber eine ZM ohne Zweck zugrunde. Kants primäres Augenmerk liegt darauf, das Geschmacksurteil dezidiert von Urteilen über die Vollkommenheit abzugrenzen. Grund dafür ist, dass er sich von rationalistischen Positionen in der Ästhetik abgrenzen will, nach denen Schönheit eine verworrene, d. h. sinnliche Erkenntnis der Vollkommenheit ist. Seiner Argumentation legt Kant eine spezifische Konzeption der Vollkommenheit zugrunde: Vollkommenheit kann immer nur mit Rekus auf einen (inneren) Zweck erkannt werden. Ein innerer Zweck ist ein Begriff, der festlegt, was ein Gegenstand sein soll, d. h. über welche Bestandteile er verfügen soll und wie diese angeordnet sein sollen. Stimmt ein Gegenstand mit seinem inneren Zweck überein, so ist er vollkommen. Dabei unterscheidet Kant zwei Arten von Vollkommenheit: Weist der Gegenstand nur alle Bestandteile auf, die er im Sinne seines Zweckbegriffs aufweisen soll, so ist er quantitativ vollkommen; verfügt er über diese Bestandteile aber auch in der Intensität bzw. Proportion, die er aufweisen soll, so ist er qualitativ vollkommen. Kant wendet sich gegen zwei Deutungen des Schönen als Erkenntnis der Vollkommenheit: Wäre Schönheit eine (sinnliche) Erkenntnis der Vollkommenheit ohne Zweck, dann müsste man die bloße Form eines Gegenstandes ohne Bezug auf einen Zweck als objektiv zweckmäßig erkennen; eine objektive ZM kann aber nur mit Bezug auf einen Zweck erkannt werden. Zudem beinhaltet die Erkenntnis einer Vollkommenheit ohne Zweck einen Widerspruch; denn man müsste eine Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu einem Zweck ohne Rekurs auf einen Zweck erkennen. Wäre Schönheit hingegen eine (begriffliche) Erkenntnis der Vollkommenheit mit Zweck, dann hätte das Geschmacksurteil den Begriff eines Zwecks, d. h. einen Begriff vom Objekt, zum Bestimmungsgrund; das Geschmacksurteil ist aber ein ästhetisches Urteil und hat daher keinen Begriff vom Objekt zum Bestimmungsgrund. Zudem bestünde kein spezifischer Unterschied zwischen dem Geschmacksurteil und dem Urteil über das Gute.

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Literaturbericht

15.7 Literaturbericht Die Analyse von § 15 hat unter anderem gezeigt, dass Kants Abgrenzung des Schönen von der Vollkommenheit nicht mit seiner Abgrenzung vom moralisch Guten (und Nützlichen) in den ersten beiden Momenten zusammenfällt: Während Urteile über das moralisch Gute als praktische Urteile immer mit einer Lust am Guten verbunden sind, fehlt theoretischen Urteilen über die Vollkommenheit ein solcher Bezug zur Lust. In den allermeisten Texten der Sekundärliteratur wird kein Bewusstsein für diesen Wechsel der Abgrenzungsstrategie sowie für den Unterschied von theoretischen Urteilen über die Vollkommenheit und der Lust am Guten ersichtlich. Eine Ausnahme ist Matthews: »The perfect is introduced here, but not in the First Moment, because a perfect object need not be associated with pleasure, because it need not be associated with a human will« (Matthews 1997, 43). Auch Guyer stellt den Unterschied explizit heraus: »Insofar as something fulfills the intention with which it was produced, of course, we can say that it is good or successful in that regard. But that does not mean that it is good in any broader sense, or that what is perfect is also good in any practical sense« (Guyer 1979, 240). Gammon bemerkt zumindest, dass Vollkommenheit nicht immer moralisch oder quasi-moralisch sein muss: »However, this objective finality is not restricted to a quasi-moral perfection applicable for the human form or the decorum of churches, for even ›summer houses‹ presuppose a perfection – that is, an ideal ›utility‹ – for their kind« (Gammon 1999, 160). Aus der folgenden Aussage Zammitos geht immerhin implizit hervor, dass auch er die Vollkommenheit nicht mit dem moralisch Guten gleichsetzt: »The judgment of ›qualitative perfection,‹ insofar as it is a moral appraisal, that is, insofar as the terms ›good‹ and ›perfect‹ correspond, translates the object of such a judgment from the world of the senses into the noumenal order« (Zammito 1992, 99). Wird § 15 in der Sekundärliteratur behandelt, so steht meist Kants Abgrenzung des Schönen von der Vollkommenheit im Zentrum. Hingegen werden die Abgrenzungen des Schönen von der objektiven ZM allgemein sowie der Nützlichkeit nur selten untersucht. Fricke zitiert kurz die allgemeine Abgrenzung von der objektiven ZM: »Kant [nennt] die Zweckmäßigkeit ohne Zweck schöner Gegenstände eine ›formale Zweckmäßigkeit‹ (KU, 44) und unterscheidet sie dadurch von einer ›objektive[n] Zweckmäßigkeit‹, die ›nur vermittelst der Beziehung des Mannigfaltigen auf einen bestimmten Zweck, also nur durch einen Begriff erkannt werden [kann]‹ (KU, 44)« (Fricke 1990, 110). Auch zitiert Guyer diese Passage (vgl. Guyer 1979, 238). Rivera de Rosales schildert die allgemeine Abgrenzung vom Guten: »Das Schöne ist auch unabhängig vom Guten, weil dieses durch einen Begriff beurteilt wird, der eine objektive und nicht nur formale Zweckmäßigkeit ausdrückt« (Rivera de Rosales 2008, 88). Ferner gibt er

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§ 15 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils:

kurz die Abgrenzung von der Nützlichkeit wieder: »Das Schöne ist erstens nicht das Nützliche (das pragmatische Gute), da das Wohlgefallen an ersterem unmittelbar, an zweiterem aber mittelbar (für etwas anderes) ist« (Rivera de Rosales 2008, 88). Für ein Verständnis der §§ 15–16 ist es von besonderer Wichtigkeit, Kants Konzeption der Vollkommenheit nachzuvollziehen. Dennoch gehen einige AutorInnen darauf nicht ein, etwa Allison (2001), Crawford (1974), McCloskey (1987) und Rivera de Rosales (2008). Guyer geht zwar auf die allgemeine Konzeption der Vollkommenheit nicht ein, wohl aber auf Kants Differenzierung zwischen qualitativer und quantitativer Vollkommenheit (s. u.). Eher allgemein bemerkt Wenzel, die Vollkommenheit setze immer »einen bestimmten Zweck voraus« (Wenzel 2000, 106; vgl. ähnlich Gammon 1999, 162). Ebenfalls eher allgemein gehalten schreibt Zammito: »Kant identified the notion of ›intrinsic purposiveness‹ with the concept of ›perfection‹« (Zammito 1992, 99). 53 Eine etwas genauere Beschreibung der Vollkommenheit findet sich bei Ginsborg: »He [Kant] repeatedly identifies objective purposiveness with the obviously evaluative notion of perfection […]. Moreover, in at least two places he describes the judgment of objective purposiveness as presupposing a concept of what the object ought to be, and judging whether the object conforms to that concept« (Ginsborg 2015, 242). Ginsborg illustriert dies mit dem folgenden Beispiel: »Here we first grasp how the object ought to be, and then evaluate it as sound or defective. For example, we grasp that this vase ought to be symmetrical in shape: and then we determine that, since it is in fact symmetrical, it conforms (at least in that respect) with how it ought to be« (Ginsborg 2015, 244). Dass bei der Vollkommenheit ein innerer Zweck vorausgesetzt wird, geht aus Kulenkampffs Erläuterungen hervor. Dieser bestimmt Vollkommenheit »als eine Weise der Zweckmäßigkeit, nämlich als beste Realisation der essentia, des inneren Zwecks, dessen, ›was es für ein Ding sein solle‹« (Kulenkampff 1994, 148). Den Bezug zum inneren Zweck umschreibt auch Kern: »das Urteil über die Vollkommenheit eines Gegenstandes […] ist ein Urteil über die objektive Zweckmäßigkeit eines solchen Gegenstandes, dessen Zweck nicht in anderen Dingen, sondern in dem Ding selbst liegt« (Kern 2000, 83). Zuckert widmet der Vollkommenheit ein längeres Kapitel (vgl. Zuckert 2007, 213–222). Dabei bezieht sie sich insbesondere auf die Konzeption der Art bzw. Gattung (›kind‹): »Kant conceives of judgments of perfection as judgments that an object is an adequate exemplar of a kind« (Zuckert 2007, 213; vgl. auch Zuckert 2006, 603 & 614 f.). Genauer erläutert sie: »when we judge that an object is perfect, we judge that a thing is an (adequate) F in virtue of F-determined properties« (Zuckert 2007, 214). Zammito diskutiert zudem ausgiebig Baumgartens Verständnis der Vollkommenheit sowie Kants frühe Deutung der Schönheit als Form der Vollkommenheit (vgl. Zammito 1992, 99–102).

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Literaturbericht

Nach Zuckert bewegt sich Kant zudem mit der Konzeption der Vollkommenheit im Rahmen einer »epistemic, judgmental conception [of purposiveness]: the concept of the thing ›comes first‹ not causally, but judgmentally, as articulating what the thing ›is supposed to be‹« (Zuckert 2007, 217). Kants Unterscheidung zwischen qualitativer und quantitativer Vollkommenheit wird in vielen Werken der Sekundärliteratur kaum oder nicht berücksichtigt. Wenzel erwähnt diese Unterscheidung zwar, erläutert diese aber nicht weiter (vgl. Wenzel 2008, 67). Eine kurze, wenngleich kryptische Erläuterung findet sich bei Allison: »the latter [quantitative perfection] presupposes the former [qualitative perfection] and is, more properly, a concept of magnitude« (Allison 2001, 369). Zuckert konstatiert, dass nur qualitative, nicht aber quantitative Vollkommenheit einen Zweckbegriff voraussetze. Sie bestimmt quantitative Vollkommenheit folgendermaßen: »quantitative perfection, i. e., that it has all the properties required to be an F« (Zuckert 2007, 215). Sie fährt dann mit Bezug zur qualitativen Vollkommenheit fort: »But perfection, according to Kant, has two aspects – multiplicity and unity – and qualitative perfection concerns the way in which the multiple properties of the object are represented as unified, according to the rule provided by the concept […]. This unification is, Kant suggests, purposive« (Zuckert 2007, 215). In eine ähnliche Richtung zielt Guyer; jedoch betont er eher, dass die quantitative Vollkommenheit keinen Zweck im ontologischen Sinne voraussetze. Bei einer quantitativen Vollkommenheit verhalte es sich folgendermaßen: »the object of judgment is subsumed under a classificatory concept, but the concept is not regarded as involved in its production – as a condition of its possibility or an intention with regard to it«; dagegen: »a judgment of qualitative perfection is a judgment of a thing’s success in fulfilling the intention behind it, its success as a product of purposive action« (Guyer 1979, 239). 54 Zammito wertet den Begriff der quantitativen Vollkommenheit als Bezug zu Baumgarten und konstatiert, Kant vertrete eine Konzeption der qualitativen Vollkommenheit: »To be perfect in that sense was to demonstrate all the requisite marks of a particular kind of thing. This sense of completeness after its kind Kant termed ›quantitative perfection.‹ He argued against Baumgarten that it was only possible to use perfection in its ›quantitative‹ sense if one already could posit what ›kind‹ a thing was supposed to be. But the idea that an entity ought to be any kind was not a simple judgment of experience, not a cognitive judgment presided over by the understanding, but a judgment of (practical) reason. It presumed a concept of the thing, and more specifically, an idea of what the purpose of the thing should be. This was the explanation of his own notion of ›qualitative perfection‹« (Zammito 1992, 99). Guyer nutzt dann diese Unterscheidung, um etwas zu zeigen, was »less obvious« sei, nämlich »that a judgment on beauty is not just a judgment on a creator’s success in fulfilling his intentions« (Guyer 1979, 239).

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§ 15 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils:

Kants Hauptanliegen in § 15 besteht darin, das Geschmacksurteil von Urteilen über die Vollkommenheit abzugrenzen. Wie wird Kants Argumentation für diese Abgrenzung rekonstruiert? Die meisten AutorInnen beziehen sich auf den Kontrast zwischen dem Geschmacksurteil als ästhetisches Urteil und Urteilen über die Vollkommenheit als Erkenntnisurteile, so etwa Allison (2001, 139), Kulenkampff (1994, 149 f.) und Wenzel (2008, 66 ff.). Auch Makkreel argumentiert so: »In Kants Auffassung ist die im 18. Jahrhundert allgemeine Definition der Schönheit als sinnlicher Modus der Vollkommenheit unangemessen, weil sie ästhetisches Bewußtsein zu einem kognitiven oder moralischen Modus der Erfahrung macht« (Makkreel 1997, 152). Einige AutorInnen betonen, dass das Geschmacksurteil auf keinem Zweck beruhe, während ein Urteil über die Vollkommenheit den Bezug auf einen Zweck voraussetze. Eine solche Argumentationslinie findet sich bei Nachtsheim (2015b, 790), Rivera de Rosales (2008, 88) und Wenzel (2000, 106). McCloskey bedient sich des Kontrasts zwischen der ZM mit Zweck und der ZM ohne Zweck: »Whether any given thing is perfect or good of its kind will be at least partially determined by its articulated structure but not by reference to its having the Form of Finality. Judgments concerning the beauty of an object and judgments concerning the perfection of the same object or whether it is good of its kind are therefore for Kant totally independent of each other« (McCloskey 1987, 74). Eine ähnliche Argumentationslinie deutet auch Esser an: »Das Prinzip der Zweckmäßigkeit, das das Subjekt in diesem Gefühl der Lust realisiert, beruht nun weder auf der Erfüllung eines vorgängigen Wunsches oder einer privaten Absicht, noch auf der Bemessung an einem objektiven Begriff, also der Zusprechung der Vollkommenheit zu einem Gegenstand« (Esser 1997, 62). Ich habe vorgeschlagen, dass Kant in § 15 ein Dilemma entfaltet. Ein ähnliches Dilemma formuliert auch Kern: »Denn entweder trägt man dem nichtbegrifflichen Charakter des Schönen Rechnung, dann aber kommt man im Rahmen einer Ästhetik der Vollkommenheit zu einer widersprüchlichen Vorstellung, nämlich zur Idee einer bloßen Form von Vollkommenheit. Oder aber man ist sich im klaren darüber, daß die Beurteilung einer Vollkommenheit immer einen Begriff voraussetzt. Dann aber kommt man zu keiner Theorie des ästhetischen Urteils mehr« (Kern 2000, 86). 55

Kern geht davon aus, dass sich Kant gegen die folgenden beiden Versionen der Vollkommenheitsästhetik wende: »einmal als die Idee einer Erkenntnis, die ohne jeden Begriff urteilt, und einmal als Idee einer Erkenntnis, der zwar kein bestimmter Begriff, aber doch ein ›verworrener‹, ein ›verdunkelter‹ Begriff zugrunde liegt« (Kern 2000, 84).

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§ 16 Reine versus angewandte Geschmacksurteile

Im vorangehenden Paragraphen hat Kant das Geschmacksurteil in aller Schärfe von Urteilen über die Vollkommenheit abgegrenzt und sich damit von rationalistischen Positionen in der Ästhetik distanziert. Umso überraschender ist es, dass er nun trotzdem eine Möglichkeit erläutert, wie Geschmacksurteile mit Urteilen über die Vollkommenheit verbunden werden können. Allerdings führt diese Kombination – wie schon die Kombination des Schönen mit dem Angenehmen – zu unreinen Geschmacksurteilen. Für die Kombination des Schönen mit der Vollkommenheit führt Kant die Begriffe der adhärierenden Schönheit und des angewandten Geschmacksurteils ein. Führen wir uns § 16 anhand des folgenden Überblicks vor Augen: 1. Begriffliche Differenzierung zwischen der freien und der anhängenden Schönheit (§ 16.A.1–3, 229,10–17) [Beispiele für freie Schönheiten (§ 16.B.1–6, 229,18–32)] 2. Erste These: Ein Urteil über eine freie Schönheit ist ein reines Geschmacksurteil (§ 16.C.1–2, 229,33–230,3) 3. Zweite These: Ein kombiniertes Urteil über die Vollkommenheit und die Schönheit ist ein angewandtes Geschmacksurteil (§ 16.D.1–F.2, 230,4–29) 4. Vor- und Nachteile des angewandten Geschmacksurteils (§ 16.G.1–3, 230,30–231,10) 5. Zur Möglichkeit der Abstraktion von (inneren) Zwecken (§ 16.H.1–3, 231,11–24)

16.1 Freie und anhängende Schönheiten 16.1.1 Zu den Konzeptionen der freien und anhängenden Schönheit Kant differenziert zunächst zwischen freien und anhängenden Schönheiten; in einem zweiten Schritt erläutert er dann, dass nur Urteile über freie Schönheiten reine Geschmacksurteile sind. Zur DiffeKants Philosophie des Schönen

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§ 16 Reine versus angewandte Geschmacksurteile

renzierung in freie und anhängende Schönheiten heißt es im ersten Absatz: § 16.A.1 »Es giebt zweyerley Arten von Schönheit: freye Schönheit (pulchritudo vaga), oder die bloß anhängende Schönheit (pulchritudo adhaerens). § 16.A.2 [a] Die erstere setzt keinen Begrif von dem voraus, was der Gegenstand seyn soll; [b] die zweyte setzt einen solchen und die Vollkommenheit des Gegenstandes nach demselben voraus. § 16.A.3 [a] Die erstern heißen (für sich bestehende) Schönheiten dieses oder jenes Dinges; [b] die andere wird, als einem Begriffe anhängend (bedingte Schönheit), Objecten, die unter dem Begriffe eines besondern Zwecks stehen, beygelegt« (229,10).

Ersetzen wir zunächst in § 16.A.2 die Formulierung ›die erstere‹ und ›die zweyte‹ durch ›freie Schönheit‹ und ›anhängende Schönheit‹ : § 16.A.2* [a] Die freie Schönheit setzt keinen Begriff von dem voraus, was der Gegenstand sein soll; [b] die anhängende Schönheit setzt einen solchen Begriff von dem, was der Gegenstand sein soll, und die Vollkommenheit des Gegenstandes nach diesem Begriff von dem, was der Gegenstand sein soll, voraus.

Nun ist ein ›Begrif von dem…, was der Gegenstand seyn soll‹, nichts anderes als der Begriff eines (inneren) Zwecks; denn ein Zweck ist ein »Begriff von diesem, w a s e s f ü r e i n D i n g s e y n s o l l e « (§ 15.C.2, 227,17). 1 Wir können also schreiben: § 16.A.2** [a] Die freie Schönheit setzt keinen Begriff eines inneren Zwecks voraus; [b] die anhängende Schönheit setzt den Begriff eines inneren Zwecks, und die Vollkommenheit des Gegenstandes nach diesem Begriff des inneren Zwecks voraus.

Auch in § 16.A.3 können wir die Formulierungen ›die erstern‹ und ›die andere‹ durch ›die freien Schönheiten‹ und ›die anhängende Schönheit‹ ersetzen:

Vgl. auch § 15.C.4, 227,28. – Zur Unterscheidung von inneren und äußeren Zwecken siehe Kap. 10.1.1.

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Freie und anhängende Schönheiten

§ 16.A.3* [a] Die freien Schönheiten heißen (für sich bestehende) Schönheiten dieses oder jenes Dinges; [b] die anhängende Schönheit wird, als einem Begriff anhängend (bedingte Schönheit), Objekten, die unter dem Begriff eines besonderen Zwecks stehen, beigelegt.

Mit Rekurs auf die Sätze § 16.A.1–3 können wir nunmehr die folgenden Charakterisierungen der freien Schönheit und der anhängenden Schönheit zusammenstellen: fS Freie Schönheiten (pulchritudo vaga) i. setzen keinen Begriff eines inneren Zwecks voraus. ii. heißen (für sich bestehende) Schönheiten dieses oder jenes Dinges. aS Anhängende Schönheiten (pulchritudo adhaerens) i. setzen den Begriff eines inneren Zwecks voraus. ii. setzen die Vollkommenheit des Gegenstandes nach dem Begriff eines inneren Zwecks voraus. iii. sind einem Begriff anhängende Schönheiten. iv. sind bedingte Schönheiten. v. werden Objekten, die unter dem Begriff eines besonderen Zwecks stehen, beigelegt.

Wir wollen im Folgenden zunächst die anhängende Schönheit analysieren; denn die freie Schönheit lässt sich in direkter Abgrenzung zur anhängenden Schönheit besser verstehen. Kant bezeichnet die anhängende Schönheit auch als ›pulchritudo adhaerens‹ und etwas später als »adhärirende Schönheit« (§ 16.D.1, 230,8). Die Begriffe »adhärierend« und »adhaerens« sind auf das lateinische Verb ›adhaerere‹ zurückzuführen, welches sich mit ›an etwas hängen, haften, kleben‹ übersetzen lässt. Alle drei von Kant verwendeten Begriffe laufen damit darauf hinaus, dass die Schönheit an etwas anderem hängt oder etwas anderem nachgeordnet ist. Woran aber hängt die Schönheit? In § 16.A.3 nutzt Kant den Begriff ›bedingte Schönheit‹. Es muss also irgendeine Bedingung erfüllt sein, damit ein Gegenstand als schön gelten kann; und es ist diese Bedingung, an der die Schönheit hängt. Aber wieder stellt sich die Frage: Worin besteht diese Bedingung? In § 16.A.3 heißt es, die Schönheit sei ›einem Begriffe anhängend‹ ; und mit Rekurs auf § 16.A.2 können wir diesen Begriff als ›Begrif von dem…, was der Gegenstand seyn soll‹, d. h. als Begriff von einem inneren Zweck, identifizieren. Ganz Kants Philosophie des Schönen

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explizit schreibt Kant dann in § 16.A.3b, dass eine anhängende Schönheit ›die Vollkommenheit des Gegenstandes‹ voraussetzt. Ähnlich heißt es auch etwas später: § 16.D.1 »Allein die Schönheit eines Menschen […], die Schönheit eines Pferdes, eines Gebäudes […] setzt einen Begrif vom Zwecke voraus, welcher bestimmt, was das Ding seyn soll, mithin einen Begrif seiner Vollkommenheit; und ist also bloß adhärirende Schönheit« (230,4, m. H.).

Die Bedingung der Schönheit bzw. das, woran die Schönheit hängt, ist also die Vollkommenheit des Gegenstandes. Dies können wir im Sinne eines zweistufigen Modells deuten: Auf der ersten Stufe beurteilen wir einen Gegenstand hinsichtlich seiner Vollkommenheit. Erweist sich der Gegenstand als vollkommen, so kann er schön sein. Wir können ihn dann auf einer zweiten Stufe hinsichtlich seiner Schönheit beurteilen. Diese Stufenfolge ist so zu verstehen, dass die erste Stufe eine Voraussetzung für die zweite Stufe bildet. Dies können wir uns anhand der folgenden Implikationsverhältnisse vor Augen führen: Wenn der Gegenstand vollkommen ist (1. Stufe), dann ist er schön oder nicht schön (2. Stufe); wenn der Gegenstand nicht vollkommen ist (1. Stufe), dann ist er nicht schön (2. Stufe). Versuchen wir, die beiden Stufen dieses Verfahrens einmal genauer nachzuvollziehen. Wir haben gesehen, dass wir einen Gegenstand dann als vollkommen beurteilen, wenn seine Bestandteile in ihrer Anordnung mit dem übereinstimmen, was der Gegenstand sein soll (innerer Zweck). Dies kann entweder bedeuten, dass der Gegenstand bloß alle Bestandteile aufweist, über die er verfügen soll (quantitative Vollkommenheit), oder dass er alle Bestandteile in derjenigen Intensität und Proportion aufweist, über die er verfügen soll (qualitative Vollkommenheit). 2 Stimmt nun ein Gegenstand mit seinem inneren Zweck zusammen, dann fällen wir das Urteil »x ist vollkommen«; stimmt der Gegenstand nicht mit seinem inneren Zweck überein, dann fällen wir das Urteil »x ist unvollkommen«. Dazu noch zwei kurze Anmerkungen: Erstens haben Urteilende von vielen Dingen nur vage Zweckbegriffe und sie können daher nur vage einschätzen, ob ein bestimmtes Ding vollkommen ist. 3 So hat etwa ein Laie nur 2 3

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Siehe Kap. 15.4. Siehe die Ausführungen zu Fixiertheitsgraden von Zweckbegriffen in Kap. 16.1.2.

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Freie und anhängende Schönheiten

einen vagen Begriff davon, was ein Pferd sein soll. Er kann zwar beispielsweise beurteilen, dass ein Pferd, dem ein Bein fehlt, unvollkommen ist; aber er kann nicht (wie ein Pferdezüchter) beurteilen, ob ein Pferd im herausgehobenen Sinne vollkommen ist. In diesem Sinne urteilen wir in den meisten Fällen bloß, dass ein Gegenstand nicht unvollkommen ist. Wir urteilen dann nur darüber, ob der Gegenstand keiner zentralen Vorgabe des Zweckbegriffs widerspricht; 4 wir urteilen dabei aber nicht zwangsläufig, dass der Gegenstand im positiven und herausgehobenen Sinne perfekt ist. Zweitens beurteilen wir einen Gegenstand manchmal auch dann als unvollkommen, wenn er über Bestandteile verfügt, die der Zweckbegriff nicht vorschreibt. Dies deutet Kant mit den folgenden Beispielen an: § 16.E.1 »[a] Man würde vieles unmittelbar in der Anschauung Gefallende an einem Gebäude anbringen können, wenn es nur nicht eine Kirche seyn sollte; [b] eine Gestalt mit allerley Schnörkeln und leichten doch regelmäßigen Zügen, wie die Neuseeländer mit ihrem Tettowiren thun, verschönern können, wenn es nur nicht ein Mensch wäre; [c] und dieser könnte viel feinere Züge und einen gefälligeren sanftern Umriß der Gesichtsbildung haben, wenn er nur nicht einen Mann, oder gar einen kriegerischen vorstellen sollte« (230,14).

Kants These kann hier nicht sein, dass vollkommene Gegenstände grundsätzlich über keine zusätzlichen Bestandteile verfügen dürfen, die im Zweckbegriff nicht festgelegt sind. Eine Kirche ist nicht dadurch unvollkommen, dass an ihr eine Marienstatue angebracht ist, obwohl dies nicht durch den Zweckbegriff festgelegt wird. Vielmehr muss die Pointe der Beispiele darin bestehen, dass die jeweiligen zusätzlichen Bestandteile dem Zweckbegriff des Gegenstandes in irgendeiner Form widersprechen. So drückt das Beispiel des Mannes mit feinen Gesichtszügen ganz offenkundig aus, dass ein Widerspruch zum Zweckbegriff des kriegerischen Mannes vorliegt. Ähnlich könnte ein Widerspruch vorliegen, wenn eine christliche Kirche mit einigen Symbolen einer anderen Religionsgemeinschaft (etwa des Buddhismus) dekoriert wäre.

Vgl.: »Ihre [der Normalidee] Darstellung gefällt auch nicht durch Schönheit, sondern bloß weil sie keiner Bedingung, unter welcher allein ein Ding dieser Gattung schön seyn kann, widerspricht« (§ 17.E.13, 235,8, m. H.).

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Kommen wir zum Urteil auf der zweiten Stufe. Bekanntermaßen beurteilen wir einen Gegenstand dann als schön, wenn er mit einer Lust am Schönen bzw. einem freien Spiel der Erkenntniskräfte verbunden ist. Damit es bei einer anhängenden Schönheit aber zu einem freien Spiel und zu einer Lust am Schönen kommen kann, muss das Urteil über die Vollkommenheit auf der ersten Stufe positiv ausfallen. Wird der Gegenstand auf der ersten Stufe jedoch als unvollkommen beurteilt – fehlt ihm etwa ein Bestandteil oder liegt ein Bestandteil in völlig inadäquater Proportion vor –, so kann es nicht zu einem freien Spiel und einer Lust am Schönen kommen. Genau in diesem Sinne ist die Vollkommenheit die Bedingung der Schönheit. Eine Beurteilung als vollkommen auf der ersten Stufe ist allerdings keine Garantie dafür, dass der Gegenstand auf der zweiten Stufe als schön beurteilt wird; vielmehr kann er auch als nicht schön beurteilt werden, abhängig davon, ob sich ein freies Spiel und eine Lust am Schönen einstellen oder nicht. Die Einbildungskraft unterliegt bei der Beurteilung der Vollkommenheit, so haben wir bereits gesehen, einem Zwang, den Gegenstand zu einer solchen Form aufzufassen, wie sie durch den Zweckbegriff festgelegt ist. 5 Damit ist die Einbildungskraft im Apprehendieren der Form nicht mehr frei. Wie kann sie aber dann überhaupt noch frei mit Formen spielen? Die einzige plausible Erklärung lautet, dass der Zweckbegriff die Form nur zu einem gewissen Grad festlegt und dabei die Form des Gegenstandes nicht so stark fixiert, dass der Einbildungskraft gar keine Freiheit zum Spielen mehr bleibt. So legt der Zweckbegriff einer Kirche – um ein Beispiel Kants zu bedienen – zwar zu einem gewissen Grad fest, wie ein Gegenstand beschaffen sein soll. Eine Kirche muss, jedenfalls traditionell, über einen Kirchturm, einen Chor, ein Langhaus (Hauptschiff und Seitenschiffe) und ein Querhaus verfügen. Die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Bestandteile (etwa die Höhe des Kirchturms, mögliche an der Fassade angebrachte Verzierungen, die Gestaltung der Fenster usw.) wird dadurch allerdings nicht festgelegt. In diesem Sinne gibt der Zweckbegriff der Einbildungskraft beim Auffassen der Form einen gewissen Siehe Kap. 15.4.1. – Vgl. auch: »Wenn aber die Einbildungskraft nach einem bestimmten Gesetze zu verfahren genöthigt wird, so wird ihr Product, der Form nach, durch Begriffe bestimmt, wie es seyn soll; aber alsdenn ist das Wohlgefallen, wie oben gezeigt, nicht das am Schönen, sondern am Guten (der Vollkommenheit, allenfalls bloß der formalen)« (241,6).

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Freie und anhängende Schönheiten

Rahmen vor, und sie unterliegt also einem gewissen Zwang; dieser Rahmen lässt ihr aber noch genügend Raum zum Spielen, d. h. ihre Freiheit ist nicht vollständig eingeschränkt. Der Zweckbegriff fixiert nur bestimmte Aspekte der Form, lässt aber andere Aspekte unbestimmt. Es sind diese unbestimmten Aspekte, die durch die Einbildungskraft ausgestaltet werden können und bei denen bzw. bei deren Zusammenspiel sie also Freiheit hat, mit Formen bzw. Teilformen zu spielen. Wäre etwa die Fassade der Kirche mit Verzierungen, Reliefs oder Mustern gestaltet, so könnte die Einbildungskraft in Bezug auf diese Aspekte frei mit Formen spielen. Halten wir nun zur angewandten Schönheit das Folgende fest: i. Eine anhängende Schönheit ist durch die Vollkommenheit des Gegenstandes bedingt. ii. Ein Urteil über eine anhängende Schönheit wird in einem zweistufigen Verfahren gefällt: Auf der ersten Stufe wird der Gegenstand hinsichtlich seiner Vollkommenheit beurteilt. Wird der Gegenstand als vollkommen beurteilt, so kann er auf der zweiten Stufe als schön oder nicht schön beurteilt werden. Wird der Gegenstand auf der ersten Stufe als unvollkommen beurteilt, so kann der Gegenstand auf der zweiten Stufe nicht als schön beurteilt werden. iii. Da der Zweckbegriff einen Zwang auf die Einbildungskraft ausübt, ist diese in ihrer Freiheit beim Apprehendieren von Formen zwar eingeschränkt, aber dennoch hinreichend frei. Vor diesem Hintergrund können wir nun besser verstehen, was eine freie Schönheit ist. Sie setzt ›keinen Begrif von dem voraus, was der Gegenstand seyn soll‹ (§ 16.A.2a), d. h. keinen inneren Zweck. Daher ist bei freien Schönheiten kein Urteil über die Vollkommenheit als Bedingung der Schönheit notwendig. Freie Schönheiten werden nicht durch das oben geschilderte zweistufige Verfahren gefällt, sondern werden unmittelbar einer Beurteilungsaktivität durch das freie Spiel unterzogen. Dieses einstufige Verfahren stimmt mit Kants früheren Charakterisierungen der Schönheit zusammen. So hat er mittels der Begriffslosigkeitsthese (BTUrteil) betont, dass das Geschmacksurteil auf keinem Begriff vom Objekt beruht. 6 Da das angewandte Geschmacksurteil aber eine Beurteilung der Vollkommenheit voraussetzt, so setzt es mindestens mittelbar einen (Zweck-)Begriff vom Objekt voraus. Zudem beruht das Geschmacksurteil auf einer ZM 6

Zur Begriffslosigkeitsthese siehe Kap. 6.1.4.

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ohne Zweck. 7 Da das angewandte Geschmacksurteil aber eine Beurteilung der Vollkommenheit voraussetzt, legt es (mittelbar) eine ZM mit Zweck zugrunde. Vor allem ist die Lust am Schönen durch Freiheit ausgezeichnet (Freiheitsthese FT). 8 Diese These besagt unter anderem, dass die Einbildungskraft beim Auffassen von Formen keinem Zwang durch einen Begriff oder die Assoziationsgesetze unterliegt. Bei einer anhängenden Schönheit ist die Einbildungskraft beim Apprehendieren der Formen jedoch durch den Zweckbegriff eingeschränkt; sie kann nur innerhalb eines gewissen Rahmens mit Formen spielen. In diesem Sinne ist die Einbildungskraft bei der anhängenden Schönheit nur eingeschränkt frei. Hingegen ist die Einbildungskraft bei einer freien Schönheit vollständig frei, was Kant in § 16.C.2 verdeutlicht: § 16.C.2 »Es ist kein Begrif von irgend einem Zwecke, wozu das Mannigfaltige dem gegebenen Objecte dienen, und was dieses also vorstellen solle, vorausgesetzt; wodurch die Freyheit der Einbildungskraft, die in Beobachtung der Gestalt gleichsam spielt, nur eingeschränkt werden würde« (229,34 f.).

In diesem Zitat wird deutlich, dass die Einbildungskraft beim Spielen mit Formen (›die Freyheit der Einbildungskraft, die in Beobachtung der Gestalt gleichsam spielt‹) nicht durch einen Zweckbegriff eingeschränkt ist (›von irgend einem Zwecke‹). Die Beurteilung einer freien Schönheit ist also dadurch ausgezeichnet, dass die Einbildungskraft beim Apprehendieren von Formen keinerlei begrifflichem Zwang unterliegt und somit vollständig frei ist. Im Übrigen ist es dann auch plausibel, dass sich die Lust an freien Schönheiten anders anfühlt als die Lust an anhängenden Schönheiten: Die Lust an einer freien Schönheit fühlt sich frei an, d. h. wir fühlen keinen Zwang; 9 bei einer Lust an einer anhängenden Schönheit müssten wir dagegen auch einen gewissen Zwang, oder jedenfalls eine Einschränkung der Freiheit erleben. 10

Siehe Kap. 11.2 sowie 11.3. Zur Freiheitsthese siehe Kap. 5.5. 9 Siehe hierzu die Ausführungen zum phänomenalen Gehalt der Lust in Kap. G1.2.2. 10 Wie dies konkret zu verstehen ist, ist schwierig zu beantworten: Man müsste bei einer anhängenden Schönheit einerseits einen gewissen Zwang fühlen und andererseits eine gewisse Unabhängigkeit vom Zwang. Keinesfalls dürfte die Lust aber ihre phänomenale Komponente der Freiheit gänzlich einbüßen, insofern sie noch als Lust am Schönen gelten soll. 7 8

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Freie und anhängende Schönheiten

Neben dem Begriff der freien Schönheit nutzt Kant auch die lateinische Bezeichnung ›pulchritudo vaga‹. Das Adjektiv ›vagus‹ hat primär die Bedeutung ›umherschweifend‹, ›unstet‹ und ›unbeständig‹, kann aber auch ›regellos‹ oder ›unbestimmt‹ bedeuten. 11 Auf die Aktivität der Einbildungskraft bei einer freien Schönheit trifft in gewisser Hinsicht beides zu: Sie kann umherschweifen, d. h. »ungesucht […] spielen« (243,3), und sie verfährt dabei insofern ›regellos‹, als sie keinem von einem (Zweck-)Begriff ausgehenden Zwang unterliegt. 12 Dennoch verfährt die Einbildungskraft dabei insofern gesetzmäßig, als der Verstand einen Begriff für die aufgefassten Formen auffinden könnte; es liegt in diesem Sinne eine »Gesetzmäßigkeit ohne Gesetz« vor (241,11). Der Begriff der pulchritudo vaga ist ferner insofern aufschlussreich, als Kant in § 17 die Bezeichnung »v a g e […] Schönheit« verwendet – und zwar in Abgrenzung zur »f i x i r t e [n] Schönheit« (§ 17.C.1, 232,29). Der Begriff des Fixierten weist dabei, anders als der Begriff des Eingeschränktseins, durchaus eine positive Konnotation auf. So ist es ein Gewinn für den Geschmack bei anhängenden Schönheiten, dass »ihm in Ansehung gewisser zweckmäßig bestimmte[r] Objecte Regeln vorgeschrieben werden« können (§ 16.G.1, 230,32); dagegen haben wir bei einer freien Schönheit keinerlei sichere Leitung durch eine Regel, sondern müssen uns gänzlich auf unser Gefühl verlassen sowie darauf, dass wir dieses Gefühl richtig als Lust am Schönen identifizieren. Und wie Kant selbst betont, können wir uns bei der richtigen Identifikation der Lust leicht täuschen. 13

Auch Wicks verweist auf verschiedene Bedeutungen des Adjektivs ›vagus‹ (vgl. Wicks 2007, 61). – Im Grimm’schen Wörterbuch finden sich zum Begriff »vag« ebenfalls die Bedeutungen »unstät, umherschweifend« sowie »ohne feste umgrenzung, ohne klare umrisse, unbestimmt« (Grimm: Vag). 12 Vgl.: »Wenn aber die Einbildungskraft nach einem bestimmten Gesetze zu verfahren genöthigt wird, so wird ihr Product, der Form nach, durch Begriffe bestimmt, wie es seyn soll; aber alsdenn ist das Wohlgefallen, wie oben gezeigt, nicht das am Schönen, sondern am Guten (der Vollkommenheit, allenfalls bloß der formalen), und das Urtheil ist kein Urtheil durch Geschmack« (241,6). 13 Vgl.: »weil man in dieser [der logischen Urteilskraft] unter Begriffe, in der ästhetischen [Urteilskraft] aber unter ein bloß empfindbares Verhältniß, der an der vorgestellten Form des Objects wechselseitig unter einander stimmenden Einbildungskraft und des Verstandes, subsumirt, wo die Subsumtion leicht trügen kann« (290,24 f.). 11

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Neben den Begriffen ›freie Schönheit‹ und ›pulchritudo vaga‹ nutzt Kant auch die Bezeichnung ›für sich bestehende‹ Schönheit (§ 16.A.3). Dazu heißt es im zweiten Absatz: § 16.B.4 »Viele Vögel (der Papagey, der Colibrit, der Paradiesvogel), eine Menge Schaalthiere des Meeres, sind für sich Schönheiten, die gar keinem nach Begriffen in Ansehung seines Zwecks bestimmten Gegenstande zukommen, sondern frey und für sich gefallen« (229,24, m. H.).

Was bedeutet es, dass eine Schönheit ›für sich‹ gefällt? Und inwiefern gefällt die anhängende Schönheit nicht ›für sich‹ ? In gewisser Hinsicht steht ja auch bei der Beurteilung einer Vollkommenheit der Gegenstand selbst und ›für sich‹ im Mittelpunkt; denn er wird in Bezug auf seinen inneren Zweck und nicht als Mittel zum Zweck beurteilt. Das ›für sich‹ Gefallen interpretiere ich so, dass freie Schönheiten als individuelle Einzelvorstellungen im Mittelpunkt stehen. Hingegen ist ein Zweck als Begriff immer etwas Allgemeines, was mehreren Vorstellungen zukommt. 14 Daher steht eine Vorstellung, insofern sie auf einen Zweckbegriff bezogen wird, nicht mehr als individuelle Einzelvorstellung im Mittelpunkt. Halten wir zur freien Schönheit fest: i. Ein Urteil über eine freie Schönheit setzt kein Urteil über die Vollkommenheit voraus und ist insofern unbedingt. ii. Bei einer freien Schönheit ist die Einbildungskraft beim Spielen mit Formen uneingeschränkt frei, d. h. sie unterliegt keinerlei begrifflichem Zwang. iii. Eine freie Schönheit ist durch keinerlei (bestimmte) Regel begrifflich fixiert. iv. Eine freie Schönheit gefällt als individuelle Einzelvorstellung und daher ›für sich‹.

Vgl.: »Die Anschauung ist eine e i n z e l n e Vorstellung (repraesentatio singularis), der Begriff eine a l l g e m e i n e (repraesentatio per notas communes) oder r e f l e c t i r t e Vorstellung (repraesentatio discursiva)« (Log: 91).

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Freie und anhängende Schönheiten

16.1.2 Objekt- oder Subjektabhängigkeit des Status als freie oder anhängende Schönheit Bei unseren Untersuchungen zur anhängenden und freien Schönheit haben wir bisher eine Frage ausgeblendet: Unter welchen Umständen wird ein Gegenstand als freie oder anhängende Schönheit beurteilt? Man könnte denken, es sei ausschließlich vom urteilenden Subjekt abhängig, ob ein Objekt als freie oder anhängende Schönheit beurteilt wird. Diese Interpretation würde folgendermaßen lauten: (1) Ob ein Gegenstand (für ein urteilendes Subjekt) eine anhängende Schönheit oder eine freie Schönheit ist, hängt davon ab, ob das Subjekt den Gegenstand hinsichtlich seiner Vollkommenheit beurteilt oder nicht. 15 Doch dieser Interpretation scheinen viele kantische Formulierungen und insbesondere viele kantische Beispiele entgegenzustehen. So heißt es im zweiten Abschnitt: § 16.B.1 »Blumen sind freye Naturschönheiten« (229,18). § 16.B.4 »Viele Vögel (der Papagey, der Colibrit, der Paradiesvogel), eine Menge Schaalthiere des Meeres, sind für sich Schönheiten, die gar keinem nach Begriffen in Ansehung seines Zwecks bestimmten Gegenstande zukommen, sondern frey und für sich gefallen« (229,24).

In diesen Beispielen klingt es so, als gäbe es Gegenstände, die immer und unabhängig vom urteilenden Subjekt freie Schönheiten sind, nämlich etwa Blumen, Vögel und ›Schaalthiere des Meeres‹. Auffälligerweise handelt es sich bei all diesen Beispielen um Naturgegenstände. Man könnte daher denken, dass ein Gegenstand dann eine freie Schönheit ist, wenn er ein Naturgegenstand ist. Hingegen wäre ein Gegenstand eine anhängende Schönheit, wenn er ein menschliches Produkt wäre. 16 Halten wir auch diese Deutung kurz fest: Vgl. in diesem Sinne Clewis: »Thus, the free/adherent distinction does not rest on ontological properties distinguishing and picking out different kinds of objects, but rather on what is in fact bracketed out by the judge« (Clewis 2018, 323). 16 Vgl. hierzu: »Wenn aber der Gegenstand für ein Product der Kunst gegeben ist, und als solches für schön erklärt werden soll; so muß, weil Kunst immer einen Zweck in der Ursache (und deren Causalität) voraussetzt, zuerst ein Begrif von dem zum Grunde gelegt werden, was das Ding seyn soll; und, da die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen in einem Dinge, zu einer innern Bestimmung desselben als Zweck, die Vollkommenheit des Dinges ist, so wird in der Beurtheilung der Kunstschönheit zugleich die Vollkommenheit des Dinges in Anschlag gebracht werden müssen, wornach 15

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§ 16 Reine versus angewandte Geschmacksurteile

(2) Ob ein Gegenstand eine anhängende Schönheit oder eine freie Schönheit ist, hängt vom ontologischen Status des Gegenstandes als Naturding oder menschliches Produkt ab. Ist ein Gegenstand ein Naturding, so ist er eine freie Schönheit; ist ein Gegenstand hingegen ein menschliches Produkt, so ist er eine anhängende Schönheit. Diese Deutung der freien und anhängenden Schönheit ist jedoch mit dem Problem behaftet, dass Kant auch einige menschliche Produkte als Beispiele für freie Schönheiten und einige Naturdinge als Beispiele für anhängende Schönheiten benennt, nämlich etwa: § 16.B.5 »So bedeuten die Zeichnungen à la grecque, das Laubwerk zu Einfassungen, oder auf Papiertapeten u. s. w. für sich nichts: sie stellen nichts vor, kein Object unter einem bestimmten Begriffe, und sind freye Schönheiten. § 16.B.6 Man kann auch das, was man in der Musik Phantasieen (ohne Thema) nennt, ja die ganze Musik ohne Text, zu derselben Art zählen« (229,28).

Kant benennt hier explizit ›Zeichnungen à la grecque‹, ›Papiertapeten‹ sowie musikalische ›Phantasieen‹ als Beispiele für freie Schönheiten, wobei es sich dabei jeweils eindeutig um menschliche Produkte handelt. Auch in § 17 führt er unter anderem »ein[.] schöne[s] Amöblement[.]« (§ 17.C.3, 233,5) als Beispiel für eine freie Schönheit an. Zudem finden sich unter den von Kant benannten angewandten Schönheiten auch Naturdinge: § 16.D.1 »Allein die Schönheit eines Menschen (und unter dieser Art die eines Mannes, oder Weibes, oder Kindes), die Schönheit eines Pferdes, eines Gebäudes (als Kirche, Pallast, Arsenal, oder Gartenhaus) setzt einen Begrif vom Zwecke voraus, welcher bestimmt, was das Ding seyn soll, mithin einen Begrif seiner Vollkommenheit; und ist also bloß adhärirende Schönheit« (230,4).

Bei ›Menschen‹ und ›Pferde[n]‹ handelt es sich klarerweise um Naturdinge. Ferner zählt Kant auch einen »schönen Baume« (§ 17.C.4, in der Beurtheilung einer Naturschönheit (als einer solchen) gar nicht die Frage ist« (311,20). So eindeutig dieses Zitat auf den ersten Blick scheint, so muss betont werden, dass Kant im unmittelbaren Anschluss anführt, dass wir einige Naturgegenstände »vornehmlich der belebten Gegenstände der Natur, z. B. des Menschen oder eines Pferdes« (311,30), gemeinhin als angewandte Schönheiten beurteilen.

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Freie und anhängende Schönheiten

233,7) zu den anhängenden Schönheiten. Aus den angeführten Beispielen geht eindeutig hervor, dass die Deutung (2) von freien und anhängenden Schönheiten nicht korrekt sein kann; es kann nicht sein, dass alle schönen Naturdinge freie Schönheiten und alle schönen menschlichen Produkte anhängende Schönheiten sind. Woran lässt sich aber dann der Status eines Gegenstandes als freie oder anhängende Schönheit festmachen? In § 16.B.2 formuliert Kant, dass freie Schönheiten ›gar keinem nach Begriffen in Ansehung seines Zwecks bestimmten Gegenstande zukommen‹. Dies könnte bedeuten, dass freie Schönheiten dadurch gekennzeichnet sind, dass Urteilende (üblicherweise) über keinen Zweckbegriff von diesem Gegenstand verfügen. Diese Interpretation wird durch Kants Aussage in § 16.B.5 bestätigt, wonach die dort beschriebenen freien Schönheiten ›nichts vor[stellen], kein Object unter einem bestimmten Begriffe‹. Ein Objekt stellt für urteilende Subjekte nichts vor, wenn sie keinen Begriff von diesem Objekt haben. Dass dies tatsächlich Kants Verständnis von freien Schönheiten ist, wird durch seine Erläuterungen zu Blumen als freien Schönheiten deutlich: § 16.B.2 »[a] Was eine Blume für ein Ding seyn soll, weiß, außer dem Botaniker, schwerlich sonst jemand; [b] und selbst dieser, der daran das Befruchtungsorgan der Pflanze erkennt, nimmt, wenn er darüber durch Geschmack urtheilt, auf diesen Naturzweck keine Rücksicht« (229,18).

Mit der Formulierung ›Was eine Blume für ein Ding seyn soll‹ bezieht sich Kant offenkundig auf den Zweckbegriff einer Blume. 17 Wir können § 16.B.2a daher folgendermaßen rekonstruieren:

Mit dem Begriff »Naturzweck« verweist Kant auf eine ganz besondere Art von Zwecken. Gegenstände sind erstens Naturzwecke, wenn sie als »Kunstwerk« betrachtet (373,9) werden; »z w e y t e n s [wird] dazu erfordert: daß die Theile desselben [Dinges] sich dadurch zur Einheit eines Ganzen verbinden, daß sie von einander wechselseitig Ursache und Wirkung ihrer Form sind« (373,17). Im Sinne dieses zweiten Merkmals verfügt ein Naturzweck über »eine sich fortpflanzende bildende Kraft« (374,24). Wenn Kant in § 16.B.2 die Blume (bzw. Blüte) als ›Befruchtungsorgan der Pflanze‹ bezeichnet, so verweist er auf ebendieses zweite Merkmal des Naturzwecks. Dass Kant aber im Kontext der anhängenden Schönheit ausgerechnet ein Beispiel eines Naturzwecks wählt, ist durchaus irritierend. Wenn wir nämlich normalerweise einen (Natur-)Gegenstand hinsichtlich seiner Vollkommenheit beurteilen, so rekurrieren wir keinesfalls auf seinen Naturzweck, sondern vielmehr auf das gewöhnliche Aussehen von Gegenständen dieser Art (d. h. auf die Normalidee dieses Gegenstandes). – Auch Ameriks bemerkt, dass sich das Beispiel des Botanikers auf einen sehr

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§ 16 Reine versus angewandte Geschmacksurteile

§ 16.B.2aR1 Den Zweckbegriff einer Blume kennt kaum jemand außer dem Botaniker.

Der folgende Zusammenhang zwischen § 16.B.1 und § 16.B.2a ist dann naheliegend: Weil fast niemand den Zweckbegriff einer Blume kennt (§ 16.B.2a), sind Blumen freie Naturschönheiten (§ 16.B.1). In diese Richtung deutet auch das folgende Zitat aus § 48: »Zwar wird in der Beurtheilung, vornehmlich der belebten Gegenstände der Natur, z. B. des Menschen oder eines Pferdes, auch die objective Zweckmäßigkeit gemeiniglich mit in Betracht gezogen, […]« (311,29).

Bei Pferden oder Menschen wird die ›objective Zweckmäßigkeit‹, d. h. Vollkommenheit, ›gemeiniglich mit in Betracht gezogen‹, so können wir ergänzen, weil Urteilende ›gemeiniglich‹ (üblicherweise) über einen Zweckbegriff von Pferden oder Menschen verfügen. Wir können damit eine dritte Deutung des Status von Gegenständen als freie oder anhängende Schönheiten formulieren: (3) Ob ein Gegenstand eine anhängende oder freie Schönheit ist, hängt davon ab, ob urteilende Subjekte üblicherweise über einen Zweckbegriff dieses Gegenstandes verfügen oder nicht. Verfügen die meisten Urteilenden über einen Zweckbegriff von einem Gegenstand, so ist dieser Gegenstand eine anhängende Schönheit; verfügen die meisten Urteilenden über keinen Zweckbegriff von einem Gegenstand, so ist dieser Gegenstand eine freie Schönheit. Die Vorteile dieser Lesart sind erstens, dass der Status eines Gegenstandes als freie oder anhängende Schönheit unabhängig vom Individuum ist, wobei dieser Status aber dennoch nicht nur vom Gegenstand, sondern auch von den urteilenden Subjekten abhängt. Zweitens stimmt diese Lesart gut mit Kants Beispielen zusammen. So haben die meisten Menschen wohl wirklich keinen (genauen) Begriff davon, was eine Blume, ein Paradiesvogel, Schaltiere des Meeres, musikalische Fantasien usw. sein sollen. Dagegen haben wohl die meisten Menschen einen Begriff davon, was ein Mensch, ein Pferd und eine Kirche sein sollen. Drittens harmoniert Lesart (3) gut damit, dass wir von Zweckbegriffen abstrahieren können und so eine eigent-

spezifischen Begriff, nämlich einer »complete scientific description« der Blume, beziehe (Ameriks 2003, 296).

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Freie und anhängende Schönheiten

lich anhängende Schönheit doch als freie Schönheit beurteilen können. 18 Damit scheint Lesart (3) wohl am plausibelsten. Es stellen sich aber noch zwei Fragen: Bei welchen Gegenständen verfügen wir erstens üblicherweise über einen Zweckbegriff? Ist es zweitens nicht doch stark personenabhängig, ob jemand über einen spezifischen Zweckbegriff verfügt oder nicht? Kants Beispiele legen nahe, es gäbe klare Fälle, in denen wir es mit Gegenständen zu tun haben, deren Zweck wir üblicherweise begrifflich erfassen. Bei näherem Hinsehen erweist sich dies aber als durchaus problematisch. Ich möchte das an den Beispielen der Blumen und des Baums illustrieren. Blumen sind für Kant ein Paradebeispiel für freie Schönheiten. Irritierenderweise identifiziert er aber in § 17.C.3 den »schönen Baume« (233,7) als anhängende Schönheit. Intuitiv scheint aber auch für den Baum zu gelten, dass »außer dem Botaniker, schwerlich sonst jemand [weiß]«, was ein Baum »für ein Ding seyn soll« (§ 16.B.2, 229,18). Versteht man unter dem Zweckbegriff einen detailliert entwickelten Begriff davon, über welche Bestandteile ein Gegenstand verfügen soll und in welcher Proportion diese vorliegen müssen, so scheinen die meisten Menschen weder einen Zweckbegriff von Bäumen noch von Blumen zu haben. Versteht man aber unter einem Zweckbegriff bloß einen vagen Begriff davon, über welche Bestandteile ein Baum bzw. eine Blume verfügen muss, so haben wohl die meisten Menschen sowohl von Bäumen als auch von Blumen einen Zweckbegriff. Zweckbegriffe können also mehr oder weniger vage oder ausdifferenziert sein. Dass Kant von dieser These ausgehen muss, erhellt aus dem folgenden Zitat: »Aber auch von einer bestimmten Zwecken anhängenden Schönheit, z. B. einem schönen Wohnhause, einem schönen Baume, schönen Garten u. s. w., läßt sich kein Ideal vorstellen; vermuthlich weil die Zwecke durch ihren Begrif nicht genug bestimmt und fixirt sind, folglich die Zweckmäßigkeit beynahe so frey ist, als bei der v a g e n Schönheit« (§ 17.C.4, 233,6).

Demnach sind manche Gegenstände ›nicht genug bestimmt und fixiert‹ für ein Ideal, was impliziert, dass Zweckbegriffe mehr oder weniger stark fixieren können. 19 In diesem Sinne können wir Kant unterstellen, dass er von Graden von Fixiertheit durch Zweckbegriffe ausgeht. Dies ist schon allein deshalb angebracht, weil bei einer anVgl. § 16.H.1, 231,11. Zur Abstraktion von Zwecken siehe Kap. 16.4. Freilich ist es Kants Pointe in der obigen Passage, dass nur der Mensch als Zweck an sich selbst hinreichend fixiert ist, um als Ideal zu dienen.

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hängenden Schönheit nur ein gewisser Fixiertheitsgrad vorliegen darf, sodass die Einbildungskraft noch mit Formen spielen kann. Mir scheint, dass man diese These der Fixiertheitsgrade besser versteht, wenn man Kants Konzeption der Normalidee berücksichtigt, die er in § 17 einführt. Kant schreibt, »die ästhetische N o r m a l i d e e « vom Menschen sei »eine einzelne Anschauung (der Einbildungskraft) […], die das Richtmaaß seiner Beurtheilung, als eines zu einer besonderen Thierspecies gehörigen Dinges, vorstellt« (§ 17.D.1, 233,19). 20 Eine solche Normalidee entspringt, wenn wir viele Bilder von Gegenständen einer bestimmten Art (z. B. Pferden) innerlich übereinanderlegen und dadurch eine Art durchschnittliches Bild dieses Gegenstandes erzeugen. Dieses Bild gibt darüber Auskunft, über welche Bestandteile der Gegenstand verfügen muss und in welcher Proportion diese vorliegen müssen. Damit entspricht die Normalidee dem Gehalt des Zweckbegriffs. Auf Grundlage der Normalidee werden dann »Regeln der Beurtheilung möglich« (§ 17.E.8, 234,34). Kant will wohl sagen, dass wir auf Grundlage der bildlichen Normalidee Regeln im Sinne eines Zweckbegriffs formulieren können; und anhand dieses Zweckbegriffs können wir dann die Vollkommenheit des Gegenstandes beurteilen. 21 Nun können Normalideen und die auf ihnen gegründeten Zweckbegriffe offenkundig sehr unterschiedlich genau sein. Habe ich von einer Art Gegenständen bislang nur sehr wenige Exemplare gesehen, so wird meine Normalidee eher ungenau und vage sein; habe ich aber schon viele Gegenstände dieser Art gesehen, so ist meine Normalidee sehr genau. Habe ich darüber hinaus eine Art von Gegenständen bislang kaum genau betrachtet, so wird meine Normalidee ebenfalls eher ungenau sein; habe ich aber (wie etwa der Botaniker) diese Gegenstände sehr genau untersucht, so wird meine Normalidee sehr differenziert sein. Während in diesen Fällen die Vagheit bzw. Ausdifferenziertheit der Normalidee vom urteilenden Subjekt abhängt, so gibt es auch Faktoren im Objekt, die die Normalidee beeinflussen. Weist ein Gegenstand in sich wenig Regelmäßigkeit auf oder verfügen Gegenstände dieser Art über wenige Gemeinsamkeiten, so werden urteilende Subjekte eher nur eine vage Siehe zur Normalidee auch Kap. 17.3.5. Insofern eine Normalidee bloß eine bildliche Anschauung ist, ist sie nicht hinreichend, um nur mit Rekurs auf sie die Vollkommenheit eines Gegenstandes zu beurteilen. Denn in § 15 hat Kant verdeutlicht, dass wir Vollkommenheit immer nur mit Rekurs auf einen Zweckbegriff beurteilen können (vgl. § 15.A.1, 226,24; § 15.C.1–5, 227,10).

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Normalidee davon haben; weist ein Gegenstand in sich viele Regelmäßigkeiten auf und verfügen die Gegenstände dieser Art über viele Gemeinsamkeiten, so werden urteilende Subjekte wohl eine genauere Normalidee davon haben. Unser Exkurs zur Normalidee hat das Folgende gezeigt: Erstens kann man einen Zweckbegriff durch den Vergleich verschiedener Anschauungen von Gegenständen einer Art und einer darauf aufbauenden Normalidee erwerben. 22 Zweitens können Normalideen mehr oder weniger vage oder genau sein und sowohl vom Subjekt als auch vom Objekt abhängen. Drittens haben wir von den allermeisten Gegenständen eine mindestens vage Normalidee – und zwar insbesondere auch von Kants Paradebeispielen für freie Schönheiten. So haben wir eine grobe Vorstellung davon, was Blumen und Paradiesvögel sein sollen. Wir wissen beispielsweise, dass eine Rose über einen Stil und eine Blüte verfügen soll. Ebenso wissen wir, dass ein Paradiesvogel über zwei Flügel verfügen soll. Damit können wir aber zu einem gewissen Grad darüber urteilen, ob eine bestimmte Rose oder ein bestimmter Paradiesvogel vollkommen oder unvollkommen ist. Wenn wir nun aber von den allermeisten Gegenständen (außer vielleicht von uns völlig fremden Gegenständen) einen Zweckbegriff haben, hätte dies nicht zur Konsequenz, dass eigentlich fast alle schönen Gegenstände anhängende Schönheiten wären? In gewisser Hinsicht scheint mir genau dies der Fall zu sein. Der Grund, warum Kant etwa die Blume und den Paradiesvogel dennoch als freie Schönheiten bezeichnet, muss dann darin liegen, dass wir in solchen Fällen nur eine ganz vage und ungenaue Vorstellung davon haben, was der Gegenstand sein soll. Die Einbildungskraft wäre durch einen solchen vagen Zweckbegriff beim Spielen fast nicht eingeschränkt. Abschließend möchte ich noch auf die zweite oben formulierte Frage eingehen: Ist es nicht stark personenabhängig, ob jemand über einen Zweckbegriff verfügt oder nicht? Offenkundig kann sowohl die Tatsache, dass man überhaupt einen Zweckbegriff von einem Gegenstand hat, als auch, dass man einen mehr oder weniger vagen oder genauen Zweckbegriff von diesem Gegenstand hat, von der urteilenden Person abhängen. Als drei mögliche Faktoren kommen die Expertise des Urteilenden, seine kulturelle Eingebundenheit sowie seine Dies ist freilich nicht der einzige Weg, wie wir Zweckbegriffe erwerben. So kann man etwa einen Zweckbegriff auch durch das Lernen einer begrifflichen Regel erwerben.

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unmittelbare Umwelt in Frage. So hat der Botaniker einen genaueren Begriff davon, was eine Blume sein soll, als ein Laie. Ein Urteilender aus einer islamischen Kultur hat einen genaueren Begriff davon, was eine Moschee sein soll, als eine Person aus einem christlichen Kontext. Und eine Bewohnerin Grönlands hat einen genaueren Begriff davon, was Schnee sein soll, als eine Hawaiianerin. Wir können abschließend zum Status von schönen Gegenständen als freie oder anhängende Schönheit das Folgende festhalten: i. Ob ein Gegenstand eine anhängende oder freie Schönheit ist, hängt davon ab, ob Urteilende üblicherweise über einen Zweckbegriff dieses Gegenstandes verfügen oder nicht. ii. Zweckbegriffe können mehr oder weniger vage oder fixiert sein. iii. Von den allermeisten Gegenständen haben Urteilende mindestens einen vagen Zweckbegriff, der auf ihrer Normalidee dieses Gegenstandes beruht. iv. Die Vagheit oder Fixiertheit des Zweckbegriffs kann einerseits vom Objekt abhängen und andererseits vom Subjekt (Expertise, Kultur, Umwelt). v. Damit ein Gegenstand als freie Schönheit gelten kann, scheint es nicht zwangsläufig notwendig, dass die Urteilenden üblicherweise über gar keinen (Zweck-)Begriff von ihm verfügen. Vielmehr scheint es ausreichend, dass dieser Begriff bloß sehr vage und ungenau ist, sodass er die Einbildungskraft beim Spielen fast nicht einschränkt.

16.2 Reine versus angewandte Geschmacksurteile Nach allem, was wir bisher zur freien und anhängenden Schönheit festgestellt haben, mag es nicht weiter verwundern, dass Kant seine Unterscheidung von reinen und unreinen Geschmacksurteilen darauf anwendet: Ein Urteil über eine freie Schönheit ist rein und ein Urteil über eine angewandte Schönheit, d. h. ein zweistufiges Urteil über die Vollkommenheit und die Schönheit eines Gegenstandes, ist unrein. Im vierten Absatz geht Kant genauer auf diese Unterscheidung ein: § 16.D.2 »[a] So wie nun die Verbindung des Angenehmen (der Empfindung) mit der Schönheit, die eigentlich nur die Form betrift, die Reinigkeit des Geschmacksurtheils verhinderte; [b] so thut die Verbindung des Guten (wozu nämlich das Mannig-

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faltige dem Dinge selbst, nach seinem Zwecke, gut ist) mit der Schönheit, der Reinigkeit desselben Abbruch« (230,9).

Im ersten Teil dieses Satzes erinnert Kant an seine Erläuterungen zur ersten Art von unreinen Geschmacksurteilen, welche sich aus einer Verknüpfung des Angenehmen und des Schönen konstituieren. Wir können die folgenden beiden Propositionen isolieren: § 16.D.2a1* Die Verbindung des Angenehmen (der Empfindung) mit der Schönheit verhindert die Reinigkeit des Geschmacksurteils. § 16.D.2a2* Schönheit betrifft eigentlich nur die Form. [Formthese FMT]

Beide Propositionen rekapitulieren nur die §§ 13–14: Ein reines Geschmacksurteil beruht auf einer Lust, die bloß auf die Form des Gegenstandes rekurriert (§ 16.D.2a1); wird die Lust am Schönen mit einer Lust am Angenehmen vermischt, wobei letztere auf der Empfindung beruht, dann liegt ein unreines Geschmacksurteil vor (§ 16.D.2a1). 23 Die Lust am Schönen wird hier mit etwas Fremdartigem vermischt. Eine solche Vermischung mit etwas Fremdartigem liegt auch vor, wenn wir die Lust am Schönen mit der Vollkommenheit ›vermischen‹. Zu dieser Vermischung heißt es im zweiten Teil von § 16.D.2: § 16.D.2b* Die Verbindung des Guten (wozu nämlich das Mannigfaltige dem Ding selbst, nach seinem Zweck, gut ist) mit der Schönheit, tut der Reinigkeit des Geschmacksurteils Abbruch.

Wir müssen zunächst fragen, was Kant hier unter dem ›Guten‹ versteht. Wenn Kant schreibt, dass ›das Mannigfaltige dem Dinge selbst, nach seinem Zweck, gut ist‹, so umschreibt er damit die Vollkommenheit; denn ein Gegenstand ist vollkommen, wenn das Mannigfaltige des Gegenstandes mit dem Zweckbegriff davon, was der Gegenstand sein soll, zusammenstimmt. 24 Das Gute steht hier also nicht (oder nicht nur) für das Gute im praktischen Kontext bzw. das moralisch Gute. Insgesamt können wir § 16.D.2b folgendermaßen vereinfachen:

Siehe hierzu Kap. 13.2 sowie 13.3. Ähnlich heißt es in § 16.C.2 zum Zweckbegriff: »Es ist kein Begrif von irgend einem Zwecke, wozu das Mannigfaltige dem gegebenen Objecte dienen, und was dieses also vorstellen solle, vorausgesetzt« (229,34 f.).

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§ 16.D.2bR1 Die Verbindung der Vollkommenheit mit der Schönheit beeinträchtigt die Reinigkeit des Geschmacksurteils.

Die Unreinheit des geschilderten Geschmacksurteils liegt darin begründet, dass die Lust am Schönen bzw. das Geschmacksurteil mit etwas Fremdartigem vermischt ist, nämlich einem (Zweck-)Begriff. Ein reines Geschmacksurteil beinhaltet nämlich (an der Stelle des Prädikats) weder einen Begriff vom Objekt im Allgemeinen noch einen Zweckbegriff im Speziellen. Dies stimmt damit überein, wie Kant im dritten Absatz die Reinheit des Geschmacksurteils bestimmt: § 16.C.1 »In der Beurtheilung einer freyen Schönheit (der bloßen Form nach) ist das Geschmacksurtheil rein. § 16.C.2 Es ist kein Begrif von irgend einem Zwecke, wozu das Mannigfaltige dem gegebenen Objecte dienen, und was dieses also vorstellen solle, vorausgesetzt; wodurch die Freyheit der Einbildungskraft, die in Beobachtung der Gestalt gleichsam spielt, nur eingeschränkt werden würde« (229,33 f.).

Kant bindet die Reinheit des Geschmacksurteils an die ›Beurtheilung der freyen Schönheit (der bloßen Form nach)‹. Die Unreinheit des angewandten Geschmacksurteils muss dann darin bestehen, dass ein ›Begrif von irgend einem Zwecke…vorausgesetzt‹ ist. In diesem Kontext verweist Kant erneut darauf, dass der Zweckbegriff die Freiheit der Einbildungskraft einschränkt. Damit wird bei einem angewandten Geschmacksurteil nicht nur einfach etwas Fremdartiges, d. h. ein Zweckbegriff, hinzugefügt, sondern die Lust am Schönen und das freie Spiel werden verändert. Dies findet, wie gezeigt, seinen Niederschlag im phänomenalen Gehalt der Lust; denn die Lust an der anhängenden Schönheit fühlt sich nicht mehr vollständig frei an. Die Unreinheit besteht also darin, dass das Urteil erstens nicht mehr nur auf die Form des Gegenstandes rekurriert, sondern auch auf einen (Zweck-)Begriff; zweitens wird dabei die Freiheit der Einbildungskraft eingeschränkt, wodurch drittens die phänomenale Komponente der Freiheit beeinträchtigt wird. Bei der Vermischung des Schönen mit dem Angenehmen besteht die Unreinheit unter anderem darin, dass die Lust am Schönen mit einer fremdartigen Lust, d. h. der Lust am Angenehmen, vermischt wird. Beim angewandten Geschmacksurteil kann die Unreinheit aber nicht (oder nicht immer) in einer solchen Vermischung zweier Formen von Lust bestehen; denn beim angewandten Geschmacksurteil ist bloß ein Urteil über die Vollkommenheit vorausgesetzt, wobei Letzteres nicht immer mit 856

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einer Lust verbunden ist. Eine Lust an der Vollkommenheit liegt vielmehr nur dann vor, wenn das Urteil ein praktisches bzw. moralisches ist. Ferner bildet das Geschmacksurteil keinen Kontrast zu einem intellektuellen ästhetischen Urteil. Dass intellektuelle ästhetische Urteile unmöglich sind, hat Kant in § 15 mittels seiner Distanzierung von rationalistischen Positionen bezüglich des Schönen (implizit) verdeutlicht. 25 Ich möchte noch einmal genauer erläutern, inwiefern Urteile über die Vollkommenheit im theoretischen Kontext nicht mit einer Lust verbunden sind. In der EEKU heißt es: »Dieser Zweck darf aber nicht immer ein practischer Zweck seyn, der eine Lust an der Existenz des Objects voraussetzt, oder einschließt, sondern er kann auch zur Technick gehören, betrift also blos die Möglichkeit der Dinge und ist die G e s e t z m ä ß i g k e i t e i n e r a n s i c h z u f ä l l i g e n Ve rb i n d u n g d e s M a n n i g f a l t i g e n in demselben. […] Dergleichen objective Zweckmäßigkeit an Dingen der Natur beobachtet (vornehmlich an organisirten Wesen) wird nun als objectiv und material gedacht und führt nothwendig den Begrif eines Zwecks der Natur […] bey sich, in Beziehung auf welchen wir den Dingen auch Vollkommenheit beylegen, darüber das Urtheil teleologisch heißt und gar kein Gefühl der Lust bey sich führt, so wie diese überhaupt in dem Urtheile über die bloße Causal-Verbindung gar nicht gesucht werden darf. [Absatz] Überhaupt hat also der Begrif der Vollkommenheit als objectiver Zweckmäßigkeit mit dem Gefühle der Lust und diese mit jenem gar nichts zu thun« (EEKU: 228,13, m. H.). 26

Zwar ist diese Passage primär auf die Erkenntnis der ›objective[n] Zweckmäßigkeit an Dingen der Natur‹, d. h. von Naturzwecken, bezogen; jedoch gelten die zentralen Thesen zum Verhältnis von Vollkommenheit und Lust für die objektive ZM bzw. Vollkommenheit generell. Kant schreibt, ›der Begrif der Vollkommenheit‹ habe ›mit Vgl. insbesondere: »Ein a e s t h e t i s c h U r t h e i l , wenn man es zur objectiven Bestimmung brauchen wollte, würde so auffallend widersprechend seyn, daß man bey diesem Ausdruck wider Misdeutung genug gesichert ist. Denn Anschauungen können zwar sinnlich seyn, aber U r t h e i l e n gehört schlechterdings nur dem Verstande (in weiterer Bedeutung genommen) zu, und ästhetisch oder sinnlich u r t h e i l e n , so fern dieses E r k e n n t n i ß eines Gegenstandes seyn soll, ist selbst alsdann ein Widerspruch, wenn Sinnlichkeit sich in das Geschäft des Verstandes einmengt und (durch ein vitium subreptionis) dem Verstande eine falsche Richtung giebt; das o b j e c t i v e Urtheil wird vielmehr immer nur durch den Verstand gefällt, und kann sofern nicht ästhetisch heißen« (EEKU: 222,24). 26 In dieser Passage grenzt sich Kant auch von rationalistischen Interpretationen der Lust ab. Siehe hierzu Kap. 2.1. 25

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dem Gefühle der Lust und diese mit jenem gar nichts zu thun‹. Dabei differenziert Kant zwischen praktischen Zwecken, die ›eine Lust an der Existenz des Objects voraussetz[en], oder einschließ[en]‹, und Zwecken, die wir nutzen, um ›Dingen…Vollkommenheit bey[zu]legen‹, d. h. Zwecken im Kontext der (theoretischen) Erkenntnis der Vollkommenheit. Nur praktische Zwecke sind mit Lust verbunden – entweder in dem Sinne, dass wir uns überhaupt nur einen Zweck setzen, weil der korrespondierende Gegenstand Lust verheißt (›voraussetzt‹), oder in dem Sinne, dass sich der durch den Zweck bestimmte und belebte Wille als Lust anfühlt (›einschließt‹). Hingegen sind theoretische Urteile über die Vollkommenheit (wie generell Urteile über Kausalverbindungen) nicht mit Lust verbunden. Damit schließt Kant nicht nur aus, dass theoretische Urteile über die Vollkommenheit eine Lust zum Bestimmungsgrund haben und somit ästhetische Urteile wären, sondern auch, dass Urteile über die Vollkommenheit in irgendeiner Form eine Lust bewirken. Im Gegensatz dazu sind Urteile über das Gute im praktischen Kontext zwar keine ästhetischen Urteile; sie bewirken aber eine Lust, insofern sie Anwendung in einer Willensbestimmung finden – und genau bei einer solchen Willensbestimmung kommt der ›practische[.] Zweck‹ zum Tragen. Halten wir also fest: Ein theoretisches Urteil über die Vollkommenheit beruht weder auf einer Lust noch bewirkt es eine Lust. Es gibt also im theoretischen Kontext keine Lust an der Vollkommenheit. Ich habe oben angedeutet, dass die Lust am Schönen in angewandten Geschmacksurteilen zumeist nicht mit einer anderen Lust vermischt wird, und auch dieser Punkt verdient noch etwas mehr Aufmerksamkeit. Kants Ausführungen zu angewandten versus reinen Geschmacksurteilen in § 16.C.1–2 und § 16.D.2 sind mit dieser These problemlos vereinbar. Jedoch finden sich im sechsten Absatz einige Erläuterungen, die sich nicht so problemlos ins Bild fügen: § 16.F.1 »[a] Nun ist das Wohlgefallen an dem Mannigfaltigen in einem Dinge in Beziehung auf den innern Zweck, der seine Möglichkeit bestimmt, [ein] 27 auf einem Begriffe gegründetes Wohlgefallen; [b] das an der Schönheit aber ist ein solches, welches keinen Begrif voraussetzt, sondern mit der Vorstellung, wodurch der Gegenstand gegeben (nicht wodurch er gedacht) wird, unmittelbar verbunden ist. Ich übernehme die Korrektur durch Erdmann. Bei Kant selbst heißt es nur: »seine Möglichkeit bestimmt, auf einem Begriffe gegründetes Wohlgefallen«.

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§ 16.F.2 Wenn nun das Geschmacksurtheil, in Ansehung des letzteren, vom Zwecke in dem ersteren, als Vernunfturtheile, abhängig gemacht und dadurch eingeschränkt wird, so ist jenes nicht mehr ein freyes und reines Geschmacksurtheil« (230,21).

In § 16.F.1 spricht Kant von einem ›Wohlgefallen an dem Mannigfaltigen in einem Dinge, in Beziehung auf den innern Zweck, der seine Möglichkeit bestimmt‹. Ist unter diesem Wohlgefallen eine Lust im praktischen Kontext des Guten oder eine irgendwie mit der theoretischen Beurteilung der Vollkommenheit verbundene Lust gemeint? Gehen wir erst einmal davon aus, dass Kant eine Lust im praktischen Kontext im Sinn hat, sodass kein Widerspruch zum obigen Zitat aus der Ersten Einleitung bestünde. Wir könnten dann schreiben: § 16.F.1aR1 Das Wohlgefallen an dem Mannigfaltigen in einem Ding in Beziehung auf den inneren praktischen Zweck, der seine Möglichkeit bestimmt, ist ein auf einem Begriff gegründetes Wohlgefallen.

Das beschriebene ›Wohlgefallen an dem Mannigfaltigen in einem Dinge‹ wäre dann das Wohlgefallen an dem Ding, welches das Subjekt allererst im Sinne des bestimmten Willens hervorbringen will. Kurzum: Kant würde die Lust am (moralisch) Guten beschreiben. 28 In § 16.F.1b würde er dann die Lust am Schönen von dieser Lust am moralisch Guten mittels der Begriffslosigkeitsthese (BTLust) abgrenzen – eine Strategie, deren er sich bereits früher mehrfach bedient hat. 29 Soweit entstehen keine Probleme. Dies ändert sich aber, wenn wir § 16.F.2 einbeziehen. Die beiden Formulierungen ›des letzteren‹ und ›in dem ersteren‹ müssen sich klarerweise auf das Wohlgefallen ›an der Schönheit‹ und ›das Wohlgefallen an dem Mannigfaltigen in einem Dinge in Bezug auf den innern Zweck‹ (d. h. das Wohlgefallen am Guten) beziehen. Wir müssten also lesen: § 16.F.2* Wenn das Geschmacksurteil, in Ansehung des Wohlgefallens an der Schönheit, vom Zweck in dem Wohlgefallen am Guten, als Vernunfturteil, abhängig gemacht und dadurch eingeschränkt wird, so ist das Geschmacksurteil nicht mehr ein freies und reines Geschmacksurteil. Die Lust am Nützlichen kann insofern nicht gemeint sein, als Kant von einem ›innern Zweck‹ spricht; beim Nützlichen liegt aber ein äußerer Zweck vor. – Zur Lust am Guten siehe Kap. 4.1. 29 Vgl. etwa § 7.C.5, 213,20; § 11.A.3, 221,8. – Siehe hierzu auch die Kap. 7.4 sowie 11.2.2. 28

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Dieser Satz wäre völlig unproblematisch, würde es bloß heißen, dass das ›Geschmacksurteil in Ansehung‹ des Wohlgefallens am Schönen vom ›Vernunfturtheil abhängig gemacht und dadurch eingeschränkt wird‹. Denn für diesen Fall würde bloß das zweistufige Verfahren des angewandten Geschmacksurteils geschildert, in dem das ›Vernunfturtheil‹ über die Vollkommenheit die Bedingung für die Lust und das Urteil über das Schöne bildet. Problematisch ist jedoch, dass Kant vom ›Zwecke in dem ersteren [Wohlgefallen am Guten]‹ spricht. Denn dies scheint doch zu implizieren, dass der Zweck ein praktischer Zweck und das ›Vernunfturtheil‹ ein praktisches Urteil ist. Hat Kant aber damit nicht plötzlich einen anderen Begriff von Vollkommenheit im Visier? Und behandelt er dann nicht auch eine andere Variante des angewandten Geschmacksurteils, bei dem zwei Formen der Lust vermischt werden? Dies scheint durch den folgenden Satz aus dem nächsten Absatz bestätigt zu werden: »Zwar gewinnt der Geschmack durch diese Verbindung des ästhetischen Wohlgefallens mit dem intellectuellen [Wohlgefallen] darin, daß er fixirt wird, […]« (§ 16.G.1, 230,30). Kant spricht hier eindeutig von einer ›Verbindung des ästhetischen Wohlgefallens‹, d. h. der Lust am Schönen, ›mit dem intellectuellen‹ Wohlgefallen. Wofür steht aber dieses intellektuelle Wohlgefallen? Zunächst einmal, so möchte ich betonen, kann das intellektuelle Wohlgefallen in § 16.G.1 nicht für die Achtung als gefühlte Willensbestimmung stehen. So ist es schleierhaft, inwiefern eine solche Willensbestimmung (durch das moralische Gesetz) in irgendeiner Form Bedingung für ein Urteil über Schönheit sein sollte. Die Lust am moralisch Guten zielt nämlich auf Objekte oder Handlungen, die allererst hervorgebracht werden sollen; hingegen wird die Lust am Schönen an bereits existenten Gegenständen gefühlt. Problematisch ist ferner insbesondere, dass wir eine Willensbestimmung durch das moralische Gesetz nicht als einfache Lust, sondern immer als Doppelgefühl aus Unlust (Demütigung) und Lust erfahren. Bei der Analyse von § 14 haben wir aber gesehen, dass nur gleichartige Gefühle kombiniert werden können, d. h. nur einfache Formen der Lust oder nur Doppelgefühle aus Unlust und Lust. 30 Daher kann die Achtung gar nicht mit der Lust am Schönen vermischt werden. Ich schlage die folgende Lösung dieses Problems vor: Das intellektuelle Wohlgefallen in § 16.G.1 steht für den in der Tugendlehre beschriebenen amor com30

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Siehe hierzu Kap. 14.6.

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placentiae, d. h. die Liebe des Wohlgefallens. 31 Diese bestimmt Kant als eine »Lust an der Vollkommenheit anderer Menschen« (TL: 449). 32 Und bei dieser Vollkommenheit handelt es sich um die moralische Vollkommenheit anderer Menschen. Insgesamt ist die Liebe des Wohlgefallens also eine Lust an einer Art von Erkenntnis der Vollkommenheit. 33 Aber diese Erkenntnis der Vollkommenheit ist mit einer Lust verbunden und bildet insofern eine Ausnahme zu Kants Ausführungen in der Ersten Einleitung. Dies ist insofern unproblematisch, als der Zweck, der dieser Erkenntnis der Vollkommenheit zugrunde liegt, ein moralischer und insofern praktischer Zweck ist. Nur wirkt dieser Zweck nicht im Sinne einer Willensbestimmung, sondern im Rahmen der Beurteilung der moralischen Vollkommenheit anderer Menschen. Übertragen wir dies auf den sechsten Absatz von § 16, dann beschreibt Kant hier also einen Sonderfall des angewandten Geschmacksurteils, bei dem auf der ersten Stufe ein Urteil Für eine genaue Analyse des amor complacentiae siehe Schönecker (2010b). Vgl. auch: »Die Liebe des Wohlgefallens gegen andere, ist das Urtheil des Wohlgefallens über ihre Vollkommenheit« (V-Mo/Mron: 1492; ebenso V-Mo/Collins: 357); »Die Liebe des Wohlgefallens ist das Vermögen welches wir haben, an den Vollkommenheiten des Andern Beyfall zu beweisen. Dieses Wohlgefallen kann sinnlich und intellectual seyn. Alles Wohlgefallen wenn es Liebe ist muß doch vorhero Neigung seyn. Die Liebe des sinnlichen Wohlgefallens ist ein Gefallen an der sinnlichen Anschauung, aus sinnlicher Neigung zE die GeschlechterNeigung ist ein sinnliches Wohlgefallen, es geht nicht so auf die Glückseligkeit als auf die Gemeinschaft der Personen. Die Liebe des intellectuellen Wohlgefallens ist schon schwerer zu concipiren. Das intellectuelle Wohlgefallen ist nicht schwer sich vorzustellen aber die Liebe des intellectuellen Wohlgefallen. Welches intellectuelle Wohlgefallen bringt Neigung hervor? Die gute Gesinnungen der Gütigkeit« (V-Mo/Kaehler(Stark): 285). Kant kennt in dieser Passage auch den Begriff einer sinnlichen Liebe des Wohlgefallens. Dass diese aber mindestens in der Tugendlehre nicht im Begriff des amor complacentiae eingeschlossen ist, erhellt aus der folgenden Passage: »Sie [die Geschlechtsneigung] kann aber weder zur Liebe des Wohlgefallens, noch der des Wohlwollens gezählt werden (denn beide halten eher vom fleischlichen Genuß ab), […]« (TL: 426). Für weitere Verwendungen des Begriffs der Liebe des Wohlgefallens in den offiziellen Schriften Kants vgl. unter anderem: »Denn so können wir die Gattung doch wenigstens in ihrer beständigen Annäherung zum Guten lieben, sonst müßten wir sie hassen oder verachten; die Ziererei mit der allgemeinen Menschenliebe (die alsdann höchstens nur eine Liebe des Wohlwollens, nicht des Wohlgefallens sein würde) mag dagegen sagen, was sie wolle« (TP: 307); »Dieser Idee gemäß würde es in der Religion ein Glaubensprinzip sein: ›Gott ist die Liebe‹; in ihm kann man den Liebenden (mit der Liebe des moralischen Wo h l g e f a l l e n s an Menschen, sofern sie seinem heiligen Gesetze adäquat sind), den Va t e r [verehren]« (RGV: 145). 33 Vgl. auch: »Amor complacentiae ist die Liebe wo ich jemanden werthschäzze wegen seiner Eigenschaften« (V-PP/Powalski: 227). 31 32

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über die moralische Vollkommenheit eines Menschen gefällt wird. Dieses Urteil ist mit einer Liebe des Wohlgefallens, d. h. einer spezifischen moralischen Lust, verbunden; und diese Lust vermischt sich mit der Lust am Schönen. Vor diesem Hintergrund sollten wir § 16.F.1a und § 16.F.2 folgendermaßen rekonstruieren: § 16.F.1aR2 Das Wohlgefallen an dem Mannigfaltigen in einem Menschen in Beziehung auf den inneren moralischen Zweck, der seine Möglichkeit bestimmt, d. h. die Liebe des Wohlgefallens, ist ein auf einem Begriff gegründetes Wohlgefallen. § 16.F.2R2 Wenn die Lust am Schönen im Geschmacksurteil vom moralischen Zweck in der Liebe des Wohlgefallens, als Vernunfturteil, abhängig gemacht und dadurch eingeschränkt wird, so ist das Geschmacksurteil nicht mehr ein freies und reines Geschmacksurteil.

Ich schlage insgesamt vor, zwei Arten der angewandten Geschmacksurteile zu unterscheiden: In gewöhnlichen angewandten Geschmacksurteilen liegt auf der ersten Stufe eine theoretische Beurteilung der Vollkommenheit vor, die nicht mit Lust verbunden ist. Es gibt jedoch einen Sonderfall, bei dem auf der ersten Stufe ein Urteil über die moralische Vollkommenheit eines Menschen vorliegt, welches mit einer Lust, nämlich der Liebe des Wohlgefallens, verbunden ist. Beide Arten des angewandten Geschmacksurteils kommen aber darin überein, dass sie unrein sind; denn in beiden Fällen wird das Geschmacksurteil mit einem ihm fremden Zweckbegriff vermischt, und im Sonderfall wird die Lust am Schönen zudem mit einer fremdartigen Lust vermischt.

16.3 Vor- und Nachteile des angewandten Geschmacksurteils Wir haben bei unserer Untersuchung von § 14 gesehen, dass eine Vermischung der Lust am Schönen mit der Lust am Angenehmen immerhin für den ungeübten Geschmack einen gewissen Gewinn mit sich bringen kann. 34 Auch in Bezug auf angewandte Geschmacksurteile identifiziert Kant mögliche damit einhergehende Gewinne: 34

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Siehe hierzu Kap. 14.2.2.

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Vor- und Nachteile des angewandten Geschmacksurteils

§ 16.G.1 »[a] Zwar gewinnt der Geschmack durch diese Verbindung des ästhetischen Wohlgefallens mit dem intellectuellen darin, daß er fixirt wird, [b] und ist zwar nicht allgemein, [c] doch können ihm in Ansehung gewisser zweckmäßig bestimmten Objecte Regeln vorgeschrieben werden. § 16.G.2 [a] Diese sind aber alsdann auch keine Regeln des Geschmacks, sondern bloß der Vereinbarung des Geschmacks mit der Vernunft, d. i. des Schönen mit dem Guten, [b] durch welche jenes zum Instrument der Absicht in Ansehung des letztern brauchbar wird, um diejenige Gemüthsstimmung, die sich selbst erhält und von subjectiver allgemeiner Gültigkeit ist, derjenigen Denkungsart unterzulegen, die nur durch mühsamen Vorsatz erhalten werden kann, aber objectiv allgemein gültig ist. § 16.G.3 [a] Eigentlich aber gewinnt weder die Vollkommenheit durch die Schönheit, noch die Schönheit durch die Vollkommenheit; [b] sondern, weil es nicht vermieden werden kann, wenn wir die Vorstellung, wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird, mit dem Objecte (in Ansehung dessen was es seyn soll) durch einen Begrif vergleichen, sie zugleich mit der Empfindung im Subjecte zusammen zu halten, so gewinnt das g e s a m m t e Ve r m ö g e n der Vorstellungskraft, wenn beide Gemüthszustände zusammen stimmen« (230,30 f.).

In § 16.G.1 schildert Kant einen möglichen Gewinn für den Geschmack, in § 16.G.2 einen möglichen Gewinn für das Gute, und in § 16.G.3 den eigentlichen und primären Gewinn des angewandten Geschmacksurteils, nämlich einen Gewinn für das ›gesammte Vermögen der Vorstellungskraft‹. Beginnen wir mit dem möglichen Gewinn für den Geschmack. Ich habe im vorigen Unterkapitel (16.2) dafür plädiert, dass das ›intellectuelle[.]‹ Wohlgefallen für die Liebe des Wohlgefallens steht. Ich schlage daher die folgende Rekonstruktion von § 16.G.1 vor: § 16.G.1* [a] Zwar gewinnt der Geschmack durch diese Verbindung des ästhetischen Wohlgefallens mit dem intellektuellen Wohlgefallen [d. h. der Liebe des Wohlgefallens an der moralischen Vollkommenheit] darin, dass der Geschmack fixiert wird, [b] und der Geschmack ist zwar nicht allgemein, [c] dem Geschmack können aber doch in Ansehung ge-

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wisser zweckmäßig bestimmter Objekte Regeln vorgeschrieben werden. 35

Kant scheint auf einen Gewinn hinweisen zu wollen, der bei einer Kombination der Lust am Schönen mit einer Lust am Guten vorliegt. Man könnte daher annehmen, der beschriebene Gewinn sei nur in den Sonderfällen gegeben, bei denen auf der ersten Stufe ein Urteil über die moralische Vollkommenheit und eine damit verbundene Liebe des Wohlgefallens vorliegt. Nun besteht der Gewinn aber in einer Fixierung des Geschmacks, die durch gewisse Regeln erfolgt. Die Liebe zum Wohlgefallen ist aber freilich keine Regel. Jedoch setzt sie Regeln der Vollkommenheit voraus. Regeln der Vollkommenheit kommen aber in jedem Urteil über die Vollkommenheit, d. h. insbesondere auch im theoretischen Kontext, zur Anwendung. In diesem Sinne ist Kants Aussage, der Geschmack würde durch die ›Verbindung des ästhetischen Wohlgefallens mit dem intellektuellen Wohlgefallen‹ gewinnen, ungenau. Denn tatsächlich gewinnt der Geschmack durch die Anwendung von Regeln, was in Urteilen über die Vollkommenheit sowohl im praktischen als auch im theoretischen Kontext der Fall ist. Ich schlage daher die folgende, in gewisser Hinsicht zwar ungenaue, sachlich aber treffende Rekonstruktion von § 16.G.1a vor: § 16.G.1aR1 Der Geschmack gewinnt durch die Verbindung des ästhetischen Wohlgefallens mit dem Urteil über die Vollkommenheit dadurch, dass der Geschmack fixiert wird.

Wodurch und inwiefern wird der Geschmack aber ›fixiert‹ ? Die Fixierung findet durch das Urteil über die Vollkommenheit auf der ersten Stufe statt; denn nur hier finden (begriffliche) Regeln Anwendung. Erstens ist der Zweckbegriff selbst eine Art Regel; denn er schreibt vor und ›fixiert‹ (mindestens zu einem gewissen Grad), was der Gegenstand sein soll. 36 Zweitens lassen sich aber auch (den Zweckbegriff Es mag verwundern, dass Kant schreibt, der Geschmack sei ›zwar nicht allgemein‹ (§ 16.G.1b); denn sowohl Urteile über die Vollkommenheit als auch Geschmacksurteile sind durch Allgemeingültigkeit ausgezeichnet. Jedoch ist die Tatsache, ob ich ein angewandtes oder reines Geschmacksurteil fälle, ›nicht allgemein‹. Es ist kontingent, ob ich einen Gegenstand als anhängende Schönheit beurteile oder von seinem Zweckbegriff abstrahiere. Daher kann es dann zum »Zwist« zwischen zwei Urteilenden kommen (§ 16.H.3, 231,21). 36 Vgl.: »Aber auch von einer bestimmten Zwecken anhängenden Schönheit, z. B. einem schönen Wohnhause, einem schönen Baume, schönen Garten u. s. w., läßt sich 35

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beinhaltende) Metaregeln der folgenden Art formulieren: »Wenn Gegenstand x damit übereinstimmt, was x sein soll (d. h. die Bestandteile a, b, c usw. in einer bestimmten Proportion aufweist), dann kann er schön oder nicht schön sein.«, sowie: »Wenn Gegenstand x nicht damit übereinstimmt, was x sein soll (d. h. nicht die Bestandteile a, b, c usw. in einer bestimmten Proportion aufweist), dann ist er nicht schön.« Die konkrete Ausgestaltung dieser Regeln hängt dann vom Gehalt des jeweiligen Zweckbegriffs ab. Die Regeln legen fest, unter welchen Bedingungen ein Gegenstand schön sein kann und unter welchen Bedingungen er nicht schön sein kann. 37 Die Regeln legen aber nicht explizit fest, unter welchen Umständen ein Gegenstand schön ist. Vielmehr können primär nur Fälle ausgeschlossen werden, bei denen der Gegenstand nicht schön sein kann. Insofern besteht der Gewinn für den Geschmack hauptsächlich darin, dass die Klasse der Objekte eingeschränkt wird, die schön sein können. Zudem handelt es sich um ›keine Regeln des Geschmacks, sondern bloß der Vereinbarung des Geschmacks mit der Vernunft‹, wie es in § 16.G.2 heißt. Dies bedeutet, dass die Regeln nur in angewandten Geschmacksurteilen bzw. bei anhängenden Schönheiten Anwendung finden, nicht aber in reinen Geschmacksurteilen bzw. bei freien Schönheiten. In diese Richtung weist auch Kants Formulierung, dass dem Geschmack ›in Ansehung gewisser zweckmäßig bestimmten Objecte Regeln vorgeschrieben werden‹ können. Da Regeln nur in angewandten Geschmacksurteilen Anwendung finden, liegt kein Gewinn für den Geschmack im eigentlichen Sinne und für die reinen Geschmacksurteile vor, die im Zentrum von Kants Theorie stehen. In diesem Sinne schreibt Kant dann in § 16.G.3, dass ›weder die Vollkommenheit durch die Schönheit, noch die Schönheit durch die Vollkommenheit‹ gewinnt. Kommen wir nun zum Gewinn für das Gute. Dazu schreibt Kant: kein Ideal vorstellen; vermuthlich weil die Zwecke durch ihren Begrif nicht genug bestimmt und fixirt sind, […]« (§ 17.C.4, 233,6, m. H.). 37 Dass es gewisse Regeln gibt, die angeben, unter welchen Bedingungen ein Gegenstand nicht schön sein kann, hat die interessante Konsequenz, dass man im Falle der angewandten Geschmacksurteile in gewisser Hinsicht über den Geschmack disputieren kann (vgl. 338,8 f.). Man kann darüber disputieren, ob der Gegenstand vollkommen ist oder nicht und sich somit potenziell als schön qualifiziert oder nicht. Zum Urteil über die Vollkommenheit auf der ersten Stufen kann man die Zustimmung anderer durch Beweise erzwingen (vgl. 286,32, 338,13). Kants Philosophie des Schönen

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§ 16.G.2b* Durch die Vereinbarung 38 des Geschmacks mit der Vernunft wird das Schöne 39 zum Instrument der Absicht in Ansehung des Guten brauchbar, um diejenige Gemütsstimmung, die sich selbst erhält und von subjektiver allgemeiner Gültigkeit ist, derjenigen Denkungsart unterzulegen, die nur durch mühsamen Vorsatz erhalten werden kann, aber objektiv allgemeingültig ist.

Die ›Gemüthsstimmung, die sich selbst erhält und von subjectiver allgemeiner Gültigkeit ist‹ steht offenkundig für den Gemütszustand des freien Spiels der Erkenntniskräfte bzw. die Lust am Schönen. So heißt es in der Bestimmung der Lust in der Ersten Einleitung, dass »der Zustand einander wechselseitig befördernder Gemüthskräfte in einer Vorstellung […] sich selbst [erhält]« (EEKU: 230,13). Zudem hat Kant im Zweiten Moment gezeigt, dass die Lust am Schönen ›von subjectiver allgemeiner Gültigkeit ist‹. 40 Wir können also schreiben: § 16.G.2bR1 Durch die Vereinbarung des Geschmacks mit der Vernunft wird das Schöne zum Instrument der Absicht in Ansehung des Guten brauchbar, um die sich selbst erhaltende und subjektiv allgemeingültige Lust am Schönen (bzw. das freie Spiel) derjenigen Denkungsart zu unterlegen, die nur durch mühsamen Vorsatz erhalten werden kann, aber objektiv allgemeingültig ist.

Wofür steht in diesem Satz das Gute? Und welche ›Denkungsart‹ ist gemeint? Das Gute kann, wie bereits erläutert, entweder für das moralisch Gute oder für ein theoretisches Urteil über die Vollkommenheit stehen. Nun habe ich dafür argumentiert, dass Kant im unmittelbar vorangehenden sechsten Absatz das moralisch Gute und die Liebe zum Wohlgefallen behandelt; und letztlich deutet er auch in § 16.G.1 Es wäre grammatikalisch auch möglich, die Formulierung ›durch welche‹ auf die ›Regeln…der Vereinbarung des Geschmacks mit der Vernunft‹ zu beziehen. Inhaltlich zeigt sich aber, dass die (sich selbst erhaltende) Lust am Schönen einen positiven Effekt auf die Denkungsart zum Guten hat. Die Regeln haben keinen unmittelbaren Einfluss auf diesen Gewinn. 39 Das Schöne wurde für ›jenes‹ eingesetzt. Dabei ist jedoch zu beachten, dass Kant in der A-Auflage den Begriff ›jener‹ verwendet, wobei dann der ›Geschmack‹ das korrekte Bezugswort wäre. Inhaltlich ist allerdings die Differenz zwischen beiden Rekonstruktionen marginal. 40 Vgl.: »Die Allgemeinheit des Wohlgefallens wird in einem Geschmacksurtheile nur als subjectiv vorgestellt« (§ 8.T, 213,26). Siehe zum Begriff der subjektiven Allgemeingültigkeit Kap. 8.1.2. 38

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mit dem Begriff des intellektuellen Wohlgefallens darauf hin. Es ist daher naheliegend, dass er mit dem ›Guten‹ in § 16.G.2b ebenfalls das moralisch Gute meint. Auch der Begriff der Denkungsart lässt sich in diesem Sinne deuten. Dieser Begriff findet bei Kant in sehr vielen Kontexten Verwendung, wobei er in seiner allgemeinsten Form bloß »eine kognitive Einstellung […], die Handeln und Denken leiten kann«, meint (Thielke 2015, 375). 41 Kant kennt insbesondere auch eine moralische Denkungsart. So spricht er in der KU unter anderem von der »moralische[n] Denkungsart« (§ 5.C.4, 210,32; 446,11; 471,3; 472,16), der »moralisch-gute[n] Denkungsart« (299,31) sowie der »Denkungsart […] zum Guten« (301,8). Dabei trifft es auf die moralische Denkungsart zu, dass sie ›nur durch mühsamen Vorsatz erhalten werden kann, aber objectiv allgemeingültig ist‹. So ist bei Kant die Moral grundsätzlich durch objektive Allgemeingültigkeit ausgezeichnet. 42 Weil der moralischen Denkungsart aber gewöhnlich Neigungen entgegenstehen, fällt es uns schwer, unsere moralische Denkungsart aufrechtzuerhalten. In diesem Sinne kann die moralische Denkungsart ›nur durch mühsamen Vorsatz erhalten werden‹. Wir können § 16.G.2b also vorläufig so rekonstruieren: § 16.G.2bR2a Durch die Verknüpfung des Schönen mit dem moralisch Guten (d. h. der Liebe des Wohlgefallens an der moralischen Vollkommenheit) wird das Schöne zum Instrument der Absicht in Bezug auf das moralisch Gute brauchbar, um die sich selbst erhaltende und subjektiv allgemeingültige Lust am Schönen (bzw. das freie Spiel) der moralischen Denkungsart zu unterlegen, die nur durch einen mühsamen Vorsatz erhalten werden kann, aber objektiv allgemeingültig ist.

Vorausgesetzt, diese Interpretation stimmt: Worin würde der Gewinn für das moralisch Gute genau bestehen? Im Falle des angewandten Geschmacksurteils muss sich die moralische Denkungsart im Urteil über die moralische Vollkommenheit eines Menschen niederschlagen. Nun wird dieses Urteil über die moralische Vollkommenheit mit der Lust am Schönen kombiniert. Der Gewinn dieser KombinaBerühmt sind etwa die »Revolution der Denkungsart« (BXI), die Kant im Rahmen der Kopernikus-Analogie thematisiert, sowie »die veränderte Methode der Denkungsart« in der Metaphysik, die darin besteht, »daß wir […] von den Dingen nur das a priori erkennen, was wir selbst in sie legen« (BVIII). 42 Vgl. § 8.E.6, 215,31. 41

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tion geht aus dem Kontrast des Erhaltens durch den ›mühsamen Vorsatz‹ im Rahmen der moralischen Denkungsart und der ›Gemüthsstimmung, die sich selbst erhält‹, hervor. Dabei unterlegt Kant wohl die implizite Annahme, das Erhalten der moralischen Denkungsart, welches aufgrund des Einflusses der Neigungen normalerweise nur ›mühsam‹ vonstattengeht, werde dadurch erleichtert, dass diese Denkungsart mit einem sich selbst erhaltenden Gefühl kombiniert wird. Interessant ist auch, dass es um die ›Absicht in Ansehung des letztern [Guten]‹ sowie den ›Vorsatz‹ der Erhaltung der moralischen Denkungsart geht. Demnach besteht der Gewinn letztlich darin, dass wir darin bestärkt werden, uns das moralische Denken und Handeln zum Vorsatz zu machen. Allerdings wird die Lust am Schönen in diesem Kontext instrumentalisiert (›zum Instrument‹), was in gewisser Hinsicht dem autonomen Status des Schönen widerstrebt. Mir scheint aber, dass wir es uns keinesfalls bewusst zum Vorsatz machen dürfen, unsere moralische Denkungsart durch das Schöne zu befördern, und etwa nur aus diesem Grund schöne Gegenstände betrachten. Allerdings gibt es eine alternative Lesart zur soeben geschilderten Interpretation von § 16.G.2. Nach dieser Lesart behandelt Kant in § 16.G.2 nicht den Sonderfall der Kombination des moralisch Guten mit dem Schönen, sondern allgemein die Kombination der Vollkommenheit mit dem Schönen. Die entscheidende Frage ist dabei, was dann unter der ›Denkungsart, die nur unter mühsamen Vorsatz erhalten werden kann, aber objectiv allgemein gültig ist‹, zu verstehen ist. Eine sinnvolle Deutung besteht darin, diese ›Denkungsart‹ als konsequente Denkungsart zu begreifen. In § 40 schildert Kant die folgenden »Maximen des gemeinen Menschenverstandes«: »1. Selbstdenken; 2. An der Stelle jedes andern denken; 3. Jederzeit mit sich selbst einstimmig denken. Die erste ist die Maxime der v o r u rt h e i l f r e y e n , die zweyte der e r w e i t e r t e n , die dritte der c o n s e q u e n t e n Denkungsart« (294,14). Im Anschluss erläutert Kant dann, dass die Maxime der konsequenten Denkungsart »am schwersten zu erreichen« sei (295,15). Dies würde dazu passen, dass die in § 16.G.2 angeführte Denkungsart, ›nur unter mühsamen Vorsatz erhalten werden kann‹. Was ist aber überhaupt eine konsequente Denkungsart? In der Anthropologie spricht Kant auch von »der k o n s e q u e n t e n (folgerechten) Denkungsart« (Anth: 228). In § 40 der KU heißt es zudem, die konsequente Denkungsart sei die Maxime »der Vernunft« (295,19). Nimmt man den Begriff des ›folgerechten‹ und die Tatsache, dass die Vernunft das »Vermögen zu schließen« ist 868

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(A330/B386), zusammen, so ist es naheliegend, unter der ›konsequenten Denkungsart‹ ein durch (Vernunft-)Schlüsse geprägtes Denken zu verstehen. Und dies lässt sich gut auf Urteile über die Vollkommenheit übertragen. So subsumiert man bei einem Urteil über die Vollkommenheit den Fall eines gegebenen Gegenstandes unter einen Zweckbegriff als Regel und erhält dann die Konklusion »x ist vollkommen« (oder auch »x ist unvollkommen«). Insgesamt ist damit auch die folgende Lesart von § 16.G.2b durchaus plausibel: § 16.G.2bR2b Durch die Verknüpfung des Schönen mit der Vollkommenheit im theoretischen Kontext wird das Schöne zum Instrument der Absicht in Bezug auf die Vollkommenheit brauchbar, um die sich selbst erhaltende und subjektiv allgemeingültige Lust am Schönen (bzw. das freie Spiel) der konsequenten Denkungsart zu unterlegen, die nur durch mühsamen Vorsatz erhalten werden kann, aber objektiv allgemeingültig ist.

In dieser Rekonstruktion ist der Gewinn für das Gute der folgende: Die Erhaltung der konsequenten Denkungsart wird dadurch erleichtert, dass eine Instanziierung der konsequenten Denkungsart (nämlich im Urteil über die Vollkommenheit) mit einem sich selbst erhaltenden Gefühl (nämlich der Lust am Schönen) kombiniert wird. Während wir etwa das Pferd als vollkommen beurteilen, fühlen wir auch eine Lust am Schönen. Das urteilende Subjekt wird durch dieses Lusterlebnis bestärkt, den Vorsatz zu verfolgen, auch in Zukunft konsequent (und nicht etwa durch Vorurteile) zu denken. Das Problem dieser Lesart ist allerdings, dass Kant in § 16.G.1 von der ›Verbindung des ästhetischen Wohlgefallens mit dem intellektuellen [Wohlgefallen]‹ spricht. Im theoretischen Kontext liegt aber bei einem Urteil über die Vollkommenheit gerade kein Wohlgefallen vor. Es ist daher eher wahrscheinlich, dass die erste Lesart zutrifft und Kant also in § 16.G.2 einen Gewinn für das moralisch Gute und die moralische Denkungsart beschreibt. Ganz ausgeschlossen ist es aber auch nicht, dass Kant in § 16.G.2 einen weiten Begriff der Denkungsart nutzt, der sowohl die theoretische konsequente Denkungsart als auch die »praktische, konsequente Denkungsart« umfasst (KpV: 152). Wir müssen noch fragen, warum »die Vollkommenheit durch die Schönheit« nicht ›gewinnt‹ (§ 16.G.3, 231,3). Ist es etwa kein Gewinn, dass die moralische oder konsequente Denkungsart gestärkt wird? Der plausibelste Grund, warum Kant von keinem richtigen GeKants Philosophie des Schönen

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winn ausgeht, scheint mir, dass das konkrete Urteil über die Vollkommenheit nicht verbessert wird. Wenngleich meine Denkungsart im Allgemeinen bzw. der Vorsatz, diese Denkungsart weiter zu pflegen, einen Gewinn erfährt, so bleibt das aktuale Urteil über die Vollkommenheit davon unberührt. Kommen wir schließlich zur letzten Möglichkeit eines ›Gewinns‹, nämlich dem Gewinn des ›gesamnte[n] Vermögen[s] der Vorstellungskraft‹ durch die Kombination des Schönen mit der Vollkommenheit: § 16.G.3b* Weil es nicht vermieden werden kann, wenn wir die Vorstellung, wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird, mit dem Objekt (in Ansehung dessen was das Objekt sein soll) durch einen Begriff vergleichen, die Vorstellung zugleich mit der Empfindung im Subjekt zusammenzuhalten, so gewinnt das gesamte Vermögen der Vorstellungskraft, wenn beide Gemütszustände zusammenstimmen.

Betrachten wir zunächst die Formulierung ›wenn wir die Vorstellung, wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird, mit dem Objecte (in Ansehung dessen was es seyn soll) durch einen Begrif vergleichen‹. Sie ist eine Umschreibung der Beurteilung der Vollkommenheit (einer gegebenen Vorstellung). Die ›Empfindung im Subject‹ steht offenkundig für die Lust am Schönen (als subjektive Empfindung). Schließlich müssen die ›beide[n] Gemüthszustände‹ die Gemütszustände bei der Beurteilung der Vollkommenheit und beim Schönen meinen. Es ergibt sich die folgende Rekonstruktion: § 16.G.3bR1 Weil es nicht vermieden werden kann, wenn wir eine gegebene Vorstellung durch einen Zweckbegriff hinsichtlich ihrer Vollkommenheit beurteilen, die Vorstellung zugleich mit der Lust am Schönen im Subjekt zusammenzuhalten, so gewinnt das gesamte Vermögen der Vorstellungskraft, wenn die beiden Gemütszustände der Beurteilung der Vollkommenheit und des Schönen zusammenstimmen.

Was ist nun mit dem ›gesammte[n] Vermögen der Vorstellungskraft‹ gemeint? Der Begriff der Vorstellungskraft ist bei Kant eine Art Sammelbegriff für alle Vermögen des menschlichen Erkenntnisapparats. 43 Vgl. Heßbrüggen-Walter 2015, 2575. Vgl.: »Alle praktische Begriffe gehen auf Gegenstände des Wohlgefallens, oder Mißfallens, d. i. der Lust oder Unlust, mithin, wenigstens indirekt, auf Gegenstände unseres Gefühls. Da dieses aber keine Vorstel-

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Grundlegend unterscheidet er zwischen einer »sinnliche[n] und intellectuelle[n] Vorstellungskraft« (Refl: 1010). 44 Vor diesem Hintergrund zählen vor allem die Einbildungskraft und der Verstand zur Vorstellungskraft; 45 aber auch die Vernunft zählt Kant bisweilen dazu. 46 Bezieht man all dies auf das angewandte Geschmacksurteil, so fällt auf, dass im Rahmen der Beurteilung des Schönen die Einbildungskraft und der Verstand sowie im Rahmen der Beurteilung der Vollkommenheit – sei es im theoretischen oder praktischen Kontext – die Vernunft aktiv sind. Nun könnte man erstens vermuten, der Gewinn für das ›gesammte Vermögen der Vorstellungskraft‹ werde schon dadurch erzielt, dass Einbildungskraft, Verstand und Vernunft zusammenwirken. Dies ist aber auch bei anderen Gemütszuständen – etwa im Rahmen von Vernunftschlüssen – der Fall. 47 Zweitens könnte der Gewinn darin bestehen, dass der Zustand der Beurteilung der Vollkommenheit und der Lust am Schönen als ein ganzheitlicher Zustand erlebt wird, wobei das Zusammenwirken aller Vorstellungskräfte durch den Lustanteil an diesem Zustand gestärkt wird. Diese Interpretation lässt sich insofern gut im Text verankern, als Kant den Gewinn für das ›gesammte Vermögen der Vorstellungskraft‹ damit begründet (›weil‹), dass ›es nicht vermieden werden kann‹, eine gegebene Vorstellung, die wir hinsichtlich ihrer Vollkommenheit beurteilen, ›zugleich mit der Empfindung [der Lust am Schönen] im Subjecte zusammen zu halten‹. Die Vorstellung vom gegebenen Gegenstand fungiert demnach als Fokus des ganzheitlichen Zustandes, in dem die Beurteilung der Vollkommenheit und des Schönen vereinigt sind. Indem dann in der Vorstellung vom gegebenen Gegenlungskraft der Dinge ist, sondern außer der gesamten Erkenntniskraft liegt« (A801/ B829 Fn., m. H.). 44 Vgl. auch: »Die Sinnlichkeit ist die affectibilitaet […] der Vorstellungskraft. [Absatz] Verstand ist die spontaneitaet der Vorstellungskraft« (Refl: 212, AA 15: 81). 45 Dies passt gut dazu, dass Kant das freie Spiel der Erkenntniskräfte auch als »freyes Spiel der Vorstellungskräfte« bezeichnet (242,25) und von einem »Verhältniß der Vorstellungskräfte zu einander, sofern sie durch eine Vorstellung bestimmt werden«, spricht (§ 11.A.3, 221,14; vgl. auch § 9.I.6, 219,11; 287,7). 46 Vgl.: »Diese Vorstellungskraft, wenn sie Vernunft ist« (HN 23: 41). 47 Vgl.: »In jedem Vernunftschlusse denke ich zuerst eine R e g e l (major) durch den Ve r s t a n d . Zweitens s u b s u m i e r e ich ein Erkenntnis unter die Bedingung der Regel (minor) vermittelst der U r t e i l s k r a f t . Endlich b e s t i m m e ich mein Erkenntnis durch das Prädikat der Regel (conclusio), mithin a priori durch die Ve rn u n f t « (A304/B360 f.). Die Urteilskraft konstituiert sich aus einem Zusammenwirken von Einbildungskraft und Verstand (vgl. 287,7). Kants Philosophie des Schönen

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stand ein Zusammenwirken von Einbildungskraft, Verstand und Vernunft mit einer Lust kombiniert wird, wird das (in gewisser Hinsicht harmonische) Zusammenwirken dieser drei Vermögen gestärkt. Insgesamt leidet die Analyse der drei Gewinne des angewandten Geschmacksurteils daran, dass der kantische Text nur vage und bisweilen kryptisch ist. Wir können aber dennoch wenigstens die folgenden Vermutungen festhalten: i. Der Geschmack gewinnt insofern durch das angewandte Geschmacksurteil, als Regeln der Form »Wenn Gegenstand x damit übereinstimmt, was x sein soll, dann kann er schön oder nicht schön sein« sowie »Wenn Gegenstand x nicht damit übereinstimmt, was x sein soll, dann kann er nicht schön sein« Anwendung finden. Der Geschmack wird durch diese Regeln fixiert. ii. Der Vorsatz zur konsequenten (theoretischen oder moralischen) Denkungsart wird durch die sich selbst erhaltende Lust am Schönen gestärkt. iii. Da im angewandten Geschmacksurteil ein ganzheitlicher Gemütszustand des Zusammenwirkens von Einbildungskraft, Verstand und Vernunft vorliegt, der durch einen Lustanteil geprägt ist, wird das gesamte Vermögen der Vorstellungskraft (als harmonisches Zusammenwirken der drei Erkenntnisvermögen) gestärkt.

16.4 Zur Möglichkeit der Abstraktion von Zweckbegriffen Im letzten Absatz zeigt Kant Möglichkeiten auf, wie man bei einer gegebenen anhängenden Schönheit dennoch ein reines Geschmacksurteil fällen kann. Dazu heißt es: § 16.H.1 »Ein Geschmacksurtheil würde in Ansehung eines Gegenstandes von bestimmtem innern Zwecke nur alsdann rein seyn, wenn der Urtheilende entweder von diesem Zwecke keinen Begrif hätte, oder in seinem Urtheile davon abstrahirte« (231,11).

Kant geht vom Fall eines Geschmacksurteils ›in Ansehung eines Gegenstandes von bestimmtem innern Zwecke‹, d. h. von einer anhängenden Schönheit, aus. Er schildert zwei Möglichkeiten, wie man über eine solche anhängende Schönheit doch ein reines Geschmacks872

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Zur Möglichkeit der Abstraktion von Zweckbegriffen

urteil fällen kann. Isoliert man diese Möglichkeiten, so ergibt sich das folgende Bild: § 16.H.1R1 Ein Geschmacksurteil kann in Ansehung einer anhängenden Schönheit rein sein, (a) wenn der Urteilende von dem bestimmten inneren Zweck keinen Begriff hat oder (b) wenn der Urteilende in seinem Urteil vom Begriff des bestimmten inneren Zwecks abstrahiert.

Möglichkeit (a) leuchtet unmittelbar ein. Wenn Menschen zwar üblicherweise einen Zweckbegriff von einem Gegenstand x haben, eine bestimmte Person A aber nicht, so kann diese Person x gar nicht als anhängende Schönheit beurteilen; denn in Ermangelung eines Zweckbegriffs kann sie kein Urteil über die Vollkommenheit von x fällen. Möglichkeit (b) gestaltet sich dagegen problematischer. Die These ist, dass eine Person B, die über einen Zweckbegriff von x verfügt, von diesem Zweckbegriff abstrahieren und somit ein reines Geschmacksurteil fällen kann. Machen wir uns dies anhand eines Beispiels klar. Wenn Urteilender B das Readymade Bicycle Wheel von Marcel Duchamp betrachtet, so könnte er ein angewandtes Geschmacksurteil fällen, indem er den Fahrradreifen zunächst hinsichtlich seiner Vollkommenheit beurteilt. So ist das Bicycle Wheel etwa insofern vollkommen, als es rund (und nicht eiförmig) ist, über Speichen verfügt, sich drehen kann usw. Der Urteilende könnte aber auch davon abstrahieren, dass das Bicycle Wheel ein Fahrradreifen sein soll und ein reines Geschmacksurteil fällen. Die psychologisch interessante Frage ist dabei, ob wir de facto von Zweckbegriffen abstrahieren können. Insbesondere im Fall von unvollkommenen Gegenständen ist es fraglich, ob wir von ihrer Unvollkommenheit abstrahieren können. Wenn ich die Zeichnung von einem unproportionierten Pferd sehe, kann ich dann völlig davon abstrahieren, dass das dargestellte Objekt ein Pferd sein soll? Diese psychologische Schwierigkeit deutet auch an, dass es durchaus fraglich ist, ob wir überhaupt jemals reine Geschmacksurteile fällen können und ob wir jemals sicher sein können, ein reines Geschmacksurteil gefällt zu haben. Diese letzte Frage ist analog zu der Frage, ob wir jemals sicher sein können, aus Pflicht gehandelt zu haben. So führt Kant in der GMS aus: »In der Tat ist es schlechterdings unmöglich, durch Erfahrung einen einzigen Fall mit völliger Gewißheit auszumachen, da die Maxime einer sonst pflichtmäßigen Handlung lediglich auf moralischen Gründen und auf der Kants Philosophie des Schönen

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§ 16 Reine versus angewandte Geschmacksurteile

Vorstellung seiner Pflicht beruht habe« (GMS: 407). 48 Es ist in psychologischer Hinsicht deshalb schwer oder sogar unmöglich, zu entscheiden, ob eine Handlung (nur) aus Pflicht erfolgt, »weil das Motiv der unmittelbaren Neigung und das Pflichtmotiv sich ähneln« (Schönecker/Wood 2007, 74). 49 Die Achtung ist eine Form von Lust bzw. Interesse und ähnelt damit Motiven aus Neigung. Ebenso ähnelt das Gefühl der Lust am Schönen als Lustgefühl den beiden Formen der Lust am Angenehmen und Guten. Doch kehren wir zu § 16.H.1 zurück. Kant nutzt die beiden Möglichkeiten (a) und (b) als Ausgangspunkt dafür, Uneinigkeiten bezüglich der Schönheit eines Gegenstandes zu erklären. Dazu heißt es: § 16.H.2 »Aber alsdann würde dieser [Urteilende, der über keinen Zweckbegriff vom Gegenstand verfügt oder davon abstrahiert], ob er gleich ein richtiges Geschmacksurtheil fällete, indem er den Gegenstand als freye Schönheit beurtheilete, dennoch von dem andern [Urteilenden], welcher die Schönheit an ihm nur als anhängende Beschaffenheit betrachtet (auf den Zweck des Gegenstandes sieht), getadelt und eines falschen Geschmacks beschuldigt werden, obgleich beide in ihrer Art richtig urtheilen: der eine nach dem, was er vor den Sinnen; der andere nach dem, was er in Gedanken hat. § 16.H.3 Durch diese Unterscheidung kann man manchen Zwist der Geschmacksrichter über Schönheit beylegen, indem man ihnen zeigt, daß der eine sich an die freye, der andere an die anhängende Schönheit halte, der erstere ein reines, der zweyte an angewandtes Geschmacksurtheil fälle« (231,14).

Kant schildert einen ›Zwist‹ zwischen zwei Urteilenden. Implizit wird dabei die These vorausgesetzt, dass es dem jeweiligen Urteil nicht anzusehen ist, ob es ein reines oder ein angewandtes Geschmacksurteil ist. Vielmehr lauten beide Urteile einfach »x ist schön«. 50 Interessant

In der Religionsschrift und der KpV scheint Kant einzuräumen, dass eine Willensbestimmung zugleich aus Pflicht und aus Neigung erfolgen kann (vgl. RGV: 29 f.; KpV: 72). Vgl. zur Thematik der motivationalen Überbestimmung auch Schönecker/ Wood 2007, 71 f. 49 Vgl. auch KpV: 116. 50 Insofern der gemeine Urteilende vermutlich nicht um die Unterscheidung von reinen und angewandten Geschmacksurteilen weiß, ist es sogar wahrscheinlich, dass ein Urteilender selbst sich meist nicht bewusst ist, ob er ein reines oder ein angewandtes Geschmacksurteil fällt. 48

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Zur Möglichkeit der Abstraktion von Zweckbegriffen

ist insbesondere die Frage, unter welchen Umständen es überhaupt zum angedeuteten ›Zwist‹ kommen kann. Ein solcher ›Zwist‹ kann doch nur dann vorliegen, wenn sich die beiden Urteilenden in ihren Geschmacksurteilen (scheinbar) widersprechen, d. h. wenn ein Urteilender C das Urteil »x ist schön« und ein Urteilender D das Urteil »x ist nicht schön« fällt. 51 Nun tritt ein solcher scheinbarer Widerspruch aber nicht immer auf, wenn ein Urteilender C ein reines und ein Urteilender D ein angewandtes Geschmacksurteil fällt. Führen wir uns dazu einmal die drei möglichen Fälle von angewandten Geschmacksurteilen vor Augen: (1) 1. Stufe: »x ist vollkommen«; 2. Stufe: »x ist schön« (2) 1. Stufe: »x ist vollkommen«; 2. Stufe: »x ist nicht schön« (3) 1. Stufe: »x ist nicht vollkommen«; 2. Stufe: »x ist nicht schön« Nur im Fall (3) hat das Urteil auf der ersten Stufe einen unmittelbaren Einfluss darauf, ob auf der zweiten Stufe das Urteil »x ist schön« oder »x ist nicht schön« gefällt wird. Wird der Gegenstand als nicht vollkommen beurteilt (1. Stufe), so muss er auf der zweiten Stufe als nicht schön beurteilt werden (2. Stufe). Wird ein Gegenstand aber als vollkommen beurteilt (1. Stufe), so wird damit offengelassen, ob der Gegenstand als schön beurteilt wird oder nicht (2. Stufe). In einem solchen Fall unterschiedet sich das Ergebnis der Beurteilung zweiter Stufe nicht von dem Ergebnis, das erreicht würde, wenn man den Gegenstand durch ein reines Geschmacksurteil beurteilen würde – jedenfalls insofern beide Beurteilungen korrekt sind. Ein scheinbarer Widerspruch kann damit nur zwischen einem reinen Geschmacksurteil und dem Fall (3) eines angewandten Geschmacksurteils auftreten. Konkret würde ein Urteilender C ein reines Geschmacksurteil der Form »x ist schön« fällen, während ein Urteilender D ein angewandtes Geschmacksurteil des Typus (3) und der Form »x ist nicht schön« fällen würde. Da beide ein korrektes Urteil gefällt hätten (›obgleich beide in ihrer Art richtig urtheilen‹), könnten sie sich gegenseitig tadeln ›und eines falschen Geschmacks beschuldig[en]‹. Aufzulösen wäre dieser ›Zwist‹ dadurch, dass sich beide

Dass man dabei den Eindruck erhält, es liege eine Art Widerspruch vor, ist darauf zurückzuführen, dass beide Urteile inhaltlich allgemeine Urteile sind. Der scheinbare Widerspruch besteht dann zwischen den Urteilen »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind« und »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x keine Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind«. Siehe hierzu auch Kap. 7.2.1.

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§ 16 Reine versus angewandte Geschmacksurteile

Urteilenden bewusst machen, ob sie ein reines oder ein angewandtes Geschmacksurteil fällen, und dies ihrem Gegenüber mitteilen. 52 Uneinigkeit in Bezug auf Geschmacksurteile ist für Kants Theorie des Schönen grundsätzlich insofern ein Problem, als sie der Allgemeingültigkeitsthese (sowie der Notwendigkeitsthese) zu widersprechen scheint. Es ist daher von zentraler Wichtig, dass Kant insgesamt zwei Gründe benennt, wodurch es zu solchen Uneinigkeiten kommt. Diese lauten: 1. Uneinigkeiten können vorliegen, weil ein Urteilender ein »irriges Geschmacksurtheil« gefällt hat (§ 8.G.5, 216,28). Es liegt daher nur ein scheinbarer Widerspruch zwischen den Urteilen »x ist schön« und »x ist nicht schön« vor. Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich dadurch aufdecken, dass die Urteilenden genau auf ihre Lust Acht haben und gegebenenfalls bemerken, dass sie diese Lust unter den falschen Begriff (nämlich »schön«) subsumiert haben. 2. Uneinigkeiten können vorliegen, weil ein Urteilender A ein reines Geschmacksurteil der Form »x ist schön« gefällt hat, während ein Urteilender B ein angewandtes Geschmacksurteil der Form »x ist nicht schön« gefällt hat, dem ein Urteil der Form »x ist unvollkommen« vorhergegangen ist. Beide Urteilenden haben ein korrektes Geschmacksurteil gefällt. Der scheinbare Widerspruch lässt sich dadurch aufdecken, dass sich die beiden Urteilenden über den Status ihres Urteils als reines oder angewandtes Geschmacksurteil bewusst werden und dies ihrem Gegenüber mitteilen.

16.5 Zusammenfassung Kant differenziert zwischen freien und anhängenden Schönheiten sowie, darauf aufbauend, zwischen reinen und angewandten Geschmacksurteilen. Ein Gegenstand ist eine anhängende Schönheit, wenn wir üblicherweise über einen Zweckbegriff von diesem Gegenstand verfügen; seine Schönheit ist dann bedingt durch seine Vollkommenheit. Ein Gegenstand ist eine freie Schönheit, wenn Urteilende üblicherweise über keinen Zweckbegriff von ihm verfügen. Wieder stellt sich dabei natürlich die psychologische Frage, ob wir uns jemals wirklich sicher sein können, dass wir ein reines Geschmacksurteil gefällt haben.

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Zusammenfassung

Ein Urteil über eine anhängende Schönheit, d. h. ein angewandtes Geschmacksurteil, wird mittels eines zweistufigen Verfahrens gefällt. Auf der ersten Stufe wird der Gegenstand hinsichtlich seiner Vollkommenheit beurteilt. Erweist er sich als vollkommen (bzw. nicht unvollkommen), so kann er auf der zweiten Stufe als schön oder nicht schön beurteilt werden. Erweist er sich als unvollkommen, so kann er nicht als schön beurteilt werden. Da in einem angewandten Geschmacksurteil ein Zweckbegriff Anwendung findet, wird die Freiheit der Einbildungskraft eingeschränkt. Bei einer freien Schönheit ist die Einbildungskraft hingegen völlig frei. Das entsprechende Urteil ist ein reines Geschmacksurteil, weil es mit keinem ihm fremdartigen Zweckbegriff vermischt wird. Es besteht allerdings auch die Möglichkeit, bei einer anhängenden Schönheit vom Zweckbegriff zu abstrahieren und diesen Gegenstand somit als freie Schönheit zu beurteilen. Zweckbegriffe können mehr oder weniger vage oder fixiert sein. Von den allermeisten Gegenständen haben Urteilende mindestens einen sehr vagen, auf einer Normalidee gegründeten Zweckbegriff. Ein Gegenstand ist auch dann schon eine freie Schönheit, wenn Urteilende üblicherweise bloß über einen sehr vagen Zweckbegriff verfügen. Es gibt zwei Arten von angewandten Geschmacksurteilen. In einem gewöhnlichen angewandten Geschmacksurteil wird auf der ersten Stufe ein theoretisches Urteil über die Vollkommenheit eines Gegenstandes gefällt. Ein solches Urteil ist normalerweise mit keinerlei Lust verbunden. In einem Sonderfall des angewandten Geschmacksurteils wird auf der ersten Stufe die moralische Vollkommenheit eines Menschen beurteilt. Dieses Urteil ist mit einer Lust, nämlich der Liebe des Wohlgefallens, verbunden. Kant identifiziert drei Gewinne durch angewandte Geschmacksurteile: Erstens gewinnt der Geschmack insofern, als er durch Regeln, die festlegen, unter welchen Umständen ein Gegenstand nicht schön sein kann, fixiert wird. Zweitens gewinnt die Absicht zur konsequenten (moralischen oder theoretischen) Denkungsart dadurch, dass ein Fall dieser Denkungsart mit einer (sich selbst erhaltenden) Lust am Schönen kombiniert wird. Drittens wird im ganzheitlichen Gemütszustand des Zusammenwirkens von Einbildungskraft, Verstand und Vernunft, der als lustvoll erlebt wird, das gesamte Vermögen der Vorstellungskraft gestärkt.

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16.6 Literaturbericht Die vordringlichste Frage mit Bezug auf § 16 ist offenkundig, wie das angewandte Geschmacksurteil (bzw. die anhängende Schönheit) im Vergleich zum reinen Geschmacksurteil (bzw. zur freien Schönheit) gedeutet wird. In der Sekundärliteratur finden sich dazu bisweilen nur sehr allgemeine Bemerkungen, wie etwa bei Ginsborg: »dependent beauty, where it is important to the judgement that the object is recognized as being of a specific kind« (Ginsborg 2015, 112). Ebenfalls sehr allgemein gehalten spricht Ameriks von Erfahrungen »of dependent beauty, that is, (roughly) experiences of beautiful forms that are appreciated for complex conceptual reasons and are usually generated artistically rather than naturally« (Ameriks 2003, 293). Etwas genauer erläutert Allison zum angewandten Geschmacksurteil: »The basic point here is that this concept [of what the object is meant to be] functions as an external, that is, extra-aesthetic, constraint or condition on what may properly be deemed beautiful« (Allison 2001, 139). 53 Zudem konstatiert er: »a judgment of adherent beauty is not purely a judgment of taste, though the taste component within the complex evaluation itself remains pure« (Allison 2001, 290; vgl. auch 141). Wie genau dies zu verstehen ist, geht aus seinen Ausführungen jedoch nicht hervor. Ebenfalls eher allgemein gehalten schreibt Zammito: »In pulchritudo adhaerens, the aesthetic judgment is contingent upon the idea of perfection« (Zammito 1992, 125). Irritierenderweise geht er dabei davon aus, dass Vollkommenheit ein moralisches Urteil beinhalte (vgl. Zammito 1992, 125). 54 Ferner seien bei der anhängenden Schönheit zwei Urteile, nämlich ein Urteil über die Vollkommenheit und ein Urteil über die Schönheit, zu unterscheiden (vgl. Zammito 1992, 126). Ähnlich spricht Crowther von »adherent beauty as a logical hybrid involving both judgments of perfection and judgments of beauty« (Crowther 2010, 127). Er schildert das folgende Verfahren: »(i) with some objects, reason demands that judgments of perfection must take precedence over judgments of beauty; (ii) the fact that this is so means that our experience of beauty in such objects will be psychologically inhibited; (iii) despite this, however, there is an empirical tendency to move from making judgments of perfection into making judgments of beauty, (iv) indeed, when an object is judged to possess both perfection and beauty the combination of the two will produce a positive experience wherein reason and cognition are in harmony« (Crowther 2010, 125). Ich habe herausInteressanterweise geht Allison davon aus, dass es bei der Beurteilung des Menschen »impermissible or inappropriate« sei, vom Zweck zu abstrahieren (Allison 2001, 142). 54 Konsequenterweise führt er dann aus: »Another kind of ›interest‹ threatens to compromise the disinterestedness of the judgment of taste: the ethical interest in the good or the perfect« (Zammito 1992, 125). 53

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Literaturbericht

gestellt, dass ein Urteil über die Unvollkommenheit eines Gegenstandes verhindert, dass wir diesen Gegenstand als schön beurteilen können. Im Sinne einer solchen negativen Bedingung deuten auch verschiedene andere AutorInnen das Urteil über die Vollkommenheit bzw. Unvollkommenheit. So spricht Savile von einer »connection between what Kant calls […] the negative condition of beauty (the perfection condition) and the positive one (the beneficial function condition that comes with purposiveness without a purpose)« (Savile 1993, 117). Genauer erläutert er zu anhängenden Schönheiten: »They have to be perfect to be beautiful«; und: »their failure of perfection in one way or another is liable to inhibit their power to bring us reward, which is their particularly aesthetic Zweckmäßigkeit« (Savile 1993, 114). Auch McCloskey deutet ein solches Verständnis im Sinne einer negativen Bedingung an: »In a judgment of ›dependent‹ beauty as it is analysed by Kant, the notion of what the thing is to be does not delineate how that thing is to be if it is to be beautiful, instead it provides criteria for ruling out as inappropriate or unsuitable some amongst the possible freely beautiful forms« (McCloskey 1987, 78 f.). Auch Guyer schreibt: »the relation between purpose and dependent beauty is a negative one: the purpose functions to constrain the forms which may produce the harmony of the faculties but not to fully determine them« (Guyer 1979, 247). Zudem stellt Guyer am Beispiel einer Kirche heraus, dass der Zweckbegriff die Freiheit der Einbildungskraft nur zu einem Teil einschränkt: »The concept of its purpose imposes some constraint on the freedom of the imagination with respect to the appearance of a church, but still leaves that faculty such latitude within this constraint that pleasure may yet be produced by its free harmony with the understanding’s demand for unity« (Guyer 1979, 247). Ähnlich betont Rivera de Rosales: »Die anhängende Schönheit (pulchritudo adhaerens) ist eine bedingte, das heißt, sie bewegt sich frei, aber innerhalb eines bestimmten Kreises vom Begriff des Objekts« (Rivera de Rosales 2008, 90). Kehren wir noch einmal zur Vollkommenheit als negative Bedingung zurück. Auch Zuckert nimmt eine solche Rolle der Vollkommenheit an, ergänzt sie aber um eine positive Funktion: »judgment of the object’s perfection plays a dual role in judging dependent beauty: negatively, as a constraint upon aesthetic judging, and positively, as influencing the way in which the properties that render the object perfect are taken up as part of the play of properties in beautiful form« (Zuckert 2007, 204). Zu dieser positiven Funktion führt sie aus: »In representing dependent beauty, then, we appreciate an object ›as‹ a church, house, or car; the properties that make it an adequate member of its kind are taken to be aesthetically relevant as such within aesthetic judging. None of these properties is taken to be determinative of the beauty of the object independently of its relation to indeterminately many of the object’s other properties, but only as incorporated into an overarching representation of the object’s purposive form« (Zuckert 2007, 207; vgl. auch Zuckert 2005, 114). Auch Clewis spricht der Vollkommenheit – Kants Philosophie des Schönen

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sowie verwirrenderweise auch der Nützlichkeit – sowohl eine einschränkende Funktion als auch positive Funktionen zu. Allgemein begreift er die kantische anhängende Schönheit als »Blocking –unificationist«: »beauty and perfection/utility are distinct concepts yet can be united or unified. An object’s dysfunctionality blocks or acts as a constraint on its beauty. Increased utility can entail increased beauty, and decreased utility can entail decreased beauty« (Clewis 2018, 309). Er unterscheidet innerhalb dieses Ansatzes drei Interpretationen, die aber kombinierbar seien: (1) Constraint, d. h. »[t]he purpose or function of the object limits or restricts the aesthetic judgment of the object’s beauty«; (2) Addition, d. h. »the object’s fulfillment of its purpose or perfection can bring about a pleasure that is conjoined with, or contributes to, the aesthetic qualities of the object whose beauty independently brings about aesthetic pleasure«; (3) Interaction, d. h. »[t]he function or perfection interacts with the object’s formal-aesthetic properties« (Clewis 2018, 325). Eine durchaus verwirrende Deutung der anhängenden Geschmacksurteile findet sich bei Gammon; denn dieser geht davon aus, dass das Urteil über die Schönheit in einer Art »hierarchy of estimations« (Gammon 1999, 164) dem Urteil über die Vollkommenheit unterstellt sei: »in § 16 Kant is concerned that the aesthetic delight one takes in objects of dependent beauty will independently aid and augment our estimation of the objective finality of the object represented. In other words, in cases of dependent beauty, the estimation of the beautiful is itself adherent to the estimation of perfection in the object« (Gammon 1999, 63 f.). Als Begründung führt er an: »the beautiful procures a mere finality in the state of the subject while the latter indicates an objective finality« (Gammon 1999, 164). Mir scheint unklar, wie diese Deutung damit zusammenbestehen soll, dass Kant die anhängende Schönheit auch als »bedingte Schönheit« bezeichnet (§ 16.A.3, 229,16), wobei die Vollkommenheit klarerweise die Bedingung der Schönheit sein muss. Eine gänzlich andere Deutung des angewandten Geschmacksurteils findet sich bei Kulenkampff; denn dieser scheint nicht von der Kombination zweier Urteile (über die Vollkommenheit und die Schönheit) auszugehen. Er schreibt, der »Gesichtspunkt« des angewandten Geschmacksurteils sei »die Frage, wie ein Gegenstand aussehen oder sich zeigen soll gemäß dem, was er an sich ist. Und Schönheit besteht nun in der angemessenen Repräsentation dieses Wesens« (Kulenkampff 1994, 151). Und er fährt fort: »Die Sachlage ist, daß es neben dem Geschmacksurteil über die Form bloß als Form noch ein explizit normatives Geschmacksurteil gibt, das die ganze Erscheinung auf eine inhaltliche Norm bezieht. Dabei ist es nun so, daß die Aussage ›dieses x ist schön‹ in ihrem normativen Sinn eigentlich bedeutet, daß dieser Gegenstand der schönste seiner Art sei, der sich denken lasse, und der jedenfalls schöner ist als alle anderen Exemplare« (Kulenkampff 1994, 152). Problematisch ist daran, dass nicht zu erkennen ist, warum solche angewandten Geschmacksurteile

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Literaturbericht

überhaupt Urteile über die Schönheit und nicht vielmehr über die Vollkommenheit sein sollten. Ich habe erläutert, dass sich bei angewandten Geschmacksurteilen der phänomenale Gehalt der Lust am Schönen verändert. Dies wird, so scheint mir, bislang in der Literatur nicht berücksichtigt. Einzig Crowther deutet vage an, dass bei anhängenden Schönheiten Urteile über die Schönheit und die Vollkommenheit in phänomenaler Hinsicht zu einer Einheit verschmelzen: »The experience of adherent beauty involves a combination of judgments of perfection and judgments of beauty which, whilst logically distinct, are phenomenologically combined« (Crowther 2010, 124). Daraus geht aber freilich nicht hervor, ob sich auch der phänomenale Gehalt der Lust verändert. Für meine Interpretation ist es ferner wichtig, dass Zweckbegriffe mehr oder weniger vage bzw. fixiert sein können. Auch dies scheint mir in der Sekundärliteratur bislang nicht vertreten zu werden. Eine weitere zentrale Frage mit Hinblick auf § 16 lautet, wovon der Status eines Gegenstandes als freie oder anhängende Schönheit abhängt. Einige AutorInnen bemerken, dass Kant einige Artefakte zu den freien Schönheiten zählt (vgl. Allison 2001, 139; Crawford 1974, 113; Gammon 1999, 160; Savile 1993, 103). Dies ist dann ein Indiz dafür, dass der Status als freie oder anhängende Schönheit nicht vom Status als Naturgegenstand oder Artefakt abhängen kann. Als mögliche Grundlage für diesen Status wird etwa von Rivera de Rosales die Kenntnis eines Zweckbegriffs genannt: »Kant bietet uns einige Beispiele für die freie Schönheit an: Blumen, exotische Vögel, Zeichnungen á la grecque, von denen wir keinen Begriff haben, wie sie sein sollten, oder mindestens davon abstrahieren« (Rivera de Rosales 2008, 89). Auch Wenzel bindet den Status als freie oder anhängende Schönheit an unsere Beurteilung sowie unser Wissen vom Objekt (vgl. Wenzel 2008, 70). Er ergänzt jedoch: »It is just that some objects are more suitable to being seen as free beauty« (Wenzel 2008, 71). Ähnlich ambivalent schreibt auch Crawford einerseits: »Kant seems to hold that the free-dependent beauty distinction is one between kinds of judgment and not between kinds of objects of judgment«; und andererseits: »he implies that some objects are more naturally considered as free beauties and others as dependent beauties« (Crawford 1974, 115). Diese Rückbindung an das Objekt begründet er mit dem Vorliegen von sogenannten »depth elements« (Crawford 1074, 117). Crowther vermutet einen Grund für den Status als freie oder anhängende Schönheit ebenfalls im Objekt: »in some objects formal qualities are simply more manifest (and thence more accessible to pure aesthetic judgments) than in others« (Crowther 2010, 118). Gleichsam scheint er aber auch einen Grund in der alltäglichen Eingebundenheit solcher Objekte in den praktischen Kontext der Urteilenden zu vermuten: »Such things as human beings, horses, or buildings, do not usually possess the luxuriant and intricate formal qualities which would dispose us to respond to them in fundamentally subjective terms. Indeed […], such objects Kants Philosophie des Schönen

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play an important and familiar role in the practical vicissitudes of everyday existence« (Crowther 2010, 118). Bartuschat nutzt eine unklare Formulierung, aus der letztlich nicht hervorgeht, woran er den Status als anhängende Schönheit bindet: »Demgegenüber seien Gegenstände, die von sich aus einen Zweckbezug implizieren (also Gebäude, die eine Funktion haben, aber auch höhere Tiere, die wir in einen menschlichen Kontext einzuordnen geneigt sind, und erst recht der Mensch selbst mit seiner moralischen Selbstzweckhaftigkeit), nur tauglich für eine sogenannte ›anhängende Schönheit‹« (Bartuschat 2015c, 2763). Guyer stellt die Diagnose, dass der kantische Text selbst ambivalent sei: Manchmal lege Kant nahe, der Grund für den Status als freie oder anhängende Schönheit liege im Objekt, manchmal scheine es dann aber, als liege er im Subjekt (vgl. Guyer 1979, 248 ff.). Als Lösung dieser Spannung schlägt er die Ergänzung der kantischen Theorie um ein aktives Vermögen der Abstraktion vor. Er schreibt, Kants Theorie »must be supplemented with an additional theory about abstraction from concepts to provide any criterial distinction between objects which must be regarded as free beauties and those which must be seen as dependent beauties« (Guyer 1979, 253). Eher ganz auf Seiten der urteilenden Subjekte scheint Allison den Grund für den Status als anhängende Schönheit zu verorten: »The point is simply that in the former case we do not usually associate such natural forms with any purpose with which we might combine their aesthetic estimation, whereas in the latter case we clearly do« (Allison 2001, 141 f.). Mir war es wichtig, herauszustellen, dass Urteile über die Vollkommenheit nur in Ausnahmefällen mit einer Lust verbunden sind und dass angewandte Geschmacksurteile somit meist nicht durch eine Vermischung von zwei Formen der Lust ausgezeichnet sind. Zu dieser Thematik findet sich in der Sekundärliteratur bislang fast nichts. Crowther nutzt zwar an einer Stelle die Formulierung »when pleasure arises from judgments of the good« (Crowther 2010, 128); es wird aber nicht klar, ob dies in allen Fällen von Urteilen über die Vollkommenheit der Fall ist. Interessanterweise geht er davon aus, dass die Lust an der Vollkommenheit in manchen Fällen uninteressiert sein kann, nämlich »in so far as to take pleasure in an object’s simply looking how a perfect object of that kind should look« (Crowther 2010, 128). Ein weiterer wichtiger thematischer Bestandteil von § 16 sind die drei möglichen Gewinne des angewandten Geschmacksurteils. Diese werden in der Sekundärliteratur etwa bei Allison (2001), Crawford (1974), Guyer (1979), McCloskey (1987), Savile (1993) und Zammito (1992) nicht erwähnt. Einige AutorInnen zitieren nur einen oder zwei dieser Gewinne, etwa Ameriks (2003, 292 f.) und Rivera de Rosales (2008, 90). Wenzel gibt alle drei Gewinne kurz wieder, reformuliert aber den Gewinn für die Vollkommenheit auf eine verwirrende Art und Weise (anhand des Beispiels einer Kirche): »Taste ›becomes usable as an instrument of the intention with

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Literaturbericht

regard to‹ (section 16, 230) the church and the purpose of reason (devotion to God, for instance) that we connect with it« (Wenzel 2008, 71). Ebenfalls den Gewinn für die Vollkommenheit behandelt Gammon. Er schreibt: »so […] does the beautiful estimate itself append and aid the promotion of moral perfection, as an ›intentional instrument‹ of subjective delight which, as self-sustaining […], in turn preserves […] and interest in ›certain final objects‹ which embody moral perfection, because an interest in these objects is difficult to sustain on their own accord« (Gammon 1999, 165). Etwas genauere Ausführungen zum Gewinn für das gesamte Vermögen der Vorstellungskraft finden sich bei Crowther: »Indeed, if an object should have both qualities [perfection and beauty] it will produce a complex state of mind that combines intellect and sensation in a manner conductive to the whole province of mental activity. Kant’s reasoning here is based on the fact that, for him, mental activity comprises both reason (i. e., judging and/or acting in relation to the concept of an end or ideas of totality) and cognition (whose formal conditions involve the co-operation of imagination and understanding)«; und er fährt fort: »if we combine a judgment of perfection […] with a judgment of beauty […] then we are, psychologically speaking, harmonizing reason and cognition – the two definitive features of our mental life. Indeed, the very fact that a rational judgment is accompanied by aesthetic pleasure will be conducive to further such intellectual endeavours on our part« (Crowther 2010, 122). Die zum Schluss von § 16 geschilderte Erklärung für Uneinigkeiten in Bezug auf Geschmacksurteile wird ebenfalls nur sehr selten erwähnt, geschweige denn gedeutet. Erwähnt wird sie von Crawford (1974, 114) sowie Rivera de Rosales (2008, 90).

