Kants Gesinnungsethik 9783110851786, 9783110123098


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German Pages 176 [180] Year 1990

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Hinweise für den Leser
Einleitung
1. Kapitel: Absichten
2. Kapitel: Maximen
3. Kapitel: Motive
4. Kapitel: Achtung
Schluß
Literaturverzeichnis
Personenregister
Sachregister
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Kants Gesinnungsethik
 9783110851786, 9783110123098

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H a r a l d Köhl Kants G e s i n n u n g s e t h i k

w DE

G

Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Günther Patzig, Erhard Scheibe, Wolfgang Wieland

Band 25

Walter de Gruyter • Berlin • N e w York 1990

Kants Gesinnungsethik von Harald Köhl

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1990

G e d r u c k t auf säurefreiem Papier (alterungsbeständig - p H 7, neutral)

CIP

Köhl,

-Titelaufnahme

der

Deutschen

Bibliothek

Harald:

Kants Gesinnungsetliik / von Harald Köhl. : de Gruyter,

- Berlin ; N e w Y o r k

1990

(Quellen und Studien zur Philosophie ; Bd. 25) Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., ISBN NE:

1986

3-11-012309-6

GT

© C o p y r i g h t 1990 by Walter de G r u y t e r & C o . , D - 1 0 0 0 Berlin 30. Dieses W e r k einschließlich außerhalb der engen

aller seiner Teile ist u r h e b e r r e c h t l i c h

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Mikro-

Gewidmet meinen Eltern, Adolf und Maria Köhl, geb. Deuer und Jule, meinem Töchterchen

Vorwort Mit einer ersten Fassung dieser Arbeit habe ich 1986 an der Freien Universität Berlin im Fach Philosophie promoviert. Den Gutachtern der Dissertation, Ernst Tugendhat und Lorenz Krüger, verdanke ich wertvolle Hinweise, die mir bei der Überarbeitung zugute gekommen sind. Auch Günther Patzig und Rüdiger Bittner haben die Arbeit gelesen und mir durch kritische Anmerkungen weitergeholfen. Für die zweite Fassung dieser Schrift erhielt ihr Autor 1988 den HeinzMaier-Leibnitz-Preis für Praktische Philosophie des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Ich danke Lorenz Krüger und Günther Patzig, die mich für den Preis vorgeschlagen haben, sowie den Damen und Herren in der wissenschaftlichen Preisrichterkommission für ihre Anerkennung. Dies ist nun die dritte Version meiner Bemühungen um ein Buch über Kant. Bevor ich neue Schwächen und Fehler entdecke und ein tyrannisches Uber-Ich auf neue Ränke sinnt, überliefere ich es schnell der „scientific Community". Ich nutze die Gelegenheit, auch meinen früheren philosophischen Lehrern zu danken: Dieter Henrich und Peter Bieri, bei denen ich in den 70er Jahren in Heidelberg studierte. Den größten Dank aber schulde ich Ernst Tugendhat. In Berlin war ich fünf Jahre lang sein Wissenschaftlicher Mitarbeiter, die vorliegende Arbeit ist eine Frucht dieser Zeit. Den Herausgebern danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe „Quellen und Studien zur Philosophie", Herrn Wenzel vom De Gruyter-Verlag für die Geduld, mit der er auf meine Lieferung gewartet hat. Für die Herstellung der Druckvorlage danke ich Klaus Peter Rippe, ebenso danke ich Achim Stephan für seine bereitwillige Unterstützung. Göttingen/Jugenheim, im Februar 1990

Harald Köhl

Inhalt

Vorwort Hinweise für den Leser Einleitung Grundzüge der Kantischen Ethik Gesinnungsethik Analytische Interpretationen

VII XI 1 1 4 8

1. Kapitel: Absichten Die Frage nach der Frage - Wille, Absicht, Handlung Die Gegenposition(en) Formale vs. materiale Ethik Kants Argument gegen eine materiale Ethik Zwischenbetrachtung: (a) Der gute Wille als oberstes Gut . . . . (b) Die Realität des guten Willens Das Prinzip der Einflußnahme Eine verantwortungsethische Position Gesinnung und voraussehbare Folgen: Plädoyer für eine ZweiKomponenten-Theorie des Gegenstandes moralischer Handlungsbeurteilungen Ein letzter Zweifel: „moral luck"?

11 11 15 17 23 26 30 32 34

40 41

2. Kapitel: Maximen Definitionen und Beispiele Die Merkmale von Maximen Die semantische Form von Maximen Lebensregeln? Regeln Wille oder Willkür? Die Wichtigkeit von Maximen

45 46 47 50 52 55 56 59

X

Inhalt

3. Kapitel: Motive Die Frage nach der Frage Motive vs. Absichten, Moralität vs. Legalität Die moralische Relevanz der Motive Das genuin moralische Motiv Moralität, Maximen und guter Wille Kants Pflicht-These: Die starke Version Was Kant hätte sagen sollen Ein Problem Kant und Schiller Moralische Neigungen Kann man Gefühle fordern?

62 63 65 67 72 78 84 91 94 96 102 110

4. Kapitel: Achtung Die Frage nach der Frage Begriffe moralischer Achtung Das moralische Gefühl der Achtung: Kants Thesen „Aus Pflicht" vs. „aus Achtung" Die Genese der Achtung und ihre Merkmale Die Funktion der Achtung als moralische Triebfeder Der Gegenstand der Achtung Die moralphilosophische Pointe Selbstachtung als Quelle moralischer Motivation

115 115 119 120 124 130 135 140 143 147

Schluß

156

Literaturverzeichnis

158

Personenregister

162

Sachregister

164

Hinweise für den Leser 1.

Kant-Nachweise

Ich zitiere Kant nach der Ausgabe der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften (AA). Folgende Abkürzungen werden verwendet: Grundlegung = Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (AA IV) KprV = Kritik der praktischen Vernunft (AA V) MdS = Metaphysik der Sitten (AA VI) Religion = Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (AA VI) KdrV = Kritik der reinen Vernunft. Auflage von 1787 = B zitiert.)

(Die KdrV wird nach der 2.

Kant-Nachweise ohne nähere Spezifizierung beziehen sich auf den Text der "Grundlegung". 2. Andere

Nachweise:

Ich zitiere im Text jeweils nur Verfasser und Titel einer Arbeit sowie die Seitenzahl(en), auf der (denen) das Zitat steht. Nähere bibliographische Hinweise findet man im Literaturverzeichnis. 3.

Register

Im Personen- und Sachregister beziehen sich die kursiv gesetzten Ziffern auf Anmerkungen.

Einleitung Grundzüge

der Kantischen

Ethik

Kants Ethik ist in erster Linie eine Theorie über die moralische Beurteilung von Handlungen. Für diese These spricht neben anderen Gründen hauptsächlich die Tatsache, daß das Grundprinzip seiner Ethik, der bekannte Kategorische Imperativ, in seinen wichtigsten Formulierungen hinsichtlich von Handlungen vorschreibt, daß sie eine b e s t i m m t e moralische Eigenschaft haben müssen, nämlich verallgemeinerbar zu sein. Eine solche Theorie über die moralische Beurteilung von Handlungen m u ß mindestens auf die folgenden Fragen eine Antwort geben: 1. Was genau an einer Handlung wird moralisch beurteilt? Eine Handlung ist etwas Komplexes, sie hat eine Reihe von Aspekten. Wir unterscheiden von der Körperbewegung, in deren A u s f ü h r u n g eine Handlung sich gewöhnlich manifestiert, die Absicht des Handelnden, seine Motive und die Handlungsfolgen. 1 Deshalb stellt sich die Frage, welcher Aspekt oder welche Aspekte einer Handlung es sind, an die wir uns beim moralischen Urteil halten. 2. Wie geschieht die moralische Beurteilung? W ä h r e n d es bei der ersten Frage u m eine präzise Bestimmung des Beurteilungsgegenstandes geht, wird hier nach einem oder dem moralischen Beurteilungsverfahren gefragt. Wir wollen wissen, wie Handlungen moralisch beurteilt werden; auf welche Weise moralische Urteile über Handlungen gefällt und wie sie begründet werden. 3. Wie kann m a n das moralische Beurteilungs- bzw. verfahren seinerseits begründen?

Begründungs-

Bei der zweiten Frage ging es d a r u m , a u f w e i c h e Weise wir de facto moralisch urteilen; was es für uns heißt, ein moralisches Urteil zu fällen. Wir wollen aber nicht nur wissen, wie unser tatsächliches moralisches Urteilen 1

Eine ausführlichere Aufzählung (und Analyse) von Handlungsaspekten gibt N. Rescher in: Aspects of Action.

2

Einleitung

vor sich geht, sondern auch, ob unser tatsächliches

moralisches Beurtei-

lungsverfahren das richtige, ob es also begründbar ist. nicht nur wissen, was es heißt,

U n d wir wollen

moralisch zu urteilen; wir wollen auch wis-

sen, ob wir Grund haben, Handlungen auf diese W e i s e zu beurteilen und gemäß solchen Beurteilungen zu handeln.

W i r wollen nicht nur wissen,

wann eine Handlung moralisch ist, wir wollen außerdem wissen, w a r u m wir moralisch handeln sollen: w a r u m es ratsam ist, sich in unserem Verhalten moralisch zu orientieren. K a n t gibt in seiner Ethik eine A n t w o r t auf diese drei Fragen, die wohl Grundfragen einer j e d e n Ethik sind. Die Fragen und K a n t s A n t w o r t e n darauf lassen sich den drei Abschnitten seiner „ G r u n d l e g u n g zur M e t a p h y s i k der S i t t e n " direkt zuordnen: I m ersten Abschnitt der „ G r u n d l e g u n g " geht es neben anderem hauptsächlich um die Frage, was an einer Handlung es ist, wonach wir sie moralisch beurteilen. Es ist für K a n t dreierlei: Erstens „der W i l l e " des Handelnden, das, was er tun wollte, also seine A b s i c h t . Zweitens ximen, das sind individuelle Handiungsgrundsätze. Beweggründe des Handelnden, seine M o t i v e .

Drittens

sind es Masind es die

M a n kann diese A n t w o r t e n

unter dem Kantischen T i t e l der „ G e s i n n u n g " 2 zusammenfassen und dann sagen: W o r a u f es nach K a n t für die moralische Beurteilung einer Handlung a n k o m m t , ist die Gesinnung

des Handelnden. Ich nenne diesen G r u n d z u g

seiner Ethik deshalb ihren gesinnungsethischen

Ansatz.

Der zweite A b s c h n i t t der „ G r u n d l e g u n g " enthält - neben einer darauf vorbereitenden A n a l y s e praktischer Sätze - die Feststellung und A n a l y s e des moralischen Beurteilungsverfahrens. Das V e r f a h r e n besteht f ü r K a n t bekanntermaßen in der A n w e n d u n g des Kategorischen I m p e r a t i v s , eines Verallgemeinerungsprinzips jedenfalls in der einen oder anderen Version. Ich nenne deshalb diesen zweiten Grundzug der Kantischen Ethik ihren Uni versalism us. I m dritten Abschnitt der „ G r u n d l e g u n g " versucht K a n t die Begründung seines moralischen Beurteilungsverfahrens b z w .

die Begründung des K a -

tegorischen Imperativs, in dessen A n w e n d u n g das Verfahren besteht. Eine „ K r i t i k des Subjekts, d.

i.

der reinen praktischen V e r n u n f t " (440), soll

zeigen, daß dieses „ S u b j e k t " in einem speziellen Sinn frei ist - und deshalb Bürger noch einer anderen als der empirischen W e l t . A l s in diesem Sinne vernünftige und freie Wesen würden wir i m m e r nach d e m Sittengesetz als dem „Grundgesetz der reinen praktischen V e r n u n f t " ( K p r V : 30) handeln. Das soll der Grund dafür sein, daß wir auch als empirische P e r sonen nach ihm handeln sollen. K u r z , wir sollen moralisch sein, weil es (in 2

Der Ausdruck „Gesinnung" kommt bei K a n t häufig vor. V g l . z. B.: 406 , 416, 435; K p r V : 71, 116, 147 u.a.m.

G n i n d z ü g e der Kantischen Ethik

3

einem freilich speziellen Sinn) „vernünftig" ist. Weil es nach Kant unsere Vernünftigkeit ist, aufgrund deren wir moralisch handeln sollen, nenne ich diesen Grundzug seiner Ethik ihren Rationalismus. Eine weitere ethische Grundfrage ist die Frage nach der moralischen Motivation: 4. Weis motiviert jemanden dazu, moralisch zu handeln? Diese Frage ist von der dritten ethischen Grundfrage zu unterscheiden. Denn mit der dritten Frage wollen wir die Gründe wissen, die dafür sprechen, einen moralischen Standpunkt - definiert durch ein moralisches Beurteilungsprinzip - einzunehmen und Handlungen von ihm aus zu beurteilen. Dagegen setzt die vierte Frage nach der moralischen Motivation voraus, daß jemand (mit oder ohne Grund) einen moralischen Standpunkt einnimmt und von ihm aus Handlungen beurteilt; aber sie wirft die weitere Frage auf, was so jemanden dann ggf. dazu bringt, seinem moralischen Selbstverständnis und Urteil entsprechend auch zu handeln. Bei der dritten Frage geht es u m Gründe für eine moralische Einstellung, bei der vierten Frage geht es u m Ursachen für Handlungen gemäß einer solchen moralischen Einstellung. - Kants Theorie der moralischen Motivation besteht in seiner Achtungstheorie. Das moralische Gefühl der Achtung ist für ihn die (nicht-empirische) Motivationsquelle zu moralischen Handlungen. Es gibt eine fünfte ethische Grundfrage, auf die Kant eine Antwort gegeben hat: 5. Welches ist die logische Form praktischer Sätze 3 und was für eine Art von Theorie ist die Ethik? Nach Kants Auffassung ist die Ethik eine nicht-empirische, apriorische Disziplin, und gemäß seiner Analyse praktischer Sätze besteht die Moral hauptsächlich aus unbedingten Forderungen, die in sog. kategorischen Imperativen zum Ausdruck kommen. Diese kategorischen Imperative sind für Kant synthetische Sätze a priori. Ich fasse seine Position zu dieser Frage unter dem Titel eines Ethischen Apriorismus zusammen. Gewiß ist Kants Ethik ein systematisch zusammenhängendes Gebäude. Trotzdem können dessen Teile ähnlich den Säulen mancher antiker Tempel auch unabhängig voneinander stehen. So kann jemand Kants gesinnungsethischen Ansatz teilen und doch das moralische Beurteilungsverfahren nicht in die Anwendung eines Verallgemeinerungsprinzips setzen. Umgekehrt kann jemand den Universalismus mitmachen und doch bestreiten, 3

I c h spiele h i e r a u f d e n T i t e l eines A u f s a t z e s v o n G ü n t h e r P a t z i g a n : D i e l o g i s c h e n F o r m e n praktischer Sätze in K a n t s Ethik.

4

Einleitung

daß es Handlungsabsichten bzw. - m a x i m e n sind, auf die das Verallgemeinerungsverfahren a n z u w e n d e n ist. Und es k a n n j e m a n d ein gesinnungsethischer Universalist sein, aber n a c h einer ganz anderen als einer rationalistischen B e g r ü n d u n g des Universalismus suchen. Auch scheint es keinen zwingenden Z u s a m m e n h a n g zu geben zwischen den A n t w o r t e n auf die ersten drei ethischen G r u n d f r a g e n u n d der f ü n f t e n Frage nach d e m logischen S t a t u s praktischer Sätze u n d dem wissenschaftstheoretischen S t a t u s der Ethik. Mein k a n n ein Kantischer Gesinnungsethiker und Universalist sein mit einer rationalistischen M o r a l b e g r ü n d u n g u n d doch bestreiten, daß es Sinn m a c h t , die Ethik u n d ihre Sätze als „a priori" zu charakterisieren. Endlich sind die ersten drei G r u n d z ü g e der Kantischen Ethik sowie ihr f ü n f t e r vereinbar mit einer ganz anderen als der Kantischen Theorie moralischer Motivation. Daß die Säulen der Kantischen Ethik u n a b h ä n g i g voneinander stehen können, h a t den Vorteil, daß nicht gleich das ganze G e b ä u d e einstürzt, wenn sich die V e r m u t u n g als richtig erweist, daß höchstens die Säule des Universalismus in einer K a n t - n a h e n Version dem Zahn der Zeiten u n d der zersetzenden K r a f t der Kritik s t a n d h ä l t und die Ruine seiner Ethik ü b e r r a g t . Aber auch als Ruine ist das G e b ä u d e noch prächtig, lehrreich nicht n u r für die Archäologen unseres Fachs, sondern auch f ü r zeitgenössische Architekten. Gesinnungsethik Die hier vorgelegte U n t e r s u c h u n g h a n d e l t v o m e r s t g e n a n n t e n G r u n d z u g der Kantischen E t h i k , ihrem gesinnungsethischen A n s a t z . Ich orientiere mich dabei vor allem an K a n t s „ G r u n d l e g u n g s - " Schrift. Das bedarf der Begründung. Die G r ü n d e , w a r u m eine B e t r a c h t u n g der Kantischen Ethik aus heutiger Sicht sich an seiner „ G r u n d l e g u n g " orientieren sollte, sind gleichzeitig G r ü n d e gegen eine A u s r i c h t u n g an der „Kritik der praktischen V e r n u n f t " . K a n t h a t diese zweite ethische Grundlegungsschrift ganz aus der Perspektive seines philosophischen G e s a m t p r o j e k t e s einer Vernunftkritik geschrieben. Die Vorgehensweise der zweiten „ K r i t i k " vermittelt den Eindruck, als h a b e ihren Verfasser Moralität nur interessiert, weil seine Analyse der praktischen V e r n u n f t ergab, daß M o r a l i t ä t u n d praktische Vernunft dasselbe sind: M o r a l i t ä t ist für K a n t V e r n u n f t b e i m H a n d e l n . 4 4

D i e s e n S l o g a n v e r d a n k e i c h J o h n K e m p , T h e P h i l o s o p h y of K a n t : 56. K e m p b e g i n n t sein K a p i t e l ü b e r „ P r a c t i c a l P h i l o s o p h y " m i t d e m D i k t u m : „ M o r a l i t y for K a n t is r e a s o n i n a c t i o n " . Vgl. a u c h B . W i l l i a m s , E t h i c s a n d t h e L i m i t s of P h i l o s o p h y 210: „ K a n t ' s a p p r o a c h c a n p e r h a p s b e s t b e s n m m a r i e e d b y s a y i n g t h a t he gives a n

5

Gesinnungsethik

Das Projekt einer umfassenden „Vernunftkritik" muß uns inzwischen als so problematisch erscheinen, daß sich eine heutige Bestandsaufnahme der Kantischen Ethik nicht an einem Werk orientieren sollte, das diesem Projekt in all ihrer architektonischen Gezwungenheit so verpflichtet ist wie die „Kritik der praktischen Vernunft". Die „Grundlegung" dagegen - dies große Büchlein - ist relativ frei von Kantischen Systemzwängen. Sie geht von Phänomenen des alltäglichen moralischen Bewußtseins aus und unternimmt ihre Analyse. Sie versucht zunächst nur die „Entwickelung des einmal allgemein im Schwange gehenden Begriffs der Sittlichkeit" (445) „aus dem gemeinen Gebrauche unserer praktischen Vernunft" (406), bis sie „in der moralischen Erkenntnis der gemeinen Menschenvernunft bis zu ihrem Prinzip gelangt" (403). Durch dieses Vorgehen sind die beiden ersten Abschnitte der „Grundlegung" zudem entlastet von der schlechten Metaphysik der Kantischen Zwei-WeltenLehre, die erst im dritten Abschnitt zum Zuge kommt. Der erste Abschnitt von Kants „Grundlegung" enthält im wesentlichen die folgenden Thesen: (1) Es ist überall nichts in der Welt, . . .was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille. (393) (2) Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirkt oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zu Erreichung irgend eines vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch das Wollen, d.i. an sich gut ... (394) (3) . . .eine Handlung aus Pflicht hat ihren moralischen Wert nicht in der Absicht, welche dadurch erreicht werden soll, sondern in der Maxime, nach der sie beschlossen wird, hängt also nicht von der Wirklichkeit des Gegenstandes der Handlung ab, sondern bloß von dem Prinzip des Wollens, nach welchem die Handlung unangesehen aller Gegenstände des Begehrungsvermögens geschehen ist. (399/400) (4) Eine Handlung ist nur dann moralisch gut, wenn sie aus Pflicht geschehen ist. 5 (5) Pflicht ist Notwendigkeit setz. (400)

einer Handlung

aus Achtung

fürs

(6) . . . ich soll niemals anders verfahren als so, daß ich auch wollen meine Maxime solle ein allgemeines Gesetz werden. (402)

5

Gekönne,

a c c o u n t of m o r a l i t y a n d a n a c c o u n t of p r a c t i c a l r e a s o n , a n d t a k e s t h e m t o a r r i v e a t the same place." M e i n e F o r m u l i e r u n g . Sie e n t s p r i c h t i n h a l t l i c h K a n t i s c h e n F o r m u l i e r u n g e n 3 9 8 f.

6

Einleitung

Diese B e h a u p t u n g e n konkretisieren a u f verschiedene Weise K a n t s Generalthese, d a ß es für die m o r a l i s c h e B e u r t e i l u n g einer H a n d l u n g auf die Gesinnung' des Handelnden a n k o m m t ; u n d sie e r l ä u t e r n , m i t welcher Ges i n n u n g H a n d l u n g e n a u s g e f ü h r t werden m ü s s e n , u m m o r a l i s c h g u t zu sein. Z u s a m m e n g e n o m m e n bilden diese T h e s e n K a n t s Vorbegriff von Mor a l i t ä t . E s h a n d e l t sich u m einen Vorbegriff, weil sie nach K a n t s S e l b s t v e r s t ä n d n i s d e m „ g e m e i n e n G e b r a u c h e unserer p r a k t i s c h e n V e r n u n f t " (406) abgelesen sind. D a m i t ist wohl g e m e i n t , daß sie von uns allen für wahr geheilten oder doch implizit in unserer P r a x i s m o r a l i s c h e n Urteilens anerkannt werden, noch bevor wir durch eine ethische Theorie belehrt s i n d . K a n t s Vorbegriff von M o r a l i t ä t intendiert eine A n a l y s e , die noch u n a b h ä n gig ist von den theoretischen E r r u n g e n s c h a f t e n seiner T h e o r i e der I m p e r a tive - und erst recht u n a b h ä n g i g ist von den m e t a p h y s i s c h e n S p e z i a l i t ä t e n seines Freiheitsbegriffs und der Zwei-Welten-Lehre. Die sechste T h e s e , auf die K a n t s A n a l y s e im ersten A b s c h n i t t der „ G r u n d l e g u n g " z u l ä u f t , gibt eine erste F o r m u l i e r u n g des universalistischen B e u r t e i l u n g s p r i n z i p s für die m o r a l i s c h e A k z e p t a b i l i t ä t v o n H a n d l u n g e n . D a diese T h e s e sinnvollerweise nur im Z u s a m m e n h a n g mit den a n d e r e n F o r m u l i e r u n g e n seines obersten Moralprinzips, die K a n t i m zweiten A b schnitt der „ G r u n d l e g u n g " entwickelt, b e h a n d e l t werden k a n n , u n d d a ich mich in meiner A r b e i t auf eine kritische A n a l y s e des ersten A b s c h n i t t s der „ G r u n d l e g u n g " beschränke, fällt die B e h a n d l u n g dieser ersten Formulier u n g des K a t e g o r i s c h e n I m p e r a t i v s a u s d e m R a h m e n meiner U n t e r s u c h u n g h e r a u s . Die B e s c h r ä n k u n g auf den ersten A b s c h n i t t der „ G r u n d l e g u n g " b e d a r f freilich einer B e g r ü n d u n g : Die T h e s e n des ersten A b s c h n i t t s der „ G r u n d l e g u n g " h a b e n in der Liter a t u r nicht die A u f m e r k s a m k e i t g e f u n d e n , die sie verdienen. F ü r m a n c h e n heutigen Philosophen scheint die „ G r u n d l e g u n g " erst a b der W i l l e n s a n a lyse des zweiten A b s c h n i t t s (412 ff.) e r n s t z u n e h m e n d e n kognitiven G e h a l t zu besitzen. Ich halte d a s für eine F e h l e i n s c h ä t z u n g . E n t s p r e c h e n d halte ich K a n t s ersten A b s c h n i t t für s u b s t a n t i e l l . U m dies zu d e m o n s t r i e r e n , h a b e ich den Inhalt des ersten A b s c h n i t t s z u m T h e m a meiner U n t e r s u chung g e w ä h l t . E s ist die A u f g a b e dieser A r b e i t , den ersten fünf H a u p t t h e s e n des e r s t e n A b s c h n i t t s der „ G r u n d l e g u n g " einen m ö g l i c h s t präzisen Sinn a b z u g e w i n nen, sie sinnvoll voneinander a b z u g r e n z e n , aber a u c h den Z u s a m m e n h a n g zwischen ihnen verständlich zu m a c h e n . Die D a r s t e l l u n g h a t freilich als ihren s t ä n d i g e n Begleiter die Kritik: Weder bei K a n t selber noch in der K a n t - L i t e r a t u r wird klar, wie sich unsere f ü n f T h e s e n zueinander v e r h a l t e n . B e s a g t die e r s t e T h e s e v o m g u t e n Willen als einzigem u n e i n g e s c h r ä n k t e n G u t d a s s e l b e wie die T h e -

G esinnungsethik

7

se (2) vom an sich guten Willen? Ist diese zweite These, wonach ein guter Wille allein durch das Wollen gut ist, verschieden von der These (3), es sei die Maxime des Handelnden, worauf es für die moralische Beurteilung seiner Handlung ankommt? Wie verhalten sich diese Thesen zur These (4), daß eine moralisch gute Handlung „aus Pflicht" geschehen müsse? Und eine Handlung „aus Pflicht", ist das dasselbe wie eine Handlung „aus Achtung fürs Gesetz"? Kant selber hat hier nicht für Klarheit gesorgt. So ist er mit schuld daran, daß in der Literatur, die sich mit seinem Werk beschäftigt, seine Thesen durcheinandergemischt werden. So findet man die erste These vom guten Willen als uneingeschränktem Gut mit der These vom an sich guten Willen verschmolzen, und letztere These wird oft mit der „aus Pflicht"These identifiziert. Selten wird reflektiert, wie sich die Maximen-These zu den anderen Thesen verhält. Kant selber identifiziert bisweilen seine Auskunft, eine gute Handlung müsse „aus Pflicht" geschehen, mit der anderen Auskunft, moralische Handlungen geschähen „aus Achtung". Und seine Interpreten folgen ihm darin. Ich möchte mit meiner Arbeit für die Auffassung plädieren, daß es sich bei unseren fünf gesinnungsethischen Thesen wirklich um fünf inhaltlich verschiedene Behauptungen handelt, die sich ergänzen und zusammen eine Theorie der moralischen Beurteilung von Handlungen bildeil. Um Kants Thesen auseinanderzuhalten, muß man aber mit aller Entschiedenheit systematische Unterscheidungen treffen, sie in den Text hineintragen und sie beim Interpretieren geltend machen. 6 Wandelnd „auf verwachsenem Pfade" gilt es Schneisen zu schlagen in den blühenden Urwald einer vor Fruchtbarkeit wild ins Kraut geschossenen Theorie. Man muß, um Kants Thesen in ihrer Unterschiedenheit sehen zu können, zunächst zwischen Wollen (Absichten) und Beweggründen des Wollens (Motiven) unterscheiden. Nur mit Hilfe einer solchen Unterscheidung kann man verstehen, in welchem Verhältnis die These (2) vom an sich guten Willen zur These (4) steht, wonach gute Handlungen „aus Pflicht" geschehen müssen. Um das Verhältnis dieser Thesen zur Maximen-These (3) zu verstehen, bedarf es einer Analyse der semantischen Form von Maximen. Zur Unterscheidung der „aus Pflicht"-These (4) von der Achtungs-These (5) schließlich braucht man eine Theorie der Motive, die zwischen verschiedenen Arten von Motiven zu unterscheiden weiß: Achtung ist für Kant ein Gefühl; „aus Pflicht" zu handeln dagegen heißt nicht, aus einem Affekt heraus zu handeln. Und es bedarf für die Unterscheidung der Thesen (4) 6

Um diese systematischen Gesichtspunkte im Vordergrund zu halten, h a b e ich den T e x t meiner Abhandlung von der Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur entlastet: Diese findet größtenteils in den Anmerkungen s t a t t .

8

Einleitung

und (5) einer expliziten Entscheidung, was in der Kantischen Ethik zu ihrem „principium diiudicationis" gehört und worin ihr Ausführungsprinzip für moralisch gute Handlungen besteht. Es handelt sich dabei samt und sonders um Unterscheidungen, die bei Kant selber vorhanden oder doch angelegt sind. Man muß sie also nur zur Explizitheit bringen. Es ist der Mangel des überwiegenden Teils der vorhandenen Literatur zur Kantischen Ethik - zumal aus dem deutschsprachigen Raum -, daß sie sich ihrem Gegenstand nähert, ohne sich der methodischen Distanzierungsmittel zu versichern, die wir in Form jener systematischen Unterscheidungen zur Hand haben, welche den logischen Raum der Ethik konstituieren. Analytische

Interpretationen

Wenn das typische Argument analytischer Philosophen lautet, „daß man eine Unterscheidung zwischen x und y machen muß", dann sind das folgende gewiß „analytische Interpretationen". Begriffliche Unterscheidungen markieren Bruchstellen für Meinungsunterschiede in der Sache. Deshalb muß man dort auf begrifflichen Unterscheidungen insistieren, wo substantielle Unterschiede an ihnen hängen. Wo sie verschüttet wurden, muß man sie wieder freischaufeln, um Fragen offenzuhalten, die nur durch Argumente zur Sache zu beantworten sind und nicht durch begriffliche Festsetzungen entschieden werden dürfen. Richard Rorty, ansonsten einer meiner philosophischen Heroen, hat die m.E. merkwürdige These vertreten, es gebe nichts, was analytischem Philosophieren wesentlich und analytischen Philosophen eigentümlich sei. Der Titel eines „analytischen Philosophen" wäre demnach nur noch eine soziologische Anzeige dafür, bei welcher Art von Leuten jemand studiert hat, welche Bücher er genau gelesen hat und welcher intellektuelle Stil ihm liegt. 7 Dem Eingeborenen einer analytischen Kultur mag das so erscheinen. Der Fremde aber hat nicht nur Probleme der Übersetzung, die Entfernung hat auch Vorteile: Aus der Fremde sieht man das Andere besser. Ich möchte Rorty also widersprechen: Mindestens was die Art und Weise des Interpretierens klassischer Texte betrifft, sehe ich mehr als bloß stilistische Unterschiede zwischen analytischen Philosophen und den Anhängern der „kontinentalen" hermeneutischen Tradition. Analytische Interpretationen unterscheiden sich von der hierzulande immer noch dominierenden Zugangsweise zu Texten durch 7

Vgl. R . Rorty, „Bpistemological Behaviorism and the De-Transcendentalization of Analytic Philosophy": 117, sowie Rortys „Philosophy in America T o d a y " .

Analytische Interpretationen

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eine systematisch eingenommene meta-sprachliche Einstellung zur Begrifflichkeit der interpretierten Theorie. Analytische Philosophen praktizieren ganz selbstverständlich „semantic ascent" 8 , sie weigern sich konsequent, sich der Sprache der zu interpretierenden Theorie anzuvertrauen. Dahinter steht die Uberzeugung, daß, indem man der Sprache einer Theorie verhelftet bleibt, m a n der Theorie selber verhaftet ist. Begriffe sind gefrorene Überzeugungen, sie enthalten substantielle Prämissen. Wer die zentralen Begriffe einer Theorie bei ihrer Interpretation selber gebraucht, hat damit wesentliche Prämissen geschluckt. Seine Kritik kann nur noch i m m a n e n t e Kritik sein, sie kann keine Kritik sein im Horizont der Wahrheitsfrage. Wer über eine Theorie nur in ihren eigenen Ausdrücken spricht, hat sich der methodischen Distanz begeben, die nötig ist, u m ihre Stärken und Schwächen kritisch auszuloten. Demgegenüber ist die meta-sprachliche Einstellung ein Mittel, sich dem Bann von Theorien zu entziehen. Analytische Interpretationen sind systematisch orientiert, sie arbeiten so weit wie möglich mit begrifflichen Mitteln, die nicht die Mittel der interpretierten Theorie sind, dafür aber der Sprache unserer alltäglichen Verständigung nahe. Analytisches Interpretieren heißt Ubersetzen in die Sprache des Interpreten, und diese sollte möglichst allgemeinverständlich und allemal verständlicher sein als die Sprache der interpretierten Theorie. Zu analytischen Interpretationen gehört die durchgängige Orientierung an der Wahrheitsfrage. Die Frage: Was sagt der Autor? hat in ihrem Gefolge die Fragen, ob, was er sagt, stimmt; was seine Prämissen sind und ob sie stimmen; wie seine Argumente verlaufen und ob sie überzeugen können. Die Vermessenheit einer solchen Einstellung wird etwas gemildert durch die hermeneutische Trivialität - nachlesbar bei Gadamer und Davidson - , daß wir nur verstehen können, was uns als eine mögliche Position in der Sache erscheint. Wenn aber die Wahrheitsfrage den „Verstehenshorizont" mit konstituiert, kann sie so naiv, arrogant und illegitim nicht sein. Die Orientierung an der Wahrheitsfrage bedeutet, daß die folgenden Interpretationen in keiner Weise historische Interpretationen sind: Sie verfahren weder K a n t - i m m a n e n t entwicklungsgeschichtlich noch wirkungsgeschichtlich, sie sind auch nicht werkübergreifend in einem ideengeschichtlichen oder sonstwie philosophiegeschichtlichen Sinn. Sie versuchen auch keine E i n b e t t u n g der Kantischen Theorie in ihren gesellschaftlichen Kontext, verbunden e t w a mit einer ideologiekritischen Hinterfragung. Alles das sind legitime Zugangsweisen zu Texten. Es gibt nicht die einzig richtige Art, etwas zu tun, auch nicht beim Philosophieren. Aber meine Sache ist solch historisches Interpretieren nicht. Mich interessieren 8

Vgl. Q u i n e , W o r d a n d O b j e c t : 270 ff.

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Einleitung

philosophische Probleme, und ich lese die T e x t e der andern, u m mir b e i m Nachdenken über diese Probleme helfen zu lassen. Ich behandele K a n t wie einen zeitgenössischen Diskussionspartner, einen Teilnehmer a m h e u t i g e n „ D i s k u r s " - und bin selber erstaunt darüber, daß m a n das tun kann. Unterschiede zwischen uns und K a n t - durch verstrichene Geschichte gezeitigt - sind nicht überraschend. W a s überrascht, ist das Ahnliche. Unsere moralischen Intuitionen, d.h. unsere vortheoretischen Ü b e r z e u g u n g e n , sind noch z u m guten Teil die seinen. Ein G r u n d dafür ist gewiß, daß K a n t mit seiner Ethik unsere moralischen Intuitionen nachhaltig m i t g e p r ä g t h a t . Ich bin davon überzeugt, K a n t h ä t t e den respektlosen, d e m o k r a t i s c h republikanischen U m g a n g mit einem Klassiker wie ihm g e m o c h t . Einen Philosophen ernstzunehmen hieß auch für ihn, die W a h r h e i t s a n s p r ü c h e kritisch zu prüfen, die er erhebt.

1. Kapitel: Absichten

Kant beginnt den ersten Abschnitt seiner „Grundlegung" mit dem b e r ü h m t e n Diktum, daß „überall nichts in der Welt .. .zu denken möglich" ist, „was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille" (393). Diese These vom guten Willen als einzigem uneingeschränkt Guten h a t das Interesse der Interpreten so stark auf sich gezogen, daß eine zweite These, die ihr in Kants Abhandlung unmittelbar folgt, unverdient wenig Aufmerksamkeit erfahren hat: (2) Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirkt oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zu Erreichung irgend eines vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch das Wollen, d.i. an sich gut. (394) Ich nenne diese Behauptung die These vom „an sich guten Willen". Die Vernachlässigung dieser These ist deshalb erstaunlich, weil sie es ist, wordurch sich Kants Ethik von der anderen großen H a u p t s t r ö m u n g in der modernen Ethik grundsätzlich unterscheidet: Ich meine den Utilitarismus. Für Utilitaristen ist bezeichnend, daß sie genau die Position einnehmen, gegen die Kant sich (u.a.) absetzt: daß nämlich Handlungsfolgen für die moralische Beurteilung einer Handlung das Wesentliche sind. Die Frage nach der Frage. - Wille, Absicht,

Handlung

Jede These ist eine Antwort auf eine Frage. Um eine These besser zu verstehen, ist es deshalb oft hilfreich, sich klarzumachen, a u f w e i c h e Frage sie eine Antwort gibt. Welches also ist die Frage, die Kant durch seine These vom an sich guten Willen zu beantworten versucht? Bereits in der Einleitung habe ich Kants These vom an sich guten Willen als Antwort auf die Frage eingeführt, was genaugenommen ein einer Handlung moralisch beurteilt wird. Und diese Antwort wurde dort interpretiert als die Behauptung, es sei die Absicht des Handelnden, worauf sich das moralische Urteil über seine Handlung richtet. Ich nenne diese B e h a u p t u n g die gesinnungsethische Grundthese: (G) Was an einer Handlung moralisch beurteilt wird, ist die Handlungsabsicht.

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Absichten

S t i m m t denn aber die Interpretation der These vom an sich guten Willen im Sinne der gesinnungsethischen Grundthese? Und ist dies wirklich die Frage, auf die Kant hier antwortet? Und was ist ü b e r h a u p t der Sinn dieser Frage? Fragen dieser Art sind uns aus vielen Kontexten geläufig. So fragen wir immer dann, wenn eine komplexe Sache zur Beurteilung ansteht und nicht klar ist, an welchen ihrer Aspekte wir uns bei der Beurteilung zu halten haben. Auch Handlungen sind solche komplexen Gegenstände. Gewiß, es sind die Handlungen selber, die moralisch beurteilt werden. Aber mindestens zwei ihrer Aspekte kommen als das in Betracht, woran sich die moralische Beurteilung orientieren könnte: nämlich erstens die Absicht des Handelnden und zweitens die Handlungsfolgen. Entsprechend scheint es eine theoretische Alternative zu geben zwischen einer Folgenethik und dem, was ich eine Gesinnungsethik nennen möchte. 1 Der bereits erwähnte Utilitarismus ist das Paradigma einer Folgenethik, Kant ist das prominente Beispiel eines Gesinnungsethikers. 2 Diese theoretische Alternative und die Unterscheidbarkeit von Handlungsaspekten, auf der sie beruht, gibt der Frage, was an einer Handung genaugenommen moralisch beurteilt wird, ihren guten Sinn. Aber ist dies auch die Frage, auf die Kant mit der These vom an sich guten Willen antworten wollte? Kant sagt j a vom guten Willen, daß er nicht gut ist „durch das, was er bewirkt oder ausrichtet"; er redet nicht über Handlungen und darüber, wodurch sie gut sind. Dieser Einwand ist relativ leicht zu entkräften: 1. „Etwas wollen" heißt im allgemeinen (und im Gegensatz zum bloßen Wünschen): „etwas tun wollen". 3 Das gilt auch für ein gutes Wollen: „Nun ist freilich unleugbar, daß alles Wollen auch einen Gegenstand, mithin eine Materie haben müsse" (KprV: 34). - 2. Daß Kant in der These vom an sich guten Willen vom Willen sagt, wodurch er gut ist, und nicht von Handlungen, erklärt sich aus der sachlichen und rhetorischen A n k n ü p f u n g an die These (1) vom guten Willen als einzig uneingeschränktem G u t . Wenn von einem guten Willen gesagt wird, er sei uneingeschränkt gut, so ist es nur natürlich, 1

2

3

W i r w e r d e n s p ä t e r s e h e n , d a ß m a n n o c h m e h r als d i e s e b e i d e n P o s i t i o n e n d i f f e r e n zieren muß. Z u r R e c h t f e r t i g u n g d i e s e r N a m e n s g e b u n g siehe u n t e n i n d i e s e m K a p i t e l die l a n g e Fußnote über Kant und Max Weber. W i r s a g e n z w a r m a n c h m a l a u c h v o n D i n g e n , S a c h v e r h a l t e n u n d E r e i g n i s s e n , d&fi wir sie wollen. A b e r d a m i t ist d a n n e n t w e d e r n u r g e m e i n t , d a ß wir es g u t f ä n d e n , w e n n wir diese D i n g e b e s ä ß e n , w e n n die e n t s p r e c h e n d e n S a c h v e r h a l t e b e s t ü n d e n o d e r die b e s t i m m t e n E r e i g n i s s e e i n t r ä t e n : D a ist d a s „ W o l l e n " n u r d e r A u s d r u c k einer posit i v e n S t e l l u n g n a h m e . O d e r , wo es sich u m ein w i r k l i c h e s Wollen h a n d e l t , impliziert es d a s A u s g e r i c h t e t s e i n auf H a n d l u n g e n , u m die e r s t r e b t e n D i n g e z u e r l a n g e n , die e r w ü n s c h t e n Sachverhalte u n d Ereignisse herbeizuführen.

Die Frage n a c h der Frage

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d a r a n die Frage anzuschließen, wodurch dieser Wille gut ist: weis es ist, was ihn gut m a c h t . - 3. Es gibt andere Formulierungen K a n t s , die klarm a c h e n , daß er mit seiner T h e s e v o m an sich guten Willen auf die Frage d a n a c h a n t w o r t e n wollte, was an einer Handlung f ü r ihre moralische G ü t e relevant ist. So r e s ü m i e r t er die ersten Absätze des ersten A b s c h n i t t s der „ G r u n d l e g u n g " mit den W o r t e n , daß ein guter Wille „in der S c h ä t z u n g des ganzen W e r t e s unserer Handlungen immer o b e n a n s t e h t " (397 - meine Hervorh.). D e m n a c h geht es K a n t mit seiner T h e s e vom an sich guten Willen also tatsächlich u m die moralische Beurteilung von H a n d l u n g e n . Die „Schätzung des ganzen Wertes unserer H a n d l u n g e n " , das ist K a n t s Ausdruck f ü r ihre moralische Beurteilung. Daß ein guter Wille bei dieser Beurteilung „immer o b e n a n s t e h t " , kann nur heißen, (a) daß, was an einer H a n d l u n g beurteilt wird, das Wollen der H a n d l u n g ist, (b) daß die H a n d l u n g d a n n „hochgeschätzt" wird, also gut ist, wenn der Wille, sie a u s z u f ü h r e n , gut ist. Bleibt noch die Frage zu b e a n t w o r t e n , ob K a n t s Ausdruck „Wollen" durch den Ausdruck „ A b s i c h t " richtig wiedergegeben wird - u n d ob wir infolgedessen seine T h e s e v o m an sich guten Willen als die T h e s e interpretieren dürfen, es sei die Absicht des Handelnden, was an seiner H a n d l u n g moralisch beurteilt wird - u n d die Handlung sei gut, wenn die Absicht zu ihr gut (gewesen) ist. K a n t scheint dieser I n t e r p r e t a t i o n ausdrücklich zu widersprechen, wenn er wenig s p ä t e r im „ G r u n d l e g u n g s " - T e x t die Auffassung v e r t r i t t - das ist unsere T h e s e (3) - : ... eine Handlung aus Pflicht hat ihren moralischen Wert nicht in der Absicht, welche dadurch erreicht werden soll, sondern in der Maxime, nach der sie beschlossen wird, hängt also nicht von der Wirklichkeit des Gegenstandes der Handlung ab, sondern bloß von dem Prinzip des Wollens, nach welchem die Handlung ... geschehen ist. (399/400) K a n t charakterisiert hier offenbar seinen Gegner als j e m a n d e n , der das an einer H a n d l u n g moralisch Beurteilte in der Handlungsabsicht erblickt. Aber der Anschein t r ü g t . K a n t verwendet hier das W o r t „ A b s i c h t " in einem für uns ungewöhnlichen Sinn. 4 Aus d e m W o r t l a u t der T h e s e (3) geht hervor, d a ß K a n t mit der „Absicht" „die Wirklichkeit des Gegens t a n d e s der H a n d l u n g " m e i n t . Der Gegenstand einer Handlung, das ist das, Weis „ d a d u r c h erreicht werden soll", also ihr Zweck. Die Wirklichkeit des G e g e n s t a n d e s der H a n d l u n g darf m a n d a n n sicher als das Erreichen dieses Zweckes auffassen. Die „ A b s i c h t " einer Handlung, die durch sie erreicht werden soll - und die nach K a n t nicht dasjenige ist, worauf sich das 4

Seiner Zeit f r e i l i c h w a r diese W o r t v e r w e n d u n g geläufig.