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§ 17 Das (menschliche) Ideal der Schönheit

Kant hat in § 15 gezeigt, dass das Geschmacksurteil kein Urteil über die Vollkommenheit ist. In § 16 hat er dann dargelegt, dass Urteile über die Vollkommenheit dennoch mit Geschmacksurteilen in sogenannten angewandten Geschmacksurteilen kombiniert werden können. In § 17 wertet er nun einen Sonderfall der angewandten Geschmacksurteile insofern auf, als er zeigt, dass allein im Rahmen dieser ein Ideal der Schönheit möglich ist. Bei diesem Sonderfall wird das Schöne mit einem Urteil über die moralische Vollkommenheit eines Menschen und der Liebe des Wohlgefallens kombiniert. Damit handelt es sich bei Kants Konzeption des Ideals der Schönheit um einen ersten Versuch, das Schöne mit der Moral zu verbinden. Kant verwendet einen Großteil des vorliegenden, mit Abstand längsten Paragraphen der Analytik darauf, das eher simple Theoriestück der Normalidee zu erläutern. Hingegen entwickelt er seine eigentliche Konzeption des Ideals der Schönheit auf gerade einmal einer halben Seite. Führen wir uns die grobe Gliederung von § 17 vor Augen: 1. Einleitende Vorüberlegungen (§ 17.A.1–4, 231,27–232,6) a) Es kann keine Regel des Geschmacks geben (§ 17.A.1–3, 231,27–33) b) Empirische Einhelligkeit in Bezug auf Geschmacksurteile (§ 17.A.4, 231,33–232,6) 2. Erster Argumentationsteil: Allgemeine Herleitung des Begriffs eines Ideals der Schönheit (§ 17.B.1–6, 232,7–25) 3. Zweiter Argumentationsteil: Herleitung des konkreten Ideals der Schönheit (§ 17.B.7-§ 17.F.4, 232,25–236,6)

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Einleitende Vorüberlegungen

17.1 Einleitende Vorüberlegungen 17.1.1 Zur Unmöglichkeit einer objektiven Geschmacksregel Kant leitet die Thematik des Ideals der Schönheit damit ein, dass er an die Unmöglichkeit einer objektiven Geschmacksregel erinnert. Dies hatte er bereits in § 8 erläutert: »Wenn man Objecte bloß nach Begriffen beurtheilt, so geht alle Vorstellung der Schönheit verloren. Also kann es auch keine Regel geben, nach der jemand genöthigt werden sollte, etwas für schön anzuerkennen« (§ 8.F.1– 2, 215,35).

Ähnlich argumentiert Kant auch zu Beginn von § 17: § 17.A.1 »Es kann keine objective Geschmacksregel, welche durch Begriffe bestimmte, was schön sey, geben. § 17.A.2 Denn alles Urtheil aus dieser Quelle ist ästhetisch; d. i. das Gefühl des Subjects, und kein Begrif eines Objects, ist sein Bestimmungsgrund. § 17.A.3 [a] Ein Princip des Geschmacks, welches das allgemeine Criterium des Schönen durch bestimmte Begriffe angäbe, zu suchen, ist eine fruchtlose Bemühung, [b] weil, was gesucht wird, unmöglich und an sich selbst widersprechend ist« (231,27).

Kant formuliert in dieser Passage zwei (eng verwandte) Begründungen, warum es ›keine objective Geschmacksregel…geben‹ kann. Die erste Begründung findet sich in § 17.A.2: § 17.A.2* Alles Urteil aus der Quelle des Geschmacks ist ästhetisch; d. i. das Gefühl des Subjekts, und kein Begriff eines Objekts, ist der Bestimmungsgrund des Urteils.

Kant verweist auf den Status des Geschmacksurteils als ästhetisches Urteil. Ein ästhetisches Urteil ist, wie wir aus § 1 wissen, dadurch gekennzeichnet, dass sein »Bestimmungsgrund n i c h t a n d e r s als s u b j e c t i v seyn kann« (§ 1.A.2, 203,14). 1 In diesem Sinne kann nur ›das Gefühl des Subjects‹ der ›Bestimmungsgrund‹ des Urteils sein, d. h. wir können das Urteil nur durch ein Gefühl der Lust rechtfertigen. Gäbe es eine objektive Geschmacksregel der Form »Alles, was über die Eigenschaft p verfügt, ist schön« oder »Alles, was über die 1

Siehe hierzu Kap. 1.3.

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§ 17 Das (menschliche) Ideal der Schönheit

Eigenschaft p verfügt, bewirkt Lust am Schönen«, so könnte das Urteil mit Rekurs auf das Objekt und die Tatsache gerechtfertigt werden, dass das Objekt über die Eigenschaft p verfügt. Der Bestimmungsgrund könnte daher auch objektiv und somit anders als subjektiv sein. Der ästhetische Status des Geschmacksurteils würde also durch eine objektive Geschmacksregel untergraben. Eine zweite Begründung dafür, dass es keine objektive Geschmacksregel bzw. kein objektives ›Princip des Geschmacks‹ geben kann, gibt Kant in § 17.A.3b: § 17.A.3b* Ein Prinzip des Geschmacks, welches das allgemeine Kriterium des Schönen durch bestimmte Begriffe angäbe, ist unmöglich und an sich selbst widersprechend.

Kant konstatiert, dass der Begriff eines objektiven Geschmacksprinzips einen Widerspruch enthält (›an sich selbst widersprechend‹). Dieser Widerspruch besteht zwischen dem Geschmack und dem ›allgemeine[n] Criterium des Schönen durch bestimmte Begriffe‹. In der Ersten Erklärung des Schönen bestimmt Kant Geschmack als »das Beurtheilungsvermögen eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen, oder Mißfallen, ohne alles Interesse« (E.1, 211,2, m. H. & Kants H. getilgt). Dieser Bestimmung folgend ist es für den Geschmack wesentlich, dass er durch Gefühl urteilt bzw. ein Vermögen zu einem Gefühl ist. 2 Ein Vermögen zu einem Gefühl ist aber kein Vermögen der Begriffe. Der Widerspruch innerhalb des Begriffs eines objektiven Prinzips des Geschmacks muss daher folgendermaßen wiedergegeben werden: § 17.A.3bR1 Ein Prinzip des Geschmacks, d. h. eines Vermögens, das durch ein Gefühl und nicht durch einen (bestimmten) Begriff vom Objekt urteilt, welches das allgemeine Kriterium der Schönheit durch bestimmte Begriffe vom Objekt angäbe und somit ein Urteilen durch Begriffe vom Objekt und nicht durch ein Gefühl ermöglichte, ist ein Widerspruch.

Schließlich würde ein objektives Prinzip des Geschmacks die Rolle des Geschmacks als eigenständiges Beurteilungsvermögen untergraben. Könnte der Geschmack mittels eines objektiven Prinzips urteilen, so wäre er bloß eine besondere Funktionsweise des Verstandes und das Vgl. hierzu auch insbesondere Kants Charakterisierungen des Gemeinsinns, wobei der Gemeinsinn nichts anderes als der Geschmack ist (vgl. vor allem § 20.A.4-B.1, 236,6). Siehe Kap. 20.2.1.

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Einleitende Vorüberlegungen

Geschmacksurteil ein Erkenntnisurteil. Es ist jedoch eine von Kants zentralen Thesen, dass der Geschmack ein eigenständiges Vermögen ist und dass das Geschmacksurteil als »ästhetisches Urtheil einig in seiner Art sey« (§ 15.D.3, 228,21). Wir können die folgenden zwei Gründe gegen eine objektive Regel des Geschmacks festhalten: i. Eine objektive Regel des Geschmacks widerspricht dem Status des Geschmacksurteils als ästhetischen Urteils, d. h. als Urteil, dessen Bestimmungsgrund nicht anders als subjektiv sein kann. ii. Eine objektive Regel des Geschmacks widerspricht dem Geschmack als Vermögen, durch Lust und nicht durch Begriffe zu urteilen. Ich möchte betonen, dass eine objektive Regel des Geschmacks prinzipiell nicht möglich ist. Es ist also nicht bloß der Fall, dass es uns bloß noch nicht gelungen ist, eine objektive Regel des Geschmacks aufzufinden; vielmehr ist eine solche Regel grundsätzlich ausgeschlossen.

17.1.2 Zur Empirie der Allgemeingültigkeit Wenngleich es keine objektiven Geschmacksregeln gibt, so gibt es doch Muster des Geschmacks. Dazu heißt es: § 17.A.4 »[a] Die allgemeine Mittheilbarkeit der Empfindung (des Wohlgefallens oder Mißfallens), und zwar eine solche, die ohne Begrif Statt findet; [b] die Einhelligkeit, so viel möglich, aller Zeiten und Völker in Ansehung dieses Gefühls in der Vorstellung gewisser Gegenstände: ist das empirische, wiewohl schwache und kaum zur Vermuthung zureichende, Criterium der Abstammung eines so durch Beyspiele bewährten Geschmacks von dem tief verborgenen allen Menschen gemeinschaftlichen Grunde der Einhelligkeit in Beurtheilung der Formen, unter denen ihnen Gegenstände gegeben werden« (231,33 f.).

Kant spricht von einem ›empirische[n], schwache[n] und kaum zur Vermuthung zureichende[n] Criterium‹. Dabei stellen sich drei Fragen: Wofür wird ein Kriterium angegeben? Worin besteht das Kriterium? Führt Kant ein oder zwei Kriterien an? Wir wollen nun auf diese Fragen eingehen. Kants Philosophie des Schönen

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Ein Kriterium wofür? Es handelt sich um ein ›Criterium der Abstammung eines so durch Beyspiele bewährten Geschmacks von dem tief verborgenen allen Menschen gemeinschaftlichen Grunde der Einhelligkeit in Beurtheilung der Formen, unter denen ihnen Gegenstände gegeben werden‹. Das Kriterium ist demnach kein Kriterium für den Geschmack selbst. Vielmehr ist es ein Kriterium für den ›gemeinschaftlichen Grunde der Einhelligkeit in Beurtheilung der Formen‹, von dem der Geschmack abstammt. Mit diesem ›gemeinschaftlichen Grunde‹ meint Kant die zweckmäßige Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand, die zu jeder Erkenntnis erforderlich ist, d. h. die »Stimmung der Erkenntnißkräfte zu einer Erkenntniß überhaupt« (§ 21.A.2, 238,24). 3 Diese Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt macht einen Teilaspekt des Geschmacks aus – und zwar denjenigen Teilaspekt, der dafür sorgt, dass der Geschmack ein gemeinschaftlicher Sinn ist. 4 Insofern stammt der Geschmack tatsächlich von der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt als ›gemeinschaftlichen Grunde‹ ab. Insgesamt will Kant in § 17.A.4 aber wohl erst einmal nur aussagen, dass es ein empirisches Kriterium dafür gibt, dass der Geschmack ein gemeinschaftliches und in diesem Sinne allgemeingültiges Vermögen ist, d. h. ein Vermögen, das allgemeingültige Urteile fällt. Worin besteht das Kriterium? Kant benennt als Kriterium für den gemeinschaftlichen Grund des Geschmacks ›die Einhelligkeit, so viel möglich, aller Zeiten und Völker in Ansehung dieses Gefühls in der Vorstellung gewisser Gegenstände‹. Damit ist offenkundig gemeint, dass alle Menschen zeit- und kulturunabhängig an bestimmten Objekten eine Lust am Schönen fühlen und diese Objekte somit als schön beurteilen. Diese These ist insofern überraschend, als Kant mitunter betont, dass meist keine empirische Einhelligkeit bezüglich des Schönen herrscht: »Viel weniger kann sie [die Notwendigkeit] aus der Allgemeinheit der Erfahrung (von einer durchgängigen Einhelligkeit der Urtheile über die Schönheit eines gewissen Gegenstandes) geschlossen werden. Denn nicht

Für eine genaue Analyse dieser ›Stimmung zur Erkenntnis überhaupt‹ siehe Kap. 9.3.4. 4 Für eine Untersuchung der Aspekte des Gemeinsinns (Sinnlichkeit und Allgemeinheit) siehe Kap. 20.2. 3

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allein, daß die Erfahrung hiezu schwerlich hinreichend viele Beläge schaffen würde, […]« (§ 18.A.7–8, 237,13). 5

In diesem Zitat heißt es, dass ›die Erfahrung hiezu‹ – also zur ›Einhelligkeit der Urtheile über die Schönheit eines gewissen Gegenstandes‹ – ›schwerlich hinreichend viele Beläge schaffen würde‹, wodurch nicht ausgeschlossen ist, dass es doch in einigen wenigen Fällen eine solche ›Einhelligkeit‹ gibt. Genau auf diese seltenen Fälle rekurriert Kant in § 17.A.4b. Man könnte etwa an Van Goghs Sternennacht denken, über deren Schönheit vielleicht wirklich weitestgehend Einigkeit herrscht. Dabei ist aber zu beachten, dass Kant seine These in § 17.A.4b durch die Formulierung ›so viel möglich‹ einschränkt. Diese Formulierung legt nämlich nahe, dass eine Einhelligkeit wirklich aller Menschen vielleicht gar nicht möglich ist. Die Einhelligkeit etwa bezüglich der Schönheit der Sternennacht steht dann letztlich nur für die Einhelligkeit der allermeisten (aber nicht aller) Menschen. Bei den Gegenständen, über deren Schönheit weitestgehende Einhelligkeit herrscht, scheint Kant insbesondere bestimmte Kunstwerke im Sinn zu haben. So spricht er im folgenden Absatz von »Producte[n] des Geschmacks« (§ 17.B.1, 232,7, m. H.) sowie in der Fußnote von »Muster[n] des Geschmacks in Ansehung der redenden Künste« (232 Fn.). Die These ist dann, es gebe Kunstwerke, bezüglich deren Schönheit empirische Einhelligkeit bestehe, und diese Einhelligkeit sei ein empirisches Kriterium dafür, dass der Geschmack eine gemeinschaftliche Grundlage habe. Dieses empirische Kriterium ist freilich nicht dazu geeignet, diese gemeinschaftliche Grundlage letztgültig zu beweisen. Ein zweites empirisches Kriterium? Bisher haben wir den Teilsatz § 17.A.4a nicht beachtet. Man könnte vermuten, dass dieser folgendermaßen rekonstruiert werden müsse: § 17.A.4aR1 Die allgemeine Mitteilbarkeit der Lust am Schönen, und zwar eine solche allgemeine Mitteilbarkeit, die ohne Begriff stattfindet, [ist das empirische, wiewohl schwache und kaum zur Vermutung zureichende, Kriterium der Abstammung eines so durch Beispiele bewährten Geschmacks von dem tief verborgenen allen Menschen gemeinschaft-

Bereits in § 8 hat Kant betont, der Reflexionsgeschmack werde »doch auch oft genug, mit seinem Anspruche auf die allgemeine Gültigkeit seines Urtheils (über das Schöne) für jedermann, abgewiesen […], wie die Erfahrung lehrt« (§ 8.B.3, 214,21).

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lichen Grund der Einhelligkeit in Beurteilung der Formen, unter denen ihnen Gegenstände gegeben werden].

Diese Rekonstruktion ist aber mit dem folgenden Problem behaftet: Die Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils, die im verdeckten Urteil »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind« sichtbar wird, wird gerade nicht empirisch (d. h. a posteriori), sondern a priori erlangt. 6 Wir wissen nicht um die allgemeine Mitteilbarkeit der Lust, weil wir durch empirische Erhebungen wissen, dass alle Menschen an bestimmten Gegenständen eine Lust am Schönen fühlen. 7 In diesem Sinne ist die allgemeine Mitteilbarkeit oder Allgemeingültigkeit, wie sie von Kant normalerweise in der Analytik gebraucht wird, eben gerade nicht empirisch. Es gibt jedoch zwei Möglichkeiten, die allgemeine Mitteilbarkeit doch als empirisches Kriterium zu deuten. Erstens ist uns ein Bewusstsein der Allgemeingültigkeit im phänomenalen Gehalt der Lust gegeben: Wir fühlen eine Verbundenheit mit unseren Mitmenschen und ein Transzendieren unserer Privatbedingungen. 8 Zweitens haben wir eine Art empirischen Zugriff auf die allgemeine Mitteilbarkeit im Sinne der zeit- und kulturunabhängigen ›Einhelligkeit‹ bezüglich der Schönheit bestimmter Gegenstände. Die allgemeine Mitteilbarkeit meint dann nicht die apriorische Allgemeingültigkeit, sondern eine empirische, de facto gegebene Zustimmung zu einem Geschmacksurteil. Der Vorteil an dieser letzten Deutung ist, dass sie mit dem oben geschilderten ersten Kriterium übereinstimmt. Kant würde den Begriff der allgemeinen Mitteilbarkeit dann zwar anders als sonst gebrauchen; jedoch wäre dies insofern unproblematisch, als er ja im direkten Anschluss (§ 17.A.4b) diesen besonderen Gebrauch erläutert. Ich schlage daher die folgende Deutung von § 17.A.4b vor: § 17.A.4aR2 Die sich im Empirischen niederschlagende begriffslose allgemeine Mitteilbarkeit der Lust am Schönen – nämlich eine de facto Teilhabe aller Urteilenden an einem GeVgl. 289,22. – Für die Rekonstruktion des verdeckten Geschmacksurteils siehe Kap. 6.1.3. 7 Vgl.: »Aber hier [beim Angenehmen] wird die Allgemeinheit nur comparativ genommen; und da giebt es nur g e n e r a l e (wie die empirischen alle sind), nicht u n i v e r s a l e Regeln, welche letzteren das Geschmacksurtheil über das Schöne sich unternimmt oder darauf Anspruch macht« (§ 7.C.3, 213,15). Siehe die Analyse dieses Satzes in Kap. 7.3. 8 Siehe hierzu Kap. G1.2.3. 6

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schmacksurteil über einen bestimmten Gegenstand –, [ist das empirische Kriterium der Abstammung des Geschmacks von dem tief verborgenen, allen Menschen gemeinschaftlichen Grund der Einhelligkeit in Beurteilung der Formen, unter denen ihnen Gegenstände gegeben werden].

Damit führt Kant insgesamt nur ein empirisches Kriterium dafür an, dass der Geschmack eine gemeinschaftliche Grundlage hat. Halten wir die beiden zentralen Thesen der Vorüberlegungen aus dem ersten Absatz fest: i. Es gibt keine objektiven Geschmacksregeln. ii. Einige Kunstwerke werden zeit- und kulturunabhängig von allen Menschen als schön beurteilt.

17.2 Der erste Teil der Argumentation: Das allgemeine Ideal der Schönheit Diese beiden Thesen bilden den Ausgangspunkt für Kants Herleitung eines Ideals der Schönheit. Im ersten Teil dieser Herleitung zeigt er, wie ein solches Ideal im Allgemeinen beschaffen sein muss; im zweiten Teil entwickelt er dann seine Konzeption des konkreten Ideals. Im Folgenden wollen wir zunächst den ersten Argumentationsteil untersuchen. Dabei können wir die folgenden fünf Argumentationsschritte unterscheiden: (1) Es gibt Muster bzw. exemplarische Gegenstände des Geschmacks. (2) Muster des Geschmacks dienen dazu, dass man sie selbst im freien Spiel beurteilt. (3) Das höchste Muster des Geschmacks ist eine Idee. (4) Das höchste Muster des Geschmacks ist keine Idee, sondern ein Ideal. (5) Das höchste Muster des Geschmacks ist ein Ideal der Einbildungskraft.

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17.2.1 Es gibt Muster des Geschmacks Die erste Argumentationsstufe erreicht Kant eigentlich schon im ersten Absatz; denn in diesem legt er bereits dar, dass es Kunstwerke gibt, die zeit- und kulturunabhängig allgemein als schön beurteilt werden. Dazu erläutert er nun im zweiten Absatz: § 17.B.1a »Daher sieht man einige Producte des Geschmacks als e x e m p l a r i s c h an« (231,7).

Die exemplarischen Produkte des Geschmacks sind diejenigen Gegenstände, bezüglich deren Schönheit ›Einhelligkeit, so viel möglich, aller Zeiten und Völker‹ besteht (§ 17.A.4). 9 Wir können daher schreiben: § 17.B.1aR1 Diejenigen Produkte des Geschmacks, bezüglich deren Schönheit weitestgehende Einhelligkeit zu allen Zeiten und in allen Völkern besteht, sind exemplarisch.

Nun habe ich bereits oben erläutert, dass Kant unter den ›Produkte[n] des Geschmacks‹ bestimmte Kunstwerke verstehen muss. 10 Ferner nutzt Kant im Folgenden eher den Begriff der Muster des Geschmacks als des Exemplarischen. Es ergibt sich: § 17.B.1aR2 Diejenigen Kunstwerke, die zeit- und kulturunabhängig von allen Mensch als schön beurteilt werden, sind Muster des Geschmacks.

Der primäre Gewinn des ersten Argumentationsschritts besteht darin, dass Kant den Begriff des exemplarischen Kunstwerks bzw. Musters des Geschmacks einführt. Solche Muster stehen für paradigmatische Fälle des Schönen – und dies scheint zu implizieren, dass urteilende Subjekte sich beim Betrachten solcher Muster besonders gut in einen Zustand des freien Spiels und der Lust am Schönen verDiese These erinnert an Humes Ausführungen im berühmten Essay Of the Standard of Taste. Vgl. etwa: »Just expressions of passion and nature are sure, after a little time, to gain public applause, which they maintain for ever. ARISTOLE, and PLATO, and EPICURUS, and DESCARTES, may successively yield to each other: But TERENCE and VIRGIL maintain an universal, undisputed empire over the minds of men. The abstract philosophy of CICERO has lost its credit: The vehemence of his oratory is still the object of our admiration« (Hume 1964, 279 f.). 10 In § 48 schreibt Kant jedoch: »Geschmack ist aber bloß ein Beurtheilungs- nicht ein productives Vermögen; und, was ihm gemäß ist, ist darum eben nicht ein Werk der schönen Kunst« (313,3). Wir werden sehen, dass die Passage § 17.B.1–3 zwischen Mustern der Beurteilung und Kunstwerken als Mustern oszilliert. 9

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setzen können. Solche Gegenstände sind besonders gut geeignet, um Schönheitserfahrungen zu machen, und genau deshalb herrscht über ihre Schönheit weitestgehend Einhelligkeit. Zudem sind Muster des Geschmacks insofern musterhaft bzw. exemplarisch, als sie uns einen Standard an die Hand geben, wie Schönheitserfahrungen charakterisiert sind, d. h. insbesondere, wie wir solche Erfahrungen phänomenal erleben. 11 Die Existenz von Mustern des Geschmacks bildet nun die Grundlage, um zum »höchste[n] Muster« (§ 17.B.3, 232,12) des Schönen überzuleiten.

17.2.2 Muster des Geschmacks dienen der eigenen Beurteilung Im zweiten Schritt erläutert Kant zunächst, welche Funktion ein Muster des Geschmacks nicht ausüben kann. Dies nimmt er dann zum Ausgang, um zu zeigen, wozu diese Muster dienen: § 17.B.1 »[a] Daher sieht man einige Producte des Geschmacks als e x e m p l a r i s c h an: [b] nicht als ob Geschmack könne erworben werden, indem er anderen nachahmt. § 17.B.2 [a] Denn der Geschmack muß ein selbst eigenes Vermögen seyn; [b] wer aber ein Muster nachahmt, zeigt sofern als er es trift, zwar Geschicklichkeit, [c] aber nur Geschmack sofern er dieses Muster selbst beurtheilen kann« (231,7).

Mit Rückgriff auf unsere Analyse von § 17.B.1a können wir § 17.B.1b folgendermaßen rekonstruieren: § 17.B.1bR1 Dass einige Kunstwerke Muster des Geschmacks sind, bedeutet nicht, Geschmack könne dadurch erworben werden, dass er andere nachahmt.

Wer ahmt hier was nach? Der oder das, was hier ›nachahmt‹, muss der Geschmack sein (›indem er‹). Da dieser Geschmack durch die Nachahmung ›erworben werden‹ soll, scheint es sich um einen unausgebilEine ähnliche exemplarische Rolle schreibt Zuckert einem möglichen kantischen Kunstkritiker bzw. ›exemplary judge‹ zu: »the critic not only communicates her experience of this object, but also exhibits the exercise of aesthetic judging. In providing concrete evocative descriptions, the critic models aesthetic judging itself, the playful, informed, inventive cognitive aliveness to the empirical particularities and resonances of this object. […] Even if we are not persuaded concerning a particular work, we, the uninformed and ill-practiced, may thereby become aware of the attention, imagination, and knowledge required for appreciation of art« (Zuckert 2013, 355).

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deten bzw. unkultivierten Geschmack zu handeln. 12 Dabei ist es naheliegend, dass dieser Geschmack andere Geschmäcker nachahmt. 13 Wir können schreiben: § 17.B.1bR2 Dass einige Kunstwerke Muster des Geschmacks sind, bedeutet nicht, Geschmack könne dadurch erworben werden, dass der (unausgebildete) Geschmack andere Geschmäcker nachahmt.

Nun gibt es zwei Möglichkeiten, inwiefern ein Geschmack andere Geschmäcker nachahmen könnte. Erstens könnte ein Geschmack andere Geschmäcker hinsichtlich ihrer Urteile über Muster des Geschmacks nachahmen. Der Geschmack würde einfach ein Urteil »x ist schön« nachplappern. Zweitens könnte der Geschmack bestimmte Produkte, die sich als Muster des Geschmacks qualifiziert haben, nachahmen, d. h. er würde ein Kunstwerk oder den Stil eines Kunstwerks kopieren. Um welchen Fall geht es Kant aber in § 17.B1b? In gewisser Hinsicht scheint mir die Pointe zu sein, dass beide Fälle umfasst sind. Im darauffolgenden Satz heißt es: § 17.B.2b* Wer ein Muster nachahmt, zeigt, sofern als er das Muster trifft, Geschicklichkeit.

Die Nachahmung eines Musters des Geschmacks, d. h. eines spezifischen Produkts des Geschmacks, die ›Geschicklichkeit‹ (im Sinne von handwerklicher Fertigkeit) erfordert, steht klarerweise für den Fall des Kopierens eines Kunstwerks. 14 Jedoch geht es Kant ja in § 17 (wie auch in der gesamten Analytik) um die Beurteilung des Schönen. Tatsächlich soll der Begriff eines Musters des Geschmacks auch gerade auf das Ideal des Schönen, das als Richtmaß der Beurteilung des Schönen fungiert, hinführen. 15 Allerdings werden wir sehen, dass jeder dieses Ideal als ein inneres Bild und in diesem Sinne als eine Art Nach Kant besitzen wir alle das Vermögen des Geschmacks, sodass wir ihn eigentlich nicht allererst erwerben müssen. Jedoch müssen wir ihn kultivieren. 13 Kant selbst nutzt auffälligerweise die Formulierung ›indem er anderen nachahmt‹. Folgt man aber Adelungs Wörterbuch, dann steht »[d]ie Sache, welche nachgeahmet wird, […] alle Mahl in der vierten Endung«; »[d]ie Sache in der dritten Endung zu setzen, wie von einigen geschiehet; einer Gewohnheit nachahmen, Gottsched, ist unstreitig ein […] großer Fehler« (Adelung: Nachahmen). Bezeichnenderweise nutzt Kant selbst in der A-Auflage den Akkusativ (›andere‹), d. h. die ›vierte Endung‹. 14 Vgl. in diesem Kontext auch Kants Ausführungen zur Rolle des Genies, musterhafte Produkte hervorzubringen (vgl. 318,6; 309,28 f.; 355,13). 15 Vgl.: »Hieraus folgt aber, daß das höchste Muster, das Urbild des Geschmacks, eine bloße Idee sey, die jeder in sich selbst hervorbringen muß, und wonach er alles, was 12

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inneres Kunstwerk in sich selbst hervorbringen muss. Daher greifen die Nachahmung der Beurteilung und die Nachahmung des Kunstwerks beim Ideal des Schönen ineinander: § 17.B.1bR3 Dass einige Kunstwerke Muster des Geschmacks bzw. exemplarisch sind, bedeutet nicht, dass Geschmack erworben werden könnte, indem der (unausgebildete) Geschmack andere Geschmäcker insofern nachahmte, als er diese Kunstwerke kopierte oder Geschmacksurteile über diese Kunstwerke nachplapperte.

Wir wissen nunmehr von zwei Funktionen, die ein Muster des Geschmacks nicht einnehmen darf. Würde man nun insbesondere das Urteil über das Muster des Geschmacks kopieren, so würde man die Aktivität der Beurteilung im Sinne des freien Spiels der Erkenntniskräfte untergraben. Auf die Wichtigkeit des freien Spiels verweist Kant einmal mehr in § 17.B.2c: § 17.B.2c* [Wer ein Muster nachahmt], zeigt nur Geschmack, sofern er dieses Muster selbst beurteilen kann.

Dass jemand ein Muster des Geschmacks ›selbst beurtheilen kann‹, bedeutet primär, dass er selbst das Urteil »x ist schön« fällen kann. Um aber ein Urteil »x ist schön« zu fällen, bedarf es einer Lust am Schönen, und diese beruht auf der Beurteilungsaktivität im Sinne des freien Spiels. Tatsächlich ist der Geschmack nichts anderes als das Vermögen des freien Spiels der Erkenntniskräfte. 16 Somit ist es offenkundig, dass man nur dann Geschmack haben kann, wenn man einen Gegenstand mittels des freien Spiels beurteilt. Wir können also schreiben: § 17.B.2cR1 [Wer ein Muster nachahmt], zeigt nur Geschmack, sofern er dieses Muster selbst durch das freie Spiel der Erkenntniskräfte beurteilen kann.

Ein Muster des Geschmacks muss also vom Subjekt aktiv durch das freie Spiel beurteilt werden. Die spezifische Funktion des Musters könnte dabei eine pädagogische sein: Dadurch, dass der Urteilende weiß, dass dieses Muster zeit- und kulturunabhängig für schön befunden wird, kann er seinen Geschmack daran schulen. Gleichsam kann das Muster für den Urteilenden Standards setzen, wie eine ErObject des Geschmacks, was Beyspiel der Beurtheilung durch Geschmack sey, und selbst den Geschmack von jedermann, beurtheilen muß« (§ 17.B.3, 232,12). 16 Siehe hierzu die Erläuterungen zum Gemeinsinn in Kap. 20.2. Kants Philosophie des Schönen

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fahrung des Schönen sein soll, d. h. in der Beurteilung des Musters ist ihm ein Richtmaß gegeben, wie sich eine Lust am Schönen anfühlen soll. Halten wir zum zweiten Argumentationsschritt das Folgende fest: i. Muster des Geschmacks dienen nicht dazu, dass man das Kunstwerk kopiert oder das Urteil über die Schönheit des Kunstwerks nachplappert. ii. Vielmehr dienen die Muster dazu, dass man sie selbst im Sinne des freien Spiels beurteilt.

17.2.3 Das höchste Muster des Geschmacks ist eine Idee Im dritten Argumentationsschritt leitet Kant zum höchsten Muster des Schönen über und damit implizit zum Ideal des Schönen. Dazu heißt es: § 17.B.3 »Hieraus folgt aber, daß das höchste Muster, das Urbild des Geschmacks, eine bloße Idee sey, die jeder in sich selbst hervorbringen muß, und wonach er alles, was Object des Geschmacks, was Beyspiel der Beurtheilung durch Geschmack sey, und selbst den Geschmack von jedermann, beurtheilen muß« (232,12).

Kant gibt an, etwas aus dem zuvor Gesagten, d. h. aus § 17.B.1–2, zu folgern (›Hieraus folgt‹). In diesen beiden Sätzen hat Kant dargelegt, dass es erstens Muster des Geschmacks gibt und dass diese zweitens von jedem Urteilenden selbst beurteilt werden müssen. Es lassen sich allerdings drei Propositionen unterscheiden, die gefolgert sein könnten: § 17.B.3R1 Das höchste Muster, das Urbild des Geschmacks (a) ist eine bloße Idee. (b) muss jeder in sich selbst hervorbringen. (c) dient dazu, dass jeder Urteilende nach diesem Muster alles, was Objekt des Geschmacks, was Beispiel der Beurteilung durch Geschmack sei, und selbst den Geschmack von jedermann beurteilen muss.

Die erste Proposition besagt, dass das höchste Muster ›eine bloße Idee‹ sei. Dies deute ich so, dass das höchste Muster ein Maximum ist, wobei Maxima grundsätzlich die Erfahrung übersteigen und somit Ideen sind. So bestimmt Kant in der KrV Ideen folgendermaßen: 896

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»Ich verstehe unter der Idee einen notwendigen Vernunftbegriff, dem kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kann. […] Wenn man eine Idee nennt; so sagt man […] dem Subjekte nach aber (d. i. in Ansehung seiner Wirklichkeit unter empirischer Bedingung) eben darum s e h r w e n i g , weil sie, als der Begriff eines Maximum, in concreto niemals kongruent kann gegeben werden« (A327/B383 f., 3. H. m. H.).

Das höchste Muster des Geschmacks muss als Maximum eine Idee sein. Offenkundig folgt diese Bestimmung des höchsten Musters (§ 17.B.3a) aber nicht aus § 17.B.1–2; denn in diesen Propositionen wurde der Begriff des höchsten Musters noch gar nicht behandelt. Hingegen bietet sich die Proposition § 17.B.3b sehr wohl als eine Folgerung aus § 17.B.1–2 an. In § 17.B.2 plädiert Kant dafür, dass Urteilende Muster des Geschmacks ›selbst beurtheilen‹ müssen und dass der Geschmack ein ›selbst eigenes Vermögen‹ ist; Muster des Geschmacks müssen zur Beurteilung durch das freie Spiel dienen. Dass man das Muster selbst beurteilen muss, gilt auch für das höchste Muster, d. h. auch dieses muss von jedem Urteilenden selbst im freien Spiel beurteilt werden. Was bei einem höchsten Muster maximiert wird, ist keinesfalls irgendeine begrifflich erfassbare Eigenschaft des Objekts. Vielmehr soll die Schönheit maximiert werden; und diese konstituiert sich durch das freie Spiel sowie die Lust am Schönen, welche jeweils im urteilenden Subjekt statthaben. Ein Maximum des freien Spiels und der Lust muss daher jeder Urteilende ›in sich selbst hervorbringen‹. Diesen Zusammenhang können wir so darstellen: Weil Muster des Geschmacks durch jeden einzelnen Urteilenden selbst (im freien Spiel) beurteilt werden müssen (§ 17.B.1–2), muss jeder Urteilende das höchste Muster des Geschmacks als Gegenstand einer maximalen Beurteilungsaktivität (freies Spiel) und Lust in sich selbst hervorbringen (§ 17.B.3b). 17 Damit haben wir das Hauptergebnis des dritten Argumentationsschritts erreicht: Das höchste Muster des Geschmacks ist die Idee von einem Gegenstand, der einer maximalen Beurteilungsaktivität des freien Spiels sowie einer maximalen Lust korrespondiert und daher von jedem Subjekt selbst in sich hervorgebracht werden muss. Wichtig ist, dass das höchste Muster nicht selbst das Maximum der Lust am Schönen ist, sondern ein (anschauInteressanterweise gibt es auch andere Ideen, die sich aus einem Maximum an Lust konstituieren. So gehört etwa »zur Idee der Glückseligkeit ein absolutes Ganze, ein Maximum des Wohlbefindens, in meinem gegenwärtigen und jedem zukünftigen Zustande« (GMS: 418).

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licher) Gegenstand, der mit einem solchen Maximum der Lust verknüpft ist. Das höchste Muster ist in diesem Sinne gleichsam ein inneres Kunstwerk. Kommen wir zu § 17.B.3c. Kant legt dar, welche Funktion dem höchsten Muster zukommt. So muss ein Urteilender ›alles, was Object des Geschmacks, was Beyspiel der Beurtheilung durch Geschmack sey, und selbst den Geschmack von jedermann‹ nach diesem höchsten Muster ›beurtheilen‹. Dass man ›alles, was Object des Geschmacks‹ bzw. ›was Beyspiel der Beurtheilung durch Geschmack sey‹, nach dem höchsten Muster beurteilt, muss bedeuten, dass man konkrete Schönheitserfahrungen am höchsten Muster misst. Man ordnet dann die Schönheitserfahrung an einem konkreten ›Object des Geschmacks‹ dahingehend ein, wie nah oder weit sie vom Maximum der Lust am Schönen entfernt ist. Das höchste Muster dient in diesem Sinne als Richtmaß. 18 Wenn man etwa an einer konkreten Rose eine Lust am Schönen empfindet, kann man die Intensität dieser Lust mit dem Maßstab des höchsten Musters, d. h. mit der größten Intensität der Lust am Schönen, vergleichen. Man kann dadurch etwa lernen, dass diese Rose dem Ideal der Schönheit sehr nahe kommt. Schwieriger ist zu verstehen, wie man ›den Geschmack von jedermann‹ anhand des höchsten Musters beurteilen soll. Die einzig plausible Deutung scheint mir, dass diese Beurteilung des Geschmacks von anderen davon abhängt, ob ein konkreter Gegenstand nah oder weit entfernt vom höchsten Muster ist. Kommt etwa ein konkreter Gegenstand – wir können erneut an die konkrete Rose denken – dem höchsten Muster des Geschmacks nahe und beurteilt mein Gegenüber diese Rose dennoch nicht als schön, so werde ich seinen Geschmack wohl eher als unkultiviert einstufen. Halten wir zum dritten Argumentationsschritt fest: i. Ein höchstes Muster des Geschmacks konstituiert sich durch ein Maximum des freien Spiels und der Lust am Schönen. Das Maximum der Beurteilung und der Lust ist aber nicht selbst das höchste Muster des Geschmacks; vielmehr ist das höchste Muster ein Gegenstand, der mit einem solchen Maximum verbunden ist. Vgl. hierzu: »Diese Ideale, ob man ihnen gleich nicht objektive Realität (Existenz) zugestehen möchte, sind doch um deswillen nicht für Hirngespinste anzusehen, sondern geben ein unentbehrliches Richtmaß der Vernunft ab, die des Begriffs von dem, was in seiner Art ganz vollständig ist, bedarf, um darnach den Grad und die Mängel des Unvollständigen zu schätzen und abzumessen« (A569/B597).

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ii.

Ein jeder Urteilende muss daher das höchste Muster des Geschmacks in sich selbst hervorbringen. iii. Da es sich beim höchsten Muster um ein Maximum handelt, ist es eine Idee.

17.2.4 Das höchste Muster des Geschmacks ist keine Idee, sondern ein Ideal Im vorigen Argumentationsschritt hat Kant das höchste Muster des Geschmacks als ›bloße Idee‹ bezeichnet (§ 17.B.3). Nun präzisiert er, dass es eigentlich ein Ideal ist: § 17.B.4 »[a] I d e e bedeutet eigentlich einen Vernunftbegrif, [b] und I d e a l die Vorstellung eines einzelnen als einer Idee adäquaten Wesens. § 17.B.5 Daher kann jenes Urbild des Geschmacks, welches freylich auf der unbestimmten Idee der Vernunft von einem Maximum beruht, aber doch nicht durch Begriffe, sondern nur in einzelner Darstellung kann vorgestellt werden, besser das Ideal des Schönen genannt werden, dergleichen wir, wenn wir gleich nicht im Besitze desselben sind, doch in uns hervorzubringen streben« (232,16).

In einem ersten Schritt differenziert Kant zwischen den Begriffen der Idee und des Ideals (§ 17.B.4); in einem zweiten Schritt zeigt er dann, dass das höchste Muster des Schönen keine Idee, sondern ein Ideal ist. Beginnen wir mit der Differenzierung zwischen Idee und Ideal: § 17.B.4aR1 Eine Idee ist ein Vernunftbegriff. § 17.B.4bR1 Ein Ideal ist die Vorstellung eines einzelnen einer Idee adäquaten Wesens.

Beide Bestimmungen stimmen mit Kants sonstigen Definitionen dieser Begriffe überein. So heißt es etwa in der KrV zur Idee: »Ich verstehe unter der Idee einen notwendigen Vernunftbegriff, dem kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kann« (A327/B383). 19 Und ein Ideal bestimmt er als »die Idee, nicht bloß in concreto, sondern in individuo, d. i. als ein einzelnes, durch die Idee Vgl. auch Kants Definition von »Idee« als Abschluss der sogenannten ›Stufenleiter‹ : »Ein Begriff aus Notionen, der die Möglichkeit der Erfahrung übersteigt, ist die I d e e , oder der Vernunftbegriff« (A320/B377). Auch in der KU heißt es, dass den

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allein bestimmbares, oder gar bestimmtes Ding« (A568/B596). Als ein paradigmatisches Beispiel führt er an: »Tugend, und, mit ihr, menschliche Weisheit in ihrer ganzen Reinigkeit, sind Ideen. Aber der Weise (des Stoikers) ist ein Ideal, d. i. ein Mensch der bloß in Gedanken existiert, der aber mit der Idee der Weisheit völlig kongruieret« (A569/B597). Ein Ideal ist demnach ein Gegenstand bzw. ein Individuum, welches einer Idee völlig entspricht, das aber nicht in der Erfahrung gegeben werden kann, sondern bloß in der menschlichen Vorstellung. 20 Es ist in diesem Sinne ein »Urbild« (RGV: 63, m. H.) – ein Begriff den Kant auch in § 17.B.3 und § 17.B.5 nutzt. Die Funktion von Idealen ist, als »unentbehrliches Richtmaß der Vernunft« zu dienen, »um darnach den Grad und die Mängel des Unvollständigen zu schätzen und abzumessen« (A570/B598). Halten wir fest: Eine Idee ist ein Vernunftbegriff, dem nichts in der Anschauung korrespondieren kann. Ein Ideal ist eine gedankliche Darstellung eines Objekts, das einer Idee adäquat ist. Inwiefern kann vor diesem Hintergrund aber das höchste Muster des Schönen nur als Ideal und nicht als Idee gelten? Eine Antwort scheint Kant in § 17.B.5 zu geben. Wir können fünf Propositionen isolieren: § 17.B.5a* Das Urbild des Geschmacks beruht auf der unbestimmten Idee der Vernunft von einem Maximum. § 17.B.5b* Das Urbild des Geschmacks kann nicht durch Begriffe vorgestellt werden. § 17.B.5c* Das Urbild des Geschmacks kann nur in einzelner Darstellung vorgestellt werden. § 17.B.5d* Das Urbild des Geschmacks kann besser das Ideal des Schönen genannt werden. § 17.B.5e* Wenngleich wir nicht im Besitz des Ideals des Schönen sind, so streben wir doch danach, das Ideal des Schönen in uns hervorzubringen.

Ideen »schlechterdings keine Anschauung angemessen gegeben werden kann« (351,21). 20 Da das Ideal nur in Gedanken existiert und nicht in der Erfahrung gegeben wird, ist es vom Beispiel unterschieden (vgl. RGV: 63). – Dass das Ideal nicht in der Erfahrung gegeben wird, konfligiert keinesfalls mit der These, das Ideal der Schönheit müsse ›in einer einzelnen Darstellung vorgestellt werden‹ (§ 17.B.5c). Eine einzelne Darstellung muss mir nämlich nicht durch Sinnlichkeit gegeben werden; vielmehr kann ich sie auch bloß imaginieren.

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Der erste Teil der Argumentation: Das allgemeine Ideal der Schönheit

Die Begründung dafür, dass das höchste Muster des Geschmacks ein Ideal ist, gibt Kant vor allem in § 17.B.5a-c. Führen wir uns noch einmal vor Augen, was wir bisher über das höchste Muster des Geschmacks wissen: Es ist die Vorstellung von einem schönen Gegenstand, die mit einer maximalen Beurteilungsaktivität und einem Maximum der Lust am Schönen verbunden ist. Nun wissen wir aber nicht, wie ein solcher Gegenstand konkret aussehen müsste. Da es nämlich keine objektive Geschmacksregel gibt, wissen wir nicht, welche Eigenschaft eines Objekts maximiert werden müsste, damit im Subjekt eine maximale Aktivität des freien Spiels und eine maximale Lust auftreten würde. Genau in diesem Sinne kann das Urbild ›nicht durch Begriffe…vorgestellt werden‹ : Weil es keine objektiven Regeln des Geschmacks gibt, kann das höchste Muster des Schönen nicht durch Begriffe bestimmt werden (§ 17.B.5b), und weil das höchste Muster nicht durch Begriffe bestimmt werden kann, ist es keine Idee. Nun führt Kant in § 17.B.5a aber doch an, dass das höchste Muster auf einer Vernunftidee beruht, nämlich ›auf der unbestimmten Idee der Vernunft von einem Maximum‹. Müssen wir das höchste Muster damit nicht doch auf eine Idee zurückführen? In der Tat, aber dabei handelt es sich um eine ›unbestimmte Idee‹. Nun ist jede Idee insofern unbestimmt, als sie nicht durch die (sinnliche) Anschauung bestimmt werden kann. 21 In § 17.B.5a spricht Kant aber von der ›unbestimmte[n] Idee der Vernunft von einem Maximum‹. Dies bedeutet, dass das Maximum unbestimmt ist. Die Idee besteht daher in einem unspezifischen, abstrakten Maximum, wobei wir nicht wissen, was maximiert wird. Und dies liegt wiederum darin begründet, dass es keine objektive Geschmacksregel gibt. Soweit scheint Kants Argumentation nachvollziehbar. Als problematisch erweist sich jedoch seine Folgerung (›Daher‹), dass das höchste Muster des Geschmacks ›besser das Ideal des Schönen genannt werden‹ kann (§ 17.B.5d). Zwar beruht das Schöne zentral auf der Anschauung, und es ist folglich naheliegend, dass das höchste Vgl. zu bestimnten und unbestimmten Begriffen: »Aber a u s einem Begriffe darf es [das Geschmacksurteil] darum eben nicht erweislich seyn, weil ein Begrif entweder bestimmbar, oder auch an sich unbestimmt und zugleich unbestimmbar, seyn kann. Von der erstern Art ist der Verstandesbegrif, der durch Prädicate der sinnlichen Anschauung, die ihm correspondiren kann, bestimmbar ist; von der zweyten aber der transscendentale Vernunftbegrif von dem Uebersinnlichen, was aller jener Anschauung zum Grunde liegt, der also weiter nicht theoretisch bestimmt werden kann« (339,16; vgl. auch 340,1).

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Muster des Schönen in irgendeiner Form anschaulich sein muss. Wenn nämlich ein Ideal eine ›Vorstellung eines einzelnen als einer Idee adäquaten Wesens‹ ist, es aber gar keine Idee vom höchsten Muster des Schönen gibt, sondern nur einen Vernunftbegriff von einem abstrakten Maximum, wie soll man dann überhaupt ein Ideal bilden? Vor diesem Hintergrund ist auch Kants Aussage, dass das Urbild des Geschmacks ›nur in einzelner Darstellung kann vorgestellt werden‹ (§ 17.B.5c), problematisch; denn aufgrund der Begriffslosigkeit des Schönen gibt es überhaupt keine Anhaltspunkte, wie diese Darstellung aussehen sollte. Einen gewissen Zweifel bezüglich der Möglichkeit eines Ideals der Schönheit scheint Kant in § 17.B.5e auch selbst zu äußern (›wenn wir gleich nicht im Besitze desselben sind‹). Er macht jedoch nicht explizit, ob wir deswegen nicht im Besitz des Ideals der Schönheit sind, weil wir keine Anhaltspunkte haben, wie ein solches Ideal aussehen sollte. Ich werde auf diese Problematik gleich zurückkommen. Halten wir aber zunächst zum vierten Argumentationsschritt das Folgende fest: i. Das höchste Muster des Schönen kann keine Idee sein, weil es keine objektiven Geschmacksregeln gibt. Vielmehr kann dem höchsten Muster nur die abstrakte Vernunftidee von irgendeinem Maximum zugrunde liegen. ii. Das höchste Muster des Geschmacks könnte ein Ideal sein; denn das Schöne beruht auf der Anschauung.

17.2.5 Das Ideal der Schönheit ist ein Ideal der Einbildungskraft Wir haben im letzten Argumentationsschritt erfahren, dass das höchste Muster des Schönen ein Ideal und keine Idee ist. Im letzten Schritt des ersten Argumentationsabschnitts präzisiert Kant nun, dass es sich dabei um eine spezifische Unterart des Ideals handelt, nämlich um ein Ideal der Einbildungskraft: § 17.B.6 »[a] Es wird aber bloß ein Ideal der Einbildungskraft seyn, [b] eben darum, weil es nicht auf Begriffen, sondern auf der Darstellung beruht; [c] das Vermögen der Darstellung aber ist die Einbildungskraft« (232,23).

Wir können die folgenden drei Propositionen identifizieren:

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§ 17.B.6a* Das Urbild des Geschmacks wird ein Ideal der Einbildungskraft sein. Begründung [›darum, weil‹]: § 17.B.6b* Das Urbild des Geschmacks beruht nicht auf Begriffen, sondern auf der Darstellung. § 17.B.6c* Das Vermögen der Darstellung ist die Einbildungskraft.

In § 17.B.6a bezeichnet Kant das höchste Muster des Geschmacks als ›Ideal der Einbildungskraft‹. Was ist darunter zu verstehen? Nehmen wir Kants Begründung in § 17.B.6b zum Ausgang, so liegt die Vermutung nahe, ein Ideal der Einbildungskraft beruhe ›nicht auf Begriffen, sondern auf der Darstellung‹. Aber wieder müssen wir fragen: Was ist unter einem Ideal, das auf der Darstellung beruht, zu verstehen? Wir müssen drei verschiedene Verwendungen des Begriffs »Ideal der Einbildungskraft« in den Blick nehmen: (1) Erstens bezeichnet das »Ideal der Einbildungskraft« dasselbe wie der Begriff der Normalidee. So schreibt Kant in der KrV zu den »Ideale[n] der Sinnlichkeit«, sie seien »Geschöpfe[.] der Einbildungskraft« und »nicht erreichbare Muster möglicher empirischer Anschauungen«; insbesondere aber seien sie »gleichsam M o n o g r a m m e [ . ] , die nur einzelne, obzwar nach keiner angeblichen Regel bestimmte Züge sind, welche mehr eine im Mittel verschiedener Erfahrungen gleichsam schwebende Zeichnung, als ein bestimmtes Bild ausmachen, dergleichen Maler und Physiognomen in ihrem Kopfe zu haben vorgeben, und die ein nicht mitzuteilendes Schattenbild ihrer Produkte oder auch Beurteilungen sein sollen« (A570 f./B598 f.). Diese Beschreibung stimmt mit der Normalidee als »ein Mittleres« (§ 17.E.1, 234,8) und als etwas, das seine »Elemente […] aus der Erfahrung nehmen« muss (§ 17.D.2, 233,26), überein. 22 (2) Zweitens korrespondiert ein Ideal der Einbildungskraft einer Vernunftidee, die in einem Maximum eines empirischen Begriffs besteht. Dieses Verständnis findet man in der GMS, wo Kant schreibt, die Glückseligkeit sei »nicht ein Ideal der Vernunft, sondern der Einbildungskraft […], was bloß auf empirischen Gründen beruht« (GMS: 418). Zuvor heißt es, »daß alle Elemente, die zum Begriff der Glückseligkeit gehören, insgesamt

Im Übrigen verwendet Kant den Begriff der Normalidee in seinem gesamten Werk einzig in § 17 der KU.

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empirisch sind, d. i. aus der Erfahrung müssen entlehnt werden« (GMS: 418). 23 Beiden geschilderten Bedeutungen des Ideals der Einbildungskraft ist gemein, dass jeweils Empirie vorausgesetzt wird. 24 Dies gilt auch für das folgende dritte Verständnis: (3) Ein Ideal der Einbildungskraft liegt auch dann vor, wenn zwar wirklich ein bestimmter Vernunftbegriff (wie etwa jener der Tugend) zugrunde liegt, wenn aber das korrespondierende Ideal mit empirischen Bestandteilen unterlegt wird. So kann ich mir das Ideal des tugendhaften Menschen bloß begrifflich bilden; ich kann ihm aber (zusätzlich) das anschauliche Bild eines konkreten Menschen unterlegen. Im weiteren Verlauf von § 17 wird sich zeigen, dass das (konkrete) Ideal der Schönheit ein Ideal der Einbildungskraft im Sinne der dritten Variante ist. Allerdings lesen wir in § 17.B.6 ja nur: Ein Ideal der Einbildungskraft beruht ›nicht auf Begriffen, sondern auf der Darstellung‹. 25 Vermutlich will Kant dann in § 17.B.6 nur den folgenden Gedankengang anführen: Es gibt erstens keine objektiven Geschmacksregeln, sodass das Urbild des Geschmacks ›nicht auf Begriffen‹ beruhen kann (§ 17.B.6b). Wir wissen, dass Schönheit auf der In diesem Sinne lässt sich auch das folgende Beispiel aus den Vorlesungsmitschriften verstehen: »Wenn die Begriffe auf Vernunft beruhen, so läßt sich sicherer ein Ideal formieren als von den Sinnen; z. B. eher von der Bosheit als vom Elend. Die Idee der Einbildungskraft hat nichts Vollständiges und Bestimmtes; z. E. man hat keine Idee vom größten Elend. Daher kommt das Ideal von Pech und Schwefel und Feuer; darunter denkt man sich die größten Marter; es ist also ein Ideal der Phantasie, und das hat nichts Bestimmtes« (V-Met/Volckmann: 1133). 24 Vgl. hierzu auch die folgende Differenzierung innerhalb der empirischen Ideale: »Es giebt ein empirisch und ein geistiges Ideal, beydes entweder sinnlich (Anschauung) oder intellektuel (durch Begriffe). Das empirische ist das allen Anschauungen allgemein zum Grunde liegende, woraus durch einschränkungen einiger theile alle Gestalten bestimmt werden. Das geistige ist ein Selbstgeschopf, welches das Urbild ausmacht und das […] enthält, welches von allen äußersten Enden der Zeichnung gleich weit entfernet ist« (Refl: 918, AA 15: 403). 25 Eigentlich versteht Kant unter einer »D a r s t e l l u n g (exhibitio), […] dem Begriffe eine correspondirende Anschauung zur Seite zu stellen« (192,33). In gewisser Hinsicht ist es aber gerade die Pointe des Schönen, dass keinem bestimmten Begriff eine Darstellung zur Seite gestellt wird. Jedoch eignen sich beim Schönen die apprehendierten Formen potenziell als Darstellungen eines Begriffs, wenngleich dieser nicht angewendet wird. Ferner werden die Formen fortlaufend anhand des Prinzips a priori der Urteilskraft überprüft und als subjektiv zweckmäßig ausgewiesen. In diesem Sinne schreibt Kant: »und so können wir die N a t u r s c h ö n h e i t als D a r s t e l l u n g des Begrifs der formalen (bloß subjectiven) […] Zweckmäßigkeit ansehen« (193,12). 23

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Der zweite Teil der Argumentation: Das konkrete Ideal der Schönheit

Form des schönen Gegenstandes (FMT) und insofern auf der Darstellung beruht (§ 17.B.6b) sowie dass das Apprehendieren von Formen bzw. die ›Darstellung‹ die Aufgabe der Einbildungskraft ist (§ 17.B.6c). Daher muss das Urbild des Geschmacks ein Ideal der Einbildungskraft sein. Zu welchem Ergebnis hat nun der erste Teil der Argumentation insgesamt geführt? Wenn es ein höchstes Muster des Schönen gäbe – und dass es so ein höchstes Muster geben kann ist noch überhaupt nicht klar –, dann wäre es folgendermaßen zu charakterisieren: i. Es wäre ein Gegenstand, der mit einem Maximum des freien Spiels und der Lust am Schönen verbunden wäre. Da sich dieses Maximum nur mit Bezug auf das Subjekt konstituiert, muss jeder Urteilende das höchste Muster in sich selbst hervorbringen. ii. Da es keine objektive Geschmacksregel gibt, würde das höchste Muster auf der unbestimmten Idee eines abstrakten Maximums beruhen. Weil das Schöne auf der Anschauung beruht, wäre das höchste Muster der Schönheit ein Ideal. iii. Das höchste Muster wäre ein Ideal der Einbildungskraft, weil das Schöne auf der Form des schönen Gegenstandes und in diesem Sinne auf der Darstellung beruht. Allerdings ist das Ideal der Schönheit mit dem folgenden Problem behaftet: iv. Ein Ideal ist die Darstellung eines Gegenstandes, der eine Vernunftidee entspricht. Da es aber keine objektive Geschmacksregel gibt und somit keine (bestimmte) Idee des höchsten Musters, so ist unklar, wem das Ideal des Schönen entsprechen soll. Dieses Problem leitet zum zweiten Teil der Argumentation über. Die Abstraktheit des Ideals lässt sich nämlich dadurch überwinden, dass man es im Bereich der angewandten Geschmacksurteile sucht.

17.3 Der zweite Teil der Argumentation: Das konkrete Ideal der Schönheit Bisher war Kants Argumentation für das Ideal der Schönheit recht abstrakt und hypothetisch. So kommt es, dass man zum Ende des zweiten Absatzes eigentlich weder weiß, ob es überhaupt ein Ideal der Schönheit geben kann, noch wie dieses Ideal konkret aussehen könnte. Kant schließt darum einen zweiten großen ArgumentationsKants Philosophie des Schönen

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teil an, in dem er zeigt, in welchem Rahmen das Ideal konkretisiert werden kann. Um auf dieses konkrete Ideal hinzuleiten, bedarf es einiger Adjustierungen der Konzeption des Ideals der Schönheit. Diese Adjustierungen leitet Kant mit den beiden folgenden Fragen ein: § 17.B.7 »Wie gelangen wir nun zu einem solchen Ideale der Schönheit? A priori oder empirisch? § 17.B.8 Imgleichen: welche Gattung des Schönen ist eines Ideals fähig?« (232,25)

Die erste Frage können wir wie folgt vereinfachen: § 17.B.7* Gelangen wir a priori oder empirisch zu einem Ideal der Schönheit?

Aber hat Kant nicht gerade erst dafür argumentiert, dass das Ideal des Schönen ein Ideal der Einbildungskraft ist? Und ist ein Ideal der Einbildungskraft nicht zwangsläufig dadurch gekennzeichnet, dass es Empirie voraussetzt? Auf diesen Einwand können wir folgendermaßen reagieren: Kants Frage könnte darauf abzielen, ob das Ideal des Schönen trotz seines Status als Ideal der Einbildungskraft dennoch einen Begriff a priori voraussetzt, der substanzieller als die Idee eines bloß abstrakten Maximums ist. Tatsächlich wird seine Konklusion darin bestehen, dass sich das Ideal des Schönen durch den »sichtbare[n] Ausdruck sittlicher Ideen« konstituiert (§ 17.F.3, 235,17). Das Ideal der Schönheit wird damit weder rein empirisch gewonnen noch bloß a priori; vielmehr bringen wir ein solches Ideal durch die Verbindung eines Begriffs a priori – nämlich des moralischen Zwecks – und einer empirischen Darstellung – nämlich dem ›sichtbare[n] Ausdruck‹ des moralischen Zwecks – hervor. Anders als die erste Frage zielt die zweite Frage (§ 17.B.8) nicht auf den Entstehungskontext des Ideals der Schönen, sondern auf den Gegenstandsbereich ab. 26 Der Begriff der ›Gattung des Schönen‹ steht dabei für eine Gattung von Gegenständen (etwa Pferde, Blumen oder Menschen), die potenziell schön sind. Wir können Kants Frage folgendermaßen reformulieren:

Man könnte meinen, die Partikel ›Imgleichen‹ solle verdeutlichen, dass beide Fragen denselben inhaltlichen Aspekt betreffen. Zwar kann ›imgleichen‹ tatsächlich »ebenso« bedeuten (vgl. Grimm: Imgleichen), jedoch ist es in § 17.B.8 eher im Sinne eines ergänzenden Zusatzes zu verstehen, der einen neuen Aspekt beleuchtet. Für einen solchen Fall nennt Adelung das folgende Beispiel: »Weil er eine einnehmende Gestalt, ingleichen alle zur Verführung nöthige Gaben besaß« (Adelung: Ingleichen).

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§ 17.B.8R1 Welche Gattung von (schönen) Gegenständen ist eines Ideals fähig?

Durch diese Frage deutet Kant bereits an, dass das Ideal des Schönen an eine spezifische Gattung von Gegenständen gebunden ist. Da Gattungen mit einer begrifflichen Erfassung der Gegenstände unter einem Gattungsbegriff einhergehen, müssen wir uns mit dem Ideal des Schönen im Kontext der angewandten Schönheit bewegen. Wenden wir uns nun dem zweiten Teil der Argumentation zu, den ich in die folgenden sechs Argumentationsschritte einteile: (1) Ein Ideal der Schönheit ist nur im Rahmen einer anhängenden Schönheit möglich. (2) Das Ideal der Schönheit ist nur im Rahmen einer solchen anhängenden Schönheit möglich, die durch einen apriorischen Zweckbegriff fixiert ist. (3) Nur vom Menschen als Zweck an sich selbst können wir ein Ideal der Schönheit bilden. (4) Der Zweck des Menschen ist durch eine Normalidee und eine Vernunftidee festgelegt. (5) Das Ideal der Schönheit beruht nicht (wesentlich) auf der Normalidee des Menschen. (6) Das Ideal der Schönheit besteht in der Gestalt des Menschen als Ausdruck sittlicher Ideen.

17.3.1 Ein Ideal der Schönheit ist nur im Rahmen einer anhängenden Schönheit möglich Kant eröffnet den zweiten Argumentationsteil mit dem folgenden Argumentationsschritt: § 17.C.1 »Zuerst ist wohl zu bemerken, daß die Schönheit, zu welcher ein Ideal gesucht werden soll, keine v a g e , sondern durch einen Begrif von objectiver Zweckmäßigkeit f i x i r t e Schönheit seyn, folglich keinem Objecte eines ganz reinen, sondern zum Theil intellectuirten Geschmacksurtheils angehören müsse« (232,28 f.).

Wir können zwei Thesen unterscheiden:

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§ 17.C.1aR1 Die Schönheit, zu der ein Ideal gesucht werden soll, darf keine vage Schönheit sein und darf keinem Objekt eines ganz reinen Geschmacksurteils angehören. 27 § 17.C.1bR1 Die Schönheit, zu der ein Ideal gesucht werden soll, muss eine durch einen Begriff von objektiver Zweckmäßigkeit fixierte Schönheit sein und muss einem zum Teil intellektuierten Geschmacksurteil angehören.

Mit der ersten These schließt Kant aus, dass das Ideal des Schönen im Rahmen einer freien bzw. ›vage[n] Schönheit‹ gefunden werden kann. 28 Im Endeffekt schließt Kant damit alle Schönheiten vom Ideal der Schönheit aus, bei denen keine begrifflichen Regeln zur Anwendung kommen. In diesem Sinne sind auch die folgenden Beispiele zu verstehen: § 17.C.3 »Ein Ideal schöner Blumen, eines schönen Amöblements, einer schönen Aussicht, läßt sich nicht denken« (233,4).

Diese Beispiele stehen allesamt für freie Schönheiten, was insbesondere dadurch deutlich wird, dass Kant folgendermaßen fortfährt: »Aber auch von einer bestimmten Zwecken anhängenden Schönheit, […]« (§ 17.C.4, 233,6, m. H.). Freie Schönheiten, wie ›Blumen‹, ›Amöblements‹ und ›Aussichten‹, sind keines Ideals fähig, weil in der Beurteilung ihrer Schönheit keine Regeln involviert sind und somit kein bestimmtes Maximum gebildet werden kann. Freie Schönheiten unterliegen damit genau dem Problem, das wir im ersten Teil der Argumentation verortet hatten. Dies führt uns auf die zweite These, nämlich dass ein Ideal der Schönheit nur im Bereich der anhängenden bzw. ›fixirte[n]‹ Schönheiten statthaben kann. 29 Die Beurteilung von anhängenden Schönheiten setzt eine Beurteilung der Vollkommenheit voraus und beinhaltet daher Regeln. Darauf, dass Regeln oder Begriffe zur Anwendung kommen, verweist nicht zuletzt der Begriff des ›intellectuirten Geschmacksurtheils‹. Kant begründet nicht, warum das Ideal der Schönheit im Bereich der anhängenden Schönheit anzusiedeln ist. Jedoch ergibt sich § 17.C.1 als Konsequenz aus dem impliziten Scheitern des allgeDas Verb ›muß‹ wurde durch »darf« ersetzt; denn es ist offensichtlich, dass Kant die vage Schönheit und das reine Geschmacksurteil vom Ideal des Schönen ausschließen will. 28 Zum Unterschied von freier und anhängender Schönheit siehe Kap. 16.1. 29 Vgl. für eine ähnliche These: »Das ideal des Schönen setzt immer ein von der Natur vorgezeichnetes dessin voraus, z. E. Menschlicher Körper« (Refl: 757). 27

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meinen Ideals der Schönheit im zweiten Absatz. Ein Ideal der freien Schönheit muss am Mangel einer objektiven Geschmacksregel scheitern. Es könnte nur einem abstrakten Maximum korrespondieren, wobei nicht klar wäre, wovon dieses ein Maximum wäre. Genau dieses Problem wird dadurch gelöst, dass man das Ideal der Schönheit im Rahmen der angewandten Schönheiten verortet; denn diese beinhalten eine objektive Regel (der Vollkommenheit). Grundgedanke muss dann sein, dass diese objektiven Regeln das abstrakte Maximum in ein bestimmtes Maximum verwandeln und damit dem Ideal der Schönheit eine Idee, der es korrespondieren kann, zur Seite stellen. Dass die objektiven Regeln (der Vollkommenheit) dem Ideal der Schönheit zugrunde gelegt werden sollen, ist allerdings durchaus problematisch. Denn diese Regeln bestimmen gerade nichts bezüglich der Schönheit selbst, sondern schließen nur unvollkommene Gegenstände davon aus, als schön beurteilt werden zu können. 30 Würde man sich aber einen Gegenstand, der maximal vollkommen wäre, vorstellen, so wäre dieser zwar ein Ideal der Vollkommenheit, aber eigentlich kein Ideal der Schönheit. Denn die Vollkommenheit sagt eben nichts darüber aus, ob der Gegenstand schön ist oder nicht. Wir werden sehen, dass Kant dieses Problem erst im letzten Absatz von § 17 löst. Halten wir aber zunächst fest: i. Ein Ideal der Schönheit kann es nur im Rahmen von anhängenden Schönheiten geben. ii. Für die Beurteilung von anhängenden Schönheiten gibt es objektive Regeln, sodass ein bestimmtes Maximum als Idee gebildet werden kann. iii. Allerdings wäre ein Maximum nach den objektiven Regeln, die bei einer anhängenden Schönheit involviert sind, eigentlich nur ein Ideal der Vollkommenheit.

17.3.2 Ein Ideal der Schönheit setzt den Begriff a priori eines Zwecks voraus Im Anschluss an die These, dass das Ideal der Schönheit im Rahmen der anhängenden Schönheiten gesucht werden muss, findet sich die folgende Aussage:

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Siehe hierzu die Ausführungen zu angewandten Geschmacksurteilen in Kap. 16.2.

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§ 17.C.2 »D. i. in welcher Art von Gründen der Beurtheilung ein Ideal Statt finden soll, da muß irgend eine Idee der Vernunft nach bestimmten Begriffen zum Grunde liegen, die a priori den Zweck bestimmet, worauf die innere Möglichkeit des Gegenstandes beruhet« (233,1).

Die Vermutung liegt nahe, Kant wolle in § 17.C.2 seine These aus § 17.C.1 nur noch einmal erläutern, wofür insbesondere das einleitende ›D. i.‹ spricht. Aber dieser Schein trügt; Kant formuliert in § 17.C.2 eine neue These. Gehen wir, um dies zu verdeutlichen, zunächst auf die in § 17.C.4 geschilderten Beispiele ein: § 17.C.4 »[a] Aber auch von einer bestimmten Zwecken anhängenden Schönheit, z. B. einem schönen Wohnhause, einem schönen Baume, schönen Garten u. s. w., läßt sich kein Ideal vorstellen; [b] vermuthlich weil die Zwecke durch ihren Begrif nicht genug bestimmt und fixirt sind, folglich die Zweckmäßigkeit beynahe so frey ist, als bey der v a g e n Schönheit« (233,6).

Kant führt verschiedene Beispiele für anhängende Schönheiten an, nämlich ein Wohnhaus, einen Baum und einen Garten. Dabei sind weniger die Beispiele selbst von Bedeutung 31 als vielmehr die These, die durch diese Beispiele illustriert werden soll. Diese besagt, dass von vielen (bzw. den allermeisten) anhängenden Schönheiten kein Ideal der Schönheit gebildet werden kann. Wir können diese These folgendermaßen fassen: § 17.C.4aR1 Von vielen bestimmten Zwecken anhängenden Schönheiten gibt es kein Ideal der Schönheit.

Diese These ist offenkundig neu. Durch sie wird die zuvor formulierte These, dass ein Ideal der Schönheit nur im Bereich der anhängenden Schönheiten möglich ist, eingeschränkt. Begründet wird diese Einschränkung in § 17.C.4b. Der Begriff ›Zwecke‹ muss den Gegenstand als Zweck meinen und nicht den Zweckbegriff; denn die ›Zwecke‹ sollen durch den ›Begrif‹ fixiert werden, sodass die ›Zwecke‹ Insgesamt sind die Beispiele durchaus problematisch. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass nicht ersichtlich ist, warum eine Blume eine freie Schönheit, ein Baum aber eine anhängende Schönheit sein sollte (siehe Kap. 16.1.2). Ebenso ist es problematisch, dass Gärten zu den anhängenden Schönheiten gehören sollen. Zwar ist es durchaus plausibel bestimmte Arten von Gärten den anhängenden Schönheiten zuzuordnen – nämlich insbesondere die stark durch Regeln geprägten französischen Gärten; jedoch sind andere Arten von Gärten, wie insbesondere die weitestgehend regellosen englischen Gärten, den freien Schönheiten beizuzählen (vgl. 242,24).

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selbst keine Zweckbegriffe sein können. Unklar ist zudem, was Kant unter der ›Zweckmäßigkeit‹ versteht, die ›beynahe so frey ist, als bey einer v a g e n Schönheit‹. Das, was bei einer vagen bzw. freien Schönheit frei ist, ist die Aktivität der Einbildungskraft und nicht irgendeine ZM; tatsächlich liegt hier ja gar keine objektive ZM vor. Das Problem vieler anhängender Schönheiten bezüglich eines Ideals besteht ferner nicht darin, dass die Einbildungskraft zu frei wäre, sondern dass die objektive ZM (Vollkommenheit) durch den Zweckbegriff nicht hinreichend bestimmt ist. Vor diesem Hintergrund muss eine präzisere Formulierung von § 17.C.2b in etwa so lauten: § 17.C.4bR1 [Begründung]: Die Gegenstände sind durch ihren Zweckbegriff nicht genug bestimmt und fixiert, folglich ist die objektive Zweckmäßigkeit (Vollkommenheit) beinahe so unbestimmt und unfixiert, wie bei der vagen Schönheit, bei der gar keine objektive Zweckmäßigkeit vorliegt (und bei der die Einbildungskraft daher völlig frei ist).

Der Grundgedanke dieser Begründung ist, dass man nur dann sinnvollerweise ein Ideal (im Sinne der Vollkommenheit) von etwas bilden kann, wenn eine hinreichende Fixierung durch den Zweckbegriff vorliegt. Wenn man einen bloß sehr ungenauen Zweckbegriff von einem Gegenstand hat, so lässt sich kein Maximum der Vollkommenheit dieses Gegenstandes bilden und folglich auch kein Ideal. Ich habe bei meinen Untersuchungen von § 16 dafür plädiert, dass Zweckbegriffe mehr oder weniger genau sein können, sodass Gegenstände durch ihren Zweckbegriff mehr oder weniger fixiert sein können. 32 Man könnte nun vermuten, Ideale der Vollkommenheit wären von den meisten Gegenständen dadurch möglich, dass wir nur einen genaueren Zweckbegriff von diesen Gegenständen entwickeln würden. Solche genaueren Zweckbegriffe könnten wir dadurch gewinnen, dass wir die Gegenstände intensiv empirisch untersuchen. Könnten wir etwa einen sehr genauen (empirischen) Zweckbegriff davon entwickeln, was ein Pferd ist, so könnten wir ein Ideal eines vollkommenen Pferdes bilden. Gegen diese Vermutung sprechen aber zwei starke Gründe: (1) Aus dem Fortgang von § 17 geht hervor, dass wir nicht bloß aktual keinen hinreichend fixierten Zweckbegriff etwa von Wohnhäusern, Bäumen und Gärten haben, weil wir diese Gegenstände 32

Siehe hierzu Kap. 16.1.2.

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bislang nicht hinreichend empirisch untersucht haben. Vielmehr scheint Kants These zu sein, dass diese Gegenstände prinzipiell keines Ideals der Vollkommenheit und der Schönheit fähig sind. (2) Zweitens könnte ein sehr elaborierter und genauer Zweckbegriff zwar gegebenenfalls ein Ideal der Vollkommenheit ermöglichen; er würde aber ein Ideal der Schönheit gerade verhindern. Denn die extreme Fixierung des Gegenstandes durch den Zweckbegriff würde das freie Spielen der Einbildungskraft verhindern. Muss dies zur Folge haben, dass Kants These sowie insbesondere ihre Begründung in § 17.C.4 schlichtweg falsch sind? Wir können, so möchte ich nun zeigen, dieser drohenden Konsequenz entgehen, wenn wir § 17.C.2 genauer unter die Lupe nehmen: § 17.C.2* In welcher Art von Gründen der Beurteilung ein Ideal stattfinden soll, da muss irgendeine Idee der Vernunft nach bestimmten Begriffen zum Grunde liegen, die a priori den Zweck bestimmt, worauf die innere Möglichkeit des Gegenstandes beruht.

Es fällt auf, dass das gesuchte Ideal auf einem Zweckbegriff beruht, den wir nicht a posteriori bzw. empirisch gewinnen, sondern über den wir a priori verfügen. Von Gegenständen wie Wohnhäusern, Bäumen und Gärten haben wir aber nur einen empirischen Zweckbegriff. So schreibt Kant an einer Stelle: »In Ermangelung aber eines Endzwecks, den nur die reine Vernunft a priori an die Hand geben kann (weil alle Zwecke in der Welt empirisch bedingt sind, […])« (441,5). Kant differenziert hier zwischen dem Endzweck, den ›die reine Vernunft a priori‹ erkennt, und den ›Zwecke[n] in der Welt‹, die ›empirisch bedingt sind‹ und die wir nur empirisch erkennen können. 33 Beim Endzweck handelt es sich um den »moralischen Zwecke vernünftiger Wesen in der Natur (der a priori erkannt werden kann)« (436,8). Kants These ist, dass dieser moralische Zweck der einzige Zweck ist, den wir a priori erkennen. Wir werden sehen, dass das Ideal der Schönheit ebendiesen moralischen Zweck voraussetzt, indem es auf der »Idee der höchsten Zweckmäßigkeit« beruht (§ 17.F.3, 235,20). Halten wir aber zunächst fest: Von Wohnhäusern, Bäumen und Gärten kann es kein Ideal der Schönheit geben, weil wir von ihnen nur empirische

Vgl. hierzu: »Z w e c k e n der Natur (die nur empirisch erkannt werden können)« (436,6).

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Zweckbegriffe haben. Das Ideal der Schönheit muss dagegen auf einem apriorischen Zweckbegriff beruhen. Verortet man in § 17.C.2 die These, dass das Ideal der Schönheit auf einem apriorischen Zweckbegriff beruhen muss, so lassen sich die oben benannten Probleme lösen. Erstens können wir das unter (2) genannte Problem lösen, dass durch einen stark fixierten Zweckbegriff ein freies Spielen der Einbildungskraft verhindert wird. Zwar fixiert der moralische Zweck genau, was der Mensch sein soll – nämlich ein moralisches Wesen –, aber er fixiert nicht, wie das äußere Erscheinungsbild eines moralischen Menschen sein soll; auf das äußere Erscheinungsbild des Menschen bezieht sich aber gerade die Beurteilung seiner Schönheit. Das freie Spiel wird also durch den moralischen Zweck nicht tangiert. Zweitens können wir auch das unter (1) genannte Problem lösen, dass wir von Wohnhäusern, Bäumen und Gärten prinzipiell keine Ideale der Vollkommenheit bilden können. Zwar können wir wohl aufgrund eines sehr genauen Zweckbegriffs beispielsweise das Ideal eines vollkommenen Baumes bilden. Jedoch handelt es sich dabei nicht um das Ideal der Vollkommenheit selbst. Letzteres ist nur im Kontext des höchsten Zwecks (Endzweck) und der damit verbundenen höchsten Vollkommenheit möglich. Ferner ist ein empirischer Zweckbegriff immer mit Kontingenz behaftet. Wir können nie sicher sein, ob wir im Zweckbegriff alle Bestandteile erfasst haben, über die ein Gegenstand verfügen soll, oder ob der Zweckbegriff nicht auch falsche Bestandteile umfasst. Hingegen legt ein apriorischer Zweckbegriff mit Notwendigkeit fest, wie ein Gegenstand beschaffen sein soll. In diesem Sinne ist ein apriorischer Zweckbegriff tatsächlich stärker oder wesentlich anders fixiert als ein empirischer Zweckbegriff. Insgesamt sind die Sätze § 17.C.2 und § 17.C.4 insofern besonders schwer zu durchschauen, als Kant eigentlich zwei Thesen unterschwellig vermischt. Diese lauten: T1 Nur bei einer vollständigen (notwendigen) Fixierung durch einen Zweckbegriff a priori kann es ein Ideal der höchsten Vollkommenheit geben. T2 Bei einem vollständig fixierten Zweck ist nur insofern gleichzeitig ein Zustand des freien Spiels möglich, als er ein Zweck a priori ist, der nicht (unmittelbar) auf die empirische Erscheinung des Gegenstandes geht.

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§ 17 Das (menschliche) Ideal der Schönheit

Die neue Argumentationsstufe besteht in der These, dass das Ideal der Schönheit im Rahmen einer anhängenden Schönheit zu lokalisieren ist, die durch einen Zweckbegriff a priori fixiert ist. Damit gibt Kant eine Antwort auf die Frage in § 17.B.7, ob wir ›a priori oder empirisch‹ zu einem Ideal der Schönheit gelangen. Wir gelangen insofern a priori dazu, als dieses Ideal einen Zweckbegriff a priori zugrunde legt. Da das Ideal des Schönen ein Ideal der Einbildungskraft sein soll, muss aber auch Empirie einen Anteil daran haben.

17.3.3 Nur der Mensch als Zweck an sich selbst ist eines Ideals der Schönheit fähig Ich habe dargelegt, dass nur der moralische Zweck ein Zweck a priori ist und dass das Ideal der Schönheit (bzw. der Vollkommenheit) nur auf der Grundlage dieses Zwecks möglich ist. Im dritten Argumentationsschritt führt Kant aber zunächst aus, dass nur der Mensch eines Ideals der Schönheit (bzw. der Vollkommenheit) fähig ist: § 17.C.5 »Nur das, was den Zweck seiner Existenz in sich selbst hat, der M e n s c h , der sich durch Vernunft seine Zwecke selbst bestimmen, oder, wo er sie von der äußern Wahrnehmung hernehmen muß, doch mit wesentlichen und allgemeinen Zwecken zusammenhalten, und die Zusammenstimmung mit jenen alsdann auch ästhetisch beurtheilen kann: dieser M e n s c h ist also eines Ideals der S c h ö n h e i t , so wie die Menschheit in seiner Person, als Intelligenz, des Ideals der Vo l l k o m m e n h e i t , unter allen Gegenständen in der Welt allein fähig« (233,10).

Insgesamt müssen wir fünf Propositionen unterscheiden: § 17.C.5a* Der Mensch hat den Zweck seiner Existenz in sich selbst. § 17.C.5b* Der Mensch kann sich durch Vernunft seine Zwecke selbst bestimmen. § 17.C.5c* Wo der Mensch die Zwecke von der äußeren Wahrnehmung hernehmen muss, kann der Mensch die Zwecke doch mit wesentlichen und allgemeinen Zwecken zusammenhalten und die Zusammenstimmung mit jenen Zwecken alsdann auch ästhetisch beurteilen. 34 34

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Ich werde diesen Teilsatz im weiteren Fortgang nicht weiter berücksichtigen, da er

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§ 17.C.5d* Der Mensch ist eines Ideals der Schönheit unter allen Gegenständen in der Welt allein fähig. § 17.C.5e* Die Menschheit in der Person des Menschen, als Intelligenz, ist des Ideals der Vollkommenheit unter allen Gegenständen in der Welt allein fähig.

Die zentralen neuen Thesen formuliert Kant in § 17.C.5d-e: Nur der Mensch ist eines Ideals der Schönheit sowie eines Ideals der Vollkommenheit fähig. Dies bedeutet, dass wir ausschließlich vom schönen Menschen (und nicht von anderen schönen Gegenständen) ein Ideal bilden können und dass die höchste Vollkommenheit des Menschen das Ideal der Vollkommenheit ist. Ich möchte mit der zweiten These beginnen und erst im Anschluss fragen, wie sich das Ideal der Schönheit in dieses Bild fügt. In § 17.C.5e heißt es, nur ›[d]ie Menschheit in der Person des Menschen, als Intelligenz‹ sei eines Ideals der Vollkommenheit fähig. In der Tugendlehre unterscheidet Kant zwischen dem »Mensch[en] (homo phaenomenon)« und der »Menschheit in seiner Person (homo noumenon)« (TL: 423). 35 Nimmt man diese Differenzierung zum Ausgangspunkt, dann ist nicht der Mensch als Sinnenwesen, sondern als Vernunftwesen (homo noumenon) eines Ideals der Vollkommenheit fähig. Dies legt nicht zuletzt auch die Formulierung ›als Intelligenz‹ nahe. Offenkundig ist der Status des Menschen als homo noumenon an seinen Status als moralisches Wesen gekoppelt. So identifiziert Kant in der Kritik der teleologischen Urteilskraft den Endzweck, dem »die ganze Natur teleologisch untergeordnet ist« (436,1), mit dem »Mensch[en], […] als Noumenon betrachtet«, bzw. dem Menschen »als einem moralischen Wesen« (435,20). Es liegt daher eigentlich auf der Hand, dass das Ideal der Vollkommenheit in der Übereinstimmung mit dem Zweck des Moralisch-Guten bzw. dem moralischen Zweck besteht. Dies wird für Kants Argumentation keine tragende Rolle spielt. Quintessenz dieses Teilsatzes ist, dass der Mensch sich nicht nur Zwecke setzen kann (§ 17.C.5b), sondern auch Zwecke bzw. Zweckmäßigkeiten beurteilen kann. Insbesondere kann der Mensch Zweckmäßigkeiten ›ästhetisch beurtheilen‹, d. h. Geschmacksurteile fällen. Die Pointe dieses Teilsatzes liegt dann insgesamt darin, dass der Mensch nicht nur der einzige Gegenstand eines Ideals der Schönheit ist, sondern dass auch einzig der Mensch Schönheit beurteilen kann und somit ein Ideal der Schönheit in sich ausbilden kann. 35 Manchmal nutzt Kant den Begriff der Menschheit auch nur mit Bezug auf das allgemeine Vermögen, sich überhaupt (irgendwelche) Zwecke zu setzen. Vgl.: »Das Vermögen, sich überhaupt irgend einen Zweck zu setzen, ist das Charakteristische der Menschheit (zum Unterschiede von der Tierheit)« (TL: 392). Kants Philosophie des Schönen

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auch durch die Propositionen § 17.C.5a-b deutlich. Dass der Mensch ›den Zweck seiner Existenz in sich selbst hat‹, bedeutet nichts anderes, als dass der Mensch ein Zweck an sich selbst ist. 36 Wir können also schreiben: § 17.C.5aR1 Der Mensch ist ein Zweck an sich selbst.

Dass der Mensch ein Zweck an sich selbst ist, bedeutet zunächst einmal, dass er »nicht bloß als Mittel gebraucht werden darf« und einen »absolute[n] Wert« hat (GMS: 428). Nun ist der Mensch ein Zweck an sich selbst, weil er als vernünftiges Wesen Autonomie beanspruchen kann. 37 Die Fähigkeit zur Autonomie beschreibt Kant in § 17.C.5b mit der Formulierung, dass sich der Mensch ›durch Vernunft seine Zwecke selbst bestimmen…kann‹. Grundsätzlich könnten mit diesen Zwecken zwar auch nicht-moralische, subjektive Zwecke gemeint sein; jedoch will Kant die ›durch Vernunft‹ selbst bestimmten Zwecke von denjenigen Zwecken abgrenzen, die der Mensch ›aus der äußern Wahrnehmung hernehmen muss‹. Alle nicht-moralischen Zwecke sind aber in letzter Instanz auf den Zweck der Glückseligkeit bezogen, die Kant als »letzte[n] Naturzweck (nicht Zweck der Freyheit)« bestimmt (430,21). In diesem Sinne sind alle nicht-moralischen Zwecke auf Sinnlichkeit, d. h. (äußere) Wahrnehmung, zurückzuführen. Wir können § 17.C.5b somit folgendermaßen rekonstruieren: § 17.C.5bR1 Der Mensch kann sich durch Vernunft seine Zwecke selbst bestimmen, d. h. er hat die Fähigkeit zur Autonomie.

Bekanntermaßen ist für Kant Autonomie 38 (im praktischen Sinne) die Fähigkeit, sich selbst das moralische Gesetz zu geben. 39 Damit kulmiVgl.: »Gesetzt aber, es gäbe etwas, dessen Dasein an sich selbst einen absoluten Wert hat, was, als Zweck an sich selbst, ein Grund bestimmter Gesetze sein könnte, so würde in ihm, und nur in ihm allein, der Grund eines möglichen kategorischen Imperativs, d. i. praktischen Gesetzes, liegen. [Absatz] Nun sage ich: Der Mensch und überhaupt jedes vernünftige Wesen existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen, sondern muß in allen seinen, sowohl auf sich selbst, als auch auf andere vernünftige Wesen gerichteten Handlungen, jederzeit zugleich als Zweck betrachtet werden« (GMS: 428). 37 Vgl.: »Autonomie ist also der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur« (GMS: 436); »Es gehört aber ein vernünftiges Wesen als Glied zum Reiche der Zwecke, wenn es darin zwar allgemein gesetzgebend, aber auch diesen Gesetzen selbst unterworfen ist« (GMS: 433). 38 Für eine Übersicht über den Begriff der Autonomie siehe Sensen (2018). 39 Vgl. GMS: 446 f. 36

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nieren die Propositionen § 17.C.5a-b letztlich darin, dass der Mensch ein zur Moral fähiges Wesen ist. Nimmt man zusammen, dass der Mensch ein Zweck an sich selbst ist (§ 17.C.5a), dass er zur moralischen Selbstgesetzgebung fähig ist (§ 17.C.5b) und dass sich in der Person des Menschen die Menschheit manifestiert, d. h. dass der Mensch homo noumenon ist (§ 17.C.5e), dann muss das angeführte ›Ideal der Vollkommenheit‹ auf die moralische Vollkommenheit abzielen. Wir müssen § 17.C.5e also folgendermaßen rekonstruieren: § 17.C.5eR1 Die Menschheit in der Person des Menschen, als Intelligenz (homo noumenon) betrachtet, ist des Ideals der (höchsten) Vollkommenheit, nämlich der moralischen Vollkommenheit, unter allen Gegenständen in der Welt allein fähig.

Diese Rekonstruktion stimmt damit zusammen, dass dem Ideal der (höchsten) Vollkommenheit ein Zweck a priori zugrunde liegen muss; denn ausschließlich der »moralische[.] Zweck[.] vernünftiger Wesen in der Natur« kann »a priori erkannt werden« (436,8). 40 Man könnte sich fragen, warum Kant betont, dass nur der Mensch ›des Ideals der Vo l l k o m m e n h e i t , unter allen Gegenständen in der Welt allein fähig‹ ist. Die recht simple Antwort darauf ist, dass nur der Mensch in der Welt eines Ideals der moralischen Vollkommenheit fähig ist; außerhalb der Welt oder vielmehr der Sinnenwelt 41 ist jedoch Gott als rein vernünftiges Wesen ein »moralischvollkommene[r] (heilige[r] und gütige[r]), zugleich auch allgewaltige[r] Wille[.]« (KpV: 129). Im Kontext des Schönen interessieren wir uns aber freilich nur für (auch anschaulich gegebene) Dinge bzw. Wesen in der Welt. Im Übrigen spielen die moralische Vollkommenheit und das Ideal der moralischen Vollkommenheit bei Kant auch an anderer Stelle eine wichtige Rolle. Prominent ist die moralische Vollkommenheit etwa in der Tugendlehre (vgl. TL: 446). Bereits in der GMS spricht Kant vom »Ideal der sittlichen Vollkommenheit« (GMS: 408). Besonders wichtig ist das Ideal der moralischen Vollkommenheit in der Religionsschrift. Dort heißt es etwa: »Das, was allein eine Welt zum Gegenstande des göttlichen Ratschlusses, und zum Zwecke der Schöpfung machen kann, ist die M e n s c h h e i t (das vernünftige Weltwesen überhaupt) i n i h r e r m o r a l i s c h e n g a n z e n Vo l l k o m m e n h e i t , […]« (RGV: 60); »Zu diesem Ideal der moralischen Vollkommenheit, d. i. dem Urbilde der sittlichen Gesinnung in ihrer ganzen Lauterkeit uns zu e r h e b e n , ist nun allgemeine Menschenpflicht, […]« (RGV: 61). 41 Kant spricht in der KpV auch vom »größten Maße sittlicher (in Geschöpfen möglicher) Vollkommenheit« (KpV: 129, m. H.). 40

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Nun beinhaltet § 17.C.5 insgesamt zwei Thesen: eine zum Ideal der Vollkommenheit und eine zum Ideal der Schönheit. Bislang haben wir nur die These zum Ideal der Vollkommenheit (§ 17.C.5e) behandelt. Von größerer Relevanz ist aber eigentlich das Ideal der Schönheit: § 17.C.5d* Der Mensch ist eines Ideals der Schönheit unter allen Gegenständen in der Welt allein fähig.

Die entscheidende Frage ist natürlich: Warum ist allein der Mensch ›eines Ideals der Schönheit‹ fähig? Während sich die vorangehenden Propositionen zum Menschen als Zweck an sich selbst und autonomes Wesen (§ 17.C.5a–b) zwar gut ins Bild des Ideals der höchsten Vollkommenheit fügen, so ist nicht klar, was sie mit dem Ideal der Schönheit zu tun haben sollten. Nun haben wir in den vorangegangenen Argumentationsschritten gelernt, dass ein Ideal der Schönheit allein im Bereich der anhängenden Schönheit möglich ist; denn nur in diesem Bereich liegen objektive Regeln zugrunde, durch die eine Maximierung von konkreten Eigenschaften des Objekts möglich ist. Wir haben zwei Anforderungen an den Zweckbegriff derjenigen anhängenden Schönheit identifiziert, zu der ein Ideal der Schönheit gebildet werden kann: Erstens muss es ein apriorischer Zweckbegriff sein, sodass der Gegenstand vollständig fixiert ist und somit ein Ideal der (höchsten) Vollkommenheit möglich ist. Zweitens darf die äußere Erscheinung des Gegenstandes durch den Zweckbegriff gerade nicht vollständig fixiert sein, sodass die Einbildungskraft frei spielen kann und auch ein Ideal der Schönheit möglich ist; und auch dies ist nur bei einem apriorischen Zweckbegriff der Fall. Beide Anforderungen treffen nur auf den Menschen und seinen moralischen Zweck zu; denn der moralische Zweck ist der einzige apriorische Zweckbegriff. Kants These muss nun zusätzlich sein, dass das Ideal der Schönheit an das Ideal der Vollkommenheit gebunden ist, d. h. dass die Maximierung der Vollkommenheit in irgendeiner Form mit einer Maximierung der Schönheit einhergeht. Wie genau dies aber vonstattengehen soll, ist auf dieser Argumentationsstufe noch überhaupt nicht klar. Ich werde im Zuge des sechsten Argumentationsschritts darauf zurückkommen. Wir können zum dritten Argumentationsschritt das Folgende festhalten: i. Nur der Mensch ist eines Ideals der (höchsten) Vollkommenheit fähig. Dieses Ideal besteht in der gänzlichen Zusammenstim918

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mung des Menschen zum moralischen Zweck, d. h. dem einzigen Zweck a priori. ii. Da das Ideal des Schönen einem Ideal der Vollkommenheit anhängen muss, das auf einem Zweck a priori beruht, ist nur der Mensch eines Ideals des Schönen fähig. Damit hat Kant nun auch die zweite Frage beantwortet, die er im zweiten Absatz gestellt hatte, nämlich: »welche Gattung des Schönen ist eines Ideals fähig?« (§ 17.B.8, 232,27) Die Antwort lautet: nur die Gattung des Menschen, insofern der Mensch auch Vernunftwesen ist.

17.3.4 Der Zweck des Menschen ist durch eine Normalidee und eine Vernunftidee festgelegt Nur der Mensch kann also Gegenstand eines Ideals der Schönheit sein. In den verbleibenden Absätzen nimmt Kant eine genaue Charakterisierung dieses Ideals vor. Zunächst präsentiert er die folgende Unterscheidung: § 17.D.1 »Hiezu gehören aber zwey Stücke: e r s t l i c h die ästhetische N o r m a l i d e e , welche eine einzelne Anschauungen (der Einbildungskraft) ist, die das Richtmaaß seiner Beurtheilung, als eines zu einer besonderen Thierspecies gehörigen Dinges, vorstellt; z w e y t e n s die Ve r n u n f t i d e e , welche die Zwecke der Menschheit, sofern sie nicht sinnlich vorgestellt werden können, zum Princip der Beurtheilung einer Gestalt macht, durch welche, als ihre Wirkung in der Erscheinung, sich jene offenbaren« (233,19).

Fragen wir zuerst, worauf sich die Partikel ›Hiezu‹ bezieht. Im vorangegangenen Satz (§ 17.C.5) bestimmt Kant den Menschen sowohl als Gegenstand des Ideals der Schönheit als auch des Ideals der Vollkommenheit. Nun bezieht sich aber das Ideal der Vollkommenheit offenkundig auf den Menschen als Vernunftwesen; keinesfalls kann sich das Ideal der (moralischen) Vollkommenheit aber auf die Normalidee des Menschen als eine Art Mittelwert der äußeren Erscheinung aller Menschen beziehen. So zeigt sich in einem Mittelwert der menschlichen Gestalt – also einem Menschen von mittlerer Größe, mit mittleren Körperproportionen usw. – keinesfalls eine moralische Vollkommenheit. Dagegen ist es denkbar, dass sowohl die Normalidee als auch die Vernunftidee etwas zum Ideal der Schönheit beitragen. Kants Philosophie des Schönen

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Und tatsächlich wird Kant in der Folge zeigen, dass die Normalidee »die unnachlaßliche Bedingung aller Schönheit ausmacht« (§ 17.E.10, 235,3). Wie wir nun die beiden ›Stücke‹, die zum Ideal der Schönheit gehören, d. h. die ›ästhetische Normalidee‹ und die ›Vernunftidee‹, genau verstehen müssen, wollen wir im Folgenden untersuchen. Wir können aber zunächst § 17.D.1 folgendermaßen rekonstruieren: § 17.D.1R1 Zum Ideal des Schönen gehören zwei Stücke: (1) Die ästhetische Normalidee ist eine einzelne Anschauung der Einbildungskraft, die das Richtmaß der Beurteilung des Menschen als eines zu einer besonderen Tierspezies gehörigen Dinges vorstellt. (2) Die Vernunftidee macht die (moralischen) Zwecke der Menschheit, sofern diese Zwecke nicht sinnlich vorgestellt werden können, zum Prinzip der Beurteilung der Gestalt des Menschen, durch welche Gestalt, als Wirkung der Zwecke der Menschheit in der Erscheinung, sich die Zwecke offenbaren.

Bevor wir auf die Normalidee und die Vernunftidee des Menschen genauer eingehen, möchte ich noch zwei Überlegungen voranstellen: Erstens ist bereits an dieser Stelle offensichtlich, dass das Ideal der Schönheit nicht ausschließlich und nicht wesentlich auf die Normalidee (vom Menschen) zurückgeführt werden kann. So haben wir von sehr vielen Dingen – wahrscheinlich von den allermeisten Dingen – eine Normalidee. Zwar haben wir wohl vom Menschen eine genauere Normalidee als von den meisten anderen Dingen; aber es besteht kein Grund zu der Annahme, dass unsere Normalidee vom Menschen so wesentlich von den Normalideen anderer Dinge unterschieden ist, dass nur die Normalidee vom Menschen für ein Ideal der Schönheit geeignet bzw. für ein solches Ideal hinreichend wäre. Zweitens führt Kant aus, dass die Vernunftidee des Menschen einerseits ›die Zwecke der Menschheit, sofern sie nicht sinnlich vorgestellt werden können‹, betrifft, was damit einhergeht, dass es Zwecke a priori sind; andererseits werden diese Zwecke ›zum Princip der Beurtheilung der Erscheinung‹ gemacht, ›durch welche [Gestalt], als ihre Wirkung [der Zwecke der Menschheit] in der Erscheinung, sich jene [Zwecke der Menschheit] offenbaren‹. Daraus wird ersichtlich, dass die Vernunftidee des Menschen beim Ideal des Schönen nur insofern eine Rolle spielt, als sie einen Niederschlag in der Gestalt des Menschen und somit in der Anschauung hat. Es liegt daher eine Verbindung zwi920

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schen einer (nicht-sinnlichen) Vernunftidee a priori und einer sinnlichen Anschauung des Menschen vor. Nur vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum das Ideal der Schönheit als Ideal der Einbildungskraft Bestand haben kann.

17.3.5 Das Ideal der Schönheit beruht nicht (wesentlich) auf der Normalidee Kant widmet der Normalidee ausschweifende Erläuterungen. Im Folgenden sollen diese skizzenhaft Berücksichtigung finden. Fragen wir zunächst, was eine Normalidee ist. Besonders erhellend ist diesbezüglich Kants »psychologische Erklärung« (§ 17.D.3, 233,36). Diese findet sich in den Sätzen § 17.E.1–7. § 17.E.1 »[a] Es ist anzumerken: daß, auf eine uns gänzlich unbegreifliche Art, die Einbildungskraft nicht allein die Zeichen für Begriffe gelegentlich, selbst von langer Zeit her, zurückzurufen; [b] sondern auch das Bild und die Gestalt des Gegenstandes aus einer unaussprechlichen Zahl von Gegenständen verschiedener Arten, oder auch einer und derselben Art, zu reproduciren; [c] ja auch, wenn das Gemüth es auf Vergleichungen anlegt, allem Vermuthen nach wirklich, wenn gleich nicht hinreichend zum Bewußtseyn, ein Bild gleichsam auf das andere fallen zu lassen, und, durch die Congruenz der mehrern von derselben Art, ein Mittleres herauszubekommen wisse, welches allen zum gemeinschaftlichen Maaße dient. § 17.E.2 Jemand hat tausend erwachsene Mannspersonen gesehen. § 17.E.3 [a] Will er nun über die vergleichungsweise zu schätzende Normalgröße urtheilen, so läßt (meiner Meynung nach) die Einbildungskraft eine große Zahl der Bilder (vielleicht alle jene tausend) auf einander fallen; [b] und, wenn es mir erlaubt ist, hiebey die Analogie der optischen Darstellung anzuwenden, in dem Raum, wo die meisten sich vereinigen, und innerhalb dem Umrisse, wo der Platz mit der am stärksten aufgetragenen Farbe illuminirt ist, da wird die m i t t l e r e G r ö ß e kenntlich, die sowohl der Höhe als Breite nach von den äußersten Gränzen der größten und kleinsten Staturen gleich weit entfernt ist; [c] und dies ist die Statur für einen schönen Mann. Kants Philosophie des Schönen

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§ 17.E.4 (Man könnte ebendasselbe mechanisch heraus bekommen, wenn man alle tausend mäße, ihre Höhen unter sich und Breiten (und Dicken) für sich zusammen addirte, und die Summe durch tausend dividirte. § 17.E.5 Allein die Einbildungskraft thut eben dieses durch einen dynamischen Effect, der aus der vielfältigen Auffassung solcher Gestalten auf das Organ des innern Sinnes entspringt.)« (233,37 f.)

Ferner nimmt Kant in § 17.D.2 die folgende Charakterisierung der Normalidee vor: § 17.D.2 »Die Normalidee muß ihre Elemente zur Gestalt eines Thiers von besonderer Gattung aus der Erfahrung nehmen; aber die größte Zweckmäßigkeit in der Construction der Gestalt, die zum allgemeinen Richtmaaß der ästhetischen Beurtheilung jedes Einzelnen dieser Species tauglich wäre, das Bild, was gleichsam absichtlich der Technik der Natur zum Grunde gelegen hat, dem nur die Gattung im Ganzen, aber kein Einzelnes abgesondert adäquat ist, liegt doch bloß in der Idee der Beurtheilenden, welche aber, mit ihren Proportionen, als ästhetische Idee, in einem Musterbilde völlig in concreto dargestellt werden kann« (233,25).

Vor dem Hintergrund der beiden zitierten Passagen sieht Kants Modell für das Verfahren der Einbildungskraft also so aus: Ein Subjekt betrachtet viele einer Gattung zugehörige Gegenstände, etwa viele Kühe – um Kants eigenes Beispiel aus § 17.E.10 aufzugreifen. 42 Unbewusst (›nicht hinreichend zum Bewußtsein‹) werden durch eine Tätigkeit der Einbildungskraft die apprehendierten Bilder aller Kühe übereinander gelegt (›ein Bild gleichsam auf das andere fallen zu lassen‹). Aus diesem Verfahren entspringt dann eine Art mittleres Bild, d. h. das Bild einer durchschnittlichen Kuh. Kants Beschreibung des Verfahrens ist dabei aber durchaus verwirrend. Wenn wir nämlich etwa Bilder von verschieden großen Kühen übereinanderlegen, so liegt eigentlich der ›Raum, wo die meisten sich vereinigen‹, und der ›Umrisse, wo der Platz mit der am stärksten aufgetragenen Farbe illuminirt ist‹, an der Stelle vor, wo sich die kleinste Kuh befindet; denn Vgl.: »Sie [die Normalidee] ist, wie man P o l y c l e t s berühmten D o r y p h o r u s nannte, die R e g e l (eben dazu konnte auch M y r o n s Kuh in ihrer Gattung gebraucht werden)« (§ 17.E.10, 235,4).

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an dieser Stelle überlappen sich die Bilder aller Kühe. Das Bild der kleinsten Kuh bildet aber freilich nicht die mittlere bzw. durchschnittliche Größe der Kühe ab. Eine solche mittlere Größe erhalten wir vielmehr durch das mathematische Verfahren zur Berechnung des arithmetischen Mittels, welches Kant in § 17.E.4 schildert: Wir addieren dabei beispielsweise die Größe von tausend Kühen und dividieren das Ergebnis durch tausend. 43 Wie ein entsprechendes Verfahren durch die Einbildungskraft und mittels vieler in der Anschauung gegebener Bilder vollzogen werden sollte, scheint mir letztlich völlig unklar. Jedenfalls betont Kant aber in § 17.D.1, dass die Normalidee »eine einzelne Anschauung (der Einbildungskraft) ist« (233,20). Aufgrund dieser Bestimmung können wir die folgende erste Charakterisierung der Normalidee vornehmen: NI1 Die Normalidee ist eine einzelne Anschauung, die durch die Einbildungskraft erzeugt wird.

Nach der ›psychologischen Erklärung‹ fährt Kant folgendermaßen fort: § 17.E.8 »Diese N o r m a l i d e e ist nicht aus von der Erfahrung hergenommenen Proportionen, als b e s t i m m t e n R e g e l n , abgeleitet; sondern nach ihr werden allererst Regeln der Beurtheilung möglich. § 17.E.9 Sie ist das zwischen allen einzelnen, auf mancherley Weise verschiedenen, Anschauungen der Individuen schwebende Bild für die ganze Gattung, welches die Natur zum Urbilde ihren Erzeugungen in derselben Species unterlegte, aber in keinem Einzelnen völlig erreicht zu haben scheint« (234,32).

Wie oben beschrieben, wird die Normalidee durch viele der Anschauung entnommene Bilder gewonnen. In diesem Sinne muss die Normalidee ›ihre Elemente…aus der Erfahrung nehmen‹ (§ 17.D.2). Ferner wird sie explizit nicht aus (begrifflichen) Regeln abgeleitet, auch wenn es sich dabei um empirische, d. h. aus der Erfahrung entnomDas von Kant geschilderte Verfahren beinhaltet ein weiteres Problem. So bestimmt Kant ›die mittlere Größe‹ als diejenige, ›die sowohl der Höhe als Breite nach von den äußersten Gränzen der größten und kleinsten Staturen gleich weit entfernt ist‹ (§ 17.E.3b). In vielen Fällen entspricht das arithmetische Mittel aber gerade nicht der Mitte zwischen den beiden Extremwerten. Nehmen wir einmal an, es gäbe die beiden Extremwerte 1 und 100. Lägen nun viele Werte der Gesamtmenge näher an 1 oder wären sogar gleich 1, dann würde das arithmetische Mittel näher an 1 liegen als an 100; es entspräche also nicht der Mitte zwischen 1 und 100.

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mene Regeln handeln würde (›Diese N o r m a l i d e e ist nicht aus von der Erfahrung hergenommenen Proportionen, als b e s t i m m t e n R e g e l n , abgeleitet‹). Wir können die folgende zweite Charakterisierung aufstellen: N2 Die Normalidee wird aus der Erfahrung gewonnen, aber ihr gehen nicht aus der Erfahrung entnommene (begriffliche) Regeln vorher.

Allerdings kann man aus der Normalidee Regeln gewinnen (›sondern nach ihr werden allererst Regeln der Beurtheilung möglich‹): Man kann auf ihrer Grundlage begriffliche Regeln darüber, wie ein spezifischer Gegenstand aussehen soll, gewinnen und somit auf ihr einen (empirischen) Zweckbegriff gründen. 44 So kann man etwa aus der Normalidee der Kuh die Regeln gewinnen, dass eine Kuh über vier Beine verfügt, dass eine Kuh über eine spezifische Körpergröße verfügt, dass ihr Kopf eine spezifischen Proportion im Vergleich zum restlichen Körper aufweist usw. Aus § 17.D.1, § 17.D.2 sowie § 17.E.9 geht hervor, dass die Normalidee jeweils für eine spezifische Gattung oder Spezies steht. 45 Dabei weist Kant der Normalidee eine Funktion bei der Erzeugung der einzelnen Naturprodukte zu; denn er schreibt, sie sei das ›Bild für die ganze Gattung, welches die Natur zum Urbilde ihren [der Individuen] Erzeugungen in derselben Species unterlegte‹ (§ 17.E.9). Es scheint mir sinnvoll, diese Funktion (in Analogie zum Prinzip a priori) im Sinne eines ›als ob‹ zu deuten. 46 Lässt man diese durchaus problematische Funktion außer Acht, so lässt sich die folgende weitere Bestimmung der Normalidee festhalten: N3 Die Normalidee ist das Urbild einer spezifischen Gattung von Naturdingen.

Nun ist die Normalidee eine besondere Art der Idee. Eine Idee ist bekanntermaßen ein »notwendige[r] Vernunftbegriff, dem kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kann« (A327/B383). Eine Normalidee ist demgegenüber zwar kein ›VerSiehe hierzu auch Kap. 16.1.2. Damit ist nicht impliziert, dass es nur von Tieren Normalideen geben kann (für den Gattungsbegriff in Bezug auf Tiere vgl. etwa 418,24; ÜGTP: 163; MAM: 116 Fn.). Vielmehr nutzt Kant den Begriff der Gattung auch zur Einteilung der gesamten Natur (vgl. 185,1; 187,27) und bezieht ihn auf Bäume sowie Pflanzen (vgl. 371,8; 427,5). 46 Dazu passt auch gut, dass Kant von der Normalidee als ›größte Zweckmäßigkeit in der Konstruktion der Gestalt‹ und als ›Bild, was gleichsam absichtlich der Technik der Natur zum Grunde gelegen hat‹, spricht (§ 17.D.2). 44 45

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nunftbegriff‹, sondern ›eine einzelne Anschauung‹ ; jedoch kann auch ihr ›kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen‹ gegeben werden. 47 In diesem Sinne schreibt Kant, dass die Natur die Normalidee als Urbild ›in keinem Einzelnen völlig erreicht zu haben scheint‹ (§ 17.E.9) und dass die Normalidee ein Bild sei, ›dem nur die Gattung im Ganzen aber kein Einzelnes abgesondert adäquat ist‹ (§ 17.D.2). Wir können also festhalten: N4 Die Normalidee ist insofern eine Idee, als kein einzelner Vertreter eine Gattung, der in der Erfahrung gegeben ist, diesem Urbild völlig entspricht.

Nun spezifiziert Kant die Normalidee in § 17.D.2 als ›ästhetische Idee‹. Mit diesem Begriff, so denke ich, fasst Kant noch einmal zusammen, dass die Normalidee eine Vorstellung der Einbildungskraft ist, der nichts in der Erfahrung korrespondieren kann (Idee; N4), und dass sie dennoch eine bildliche Vorstellung ›in concreto‹ und insofern ästhetisch ist (N1). 48 Wir können festhalten: N5 Die Normalidee ist eine ästhetische Idee, d. h. ein Ideal der Einbildungskraft.

Die Funktion der Normalidee (des Menschen) besteht darin, dem Urteilenden als »Richtmaaß seiner Beurtheilung [des Menschen], als eines zu einer besonderen Thierspecies gehörigen Dinges«, zu dienen (§ 17.D.1, 233,19). Wir beurteilen Menschen dahingehend, ob sie mit der Normalidee des Menschen übereinstimmen oder nicht. Nun ist die Normalidee ›die größte Zweckmäßigkeit in der Construction der Gestalt‹ (§ 17.D.2), d. h. eine Form von objektiver innerer ZM bzw. Vollkommenheit. Wir können festhalten: N6 Die Normalidee dient zum Richtmaß der ästhetischen Beurteilung der Vollkommenheit eines Gegenstandes der Gattung.

Wenn Kant hier von einer ›ästhetischen Beurtheilung‹ spricht (§ 17.D.2), dann ist damit nicht gemeint, dass ein ästhetisches Urteil über die Vollkommenheit gefällt würde; denn Letzteres erachtet Kant Dies widerspricht nicht Kants Aussage in § 17.D.2, dass die Normalidee ›völlig in concreto dargestellt‹ wird. So sind Ideale grundsätzlich nicht in der Erfahrung gegeben; dennoch ist ein Ideal »die Idee, nicht bloß in concreto, sondern in individuo« (A568/B596). 48 Der Begriff »ästhetische Idee« wird hier anders gebraucht als im Kontext des Genies. Vgl. zu letzterem: »Man kann diesem zufolge GENIE auch durch das Vermögen ä s t h e t i s c h e r I d e e n erklären« (344,4; vgl. auch 317,28). 47

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für widersprüchlich. 49 Vielmehr muss das folgende Beurteilungsverfahren gemeint sein: Der Urteilende gleicht die Anschauung eines Gegenstandes mit auf der Normalidee gegründeten begrifflichen Regeln (Zweckbegriffen) ab und fällt ein (Erkenntnis-)Urteil über die Vollkommenheit des Gegenstandes. So könnte etwa ein Urteilender, der eine Kuh wahrnimmt, anhand der auf der Normalidee gegründeten begrifflichen Regeln überprüfen, ob die Kuh vier Beine hat, ob der Kopf die richtige Proportion zum Körper aufweist usw. Kehren wir zum Ideal der Schönheit zurück. Wie hängt die Schönheit mit der Normalidee zusammen? Zu diesem Zusammenhang führt Kant das Folgende aus: § 17.E.9

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§ 17.E.11

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§ 17.E.13

»Sie [die Normalidee] ist keinesweges das ganze U r b i l d der S c h ö n h e i t in dieser Gattung, sondern nur die Form, welche die unnachlaßliche Bedingung aller Schönheit ausmacht, mithin bloß die R i c h t i g k e i t in Darstellung der Gattung. Sie [die Normalidee] ist, wie man P o l y c l e t s berühmten D o r y p h o r u s nannte, die R e g e l (eben dazu konnte auch M y r o n s Kuh in ihrer Gattung gebraucht werden). Sie [die Normalidee] kann eben darum auch nichts Specifisch-Characteristisches enthalten; denn sonst wäre sie nicht N o r m a l i d e e für die Gattung. Ihre [der Normalidee] Darstellung gefällt auch nicht durch Schönheit, sondern bloß weil sie keiner Bedingung, unter welcher allein ein Ding dieser Gattung schön seyn kann, widerspricht. Die Darstellung ist bloß schulgerecht« (235,1).

Man könnte vermuten, die Normalidee (des Menschen) sei bereits das Ideal des Schönen. Dem widerspricht Kant aber durch die Aussage, dass die Normalidee ›keinesweges das ganze U r b i l d der S c h ö n h e i t in dieser Gattung‹ sei (§ 17.E.9). Dass die Normalidee nicht das Ideal der Schönheit sein kann, ist in der Tat schon deshalb klar, weil die Normalidee das freie Spiel nicht irgendwie befördert, Vgl.: »Denn Anschauungen können zwar sinnlich seyn, aber U r t h e i l e n gehört schlechterdings nur dem Verstande (in weiterer Bedeutung genommen) zu, und ästhetisch oder sinnlich u r t h e i l e n , so fern dieses E r k e n n t n i ß eines Gegenstandes seyn soll, ist selbst alsdann ein Widerspruch, wenn Sinnlichkeit sich in das Geschäft des Verstandes einmengt und (durch ein vitium subreptionis) dem Verstande eine falsche Richtung giebt; das o b j e c t i v e Urtheil wird vielmehr immer nur durch den Verstand gefällt, und kann sofern nicht ästhetisch heißen« (EEKU: 222,27).

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sondern es vielmehr einschränkt. Stattdessen ist die Normalidee eine ›unnachlaßliche Bedingung aller Schönheit‹, d. h. die Übereinstimmung mit der Normalidee ist eine notwendige Bedingung dafür, dass die Vorstellung überhaupt schön oder gar ein Ideal des Schönen sein kann. Dies bedeutet zunächst, dass das Ideal der Schönheit auf der ersten Stufe des angewandten Geschmacksurteils mittels der Normalidee als vollkommen beurteilt werden muss, damit es auf der zweiten Stufe als schön beurteilt werden kann. Dass die Normalidee die ›unnachlaßliche Bedingung aller Schönheit‹ ist, kann dabei nicht bedeuten, dass das Ideal der Schönheit vollständig mit der Normalidee übereinstimmt. So kann die Normalidee ›nichts Specifisch-Characteristisches‹ enthalten (§ 17.E.11). Das Ideal der Schönheit scheint aber gerade etwas ›Specifisch-Characteristisches‹ zu enthalten, nämlich den »sichtbare[n] Ausdruck sittlicher Ideen« (§ 17.F.3, 235,17). 50 Vielmehr muss Kant meinen, dass das Ideal der Schönheit der Normalidee in wesentlichen Aspekten nicht widersprechen darf. Dies verdeutlicht Kant mit der Formulierung, dass die Darstellung (etwa der Kuh) ›keiner Bedingung, unter welcher allein ein Ding dieser Gattung schön seyn kann, widerspricht‹ (§ 17.E.12). Ich habe bereits früher dafür argumentiert, dass das Urteil über die Vollkommenheit auf der ersten Stufe des angewandten Geschmacksurteils primär ein Urteil darüber ist, dass der Gegentand nicht unvollkommen ist. 51 Ein Mensch wäre nach Kant dann unvollkommen, wenn ihm im Vergleich zum auf der Normalidee beruhenden Zweckbegriff ein Bestandteil fehlen würde (wenn er z. B. keine Arme hätte), wenn ein Bestandteil völlig unproportioniert wäre (wenn er z. B. über einen riesigen Kopf verfügen würde) oder wenn ein unpassender Bestandteil zugefügt worden wäre (wenn er z. B. wie ein Vogel über einen Schnabel verfügen würde). Die einzige Funktion der Normalidee für das Ideal der Schönheit ist also, einen Maßstab zu bilden, dem das Ideal nicht widersprechen darf. Sie ist eine notwendige Bedingung dafür, dass der Gegenstand bzw. das Bild überhaupt schön sein kann. 52 Vor diesem Hintergrund Darauf, dass eine Gestalt, die vollständig mit der Normalidee übereinstimmt, nicht schön sein kann, verweist insbesondere auch die Fußnote. Dort heißt es unter anderem: »Man wird finden, daß ein vollkommen regelmäßiges Gesicht, welches der Maler ihm zum Modell zu sitzen bitten möchte, gemeiniglich nichts sagt; weil es nichts Characteristisches enthält, also mehr die Idee der Gattung, als das Specifische einer Person ausdrückt« (235 Fn.). 51 Siehe hierzu Kap. 16.1.1. 52 Vgl. auch: »Denn was das Wissenschaftliche in jeder Kunst anlangt, welches auf 50

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erklärt sich, dass Kant Formulierungen nutzt wie »Normalidee des schönen Mannes« (§ 17.E.5, 234,26), »Normalidee der Schönheit der Gestalt« (§ 17.E.5, 234,29) und »N o r m a l i d e e des Schönen« (§ 17.E.11, 235,12). 53 Im Übrigen ist das Nicht-Widersprechen der Normalidee beim Urteilenden nicht mit einer Lust verbunden. Im nächsten Absatz heißt es: »An dieser [menschlichen Gestalt] nun besteht das Ideal in dem Ausdrucke des S i t t l i c h e n , ohne welches der Gegenstand nicht allgemein, und dazu positiv (nicht bloß negativ in einer schulgerechten Darstellung), gefallen würde« (§ 17.F.2, 235,14, 2. H. m. H.). Der Begriff des bloß negativen Gefallens scheint mir nicht zu bedeuten, dass man eine (positive) Lust fühlt, sondern dass man (bloß negativ) keine Unlust fühlt. Wir können zur Funktion der Normalidee das Folgende festhalten: i. Die Normalidee ist nicht selbst das Ideal der Schönheit. ii. Das Ideal der Schönheit darf der Normalidee (vom Menschen) aber nicht widersprechen.

17.3.6 Das Ideal der Schönheit besteht im Menschen als Ausdruck sittlicher Ideen Kant leitet zur finalen Bestimmung des Ideals des Schönen dadurch über, dass er noch einmal ganz explizit macht, dass die Normalidee nicht wesentlich das Ideal des Schönen ausmacht: § 17.F.1 »Von der N o r m a l i d e e des Schönen ist doch noch das I d e a l desselben unterschieden, welches man lediglich an der m e n s c h l i c h e n G e s t a l t aus schon angeführten Gründen erwarten darf« (235,12).

Wa h r h e i t in der Darstellung ihres Objects geht, so ist dieses zwar die unumgängliche Bedingung (conditio sine qua non) der schönen Kunst, aber diese nicht selber« (355,3). – Kants Ausführungen zur Normalidee lassen sich auch in Abgrenzung zu Positionen verstehen, die eine Normalidee zu Idealen der Schönheit verklären. In diesem Sinne schreibt etwa Plinius zu ›P o l y c l e t s berühmten D o r y p h o r u s ‹ : »Er schuf auch den Doryphoros, einen mannhaften Knaben, den die Künstler ›Kanon‹ (Richtschnur) nennen und an dem sie die Grundzüge ihrer Kunst wie nach einem Gesetz überprüfen. Und er gilt als der einzige Mensch, der die Kunst selbst durch ein Werk der Kunst geschaffen hat« (zit. nach Hafner 1997, 79). 53 Vgl. auch: »und dies ist die Statur für einen schönen Mann« (§ 17.E.3, 234,18) sowie »Muster eines schönen Pferdes oder Hundes (von gewisser Race)« (§ 17.E.6, 234,31).

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Worin besteht aber nun das Ideal der Schönheit? Kant gibt endlich (möchte man fast sagen) die folgende Antwort: § 17.F.2 »[a] An dieser nun besteht das Ideal in dem Ausdrucke des S i t t l i c h e n , [b] ohne welches der Gegenstand nicht allgemein, und dazu positiv (nicht bloß negativ in einer schulgerechten Darstellung), gefallen würde. § 17.D.3 [a] Der sichtbare Ausdruck sittlicher Ideen, die den Menschen innerlich beherrschen, kann zwar nur aus der Erfahrung genommen werden; [b] aber ihre Verbindung mit allem dem, was unsere Vernunft mit dem Sittlich-Guten in der Idee der höchsten Zweckmäßigkeit verknüpft, die Seelengüte, oder Reinigkeit, oder Stärke, oder Ruhe u. s. w. in körperlicher Aeußerung (als Wirkung des Innern) gleichsam sichtbar zu machen: [c] dazu gehören reine Ideen der Vernunft und große Macht der Einbildungskraft in demjenigen vereinigt, welcher sie nur beurtheilen, vielmehr noch wer sie darstellen will« (235,14).

Die Antwort auf die Frage, was denn nun das Ideal der Schönheit sei, gibt Kant in § 17.F.2a. Die Partikel ›dieser‹ muss sich auf die ›menschliche[.] Gestalt‹ aus § 17.F.1 beziehen. Zudem muss mit ›Ideal‹ das Ideal der Schönheit gemeint sein. Ferner können wir Kants Rede vom ›sichtbare[n] Ausdruck sittlicher Ideen‹ aus § 17.D3 auf § 17.D.2a übertragen. Wir erhalten: § 17.F.2aR1 An der menschlichen Gestalt besteht das Ideal des Schönen in dem sichtbaren Ausdruck sittlicher Ideen.

Ganz vereinfacht ist es damit Kants These, dass wir in der menschlichen Gestalt Sittlichkeit sehen. Wie aber ist dies überhaupt möglich? Eine erste Erklärung finden wir in § 17.D.3a: § 17.D.3a* Der sichtbare Ausdruck sittlicher Ideen, die den Menschen innerlich beherrschen, kann nur aus der Erfahrung genommen werden.

Einerseits bezieht sich das Ideal der Schönheit also auf ›sittliche[.] Ideen, die den Menschen innerlich beherrschen‹, andererseits werden diese Ideen sichtbar, d. h. sie manifestieren sich in der äußeren Gestalt des Menschen. Dem muss der folgende Gedanke zugrunde liegen: Kant geht davon aus, dass sich die innere sittliche Haltung in der Erscheinung des Menschen niederschlägt. Völlig plausibel ist dies natürlich insofern, als wir zumindest oft wahrnehmen können, dass die Kants Philosophie des Schönen

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sichtbaren Handlungen eines Menschen pflichtmäßig sind, wenngleich wir dabei nie gewiss sein können, ob sie auch aus Pflicht erfolgen. Allerdings hat Kant diesen bekannten Baustein seiner ethischen Theorie hier gar nicht im Blick. Denn seine These in § 17.D.3a bezieht sich nicht auf Handlungen, sondern auf die Gestalt des Menschen, und da er damit wohl kaum behaupten will, sittliche Ideen manifestierten sich in angeborenen körperlichen Merkmalen wie der Körpergröße, Gesichtsform usw., muss gemeint sein, dass solche Ideen in erworbenen Merkmalen wie der Körperhaltung, dem Gesichtsausdruck usw. zum leiblichen Ausdruck kommen. 54 In der Tat scheinen ja solche Eigenschaften wie ›Seelengüte‹, ›Reinigkeit‹, ›Stärke‹ und ›Ruhe‹ in hohem Maße erworben bzw. der Kultivierung bedürftig zu sein. Ferner muss Kant davon ausgehen, dass wir grundsätzlich dazu fähig sind, ein ideales Bild der äußeren Erscheinung eines moralischen Menschen auszubilden. Da dieses Bild zwar einerseits einer Idee korrespondiert – nämlich der Idee des vollkommenen moralischen Menschen –, aber andererseits zum Teil aus der Erfahrung gewonnen wird, ist es ein Ideal der Einbildungskraft. In § 17.3b gibt Kant eine etwas genauere Erklärung, wie wir ein solches Ideal ausbilden. Wir können zunächst die folgende Proposition rekonstruieren: § 17.D.3bR1 Der Urteilende macht die Verbindung der sittlichen Ideen mit allem, was unsere Vernunft mit dem Sittlich-Guten in der Idee der höchsten Zweckmäßigkeit verknüpft, die Seelengüte, oder Reinigkeit, oder Stärke, oder Ruhe usw. in körperlicher Äußerung (als Wirkung des Inneren) sichtbar.

Einige Bestandteile dieses Satzes bedürfen der genaueren Analyse. Die ›höchste[.] Zweckmäßigkeit‹ meint offenkundig die höchste objektive innere ZM, d. h. die höchste Vollkommenheit. Und die höchste Vollkommenheit ist nichts anderes als die moralische Vollkommenheit. Nun liegt eine ZM dann vor, wenn ein Mannigfaltiges zu einem Zweck zusammenstimmt, der festlegt, was ein Gegenstand sein soll. Mein Vorschlag ist, dass § 17.D.3b genau in diesem Sinne gedeutet werden muss. Die ›sittlichen Ideen‹ und das ›Sittlich-Gute[.]‹ repräsentieren den moralischen Zweck. Die Eigenschaften der ›SeelenVgl. hierzu auch Zuckert: »It is not an utterly odd suggestion, however, for we do speak (for example) of an ›honest face‹ ; likewise, a calm facial expression could be taken as caused by, and thus an expression of, serenity; perhaps an upright bearing might be seen as a visible expression of fortitude« (Zuckert 2005, 115).

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güte‹, ›Reinigkeit‹, ›Stärke‹ und ›Ruhe‹ sind einzelne Bestandteile, die durch den moralischen Zweck vorgeschrieben sind und die sich zugleich äußerlich manifestieren können. So ist es durchaus nachvollziehbar, dass sich etwa die innere Eigenschaft der (Seelen-)Ruhe, die sich als Zufriedenheit verstehen lässt, 55 in der äußeren Erscheinung eines Menschen (z. B. im Gesichtsausdruck) niederschlägt. Ähnlich verhält es sich mit der Seelenstärke, die darin besteht, denjenigen Neigungen zu widerstehen, die moralisches Handeln verhindern. 56 Um als moralisch vollkommen zu gelten, muss ein Mensch also (unter anderem) über die Eigenschaften der ›Seelengüte, Reinigkeit, Stärke und Ruhe‹ verfügen. Vor diesem Hintergrund ergibt sich die folgende Rekonstruktion: § 17.D.3bR2 Der Urteilende macht die Bestandteile der höchsten (nämlich sittlichen) Vollkommenheit, die durch den moralischen Zweck vorgeschrieben werden, in der körperlichen Äußerung (als Wirkung des Inneren) sichtbar. Zu diesen Bestandteilen gehören etwa Seelengüte, Reinigkeit, Stärke und Ruhe.

Die Pointe dieser Passage besteht dann darin, dass der Urteilende ein Urteil über die moralische Vollkommenheit eines Menschen fällt; und obwohl letztere eigentlich nicht sichtbar ist, sondern die innere Gesinnung betrifft, 57 kann der Urteilende dennoch eine Übertragung der zur moralischen Vollkommenheit erforderlichen Bestandteile auf die äußere Gestalt des Menschen wahrnehmen. Und tatsächlich scheint sich (zumindest in vielen Fällen) etwa die ›Ruhe‹ oder die ›Stärke‹ eines Menschen beispielsweise in seinem Gesichtsausdruck oder in seiner Körperhaltung widerzuspiegeln.

Vgl.: »Der denkende Mensch nämlich, wenn er über die Anreize zum Laster gesiegt hat und seine, oft sauere, Pflicht getan zu haben sich bewußt ist, findet sich in einem Zustande der Seelenruhe und Zufriedenheit, den man gar wohl Glückseligkeit nennen kann; in welchem die Tugend ihr eigener Lohn ist« (TL: 377). 56 Vgl.: »So findet sich z. B., daß man auch an bloßer K r a f t a n w e n d u n g , an dem Bewußtsein seiner Seelenstärke in Überwindung der Hindernisse, die sich unserem Vorsatze entgegensetzen, an der Kultur der Geistestalente usw. Vergnügen finden könne« (KpV: 24). 57 Vgl. etwa: »Die Kultur seines [eines Menschen] Willens bis zur reinsten Tugendgesinnung, da nämlich das G e s e t z zugleich die Triebfeder seiner pflichtmäßigen Handlungen wird, zu erheben und ihm aus Pflicht zu gehorchen, welches innere moralisch-praktische Vollkommenheit ist« (TL: 387). 55

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Es ist nun nicht Kants These, dass jeder Urteilende völlig voraussetzungslos anhand der äußeren Erscheinung eines Menschen Urteile über die moralische Vollkommenheit fällen kann. Was es vielmehr spezifisch dazu bedarf, macht Kant in § 17.D.3c deutlich: § 17.D.3c* [Um die Bestandteile der höchsten Vollkommenheit in körperlicher Äußerung sichtbar zu machen], dazu gehören reine Ideen der Vernunft und große Macht der Einbildungskraft in demjenigen vereinigt, welcher sie nur beurteilen, vielmehr noch wer sie darstellen will.

Nun mag man sich fragen, wer hier etwas ›sichtbar macht‹ und etwas ›darstellt‹ : Ist es ein Künstler, der etwa eine Skulptur eines moralisch vollkommenen Menschen erstellt, oder ein Urteilender, der einen moralisch vollkommenen Menschen anhand seines Aussehens beurteilt? Diesbezüglich müssen wir uns erstens daran erinnern, dass wir uns ja im Kontext eines Ideals bewegen, welches von Urteilenden als ein innerliches Bild hervorgebracht wird und welches gerade nicht in der Erfahrung gegeben werden kann. Zweitens ist die moralische Vollkommenheit eines Menschen nicht einfach so sichtbar, wie etwa die Tatsache sichtbar ist, dass ein Mensch lange, braune Haare hat. Ein Urteilender muss die moralische Vollkommenheit in der Gestalt eines Menschen insofern allererst sichtbar machen, als er moralische Ideen (wie etwa Güte) auf die äußere Gestalt des Menschen übertragen muss. Insgesamt ist es also primär der Urteilende, der die höchste Vollkommenheit ›sichtbar macht‹ und ›darstellt‹. Freilich kann aber auch ein Künstler danach streben, die höchste Vollkommenheit abzubilden. Kant benennt nun zwei Anforderungen an einen Urteilenden, deren es bedarf, um die moralische Vollkommenheit an einer äußeren Gestalt zu beurteilen. Erstens muss der Urteilende über ›reine Ideen der Vernunft‹ verfügen, womit freilich die zuvor benannten ›sittliche[n] Ideen‹ gemeint sind. Er muss also über einen moralischen Zweckbegriff verfügen. 58 Zweitens ist eine ›große Macht der Einbildungskraft‹ erfordert. Damit scheint einerseits gemeint zu sein, dass der Urteilende sein Vermögen der Einbildungskraft zu einem hohen Grade kultiviert haben muss. Andererseits ist aber auch gemeint, dass Es ist nicht ganz klar, ob er dabei auch den moralischen Zweck anerkennen, d. h. selbst moralische Vollkommenheit anstreben muss. Für diesen Fall wäre impliziert, dass man, um ein Ideal des Schönen auszubilden, selbst über eine moralische Gesinnung verfügen muss.

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für die Darstellung oder auch nur die Identifizierung von sittlichen Ideen in der äußeren Erscheinung eines Menschen eine große Anstrengung sowie eine hohe Aktivität der Einbildungskraft erforderlich sind. Eine solche hohe Aktivität ist wohl vor allem dafür erforderlich, dass ein Urteilender die nicht-sinnlichen Ideen in eine anschauliche Darstellung überträgt. Die beiden Anforderungen gelten insbesondere auch, wenn man die äußere Erscheinung eines sittlichen Menschen darstellen will. Wie oben erläutert, müssen wir ein Ideal der Schönheit in uns selbst (als eine Art inneres Kunstwerk) hervorbringen. Wie hängen nun das geschilderte sichtbare Ideal der moralischen Vollkommenheit und das Ideal der Schönheit zusammen? Erinnern wir uns daran, was wir zu Beginn zum Ideal der Schönheit vermutet hatten: Ein solches Ideal muss auf Seiten des urteilenden Subjekts in einer maximalen Aktivität des freien Spiels und einem maximalen Grad an Lust bestehen. Nun ist der sichtbare Ausdruck der moralischen Vollkommenheit mit einer hohen Aktivität der Einbildungskraft – nämlich einer ›große[n] Macht der Einbildungskraft‹ – verbunden. Dadurch wird freilich nicht das freie Spiel selbst gesteigert, sondern die innere Vermögensaktivität (insbesondere der Einbildungskraft) insgesamt. In diesem Sinne geht das Ideal des Schönen mit einer hohen oder vielleicht sogar maximalen Aktivität der Einbildungskraft einher. Ferner geht das geschilderte Ideal auch mit einem hohen oder vielleicht sogar maximalen Grad der Lust einher. So heißt es in § 17.F.2b: § 17.F.2b* Ohne das Sittliche würde der Gegenstand nicht allgemein, und dazu positiv (nicht bloß negativ in einer schulgerechten Darstellung), gefallen.

Während ein bloß negatives Gefallen als Abwesenheit von Unlust zu verstehen ist, steht ein positives Gefallen für ein wirkliches Gefühl der Lust. Zudem ist es naheliegend, dass der Urteilende diese Lust aufgrund des Sittlichen fühlt – oder genauer aufgrund der sittlichen Vollkommenheit: § 17.F.2bR1 Aufgrund des Sittlichen gefällt die menschliche Gestalt allgemein und positiv, d. h. sie ist mit einer allgemeingültigen Lust am Guten verbunden.

Man könnte vermuten, Kant verweise mit dem positiven Gefallen auf das Gefühl der Achtung. Dagegen sprechen jedoch zwei Gründe. Erstens ist die Achtung kein einfaches positives Gefallen, d. h. keine einKants Philosophie des Schönen

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fache Lust, sondern ein Doppelgefühl aus Unlust (Demütigung) und Lust. Zweitens kann die Lust am Schönen nur mit anderen einfachen Formen der Lust vermischt werden, nicht aber mit Doppelgefühlen aus Unlust und Lust. 59 Nun haben wir bei der Analyse von § 16 gesehen, dass die Lust am Schönen in angewandten Geschmacksurteilen mit der Liebe des Wohlgefallens vermischt werden kann. 60 Tatsächlich ist die Liebe des Wohlgefallens nichts anderes als eine »Lust an der Vollkommenheit anderer Menschen« (TL: 449, m. H.). Die Besonderheit im Kontext von angewandten Geschmacksurteilen besteht nur darin, dass diese Lust an der äußeren Gestalt eines Menschen gefühlt wird. Insgesamt werden bei einem Urteil über das Ideal des Schönen zwei Formen der Lust vermischt, nämlich die Liebe des Wohlgefallens an der moralischen Vollkommenheit des Menschen und die Lust am Schönen. Es liegt damit der früher geschilderte Sonderfall von angewandten Geschmacksurteilen vor, bei dem auf der ersten Stufe ein praktisches Urteil über die (moralische) Vollkommenheit gefällt wird. Auf die Vermischung der beiden Formen von Lust weist Kant selbst im abschließenden Satz § 17.F.4 hin: § 17.F.4 »[a] Die Richtigkeit eines solchen Ideals der Schönheit beweiset sich darin: [b] daß es keinem Sinnenreiz sich in das Wohlgefallen an seinem Objecte zu mischen erlaubt, und dennoch ein großes Interesse daran nehmen läßt; [c] welches dann beweiset, daß die Beurtheilung nach einem solchen Maaßstabe niemals rein ästhetisch seyn könne, und die Beurtheilung nach einem Ideale der Schönheit kein bloßes Urtheil des Geschmacks sey« (235,25 f.).

Die Lust an der moralischen Vollkommenheit des Menschen, d. h. die Liebe des Wohlgefallens, ist also eine Form des Interesses. 61 Sie ist aber freilich kein Interesse am Angenehmen, das auf einem ›Sinnenreiz‹ beruht. Ferner lässt sich am Ideal der Schönheit ›ein großes Interesse…nehmen‹. Wir haben oben vermutet, dass ein Ideal der Siehe hierzu Kap. 14.6. Siehe Kap. 16.2. 61 Dies ergibt schon insofern Sinn, als uns die Lust an der moralischen Vollkommenheit vermutlich dazu antreibt, unsere eigene Vollkommenheit anzustreben. Dass wir am Ideal des Schönen ein Interesse ›nehmen‹, stimmt damit überein, dass wir im moralischen Kontext »ein Interesse nehmen, ohne […] aus Interesse zu handeln« (GMS: 413 Fn.). 59 60

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Schönheit auf Seiten des Subjekts durch ein Maximum der Lust (am Schönen) gekennzeichnet ist. Nun liegt beim Menschen als Ideal der Schönheit eine Vermischung eines ›großen Interesse[s]‹ an der moralischen Vollkommenheit mit einer Lust am Schönen vor. Damit liegt zwar kein Maximum der reinen Lust am Schönen, jedoch ein hoher (und möglicherweise maximaler) Grad einer unreinen, d. h. vermischten Lust am Schönen vor, die insbesondere frei von aller Lust am Angenehmen ist. 62 Diesem hohen oder vielleicht sogar maximalen Grad an Lust korrespondiert die hohe oder vielleicht sogar maximale Aktivität der Einbildungskraft. Damit hat sich unsere anfängliche Vermutung bestätigt: Das Ideal der Schönheit ist auf Seiten des urteilenden Subjekts durch ein Maximum einer inneren Aktivität der Einbildungskraft sowie ein Maximum der Lust gekennzeichnet. Dabei ist natürlich immer vorausgesetzt, dass das urteilende Subjekt auch eine Lust am Schönen und nicht nur eine Liebe des Wohlgefallens fühlt, d. h. dass es in einen Zustand des freien Spiels eintritt. 63 Kant schreibt in § 17.F4: ›Die Richtigkeit eines solchen Ideals der Schönheit beweiset sich darin: daß es keinen Sinnenreiz sich in das Wohlgefallen an seinem Objecte zu mischen erlaubt, und dennoch ein großes Interesse daran nehmen läßt‹. Ich deute diese Aussage so, dass ein Urteilender, der in sich ein Ideal der Schönheit ausgebildet hat, die Richtigkeit dieses Ideals dadurch prüfen kann, ob er daran nur ein Interesse am Guten und eine Lust am Schönen, keinesfalls aber eine Lust am Angenehmen fühlt (›Sinnenreiz‹). Würde der Urteilende eine Lust am Angenehmen fühlen, so hätte er gegebenenfalls ein Ideal des Angenehmen, jedoch kein Ideal der Schönheit ausgebildet. Insgesamt hat Kant das folgende Ergebnis bezüglich des Ideals der Schönheit erzielt: i. Das Ideal der Schönheit besteht in einer menschlichen Gestalt, in der sich erstens die moralische Vollkommenheit des Menschen sichtbar manifestiert, die zweitens der Normalidee des Menschen nicht widerspricht und die drittens die Einbildungskraft zum Spielen anregt, d. h. schön ist.

Es ist durchaus denkbar, dass es im Bereich des Angenehmen stärkere Gefühle der Lust gibt, etwa sexuelle Lust. 63 Dazu ist, wie oben betont, vorausgesetzt, dass die Normalidee des Menschen die Aktivität der Einbildungskraft nicht zu sehr einschränkt. 62

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ii.

Auf Seiten des urteilenden Subjekts ist das Ideal der Schönheit durch eine hohe bzw. maximale Aktivität der Einbildungskraft (große Anstrengung beim Auffassen und Darstellen des sichtbaren Ausdrucks sittlicher Ideen und freies Spielen mit Formen) sowie eine maximale Lust, die keine Lust am Angenehmen ist, gekennzeichnet.

17.4 Zusammenfassung Kant hat erläutert, dass es zwar keine objektive Geschmacksregel gibt, aber Muster des Geschmacks, d. h. Gegenstände, die zeit- und kulturabhängig von allen bzw. den allermeisten Menschen als schön beurteilt werden. Ferner gibt es – zumindest im Bereich der angewandten Geschmacksurteile – ein höchstes Muster bzw. Ideal des Schönen. Ein solches ist im Subjekt durch ein Maximum der Beurteilungsaktivität und der Lust gekennzeichnet. Da es keine objektive Geschmacksregel gibt, ist aber nicht klar, was auf Seiten des Objekts maximiert werden muss, damit ein Maximum der Lust am Schönen vorliegt. Ein allgemeines Ideal der Schönheit würde, so geht aus der kantischen Argumentation implizit hervor, nur auf einem abstrakten Maximum beruhen und muss daher letztlich scheitern. Allerdings gibt es im Rahmen von anhängenden Schönheiten objektive Regeln, wenngleich diese Regeln die Vollkommenheit betreffen. Ein höchstes Ideal der Vollkommenheit kann es nur geben, wenn die Regel, d. h. der Zweck, a priori gewonnen wird und dadurch eine vollständige Fixierung des Gegenstandes vorliegt. Zudem ist nur bei einer Fixierung durch einen Zweck a priori gleichzeitig ein freies Spiel der Erkenntniskräfte möglich. Der einzige Zweck a priori ist der moralische Zweck, sodass nur der Mensch (aufgrund seines Status als Vernunftwesen) eines höchsten Ideals der Vollkommenheit und eines Ideals der Schönheit fähig ist. Eine menschliche Gestalt, die als Ideal der Schönheit gelten soll, muss zwei Bedingungen erfüllen: Erstens darf sie der Normalidee des Menschen nicht widersprechen. Zweitens müssen sich in der menschlichen Gestalt sittliche Ideen manifestieren, sodass sie eine sichtbare Manifestation der höchsten Vollkommenheit ist. Eine solche menschliche Gestalt ist im urteilenden Subjekt mit einer hohen (oder maximalen) Aktivität der Einbildungskraft sowie einer hohen (oder maximalen) Lust verbunden, die keine Lust

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Literaturbericht

am Angenehmen ist. In diesem Sinne qualifiziert sie sich als Ideal des Schönen.

17.5 Literaturbericht In der Sekundärliteratur wird § 17 nur selten intensiv diskutiert. 64 So behandeln Allison (2001), Crawford (1974), Crowther (2010), Guyer (1979), Kern (2000), McCloskey (1987) und Savile (1993) § 17 entweder gar nicht oder gehen kaum auf ihn ein. So kommt es, dass in der Sekundärliteratur auf viele Fragen, die sich in Bezug auf § 17 stellen, keine Antworten angeboten werden. Es wird etwa nicht gefragt, wodurch sich das Ideal der Schönheit auf Seiten des Subjekts konstituiert. Einzig bei Zammito findet sich eine Anmerkung, die im weitesten Sinne darauf hindeutet: »Thus the ›ideal of beauty‹ as the ›highest model‹ would be the implicit schema to which judgment compares any singular instance to discern whether it is beautiful or not. Phenomenologically that comparison is via pleasure, transcendentally it is via harmony of the faculties, empirically it is the implicit unity in all the previous instances in which beauty has been discerned« (Zammito 1992, 128). Daraus geht aber freilich nicht hervor, ob eine maximale Lust oder ähnliches vorliegen muss. Auch dazu, was ein Ideal der Einbildungskraft ist, wird wenig gesagt. Bisweilen findet sich nur eine knappe Bemerkung dazu, warum das Ideal des Schönen ein Ideal der Einbildungskraft ist. So schreibt Makkreel: »Tatsächlich wird das Ideal der Schönheit als ein ›Ideal der Einbildungskraft‹ identifiziert, weil es sich auf eine individuelle Darstellung und nicht auf Begriffe gründet« (Makkreel 1997, 150). Rivera de Rosales führt aus: »Wir haben nur einzelne Geschmacksprodukte vor uns, schöne Dinge, die als exemplarisch dienen könnten. Also wird das Ideal der Schönheit nicht eines der Vernunft, sondern der Einbildungskraft sein« (Rivera de Rosales 2008, 91). Und Zammito schreibt: »Beauty has to do with that which precedes conceptualization, i. e., that singular instance which incites imagination to playful reconfiguration. In that sense, beauty resides only in ›what cannot be represented by concepts but only in an individual presentation […].‹ The ›faculty of presentation‹ is imagination. Hence beauty can only be an ideal of imagination« (Zammito 1992, 127). Wir haben gesehen, dass die Konzeption eines allgemeinen Ideals der Schönheit scheitert. Auch dies wird in der Sekundärliteratur meist nicht registriert. Einzig Rivera de Rosales führt aus: »die freie oder ›vage‹ […] Schönheit kennt kein Ideal, da darin kein Begriff zu finden ist, der uns sagen In diesem Sinne spricht Zuckert von »Kant’s much maligned and ignored treatment of human beauty in paragraph 17 of the Critique of Judgment« (Zuckert 2005, 108).

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§ 17 Das (menschliche) Ideal der Schönheit

könnte, wie die Sache am vollkommensten sei« (Rivera de Rosales 2008, 91). Da meist nicht das Scheitern des allgemeinen Ideals der Schönheit thematisiert wird, ist es auch nicht verwunderlich, dass sich nichts dazu findet, warum es nur im Rahmen von anhängenden Schönheiten ein Ideal der Schönheit geben kann. Einzig Kulenkampff erläutert dazu: »Das Geschmacksurteil richtet sich nicht nach einer Definition der Schönheit, in der allgemeine objektbezogene Kriterien für ihr Vorliegen oder auch für ihr Maß enthalten wären. Andererseits gibt es den Fall, daß in Urteilen über die anhängende Schönheit doch irgendwie auf Maßvorschriften und Kriterien Bezug genommen wird […]; deshalb handelt es sich in diesem Fall um kein ganz reines Geschmacksurteil« (Kulenkampff 1994, 154). In keinem der untersuchten Werke der Sekundärliteratur wird beachtet, dass das Ideal der Schönheit auf einem apriorischen Zweckbegriff beruht. Nach meiner Deutung ist aber gerade dies der zentrale Schritt in Kants Argumentation. Etwas mehr Beachtung kommt Kants Konzeption der Normalidee zu. Kurz und prägnant wird diese von Savile als »physiological typicality« charakterisiert (Savile 1993, 116). Und Zuckert spricht von einem »prototypical ›look‹ of a ›normal‹ human being« (Zuckert 2005, 115). 65 Wenzel erläutert: »A ›normal idea‹ is also an empirical object, but as we shall see it is more abstract and in a certain sense less than an ideal« (Wenzel 2008, 73). Ferner erläutert er, dass die Normalidee als Grundlage für Regeln dienen kann: »Once a normal idea has been established, the rules for judging a horse or a human being, say, can then be derived from this normal idea« (Wenzel 2008, 73). Rivera de Rosales scheint irritierenderweise nahelegen zu wollen, dass die Normalidee gerade nicht oder wenigstens nicht vollständig empirisch sein kann: »Durch den Vergleich der Individuen bildet sich die Einbildungskraft die Gestalt des schönsten Menschen, welche bei verschiedenen Rassen verschieden sein solle, so wie die schönsten Gestalten unter den Tierarten. Diese Normalidee wird aber eigentlich nicht aus der Erfahrung abgeleitet, weil kein Individuum ihr ganz angemessen sein kann, sondern ist ein Kriterium zur Geschmacksbeurteilung« (Rivera de Rosales 2008, 92). Makkreel, der Kants Konzeption der Normalidee ausführlich diskutiert (vgl. Makkreel 1997, 146–156), arbeitet heraus, dass diese »weder rein empirisch noch rein a priori« sei (Makkreel 1997, 147). Die (ästhetische) Normalidee füge nämlich »ein Moment a priori hinzu, indem sie die Zweckmäßigkeit der Gattung projiziert« (Makkreel 1997, 147). Sie sei zudem »in zwei Hinsichten unbestimmt […]: (1) sie ist nicht gänzlich durch die Erfahrung (oder, was das angeht, durch irgendeinen Begriff) bestimmt, und Interessanterweise stellt Zuckert eine spekulative Verknüpfung zwischen der Normalidee des Menschen und der Moral her: »the ›standardly‹ beautiful person may symbolically represent the realization of the human moral vocation, a vocation that holds for all, and that comprises taking a ›universal point of view‹« (Zuckert 2005, 124).