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Absichten

moralische Urteil über die Handlung richtet -, ist demnach der erreichte Handlungszweck. Demgegenüber läßt unsere gewöhnliche Redeweise von Handlungsabsichten es offen, ob das Beabsichtigte (also der Handlungszweck) erreicht wird oder nicht. Der Gegenstand des Beabsichtigens (in unserem Sinn 5 ) ist ein intentionaler Gegenstand. Und für intentionale Gegenstände ist es charakteristisch, daß die Frage ihrer „Wirklichkeit" offen ist. Für die Interpretationsthese, daß Kant mit dem Ausdruck „Wollen" das meint, was für uns „Absichten" sind, spricht außerdem, daß man in Kants vielzitierter Unterscheidung von Wünschen und Wollen den Ausdruck „Wollen" durch „Beabsichtigen" ersetzen kann. Wo j e m a n d etwas bloß wünscht, kann man noch nicht von ihm sagen, daß er eine Absicht hat. Absichten sind auf bestimmte Handlungen zum Erreichen des Beabsichtigten gerichtet. Demgegenüber ist es gerade ein Mangel des bloßem Wünschens, nicht auf bestimmte Handlungen gerichtet zu sein. Kant wollte durch die Unterscheidung von bloßem Wünschen und wirklichem Wollen sicherlich das mögliche Mißverständnis ausräumen, als genügte nach seiner Auffassung für die positive moralische Beurteilung eines Verhaltens das bloße Hegen edler Absichten, unabhängig von der Bereitschaft zu entsprechenden Handlungen. Zu einem wirklichen Wollen und also auch zu Absichten im Sinne der gesinnungsethischen G r u n d t h e s e gehört mehr als die Bereitschaft, Absichten bloß zu bekunden. Zur Moralität ist allemal mehr erforderlich als passendes Gerede. Die Art, wie Kant den Unterschied von bloßen Wünschen und wirklichem Wollen expliziert, kann man zudem benutzen, u m einen naheliegenden Einwand gegen Kants These vom an sich guten Willen von vorneherein auszuschließen. Der Einwand bezweifelt, ob das Wollen des Handelnden wegen mangelnder öffentlicher Zugänglichkeit - ein geeigneter Gegenstand für die moralische Beurteilung von Handlungen sein könne. Dem kann man mit Kant entgegenhalten, daß mit diesem Wollen „nicht etwa ... ein bloßer Wunsch, sondern ... die Aufbietung aller Mittel, soweit sie in unserer Gewalt sind" (394), gemeint ist. Wollen ist kein „geistiger" Zustand, der sich der öffentlichen W a h r n e h m u n g und deshalb auch der öffentlichen Beurteilung entzieht. Für jemandes Wollen (wie natürlich auch für ein bloßes Wünschen) gibt es behaviorale Evidenzen, eben jene Aufbietung von Mitteln, von der Kant redet und die j a im Ergreifen der Mittel, also in Handlungen besteht. Vielleicht verlangt Kant mit der „Aufbietung aller 5

A u c h diese V e r w e n d u n g s w e i s e d e s A u s d r u c k s „ A b s i c h t " w a r K a n t u n d s e i n e r Zeit geläufig. M a n vergleiche n u r d e n S a t z , d e r in d e r " G r u n d l e g u n g " u n s e r e r T h e s e (2) folgt u n d i n d e m K a n t v o n e i n e m W i l l e n s p r i c h t , d e m es „ g ä n z l i c h a n V e r m ö g e n f e h l t e , seine A b s i c h t d u r c h z u s e t z e n " ( 3 9 4 ) .

Die Gegenpc«ition(en)

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Mittel" zu viel, um ein Wollen gegenüber einem bloßen Wünschen abzuheben; wahrscheinlich reichte es für die Zuschreibung eines Wollens, daß j e m a n d eine Handlung zu tun versucht, daß er sich anstrengt, sie auszuführen. Aber auch solche Versuche und Anstrengungen sind behavioral manifest. Der privilegierte Zugang, den jeder zu seinen eigenen Absichten hat, gibt ihm also kein epistemisches Monopol auf diesem Gebiet. Die Absicht als das an einer Handlung moralisch Beurteilte anzusehen, bedeutet deshalb nicht, das moralische Urteil von der subjektiven Willkür bei der Selbstzuschreibung von Absichten abhängig zu machen. Die Gegenposition

(en)

Bis hierher habe ich Kants These vom an sich guten Willen im Sinne der gesinnungsethischen Grundthese interpretiert, wonach an einer Handlung genaugenommen die Handlungsabsicht moralisch beurteilt wird und die Handlung dann moralisch gut ist, wenn die Absicht zu ihr eine gute war. Was aber bisher an der These vom an sich guten Willen noch uninterpretiert blieb, ist das, was ihr den Namen gibt: die Rede von einem Wollen, das „an sich" gut ist. Der Weg, diese Redeweise zu verstehen, f ü h r t über eine genaue Betrachtung des Gegners, von dem Kant sich absetzt. Es handelt sich dabei, wie wir gleich sehen werden, u m mehr als nur eine Gegenposition. Kant beschreibt seinen Gegner ausdrücklich in den zitierten Thesen (2) und (3) und versieht seine Beschreibung mit einem Negationszeichen. So heißt es in (2) vom guten Willen, er sei „nicht durch das, was er bewirkt oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zu Erreichung irgendeines vorgesetzten Zweckes" gut. Und in (3) heißt es von einer moralischen Handlung, sie habe „ihren moralischen Wert nicht in der Absicht, welche dadurch erreicht werden soll", ihr Wert hänge also „nicht von der Wirklichkeit des Gegenstandes der Handlung ab". Eine Handlung werde moralisch beurteilt „unangesehen aller Gegenstände des Begehrungsvermögens" (meine Hervorhebungen). K a n t s Gegner ist also jemand, der die hier negierten Aussagen behauptet. An Kants Beschreibungen seines Gegners fällt auf, daß sie in Wirklichkeit mehrere mögliche Gegenpositionen charakterisieren: ohne daß Kant dies beabsichtigt oder bemerkt zu haben scheint. Wenn Kant seinen Gegner als j e m a n d e n charaktisiert, der den moralischen Wert von Handlungen „in der Absicht" liegen sieht, „die dadurch erreicht werden soll", so ist damit ihr intendierter Zweck angesprochen. Und auch die „Gegenstände des Begehrungsvermögens", von denen Kants Gegner das moralische Urteil abhängig macht, sind intentionale Gegenstände des Handelns, also inten-

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Absichten

dierte Handlungszwecke. Denn sowohl von der Absicht, die erreicht werden soll, als auch von begehrten Gegenständen ist j a offen, ob sie tatsächlich erreicht werden. Jener Gegner hingegen, für den ein guter Wille gut ist „durch seine Tauglichkeit zu Erreichung irgendeines vorgesetzten Zwekkes", durch die „Wirklichkeit des Gegenstandes der Handlung" - durch den Handlungs-„Erfolg" (416) -, setzt die moralische G ü t e in den erreichten Handlungszweck. Wenn Kant hingegen seinen Gegner als j e m a n d e n charakterisiert, für den ein Wille gut ist „durch das, was er bewirkt oder ausrichtet", so scheinen unter diese Beschreibung auch die tatsächlichen Handlungsfolgen zu fallen. Ich habe soeben in kritischer Absicht die Unterscheidung von intendierten Handlungs«wecken, erreichten HandlungszwecJcen und tatsächlichen Handlungsfoigen in Kants Beschreibungen seines Gegners hineingetragen: u m dadurch deutlich zu machen, daß es sich in Wirklichkeit u m die Beschreibung dreier verschiedener möglicher Gegenpositionen handelt. Diese Unterscheidung ist erläuterungsbedürfig: 1. Ein Zweck, den man sich vorgesetzt (den man intendiert) hat, kann erreicht oder verfehlt werden. Entsprechend könnte j e m a n d (a) die moralphilosophische These vertreten, es käme für die moralische Würdigung einer Handlung allein auf den Zweck an (und seine Güte): unabhängig davon, ob er dann im Handeln auch realisiert wird oder nicht. Ein anderer (b) aber könnte es für die moralische Würdigung einer Handlung zusätzlich wichtig finden, ob der gute Zweck auch erreicht wurde. K a n t s Formulierungen für die Position seines Gegners passen teils auf die erste, teils auf die zweite Alternative. 2. Die Unterscheidung von (intendierten und erreichten) Zwecken einerseits und (tatsächlichen) Handlungsfoigen andererseits benötigt m a n aus dem trivialen Grund, daß Handlungen auch Folgen zeitigen, die nicht bezweckt waren. Und es könnte jemanden geben, der die Position vertritt, daß es für die moralische Beurteilung einer Handlung nicht auf subjektive Zwecksetzungen, sondern allein darauf ankommt, was (etwa für das Wohl und Wehe aller Betroffenen) bei einer Handlung tatsächlich herausk o m m t (c). Die Positionen (a) und (b) sind, wegen ihres Zweckbezuges, teleologische Ethiken. Die Positionen (b) und (c) sind zwei Versionen einer Erfolgsethik. Da sowohl Zwecke als auch Handlungsfolgen mögliche Materien des Wollens bzw. Handelns sind, nenne ich alle drei Positionen materiaJe Ethiken. Kants Stoßrichtung geht also gegen eine jede materiale Ethik, die Handlungszwecke oder -folgen als dasjenige betrachtet, worauf es für die moralische Beurteilung von Handlungen ankommt. Welches ist die Art der Entgegensetzung zwischen K a n t s Position u n d

F o r m a l e vs. mAteri&le E t h i k

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der, von mir differenzierten, Position einer materialen Ethik? Der P u n k t zwischen den Positionen betrifft die Frage der logischen Priorität zwischen den moralischen Beurteilungen verschiedener Handlungsaspekte: die Frage, was an einer Handlung zunächst und unabhängig von der Beurteilung anderer Handlungsaspekte moralisch beurteilt werden kann und muß. Kants Pointe gegenüber seinem Gegner liegt in der These, daß man nicht zuerst Zwecke bzw. Folgen moralisch beurteilen kann und darf, und dann erst und in der Konsequenz davon die Handlung (und die Handlungsabsicht). Welche Handlungszwecke und -folgen moralisch gut sind, das ist nach Kants Auffassung allererst abzuleiten aus der vorgängigen moralischen Beurteilung der Handlungsabsicht: „des Wollens selber". Die Differenzierung der materialethischen Gegenposition bringt nun aber ein Problem ans Licht, das Kant - bedingt wohl durch die undifferenzierte Beschreibung seines Gegners - in dieser Schärfe nicht gesehen hat: Ist seine eigene These, wonach das an einer Handlung moralisch Beurteilte die Absicht des Handelnden ist, denn überhaupt von jener Gegenposition unterscheidbar, für die an einer Handlung der intendierte Zweck das moralisch Beurteilte darstellt? Denn eine Absicht ist j a immer eine Absicht zu etwas (es ist „unleugbar, daß alles Wollen auch einen Gegenstand ... haben müsse": KprV: 34). Dieser (praktische) Gegenstand ist der intendierte Handlungszweck. In diesem aber hatte Kants Gegner dasjenige gesehen, woran sich die moralische Beurteilung einer Handlung orientiert. Der Versuch, Kants Position von der jenes Gegners abzuheben, wird die Pointe von Kants eigener Auffassung ans Licht bringen - und damit die Bedeutung seiner Redeweise, daß ein moralisches Wollen „an sich" gut ist. Formale vs. materiale

Ethik

Wie also unterscheidet sich Kants Position, wonach für die moralische Beurteilung einer Handlung die Handlungsabsicht den Ausschlag gibt, von der Position jenes Materialethikers, nach der die Beurteilung des intendierten HandlungszwecJcs über die Beurteilung der ganzen Handlung entscheidet? Für die Unterscheidung beider Positionen voneinander muß man voraussetzen, daß die Beurteilung der Handlungsabsicht und des Handlungszwecks unabhängig voneinander möglich ist. Und dies setzt wiederum voraus, daß man den Handlungszweck von der Absicht, „dem Wollen selber", unterscheiden kann. Sind diese Voraussetzungen erfüllt? Ich denke, ja. Klar scheint zunächst, daß man Handlungszwecke unabhängig von Absichten beschreiben kann. Man kann sie beschreiben und in der Folge beurteilen unabhängig davon, daß jemand sie sich zum Zweck

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Absichten

gesetzt, daß jemand sie in seine Absicht aufgenommen hat. Zwecke sind die intentionalen Gegenstände von Absichten. Da man sich überlegen kann, ob man einen solchen Gegenstand in seine Absicht aufnimmt, muß es auch möglich sein, ihn vor und unabhängig von der Aufnahme in jemandes Absicht zu beschreiben. Und da dieses Uberlegen in die Entscheidung einmünden kann, sich einen Zweck zu eigen zu machen (oder nicht), muß auch die Beurteilung eines Zweckes möglich sein unabhängig von seiner Aufnahme und seinem Auftreten in eine(r) Absicht. Außerdem ist ein solcher intentionaler Gegenstand wie z.B. das Unternehmen eines Osterspaziergangs ein möglicher Gegenstand so verschiedener intentionaler Einstellungen wie der des Meinens, des Wünschens, des Höffens, des Fürchtens usw. Auch wegen dieser Unabhängigkeit eines intentionalen Gegenstandes von seinem Vorkommen in bestimmten intentionalen Einstellungen kann man ihn unabhängig von diesen bestimmten Einstellungen beschreiben und beurteilen. Und deshalb kann jemand das Wollen eines Zwecks (die Absicht zu Z) als moralisch gut beurteilen wollen in der Konsequenz seiner vorgängigen positiven Beurteilung dieses Zwecks selber. Wenn ein Zweck gut ist, ist das ein Grund, ihn erreichen zu wollen. Und man mag dann die moralische Güte dieses Wollens herleiten von der Güte des Zwecks. Das ist die Position von Kants Gegner, deren Beschreibung bedeutet also keine Schwierigkeit. Kant hingegen würde sagen, wir könnten gar nicht feststellen, welche Zwecke moralisch gut sind, ohne die vorgängige Beurteilung der Absicht zu ihnen. Ohne die vorgängige Beurteilung der Handlungsabsicht wäre die moralische Beurteilung von Handlungzwecken reine Willkür. - Diese Position ist nicht so leicht zu verstehen. Wie kann man denn die Absicht, Z zu verfolgen, beurteilen - unabhängig von der Beurteilung von Z? Während es plausibel zu machen war, daß man einen Zweck unabhängig von einer entsprechenden Absicht beschreiben (und in der Folge beurteilen) kann, ist es klarerweise nicht möglich, eine Absicht zu beschreiben ohne die Angabe eines Zwecks. Wenn trotzdem die Beurteilung einer Absicht unabhängig sein soll von der Beurteilung des Zwecks - wie Kant beanspruchen muß - , worauf an der Absicht müßte sich die Beurteilung denn dann richten? Kants Antwort: Da die moralische Beurteilung einer Absicht, eines Wollens, nicht von dessen Zweck, nicht von seiner „Materie" abhängen darf, muß sie sich auf dessen „Form" richten, eine Form, die unabhängig vom Zweck beurteilbar sein muß. Es ist „die Form des Wollens" (444), nämlich die „Allgemeinheit desselben" (436), worauf sich die vorgängige moralische Beurteilung von Absichten (und in der Folge von Handlungen) nach Kants Auffassung richtet. Moralische Absichten werden „bloß

F o r m a l e vs. m a t e r i a l e E t h i k

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durch die gesetzliche Form der Maxime" bestimmt (KprV: 62). Die „Allgemeinheit" des Wollens, die „gesetzliche Form der Maxime", damit ist „die Tauglichkeit ... zum allgemeinen Gesetze" (444) gemeint, die Verallgemeinerbarkeit der Maxime, die einer Handlung zugrunde liegt. Eine Handlung moralisch zu beurteilen heißt also nach Kant, die Handlungsabsicht daraufhin anzusehen, ob sie die formale Eigenschaft hat, verallgemeinerbar zu sein. Und nur wenn das Wollen die Form der Verallgemeinerbarkeit hat und aufgrund dessen gut ist, ist auch das darin Gewollte, der Handlungszweck gut. Es ist also die Form des Wollens, die die Moralität von Zwecken b e s t i m m t . Die Verallgemeinerbarkeit von Absichten bzw. Maximen erfüllt eine Auswahlfunktion für das Herausfinden guter Handlungszwecke (und guter Handlungen). Jetzt können wir auch verstehen, was Kant mit seiner Rede vom „an sich" guten Willen meint. Ein guter Wille, eine moralische Absicht ist nicht aufgrund dessen gut, daß etwas anderes gut ist. Er ist nicht gut in der Konsequenz anderer moralischer Beurteilungen über andere Handlungsaspekte. Ein guter Wille h a t seinen Wert nicht durch etwas anderes, er hat in diesem Sinn einen Eigenwert. Er ist nicht-inferentiell gut, d.h. er ist nicht gut aufgrund von Inferenzen, die zwischen seiner Beurteilung und der Beurteilung von anderem, speziell von Handlungszwecken und -folgen, bestehen. 6 Wodurch aber wird diese nicht-inferentielle Güte eines guten Willens b e s t i m m t , wenn sie nicht von der Güte von etwas anderem abgeleitet ist? Denn durch irgend etwas muß sie doch festgestellt werden! Und auch ein guter Wille muß doch aufgrund von irgendetwas gut sein! Was nach K a n t die G ü t e eines an sich guten Willens ausmacht, ist wiederum seine Form, die „Form des Wollens": „Der schlechterdings gute Wille ... wird also, in Ansehung aller Objekte unbestimmt, bloß die Form 6

V g l . d a z u P a t o n , D e r K a t e g o r i s c h e I m p e r a t i v : 35; sowie B e c k , A C o m m e n t a r y o n K a n t ' s ' C r i t i q u e of P r a c t i c a l R e a s o n ' : 134. — M e i n e R e d e w e i s e v o n d e r n i c h t i n f e r e n t i e l l e n G ü t e e i n e s g u t e n W i l l e n s ist der U n t e r s c h e i d u n g v o n i n f e r e n t i e l l e m u n d n i c h t - i n f e r e n t i e l l e m W i s s e n e n t l e h n t , die in d e r E r k e n n t n i s t h e o r i e g e l ä u f i g ist. E i n e a n a l o g e U n t e r s c h e i d u n g h a t B e m a r d W i l l i a m s in s e i n e m U t i l i t a r i s m u s - B u c h g e t r o f f e n : A C r i t i q u e of U t i l i t a r i a n i s m : 82 ff. W i l l i a m s u n t e r s c h e i d e t z w i s c h e n d e m konsequentiellen u n d d e m nicht-konsequentiellen, intrinsischen Wert von Handlung e n u n d a n d e r e m . - V o n W i l l i a m s k a n n m a n e i n e n P u n k t ü b e r n e h m e n u n d i n mein e r R e d e w e i s e r e f o r m u l i e r e n , d e n e r i m Z u s a m m e n h a n g m i t seiner U n t e r s c h e i d i m g m a c h t (83): N i c h t alles k a n n i n f e r e n t i e l l g u t sein, i r g e n d e t w a s m u ß f ü r j e d e E t h i k e i n e n n i c h t - i n f e r e n t i e l l e n W e r t h a b e n . D e n n s o n s t k ä m e eine m o r a l i s c h e n B e u r t e i l u n g n i e a n ein E n d e , u n d es g ä b e g a r k e i n e m o r a l i s c h e n B e u r t e i l u n g e n . M a n k a n n die v e r s c h i e d e n e n E t h i k e n u . a . d a d u r c h u n t e r s c h e i d e n , w a s f ü r sie jeweils e i n e n n i c h t i n f e r e n t i e l l e n W e r t h a t . U n d ä h n l i c h wie i n d e r E r k e n n t n i s t h e o r i e , wo es P r o b l e m e m a c h t , z u s a g e n , a u f g r u n d w o v o n n i c h t - i n f e r e n t i e l l e s W i s s e n seine e p i s t e m i s c h e A u t o r i t ä t h a t , ist i n d e r E t h i k d a s P r o b l e m v i r u l e n t , a u f g r u n d w o v o n d a s n i c h t - i n f e r e n t i e l l G u t e g u t ist.

20

Absichten

des Wollens ü b e r h a u p t e n t h a l t e n " ( 4 4 4 ) . 7 Die „ F o r m des W o l l e n s " , d.i. die „ A l l g e m e i n h e i t d e s s e l b e n " (436). Diese Allgemeinheit des Wollens ist d a s j e n i g e , w a s K a n t s K a t e g o r i s c h e r I m p e r a t i v für die M o r a l i t ä t v o n H a n d l u n g e n vorschreibt: seine V e r a l l g e m e i n e r b a r k e i t für alle ( b e t r o f f e n e n ) P e r s o n e n . E i n guter Wille, d a s ist für K a n t a m E n d e ein Wollen nach d e m Kategorischen Imperativ: Wir können nunmehr da endigen, von wo wir im Anfange ausgingen, nämlich dem Begriffe eines unbedingt guten Willens. Der Wille ist schlechterdings gut, der nicht böse sein, mithin dessen Maxime, wenn sie zu einem allgemeinen Gesetze gemacht wird, sich selbst niemals widerstreiten kann. Dieses Prinzip ist also auch sein oberstes Gesetz: handle jederzeit nach derjenigen Maxime, deren Allgemeinheit als Gesetzes du zugleich wollen kannst (437). Die R e d e v o m A n - s i c h - G u t e n eines guten Willens ist also j e d e n f a l l s so zu verstehen, daß ein g u t e r Wille nicht relational g u t ist, also d u r c h seine R e l a t i o n zu einem a n d e r e n G u t e n , von d e m er seine G ü t e beziehen w ü r d e . S o n d e r n ein guter Wille ist g u t durch e t w a s an ihm selber, d a s i h m inhäriert, ihm „ i n t r i n s i s c h " ist: nämlich seine moralische Form. Hier ist der geeignete O r t , u m ein Mißverständnis a u s z u r ä u m e n , d a s K a n t s T h e s e v o m an sich g u t e n Willen häufig erfahren h a t . D a s Mißv e r s t ä n d n i s besteht in der A u f f a s s u n g , nach K a n t h a b e ein m o r a l i s c h e r , a n sich guter Wille keinen G e g e n s t a n d , keine M a t e r i e ; mit einem solchen Willen verfolge m a n keinen Zweck. E i n korrespondierendes M i ß v e r s t ä n d nis betrifft die A u f f a s s u n g kategorischer I m p e r a t i v e . Diese werden in A b s e t z u n g zu hypothetischen I m p e r a t i v e n m a n c h m a l als solche F o r d e r u n g e n a u f g e f a ß t , die gebieten, b e s t i m m t e H a n d l u n g e n ohne Rücksicht a u f Zwecksetzungen auszuführen. K a n t a u f diese Weise zu interpretieren, heißt aber, ihm eine völlig unv e r s t ä n d l i c h e , j a a b e r w i t z i g e A u f f a s s u n g zuzuschreiben. Denn es g i b t j a kein Wollen ohne ein Gewolltes, es gibt kein H a n d e l n , mit d e m nicht e t w a s b e z w e c k t wird. K a n t war diese T a t s a c h e so s e l b s t v e r s t ä n d l i c h , daß er sie k a u m einmal e r w ä h n t h a t . U m d a s beschriebene Mißverständnis a u s z u schließen u n d den P u n k t hervorzuheben, schreibt er immerhin e i n m a l in der K p r V : Nun ist freilich unleugbar, daß alles Wollen auch einen Gegenstand, mithin eine Materie haben müsse (34) -

alles Wollen, also auch ein m o r a l i s c h e s . U n d er f ä h r t fort: aber diese (Materie - Einf. H.K.) ist darum nicht eben der Bestimmungsgrund und Bedingung der Maximme (a.a.O.). 7

Entsprechend heißt es in der KprV (74), „daß die bloße praktische Form, die in der Tauglichkeit der Maximen zur allgemeinen Gesetzgebung besteht, zuerst das, was an sich und schlechterdings gut ist, bestimme".

F o r m a l e vs. m a t e r i a l e E t h i k

21

Und wenige Zeilen später heißt es über eine gesetzmäßige, verallgemeinerbare (also moralische) Maxime: Also kann zwar die Materie der Maxime bleiben, sie muß aber nicht die Bedingung derselben sein, denn sonst würde diese nicht zum Gesetze taugen. Also die bloße Form eines Gesetzes, welches die Materie einschränkt, muß zugleich ein G r u n d sein, diese Materie zum Willen hinzuzufügen, aber sie nicht vorauszusetzen. ( A . a . O . )

Mit „Maximen" meint Kant hier und überhaupt (wie wir im 2. Kapitel sehen werden) Sätze, die allgemeine Absichten zum Ausdruck bringen. Was er hier über generelle Absichten sagt, gilt auch für einzelne. Der Punkt ist also nicht, daß ein gutes Wollen keinen Zweck verfolge, sondern daß dieser Zweck, genauer: daß ein moralisches Werturteil über diesen Zweck, nicht die Güte des Wollens bestimmt. Vielmehr bestimmt die Güte des Wollens die Güte des Gewollten. Der „Begriff eines an sich selbst hochzuschätzenden ... guten Willens" (397) bedeutet nicht, daß mit diesem Wollen keine Absicht, kein Zweck verfolgt würde, sondern daß damit keine „weitere Absicht" (a.a.O. - meine Hervorh.) verfolgt wird; ganz genau genommen: daß damit keine weitere Absicht verfolgt wird, aufgrund von deren Güte der Wille gut wäre. Man muß also wohl die folgenden Positionen unterscheiden: (1) Moralische Handlungen/Absichten verfolgen keinen Zweck. (2) Moralische Handlungen/Absichten verfolgen keinen weiteren

Zweck.

(3) Moralische Handlungen/Absichten sind nicht gut aufgrund der Güte eines weiteren Zwecks. Die These (1) ist diejenige, die ich unverständlich und aberwitzig genannt habe. These (2) scheint feilsch, und zwar in ihren beiden möglichen Lesarten. Man kann die These auffassen als eine über den Begriff moralischer Handlungen: (2a) Handlungen dürfen, wenn sie moralisch genannt werden sollen, keine weiteren Zwecke verfolgen. Und man kann die These normativ lesen: (2b) Man darf mit moralischen Handlungen keine weiteren Zwecke verfolgen. Aber erstens kann man natürlich mit moralischen Handlungen und Absichten noch weitere Absichten verfolgen. Und zweitens ist dies auch moralisch unbedenklich, sofern diese weiteren Zwecke selber moralisch einwandfrei sind - und sofern nicht beansprucht wird, daß Handlungen/Absichten durch diese weiteren Zwecke ihre moralische Güte erhalten. Kant vertritt m.E. die These (3). Mit dieser These wäre vereinbar eine These

22 (4)

Absichten

Moralische Handlungen/Absichten sind moralisch gut nicht durch einen weiteren, sondern durch ihren eigenen Zweck, den sie verfolgen.

D m wäre die These jenes Materialethikers, für den das an einer Handlung primär moralisch zu Beurteilende die intendierten Handlungszwecke sind. K a n t vertritt demgegenüber zusammen mit These (3) die These: (5)

H a n d l u n g e n / A b s i c h t e n haben ihre moralische G ü t e überhaupt nicht durch die G ü t e eines Handlungszweckes (einer Materie), sondern durch die Form des Wollens: durch seine Verallgemeinerbarkeit.

K a n t s P u n k t ist also nicht, daß mit moralischen Absichten und Handlungen keine Zwecke verfolgt würden, sondern daß es für ihre Güte nicht auf die vorher irgendwie feststehende oder festzustellende G ü t e von Zwekken a n k o m m t . Vielmehr kommt es auf die Form des Wollens an, und welche Zwecke gut sind, ergibt sich erst aus der vorgängigen Feststellung, ob ein Wollen die moralisch relevante Form hat, verallgemeinerbar zu sein. Ein Zweck Z ist nur gut, wenn das Wollen von Z verallgemeinerbar ist. W a s hier für moralische Absichten bzw. Handlungen gesagt wurde, gilt analog für die moralischen Forderungen, in denen solche Handlungen vorgeschrieben werden. Diese von Kant sogenannten kategorischen Imperative unterscheiden sich von den hypothetischen nicht dadurch, daß letztere mit Bezug auf Zwecksetzungen ergehen, und erstere nicht. Vielmehr schreibt Kant: Der kategorische Imperativ würde der sein, welcher eine Handlung als für sich selbst, ohne Beziehung auf einen anderen Zweck, als objektiv-notwendig vorstellte. (414 - meine Hervorh.)

Der Akzent liegt m.E. also auf dem „anderen". Entsprechend heißt es 415: Der kategorische Imperativ, der die Handlung ohne Beziehung auf irgend eine Absicht, d. i. ohne irgend einen anderen Zweck, für sich als objektiv notwendig erklärt ... (meine Hervorh.)

Der Relativsatz in diesem Zitat ist eine der Quellen des Mißverständnisses; der d a r a u f f o l g e n d e erläuternde Satzteil („d. i ") schafft aber die erforderliche Klarheit, u m die unsinnige Interpretation zu vermeiden. Ein drittes und letztes Zitat: Endlich gibt es einen Imperativ, der, ohne irgend eine andere durch ein gewisses Verhalten zu erreichende Absicht als Bedingung zum Grunde zu legen, dieses Verhalten unmittelbar gebietet. Dieser Imperativ ist kategorisch. (416; erste Hervorhebung von mir.)

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K a n t s A r g u m e n t gegen eine m a t e r i a l e E t h i k

Auch kategorische Imperative gebieten also Handlungen, mit denen Zwecke verfolgt werden: sonst wären sie keine Handlungen. Aber sie geZwecke, bieten Handlungen nicht mit Bezug auf weitere, vorausgesetzte die dann „als Bedingung" (a.a.O.) dem Imperativ „zum Grunde" liegen würden. Solche Bedingungen würden besagen, daß die gebotenen Handlungen nur ausgeführt werden müßten, wenn man sich den weiteren Zweck (zu dem sie Mittel sind) zu eigen machte. Derart gebotene Handlungen wären dann „bloß wozu anders als Mittel g u t " , sie wären, wenn überhaupt moralisch gut, nur gut aufgrund der Güte des Zwecks, zu dem sie Mittel sind; sie würden demzufolge nicht, wie die von kategorischen Imperativen gebotenen Handlungen, „als an sich gut vorgestellt." (414) Kants

Argument

gegen

eine

materielle

Ethik

Hat Kant für seine These von der nicht-inferentiellen Güte eines guten Willens ein Argument? Oder hat er, was auf dasselbe hinausliefe, ein Argument für die gesinnungsethische Grundthese, daß das an einer Handlung vorgängig moralisch Beurteilte die Handlungsabsicht ist? In der „Grundlegung" findet man es nicht. Aber in der „Kritik der praktischen Vernunft" führt Kant ein Argument gegen seinen Gegner, den Materialethiker - und damit indirekt ein Argument für seine eigene, gesinnungsethische Position. Man findet das Argument in dem Hauptstück „Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft"oder es läßt sich doch aus einigen Passagen dieses Kapitels (re-)konstruieren: 8 W e n n der B e g r i f f d e s G u t e n nicht von e i n e m v o r h e r g e h e n d e n

praktischen

G e s e t z e a b g e l e i t e t w e r d e n , s o n d e r n d i e s e m v i e l m e h r z u m G r u n d e d i e n e n soll,

- das ist eine Beschreibung dessen,

WEIS

Kants Gegner sagt -

so kann er nur der B e g r i f f von e t w a s sein, d e s s e n E x i s t e n z L u s t verheißt u n d so die K a u s a l i t ä t d e s S u b j e k t s zur H e r v o r b r i n g u n g d e s s e l b e n , d. i. d a s B e g e h r u n g s v e r m ö g e n s , b e s t i m m t . Weil es nun u n m ö g l i c h i s t a priori e i n z u s e hen, welche V o r s t e l l u n g m i t Lust, w e l c h e h i n g e g e n m i t Unlust w e r d e b e g l e i t e t s e i n , so k ä m e es l e d i g l i c h auf E r f a h r u n g a n , es a u s z u m a c h e n , w a s u n m i t t e l b a r g u t o d e r b ö s e sei ( K p r V : 5 8 ) . . . , d a r a u s n i m m e r m e h r ein a p r i o r i a l l g e m e i n gebietendes moralisches Gesetz entspringen kann ( a . a . O . : 65).

Es würde aber d e r P h ü o s o p h , der sich g e n ö t i g t g l a u b t e , ein G e f ü h l d e r L u s t s e i n e r p r a k t i s c h e n B e u r t e i l u n g z u m G r u n d e zu l e g e n , gut n e n n e n , w a s ein Mittel g e n e h m e n , u n d Böses, ist (a.a.O.: 8

zum An-

w a s U r s a c h e der U n a n n e h m l i c h k e i t u n d d e s S c h m e r z e s

58).

In d e m K o m m e n t a r von Beck ist das A r g u m e n t als ein solches nicht e r w ä h n t .

24

Absichten

Und noch einmal: Es würden dann die praktischen M a x i m e n , die aus dem ... Begriffe des G u t e n bloß als Mittel folgten, nie etwas für sich selbst, sondern i m m e r nur irgend wozu Gutes zum G e g e n s t a n d e des Willens enthalten: das G u t e würde jederzeit bloß das Nützliche sein, und das, wozu es nutzt, müßte allemal außerhalb dem Willen in der Empfindung liegen ( a . a . O . : 59).

Man kann Kants Argument folgendermaßen reformulieren: Wenn ein Materialethiker das Urteil über die Moralität einer Handlung von der vorgängigen Beurteilung des Handlungszwecks abhängig mache, dann wäre 1. das moralische Urteil immer empirisch: Denn die Kenntnis des vorab beurteilten Gegenstandes ist eine empirische Erkenntnis. Moralische Urteile aber sind nicht-empirisch, a priori. 2. Der vorab als „gut" beurteilte Handlungszweck wäre nicht im moralischen Sinne „gut", sondern nur im Sinne des Angenehmen. 3. Auch die Handlung, durch deren Ausführung der vorab als „gut" beurteilte Zweck erreicht wird, wäre nicht im moralischen, sondern nur in einem instrumenteilen (kausalen) Sinn gut: gut als Mittel zur Hervorbringung des Zwecks. Sein Gegner, so könnte Kant resümieren, verwende also das Wörtchen „gut" gar nie in einem moralischen Sinn. Er vertrete also in Wirklichkeit gar keine moralphilosophische Position. Kants Argument vermag aber nicht zu überzeugen: Ad 1. Kants erster Punkt beruht auf seinem ethischen Apriorismus. Danach sind alle moralischen Urteile und Imperative - und erst recht der Kategorische Imperativ - praktisch-synthetische Sätze a priori. In dem zitierten Text vertritt Kant diesen Apriorismus in einer besonders starken Version (KprV: 58), nach der das moralische Urteil über einen Gegenstand überhaupt nicht von dessen empirischer Kenntnis abhängen dürfte. - Es läßt sich zeigen, daß die Charakterisierung moralischer Urteile als a priori gänzlich deplaziert ist. Ich kann das hier nicht ausführen und verweise auf meinen Aufsatz „Die Grundzüge der Kantischen Ethik". 9 Ad 2: Warum soll es nicht wenigstens möglich sein, Handlungszwecke als die primären Gegenstände des moralischen Urteils über Handlungen anzusehen? Ob diese Anschauung möglich ist und ob eine solche vorgängige Beurteilung von Handlungszwecken eine moralische Beurteilung ist, das hängt allein davon ab, ob der Materialethiker über ein Beurteilungsverfahren verfügt, das als ein moralisches ausweisbar und auf Handlungszwecke anwendbar ist. Falls er über ein solches Beurteilungsverfahren (man denke 9

Forthcoming; vgl. darin den Abschnitt „Apriorismus".

K a n t s Argument gegen eine materiale E t h i k

25

an ein utilitaristisches Kalkül) verfugt, gibt es keinen Grund dagegen, die so beurteilten Zwecke als „moralisch gut" zu bezeichnen. Ad 3: Wenn das vorgängige Urteil über einen Handlungszweck als ein moralisches Urteil ausgewiesen werden kann, dann gibt es keinen Grund, nicht auch die Handlung als „moralisch gut" zu bezeichnen, die diesen Zweck herbeiführt. Warum soll Kants Gegner eine Handlung nur in einem instrumentellen Sinn von „gut" gutfinden können? Gewiß, die Handlung ist für ihn auch gut als Mittel. Aber das gilt für jede Handlung. Auch moralische Handlungen sind natürlich zu etwas anderem gut, also mögliche Mittel zur Erreichung von Zwecken. Das muß auch Kant annehmen, wenn er möchte, daß moralische Handlungen (wie immer die Beurteilung funktioniert) kausal wirksam sind. Weis aber Kant für seine eigene Theorie sinnvollerweise unterstellen muß, das darf er seinem Gegner nicht vorwerfen. Die Art, wie Kant seinen Gegner kritisiert, kann uns darauf aufmerksam machen, daß er ihn schon in der These (2) vom an sich guten Willen unzutreffend charakterisiert hat. Seine Beschreibung des Gegners ist nicht nur ungenau und undifferenziert, sondern falsch: Wenn Kant ihn als jemanden anschwärzt, für den ein guter Wille gut ist „durch seine Tauglichkeit zu Erreichung irgendeines vorgesetzten Zweckes" (394), so beschreibt er ihn hier schon als jemanden, für den ein guter Wille nur in einem instrumentellen Sinn gut ist. Ein solcher Wille wäre nur „gut für ....", nur gut als Mittel zum Zweck. Dagegen ist für Kant ein guter Wille „nicht etwa in anderer Absicht als Mittel, sondern an sich selbst" gut (396). Das aber ist eine ganz schiefe Gegenüberstellung, damit beschreibt Kant nicht nur seinen Gegner, sondern sogar seine eigene Position falsch: Daß ein guter Wille an sich gut ist, heißt nicht, daß er „nicht für etwas anderes gut" ist, sondern es heißt vielmehr, daß er nicht durch etwas anderes gut ist: daß er nicht deshalb gut ist, weil etwas anderes gut ist. 1 0 Und die relevante moralphilosophische Gegenposition sagt nicht nur, daß ein guter Wille „für etwas anderes" gut ist. Das sagt Kants Gegner auch, aber auch Kant muß das sagen. Kants Gegner macht nicht einen guten Willen zum bloßen Mittel für einen Zweck, sondern er macht das Urteil über die moralische Güte eines Willens zu einer Funktion des Urteils über die Güte des Handlungszwecks. Während umgekehrt Kant das moralische Urteil über alle anderen Handlungsaspekte zu einer Funktion des Urteils über das Wollen selber macht. 10

M a n c h m a l sagt K a n t von einem an sich guten Willen auch, daß er „in aller Absicht g u t " ist ( K p r V : 74). D a m i t ist gemeint, daß ein guter Wille gut ist, egal, was man sonst will. D a s leuchtet ein: Wenn ein guter Wille nicht durch etwas anderes gut ist, ist er gut unabhängig davon, was man sonst für gut hält und deshalb erstrebt.

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Absichten

Die Position von K a n t s G e g n e r m a g j a falsch sein. Aber sie ist n i c h t d e s h a l b falsch, weil sie d a s W ö r t c h e n „ g u t " n i c h t in einem m o r a l i s c h e n Sinn b e n u t z t oder b e n u t z e n k a n n . Sie ist also t a t s ä c h l i c h eine moralphilosophische Position, ein allemal r e s p e k t a b l e r G e g n e r . Weit gefehlt, d a ß K a n t diesen Gegner m i t s e i n e m A r g u m e n t widerlegt h ä t t e . Zwischenbetrachtung:

(a) Der gute

Wille als oberstes

Gut

Bisher h a b e ich in diesem K a p i t e l K a n t s g e s i n n u n g s e t h i s c h e G r u n d t h e s e expliziert bzw. seine T h e s e (2), w o n a c h ein g u t e r Wille an sich g u t sein soll. A u ß e r d e m h a b e ich seine Position mit ihrer m a t e r i a l e t h i s c h e n A l t e r n a t i v e - wie sich zeigte, h a n d e l t es sich u m m e h r e r e G e g e n p o s i t i o nen - k o n f r o n t i e r t . Zuletzt w u r d e ein A r g u m e n t vorgestellt u n d kritisiert, d a s K a n t f ü r seine eigene P o s i t i o n v o r b r i n g t . Bevor ich zur systematischen Diskussion seiner Position ü b e r g e h e , schiebe ich eine Z w i s c h e n b e t r a c h t u n g ein ü b e r K a n t s T h e s e (1) v o m g u t e n Willen als einzigem u n e i n g s c h r ä n k t G u t e n . Die T h e s e l a u t e t : (1)

Es ist überall nichts in der Welt, j a ü b e r h a u p t a u c h außer derselben zu denken möglich, weis o h n e E i n s c h r ä n k u n g für g u t k ö n n t e g e h a l t e n w e r d e n , als allein ein guter Wille. (393)

Die A u f m e r k s a m k e i t , die diese T h e s e g e f u n d e n h a t , ist vielleicht ein A u s d r u c k ihrer existentiellen B e d e u t s a m k e i t . W i e so oft a b e r , so a u c h hier, ist deren Kehrseite ein Defizit an K l a r h e i t : M a n k a n n bezweifeln, o b die Frage, auf die K a n t mit seiner T h e s e a n t w o r t e n wollte, einen k l a r e n u n d g u t e n Sinn h a t . W a s ist mit der T h e s e (1) g e m e i n t 1 1 , u n d wie v e r h ä l t sie sich zur T h e s e (2) v o m a n sich g u t e n Willen? Besagt sie dasselbe o d e r e t w a s a n d e r e s als die letztere? Die Frage, auf die K a n t m i t seiner T h e s e (1) a n t w o r t e t , ist n i c h t n u r die Frage n a c h d e m uneingeschränkt G u t e n , s o n d e r n sie ist zugleich die F r a g e n a c h d e m höchsten - weil einzig u n e i n g e s c h r ä n k t e n - Gut: in einer freilich zu differenzierenden B e d e u t u n g des „ H ö c h s t e n " . So schreibt K a n t : Dieser (an sich selbst gute - meine Einfügung) Wille darf also nicht das einzige und das ganze, aber er muß doch das höchste Gut und zu edlem übrigen ... die Bedingung sein (396 - meine Hervorh.). U m sich den g e n a u e n Sinn der Frage n a c h d e m „ h ö c h s t e n " G u t k l a r z u m a chen, m u ß m a n z u n ä c h s t eine „ Z w e i d e u t i g k e i t " beseitigen, die der „Begriff des H ö c h s t e n e n t h ä l t " ( K p r V : 110). Mit d e m „ H ö c h s t e n " k a n n e n t w e d e r 11

V e r s c h i e d e n e M ö g l i c h k e i t e n , die T h e s e z u v e r s t e h e n , d i s k u t i e r t K a r l A m e r i k a : K a n t o n G o o d Will.