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Literaturbericht

(2) die Idee schreibt selbst keine irgendwie bestimmten Regeln vor« (Makkreel 1997, 149). Makkreel deutet zudem an, dass die Normalidee je nach Erfahrungsschatz der Urteilenden variieren kann (vgl. Makkreel 1997, 51). Dies betont auch Kulenkampff: »Die Normalidee ist im Grunde nichts anderes als die empirische Durchschnittsgestalt (für bestimmte Arten und Gattungen) in der Erwartung der einzelnen Subjekte. Sie ist keine absolut fixe Größe, sondern differiert je nach Grundgesamtheit der Exemplare, auf der sie beruht, d. h. nach dem Erfahrungsrahmen« (Kulenkampff 1994, 152 f.; vgl. ähnlich Zuckert 2005, 120). Zur Rolle der Normalidee für die Schönheit erläutert er: »die Erfüllung der Normalidee [macht] noch nicht die Schönheit eines Einzelnen aus[.]«, sondern »der schöne Gegenstand [darf] nicht gravierend von der Normalidee seiner Gattung abweichen« (Kulenkampff 1994, 153). Zammito versteht die Normalidee in Analogie zum Schema, sieht aber den folgenden Unterschied: »The difference between this schema and one which serves determinant judgment is that the latter is constituted and fixed by the understanding, whereas the one which serves the reflective aesthetic judgment is indefinite« (Zammito 1992, 127). Zur Rolle für das Ideal der Schönheit erläutert er: »The ›aesthetic normal idea,‹ an ›individual intuition (of the imagination),‹ would appear to be the aesthetic side of the complex, while the ›rational idea‹ would encompass the ›perfection‹ involved in a complex (›dependent‹) case of beauty« (Zammito 1992, 126 f.). Wie wird schließlich das endgültige Ideal der Schönheit als Zusammenwirken von moralischer Vollkommenheit und Schönheit gedeutet? Erstaunlicherweise finden sich dazu in den meisten Übersichtswerken kaum Erläuterungen. Oft werden nur sehr allgemeine und knappe Anmerkungen dazu vorgebracht. So schreibt etwa Makkreel: »Nur im Fall menschlicher Schönheit hat Vollkommenheit eine ästhetische Wichtigkeit« (Makkreel 1997, 152). Guyer zitiert die entsprechende Stelle des kantischen Textes und konstatiert: »Because it can please universally, the human figure becomes the ideal of taste« (Guyer 1979, 254). Und Rivera de Rosales fasst zusammen: »Dieses [intellektuelle Element] sind die vernünftigen Zwecke der Menschheit, die sich in dieser ästhetischen Gestalt des Menschen am trefflichsten offenbaren« (Rivera de Rosales 2008, 92). Savile umschreibt den folgenden Zusammenhang zwischen der Normalidee des Menschen und seiner moralischen Vollkommenheit: »he [Kant] identifies the ›perfect‹ man of a certain race or culture as the typical man, a kind of physiological mean for a given culture, and his thought seems to be that only insofar as an individual approximates to this mean is there any real chance of our finding him able to embody or express the idea of human dignity (or morality), which is what the particular beneficial pleasure that he offers is grounded in for that particular case« (Savile 1993, 115). Problematisch ist an dieser Umschreibung freilich, dass nicht klar wird, warum dann ein Ideal der Schönheit vorliegt. Dieses Problem benennt auch Kulenkampff. Er unterKants Philosophie des Schönen

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§ 17 Das (menschliche) Ideal der Schönheit

stellt Kant zunächst das folgende Verfahren: »Die implizite Umdeutung besagt nun: ideale Schönheit ist die Erscheinung eines Wesens, in dessen Begriff die Idee eines idealen Zustands oder eines Zustands seiner Vollkommenheit gegeben ist und das sich im Zustand dieser Vollkommenheit befindet. Ideale Schönheit wird als Ausdruck der Vollkommenheit verstanden. Aus dem idealen Bild ist ein Bild des Ideals oder aus der nur als ideales Bild denkbaren vollkommenen Realisation des Gattungsbegriffs in einem Exemplar das Bild eines Exemplars im Zustand der Vollkommenheit geworden« (Kulenkampff 1994, 156). In der Folge benennt er dann als Problem: »Wenn ideale Schönheit im Ausdruck des Sittlichen in der menschlichen Gestalt besteht, so ist zwar (durch den Rekurs auf Moralität) ein bestimmter präskriptiver Sinn gegeben, aber gerade nicht geklärt, was ideale Schönheit als Schönheit ist« (Kulenkampff 1994, 157). Wenzel deutet die Verbindung zwischen Moralität und Schönheit im Sinne einer Analogie: »Kant here points out a parallel between aesthetic reflection and rational reflection (in this case a moral reflection about ends), and in this way singles out the human being. As in moral reflection we are at the same time the subject and the object of our thoughts, similarly, in aesthetic reflection, the object judged and the judging subject should also be the same. And since only human beings are capable of moral reflection, so only the human body will qualify as the object of an analogous aesthetic reflection. [Absatz] We have to aesthetically judge a human body by identifying ourselves with it and at the same time by identifying ourselves with the idea of humanity that we see shining through this body. This is the only way something can be an ideal of beauty, because of the requirement Kant imposes on it in analogy to moral reflection about one’s own ends« (Wenzel 2008, 74). Aber auch hier scheint mir unklar zu bleiben, warum ein Ideal der Schönheit und nicht bloß ein Ideal der moralischen Vollkommenheit, das eine gewisse Analogie zur Schönheit aufweist, vorliegt. In Gammons Deutung dient die Schönheit der Vollkommenheit und vergrößert diese: »the ideal of beauty emerges as a pulchritudo adhaerens or secondary representation [Nebenvorstellung] which augments the object of moral perfection to its maximal dimensions. The presentation of this maximum is proffered through the extensive vivacity [Belebung] of the aesthetic Nebenvorstellungen which arise through the subjective estimation of the object« (Gammon 1999, 165 f.). Letztlich krankt aber auch diese Deutung daran, dass nicht deutlich wird, warum ein Ideal der Schönheit und nicht ein (durch Schönheit belebtes) Ideal der Vollkommenheit vorliegt. Zuckert betont, dass durch den moralischen Zweck ein positives Wohlgefallen hinzugefügt wird, denn Moralität sei »the highest, final purpose of human beings, and renders the agent worthy of positive esteem required from all, universally« (Zuckert 2005, 115). Ferner problematisiert Zuckert, die Verknüpfung von Moral und Ideal der Schönheit. Sie schreibt: »Kant’s account is, however, not persuasive as an account of the sole standard – nor as the ›maximum‹ – of human beauty«; und sie

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Literaturbericht

ergänzt: »Nor is an expression of moral virtue necessary for beauty, much less the ground of ›maximal‹ beauty. An expression of moral virtue is not sufficient to transform the composites into great beauties, and beauty seems perfectly compatible with (some) morally questionable expressions, e. g. of vanity, arrogance, or contempt« (Zuckert 2005, 118 f.). Als Konsequenz präsentiert sie den folgenden Vorschlag: »Reading Kant’s ideal not as a maximum or uniquely standard-setting, but simply as one, fixed form of human beauty« (Zuckert 2005, 120).

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Grundlagen 4: Das schöne Objekt

Die Analytik des Schönen ist in vielerlei Hinsicht eigentlich eine Analyse der Lust am Schönen. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass das schöne Objekt als Objekt in den Hintergrund rückt. Es wird ja durch das Prädikat »ist schön« weder direkt eine Eigenschaft des Objekts (begrifflich) erfasst, noch beruht die Lust am Schönen auf einer begrifflich erfassbaren Eigenschaft des Objekts, und schließlich gibt es keine objektive Geschmacksregel, durch die festgelegt würde, welche objektiven Eigenschaften schön sind bzw. eine Lust am Schönen bewirken. 1 All dies führt zu der folgenden Diagnose: Wenn der Schönheit irgendetwas am Objekt korrespondiert, dann lässt sich dieses Etwas nicht begrifflich bestimmen. Muss diese Diagnose aber zur Folge haben, dass wir angesichts des schönen Objekts gewissermaßen sprachlos sind? Unsere Untersuchungen der §§ 10–16 sollten deutlich machen, dass man in gewisser Hinsicht sehr wohl einiges zum schönen Objekt sagen kann: Das schöne Objekt ist subjektiv zweckmäßig, d. h. zweckmäßig für die menschlichen Erkenntnisvermögen (§ 11); es ist die Form des schönen Objekts, die subjektiv zweckmäßig und somit relevant für die Schönheit ist (§ 13; Formthese FMT); es sind nicht isolierte Empfindungen (§§ 13–14) und nicht die Vollkommenheit des Objekts, die relevant für die (reine) Schönheit sind (§§ 15–16). Können wir damit nicht aber doch einiges zum schönen Objekt sagen? Können wir nicht wenigstens den Bereich der Gegenstände eingrenzen, die potenziell schön sein können? Ich möchte voranschicken, dass ich in diesem Kapitel einen etwas ungenauen Gebrauch vom Begriff »Gegenstand« mache. Wenn ich vom schönen Gegenstand spreche, so ist damit nicht zwangsläufig ein begrifflich erfasstes und durch Kategorien strukturiertes Objekt gemeint. Wie früher betont, ist für ein Geschmacksurteil kein auf

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Siehe hierzu die Analyse der Begriffslosigkeitsthese in Kap. 6.1.2.

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Unwesentliche Eigenschaften in Bezug auf Schönheit

diese Weise konstituiertes Objekt notwendig. 2 Vielmehr beruht Schönheit bloß auf der Form. Wenn ich also im Folgenden vom schönen Gegenstand bzw. Objekt spreche, so ist damit primär die schöne Form gemeint.

G4.1 Unwesentliche Eigenschaften in Bezug auf Schönheit In den §§ 13–16 hat Kant dargelegt, welche Eigenschaften eines Objekts für dessen (reine) Schönheit nicht wesentlich sind. Erstens sind dies isolierte Reize bzw. Empfindungen. Dies bedeutet zweierlei: Zum einen kann ein Objekt nicht aufgrund einer spezifischen isolierten Empfindung als schön gelten (bspw. kann ein Gemälde nicht bloß aufgrund eines verwendeten Blautons als schön gelten); denn bloße Farben und bloße Töne verdienen »nur angenehm genannt zu werden« (§ 14.C.2, 224,12). 3 Zum anderen kann die Komposition bzw. das Zusammenwirken von Empfindungen (Farben oder Töne spezifischer Instrumente) zwar insofern zur Schönheit beitragen, als dadurch ein Beitrag zur Auffassung der Form geleistet wird; aber ein schönes Objekt muss nicht notwendigerweise über eine Komposition von Farben oder Tönen spezifischer Instrumente verfügen. So schreibt Kant: »Der R e i z der Farben, oder angenehmer Töne des Instruments, kann hinzukommen, aber die Z e i c h n u n g in der ersten [Gestalt] und die Composition in dem letzten [Spiel] machen den eigentlichen Gegenstand des reinen Geschmacksurtheils aus« (§ 14.H.2, 225,29). 4 Freilich setzt in Kants eigener Theorie eine Form immer Empfindungen als Materie voraus, die das Subjekt dann allererst zur Form zusammensetzt; jedoch besteht die Möglichkeit zur nachträglichen Abstraktion von diesen Empfindungen, sodass nur noch die Zeichnung und die Komposition übrig bleiben. 5 In den §§ 15–16 haben wir ferner erfahren, dass für die Schönheit eines Gegenstandes nicht wesentlich ist, ob er vollkommen ist. Zwar ist die Vollkommenheit bzw. Nicht-Unvollkommenheit eines Gegenstandes in angewandten Geschmacksurteilen insofern relevant, Siehe Kap. 1.2.3. Ich blende hier die Möglichkeit aus, dass reine Farben und Töne auf Grundlage der Wellentheorie Eulers gegebenenfalls schön sein können. Siehe hierzu Kap. 14.3. 4 Für eine Analyse dieses Satzes siehe Kap. 14.4. 5 Siehe hierzu erneut Kap. 14.4. 2 3

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Grundlagen 4: Das schöne Objekt

als sie eine notwendige Bedingung dafür ist, dass ein Gegenstand schön sein kann. Aber zum einen ist selbst im Fall der anhängenden Schönheit die Vollkommenheit des Gegenstandes nicht hinreichend für seine Schönheit. Zum anderen kann man selbst bei anhängenden Schönheiten, die man eigentlich in angewandten Geschmacksurteilen beurteilen würde, vom Zweckbegriff abstrahieren und ihre Schönheit somit ohne Rücksicht auf ihre Vollkommenheit beurteilen. 6 Die Vollkommenheit bzw. Nicht-Unvollkommenheit eines Gegenstandes ist also weder eine hinreichende noch eine notwendige Bedingung für Schönheit; sie ist somit keine wesentliche Eigenschaft eines schönen Gegenstandes. Wir können noch eine dritte Art von Eigenschaften identifizieren, die nicht wesentlich für Schönheit sind. Kant betont mehrfach, dass es »keine objective Geschmacksregel, welche durch Begriffe bestimmte, was schön sey, geben [kann]« (§ 17.A.1, 231,27). Daraus erhellt, dass keine begrifflich erfassbare Eigenschaft eines Objekts (wie etwa die Eigenschaft, symmetrisch zu sein) hinreichend für die Schönheit des Objekts sein kann. Damit sind wir nun beim vielleicht heikelsten Punkt von Kants (mehr oder weniger impliziten) Theorie des schönen Objekts, nämlich der Rolle der begrifflichen Erfassbarkeit des Gegenstandes bzw. von Eigenschaften des Gegenstandes. Begrifflich erfassbare Eigenschaften können insofern keinen Beitrag zur Schönheit leisten, als das urteilende Subjekt sie auch wirklich begrifflich erfasst; denn dadurch würde der ästhetische Status des Geschmacksurteils gefährdet. So ist ein ästhetisches Urteil dadurch charakterisiert, dass sein »Bestimmungsgrund […] n i c h t a n d e r s a l s s u b j e c t i v seyn kann« (§ 1.A.2, 203,14). 7 Damit scheint Kant einen auch nur partiell objektiven Bestimmungsgrund auszuschließen. Ein solcher mindestens partiell objektiver Bestimmungsgrund würde aber vorliegen, wenn eine vom urteilenden Subjekt begrifflich erfasste Eigenschaft notwendig für die Konstituierung der Schönheit bzw. des Geschmacksurteils wäre; denn dann könnte das Geschmacksurteil partiell durch Rekurs auf das Objekt gerechtfertigt werden. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, dass begrifflich erfassbare Eigenschaften, insofern sie nicht vom urteilenden Subjekt begrifflich erfasst werden, doch eine Rolle spielen können. Tatsächlich ist es geZur Möglichkeit der Abstraktion von Zweckbegriffen vgl. § 16.H.1, 231,11. Siehe auch die Analyse dieser Passage in Kap. 16.4. 7 Siehe hierzu Kap. 1.3. 6

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Wesentliche, aber unbestimmte Eigenschaften in Bezug auf Schönheit

rade die Tatsache, dass ein Gegenstand begrifflich erfassbar ist, die ganz zentral und wesentlich für die Schönheit ist. Ich werde diesen letzten Punkt in der Folge genauer erläutern. Führen wir uns zunächst aber noch einmal alle Elemente vor Augen, die nicht wesentlich für die Schönheit eines Gegenstandes sind: i. Einzelne, isolierte Empfindungen (bspw. einzelne Töne oder Farben) sind nicht wesentlich für Schönheit. ii. Ein Zusammenwirken von Farben oder Tönen spezifischer Instrumente ist zwar nicht notwendig und somit nicht wesentlich für Schönheit, kann aber relevant für die Form und somit (indirekt) relevant für die Schönheit sein. iii. Die Vollkommenheit bzw. Nicht-Unvollkommenheit eines Gegenstandes ist weder notwendig noch hinreichend und somit nicht wesentlich für seine Schönheit. iv. Begrifflich erfassbare Eigenschaften eines Gegenstandes sind, wenn sie vom urteilenden Subjekt begrifflich erfasst werden, nicht wesentlich für die Schönheit des Gegenstandes.

G4.2 Wesentliche, aber unbestimmte Eigenschaften in Bezug auf Schönheit Von den verschiedenen Thesen, die Kant in der Analytik entfaltet, ist einzig die Formthese FMT ausschließlich auf den schönen Gegenstand bezogen. 8 Alle anderen Thesen haben ihren Fokus entweder ganz auf dem urteilenden Subjekt bzw. seinem Gefühl der Lust oder aber auf der Beziehung des schönen Objekts zum urteilenden Subjekt. Nun besagt FMT in positiver Hinsicht, dass die Schönheit auf Seiten des Gegenstandes auf der Form beruht; in negativer Hinsicht ist damit verbunden, dass Schönheit nicht auf einer isolierten Empfindung und nicht auf einer begrifflich erfassten Eigenschaft des Objekts beruht. Hilft uns dies aber in irgendeiner Form weiter, um das schöne Objekt genauer zu bestimmen? – Nicht viel, möchte man sagen; denn über eine Form verfügt in gewisser Hinsicht jeder Gegenstand bzw. jedes durch die Einbildungskraft apprehendierte Mannigfaltige. Das einzige, was wir durch FMT vom Bereich des Schönen ausschließen können, ist ein ungeordnetes Mannigfaltiges an Empfindungen. Die entscheidende Frage bleibt aber weiterhin, wodurch sich eine schöne 8

Für eine Analyse der Formthese siehe Kap. 13.5.

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Grundlagen 4: Das schöne Objekt

Form auszeichnet – und auf diese Frage gibt FMT keine Antwort. Bleibt uns damit Kants Theorie insgesamt eine Antwort auf diese Frage schuldig? Ich werde zeigen, dass wir zwar keine abschließende Antwort auf die Frage nach der schönen Form geben, uns einer solchen Antwort aber wenigstens annähern können. Dazu müssen wir zwei weitere Theoriebausteine einbeziehen, nämlich die subjektive ZM und das freie Spiel der Erkenntniskräfte. Mit dem Theoriebaustein der subjektiven ZM hat Kant die Relation zwischen dem schönen Gegenstand und dem urteilenden Subjekt bestimmt. Eine subjektive ZM, so haben wir gesehen, liegt dann vor, wenn ein Gegenstand zweckmäßig für die Erkenntniskräfte des Menschen, d. h. für die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, ist. 9 Grob gefasst bedeutet dies, dass ein Gegenstand dann subjektiv zweckmäßig ist, wenn er erkennbar ist. Die Form eines schönen Gegenstandes muss also erkennbar sein; und eine Form ist erkennbar, wenn sie begrifflich erfasst werden kann. Dieses Ergebnis können wir mit Rückgriff auf die Anwendung des Prinzips a priori der Urteilskraft im freien Spiel der Erkenntniskräfte bestätigen. Im freien Spiel nimmt der Verstand eine andauernde Überprüfungsaktivität anhand der Objektseite und der Subjektseite des Prinzips a priori vor. 10 In diesem Sinne überprüft der Verstand anhand der Objektseite des Prinzips, ob die aufgefassten Formen zweckmäßig für seine Tätigkeit sind, Begriffe aufzufinden; und wenn es wirklich zu einem freien Spiel kommt, dann kommt der Verstand stets zu einem positiven Ergebnis. 11 Die Form eines schönen Gegenstandes muss daher dadurch ausgezeichnet sein, dass der Verstand einen Begriff für sie auffinden kann; sie muss begrifflich erfassbar und erkennbar sein. Wenngleich diese Bestimmung der schönen Form noch äußerst vage ist, so sind wir dadurch doch ein gutes Stück weiter gekommen. Wir können nämlich nun fragen, unter welchen Bedingungen eine Form begrifflich erfassbar ist. Und tatsächlich gibt Kant eine Antwort auf diese Frage:

Siehe hierzu die Ausführungen zu Arten der ZM in Kap. 10.1.3. Siehe Kap. G3.3. 11 Fällt die Überprüfungsaktivität negativ aus, so muss dies allerdings nicht zwangsläufig am Gegenstand liegen. Es könnte auch eine Art Fehlfunktion der Einbildungskraft vorliegen, die dazu führt, dass die Einbildungskraft keine für den Verstand zweckmäßigen Formen apprehendiert. 9

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Wesentliche, aber unbestimmte Eigenschaften in Bezug auf Schönheit

»Die Regelmäßigkeit, die zum Begriffe von einem Gegenstande führt, ist zwar die unentbehrliche Bedingung (conditio sine qua non), den Gegenstand in eine einzige Vorstellung zu fassen und das Mannigfaltige in der Form desselben zu bestimmen« (242,10).

Demnach muss ein Gegenstand über eine gewisse Regelmäßigkeit verfügen, damit das urteilende Subjekt ›das Mannigfaltige in der Form desselben [Gegenstandes]…bestimmen‹, d. h. die Form begrifflich erfassen kann. Eine schöne Form müsste also über eine gewisse Regelmäßigkeit verfügen. 12 Problematischerweise schreibt Kant im Anschluss an das obige Zitat, dass »[d]iese Bestimmung«, d. h. die (begriffliche) Bestimmung des Mannigfaltigen in der Form des Gegenstandes, »ein Zweck in Ansehung der Erkenntniß« sei (242,13). Beim Schönen liege aber keine solche begriffliche Bestimmung vor. 13 Will Kant damit aber nicht verdeutlichen, dass beim schönen Gegenstand gerade keine Regelmäßigkeit vorliegen sollte? Dagegen spricht, dass es nicht die begriffliche Bestimmbarkeit ist, sondern die begriffliche Bestimmung des Gegenstandes, die Kant vom Schönen abgrenzt. Damit ist bloß ausgesagt, dass sich Schönheit nicht durch die begriffliche Erfassung des Gegenstandes konstituiert. Zudem schreibt Kant kurz darauf: »Aber wo nur ein freyes Spiel der Vorstellungskräfte (doch unter der Bedingung, daß der Verstand dabey keinen Anstoß leide) unterhalten werden soll, in Lustgärten, Stubenverzierung, allerley geschmackvollem Geräthe u. d. gl. wird die Regelmäßigkeit, die sich als Zwang ankündigt, so viel möglich vermieden« (242,24, m. H.).

Im Falle eines schönen Gegenstandes, d. h. eines Gegenstandes, der mit einem ›freye[n] Spiel der Vorstellungskräfte‹ verbunden ist, ›wird die Regelmäßigkeit…so viel [wie] möglich vermieden‹. Dies bedeutet aber nicht, dass gar keine Regelmäßigkeit vorliegen darf, sondern nur, dass sie bloß in einem geringen Grad vorliegen darf. Ganz vermieden werden darf sie gerade nicht; denn der Gegenstand wäre sonst nicht subjektiv zweckmäßig, d. h. nicht erkennbar. Man stellt sich nun vermutlich die folgenden beiden Fragen: Warum muss die Regelmäßigkeit beim schönen Gegenstand ›so viel [wie] möglich vermieden werden‹ ? Und unter welchen Umständen Ähnlich identifiziert Meerbote »orderliness or orderability (both spatial and temporal) and lawfulness (categorizability)« als Charakteristika der schönen Form (Meerbote 1982, 80). 13 Vgl. 242,14 f. 12

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Grundlagen 4: Das schöne Objekt

ist ein Gegenstand zu regelmäßig, um als schön gelten zu können? Die erste Frage können wir leicht beantworten: Der Grund für die möglichst starke Vermeidung aller Regelmäßigkeit ist das freie Spielen mit Formen durch die Einbildungskraft. 14 Ist ein Gegenstand sehr regelmäßig, so ist die Chance groß, dass der Verstand den Gegenstand unter einen Begriff subsumiert. So konstatiert Kant, dass, »wenn der Verstand durch die Regelmäßigkeit sich in die Stimmung zur Ordnung, die er allerwärts bedarf, versetzt hat, ihn der Gegenstand nicht länger unterhalte, vielmehr der Einbildungskraft einen lästigen Zwang anthue« (243,13). Zu regelmäßige Gegenstände – wie etwa »ein Pfeffergarten, wo die Stangen, an denen sich dieses Gewächs rankt, in Parallellinien Alleen zwischen sich bilden« (243,7) – führen dazu, dass der Verstand schnell einen Begriff auffindet, worunter er die Form subsumiert (›Stimmung zur Ordnung‹), sodass er der Einbildungskraft einen ›lästigen Zwang‹ antut. Die Einbildungskraft kann dann entweder gar nicht mehr oder nur noch in einem eingeschränkten Rahmen spielen. Allerdings wird in solchen Fällen die Schönheitserfahrung nicht zwangsläufig vollständig verhindert. Daher bedarf es einer weiteren, ergänzenden Erklärung für die weitestgehende Vermeidung von Regelmäßigkeit. Diese besteht darin, dass ein zu regelmäßiger Gegenstand kein geeignetes Material zum Spielen für die Einbildungskraft bietet. Ein zu regelmäßiger Gegenstand wäre einfach zu uninteressant und langweilig. So schreibt Kant: »Alles steif-regelmäßige (was der mathematischen Regelmäßigkeit nahe kommt) hat das Geschmackwidrige an sich: daß es keine lange Unterhaltung mit der Betrachtung desselben gewährt, sondern, sofern es nicht ausdrücklich das Erkenntniß, oder einen bestimmen practischen Zweck zur Absicht hat, lange Weile macht. Dagegen ist das, womit Einbildungskraft ungesucht und zweckmäßig spielen kann, uns jederzeit neu, und man wird seines Anblicks nicht überdrüßig« (242,34 f., m. H.).

Liegt eine zu starke bzw. steife Regelmäßigkeit vor, so wird dem urteilenden Subjekt ›keine lange Unterhaltung‹ geboten; es langweilt sich. Dass ein sehr regelmäßiger Gegenstand ›keine lange Unterhaltung‹ bietet, liegt aber darin begründet, dass er oder vielmehr das gegebene Material an Empfindungen der Einbildungskraft keine Möglichkeit Ähnlich schreibt auch Zuckert: »geometrically regular objects – such as a simple oval vase – are not found beautiful: the parts of these objects (their sensible properties) are not heterogeneous enough from one another to sustain ongoing aesthetic appreciation« (Zuckert 2007, 193).

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Wesentliche, aber unbestimmte Eigenschaften in Bezug auf Schönheit

und keinen Anreiz zum Spielen bietet. Denkt man an »geometrischregelmäßige Gestalten, eine Cirkelfigur, ein Quadrat, ein[en] Würfel u. s. w.« (241,18), so leuchtet intuitiv ein, dass solche Gestalten insofern uninteressant für die Einbildungskraft sind, als das gegebene Material nicht dazu geeignet ist, verschiedene Formen spielerisch auszutesten. Insgesamt können wir den schönen Gegenstand dadurch charakterisieren, dass er über einen minimalen Grad an Regelmäßigkeit verfügen muss. Dies wird durch die folgenden Beispiele Kants illustriert: »[…]; daher der englische Geschmack in Gärten, der Barockgeschmack an Möbeln, die Freyheit der Einbildungskraft wohl eher bis zur Annäherung zum Grotesken treibt, und in dieser Absonderung von allem Zwange der Regel eben den Fall setzt, wo der Geschmack in Entwürfen der Einbildungskraft seine größte Vollkommenheit zeigen kann« (242,28). »[…]; wogegen die dort [in Sumatra] an Mannigfaltigkeiten bis zur Ueppigkeit verschwenderische Natur, die keinem Zwange künstlicher Regeln unterworfen ist, seinem Geschmacke für beständig Nahrung geben könne« (243,16).

Mit den Formulierungen ›Absonderung von allem Zwange der Regel‹ sowie ›keinem Zwange künstlicher Regeln unterworfen‹ umschreibt Kant ganz offenkundig die maximal mögliche Unabhängigkeit von Regeln. Dennoch, so meine These, muss auch in solchen Fällen eine minimale Regelmäßigkeit gegeben sein. Ich deute die Beispiele der englischen Gärten, der barocken Möbel und der Urwälder Sumatras als Paradebeispiele für maximal regellose und minimal regelhafte Gestalten. 15 Diese maximale Unregelmäßigkeit bei minimaler Regelmäßigkeit scheint mit einer gewissen Komplexität der Form einherzugehen. Auch dies wird durch die obigen Beispiele sowie durch weitere Beispiele für schöne Gegenstände – wie »der Papagey, der Colibrit, der Paradiesvogel« und »Schaalthiere des Meeres« (229,24) – illustriert. Hingegen scheint eine Form, die bloß über eine geringe Komplexität verfügt (wie etwa ein Quadrat), eher mit einer hohen Regelmäßigkeit einherzugehen.

Interessant ist dabei auch, dass der Begriff »barock« zu Kants Zeit noch nicht als klassifizierender Begriff für eine Kunstepoche verwendet wurde, sondern im Sinne von ›verworren‹, ›unregelmäßig‹ oder ›bizarr‹ zu verstehen ist. So heißt es etwa noch bei Grimm zum Begriff »barockisch«: »soll das franz. baroque, bizarre unserer sprache bequemen« (Grimm: Barockisch).

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Grundlagen 4: Das schöne Objekt

Können wir damit schließlich eine präzisere Charakterisierung des schönen Gegenstandes vornehmen? Wir haben vielleicht insofern nicht viel gewonnen, als wir immer noch nicht bestimmen können, über welche konkreten Eigenschaften ein schöner Gegenstand verfügen muss. Dies ist freilich aufgrund der Unmöglichkeit einer objektiven Geschmacksregel grundsätzlich ausgeschlossen. Gewonnen haben wir aber trotzdem etwas – denn wir können den Bereich der Gegenstände eingrenzen, die schön sein können. Wir können erstens alle Gegenstände bzw. Formen ausschließen, die über eine hohe Regelmäßigkeit und eine geringe Komplexität verfügen. Wir können zweitens auch alle völlig unregelmäßigen und chaotischen Mannigfaltigkeiten vom Bereich der Schönheit ausschließen. Drittens können wir den Bereich der schönen Gegenstände, wenn auch recht unbestimmt, als Bereich all jener Formen bestimmen, die möglichst wenig regelmäßig, aber nicht völlig unregelmäßig, sowie möglichst komplex, aber nicht völlig unerkennbar sind. Halten wir also fest: i. Sehr stark regelmäßige sowie sehr wenig komplexe Formen können nicht schön sein. ii. Völlig unregelmäßige und chaotische Formen bzw. Mannigfaltigkeiten an Empfindungen können nicht schön sein. iii. Schöne Gegenstände sind durch eine eher starke Unregelmäßigkeit und Komplexität bei gleichzeitiger geringer Regelmäßigkeit gekennzeichnet. Die eher starke Unregelmäßigkeit und Komplexität ist notwendig, damit die Einbildungskraft zum Spielen angeregt wird; ein Minimum an Regelmäßigkeit ist notwendig, damit der Verstand den Gegenstand als begrifflich erfassbar ausweisen kann. Durch diese Eingrenzung des Bereichs der schönen Gegenstände soll keineswegs suggeriert werden, wir könnten unabhängig vom Fühlen der Lust am Schönen bestimmen, dass ein Gegenstand schön ist. Ob ein Gegenstand hinreichend regelmäßig für eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt und gleichsam hinreichend unregelmäßig für ein freies Spielen der Einbildungskraft ist, lässt sich nur durch das Vorliegen eines freien und harmonischen Spiels bzw. einer Lust am Schönen ermitteln. Jedoch lässt sich wohl wenigstens in einigen extremen Fällen mit großer Gewissheit und unabhängig von der Lust ermitteln, dass ein Gegenstand nicht schön ist. Mindestens mit Bezug auf zu wenig komplexe und regelmäßige Gegenstände ist dies offenkundig möglich. Ein Paradebeispiel sind hier einfache geometrische Gestalten. 950

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Können wir einen schönen Gegenstand imaginieren?

G4.3 Können wir einen schönen Gegenstand imaginieren? Es sollte klar sein, dass Schönheit (im kantischen Sinne) nie unabhängig vom urteilenden und fühlenden Subjekt bestehen kann. Bedarf es aber für Schönheitserlebnisse immer eines wirklichen Objekts? Sollte es nicht auch möglich sein, einen schönen Gegenstand bloß zu imaginieren? In der Sekundärliteratur zur Uninteressiertheitsthese findet sich bisweilen die folgende Interpretation: Wenn ein Interesse dasjenige Wohlgefallen ist, »was wir mit der Vorstellung der Existenz eines Gegenstandes verbinden« (§ 2.A.1, 204,22), dann muss für ein uninteressiertes Wohlgefallen die Existenz des Gegenstandes unerheblich sein. 16 Und dies bedeutet, dass es für die Lust am Schönen unerheblich ist, ob sie an einem wirklich existierenden oder an einem bloß imaginierten Gegenstand empfunden wird. 17 – Dass ich eine gänzlich andere Interpretation von UT vertrete, geht aus meiner Analyse von § 2 hervor. 18 Allerdings stellt sich auch losgelöst von UT die Frage, ob die Lust am Schönen bzw. das freie Spiel immer einen existierenden und realen Gegenstand voraussetzt, oder ob auch ein bloß imaginierter Gegenstand die Grundlage für die Lust und das freie Spiel bilden kann. Der Möglichkeit von imaginierten schönen Gegenständen spielt in die Karten, dass Kant die Einbildungskraft als »Vermögen, einen Gegenstand auch o h n e d e s s e n G e g e n w a r t in der Anschauung vorzustellen« (B151), bestimmt. 19 Für Schönheitserlebnisse ist aber gerade eine Aktivität der Einbildungskraft zentral. Nun kommt die Einbildungskraft freilich nicht immer ohne die Gegenwart eines Gegenstandes bzw. ohne gegebene Empfindungen aus. Zwar mag dies etwa dann der Fall sein, wenn sie nach den Assoziationsgesetzen verfährt; 20 aber ganz offenkundig gibt es auch viele Fälle

Vgl.: »Man will nur wissen, ob die bloße Vorstellung des Gegenstandes in mir mit Wohlgefallen begleitet sey, so gleichgültig ich auch immer in Ansehung der Existenz des Gegenstandes dieser Vorstellung seyn mag« (§ 2.A.6, 205,7). 17 Vgl. etwa Crowther 2010, 71 f.; Makkreel 1997, 121; Wenzel 2008, 20. 18 Siehe Kap. 2.3. 19 Vgl. auch Anth: 167. 20 Vgl.: »Es ist zwar ein bloß empirisches Gesetz, nach welchem Vorstellungen, die sich oft gefolgt oder begleitet haben, mit einander endlich vergesellschaften, und dadurch in eine Verknüpfung setzen, nach welcher, auch ohne die Gegenwart des Gegenstandes, eine dieser Vorstellungen einen Übergang des Gemüts zu der andern nach einer beständigen Regel, hervorbringt« (A100; vgl. auch Anth: 182). 16

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und Anwendungsbereiche der Einbildungskraft, die ein aktual gegebenes empirisches Material voraussetzen. Man denke nur an die Zusammensetzung eines gegebenen Mannigfaltigen zur Form. Die entscheidende Frage ist natürlich: Benötigt die Einbildungskraft beim Schönen ein gegebenes Mannigfaltiges oder kann sie auch bloß phantasieren? Nun ist beim Schönen bzw. im freien Spiel die produktive (und nicht die reproduktive) Einbildungskraft tätig. Allerdings kennt Kant sowohl eine bloß dichtende bzw. phantasierende produktive Einbildungskraft 21 als auch Anwendungsbereiche der produktiven Einbildungskraft, die ein gegebenes empirisches Material voraussetzen. Offenkundig legt die Aktivität der produktiven Einbildungskraft beim Schönen mindestens in einigen Fällen ein empirisch gegebenes Mannigfaltiges zugrunde. Es ist in diesem Kontext aufschlussreich, dass Kant als Ausgangspunkt des freien Spiels in § 9 eine »gegebene[.] Vorstellung« benennt (§ 9.C.1, 217,9, m. H.). 22 Die entscheidende Frage ist aber: Ist für das freie Spiel immer etwas empirisch Gegebenes vorausgesetzt, oder kann es sich (in Ausnahmefällen) auch auf imaginierte Gegenstände beziehen? Ich möchte im Folgenden zunächst zwei systematische Gründe anführen, die gegen die Möglichkeit von imaginierten schönen Gegenständen sprechen: (1) Die Lust am Schönen und das Geschmacksurteil beanspruchen wesentlich Allgemeingültigkeit (ATLust und ATUrteil). Eine Lust und ein Urteil über einen bloß imaginierten Gegenstand würden aber diesen Allgemeingültigkeitsanspruch untergraben. Vgl.: »Die Einbildungskraft, sofern sie auch unwillkürlich Einbildungen hervorbringt, heißt P h a n t a s i e . Der, welcher diese für (innere oder äußere) Erfahrung zu halten gewohnt ist, ist ein P h a n t a s t « (Anth: 167). – Ostaric vertritt die These, dass beim Schönen immer die dichtende Einbildungskraft bzw. das Dichtungsvermögen aktiv ist (vgl. Ostaric 2017, 1391–1395). 22 Kants fast schon exzessive Verwendung des Begriffs »gegeben« in § 9 ist frappierend. Dies wird besonders in der folgenden Passage deutlich: »Also muß der Gemüthszustand in dieser Vorstellung der eines Gefühls des freyen Spiels der Vorstellungskräfte an einer gegebenen Vorstellung zu einem Erkenntnisse überhaupt seyn. Nun gehören zu einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, damit überhaupt daraus Erkenntniß werde, Einbildungskraft für die Zusammensetzung des Mannigfaltigen der Anschauung, und Verstand für die Einheit des Begrifs der die Vorstellungen vereinigt. Dieser Zustand eines freyen Spiels der Erkenntnißvermögen, bey einer Vorstellung wodurch ein Gegenstand gegeben wird, muß sich allgemein mittheilen lassen: weil Erkenntniß, als Bestimmung des Objects, womit gegebene Vorstellungen (in welchem Subjecte es auch sey) zusammen stimmen sollen, die einzige Vorstellungsart ist, die für jedermann gilt« (§ 9.D.2–4, 217,23, m. H. & Kants H. getilgt). 21

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Man müsste nämlich die Allgemeingültigkeit einer Lust beanspruchen, die sich auf eine bloß privatgültige, imaginierte Vorstellung bezöge. Zudem wäre man sich der Allgemeingültigkeit der Lust phänomenal bewusst und man wäre sich gleichsam bewusst, sich bloß eine privatgültige Vorstellung ausgedacht zu haben. Insgesamt würde sich der Urteilende damit in einer fast schizophren anmutenden, jedenfalls aber paradoxen Situation befinden. (2) Im freien Spiel der Erkenntniskräfte führt der Verstand eine andauernde Überprüfung der apprehendierten Formen anhand (der Objektseite) des Prinzips a priori der Urteilskraft durch. 23 Dieses Prinzip ist eine Maxime im Rahmen des Betreibens von empirischer Naturwissenschaft. Es ist damit eigentlich auf die gegebene empirische Natur bezogen und keinesfalls auf bloße Phantasien der Einbildungskraft. Es ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich, warum dies beim Schönen anders sein sollte. Vielmehr würde bei bloß imaginierten Gegenständen die Pointe verlorengehen, dass wir durch das Schöne etwas über die Erkennbarkeit der Natur lernen. Die beiden genannten Gründe sind, so denke ich, stark und nicht einfach von der Hand zu weisen. Sie zeigen in jedem Fall deutlich, dass wirklich existierende Gegenstände die paradigmatischen und primären Fälle von schönen Gegenständen sind. Die beiden Gründe schließen jedoch nicht zwangsläufig aus, dass mindestens in einem erweiterten Sinne auch imaginierte Gegenstände schön sein könnten. So könnte man etwa vermuten, dass das Prinzip a priori beim Schönen einen weiter gefassten Anwendungsbereich als in der empirischen Naturwissenschaft habe und dass wir bei imaginierten Gegenständen immer noch lernen könnten, dass unsere Erkenntnisvermögen zweckmäßig zusammenstimmen würden und wir somit zur Erkenntnis fähige Wesen seien (Subjektseite des Prinzips a priori). Man könnte ebenso vermuten, dass man bei imaginierten Gegenständen das Bewusstsein habe, dass alle Menschen eine Lust am Schönen fühlen würden, insofern sie dieselbe (imaginierte) Vorstellung hätten. Ich möchte im Folgenden zwei Textstellen benennen, in denen Kant nahelegt, dass imaginierte Gegenstände tatsächlich in einem erweiterten Sinne schön sein können: Für den Inhalt des Prinzips a priori der Urteilskraft siehe Kap. G3.1; für die Anwendung dieses Prinzips im freien Spiel der Erkenntniskräfte siehe Kap. G3.3.

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(1) Im letzten Absatz der Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik differenziert Kant zwischen »schöne[n] Gegenstände[n]« und »schönen Aussichten auf Gegenstände (die öfter der Entfernung wegen nicht mehr deutlich erkannt werden können)« (243,29). Die Pointe ist dabei letztlich, dass solche undeutlichen Gegenstände – Kant nennt hier etwa den »Anblick der veränderlichen Gestalten eines Caminfeuers, oder eines rieselnden Baches« – jeweils »keine Schönheiten sind« (243,36 f.). Jedoch geben solche Gegenstände der Einbildungskraft Anlass zum Dichten und zum Phantasieren. Dazu heißt es: »der Geschmack [scheint] nicht sowohl an dem, was die Einbildungskraft in diesem Felde a u f f a ß t , als vielmehr an dem, was sie hiebey zu d i c h t e n Anlaß bekommt, d. i. an den eigentlichen Phantasieen, womit sich das Gemüth unterhält, indessen daß es durch die Mannigfaltigkeit auf die das Auge stößt, continuirlich erweckt wird, zu haften« (243,31). Aus diesem Zitat lassen sich die folgenden beiden Propositionen entnehmen: ›Der Geschmack haftet an dem, was die Einbildungskraft hierbei zu dichten Anlass bekommt‹ sowie ›Der Geschmack haftet an den eigentlichen Phantasien‹. Insofern der Geschmack »das Vermögen der Beurtheilung des Schönen« ist (203 Fn.), so zeigen die beiden Propositionen an, dass bei ›dem, was die Einbildungskraft zu dichten Anlaß bekommt‹, bzw. ›den eigentlichen Phantasieen‹ eine Beurteilung des Schönen vorliegen kann. Dieser Eindruck wird dadurch bekräftigt, dass Kant zu Beginn dieser Passage solche Fälle mit »schönen Aussichten auf Gegenstände« betitelt (243,29). Irgendetwas muss in diesen Fällen also schön sein. Da die wirklichen, aber undeutlichen Gegenstände, d. h. das Kaminfeuer bzw. der rieselnde Bach, gerade »keine Schönheiten sind« (243,37 f.), muss es der erdichtete Gegenstand sein, der schön ist. Damit deutet Kant in dieser Passage an (wenn auch sehr diskret), dass imaginierte Gegenstände schön sein können. (2) Etwas früher in der Allgemeinen Anmerkung spezifiziert Kant, in welcher Funktionsweise die Einbildungskraft beim Schönen bzw. im freien Spiel wirksam ist. Dazu heißt es zunächst, dass die Einbildungskraft »nicht reproductiv, wie sie den Associationsgesetzen unterworfen ist, sondern als productiv und selbstthätig (als Urheberin willkürlicher Formen möglicher Anschauungen) angenommen [wird]« (240,26). Die Formulierung ›Urheberin willkürlicher Formen möglicher Anschauungen‹ 954

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suggeriert, dass die Einbildungskraft beim Schönen dichtend und phantasierend wirksam sei; denn wenn die Einbildungskraft an ein gegebenes Material gebunden wäre, so könnte sie nicht mehr völlig willkürlich agieren. Im Fortgang der Passage wird jedoch deutlich, dass die Einbildungskraft beim Schönen nicht immer willkürlich agiert: »und, ob sie [die Einbildungskraft] zwar bey der Auffassung eines gegebenen Gegenstandes der Sinne an eine bestimmte Form dieses Objects gebunden ist und sofern kein freyes Spiel (wie im Dichten) hat, so läßt sich doch noch wohl begreifen: daß der Gegenstand ihr gerade eine solche Form an die Hand geben könne, die eine Zusammensetzung des Mannigfaltigen enthält, wie sie die Einbildungskraft, wenn sie sich selbst frey überlassen wäre, in Einstimmung mit der Verstandesgesetzmäßigkeit überhaupt entwerfen würde« (240,28 f., m. H. & Kants H. getilgt). Wir können die folgende Proposition extrahieren: ›Im Dichten hat die Einbildungskraft ein freies Spiel‹. Nun muss Kant damit freilich nicht schon das freie Spiel der Erkenntniskräfte meinen; denn dazu gehört auch noch der Verstand. Jedoch nutzt er später die Formulierung ›Zusammensetzung des Mannigfaltigen…, wie sie die Einbildungskraft, wenn sie sich selbst frey überlassen wäre, in Einstimmung mit der Verstandesgesetzmäßigkeit überhaupt entwerfen würde‹. Nun ist die Einbildungskraft beim Dichten oder Phantasieren gerade ›sich selbst frey überlassen‹. Kant scheint nun davon auszugehen, dass die Einbildungskraft auch in solchen Fällen eine Form ›in Einstimmung mit der Verstandesgesetzmäßigkeit überhaupt entwerfen‹ kann. Ist dies korrekt, so kann auch bei imaginierten Gegenständen ein freies und harmonisches Spiel der Erkenntniskräfte vorliegen. Wenngleich also die Möglichkeit von schönen imaginierten Gegenständen zu bestehen scheint, so kann es keinesfalls Kants These sein, dass jeder Fall von Imaginieren und Phantasieren dem Schönen beizuzählen ist. So kennt er insbesondere auch »Dichtungen« der Einbildungskraft, die »gar regellos sind« (Anth: 181). In solchen Fällen würde die Einbildungskraft nicht zweckmäßig für den Verstand agieren und es würde also kein freies Spiel von Einbildungskraft und Verstand vorliegen. Welches Bild ergibt sich nun abschließend zur Möglichkeit von imaginierten schönen Gegenständen?

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i.

Die Lust am Schönen und das Geschmacksurteil sind wesentlich allgemeingültig. Da imaginierte Gegenstände immer nur dem imaginierenden Subjekt zugänglich sind, ist die These, es könne imaginierte schöne Gegenstände geben, problematisch. ii. Die Objektseite des Prinzips a priori ist auf die subjektive ZM von empirisch gegebenen Gegenständen der Natur bezogen. Damit legt auch die Anwendung des Prinzips a priori im freien Spiel nahe, Schönheit sei primär auf empirisch gegebene Gegenstände bezogen. iii. Dennoch scheint Kant grundsätzlich die Möglichkeit von imaginierten schönen Gegenständen einzuräumen. Aufgrund von i. und ii. kann es sich dabei aber nicht um die paradigmatischen und primären Fälle von schönen Gegenständen handeln. Insgesamt sollten wir dann davon ausgehen, dass sich Kants Theorie primär auf die Schönheit realer Gegenstände bezieht. Dennoch scheinen in Ausnahmefällen auch imaginierte Gegenstände schön sein zu können.

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Die Dritte Erklärung des Schönen

E3.1 Zum Inhalt der Dritten Erklärung Hatten die ersten beiden Momente je eine oder zwei Hauptthesen zum Gegenstand, so präsentiert Kant im Dritten Moment eine Vielzahl von mehr oder weniger miteinander verwobenen Thesen. Er führt die Thesen ein, dass sich in Schönheitserfahrungen eine subjektive ZM des Objekts manifestiert (§ 11), dass dem Geschmacksurteil das Prinzip a priori der Urteilskraft zugrunde liegt (§ 12), dass Schönheit auf Seiten des Objekts auf der Form beruht (Formthese FMT; § 13), dass reine Geschmacksurteile unabhängig von Reizen sind (§§ 13–14), dass reine Geschmacksurteile unabhängig von Urteilen über die Vollkommenheit sind (§§ 15–16) und dass das Ideal der Schönheit im sichtbaren Ausdruck sittlicher Ideen an der menschlichen Gestalt besteht (§ 17). Die Thesen zu reinen und unreinen Geschmacksurteilen in den §§ 13–17 bilden dabei eigentlich bloß eine Ergänzung zur Analyse der Geschmacksurteile. Hingegen sind es die Thesen zur subjektiven ZM, zum Prinzip a priori und zur Form, die das eigentliche Zentrum des Dritten Moments ausmachen; denn mittels dieser Thesen klärt Kant die Beziehung vom schönen Objekt und urteilenden Subjekt, d. h. er bestimmt die ›Relation‹. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass Kant genau diese Thesen in der Dritten Erklärung des Schönen aufgreift. Diese lautet: E3 »S c h ö n h e i t ist Form der Z w e c k m ä ß i g k e i t eines Gegenstandes, sofern sie, o h n e Vo r s t e l l u n g e i n e s Z w e c k s , an ihm wahrgenommen wird« (236,9). 1 Diese Erklärung weist zwei kleine Besonderheiten im Vergleich zu den anderen drei Erklärungen auf. Während Kant erstens die übrigen Erklärungen des Schönen mit »Aus dem ersten [bzw. zweiten oder vierten] Moment gefolgerte Erklärung des Schönen« überschreibt (211,1, m. H.; vgl. 219,24; 240,16), spricht er im Falle der Dritten Erklärung von der »[a]us dem dritten Momente geschlossene[n] Erklärung des Schönen« (236,7, m. H.). Zweitens bestimmt Kant in den anderen drei Erklärungen, was »schön« ist, während er in der Dritten Erklärung die Schönheit bestimmt. Beide Auf-

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Es ergibt sich zunächst die folgende grammatikalische Rekonstruktion: E3* Schönheit ist Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes, sofern diese Form der Zweckmäßigkeit, ohne Vorstellung eines Zwecks, an dem Gegenstand wahrgenommen wird.

Was besagt E3 inhaltlich? Zunächst einmal spricht Kant von der ›Form der Zweckmäßigkeit des Gegenstandes‹. Diese Form der ZM kann nicht gleichbedeutend mit der formalen ZM, d. h. der ZM ohne Zweck, sein. Denn im einschränkenden Nebensatz (›sofern…‹) führt Kant als Bedingung an, dass die Form der Zweckmäßigkeit ohne Zweck wahrgenommen wird. Will man Kant keine Redundanz unterstellen, so kann die Aussage nicht sein, dass die formale ZM, d. h. die ZM ohne Zweck, ohne Zweck wahrgenommen wird. Mit der ›Form der Zweckmäßigkeit‹ muss stattdessen die ZM der Form des Gegenstandes bzw. die zweckmäßige Form des Gegenstandes gemeint sein. Kant verweist also auf die Formthese FMT. Wir können schreiben: E3R1 Schönheit ist die Zweckmäßigkeit der Form eines Gegenstandes, sofern diese Zweckmäßigkeit ohne Vorstellung eines Zwecks an dem Gegenstand wahrgenommen wird.

Insgesamt beschreibt Kant in E3 die umfassende Konzeption der subjektiven ZM ohne Zweck, die die Form des Gegenstandes beim Schönen beansprucht. 2 Führen wir uns die konkrete Ausgestaltung dieser Konzeption noch einmal vor Augen: Im Zustand des freien Spiels wird die Form des Gegenstandes verarbeitet. Die Einbildungskraft apfälligkeiten haben aber keine inhaltlichen Konsequenzen und sind damit vermutlich auf den Zufall oder stilistische Gründe zurückzuführen. – Kulenkampff bemängelt ferner: »die spezifische Subjektivität des Geschmacksurteils – Kern der Analyse bis § 9 – geht in dem blassen Terminus ›wahrnehmen‹ auf« (Kulenkampff 1994, 141). Die Lust sei »an den Rand gedrängt worden« und sei »dann allerhöchstens noch als sekundärer Effekt zu verstehen, der nichts wirklich zum Bedeutungskern des Schönen beiträgt« (Kulenkampff 1994, 141). Diese Kritik ist aber insofern ungerechtfertigt, als im Dritten Moment die der Lust zugrundeliegende Struktur untersucht wird. Dass die Lust dann in E3 nicht mehr explizit erwähnt wird, bedeutet aber nicht, dass sie obsolet geworden wäre. 2 Kant betont in E3 nicht, dass es sich bei der ZM um eine subjektive ZM handelt. Dass beim Schönen keine objektive, sondern eine subjektive ZM vorliegt, weiß Kants Leserschaft aber bereits aus § 11: »Also kann nichts anders als die subjective Zweckmäßigkeit in der Vorstellung eines Gegenstandes, ohne allen (weder objectiven noch subjectiven) Zweck, […] den Bestimmungsgrund des Geschmacksurtheils, ausmachen« (§ 11.B.2, 221,21). Siehe hierzu Kap. 11.3.

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Die Dritte Erklärung des Schönen

prehendiert frei Formen und der Verstand überprüft diese Formen sowie die Aktivität der Einbildungskraft anhand des Prinzips a priori der Urteilskraft. Weil diese Überprüfung anhand des Prinzips a priori positiv ausfällt, kommt es zu einer Vereinigung von Einbildungskraft und Verstand, d. h. zu einer Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt. In dieser Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt erweist sich die Form des Gegenstandes als subjektiv zweckmäßig; denn die subjektive ZM ist nichts anderes als die Zusammenstimmung der Form eines Gegenstandes zu den menschlichen Erkenntnisvermögen. Nun wird uns der Zustand der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt (mittels der gegenseitigen Belebung der Erkenntnisvermögen) durch ein Gefühl der Lust bewusst. Wir erfahren von der subjektiven ZM also nicht durch Bezugnahme auf einen Zweckbegriff, sondern durch ein Gefühl, sodass es sich um eine ZM ohne Zweck handelt. Halten wir zu den verschiedenen Aspekten der Dritten Erklärung das Folgende fest: (Subjektive) ZM: Das Objekt erweist sich in der Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte zur Erkenntnis überhaupt als zweckmäßig für die Erkenntnisvermögen. ZM der Form des Gegenstandes: Es ist die Form des Gegenstandes, die in demjenigen Gemütszustand innerlich verarbeitet wird, der durch eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt gekennzeichnet ist; die Form des Gegenstandes erweist sich in der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt als subjektiv zweckmäßig. ZM ohne Zweck: Wir erkennen die subjektive ZM des Gegenstandes nicht durch Bezugnahme auf einen Zweckbegriff; vielmehr wird sie uns durch ein Gefühl der Lust bewusst.

Kant schreibt, dass die ZM am Gegenstand ›wahrgenommen wird‹. Aus unseren obigen Erläuterungen erhellt, dass die ZM mittels eines Gefühls der Lust wahrgenommen wird. Wir können demnach die folgende Rekonstruktion vornehmen: E3R2 Schönheit ist die subjektive Zweckmäßigkeit der Form eines Gegenstandes, sofern diese Zweckmäßigkeit ohne Vorstellung eines Zwecks durch ein Lustgefühl wahrgenommen wird.

Dass Kant schreibt, die ZM der Form des Gegenstandes werde wahrgenommen, bedeutet freilich nicht, dass Schönheit eine Eigenschaft des Objekts wäre, die wir bloß wahrnehmen müssten. Vielmehr konstituiert sich die Schönheit erst durch das Lustgefühl und in diesem Kants Philosophie des Schönen

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Sinne durch die ›Wahrnehmung‹ der subjektiven ZM. Dennoch ist es aufschlussreich, dass wir beim Schönen etwas wahrnehmen – und zwar durch das Lustgefühl. Dies harmoniert nämlich gut damit, dass Kant den Geschmack als Gemeinsinn bezeichnet, wobei das sinnliche Element des Gemeinsinns gerade die Lust am Schönen ist. 3 In gewisser Hinsicht sind Schönheitserfahrungen also eine spezifische Art der Wahrnehmung. Diese Wahrnehmung vollzieht sich mittels eines Gefühls, und der korrespondierende Sinn ist der Gemeinsinn bzw. der Geschmack. Die Schönheitswahrnehmung ist dabei von zwei anderen Arten der Wahrnehmung abzugrenzen: Erstens ist sie von der gewöhnlichen rohen Sinneswahrnehmung durch die Sinnesorgane, d. h. etwa bloßem Riechen, Hören, Schmecken usw., unterschieden. Die Schönheitswahrnehmung setzt eine solche rohe Sinneswahrnehmung, d. h. visuelle oder auditive Sinneseindrücke, zwar voraus, geht aber über diese hinaus. Zweitens ist die Schönheitswahrnehmung von der engen Konzeption der Wahrnehmung im kantischen Sinne unterschieden. In diesem engen Verständnis ist unter der Wahrnehmung eine zur Form apprehendierte und unter Kategorien subsumierte Vorstellung eines Gegenstandes zu verstehen. 4 Im Vergleich zu diesem engen Wahrnehmungsbegriff fehlen bei der Schönheitswahrnehmung die Anwendung von Kategorien sowie die damit verbundene Bezugnahme auf das Objekt.

E3.2Ein möglicher Einwand In einer Fußnote formuliert Kant einen möglichen Einwand gegen E3: »Man könnte wider diese Erklärung als Instanz anführen: daß es Dinge giebt, an denen man eine zweckmäßige Form sieht, ohne an ihnen einen Zweck zu erkennen; z. B. die öfter aus alten Grabhügeln gezogenen, mit einem Loche als zu einem Hefte, versehenen steinernen Geräthe, die, ob sie zwar in ihrer Gestalt eine Zweckmäßigkeit deutlich verrathen, für die man den Zweck nicht kennt, darum gleichwohl nicht für schön erklärt werden. Allein, daß man sie für ein Kunstwerk ansieht, ist schon genug, um Siehe hierzu die Analyse des Gemeinsinns in Kap. 20.2. Vgl.: »Da nun von der Synthesis der Apprehension alle mögliche Wahrnehmung, sie selbst aber, diese empirische Synthesis, von der transzendentalen, mithin den Kategorien abhängt, so müssen alle mögliche Wahrnehmungen, mithin auch alles, was zum empirischen Bewußtsein immer gelangen kann, d. i. alle Erscheinungen der Natur, ihrer Verbindung nach, unter den Kategorien stehen, […]« (B164 f.).

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Ein möglicher Einwand

gestehen zu müssen, daß man ihre Figur auf irgend eine Absicht und einen bestimmten Zweck bezieht. Daher auch gar kein unmittelbares Wohlgefallen an ihrer Anschauung. Eine Blume hingegen, z. B. eine Tulpe, wird für schön gehalten, weil eine gewisse Zweckmäßigkeit, die so, wie wir sie beurtheilen, auf gar keinen Zweck bezogen wird, in ihrer Wahrnehmung angetroffen wird« (236 Fn.).

Der Einwand besagt im Kern, dass es Gegenstände (bzw. Formen) gibt, die wir als zweckmäßig ohne Zweck ansehen, ohne dass wir sie als schön beurteilen. Folglich muss die Bestimmung der Schönheit in E3 als ›Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes, sofern sie, ohne Vorstellung eines Zwecks, an ihm wahrgenommen wird‹, falsch sein. Dieser Einwand weist die Form einer reductio ad absurdum auf: P1

Wenn jede zweckmäßige Form eines Gegenstandes, die wir ohne Zweck wahrnehmen, schön ist, dann sind die mit einem Loch zu einem Heft versehenen steinernen Geräte schön. P2 Die mit einem Loch zu einem Heft versehenen steinernen Geräte sind nicht schön. Also: Nicht jede zweckmäßige Form eines Gegenstandes, die wir ohne Zweck wahrnehmen, ist schön.

Kant widerlegt diesen Einwand, indem er P1 bestreitet. Er erkennt zwar an, dass wir in den geschilderten Fällen eine ZM annehmen bzw. wahrnehmen, aber er bestreitet, dass es sich dabei um eine ZM ohne Zweck handelt. 5 So schreibt er: ›Allein, daß man sie für ein Kunstwerk ansieht, ist schon genug, um gestehen zu müssen, daß man ihre Figur auf irgend eine Absicht und einen bestimmten Zweck bezieht.‹ Das Beispiel ist insgesamt dem folgenden Beispiel aus § 64 sehr ähnlich: »Wenn jemand in einem ihm unbewohnt scheinenden Lande eine geometrische Figur, allenfalls ein reguläres Sechseck, im Sande gezeichnet wahrnähme; so würde seine Reflexion, indem sie an einem Begriffe derselben arbeitet, der Einheit des Princips der Erzeugung desselben, wenn gleich dunkel, vermittelst der Vernunft inne werden, und so, dieser gemäß, den Sand, das benachbarte Meer, die Winde, oder auch Thiere mit ihren Fußtritten, die er kennt, oder jede andere vernunftlose Ursache nicht als einen Grund der Möglichkeit einer solchen Gestalt beurtheilen: weil ihm die Zufälligkeit, mit einem solchen Begriffe, der nur in der Vernunft möglich ist, zusammen zu treffen, so unendlich groß scheinen würde, daß es eben so gut wäre, als ob es dazu gar kein Naturgesetz gebe, daß folglich auch keine Ursache in der bloß mechanisch wirkenden Natur, sondern nur der Begrif von einem solchen Object, als Begrif, den nur Vernunft geben und mit demselben den Gegenstand vergleichen kann, auch die Caussalität zu einer solchen Wirkung enthalten, folglich diese durchaus als Zweck, aber nicht Naturzweck, d. i. als Product der K u n s t , angesehen werden könne (vestigium hominis video)« (370,16).

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Die Dritte Erklärung des Schönen

Grundgedanke ist, dass wir zwar den konkreten Zweck der steinernen Gegenstände nicht kennen, sie aber dennoch ›auf einen bestimmten Zweck beziehen‹ und ihnen somit letztlich doch eine ZM mit Zweck unterstellen. Dafür, dass wir die Gegenstände ›auf einen bestimmten Zweck beziehen‹, ist es entscheidend, dass wir sie als Kunstwerke ansehen. Kants These lautet dann kurz gefasst: Dass wir den steinernen Gegenstand als ein Kunstwerk ansehen, impliziert, dass wir die Figur (d. h. die Form) auf einen bestimmten Zweck beziehen. 6 Wir können diesen Zusammenhang noch stärker auf die ZM beziehen, indem wir ergänzen, dass das Ansehen als Kunstwerk nichts anderes als das Unterstellen einer ZM ist: Dass wir den steinernen Gegenstand als ein Kunstwerk ansehen und ihn in diesem Sinne als zweckmäßig annehmen, impliziert, dass wir die Form des Gegenstandes auf einen bestimmten Zweck beziehen. 7 Wir können uns diesen Zusammenhang anhand der Differenz von objektiver und subjektiver ZM besser verdeutlichen. Beim Schönen liegt eine subjektive ZM vor, d. h. eine Zusammenstimmung eines Gegenstandes zu den menschlichen Erkenntnisvermögen. Diese subjektive ZM wird uns durch ein Gefühl der Lust bewusst – und zwar ohne dass wir den Gegenstand auf einen bestimmten Zweck beziehen. Die objektive ZM besteht hingegen darin, dass der Gegenstand mit einem Zweckbegriff davon, was der Gegenstand sein soll, übereinstimmt. Da sich diese ZM nicht durch einen Bezug auf das urteilende Subjekt konstituiert, können wir sie nur dadurch erkennen, dass wir den Gegenstand auf seinen Zweckbegriff beziehen. Im geschilderten Fall des steinernen Geräts erkennen wir zwar die ZM nicht, d. h. wir beziehen den Gegenstand nicht auf einen bestimmten, uns bekannten Zweckbegriff; aber wir vermuten, dass der Gegenstand über eine objektive ZM verfügt, weil er regelhaft erscheint, und beziehen ihn somit auf einen unbekannten Kants These kann freilich nicht sein, dass wir jeden Gegenstand, um dessen Status als Kunstwerk wir wissen, immer nur durch eine ZM mit Zweck beurteilen können. Denn wir können ja manche Kunstwerke, wie »Zeichnungen à la grecque« (§ 16.B.5, 229,28) oder einen »Pallast« (§ 2.A.4, 204,30), als schön beurteilen. Vielmehr muss Kants These die folgende sein: Insofern wir urteilen oder annehmen, dass ein Gegenstand ein Kunstwerk ist, unterstellen wir ihm eine ZM mit Zweck. 7 Guyer greift daher mit der folgenden Analyse der Fußnote zu kurz: »it asserts that an object’s status as art actually makes a judgment of free beauty impossible« (Guyer 1979, 250). Nicht die Tatsache, dass wir einen Gegenstand als ein Kunstwerk erkennen, verhindert selbst schon, dass wir ihn als freie Schönheit beurteilen können. Sondern die ZM, die darin besteht, dass wir einen Gegenstand als Kunstwerk ansehen, ist keine für das Schöne erforderte subjektive ZM ohne Zweck. 6

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Ein möglicher Einwand

Zweckbegriff. Wir können dies in unserem obigen Zusammenhang ergänzen: Dass wir den steinernen Gegenstand als ein Kunstwerk ansehen und ihn in diesem Sinne als objektiv zweckmäßig annehmen, impliziert, dass wir die Form des Gegenstandes auf einen bestimmten (wenngleich unbekannten) Zweck beziehen. Letztlich krankt die oben angeführte reductio ad absurdum daran, dass die Konzeption der ZM ohne Zweck missverstanden wird: Diese Konzeption bedeutet, dass wir eine (subjektive) ZM ohne jeden Zweckbezug durch ein Gefühl bemerken können. Sie bedeutet aber nicht, dass wir Objekten eine (objektive) ZM mit Bezug auf einen noch unbekannten Zweck unterstellen können. Kant vertritt die These – dies wird durch seine Replik auf den Einwand noch einmal eindrücklich sichtbar –, dass jeder Fall des Wahrnehmens oder Bemerkens einer subjektiven (inneren) ZM ohne Zweck ein Fall des Schönen ist (und umgekehrt). 8 Alle Fälle des Bemerkens oder vielmehr Erkennens einer ZM jenseits des Schönen müssen daher Fälle einer ZM mit Zweck sein. 9 Zwar gibt es Fälle der subjektiven ZM jenseits des Schönen; so erweist sich in jeder (empirischen) Erkenntnis einer objektiven ZM der Gegenstand als zweckmäßig für die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, d. h. als subjektiv zweckmäßig. Aber wir werden uns dieser subjektiven ZM nur (indirekt) mittels der Erkenntnis der objektiven ZM bewusst, d. h. mittels der Subsumtion unter einen Zweckbegriff. In diesem Sinne erkennen wir die subjektive ZM in diesen Fällen nur als ZM mit Zweck.

Streng genommen manifestiert sich auch beim Erhabenen eine subjektive ZM ohne Zweck; aber dabei handelt es sich um eine subjektive äußere ZM (vgl. EEKU: 249,26 f.). Siehe hierzu Kap. 10.1.3. 9 Als hypothetische Grundannahme im Sinne des Prinzips a priori der Urteilskraft kann die subjektive ZM ohne Zweck freilich auch im Bereich der Erkenntnis Anwendung finden. Aber dabei handelt es sich um keine Erkenntnis bzw. kein Bemerken einer konkreten ZM. 8

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IV. Das Vierte Moment des Schönen: Modalität

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Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Vierten Moments

§ 18 Die exemplarische Notwendigkeit des Geschmacksurteils Hat Kant bislang den Inhalt der Lust am Schönen und den Inhalt des Geschmacksurteils bestimmt, so wendet er sich nun im Moment der Modalität ihrer Geltung zu. In diesem Kontext führt er die Notwendigkeitsthese (NT) ein. Die Lust am Schönen ist notwendig (NTLust). Dies bedeutet: Allen Urteilenden ist es beim Wahrnehmen von x unmöglich, keine Lust am Schönen zu fühlen, wenn die Urteilenden in ästhetischer Einstellung sind und x ein schöner Gegenstand ist. 1 Ebenso ist das Geschmacksurteil »x ist schön« notwendig (NTUrteil). Dies bedeutet: Allen Urteilenden ist es unmöglich, »x ist nicht schön« zu urteilen, wenn die Urteilenden in ästhetischer Einstellung sind. Da es keine objektive Geschmacksregel gibt, kann sich die Notwendigkeit des Geschmacksurteils (und der Lust) nicht aus der Anwendung einer solchen (apriorischen) Regel herleiten. Damit greift Kant das Paradox des Schönen in geschärfter Form auf: Das Geschmacksurteil ist notwendig allgemeingültig, aber nichtbegrifflich. Das Geschmacksurteil kann über keine gewöhnliche Form der Notwendigkeit verfügen; seine Notwendigkeit ist weder apodiktisch noch theoretisch objektiv oder praktisch. Vielmehr ist sie exemplarisch: Erstens erscheint das Geschmacksurteil aufgrund seiner Notwendigkeit wie ein Beispiel einer objektiven und begrifflichen apriorischen Regel. Dies kann einen Urteilenden zweitens insofern täuschen, als er glaubt, sein Geschmacksurteil sei Beispiel einer objektiven und begrifflichen apriorischen Regel. Drittens ist das GeGrundsätzlich würde dieser Satz im Sinne des beinhalteten Implikationsverhältnisses besser folgendermaßen lauten: Wenn der schöne Gegenstand x gegeben ist und wenn die Urteilenden in ästhetischer Einstellung sind, dann ist es allen Urteilenden unmöglich, keine Lust am Schönen zu fühlen. Da im Kontext von NT aber die Notwendigkeit bzw. notwendige Allgemeingültigkeit der Lust im Vordergrund steht, ist es sinnvoll, den entsprechenden Satzteil an den Anfang zu stellen.

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Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Vierten Moments

schmacksurteil wirklich Beispiel einer Art von apriorischen Regel, nur dass diese subjektiv und nicht-begrifflich ist. Diese Regel identifiziert Kant in der Folge mit dem Gemeinsinn.

§ 19 Die subjektive und bedingte Notwendigkeit des Geschmacksurteils Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils beruht nicht auf einem objektiven Grund, d. h. einem begrifflichen und apriorischen Grundsatz, durch den eine Eigenschaft des Objekts erfasst würde. Stattdessen beruht sie auf einem subjektiven (d. h. subjektinternen) Grund. Sie ist daher eine subjektive Notwendigkeit. Da der subjektive Grund allen Urteilenden zukommt (d. h. intersubjektiv ist), liegt eine subjektiv notwendige Allgemeingültigkeit vor. Der subjektinterne und gleichsam intersubjektive Grund des Geschmacksurteils ist (in gewisser Hinsicht) etwas empirisch Gegebenes. Da seine Existenz eine Bedingung des Geschmacksurteils bzw. der Notwendigkeit desselben ist, so ist diese Notwendigkeit bedingt. Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist daher insgesamt eine subjektiv bedingte Notwendigkeit.

§ 20 Der ästhetische Gemeinsinn als Bedingung der Notwendigkeit Empirische Urteile, die Notwendigkeit beanspruchen, müssen aus einem Prinzip (im engen Sinne), d. h. einem apriorischen Urteil, das als Obersatz eines Syllogismus fungiert, abgeleitet werden. Da das Geschmacksurteil Sinnlichkeit voraussetzt und Notwendigkeit beansprucht, muss es aus einem Prinzip abgeleitet werden. Dabei kann es sich aber um kein objektives Prinzip (etwa der Form »Alles, was die Eigenschaft p hat, ist schön«) handeln; denn das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil, durch dessen Prädikat keine Eigenschaft des Objekts begrifflich erfasst wird. Stattdessen muss das Geschmacksurteil aus einem subjektiven Prinzip abgeleitet werden. Dieses bestimmt nicht durch Begriffe vom Objekt, was schön ist. Tatsächlich ist dieses Prinzip nicht einmal eine Proposition, sondern es bestimmt durch ein Gefühl, was schön ist. Dieses subjektive Prinzip ist der (ästhetische) Gemeinsinn, der sich durch die beiden Komponenten der 968

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Eine Deduktion des ästhetischen Gemeinsinns?

Sinnlichkeit und der Gemeinschaftlichkeit konstituiert. Er ist insofern sinnlich, als er das Vermögen zur Lust am Schönen ist; diese Komponente beruht auf der Belebung im freien Spiel. Der Gemeinsinn ist insofern gemeinschaftlich, als alle Menschen über ihn verfügen, er bei allen Menschen auf dieselbe Art und Weise operiert sowie bei allen Menschen in den gleichen Situationen zum gleichen Ergebnis führt. Diese Komponente beruht auf der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt im freien Spiel. Insgesamt ist der Gemeinsinn das Vermögen der gemeinschaftlichen Lust am Schönen und das Vermögen des freien und harmonischen Spiels der Erkenntniskräfte.

§ 21 Eine Deduktion des ästhetischen Gemeinsinns? Da der Gemeinsinn die Bedingung der Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist, kulminiert zum Ende von § 20 alles in der Frage: Gibt es einen Gemeinsinn? Würde Kant in § 21 die Wirklichkeit des Gemeinsinns beweisen, so würde er damit gleichsam das Geschmacksurteil mit seinem Anspruch auf notwendige Allgemeingültigkeit deduzieren. Dadurch würde er aber auch die Grenzen der Analytik sprengen, in der eigentlich nur eine Zergliederung des Geschmacksurteils geleistet werden soll. Tatsächlich beweist Kant in § 21 aber nicht die Wirklichkeit des Gemeinsinns, sondern bloß seine Möglichkeit, sodass die Behauptung, es gebe einen Gemeinsinn, zum Ende der Analytik bloß den Status einer Hypothese hat. Im Rahmen seiner Argumentation für die Möglichkeit des Gemeinsinns präzisiert Kant auch, was der Gemeinsinn ist. Der Gemeinsinn konstituiert sich durch das gefühlte Bewusstsein einer Stimmung S, die durch die Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand zur Erkenntnis überhaupt und durch ein zur gegenseitigen Belebung zuträglichstes Verhältnis von Einbildungskraft und Verstand ausgezeichnet ist. S ist letztlich nichts anderes als das freie und harmonische Spiel der Erkenntniskräfte. Es ist die in S beinhaltete Belebung, die wir als Lust erleben. Die ebenfalls beinhaltete Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand zur Erkenntnis überhaupt ist eine notwendige Bedingung der Erkenntnis. Da Erkenntnisse allgemein mitteilbar sein müssen – sonst würde der Skeptizismus Recht behalten –, müssen auch alle notwendigen Bedingungen der Erkenntnis, d. h. auch die Zusammenstimmung zur Kants Philosophie des Schönen

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Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Vierten Moments

Erkenntnis überhaupt, allgemein mitteilbar sein, und zwar jeder einzelne auftretende Fall einer solchen Zusammenstimmung. Aus diesem Grunde muss auch S allgemein mitteilbar sein. In diesem Sinne, so Kants These, verfügt der Gemeinsinn über Gemeinschaftlichkeit und führt zu notwendig allgemeingültigen Resultaten.

§ 22 Der Status des Gemeinsinns zum Ende der Analytik des Schönen Wenn es einen Gemeinsinn gibt, dann kann das Geschmacksurteil notwendige Allgemeingültigkeit beanspruchen. Im Sinne dieser notwendigen Geltung für alle Urteilenden wäre das Geschmacksurteil denjenigen Urteilen ähnlich, die über eine objektive Notwendigkeit verfügen (vor allem Erfahrungsurteilen). Die entscheidende Frage ist aber: Gibt es den Gemeinsinn? Eine Antwort auf diese Frage zu geben, fällt allerdings nicht in den Aufgabenbereich der Analytik des Schönen; denn in einer Analytik oder Exposition der Geschmacksurteile sollen das Prädikat »ist schön« und die Lust am Schönen nur zergliedert werden. Den Rechtsanspruch auf notwendige Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils und damit die Wirklichkeit des Gemeinsinns wird Kant dagegen erst im Rahmen der Deduktion der Geschmacksurteile beweisen. Durch diese Deduktion wird dann auch abschließend geklärt, dass der Gemeinsinn als konstitutives Prinzip fungiert. Dennoch ist eigentlich klar, dass der Gemeinsinn ein konstitutives Prinzip sein muss. Der Gemeinsinn ist insofern konstitutiv für die Lust am Schönen, als die Lust am Schönen erstens dem Gemeinsinn als Vermögen der Lust am Schönen entspringt. Zweitens ist er konstitutiv für die notwendige Allgemeingültigkeit der Lust. Und drittens wird durch die Subsumtion der gefühlten Lust unter den Gemeinsinn diese Lust als Lust am Schönen allererst konstituiert.

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§ 18 Die exemplarische Notwendigkeit des Geschmacksurteils

In vielerlei Hinsicht hat Kant schon mit Abschluss des Dritten Moments eine umfassende Analyse des Geschmacksurteils und der Lust am Schönen präsentiert. Er hat die Lust am Schönen als uninteressiert (UT), frei (FT), allgemeingültig (AT) und begriffslos (BT) ausgewiesen; er hat das freie und harmonische Spiel der Erkenntniskräfte als vermögenstheoretische Grundlage der Lust aufgedeckt; er hat gezeigt, dass sich im freien Spiel eine subjektive Zweckmäßigkeit ohne Zweck konstituiert, wobei sich in der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt die Form des schönen Gegenstandes (FMT) als subjektiv zweckmäßig erweist; und er hat angedeutet, dass es im freien Spiel zu einer Anwendung des Prinzips a priori der Urteilskraft kommt. Könnte er damit seine Analyse des Geschmacksurteils nicht beenden? Tatsächlich hat Kant seine Analyse des Inhalts des Geschmacksurteils sowie des Inhalts und phänomenalen Gehalts der Lust am Schönen abgeschlossen. Jedoch fehlt noch eine Untersuchung der Evaluation des Geschmacksurteils und der Lust – und genau diese erfolgt im Vierten Moment. Hier behandelt Kant die »Modalität des Wohlgefallens an dem Gegenstande« (236,13) sowie des Geschmacksurteils. 1 Zu den Urteilsfunktionen der Modalität heißt es in der KrV: »Die Modalität der Urteile ist eine ganz besondere Funktion derselben, die das Unterscheidende an sich hat, daß sie nichts zum Inhalte des Urteils beiträgt, (denn außer Größe, Qualität und Verhältnis ist nichts mehr, was den Inhalt eines Urteils ausmachte,) sondern nur den Wert der Copula in Beziehung auf das Denken überhaupt angeht« (A74/B99 f.). Dies gilt auch für die Modalität des Geschmacksurteils und der Lust. Diese Modalität bestimmt Kant als Notwendigkeit. Um die spezifische Notwendigkeit beim Schönen zu entwickeln, grenzt er sie in § 18 von anderen Modalitäten sowie von anderen Formen der Notwendigkeit ab. Dies geht aus der folgenden Gliederung hervor: 1

Vgl. § 18.T, 236,16.

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§ 18 Die exemplarische Notwendigkeit des Geschmacksurteils

1. 2. 3. 4.

Mögliche, wirkliche und notwendige Lust (§ 18.A.1–3, 236,17– 21) Theoretische objektive, praktische objektive und exemplarische Notwendigkeit (§ 18.A.4–5, 236,21–237,10) Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist nicht apodiktisch (§ 18.A.6, 237,10–13) Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist nicht empirisch (§ 18.A.7–8, 237,13–18)

18.1 Mögliche, wirkliche und notwendige Lust Kant leitet seine Ausführungen zur Modalität damit ein, dass er die Dreiteilung von Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit auf drei Arten der Lust bezieht. Damit wendet er zwar nicht die drei Urteilsfunktionen der Modalität, nämlich ›problematisch, assertorisch und apodiktisch‹ an, wohl aber die mit diesen Urteilsfunktionen eng verknüpfte Dreiteilung von ›möglich, wirklich und notwendig‹. 2 Diese direkte Bezugnahme auf die Urteilsfunktionen ist für die Analytik einzigartig. So differenziert Kant im Zweiten Moment (Quantität) nur zwischen privatgültigen und allgemeinen Urteilen bzw. Formen der Lust, geht aber nicht auf partikular gültige Urteile bzw. Formen der Lust ein. Im Ersten und Dritten Moment (Qualität und Relation) benennt er gar nicht die entsprechenden Urteilsfunktionen, nämlich ›bejahend, verneinend und unendlich‹ sowie ›kategorisch, hypothetisch und disjunktiv‹. 3 In diesem Sinne tritt im Vierten Moment der Bezug zu den Urteilsfunktionen am deutlichsten hervor. Die Dreiteilung in mögliche, wirkliche und notwendige Lust gestaltet sich wie folgt: § 18.A.1 »Von einer jeden Vorstellung kann ich sagen: wenigstens es sey m ö g l i c h , daß sie (als Erkenntniß) mit einer Lust verbunden sey.

Vgl.: »P r o b l e m a t i s c h e Urteile sind solche, wo man das Bejahen oder Verneinen als bloß m ö g l i c h (beliebig) annimmt. A s s e r t o r i s c h e , da es als w i r k l i c h (wahr) betrachtet wird. A p o d i k t i s c h e , in denen man es als n o t w e n d i g ansieht« (A74 f./B100). 3 Vgl. für die verschiedenen Urteilsfunktionen A70/B95. – Für einen Überblick über den Bezug der Urteilsfunktionen zum Geschmacksurteil siehe Unterpunkt 3.1 der Einleitung zu diesem Kommentar. 2

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Mögliche, wirkliche und notwendige Lust

§ 18.A.2 Von dem, was ich a n g e n e h m nenne, sage ich, daß es in mir w i r k l i c h Lust bewirke. § 18.A.3 Vom S c h ö n e n aber denkt man sich, daß es eine n o t h w e n d i g e Beziehung auf das Wohlgefallen habe« (236,17).

Formen wir die drei Aussagen zunächst durch Gebrauch der direkten Rede um: § 18.A.1* Von einer jeden Vorstellung kann ich sagen: Es ist möglich, dass diese Vorstellung (als Erkenntnis) mit einer Lust verbunden ist. § 18.A.2* Von dem, was ich angenehm nenne, sage ich: Das Angenehme bewirkt in mir wirklich Lust. § 18.A.3* Vom Schönen denkt man sich: Das Schöne hat eine notwendige Beziehung auf das Wohlgefallen.

Es fällt sofort auf, dass Kant seine gewöhnliche Dreiteilung modifiziert. Er differenziert nicht mehr zwischen der Lust am Angenehmen, Schönen und Guten; statt der Lust am Guten findet sich jetzt eine Art epistemische Lust an einem Erkenntnisgewinn. Der Grund für diese Änderung liegt wohl darin, dass die Lust am Guten ebenso wie die Lust am Schönen notwendig ist. Dies wird Kant für die Lust am moralisch Guten im Fortgang von § 18 zeigen. 4 Auffällig ist ferner, dass Kant jeweils eine Aussage darüber trifft, was Urteilende (gemeinhin) denken oder sagen (›kann ich sagen‹, ›sage ich‹, ›denkt man sich‹). 5 Er schreibt also nicht: ›Die Lust am Angenehmen ist wirklich‹ ; sondern: ›Von dem, was ich angenehm nenne, sage ich…‹. Wenzel deutet diese Auffälligkeit folgendermaßen: »Kant thus simply pays attention to how we speak and think when we make aesthetic judgments. Only then does he go on to deeper philosophical reflections« (Wenzel 2008, 77). Dagegen werde ich im Folgenden herausstellen, dass die genannten Formulierungen eine tiefergehende Bedeutung haben. Wenn Kant etwa schreibt, man denke sich ›vom Schönen…, daß es eine nothwendige Beziehung auf das Wohlgefallen habe‹, dann ist damit gemeint, dass das Urteil »x ist schön« vom GeVgl.: »eine praktische [Notwendigkeit], wo durch Begriffe eines reinen Vernunftwillens, welcher freyhandelnden Wesen zur Regel dient, dieses Wohlgefallen die nothwendige Folge eines objectiven Gesetzes ist« (§ 18.A.4, 237,2). Siehe zu dieser Passage Kap. 18.3.2. 5 Das Personalpronomen »ich« bezieht sich an dieser Stelle nicht auf die Person Kants, sondern ist ein Stilmittel, mit dem die Perspektive jedes einzelnen Lesers angesprochen wird. 4

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§ 18 Die exemplarische Notwendigkeit des Geschmacksurteils

danken an die Notwendigkeit des Urteils bzw. der Lust begleitet ist. Und im Urteil »x ist angenehm« ›sage ich‹ aus, dass x wirklich eine Lust in mir bewirkt, d. h. die Wirklichkeit der Lust gehört zum Inhalt des Urteils. (Freilich sage ich aber auch im Geschmacksurteil, dass x in mir wirklich eine Lust bewirkt.) Wenden wir uns nun den Propositionen zur Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit im Einzelnen zu.

18.1.1 Zur Möglichkeit der epistemischen Lust Beginnen wir mit Kants Ausführungen zur möglichen Lust (§ 18.A.1). Kants wichtigste Bemerkung dazu findet sich in der Klammerbemerkung. Er schreibt, ›es sey möglich, dass sie‹, d. h. jede Vorstellung, ›(als Erkenntniß) mit einer Lust verbunden sey‹. Was ist aber eine Vorstellung als Erkenntnis? Es scheinen zwei Lesarten denkbar. Erstens könnte Kant solche Vorstellungen meinen, die Erkenntnisse sind. Und tatsächlich bezeichnet Kant in der sogenannten Stufenleiter der Vorstellungsarten bestimmte Arten von Vorstellungen als Erkenntnis: »eine objektive Perzeption ist E r k e n n t n i s (cognitio). Diese [Erkenntnis] ist entweder A n s c h a u u n g oder B e g r i f f (intuitus vel conceptus)« (A320/B376 f.). Wir müssten in diesem Sinne schreiben: § 18.A.1R1a Von jeder Vorstellung kann ich sagen: Es ist möglich, dass diese Vorstellung, wenn es sich bei dieser Vorstellung um eine Erkenntnis (d. h. eine Anschauung oder einen Begriff) handelt, mit einer Lust verbunden ist.

Das Problem an dieser Deutung ist, dass nicht klar ist, warum jede Anschauung und jeder Begriff mit Lust verbunden sein kann. Warum sollten wir an Anschauungen oder Begriffen überhaupt eine Lust empfinden? Es gibt aber noch eine andere Deutung. Kant könnte nämlich auch meinen, dass sich jede (objektive) Vorstellung – also objektive Empfindungen, Anschauungen, Begriffe – als Material für eine Erkenntnis eignet; und dass jede Erkenntnis mit Lust verbunden sein kann, sodass die Vorstellungen indirekt, nämlich als Teil dieser Erkenntnis, mit Lust verbunden sein können. Wir müssten dann die Formulierung ›als Erkenntniß‹ im Sinne von ›als Teil einer Erkenntnis‹ deuten. § 18.A.1 könnten wir dann folgendermaßen rekonstruieren:

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Mögliche, wirkliche und notwendige Lust

§ 18.A.1R1b Von jeder Vorstellung (objektive Empfindung, Anschauung, Begriff) kann ich sagen: Es ist möglich, dass diese Vorstellung, wenn sie in eine Erkenntnis eingebunden ist, mit einer Lust verbunden ist.

Mir scheint diese zweite Deutung einen entscheidenden Vorteil gegenüber § 18.A.1R1a zu haben. Im Rahmen von § 18.A.1R1b können wir nämlich erklären, warum jede Vorstellung mit einer Lust verbunden sein kann. Um dies zu verstehen, ist ein Blick in die Einleitung hilfreich. Dort formuliert Kant die folgende These: »Die Erreichung jeder Absicht ist mit dem Gefühle der Lust verbunden« (187,11). Nun hat das Erkenntnissubjekt mit seiner reflektierenden Urteilskraft die ›Absicht‹, empirische Erkenntnisse über die Natur zu gewinnen und diese in einer Systematik der unter- und übergeordneten Gesetze zu klassifizieren. Wird diese ›Absicht‹ in einem konkreten Fall erreicht, indem ein Urteilender eine empirische Erkenntnis über die Natur gewinnt oder mehrere Gesetze unter ein übergeordnetes Gesetz befassen kann, so fühlt er eine Lust. 6 So schreibt Kant, dass »die entdeckte Vereinbarkeit zweyer oder mehrerer empirischen heterogenen Naturgesetze unter einem sie beide befassenden Princip der Grund einer sehr merklichen Lust, oft sogar einer Bewunderung [ist]« (187,23). 7 Wir können § 18.A.1 somit folgendermaßen ergänzen:

Wir fühlen diese Lust nur, weil wir eine selbst gesetzte Absicht erreichen. Die epistemische Lust ist also nichts, was einfach passiv im Subjekt bewirkt wird; vielmehr macht sich das Subjekt die Lust in gewisser Hinsicht selbst. In diesem Moment des Selbstmachens weist die epistemische Lust eine Ähnlichkeit zur Lust am Schönen auf. 7 Die geschilderte Absicht ist nur bei Aktivitäten der reflektierenden Urteilskraft, die auf Erkenntnis zielen, gegeben. Bei Aktivitäten der subsumierenden Urteilskraft verfährt der Verstand hingegen unabsichtlich, insbesondere wenn er bloß die Kategorien anwendet; in solchen Fällen fühlen wir also keine Lust. So schreibt Kant: »In der That, da wir von dem Zusammentreffen der Wahrnehmungen mit den Gesetzen nach allgemeinen Naturbegriffen (den Categorieen) nicht die mindeste Wirkung auf das Gefühl der Lust in uns antreffen, auch nicht antreffen können, weil der Verstand damit unabsichtlich nach seiner Natur nothwendig verfährt« (187,19, m. H.). Nun sind wir freilich auch, wenn wir Kategorien anwenden, auf Erkenntnis gerichtet; und in diesem Sinne ist diese Aktivität absichtlich. Allerdings sind wir uns dieser Absicht meistens nicht bewusst – wie wir uns wohl in den allermeisten Fällen nicht bewusst sind, dass wir überhaupt Kategorien anwenden. Dies lässt sich in Analogie zum »Ich denke« begreifen: Zwar muss »[d]as: I c h d e n k e , […] alle meine Vorstellungen begleiten k ö n n e n « (B131 f.). Dies bedeutet aber nicht, dass ich immer bewusst denke, dass ich denke; jedoch kann ich mir dies (jederzeit) bewusst machen. Analog dazu verfolge ich beim Anwenden der Kategorien nicht bewusst eine Absicht. Dagegen 6

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§ 18.A.1R2 Von jeder Vorstellung (objektive Empfindung, Anschauung, Begriff) kann ich sagen: Es ist möglich, dass diese Vorstellung, wenn sie in eine Erkenntnis eingebunden ist, mit einer Lust verbunden ist; denn jede Erkenntnis (durch die reflektierende Urteilskraft) ist insofern mit einer Lust verbunden, als durch sie eine Absicht erreicht wird.

Inwiefern ist aber nun diese epistemische Lust 8 eine mögliche Lust? Zunächst einmal kann sich Kant mit der möglichen Lust nicht auf Fälle beziehen, in denen wir wirklich eine Erkenntnisabsicht erreichen und somit wirklich eine Lust fühlen; denn in solchen Fällen liegt eben eine wirkliche Lust vor. Vielmehr muss er implizit den folgenden Zusammenhang annehmen: Wir können jede Vorstellung (objektive Empfindung, Anschauung, Begriff) als Material für eine Erkenntnis gebrauchen, die mit der Absicht der reflektierenden Urteilskraft zusammenstimmt. (Damit hat Kant gewiss ein sehr optimistisches Bild von empirischer Erkenntnis bzw. Naturwissenschaft.) Insofern es möglich ist, jede Vorstellung für eine Erkenntnis zu gebrauchen, wobei diese Erkenntnis der Absicht der reflektierenden Urteilskraft entspricht, ist jede Vorstellung (indirekt) potenziell mit Lust verbunden. In diesem Sinne ist es möglich, dass jede Vorstellung ›mit einer Lust verbunden‹ ist. Wenn ich also urteile »Jede Vorstellung kann für eine Erkenntnis durch die reflektierende Urteilskraft gebraucht werden«, dann ist damit impliziert, dass es möglich ist, an jeder Vorstellung indirekt eine epistemische Lust zu fühlen. In diesem Sinne können wir § 18.A.1 folgendermaßen rekonstruieren: § 18.A.1R3 Weil jede Vorstellung für eine Erkenntnis durch die reflektierende Urteilskraft gebraucht werden kann, ist es möglich, dass jede Vorstellung indirekt mit einer epistemischen Lust verbunden ist.

Das Besondere im Vergleich zur wirklichen und notwendigen Lust ist, dass in diesen Komplex der möglichen Lust kein ästhetisches Urteil involviert ist. In ästhetischen Urteilen bringt ein Urteilender nämlich immer eine wirkliche Lust zum Ausdruck. Im Falle der (nur) möglichen Lust liegt aber ja gerade keine wirkliche Lust vor, und entsprechend liegt auch kein Urteil vor, in dem eine wirkliche Lust prädiziert sind wir uns beim Betreiben von empirischer Naturwissenschaft sehr wohl bewusst, dass wir Erkenntnisse gewinnen wollen und in diesem Sinne eine Absicht verfolgen. 8 Den Begriff »epistemische Lust« führe ich hier ein, da Kant selbst keine Bezeichnung für diese Art der Lust zur Verfügung stellt.

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Mögliche, wirkliche und notwendige Lust

würde. Daher können wir Kants Aussage zur möglichen Lust in § 18.A.1, anders als seine Aussagen zur wirklichen und notwendigen Lust, nicht als Aussage darüber, was wir in einem bestimmten ästhetischen Urteil sagen oder denken, rekonstruieren. Was ist im Kontext der möglichen Lust überhaupt unter »Möglichkeit« zu verstehen? Kant verwendet diesen Begriff in verschiedenen Kontexten und mit unterschiedlichen Bedeutungen. Erstens gibt es die logische Möglichkeit, die für die logische Widerspruchsfreiheit eines Begriffs steht. 9 In der KrV schildert Kant das folgende Beispiel: »So ist in dem Begriffe einer Figur, die in zwei geraden Linien eingeschlossen ist, kein Widerspruch, denn die Begriffe von zwei geraden Linien und deren Zusammenstoßung enthalten keine Verneinung einer Figur« (A220/B268). Offenkundig kann mit der Möglichkeit einer Lust aber keine logische Möglichkeit gemeint sein; denn Lust ist ein Gefühl und kein Begriff. Zweitens kommt aber auch eine reale Möglichkeit im Kontext der Lust nicht in Frage. Die reale Möglichkeit steht für den »Anspruch auf objektive Realität« eines Begriffs (A223/ B270) – real mögliche Begriffe lassen sich durch Objekte belegen. 10 So ist die »Figur, die in zwei gerade Linien eingeschlossen ist«, insofern real unmöglich, als sie nicht im Raum konstruierbar ist (A220/B268). Da die Lust aber, wie gesagt, kein Begriff ist, kann sie auch keine reale Möglichkeit beanspruchen. Nun leitet sich die Möglichkeit der Lust von der Möglichkeit der empirischen Erkenntnis ab. Zur Möglichkeit der Erkenntnis schreibt Kant in § 91: »und die Frage, ob etwas ein erkennbares Wesen sey oder nicht, ist keine Frage, die die Möglichkeit der Dinge selbst, sondern [die Möglichkeit] unserer Erkenntniß derselben angeht« (467,9). Die Möglichkeit der Erkenntnis eines Gegenstandes ist demnach von der realen Möglichkeit eines Gegenstandes unterschieden. Da die Möglichkeit der epistemischen Lust unmittelbar von der Möglichkeit der Erkenntnis (durch die reflektierende Urteilskraft) abhängt, ist sie mit dieser Möglichkeit der Erkenntnis verwandt. Bei beidem handelt es sich um eine Möglichkeit, die im erkennenden bzw. fühlenden Subjekt realisiert wird. Insgesamt können wir festhalten, dass Kants Konzeption der Möglichkeit einer Lust nicht (vollständig) mit seinen gewöhnlichen Konzeptionen der Möglichkeit übereinstimmt. Vgl. etwa: »Der Begriff ist allemal möglich, wenn er sich nicht widerspricht. Das ist das logische Merkmal der Möglichkeit« (A596/B624 Fn.; vgl. auch A244/B302). 10 Vgl. A244/B302; B308. 9

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§ 18 Die exemplarische Notwendigkeit des Geschmacksurteils

Nicht nur der Begriff der Möglichkeit ist im Kontext von § 18.A.1 problematisch, sondern auch die Tatsache, dass Kant die Modalität der Möglichkeit der epistemischen Lust zuordnet. Müssen nicht auch die Lust am Angenehmen und Schönen möglich sein? Schließlich umfasst die Klasse der Möglichkeit die Klassen der Wirklichkeit und Notwendigkeit. 11 Und ist nicht auch die epistemische Lust, insofern man sie gerade empfindet, wirklich? Es mag zwar so scheinen, als sei Kants Zuordnung der drei Arten von Lust zu den Begriffen der Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit beliebig. Dass Kant die epistemische Lust als paradigmatischen Fall einer möglichen Lust benennt, ist aber aus den beiden folgenden Gründen sinnvoll: Erstens ist es nur im Bereich der epistemischen Lust der Fall, dass bei ›jeder Vorstellung‹ (§ 18.A.1) die Möglichkeit besteht, sie sei mit Lust verbunden. Hingegen können die Lust am Angenehmen und Schönen nur bei spezifischen Vorstellungen vorliegen. Zweitens ist es das Besondere an der Wirklichkeit der Lust am Angenehmen sowie an der Notwendigkeit der Lust am Schönen, dass sie sich in einem ästhetischen Urteil manifestieren. Im Falle von Erkenntnissen durch die reflektierende Urteilskraft liegt zwar auch wirklich eine Lust vor, aber es gibt kein dieser Lust korrespondierendes ästhetisches Urteil. Halten wir zur Möglichkeit der epistemischen Lust das Folgende fest: i. Es ist insofern möglich, dass jede Vorstellung (objektive Empfindung, Anschauung, Begriff) mit Lust verbunden ist, als jede Vorstellung für eine (empirische) Erkenntnis gebraucht werden kann. Die reflektierende Urteilskraft hat die Absicht, empirische Erkenntnisse zu gewinnen, und das Erreichen dieser Absicht ist stets mit Lust verbunden. ii. Das Urteil »Jede Vorstellung kann für eine Erkenntnis durch die reflektierende Urteilskraft gebraucht werden« impliziert, dass es möglich ist, an jeder Vorstellung indirekt eine epistemische Lust zu fühlen. Es gibt jedoch keine ästhetischen Urteile, in denen diese Lust ausgedrückt würde. iii. Bei der Möglichkeit der epistemischen Lust handelt es sich weder um eine logische noch um eine reale Möglichkeit. Vielmehr ist die Möglichkeit der Lust eng mit der Möglichkeit der Erkenntnis verknüpft.

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Vgl. A230 f./B282 ff.

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Mögliche, wirkliche und notwendige Lust

18.1.2 Zur Wirklichkeit der Lust am Angenehmen Wir haben bereits gesehen, dass Kant in § 18.A.2 darlegt, was man im Urteil »x ist angenehm« aussagt (›Von dem, was ich angenehm nenne, sage ich, daß es in mir wirklich Lust bewirke‹). Wir können diesen Satz daher folgendermaßen rekonstruieren: § 18.A.2R1 Im Urteil »x ist angenehm« sage ich: x bewirkt in mir wirklich Lust.

Die Wirklichkeit einer Lust bedeutet offenkundig, dass ich (in der Erste-Person-Perspektive) gerade wirklich eine Lust fühle. Nun ist ein ästhetisches Urteil aber nichts anderes als eine sprachlich erfasste aktual empfundene Lust. In diesem Sinne bedeutet das Urteil »x ist angenehm« nichts anderes als »ich fühle jetzt gerade beim Wahrnehmen von x wirklich Lust am Angenehmen«. Vor diesem Hintergrund wird nun besser verständlich, warum Kant schreibt: ›Von dem, was ich angenehm nenne, sage ich, daß es in mir wirklich Lust bewirke‹. Denn im Urteil »x ist angenehm« sage ich ja nichts anderes, als dass ich aktual wirklich eine Lust fühle. Allerdings schreibt Kant eigentlich gar nicht, man sage im Urteil »x ist angenehm«, dass man selbst aktual eine Lust fühle, sondern man sage in diesem Urteil, dass ›es‹, d. h. das angenehme Objekt bzw. die angenehme Empfindung, ›in mir wirklich eine Lust bewirke‹. Wie schon im Falle der Möglichkeit geht es also eigentlich um die Wirklichkeit der Beziehung eines Gegenstandes (im weitesten Sinne) zum Gefühl der Lust. In der Tat drückt man im Urteil »x ist angenehm« nicht bloß aus, dass man aktual wirklich eine Lust fühlt, sondern man verbindet diese Lust mit dem Gegenstand x. 12 Interessanterweise schreibt Kant in § 18.A.2, dass der angenehme Gegenstand ›in mir wirklich Lust bewirke‹. Es geht also um eine Kausalbeziehung, und tatsächlich liegt beim Angenehmen eine solche Kausalbeziehung vor; denn der Gegenstand verursacht im Subjekt eine Empfindung (etwa den Geschmack von Schokolade) und diese Empfindung wird im Sinne einer inneren Belebung als Lust erlebt. Das Subjekt ist dabei passiv. Wie früher betont, liegt bei der Lust am Schönen kein solches Kausalverhältnis vor. Erstens beruht die Lust am Schönen auf dem freien Spiel der Erkenntniskräfte, d. h. auf einer Aktivität des SubIch habe dafür argumentiert, dass die Verbindung zwischen der Lust und dem angenehmen Gegenstand bereits in der Lust enthalten ist; denn die Lust ist intentional auf den Gegenstand gerichtet. Siehe hierzu Kap. G2.1.1 sowie G2.2.1.

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jekts. Zweitens ist dieses freie Spiel nicht nur auf das schöne Objekt als Grund, sondern auch auf das (he)autonom gegebene Prinzip a priori der Urteilskraft zurückzuführen. 13 Wenngleich auch im Geschmacksurteil »x ist schön« eine aktual gefühlte Lust ausgedrückt wird, lässt sich der folgende Zusammenhang nicht herstellen: Im Urteil »x ist schön« sage ich: x bewirkt in mir wirklich Lust. Vielmehr kann der Zusammenhang hier nur lauten: Im Urteil »x ist schön« sage ich: x ist bei mir wirklich mit Lust verbunden. Die Wirklichkeit der Lust am Angenehmen besteht darin, dass ich (in der Erste-Person-Perspektive) aktual eine Lust fühle. Damit ist die Wirklichkeit der Lust an den aktualen (mentalen) Zustand des Subjekts geknüpft. Dies bedeutet, dass ich die Wirklichkeit der Lust immer nur für mich selbst, d. h. in der ersten Person, und im aktuellen Moment aussagen kann. Ein urteilendes Subjekt kann nichts über die Wirklichkeit der Lust in anderen Urteilenden sagen. Recht klar ist auch, dass es unmöglich ist, ein ästhetisches Urteil über eine zukünftige Lust zu fällen. Unklarer ist hingegen, ob es ästhetische Urteile über eine in der Vergangenheit gefühlte Lust geben kann. Problematisch ist daran, dass dem urteilenden Subjekt der Bestimmungsgrund dieses Urteils, d. h. die (gefühlte) Lust, nicht mehr zur Verfügung steht und das Urteil somit nicht mehr rechtfertigbar ist. 14 Halten wir zur Wirklichkeit der Lust am Angenehmen fest: i. Die Wirklichkeit der Lust am Angenehmen bedeutet, dass ich (in der ersten Person) aktual wirklich eine Lust fühle. Die Wirklichkeit der Lust ist also an die Erste-Person-Perspektive und den aktualen Lustzustand des fühlenden Subjekts gebunden. ii. Im Urteil »x ist angenehm« sage ich, dass x aktual in mir wirklich eine Lust bewirkt.

18.1.3 Zur Notwendigkeit der Lust am Schönen Kommen wir zur Notwendigkeit der Lust am Schönen. Wir haben bereits mit Rekurs auf § 18.A.3 gesehen, dass das Geschmacksurteil vom Gedanken an seine Notwendigkeit begleitet ist (›Vom Schönen aber denkt man sich, daß es eine nothwendige Beziehung auf das Wohlgefallen habe‹). Wir können daher schreiben: 13 14

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Siehe hierzu Kap. 12.4. Zum Bestimmungsgrund des ästhetischen Urteils siehe Kap. 1.3.

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Mögliche, wirkliche und notwendige Lust

§ 18.A.3R1 Beim Urteil »x ist schön« denkt man sich: x hat eine notwendige Beziehung auf das Wohlgefallen.

Ich möchte zunächst noch unberücksichtigt lassen, dass wir die Notwendigkeit der Lust beim Geschmacksurteil denken. Fragen wir vielmehr zunächst, was »Notwendigkeit« hier überhaupt bedeutet. Die These, dass die Lust am Schönen notwendig ist, werde ich fortan als Notwendigkeitsthese (NT) bezeichnen. Dabei werde ich, wie schon bei der Allgemeingültigkeitsthese AT, zwischen einer die Lust am Schönen betreffenden These (NTLust) und einer das Urteil betreffenden These (NTUrteil) unterscheiden. Wir wollen zunächst NTLust untersuchen. Wenn wir denjenigen Teil von § 18.A.3 isolieren, der die Lust betrifft (›daß es eine nothwendige Beziehung auf das Wohlgefallen habe‹), so erhalten wir: NTLust Das Schöne hat eine notwendige Beziehung auf das Wohlgefallen.

In der Vierten Erklärung des Schönen formuliert Kant erneut NTLust: E4 »S c h ö n ist, was ohne Begrif als Gegenstand eines n o t h w e n d i g e n Wohlgefallens erkannt wird« (240,18). 15

Diese Formulierung von NTLust ist insofern aufschlussreich, als Kant vom ›Gegenstand eines nothwendigen Wohlgefallens‹ spricht. NTLust ist also eine These über die Notwendigkeit der Beziehung des schönen Gegenstandes zum Gefühl der Lust. Dabei ist der schöne Gegenstand freilich im weiten Sinne zu verstehen, d. h. nicht im Sinne eines durch Kategorien konstituierten Objekts. Vielmehr haben wir im Dritten Moment gelernt, dass Schönheit die Form betrifft (Formthese FMT). Unter dem schönen Gegenstand ist daher primär eine Form zu verstehen. 16 Nutzen wir der Einfachheit halber dennoch den Terminus des schönen Gegenstandes: NTLustR1 Der schöne Gegenstand x hat eine notwendige Beziehung auf das Wohlgefallen.

Fragen wir uns zunächst, was die ›Beziehung‹ des schönen Gegenstandes ›auf das Wohlgefallen‹ ist. Wie oben erläutert, liegt zwischen dem schönen Gegenstand und der Lust am Schönen keine KausalSiehe hierzu auch das Kapitel zur Vierten Erklärung des Schönen. Zur Formthese siehe Kap. 13.5. – Siehe auch die Ausführungen zum schönen Objekt in Grundlagen 4.

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beziehung vor. Vielmehr muss das urteilende Subjekt die Lust durch die Aktivität des freien Spiels selbst machen. Dennoch gibt es natürlich eine Beziehung zwischen dem schönen Gegenstand und der Lust; denn der schöne Gegenstand regt das freie Spiel allererst an und das freie Spiel kann nur andauern, wenn die Vorstellung vom Gegenstand präsent bleibt. Ohne den schönen Gegenstand bzw. die Vorstellung vom Gegenstand gibt es also keine Lust am Schönen, d. h. der schöne Gegenstand ist eine notwendige Bedingung für die Lust am Schönen. Schließlich erleben wir die Lust am Schönen ja auch als eine Lust an einem spezifischen Gegenstand (Intentionalität der Lust). 17 Und im Geschmacksurteil »x ist schön« drücken wir aus, dass x mit einer Lust am Schönen verbunden ist. Was bedeutet es aber nun, dass diese Verbindung notwendig ist? Untersuchen wir zunächst, wofür der Begriff der Notwendigkeit in diesem Kontext steht. Die Interpretation gestaltet sich ähnlich schwierig wie im Falle der Möglichkeit der epistemischen Lust. Kant differenziert grundlegend zwischen einer »bloß formale[n] und logische[n]« Notwendigkeit »in Verknüpfung der Begriffe«, d. h. der Notwendigkeit der Urteile, und einer realen bzw. »materiale[n] Notwendigkeit im Dasein«, welche die Existenz von Gegenständen betrifft (A226/B279). Die logische Notwendigkeit ist eine Notwendigkeit »aus Begriffen« (A227/B279), und sie besagt, »daß nothwendig so und nicht anders geurtheilt werden müsse, d. i. daß das Gegenteil falsch sei« (Log: 53). 18 Sie beruht auf dem »Satz des a u s s c h l i e ß e n d e n D r i t t e n (principium exclusi medii inter duo contradictoria)« (Log: 53); denn da es keine mittlere Option zwischen kontradiktorischen Gegensätzen gibt, kann die Notwendigkeit einer Aussage daran festgemacht werden, dass ihr kontradiktorischer Gegensatz falsch ist. Die Notwendigkeit der Lust am Schönen ist aber nicht die Notwendigkeit eines Urteils. Sie betrifft daher nicht die Wahrheit oder Falschheit eines Urteils. Somit kann die Notwendigkeit der Lust keine logische Notwendigkeit sein. Aber auch die reale Notwendigkeit ist in Bezug auf die Lust am Schönen problematisch. Die reale Notwendigkeit ist »die Notwendigkeit der Existenz« (A227/B279), und ein real notwendiges Ding ist ein solches, »dessen Gegentheil ein Unding ist« (Refl: 5570). Nun ist die Lust am Schönen aber gar Zur Intentionalität der Lust am Schönen siehe Kap. G2.2.1. Vgl. auch: »Logische Nothwendigkeit: dessen Gegentheil logisch unmoglich ist aus Begriffen, d. i. sich wiederspricht« (Refl: 5570).

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keine ›Sache‹, d. h. kein Gegenstand, sondern bloß ein momentaner Gefühlszustand des Subjekts; und ferner ist es kein ›Unding‹, bei einem Gegenstand keine Lust am Schönen zu fühlen. Wir werden im weiteren Verlauf unserer Untersuchungen des Vierten Moments sehen, dass die Notwendigkeit der Lust an den Gemeinsinn gebunden ist, wobei der Gemeinsinn eine notwendige Bedingung der Erkenntnis beinhaltet. 19 Ähnlich wie die Möglichkeit der Lust an die Möglichkeit der Erkenntnis gebunden ist, scheint daher auch die Notwendigkeit der Lust an die Notwendigkeit der (subjektiven) Bedingung von Erkenntnis gebunden zu sein. Damit haben wir aber noch immer nicht geklärt, was denn unter der Notwendigkeit der Lust am Schönen zu verstehen ist. Nun könnte man meinen, Kant habe Folgendes im Sinn: Wenn der schöne Gegenstand x gegeben ist, dann ist es unmöglich, dass das Subjekt keine Lust am Schönen fühlt. 20 Dies kann aber nicht stimmen. So sind wir gewiss alle mit dem Phänomen vertraut, dass man zu einem Zeitpunkt eine ästhetische Erfahrung an einem bestimmten Gegenstand macht, zu einem anderen Zeitpunkt aber nichts dergleichen spürt. Vielleicht habe ich beim ersten Hören von Brahms’ 4. Sinfonie eine ästhetische Erfahrung gemacht, beim zweiten Hören einige Monate später aber nicht. Wir müssen, so denke ich, auch Kant ein Bewusstsein dieses Phänomens zugestehen. Mein Vorschlag ist daher, dass wir die ästhetische Einstellung in NTLust einbeziehen müssen. 21 So war ich beim zweiten Hören von Brahms’ Sinfonie nicht in ästhetischer Einstellung, sondern war vielleicht sehr müde und habe mich deswegen auf die Musik nicht eingelassen. Erinnern wir uns an die beiden Momente der ästhetischen Einstellung, die wir im Laufe unserer Untersuchungen entwickelt hatten: 22 i. Uninteressiertheit: Das Subjekt verspürt kein Interesse bzw. Begehren für den schönen Gegenstand oder für einen anderen Gegenstand.

Siehe hierzu Kap. G5.2. Die Bestimmung der Notwendigkeit als etwas, dessen Gegenteil unmöglich ist, findet sich bereits bei Baumgarten: »NECESSARIUM est, cuius oppositum est impossibile« (Baumgarten 2011, § 101, 90). Vgl. fast wortgleich bei Kant: »nothwendig ist, dessen Gegentheil unmöglich ist« (UD: 285). 21 Dieses Verfahren hatten wir bereits bei der Rekonstruktion der Allgemeingültigkeitsthese genutzt. Siehe Kap. 6.1.1. 22 Siehe Kap. 2.3.3 und G3.4. 19 20

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ii.

Bereitschaft zur Reflexion: Das Subjekt befindet sich in einem Zustand der Bereitschaft zur Reflexion, d. h. es erlaubt seiner Einbildungskraft, Formen zu apprehendieren, und hat die Prüfung mittels des Prinzips a priori der Urteilskraft aktiviert. Vor dem Hintergrund der so bestimmten ästhetischen Einstellung könnte NTLust das Folgende bedeuten: Wenn der schöne Gegenstand x gegeben ist und das Subjekt in ästhetischer Einstellung (Uninteressiertheit und Bereitschaft zur Reflexion) ist, dann ist es unmöglich, dass das Subjekt keine Lust am Schönen fühlt. Wenn wir in diesem Sinne die ästhetische Einstellung in unsere Rekonstruktion von NTLust einbeziehen, erhalten wir: NTLustR2 Ein Gegenstand x ist notwendig mit Lust am Schönen verbunden, wenn die Person in ästhetischer Einstellung ist und x ein schöner Gegenstand ist.

Wenn wir uns noch einmal an Kants Ausführungen zur Wirklichkeit der Lust am Angenehmen erinnern, so fällt auf, dass Kant dazu schreibt, das Angenehme bewirke ›in mir wirklich Lust‹. Ein solcher Verweis auf die erste Person fehlt in den beiden Formulierungen von NTLust (§ 18.A.3 und E1). Und das ist, so denke ich, kein Zufall. Vielmehr ist es eine zentrale Pointe von NTLust, dass die Lust für alle Urteilenden notwendig ist. Dass NT eigentlich die Notwendigkeit der Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils – und damit auch der Lust – betrifft, geht aus verschiedenen Formulierungen von NTUrteil hervor. So spricht Kant von der »Nothwendigkeit der Beystimmung a l l e r zu einem Urtheil« (§ 18.A.5, 237,8), von der »Nothwendigkeit der allgemeinen Beystimmung« (§ 22.T, 239,12) sowie von der »objective[n] Nothwendigkeit des Zusammenfließens des Gefühls von jedermann mit jedes seinem besondern« (§ 22.B.2, 240,9). Da die allgemeine Beistimmung zum Urteil (ATUrteil) auf der Allgemeingültigkeit der Lust (ATLust) beruht, 23 muss NT nicht nur die notwendige Allgemeingültigkeit des Urteils, sondern auch die notwendige Allgemeingültigkeit der Lust betreffen. Wir können die in NTLust beinhaltete ›nothwendige Beziehung auf das Wohlgefallen‹ somit als notwendige Allgemeingültigkeit des Wohlgefallens präzisieren:

Siehe hierzu auch die Ausführungen zum Verhältnis von ATUrteil und ATLust in Kap. 6.1.3.

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NTLustR3 Der Gegenstand x ist bei allen Menschen notwendig mit Lust am Schönen verbunden, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind und x ein schöner Gegenstand ist.

Inwiefern ist NTLust aber noch von ATLust unterschieden? Erinnern wir uns kurz an unsere Rekonstruktion von ATLust (in der deskriptiven Variante): 24 ATLustR2 Alle Menschen fühlen an einem Gegenstand x eine Lust am Schönen, wenn sie im Zustand der Uninteressiertheit und in Bereitschaft zur Reflexion sind und wenn x ein schöner Gegenstand ist.

Aber es gibt einen Unterschied zwischen NTLust und ATLust: In NTLust wird die Lust am Schönen nämlich nicht bloß als möglicherweise zufällig allgemeingültig (ATLust), sondern als notwendig allgemeingültig ausgewiesen. Wir werden im weiteren Fortgang des Vierten Moments erfahren, dass diese Notwendigkeit der Allgemeingültigkeit daher rührt, dass die Lust einem allgemeinen Grund, nämlich dem Gemeinsinn, entspringt. ATLust und NTLust unterscheiden sich noch in einer anderen Hinsicht. Ich habe dafür argumentiert, dass ATLust auch eine These über den phänomenalen Gehalt der Lust am Schönen ist und dass die Allgemeinheit einen Teil des phänomenalen Gehalts der Lust ausmacht. 25 Dagegen kann die Notwendigkeit keine Komponente des phänomenalen Gehalts der Lust ausmachen. Würde sich die Notwendigkeit phänomenal in der Lust niederschlagen, so würden wir sie als eine Art von Zwang erleben. Im Sinne der Freiheitsthese ist der phänomenale Gehalt der Lust am Schönen aber dadurch ausgezeichnet, dass man keinen Zwang, sondern »sich […] völlig f r e y fühlt« (§ 6.A.3, 211,17). 26 Nun könnte man einwenden, dass der phänomenale Gehalt eines Gefühls sowohl eine Form von Freiheit als auch eine Form von Zwang umfassen kann. Und man könnte weiter vorbringen, dass genau dies beim Gefühl der Achtung der Fall ist. Diesen Einwand können wir aber folgendermaßen entkräften: Erstens ist es gerade die Pointe der Freiheitsthese, dass die Lust am Schönen, ganz im Gegensatz zur Achtung, »das einzige freye Wohlgefallen« sei (§ 5.B.9, 210,16, m. H.). Zweitens liegt diese Freiheit der Lust am Für die verschiedenen Varianten von ATLust siehe Kap. 6.1.1. Siehe Kap. G1.2.3 sowie 6.2.4. 26 Siehe hierzu die Ausführungen zur phänomenologischen Bedeutung der Freiheitsthese in Kap. G1.2.2. 24 25

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Schönen darin begründet, dass es hier jeglicher Quelle des Zwangs ermangelt (eines begrifflichen Prinzips oder einer Neigung). 27 Es ist ein Charakteristikum der Lust am Schönen, dass sie notwendig ist, aber nicht erzwungen werden kann. Da also kein Zwang vorliegt, können wir auch keinen Zwang in der Lust erleben. Dennoch, so scheint es, gibt es ein unmittelbares Bewusstsein von NT. Erinnern wir uns dazu an die vollständige Formulierung von § 18.A.3: § 18.A.3R1 Beim Urteil ›x ist schön‹ denkt man sich: x hat eine notwendige Beziehung auf das Wohlgefallen.

Im weiteren Verlauf von § 18 spricht Kant von der »Nothwendigkeit, die in einem ästhetischen Urtheile gedacht wird« (§ 18.A.5, 237,7, m. H.). Ich plädiere dafür, diese Formulierung ernst zu nehmen: Wir haben ein unmittelbares Bewusstsein der Notwendigkeit des Geschmacksurteils und der Lust. Aber dieses Bewusstsein wird nicht gefühlt, sondern gedacht. Inwiefern sich dabei die Gedanken an NTLust und NTUrteil bedingen, werde ich in Kürze genauer erläutern. 28 Zuvor möchte ich aber noch auf eine Auffälligkeit der zweiten Formulierung von NTLust in E4 aufmerksam machen. Kant schreibt, das Schöne werde »ohne Begrif als Gegenstand eines n o t h w e n d i g e n Wohlgefallens erkannt« (E4, 240,18, 1. H. m. H.). Damit kombiniert er NT – ebenso wie schon AT – mit der Begriffslosigkeitsthese BT. 29 Der Grund dafür ist, dass NT und BT ebenso ein Paradox bilden wie schon AT und BT. So ist Notwendigkeit bei Kant gewöhnlich an Begriffe bzw. (begriffliche) Prinzipien gebunden. Normalerweise sind es analytische und synthetische Sätze a priori, die Notwendigkeit beanspruchen, oder Urteile, die aus synthetischen Sätzen a priori als Prinzipien abgeleitet wurden. 30 Die Lust am Schönen ist aber freilich weder ein synthetischer Satz a priori noch wird sie aus einem synthetischen Satz a priori als Prinzip abgeleitet. Dass Letzteres nicht möglich ist, wird durch BTLust verdeutlicht. Das Paradox von Notwendigkeit und Begriffslosigkeit wird auf der Ebene des Urteils (NTUrteil und BTUrteil) im weiteren Verlauf von § 18 sowie in den §§ 19–20 eine zentrale Rolle spielen. Durch diese Prominenz des Paradoxes im Vierten Moment wird zweierlei deutlich: Erstens wird das Paradox 27 28 29 30

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Vgl. § 5.B.8–9, 210,16; 281,18. Siehe hierzu auch die Analyse der Vierten Erklärung des Schönen. Für eine Analyse der Begriffslosigkeitsthese siehe Kap. 6.1.2. Vgl. etwa B3 f.; Prol: 267.

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von AT und BT auf eine neue Stufe, nämlich die Stufe der Evaluation des Geschmacksurteils, gehoben. Zweitens wird ersichtlich, dass das Paradox von AT und BT noch nicht vollständig gelöst ist. Wir sind immer noch nicht vollständig zu den Bedingungen der Möglichkeit des Geschmacksurteils vorgedrungen. Diese Bedingungen wird Kant erst mit seiner Konzeption des Gemeinsinns in den §§ 20–21 aufdecken. Letztendlich gelöst wird das Paradox von AT bzw. NT und BT aber erst durch die Deduktion des Gemeinsinns in § 38. Verschaffen wir uns nun einen Überblick über die Bedeutung von NTLust: i. NTLust bedeutet: Der schöne Gegenstand x ist bei allen Menschen notwendig mit Lust verbunden, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind. Dies lässt sich auch folgendermaßen fassen: Allen Urteilenden ist es beim Wahrnehmen von x unmöglich, keine Lust am Schönen zu fühlen, wenn die Urteilenden in ästhetischer Einstellung sind und x ein schöner Gegenstand ist. ii. Die Notwendigkeit der Lust hat keinen Niederschlag im phänomenalen Gehalt der Lust. Vielmehr ist sie uns in einem das Geschmacksurteil begleitenden Gedanken unmittelbar bewusst. iii. Gemeinsam mit der Begriffslosigkeitsthese BTLust bildet NTLust ein weiteres Paradox: Die Lust am Schönen ist notwendig, aber diese Notwendigkeit wird nicht aus einem begrifflichen Prinzip, d. h. einem synthetischen Satz a priori, abgeleitet.

18.2 Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils Ich habe bereits angedeutet, dass NT auch eine These über das Geschmacksurteil ist (NTUrteil). Was bedeutet es aber, dass das Geschmacksurteil notwendig ist? Ich möchte an dieser Stelle noch nicht auf Kants Konzeption der exemplarischen Notwendigkeit eingehen, sondern zunächst einige allgemeinere Aspekte der Notwendigkeit des Geschmacksurteils erläutern. Auch im Kontext von NTUrteil bedeutet die Notwendigkeit grundlegend, dass dasjenige »nothwendig ist, dessen Gegentheil unmöglich ist« (UD: 285). Die Notwendigkeit des Urteils »x ist schön« scheint also zu bedeuten, dass es unmöglich ist, »x ist nicht schön« zu urteilen. Dies kann aber nicht stimmen. Denn freilich ist es einem Urteilenden ohne Weiteres möglich, keine Lust am Schönen zu fühlen und daher »x ist nicht schön« zu urteilen. Um dieses Problem zu Kants Philosophie des Schönen

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lösen, müssen wir – wie schon bei NTLust – die ästhetische Einstellung einbeziehen. Wir können NTUrteil dann vorläufig folgendermaßen rekonstruieren: NTUrteil Dass das Geschmacksurteil »x ist schön« notwendig ist, bedeutet, dass es einem Urteilenden unmöglich ist, »x ist nicht schön« zu urteilen, wenn der Urteilende in ästhetischer Einstellung ist.

Damit ist aber noch nicht der ganze Inhalt von NTUrteil erfasst; denn es geht um die »Nothwendigkeit der Beystimmung a l l e r zu einem Urtheil« (§ 18.A.5, 237,8). Es ist also die Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils (ATUrteil), die Kant als notwendig ausweist. Als These über den Inhalt besagt ATUrteil, dass das Geschmacksurteil ein verdecktes allgemeines Urteil der Form »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind« ist; als These über die Geltung besagt ATUrteil, dass das Urteil »x ist schön« für alle Urteilenden gilt. 31 Nun ist es zwar das verdeckte allgemeine Urteil »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust …«, welches durch NTUrteil als notwendig ausgewiesen wird. Aber die primäre Bedeutung von NTUrteil ist, dass das Geschmacksurteil notwendige Geltung für alle Urteilenden beansprucht. 32 Dies geht insbesondere aus der Formulierung ›Nothwendigkeit der Beystimmung aller‹ hervor. Wir müssen NTUrteil daher folgendermaßen rekonstruieren: NTUrteilR1 Dass das Geschmacksurteil »x ist schön« notwendig allgemeingültig ist, bedeutet, dass es allen Urteilenden unmöglich ist, »x ist nicht schön« zu urteilen, wenn die Urteilenden in ästhetischer Einstellung sind.

Es mag verwundern, dass in dieser Rekonstruktion von NTUrteil nur die ästhetische Einstellung des urteilenden Subjekts als Bedingung angegeben wurde, nicht aber die Tatsache, dass x ein schönes Objekt ist. Allerdings wird ja bei NTUrteil vorausgesetzt, dass bereits ein Urteil »x ist schön« vorliegt; und dabei wird auch vorausgesetzt, dass dieses Urteil »x ist schön« ein korrektes Geschmacksurteil ist. (ÄhnFür eine Diskussion der Frage, ob die Allgemeingültigkeitsthese den Inhalt oder die evaluative Geltung des Geschmacksurteils betrifft, siehe Kap. 6.1.3. 32 In diesem Sinne verwendet Kant den Terminus der notwendigen Allgemeingültigkeit auch im Rahmen seiner Ausführungen zu den Erfahrungsurteilen in den Prolegomena (vgl. Prol: 298). 31

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lich setzt man etwa bei der Notwendigkeit des Erfahrungsurteils »Die Sonne erwärmt den Stein« voraus, dass dieses Urteil korrekt ist.) Das Vorliegen eines korrekten Geschmacksurteils »x ist schön« impliziert aber, dass x ein schöner Gegenstand ist. Wir müssen daher in NTUrteil nicht gesondert die Bedingung angeben, dass x ein schönes Objekt ist. Allerdings müssen wir uns bewusst sein, dass urteilende Subjekte nur dann das Urteil »x ist schön« fällen können, wenn ihnen x (in der Anschauung) gegeben ist. Haben wir durch diese These im Vergleich zur Allgemeingültigkeitsthese ATUrteil irgendetwas gewonnen? ATUrteil (als These über die Geltung des Urteils) besagt ja bereits, dass das Geschmacksurteil für alle Urteilenden gilt. NTUrteil, so mein Vorschlag, fügt dieser These hinzu, dass das Geschmacksurteil notwendig (und nicht bloß zufällig) für alle Urteilenden gilt. Wir werden sehen, dass das Geschmacksurteil diese Notwendigkeit der allgemeinen Geltung aus einem spezifischen Grund entlehnt, der einen ähnlichen Status wie ein synthetisches Prinzip a priori aufweist, nämlich dem Gemeinsinn. Wie schon im Fall der Allgemeingültigkeit gilt für die Notwendigkeit, dass das Geschmacksurteil diese zu Recht oder rechtmäßig beansprucht. Und diese Rechtmäßigkeit rührt daher, dass die Notwendigkeit bzw. notwendige Allgemeingültigkeit auf einem Grund beruht, der diesen Anspruch legitimiert. 33 Wir haben bereits gesehen, dass Kant bisweilen die Formulierung »Nothwendigkeit der Beystimmung aller« nutzt (§ 18.A.5, 237,8, m. H. & Kants H. getilgt). 34 Nun könnte man meinen, diese Formulierung sei bloß eine Umschreibung der Allgemeingültigkeit des Urteils; und in gewisser Hinsicht ist dies auch korrekt. Jedoch betont der Begriff der Beistimmung ein wichtiges Spezifikum der notwendigen Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils. Dass jemand meinem Urteil beistimmt, bedeutet, dass er meinem Urteil zustimmt, d. h. dieses Urteil ebenfalls fällt. 35 Dies setzt voraus, dass ich bereits ein Geschmacksurteil »x ist schön« gefällt habe, und dies impliziert, dass ich bereits am gegebenen Gegenstand x eine Lust am Schönen gefühlt habe. (Ähnlich muss der andere, von dem ich Zustimmung Vgl. § 22.A.2–3, 239,20; 280,22. Vgl. § 22.T, 239,12; 338,7; 345,32. – Kant nutzt diese Formulierung auch für Urteile über das Erhabene (vgl. 265,31). 35 Vgl. im Adelung’schen Wörterbuch zum Begriff »Beystimmen«: »Beyfall geben. Einem beystimmen, das was ein anderer behauptet, gleichfalls behaupten« (Adelung: Beystimmen). 33 34

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fordere, ebenfalls Lust empfinden, um meinem Urteil zustimmen zu können.) Meine Forderung der Beistimmung ist in diesem Sinne an meine Lusterfahrung in der ersten Person geknüpft. Daher ist für die notwendige Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils die ErstePerson-Perspektive in besonderem Maße relevant. Ferner ist der Terminus der Beistimmung insofern bedeutsam, als die Forderung der Beistimmung die implizite Forderung beinhaltet, dass sich andere in eine ästhetische Einstellung begeben und den Gegenstand in dieser Einstellung beurteilen sollen. Wenn Kant also von der Notwendigkeit der allgemeinen Beistimmung spricht, so ist damit implizit sichergestellt, dass die notwendige Allgemeingültigkeit nur unter der Prämisse der ästhetischen Einstellung vorliegen kann. Wir müssen noch klären, wie sich NTUrteil zu NTLust verhält. Auf den ersten Blick ist diese Frage recht leicht zu beantworten. Das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil, d. h. es prädiziert ein Gefühl der Lust. Das Urteil muss seine notwendige Allgemeingültigkeit daher aus der notwendigen Allgemeingültigkeit der Lust entlehnen, sodass NTLust grundlegend zu sein scheint. Ich werde im weiteren Verlauf meiner Untersuchungen zum Vierten Moment allerdings zeigen, dass das Verfahren, wie das Geschmacksurteil seinen Status der notwendigen Allgemeingültigkeit erlangt, deutlich komplexer ist, als es diese Beobachtung zum Verhältnis von NTLust und NTUrteil suggeriert. Die Lust am Schönen, so werde ich argumentieren, ist deshalb notwendig allgemeingültig, weil sie einem Vermögen entspringt, das allen Menschen gleichermaßen zukommt und bei allen Menschen auf dieselbe Art und Weise operiert, nämlich dem Gemeinsinn. Das Geschmacksurteil erhebt aber nicht schon deshalb einen rechtmäßigen Anspruch auf notwendige Allgemeingültigkeit, weil die in ihm prädizierte Lust notwendig allgemeingültig ist; vielmehr kann es diesen Anspruch nur erheben, weil es einem spezifischen Schlussverfahren entspringt, als dessen Obersatz der Gemeinsinn fungiert. 36 Halten wir in Bezug auf NTUrteil das Folgende fest: i. NTUrteil besagt, dass das Geschmacksurteil »x ist schön« notwendig allgemeingültig ist. Dies bedeutet: Allen Urteilenden ist es unmöglich, »x ist nicht schön« zu urteilen, wenn die Urteilenden in ästhetischer Einstellung sind. ii. Die Notwendigkeit der Beistimmung zum Geschmacksurteil impliziert, dass ein Urteilender das Urteil »x ist schön« bereits in der 36

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Siehe hierzu Kap. G5.2.

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Zur Charakterisierung der spezifischen Notwendigkeit des Geschmacksurteils

ersten Person gefällt hat sowie dass er von den anderen Urteilenden fordert, sich in eine ästhetische Einstellung zu versetzen.

18.3 Zur Charakterisierung der spezifischen Notwendigkeit des Geschmacksurteils Wir haben uns im vorigen Abschnitt vor Augen geführt, was die Notwendigkeit des Geschmacksurteils (NTUrteil) bedeutet. Wir haben aber noch nicht untersucht, inwiefern sich die Notwendigkeit des Geschmacksurteils von anderen Arten der Notwendigkeit unterscheidet. Dazu erläutert Kant das Folgende: § 18.A.4 »[a] Diese Nothwendigkeit nun ist von besonderer Art: [b] nicht eine theoretische objective Nothwendigkeit, wo a priori erkannt werden kann, daß jedermann dieses Wohlgefallen an dem von mir schön genannten Gegenstande f ü h l e n w e r d e ; [c] auch nicht eine praktische, wo durch Begriffe eines reinen Vernunftwillens, welcher freyhandelnden Wesen zur Regel dient, dieses Wohlgefallen die nothwendige Folge eines objectiven Gesetzes ist, und nichts anders bedeutet, als daß man schlechterdings (ohne weitere Absicht) auf gewisse Art handeln solle« (236,21).

Kant leitet diese Passage damit ein, dass ›diese Nothwendigkeit‹ – und damit ist freilich die Notwendigkeit beim Schönen gemeint – ›von besonderer Art‹ sei: § 18.A.4a* Die Notwendigkeit beim Schönen ist von besonderer Art.

Vor dem Hintergrund unserer Differenzierung zwischen NTLust und NTUrteil stellt sich die Frage, ob Kant hier von der Notwendigkeit der Lust am Schönen oder von der Notwendigkeit des Geschmacksurteils spricht. Da Kant in § 18.A.5 die Formulierung »Nothwendigkeit der Beystimmung a l l e r zu einem Urtheil« nutzt (237,8), scheint zunächst die folgende Rekonstruktion naheliegend: § 18.A.4aR1 Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist von besonderer Art.

Wenn wir allerdings den gesamten Satz § 18.A.4 berücksichtigen, so wird deutlich, dass Kant hier zwei Arten von Notwendigkeit eines ›Wohlgefallens‹, d. h. einer Lust, benennt. Insgesamt scheint er in der Passage § 18.A.4–5 sowohl die Notwendigkeit der Lust (NTLust) Kants Philosophie des Schönen

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als auch des Urteils (NTUrteil) zu behandeln; und, wie oben dargelegt, sind beide ja auch eng miteinander verknüpft. Die folgende Rekonstruktion von § 18.A.4a ist daher sinnvoll: § 18.A.4aR2 Die Notwendigkeit der Lust am Schönen und die Notwendigkeit des Geschmacksurteils sind von besonderer Art.

Was ist aber das Besondere an der Notwendigkeit beim Schönen? Eine erste Antwort darauf liefert Kant in den folgenden Teilsätzen § 18.A.4b–c: § 18.A.4b* Die Notwendigkeit der Lust am Schönen bzw. des Geschmacksurteils ist keine theoretische objektive Notwendigkeit, wo a priori erkannt werden kann, dass jedermann dieses Wohlgefallen an dem von mir schön genannten Gegenstand fühlen werde. § 18.A.4c* Die Notwendigkeit der Lust am Schönen bzw. des Geschmacksurteils ist keine praktische Notwendigkeit, wo durch Begriffe eines reinen Vernunftwillens, welcher freihandelnden Wesen zur Regel dient, dieses Wohlgefallen die notwendige Folge eines objektiven Gesetzes ist, und nichts anderes bedeutet, als dass man schlechterdings (ohne weitere Absicht) auf gewisse Art handeln soll.

Kant kontrastiert hier die Notwendigkeit beim Schönen mit einer ›theoretischen objektiven Notwendigkeit‹ sowie mit einer ›praktischen Notwendigkeit‹. Dabei fällt auf, dass es sich bei diesen beiden Formen der Notwendigkeit nicht etwa um die Notwendigkeit von theoretischen und praktischen Urteilen handelt, sondern um eine Notwendigkeit des Wohlgefallens, d. h. der Lust. Die Besonderheit der Notwendigkeit beim Schönen besteht also nicht darin, dass es sich dabei um die Notwendigkeit einer Lust handelt. Die beiden anderen Arten der Notwendigkeit einer Lust können wir vorläufig folgendermaßen fassen: tN Bei einer theoretischen objektiven Notwendigkeit kann a priori erkannt werden, dass alle Menschen die Lust an dem Gegenstand fühlen werden. pN Bei einer praktischen Notwendigkeit ist durch Begriffe eines reinen Vernunftwillens, welcher freihandelnden Wesen zur Regel dient, die Lust die notwendige Folge eines objektiven Gesetzes, und bedeutet nichts anderes, als dass man schlechterdings (ohne weitere Absicht) auf gewisse Art handeln soll.

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Wir wollen diese beiden Arten der Notwendigkeit im Folgenden genauer untersuchen.

18.3.1 Zur theoretischen objektiven Notwendigkeit der Lust In einem ersten Schritt grenzt Kant die Notwendigkeit beim Schönen von der theoretischen objektiven Notwendigkeit ab. Letztere bezieht sich zwar laut § 18.A.4b auf die Erkenntnis, dass jedermann Lust ›fühlen werde‹ ; in der Notwendigkeit dieser Erkenntnis ist aber impliziert, dass jedermann notwendig Lust fühlen wird. Die theoretische objektive Notwendigkeit ist durch zwei Spezifika ausgezeichnet, so scheint es auf den ersten Blick: (1) Die Notwendigkeit bezieht sich darauf, dass ›jedermann‹ bzw. alle Menschen die Lust an dem Gegenstand fühlen werden; (2) die Erkenntnis, dass alle Menschen an dem Gegenstand Lust fühlen werden, erfolgt a priori. In (2) geht es also um ein Erkenntnisurteil der Form »Alle Menschen werden an x Lust fühlen«. Kant erläutert in § 18 nicht weiter, was es bedeutet, dass eine Notwendigkeit objektiv ist; jedoch ist es naheliegend, dass die Objektivität daher rührt, dass objektive Prinzipien a priori involviert sind. 37 Im Falle der theoretischen Notwendigkeit würde die Notwendigkeit des Urteils »x ist bei allen Menschen mit Lust verbunden« aus einer objektiven Regel der Form »Alles, was z ist, ist bei allen Menschen mit Lust verbunden« entlehnt. 38 Das Urteil »x ist bei allen Menschen mit Lust verbunden« könnte aus einer solchen objektiven Regel abgeleitet werden, ohne dass der Urteilende selbst Lust fühlen müsste, und in diesem Sinne wäre es ein Urteil a priori. Ferner muss es sich bei der objektiven Regel um eine Regel a priori handeln; denn nur aus apriorischen Regeln, nicht aber aus aposteriorischen Regeln kann Notwendigkeit entspringen. So schreibt Kant in der KrV: »Solche allgemeine Erkenntnisse nun, die zugleich den Charakter der innern Kant kennt nicht nur eine theoretische objektive Notwendigkeit, sondern auch eine praktische objektive Notwendigkeit. So nutzt er den Terminus der objektiven Notwendigkeit in der GMS, wenn er befürchtet, wir könnten die »Realität und objektive Notwendigkeit« des moralischen Gesetzes »nicht für sich beweisen« (GMS: 449, m. H.). Kurz darauf nutzt er den Begriff der »praktischen Notwendigkeit« (GMS: 449). Es ist naheliegend, dass die objektive Notwendigkeit und die praktische Notwendigkeit denselben Sachverhalt bezeichnet, der sich zusammengefasst als praktische objektive Notwendigkeit bezeichnen ließe (vgl. hierzu auch Puls 2016, 83). 38 Vgl. 285,26. 37

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Notwendigkeit haben, müssen, von der Erfahrung unabhängig, vor sich selbst klar und gewiß sein; man nennt sie daher Erkenntnisse a priori« (A2). Und in § 18 heiß es, dass »sich auf empirische Urtheile kein Begrif der Nothwendigkeit dieser Urtheile gründen [läßt]« (§ 18.A.8, 2137,17). Ein Urteil »x ist bei allen Menschen mit Lust verbunden«, das wir aufgrund der Anwendung einer apriorischen Regel gefällt hätten, wäre einem Erfahrungsurteil ähnlich, und zwar insofern als Erfahrungsurteile aufgrund ihrer Ableitung aus einem Prinzip a priori (d. h. einem Grundsatz des reinen Verstandes) notwendige Allgemeingültigkeit beanspruchen. 39 Sie setzen aber zudem eine empirische Anschauung voraus – und auch das Urteil »x ist bei allen Menschen mit Lust verbunden«, welches aus der Regel »Alles was z ist, ist bei allen Menschen mit Lust verbunden« abgeleitet würde, würde die empirische Anschauung eines Gegenstandes mit der Eigenschaft z voraussetzen. Ferner wäre auch das Urteil »x ist bei allen Menschen mit Lust verbunden« ein Erkenntnisurteil; denn es bezöge sich auf eine Eigenschaft des Objekts und würde kein Gefühl der Lust als Bestimmungsgrund voraussetzen. Vor diesem Hintergrund lässt sich erklären, dass Kant die Notwendigkeit dieses Urteils als »theoretische objective Nothwendigkeit« bezeichnet (§ 18.A.4, 236,22, m. H.). Inwiefern ist eine solche theoretische objektive Notwendigkeit nun von der Notwendigkeit beim Schönen unterschieden? Erst einmal kann die Notwendigkeit beim Schönen nicht aus der Anwendung einer objektiven Regel entspringen; denn »[e]s kann keine objective Geschmacksregel, welche durch Begriffe bestimmte, was schön sey, geben« (§ 17.A.1, 231,27). Gäbe es eine solche objektive Geschmacksregel, so bedürfte es keiner aktual gefühlten Lust, um das Geschmacksurteil zu fällen, und das Geschmacksurteil wäre nicht ästhetisch. 40 Eine ganz andere Frage ist, ob es im Kontext der Lust überhaupt eine theoretische objektive Notwendigkeit geben kann. Ist eine Regel wie etwa »Alles, was symmetrisch ist, ist bei allen Menschen mit Lust verbunden« überhaupt als Urteil a priori denkbar? Es ist naheliegend, eine solche Regel im Sinne eines Kausalverhältnisses zu rekonstruieVgl. hierzu Prol: 278–300. Vgl. insbesondere auch den Exkurs zum Erfahrungsurteil in Kap. G5.1. 40 Siehe hierzu auch die Ausführungen zur Unmöglichkeit einer objektiven Geschmacksregel in Kap. 17.1.1. 39

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ren, d. h. »Alles, was symmetrisch ist, bewirkt in allen Menschen eine Lust«. Zu solchen Kausalverhältnissen hat Kant aber in § 12 das Folgende ausgeführt: »Die Verknüpfung des Gefühls einer Lust oder Unlust, als einer Wirkung, mit irgend einer Vorstellung (Empfindung oder Begrif) als ihrer Ursache, a priori auszumachen, ist schlechterdings unmöglich; denn das wäre ein Causalverhältniß, welches (unter Gegenständen der Erfahrung) nur jederzeit a posteriori und vermittelst der Erfahrung selbst erkannt werden kann« (§ 12.A1, 221,30 f.).

Eine Regel der Art »Alles, was symmetrisch ist, bewirkt in allen Menschen eine Lust« ist demnach nur als Urteil a posteriori, keinesfalls aber als Urteil a priori möglich. Wenngleich Kant dies nicht explizit betont, scheint mir auch das unspezifischere Urteil »Alles, was symmetrisch ist, ist bei allen Menschen mit Lust verbunden« diesem Los ausgesetzt: Ob ein Objekt irgendwie (kausal oder nicht kausal) mit einer Lust verbunden ist, können wir nur dadurch herausfinden, dass wir beim Wahrnehmen dieses Objekts eine Lust fühlen. Die Möglichkeit, ein Kausalverhältnis zwischen einer Vorstellung und einer Lust a priori zu erkennen, besteht nur dann, wenn die Ursache der Lust nicht sinnlich, sondern noumenal ist. Dies ist aber, so hat Kant in § 12 betont, nur beim moralischen Gesetz der Fall. 41 In diesem Kontext liegt aber freilich eine praktische und keine theoretische objektive Notwendigkeit vor. Damit wird insgesamt deutlich, dass Kant in § 18.A.4b bloß einen hypothetischen Fall schildert: Wenn es eine apriorische Regel der Art »Alles, was z ist, ist mit Lust verbunden« gäbe und wir ein Urteil »x ist mit Lust verbunden« durch Anwendung dieser Regel fällen würden, so würde dieses Urteil über theoretische objektive Allgemeingültigkeit verfügen. Aber eine apriorische Regel der geschilderten Art kann es nicht geben. Halten wir kurz fest, was Kant unter der theoretischen objektiven Notwendigkeit versteht:

Vgl. § 12.A.2–5, 222,2. Siehe die Analyse dieser Passage in Kap. 12.3. – In gewisser Hinsicht gibt es auch beim Schönen eine Art von apriorischer Erkenntnis der Verknüpfung des schönen Gegenstandes mit der Lust. Aber die Erkenntnis a priori betrifft hier nur die Tatsache, dass der schöne Gegenstand bei allen Menschen mit Lust am Schönen verknüpft ist. Dass der Gegenstand überhaupt mit Lust verknüpft ist, kann nur a posteriori dadurch erkannt werden, dass ich selbst beim Wahrnehmen dieses Gegenstandes eine Lust fühle. Siehe hierzu Kap. 12.4.

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i.

Die theoretische objektive Notwendigkeit betrifft Urteile der Art »x ist bei allen Menschen mit Lust verbunden«, die aus der Anwendung einer apriorischen Regel der Art »Alles, was z ist, ist bei allen Menschen mit Lust verbunden« entspringen. ii. Diese Notwendigkeit ist theoretisch, weil sie sich auf Erkenntnisurteile bezieht, die aussagen, dass alle Menschen eine Lust fühlen werden. Sie ist objektiv, weil das Erkenntnisurteil aus der Anwendung einer objektiven Regel entspringt, d. h. einer Regel, die sich begrifflich auf Eigenschaften von Objekten bezieht. iii. Eine theoretische objektive Notwendigkeit ist im Kontext der Lust grundsätzlich nicht möglich; denn dass eine (empirische) Vorstellung mit Lust verbunden ist, kann immer nur a posteriori erkannt werden. iv. Beim Schönen kann keine objektive theoretische Notwendigkeit vorliegen, weil es keine objektive Geschmacksregel geben kann.

18.3.2 Zur praktischen Notwendigkeit der Lust Kommen wir zur praktischen Notwendigkeit. Wir hatten diese auf Grundlage von § 18.A.4c folgendermaßen bestimmt. pN Bei einer praktischen Notwendigkeit ist durch Begriffe eines reinen Vernunftwillens, welcher freihandelnden Wesen zur Regel dient, die Lust die notwendige Folge eines objektiven Gesetzes, und bedeutet nichts anderes, als dass man schlechterdings (ohne weitere Absicht) auf gewisse Art handeln soll.

Es ist sinnvoll, zwei Aussagen zu isolieren, wovon die erste lautet: pN1 Bei einer praktischen Notwendigkeit ist durch Begriffe eines reinen Vernunftwillens, welcher freihandelnden Wesen zur Regel dient, die Lust die notwendige Folge eines objektiven Gesetzes.

Die etwas umständliche Formulierung ›Begriffe eines reinen Vernunftwillens, welcher freyhandelnden Wesen zur Regel dient‹ verweist offenkundig auf das moralische Gesetz bzw. den kategorischen Imperativ; denn dieser entspringt der praktischen Vernunft bzw. dem ›Vernunftwillen‹ und er dient ›freyhandelnden Wesen‹, d. h. vernünftigen und zur Autonomie fähigen Wesen, ›zur Regel‹. Auch das ›objective[.] Gesetz‹ muss, gerade weil wir uns im praktischen, moralischen Kontext befinden, für das moralische Gesetz stehen. Damit 996

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findet sich in pN1 ein doppelter Verweis auf das moralische Gesetz. Durch diese Dopplung wird deutlich, dass die Lust deswegen die ›nothwendige Folge eines objectiven Gesetzes‹ ist, weil diese Lust durch das moralische Gesetz, das einem ›reinen Vernunftwillen‹ entspringt und also noumenal ist, bewirkt wird. Um der Klarheit willen können wir pN1 folgendermaßen verkürzen: pN1R1 Bei einer praktischen Notwendigkeit ist die Lust die notwendige Folge des moralischen Gesetzes.

Wir lernen hier, dass die Lust – wobei es sich bei dieser Lust freilich um die Achtung bzw. den Lustanteil im Gefühl der Achtung handelt – eine ›nothwendige Folge‹ des moralischen Gesetzes ist. Das moralische Gesetz ist in diesem Sinne notwendig mit einer Lust verbunden – oder genauer: Es ist bei allen Menschen notwendig mit einer Lust verbunden. (In dieser Hinsicht weisen die Lust am Schönen und die Achtung eine Ähnlichkeit auf.) Führen wir uns den Entstehungskontext der Achtung anhand der folgenden Passage aus § 12 genauer vor Augen: »Zwar haben wir in der Critik der praktischen Vernunft wirklich das Gefühl der Achtung (als eine besondere und eigenthümliche Modification dieses Gefühls, welches weder mit der Lust noch Unlust, die wir von empirischen Gegenständen bekommen, recht übereintreffen will) von allgemeinen sittlichen Begriffen a priori abgeleitet. Aber wir konnten dort auch die Gränzen der Erfahrung überschreiten, und eine Causalität, die auf einer übersinnlichen Beschaffenheit des Subjects beruhete, nämlich die der Freyheit, herbey rufen. Allein selbst da leiteten wir eigentlich nicht dieses G e f ü h l von der Idee des Sittlichen als Ursache her, sondern bloß die Willensbestimmung wurde davon abgeleitet. Der Gemüthszustand aber eines irgend wodurch bestimmten Willens ist an sich schon ein Gefühl der Lust und mit ihm identisch, folgt also nicht als Wirkung daraus« (§ 12.A.2–4, 222,2). 42

Wir haben bei der Analyse dieser Passage den folgenden Zusammenhang herausgearbeitet: Das moralische Gesetz bewirkt eine Willensbestimmung. Dadurch wird der Wille belebt und diese Belebung wird qualitativ als Lust erlebt. In diesem Sinne ist der bestimmte Wille mit dem Gefühl der Lust ›identisch‹. Die praktische Notwendigkeit dieser Lust bedeutet nun nichts anderes, als dass diese Lust notwendig durch das moralische Gesetz (mittels der Willensbestimmung) bewirkt wird. Das moralische Gesetz kann nicht praktisch wirksam 42

Für eine Analyse dieser Passage siehe Kap. 12.3.

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sein, ohne dass dabei Achtung entsteht. So spricht Kant auch in der KpV von »dem Verhältnisse der reinen praktischen Vernunft zur Sinnlichkeit« und von »ihrem notwendigen, a priori zu erkennenden Einflusse auf dieselbe, d. i. vom m o r a l i s c h e n G e f ü h l e « (KpV: 90, 1. H. m. H.). 43 Nicht nur die Verknüpfung des moralischen Gesetzes mit der Lust ist notwendig, sondern auch unsere Erkenntnis dieser Verknüpfung. So behauptet Kant in der obigen Passage aus § 12, ›das Gefühl der Achtung…von allgemeinen sittlichen Begriffen a priori‹ abgeleitet zu haben. Die Achtung ist das einzige Gefühl, dessen Bewirkung wir a priori erkennen können – und zwar, weil das moralische Gesetz eine intelligible Ursache ist. Genau in diesem Sinne hat Kant bereits in der KpV geschrieben, »dieses Gefühl«, d. h. Achtung, sei »das einzige, welches wir völlig a priori erkennen« (KpV: 73). Da nun Erkenntnisse a priori den Status einer Notwendigkeit bzw. notwendigen Allgemeingültigkeit aufweisen, so gilt dieser Status auch für die Erkenntnis, dass das moralische Gesetz bei allen Menschen mit Lust verbunden ist. Im Bereich des Praktischen gelingt daher genau diejenige Erkenntnis, die im Bereich des Theoretischen verwehrt bleibt. Kommen wir zum zweiten Teilsatz in pN (›und nichts anders bedeutet, als daß man schlechterdings (ohne weitere Absicht) auf gewisse Art handeln solle‹). Kant verwendet hier eine elliptische Satzkonstruktion, bei der nicht ohne Weiteres klar ist, was als logisches Subjekt des Satzes fungiert. Die folgenden beiden Rekonstruktionen sind denkbar: pN2*a Bei einer praktischen Notwendigkeit bedeutet die Notwendigkeit nichts anderes, als dass man schlechterdings (ohne weitere Absicht) auf gewisse Art handeln soll. pN2*b Bei einer praktischen Notwendigkeit bedeutet die Lust (Achtung) nichts anderes, als dass man schlechterdings (ohne weitere Absicht) auf gewisse Art handeln soll.

Zunächst möchte ich auf eine Auffälligkeit der Edition hinweisen: In der von Heiner F. Klemme besorgten Ausgabe der KU ist der elliptische Teilsatz (pN2) nicht mit einem Komma vom vorangehenden

Vgl. auch: »Also ist Achtung fürs moralische Gesetz ein Gefühl, welches durch einen intellektuellen Grund gewirkt wird, und dieses Gefühl ist das einzige, welches wir völlig a priori erkennen, und dessen Notwendigkeit wir einsehen können« (KpV: 73, m. H.; vgl. ferner KpV: 74 f.).

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Teilsatz abgegrenzt, sodass man liest: ›wo durch Begriffe eines reinen Vernunftwillens…dieses Wohlgefallen die notwendige Folge eines objektiven Gesetzes ist und nichts anderes bedeutet…‹. Diese Interpunktion würde für die Lesart pN2*b sprechen. In der alten Akademieausgabe sowie in der Neuedition durch Andrea Esser werden die beiden Teilsätze jedoch durch ein Komma voneinander abgetrennt. Vor diesem Hintergrund sind beide Lesarten möglich. Grundsätzlich ist die kantische Interpunktion (und ihre Wiedergabe auch in den Originalausgaben) freilich mit Vorsicht zu genießen, sodass es insgesamt ratsam scheint, nach inhaltlichen Gründen für eine der beiden Interpretationen zu suchen. Gibt es triftige inhaltliche Gründe, die für pN2*a oder pN2*b sprechen? Auf den ersten Blick scheint es inhaltlich gut zu passen, die praktische Notwendigkeit mit einem Sollen in Verbindung zu bringen, was für pN2*a spräche. Allerdings ist zu beachten, dass sich das Sollen auf das Handeln bezieht (›daß man schlechterdings…auf gewisse Art handeln solle‹). Nun befinden wir uns insgesamt im Kontext der Notwendigkeit einer Lust. Es wäre daher abwegig, wenn Kant plötzlich die Notwendigkeit von (moralischen) Handlungen thematisieren würde. Dieses Problem betrifft nicht pN2*b; denn pN2*b ist gar keine Aussage über die (praktische) Notwendigkeit. Ferner ist die Aussage, die Lust bedeute, ›daß man schlechterdings (ohne weitere Absicht) auf gewisse Art handeln solle‹, inhaltlich durchaus sinnvoll. Diese Aussage ergibt nämlich dann Sinn, wenn man annimmt, dass wir uns in der Lust (d. h. in der Achtung) des moralischen Sollens, d. h. des imperativischen Gehalts des moralischen Gesetzes, bewusst werden. Ein solches Verständnis der Achtung hat Dieter Schönecker im Rahmen seiner Deutung der Faktum-These vorgeschlagen. 44 Akzeptiert man in diesem Sinne die Rekonstruktion pN2*b, dann nimmt Kant in pN2 keine weiterführenden Erläuterungen zur praktischen Notwendigkeit der Lust vor, sondern unternimmt eine Art Exkurs zum phänomenalen Gehalt der Achtung. Wie unterscheiden sich die praktische und die theoretische objektive Notwendigkeit? Erstens ist die praktische Notwendigkeit im Kontext der Willensbestimmung durch das moralische Gesetz anzusiedeln, während die theoretische Notwendigkeit im Rahmen der Kausalverbindung zwischen einer Erscheinung und dem Gefühl der Vgl. etwa: »ich erkenne dieses Sollen im Gefühl der Achtung« (Schönecker 2013, 103).

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Lust statthat. Zweitens ist die praktische Notwendigkeit einer Lust möglich (und wohl real), während die theoretische objektive Notwendigkeit einer Lust hypothetisch bleiben muss. Beide Notwendigkeiten kommen aber darin überein, dass die Einsicht in die Bewirkung der Lust a priori erfolgt. Und aufgrund dieses apriorischen Status ist die Erkenntnis der Verbindung der Ursache mit der Lust als Wirkung notwendig. Eine solche apriorische Einsicht ist beim Schönen freilich nicht möglich; denn eine apriorische Erkenntnis der Art »x ist mit Lust am Schönen verbunden« ist nur durch eine objektive Geschmacksregel möglich. Letztere kann es aber bekanntermaßen nicht geben. Zudem ist die Lust am Schönen, anders als die Achtung, nicht begrifflich erwirkt. Daher kann die Lust am Schönen ihren Status der Notwendigkeit nicht aus der Bewirkung durch ein bestimmtes Gesetz a priori entlehnen. 45 Weder das Geschmacksurteil noch die Lust am Schönen können daher den Status einer praktischen Notwendigkeit aufweisen. Halten wir zur praktischen Notwendigkeit das Folgende fest: i. Die praktische Notwendigkeit betrifft die Lust am moralisch Guten, d. h. die Achtung, sowie die Erkenntnis »Das moralische Gesetz ist bei allen Menschen mit dem Gefühl der Achtung verbunden«. ii. Die Achtung ist deswegen notwendig, weil sie (mittels der Willensbestimmung) durch das moralische Gesetz, d. h. durch ein Gesetz a priori, bewirkt wird. iii. Die Erkenntnis »Das moralische Gesetz ist bei allen Menschen mit dem Gefühl der Achtung verbunden« ist deswegen notwendig bzw. notwendig allgemeingültig, weil wir sie a priori gewinnen. Dies ist möglich, weil die (indirekte) Ursache der Lust, d. h. das moralische Gesetz, im Bereich des Intelligiblen zu verorten ist. iv. Beim Schönen kann keine praktische Notwendigkeit vorliegen, (1) weil die Lust am Schönen nicht begrifflich ist und somit nicht durch ein bestimmtes Gesetz a priori bewirkt wird, (2) weil die Lust am Schönen nicht (bzw. nur teilweise) auf einer intelligiblen Ursache beruht und (3) weil wir daher nicht a priori, sondern immer nur mit Rekurs auf unser Gefühl der Lust an einem Ich habe allerdings im Rahmen meiner Untersuchungen von § 12 herausgestellt, dass die Lust am Schönen wenigstens teilweise auf dem unbestimmten Prinzip a priori der Urteilskraft als Grund beruht. Siehe Kap. 12.4.

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wahrgenommenen Gegenstand erkennen können, dass ein Gegenstand mit Lust verbunden ist.

18.3.3 Keine apodiktische und keine empirische Notwendigkeit Kant schließt zwei weitere Arten der Notwendigkeit für das Geschmacksurteil aus. Beginnen möchte ich mit der zweiten von Kant ausgeschlossenen Notwendigkeit, die wir als empirische Notwendigkeit bezeichnen können. Die entsprechende Passage lautet: § 18.A.7 »Viel weniger kann sie aus der Allgemeinheit der Erfahrung (von einer durchgängigen Einhelligkeit der Urtheile über die Schönheit eines gewissen Gegenstandes) geschlossen werden. § 18.A.8 [a] Denn nicht allein, daß die Erfahrung hiezu schwerlich hinreichend viele Beläge schaffen würde, [b] so läßt sich auf empirische Urtheile kein Begrif der Nothwendigkeit dieser Urtheile gründen« (237,13).

Das Pronomen ›sie‹ in § 18.A.7 bezieht sich auf ›diese Nothwendigkeit‹ aus § 18.A.6 zurück (›Da ein ästhetisches Urtheil kein objectives und Erkenntnißurtheil ist, so kann diese Nothwendigkeit […]‹). Und diese Formulierung bezieht sich mittels des Pronomens ›diese‹ auf die Formulierung »Nothwendigkeit, die in einem ästhetischen Urtheile gedacht wird« aus § 18.A.5 zurück (237,7). Insgesamt steht ›sie‹ damit für die Notwendigkeit des Geschmacksurteils: § 18.A.7* Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils kann nicht aus der Allgemeinheit der Erfahrung (von einer durchgängigen Einhelligkeit der Urteile über die Schönheit eines gewissen Gegenstandes) geschlossen werden. § 18.A.8* [a] Denn nicht allein, dass die Erfahrung zur Allgemeinheit der Erfahrung (von einer durchgängigen Einhelligkeit der Urteile über die Schönheit eines gewissen Gegenstandes) schwerlich hinreichend viele Belege schaffen würde, [b] so lässt sich auf empirische Urteile kein Begriff der Notwendigkeit dieser empirischen Urteile gründen.

In § 18.A.7 beschreibt Kant eine Form von empirischer Allgemeinheit, die darin besteht oder vielmehr bestehen würde, aus der Erfahrung zu lernen, dass alle Menschen einen Gegenstand x für schön befinden. Aus dieser empirischen Allgemeinheit würden wir schließen (›geschlossen werden‹), dass x bei allen Menschen notwendig mit Kants Philosophie des Schönen

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Lust am Schönen verbunden ist. Da das Geschmacksurteil nichts anderes ausdrückt als die Verbindung eines Gegenstandes mit dem Gefühl der Lust bei allen Menschen, so würden wir letztlich folgern können, dass das Urteil »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen« bzw. »x ist schön« notwendig ist. Soweit das Szenario; warum nun kann eine solche empirische Notwendigkeit beim Geschmacksurteil nicht vorliegen? Darüber gibt § 18.A.8 Aufschluss. Letztlich führt Kant zwei verschiedene Gründe an, die durch die beiden folgenden Propositionen abgebildet werden: § 18.A.8a** Die Erfahrung liefert zur Allgemeinheit der Erfahrung (von einer durchgängigen Einhelligkeit der Urteile über die Schönheit eines gewissen Gegenstandes) schwerlich hinreichend viele Belege. § 18.A.8b** Auf empirische Urteile lässt sich kein Begriff der Notwendigkeit dieser empirischen Urteile gründen.

Die erste Begründung in § 18.A.8a haben wir schon mehrfach in unsere Untersuchungen einbezogen. 46 Der zentrale Gedanke ist, dass in den allermeisten (oder vielleicht sogar allen) Fällen nicht alle Menschen darin übereinstimmen, dass ein Gegenstand x schön ist. Selbst wenn manche Gegenstände, wie etwa Van Goghs Sternennacht, von ziemlich vielen Menschen für schön befunden werden, so wird es doch meist einige Menschen geben, die dies bestreiten. Vermutlich werden wir also empirisch höchstens Fälle identifizieren können, bei denen ein hoher Prozentsatz von Menschen zustimmt, dass ein bestimmtes Objekt schön sei. 47 Aber selbst wenn es einige wenige Objekte gäbe, die von wirklich allen Menschen für schön befunden würden, so wären dies doch bloß extrem seltene Fälle (›schwerlich hinreichend viele Beläge‹). 48 Auf diesen extrem seltenen Fällen der Siehe Kap. 6.1.1 sowie 17.1.2. Vgl. auch: »Erfahrung gibt niemals ihren Urteilen wahre oder strenge, sondern nur angenommene und komparative A l l g e m e i n h e i t (durch Induktion), so daß es eigentlich heißen muß: soviel wir bisher wahrgenommen haben, findet sich von dieser oder jener Regel keine Ausnahme« (B3 f.). 48 Kant selbst scheint eine empirisch gegebene Einhelligkeit bezüglich der Schönheit einiger Gegenstände tatsächlich in Betracht zu ziehen. So spricht er in § 17 von der »Einhelligkeit, so viel möglich, aller Zeiten und Völker in Ansehung dieses Gefühls [d. h. der Lust am Schönen] in der Vorstellung gewisser Gegenstände« (§ 17.A.4, 231,35 f.; siehe auch die Analyse dieser Passage in Kap. 17.A.4). – Wir können die folgenden Gründe dafür identifizieren, dass bei Geschmacksurteilen meist keine empirische allgemeine Zustimmung vorliegt: (1) Oft sind Menschen nicht in ästhetischer 46 47

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empirischen Allgemeinheit ließe sich daher keine notwendige Allgemeingültigkeit der Geschmacksurteile insgesamt gründen. Kommen wir zu § 18.A.8b. Nehmen wir einmal an, es wäre in einigen Fällen möglich, aufgrund von Empirie allgemeine Urteile der Art »Alle Menschen fühlen am Gegenstand x Lust am Schönen« zu fällen. Könnten diese Urteile Notwendigkeit beanspruchen? Kant sagt in § 18.A.8b eindeutig, dass dies nicht möglich ist. Vereinfacht lautet die Aussage: § 18.A.8bR1 Empirische Urteile können keine Notwendigkeit beanspruchen.

Damit greift Kant eine These auf, die er bereits in der KrV vorgebracht hat. Diese besagt, dass »Notwendigkeit […] aus Erfahrung nicht abgenommen werden kann« (B15). 49 Weil es in diesem Sinne eine empirische Notwendigkeit gar nicht geben kann, so kann auch die Notwendigkeit des Geschmacksurteils keine empirische Notwendigkeit sein. Während es eine empirische Notwendigkeit nicht geben kann, so kann es sehr wohl eine apodiktische Notwendigkeit geben. Diese wollen wir nun untersuchen. Kant erläutert zur apodiktischen Notwendigkeit das Folgende: § 18.A.6 »Da ein ästhetisches Urtheil kein objectives und Erkenntnißurtheil ist, so kann diese Nothwendigkeit nicht aus bestimmten Begriffen abgeleitet werden, und ist also nicht apodictisch« (237,10).

Wie bereits oben dargelegt, muss sich ›diese Nothwendigkeit‹ auf die Formulierung »Nothwendigkeit, die in einem ästhetischen Urtheile gedacht wird« aus § 18.A.5 beziehen (237,7), die letztlich für die Notwendigkeit des Geschmacksurteils steht. Differenzieren wir zudem zwischen drei Propositionen, so ergibt sich das folgende Bild: § 18.A.6a* Ein ästhetisches Urteil ist kein objektives Urteil und kein Erkenntnisurteil. Einstellung, wenn sie einen (schönen) Gegenstand beurteilen; (2) oft verwechseln oder vermischen Menschen das Schöne mit dem Angenehmen; (3) oft beurteilen Menschen den Gegenstand zunächst hinsichtlich seiner Vollkommenheit und, falls sie ihn für unvollkommen befinden, können sie ihn nicht mehr als schön beurteilen. 49 Vgl. auch: »Sie [Erfahrung] sagt uns zwar, was da sei, aber nicht, daß es notwendiger Weise, so und nicht anders, sein müsse. Eben darum gibt sie uns auch keine wahre Allgemeinheit« (A1). – Bekanntermaßen sind für Kant »Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit […] sichere Kennzeichen einer Erkenntnis a priori« (B4). Kants Philosophie des Schönen

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§ 18.A.6b* Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils kann nicht aus bestimmten Begriffen abgeleitet werden. § 18.A.6c* Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist also nicht apodiktisch.

Dass das Geschmacksurteil ein ›ästhetisches Urtheil‹ und ›kein objectives und Erkenntnißurtheil‹ ist, wissen wir bereits seit § 1: Im Geschmacksurteil wird ein Gefühl der Lust prädiziert und keine Eigenschaft des Objekts. 50 Mit dem Status als ästhetisches Urteil hängt zusammen, dass das Geschmacksurteil nicht-begrifflich ist (Begriffslosigkeitsthese BT): 51 An der Stelle des Prädikats steht keine begrifflich erfasste Eigenschaft desjenigen Objekts (im weiten Sinne), das an der Stelle des logischen Subjekts steht (BTUrteil). Zudem ist die Lust, die im Urteil prädiziert wird, weder direkt noch indirekt begrifflich erwirkt (BTLust). Und schließlich kann die Prädikatzuschreibung auch nicht aus einer objektiven Geschmacksregel abgeleitet werden. Im Geschmacksurteil spielen also an keiner Stelle bestimmte Begriffe (vom Objekt) eine Rolle, sodass die Notwendigkeit ›nicht aus bestimmten Begriffen abgeleitet werden‹ kann (§ 18.A.6b). 52 Damit scheint nun zusammenzuhängen (›also‹), dass das Geschmacksurteil keine apodiktische Notwendigkeit beanspruchen kann (§ 18.A.6c). Aber inwiefern ist dies der Fall? Und was ist überhaupt eine apodiktische Notwendigkeit? Schlägt man den Begriff »apodiktisch« im Adelung’schen Wörterbuch nach, so findet sich die Bedeutung »unwidersprechlich gewiß, unläugbar« (Adelung: Apodiktisch). Dies scheint grundsätzlich mit Kants allgemeinem Verständnis von Notwendigkeit zusammenzustimmen: »nothwendig ist, dessen Gegentheil unmöglich ist« (UD: 285). Dieses Verständnis der Notwendigkeit greift auch im Falle von Geschmacksurteilen. Inwiefern ist das Geschmacksurteil aber dennoch nicht apodiktisch notwendig? Kant selbst nutzt den Begriff »apodiktisch« oft in der Formulierung »apodiktisch gewiss«; in Vorlesungsmitschriften findet sich aber auch (selten) die Formulierung »apodiktisch notwendig« bzw. »apodiktische Notwendigkeit«. 53 In Siehe hierzu Kap. 1.2. Siehe auch meine Rekonstruktion der Begriffslosigkeitsthese in Kap. 6.1.2 und 6.1.4. 52 In gewisser Hinsicht ist natürlich der Begriff »schön« ein bestimmter Begriff, nämlich ein Begriff, unter den wir unser Gefühl der Lust subsumieren. Siehe hierzu Kap. G2.2.2. 53 Vgl.: »In Ansehung der Moral hingegen ist dieser Begriff [von Gott] apodiktisch 50 51

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der KrV wird der apodiktische Satz folgendermaßen definiert: »der apodiktische Satz denkt sich den assertorischen durch diese Gesetze des Verstandes selbst bestimmt, und daher a priori behauptend, und drückt auf solche Weise logische Notwendigkeit aus« (A76/B101). Der Begriff der logischen Notwendigkeit führt uns auf eine erste Fährte, warum das Geschmacksurteil keine apodiktische Notwendigkeit beanspruchen kann; denn der Begriff des Logischen legt nahe, dass für diese Notwendigkeit Begriffe oder Regeln (des Verstandes) von Relevanz sind. 54 Darauf aufbauend schlage ich die folgende erste Deutung von »apodiktische Notwendigkeit« vor: (1) Ein Urteil beansprucht apodiktische Notwendigkeit, wenn es ein Urteil a priori ist oder wenn es durch Subsumtion eines Falles unter eine (begriffliche) Regel a priori entspringt. 55 Die Zustimmung zu einem solchen Urteil kann durch die Regel erzwungen werden. Da das Geschmacksurteil nicht aus einer bestimmten, begrifflichen Geschmacksregel abgeleitet wird, beansprucht es keine apodiktische Notwendigkeit. Vielmehr beansprucht es eine Notwendigkeit, die »von keinen Beweisgründen a priori abhängt, durch deren Vorstellung der Beyfall, den das Geschmacksurtheil jedermann ansinnt, erzwungen werden könnte« (281,19). Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist hinsichtlich ihrer Durchsetzungskraft also schwächer. 56 Kant verwendet den Begriff der apodiktischen Notwendigkeit nicht immer im soeben geschilderten weiten Sinn, sondern kennt auch zwei engere Bedeutungen:

notwendig und völlig bestimmt; denn die Moral enthält die Bedingungen des Verhaltens vernünftiger Wesen, unter denen sie allein der Glückseligkeit würdig sein können. Diese Bedingungen dieser Pflichten sind apodiktisch gewiß« (V-Th/Volckmann: 1182); »Die Moral ist also bloß a priori geschöpft. Man kann die Pflicht als apodiktisch notwendig einsehen« (V-Th/Baumbach: 1247). 54 Vgl.: »Daher unterscheiden wir die Wissenschaft der Regeln der Sinnlichkeit überhaupt, d. i. Ästhetik, von der Wissenschaft der Verstandesregeln überhaupt, d. i. der Logik« (A52/B76; vgl. EEKU: 221). 55 Vgl. für Letzteres Prol: 280 f., 284. 56 Vgl. auch: »Man sollte aber denken, daß ein Urtheil a priori einen Begrif vom Object enthalten müsse, zu dessen Erkenntniß es das Princip enthält; das Geschmacksurtheil aber gründet sich gar nicht auf Begriffe, und ist überall nicht Erkenntniß, sondern nur ein ästhetisches Urtheil. [Absatz] Daher läßt sich ein junger Dichter von der Ueberredung, daß sein Gedicht schön sey, nicht durch das Urtheil des Publicums, noch seiner Freunde abbringen« (282,17). Kants Philosophie des Schönen

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(2) In der Logik führt Kant zur Unterscheidung von Meinen, Glauben und Wissen das Folgende aus: 57 »Denn was ich bloß meine, das halte ich im Urtheilen mit Bewußtsein nur für problematisch; was ich glaube, für a s s e r t o r i s c h , aber nicht als objectiv, sondern nur als subjectiv nothwendig (nur für mich geltend); was ich endlich w e i ß , für a p o d i k t i s c h g e w i ß , d. i. für allgemein und objectiv nothwendig (für alle geltend)« (Log: 66). Kant bindet hier die apodiktische Gewissheit an den Begriff der objektiven Notwendigkeit, wobei er letztere damit identifiziert, dass das Urteil ›für alle geltend‹ ist. Hingegen sei ein Urteil mit subjektiver Notwendigkeit ›nur für mich geltend‹. Nun kann das Geschmacksurteil freilich keine bloß subjektive Notwendigkeit in diesem Sinne beanspruchen; denn die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist ja gerade eine notwendige Allgemeingültigkeit. Dennoch ist die Differenz zwischen objektiver und subjektiver Notwendigkeit erhellend. So ist der Glaube, der nur subjektive Notwendigkeit beansprucht, ein »Fürwahrhalten aus einem Grunde, der zwar objectiv unzureichend, aber subjectiv zureichend ist« (Log: 67). Dagegen ist das Wissen, das objektive Notwendigkeit beansprucht, ein »Fürwahrhalten aus einem Erkenntnißgrunde, der sowohl objectiv als subjectiv zureichend ist« (Log: 70). Es ist daher naheliegend, dass die objektive Notwendigkeit und damit auch die apodiktische Notwendigkeit darauf zurückzuführen sind, dass das Urteil auf einem objektiven bzw. objektiv zureichenden Grund beruht. Nun bestimmt Kant objektive Gründe als »von der Natur und dem Interesse des Subjects unabhängige[.] Gründe der Wahrheit« (Log: 70). Umgekehrt müssen dann subjektive Gründe ›von der Natur und dem Interesse des Subjekts‹ abhängig sein. Wir werden im Folgenden sehen, dass das Geschmacksurteil nicht auf objektiven Gründen beruht, sondern auf einem subjektiven Prinzip, das sich durch ein Gefühl konstituiert. Das Geschmacksurteil beansprucht demnach insofern keine apodiktische Notwendigkeit, als es auf keinen objektiven bzw. objektiv zureichenden Gründen beruht. Jedoch beansprucht es eine notwendige Geltung für alle Urteilenden. 58 Vgl. Log: 65–72; vgl. für die analoge Passage in der KrV A820–831/B838–859. Etwas später in der Passage aus der Logik legt Kant dar, dass nicht alle Urteile, die als Wissen gelten, auch apodiktisch gewiss bzw. notwendig sind. Letzteres gelte nur

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(3) Eine dritte Bestimmung der apodiktischen Notwendigkeit findet sich im Kontext der Grundsätze des reinen Verstandes in der KrV. Diese Grundsätze unterteilt Kant in mathematische und dynamische, wobei die letzteren das Dasein eines Objekts voraussetzten, was bei den ersteren nicht der Fall ist. 59 Im Anschluss an diese Differenzierung heißt es: »Die Bedingungen a priori der Anschauung sind aber in Ansehung einer möglichen Erfahrung durchaus notwendig, die des Daseins der Objekte einer möglichen empirischen Anschauung an sich nur zufällig. Daher werden die Grundsätze des mathematischen Gebrauchs unbedingt notwendig d. i. apodiktisch lauten, die aber des dynamischen Gebrauchs werden zwar auch den Charakter einer Notwendigkeit a priori, aber nur unter der Bedingung des empirischen Denkens in einer Erfahrung, mithin nur mittelbar und indirekt bei sich führen, folglich diejenige unmittelbare Evidenz nicht enthalten […], die jenen eigen ist« (A160 f./B199 f.). Weil die dynamischen Grundsätze etwas empirisch Gegebenes, d. h. das Dasein eines Objekts, als Bedingung voraussetzen, können sie keine apodiktische Notwendigkeit beanspruchen. Umgekehrt müssen dann apodiktisch notwendige Sätze solche sein, die keine empirische Bedingung voraussetzen, d. h. völlig a priori sind. Wir werden sehen, dass das Geschmacksurteil nur bedingt notwendig ist – und zwar in doppelter Hinsicht: 60 Es setzt erstens ein gegebenes (schönes) Objekt voraus und zweitens das Dasein des Gemeinsinns. Aufgrund seiner Bedingtheit kann das Geschmacksurteil also ebenfalls keine apodiktische Notwendigkeit beanspruchen. Dass das Geschmacksurteil keine apodiktische Notwendigkeit beanspruchen kann, bedeutet damit insgesamt, dass es seine Notwendigkeit nicht aus Begriffen (vom Objekt) bzw. einer apriorischen, begrifflichen Regel entlehnen kann. Vielmehr beruht es auf einem subjektiven Grund, nämlich der Lust am Schönen, und es setzt dabei nicht nur ein empirisch gegebenes Objekt, sondern auch die Existenz des Gemeinsinns voraus.

für Urteile a priori (vgl. Log: 70 f.). Bekanntermaßen ist auch das Geschmacksurteil in gewisser Hinsicht ein Urteil a priori. Siehe hierzu Kap. G5.4. 59 Vgl. A160 f./B199 f. 60 Vgl. § 19.T, 237,20. Siehe hierzu Kap. 19.3. Kants Philosophie des Schönen

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Halten wir zur Abgrenzung des Geschmacksurteils von einer (hypothetischen) empirischen Notwendigkeit und von der apodiktischen Notwendigkeit das Folgende fest: i. Das Geschmacksurteil kann keine empirische Notwendigkeit beanspruchen, denn: • Es gibt keine empirische Notwendigkeit, weil sich auf Induktion keine Notwendigkeit gründen lässt. • Es gibt im Bereich des Empirischen (fast) keine allgemeine Übereinstimmung hinsichtlich der Schönheit einzelner Gegenstände. ii. Das Geschmacksurteil kann keine apodiktische Notwendigkeit beanspruchen, denn: • Das Geschmacksurteil wird aus keiner apriorischen, objektiven Regel abgeleitet, sodass die Zustimmung zum Geschmacksurteil nicht erzwungen werden kann. • Das Geschmacksurteil beruht auf keinen objektiven Gründen, sondern nur auf einem subjektiven Prinzip, das sich durch ein Gefühl des Subjekts konstituiert. • Das Geschmacksurteil ist kein völlig apriorisches Urteil, sondern setzt ein gegebenes (schönes) Objekt sowie die Existenz des Gemeinsinns voraus. Damit stehen wir vor dem folgenden Problem: Einerseits kann das Geschmacksurteil keine apodiktische Notwendigkeit beanspruchen, weil es nicht-begrifflich ist und somit aus keiner apriorischen Regel abgeleitet werden kann; andererseits kann das Geschmacksurteil seine Notwendigkeit bzw. notwendige Allgemeingültigkeit nicht aus einer empirischen Allgemeinheit entlehnen, da induktiv keine Notwendigkeit gewonnen werden kann. Woraus soll das Geschmacksurteil seine Allgemeingültigkeit aber dann entlehnen? Wie können wir das Paradox aus notwendiger Allgemeingültigkeit und Begriffslosigkeit lösen?

18.3.4 Zur exemplarischen Notwendigkeit Bislang haben wir untersucht, wie die Notwendigkeit beim Schönen nicht zu charakterisieren ist: Sie ist keine theoretische objektive Notwendigkeit, keine praktische Notwendigkeit, keine apodiktische Notwendigkeit und keine empirische Notwendigkeit. Insbesondere kann die Notwendigkeit des Geschmacksurteils nicht aus einer apriori1008

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schen, objektiven Regel entlehnt werden. Kant muss nun für das Geschmacksurteil eine neue, alternative Konzeption der Notwendigkeit entwickeln. Diese neue Konzeption, die er als exemplarische Notwendigkeit bezeichnet, führt er in 18.A.5 ein: § 18.A.5 »[a] Sondern sie kann als Nothwendigkeit, die in einem ästhetischen Urtheile gedacht wird, nur e x e m p l a r i s c h genannt werden, [b] d. i. eine Nothwendigkeit der Beystimmung a l l e r zu einem Urtheil, was wie [ein] 61 Beyspiel einer allgemeinen Regel, die man nicht angeben kann, angesehen wird« (237,6).

Das Pronomen ›sie‹ steht offenkundig für die Notwendigkeit des Geschmacksurteils. Zwar hat Kant in den vorangegangenen Sätzen eher die Notwendigkeit der Lust thematisiert; aber erstens geht es in § 18 insgesamt um die »Modalität eines Geschmacksurtheils« (§ 18.T, 236,16, m. H.), und zweitens spricht Kant im weiteren Verlauf von § 18.A.5 von der ›Nothwendigkeit, die in einem ästhetischen Urtheile gedacht wird‹. Wir können nun zwei Propositionen isolieren: In der ersten Proposition bestimmt Kant die Notwendigkeit des Geschmacksurteils als ›exemplarisch‹ (§ 18.A.5a), in der zweiten Proposition erläutert er, was eine ›exemplarische Notwendigkeit‹ ist (§ 18.A.5b). Wir können diese Propositionen folgendermaßen rekonstruieren: § 18.A.5aR1 Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist eine exemplarische Notwendigkeit. § 18.A.5b* Die exemplarische Notwendigkeit ist eine Notwendigkeit der Beistimmung aller zu einem Urteil, was wie ein Beispiel einer allgemeinen Regel, die man nicht angeben kann, angesehen wird.

Die Bestimmung der exemplarischen Notwendigkeit in § 18.A.5b besteht aus drei Elementen: (1) Es handelt sich um eine ›Nothwendigkeit der Beystimmung aller‹ ; (2) das Urteil wird ›wie [ein] Beyspiel einer allgemeinen Regel‹ angesehen; (3) man kann diese Regel ›nicht angeben‹. Ich werde im Folgenden alle drei Elemente kurz erläutern. Zur ›Beystimmung aller‹ : Wir haben bereits gesehen, was es bedeutet, dass die Notwendigkeit des Geschmacksurteils eine ›Nothwendigkeit der Beystimmung aller‹ ist. 62 Erstens ist die Notwendigkeit des Geschmacksurteils eigentlich eine notwendige Allgemein61 62

Ich übernehme hier die Ergänzung des Artikels »ein« durch Erdmann. Siehe Kap. 18.2.

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gültigkeit. Der Begriff der Beistimmung impliziert zweitens, dass der Urteilende eine Lust fühlt, sowie drittens, dass der andere, zur Beistimmung aufgeforderte Urteilende auch dazu aufgefordert wird, sich in die ästhetische Einstellung zu versetzen. Das Moment der ›Beystimmung aller‹ ist allerdings keine spezifische Charakteristik der exemplarischen Notwendigkeit, sondern liegt bei jeder Form von notwendiger Allgemeingültigkeit vor. Zum ›Beyspiel einer allgemeinen Regel‹ : Bereits der Begriff des Exemplarischen deutet an, dass die neuartige Form der Notwendigkeit an eine Art der Beispielhaftigkeit des Geschmacksurteils gebunden ist. 63 Erinnern wir uns kurz an die apodiktische Notwendigkeit. Diese kann entspringen, wenn wir einen Fall unter eine apriorische, objektive Regel subsumieren. Das notwendige bzw. notwendig allgemeingültige Urteil, welches wir durch dieses Verfahren erzeugen, ist ein ›Beispiel‹ dieser apriorischen, objektiven ›Regel‹. So ist etwa ein Erfahrungsurteil deshalb notwendig allgemeingültig, weil es aus der Subsumtion eines Falles unter einen Grundsatz des reinen Verstandes, d. h. einer apriorischen, objektiven Regel, entspringt; es ist dann ein Beispiel dieses Grundsatzes. 64 Inwiefern ist aber das Geschmacksurteil ein Beispiel einer Regel, obwohl ihm gerade keine objektive Geschmacksregel zugrunde liegt? Der Witz der exemplarischen Notwendigkeit muss darin liegen, dass das Geschmacksurteil ›wie [ein] Beyspiel einer allgemeinen Regel…angesehen wird‹, obwohl ihm keine (objektive) Regel zugrunde liegt. Damit können wir uns dem nächsten Element der exemplarischen Notwendigkeit zuwenden. Zur ›Regel, die man nicht angeben kann‹ : Das Geschmacksurteil ist nicht nur ›wie [ein] Beyspiel einer allgemeinen Regel‹, sondern diese Regel kann auch nicht angegeben werden. Nun ist leider auf den ersten Blick nicht ersichtlich, was es bedeutet, dass die Regel

Wenn Kant hier den Begriff »exemplarisch« nutzt, so muss er damit an den Begriff des Beispiels und nicht des Exempels anknüpfen. Zu beiden Begriffen heißt es in der Tugendlehre: »Das Exempel ist ein besonderer Fall von einer p r a k t i s c h e n Regel, sofern diese die Tunlichkeit oder Untunlichkeit einer Handlung vorstellt. Hingegen ein Beispiel ist nur das Besondere (concretum) als unter dem Allgemeinen nach Begriffen (abstractum) enthalten vorgestellt, und bloß theoretische Darstellung eines Begriffs« (TL: 479 Fn.). 64 Vgl. Prol: 297–302; siehe auch die Analyse der Notwendigkeit von Erfahrungsurteilen in Kap. G5.1. 63

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›nicht angegeben‹ werden kann. Es sind mindestens drei Deutungen denkbar: (1) Es gibt keine Regel: Man kann keine Regel angeben, weil es keine Regel gibt. Das Geschmacksurteil weist nur eine Ähnlichkeit mit solchen Urteilen auf, die aus einer Regel abgeleitet werden. (2) Man kennt die Regel nicht: Es gibt eine Regel, aber man kann diese nicht angeben, weil man sie nicht kennt. Man hat jedoch eine dunkle Vermutung, dass es eine Regel gibt, und sieht das Geschmacksurteil daher als Beispiel einer unbekannten Regel an. (3) Die Regel ist nicht-begrifflich: Dass man eine Regel angeben kann, setzt voraus, dass die Regel begrifflich ist und man sie in diesem Sinne formulieren kann. Ist die Regel aber nichtbegrifflich, so kann das aus ihrer Anwendung entspringende Urteil als Beispiel dieser Regel angesehen werden, ohne dass man die Regel angeben kann. Welche dieser drei Deutungen trifft im Rahmen der exemplarischen Notwendigkeit zu? Auf den ersten Blick scheint die erste Deutung am plausibelsten. So hat Kant doch eindringlich dafür plädiert, dass es »keine objective Geschmacksregel, welche durch Begriffe bestimmte, was schön sey, geben [kann]« (§ 17.A.1, 231,27). Damit ist gleichzeitig die zweite Deutung ausgeschlossen; denn Kant geht nicht bloß davon aus, dass wir eine mögliche objektive Geschmacksregel nicht kennen, sondern dass es eine solche Regel nicht gibt. Wie verhält es sich aber mit der dritten Deutung? Meine These ist, dass auch diese Deutung auf die exemplarische Notwendigkeit zutrifft. In § 20 wird Kant dafür argumentieren, dass Geschmacksurteile »ein subjectives Princip haben [müssen], welches nur durch Gefühl und nicht durch Begriffe, doch aber allgemeingültig bestimme, was gefalle oder mißfalle« (§ 20.A.3, 238,4). Ein Prinzip ist eine Regel, und ferner ist es gerade eine Pointe von subjektiven Prinzipien, dass sie ›nicht durch Begriffe‹ bestimmen, was schön ist. 65 Das subjektive Prinzip der Geschmacksurteile ist in diesem Sinne eine ›allgemeine Regel, die man nicht angeben kann‹. Nun identifiziert Kant das subjektive Prinzip des Geschmacksurteils mit dem Gemeinsinn. 66 Ich werde in den folgenden Kapiteln darlegen, dass das Geschmacksurteil nichts anderes als die Konklusion eines quasi-Syllogismus ist, als dessen OberSiehe auch die Analyse der Konzeption des subjektiven Prinzips des Geschmacksurteils in Kap. 20.1.5. 66 Vgl. § 20.A.4, 238,6. 65

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satz der Gemeinsinn fungiert. Die Konklusion (das Geschmacksurteil) ist dann das ›Beispiel‹ einer Art von Regel, nämlich des Obersatzes, d. h. des Gemeinsinns. 67 Dieses Verständnis des ›Beispiels‹ wird durch die folgende Passage aus § 22 bestätigt: »Also ist der Gemeinsinn, von dessen Urtheil ich mein Geschmacksurtheil hier als ein Beyspiel angebe und weswegen ich ihm e x e m p l a r i s c h e Gültigkeit beylege, […]« (§ 22.A.3, 239,23, 1. H. m. H.). Aus diesem Zitat geht erstens hervor, dass Kant das Geschmacksurteil als Beispiel des Gemeinsinns versteht, und zweitens, dass wir dem Geschmacksurteil aufgrund des Gemeinsinns ›exemplarische Gültigkeit‹, d. h. exemplarische Notwendigkeit, beilegen. Aber stehen wir damit nicht vor dem Problem, dass sowohl die erste Deutung (es gibt gar keine Regel) als auch die dritte Deutung der Formulierung ›allgemeine Regel, die man nicht angeben kann‹ zutreffen (wonach es eine Regel gibt, sie aber nicht-begrifflich ist)? Meine These ist, dass tatsächlich beide Deutungen richtig sind und dass sie zudem nebeneinander bestehen können. Zu beachten ist nämlich, dass dem Begriff »allgemeine Regel« in beiden Deutungen eine jeweils andere Bedeutung zukommt: Ist in der dritten Deutung eine subjektive und nicht-begriffliche Regel gemeint, so bezieht sich die erste Deutung auf eine objektive und begriffliche Regel. Einerseits ist das Geschmacksurteil kein Beispiel einer objektiven und begrifflichen Regel (1), andererseits ist es das Beispiel einer subjektiven und nicht-begrifflichen Regel (3). Das Geschmacksurteil erscheint uns ›wie [ein] Beyspiel‹ einer objektiven und begrifflichen Regel, weil es mit solchen Beispielen insofern eine Ähnlichkeit hat, als es vom Gedanken an seine Notwendigkeit begleitet ist. (Ich gehe auf den Gedanken an die Notwendigkeit im nächsten Unterkapitel genauer ein.) Wir können diese Aspekte der exemplarischen Notwendigkeit folgendermaßen in § 18.A.5 integrieren: § 18.A.5bR1 Die exemplarische Notwendigkeit ist eine Notwendigkeit der Beistimmung aller zu einem Urteil, was, insofern es Notwendigkeit beansprucht, wie ein Beispiel einer allgemeinen objektiven und begrifflichen Regel erscheint, obwohl es keine solche Regel gibt; gleichzeitig ist das Urteil Beispiel einer allgemeinen subjektiven und nichtbegrifflichen Regel, die wir aufgrund ihrer Nicht-Begrifflichkeit nicht angeben können. 67

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Siehe hierzu Kap. G5.2.

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Die exemplarische Notwendigkeit umfasst noch ein weiteres Moment, welches damit zusammenhängt, dass das Geschmacksurteil wie ein Beispiel einer objektiven und begrifflichen Regel erscheint. Es liegt nämlich (in vielen Fällen) auch das psychische Phänomen einer Selbsttäuschung vor. Ein solches psychisches Phänomen hatte Kant bereits in § 6 beschrieben: »Er [der Urteilende] wird daher vom Schönen so sprechen, als ob Schönheit eine Beschaffenheit des Gegenstandes und das Urtheil logisch (durch Begriffe vom Objecte eine Erkenntniß desselben ausmache) wäre; ob es gleich nur ästhetisch ist und bloß eine Beziehung der Vorstellung des Gegenstandes auf das Subject enthält: darum, weil es doch mit dem logischen die Aehnlichkeit hat, daß man die Gültigkeit desselben für jedermann daran voraussetzen kann« (§ 6.A.4, 211,23).

Kant beschreibt die folgende Selbsttäuschung: Weil das Geschmacksurteil über Allgemeingültigkeit verfügt und der Urteilende sich dessen bewusst ist, glaubt er, das Urteil sei kein ästhetisches, sondern ein logisches Urteil. Dieses Moment der Selbsttäuschung können wir im Sinne von § 18.A.5 folgendermaßen erweitern: Weil das Urteil über notwendige Allgemeingültigkeit verfügt und der Urteilende sich dessen bewusst ist, glaubt er, das Urteil sei ein logisches Urteil und es sei das Beispiel einer objektiven und begrifflichen Regel. 68 Wir können nun das folgende umfassende Bild der exemplarischen Notwendigkeit zeichnen: i. Die exemplarische Notwendigkeit steht für eine notwendige Allgemeingültigkeit. (Übereinstimmung mit anderen Arten der Notwendigkeit) ii. Die exemplarische Notwendigkeit ist uns als das Urteil begleitender Gedanke unmittelbar bewusst. (Übereinstimmung mit anderen Arten der Notwendigkeit) iii. Die exemplarische Notwendigkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass das Geschmacksurteil wie ein Beispiel einer allgemeinen Regel erscheint, die man nicht angeben kann. Dies bedeutet:

Dabei ist insbesondere auch daran zu erinnern, dass in der Logik die subjektive Gewissheit bloß für das Subjekt geltend ist, während nur die objektive Gewissheit eine Geltung für alle Urteilenden meint (vgl. Log: 66). Vgl. hierzu auch: »Die Nothwendigkeit der allgemeinen Beystimmung, die in einem Geschmacksurtheil gedacht wird, ist eine subjective Nothwendigkeit, die unter der Voraussetzung eines Gemeinsinns als objectiv vorgestellt wird« (§ 22.T, 239,11). Siehe hierzu Kap. 22.2.

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• •



Das Geschmacksurteil ist das Beispiel einer subjektiven und nicht-begrifflichen Regel, nämlich des Gemeinsinns. Das Geschmacksurteil weist aufgrund seiner Notwendigkeit eine Ähnlichkeit mit Urteilen auf, die Beispiel einer logischen und begrifflichen Regel sind. Aber es gibt für das Geschmacksurteil keine solche Regel. Weil das Geschmacksurteil vom Gedanken an seine Notwendigkeit begleitet ist, kann sich ein Urteilender täuschen und denken, es sei das Beispiel einer objektiven und begrifflichen Regel.

18.4 Zum Bewusstsein der Notwendigkeit Die Notwendigkeitsthese NT ist die wichtigste Neuerung in § 18. Eine entscheidende Frage ist daher, ob und wie Kant NT begründet. Wir müssen hier die beiden Argumentationsstrategien der Analytik im Blick haben, nämlich die epistemische und die vermögenstheoretische Argumentationsstrategie. 69 Eine vermögenstheoretische Begründung für NT wird Kant mit seiner Theorie des Gemeinsinns in den folgenden Paragraphen vorbringen. 70 Die entscheidende Frage in § 18 ist aber zunächst, wie Kant NT epistemisch herleitet. Woher wissen wir, dass das Geschmacksurteil Notwendigkeit beansprucht? Es mag vielleicht wenig erstaunen, dass sich in § 18 sowie in den folgenden Paragraphen keine epistemische Herleitung von NT findet. Würde Kant eine solche Herleitung vorbringen wollen, so müsste diese ja auf einer der zuvor angeführten Thesen (UT, FT, AT, freies Spiel der Erkenntniskräfte, ZM ohne Zweck, FMT) beruhen. Keine dieser Thesen scheint aber für eine epistemische Begründung von NT geeignet zu sein. Denn all diese Thesen beziehen sich auf den Inhalt des Geschmacksurteils, während NT eine These über die Geltung des Geschmacksurteils und der Lust ist. Hat dies zur Konsequenz, dass Kant NT völlig unbegründet voraussetzen muss?

Siehe zu dieser Differenzierung Unterpunkt 3.2 der Einleitung zu diesem Kommentar. 70 Ich werde allerdings dafür argumentieren, dass Kant den abschließenden Nachweis für die Wirklichkeit des Gemeinsinns, d. h. eine Deduktion des Gemeinsinns, erst in § 38 erbringen wird. Siehe Kap. 21.3 sowie Grundlagen 6. 69

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Eine erste Deutung besteht darin, dass Kant tatsächlich die Notwendigkeitsthese unbegründet voraussetzt. Und wenngleich es keine solche Begründung gibt, so ist es ja zumindest naheliegend, dass das Geschmacksurteil, welches als (streng) allgemeingültig ausgewiesen wurde und welches mit der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt unter anderem auf einer transzendentalen Grundlage beruht, über Notwendigkeit verfügt. Es gibt aber noch eine zweite Deutung. Erinnern wir uns dazu an die Uninteressiertheitsthese UT, bei der es ebenfalls auf den ersten Blick so schien, als würde sie unbegründet vorausgesetzt. Wie sich aber herausstellte, ist dies keineswegs der Fall, sondern Kant beruft sich auf das Gegebensein der Uninteressiertheit im phänomenalen Gehalt der Lust; ich habe in diesem Kontext vom gefühlten Faktum der Uninteressiertheit gesprochen. 71 Lässt sich etwas Ähnliches für NT annehmen? Zunächst einmal kann NT nicht im phänomenalen Gehalt der Lust gegeben sein; denn die Lust am Schönen fühlt sich nicht notwendig, sondern frei an (Freiheitsthese FT). Dennoch legt Kant nahe, dass uns die Notwendigkeit des Geschmacksurteils unmittelbar bewusst sei. So spricht er ganz explizit davon, dass die »Nothwendigkeit […] in einem ästhetischen Urtheile gedacht wird« (§ 18.A.5, 237,7); es ist die »Nothwendigkeit der allgemeinen Beystimmung, die in einem Geschmacksurtheil gedacht wird« (§ 22.T, 239,11, m. H.). Er schreibt ferner: »Vom S c h ö n e n aber denkt man sich, daß es eine n o t h w e n d i g e Beziehung auf das Wohlgefallen habe« (§ 18.A.3, 236,20). Und in § 19 führt er aus: »und wer etwas für schön erklärt, will, daß jedermann dem vorliegenden Gegenstande Beyfall geben und ihn gleichfalls für schön erklären s o l l e « (§ 19.A.1, 237,22). Dies klingt alles so, als seien sich im Geschmacksurteil die Urteilenden der Notwendigkeit ihres Urteils immer schon bewusst. Dieses Bewusstsein der Notwendigkeit ist kein Spezifikum des Geschmacksurteils. In der Logik erläutert Kant nämlich zur Modalität: »Die problematischen [Urteile] sind mit dem Bewußtsein der bloßen Möglichkeit, die assertorischen mit dem Bewußtsein der Wirklichkeit, die apodiktischen endlich mit dem Bewußtsein der Nothwendigkeit des Urtheilens begleitet« (Log: 108, m. H.). Und in der KrV führt er zu Urteilen a priori aus: »Findet sich also Erstlich ein Satz, der zugleich mit seiner Notwendigkeit gedacht wird, so ist er ein Urteil a priori« (B3, m. H. & Kants H. getilgt). 72 71 72

Siehe Kap. 2.4.1. Vgl. auch: »Denn die geometrischen Sätze sind insgesamt apodiktisch, d. i. mit dem

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Kant scheint also die These zu vertreten, dass notwendige Urteile immer schon vom Gedanken an ihre Notwendigkeit begleitet sind und dass Urteilende sich somit immer schon der Notwendigkeit des Urteils bewusst sind. Und genau diese These beansprucht er für das Geschmacksurteil. Ferner führt Kant in § 20 das Folgende aus: »Wären sie [Geschmacksurteile] ohne alles Princip, wie die des bloßen Sinnengeschmacks, so würde man sich gar keine Nothwendigkeit derselben in Gedanken kommen lassen« (§ 20.A.2, 238,2). Dies impliziert, dass man sich bei Urteilen ›des bloßen Sinnengeschmacks‹, d. h. bei Urteilen über das Angenehme, ›keine Nothwendigkeit…in Gedanken kommen‹ lässt. Urteilende denken beim Urteil über das Angenehme nicht, dass dieses Urteil notwendig sei. Es gibt in diesem Sinne beim Angenehmen keinen das Urteil begleitenden Gedanken an die Notwendigkeit. Nimmt man all dies zusammen, dann geht Kant wohl davon aus, dass das Geschmacksurteil vom Gedanken an seine Notwendigkeit begleitet ist und wir uns in diesem Sinne immer schon der Notwendigkeit des Urteils bewusst sind. Wir fühlen die Notwendigkeit nicht, aber wir denken sie beim Fällen jedes Geschmacksurteils. Es ist plausibel, dass Kant sich auf dieses Bewusstsein der Notwendigkeit beruft. Wie schon im Falle von UT muss Kant für NT daher nicht im Sinne einer epistemischen Herleitung argumentieren, weil wir uns der Notwendigkeit unmittelbar bewusst sind. Es wird ersichtlich, dass die epistemische Argumentation der Analytik in § 18 noch einmal neu ansetzt. Werden alle vorher eingeführten Thesen mehr oder weniger direkt oder indirekt aus UT hergeleitet, so beginnt die Argumentation in § 18 noch einmal gewissermaßen ab ovo. Und dies ist auch sinnvoll; denn das Vierte Moment bewegt sich, wie gesagt, auf einer neuen Ebene, nämlich auf der Ebene der Evaluation des Geschmacksurteils. Halten wir zur epistemischen Herleitung von NT das Folgende fest: i. Kant formuliert kein Argument, durch das er NT epistemisch herleiten würde. ii. Kant muss NT nicht durch ein Argument epistemisch herleiten, weil wir beim Fällen von Geschmacksurteilen ein unmittelbares Bewusstsein der Notwendigkeit haben.

Bewußtsein ihrer Notwendigkeit verbunden, z. B. der Raum hat nur drei Abmessungen« (B41, m. H.).

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Zusammenfassung

iii. Die epistemische Argumentation der Analytik setzt in § 18 auf einer anderen Ebene, nämlich der Ebene der Evaluation, neu an. Vorher werden dagegen alle Thesen mehr oder weniger direkt aus UT epistemisch hergeleitet.

18.5 Zusammenfassung Die Verbindung des schönen Gegenstandes x mit der Lust am Schönen ist notwendig (NTLust). Dies bedeutet: Allen Urteilenden ist es unmöglich, keine Lust am Schönen zu fühlen, wenn die Urteilenden in ästhetischer Einstellung sind und x ein schöner Gegenstand ist. Auch das Geschmacksurteil »x ist schön«, welches nichts anderes als die Verbindung eines Gegenstandes mit der Lust am Schönen ausdrückt, beansprucht Notwendigkeit bzw. notwendige Allgemeingültigkeit (NTUrteil). Dies bedeutet: Allen Urteilenden ist es unmöglich, »x ist nicht schön« zu urteilen, wenn die Urteilenden in ästhetischer Einstellung sind. Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist weder eine theoretische objektive noch eine praktische Notwendigkeit. Eine theoretische objektive Notwendigkeit läge im Kontext der Lust bei einem Urteil der Art »x ist bei allen Menschen mit Lust verbunden« vor, das aus der Anwendung einer apriorischen, objektiven Regel der Art »Alles, was z ist, ist mit Lust verbunden« entspränge. Die praktische Notwendigkeit betrifft die Lust am moralisch Guten (Achtung). Die Achtung ist notwendig, weil sie (indirekt) durch das (apriorische) moralische Gesetz bewirkt wird. Das Urteil »Das moralische Gesetz ist bei allen Menschen mit Achtung verbunden« ist notwendig, weil wir diese Einsicht a priori gewinnen. Das Geschmacksurteil sowie die Lust am Schönen können weder theoretische objektive noch praktische Notwendigkeit beanspruchen, weil sie weder aus der Anwendung einer apriorischen, theoretischen Regel noch eines apriorischen, praktischen Gesetzes entspringen. Weil das Geschmacksurteil nicht aus einer apriorischen, objektiven Regel abgeleitet wird, kann keine Zustimmung erzwungen werden, und es ist nicht apodiktisch notwendig. Insgesamt skizziert Kant ein weiteres bzw. verstärktes Paradox: Das Geschmacksurteil ist notwendig allgemeingültig, aber nichtbegrifflich. Kant bezeichnet die spezifische Notwendigkeit des Geschmacksurteils als exemplarisch. Die exemplarische Notwendigkeit ist daKants Philosophie des Schönen

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durch gekennzeichnet, dass das Geschmacksurteil erstens aus einer subjektiven und nicht begrifflichen Regel abgeleitet wird, also Beispiel dieser Regel ist. Zweitens weist das Geschmacksurteil aufgrund seiner Notwendigkeit Ähnlichkeit mit Urteilen auf, die Beispiel einer objektiven und begrifflichen Regel sind, obwohl ihm keine solche Regel zugrunde liegt. Drittens kann sich ein Urteilender aufgrund der Notwendigkeit des Geschmacksurteils täuschen und denken, das Urteil wäre ein Beispiel einer objektiven und begrifflichen Regel. Kant formuliert kein Argument für die epistemische Herleitung von NT. Dies ist insofern nicht nötig, als Geschmacksurteile immer schon vom Gedanken an ihre Notwendigkeit begleitet sind. Die epistemische Argumentation setzt in § 18 mit dem Bewusstsein der Notwendigkeit auf einer anderen Ebene, nämlich der Ebene der Evaluation des Geschmacksurteils, noch einmal neu an.

18.6 Literaturbericht Die Notwendigkeitsthese (NT) wird in der Sekundärliteratur bisweilen als gleichbedeutend mit der Allgemeingültigkeitsthese (AT) gedeutet. Dies führt dazu, dass einige AutorInnen, die eine Gesamtrekonstruktion der Analytik vornehmen, kaum auf das Vierte Moment eingehen, etwa Esser (1997), Kern (2000), Ginsborg (2015) und Makkreel (2006). Symptomatisch ist bereits im Kontext von § 18, dass die einleitende Dreiteilung von möglicher, wirklicher und notwendiger Lust bei vielen AutorInnen gar nicht berücksichtigt und bei wenigen zwar erwähnt (vgl. Allison 2001, 146; Fricke 1990, 161 f.; Guyer 1979, 161; Wenzel 2000, 148), aber nicht näher untersucht wird. Kulenkampff bemerkt zu dieser Eingangspassage, sie sei »ganz dunkel« (Kulenkampff 1995, 41). Und er kritisiert: »Denn erstens drücke ich, wenn ich etwas als schön bezeichne, zumindest auch aus, daß es mir wirklich gefalle, keineswegs aber, daß es mir notwendigerweise gefalle (wie auch, da die Dinge manchmal aufhören, uns zu gefallen), noch, daß es schlicht notwendigerweise gefalle (was zu behaupten ja einigermaßen absurd wäre, wenn wir bei unseren Geschmacksurteilen doch gerade damit rechnen müssen, daß andere anderer Meinung sind). Höchstens dies könnte gemeint sein, daß einer nicht etwas als schön bezeichnen und gleichzeitig behaupten könne, es gefalle ihm nicht. Aber natürlich kann das vorkommen« (Kulenkampff 1995, 41 f.). Diese Schwierigkeiten lassen sich, wie ich erläutert habe, dadurch auflösen, dass man die ästhetische Einstellung in die Deutung von NT einbezieht. Wie deuten nun die verschiedenen AutorInnen NT? Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass NT bisweilen mit AT gleichgesetzt wird. In diesem

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Sinne konstatiert Kulenkampff, »daß Kant, wo er im Vierten Moment von der Notwendigkeit des Geschmacksurteils spricht, in Wahrheit keine neue, sondern dieselbe Eigenschaft behandelt, die er in den §§ 6–9 behandelte. Er gibt dem Charakter des reinen Geschmacksurteils, Anspruch auf subjektive Allgemeinheit zu machen, hier eine andere, aber der logischen Struktur nach gleiche Wendung« (Kulenkampff 1994, 106). Ähnlich schreibt Kern: »Wenn Kant behauptet, daß das Urteil über das Schöne nur eine ›bedingte‹ Notwendigkeit beansprucht, so meint dies genau dasselbe wie, daß es allein eine subjektive Allgemeingültigkeit ohne objektive Gültigkeit beansprucht« (Kern 2000, 40). Guyer deutet das Zweite und das Vierte Moment als Einheit: »the moments of quantity and modality, universality and necessity, together define the status of aesthetic judgment, particular claims to which are to be justified by reference to the moments of quality and relation« (Guyer 1979, 160). Eine (explizite oder implizite) Gleichsetzung von AT und NT findet sich ebenfalls bei Ameriks (2003, 294), Ginsborg (2015, 104) und Matthews (1997, 31 f. & 50). Mindestens eine Engführung von AT und NT beansprucht Rivera de Rosales: »Dieses Merkmal des Schönen [seine Modalität] ist eng verbunden mit dem der Quantität: dem allgemeinen Wohlgefallen […], da etwas Notwendiges auch für jeden gültig ist« (Rivera de Rosales 2008, 93). Ebenfalls eine Engführung suggeriert Esser, wenn sie als eine von vier zentralen Thesen der Analytik benennt: »Ästhetische Urteile beinhalten die Überzeugung, daß alle anderen notwendig auch jeweils so urteilen würden. Ästhetische Urteile beanspruchen daher subjektive Allgemeingültigkeit« (Esser 2000, 128). Explizit gegen eine Gleichsetzung von NT und AT spricht sich Longuenesse aus: »modality is a distinct moment in Kant’s analysis of judgments of taste and the subjective necessity of judgments of taste cannot be simply equated to their subjective universality« (Longuenesse 2003, 159). Wir haben gesehen, dass AT mindestens auch eine These über den Inhalt des Geschmacksurteils ist, während NT (ausschließlich) die evaluative Geltung des Urteils betrifft. Ähnlich argumentiert Allison: »the modality of the pure judgment of taste, like that of logical judgments, is unique among the moments in that it does not contribute anything to the content of the judgment, but concerns instead its bearing on the judgment of others, or what might be termed its evaluative force« (Allison 2001, 144). Wenzel bemerkt, die Modalität des Geschmacksurteils beziehe »sich […] auf unsere Beurteilung von etwas als schön« und trage »daher ›nichts zum Inhalt des Urteils‹ bei: daß die Beziehung des Gegenstandes auf unser Wohlgefallen als eine notwendige gedacht wird, vermehrt nicht unsere Kenntnis von diesem Gegenstand« (Wenzel 2000, 108). Dagegen beanspruchen andere AutorInnen explizit, dass NT eine These über den Inhalt des Geschmacksurteils sei. So schreibt Savile: »that the beautiful is the object of a necessary delight is a matter of the judgment of taste’s content and does not at all concern the grounds on which that content is put forward« (Savile 1993, 21). Auch Frickes Rekonstruktion der »ästhetiKants Philosophie des Schönen

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sche[n] Modalbegriff[e]« der Wirklichkeit und Notwendigkeit deutet eher in Richtung des Inhalts der entsprechenden Urteile: »Statt DIES IST ANGENEHM müßte es […] genauer heißen DIES IST WIRKLICH ANGENEHM; und statt DIES IST SCHÖN müßte es […] genauer heißen DIES IST NOTWENDIG SCHÖN« (Fricke 1990, 162). Rivera de Rosales suggeriert ebenfalls, dass NT (wie auch AT) etwas zum Inhalt des Urteils beitrage: »Anders als im Theoretischen nimmt hier die Modalität den anderen Kategorien gegenüber keinen besonderen Platz ein […], da sich im Ästhetischen die Allgemeinheit (Quantität) und die Notwendigkeit (Modalität) auf demselben Niveau befinden und in der ästhetischen Modalität kein objektives Dasein postuliert wird« (Rivera de Rosales 2008, 93). Ich habe in meinen Untersuchungen zwischen der Notwendigkeitsthese bezüglich der Lust (NTLust) und des Urteils (NTUrteil) unterschieden. Eine ähnliche Unterscheidung nimmt Wenzel vor, wenn er fragt, ob die Notwendigkeit die Verknüpfung zwischen dem Objekt und dem Gefühl oder die allgemeine Zustimmung zu meinem Urteil betrifft (vgl. Wenzel 2008, 78 f.; Wenzel 2000, 109). Dabei stellt er den folgenden Zusammenhang her: »die Modalität des Geschmacksurteils [ergibt] sich aus derjenigen des Wohlgefallens am Schönen« (Wenzel 2000, 108; vgl. auch 111). Auch Zhouhuang unterscheidet zwischen NTLust und NTUrteil: »Bei der Modalität handelt es sich nicht nur auf der artikulierenden Stufe um die Notwendigkeit der allgemeinen Beistimmung in den Geschmacksurteilen […], sondern zudem auf der reflektierenden Stufe um die Notwendigkeit des Wohlgefallens, d. i. des harmonischen Zusammenspiels der Erkenntnisvermögen bei der gegebenen Vorstellung« (Zhouhuang 2016, 85). Longuenesse differenziert zwischen den beiden folgenden Deutungen von NT: (1) »what is said to be necessary is the connection between the object considered in its form and the pleasure I feel in apprehending it«; (2) »what is said to be necessary is the connection between the obligation implicitly assigned to all judging subjects (they ›ought to agree with my judgment‹) and these judging subjects considered simply as such« (Longuenesse 2006, 213; vgl. auch Longuenesse 2003, 160 f.). Immerhin kurz angerissen wird die Differenzierung von NTLust und NTUrteil bei Fricke. Diese spricht von »Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit als drei Modalitäten des Wohlgefallens, das ein Mensch empfinden kann, bzw. als drei Modalitäten ästhetischer Urteile« (Fricke 1990, 162). Implizit scheinen NTLust und NTUrteil bei Esser (1995a) durch. Sie spricht an einer Stelle von einer »notwendige[n] und zugleich lustvolle[n] Beziehung eines Gegenstandes zu dem Urteilenden« (Esser 1995a, 18). An anderer Stelle heißt es aber: »Ästhetische Urteil müssen dann einer spezifischen Regel folgen, welche die Zuschreibung ihres Prädikats zu einem Gegenstand notwendig festlegt« (Esser 1995a, 9). Bei McCloskey fallen NTUrteil und NTLust zusammen: »A correct judgment that something is beautiful makes a demand to the agreement of everyone and anyone ought to assent to that demand. That

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is what Kant means when he speaks of pleasure in the beautiful being universal and necessary« (McCloskey 1987, 50). Eher mit Fokus auf die Lust deutet Zuckert NT. Sie spricht von einer »necessary connection (between the given representation and pleasure) established by aesthetic judging« (Zuckert 2007, 345). Ferner betont sie den durch NT ausgedrückten Sollensanspruch: »in aesthetic judgment we make claims with universal, necessary, normative status, viz., that all others ought to share our pleasure in experiencing such objects« (Zuckert 2007, 174). Ähnlich spricht Zinkin von einem »feeling that ›ought‹ to be shared by everyone and is therefore normative« (Zinkin 2006, 157). Auch Esser (1997) fokussiert sich auf NTLust und spricht davon, die Lust müsse »notwendig mit dem Gegenstand verbunden sein« (Esser 1997, 62). Sie schreibt ferner: »Im ästhetischen Urteil wird also nicht bloß das faktische Auftreten eines Lustgefühls konstatiert und durch Lust geurteilt, sondern eine notwendige Verbindung zwischen Lust und Vorstellung artikuliert« (Esser 1997, 133). Eine besondere Variante von NTLust vertritt Savile; denn er parallelisiert die Notwendigkeit der Lust mit der Notwendigkeit von Erfahrungsurteilen: »both [aesthetic judgments and cognitive judgments] are advanced as objectively valid […], and […] in both cases validity, correctness or, better, truth is a matter of the ›necessity‹ of the appearances or experiences on which we base them. In the one case, the object that we truly judge to be spherical cannot but strike everyone as spherical; in the other, the object that we rightly judge to be beautiful cannot but elicit a response of universal pleasure. There is, Kant will say, no other proper way to see the object cognitively than as spherical, no other way to respond to it aesthetically than with pleasure« (Savile 1993, 23 f.). Freilich finden sich auch Deutungen von NT, die eher auf das Geschmacksurteil fokussiert sind. Unter diese Deutungen fällt etwa Eckl: »In jedem Urteil liegt der Anspruch, im Modus der Notwendigkeit über eine unmittelbar mit dem sinnlichen Wohlgefallen verbundene Vorstellung zu urteilen, d. h. ein notwendiges und allgemeines Urteil zu fällen, obwohl die unmittelbare Lust im ästhetischen Urteil zu berücksichtigen ist« (Eckl 2017, 76). Und Vossenkuhl spricht von der »Zumutung des Schönheitsurteils, für die Kant Notwendigkeit beansprucht« (Vossenkuhl 1995, 105). Er erläutert zudem: »Wenn Kant aufgrund der logischen Form des Urteils die Beistimmung als notwendig zumutbar bezeichnet, entspricht dies einfach seinem Begriff von Notwendigkeit. Notwendigkeit ist nämlich, wie er in der ersten Kritik erklärt ›die Existenz, die durch die Möglichkeit selbst gegeben ist‹ (KdrV, B 111)« (Vossenkuhl 1995, 119). Unabhängig von der Differenzierung in NTLust und NTUrteil gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Notwendigkeit beim Schönen genauer zu bestimmen. Longuenesse schlägt eine Differenzierung zwischen zwei Modellen vor: »Is the necessity of the connection between ›all judging subjects‹ and ›ought to agree with my judgment‹ to be understood on the model of the subjective necessity of judgments of experience (because I claim objecKants Philosophie des Schönen

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tive validity for my judgment, I claim that all judging subjects ought to agree with my judgment)? Or is it to be understood on the model of a moral imperative: ›All rational beings ought to act in such and such a way‹ (under the categorical imperative of morality)? Similarly ›all judging subjects ought to judge as I do‹ ?« (Longuenesse 2006, 214). Sie betont, dass beide Modelle relevant seien: in §§ 20–21 eher das Modell der Erfahrungsurteile und in § 22 eher das Modell der moralischen Verpflichtung (vgl. Longuenesse 2006, 215 f.). Auf das Modell der moralischen Notwendigkeit bezieht sich auch Brandt: »Die behauptete Notwendigkeit ist nicht mehr eine nur theoretische, sondern beruht (auch) auf einer Vernunftidee, gemäß der jeder in das Geschmacks- oder Gefühlsurteil einstimmen soll« (Brandt 1998, 242). Auch im Sinne eines Sollens, aber ohne Verweis auf den Bereich des Moralischen deutet Zinkin NT: »they [judgments of taste] are claims that my judgment is an example of the standard of judging that ought to be used by everyone in making judgments of taste and thus that they ought to feel the same pleasure in a judgment of taste that I do« (Zinkin 2006, 157). Ich werde in den folgenden Kapiteln die Notwendigkeit des Geschmacksurteils in einer starken Analogie zum Erfahrungsurteil und weniger zum moralischen Sollen deuten. McCloskey betont in ihrer Deutung von NT die Besonderheit, dass Geschmacksurteile nicht aus einer Regel abgeleitet werden: »The peculiarity Kant sees in the ›necessity‹ about taking pleasure in something correctly judged beautiful is that it appears to be an exception to what he believes to be a general truth that ›necessitation‹, that is ›oughtings to‹ are governed by rule« (McCloskey 1987, 57). Die besondere Situation der ästhetischen Urteile hat Kulenkampff dazu veranlasst, einen sehr schwachen Begriff von Notwendigkeit zu propagieren: »Wir aber, indem wir sie [Geschmacksurteile] äußern, wollen etwas, verlangen etwas und werben darum, daß alle anderen unserem Urteil zustimmen sollen, und wir verstatten ihnen nicht, anderer Meinung zu sein, wenigstens in dem schwachen Sinn von ›nicht erlauben‹, daß wir es nicht mögen, daß sie anderer Meinung sind« (Kulenkampff 1995, 42 f.). Wieland betont dagegen, es sei »eine mit strenger Allgemeingültigkeit verbundene, apriorisch fundierte Notwendigkeit« bzw. »strenge Notwendigkeit« gemeint (Wieland 2001, 273). Ähnlich habe ich dafür plädiert, dass Kant durchaus einen starken Begriff von Notwendigkeit nutzt, wobei man aber stets die ästhetische Einstellung einbeziehen muss. Dieser wichtige Punkt – die Einbeziehung der ästhetischen Einstellung – erfolgt meines Wissens nach in der Sekundärliteratur bei der Deutung von NT quasi nicht. Im weiten Sinne übernimmt Saviles Einbeziehung eines idealen Urteilenden eine ähnliche Funktion wie die ästhetische Einstellung: »The necessity which he is concerned with is scarcely one that can be guaranteed to bear directly upon you or me or, indeed, on any actual judge. Rather, it is introduced in the first instance by reference to an idealized figure, one who is sensitive to whatever is, by the most exacting standards,

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pertinent to the issue at hand, and whose response to and experience of what he judges are proof against criticism« (Savile 1993, 24). 73 Kurz verweisen möchte ich noch auf Ginsborgs Modell der Normativität, welches auf ihren ›appropriateness‹-Ansatz gestützt ist: »Judgments of beauty have the feature of necessity, in that they make a normative claim about how the object should be judged« (Ginsborg 2015, 245). In einer aktuellen Stellungnahme erläutert sie: »the normativity involved in a judgment of beauty, the direction of the normative fit between object and response is no less worldto-mind than it is mind-to-world, so that the judgment of beauty is as much focussed on the object’s appropriateness to my state of mind in perceiving it as it is on the appropriateness of my state of mind with respect to the object« (Ginsborg 2016, 413 f.). Eng mit der Frage, was NT bedeutet, ist die Frage verknüpft, was Kants Konzeption der exemplarischen Notwendigkeit bedeutet. Zhouhuang stellt dazu klar: »Nicht in dem Sinne, dass das Geschmacksurteil ein Beispiel für jeden anderen Urteilenden wäre, wie es oft aufgefasst wurde, sondern in dem Sinne, dass das Urteil ein Beispiel für die allgemeine Regel ist. Im ersten Fall hätte das Beispiel keine Aussagekraft, während im zweiten Fall das Beispiel durch die Verbindlichkeit der Regel als zwingend angenommen wird« (Zhouhuang 2016, 86). Meines Wissens nach herrscht weitestgehend Einigkeit darüber, dass die exemplarische Notwendigkeit für den Status des Geschmacksurteils als Beispiel einer Art von allgemeiner Regel steht. Nun handelt es sich dabei um eine »Regel, die man nicht angeben kann« (§ 18.A.5, 237,10). Ich habe erläutert, dass dies dreierlei bedeuten könnte: (1) Es gibt keine Regel; (2) man kennt die Regel nicht; (3) die Regel ist nicht-begrifflich. Im Sinne der ersten Deutung schreibt Wenzel: »The judgment itself is exemplary. It looks like an example of a rule, as if a general rule preceded it. But in fact there is no rule to start with, and it is the judgment of taste that comes first« (Wenzel 2008, 78; vgl. ähnlich Wenzel 2000, 109). Allerdings geht er dann davon aus, dass der Gemeinsinn den Platz der Regel einnimmt (vgl. Wenzel 2008, 80 f.). Der zweiten Deutung (›Man kennt die Regel nicht‹) scheint Sassen anzuhängen: »Kant dealt with the claimed necessity of such judgments by maintaining that a rule must be involved after all, although this rule is said to be in principle unidentifiable« (Sassen 2013, 254). Gegen eine solche Deutung wendet sich Savile, wenn er erläutert: »It cannot be a law like others, only simply one from which we are cognitively excluded; for simple ignorance of it, even principled ignorance, will do nothing to impugn the apodeictic or theoretical status of its necesEr erläutert, dieser ideale Urteilende sei »no distant, superhuman figure, god or angel, say, impeccably responsive to the aesthetic rewards that nature objectively offers it, but a fully human soul, whose sensitivities are developed in the way of humans and which the reflective human intelligence will recognize as goods« (Savile 1993, 29).

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sity« (Savile 1993, 25). Die allermeisten AutorInnen betonen auf die eine oder andere Weise, dass die Regel nicht-begrifflich ist (3). So schreibt McCloskey: »the ›ought‹ connected with judgments of taste is governed by a rule incapable of formulation, a rule based essentially upon reference to examples (exemplars). The rule which governs the ›ought‹ connected with judgments concerning the beautiful can […] only be taught by the use of examples – by, we might add, ›example, test and correction‹« (McCloskey 1987, 58). Kulenkampff erläutert: »Man kann diese Regel nicht angeben, weil sie – so würde Kant sagen – keine objektive, sondern bloß eine subjektive Regel ist, und sie ist eine subjektive Regel, weil das, worauf sich das Prädikat ›schön‹ bezieht, ein (wenngleich jetzt in einem modifizierten Sinn) subjektiver Sachverhalt ist. So läßt sich der Status des reinen Geschmacksurteils als exemplarische Gültigkeit für alle beschreiben: es tritt in allen seinen Fällen als Beispiel auf, das eine allgemeine, doch begriffsunbestimmte Regel bestätigt« (Kulenkampff 1994, 107). Ebenfalls an die Differenzierung von objektiven und subjektiven Prinzipien bindet Allison die Konzeption der exemplarischen Notwendigkeit: »what Kant is denying is simply that the rule in question can function as an objective principle stating necessary and/or sufficient conditions of beauty« (Allison 2001, 147). Eine Rückbindung an den Begriff des Prinzips erfährt die exemplarische Notwendigkeit bei Matthews: »This is exemplary necessity: my judgment of taste cannot be derived from the principle upon which it is based, because that principle is indeterminate and something’s merely fitting with it is recognized through feeling. Nevertheless, it is an example of the kind of thing that fits under the rule« (Matthews 1997, 46). Die Besonderheit einer solchen Art von Notwendigkeit, die nicht aus einer begrifflichen Regel abgeleitet wird, betont Zuckert: »In aesthetic judging […] we employ no (overarching) empirical concept and therefore do not make or imply any universal claims about objects, do not use concepts as general rules from which we can infer which (other) objects we will/do/ought to find beautiful (V:285). Thus the necessity claims in aesthetic judgments do not fit Kant’s standard understanding of necessity as equivalent to universal lawfulness, or, as Kant writes, such claims can only be understood as ›examples‹ of a law we cannot state« (Zuckert 2007, 343). Letztlich an eine implizite, nicht-begriffliche Regel scheint Ginsborg die exemplarische Notwendigkeit zu binden, wenn sie den folgenden Kontrast beschreibt: »In contrast to the case of cognitive judgment, in which I have in mind some determinate way in which the object ought be judged (for example, as containing a movable drop of water), my claim to universal agreement does not specify a concept. Instead, I judge that all others should judge the object as I do, where the only way of pointing to how the object is to be judged (and thus to the ›universal rule‹ implicit in my judgment) is through the example of my judgment itself« (Ginsborg 2015, 48; vgl. auch 89 f., 247 f.). Auf die Begriffslosigkeit des Geschmacksurteils führt auch Guyer die exemplarische Notwendigkeit zurück, wenn er

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schreibt, letztere sei ein »merely clumsy way[.] of stating that in aesthetic judgment certain of the ordinary consequences of knowledge obtain without the actual application of a concept, because certain of cognition’s usual conditions are fulfilled« (Guyer 1979, 162). Die bislang aufgezählten Deutungen der exemplarischen Notwendigkeit im Sinne einer nicht-begrifflichen Regel geben alle einen Aspekt der Notwendigkeit des Geschmacksurteils richtig wieder. Allerdings fehlt bei den meisten bislang genannten Deutungen (mit Ausnahme von Kulenkampff) ein Verweis darauf, dass die nicht-begriffliche Regel des Geschmacksurteils der Gemeinsinn ist. Letzteres wird von einigen anderen AutorInnen explizit herausgestellt. So schreibt Kern: »In unserem Urteil über das Schöne beziehen wir uns auf einen Gemeinsinn, von dem wir glauben, daß wir exemplarisch für ihn urteilen. […] Zwar bin ich diejenige, die angesichts eines bestimmten Gegenstands jeweils das Urteil fällt, dieser Gegenstand sei schön, doch mein Urteil hat den Status eines Beispiels für ein Urteil, dem ein Gemeinsinn zugrunde liegt« (Kern 2002, 86). Ein solcher Verweis auf den Gemeinsinn findet sich ebenfalls bei Kulenkampff (1994, 108) und Wenzel (2008, 81). Bisweilen wird durch die Deutung der exemplarischen Notwendigkeit betont, dass uns vom Schönen immer nur einzelne Beispiele gegeben sind, so etwa bei Eckl: »›Exemplarisch‹ ist diese Notwendigkeit bekanntlich, weil ein einzelnes empirisch Gegebenes beurteilt wird: die lustvolle Vorstellung, durch die uns der Gegenstand gegeben wird« (Eckl 2017, 76). Ähnlich schreibt Rivera de Rosales: »Da das ästhetische Urteil der Quantität nach ein einzelnes Urteil ist und die Einmaligkeit der Erscheinung in Betracht zieht (285), können wir uns für diese Aufgabe nur mit Beispielen behelfen, die hier eine analoge Rolle spielen wie die Schemata beim Theoretischen, und zwar mit exemplarischen Beispielen, die uns mit sicherer Hand leiten können« (Rivera de Rosales 2008, 95). Makkai betont darüber hinaus, dass man keine Expertise für Geschmacksurteile ausbilden kann: »What also deserves notice is that it is as an example of the rule – not an instance or case of it – that, according to Kant, I present my judgment: as though underscoring the point that particular judgments of beauty neither express nor yield any grasp of a rule which would guide me in projecting into further judgments of beauty. The Kantian picture excludes any such form of mastery or expertise in aesthetic judgment« (Makkai 2009, 403). Die meisten geschilderten Deutungen der exemplarischen Notwendigkeit erfassen einen spezifischen Aspekt der Notwendigkeit des Geschmacksurteils und weisen Überschneidungen mit meiner eigenen Deutung auf. Unplausibel scheint mir hingegen die folgende Deutung Frickes, die auf einer Gleichsetzung von AT und NT beruht: »Mit der exemplarischen Notwendigkeit, die in dem reinen Geschmacksurteil gedacht wird, meint Kant letztlich nichts anderes als die subjektive Allgemeingültigkeit, die diesem Urteil dem Anspruch des Urteilenden gemäß zukommt« (Fricke 1990, 163). Kants Philosophie des Schönen

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Kant grenzt die Notwendigkeit beim Schönen von der theoretischen und der praktischen Notwendigkeit ab. Meist wird dieser Kontrast anhand des Umstandes erläutert, dass das Geschmacksurteil auf keiner (begrifflichen) Regel beruht. So etwa bei Zhouhuang: »Die logische Notwendigkeit bei der Erkenntnis und die praktische Notwendigkeit bei der vernünftigen Willensbestimmung beruhen auf apriorischen Begriffen und Regeln, daher sind sie objektiv. Im Gegensatz dazu ist die Notwendigkeit des Geschmacksurteils nur ästhetisch« (Zhouhuang 2016, 93). Ähnlich schreibt Wenzel: »Weil man die Regel nicht angeben kann, handelt es sich weder um eine theoretische, noch um eine praktische Notwendigkeit. Denn in beiden Fällen würde eine Regel vorausgesetzt: im ersten Fall eine, nach der erkannt und bewiesen werden kann, ›daß jedermann dieses Wohlgefallen….fühlen werde‹ (§ 18,62) (was für Kant widersprüchlich ist); im zweiten Fall eine, nach der gehandelt werden soll (was hier nicht in Frage kommt)« (Wenzel 2000, 109). An anderer Stelle erläutert Wenzel genauer, worum es sich bei diesen Regeln handelt. Die Notwendigkeit des ästhetischen Urteils könne nicht aus den Urteilsfunktionen bzw. Kategorien folgen; zudem gelte: »Nor is it based on free will and rational reflection about the categorical imperative, and it is therefore not a practical (moral) necessity either« (Wenzel 2008, 78; vgl. ähnlich Rivera de Rosales 2008, 94). Savile macht explizit, dass der theoretischen Notwendigkeit ein Schlussverfahren zugrunde liegt: »that a particular object must be G would be deducible from a law governing F things and the fact that the beautiful object in question is F. However, that necessity is at most a necessitas consequentiae, and is certainly theoretical« (Savile 1993, 25). Zuckert erläutert den Unterschied zwischen der ästhetischen und der theoretischen Notwendigkeit anhand des Begriffs des Bestimmungsgrundes: »The distinguishing factor between theoretical and aesthetic necessity is […] that in aesthetic judging the determining ground is not a concept, and thus not discursively articulable as a universal law, whether about others’ pleasurable reactions, or concerning objects« (Zuckert 2007, 343). Zuckert stellt zudem heraus, dass die Notwendigkeit des Geschmacksurteils in gewisser Hinsicht jener der Erfahrungsurteile gleiche: »Neither type of judgment [aesthetic judgments and judgments of experience], then, has strict ›objective necessity,‹ for neither solely articulates a priori conditions for the possibility of experience in general. In both cases, however, we make universality and necessity claims, thus indicating that we are employing a priori principles« (Zuckert 2007, 338; vgl. ähnlich Zammito 1992, 111). Auch ich werde herausstellen, dass die Notwendigkeit des Geschmacksurteils jener der Erfahrungsurteile ähnelt. Seltener als die Abgrenzung des Geschmacksurteils von der theoretischen und praktischen Notwendigkeit findet die Abgrenzung von der apodiktischen Notwendigkeit Erwähnung. Freilich sind die theoretische und die praktische Notwendigkeit aber jeweils Formen der apodiktischen Notwendigkeit. Wenzel erläutert: »Mit dieser ›apodiktischen Notwendigkeit‹ der

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Beistimmung meint Kant die logische, d. h. durch einen logischen Schluß erzwungene Gültigkeit« (Wenzel 2000, 110). Zhouhuang schreibt, die Notwendigkeit des Geschmacksurteils sei »keine apodiktische Notwendigkeit, sondern schwächer als diese, und sie drückt immer nur eine transzendentale Forderung aus« (Zhouhuang 2016, 93). In eine ähnliche Kerbe schlägt Rivera de Rosales und er erläutert, wir könnten »den anderen nicht apodiktisch nötigen, vor einer Erscheinung das ästhetische Wohlgefallen zu fühlen« (Rivera de Rosales 2008, 95). Zwar scheint es mir richtig, dass die ästhetische Notwendigkeit von ihrer Durchsetzungskraft her schwächer ist, indem die Zustimmung zum Urteil nicht erzwungen werden kann; dies bedeutet aber nicht, dass durch diese Notwendigkeit ein schwächerer Geltungsanspruch ausgedrückt wird. Betonen möchte ich abschließend, dass in keiner hier untersuchten Arbeit der Sekundärliteratur gefragt wird, ob und wie NT argumentativ hergeleitet wird. Bisweilen gibt es allerdings Hinweise darauf, dass uns die Notwendigkeit im Urteil unmittelbar bewusst ist. So schreibt etwa Esser, »[d]aß dem Urteilenden selbst die faktische Verwendung einer Regel nur durch den tatsächlichen Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit bewußt wird« (Esser 1997, 135). McCloskey erläutert, Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit seien »implicit in our use« (McCloskey 1987, 80). Und Zammito konstatiert: »the subject believes the way he responded is the way anyone else could, would, and should« (Zammito 1992, 116). Wenzel nutzt den Begriff des Faktums: »Von diesem Anspruch an andere geht Kant als einem Faktum aus« (Wenzel 2000, 111). Etwas ausführlicher erläutert Kern: »Das einzige, was ich als Autorität dafür anbieten kann, daß meine Berufung auf einen solchen Gemeinsinn gerechtfertigt ist, d. h. dafür, daß mein Urteil in der Tat exemplarische Gültigkeit hat, ist nichts anderes als genau das, wofür ich diese exemplarische Gültigkeit behaupte: nämlich mein Urteilen und Fühlen selbst. Es gibt nichts außerhalb meines Fühlens und Urteilens, das mich dazu berechtigt, zu behaupten, daß mein Urteil, dieser Gegenstand sei schön, ein Beispiel des Gemeinsinns sei und nicht bloß ein Urteil, das für mich gilt« (Kern 2002, 87). Möglicherweise will Kern damit beanspruchen, uns sei die Notwendigkeit sowohl im Urteil als auch im Gefühl der Lust gegeben. Eine solche Deutung findet sich explizit bei Crawford, der von »the necessity we feel our judgments of taste possess« spricht (Crawford 1974, 131). Ähnlich konstatiert Wenzel: »both features of a judgment of taste are felt to be necessary: the satisfaction I feel and the agreement I demand« (Wenzel 2008, 79). Auch nach Ginsborgs ›appropriateness‹-Ansatz ist uns die Notwendigkeit in der Lust bewusst: »So if I feel this kind of pleasure when a given object is presented to my senses, I am at the same time aware that everyone else who perceives the object ought to share my state of mind. I am aware, that is to say, that all other perceivers of the object ought to experience the same pleasure as I do« (Ginsborg 2015, 30). Ich habe dagegen dafür plädiert, dass sich die Lust am Kants Philosophie des Schönen

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§ 18 Die exemplarische Notwendigkeit des Geschmacksurteils

Schönen frei anfühlt und sich NT daher nicht im phänomenalen Gehalt dieser Lust niederschlagen kann.

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§ 19 Die subjektive und bedingte Notwendigkeit des Geschmacksurteils

In § 18 hat Kant die Notwendigkeit des Geschmacksurteils als exemplarisch charakterisiert. In § 19 bestimmt er diese Notwendigkeit als subjektiv und bedingt. Dabei sind Kants Ausführungen von erstaunlicher Kürze: § 19 umfasst (neben der Überschrift) bloß drei Sätze und neun Zeilen in der Akademieausgabe. Leider führt diese Kürze auch dazu, dass Kants Ausführungen äußerst schwer verständlich sind und am Ende vielleicht auch unklar bleiben. Insbesondere die Termini der subjektiven Notwendigkeit und bedingten Notwendigkeit werden nicht definiert oder erläutert. Ziel meiner Untersuchungen wird daher im Folgenden insbesondere sein, zu klären, was eine subjektive und bedingte Notwendigkeit ist und warum das Geschmacksurteil eine solche Form der Notwendigkeit beansprucht. Voranstellen möchte ich die folgende Gliederung: 1. These: Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist eine subjektive und bedingte Notwendigkeit (§ 19.T, 237,20–21) 2. Der Sollensanspruch des Geschmacksurteils (§ 19.A.1, 237,22– 24) 3. Die Bedingtheit des Sollens und der Notwendigkeit (§ 19.A.2, 237,24–26) 4. Das Geschmacksurteil beruht auf einem Grund, der allen gemein ist (§ 19.A.3, 237,26–30)

19.1 Der Sollensanspruch des Geschmacksurteils Bevor wir uns der Konzeption einer subjektiven und bedingten Notwendigkeit zuwenden, wollen wir einige Anmerkungen zum Sollensanspruch des Geschmacksurteils vornehmen. Diesen Anspruch behandelt Kant im ersten Satz:

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§ 19.A.1 »[a] Das Geschmacksurtheil sinnet jedermann Beystimmung an; [b] und wer etwas für schön erklärt, will, daß jedermann dem vorliegenden Gegenstande Beyfall geben und ihn gleichfalls für schön erklären s o l l e « (237,22).

Nun kann freilich das Geschmacksurteil selbst nichts ansinnen, d. h. anmuten oder fordern. Vielmehr muss diese Rolle der Person, die dieses Urteil fällt, zukommen: § 19.A.1aR1 Ein Urteilender, der ein Geschmacksurteil fällt, sinnt allen anderen Urteilenden Beistimmung zu seinem Geschmacksurteil an.

Der Begriff der Beistimmung verweist offenkundig auf die Allgemeingültigkeit des Urteils (ATUrteil in der präskriptiven Variante) und der Begriff des Ansinnens auf ein Sollen, d. h. auf die Notwendigkeit der Allgemeingültigkeit (NTUrteil). 1 Der Begriff des Ansinnens ist allerdings schwächer als ein Erzwingen. Man könnte die Beistimmung nur erzwingen, wenn dem Geschmacksurteil eine objektive, begriffliche Regel zugrunde läge. Jedoch beansprucht das Geschmacksurteil eine Notwendigkeit, die »von keinen Beweisgründen a priori abhängt, durch deren Vorstellung der Beyfall, den das Geschmacksurtheil jedermann ansinnt, erzwungen werden könnte« (281,19). Adelung schreibt zum Begriff »ansinnen«: »Einem etwas ansinnen, es von ihm verlangen, besonders wenn es unerlaubte oder unanständige Sachen sind, die man verlangt« (Adelung: Ansinnen). Nun ist das Ansinnen der Beistimmung zum Geschmacksurteil zwar nicht ›unanständig‹ ; jedoch mag dieser Anspruch insofern ungewöhnlich oder sogar unberechtigt erscheinen, als man keine begriffliche, objektive Geschmacksregel angeben kann. Insgesamt gibt uns die Proposition § 19.A.1a wenig neue Einsichten in die Notwendigkeit des Geschmacksurteils. Wie verhält es sich aber mit § 19.A.1b? Ich schlage die folgende Rekonstruktion dieser Proposition vor: § 19.A.1bR1 Wer ein Geschmacksurteil »x ist schön« fällt, will, dass alle Urteilenden dem Gegenstand x Beifall geben und ebenfalls das Urteil »x ist schön« fällen sollen.

Wie schon früher erläutert, steht der Begriff des Beifalls dafür, positiv auf den Gegenstand x zu reagieren – und damit ist freilich gemeint,

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Zum Begriff der Beistimmung siehe Kap. 18.2.

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Der Sollensanspruch des Geschmacksurteils

dass man eine Lust am Schönen fühlt und diese im Geschmacksurteil »x ist schön« ausdrückt. 2 Wir können somit schreiben: § 19.A.1bR2 Wer ein Geschmacksurteil »x ist schön« fällt, will, dass alle Urteilenden an dem Gegenstand x ebenfalls eine Lust am Schönen empfinden und das Urteil »x ist schön« fällen sollen.

Der Begriff des Sollens muss hier für die Notwendigkeit des Geschmacksurteils stehen. So heißt es in § 22: »und das Sollen, d. i. die objective Nothwendigkeit des Zusammenfließens des Gefühls von jedermann mit jedes seinem besondern […]« (§ 22.B.2, 240,9). 3 Und in der Ersten Einleitung schreibt Kant: »Sie [die Geschmacksurteile] machen auf Nothwendigkeit Anspruch und sagen nicht, daß jedermann so urtheile […] sondern daß man so urtheilen s o l l e « (EEKU: 239,1). 4 Wenn Kant nun in § 19.A.1 davon spricht, dass jedermann den Gegenstand ›gleichfalls für schön erklären s o l l e ‹, dann bedeutet dies, dass dem Geschmacksurteil Notwendigkeit zukommt. Insgesamt wird in § 19.A.1b hauptsächlich noch einmal NTUrteil formuliert. In dieser Proposition wird ausgesagt, was ein Urteilender tut, d. h. was er will bzw. fordert, wenn er ein Geschmacksurteil fällt – nämlich allgemeine Beistimmung. Dies spricht erneut dafür, dass uns der Sollensanspruch des Geschmacksurteils, d. h. die Notwendigkeit des Urteils, immer schon unmittelbar im Urteil bewusst ist. 5 Bisweilen wird Kants These, dass jedermann einen Gegenstand ›gleichfalls für schön erklären solle‹, in Abgrenzung zu der These gedeutet, dass alle an dem Gegenstand Lust fühlen werden; letztere

Vgl. bei Adelung: »der Zustand des Gemüthes, da man die Worte oder Handlungen eines andern billiget« (Adelung: Der Beyfall). 3 Es mag verwirren, dass Kant in diesem Zitat den Begriff der objektiven Notwendigkeit nutzt; denn in § 19 weist er doch gerade die Notwendigkeit des Geschmacksurteils als subjektiv aus. Diese Auffälligkeit deute ich so, dass die Notwendigkeit des Geschmacksurteils zwar insofern subjektiv ist, als sie auf einem Vermögen im Subjekt beruht, dass sie aber insofern analog zur objektiven Notwendigkeit ist, als sie eine Notwendigkeit für alle Urteilenden meint (siehe hierzu auch Kap. 22.2). Vgl. für Letzteres Verständnis von subjektiver und objektiver Notwendigkeit: »Denn was ich bloß meine, das halte ich im Urtheilen mit Bewußtsein nur für problematisch; was ich glaube, für a s s e r t o r i s c h , aber nicht als objectiv, sondern nur als subjectiv nothwendig (nur für mich geltend); was ich endlich w e i ß , für a p o d i k t i s c h g e w i ß , d. i. für allgemein und objectiv nothwendig (für Alle geltend)« (Log: 66). 4 Vgl. ähnlich § 22.A.2, 239,20; EEKU: 238,24. 5 Für das Bewusstsein der Notwendigkeit siehe Kap. 18.4. 2

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These gelte für das Geschmacksurteil nicht. 6 Diese Deutung des Sollens scheint mir aber falsch zu sein. Zwar betont Kant in § 18, dass das Geschmacksurteil keine »theoretische objective Nothwendigkeit« beanspruchen kann, »wo a priori erkannt werden kann, daß jedermann dieses Wohlgefallen an dem von mir genannten Gegenstande f ü h l e n w e r d e « (§ 18.A.4, 236,22 f.). Aber die Pointe dieser Abgrenzung besteht darin, dass wir das ›Fühlenwerden‹ bei der theoretischen objektiven Notwendigkeit a priori erkennen können. Beim Schönen hingegen können wir diese Einsicht (in gewisser Hinsicht) nur a posteriori gewinnen, nämlich dadurch, dass wir einen Gegenstand unseren eigenen Sinnen unterwerfen und selbst eine Lust am Schönen fühlen. 7 Ferner muss beim Schönen die ästhetische Einstellung berücksichtigt werden. Auch beim Schönen haben wir dann unter der Voraussetzung unserer eigenen Lust an einem gegebenen Gegenstand x die Einsicht, dass alle Menschen an x Lust fühlen werden, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind. In diesem Sinne bildet das Sollen beim Schönen keinen Kontrast zu einem ›Fühlenwerden‹. Nun ist der Begriff des Sollens im Kontext des Geschmacksurteils aber in gewisser Hinsicht irritierend. Ich sage im Urteil »x ist schön« implizit zu anderen Urteilenden: »Ihr sollt das Urteil ›x ist schön‹ fällen!« Durch dieses Sollen ist impliziert, dass ich von den anderen Urteilenden fordere, sie sollen eine Lust am Schönen fühlen, womit auch impliziert ist, dass sie sich in einen Zustand des freien und harmonischen Spiels der Erkenntniskräfte versetzen sollen. Aber erstens darf im Sinne der Freiheitsthese FT die Lust nicht erzwungen sein. 8 Zweitens ist auch das freie Spiel durch Freiheit gekennzeichnet, was voraussetzt, dass es keine Absicht verfolgt. Ich darf demnach nicht die Absicht haben, einem Geschmacksurteil zuzustimmen. Damit stehen wir, wie schon so oft, vor einem paradoxen Befund: Einerseits fordert ein Urteilender, der ein Geschmacksurteil fällt, zu Recht, dass andere seinem Urteil zustimmen sollen. Andererseits müssen die anderen Urteilenden bei ihrer Beurteilung des Gegenstandes frei sein, d. h. sie dürfen gerade nicht die Absicht haben, den Sollensanspruch zu erfüllen. Wenn ein Urteilender die Absicht hat, in einen Zustand Siehe den Literaturbericht in Kap. 19.6. Freilich ist es der Witz des Geschmacksurteils, dass zu diesen empirischen Grundlagen eine Art apriorisches Prinzip hinzukommt, nämlich der Gemeinsinn. Wäre dies nicht der Fall, so könnte das Geschmacksurteil überhaupt keine Notwendigkeit bzw. notwendige Allgemeingültigkeit beanspruchen. Siehe Kap. G5.2. 8 Vgl. § 5.B.6–10, 210,11. Siehe auch die Analyse der Freiheitsthese in Kap. 5.5. 6 7

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der uninteressierten Lust einzutreten, so wird ihm dies (in den allermeisten Fällen) nicht gelingen; diese Absicht steht nämlich der Uninteressiertheit im Sinne der ästhetischen Einstellung entgegen. 9 Das einzige Sollen, dem Urteilende bewusst folgeleisten können, ist, sich in eine ästhetische Einstellung zu versetzen. Halten wir zum Sollensanspruch des Geschmacksurteils das Folgende fest: i. Wir können die allgemeine Zustimmung im Geschmacksurteil nur ansinnen, nicht aber erzwingen. Der Grund dafür ist, dass dem Geschmacksurteil keine begriffliche, objektive Geschmacksregel zugrunde liegt. ii. Dennoch erhebt das Geschmacksurteil einen Sollensanspruch, d. h. es erhebt einen Anspruch auf Notwendigkeit bzw. notwendige Allgemeingültigkeit im engen Sinne. iii. Das Sollen darf nicht zur Folge haben, dass das freie Spiel oder die Lust am Schönen erzwungen wird. Nur bezüglich seiner ästhetischen Einstellung kann ein Urteilender einem Sollen absichtlich folgeleisten.

19.2 Zur subjektiven Notwendigkeit Untersuchen wir nun die Eigenschaften der Notwendigkeit, die Kant in der Überschrift benennt: § 19.T »Die subjective Nothwendigkeit, die wir dem Geschmacksurtheile beylegen, ist bedingt« (237,20).

Die ›Nothwendigkeit, die wir dem Geschmacksurtheile beylegen‹, ist nichts anderes als die Notwendigkeit des Geschmacksurteils. Wir können daher verkürzt schreiben: § 19.TR1 Die subjektive Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist bedingt.

Kant bestimmt also die Notwendigkeit des Geschmacksurteils erstens als subjektiv und zweitens als bedingt. In diesem Sinne können wir in § 19.T die beiden folgenden Propositionen unterscheiden:

Zur Uninteressiertheit als Komponente der ästhetischen Einstellung siehe Kap. 2.3.3.

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sN1 Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist eine subjektive Notwendigkeit. bN1 Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist eine bedingte Notwendigkeit.

Ich werde zunächst die Konzeption der subjektiven Notwendigkeit untersuchen.

19.2.1 Zur Bedeutung der subjektiven Notwendigkeit Auch in § 22 schreibt Kant, dass »[d]ie Nothwendigkeit der allgemeinen Beystimmung, die in einem Geschmacksurtheil gedacht wird, […] eine subjective Nothwendigkeit [ist]« (§ 22.T, 239,11, m. H.). 10 Allerdings wird an keiner Stelle in der KU definiert, was überhaupt eine solche ›subjective Nothwendigkeit‹ ist. Dies ist insofern erstaunlich, als dieser Begriff keinesfalls selbsterklärend ist. Christel Fricke setzt in ihrer Interpretation den Begriff der subjektiven Notwendigkeit mit den Begriffen der subjektiven Allgemeingültigkeit und der exemplarischen Notwendigkeit gleich. 11 Dass die Notwendigkeit einen Zusatz zur Allgemeingültigkeit bildet, sodass die subjektive Notwendigkeit nicht mit der subjektiven Allgemeingültigkeit identisch sein kann, habe ich bereits dargelegt. 12 Ferner werden wir sehen, dass der Begriff der subjektiven Notwendigkeit vom Begriff der exemplarischen Notwendigkeit unterschieden ist, wenngleich beide eng miteinander verknüpft sind. In § 18 nutzt Kant den Begriff der theoretischen objektiven Notwendigkeit; 13 diese Notwendigkeit leitet sich, wie gezeigt, aus einem

Vgl. auch die folgende Passage aus einer Vorlesungsmitschrift: »Die Modalität beruht darauf, ob es ein notwendiges oder bloß zufälliges Urteil ist. Eine ästhetische Notwendigkeit, wenn es nämlich nach Gesetzen der Einbildungskraft nötig ist, sich die Sache vorzustellen, nicht nach Gesetzen der Vernunft. Die ästhetische Notwendigkeit ist nur subjektive Notwendigkeit. Die ästhetische Vollkommenheit ist Herablassung des Verstandes zur Sinnlichkeit« (V-Lo/Dohna: 709 f.). 11 Vgl.: »Mit der exemplarischen Notwendigkeit, die in einem reinen Geschmacksurteil gedacht wird, meint Kant letztlich nichts anderes als die subjektive Allgemeingültigkeit, […]. Daher spricht er von der exemplarischen Notwendigkeit des reinen Geschmacksurteils auch als von der ›subjektive[n] Notwendigkeit, die wir dem Geschmacksurteile beilegen‹ (KU, 63)« (Fricke 1990, 163). 12 Siehe Kap. 18.2. 13 Vgl. § 18.A.4, 236,22. Siehe hierzu Kap. 18.3.1. 10

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objektiven, begrifflichen Prinzip ab. Dies wird durch das folgende Zitat aus § 35 indirekt bestätigt: »Gleichwohl aber ist es [das Geschmacksurteil] darin dem letztern [logischen Urteil] ähnlich, daß es eine Allgemeinheit und Nothwendigkeit, aber nicht nach Begriffen vom Object, folglich eine bloß subjective vorgiebt« (286,35 f.).

Folgt man diesem Zitat, dann sind die objektive und die (bloß) subjektive Notwendigkeit folgendermaßen bestimmt: oN1 Eine objektive Notwendigkeit basiert auf Begriffen vom Objekt. sN2 Eine bloß subjektive Notwendigkeit basiert nicht auf Begriffen vom Objekt.

Mit den ›Begriffen vom Object‹ muss ein objektives Prinzip gemeint sein; denn die zitierte Passage befindet sich im Kontext einer Argumentation dafür, dass dem Geschmacksurteil kein objektives, sondern ein subjektives Prinzip zugrunde liegt. 14 Zu einem solchen objektiven Prinzip heißt es zu Beginn von § 34: »Unter einem Princip des Geschmacks würde man einen Grundsatz verstehen, unter dessen Bedingung man den Begrif eines Gegenstandes subsumiren, und alsdann durch einen Schluß herausbringen könnte, daß er schön sey« (285,27).

Demnach beansprucht ein Urteil objektive Notwendigkeit, wenn es aus einem objektiven Prinzip mittels eines Schlusses (Syllogismus) abgeleitet wird. Das objektive Prinzip muss dabei ein apriorisches Prinzip sein. 15 Ein objektives Prinzip ist und heißt deshalb ein objektives Prinzip, weil es sich auf Objekte bzw. Eigenschaften von Objekten bezieht – wie etwa das Prinzip »Alles, was die Eigenschaft p hat, ist z«. Unter ein solches Prinzip lässt sich dann ein Gegenstand subsumieren, der über die Eigenschaft p verfügt. Die Objektivität solcher Prinzipien ist darauf zurückzuführen, dass sie einen Objektbezug aufweisen; die Objektivität steht dagegen nicht dafür, dass die Prinzipien allgemeingültig bzw. intersubjektiv sind. Auch subjektive PrinVgl. die Überschriften von § 34 und 35: »Es ist kein objectives Princip des Geschmacks möglich« (285,26); »Das Princip des Geschmacks ist das subjective Princip der Urtheilskraft überhaupt« (286,30). 15 In der KrV differenziert Kant zwischen zwei Arten von Prinzipien. Im weiten Sinne ist jeder »Obersatz in einem Vernunftschluss« ein Prinzip; im engen Sinne sind »[s]ynthetische Erkenntnisse aus Begriffen«, d. h. synthetische Sätze a priori, Prinzipien (A300 f./B357 f.). Siehe hierzu Kap. 20.1.2. 14

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zipien können nämlich allgemeingültig bzw. intersubjektiv sein. Wir können nun die obigen Bestimmungen folgendermaßen präzisieren: oN1R1 Ein objektiv notwendiger Satz wird (mittels eines Syllogismus) aus einem objektiven (apriorischen) Prinzip abgeleitet. sN2R1 Ein bloß subjektiv notwendiger Satz wird nicht aus einem objektiven (apriorischen) Prinzip abgeleitet.

Wir wissen nun zwar, worin die subjektive Notwendigkeit nicht besteht. Worin besteht sie aber stattdessen? Ich werde im Folgenden einige Verwendungen des Terminus »subjektive Notwendigkeit« im kantischen Werk nachzeichnen, um dann zu erläutern, was im Rahmen des Vierten Moments unter der subjektiven Notwendigkeit zu verstehen ist. (a) Eine erste Verwendung des Terminus »subjektiv notwendig« findet sich im Rahmen von Kants Ausführungen zum Meinen, Glauben und Wissen in der KrV sowie der Logik. Zum Glauben schreibt er: »was ich glaube, [das halte ich] für a s s e r t o r i s c h , aber nicht als objectiv, sondern nur als subjectiv nothwendig (nur für mich geltend)« (Log: 66). Dem steht die Charakterisierung »objectiv nothwendig (für Alle geltend)« entgegen (Log: 66). 16 Dem folgend steht die objektive Notwendigkeit für eine notwendige Allgemeingültigkeit und eine subjektive Notwendigkeit für eine notwendige Gültigkeit nur für den Urteilenden selbst. Nun ist es wesentlich für den Glauben, dass er auf »subjectiven Gründe[n]« (Log: 70) bzw. subjektiv zureichenden Gründen, nicht aber auf objektiv zureichenden Gründen beruht. 17 Damit hängt zusammen, dass der Glaube nicht durch Beweise erzwungen werden kann. 18 Dagegen beruht das Wissen (auch) auf objektiv zureichenden Gründen, d. h. es ist ein »sowohl subjektiv als objektiv zureichende[s] Fürwahrhalten« (A822/B850). Nun spezifiziert Kant zum moralischen Glauben, dass dieser auf dem »moralische[n] Interesse« und der »moralische[n] Gesinnung« beruht (Log: 70). 19 In diesem Sinne muss Vgl. auch A822 f./B850 f.; Log: 70. Vgl.: »Das Glauben oder das Fürwahrhalten aus einem Grunde, der zwar objectiv unzureichend, aber subjectiv zureichend ist« (Log: 67). 18 Vgl. FM: 298. 19 Vgl.: »die Überzeugung ist nicht l o g i s c h e, sondern m o r a l i s c h e Gewißheit, und, da sie auf subjektiven Gründen (der moralischen Gesinnung) beruht, […]« (A829/B857); »Das einzige Bedenkliche, das sich hiebei findet, ist, daß sich dieser 16 17

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der subjektive Grund beim Glauben etwas meinen, was im einzelnen Subjekt liegt, nämlich ein Gefühl oder eine Gesinnung. Man könnte in diesem Kontext auch von einem subjektinternen Grund sprechen. Das Interesse und die Gesinnung gehen mit einer spezifischen Zwecksetzung einher – und der Gegenstand des Glaubens ist eine Bedingung, die für die Erreichung dieses Zwecks vorausgesetzt ist. 20 Im Falle des moralischen Glaubens ist dieser Zweck »die Zusammenstimmung unsrer Bestrebung zum höchsten Gut« (FM: 297), wobei Gott eine notwendige Bedingung für diesen Zweck ist. 21 Wichtig ist nun, dass Kant zwei Arten von subjektiver Notwendigkeit des Glaubens unterscheidet. Es scheint zwar bisweilen so, als bedeute ›subjektiv notwendig‹ »nur für mich geltend« (Log: 66). Dies gilt aber eigentlich nur, wenn die Zwecksetzung bzw. das Interesse oder die Gesinnung, d. h. der subjektive Grund, nicht in allen Subjekten gegeben ist, oder wenn verschiedene Bedingungen zur Erreichung des Zwecks möglich sind. 22 Sind jedoch die Zwecksetzung und die subjektiven Gründe (das Interesse oder die Gesinnung) allgemeingültig und ist zudem nur eine Bedingung für die Erreichung des Zwecks möglich, so meint die subjektive Notwendigkeit eine notwendige Geltung für alle Urteilenden. In diesem Sinne schreibt Kant: »Ganz anders ist es mit dem m o r a l i s c h e n G l a u b e n bewandt. Denn da ist es schlechterdings notwendig, daß etwas geschehen muß, nämlich, daß ich dem sittlichen Gesetze in allen Stücken Folge leiste. Der Zweck ist hier unumgänglich festgestellt, und es ist nur eine einzige Bedingung nach aller meiner Einsicht möglich, unter welcher dieser Zweck mit allen gesamten Zwecken zusammenhängt, und dadurch praktische Gültigkeit habe, nämlich, daß ein Gott und eine künf-

Vernunftglaube auf die Voraussetzung moralischer Gesinnung gründet« (A829/ B857); »Nur solche Gegenstände sind Sachen des Glaubens, bei denen das Fürwahrhalten nothwendig frei, d. h. nicht durch objective, von der Natur und dem Interesse des Subjects unabhängige Gründe der Wahrheit bestimmt ist« (Log: 70). 20 Vgl. hierzu A823 f./B851 f.; FM: 298. 21 Vgl. hierzu auch KpV: 4 f. 22 Vgl.: »Diese Notwendigkeit ist subjektiv, aber doch nur komparativ zureichend, wenn ich gar keine andere Bedingungen weiß, unter denen der Zweck zu erreichen wäre; aber sie ist schlechthin und für jedermann zureichend, wenn ich gewiß weiß, daß niemand andere Bedingungen kennen könne, die auf den vorgesetzten Zweck führen« (A823 f./B851 f.). Kants Philosophie des Schönen

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tige Welt sei: ich weiß auch ganz gewiß, daß niemand andere Bedingungen kenne, die auf dieselbe Einheit der Zwecke unter dem moralischen Gesetze führen« (A828/B856). 23 Bekanntermaßen kann auch das moralische Interesse in allen Menschen vorausgesetzt werden: »Das menschliche Gemüt nimmt (so wie ich glaube, daß es bei jedem vernünftigen Wesen notwendig geschieht) ein natürliches Interesse an der Moralität, ob es gleich nicht ungeteilt und praktisch überwiegend ist« (A829 f./B858 f.). Wir müssen also eine schwache und eine starke Konzeption von subjektiver Notwendigkeit unterscheiden: Eine schwache subjektive Notwendigkeit steht für eine notwendige Geltung nur für den Urteilenden selbst; 24 eine starke subjektive Notwendigkeit steht für eine notwendige Geltung für alle Urteilenden. Beide kommen aber darin überein, dass die Notwendigkeit auf subjektiven Gründen, d. h. Gefühlen, Gesinnungen oder Zwecksetzungen, beruht. (b) Eine zweite Verwendung von »subjektive Notwendigkeit« findet sich im Kontext von Kants Verständnis der Gewohnheit – insbesondere im Zuge seiner Distanzierung von Hume. 25 Hat die subjektive Notwendigkeit im Kontext des Glaubens – insbesondere des moralischen Glaubens – durchaus eine positive Konnotation, so erhält dieser Terminus im Kontext der Gewohnheit einen negativen, abwertenden Beigeschmack. Kant schreibt: »Er [Hume] hielt sich vornehmlich bei dem Grundsatze der Kausalität auf, und bemerkte von ihm ganz richtig, daß man seine Wahrheit […] auf gar keine Einsicht, d. i. Erkenntnis a priori, fuße, daß daher auch nicht im mindesten die Notwendigkeit dieses Gesetzes, sondern eine bloße allgemeine Brauchbarkeit desselben in dem Laufe der Erfahrung und eine daher entspringende

Vgl. auch A824/B852. In der KrV schildert Kant das folgende Beispiel für eine schwache subjektive Notwendigkeit: »Der Arzt muß bei einem Kranken, der in Gefahr ist, etwas tun, kennt aber die Krankheit nicht. Er sieht auf die Erscheinungen, und urteilt, weil er nichts Besseres weiß, es sei die Schwindsucht. Sein Glaube ist selbst in seinem eigenen Urteile bloß zufällig, ein anderer möchte es vielleicht besser treffen« (A824/B852). 25 Ebenfalls auf die Gewohnheit bezogen ist die folgende Passage zur Staatsphilosophie: »Die Staatsformen sind nur der B u c h s t a b e (littera) der ursprünglichen Gesetzgebung im bürgerlichen Zustande, und sie mögen also bleiben, solange sie, als zum Maschinenwesen der Staatsverfassung gehörend, durch alte und lange Gewohnheit (also nur subjektiv) für notwendig gehalten werden« (RL: 340). 23 24

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subjektive Notwendigkeit, die er Gewohnheit nennt, sein ganzes Ansehen ausmache« (A760/B788). 26 Das Kausalgesetz ist in diesem Hume’schen Sinne subjektiv notwendig, weil wir gewohnt sind, es anzuwenden. Die so verstandene subjektive Notwendigkeit steht insbesondere der objektiven Notwendigkeit der Kategorien (insbesondere der Kausalitätskategorie) im kantischen Verständnis gegenüber. 27 Auch in der Deutung von »subjektive Notwendigkeit« als Gewohnheit liegt die Subjektivität letztlich darin begründet, dass die Notwendigkeit auf einem Grund im Subjekt, nämlich einer gewohnheitsmäßigen Verfahrensweise, beruht. (c) In der KpV legt Kant den hypothetischen Imperativen eine Notwendigkeit bei, die »nur subjektiv bedingt« ist (KpV: 20). Dagegen müssen praktische, d. h. moralische Gesetze (kategorische Imperative) »objektive und nicht bloß subjektive Notwendigkeit haben« (KpV: 26). Zu dieser objektiven Notwendigkeit des moralischen Gesetzes heißt es: »Das moralische Gesetz wird aber nur darum als objektiv notwendig gedacht, weil es für jedermann gelten soll, der Vernunft und Willen hat« (KpV: 36). Die objektive Notwendigkeit des moralischen Gesetzes entspringt »aus Gründen a priori« (KpV: 26). Damit zeichnet Kant ein ähnliches Bild wie im Falle der Notwendigkeit des Glaubens und des Wissens. Das moralische Gesetz beansprucht objektive Notwendigkeit, d. h. eine Geltung für alle Menschen bzw. vernünftigen Wesen, weil es auf Gründen a priori beruht. Hypothetische Imperative beanspruchen subjektive Notwendigkeit im schwachen Sinne, d. h. bloß private notwendige Geltung; denn hypothetische Imperative beruhen insofern nur auf subjektiven Gründen, als sie eine (beliebige) Zwecksetzung des einzelnen Subjekts und ein Interesse am Angenehmen voraussetzen. (d) Auch in einem anderen Kontext der KU nutzt Kant den Begriff »subjektive Notwendigkeit« – und zwar im Kontext des Prinzips a priori der Urteilskraft. In der Ersten Einleitung heißt es: »DieVgl. auch B5, B127; Prol: 257 f., 277; KpV: 12 f., 50 ff. Vgl.: »Denn auf diese [prästabilisierte Harmonie] kommt doch jene objektive Notwendigkeit nicht heraus, welche die reinen Verstandesbegriffe (und die Grundsätze ihrer Anwendung auf Erscheinungen) charakterisiert, z. B. in dem Begriffe der Ursache in Verknüpfung mit der Wirkung, sondern alles bleibt bloß subjektiv-notwendige, objektiv aber bloß zufällige Zusammenstellung, gerade wie es H u m e will, wenn er sie bloße Täuschung aus Gewohnheit nennt« (MAN: 476 Fn.).

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ses giebt zuerst den Begrif einer objectiv zufälligen, subjectiv aber (für unser Erkenntnißvermögen) nothwendigen Gesetzmäßigkeit d. i. einer Zweckmäßigkeit der Natur, und zwar a priori, an die Hand« (EEKU: 243,4). 28 Kant nutzt hier den Gegensatz zwischen objektiver und subjektiver Notwendigkeit, um zu verdeutlichen, dass das Prinzip a priori der Urteilskraft nur für urteilende Subjekte bzw. Menschen Notwendigkeit beansprucht (als regulatives Prinzip), nicht aber für die Objekte der Natur, auf die es sich inhaltlich bezieht. So spricht er vom »Begrif einer Zweckmäßigkeit, die man an ihr [der Natur] a priori voraussetzen muß, […] welche zwar nach dem Princip der reflectirenden Urtheilskraft nur als subjectiv, d. i. beziehungsweise auf dieses Vermögen selbst nothwendig von ihm vorausgesetzt wird« (EEKU: 248,20, m. H.). Der Terminus der subjektiven Notwendigkeit zeigt in diesem Kontext keinesfalls an, dass das Prinzip a priori bloß privatgültig (›für mich geltend‹) wäre; vielmehr ist es (als synthetischer Satz a priori) notwendig allgemeingültig. Fragen wir nun, welche der soeben aufgezählten Bedeutungen der subjektiven Notwendigkeit im Falle des Geschmacksurteils zutreffen. Wie der unter (a) geschilderte Glaube und die unter (b) geschilderte Kausalität im Hume’schen Sinne beruht das Geschmacksurteil nicht auf einem objektiven Prinzip a priori. Dies hatten wir bereits durch unsere Rekonstruktion von sN2 herausgestellt: sN2R1 Ein bloß subjektiv notwendiger Satz wird nicht aus einem objektiven (apriorischen) Prinzip abgeleitet.

Allerdings steht die subjektive Notwendigkeit des Geschmacksurteils keineswegs dafür, dass das Urteil bloß ›für mich geltend‹ wäre, wie es beim Glauben im schwachen Sinne (a) der Fall ist. Vielmehr handelt es sich ja gerade um eine Notwendigkeit der Allgemeingültigkeit. In diesem Sinne nutzt Kant in der Analytik den starken Begriff der subjektiven Notwendigkeit; und das Geschmacksurteil beansprucht einen ähnlichen Status wie der moralische Glaube (a) und das Prinzip Vgl. auch: »Also ist es eine subjectiv-nothwendige transcendentale Vo r a u s s e t z u n g , daß jene besorgliche grenzenlose Ungleichartigkeit empirischer Gesetze und Heterogeneität der Naturformen, der Natur nicht zukomme, vielmehr sie sich, durch die Affinität der besonderen Gesetze unter allgemeinere, zu einer Erfahrung, als einem empirischen System, qualificire« (EEKU: 209,25). – In der offiziellen Einleitung bezeichnet Kant die »Zusammenstimmung der Natur zu unserem Erkenntnißvermögen […] objectiv als zufällig« (185,13; vgl. auch 457,29).

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a priori der Urteilskraft (d): Alle drei sind ›für alle geltend‹. Wie die Notwendigkeit des moralischen Glaubens (sowie der Gewohnheit und der hypothetischen Imperative) beruht auch die Notwendigkeit des Geschmacksurteils auf einem subjektiven bzw. subjektinternen Grund. So führt Kant in § 20 aus, dass das Geschmacksurteil ein »subjectives Princip« habe (§ 20.A.3, 238,4) – was, wie wir noch sehen werden, der Gemeinsinn ist. Nun ist der Gemeinsinn ein Vermögen zu einem Gefühl, nämlich zur Lust am Schönen. 29 Er weist damit eine Ähnlichkeit zum moralischen Interesse und zur moralischen Gesinnung auf, die im Kontext des Glaubens als subjektive Gründe dienen. Besonders erhellend ist in diesem Kontext, dass Kant zur subjektiven Notwendigkeit in der KrV erläutert, sie müsse »gefühlt werden« (B168). Wie die moralische Gesinnung und das moralische Interesse kommt der Gemeinsinn allen Menschen zu (Gemeinsinn). Dies verdeutlicht Kant bereits in § 19 mit der Formulierung »Grund […], der allen gemein ist« (§ 19.A.3, 237,27). Darin, dass der subjektive Grund allen Menschen zukommt, unterscheidet sich die subjektive Notwendigkeit des Geschmacksurteils vom Glauben im schwachen Sinn (a) sowie der Zwecksetzung bei hypothetischen Imperativen (c). Halten wir zur subjektiven Notwendigkeit des Geschmacksurteils das Folgende fest: i. Die subjektive Notwendigkeit beruht nicht auf objektiven Gründen, d. h. das Geschmacksurteil wird nicht aus objektiven Prinzipien a priori abgeleitet. ii. Die subjektive Notwendigkeit beruht auf einem subjektiven Grund, nämlich dem Gemeinsinn, d. h. dem Vermögen zu einer Lust. iii. Sie ist eine Notwendigkeit der Geltung für alle Urteilenden, weil ihr subjektiver Grund allen Menschen gleichermaßen zukommt. Erinnern wir uns an Frickes Vermutung, dass »subjektive Notwendigkeit« nichts anderes bedeute als »exemplarische Notwendigkeit«. Durch unsere Analyse wird deutlich, dass der Terminus der subjektiven Notwendigkeit primär ausdrückt, dass das Geschmacksurteil auf einem subjektiven, d. h. subjektinternen Grund beruht. Hingegen steht der Begriff der exemplarischen Notwendigkeit vor allem dafür, dass das Geschmacksurteil aus einer Art von allgemeiner, wenngleich nicht-begrifflicher Regel abgeleitet wird. Freilich sind beide Konzeptionen beim Schönen insofern in einer einzigen Konzeption der Not29

Siehe Kap. 20.2.1.

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§ 19 Die subjektive und bedingte Notwendigkeit des Geschmacksurteils

wendigkeit vereinigt, als es der subjektive Grund (d. h. der Gemeinsinn) ist, der als allgemeine, nicht-begriffliche Regel dient.

19.2.2 Ein Argument für die Subjektivität der Notwendigkeit Kant argumentiert an keiner Stelle dafür, dass das Geschmacksurteil subjektive Notwendigkeit beansprucht. Jedoch ist es ein Leichtes, mit dem gegebenen Material ein solches Argument zu rekonstruieren. Bekanntermaßen kann es »keine objective Geschmacksregel, welche durch Begriffe bestimmte, was schön sey, geben« (§ 17.A.1, 231,27). Eine objektive Notwendigkeit wird aber aus einem solchen objektiven, begrifflichen Prinzip abgeleitet (oN1). Nimmt man nun an, dass eine Notwendigkeit entweder eine objektive oder eine bloß subjektive Notwendigkeit sein muss, 30 und nimmt man weiter an, dass das Geschmacksurteil Notwendigkeit beansprucht (da uns diese unmittelbar bewusst ist), so folgt, dass das Geschmacksurteil subjektive Notwendigkeit beanspruchen muss: P1

Wenn ein Urteil objektiv notwendig ist, dann wird es aus einem objektiven Prinzip abgeleitet. P2 Das Geschmacksurteil wird aus keinem objektiven Prinzip abgeleitet. Also: Das Geschmacksurteil ist nicht objektiv notwendig. P3

Alle Notwendigkeit ist entweder eine objektive Notwendigkeit oder eine bloß subjektive Notwendigkeit. P4 Das Geschmacksurteil ist nicht objektiv notwendig. Also: Das Geschmacksurteil ist bloß subjektiv notwendig.

Es scheint durchaus plausibel, dass Kant eine solche Argumentation implizit annimmt. Und vor dem Hintergrund seiner grundsätzlich in der KU vertretenen Dichotomie von »objektiv« und »subjektiv« scheint auch P1 (innerhalb des kantischen Theoriegebäudes) begründet.

Mindestens in einer Bedeutung von ›subjektiv notwendig‹, nämlich als ›für mich geltend‹, scheint Kant allerdings anzunehmen, dass Urteile objektiv und subjektiv notwendig sein können (vgl. hierzu A822/B850).

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Zur bedingten Notwendigkeit

19.3 Zur bedingten Notwendigkeit 19.3.1 Zur Bedeutung der bedingten Notwendigkeit des Geschmacksurteils Kants Hauptthese in § 19 hatten wir bereits folgendermaßen rekonstruiert: bN1 Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist eine bedingte Notwendigkeit.

Im weiteren Verlauf von § 19 findet sich noch eine weitere Formulierung dieser These: § 19.A.2 »Das So l l e n im ästhetischen Urtheile wird also selbst nach allen Datis, die zur Beurtheilung erfordert werden, doch nur bedingt ausgesprochen« (237,24).

Wie bereits erläutert, steht das ›Sollen‹ für die Notwendigkeit, sodass die Formulierung ›das Sollen im ästhetischen Urtheile‹ für die Notwendigkeit des Geschmacksurteils stehen muss. Wir können daher die in § 19.A.2 beinhaltete These folgendermaßen rekonstruieren: bN2 Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist selbst nach allen Datis, die zur Beurteilung erfordert werden, nur bedingt.

bN2 enthält im Vergleich zu bN1 die zusätzliche Information, dass die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ›selbst nach allen Datis, die zur Beurtheilung erfordert werden‹, nur bedingt ist. Ich werde auf diesen wichtigen Zusatz noch eingehen. Zunächst möchte ich aber fragen, wofür der Terminus der bedingten Notwendigkeit überhaupt steht. Dazu werde ich, wie schon im Falle der subjektiven Notwendigkeit, einige Verwendungsweisen dieses Terminus im kantischen Gesamtwerk heranziehen: (a) Eine erste Verwendung findet das Begriffspaar der bedingten und unbedingten Notwendigkeit im Kontext des notwendigen Wesens. 31 Ein Wesen ist unbedingt notwendig, wenn es selbst nicht bedingt, d. h. kausal verursacht, aber die oberste Bedingung aller anderer Wesen und Dinge ist (Gott). Ein Wesen bzw. Ding existiert bloß bedingt, wenn es verursacht wird, d. h. eine Ursache als Bedingung seiner Existenz voraussetzt. Alles Bedingte Vgl. für die Konzeption eines unbedingt notwendigen Wesens 402 f.; A583 ff./ B611 ff.; A457 ff./B485 ff.

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ist empirisch gegeben, während das unbedingt notwendige Wesen im Bereich des Übersinnlichen (nicht Wahrnehmbaren) zu verorten ist. 32 (b) Im Kontext des Geschmacksurteils geht es freilich nicht um die Notwendigkeit von Wesen, sondern um die Notwendigkeit von Urteilen. 33 Als Beispiele für unbedingt notwendige Urteile nennt Kant in der KrV alle Sätze der Geometrie, wie etwa, »daß ein Triangel drei Winkel habe« (A593/B621), sowie analytische Urteile (»identische[.] Urteile«; A594/B622), wie etwa, dass ein Junggeselle ein unverheirateter Mann ist. Die Geltung solcher Urteile setzt keine Bedingung voraus, insbesondere nicht, dass ein Dreieck oder ein Junggeselle empirisch gegeben sind. Man könnte nun annehmen, alle apriorischen Urteile, d. h. synthetische Urteile a priori sowie alle analytischen Urteile, seien unbedingt notwendig; 34 hingegen würde die Geltung von Urteilen a posteriori immer etwas empirisch Gegebenes als Bedingung voraussetzen. Tatsächlich sind aber nicht alle synthetischen Urteile a priori unbedingt notwendig, sondern nur jene, die kein Dasein irgendeines (empirischen) Objekts voraussetzen. So führt Kant zu den mathematischen und dynamischen Grundsätzen des reinen Verstandes das Folgende aus: »Die Bedingungen a priori der Anschauung sind aber in Ansehung einer möglichen Erfahrung durchaus notwendig, die des Daseins der Objekte einer möglichen empirischen Anschauung an sich nur zufällig. Daher werden die Grundsätze des mathematischen Gebrauchs unbedingt notwendig, d. i. apodiktisch lauten, die aber das dynamischen Gebrauchs werden zwar auch den Charakter einer NotVgl.: »Wenn aber von uns alles, was an den Dingen wahrgenommen wird, als bedingtnotwendig betrachtet werden muß: so kann auch kein Ding (das empirisch gegeben sein mag) als absolutnotwendig angesehen werden« (A617/B645; vgl. auch A452 ff./B480 ff.). – Für eine kurze Darstellung vgl. Sans 2015, 1681 f. 33 Zu dieser Unterscheidung heißt es in der KrV: »Die unbedingte Notwendigkeit der Urteile aber ist nicht eine absolute Notwendigkeit der Sachen. Denn die absolute Notwendigkeit des Urteils ist nur eine bedingte Notwendigkeit der Sache, oder des Prädikats im Urteil« (A593 f./B621 f.). 34 Vgl. für die unbedingte (d. h. absolute) Notwendigkeit der analytischen Urteile: »Eine jede hypothetische Nothwendigkeit kann in absolutam verändert werden, wenn die hypothesis dem Begrif der Sache selbst zugesetzt wird: z. E. Alle gefallne Menschen sündigen« (V-Met/Herder: 18). Vgl. ferner die folgenden Beispiele: »an sich nothwendig: daß ein Quadrat 4 Seiten habe [Absatz] bedingt nothwendig: daß eine Bewegung in der Zeit geschieht – daß Menschen sterben« (V-Met/Herder: 18). 32

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wendigkeit a priori, aber nur unter der Bedingung des empirischen Denkens in einer Erfahrung, mithin nur mittelbar und indirekt bei sich führen, folglich diejenige unmittelbare Evidenz nicht enthalten, (obzwar ihrer auf Erfahrung allgemein bezogenen Gewißheit unbeschadet,) die jenen eigen ist« (A160 f./ B199 f.). Der Grund dafür, dass die dynamischen Grundsätze nur bedingt notwendig sind, liegt demnach darin, dass sie das Dasein eines empirischen Objekts als Bedingung voraussetzen. Ich möchte auf diese durchaus komplexe Unterscheidung nicht weiter eingehen. Vielmehr möchte ich nur herausstellen, dass die Bedingtheit einer Notwendigkeit immer darauf zurückzuführen ist, dass etwas empirisch Gegebenes als Bedingung vorausgesetzt ist. Wenn daher Urteile – selbst wenn es Urteile a priori sind – irgendetwas empirisch Gegebenes voraussetzen, können sie nur bedingte Notwendigkeit beanspruchen. (c) Das Begriffspaar der bedingten und unbedingten Notwendigkeit findet auch im Bereich der praktischen Philosophie Anwendung. Das moralische Gesetz beansprucht unbedingte Notwendigkeit, weil es weder eine spezifische Beschaffenheit der menschlichen Natur noch eine spezifische Zwecksetzung bzw. ein Interesse als Bedingung voraussetzt. So schreibt Kant, man dürfe »es sich ja nicht in den Sinn kommen lasse[n], die Realität dieses Prinzips aus der besonderen Eigenschaft der menschlichen Natur ableiten zu wollen. Denn Pflicht soll praktisch-unbedingte Notwendigkeit der Handlung sein« (GMS: 425). 35 In einer Vorlesungsmitschrift heißt es: »Die Moral kann nicht aus empirischen Principien gebaut werden, denn dieses giebt nicht absolute sondern blos bedingte Nothwendigkeit« (V-Mo/Mron II: 599, m. H.). Vgl. auch: »Es ist also kein Tadel für unsere Deduktion des obersten Prinzips der Moralität, sondern ein Vorwurf, den man der menschlichen Vernunft überhaupt machen müßte, daß sie ein unbedingtes praktisches Gesetz (dergleichen der kategorische Imperativ sein muß) seiner absoluten Notwendigkeit nach nicht begreiflich machen kann; denn daß sie dieses nicht durch eine Bedingung, nämlich vermittelst irgendeines zum Grunde gelegten Interesse, tun will, kann ihr nicht verdacht werden, weil alsdann kein moralisches, d. i. oberstes Gesetz der Freiheit, sein würde. Und so begreifen wir zwar nicht die praktische unbedingte Notwendigkeit des moralischen Imperativs, […]« (GMS: 463 m. H.; vgl. ferner MdS: 221 f.). – Ähnlich heißt es zum Rechtsprinzip: »Ohne alle Zweifel muß das letztere [formale] Princip vorangehen: denn es hat als Rechtsprincip unbedingte Nothwendigkeit, statt dessen das erstere [materiale Prinzip] nur unter Voraussetzung empirischer Bedingungen des vorgesetzten Zwecks, nämlich der Ausführung desselben, nöthigend ist« (ZeF: 377).

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Die unbedingte Notwendigkeit des kategorischen Imperativs steht in Abgrenzung zur bedingten Notwendigkeit der hypothetischen Imperative. Zur letzteren heißt es: »Die Vernunft, aus der allein alle Regel, die Notwendigkeit enthalten soll, entspringen kann, legt in diese ihre Vorschrift zwar auch Notwendigkeit (denn ohne das wäre sie kein Imperativ), aber diese ist nur subjektiv bedingt« (KpV: 20). Hypothetische Imperative sind insofern bloß (subjektiv) bedingt notwendig, als sie eine Zwecksetzung bzw. ein Interesse, d. h. eine empirische, subjektinterne Bedingung, voraussetzen. (d) Wir haben gesehen, dass bei einer bedingten Notwendigkeit etwas empirisch Gegebenes vorausgesetzt wird. Diese empirische Bedingung kann nun von zweifacher Art sein, worauf bereits die Formulierung »subjektiv bedingt« (KpV: 20) verwiesen hat. So gibt es erstens eine objektiv bedingte und zweitens eine subjektiv bedingte Notwendigkeit. Diese Unterscheidung wird durch das folgende Zitat bestätigt: »Die Nothwendigkeit wird am besten Eingetheilt in die bedingte und unbedingte. Jene wiederum in die innerlich oder äußerlich bedingte« (Refl: 4768). Offenkundig ist eine Notwendigkeit dann objektiv bzw. äußerlich bedingt, wenn sie eine empirisch gegebene, äußere Anschauung voraussetzt; und sie ist subjektiv oder innerlich bedingt, wenn sie etwas subjektintern Gegebenes (etwa eine Zwecksetzung oder ein Gefühl) voraussetzt. Nach diesem kurzen Überblick können wir fragen, inwiefern das Geschmacksurteil eine bedingte Notwendigkeit beansprucht. Offenkundig muss diese Bedingtheit darin begründet liegen, dass dieses Urteil etwas empirisch Gegebenes voraussetzt. Zwar ist das Geschmacksurteil ein synthetisches Urteil a priori. Jedoch bedeutet die Apriorität nicht, dass das Urteil völlig unabhängig von aller Empirie gefällt wird. Tatsächlich setzt das Geschmacksurteil sogar in zweifacher Hinsicht Sinnlichkeit voraus: erstens eine empirische Anschauung vom schönen Gegenstand und zweitens ein Gefühl der Lust. Nun muss die Notwendigkeit des Geschmacksurteils subjektiv bedingt sein. So führt Kant in § 20 aus, dass das Geschmacksurteil »ein subjectives Princip« hat (§ 20.A.3, 238,4), welches er mit dem Gemeinsinn identifiziert. Und dieser Gemeinsinn ist »[d]ie Bedingung der Nothwendigkeit, die ein Geschmacksurtheil vorgiebt« (§ 20.T, 237,32). Nimmt man all dies zusammen, so wird ersichtlich, dass der Gemeinsinn die subjektive Bedingung des Geschmacksurteils 1046

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ist und dass das Geschmacksurteil in diesem Sinne eine subjektiv bedingte Notwendigkeit beansprucht. Dies ergibt auch deshalb Sinn, weil der Gemeinsinn ein Vermögen zu einem Gefühl ist und weil er als solches etwas empirisch Gegebenes ist. 36 Gleichzeitig beansprucht der Gemeinsinn aber auch Intersubjektivität, sodass die subjektiv bedingte Notwendigkeit des Geschmacksurteils, wie oben erläutert, eher mit der subjektiven Notwendigkeit des moralischen Glaubens zu vergleichen ist. Das Geschmacksurteil ist also subjektiv bedingt notwendig, weil es mit dem Gemeinsinn auf einer subjektinternen Bedingung beruht; es ist aber gleichzeitig notwendig allgemeingültig, weil der Gemeinsinn auch eine intersubjektive Bedingung ist. Wenden wir uns nun erneut dem Satz § 19.A.2 bzw. bN2 zu: bN2 Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist selbst nach allen Datis, die zur Beurteilung erfordert werden, nur bedingt.

Ich habe erläutert, inwiefern die Notwendigkeit des Geschmacksurteils bedingt ist. Aber was bedeutet die Formulierung ›selbst‹, d. h. sogar, ›nach allen Datis, die zur Beurtheilung erfordert werden‹ ? Grundsätzlich scheint es Kants Aussage zu sein, dass das Geschmacksurteil, selbst wenn bestimmte ›Datis‹ gegeben sind und somit eine erste Bedingung erfüllt ist, noch zusätzlich eine weitere Bedingung voraussetzt. Nach allem, was wir zur bedingten Notwendigkeit ausgeführt haben, muss es sich bei den ›Datis‹ um etwas empirisch Gegebenes handeln. Nun setzt das Geschmacksurteil ganz offensichtlich eine »gegebene[.] Vorstellung« (§ 9.C.1, 217,9) (vom schönen Objekt) als empirisches Datum voraus. 37 Um ein Geschmacksurteil zu fällen, »will [man] das Object seinen eignen Augen unterwerfen« (§ 8.F.4, 216,2), d. h. es bedarf einer empirischen Anschauung vom Objekt. 38 Bei dieser empirischen Anschauung handelt es sich nicht um eine subjektive, sondern um eine objektive Bedingung; es ist kein inneres,

Der Gemeinsinn ist ein Vermögen zu einem Gefühl, dass sich als Gefühl im Bereich des Empirischen manifestiert; er übersteigt als allgemeines Vermögen aber auch den Bereich des Empirischen und ist insofern eine Idee (vgl. § 20.T, 237,32). Zum Gemeinsinn als Idee siehe Kap. 20.2.3. 37 Für weitere Verwendungen der Formulierung ›gegebene Vorstellung‹ in der Analytik vgl. § 9.C.4, 217,19; § 9.D.2, 217,25; § 9.I.1, 218,32; § 9.I.5, 219,6. 38 Ich habe versucht, zu zeigen, dass wir in Ausnahmefällen auch an imaginierten Gegenständen eine Lust am Schönen empfinden können (siehe Kap. G4.3). In einem solchen Fall ist freilich kein wirkliches empirisches Objekt gegeben; aber man muss doch ein solches empirisch gegebenes Objekt imaginieren. 36

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sondern ein äußeres ›Datum‹. In diesem Sinne können wir bN2 folgendermaßen rekonstruieren: bN2R1 Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist, sogar wenn die empirische Anschauung vom schönen Objekt als gegeben vorausgesetzt wird, noch subjektiv bedingt. 39

Aus dieser Rekonstruktion geht hervor, dass das Geschmacksurteil eigentlich auf zwei Bedingungen beruht: (1) der gegebenen Vorstellung (vom schönen Objekt) und (2) dem Gemeinsinn (als Vermögen der Lust am Schönen). Dabei ist der Gemeinsinn die relevante Bedingung für die Notwendigkeit, d. h. er ist der eigentliche Grund, warum das Geschmacksurteil Notwendigkeit beanspruchen kann. Auf eine indirekte Art und Weise muss aber auch die gegebene Vorstellung vom Objekt für die Notwendigkeit bedeutsam sein. So ist es die Verbindung der gegebenen Vorstellung mit der Lust, die wir im Geschmacksurteil aussagen und die somit Notwendigkeit beansprucht. Wäre die gegebene Vorstellung nicht so beschaffen, dass alle Menschen an ihr eine Lust am Schönen fühlen könnten, d. h. dass sich an ihr der Gemeinsinn manifestieren könnte, so könnten wir erst gar kein Geschmacksurteil fällen. 40 Halten wir das Folgende zur bedingten Notwendigkeit des Geschmacksurteils fest: i. Bei der bedingten Notwendigkeit ist etwas empirisch Gegebenes als Bedingung vorausgesetzt, sodass das Geschmacksurteil nicht völlig a priori gefällt wird. ii. Diese Bedingung ist subjektintern (subjektiv bedingte Notwendigkeit). iii. Diese Bedingung ist intersubjektiv, sodass es sich um eine Notwendigkeit der Allgemeingültigkeit handelt. iv. Diese Bedingung wird zusätzlich zur gegebenen Vorstellung des schönen Objekts (als einer Art indirekten objektiven Bedingung) erfordert.

Vgl. ähnlich Wenzel: »Die ›Data‹ sind die Wahrnehmungen« (Wenzel 2000, 112; vgl. auch Wenzel 2008, 83). 40 Zur problematischen Rolle des schönen Objekts für die Notwendigkeit siehe Kap. 21.4. 39

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Zur bedingten Notwendigkeit

19.3.2 Ein Argument für die Bedingtheit der Notwendigkeit? Es scheint so, als würde Kant die These, dass die Notwendigkeit des Geschmacksurteils bedingt ist, unbegründet voraussetzen. Allerdings lautet die ursprüngliche Formulierung dieser These: § 19.A.2 Das So l l e n im ästhetischen Urtheile wird also selbst nach allen Datis, die zur Beurtheilung erfordert werden, doch nur bedingt ausgesprochen.

Warum nutzt Kant hier die Partikel ›also‹ ? Leitet sich die These doch aus dem zuvor Gesagten irgendwie ab? Zuvor wird von Kant das Folgende angeführt: (1) In der Überschrift (§ 19.T) wird die Notwendigkeit des Geschmacksurteils als subjektiv charakterisiert. (2) In § 19.A.1 wird die Notwendigkeit des Geschmacksurteils mit den Formulierungen ›jedermanns Beistimmung ansinnen‹ und ›gleichfalls für schön erklären soll‹ umschrieben. Tatsächlich gibt es einen engen Zusammenhang zwischen den Konzeptionen der bedingten und der subjektiven Notwendigkeit (1). Eine bedingte Notwendigkeit ist entweder subjektiv oder objektiv bedingt. Dabei setzt eine subjektiv bedingte Notwendigkeit eine subjektinterne Bedingung, d. h. etwa ein Gefühl oder eine Zwecksetzung, voraus. Eine subjektive Notwendigkeit beruht auf einem subjektiven bzw. subjektinternen Grund, d. h. etwa einem Interesse, einem Gefühl oder einer Gesinnung. Es ist plausibel, dass jeder mögliche subjektive Grund einer Notwendigkeit etwas empirisch Gegebenes ist. Damit wäre eine subjektive Notwendigkeit immer eine bedingte, oder genauer eine subjektiv bedingte Notwendigkeit. Vor diesem Hintergrund können wir das folgende Argument rekonstruieren: P1

Wenn eine Notwendigkeit eine subjektive Notwendigkeit ist, dann ist sie bedingt. P2 Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist eine subjektive Notwendigkeit. Also: Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist eine bedingte Notwendigkeit.

Die These, die Notwendigkeit des Geschmacksurteils sei eine subjektive Notwendigkeit, lässt sich damit begründen, dass das Geschmacksurteil nicht auf objektiven, begrifflichen Prinzipien beruht. Letzteres wird daran sichtbar, dass wir die Beistimmung nur ›ansinnen‹ und

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§ 19 Die subjektive und bedingte Notwendigkeit des Geschmacksurteils

nicht erzwingen können (2). 41 Damit lässt sich die (subjektive) Bedingtheit der Notwendigkeit des Geschmacksurteils insgesamt gut argumentativ herleiten.