Der gute Wille &ls oberstes Gut

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das „ O b e r s t e " oder das „Vollendete" gemeint sein. Man kann sich diese Unterscheidung folgendermaßen verdeutlichen: Wenn man alle Güter auf einer Skala anordnen könnte, dann wäre dasjenige mit dem größten Wert auf der Skala das oberste Gut. Das oberste ist dasjenige Gut, das wir wählen würden, wenn wir von allen Gütern nur eines wählen dürften. DM „vollendete" Gut wäre demgegenüber die Zusammenfassung derjenigen Güter, die man wählen würde, wenn man mehrere zusammen wählen dürfte: freilich unter der einschränkenden Bedingung der Verträglichkeit der anderen Güter mit dem obersten (d.i. der Moralität). Gemäß dieser Unterscheidung ist für Kant ein guter Wille das oberste Gut: „die oberste Bedingung alles dessen, was uns nur wünschenswert scheinen mag" (a.a.O.). Das vollendete Gut hingegen sind „Tugend und Glückseligkeit zusammen ..., hiebei aber ... Glückseligkeit ganz genau, in Proportion der Sittlichkeit ... ausgeteilt" (a.a.O.). Bis zu dieser Stelle in der „Kritik der praktischen Vernunft" hatte Kant selber nur undifferenziert vom „höchsten" Gut geredet (vgl. KprV: 64); so auch in der „Grundlegung", wie die eben zitierte Stelle (396) belegt. 1 2 Der Sache nach aber ist die Unterscheidung in der „Grundlegung" bereits da, wenn er etwa vom guten Willen sagt, er sei zwar „nicht das einzige und das ganze, aber ... doch das höchste G u t " . (396) Das „ganze" Gut ist in der Terminologie der zweiten „Kritik" das „vollendete"; was Kant hier das „höchste" Gut nennt, ist dort das „oberste". Kants These (1) vom uneingeschränkt guten Willen ist also seine Antwort auf die Frage nach dem obersten Gut. Kant spricht einem guten Willen eine Reihe von Attributen zu, die erklären sollen, was es heißt, daß er das „oberste" Gut ist. Ein uneingeschränkt guter Wille ist danach „ohne Einschränkung" gut, „schlechthin gut" (393 f.) und „in aller Absicht gut" (KprV: 74). Er hat einen „inneren", „unbedingten", „absoluten Wert" (393 f.). Diese Attribute eines guten Willens hängen bedeutungsmäßig zusammen: Wenn ein Wille „absolut" gut ist, dann ist seine Güte nicht relativ auf Bedingungen und deshalb in diesem Sinne „unbedingt". Solche Bedingungen wären Einschränkungen seiner Güte, also ist er „uneingeschränkt" gut. Wenn ein guter Wille nicht unter der Bedingung (der Güte) von etwas anderem, ihm äußerlichem, gut ist, dann ist er „intrinsisch" gut, dann hat er einen „inneren" Wert und ist in diesem Sinne „an sich" gut. Daß ein guter Wille - als das oberste Gut - „ohne Einschränkung" gut 12

Vgl. auch 401: „... und es brauchte also dazu nicht des Willens eines vernünftigen Wesens, worin gleichwohl das höchste und unbedingte Gute allein angetroffen werden kann." (Meine Hervorh.)

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Absichten

ist, heißt also nichts anderes, als daß er „ a n s i c h " gut ist. D a n n kann m a n seine G ü t e auch mit der obigen E r k l ä r u n g des „ A n - s i c h - G u t e n " explizieren: Der g u t e Wille als o b e r s t e s , u n e i n g e s c h r ä n k t e s G u t ist nicht durch e t w a s a n d e r e s g u t , also nicht d a d u r c h u n d d e s h a l b , weil e t w a s a n d e r e s g u t ist. Vielmehr ist er die B e d i n g u n g d a f ü r , daß anderes gut ist. Heißt d a s nun, daß die T h e s e (1), interpretiert als die T h e s e v o m g u t e n Willen als oberstem G u t , b e d e u t u n g s g l e i c h mit der T h e s e v o m an sich g u t e n Willen i s t ? W i e verhalten sich die beiden T h e s e n z u e i n a n d e r ? Wenn der g u t e Wille d a s oberste G u t ist, d a n n muß er a u c h an sich g u t sein. Denn wenn er nicht an sich, sondern durch e t w a s a n d e r e s g u t wäre, d a n n wäre dieses andere ein höheres G u t , und er wäre nicht d a s o b e r s t e . Die T h e s e (1) impliziert also T h e s e ( 2 ) . 1 3 D a s U m g e k e h r t e aber gilt nicht. D a ß ein guter Wille a n sich gut ist, impliziert nicht, d a ß er d a s o b e r s t e G u t ist: Denn es k ö n n t e außer ihm noch andere G ü t e r geben, die auch an sich g u t sind. K a n t b e h a u p t e t a b e r in der T h e s e (1), daß „allein ein guter W i l l e " ohne E i n s c h r ä n k u n g g u t ist. T h e s e (1) ist also s t ä r k e r als T h e s e (2), die zweite T h e s e v o m an sich g u t e n Willen kann wahr sein, auch wenn die T h e s e v o m g u t e n Willen als einzig o b e r s t e m G u t falsch wäre - oder sinnlos. Mir selber scheint, daß die T h e s e v o m guten Willen als o b e r s t e m G u t z u m i n d e s t keinen klaren Sinn hat, und zwar weil unklar bleibt, w a s in der R e d e v o m „ o b e r s t e n G u t " mit d e m A u s d r u c k „gut" g e m e i n t ist. U m d a s zu sehen, m ü s s e n wir kurz nachvollziehen, wie K a n t für seine T h e s e „argumentiert": Er versucht die T h e s e v o m guten Willen als o b e r s t e m G u t p l a u s i b e l zu m a c h e n , i n d e m er zeigt, daß andere G ü t e r , die gemeinhin für „ h ö c h s t " erstrebenswert gehalten werden, nicht „ o h n e E i n s c h r ä n k u n g " gut s i n d . „ T a l e n t e des G e i s t e s " , „ E i g e n s c h a f t e n des T e m p e r a m e n t s " sowie „ G l ü c k s g a b e n " , a b e r a u c h klassische T u g e n d e n wie „ M ä ß i g u n g in A f f e k t e n u n d L e i d e n s c h a f t e n , S e l b s t b e h e r r s c h u n g u n d nüchterne Ü b e r l e g u n g " 1 4 ( 3 9 4 ) sind zwar in „vielerlei A b s i c h t " ( a . a . O . ) , aber eben nicht „in aller A b s i c h t " ( K p r V : 74) g u t , sondern nur unter der B e d i n g u n g eines g u t e n Willens: sie „setzen immer noch einen g u t e n Willen v o r a u s , der die H o c h s c h ä t z u n g , die m a n übrigens mit R e c h t für sie t r ä g t , e i n s c h r ä n k t " ( 3 9 4 ) . M a n hat dieses A r g u m e n t oft falsch g e f u n d e n , weil es nicht zeige, w a s es zu zeigen v o r g i b t . 1 5 Die F r a g e seiner Richtigkeit a b e r k a n n m a n nur 13

14

15

So auch Paton, a.a.O.: 56 f. Paton verrät aber nicht, ob seiner Meinung nach auch umgekehrt These (2) die These (1) impliziert. Bezeichnenderweise erwähnt er nicht die Tugend der Gerechtigkeit: ein guter und ein gerechter Wille sind für Kant wohl eng miteinander verwandt und in vielen Fällen dasselbe. Vgl. z.B. C . D . B r o a d . F i v e T y p e s o f E t h i c a l Theories: „This argument is fallacious. Ii

D e r g u t e Wille als o b e r s t e » G u t

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stellen, wenn es verständlich ist. Worauf gründet sich der Zweifel daran? Wenn Kant einen guten Willen, um ihn als oberstes Gut auszuweisen, mit anderen Gütern vergleicht, dann setzt das voraus, daß die verglichenen Güter im selben Sinn von „gut" gut sind. Das aber ist mehr als zweifelhaft. Denn in der Rede vom „guten Willen" ist das Wort „gut" klarerweise in einem moralischen Sinn gemeint. Demgegenüber ist es mehr als zweifelhaft, ob die Güte von „Talenten des Geistes" oder „Glücksgaben" wie „Macht, Reichtum, Ehre, ... Gesundheit" (393) in einem moralischen Sinn „gut" genannt werden können. 1 6 Kant selber beläßt es im Unklaren, ob er meint, daß alle Güter, die er in seiner Abhandlung hinsichtlich ihres Gutseins vergleicht, im selben Sinn „gut" sind: Er expliziert im ersten Abschnitt der „Grundlegung" nirgends, was er mit dem Ausdruck „gut" meint. Wenn er nicht meint, daß die von ihm verglichenen Güter in ein und demselben Sinne „gut" sind, dann nimmt er vielleicht an, daß in den verschiedenen Bedeutungen, in denen sie gut sind, ein gemeinsamer BedeutungsJcem des Guten enthalten ist. Aber gibt es so etwas? Kant scheint an späterer Stelle in der „Grundlegung" einen Versuch zu machen, so eine relativ allgemeine Bedeutung des „Guten" zu analysieren, indem er das Gute dem Angenehmen entgegensetzt: Praktisch gut ist aber, was vermittelst der Vorstellungen der Vernunft, mithin nicht aus subjektiven Ursachen, sondern objektiv, d.i. aus Gründen, die für jedes vernünftige Wesen als ein solches gültig sind, den Willen bestimmt. (413)

Es handelt sich hier insofern um den Versuch zu einer Analyse eines allgemeinen Sinns von „gut", als Kant diese Bedeutungserklärung noch vor seiner Unterscheidung von hypothetischen und kategorischen Imperativen gibt. Das Wort „gut" wird von ihm so weit verstanden, daß es sowohl dem „Sollen" hypothetischer als auch dem „Sollen" kategorischer Imperative entsprechen soll: „Alle Imperativen werden durch ein Sollen ausgedrückt. ... Sie sagen, daß etwas zu tun oder zu unterlassen gut sein würde"(a.a.O.). Es ist aber ganz unwahrscheinlich, daß es einen Sinn von „gut" gibt, der dem „Sollen" sowohl hypothetischer wie auch kategorischer Imperative entspricht. Wenn „gut" in einer dem Vorgeben nach so allgemeinen Bedeutung „aus objektiven Gründen vorzuziehen" heißen würde, so hätte es

16

we a c c e p t t h e a l l e g e d f a c t s t h e y p r o v e o n l y t h a t a g o o d will is a n e c e s s a r y c o n s t j t u c n i of a n y w h o l e w h i c h is i n t r i n s i c a l l y g o o d . " (117) I c h m u B h i e r freilich o h n e Beweis v o r a u s s e t z e n , d a ß es e i n e n m o r a l i s c h e n S i n n v o n „ g u t " g i b t . - Z u r A n a l y s e d e r v e r s c h i e d e n e n V e r w e n d u n g s w e i s e n v o n „ g u t " vergleiche E r n s t T u g e n d h a t , P r o b l e m e d e r E t h i k : 66 ff. sowie 146 ff.; U r s u l a Wolf, D a s P r o b l e m d e s m o r a l i s c h e n Sollens: 1 4 8 ff.

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Absichten

in Wirklichkeit doch einen je anderen Sinn durch die verschiedenen Hinsichten und Parameter, mit Bezug auf die solch ein Vorziehen geschieht. Anders gesagt sind die „objektiven Gründe", etwas vorzuziehen, von verschiedener Art, je nachdem, ob das Vorziehen in moralischer, prudentieller, ästhetischer oder einer noch anderen Hinsicht erfolgt. Ahnliches müßte man einwenden, wenn jemand sagen würde, etwas für „gut" zu heilten hieße in einer allgemeinen Bedeutung, „es positiv zu bewerten" oder „es zu empfehlen". Auch dann müßte man verschiedene Parameter und Hinsichten auseinanderhalten, in denen etwas bewertet oder empfohlen wird. Man sieht also nicht, wie ein guter Wille und die anderen Güter, mit denen Kant ihn zur Abhebung vergleicht, im selben Sinn „gut" sein können - und wie er sie deshalb überhaupt vergleichen kann. Das aber nimmt der Rede vom guten Willen als „oberstem" Gut jeden klaren Sinn. Was man vernünftigerweise sagen kann, und was Kant wohl hätte sagen sollen, ist dies, daß unter den moralischen Gütern, daß unter allem, was moralisch gut ist, ein guter Wille das oberste Gut ist. Daß, was die moralische Beurteilung von Handlungen und ihrer Aspekte angeht, die Beurteilung des Wollens zuoberst steht. Diese Aussage aber ist der vernünftige Sinn der These (2) vom an sich guten Willen. Durch die zuletzt durchgeführten Überlegungen kann man darauf aufmerksam werden, daß auch die Rede vom „an sich guten" Wollen noch eine Unbestimmtheit enthält, die es zu beseitigen gilt. Kant scheint zu denken, daß das „An sich"-Gutsein eines Wollens dem moralischen Wollen eigentümlich ist oder das Moralisch-Sein eines Wollens expliziert. Aber auch diese Annahme ist höchst zweifelhaft. Es gibt auch anderes als ein moralisch gutes Wollen, was sinnvollerweise „an sich" gut genannt werden kann. Auch Lust, Freude, Vergnügen, „Glück" sind Dinge, die in dem präzisen Sinn an sich gut sind, daß wir sie gut finden können, ohne daß etwas anderes sie gut macht. Kant hätte deshalb seine These (2) vom an sich guten Willen im Hinblick auf den moralischen Sinn, in dem dieser Wille gut ist, einschränken sollen. Ein guter Wille ist im moralischen Sinn von „gut" an sich gut.

Zwischenbetrachtung

: (b) Die Realität

des guten

Willens

Kant gibt im Anschluß an die Thesen (1) und (2) vom an sich guten Willen als oberstem Gut ein Argument für die „Annahme" eines guten Willens. (395 f.) Dieses Argument wird in der Sekundärliteratur nicht sehr ernst genommen: Zu recht. Wo es überhaupt erwähnt wird, wird es

Die R e a l i t ä t d e s g u t e n W i l l e n s

31

allerdings oft falsch rekonstruiert. Deshalb gebe ich im folgenden anhangsweise eine Analyse und eine kurze Kritik dieses Arguments. Das Beweisziei des Arguments ist der Beweis der Realität des guten Willens, oder der Beweis wenigstens seiner objektiven Möglichkeit. Der Beweisgrund ist die Funktion der praktischen Vernunft. Deren Punktion kann nach Kant nicht anders erklärt werden als so, daß sie dazu da ist, einen „an sich selbst guten Willen hervorzubringen". (396) Wenn das stimmen würde, und gleichzeitig stimmt, daß wir über so etwas wie praktische Vernunft verfügen, dann würde das beweisen, daß es so etwas wie einen guten Willen geben kann. Das Beweisziel wird deutlich in Kants Selbstzweifel, daß „in dieser Idee von dem absoluten Werte des bloßen Willens ... etwas so Befremdliches" liegt, „daß ... ein Verdacht entspringen muß, daß vielleicht bloß hochfliegende Phantasterei insgeheim zum Grunde hege" (396). Das Gegenteil von „hochfliegender Phantasterei" oder einer „chimärischen Idee" (445) ist aber Realität - oder doch wenigstens objektive Möglichkeit. - Kants Beweis hat die folgende Form: P\

Jedes faktisch vorhandene Werkzeug (Organ) eines Lebewesens hat einen Zweck (eine Funktion) und erfüllt ihn (sie) optimal. (395)

P2

Uns Menschen ist „Vernunft als praktisches Vermögen, d. i. als ein solches, das Einfluß auf den Willen haben soll, ... zugeteilt". (396)

P3

Es kann nicht die Funktion dieser praktischen Vernunft sein, unser Glück zu bezwecken: Denn diese Funktion erfüllt sie nach aller Erfahrung alles andere als optimal. (395/6)

(C) Also kann die Funktion der praktischen Vernunft nur darin bestehen, einen moralisch guten Willen hervorzubringen. (396) Was ist zu diesem Beweis zu sagen? - 1. Die Konklusion folgt nur dann aus den Prämissen, wenn man eine Zusatzprämisse in Anspruch nimmt: P4

Es gibt nur zwei mögliche Funktionen der praktischen Vernunft: Entweder das Erreichen von Glück, oder das Hervorbringen eines guten Willens.

2. Stimmen die Prämissen? - Die Zusatzprämissse (P4) ist problematisch. Die teleologische Prämisse (Pi) ist wahrscheinlich falsch: empirisch falsch.

32

Absichten

Das Prinzip der

Einßußnahme

Vergegenwärtigen wir uns kurz den bisherigen Verlauf des Kapitels! Kants These vom an sich guten Willen habe ich im Sinne der gesinnungsethischen Grundthese interpretiert, wonach es für die moralische Beurteilung von Handlungen auf die Handlungsabsicht ankommt. Die Position von Kants Gegner wurde differenziert, das brachte die Pointe der Kantischen Position eins Licht: Sie richtet sich gegen eine materiale Ethik, die in Handlungszwecken oder -folgen den primären Gegenstand bei der moralischen Beurteilung von Handlungen erblickt. Kants Argument gegen eine materiale Ethik erwies sich als nicht überzeugend. Zuletzt habe ich das Verhältnis von Kants These vom an sich guten Willen zu der anderen These vom guten Willen als einzig uneingeschränktem Gut untersucht. Aber auch wenn Kants eigenes Argument für seine Position unbefriedigend ist, so wäre es voreilig, sie allein deshalb zu verabschieden, ohne zuvor gefragt zu haben, ob es nicht Kant-unabhängige systematische Argumente für seine Auffassung und gegen die Auffassungen seiner Gegner gibt. Es gibt ein Prinzip, das man für die gesinnungsethische Position mobilisieren kann. Es besagt, daß eine Person nur für das moralisch verantwortlich ist, worauf sie hinreichenden Einßuß hat. Ich nenne diesen Satz das Prinzip der Einßußnahme.17 Worauf aber haben wir Einfluß? Nach der gewöhnlichen Auffassung haben wir sicher Einfluß auf das, was wir wollen und in der Folge davon tun. Weis hingegen „in der Welt" aus unseren Absichten wird, ob widrige Weltläufte oder die Handlungen anderer unsere Pläne verfälschen oder durchkreuzen, das steht nicht in unserer Macht. Davon darf also die moralische Beurteilung unserer Handlungen nicht abhängen. „Auf die Absicht kommt es an!" lautet deshalb der gesinnungsethische Slogan für die moralische Beurteilung von Handlungen. Das Prinzip der Einflußnahme ist am Beginn der „Grundlegung" unterschwellig präsent, wenn Kant betont, ein guter Wille würde auch dann „wie ein Juwel doch für sich selbst glänzen als etwas, das seinen vollen Wert in sich hat", wenn „durch eine besondere Ungunst des Schicksals, oder durch kärgliche Ausstattung einer stiefmütterlichen Natur es diesem Willen gänzlich an Vermögen fehlte, seine Absicht durchzusetzen"(394). Die Rede von einer möglichen „Ungunst des Schicksals" und „kärglichen Ausstattung einer stiefmütterlichen Natur" weist auf Faktoren hin, die der 17

Ein ähnliches, aber stärkeres Prinzip führt Thomas Nagel an, in seinem Aufsatz „Moral L u c k " . Nagel nennt sein Prinzip „condition of control" (a.a.O.: 26). Ein starkes, ein zu starkes Prinzip, denn was schon haben wir wirklich unter Kontrolle?

D a s Prinzip der Einflußnahme

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kontrollierenden Einflußnahme eines Menschen weitgehend entzogen sind. Von solchen Faktoren soll deshalb das moralische Urteil über eine Person und ihre Handlungen nicht abhängen. Es ist zurecht bemerkt worden, daß dieser Zug der Kantischen Ethik einem hochentwickelten Gerechtigkeitssinn Ausdruck verleiht. 18 Es handelt sich dabei um eine Form ausgleichender Gerechtigkeit gegenüber einem unglücklichen Lebensschicksal oder einer unglücklichen persönlichen Konstitution. Wie immer jemand gezeichnet sein mag von den Wunden, die ihm widrige Lebensumstände geschlagen haben, so hat er nach der gesinnungsethischen Konzeption wenigstens wie jeder andere die Chance, ein guter Mensch zu sein - auch wenn ihm der Weg zu einem Lebensglück verbaut sein mag. Denn es liegt an ihm, welche Handlungen er sich vornimmt und wenigstens auszuführen versucht. Das Prinzip der Einflußnahme, so sehr es der Kantischen Position günstig ist, hat gleichwohl einen gravierenden Mangel. Es ist ein zu unspezifisches Argument für Kants Auffassung. Denn es ist im gleichen Maße ein Argument für jene Position, die das bei der moralischen Beurteilung einer Handlung primär Beurteilte in dem intendierten HandlungszwecJc erblickt. Denn welchen Zweck wir mit einer Handlung erreichen wollen, das ist so sehr von uns zu beeinflussen wie das Wollen selber. Aber auch wenn das Prinzip der Einflußnahme zu unspezifisch ist, um diese materialethische Position auszuscheiden, so ist es doch geeignet, jene beiden erfolgsethischen Positionen auszuschalten, für die der erreichte Handlungszweck oder die faktischen Handlungsfolgen es sind, worauf es für die moralische Beurteilung von Handlungen ankommt. Im Lichte des Prinzips der Einflußnahme ist eine Erfolgsethik irrational. Ob wir unsere Zwecke realisieren können und welche Folgen unsere Handlungen tatsächlich haben, hängt von Faktoren ab, die jenseits unserer Einwirkungsmöglichkeiten liegen. Deshalb haben wir sie nicht zu verantworten, deshalb darf eine moralische Beurteilung sich nicht auf sie stützen. Eine Erfolgsethik ist auch deshalb absurd, weil nach ihr ein moralisches Urteil nur retrospektiv, d.h. nach der Ausführung einer Handlung möglich wäre. Es muß aber ein Handelnder, bevor er handelt, eine erwogene Handlung moralisch beurteilen können. Andernfalls büßte die Moral eine ihrer wichtigsten Funktionen ein, die Fähigkeit nämlich, uns beim praktischen Uberlegen anzuleiten, zu orientieren, zu führen: ein „guide to action" zu sein. 18

V g l . B . W i l l i a m s , M o r a l L u c k : „ S u c h a c o n c e p t i o n h a s a n u l t i m a t e f o r m of j u s t i c e a t i t s h e a r t , a n d t h a t is i t s a l l u r e . " „ T h e c a p a c i t y for m o r a l a g e n c y is s u p p o s e d l y p r e s e n t t o a n y r a t i o n a l a g e n t w h a t s o e v e r " : „ T h e s u c c e s s f u l m o r a l life ... is p r e s e n t e d a s a c a r e e r o p e n n o t m e r e l y t o t h e t a l e n t s , b u t t o a t a l e n t w h i c h all r a t i o n a l b e i n g s necessarily possess in the same degree."(21)

34

Absichten

Eine verantwortungsethische

Position

Erfolgsethische Antworten auf die Frage, was an einer Handlung der primäre Gegenstand bei ihrer moralischen Beurteilung ist, sind damit aus dem Spiel. Übrig bleiben im Lichte des Prinzips der Einflußnahme Kants gesinnungsethische Position sowie jener Materialethiker, der den eigentlichen Gegenstand bei der moralischen Beurteilung von Handlungen in dem intendierten Handlungszweck erblickte. Zwischen diesen beiden Positionen kann man, wie behauptet, mittels des Prinzips der Einflußnahme nicht entscheiden. Welche anderen Entscheidungsgründe für die eine oder die andere Position könnte es geben? An diesem Punkt muß ich freimütig einräumen, daß ich über definitive Gründe für die Entscheidung zwischen den beiden Positionen nicht verfüge. Der Kantische Gedanke 19 , die vorgängige moralische Beurteilung von Gegenständen des Wollens - vorgängig der Beurteilung seiner Form - könne nur eine willkürliche Beurteilung sein: dieser Gedanke ist nur triftig, wenn der „intendierte-Zwecke"-Ethiker kein überzeugendes moralisches Beurteilungsverfahren für Handlungszwecke vorzuzeigen vermag. Das aber ist, wie gezeigt 20 , eine offene Frage. - Gegen Kant könnte man geltend zu machen versuchen, ein auf die bloße Form (der Verallgemeinerbarkeit) angewandtes Beurteilungsverfahren könne bestenfalls die interne Konsistenz eines Wollens überprüfen. Die bloße Konsistenz eines Willens sei aber höchstens eine notwendige und keine hinreichende Bedingung für seine Moralität. Ein bloßes Konsistenzprinzip des Wollens sei noch kein moralisches Prinzip. 2 1 Es könnte also sein, daß erst die Thematisierung des moralischen BeurteilungsVerfahrens bzw. die Diskussion konkurrierender Beurteilungsprinzipien eine Entscheidung über den spezifischen Gegenstand moralischer Handlungsbeurteilung erlaubt. Vielleicht verschränken sich an dieser Stelle die Thematik des moralischen Beurteilungsverfahrens und die Frage nach dem eigentlichen Beurteilungsgegenstand bei der moralischen Beurteilung von Handlungen, und die isolierte Thematisierung des letzteren in der vorliegenden Schrift stieße hier an eine Grenze. 22 Bisher bin ich in diesem Kapitel so verfahren, daß ich den Akzent auf die Gegenüberstellung von Kants gesinnungsethischer Position auf der einen Seite und der Position seines von ihm undifferenziert beschriebenen Gegners auf der anderen Seite legte. Aber auch nach meiner Differenzierung 19 20 21 22

Vgl. oben S. 18. Vgl. oben S. 24. Vgl. dazu die Diskussion über Hares Universalisierungs-Prinzip. Das wäre dann so ähnlich wie in der Semantik, wenn sich zeigt, daß z.B. die Bedeutung singulärer Termini, die auf Gegenstände referieren, nur im Zusammenhang der Funktionsweise ganzer Satzgebilde aufgeklärt werden kann.

Bine verantwortungsethische Position

35

dieses Gegners blieb es angemessen, die drei unterschiedlichen Gegenpositionen unter dem gemeinsamen Titel „materiale Ethiken" zusammenzufassen. In dem Abschnitt über „Materiale und formale Ethik" konnte ich entgegen einem naheliegenden Eindruck zeigen, daß sich Kants Position von der des „intendierte-Zwecke"-Ethikers durchaus unterscheiden läßt. Nachdem ich beide Positionen zwar zu unterscheiden, zwischen ihnen aber nicht zu entscheiden vermag, erscheint es mir für den weiteren Gang dieses Kapitels zweckmäßig, eine Gemeinsamkeit beider Positionen in den Blick zu nehmen. Denn obwohl der „intendierte-Zwecke"-Ethiker klarerweise eine matenaJ-ethische Position vertritt, ist seine Position doch auch eine gesinnungsethische. Auch für den „intendierte-Zwecke"-Ethiker kommt es j a für die moralische Beurteilung einer Handlung auf die Handlungsabsjciit an, nur eben nicht, wie für Kant, auf deren Form, sondern auf ihren intentionalen Gegenstand. Mangels einer Entscheidungsmöglichkeit zwischen beiden gesinnungsethischen Positionen, die gleichermaßen von dem Prinzip der Einflußnahme gestützt werden, möchte ich in der Folge prüfen, ob eine (nicht nach Form oder Inhalt des Wollens differenzierte) gesinnungsethische Position einer kritischen Betrachtung standhält. Zu diesem Zweck trage ich ein Argument vor, das in einem die beiden gesinnungsethischen Positionen als unzureichend, weil einseitig, erweist. Das Argument besteht in einer erneuten Anwendung des Prinzips der Einflußnahme. Derselbe Grund also, der für eine gesinnungsethische Position und gegen die erfolgsethische Auffassung mobilisiert werden konnte, ist, konsequent angewendet, auch ein Argument gegen eine gesinnungsethische Position. Wie kann das sein? Das Prinzip der Einflußnahme besagt, daß wir nur für solches moralisch verantwortlich sind, worauf wir hinreichenden Einfluß haben. Auf was alles haben wir Einfluß? Zugunsten einer gesinnungsethischen Position konnten wir anführen, daß man auf seine Handlungsabsiciten (auf ihren Gegenstand und auf ihre Form) bestimmenden Einfluß hat. Aber die Absicht ist nicht das einzige an unserem Handeln, was wir beeinflussen können. Wir haben überdies Einfluß auf unser Wissen: auf den Umfang, die Bestandteile und die Fundiertheit unseres Wissens. Und wir haben Einfluß darauf, ob wir uns etwas überhaupt und wie gründlich wir es uns überlegen. Die Inhalte unseres Wissens und die Gegenstände des Uberlegens, die moralisch bedeutsam sind, betreffen u.a. dasjenige, was aller Erfahrung nach aus unseren Handlungen wird. Sie betreffen die voraussehbaren Folgen unseres Handelns. Wir haben Einfluß auf unsere Voraussicht. Man kann uns deshalb für die voraussehbaren Folgen unseres Handelns verantwortlich machen. Ich möchte die These vertreten, daß deshalb die voraussehbaren Handlungsfolgen wesentlich zu dem gehören, wonach Handlungen mora-

36

Absichten

lisch beurteilt werden und beurteilt werden sollten. Eine solche Position hat Max Weber vertreten und als „ verajitwortungsethisch" bezeichnet. Weber schreibt, „daß man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen h a t . " 2 3 Daß Kant die Beurteilung des voluntativen Aspektes für die moralische Beurteilung von Handlungen dermaßen verabsolutiert und den epistemischen Aspekt, der die Voraussehbarkeit von Handlungsfolgen betrifft, völlig vernachlässigt hat, ist wahrscheinlich mit eine Folge seiner undifferenzierten Vorstellung von der Position seines moralphilosophischen Kontrahenten. Kant hat implizit jede Position verworfen, die Handlungsfolgen in die 23

Max Weber, Politik als Beruf: 540. Meine Anknüpfung an Weber ist natürlich locker: Dessen T h e m a ist ein ganz anderes als das unsere. Weber fragt im Schlußteil seines Vortrages n a c h der „Beziehung zwischen Ethik und Politik" (a.a.O.: 537 meine Hervorh.), es geht ihm gemäß dem Vortragstitel um die Frage, welche Ethik für den politisch Handelnden gilt. Gleichwohl sind Webers Einlassungen zu seinem T h e m a mit einer verantwortungsethischen Position zu unserem T h e m a (einer Position also, die das bei der moralischen Beurteilung einer Handlung Beurteilte u.a. in den absehbaren Handlungsfolgen erblickt) vereinbar. Man könnte das Gegenteil vermuten, wenn W e b e r bezweifelt, „daß für erotische und geschäftliche, familiäre und amtliche Beziehungen, für die Beziehungen zu Ehefrau, Gemüsefrau, Sohn, Konkurrenten, Freund, Angeklagten die inhaltlich gleichen G e b o t e ... aufgestellt werden könnten" (a.a.O.: 5 3 7 / 5 3 8 ) . Das zu bezweifeln ist aber mit der T h e s e vereinbar, daß das an einer Handlung, woran sich das moralische Urteil ü b e r die Handlung orientiert, in ailen diesen Fällen dasselbe ist. - Bisweilen hebt W e b e r selber die Einschränkung seines T h e m a s auf, etwa wenn er sagt, daß „aües ethisch orientierte Handeln ... 'gesinnungsethisch' oder 'verantwortungsethisch' orientiert" (a.a.O.: 539 - meine Hervorh.) sei. — Bei seinem Gesinnungsethiker hat W e b e r zwar nicht in erster Linie K a n t im Auge (auch wenn er ihn erwähnt: a.a.O.: 5 4 5 / 6 ) , sondern die „Ethik der Bergpredigt" (a.a.O.: 538). Webers Charakterisierung und Kritik dieser „absolute(n) E t h i k des Evangeliums" ( a . a . O . ) , wie sie „der nach dem Evangelium handelnde Pazifist" (a.a.O.: 539) in der Politik verkörpert, treffen a b e r auch auf Kant6 gesirmungsethische Position zu: 1. Nach W e b e r sind die G e b o t e einer Gesinnungsethik - eine „absolute" Ethik, die sie ist - „unbedingt". ( A . a . O . : 538) So redet auch K a n t . 2. „Nach 'Folgen' fragt ... die absolute Ethik n i c h t " ( a . a . O . : 539 - meine Hervorh.; W e b e r hebt das Wort „fragt" hervor), (a) „Wenn die Folgen einer aus reiner Gesinnung fließenden Handlung üble sind, so gilt ihm nicht der Handelnde, sondern die Welt dafür verantwortlich" (a.a.O.: 540). - ( b ) Der Gesinnungsethiker ist einzig in Sorge um „die F l a m m e der reinen Gesinnung" ( a . a . O . ) . Auch auf dieser Ablichtung ist K a n t nicht übel getroffen. Ad (a): Auch Kernt unterstreicht die moralische Verantwortlichkeit einer Person für ihre Gesinnung und die Verantwortlichkeit „der W e l t " für die Handlungsfolgen, indem er das moralische Wollen in eine andere, intelligibele Welt verlegt, während die intervenierenden Kräfte, welche die Realisierung eines guten Willens vereiteln können, der gewöhnlichen Welt suspekter sinnlicher Erfahrung zugeordnet werden. - Ad (b): Die Bekümmertheit des Gesinnungsethiker« einzig um die Reinheit seiner Seele wird auch bei K a n t wirksam und offenbart sich in absurden Fehlurteilen in moralischen Problem falle n. So nähme K a n t lieber in Kauf, einen Freund ans Messer eines Verbrechers zu liefern, als daß er die eigene Gesinnung durch eine Notlüge verunreinigen würde. Vgl. seinen Essay: „Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen", AA V I I I .

Eine verantwortungsethische Position

37

moralische Beurteilung mit einbezieht. Seine Position verliert aber ihre Überzeugungskraft, sobald man verschiedene Sorten von Handlungsfolgen unterscheidet: Man kann die beabsichtigten von den faktischen und den voraussehbaren Handlungsfolgen unterscheiden. Die drei Arten von Folgen können zwar manchmal zusammenfallen: Von den beabsichtigten Folgen kann voraussehbar sein, daß sie eintreten werden - und dann können sie tatsächlich auch eintreten. Die verschiedenen Folgen müssen aber nicht zusammenfallen, und häufig genug tun sie es nicht. Deshalb kann man auch drei moralphilosophische Positionen unterscheiden, die verschiedene Arten von Folgen als das an einer Handlung moralisch Beurteilte ansehen: 1.

einen Konsequentialismus, der das bei der moralischen Beurteilung einer Handlung primär zu Beurteilende in den intendierten Handlungsfolgen erblickt;

2.

die Position eines Verantwortungsethikers, für den sich das moralische Urteil an den voraussehbaren Folgen zu orientieren hat;

3.

die Position des konsequentialistischen Erfolgsethikers, für den die Betrachtung der faktischen Handlungsfolgen Priorität hat.

(Den letzteren könnten wir auch einen „Über-Verantwortungsethiker" nennen: Denn er möchte mehr verantworten - tendenziell alles -, als man rationalerweise zu verantworten hat.) Für die Auffassung, daß die Folgen für die moralische Beurteilung von Handlungen wesentlich sind, spricht außer der Anwendung des Prinzips der Einflußnahme auch eine allgemeine Überlegung über die Quelle und die Funktion der Moral: Die Quelle der Moral sehe ich in der Tatsache, daß andere Personen und Lebewesen von unseren Handlungen betroffen sind. Sie sind betroffen durch die Folgen unserer Handlungen für ihr Wohl und Wehe. Ohne diese Tatsache bräuchten wir keine Moral. So aber brauchen wir soziale Regeln, die uns gegenseitig vor den schädlichen Folgen rücksichtsloser Handlungen schützen: hierin u.a. besteht die Funktion der Moral (wie auch die Funktion des Rechts). Wenn aber die Quelle und die Funktion der Moral so eng mit der Tatsache der Betroffenheit anderer von den Folgen unserer Handlungen zusammenhängen, dann wäre es mindestens merkwürdig, wenn nicht auch die moralische Beurteilung unsererer Handlungen mit den Folgen unserer Handlungen für andere zu tun hätte. Die Perspektive der Betroffenen ist für die moralische Beurteilung von Handlungen wesentlich. Aus der Perspektive der Betroffenen sind aber vor allem die faktischen Folgen von jemandes Handlung für das eigene Wohl interessant. Die Absicht des Handelnden dagegen ist für einen Betroffenen tendenziell von

38

Absichten

zweitrangiger Bedeutung. Aus der Perspektive eines Handelnden dagegen ist es ungerecht und irrational, ihm die bloß faktischen Folgen seiner Handlung zuzurechnen. Der Handelnde tendiert seinerseits dazu, sich einseitig allein seine Absichten zuzurechnen. Beide Perspektiven also: die Perspektive des Handelnden und die Perspektive des Betroffenen, tendieren zu Einseitigkeit. Die verantwortungsethische Position hebt diese Einseitigkeit auf, indem sie dem Handelnden nur diejenigen Handlungsfolgen zurechnet, die er voraussehen konnte oder sogar voraussehen mußte. Nicht zuletzt spricht für die verantwortungsethische Position die alltägliche Praxis unseres moralischen Urteilens. Man achte nur einmal darauf, wie selbstverständlich wir bei unseren moralischen Urteilen die voraussehbaren guten oder üblen Folgen einer Handlung ins Feld führen. 2 4 Kant hat also damit unrecht, wenn er für seine gesinnungsethische Grundthese beansprucht, daß sie eine erschöpfende Analyse unseres gewöhnlichen moralischen Urteilens gibt. Es spricht vieles dafür, die Ursache für das Ungenügende an Kants gesinnungsethischer Position in der Verabsolutierung der Perspektive des Handelnden zu sehen: in seiner Fixiertheit auf das (Erkenntnis- und) HandlungssubjeJft, die ihn zur Vernachlässigung intersubjektiver Bezüge verleitet hat: in der Ethik wie auch in seiner Erkenntnistheorie. 2 5 Kants ethischer Apriorismus (der mit der Subjekt-Fixiertheit K a n t s eng zusamm e n h ä n g t ) t a t ein übriges zur Einseitigkeit der Kantischen Position. Das Voraussehen von Handlungsfolgen beruht auf empirischem Wissen. Empirisches Wissen aber darf bei Kant nicht konstitutiv sein für moralische Beurteilungen. Die verantwortungsethische Position bedarf einer zusätzlichen Erläuterung. Das an einer Handlung primär moralisch Beurteilte sind ihr die absehbaren Handlungsfolgen. Man fragt sich hier: absehbar - für wen? Für den Handelnden? Das öffnete der Willkür T ü r und Tor. F ü r wen also müssen die Handlungsfolgen absehbar sein, damit sich das moralische Urteil auf sie gründen kann? Wir müssen hier mehrere Fälle unterscheiden: 1. Es gibt den Fall, in dem die Handlungsfolgen für den Handelnden 24

E i n Beispiel k a n n h i e r f ü r viele s t e h e n : In d e r Z E I T v o m 8 . 1 1 . 1 9 8 5 a r g u m e n t i e r t e M a r i o n G r ä f i n D ö n h o f f gegen die A u f f ü h r u n g eines a n g e b l i c h a n t i - s e m i t i s c h e n T h e a t e r s t ü c k s v o n R a i n e r W e r n e r F a ß b i n d e r . I h r e B e g r ü n d u n g ist k l a r e r w e i s e e i n e m o r a l i s c h e , u n d sie l a u t e t : „ D e n n die F o l g e n s i n d d o c h k l a r : Die A n t i s e m i t e n w e r d e n a n t i s e m i t i s c h e r , u n d die w e n i g e n J u d e n , die in dieses L a n d z u r ü c k g e k e h r t s i n d , f r a g e n s i c h b e s o r g t , o b es ' b a l d w i e d e r soweit i s t ' . " - Diese B e g r ü n d u n g b e s t e h t i n einei A b w ä g u n g v o n F o l g e n , d u r c h g e f ü h r t a n t e f e s t u m , so d a ß es n u r die v o r a u s s e h b a r e r F o l g e n sein k ö n n e n , m i t d e n e n F r a u D ö n h o f f a r g u m e n t i e r t .

25

D a s ist a u c h d i e H a u p t t e n d e n z d e r K a n t - K r i t i k v o n J ü r g e n H a b e r m a s .

Eine verantwortungsethische Position

faktisch

39

nicht vorhersehbar waren, weil er nicht überlegt hat, bevor er han-

delte. W e n n er überlegt hätte, wären die Folgen seiner Handlung für ihn absehbar gewesen. - Daß die Folgen seiner Handlung für den Handelnden in diesem Sinn nicht absehbar waren, hindert uns nicht, ihn für sie verantwortlich zu machen.

Daß er nicht überlegt hat, gehört mit zu seiner

Schuld. 2 6 2.

In anderen Fällen konnte ein Handelnder, auch wenn er überlegt

hätte, die Folgen seines Handelns nicht voraussehen - weil ihm ein dafür relevantes Wissen fehlte. Hier muß man noch einmal mehrere Fälle unterscheiden: ( a ) Entweder

es handelt sich um ein Wissen, das zum Zeitpunkt der

Handlung überhaupt noch nicht verfügbar war, das also niemand besaß. Eine solche Wissenslücke kann man trivialerweise niemandem vorwerfen. ( b ) Oder es handelt sich um ein Wissen, das zum Zeitpunkt der Handlung zwar „in der W e l t " war; es konnte aber vernünftigerweise niemand von dem Handelnden erwarten, daß er über dieses Wissen verfügen würde (sei es, weil es sich um Spezialwissen handelt und er kein Spezialist ist; sei es, weil dieses Wissen noch nicht in sein Land gedrungen ist, u.a.m.). Auch hier werden wir seine Handlung nicht nach Maßgabe derjenigen Folgen moralisch beurteilen, die v o m Standpunkt des o b j e k t i v vorhandenen Wissens die wahrscheinlichen sind. ( c ) Oder, und das ist der wichtige Fall: Es handelt sich um ein Wissen, das zwar der Handelnde nicht besitzt, von dem man aber erwarten dürfte, daß j e m a n d wie er (jemand in dieser Zeit, mit diesem Beruf, usf.) es hat. Eine solche Wissenslücke ist moralisch vorwerfbar. W e r ( e t w a als heutiger A r z t ) etwas nicht weiß (z.B. weil er sich nicht weitergebildet h a t ) , was eigentlich jeder ( M e d i z i n e r ) wissen müßte, und wer deshalb die Folgen seiner Handlung nicht absieht, der ist für diese Folgen moralisch verantwortlich, den darf man nach den objektiv voraussehbaren Folgen seiner Handlung beurteilen. Es lag an ihm, das relevante Wissen zu haben. Und er hätte es haben müssen. Es gibt epistemische

Pßichten.

Es ist also für die moralische Beurteilung einer Handlung nach ihren voraussehbaren Handlungsfolgen nicht wesentlich und notwendig, daß die Folgen für den Handelnden

voraussehbar waren. Es gibt o b j e k t i v e Krite-

rien für die Voraussehbarkeit von Folgen und dafür, was j e m a n d wissen müßte - ob er es nun tatsächlich weiß oder nicht. Und das moralische Urteil orientiert sich daran, was jemand wissen müßte.

Was genau j e m a n d

wissen muß, das ist relativ auf historische Zeitpunkte, Berufsgruppen usf. Und es gibt sicherlich oft keine scharfen Grenzen dafür, was j e m a n d wissen 26

Vorausgesetzt, er mußte nicht unter Zeitdruck entscheiden, und auch andere Entschuldigungsgründe liegen nicht vor.

40

Absichten

m u ß und w a s er nicht zu wissen braucht. A b e r auch wenn es keine scharfen Grenzen gibt, so gibt es doch klare Fälle. Und für die unklaren Fälle gilt hier wie auch sonst das G e b o t , b e i m moralischen Urteilen Z u r ü c k h a l t u n g zu üben.

Gesinnung und voraussehbare Folgen: Plädoyer für eine Zwei-Komponenten-Theorie des Gegenstandes moralischer Handlungsbeurteilungen Der verantwortungsethischen A u f f a s s u n g h a f t e t selber noch eine Einseitigkeit an. Sie bedarf, um überzeugen zu können, einer gesinnungsethischen Modifikation. Es können nicht allein die voraussehbaren Folgen sein, von denen die moralische Beurteilung von Handlungen a b h ä n g t . A n sonsten k ö n n t e n wir solchen schwerlich aufgebbaren intuitiven moralischen Unterschieden wie z . B . dem zwischer fahrlässiger und vorsätzlicher T ö t u n g nicht R e c h n u n g tragen. In beiden T ö t u n g s f ä l l e n können die o b j e k t i v voraussehbaren Folgen eines V e r h a l t e n s die gleichen sein. T r o t z d e m aber machen wir sowohl in der rechtlichen als auch bei der moralischen Beurteilung beider Fälle einen Unterschied zwischen ihnen. Dieser Unterschied in der B e h a n d l u n g beider Fälle ist aber nur gerechtfertigt, wenn auch die Absicht des Handelnden für das moralische Urteil ins Gewicht fällt.27 Es ist eines, die o b j e k t i v vorhersehbaren Folgen einer Handlung zu kennen oder nicht zu kennen (sei es schuldhafterweise oder nicht); und Handlungen m ö g e n , wie gezeigt, j e nachdem welcher Fall vorliegt, verschieden beurteilt werden. Und es ist ein Zweites, wie j e m a n d , in Unkenntnis oder K e n n t n i s der voraussehbaren Folgen, sich zu handeln entscheidet - was er also zu tun beabsichtigt. Seine Handlungsabsicht macht offenkundig in vielen Fällen einen moralischen Unterschied. Z . B . ist es weit weniger schlimm, wenn j e m a n d in Unkenntnis der für ihn im Prinzip erkennbaren Folgen ein Übel b e w i r k t , als wenn er die Folgen kennt - und t r o t z d e m entsprechend h a n d e l t . Im ersteren Fall handelt er bloß fahrlässig, im zweiten Fall ist er skrupellos. 27

A u c h P h i l i p p » F o o t verteidigt gesinnungsethische Intuitionen gegen ihre utilitaristis c h e E i n e b n u n g . I n i h r e m A r t i k e l „ M o r a l i t y , A c t i o n a n d O u t c o m e " a r g u m e n t i e r t sie für die moralische R e l e v a n z der Unterscheidung (a) z w i s c h e n dem, daß j e m a n d e t w a s t u t , u n d d e m , d a ß e r es b l o ß g e s c h e h e n l ä ß t , u n d ( b ) d e r U n t e r s c h e i d u n g z w i s c h e n d e m , w o r a u f m a n m i t e i n e r H a n d l u n g a u s i s t , u n d d e m , w a s m a n als R e s u l t a t s e i n e r H a n d l u n g v o r a u s s i e h t . In d e m z w e i t e n P u n k t treffen s i c h ihre B e m ü h u n g e n m i t d e n m e i n e n . — S o l c h e g e s i n n u n g s e t h i s c h e n I n t u i t i o n e n w e r d e n o f t als „ d e o n t o l o g i s c h " b e zeichnet. D a s finde ich irreführend. D e n n a u c h konsequentialistische/utilitaristische Ethiken begründen j a gewöhnlich

Pflichten.

Ein letster Zweifel: „moral luck"?

41

Es sieht also so aus, als ob das moralische Urteil über eine Handlung die Summe mindestens zweier Vektoren wäre: der voraussehbaren Handlungsfolgen und der Handlungsabsicht. Ich vertrete also eine ZweiKomp onenten-Theorie über den Gegenstand moralischer Handlungsbeurteilungen: Was an einer Handlung moralisch beurteilt wird, sind die voraussehbaren Handlungsfolgen und die Absicht des Handelnden. Wenn dem so ist, drängt sich die Frage auf, wie denn die beiden Aspekte, auf die sich die moralische Beurteilung von Handlungen stützt, zu gewichten sind. Hier wäxe nun der Ort für eine moralphilosophische Detailuntersuchung, für eine differenzierte Betrachtung einzelner Fälle. Es wäre hierfür viel zu lernen aus der langen Tradition solcher Untersuchungen in der juristischen Strafrechtslehre. Ich kann hier nur eine Faustregel andeuten, die sich aus klaren Fällen ergibt. Es gibt Fälle moralischer Handlungsbeurteilungen, in denen der eine oder der andere der beiden Faktoren, auf die sich die Beurteilung stützt, eindeutig den Ausschlag gibt: 1. In Fällen unverschuldeter Unkenntnis der objektiv voraussehbaren Handlungsfolgen fällt allein die Absicht des Handelnden moralisch ins Gewicht. Ahnlich verhält es sich mit Situationen der Ungewißheit, in denen es nur schwer möglich ist, die Folgen einer Handlung im vorhinein abzuschätzen. 2. In Fällen, in denen im vorhinein die üblen Folgen einer Handlung klar auf der Hand liegen, fällt die abweichende gute Absicht des Handelnden für unser moralisches Urteil kaum ins Gewicht. - Anders im Fall, daß die wohltätigen Folgen einer Handlung objektiv voraussehbar sind. Hier fällt die abweichende böse Absicht ins Gewicht. Man sieht: Der bloße Versuch, eine Faustregel für die Gewichtung der beiden Aspekte der moralischen Handlungsbeurteilung aufzustellen, führt in Diffizilitäten und erfordert etliche Distinktionen. Eine befriedigende Theorie ist hier nicht per Handstreich zu erlangen. Eine profunde Erörterung der Thematik erfordert eine eigene systematische Anstrengung, die den Rahmen einer Arbeit über Kants Ethik sprengt. Ein letzter

Zweifel:

,jnoral

luck"?

Beunruhigende Zweifel an der Richtigkeit der gesinnungsethisch modifizierten verantwortungsethischen Position können einem kommen, wenn man sich den Überlegungen ernsthaft aussetzt, die Thomas Nagel in seinem Aufsatz „Moral Luck" entwickelt hat. Sind es, so lautet Nagels Einwurf,

42

Absichten

wirklich nie die faktischen

H a n d l u n g s f o l g e n , an denen sich unser m o r a l i -

sches U r t e i l o r i e n t i e r t ? Weis ist m i t „ m o r a l l u c k " g e m e i n t ?

Das W o r t „ l u c k " b e d e u t e t s o v i e l

wie „ G l ü c k " in d e r j e n i g e n B e d e u t u n g des Ausdrucks, in welcher sein G e g e n b e g r i f f „ P e c h " ist. E i n O b e r b e g r i f f f ü r beides ist ungefähr „ Z u f a l l " . G l ü c k o d e r P e c h hat m a n nur m i t B e z u g auf D i n g e , die j e n s e i t s der eigenen K o n t r o l l e liegen. „ M o r a l l u c k " , G l ü c k oder P e c h auf

moralischem

G e b i e t haben zu können, w ü r d e heißen, daß die moralische

Beurteilung

einer H a n d l u n g v o n F a k t o r e n abhinge, die jenseits der K o n t r o l l e des H a n delnden sind: also z . B . v o n den faktischen H a n d l u n g s f o l g e n . 2 8 Das aber, so w ü r d e n hier s o w o h l G e s i n n u n g s e t h i k e r 2 9 wie auch V e r a n t w o r t u n g s e t h i k e r e i n w e n d e n , kann ( o d e r d a r f ) nicht der Fall sein. das Prinzip

der Einßußnahme

Denn

schließt aus, daß für das moralische U r t e i l

D i n g e eine R o l l e spielen, auf die der H a n d e l n d e keinen entscheidenden Einfluß hat. Für eine moralische

B e u r t e i l u n g könne deshalb Glück

keine R o l l e

spielen; und w o G l ü c k für die B e u r t e i l u n g einer H a n d l u n g eine R o l l e

spielt,

28

Die faktischen Handlungsfolgen sind nicht der einzige Fall, in dem nach Nagels Meinung eine nackte Faktizität, also Faktoren jenseits der Kontrolle des Handelnden, eine Rolle für unser moralisches Urteil über den Handelnden und seine Handlungen spielen. Nagel kennt vi er Faktoren von „moral luck": „four ways in which the natural objects ofmoral assessment are disturbingly subject to luck": Neben dem erwähnten Glück „in the way things tum out" nennt Nagel (2) ,konstitutive luck", d.i. „the kind of person you are, where this is not just a question of what you deliberately do, but of your inclinations, capacities, and temperament"; (3) „luck in one's circumstances": „the kind of problems and situations one faces"; (4) „luck in how one is determined by antecedent circumstances" (alle Zitate aus „Moral Luck": 28). Mit dem letzteren meint Nagel das Glück, gute Absichten zu haben bzw. das Glück, sein Wollen vergleichsweise frei bestimmen zu können. - Nagel redet manchmal etwas irreführend. Zwar sind die "natürlichen Gegenstände der moralischen Beurteilung" (also vor allem Personen und ihre Handlungen) auf beunruhigende Weise Zufällen ausgesetzt. Um moralisches Glück oder Pech handelt es sich dabei aber erst, wenn solche Zufälle unser moralisches Urteil beeinflussen: so daß wir etwa jemanden deshalb als moralisch besser beurteilen, weil er mehr Glück gehabt hat bei der Realisierung seiner Projekte, oder weil er das Glück hatte, moralischen Konfliktsituationen nicht oder selten zu begegnen.

29

Auch Kant kennt das Phänomen von „moral luck". So heißt es in seiner „Religion" (38): „Daher rührt die Gewissensruhe vieler (ihrer Meinung nach gewissenhaften) Menschen, wenn sie mitten unter Handlungen, bei denen das Gesetz nicht zu Rate gezogen ward, wenigstens nicht das Meiste galt, nur den bösen Folgen glücklich entwischten, und wohl gar die Einbildung von Verdienst, keiner solchen Vergehungen sich schuldig zu fühlen, mit denen sie andere behaftet sehen: ohne doch nachzuforschen, ob es nicht bloss etwa Verdienst des Glücks sei, und ob nach der Denkungsart, die sie in ihrem Innern wohl aufdecken könnten, wenn sie nur wollten, nicht gleiche Laster von ihnen verübt worden wären, wenn nicht Unvermögen, Temperament, Erziehung, Umstände der Zeit und des Orts, die in Versuchung führen (lauter Dinge, die uns nicht zugerechnet werden können) davon entfernt gehalten hätten." (Meine Hervorh.) Vgl. auch „Das Ende aller Dinge", AA VIII: 329.

E i n l e t z t e r Zweifel: „ m o r a l l u c k " ?

43

könne es sich nicht um eine moralische Beurteilung handeln. Diese Replik beruht aber ganz auf der Annahme, daß das Prinzip der Einflußnahme ein richtiges, gültiges Prinzip ist. Die angeblichen Fälle von „moral luck", die Nagel ins Feld führt, sind aber gerade darauf gemünzt, das Prinzip der Einflußnahme zu erschüttern.30 Und sie sind dazu geeignet: wenn sie triftig sind. Betrachten wir wenigstens ein Beispiel für „moral luck" etwas genauer! Ein Autofahrer fährt nachts auf einer Stadtstraße. Er sucht einen Radiosender, kommt dabei von der Fahrbahn ab auf den Gehsteig, findet aber geistesgegenwärtig auf die Straße zurück, nichts ist passiert. Eine Fahrlässigkeit, gewiß. Aber niemand ist verletzt oder tot. - Nehmen wir einen ansonsten völlig gleichen Fall an, nur läuft diesmal just an der Stelle, wo der Fahrer vom rechten Wege abkommt, ein Fußgänger, der von dem Wagen erfaßt und tödlich verletzt wird. Beide Fälle sind in bezug auf alles gleich, was von dem Fahrer abhängt: dieselben Absichten (bzw. ihr Fehlen), dieselben möglichen und relativ wahrscheinlichen Folgen. Und dennoch ist unser moralisches (und rechtliches) Urteil in beiden Fällen verschieden. Im ersten Fall wäre unser moralisches Urteil wohl um einiges milder als im zweiten Fall. Der erste Fahrer hätte also nicht nur Glück, sondern moralisches Glück gehabt: nämlich das Glück, weniger schuldig zu sein und deshalb in den Augen seiner Mitmenschen besser dazustehen als im zweiten Fall. Das moralische Urteil hinge also in einem solchen Fall von den faktischen Handlungsfolgen ab? Also von Faktoren ab, die jenseits der Einflußmöglichkeiten der handelnden Person sind? Wenn dieses Beispiel triftig ist oder andere von Nagels Beispielen überzeugen, dann ist das Prinzip der Einflußnahme in Gefahr: und damit auch die modifizierte verantwortungsethische Position. Es gibt gegen Nagels Argumentation mindestens zwei Manöver: 1. Man kann in allen angeblichen Fällen von „moral luck", die jemand vorführt, die deskriptive Behauptung bestreiten, wonach unser moralisches Urteil in diesen Fällen je nach dem faktischen Ausgang einer Handlung differiere. - Diese Strategie ist aber wenig erfolgversprechend. Nach meiner Diskussionserfahrung finden zwar verschiedene Personen jeweils andere Beispiele für „moral luck" einleuchtend. Aber es gibt kaum Personen, die sich durch kein Beispiel von angeblichem „moral luck" beeindrucken lassen. 30

W e n n T h o m a s N a g e l d a m i t r e c h t h ä t t e , dafi d a s m o r a l i s c h e U r t e i l v o n F a k t o r e n a b h ä n g t , die j e n s e i t s d e r K o n t r o l l e d e s H a n d e l n d e n liegen, d a n n h ä t t e d a s e i n e zugleich d i a l e k t i s c h u n d e x i s t e n t i a l i s t i s c h a n m u t e n d e K o n s e q u e n z : W i r k ö n n t e n d a n n unsere Vorstellung von der moralischen Verantwortlichkeit einer Person n u r a u f r e c h t e r h a l t e n , i n d e m wir V e r a n t w o r t u n g f ü r D i n g e ü b e r n ä h m e n , f ü r die wir n i c h t v e r a n t w o r t l i c h sind.

44

Absichten

Die Theorie v o m „ m o r a l luck" trifft offenkundig moralische I n t u i t i o n e n : so sehr sie auch gegen andere moralische Intuitionen verstößt. 2. Wenn es Fälle gibt, auf die Nagels Diagnose von „moral luck" zutrifft, d a n n kann ein Verantwortungsethiker t u n , was auch jeder K a n t i a n e r t u n würde: Er k a n n mit Bezug auf das Prinzip der E i n f l u ß n a h m e bestreiten, daß in diesen Fällen unser faktisches moralisches Urteil das richtige Urteil ist. D a n n h ä n g t aber alles davon ab, ob m a n das Prinzip der E i n f l u ß n a h m e b e g r ü n d e n kann, und zwar u n a b h ä n g i g von unseren faktischen moralischen Einzelurteilen. Bislang h a b e ich die Gültigkeit dieses Prinzips einfach unterstellt. Aber reicht es angesichts der vorgebrachten Beispiele für „moral luck" aus, wenn wir uns auf die überwältigende Plausibilität des Prinzips der Einflußnahme berufen? Sind nicht auch die Beispiele für „moral luck" sehr plausibel? - Wie könnte denn ü b e r h a u p t eine B e g r ü n d u n g des Prinzips der Einflußnahme aussehen? Um was für eine Art von Satz handelt es sich eigentlich bei diesem Prinzip? Ein empirischer Satz ist es gewiß nicht. Ist das Prinzip der Einflußnahme „analytisch"? Oder gar ein „synthetischer Satz a priori"? Zuletzt Fragen über Fragen. Ich schließe mit einer B e h a u p t u n g , die hier unbewiesen bleibt: Die a n g e f ü h r t e n Fälle von „moral luck" allein werden uns nach meiner Überzeugung nicht dazu bringen, das Prinzip der Einflußnahme aufzugeben. D a f ü r ist es wohl zu zentral f ü r unsere Konzeption einer Person. Für das Prinzip der Einflußnahme spricht, daß wir zusammen mit ihm zuviel von unserer Konzeption einer Person aufgeben müßten.

2. Kapitel: Maximen

Im ersten Kapitel h a b e ich Kants These vom an sich guten Willen im Sinne der gesinnungsethischen Grundthese interpretiert, wonach sich die moralische Beurteilung von Handlungen auf die Absicht des Handelnden richtet. Dabei wurde K a n t s weitere These, „eine Handlung aus Pflicht" habe „ihren moralischen Wert .. .in der Maxime, nach der sie beschlossen wird" - im „Prinzip des Wollens, nach welchem die Handlung . .. geschehen ist" (399/400) - bereits kurz gestreift. Die These lautet komplett: (3)

. . .eine Handlung aus Pflicht hat ihren moralischen Wert nicht in der Absicht, welche dadurch erreicht werden soll, sondern in der Maxime, nach der sie beschlossen wird, hängt also nicht von der Wirklichkeit des Gegenstandes der Handlung ab, sondern bloß von dem Prinzip des Wollens, nach welchem die Handlung unangesehen aller Gegenstände des Begehrungsvermögens geschehen ist.

Nennen wir diese Behauptung von nun an Kants „Maximen-These"! Man kann die Maximen-These in die folgenden Teilbehauptungen auseinanderfalten: (a) W a s an einer Handlung moralisch beurteilt wird, ist die Handlungsmaxime. (b) Eine Handlung hat einen (positiven) moralischen Wert, wenn die Maxime, nach der sie geschehen ist, gut ist. Was es heißt, daß eine Maxime moralisch gut ist, kommt dann in Kants Kategorischem Imperativ zum Ausdruck: Eine Maxime ist dann moralisch gut, wenn sie verallgemeinerbar ist, oder, wie Kant sich ausdrückt: wenn man wollen kann, daß sie ein allgemeines Gesetz ist. W a s aber meint Kant mit „Maximen"? Und wie verhält sich die Maximen-These zur These vom an sich guten Willen? - D a r u m geht es in diesem Kapitel.

46

Maximen

Definitionen

und

Beispiele

Kant gibt in seinem Œuvre mehrere Definitionen von Maximen. Und da sein moralisches Beurteilungsprinzip, also der Kategorische Imperativ, über Maximen operiert, finden wir bei Kant auch eine Reihe von Beispielen für Maximen formuliert, dort nämlich, wo er die Anwendung des Kategorischen Imperativs vorführt. Kants

Beispiele

für

Maximen:

1.

„Seine Maxime aber ist: ich mache es mir aus Selbstliebe zum Prinzip, wenn das Leben bei seiner längeren Frist mehr Übel droht, als es Annehmlichkeit verspricht, es mir abzukürzen." (422)

2.

„... so würde seine Maxime der Handlung so lauten: wenn ich mich in Geldnot zu sein glaube, so will ich Geld borgen und versprechen, es zu bezahlen, ob ich gleich weiß, es werde niemals geschehen." (422)

3.

„Z.B. es kann sich jemand zur Maxime machen, keine Beleidigung ungerächt zu erdulden". (KprV: 19)

4.

„Ich habe z.B. es mir zur Maxime gemacht, mein Vermögen durch alle sichere Mittel zu vergrößern." (KprV: 27)

Kants

„Maximen

"-Deßnitionen:

Def. 1: „Praktische Grundsätze sind Sätze, welche eine allgemeine Bestimmung des Willens enthalten, die mehrere praktische Regeln unter sich hat. Sie sind subjektiv oder Maximen, wenn die Bedingung nur als für den Willen des Subjekts gültig von ihm angesehen wird; objektiv aber oder praktische Gesetze, wenn jene als objektiv, d.i. für den Willen jedes vernünftigen Wesens gültig, erkannt wird." (KprV: §1) Def. 2: „Maxime ist das subjektive Prinzip des Wollens; das objektive Prinzip (d. i. dasjenige, was allen vernünftigen Wesen auch subjektiv zum praktischen Prinzip dienen würde, wenn Vernunft volle Gewalt über das Begehrungsvermögen hätte) ist das praktische Gesetz." (401, Fußnote) Def. 3: „Maxime ist das subjektive Prinzip zu handeln und muß vom objektiven Prinzip, nämlich dem praktischen Gesetze, unterschieden werden. Jene enthält die praktische Regel, die die Vernunft den Bedingungen des Subjekts gemäß (öfters der Unwissenheit oder auch den Neigungen desselben) bestimmt, und ist also der Grundsatz, nach welchem das Subjekt handelt; das Gesetz aber ist das objektive Prinzip, gültig für jedes vernünftige Wesen, und der Grundsatz, nach dem es handeln soll, d.i. ein Imperativ." (421, Fußnote)

Die Merkmale von Maximen

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Maximen sind demnach also Grundsätze und haben als solche eine gewisse Allgemeinheit. Sie sind praktische Grundsätze, also Prinzipien des Wollens bzw. Handelns. 1 Und sie sind im Gegensatz zu praktischen Gesetzen subjektiv. Maximen sind also (a) subjektive (b) Grundsätze (c) des Wollens. Im folgenden werde ich zunächst die drei Merkmale von Maximen der Reihe nach durchgehen und näher erklären. Danach werden wir in der Lage sein, aus diesen Merkmalen sowie aus Kants Beispielen für Maximen so etwas wie die semantische Form von Maximen herauszudestillieren. Die Merkmale

von

Maximen

(a) Subjektivität Maximen sind subjektive Grundsätze des Wollens. Worin genau besteht ihre Subjektivität? 1. In Kants Beispielen sind Maximen Sätze in 1. Person Singular (Präsens Indikativ Aktiv): „wenn ich mich in Geldnot zu sein glaube, so will ich . . . " (zweites Beispiel). Aber die 1. Person Singular ist für die Formulierung einer Maxime nicht notwendig: Man kann auch von anderen sagen, sie hätten die-und-die Maxime. Wesentlich für Kants Gebrauch des Ausdrucks „ M a x i m e " scheint aber zu sein, daß mit einer Maxime zum Ausdruck gebracht wird, was eine einzelne Person in bestimmten Situationen tun will. Maximen sind also Sätze in 1.-3. Person Singular. Gleichwohl wird sich bei der näheren Behandlung des dritten Merkmals von Maximen zeigen, daß bei ihnen die Formulierung in der 1. Person Singular eine besondere Bedeutung hat. 2. Weil jemand in einer Maxime nur zum Ausdruck bringt, was er tun will, beansprucht er mit ihr nicht, daß andere seine Maxime teilen. Zur Subjektivität von Maximen gehört, daß wir mit ihnen keinen intersubjektiven Gültigkeitsanspruch erheben. Das unterscheidet sie von praktischen Gesetzen. 3. Zur Subjektivität von Maximen gehört außerdem, daß sie nichts sind, weis eine Person bloß hat; nichts, was man einer Person allein aufgrund einer Regelmäßigkeit in ihrem Verhalten zusprechen kann. Sondern man macht sich etwas zur Maxime. „Ich habe z.B. es mir zur Maxime gemacht . . . " : So redet Kant in fast allen Beispielen. Maximen sind „sich selbst auferlegte Regeln" (438). Eine Maxime zu haben, heißt für Kant offenbar, sich bewußt entschlossen zu haben, so-und-so zu handeln. Han' Diese Differenz kann m a n vernachlässigen. Denn gewollt wird in Maximen immer eine Handlung (bzw. eine Art von Handlungen), und Handlungen sind allemal gewolltes Verhalten.

48

Maximen

dein n a c h M a x i m e n ist nicht bloß regelmäßiges, sondern Verhalten.

regelgeleitetes

(b) G r u n d s ä t z e (Allgemeinheit) und als solche sind sie allgemeine Sätze. M a x i m e n sind Grundsätze, Worin b e s t e h t ihre A l l g e m e i n h e i t ? K a n t s c h r e i b t in der Definition im §1 der „ K r i t i k der p r a k t i s c h e n Vern u n f t " , daß alle p r a k t i s c h e n G r u n d s ä t z e , also auch M a x i m e n , „ m e h r e r e p r a k t i s c h e R e g e l n unter sich" h a b e n . E s ist nicht eindeutig, w a s er d a m i t m e i n t : D i e s ist nach meiner K e n n t n i s die einzige Stelle in s e i n e m Werk, an der er so redet, und er erläutert seine Redeweise nicht. Folgender Interpret a t i o n s v o r s c h l a g scheint mir a m besten zu den übrigen B e s t i m m u n g e n in den Definitionen sowie zu der sprachlichen F o r m seiner M a x i m e n - B e i s p i e l e zu p a s s e n : Wenn M a x i m e n noch Regeln unter sich haben, d a n n beziehen sie selber sich nicht direkt auf einzelne H a n d l u n g e n und H a n d l u n g s s i t u a t i o n e n , s o n d e r n nur m i t t e l b a r über andere S ä t z e , die dann regeln, wie ich mich in der S i t u a t i o n hier u n d j e t z t verheilten will. 2 Dann würde die Allgemeinheit 2

Vgl. d a z u B i t t n e r , M a x i m e n : 489-491. B i t t n e r h a t die A u f f a s s u n g v e r t r e t e n , Maxim e n seien f ü r K a n t „eigene G e s e t z e " : „ S e l b s t g e g e b e n e G e s e t z e des Hemdeins n e n n t er ' M a x i m e n ' " . In: M o r a l i s c h e s G e b o t oder A u t o n o m i e : 152; e b e n s o in: M a x i m e n , sowie in: H a n d l u n g e n u n d Wirkungen. Die R e d e von „ M a x i m e n " als s e l b s t g e g e b e nen Gesetzen ist a b e r g a n z u n - K a n t i s c h . So redet K a n t in seinen ethischen S c h r i f t e n n i r g e n d s . ( B i t t n e r k ö n n t e sich h ö c h s t e n s a u f eine Stelle in der K d r V beziehen, a n der K a n t s c h r e i b t : „ P r a k t i s c h e G e s e t z e , sofern sie zugleich s u b j e k t i v e G r ü n d e der H a n d l u n g e n , d.i. s u b j e k t i v e G r u n d s ä t z e werden, heißen M a x i m e n . " B 8 4 0 . ) In d e n e t h i s c h e n S c h r i f t e n reserviert K a n t den A u s d r u c k „ G e s e t z " gewöhnlich f ü r m o r a l i s c h e G r u n d s ä t z e o d e r I m p e r a t i v e u n d für d a s o b e r s t e M o r a l p r i n z i p , den K a t e g o r i s c h e n I m p e r a t i v : vgl. 416 u n d 420, sowie K p r V : §1. M a n c h m a l freilich, wie 412 ff., ist der A u s d r u c k „ G e s e t z " so weit verwendet, daß er kategorische u n d h y p o t h e t i s c h e I m p e r a t i v e u m f a ß t : „Weil jedes p r a k t i s c h e G e s e t z eine mögliche H a n d l u n g als g u t . . . vorstellt, s o sind a ü e I m p e r a t i v e n F o r m e l n der B e s t i m m u n g der H a n d l u n g , die n a c h d e m P r i n z i p eines in irgendeiner Art guten Willens notwendig i s t " . (414: m e i n e H e r v o r h . ) A b e r so weit, daß M a x i m e n mit eingeschlossen wären, g e b r a u c h t K a n t den A u s d r u c k „ G e s e t z " in seinen ethischen Werken nie. B i t t n e r s R e d e w e i s e von „ M a x i m e n " als s e l b s t g e g e b e n e n G e s e t z e n geht zurück auf seine m . E . f a l s c h e L e s a r t der b e r ü h m t e n Stelle 412, a n der K a n t in wenigen S ä t z e n eine Art H a n d l u n g s t h e o r i e entwickelt: " E i n j e d e s D i n g der N a t u r wirkt n a c h G e s e t z e n . N u r ein vernünftiges Wesen hat d a s Vermögen, nach der Vorstellung der G e s e t z e d.i. n a c h Prinzipien zu h a n d e l n , o d e r einen Willen. D a zur A b l e i t u n g der H a n d l u n g e n v o n G e s e t z e n Vernunft erfordert wird, so ist der Wille n i c h t s a n d e r e s als p r a k t i s c h e V e r n u n f t . " B i t t n e r m e i n t n u n , daß K a n t hier i m 2. u n d 3. S a t z u n t e r „ G e s e t z e n " M a x i m e n v e r s t e h t . D a f ü r j e d o c h spricht nichts, d a g e g e n a b e r viel: Dieselben Gesetze b e z e i c h n e t K a n t a u f d e r folgenden Seite 413 als „ o b j e k t i v e P r i n z i p i e n " u n d „ o b j e k tive G e s e t z e " u n d n e n n t die „Vorstellung eines o b j e k t i v e n Prinzips . . . e i n G e b o t . . . u n d die F o r m e l d e s G e b o t s . . . I m p e r a t i v " . D a n a c h erst k o m m t i m T e x t die U n -

Die M e r k m a l e v o n M a x i m e n

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von Maximen darin liegen können, daß sie sich auf S i t u a t i o n s t y p e n und Handlungs typen beziehen. In einer Maxime würde ich zum Ausdruck bringen, weis für eine Art von Handlung ich in Situationen einer b e s t i m m t e n Art ausführen will. Dafür spricht auch die Formulierung der Beispiele: „wenn ich mich in Geldnot zu sein glaube, so will ich Geld borgen und versprechen, es zu bezahlen . . . ". Hier ist nicht von einer bestimmten, einzelnen Situation die Rede. In allen Beispielen für Maximen wird eine Situation auf generelle Weise spezifiziert und gesagt, daß jemand sich, wenn er in Situationen dieses T y p s kommt, so-und-so verheilten will. (c) Wollenssätze Maximen drücken aus, was für eine Art von Handlung j e m a n d in Situationen eines bestimmten Typs ausführen will. Semantisch sind Maximen demnach als Absichtssätze zu klassifizieren, als allgemeine Absichtssätze. In 1. Person formuliert haben Absichtssätze einen expressiven Sinn. 3 Sie drücken jemandes Willen aus, sie sind keine Behauptungen einer Person über ihre eigenen Willensdispositionen. Da sie nichts b e h a u p t e n , sind Maximen in 1. Person auch nicht wahr oder feilsch: Handelt j e m a n d nicht so, wie er es sich vorgenommen hatte, so hat er sich nicht mit seiner Maxime geirrt, er hat sich dann vielmehr an seine Maxime nicht gehalten. Maximen in 1. Person sind auf andere Weise wertvoll als durch einen (positiven) Wahrheitswert, eine bestimmte Maxime zu haben ist vielmehr gut (oder schlecht) für eine Person, für ihr Wohl. Sie sind demnach Antworten auf praktische Fragen (und nicht auf Tatsachenfragen), die auf das abzielen, was für ihren Besitzer zu tun a m besten ist, u n d sie werden deshalb durch entsprechende Wertaussagen (und nicht durch Tatsachenb e h a u p t u n g e n ) begründet. Auf eine noch einmal andere Weise formuliert: Maximen in 1. Person Singular sind keine Selbstbeschreibungen, sondern Versuche der Selbstbestimmung; sie sind keine Selbsterfassungen, sondern das Fassen eines Entschlusses, eines allgemeinen Vorsatzes: Maximen sind Vorsätze im prägnanten Sinn: „Sätze vor . . . " , und was ihnen folgt, sind gewöhnlich Handlungen. Sie sind nicht „Sätze nach . . . " , Feststellungen post factum.

3

terscheidung von hypothetischen u n d kategorischen I m p e r a t i v e n . Also m e i n t K a n t m i t „ G e s e t z e n " h i e r k l a r e r w e i s e I m p e r a t i v e generell, wie a u c h e x p l i z i t a n d e r b e r e i t s z i t i e r t e n Stelle 414. G e s e t z e s i n d f ü r K a n t nie solche „ s u b j e k t i v e n " P r i n z i p i e n wie M a x i m e n , s o n d e r n „ o b j e k t i v e G r u n d s ä t z e " (vgl. K p r V : §1). D e s h a l b k a n n e r a u c h v o m e r s t e n S a t z u n s e r e s Z i t a t s 412 so z w a n g l o s z u m z w e i t e n ü b e r g e h e n : r h e t o r i s c h u n d d e r S a c h e n a c h . E r g e h t h i e r ü b e r v o n d e r R e d e v o n o b j e k t i v e n G e s e t z e n der N a t u r z u o b j e k t i v e n G e s e t z e n des Handelns. V g l . z u m f o l g e n d e n T u g e n d h a t , S e l b s t b e w u ß t s e i n u n d S e l b s t b e s t i m m u n g : 182 f.

50

Maximen

Maximen-Formulierungen in 2. und 3. Person ( " D u willst/sie will in Situationen jenes T y p s eine H a n d l u n g von der-und-der A r t a u s f ü h r e n " ) sind b e h a u p t e n d e Sätze, die j e m a n d e s bewußte Handlungsdispositionen beschreiben. Aber auch in 1. Person h a b e n Absichtssätze m a n c h m a l diesen deskriptiven Sinn. M a n kann auch im eigenen Fall m a n c h m a l unsicher sein, was m a n will, u n d zwar nicht in dem Sinne, daß m a n unschlüssig wäre, sondern in dem Sinn, daß m a n unsicher ist in der K e n n t n i s der eigenen H a n d l u n g s a n t r i e b e . Das k a n n d a n n passieren, wenn wir darauf a u f m e r k s a m werden, daß unser tatsächliches Verhalten nicht zu unseren b e w u ß t e n Absichten p a ß t . In solchen Fällen h a t die Frage, was m a n t u n will, nicht den Sinn einer praktischen Frage, sondern den Sinn einer A u f f o r d e r u n g zu dem delphischen „Erkenne dich selbst!" Wo allgemeine Absichtssätze in 1. Person diesen deskriptiven C h a r a k ter h a b e n („Aha, ich will also in solchen Situationen immer . . . " ) , d a h a n d e l t es sich nicht u m Maximen. W a r u m ? Weil solchen Sätzen der oben explizierte d r i t t e Aspekt der Subjektivität von Maximen fehlt: daß m a n Maximen nicht einfach h a t und deshalb ggf. bei sich vorfinden k ö n n t e , sondern daß Maximen bewußt gefaßt werden müssen. Hier liegt n u n auch der G r u n d f ü r die oben bereits e r w ä h n t e Auszeichnung von M a x i m e n Formulierungen in 1. Person. Maximen -Formulierungen in 2. u n d 3. Person beziehen sich nur dort tatsächlich auf j e m a n d e s M a x i m e n , wo zu erw a r t e n ist, ihr angeblicher Besitzer sei bereit, eine entsprechende expressiv gemeinte Formulierung in 1. Person zu äußern. Der wesentlich expressive Sinn von Maximen und ihr „Self-made-Aspekt" gehen also Hand in H a n d . 4

Die semantische

Form von

Maximen

Maximen sind also Absichtssätze, und sie sind wegen ihres C h a r a k t e r s als G r u n d s ä t z e generelle Absichtssätze. A u f g r u n d des bisher Festgestellten kann m a n n u n auch die semantische F o r m angeben, die alle M a x i m e n haben: 4

D a s heifit n u n a b e r n i c h t , d a ß d a s d r i t t e M e r k m a l v o n M a x i m e n , d a ß sie w e s e n t l i c h e x p r e s s i v e W o l l e n s s ä t z e s i n d , in i h r e m e r s t e n M e r k m a l d e r S u b j e k t i v i t ä t a u f g e h t D e n n a u c h a n d e r e s als M a x i m e n (z.B. eine T e s t a m e n t s v e r f ü g u n g ) k a n n die expliz i e r t e n S u b j e k t i v i t ä t s a s p e k t e h a b e n , o h n e ein e x p r e s s i v e r A b s i c h t s s a t z z u sein. E i n e T e s t a m e n t s Verfügung e t w a m a g als e x p r e s s i v a u f g e f a ß t w e r d e n u n d ist d o c h n i c h t A u s d r u c k einer A b s i c h t : j e d e n f a l l s d a n n n i c h t , w e n n wir A b s i c h t e n als w e s e n t l i c h auf eigene z u k ü n f t i g e H a n d l u n g s m ö g l i c h k e i t e n b e z o g e n a u f l a s s e n . Dies a b e r , auf e i g e n e z u k ü n f t i g e H a n d l u n g s m ö g l i c h k e i t e n b e z o g e n z u sein, ist j e d e n f a l l s c h a r a k t e r i s t i s c h für Maximen.

Die semantische Form von Maximen

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(M) P will, wenn sie in Situationen vom T y p S ist, eine H a n d l u n g v o m T y p a a u s f ü h r e n . (Oder: In Situationen wie S will P a t u n . ) 5 In allen M a x i m e n wird d e m n a c h eine Situation von einer b e s t i m m t e n A r t charakterisiert und gesagt, daß eine Person, wenn sie sich in einer so charakterisierten S i t u a t i o n befindet, eine Handlung einer b e s t i m m t e n A r t a u s f ü h r e n will. Hier ist eine E r l ä u t e r u n g a n g e b r a c h t : Das „ W e n n - d a n n " in einer M a xime ist nicht das „ W e n n - d a n n " hypothetischer I m p e r a t i v e . In h y p o t h e t i schen I m p e r a t i v e n , wo sie durch einen „ W e n n - d a n n " - S a t z formuliert werden, s t e h t im h y p o t h e t i s c h e n Satzteil immer ein Ausdruck für ein Ziel oder einen Zweck. In M a x i m e n steht im Wenn- Satz eine Situationsangabe: eine S i t u a t i o n s a n g a b e , die nicht auf einen Zweck oder ein Ziel hinweist. 6 Nun ist es auch einfach, das Verhältnis der Maximen-These zu unserer T h e s e (2) vom an sich guten Willen zu b e s t i m m e n , die im 1. Kapitel h a u p t s ä c h l i c h das T h e m a war. Ich h a t t e die T h e s e (2) so i n t e r p r e t i e r t , d a ß in ihr b e h a u p t e t wird, es sei die Absicht des Handelnden, worauf sich die moralische Beurteilung seiner H a n d l u n g bezieht. Uber Maximen h a b e n wir j e t z t h e r a u s g e f u n d e n , daß sie Absichtssätze, generelle Absichtssätze sind. D a n n liegt es nahe zu sagen, daß Maximen diejenigen Sätze sind, in denen die Absichten zum Ausdruck gebracht werden, die g e m ä ß der T h e s e (2) der eigentliche G e g e n s t a n d bei der moralischen Beurteilung von H a n d lungen sind. Absichten stehen also f ü r K a n t in F o r m von Maximen zur moralischen Beurteilung an. Dazu paßt die Tatsache, daß K a n t s moralisches Beurteilungsprinzip, also der Kategorische I m p e r a t i v , in den meisten seiner Formulierungen ü b e r Maximen operiert. Ich m ö c h t e in der Folge einige Fragen aufwerfen, die sich im Anschluß an unsere Maximen-Definition ergeben. Hat die Allgemeinheit, wie sie Maximen eigen ist, etwas mit der Allgemeinheit von Lebensregeln zu t u n ? 5

6

K a n t s Beispiele 1 u n d 2 haben diese Form: wenn wir einmal davon absehen, d a ß sie in der 1. Person Singular formuliert sind. Die beiden anderen Beispiele k a n n m a n n a c h ihrem Modell leicht umformulieren (wobei ich die 1. Person Singular beibehalte): 3. Wenn ich beleidigt werde, will ich mich rächen. 4. Wenn ich ein sicheres Mittel sehe, mein Vermögen zu vergrößern, will ich es ergreifen. Die These, daß Maximen eine Zweckbestimmung e n t h a l t e n würden, h a t O. Schwemm e r vertreten, in: Philosophie der Praxis: 137. - G. Patzig hat fälschlicherweise M a x i m e n und I m p e r a t i v e miteinander identifiziert: „Nach K a n t unterwerfen wir Menschen unser Handeln gewissen Regeln. Von diesen Regeln (oder 'Maximen', wie K a n t 6ie n e n n t ) sind n u n die einen hypothetisch, die anderen kategorisch, d.h. die einen sind f ü r uns n u r verbindlich, wenn wir uns b e s t i m m t e Zwecke vorgesetzt hab e n , die a n d e r e n , die K a n t 'kategorisch' nennt, e r h e b e n den Anspruch, u n b e d i n g t , also ohne Ansehen irgendeines b e s t i m m t e n Zwecks, gültig zu sein." G. Patzig, E t h i k ohne Metaphysik: 56. - Dasselbe Malheur passiert C.D. Broad, Five T y p e s of Ethical Theory: 118: „ K a n t devides principles or m a x i m s of conduct into two classes, which he calls H y p o t h e t i c a l and Categorical Imperatives."

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Maximen

Sind Maximen überhaupt Regeln: im Sinn von irgendwie normativen Prinzipien? Wie stehen Maximen qua Wollenssätze hinsichtlich der Kantischen Unterscheidung von „Wille" und „Willkür"? Handeln wir immer nach Maximen, und weis ist deren Relevanz? Lebensregeln ? In der Kant-Literatur ist die Vorstellung beliebt, daß die Allgemeinheit von Maximen diejenige von Lebensregeln ist. Danach würden sich die Vorsätze, die Kant „Maximen" genannt hat, je nach der genaueren Ausführung dieser Interpretation, auf unser ganzes Leben erstrecken, auf „die Art und Richtung meines ganzen Lebens" 7 oder auf ganze „Lebensbereiche" 8 beziehen. „Maximen sind Lebensregeln: sie sprechen aus, was für ein Mensch ich sein will .. .Sie enthalten den Sinn meines Lebens; wenn nämlich 'Sinn' . . .als Richtungssinn verstanden" wird. 9 Die Interpretation von Maximen als Lebensregeln hat den Nachteil, daß sie sich nicht direkt auf Äußerungen Kants stützen kann. Gleichwohl gibt es für diese Lesart plausible, wenn auch am Ende nicht durchschlagende Gründe. Da ist einmal der unmittelbare Wortsinn des Ausdrucks „Maxime" als oberster Grundsatz; da ist zum andern die logische Tradition, in der mit „Maxime" der oberste Satz eines Schlusses oder einer Schlußkette gemeint war. 10 Ein drittes Motiv für diese Interpretation hegt in der Hoffnung, mit ihr einem Einwand begegnen zu können 11 , der häufig gegen Kant erhoben wurde. Der Einwand besagt, daß der Kategorische Imperativ - ein Verallgemeinerungsprinzip - kein Kriterium, d.i. eine notwendige und hinreichende Bedingung für die Moralität von Maximen sei. Denn es gebe Maximen, die nicht verallgemeinerbar sind und doch nicht unmoralisch; und es gebe Maximen, die verallgemeinerbar sind, und die dennoch kein Mensch als „moralisch gut" ansehen würde. So ist z.B. eine Frühaufstehermaxime verallgemeinerbar; die Maoeime, bei einem Freund zu Abend zu essen (wenn zusammen und nur einmal am Tag zu Abend gegessen wird) ist nicht verallgemeinerbar. Aber weder ist die erste Maxime moralisch, noch ist die zweite unmoralisch. Also sei die Verallgemeinerbarkeit von Maximen, wie der Kategorische Imperativ sie für die Moralität 7 8

9

10 11

Bittner, a.a.O.: 488. Höffe, K a n t s Kategorischer I m p e r a t i v als Kriterium des Sittlichen: 92. Vgl. ebd. auch 90 f. Bittner, a.a.O.: 489. Vgl. Beck, A C o m m e n t a r y On K a n t ' s 'Critique of Practical Reason': 77, f ü r den M i n i m a „a general policy of life" ausdrücken. Vgl. a u c h T . C . Williams, T h e Concept of t h e Categorical I m p e r a t i v e : 113. Vgl. Bittner, a.a.O.: 497, Fußnote 10, sowie Beck, a.a.O. Vgl. Bittner, a.a.O.: 487; u n d Höffe, a.a.O.: 86 u n d 99.