19.4 Erste Hinweise auf den Gemeinsinn und ein epistemisches Problem Wenden wir uns dem dritten und letzten Satz von § 19 zu, in dem Kant einen ersten Hinweis auf den Gemeinsinn gibt: § 19.A.3 »[a] Man wirbt um jedes andern Beystimmung, weil man dazu einen Grund hat, der allen gemein ist; [b] auf welche Beystimmung man auch rechnen könnte, wenn man nur immer sicher wäre, daß der Fall unter jenem Grunde als Regel des Beyfalls richtig subsumirt wäre« (237,26).

In der Proposition § 19.A.3a bezieht Kant sich auf einen allgemeinen ›Grund‹ des Geschmacksurteils. Das Werben ›um jedes andern Beystimmung‹ ist eine Umschreibung der Notwendigkeit bzw. notwendigen Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils. Zwar ist der Begriff des Werbens um Beistimmung eine sehr schwache Umschreibung dieses Anspruchs; 42 dies soll uns aber nicht weiter verwirren. Vereinfachen wir § 19.A.3a daher folgendermaßen: § 19.A.3aR1 Die notwendige Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils beruht auf einem Grund, der allen Menschen gemein ist.

Die Formulierung ›Grund, der allen gemein ist‹ verweist bereits, wenn auch nicht expressis verbis, auf den Gemeinsinn; denn Kant verdeutlicht dadurch, dass das Geschmacksurteil auf etwas beruht, das allen Menschen zukommt (›gemein‹). Er macht noch nicht explizit, was genau dies ist; insbesondere aufgrund des Begriffs der subjektiven Notwendigkeit ist aber klar, dass es ein subjektinterner Grund sein muss und dass dieser Grund etwas mit dem Gefühl der

Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils hängt »von keinen Beweisgründen a priori ab[.], durch deren Vorstellung der Beyfall, den das Geschmacksurtheil jedermann ansinnt, erzwungen werden könnte« (281,19). 42 So schreibt Adelung zum Verb »werben«, dass »man es von der Bemühung gebraucht, ein Amt, jemandes Gunst, und besonders die Einwilligung eines Frauenzimmers zur Ehe, zu erhalten« (Adelung: Werben). 41

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Erste Hinweise auf den Gemeinsinn und ein epistemisches Problem

Lust am Schönen zu tun haben muss. 43 Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils muss auf einem Grund beruhen, der etwas mit einem Gefühl zu tun hat und der gleichermaßen subjektintern und intersubjektiv ist. Einen weiteren Hinweis auf den Gemeinsinn – oder vielmehr die Funktion des Gemeinsinns – gibt Kant in § 19.A.3b: § 19.A.3b* Auf die Beistimmung zum Geschmacksurteil könnte man auch rechnen, wenn man nur immer sicher wäre, dass der Fall unter dem Grund, der allen Menschen gemein ist, als Regel des Beifalls richtig subsumiert wäre.

Der ›Grund, der allen gemein ist‹, dient als Regel, unter die ein Fall subsumiert wird. Damit beschreibt Kant einen Akt des Schließens in einem Vernunftschluss bzw. Syllogismus; denn »[e]in Vernunftschluß ist das Erkenntniß der Nothwendigkeit eines Satzes durch die Subsumtion seiner Bedingung unter eine gegebene allgemeine Regel« (Log: 120, m. H.). Das Geschmacksurteil entlehnt somit seine Notwendigkeit daher, dass es die Konklusion einer Art von Vernunftschluss ist, wobei als Obersatz ein ›Grund, der allen gemein ist‹, dient. Unter diesen Grund subsumieren wir einen Fall, nämlich eine aktual gefühlte Lust am Schönen. Ich werde diesen Syllogismus bzw. quasiSyllogismus später im Detail entwickeln. 44 Bevor wir unsere Untersuchungen zu § 19 abschließen, müssen wir noch auf eine letzte Auffälligkeit eingehen. In § 19.A.3 benennt Kant nämlich noch eine Art epistemisches Problem. Dieses ist direkt daran geknüpft, dass das Geschmacksurteil Konklusion einer Art von Syllogismus ist. Kant schreibt, man könne auf die allgemeine Beistimmung zum Geschmacksurteil ›auch rechnen…, wenn man nur immer sicher wäre, daß der Fall unter jenem Grunde als Regel des Beifalls richtig subsumiert wäre‹. Damit deutet er an, dass oft eine Unsicherheit dahingehend besteht, ob man den Fall, d. h. die gefühlte Lust, unter den allgemeinen Grund richtig subsumiert habe. Diese Unsicherheit schildert Kant auch in der folgenden Passage: »Es [das Geschmacksurteil] behauptet nur: daß wir berechtigt sind, dieselben subjectiven Bedingungen der Urtheilskraft allgemein bey jedem MenAllerdings muss nicht jede Notwendigkeit einer Lust bzw. eines Urteils, das etwas über eine Lust aussagt, auf einem subjektiven Grund beruhen. So ist die Lust am moralisch Guten begrifflich, d. h. durch das moralische Gesetz, erwirkt, und entlehnt aus dieser begrifflichen Erwirkung ihre Notwendigkeit. 44 Siehe Kap. G5.2. 43

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§ 19 Die subjektive und bedingte Notwendigkeit des Geschmacksurteils

schen vorauszusetzen, die wir in uns antreffen; und nur noch, daß wir unter diese Bedingungen das gegebene Object richtig subsumirt haben. Obgleich nun dies letztere unvermeidliche, der logischen Urtheilskraft nicht anhängende, Schwierigkeiten hat (weil man in dieser unter Begriffe, in der ästhetischen aber unter ein bloß empfindbares Verhältniß, der an der vorgestellten Form des Objects wechselseitig unter einander stimmenden Einbildungskraft und des Verstandes, subsumirt, wo die Subsumtion leicht trügen kann)« (290,18 f.).

Ich werde diese Passage im Zuge meiner Ausführungen zum (quasi-) Syllogismus genauer analysieren. 45 Für unsere derzeitigen Zwecke ist es nur wichtig, dass die Subsumtion des Falles unter die Regel ›leicht trügen kann‹. Man kann sich leicht täuschen, ob man eine Lust korrekterweise unter den Gemeinsinn subsumiert hat – und dies bedeutet letztlich, dass man sich leicht darüber täuschen kann, ob eine gefühlte Lust wirklich eine Lust am Schönen ist. Man fällt in einem solchen Fall ein irriges Geschmacksurteil. 46 Damit liegt beim Geschmacksurteil eine ähnliche Problematik wie bei moralischen Handlungen vor: Ebenso wenig wie wir gewiss sein können, ob wir eine Handlung aus Pflicht verrichtet haben, können wir mit Gewissheit feststellen, ob wir eine Lust, die wir fühlen, korrekt als Lust am Schönen identifiziert haben. Diese Unsicherheit führt dazu, dass wir bei einem vermeintlichen Geschmacksurteil nicht immer auf allgemeine Beistimmung ›rechnen‹ können. Dies impliziert aber freilich nicht, dass das Geschmacksurteil gar keinen Anspruch auf Notwendigkeit und allgemeine Beistimmung hätte. So schreibt Kant in einer Fußnote zu § 38: »Wenn in Ansehung dieses letztern [ob man nur auf das Verhältnis zur Erkenntnis überhaupt (mithin die formalen Bedingungen der Urteilskraft) Rücksicht genommen hat] auch gefehlt worden, so betrift das nur die unrichtige Anwendung der Befugniß, die ein Gesetz uns giebt, auf einen beUnter anderem mag es verwundern, warum Kant schreibt, wir würden ›das gegebene Objekt‹ – und nicht die Lust am Schönen – unter den Gemeinsinn subsumieren. Ich werde diese Problematik dadurch auflösen, dass die Lust am Schönen eine Form von intentionaler Lust ist und somit das schöne Objekt bereits beinhaltet. Siehe erneut Kap. G5.2. 46 Die Möglichkeit von irrigen Geschmacksurteilen hat Kant bereits in § 8 angeführt (vgl. § 8.G.2–4, 216,13). Interessanterweise hat Kant auch bereits in diesem Kontext angedeutet, dass das Geschmacksurteil ein »Fall« einer »Regel« ist (§ 8.G.2, 216,16). Siehe zu dieser Passage auch Kap. 8.3. 45

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Zusammenfassung

sondern Fall, wodurch die Befugniß überhaupt nicht aufgehoben wird« (290 Fn.).

Wenngleich wir uns also beim Fällen von Geschmacksurteilen öfter irren – und zudem die Zustimmung zum Geschmacksurteil nicht durch ein objektives, begriffliches Prinzip erzwingen können –, so bleibt davon unberührt, dass das Geschmacksurteil überhaupt einen rechtmäßigen Anspruch auf notwendige Allgemeingültigkeit erhebt.

19.5 Zusammenfassung Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist subjektiv. Dies bedeutet, dass sie nicht auf objektiven Gründen, d. h. objektiven Prinzipien a priori, beruht, sondern auf einem subjektiven, d. h. subjektinternen Grund. Dieser subjektive Grund kommt allen Menschen gleichermaßen zu, sodass die Notwendigkeit im Sinne einer notwendigen Allgemeingültigkeit zu verstehen ist. In dieser Hinsicht weist das Geschmacksurteil eine Ähnlichkeit mit dem moralischen Glauben auf. Beim subjektiven und gleichsam allgemeinen Grund des Geschmacksurteils handelt es sich um den Gemeinsinn. Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist zudem eine bedingte Notwendigkeit; sie setzt etwas empirisch Gegebenes als Bedingung voraus. Diese Bedingung ist subjektintern, sodass die Notwendigkeit genauer subjektiv bedingt ist. Wieder gilt: Die subjektive Bedingung ist der Gemeinsinn. Grundsätzlich setzt das Geschmacksurteil mit der gegebenen Vorstellung vom Objekt auch eine objektive Bedingung voraus; diese ist allerdings nicht direkt ausschlaggebend dafür, dass das Geschmacksurteil Notwendigkeit beansprucht. Die Pointe des Geschmacksurteils besteht vielmehr darin, dass es neben der gegebenen Vorstellung als objektiver Bedingung noch eine subjektive Bedingung voraussetzt, und dass es in erster Instanz diese subjektive Bedingung ist, die dem Geschmacksurteil den Status der Notwendigkeit verleiht.

19.6 Literaturbericht Bevor wir uns den beiden entscheidenden Fragen zuwenden, wie die subjektive und die bedingte Notwendigkeit verstanden werden, möchte ich kurz nachzeichnen, wie der Sollensanspruch des Geschmacksurteils in der Kants Philosophie des Schönen

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§ 19 Die subjektive und bedingte Notwendigkeit des Geschmacksurteils

Sekundärliteratur gedeutet wird (»und, wer etwas für schön erklärt, will, daß jedermann dem vorliegenden Gegenstande Beyfall geben und ihn gleichfalls für schön erklären s o l l e «; § 19.A.1, 237,22). Die meisten AutorInnen, die auf diesen Sollensanspruch eingehen, deuten ihn in Abgrenzung zum ›Fühlenwerden‹. So erklärt McCloskey: »The demand to universal assent is not to predict what people will do, nor to pronounce what they must do according to the laws of the mind, but to signify what they ought to do. The same kind of considerations hold in connection with necessity in the Fourth Moment« (McCloskey 1987, 52 f.). Ähnlich schreibt Kern: »Das Urteil über das Schöne behauptet aber nicht, daß jeder angesichts dieses Gegenstandes ein Gefühl der Lust empfinden wird« (Kern 2000, 38). Auch Wenzels Erläuterung scheint letztlich auf eine Abgrenzung vom (durch Beweise erzwingbaren) Fühlenwerden zu beruhen: »Die subjektive Notwendigkeit manifestiert sich in dem Anspruch, daß andere auf eine gewisse Weise urteilen ›solle[n]‹. Es gibt keine Beweisgründe für das Geschmacksurteil, und es bleibt bei einem Sollen« (Wenzel 2000, 111). Auf den Unterschied von Sollen und Werden verweisen auch Ginsborg und Zuckert; sie betonen aber jeweils, dass auch in empirischen Erkenntnisurteilen nur ein solcher Sollensanspruch vorliege (vgl. Ginsborg 2015, 114). So erklärt Zuckert: »Kant glosses the contrast between aesthetic ›exemplary necessity‹ and theoretical necessity by remarking that in aesthetic judgment we are not claiming that all others will (necessarily) agree with us but only that they ought to do so (V:236–7). […] But it [this claim] is also misleading concerning the normative demands on others of theoretical claims: in judging that the sun warms the stone, the subject does not imply that all will so judge, but that they ought to do so« (Zuckert 2007, 343). Ich habe die These vertreten, dass wir im Geschmacksurteil durchaus auch ein ›Fühlenwerden‹ ausdrücken, wobei man jedoch die ästhetische Einstellung berücksichtigen muss. Kommen wir zur Konzeption der subjektiven Notwendigkeit. Es ist erstaunlich, dass viele AutorInnen auf diese nicht eingehen, darunter Crawford (1974), Crowther (2010), Kern (2000), Kulenkampff (1994), Matthews (1997), McCloskey (1987), Rivera de Rosales (2008) und Savile (1993). Allison und Fricke erwähnen die Begrifflichkeit der subjektiven Notwendigkeit nur (vgl. Allison 2001, 147; Fricke 1990, 163). Wenzel bemerkt, dass die subjektive Notwendigkeit »auf subjektiven Gründen [beruht]« und dass es keine »Beweisgründe« gebe (Wenzel 2000, 110 f.). Etwas genauere Ausführungen finden sich einzig bei Zuckert. Diese erläutert: »aesthetic judgments have only subjective universal validity, or make claims only to subjective necessity. Beauty – like organic purposiveness – is not a property of objects, but is (as it were) in the eye of the beholder« (Zuckert 2007, 173). Anders als im Kontext der Zweckmäßigkeit von Organismen argumentiere Kant »not for mere subjective necessity, but for necessity in the realm of the subject« (Zuckert 2007, 173).

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Literaturbericht

Auch Kants Konzeption der bedingten Notwendigkeit wurde bislang zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Einmal mehr gehen einige AutorInnen nicht darauf ein, wie etwa Crawford (1974), Crowther (2010), Kulenkampff (1994), Matthews (1997), McCloskey (1987), Savile (1993) und Wenzel (2008); nur erwähnt wird die bedingte Notwendigkeit bei Fricke (1990, 163). Wieland erläutert nur sehr allgemein, das Geschmacksurteil beanspruche »eine relative, von einer Voraussetzung abhängige Notwendigkeit« (Wieland 2001, 273). Ich habe die bedingte Notwendigkeit so gedeutet, dass die Notwendigkeit des Geschmacksurteils die Existenz von etwas empirisch Gegebenem, nämlich vom Gemeinsinn, voraussetzt. Eine zum Teil ähnliche Deutung findet sich einzig bei Rivera de Rosales. Für ihn ist die ästhetische Notwendigkeit bedingt »(erste Bedingung) durch die Tat, ob ›man nur immer sicher wäre, daß der Fall unter jenem Grunde als Regel des Beifalls richtig subsumiert wäre‹«, und zweitens durch die Existenz des Gemeinsinns (Rivera de Rosales 2008, 95). Die erste von Rivera de Rosales angeführte Bedingung, nämlich die Ungewissheit bezüglich der Korrektheit des Geschmacksurteils, wird auch von Guyer benannt: »This section is important, for it amplifies § 8’s concluding characterization of the claim of taste as conditional, making it clear that aesthetic judgment always retains an element of uncertainty« (Guyer 1979, 162). Zuckert erläutert: »I think the ›conditionality‹ of claims of taste is better understood as reflecting the fact either that we confuse judgments of dependent and free beauty, or that we fail to judge aesthetically at all, i. e., take pleasure in objects for other reasons and then make other sorts of judgments that purport, wrongly, to be aesthetic judgments« (Zuckert 2007, 345). Und Allison bestimmt die Notwendigkeit als »conditional upon the correct subsumption of the instance (the particular appraisal) under the unstatable rule« (Allison 2001, 147 f.). Kern bindet die Ungewissheit daran, dass die Lust »nicht begründet werden kann« (Kern 2000, 40). Dazu erläutert sie: »Aus diesem Grund wird das Sollen im ästhetischen Urteil, im Unterschied zum moralischen Sollen, auch nur bedingt ausgesprochen: Unter der Bedingung, daß unsere Lust eine allgemeine ist, sinnen wir sie den anderen an. […] Beim moralischen Wohlgefallen wissen wir, daß unsere Lust eine allgemeine ist, beim ästhetischen Urteil jedoch können wir dies nicht wissen, und daher sprechen wir das Sollen nur bedingt aus« (Kern 2000, 39 f.). 47 Das Problem Diese Interpretation Kerns ist klarer als eine an anderer Stelle vorgenommene Bestimmung der bedingten Notwendigkeit: »›Das Sollen im ästhetischen Urteile‹ wird dagegen, so Kant, ›nur bedingt ausgesprochen‹, und zwar deswegen, weil das Urteil über das Schöne gemäß Kants grundlegender Charakterisierung ein Urteil ist, das nicht objektiven Begriffen aufruht, sondern allein dem Gefühl einer Lust« (Kern 2002, 85). Eine ähnliche Bestimmung der bedingten Notwendigkeit nimmt auch Pollok vor: »whereas the necessity of cognitive judgments refers to concepts and rules that allow for a demonstration of the judgment’s objective validity, the necessity of

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aller Interpretationen im Sinne einer Ungewissheit ist, dass sie erstens nicht an Kants sonstige Verwendungen des Begriffs der bedingten Notwendigkeit anknüpfen und zweitens unberücksichtigt lassen, dass Kant in § 20 die Existenz des Gemeinsinns als Bedingung des Geschmacksurteils ausweist. Mit diesen Problemen scheint mir auch Wenzels Interpretation behaftet: »Mit dieser Bedingung ist, so meine ich, eine gewisse Eigenleistung des jeweils Urteilenden gemeint. […] man nimmt nicht nur ›Data‹ auf, sondern man tut etwas hinzu, und zwar – darauf läuft es hier alles hinaus – das freie Spiel der Erkenntniskräfte, eine Betätigung der ästhetisch reflektierenden Urteilskraft« (Wenzel 2000, 112). Gar nicht beachtet wird Kants Formulierung, »daß der Fall unter jenem Grunde als Regel des Beifalls richtig subsumiert wäre« (§ 19.A.3, 237,29). Erwähnt wird diese Wendung einzig von Allison (2001, 148). Dass Kants Hinweis auf eine Subsumtion nicht berücksichtigt wird, ist insofern problematisch, als dadurch ebenfalls unberücksichtigt bleibt, dass Kant mit seiner Theorie des Gemeinsinns auch ein syllogistisches Schlussverfahren beschreibt (siehe Grundlagen 5).

aesthetic judgments refers to the subjective feeling of pleasure for which they ›demand such assent universally‹« (Pollok 2017, 298).

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In § 19 hat Kant die Notwendigkeit des Geschmacksurteils als bedingt ausgewiesen. Dabei klang bereits an, dass diese Bedingung ein subjektinterner und dabei gleichsam intersubjektiver Grund sein muss. Man fragt sich nun freilich, worum es sich bei diesem Grund konkret handelt. Im vorliegenden Paragraphen identifiziert Kant diesen subjektiven Grund und die Bedingung des Geschmacksurteils mit dem Gemeinsinn. Damit dringt er zur vermögenstheoretischen Grundlage der Notwendigkeit des Geschmacksurteils vor. § 20 gliedert sich in die folgenden Abschnitte: 1. Das Geschmacksurteil hat ein subjektives Prinzip (§ 20.A.1–3, 237,34–238,6) a) Das Geschmacksurteil hat kein objektives Prinzip (§ 20.A.1, 237,34–238,2) b) Das Geschmacksurteil kann nicht ohne Prinzip sein (§ 20.A.2, 238,2–4) c) Das Geschmacksurteil hat ein subjektives Prinzip (§ 20.A.3, 238,4–6) 2. Das subjektive Prinzip des Geschmacksurteils ist der Gemeinsinn (§ 20.A.4, 238,6–11) [Einschub: Abgrenzung des Gemeinsinns vom gemeinen Verstand (§ 20.A.4b-c, 238,7–11)]

20.1 Zum subjektiven Prinzip des Geschmacksurteils 20.1.1 Die bisherige Charakterisierung der Notwendigkeit des Geschmacksurteils Erinnern wir uns zunächst kurz daran, was wir in den §§ 18 und 19 über die Notwendigkeit des Geschmacksurteils gelernt haben. In § 18 haben wir erfahren, dass das Geschmacksurteil notwendig ist – und diese Notwendigkeit ist uns beim Fällen des Geschmacksurteils unKants Philosophie des Schönen

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mittelbar bewusst. Zudem haben wir gelernt, dass diese Notwendigkeit keine theoretische objektive und keine apodiktische Notwendigkeit sein kann. 1 Eine theoretische objektive Notwendigkeit wie auch eine apodiktische Notwendigkeit entspringen aus der Anwendung einer objektiven, apriorischen Regel; und die Zustimmung zum Urteil kann mit Rekurs auf diese Regel erzwungen werden. Es kann jedoch keine objektive Geschmacksregel geben, aus der das Geschmacksurteil abgeleitet würde. Das Geschmacksurteil kann aber auch nicht aus einem empirischen Befund abgeleitet werden, der darin bestünde, dass alle Menschen bestimmte Gegenstände für schön beurteilten; denn solche empirischen Befunde können keine Grundlage für eine Notwendigkeit bilden. Stattdessen wird die Notwendigkeit des Geschmacksurteils von Kant als exemplarische Notwendigkeit charakterisiert: Das Geschmacksurteil ist »wie [ein] Beyspiel einer allgemeinen Regel, die man nicht angeben kann« (§ 18.A.5, 237,9). Ich habe dazu ausgeführt, dass das Geschmacksurteil aufgrund seiner Notwendigkeit eine Ähnlichkeit zu Urteilen aufweist, die Beispiel einer objektiven, begrifflichen Regel sind, obwohl es nicht auf einer solchen Regel beruht. Vielmehr ist es das Beispiel einer subjektiven, nicht-begrifflichen Regel. 2 Dass das Geschmacksurteil auf einer subjektiven Regel bzw. einem subjektiven Grund beruht, hat Kant in § 19 herausgestellt. Durch den Begriff der subjektiven Notwendigkeit hat er gezeigt, dass das Geschmacksurteil auf einem subjektinternen Grund beruht, der allen Menschen gemein (d. h. intersubjektiv) ist. Darüber hinaus hat er durch den Begriff der bedingten Notwendigkeit verdeutlicht, dass die Notwendigkeit des Geschmacksurteils von einer empirischen Bedingung abhängt. Diese Bedingung ist nichts anderes als der subjektinterne und intersubjektive Grund, auf den schon der Begriff der subjektiven Notwendigkeit hingedeutet hatte. 3 Wir haben also über die Notwendigkeit des Geschmacksurteils bislang das Folgende erfahren: 1. Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils kann sich aus keiner objektiven, begrifflichen Regel ableiten.

Vgl. § 18.A.4, 236,21 f.; § 18.A.6, 237,10. Siehe Kap. 18.3. Zur Konzeption der exemplarischen Notwendigkeit siehe Kap. 18.3.4. 3 Zu den Konzeptionen der subjektiven und bedingten Notwendigkeit siehe Kap. 19.2 und 19.3. 1 2

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Zum subjektiven Prinzip des Geschmacksurteils

2.

Dennoch wird das Geschmacksurteil aus einer Regel abgeleitet, d. h. es ist ein Beispiel einer Regel. Diese Regel ist nichtbegrifflich, subjektintern und intersubjektiv. Durch diese Charakterisierungen werden nicht nur wichtige Elemente der Argumentation von § 20 vorweggenommen, sondern auch zentrale Momente des Gemeinsinns. Bevor wir uns gleich Kants Argumentation dafür, dass das Geschmacksurteil ein subjektives Prinzip hat, zuwenden, möchte ich kurz erläutern, was Kant allgemein unter einem Prinzip versteht.

20.1.2 Zum Begriff des Prinzips Kants Argumentation zu Beginn von § 20 führt zur Konklusion, dass Geschmacksurteile »ein subjectives Princip haben [müssen]« (§ 20.A.3, 238,4). Was versteht Kant aber überhaupt unter einem Prinzip? Erst einmal handelt es sich bei Prinzipien in den allermeisten Fällen um Urteile. Dabei lässt sich dann ein enges und ein weites Verständnis von Prinzipien unterscheiden. Im weiten Sinn gelten Urteile als Prinzipien, wenn sie als Obersatz in einem Syllogismus dienen. So schreibt Kant, der Begriff des Prinzips bedeute »gemeiniglich nur ein Erkenntnis, das als Prinzip gebraucht werden kann, ob es zwar an sich selbst und seinem eigenen Ursprunge nach kein Principium ist. Ein jeder allgemeiner Satz, er mag auch sogar aus Erfahrung (durch Induktion) hergenommen sein, kann zum Obersatz in einem Vernunftschlusse dienen« (A300/B356). Demnach ist jeder allgemeine Satz, der als Obersatz in einem Syllogismus fungiert, ein Prinzip. Der Begriff »Prinzip« bezieht sich auf den Gebrauch des Satzes. Bei Prinzipien in diesem weiten Sinne kann es sich um Urteile a priori oder a posteriori handeln. Im engen Sinn sind dagegen nur Urteile a priori Prinzipien. Im obigen Zitat bezeichnet Kant diese mit dem Begriff ›Principium‹, womit er andeutet, dass diese ihrem Ursprung nach ein Erstes sind; sie werden aus nichts anderem abgeleitet. In diesem Sinne heißt es in der Logik: »Unmittelbar gewisse Urtheile a priori können Grundsätze heißen, sofern andre Urtheile aus ihnen erwiesen, sie selbst aber keinem andern subordinirt werden können. Sie werden um deswillen auch P r i n c i p i e n (Anfänge) genannt« (Log: 110). Ähnlich führt Kant in der KrV aus: »Grundsätze a priori führen diesen Namen nicht bloß deswegen, weil sie die Gründe anderer Urteile in sich enthalten, Kants Philosophie des Schönen

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sondern auch weil sie selbst nicht in höhern und allgemeinern Erkenntnissen gegründet sind« (A148/B188). Wenngleich Prinzipien in diesem engen Sinn nicht aus anderen, höheren Prinzipien abgeleitet werden, sind sie aber »doch nicht allemal eines Beweises« überhoben (A148/B188); sie erfordern vielmehr eine Deduktion. Paradebeispiel für Prinzipien in diesem engen Verständnis sind die Grundsätze des reinen Verstandes. 4 Mindestens an einer Stelle der KrV nutzt Kant eine noch engere Bedeutung des Terminus »Prinzip«. In der Einleitung zur Transzendentalen Dialektik konstatiert er, er würde eigentlich unter Prinzipien »[s]ynthetische Erkenntnisse aus Begriffen« verstehen (A301/ B357). Da die Grundsätze des reinen Verstandes »reine Anschauung, (in der Mathematik,) oder Bedingungen einer möglichen Erfahrung überhaupt herbei[ziehen]« (A301/B357), sind sie keine reinen ›synthetische[n] Erkenntnisse aus Begriffen‹ und können daher in dieser engen Hinsicht nicht als Prinzipien gelten. In dieser engen Hinsicht bindet Kant den Begriff des Prinzips an das Vermögen der Vernunft, womit er wohl auf das »oberste[.] Prinzip der reinen Vernunft« (A308/B365) hindeutet, nämlich: »zu dem bedingten Erkenntnisse des Verstandes das Unbedingte zu finden, womit die Einheit desselben vollendet wird« (A307/B364). Dieses sehr spezifische Verständnis von »Prinzip« ist für unsere folgenden Untersuchungen nicht von Relevanz. Wir sollten für unsere folgenden Untersuchungen das Folgende im Gedächtnis behalten: i. Weite Bedeutung: Prinzipien sind ihrem Gebrauch nach allgemeine Urteile, die als Obersätze in Syllogismen fungieren. ii. Enge Bedeutung: Prinzipien sind ihrem Ursprung nach erste Anfänge, d. h. Urteile a priori, die aus keinen anderen Urteilen abgeleitet werden. Sie dienen als Obersätze in Syllogismen. Trotz ihres apriorischen Ursprungs bedürfen sie einer Deduktion.

Vgl. A148 f./B187 f. – Betonen möchte ich dabei, dass die Grundsätze des reinen Verstandes auch als Obersätze in Syllogismus dienen: »Da nun jede allgemeine Erkenntnis zum Obersatze in einem Vernunftschlusse dienen kann, und der Verstand dergleichen allgemeine Sätze a priori darbietet, so können diese denn auch, in Ansehung ihres möglichen Gebrauchs, Prinzipien genannt werden« (A300/B357).

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20.1.3 Geschmacksurteile haben kein objektives Prinzip Zu Beginn von § 20 konstatiert Kant, dass Geschmacksurteile kein objektives Prinzip haben können. Die entsprechende Passage lautet: § 20.A.1 »Wenn Geschmacksurtheile (gleich den Erkenntnißurtheilen) ein bestimmtes objectives Princip hätten, so würde der, welcher sie nach dem letztern fället, auf unbedingte Nothwendigkeit seines Urtheils Anspruch machen« (237,34 f.).

Nehmen wir einige simple Substitutionen vor, so lautet dieser Satz: § 20.A.1* Wenn Geschmacksurteile (gleich den Erkenntnisurteilen) ein bestimmtes objektives Prinzip hätten, so würde ein Urteilender, der die Geschmacksurteile nach diesem bestimmten objektiven Prinzip fällt, auf unbedingte Notwendigkeit seines Geschmacksurteils Anspruch machen.

Da eigentlich klar ist, dass ein Urteilender das Geschmacksurteil nach dem bestimmten objektiven Prinzip fällen würde, sofern es ein solches gäbe, können wir verkürzt schreiben: § 20.A.1R1 Wenn Geschmacksurteile (wie Erkenntnisurteile) ein bestimmtes objektives Prinzip hätten, so würden sie auf unbedingte Notwendigkeit Anspruch erheben.

Machen wir uns zunächst klar, was Kant unter dem ›bestimmte[n] objective[n] Princip‹ versteht. Ein Prinzip im engen Sinne, so haben wir gesehen, ist ein allgemeines Urteil a priori, das als Obersatz in einem Syllogismus fungiert; es ist bestimmt und objektiv, insofern es auf Objekte bzw. gegebene Vorstellungen angewendet wird, d. h. etwas am Objekt (begrifflich) bestimmt. So werden etwa die Grundsätze des reinen Verstandes, welche die Kategorien beinhalten, auf gegebene Vorstellungen angewendet, wodurch allererst Objekte konstituiert werden. Wenn wir nun eine gegebene Vorstellung (als Untersatz) unter ein solches objektives Prinzip (als Obersatz) subsumieren, so verfügt die Konklusion dieses Schlusses über Notwendigkeit bzw. notwendige Allgemeingültigkeit; denn erstens verfügen die Prinzipien a priori, die als Obersatz dienen, über Notwendigkeit, 5 und zweitens garantiert das Schlussverfahren des Syllogismus die Notwendigkeit der Konklusion. 6 Mit der Formulierung ›gleich den Hier ist daran zu erinnern, dass für Kant synthetische Sätze a priori durch Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit ausgezeichnet sind (vgl. B3 f.). 6 Vgl.: »Ein Vernunftschluß ist das Erkenntniß der Nothwendigkeit eines Satzes 5

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Erkenntnißurtheilen‹ rekurriert Kant primär auf Erfahrungsurteile; denn letztere setzten, wie Geschmacksurteile, eine empirisch gegebene Vorstellung voraus. Es ist daher sinnvoll, die Notwendigkeit der Geschmacksurteile in Analogie zu jener der Erfahrungsurteile zu deuten. 7 Ich schlage insgesamt die folgende Rekonstruktion von § 20.A.1 vor: § 20.A.1R2 Wenn Geschmacksurteile (wie Erfahrungsurteile) ein bestimmtes objektives Prinzip hätten, so würden sie auf unbedingte Notwendigkeit Anspruch erheben.

Wie würde nun ein ›bestimmtes objectives Princip‹ im Kontext des Geschmacksurteils lauten? Kant selbst gibt zu dieser Frage zu Beginn von § 34, der überschrieben ist mit »Es ist kein objectives Princip des Geschmacks möglich« (285,26, m. H.), Auskunft: »Unter einem Princip des Geschmacks würde man einen Grundsatz verstehen, unter dessen Bedingung man den Begrif eines Gegentandes subsumiren, und alsdann durch einen Schluß herausbringen könnte, daß er schön sey« (285,27).

Kant beschreibt hier das folgende syllogistische Schlussverfahren: Als Obersatz würde ein (objektives) Prinzip des Geschmacks dienen, welches die Form »Alles, was die Eigenschaft p hat, ist schön« hätte. Darunter würde man ›den Begrif eines Gegenstandes subsumiren‹, d. h. der Untersatz würde lauten: »x hat die Eigenschaft p«. Man würde dann das Urteil »x ist schön« als Konklusion erhalten. Das objektive Prinzip müsste freilich ein Urteil a priori sein, damit es als Prinzip im engen Sinn gelten und dem Geschmacksurteil Notwendigkeit verleihen könnte. Durch Rekurs auf dieses Prinzip könnten wir die Zustimmung zu unserem Geschmacksurteil erzwingen. 8

durch die Subsumtion seiner Bedingung unter eine gegebene allgemeine Regel« (Log: 120). – Ich werde auf dieses Schlussverfahren im Rahmen des Fällens von Erfahrungsurteilen im Kapitel G5.1 genauer eingehen. 7 Dass Kant, wenn er in der KU den Begriff des Erkenntnisurteils nutzt, primär Erfahrungsurteile meint, geht etwa aus den folgenden beiden Zitaten hervor: »Nun geht das Geschmacksurtheil auf Gegenstände der Sinne, aber nicht um einen B e g r i f derselben für den Verstand zu bestimmen; denn es ist kein Erkenntnißurtheil« (339,24); »Mit der Wahrnehmung eines Gegenstandes kann unmittelbar der Begrif von einem Objecte überhaupt, von welchem jene die empirischen Prädicate enthält, zu einem Erkenntnißurtheile verbunden, und dadurch ein Erfahrungsurtheil erzeugt werden« (287,35 f.). 8 Vgl.: »Ein bestimmtes objectives Princip des Geschmacks, wornach die Urtheile

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Zum subjektiven Prinzip des Geschmacksurteils

Nehmen wir einmal an, das Geschmacksurteil würde aus einem solchen objektiven Prinzip abgeleitet: Inwiefern wäre dann die Notwendigkeit des Geschmacksurteils unbedingt? Bei einer bedingten Notwendigkeit wird etwas empirisch Gegebenes vorausgesetzt. 9 Ist es aber nicht so, dass das Geschmacksurteil, auch wenn es ein objektives Prinzip hätte, immer noch die gegebene Vorstellung vom schönen Objekt voraussetzen würde? Und sind in diesem Sinne nicht auch Erfahrungsurteile, obwohl sie auf den (objektiven) Prinzipien des reinen Verstandes beruhen, nur bedingt notwendig? Schließlich setzen auch Erfahrungsurteile eine empirisch gegebene Vorstellung voraus. Unbedingte Notwendigkeit, so scheint es, können nur Urteile beanspruchen, die völlig a priori gefällt werden. 10 Um dieses Problem zu lösen, müssen wir uns daran erinnern, dass die Notwendigkeit des Geschmacksurteils »selbst nach allen Datis, die zur Beurtheilung erfordert werden, doch nur bedingt« ist (§ 19.A.2, 237,25). Analog dazu beanspruchen auch Erfahrungsurteile erst ›nach allen Datis‹, d. h. wenn die gegebene Vorstellung vom Objekt als Bedingung vorausgesetzt ist, unbedingte Notwendigkeit. Wir müssen § 20.A.1 daher wie folgt rekonstruieren: § 20.A.1R3 Wenn Geschmacksurteile (wie Erfahrungsurteile) ein bestimmtes objektives Prinzip hätten, so würden sie, insofern die Vorstellung vom schönen Objekt als Bedingung vorausgesetzt wäre, auf unbedingte Notwendigkeit Anspruch erheben.

Nun wird das Geschmacksurteil aber aus keinem objektiven Prinzip abgeleitet und kann somit, selbst wenn eine Vorstellung vom schönen Objekt gegeben ist, keine unbedingte Notwendigkeit beanspruchen. Dafür, dass das Geschmacksurteil auf keiner objektiven Regel beruhen kann, hatte Kant bereits in § 17 argumentiert: »Es kann keine objective Geschmacksregel, welche durch Begriffe bestimmte, was schön sey, geben. Denn alles Urtheil aus dieser Quelle ist

desselben geleitet, geprüft und bewiesen werden könnten, zu geben, ist schlechterdings unmöglich; denn es wäre alsdenn kein Geschmacksurtheil« (341,4, m. H.). 9 Siehe hierzu Kap. 19.3. 10 Tatsächlich unterstellt Kant bisweilen sogar den dynamischen Grundsätzen des reinen Verstandes, sie seien nur bedingt notwendig, da sie das Dasein von etwas Empirischem voraussetzen (vgl. A160 f./B199 f.). Kants Philosophie des Schönen

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§ 20 Der ästhetische Gemeinsinn als Bedingung der Notwendigkeit

ästhetisch; d. i. das Gefühl des Subjects, und kein Begrif eines Objects, ist sein Bestimmungsgrund« (§ 17.A.1–2, 231,27). 11

Kant beruft sich hier auf die These, dass das Geschmacksurteil ästhetisch ist. Im ästhetischen Urteil erfasst das Prädikat keine Eigenschaft des Objekts begrifflich, sondern drückt ein Gefühl der Lust aus. 12 Darauf aufbauend können wir das folgende Argument rekonstruieren: P1

Wenn das Geschmacksurteil auf einem objektiven Prinzip beruht, dann erfasst es eine Eigenschaft des Objekts begrifflich. P2 Das Geschmacksurteil erfasst keine Eigenschaft des Objekts begrifflich. Also: Das Geschmacksurteil beruht auf keinem objektiven Prinzip.

In diesem Sinne folgt die Tatsache, dass das Geschmacksurteil nicht aus einem objektiven Prinzip abgeleitet werden kann, aus seinem Status als ästhetisches Urteil. 13 Halten wir zur Abgrenzung des Geschmacksurteils von objektiven Prinzipien das Folgende fest: i. Ein objektives Prinzip des Geschmacks würde eine Eigenschaft des schönen Gegenstandes erfassen und hätte die Form »Alles, was die Eigenschaft p hat, ist schön«. Es wäre apriorischen Ursprungs und würde als Obersatz in einem Syllogismus dienen, dessen Konklusion das Geschmacksurteil wäre. ii. Es kann kein objektives Prinzip des Geschmacks geben, weil das Geschmacksurteil ästhetisch und nicht-begrifflich ist.

20.1.4 Geschmacksurteile müssen ein Prinzip haben Das Geschmacksurteil kann also aus keinem objektiven Prinzip abgeleitet werden. Man könnte daher vermuten, dass es gar kein Prinzip hätte. Dies wird von Kant aber sogleich verneint: § 20.A.2 »Wären sie ohne alles Princip, wie die des bloßen Sinnengeschmacks, so würde man sich gar keine Nothwendigkeit derselben in Gedanken kommen lassen« (238,2). Siehe Kap. 17.1.1. – Vgl. auch § 8.F.1–2, 215,35. Siehe hierzu Kap. 1.2. 13 Für eine weitere Begründung vgl.: »Das Geschmacksurtheil unterscheidet sich darin von dem logischen: daß das letztere eine Vorstellung unter Begriffe vom Object, das erstere aber gar nicht unter einen Begrif subsumirt, weil sonst der nothwendige allgemeine Beyfall durch Beweise würde erzwungen werden können« (286,32 f.). 11 12

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Die Urteile ›des bloßen Sinnengeschmacks‹ stehen für die Urteile über das Angenehme. Nehmen wir zudem einige simple Substitutionen vor, so erhalten wir: § 20.A.2* Wären die Geschmacksurteile ohne alles Prinzip, wie die Urteile über das Angenehme, so würde man sich gar keine Notwendigkeit der Geschmacksurteile in Gedanken kommen lassen.

Kants eigentliche Hauptthese lautet: § 20.A.2R1 Hätten die Geschmacksurteile kein Prinzip, so könnten sie keine Notwendigkeit beanspruchen.

Erinnern wir uns zunächst an die Modalität der Urteile über das Angenehme. In 20.A.2 setzt Kant den folgenden Zusammenhang voraus: Weil Urteile über das Angenehme kein Prinzip haben, können sie keine Notwendigkeit beanspruchen. Damit weisen Urteile über das Angenehme einen ähnlichen Status wie Wahrnehmungsurteile auf. Anders als Erfahrungsurteile werden Wahrnehmungsurteile nämlich nicht aus den reinen Grundsätzen des Verstandes abgeleitet, und aus diesem Grund können sie keine Notwendigkeit beanspruchen. Zu diesem Zusammenhang führt Kant in den Prolegomena das Folgende aus: »Wenn die Sonne den Stein bescheint, so wird er warm. Dieses Urteil ist ein bloßes Wahrnehmungsurteil und enthält keine Notwendigkeit, ich mag dieses noch so oft und andere auch noch so oft wahrgenommen haben; die Wahrnehmungen finden sich nur gewöhnlich so verbunden. Sage ich aber: die Sonne e r w ä r m t den Stein, so kommt über die Wahrnehmung noch der Verstandesbegriff der Ursache hinzu, der mit dem Begriff des Sonnenscheins den der Wärme n o t w e n d i g verknüpft, und das synthetische Urteil wird notwendig allgemeingültig, folglich objektiv und aus einer Wahrnehmung in Erfahrung verwandelt« (Prol: 301 Fn., 1. H. m. H.).

Ähnlich wie beim Wahrnehmungsurteil verknüpfen wir bei einem Urteil über das Angenehme bloß zwei Empfindungen, nämlich eine objektive Empfindung (bspw. den Geschmack von Schokolade) und eine subjektive Empfindung, d. h. ein Gefühl der Lust. Da dieser Verknüpfung kein Prinzip – weder ein objektives noch ein subjektives – zugrunde liegt, kann das Urteil über das Angenehme keine Notwendigkeit beanspruchen. Wenden wir uns wieder der These zu, Geschmacksurteile könnten keine Notwendigkeit beanspruchen, wenn sie kein Prinzip hätten. Kants Philosophie des Schönen

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§ 20 Der ästhetische Gemeinsinn als Bedingung der Notwendigkeit

Ist diese These gerechtfertigt? Man könnte vermuten, dass Kant von der folgenden Annahme ausgeht: Alle notwendigen Urteile müssen auf einem Prinzip beruhen. Da aber Prinzipien (im engen Sinne) selbst nicht aus (höheren) Prinzipien abgeleitet werden und sie dennoch Notwendigkeit beanspruchen, muss die These lauten: Alle notwendigen Urteile sind entweder selbst ein Prinzip oder sie werden aus einem Prinzip abgeleitet. Insbesondere muss ein notwendiges empirisches Urteil – und, insofern das Geschmacksurteil eine gegebene Vorstellung vom schönen Objekt und ein Gefühl der Lust voraussetzt, ist es ja ein empirisches Urteil – aus einem Prinzip abgeleitet werden. In diesem Sinne können auch die Erfahrungsurteile nur deshalb Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit beanspruchen, weil sie aus Erkenntnissen a priori, d. h. Prinzipien im engen Sinne, abgeleitet werden. 14 Vor diesem Hintergrund können wir das folgende Argument rekonstruieren: P1

Wenn ein empirisches Urteil kein Prinzip hat, dann beansprucht es keine Notwendigkeit. [§ 20.A.2] P2 Das Geschmacksurteil beansprucht Notwendigkeit. Also: Das Geschmacksurteil hat ein Prinzip.

Damit wissen wir einerseits, dass das Geschmacksurteil ein Prinzip hat, und andererseits, dass dieses kein objektives Prinzip sein kann. Man fragt sich dann freilich, was für ein Prinzip das Geschmacksurteil stattdessen haben soll. Halten wir aber zunächst den folgenden Befund fest: i. Empirische Urteile, die aus keinen Prinzipien im engen Sinne (Sätzen a priori) abgeleitet werden, beanspruchen keine Notwendigkeit. Dazu zählen Wahrnehmungsurteile und Urteile über das Angenehme. ii. Das Geschmacksurteil beansprucht Notwendigkeit und muss daher aus einem Prinzip im engen Sinne abgeleitet werden.

20.1.5 Geschmacksurteile haben ein subjektives Prinzip Das Geschmacksurteil muss also ein Prinzip haben, aber dabei kann es sich nicht um ein objektives Prinzip handeln. Kant muss demnach Vgl. Prol: 298–302. – Auch eine Wissenschaft kann nur dann Notwendigkeit beanspruchen, wenn sie auf Prinzipien im engen Sinne gegründet wird (vgl. MAN: 468).

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Zum subjektiven Prinzip des Geschmacksurteils

eine alternative Konzeption eines Prinzips präsentieren. Diese Alternative lautet wie folgt: § 20.A.3 »[a] Also müssen sie ein subjectives Princip haben, [b] welches nur durch Gefühl und nicht durch Begriffe, doch aber allgemeingültig bestimme, was gefalle oder mißfalle« (238,4).

Das Personalpronomen ›sie‹ bezieht sich offenkundig auf die ›Geschmacksurtheile‹, die Kant in § 20.A.1 angeführt hat. Vereinfacht lautet dann § 20.A.3a: § 20.A.3aR1 Die Geschmacksurteile haben ein subjektives Prinzip.

In den Sätzen § 20.A.1–3 deutet Kant ein Argument an (›Also‹). In § 20.A.2 benennt er implizit die Prämisse, dass Geschmacksurteile ein Prinzip haben. In § 20.A.1 benennt er die Prämisse, dass das Prinzip der Geschmacksurteile kein objektives Prinzip sein kann. Zudem muss man Kant wohl die Annahme unterstellen, dass Prinzipien entweder objektiv oder subjektiv sind. Vor diesem Hintergrund können wir das folgende Argument rekonstruieren: P1 Ein Prinzip ist entweder objektiv oder subjektiv. P2 Das Prinzip der Geschmacksurteile ist nicht objektiv. [§ 20.A.1] Also: Das Prinzip der Geschmacksurteile ist subjektiv. [§ 20.A.3]

Aber ist P1 gerechtfertigt? Könnte es nicht eine dritte, weder objektive noch subjektive Art von Prinzipien geben? Es ist tatsächlich schwierig, sich eine dritte Kategorie von Prinzipien (für empirische Urteile) vorzustellen, insofern durch objektive Prinzipien Eigenschaften des Objekts (oder gegebenenfalls auch des Subjekts, sofern es selbst Gegenstand des Urteils ist) begrifflich erfasst werden und durch subjektive Prinzipien Gefühlszustände des Subjekts. Ferner nutzt Kant die Dichotomie zwischen objektiv und subjektiv in der gesamten Kritik der ästhetischen Urteilskraft, sodass ihre Anwendung im Bereich der Notwendigkeit nicht mehr oder weniger problematisch ist als an anderer Stelle. Schließlich ist die These, dass das Prinzip des Geschmacksurteils subjektiv ist, auch deshalb plausibel, weil das Prädikat des Geschmacksurteils eine nicht begrifflich erwirkte Lust ist. 15

Vgl. hierzu auch: »Dasjenige Subjective aber an einer Vorstellung, was gar kein Erkenntnißstück werden kann, ist die mit ihr verbundene Lust oder Unlust« (189,16, m. H. & Kants H. getilgt).

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Die entscheidende Frage ist freilich, was ein subjektives Prinzip ist. Zunächst einmal muss es sich dabei immer noch um ein Prinzip handeln – und Prinzipien sind, wie oben erläutert, allgemeine Urteile, die als Obersatz in Syllogismen dienen. Zudem sind sie (im engen Sinne) ihrem Ursprung nach Urteile a priori, die aus keinen anderen Urteilen abgeleitet werden. Dennoch bedürfen sie einer Deduktion. Wir werden sehen, dass das subjektive Prinzip des Geschmacksurteils diese drei Kriterien allesamt in gewisser Hinsicht erfüllt, mit der einzigen Ausnahme, dass es sich dabei um kein Urteil, sondern um ein Vermögen handelt. Wenden wir uns den verschiedenen Charakterisierungen des subjektiven Prinzips zu (§ 20.A.3b). Die Formulierung ›was gefalle oder mißfalle‹ muss sich auf die Lust am Schönen bzw. die Unlust am Hässlichen beziehen. Das subjektive Prinzip bestimmt damit letztlich, was schön bzw. hässlich ist. Blenden wir der Einfachheit halber aus, dass das Prinzip auch für das Hässliche gilt, so können wir schreiben: 16 § 20.A.3bR1 Das subjektive Prinzip des Geschmacksurteils bestimmt nur durch Gefühl und nicht durch Begriffe, doch aber allgemeingültig, was schön ist.

Wir können drei Aussagen zum subjektiven Prinzip des Geschmacksurteils (sP) unterscheiden: sP1 Das subjektive Prinzip des Geschmacksurteils bestimmt durch Gefühl, was schön ist. sP2 Das subjektive Prinzip des Geschmacksurteils bestimmt nicht durch Begriffe, was schön ist. sP3 Das subjektive Prinzip des Geschmacksurteils bestimmt allgemeingültig, was schön ist.

Beginnen wir mit sP2. In dieser Proposition grenzt Kant das subjektive Prinzip implizit von objektiven Prinzipien ab; denn letztere bestimmen etwas durch Begriffe (vom Objekt) – so auch das objektive Prinzip »Alles, was die Eigenschaft p hat, ist schön«. Kant hat aber gerade betont, dass das Geschmacksurteil über kein solches objektives Prinzip verfügt. Besagt sP2 aber nur, dass das Prinzip des Geschmacks keinen Begriff vom Objekt beinhaltet? Tatsächlich, so werden wir sehen, reicht die Nicht-Begrifflichkeit des subjektiven Prinzips tiefer; denn dieses subjektive Prinzip ist nichts anderes als der Gemeinsinn, 16

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Für eine Analyse des Hässlichen siehe Grundlagen 7.

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wobei dieser ein Vermögen zu einem Gefühl ist. Dies verdeutlicht Kant bereits in sP1 dadurch, dass das subjektive Prinzip ›durch Gefühl‹ bestimmt. In dieser Hinsicht ist das Prinzip des Geschmacks, anders als alle anderen Prinzipien, kein Urteil und keine Proposition. Es ist also im wahrsten Sinne des Wortes nicht-begrifflich. Statt dass das subjektive Prinzip eine begriffliche Proposition ist, bestimmt es die Schönheit eines Gegenstandes ›durch Gefühl‹ (sP1). Nun sind Prinzipien normalerweise allgemeine Urteile. Das subjektive Prinzip muss somit irgendeinen Bezug zur Allgemeinheit aufweisen. Daher kann die Formulierung ›durch Gefühl‹ nicht dafür stehen, dass das subjektive Prinzip die aktual vom Subjekt gefühlte Lust ist. Vielmehr muss das Prinzip alle Fälle von aktual gefühlter Lust am Schönen unter sich befassen. Zudem bestimmt es ›allgemeingültig‹, was schön sei (sP3). Es muss daher auch intersubjektiv sein. Das subjektive Prinzip muss also eine doppelte Allgemeinheit beanspruchen: Es muss alle Instanziierungen der Lust am Schönen in einem Individuum sowie in allen Menschen umfassen. Wir müssen einem möglichen Missverständnis vorbeugen. Man könnte denken, alle subjektiven Prinzipien seien dadurch gekennzeichnet, dass sie etwas ›durch Gefühl‹ bestimmten. Dies kann aber nicht der Fall sein; denn Kant kennt eine weitere Bedeutung von »subjektives Prinzip«. Er bezeichnet nämlich auch das Prinzip a priori der Urteilskraft als subjektives Prinzip: »Dieser transscendentale Begrif einer Zweckmäßigkeit der Natur ist nun weder ein Naturbegrif, noch ein Freyheitsbegrif, weil er gar nichts dem Objecte (der Natur) beylegt, sondern nur die einzige Art, wie wir in der Reflexion über die Gegenstände der Natur in Absicht auf eine durchgängig zusammenhängende Erfahrung verfahren müssen, vorstellt, folglich ein subjectives Princip (Maxime) der Urtheilskraft« (184,10, m. H.).

Der Begriff des subjektiven Prinzips, den Kant hier mit dem Begriff der Maxime in Beziehung setzt, steht dafür, dass das Prinzip a priori der Urteilskraft eine Handlungsvorschrift für das Subjekt ist. Es ist ein regulatives Prinzip, welches dem Subjekt einen Leitfaden an die Hand gibt, keinesfalls aber Anwendung auf die Objekte der Natur hat, wenngleich es diese inhaltlich betrifft. 17 Dieses subjektive Prinzip kommt zwar mit dem Prinzip des Geschmacksurteils dahingehend überein, dass beide nicht durch bestimmte Begriffe auf Objekte ange17

Siehe hierzu Kap. G3.1.

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wendet werden. Die Subjektivität des Prinzips bedeutet hier aber nicht, dass etwas ›durch Gefühl bestimmt‹ würde. 18 Kommen wir zur letzten Bestimmung des subjektiven Prinzips, nämlich sP3 (›Das subjektive Prinzip des Geschmacksurteils bestimmt allgemeingültig, was schön ist‹). Kant knüpft hier an die Allgemeingültigkeitsthese ATUrteil und die Notwendigkeitsthese NTUrteil an. Das subjektive Prinzip des Geschmacksurteils sorgt dafür, dass Geschmacksurteile notwendig allgemeingültig sind. Wie genau dies vonstattengeht, werden wir in Kürze sehen. Betonen möchte ich allerdings schon, dass dem subjektiven Prinzip diese Funktion nur zukommt, weil es ein Prinzip im engen Sinne ist: Wenngleich es nicht-begrifflich ist, fungiert es als Obersatz in einer Art von Syllogismus und ist seinem Ursprung nach einem Urteil a priori ähnlich. Halten wir zum subjektiven Prinzip das Folgende fest: i. Das subjektive Prinzip des Geschmacksurteils fungiert als Obersatz in einer Art von Syllogismus. ii. Das subjektive Prinzip bestimmt durch Gefühl, was schön ist. Es umfasst aufgrund seiner Allgemeinheit alle Instanziierungen der Lust am Schönen in allen Urteilenden. iii. Das subjektive Prinzip bestimmt nicht durch Begriffe, was schön ist. Es erfasst nicht nur keine Eigenschaft des Objekts begrifflich, sondern es ist noch nicht einmal eine Proposition. iv. Das subjektive Prinzip sorgt für die notwendige Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils. Es ist eine Art von apriorischem Prinzip. Wir wollen uns nun dem Gemeinsinn zuwenden. Dabei wollen wir unter anderem untersuchen, inwiefern der Gemeinsinn die soeben dargelegten Anforderungen erfüllt.

Es gibt jedoch eine enge Verknüpfung des Prinzips a priori der Urteilskraft und des subjektiven Prinzips des Geschmacksurteils und in gewisser Hinsicht kann das letztere sogar als eine eigentümliche Variante des ersten verstanden werden. Ich werde darauf später noch genauer eingehen (siehe Kap. G6.3). – Wenigstens erwähnen möchte ich, dass Kant den Begriff »subjektives Prinzip« auch an anderer Stelle gebraucht, wenn er Maximen behandelt. So wird in der GMS »Maxime« als »das subjektive Prinzip zu handeln« (GMS: 420 Fn.) und als »das subjektive Prinzip des Wollens« (GMS: 400 Fn.) bezeichnet. Auch in diesen Fällen bestimmt das subjektive Prinzip, d. h. die Maxime, nicht ›durch Gefühl‹.

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Zum Gemeinsinn

20.2 Zum Gemeinsinn Wenn wir nun den Gemeinsinn untersuchen, müssen wir zwei Komplexe unterscheiden: (1) die Frage, was der Gemeinsinn ist, und (2) die These, dass der Gemeinsinn die Bedingung der Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist. Wir wollen im Folgenden zunächst in mehreren Schritten eine Antwort auf die Frage entwickeln, was der Gemeinsinn ist. Der Begriff des Gemeinsinns oder sensus communis findet nicht nur im Kontext des Schönen Verwendung. Nimmt man Kants Gesamtwerk in den Blick, so wird dieser Begriff primär mit Bezug auf den gemeinen Verstand bzw. Menschenverstand verwendet. 19 In dieser Bedeutung wird der Begriff des Gemeinsinns im Kontext des Schönen freilich nicht gebraucht. Kant versteht unter dem ›gemeinen Verstand‹ den nach empirischen Regeln verfahrenden Verstand. Meist nutzt er den Begriff des gemeinen Verstandes, um Kritik an der (überwiegend schottischen) common sense Philosophie unter der Federführung von Thomas Reid, James Beattie, James Oswald und Joseph Priestley zu üben. 20 Der vom gemeinen Menschenverstand abzugrenzende Begriff des ästhetischen Gemeinsinns findet außerhalb der KU kaum Erwähnung. 21 Schon der Begriff »Gemeinsinn« (oder »sensus communis«) legt nahe, dass ein Gemeinsinn über zwei Komponenten verfügt: Er ist erstens ein Sinn (sensus) und zweitens gemein oder gemeinschaftlich (communis). Insbesondere die Komponente, gemein zu sein, kann aber für mehrerlei stehen. Erstens könnte ein sensus communis ein übergeordneter, alle anderen Sinne umfassender Sinn sein – eine Bedeutung, die auf Aristoteles zurückzuführen ist. 22 Zweitens könnte ein sensus communis aber auch ein Sinn sein, über den alle Menschen verfügen. 23 Wenzel schreibt zu diesen beiden Bedeutungen: »In short, there is an intra- and there is an inter-subjective aspect of Vgl. insbesondere Kants Ausführungen zum Gemeinsinn in der Anthropologie (Anth: 139, 169, 219) und der Logik (Log: 17, 56 f.). 20 Vgl. Prol: 258 f. 21 Erwähnt wird der ästhetische Gemeinsinn außerhalb der KU nur in einigen Reflexionen (vgl. Refl: 992; Refl: 1487, AA 15: 726; Refl: 1483, AA 15: 693). – Eine Verwendung im Kontext des Geschmacks als Vermögen der Lust am Angenehmen findet sich in Refl: 1930. 22 Vgl. Aristoteles: Über die Seele, Buch III, Kap. 1, 425a-425b. 23 Vgl. für diese beiden Bedeutungen von »Gemeinsinn« Wenzel 2008, 81 f. 19

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the sensus communis« (Wenzel 2008, 82). Nun ist die erste, intrasubjektive Deutung nicht völlig abwegig; denn wir werden sehen, dass der Gemeinsinn das Vermögen der Lust am Schönen und des freien Spiels der Erkenntniskräfte ist, wobei in letzterem Einbildungskraft und Verstand vereinigt sind. Allerdings geht eigentlich bereits aus der Tatsache, dass der Gemeinsinn den Status der notwendigen Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils gewährleisten soll, hervor, dass Kant den Fokus auf die intersubjektive Bedeutung des Gemeinsinns legt. Dies ist schon aus der Formulierung »Grund […], der allen gemein ist« (§ 19.A.3, 237,27) ersichtlich. Diese intersubjektive Bedeutung unterscheidet sich auch von der folgenden dritten Bedeutung: »Nur der sensus communis ist bon sens, d. i. der Sinn, der gemeinschaftlich gilt, nicht: sensus vulgaris, der unter vielen angetroffen wird und vom sensu raro unterschieden wird« (Refl: 1505, AA 15: 811). 24 Der Begriff »gemein« steht hier zwar auch dafür, dass der Gemeinsinn allen oder vielen zukommt; er ist aber insofern abwertend konnotiert, als dieser Gemeinsinn nichts Besonderes oder Außergewöhnliches ist. Freilich kann diese abwertende Bedeutung nicht auf den ästhetischen Gemeinsinn zutreffen. 25 Wenngleich nämlich alle Menschen über den Gemeinsinn verfügen, so sind Instanziierungen des Gemeinsinns nichts im negativen Sinne Gewöhnliches, sondern sie sind, ganz im Gegenteil, insofern etwas Besonderes, als sie eine Abstraktion von allen Privatbedingungen erfordern. Wenden wir uns nun Kants Ausführungen zum Gemeinsinn in § 20 zu: § 20.A.4 »[a] Ein solches Princip aber könnte nur als ein G e m e i n s i n n angesehen werden; [b] welcher [Gemeinsinn] vom gemeinen Verstande, den man bisweilen auch Gemeinsinn (sensus communis) nennt, wesentlich unterschieden ist: [c] indem letzterer [der gemeine Verstand] nicht nach Gefühl, sondern jederzeit nach Begriffen, wiewohl gemeiniglich nur als nach dunkel vorgestellten Principien, urtheilt. [Absatz]

Vgl. auch: »und zwar so, daß man unter dem Worte g e m e i n (nicht bloß in unserer Sprache, die hierin wirklich eine Zweydeutigkeit enthält, sondern auch in mancher andern) so viel als das vulgare, was man allenthalben antrift, versteht, welches zu besitzen schlechterdings kein Verdienst oder Vorzug ist« (293,25). 25 Vgl. zu dieser Abgrenzung auch 293,20 f. 24

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§ 20.B.1 Also nur unter der Voraussetzung, daß es einen Gemeinsinn gebe (wodurch 26 wir aber keinen äußern Sinn, sondern die Wirkung aus dem freyen Spiel unsrer Erkenntnißkräfte, verstehen), nur unter Voraussetzung, sage ich, eines solchen Gemeinsinns kann das Geschmacksurtheil gefällt werden« (238,6).

In dieser Passage sowie im Satz § 20.A.3 finden sich eine Vielzahl von Charakterisierungen des Gemeinsinns (GS). Im Einzelnen können wir die folgenden Propositionen isolieren: GS1 Der Gemeinsinn ist das subjektive Prinzip des Geschmacksurteils. (§ 20.A.4a) GS2 Der Gemeinsinn bestimmt durch Gefühl, was schön ist. (§ 20.A.4c; § 20.A.3b bzw. sP1) GS3 Der Gemeinsinn bestimmt nicht durch Begriffe, was schön ist. (§ 20.A.4c; § 20.A.3b bzw. sP2) GS4 Der Gemeinsinn ist kein äußerer Sinn. (§ 20.B.1) GS5 Der Gemeinsinn ist die Wirkung aus dem freien Spiel der Erkenntniskräfte. (§ 20.B.1)

Ferner bezeichnet Kant den Gemeinsinn in der Überschrift als Idee (»Die Bedingung der Nothwendigkeit, die ein Geschmacksurtheil vorgiebt, ist die Idee eines Gemeinsinnes«; § 20.T, 237,32). Wir können also ergänzen: GS6 Der Gemeinsinn ist eine Idee. (§ 20.T)

Wir wollen im Folgenden die beiden Komponenten des Gemeinsinns, nämlich seine Sinnlichkeit und seine Gemeinschaftlichkeit, jeweils im Detail untersuchen und uns dabei auf die Charakterisierungen GS1–6 berufen.

20.2.1 Zum Gemeinsinn als Sinn Beginnen wir mit der Komponente der Sinnlichkeit. Eine erste Auskunft darüber, was es bedeutet oder vielmehr nicht bedeutet, dass der Gemeinsinn ein Sinn ist, gibt GS4: Der Gemeinsinn ist kein äußerer Sinn. Zu den äußeren Sinnen heißt es in der Anthropologie: »Die Sinne […] werden […] in die ä u ß e r e n und den i n n e r e n Sinn Das Adverb ›wodurch‹ ist hier ungewöhnlich verwendet und muss die Bedeutung von ›worunter‹ haben.

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(sensus internus) eingeteilt; der erstere ist der, wo der menschliche Körper durch körperliche Dinge, der zweite, wo er durchs Gemüt affiziert wird« (Anth: 153). Zu den äußeren Sinnen zählen insbesondere die Sinne der »O r g a n e m p f i n d u n g (sensus fixus)« bzw. die »Organsinne« (Anth: 154) 27 – und unter diese fallen die fünf Sinne »der Betastung«, »des Gesichts«, »des Gehörs«, »des Geschmacks« und »des Geruchs« (Anth: 154, Kants H. getilgt). Die äußeren Sinne dienen dazu, Gegenstände der Außenwelt (›körperliche Dinge‹) wahrzunehmen. 28 Sie bilden vor allem einen Kontrast zum inneren Sinn, dessen Gegenstand »das Ich als das O b j e k t der Wahrnehmung [ist], […] was eine Mannigfaltigkeit von Bestimmungen enthält, die eine innere E r f a h r u n g möglich machen« (Anth: 134 Fn.). Wir betreiben durch den inneren Sinn also Selbstwahrnehmung. Nun kann der Gemeinsinn allerdings auch kein innerer Sinn sein oder zum inneren Sinn gehören. Denn nach GS2 bestimmt der Gemeinsinn durch Gefühl, d. h. durch Lust, was schön ist. 29 Den inneren Sinn grenzt Kant in der Anthropologie aber explizit vom Gefühl der Lust und Unlust ab: »wobei zu merken ist, daß der letztere [der innere Sinn] als bloßes Wahrnehmungsvermögen (der empirischen Anschauung) vom G e f ü h l der Lust und Unlust, d. i. der Empfänglichkeit des Subjekts, durch gewisse Vorstellungen zur Erhaltung oder Abwendung des Zustandes dieser Vorstellungen bestimmt zu werden, verschieden gedacht wird, den man den i n w e n d i g e n Sinn (sensus interior) nennen könnte« (Anth: 153).

Ich habe bereits früher erläutert, dass das Gefühl der Lust und Unlust keine empirischen Anschauungen liefert und somit kein ›Wahrneh-

Ferner zählt auch der sogenannte Vitalsinn zu den äußeren Sinnen. Durch diesen nehmen wir etwa »W ä r m e und K ä l t e « wahr, aber auch »schnell wachsende Hoffnung oder Furcht«, den »S c h a u e r, der den Menschen selbst bei der Vorstellung des Erhabenen überläuft, und das G r ä u s e l n , womit Ammenmärchen in später Abendzeit die Kinder zu Bette jagen« (Anth: 154). Brandt betont, dass der Vitalsinn »zu systematischen Schwierigkeiten führen« müsse (Brandt 1999, 207) und spricht vom »nicht äußeren, jedoch auch nicht inneren Vitalsinn« (Brandt 1999, 93). 28 Vgl. auch bei Adelung: »Der äußere Sinn, die Fähigkeit Dinge zu empfinden, welche außer uns vorgehen, im Gegensatze des innern Sinnes, welcher das empfindet, was in uns selbst vorgeht« (Adelung: Der Sinn). 29 Vgl.: »und daß die ästhetische Urtheilskraft eher als die intellectuelle den Namen eines gemeinschaftlichen Sinnes führen könne, wenn man ja das Wort Sinn von einer Wirkung der bloßen Reflexion auf das Gemüth brauchen will: denn da versteht man unter Sinn das Gefühl der Lust« (295,22). 27

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mungsvermögen‹ ist sowie nichts (unmittelbar) zur Erkenntnis beiträgt. 30 In diesem Sinne können wir GS4 folgendermaßen ergänzen: GS4* Der Gemeinsinn ist weder ein äußerer Sinn noch ein innerer Sinn.

Diese Bestimmung des Gemeinsinns ist nicht ganz unproblematisch. In der Tugendlehre führt Kant nämlich zum moralischen Gefühl das Folgende aus: »Dieses Gefühl einen moralischen S i n n zu nennen, ist nicht schicklich; denn unter dem Wort Sinn wird gemeiniglich ein theoretisches, auf einen Gegenstand bezogenes Wahrnehmungsvermögen verstanden: dahingegen das moralische Gefühl (wie Lust und Unlust überhaupt) etwas bloß Subjektives ist, was kein Erkenntnis abgibt« (TL: 400).

Der Gemeinsinn konstituiert sich durch ein Gefühl der Lust und ähnelt in dieser Hinsicht dem moralischen Gefühl: Er ist kein ›theoretisches, auf einen Gegenstand bezogenes Wahrnehmungsvermögen‹ und dient nicht zur ›Erkenntnis‹. Im engen Sinne dürfte er also gar nicht »Sinn« heißen. Dass Kant dennoch den Begriff »Gemeinsinn« gebraucht, verdeutlicht, dass er in der KU einen im Vergleich zur Tugendlehre weiten Begriff des Sinnes verwendet. Das Gefühl der Lust gehört zudem klarerweise eher zur Sinnlichkeit als der Verstand; denn als »Vermögen der Begriffe« (190,7) ist der Verstand eindeutig intellektuell. In diesem Sinne schreibt Kant in § 20.A.4, dass der (gemeine) Verstand »nicht nach Gefühl, sondern jederzeit nach Begriffen, wiewohl gemeiniglich nur als nach dunkel vorgestellten Principien, urtheilt« (238,9). Aus diesem Grunde kann »der Geschmack mit mehrerem Rechte sensus communis genannt werden […], als der gesunde Verstand« (295,21). 31 Siehe Kap. 3.1.2. Vgl. zu dieser Thematik: »Man giebt oft der Urtheilskraft, wenn nicht sowohl ihre Reflexion als vielmehr bloß das Resultat derselben bemerklich ist, den Namen eines Sinnes, und redet von einem Wahrheitssinne, von einem Sinne für Anständigkeit, Gerechtigkeit u. s. w.; ob man zwar weiß, wenigstens billig wissen sollte, daß es nicht ein Sinn ist, in welchem diese Begriffe ihren Sitz haben können, noch weniger, daß dieser zu einem Ausspruche allgemeiner Regeln die mindeste Fähigkeit habe: sondern daß uns von Wahrheit, Schicklichkeit, Schönheit oder Gerechtigkeit nie eine Vorstellung dieser Art in Gedanken kommen könnte, wenn wir uns nicht über die Sinne zu höhern Erkenntnißvermögen erheben könnten« (293,11). Irritierenderweise ordnet Kant hier Schönheit nicht (oder nicht vollständig) der Sinnlichkeit zu, wenngleich er den Geschmack doch gerade als einen Sinn ausweist. Dies verdeutlicht die paradoxe Situation, dass der Gemeinsinn als Vermögen zu einer Lust zwar einerseits zur Sinn-

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Dass sich der Gemeinsinn durch ein Gefühl der Lust konstituiert, wird in GS2 deutlich (›Der Gemeinsinn bestimmt durch Gefühl, was schön ist‹). Noch deutlicher ist die folgende Passage: »Ich […] sage: daß der Geschmack mit mehrerem Rechte sensus communis genannt werden könne, als der gesunde Verstand; und daß die ästhetische Urtheilskraft eher als die intellectuelle den Namen eines gemeinschaftlichen Sinnes führen könne, wenn man ja das Wort Sinn von einer Wirkung der bloßen Reflexion auf das Gemüth brauchen will: denn da versteht man unter Sinn das Gefühl der Lust« (295,20).

Diesem Zitat folgend ist der Gemeinsinn ein Sinn, insofern man ›unter Sinn das Gefühl der Lust‹, d. h. das Gefühl der Lust am Schönen, versteht. Dies kann freilich nicht bedeuten, dass der Gemeinsinn für konkrete, aktual gefühlte Lustempfindungen steht. So stehen Sinne insgesamt nicht für konkrete Empfindungen, sondern für das Vermögen, solche Empfindungen zu haben. Beispielsweise ist der Sehsinn nicht die konkrete Rotempfindung, die ich gerade habe; sondern er ist das Vermögen, Sehempfindungen (wie etwa Rotempfindungen) zu haben und also Gegebenheiten in der Außenwelt wahrzunehmen. Und ein konkretes Seherlebnis (wie die Rotempfindung) ist eine Instanziierung des Sehsinns. Analog dazu ist der Gemeinsinn das Vermögen, Lust am Schönen zu fühlen – oder einfach das Vermögen der Lust am Schönen. Und jedes konkrete Erlebnis der Lust am Schönen ist eine Instanziierung des Vermögens der Lust am Schönen, d. h. des Gemeinsinns. Wir können GS2 daher folgendermaßen präzisieren: GS2R1 Der Gemeinsinn bestimmt als Vermögen der Lust am Schönen durch diese Lust am Schönen, was schön ist.

Nun ist der Gemeinsinn das subjektive Prinzip des Geschmacksurteils (GS1); und ein Prinzip ist, wie oben betont, immer etwas Allgemeines. In Bezug auf den Gemeinsinn muss dies bedeuten, dass er alle Gefühle der Lust am Schönen in allen Menschen umfasst. Dies ist (mindestens zum Teil) gewährleistet, wenn man den Gemeinsinn als allen Menschen zukommendes Vermögen der Lust am Schönen versteht. Wir haben gesehen, dass der Gemeinsinn kein äußerer Sinn ist. Allerdings ist er, verstanden als Vermögen der Lust am Schönen, auf lichkeit gehört, aber andererseits eine Aktivität des Verstandes und somit Intellektualität involviert. Allerdings ist der Gemeinsinn insofern nicht intellektuell, als er keine begrifflichen Erkenntnisse als Resultat herbeiführt.

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die äußeren Sinne angewiesen. Denn eine Lust am Schönen kann sich nur unter der Bedingung instanziieren, dass eine Vorstellung vom schönen Gegenstand gegeben ist – und das nötige Material dazu, nämlich Sinneseindrücke, erhalten wir nur durch die äußeren Sinne. Da der Geschmack auf das Material der äußeren Sinne angewiesen ist, können wir ihn als Sinn zweiter Ordnung begreifen. Kant bezeichnet den Gemeinsinn als »Wirkung aus dem freyen Spiel unsrer Erkenntnißkräfte« (GS5 bzw. § 20.B.1, 238,13). Die Wirkung aus dem freien Spiel ist aber nichts anderes als die Lust am Schönen, was Kant in § 9 gezeigt hat. 32 Nun ist die Lust am Schönen das gefühlte Bewusstsein (d. h. das ›what it is like‹) des freien Spiels der Erkenntniskräfte; 33 außerdem ist das freie Spiel ein Zustand der inneren Belebung und beinhaltet eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt. Dabei ist es der Aspekt der inneren Belebung, aufgrund dessen wir Lust fühlen; denn Lust allgemein ist das ›what it is like‹ von sich belebenden inneren Aktivitäten. 34 Beziehen wir dies auf den Gemeinsinn als Sinn, so muss dieser auf der Belebung im freien Spiel der Erkenntniskräfte beruhen. Anders formuliert: Die Komponente der Sinnlichkeit im Gemeinsinn ist insofern eine ›Wirkung aus dem freyen Spiel‹, als Letzteres eine »Belebung beider Vermögen (der Einbildungskraft und des Verstandes)« beinhaltet (§ 9.I.5, 219,4). 35 Halten wir zum Gemeinsinn als Sinn das Folgende fest: i. Der Gemeinsinn ist weder ein äußerer Sinn, durch den wir die Außenwelt wahrnehmen, noch gehört er zum inneren Sinn, durch den wir Selbstwahrnehmung betreiben.

Vgl. etwa: »Diese bloß subjective (ästhetische) Beurtheilung des Gegenstandes, oder der Vorstellung wodurch er gegeben wird, geht nun vor der Lust an demselben vorher, und ist der Grund dieser Lust an der Harmonie der Erkenntnißvermögen« (§ 9.F.1, 218,8). Die ›bloß subjective (ästhetische) Beurtheilung‹ steht hier für das freie Spiel der Erkenntniskräfte. Siehe auch die Analyse dieses Satzes in Kap. 9.4. 33 Der Begriff der Wirkung in § 20.B.1 suggeriert, dass zwischen der Lust am Schönen bzw. dem Gemeinsinn und dem freien Spiel der Erkenntniskräfte ein Kausalverhältnis besteht. Für meine Argumentation gegen eine Kausalverknüpfung von Lust und freiem Spiel siehe Kap. 9.6.3. 34 Siehe hierzu Kap. 4.1.1 sowie 9.6.3. 35 Wir werden sehen, dass Kant auch in § 21 (»Ob man mit Grunde einen Gemeinsinn voraussetzen könne«; § 21.T, 238,18) an zentraler Stelle vom »innere[n] Verhältniß zur Belebung (einer [Erkenntniskraft] durch die andere)« spricht (§ 21.A.5, 238,35, m. H.). Siehe die Analyse dieser Passage in Kap. 21.2.4. 32

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ii.

Vielmehr ist der Gemeinsinn das Vermögen der Lust am Schönen. Jede Instanziierung der Lust am Schönen entspringt dem Gemeinsinn. iii. Da die Lust am Schönen eine Vorstellung vom Objekt voraussetzt, wozu wir das Material durch die äußeren Sinne erhalten, ist der Gemeinsinn ein Sinn zweiter Ordnung. iv. Die Lust am Schönen beruht auf der inneren Belebung im freien Spiel der Erkenntniskräfte. Daher beruht die Komponente der Sinnlichkeit (Gemeinsinn) auf der inneren Belebung im freien Spiel.

20.2.2 Zur Gemeinschaftlichkeit des Gemeinsinns Wir haben im Zweiten Moment gesehen, dass Kant Gefühle kennt, die nur Privatgültigkeit beanspruchen, nämlich die Lust am Angenehmen sowie die Unlust am Unangenehmen (und die Rührung). Konsequenterweise müsste man das diesen Gefühlen korrespondierende Vermögen, d. h. den »Sinnengeschmack« (§ 8.B.2, 214,16), als Privatsinn bezeichnen. 36 Fragen wir uns zunächst, was einen Gemeinsinn auszeichnen und von einem solchen Privatsinn unterscheiden muss: Erstens muss ein Gemeinsinn allen Menschen zukommen. Dies ist aber freilich nicht genug; denn auch der Sinnengeschmack kommt allen Menschen zu. Zweitens muss ein Gemeinsinn bei allen Menschen auf dieselbe Art und Weise operieren, d. h. er muss auf derselben Grundlage beruhen und sich auf dieselbe Art und Weise konstituieren. Dies ist schon ein erster Unterschied zum Sinnengeschmack, insofern letzterer auch auf (bloß privatgültigen) Neigungen beruht. Drittens muss ein Gemeinsinn bei allen Menschen in den gleichen Situationen zu gleichen Resultaten führen. Dies bedeutet Für eine kantische Verwendung des Begriffs »Privatsinn« vgl.: »Das einzige allgemeine Merkmal der Verrücktheit ist der Verlust des G e m e i n s i n n e s (sensus communis) und der dagegen eintretende l o g i s c h e E i g e n s i n n (sensus privatus), z. B. ein Mensch sieht am hellen Tage auf seinem Tisch ein brennendes Licht, was doch ein anderer Dabeistehende nicht sieht, oder hört eine Stimme, die kein anderer hört. Denn es ist ein subjektiv-notwendiger Probierstein der Richtigkeit unserer Urteile überhaupt und also auch der Gesundheit unseres Verstandes: daß wir diesen auch an den Ve r s t a n d a n d e r e r halten, nicht aber uns mit dem unsrigen isolieren und mit unserer Privatvorstellung doch gleichsam ö f f e n t l i c h urteilen« (Anth: 219; vgl. auch. Anth: 329).

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für den ästhetischen Gemeinsinn, dass sich die Lust am Schönen bei allen Menschen bei den gleichen gegebenen Vorstellungen instanziiert, wenn die Menschen in ästhetischer Einstellung sind. Dies ist der zentrale Unterschied zum Sinnengeschmack; denn die Lust am Angenehmen instanziiert sich bei verschiedenen Menschen bei ganz verschiedenen gegebenen Empfindungen. 37 Nach GS5 muss auch der Aspekt der Gemeinschaftlichkeit eine ›Wirkung aus dem freyen Spiel unsrer Erkenntnißkräfte‹ sein. Im Zuge meiner Analyse von § 9 habe ich gezeigt, dass es der Aspekt der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt im freien Spiel ist, der die Grundlage für die Allgemeingültigkeit der Lust am Schönen bildet. 38 Ich habe dabei bereits dargelegt, dass diese Zusammenstimmung (a) als (geglückte) Subsumtion, (b) als zweckmäßiges Zusammenwirken von Einbildungskraft und Verstand sowie (c) als aktive Urteilskraft zu verstehen ist. Die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt ist insofern allgemeingültig, als sie die »subjective Bedingung des Erkennens« ist (§ 21.A.2, 238,28). 39 Der Gemeinsinn als Wirkung aus dem freien Spiel beinhaltet die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt und entlehnt seine Gemeinschaftlichkeit daraus. 40

In diesem Kontext ist erhellend, dass auch die fünf äußeren Sinne in gewisser Hinsicht bloß Privatsinne sind und dass dies unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass sie privatgültige Resultate (d. h. Empfindungen) hervorbringen: »Wenn Empfindung, als das Reale der Wahrnehmung, auf Erkenntniß bezogen wird, so heißt sie Sinnesempfindung; und das Specifische ihrer Qualität läßt sich nur als durchgängig auf gleiche Art mittheilbar vorstellen, wenn man annimmt, daß jedermann einen gleichen Sinn mit dem unsrigen habe: dieses läßt sich aber von einer Sinnenempfindung schlechterdings nicht voraussetzen. So kann dem, welchem der Sinn des Geruchs fehlt, diese Art der Empfindung nicht mitgetheilt werden; und, selbst wenn er ihm nicht mangelt, kann man doch nicht sicher seyn, ob er gerade die nämliche Empfindung von einer Blume habe, die wir davon haben« (291,23). 38 Wie schon früher verwende ich die Wendung ›Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt‹ bzw. ›Stimmung zur Erkenntnis überhaupt‹ als verkürzte Bezeichnung für die (zweckmäßige) Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand, die als notwendige (subjektive) Bedingung für jede Erkenntnis erforderlich ist. Für eine Analyse der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt siehe Kap. 9.3.4. 39 Vgl.: »indem wir uns bewußt sind, daß dieses zum Erkenntniß überhaupt schickliche subjective Verhältniß eben so wohl für jedermann gelten und folglich allgemein mittheilbar seyn müsse, als es eine jede bestimmte Erkenntniß ist, die doch immer auf jenem Verhältniß als subjectiver Bedingung beruht« (§ 9.E.1, 218,3). 40 Wie dies genau vonstattengeht, werde ich in Grundlagen 5 erläutern (siehe vor allem Kap. G5.2). 37

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Ich werde auf den Aspekt der Gemeinschaftlichkeit des Gemeinsinns noch genauer bei meiner Analyse von § 21 eingehen; denn in der dort vorgenommenen Argumentation spielt dieser Aspekt eine herausragende Rolle. Halten wir aber zunächst das Folgende fest: i. Die Gemeinschaftlichkeit des Gemeinsinns bedeutet, dass alle Menschen über dieses Vermögen verfügen, dass es bei allen Menschen auf dieselbe Art und Weise operiert und dass es bei allen Menschen in den gleichen Situationen zum gleichen Resultat führt. ii. Die Gemeinschaftlichkeit des Gemeinsinns beruht auf der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, die sich im freien Spiel instanziiert. Ich habe soeben jeweils getrennt erläutert, was die Aspekte der Sinnlichkeit und Gemeinschaftlichkeit bedeuten. Dadurch soll keineswegs der Eindruck erweckt werden, diese beiden Aspekte des Gemeinsinns seien voneinander trennbar. Vielmehr beruhen sie auf ein und demselben Gemütszustand, nämlich dem freien Spiel der Erkenntniskräfte. Im Gemeinsinn, der ja die Wirkung aus dem freien Spiel ist, sind die beiden Aspekte der Sinnlichkeit und Gemeinschaftlichkeit vereinigt. Dies bedeutet nichts anderes, als dass der Sinn selbst gemeinschaftlich oder eben ein Gemeinsinn ist. Anders formuliert ist der Gemeinsinn nichts anderes als das Vermögen eines gemeinschaftlichen Gefühls der Lust. Ferner umfasst der Gemeinsinn als Vermögen der Lust am Schönen alle Charakteristika dieser Lust, die Kant zuvor identifiziert hat (Uninteressiertheit, Freiheit, Allgemeingültigkeit). Da sich diese Lust durch das freie Spiel konstituiert, ist der Gemeinsinn zudem auch das Vermögen des freien Spiels der Erkenntniskräfte. Im freien Spiel instanziiert sich durch die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt eine subjektive Zweckmäßigkeit der gegebenen Vorstellung. In diesem Sinne umfasst der Gemeinsinn als Vermögen der Lust am Schönen und des freien Spiels alle Aspekte des Schönen, die Kant in den vorhergehenden Momenten und Paragraphen identifiziert hat. Aus diesem Grund kann Kant zum Ende von § 22 schreiben: »[wir] haben vor jetzt nur das Geschmacksvermögen in seine Elemente aufzulösen, und sie zuletzt in der Idee eines Gemeinsinns zu vereinigen« (§ 22.B.2, 240,13). Aus diesem Zitat geht auch hervor, dass der Gemeinsinn letztlich nichts anderes ist, als das Geschmacksvermögen bzw. der Geschmack, von dem ausgehend Kant seine Analyse des 1080

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Schönen begonnen hat. In diesem Sinne ist der Gemeinsinn das begrifflich genauer bestimmte Geschmacksvermögen. 41

20.2.3 Zum Gemeinsinn als Idee Betrachten wir nun GS6: GS6 Der Gemeinsinn ist eine Idee. (§ 20.T) 42

Unter einer Idee versteht Kant bekanntermaßen »einen notwendigen Vernunftbegriff, dem kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kann« (A327/B383). Nun ist der Gemeinsinn aber das Vermögen der Lust am Schönen und, da ein Gefühl etwas Sinnliches ist – wir fühlen ja Lust –, ist uns die Lust am Schönen doch augenscheinlich ›in den Sinnen gegeben‹. Instanziierungen des Gemeinsinns sind uns also sehr wohl sinnlich gegeben, und der Gemeinsinn, so scheint es, kann nicht den Status einer Idee innehaben. Diese Schwierigkeit lässt sich allerdings dadurch lösen, dass wir uns an die beiden Aspekte des Gemeinsinns erinnern. Insofern der Gemeinsinn durch Sinnlichkeit ausgezeichnet ist, kann er uns als gefühlte Lust am Schönen sinnlich gegeben werden. Als gemeinschaftliches Vermögen kann er uns jedoch nicht sinnlich gegeben werden und ist eine Idee. Was uns nicht sinnlich gegeben werden kann, ist dies, dass alle Menschen dasselbe Vermögen der Lust am Schönen haben, welches in den gleichen Situationen auf dieselbe Art und Weise aktiv wird. Das einzige, was uns in dieser Hinsicht sinnlich gegeben ist, ist ein gefühltes Bewusstsein der Verbundenheit mit unseren Mitmenschen in der Lust am Schönen (phänomenale Komponente der Allgemeingültigkeit). 43 Dieses phänomenale Bewusstsein der Allgemeingültigkeit kann aber nicht als empirische Anschauung der Gemeinschaftlichkeit des Gemeinsinns gelten. Vielmehr würde eine solche empirische AnDer Gemeinsinn und der Geschmack sind zudem dasselbe wie die ästhetische Urteilskraft. Vgl.: »daß der Geschmack mit mehrerem Recht sensus communis genannt werden könne, als der gesunde Verstand; und daß die ästhetische Urtheilskraft eher als die intellectuelle den Namen eines gemeinschaftlichen Sinnes führen könne, wenn man ja das Wort von einer Wirkung der bloßen Reflexion auf das Gemüth brauchen will« (295,21). 42 Vgl. auch § 22.B.2, 240,13. – Darüber hinaus bezeichnet Kant den Gemeinsinn als »idealische Norm« (§ 22.A.3, 239,26). 43 Zur Allgemeingültigkeit als Teil des phänomenalen Gehalts der Lust siehe Kap. G1.2.3. 41

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schauung darin bestehen, dass de facto eine allgemeine Übereinstimmung bezüglich der Schönheit spezifischer Gegenstände bestünde. Dazu hatte Kant in § 18 bemerkt, dass für eine »Einhelligkeit der Urtheile über die Schönheit eines gewissen Gegenstandes« »die Erfahrung […] schwerlich hinreichend viele Beläge schaffen würde« (§ 18.A.7–8, 237,14). Damit stehen wir wieder vor einer Art von Paradox: Einerseits herrscht in der Erfahrung selten oder nie Einhelligkeit bezüglich der Schönheit von Gegenständen – wir erfahren in diesem Sinne keine Gemeinschaftlichkeit –, andererseits müssen wir einen ästhetischen Gemeinsinn als Idee annehmen. Halten wir zum Gemeinsinn als Idee die beiden folgenden Überlegungen fest: i. Der Gemeinsinn hat als sinnliches Vermögen einen Niederschlag in der Erfahrung. Wir fühlen die Lust am Schönen, die eine Instanziierung des Gemeinsinns ist. ii. Der Gemeinsinn als gemeinschaftliches Vermögen kann nicht in der Erfahrung gegeben werden. Wir erfahren nicht, dass alle Menschen unseren Geschmacksurteilen immer zustimmen. Der Gemeinsinn ist daher eine Idee.

20.3 Der Gemeinsinn als subjektives Prinzip des Geschmacksurteils In § 19 hat Kant die These eingeführt, das Geschmacksurteil sei (subjektiv) bedingt (»Die subjective Nothwendigkeit, die wir dem Geschmacksurtheile beylegen, ist bedingt«; § 19.T, 237,20). Eine bedingte Notwendigkeit setzt etwas empirisch Gegebenes als Bedingung voraus. 44 Als Sinn, der einen Niederschlag in der Sinnlichkeit hat, ist der Gemeinsinn etwas empirisch Gegebenes. Als Vermögen zur Lust am Schönen ist er erstens die Bedingung dafür, dass wir überhaupt ein Geschmacksurteil fällen können. Als gemeinschaftliches Vermögen ist er die Bedingung für die Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils; inwiefern der Gemeinsinn aber auch für die Notwendigkeit des Geschmacksurteils sorgen kann, werden wir erst im nächsten Unterkapitel darlegen. Drittens ist der Gemeinsinn zusätzlich zur gegebenen Vorstellung vom Objekt eine weitere Bedingung des Geschmacksurteils. In dieser Hinsicht ist er eine Bedingung »nach 44

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Siehe hierzu Kap. 19.3.

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Zusammenfassung

allen Datis, die zur Beurtheilung erfordert werden« (§ 19.A.2, 237,25). Ich habe ferner dargelegt, dass die subjektive Bedingung der Notwendigkeit des Geschmacksurteils einerseits subjektintern, andererseits intersubjektiv sein muss. Ersteres wird dadurch erfüllt, dass der Gemeinsinn ein Sinn bzw. ein Vermögen zu einem Gefühl ist; die Intersubjektivität wird dadurch gewährleistet, dass der Gemeinsinn gemeinschaftlich ist. Kommen wir zum Gemeinsinn als subjektivem Prinzip. 45 Wir haben gesehen, dass ein subjektives Prinzip, wie jedes Prinzip, als Obersatz in einer Art von Syllogismus fungieren muss. Da das subjektive Prinzip zudem die Grundlage dafür bilden soll, dass das Geschmacksurteil über Notwendigkeit verfügt, muss es eine Art von apriorischem Prinzip sein. Inwiefern der Gemeinsinn beide Kriterien erfüllt, werde ich im nächsten Unterkapitel zeigen. Wir können jedoch bereits gut nachvollziehen, dass das Geschmacksurteil durch ein Gefühl bestimmt, was schön ist; denn der Gemeinsinn ist das Vermögen der Lust am Schönen. Auch die Tatsache, dass das subjektive Prinzip nicht durch Begriffe bestimmt, was schön ist, wird dadurch verständlich, dass der Gemeinsinn ein Vermögen zu einem Gefühl und keine begriffliche Proposition bzw. kein begriffliches Vermögen (wie der Verstand) ist. Wir können damit insgesamt nachvollziehen, inwiefern der Gemeinsinn eine subjektive Bedingung für das Geschmacksurteil und inwiefern er subjektiv sowie nicht-begrifflich ist. Unklar ist aber noch, inwiefern der Gemeinsinn eine Bedingung für die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist und inwiefern er als Prinzip im engen Sinne verstanden werden kann.

20.4 Zusammenfassung Weil das Geschmacksurteil einerseits Sinnlichkeit voraussetzt und andererseits Notwendigkeit beansprucht, bedarf es eines Prinzips, aus dem es abgeleitet wird. Da das Geschmacksurteil ein ästhetisches Urteil ist, in dem keine Eigenschaft des Objekts (oder Subjekts) prädiziert wird, kann das Prinzip kein objektives, begriffliches Prinzip sein (wie etwa »Alles, was die Eigenschaft p hat, ist schön«). Stattdessen muss das Geschmacksurteil aus einem subjektiven Prinzip abge45

Siehe zum subjektiven Prinzip Kap. 19.2.

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leitet werden. Wie alle Prinzipien muss dieses als Obersatz in einer Art von Syllogismus fungieren. Da es ferner die Grundlage für die notwendige Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils bilden soll, muss es eine Art von apriorischem Status aufweisen. Das subjektive Prinzip bestimmt nicht durch Begriffe, was schön ist, d. h. es erfasst keine Eigenschaft des Objekts (oder urteilenden Subjekts) durch einen Begriff. Es ist darüber hinaus nicht einmal eine Proposition. Vielmehr bestimmt es durch ein Gefühl, was schön ist. Dabei muss es alle Instanziierungen der Lust am Schönen in allen Urteilenden umfassen. Die Rolle des subjektiven Prinzips des Geschmacksurteils wird vom Gemeinsinn eingenommen. Dieser ist durch die beiden Komponenten der Sinnlichkeit und der Gemeinschaftlichkeit ausgezeichnet. Er ist insofern ein Sinn und gehört zur Sinnlichkeit, als er das Vermögen zur Lust am Schönen ist. Jede Instanziierung der Lust am Schönen entspringt dem Gemeinsinn; und in dieser Hinsicht ist der Gemeinsinn in der Erfahrung gegeben. Die Komponente der Sinnlichkeit beruht auf der inneren Belebung im freien Spiel der Erkenntniskräfte. Die Gemeinschaftlichkeit des Gemeinsinns bedeutet, dass alle Menschen über den Gemeinsinn verfügen, dass er bei allen Menschen auf dieselbe Art und Weise operiert und dass er bei allen Menschen in den gleichen Situationen zum gleichen Resultat führt. Da im Bereich des Empirischen gerade nicht alle Menschen bezüglich der Schönheit bestimmter, geschweige denn aller schönen Gegenstände übereinstimmen, ist der Gemeinsinn aufgrund seiner Gemeinschaftlichkeit eine bloße Idee. Die Komponente der Gemeinschaftlichkeit beruht auf der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, die sich im freien Spiel instanziiert. Zusammengenommen ist der Gemeinsinn das Vermögen der gemeinschaftlichen Lust am Schönen sowie das Vermögen des freien Spiels der Erkenntniskräfte.

20.5 Literaturbericht Es ist recht unstrittig, warum das Geschmacksurteil kein objektives Prinzip haben kann. Dazu erläutert Guyer: »it [aesthetic judgment] cannot have a determinate objective principle, one which links beauty to other properties of objects by logically universal rules« (Guyer 1979, 280). Schwieriger ist bereits die Frage, warum Geschmacksurteile überhaupt ein Prinzip haben müssen. Wenn überhaupt wird diese Frage nur sehr oberflächlich behan-

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Literaturbericht

delt. Allison schreibt: »The underlying premise is that the claim of an exemplary necessity, like any necessity claim, must rest on some principle« (Allison 2001, 148; vgl. ähnlich Guyer 1979, 280). Bei Wenzel heißt es: »There must be a principle based on which I can be justified in my demand for assent« (Wenzel 2008, 83). Keiner dieser Autoren zieht jedoch in Betracht, dass ein Prinzip bei Kant normalerweise ein Obersatz in einem Syllogismus ist. Sehr erstaunlich ist, dass der Begriff des subjektiven Prinzips selten aufgegriffen wird. Manche AutorInnen identifizieren das subjektive Prinzip mit dem freien Spiel (vgl. Kulenkampff 1994, 104; Guyer 1979, 163 f.), andere mit dem Gemeinsinn (vgl. Crawford 1974, 126; Savile 1993, 34). Matthews erläutert: »This principle must be one in which we determine the object through feeling« (Matthews 1997, 46). Ähnlich schreibt Guyer: »It [aesthetic judgment] can have only a ›subjective principle,‹ which allows one to determine what pleases or displeases with universal validity, but through feeling rather than concepts« (Guyer 1979, 280). Savile, der das subjektive Prinzip mit dem Gemeinsinn identifiziert, bindet dessen Subjektivität an die Konzeption einer geteilten inneren Notwendigkeit: »it is on the supposition of a shared inner sense of necessity that we rely to convert our agreement from ones that are merely fortuitous to ones that are genuinely objective. The shared inner necessity makes for agreement about objects; without that underlying disposition, we should get nowhere. The principle as read is quite as subjective as Kant requires« (Savile 1993, 34). Die zentrale Frage ist, was unter dem (ästhetischen) Gemeinsinn zu verstehen ist. Es ist daher bemerkenswert, dass manche AutorInnen auf den Gemeinsinn gar nicht eingehen, nämlich Kern (2000) – sie zitiert nur die Wendung des »gemeinschaftliche[n] Gefühl[s]« (Kern 2000, 38) – sowie McCloskey (1987). Guyer unterscheidet zwar drei Bedeutungen des Gemeinsinns (»The common sense, it seems, is both a shared feeling of pleasure and the faculty for judging that such a feeling is shared, as well as the principle on which the exercise of this faculty rests«; Guyer 1979, 281); insgesamt polemisiert er jedoch: »Kant’s introduction of the phrase ›common sense‹ neither changes the task of the deduction nor advances his argument. It is a needless complexity« (Guyer 1979, 282). Im allgemeinsten Verständnis wird der Gemeinsinn, etwa von Wenzel, als »ein gemeinschaftliches Gefühl« bestimmt (Wenzel 2000, 114). 46 Ähnlich allgemein schreibt Allison: »it is a sense (or feeling) for what is universally communicable, which can Er beschreibt folgendes Begründungsverhältnis: »Jedoch erklärt er [Kant] nicht etwa die Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit des Geschmacksurteils aus diesem Gemeinsinn, sondern eher umgekehrt. Der Gemeinsinn wird bei Kant aus dem Geschmacksurteil und dessen Gründen erklärt!« (Wenzel 2000, 114) Dabei unterscheidet Wenzel offenkundig nicht zwischen der epistemischen und der vermögenstheoretischen Argumentationsstrategie.

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also be assumed to be universally shared« (Allison 2001, 149). Die beiden Elemente der Sinnlichkeit im Sinne eines Gefühls und der Allgemeingültigkeit stellen auch Rivera de Rosales (2008, 96) sowie Matthews (1997, 99) heraus. Auch Zuckert hebt die beiden Aspekte des Gemeinsinns hervor und führt den Aspekt der Gemeinschaftlichkeit auf die Harmonie der Erkenntniskräfte zurück: »Kant’s main strategy concerning common sense is to argue that it is a feeling that is shared by all subjects because each subject must be able to feel (and to communicate) the harmony between her faculties that produces cognition« (Zuckert 2007, 336). Brandt, der ebenfalls beide Aspekte anführt, parallelisiert den Gemeinsinn mit dem Gemeinbesitz im Bereich des Rechtlichen: »An die Stelle des allgemeinen Willens tritt in der Ästhetik das allgemeine Gefühl; dieser sensus communis ist in gleicher Weise eine Voraussetzung der Urteilsanmaßung wie der Gemeinbesitz im Hinblick auf das korrespondierende Urteil ›Dies ist mein‹« (Brandt 1998, 243). Nachtsheim fasst die beiden Aspekte des Gemeinsinns folgendermaßen: »Er ist als ein Sinn das ästhetische Gefühl im subjektiven Verstande, also das Vermögen, jenes Gefühl, welches in der Erfahrung des Schönen die Wirkung des freien Spiels der Erkenntniskräfte ist, zu empfinden; als Gemeinsinn ist er als ein bei allen menschlichen Subjekten anzunehmendes gleiches Vermögen, die proportionierte Stimmung der Erkenntniskräfte in der ästhetischen Reflexion der Urteilskraft zu empfinden« (Nachtsheim 2015a, 747). Die Gemeinschaftlichkeit bloß im Sinne des Umstandes zu verstehen, dass alle Menschen den Gemeinsinn besitzen, scheint mir jedoch zu schwach; denn um die Allgemeingültigkeit der Lust bzw. des Geschmacksurteils zu begründen, muss der Gemeinsinn ja auch bei allen Menschen in den gleichen Situationen zum gleichen Resultat führen. Einen stärkeren Begriff von Gemeinschaftlichkeit nutzt Zammito: »the subject believes the way he responded is the way anyone else could, would, and should. If pressed to justify this last belief, the subject would have recourse to the notion of a ›common sense‹ (sensus communis), that is, that he is only expressing what all humans feel and judge, given only that they abstract from their preferences« (Zammito 1992, 116 f.). Savile bindet die Gemeinschaftlichkeit an einen idealen Urteilenden: »my reflectivelycontrolled subjective impulse to make the judgment that I do, my propensity to find here, should stem from a psychology that I have sufficiently extensively in common with those whom I take to be normative in the matter, and as holding the position which he speaks of as ideal. To say that the judgment of taste depends on presupposing the existence of a common sense (§ 20.2) is one way of putting this« (Savile 1993, 33). Die beiden Aspekte des Gemeinsinns werden von Zhouhuang anhand der Begriffe der Intra- und Intersubjektivität erläutert: »Der von Kant revidierte traditionelle Begriff des sensus communis kombiniert daher sowohl die intrasubjektive und intersubjektive Perspektive als auch die beiden entgegengesetzt erscheinenden Eigenschaften des Geschmacksurteils (die all-

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gemeine Gültigkeit und die gefühlte Sinnlichkeit)« (Zhouhuang 2016, 95). Ähnlich erläutert Sweet: »For Kant, the sensus communs is both a sense for the state of one’s mind and, at the same time, a sense that other people will feel the same thing, have the same feeling about their own state of mind. In this, it is both a feeling that relates to one’s internal state and also a feeling that casts itself out over the whole of humanity« (Sweet 2018, 144). 47 Das intrasubjektive Moment des Gemeinsinns betont Kern: »Wenn ich mich in meinem Urteil über das Schöne auf einen Gemeinsinn berufe, dann heißt dies im Unterschied zur Berufung auf objektive Begriffe nicht, daß ich mein Urteil damit auf einen Maßstab beziehe, der sich außerhalb meines Urteilens befindet, sondern es heißt umgekehrt, daß ich mein Urteil damit auf einen Maßstab beziehe, der in meinem Fühlen und Urteilen selber liegt« (Kern 2002, 87 f.). Das intersubjektive Moment hebt Makkreel hervor, wenn er schreibt: »Kant assumes that the sensus communis postulated by taste represents a universal community)«; sodann kritisiert er allerdings: »we merely expect a general sharing that may in fact be less inclusive« (Makkreel 2006, 233 f.). Wenzel deutet schließlich die Gemeinschaftlichkeit des Gemeinsinns nicht nur im Sinne der Intersubjektivität, sondern auch im Sinne der intrasubjektiven Vereinigung verschiedener Vermögen, womit er an die aristotelische Tradition des Gemeinsinns anschließt (vgl. Wenzel 2008, 85). Einige AutorInnen bestimmen den Gemeinsinn vor allem von seiner vermögenstheoretischen Grundlage her. So formuliert Longuenesse: »By ›common sense‹ he [Kant] means ›not any external sense, but rather the effect of the free play of our cognitive powers‹ (§ 20, 238), that is to say, the feeling that we have of this free play and of its universal communicability« (Longuenesse 2006, 214; vgl. ähnlich Pollok 2017, 299; Wenzel 2008, 83; sowie Wieland 2001, 284). Esser bestimmt den Gemeinsinn als »eine allgemeine Reflexion […], die ein Lustgefühl als Bestimmungsgrund ästhetischer Urteile notwendig zur Folge hat«, sowie als »›Vermögen der Urteilskraft‹, wenn sie von ihrer Wirkung her beschrieben wird« (Esser 1997, 63; vgl. auch Esser 1995a, 19). Andere AutorInnen verstehen den Gemeinsinn im Sinne des Befolgens spezifischer Maximen bzw. der Implementierung eines spezifischen Verfahrens. So erläutert Crawford: »Thus the principle of taste is just a common sense – the ability to limit one’s powers of judgment to a feeling based on what is universally communicable – the form – and abstract from all other factors. […] Since this procedure of the power of judgment must also be exercised in all judgments, including cognitive judgments, we are justified in assuming a common sense« (Crawford Sweet nimmt darüber hinaus die folgende Abgrenzung vor: »On the one hand, the sensus communis does not refer us to some universal standpoint. It is not distinguished in this way as a principally moral perspective. On the other hand, neither does it refer to cultural norms or mores. It is not empirically driven« (Sweet 2018, 145).

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1974, 131). Kulenkampff bezieht den Gemeinsinn auf die Anwendung der drei Maximen aus § 40, nämlich »1. Selbstdenken; 2. An der Stelle jedes andern denken; 3. Jederzeit mit sich selbst einstimmig denken« (294,16). Er erläutert: »die im sensus communis gedachten Normen beziehen sich in diesen Fällen gar nicht positiv auf den Inhalt der Urteile, sondern nur formal auf den Urteilsprozeß: sie drücken sich in gewissen Maximen aus, die den Urteilsprozeß leiten sollen und die die Transzendierung der Privatbedingungen garantieren (vergl. KdU 158). […] Auf diese Weise wäre erklärt, worin der Geltungsanspruch des Geschmacksurteils besteht, nämlich darin, nach allgemeinen und nicht bloß subjektiven Maximen zum Urteil gekommen zu sein« (Kulenkampff 1994, 109; vgl. auch 226). An anderer Stelle spricht Kulenkampff vom Gemeinsinn als einer »methodische[n] […] Norm […], die jeder, der ein Geschmacksurteil zu fällen vorgibt, wohl weniger voraussetzen als vielmehr anerkennen müßte« (Kulenkampff 1995, 45) – und er spezifiziert diese als »methodische[.] Norm einer nichtidiosynkratischen Weltbetrachtung« (Kulenkampff 1995, 47). Das Problem solcher Deutungen des Gemeinsinns im Sinne einer methodischen Norm ist freilich, dass diese Normen zwar Faktoren ausschließen können, durch die ein Urteil oder Gefühl bloß privatgültig sein würde, dass sie aber keine positive Grundlage für die Allgemeingültigkeit des Urteils bzw. der Lust zur Verfügung stellen. Mit dieser Problematik scheint mir auch die Interpretation Makkreels behaftet, nach welcher der Gemeinsinn für eine intersubjektive Perspektive steht (vgl. Makkreel 1997, 202 f.): »Das Verständnis des anderen hängt vielmehr ab von der Erweiterung des eigenen Denkens, die sich darauf gründet, daß Möglichkeiten vorgestellt werden, die nicht bloß Variationen des Selbst sind. […] wir [sollen] eine mögliche vermittelnde Position projizieren, die weder wir selbst noch der andere tatsächlich einnehmen« (Makkreel 1997, 205). Vossenkuhl betont, dass der Gemeinsinn »selbstnormierend« wirke und »eine Praxis, eine Tätigkeit, die Urteilspraxis, die Übung des ästhetischen Urteilens« sei (Vossenkuhl 1995, 116 f.). Dabei argumentiert er, dass es »nur ein einziges logisches Urteilssubjekt« gebe, weshalb die Selbstnormierung durch den Gemeinsinn solipsistisch sei (Vossenkuhl 1995, 118). Daran ist jedoch problematisch, dass der Gemeinsinn in seiner Äußerung des Gefühls gerade nicht auf ein subjektübergreifendes Urteilssubjekt verweist, sondern an das konkrete, fühlende Individuum gebunden ist. Erwähnenswert ist noch Zinkins Interpretation, die den Gemeinsinn als Form der intensiven Größen versteht: »just as there is an a priori form of spatial intuition, there is also an a priori form of the intuition of intensive magnitudes. This […] is the sensus communis. When what is intuited by the sensus communis is not an object of the external senses but the inner state of the subject, then it is the basis of a pure aesthetic judgment« (Zinkin 2006, 151 f.). Zur Gemeinschaftlichkeit erläutert sie: »The sensus communis thus makes possible the communicability of a judgment by enabling us to see what in our own private judgment would be

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held in common with others. […] It does not sense others’ mental states directly; it is a sense for our own mental state that can determine whether this state is something that we can have in common with others« (Zinkin 2006, 157 f.). Zinkins Position bedürfte einer längeren Diskussion. Wir wollen uns hier auf drei Schwierigkeiten beschränken: Erstens ist die herausgehobene Rolle, die Zinkin der ästhetischen Normalidee zuschreibt, äußerst problematisch (vgl. Zinkin 2006, 153 ff.); zweitens scheint nicht klar, warum die Lust am Schönen eine »pure intensive intuition« sein sollte (Zinkin 2006, 151, m. H.), obwohl diese Lust als Gefühl doch etwas Sinnliches ist; drittens vertritt Zinkin eine übergreifende, d. h. nicht spezifisch ästhetische Konzeption des Gemeinsinn (vgl. Zinkin 2006, 158). Es stellt sich noch die Frage, inwiefern der Gemeinsinn eine Idee ist. Crawford erläutert dazu: »The common sense is an idea, in Kant’s terminology, because it can never be adequately met in experience. An idea is neither abstracted from sense experience nor fully applicable to sense experience. An idea has its origin in the understanding alone and transcends the possibility of experience; nonetheless, it serves as a foundation for some form of human experience. In the Critique of Judgment, the idea of a universal voice or a common sense serves as the foundation for the claim to universal validity on the part of judgments of taste« (Crawford 1974, 130 f.). Aus diesen Ausführungen geht aber nicht hervor, inwiefern der Gemeinsinn den Status einer Idee aufweist. Dieses Problem betrifft auch die Ausführungen Wielands, der nur erläutert, dass der Gemeinsinn »[e]iner Idee lediglich vergleichbar« sei, weil er kein Begriff sei (Wieland 2001, 272). Nachtsheim spezifiziert, die Idealität des Gemeinsinns beziehe sich auf die allgemeine Anerkennung von Geschmacksurteilen: »Der Gemeinsinn ist vielmehr eine ›idealische Norm‹ (5:239), eine Idee richtigen Urteilens durch den Geschmack, welche eine ideale Notwendigkeit der Anerkennung jedes Geschmacksurteils legitimiert, das jener Norm gemäß gefällt wurde« (Nachtsheim 2015a, 747). Dass sich die Idealität des Gemeinsinns auf die de facto allgemeine Zustimmung bezieht, habe auch ich vertreten. Brandt und Rivera de Rosales verstehen den Gemeinsinn als Forderung und binden seinen Status als Idee daran. So schreibt Brandt: »Das Geschmacksurteil setzt den sensus communis aestheticus voraus, und zwar nicht als ein Faktum, sondern als eine Forderung und Idee« (Brandt 1998, 242). Und für Rivera de Rosales ist der Gemeinsinn »selbst eine Aufgabe, kein fertiges Ding oder Können, sondern etwas gemeinsam zu Bildendes« (Rivera de Rosales 2008, 97). Dagegen vertrete ich die These, dass der Gemeinsinn keine Forderung ist und wir ihn nicht erst hervorbringen müssen, sondern dass wir bereits über ihn (als konstitutives Prinzip) verfügen. 48 Allison geht nur auf den Begriff der idealischen Norm (§ 22) ein: »Presumably, the ideality of this Siehe die Ausführungen zum Gemeinsinn als konstitutives oder regulatives Prinzip in Kap. 22.4.

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norm stems from the fact that it dictates how everyone ought to judge, rather than predicting how they will in fact judge, and in this respect it is analogous to the categorical imperative« (Allison 2001, 156).

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Grundlagen 5: Der gefühlte Syllogismus des Geschmacks

Ich habe im letzten Kapitel bereits das Folgende zum Gemeinsinn ausgeführt: 1 Er ist insofern ein Sinn und gehört zur Sinnlichkeit, als er das Vermögen zur Lust am Schönen ist; diese Komponente gründet sich auf die Belebung im freien Spiel. Er verfügt zudem über die Komponente der Gemeinschaftlichkeit, d. h. er kommt allen Menschen zu, operiert bei allen Menschen auf dieselbe Art und Weise und führt in den gleichen Situationen zum gleichen Resultat. Diese Komponente gründet sich auf die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, die im freien Spiel statthat. Insgesamt ist der Gemeinsinn das Vermögen zur allgemeingültigen Lust am Schönen sowie das Vermögen des freien Spiels der Erkenntniskräfte. Damit sind aber noch nicht alle Fragen beantwortet: Erstens konnten wir noch nicht abschließend klären, warum der Gemeinsinn in den gleichen Situationen, d. h. bei denselben gegebenen Gegenständen, bei allen Menschen zu einer Lust am Schönen führt. (Diesem Problem werde ich mich im nächsten Kapitel zuwenden.) 2 Zweitens ist noch offen, wie der Gemeinsinn dafür sorgen kann, dass das Geschmacksurteil über notwendige Allgemeingültigkeit verfügt. Drittens stellt sich die folgende Frage: Inwiefern fungiert der Gemeinsinn als ein (subjektives) Prinzip? Darüber hinaus möchte ich in diesem Kapitel noch eine weitere Frage beantworten, die man vielleicht nicht unmittelbar mit dem Gemeinsinn in Verbindung bringt: Inwiefern ist das Geschmacksurteil ein synthetisches Urteil a priori, obwohl es doch offenkundig die empirische Vorstellung vom Objekt sowie ein sinnlich gegebenes Gefühl der Lust voraussetzt? Um diese Fragen zu beantworten, werde ich mich einer Analogie bedienen. Ich werde zunächst in Grundzügen nachzeichnen, warum Erfahrungsurteile notwendige Allgemeingültigkeit beanspruchen

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Siehe Kap. 20.2. Siehe Kap. 21.4.

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können und welche Rolle dabei die Kategorien sowie die Grundsätze des reinen Verstandes spielen.

G5.1 Zur Rolle der Grundsätze des reinen Verstandes für Erfahrungsurteile In den Prolegomena entfaltet Kant seine Theorie der Erfahrungsurteile. Dabei grenzt er die Erfahrungsurteile von den Wahrnehmungsurteilen ab – eine Differenzierung, die in der Sekundärliteratur freilich hoch umstritten ist. 3 Sowohl Erfahrungsurteile als auch Wahrnehmungsurteile sind empirische Urteile, d. h. sie haben »ihren Grund in der unmittelbaren Wahrnehmung der Sinne« (Prol: 297). Während aber Wahrnehmungsurteile »nur s u b j e k t i v g ü l t i g sind«, d. h. nur Privatgültigkeit haben, beanspruchen Erfahrungsurteile »o b j e k t i v e G ü l t i g k e i t « (Prol: 298). Unter ›objektiver Gültigkeit‹ versteht Kant in diesem Kontext »nichts anderes als die notwendige Allgemeingültigkeit« (Prol: 298). Damit liegt ein Unterschied zur KU vor; denn Geschmacksurteile beanspruchen subjektive Allgemeingültigkeit und subjektive Notwendigkeit. Dieser Unterschied soll uns hier aber nicht weiter interessieren. Vielmehr interessiert uns der Grund, warum Erfahrungsurteile über notwendige Allgemeingültigkeit verfügen. Kant erläutert, dass Erfahrungsurteile »besondere, i m Ve r s t a n d e u r s p r ü n g l i c h e r z e u g t e B e g r i f f e [erfordern], welche es eben machen, daß das Erfahrungsurteil o b j e k t i v g ü l t i g ist« (Prol: 298). Klarerweise sind mit diesen Begriffen die Kategorien gemeint, die Kant kurz darauf in der Kategorientafel auflistet. 4 Die Kategorien sind also der Grund dafür, dass Erfahrungsurteile über objektive Gültigkeit, d. h. notwendige Allgemeingültigkeit, verfügen. Wie müssen wir uns dies aber genau vorstellen? Die Kategorien können nicht unmittelbar auf empirische Anschauungen angewendet werden; denn »reine Verstandesbegriffe [sind], in Vergleichung mit empirischen (ja überhaupt sinnlichen) Es erklärt sich von selbst, dass ich im Rahmen dieses Kommentars nicht näher auf die Kritik an dieser Differenzierung eingehen kann. Für eine solche Kritik siehe Pollok (2012); für eine Reaktion auf einige Kritikpunkte siehe M. Wolff (2012). Für einen kurzen Überblick über zentrale Kritikpunkte siehe auch Prien 2015, 535. 4 Siehe Prol: 303. 3

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Zur Rolle der Grundsätze des reinen Verstandes für Erfahrungsurteile

Anschauungen, ganz ungleichartig« (A137/B176). Es bedarf daher einer vermittelnden Instanz. Diese Funktion kommt den Schemata der reinen Verstandesbegriffe zu. Ein Schema ist »einerseits i n t e l l e k t u e l l , andererseits s i n n l i c h « (A138/B177), sodass es zwischen den Kategorien als reinen Begriffen und den empirischen Anschauungen vermitteln kann. Nun werden die Schemata mittels der Grundsätze des reinen Verstandes, in die sie eingebettet sind, auf Anschauungen angewendet. Zu dieser Anwendung der Grundsätze auf die Anschauung schreibt Kant in den Prolegomena: »Es geht also noch ein ganz anderes Urteil voraus, ehe aus Wahrnehmung Erfahrung werden kann. Die gegebene Anschauung muß unter einem Begriff subsumiert werden, der die Form des Urteilens überhaupt in Ansehung der Anschauung bestimmt, das empirische Bewußtsein der letzteren [Anschauung] in einem Bewußtsein überhaupt verknüpft und dadurch den empirischen Urteilen Allgemeingültigkeit verschafft; dergleichen Begriff ist ein reiner Verstandesbegriff a priori« (Prol: 300).

Mit dem ›ganz anderen Urteil‹ muss ein Grundsatz des reinen Verstandes gemeint sein, der eine Kategorie, d. h. einen reinen Verstandesbegriff, beinhaltet. Mittels dieses Grundsatzes subsumieren wir die ›gegebene Anschauung‹ unter einen reinen Verstandesbegriff. Ich teile die Ansicht Michael Wolffs, »dass die in aller Erfahrung enthaltenen Subsumtionen von Vorstellungen, die in Erfahrungsurteilen vorkommen, unter reine Verstandesbegriffe in Form von Schlüssen stattfinden« (M. Wolff 2012, 145). Bei diesen Schlüssen handelt es sich um Syllogismen, als deren Obersätze die Grundsätze des reinen Verstandes fungieren. 5 Diese Syllogismen haben die folgende Form:

Vgl. M. Wolff 2012, 145. – Wolff schildert unter anderem das folgende Beispiel: »In entsprechender Weise findet die Subsumtion der Begriffe der unter variablem Druck stehenden Luft und des Sonnenscheins unter die Kategorie der Ursache statt, indem als Obersatz die zweite Analogie der Erfahrung herangezogen wird, nach der ›alles, was geschieht‹, etwas voraussetzt, worauf es ›nach einer Regel‹, nämlich nach dem ›Gesetze der Verknüpfung der Ursache und Wirkung‹, folgt (A 189/B 232), und in einer zweiten Prämisse angenommen wird, dass die unter variablem Druck stehende Luft bzw. der Sonnenschein etwas ist, worauf ein wahrgenommenes Geschehen (als welches a posteriori die umgekehrt proportionale Luftausdehnung bzw. das Warmwerden des Steins zu betrachten ist) nach diesem Gesetz regelmäßig folgt« (M. Wolff 2012, 145).

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Obersatz: Grundsatz des reinen Verstandes (beinhaltet eine Kategorie) Untersatz: gegebener Fall (gegebene Anschauung bzw. Wahrnehmungsurteil) Konklusion: Erfahrungsurteil

Dass Kant die Grundsätze des reinen Verstandes als Obersätze solcher Syllogismen versteht, wird auch durch die Bedeutung des Terminus »Grundsatz« bzw. »Prinzip« deutlich. 6 Wie bereits erläutert, müssen wir eine weite und eine enge Bedeutung von »Prinzip« unterscheiden: 7 Im weiten Sinne ist jedes Urteil, das als Obersatz in einem Syllogismus fungiert, (seinem Gebrauch nach) ein Prinzip; im engen Sinne sind nur Urteile a priori (ihrem Ursprung nach) Prinzipien, wobei diese ebenfalls als Obersätze in Syllogismen fungieren. 8 In jedem Fall dienen Prinzipien – und damit auch die Grundsätze des reinen Verstandes – als Obersätze in Syllogismen. 9 Als synthetische Urteile a priori sind die Grundsätze des reinen Verstandes sogar Prinzipien im engen Sinne. Inwiefern trägt das geschilderte syllogistische Verfahren dazu bei, dass Erfahrungsurteile über notwendige Allgemeingültigkeit verfügen? Eine erste Antwort auf diese Frage ist, dass das syllogistische Verfahren selbst die Notwendigkeit der Konklusion bewirkt. So heißt es in der Logik: »Ein Vernunftschluß ist das Erkenntniß der Nothwendigkeit eines Satzes durch die Subsumtion seiner Bedingung unter eine gegebene allgemeine Regel« (Log: 120, m. H.). 10 Nun ließen sich aber auch Syllogismen denken, deren Obersatz ein beliebiger, selbst nicht notwendiger Allsatz wäre. Im strengen Sinne scheint die Konklusion eines Syllogismus aber nur dann über Notwendigkeit zu verfügen, wenn sie aus einem selbst notwendigen Satz abgeleitet wird Bekanntermaßen ist der Begriff »Grundsatz« nur eine Übersetzung des lateinischen principium. 7 Siehe hierzu Kap. 20.1.2. 8 Vgl. A148/B188, A300 f./B356 ff.; Log: 110, 122. 9 Vgl. hierzu auch: »Da nun jede allgemeine Erkenntnis zum Obersatze in einem Vernunftschlusse dienen kann, und der Verstand dergleichen allgemeine Sätze a priori darbietet, so können diese denn auch, in Ansehung ihres möglichen Gebrauchs, Prinzipien genannt werden« (A300/B357). 10 Vgl. auch: »Der Vernunftschluß ist das Bewustseyn der Nothwendigkeit einer Erkenntnis durch die subsumtion (der Bedingung) derselben unter eine allgemeine regel. [Absatz] Maior ist die allgemeine Regel, die etwas unter einer Bedingung sagt. Minor ist die subsumtion unter die Bedingung der regel. Die conclusio sagt eben das von dem subsumirten Begrif, was die Regel von der Bedingung sagte« (Refl: 3196). 6

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Zum Gemeinsinn als Obersatz eines quasi-Syllogismus

– und dies bedeutet, dass ihr (mindestens mittelbar) ein Satz a priori, d. h. ein Prinzip im engen Sinne, zugrunde liegen muss; denn bekanntermaßen können nur Urteile a priori »Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit« beanspruchen« (B4). Eine zweite, ergänzende Antwort auf die Frage, warum Erfahrungsurteile über Notwendigkeit verfügen, lautet daher, dass sie aus synthetischen Urteilen a priori, nämlich aus den Grundsätzen des reinen Verstandes, abgeleitet werden. Der Status der Grundsätze des reinen Verstandes als Urteile a priori ist dabei auf das Engste damit verknüpft, dass sie eine transzendentale Funktion innehaben. In diesem Sinne bezeichnet Kant die Kategorien, die ja in den Grundsätzen beinhaltet sind, als »formale und objektive Bedingungen der Erfahrung« (A96 & A223/B271). Halten wir zur notwendigen Allgemeingültigkeit der Erfahrungsurteile mit Blick auf die Analogie zu Geschmacksurteilen das Folgende fest: Erfahrungsurteile sind notwendig allgemeingültig, weil wir sie durch Ableitung in einem Syllogismus generieren und weil der Obersatz dieses Syllogismus ein apriorischer Grundsatz ist, der eine Kategorie, d. h. eine objektive Bedingung der Erkenntnis, beinhaltet.

G5.2 Zum Gemeinsinn als Obersatz eines quasi-Syllogismus Warum sollte aber die notwendige Allgemeingültigkeit des Erfahrungsurteils von Relevanz für das Geschmacksurteil sein? Das Geschmacksurteil entlehnt seine notwendige Allgemeingültigkeit ja gerade nicht aus objektiven Prinzipien und damit auch nicht aus den Grundsätzen des reinen Verstandes. Allerdings, so werde ich nun zeigen, übt der Gemeinsinn eine ähnliche Funktion wie die Grundsätze des reinen Verstandes aus. Diese Analogie ist schon deshalb naheliegend, weil Kant selbst sie mehrfach zieht. So heißt es in der Einleitung: »Ein einzelnes Erfahrungsurtheil, z. B. von dem, der in einem Bergcrystall einen beweglichen Tropfen Wasser wahrnimmt, verlangt mit Recht, daß ein jeder andere es eben so finden müsse, weil er dieses Urtheil, nach den allgemeinen Bedingungen der bestimmenden Urtheilskraft, unter den Gesetzen einer möglichen Erfahrung überhaupt gefället hat. Eben so macht derjenige, welcher in der bloßen Reflexion über die Form eines Gegenstandes, ohne Rücksicht auf einen Begrif, Lust empfindet, ob zwar dieses Urtheil empirisch und ein einzelnes Urtheil ist, mit Recht Anspruch auf JederKants Philosophie des Schönen

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manns Beystimmung; weil der Grund zu dieser Lust in der allgemeinen obzwar subjectiven Bedingung der reflectirenden Urtheile, nämlich der zweckmäßigen Uebereinstimmung eines Gegenstandes (er sey Product der Natur oder der Kunst) mit dem Verhältniß der Erkenntnißvermögen unter sich, die zu jedem empirischen Erkenntniß erfordert werden (der Einbildungskraft und des Verstandes), angetroffen wird« (191,12). 11

Kant führt hier aus, dass Erfahrungsurteile mit Recht Allgemeingültigkeit – und damit ist nichts anderes als die notwendige Allgemeingültigkeit gemeint – beanspruchen, weil sie mittels einer Anwendung der Kategorien und Grundsätze des reinen Verstandes (›Gesetze einer möglichen Erfahrung überhaupt‹) gefällt werden. Analog dazu (›eben so‹) sind Geschmacksurteile notwendig allgemeingültig, weil ihnen die ›subjective[.] Bedingung der reflectirenden Urtheile‹ zugrunde liegt, nämlich die subjektive Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes (›zweckmäßigen Uebereinstimmung eines Gegenstandes‹) für die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt von Einbildungskraft und Verstand (›Verhältniß der Erkenntnißvermögen unter sich‹). Die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt macht einen Bestandteil des Gemeinsinns aus (Komponente der Gemeinschaftlichkeit) und instanziiert sich durch die subjektive Zweckmäßigkeit des schönen Objekts. 12 Die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt verleiht nun, analog zu den Kategorien, dem Geschmacksurteil seinen Status der notwendigen Allgemeingültigkeit. Kant selbst sieht also eine starke Analogie zwischen der notwendigen Allgemeingültigkeit von Erfahrungsurteilen und Geschmacksurteilen sowie zwischen den Kategorien und der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt. In § 20 hat Kant dafür argumentiert, dass Geschmacksurteile ein »subjectives Princip« haben (§ 20.A.3, 238,4); und er hat dieses subjektive Prinzip mit dem Gemeinsinn identifiziert. Mein Vorschlag ist, dass wir den Begriff »Prinzip« wörtlich nehmen sollten. Dieser steht, wie oben erläutert, im weiten Sinne für einen Obersatz in einem Syllogismus und im engen Sinne für ein Urteil a priori, das als Obersatz in einem Syllogismus fungiert. Meine These ist, dass der Gemeinsinn ein Prinzip im engen Sinne ist, d. h. dass er als Obersatz in einem Syllogismus fungiert und zudem eine Art apriorischen Status hat. Vgl. auch 287,35 f.; EEKU: 238,24. Zu Kants Konzeption der subjektiven Zweckmäßigkeit siehe Kap. 10.1.3 sowie 11.3.

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Zum Gemeinsinn als Obersatz eines quasi-Syllogismus

Beginnen wir mit seiner Funktion als Obersatz eines Syllogismus. Wie haben wir uns einen solchen Syllogismus vorzustellen? Offenkundig muss die Konklusion dieses Syllogismus das Urteil »x ist schön« sein. Was fungiert aber als Untersatz? Gewöhnlich enthält der Untersatz einen Fall, der unter die im Obersatz ausgedrückte Bedingung fällt. 13 Nun ist der Obersatz das Vermögen zur Lust am Schönen. (Auf den naheliegenden Einwand, dass ein Vermögen kein Satz ist, komme ich sofort zu sprechen.) Es liegt daher auf der Hand, dass der Untersatz ein Fall dieser Lust am Schönen, d. h. eine konkret gefühlte Lust, ist. Der Syllogismus hat damit insgesamt die folgende Form: Obersatz: Gemeinsinn Untersatz: Fall einer konkret gefühlten Lust am Schönen Konklusion: »x ist schön« (Geschmacksurteil)

Offenkundig unterscheidet sich dieser Schluss in einem zentralen Punkt von gewöhnlichen Syllogismen. Der Obersatz ist nämlich weder begrifflich noch propositional, sondern ein Vermögen zu einem Gefühl und ein »bloß empfindbares Verhältniß der […] wechselseitig unter einander stimmenden Einbildungskraft und des Verstandes« (291,1, m. H.). Dies ist ja gerade die Pointe vom Gemeinsinn als Sinn. 14 Ferner ist auch der Untersatz als konkret gefühlte Lust nichtbegrifflich und nicht-propositional. Weil Syllogismen normalerweise begriffliche und propositionale Prämissen haben, bezeichne ich den obigen Schluss als quasi-Syllogismus. Streng genommen müssten wir auch die beiden Prämissen als quasi-Obersatz und quasiUntersatz bezeichnen. Bezüglich dieses quasi-Syllogismus stellen sich zwei Fragen: (1) Wie können wir den Gemeinsinn auf einen Fall der gefühlten Lust am Schönen anwenden? Benötigen wir dazu so etwas wie ein Schema? (2) Warum hat der quasi-Syllogismus das Urteil »x ist schön« zur Konklusion? Inwiefern ist das schöne Objekt in den Prämissen beinhaltet? Wenn wir diese Fragen beantwortet haben, verstehen wir auch besser, inwiefern es gerechtfertigt ist, hier von einem Syllogismus zu sprechen – und sei es auch nur von einem quasiSyllogismus –, obwohl die Prämissen keine Propositionen sind.

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Vgl. Log: 120. Siehe hierzu Kap. 20.2.1.

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Beginnen wir mit der ersten Frage (1). Ich habe oben dargelegt, dass die Kategorien nur vermittelt durch ein Schema auf gegebene Anschauungen angewendet werden können. Bedarf es im Kontext des Gemeinsinns und der konkret gefühlten Lust am Schönen ebenfalls eines vermittelnden Dritten? Tatsächlich scheinen ein Vermögen und ein konkret erlebtes Gefühl zu verschieden, als dass das letztere unmittelbar unter das erstere subsumiert werden könnte. Mein Vorschlag ist, dass es die Lust am Schönen allgemein verstanden ist, die als vermittelnde Instanz – und damit als Analogon zu den Schemata des reinen Verstandes – fungieren kann. Machen wir uns dies zunächst mittels einer Analogie klar. Wenn eine Person das Gefühl, was sie konkret fühlt, als Traurigkeit identifiziert, nutzt sie hierfür wohl (im kantischen Sinne) eine Art Schema der Traurigkeit. Dieses Schema ist selbst keine aktual phänomenal erlebte Traurigkeit, aber es befasst alle Fälle der phänomenal erlebten Traurigkeit unter sich. Dabei gibt das Schema der Traurigkeit auf eine nicht-begriffliche Art und Weise vor, wie sich Traurigkeit in phänomenaler Hinsicht anfühlt. 15 (In der KrV nutzt Kant auch den Begriff des Monogramms.) 16 Nur weil wir eine solche allgemeine, nicht-begriffliche Vorstellung davon haben, wie sich Traurigkeit anfühlt, können wir ein aktual phänomenal erlebtes Gefühl unter den Begriff »Traurigkeit« subsumieren. Übertragen wir dies auf die Lust am Schönen: Wenn eine Person das Gefühl, das sie aktual fühlt, als Lust am Schönen identifiziert, nutzt sie hierfür ihr Schema davon, was Lust am Schönen im Allgemeinen ist und wie sich Lust am Schönen im Allgemeinen anfühlt. Dieses Schema ist keine aktual phänomenal erlebte Lust am Schönen, sondern es gibt auf eine nicht-begriffliche Art und Weise vor, wie sich die Lust am Schönen in phänomenaler Hinsicht anfühlt. Wir haben also eine nicht-begriffliche Vorstellung davon, dass sich die Lust am Schönen uninteressiert, frei und allgemeingültig anfühlt sowie ein Bewusstsein des Prinzips a priori der Urteilskraft beinhaltet. Diese Lust am Schönen allgemein verstanden fasst einerseits alle konkret gefühlten Fälle der Lust am Schönen unter sich, andererseits ist sie aufgrund ihrer Allgemeinheit unmittelbar mit dem Gemeinsinn als Vgl. hierzu auch das folgende Beispiel aus der KrV: »Der Begriff vom Hunde bedeutet eine Regel, nach welcher meine Einbildungskraft die Gestalt eines vierfüßigen Tieres allgemein verzeichnen kann, ohne auf irgend eine einzige besondere Gestalt, die mir die Erfahrung darbietet, oder auch ein jedes mögliche Bild, was ich in concreto darstellen kann, eingeschränkt zu sein« (A141/B180). 16 Vgl. A142/B181. 15

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Zum Gemeinsinn als Obersatz eines quasi-Syllogismus

Vermögen zur Lust am Schönen verknüpft. Sie kann daher zwischen der konkret gefühlten Lust und dem Gemeinsinn bzw. dem Begriff »schön« vermitteln. 17 Kommen wir zur Frage, inwiefern das schöne Objekt in den Prämissen des quasi-Syllogismus beinhaltet ist (2). Da das schöne Objekt an den konkreten Fall der Lust am Schönen gebunden ist, muss es im Untersatz, der ja nichts anderes als der konkrete Fall der Lust ist, beinhaltet sein. Wenn die Lust am Schönen, ganz im Sinne Guyers, ein opakes Gefühl wäre, 18 dann würde der Untersatz keinen Bezug zum schönen Objekt aufweisen. Diese Problematik entsteht jedoch nicht, wenn wir der Lust am Schönen Intentionalität, d. h. eine Gerichtetheit auf das schöne Objekt, zuschreiben. 19 Ich habe bereits an anderer Stelle für eine solche Gerichtetheit der Lust argumentiert. 20 Ausgehend von der These, dass die Lust am Schönen nichts anderes als das gefühlte Bewusstsein des freien Spiels der Erkenntniskräfte ist, haben wir gesehen, dass, wenn das freie Spiel auf etwas gerichtet ist, auch die Lust darauf gerichtet ist. Da im freien Spiel eine andauernde Überprüfung der Form des schönen Objekts sowie der Aktivität der Einbildungskraft anhand der Objekt- und Subjektseite des Prinzips a priori der Urteilskraft stattfindet, ist das freie Spiel auf die Form des Objekts sowie auf die zweckmäßige Zusammenstimmung der Erkenntnisvermögen gerichtet. In diesem Sinne ist auch die Lust am Schönen intentional auf die Vorstellung des schönen Objekts und die zweckmäßige Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte gerichtet. Da also die Lust intentional auf das schöne Objekt gerichtet ist,

Gegen ein Schema des Gemeinsinns wendet sich Guyer: »Since the criteria of disinterestedness and formal finality by which we judge the universal validity of aesthetic response are also indeterminate and correspond to no definite schemata for objects, the principle of common sense can have no schema« (Guyer 1979, 300). Es ist zwar korrekt, dass wir die Kriterien der Uninteressiertheit und formalen ZM nicht unmittelbar auf Objekte (der Außenwelt) anwenden können. Jedoch lassen sich beide Kriterien auf die Lust am Schönen anwenden, und in diesem Sinne ist es ja auch meine These, dass der Untersatz des Gemeinsinns in der konkret erlebten Lust am Schönen besteht. 18 Vgl. Guyer (2018) & Guyer 1979, 116–119. 19 Wie schon früher angemerkt, ist freilich nicht die Lust selbst gerichtet. Vielmehr ist das fühlende Subjekt im phänomenalen Zustand der Lust auf etwas gerichtet. Da die Gerichtetheit aber eben Teil des Zustandes der Lust ist, scheint es mir legitim, verkürzt von der Intentionalität der Lust zu sprechen. 20 Siehe G2.2.1. 17

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beinhaltet sie das schöne Objekt. 21 Und da der Untersatz im quasiSyllogismus nichts anderes als die gefühlte Lust am Schönen ist, beinhaltet er das schöne Objekt. Aus diesem Grund kann die Konklusion des quasi-Syllogismus »x ist schön« lauten. Wir können nun das Modell des quasi-Syllogismus folgendermaßen anpassen und verfeinern: Quasi-Obersatz: Gemeinsinn (vermittelt durch die allgemein verstandene Lust am Schönen) Quasi-Untersatz: Fall einer konkret gefühlten Lust am Schönen (intentional gerichtet auf das schöne Objekt x) Konklusion: »x ist schön« (Geschmacksurteil)

Mittels dieses quasi-Vernunftschlusses könnte man etwa seine aktual gefühlte, auf eine Rose gerichtete Lust unter den Gemeinsinn subsumieren und würde dadurch das Urteil »Diese Rose ist schön« erzeugen. Nun könnte man freilich versuchen, den Prämissen eine propositionale Struktur zu geben. Man könnte etwa den folgenden (propositionalen) Syllogismus rekonstruieren: Obersatz: Alle Lust, die sich uninteressiert, frei, allgemein und als Bewusstsein des Prinzips a priori der Urteilskraft anfühlt, ist eine Manifestation des Gemeinsinns. Untersatz: Die Lust, die ich gerade fühle und die auf das Objekt x gerichtet ist, fühlt sich uninteressiert, frei, allgemein und als Bewusstsein des Prinzips a priori der Urteilskraft an. Konklusion: Die Lust, die ich gerade fühle und die auf das Objekt x gerichtet ist, ist eine Manifestation des Gemeinsinns.

Aber dieser (propositionale) Syllogismus ist mit zwei Problemen behaftet: Erstens lautet die Konklusion dieses Syllogismus nicht »x ist schön«. Der Grund dafür ist, dass das Geschmacksurteil über zwei logische Subjekte verfügt: das schöne Objekt x und das fühlende Subjekt (bzw. alle fühlenden Subjekte). Ein propositionales Schlussverfahren kann aber nur zu einem (kategorischen) Urteil mit einem einzigen logischen Subjekt führen. Freilich könnte man einen weiteren Syllogismus anschließen, der beispielsweise den Obersatz »Alle ObDie Gerichtetheit von Lust allgemein lässt sich auch mit Rekurs auf Kants Bestimmung der Lust in § 10 belegen: »Das Bewußtseyn der Causalität einer Vorstellung in Absicht auf den Zustand des Subjects, es in demselben z u e r h a l t e n , kann hier im Allgemeinen das bezeichnen, was man Lust nennt« (§ 10.A.4, 220,9). Siehe hierzu Kap. 2.1.

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Zum Gemeinsinn als Obersatz eines quasi-Syllogismus

jekte, die mit einer Lust verbunden sind, die eine Manifestation des Gemeinsinns ist, sind schön«; aber das entspringende Urteil »x ist schön« wäre dann eben kein Urteil über das fühlende Subjekt bzw. über alle fühlenden Subjekte. Ferner wäre der zuletzt geschilderte Obersatz ein objektives Prinzip, was der Nicht-Begrifflichkeit des Geschmacksurteils widerspricht. Zweitens, und dies ist das eigentliche Hauptproblem, würde ein propositionaler Syllogismus verschleiern, dass der Gemeinsinn eben keine Proposition bzw. kein Begriff ist. Er ist, wie gesagt, ein Vermögen zu einem Gefühl. In dieser Hinsicht ist er ganz wesentlich von den Kategorien des reinen Verstandes unterschieden; und daher ist es nicht sinnvoll, den Gemeinsinn in einen propositionalen Obersatz zu integrieren. Bevor ich mich nun der Frage zuwende, inwiefern der (nichtpropositionale) quasi-Syllogismus erklärt, dass das Geschmacksurteil über notwendige Allgemeingültigkeit verfügt, möchte ich noch kurz zeigen, dass der kantische Text einige deutliche Hinweise auf einen solchen quasi-Syllogismus gibt. Erstens ist der in § 20 eingeführte Begriff des subjektiven Prinzips des Geschmacksurteils, wie bereits erläutert, ein klares Indiz dafür, dass das Geschmacksurteil aus einem Obersatz in einem Syllogismus abgeleitet wird. Sowohl in seiner weiten als auch in seiner engen Bedeutung steht der Begriff des Prinzips nämlich für einen Obersatz in einem Vernunftschluss. 22 Zweitens hat Kant in § 18 geschrieben, die Notwendigkeit des Geschmacksurteils sei exemplarisch, »d. i. eine Nothwendigkeit der Beystimmung a l l e r zu einem Urtheil, was wie [ein] Beyspiel einer allgemeinen Regel, die man nicht angeben kann, angesehen wird« (§ 18.A.5, 237,8). 23 Der Gemeinsinn nimmt als Obersatz im quasi-Syllogismus die Rolle einer ›allgemeinen Regel‹ ein; jedoch kann man ihn ›nicht angeben‹, da er nicht-begrifflich und keine Proposition ist. An anderer Stelle spricht Kant vom »Gemeinsinn, von dessen Urtheil ich mein Geschmacksurtheil hier als ein Beyspiel angebe und weswegen ich ihm e x e m p l a r i s c h e Gültigkeit beylege« (§ 22.A.3, 239,24). Indem ich meine konkret gefühlte Lust im quasi-Syllogismus unter den Gemeinsinn subsumiere, weise ich sie als Beispiel des Gemeinsinns aus; durch dieses Verfahren erhält das entspringende Urteil »x ist schön« exemplarische Notwendigkeit. Drittens umschreibt Kant in der folgenden Passage explizit ein syllogistisches Schlussverfahren: 22 23

Siehe Kap. 20.1.2. Für eine Untersuchung dieser Passage siehe Kap. 18.3.4.

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»Es [das Geschmacksurteil] behauptet nur: daß wir berechtigt sind, dieselben subjectiven Bedingungen der Urtheilskraft allgemein bey jedem Menschen vorauszusetzen, die wir in uns antreffen; und nur noch, daß wir unter diese Bedingungen das gegebene Object richtig subsumirt haben. Obgleich nun dies letztere unvermeidliche, der logischen Urtheilskraft nicht anhängende, Schwierigkeiten hat (weil man in dieser [logischen Urteilskraft] unter Begriffe, in der ästhetischen [Urteilskraft] aber unter ein bloß empfindbares Verhältniß, der an der vorgestellten Form des Objects wechselseitig unter einander stimmenden Einbildungskraft und des Verstandes, subsumirt, wo die Subsumtion leicht trügen kann)« (290,18 f., m. H.).

Das ›bloß empfindbare[.] Verhältniß, der an der vorgestellten Form des Objects wechselseitig unter einander stimmenden Einbildungskraft und des Verstandes‹ ist eine Umschreibung des Gemeinsinns und seiner beiden Komponenten der Sinnlichkeit (›bloß empfindbar‹) und der Gemeinschaftlichkeit, die sich durch die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt konstituiert (›wechselseitig unter einander stimmenden Einbildungskraft und des Verstandes‹). Problematisch scheint zwar, dass Kant nicht davon spricht, wir würden die Lust unter den Gemeinsinn subsumieren; vielmehr sei es das ›gegebene Object‹, welches darunter subsumiert werde. Diese Schwierigkeit lässt sich aber dadurch lösen, dass die Lust am Schönen das schöne Objekt mittels ihrer Intentionalität beinhaltet. In diesem Sinne subsumiert man das gegebene Objekt mittels der intentional auf das Objekt gerichteten Lust unter den Gemeinsinn. Insgesamt gibt Kant selbst also durchaus Hinweise auf den beschriebenen quasi-Syllogismus. Warum sollte letzterer aber hilfreich sein, um zu verstehen, weshalb das Geschmacksurteil notwendige Allgemeingültigkeit beansprucht? An dieser Stelle müssen wir die Analogie zu den Erfahrungsurteilen weiter ausbuchstabieren. Ich habe oben gezeigt, dass Erfahrungsurteile deswegen notwendig allgemeingültig sind, weil wir sie durch Ableitung in einem Syllogismus generieren und weil der Obersatz dieses Syllogismus ein apriorischer Grundsatz ist, der eine Kategorie, d. h. eine objektive Bedingung der Erkenntnis, beinhaltet. Nun habe ich soeben dafür argumentiert, dass wir die Geschmacksurteile durch Ableitung in einem quasi-Syllogismus generieren. Freilich ist der Obersatz in diesem quasi-Syllogismus insofern kein apriorischer Grundsatz, als es sich beim Gemeinsinn um gar keinen begrifflichen und propositionalen Satz handelt. Jedoch weist der Gemeinsinn eine bedeutsame Ähnlichkeit zu einem apriorischen Satz auf. So beinhaltet der Gemeinsinn die 1102

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Zum Gemeinsinn als Obersatz eines quasi-Syllogismus

Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, und letztere ist »die subjective Bedingung des Erkennens« (§ 21.A.2, 238,28) – ohne sie könnte »das Erkenntniß, als Wirkung, nicht entspringen« (§ 21.A.2, 238,28). In diesem Sinne hat die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt eine transzendentale Funktion und weist somit eine starke Ähnlichkeit mit den Kategorien auf. So bezeichnet Kant die Kategorien ja auch als »formale und objektive Bedingungen der Erfahrung« (A96 & A223/B271) und die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt als ›subjective Bedingung des Erkennens‹. Als subjektive und objektive Bedingungen der Erkenntnis nehmen beide jeweils eine transzendentale und somit analoge Funktion ein. Der Gemeinsinn beinhaltet die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt und damit die subjektive Bedingung der Erkenntnis, sodass er den Grundsätzen des reinen Verstandes, welche die Kategorien, d. h. die objektiven Bedingungen der Erkenntnis, beinhalten, ähnelt. Weil der Gemeinsinn eine transzendentale Funktion beinhaltet, ist er einem synthetischen Urteil a priori ähnlich. 24 Diese Analogie wird durch die folgende Passage aus der Ersten Einleitung bestätigt: »Wenn aber ein Urtheil sich selbst für allgemeingültig ausgiebt und also auf N o t h w e n d i g k e i t in seiner Behauptung Anspruch macht, so mag diese vorgegebene Nothwendigkeit auf Begriffen vom Objecte a priori, oder auf subjectiven Bedingungen zu Begriffen, die a priori zum Grunde liegen, beruhen, so wäre es, wenn man einem solchen Urtheile dergleichen Anspruch zugesteht, ungereimt, ihn dadurch zu rechtfertigen, daß man den Ursprung des Urtheils psychologisch erklärte« (EEKU: 238,24). 25

Kant behauptet, dass die ›subjectiven Bedingungen zu Begriffen‹ – und diese Bedingungen müssen für die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt stehen – einen apriorischen Status haben. In diesem Sinne sind sie den ›Begriffen vom Objecte a priori‹, d. h. den Kategorien, ähnlich. Wie die Kategorien ist die subjektive Bedingung zu Begriffen eine transzendentale Voraussetzung der Erkenntnis und daher notwendig allgemeingültig. Sowohl die Kategorien als auch Vgl. hierzu auch: »Ein transscendentales Princip ist dasjenige, durch welches die allgemeine Bedingung a priori vorgestellt wird, unter der allein Dinge Objecte unserer Erkenntniß überhaupt werden können« (181,15). 25 Vgl. auch: »wenn man es [das Geschmacksurteil] als ein solches würdigt, welches zugleich verlangen darf, daß jedermann ihm beypflichten soll; so muß ihm irgend ein (es sey objectives oder subjectives) Princip a priori zum Grunde liegen« (278,21). Vgl. ferner: EEKU: 239,1. 24

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die subjektive Bedingung der Erkenntnis können dann die Grundlage für die ›vorgegebene Nothwendigkeit‹ von Urteilen bilden. Und weil der Gemeinsinn die subjektive Bedingung zur Erkenntnis enthält, bildet er die Grundlage der Notwendigkeit des Geschmacksurteils. Führen wir uns abschließend die Analogie zwischen den Kategorien und dem Gemeinsinn noch einmal gebündelt vor Augen: Erfahrungsurteile sind notwendig allgemeingültig, weil wir sie durch Ableitung in einem Syllogismus generieren und weil der Obersatz ein apriorischer Grundsatz ist, der eine Kategorie, d. h. eine objektive Bedingung der Erkenntnis, beinhaltet. Geschmacksurteile sind notwendig allgemeingültig, weil wir sie durch Ableitung in einem quasiSyllogismus generieren und weil der Gemeinsinn als Obersatz dieses quasi-Syllogismus die subjektive Bedingung zur Erkenntnis beinhaltet, die eine Art von apriorischem Status innehat.