Lebensregeln?

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von Handlungen vorschreibt, kein Kriterium ihrer Moralität. Diesem Einwand nun will man begegnen, indem man den Begriff einer Maxime so einschränkt, daß die Anwendung des Kategorischen Imperativs auf Maximen als Kriterium der Moralität von Maximen funktioniert. Dieses Manöver hat aber nur Erfolg, wenn sich beweisen läßt, daß sich gegen Lebensregeln der skizzierte Einwand in keinem Fall erheben läßt. Dieser Beweis aber ist bisher von den Lebensregel-Interpreten nicht geleistet worden. Gegen die Interpretation von Maximen als Lebensregeln spricht erstens die Alltagsrede von „Maximen", die zwar einen relativ allgemeinen Verhaltensgrundsatz, aber nicht unbedingt einen Grundsatz von so großer Allgemeinheit meint, wie sie Lebensregeln besitzen. Zweitens (und damit zusammenpassend) spricht gegen diese Interpretation die Tatsache, daß Kant unter den Maximen welche als „oberste" Maximen auszeichnet. 12 Diese obersten Maximen bringen jemandes Grundsatzentscheidung zum Ausdruck, nach dem moralischen Gesetz oder ihm entgegen zu leben: ein moralischer Mensch sein zu wollen, oder nicht. Maximen können demnach für Kant verschiedenen Allgemeinheitsgrad besitzen, und die allgemeinsten kann man sicher „Lebensregeln" nennen. Wenn es aber solche Maximen gibt, die für Kant die „obersten" sind, dann spricht das sehr dafür, daß für ihn nicht alle Maximen „so weit oben" sind. Drittens paßt die Interpretation von Maximen als Lebensregeln auch nicht auf alle Beispiele, die Kant für Maximen gibt. In dem zweiten oben zitierten Beispiel scheint sich die Maxime auf eine Ausnahmesituation zu beziehen: „wenn ich mich in Geldnot zu sein glaube, so will ich Geld borgen und versprechen, es zu bezahlen, ob ich gleich weiß, es werde niemals geschehen". Einen Vorsatz für eine Ausnahmesituation eine „Lebensregel" zu nennen, das klingt aber wenig kohärent. - Und auch das berühmte Depositum-Beispiel aus der KprV (27) paßt nicht zu der vorgeschlagenen Interpretation. Denn dort prüft Kant nicht die explizit genannte Lebensregel, „mein Vermögen durch alle sicheren Mittel zu vergrößern" auf ihre Verallgemeinerbarkeit, sondern er prüft die viel speziellere „Maxime daß jedermann ein Depositum ableugnen dürfe, dessen Niederlegung ihm niemand beweisen kann". (A.a.O.) 1 3 Viertens spricht gegen die Interpretation von Maximen als lebensregeln, daß sie Kants Vorstellung von der moralischen Beurteilung einzelner Handlungen nicht unbedingt zu größerer Plausibilistät verhilft. Für Kant 12 13

R e l i g i o n : 31 u n d 39. B i t t n e r s i e h t s e l b e r , d a ß d a s D e p o s i t u m - B e i s p i e l n i c h t z u seiner I n t e r p r e t a t i o n v o n M a x i m e n p a ß t u n d m u ß d e s h a l b s a g e n , K a n t h a b e in d e r F o r m u l i e r u n g dieses Beispiels e i n e n „ F e h l e r " g e m a c h t . A . a . O . : 497: F u ß n o t e 7.

54

Maximen

geschieht j a bekanntlich die moralische Beurteilung von Handlungen, indem der Kategorische Imperativ auf die Maxime angewendet wird, die einer Handlung zugrundehegt. Je allgemeiner jedoch „Maximen" aufgefaßt werden, um so schwieriger dürfte im Einzelfall zu entscheiden sein, unter welche Maxime eine bestimmte Handlung zu subsumieren ist. Wenn man Kants Redeweisen von „Maximen" unbedingt einen spezielleren Sinn als den, daß es sich bei ihnen um relativ allgemeine subjektive Verhaltensprinzipien handelt, geben will, orientiert man sich am besten an jenen Passagen in seinem Werk, in denen er einen Zusammenhang zwischen den Maximen einer Person und ihrem Charakter herstellt. Aufschlußreich ist hier vor allem Kants „Anthropologie" 14 , am aufschlußreichsten sind m. E. einige Reflexionen zur Anthropologie aus Kants Nachlaß. Dort heißt es z.B.: Die selbstgewählten und festen Entschließungen beweisen einen Charakter, aber nur, wenn sie sich ähnlich sind. Der sich selbst an willkürliche Regeln bindet, künstelt einen Charakter; denn das sind nicht Maximen. 1 5 ... der car acter . . . besteht in der herrschenden Regel der Handlungen, in dem principio derselben. 1 8

Es ist sicherlich nicht ganz leicht, diejenigen Verhaltensgrundsätze, in denen jemandes Charakter zum Ausdruck kommt bzw. durch die er konstituiert wird, begrifflich klar von den „willkürlichen Regeln" zu unterscheiden, die Kant in der zuerst zitierten Reflexion erwähnt. Jedenfalls sollen nach diesen Zitaten Maximen solche Regeln sein, die man dem Charakter einer Person zurechnet. Um zu ihrem Charakter gerechnet zu werden, müssen die „Entschließungen" einer Person „fest" und „sich ähnlich", sie müssen also allgemeine Handlungsdispositionen sein. Daß die allgemeinen Handlungsdispositionen, die zu jemandes Charakter gehören bzw. ihn konstituieren sollen, „selbstgewählt" sein müssen, paßt nicht nur gut mit jenem Aspekt der Subjektivität von Maximen zusammen, wonach jemandes Maxime nur ist, was er zu seiner Maxime gemacht hat. Sondern dieses Merkmal von Maximen qua Charaktereigenschaften paßt auch gut dazu, daß wir an Menschen nicht nur einzelne Handlungen, sondern auch ihren Charakter moralisch beurteilen. Es kann aber nach dem Prinzip der Einflußnahme etwas nur insoweit Gegenstand der moralischen Beurteilung sein, als es etwas ist, was der Beurteilte selber gemacht hat bzw. worauf er wenigstens Einfluß hatte. Das gilt auch für den Charakter von Personen. Wenn also Kant den Charakter mit Hilfe des Begriffs von „Maximen" 14 15



S i e h e A A V I I : 2 8 5 u n d 291 ff.; v g l . K p r V : 152. R e f l . 1 1 7 9 , A A X V , 2 . H ä l f t e : 521; eitiert n a c h B i t t n e r / C r a m e r , M a t e r i a l i e n IU K a n t s ' K r i t i k d e r p r a k t i s c h e n V e r n u n f t ' : 119. ReH. 1 1 3 0 , A A X V , 2. H ä l f t e : 503.

Regeln

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als „selbstgewählten" Handlungsregeln expliziert, dann kommt darin zum Ausdruck, daß der Charakter einer Person nur soweit Gegenstand der moralischen Beurteilung sein kann, als er von der Person beeinflussbar ist. Es sieht also so aus, daß Kant durch den Begriff von Maximen qua Ausdruck von Charakterzügen die moralische Beurteilung einzelner Handlungen, die j a für ihn in der Beurteilung der Handlungsmaxime besteht, mit der moralischen Beurteilung des ganzen Menschen zusammenbinden wollte. So heißt es z.B. in der „Religionsschrift" einmal, daß dort, wo „die freie Willkür es (d. i. das moralische Gesetz - Einf. H.K.) in ihre Maxime a u f n i m m t " , die „Beschaffenheit einer solchen Willkür der gute Charakter" ist. (Rel.: 27.) In dieselbe Richtung deutet es, wenn Kant einmal in der „Grundlegung" von „Gesinnungen, d.i. Maximen des Willens" (435) redet und damit etwas, was man nur Menschen als ganzen zuschreiben kann - Gesinnungen nämlich - mit Maximen identifiziert. Regeln Maximen, so haben wir gesehen, sind expressive Wollenssätze. Aber haben sie nicht, wie in der Literatur manchmal behauptet wird, auch ein normatives Moment? 1 7 Kant nennt Maximen selber manchmal „Regeln". Er spricht von ihnen als „sich selbst auferlegten Regeln" (438), als „das subjektive Prinzip zu handeln, was sich das Subjekt selbst zur Regel m a c h t " (MdS: 225). Nun muß man freilich die Regelhaftigkeit des Verhaltens, die man sich durch die Bildung einer Maxime vornimmt, von dem möglichen Regelcharakter der Maxime selber unterscheiden: Daß ich mir vornehme, normalerweise in bestimmten Situationen so-und-so zu handeln, bedeutet nicht automatisch auch, daß dieses Sich-Vornehmen den Charakter einer Norm hat. Maximen sind Wollenssätze, und das Wollen einer Regelmäßigkeit macht das Wollen nicht zu einem Sollen. Den Eindruck, daß Maximen, obwohl Wollenssätze, auch Handlungen vorschreiben18, muß man also anders explizieren. Mir scheint, Maximen implizieren normative Sätze, und zwar in der folgenden Weise: Wenn ich es mir zur Maxime gemacht habe, in Situationen eines bestimmten Typs eine bestimmte Art von Handlungen auszuführen, und ich bin nun in einer 17

18

Vgl. Höffe, a . a . O . : 92: „ I n d e r A n m e r k u n g » u m §1 d e r Kritik der praktischen Vernunft n e n n t K a n t als Beispiel einer M a x i m e , ' k e i n e B e l e i d i g u n g u n g e r ä c h t «u e r d u l d e n ' . D a m i t ist ein n o r m a t i v e s P r i n z i p a u s g e s p r o c h e n . " ( Z w e i t e H e r v o r h . v o n m i r . ) Vgl. a u c h A u n e , a . a . O . : 11: „ S u p p o s e t h e m a x i m or p r i n c i p l e o n w h i c h o n e a c t s is o n e p r e s c r i b i n g a c t s of b e n e v o l e n c e . " ( M e i n e H e r v o r h . ) Vgl. d a s A u n e - Z i t a t i n d e r v o r i g e n F u f l n o t e !

56

Maximen

Situation dieses T y p s , d a n n muß (soll) ich eine Handlung von jener Art a u s f ü h r e n : wenn ich meine Maxime e r n s t n e h m e und nach ihr handle. Dieses „Müssen" oder „Sollen" ist dasselbe wie im n o r m a t i v e n B e s t a n d teil hypothetischer I m p e r a t i v e . K a n t schreibt über hypothetische I m p e r a tive: Wer den Zweck will, will (sofern die V e r n u n f t auf seine Handlungen entscheidenden Einfluß h a t ) auch das dazu unentbehrlich notwendige Mittel, das in seiner Gewalt ist. (417)

O h n e den K l a m m e r a u s d r u c k wäre K a n t s B e h a u p t u n g ein deskriptiver, empirischer Satz - u n d überdies falsch. Der K l a m m e r a u s d r u c k bringt durch das W o r t „ V e r n u n f t " ein normatives Element herein: W e n n m a n vernünftig ist, ergreift m a n das beste verfügbare Mittel zu einem vorgesetzten Zweck. Diese Art von Vernünftigkeit b e d e u t e t aber nichts anderes als „Konsequenz": Wer den Zweck will, m u ß konsequenterweise auch ein entsprechendes Mittel ergeifen. Dieses „Sollen" im Sinn von „Konsequenz" ist es, das auch in Maximen impliziert ist. Wenn ich eine Maxime habe, und ein Fall t r i t t ein, der u n t e r die Maxime fallt, d a n n m u ß ich, wenn ich konsequent bin, eine H a n d l u n g von der Art ausführen, die ich mir f ü r solche Situationen v o r g e n o m m e n habe. Daß Maximen ein Sollen implizieren, wie m a n es auch in h y p o t h e t i s c h e n I m p e r a t i v e n findet, b e d e u t e t natürlich nicht eine Angleichung von Maximen an h y p o t h e t i s c h e I m p e r a t i v e . 1 9 Denn die Konsequenz, die bei hypothetischen I m p e r a t i v e n gefordert ist, bezieht sich auf eine Zweck-MittelRelation; die Konsequenz, die eine M a x i m e verlangt, bezieht sich auf die S u b s u m p t i o n von Einzelfällen u n t e r einen allgemeinen Satz, in diesem Falle eine allgemeine Absicht, die j e m a n d verfolgen will. Wille oder

Willkür?

Bekanntlich unterscheidet K a n t seit der „Metaphysik der S i t t e n " terminologisch zwischen „Wille" und „ W i l l k ü r " , u m auf diese Weise verschiedene Modi oder Instanzen des Wollens ausdrücklich voneinander abzuheben. So liegt die Frage nahe, in welchem Sinne von „Wollen" M a x i m e n Wollenssätze sind: ob sie dem „ S t a n d p u n k t der Willkür" oder dem des „Willens" zugehören. M a n h ä t t e diese Frage auch schon im R a h m e n des 1. Kapitels aufwerfen und fragen können, in welchem Sinne K a n t das W o r t „Wille" gebraucht, wenn er die T h e s e (2) vom an sich guten Willen und die These (1) vom guten Willen als dem obersten G u t aufstellt. 19

W i e die o b e n z i t i e r t e A u f f a s s u n g v o n P a t z i g n a h e l e g t .

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Wille o d e r W i l l k ü r ?

Die Unterscheidung von Wille und Willkür wird in der „Metaphysik der Sitten" auf die folgende Weise getroffen: Das Begehrungsvermögen nach Begriffen, sofern der Bestimmungsgrund desselben zur Handlung in ihm selbst, nicht in dem Objekte angetroffen wird, heißt ein Vermögen nach Belieben zu tun oder IIU lassen. Sofern es mit dem Bewußtsein des Vermögens seiner Handlung zur Hervorbringung des Objekts verbunden ist, heißt es Willkür .. . Das Begehrungsvermögen, dessen innerer Bestimmungsgrund, folglich selbst das Belieben in der Vernunft des Subjekts angetroffen wird, heißt der Wille. Der Wille ist also das Begehrungsvermögen, nicht sowohl (wie die Willkür) in Beziehung auf die Handlung, als vielmehr auf den Bestimmungsgrund der Willkür zur Handlung betrachtet, und hat selber vor sich eigentlich keinen Bestimmungsgrund, sondern ist, sofern sie die Willkür bestimmen kann, die praktische Vernunft selbst. (213) In der „Grundlegung" hatte Kant noch nicht explizit zwischen Wille und Willkür unterschieden. Aber der Unterschied ist der Sache nach vorhanden. Das kann nicht verwundern, da sich seine Theorie zwischen der „Grundlegung" und der „Metaphysik der Sitten" kaum verändert hat. Es ist deshalb relativ unproblematisch, die spätere Unterscheidung in die „Grundlegung" hineinzulegen. Es ist auch im allgemeinen problemlos feststellbar, was Kant an einer bestimmten Stelle der „Grundlegung" mit „Wille" meint: Wille oder Willkür. Betrachten wir z.B. die bekannte Stelle 412, an der Kant einen Begriff des Willens definiert: Ein jedes Ding der Natur wirkt nach Gesetzen. Nur ein vernünftiges Wesen hat das Vermögen, nach der Vorstellung der Gesetze d. i. nach Prinzipien zu handeln, oder einen Willen. Da zur Ableitung von Handlungen von Gesetzen Vernunft erfordert wird, so ist der Wille nichts anderes als praktische Vernunft. Wenn die Vernunft den Willen unausbleiblich bestimmt, so sind die Handlungen eines solchen Wesens, die als objektiv notwendig erkannt werden, auch subjektiv notwendig, d. i. der Wille ist ein Vermögen, nur dasjenige zu wählen, was die Vernunft unabhängig von der Neigung als praktisch notwendig, d. i. als gut erkennt. Der Wille, den Kant hier mit der praktischen Vernunft identifiziert, ist klarerweise der „Wille" im Sinne der späteren Terminologie. Dieser Wille ist das Bestimmende gegenüber einem anderen Willen, der das durch den ersteren Willen Bestimmte ist. Der bestimmte Wille aber ist klarerweise die „Willkür" im Sinne der späteren Terminologie. 2 0 20

W e i l Kernt i n d e r „ G r u n d l e g u n g " u n d d e r K p r V n o c h n i c h t t e r m i n o l o g i s c h z w i s c h e n „ W i l l e " u n d „ W i l l k ü r " u n t e r s c h i e d e n h a t , ist es a n j e d e r Stelle i h r e s V o r k o m m e n s e i n e n G e d a n k e n w e r t , o b die v o n i h m so geliebte R e d e w e i s e v o n d e r „ B e s t i m m u n g

des Willens" ein genitivus

subiectivus

oder ein genitivus obiectivus

ist.

58

Maximen

Man kann die Kantische Unterscheidung von Wille und Willkür in den folgenden Termini reformulieren 21 : Was Kant „Willkür" nennt, möchte ich das faktische Wollen bzw. ein Wollen 1. Stufe nennen. Das Wollen auf der 1. Stufe ist direkt auf Handlungen gerichtet. Was Kant im Gegensatz zur Willkür „Wille" nennt, nenne ich ein überlegtes Wollen, ein Wollen 2. Stufe. Dieses Wolllen 2. Stufe bezieht sich auf ein Wollen 1. Stufe: Auf der 2. Stufe nehmen wir voluntativ Stellung zu unserem Wollen 1. Stufe und versuchen es zu beeinflussen, zu steuern. Nun identifiziert Kant das Wollen 2. Stufe (den „Willen") mit der „praktischen Vernunft selbst", und dieses vernünftige Wollen wiederum identifiziert er mit einem moralischen: Der Wille macht „die Form der Tauglichkeit der Maxime der Willkür zum allgemeinen Gesetz selbst zum obersten Gesetze und Bestimmungsgrunde der Willkür" (MdS: 214). Auf das Problematische an der Identifikation von überlegtem, vernünftigem und moralischem Wollen kann ich im gegenwärtigen Kontext nicht eingehen. Wir sind hier nur darauf aus, das „Wollen" in Maximen der Unterscheidung von Wille und Willkür zuzuordnen. Der zuletzt zitierte Satz sorgt in dieser Frage für Klarheit: Kant spricht von „der Maxime der Willkür". Maximen gehören also dem Standpunkt der Willkür an. 2 2 Sie verkörpern ein Wollen 1. Stufe, das von einem Wollen höherer Stufe, auf der das moralische Gesetz plaziert ist, beeinflußt werden kann. Kant denkt das moralische Wollen also als ein Meta-Wollen: als ein Wollen höherer Stufe, das sich auf ein Wollen niederer Stufe (Maximen) bezieht. Das kommt auch in den meisten Formulierungen seines Kategorischen Imperativs zum Ausdruck: (KI)

. . .handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde. (421)

Der Punkt wird deutlich, wenn wir den grammatischen Imperativ mit Hilfe des Ausdrucks „Wollen" ausdrücken: (KI') Wolle2 nur nach derjenigen Maxime ( = Wolleni), durch die du zugleich wolleni kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde. Ein moralisches Wollen wäre demnach für Kant ein Wollen?, nur Maximen, d.i. ein allgemeines Wolleni zu haben, das verallgemeinerbar ist. 23 31

22

23

V g l . c u m f o l g e n d e n d e n A u f s a t z v o n H a r r y P r a n k f u r t , F r e e d o m of t h e W i l l a n d t h e C o n c e p t of a P e r s o n . Vgl. a u c h M d S : 226: „ V o n d e m W i l l e n g e h e n die G e s e t z e a u s ; v o n d e r W i l l k ü r die M a x i m e n . " S o w i e R e l i g i o n : 21 u n d 24. B i t t n e r lehnt d a s Zwei-Stufen-Modell des Wollens ab. E s scheint mir a b e r j e n e m M o d e l l b e i w e i t e m ü b e r l e g e n s u sein, a n d e m B i t t n e r s i c h o r i e n t i e r t , w e n n e r ü b e r die Stelle 412 s c h r e i b t : " D a i c h a b e r die a l l g e m e i n e Regel m e i n e s W o l l e n s selbst

Die Wichtigkeit von Maximen

Die Wichtigkeit

von

59

Maximen

H a n d e l n wir eigentlich i m m e r nach M a x i m e n ? W a s ist der Sinn d a v o n , M a x i m e n zu h a b e n ? M u ß eine E t h i k über M a x i m e n r e d e n ? - U m diese F r a g e n g e h t es abschließend in d i e s e m K a p i t e l . 2 4 E s ist nicht klar, ob K a n t der Meinung w a r , daß j e d e s H a n d e l n ein H a n d e l n n a c h M a x i m e n ist. Dafür spricht, daß es in seiner von ihm publizierten E t h i k in aller Regel M a x i m e n sind, die er als G e g e n s t ä n d e des m o r a l i s c h e n Urteils a n f ü h r t . A u ß e r d e m operiert sein K a t e g o r i s c h e r Imper a t i v - a l s d a s P r i n z i p der moralischen B e u r t e i l u n g - in f a s t allen seinen F o r m u l i e r u n g e n über M a x i m e n . A n d e r e r s e i t s h a t K a n t in seinen Ethik-Vorlesungen noch nicht v o n M a x i m e n als d e m eigentlichen G e g e n s t a n d bei der moralischen B e u r t e i l u n g einer H a n d l u n g g e s p r o c h e n . D o r t beziehen sich m o r a l i s c h e Urteile a u f die einzelne H a n d l u n g s a b s i c h t , a u f die „Intention der H a n d l u n g " : In allen moralischen Urteilen fassen wir den Gedanken: Wie ist die Handlang beschaffen, wenn sie allein genommen wird? Stimmt die Intention der Handlung, wenn sie zur allgemeinen Regel gemacht wird, mit sich selbst, so ist sie moralisch möglich; stimmt die Intention der Handlung, wenn sie allgemein gemacht wird, nicht mit sich selbst, so ist sie moralisch unmöglich. z.E. lügen, um ein grofies Vermögen zu erhalten; wird es allgemein gemacht, so ist es nicht möglich, solches zu erhalten, indem jeder schon den Zweck weifi. Das ist also eine unmoralische Handlung, deren Intention sich selbst aufhebt und zerstört, wenn sie zur allgemeinen Regel gemacht wird. Moralisch ist sie

24

wollen muß, wenn sie meine Maxime sein soll, so führt die Ableitung der Handlung nur von meinem Willen auf meinen Willen - von ihm, sofern er sich allgemein, zu ihm als sich besonders bestimmendem. Da er aber nur einer ist, stellt die Ableitung in Wahrheit nichts als ein Selbstverhältnis des Willens dar." (Bittner, a.a.O.: 493.) Verstehen wir aber wirklich, was ein „SelbstVerhältnis des Willens" ist? - Bittner« Überlegung scheint mir ganz abhängig zu sein von der unglücklichen Rede von „dem Willen", durch die er teilhat an jenem unseligen Hang zu Substantiven, wie er in der klassischen deutschen Philosophie grassiert. Die Rede von „dem Willen" hypostasiert etwas, was in Wirklichkeit kein selbständiger Gegenstand ist: Wollen ist ein Zustand, eine mentale Einstellung von Personen. Und da nun dieser Pseudo-Gegenstand, der Wille, „nur einer ist", kann Bittner sich ein moralisches Wollen nur als „ein Selbst Verhältnis des Willens" vorstellen. So hat die schlechte Hypostasierung auch noch das fragwürdige Reflexionsmodell des deutschen Idealismus im Gefolge. Wieviel eleganter und realistischer ist dagegen das 2-Stufen-Modell des Wollens: Personen sind es, die etwas tun wollen: nicht der Wille ist da am Werk. Und Personen haben - das ist eine empirische Tatsache — die Fähigkeit, zu ihrem Wollen noch einmal voluntativ Stellung zu nehmen. Sie können jemand sein wollen, der solche oder lieber andere Dinge tun will. Vgl. zum folgenden Marcus Singers Ausführungen in: Generalization in Bthics, K a p . DC, §1: 243-249.

60

Maximen

aber, wenn die Intention der H a n d l u n g mit sich selbst ü b e r e i n s t i m m t , wenn sie zur allgemeinen Regel gemacht wird. 2 5

Die These, daß wir immer nach Maximen handeln, wäre allenfalls plausibel, wenn damit gemeint wäre, daß es zu jeder Handlung eine Maxime gibt, nach der sie geschieht. Kant aber vertritt ja (zumindest implizit) die These, nach einer Maxime zu handeln heiße, sie sich zur Maxime gemacht zu haben. Die Auffassung aber, daß wir immer nach Maximen handeln, die wir uns bewußt gemacht haben, ist empirisch falsch. Wir machen uns nicht für alles und jedes Maximen. Nicht jeder von uns ist ein Kant. Es geht nach meiner Kenntnis aus Kants Schriften nicht hervor, warum er meinte, von der Rede von „Intentionen", wie er sie in den Ethik-Vorlesungen führte, zu der Rede von Maximen übergehen zu sollen: als demjenigen, was beurteilt wird, wenn wir eine Handlung moralisch beurteilen. So kann man hier nur Vermutungen anstellen. Die mir plausibelste Vermutung habe ich in dem Abschnitt über Maximen als Lebensregeln bereits erwähnt: Kant definiert mit Hilfe des Begriffs von Maximen den Charakter von Personen. So kann er über den Begriff von Maximen als dem an einer Handlung eigentlich moralisch Beurteilten einen Zusammenhang herstellen zwischen der moralischen Beurteilung einzelner Handlungen und der moralischen Beurteilung der ganzen Person, die diese Handlungen ausführt. Und in der Tat sind wir ja nicht hauptsächlich an einzelnen Handlungen von Personen und der Beurteilung einzelner ihrer Handlungen interessiert, sondern wir interessieren uns für ganze Personen und ihre regelmäßigen Handlungsdispositionen: dafür, was wir von ihnen in der Regel zu gewärtigen haben. Wo wir mit jemandem kooperieren wollen oder wo wir im anderen einen Freund oder Lebenspartner suchen, da wollen wir wissen, wieweit auf ihn und seine Handlungsweisen Verlaß ist, und das können wir nicht an einer einzelnen seiner Handlungen ablesen, das erfahren wir nur anhand einer Vielzahl seiner Handlungen, in denen sich, wie wir sagen, sein Charakter offenbart. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich freilich, daß Kants Konzeption von Maximen die Beurteilung des Charakters von Personen eher erschwert als erleichtert - wie sie auch schon die Beurteilung einzelner Handlungen erschwert: 1. Wir haben gesehen, daß zu Kants Begriff von Maximen gehört, daß etwas nur dann jemandes Maxime ist, wenn er sie sich zur seinen gemacht hat. Dieses aber, daß jemand sich etwas zur Maxime gemacht hat, ist schwer verifizierbar: wenn er es uns nicht ausdrücklich versichert - und seine Versicherung glaubhaft ist. Was wir an jemandes Verhalten ablesen können, ist allenfalls die Regelmäßigkeit darin, aber nicht, daß diese 25

E i n e V o r l e s u n g K a n t s ü b e r E t h i k ( H r s g . M e n z e r ) : 53. M e i n e H e r v o r h .

Die Wichtigkeit von Maximen

61

R e g e l m ä ß i g k e i t von ihm gewußt u n d gewollt ist. F ü r die moralische Beu r t e i l u n g v o n H a n d l u n g e n e b e n s o wie für die m o r a l i s c h e B e u r t e i l u n g des C h a r a k t e r s einer P e r s o n ist es a b e r natürlich wesentlich, daß sie a u s der P e r s p e k t i v e anderer P e r s o n e n möglich ist. Diese m o r a l i s c h e Beurteilbarkeit d u r c h andere ist g e f ä h r d e t , wenn m a n die B e u r t e i l u n g der einzelnen H a n d l u n g wie a u c h die B e u r t e i l u n g von j e m a n d e s C h a r a k t e r von der Beu r t e i l u n g der M a x i m e n einer P e r s o n a b h ä n g i g m a c h t . 2. F ü r die m o r a l i s c h e B e u r t e i l u n g einzelner H a n d l u n g e n reicht es m . E . , wenn m a n sich a u f die einzelne H a n d l u n g s a b s i c h t bezieht. Der Vorteil eines solchen V e r f a h r e n s b e s t e h t darin, daß die A b s i c h t , mit der j e m a n d eine H a n d l u n g a u s f ü h r t , gewöhnlich an der H a n d l u n g a b l e s b a r ist. Die B e z u g n a h m e a u f Maximen als allgemeinen A b s i c h t s s ä t z e n ist für die m o r a l i s c h e B e u r t e i l u n g einzelner H a n d l u n g e n unnötig. 3. A u c h für die m o r a l i s c h e B e u r t e i l u n g des C h a r a k t e r s von P e r s o n e n scheint mir die B e u r t e i l u n g ihrer M a x i m e n unwesentlich zu sein. E s reicht für die B e u r t e i l u n g v o n j e m a n d e s C h a r a k t e r völlig a u s , wenn m a n weiß, welche H a n d l u n g e n er regelmäßig absichtlich a u s f ü h r t . E s ist d a f ü r nicht wichtig, o b er a u c h noch die A b s i c h t , d. i. die M a x i m e h a t , diese H a n d l u n g e n regelmäßig a u s z u f ü h r e n . A b g e s e h e n a b e r d a v o n , daß wir nicht immer alle nach M a x i m e n handeln und d a ß die B e z u g n a h m e a u f M a x i m e n für die m o r a l i s c h e B e u r t e i l u n g von H a n d l u n g e n u n d C h a r a k t e r e n u n ö t i g ist, h a t es doch einen g u t e n Sinn, wenn L e u t e M a x i m e n h a b e n u n d nach M a x i m e n handeln. M a x i m e n sind im g ü n s t i g e n Fall triftige Schlußfolgerungen a u s g e m a c h t e n E r f a h r u n g e n . In ihnen k a n n sich L e b e n s e r f a h r u n g verkörpern, sie können ein D o k u m e n t menschlicher R e i f e sein. W o sie es sind, ist es klug, sie zu h a b e n u n d sich an sie zu h a l t e n . Sie e n t l a s t e n u n s v o m Uber legen, d a s ohne sie in allen E n t s c h e i d u n g s s i t u a t i o n e n neu eingestellt werden müßte. S o ermöglichen sie ein r o u t i n i e r t e s B e w ä l t i g e n öfter wiederkehrender S i t u a t i o n e n . M a x i m e n sind, u m abschließend m i t F r e u d zu reden, K u l t u r l e i s t u n g e n , durch die O r d n u n g in unser L e b e n k o m m e n kann: Die Ordnung ist eine Art Wiederholungszwang, die durch einmalige Einrichtung entscheidet, wo und wie etwas getan werden soll, so daß man in jedem gleichen Falle Zögern und Schwanken erspart. Die Wohltat der Ordnung ist ganz unleugbar, sie ermöglicht dem Menschen die beste Ausnutzung von R a u m und Zeit, während sie seine psychischen Kräfte schont. 2 6

26

Freud, Da« Unbehagen in der Kultur: 224.

3. Kapitel: Motive

Im ersten Kapitel dieser Arbeit wurde gezeigt, daß sich nach Kants Auffassung die moralische Beurteilung von Handlungen ein der Absicht des Handelnden orientiert. Im zweiten Kapitel erwiesen sich Kants „Maximen" als Sätze, in denen allgemeine Handlungsabsichten zum Ausdruck kommen: Nach Kant stehen Handlungsabsichten in Form von Maximen, also allgemeinen Absichtssätzen, zur moralischen Beurteilung an. Andersherum betrachtet: Das moralische Beurteilungsverfahren wird nach seiner Auffassung in erster Linie auf Handlungsmaximen angewendet. Aber das ist noch nicht die ganze Antwort Kants auf die Frage, worauf sich das moralische Urteil richtet, wovon es also abhängt, wie eine Handlung moralisch zu bewerten ist. Daß dies die Handlungsabsichten oder -maximen sind, ist für Kant deshalb nicht die ganze Wahrheit, weil die bloße Beurteilung von Absichten im besten Falle die Legalität einer Handlung erweisen kann. 1 Die Anwendung des moralischen Beurteilungsverfahrens auf das Wollen des Handelnden zeigt höchstens die Konformität seiner Handlung mit dem moralischen Beurteilungsprinzip, d. i. dem moralischen Gesetz; es zeigt aber nicht, daß die Handlung auch „um des Gesetzes willen"2 geschehen ist. Das aber ist gefordert für ihre Aforaütät. Auf eine weitere Weise ausgedrückt: Die Beurteilung von Handlungsabsichten zeigt bestenfalls, daß eine Handlung pßichtmäßig ist. Aber für die Moralität einer Handlung ist zusätzlich nötig, daß sie „aus Pßicht" geschieht (397 ff.; KprV: 81). Entsprechend gilt für Maximen, daß es für die Moralität ihrer Handlungen nicht ausreicht, daß eine Person nach moral1

2

I m bisherigen T e x t wurde also bei der Rede von der „moralischen B e u r t e i l u n g " (oder der " M o r a l i t ä t " ) der Ausdruck „moralisch" indifferent gegenüber der Unterscheidung von Legalität und Moralität verwendet. K p r V : 81. (Meine Hervoih.) Vgl. 390. Die Unterscheidimg von Legalität und Moralität führt K a n t in diesen Termini ein in der K p r V : 71. Vgl. MdS: 219. M a n kann die Unterscheidung der Legalität und der Moralität einer Handlung ganz unabhängig von der Frage treffen, welche Handlungen legal sind und wie m a n herausfindet, daß eine Handlung legal ist. In dem Wort „pflichtmäBig" fungiert der Teilausdruck „pflicht" in K a n t s T e x t so lange als Platzhalter, bis er durch die inhaltliche Bestimmung des moralischen Gesetzes bzw. des Kategorischen Imperativs ersetzt werden kann.

Die Fr&ge nAch der FViige

63

konformen Maximen handelt. Es kommt auf die Gründe an, aus denen sie sich eine Maxime zu eigen macht. 3 Wir sind damit also angelangt bei der These (4)

Eine Handlung ist nur dann moralisch gut 4 , wenn sie aus Päicht geschehen ist. 5

Nennen wir diese These Kants „Pflicht-These"! 6 Die Frage nach der Frage Welches ist die Frage, auf die Kant mit seiner Pflicht-These antworten wollte? Welche Form hat eine Frage, zu der eine Antwort wie „Eine moralische Handlung ist eine Handlung aus Pflicht" paßt? 3 4

5

6

Von M a x i m e n sehe ich in der Folge der Einfachheit h a l b e r meist ab. B e i dieser ersten Hälfte meiner Formulierung der Pflicht-These orientiere ich mich a n K a n t s Formulierung 390: „ D e n n bei dem, was moralisch gut sein soll, ist es nicht genug, dafi es d e m sittlichen G e s e t z e gemäß sei, sondern es muß a u c h um desselben willen g e s c h e h e n " . S t a t t der R e d e von „moralisch g u t " , die K a n t hier gebraucht, verwendet er 397 ff., wo er die Pflicht-These entwickelt, die Ausdrücke „moralischen G e h a l t " bzw. „moralischen W e r t " . Diese Formulierung der T h e s e gilt nur für so unvollkommen gute Wesen, wie wir M e n s c h e n es sind, die nicht i m m e r etwas allein deshalb schon tun, weil sie es als gut eingesehen h a b e n . B e i vollkommen guten Wesen hingegen ist der Begriff der Pflicht so deplaciert wie der des Sollens (vgl. 414). F ü r sie lautet deshalb die T h e s e : ( 4 ' ) Eine H a n d l u n g ist n u r d a n n moralisch gut, wenn sie „ u m des Gesetzes willen" geschehen ist. ( K p r V : 81) Dieses moralische G e s e t z hat a b e r für diese Wesen nicht den C h a r a k t e r eines I m p e r a t i v s , sondern ist ein Gesetz „des G u t e n " (414), also ein moralischer W e r t s a t z , der s a g t , w a s zu tun gut ist. Dies ist die T h e s e , für die K a n t s Beispiele auf den Seiten 397-399 Beispiele sind. Die Pflicht-These ( 4 ) ist wohl a u c h „ d e r erste S a t z " zu d e m „zweiten S a t z " (399), d.i. unserer M a x i m e n - T h e s e (3), u n d d e m „dritten S a t z " (400), unserer A c h t u n g s - T h e s e (5), die - m a n weifi nicht, wie - eine „Folgerung a u s beiden vorigen" ( a . a . O . ) sein soll. - K a n t h a t v e r s ä u m t , explizit z u sagen, welcher S a t z „der erste S a t z " zu den beiden anderen ist. A b e r es kann sich eigentlich nur u m die Pflicht-These handeln. Denn die A c h t u n g s - T h e s e gehört z u der Analyse des „Begriffs der Pflicht", zu der K a n t auf Seite 397 von der A n f a n g s e r ö r t e r u n g ü b e r den „guten Willen" explizit übergeht. Sie ... a u s A c h t u n g b e h a u p t e t von Handlungen, die „ P f l i c h t " sind, ihre „Notwendigkeit f ü r s G e s e t z " ( 4 0 0 ) . Wenn die A c h t u n g s - T h e s e als „dritter S a t z " eine Folgerung a u s den ersten zwei S ä t z e n - wie a u c h immer - sein soll, ist es wahrscheinlich, dafi a u c h der erste S a t z ein S a t z ü b e r „ P f l i c h t " bzw. „den Begriff der P f l i c h t " ( 3 9 7 ) ist. D a n n muß sich dieser erste S a t z zwischen d e m U b e r g a n g zur Pflicht-Analyse (mit d e m B e g i n n der Seite 397) u n d d e m „zweiten S a t z " , der M a x i m e n - T h e s e (399 E n d e ) , finden. U n d die H a u p t - T h e s e , die in d e m T e x t s t ü c k dazwischen aufgestellt wird, ist diejenige, die K a n t d u r c h die dort durchgespielten Beispiele plausibel zu m a c h e n versucht u n d die in j e d e m der Beispiele als E s s e n z herausspringt: dafi eine H a n d l u n g „nicht a u s Neigung, sondern a u s Pflicht . . . allererst den eigentlichen moralischen W e r t " hat (399). - Vgl. z u der F r a g e nach d e m „ersten S a t z " : R . P . Wolff, a . a . O . : 64 f.

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Motive

Wir fragen manchmal, „aus was heraus" jemand etwas getan hat; und mögliche Antworten auf diese Frage lauten dann: „aus Liebe", „aus Eifersucht", „aus Rache", „aus der Meinung heraus, es werde ihm nützen", „aus Neigung", „aus Pflicht(bewußtsein)". Solche Ausdrücke wie „aus . . . " stehen, in Kants Terminologie, für „Bewegungsgründe" des Wollens (389, 391, 401, 427). Statt von „Bewegungsgründen" spricht er auch von „Bewegursachen" (411, 462), und er verwendet häufig auch die vage Rede von „Bestimmungsgründen" des Willens (401, 462; KprV: 72). Kant unterscheidet zwischen objektiven und subjektiven Bewegungsgründen (427; KprV: 72), die er auch „Triebfedern" nennt (ebd.). 7 Eine Triebfeder, als ein subjektiver „Grund des Begehrens" (427), ist eine „Neigung" (400, 411) oder ein „Gefühl" (411) - wie z.B. das moralische Gefühl der Achtung (400 f.). Der objektive Bewegungsgrund des Wollens ist für Kant das moralische Gesetz (KprV: 72). 8 Kants Pflicht-These antwortet also jedenfalls auf die Frage, aus welchem Beweggrund heraus jemand handeln muß, wenn seine Handlung moralisch gut sein soll. Mit Hilfe dieser Kantischen Terminologie kann man die Pflicht-These, wonach moralisch gute Handlungen solche aus Pflicht sind, folgendermaßen auseinanderfalten: (i)

Worauf es für die moralische Beurteilung einer Handlung ankommt, ist der Beweggrund, aus dem heraus sie geschieht.

(ii) Eine Handlung ist dann moralisch gut, wenn sie aus einem objektiven, genuin moralischen Beweggrund getan wurde, nämlich „aus Pflicht". Denn der Mensch - so formuliert Kant selber - „soll . . . seine Pflicht beobachten, ohne erst zu fragen, welche Wirkung dieses auf seine Glückseligkeit haben werde, mithin aus einem moralischen Grunde" (MdS: 378). Die Moralität einer Handlung beruht „lediglich . . . a u f dem moralischen Grunde der Pflicht" (407, vgl. 390). Nennen wir, was Kant „Bewegungsgründe des Willens" genannt hat, „Motive". Aber was sind Motive? Und wie verhält sich die Rede von „Motiven" zu derjenigen von „Absichten", die zur Interpretation der These vom an sich guten Willen im 1. Kapitel benutzt wurde? Und vor allem: Wie läßt sich dasjenige Motiv genauer fassen, das für die Moralität einer Handlung ausschlaggebend sein soll - und das ich das „genuin moralische Motiv" nennen möchte? 7

8

Bisweilen verwendet K a n t a b e r a u c h den A u s d r u c k „Triebfeder" in derselben weiten B e d e u t u n g wie den Ausdruck „Bewegungsgrund". Siehe 411. Vgl. 400: „ . . . a l s o bleibt nichts f ü r den Willen übrig, was ihn b e s t i m m e n k ö n n t e , als objektiv das Gesetz u n d subjektiv reine A c h t u n ; f ü r dieses praktische G e s e t z " .

Motive vs. Absichten, Moralität vs. Legalität

Motive

vs. Absichten,

Moralität

vs.