G5.3 Ein Einwand Gegen diese Theorie des quasi-Syllogismus drängt sich der folgende Einwand auf: Der Prozess, ein Geschmacksurteil zu fällen, wird durch das syllogistische Schlussverfahren zu sehr intellektualisiert; die Komplexität dieses Schlussverfahrens widerspricht unserer Erfahrung davon, wie wir tatsächlich Geschmacksurteile fällen. Wir sind uns beim Fällen von Geschmacksurteilen keines solchen Schlussverfahrens bewusst; und vermutlich verfügen die meisten Urteilenden noch nicht einmal über einen Begriff oder eine Vorstellung des Gemeinsinns. – Zunächst einmal können wir auf diesen Einwand damit reagieren, dass wir uns wohl auch kaum beim Fällen von Erfahrungsurteilen des geschilderten Schlussverfahrens bewusst sind und dass zudem viele Urteilende wohl nicht einmal mit den einzelnen Grundsätzen des reinen Verstandes vertraut sind. Wenn wir etwa einen Kausalzusammenhang herstellen und also einen gegebenen Fall unter die zweite Analogie der Erfahrung subsumieren, implementieren wir wohl kaum bewusst das komplexe Schlussverfahren eines Syllogismus. Vielmehr identifizieren wir einfach eine Begebenheit in der Außenwelt als Kausalzusammenhang, wobei diesem Verfahren unbewusst ein Syllogismus zugrunde liegt. 26 Grundsätzlich müssen wir Im Bereich des Praktischen findet sich eine analoge Theorie unbewusster Syllogismen bereits bei Wolff: »Nehmlich der verstümmelte Schluß ist dieser: Diese Sache

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Ein Einwand

bedenken, dass Kants Theorien in der KrV wie auch in der KU zwar in gewisser Hinsicht auch psychologisch sind – so fragt Kant ja, wie Erfahrungen oder auch Schönheitserlebnisse zustande kommen –, dass sie aber primär geltungstheoretischer Natur sind. Was nun für die Grundsätze des reinen Verstandes gilt, gilt ähnlich für den Gemeinsinn. Das Verfahren des quasi-Syllogismus steht letztlich für dasjenige Verfahren, durch das wir eine gefühlte Lust als Lust am Schönen identifizieren, d. h. durch den Begriff »schön« erfassen. Wenn wir eine Lust als Lust am Schönen identifizieren, dann subsumieren wir sie dabei, wenn auch oft unbewusst, unter den Gemeinsinn. Der quasi-Syllogismus steht damit letztlich für die begriffliche Erfassung einer Lust als Lust am Schönen (und nicht als Lust am Angenehmen oder Guten). 27 Damit schließt sich auch der Kreis mit der hier vorgeschlagenen Theorie des Subsumtionsmodells. 28 Ich habe dafür argumentiert, dass die Lust am Schönen selbst noch nicht das Geschmacksurteil ist, sondern dass wir sie durch den Begriff »schön« erfassen müssen, um das Urteil »x ist schön« zu generieren. Da es sich bei diesem Akt der Urteilsfällung nur um einen Akt der Subsumtion und um keine Reflexionsaktivität handelt, habe ich nicht von einem ›two-acts model‹, sondern von einem Subsumtionsmodell gesprochen. 29 Im Zuge des quasi-Syllogismus wird nun deutlich, dass der Akt der Subsumtion der Lust unter den Begriff »schön« keinesoder Begebenheit ist so und so beschaffen. Derowegen ist sie gut (oder böse). Der Fördersatz, so dazu gefunden wird, ist dieser: E i n e S a c h e o d e r B e g e b e n h e i t d i e s o u n d s o b e s c h a f f e n , i s t g u t ( o d e r b ö s e ) . Und hierdurch zeiget sich die Maxime, nach welcher der Mensch urtheilet, ob etwas gut oder böse sey: welche wir zu wissen verlangten« (Wolff 1736, § 193, 119 f.). 27 Freilich liegt insbesondere der Lust am Angenehmen kein quasi-Syllogismus im geschilderten Sinne zugrunde. Denn diese Lust entspringt gerade keinem Vermögen, welches eine transzendentale Bedingung beinhaltet und damit eine Art apriorischen Status hat. Selbst wenn Kant also davon ausgehen würde, dass wir auch die Lust am Angenehmen unter den Sinnengeschmack als Vermögen der Lust am Angenehmen subsumieren, um ein Urteil über das Angenehme zu erzeugen, so würde diesem Verfahren kein Prinzip im engen Sinne zugrunde liegen und das entspringende Urteil könnte keine notwendige Allgemeingültigkeit beanspruchen. 28 Siehe Kap. G2.2.2. 29 Zur Erinnerung: Ich habe das Subsumtionsmodell als Alternative zu Ginsborgs ›one-act model‹ und Guyers ›two-acts model‹ präsentiert. Ginsborg geht davon aus, dass die Lust am Schönen selbst schon das Geschmacksurteil ist (vgl. Ginsborg 2015, 42; Ginsborg 2008, 73 f.; Ginsborg 2017); Guyer hingegen behauptet, es bedürfe einer zusätzlichen Reflexionsaktivität über das freie Spiel als kausalen Grund der Lust, um ein Geschmacksurteil zu erzeugen (vgl. Guyer 1979, 151, 159; Guyer 2017). Kants Philosophie des Schönen

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falls von marginaler Bedeutung ist. Denn durch diesen Akt erhält das Geschmacksurteil seinen Status der notwendigen Allgemeingültigkeit – und zwar nur, weil der Akt der Urteilsfällung durch das Verfahren eines quasi-Syllogismus vollzogen wird, dessen Obersatz der Gemeinsinn ist.

G5.4 Zum Status des Geschmacksurteils als synthetisches Urteil a priori Dem Gemeinsinn bzw. dem quasi-Syllogismus kommt noch eine weitere Funktion zu. Wir haben gesehen, dass das Geschmacksurteil ein verdecktes allgemeines Urteil der Form »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind« ist. 30 Das verdeckte logische Subjekt »alle Menschen« wird im manifesten Urteil »x ist schön« durch das Prädikat »ist schön« verdeckt. Nun erfolgt die Prädikatzuschreibung »ist schön« durch die Subsumtion der Lust unter den Gemeinsinn. Durch diese Subsumtion erhält das Geschmacksurteil auch sein verdecktes allgemeines Urteilssubjekt »alle Menschen«. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Gemeinsinn die Komponente der Gemeinschaftlichkeit beinhaltet. Durch die Subsumtion unter den Gemeinsinn dehnen wir die in der ersten Person gefühlte Lust auf alle Menschen aus und fällen ein verdecktes allgemeines Urteil der Form »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen …«. In diesem Sinne ist der quasi-Syllogismus für die inhaltliche Allgemeinheit des Geschmacksurteils verantwortlich. Durch diese Funktion des Gemeinsinns und des quasiSyllogismus können wir auch besser verstehen, warum das Geschmacksurteil ein synthetisches Urteil a priori ist. Die Allgemeinheit der Lust am Schönen ist uns nämlich insofern nicht a posteriori gegeben, als nicht alle Menschen unserem Urteil »x ist schön« de facto zustimmen. Vielmehr erzeugen wir die inhaltliche Allgemeinheit des Geschmacksurteils ohne Rekurs auf die Geschmacksurteile anderer Menschen. Wir gewinnen die Allgemeinheit a priori. Zugleich hat das Geschmacksurteil nur aufgrund dieser inhaltlichen Allgemeinheit den Status als Urteil a priori. So schreibt Kant:

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Siehe Kap. 6.1.3.

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Zum Status des Geschmacksurteils als synthetisches Urteil a priori

»Also ist es nicht die Lust, sondern die A l l g e m e i n g ü l t i g k e i t d i e s e r L u s t , die mit der bloßen Beurtheilung eines Gegenstandes im Gemüthe als verbunden wahrgenommen wird, welche a priori als allgemeine Regel für die Urtheilskraft, für jedermann gültig, in einem Geschmacksurtheile vorgestellt wird. Es ist ein empirisches Urtheil: daß ich einen Gegenstand mit Lust wahrnehme und beurtheile. Es ist aber ein Urtheil a priori: daß ich ihn schön finde, d. i. jenes Wohlgefallen jedermann als nothwendig ansinnen darf« (289,22). 31

Aus dieser Passage geht hervor, dass nicht schon das Urteil »Ich fühle irgendeine Lust« ein Urteil a priori ist. Vielmehr ist nur das allgemeine Urteil »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind« – oder eben das Urteil »x ist schön« – ein Urteil a priori und allererst ein adäquates Geschmacksurteil. Es scheint zwar in der obigen Passage so, als wäre es der evaluative Aspekt der notwendigen Allgemeingültigkeit, der dem Geschmacksurteil a priori zugeschrieben würde (also die Tatsache, dass ich ›jenes Wohlgefallen jedermann als nothwendig ansinnen darf‹); insofern jedoch die Apriorität eines Urteils etwas ist, das den Inhalt des Urteils betrifft, so muss sich auch die Apriorität des Geschmacksurteils auf die inhaltliche Allgemeinheit dieses Urteils beziehen. Nun erlangen wir, wie oben geschildert, die verdeckte inhaltliche Allgemeinheit durch die Subsumtion der Lust unter den Gemeinsinn mittels des quasi-Syllogismus. Und in diesem Sinne ist es auch die Subsumtion unter den Gemeinsinn, durch die das Geschmacksurteil seinen Status als synthetisches Urteil a priori erhält. 32 Insgesamt hat der Gemeinsinn also eine Art doppelte Beziehung zur Apriorität: ErsVgl. auch 288,35 f., 289,22. Guyer verortet in seinem ›two-acts model‹ die Ausdehnung zum Urteil a priori in der zweiten Reflexionsaktivität: »But if I take the further step of reflecting on the sources of my pleasure, then I may judge – though still empirically – that my pleasure is necessary rather than contingent, and this licenses its a priori imputation on others« (Guyer 1979, 166); »But insofar as it takes the last attribution as a basis for imputing my pleasure to others, the judgment of taste is a priori. For it depends not upon actual experience of shared responses, but on the a priori assumption that what occasions the harmony of the faculties is the same for all. And since the imputation of pleasure to others is part of the actual content of a judgment of taste, this judgment not merely rests on an a priori assumption, but also makes an a priori claim« (Guyer 1979, 166). Mir scheint aber unklar, wie eine Reflexion über ein Kausalverhältnis und die mentalen Prozesse eines Urteilenden als Grundlage für ein Urteil a priori dienen sollten.

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tens weist er selbst eine Art von apriorischem Status auf; zweitens erlangt das Geschmacksurteil aufgrund der Tatsache, dass es aus einer Subsumtion unter den Gemeinsinn als verdecktes allgemeines Urteil entspringt, seinen Status als apriorisches Urteils.

G5.5 Literaturbericht Kant verdeutlicht an verschiedenen Stellen der Kritik der ästhetischen Urteilskraft durch seine Wortwahl, dass das Geschmacksurteil aus einer Art syllogistischem Schlussverfahren entspringt. Dies ist, so scheint mir, in der Literatur bisher praktisch unentdeckt geblieben. Zwar scheint etwa Wenzel die Analogie zwischen der Generierung des Geschmacksurteils und einem syllogistischen Schlussverfahren zu bemerken; er zieht aber nicht die Konsequenz, dass der Gemeinsinn als eine Art von Obersatz fungiert (vgl. Wenzel 2008, 80). An anderer Stelle negiert er dies sogar: »Der so verstandene Gemeinsinn ist auch keine Regel, unter die man subsumieren könnte, und es läßt sich keine solche Regel aus ihm gewinnen« (Wenzel 2000, 114). Ähnlich schreibt Longuenesse: »It [a judgment] is apodeictic if it is derived from other judgments functioning as premises in a syllogistic inference, [.]or it is itself analytic or synthetic a priori, and thus functions as a principle for inference. But of course, nothing of the sort can be said of an aesthetic judgment, which is absolutely singular and rests on feeling. Its modality can certainly not depend on its place in a concatenation of such judgments« (Longuenesse 2003, 159 f.). Einzig Eckl scheint dem Geschmacksurteil eine Art von Subsumtion zugrunde zu legen, wenn er erläutert, »dass die ›Idee‹ eines ›Gemeinsinns‹ für alle urteilenden Subjekte mit Recht als subjektives ›Prinzip‹ angenommen werden kann, unter dem das Exempel des empirisch Gegebenen (als Fall unter einer ›Regel‹) subsumiert werden kann« (Eckl 2017, 76). Ich habe betont, dass der Gemeinsinn mit der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt eine transzendentale und in diesem Sinne apriorische Komponente beinhaltet. Wird dies in der Sekundärliteratur bemerkt? Bisweilen wird darauf hingewiesen, dass der Gemeinsinn in irgendeiner Form transzendental ist, etwa von Rivera de Rosales: »Der Notwendigkeitsanspruch des Geschmacksurteils soll auf einer transzendentalen Grundlage beruhen, und diese muß ein Gemeinsinn oder sensus communis sein« (Rivera de Rosales 2008, 95). Etwas genauer erläutert Makkreel, der sensus communis sei »transzendental nicht in dem Sinn, daß er Bausteine der Wahrheit zur Verfügung stellte, aber im Sinn der Eröffnung eines Horizonts gemeinschaftlicher Bedeutung, durch den Wahrheit bestimmt werden kann« (Makkreel 1997, 203). Zu dieser transzendentalen Funktion führt er weiter aus: »Der sensus communis ist notwendig für die Mitteilung von

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Literaturbericht

Gefühlen ohne Begriffe. Das ist eine Annahme, die nicht nur auf ästhetisches Gefühl im Geschmacksurteil Anwendung hat, sondern auch auf die gefühlte Übereinstimmung der Vermögen in der Erkenntnis« (Makkreel 1997, 210). Freilich wäre der Gemeinsinn dann aber kein spezifisches Vermögen der Lust am Schönen. Diese Problematik betrifft auch die Interpretation Vossenkuhls: »Der kognitive Gehalt des ästhetischen Urteils ist […] identisch mit dem Sockelbestand jedes Erkenntnis-Urteils. Die Möglichkeits-Bedingungen des ästhetischen Urteils sind also identisch mit den Möglichkeits-Bedingungen des objektiven Urteils. […] Das ästhetische Urteilsvermögen ist daher das Urteilsvermögen und sonst nichts, nicht mehr und nicht weniger. Und dieses pure Urteilsvermögen, dieser Sockelbestand jedes Urteils ist […] der ästhetische Gemeinsinn« (Vossenkuhl 1995, 110). Unter diesem ›Sockelbestand‹ versteht Vossenkuhl die Apperzeption bzw. das »Denken, wie es von Kant in der Deduktion der ersten Kritik dargestellt wird« (Vossenkuhl 1995, 113). Bei einigen AutorInnen wird zwar nicht der Gemeinsinn transzendental gedeutet, wohl aber die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt. So schreibt Kern: »Nur unter der Voraussetzung, daß unsere beiden Vermögen zusammenstimmen, nämlich so, daß die Einbildungskraft uns den Gegenstand anschaulich vorstellt und der Verstand die anschauliche Vorstellung mithilfe von Begriffen auf den Gegenstand bezieht, ist Erkenntnis möglich. Die Zusammenstimmung unserer beiden Vermögen ist die gemeinsame Form aller Erkenntnisse« (Kern 2002, 98). Zammito meint, dass die Erkenntnisvermögen selbst eine transzendentale Funktion einnehmen: »the transcendental ground is shifted from the authority of universal rules of the understanding, which in the cognitive case promoted the mere apprehension of imagination to objective validity, to the necessity of these faculties themselves for the possibility of any cognition at all: ›the subjective formal conditions of a judgment in general.‹« (Zammito 1992, 117) Ebenfalls ohne Bezug zum Gemeinsinn formuliert Esser: »Da die Disposition [der Erkenntnisvermögen] auf seiten des urteilenden Subjektes als apriorisch klassifiziert wird, soll die ästhetische Lust mit Notwendigkeit eintreten« (Esser 1997, 144). Zuckert spricht dem Prinzip a priori der Urteilskraft diejenige transzendentale Funktion zu, durch die das Geschmacksurteil seine notwendige Allgemeingültigkeit erhält: »this principle, unlike the categorial principles, does not constitute objects or objectivity, moreover, its role in particular aesthetic judgments may justify their claims to universal validity in a (somewhat) similar way: because it serves as a normative rule of unification, and because it connects representations as necessary, this principle renders aesthetic judgments independent of the individual subject’s contingent states, attitudes, and whims« (Zuckert 2007, 342). Wenngleich ich die Anwendung des Prinzips a priori im freien Spiel vom Akt der Subsumtion unter den Gemeinsinn unterscheide, so werde ich zeigen, dass der Gemeinsinn eine Art spezifische Realisierung des Prinzips a priori ist. Kants Philosophie des Schönen

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Insgesamt scheint mir, dass der Rolle des Gemeinsinns für die notwendige Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils bislang zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Erneut erinnern möchte ich an die Einstufung des Gemeinsinns durch Guyer als »needless complexity« (Guyer 1979, 282). Bezeichnend und charakteristisch ist auch die folgende Einschätzung durch Wenzel: »Der Gemeinsinn hat hier keine Begründungsfunktion. Wozu man oft glaubte ihn heranziehen zu müssen, nämlich zur Erklärung der allgemeinen Mitteilbarkeit, das will Kant letztlich ohne ihn aus der Stimmung der Erkenntniskräfte erklären« (Wenzel 2000, 117; vgl. auch 183).

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§ 21 Eine Deduktion des ästhetischen Gemeinsinns?

In der Überschrift stellt Kant die Frage, »[o]b man mit Grunde einen Gemeinsinn voraussetzen könne« (§ 21.T, 238,18). Dass Kant diese Frage zum Ende des Paragraphen beantwortet zu haben glaubt, wird aus seinem Fazit deutlich: »so wird dieser [Gemeinsinn] mit Grunde angenommen werden können« (§ 21.A.6, 239,6). Es drängt sich daher die Vermutung auf, Kant wolle in § 21 eine Deduktion des Gemeinsinns leisten – und tatsächlich wurde dies in der Sekundärliteratur verschiedentlich angenommen. 1 Ob eine solche Deduktion wirklich geleistet wird, soll im Folgenden untersucht werden. Dazu wollen wir die Argumentation von § 21 detailliert nachzeichnen. Ich werde dabei zeigen, dass nicht die Wirklichkeit des Gemeinsinns im Sinne einer Deduktion bewiesen wird, sondern nur seine Möglichkeit. Führen wir uns vorab die Gliederung der Argumentation vor Augen: 1. Die Fragestellung (§ 21.T, 238,18) 2. Erster Teil der Argumentation (§ 21.A.1–4, 238,19–34) a) Erkenntnisse sind allgemein mitteilbar (§ 21.A.1, 238,19– 23) b) Die Stimmung der Erkenntniskräfte zur Erkenntnis überhaupt ist allgemein mitteilbar (§ 21.A.2–3, 238,23–32) c) Die Stimmung der Erkenntniskräfte hat eine verschiedene Proportion (§ 21.A.4, 238,32–34) 3. Zweiter Teil der Argumentation (§ 21.A.5–6a, 238,34–239,5) a) Eine Stimmung, die eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt und ein zur Belebung der Erkenntnisvermögen zuträglichstes Verhältnis umfasst, ist möglich (§ 21.A.5a, 238,34–239,1) b) Diese Stimmung kann nur durch Gefühl bestimmt werden (§ 21.A.5b, 239,1–2)

1

Vgl. etwa Guyer 1979, 284–288. Siehe auch den Literaturbericht in Kap. 21.6.

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§ 21 Eine Deduktion des ästhetischen Gemeinsinns?

c) 4.

Die allgemeine Mitteilbarkeit eines Gefühls setzt einen Gemeinsinn voraus (§ 21.A.6a, 239,2–5) Konklusion: Wir können mit Grund einen Gemeinsinn annehmen (§ 21.A.6b, 239,6–10)

21.1 Zur Ausgangsfrage und ein Problemaufriss Erinnern wir uns zunächst an die beiden Komponenten des Gemeinsinns. Grob gefasst ist dieser das Vermögen der (allgemeinen) Lust am Schönen. 2 Er ist erstens ein Sinn und gehört zur Sinnlichkeit. Als solcher konstituiert er sich durch ein Gefühl der Lust und hat einen Niederschlag in der Erfahrung – wir fühlen ja eine Lust am Schönen. Die Komponente der Sinnlichkeit beruht auf dem Aspekt der Belebung im freien Spiel der Erkenntniskräfte. Zweitens ist der Gemeinsinn durch Gemeinschaftlichkeit ausgezeichnet: Er kommt allen Menschen zu, operiert bei allen Menschen auf dieselbe Art und Weise und führt in den gleichen Situationen zum gleichen Resultat. Die Gemeinschaftlichkeit beruht auf dem Aspekt der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt im freien Spiel der Erkenntniskräfte. Wir haben auch gesehen, dass der Gemeinsinn als Obersatz in einem quasi-Syllogismus fungiert: 3 Wir subsumieren einen Fall der gefühlten Lust am Schönen (Untersatz) unter den Gemeinsinn (Obersatz) und generieren dadurch das Urteil »x ist schön« als Konklusion. Diese Konklusion verfügt über notwendige Allgemeingültigkeit, weil sie aus einem syllogistischen Schluss entspringt und weil der Obersatz dieses Schlusses, d. h. der Gemeinsinn, die subjektive Bedingung der Erkenntnis enthält und damit einen Status aufweist, der einem apriorischen (transzendentalen) Urteil ähnlich ist. Nun ist der Gemeinsinn nicht-begrifflich und nicht-propositional, d. h. er ist kein Urteil. Vielmehr ist er ein Vermögen zu einer Lust. Und damit das notwendig allgemeingültige Geschmacksurteil möglich ist, müssen Menschen wirklich über dieses Vermögen verfügen. Um die Möglichkeit von Geschmacksurteilen zu beweisen, muss Kant daher, so scheint es jedenfalls, die Wirklichkeit des Gemeinsinns beweisen. In diesem Sinne hat Kant zum Ende von § 20 erläutert: »Also nur 2 3

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Siehe hierzu Kap. 20.2. Siehe G5.2.

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Zur Ausgangsfrage und ein Problemaufriss

unter der Voraussetzung, daß es einen Gemeinsinn gebe […] kann das Geschmacksurtheil gefällt werden« (§ 20.B.1, 238,12). Damit kulminiert zum Ende von § 20 alles in der Frage: Gibt es einen Gemeinsinn? Da der Gemeinsinn aufgrund seiner Komponente der Gemeinschaftlichkeit eine Idee ist und einen analogen Status zu einem apriorischen, transzendentalen Urteil aufweist, kann seine Wirklichkeit nicht in der Erfahrung bewiesen werden. Vielmehr bedarf er einer Deduktion. 4 Kants Leserschaft erwartet also in § 21 eine Antwort auf die Frage, ob ein Gemeinsinn existiert. Passenderweise lautet die Überschrift: »Ob man mit Grunde einen Gemeinsinn voraussetzen könne« (§ 21.T, 238,18). Man könnte daher annehmen, Kant wolle den Gemeinsinn in § 21 deduzieren. Wäre dies der Fall, wüsste man zum Ende der Analytik, dass es einen Gemeinsinn gibt und dass Geschmacksurteile möglich sind. Allerdings ist diese Interpretation mit großen Problemen behaftet: Erstens eignet sich die Argumentation von § 21 nicht dazu, die Wirklichkeit des Gemeinsinns zu deduzieren, was in der folgenden Analyse gezeigt werden soll. Zweitens ist es die Aufgabe der Analytik des Schönen, eine Analyse, d. h. »Zergliederungen« (240,21), des Geschmacksurteils zu leisten, 5 und nicht, den Rechtsanspruch des Geschmacksurteils im Sinne einer Deduktion zu beweisen. 6 Drittens gibt es im weiteren Verlauf der Analytik der ästhetischen Urteilskraft einen ganzen Teil, welcher der »Deduction der reinen ästhetischen Urtheile« (279,1) gewidmet ist, sowie einen Paragraphen (§ 38), der diese »Deduction der Geschmacksurtheile« Vgl.: »Unter den mancherlei Begriffen aber, die das sehr vermischte Gewebe der menschlichen Erkenntnis ausmachen, gibt es einige, die auch zum reinen Gebrauch a priori (völlig unabhängig von aller Erfahrung) bestimmt sind, und dieser ihre Befugnis bedarf jederzeit einer Deduktion; weil zu der Rechtmäßigkeit eines solchen Gebrauchs Beweise aus der Erfahrung nicht hinreichend sind, man aber doch wissen muß, wie diese Begriffe sich auf Objekte beziehen können, die sie doch aus keiner Erfahrung hernehmen« (A85/B117). 5 Vgl. insbesondere Kants Aussage in § 22, dass wir »vor jetzt [in §§ 1–22] nur das Geschmacksvermögen in seine Elemente aufzulösen, und sie zuletzt in der Idee eines Gemeinsinns zu vereinigen [haben]« (240,13, m. H.). Im unmittelbaren Anschluss spricht er dann auch von »den obigen Zergliederungen« (240,21). 6 Vgl. hierzu: »Die Rechtslehrer, wenn sie von Befugnissen und Anmaßungen reden, unterscheiden in einem Rechtshandel die Frage über das, was Rechtens ist, (quid juris) von der, die die Tatsache angeht (quid facti) und indem sie von beiden Beweis fordern, so nennen sie den erstern, der die Befugnis, oder auch den Rechtsanspruch dartun soll, die D e d u k t i o n « (A84/B116). 4

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§ 21 Eine Deduktion des ästhetischen Gemeinsinns?

(289,31) leisten soll; hingegen verwendet Kant in § 21 nicht einmal den Begriff der Deduktion. Viertens stellt Kant in § 22 explizit die Frage, »[o]b es in der That einen solchen Gemeinsinn, als constitutives Princip der Möglichkeit der Erfahrung gebe, oder ein noch höheres Princip der Vernunft es uns nur zum regulativen Princip mache, allererst einen Gemeinsinn zu höhern Zwecken in uns hervorzubringen« (§ 22.B.2, 240,1). Würde Kant bereits in § 21 den Gemeinsinn deduzieren und somit seine Wirklichkeit beweisen, wäre diese Frage unnötig und deplatziert. 7 Man müsste ihm unterstellen, er erklärte seine ›erste‹ Deduktion unmittelbar für gescheitert und ersetzte sie in § 38 durch eine zweite, bessere Deduktion. 8 Eine andere Lösung bestünde darin, in § 21 keine Deduktion eines ästhetischen, sondern eines theoretischen Gemeinsinns zu verorten. Das Ziel von § 21 wäre dann nur, aufzuzeigen, dass die grundsätzliche Konzeption eines Gemeinsinns nicht völlig hoffnungslos ist. 9 Das große Problem dieser Deutung ist aber, dass Kant im unmittelbar vorangehenden § 20 sowie im unmittelbar folgenden § 22 den ästhetischen Gemeinsinn behandelt und an keiner Stelle ankündigt, in § 21 einen ganz anderen, nämlich den theoretischen Gemeinsinn zu deduzieren. Ich schlage daher eine dritte Interpretation vor: In § 21 wird zwar der ästhetische Gemeinsinn thematisiert, aber er wird nicht deduziert. Vielmehr wird nur seine Möglichkeit dargelegt, sodass er den Status einer Hypothese aufweist. 10 Eine Deduktion des Gemeinsinns erfolgt dann erst in § 38. Stellen wir alle drei Interpretationsmöglichkeiten gegenüber: (i) In § 21 erfolgt eine Deduktion des ästhetischen Gemeinsinns. Diese wird unmittelbar darauf für unzureichend erklärt und in § 38 durch eine bessere Deduktion ersetzt. (ii) In § 21 erfolgt die Deduktion eines theoretischen Gemeinsinns. Dadurch wird gezeigt, dass die grundsätzliche Konzeption eines Gemeinsinns nicht völlig hoffnungslos ist. Vgl. ähnlich Allison 2001, 145 & 158. Diese Lösung hat Guyer vorgeschlagen (vgl. Guyer 1979, 279 ff. & 308 ff.). Guyer spricht von einem »[f]irst attempt« und einem »[s]econd attempt« der Deduktion (Guyer 1979, 279 & 308) sowie von »two versions of the deduction« (Guyer 1979, 308). 9 Diese Interpretation wird von Allison vorgebracht (vgl. Allison 2001, 154 f.). – Allison bestimmt den theoretischen Gemeinsinn als »the faculty for immediately seeing (without appeal to rules, and therefore through ›feeling‹) whether, and how fully, a given intuited manifold accords with a particular concept, that is, judgment« (Allison 2001, 154 f.). 10 Zum Begriff der Hypothese vgl. 463,9 sowie 466,12. 7 8

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Die Argumentation

(iii) In § 21 wird die Möglichkeit des ästhetischen Gemeinsinns dargelegt. Seine Deduktion, d. h. der Beweis seiner Wirklichkeit, erfolgt erst in § 38.

21.2 Die Argumentation Die Argumentation von § 21 lässt sich in sechs Schritte einteilen, wobei insgesamt eine grobe Zweiteilung vorliegt: Bewegt sich der erste Teil der Argumentation im Bereich der theoretischen Erkenntnis (Schritte 1–3), so wird im zweiten Teil ein Übergang zum Bereich des Schönen vollzogen (Schritte 4–6). Von zentraler Relevanz für die Frage, ob ein ästhetischer oder theoretischer Gemeinsinn behandelt wird und ob dieser deduziert wird oder nicht, ist dabei der vierte Argumentationsschritt.

21.2.1 Erkenntnisse und Urteile müssen sich allgemein mitteilen lassen Der erste Argumentationsschritt lautet: § 21.A.1 »[a] Erkenntnisse und Urtheile müssen sich, samt der Ueberzeugung, die sie begleitet, allgemein mittheilen lassen; [b] denn sonst käme ihnen keine Uebereinstimmung mit dem Object zu: [c] sie wären insgesamt ein bloß subjectives Spiel der Vorstellungskräfte, gerade so wie es der Skepticism verlangt« (238,19).

Nehmen wir zunächst einige kleinere Substitutionen vor und isolieren drei Propositionen: § 21.A.1a* Erkenntnisse und Urteile müssen sich, samt der Überzeugung, die diese Erkenntnisse und Urteile begleitet, allgemein mitteilen lassen. § 21.A.1b* Denn sonst käme den Erkenntnissen und Urteilen keine Übereinstimmung mit dem Objekt zu. § 21.A.1c* Die Erkenntnisse und Urteile wären insgesamt ein bloß subjektives Spiel der Vorstellungskräfte, gerade so wie es der Skeptizismus verlangt.

Auf der Grundlage dieser Propositionen können wir das folgende Argument rekonstruieren: Kants Philosophie des Schönen

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P1

Wenn Erkenntnisse und Urteile sich nicht allgemein mitteilen lassen, dann kommt ihnen keine Übereinstimmung mit dem Objekt zu und sie sind ein bloß subjektives Spiel der Vorstellungskräfte. [§ 21.A.1a-b] P2 Wenn Erkenntnissen und Urteilen keine Übereinstimmung mit dem Objekt zukommt und sie ein bloß subjektives Spiel der Vorstellungskräfte sind, dann trifft der Skeptizismus zu. [§ 21.A.1c] Also: Wenn Erkenntnisse und Urteile sich nicht allgemein mitteilen lassen, dann trifft der Skeptizismus zu. P3 Der Skeptizismus trifft nicht zu. [implizit] Also: Erkenntnisse und Urteile lassen sich allgemein mitteilen. [§ 21.A.1a]

Aus der impliziten Prämisse P3 erhellt, dass Kants Argumentation auf einer Ablehnung des Skeptizismus fußt. Auch zum Ende von § 21 konstatiert Kant noch einmal: »so wird dieser [Gemeinsinn] mit Grunde angenommen werden können, und zwar […] als die nothwendige Bedingung der allgemeinen Mittheilbarkeit unserer Erkenntniß, welche in jeder Logik und jedem Princip der Erkenntnisse, das nicht skeptisch ist, vorausgesetzt werden muß« (§ 21.A.6, 239,6, m. H.). Die Ablehnung des Skeptizismus setzt Kant in § 21 unbegründet voraus; sie lässt sich aber mit Rückgriff auf andere Theoriestücke begründen. Erstens ist Kants eigene kritische Position als eine Abgrenzung vom bzw. Überwindung des Skeptizismus zu verstehen, 11 und diese kritische Position wird in der KU vorausgesetzt. Zweitens formuliert Kant verschiedentlich ein Selbstwiderlegungsargument des Skeptizismus. Grundgedanke dieses Arguments ist, dass der Skeptizismus die Wahrheit, die er bestreitet, doch selbst beanspruchen muss. 12 Vor diesem Hintergrund lässt sich P3 als begründet annehmen. Wie aber verhält es sich mit P1 und P2? In P1 stellt Kant einen Zusammenhang zwischen der allgemeinen Mitteilbarkeit eines Urteils und der Übereinstimmung mit dem Objekt her. Das erinnert an die folgende Passage aus dem Kapitel Vom Meinen, Wissen und Glauben der KrV: Vgl. etwa: »Kritik der Vernunft bezeichnet hier den wahren Mittelweg zwischen dem Dogmatismus, den Hume bekämpfte, und dem Skeptizismus, den er dagegen einführen wollte« (Prol; 360; vgl. auch A761/B789). 12 Vgl.: »Der absolute Skepticism giebt alles für Schein aus. Er unterscheidet also Schein von Wahrheit und muß mithin doch ein Merkmal des Unterschiedes haben, folglich ein Erkenntniß der Wahrheit voraussetzen, wodurch er sich selbst widerspricht« (Log: 84; vgl. auch Refl: 2663). Für ein anderes Argument vgl. A767 f./B795 f. 11

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Die Argumentation

»Wahrheit aber beruht auf der Übereinstimmung mit dem Objekte, in Ansehung dessen folglich die Urteile eines jeden Verstandes einstimmig sein müssen (consentientia uni tertio, consentiunt inter se). Der Probierstein des Fürwahrhaltens, ob es Überzeugung oder bloße Überredung sei, ist also, äußerlich, die Möglichkeit, dasselbe mitzuteilen und das Fürwahrhalten für jedes Menschen Vernunft gültig zu befinden; denn alsdenn ist wenigstens eine Vermutung, der Grund der Einstimmung aller Urteile, ungeachtet der Verschiedenheit der Subjekte unter einander, werde auf dem gemeinschaftlichen Grunde, nämlich dem Objekte, beruhen, mit welchem sie daher alle zusammenstimmen und dadurch die Wahrheit des Urteils beweisen werden« (A820 f./B848 f.).

Mit Rekurs auf diese Passage können wir zwei Implikationsverhältnisse herstellen. Erstens können wir die folgende Bisubjunktion rekonstruieren: ›Genau dann wenn ein Urteil mit dem Objekt übereinstimmt, ist es wahr‹ (Korrespondenztheorie). 13 Zweitens können wir die folgende Subjunktion rekonstruieren: ›Wenn ein Urteil mit dem Objekt übereinstimmt, dann ist es allgemein mitteilbar‹. 14 Die ›allgemeine Mitteilbarkeit eines Urteils‹ bedeutet, wie früher erläutert, dass alle Menschen an dem Urteil teilhaben können und dass es in

Vgl. auch: »Die Namenserklärung der Wahrheit, daß sie nämlich die Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande sei, wird hier geschenkt, und vorausgesetzt« (A58/B82). 14 Dieser Zusammenhang lautet im Kontext der KU explizit nicht (mehr): ›Genau dann wenn das Urteil mit dem Objekt übereinstimmt, ist das Urteil allgemein mitteilbar.‹ So ist das Geschmacksurteil allgemein mitteilbar, obwohl es sich auf keine Eigenschaft des Objekts bezieht und somit nicht mit dem Objekt übereinstimmt. Fricke gibt daher die Prämisse des ersten Argumentationsschritts falsch wieder: »Allgemein mitteilbar sind Erkenntnisse und Urteile nur, wenn sie wahr sind« (Fricke 1990, 164). – Bei logischen Urteilen ist die Übereinstimmung mit dem Objekt ein Grund dafür, dass das Urteil allgemein mitteilbar ist. Aber dies muss nicht bedeuten, dass die Übereinstimmung mit dem Objekt der einzige Grund für die allgemeine Mitteilbarkeit ist. Vielmehr kann es einen weiteren Grund x geben, sodass eigentlich gilt: Weil das Urteil mit dem Objekt übereinstimmt und weil x, ist das Urteil allgemein mitteilbar. Dieser Grund x wäre aber immer schon erfüllt, wenn eine Übereinstimmung mit dem Objekt vorläge. Es würde also der Zusammenhang gelten: ›Wenn eine Übereinstimmung mit dem Objekt vorliegt, dann ist die Bedingung x erfüllt.‹ Durch diesen Zusammenhang ist die Bedingung x aber nicht von der Übereinstimmung mit dem Objekt abhängig. Es könnte nämlich Fälle geben, in denen die Bedingung x gegeben wäre, ohne dass eine Übereinstimmung mit dem Objekt vorläge. Es würde nicht gelten: ›Die Bedingung x ist erfüllt, genau dann wenn eine Übereinstimmung mit dem Objekt vorliegt.‹ Die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt als subjektive Bedingung der Erkenntnis erfüllt genau diese Merkmale einer Bedingung x. 13

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diesem Sinne intersubjektiv rechtfertigbar ist. 15 Weist ein Urteil eine Übereinstimmung mit dem Objekt auf, dann ist es also mit Rückgriff auf dieses allgemein zugängliche Objekt rechtfertigbar. Aus dem Zusammenhang ›Wenn ein Urteil mit dem Objekt übereinstimmt, dann ist es allgemein mitteilbar‹ folgt per Kontraposition: ›Wenn ein Urteil nicht allgemein mitteilbar ist, dann stimmt es nicht mit dem Objekt überein‹. 16 Dies ist aber nichts anderes als die Prämisse P1 des obigen Arguments. Kant ergänzt noch, dass im Fall eines Urteils, das keine Übereinstimmung mit dem Objekt beansprucht, ›ein bloß subjectives Spiel der Vorstellungskräfte‹ vorläge. Dies stimmt mit anderen Stellen überein, in denen er von einem solchen subjektiven Spiel der Vorstellungen oder Vorstellungskräfte spricht, etwa: »Wir würden auf solche Weise nur ein Spiel der Vorstellungen haben, das sich auf gar kein Objekt bezöge« (A194/B239). 17 Ein subjektives Spiel würde etwa vorliegen, wenn die Einbildungskraft mit Vorstellungen oder der Verstand mit Begriffen oder beide gemeinsam ohne korrespondierendes Objekt spielen würden. In den geschilderten Komplex von Wahrheit und Übereinstimmung mit dem Objekt versus Schein und subjektivem Spiel fügt sich auch der Begriff der Überzeugung (›samt der Ueberzeugung, die sie begleitet‹). So heißt es ebenfalls in Vom Meinen, Wissen und Glauben: »Wenn es [das Fürwahrhalten] für jedermann gültig ist, so fern er nur Vernunft hat, so ist der Grund desselben objektiv hinreichend, und das Fürwahrhalten heißt alsdenn Ü b e r z e u g u n g . Hat es nur in der besonderen Beschaffenheit des Subjekts seinen Grund, so wird es Ü b e r r e d u n g genannt« (A820/B848).

Ein allgemeingültiges Fürwahrhalten (›für jedermann gültig‹), das mit dem Objekt übereinstimmt (›so ist der Grund…objektiv hinreichend‹), heißt Überzeugung; 18 hingegen heißt ein Fürwahrhalten, das nur auf einem subjektiven, privatgültigen Grund beruht, ÜberSiehe Kap. Einschub: Allgemeine Mitteilbarkeit. Kant nimmt in seiner Argumentation nicht an, dass die allgemeine Mitteilbarkeit eine Voraussetzung für die Übereinstimmung mit dem Objekt sei. Die folgende Kritik Guyers ist daher unberechtigt: »The possibility of intersubjective validity is not itself a condition for submitting one’s own manifold to rules, or for securing the possibility of transcendental apperception. It is not what constitutes the correspondence of cognition with its object, as Kant supposes in step 1 of the argument of § 21« (Guyer 1979, 291). 17 Vgl. auch A112; A201 f./B247; A368. 18 Kant legt eigentlich den folgenden Zusammenhang dar, der in der KU aber nicht 15 16

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Die Argumentation

redung. Wenn Kant in § 21.A.1 schreibt, dass sich ›Erkenntnisse und Urtheile…, samt der Ueberzeugung, die sie begleitet, allgemein mittheilen lassen [müssen]‹, dann impliziert der Begriff der Überzeugung bereits, dass den Urteilen eine Übereinstimmung mit dem Objekt zukommt. Insgesamt sollte deutlich geworden sein, dass P1 (›Wenn Erkenntnisse und Urteile sich nicht allgemein mitteilen lassen, dann kommt ihnen keine Übereinstimmung mit dem Objekt zu und sie sind ein bloß subjektives Spiel der Vorstellungskräfte‹) innerhalb der kantischen Philosophie gut begründet ist. Wie verhält es sich aber mit P2 (›Wenn Erkenntnissen und Urteilen keine Übereinstimmung mit dem Objekt zukommt und sie ein bloß subjektives Spiel der Vorstellungskräfte sind, dann trifft der Skeptizismus zu‹)? Der »absolute Skepticism« ist dadurch gekennzeichnet, dass er »alles für Schein aus[giebt]« (Log: 84) und nichts für Wahrheit. Nun ist Wahrheit als Übereinstimmung mit dem Objekt definiert. Wenn demnach Urteilen ›keine Uebereinstimmung mit dem Object zu[kommt]‹, dann sind sie nicht wahr. Glaubt man jedoch, Urteilen käme eine Übereinstimmung mit dem Objekt zu und sie wären somit wahr, während sie in Realität bloß auf subjektiven Gründen beruhten, dann läge ein bloßer Schein vor. 19 Genau dies ist die Position des Skeptizismus. Der erste Argumentationsschritt – also dass sich Erkenntnisse und Urteile allgemein mitteilen lassen – ist demnach innerhalb der kantischen Theorie gefestigt. Zu bemerken ist noch, dass eine Übereinstimmung mit dem Objekt erst dann vorliegen kann, wenn bereits ein Objekt durch die Subsumtion des Mannigfaltigen unter Kategorien konstituiert wurde. 20 Daher sind die Kategorien die objektive Bedingung der Erkenntnis. 21 Im folgenden Schritt wird Kant ergänzen, dass es daneben auch eine subjektive Bedingung der Erkenntnis gibt.

mehr gilt: Wenn ein Fürwahrhalten allgemeingültig ist, dann ›ist der Grund desselben objektiv hinreichend‹, d. h. dann stimmt es mit dem Objekt überein. 19 Vgl. zum Begriff des Scheins: »Der Schein ist der Grund zu einem irrigen Urteil aus subjektiven Ursachen, die fälschlich für objektiv gehalten werden« (Anth: 142); »Überredung ist ein bloßer Schein, weil der Grund des Urteils, welcher lediglich im Subjekte liegt, für objektiv gehalten wird« (A820/B848; vgl. auch Log: 54). 20 Vgl. etwa 288,2; B137. 21 In der KrV werden die Kategorien als »formale und objektive Bedingung der Erfahrung« bezeichnet (A96; vgl. A223/B271). Kants Philosophie des Schönen

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21.2.2 Die subjektive Bedingung der Erkenntnis muss sich allgemein mitteilen lassen Der zweite Argumentationsschritt lautet: § 21.A.2 »[a] Sollen sich aber Erkenntnisse mittheilen lassen, so muß sich auch der Gemüthszustand, d. i. die Stimmung der Erkenntnißkräfte zu einer Erkenntniß überhaupt, und zwar diejenige Proportion, welche sich für eine Vorstellung (wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird) gebührt, um daraus Erkenntniß zu machen, allgemein mittheilen lassen: [b] weil ohne diese, als subjective Bedingung des Erkennens, das Erkenntniß, als Wirkung, nicht entspringen könnte« (238,23).

Als Substitut für ›diese‹ (›weil ohne diese, als subjective Bedingung…‹) kommt entweder ›Stimmung der Erkenntnißkräfte zu einer Erkenntniß überhaupt‹ oder ›Proportion, welche sich für eine Vorstellung…gebührt, um daraus Erkenntniß zu machen‹ in Frage. Da beide Möglichkeiten grammatikalisch passen und inhaltlich letztlich dasselbe Phänomen bezeichnen, scheint beides sinnvoll. Die Formulierung ›Stimmung der Erkenntnißkräfte zu einer Erkenntniß überhaupt‹ ist aber etwas leserfreundlicher: § 21.A.2a* Sollen sich Erkenntnisse mitteilen lassen, so muss sich auch der Gemütszustand, d. i. die Stimmung der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt, und zwar diejenige Proportion, welche sich für eine Vorstellung (wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird) gebührt, um daraus Erkenntnis zu machen, allgemein mitteilen lassen. § 21.A.2b* [Begründung: ›weil‹] Ohne die Stimmung der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt, als subjektive Bedingung des Erkennens, könnte die Erkenntnis, als Wirkung, nicht entspringen.

In der Proposition § 21.A.2a finden sich zwei Erläuterungen dazu, was mit dem ›Gemüthszustand‹ (GZ) gemeint ist: GZ1 Der Gemütszustand ist die Stimmung der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt. GZ2 Der Gemütszustand ist diejenige Proportion, welche sich für eine Vorstellung (wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird) gebührt, um daraus Erkenntnis zu machen.

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Die Argumentation

Da es sich bei den an einer empirischen Erkenntnis beteiligten Vermögen um Einbildungskraft und Verstand handelt, können wir in GZ1 ergänzen: GZ1R1 Der Gemütszustand ist die Stimmung der Erkenntniskräfte (Einbildungskraft und Verstand) zu einer Erkenntnis überhaupt.

Die zentrale Formulierung ist hier ›Stimmung…zu einer Erkenntniß überhaupt‹. Diese hat Kant bereits in § 9 eingeführt; und ich habe diese Konzeption bereits im Kontext von § 9 umfassend analysiert. 22 Diese ›Stimmung der Erkenntnißkräfte zu einer Erkenntniß überhaupt‹ ist diejenige Stimmung, d. h. die »Zusammenstimmung beider Gemüthskräfte« (295,33, m. H.), die bei jeder Erkenntnis vorliegt. Worin diese Stimmung besteht, wird im folgenden Teilsatz (GZ2) erläutert, worauf das verknüpfende ›und zwar‹ verweist. In GZ2 können wir die Formulierung ›sich gebührt‹ durch ›notwendig sein‹ ersetzen. Ferner muss mit der ›Vorstellung (wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird)‹ eine empirische Anschauung gemeint sein, die noch nicht von der Einbildungskraft zur Form zusammengesetzt wurde. Darauf verweist insbesondere das Wort ›gegeben‹. 23 Wir erhalten: G2R1 Der Gemütszustand ist diejenige Proportion von Einbildungskraft und Verstand, die notwendig ist, um aus einer empirischen Anschauung eine Erkenntnis zu machen.

Denkt man an den kantischen Erkenntnisprozess, dann wird, um aus einer empirischen Anschauung Erkenntnis zu machen, erfordert, dass die Einbildungskraft das Mannigfaltige zur Form zusammensetzt und der Verstand diese Form unter einen Begriff subsumiert. Genau diese beiden Leistungen führt Kant selbst im darauffolgenden Satz an: § 21.A.3 »Dieses geschieht auch wirklich jederzeit, wenn ein gegebener Gegenstand vermittelst der Sinne die Einbildungskraft zur Zusammensetzung des Mannigfaltigen, diese [Einbildungskraft] aber den Verstand zur Einheit desselben [Mannigfaltigen] in Begriffen, in Thätigkeit bringt« (238,29). Vgl. § 9.C.4, 217,18; § 9.E.1, 217,37. Für meine Analyse dieser Konzeption siehe Kap. 9.3.4. 23 Auch in § 9 nutzt Kant die Formulierung ›gegebene Vorstellung‹, um auf eine noch nicht verarbeitete empirische Anschauung zu verweisen (vgl. § 9.B.1, 216,35; § 9.B.2, 217,6; § 9.C.1, 217,9; § 9.C.4, 217,19; § 9.D.2, 217,25; § 9.D.3, 217,26; § 9.D.4, 217,31; § 9.F.1, 218,9). 22

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Die angeführte Proportion bzw. die ›Stimmung zur Erkenntnis überhaupt‹ muss damit einen Bezug zu dieser Erkenntnisaktivität haben. Ich habe bei meiner Analyse von § 9 vorgeschlagen, dass die ›Stimmung zur Erkenntnis überhaupt‹ für eine »Zusammenstimmung beider Gemüthskräfte« (295,33, m. H.) steht, die sich anhand dreier Momente beschreiben lässt, wobei diese aber letztlich jeweils für ein und dasselbe stehen: (a) Verhältnis der Subsumtion: Eine ›Zusammenstimmung‹ von Einbildungskraft und Verstand liegt dann vor, wenn der Verstand die von der Einbildungskraft apprehendierte Form unter einen Begriff subsumiert. (Auf diesen Aspekt der ›Stimmung zur Erkenntnis überhaupt‹ verweist insbesondere § 21.A.3.) (b) Zweckmäßigkeit: Die Zusammenstimmung zu einer ›Erkenntnis überhaupt‹ realisiert sich in einer Zweckmäßigkeit bzw. zweckmäßigen Interaktion von Einbildungskraft und Verstand, die sich in einer konkreten Situation instanziiert. (c) Urteilskraft: Die ›Stimmung zu einer Erkenntnis überhaupt‹ ist nichts anderes als die Urteilskraft selbst, wie sie sich beim Gewinn einer Erkenntnis realisiert. Beim Gewinn einer jeden (empirischen) Erkenntnis liegt nun eine solche Stimmung vor, wie sie durch (a)-(c) beschrieben wird: Die Einbildungskraft apprehendiert Formen, die der Verstand unter einen Begriff subsumiert (Subsumtion). Dabei instanziiert sich eine Zweckmäßigkeit beider Vermögen füreinander; denn die von der Einbildungskraft apprehendierten Formen sind geeignet für eine begriffliche Erfassung durch den Verstand und der Begriff des Verstandes passt zur von der Einbildungskraft apprehendierten Form (Zweckmäßigkeit). In diesem Zusammenwirken der beiden Erkenntnisvermögen realisiert sich »das Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken« (179,19), d. h. die Urteilskraft. Ein solcher Zustand des Zusammenwirkens von Einbildungskraft und Verstand muss bei jeder Erkenntnis vorliegen – losgelöst davon, welches konkrete empirische Material vorliegt und welche Begriffe angewendet werden. Die ›Stimmung zur Erkenntnis überhaupt‹ ist eine notwendige Bedingung für jede Erkenntnis (subjektive Bedingung der Erkenntnis). Sie bildet damit ein Pendant zu den Kategorien, die Kant als »formale und objektive Bedingungen einer Erfahrung überhaupt« (A223/B271), d. h. als objektive Bedingungen der empirischen Erkenntnis, bezeichnet.

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Die Argumentation

Kants Hauptthese im zweiten Argumentationsschritt ist nun, dass diese Stimmung zur Erkenntnis überhaupt (verstanden als Zweckmäßigkeit von Einbildungskraft und Verstand, die bei einer Subsumtion vorliegt, sowie als aktive Urteilskraft) allgemein mitteilbar sein muss. Dies lässt sich zunächst folgendermaßen begründen: P1

Wenn sich Erkenntnisse allgemein mitteilen lassen, dann lässt sich die Stimmung zur Erkenntnis überhaupt allgemein mitteilen. [§ 21.A.2a] P2 Erkenntnisse lassen sich allgemein mitteilen. [§ 21.A.1a] Also: Die Stimmung zur Erkenntnis überhaupt lässt sich allgemein mitteilen.

Der Zusammenhang aus der ersten Prämisse wird dann durch § 21.A.2b begründet: § 21.A.2b* [Begründung ›weil‹] Ohne die Stimmung der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt als subjektive Bedingung des Erkennens könnte die Erkenntnis, als Wirkung, nicht entspringen.

Der Grundgedanke ist hier, dass die Stimmung bzw. der Gemütszustand eine notwendige, subjektive Bedingung der Erkenntnis ist. 24 Wenn nun eine Erkenntnis allgemein mitteilbar ist, dann müssen

Ähnlich hieß es bereits in § 9: »indem wir uns bewußt sind, daß dieses zum Erkenntniß überhaupt schickliche subjective Verhältniß eben so wohl für jedermann gelten und folglich allgemein mittheilbar seyn müsse, als es eine jede bestimmte Erkenntniß ist, die doch immer auf jenem Verhältniß als subjectiver Bedingung beruht« (§ 9.E.1, 218,3). – Es ist ganz zentral, dass diese notwendige, subjektive Bedingung der Erkenntnis die ganz basale zweckmäßige Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand im Sinne einer Subsumtion und einer aktiven Urteilskraft meint. Die folgende Kritik Guyers verfehlt daher Kants These: »But while there must be communication of conviction if there is to be a communication of knowledge, this does not generally imply that different persons may share a cognition only if the subjective states explaining their possession of that knowledge are the same. This is clear enough when we equate the subjective conditions of a cognition with the experience in which a person’s evidence for it is acquired. Thus two persons might both know that some event occurred, one having seen it with his own eyes and the other having read of it in an authoritative source years later. In such a case, both know of the event, but the causal conditions of their knowledge are hardly identical, the state of seeing something being very different from that of reading about it. As far as evidence is concerned, at least, cases in which the identity of knowledge are accompanied by the identity of its subjective conditions seem more like exceptions to the general situation than the general rule itself« (Guyer 1979, 294).

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auch die für diese Erkenntnis notwendigen Bedingungen allgemein mitteilbar sein, d. h. alle Menschen müssen an diesen Bedingungen teilhaben können. Vor diesem Hintergrund können wir nunmehr die folgende, umfassendere Argumentation rekonstruieren: P1

Wenn sich Erkenntnisse allgemein mitteilen lassen, dann muss sich alles, was eine notwendige Bedingung für jede Erkenntnis ist, allgemein mitteilen lassen. [implizit] P2 Erkenntnisse lassen sich allgemein mitteilen. [§ 21.A.1] Also: Alles, was eine notwendige Bedingung für jede Erkenntnis ist, muss sich allgemein mitteilen lassen. P3 Der Gemütszustand der Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand zur Erkenntnis überhaupt ist eine notwendige Bedingung für jede Erkenntnis. [§ 21.A.2b] Also: Der Gemütszustand der Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand zur Erkenntnis überhaupt muss sich allgemein mitteilen lassen. [§ 21.A.2a]

Die Hauptthese von § 21.A.2 können wir folgendermaßen zusammenfassen: Die subjektive Bedingung der Erkenntnis, d. h. die zweckmäßige Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte im Sinne einer Subsumtion der von der Einbildungskraft aufgefassten Form durch den Verstand als Zustand der aktiven Urteilskraft, muss sich allgemein mitteilen lassen.

21.2.3 Die Stimmung der Erkenntniskräfte hat eine verschiedene Proportion Der dritte Argumentationsschritt ist zwar noch im Bereich der theoretischen Erkenntnis anzusiedeln; er bereitet aber schon den Übergang zum Schönen vor. Er lautet: § 21.A.4 »Aber diese Stimmung der Erkenntnißkräfte hat, nach Verschiedenheit der Objekte, die gegeben werden, eine verschiedene Proportion« (238,32).

Die Formulierung ›diese Stimmung der Erkenntnißkräfte‹ muss sich auf die ›Stimmung der Erkenntnißkräfte zu einer Erkenntniß überhaupt‹ aus § 21.A.2 beziehen. In § 21.A.4 finden sich dann zwei miteinander verwobene Thesen:

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Die Argumentation

§ 21.A.4aR1 Die Stimmung der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt hat verschiedene Proportionen. § 21.A.4bR1 Die Ursache für die Verschiedenheit der Proportionen ist die Verschiedenheit der gegebenen Objekte.

Was bedeutet es aber, dass die Stimmung zur Erkenntnis überhaupt ›verschiedene Proportionen‹ hat (P1)? Der Begriff der Proportion bedeutet »Verhältnis«, sodass Kants These ist, dass die Erkenntniskräfte in verschiedenen Verhältnissen zueinander stehen können. 25 Kants Aussage in § 21.A.4a scheint nun insbesondere deshalb problematisch, weil in § 21.A.2 die ›Stimmung zu einer Erkenntnis überhaupt‹ selbst ja als ›Proportion‹ bezeichnet wird; somit hätte die Proportion der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt verschiedene Proportionen. Ich schlage vor, dass Kant in § 21.A.2–4 ein Zwei-AspekteModell des Gemütszustandes bei Erkenntnissen nachzeichnet: 1. Aspekt Verhältnis der Erkenntniskräfte zur Erkenntnis überhaupt: Bei jeder Erkenntnis muss eine zweckmäßige Vereinigung der Erkenntniskräfte im Sinne einer Subsumtion der von der Einbildungskraft apprehendierten Form unter einen Begriff des Verstandes vorliegen. In dieser Zusammenstimmung realisiert sich die Urteilskraft. 2. Aspekt Verschiedene Proportionen: Innerhalb ihres zweckmäßigen Zusammenwirkens (1. Aspekt) können die Erkenntniskräfte verschiedene Verhältnisse zueinander aufweisen. Diese verschiedenen Verhältnisse sind vom jeweils gegebenen Objekt abhängig.

Ein Gemütszustand, der beim Gewinn einer Erkenntnis vorliegt, ist erstens immer durch eine Stimmung zur Erkenntnis überhaupt ausgezeichnet und zweitens durch eine jeweils objektabhängige verschiedene Proportion der Erkenntnisvermögen. Zu beachten ist, dass die zwei Aspekte nicht zwei verschiedene Gemütszustände bezeichnen, sondern zu ein und demselben Gemütszustand gehören. Inwiefern können aber nun die Erkenntnisvermögen in verschiedenen objektabhängigen Verhältnissen zueinander stehen (2. Aspekt)? Leider wird dies von Kant an keiner Stelle präzisiert. Mit Rückgriff auf das kantische Erkenntnismodell sowie seine Theorie des Schönen ist aber die folgende Interpretation naheliegend: Innerhalb einer Vereinigung So wird »Proportion« im Grimm’schen Wörterbuch als »verhältnis, verhältnismäszigkeit« bestimmt (Grimm: Proportion).

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von Einbildungskraft und Verstand im Sinne einer Subsumtion (1. Aspekt) sind verschiedene Aktivitätsniveaus der beiden Vermögen und eine unterschiedlich hohe Dominanz des Verstandes möglich (2. Aspekt). In manchen Fällen determiniert der vom Verstand angewandte Begriff die Aktivität der Einbildungskraft, Formen zu apprehendieren, sehr stark. Es liegt dann eine hohe Dominanz des Verstandes und ein relativ geringes Aktivitätsniveau der Einbildungskraft vor. In anderen Fällen ist der Begriff vielleicht eher vage und lässt der Einbildungskraft beim Apprehendieren der Formen viel Freiheit; das Apprehendieren der Form verlangt dann der Einbildungskraft eine recht hohe Aktivität ab. Es liegen damit eine geringe Dominanz des Verstandes und ein eher hohes Aktivitätsniveau der Einbildungskraft vor. Um dies besser zu verstehen, müssen wir die Proposition § 21.A.4b einbeziehen: Es ist die ›Verschiedenheit der Objecte, die gegeben werden‹, welche die verschiedenen Proportionen (2. Aspekt) beeinflusst. Der Begriff ›gegeben‹ ist ein Indiz dafür, dass Kant mit den ›Objekten‹ keine bereits von der Einbildungskraft apprehendierten und unter einen Begriff subsumierten Vorstellungen, d. h. keine Objekte im engen (kantischen) Sinne, meint. Vielmehr verweist ›gegeben‹ auf eine gewisse Passivität des Subjekts, sodass das gegebene Objekt hier für ein gegebenes Mannigfaltiges an (unverarbeiteten) Sinneseindrücken steht. Ich gehe davon aus, dass ein solches Mannigfaltiges aus ›rohen Sinneseindrücken‹ nicht völlig unstrukturiert ist, sondern bereits eine gewisse Strukturiertheit aufweist. 26 Diese Struktur der gegebenen Sinneseindrücke kann simpler oder komplexer, regelmäßiger oder unregelmäßiger sein. Je komplexer und weniger regelmäßig die gegebene Struktur ist, desto höher muss das Aktivitätsniveau der Erkenntnisvermögen sein; je simpler und regelmäßiger die Struktur ist, desto geringer ist das Aktivitätsniveau. Je simpler und regelmäßiger ferner die Struktur ist, desto besser kann der Gegenstand begrifflich fixiert werden und desto höher ist die Dominanz des Verstandes. Ist beispielsweise die simple Struktur eines Dreiecks gegeben, so liegen eine hohe Dominanz des Vgl. hierzu: »und, ob sie [die Einbildungskraft] zwar bey der Auffassung eines gegebenen Gegenstandes der Sinne an eine bestimmte Form dieses Objects gebunden ist und sofern kein freyes Spiel (wie im Dichten) hat, so läßt sich doch noch wohl begreifen: daß der Gegenstand ihr gerade eine solche Form an die Hand geben könne, die eine Zusammensetzung des Mannigfaltigen enthält, wie sie die Einbildungskraft, wenn sie sich selbst frey überlassen wäre, in Einstimmung mit der Verstandesgesetzmäßigkeit überhaupt entwerfen würde« (240,28, m. H. & Kants H. getilgt).

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Die Argumentation

Verstandes und eine geringe Aktivität der Einbildungskraft vor. Liegt aber etwa die Struktur einer hoch komplexen musikalischen Partitur vor, so ist ein hohes Aktivitätsniveau der Erkenntnisvermögen erforderlich, um diese sowohl bildlich als auch begrifflich zu erfassen. Nun suggeriert Kant, die Verschiedenheit der Proportion der Erkenntnisvermögen (2. Aspekt) sei ausschließlich vom Objekt abhängig. Aber ist dies plausibel? Insbesondere die begriffliche Dominanz, die der Verstand bei einer gegebenen Anschauung ausübt, scheint doch auch vom urteilenden Subjekt abzuhängen. So verfügen verschiedene Subjekte – etwa aufgrund von Expertise oder kulturellen Prägungen – über verschieden stark fixierte Begriffe von Objekten. 27 Der Dirigent hat etwa einen anderen Begriff von der Partitur als der Laie. Die Verschiedenheit der Proportion der Erkenntnisvermögen (2. Aspekt) kann daher nicht bloß vom Objekt, sondern muss in vielen Fällen auch vom urteilenden Subjekt abhängen. Dennoch erfordern wohl bestimmte Gegenstände grundsätzlich ein relativ höheres Aktivitätsniveau als andere – man denke erneut an das Dreieck und die Partitur; erst die exakte Ausprägung dieses Aktivitätsniveaus mag dann etwa zwischen dem Dirigenten und dem Laien divergieren. Kehren wir zum Zwei-Aspekte-Modell des Gemütszustandes bei Erkenntnissen zurück. Wir können den zweiten Aspekt des Gemütszustandes nun folgendermaßen ergänzen: 2. Aspekt Verschiedene Proportionen: Innerhalb ihres zweckmäßigen Zusammenwirkens (1. Aspekt) können die Erkenntniskräfte verschiedene Verhältnisse zueinander aufweisen. Die Erkenntnisvermögen können ein verschiedenes Aktivitätsniveau aufweisen, und der Verstand kann eine verschieden starke begriffliche Dominanz ausüben. Diese verschiedenen Verhältnisse sind (primär) vom jeweils gegebenen Objekt abhängig.

Fragen wir uns noch kurz, wie sich die beiden Aspekte des Gemütszustandes bei Erkenntnissen zueinander verhalten. Der erste Aspekt besagt, dass die Erkenntnisvermögen im Sinne einer Subsumtion der von der Einbildungskraft apprehendierten Form unter einen Begriff des Verstandes zweckmäßig zusammenwirken. Ein solches zweckmäßiges Zusammenwirken kann bei verschiedenen Aktivitätsniveaus Siehe hierzu auch die Ausführungen zu verschiedenen Graden der Fixiertheit in Kap. 16.1.2.

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der Erkenntnisvermögen und bei einer verschieden starken begrifflichen Dominanz des Verstandes vorliegen. Vielleicht müssen für die Erkenntnis eines gegebenen Gegenstandes (bspw. der Partitur) Einbildungskraft und Verstand jeweils ein hohes Aktivitätsniveau aufbringen. Dagegen ist für die Erkenntnis eines anderen Gegenstandes (bspw. des Dreiecks) ein geringes Aktivitätsniveau der Erkenntnisvermögen erforderlich und der Verstand übt eine starke Dominanz aus. In beiden Fällen liegt aber eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vor. In diesem Sinne wird durch den zweiten Aspekt, d. h. die Verschiedenheit der Proportion, dasjenige im Verhältnis der Erkenntnisvermögen festgelegt, was durch den ersten Aspekt, d. h. die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, unbestimmt gelassen wird. Durch den zweiten Aspekt wird also letztlich betont, dass Einbildungskraft und Verstand auf eine unterschiedliche Art und Weise zweckmäßig zusammenstimmen können. Wichtig ist dabei, dass das Vorliegen einer Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt völlig unabhängig davon ist, welches Aktivitätsniveau der Erkenntnisvermögen vorliegt und wie hoch die Dominanz des Verstandes ist. Anders als bei den ersten beiden Argumentationsschritten liefert Kant für die These, dass sich die Erkenntnisvermögen bei verschiedenen Erkenntnissen in einer verschiedenen Proportion befinden (2. Aspekt), kein Argument. Tatsächlich lässt sich diese Verschiedenheit der Proportion der Erkenntnisvermögen auch nicht aus der allgemeinen Mitteilbarkeit von Erkenntnissen und der Ablehnung des Skeptizismus ableiten. Halten wir die zentrale These des dritten Argumentationsschritts fest: Der Gemütszustand bei einer Erkenntnis ist nicht nur durch eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt (1. Aspekt) ausgezeichnet, sondern auch durch eine verschiedene Proportion der Erkenntnisvermögen, d. h. ein verschiedenes Aktivitätsniveau der Erkenntnisvermögen und eine unterschiedliche begriffliche Dominanz des Verstandes (2. Aspekt). Diese verschiedenen Proportionen hängen (primär) vom gegebenen Objekt ab.

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Die Argumentation

21.2.4 Eine zur Belebung zuträglichste Proportion ist möglich Der vierte Argumentationsschritt markiert den Übergang zum Bereich des Schönen sowie zum ästhetischen Gemeinsinn. Er lautet: § 21.A.5a »Gleichwohl aber muß es eine geben, in welcher dieses innere Verhältniß zur Belebung (einer durch die andere) die zuträglichste für beide Gemüthskräfte in Absicht auf Erkenntniß (gegebener Gegenstände) überhaupt ist« (238,34).

Bei diesem Argumentationsschritt handelt es sich um den wichtigsten und zugleich schwierigsten Schritt; die Analyse ist mühselig, aber sie ist auch unerlässlich, da, wie wir sehen werden, von ihr die Gesamtinterpretation des § 21 abhängig ist – was dann Einfluss auf die Frage hat, ob und inwiefern hier schon von einer Deduktion die Rede sein kann. Problematisch ist bereits der Bezug von ›eine‹ und ›welcher‹. Auf den ersten Blick scheint es naheliegend, beides auf die ›Proportion‹ aus § 21.A.4 zu beziehen. Unter dieser ›Proportion‹ hatten wir den oben beschriebenen zweiten Aspekt des Gemütszustandes verstanden. In diesem Sinne wäre die folgende Rekonstruktion naheliegend: 28 § 21.A.5a*a Es muss eine Proportion [2. Aspekt des Gemütszustandes] geben, in welcher Proportion [2. Aspekt] dieses innere Verhältnis zur Belebung (einer Erkenntniskraft durch die andere Erkenntniskraft) die zuträglichste für beide Gemütskräfte in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt ist.

Diese Rekonstruktion weist jedoch das Problem auf, dass es innerhalb der Proportion als zweiten Aspekts des Gemütszustandes (›in welcher‹) ein weiteres ›innere[s] Verhältniß‹ geben müsste. Worin sollte dieses weitere Verhältnis aber bestehen? Zudem nutzt Kant die Formulierung ›dieses innere Verhältniß‹, wobei das Demonstrativpronomen ›dieses‹ anzeigt, dass das ›Verhältniß‹ bereits vorher benannt worden sein muss; von einem dritten Verhältnis war aber bislang nicht die Rede. Nun hat Kant in § 21.A.4 formuliert, dass die ›Stimmung der Erkenntnißkräfte‹ zu einer Erkenntnis überhaupt ›eine verschiedene Proportion‹ hat. Wir haben gesehen, dass Kant hier einen In dieser Rekonstruktion wurde zudem ergänzt, dass sich die Klammerbemerkung ›einer durch die andere‹ auf die ›Erkenntnißkräfte‹ aus § 21.A.4 zurückbeziehen muss.

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Gemütszustand beschreibt, der über zwei Aspekte verfügt: Erstens ist dieser Gemütszustand durch eine ›Stimmung der Erkenntnißkräfte‹ zur Erkenntnis überhaupt gekennzeichnet (1. Aspekt) und zweitens durch ›eine verschiedene Proportion‹ (2. Aspekt). Es scheint daher plausibel, dass sich die Partikeln ›eine‹ und ›welcher‹ in § 21.A.5a auf die ›Stimmung der Erkenntnißkräfte‹ zu einer Erkenntnis überhaupt aus § 21.A.4 beziehen, 29 und die Formulierung ›dieses innere Verhältniß‹ auf die ›Proportion‹ (2. Stufe): § 21.A.5a*b Es muss eine Stimmung der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt [1. Aspekt] geben, in welcher dieses innere Verhältnis [2. Aspekt] zur Belebung (einer Erkenntniskraft durch die andere Erkenntniskraft) die zuträglichste für beide Gemütskräfte in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt ist.

Freilich ist an dieser Rekonstruktion problematisch, dass der durch das Pronomen ›dieses‹ ausgedrückte Bezug (›dieses innere Verhältniß‹) keinen Sinn mehr zu ergeben scheint. Zwar hat Kant im Satz zuvor (§ 21.A.4) die ›verschiedene Proportion‹ (2. Aspekt) angeführt und diese könnte durch den Begriff ›Verhältniß‹ durchaus aufgegriffen werden; jedoch müsste Kant dann eigentlich das Pronomen ›jenes‹ nutzen. Es gibt aber noch ein gravierenderes Problem. Kant greift nämlich die Stimmung zur Erkenntnis überhaupt im weiteren Verlauf von § 21.A.5a auf (›in Absicht auf Erkenntniß…überhaupt‹). Damit stehen wir vor dem Problem, dass in der Stimmung der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt eine Stimmung zur Erkenntnis überhaupt vorliegen müsste. Auch dies scheint unplausibel. Im Sinne des Prinzips des Wohlwollens sollten wir daher annehmen, dass sich die Partikel ›eine‹ auf eine gesamte Gemütsstimmung bezieht, die sowohl durch eine Stimmung zur Erkenntnis überhaupt (1. Aspekt) als auch eine verschiedene Proportion (2. Aspekt) ausgezeichnet ist: § 21.A.5a*c Es muss eine Stimmung der Erkenntniskräfte geben, in welcher dieses innere Verhältnis [2. Aspekt] zur Belebung (einer Erkenntniskraft durch die andere Erkenntniskraft) die zuträglichste für beide Gemütskräfte in Absicht auf ErDass sich ›eine‹ und ›welcher‹ auf ›Stimmung‹ beziehen müssen, wird auch dadurch bestätigt, dass Kant im nächsten Teilsatz § 21.A.5b die Formulierung ›und diese Stimmung‹ verwendet.

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Die Argumentation

kenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt [1. Aspekt] ist.

Dieser Satz beinhaltet ein weiteres sprachliches Problem. So heißt es im Nebensatz: ›in welcher [Stimmung] dieses innere Verhältniß zur Belebung…die zuträglichste…ist‹. Worauf referiert aber die Formulierung ›die zuträglichste‹ ? Grammatikalisch müsste sie sich auf das Subjekt des Nebensatzes beziehen, d. h. ›dieses innere Verhältniß‹ ; es müsste damit aber eigentlich ›das zuträglichste‹ heißen. Diese Auffälligkeit lässt sich (wieder im Sinne des Prinzips des Wohlwollens) folgendermaßen erklären: Kant verwendet in § 21 die Begriffe ›Verhältnis‹ und ›Proportion‹ austauschbar. Daher können wir die Formulierung ›die zuträglichste‹ ergänzen zu ›die zuträglichste Proportion‹. Da ›Proportion‹ gleichbedeutend mit ›Verhältnis‹ ist, wird der Bezug zum Subjekt des Nebensatzes gewahrt. Man muss also eigentlich lesen: ›in welcher dieses innere Verhältnis zur Belebung…das zuträglichste Verhältnis ist‹. Wir können schreiben: § 21.A.5aR1 Es muss eine Stimmung der Erkenntniskräfte geben, in welcher das innere Verhältnis [2. Aspekt] das zuträglichste Verhältnis zur Belebung (einer Erkenntniskraft durch die andere Erkenntniskraft) für beide Erkenntniskräfte in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt [1. Aspekt] ist.

Damit haben wir einige grammatisch bedingte Schwierigkeiten gelöst. Nun birgt dieser Satz aber auch ein großes inhaltliches Problem: Denn wofür ist das Verhältnis eigentlich das ›zuträglichste‹ ? So könnte das Verhältnis entweder das ›zuträglichste zur Belebung‹ oder das ›zuträglichste…in Absicht auf Erkenntniß…überhaupt‹ sein. Grammatikalisch sind beide Optionen gleichsam möglich. Jedoch gibt es einen gewichtigen inhaltlichen Grund, der dafür spricht, dass das zur Belebung zuträglichste Verhältnis gemeint sein muss. Wir haben im zweiten Argumentationsschritt die Formulierung ›Stimmung zu einer Erkenntnis überhaupt‹ so gedeutet, dass damit eine Stimmung gemeint ist, die für jede Erkenntnis notwendig ist. Dasjenige, was für jede Erkenntnis notwendig ist, kann aber nicht durch ein Mehr oder Weniger ausgezeichnet sein; 30 es kann nicht ein Mehr oder Weniger einer notwendigen Bedingung geben. Wir haben zudem die ›StimFür einen ähnlichen Punkt (allerdings in einem anderen Kontext) vgl. Kulenkampff 1994, 147.

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mung zur Erkenntnis überhaupt‹ unter anderem als Subsumtion der von der Einbildungskraft aufgefassten Form unter einen Begriff des Verstandes gedeutet. Wiederum gibt es aber kein Mehr oder Weniger einer Subsumtion, sondern eine Subsumtion liegt entweder vor oder sie liegt nicht vor. Daher ist es nicht plausibel, das innere Verhältnis als das zuträglichste ›in Absicht auf Erkenntnis…überhaupt‹ zu deuten; vielmehr muss das ›zur Belebung‹ zuträglichste Verhältnis gemeint sein. Wir müssen § 21.A.5a damit insgesamt so lesen, dass Kant hier eine Stimmung der Erkenntniskräfte beschreibt, bei der sich Einbildungskraft und Verstand in einem zur Belebung zuträglichsten Verhältnis befinden (2. Aspekt; das ›zur Belebung…zuträglichste‹ Verhältnis), wobei gleichzeitig das Verhältnis zur Erkenntnis überhaupt vorliegt (1. Aspekt; ›in Absicht auf Erkenntniß…überhaupt‹): § 21.A.5aR2 Es muss eine Stimmung von Einbildungskraft und Verstand geben, die über die folgenden Aspekte verfügt: (1) Verhältnis zur Erkenntnis überhaupt (1. Aspekt) (2) das zuträglichste Verhältnis zur gegenseitigen Belebung von Einbildungskraft und Verstand (2. Aspekt)

Ich werde diese Stimmung fortan als ›Stimmung S‹ bezeichnen. Um diese Stimmung S besser zu verstehen, müssen wir fragen, was genau unter einem zur gegenseitigen Belebung von Einbildungskraft und Verstand zuträglichsten Verhältnis (2) zu verstehen ist. Da durch dieses Verhältnis der zweite Aspekt des Gemütszustandes charakterisiert wird, muss das Verhältnis für ein spezifisches Aktivitätsniveau der Erkenntnisvermögen sowie eine spezifische begriffliche Dominanz des Verstandes stehen. Erstens impliziert dann der Begriff ›Belebung‹, dass ein hohes Aktivitätsniveau vorliegt. Zweitens besteht eine gegenseitige Belebung (›einer durch die andere‹), d. h. eine gegenseitige Beförderung von Einbildungskraft und Verstand. Eine solche Beförderung ist aber nur dann gegeben, wenn keine begriffliche Dominanz vom Verstand ausgeht, d. h. wenn keine Subsumtion unter einen bestimmten Begriff stattfindet; denn durch eine solche Subsumtion wird die Aktivität der Einbildungskraft nicht befördert, sondern eingeschränkt. 31 Dies impliziert außerdem, dass bei einer Stimmung S keine Erkenntnis vorliegen kann, wenngleich eine ›Stimmung zur Erkenntnis überhaupt‹ gegeben sein muss (1). Nun muss auch der VerKant bezeichnet die begriffliche Dominanz des Verstandes in Erkenntnisurteilen mit Begriffen wie ›Zwang‹ oder ›Nötigung‹, also gewissermaßen mit dem Gegenteil einer Beförderung (vgl. 241,6; 316,27).

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stand belebt werden (›gegenseitige Belebung‹); und da die spezifische Tätigkeit des Verstandes in der Subsumtion unter Begriffe besteht, muss eine Art von andauernder Subsumtionsaktivität vorliegen. Nimmt man all dies zusammen, dann kann mit dem zur Belebung zuträglichsten Verhältnis nur das freie und harmonische Spiel der Erkenntniskräfte gemeint sein. So hat hier die Einbildungskraft ein hohes Aktivitätsniveau im Sinne des freien Spielens mit Formen; und auch der Verstand hat aufgrund seiner andauernden Subsumtion unter das Prinzip a priori der Urteilskraft ein hohes Aktivitätsniveau. Da das Prinzip a priori unbestimmt ist, liegt zudem keine begriffliche Dominanz vor. Ferner befördert das anhaltende Apprehendieren von Formen die Subsumtionsaktivität des Verstandes, da der Verstand immer neue Formen unter das Prinzip a priori subsumieren muss; und diese andauernde (positive) Subsumtion befördert die Einbildungskraft im Apprehendieren von neuen Formen. 32 Es liegt also eine gegenseitige Belebung vor. Für eine Deutung vom zur Belebung zuträglichsten Verhältnis im Sinne des freien Spiels spricht auch, dass Kant in der KU Formulierungen wie ›Belebung der Erkenntniskräfte‹ ausschließlich mit Bezug auf das Schöne und das freie Spiel verwendet. 33 Davon, wie man die Formulierung § 21.A.5a deutet, ist zentral abhängig, wie man § 21 insgesamt interpretiert: Nimmt man, wie hier vorgeschlagen, an, dass Kant in § 21.A.5a ein zur Belebung zuträglichstes Verhältnis der Erkenntniskräfte beschreibt, dann ist damit das freie Spiel der Erkenntniskräfte und somit ein ästhetischer Gemeinsinn impliziert. Vertritt man aber – wie etwa Allison – die These, dass Kant in § 21 keinen spezifisch ästhetischen Gemeinsinn, sondern »a strictly cognitive conception of common sense« (Allison 2001, 150) behandelt, so muss man erklären, wie die Formulierung ›zur Belebung‹ anderweitig zu deuten ist. Dabei ist es sehr aufschlussreich, dass Allison zwar bemerkt, eine Interpretation im Sinne des freien Spiels sei »a reading which is certainly suggested by Kant’s reference Vgl. hierzu insbesondere Kap. G3.3. Vgl. etwa: »Die Belebung beider Vermögen (der Einbildungskraft und des Verstandes) zu unbestimmter, aber doch, vermittelst des Anlasses der gegebenen Vorstellung, einhelliger Thätigkeit, derjenigen nämlich, die zu einem Erkenntniß überhaupt gehört, ist die Empfindung, deren allgemeine Mittheilbarkeit das Geschmacksurtheil postulirt« (§ 9.I.5, 219,4, m. H.); »so muß das Geschmacksurtheil auf einer bloßen Empfindung der sich wechselseitig belebenden Einbildungskraft in ihrer F r e y h e i t , und des Verstandes mit seiner G e s e t z m ä ß i g k e i t , also auf einem Gefühle beruhen« (287,17). Vgl. auch § 10.B.2, 222,20; 316,27 f.

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in this context to the mutual ›quickening‹ [Belebung] of the cognitive faculties« (Allison 2001, 152), interessanterweise aber in seiner Rekonstruktion von § 21.A.5a den Begriff der Belebung dann mit keinem Wort mehr erwähnt. Ähnlich lässt auch Fricke in ihrer Wiedergabe von § 21.A.5a das Wort ›Belebung‹ einfach weg: »Verschieden sind diese Proportionen [zwischen den Erkenntniskräften Einbildungskraft und Verstand], insofern sie mehr oder weniger zuträglich sind in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt« (Fricke 1990, 166). 34 Nun habe ich – contra Allison und Fricke – gezeigt, dass die Stimmung S für einen Gemütszustand steht, der aus einer Zusammenstimmung zu einer Erkenntnis überhaupt (1. Aspekt) und einem zur Belebung zuträglichsten Verhältnis (2. Aspekt) besteht. Was aber ist genau Kants These in § 21.A.5a? Er schreibt, dass es ›gleichwohl‹ eine solche Stimmung S ›geben muss‹. Diese Wendung lässt zwei verschiedene Deutungen zu: Erstens kann gemeint sein, dass es die Stimmung S wirklich gibt; Kant würde damit die Wirklichkeit der Stimmung S darlegen. Dies würde bedeuten, dass es Menschen gegeben hat oder gibt, die in einer Stimmung S waren oder sind. Zweitens kann aber auch nur gemeint sein, dass die Stimmung S möglich ist. Hier wäre offengelassen, ob Menschen bereits in einer Stimmung S waren oder gerade darin sind und ob die Stimmung S also Wirklichkeit beansprucht. Diese zweite Interpretation kann aus den folgenden Gründen mehr Evidenz beanspruchen: Zunächst wäre die Formulierung ›es muss x geben‹ mindestens ungewöhnlich, um die Wirklichkeit von x auszudrücken. Stattdessen wären eher Formulierung der Art ›es gibt x‹ oder ›x existiert‹ angebracht. Ferner fügt sich die Interpretation, nach der die Stimmung S möglich ist, viel besser in die Argumentation von § 21. Würde Kant in § 21.A.5a die Wirklichkeit einer Stimmung S behaupten, so wäre völlig unklar, wie sich dies mit dem Material von § 21 begründen lassen sollte. Denn daraus, dass es verschiedene Verhältnisse (2. Aspekt des Gemütszustandes) der Erkenntnisvermögen geben kann (dritter Argumentationsschritt), folgt keineswegs die Wirklichkeit einer Stimmung S mit einem spezifischen, nämlich zur Belebung zuträglichsten Verhältnis. Die viel bescheidenere Annahme, dass S und damit ein spezifisches, belebendes Vgl. auch Ameriks 2003, 286–293. Interessanterweise verortet Ameriks in § 21 den Versuch einer Deduktion des ästhetischen Gemeinsinns, wobei er sich auf die Harmonie der Erkenntnisvermögen bezieht.

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Die Argumentation

Verhältnis möglich ist, ist dagegen mit der These begründbar, dass es ganz verschiedene Verhältnisse der Erkenntnisvermögen gibt. Schließlich würden durch diese Interpretation auch die zu Beginn dieses Unterkapitels benannten Probleme gelöst; 35 denn Kant würde in § 21 nicht die Wirklichkeit des ästhetischen Gemeinsinns deduzieren, sondern bloß seine Möglichkeit darlegen. Er würde damit in § 22 seine Deduktion aus § 21 nicht unmittelbar revidieren, weil es in § 21 gar keine Deduktion gäbe; und in § 38 würde er keine zweite, bessere Deduktion, sondern seine einzige Deduktion des Gemeinsinns vorbringen. Zudem würde er in § 21 innerhalb der Zergliederung von Geschmack und Geschmacksurteil, d. h. innerhalb der Analytik des Schönen, verweilen. Das Ergebnis des vierten Argumentationsschritts lautet: Es besteht die Möglichkeit einer Stimmung S, die aus einer Zusammenstimmung der Erkenntnisvermögen zur Erkenntnis überhaupt (1. Aspekt des Gemütszustandes) und einem zur Belebung zuträglichsten Verhältnis (2. Aspekt) besteht. Dabei handelt es sich um einen Gemütszustand, der erstens aus einer zweckmäßigen Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand im Sinne einer Subsumtion der von der Einbildungskraft apprehendierten Form(en) unter einen (unbestimmten) Begriff (1. Aspekt) und zweitens einer gegenseitigen Beförderung der Erkenntniskräfte (2. Aspekt) besteht. Dieser Gemütszustand ist der Zustand des freien und harmonischen Spiels der Erkenntniskräfte.

21.2.5 Das zur Belebung zuträglichste Verhältnis kann nur durch das Gefühl bestimmt werden Im zweiten Teil von § 21.A.5 zeigt Kant auf, wie sich urteilende Subjekte der Stimmung S bewusst werden können. Betrachten wir § 21.A.5 noch einmal in Gänze: § 21.A.5 »[a] Gleichwohl aber muss es eine [Stimmung] geben, in welcher dieses innere Verhältniß zur Belebung (einer durch die andere) die zuträglichste für beide Gemüthskräfte in Absicht auf Erkenntniß (gegebener Gegenstände) überhaupt ist; [b] und diese Stimmung kann nicht anders als durch das Gefühl (nicht nach Begriffen) bestimmt werden« (238,34). 35

Siehe Kap. 21.1.

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Offenkundig bezieht Kant sich mit der Formulierung ›diese Stimmung‹ in [b] auf die in § 21.A.5a eingeführte Stimmung S. Wir können die folgende vereinfachte Rekonstruktion vornehmen: § 21.A.5bR1 Die Stimmung S (Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt und zur Belebung zuträglichstes Verhältnis) kann nur durch das Gefühl (nicht nach Begriffen) bestimmt werden.

Wir können zwei Propositionen isolieren: § 21.A.5bR2 Die Stimmung S (Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt und zur Belebung zuträglichstes Verhältnis) (1) kann nur durch das Gefühl bestimmt werden. (2) kann nicht nach Begriffen bestimmt werden.

Fragen wir zunächst, was es bedeuten würde, dass eine Stimmung ›nach Begriffen bestimmt‹ würde. Ein Bewusstsein ›nach Begriffen‹ ist dasselbe, wie ein ›intellektuelles Bewusstsein‹, wozu es in § 9 heißt: »Wäre die gegebene Vorstellung, welche das Geschmacksurtheil veranlaßt, ein Begrif, welcher Verstand und Einbildungskraft in der Beurtheilung des Gegenstandes zu einem Erkenntnisse des Objects vereinigte, so wäre das Bewußtseyn dieses Verhältnisses intellectuell« (§ 9.I.1, 218,32, m. H.). Ein intellektuelles Bewusstsein einer Stimmung (d. h. ein Bewusstsein nach Begriffen) bedeutet nicht, dass wir die Stimmung selbst begrifflich erfassen; vielmehr haben wir mittels der begrifflichen Erfassung eines Objekts, d. h. mittels einer Erkenntnis, ein indirektes Bewusstsein von dieser Stimmung. Dadurch, dass die Stimmung eine (begriffliche) Erkenntnis zum Ergebnis hat, wissen wir mittels dieses Ergebnisses, dass eine Stimmung zur Erkenntnis überhaupt, d. h. eine Stimmung, wie sie für jede Erkenntnis erforderlich ist, vorliegen muss. Insofern könnte man sagen, dass bei einer normalen Erkenntnis die Stimmung nicht durch Begriffe, aber nach Begriffen bestimmt wird. Nun kann ein ›zur Belebung zuträglichstes Verhältnis‹ und somit eine Stimmung S gerade nicht bei einer Erkenntnis vorliegen (siehe Kap. 21.2.4). Wenn aber die Stimmung S nicht bei Erkenntnissen auftreten kann, dann kann uns die Stimmung S nicht durch die Erkenntnis und somit nicht ›nach Begriffen‹ bewusst werden (2). Stattdessen muss die Stimmung S ›durch das Gefühl…bestimmt werden‹ (2). Wir haben gesehen, dass wir eine jede innere befördernde Aktivität, d. h. jede innere Belebung – sei sie physisch oder intellektuell –, als Lust erleben. Ebenso erleben wir eine jede Hemmung 1136

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einer inneren Aktivität als Unlust. 36 In diesem Sinne spricht Kant auch von der Lust als »Gefühl des Lebens« (277,28) bzw. »Lebensgefühl« (§ 1.B.2, 204,8). Nun liegt im Fall der Stimmung S eine gegenseitige Belebung der Erkenntnisvermögen (2. Aspekt des Gemütszustandes) vor – es ist ja sogar die zur Belebung zuträglichste Proportion. Folglich fühlt sich die Stimmung S als Lust an und wird uns ›durch das Gefühl‹ bewusst. 37 Wichtig ist dabei, dass uns die gesamte Stimmung S – und damit auch die darin beinhaltete Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt – ausschließlich gefühlt bewusst wird. Wir werden uns in diesem Sinne bewusst, dass eine notwendige Bedingung der Erkenntnis vorliegt, ohne dass eine Erkenntnis vorliegt. Es hat sich gezeigt, dass Kant nur für die Möglichkeit der Stimmung S argumentiert. In diesem Sinne wissen wir auch nur um die Möglichkeit der Lust, durch die uns die Stimmung S bewusst wird. Die These des fünften Schritts lautet damit: Wenn es eine Stimmung S gibt, bei der eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt (1. Aspekt des Gemütszustandes) und ein zur Belebung zuträglichstes Verhältnis (2. Aspekt) vorliegt, dann kann uns S nur durch ein Gefühl der Lust bewusst werden.

21.2.6 Die allgemeine Mitteilbarkeit eines Gefühls setzt einen Gemeinsinn voraus Der letzte Argumentationsschritt führt auf Kants Konzeption des ästhetischen Gemeinsinns: § 21.A.6 »[a] Da sich nun diese Stimmung selbst muß allgemein mittheilen lassen, mithin auch das Gefühl derselben (bey einer gegebenen Vorstellung); [b] die allgemeine Mittheilbarkeit eines Gefühls aber einen Gemeinsinn voraussetzt: [c] so wird dieser mit Grunde angenommen werden können, [d] und zwar ohne sich desfalls auf psychologische Beobachtungen zu Siehe hierzu Kap. 9.6.3 sowie 4.1.1. Ähnlich hieß es bereits in § 9: »und bey einem Verhältnisse, welches keinen Begrif zum Grunde legt (wie das der Vorstellungskräfte zu einem Erkenntnißvermögen überhaupt) ist auch kein anderes Bewußtseyn desselben, als durch Empfindung der Wirkung, die im erleichterten Spiele beider durch wechselseitige Zusammenstimmung belebten Gemüthskräfte (der Einbildungskraft und des Verstandes) besteht, möglich« (§ 9.I.6, 219,11).

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fußen, sondern als die nothwendige Bedingung der allgemeinen Mittheilbarkeit unserer Erkenntniß, welche in jeder Logik und jedem Princip der Erkenntnisse, das nicht skeptisch ist, vorausgesetzt werden muß« (239,2).

Uns interessieren zunächst die Teilsätze § 21.A.6a-b. Die Formulierung ›diese Stimmung‹ muss sich auf § 21.A.5 und damit auf die Stimmung S beziehen. Dies gilt auch für ›derselben‹. Die Partikel ›dieser‹ in § 21.A.6c muss sich auf den Gemeinsinn beziehen. Wir erhalten: § 21.A.6R1 [a] Da sich die Stimmung S selbst allgemein mitteilen lassen muss, mithin auch das Gefühl der Stimmung S (bei einer gegebenen Vorstellung); [b] die allgemeine Mitteilbarkeit eines Gefühls aber einen Gemeinsinn voraussetzt: [c] so wird dieser Gemeinsinn mit Grund angenommen werden können.

Inhaltlich findet sich in § 21.A.6a-b eine Begründung (›da‹) und in § 21.A.6c eine Konklusion (›so‹). Wir wollen zunächst die drei Propositionen der Begründung untersuchen: § 21.A.6a1R2 Die Stimmung S muss sich allgemein mitteilen lassen. § 21.A.6a2R2 Das Gefühl der Stimmung S (bei einer gegebenen Vorstellung) muss sich allgemein mitteilen lassen. § 21.A.6bR2 Die allgemeine Mitteilbarkeit eines Gefühls setzt einen Gemeinsinn voraus.

§ 21.A.6a1 leitet sich aus dem zweiten Argumentationsschritt ab. Das Ergebnis dieses Schritts war, dass sich »die Stimmung der Erkenntnißkräfte zu einer Erkenntniß überhaupt […] allgemein mittheilen lassen« muss (§ 21.A.2, 238,24). Wir können das folgende Argument rekonstruieren: P1

Wenn ein Gemütszustand eine Stimmung zur Erkenntnis überhaupt beinhaltet, dann muss er sich allgemein mitteilen lassen. [§ 21.A.2] P2 Die Stimmung S beinhaltet eine Stimmung zur Erkenntnis überhaupt. [§ 21.A.5a] Also: Die Stimmung S muss sich allgemein mitteilen lassen. [§ 21.A.6a1]

§ 21.A.6a2 ergibt sich aus einer Zusammenführung der allgemeinen Mitteilbarkeit von S, die in § 21.A.6a1 dargelegt wurde, und der These, dass wir uns nur durch Gefühl und nicht intellektuell der 1138

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Die Argumentation

Stimmung S bewusst werden können (§ 21.A.5b). Dass sich auch das Gefühl der Stimmung S mitteilen lassen muss, ist folgendermaßen zu erklären: Es wäre denkbar, dass es einen Gemütszustand gäbe, den zwar alle Menschen bei denselben Vorstellungen hätten, ohne dass ihnen dieser Gemütszustand jedoch (unmittelbar oder mittelbar) bewusst wäre. Dieser Gemütszustand wäre nicht allgemein mitteilbar. Vielmehr erfordert die allgemeine Mitteilbarkeit eines Gemütszustandes, so scheint mir, dass wir ein (unmittelbares oder mittelbares) Bewusstsein von diesem Gemütszustand haben. Wir können den folgenden argumentativen Kontext konstruieren: P1

Wenn sich ein Gemütszustand allgemein mitteilen lässt, dann muss sich das Bewusstsein des Gemütszustandes allgemein mitteilen lassen. [implizite Prämisse] P2 Die Stimmung S muss sich allgemein mitteilen lassen. [§ 21.A.6a1] Also: Das Bewusstsein der Stimmung S muss sich allgemein mitteilen lassen. P3 Das Bewusstsein der Stimmung S ist ein Gefühl. [§ 21.A.5b] Also: Das Gefühl, durch welches wir uns der Stimmung S bewusst werden, muss sich allgemein mitteilen lassen. [§ 21.A.6a2]

In § 21.A.6b führt Kant die Argumentation auf seine Konzeption des Gemeinsinns (›die allgemeine Mittheilbarkeit eines Gefühls aber einen Gemeinsinn voraussetzt‹). Führt man § 21.A.6b und § 21.A.6a2 zusammen, so lässt sich das folgende Argument konstruieren: P1

Wenn ein Gefühl allgemein mitteilbar ist, dann setzt diese allgemeine Mitteilbarkeit einen Gemeinsinn voraus. [§ 21.A.6b] P2 Das Gefühl, durch welches wir uns der Stimmung S bewusst werden, muss sich allgemein mitteilen lassen. [§ 21.A.6a2] Also: Die allgemeine Mitteilbarkeit des Gefühls, durch welches wir uns der Stimmung S bewusst werden, setzt einen Gemeinsinn voraus.

Wie verhalten sich der Gemeinsinn und das Gefühl der Stimmung S zueinander? Kants Aussage, dass ›die allgemeine Mittheilbarkeit eines Gefühls…einen Gemeinsinn voraussetzt‹ (§ 21.A.6b), könnte vermuten lassen, dass der Gemeinsinn und das Gefühl zwei verschiedene Dinge seien. Dies ist aber irreführend; denn der Gemeinsinn ist ja nichts anderes als ein Vermögen zu einem Gefühl. Das Gefühl der Stimmung S muss also insofern einen Gemeinsinn voraussetzen, als es eine Instanziierung dieses Gemeinsinns ist. Tatsächlich buchKants Philosophie des Schönen

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§ 21 Eine Deduktion des ästhetischen Gemeinsinns?

stabiert Kant in § 21.A.6b nur noch einmal aus, was ein Gemeinsinn ist, nämlich ein Vermögen zu einem allgemeinen oder allgemein mitteilbaren Gefühl. Es ist dann fast trivial, dass ein allgemein mitteilbares Gefühl einen Gemeinsinn, d. h. ein Vermögen zu einem allgemein mitteilbaren Gefühl, voraussetzt. Ich schlage daher die folgende Rekonstruktion von § 21.A.6b vor: § 21.A.6bR2 Die allgemeine Mitteilbarkeit eines Gefühls setzt voraus, dass das Gefühl dem Vermögen eines Gemeinsinns entspringt.

Das Ergebnis des sechsten Argumentationsschritts lautet: Mittels des Gemeinsinns als Vermögen zu einer allgemein mitteilbaren Lust werden wir uns der Stimmung S bewusst, die durch eine Zusammenstimmung der Erkenntnisvermögen zur Erkenntnis überhaupt (1. Aspekt) und einem zur Belebung zuträglichsten Verhältnis (2. Aspekt) ausgezeichnet ist. Nun ist die Stimmung S aber, wie oben erläutert, letztlich nichts anderes als das freie Spiel der Erkenntniskräfte. Damit werden wir uns des freien Spiels mittels des Gemeinsinns bewusst.

21.3 Die Konklusion: Der Gemeinsinn als Hypothese Kommen wir zur Konklusion der gesamten Argumentation. Wüssten wir, dass es eine Stimmung S gäbe, dann könnten wir die folgende Konklusion (Kn) ziehen: Kn1 Es gibt einen Gemeinsinn.

Nun habe ich jedoch dafür argumentiert, dass Kant in § 21.A.5a nicht die Wirklichkeit, sondern bloß die Möglichkeit der Stimmung S darlegt. Dies führt bloß zur folgenden Konklusion: Kn2 Es ist möglich, dass es einen Gemeinsinn gibt.

Wir wissen zum Ende der Argumentation von § 21 aber noch mehr, nämlich unter welcher Bedingung es einen Gemeinsinn gibt: Wenn es eine Stimmung S gibt, dann gibt es einen Gemeinsinn. Könnte man nun zeigen, dass es eine Stimmung S gibt, so könnte man schließen: P1 Wenn es eine Stimmung S gibt, dann gibt es einen Gemeinsinn. P2 Es gibt eine Stimmung S. Also: Es gibt einen Gemeinsinn. [Kn1]

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Die Konklusion: Der Gemeinsinn als Hypothese

Da Kant aber nicht gezeigt hat, dass es eine Stimmung S gibt, kann er diesen Schluss nicht ziehen. 38 Welche Konklusion zieht Kant nun selbst zum Ende von § 21? Vereinfacht lautet diese: § 21.A.6cR1 Der Gemeinsinn wird mit Grund angenommen werden können.

Damit gibt Kant wohl seine abschließende Antwort auf die Frage aus der Überschrift: § 21.T »Ob man mit Grunde einen Gemeinsinn voraussetzen könne« (238,18).

Inwiefern lassen sich § 21.T und § 21.A.6c damit übereinbringen, dass Kant in § 21 nicht die Wirklichkeit, sondern nur die Möglichkeit des Gemeinsinns beweist? Es fällt auf, dass Kant in beiden Fällen nicht schreibt, dass bzw. ob es einen Gemeinsinn gibt. Vielmehr fragt er in § 21.T, ›[o]b man mit Grunde einen Gemeinsinn voraussetzen könne‹, und er antwortet in § 21.A.6c, dass der Gemeinsinn ›mit Grunde angenommen werden können [wird]‹. Auffällig sind hier erstens der Gebrauch des Konjunktivs sowie zweitens die Verben ›voraussetzen‹ und ›annehmen‹. Wenn ich etwas voraussetze oder annehme, so muss ich nicht die Wirklichkeit dieses etwas voraussetzen bzw. annehmen. Vielmehr kann ich dieses etwas auch bloß als möglich voraussetzen bzw. annehmen. Allerdings schreibt Kant, dass der Gemeinsinn ›mit Grund‹ angenommen werden könne. Spricht dies nicht dafür, dass doch die Wirklichkeit des Gemeinsinns angenommen wird? Ich denke nicht; denn ein Grund muss nicht immer zureichend sein; stattdessen kann er auch unzureichend sein. 39 Tatsächlich liefert Kant ja in § 21 insofern einen Grund, den Gemeinsinn anzunehmen, als er zeigt, dass ein Gemeinsinn möglich ist, und angibt, welches die Bedingung ist, unter der er möglich ist. Dieser Grund ist jedoch nicht zureichend, um die Wirklichkeit des Gemeinsinns zu deduzieren. Wir können demnach rekonstruieren: Tatsächlich wäre es eigentlich ein Leichtes, zu zeigen, dass es eine Stimmung S gibt. Denn S ist nichts anderes als der Gemütszustand des freien und harmonischen Spiels der Erkenntniskräfte. Ausgehend vom Faktum der uninteressierten Lust hat Kant in den §§ 1–9 gezeigt, dass diesem Faktum das freie und harmonische Spiel der Erkenntniskräfte, d. h. eine Stimmung S, zugrunde liegt. Würde er demnach seine Argumentation in § 21 mit seiner Argumentation der §§ 1–9 verknüpfen, so könnte er die Wirklichkeit des Gemeinsinns beweisen. 39 Für verschiedene Verwendungen von ›zureichender und unzureichender Grund‹ vgl. 284,13; 447,16; 479,22 f. 38

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§ 21.T* Kann man mit Grund einen Gemeinsinn voraussetzen? § 21.A.6cR2 Die Möglichkeit des Gemeinsinns kann mit Grund angenommen werden, aber dieser Grund ist zu einer Deduktion der Wirklichkeit des Gemeinsinns nicht zureichend.

Dass auch ein Beweis sinnvoll sein kann, der noch keinen zureichenden Grund angibt, macht Kant in § 90 deutlich. Dort differenziert er zwischen verschiedenen Stufen des Beweisens. Auf der untersten Stufe dieser Systematik steht die Hypothese, zu der es heißt: »Was als H y p o t h e s e zu Erklärung der Möglichkeit einer gegebenen Erscheinung dienen soll, davon muß wenigstens die Möglichkeit völlig gewiß seyn. Es ist genug, daß ich bey einer Hypothese auf die Erkenntniß der Wirklichkeit (die in einer für wahrscheinlich ausgegebenen Meynung noch behauptet wird) Verzicht thue: mehr kann ich nicht Preis geben; die Möglichkeit dessen, was ich einer Erklärung zum Grunde lege, muß wenigstens keinem Zweifel ausgesetzt seyn, weil sonst der leeren Hirngespinste kein Ende seyn würde« (466,12). 40

Beziehen wir dies auf den Gemeinsinn, so ergibt sich das folgende Bild: Der Gemeinsinn wird der ›Erklärung‹ der Notwendigkeit des Geschmacksurteils ›zum Grunde‹ gelegt. In dieser Funktion darf er ›keinem Zweifel ausgesetzt seyn, weil sonst der leeren Hirngespinste kein Ende seyn würde‹. In § 21 tut Kant noch ›auf die Erkenntniß der Wirklichkeit‹ des Gemeinsinns ›Verzicht‹. Er legt nur dar, dass die ›Möglichkeit‹ des Gemeinsinns ›keinem Zweifel ausgesetzt‹ ist. In diesem Sinne können wir § 21.A.6c folgendermaßen ergänzen: § 21.A.6cR3 Der Gemeinsinn kann mit Grund als Hypothese angenommen werden, aber dieser Grund ist zum Beweis der Wirklichkeit des Gemeinsinns nicht zureichend.

Die Konklusion der Argumentation von § 21 ist also nicht, dass es den Gemeinsinn gibt. Stattdessen zeigt Kant nur, dass der Gemeinsinn möglich ist. Dieser Deutung der Konklusion bereitet aber, so scheint es, die abschließende Proposition § 21.A.6d Probleme:

Vgl. auch: »Ein Beweis aber w i r k t a u f U e b e r z e u g u n g , ohne noch zu überzeugen, wenn er bloß auf dem Wege dahin geführt wird, d. i. nur objective Gründe dazu in sich enthält, die, ob sie gleich noch nicht zur Gewißheit hinreichend, dennoch von der Art sind, daß sie nicht bloß als subjective Gründe des Urtheils zur Ueberredung dienen« (463,9).

40

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Die Konklusion: Der Gemeinsinn als Hypothese

§ 21.A.6c–d [c] So wird dieser [Gemeinsinn] mit Grunde angenommen werden können, [d] und zwar ohne sich desfalls auf psychologische Beobachtungen zu fußen, sondern als die nothwendige Bedingung der allgemeinen Mittheilbarkeit unserer Erkenntniß, welche [allgemeine Mitteilbarkeit der Erkenntnis] in jeder Logik und jedem Princip der Erkenntnisse, das nicht skeptisch ist, vorausgesetzt werden muß.

Inwiefern kann der ästhetische Gemeinsinn ›als die nothwendige Bedingung der allgemeinen Mittheilbarkeit unserer Erkenntniß‹ gelten? 41 Schließlich hat die Stimmung S, die ja nichts anderes als das freie und harmonische Spiel der Erkenntniskräfte ist, keinen direkten Bezug zur Erkenntnis. Zwar beinhaltet die Stimmung S eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, die auch für jede Erkenntnis notwendig ist; aber beim Vorliegen der Stimmung S wird eben keine Erkenntnis gewonnen. – Für dieses Problem gibt es eine Lösung: Im sechsten Argumentationsschritt haben wir (mit Rückgriff auf § 21.A.2) die folgende Prämisse eingeführt: Wenn ein Gemütszustand eine Stimmung zur Erkenntnis überhaupt beinhaltet, dann muss er sich allgemein mitteilen lassen. Diese Prämisse lässt sich auch so fassen: Alle Gemütszustände, die eine Stimmung zur Erkenntnis überhaupt beinhalten, müssen sich allgemein mitteilen lassen. Es ist plausibel, dass Kant annimmt, diese Prämisse müsse erfüllt sein, damit der Skeptizismus abgewendet werden kann. Die allgemeine Mitteilbarkeit aller Gemütszustände, die eine Stimmung zur Erkenntnis überhaupt beinhalten, wäre dann ›die nothwendige Bedingung der allgemeinen Mittheilbarkeit unserer Erkenntniß, welche in jeder Logik und jedem Princip der Erkenntnisse, das nicht skeptisch ist, vorausgesetzt werden muß‹. Da der Gemütszustand S unter die Klasse aller Gemütszustände, die eine Stimmung zur Erkenntnis überhaupt beinhalten, fällt, ist die allgemeine Mitteilbarkeit von S und damit auch der Gemeinsinn eine (indirekt) notwendige Voraussetzung für die allgemeine Mitteilbarkeit der Erkenntnis. 42 Halten wir zur Konklusion der Argumentation das Folgende fest:

41 42

Vgl. hierzu auch Allison 2001, 153. Für eine ähnliche Argumentation vgl. Matthews 1997, 103 f.

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§ 21 Eine Deduktion des ästhetischen Gemeinsinns?

i.

Die Konklusion der Argumentation ist die folgende Hypothese: Ein (ästhetischer) Gemeinsinn ist möglich. ii. Kant hat noch nicht die Wirklichkeit des Gemeinsinns deduziert. iii. Er hat aber den folgenden Zusammenhang offengelegt: Wenn es eine Stimmung S (Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt und zur Belebung zuträglichste Proportion) gibt, dann gibt es einen Gemeinsinn. iv. Wenn es eine Stimmung S gibt, dann muss sie deshalb allgemein mitteilbar sein, weil sie eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt beinhaltet und alle Gemütszustände, die eine Stimmung zur Erkenntnis überhaupt beinhalten, allgemein mitteilbar sein müssen, damit der Skeptizismus abgewendet werden kann.

21.4 Zum schönen Objekt und zur Gemeinschaftlichkeit des Gemeinsinns Wenn es einen Gemeinsinn gibt – und dies ist, wie gesagt, noch nicht klar –, dann ist er im Sinne seiner Gemeinschaftlichkeit folgendermaßen zu charakterisieren: Alle Menschen verfügen über den Gemeinsinn, er operiert bei allen Menschen auf dieselbe Art und Weise und er führt in den gleichen Situationen zum gleichen Resultat. 43 Wir konnten mittels der Komponente der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt einen Teil der Gemeinschaftlichkeit des Gemeinsinns erklären. Wir konnten aber noch nicht erklären, warum der Gemeinsinn bei allen Menschen in den gleichen Situationen zum gleichen Resultat führt. Warum instanziiert sich bei allen Menschen bei denselben gegebenen Gegenständen eine Lust am Schönen als Resultat des Gemeinsinns? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir untersuchen, wie genau sich das schöne Objekt zum Gemeinsinn verhält. Erinnern wir uns zu diesem Zweck noch einmal an den dritten Argumentationsschritt: § 21.A.4* Aber die Stimmung der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt hat, nach Verschiedenheit der Objekte, die gegeben werden, eine verschiedene Proportion.

43

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Siehe hierzu Kap. 20.2.2.

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Zum schönen Objekt und zur Gemeinschaftlichkeit des Gemeinsinns

Kant führt hier aus, dass der zweite Aspekt des Gemütszustandes, d. h. die Verschiedenheit der Proportionen der Erkenntniskräfte im Sinne eines unterschiedlichen Aktivitätsniveaus und einer unterschiedlichen Dominanz des Verstandes, vom gegebenen Objekt abhängt. Damit muss auch die ›zur Belebung…zuträglichste‹ Proportion vom gegebenen Objekt abhängen. Eine zur Belebung zuträglichste Proportion kann also nur bei bestimmten Objekten vorliegen, und das Subjekt kann sich nicht bei irgendwelchen Objekten beliebig in diesen Zustand versetzen. Halten wir zunächst diesen Zusammenhang von Objekt und Gemeinsinn (OG) fest: OG1 Dass ein zur Belebung der Erkenntniskräfte zuträglichstes Verhältnis (2. Aspekt der Stimmung S) vorliegt, ist vom gegebenen Objekt abhängig.

Nun kann dieser Zusammenhang freilich nicht bedeuten, dass urteilende Subjekte bei einem gegebenen Objekt, das ein zur Belebung zuträglichstes Verhältnis anregen kann, immer zwangsläufig in einen solchen Zustand des zur Belebung zuträglichsten Verhältnisses versetzt werden. Um sicherzustellen, dass ein Subjekt wirklich in eine Stimmung S eintreten wird, müssen wir, wie schon in anderen Kontexten, die ästhetische Einstellung des Subjekts einbeziehen. 44 Wir müssen den obigen Zusammenhang demnach folgendermaßen verfeinern: OG1R1 Dass ein zur Belebung der Erkenntniskräfte zuträglichstes Verhältnis (2. Aspekt der Stimmung S) vorliegt, ist vom gegebenen Objekt abhängig. Dass sich beim gegebenen Objekt im Subjekt auch wirklich eine Stimmung S instanziiert, kann dadurch garantiert werden, dass sich das Subjekt in die ästhetische Einstellung versetzt.

Auch dieser verfeinerte Zusammenhang reicht aber nicht aus, um die Beziehung zwischen dem gegebenen Objekt und dem Gemeinsinn zu erklären. So ist der Gemeinsinn auch durch eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt ausgezeichnet. Es scheint aber durchaus denkbar, dass ein gegebener Gegenstand eine starke innere Belebung der Erkenntniskräfte im Subjekt anregt, ohne dass das Subjekt dabei in einen Zustand der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt eintritt. Daher muss Kant zeigen, dass auch das Vorliegen Siehe hierzu auch die Einbeziehung der ästhetischen Einstellung in die Allgemeingültigkeitsthese und die Notwendigkeitsthese (Kap. 6.1, 18.1.3 sowie 18.2).

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einer Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vom Objekt abhängt. Dass dies der Fall ist, wird von Kant in § 21 allerdings nicht behauptet. Jedoch hat er bereits im Dritten Moment mittels der Konzeption der subjektiven Zweckmäßigkeit herausgestellt, dass das Vorliegen einer Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vom gegebenen Objekt abhängt. So ist die subjektive ZM eines Gegenstandes nichts anderes als die Beziehung des Gegenstandes auf die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt. 45 Wenn ein Objekt subjektiv zweckmäßig ist, dann ist es im urteilenden Subjekt mit einer Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt verbunden. Wir können damit einen zweiten Zusammenhang zwischen dem gegebenen Objekt und dem Gemeinsinn herstellen: OG2 Dass ein Zustand der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt (1. Aspekt der Stimmung S) vorliegt, ist vom gegebenen Objekt abhängig. Ein solches gegebenes Objekt ist subjektiv zweckmäßig.

Es scheint mir allerdings unklar, wie genau der Zusammenhang OG2 genauer bestimmt werden kann: Wenn Kant zu Beginn von § 18 formuliert, bei »einer jeden Vorstellung« sei es möglich, »daß sie (als Erkenntniß) mit einer Lust verbunden sey« (§ 18.A.1, 236,17, m. H.), dann scheint er damit zu implizieren, dass jede gegebene Vorstellung (objektive Empfindung, Anschauung, Begriff) für eine Erkenntnis gebraucht werden kann. 46 Wäre dies wirklich der Fall, dann wäre ziemlich viel subjektiv zweckmäßig. Allerdings geht Kant mindestens beim Erhabenen davon aus, dass der gegebene Gegenstand (bzw. das gegebene Mannigfaltige) nicht subjektiv zweckmäßig, sondern gerade subjektiv unzweckmäßig bzw. zweckwidrig ist. 47 Ich kann diese Problematik hier nicht weiter verfolgen. Wichtig ist nur, dass im Sinne der allgemeinen Mitteilbarkeit von Erkenntnissen für alle Menschen dieselben Gegenstände erkennbar und in diesem Sinne mit einer Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt verbunden sein müssen. Siehe Kap. 10.1.3. Siehe hierzu die Analyse dieser Passage in Kap. 18.1.1. 47 Vgl.: »statt dessen das, was in uns, ohne zu vernünfteln, bloß in der Auffassung, das Gefühl des Erhabenen erregt, der Form nach zwar zweckwidrig für unsere Urtheilskraft, unangemessen unserm Darstellungsvermögen, und gleichsam gewaltthätig für die Einbildungskraft erscheinen mag, aber dennoch nur um desto erhabener zu seyn geurtheilt wird« (245,19, m. H.). 45 46

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Zum schönen Objekt und zur Gemeinschaftlichkeit des Gemeinsinns

Wir können nun die Zusammenhänge OG1 und OG2 verknüpfen: OG3 Dass eine Stimmung S, d. h. ein Zustand der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt (1. Aspekt) und ein zur Belebung der Erkenntniskräfte zuträglichstes Verhältnis (2. Aspekt), vorliegt, ist vom gegebenen Objekt abhängig. Dass sich beim gegebenen Objekt im Subjekt auch wirklich eine Stimmung S instanziiert, kann dadurch garantiert werden, dass sich das Subjekt in die ästhetische Einstellung versetzt.

Mittels OG3 wird nun deutlich, warum die Lust am Schönen Notwendigkeit bzw. notwendige Allgemeingültigkeit beansprucht. So lautete die Notwendigkeitsthese NTLust: NTLustR3 Der Gegenstand x ist bei allen Menschen notwendig mit Lust am Schönen verbunden, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind und x ein schöner Gegenstand ist.

Diese These gilt, weil wir Menschen über den Gemeinsinn verfügen, der aus der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt (1. Aspekt) und einem zur Belebung zuträglichsten Verhältnis der Erkenntniskräfte (2. Aspekt) besteht, wobei beide Aspekte vom gegebenen Objekt abhängig sind. Da Kant aber bis hierhin (§ 21) noch nicht gezeigt hat, dass es den Gemeinsinn wirklich gibt, so ist auch die Geltung von NTLust noch nicht letztgültig bewiesen. Letztlich glaube ich allerdings, dass die Verknüpfung zwischen dem schönen Objekt und dem Gemeinsinn bzw. der Lust am Schönen der kantischen Theorie große Schwierigkeiten bereitet. Es ist zwar durchaus plausibel, durch eine transzendentale Figur zu begründen, dass alle Menschen bei denselben gegebenen Objekten (d. h. eigentlich bei demselben gegebenen Mannigfaltigen an Sinneseindrücken) in einen Zustand zur Erkenntnis überhaupt eintreten. Aber dass alle Menschen bei denselben gegebenen Objekten in einen zur Belebung der Erkenntnisvermögen zuträglichsten Zustand eintreten, lässt sich nicht transzendental begründen. Und tatsächlich liefert Kant selbst an keiner Stelle eine Begründung für die Abhängigkeit dieses zur Belebung zuträglichsten Zustandes – oder auch nur für die Abhängigkeit des zweiten Aspekts des Gemütszustandes (verschiedene Proportion der Erkenntnisvermögen) – vom Objekt. Damit bleibt in letzter Instanz unklar, warum die Lust an einem konkreten Objekt x und die Verknüpfung dieses Objekts x mit der Lust am Schönen im Urteil »x ist schön« Notwendigkeit bzw. notwendige Allgemeingültigkeit beKants Philosophie des Schönen

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anspruchen können. Wenngleich es Kant gelingt, die immense Rolle des urteilenden und fühlenden Subjekts für das Schöne überzeugend herauszustellen, so scheint er die Rolle des schönen Objekts insgesamt doch zu sehr zu vernachlässigen, sodass seine Argumentation an dieser Stelle unzureichend und ungenau bleibt.

21.5 Zusammenfassung Kant hat den ästhetischen Gemeinsinn als Hypothese begründet, d. h. er hat gezeigt, dass der ästhetische Gemeinsinn möglich ist. Er hat dagegen noch nicht gezeigt, dass der Gemeinsinn wirklich ist, d. h. er hat den Gemeinsinn noch nicht deduziert. Er hat damit auch noch nicht gezeigt, dass Geschmacksurteile als notwendig allgemeingültige Urteile möglich sind. Kants Argumentation setzt bei der These an, dass sich Erkenntnisse allgemein mitteilen lassen müssen. Damit sich Erkenntnisse allgemein mitteilen lassen, muss sich auch die subjektive Bedingung der Erkenntnis, d. h. die Zusammenstimmung der Erkenntnisvermögen zur Erkenntnis überhaupt, allgemein mitteilen lassen. Der Gemütszustand bei einer Erkenntnis ist aber nicht nur durch eine Zusammenstimmung zu einer Erkenntnis überhaupt ausgezeichnet (1. Aspekt), sondern auch durch eine je unterschiedliche Proportion (2. Aspekt), d. h. ein unterschiedliches Aktivitätsniveau der Erkenntnisvermögen und eine unterschiedliche begriffliche Dominanz des Verstandes. Kant argumentiert, dass eine Stimmung S möglich ist, die durch eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt (1. Aspekt) und durch ein zur gegenseitigen Belebung zuträglichstes Verhältnis der Erkenntnisvermögen (2. Aspekt) ausgezeichnet ist; diese Stimmung S ist nichts anderes als das freie und harmonische Spiel der Erkenntnisvermögen. Weil bei einer Stimmung S keine Subsumtion der Form unter einen bestimmten Begriff stattfindet, können wir uns nicht mittels einer Erkenntnis bewusst werden, dass eine Stimmung S vorliegt; vielmehr kann uns S als ein Zustand der Belebung nur durch ein Gefühl bewusst werden. Weil alle Gemütszustände, die eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt beinhalten, allgemein mitteilbar sind und weil die Stimmung S eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt beinhaltet, ist S allgemein mitteilbar; weil wir nur ein gefühltes Bewusstsein von S haben und weil ein allgemein mitteilbares Gefühl aus einem Gemein1148

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Literaturbericht

sinn entspringen muss, setzt S einen Gemeinsinn voraus. Damit können wir den folgenden Zusammenhang herstellen: Wenn es eine Stimmung S (Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt und zur Belebung zuträglichste Proportion) gibt, dann gibt es einen Gemeinsinn. Wir wissen zwar nicht, ob es eine Stimmung S gibt, aber wir wissen, dass S möglich ist. Daher wissen wir auch, dass der Gemeinsinn möglich ist. Ob ein Subjekt in eine Stimmung S eintritt, ist vom gegebenen Objekt abhängig, sofern man eine ästhetische Einstellung im Subjekt voraussetzt. Daher instanziiert sich der Gemeinsinn in allen Menschen bei denselben gegebenen Objekten. Und somit führt der Gemeinsinn zur notwendigen Allgemeingültigkeit der Lust an spezifischen Gegenständen sowie zur notwendigen Allgemeingültigkeit von Geschmacksurteilen über spezifische Gegenstände.

21.6 Literaturbericht Ich habe dafür plädiert, dass es zwingende Gründe für die Annahme gibt, Kant thematisiere in § 21 einen ästhetischen Gemeinsinn. Wenngleich nur selten diskutiert wird, warum ein ästhetischer Gemeinsinn behandelt wird, unterstützen doch einige AutorInnen diese Annahme, so etwa Ameriks (2003, 289 f.), Guyer (1979, 286) und Zhouhuang (2016, 87). Dagegen hat Allison dafür argumentiert, dass in § 21 ein theoretischer Gemeinsinn deduziert wird. Bei diesem Gemeinsinn handele es sich um »the faculty for immediately seeing (without appeal to rules, and therefore through ›feeling‹) whether, and how fully, a given intuited manifold accords with a particular concept, that is, judgment« (Allison 2001, 154 f.). Auch Fricke diskutiert ausführlich die Möglichkeit, dass in § 21 ein theoretischer Gemeinsinn deduziert würde (vgl. Fricke 1990, 168–173). Letztlich verortet sie in § 21 jedoch die »Rechtfertigung der Annahme eines Gemeinsinns, der ein objektiver ebenso wie ein ästhetischer sein kann« (Fricke 1990, 176). Explizit gegen Allisons Vorschlag wendet sich Zinkin: »I […] disagree with Allison’s claim that in § 21 Kant argues that common sense is a condition of cognition […]. Instead, it is a condition of the communicability of cognition« (Zinkin 2006, 159). Sie verortet in § 21 eine allgemeine, übergreifende Konzeption des Gemeinsinns: »Although the sensus communis is the form that makes possible the intuition of any mental state, whatever proportion the cognitive faculties are in, its distinctive function is to serve as the basis for the normativity of the pleasurable state that occurs when the imagination is in a state of free play« (Zinkin 2006, 158). Auch Savile verortet eine solche allgemeine, übergreifende Konzeption des Gemeinsinns in § 21 (vgl. Savile Kants Philosophie des Schönen

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1993, 33 ff.). Und Wenzel deutet ebenso in diese Richtung: »In section 21, Kant argues that we have ›good reason to presuppose a common sense [Gemeinsinn],‹ and he does so in a very general way, arguing about universal communicability of our state of mind and the universal communicability of our feeling for this state of mind, and he does not restrict himself to a state of mind in aesthetic reflection but considers the state of mind in general and with respect to cognition in general« (Wenzel 2008, 84). Wieland verortet bereits im zweiten Argumentationsschritt (›Sollen sich aber Erkenntnisse mittheilen lassen, so muß sich auch der Gemüthszustand, d. i. die Stimmung der Erkenntnißkräfte zu einer Erkenntniß überhaupt…allgemein mittheilen lassen‹) das »im Geschmacksurteil enthaltene Gefühl, das ästhetische Gemeingültigkeit beansprucht« (Wieland 2001, 286 f.). Es scheint daher naheliegend, dass er von einer übergreifenden Konzeption des Gemeinsinns ausgeht, wenngleich er dies nicht explizit macht. Schließlich müssen diejenigen AutorInnen, die den Gemeinsinn insgesamt in einer übergreifenden, auch für Erkenntnis relevanten Funktion deuten, trivialerweise auch in § 21 einen solchen übergreifenden Gemeinsinn verorten. Dazu zählen etwa Crawford (vgl. etwa Crawford 1974, 215) und Makkreel (vgl. etwa Makkreel 1997, 210). Eine weitere wichtige Frage ist, was Kant in § 21 eigentlich leistet. Ich habe dafür argumentiert, dass Kant nur die Möglichkeit des ästhetischen Gemeinsinns beweist. Dagegen scheinen einige AutorInnen unhinterfragt davon auszugehen, dass Kant für die Wirklichkeit bzw. Existenz des Gemeinsinns argumentiert. So spricht Matthews von »Kant’s argument for the existence of a common sense« (Matthews 1997, 47), und Guyer konstatiert: »there is a common sense« (Guyer 1979, 286). Longuenesse schreibt zwar mit Bezug auf § 21: »Kant initially justifies the supposition of a common sense as the ground of aesthetic judgments« (Longuenesse 2006, 215). Sie geht aber davon aus, dass Kant de facto nur die Möglichkeit des Gemeinsinns aufzeige: »The fact that there is such an agreement (not free, but ruled by the understanding) may perhaps give us reason to believe in the possibility of a similar agreement even without a concept. But that does not give us sufficient grounds for affirming that such an agreement exists, and still less for affirming that it necessarily exists« (Longuenesse 2006, 215). Eher schwammig spricht Wenzel von der Denkbarkeit des Gemeinsinns: »Kant hat im § 21 den Gemeinsinn aus der Mitteilbarkeit der Erkenntnis und der dieser zugrundeliegenden Stimmung so erläutert, daß es zumindest denkbar wird, ihn zur Rechtfertigung der subjektiven ›Notwendigkeit der allgemeinen Beistimmung, die in einem Geschmacksurteil gedacht wird‹ (§ 22 Überschrift) in einem bestimmten Sinne heranzuziehen« (Wenzel 2000, 116 f.). McCloskey stellt die Frage, was in § 21 eigentlich geleistet werde, ohne dabei die Konzeption des Gemeinsinns zu berücksichtigen. Sie diskutiert zwei Möglichkeiten: »It [the argument] can be taken to mean that amongst the things which ›through the intervention of sense‹ we experi-

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Literaturbericht

ence, some must be of such a form to produce the internal ratio best adapted to our cognitive powers. Or, it can be taken to mean that, since different things experienced by us produce different ratios, there must be some imaginable ratio which is best adapted to our cognitive powers« (McCloskey 1987, 88 f.). Während nach der ersten Deutung das Argument scheitere, sei die Konklusion des Arguments in der zweiten Deutung nicht hinreichend für Kants Zwecke: »We scarcely need such a roundabout argument to show that forms final for our perception are possible or thinkable« (McCloskey 1987, 89). Auch Kulenkampff nimmt an, dass die Argumentation scheitere (vgl. Kulenkampff 1994, 111); und Ameriks verortet in § 21 »the first thorough (even if not quite complete) presentation of a deduction of taste« (Ameriks 2003, 286). Zhouhuang konstatiert: »Es ist nicht schwer zu erkennen, dass dieser logisch nicht streng erscheinende Folgerungsprozess nicht als Begründung des Begriffs des Gemeinsinns dienen kann, sondern nur zu einer weiteren Erklärung der Funktion des Gemeinsinns beim Geschmacksurteil beitragen kann« (Zhouhuang 2016, 92). Insgesamt scheint es mir deutlich sinnvoller, in § 21 den Beweis der Möglichkeit des Gemeinsinns zu verorten, als eine Deduktion für gescheitert zu erklären – zumal § 21 ja nicht zum Deduktionsabschnitt gehört. Erwähnen möchte ich noch, dass Allison in § 21 zwar die Deduktion eines theoretischen Gemeinsinns verortet, dieser aber eine Relevanz für den Status des ästhetischen Gemeinsinns zuschreibt: »by providing grounds for presupposing what turns out to be a necessary condition of the possibility of taste, and by alleviating a worry, generated by the apparently paradoxical nature of the faculty to which Kant is appealing, that the very idea of a common sense might be incoherent or an impossible fiction« (Allison 2001, 150). Wenden wir uns der konkreten Argumentation zu. Ich habe bereits an anderer Stelle die Konzeption der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt diskutiert. 48 Insgesamt sind die ersten Argumentationsschritte eher unkontrovers. Kontroversen beginnen mit der Frage, was die »verschiedene Proportion« sei (§ 21.A.4, 238,34). Einige AutorInnen gehen auf diese Wendung nicht ein, etwa Crawford (1974), Kulenkampff (1994), Rivera de Rosales (2008), Savile (2003) und Wenzel (2008). Andere AutorInnen erwähnen diese Wendung nur, nämlich Allison (2001, 151 f.), Ameriks (2003, 286), Matthews (1997, 47) und Zhouhuang (2016, 90). Unklar scheint mir die Deutung McCloskeys: »The fact of empirical knowledge therefore is taken to guarantee the existence of differences in the internal ratios requisite for perception of different things« (McCloskey 1987, 88). Fricke erläutert: »Verschieden sind diese Proportionen, insofern sie mehr oder weniger zuträglich sind in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt« (Fricke 1990, 166). Ich habe dagegen herausgestellt, dass es von demjenigen, was für jede Erkenntnis notwendig ist, kein Mehr 48

Siehe Kap. 9.8.

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oder Weniger geben kann. In diese Kerbe schlägt auch Crowther: »any cognition involves the general accord of the faculties« (Crowther 2010, 94). Überhaupt stimmt Crowther als einziger mit der hier vorgeschlagenen Interpretation der ›verschiedenen Proportion‹ weitestgehend überein: »One assumes that by this Kant means that objects are such that their presentation in cognition will demand different kinds of alignment between imagination and understanding. Small spatial items, for example, will be recognizable at a glance, whereas larger ones or ones of unusual appearance will require more-sustained apprehension from the imagination and more explorative unifying activity from the understanding« (Crowther 2010, 93). Ausführlich problematisiert wird die ›verschiedene Proportion‹ von Guyer. Er argumentiert, man könne darunter nur »a psychological variation in the ease with which the unity of a given multiplicity may be detected« verstehen; und er fährt fort: »The harmony of the faculties would then obtain when a manifold presented by imagination is so well adapted to the understanding’s general need for unity that it can be felt to be unified without reflection on its possible subsumption under any concept at all« (Guyer 1979, 296). Dies führe aber zum folgenden Dilemma: »On the one hand, if Kant’s proportion is interpreted as an entirely general cognitive capability, the universal imputation of sensitivity to this proportion may be permitted, but the particularity of aesthetic response becomes inexplicable. On the other hand, if a unique ease or facility in synthesis is what is really connoted by Kant’s concept of proportion, the difference between aesthetic response and cognition in general may be preserved, but the intersubjective validity of aesthetic response is then not entailed by the general communicability of cognitive capacity itself« (Guyer 1979, 297). Ein ähnliches Dilemma bringen Longuenesse (2006, 216), Zuckert (2007, 335 f.) sowie ohne Bezug auf den Gemeinsinn auch Ginsborg (2015, 54) vor. Das beschriebene Dilemma entsteht freilich nur, wenn man in § 21 den Beweis der Existenz des Gemeinsinns verortet. Die vielleicht wichtigste Frage mit Hinblick auf Kants Argumentation ist, wofür die Stimmung »die zuträglichste« ist (§ 21.A.5, 238,36). Ich habe dargelegt, dass aus inhaltlichen Gründen die zur Belebung zuträglichste Stimmung gemeint sein muss. Wie gestaltet sich das Bild in der Sekundärliteratur? Wieder gehen einige AutorInnen nicht auf diesen entscheidenden Satz ein, etwa Crawford (1974), Kulenkampff (1994), Savile (1993) und Wenzel (2008). Matthews zitiert die entsprechende Passage nur (1997, 47 & 49). Rivera de Rosales geht zwar am Rande auf diese Passage ein und spricht von einem »besten subjektiven Verhältnisse der Einbildungskraft zum Verstand« sowie von »der ausgezeichneten Proportion für jedes Objekt« (Rivera de Rosales 2008, 97); dabei wird aber nicht klar, wofür das Verhältnis das beste ist. Sassen lässt in ihrer Argumentation irritierenderweise die entsprechende Passage zur verschiedenen Proportion sowie zur zuträglichsten Proportion gänzlich weg und scheint anzunehmen, dass wir die

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Stimmung zur Erkenntnis überhaupt fühlen (vgl. Sassen 2013, 256). Auch Wenzel übergeht den Argumentationsschritt zur zuträglichsten Proportion und schreibt nur kryptisch: »Dieser subjektive Zustand selbst soll, auch wenn er nicht zu einer Erkenntnis führt […], allgemein mitteilbar sein, und er soll auch beim freien Spiel der Erkenntniskräfte anzutreffen sein (auch wenn Kant dies hier nicht explizit sagt – der Hinweis in diesem Zusammenhang auf eine ›Belebung‹ (§ 21,66) der Gemütskräfte sollte hinreichend sein)« (Wenzel 2000, 116). Allison konstatiert, die Stimmung sei »›optimal‹ […] for the purpose of cognition in general« (Allison 2001, 152); und er erläutert: »the optimal attunement […] would be that proportion which maximally facilitates cognition or, equivalently, in which the ›two friends‹ work together without their customary friction. Presumably, this would occur when intuitive content and conceptual rule seem, as it were, particularly made for each other« (Allison 2001, 154). Kant behandle kein »aesthetically optimal attunement (a reading which is certainly suggested by Kant’s reference in this context to the mutual ›quickening‹ [Belebung] of the cognitive faculties)« (Allison 2001, 152). Ebenfalls eine Deutung mit Bezug auf die Erkenntnis nimmt Eckl vor: »Eine für die Erkenntnis ›zuträglichste‹ Proportion anzunehmen bedeutet nämlich eine für die Erkenntnis zweckmäßige Proportion zu fordern, damit aber letztlich auch der Erkenntnis selbst Zweckmäßigkeit abzuverlangen« (Eckl 2017, 76). Und auch Zhouhuang schreibt: »Jedoch gibt es nur eine Proportion, in der die Belebung des inneren Verhältnisses am zuträglichsten in Absicht auf Erkenntnis überhaupt ist« (Zhouhuang 2016, 87). 49 Einige AutorInnen deuten die Stimmung im Sinne einer zur Harmonie zuträglichsten Proportion; und diese Harmonie verstehen sie als ein exklusives Charakteristikum des Schönen. So erläutert Zuckert: »Kant could be taken to argue, that is, that we each must have some feeling of the harmony of our faculties, that such feeling can vary depending on the differing ›proportions‹ of such harmony (aesthetic experience constituting the ›most‹ harmony), and that such feeling (aesthetic pleasure in the case of the best harmony) is therefore universally communicable. […] aesthetic judging comprises a particularly active, rich, quasi-cognitive state and thus might be (felt to be) especially harmonious« (Zuckert 2007, 336). Ähnlich schreibt Ameriks: »it can be said that only some objects and not others are able to generate (under normal conditions) this particular harmony – and yet when it does occur it occurs as simply a special species (namely as the most ›harmonic‹ one) of a proportion that must always exist in some form in any cognition (viz. as that general ›proportion‹ or agreement of faculties that is necessary in any coherent experiIrritierenderweise schreibt sie aber auch mit Bezug auf § 21.A.5: »Diese wechselseitige Belebung taucht nur im Fall des ästhetischen Urteils auf, jedoch nicht beim theoretischen Erkennen. Durch diese belebte Stimmung der Erkenntniskräfte entsteht das Gefühl der Lust« (Zhouhuang 2016, 91).

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§ 21 Eine Deduktion des ästhetischen Gemeinsinns?

ence)« (Ameriks 2003, 290). Und bei Crowther heißt es: »The assumption is that only one proportion in the general accord of the cognitive capacities is best suited to stimulating the feeling of their harmonious interaction« (Crowther 2010, 94). 50 Solche Interpretationen müssen voraussetzen, dass die harmonischste Stimmung nicht dasselbe ist wie die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, die für jede Erkenntnis erforderlich ist. Schließlich bleibt bei einigen AutorInnen unklar, ob die Proportion zur Belebung, zur Stimmung zur Erkenntnis überhaupt oder zur Harmonie am zuträglichsten ist. Eine solche unpräzise Bestimmung findet sich bei Guyer. Dieser bezieht die zuträglichste Proportion nicht nur auf die Harmonie der Erkenntnisvermögen, sondern schreibt auch: »there is a particular proportion between imagination and understanding which in fact is most suitable for ›enlivening‹ them, that is to say, freely disposing them to the relation appropriate to knowledge in general without any determinate concept« (Guyer 1979, 286; vgl. auch 295). McCloskey bezieht die zuträglichste Proportion sowohl auf die Belebung als auch auf die Erkenntnis überhaupt: »Kant then goes on to argue that there must be one amongst these internal ratios or proportions which is best suited for the mutual quickening of the cognitive powers, and best suited for cognition generally, one which is best suited for setting the cognitive powers on the alert for acquiring knowledge« (McCloskey 1987, 88). Kommen wir zur Rolle des Objekts für die zuträglichste Proportion. Die allermeisten AutorInnen gehen auf diese Beziehung, die zentral für die notwendige Allgemeingültigkeit der Lust ist, nicht ein. Bemerkt, aber nicht weiter erklärt wird die Bedeutsamkeit dieser Beziehung von Guyer: »The view that the proportion between manifold and unity may vary in the case of different objects, only some of which are most suitable for the exercise of both imagination and understanding, could explain why some but not all objects are beautiful« (Guyer 1979, 295). Ameriks deutet die Beziehung vage im Sinne einer Angemessenheit: »the fact that the same object exposed to persons with similar backgrounds does not in fact always cause the same harmonic and aesthetic response is no sign that there is not a particular harmonic response that that object is apt to produce for normal persons« (Ameriks 2003, 291). Einen stärker auf das urteilende Subjekt fokussierten Deutungsansatz vertritt Zhouhuang: »Die Verschiedenheit der Objekte liegt in der Tat in der Funktionsweise der Urteile, denn wir können über einen Gegenstand sowohl ein theoretisches als auch ein ästhetisches Urteil treffen. Das heißt, dass der Unterschied der Proportion der ErkenntFerner identifiziert er das folgende Problem: »If (as suggested earlier) this means that the proportion of the faculties varies according to the contrasting kinds of phenomenal configuration involved, then, if only one such proportion is conducive to their stimulated interaction, it would follow that only one kind of phenomenal configuration can be beautiful« (Crowther 2010, 94).

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niskräfte davon abhängt, wie das Objekt beurteilt wird« (Zhouhuang 2016, 90). Damit kann Zhouhuang aber nicht erklären, warum bestimmte Objekte bei allen Menschen Grundlage für ein ästhetisches Urteil sein können. Crowther formuliert das folgende Problem: »What works in stimulating the accord of imagination and understanding may be based, in principle, entirely on the individual’s personal cognitive history« (Crowther 2010, 95). Er moniert daher, die Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils bleibe letztlich unbegründet (vgl. Crowther 2010, 96). Das Problem der Subjektabhängigkeit habe auch ich benannt; allerdings halte ich es nicht für das zentrale Problem der Argumentation.

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Grundlagen 6: Die Deduktion des Gemeinsinns und die zwei Prinzipien der Urteilskraft

Wir haben bei unseren Untersuchungen von § 21 gesehen, dass der Gemeinsinn in diesem Paragraphen noch nicht deduziert wird. Zum Ende der Analytik ist damit zwar klar, dass der Gemeinsinn die (subjektive) Bedingung von notwendig allgemeingültigen Geschmacksurteilen ist; unklar ist aber noch, ob es einen Gemeinsinn und damit auch notwendig allgemeingültige Geschmacksurteile gibt. Dies zu zeigen, ist freilich auch gar nicht die Aufgabe einer Analytik des Schönen; vielmehr soll hier nur eine »Analyse der Urtheile des Geschmacks« (203 Fn.), d. h. eine Zergliederung und »Exposition« (266,18; 279,10, m. H.), vollzogen werden. 1 Die Aufgabe, die Wirklichkeit des Gemeinsinns zu beweisen, obliegt der »Deduction der Geschmacksurtheile« (289,31), die Kant in § 38 vorbringt. 2 Im vorliegenden Unterkapitel möchte ich Kants Grundstrategie dieser Deduktion grob nachzeichnen. Ich werde mit Bedacht keine genaue Unter einer »Exposition« versteht Kant eine Art schwächere Form der Definition; denn Definitionen im strengen Sinne kann es seiner Ansicht nach nur in der Mathematik, nicht aber in der Philosophie geben (vgl. A727–732/B755–760). Vgl. insbesondere: »und wollen diese ganze Anmerkung darauf einschränken, daß philosophische Definitionen nur als Expositionen gegebener, mathematische aber als Konstruktionen ursprünglich gemachter Begriffe, jene nur analytisch durch Zergliederung […], diese synthetisch zu Stande gebracht werden, und also den Begriff selbst m a c h e n , dagegen die ersteren ihn nur e r k l ä r e n « (A730/B758). 2 Zum Unterschied von Analytik und Deduktion führt Allison das Folgende aus: »Its organizing principle [der Analytik des Schönen und der Deduktion der reinen ästhetischen Urteile] is that the distinction between the quid facti and the quid juris, which, as Dieter Henrich has shown, Kant took over from the so-called Deduktionschriften, which were still widely used in his time to adjudicate various legal claims, is applicable to the Critique of Judgment as well as to the other Critiques. More specifically, the claim is that the quid facti in the domain of taste concerns the question of whether a given judgment of taste is pure, while the quid juris is whether a judgment that meets the conditions of purity can make a rightful demand on the agreement of others. The latter question is obviously the concern of the Deduction; but I am also suggesting that the Analytic of the Beautiful deals with the former, by specifying the conditions that must be met by any judgment that purports to be pure« (Allison 2001, 67). 1

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Zur Deduktion des Gemeinsinns

Analyse von § 38 vornehmen; denn der Gegenstand dieser Arbeit ist die Analytik des Schönen. Vielmehr will ich nur aufzeigen, wie sich die Deduktion in § 38 und die Analytik des Schönen ergänzen. Darüber hinaus werde ich auf die Frage eingehen, wie sich der Gemeinsinn als subjektives Prinzip des Geschmacksurteils und das Prinzip a priori der Urteilskraft zueinander verhalten.

G6.1 Zur Deduktion des Gemeinsinns Zur Notwendigkeit einer Deduktion der Geschmacksurteile erläutert Kant in § 31 das Folgende: »Die Obliegenheit einer Deduction, d. i. der Gewährleistung der Rechtmäßigkeit, einer Art Urtheile tritt nur ein, wenn das Urtheil Anspruch auf Nothwendigkeit macht; welches der Fall auch alsdann ist, wenn es subjective Allgemeinheit, d. i. jedermanns Beystimmung fordert, […]« (280,22).

Ähnlich heißt es schon in § 30: »Der Anspruch eines ästhetischen Urtheils auf allgemeine Gültigkeit für jedes Subject bedarf, als ein Urtheil welches sich auf irgend ein Princip a priori fußen muß, einer Deduction (d. i. Legitimation seiner Anmaßung); welche über die Exposition desselben [ästhetischen Urteils] noch hinzukommen muß« (279,7).

Das Geschmacksurteil bedarf also einer Deduktion, weil es Anspruch auf notwendige Allgemeingültigkeit erhebt. Und es ist die Aufgabe der Deduktion, diesen Anspruch zu legitimieren (›Legitimation seiner Anmaßung‹ ; ›Gewährleistung der Rechtmäßigkeit‹), d. h. darzulegen, dass das Geschmacksurteil diesen Anspruch zu Recht erhebt. Entsprechend resümiert Kant im Anschluss an die vollzogene Deduktion: »die Lust oder subjective Zweckmäßigkeit der Vorstellung für das Verhältniß der Erkenntnißvermögen in der Beurtheilung eines sinnlichen Gegenstandes überhaupt, wird jedermann mit Recht angesonnen werden können« (290,11, m. H.). 3 Nun ist der Anspruch auf notwendige Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils insofern eigentümlich, als er sich nicht auf begriffliche Prinzipien stützt. In Vgl. auch die folgende Formulierung in einer zur Deduktion gehörigen Fußnote: »Um berechtigt zu seyn, auf allgemeine Beystimmung zu einem bloß auf subjectiven Gründen beruhenden Urtheile der ästhetischen Urtheilskraft Anspruch zu machen, […]« (290 Fn., m. H.).