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Legalität

Handlungen sind Stücke absichtlichen Verhaltens. Einer Handlung entspricht immer eine Absicht, mit der (oder aus der heraus) sie geschieht. Wenn wir jemanden fragen, was er mit seiner Handlung tun wollte, also was er beabsichtigt hat, hat er in aller Regel eine Antwort parat. Wenn z.B. jemand ins Wasser springt und einen anderen rettet, dann hat er mindestens die banale „Absichtserklärung" bei der Hand, er habe ins Wasser springen und den anderen retten wollen. Und auch ohne seine Auskunft haben wir als Beobachter gewöhnlich keine Probleme, seine Handlungsabsicht zu erkennen: Gegeben eine Handlung unter einer bestimmten Beschreibung, verfugen wir mit dieser Beschreibung auch über eine Beschreibung der entsprechenden Handlungsabsicht - außer in Fällen, in denen Grund zu der Annahme besteht, daß es sich um eine mißglückte Handlung handelt. Abgesehen von solchen Fällen lesen wir jemandes Absicht unmittelbar an seinem Verheilten ab. Gegeben eine bestimmte Handlung, können wir aber nicht nur nach der Absicht fragen, mit der sie ausgeführt wurde. Sondern wir können auch nach dem Grund fragen, aus dem jemand eine Handlung beabsichtigt (und ggf. getan) hat; wir können fragen, warum er die Handlung tun wollte. Diese Frage nach dem Grund, aus dem jemand etwas tun wollte, will ich als die Frage nach seinem Handlungsmotiv bezeichnen. Eine systematische Analyse des Begriffs von „Motiven" würde den Rahmen einer Kant-Arbeit sprengen. Deshalb beschränke ich mich auf einige Bemerkungen. Die Frage nach dem Motiv für eine Handlung bzw. die ihr entsprechende Handlungsabsicht ist die Frage nach einer Erklärung. Erklärungen erfolgen durch die Angabe von Ursachen, die für ein Geschehen verantwortlich sind (bzw. mit Bezug auf Gesetze, denen die Ursache/Wirkungs-Zusammenhänge folgen). Motive sind also Ursachen von Handlungen, oder wie Kant einmal schreibt: „bestimmende Ursachen des Willens" (407). Und sie sind für den, der nach solchen Ursachen fragt, Erklärungsgründe für die betreffenden Handlungen bzw. Handlungsabsichten. Motive sind aber nicht nur Eridärungsgründe, in vielen Fällen sind sie auch subjektive Rechtfertigungsgrihide: Gründe, die der Handelnde für seine Handlung hat und ggf. für ihre Begründung vorbringen kann. Die Angabe solcher Gründe geschieht häufig in Absichtssätzen. Motive sind in vielen Fällen selber Absichten. Wir reden zwar auch von Gefühlen wie Eifersucht, Liebe. Neid usf. als Handlungsmotiven. Aber das könnte darauf zurückgehen, daß Gefühle „intentionale" Komponenten haben: u.a. eine voluntative Ausrichtung auf bestimmte Arten von Handlungen. Die hier gezogene Unterscheidung zwischen Absichten und Motiven hat

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Motive

ihre Pointe in der Tatsache, daß jemand ein und dieselbe Handlung aus verschiedenen Gründen ausführen, daß jemand ein und dieselbe Absicht aus verschiedenen Motiven verfolgen kann. Gegeben eine Handlung unter einer b e s t i m m t e n Beschreibung, verfügen wir zwar gewöhnlich über eine Beschreibung einer entsprechenden Handlungsabsicht. Aber wir kennen d a m i t noch nicht (gegeben, es gibt eines) das Handlungsmotiv, die „dahin terliegende" Handlungsabsicht. Die bisherigen Ausführungen sollten klargemacht haben, daß die Ausdrücke „Absicht" und „Motiv" nicht für disjunkte Mengen von E n t i t ä t e n stehen. Zwischen Absichten und Motiven besteht kein „absoluter" Unterschied, der Unterschied zwischen Absichten und Motiven ist relativ auf eine b e s t i m m t e Handlungs- bzw. Absichtsbeschreibung. Gegeben eine b e s t i m m t e Handlungs- und die entsprechende Absichtsbeschreibung, ist ein Motiv der G r u n d / d i e Ursache, aus d e m / a u f g r u n d deren die Handlung geschieht. Diese Ursachen/Gründe sind gewöhnlich selber Absichten. Entsprechend gibt es zu jeder Handlung einen „letzten G r u n d " , den der Handelnde für sie hat, bzw. eine „oberste Bewegursache" (Kant: 462), ein letztes Motiv, eine letzte Absicht, aus der heraus die Handlung gewollt und getan wird. Der Unterschied von Absichten und Motiven (im explizierten Sinn) ist konstitutiv für die Unterscheidung der Legalität von der Moralität einer Handlung. Denn nur relativ auf eine gegebene Handlungs- bzw. Absichtsbeschreibung läßt sich die Frage stellen, ob die Handlung nicht nur pflichtgemäß, sondern auch aus Pflicht geschehen ist; ob die Handlung nicht nur moralkonform, sondern auch moral-orientiert, moralisch motiviert ist. Wieso? Wir haben im 1. Kapitel gesehen, daß dasjenige, was nach Kants Auffassung genaugenommen an einer Handlung moralisch beurteilt wird, die Handlnngsabsicht ist. Maximen erwiesen sich dann im 2. Kapitel als Sätze, in denen solche Absichten auf allgemeine Weise zum Ausdruck kommen. K a n t s moralisches Beurteilungsprinzip, der Kategorische Imperativ, operiert über Maximen, also allgemeinen Absichtssätzen. Wenn nun nach der A n w e n d u n g des Kategorischen Imperativs auf eine Handlung(sabsicht bzw. -maxime) noch eine moralische Beurteilungsfrage offen sein und die Möglichkeit eines Kontrastes zwischen der Moralität und der bloßen Legalität einer Handlung bestehen soll, dann m u ß die Handlungsabsicht bzw. -maxime, auf die der Kategorische Imperativ angewendet wird, von einer dahinterliegenden Absicht oder Maxime unterschieden werden. Der Unterschied von Legalität und Moralität setzt also den Unterschied von Absichten und Motiven (im explizierten Sinn) voraus. Ein Nebenprodukt dieser Überlegung ist dann die These, daß die Anwendung des Katego-

Die moralische Relev&ns der Motive

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rischen Imperativs auf Absichten bzw. Maximen höchstens die Legalität und nicht die Moralität einer Handlung beweisen kann. 9 Die moralische Relevanz der

Motive

Unsere moralischen Intuitionen tanzen auf die Melodie: Es kommt auf die Motive an! Aber warum ist dem so? Warum reicht es uns nicht, wenn die Leute größtenteils moralJconform handeln, warum müssen wir uns für die Motive interessieren, aus denen sie das tun? Es ist noch keine Antwort auf diese Frage, wenn man, wie im vorigen Abschnitt, darauf hinweist, daß man ein und dieselbe Handlung aus verschiedenen Gründen ausführen, daß man ein und dieselbe Absicht aus verschiedenen Motiven verfolgen kann. Denn so bleibt die Frage unbeantwortet, warum es denn für die moralische Würdigung einer Handlung wichtig ist, aus welchen Motiven sie ausgeführt wird. Kant selber gibt auf unsere Frage die folgende Antwort: Pflichtmaßige Handlungen können durch bloß „zufallige Gründe" (426) zustande kommen. Sie können „auch durch andere Ursachen zustande gebracht werden, und es brauchte also dazu nicht des Willens eines vernünftigen Wesens, worin gleichwohl das höchste und unbedingte Gute allein angetroffen werden kann" (401). Wenn zu der Pflichtmäßigkeit der Handlung (und der ihr zugrundehegenden Absicht) nicht noch ein bestimmtes, nämlich selber moralisches Motiv hinzukommt, „ist jene Gemäßheit nur sehr zufällig und mißlich, weil der unsittliche Grund zwar dann und wann gesetzmäßige, mehrmalen aber gesetzwidrige Handlungen hervorbringen wird" (390). 1 0 9

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Jedenfalls gilt das für die Grundformel des Kategorischen Imperativs (421). E s ist nicht klar, ob dasselbe auch für die anderen Formeln des Imperativs gilt. E s scheint mir eher plausibel, daß es aus analytischen Gründen nicht möglich ist, zu sagen, daß j e m a n d einen andern bloB legalerweise als Zweck an sich oder als gesetzgebendes Wesen behandelt; daß es also möglich ist, jemanden als mit dem Recht zu eigenen Zwecksetzungen ausgestattet zu behandeln und ihn gleichzeitig zu instrumentalisieren. Wenn das so ist, dann bedeutet das, daß man mit Bezug auf die Zweck-an-sichund die Autonomie-Formel des Kategorischen Imperativs die Unterscheidung von Legalität und Moralität nicht machen kann. Umso schlimmer für K a n t s These, die auch aus noch anderen Gründen mehr als zweifelhaft ist, daß die verschiedenen „Arten, das Prinzip der Sittlichkeit vorzustellen, . . . im Grunde nur so viele Formeln ebendesselben Gesetzes" sind (436). Die Auffassung, daß der Kategorische Imperativ nicht nur das Kriterium der Legalität, sondern der Moralität von Handlungen ist (und zwar in der Grundformel), wird u.a. von Höffe vertreten: Immanuel Kant: 181. Ich verstehe nicht, wie j e m a n d mit dieser Auflassung den Unterschied von Legalität und Moralität zu explizieren vermag. Vgl. 411: an dessen Statt eine vermischte Sittenlehre, die aus Triebfedern von Gefühlen und Neigungen und zugleich aus Vernunftbegriffen zusammengesetzt ist,

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Motive

Die Moralkonformität einer Handlung ist vereinbar mit beliebigen und also auch nicht-moralischen oder sogar bewußt unmoralischen Handlungsgründen. In diesem Sinne ist die Moralkonformität einer Handlung, wenn sie aus anderen als selber moralischen Motiven hervorgeht, Zufall. Ein zufälliger Grund für eine moralkonforme Handlung ist einer, der nur zufällig - und nicht absichtlich - zu pflichtgemäßen Handlungen f ü h r t . Selbst wohlwollende Neigungen gehen nach Kants Auffassung „mit anderen Neigungen zu gleichen Paaren . . . , z.E. der Neigung nach Ehre", die höchstens „glücklicherweise auf das trifft, was in der T a t gemeinnützig und pflichtmäßig . . . i s t " (398). Es ist also Glückssache, wenn eine nicht-moralisch motivierte Handlung moralkonform ist. Wenn Kant die Moralkonformität nicht-moralisch motivierter Handlungen „zufällig und mißlich" (390) nennt, so verwendet er übrigens das Wort „mißlich" anders als in dem uns gewohnten Sinn. Zu seiner Zeit bedeutete das Wort „mißlich" noch nicht soviel wie „ u n g u t " , „problematisch" usf., sondern vielmehr „unsicher", „prekär", etwas, das leicht „missen", also mißlingen, danebengehen kann. 1 1 Wo Neigungen das Handeln bestimmen, kann es leicht „danebengehen" und ist dann (mindestens) ein wenig neben der Legalität. Dies aber ist natürlich auch mißlich in unserem heutigen Sinn, und auch Kant hat es natürlich in unserem Sinn mißlich, also ungut gefunden, daß nicht-moralisch motivierte Handlungen nur zufällig moralkonform sind - und er hat es entsprechend ungut gefunden, wenn j e m a n d moralkonforme Handlungen aus nicht-moralischen Motiven ausführt. Was aber genau ist ungut daran, daß nicht-moralische Motive nur zufällig zu moralkonformen Handlungen führen? Bevor ich auf diese Frage eine Antwort zu geben versuche, möchte ich Kants Diagnose behandeln, w a r u m es ü b e r h a u p t so ist, daß nicht-moralisch motivierte Handlungen nur zufällig moralkonform sind. Die Behandlung dieser Frage wird zur Antwort auf die erste Frage nach dem Mißlichen so motivierter Handlungen überleiten. Ein zufälliger G r u n d führt nach Kant nur deshalb zufällig zu moralkonformen Handlungen, weil er eine „empirische Bewegursache" (426) ist. Denn eine empirische Bewegursache h ä t t e auch eine andere sein können (und ist deshalb nicht „notwendig"). Das moralische Motiv, meint Kant, müsse deshalb ein nicht-empirisches, ein Beweggrund „a priori" (391) sein. Diese Diagnose verdient eine kritische Betrachtung. Es ist mehr als zweifelhaft, ob man berechtigt ist zu schließen: Wenn nicht-moralische

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das G e m ü t zwischen Bewegursachen, die sich u n t e r kein Prinzip b r i n g e n lassen, die nur sehr t u f ä l l i g cum Guten, öfters aber auch zum Bösen leiten können, schwankend m a c h e n m u ß . " (Meine Hervorh.) - Vgl. Religion: 30 f. Den Hinweis auf diesen Sachverhalt verdanke ich Rüdiger Bittner: D a s U n t e r n e h m e n einer G r u n d l e g u n g zur Metaphysik der Sitten: 26, A n m e r k u n g 32.

Die m o r a l i s c h e R e l e v a n z der M o t i v e

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Motive, weil empirisch, nur zufällig sind, muß ein moralisches Motiv nichtzufällig = notwendig sein - und deshalb a priori. Kant kommt nur deshalb zu dieser Behauptung über den apriorischen Status des moralischen Motivs, weil er in seinem Argument von Handlungsgründen selber sagt, sie seien zufällig. Aber diese Redeweise ist genaugenommen unsinnig. Denn zwar hat es wohl Sinn - wir müssen in der Folge noch sehen, welchen Sinn es h a t - , von Motiven zu sagen, sie seien empirisch. Was aber aufgrund dessen zufällig ist, sind nicht die Motive selber, sondern zufällig ist dies, daß solche Motive zu moralkonformen Handlungen führen. Deshalb ist es zwar sinnvoll, zu schließen, daß also ein moralisches Motiv nicht nur zufällig, sondern notwendig zu moralkonformen Handlungen führen sollte. Diesen wünschenswerten notwendigen Zusammenhang von Motiven und moralkonformen Handlungen - wegen seiner Notwendigkeit - „a priori" zu nennen, macht aber wenig Sinn. Und erst recht scheint es unzulässig zu sein, von dem notwendigen Zusammenhang eines moralischen Motivs mit moralkonformen Handlungen auf die Notwendigkeit und deshalb Apriorität des moralischen Motivs selber zu schließen. In welchem Sinn nun kann man von nicht-moralischen Motiven sagen, sie seien „empirisch" - und führten deshalb nur zufällig zu moralkonformen Handlungen? Nicht-moralische Motive sind in dem Sinne empirisch, daß sie von der individuellen Bedürfnislage einer Person sowie von Situationsumständen abhängen. Bei veränderter Bedürfnislage oder Situation wird j e m a n d , dessen nicht-moralisches Motiv jetzt (zufällig) zu einer moralkonformen Handlung geführt hat, Handlungsalternativen ergreifen, die nicht moralkonform sind. Entsprechend leuchtet ein, daß man von einem moralischen Motiv gerne hätte, daß es nicht in diesem Sinne bedürfnisund situationsabhängig wirkt. Diese Explikation des empirischen Charakters nicht-moralischer Motive hat nun schon übergeleitet zu der Antwort auf die Frage, was denn ungut an dem bloß zufälligen Zusammenhang zwischen solchen Motiven und moralkonformen Handlungen ist. Wenn empirische Motive situationsund bedürfnisabhängig sind und deshalb Veränderungen unterliegen, dann führen sie nicht regelmäßig oder doch jedenfalls nicht zuverlässig zu moralkonformen Handlungen. 1 2 Nun könnte jemand meinen, der Einwand der bloßen Zufälligkeit des Zustandekommens moralkonformer Handlungen, die auf empirischen Motiven beruhen, sei nur dort triftig, wo es sich bei diesen empirischen Motiven um eigennützige Neigungen handelt. Der Einwand treffe aber nicht zu, wo jemand einen wohlwollenden Charakter habe und deshalb regelmäßig aus 12

Vgl. h i e r z u u n d z u m f o l g e n d e n B a r b a r a H e r m a n , O n t h e Value of A c t i n g F r o m t h e M o t i v e of D u t y , Teil II.

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Motive

wohlwollenden, menschenfreundlichen Neigungen handelt. 1 3 Dieser Eindruck aber ist falsch. Denn auch wohlwollende Neigungen führen manchmal zu moralwidrigen Handlungen. Sympathie z.B. kann ungerechte Handlungen begünstigen, Mitleid kann ungerechtfertigt sein und zu Handlungen motivieren, die nicht einmal dem Bemitleideten auf längere Sicht nützen, usf. Die Klasse der wohlwollenden Handlungen ist nur teilweise in der Klasse der pflichtgemäßen Handlungen enthalten. 1 4 Die mangelnde Regelmäßigkeit, mit der empirische, nicht-moralische Motive zu moralkonformen Handlungen führen, ihre (sozusagen) moralische Unzuverlässigkeit ist es, was Kant ungut erscheint. Mit dieser Rede von der Regelmäßigkeit und Zuverlässig- bzw. Unzuverlässigkeit von Motiven im Zustandebringen moralkonformer Handlungen haben wir aber den ausschließlichen Blick auf die einzelne Handlung aufgegeben. Regelmäßigkeit und Zuverlässigkeit lassen sich nur mit Bezug auf eine Pluralität von Handlungen aussagen. Damit richtet sich der Blick von der einzelnen Handlung auf die ganze Person, die aus dem oder jenem Motiv regelmäßig oder unregelmäßig, zuverlässig oder unzuverlässig moralisch handelt. Es sieht also so aus, als würde die Erörterung der Relevanz genuin moralischer Motive eine Brücke bauen von der moralischen Beurteilung einzelner Handlungen einer Person zu der moralischen Würdigung dieser Person im ganzen. Wir interessieren uns u.a. deswegen für die Motive, aus denen jemand handelt, weil wir uns nicht nur für seine einzelne Handlung und ihre moralische Beurteilung, sondern weil wir uns für ihn als ganze Person interessieren. Es sind ganze Personen, deren Liebe und Freundschaft wir suchen. Und für die Frage, ob wir mit jemandem Umgang haben, ob wir ihn als Freund usw. haben wollen, spielt eine wesentliche Rolle, wie wir ihn als ganze Person moralisch einzuschätzen haben. Was aber einer für ein Mensch ist, das zeigt sich an seinen (letzten) Motiven, aus denen er mehr oder weniger regelmäßig handelt. - Ich komme auf diesen Zusammenhang im nächsten Abschnitt, bei der inhaltlichen Explikation des moralischen Motivs, „aus Pflicht" zu handeln, zurück. Was hieße es nach all dem aber, moral-konforme Handlungen aus nichtzufälligen, d. i. aus Gründen zu tun, die nicht nur zufällig zu moralkonformen Handlungen führen? Was hieße es, Handlungen aus bedürfnisund situationsunabhängigen Motiven auszuführen? Eine moral-konforme Handlung aus nicht-zufälligen Gründen auszuführen, hieße, sie nicht deshalb auszuführen, weil man etwas anderes erreichen möchte (das man auch nicht wollen könnte), zu dem sie dienlich ist. Eine moralkonforme Handlung aus nicht-zufälligen Gründen auszuführen, heißt, sie um ihrer selbst 13 14

Vgl. K a n t s Beispiel „jenes M e n s c h e n f r e u n d e s " : 389 f. Vgl. H e r m a n , a . a . O . : 365.

Die moralische Relevanz der Motive

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willen auszuführen, und das heißt genauer: sie auszuführen, weil man eine Handlung ausführen will, die moralkonform ist. Ein nicht-zufälliger Grund für eine moralkonforme Handlung ist in dem Sinne nicht zufällig, daß die Handlung nicht zufällig mit dem moralischen Gesetz übereinstimmt, sondern absichtlich: deshalb, weil der Sandelnde ihre Gesetzeskonformität wollte. Was das nun wiederum genau bedeutet, ist Gegenstand des nächsten Abschnitts. Ich schließe den jetzigen Abschnitt ab, indem ich die Frage aufwerfe, w a r u m uns an der regelmäßigen und zuverlässigen Ausführung moralkonformer Handlungen so viel liegt. Wenn uns an der Nicht-Zufälligkeit und deshalb an der Regelmäßigkeit und Zuverlässigkeit der Ausführung moralkonformer Handlungen liegt, dann m a c h t das nur einen Sinn, wenn uns überhaupt etwas (und natürlich: sehr viel) an moralkonformen Handlungen liegt. Und das heißt wohl auch, daß uns an der A u s f ü h r u n g solcher Handlungen auch unabhängig von den Handlungsmotiven liegt. Daß uns viel an solchen Handlungen (auch unabhängig von den Handlungsmotiven) liegt, ist unbestreitbar: Es ist uns allemal lieber, wenn j e m a n d wenigstens moralionform handelt (wenn er schon nicht moralisch motiviert ist), als wenn er unmoralisch handelt. Aber w a r u m liegt uns daran? K a n t hat sich diese Frage nirgends explizit gestellt. Wenn er überhaupt eine Antwort auf die Frage hat, dann ist es wohl eine Antwort, die sich aus einem der Zitate entnehmen läßt, mit denen ich zu Anfang dieses Abschnitts Kants Begründung referiert habe, warum es für die moralische Beurteilung von Handlungen auf die Motive ankommt Ich zitiere noch einmal, und diesmal ausführlicher, eine Stelle auf Seite 401 der „Grundlegung": Es liegt also der moralische Wert der Handlung nicht in der Wirkung, die daraus erwartet wird, also auch nicht in irgend einem Prinzip der Handlung, welches seinen Bewegungsgrund von dieser erwarteten Wirkung zu entlehnen bedarf. Denn alle diese Wirkungen (Annehmlichkeit seines Zustandes, ja gar Beförderung fremder Glückseligkeit) konnten auch durch andere Ursachen zu stände gebracht werden, und es brauchte also daju nicht des Willens eines vernünftigen Wesens, worin gleichwohl das höchste und unbedingte Gute allein angetroffen wird. (Meine Hervorh.)

Die in diesem Zitat hervorgehobene Passage könnte Kants Antwort auf die Frage nach der Wichtigkeit legaler Handlungen, auch unabhängig von ihrer Moralität, enthalten. Es liegt uns an legalen Handlungen - so könnte Kant geantwortet haben - , weil wir in ihnen unsere vernünftige Natur realisieren. Denn legale Handlungen sind für ihn Handlungen nach dem Kategorischen Imperativ, und dieser Imperativ ist für Kant das „Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft" (KprV, §7).

72

Motive

Nun h a b e n viele von uns h e u t e (und so auch der Verfasser dieser Arbeit) Mühe, K a n t s Identifikation von Moralität und praktischer Vernunft mitzuvollziehen. Aber auch j e m a n d , der hier mit K a n t nicht mitgehen kann, wird eine A n t w o r t auf die Frage nach der Wichtigkeit moralkonformer Handlungen geben müssen. Wie könnten a l t e r n a t i v e A n t w o r t e n zu derjenigen, die ich K a n t unterstellt habe, aussehen? Ein Utilitarist, der natürlich mit Bezug auf ein Utilitätsprinzip s t a t t mit Bezug auf den Kategorischen I m p e r a t i v die Legalität einer Handlung explizieren und beurteilen würde, k ö n n t e auf unsere Frage a n t w o r t e n : Wir sind interessiert an der A u s f ü h r u n g moralkonformer H a n d l u n g e n , weil solche Handlungen das allgemeine Glück vermehren (oder doch das allgemeine Unglück verringern). Wer wie der Verfasser dieser A r b e i t auch mit dem Utilitarismus seine Mühe h a t , wird vielleicht a n t w o r t e n : Moralkonforme Handlungen sind uns auch u n a b h ä n g i g von den H a n d l u n g s m o t i v e n wichtig, weil solche H a n d l u n g e n u.a. die Rechte anderer a c h t e n , und wir wollen, daß die Rechte aller geachtet und nicht verletzt werden. Das genuin moralische

Motiv

Wir gingen in diesem Kapitel von K a n t s Pflicht-These aus, daß Handlungen, u m moralisch gut zu sein, „aus Pflicht" geschehen müssen. Die Frage, auf die K a n t mit dieser These a n t w o r t e t , erwies sich als die Frage nach dem Motiv, das vorliegen m u ß f ü r die Moralität einer H a n d l u n g . Die systematische Unterscheidung von Absichten und M o t i v e n erwies 3ich als k o n s t i t u t i v für die Unterscheidung der Moralität von der bloßen Legalität einer Handlung. Zuletzt ging es d a n n u m die Frage, w a r u m uns an der Moralität von Handlungen, w a r u m uns an den Motiven u n d also an den selber moralischen Motiven für die A u s f ü h r u n g ansonsten m o r a l k o n f o r m e r H a n d l u n g e n liegt. Nun m u ß es in der Folge d a r u m gehen, dasjenige Motiv genauer zu explizieren, aus dem nach K a n t s M e i n u n g m o r a l k o n f o r m e H a n d l u n g e n geschehen müssen, u m überdies einen „moralischen W e r t " zu haben: Gesucht ist die genaue Analyse des genuin moralischen Motivs, „aus Pflicht" zu handeln. Daß man seine Pflicht „aus Pflicht" t u n müsse - u n d erst recht K a n t s Rede, m a n müsse das moralische Gesetz „ u m des Gesetzes willen" (390; K p r V : 81) befolgen - , legt I n t e r p r e t a t i o n e n nahe, die das h e h r e Herausstreichen der Moralität einer H a n d l u n g gegenüber ihrer bloßen Legalität als einen Etikettenschwindel erscheinen lassen, durch den in Wirklichkeit einem finsteren moralischen Legalismus das W o r t geredet werde. M a n assoziiert K a n t s Pflicht-These rasch mit einer „preußischen" M e n t a l i t ä t des G e h o r s a m s u m des Gehorsams willen. In p s y c h o - a n a l y t i s c h e m Jar-

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D u genuin moralische Motiv

gon heißt der Verdacht, ein Handeln aus Pflicht sei in Wahrheit blinder Gehorsam gegenüber den Imperativen des Uber-Ichs - jenes „uns tyrannisierenden Gesellschafts-Etwas", „einer Art Angstapparat aus (kulturellem) Kalkül" 1 5 , einer internalisierten Zwangsinstanz allemal - und damit das krasse Gegenteil autonomen Verhaltens. 16 Aber bevor man Kants Rede von moralischem Handeln als Handeln „aus Pflicht" voreilig „hinterfragt" und kritisiert, sollte man zusehen, ob man diese Redeweise nicht auf eine unproblematische und ideologisch unverdächtige Weise verstehen kann. Nun hat Kant selber leider nirgends eine Analyse des moralischen Motivs, „aus Pflicht" zu handeln, unternommen. So sind wir hier auf eigene Anstrengungen angewiesen. Bereits im vorigen Abschnitt hat sich abgezeichnet, wie man das Motiv, „aus Pflicht" zu handeln, genauer zu verstehen hat. Es hieß dort, ein „nicht-zufälliger Grund für eine moralkonforme Handlung" - und diese Nichtzufälligkeit müssen wir von dem moralischen Motiv erwarten - sei „in dem Sinne nicht zufällig, daß die Handlung nicht zufällig mit dem moralischen Gesetz übereinstimmt, sondern absichtlich: deshalb, weil der Handelnde die Gesetzeskonformität seiner Handlung wollte". Es gilt nun, die letztere Formulierung näher auszuführen und zu präzisieren. Versuchen wir es mit der folgenden Explikation: Jemand handelt dann „aus Pflicht" (und damit moralisch gut), wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: (1) Der Handelnde meint, daß seine Handlung pflichtgemäß

ist.

(2) Er führt die Handlung aus, weil sie (seiner Meinung nach) pflichtgemäß ist. (3) Der Handelnde hat keinen weiteren Grund dafür, die Handlung wegen ihrer Pflichtgemäßheit auszuführen. In der Folge werde ich diese drei Bedingungen für eine Handlung „aus Pflicht" einzeln erläutern. Ad (1): Kant selber war möglicherweise der Auffassung, daß eine Handlung „aus Pflicht" objektiv pflichtmäßig sein müsse, also unabhängig von der Meinung des Handelnden. Um das Eigentümliche moralischer Handlungen herauszufiltern, verfolgteer (397 f.) eine „Methode der Isolation" 1 7 . Gleich im ersten Schritt ihrer Anwendung meint er, pflichtwidrige Handlungen von der weiteren Betrachtung ausschließen zu können: 15 16

,7

F o n t a n e , Effi Briest - mit einem Einsprengsel k la Freud. A n d e r e G r ü n d e f ü r das angeblich moralisch Abstoßende a n Handlungen aus Pflicht diskutiert Marcia Baron - u n d weist sie zurück - in: The Alleged Moral R e p u g n a n c e of Acting F r o m Duty. P a t o n s A u s d r u c k . A.a.O.: 40 ff.

74

Motive

Ich übergehe hier alle H a n d l u n g e n , die schon als pflichtwidrig erkannt werden, ob sie gleich in dieser oder jener A b s i c h t nützlich sein mögen; denn bei denen ist gar nicht einmal die Frage, o b sie aus Pfiicht Diese

These

ist

nur

dann

H a n d l u n g e n , d i e s c h o n vom rig erkannt w e r d e n " , Handlungen

richtig,

Handelnden

von vornherein

ausscheiden.

wir

sie s o

lesen,

(meine Hervorh.) als K a n d i d a t e n

daß

N i c h t d i e objektive,

tatsächlich

„alle

als p f l i c h t w i d -

für moralisch

S i e ist in m e i n e n A u g e n f a l s c h , w e n n s i e

langt, daß moralisch gute Handlungen dürfen.

wenn

geschehen sein mögen (397).

gute ver-

nicht p f l i c h t w i d r i g sein

s o n d e r n n u r d i e subjektive

Pflichtgemäßheit

e i n e r H a n d l u n g ist e i n e n o t w e n d i g e B e d i n g u n g i h r e r M o r a l i t ä t :

Es genügt,

wenn

der

der

Handelnde

übereinstimmt:

ehrlich

meint,

daß seine

Handlung

u n d w e n n es v o n d e r L a g e d e r S a c h e h e r

mit

Pflicht

sinnvollerweise

u n d w a h r h a f t i g e r w e i s e m ö g l i c h i s t , d i e s e r M e i n u n g zu s e i n . 1 8 18

Hier bin ich anderer Meinung als Richard G. Henson: W h a t K a n t M i g h t Have Said: Moral W o r t h and the Overdetermination of Dutiful Action. Henson schreibt: „ T h e crucial thing is that to be clear that the question of dutifulness is different from another interesting question which can be asked about an act, though only about an act which is dutiful, that is, is required by duty: of such an act one can ask the further question whether it has moral worth. A n d the answer to this question is that it has moral worth if and only if it is done f r o m duty. A s I read the Foundations, the agent's m o t i v e is the sole determinant of an answer to the latter question; it has nothing t o do w i t h the f o r m e r . " (40/41) - Ich finde es falsch, wenn Henson im ersten Sate des Zitats sagt, nur von Handlungen, die pflichtmäßig sind, könne überhaupt in Frage stehen, ob sie auch aus Pflicht geschehen sind. Es gibt ein irrendes moralisches Urteil zusammen mit dem M o t i v , das irrtümlich für moralkonform Gehaltene um seiner Moralkonformität willen, also aus Pflicht zu tun. V g l . dazu John Hardwig, A c t i n g f r o m D u t y But not in Accord with Duty. - Zweitens finde ich es bei Henson falsch, wenn er im letzten Satz des Zitats behauptet, die Frage nach d e m moralischen M o t i v und die Frage nach der Pflichtgemäßheit einer Handlung hingen nicht zusammen. Das M o t i v , „aus P f l i c h t " zu handeln, kann nur dort vorliegen, wo der Handelnde zumindest die Meinung hat, seine Handlung sei pflichtgemäfi. - Gerold Prauss vertritt die erstaunliche These, eine Handlung aus Pflicht könne überhaupt nicht auch pflichtmäßig sein: " D e n n sämtliche Handlungen, die 'aus' Pflicht . .. erfolgen, so könnte man meinen, sind eben damit d o c h auf j e d e n Fall - a fortiori sozusagen - dieser . . . Pflicht auch 'gemäß'. — • • • M i t dieser Meinung aber unterläge man einem Irrtum. Vielmehr geht aus Zusammenhängen, in denen K a n t zum Beispiel die der Pflicht 'gemäßen' Handlungen jeweils als bloß 'gemäße' deutlich abzuwerten pflegt, immer wieder klar hervor: Er versteht darunter ausschließlich solche, die gerade nicht 'aus' Pflicht erfolgen." (Prauss, K a n t über Freiheit als Autonomie: 72/73.) - M i t demselben Recht könnte man schließen: W e n n ich im L o t t o „ b l o ß " zwei Richtige habe, und ein anderer drei, dann kann der andere nicht auch zwei Richtige haben: weil „ b l o ß zwei R i c h t i g e " meinen L o t t o - T i p ja l ; deutlich abzuwerten p f l e g t " : kein Gewinn eben. W ä h r e n d drei Richtige ein G e w i n n sind. - M a n muß hinzufügen, daß Prauss zwei Seiten weiter (75, Fußnote 5) selber einen K a n t Satz zitiert, der seine originelle These falsifiziert: „ D e n n bei allem, was moralisch gut sein soll, ist es nicht genug, daß es d e m sittlichen Gesetz gemäß sei, sondern es muß auch um desselben willen geschehen." (390, meine Hervorh.; K a n t b e t o n t : „ g e m ä ß " und „ u m desselben w i l l e n " . )

Das genuin moralische Motiv

75

Ad (2): Dafür, daß jemand „aus Pflicht" handelt, reicht es natürlich nicht, daß er meint, seine Handlung sei moralkonform (pflichtgemäß). Und es würde auch nicht reichen, wenn er es nicht bloß meinte, sondern sogar wüßte - und seine Handlung also tatsächlich moralkonform wäre. Für ein Handeln „aus Pflicht" ist es notwendig, daß der Handelnde die Moralkonformität seiner Handlung bewußt will. Die Pflichtgemäßheit seiner Handlung muß ein/der Grund für ihn sein, aus dem er sie ausführt. Er muß die Handlung tun wollen, weil sie pflichtmäßig ist. Der Grund, moralkonforme Handlungen wegen ihrer Moralkonformität auszuführen, ist selber eine Absicht: Wer „aus Pflicht" handelt, der handelt so, weiler pflichtmäßig handeln will. Das Motiv, „aus Pflicht" zu handeln, ist aber eine ganz besondere Absicht: Es ist eine allgemeine Absicht, und es ist eine Absicht 2. Stufe. Daß das Pflicht-Motiv allgemein ist, besagt, daß es keinen einzelnen intentionalen Gegenstand hat. Daß dieses Motiv eine Absicht 2. Stufe ist, soll heißen, daß es voraussetzt, daß die Person, die nach ihm handelt, (woher auch immer) andere Absichten hat, die auf besondere intentionale Gegenstände gerichtet sind. Das moralische Motiv ist immer ein zusätzliches: ohne andere, konkrete Absichten, auf die es sich beziehen kann, ist es leer: Wer nur weiß, daß er „aus Pflicht" handeln will, der weiß noch nicht, was er tun will. „Aus Pflicht" zu handeln setzt voraus, erstens, daß jemand eine Absicht zu einer bestimmten Handlung hat, die er zweitens auf ihre Moralkonformität hin geprüft hat, und die er dann drittens im Falle ihrer Moralkonformität deshalb ausführt, weil sie (nach seiner Meinung) moralkonform ist. - Hier bestätigt sich unsere obige Überlegung, daß man zur Durchführung des moralischen Beurteilungsverfahrens, daß man zur Unterscheidung von Moralität und Legalität, daß man zur Explikation des genuin moralischen Motivs, „aus Pflicht" zu handeln, eine Unterscheidung zwischen Absichten verschiedener Stufe oder (wie wir gesagt hatten) eine Unterscheidung zwischen Absichten und Motiven machen muß. Das Motiv, „aus Pflicht" zu handeln, gehört zu einer Sorte von Absichten, die nicht selber einen konkreten Gegenstand haben, sondern die den Bereich möglicher Einzelabsichten unter einem allgemeinen Gesichtspunkt einschränken. Man könnte in diesem Sinne das genuin moralische Motiv ein formales Motiv nennen: eine Absicht, die konkrete Absichten formal, in diesem Falle: moralisch, einschränkt. Formale Motive wie das Motiv, „aus Pflicht" zu handeln, sind einschränkende, hier: moralische Bedingungen für die konkreten Absichten, aus denen jemand handelt. 1 9 13

Vgl. t u d i e s e m u n d d e m v o r i g e n A b s a t z B a r b a r a H e r m á n , a . a . O . : 372-374. Sie s c h r e i b t : „ T h i s a s p e c t of t h e m o t i v e of d u t y fíts a g e n e r a l p a t t e r n of m o t i v e s t h a t d o n o t t h e m s e l v e s h a v e a n o b j e c t (in t h e o r d i n a r y w a y ) , b u t r a t h e r set l i m i t s t o t h e

76

Motive

Ad (3): Aber auch die Erfüllung der 2. Bedingung reicht nicht hin, um die Moralität einer Handlung zu garantieren. Denn man kann von einer Handlung meinen (oder sogar wissen), daß sie moralkonform ist (1. Bedingung), und sie ausführen, weil sie moralkonform ist (2. Bedingung). Und doch kann der G r u n d , eine bewußt und absichtlich gesetzeskonforme Handlung auszuführen, ein egoistischer: nicht-moralischer oder unmoralischer G r u n d sein. Man kann eine moralkonforme Handlung deshalb bewußt und absichtlich ausführen, weil moralkonformes Verhalten praktische Vorteile: Ansehen usw. einbringt. Solch ein Verhalten aber würden wir dann nicht „moralisch" nennen. Auch der Grund, eine moralkonforme Handlung wegen ihrer Moralkonformität zu tun, muß selber ein moralischer G r u n d sein. Denselben Sachverhalt kann m a n auch folgendermaßen - und wahrscheinlich besser - ausdrücken: J e m a n d handelt d a n n „aus Pflicht", wenn er die von ihm für pflichtmäßig gehaltene Handlung ausführt, weil sie pflichtmäßig ist - und wenn er keinen weiteren G r u n d dafür hat, die pflichtmäßige Handlung wegen ihrer Pflichtmäßigkeit auszuführen. 2 0 - Die Moralkonformität der Handlung ist in diesem Fall ein letzter Handlungsgrund, eine „oberste Bewegursache" (462), eine letzte Handlungsabsicht, ein letzter Handlungszweck: ein Endzweck also: Bei einer Handlung „aus Pflicht" ist die Ausführung einer Handlung wegen ihrer Pflichtmäßigkeit nicht (nur) das Ergreifen eines Mittels für einen weiteren Zweck. 21 Die Redeweise, daß jemand, der „aus Pflicht" handelt, aus dem Grund der Moralkonformität seiner Handlung handelt: und keinen weiteren Grund dafür hat, Handlungen wegen ihrer Moralkonformität auszuführen: diese Redeweise läßt die Möglichkeit offen, daß der Handelnde noch weitere G r ü n d e für dieselbe moralkonforme Handlung hat: „Neigungen", in Kants Terminologie. Aber hier würde es sich um parallele Handlungsgründe handeln, die Neigungen wären zwar Gründe für die moralkonforme Handlung,

20

21

w a y s ( a n d w h e t h e r ) other motives m a y b e a c t e d u p o n . " (372) „. . .let us say t h a t s u c h m o t i v e s p r o v i d e limiting conditions on w h a t m a y b e done from o t h e r m o t i v e s " . (373) G e r o l d P r a u s s h a t d a s g e n u i n m o r a l i s c h e M o t i v m i t Hilfe des A u s d r u c k s „ u m w i l l e n " zu e x p l i z i e r e n v e r s u c h t : W e r „ a u s P f l i c h t " h a n d e l t , d e r h a n d e l t e d a n a c h „ u m w i l l e n d e r P f l i c h t " o d e r „ u m w i l l e f t d e r E r f ü l l u n g v o n P f l i c h t " . ( P r a u s s , a . a . O . : 75.) A b e r dies© E r k l ä r u n g d e r R e d e v o n m o r a l i s c h e n H a n d l u n g e n als H a n d l u n g e n „ a u s P f l i c h t " b r i n g t d e n e n t s c h e i d e n d e n P u n k t n i c h t h e r a u s , d a ß dieses M o t i v n ä m l i c h ein letzter H a n d l u n g s g r u n d sein muß: D e n n m a n k a n n A umwillen von B und B wiederum u m w i l l e n v o n C t u n , usf. Die d r i t t e B e d i n g u n g f ü r d a s Vorliegen des g e n u i n m o r a l i s c h e n M o t i v s , „ a u s P f l i c h t " zu h a n d e l n , i m p l i z i e r t die b e i d e n e r s t e n : W e n n f ü r j e m a n d e n die M o r a L k o n f o r m i t ä t s e i n e r H a n d l u n g d e r l e t z t e H a n d l u n g s g r u n d ist, d a n n f ü h r t er die H a n d l u n g a u s , weil sie ( n a c h s e i n e r M e i n u n g ) m o r a l k o n f o r m ist.

77

Das genuin moralische Motiv

aber sie w ä r e n nicht G r ü n d e dafür, die m o r a l k o n f o r m e H a n d l u n g

wegen

ihrer M o r a l k o n f o r m i t ä t auszuführen. M a n kann sich den g e m e i n t e n Sachv e r h a l t an f o l g e n d e m Schaubild veranschaulichen:

H (Handlung)

M (moralischer für H: weil gemäß)

P (prudentieller Grund für H: „ N e i g u n g e n " )

Grund pflicht-

/

PM (prudentieller Grund für M ) D a ß eine H a n d l u n g „aus P f l i c h t " geschieht, b e d e u t e t : F ü r eine solche H a n d l u n g g i b t es kein P M . - U m die F r a g e , ob N e i g u n g e n , die parallel zu d e m P f l i c h t - M o t i v dieselbe H a n d l u n g i n t e n d i e r e n , die M o r a l i t ä t dieser H a n d l u n g b e r ü h r e n g e h t es unten bei der B e h a n d l u n g der A u s e i n a n d e r s e t zung zwischen K a n t und Schiller. Daß jemand,

der moralisch h a n d e l t , als l e t z t e n H a n d l u n g s g r u n d

die

M o r a l k o n f o r m i t ä t seiner H a n d l u n g hat, kann m a n nun auch n o c h m i t H i l f e von F o r m u l i e r u n g e n ausdrücken, die den gesinnungsethischen der K a n t i s c h e n E t h i k ins Licht rücken.

Charakter

D a ß j e m a n d z u l e t z t w e g e n der

M o r a l k o n f o r m i t ä t einer H a n d l u n g diese H a n d l u n g ausführen w i l l , das kann nur b e d e u t e n , daß er ein moralisches (oder

einen)

diesem Mensch

und

moralischen

Standpunkt

über

Standpunkt

sein will.

diesen

zu eigen gemacht identifiziert;

hat;

daß er sich

daß er ein

den mit

moralischer

U n d v o n so j e m a n d e m w e r d e n w i r g e w i ß sagen w o l l e n ,

er h a b e eine moralische 22

hat; daß er sich

Selbstverständnis

Gesinnung.22

Diese Formulierungen lassen es der Sache (wenn auch nicht Kants Selbstverständnis) nach offen, ob zwanghafter- oder autonomerweise die Pflichtmäfligkeit seiner Handlungen für jemanden der letzte Handlungsgrund ist.

Motive

78 Moralität,

Maximen

und guter

Wille

Im folgenden Abschnitt geht es um die Frage, wie sich K a n t s These, daß moralische Handlungen „aus Pflicht" geschehen müssen, zu den beiden Thesen verhält, die in den beiden ersten Kapiteln im Mittelpunkt des Interesses standen: zu der These vom an sich guten Willen und zu der Maximen-These. Bei der Antwort auf die Frage nach dem Zusammenhang der PflichtThese mit der These vom an sich guten Willen muß man sowohl den Unterschied als auch das Verbindende beider Thesen herausstellen. Der Unterschied zwischen beiden Thesen bedeutet 2 3 , daß die Pflicht-These der These vom an sich guten Willen etwas Substantielles hinzufügt. Es kommt, in der oben eingeführten Terminologie gesprochen, für die moralische Beurteilung einer Handlung nicht nur auf die Handlungsabsicht, sondern auch auf die Handlungsmotive, insbesondere auf das letzte Motiv an, aus dem die Handlung geschieht. Während die These vom an sich guten Willen mit Bezug auf die Alternative, ob es für die moralische Beurteilung auf die Handlungs/cdgen oder die Handlungsabsicht ankommt, für die letztere Auffassung Partei nimmt, liefert die Pflicht-These eine Explikation und Präzisierung dieser Auffassung: Die Absichten, auf die es für die moralische Beurteilung einer Handlung ankommt, sind die letzten Absichten, die jemand bei seiner Handlung hat. Die Rede, daß die Pflicht-These die These vom an sich guten Willen expliziert und präzisiert, hat nun schon das Verbindende zwischen den beiden Thesen angesprochen. Die Verbindung zwischen den beiden Thesen wird 23

In der Sekundär-Literatur werden die beiden Thesen freilich manchmal miteinander identifiziert. Der Grund dafür dürfte u.a. in dem Versäumnis liegen, der Sache nach zwischen Absichten und Motiven zu unterscheiden. C.D. Broad z.B. macht keinen Unterschied zwischen Absichten und Motiven (bzw. Absichten verschiedener Stufe) und versäumt es möglicherweise deshalb, die PflichtThese von der These vom an sich guten Willen zu unterscheiden. Vgl. Broad, Five Types of Ethical Theory: 117. - Auch Bruce Aune unterscheidet in seinem „Grundlegungs"-Koimnentar nicht zwischen Absichten und Motiven. Das mag der Grund dafür sein, daß Aune lediglich über die Pflicht-These (4) handelt und die These (2) vom an sich guten Willen übergeht. Entweder hält er sie für bedeutungsgleich mit der These (4), oder, was mir wahrscheinlicher erscheint: Er hält sie für bedeutungsgleich mit der These (1) vom guten Willen als oberstem Gut. Vgl. Aune, Kant's Theory of Morals: 8 f. - Da Pa ton in seiner Behandlung der Thesen (2) und (4) (wie auch sonst in seinem Kommentar) sich Kants eigenen Redeweisen treulich anvertraut, kommt er gar nicht in die Verlegenheit, systematische Unterscheidungen wie die zwischen Absichten und Motiven zu treffen oder zu versäumen. Paton partizipiert leider an der schlechten Tradition der deutschen Philosophie, der das Bedürfnis fremd ist, sich von der Sprache der interpretierten Theorie zu lösen und sie mit systematischen Mitteln tu rekonstruieren, die unabhängig von ihr Gültigkeit beanspruchen können.

M o r a l i t ä t , M a x i m e n u n d g u t e r Wille

79

in der „Grundlegung" schon dadurch deutlich, daß Kant den Übergang seiner Betrachtungen über den guten Willen zur Analyse des Pflicht-Begriffs folgendermaßen motiviert: Um aber den Begriff eines an sich . . . guten Willens . . . zu entwickeln: wollen wir den Begriff der Pßicht vor uns nehmen, der den eines guten Willens, obzwar u n t e r gewissen subjektiven Einschränkungen und Hindernissen, enthält . . . (397)

Daß der Begriff der Pflicht den Begriff eines guten Willens in sich enthält, soll wohl heißen, daß alle Handlungen, die „aus Pflicht" getan werden, ein gutes Wollen offenbaren. Umgekehrt aber sind nicht alle Handlungen, die aus einem guten Wollen heraus geschehen, Handlungen „aus Pflicht". Und das liegt an den „subjektiven Einschränkungen und Hindernissen", die beim Pflicht-Begriff mitgedacht werden müssen und die bei einem „heiligen Willen", dem Prototyp eines guten, weil „vollkomm e n " guten Willens, nicht vorhanden sind. (413) Die „subjektiven Einschränkungen und Hindernisse", die beim Pflicht-Begriff mitzudenken sind, sind die menschlichen Bedürfnisse und Neigungen: „Der Mensch fühlt in sich selbst ein mächtiges Gegengewicht gegen alle Gebote der Pflicht . . . an seinen Bedürfnissen und Neigungen". (405) Der Mensch ist „subjektiven Bedingungen (gewissen Triebfedern) unterworfen, die nicht immer mit den objektiven übereinstimmen" (412/413). Demgegenüber kann ein „vollkommen guter Wille . . . nach seiner subjektiven Beschaffenheit nur durch die Vorstellung des Guten bestimmt werden". (414) Daher ist bei einem heiligen Willen der Pflicht-Begriff so deplaziert wie das „Sollen" eines Imperativs: „das Sollen ist hier am unrechten Orte, weil das Wollen schon von selbst mit dem Gesetz notwendig einstimmig ist" (a.a.O.). 2 4 Demnach gilt also zwar nicht, daß die These vom an sich guten Willen die Pflicht-These impliziert: wegen des Unterschiedes, den der PflichtBegriff und der Begriff eines guten Willens aufweisen. Aber eine entsprechend umformulierte Pflicht-These, die die Notwendigkeit des genuin moralischen Motiviertseins eines guten Wollens betonte, würde in der These vom an sich guten Willen enthalten sein. Denn ein Wollen ist nur dann an sich gut, wenn die letzte dabei verfolgte Absicht das Motiv ist, die für moralkonform gehaltene Handlung wegen dieser Eigenschaft zu tun. Wäre das letzte Motiv zu einer Handlung ein nicht-moralisches, dann wäre die E i n v o l l k o m m e n g u t e r Wille ist also b e i K a n t n i c h t , wie m a n c h m a l g e m e i n t wird, d a d u r c h c h a r a k t e r i s i e r t , d a ß er d e r Wille eines W e s e n s ist, d a s ü b e r h a u p t k e i n e N e i g u n g e n h a t ; d e r „Heilige des E v a n g e l i i " (408) e t w a h a t t e d u r c h a u s N e i g u n g e n . V i e l m e h r h a b e n wir es d o r t m i t e i n e m heiligen W i l l e n z u t u n , wo j e m a n d e s Neig u n g e n e n t w e d e r (auf n i c h t zufällige Weise) m i t d e m G u t e n ü b e r e i n s t i m m e n , o d e r wo i m K o n ü i k t f a l l e z w i s c h e n N e i g u n g e n u n d m o r a l i s c h e m W o l l e n j e m a n d ( a u f n i c h t z u f ä l l i g e Weise) i m m e r m o r a l i s c h h a n d e l t .

80

Motive

Handlung, wenn ü b e r h a u p t in irgendeinem Sinn gut, dies lediglich aufgrund der G ü t e dieses Motivs, also nur abgeleiteterweise (inferentiell) u n d also nicht an sich und nicht moralisch gut. Jedenfalls aber gilt, daß die Pflicht-These die T h e s e v o m an sich guten Willen impliziert. W o j e m a n d als letztes H a n d l u n g s m o t i v die Pflichtmäßigkeit seiner H a n d l u n g hat, da ist der Wille zu dieser H a n d l u n g ein g u t e r , ein an sich guter Wille. Denn wäre die letzte Absicht zu einer H a n d l u n g ein prudentielles Motiv, wäre die Handlung, wenn ü b e r h a u p t gut, nicht an sich, sondern nur abgeleiteterweise gut: abgeleitet von der a n g e n o m m e n e n G ü t e des prudentiellen Motivs. Aber die von der G ü t e eines prudentiellen Motivs abgeleitete G ü t e einer H a n d l u n g ist jedenfalls keine moralische. Wie nun verhält sich K a n t s Pflicht-These zur Maximen-These? U m dieses Verhältnis zu beschreiben, ist es nützlich, von einer Unterscheidung auszugehen und ihre Explikation zu versuchen, die im K o n t e x t des 2. Kapitels, wo sie eigentlich zu Hause ist, u n e r w ä h n t blieb: eben u m sie an der jetzigen Stelle einführen zu können. Ich meine die Unterscheidung von formalen u n d materialen Maximen. K a n t selber h a t diese Unterscheidung meines Wissens nirgends terminologisch genau so getroffen. Sie wird vielmehr von m a n c h e n I n t e r p r e t e n , und dies ganz zu Recht, in seinen Text hineingelesen. 2 5 Die Textstellen, an welche die I n t e r p r e t e n dabei anschließen können, sind erstens eine Passage im 2. A b s c h n i t t der „ G r u n d l e g u n g " , in der K a n t ganz allgemein praktische Prinzipien in formale und materiale einteilt (427); diese Unterscheidung wird d a n n j a auch für Maximen gelten. Die zweite Passage, an die sich hier a n k n ü p f e n läßt, findet sich im 1. A b s c h n i t t der „ G r u n d l e g u n g " . Dort (400) wird von Handlungen, die „aus Pflicht" geschehen, gesagt, sie seien durch ein „Prinzip a priori", durch das „formelle Prinzip des Wollens ü b e r h a u p t b e s t i m m t " . Vollständig zitiert lauten die Passagen: Praktische Prinzipien sind forma/, wenn sie von allen subjektiven Zwecken abstrahieren; sie sind aber material, wenn sie diese, mithin gewisse Triebfedern zum Grunde legen. (427) Worin kann also dieser (moralische - Einf. H.K.) Wert liegen, wenn er nicht im Willen in Beziehung auf deren (d.i. einer Handlung - Einf. H.K.) verhoffte Wirkung bestehen soll? Er kann nirgend anders liegen als im Prinzip des Willens, unangesehen der Zwecke, die durch solche Handlung bewirkt werden können; denn der Wille (hier muß ein moralischer Wille gemeint sein - Einf. H.K.) ist mitten inne zwischen seinem Prinzip a priori, welches formell ist, und zwischen seiner Triebfeder a posteriori, welche materiell ist, gleichsam auf einem Scheidewege, und da er doch irgend wodurch muß bestimmt werden, so "

Vgl. P a t o n , a.a.O.: 60-62; A u n e , a.a.O.:

1 6 ff.

Moralität, M a x i m e n und guter Wille

81

wird er durch das formelle Prinzip des Wollens überhaupt bestimmt werden müssen, wenn eine Handlung aus Pflicht geschieht, da ihm alles materielle Prinzip entzogen worden. ( 4 0 0 )

Genaugenommen unterscheidet also Kant selber nicht, wie seine Interpreten behaupten 2 6 , explizit zwischen formalen und materialen Maximen. Zwar ist in der Passage S. 400 vom „formellen Prinzip des Wollens" die Rede (und mit „Prinzip" ist hier klarerweise „Maxime" gemeint), aber das „materielle Prinzip" identifiziert Kant hier mit einer „Triebfeder a posteriori", und nicht mit einer Maxime, die sich jemand aufgrund einer solchen Triebfeder gebildet hat. Aber zusammengenommen mit der anderen Stelle (427) ist doch die Unterscheidung der Interpreten zwischen materiellen und formalen, zwischen apriorischen und aposteriorischen (empirischen) Maximen gerechtfertigt. Allein durch das Treffen dieser Unterscheidung ist aber noch nicht klar, wie in Verbindung mit Maximen die Ausdrücke „formal" und „material" zu verstehen sind. Paton z.B. expliziert die Unterscheidung mit Bezug auf eine Stelle (436), an der Kant von allen Maximen sagt, sie hätten „eine Form" und „eine Materie". Da hier etwas über alle Maximen gesagt wird, ist die Stelle untauglich, um unter den Maximen welche als materiale von anderen als formale zu unterscheiden. Und auch die Stelle 427 kann einen zu einem falschen Verständnis unserer Unterscheidung führen: und hat m.E. Paton auch zu einem falschen Verständnis gebracht. Es ist offenkundig falsch, wenn man sagt, materiale Maximen bezögen sich „auf die begehrten Zwecke, die die Handlung zu verwirklichen sucht", und formale Maximen bezögen sich nicht „auf begehrte Zwecke, die die Handlung zu verwirklichen s u c h t " . 2 7 Denn auf S. 436 heißt es eindeutig: „Alle Maximen haben . . .eine Materie, nämlich einen Zweck", und das ist auch von der Sache her klar: Maximen sind Wollenssätze, und wie bei jedem Wollen wird auch bei einer Maxime immer etwas gewollt, und dies Gewollte, der „Gegenstand des Wollens", das ist der Zweck, ist die Materie der Maxime. (Vgl. KprV: 34.) Man muß, um die Stelle 427 und damit den Unterschied von formalen und materialen Maximen angemessen zu interpretieren, die Hinsicht explizieren, in der formale Prinzipien „von allen subjektiven Zwecken abstrahieren", sowie den genauen Sinn, in dem materiale Prinzipien „diese, mithin gewisse Triebfedern zum Grunde legen" (meine Hervorh.). Es wird bei formalen praktischen Prinzipien nicht von allen subjektiven Zwecken schlechthin abstrahiert, sondern es wird von ihnen als Triebfedern, als Motiven abgesehen. Und daß materielle Maximen Triebfedern „zum Grunde 26 27

P a t o n , a . a . O . : 6 0 ; A u n e , a . a . O . : 18. Paton, a.a.O.: 6 0 / 6 1 .

82

Motive

legen", muß wohl genauer heißen, daß ihnen diese (empirischen) Triebfedern als Motive zugrunde hegen. Die Abstraktion von Zwecken, die eine moralische Maxime verlangt, ist eine Abstraktion mit Bezug auf das, wodurch „der Wille . . . m u ß bestimmt werden . . . , wenn eine Handlung aus Pflicht geschieht" (400), also eine Abstraktion von subjektiven, nichtmoralischen Motiven. Entsprechend darf man, wenn Kant sagt, der moralische Wert einer Handlung liege „im Prinzip des Willens, unangesehen der Zwecke, die durch solche Handlung bewirkt werden können" (400 - meine Hervorh.), dies nicht so verstehen, als enthielten solche moralischen Handlungen und die entsprechenden formalen Maximen keinen Zweck. Vielmehr muß bei moralischen Handlungen und entsprechenden Maximen von diesem Zweck ais Motiv für die Handlung oder das Aneignen der Maxime abgesehen werden. Die Unterscheidung von materialen und formalen Maximen hängt also nicht in der Weise von der Form und der Materie von Maximen ab, daß eine materiale Maxime eine Materie (einen Zweckbezug) hätte, und eine formale Maxime nicht. Sprachlich haben denn auch materiale und formale Maximen keine unterschiedliche Form. Es kommt für unsere Unterscheidung von formalen und materialen Maximen vielmehr auf die Motive, auf die Gründe an, aus denen sich jemand eine Maxime zu eigen macht. 2 8 Anders ausgedrückt: Ob etwas eine formale oder eine materiale Maxime ist, sieht man ihr bzw. dem Satz, in dem sie zum Ausdruck kommen kann, nicht an. Die Unterscheidung ist vielmehr eine mit Bezug auf jemanden, sie ist abhängig von den Gründen, aus denen jemand sich eine Maxime zur seinen gemacht hat. Materiale Maximen sind demnach solche, die man sich um ihrer Materie willen, in der Verfolgung subjektiver Zwecksetzungen (Neigungen), zu eigen macht. Formale Maximen dagegen sind solche, die man sich um ihrer moralischen Form willen, um ihrer Moralkonformität (bei Kant: um ihrer Verallgemeinerbarkeit) willen zu eigen gemacht hat. Formale Maximen sind solche, bei denen „die bloße gesetzgebende Form der Maximen allein der zureichende Bestimmungsgrund eines Willens" ist (KprV: 28). 2 9 28

29

Vgl. K p r V : 151: „ N u n ist z w a r k l a r , d a ß d i e j e n i g e n B e s t i m m u n g s g r ü n d e d e s W i l l e n s , welche allein die M a x i m e n e i g e n t l i c h m o r a l i s c h m a c h e n . . . " A u n e c h a r a k t e r i s i e r t f o r m a l e M a x i m e n z w a r k o r r e k t e r w e i s e n i c h t d u r c h ihre „logis c h e " , s o n d e r n d u r c h i h r e „ g e s e t z g e b e n d e F o r m " . A b e r er e x p l i z i e r t die „gesetzg e b e n d e F o r m " f o r m a l e r M a x i m e n d u r c h ihre m o r a l i s c h e A k z e p t a b i l i t ä t , also ihre o b j e k t i v e m o r a l i s c h e B e g r ü n d b a r k e i t . ( A . a . O . : 1 7 / 1 8 . ) D e m g e g e n ü b e r m e i n e ich, d a ß es f ü r d e n f o r m a l e n C h a r a k t e r m o r a l i s c h e r M a x i m e n n i c h t auf ihre objektive m o r a l i s c h e B e g r ü n d b a r k e i t , s o n d e r n auf die subjektive Begründung a n k o m m t : auf die B e g r ü n d i m g des j e w e i l i g e n S u b j e k t s d a f ü r , d a ß es sich eine M a x i m e z u r seinen m a c h t . W a r u m ? Weil e b e n j e m a n d eine M a x i m e , die m o r a l i s c h a k z e p t a b e l ( = m o

Moralität, Maximen und guter Wille

83

Das genaue Verständnis des formalen Charakters moralischer Maximen führt uns nun auf den Zusammenhang, der zwischen der Pflicht-These und der Maximen-These besteht. Die Maximen-These besagte, daß es für die moralische Beurteilung einer Handlung auf die Maxime ankommt, die ihr zugrunde liegt, und daß eine Handlung dann moralisch gut ist, wenn die Maxime gut ist, aufgrund deren sie geschieht. Das können wir jetzt auch so ausdrücken, daß eine Maxime dann gut ist, wenn sie eine formelle Maxime ist. Nun wissen wir aber auch, was es heißt, daß eine Maxime formal ist: daß nämlich der (letzte) Grund, sie sich zu eigen zu machen, derjenige ist, nach der Maxime wegen ihrer Moralkonformität handeln zu wollen. Dies ist aber die Beschreibung, die uns von der Explikation des genuin moralischen Motivs her, das die Pflicht-These für die Moralität einer Handlung fordert, vertraut ist. Von der Seite der Pflicht-These her gesehen stellt sich ihr Verhältnis zur Maximen-These so dar: Wenn jemand „aus Pflicht" handelt, dann ist seine letzte Absicht die, eine moralkonforme Handlung auszuführen. Das kann man aber auch (mit Kants Terminologie aus der „Religionsschrift": 31 und 39) so ausdrücken, daß jemand, der „aus Pflicht" handelt, als „oberste Maxime" hat, moralkonforme Handlungen auszuführen. Hier wird nun auch deutlicher, wieso ich in der Einleitung sagen konnte, daß die fünf ersten Hauptthesen, die Kant im 1. Abschnitt der „Grundlegung" aufstellt, auf je andere Weise die Generalthese spezifizieren, daß es für die moralische Beurteilung einer Handlung auf die Gesinnung des Handelnden ankommt. Jedenfalls für die These vom an sich guten Willen, für die Maximen-These und für die Pflicht-These haben wir jetzt gesehen, daß sie (cum grano salis) verschiedene Beschreibungen ein und derselben Auffassung sind: daß es für die moralische Beurteilung auf die letzten Absichten, auf die oberste Maxime, auf die grundlegenden Motive des Handelnden ankommt. Die Moralität einer Handlung ist eine Funktion der basalen voluntativen Ausrichtungen der handelnden Person. Und diese grundsätzlichen Willensorientierungen sind es, die die Gesinnung eines Menschen ausmachen.

ralkonform, legal) ist, aus egoistischen, aus Neigungs gründen haben kann. So eine Maxime wäre dann keine moralische; und da Kant moralische Maximen charakterisieren will, wenn er welchen von ihnen einen formalen Charakter zuspricht, kann man, wenn man wie Aune interpretiert, das Formale ihres Charakters nicht zutreffend erfassen.

84

Motive

Kants Pflicht-These:

Die starke

Version

Bisher habe ich Kants Pflicht-These in einer schwachen, moderaten Fassung präsentiert, so als wollte er lediglich behaupten: (4)

Eine Handlung ist nur dann moralisch gut, wenn sie aus Pflicht geschehen ist.

K a n t vertritt aber, wenn ich recht sehe, die viel stärkere These: (4*) Eine Handlung ist nur dann moralisch gut, wenn sie nur aus Pflicht und nicht aus Neigung geschehen ist. Diese Interpretation muß am Text ausgewiesen werden. Denn sie widerspricht der herrschenden Auffassung 3 0 , die Kant nur die moderate Ausgabe der Pflicht-These zuschreibt. Meine Interpretation entspricht dagegen im großen und ganzen der Schillerschen Lesart, nur daß Schiller in den bekannten Versen seine Interpretation parodistisch überspitzte und K a n t die absurd starke These unterschob: man dürfe nicht nur nicht aus Neigung handeln, sondern gegen widerstrebende Neigungen erst gewinne eine Handlung moralischen Wert. Doch Schillers Verse sind j a bekanntlich „dürftige Dichtung und noch dürftigere Kritik" 3 1 , sie verdienen also wohl kaum, wieder und wieder zitiert zu werden. Ich zitiere: Gewissensskrupel Gerne dien ich den Freunden, doch tu ich es leider mit Neigung, Und so w u r m t mir oft, daß ich nicht tugendhaft bin. Decisium Da ist kein anderer Rat, du mußt suchen, sie zu verachten, Und mit Abscheu alsdann tun, was die Pflicht dir gebeut. 3 2 Ich möchte im Rest dieses Kapitels nicht nur die Kant-Interpretation des „schlechten Dichterphilosophen" unterstützen, sondern auch in der Sache eine Position verfechten, die als eine Weiterführung und Radikalisierung der Auffassung verstanden sein will, die Schiller in seinem Aufsatz über „ A n m u t und W ü r d e " vertritt. 30 31 32

Siehe v o r a l l e m P a t o n : 41 ff.; R o s s : 14 ff.; P a t z i g , E t h i k o h n e M e t a p h y s i k : 163 f. P a t o n : 41. Schiller, W e r k e , N a t i o n a l a u a g a b e , B d . 1: 357.

K a n t s P f l i c h t - T h e s e : Die s t a r k e Version

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Nun scheint die geläufige Lesaxt, die Kant die gemäßigte A u s g a b e der Pflicht-These zuschreibt, den Vorteil zu haben, daß sie ihm eine sachlich plausible Position zuschreiben kann. Doch das ist nur wirklich ein Vorteil, wenn sich diese Interpretation a m Text ausweisen läßt. Sie setzt sich sonst dem Verdacht aus, nicht mehr als ein Ausdruck der Liebe des Interpreten zu seinem Gegenstand zu sein. Man kann das Prinzip der wohlwollenden Interpretation („principie of charity") auch zu weit treiben, sie ist dann nur Zeugnis blinder Klassiker-Verehrung, denen man Unwahrscheinlichkeiten oder gar Falschheiten ernstlich nicht zutraut. Nun gibt es bei K a n t tatsächlich Anhaltspunkte für die Zuschreibung der moderaten Position. Bevor ich aber auf einzelne seiner Formulierungen eingehe, muß ich eine Redeweise erklären, die sie enthalten und die bis zu diesem Abschnitt in meiner Arbeit nur beiläufig vorgekommen ist. K a n t bringt die Pflicht-These mehrfach (398 f.) durch die Redeweise zum Ausdruck, nur Handlungen aus Pflicht hätten einen „moralischen" oder „sittlichen G e h a l t " (398) bzw. „sittlichen" oder „moralischen Wert" (398/399). Diese Ausdrücke stehen offenbar für dasselbe, ich kann mich deshalb auf die Explikation des vierten Ausdrucks beschränken, den Kant a m häufigsten verwendet: Wenn von etwas ohne nähere Spezifizierung gesagt wird, daß es einen Wert hat, dann bringen wir das gewöhnlich durch das allgemeinste Wertprädikat „ g u t " zum Ausdruck. Spezifischere Wertungen kann man dann ausdrücken, indem m a n dem P r ä d i k a t „ g u t " eine adverbiale Bestimmung hinzufügt, die die Hinsicht charakterisiert, in der die Güte ausgesprochen wird. Daß etwas also einen moralischen Wert hat, heißt einfach, daß es gut ist in moralischer Hinsicht. D a nach der Pflicht-These Handlungen nur dann moralisch wertvoll sind, wenn sie aus Pflicht geschehen, hat hier das Wort „moralisch" seinen anspruchsvollen Sinn: moralisch-versus-legal. Das Motiv, aus Pflicht zu handeln, gibt Handlungen also den für ihre Moralität erforderlichen moralischen Wert. 3 3 Untersuchen wir nun also einige von Kants Formulierungen der PflichtThese daraufhin, ob sie eher die Zuschreibung der starken oder der schwachen Version der T h e s e stützen! K a n t formuliert als Essenz eines ersten Beispiels für moralische Handlungen (398, Anfang), daß jemand „sein Leben . . .erhält, ohne es zu lieben, nicht aus Neigung oder Furcht, sondern aus Pflicht: alsdann hat seine Maxime einen moralischen G e h a l t " . Diesem Lebensmüden fehlt die Neigung zum Weiterleben, K a n t sagt aber nicht ex33

Vgl. K p r V : 81, wo K a n t „ d i e Moralität" explizit gleichsetzt m i t „der m o r a l i s c h e W e r t " . - Wenn meine Z u s c h r e i b u n g der s t a r k e n P f l i c h t - T h e s e s t i m m t , müßte ich freilich g e n a u e r s c h r e i b e n : D a s M o t i v , a u s Pflicht zu handeln, gibt H a n d l u n g e n bei K a n t d e n für ihre M o r a l i t ä t erforderlichen moralischen Wert: wenn es das einzige hinreichende Motiv für eine Handlung war.

86

Motive

plizit, daß die Anwesenheit von Lebenslust zusammen mit dem moralischen Motiv die Moralität eines Lebenswillens aufheben würde. - Nach Kants nächstem Beispiel (398, Mitte) hat „Wohltätig sein" aus „Vergnügen daran . . . , Freude u m sich zu verbreiten . . . , so pflichtmäßig, so liebenswürdig" es „auch ist, dennoch keinen wahren sittlichen Wert". Hat solche Wohltätigkeit also doch einen sittlichen Wert, wenn auch nicht den „wahren"? So daß das Zusammentreffen der wohltätigen Neigung mit dem moralischen Motiv also die Moralität dadurch motivierter Handlungen nicht stören müßte? Dem scheint Kant mit einer Behauptung über die wohltätige Handlung eines Menschen zu widersprechen, den „keine Neigung . . .mehr dazu anreizt" und der sie dennoch ausführt „ohne alle Neigung, lediglich aus Pflicht": „alsdann hat sie allererst ihren echten moralischen Wert". Aber auch das kann man im Sinne der Standardinterpretation so lesen, daß eine wohltätige Handlung sowohl aus Pflicht als auch aus Neigung zwar nicht „echten", aber immerhin doch moralischen Wert h ä t t e . - Und wenn Kant in einem dritten Beispiel (399) sich einen Gichtkranken vorstellt, der „seine Glückseligkeit zu befördern" sucht „nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht", und von ihm sagt, „da hat sein Verhalten allererst den eigentlichen moralischen W e r t " : so kann j e m a n d immerhin denken, ein Glückstreben sowohl aus Neigung als auch aus Pflicht hätte zwar keinen „eigentlichen moralischen W e r t " , sei aber d a r u m doch nicht ohne moralischen Wert ü b e r h a u p t . - Die Wörtchen „echt", „eigentlich" und „wahr", die den moralischen Wert neigungsmotivierter und gleichwohl auch moralisch motivierter Handlungen mindestens einschränken, könnten auf eine relative Betrachtungsweise Kants hindeuten, wonach eine Handlung mehr oder weniger großen moralischen Wert hätte: den größten dort, wo das genuin moralische Motiv unvermischt vorhegt. So würden die zitierten Formulierungen jedenfals nicht meine These stützen, daß eine Handlung für Kant bloß dann einen moralischen Wert hat, wenn sie nur aus Pflicht und nicht aus Neigung geschieht. Aber auch die Standardinterpretation kann sich auf die zitierten Formulierungen legitimerweise nicht stützen, denn Kant sagt auch nicht explizit, eine Handlung sowohl aus Pflicht als auch aus Neigung hätte moralischen Wert. 3 4 Das Problem für eine jede Interpretation besteht darin, daß Kant nicht ein einziges seiner Beispiele so konstruiert, daß in ihm beide Motive: „aus Pflicht" und „aus Neigung" zu handeln, zusammen vorliegen Sollte Kant vielleicht der sicher unhaltbaren Auffassung gewesen sein, es könne 34

Die» ist die I n t e r p r e t a t i o n s t h e s e u . a . v o n P a t o n : 42. - H e n s o n : 39, m e i n t h i n g e g e n ü b e r „die d o p p e l t e B e s t i m m u n g des W i l l e n s d u r c h P f l i c h t u n d N e i g u n g " , sie sei „a fact w h i c h h e (d.i. K a n t - H . K . ) d i d n o t s e e m t o n o t i c e " . S p ä t e s t e n s die in d e r Folge z i t i e r t e n S ä t z e a u s d e r „Religion" b e w e i s e n , d a ß H e n s o n sich irrt.

Kants Pflicht-These: Die starke Version

87

Fälle der „doppelten Motivation" oder „Überbestimmtheit des Willens" gar nicht geben? 35 Mir scheint, es gibt andere Formulierungen Kants, die eine solche Vermutung widerlegen und die meine These bestätigen, daß Kant die PflichtThese in ihrer ungemäßigten Version vertreten wollte. 36 Kant sagt von einem Hartherzigen, der dennoch wohltut: „gerade da hebt der Wert des Charakters an, der moralisch . . . i s t , nämlich daß er wohltue, nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht" (399). Wenn „ d a " der moralische Wert erst „anhebt", also anfangt, dann ist er „vorher" offenbar nicht da; „vorher", das heißt: bei Handlungen, die nicht die Bedingung erfüllen, „nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht" geschehen zu sein. Von jenem Menschenfreund, der gerne wohltut, sagt Kant, seiner „Maxime fehlt der sittliche Gehalt: nämlich solche Handlungen nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht zu tun" (398). Auf den von mir (anstelle von Kants K o m m a ) eingefügten Doppelpunkt folgt in diesem Satz offenkundig Kants Beschreibung dessen, worin der sittliche Gehalt einer Handlung besteht. Zu ihm gehört, daß eine Handlung nicht aus Neigung geschieht. Diese Auffassung vertritt Gerold Prauss in seinem Buch „ K a n t über FYeiheit als A u t o n o m i e " . Danach könnte es Handlungen, die sowohl aus Pflicht als auch aus N e i g u n g geschehen, überhaupt gar nicht geben, und zwar weil es generell nicht m ö g l i c h 6ei, daß eine Handlung gleichseitig aus mehreren Gründen geschieht. Zur Begründung schreibt Prauss über das „ a u s " in Ausdrücken wie „aus P f l i c h t " : " M i t Hilfe dieses 'aus' bezeichnet K a n t , gleichviel ob er es nun auf ' P f l i c h t ' oder 'Neigung' bezieht, den ausschlaggebenden Grund für eine Handlung . . . E b e n dies jedoch schließt dann prinzipiell aus, es könne ein und dieselbe Handlung, die 'aus P f l i c h t ' erfolgt, e t w a auch 'aus Neigung' erfolgen." (74 - meine H e r v o r h . ) Die These, daß das „aus . . . ", mit d e m K a n t M o t i v e angibt, nur auf den „ausschlaggebenden Grund für eine H a n d l u n g " hinweist, läßt sich aus K a n t s T e x t e n nicht belegen, und Prauss belegt sie tatsächlich auch nicht. U n d sie ist auch als über den unmittelbaren T e x t hinausgehende Interpretationsthese nicht zwingend - und macht K a n t s T e x t eher unplausibler. Prauss gibt zur Unterstützung seiner These eine Erklärung des „aus . . . " mit Hilfe des Ausdrucks „ u m w i l l e n " (75): "Diese Formulierung durch 'umwillen' aber stellt klar: Anders als bei jener Billardkugel müßte es sich dann durchaus nicht einfach darum handeln, daß etwa auf dasselbe, wie auf eine Kugel, zwei verschiedene Kräfte wirken und sich ausgleichen zu jener 'Resultante', was ohne weiteres möglich ist. Es müßte dann vielmehr der Fall vorliegen, daß aus demselben, nämlich aus ein und demselben Subjekt heraus, in ein und derselben Handlung ein und dieselbe Intention sowohl Erfüllung v o n Pflicht als auch Befriedigung v o n Neigung intendierte, was j e d o c h unmöglich ist, wenn anders ' P f l i c h t ' und 'Neigung' grundverschieden sind und eine intentionale Handlung auch jeweils unteilbar." (75/76)

36

Normalerweise finden wir kein P r o b l e m dabei, zu sagen, daß j e m a n d zwei und mehr M o t i v e für ein und dieselbe intendierte Handlung hat, und die Handlung dann auch aus mehr als einem M o t i v ausführt. Die Quelle von Praussens merkwürdiger Position liegt wohl in seiner (bei einem Kantianer ganz besonders überraschenden) Auffassung des " S u b j e k t s " als homogene Substanz. So interpretiert auch Hans Reiner: Die Grundlagen der Sittlichkeit: 27.

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Motive

Erhellend sind a u c h hier - wie oft bei K a n t - Stellen, an denen die jeweilige T h e s e - hier die Pflicht-These - nicht selber t h e m a t i s c h ist, sondern eher beiläufig e r w ä h n t oder wieder a u f g e n o m m e n wird. So referiert K a n t die T h e s e a m resümierenden Beginn des 2. Abschnitts (407) mit den W o r t e n , j e m a n d e s moralisch gute H a n d l u n g müsse „lediglich auf moralischen G r ü n d e n u n d der Vorstellung seiner Pflicht b e r u h t " h a b e n (meine Hervorh.). W a s f ü r moralische H a n d l u n g e n gilt, gilt auch für Regeln, wenn sie moralische sein sollen. So sagt K a n t , daß eine „allgemeine Vorschrift, sofern sie sich d e m mindesten Teile, vielleicht nur einem Bewegungsgrunde nach, auf empirische G r ü n d e s t ü t z t , zwar eine praktische Regel, niemals aber ein moralisches Gesetz heißen k a n n " (389 - meine Hervorh.). Und für den kategorischen C h a r a k t e r moralischer I m p e r a t i v e k o m m t es ihm darauf an, „ d a ß der Wille hier ohne andere Triebfeder, bloß durchs Gesetz bes t i m m t w e r d e " (419 - meine Hervorh.). Die Forderung, daß der Wille im Fall moralisch gebotener H a n d l u n g e n „ohne andere T r i e b f e d e r " b e s t i m m t werden m u ß , scheint j a doch zu implizieren, daß K a n t Fälle k e n n t , wo der Wille mit a n d e r e n Triebfedern zusammen durchs Gesetz motiviert wird. Völlige K l a r h e i t aber schaffen hierfür Formulierungen aus der „Religio n s s c h r i f t " u n d der „Kritik der praktischen V e r n u n f t " . Es ist wohl k a u m illegitim, sie hier heranzuziehen, denn es gibt keine A n h a l t s p u n k t e d a f ü r , d a ß K a n t seine Position über unseren P u n k t in der Zeit zwischen diesen Schriften g e ä n d e r t h a t . - K a n t b e h a n d e l t in der „Religion" u n t e r dem Titel der „Unlauterkeit .. des menschlichen Herzens" ( 2 9 / 3 0 ) einen „ H a n g zur Vermischung unmoralischer Triebfedern mit den moralischen" (29/30 - meine Hervorh.): . . . d i e Unlauterkeit (impuritas, improbitas) des menschlichen Herzens besteht darin, daß die Maxime dem Objekte nach (der beabsichtigten Befolgung des Gesetzes) zwar gut und vielleicht auch zur Ausübung kräftig genug, aber nicht rein moralisch ist, d.i. nicht, wie es sein sollte, das Gesetz allein zur hinreichenden Triebfeder in sich aufgenommen hat: sondern mehrenteils (vielleicht jederzeit) noch andere Triebfedern außer derselben bedarf, um dadurch die Willkür zu dem, was Pflicht fordert, zu bestimmen; mit andern Worten, daß pflichtmäßige Handlungen nicht rein aus Pflicht getan werden. (A.a.O.) Die Z i t a t e b e s t ä t i g e n , daß K a n t nicht nur das gleichzeitige Vorliegen (die „ V e r m i s c h u n g " ) moralischer und neigungsmäßiger Motive k e n n t , sond e r n daß er g e m ä ß der starken Version der Pflicht-These a u c h m e i n t , d a ß f ü r die M o r a l i t ä t einer H a n d l u n g „es sein sollte", daß „ d a s Gesetz allein zur hinreichenden T r i e b f e d e r " dient. Von „einem sittlich guten Menschen ( m o raliter bonus)" verlangt K a n t , „was die U b e r e i n s t i m m u n g der H a n d l u n g e n mit d e m Gesetz b e t r i f f t " , daß sie „es jederzeit zur alleinigen . . Triebfeder

K a n t s P f l i c h t - T h e s e : Die s t a r k e V e r s i o n

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h a b e n " (a.a.O.: 30 - zuletzt meine Hervorh.). Und in der „Kritik der praktischen V e r n u n f t " lesen wir, daß „(die Moralität), der moralische Wert, lediglich darin gesetzt werden muß, daß die Handlung aus Pflicht, d.i. bloß u m des Gesetzes willen, geschehe". (KprV: 81 - zuletzt meine Hervorh.) Es hat in den letzten Jahren zwei originelle und sehr ernstzunehmende Versuche gegeben, es entweder zu vermeiden, Kant die starke Version der Pflicht-These zuschreiben zu müssen 3 7 , oder wenigstens die kontraintuitiven Aspekte der starken Pflicht-These wegzuinterpretieren. 3 8 Richard Henson argumentiert, daß die Rede vom „moralischen W e r t " einer Handlung in der „Grundlegung" soviel wie eine Auszeichnung für einen gewonnenen Kampf mit moral-widrigen Neigungen bedeutet. Demnach h ä t t e eine Handlung keinen moralischen Wert, wo eine solche Kampfsituation nicht besteht: wo jemand sowohl aus Pflicht als auch aus Neigung moralkonform handelt. Aber das wäre nicht schlimm und es wäre auch nicht unplausibel, das Prädikat „moralischer W e r t " auf diese Weise zu verteilen: Denn es m ü ß t e dabei nicht impliziert sein, daß Handlungen mit moralischem W e r t moralisch besser wären als moralkonforme Handlungen aus Pflicht und Neigung. (Oder sogar nur aus moralkonformer Neigung! - Vgl. Henson: 50.) Wieso? Weil es zwar einerseits so ist, daß wir gerne möchten, daß im Konflikt zwischen Pflicht und Neigung das Pflichtmotiv den Ausschlag gibt - und wir das ggf. dann loben: „moralisch wertvoll". Aber andererseits ist es so, daß wir es nicht besonders gut finden, wenn j e m a n d ü b e r h a u p t in den Konflikt zwischen Pflicht- und Neigungsmotiven k o m m t , und schon gar nicht j e m a n d e m raten, solche Konfliktsituationen zu suchen und zu kultivieren, in denen er sich d a n n freilich die moralische Auszeichnung („moralisch wertvoll") verdienen könnte. Ich denke, daß B a r b a r a Herrn an mit ihrer Kritik an Henson recht hat, daß seine Interpretation nicht der Rolle gerecht wird, die das genuin moralische Motiv, „aus Pflicht" zu handeln, und infolgedessen das P r ä d i k a t des „moralischen Wertes", in der Kantischen Ethik spielt (Herman: 359). Weder erfaßt Hensons Interpretation, was das Motiv, „aus Pflicht" zu handeln, bedeutet: daß hier nämlich auf den letzten Handlungsgrund einer Person und damit auf die moralische Gesinnung dieser Person reflektiert wird. Noch kann er mit seiner Interpretation erfassen, w a r u m das Vorliegen des genuin moralischen Motivs bei allen moralkonformen Handlungen (und nicht nur beim Vorliegen moralwidriger Neigungen) wichtig ist: weil nur dieses Motiv die zuverlässige Ausführung moralkonformer Handlungen' in Aussicht stellt. 37 38

B a r b a r a H e r m a n , O n t h e V a l u e of A c t i n g P r o m t h e M o t i v e of D u t y . R i c h a r d H e n s o n , W h a t K a n t M i g h t H a v e Said: M o r a l W o r t h a n d t h e O v e r d e t e r m i n a t i o n of D u t i f u l A c t i o n .

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Motive

H e r m a n hält in ihrer eigenen K a n t - I n t e r p r e t a t i o n die Zuschreibung der starken Version der Pflicht-These für eine unzulässige Verallgemeinerung von ganz individuell gelagerten Fällen. Das Prinzip von K a n t s Beispielk o n s t r u k t i o n e n bestehe darin, daß er von derselben Person, die bislang pflichtmäßig nur aus Neigung gehandelt h a b e (und deren H a n d l u n g deshalb keinen moralischen W e r t h a t t e ) , a n n e h m e , daß sie diese Neigungen verliere: u m d a n n von ihr sagen zu können: Wenn sie d a n n doch noch pflichtmäßig handle, d a n n müsse sie wohl „aus Pflicht" handeln - und d a n n h a b e ihre H a n d l u n g moralischen Wert D a r a u s aber (so H e r m a n ) , daß ein b e s t i m m t e s I n d i v i d u u m de facto ohne moralkonforme Neigungen ist und deshalb, wenn es m o r a l k o n f o r m handelt, „aus Pflicht" h a n d e l t und seine H a n d l u n g e n deshalb moralisch wertvoll sind: d a r a u s dürfe m a n nicht schließen, daß die H a n d l u n g e n dieses Individuums, wenn es die moralkonformen Neigungen noch h ä t t e und gleichzeitig aus dem Pflichtmotiv handelte, keinen moralischen W e r t h ä t t e n : u n d daß es also f ü r die Zuschreibung von „moralischem W e r t " generell und notwendigerweise darauf a n k o m m e , daß pflichtkonforme Neigungen fehlen. Gegen H e r m a n s I n t e r p r e t a t i o n spricht erstens, daß K a n t nicht alle seine Beispiele so konstruiert, daß dieselbe Person, zuerst mit m o r a l k o n f o r m e n Neigungen a u s g e s t a t t e t , diese verliert u n d d a n n , wenn sie doch noch moralkonform h a n d e l t , klarerweise aus Pflicht handeln muß. K a n t e r w ä g t in seinem Sympathie-Beispiel, das er mit der Beschreibung „jenes Menschenfreundes" eröffnet (398), a m E n d e auch den Fall eines a n d e r e n , von diesem verschiedenen Menschen, der von „ N a t u r . . .gleichgültig gegen die Leiden anderer w ä r e " . Da m a n aber natürlich auch bei so j e m a n d e m von der T a t s a c h e , daß ihm m o r a l k o n f o r m e Neigungen fehlen, nicht schließen darf, daß, wenn er (oder sonst j e m a n d ) sie hätte, seine H a n d l u n g e n keinen moralischen W e r t h a b e n k ö n n t e n , ist dieser E i n w a n d gegen H e r m a n nur marginal. Entscheidend hingegen spricht m . E . gegen H e r m a n s I n t e r p r e t a t i o n , daß K a n t selber explizit eine generelle „ M o r a l " aus seinen Beispielen zieht: und daß seine Formulierung dieser generellen Schlußfolgerung für die Zuschreib u n g der s t a r k e n Pflicht-These spricht. K a n t schreibt a m E n d e seines Glückseligkeits-Beispiels (399): Aber auch in diesem Falle, wenn die allgemeine Neigung zur Glückseligkeit seinen Willen nicht bestimmte, wenn Gesundheit für ihn wenigstens nicht so notwendig in diesen Uberschlag gehörte, so bleibt doch hier wie in allen anderen Fällen ein Gesetn übrig, nämlich seine Glückseligkeit zu befördern, nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht, und da hat sein Verhalten allererst den eigentlichen moralischen Wert. (Meine Hervorh.)