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diesem Sinne spezifiziert Kant die Aufgabe der Deduktion folgendermaßen: »Wie ist ein Urtheil möglich, das bloß aus dem e i g e n e n Gefühl der Lust an einem Gegenstande, unabhängig von dessen Begriffe, diese Lust, als der Vorstellung desselben Objects i n j e d e m a n d e r n S u b j e c t e anhängig, a priori, d. i. ohne fremde Beystimmung abwarten zu dürfen, beurtheilte?« (288,27)

Damit ist es letztlich die Aufgabe der Deduktion, das zentrale Paradox von notwendiger Allgemeingültigkeit und Begriffslosigkeit abschließend zu lösen. 4 Wenngleich die Lösung dieses Paradoxes ein Spezifikum des Schönen ist, so fügt sich die Deduktion der Geschmacksurteile doch in das Hauptanliegen der kantischen Philosophie überhaupt, nämlich in »das allgemeine Problem der Transscendentalphilosophie: Wie sind synthetische Urtheile a priori möglich?« (289,3); denn auch Geschmacksurteile sind synthetische Urteile a priori. In § 20 hat Kant erläutert, dass der Gemeinsinn das subjektive Prinzip und die Bedingung der notwendigen Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils ist. Der Rechtsanspruch des Geschmacksurteils auf notwendige Allgemeingültigkeit ist dementsprechend gesichert, wenn gezeigt werden kann, dass der Gemeinsinn existiert. Ferner wird durch die Subsumtion der Lust unter den Gemeinsinn das inhaltlich allgemeine und in dieser Hinsicht apriorische, synthetische Urteil »Alle Menschen fühlen beim Wahrnehmen von x Lust am Schönen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind« erzeugt. 5 Die Deduktion des Geschmacksurteils, die ja zeigen soll, wie synthetische Urteile a priori möglich sind, muss daher auch eine Deduktion des Gemeinsinns sein. Zwar ist § 38 mit »Deduction der Geschmacksurtheile« überschrieben (289,31); 6 jedoch spricht Kant an einer Stelle auch von der »Deduction dieses sonderbaren Vermögens« (281,27, m. H.), womit offenkundig der Geschmack gemeint ist. 7 Da der Ge-

Siehe zu diesem Paradox vor allem Kap. 6.1. Siehe hierzu G5.4. 6 Vgl. auch die Überschriften der §§ 30, 31 und 36 (279,3; 280,21; 287,34). 7 Schließlich ist der Geschmack nichts anderes als das Vermögen, Geschmacksurteile zu fällen – oder, wie Kant selbst schreibt, »das Vermögen der Beurtheilung des Schönen« (203 Fn.). Daher ist es plausibel, dass Geschmack und Geschmacksurteil sich durch ein und dieselbe Deduktion beweisen lassen. 4 5

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schmack aber nichts anderes als der (ästhetische) Gemeinsinn ist, 8 so ist die Deduktion des Geschmacks die Deduktion des Gemeinsinns. Damit leistet Kant also in § 38 gleichsam eine Deduktion des Geschmacksurteils und des Gemeinsinns. Kants Vorgehen, in der Analytik des Schönen noch keine Deduktion der Geschmacksurteile und des Gemeinsinns zu leisten, ist insofern sinnvoll, als eine Deduktion schlicht und einfach nicht in den Aufgabenbereich einer Zergliederung der Geschmacksurteile fällt. 9 Eine andere Frage ist jedoch, ob Kant denn in der Analytik hinreichendes Material zur Verfügung stünde, um das Geschmacksurteil und den Gemeinsinn zu deduzieren. Nimmt man nur § 21 in den Blick, so scheint es Kant eines solchen Materials zu ermangeln: Aus erkenntnistheoretischen Prämissen – oder genauer, aus einer Ablehnung des Skeptizismus 10 – kann man die Wirklichkeit des Gemeinsinns und damit das Geschmacksurteil nicht deduzieren. Da das Geschmacksurteil kein Erkenntnisurteil ist und Kant es vielmehr explizit vom Bereich der Erkenntnis abgrenzt, bedarf es zusätzlicher, nicht erkenntnistheoretischer Prämissen. 11 Wie früher erläutert, beweist Kant in § 21 daher auch nur die Möglichkeit des Gemeinsinns. 12 Nimmt man allerdings nicht nur § 21, sondern die gesamte Analytik in den Blick, so wäre es Kant ein Leichtes, den Gemeinsinn schon in der Analytik zu deduzieren. Er müsste nur das Ergebnis der §§ 20– 21 mit seinen Ausführungen der §§ 1–9 zusammenführen. So ist der Gemeinsinn nichts anderes als das Vermögen des freien und harmonischen Spiels der Erkenntniskräfte. 13 Auf das freie Spiel der Erkenntniskräfte hat Kant aber bereits in den §§ 1–9 hingeleitet. In § 9 hat er das freie Spiel als vermögenstheoretische Grundlage der uninteressierten, freien und allgemeingültigen Lust am Schönen aufgedeckt. Dabei hat Kants Argumentation ihren Ausgang bei der unVgl. insbesondere die Überschrift zu § 40: »Vom Geschmacke als einer Art von sensus communis« (293,10). 9 Siehe hierzu auch Kap. 22.5. 10 Vgl. § 21.A.1, 238,19. 11 Auf diesen Umstand verweist etwa auch Fricke: »Denn die Annahme des ästhetischen Gemeinsinns läßt sich nicht unmittelbar aus der allgemeinen Mitteilbarkeit wahrer Erkenntnisse und ihrer Bedingungen rechtfertigen« (Fricke 1990, 173; vgl. ähnlich auch Allison 2001, 152 f.). 12 Siehe Kap. 21.3. 13 Vgl.: »Also nur unter der Voraussetzung, daß es einen Gemeinsinn gebe (wodurch wir aber keinen äußern Sinn, sondern die Wirkung aus dem freyen Spiel unsrer Erkenntnißkräfte, verstehen), […]« (§ 20.B.1, 238,12). Siehe Kap. 20.2 sowie 21.2.4. 8

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interessierten Lust (Uninteressiertheitsthese UT) genommen; und ich habe dafür argumentiert, dass uns die uninteressierte Lust unmittelbar als Faktum gegeben ist. 14 In diesem Sinne wissen wir von der Wirklichkeit des freien Spiels mittels des gefühlten Faktums der uninteressierten Lust. Weil nun der Gemeinsinn nichts anderes als das Vermögen des freien Spiels ist, könnte Kant vom Faktum der uninteressierten Lust sehr leicht darauf schließen, dass der Gemeinsinn wirklich ist. Wie verhält sich nun diese mögliche, wenn auch in der Analytik tatsächlich nicht realisierte Strategie zu Kants Vorgehen in der Deduktion? Kant leitet die Deduktion in § 38 mit der folgenden Prämisse ein: »Wenn eingeräumt wird: daß in einem reinen Geschmacksurtheile das Wohlgefallen an dem Gegenstande mit der bloßen Beurtheilung seiner Form verbunden sey; so ist es nichts anders, als die subjective Zweckmäßigkeit derselben [Form] für die Urtheilskraft, welche wir mit der Vorstellung des Gegenstandes im Gemüthe verbunden empfinden« (289,32 f.).

Kants Ausgangsprämisse ist, dass ›das Wohlgefallen an dem Gegenstande mit der bloßen Beurtheilung seiner Form verbunden sey‹. Dies ist nichts anderes als die Formthese (FMT). 15 Damit, so hat es den Anschein, wählt Kant für seine Deduktion einen anderen Ausgangspunkt als das gefühlte Faktum der Uninteressiertheit. Dieser Schein trügt jedoch. Denn die Argumentation für FMT hat ja ihren Ausgangspunkt beim gefühlten Faktum der uninteressierten Lust genommen. 16 Schönheitserlebnisse sind uns als Erlebnisse einer uninteressierten Lust gegeben. Urteilende haben daher ein unmittelbares Bewusstsein davon, dass Schönheit sich durch eine uninteressierte Lust konstituiert. Ausgehend von der unmittelbar gegebenen uninteressierten Lust hat Kant in den folgenden Paragraphen der Analytik gefolgert, dass die Lust am Schönen frei (§ 5) und allgemeingültig ist (§ 6); aus der Allgemeingültigkeit der Lust hat er gefolgert, dass die Lust am Schönen auf dem freien und harmonischen Spiel der Erkenntniskräfte als vermögenstheoretischer Grundlage beruht (§ 9); aufgrund der Komponente der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt kann gefolgert werden, dass sich beim Schönen eine subZum Faktum der uninteressierten Lust siehe Kap. 2.4.1. Für eine Analyse der Formthese siehe Kap. 13.5. 16 Für einen Überblick über die Argumentationsstrategie der Analytik siehe Unterpunkt 3.2 der Einleitung zu diesem Kommentar. 14 15

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jektive ZM des schönen Objekts manifestiert (§ 11); und schließlich kann aus der Uninteressiertheit der Lust, dem freien Spiel sowie der subjektiven ZM gefolgert werden, dass sich Schönheit auf Seiten des schönen Objekts auf die Form bezieht (§ 13). 17 In diesem Sinne nimmt also Kants Argumentation für die Formthese beim Faktum der uninteressierten Lust ihren Ausgang; und somit nimmt auch Kants Argumentation im Kontext der Deduktion mindestens indirekt ihren Ausgang beim Faktum der uninteressierten Lust. Nun haben wir vermutet, dass Kant ausgehend vom gefühlten Faktum der uninteressierten Lust für die Wirklichkeit des freien Spiels argumentieren könnte und damit gleichsam für die Wirklichkeit des Gemeinsinns. Auch dies entspricht auf den ersten Blick nicht Kants Vorgehen in § 38. Vielmehr argumentiert er dort für »die subjectiven Bedingungen des Gebrauchs der Urtheilskraft überhaupt« (290,4), d. h. »dasjenige Subjective, welches man in allen Menschen (als zum möglichen Erkenntnisse überhaupt erforderlich) voraussetzen kann« (290,7). Nun ist diese ›subjective[.] Bedingung[.]‹ nichts anderes als die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt (›als zum möglichen Erkenntnisse überhaupt erforderlich‹). Dies wird auch durch die Fußnote bestätigt, in der Kant die Formulierung nutzt: »Bey allen Menschen seyen die subjectiven Bedingungen dieses Vermögens [der Urteilskraft], was das Verhältniß der darin in Thätigkeit gesetzten Erkenntnißkräfte zu einem Erkenntniß überhaupt betrift, einerley« (290 Fn., m. H.). Kant schließt also letztlich darauf, dass beim Schönen eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vorliegt. Diese Zusammenstimmung macht aber gerade einen Teil des freien Spiels und des Gemeinsinns aus. Zwar sind das freie Spiel und der Gemeinsinn auch durch eine gegenseitige Belebung von Einbildungskraft und Verstand ausgezeichnet. Dass eine Belebung und in diesem Sinne eine Lust vorliegt, muss Kant in § 38 jedoch nicht gesondert zeigen; denn die ganze Argumentation nimmt ja beim »Wohlgefallen an dem Gegenstande« ihren Ausgang (289,33). In diesem Sinne führt also Kants Argumentation letztlich auf die These, dass beim Schönen eine Lust vorliegt, der nicht nur, wie jeder Lust, eine innere Belebung, sondern auch eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt zugrunde liegt. Kants Argumentation führt also doch, mindestens indirekt, auf die Existenz des freien Spiels der Erkenntniskräfte und damit des Gemeinsinns. 17

Für die Begründung von FMT siehe Kap. 13.5.2.

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Es wird deutlich, dass die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt den eigentlichen Eckpfeiler der Deduktion ausmacht; denn durch diese glaubt Kant den Rechtsanspruch des Geschmacksurteils auf notwendige Allgemeingültigkeit abzusichern. Das Novum von § 38 im Gegensatz zu § 21 besteht dann letztlich darin, dass Kant diese Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt ausgehend vom Faktum der uninteressierten Lust, d. h. aus einer genuin ästhetischen Prämisse, herleitet und dadurch die Wirklichkeit des Gemeinsinns deduzieren kann.

G6.2 Eine Parallele zur KpV Bereits im Rahmen der Theorie des gefühlten Faktums der uninteressierten Lust haben wir eine Parallele zur KpV gezogen. 18 Wir wollen diese nun ausweiten. Zentral für die Argumentationsstrategie der KpV ist, dass »die Freiheit […] die ratio essendi des moralischen Gesetzes« ist, während »das moralische Gesetz aber die ratio cognoscendi der Freiheit« ist (KpV: 4 Fn.). Die Freiheit bildet die vermögenstheoretische Grundlage dafür, dass wir Menschen unter dem moralischen Gesetz stehen: »Wäre aber keine Freiheit, so würde das moralische Gesetz in uns gar n i c h t a n z u t r e f f e n sein« (KpV: 4 Fn.). Wir wissen aber nur, dass wir frei sind, weil wir wissen, dass wir unter dem moralischen Gesetz stehen. Letzteres wissen wir mittels des Faktums der Vernunft, worunter ich im Anschluss an Schönecker das Gefühl der Achtung verstehe. 19 Wichtig ist, dass die Verknüpfung von moralischem Gesetz und Freiheit im Sinne der ratio cognoscendi auch beinhaltet, dass die Freiheit aus dem moralischen Gesetz deduziert werden kann. So führt Kant aus, dass es keine »Deduktion des moralischen Prinzips« gebe, aber dass das moralische Gesetz »umgekehrt selbst zum Prinzip der Deduktion eines unerforschlichen Vermögens dient, […] nämlich das der Freiheit« (KpV: 47). Kant schreibt, dass »das moralische Gesetz, welches selbst keiner rechtfertigenden Gründe bedarf, nicht bloß die Möglichkeit [der Freiheit], sondern die Wirklichkeit an Wesen beweiset, die dies Gesetz als für sie verbindend erkennen« (KpV: 47). Wir können die Wirklichkeit

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Siehe erneut Kap. 2.4.1. Vgl. Schönecker (2013).

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Zwei Prinzipien?

der Freiheit nur beweisen, weil das moralische Gesetz als Faktum »für sich fest[steht]« (KpV: 47). Diese Beziehung von ratio cognoscendi und ratio essendi lässt sich auf das Verhältnis der Lust am Schönen und des Gemeinsinns übertragen. Gäbe es keinen Gemeinsinn als Vermögen der Lust am Schönen, so würde die Lust am Schönen in uns gar nicht anzutreffen sein. Der Gemeinsinn ist die vermögenstheoretische Grundlage der Lust am Schönen, d. h. ihre ratio essendi. Der Gemeinsinn ist aber, wie die Freiheit, eine »Idee« (§ 20.T, 237,33); wir können seine Wirklichkeit nicht unmittelbar in der Erfahrung belegen. Dagegen ist uns die uninteressierte Lust am Schönen in der Erfahrung gegeben, und wir können ausgehend von dieser als Faktum gegebenen uninteressierten Lust den Gemeinsinn deduzieren. Somit ist die uninteressierte Lust die ratio cognoscendi des Gemeinsinns. Diese Interpretation im Sinne von ratio essendi und ratio cognoscendi stimmt sehr gut mit Kants epistemischer und vermögenstheoretischer Argumentationsstrategie überein. 20 Die uninteressierte Lust bildet als ratio cognoscendi die Grundlage der epistemischen Argumentationsstrategie; der Gemeinsinn, der ja nichts anderes als das Vermögen des freien und harmonischen Spiels ist, bildet als ratio essendi den Ausgangspunkt der vermögenstheoretischen Argumentationsstrategie.

G6.3 Zwei Prinzipien? Ich möchte abschließend noch auf ein Problem aufmerksam machen, das im Kontext der Deduktionsparagraphen (§§ 30–38) zutage tritt. Wie oben erläutert, leistet Kant gleichermaßen eine Deduktion des Geschmacksurteils und des Gemeinsinns. Nun ist der Gemeinsinn das »subjective[.] Princip« des Geschmacksurteils (§ 20.A.3, 238,4). Allerdings spielt im Kontext des Geschmacksurteils ein weiteres Prinzip eine Rolle, nämlich das Prinzip a priori der Urteilskraft. (Dieses besagt: Wir sollen über die Natur so reflektieren, als ob ein Wille die Formen der Natur zweckmäßig für unsere Erkenntnisvermögen angeordnet hätte und als ob dieser Wille unsere Erkenntnisvermögen zweckmäßig füreinander angeordnet hätte.) 21 Das Prinzip a priori der 20 21

Siehe hierzu Unterpunkt 3.2. der Einleitung zu diesem Kommentar. Für den Inhalt des Prinzips a priori der Urteilskraft siehe Kap. G3.1.

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Urteilskraft findet im freien Spiel der Erkenntniskräfte Anwendung: Der Verstand überprüft anhand dieses Prinzips, ob die durch die Einbildungskraft apprehendierten Formen und die Aktivität der Einbildungskraft jeweils zweckmäßig für seine eigene Tätigkeit sind, Begriffe aufzufinden. 22 Die beiden Prinzipien sind auf den ersten Blick gänzlich verschieden: Ist das Prinzip a priori der Urteilskraft begrifflich und propositional, so ist der Gemeinsinn ein nicht-begriffliches Vermögen. 23 Wird das Prinzip a priori der Urteilskraft bei allen Aktivitäten der reflektierenden Urteilskraft angewendet, so ist die Anwendung des Gemeinsinns auf Geschmacksurteile beschränkt. Und während das Prinzip a priori im Kontext des Schönen im freien Spiel Anwendung findet, so fungiert der Gemeinsinn als Obersatz des quasi-Syllogismus. Letzteres lässt sich auch am Subsumtionsmodell illustrieren: Das Prinzip a priori der Urteilskraft findet in der Beurteilungsaktivität (freies Spiel) Anwendung; der Gemeinsinn hingegen im Akt der Urteilsfällung. 24 Die Tatsache, dass im freien Spiel und im Akt der Urteilsfällung ein je anderes Prinzip Anwendung findet, bereitet für sich selbst betrachtet keine Probleme. Verwirrend ist jedoch, dass Kant im Deduktionsabschnitt mehrfach auf das subjektive Prinzip des Geschmacks rekurriert, ohne dass dabei immer klar ist, welches Prinzip gemeint ist. Wie oben dargelegt, leistet Kant in § 38 eine Deduktion des Gemeinsinns. Dagegen ist es auf den ersten Blick nicht ersichtlich, inwiefern in § 38 auch eine Deduktion des Prinzips a priori der Urteilskraft geleistet werden sollte. Eine solche Deduktion wäre auch nicht nötig; denn Kant hat dieses Prinzip bereits in Unterpunkt V. der Einleitung deduziert. 25 Allerdings gibt es im Kontext des DeduktionsSiehe hierzu Kap. G3.3. – Interessanterweise nutzt Kant in der Analytik des Schönen nicht den Begriff »Prinzip«, um auf das subjektive Prinzip a priori der Urteilskraft zu rekurrieren. Jedoch führt er in § 12 aus, dass »[d]as Geschmacksurtheil […] auf Gründen a priori [beruht]« (§ 12.T, 221,29), wobei diese Gründe a priori für das subjektive Prinzip a priori der Urteilskraft stehen müssen. Siehe Kap. 12.4. 23 Zuckert bestreitet, dass das Prinzip der Zweckmäßigkeit in seiner begrifflichen Form beim Schönen Anwendung findet: »Kant provides a concept of subjective formal purposiveness (of the representation of an object for cognition), but he does not, and need not, also claim that the aesthetically judging subject employs this concept. Rather, the subject – her state of judging, and the representation of the object she thereby has – instantiates this principle of judging« (Zuckert 2007, 344). 24 Siehe für dieses Subsumtionsmodell Kap. G2.2.2 sowie G5.2. 25 Kant schreibt in Unterpunkt V. der Einleitung, »die Zweckmäßigkeit der Natur für unsere Erkenntnißvermögen und ihren Gebrauch« sei »ein transscendentales Princip 22

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Zwei Prinzipien?

abschnitts Passagen, die nahelegen, Kant wolle in § 38 auch eine Deduktion des Prinzips a priori leisten. So schreibt er in § 34, die transzendentale Kritik des Geschmacks solle »das subjective Princip des Geschmacks, als ein Princip a priori der Urtheilskraft, entwickeln und rechtfertigen« (286,22). Und die Überschrift von § 35 lautet: »Das Princip des Geschmacks ist das subjective Princip der Urtheilskraft überhaupt« (286,30). Will Kant in § 38 also doch auch eine Deduktion des Prinzips a priori der Urteilskraft leisten? Oder ist das Prinzip a priori der Urteilskraft gar mit dem Gemeinsinn identisch? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir die Beziehung des Prinzips a priori der Urteilskraft zum Gemeinsinn untersuchen. Ich habe gezeigt, dass der Inhalt des Prinzips a priori die folgenden beiden Aspekte umfasst: 26 Objektseite: Die Formen der Natur sind zweckmäßig für die menschlichen Erkenntnisvermögen. Subjektseite: Die menschlichen Erkenntnisvermögen sind zweckmäßig füreinander.

Nun beweist sich die in der Subjektseite des Prinzips a priori geforderte Zweckmäßigkeit (ZM) der Erkenntnisvermögen darin, dass Einbildungskraft und Verstand im Zustand einer Stimmung zur Erkenntnis überhaupt vereinigt sind. Eine solche Stimmung zur Erkenntnis überhaupt kann sich nur dann instanziieren, wenn ein gegebenes Objekt über eine subjektive ZM verfügt, d. h. wenn das Objekt zweckmäßig für die Erkenntnisvermögen des Subjekts bzw. zweckmäßig für die Stimmung zur Erkenntnis überhaupt ist. Diese ZM von Objekten für die menschlichen Erkenntnisvermögen wird aber gerade von der Objektseite des Prinzips a priori ausgesagt. In diesem Sinne gehen Instanziierungen der Subjektseite und der Objektseite des Prinzips a priori Hand in Hand: Wenn eine Stimmung der Erkenntnisvermögen zur Erkenntnis überhaupt vorliegt (Subjektseite des Prinzips a priori), dann ist ein Objekt zweckmäßig für der Urtheile, und bedarf also auch einer transscendentalen Deduction« (182,32). Kurz darauf heißt es: »Um sich von der Richtigkeit dieser Deduction des vorliegenden Begrifs, und der Nothwendigkeit ihn als transscendentales Erkenntnißprincip anzunehmen, zu überzeugen, […]« (184,22). Zusammengenommen verdeutlichen diese beiden Aussagen, dass Kant eine Deduktion des Prinzips a priori der Urteilskraft vornimmt. 26 Ich trenne hier bewusst den Inhalt und die Geltung (›als ob‹) dieses Prinzips, ohne dabei infrage zu stellen, dass das Prinzip hinsichtlich seiner Geltung bloß regulativ ist. Siehe erneut Kap. G3.1. Kants Philosophie des Schönen

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die menschlichen Erkenntnisvermögen (Objektseite des Prinzips a priori). 27 Wie verhält sich all dies zum Gemeinsinn? Der Gemeinsinn umfasst zwei Aspekte, nämlich den Aspekt der Sinnlichkeit, der sich im Gefühl der Lust niederschlägt, und den Aspekt der Gemeinschaftlichkeit. Dabei beruht der Aspekt der Gemeinschaftlichkeit auf der Stimmung zur Erkenntnis überhaupt im freien Spiel. In diesem Sinne schließt der Gemeinsinn die Stimmung zur Erkenntnis überhaupt ein. Letzteres bedeutet aber auch, dass der Gemeinsinn die Subjektseite des Prinzips a priori einschließt. Anders formuliert: Immer wenn sich der Gemeinsinn instanziiert, dann instanziiert sich die Subjektseite des Prinzips a priori. 28 Wenn eine Stimmung zur Erkenntnis überhaupt (Subjektseite des Prinzips a priori) vorliegt, dann ist ein Objekt zweckmäßig für die menschlichen Erkenntnisvermögen (Objektseite des Prinzips a priori). Daher muss auch bei einer Instanziierung des Gemeinsinns eine ZM des Objekts für die menschlichen Erkenntnisvermögen vorliegen: Die Stimmung zur Erkenntnis überhaupt im Gemeinsinn instanziiert sich nur dadurch, dass ein Objekt (bzw. die Form eines Objekts) zweckmäßig für die menschlichen Erkenntnisvermögen ist. Nichts anderes hat Kant ja letztlich im Dritten Moment mittels seiner Konzeption der subjektiven ZM herausgestellt. Immer wenn sich also der Gemeinsinn in einer Lust am Schönen instanziiert, dann instanziieren sich sowohl die Subjektseite als auch die Objektseite des Prinzips a priori. Mehr noch, wir können den Gemeinsinn im Sinne seiner Komponente der Stimmung zur Erkenntnis überhaupt als direkte Instanziierung der Subjektseite und als indirekte Instanziierung der Objektseite des Prinzips a priori der Urteilskraft begreifen. Dies bedeutet: Der Gemeinsinn ist der in ein menschliches Vermögen übertragene Inhalt des Prinzips a priori und in diesem Sinne eine besondere Realisierung dieses Prinzips. Ich gebrauche den Begriff des Objekts hier in einer weiten Bedeutung. So können auch Formen, die nicht begrifflich erfasst wurden, zweckmäßig für die menschlichen Erkenntnisvermögen sein. Ferner können wir auch Erkenntnisse über uns als Subjekte treffen, wobei sich das Subjekt selbst als zweckmäßig für die (eigenen) Erkenntnisvermögen erweist. 28 Es gilt freilich aber nicht: Immer wenn sich die Subjektseite des Prinzips a priori instanziiert, instanziiert sich auch der Gemeinsinn. So instanziiert sich bei einer gewöhnlichen empirischen Erkenntnis die Subjektseite des Prinzips a priori, ohne dass dabei eine innere Belebung vorliegt und wir also eine Lust am Schönen fühlen. 27

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Obwohl ich den Gemeinsinn als eine besondere Realisierung des Prinzips a priori der Urteilskraft interpretiere, will ich nicht die Unterschiede zwischen beiden leugnen. Das Prinzip a priori in seiner gewöhnlichen Form ist ein propositionales Prinzip, das in allen Urteilen der reflektierenden Urteilskraft Anwendung findet. Dagegen ist der Gemeinsinn ein nicht-begriffliches Vermögen, das nur in Geschmacksurteilen Anwendung findet. Ein weiterer Unterschied besteht im Geltungsanspruch: Das Prinzip a priori der Urteilskraft ist gewöhnlich nur ein regulatives Prinzip, d. h. es dient nur als Handlungsvorschrift für urteilende Subjekte und kann keinesfalls auf gegebene Objekte angewendet werden. Dagegen subsumieren wir unsere (intentional auf das Objekt gerichtete) Lust unter den Gemeinsinn, um ein Geschmacksurteil zu erzeugen. Der Gemeinsinn ist also kein regulatives, sondern ein konstitutives Prinzip. 29 Da der Gemeinsinn eine spezifische Realisierung des Prinzips a priori der Urteilskraft ist, wirkt das Prinzip a priori in Form des Gemeinsinns konstitutiv. Vor diesem Hintergrund lässt sich dann auch die folgende Passage aus der Einleitung verstehen: »Der Begrif der Urtheilskraft von einer Zweckmäßigkeit der Natur ist noch zu den Naturbegriffen gehörig, aber nur als regulatives Princip des Erkenntnißvermögens; obzwar das ästhetische Urtheil über gewisse Gegenstände (der Natur oder der Kunst), welches ihn veranlasset, in Ansehung des Gefühls der Lust oder Unlust ein constitutives Princip ist« (197,5, m. H.).

Kant schreibt, das ›ästhetische Urtheil‹ (Geschmacksurteil) sei ›ein constitutives Princip‹ ›in Ansehung des Gefühls der Lust oder Unlust‹. Jedoch entspringt das Geschmacksurteil ja allererst mittels der Erfassung der Lust durch den Begriff »schön«, d. h. durch die Bestimmung der Lust. Und es ist naheliegend, dass diese Bestimmung durch ein konstitutives Prinzip erfolgt. 30 Da die Bestimmung der Lust durch den Gemeinsinn erfolgt, der eine besondere Realisierung des Prinzips a priori ist, schlage ich vor, dass Kant in der obigen Passage dem Prinzip a priori der Urteilskraft (›Begrif der Urtheilskraft von einer Zweckmäßigkeit der Natur‹) im Kontext des Geschmacksurteils eine konstitutive Funktion hinsichtlich der Lust zuschreibt.

29 30

Siehe hierzu auch Kap. 22.4.3. Zum Begriff des konstitutiven Prinzips siehe Kap. 22.4.1.

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Stimmt es, dass der Gemeinsinn als besondere Realisierung des Prinzips a priori der Urteilskraft im Sinne eines konstitutiven Prinzips wirksam ist, dann erfahren wir im Geschmacksurteil etwas, was wir im theoretischen Erkenntniskontext niemals erkennen können. Zwar ist das Geschmacksurteil kein Erkenntnisurteil, und wir gewinnen daher durch solche Urteile im strengen Sinne keine Erkenntnisse. Indem wir aber unsere gefühlte Lust unter den Gemeinsinn subsumieren, erfahren oder lernen wir, dass unsere Erkenntnisvermögen zweckmäßig eingerichtet sind. Ferner erfahren wir auch indirekt, dass das gegebene Objekt subjektiv zweckmäßig ist. Die Besonderheit ist dabei, dass wir diese Einsicht nicht begrifflich, sondern gefühlt erlangen. Es ist diese gefühlte Einsicht in die zweckmäßige Einrichtung des Menschen und der Natur, durch die das Geschmacksurteil auf »das übersinnliche Substrat der Menschheit« (340,21) hindeutet.

G6.4 Literaturbericht Welches Verhältnis wird § 21 und § 38 bzw. der Analytik und der Deduktion in der Sekundärliteratur attestiert? Wenzel erkennt zwar, dass das Verhältnis beider Paragraphen im Sinne ihrer Funktion Probleme bereite, liefert aber keine Lösung (vgl. Wenzel 2008, 92). Eine prominente Deutung stammt, wie schon bemerkt, von Guyer, nach der § 21 ein »[f]irst attempt« und § 38 ein »[s]econd attempt« der Deduktion sei (Guyer 1979, 279 & 308). Er fasst den Unterschied zwischen beiden Deduktionen dann folgendermaßen: »Like § 21, § 38 assumes that if knowledge can be shared, then so can the capability for it; but unlike § 21, § 38 does not suggest that the possibility of communication is a necessary condition for the existence of knowledge« (Guyer 1979, 315). Gegen diese Deutung hat sich Allison gewandt. Wie früher erläutert, verortet er in § 21 keinen ästhetischen, sondern einen theoretischen Gemeinsinn, d. h. »the faculty of judgment, as characterized in the first Critique«; »by contrast, the connection between taste and the conditions of cognition or judgment, which remains mysterious in § 21, is assumed from the start as the result of the argument of § 35 that the faculty of judgment itself (in the form of the conditions of its successful operation) provides the sought-for subjective principle of taste. Given this, the ›deduction‹ of § 38 then affirms the universal validity of this principle of taste on the grounds that it is also a condition of cognition« (Allison 2001, 176 f.). Allisons Unterscheidung von § 21 und § 38 wird von Longuenesse unterstützt: »Allison insists, rightly in my view, that these sections [§§ 20–22], […], are not a preliminary version of the deduction of judgments of taste, but rather an indication of the direction in which a de-

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duction will have to be sought« (Longuenesse 2003, 161). Eine andere einflussreiche Deutung besteht darin, dass eine Deduktion zwar grundsätzlich eine andere Funktion habe als eine Analytik, wobei aber die Deduktion der Geschmacksurteile ihre Funktion nicht erfülle. In diesem Sinne schreibt McCloskey: »Whereas the Analytic shows that in using judgments concerning the beautiful we lay claim to ›universality‹ and ›necessity‹, the Deduction is directed towards giving a justification of such claims« (McCloskey 1987, 80); und sie erläutert dann zur Deduktion: »In the section entitled Deduction of Judgments of Taste he [Kant] presents a brief and cryptic argument which is in substance a repetition of an argument he has already presented in the Fourth Moment of the Analytic« (McCloskey 1987, 86). Während McCloskey davon ausgeht, dass die offizielle Deduktion scheitere, nimmt Matthews an, dass schon die Analytik eine erfolgreiche Deduktion leiste: »The task of the deduction is to solve the problem of taste: how a judgment can be universal and necessary while also being subjective (not relying on proofs or concepts). [Absatz] Now, this is just what Kant has already done in the four Moments, and this is reflected in the fact that the section entitled ›Deduction of Judgments of Taste,‹ summarizes the points made in the first four moments« (Matthews 1997, 50 f.). Die Annahme, dass Kant in der offiziellen Deduktion nur eine Zusammenfassung der Analytik leiste, ist weit verbreitet. So schreibt etwa Kern: »Ich meine, daß Kant die Argumente seiner Deduktion über den ganzen Text verstreut hat und der Deduktionsparagraph selbst eigentlich nichts weiter als ein Resümé derselben enthält« (Kern 2000, 46). Crowther bezeichnet § 38 als »no more than a general summary of arguments offered in more detail earlier on« (Crowther 2010, 91). Und Kulenkampff bezeichnet die Deduktion der reinen ästhetischen Urteile als »nur eine zweite Analyse der Oberflächen- und der hypothetischen Tiefenstruktur der Geschmacksurteile«, sodass sie »nicht über die ›Analytik des Schönen‹ hinaus[führt]« (Kulenkampff 1995, 36; vgl. auch Kulenkampff 1994, 114 ff.). Folgt man schließlich Brandt, dann ist »[d]er Ort, an dem die so bestimmte Notwendigkeit ihre Begründung findet, […] nicht mehr die ›Analytik‹, sondern die ›Dialektik‹« (Brandt 1998, 242). Entgegen diesen Ansätzen plädiere ich dafür, dass man Kants Dreiteilung in Analytik, Deduktion und Dialektik ernst nehmen sollte und dass in § 38 wirklich eine Deduktion geleistet wird. Es ist eine wichtige Frage, wie sich der Gemeinsinn als subjektives Prinzip des Geschmacksurteils und das Prinzip a priori der Urteilskraft zueinander verhalten. In der Überschrift zu § 35 heißt es: »Das Princip des Geschmacks ist das subjective Princip der Urtheilskraft überhaupt« (286,30). Mit Bezug darauf konstatiert Fricke: »Nun hat Kant in § 35 nachgewiesen, daß das Prinzip des Geschmacks das Prinzip der Urteilskraft ist, demzufolge die Natur zweckmäßig ist ›zum Behuf unseres Vermögens …, sie zu erkennen‹« (Fricke 1990, 155). Dagegen konstatiert Allison, »the principle in question«, d. h. das Prinzip aus der Überschrift von § 35, sei »not Kants Philosophie des Schönen

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to be identified with the transcendental principle of reflective judgment, namely, the logical purposiveness of nature or systematicity, discussed in the two Introductions« (Allison 2001, 169). Ich habe erläutert, dass der Gemeinsinn, d. h. das subjektive Prinzip des Geschmacksurteils, eine spezifische Realisierung des Prinzips a priori der Urteilskraft ist. Im Sinne des Gemeinsinns deutet auch Crawford das Prinzip aus der Überschrift von § 35: »Since in § 20 Kant explicitly claimed that a common sense is the subjective principle of judgments of taste, it follows that the subjective principle of all judgments is a common sense. Hence it follows that a common sense, as the subjective principle of all judgments, is thus the subjective principle of moral judgments as well« (Crawford 1974, 127). Ohne unmittelbaren Bezug zu § 35 führt Kern aus: »Das Prinzip, nach dem die Beurteilung des Schönen somit geschieht, ist das subjektive Prinzip der Urteilskraft überhaupt, das in der Zusammenstimmung der beiden Erkenntnisvermögen besteht« (Kern 2000, 59). Dies deckt sich in gewisser Hinsicht mit meiner Interpretation, nach der die Stimmung zur Erkenntnis überhaupt im Gemeinsinn eine Realisierung der Subjektseite des Prinzips a priori ist. Zhouhuang stellt die folgende Frage: »Wenn es im dritten Moment des Geschmacksurteils schon ein apriorisches Prinzip der subjektiven Zweckmäßigkeit gibt, weshalb kommt hier dann ein Prinzip des Gemeinsinns vor und auf welche Weise beziehen diese beiden Prinzipien sich aufeinander?« (Zhouhuang 2016, 93) Sie entwickelt das Verhältnis der beide Prinzipien mit Rekurs darauf, was diese jeweils erklären: »Das Prinzip der subjektiven Zweckmäßigkeit erklärt die ästhetische Notwendigkeit des Geschmacksurteils im intrasubjektiven Sinne, d. h., es reguliert die harmonische Übereinstimmung der Erkenntniskräfte bei einer gegebenen Vorstellung. Das Prinzip des Gemeinsinns hingegen erklärt die ästhetische Notwendigkeit aus der intersubjektiven Perspektive, d. h., es sinnt bei jedem Geschmacksurteil die allgemeine Beistimmung an, um die subjektive Notwendigkeit des Geschmacksurteils abzusichern, sodass sie ›als objektiv vorgestellt‹ (KU AA5: 239) werden kann« (Zhouhuang 2016, 93 f.). Sie fährt dann jedoch fort: »Der Gemeinsinn wird daher einerseits im intrasubjektiven Sinne als Wirkung des freien Spiels der Erkenntniskräfte durch das Prinzip der subjektiven Zweckmäßigkeit definiert und hat dann andererseits auch im intersubjektiven Sinne eine eigene Funktion, nämlich als ›die Idee eines gemeinschaftlichen Sinnes‹« (Zhouhuang 2016, 94). Dabei scheint es mir letztlich unklar, ob sie das Prinzip der subjektiven ZM als Voraussetzung oder Bestandteil des Gemeinsinns begreift, und ob dann beide letztlich vielleicht doch dasselbe sein sollen.

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§ 22 Der Status des Gemeinsinns zum Ende der Analytik des Schönen

Dem letzten Paragraphen der Analytik kommt eine doppelte Funktion zu: Erstens fasst Kant zusammen, wie die Notwendigkeit des Geschmacksurteils zu charakterisieren ist und welche Rolle dabei der Gemeinsinn spielt. Zweitens stellt er heraus, dass der Status des Gemeinsinns zum Ende der Analytik noch ungeklärt ist: Wir wissen noch nicht, ob der Gemeinsinn existiert oder nicht. Diese Zweiteilung geht aus der folgenden Gliederung hervor: 1. Überblick über die Notwendigkeit des Geschmacksurteils und die Rolle des Gemeinsinns (§ 22.A.1–3, 239,16–33) 2. Der ungeklärte Status des Gemeinsinns (§ 22.B.1–2, 239,34– 240,15)

22.1 Eine Zusammenstellung der Thesen zur Notwendigkeit Im ersten Absatz rekapituliert Kant hauptsächlich bereits bekannte Thesen zur Notwendigkeit des Geschmacksurteils. Wir wollen zunächst diese bereits bekannten Thesen identifizieren, bevor wir auf eine scheinbar neue These eingehen werden. Führen wir uns dazu die Sätze § 22.A.1–2 vor Augen: § 22.A.1 »[a] In allen Urtheilen, wodurch wir etwas für schön erklären, verstatten wir keinem anderer Meynung zu seyn; [b] ohne gleichwohl unser Urtheil auf Begriffe, sondern nur auf unser Gefühl zu gründen: [c] welches wir also nicht als Privatgefühl, sondern als ein gemeinschaftliches zum Grunde legen. § 22.A.2 [a] Nun kann dieser Gemeinsinn zu diesem Behuf nicht auf der Erfahrung gegründet werden; [b] denn er will zu Urtheilen berechtigen, die ein Sollen enthalten: [c] er sagt nicht, daß jedermann mit unserm Urtheile übereinstimmen w e r d e , sondern damit zusammenstimmen s o l l e « (239,16).

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§ 22 Der Status des Gemeinsinns zum Ende der Analytik des Schönen

Eine erste These findet sich in § 22.A.1a. Vereinfacht lautet diese: § 22.A.1aR1 In Geschmacksurteilen erlauben wir keinem, anderer Meinung zu sein.

Offenkundig greift Kant mit dieser Formulierung die (präskriptive) Allgemeingültigkeitsthese ATUrteil auf. 1 Diese besagt, dass ein Geschmacksurteil rechtmäßige Geltung für alle Urteilenden beansprucht. Da wir uns im Vierten Moment befinden, in dem Kant die Notwendigkeit behandelt, ist es naheliegend, dass er zudem auf die Notwendigkeitsthese NTUrteil verweist. So gehen ATUrteil und NTUrteil ja insofern Hand in Hand, als das Geschmacksurteil notwendige Allgemeingültigkeit beansprucht; und es scheint plausibel, dass Kant mit der Formulierung ›verstatten wir keinem anderer Meynung zu seyn‹ diesen Status der notwendigen Allgemeingültigkeit aufgreift. Dafür spricht auch, dass er im folgenden Satz (§ 22.A.2) auf den Gemeinsinn eingeht, auf den er die Notwendigkeit bzw. die notwendige Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils gründet. Somit umschreibt Kant wohl insgesamt die beiden Thesen ATUrteil und NTUrteil und also die umfassende These, dass das Geschmacksurteil notwendige Allgemeingültigkeit beansprucht. In § 22.A.1b erinnert Kant an zwei Thesen aus den ersten beiden Momenten: § 22.A.1bR1 Wir gründen das Geschmacksurteil nicht auf Begriffe, sondern nur auf unser Gefühl.

Kant greift erstens die Begriffslosigkeitsthese (BTUrteil) auf und zweitens die These, dass das Geschmacksurteil ein ästhetisches Urteil ist. Wie früher betont, hängen beide Thesen eng zusammen: In einem ästhetischen Urteil wird ein Gefühl der Lust prädiziert und es wird durch das Gefühl der Lust gerechtfertigt. Dies impliziert, dass das Urteil keine begrifflich erfasste Eigenschaft des Objekts (oder Subjekts) prädizieren und nicht aus einem objektiven, begrifflichen Prinzip abgeleitet sein kann. 2 Warum wiederholt Kant all diese Thesen? Der Grund dafür ist, dass diese in Kombination das für die Analytik zentrale Paradox wiedergeben: Das Geschmacksurteil ist nicht-begrifflich und gründet sich auf ein Gefühl (BT); es ist aber dennoch notwendig allgemeingültig (AT und NT). Kants letzter Beitrag zur Lösung des Paradoxes 1 2

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Siehe hierzu Kap. 6.1.3. Siehe hierzu Kap. 6.1.4.

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Eine Zusammenstellung der Thesen zur Notwendigkeit

bestand in der Einführung des Gemeinsinns. Und in der Tat greift er diesen in § 22.A.1c (implizit) auf: § 22.A.1cR1 Wir legen dem Geschmacksurteil kein Privatgefühl, sondern ein gemeinschaftliches Gefühl zugrunde.

Man könnte meinen, Kant wolle mit der Formulierung ›gemeinschaftliches Gefühl‹ nur auf die Allgemeingültigkeitsthese (ATLust) verweisen, was insbesondere der Kontrast mit dem ›Privatgefühl‹ nahelegt. Allerdings spricht Kant nicht von einem allgemeingültigen, sondern einem gemeinschaftlichen Gefühl. Ferner nutzt er im darauffolgenden Satz die Formulierung »dieser Gemeinsinn« (§ 22.A.2, 239,20, m. H.). Da in § 22.A.1 nicht der Begriff des Gemeinsinns, sondern nur die Wendung ›gemeinschaftliches Gefühl‹ fällt, muss das ›gemeinschaftliche Gefühl‹ für den Gemeinsinn bzw. für ein Gefühl, das dem Gemeinsinn entsprungen ist, stehen. Wir können damit die folgende Rekonstruktion vornehmen: § 22.A.1cR2 Wir legen dem Geschmacksurteil kein Privatgefühl, sondern ein Gefühl, das einem Gemeinsinn entspringt, zugrunde.

Nun ist der Gemeinsinn Kants Lösung für das Paradox aus notwendiger Allgemeingültigkeit und Begriffslosigkeit: Die Lust am Schönen ist deshalb notwendig allgemeingültig, weil sie dem (nichtbegrifflichen) Gemeinsinn entspringt; das Geschmacksurteil ist deshalb notwendig allgemeingültig, weil es durch Subsumtion unter den (nicht-begrifflichen) Gemeinsinn erzeugt wird. 3 § 22.A.1 gibt somit einerseits die zentrale Problematik der Analytik sowie andererseits Kants finale Lösung dieser Problematik wieder. Im darauffolgenden Satz (§ 22.A.2) schließt Kant an die Konzeption des Gemeinsinns an. Dieser Satz besteht aus drei Teilsätzen, wovon sich der erste wie folgt rekonstruieren lässt: § 22.A.2aR1 Der Gemeinsinn kann zum Behuf der notwendigen Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils nicht auf der Erfahrung gegründet werden.

Der Gemeinsinn sorgt dafür (›zu diesem Behuf‹), dass das Geschmacksurteil über einen rechtmäßigen Anspruch auf notwendige Allgemeingültigkeit verfügt. Was bedeutet es aber, dass der Gemeinsinn ›nicht auf der Erfahrung gegründet werden‹ kann? Würden wir 3

Siehe hierzu G5.2.

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§ 22 Der Status des Gemeinsinns zum Ende der Analytik des Schönen

den Gemeinsinn ›auf der Erfahrung gründen‹, so würden wir viele Geschmacksurteile über einen spezifischen Gegenstand (etwa Van Goghs Sternennacht) vergleichen und feststellen, dass alle Menschen ihn für schön befinden. Aus dieser empirisch festgestellten Allgemeinheit würden wir folgern, dass wir Menschen über einen Gemeinsinn verfügen. Ein solches Verfahren wäre aus den folgenden Gründen nicht zulässig: Erstens kann schon die Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils nicht auf ein solches Verfahren gegründet werden; denn ein empirisches Verfahren würde nur zu komparativer Allgemeingültigkeit führen, d. h. zu Urteilen der Form »x ist für einige Menschen schön«. 4 Zweitens herrscht bezüglich der meisten Gegenstände keine allgemeine Einigkeit darüber, ob sie schön sind. 5 Und drittens können empirische Verfahren grundsätzlich zu keiner notwendigen Allgemeingültigkeit führen. 6 Damit verbunden könnte der Gemeinsinn, wenn wir ihn aus empirischen Prämissen ableiteten, keinen apriorischen Status beanspruchen; er wäre vielmehr ein empirisches Prinzip.7 Der Gemeinsinn muss aber über eine Art apriorischen Status verfügen, damit sich daraus notwendig allgemeingültige Geschmacksurteile ableiten lassen. Genau dies verdeutlicht Kant in § 22.A.2b-c (›denn‹): § 22.A.2b* Der Gemeinsinn will zu Urteilen berechtigen, die ein Sollen enthalten. § 22.A.2c* Der Gemeinsinn sagt nicht, dass jedermann mit unserem Urteil übereinstimmen werde, sondern der Gemeinsinn sagt, dass jedermann mit unserem Urteil zusammenstimmen soll.

Der Gemeinsinn kann nicht aus empirischen Prämissen abgeleitet werden, weil das Geschmacksurteil einen Sollensanspruch, d. h. einen Anspruch auf Notwendigkeit, erhebt: 8 Vgl. § 7.C.3, 213,15; B3 f. – Siehe auch Kap. 7.3. Vgl. § 18.A.8, 237,15. 6 Vgl.: »so läßt sich auf empirische Urtheile kein Begrif der Nothwendigkeit dieser Urtheile gründen« (§ 18.A.8, 237,17). – Für eine Analyse von § 18.A.8 siehe Kap. 18.3.3. 7 Zum Status des Gemeinsinns als apriorisches Prinzip siehe Kap. G5.2. – Damit ist nicht ausgeschlossen, dass in der Deduktion des Gemeinsinns etwas empirisch Gegebenes eine Rolle spielen kann. So habe ich dafür argumentiert, dass der Gemeinsinn letztlich aus dem gefühlten Faktum der uninteressierten Lust deduziert wird. Siehe hierzu Kap. G6.1. 8 Siehe die Analyse des Sollensanspruchs in Kap. 19.1. 4 5

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Eine Zusammenstellung der Thesen zur Notwendigkeit

§ 22.A.2bR1 Der Gemeinsinn will zu Urteilen berechtigen, die Notwendigkeit beanspruchen.

Notwendigkeit kommt nur apriorischen Sätzen zu; empirische Sätze können hingegen keine Notwendigkeit beanspruchen. 9 Würden wir also das Geschmacksurteil auf einen Gemeinsinn gründen, den wir aus empirischen Prämissen hergeleitet hätten, so könnte das Geschmacksurteil keine Notwendigkeit beanspruchen. In diesem Sinne heißt es an anderer Stelle: »wenn man es [das Geschmacksurteil] als ein solches würdigt, welches zugleich verlangen darf, daß jedermann ihm beypflichten soll; so muß ihm irgend ein (es sey objectives oder subjectives) Princip a priori zum Grunde liegen, zu welchem man durch Aufspähung empirischer Gesetze der Gemüthsveränderungen niemals gelangen kann: weil diese nur zu erkennen geben, wie geurtheilt wird, nicht aber gebieten, wie geurtheilt werden soll, […]« (278,21). 10

Geschmacksurteile müssen also aufgrund ihres Status der Notwendigkeit aus einem Prinzip a priori abgeleitet werden. Dadurch verdeutlicht Kant auch, dass eine »empirische Exposition der ästhetischen Urtheile« (278,29), wie sie etwa Burke vorgenommen hat, nicht hinreichend ist; vielmehr bedarf es einer »transcendentale[n] Erörterung« (278,31) des Geschmacks. 11 Kant hat in den ersten beiden Sätzen vordringlich an bereits bekannte Thesen erinnert. Diese Strategie setzt er in § 22.A.3 teilweise fort: § 22.A.3 »[a] Also ist der Gemeinsinn, von dessen Urtheil ich mein Geschmacksurtheil hier als ein Beyspiel angebe und weswegen ich ihm e x e m p l a r i s c h e Gültigkeit beylege, eine bloße idealische Norm, [b] unter deren Voraussetzung man Vgl. insbesondere B3 f. und A1 f. Vgl.: »Sie [die ästhetischen Reflexionsurteile] machen auf Nothwendigkeit Anspruch und sagen nicht, daß jedermann so urtheile – dadurch sie eine Aufgabe zur Erklärung für die empirische Psychologie seyn würden – sondern daß man so urtheilen s o l l e , welches so viel sagt, als: daß sie ein Princip a priori für sich haben. Wäre die Beziehung auf ein solches Princip nicht in dergleichen Urtheilen enthalten, indem es auf Nothwendigkeit Anspruch macht, so müßte man annehmen, man könne in einem Urtheile darum behaupten, es solle allgemein gelten; weil es wirklich, wie die Beobachtung beweiset, allgemein gilt, und umgekehrt, daß daraus, daß jedermann auf gewisse Weise urtheilt, folge, er s o l l e auch so urtheilen, welches eine offenbare Ungereimtheit ist« (EEKU: 239,1). 11 Für einen expliziten Verweis auf Burke vgl. EEKU: 238,18. 9

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§ 22 Der Status des Gemeinsinns zum Ende der Analytik des Schönen

ein Urtheil, welches mit ihr zusammenstimmte und das in demselben ausgedrückte Wohlgefallen an einem Object, für jedermann mit Recht zur Regel machen könnte: [c] weil zwar das Princip nur subjectiv, dennoch aber, für subjectivallgemein (eine jedermann nothwendige Idee) angenommen, was die Einhelligkeit verschiedener Urtheilenden betrift, gleich einem objectiven, allgemeine Beystimmung fordern könnte; [d] wenn man nur sicher wäre, darunter richtig subsumirt zu haben« (239,23).

Im Teilsatz § 22.A.3a können wir zunächst die folgende These isolieren: § 22.A.3a1* Der Gemeinsinn ist eine bloß idealische Norm.

Dass der Gemeinsinn bloß ›idealisch‹ ist, verdeutlicht sein Status als Idee. So hat Kant bereits in § 20 von der »Idee eines Gemeinsinnes« gesprochen (§ 20.T, 237,33, m. H.). Ich habe in diesem Kontext erläutert, dass die Gemeinschaftlichkeit des Gemeinsinns nicht in der Erfahrung gegeben werden kann; und dies hat Kant ja auch in § 22.A.2 betont. 12 Nun bezeichnet Kant den Gemeinsinn zudem als ›Norm‹. Kant führt bisweilen die Begriffe der Norm, der Regel, der Vorschrift und des Gesetzes eng. 13 Dies stimmt gut mit dem Status des Gemeinsinns als Prinzip zusammen; denn ein Prinzip ist nichts anderes als eine Art von Regel. Ungewöhnlich ist nur, dass der Gemeinsinn kein begriffliches Prinzip ist. Dies könnte auch der Grund dafür sein, dass Kant in § 22.A.3a den Begriff der Norm und nicht des Gesetzes oder der Regel nutzt. Dazu passt die folgende Passage aus der Logik: »Dadurch daß die Logik als eine Wissenschaft a priori oder als eine Doctrin für einen Kanon des Verstandes- und Vernunftgebrauchs zu halten ist, unterscheidet sie sich wesentlich von der Ä s t h e t i k , die als bloße K r i t i k d e s G e s c h m a c k s keinen Kanon (Gesetz), sondern nur eine N o r m (Muster oder Richtschnur bloß zur Beurtheilung) hat, welche in der allgemeinen Einstimmung besteht« (Log: 15).

Die Formulierung ›idealische Norm‹ bedeutet damit insgesamt, dass der Gemeinsinn zwar den Status einer Idee aufweist, aber dennoch als eine Art von nicht-begrifflichem Prinzip fungiert. Der Gemeinsinn Siehe hierzu Kap. 20.2.3. Vgl. insbesondere: »Was ich einem Gesetze (vorschrift, Regel, norm) gemäs thue, […]« (Refl: 7147).

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Eine Zusammenstellung der Thesen zur Notwendigkeit

ist ferner nur ein subjektives Prinzip, weil er keine Eigenschaft des Objekts begrifflich erfasst, sondern ein Vermögen zu einem Gefühl ist. An den Status des Gemeinsinns als subjektives Prinzip erinnert Kant in § 22.A.3c, in dem sich die folgende Proposition findet: § 22.A.3c1R1 Das Prinzip ist nur subjektiv. 14

Weil wir das Geschmacksurteil aus diesem subjektiven Prinzip ableiten, weist das Geschmacksurteil exemplarische Notwendigkeit auf. An diese Konzeption erinnert Kant in § 22.A.3a. Die entsprechenden beiden Aussagen lauten: § 22.A.3a2* Ich gebe mein Geschmacksurteil als Beispiel des Urteils des Gemeinsinns an. § 22.A.3a3* Aufgrund des Gemeinsinns lege ich meinem Geschmacksurteil exemplarische Gültigkeit bei.

Mit der Formulierung ›exemplarische Gültigkeit‹ greift Kant explizit seine Konzeption der exemplarischen Notwendigkeit auf. Zu dieser hieß es in § 18, es sei »eine Nothwendigkeit der Beystimmung a l l e r zu einem Urtheil, was wie [ein] Beyspiel einer allgemeinen Regel, die man nicht angeben kann, angesehen wird« (§ 18.A.5, 237,8). Kant verdeutlicht nunmehr, dass das Geschmacksurteil ›als Beispiel des Urteils des Gemeinsinns‹ angegeben wird. Damit wird rückblickend klar, dass die ›Regel, die man nicht angeben kann‹, der Gemeinsinn ist. 15 Der Gemeinsinn fungiert, wie gezeigt, als eine Art von Obersatz, unter den wir einen Fall von gefühlter Lust subsumieren, um so das Urteil »x ist schön« zu erzeugen. In diesem Modell ist das Geschmacksurteil nichts anderes als ein Beispiel des Gemeinsinns, der als eine Art von allgemeiner, nicht-begrifflicher Regel fungiert. 16 Wenn man einen Fall der Lust am Schönen korrekt unter den Gemeinsinn subsumiert, so ist das entspringende Urteil »x ist schön« notwendig allgemeingültig. An diese Funktion des Gemeinsinns erinnert Kant in § 22.A.3b: § 22.A.3b* Unter der Voraussetzung der idealischen Norm könnte man ein Urteil, welches mit dieser idealischen Norm zusammenstimmte, und das in diesem Urteil ausgedrückte Wohlge-

Ich folge in dieser Rekonstruktion Erdmann und habe das Verb »ist« ergänzt. Siehe hierzu die Untersuchungen der exemplarischen Notwendigkeit in Kap. 18.3.4. 16 Siehe die Ausführungen zum quasi-Syllogismus in Kap. G5.2. 14 15

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fallen an einem Objekt, für jedermann mit Recht zur Regel machen.

Dass man das Urteil und das Wohlgefallen ›für jedermann mit Recht zur Regel machen‹ kann, ist eine Umschreibung für den rechtmäßigen Anspruch auf notwendige Allgemeingültigkeit. Denn dass ich jemandem mein Urteil zur Regel mache, bedeutet nichts anderes, als dass ich von ihm fordere, meinem Urteil zuzustimmen. Da Kant zuvor den Gemeinsinn mit der ›idealischen Norm‹ identifiziert hat, können wir vereinfacht schreiben: § 22.A.3bR1 Unter der Voraussetzung des Gemeinsinns kann das Geschmacksurteil zu Recht notwendige Allgemeingültigkeit beanspruchen. 17

Die notwendige Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils hängt also davon ab, ob man einen Gemeinsinn voraussetzen kann, d. h. ob es einen Gemeinsinn gibt. Ob es aber einen Gemeinsinn gibt, hat Kant noch nicht gezeigt; 18 und genau dies wird Kant im zweiten Absatz von § 22 noch einmal explizit betonen. Damit verdeutlicht er zum Ende der Analytik die Notwendigkeit einer Deduktion. Halten wir jedoch zunächst fest, an welche bereits bekannten Thesen Kant uns bisher in § 22 erinnert hat: i. Das Geschmacksurteil ist notwendig allgemeingültig, aber begriffslos (Paradox). ii. Dieses Paradox wird durch den Gemeinsinn gelöst, der ein nichtbegriffliches Vermögen ist und dennoch aufgrund seiner Gemeinschaftlichkeit die notwendige Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils garantiert. iii. Der Gemeinsinn kann nicht aus empirischen Prämissen abgeleitet werden, sondern muss eine Art apriorischen Status haben. iv. Der Gemeinsinn ist eine Idee, weil seine Komponente der Gemeinschaftlichkeit nicht in der Erfahrung belegt werden kann. v. Der Gemeinsinn ist ein subjektives Prinzip: Er fungiert als (apriorischer) Obersatz in einem quasi-Syllogismus, dessen Konklusion das Geschmacksurteil ist.

Ich habe in dieser Rekonstruktion den Indikativ (›kann‹) statt des Konjunktivs (›könnte‹) verwendet. Kant nutzt nur deshalb den Konjunktiv, weil er kurz darauf einen epistemischen Zweifel äußert (§ 22.A.3d). 18 Siehe hierzu insbesondere Kap. 21.3. 17

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vi. Das Geschmacksurteil ist ein Beispiel des Gemeinsinns, d. h. einer nicht-begrifflichen Regel, und es beansprucht daher exemplarische Notwendigkeit. vii. Ob wir einen Gemeinsinn voraussetzen dürfen und das Geschmacksurteil also zu Recht notwendige Allgemeingültigkeit beansprucht, wissen wir noch nicht.

22.2 Zur objektiven Notwendigkeit des Geschmacksurteils Alle bisher analysierten Aussagen haben nur bereits etablierte Thesen und Theoriestücke Kants wiedergegeben. Dabei kündigt Kant in der Überschrift eigentlich eine neue These an: § 22.T »Die Nothwendigkeit der allgemeinen Beystimmung, die in einem Geschmacksurtheil gedacht wird, ist eine subjective Nothwendigkeit, die unter der Voraussetzung eines Gemeinsinns als objectiv vorgestellt wird« (239,12).

Die Formulierung ›Nothwendigkeit der allgemeinen Beystimmung‹ steht für die notwendige Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils. Diese Notwendigkeit wird ›in einem Geschmacksurtheil gedacht‹ – und dies bedeutet, dass Geschmacksurteile vom Gedanken an ihre Notwendigkeit begleitet sind. 19 Verkürzt können wir § 22.T folgendermaßen wiedergeben: § 22.TR1 Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist eine subjektive Notwendigkeit, die unter der Voraussetzung eines Gemeinsinns als objektiv vorgestellt wird.

Inwiefern kann man sich aber die subjektive Notwendigkeit des Geschmacksurteils als objektive Notwendigkeit vorstellen? In den bislang analysierten Aussagen findet sich keine Antwort darauf. Allerdings haben wir die Aussage in § 22.A.3c (›weil zwar das Princip nur subjectiv, dennoch aber, für subjectiv-allgemein (eine jedermann nothwendige Idee) angenommen, was die Einhelligkeit verschiedener Urtheilenden betrift, gleich einem objectiven, allgemeine Beystimmung fordern könnte‹) noch nicht untersucht. Wir können diese Aussage folgendermaßen rekonstruieren: Auch diese These hat Kant bereits in § 18 geäußert, wenn er von der »Nothwendigkeit, die in einem ästhetischen Urtheile gedacht wird« gesprochen hat (§ 18.A.5, 237,7, m. H.). Siehe hierzu Kap. 18.4.

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§ 22.A.3c2R1 Nimmt man an, dass das Prinzip subjektiv-allgemein (eine jedermann notwendige Idee) ist, dann könnte das Prinzip dennoch wie ein objektives Prinzip allgemeine Beistimmung fordern.

Kant schreibt hier, dass das subjektive Prinzip des Geschmacksurteils, d. h. der Gemeinsinn, eine gewisse Ähnlichkeit mit objektiven Prinzipien aufweist (›gleich einem objectiven‹). Nun sind es objektive Prinzipien, aufgrund deren bestimmte Urteile (insbesondere Erfahrungsurteile) objektive Notwendigkeit beanspruchen. 20 Es ist daher naheliegend, dass Kant in § 22.A.3c seine These aus der Überschrift begründet. Objektive Prinzipien sind begriffliche und apriorische Prinzipien, welche Eigenschaften des Objekts erfassen. Nun hat Kant vehement dafür argumentiert, dass das Geschmacksurteil aus keinem objektiven Prinzip abgeleitet wird. Vielmehr beruht es auf einem subjektiven Prinzip und verfügt über eine subjektive Notwendigkeit. Allerdings schreibt Kant in § 22.A.3c2 auch gar nicht, dass das Geschmacksurteil ein objektives Prinzip habe; vielmehr konstatiert er, dass das subjektive Prinzip, weil es ›subjectiv-allgemein‹ sei, ›gleich einem objectiven‹, d. h. wie ein objektives Prinzip, ›allgemeine Beystimmung fordern könnte‹. Eine subjektive Notwendigkeit beruht auf Gründen im Subjekt, d. h. etwa auf einem Gefühl oder einer Gesinnung. 21 Insofern dieser subjektive Grund aber in allen Menschen gegeben ist (wie etwa die moralische Gesinnung), kann das auf dem subjektiven Prinzip beruhende Urteil dennoch notwendige Allgemeingültigkeit beanspruchen. In dieser Hinsicht weisen ›subjectivallgemeine[.]‹ Prinzipien eine Ähnlichkeit mit objektiven Prinzipien auf. Und diese Charakteristik, nämlich eine Notwendigkeit der Allgemeingültigkeit zu sein, markiert eine erste Übereinstimmung der subjektiven Notwendigkeit des Geschmacksurteils mit der objektiven Notwendigkeit. 22 Warum wird die subjektive Notwendigkeit des Geschmacksurteils aber ›unter der Voraussetzung eines Gemeinsinns als objectiv vorgestellt‹ ? Die einfachste Antwort ist, dass der Gemeinsinn ein Siehe hierzu die Ausführungen zu den Grundsätzen des reinen Verstandes in Kap. G5.1. 21 Siehe hierzu Kap. 19.2. 22 In früheren Werken setzt Kant die »objektive Gültigkeit« mit der »notwendige[n] Allgemeingültigkeit« gleich (Prol: 298) – sowie die subjektive Gültigkeit mit der bloßen Privatgültigkeit. Paradigmatisch heißt es in der Logik: »subjectiv nothwendig (nur für mich geltend)« und »objectiv nothwendig (für Alle geltend)« (Log: 66). 20

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›subjectiv-allgemein[es]‹ Prinzip ist und aufgrund seiner Komponente der Gemeinschaftlichkeit die notwendige Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils garantiert. Die tiefergehende Antwort lautet, dass der Gemeinsinn die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt beinhaltet und somit einen analogen Status zu einem apriorischen oder transzendentalen Prinzip aufweist. 23 Einen apriorischen und transzendentalen Status weisen auch diejenigen objektiven Prinzipien auf, mit denen Kant hier wohl das subjektive Prinzip des Geschmacksurteils implizit in Beziehung setzt – nämlich die Grundsätze des reinen Verstandes. Die subjektive Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist einer objektiven Notwendigkeit dann auch insofern ähnlich, als sie aus einer Art von apriorischem und transzendentalem Prinzip entspringt. Ferner kann das Geschmacksurteil die notwendige Allgemeingültigkeit nur zu Recht beanspruchen, wenn eine Deduktion des Gemeinsinns vorgebracht wird. Einer Deduktion bedürfen bekanntermaßen auch objektive Prinzipien. Ich möchte noch kurz auf die Formulierung ›eine jedermann nothwendige Idee‹ aus § 22.A.3c eingehen. Man könnte vermuten, diese Formulierung stehe nur für die Komponente der Gemeinschaftlichkeit des Gemeinsinns. Mir scheint mit dieser Formulierung jedoch mehr gemeint zu sein, nämlich insbesondere auch, dass alle Menschen notwendig annehmen, es gebe einen Gemeinsinn. Dies lässt sich folgendermaßen begreifen: Aus der Tatsache, dass wir Geschmacksurteile mit einem Anspruch auf notwendige Allgemeinheit fällen, geht hervor, dass wir (mindestens in einem performativen Sinn) einen Gemeinsinn annehmen. So schreibt Kant im nächsten Absatz: »Diese unbestimmte Norm eines Gemeinsinns wird von uns wirklich vorausgesetzt: das beweiset unsere Anmaßung Geschmacksurtheile zu fällen« (§ 22.B.1, 239,34, m. H.). Indem wir Geschmacksurteile fällen, gebrauchen wir den Gemeinsinn immer schon als Prinzip und nehmen somit (implizit) an, dass es den Gemeinsinn gibt. Halten wir zur Analogie zwischen der subjektiven Notwendigkeit des Geschmacksurteils und der objektiven Notwendigkeit das Folgende fest: i. Die subjektive Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist, wie die objektive Notwendigkeit, eine notwendige Geltung für alle Urteilenden.

23

Siehe hierzu erneut Kap. 5.2.

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ii.

Die subjektive Notwendigkeit beruht auf einem subjektiv-allgemeinen Prinzip, das eine Art apriorischen und transzendentalen Status aufweist. Die objektive Notwendigkeit etwa von Erfahrungsurteilen beruht ebenfalls darauf, dass dem Urteil ein apriorisches und transzendentales Prinzip (Grundsätze des reinen Verstandes) zugrunde liegt. iii. Sowohl das subjektive Prinzip des Geschmacksurteils als auch die objektiven Prinzipien bedürfen einer Deduktion, damit die entsprechenden Urteile ihren Anspruch auf notwendige Allgemeingültigkeit zu Recht erheben können.

22.3 Ein epistemisches Problem Kant schränkt seine Ausführungen zur Notwendigkeit in § 22.A.3 durch das folgende epistemische Problem ein: § 22.A.3d* [Das Prinzip könnte wie ein objektives Prinzip allgemeine Beistimmung fordern], wenn man nur sicher wäre, unter das Prinzip richtig subsumiert zu haben.

Urteilende können nicht sicher sein, ob sie einen Fall der Lust richtig unter das subjektive Prinzip, d. h. den Gemeinsinn, subsumiert haben. Damit legt Kant nahe, dass quasi-Syllogismen des Geschmacks oft fehlerhaft sind: Wir subsumieren eine Lust, die gar keine Lust am Schönen ist, unter den Gemeinsinn und generieren so ein »irriges Geschmacksurtheil« (§ 8.F.5, 216,28). Bereits in § 8 hat Kant betont, dass Urteilende »öfter« solche Fehler begehen (§ 8.F.5, 216,27). 24 Noch expliziter heißt es in der Anmerkung zur Deduktion: »Es [das Geschmacksurteil] behauptet nur: daß wir berechtigt sind, dieselben subjectiven Bedingungen der Urtheilskraft allgemein bey jedem Menschen vorauszusetzen, die wir in uns antreffen; und nur noch, daß wir unter diese Bedingungen das gegebene Object richtig subsumirt haben. Obgleich nun dies letztere unvermeidliche, der logischen Urtheilskraft nicht anhängende, Schwierigkeiten hat (weil man in dieser unter Begriffe, in der ästhetischen aber unter ein bloß empfindbares Verhältniß, der an der vorgestellten Form des Objects wechselseitig unter einander stimmenden Einbildungskraft und des Verstandes, subsumirt, wo die Subsumtion leicht trügen kann)« (290,18 f.).

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Siehe hierzu Kap. 8.3.

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Kant erläutert, dass wir bei der Subsumtion unter den Gemeinsinn häufiger irren als bei der Subsumtion unter objektive, begriffliche Prinzipien. Der Gemeinsinn ist ein Vermögen zu einem Gefühl (›ein bloß empfindbares Verhältniß‹) und in diesem Sinne nichtbegrifflich. Ein gefühlter quasi-Syllogismus, so Kants These, ist fehleranfälliger als ein begrifflicher Syllogismus. Wir haben gesehen, dass der quasi-Syllogismus letztlich für den Akt der Urteilsfällung steht, in dem wir eine konkret gefühlte Lust als Lust am Schönen (und eben nicht als Lust am Angenehmen oder Guten) identifizieren. Dabei gibt es zwei Fehlerquellen: Erstens haben vielleicht nicht alle Urteilenden verstanden, was der Begriff »schön« bedeutet, d. h. für welche Art von Lust er steht; zweitens haben Urteilende vielleicht nicht immer auf den phänomenalen Gehalt ihrer Lust richtig Acht. Um beiden Fehlerquellen möglichst vorzubeugen, muss ein Urteilender entsprechend den Begriff »schön« korrekt beherrschen und auf den phänomenalen Gehalt seiner aktual gefühlten Lust gut Acht haben. Durch die Fehleranfälligkeit der Geschmacksurteile wird im Übrigen aber nicht impliziert, dass sie keinen rechtmäßigen Anspruch auf notwendige Allgemeingültigkeit erheben können; sie können diesen Anspruch vielmehr nur erheben, wenn sie korrekt gefällt wurden. Ferner ist auch nicht impliziert, dass wir bei logischen Urteilen niemals irren. Fehler sind hier nur seltener.

22.4 Zum Status des Gemeinsinns zum Ende der Analytik Im zweiten Absatz erläutert Kant, dass auf dem aktuellen Stand der Argumentation noch nicht die Frage beantwortet wurde, ob der Gemeinsinn den Status eines konstitutiven oder regulativen Prinzips hat. Hätte er bereits in § 21 die Wirklichkeit des Gemeinsinns bewiesen, so könnte er diese Frage nicht mehr sinnvoll stellen. Wie früher gezeigt, hat Kant in § 21 bloß die Möglichkeit des Gemeinsinns bewiesen. Was würde es aber genauer bedeuten, dass der Gemeinsinn ein regulatives Prinzip wäre? Und was würde es bedeuten, dass er ein konstitutives Prinzip wäre? Führen wir uns die entsprechende Passage zunächst in Gänze vor Augen: § 22.B.1 »Diese unbestimmte Norm eines Gemeinsinns wird von uns wirklich vorausgesetzt: das beweiset unsere Anmaßung Geschmacksurtheile zu fällen. Kants Philosophie des Schönen

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§ 22.B.2 [a] Ob es in der That einen solchen Gemeinsinn, als constitutives Princip der Möglichkeit der Erfahrung gebe, oder ein noch höheres Princip der Vernunft es uns nur zum regulativen Princip mache, allererst einen Gemeinsinn zu höhern Zwecken in uns hervorzubringen; [b] ob also Geschmack ein ursprüngliches und natürliches, oder nur die Idee von einem noch zu erwerbenden und künstlichen Vermögen sey, so daß ein Geschmacksurtheil, mit seiner Zumuthung einer allgemeinen Beystimmung, in der That nur eine Vernunftforderung sey eine solche Einhelligkeit der Sinnesart hervorzubringen, und das Sollen, d. i. die objective Nothwendigkeit des Zusammenfließens des Gefühls von jedermann mit jedes seinem besondern, nur die Möglichkeit hierin einträchtig zu werden bedeute, und das Geschmacksurtheil nur von Anwendung dieses Princips ein Beyspiel aufstelle: [c] das wollen und können wir hier noch nicht untersuchen, sondern haben vor jetzt nur das Geschmacksvermögen in seine Elemente aufzulösen, und sie zuletzt in der Idee eines Gemeinsinns zu vereinigen« (240,1).

In § 22.B.1 verdeutlicht Kant, dass Urteilende den Gemeinsinn beim Fällen von Geschmacksurteilen immer schon voraussetzen. 25 Für gewöhnliche Urteilende hat der Gemeinsinn also (unbewusst) immer schon den Status eines konstitutiven Prinzips. Kant erhebt jedoch den Anspruch, sicherzustellen, dass der Gemeinsinn keine »chimärische Idee ohne Wahrheit« und kein »Hirngespinst« ist – um mit den Worten der GMS zu sprechen (GMS: 445).

22.4.1 Zum Gemeinsinn als konstitutives Prinzip Fragen wir zunächst, was es bedeuten würde, wenn der Gemeinsinn ein konstitutives Prinzip wäre (GK). Dazu finden sich in § 22.B.2 die beiden folgenden Aussagen: GK1 Es gibt einen Gemeinsinn als konstitutives Prinzip der Möglichkeit von Erfahrung. GK2 Der Geschmack ist ein ursprüngliches und natürliches Vermögen.

Dass Kant den Gemeinsinn hier als ›unbestimmte Norm‹ bezeichnet, darf nicht weiter verwirren. Der Gemeinsinn ist nämlich insofern ›unbestimmt‹, als er nichtbegrifflich und keine Proposition ist.

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Beginnen wir mit der zweiten Aussage, die weniger voraussetzungsreich ist. Wenn Kant hier schreibt, der Gemeinsinn sei ein natürliches Vermögen, dann verwendet er ›natürlich‹ als Gegenbegriff zu »künstlich[.]« (§ 22.B.2, 240,6). 26 Zur Differenz von Kunst und Natur führt er das Folgende aus: »K u n s t wird von der N a t u r, wie Thun (facere) vom Handeln oder Wirken überhaupt (agere), und das Product, oder die Folge der erstern, als W e r k (opus) von der letztern als Wirkung (effectus) unterschieden« (303,7). Dem folgend wird Kunst bzw. das Künstliche absichtlich von einem Willen als Produkt hervorgebracht. 27 Das Natürliche ist dagegen etwas, das nicht willentlich und absichtlich als Produkt hervorgebracht wurde. 28 Bezogen auf den Gemeinsinn bedeutet dies, dass er kein Vermögen bzw. keine Fähigkeit ist, die wir selbst willentlich hervorbringen (wie wir etwa willentlich die Fähigkeit hervorbringen, Klavierspielen zu können). 29 Vielmehr muss das Vermögen des Gemeinsinns im Menschen ohne dessen willentliches Zutun vorliegen. Kant bezieht den Gemeinsinn nicht nur auf den Kontrast von ›natürlich und künstlich‹, sondern auch auf den Kontrast von ›ursprünglich und zu erwerbend‹. Der Begriff des Erworbenen bildet dabei nicht nur heute, sondern bereits bei Kant häufig einen Gegensatz zum Angeborenen. 30 Es ist daher naheliegend, dass Kant mit dem Gegensatz von ›ursprünglich‹ versus ›zu erwerbend‹ auf einen Gegensatz hinauswill, der etwas klarer vielleicht durch das Begriffspaar ›angeboren‹ versus ›erworben‹ ausgedrückt wird. 31 Die These, dass der Gemeinsinn angeboren ist, impliziert freilich nicht, dass er von Geburt an im Sinne von ästhetiDer Begriff »natürlich« kann hier nicht im Gegensatz zu demjenigen »N i c h t n a t ü r l i c h e [ n ] « gebraucht sein, »welches entweder das Übernatürliche, oder das Widernatürliche sein kann« (EAD: 333 Fn.). 27 Vgl. auch: »Denn eine jede Kunst setzt Regeln voraus, durch deren Grundlegung allererst ein Product, wenn es künstlich heissen soll, als möglich vorgestellt wird« (307,22). 28 So heißt es auch bei Grimm zum Begriff »natürlich«: »in der natur, durch die natur (nicht auf mechanische, willkürliche, künstliche oder wunderbare weise) geschehend, gegeben oder hervorgebracht« (Grimm: Natürlich). 29 Vgl. bei Adelung im Eintrag »künstlich«: »In engerer Bedeutung, im Gegensatze des natürlichen, durch Fertigkeit erworben« (Adelung: Künstlich). 30 Vgl. etwa: »Daß Tugend erworben werden müsse (nicht angeboren sei), […]« (TL: 477). Vgl. auch RGV: 28 f. 31 Der Begriff »ursprünglich« wird von Kant allerdings nicht immer im Sinne von ›angeboren‹ verwendet. So entspringen Raum und Zeit sowie die Kategorien einer »ursprüngliche[n] Erwerbung« (ÜE: 221 f.). 26

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schen Erfahrungen tätig ist. Ferner ist auch nicht impliziert, dass er nicht ausgebildet und kultiviert werden kann. 32 Sehr wohl ist aber impliziert, dass es den Gemeinsinn als eine Disposition zur Lust am Schönen gibt. Die wichtigere Aussage ist freilich GK1, in welcher der Gemeinsinn als konstitutives Prinzip bezeichnet wird. Ein konstitutives Prinzip ist allgemein dadurch ausgezeichnet, dass es »etwas in Ansehung seines direkten Gegenstandes […] bestimm[t]« (A680/B708), einen »Gegenstand in concreto« (A664/B692) hat und somit eine Anwendung im Bereich der Erfahrung hat. 33 Ferner sind mindestens die Kategorien auch hinsichtlich ihrer Funktion konstitutiv: Sie sind »›Konstituentien‹ der Gegenstände der Erfahrung […], indem erst sie es möglich machen, das Mannigfaltige der empirischen Anschauung als Einheit eines Erfahrungsgegenstandes zu erfassen« (Karásek 2015, 1125). Durch die Anwendung der Kategorien konstituieren wir allererst Gegenstände der Erfahrung. Wäre nun der Gemeinsinn ein konstitutives Prinzip, würde dies erstens bedeuten, dass er im weitesten Sinne auf Anschauungsgegenstände angewendet würde und etwas an ihnen bestimmen würde. Gegebenenfalls könnte er sogar konstituierend für diese Gegenstände sein. Freilich kann der Gemeinsinn aber nicht auf gewöhnliche Gegenstände angewendet werden; denn Geschmacksurteile (als ästhetische Urteile) bestimmen nichts am Gegenstand. Allerdings wird der Gemeinsinn im quasi-Syllogismus auf die gefühlte Lust am Schönen angewendet. In diesem Sinne könnte er konstitutiv für die Lust am Schönen sein. Dies wird durch die folgende Passage bestätigt: »Der Begrif der Urtheilskraft von einer Zweckmäßigkeit der Natur ist noch zu den Naturbegriffen gehörig, aber nur als regulatives Princip des Er-

Irritierenderweise wird dies von Guyer bestritten: »Kant writes as if a principle which is constitutive must be innate, and in need of no cultivation, but a principle which is regulative is a mere ideal in need of cultivation, and not efficacious without some effort and training« (Guyer 1979, 304). 33 Diese Bedeutung des Gegensatzes von ›konstitutiv und regulativ‹ ist von jener unterschieden, die Kant im Rahmen der Differenzierung von mathematischen und dynamischen Grundsätzen nutzt. Die mathematischen Grundsätze werden insofern als konstitutiv bezeichnet, als sie »auf Erscheinungen ihrer bloßen Möglichkeit nach« gehen (A178/B221) und bloß auf die Konstruktion von Erscheinungen angewiesen sind. Hingegen setzen die dynamischen Grundsätze »das Dasein der Erscheinungen« voraus, welches »sich nicht konstruieren lässt« (A179/B221). Aus diesem Grund bezeichnet Kant sie als regulativ. 32

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kenntnißvermögens; obzwar das ästhetische Urtheil über gewisse Gegenstände (der Natur oder der Kunst), welches ihn veranlasset, in Ansehung des Gefühls der Lust oder Unlust ein constitutives Princip ist« (197,5, m. H.).

Leider ist diese Passage recht kryptisch und hier ist nicht der Raum, um sie im Detail zu analysieren. Es scheint nämlich, als wäre das Geschmacksurteil (›ästhetische Urteil‹) ein konstitutives Prinzip für das Gefühl der Lust. Dies ergibt zwar insofern Sinn, als durch das Geschmacksurteil bzw. das Prädikat »ist schön« die gefühlte Lust bestimmt wird; jedoch ist das Geschmacksurteil doch eigentlich selbst das Resultat der Anwendung eines Prinzips, nämlich des Gemeinsinns. Es scheint daher eher plausibel, dass der Gemeinsinn als konstitutives Prinzip eine Bestimmung der Lust vornimmt, aus der das Geschmacksurteil »x ist schön« resultiert. Da der Gemeinsinn, wie früher betont, nichts anderes als eine besondere Realisierung des Prinzips a priori der Urteilskraft ist, 34 so legt Kant in dieser Passage letztlich nahe, dass das Prinzip a priori der Urteilskraft (›der Begrif der Urtheilskraft von einer Zweckmäßigkeit der Natur‹) im Geschmacksurteil als konstitutives Prinzip fungiert. Wäre der Gemeinsinn also ein konstitutives Prinzip, so würde er konstitutiv für die Lust sein, d. h. etwas bezüglich der Lust bestimmen. Konkret muss dies bedeuten, dass der Gemeinsinn die Lust als Lust am Schönen bestimmt. Die ›Erfahrung‹, für die der Gemeinsinn ein ›konstitutives Prinzip‹ wäre, wäre also die Erfahrung der Lust. Wir können GK1 demnach folgendermaßen ergänzen: GK1R1 Es gibt einen Gemeinsinn als konstitutives Prinzip der Möglichkeit von Lusterfahrungen.

Nun legt die Formulierung ›constitutives Princip der Möglichkeit‹ nahe (§ 22.B.2a), dass der Gemeinsinn die Lust allererst möglich macht, d. h. konstituierend für sie ist. Dies kann auf dreierlei Weisen gedeutet werden. Erstens werden durch den Gemeinsinn Erfahrungen der Lust am Schönen insofern erst möglich, als sie dem Gemeinsinn als Vermögen der Lust am Schönen entspringen müssen. Zweitens ist der Gemeinsinn konstituierend dafür, dass die entspringende Lust notwendig allgemeingültig ist. Drittens scheint es sogar plausibel, dass durch die Subsumtion unter den Gemeinsinn eine Lusterfahrung allererst als Schönheitserfahrung konstituiert wird – ähn34

Siehe hierzu Kap. G6.3.

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lich wie durch die Subsumtion eines Mannigfaltigen unter die Kategorien allererst das Objekt konstituiert wird. Damit sich eine Schönheitserfahrung konstituiert, müssen wir uns bewusst sein, dass es sich bei einer gefühlten Lust um eine Lust am Schönen handelt. Wir werden uns einer Lust als Lust am Schönen aber erst dadurch bewusst, dass wir sie unter den Begriff »schön« subsumieren. Der Akt der begrifflichen Erfassung der Lust durch den Begriff »schön« erfolgt mittels der Subsumtion unter den Gemeinsinn. In diesem Sinne ist der Gemeinsinn konstitutiv, d. h. konstituierend, für die Lust als Lust am Schönen. Halten wir fest, was es bedeuten würde, wenn der Gemeinsinn ein konstitutives Prinzip wäre: i. Der Gemeinsinn bestimmt etwas in Ansehung der gefühlten Lust, nämlich dass die Lust eine Lust am Schönen ist. ii. Der Gemeinsinn konstituiert die Lust am Schönen und unsere Schönheitserfahrungen allererst. Erstens entspringt die Lust am Schönen dem Gemeinsinn, der nichts anderes als das Vermögen der Lust am Schönen ist. Zweitens ist er konstitutiv für die notwendige Allgemeingültigkeit der Lust. Drittens wird durch die Subsumtion der gefühlten Lust unter den Gemeinsinn die Lust als Lust am Schönen konstituiert. iii. Der Gemeinsinn liegt im Menschen als angeborene Disposition vor und muss nicht willentlich als Produkt hervorgebracht werden.

22.4.2 Zum Gemeinsinn als regulatives Prinzip Was würde es im Gegensatz dazu bedeuten, wenn der Gemeinsinn ein regulatives Prinzip wäre? Wir können zunächst in § 22.B.2 die beiden folgenden Propositionen zum Gemeinsinn als regulativen Prinzips (GR) isolieren: GR1 Ein noch höheres Prinzip der Vernunft macht es uns zum regulativen Prinzip, allererst einen Gemeinsinn zu höheren Zwecken in uns hervorzubringen. GR2 Der Geschmack ist die Idee von einem noch zu erwerbenden und künstlichen Vermögen.

Beginnen wir mit der Charakterisierung des Gemeinsinns als ›noch zu erwerbendes und künstliches Vermögen‹ (GR2). Wäre der Ge1188

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meinsinn künstlich, so würde er willentlich durch den Menschen hervorgebracht, d. h. er wäre ein absichtliches Produkt. Wäre er zudem ein ›zu erwerbendes‹ Vermögen, so wäre er erstens nicht angeboren und zweitens aktual im Menschen noch nicht vorhanden (auch nicht als Disposition). Der Gemeinsinn müsste allererst in der Zukunft durch den Menschen willentlich hervorgebracht werden. 35 Kommen wir zum Terminus des regulativen Prinzips (GR1). Im Gegensatz zu einem konstitutiven Prinzip hat ein regulatives Prinzip keinen ihm korrespondierenden Gegenstand in der Erfahrung, kann nichts bezüglich solcher Gegenstände bestimmen und wirkt auch nicht konstituierend für sie. Vielmehr haben regulative Prinzipien eine bloß heuristische Funktion: Sie richten uns auf ein Ziel aus, welches wir gegebenenfalls nie vollständig erreichen können. So führt Kant zu den transzendentalen Ideen aus, dass »sie einen vortrefflichen und unentbehrlichnotwendigen regulativen Gebrauch [haben], nämlich den Verstand zu einem gewissen Ziele zu richten« (A644/ B672). Regulative Prinzipien beinhalten Regeln für uns urteilende Subjekte, die uns vorschreiben, bei einer bestimmten Tätigkeit auf eine spezifische Art und Weise zu verfahren. 36 Insbesondere schreiben uns regulative Prinzipen vor, so zu verfahren, als ob etwas der Fall wäre. In diesem Sinne besagt das regulative Prinzip a priori der Urteilskraft, dass wir so verfahren sollen, »als ob gleichfalls ein Verstand (wenn gleich nicht der unsrige) sie [die besonderen empirischen Gesetze] zum Behuf unserer Erkenntnißvermögen, um ein System der Erfahrung nach besonderen Naturgesetzen möglich zu machen, gegeben hätte« (180,23). 37 Eine weitere Funktion der regulativen Prinzipien kann schließlich darin bestehen, uns die Grenzen menschEs wäre keine besondere Auszeichnung des Gemeinsinns als regulatives Prinzip, dass er den Status einer Idee aufweisen würde. Vielmehr ist der Gemeinsinn aufgrund seiner Komponente der Gemeinschaftlichkeit immer (auch als konstitutives Prinzip) eine Idee; denn er kann nicht in der Erfahrung belegt werden. Siehe Kap. 20.2.3. 36 So schreibt Kant zur »regulative[n] Idee« vom »Weltbegriff überhaupt«, sie diene dazu, dass wir bei der »Erklärung gegebener Erscheinungen (im Zurückgehen oder Aufsteigen) so [verfahren sollen], a l s o b die Reihe an sich unendlich wäre« (A684 f./ B713 f.). Vgl. ferner das folgende Beispiel: »Die Idee der systematischen Einheit sollte nur dazu dienen, um als regulatives Prinzip sie in der Verbindung der Dinge nach allgemeinen Naturgesetzen zu suchen, und, so weit sich etwas davon auf dem empirischen Wege antreffen läßt, um so viel auch zu glauben, daß man sich der Vollständigkeit ihres Gebrauchs genähert habe, ob man sie freilich niemals erreichen wird« (A692/B720). 37 Vgl. auch 197,5; 360,36 f.; 379,10; 416,22; 457,36 f.; EEKU: 251. – Die ›als ob‹35

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licher Erkenntnis aufzuzeigen. 38 Allerdings kommt diese letzte Funktion beim Gemeinsinn wohl nicht zum Tragen. Was würde all dies für den Gemeinsinn bedeuten? Wäre der Gemeinsinn ein regulatives (und kein konstitutives) Prinzip, so könnten wir die Lust am Schönen nicht unter den Gemeinsinn subsumieren und könnten die Lust also nicht durch den Gemeinsinn als Lust am Schönen bestimmen. Zweitens würde der Gemeinsinn (noch) nicht existieren; denn er wäre ein ›zu erwerbende[s]‹ Vermögen. Die Lust würde also auch nicht dem Gemeinsinn entspringen, sondern müsste auf eine andere Art und Weise entstehen. Vielmehr würde uns drittens wohl nur vorgeschrieben, so zu urteilen, als ob wir einen Gemeinsinn hätten. Dies, so denke ich, würde erstens bedeuten, dass wir anderen Urteilenden dennoch die Zustimmung zu unserem Urteil ansinnen sollten, und zweitens, dass wir beim Fällen von Geschmacksurteilen möglichst von allen Privatbedingungen (vor allem von Neigungen) abstrahieren sollten. 39 Wie sich dieses Verfahren zum Geschmacksurteil verhalten würde, wird durch die folgende Proposition angedeutet, die wir ebenfalls in § 22.B.2 identifizieren können: GR3 Das Geschmacksurteil stellt nur ein Beispiel der Anwendung des regulativen Prinzips dar. Terminologie findet sich auch in anderen Kontexten, etwa im Kontext der regulativen Idee der Freiheit (vgl. 404,8). 38 In diesem Sinne benennt Kant als eine Aufgabe der Ideen, dass sie »als regulative Principien dienen: theils die besorglichen Anmaßungen des Verstandes, als ob er (indem er a priori die Bedingungen der Möglichkeit aller Dinge, die er erkennen kann, anzugeben vermag) dadurch auch die Möglichkeit aller Dinge überhaupt in diesen Gränzen beschlossen habe, zurück zu halten« (167,25 f.). 39 So schildert Kant in § 40 das folgende Verfahren: »Dieses geschieht nun dadurch, daß man sein Urtheil an anderer, nicht sowohl wirkliche als vielmehr bloß mögliche Urtheile hält, und sich in die Stelle jedes andern versetzt, indem man bloß von den Beschränkungen, die unserer eigenen Beurtheilung zufälliger Weise anhängen, abstrahirt: welches wiederum dadurch bewirkt wird, daß man das, was in dem Vorstellungszustande Materie d. i. Empfindung ist, so viel möglich wegläßt, und lediglich auf die formalen Eigenthümlichkeiten seiner Vorstellung, oder seines Vorstellungszustandes, Acht hat. Nun scheint diese Operation der Reflexion vielleicht allzu künstlich zu seyn, um sie dem Vermögen, welches wir den g e m e i n e n Sinn nennen, beyzulegen; allein sie sieht auch nur so aus, wenn man sie in abstracten Formeln ausdrückt; an sich ist nichts natürlicher, als von Reiz und Rührung zu abstrahiren, wenn man ein Urtheil sucht, welches zur allgemeinen Regel dienen soll« (294,1). – Dieses Verfahren der Abstraktion von Reiz und Rührung muss freilich auch vorliegen, wenn der Gemeinsinn als konstitutives Prinzip fungiert. Hier dient das Verfahren aber dazu, die Aktivität des bereits existierenden Gemeinsinns zu ermöglichen.

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Da das regulative Prinzip darin besteht, einen Gemeinsinn hervorzubringen, können wir diesen Satz folgendermaßen rekonstruieren: GR3R1 Das Geschmacksurteil stellt nur ein Beispiel der Anwendung des regulativen Prinzips dar, einen Gemeinsinn hervorzubringen.

Der Gemeinsinn als regulatives Prinzip würde uns vorschreiben, von unseren Privatbedingungen zu abstrahieren und von anderen Urteilenden ihre Zustimmung zu fordern. Das Geschmacksurteil als Beispiel der Anwendung dieses regulativen Prinzips wäre dann ein Urteil, welches aufgrund ebendieser methodischen Schritte entstanden wäre. Nun ist es eine Aufgabe von regulativen Prinzipien, uns auf ein (unerreichbares) Ziel auszurichten. Was wäre im Falle des Gemeinsinns dieses Ziel? Es ist naheliegend, dass die Hervorbringung des Gemeinsinns selbst das Ziel wäre. So findet sich in § 22.B.2 die folgende Proposition: GR4 Das Geschmacksurteil mit seiner Zumutung einer allgemeinen Beistimmung ist nur eine Vernunftanforderung, eine solche Einhelligkeit der Sinnesart hervorzubringen.

Die ›Einhelligkeit der Sinnesart‹ muss eine Umschreibung für den Gemeinsinn sein; denn es ist ja gerade der Gemeinsinn, den wir erwerben und hervorbringen sollen (›zu erwerbenden…Vermögen‹). Wir können also schreiben: GR4R1 Das Geschmacksurteil mit seiner Zumutung einer allgemeinen Beistimmung ist nur eine Vernunftanforderung, einen Gemeinsinn hervorzubringen.

In diesem Sinne ist es eigentlich ungenau und verkürzt, den Gemeinsinn selbst als regulatives Prinzip zu bezeichnen. Vielmehr würde das regulative Prinzip darin bestehen, uns auf das Ziel auszurichten, einen Gemeinsinn hervorzubringen. Dieses Ziel wäre aber, so macht Kant ebenfalls in § 22.B.2 deutlich, einem höheren Ziel untergeordnet. Erinnern wir uns zu diesem Zweck noch einmal an GR1: GR1 Ein noch höheres Prinzip der Vernunft macht es uns zum regulativen Prinzip, allererst einen Gemeinsinn zu höheren Zwecken in uns hervorzubringen.

Welches sind diese ›höheren Zwecke‹ ? Es handelt sich dabei wohl um moralische Zwecke; denn Kant betont in der KU mehrfach, dass das Schöne »die Empfänglichkeit des Gemüths für das moralische Gefühl Kants Philosophie des Schönen

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befördert« (197,14). 40 In diesem Sinne würde uns das regulative Prinzip vorschreiben, einen Gemeinsinn (als gemeinschaftliches Gefühl) hervorzubringen, um dadurch das (gemeinschaftliche) moralische Gefühl zu befördern. In § 22.B.2 findet sich noch eine weitere Proposition zum regulativen Prinzip: GR5 Das Sollen, d. i. die objektive Notwendigkeit des Zusammenfließens des Gefühls von jedermann mit jedes seinem besonderen, bedeutet nur die Möglichkeit, hierin einträchtig zu werden.

Beim Gemeinsinn als regulativen Prinzips muss ›die Möglichkeit‹ bestehen, im Gefühl der Lust (›Zusammenfließen des Gefühls‹) ›einträchtig zu werden‹. Nun ist der Gemeinsinn das Vermögen zu einem gemeinschaftlichen Gefühl der Lust. Damit lautet die Aussage eigentlich: GR5R1 Das Sollen, d. i. die objektive Notwendigkeit des Zusammenfließens des Gefühls von jedermann mit jedes seinem besonderen Gefühl, bedeutet nur die Möglichkeit, einen Gemeinsinn hervorzubringen.

Die Notwendigkeit bzw. das Sollen, einen Gemeinsinn hervorzubringen, bedeutet insofern die Möglichkeit, einen Gemeinsinn hervorzubringen, als das Sollen von etwas die Möglichkeit dieses etwas impliziert. 41 Es würde also gelten: Wenn du einen Gemeinsinn hervorbringen sollst, dann ist es möglich, einen Gemeinsinn hervorzubringen. Im Übrigen darf nicht weiter verwirren, dass Kant in diesem Kontext von einer ›objective[n] Nothwendigkeit‹ spricht. Die Notwendigkeit im Falle des regulativen Prinzips resultiert ja daraus, dass der Gemeinsinn höheren, nämlich moralischen Zwecken, dient. Und im Kontext des moralischen Gesetzes haben wir es bekanntermaßen mit einer objektiven Notwendigkeit zu tun. 42 Wir können zur Deutung des Gemeinsinns als regulativen Prinzips das Folgende festhalten: i. Als regulatives Prinzip könnte der Gemeinsinn nicht auf die gefühlte Lust angewendet werden und etwas an ihr bestimmen. Vgl. auch § 16.G.2, 230,33 f.; 353,13 f. Vgl. für den Zusammenhang von Sollen und Können im Bereich der Moral: »Er urteilt also, daß er etwas kann, darum weil er sich bewußt ist, daß er es soll, und erkennt in sich die Freiheit, die ihm sonst ohne das moralische Gesetz unbekannt geblieben wäre« (KpV: 30). 42 Vgl. etwa GMS: 416. 40 41

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ii.

Der Gemeinsinn würde (noch) nicht existieren, sondern er müsste allererst durch den Menschen absichtlich hervorgebracht werden. iii. Wir würden so urteilen, als ob es einen Gemeinsinn gäbe. Das regulative Prinzip würde uns vorschreiben, von unseren Privatbedingungen zu abstrahieren und von anderen Urteilenden zu fordern, unserem Urteil zuzustimmen. Das Geschmacksurteil wäre ein Beispiel der Anwendung dieser Vorschriften. iv. Das regulative Prinzip würde fordern, einen Gemeinsinn, d. h. ein gemeinschaftliches Beurteilungs- und Gefühlsvermögen, hervorzubringen. Diese Forderung würde einem höheren, nämlich moralischen Zweck unterstehen.

22.4.3 Warum der Gemeinsinn ein konstitutives Prinzip sein muss Kants Frage, ob der Gemeinsinn ein konstitutives oder regulatives Prinzip sei, suggeriert, dass der Status des Gemeinsinns zum Ende der Analytik wirklich ungeklärt ist. Tatsächlich ist aber aus verschiedenen Gründen eigentlich recht klar, dass er ein konstitutives Prinzip sein muss; davon bleibt freilich das Desiderat unberührt, den Gemeinsinn zu deduzieren und somit darzulegen, dass wir ihn zu Recht als konstitutives Prinzip gebrauchen. Dass der Gemeinsinn ein konstitutives Prinzip sein muss, wird schon durch alle Formulierungen deutlich, die den quasi-Syllogismus umschreiben. Wenn Kant in § 19 schreibt, dass »der Fall unter jenem Grunde [der allen gemein ist] als Regel des Beyfalls richtig subsumirt« werden muss (§ 19.A.3, 237,29), dann zeigt dies, dass durch die Regel etwas am Fall bestimmt wird und die Regel also konstitutiv wirkt. 43 Dies wird auch dadurch deutlich, dass »das subjective[.] Princip […] bestimme, was gefalle oder mißfalle« (§ 20.A.3, 238,4, m. H.). Ferner legt auch die Konzeption der exemplarischen Notwendigkeit nahe, dass der Gemeinsinn als konstitutives Prinzip fungiert; denn es »ist der Gemeinsinn, von dessen Urtheil ich mein Geschmacksurtheil […] als ein Beyspiel angebe« (§ 22.A.3, 239,23).

Es ist in diesem Kontext aufschlussreich, dass Kant die Terminologie der Subsumtion unter den Gemeinsinn nach der geleisteten Deduktion des Gemeinsinns explizit wieder aufgreift (vgl. 290,22 f.).

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Darüber hinaus würde Kants gesamtes Theoriegerüst zusammenbrechen, wenn der Gemeinsinn kein konstitutives Prinzip wäre. So ist der Gemeinsinn das Vermögen des freien Spiels der Erkenntnisvermögen und der Lust am Schönen. 44 Wenn es aber kein Vermögen zum freien Spiel und zur Lust am Schönen gäbe, so wäre überhaupt nicht klar, wie wir überhaupt ein Geschmacksurteil fällen sollten; denn wir könnten ja weder eine Lust am Schönen fühlen noch könnte sich die vermögenstheoretische Grundlage zu dieser Lust im Menschen manifestieren. Der Gemeinsinn ist also von vornherein als konstitutives Prinzip konzipiert; und die Frage, ob er ein konstitutives oder regulatives Prinzip ist, wirkt daher in gewisser Hinsicht konstruiert. Allerdings, so werde ich nun zeigen, hat diese Frage eine wichtige methodische Funktion.

22.5 Zur Aufgabe der Analytik des Schönen Zum Abschluss der Analytik verdeutlicht Kant, was eine Analytik des Schönen leisten kann und soll – und was nicht. Dazu heißt es im letzten Teilsatz von § 22.B.2: § 22.B.2c* [Ob der Gemeinsinn ein konstitutives oder regulatives Prinzip und ob der Geschmack ein ursprüngliches und natürliches Vermögen oder die Idee von einem noch zu erwerbenden Vermögen sei,] das wollen und können wir hier noch nicht untersuchen, sondern haben vor jetzt nur das Geschmacksvermögen in seine Elemente aufzulösen, und die Elemente des Geschmacksvermögens zuletzt in der Idee eines Gemeinsinns zu vereinigen.

Insgesamt können wir drei Propositionen unterscheiden: § 22.B.2c1R1 Ob der Gemeinsinn ein konstitutives oder regulatives Prinzip ist und ob der Geschmack ein ursprüngliches und natürliches Vermögen oder die Idee von einem noch zu erwerbenden Vermögen ist, das wollen und können wir in der Analytik des Schönen noch nicht untersuchen. § 22.B.2c2R1 Wir haben in der Analytik des Schönen nur das Geschmacksvermögen in seine Elemente aufzulösen.

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Siehe Kap. 20.2.

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Zur Aufgabe der Analytik des Schönen

§ 22.B.2c3R1 Wir haben in der Analytik des Schönen die Elemente des Geschmacksvermögens zuletzt in der Idee eines Gemeinsinns zu vereinigen.

In der ersten Proposition legt Kant dar, dass die Frage, ob der Gemeinsinn ein konstitutives oder ein regulatives Prinzip ist, in der Analytik nicht beantwortet werden kann und auch nicht beantwortet werden soll. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Kant noch nicht das nötige Material zur Verfügung stünde, um diese Frage zu beantworten. Denn es wäre ihm ein Leichtes, die Wirklichkeit des Gemeinsinns aus dem gefühlten Faktum der uninteressierten Lust zu deduzieren; 45 und damit wäre auch bewiesen, dass der Gemeinsinn nicht erst im Sinne eines regulativen Prinzips hervorgebracht werden müsste. Dass noch nicht untersucht werden kann, ob der Gemeinsinn ein regulatives oder konstitutives Prinzip ist, liegt vielmehr daran, dass eine solche Untersuchung nicht in den Aufgabenbereich der Analytik fällt. Denn die Aufgabe der Analytik ist, wie oben erläutert, eine Zergliederung des Geschmacksurteils »x ist schön« bzw. des Geschmacksvermögens vorzunehmen. Und dies verdeutlicht Kant ja auch in § 22.B.2c2. 46 Dass es über die Analyse der Geschmacksurteile hinaus einer Deduktion bedarf, betont er in der folgenden Passage: »Der Anspruch eines ästhetischen Urtheils auf allgemeine Gültigkeit für jedes Subject bedarf, als ein Urtheil welches sich auf irgend ein Princip a priori fußen muß, einer Deduction (d. i. Legitimation seiner Anmaßung); welche über die Exposition desselben noch hinzukommen muß, wenn es nämlich ein Wohlgefallen oder Mißfallen an der F o r m d e s O b j e c t s betrift« (279,7).

Vor dem Hintergrund, dass es neben der Analytik noch einer Deduktion bedarf, durch welche die Wirklichkeit des Gemeinsinns und sein Status als konstitutives Prinzip bewiesen wird, können wir Kants Aussage in § 22.B.2c1 folgendermaßen präzisieren: § 22.B.2c1R2 Ob der Gemeinsinn ein konstitutives oder regulatives Prinzip ist und ob der Geschmack bereits existiert oder noch erworben werden muss, das wollen und können wir in der Analytik des Schönen, die nur eine Zergliederung des Geschmacksurteils zur Aufgabe hat, noch nicht unterSiehe hierzu Kap. G6.1. Auch zu Beginn der Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik spricht Kant von »den obigen Zergliederungen« (240,21).

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suchen; diese Frage zu beantworten ist vielmehr erst die Aufgabe der Deduktion.

Interessanterweise tritt aber die Frage, ob der Gemeinsinn ein regulatives oder konstitutives Prinzip ist, weder im Rahmen der Deduktion noch sonst irgendwo in der Kritik der ästhetischen Urteilskraft erneut auf. Dies verdeutlicht noch einmal, dass diese Frage in § 22 bloß eine methodische Funktion einnimmt. Wir haben bislang betont, dass Kant in der Analytik nur eine Zergliederung des Geschmacksurteils und Geschmacks vornimmt. Folgt man § 22.B.2c3, so ist dies aber nicht alles: Es fällt auch in den Aufgabenbereich der Analytik, die Elemente des Geschmacksvermögens ›in der Idee eines Gemeinsinns zu vereinigen‹. In diesem Sinne weist die Analytik eine gegenläufige Binnenstruktur auf: Zunächst wird der Geschmack zergliedert, d. h. seine einzelnen Bestandteile werden aufgefunden; im Anschluss werden diese Bestandteile dann in einer nun präziser gefassten Konzeption des Geschmacks, nämlich im Gemeinsinn, vereinigt. Wie ist Letzteres genauer zu verstehen? Die Analytik beginnt damit, dass der Geschmack als »ein Vermögen der Beurtheilung des Schönen« ausgewiesen wird (203 Fn.), wobei sogleich ergänzt wird, dass wir das Schöne durch das Gefühl der Lust beurteilen. 47 Diese Lust wird im Fortgang zergliedert: Kant bestimmt sie als uninteressiert, frei und allgemeingültig, führt sie auf das freie Spiel der Erkenntniskräfte zurück und verknüpft Letzteres mit der subjektiven Zweckmäßigkeit des Gegenstandes. Der Gemeinsinn vereinigt all diese Komponenten schon dadurch, dass er das Vermögen der Lust am Schönen ist. Die Lust, die durch all diese verschiedenen Elemente ausgezeichnet ist, wird dadurch geeint, dass sie aus einem einzigen Vermögen entspringt. Der Gemeinsinn hat aber noch in einer weiteren Hinsicht eine vereinigende Funktion. Er fungiert nämlich als subjektives Prinzip des Geschmacksurteils, d. h. als Obersatz in einem quasi-Syllogismus, dessen Konklusion das Urteil »x ist schön« ist. Dabei vereinigt er die einzelnen Elemente der Lust mittels der Subsumtion unter den Begriff »schön«. Schließlich geht die Zergliederung der Lust auch mit einer Zergliederung des Prädikats »ist schön« einher. Durch die Theorie der Subsumtion unter den Gemeinsinn wird deutlich, wie alle Elemente unter einem vereinigenden PräVgl. auch die Erste Erklärung des Schönen: »GESCHMACK ist das Beurtheilungsvermögen eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen, oder Misfallen, o h n e a l l e s I n t e r e s s e « (E1.1, 211,2).

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Zusammenfassung

dikat befasst werden. Somit können wir insgesamt drei miteinander verknüpfte Anwendungsbereiche der Zergliederung und Vereinigung im Rahmen der Analytik nachzeichnen: i. Das Geschmacksvermögen wird in einem zweistufigen Verfahren zergliedert: Zuerst wird es als ein Vermögen, durch Lust zu urteilen, bestimmt, und dann werden verschiedene Komponenten der Lust identifiziert. Vereinigt werden diese Komponenten der Lust dadurch, dass sie dem Gemeinsinn als Vermögen der Lust am Schönen entspringen. ii. Die Lust am Schönen wird in ihre verschiedenen Komponenten zergliedert. Diese werden dadurch im Gemeinsinn vereinigt, dass dieser das Vermögen zur Lust am Schönen ist und somit alle Komponenten der Lust unter sich befasst. Zudem werden die Komponenten der Lust durch die Subsumtion unter den Begriff »schön« vereinigt. iii. Das Prädikat »ist schön« wird zergliedert, indem es als Ausdruck für eine Lust bestimmt wird und dann die verschiedenen Komponenten dieser Lust identifiziert werden. Durch die Theorie des quasi-Syllogismus führt Kant wieder auf das Prädikat »ist schön« zurück, wobei Letzteres die einzelnen Komponenten der Lust unter sich befasst.

22.6 Zusammenfassung Die subjektive Notwendigkeit des Geschmacksurteils ähnelt unter der Voraussetzung des Gemeinsinns der objektiven Notwendigkeit. Die subjektive Notwendigkeit des Geschmacksurteils ist, wie die objektive Notwendigkeit, eine notwendige Geltung des Urteils für alle Urteilenden. Ferner beruhen beide Arten der Notwendigkeit auf einer Art von apriorischem und transzendentalem Prinzip, wenngleich der Gemeinsinn ein subjektives und kein objektives Prinzip ist. In der Analytik kann noch keine Deduktion des Gemeinsinns geleistet werden. So hat die Analytik nur die Aufgabe, den Geschmack, die Lust am Schönen und das Prädikat »ist schön« zu zergliedern und die dabei aufgefundenen Elemente letztlich im Gemeinsinn bzw. durch die Subsumtion unter den Gemeinsinn zu vereinigen. Es ist daher noch nicht klar, ob es einen Gemeinsinn wirklich gibt. Wenn es den Gemeinsinn gibt, dann fungiert er als konstitutives Prinzip für die Lust am Schönen. Wir können dann durch den GeKants Philosophie des Schönen

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meinsinn die Lust als Lust am Schönen bestimmen, ihr notwendige Allgemeingültigkeit beilegen und sie als Lust am Schönen allererst konstituieren.

22.7 Literaturbericht Zunächst stellt sich mit Bezug auf § 22 die Frage, inwiefern die »subjective Nothwendigkeit« des Geschmacksurteils »unter der Voraussetzung eines Gemeinsinns als objectiv vorgestellt wird« (§ 22.T, 239,13). Nur sehr wenige InterpretInnen gehen auf diese Formulierung überhaupt ein. Allison geht zwar darauf ein, bleibt aber sehr schwammig: »the judgment contains an ›ought‹ or demand for agreement that is comparable to the demand contained in a judgment that is putatively grounded in an objective principle, namely, a cognitive or moral claim« (Allison 2001, 156). Dabei bleibt unklar, worin die Analogie oder Vergleichbarkeit besteht. Makkreel füllt diese Analogie durch die Konzeption der allgemeinen Zustimmung: »Nach Kant macht es der Gemeinsinn möglich, die ›subjektive Notwendigkeit‹ des Geschmacksurteils ›als objektiv‹ in dem Sinn darzustellen (KU, § 22, B 66/ A 65), daß es allgemeine Zustimmung beansprucht« (Makkreel 1997, 202). Irritierenderweise bindet er an anderer Stelle die Analogie zur objektiven Notwendigkeit an die Konzeption eines objektiven Prinzips, was von Kant selbst in § 22 nicht beansprucht wird: »If we can presuppose that we all have a common sense, then we can ground the judgment of taste in a constitutive principle of experience and treat it as objective. However, this is not really Kant’s standpoint. Section 34 makes it clear that an objective principle of taste is impossible« (Makkreel 2006, 234). Ähnlich irritierend proklamiert Nachtsheim: »Wäre es gewiss, dass es einen solchen Gemeinsinn tatsächlich gibt, wäre die Notwendigkeit der Beistimmung zum Geschmacksurteil eine objektive« (Nachtsheim 2015a, 747). Die entscheidende Frage ist freilich, was es bedeuten würde, dass der Gemeinsinn ein konstitutives respektive ein regulatives Prinzip wäre und ob die einzelnen AutorInnen den Gemeinsinn als regulatives oder konstitutives Prinzip einstufen. Als konstitutives Prinzip wird er von Savile begriffen. Dieser erläutert zunächst: »In general, in order to have experience, to make objective judgments about how the world is, we do indeed have to have a common sense, because, failing all shared subjective pressure to agree with one another at certain points, we should not be able to introduce into our lives the means by which to express any experience that presents itself as ours« (Savile 1993, 38). Einerseits gelte dann, dass »a direct line from the constitutive need for a common sense to a constitutive need for a specifically aesthetic application of it is not to be had«; und andererseits: »Kant can well say that for those who do have aesthetic experience, a com-

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Literaturbericht

mon sense is constitutive of it in the way just outlined« (Savile 1993, 38). Im Allgemeinen wird der Gemeinsinn jedoch eher als regulatives Prinzip eingestuft, wobei dies freilich stark davon abhängt, was man unter dem Gemeinsinn versteht. So proklamiert Crawford: »As to the ultimate status Kant gives a common sense, we must remember that it is only an idea, an ideal, and a norm. It is a subjective principle, and it is directed to that which also is subjective – the formal purposiveness of an object. As such and consistent with Kant’s philosophy, it must remain and function as a regulative principle« (Crawford 1974, 127 f.). Kulenkampff versteht den Gemeinsinn als »Bezeichnung eines Ideals, das erst noch zu realisieren ist, wenigstens als die Angabe eines Zieles, das wir zu erreichen streben (vielleicht aus Vernunftgründen zu erreichen streben sollen). Die ›Einhelligkeit der Sinnesart‹ in ästhetischen Kontexten ist nichts, was schon zur natürlichen Ausstattung des Menschen gehört, sondern etwas, das in einem kulturellen Bildungsprozeß der Menschen allererst hervorzubringen ist (und das ganz sicher, wie umspannend solche Bildung auch sein mag, nie vollständig realisiert werden wird)« (Kulenkampff 1995, 46). Eine sehr ähnliche Deutung findet sich bei Makkreel (vgl. Makkreel 2006, 234). Longuenesse erläutert zum Ziel des regulativen Prinzips: »The a priori agreement of imagination and understanding in cognition allows us only to accept as possible the ›common sense‹ that would ground aesthetic judgment; but the request of a universal agreement of rational agents under the moral law now appears to be a ground to demand that we cultivate in ourselves the capacity to develop a common sense« (Longuenesse 2006, 215 f.). Schließlich wird der Gemeinsinn von einigen AutorInnen sowohl als konstitutives als auch als regulatives Prinzip gedeutet. So erläutert Crowther zum Gemeinsinn als konstitutives Prinzip: »the common sense can only be construed as a constitutive principle in so far as this encompasses both the claim to universal validity and its sustaining cognitive grounds in the universal communicability of the harmony of the faculties and their specific proportions«; und er fährt fort: »whilst Kant presents the two possibilities as an either/or they are in fact not mutually exclusive. The common sense can be both constitutive (in the inclusive terms just described) and also regulative in so far as the claim to universal validity serves additional higher purposes in the broader, moral, scheme of things« (Crowther 2010, 98). Zhouhuang erläutert, dass »der Gemeinsinn in Ansehung der Lust und Unlust als ein konstitutives Prinzip fungiert, während er in Ansehung der transzendentalen Forderung der allgemeinen Mitteilbarkeit und objektiven Notwendigkeit des Geschmacksurteils als ein regulatives Prinzip fungiert – nämlich im Hinblick darauf, dass die ästhetische Urteilskraft immer eine reflektierende Urteilskraft ist« (Zhouhuang 2016, 95 f.). In einem früheren Text schreibt Makkreel: »Als eine Bedingung reflektierender Urteilskraft ist der Gemeinsinn konstitutiv für ästhetisches Gefühl und regulativ für bestimmte teleologische Behauptungen über die Natur« (Makkreel 1997, 211). Im GegenKants Philosophie des Schönen

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satz zu den soeben geschilderten Interpretationen ist der Gemeinsinn, folgt man Vossenkuhl, weder ein regulatives noch ein konstitutives Prinzip. Nach ihm wirkt der Gemeinsinn »selbstnormierend. Dies bedeutet, daß die Tätigkeit des Gemeinsinns mit der Alternative zwischen konstitutiv und regulativ, zwischen natürlich und künstlich nicht zu treffen ist. Im einen Fall wäre der Gemeinsinn nur eine Verstandesleistung und dann auch ständig in gleicher Weise ohne freie Modifikation und fehlerfrei wirksam; die Einbildungskraft würde storniert; das Gefühl des Schönen würde sich nicht zeigen, sondern würde vorgeführt, demonstriert. Im anderen Fall wäre der Gemeinsinn nur eine Vernunftforderung, deren Erfüllung bis auf weiteres oder beständig aussteht; das Gefühl des Schönen bliebe verborgen und hätte keinen kognitiven Gehalt. Wir wüßten nicht, ob wir ästhetisch urteilen oder nicht. Es hätte dann auch keinen Sinn über ein solches Phantom nachzudenken. [Absatz] Der Gemeinsinn als Selbstnormierung ist weder eine Garantie noch ein bloßes Projekt der Urteilskraft. Es ist eine Praxis, eine Tätigkeit, die Urteilspraxis, die Übung des ästhetischen Urteilens« (Vossenkuhl 1995, 116 f.). Diese Deutung steht und fällt freilich damit, ob man Vossenkuhls These akzeptiert, der Gemeinsinn sei eine Urteilspraxis. Ich möchte wenigstens kurz anmerken, dass fast nie eine Antwort darauf gegeben wird, warum der Status des Gemeinsinns zum Ende der Analytik nicht geklärt werden kann. Einzig Crawford schreibt: »Thus Kant indicates that his argument is not complete at this stage of the Critique of Judgment« (Crawford 1974, 127). Ferner findet sich auch nichts dazu, inwiefern der Gemeinsinn eine vereinigende Funktion hat (»sondern haben vor jetzt nur das Geschmacksvermögen in seine Elemente aufzulösen, und sie zuletzt in der Idee eines Gemeinsinns zu vereinigen«; § 22.B.C, 240,13).

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Grundlagen 7: Hat das Hässliche einen Platz in Kants Theorie des Schönen?

Eine der kontroversesten Debatten bezüglich Kants Theorie des Schönen betrifft die Frage, ob diese Theorie einen Platz für das genuin Hässliche hat. Gesteht man dem Hässlichen einen solchen Raum zu, schließt sich unmittelbar die Frage an, worin das Hässliche besteht und wie sich dieses rekonstruieren lässt. Grundsätzlich können wir drei Positionen unterscheiden: (i) Kants Theorie lässt keinen Raum für das Hässliche. (ii) Es gibt das genuin Hässliche. (iii) Das Hässliche ist nichts anderes als das Erhabene. In diesem Grundlagen-Kapitel werde ich untersuchen, welche dieser Positionen am besten mit dem kantischen Text vereinbar ist. Allerdings kann ich keine eindeutige Antwort auf diese Frage geben: Ich werde zwar einerseits zeigen, warum es ein genuin Hässliches geben muss. Zugleich lässt Kants Theorie andererseits keinen Raum für ein genuin Hässliches, sofern man darunter nicht das Langweilige verstehen will. Und schließlich bildet das Erhabene in vielerlei Hinsicht denjenigen Gegenentwurf zum Schönen, den man in einer Theorie des Hässlichen erwarten würde. Das Hässliche gehört thematisch eigentlich nicht spezifisch zum Vierten Moment. Allerdings kann man die Frage, ob und wie sich das Hässliche in Analogie zum Schönen rekonstruieren lässt, erst dann vollständig beantworten, wenn man die ganze Theorie des Schönen vor Augen hat. Daher wollen wir das Hässliche nun, d. h. ganz zum Ende dieser Arbeit, untersuchen.

G7.1 Warum es das Hässlichen geben muss Fragen wir uns zunächst grob, worin das kantische Hässliche bestehen müsste. Grundsätzlich gäbe es drei Möglichkeiten: (1) Das Hässliche ist das Nicht-Schöne, d. h. die Abwesenheit der Lust am Schönen. Kants Philosophie des Schönen

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Grundlagen 7: Hat das Hässliche einen Platz in Kants Theorie des Schönen?

(2) Das Hässliche ist der Gegensatz des Schönen, d. h. es konstituiert sich durch eine Unlust, die in ihren Charakteristika analog zur Lust am Schönen ist. (3) Das Hässliche weist keine Analogie zum Schönen auf. Es gibt gute Gründe dafür, dass Option (2) zutrifft. So ist es naheliegend, dass Kant den Gegensatz vom Schönen und Hässlichen ähnlich wie den Gegensatz von Tugend und Laster begreift, zu dem er in der Tugendlehre das Folgende ausführt: »Der Tugend = +a ist die n e g a t i v e U n t u g e n d (moralische Schwäche) = 0 als l o g i s c h e s G e g e n t e i l (contradictorie oppositum), das Laster aber = -a als W i d e r s p i e l (contrarie s. realiter oppositum) entgegengesetzt« (TL: 384). Ähnlich hatte Kant bereits 1763 im Versuch den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen bemerkt, man könne »die H ä ß l i c h k e i t eine n e g a t i v e S c h ö n h e i t […] nennen« (NG: 182). Und in einer Reflexion heißt es: »Schön +; Nichtschön (trocken) 0; häslich -« (Refl: 1946). 1 Dem folgend muss Option (1) falsch und Option (2) korrekt sein. (Gegen Option (1) spricht ferner, dass nach dieser Deutung alles, an dem wir keine Lust am Schönen fühlen, hässlich sein müsste.) Auch im Text der KU finden sich gute Gründe für Option (2). Erstens werden wir in Kürze sehen, dass Kant mehrfach im gleichen Zuge mit der Lust am Schönen eine Unlust nennt; und es ist naheliegend, dass er mit dieser Unlust auf das Hässliche rekurriert. Wir werden zweitens sehen, dass Kant diese Unlust in Analogie zur Lust am Schönen bestimmt, etwa als uninteressiert oder als Unlust an der Form. Wir sollten also insgesamt davon ausgehen, dass Kant unter dem Hässlichen ganz im Sinne von Option (2) eine Unlust versteht, die analog zur Lust am Schönen gedacht werden muss. (Die genannten Textstellen sprechen auch gegen Option (3). Ferner hätten wir bei Option (3) natürlich gar keine Anhaltspunkte, wie wir das kantische Hässliche rekonstruieren sollten.) Gehen wir also davon aus, dass sich das kantische Hässliche durch eine Unlust konstituiert, die analog zur Lust am Schönen gedacht werden muss. Diese Unlust müsste auf der Form des Gegenstandes sowie nicht auf Empfindungen und nicht auf Begriffen beruhen. Ferner müsste sie über dieselben Charakteristika wie die Lust am Schönen verfügen (Uninteressiertheit, Freiheit und Allgemeingültigkeit) und ihr müssten Analoga zum freien Spiel der Erkenntniskräfte Vgl. auch: »Schönheit ist Trockenheit – das Wiederspiel: Häslichkeit« (Refl: 1941). – Vgl. zu dieser Thematik auch Allison 2001, 71 f.

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Warum es das Hässlichen geben muss

sowie zur subjektiven Zweckmäßigkeit zugrunde liegen. Bevor ich auf all diese Aspekte genauer eingehe, möchte ich darlegen, was dafür spricht, dass Kant einem solchen Hässlichen Raum in seiner Theorie geben sollte. Der vordringlichste Grund für eine Theorie des Hässlichen sind natürlich unsere Erlebnisse des Hässlichen: Wir erleben manche Gegenstände oder Kunstwerke als hässlich und nehmen daher intuitiv an, dass es Erfahrungen des Hässlichen gibt. Kant wäre gut beraten, diesen Erlebnissen in seiner ästhetischen Theorie Rechnung zu tragen. Dass wir aber gemeinhin so reden, als gäbe es das Hässliche, und meinen, manche Dinge als hässlich zu erleben, ist vielleicht noch kein hinreichender Grund dafür, dass es das genuin Hässliche im kantischen Sinne gibt. Vieles, was wir gemeinhin als hässlich bezeichnen, kann nämlich im kantischen Sinne nicht als hässlich gelten. So bezeichnen wir häufig unvollkommene Gegenstände als hässlich – man denke etwa an ein missgebildetes Tier oder die völlig unproportionierte Darstellung eines Menschen auf einem Gemälde; andere Gegenstände, die wir als hässlich bezeichnen, sind wohl eigentlich dem Unangenehmen zuzuordnen – man denke etwa an Gegenstände, die wir als eklig empfinden. Ein genuin Hässliches dürfte sich aber weder in der Unvollkommenheit noch im Unangenehmen erschöpfen; und ein reines Hässliches müsste sogar völlig unabhängig vom Unangenehmen und von der Unvollkommenheit sein. Nun erweckt auch der kantische Text bisweilen den Anschein, als müsse es so etwas wie das genuin Hässliche geben. So spricht Kant in der folgenden Passage explizit vom Hässlichen: »Die schöne Kunst zeigt darin eben ihre Vorzüglichkeit, daß sie Dinge, die in der Natur häßlich oder mißfällig seyn würden, sehr schön beschreibt. Die Furien, Krankheiten, Verwüstungen des Krieges, u. d. gl. können, als Schädlichkeiten, sehr schön beschrieben, ja sogar im Gemälde vorgestellt werden; nur eine Art Häßlichkeit kann nicht der Natur gemäß vorgestellt werden, ohne alles ästhetische Wohlgefallen, mithin die Kunstschönheit, zu Grunde zu richten: nämlich diejenige, welche E k e l erweckt« (312,8).

Auch wenn Kant eindeutig die Begriffe »hässlich« und »Hässlichkeit« nutzt, so gebraucht er sie doch in einer Weise, die keinesfalls mit der Konzeption eines genuin Hässlichen vereinbar ist. Die ›Art Häßlichkeit…, welche Ekel erweckt‹, muss für eine Unlust am Unangenehmen stehen. Die anderen Beispiele fallen entweder unter das Unvollkommene oder das moralisch Schlechte (›Verwüstungen des Kants Philosophie des Schönen

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Krieges‹), oder sie stehen für etwas der Nützlichkeit Entgegengesetztes (so sind ›Krankheiten‹ dem Zweck der Gesundheit entgegengesetzt). Auch der Begriff der ›Schädlichkeiten‹ verweist auf das Zweckwidrige. 2 Insgesamt sind alle in der obigen Passage aufgezählten Dinge nicht mit Unlust verbunden, weil sie hässlich sind, sondern weil sie unangenehm, zweckwidrig oder unvollkommen sind. 3 Allerdings gibt Kant in der Analytik der ästhetischen Urteilskraft andere Hinweise darauf, dass er ein genuin Hässliches in seiner Theorie integriert wissen will. Insbesondere spricht er mehrfach nicht bloß von der Lust oder dem Wohlgefallen am Schönen, sondern auch von einer Unlust oder einem Mißfallen. In § 1 heißt es: »Um zu unterscheiden, ob etwas schön sey oder nicht, beziehen wir die Vorstellung […] auf das Subject und das Gefühl der Lust oder Unlust desselben« (§ 1.A.1, 203,9, m. H.). Die Erste Erklärung des Schönen lautet: »GESCHMACK ist das Beurtheilungsvermögen eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen, oder Misfallen« (E1.1, 211,2, m. H.). In § 8 erläutert Kant, der »ReflexionsGeschmack« fälle »vorgeblich gemeingültige (publike), […] Urtheile, über einen Gegenstand, bloß in Ansehung des Verhältnisses seiner Vorstellung zum Gefühl der Lust und Unlust« (§ 8.B.2, 214,11, m. H.). In § 20 fordert er: »Also müssen sie [die Geschmacksurteile] ein subjectives Princip haben, welches nur durch Gefühl und nicht durch Begriffe, doch aber allgemeingültig bestimme, was gefalle oder mißfalle« (§ 20.A.3, 238,4, m. H.). Und zum Beginn des Deduktionsabschnitts heißt es: »Der Anspruch eines ästhetischen Urtheils auf allgemeine Gültigkeit für jedes Subject bedarf, […] einer Deduction […], wenn es nämlich ein Wohlgefallen oder Mißfallen an der Form des Objects betrift« (279,7, m. H. & Kants H. getilgt). 4 Dass Kant im Rahmen seiner ästhetischen Theorie häufig auch die Unlust

Vgl. zum Zweckwidrigen: »Ein Zimmer, dessen Wände schiefe Winkel machen, ein Gartenplatz von solcher Art, selbst alle Verletzung der Symmetrie sowohl in der Gestalt der Thiere (z. B. einäugig zu seyn), als der Gebäude, oder der Blumenstücke, mißfällt, weil es zweckwidrig ist, nicht allein practisch in Ansehung eines bestimmten Gebrauchs der Dinge, sondern auch für die Beurtheilung in allerley möglicher Absicht; welches der Fall im Geschmacksurtheile nicht ist, welches wenn es rein ist, Wohlgefallen oder Mißfallen, ohne Rücksicht auf den Gebrauch oder einen Zweck, mit der bloßen B e t r a c h t u n g des Gegenstandes unmittelbar verbindet« (242,1). 3 Vgl. ähnlich Ginsborg 2015, 45 & 108. 4 Vgl. auch § 1.A.1, 203,9; § 5.A.3, 209,22; § 9.I.2, 218,36; 242,6; 280,22; 282,11; 285,34 f.; 288,10; 300,20. 2

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bzw. das Missfallen anführt, ist ein klares Indiz dafür, dass er dem Hässlichen in dieser Theorie Raum geben möchte oder jedenfalls könnte. Und es gibt noch ein weiteres starkes Indiz dafür. Auf der Grundlage der Analytik des Schönen und der Analytik des Erhabenen lässt sich eine Art Gefühls-Taxonomie erstellen. So differenziert Kant in der Analytik des Schönen zwischen drei Arten der Lust: der Lust am Angenehmen, die wir an bloßen Empfindungen fühlen, der Lust am Schönen, die wir an der Form fühlen, und der Lust am Guten, die wir an Begriffen fühlen. Diese Dreiteilung korrespondiert der (aus dem Bereich des Epistemischen hergenommenen) Dreiteilung in Empfindung, Form und Begriff. 5 Auch bezüglich der Doppelgefühle aus Unlust und Lust gibt es eine entsprechende Dreiteilung. Kant unterscheidet zwischen der Rührung, die wir an der Empfindung fühlen, 6 dem Gefühl des Erhabenen, das wir an der Form bzw. Formlosigkeit fühlen, 7 und der Achtung, die wir an (moralischen) Begriffen fühlen. Nun ist es naheliegend, dass es eine analoge Dreiteilung im Kontext der Unlust gibt. Offenkundig kennt Kant eine Unlust am Unangenehmen, d. h. eine Unlust an der Empfindung, sowie eine Unlust am (moralisch) Schlechten, d. h. eine Unlust an Begriffen. Im Sinne der geschilderten Dreiteilungen müsste es nun eigentlich auch eine Unlust an der Form geben – und diese würde die Unlust am Hässlichen sein. Führen wir uns die geschilderte Gefühls-Taxonomie noch einmal gebündelt vor Augen: Empfindung

Form

Begriff

Lust

Lust am Angenehmen

Lust am Schönen

Lust am (moralisch) Guten

Unlust

Unlust am Unangenehmen

Unlust am Hässlichen?

Unlust am (moralisch) Schlechten

Doppelgefühl aus Unlust und Lust

Rührung

Gefühl des Erhabenen

Achtung

Dieser Dreiteilung korrespondieren die folgenden Vermögen: Durch die Sinne erhalten wir Empfindungen, diese werden durch die Einbildungskraft zur Form aufgefasst und vom Verstand unter Begriffe subsumiert. 6 Vgl. § 14.J.1, 226,13. Siehe auch die Ausführungen zur Rührung in Kap. 13.1.2. 7 Vgl. 244,24 f. 5

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Es scheint also, als müsse Kant eine Unlust an der Form kennen, und diese Unlust wäre nichts anderes als das Gefühl des Hässlichen. Aus strukturellen, die Taxonomie der Gefühle betreffenden Gründen müssen wir also davon ausgehen, dass es eine Unlust am Hässlichen gibt. Nehmen wir alle genannten Gründe und Indizien zusammen, so scheint es, dass Kant dem Hässlichen ganz gewiss einen Platz einräumen muss. Es muss daher, so scheint es, eine Möglichkeit geben, eine Theorie des kantischen Hässlichen zu rekonstruieren.

G7.2 Warum es ein genuin Hässliches nicht geben kann Wie müssten wir uns ein kantisches Hässliches vorstellen? Es müsste sich ja in Analogie zum Schönen konstruieren lassen. Fragen wir daher, welche Theorieelemente des Schönen eine Theorie des Hässlichen übernehmen und welche sie ins Gegenteil verkehren müsste. Fragen wir uns auch, ob sich die so gewonnenen Theorieelemente des Hässlichen überhaupt konsistent denken lassen. Ich werde zunächst die drei potenziellen Charakteristika der Unlust am Hässlichen – Uninteressiertheit, Freiheit und Allgemeingültigkeit – untersuchen und mich im Anschluss der vermögenstheoretischen Grundlage dieser Unlust zuwenden.

G7.2.1 Zu den Charakteristika der Unlust am Hässlichen In den ersten beiden Momenten des Schönen charakterisiert Kant die Lust am Schönen als uninteressiert, frei und allgemeingültig. Lassen sich diese drei Komponenten problemlos auf die Unlust am Hässlichen übertragen? Im Kontext der Uninteressiertheitsthese spricht Kant explizit von einem »Misfallen, o h n e a l l e s I n t e r e s s e « (E1, 211,3). Dass eine Unlust uninteressiert ist, scheint aber trivialerweise wahr. So bestimmt Kant das Interesse als »das Wohlgefallen […], was wir mit der Vorstellung der Existenz eines Gegenstandes verbinden« (§ 2.A.1, 204,22, m. H.). Dieser Bestimmung folgend könnte ein Missfallen bzw. eine Unlust nie ein Interesse sein. Zudem ist ein Interesse immer dadurch ausgezeichnet, dass wir die Hervorbringung des Gegenstan-

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des der Lust begehren (Begehrenskriterium des Interesses). 8 Das Begehren des Gegenstandes korrespondiert der Tatsache, dass wir bei einer Lust die Vorstellung vom Gegenstand, die die Lust erhält, erhalten wollen. 9 Dagegen wollen wir bei einer Unlust die Vorstellung vom Gegenstand abhalten bzw. wegschaffen. 10 Nun haben wir bereits früher die Option in Betracht gezogen, dass man eine uninteressierte Unlust in Analogie zur praktischen Lust aus der MdS konstruieren könnte. 11 Letztere ist eine »Lust, welche mit dem Begehren (des Gegenstandes, dessen Vorstellung das Gefühl so affiziert) notwendig verbunden ist« (MdS: 212). Eine nicht-praktische Unlust wäre dann dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht mit dem Begehren des Wegschaffens oder Abhaltens des Gegenstandes verbunden wäre. Das Problem dieser Konzeption ist aber, dass das Moment des Wegschaffens oder Abhaltens nicht ohne Begehren erfüllt sein kann. Zwar gibt es offenkundig Fälle, in denen wir eine Unlust und die korrespondierende Vorstellung erleiden. Aber auch ein Zustand des Erleidens ist von dem Begehren begleitet, die Unlust wegzuschaffen; man erduldet diese Unlust bloß aufgrund anderer Zwecke. (Man denke an den Patienten, der eine schmerzhafte Behandlung erleidet, weil dies dem Zweck der Genesung dienlich ist.) Freilich gibt es auch Fälle von Unlust, bei denen die korrespondierende Vorstellung von alleine aufhört (z. B. der Schmerz, der nachlässt). Aber auch in solchen Fällen begehrt man ja, dass die Unlust (bspw. der Schmerz) aufhört. Insgesamt scheint also schon die Konzeption einer uninteressierten Unlust nicht konsistent zu sein. Das zweite Charakteristikum der Lust am Schönen ist die Freiheit (Freiheitsthese FT). Ich habe mehrere Bedeutungsebenen der Freiheitsthese unterschieden: 12 Auf der Ebene der Lust bedeutet FT, dass mir keine Neigung und kein Vernunftgesetz aufnötigen, an einem Gegenstand Lust zu empfinden. Entsprechend würde dies für die freie Unlust bedeuten, dass mir keine Abneigungen und kein Vernunftgesetz aufnötigen, an einem bestimmten Gegenstand Unlust zu empfinden. Diese Konzeption einer freien Unlust ist unproblematisch. FT bedeutet aber auf der Grundlagenebene des freien Spiels Vgl. § 2.A.2, 204,23. – Siehe auch meine Ausführungen zum Interesse in Kap. 2.2. Zu den Erhaltungsmomenten der Lust siehe Kap. 2.1. 10 Vgl. § 10.A.4, 220,9. 11 Siehe hierzu Kap. E1.3. 12 Siehe Kap. 5.5. 8 9

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auch, dass die Einbildungskraft beim Apprehendieren von Formen keinem Zwang unterliegt (negative Freiheit) und dass der Verstand eine Überprüfung anhand des Prinzips a priori der Urteilskraft vornimmt, welches sich die Urteilskraft in einem Akt der Heautonomie selbst gibt (positive Freiheit). Ob diese beiden Momente der Freiheit auch bei einer Unlust erfüllt sein können, hängt davon ab, ob einer Unlust eine Art von freiem Spiel der Erkenntniskräfte zugrunde liegen kann; darauf komme ich gleich zurück. Aber schon auf der Ebene des phänomenalen Gehalts bereitet FT Probleme. Auf dieser Ebene bedeutet FT, dass sich die Lust am Schönen frei anfühlt. 13 Will man diese phänomenale Komponente auf die Unlust übertragen, so ergibt sich das folgende Problem: Das Fühlen oder Erleben einer Freiheit scheint (mindestens bei Kant) etwas äußerst Positives zu sein und daher intuitiv eher ein Charakteristikum einer Lust zu sein. Hingegen scheint unklar, wie das Erleben von etwas so Positivem wie der Freiheit mit etwas so Negativem wie einer Unlust einhergehen sollte. Umgekehrt könnte man zwar vermuten, dass die Unlust am Hässlichen unfrei sei; denn eine Unfreiheit scheint tatsächlich etwas Unlustvolles zu sein. Insofern aber die Unlust am Hässlichen uninteressiert sein muss und keiner Neigung bzw. Abneigung korrespondieren darf – ansonsten wäre sie eine Unlust am Unangenehmen – sowie nicht durch ein Vernunftgesetz erzwungen sein darf – ansonsten wäre sie eine Unlust am Schlechten –, gibt es für diese Unlust ganz im Sinne der kantischen Argumentation in § 5 keine Quelle des Zwangs. 14 Kommen wir zum dritten Charakteristikum der Lust, nämlich ihrer Allgemeingültigkeit (Allgemeingültigkeitsthese ATLust). Wir haben eine deskriptive und eine präskriptive Variante von ATLust unterschieden. Übertragen auf die Unlust am Hässlichen würde die deskriptive Variante bedeuten: Alle Menschen fühlen an einem Gegenstand x immer eine Unlust am Hässlichen, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind und x ein hässlicher Gegenstand ist. Und die Vgl. § 6.A.3, 211,17. Vgl.: »Man kann sagen: daß unter allen diesen drey Arten des Wohlgefallens, das des Geschmacks am Schönen einzig und allein ein uninteressirtes und f r e y e s Wohlgefallen sey; denn kein Interesse, weder das der Sinne, noch das der Vernunft, zwingt den Beyfall ab. […] Ein Gegenstand der Neigung, und einer, welcher durch ein Vernunftgesetz uns zum Begehren auferlegt wird, lassen uns keine Freyheit, uns selbst irgend woraus einen Gegenstand der Lust zu machen« (§ 5.B.6 & § 5.B.9, 210,11). Siehe die Analyse dieser Passage in Kap. 5.5.1.

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präskriptive Variante von AT würde bedeuten: Alle Menschen sollen an einem hässlichen Gegenstand x eine Unlust am Hässlichen fühlen. 15 Mit der präskriptiven Variante von AT ist freilich die Notwendigkeitsthese (NT) eng verwandt. Nun sind sowohl AT als auch NT mit Bezug auf die Unlust am Hässlichen erst einmal unproblematisch. 16 Eine allgemeingültige und notwendige Unlust ist genauso gut (oder schlecht) denkbar, wie eine allgemeingültige und notwendige Lust. Wieder hängt alles davon ab, ob wir eine vermögenstheoretische Grundlage für die allgemeingültige und notwendige Unlust rekonstruieren können. Unmittelbare Probleme bereitet allerdings die phänomenologische Bedeutung von ATLust. Die Allgemeingültigkeit der Lust am Schönen, so haben wir gesehen, wird erlebt: Man fühlt sich mit seinen Mitmenschen verbunden und man fühlt ein Transzendieren seiner Privatbedingungen. Insbesondere das gefühlte Verbunden-Sein mit seinen Mitmenschen ist stark positiv konnotiert und kann daher wohl nicht in einem Gefühl der Unlust präsent sein. Problematisch ist schließlich auch ein weiteres Element des phänomenalen Gehalts der Unlust am Hässlichen. Auch die Instanziierung des Prinzips a priori der Urteilskraft hat einen Niederschlag im phänomenalen Gehalt der Lust: Wir fühlen ein harmonisches Zusammenstimmen mit der Natur und mit uns selbst. 17 Sofern es auch beim Hässlichen zu einer Instanziierung des Prinzips a priori der Urteilskraft kommt, müsste sich diese im phänomenalen Gehalt der Unlust niederschlagen, d. h. wir müssten ein harmonisches Zusammenstimmen mit der Natur und mit uns selbst fühlen. Sinnvollerweise müssten wir aber wohl im negativ konnotierten Gefühl der Unlust eher erleben, dass wir nicht in die Welt passen und nicht mit uns zusammenstimmen. Ob es aber überhaupt beim Hässlichen zu einer Instanziierung des Prinzips a priori der Urteilskraft kommt, bleibt noch zu erörtern. Halten wir zunächst zu den Charakteristika der Unlust am Hässlichen fest: i. Relativ unproblematisch ist eine Übertragung der Freiheitsthese und der Allgemeingültigkeitsthese – in ihren theoretischen Bedeutungen – auf die Unlust am Hässlichen. Allerdings können Für die Varianten der Allgemeingültigkeitsthese siehe Kap. 6.1.1. Dass auch die Unlust am Hässlichen allgemeingültig sein muss, deutet Kant etwa in § 20.A.3, 238,4 an. 17 Siehe Kap. G1.2.4. 15 16

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sich die Freiheit, Allgemeingültigkeit und das Bewusstsein des Prinzips a priori der Urteilskraft nicht im phänomenalen Gehalt einer Unlust niederschlagen, da alle drei Aspekte stark positiv konnotiert sind. Problematisch ist insbesondere die Konzeption einer uninteressierten Unlust: Erstens ist eine Unlust trivialerweise kein Interesse; und zweitens ist auch die Konzeption einer nichtpraktischen Unlust insofern unplausibel, als das für die Unlust zentrale Moment des Wegschaffens und Abhaltens immer mit einem Begehren einherzugehen scheint.

G7.2.2 Zur vermögenstheoretischen Grundlage der Unlust am Hässlichen Um die vermögenstheoretische Grundlage der Unlust zu rekonstruieren, müssen wir uns zunächst daran erinnern, worauf Gefühle der Unlust im Allgemeinen basieren. Ich habe dafür plädiert, dass jeder Form von Lust eine belebende, innere Aktivität zugrunde liegt, und dass die Lust die Art und Weise ist, wie wir diese belebende, innere Aktivität erleben. 18 Dagegen liegt jeder Form von Unlust die Behinderung einer inneren Aktivität zugrunde; und die Unlust ist die Art und Weise, wie sich diese Hinderung anfühlt. 19 Nun muss auch der Unlust am Hässlichen die Behinderung einer inneren Aktivität zugrunde liegen. 20 Sie dürfte also auf keiner gegenseitigen Belebung Siehe hierzu Kap. 9.6.3 sowie 4.1.1. Vgl. hierzu auch: »Vergnügen ist das Gefühl der Beförderung, Schmerz das einer Hindernis des Lebens« (Anth: 231); »weil das Leben ohne das Gefühl des körperlichen Organs bloß Bewußtseyn seiner Existenz, aber kein Gefühl des Wohl- oder Uebelbefindens, d. i. der Beförderung oder Hemmung der Lebenskräfte sey« (277,32 f., m. H.). Vgl. insbesondere Kants Ausführungen zur Demütigung in der KpV: »Diese Einschränkung [der Neigungen] tut nun eine Wirkung aufs Gefühl, und bringt Empfindung der Unlust hervor, die aus dem moralischen Gesetze a priori erkannt werden kann. Da sie aber bloß so fern eine negative Wirkung ist, die, als aus dem Einflusse einer reinen praktischen Vernunft entsprungen, vornehmlich der Tätigkeit des Subjekts, so fern Neigungen die Bestimmungsgründe desselben sind, mithin der Meinung seines persönlichen Werts Abbruch tut […], so ist die Wirkung dieses Gesetzes aufs Gefühl bloß Demütigung« (KpV: 78, m. H. & Kants H. getilgt). 20 Vgl. hierzu auch: »Dasienige Misfällt, dem unsere Gemüthskraft wiederstreitet als einem Hindernis ihres freyen Spiels. Was also der sinnlichkeit nach allgemeinen Gesetzen (allenfals empirischen) wiederstreitet, misfällt ästhetisch« (Refl: 1922). 18 19

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der Erkenntniskräfte beruhen, sondern die Tätigkeit der Erkenntniskräfte müsste behindert werden. Nun muss die Unlust am Hässlichen aber auch allgemeingültig sein. 21 Und sie muss damit auf einer solchen vermögenstheoretischen Grundlage beruhen, die eine Allgemeingültigkeit begründen kann. Beim Schönen wird diese Funktion von der Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt ausgefüllt. Wäre es analog denkbar, dass eine Disharmonie der Erkenntnisvermögen, d. h. ein Widerstreit der Erkenntnisvermögen, die Allgemeingültigkeit der Unlust am Hässlichen vermögenstheoretisch begründen könnte? Die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt besteht darin, dass sich Einbildungskraft und Verstand in einer Art von Subsumtion vereinigen und sich dabei als zweckmäßig füreinander erweisen. 22 Dies geschieht beim Schönen dadurch, dass der Verstand die von der Einbildungskraft apprehendierten Formen sowie die Aktivität der Einbildungskraft anhand des Prinzips a priori als zweckmäßig für seine eigene Tätigkeit ausweist, Begriffe aufzufinden. 23 Analog dazu müsste sich eine Disharmonie der Erkenntnisvermögen dadurch konstituieren, dass die von der Einbildungskraft apprehendierten Formen und die Aktivität der Einbildungskraft nicht zweckmäßig für die Tätigkeit des Verstandes wären, Begriffe aufzufinden; es käme dann zu keiner zweckmäßigen Vereinigung von Einbildungskraft und Verstand im Sinne einer Art von Subsumtion unter das Prinzip a priori der Urteilskraft. Wenngleich die Konzeption einer solchen Disharmonie grundsätzlich unproblematisch ist, so kann sie keine Grundlage für eine allgemeingültige Unlust bilden. Die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt kann nämlich nur deshalb die Allgemeingültigkeit der Lust am Schönen vermögenstheoretisch begründen, weil sie die »subjective Bedingung des Erkennens« ist (§ 21.A.2, 238,28) und in diesem Sinne eine transzendentale Funktion innehat. 24 Eine Disharmonie im Sinne eines Widerstreits der Erkenntnisvermögen hat aber gerade keine transzendentale Funktion; denn sie ist keine notwendige Bedingung für Erkenntnisse. Damit ist Vgl. erneut: »Also müssen sie [Geschmacksurteile] ein subjectives Princip haben, welches nur durch Gefühl und nicht durch Begriffe, doch aber allgemeingültig bestimme, was gefalle oder mißfalle« (§ 20.A.3, 238,4, m. H.). 22 Zur Konzeption der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt siehe Kap. 9.3.4. 23 Siehe hierzu Kap. G3.3. 24 Siehe hierzu insbesondere Kap. G5.2. 21

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eine Disharmonie der Erkenntnisvermögen als vermögenstheoretische Grundlage einer allgemeingültigen Unlust ungeeignet. Wenn die Unlust am Hässlichen dennoch Allgemeingültigkeit beanspruchen und ihre Grundlage analog zum Schönen gedacht werden soll, dann muss dieser Unlust ebenfalls eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt zugrunde liegen. Insgesamt müsste der Unlust am Hässlichen damit erstens eine Hinderung einer inneren Tätigkeit sowie zweitens eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt zugrunde liegen. Lässt sich ein solcher Gemütszustand rekonstruieren? Es sind verschiedene Szenarien denkbar, in denen das freie Spiel in irgendeiner Form scheitert und somit eine Hinderung einer inneren Aktivität vorliegt. Ich werde im Folgenden diese Szenarien kurz skizzieren und jeweils kommentieren, ob sie sich als vermögenstheoretische Basis der Unlust am Hässlichen qualifizieren oder nicht: (1) Das freie Spiel der Erkenntniskräfte kann erstens bereits am Apprehendieren der Formen durch die Einbildungskraft scheitern. So ist es denkbar, dass die Einbildungskraft ein bestimmtes Mannigfaltiges an Empfindungen nicht zu einer Form bzw. zu Formen zusammensetzen kann. Da die Einbildungskraft erst gar keine Formen apprehendiert, kann der Verstand auch keine Überprüfung anhand des Prinzips a priori der Urteilskraft vornehmen. Es kann daher auch nicht zu einer Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt kommen. Wenngleich der Urteilende in diesem Szenario vielleicht Unlust empfindet, so kann diese keine Allgemeingültigkeit beanspruchen. (2) Das freie Spiel der Erkenntniskräfte kann auch an der Überprüfung anhand des Prinzips a priori der Urteilskraft scheitern. In diesem Szenario kann die Einbildungskraft zwar Formen apprehendieren, aber die Überprüfung anhand des Prinzips a priori durch den Verstand fällt negativ aus. Dies bedeutet, dass sich die apprehendierten Formen und die Aktivität der Einbildungskraft als nicht zweckmäßig für die Tätigkeit des Verstandes erweisen, Begriffe aufzufinden. Es kommt daher zu keiner zweckmäßigen Vereinigung von Einbildungskraft und Verstand und somit zu keiner Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt. Wenngleich der Urteilende in diesem Szenario wohl Unlust empfindet, so kann diese erneut keine Allgemeingültigkeit beanspruchen.

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(3) In einem dritten Szenario kann die Einbildungskraft Formen apprehendieren und es kommt auch zu einer zweckmäßigen Vereinigung der Erkenntnisvermögen im Sinne einer Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt. Allerdings subsumiert der Verstand die Form(en) unter einen bestimmten Begriff und das urteilende Subjekt gewinnt eine Erkenntnis. Dabei liegt insofern eine Hinderung einer inneren Aktivität vor, als das Apprehendieren von Formen aufgrund der Subsumtion der Form(en) unter einen bestimmten Begriff abgebrochen wird. Dennoch würde der Urteilende in diesem Szenario wohl keine Unlust fühlen. Denn er würde eine Erkenntnis gewinnen, und ein Erkenntnisgewinn ist nach Kant mit Lust verbunden. Wir haben nämlich die Absicht, Erkenntnisse zu gewinnen, und das Erreichen einer Absicht erleben wir als lustvoll. 25 (4) In einem vierten Szenario kann die Einbildungskraft Formen apprehendieren; und diese Formen sowie die Aktivität der Einbildungskraft erweisen sich bei der Überprüfung anhand des Prinzips a priori als zweckmäßig für den Verstand. Es liegt also eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vor. Allerdings bietet das gegebene Mannigfaltige der Einbildungskraft nur wenig Material zum Spielen, sodass sie ihre Aktivität schnell beendet. In diesem Szenario würden sowohl eine Hinderung einer inneren Aktivität und somit eine Unlust vorliegen als auch eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt, aufgrund deren die Unlust Allgemeingültigkeit beanspruchen könnte. Allerdings würde ein solches Szenario kaum demjenigen entsprechen, was wir als hässlich bezeichnen. Vielmehr würde dieses Gefühl demjenigen entsprechen, was wir und auch Kant als Gefühl der Langeweile bezeichnen. So führt Kant aus: »Alles steifregelmäßige (was der mathematischen Regelmäßigkeit nahe kommt) hat das Geschmackswidrige an sich: daß es keine lange Unterhaltung mit der Betrachtung desselben gewährt, sondern, sofern es nicht ausdrücklich das Erkenntniß, oder einen bestimmten practischen Zweck zur Absicht hat, lange Weile macht« (242,34 f.). 26 Vgl.: »Die Erreichung jeder Absicht ist mit dem Gefühle der Lust verbunden« (187,11); »Von einer jeden Vorstellung kann ich sagen: wenigstens es sey m ö g l i c h , daß sie (als Erkenntniß) mit einer Lust verbunden sey« (§ 18.A.1, 236,17). 26 Vgl. zur kantischen Konzeption der Langeweile auch Anth: 233 f. 25

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Diese Szenarien illustrieren, dass ein Analogon zum freien Spiel als Grundlage des Hässlichen nicht möglich scheint: Entweder es liegt zwar eine Unlust vor, aber keine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt; oder es liegt eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vor, aber keine Unlust; oder es liegen zwar eine Unlust und eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vor, aber dieses Gefühl erweist sich als Langeweile. Die vermögenstheoretische Grundlage einer Unlust am Hässlichen ist mit einem weiteren Problem behaften. Wir haben gesehen, dass einer Unlust am Hässlichen unter anderem eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt zugrunde liegen muss. Nun liegt eine solche Zusammenstimmung nur dann vor, wenn ein Gegenstand subjektiv zweckmäßig ist. Auch beim Hässlichen müsste sich also eine subjektive Zweckmäßigkeit instanziieren. Allerdings sind sowohl die subjektive Zweckmäßigkeit als auch die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt stark positiv konnotiert – sie bilden ja die Grundlage all unserer empirischen Erkenntnisse. Eine Unlust ist dagegen stark negativ konnotiert. 27 Man würde daher eher erwarten, dass einer Unlust eine subjektive Zweckwidrigkeit zugrunde läge. Jedoch würde eine solche Zweckwidrigkeit zu keiner Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt führen, sodass die Unlust keine Allgemeingültigkeit beanspruchen könnte. Insgesamt steht das kantische Hässliche dann vor einem Dilemma: Entweder es liegt eine Unlust vor, aber keine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt; oder es liegt eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vor, aber keine Unlust. Halten wir zur vermögenstheoretischen Grundlage der Unlust am Hässlichen fest: i. Der Unlust am Hässlichen müsste ein Gemütszustand zugrunde liegen, der durch die Hinderung einer inneren Aktivität und

Bisweilen suggeriert Kant sogar eine Identität von subjektiver ZM und Lust: »das Gefühl der Lust (welches mit der Vorstellung der s u b j e c t i v e n Z w e c k m ä ß i g k e i t einerlei ist)« (EEKU: 249,2); »Dagegen ist die Vorstellung einer subjectiven Zweckmäßigkeit eines Objects mit dem Gefühle der Lust so gar einerley« (EEKU: 228,34). Jedoch identifiziert er die subjektive ZM an einer Stelle auch mit der Beziehung zum Gefühl der Lust und Unlust: »Eine blos subjectiv beurtheilte Zweckmäßigkeit, die sich also auf keinen Begrif gründet, noch, so fern als sie blos subjectiv beurtheilt wird, gründen kann, ist die Beziehung aufs Gefühl der Lust und Unlust« (EEKU: 248,27).

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Ist das Hässliche das Erhabene?

durch eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt ausgezeichnet wäre. ii. Es sind nur Analoga zum freien und harmonischen Spiel denkbar, bei denen entweder keine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt oder keine Unlust vorliegt. Einzig ein Gemütszustand ist denkbar, bei dem die Einbildungskraft kurzzeitig Formen apprehendieren würde, die zweckmäßig für den Verstand wären, wobei die Einbildungskraft aber nach kurzer Zeit aus dem gegebenen Material keine neuen Formen mehr zusammensetzen könnte. Einen solchen Gemütszustand würden wir allerdings als Langeweile erleben. iii. Insgesamt scheint es nicht plausibel, dass sich beim Hässlichen eine subjektive Zweckmäßigkeit und eine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt realisieren. Da die subjektive ZM und die Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt stark positiv konnotiert sind, können sie nicht als Unlust erlebt werden.

G7.3 Ist das Hässliche das Erhabene? Müssen wir damit zu dem Schluss kommen, dass Kants ästhetische Theorie keinen Raum für das Hässliche lässt? Müssen wir ihm damit unterstellen, dass er sich selbst täuscht, wenn er im Kontext der Geschmacksurteile von Lust und Unlust spricht? Ein Ausweg könnte noch darin bestehen, dass das Hässliche eigentlich das Erhabene ist. Und in der Tat weist das Erhabene viele Charakteristika auf, die man vom Hässlichen erwartet. So ist es durch Uninteressiertheit und (notwendige) Allgemeingültigkeit gekennzeichnet: »Denn als Urtheil der ästhetischen reflectirenden Urtheilskraft, muß das Wohlgefallen am Erhabenen eben sowohl, als am Schönen, der Q u a n t i t ä t nach allgemeingültig, der Q u a l i t ä t nach ohne Interesse, der R e l a t i o n nach subjective Zweckmäßigkeit, und der M o d a l i t ä t nach die letztere als nothwendig, vorstellig machen« (247,7).

Das Gefühl des Erhabenen ist ein Doppelgefühl aus Lust und Unlust. Dieses kann insofern problemlos uninteressiert sein, als nicht die Komponente der Unlust, sondern diejenige der Lust durch Uninteressiertheit gekennzeichnet ist – Kant spricht im obigen Zitat ja auch davon, ›das Wohlgefallen am Erhabenen‹ sei ›ohne Interesse‹. Damit wird das geschilderte Problem der Unmöglichkeit einer uninteressierKants Philosophie des Schönen

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ten Unlust umgangen. Ferner bestimmt Kant das Gefühl des Erhabenen als allgemeingültig; und wir werden gleich sehen, dass im Falle des Erhabenen eine plausible vermögenstheoretische Grundlage für diese Allgemeingültigkeit identifiziert werden kann. Auch die Komponente der Freiheit findet sich beim Erhabenen. Zwar konstatiert Kant, das »Wohlgefallen am Erhabenen der Natur« sei »ein Gefühl der Beraubung der Freyheit der Einbildungskraft durch sie selbst« (269,5); allerdings findet sich in der gleichzeitig auftretenden Aktivität der Vernunft eine Instanziierung der Freiheit. Dabei handele es sich, so Kant, nicht um eine »Freyheit im S p i e l e «, sondern um eine Freiheit »unter einem gesetzlichen G e s c h ä f t e « (268,36). Nun haben wir gesehen, dass sich eine Freiheit nicht im phänomenalen Gehalt einer Unlust niederschlagen kann. Hingegen kann sich die Freiheit problemlos im phänomenalen Gehalt der beim Erhabenen auftretenden Lust niederschlagen. Damit können sich die drei Charakteristika der Uninteressiertheit, Freiheit und Allgemeingültigkeit jeweils im Doppelgefühl der Unlust und Lust am Erhabenen realisieren. Wie steht es um die vermögenstheoretische Grundlage des Doppelgefühls am Erhabenen? Beim Erhabenen ist der Gegenstand subjektiv unzweckmäßig bzw. sogar zweckwidrig. Er ist »der Form nach zwar zweckwidrig für unsere Urtheilskraft, unangemessen unserm Darstellungsvermögen, und gleichsam gewaltthätig für die Einbildungskraft« (245,21). 28 Daher scheitert die Einbildungskraft an der Zusammenfassung des Mannigfaltigen zur Form; 29 und es liegt eine Hinderung einer inneren Aktivität vor, die wir als Unlust, d. h. als ein »Gefühl einer augenblicklichen Hemmung der Lebenskräfte« (245,3), erleben. Insgesamt liegt aber nicht nur dieses »Gefühl einer augenblicklichen Hemmung der Lebenskräfte«, sondern auch eine »darauf sogleich folgende[.] desto stärker[e] Ergießung derselben [Lebenskräfte]« vor (245,4, m. H.), d. h. auch eine Belebung einer inneren Aktivität. Wir empfinden daher ein Doppelgefühl aus Unlust und Lust.

Streng genommen weist der erhabene Gegenstand eine innere subjektive Zweckwidrigkeit auf. Jedoch wird er »subjektiv-zweckmäßig g e b r a u c h t « (280,6), d. h. er verfügt über eine äußere subjektive Zweckmäßigkeit. Vgl. hierzu auch EEKU: 249,23 f. – Siehe auch die Ausführungen zu den Arten der Zweckmäßigkeit in Kap. 10.1.3. 29 Vgl. etwa 255,22. 28

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Ist das Hässliche das Erhabene?

Auf welcher Grundlage kann dieses Doppelgefühl Allgemeingültigkeit beanspruchen? Da die Einbildungskraft keine Form zusammenfassen kann, liegt keine Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt vor. Allerdings instanziiert sich eine Zusammenstimmung der Einbildungskraft zur Vernunft. So schreibt Kant: »gleichwie die ästhetische Urtheilskraft in Beurtheilung des Schönen die Einbildungskraft in ihrem freyen Spiele auf den Ve r s t a n d bezieht, um mit dessen B e g r i f f e n überhaupt […] zusammenzustimmen; so bezieht sie dasselbe Vermögen in Beurtheilung eines Dinges als Erhabenen auf die Ve r n u n f t , um zu deren I d e e n (unbestimmt welchen) subjectiv übereinzustimmen« (256,3). 30 Es ist eindeutig, dass Kant mit dieser Zusammenstimmung der Einbildungskraft zur Vernunft ein Analogon zur Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt identifiziert; und es ist ebenso eindeutig, dass diese Vereinigung von Einbildungskraft und Vernunft die Grundlage für die Allgemeingültigkeit des Gefühls des Erhabenen bilden muss. So schreibt Kant: »Denn, wenn wir die Reflexion der Urtheilskraft in denselben [Urteilen über das Erhabene] zerlegten, so fanden wir in ihnen ein zweckmäßiges Verhältniß der Erkenntnißvermögen, welches dem Vermögen der Zwecke (dem Willen) a priori zum Grunde gelegt werden muß, und daher selbst a priori zweckmäßig ist« (280,9). Die Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Vernunft weist also, ähnlich wie die Stimmung zur Erkenntnis überhaupt, einen apriorischen Status auf; und die Allgemeingültigkeit des Gefühls des Erhabenen wird wohl durch ebenjenen apriorischen Status der Zweckmäßigkeit von Einbildungskraft und Vernunft begründet. Es scheint demnach, als würde das Erhabene viele Probleme lösen, vor denen eine Unlust-Theorie des Hässlichen steht. Sollten wir daher annehmen, dass das kantische Hässliche das Erhabene ist? Aber auch eine solche Deutung ist mit großen Problemen behaftet. Denn erstens ist das Erhabene ein Doppelgefühl aus Unlust und Lust, weshalb es in der kantischen Gefühls-Taxonomie in einer Reihe mit den Doppelgefühlen an der Empfindung (Rührung) und an Begriffen (Achtung) stehen würde. Das Hässliche würde damit nicht den Platz

Vgl.: »Denn, so wie Einbildungskraft und Ve r s t a n d in der Beurtheilung des Schönen durch ihre Einhelligkeit, so bringen Einbildungskraft und Ve r n u n f t hier durch ihren Widerstreit, subjective Zweckmäßigkeit der Gemüthskräfte hervor: nämlich ein Gefühl, daß wir reine selbstständige Vernunft haben« (258,25).

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einer Unlust an der Form einnehmen, sodass dieser Platz in der Gefühls-Taxonomie nicht ausgefüllt würde. Zweitens stimmen die kantischen Erlebnisse der Erhabenheit nicht mit dem überein, was man üblicherweise als hässlich bezeichnet. Zwar ist es in systematischer Hinsicht durchaus denkbar, dass das Hässliche mit einem Doppelgefühl aus Unlust und Lust verbunden ist; denn wir erleben das Hässliche oft als etwas Faszinierendes und in dieser Hinsicht Lustvolles. Aber wir bezeichnen nicht unbedingt und jedenfalls nicht nur Gegenstände als hässlich, die entweder »s c h l e c h t h i n g r o ß « sind (248,5), wie das mathematisch Erhabene, oder über Macht verfügen, wie das dynamisch Erhabene. 31 Auch stimmen Kants Bezeichnungen für das Gefühl des Erhabenen nicht mit unseren Erfahrungen des Hässlichen überein. Wir erleben das Hässliche nicht als »Erschütterung« (258,13), als »Furcht erregend« (260,18), als »Grausen« oder »heilige[n] Schauer« (269,13); und wir erleben es auch nicht als der moralischen Achtung nah verwandtes Gefühl. 32 Wäre demnach das kantische Hässliche nichts anderes als das Erhabene, so würde unser gewöhnlicher Begriff des Hässlichen stark umgedeutet. Drittens kann nicht in allen Passagen, in denen Kant von Lust und Unlust spricht, die Unlust im Sinne des Erhabenen gedeutet werden. Exemplarisch möchte ich nur auf zwei Stellen verweisen. In § 20 schreibt Kant: »Also müssen sie [Geschmacksurteile] ein subjectives Princip haben, welches nur durch Gefühl und nicht durch Begriffe, doch aber allgemeingültig bestimme, was gefalle oder mißfalle« (§ 20.A.3, 238,4). Dieses subjektive Prinzip ist der Gemeinsinn. Er konstituiert sich durch eine gegenseitige Belebung und gleichsam eine zweckmäßige Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand. 33 Dieser Gemeinsinn kann aber gerade nicht dem Erhabenen zugrunde liegen; denn das Erhabene gründet sich nicht auf die Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand, sondern auf die Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Vernunft. Bezeichnenderweise spricht Kant im Kontext des Erhabenen auch nie vom Gemeinsinn. 34 Die zweite Stelle, auf die ich hinweisen möchte, Vgl. 260,14. Vgl. 257,9. 33 Siehe Kap. 20.2 sowie 21.2. 34 Erhellend ist auch, dass Kant dem Erhabenen nicht das Vermögen des Geschmacks – und der Gemeinsinn ist ja nichts anderes als der Geschmack –, sondern das »Geistesgefühl« zuordnet (192,10). 31 32

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Gibt es also für Kant kein Hässliches?

ist die Deduktion der ästhetischen Urteile. Kant betont ausdrücklich, dass Urteile über das Erhabene keiner zur Exposition hinzukommenden Deduktion bedürfen. 35 Kurz darauf spricht er dann von der »Obliegenheit einer Deduction«, auch wenn das Urteil nur ein Urteil »der Lust oder Unlust an einem gegebenen Gegenstande […] ist« (280,22, m. H.). Da Urteile über das Erhabene keiner Deduktion bedürfen, kann das Urteil der Unlust hier kein Urteil über das Erhabene meinen. Halten wir fest, was dagegen spricht, dass das Hässliche nichts anderes als das Erhabene ist: i. Das Erhabene beansprucht in der Taxonomie der Gefühle die Stelle des Doppelgefühls aus Unlust und Lust an der Form. Für die Stelle der Unlust an der Form findet sich damit weiterhin kein adäquates Gefühl. ii. Unsere Erfahrungen des Hässlichen stimmen in den meisten Fällen (phänomenal) nicht mit denjenigen Erfahrungen überein, die Kant als erhaben bezeichnet. iii. Das Erhabene kann nicht immer gemeint sein, wenn Kant von Unlust bzw. Missfallen spricht und damit offenkundig das Hässliche meint.

G7.4 Gibt es also für Kant kein Hässliches? Müssen wir damit doch zu dem Ergebnis kommen, dass die kantische Theorie keinen Raum für das genuin Hässliche lässt? Im strengen Sinne, so scheint es, müssen wir genau dies annehmen. Es kann kein Hässliches geben, wenn sich dieses durch eine uninteressierte, freie und allgemeingültige Unlust konstituieren soll, die auf einer Hinderung einer inneren Aktivität und einer gleichzeitigen Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt beruht. Am nächsten würde einem solchen Gefühl der Unlust noch eine Art von intellektueller Langeweile kommen, die aber weit von demjenigen entfernt ist, was wir gemeinhin als hässlich bezeichnen. Ferner wäre auch sie mit den Problemen behaftet, dass die Konzeption einer uninteressierten Unlust nicht konsistent denkbar ist und dass wir die Komponenten der Allgemeingültigkeit, Freiheit sowie der subjektiven Zweckmäßigkeit nicht als unlustvoll, sondern als lustvoll erleben. 35

Vgl. 280,8.

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Insgesamt scheint es damit so, als gäbe es kein Gefühl, dass in Kants Gefühls-Taxonomie die Stelle der Unlust an der Form einnehmen könnte, die wir eigentlich dem Hässlichen zusprechen müssten. Jedoch bildet das Erhabene in vielerlei Hinsicht genau dasjenige Pendant zum Schönen, das wir in einer Theorie des Hässlichen erwarten würden. Insbesondere die vermögenstheoretische Grundlage des Erhabenen kann als Gegenentwurf zum freien und harmonischen Spiel der Erkenntniskräfte verstanden werden. Das Erhabene kann somit zwar nicht als das Hässliche gelten; es ist dem Hässlichen jedoch in vielerlei Hinsicht ähnlich. 36

G7.5 Literaturbericht Wie wird und wurde das kantische Hässliche in der Sekundärliteratur charakterisiert? McCloskey beansprucht für hässliche Gegenstände, es sei nicht hinreichend, »that they simply displease on some count or other. They must, to count as ›ugly‹, displease in respect of certain features rather than others, or in a special way« (McCloskey 1987, 12). Allison streut verschiedentlich Bemerkungen zum Hässlichen ein, etwa dass es Notwendigkeit beanspruche und dass ihm eine Art von Formlosigkeit zugrunde liege (vgl. Allison 2001, 146 & 138). Er bestimmt das Hässliche zudem als »the experience of something that is positively unappealing or disinviting to the mind in its mere reflection« (Allison 2001, 189). Wenzel entwickelt seine Konzeption des Hässlichen entlang der einzelnen Charakteristika des Schönen: »Halten wir einen Gegenstand für häßlich, so fühlen wir ein interesseloses Mißfallen (erstes Moment), erwarten von jedermann Beistimmung (zweites Moment), beurteilen ihn seiner Form nach als zweckwidrig für ein harmonisches freies Spiel der Erkenntniskräfte (drittes Moment) und halten die Zusprechung des Prädikats ›häßlich‹ für notwendig (viertes Moment). In jedem Fall wird ein freies Spiel […] versucht« (Wenzel 2000, 85; vgl. ähnlich A. Cohen 2013, 35). In einer populären Deutung wird das Hässliche an eine Disharmonie der Erkenntnisvermögen geknüpft. So schreibt Fricke, die das Hässliche als Gegenstand eines interesselosen Missfallens deutet (vgl. Fricke 1990, 45): »In ästhetischer Einstellung zu nicht schönen oder häßlichen Gegenständen kommt dagegen kein harmonisches Verhältnis der Erkenntniskräfte zustande« (Fricke 1990, 49). Dabei liege jedoch auch ein freies Spiel vor; denn »[i]n freiem Spiel sind Einbildungskraft und Verstand nicht nur dann, wenn sie harmonisch zusammenstimmen« (Fricke Vgl. auch: »Das E r h a b e n e ist zwar das Gegengewicht, aber nicht das Widerspiel vom Schönen« (Anth: 243).

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Gibt es also für Kant kein Hässliches?

1990, 50). Wenzel vertritt eine ähnliche Deutung und expliziert dazu: »we should, I suggest, also accept that the representation in free disharmonious play ›belongs to cognition.‹ The point is that in both cases the faculties of cognition are engaged in some kind of interaction, be it a harmonious or disharmonious play, and that this interaction strengthens the faculties and is related to cognition in general without having to lead to a determinate cognition« (Wenzel 2008, 130 f.). Ein solcher loser Bezug zur Erkenntnis im Allgemeinen ist jedoch offenkundig viel zu schwach, um als Grundlage eines notwendig allgemeingültigen Hässlichen zu gelten. Lohmar begreift das Hässliche ebenfalls im Sinne einer Disharmonie der Erkenntniskräfte, bestreitet jedoch (contra Fricke), dass »ein disharmonisches Spiel sich selbst beendet«, d. h. dass »das Häßliche ein Hindernis des Spiels als Spiel ist« (Lohmar 1998, 498). Vielmehr liege beim Hässlichen »ein sich selbst erhaltendes, disharmonisches Spiel des Gemüts« vor (Lohmar 1998, 502), oder genauer: »Das disharmonische Spiel beruht auf einer Lust am Spiel, die mit einer Unlust im Spiel verbunden ist. Der entscheidende Begriff bleibt daher die Lust am Spiel. Er ist nur ein anderer Name für die ruhelose Spontaneität unserer Vermögen« (Lohmar 1998, 506). Dabei müsste das Hässliche allem Anschein nach Gegenstand eines Doppelgefühls aus Unlust und Lust sein – Lohmar verweist auch auf das faszinierend Hässliche (vgl. Lohmar 1998, 511); wie ich gezeigt habe, muss das Hässliche aber eigentlich Gegenstand einer Unlust sein, insofern man Kants Taxonomie der Gefühle sowie seine Hinweise auf eine Unlust ernst nimmt. Die bislang geschilderten Interpretationen beanspruchen, dass es innerhalb der kantischen Theorie ein genuin Hässliches gibt. Dagegen wendet sich Brandt: »Kommt das harmonische Spiel nicht zustande, so verlassen wir den Raum eines möglichen ästhetischen, also mitteilbaren Gefühls, weil diesem das epistemische Fundament fehlen würde. Das Spiel von Einbildungskraft und Verstand ist also als solches im Geschmacksurteil positiv besetzt und läßt keinen Platz für das ästhetische Urteil: ›x ist nicht-schön bzw. häßlich‹« (Brandt 1998, 239). Eine ähnliche Schwierigkeit habe auch ich hier entfaltet. Ginsborg benennt ein anderes Problem, das an ihren Ansatz gebunden ist, die Lust werde an ihrer eigenen Allgemeingültigkeit erfahren: »But this possibility [of displeasure] is ruled out if the pleasure is identified with the judgment that one’s feeling in an object is universally valid, since this identification leaves no room for an analogous feeling of displeasure: as long as a feeling claims its own universal validity, then it must be a feeling of pleasure« (Ginsborg 2015, 96). Ginsborg beansprucht zwar einerseits, »that there is no such thing, for Kant, as a pure judgment of ugliness« (Ginsborg 2015, 108); andererseits räumt sie dem Hässlichen dennoch einen Platz ein: »Things strike us as ugly, […] only because they fail to strike us as beautiful in situations where we take a certain degree of beauty to be called for (as is generally the case when we are looking for shoes or clothes or home furnishings)« (Ginsborg 2015, 108). Dabei entwickelt sie eine Art von Disanalogie zwischen Urteilen Kants Philosophie des Schönen

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Grundlagen 7: Hat das Hässliche einen Platz in Kants Theorie des Schönen?

über Schönheit und Hässlichkeit: »Such a judgment […] is not aesthetic because, unlike a judgment of beauty proper, it is not made through feeling. However, it is still ›aesthetically grounded‹ in that it reflects something about the subject’s feeling: specifically, the absence of the kind of feeling corresponding to a judgment of beauty proper« (Ginsborg 2015, 110). Offenkundig ist dieses Verständnis des Hässlichen aber weit davon entfernt, was man von einem kantischen Hässlichen erwarten würde. Erwähnen möchte ich noch Cohens Theorie der unreinen Urteile über das Hässliche. Sie benennt vier »›impure‹ types of ugliness«: »adherent ugliness, passionate ugliness, distasteful/disagreeable ugliness, and disgusting ugliness« (A. Cohen 2013, 32). Allerdings wird dabei nicht klar, warum es sich bei diesen Typen jeweils überhaupt um Hässlichkeit und nicht etwa um das Unangenehme oder das Schlechte handelt. Die Abgrenzung des Hässlichen vom Erhabenen ist praktisch nicht thematisch. Einzig Allison führt aus: »What we now learn is that the sublime (much like the ugly) presents itself as counterpurposive for the same reflective activity of judgment in virtue of its form (or, better, lack thereof), yet (unlike the ugly) the object is liked, that is, its effect on the mind is felt as purposive« (Allison 2001, 309 f.); und: »The basic difference is that the ugly, in contrast to the sublime, is the contrary and not merely the counterpoise to the beautiful, which presumably puts further constraints on the conditions of its artistic representation« (Allison 2001, 402).

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Die Vierte Erklärung des Schönen

Auch das Vierte Moment endet mit einer sogenannten Erklärung des Schönen. Im Verlauf des Vierten Moments waren primär die Notwendigkeit der Lust und des Geschmacksurteils sowie der Gemeinsinn, als vermögenstheoretische Grundlage der Notwendigkeit, thematisch. In der Vierten Erklärung des Schönen resümiert Kant nun: E4 »S c h ö n ist, was ohne Begrif als Gegenstand eines n o t h w e n d i g e n Wohlgefallens erkannt wird« (240,18).

Es fällt auf, dass sich diese Erklärung vordergründig auf die Notwendigkeit der Lust (›nothwendigen Wohlgefallens‹) bezieht (NTLust). Dagegen stand in den einzelnen Paragraphen des Vierten Moments eher die Notwendigkeit des Geschmacksurteils im Zentrum (NTUrteil). 1 Auch die verschiedenen Charakterisierungen dieser Notwendigkeit als exemplarisch, subjektiv und bedingt finden – ebenso wie der Gemeinsinn – in E4 keine Berücksichtigung. Der Grund dafür, dass Kant primär die Notwendigkeit der Lust behandelt, mag sein, dass er auch in den anderen Erklärungen des Schönen meist die Lust am Schönen bestimmt. Da sich das Prädikat des Geschmacksurteils auf die Lust am Schönen gründet, wird durch die Charakterisierung der Lust letztlich auch das Prädikat des Geschmacksurteils charakterisiert. Erinnern wir uns daran, wie wir NTLust rekonstruiert hatten: NTLustR3 Der Gegenstand x ist bei allen Menschen notwendig mit Lust am Schönen verbunden, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind und x ein schöner Gegenstand ist.

Ich habe vorgeschlagen, dass man diese These folgendermaßen konkretisieren kann: Allen Urteilenden ist es beim Wahrnehmen von x unmöglich, keine Lust am Schönen zu fühlen, wenn die Urteilenden in ästhetischer Einstellung sind und x ein schöner Gegenstand ist.

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Für die Unterscheidung dieser beiden Thesen siehe Kap. 18.1.3 und 18.2.

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Die Vierte Erklärung des Schönen

Nun sagt Kant in E4 nicht nur aus, dass die Lust am Schönen eine notwendige Lust ist. Er betont zudem, dass das Schöne ›ohne Begrif als Gegenstand eines nothwendigen Wohlgefallens erkannt wird‹. Damit greift er die Begriffslosigkeitsthese (BTLust) auf. Diese besagt, dass die Lust am Schönen weder direkt begrifflich erwirkt ist noch auf einer Eigenschaft des Gegenstandes beruht, die begrifflich erfasst wurde oder werden könnte. NTLust und BTLust bilden dann erneut das für die Analytik zentrale Paradox ab: Die Lust am Schönen ist notwendig bzw. notwendig allgemeingültig und gleichzeitig nicht begrifflich erwirkt. Die entscheidende Frage ist: Was hat das Vierte Moment dazu beigetragen, dieses Paradox zu lösen? Ich habe durch die Theorie des quasi-Syllogismus gezeigt, wie durch den Gemeinsinn garantiert wird, dass das Geschmacksurteil zu Recht Notwendigkeit bzw. notwendige Allgemeingültigkeit beanspruchen kann. 2 Nun setzt der quasi-Syllogismus voraus, dass der Urteilende eine Lust fühlt. Im Sinne von NTLust muss bereits diese Lust über Notwendigkeit verfügen. Die Notwendigkeit der Lust können wir somit nicht durch die Theorie des quasi-Syllogismus erklären. Vielmehr muss die Notwendigkeit der Lust in irgendeiner Form daher rühren, dass sie aus dem Gemeinsinn entspringt. Schenken wir Kant einmal, er beweise im Kontext der Deduktion, dass allen Menschen der Gemeinsinn zukommt. Damit ist NTLust noch nicht hinreichend begründet; denn diese These besagt, dass spezifische Gegenstände bei allen Menschen notwendig mit Lust verbunden sind, vorausgesetzt, die Urteilenden sind in ästhetischer Einstellung. Kant muss also zeigen, dass sich der Gemeinsinn bei allen Menschen notwendig bei denselben gegebenen Objekten instanziiert. Wir haben gesehen, dass diese Notwendigkeitsbeziehung zwischen dem spezifischen Gegenstand und der Lust bzw. dem Gemeinsinn aller Urteilender von Kant letztlich nie zufriedenstellend begründet wird. 3 Der Gemeinsinn konstituiert sich aus den beiden Komponenten der Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt und der gegenseitigen Belebung von Einbildungskraft und Verstand. 4 Es mag noch nachvollziehbar sein, dass im Sinne einer Abwendung des Skeptizismus dieselben Gegenstände bei allen Urteilenden mit einer Zusammenstimmung zur Erkenntnis überhaupt verbunden sein müssen. Aber 2 3 4

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Siehe Grundlagen 5. Siehe hierzu Kap. 21.4. Siehe Kap. 20.2 sowie 21.2.

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Die Vierte Erklärung des Schönen

warum sollten bei allen Menschen dieselben Gegenstände mit einer gegenseitigen Belebung von Einbildungskraft und Verstand verbunden sein? Sollte Kant auf diese Frage keine Antwort haben, so kann er letztlich nicht erklären, warum dieselben Gegenstände bei allen Menschen notwendig mit einer Lust am Schönen verbunden sind. Es scheint also, als würde Kant seiner Leserschaft eine finale Lösung des Paradoxes auf der Ebene der Lust in gewisser Hinsicht schuldig bleiben. Eine andere Frage ist, woher wir um die Notwendigkeit der Lust am Schönen wissen. In E4 schreibt Kant, das Schöne würde ›als Gegenstand eines nothwendigen Wohlgefallens erkannt‹. Dabei kann es gewiss nicht seine These sein, dass wir die Notwendigkeit der Lust (bzw. die notwendige Beziehung des Gegenstandes zur Lust) im strengen Sinne erkennen; denn es ist ja gerade der Witz am Schönen, dass wir keine Erkenntnis gewinnen. 5 Dennoch scheint es Kants These zu sein, dass wir die Notwendigkeit der Lust in irgendeiner Form bemerken und dass wir in einem schwachen Sinn um sie wissen. Halten wir dies zunächst fest: E4R1 Schön ist, was wir ohne Begriff als Gegenstand eines notwendigen Wohlgefallens bemerken.

Wie bemerken wir aber die Notwendigkeit der Lust? Die Notwendigkeit kann sich nicht im phänomenalen Gehalt der Lust am Schönen niederschlagen; denn eine solche phänomenal erlebte Notwendigkeit würde der phänomenalen Komponente der Freiheit entgegenstehen. 6 Mein Vorschlag ist daher, dass wir erst im Urteil »x ist schön« die Notwendigkeit der Lust bzw. der Beziehung des Gegenstandes zur Lust bemerken. Das Geschmacksurteil »x ist schön« bedeutet ja nichts anderes als »x ist bei allen Menschen mit einer Lust am Schönen verbunden, wenn sie in ästhetischer Einstellung sind«. Dieses Urteil – und die darin beinhaltete Beziehung des Gegenstandes zum Gefühl der Lust – ist notwendig, und wir wissen auch unmittelbar um diese Notwendigkeit. Denn das Geschmacksurteil ist vom Gedanken an seine Notwendigkeit begleitet. 7 Erinnern wir uns kurz an Kants Auf diese Auffälligkeit der Vierten Erklärung macht auch Makkai aufmerksam (vgl. Makkai 2009, 403 f.). Sie schlägt vor, den Begriff »erkennen« im Englischen mit »recognize« zu übersetzen und erläutert: »recognition […] need not be cognition, for cognition requires a concept, whereas recognition does not« (Makkai 2009, 404). 6 Siehe hierzu Kap. 18.1.3. 7 Siehe Kap. 18.4. 5

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Die Vierte Erklärung des Schönen

allererste Formulierung von NTLust in § 18: »Vom S c h ö n e n aber denkt man sich, daß es eine n o t h w e n d i g e Beziehung auf das Wohlgefallen habe« (§ 18.A.3, 236,20). Kant schreibt hier explizit, dass wir die Notwendigkeit der Beziehung des Gegenstandes zur Lust denken. Und, so meine These, wir wissen erst durch diesen das Urteil begleitenden Gedanken darum, dass die Lust am Schönen notwendig ist (NTLust). In diesem Sinn setzt unser epistemischer Zugriff auf die Notwendigkeit der Lust voraus, dass wir ein Geschmacksurteil fällen. Wir müssen daher eine Lust erst als Lust am Schönen identifiziert haben, d. h. unter den Begriff »schön« subsumiert haben, damit wir ihre Notwendigkeit bemerken können. Wir können insgesamt das folgende Bild der Vierten Erklärung nachzeichnen: i. In E4 formuliert Kant die Notwendigkeitsthese bezüglich der Lust am Schönen (NTLust). Diese bedeutet: Allen Urteilenden ist es beim Wahrnehmen von x unmöglich, keine Lust am Schönen zu fühlen, wenn die Urteilenden in ästhetischer Einstellung sind und x ein schöner Gegenstand ist. ii. Ferner beinhaltet E4 das Paradox von Begriffslosigkeit und notwendiger Allgemeingültigkeit auf der Ebene der Lust am Schönen. iii. Es ist unklar, wie Kant die notwendige Beziehung schöner Gegenstände auf die Lust am Schönen letztlich begründet. Unklar ist, warum spezifische Gegenstände eine notwendige Beziehung zur Belebung von Einbildungskraft und Verstand aller Urteilenden haben und warum diese Gegenstände notwendig mit Lust verbunden sind. iv. Der epistemische Zugriff auf die Notwendigkeit der Lust kann nicht in der Lust selbst gegeben sein, sondern liegt erst im Geschmacksurteil in Form eines das Urteil begleitenden Gedankens an die Notwendigkeit vor.

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Fazit

Die Einleitung zu diesem Kommentar begann mit einer ordentlichen Portion Zweifel – und zwar Zweifeln daran, ob Kants Theorie des Schönen überhaupt noch von Relevanz für die zeitgenössische systematische Ästhetik ist, und Zweifeln daran, ob sich durch eine weitere Interpretation der Analytik des Schönen überhaupt noch etwas substanziell Neues herausfinden lässt. Können wir jetzt, nachdem wir die kantische Schönheitstheorie einer umfassenden Analyse unterzogen haben, diese Zweifel vielleicht besser und fundierter ausräumen als es in der Einleitung in nur vorläufiger Manier geschehen konnte? Nun, zunächst einmal hat dieser Kommentar, so hoffe ich, bewiesen, dass sich auf vielleicht altbekannte Fragen und Probleme bezüglich der Analytik des Schönen immer noch neue Antworten geben lassen. So glaube oder hoffe ich jedenfalls, etwa mit meinen Deutungen zum phänomenalen Gehalt der Lust am Schönen, zur Anwendung des Prinzips a priori der reflektierenden Urteilskraft oder auch zur Subsumtion unter den Gemeinsinn im Sinne eines quasi-Syllogismus etwas substanziell Neues zur Diskussion der kantischen Schönheitstheorie beitragen zu können. Ferner hat sich gezeigt, dass der kantische Text hinreichend komplex ist, um immer noch neue Fragen an ihn zu stellen. So scheint mir bisher etwa nicht explizit gefragt worden zu sein, warum Kant im Vierten Moment eine Sprache verwendet, durch die ein syllogistisches Schlussverfahren suggeriert wird. Und warum, so wurde ebenfalls nicht oder kaum gefragt, wird die Uninteressiertheitsthese in § 2 nicht begründet, sondern einfach vorausgesetzt? Neue oder bislang kaum berücksichtigte Fragen können insbesondere auch einzelne Formulierungen des kantischen Textes betreffen. Dazu zählt etwa die Frage, warum Kant in § 18 schreibt, das Geschmacksurteil verfüge über »eine Nothwendigkeit der Beystimmung aller zu einem Urtheil, was wie [ein] Beyspiel einer allgemeinen Regel, die man nicht angeben kann, angesehen werden kann« (§ 18.A.5, 237,8). Ist das Geschmacksurteil nur wie ein Beispiel einer Regel, obwohl es keine solche Regel gibt? Kennt man die Regel Kants Philosophie des Schönen

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Fazit

bloß nicht? Oder ist das Geschmacksurteil wirklich ein Beispiel einer Regel, bloß dass diese Regel nicht-begrifflich ist und daher ›nicht angegeben werden kann‹ ? Andere Formulierungen wurden bislang zwar vielfach untersucht und berücksichtigt, aber es wurde eben noch nicht genug nach ihrer Bedeutung gefragt. Ein Beispiel hierfür scheint mir etwa die zentrale Formulierung »Stimmung der Erkenntnißkräfte zu einer Erkenntniß überhaupt« zu sein (§ 18.A.2, 238,24). Gerade wenn es um solche Formulierungen oder Termini geht, sollte man, so scheint mir, nicht zu früh der – in phänomenaler Hinsicht durchaus plausiblen – Versuchung erliegen, Schönheit sei letztlich und auch in der kantischen Deutung doch irgendwie unerklärbar und eben ein ›je ne sais quoi‹. Ich habe versucht, zu zeigen, dass wir sehr viel über die kantische Konzeption der Schönheit sagen können und dass das Phänomen der Schönheit besser erklärbar ist, als man vielleicht zunächst denkt. Nun lassen sich freilich sehr viele, mehr oder weniger ins Detail gehende Fragen an den kantischen Text stellen. Und es gilt: Der Text kann immer noch genauer unter die Lupe genommen werden, als es bisher geschehen ist. Und so ist auch mit diesem Kommentar gewiss noch nicht die letzte Frage an den kantischen Text gestellt, geschweige denn beantwortet worden. Vielmehr ist der Kommentar explizit als eine Einladung zu verstehen, weiter zu fragen und weiter nach neuen Antworten zu suchen. Unabhängig von der Tatsache, dass der Text der Analytik des Schönen interpretatorisch noch lange nicht ausgereizt ist, lässt sich, wie gesagt, bezweifeln, ob die kantische Schönheitstheorie irgendetwas zu aktuellen systematischen Diskussionen in der philosophischen Ästhetik beitragen könne. Gerne hört man die – freilich nicht explizit auf Kant bezogene – Kritik, dass Schönheit in der heutigen Zeit keine relevante Kategorie mehr sei. Und so ist es zumindest wahr, dass der Schönheit seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts in der philosophischen Ästhetik kaum noch Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Andererseits ist es ebenso wahr und ein empirisches Faktum, dass Menschen häufig von Schönheit sprechen, Schönheitserlebnisse haben wollen, und auch glauben, Schönheitserlebnisse zu haben. Zudem wurde die Schönheit in den letzten zwei Dekaden auch wieder stärker in den Fokus der systematischen Ästhetik gerückt. So haben sich Philosophen wie etwa Arthur Danto, Alexander Nehamas oder Roger Scruton ausgiebig mit Schönheit befasst. 8 Kann aber Kants Schönheitstheorie irgendetwas zu dieser aktuellen Diskussion der 1228

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Schönheit beitragen? Ich glaube ja; und der Grund dafür liegt vor allem darin, dass sich der grundlegende Problemkomplex in Bezug auf philosophische Konzeptionen der Schönheit seit Kants Zeit kaum verändert hat. Letztlich geht es immer noch um die Frage, ob Schönheit subjektiv oder objektiv zu verstehen ist – oder wie stark subjektiv bzw. objektiv sie zu verstehen ist. 9 Kants Theorie, wie sie auch in diesem Kommentar entfaltet wurde, deutet Schönheit insofern als etwas Subjektives, als Schönheit sich durch ein Lustgefühl konstituieren soll. Dabei vermeidet Kants Theorie aber das folgende Problem: »if beauty is entirely subjective […] then it seems that the word has no meaning, or that we are not communicating anything when we call something beautiful except perhaps an approving personal attitude« (Sartwell 2016). Wenn wir Schönheit als etwas begreifen wollen, das sich zwischen vielen oder sogar allen Menschen vermitteln oder kommunizieren lässt, dann ist das kantische Paradox »subjektiv, aber allgemeingültig« (bzw. »begriffslos, aber allgemeingültig«) etwas, das eine jede Theorie, die Schönheit subjektiv begreift, in irgendeiner Form lösen oder wenigstens behandeln muss. Das kantische Modell, welches die Allgemeingültigkeit der Schönheit letztlich auf eine unter allen Menschen geteilte Funktionsweise der intellektuellen Vermögen zurückführt, ist dabei durchaus weiterhin ein attraktiver Ansatz oder wenigstens ein Ansatz, über den es sich lohnt, nachzudenken (und sei es, um sich davon abzugrenzen). Und noch etwas scheint mir an der kantischen Theorie sehr attraktiv. Sie zeigt uns nämlich modellhaft, von welchem Punkt aus man eine Theorie des Schönen sinnvoll konzipieren kann. So haben wir gesehen, dass Kant dabei ansetzt, wie wir Schönheitserfahrungen in phänomenaler Hinsicht erleben, nämlich als uninteressierte Lust. Nun kann man zwar Letzteres bezweifeln; aber die grundsätzliche Plausibilität des methodischen Vorgehens, das Phänomen der Schönheit ausgehend vom phänomenalen Gehalt der Schönheitserlebnisse zu bestimmen, bleibt davon unberührt. (Ein solches Vorgehen ist natürlich insbesondere dann attraktiv, wenn man Schönheit primär subjektiv deutet.) Noch eine letzte Bemerkung, die unter anderem ebenjene phänomenale Qualität der uninteressierten Lust betrifft: Man mag geVgl. Dantos »The Abuse of Beauty« (2003), Nehamas’ »Only a Promise of Happiness: The Place of Beauty in a World of Art« (2007) sowie Scrutons »Beauty« (2009). 9 Für eine systematische Auseinandersetzung mit der Subjektivität bzw. Objektivität von Schönheit vgl. etwa Reicher (2011), Schmücker (2011) und Bertram (2011). 8

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neigt sein, Kants Theorie von vornherein als abwegig einzustufen, weil sie mit vielen Phänomenen, die wir als Schönheitserlebnisse begreifen würden, nicht übereinzustimmen scheint. Sprechen wir nicht auch oft von Schönheit, wenn wir uns nicht frei von allem Begehren und Wollen fühlen? Wir sollten dabei aber bedenken, dass Kant in erster Linie eine Theorie der reinen Geschmacksurteile liefert. Solche reinen Geschmacksurteile und die damit korrespondierenden Erfahrungen der reinen Lust am Schönen sind aber – ähnlich wie Handlungen, die nur aus Achtung erfolgen – gewiss etwas sehr Seltenes und keinesfalls Alltägliches. Diese Seltenheit der von Kant geschilderten reinen Schönheitserlebnisse macht seine Theorie der Schönheit aber nicht falsch. Wir müssen uns vielmehr nur bewusst sein, dass sie vielleicht nur einen kleinen Teil dessen erfasst, was wir im Alltag als Schönheitserlebnis einstufen. Und so bleibt die kantische Schönheitstheorie eine in vielerlei Hinsicht plausible Denkmöglichkeit angesichts der Frage, was Schönheit ist. Es wird daher auch in Zukunft sinnvoll sein, sich mit dieser Theorie zu befassen und ihre Bedeutung zu verstehen.

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Literaturverzeichnis

Siglenverzeichnis Die Kritik der Urteilskraft wird nach der Neuedition der Akademieausgabe durch Andrea Esser zitiert. Die in Klammern ohne Sigel angegebenen Seiten- und Zeilenzahlen beziehen sich auf die AkademieAusgabe. Die Kritik der reinen Vernunft wird nach der Originalpaginierung (A und B) zitiert. Die Vorlesung zur Moralphilosophie (Nachschrift Kähler) wird nach der von Werner Stark 2004 edierten Ausgabe zitiert. Alle anderen Schriften Kants werden mit Sigel und unter Angabe der Seitenzählung nach der Akademieausgabe zitiert. Textgrundlage für die Hauptschriften Kants sind die Ausgaben im Meiner Verlag (Hamburg). Dies gilt im Einzelnen für die Kritik der reinen Vernunft, die Prolegomena, die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, die Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft, die Kritik der praktischen Vernunft, die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, die Metaphysik der Sitten, die Anthropologie in pragmatischer Hinsicht sowie die Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft. Textgrundlage aller anderen Text ist die AA. Folgende Siglen wurden verwendet: Anth Br EAD EEKU FM

GMS GSE HN

Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, AA 7 Briefe, AA 10–13 Das Ende aller Dinge, AA 8 Erste Einleitung (in die Kritik der Urteilskraft), AA 20 Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht hat?, AA 20 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA 4 Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, AA 2 Handschriftlicher Nachlass, AA 14–23

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Literaturverzeichnis KpV KrV Log MAM MAN

Kritik der praktischen Vernunft, AA 5 Kritik der reinen Vernunft, AA 3 (B) und 4 (A) Logik, AA 9 Muthmaßlicher Anfang der Menschengeschichte, AA 8 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, AA 4 MdS Die Metaphysik der Sitten, AA 6 NG Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen, AA 2 OP Opus Postumum, AA 21–22 PND Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio, AA 1 Prol Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, AA 4 Refl Reflexionen, AA 14–19 RGV Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA 6 RL Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, AA 6 Theo Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodicee, AA 8 TP Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, AA 8 TL Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre, AA 6 UD Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral, AA 2 ÜE Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll, AA 8 ÜGTP Über den Gebrauch teleologischer Principien in der Philosophie, AA 8 VBO Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus, AA 2 VT Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie, AA 8 V-Lo/Dohna Vorlesungen Sommersemester 1792 Logik DohnaWundlacken, AA 24 V-Lo/Pölitz Vorlesungen Sommersemester 1789 Logik Pölitz, AA 24 V-Lo/Wiener Wiener Logik (1780 ff.), AA 24 V-Met/Dohna Vorlesungen Wintersemester 1792/1793 Metaphysik Dohna, AA 28 V-Met/Herder Metaphysik Herder (1762–1764), AA 28 V-Met/Volckmann Vorlesungen Wintersemester 1784/1785 Metaphysik Volckmann, AA 28 V-Mo/Collins Vorlesungen Wintersemester 1784/1785 Moralphilosophie Collins, AA 27 V-Mo/Kaehler(Stark) Immanuel Kant: Vorlesung zur Moralphilosophie (Hrsg. von Werner Stark. Berlin: De Gruyter 2004)

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Moral Mrongovius (Grundl.: 1774/75 bzw. 76/77), AA 27 Vorlesungen Wintersemester 1784/1785 Moral Mrongovius II, AA 29 Kleinere Vorlesungen V. Danziger Physik, AA 29 Praktische Philosophie Powalski (ca. 1782/83), AA 27 Vorlesungen Wintersemester 1783/1784 Danziger Rationaltheologie nach Baumbach, AA 28 Natürliche Theologie Volckmann nach Baumbach (1783), AA 28 Zum ewigen Frieden, AA 8

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Literatur – Beurtheilen: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb0000 9131_4_2_2151 – Der Beyfall: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb0000 9131_4_2_2267 – Beystimmen: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb00 009131_4_2_2356 – Erläutern: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb000091 31_7_1_1934 – Gefallen: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb0000913 2_2_0_678 – General: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb0000913 2_2_1_1284 – Gewiß: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb0000913 2_2_1_1966 – Die Gleichgültigkeit: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/ bsb00009132_2_2_2358 – Die Gunst: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb0000 9132_2_3_3512 – Illuminiren: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb0000 9132_4_0_45 – Ingleichen: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb0000 9132_4_0_109 – Künstlich: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb0000 9132_6_2_2962 – Die Lust: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb0000913 2_7_1_1893 – Mithin: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb000091 33_1_1_1711 – Mittheilen: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb0000 9133_1_1_1879 – Nachahmen: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb0000 9133_2_0_23 – Die Parteylichkeit: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/ bsb00009133_4_0_245 – Rege: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb00009133_ 6_0_753 – Der Reitz: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb0000 9133_6_1_1160 – 2. Reitzen: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb0000 9133_6_1_1164 – Schätzen: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb0000 9133_7_0_999 – Der Sinn: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb0000 9134_2_0_853 – 2. Das Spiel: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb0000 9134_2_1_1509

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Literaturverzeichnis – Stimmen: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb000091 34_2_2_2909 – Überhaupt: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb0000 9134_4_0_99 – Vergleichen: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb0000 9134_5_0_351 – Das Vergnügen: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb0 0009134_5_0_357 – Die Vollkommenheit: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lem ma/bsb00009134_5_1_1428 – Werben: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb0000913 4_6_1_1801 – Zeichnen: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb000091 34_9_0_288 – Der Zusammenklang: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lem ma/bsb00009134_9_1_1312 – Der Zweck: https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb0000 9134_9_1_1439 Grimm, Jakob / Grimm, Wilhelm: Deutsches Wörterbuch (online-Quelle: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB; abgerufen am 26. November 2021). – Abstechung: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle= DWB&mode=Vernetzung&hitlist=&patternlist=&lemid=GA01501#XGA0 1501 – Barockisch: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle= DWB&mode=Vernetzung&lemid=GB00946#XGB00946 – Bestimmungsgrund: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py? sigle=DWB&mode=Vernetzung&lemid=GB05674#XGB05674 – Gar: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB& mode=Vernetzung&lemid=GG01046#XGG01046 – Gunst: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB& mode=Vernetzung&lemid=GG32085#XGG32085 – Imgleichen: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle= DWB&mode=Vernetzung&lemid=GI00193#XGI00193 – Lust: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB& mode=Vernetzung&lemid=GL07690#XGL07690 – Mithin: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB &mode=Vernetzung&lemid=GM05826#XGM05826 – Mittheilen: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle= DWB&mode=Vernetzung&lemid=GM06319#XGM06319 – Natürlich: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle= DWB&mode=Vernetzung&lemid=GN03352#XGN03352 – Proportion: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle= DWB&mode=Vernetzung&lemid=GP07909#XGP07909 – Reiz: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB& mode=Vernetzung&lemid=GR04483#XGR04483

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Literatur – Rücksicht: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle= DWB&mode=Vernetzung&lemid=GR08834#XGR08834 – Spiel: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB& mode=Vernetzung&lemid=GS34541#XGS34541 – Urtheil: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB &mode=Vernetzung&lemid=GU14804#XGU14883 – Vag: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB& mode=Vernetzung&lemid=GV00003#XGV00003 – Vollkommenheit: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py? sigle=DWB&mode=Vernetzung&lemid=GV11099#XGV11099 – Wohlgefallen: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle= DWB&mode=Vernetzung&lemid=GW25270#XGW25270 – Zeichnung: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle= DWB&mode=Vernetzung&lemid=GZ03222#XGZ03222 – Zweckmäszig: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle= DWB&mode=Vernetzung&lemid=GZ12605#XGZ12605 Meyer, Joseph: Meyers Großes Konversationslexikon (online-Quelle: http:// woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=Meyers; abgerufen am 26. November 2021). – Kanarienweine: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py? sigle=Meyers&mode=Vernetzung&hitlist=&patternlist=&lemid=IK01231 Übersetzungen: Critique of Judmgnet. Translated, with an Introduction, by Werner S. Pluhar (1987). Indianapolis & Cambridge: Hackett Publishing Company. Critique of the Power of Judgment. Translated by Paul Guyer (2000). Cambridge: Cambridge University Press. Übersetzung der lateinischen Schriften Kants: Weischedel, Wilhelm (Hrsg.) (1968): Immanuel Kant Vorkritische Schriften bis 1768 1, Werkausgabe Band 1. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

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Personenregister

Adair, Stephanie 35 Allison, Henry 60, 106–109, 119, 145, 156, 170–172, 174–175, 177, 179, 230, 239, 282, 308, 325–326, 336, 356, 374, 391–392, 394–395, 443, 462, 464–466, 467–469, 473– 474, 480, 483, 525, 529, 532–533, 535, 539, 542–543, 546–547, 577, 614, 616–617, 619–620, 622, 628, 649–651, 653, 679, 685–687, 689, 724–725, 728, 731, 751, 753–754, 757, 773, 793–795, 797, 834–836, 878, 881–882, 937, 1018–1019, 1024, 1054–1056, 1085–1086, 1089–1090, 1114, 1133–1134, 1143, 1149, 1151, 1153, 1156, 1159, 1168–1170, 1198, 1202, 1220, 1222 Ameriks. Karl 177–179, 203, 361, 397, 418, 525–527, 533, 538, 849– 850, 878, 882, 1019, 1134, 1149, 1151, 1153–1154 Aquila, Richard 172, 204, 392, 521, 533, 535, 540, 546, 755 Aristoteles 565, 577–578, 1071 Bartuschat, Wolfgang 25, 618, 621, 650–651, 654, 685–686, 689, 727, 882 Baumgarten, Alexander Gottlieb 100–102, 730–732, 798–799, 802, 806, 808–809, 813, 818, 826, 834– 835, 983 Beattie, James 1071 Berger, Larissa 25, 566 Bertram, Georg W. 1229 Bojanowski, Jochen 86, 660–661, 685, 689

Bondeli, Martin 800 Brahms, Johannes 983 Brandt, Reinhard 62, 336, 756, 1022, 1074, 1086, 1089, 1169, 1221 Breitenbach, Angela 204, 526 Burke, Edmund 198, 730–732, 736, 1175 Campe, Joachim Heinrich 412 Chignell, Andrew 66–67, 132, 134, 209, 213 Cicero 892 Clewis, Robert R. 689, 847, 879–880 Cohen, Alix 539, 1220, 1222 Cohen, Ted 397, 450, 464, 469, 529 Crawford, Donald W. 66, 107–110, 133–134, 144, 152, 161–162, 167, 173–174, 177, 179, 239, 325, 336, 391, 393–395, 414, 468, 525–527, 531, 533, 615–616, 620, 622, 649, 654, 684, 689, 724, 753–755, 757, 793–796, 834, 881–883, 937, 1027, 1054–1055, 1085, 1087–1089, 1150–1152, 1170, 1199–1200 Crowther, Paul 173, 176, 178, 238, 280–281, 325, 336, 397, 529, 532, 615, 653, 684, 752, 793, 796, 878, 881–883, 937, 951, 1054–1055, 1152, 1154–1155, 1169, 1199 Damschen, Gregor 18–21 Danto, Arthur C. 1228–1229 Deligiorgi, Katerina 203, 237 Descartes, René 98, 892 Dickie, George 176, 178 Duchamp, Marcel 873 Dunham, Barrows 787

Kants Philosophie des Schönen

A

https://doi.org/10.5771/9783495825440 .

1247

Personenregister Eckl, Andreas 64–65, 133, 326, 392, 526, 655–656, 752, 1021, 1025, 1108, 1153 Eco, Umberto 20 Epikur 219–222, 249, 277 Esser, Andrea 27, 56, 107–109, 172, 174, 198–199, 203, 316, 326, 393, 529–530, 532, 548, 614, 616, 654, 670, 677, 684, 688–689, 724, 753– 754, 756–757, 773, 797, 809, 836, 999, 1018–1021, 1027, 1087, 1109 Euler, Leonhard 560, 771–779, 784, 792, 794–795, 943 Euler, Werner 110, 122–123, 615, 619, 621, 654, 660, 667, 684, 689 Floyd, Juliet 660, 686, 689–690 Förster, Eckart 195 Fricke, Christel 65, 84, 86, 107, 109– 110, 171, 173, 176–178, 239, 281, 325, 336, 347, 386, 390–392, 394, 468, 473, 480, 485, 490, 525, 529, 531, 546–548, 577, 586, 614–619, 622–624, 650–652, 655, 678, 684, 687–689, 724, 752, 757, 833, 1018– 1020, 1025, 1034, 1041, 1054–1055, 1117, 1134, 1149, 1151, 1159, 1169, 1220–1221 Frierson, Patrick 532–533, 685, 687 Gammon, Martin 755, 788, 793–794, 833–834, 880–881, 883, 940 Gardner, Sebastian 491 Ginsborg, Hannah 27, 58, 107, 145, 172, 174, 204, 237, 239, 313, 325, 361, 391–392, 394–397, 468–469, 473–474, 480, 523, 525–526, 528– 529, 532–533, 534, 542–544, 546– 548, 614–617, 620, 624, 654, 685, 687, 726–727, 752, 834, 878, 1018– 1019, 1023–1024, 1027, 1054, 1105, 1152, 1204, 1221–1222 Gorodeisky, Keren 531, 756 Guyer, Paul 27, 47, 106–107, 109, 116, 118, 120, 164, 171–173, 176– 179, 182, 203, 237–240, 267, 284, 310, 316, 325, 336, 366, 371, 374,

1248

391–396, 468–469, 480, 482–483, 525–527, 529–530, 532–533, 534, 536, 539, 541, 543–544, 546–548, 577, 614–617, 620, 623, 650–651, 653, 661, 684, 686, 711, 724–726, 728–729, 750, 753–755, 757–758, 787, 793–797, 801–802, 833–835, 879, 882, 937, 939, 962, 1018–1019, 1024–1025, 1055, 1084–1085, 1099, 1105, 1107, 1110, 1111, 1114, 1118, 1123, 1149–1150, 1152, 1154, 1168, 1186 Hafner, German 928 Heßbrüggen-Walter, Stefan 870 Hilgers, Thomas 173, 178, 206, 238 Hindrichs, Gunnar 85 Hinske, Norbert 194–195 Hoeppner, Till 34 Hoffmann, Thomas Sören 565, 786 Homann, Renate 678 Hösle, Vittorio 18, 20–21 Hughes, Fiona 662, 685, 688 Hume, David 892, 1038–1040, 1116 Husserl, Edmund 180 Huygens, Christiaan 774–775 Imhof, Silvan 813 Kandinsky, Wassily 671–672 Karásek, Jindřich 1186 Kern, Andrea 107, 109, 171–173, 177–178, 203, 238, 325–326, 390– 395, 468–469, 526–527, 529, 532, 616, 618–619, 621, 650–651, 653– 654, 656, 674, 684, 687, 752, 834, 836, 937, 1018–1019, 1025, 1027, 1054–1055, 1085, 1087, 1109, 1169–1170 Kirchner, Friedrich 84 Klein, Yves 783 Klemme, Heiner F. 25, 998 Kulenkampff, Jens 107–110, 171, 173–175, 178, 203, 238, 325, 336, 391, 393–394, 396, 443, 468–469, 480, 525–526, 529, 548, 614, 616, 623–624, 649, 652, 684, 686, 689,

SYMPOSION

Larissa Berger https://doi.org/10.5771/9783495825440 .

Personenregister 724–728, 753–755, 757, 793–794, 834, 836, 880, 938–940, 957–958, 1018–1019, 1022, 1024–1025, 1054–1055, 1085, 1088, 1131, 1151–1152, 1169, 1199 Kuspit, Donald B. 180 Leibniz, Gottfried Wilhelm 122–123, 661, 799–802, 830 Levinson, Jerrold 193 Lohmar, Dieter 1221 Longuenesse, Béatrice 107, 175–176, 392, 394, 525, 527, 532, 548, 653, 656, 726, 752, 1019–1022, 1087, 1108, 1150, 1152, 1168–1169, 1199 Makkai, Katalin 396–397, 1025, 1225 Makkreel, Rudolf 109, 176, 393, 397, 519, 526–528, 533, 614, 621, 653, 684, 687, 724, 729, 752, 756, 793, 836, 937–939, 951, 1018, 1087– 1088, 1108–1109, 1150, 1198–1199 Matthews, Patricia M. 107, 109, 138, 156, 173–174, 179, 237, 239–240, 280, 325, 336, 390–391, 394, 396, 468–469, 525–526, 532, 548, 615, 617, 619, 623, 650–652, 684–685, 688–689, 710, 725–726, 752, 754– 755, 796, 833, 1019, 1024, 1054– 1055, 1085–1086, 1143, 1150– 1152,1169 McCloskey, Mary 107, 109, 151, 172, 174–175, 178, 325, 390–394, 468, 616, 618–619, 650, 652, 753–754, 756–757, 795–796, 834, 836, 879, 882, 937, 1020–1022, 1024, 1027, 1054–1055, 1085, 1150–1151, 1154, 1169, 1220 McDowell, John 526 Mechtenberg, Lydia 288, 745 Meerbote, Ralf 107, 172–173, 176, 391, 396, 528, 538, 617, 620, 623– 624, 753, 755, 947 Meier, Georg Friedrich 64, 70, 85, 491, 799–801 Mendelssohn, Moses 101, 798, 802, 808–809

Merleau-Ponty, Maurice 180 Monet, Claude 788 Myron 922, 926 Nachtsheim, Stephan 395- 396, 836, 1086, 1089, 1098 Nagel, Thomas 115 Nehamas, Alexander 1228–1229 Newton, Isaac 774 Onof, Christian 566 Ostaric, Lara 527, 530–531, 533, 615– 616, 622, 685, 689, 952 Oswald, James 1071 Platon 565 Plinius 928 Pollok, Konstantin 107, 237, 393, 457, 526, 547, 623, 652, 690, 1055–1056, 1087, 1092 Polyclet (Polyklet) 922, 926, 928 Prauss, Gerold 108–109, 172, 175, 178, 326, 361–362 Prien, Bernd 1092 Priestley, Joseph 1071 Puls, Heiko 993 Recki, Birgit 191, 202–204, 656 Reicher, Maria E. 153, 1229 Reid, Thomas 1071 Rivera de Rosales, Jacinto 615–616, 618, 649, 655, 724, 727–729, 753– 754, 793–794, 797, 833–834, 836, 879, 881–883, 937–939, 1019–1020, 1025–1027, 1054–1055, 1086, 1089, 1108, 1151–1152 Rousseau, Jean-Jacques 166, 468–469 Sans, Georg 1044 Sartwell, Crispin 1229 Sassen, Brigitte 1023, 1152–1153 Savile, Anthony 109, 391–393, 396– 397, 614, 616, 619, 621, 650, 654, 656, 684, 724, 752, 755, 757–758, 797, 879, 881–882, 937–939, 1019, 1021, 1022–1024, 1026, 1054–1055, 1085–1086, 1149–1152, 1198–1199

Kants Philosophie des Schönen

A

https://doi.org/10.5771/9783495825440 .

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Personenregister Schaper, Eva 546 Schelling, Friedrich 589 Schiller, Friedrich 678 Schmidt, Elke E. 250, 259–260, 278, 699 Schmücker, Reinhold 1229 Schönecker, Dieter 18–21, 115, 160, 192, 217, 242, 258–260, 278, 305, 638, 699, 705, 861, 874, 999, 1162 Scruton, Roger 1228–1229 Sensen, Oliver 278, 916 Siegel, Susanna 115 Smith, David Woodruff 180–181 Sulzer, Johann Georg 98, 813–814 Sweet, Kristi 618–619, 623, 1087 Terence 892 Thielke, Peter 867 Van Gogh, Vincent 889, 1002, 1174 Vesper, Achim 122, 480, 526–527, 532, 801 Virgil (Vergil) 892 Vossenkuhl, Wilhelm 1021, 1088, 1109, 1200 Wenzel, Christian Helmut 56, 106– 107, 109, 170, 172, 175–176, 178– 179, 191, 203–204, 237–238, 263, 282, 325, 336, 382–383, 391–395, 421, 443, 468, 482, 525–526, 531, 614–616, 619–622, 624, 649–653, 656, 684, 687, 689, 710–711, 724– 725, 727–728, 753–755, 757, 793– 794, 834–836, 881–883, 938, 940, 951, 973, 1018–1020, 1023, 1025– 1027, 1048, 1054–1056, 1071–1072,

1250

1085, 1087, 1108, 1110, 1150–1153, 1168, 1220–1221 Wicks, Robert 845 Wieland, Wolfgang 204, 391, 394– 395, 468–469, 547–548, 656, 754, 1022, 1055, 1087, 1089, 1150 Wiggins, David 526 Wittgenstein, Ludwig 496 Wolff, Christian 122–123, 573, 799, 801–803, 808–809, 830, 1104–1105 Wolff, Michael 70, 1092–1093 Wood, Allen W. 638, 874 Zammito, John 238, 326, 391–392, 415, 526, 538, 567, 616–617, 619, 622, 651–652, 728, 753–754, 756– 757, 761, 793, 795–796, 818, 822, 833–835, 878, 882, 937, 939, 1026– 1027, 1086, 1109 Zangwill, Nick 175, 178 Zhouhuang, Zhengmi 526, 1020, 1023, 1026–1027, 1086–1087, 1149, 1151, 1153–1155, 1170, 1199 Zimmermann, Stephan 761 Zinkin, Melissa 397, 528, 1021–1022, 1088–1089, 1149 Zuckert, Rachel 108–109, 119, 171– 174, 176–177, 183, 203, 212, 239, 249, 281, 286, 391, 393–394, 496– 497, 521, 529, 533, 548, 615–618, 620–622, 624, 655, 661, 686, 688– 689, 710, 724–729, 753–757, 786, 793–797, 834–835, 879, 893, 930, 937–941, 948, 1021, 1024, 1026, 1054–1055, 1086, 1109, 1152–1153, 1164

SYMPOSION

Larissa Berger https://doi.org/10.5771/9783495825440 .

Sachregister

Abgrenzung des Schönen vom Angenehmen und Guten –, mittels der Allgemeingültigkeitsthese und der Begriffslosigkeitsthese 268–270, 399–403, 410–418, 424–426, 451–453 –, mittels der Uninteressiertheitsthese 166–169, 235–236, 283–289, 290–296 Abgrenzung des Schönen von der objektiven Zweckmäßigkeit –, Abgrenzung von der Nützlichkeit 806–808 –, Abgrenzung von der objektiven Zweckmäßigkeit allgemein 802– 806 –, Abgrenzung von der Vollkommenheit 100–101, 818–831 Abstraktion –, von Empfindungen 762–763, 782– 783, 787 –, von Zweckbegriffen bei reinen Schönheiten 872–876 Achtung –, Bezeichnung für die Lust am moralisch Guten 256–263, 317–320 –, Doppelgefühl aus Demütigung und Lust 250–251, 256–257, 698–700, 1205 –, ihr Entstehungskontext 250–251, 257–258, 696–707 –, ihre Notwendigkeit 996–1001

Akt der Urteilsfällung –, beim Angenehmen 33–34, 535– 539 –, beim Schönen 32–34, 474–475, 539–546, 1104–1106, Allgemeine Stimme 455–461 Allgemeingültiges Wohlgefallen / allgemeingültige Lust → Allgemeingültigkeitsthese –, deskriptive vs. präskriptive Allgemeingültigkeit 346–350, 353– 358, 1208–1209 Allgemeingültigkeit / Allgemeinheit (des Urteils) → Allgemeingültigkeitsthese –, des Guten → Gute, das –, inhaltliche vs. evaluative 353–358, 429 –, komparative vs. strenge 419–424, 451 –, logische vs. ästhetische 431–438, 439–445, 451–453 –, objektive vs. subjektive 358, 435– 438, 439–453 Allgemeingültigkeitsthese –, Abgrenzung des Schönen vom Angenehmen und Guten mittels der Allgemeingültigkeitsthese und Begriffslosigkeitsthese → Abgrenzung des Schönen vom Angenehmen und Guten –, Allgemeingültigkeitsthese der Lust 36–37, 346–350, 359–360,

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Sachregister 366–383, 390–391, 400–401, 424– 426, 476–479, 549–551, 984–986 –, Allgemeingültigkeitsthese des Geschmacksurteils 36–37, 353–360, 391–393, 401–403, 424–425, 988– 990 –, Argument für die Allgemeingültigkeitsthese 366–383, 393–395, 503– 512 –, bildet mit der Begriffslosigkeitsthese ein Paradox → Paradox der Allgemeingültigkeit bzw. Notwendigkeit und Begriffslosigkeit –, Empirie der Allgemeingültigkeit 887–891 –, phänomenologische Bedeutung der Allgemeingültigkeitsthese der Lust 186–188, 204, 349, 380–381 –, Rolle der ästhetischen Einstellung 347–350, 356–360, 391 –, und Transzendentalphilosophie → Transzendentalphilosophie Allgemein mitteilbar / allgemeine Mitteilbarkeit / allgemeine Mitteilungsfähigkeit –, Bedeutung 479–481 –, der Erkenntnis 485–487, 1115– 1119 –, der Lust am Schönen 476–481, 481–485, 889–891, 1137–1140 Analytik des Schönen –, ihre Anordnung entlang der Urteilsfunktionen 31–41 –, ihre Aufgabe 1194–1197 –, ihr Ausgangspunkt ist die Uninteressiertheitsthese → Uninteressiertheitsthese Angenehme, das –, Abgrenzung vom Guten → Gute, das –, Abgrenzung vom Schönen → Abgrenzung des Schönen vom Angenehmen und Guten

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–, Akt der Urteilsfällung beim Angenehmen → Akt der Urteilsfällung –, antizipierte Lust am Angenehmen 211–213, 156 –, Definition / Erklärung 206–211 –, die Lust am Angenehmen ist ein Interesse 128–132, 145–147, 150, 222–225, 225–234, 237–240, 283– 287 –, die Lust am Angenehmen ist unfrei → Unfreie Lust / unfreies Wohlgefallen –, Intentionalität der Lust am Angenehmen 535–537 –, Modalität der Urteile über das Angenehme 1064–1065 –, objektive Quantität der Urteile über das Angenehme (einzelne Urteile) –, phänomenaler Gehalt der Lust am Angenehmen 191 –, Privatgültigkeit des Angenehmen → Privatgültigkeit –, Rolle der Empfindung → Empfindung –, Rolle der Sinne → Sinn / Sinne –, Subsumtion der Lust unter den Begriff »angenehm« → Subsumtion –, Tiere können Lust am Angenehmen empfinden → Tiere und Lust am Angenehmen –, und Neigung → Neigung –, Urteil über das Angenehme 33–34, 223, 399–403, 408–410, 452, 537– 539, 979–980 –, Vergnügen als Bezeichnung für die Lust am Angenehmen 234–235, 292–297 –, Zweckmäßigkeit beim Angenehmen 585–586, 742–744 Angewandte Geschmacksurteile → Unreine Geschmacksurteile Anhängende / adhärierende Schönheit –, Abstraktion von Zweckbegriffen → Abstraktion

SYMPOSION

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Sachregister –, Konzeption der anhängenden Schönheit 837–843, 878–881 –, Objekt- vs. Subjektabhängigkeit 847–854, 881–882 Ansinnen 349, 457–458, 1030 Antinomie des Geschmacks 410–415 Argumentationsstrategie, epistemische und vermögenstheoretische 41–47 Ästhetische Einstellung –, Bereitschaft zur Reflexion 676–678 –, ihre Rolle für die Allgemeingültigkeit → Allgemeingültigkeitsthese –, ihre Rolle für die Notwendigkeit → Notwendigkeitsthese –, Uninteressiertheit 153–155, 178 Ästhetische Erfahrung –, als zutiefst menschlich 298–299 –, phänomenaler Gehalt → Lust am Schönen –, und Uninteressiertheit 153, 158– 160 Ästhetischer Gemeinsinn → Gemeinsinn, ästhetischer Ästhetischer Widerspruch → Widerspruch, logischer vs. ästhetischer Ästhetische Urteilskraft → Geschmack Ästhetisches Urteil –, das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil 34–35, 60–99, 107– 109, 330 –, Definition (hat einen subjektiven Bestimmungsgrund) 81–85, 109– 110 –, reines vs. empirisches → Reines vs. empirisches ästhetisches Urteil

(materiale vs. formale ästhetische Urteile) –, sein logisches Subjekt 64–70 –, sein Prädikat 70–76 –, über die materiale Zweckmäßigkeit (unmöglich) 823–828 –, und die Begriffslosigkeitsthese 74– 75, 362–363 Autonomie –, beim moralisch Guten 277–278, 304–305, 373, 701–702, 916–917 –, beim Schönen → Heautonomie Bedingung der Erkenntnis –, objektive (Kategorien) 489, 1095, 1102–1104, 1119 –, subjektive (Stimmung zu einer Erkenntnis überhaupt) 488–496, 504–512, 586–587, 1102–1104, 1120–1124 Bedingungen der Möglichkeit des Geschmacksurteils 196–202, 454– 457, 470, 987 Bedürfnis 142, 300–307 Begehren → Interesse Begehrungsvermögen –, Begriffsbestimmung 129, 568 –, Bezug des Interesses zum Begehrungsvermögen (Begehrensbedingung des Interesses) → Interesse –, sein Bestimmungsgrund → Bestimmungsgrund –, unteres vs. oberes 138, 569 Begierde –, habituelle Begierde → Neigung Begriffslosigkeitsthese –, Abgrenzung des Schönen vom Angenehmen und Guten mittels der Allgemeingültigkeitsthese und der Begriffslosigkeitsthese

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Sachregister → Abgrenzung des Schönen vom Angenehmen und Guten –, bildet mit der Allgemeingültigkeitsthese bzw. Notwendigkeitsthese ein Paradox → Paradox der Allgemeingültigkeit bzw. Notwendigkeit und Begriffslosigkeit –, der Lust am Schönen 268–270, 350–353, 395, 414–415, 425, 447, 549–551 –, des Geschmacksurteils 268–270, 289–290, 360–364, 395–397, 414– 415 –, ihre Begründung 383–387 –, und ästhetisches Urteil → Ästhetisches Urteil Beistimmung 989–990, 1009–1010, 1030 Belebung –, von Einbildungskraft und Verstand im freien Spiel 517–523, 671–672, 712–714 –, wird als Lust erlebt → Lust –, zur Belebung zuträglichstes Verhältnis der Erkenntnisvermögen 1129–1137, 1144–1148, 1152–1154 Bestimmungsgrund –, des freien Spiels → Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft –, des Geschmacksurteils 90–95, 95– 99, 211–212, 250, 351–352, 473– 475, 483, 645–648, 885–886 –, des Urteils 82–88, 109–110 –, des Willens / Begehrungsvermögens 82–83, 130–131, 565–576 –, objektiver 88–90 –, subjektiver 90–91 –, subjektiver Bestimmungsgrund des ästhetischen Urteils → ästhetisches Urteil Beurteilung / Beurteilungsaktivität –, der Lust am Schönen geht eine

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Beurteilung vorher → Lust am Schönen Bloßes Gefallen → Lust am Schönen Deduktion des Geschmacksurteils / Gemeinsinns 1112–1114, 1134– 1135, 1140–1142, 1156–1163, 1194–1196 Demütigung → Achtung Denkungsart –, konsequente 868–869 –, moralische 322, 866–868 Einbildungskraft –, bezieht im Geschmacksurteil die Vorstellung auf das Gefühl der Lust 77–80 –, dichtende / phantasierende 676– 677, 952–956 –, einer der Spieler im freien und harmonischen Spiel der Erkenntniskräfte 78–80, 313–315, 490–500, 518–519, 669–675, 713–714 –, Ideal der Einbildungskraft → Ideal –, ihre Aktivität wird durch das Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft überprüft 510–511, 519, 540, 613–614, 665–675, 676–678, 946 –, ihre Freiheit beim Schönen 313– 315, 497–498 –, ihre Funktion (Apprehension von Formen) 77–78, 313–314, 486, 492–495, 663–664, 746–747, 1125– 1126 –, stimmt mit dem Verstand zur Erkenntnis überhaupt zusammen → Stimmung zu einer Erkenntnis überhaupt –, unterliegt bei anhängenden Schönheiten / angewandten Geschmacksurteilen einem begrifflichen Zwang 842–846

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Sachregister Einheit der empirischen Gesetze → Empirische Gesetze, Einheit der Einstellung, ästhetische → Ästhetische Einstellung

Erhabene, das –, und subjektive relative Zweckmäßigkeit (für die Vernunft) 592– 593 –, Verhältnis zum Hässlichen → Hässliche, das –, Verhältnis zur Rührung 735, 789– 791, 797

Empfindung –, Abstraktion von Empfindungen → Abstraktion –, als Materie der Vorstellung 131– 132, 150–151, 209, 232, 581, 738, 745–746, 787 –, ihre Rolle beim Angenehmen 130– 132, 208–213, 225–234, 285–287, 409, 535–537, 722–723, 732–734 –, ihre Rolle beim Schönen / Geschmacksurteil 150–151, 769–771, 786,788, 797, 943 –, nur privatgültig 404–405, 477–478 –, objektive vs. subjektive 206, 213– 218, 219–220, 227–228, 237, 513

Erklärungen des Schönen –, Dritte Erklärung des Schönen 957– 963 –, Erste Erklärung des Schönen 327– 336, 365–366 –, Vierte Erklärung des Schönen 981, 1223–1226 –, Zweite Erklärung des Schönen 365–366, 549–551

Empirische Gesetze, Einheit der 658– 660

Faktum → Gefühltes Faktum des Schönen

Endzweck → Zweck

Farben und Töne –, einfache vs. gemischte Farben 778– 780 –, Eulers Wellentheorie → Wellentheorie des Schalls und des Lichts –, ihr Beitrag zum Schönen / Geschmacksurteil 769–771, 771– 780, 782–788, 794, 943 –, reine vs. unreine Farben 779–780

Epistemische Argumentationsstrategie → Argumentationsstrategie, epistemische und vermögenstheoretische Epistemologie des Geschmacksurteils → Geschmacksurteil Erfahrung, ästhetische → ästhetische Erfahrung Erfahrungsurteil –, als logisches Urteil 70–73 –, entspringt einem Syllogismus → Syllogismus –, Rolle der Grundsätze des reinen Verstandes 1010, 1092–1096

Erkenntnis überhaupt → Stimmung zu einer Erkenntnis überhaupt

Form –, der Vorstellung 150–151, 177, 745–747 –, der Zweckmäßigkeit → Zweckmäßigkeit –, und Schönheit → Formthese Formalismus-Vorwurf 785–788, 795– 797

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Sachregister Formthese –, ihre Bedeutung 150–151, 744–749, 754–756, 780–788, 795–796 –, ihre Begründung 749–751, 757– 758 Fragilitätsthese 154–155, 741–742, 768 Freie Schönheit 837–854, 881–882, 907–909 Freies und harmonisches Spiel der Erkenntniskräfte –, Belebung von Einbildungskraft und Verstand → Belebung –, in ihm instanziiert sich das Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft → Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft –, ist ein fragiler Zustand → Fragilitätsthese –, Komponente der Harmonie 191, 488–496, 500–503,503–512, 526– 531,643–645, 547–648, 673, 1079– 1080, 1160–1162 –, Komponente des Spiels / freien Spiels 184–185, 313–317, 496–499, 500–503, 517–523, 531–533, 1077 –, precognitive, multicognitive und metacognitive approach 527–531 –, Rolle des Verstandes 499–500, 527–531, 669–673 –, sein Bestimmungsgrund ist das Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft → Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft –, seine argumentative Herleitung 473–503 –, und Anwendung des Prinzips a priori der reflektierenden Urteilskraft → Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft –, und gegenseitige Belebung von Einbildungskraft und Verstand → Belebung

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–, und die Freiheitsthese → Freiheitsthese –, wird uns in der Lust am Schönen bewusst → Lust am Schönen Freies Wohlgefallen / freie Lust → Freiheitsthese Freiheitsthese –, Ebene der Lust selbst 307–310, 325–326 –, Ebene des phänomenalen Gehalts 184–186, 311–312, 985–986 –, Grundlagenebene des freien Spiels 313–317 –, ihre Begründung 310–311 Gefühl → Lust → Unlust Gefühls-Taxonomie 1205–1206 Gefühlter Syllogismus des Geschmacks → Syllogismus Gefühltes Faktum des Schönen 42– 45, 156–160, 179, 1159–1163 Gemeinsinn, ästhetischer –, als besondere Realisierung des Prinzips a priori der Urteilskraft 1163–1168, 1179, 1187 –, als Idee / idealische Norm 460– 461, 1081–1082, 1089–1090, 1176 –, als konstitutives Prinzip 1167– 1168, 1184–1188, 1193–1194, 1194–1196, 1198–2000 –, als Obersatz in einem (quasi-) Syllogismus → Syllogismus –, als ratio essendi der Lust am Schönen → Ratio cognoscendi (Lust am Schönen) und ratio essendi (Gemeinsinn) –, als regulatives Prinzip 1188–1193, 1194–1196, 1198–2000 –, als subjektives Prinzip 418, 1011– 1012, 1066–1070, 1082–1083, 1085, 1169–1170

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Sachregister –, beinhaltet eine transzendentale Funktion 1096–1097, 1102–1104, 1108–1109, 1180–1181 –, Beweis seiner Möglichkeit (Gemeinsinn als Hypothese) 1111– 1144, 1149–1154 –, Komponente der Gemeinschaftlichkeit 1078–1081, 1085–1087, 1144– 1148 –, Komponente der Sinnlichkeit 1073–1078, 1085–1087 –, Rolle des schönen Objekts für seine Gemeinschaftlichkeit → Schönes Objekt / schöner Gegenstand –, seine Deduktion → Deduktion des Geschmacksurteils / Gemeinsinns –, Subsumtion der Lust unter den Gemeinsinn → Subsumtion → Syllogismus –, und Geschmack 59–60, 1158–1159 Gemeinsinn, theoretischer –, gemeiner Verstand 1071, 1075 Geschätzte, das → Gute, das Geschmack –, als ästhetische Urteilskraft 31–32, 59–60, 329, –, als Beurteilungsvermögen des Schönen 57–60, 102–103, 328–329 –, als Gemeinsinn → Gemeinsinn, ästhetischer –, als Konklusion in einem (quasi-) Syllogismus → Syllogismus –, als Vermögen der Lust am Schönen 59–60, 102–103, 329 –, Reflexionsgeschmack 411 Fn., 1204 –, Sinnengeschmack 408, 420, 424, 1016, 1064–1065, 1078–1079 –, sittlicher Geschmack 322–323 –, wird durch eine Subsumtion der Lust unter den Begriff »schön« erzeugt → Subsumtionsmodell

Geschmacksregel, objektive (unmöglich) → Regel Geschmacksurteil –, als ästhetisches Urteil → ästhetisches Urteil –, als Fall einer Regel → Regel –, angewandtes → Unreine Geschmacksurteile –, Beitrag von Farben von Tönen → Farben und Töne –, Epistemologie des Geschmacksurteils 462–466 –, hat ein subjektives Prinzip → Prinzip –, hat ein verdecktes logisches Subjekt 36–37, 355–356, 401–402, 412–414, 416–417, 429, 988, 1106– 1108 –, im Geschmacksurteil bezieht die Einbildungskraft die Vorstellung auf das Gefühl der Lust → Einbildungskraft –, irriges 354, 462–466, 469, 544, 768–769, 876, 1051–1052, 1082– 1083 –, ist allgemeingültig → Allgemeingültigkeitsthese –, ist begriffslos → Begriffslosigkeitsthese –, ist notwendig → Notwendigkeit → Notwendigkeitsthese –, negatives → Hässliche, das –, reines → Reines Geschmacksurteil –, Rolle der Empfindung → Empfindung –, sein Bestimmungsgrund → Bestimmungsgrund –, seine Apriorität 197, 199–200, 358, 423, 761–763, 1046–1047, 1106– 1108 –, seine Bedingungen der Möglichkeit → Bedingungen der Möglichkeit des Geschmacksurteils –, seine Deduktion → Deduktion des Geschmacksurteils / Gemeinsinns

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Sachregister –, seine logische Quantität (einzelnes Urteil) → Quantität –, seine Qualität → Qualität –, seine Subjektivität 97–99 –, seine vier Momente 31–41, 158– 159, 183, 186–187, 972 –, sein subjektives Prinzip → Prinzip –, sein objektives Prinzip (unmöglich) → Prinzip –, und Funktion von Reizen → Reiz –, wirkt wie ein logisches Urteil (Verhüllung des Status als ästhetisches Urteil) 388–389, 545, 1013 –, Zweckmäßigkeit ohne Zweck als Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils → Zweckmäßigkeit ohne Zweck

Grundlage der Lust, vermögenstheoretische → Vermögenstheoretische Grundlage der Lust

–, die Lust am Guten ist begrifflich erwirkt 244–247, 268–269, 384– 386, 424–425 –, die Lust am Guten ist unfrei → Unfreie Lust / unfreies Wohlgefallen –, Lust am moralisch Guten → Achtung –, moralisch Gute, das / unmittelbar Gute / an sich Gute 256–263, 297– 299, 303–307, 320–323 –, Nützliche, das / mittelbar Gute / wozu Gute 252–256, 292, 385–386, 589–590, 632–633, 638–640, 806– 808, 833–834 –, phänomenaler Gehalt der Lust am Guten 191–192 –, Rolle der Vernunft → Vernunft –, Rolle des Vernunftprinzips → Vernunftprinzip –, seine Allgemeingültigkeit 424– 426, 452–453 –, seine Bezeichnung als das Geschätzte und Gebilligte 294–296 –, und Autonomie → Autonomie –, Urteil über das Gute 278–279, 280–281

Grundsätze des reinen Verstandes (Rolle in Erfahrungsurteilen) → Erfahrungsurteil

Harmonie der Erkenntnisvermögen → freies und harmonisches Spiel der Erkenntniskräfte

Gunst 318–319

Hässliche, das –, Unlust am Hässlichen 332–336, 1068, 1201–1210, 1220–1222 –, Verhältnis zum Erhabenen 1215– 1219, 1222 –, vermögenstheoretische Grundlage der Lust am Hässlichen 1210–1215

Glückseligkeit –, als potenzielles höchstes Gut 276– 278 –, als subjektiver Zweck 629–631, 650, 743–744

Gute, das –, Abgrenzung vom Angenehmen 268–276, 291–292 –, Abgrenzung vom Schönen → Abgrenzung des Schönen vom Angenehmen und Guten –, Definition / Erklärung 242–247 –, die Lust am Guten als gefühlte / phänomenal erlebte Aktivität des Willens 248–251, 520 –, die Lust am Guten ist ein Interesse 130–133, 146–147, 263–267, 282, 283–287

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Heautonomie315–316, 678–684, 689– 690, 717 Hypothetischer Imperativ 253–255, 279, 385–386, 637–638, 1039, 1045–1046

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Sachregister Ideal –, der Einbildungskraft 902–905, 920–921,925, 930, 937 –, der Vollkommenheit 909, 912–913, 914–919 Ideal der Schönheit / höchstes Muster des Geschmacks / Urbild des Geschmacks –, als Idee → Idee –, als inneres Kunstwerk 894–895, 897–898, 932–933 –, und der Mensch als Ausdruck sittlicher Ideen 928–936, 939–941 Idee –, der allgemeinen Stimme 460–461, 469 –, der Mensch als Ausdruck sittlicher Ideen → Ideal der Schönheit / höchstes Muster des Geschmacks / Urbild des Geschmacks –, des Gemeinsinns → Gemeinsinn, ästhetischer –, des höchsten Musters des Geschmacks 896–899 –, Normalidee → Normalidee Imperativ –, kategorischer → Kategorischer Imperativ –, hypothetischer → Hypothetischer Imperativ Intentionalität –, der Lust allgemein → Lust –, der Lust am Angenehmen → Angenehme, das –, der Lust am Schönen → Lust am Schönen Interesse –, am Angenehmen → Angenehme, das –, am Guten → Gute, das –, am Schönen 155–156, 177 –, Begehrensbedingung 128–131,

135–140, 174, 183, 224–225, 225– 231, 264–265, 265–267, 285–287, 333 –, der Neigung 301–303, 318 –, der Vernunft 303, 743 –, Existenzbedingung 131–135, 135– 140, 174, 224–225, 231–234, 264– 265, 267, 285–289 –, seine Begriffsbestimmung 127– 140, 172–174 –, theoretisches 154, 290 –, weiter vs. enger (intellektueller) Interessensbegriff 135–140 Interesseloses Wohlgefallen → Uninteressiertheitsthese Interpretation, kommentarische → Kommentarische Interpretation Irriges Geschmacksurteil → Geschmacksurteil Kategorien –, als objektive Bedingungen der Erkenntnis → Bedingung der Erkenntnis –, Funktion bei der Objektkonstitution 72–73, 75, 88–91, 430–431, 486–487, 1136 Kategorischer Imperativ 191–192, 257–263, 281, 306–307, 637–638, 996–997, 1039 Klassifikatorische These 297–299 Kommentarische Interpretation 18– 22, 27–30 Komposition → Künste / Einteilung der Künste Kontemplation → Lust am Schönen

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Sachregister Künste / Einteilung der Künste –, bloße Gestalt, Spiel der Gestalten, Spiel der Empfindungen 780–782 –, wesentlich sind Zeichnung und Komposition 782–783, 783–787, 797, 943 Kunstwerk –, das Ideal der Schönheit als inneres Kunstwerk → Ideal der Schönheit / höchstes Muster des Geschmacks / Urbild des Geschmacks –, und Zweck 961–963

Lust am Angenehmen → Angenehme, das

Lebensgefühl → Lust Liebe des Wohlgefallens (amor complacentiae) 860–862, 862–864, 933–935 Logischer Widerspruch → Widerspruch, logischer vs. ästhetischer Lust –, als Lebensgefühl 102, 170–171, 249–251, 518–523, 532–533, 1136– 1137 –, Definition / Erklärung 112–126, 170–172, 541, 594–595 –, epistemische 974–978 –, ihre Erhaltungsmomente 118–120, 126, 170, 594–595, 720–722 –, ihre Intentionalität 119–120, 171– 172, 535–537, 539–542, 546 –, ihre kausale Deutung 520–523, 533 –, ihre Modalität → Modalität der Lust / des Wohlgefallens –, ihr phänomenaler Gehalt 115–118 –, interesselose / uninteressierte → Uninteressiertheitsthese –, keine verworrene Vorstellung der Vollkommenheit 112–123, 801 –, kontemplative → Lust am Schönen –, nicht erkenntnisstiftend 216–218, 362–363

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–, partikular gültige → Partikular gültige Lust –, pathologisch bedingte vs. reine praktische 291–292 –, praktische 138–139, 227–228, 291– 292, 333, 719 –, und innere Belebung / Beförderung einer inneren Aktivität 249–251, 518–520, 531–533, 1136–1137 –, und subjektive Zweckmäßigkeit 585–586, 619 –, unfreie → Unfreie Lust / unfreies Wohlgefallen

Lust am Guten → Gute, das Lust am Schönen –, als Bewusstsein der subjektiven Zweckmäßigkeit 610–611, 646– 648, 656 –, als Bewusstsein des freien und harmonischen Spiels der Erkenntniskräfte 516–518 –, als komplexes Gefühl 190–193 –, als kontemplative Lust / Kontemplation 139, 288–289 –, als phänomenales Bewusstsein des Prinzips a priori der reflektierenden Urteilskraft → Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft –, als ratio cognoscendi des Gemeinsinns → Ratio cognoscendi (Lust am Schönen) und ratio essendi (Gemeinsinn) –, als unmittelbare Lust an einer Reflexionsaktivität → Reflexion / Reflexionsaktivität / reflektieren –, gründet sich auf keine Privatbedingungen 187, 369–379, 382– 383, 394 –, hat Kausalität in sich 118, 148, 540–541, 718–722, 728–729 –, ihre Bezeichnung als bloßes Gefallen 294, 296

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Sachregister –, ihre Intentionalität 76, 90–91, 539–542, 546, 1099–1100 –, ihr Entstehungskontext 221, 298– 299, 349–350, 523, 707–718 –, ihre Qualität → Qualität –, ihr geht eine Beurteilung vorher 145–147, 473–479, 500–503, 525– 526 –, ihr phänomenaler Gehalt 156–160, 180–195, 202–204, 294, 296, 311– 312, 380–381, 394–395, 465–466, 544, 647–648, 674–675, 709–710, 856, 985–986 –, ist allgemeingültig → Allgemeingültigkeitsthese –, ist allgemein mitteilbar → Allgemein mitteilbar / allgemeine Mitteilbarkeit / allgemeine Mitteilungsfähigkeit –, ist begriffslos → Begriffslosigkeitsthese –, ist frei → Freiheitsthese –, ist notwendig → Notwendigkeitsthese –, ist uninteressiert → Uninteressiertheitsthese –, Lust an der Form → Formthese

Mittel zum Zweck 252–255, 275–276, 590–591

Malerei 781–783

Neigung –, als habituelle Begierde 231, 301– 302, 374 –, als Privatbedingung 371–375, 393– 394 –, Interesse der Neigung → Interesse –, und Lust am Angenehmen 229– 231, 235–236 –, und Zwang bezüglich der Lust 300–303

Materie –, der Vorstellung → Empfindung –, des nexus finalis / der Zweckmäßigkeit → Zweck Mindere Frage 512–518 Missfallen → Unlust –, interesseloses / uninteressiertes 332–336, 1206–1207 Mitteilbarkeit, allgemeine → Allgemein mitteilbar / allgemeine Mitteilbarkeit / allgemeine Mitteilungsfähigkeit

Modalität der Lust / des Wohlgefallens –, mögliche Lust 974–978 –, notwendige Lust → Notwendigkeitsthese –, wirkliche Lust 976–977, 979–980 Moralisches Gesetz → kategorischer Imperativ Moralisch Gute, das → Gute das Musik 781–783 Muster des Geschmacks –, höchstes Muster des Geschmacks → Ideal der Schönheit / höchstes Muster des Geschmacks / Urbild des Geschmacks Naturwissenschaft 622, 658, 665– 666, 953, 976 Naturzweck → Zweck

Normalidee 851–853, 903, 919–920, 921–928, 938–939 Notwendigkeit –, apodiktische 1003–1008, 1010, 1026–1027, 1058 –, bedingte 1043–1048, 1049–1050, 1055–1056, 1058, 1063

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Sachregister –, die subjektive Notwendigkeit des Geschmacksurteils ähnelt der objektiven Notwendigkeit 1179– 1182, 1199 –, die subjektive Notwendigkeit des Geschmacksurteils beruht auf einem subjektinternen und intersubjektiven Grund 1045–1050, 1050–1051, 1058–1059 –, empirische (unmöglich) 1001– 1003 –, exemplarische 1008–1014, 1023– 1025, 1041–1042, 1058, 1101, 1177, 1193 –, praktische 996–1001, 1026 –, subjektive 1006, 1034–1042, 1049– 1050, 1054, 1179–1182 –, theoretische objektive 993–996, 999–1000, 1026, 1034–1039, 1042, 1058, 1179–1182 Notwendigkeitsthese –, Bewusstsein der Notwendigkeit 200–201, 985–986, 1014–1017, 1225–1226 –, bildet mit der Begriffslosigkeitsthese ein Paradox → Paradox der Allgemeingültigkeit bzw. Notwendigkeit und Begriffslosigkeit –, Notwendigkeitsthese der Lust 980– 987, 990, 1020–1021, 1147, 1223– 1225 –, Notwendigkeitsthese des Geschmacksurteils 987–991, 991–993, 1008–1014, 1020–2021, 1030–1031 –, Rolle der ästhetischen Einstellung 983–984, 987–990, 1022–1023 –, und der Sollensanspruch des Geschmacksurteils → Sollensanspruch des Geschmacksurteils Nützliche, das → Gute, das Nützlichkeit –, Abgrenzung vom Schönen → Abgrenzung des Schönen von der objektiven Zweckmäßigkeit

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–, als objektive relative Zweckmäßigkeit 588–591, 806–808 Objekt –, als allgemeiner Bezugspunkt eines Urteils 72–73, 75, 430–431, 440, 443, 486–487 –, schönes → Schönes Objekt / schöner Gegenstand –, wird durch Anwendung der Kategorien konstituiert → Kategorien One-act model vs. two-acts model 525–526, 542–546, 547–548 Palast / Palast-Beispiel 166–169 Paradox der Allgemeingültigkeit bzw. Notwendigkeit und Begriffslosigkeit 352–353, 364, 453–455, 456– 457, 503–512, 550–551, 986–987, 1158, 1172–1173, 1224–1225 Parerga 788–789 Partikular gültige Lust 382–383 Phänomenologie / phänomenaler Gehalt –, der Lust allgemein → Lust –, der Lust am Angenehmen → Angenehme, das –, der Lust am Guten → Gute, das –, der Lust am Schönen → Lust am Schönen –, der Unlust → Unlust –, und die Allgemeingültigkeitsthese → Allgemeingültigkeitsthese –, und die Freiheitsthese → Freiheitsthese –, und die Uninteressiertheitsthese → Uninteressiertheitsthese –, und Transzendentalphilosophie → Transzendentalphilosophie

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Sachregister Prädikat »ist schön« –, als quasi-Prädikat 63, 73–76, 90– 91, 330–331, 441–442, 516 –, ist nicht-begrifflich → Begriffslosigkeitsthese praktische Lust → Lust Prinzip –, der Gemeinsinn als subjektives Prinzip → Gemeinsinn, ästhetischer –, enge und weite Bedeutung 1059– 1060, 1094 –, konstitutives vs. regulatives 1186– 1187, 1189–1190 –, objektives Prinzip des Geschmacksurteils (unmöglich) 885–887, 1061–1064, 1084–1085, 1180 –, subjektives Prinzip des Geschmacksurteils 1011–1012, 1066–1070, 1082–1083, 1085, 1180 –, Verhältnis der zwei Prinzipien im Geschmacksurteil (Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft und Gemeinsinn) 1163–1168, 1169– 1170 Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft –, als Bestimmungsgrund des freien Spiels (zusammen mit der Vorstellung vom schönen Objekt) –, entspringt einem Akt der Heautonomie → Heautonomie –, Geltung als regulatives / heuristisches Prinzip 658–659, 660–661, 669, 1167 –, Gemeinsinn als besondere Realisierung des Prinzips a priori der Urteilskraft → Gemeinsinn, ästhetischer –, Inhalt (global und lokal; Subjektseite und Objektseite) 658–665 –, in jeder Reflexionsaktivität erfolgt eine Überprüfung anhand des Prinzips a priori der Urteilskraft

→ Reflexion / Reflexionsaktivität / reflektieren –, seine Anwendung im Allgemeinen 665–669 –, seine Anwendung im freien Spiel (Überprüfung der Form und der Aktivität der Einbildungskraft) 189–190, 669–675, 686–689, 713– 714, 717–718, 964, 1163–1164 –, seine Instanziierung im freien Spiel 188–190, 673–674, 687, 708– 710, 1165–1166 –, sein phänomenales Bewusstsein in der Lust am Schönen 189–190, 647–648, 674–675 –, Subsumtion der Form und der Einbildungskraft unter das Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft → Subsumtion Privatbedingungen → Lust am Schönen Privatgültigkeit –, Begründung der Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen 403– 405, 477–478 –, der Empfindung → Empfindung –, der Lust am Angenehmen 399– 405, 477–478, 635, 733 –, des Urteils über das Angenehme 400–403, 406–408, 452–453 Proportion –, der Bestandteile bei der (qualitativen) Vollkommenheit 813–816, 840, 851–852 –, verschiedene Proportion der Erkenntniskräfte bei einer Stimmung zur Erkenntnis überhaupt → Stimmung zu einer Erkenntnis überhaupt –, zu einer Erkenntnis überhaupt → Stimmung zu einer Erkenntnis überhaupt

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Sachregister Qualität –, der Lust am Schönen 34–36, 158– 159, 183 –, des Geschmacksurteils 34–36, 39– 41 Quantität des Geschmacksurteils 36– 37 –, logische / objektive (einzelnes Urteil) 446–448 –, objektiv allgemeine (komparativ) 448–451 –, subjektive Quantität (Allgemeingültigkeit) → Allgemeingültigkeit / Allgemeinheit (des Urteils) → Allgemeingültigkeitsthese Quasi-Prädikat → Prädikat »ist schön« (quasi-)Syllogismus → Syllogismus Ratio cognoscendi (Lust am Schönen) und ratio essendi (Gemeinsinn) 47, 1162–1163 Reflexion / Reflexionsaktivität / reflektieren –, Bereitschaft zur Reflexion → ästhetische Einstellung –, die Lust am Schönen als unmittelbare Lust an einer Reflexionsaktivität 144–149, 163–165 –, in einer Reflexionsaktivität ohne Erkenntnisgewinn kann sich eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck manifestieren 604–612 –, in jeder Reflexionsaktivität erfolgt eine Überprüfung anhand des Prinzips a priori der reflektierenden Urteilskraft 665–669 –, Reflexion über die Ursache der Lust → One-Act Model vs. Two-Acts Model Reflexionsgeschmack → Geschmack

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Regel –, apriorische, objektive Regel als Grundlage der theoretischen objektiven bzw. apodiktischen Notwendigkeit 993–996, 1003–1008 –, bei angewandten Geschmacksurteilen 845, 851–853, 863–865, 907– 909 –, das Geschmacksurteil als Fall einer Regel 459–460 –, generale (empirische) vs. universale 419–424 –, objektive Geschmacksregel (unmöglich) 363, 447, 451, 885–887, 944, 994, 1061–1064 –, wie das Beispiel einer Regel (exemplarische Notwendigkeit) → Notwendigkeit Regelmäßigkeit (der Form) 510, 663, 666–667, 946–950 Reines Geschmacksurteil –, Abstraktion von Empfindungen → Abstraktion –, Abstraktion von Zweckbegriffen → Abstraktion –, Bedeutung von »Reinheit« beim Geschmacksurteil 737–738, 753– 754, 763–765 –, ist unabhängig von Reiz und Rührung 735–742, 789–791 –, ist unabhängig von Zweckbegriffen 854–857, 872–876, 878–881 Reines vs. empirisches ästhetisches Urteil (materiale vs. formale ästhetische Urteile) 759–765, 793–794 Reiz –, Bedeutung 732–734, 753 –, Funktionen für das Geschmacksurteil 769–771, 784, 794 –, für Schönheit nicht hinreichend 765–767 –, kann Schönheit nicht erhöhen 767–769

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Sachregister –, Unabhängigkeit von Reizen beim reinen Geschmacksurteil → Reines Geschmacksurteil Relation des schönen Gegenstandes zum Subjekt → Schönes Objekt / schöner Gegenstand Rührung –, Abgrenzung des Schönen von der Rührung 789–791, 797 –, Bedeutung 734–735, 753, 1205 –, Verhältnis zum Erhabenen → Erhabene, das Schlüssel zur Kritik des Geschmacks 470 Schönes Objekt / schöner Gegenstand 942–956 –, imaginierte schöne Gegenstände 133–134, 149, 176, 951–956 –, seine Form 945–950 –, seine Rolle für die Gemeinschaftlichkeit des Gemeinsinns 1144– 1148 –, seine Relation zum Subjekt (subjektive Zweckmäßigkeit) 37–38, 644–646, 957–959, 964 Sensus communis → Gemeinsinn, ästhetischer Sinn / Sinne –, äußere 409, 1073–1074, 1076–1077 –, ihre Rolle beim Angenehmen 207– 208, 210–211 –, innerer 217–218, 513, 1074–1075 –, inwendiger 217–218, 513 Sinnengeschmack → Geschmack Sittlicher Geschmack → Geschmack Skeptizismus 508, 1115–1119, 1143, 1159

Sollensanspruch des Geschmacksurteils 1029–1033, 1053–1054 Spiel der Empfindungen → Künste / Einteilung der Künste Spiel der Erkenntniskräfte → freies und harmonisches Spiel der Erkenntniskräfte Spiel der Gestalten → Künste / Einteilung der Künste Stimme, allgemeine → allgemeine Stimme Stimmung zu einer Erkenntnis überhaupt –, als subjektive Bedingung der Erkenntnis → Bedingung der Erkenntnis –, Bedeutung 490–495, 509–5111, 526–531, 673, 1120–1124 –, in ihr manifestiert sich eine subjektive Zweckmäßigkeit 586–588, 592, 609–610, 619–621, 643–645, 651– 654, 673–674, 708–713 –, hat eine verschiedene Proportion 1124–1128, 1151–1152 Subsumtion –, der Form und der Einbildungskraft unter das Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft 510– 511, 672–673 –, der Lust unter den Begriff »angenehm« 537–539 –, der Lust unter den Begriff »schön« → Subsumtionsmodell –, der Lust unter den Gemeinsinn 1095–1102, 1106–1108, 1158, 1173, 1182–1183, 1187–1188 –, Verhältnis der Subsumtion als Stimmung zu einer Erkenntnis überhaupt 492, 1122

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Sachregister Subsumtionsmodell 542–544, 1105– 1106, 1164 Syllogismus –, bei Erfahrungsurteilen 1092–1095 –, (quasi-)Syllogismus bei Geschmacksurteilen 459–460, 1011– 1012, 1051–1052, 1070, 1095–1108, 1112, 1164, 1182–1183, 1193, 1196, 1223 Teleologie 585, 660–665, 915 Theoretischer Gemeinsinn → Gemeinsinn, theoretischer Tiere und Lust am Angenehmen 137, 207–208, 238–239, 297–298 Töne → Farben und Töne Transzendentalphilosophie –, und die subjektive Allgemeinheit des Geschmacksurteils 453–455 –, und Phänomenologie 193–202 –, und quantitative Vollkommenheit 816–817 Two-acts model → One-act model vs. two-acts model Übersinnliche, das / übersinnlicher Grund 95, 702, 717, 1168 Unfreie Lust / unfreies Wohlgefallen 186, 300–307, 312, 313, 318, 324– 325 Uninteressiertheitsthese –, Abgrenzung des Schönen vom Angenehmen und Guten mittels der Uninteressiertheitsthese → Abgrenzung des Schönen vom Angenehmen und Guten –, als Ausgangspunkt der Analytik des Schönen 41–45, 159,160, 190, 1160–1161

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–, Bedeutung für die ästhetische Einstellung → ästhetische Einstellung –, ihre Begründung 42, 156–169, 178–179, 1015 –, keine Lust an der Materie, sondern an der Form 150–152, 177, 288, 330 –, keine unmittelbare Lust am Gegenstand 144–149, 175–176, 288, 330 –, phänomenologische Bedeutung 156–160, 177- 178, 182–184 –, Präsenzbedingung und Verweilensbedingung der uninteressierten Lust 148–149, 721–722 –, und ästhetische Erfahrung → Ästhetische Erfahrung –, uninteressierte Lust als gefühltes Faktum des Schönen → Gefühltes Faktum des Schönen Unlust –, als Hemmung einer inneren Aktivität 102, 249–251, 519–520, 734, 1136–1137, 1210–1215 –, am Hässlichen → Hässliche, das –, Definition / Erklärung 120–121 –, ihr phänomenaler Gehalt 117, 120, 181 –, Moment des Wegschaffens 120, 333–334, 1207 Unreine Geschmacksurteile –, als angewandte Geschmacksurteile 764–765, 854–862 –, als Vermischung der Lust am Schönen mit der Lust am Angenehmen 739–742, 764–765 –, Regeln bei angewandten Geschmacksurteilen → Regel –, Vor- und Nachteile von angewandten Geschmacksurteilen 862–872 Urteil –, ästhetisches → Ästhetisches Urteil –, empirische Urteile 66–67, 89–90, 196–197, 1065–1066, –, Erfahrungsurteil → Erfahrungsurteil

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Sachregister –, Erkenntnisurteil 61–81, 88–90, 101–102, 278, 289–290, 362–363, 452, 486–487, 496, 505, 508–509, 545, 640–643, 827–831, 993–996 –, Logisches 60–80, 88–90, 388–389, 433–445, 449–451, 1013 –, über das Angenehme → Angenehme, das –, über das Gute → Gute, das –, über das Schöne → Geschmacksurteil –, und Bestimmungsgrund → Bestimmungsgrund –, Wahrnehmungsurteil 430, 1065, 1092–1094 Urteilskraft –, Absicht der reflektierenden Urteilskraft 975–976 –, aktive Urteilskraft als Zusammenstimmung zu einer Erkenntnis überhaupt 493–494, 673, 1079 –, als Zusammenwirkung von Einbildungskraft und Verstand 59, 493– 494, 500, 1122 –, ästhetische → Geschmack –, ihre heautonome Gesetzgebung → Heautonomie –, ihr Prinzip a priori → Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft Urteilsfunktionen / Urteilstafel (Anordnung der Analytik des Schönen) → Analytik des Schönen Verdecktes logisches Subjekt des Geschmacksurteils → Geschmacksurteil

Vermögenstheoretische Grundlage der Lust 44–47, 484–485, 501–502, 508–509, 518, 522–523, 531–533, 1159–1160 Vernunft –, ihre Rolle beim Guten 243–251, 253, 258–260, 265–267, 271, 274– 277, 291–292, 303–304, 996–998 –, Interesse der Vernunft → Interesse –, subjektive relative Zweckmäßigkeit für die Vernunft beim Erhabenen → Erhabene, das –, und Erkenntnis von Zwecken 600– 601, 604–608 Vernunftprinzip –, beim Guten 246–247, 255, 263, 266–267 –, und enger Interessensbegriff → Interesse Vernunftschluss → Syllogismus Verstand –, gemeiner Verstand als (theoretischer) Gemeinsinn → Gemeinsinn, theoretischer –, seine Funktion (Vermögen der Begriffe / der Regeln) 77–78, 537, 666–668, 750, 829–830, 1075 –, seine Rolle im Erkenntnisurteil 77–78, 486, 494–495, 830–831 –, seine Rolle im freien und harmonischen Spiel der Erkenntniskräfte → Freies und harmonisches Spiel der Erkenntniskräfte –, subsumiert die gefühlte Lust unter den Begriff »schön« → Akt der Urteilsfällung → Subsumtionsmodell

Vergnügen → Angenehme, das Vermögenstheoretische Argumentationsstrategie → Argumentationsstrategie, epistemische und vermögenstheoretische

Vollkommenheit –, Abgrenzung des Schönen von der Vollkommenheit → Abgrenzung des Schönen von der objektiven Zweckmäßigkeit

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Sachregister –, als objektive innere Zweckmäßigkeit 589–590, 809–813 –, Ideal der Vollkommenheit → Ideal –, ist immer eine Zweckmäßigkeit mit Zweck 123, 809–813, 819–823 –, Lust als verworrene Vorstellung der Vollkommenheit → Lust –, qualitative vs. quantitative 813– 818, 835, 840 –, Schönheit als verworrene Vorstellung der Vollkommenheit (unmöglich) 100–102, 642, 799–802, 824–828, 833, 856–862, 882 –, theoretisches Urteil über die Vollkommenheit vs. Lust an der Vollkommenheit –, und begrifflicher Zwang → Zwang –, und Liebe des Wohlgefallens → Liebe des Wohlgefallens (amor complacentiae) –, und Proportion der Bestandteile → Proportion Vorstellung –, dunkle vs. klare und deutliche vs. verworrene 100–102, 799–802, 826–827 –, ihre Form → Form –, ihre Materie → Empfindung Wahrheit 413, 1117–1119 Wellentheorie des Schalls und des Lichts 773–777, 794–795 Widerspruch, logischer vs. ästhetischer 413–414 Wille –, Begriffsbestimmung 568–570 –, die Lust am Guten als phänomenal erlebte Aktivität des Willens → Gute, das –, sein Bestimmungsgrund → Bestimmungsgrund –, seine Rolle für den Zweck 567–576, 616

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–, seine Rolle für die Zweckmäßigkeit 579–580, 585, 595–604, 604– 606, 661 Wohlgefallen → Lust Zeichnung → Künste / Einteilung der Künste Zwang –, begrifflicher Zwang bei der Vollkommenheit 812, 842–845 –, bei angewandten Geschmacksurteilen → Einbildungskraft –, beim Angenehmen und Guten → Unfreie Lust / unfreies Wohlgefallen –, Neigung als Quelle des Zwangs bezüglich der Lust → Neigung –, Unabhängigkeit der Einbildungskraft von begrifflichem Zwang beim Schönen 185, 313–315, 496– 498, 947–949 Zweck –, Abstraktion von Zweckbegriffen bei reinen Schönheiten → Abstraktion –, als Begriff oder Objekt 573–574 –, als Materie des nexus finalis / der Zweckmäßigkeit 151–152, 582– 583 –, Begriffsbestimmung 83, 565–576, 614–616 –, das reine Geschmacksurteil ist unabhängig von Zweckbegriffen → Reines Geschmacksurteil –, Endzweck 631, 912–913, 915 –, epistemischer, ontologischer und praktischer Kontext 571–573, 575– 576, 595, 616, 639 –, Fixiertheitsgrade durch Zweckbegriffe 851–853, 911 –, innerer vs. äußerer 574–575, 588– 591, 809–811 –, Naturzweck 572, 607, 619, 666, 849–850, 916

SYMPOSION

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Sachregister –, objektiver 630–631, 636–643, 651 –, Rolle des Willens → Wille –, subjektiver 628–636, 649–650 –, und Kunstwerke → Kunstwerk –, wird durch die Vernunft erkannt → Vernunft –, Zweckbegriff a priori (des Menschen) 909–914, 917–919 Zweck an sich selbst 260–263, 276– 278, 914–919 Zweckmäßigkeit –, Abgrenzung des Schönen von der objektiven Zweckmäßigkeit → Abgrenzung des Schönen von der objektiven Zweckmäßigkeit –, Begriffsbestimmung 577–583, 616–618 –, beim Angenehmen → Angenehme, das –, die subjektive Zweckmäßigkeit manifestiert sich in der Stimmung zu einer Erkenntnis überhaupt → Stimmung zu einer Erkenntnis überhaupt –, epistemischer und ontologischer Kontext 578–581, 595, 618, 621– 624 –, innere vs. äußere 588–594 –, objektive innere → Vollkommenheit –, objektive relative / äußere → Nützlichkeit –, objektive vs. subjektive 100–101, 584–588, 593–594, 618–621, 643– 644, 821–822

–, Rolle der Form (Form der Zweckmäßigkeit vs. Zweckmäßigkeit der Form; forma finalis) 581–583, 626–627, 958–959 –, Rolle des Willens → Wille –, subjektive innere 591–592, 644, 715 –, subjektive relative / äußere → Erhabene, das –, subjektive Zweckmäßigkeit und Lust → Lust → Lust am Schönen –, Unmöglichkeit von ästhetischen Urteilen über die materiale Zweckmäßigkeit → Ästhetisches Urteil Zweckmäßigkeit ohne Zweck (formale Zweckmäßigkeit) –, als Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils 93, 627, 645–648, 656 –, als epistemische Grundannahme 596–604, 609, 621, 665–666 –, beim Schönen manifeste 604–612, 624, 643–649, 708–713 –, kann sich in einer Reflexionsaktivität ohne Erkenntnisgewinn manifestieren → Reflexion / Reflexionsaktivität / reflektieren –, vs. Zweckmäßigkeit mit Zweck (materiale Zweckmäßigkeit) 151– 152, 593–594, 599, 610–611, 619 Zwei-Aspekte-Modell des Gemütszustandes 1124–1128, 1129–1135 Zwist über Schönheit 874–876

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1269

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Umfassendes Inhaltsverzeichnis

Vorwort und Dank

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

I. Das Erste Moment des Schönen: Qualität Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Ersten Moments . .

51

§ 1 Das Geschmacksurteil ist ein ästhetisches Urteil . . . . . . 1.1 Zur Definition des Geschmacks . . . . . . . . . . . . . 1.2 Der ästhetische Charakter des Geschmacksurteils . . . 1.2.1 Subjektive und objektive Beziehungen von Vorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Das logische Subjekt im ästhetischen Urteil . . 1.2.3 Das Prädikat im ästhetischen Urteil . . . . . . 1.2.4 Die beteiligten Vermögen . . . . . . . . . . . 1.3 Zur Definition des ästhetischen Urteils . . . . . . . . . 1.4 Ein Argument für den ästhetischen Charakter des Geschmacksurteils? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Die Subjektivität des Geschmacksurteils . . . . . . . . 1.6 Der zweite Absatz von § 1: Kleinere Diskussionskontexte 1.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56 57 60

Kants Philosophie des Schönen

61 64 70 77 81 95 97 99 105 106

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1271

Umfassendes Inhaltsverzeichnis

1272

§ 2 Die Uninteressiertheitsthese . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Zum Begriff der Lust in der KU . . . . . . . . . . . . 2.2 Zum Begriff des Interesses . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Die Begehrensbedingung des Interesses . . . . 2.2.2 Die Existenzbedingung . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Uninteressiertheitsthese (UT) . . . . . . . . . . . 2.3.1 Die erste Bedeutung der Uninteressiertheitsthese: Eine unmittelbare Lust an der Reflexion . 2.3.2 Die zweite Bedeutung der Uninteressiertheitsthese: Eine (mittelbare) Lust an der Form . . . 2.3.3 Ästhetische Erfahrung und ästhetische Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Die Fußnote: Warum das Schöne nicht interessant ist . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Eine Begründung für UT . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Das gefühlte Faktum der uninteressierten Lust . 2.4.2 Doch ein Argument für die Uninteressiertheitsthese? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Das Palast- Beispiel . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

111 112 127 128 131 141

Grundlagen 1: Zum phänomenalen Gehalt der Lust am Schönen . G1.1 Zum phänomenalen Gehalt der Lust im Allgemeinen . G1.2 Die phänomenalen Komponenten der Lust am Schönen . G1.2.1 Uninteressiertheit . . . . . . . . . . . . . . . G1.2.2 Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G1.2.3 Allgemeingültigkeit . . . . . . . . . . . . . . G1.2.4 Das Bewusstsein des Prinzips a priori der Urteilskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . G1.3 Die Lust am Schönen als komplexes Gefühl . . . . . . G1.4 Phänomenologie und Transzendentalphilosophie? . . . G1.5 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

180 181 182 182 184 186

§ 3 Eine Theorie des Angenehmen . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Zur Definition des Angenehmen . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Zwei Formen der Lust am Angenehmen . . . .

205 206 211

SYMPOSION

144 150 153 155 156 156 160 166 169 170

188 190 193 202

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Umfassendes Inhaltsverzeichnis

Objektive und subjektive Empfindungen . . . . Ein mögliches Missverständnis bezüglich der Definition des Angenehmen . . . . . . . . . . Die These: Die Lust am Angenehmen ist ein Interesse . Ein Argument für den interessierten Charakter der Lust am Angenehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Der erste Teil der Begründung . . . . . . . . . 3.3.2 Der zweite Teil der Begründung . . . . . . . . Kleinere Diskussionskontexte . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Zur Lust am Angenehmen als Vergnügen . . . 3.4.2 Eine erste Abgrenzung von der Lust am Schönen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

213

§ 4 Eine Theorie des Guten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Eine Definition des Guten: Das Gute allgemein, das Nützliche und das moralisch Gute . . . . . . . . . . . 4.1.1 Die Lust am Guten als gefühltes Wollen und das Gefühl des Lebens . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die beiden Arten des Guten . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Das Nützliche . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Das moralisch Gute . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Die These: Die Lust am Guten ist eine Form von Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Ein Argument für den interessierten Charakter der Lust am Guten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Eine erste Abgrenzung der Lust am Guten von der Lust am Angenehmen und Schönen . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Eine (antizipierte) Abgrenzung anhand der Begriffslosigkeitsthese . . . . . . . . . . . . . 4.5.2 Eine mögliche Verwechslung des Angenehmen mit dem Guten . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.3 Zu den Beispielen für die Unterscheidung des Angenehmen vom Guten . . . . . . . . . . . 4.5.4 Glückseligkeit als potenzielles höchstes Gut . . 4.6 Das Urteil über das Gute . . . . . . . . . . . . . . . .

241

3.1.2 3.1.3 3.2 3.3

3.4

3.5 3.6

Kants Philosophie des Schönen

219 222 225 225 231 234 234 235 236 237

242 248 251 252 256 263 265 268 268 270 273 276 278

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1273

Umfassendes Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

279 280

§ 5 Ein Vergleich der drei Arten von Lust und die Freiheitsthese 5.1 Abgrenzung des Schönen vom Angenehmen und Guten mittels der Uninteressiertheit . . . . . . . . . . . . . 5.2 Die Erweiterung der Begriffslosigkeitsthese . . . . . . 5.3 Begriffliche Differenzierungen innerhalb der verschiedenen Formen der Lust . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Pathologisch-bedingte und reine praktische Lust 5.3.2 Vergnügen, bloßes Gefallen und Schätzung . . 5.4 Kants klassifikatorische These . . . . . . . . . . . . . 5.5 Die Freiheitsthese (FT) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.1 Die Unfreiheit der Lust am Angenehmen und Guten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.2 Die Bedeutung der Freiheitsthese auf der Ebene der Lust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.3 Eine Begründung der Freiheitsthese? . . . . . 5.5.4 Die phänomenologische Bedeutung der Freiheitsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.5 Die Bedeutung der Freiheitsthese auf der Grundlagenebene des freien Spiels . . . . . . . 5.6 Kleinere Diskussionskontexte . . . . . . . . . . . . . 5.6.1 Eine dritte begriffliche Differenzierung der drei Arten von Lust . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.2 Die Lust am moralisch Guten und der sittliche Geschmack . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

283

Die Erste Erklärung des Schönen . . . . . . . . . . . . . . E1.1 Eine (zweite) Definition des Geschmacks . . . . . . . E1.2 Der Begriff des Schönen . . . . . . . . . . . . . . . E1.3 Das Missfallen ohne alles Interesse und das Hässliche E1.4 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

327 327 331 332 336

4.7 4.8

1274

SYMPOSION

. . . . .

283 289 290 291 292 297 299 300 307 310 311 313 317 317 320 323 324

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Umfassendes Inhaltsverzeichnis

II. Das Zweite Moment des Schönen: Quantität Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Zweiten Moments

. 339

§ 6 Allgemeinheit und Begriffslosigkeit der Lust am Schönen . . 6.1 Die Allgemeingültigkeitsthese (AT) . . . . . . . . . . 6.1.1 Die Allgemeingültigkeitsthese der Lust am Schönen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Die Begriffslosigkeitsthese der Lust am Schönen 6.1.3 Die Allgemeingültigkeitsthese des Geschmacksurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.4 Die Begriffslosigkeitsthese des Geschmacksurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Ein Argument für die Allgemeingültigkeitsthese . . . . 6.2.1 Die Allgemeingültigkeitsthese als Folgerung aus der Uninteressiertheitsthese . . . . . . . . . . 6.2.2 Ein Argument aus der Unabhängigkeit von Neigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Ein Argument aufgrund der Freiheit der Lust . 6.2.4 Zum phänomenalen Bewusstsein der Allgemeingültigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.5 Weitere mögliche Argumente für die Allgemeingültigkeitsthese . . . . . . . . . . . . 6.2.6 Kann es eine partikular gültige Lust geben? . . 6.3 Ein Argument für die Begriffslosigkeitsthese . . . . . . 6.4 Ein ästhetisches Urteil unter dem Deckmantel eines logischen Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 7 Die (subjektive) Quantität des Angenehmen, Schönen und Guten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Zur Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen . . . . 7.1.1 Die Lust am Angenehmen ist bloß privatgültig 7.1.2 Eine Begründung der These über die Privatgültigkeit der Lust am Angenehmen . . . . .

Kants Philosophie des Schönen

344 345 346 350 353 360 365 366 371 375 380 381 382 383 387 389 390

. 398 . 399 . 399 . 403

A

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1275

Umfassendes Inhaltsverzeichnis

7.1.3

7.2

7.3 7.4 7.5

Der Grundsatz ›Ein jeder hat seinen eigenen Geschmack (der Sinne)‹ . . . . . . . . . . . . 7.1.4 Beispiele für Urteile über das Angenehme . . . Zur Gegenüberstellung des Schönen und des Angenehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Eine Antizipation der Antinomie des Geschmacks . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Die richtige Form des Geschmacksurteils . . . Generale und universale Regeln sowie komparative und strenge Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Abgrenzung des Schönen vom Guten anhand des Kriteriums der Allgemeingültigkeit . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 8 Vier Arten von Allgemeinheit und die Idee einer allgemeinen Stimme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Vier Arten von Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Bisher identifizierte Formen der Allgemeinheit . 8.1.2 Objektive und subjektive sowie logische und ästhetische Allgemeinheit . . . . . . . . . . . 8.1.3 Anwendung der Begrifflichkeiten auf das logische Urteil und das Geschmacksurteil . . . . . 8.1.4 Zur objektiven Quantität des Geschmacksurteils 8.1.5 Zur Möglichkeit von objektiv allgemeinen Urteilen über das Schöne . . . . . . . . . . . 8.1.6 Zur objektiven und subjektiven Quantität beim Angenehmen, Schönen und Guten . . . . . . . 8.2 Die Idee einer allgemeinen Stimme . . . . . . . . . . . 8.2.1 Zur Allgemeinheit beim Schönen als Problem für die Transzendentalphilosophie . . . . . . . 8.2.2 Zur allgemeinen Stimme als erste Antwort der Transzendentalphilosophie . . . . . . . . . . . 8.3 Zur Epistemologie des Geschmacksurteils . . . . . . . 8.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1276

SYMPOSION

406 408 410 410 416 419 424 426

428 429 429 431 438 445 448 451 453 453 455 462 466 467

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§ 9 Das freie und harmonische Spiel der Erkenntniskräfte . . . 9.1 Einordnung in die Struktur der Analytik des Schönen . 9.2 Die Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Die Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.1 Der erste Argumentationsschritt . . . . . . . . Einschub: Allgemeine Mitteilbarkeit . . . . . . . . . . 9.3.2 Der zweite Argumentationsschritt . . . . . . . 9.3.3 Der dritte Argumentationsschritt . . . . . . . 9.3.4 Der vierte Argumentationsschritt . . . . . . . 9.3.5 Der fünfte Argumentationsschritt . . . . . . . 9.3.6 Der sechste Argumentationsschritt . . . . . . 9.4 Die abschließende Beantwortung der Frage . . . . . . . 9.5 Eine Lösung des Paradoxes von Allgemeingültigkeit und Begriffslosigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.6 Zur Beantwortung der ›minderen Frage‹ . . . . . . . . 9.6.1 Die Formulierung der minderen Frage . . . . . 9.6.2 Die Antwort auf die mindere Frage . . . . . . 9.6.3 Belebung, Lust und Lebensgefühl . . . . . . . 9.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.8 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

470 471 473 475 476 479 481 485 488 496 499 500

Grundlagen 2: Beurteilung, Urteilsfällung und Geschmacksurteil . G2.1 Zur Urteilsfällung beim Urteil über das Angenehme . . G2.1.1 Ist die Lust am Angenehmen intentional oder opak? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G2.1.2 Erfordert das Urteil über das Angenehme eine Aktivität der Urteilsfällung? . . . . . . . . . . G2.2 Zur Urteilsfällung bei Urteilen über das Schöne . . . . G2.2.1 Ist die Lust am Schönen intentional oder opak? . G2.2.2 Eine oder zwei Beurteilungsaktivitäten? . . . . G2.3 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

534 535

Die Zweite Erklärung des Schönen . . . . . . . . . . . . . . .

549

Kants Philosophie des Schönen

503 512 512 514 518 524 525

535 537 539 539 542 546

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1277

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III. Das Dritte Moment des Schönen: Relation Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Dritten Moments . . § 10 Begriffsklärungen: Zweck, Zweckmäßigkeit und Zweckmäßigkeit ohne Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Zur Begriffsbestimmung von »Zweck« und »Zweckmäßigkeit« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.1 Zur Begriffsbestimmung von »Zweck« . . . . 10.1.2 Zur Begriffsbestimmung von »Zweckmäßigkeit« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.3 Arten der Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . 10.1.4 Zur Begriffsbestimmung von »Lust« . . . . . . 10.2 Warum es eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck geben kann 10.2.1 Zur Zweckmäßigkeit ohne Zweck als epistemische Grundannahme . . . . . . . . . . . . 10.2.2 Zur manifesten subjektiven ZM ohne Zweck . 10.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 11 Zur Zweckmäßigkeit ohne Zweck als Grundlage des Geschmacksurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Die These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Argumentation: Warum dem Geschmacksurteil kein Zweck zugrunde liegen kann . . . . . . . . . . . . 11.2.1 Dem Geschmacksurteil liegt kein subjektiver Zweck zugrunde . . . . . . . . . . . . . . 11.2.2 Dem Geschmacksurteil liegt kein objektiver Zweck zugrunde . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Argumentation: Warum dem Geschmacksurteil eine Zweckmäßigkeit zugrunde liegt . . . . . . . . . . 11.3.1 Warum das Geschmacksurteil überhaupt auf einer Zweckmäßigkeit beruht . . . . . . . 11.3.2 Zur Zweckmäßigkeit ohne Zweck als Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils 11.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1278

SYMPOSION

555

564 565 565 577 584 594 595 596 604 612 614

. . 625 . . 626 . . 628 . . 628 . . 636 . . 643 . . 643 . . 645 . . 649 . . 649

Larissa Berger https://doi.org/10.5771/9783495825440 .

Umfassendes Inhaltsverzeichnis

Grundlagen 3: Das subjektive Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G3.1 Der Inhalt des subjektiven Prinzips a priori der reflektierenden Urteilskraft . . . . . . . . . . . . . . G3.2 Zur Anwendung des Prinzips a priori im Allgemeinen . G3.3 Wie findet das Prinzip a priori im Geschmacksurteil Anwendung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G3.4 Konsequenzen für die ästhetische Einstellung . . . . . G3.5 Inwiefern entspringt das Prinzip a priori einem Akt der Heautonomie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G3.6 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 12 Dem Geschmacksurteil liegt das subjektive Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft zugrunde . . . . . . . . 12.1 Die These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Die Ursache einer Lust kann nicht a priori erkannt werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Der Entstehungskontext der Lust am moralisch Guten . Exkurs: Ein alternatives Modell der Achtung . . . . . . . . . 12.4 Der Entstehungs- und Erhaltungskontext der Lust am Schönen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.5 Die Kausalität der Lust selbst, die Verweilensbedingung und die Präsenzbedingung . . . . . . . . . . . . . . . 12.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.7 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 13 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils: Zur Unabhängigkeit von Reiz und Rührung (die Formthese) 13.1 Terminologische und sprachliche Vorüberlegungen . . 13.1.1 Ein Wechsel des kantischen Sprachduktus? . . 13.1.2 Zu den Begriffen »Reiz« und »Rührung« . . . 13.2 Die Ausgangsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.1 Zur Unabhängigkeit von Reizen . . . . . . . . 13.2.2 Zur Reinheit des Geschmacksurteils . . . . . . 13.3 Ein Argument für die Unabhängigkeit von Reizen . . . 13.4 Zur Zweckmäßigkeit beim Angenehmen . . . . . . . . Kants Philosophie des Schönen

657 658 665 669 676 678 684

691 691 693 696 706 707 718 723 724

730 731 731 732 735 735 737 738 742 A

https://doi.org/10.5771/9783495825440 .

1279

Umfassendes Inhaltsverzeichnis

13.5 Die Formthese (FMT) . . . . . . . . . . . 13.5.1 Die Bedeutung der Formthese . . . 13.5.2 Eine Begründung für die Formthese 13.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . 13.7 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

§ 14 Die Rolle von Reizen und Empfindungen in Geschmacksurteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1 Empirische und reine ästhetische Urteile . . . . . . . 14.2 Zwei mögliche Missverständnisse . . . . . . . . . . 14.2.1 Erstes Missverständnis: Ein Reiz ist für Schönheit hinreichend . . . . . . . . . . . . 14.2.2 Zweites Missverständnis: Reize können die Schönheit erhöhen . . . . . . . . . . . . . . 14.3 Eine Theorie der Farben und Töne . . . . . . . . . . 14.4 Anwendung der Formthese auf die verschiedenen Künste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.5 Zur Rolle von Parerga . . . . . . . . . . . . . . . . 14.6 Abgrenzung des Schönen von der Rührung . . . . . 14.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.8 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 15 Eine Theorie des reinen Geschmacksurteils: Zur Unabhängigkeit von der Vollkommenheit . . . . . . 15.1 Vorüberlegung: Baumgartens Ästhetik als Gegenstand der Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2 Abgrenzung des Schönen von der objektiven Zweckmäßigkeit allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3 Zur Abgrenzung des Schönen vom Nützlichen . . . . 15.4 Zum Begriff der Vollkommenheit . . . . . . . . . . 15.4.1 Der Begriff der Vollkommenheit . . . . . . . 15.4.2 Qualitative und quantitative Vollkommenheit 15.5 Abgrenzung des Schönen von der Vollkommenheit . 15.5.1 Es kann keine Erkenntnis einer objektiven ZM ohne Zweck geben . . . . . . . . . . . . . . 15.5.2 Es kann kein ästhetisches Urteil über eine materiale Vollkommenheit geben . . . . . . 1280

SYMPOSION

. . . . .

744 744 749 751 752

. 759 . 759 . 765 . 765 . 767 . 771 . . . . .

780 788 789 791 793

. 798 . 799 . . . . . .

802 806 808 809 813 818

. 819 . 823

Larissa Berger https://doi.org/10.5771/9783495825440 .

Umfassendes Inhaltsverzeichnis

15.5.3 Ein Widerspruch bezüglich der Vermögensaktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.7 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

828 832 833

§ 16 Reine versus angewandte Geschmacksurteile . . . . . . . 16.1 Freie und anhängende Schönheiten . . . . . . . . . . . 16.1.1 Zu den Konzeptionen der freien und anhängenden Schönheit . . . . . . . . . . . . 16.1.2 Objekt- oder Subjektabhängigkeit des Status als freie oder anhängende Schönheit . . . . . . . 16.2 Reine versus angewandte Geschmacksurteile . 16.3 Vor- und Nachteile des angewandten Geschmacksurteils 16.4 Zur Möglichkeit der Abstraktion von Zweckbegriffen . 16.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.6 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

837 837

§ 17 Das (menschliche) Ideal der Schönheit . . . . . . . . . . 17.1 Einleitende Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . 17.1.1 Zur Unmöglichkeit einer objektiven Geschmacksregel . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.2 Zur Empirie der Allgemeingültigkeit . . . . . 17.2 Der erste Teil der Argumentation: Das allgemeine Ideal der Schönheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.1 Es gibt Muster des Geschmacks . . . . . . . . 17.2.2 Muster des Geschmacks dienen der eigenen Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.3 Das höchste Muster des Geschmacks ist eine Idee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.4 Das höchste Muster des Geschmacks ist keine Idee, sondern ein Ideal . . . . . . . . . . . . . 17.2.5 Das Ideal der Schönheit ist ein Ideal der Einbildungskraft . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3 Der zweite Teil der Argumentation: Das konkrete Ideal der Schönheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3.1 Ein Ideal der Schönheit ist nur im Rahmen einer anhängenden Schönheit möglich . . . . . . . .

884 885

Kants Philosophie des Schönen

837 847 854 862 872 876 878

885 887 891 892 893 896 899 902 905 907

A

https://doi.org/10.5771/9783495825440 .

1281

Umfassendes Inhaltsverzeichnis

17.3.2 Ein Ideal der Schönheit setzt den Begriff a priori eines Zwecks voraus . . . . . . . . . . . . . . 17.3.3 Nur der Mensch als Zweck an sich selbst ist eines Ideals der Schönheit fähig . . . . . . . . 17.3.4 Der Zweck des Menschen ist durch eine Normalidee und eine Vernunftidee festgelegt . . . 17.3.5 Das Ideal der Schönheit beruht nicht (wesentlich) auf der Normalidee . . . . . . . . . . . . 17.3.6 Das Ideal der Schönheit besteht im Menschen als Ausdruck sittlicher Ideen . . . . . . . . . . 17.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.5 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

909 914 919 921 928 936 937

Grundlagen 4: Das schöne Objekt . . . . . . . . . . . . . . . G4.1 Unwesentliche Eigenschaften in Bezug auf Schönheit . G4.2 Wesentliche, aber unbestimmte Eigenschaften in Bezug auf Schönheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G4.3 Können wir einen schönen Gegenstand imaginieren? .

942 943

Die Dritte Erklärung des Schönen . . . . . . . . . . . . . . . E3.1 Zum Inhalt der Dritten Erklärung . . . . . . . . . . . E3.2 Ein möglicher Einwand . . . . . . . . . . . . . . . . .

957 957 960

945 951

IV. Das Vierte Moment des Schönen: Modalität

1282

Zusammenfassung der zentralen Inhalte des Vierten Moments . .

967

§ 18 Die exemplarische Notwendigkeit des Geschmacksurteils . 18.1 Mögliche, wirkliche und notwendige Lust . . . . . . . 18.1.1 Zur Möglichkeit der epistemischen Lust . . . . 18.1.2 Zur Wirklichkeit der Lust am Angenehmen . . 18.1.3 Zur Notwendigkeit der Lust am Schönen . . . 18.2 Die Notwendigkeit des Geschmacksurteils . . . . . . . 18.3 Zur Charakterisierung der spezifischen Notwendigkeit des Geschmacksurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.3.1 Zur theoretischen objektiven Notwendigkeit der Lust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

971 972 974 979 980 987

SYMPOSION

991 993

Larissa Berger https://doi.org/10.5771/9783495825440 .

Umfassendes Inhaltsverzeichnis

18.3.2 Zur praktischen Notwendigkeit der Lust . . . 18.3.3 Keine apodiktische und keine empirische Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.3.4 Zur exemplarischen Notwendigkeit . . . . . 18.4 Zum Bewusstsein der Notwendigkeit . . . . . . . . . 18.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.6 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. 996

§ 19 Die subjektive und bedingte Notwendigkeit des Geschmacksurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1 Der Sollensanspruch des Geschmacksurteils . . . . . 19.2 Zur subjektiven Notwendigkeit . . . . . . . . . . . 19.2.1 Zur Bedeutung der subjektiven Notwendigkeit 19.2.2 Ein Argument für die Subjektivität der Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.3 Zur bedingten Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . 19.3.1 Zur Bedeutung der bedingten Notwendigkeit des Geschmacksurteils . . . . . . . . . . . . 19.3.2 Ein Argument für die Bedingtheit der Notwendigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . 19.4 Erste Hinweise auf den Gemeinsinn und ein epistemisches Problem . . . . . . . . . . . . . . . . 19.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.6 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

1001 1008 1014 1017 1018

. . . .

1029 1029 1033 1034

. 1042 . 1043 . 1043 . 1049 . 1050 . 1053 . 1053

§ 20 Der ästhetische Gemeinsinn als Bedingung der Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.1 Zum subjektiven Prinzip des Geschmacksurteils . . . 20.1.1 Die bisherige Charakterisierung der Notwendigkeit des Geschmacksurteils . . . . 20.1.2 Zum Begriff des Prinzips . . . . . . . . . . 20.1.3 Geschmacksurteile haben kein objektives Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.1.4 Geschmacksurteile müssen ein Prinzip haben 20.1.5 Geschmacksurteile haben ein subjektives Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. 1057 . 1057 . 1057 . 1059 . 1061 . 1064 . 1066

Kants Philosophie des Schönen

A

https://doi.org/10.5771/9783495825440 .

1283

Umfassendes Inhaltsverzeichnis

20.2 Zum Gemeinsinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.2.1 Zum Gemeinsinn als Sinn . . . . . . . . . 20.2.2 Zur Gemeinschaftlichkeit des Gemeinsinns 20.2.3 Zum Gemeinsinn als Idee . . . . . . . . . 20.3 Der Gemeinsinn als subjektives Prinzip des Geschmacksurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.5 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1284

. . . .

. . . .

1071 1073 1078 1081

. . 1082 . . 1083 . . 1084

Grundlagen 5: Der gefühlte Syllogismus des Geschmacks . . . . G5.1 Zur Rolle der Grundsätze des reinen Verstandes für Erfahrungsurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G5.2 Zum Gemeinsinn als Obersatz eines quasi-Syllogismus . G5.3 Ein Einwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G5.4 Zum Status des Geschmacksurteils als synthetisches Urteil a priori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G5.5 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1091

§ 21 Eine Deduktion des ästhetischen Gemeinsinns? . . . . . . 21.1 Zur Ausgangsfrage und ein Problemaufriss . . . . . . 21.2 Die Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.2.1 Erkenntnisse und Urteile müssen sich allgemein mitteilen lassen . . . . . . . . . . . . . . . . 21.2.2 Die subjektive Bedingung der Erkenntnis muss sich allgemein mitteilen lassen . . . . . . . . . 21.2.3 Die Stimmung der Erkenntniskräfte hat eine verschiedene Proportion . . . . . . . . . . . . 21.2.4 Eine zur Belebung zuträglichste Proportion ist möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.2.5 Das zur Belebung zuträglichste Verhältnis kann nur durch das Gefühl bestimmt werden . . . . 21.2.6 Die allgemeine Mitteilbarkeit eines Gefühls setzt einen Gemeinsinn voraus . . . . . . . . 21.3 Die Konklusion: Der Gemeinsinn als Hypothese . . . . 21.4 Zum schönen Objekt und zur Gemeinschaftlichkeit des Gemeinsinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1111 1112 1115

SYMPOSION

1092 1095 1104 1106 1108

1115 1120 1124 1129 1135 1137 1140 1144

Larissa Berger https://doi.org/10.5771/9783495825440 .

Umfassendes Inhaltsverzeichnis

21.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1148 21.6 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1149 Grundlagen 6: Die Deduktion des Gemeinsinns und die zwei Prinzipien der Urteilskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . G6.1 Zur Deduktion des Gemeinsinns . . . . . . . . . . G6.2 Eine Parallele zur KpV . . . . . . . . . . . . . . . G6.3 Zwei Prinzipien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . G6.4 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

. . . . .

§ 22 Der Status des Gemeinsinns zum Ende der Analytik des Schönen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.1 Eine Zusammenstellung der Thesen zur Notwendigkeit . 22.2 Zur objektiven Notwendigkeit des Geschmacksurteils . 22.3 Ein epistemisches Problem . . . . . . . . . . . . . . . 22.4 Zum Status des Gemeinsinns zum Ende der Analytik . 22.4.1 Zum Gemeinsinn als konstitutives Prinzip . . . 22.4.2 Zum Gemeinsinn als regulatives Prinzip . . . . 22.4.3 Warum der Gemeinsinn ein konstitutives Prinzip sein muss . . . . . . . . . . . . . . . 22.5 Zur Aufgabe der Analytik des Schönen . . . . . . . . 22.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.7 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen 7: Hat das Hässliche einen Platz in Kants Theorie des Schönen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G7.1 Warum es das Hässlichen geben muss . . . . . . . . . G7.2 Warum es ein genuin Hässliches nicht geben kann . . . G7.2.1 Zu den Charakteristika der Unlust am Hässlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G7.2.2 Zur vermögenstheoretischen Grundlage der Unlust am Hässlichen . . . . . . . . . . . . . G7.3 Ist das Hässliche das Erhabene? . . . . . . . . . . . . G7.4 Gibt es also für Kant kein Hässliches? . . . . . . . . . G7.5 Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Kants Philosophie des Schönen

1156 1157 1162 1163 1168

1171 1171 1179 1182 1183 1184 1188 1193 1194 1197 1198

1201 1201 1206 1206 1210 1215 1219 1220

A

https://doi.org/10.5771/9783495825440 .

1285

Umfassendes Inhaltsverzeichnis

Die Vierte Erklärung des Schönen . . . . . . . . . . . . . . . 1223 Fazit

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1227

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1231 Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1231 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1233 Personenregister

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1247

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1251 Umfassendes Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . 1271

1286

SYMPOSION

Larissa Berger https://doi.org/10.5771/9783495825440 .