Wai K a n t hatte sagen sollen

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Hier spricht K a n t nicht mehr von dem individuellen Fall eines Menschen, dessen Neigungen zur Glückseligkeit seinen moralkonformen Willen nicht bestimmen: und dessen Wille deshalb durch das Pflichtmotiv bes t i m m t sein muß und infolgedessen moralischen Wert hat. Sondern er zieht eine Konsequenz für diesen Fall („hier"), die auch „in allen anderen Fällen" gelten soll und die deshalb ein allgemeines „ Gesetz" ist. Und das Gesetz lautet: „seine Glückseligkeit zu befördern, nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht" (meine Hervorh.). Und wenn jemand nach diesem Gesetz handelt, „ d a hat sein Verheilten allererst den eigentlichen moralischen Wert". Was Kant hätte sagen

sollen

Die Pflicht-These ist in ihrer ungemäßigten Fassung, woneich Handlungen nur dann moralisch wären, wenn sie nur aus Pflicht und nicht aus Neigung geschehen sind, unnötig stark und deshalb unplausibel. Sie läßt sich in dieser Version nur schwer verteidigen. Das haben wohl auch die besonders wohlwollenden unter K a n t s Interpreten gespürt. Dies wird der Grund dafür sein, daß sie ihm als seine Position zuschreiben, was er leider nicht gesagt und gemeint hat, was er aber sinnvollerweise hätte sagen sollen. 3 9 Was hätte K a n t sagen sollen? 1. E s spricht nichts dagegen, eine Handlung als moralisch gut anzusehen, die sowohl aus Pflicht als auch aus Neigung geschehen ist: wenn nur das moralische Motiv den Ausschlag gab. Daß das moralische Motiv zu einer Handlung den Ausschlag gab, bedeutet, daß die Handlung auch geschehen wäre, wenn die Neigung zu ihr gefehlt hätte. Das moralische Motiv muß allein hinreichend sein, um die Handlung herbeizuführen. 4 0 Wo das der Fall ist, beeinträchtigt es den moralischen Wert einer Handlung nicht, wenn außer dem Pflichtmotiv auch noch Neigungsmotive zu der Handlung vorliegen: ob diese nun ihrerseits auch handlungswirksam werden oder nicht. 2. Es ist im Einzelfall schwer zu entscheiden, ob das Pflichtmotiv handlungswirksam war - und ob es allein ausgereicht hätte, um die moralkonforme Handlung herbeizuführen. Das ist eine kontrafaktische Erwägung, entsprechend schwer ist sie zu verifizieren. Es ist j a schon schwer genug, Aussagen über das tatsächliche Vorhegen von Motiven zu bestätigen, selbst (oder sollen wir sagen: erst recht?) im eigenen Fall: Denn es ist zwar bisweüen der Fall, dafi wir bei der schärfsten Selbstprüfung gar nichts antreffen, was aufier dem moralischen Grunde der Pflicht mäch39 40

Vgl. Paton: 22-24; Ross: 15-17; R.P. Wolff: 66. Ahnlich Paton: 42 und 43, der diese Position freilich K a n t selber zuschreibt. Dagegen hält Broad: 122, diese Position K a n t kritisch entgegen.

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Motive

tig genug hätte sein können, um zu dieser oder jener guten Handlung und so großer Aufopferung zu bewegen; es kann daraus aber gar nicht mit Sicherheit geschlossen werden, daß wirklich gar kein geheimer Antrieb der Selbstliebe unter der bloßen Vorspiegelung jener Idee die eigentliche bestimmende Ursache des Willens gewesen sei; dafür wir denn gerne uns mit einem uns fälschlich angemaßten edleren Bewegungsgrunde schmeicheln, in der Tat aber selbst durch die angestrengteste Prüfung hinter die geheimen Triebfedern niemals kommen können, weil, wenn vom moralischen Werte die Rede ist, es nicht auf Handlungen ankommt, die man sieht, sondern auf jene inneren Prinzipien derselben, die man nicht sieht. (407) Wer kann das Nichtsein einer Ursache durch Erfahrung beweisen, da diese nichts weiter lehrt, als daß wir jene nicht wahrnehmen? (419)

Das Vorliegen und erst recht die tatsächliche W i r k s a m k e i t moralischer Motive ist schwer zu verifizieren. H a n d l u n g s a b s i c h t e n lesen wir gewöhnlich direkt an den H a n d l u n g e n ab. Die „dahinterliegenden" Motive zu einer H a n d l u n g sind im Verhalten weniger manifest und oft nur durch das Einbeziehen größerer H a n d l u n g s z u s a m m e n h ä n g e zu erschließen. Die relative Verborgenheit von Motiven, auch im eigenen Fall, gibt d e m Generalverd a c h t N a h r u n g , wir wollten uns ggf. „gerne . . . m i t einem uns fälschlich a n g e m a ß t e n edleren Bewegungsgrunde schmeicheln" (407). Diese relative Verborgenheit von Motiven, f ü r uns selber u n d für andere, sollte ein G r u n d mehr d a f ü r sein, b e i m moralischen Urteilen Z u r ü c k h a l t u n g zu üben und Vorsicht walten zu lassen. 3. Die Schwierigkeit, die h a n d l u n g s w i r k s a m e n Motive im Einzelfall festzustellen, ist der G r u n d dafür, daß es „gar keine sicheren Beispiele" (406) für Handlungen aus moralischen Motiven gibt. So k a n n zweifelhaft sein, „ob auch wirklich in der Welt irgend wahre T u g e n d angetroffen werde" (407); vielleicht daß es „niemals H a n d l u n g e n gegeben h a b e , die aus solchen reinen Quellen e n t s p r u n g e n w ä r e n " (407/8); moralisch motivierte H a n d lungen k ö n n t e n H a n d l u n g e n sein, „von denen die Welt vielleicht bisher noch gar kein Beispiel gegeben h a t " (408). 4. A m ehesten noch k a n n m a n das Vorliegen moralischer Motive u n d also moralischer Handlungen in solchen Fällen als wahrscheinlich annehmen, in denen ü b e r h a u p t nicht zu sehen ist, welches Neigungs-Interesse „das liebe Selbst" (407) an einer H a n d l u n g g e h a b t h a b e n k ö n n t e . H a n d lungen aus Pflicht u n d (anscheinend) nicht aus Neigung sind die klarsten Fälle moralischer Handlungen: auch wenn selbst in diesen Fällen „Sicherheit" nicht zu h a b e n ist. 5. An solchen Fällen k a n n m a n deshalb auch a m besten illustrieren u n d in Erziehungskontexten demonstrieren was mit moralischen H a n d lungen gemeint ist:

Was Kant hätte sagen sollen

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. . . die gemeinste B e o b a c h t u n g zeigt, daß, wenn m a n eine Handlung der Rechtschaffenheit vorstellt, wie sie von aller Absicht auf irgend einen Vorteil in dieser oder einer anderen Welt a b g e s o n d e r t , selbst unter den größten Versuchungen der Not oder der Anlockung mit s t a n d h a f t e r Seele a u s g e ü b t worden, sie j e d e ähnliche Handlung, die nur im mindesten durch eine fremde Triebfeder affiziert war, weit hinter sich lasse und verdunkle, die Seele erhebe und den Wunsch errege, auch so handeln zu können. Selbst Kinder von mittlerem Alter fühlen diesen Eindruck, und ihnen sollte m a n Pflichten auch niemals anders vorstellen. (411, Fußnote. Vgl. K p r V : 1 5 6 / 1 5 7 . )

Es beweist . . . desto mehr die Erhabenheit und innere W ü r d e des G e b o t s in einer Pflicht . . . , j e weniger die subjektiven Ursachen dafür, j e mehr sie dagegen sind . . . ( 4 2 5 ) . . . d a s Wohlverhalten glänzt mehr auf dem schwarzen G r u n d des Unglücks. (Refi. 6968)

6. In den vorigen Punkten war jeweils unterstellt, daß das Pflichtmotiv tatsächlich vorliegen und handlungswirksam sein muß, soll die Handlung moralisch sein. Es wurde hinzugefügt, daß weitere Motive, also Neigungen zu derselben Handlung deren Moralität nicht gefährden, wenn nur klar ist, daß das handlungswirksame Pflichtmotiv auch ohne weiteres Motiv handlungswirksam gewesen wäre. Nun kann man aber bezweifeln, ob es für die Moralität einer Handlung nottut, daß das „ a u s Pflicht"-Motiv tatsächlich vorliegt. Würde es nicht reichen zu wissen, daß die moralkonforme Handlung auch ausgeführt worden wäre (und dann aus dem moralischen Motiv), wenn die Neigung zu ihr nicht bestanden h ä t t e ? 4 1 Es ist nicht klar, was man von diesem Vorschlag zu halten hat. Gegen ihn spricht der Eindruck, daß für unser moralisches Urteil über eine Handlung nicht die möglichen, sondern die tatsächlich vorliegenden und handlungswirksamen Motive relevant sind. Außerdem könnte man einwenden, daß es schon schwer genug ist, das Vorliegen und die Wirksamkeit tatsächlicher Motive zu verifizieren: und folglich die Moralität einer Handlung noch schwerer festzustellen wäre, wenn man sie von bloß möglichen Motiven abhängig machte, die vorliegen würden, wenn . . . Aber der letztere Punkt betrifft auch meinen obigen Vorschlag, zu sagen: Es kommt darauf an, ob das moralische Motiv ausschlaggebend war, d.h. ob es auch allein hingereicht hätte, die moralkonforme Handlung zu bewerkstelligen. Auch das ist eine hypothetische Erwägung, es verstärkt 41

Das ist die Auffassung von Günther Patzig: Ethik ohne Metaphysik: 163 f. Patzig vertritt diese Auffassung (m.E. zu Unrecht) als eine Kant-Interpretation: und spielt dieses, was Kant seiner Meinung nach hat sagen „wollen" und „gemeint" hat, gegen „seine z.T. überspitzten Formulierungen" aus.

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Motive

nur noch ein wenig den hypothetischen Charakter der moralischen Überlegung, wenn mein nicht nur das hypothetische Verhalten tatsächlicher Motive, sondern auch das hypothetische Verhalten jetzt nicht vorhandener oder wirksamer Motive mit einbezieht. F ü r den Vorschlag spricht, daß die moralische Beurteilung einer Handlung keine isolierte Angelegenheit ist, sondern sich auf die Kenntnis eines ganzen Menschen und seines Charakters stützen kann. Wir können bei j e m a n d e m ggf. sicher sein, daß er ein solcher ist, der immer moralkonform handeln würde. So daß wir uns darauf verlassen können, daß er auch so handelt, wenn ihm die Neigung zu solchem Handeln, die er j e t z t haben mag, vergeht. Es wäre demnach an einer moralkonformen Handlung, die nur aus Neigung geschieht, moralisch nichts auszusetzen, gegeben wir dürften annehmen, sie würde im Falle nachlassender oder verschwindender Neigung zu ihr auch - und dann aus Pflicht - geschehen. Dies alles hätte Kant sagen können und, wie die Zitate belegen, hat er das z.T. j a auch gesagt. Aber er ließ es damit nicht bewenden und v e r t r a t darüberhinaus noch die unhaltbar starke These, Handlungen allein aus Pflicht und ohne Neigung seien die einzigen wirklichen Fälle von Moralität. Ein

Problem

Wir haben zuletzt gesehen, daß Kant nicht nur die These vertritt, daß Handlungen, u m moralisch gut zu sein, aus Pflicht geschehen müssen. Sondern Kant vertritt die sehr viel stärkere und deswegen schwer b e g r ü n d b a r e Auffassung, eine moralisch wertvolle Handlung müsse nicht nur aus Pflicht, sondern allein aus Pflicht und ohne entsprechende Neigung ausgeführt werden. Dem haben wir entgegengehalten, daß es für die Moralität einer Handlung doch wohl reichen müßte, wenn sie aus Pflicht geschieht und das Pflichtmotiv ausschlaggebend war für ihre Ausführung. Nach dieser Auffassung würde also die Begleitung des moralischen Motivs durch Neigungen, würde die sog. Überdeterminierung eines moralkonformen Wollens den moralischen Wert der gewollten Handlung nicht berühren. Nun kann man aber noch die weitergehende Frage aufwerfen, ob es nicht Fälle geben könnte, in denen moralkonforme Neigungen den moralischen Wert einer Handlung nicht nur nicht vermindern oder zerstören, sondern sogar erhöhen. Die Frage kann an den Eindruck anknüpfen, den K a n t s Behandlung des Beispiels jenes Menschenfreundes (398) bei vielen Lesern erzeugt. Jener Menschenfreund - sein Name sei „Denis" 4 2 - , der „auch 42

I c h spiele h i e r a n auf die K o m ö d i e v o n H a n s M a g n u s E n z e n s b e r g e r „ D e r M e n s c h e n f r e u n d " - ein S t ü c k ü b e r D e n i s D i d e r o t .

Ein Problem

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ohne einen anderen Bewegungsgrund der Eitelkeit oder des Eigennutzes, ein inneres Vergnügen daran findet, Freude um sich zu verbreiten", ist wohltätig (so wollen wir annehmen) aus Pflicht wie auch aus wohlwollender Zuneigung zu anderen Menschen. Seine Handlung, „so pflichtmäßig, j a liebenswürdig sie auch ist", so sehr sie „Lob und Aufmunterung .. .verdient", hat nach Kants starker Pflichtauffassung „dennoch keinen wahren sittlichen Wert". Am andern Ende der Bühne erscheint Alceste. 4 3 „ . . .wenn die Natur diesem . .. überhaupt wenig Sympathie ins Herz gelegt hätte, wenn er (übrigens ein ehrlicher Mann) von Temperament kalt und gleichgültig gegen die Leiden anderer wäre . . . ; wenn die Natur einen solchen Mann . . . nicht eigentlich zum Menschenfreunde gebildet hätte", und er wäre, „ d a keine Neigung ihn . . . dazu anreizt", dennoch hilfsbereit und wohltätig, „und täte die Handlung ohne alle Neigung, lediglich aus Pflicht": „alsdann" hätte sie für Kant „allererst .. .moralischen Wert". Die Handlungen von Alceste hätten also für Kant einen moralischen Wert, die Handlungen unseres netten Denis hingegen nicht. Diese Auffassung ist vielen Lesern abstoßend erschienen, nach deren Intuitionen doch eher Denis einen Vorzug genießt. Aber ist dieses Vorziehen ein moralisches, und sind die Vorzüge von Denis moralischer Natur? Gewiß, wir würden den Umgang mit Denis vorziehen und lieber ihn zum Freunde haben. Aber wären die Gründe dafür moralische? Ein moralischer Vorzug, so scheint uns, muß auf Verdienst beruhen. Aber ist es denn ein Verdienst, gutmütig zu sein? Oder hat Denis nicht vielmehr unverdientes Glück? Wir haben einander widerstreitende Intuitionen. Denis, so möchten wir sagen, da er so glücklich veranlagt ist, braucht sich nicht zu wohlwollendem Handeln durchzuringen: Deshalb hat er kein moralisches Verdienst. - „Eben, er braucht sich nicht durchzuringen, und das beweist seine Moralität", ruft die andere Stimme in uns. „Während Alceste sich erst durchringen muß, der schlechte Kerl." - J a , aber er ringt sich durch, und gibt nicht das erst einer Handlung den moralischen Wert? - Ist es das größere Verdienst, Versuchungen, denen man ausgesetzt ist, zu widerstehen; oder ist nicht vielmehr derjenige moralisch besser, der erst gar nicht in Versuchung kommt? Hier ist offenbar ein ethisches Problem, und wir werden von einer brauchbaren Moralphilosophie erwarten, daß sie unseren einander widerstreitenden Intuitionen Rechnung trägt, sie erklärt und das Problem löst oder auflöst. Philippa Foot 4 4 hat das durch eine neo-aristotelische Tugendlehre versucht. Ich werde einen anderen Weg einschlagen, der sich näher ' ' D a s ist der bekannte „Menschenfeind" Molieres. Virtues and Vices, vor allem: 10 f.

44

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Motive

an Kant orientiert und eine Erklärung gibt, die vergleichsweise tiefsitzende Prämissen seiner Ethik für seine kontra-intuitive Position verantwortlich macht. Mein Weg führt über die Betrachtung der von Schiller „mit Meisterhand verfaßten Abhandlung . . . ü b e r Anmut und Würde". 4 6 Ich lese Schillers Stellungnahme zur Kantischen Ethik als eine in die richtige Richtung weisende, aber am Ende doch nur halbherzige Reaktion auf Kants Dilemma, Denis zwar zu lieben, aber nicht loben zu dürfen, und Alceste zu verabscheuen, aber ihn loben zu müssen. Am Ende möchte ich gerne die These plausibel gemacht haben, daß moralkonforme Neigungen der Moralität einer Handlung nicht nur nicht schaden müssen (wie Kants starke Pflicht-These suggeriert), sondern daß sie - in besonders auszuzeichnenden Fällen - den moralischen Wert einer Handlung sogar heben. Kant und Schiller (a) Schiller Der Gebildetenwelt ist bekannt, daß es „Streit" gab zwischen Kant und Schiller. Aber ob es wirklich ein Streit war mit einem gemeinsamen Streitpunkt, worin dieser bestand und wie genau die beiden „Kombattanten" zu ihm standen: darüber gibt es bis heute keinen Konsens. Schiller kommt in seiner Abhandlung „Uber A n m u t und Würde" 4 6 auf Kant zu sprechen über die Frage nach der „sittlichen Beschaffenheit" (211) eines anmutigen Menschen. Anders formuliert ist das die Frage, „was für moralische Empfindungen sich am besten mit der Schönheit im Ausdruck vertragen" (a.a.O.). Da Herrschaftsverhältnisse zwischen der „sinnlichen Natur" des Menschen und dem „vernünftigen Teil seines Wesens" (212) da sie allemal „Gewalt" (211) und „Zwang" (211/212) beinhalten - sich mit Anmutigkeit nicht vertragen: „so wird derjenige Zustand des Gemüts, wo Vernunft und Sinnlichkeit - Pflicht und Neigung zusammenstimmen, die Bedingung sein, unter der die Schönheit des Spiels erfolgt" (214). Die „persönliche Beschaffenheit" (211) eines Anmutigen besteht in einem „Gleichgewicht der tätigen und leidenden Kräfte" (213), ihrer „Harmonie": „und der Mensch ist einig mit sich selbst" (212). Was nun die Ethik von jenem „unsterblichen Verfasser der Kritik" (214) betrifft, so hat er in den Augen seines unsterblichen Kollegen „die Idee der Pßicht mit einer Härte vorgetragen, die alle Grazien davon zurückschreckt" (216). Es ist diese abstoßende „Rigidität" (217) in der „Darstellung der 45

46

K a n t s Lob, in seiner Replik auf Schiller in jener b e r ü h m t e n F u ß n o t e der „Religion": 23 f. Die folgenden Seitenangaben im Text beziehen sich sämtlich auf Schillers A b h a n d lung. Ich zitiere n a c h B i t t n e r / C r a m e r (Hrsg.), Materialien zu K a n t ' s 'Kritik der praktischen V e r n u n f t ' .

K a n t lind Schiller

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gefundenen Wahrheit" (216), was Schiller stört. Denn sie läßt die Vorstellung der anmutigen Harmonie von Pflicht und Neigung nicht aufkommen, die Schiller am Herzen liegt und für die er den Namen der „Tugend" wählt. Tugend, als die „sittliche Vollkommenheit des Menschen", kann für Schiller nur aus dem „Anteil seiner Neigung an seinem moralischen Handeln erhellen" (215). „Tugend ist nichts anders 'als eine Neigung zu der Pflicht'" (215). Schiller also stört, „wie die Grundsätze dieses Weltweisen von ihm selbst und auch von andern pflegen vorgestellt zu werden" (214 - meine Hervorh.). „Uber die Sache selbst" aber „kann . . .kein Streit . . .sein" (216), wie Schiller nicht müde wird zu betonen. 4 7 „Die Sache selbst", das ist im Gegensatz zu ihrer „Darstellung" die „Untersuchung der Wahrheit" (216), die Frage der „moralischen Gesetzgebung" (215). Bei diesem „sittlichen Wahlgeschäfte" (214), also bei der Entscheidung darüber, was getan werden soll, dürfen die sinnlichen Neigungen nicht „mitsprechen". Denn sie würden dabei „der Reinheit des Willens schaden, der immer nur dem Gesetze und nie dem Triebe folgen soll" (a.a.O.). 4 8 Der „Beifall der Sinnlichkeit" kann „die Pflichtmäßigkeit des Willens .. .nicht . . . verbürgen. Der sinnliche Ausdruck dieses Beifalls in der Grazie wird also für die Sittlichkeit der Handlung, bei der er angetroffen wird, nie ein hinreichendes und gültiges Zeugnis ablegen, und aus dem schönen Vortrag einer Gesinnung oder Handlung wird man nie ihren moralischen Wert erfahren." (215) " B i s hieher" meint Schiller „mit den Rigoristen der Moral" - damit ist sicher Kant gemeint - „vollkommen einstimmig zu sein". (215) Und es gibt keinen Grund, ihm hierin zu widersprechen. Man muß ihn wohl so lesen, daß für ihn wie für Kant das Pflichtmotiv eine notwendige Bedingung für die Moralität einer Handlung ist, und daß Neigungen „eine bedenkliche Zugabe zu moralischen Bestimmungen" (214) sind. Schiller unterstützt also offenbar Kants Pflicht-These in ihrer starken Version. 49 (b) Kants Replik Gegen diese wohlwollende Darstellung (und wohlwollende Kritik) seiner eigenen Position hat „der große Weltweise" - „da wir in den wichtigsten 47

48 49

Vgl. auch seine Briefe an den P r i m e n Friedrich Christian von Schleswig-HolsteinSonderburg-Augustenburg, in: U b e r die ästhetische Erziehung des Menschen: 54 f. Die beiden ersten Hervorhebungen s t a m m e n von mir - H.K. Vgl. Ästhetische Briefe: 5 4 / 5 5 : „Ich bekenne . . . , daß ich im Hauptpunkt der Sittenlehre vollkommen Kantisch denke. Ich glaube nämlich und bin überzeugt, daß nur diejenigen unserer Handlungen sittlich heißen, zu denen uns bloß die Achtung für das Gesetz der Vernunft und nicht Antriebe bestimmten, wie verfeinert diese a u c h seien . . . Gut ist (nach den Kantischen Grundsätzen, die ich in diesem Stück vollkommen unterschreibe) gut ist, was nur darum geschieht, weil es gut i s t . "

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Motive

P r i n z i p i e n einig s i n d " 6 0 - nicht viel zu erinnern. E r v e r w a h r t sich lediglich g e g e n den E i n d r u c k , als o b seine „ V o r s t e l l u n g s a r t der V e r b i n d l i c h k e i t " „eine k a r t ä u s e r a r t i g e G e m ü t s s t i m m u n g bei sich f ü h r e " . Er k a n n „ a u c h in „ästhed i e s e m " P u n k t „ k e i n e U n e i n i g k e i t s t a t u i e r e n " . G e f r a g t n a c h der tische(n) B e s c h a f f e n h e i t " , „ g l e i c h s a m " d e m „Temperament der Tugend", d e n k t a u c h K a n t a n die „ B e g l e i t u n g der G r a z i e n " . O h n e „ e i n e fröhliche G e m ü t s s t i m m u n g " bei der „Befolgung seiner P f l i c h t " ist „ m a n nie g e w i ß " , „ d a s G u t e a u c h Heb gewonnen . . . zu h a b e n " . „. . d a s fröhliche Herz in Befolgung seiner Pflicht . . . ist ein Zeichen der E c h t h e i t t u g e n d h a f t e r G e s i n n u n g " . E i n „ Z e i c h e n " , d. i. ein Indiz, a b e r kein K r i t e r i u m : w e d e r eine n o t w e n d i g e n o c h eine hinreichende B e d i n g u n g f ü r M o r a l i t ä t . W o a b e r „ v o n P f l i c h t allein die R e d e i s t " , wo es u m d a s „ G e s c h ä f t der P f l i c h t b e s t i m m u n g " g e h t , d a m ü s s e n die G r a z i e n „ s i c h in e h r e r b i e t i g e r E n t f e r n u n g halten". K a n t b l ä s t also E n t w a r n u n g . A u c h n a c h seiner R e p l i k stellt sich die S a c h e s o d a r , d a ß er u n d Schiller ü b e r den H a u p t p u n k t : die m o r a l i s c h e B e u r t e i l u n g v o n H a n d l u n g e n , s o w i e s o einig s i n d . U n d a u c h in d e m Neb e n p u n k t , in d e m D i s s e n s zu sein schien, herrscht in W i r k l i c h k e i t die Harm o n i e , an der Schiller so gelegen w a r . W o Schiller K a n t - k r i t i s c h zu sein schien u n d K a n t die V e r t r e i b u n g der G r a z i e n d u r c h seine r i g i d e D a r s t e l nicht u m lung v o r h i e l t , d a g i n g es in W i r k l i c h k e i t u m ein anderes Thema: die m o r a l i s c h e B e u r t e i l u n g v o n H a n d l u n g e n , s o n d e r n u m die V o r s t e l l u n g der „ T u g e n d " , d. i. der „ s i t t l i c h e n V o l l k o m m e n h e i t des M e n s c h e n " . U n d a u c h bei dieser F r a g e des sittlichen I d e a l s e m p f i n d e t K a n t keine D i f f e r e n z zwischen Schiller u n d sich. Ist a l s o wirklich nichts g e w e s e n ? Die g a n z e A u f r e g u n g der l e s e n d e n N a c h w e l t u m s o n s t : und nur A u s d r u c k eines B e d ü r f n i s s e s n a c h S e n s a t i o n ? (c) Die G e n e s e des E i n d r u c k s von S t r e i t N a c h i h r e m e i g e n e n V e r s t ä n d n i s g i b t es keine s a c h l i c h e D i v e r g e n z zwischen den A u f f a s s u n g e n von K a n t u n d Schiller. A b e r d a s S e l b s t v e r s t ä n d n i s eines A u t o r s ist n a t ü r l i c h nicht d a s e n t s c h e i d e n d e W o r t . S o h ä t t e es sein k ö n n e n , d a ß ohne ihr W i s s e n u n d g e g e n ihren W i l l e n es d o c h g r a v i e r e n d e s a c h l i c h e U n t e r s c h i e d e zwischen K a n t s u n d Schillers A u f f a s s u n g e n g i b t . A b e r a u c h wenn sich zeigen ließ, d a ß diese M ö g l i c h k e i t der W i r k l i c h k e i t nicht e n t s p r i c h t , s o ist es d o c h e r k l ä r u n g s b e d ü r f t i g , w i e s o sich der E i n d r u c k einer s a c h l i c h e n Differenz zwischen unseren b e i d e n A u t o r e n bei den L e s e r n u n d I n t e r p r e t e n ihrer T e x t e i m m e r wieder einstellt u n d so h a r t n ä c k i g hält.

50

Dieses und die folgenden Zitate s t a m m e n a u s der Fußnote in der R e l i g i o n s s c h r i f t : 23/24.

K a n t u n d Schiller

99

Dafür m u ß es Gründe geben, dafür muß es Anhaltspunkte geben in Schillers Text. Eine erste Vermutung könnte besagen, daß Schiller vielleicht doch nicht Kants starke Version der Pflicht-These befürwortet. So lesen wir einmal bei ihm, „daß der Beifall der Sinnlichkeit . . .die Pflichtmäßigkeit des Willens . . .nicht verdächtig macht" (215). Und ein andermal heißt es: „Wäre die sinnliche Natur im Sittlichen immer nur die unterdrückte und nie die mitwirkende Partei, wie könnte . . . s i e eine so lebhafte Teilnehmerin an dem Selbstbewußtsein des reinen Geistes sein, wenn sie sich nicht endlich so innig an ihn anschließen könnte, daß selbst der analytische Verstand sie nicht ohne Gewalttätigkeit mehr von ihm trennen kann?" (218) Diese Formulierungen klingen nach der moderaten Version von Kants Pflicht-These, die ich oben in dem Abschnitt „Was Kant hätte sagen sollen" unterstützt habe. Aber Schiller macht weiter nichts aus diesen Formulierungen, die Kants Auffassung widersprechen. Und diese Formulierungen sind auch nicht vereinbar mit den anderen Aussagen Schillers, wonach der Wille „immer nur dem Gesetze und nie dem Triebe folgen soll" (214) und „die Neigung eine sehr zweideutige Gefährtin des Sittengefühls, und das Vergnügen eine bedenkliche Zugabe zu moralischen Bestimmungen" ist (a.a.O.). Schillers Einlassungen sind also inkosistent. Aber diese Inkonsistenzen hat er offenbar nicht bemerkt, und es gibt keinen Grund zu der Annahme, daß er, h ä t t e man ihn auf sie aufmerksam gemacht, sie zugunsten der von Kant abweichenden Formulierungen aufgelöst hätte. Wie wir oben gesehen haben, macht er sich Kants starke Pflicht-These in aller Ausdrücklichkeit zu eigen. 6 1 Eine andere Vermutung über eine sachliche Differenz zwischen Kant und Schiller könnte besagen, daß Schiller nicht nur der moderaten Version der Pflicht-These gegenüber der starken den Vorzug gibt, sondern daß er sogar die Notwendigkeit des Pflichtmotivs für die Moralität einer Handlung zur Disposition stellt, an der die moderate Version der These festhält. Man könnte diese Vermutung mit Hilfe der geläufigen Unterscheidung zwischen dem principium diiudicationis und dem principium executionis moralischer Handlungen zu formulieren versuchen: Danach bestünde zwischen Kant und Schiller Einigkeit über das moralische Dijudikationsprinzip, über die „moralische Gesetzgebung" (Schiller), während Schiller in der Frage der Ausführung moralischer Handlungen von Kant abweichen und wohlwollenden Neigungen das moralische Motivationsgeschäft anvertrauen würde. Schiller lockt den Leser auf diese Fährte, indem er verkündet, daß er die Ansprüche der Sinnlichkeit, die . . . bei der moralischen Gesetzgebung M

Ich erinnere a n die Stelle in den Ästhetischen Briefen: 54/55.

100

Motive

völlig zurückgewiesen sind, . . . bei der wirklichen A u s ü b u n g der Sittenpflicht . . . zu b e h a u p t e n versuche. (215)

Bei der „Ausübung", der Exekution der Sittenpflicht: d a denkt man leicht an die Rede vom „prineipium executionis". Und wenn m a n zusätzlich Schillers Rede von der „moralischen Gesetzgebung" als prineipium diiudicationis auffaßt, dann hat man die Interpretation, daß Schiller anscheinend gegen Kant ein anderes prineipium executionis propagiert. Und man mag sich in dieser Interpretation bestätigt fühlen, wenn Schiller postuliert: „der Mensch darf nicht nur, sondern soll Lust und Pflicht in Verbindung bringen; er soll seiner Vernunft mit Freuden gehorchen" (a.a.O.). Aber diese Interpretation, so nahe sie durch Schillers Formulierungen gelegt wird, ist gleichwohl falsch. Denn: 1. Schiller ist j a mit Kant der Meinung, daß das Pflichtmotiv konstitutiv ist für die Moralität einer Handlung. Wenn er also zu einem Theorem der Kantischen Ethik eine Alternative vorschlagen wollte, dann sicher nicht zu der These, daß es für die moralische Güte einer Handlung darauf ankommt, daß sie aus Pflicht geschieht. 2. Das Motiv, „aus Pflicht" zu handeln, ist bei K a n t nicht das prineipium executionis moralischer Handlungen. Also wäre ein alternativer Vorschlag, wonach moralische Handlungen nicht „aus Pflicht", sondern „aus X" geschehen müßten, nicht eo ipso der Vorschlag eines alternativen prineipii executionis. Die Behauptung, daß das Pflichtmotiv für Kant nicht das prineipium executionis moralischer Handlungen ist, mag vielleicht überraschen. Aber tatsächlich ist es so, daß dort, wo Kant die Unterscheidung von prineipium diiudicationis und prineipium executionis explizit verwendet 5 2 , er dem prineipium executionis immer nur das moralische Gefühl (als moralische Triebfeder) zuordnet: das moralische Gefühl, das er d a n n in der „Grundlegung" mit dem Achtungs-Gefühl identifiziert. Demgegenüber gehört m. E. das Motiv, „aus Pflicht" zu handeln, zum moralischen Beurteilungsprinzip: jedenfalls wenn damit das Prinzip der Beurteilung der Moralität (vs. Legalität) einer Handlung gemeint ist. 5 3 Diese Interpretation vermag aber nur zu überzeugen, wenn gezeigt werden kann, daß K a n t s Pflicht-These (wonach moralische Handlungen „aus Pflicht" geschehen müssen) und seine Achtungs-These (wonach dieselben Handlungen aus Achtung für das moralische Gesetz geschehen) zwei verschiedene Behauptungen sind: und entsprechend die Motive, „aus Pflicht" 52

E i n e V o r l e s u n g K a n t s ü b e r E t h i k , h e r a u s g e g e b e n v o n P . M e n z e r : 44; vgl. AA X X V I I , M o r a l M r o n g o vius: 1 4 2 2 / 1 4 2 3 . Vgl. d a z u K a p i t e l 4, d e n A b s c h n i t t : „ A u s P f l i c h t " vs. „ a u s A c h t u n g " .

Kant und Schiller

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u n d „ a u s A c h t u n g " z u h a n d e l n , zwei v e r s c h i e d e n e M o t i v e s i n d . D i e s e A u f f a s s u n g wird im 4. K a p i t e l b e g r ü n d e t . 5 4 3.

D i e I n t e r p r e t a t i o n , w o n a c h S c h i l l e r g e g e n ü b e r K a n t ein a l t e r n a t i -

ves principium

executionis

v o r s c h l a g e n w ü r d e , b e a c h t e t n i c h t , wie S c h i l l e r

s e i n e A n k ü n d i g u n g , er w o l l e „ d i e A n s p r ü c h e der S i n n l i c h k e i t . . . b e i

der

w i r k l i c h e n A u s ü b u n g d e r S i t t e n p f l i c h t . . . z u b e h a u p t e n v e r s u c h e ( n ) " , selb e r in d e n d i r e k t a n s c h l i e ß e n d e n S ä t z e n e r l ä u t e r t : So gewiß ich nämlich überzeugt bin - und eben d a r u m , weil ich es bin - daß der Anteil der Neigung an einer freien Handlung nichts beweist, so g l a u b e ich eben daraus folgern zu können, daß die sittliche Vollkommenheit des Menschen gerade nur aus diesem Anteil seiner Neigung an seinem moralischen Handeln erhellen kann. Der Mensch nämlich ist nicht dazu b e s t i m m t , einzelne sittliche Handlungen zu verrichten, sondern ein sittliches Wesen zu sein. Nicht Tugenden, sondern die Tugend ist seine Vorschrift, und T u g e n d ist nichts anders „ a l s eine Neigung zu der P f l i c h t " . 5 5 D e r e r s t e S a t z d i e s e s Z i t a t s e r l ä u t e r t ( „ n ä m l i c h " ) , wie S c h ü l e r s e i n e n Vorstoß meint.

E s g e h t i h m n i c h t d a r u m , d e n „ A n t e i l der N e i g u n g

an

einer f r e i e n 5 6 H a n d l u n g " g e g e n K a n t e i n z u k l a g e n , s o n d e r n u m „ d i e s i t t l i c h e

Vollkommenheit des Menschen" u n d die B e d e u t u n g , die der „ A n t e i l der dafür h a t . E r will s a g e n , „ d a ß die s i t t l i c h e V o l l k o m m e n h e i t des Menschen g e r a d e nur aus diesem Anteil seiner N e i g u n g an seinem moralischen Handeln erhellen k a n n " ; „ a n seinem moralischen H a n d e l n " , d . h . a n s e i n e m m o r a l i s c h e n H a n d e l n überhaupt, und nicht: an seinen „einzelne(n) sittliche(n) Handlungen". Neigung"

K a n t h a t t e a l s o w o h l r e c h t , a l s er S c h i l l e r s o v e r s t a n d , d a ß d e s s e n T h e s e ü b e r die „ A u s ü b u n g d e r S i t t e n p f l i c h t " d u r c h eine „ N e i g u n g z u d e r P f l i c h t " eine T h e s e ü b e r ein neues

Thema i s t : U b e r die s i t t l i c h e Vollkommenheit ü b e r die V o r s t e l l u n g e i n e s m o r a l i s c h e n Ideals. S c h i l l e r p r o p a g i e r t die N e i g u n g z u r P f l i c h t n i c h t f ü r „ e i n z e l n e s i t t l i c h e H a n d l u n g e n " , s o n d e r n f ü r u n s a l s g a n z e P e r s o n , die „ n i c h t d a z u b e s t i m m t " ist, „ e i n z e l n e s i t t l i c h e H a n d l u n g e n z u v e r r i c h t e n , s o n d e r n ein s i t t l i c h e s W e s e n zu s e i n " . U n d w e n n S c h i l l e r d a n n f o r t f ä h r t : „ d e r M e n s c h darf n i c h t n u r , er soll L u s t u n d P f l i c h t in V e r b i n d u n g b r i n g e n ; er soll s e i n e r V e r n u n f t m i t F r e u d e n g e h o r c h e n " : d a n n d a r f m a n d a s nicht s o l e s e n , a l s w e r d e hier v o n u n s F r e u d e v e r l a n g t a l s B e d i n g u n g für die M o r a l i t ä t e i n z e l n e r H a n d l u n g e n . D e r M e n s c h i m g a n z e n soll s e i n e P f l i c h t m i t F r e u d e t u n . U n d d a ß er sie m i t F r e u d e n t u n s e i l , d a ß er s i e „ l i e b g e w i n n e n " soll ( K a n t ! 5 7 ) , dies e s „ S o l l e n " k a n n s i n n v o l l e r w e i s e n i c h t die F o r d e r u n g e i n e s G e f ü h l s s e i n , des M e n s c h e n , ü b e r Tugend,

54 55 56 i>7

Vgl. denselben Abschnitt. Über Anmut und Würde: 215. Das heißt hier wohl: „moralischen" Handlung. Religion, a.a.O.

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Motive

sondern soll wohl nur heißen: Ein Mensch, der „eine fröhliche Gemütsstimmung" „in Befolgung seiner Pflicht h a t " (so sagt es K a n t 5 8 ) , der ist tugendhafter, ist sittlich vollkommener, ist ein besserer Mensch: besser als jener, der seinen Neigungen und Gefühlen Gewalt antun muß „in Befolgung seiner Pflicht". Moralische

Neigungen.

Kant und Schiller scheinen sich also in der Tat einig gewesen zu sein: jedenfalls in den von ihnen veröffentlichten Schriften. 5 9 Daß man gleichwohl dazu neigt, Schiller gegen Kant zu lesen, das liegt wohl nicht nur an dem „schillernden" Text über „Anmut und Würde", der Mißverständnisse geradezu provoziert. Die Kant-kritische Lesart von Schillers Text rührt zusätzlich her von dem Eindruck, daß der Sache nach Kants Position nicht befriedigt. Was an dieser Position befremdet, ist die Tatsache, daß wohlwollende Neigungen für ihn gar nie bei der moralischen Beurteilung einer Handlung positiv ins Gewicht fallen können. Das macht es für Kant unmöglich, jenen unserer moralischen Intuitionen Rechnung zu tragen, aufgrund deren wir den Menschenfreund Denis dem Menschenfeind Alceste moralisch vorziehen möchten. Nicht daß nun doch in Frage gestellt werden soll, daß Handlungen nur dort einen moralischen Wert haben, wo sie aus Pflicht geschehen und das Pflichtmotiv das ausschlaggebende ist. Aber die Frage hegt doch nahe, ob nicht wenigstens in manchen, genauer zu charakterisierenden Fällen zusätzlich pflichtgeneigte Handlungen moralisch besser sind als Handlungen, die nur aus Pflicht geschehen. Auch wenn Schiller diese Frage nicht selber so gestellt hat, scheinen seine Überlegungen doch in diese Richtung zu deuten. Weis hindert einen eigentlich daran, zu sagen, daß Handlungen, die aus Pflicht geschehen und zusätzlich aus einer „Neigung zu der Pflicht", moralisch besser sind als Handlungen, die nur aus Pflicht geschehen? Zu vermuten ist, was Kant daran hinderte, so etwas zu sagen. Der Grund 58 59

A.a.O. V g l . a u c h S c h i l l e r s D a n k e s b r i e f a n K a n t v o m 13. J u n i 1794. - Schiller s c h r e i b t d a g e g e n in e i n e m B r i e f v o m 19. F e b r u a r 1 7 9 5 a n H u b e r : „ D i e E i n w ü r f e , d i e ich . . g e g e n d i e K a n t i s c h e M o r a l v o r b r i n g e , h a t K a n t s e l b s t in d e r 2 t e n A u f l a g e s e i n e r p h i l o s o p h i s c h e n R e l i g i o n s l e h r e z u w i d e r l e g e n v e r s u c h t , mich a b e r nicht befriedigt." ( L e t z t e H e r v o r h . v o n m i r . ) — E s ist wohl d o c h eine e t w a s z u freie I n t e r p r e t a t i o n , wenn Dieter Henrich dieses vielsagend-nichtssagende S ä t z c h e n so interpretiert, „daß S c h i l l e r schließlich d e n S t r e i t f ü r b e h o b e n hielt u n d K a n t in e i n e m f e u r i g e n B r i e f d a n k t e , o h n e d o c h a n d e r n g e g e n ü b e r s e i n G e f ü h l z u v e r b e r g e n , d a ß eine wesentliche Differenz n o c h u n a u s g e t r a g e n s e i . " H e n r i c h , E t h i k d e r A u t o n o m i e : 45 ( m e i n e Hervorh.).

Moralische Neigungen

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d a f ü r liegt wahrscheinlich in seiner K o n z e p t i o n von Neigungen. Neigungen sind für K a n t 1. N a t u r w i d e r f a h r n i s s e , zu denen wir 2. zwar S t e l l u n g n e h m e n und denen wir Einfluß a u f unser Handeln geben bzw. verweigern k ö n n e n , die wir aber als solche nicht zu beeinflussen, zu v e r m e i d e n oder h e r v o r z u b r i n g e n vermögen. - Die im vorigen S a t z eingefügten Ziffern bezeichnen die S c h r i t t f o l g e meiner nachfolgenden E x p l i k a t i o n der K a n t i s c h e n Neigungstheorie: 2. Neigungen sind für K a n t bloße N a t u r w i d e r f a h r n i s s e . D e s h a l b verantworten wir sie nicht, und deshalb können wohlwollende Neigungen auch nie ein m o r a l i s c h e s Verdienst sein. U n d deshalb können m o r a l k o n f o r m e Neig u n g e n , wo sie z u m genuin moralischen Pflichtmotiv h i n z u k o m m e n , den m o r a l i s c h e n Wert der entsprechenden H a n d l u n g nicht erhöhen. S o lesen wir bei K a n t , daß der Mensch sich eines Willens anmaßt, der nichts auf seine Rechnung kommen läßt, was bloß zu seinen Neigungen und Begierden gehört (457), und daß er, wozu Neigungen und Antriebe (mithin die ganze Natur der Sinnenwelt) anreizen, . . . nicht verantwortet und seinem eigentlichen Selbst, d.i. seinem Willen nicht zuschreibt . .. (457/458) U n d in der Religionsschrift lesen wir über die „natürlichen

Neigungen"

(34): . . . so dürfen wir ihr Dasein nicht verantworten (wir können es auch nicht, weil sie als anerschaffen uns nicht zu Urhebern haben) (35). Eine N e i g u n g h a t m a n also, oder m a n h a t sie nicht. A b e r d a f ü r kann m a n nichts, d a r ü b e r verfügt m a n nicht. Neigungen sind für K a n t ein S t ü c k bloßer menschlicher N a t u r . Neigung ist „habituelle B e g i e r d e " ( M d S : 212). Und B e g i e r d e ist ein n a t u r h a f t e s A u s s e i n auf L u s t ( M d S : 2 1 2 / 2 1 3 ) . Neig u n g e n sind d e s h a l b m o r a l i s c h indifferent, sie sind kein G e g e n s t a n d der moralischen B e u r t e i l u n g . Der Begriff einer guten (oder schlechten) Neig u n g wäre d e m n a c h inkohärent. Welche Neigungen wir h a b e n , h ä n g t neben den „ r e i z e n d e n " Dingen, die u n s begegnen, von u n s e r e m „ T e m p e r a m e n t " ( 3 9 8 ) , u n s e r e m Naturell, u n s e r e m „ S c h i c k s a l " ( a . a . O . ) a b . A b e r auch d a f ü r können wir nichts, d a f ü r dürfen wir nicht moralisch beurteilt werden.60 60

Für diese Konzeption der moralischen Bedeutungslosigkeit von Neigungen spricht immerhin, daß sie ein hohes Maß an Gerechtigkeit in sich birgt: an ausgleichender Gerechtigkeit gegenüber den Unterschieden in unserer persönlichen Ausstattung, die von kontingenten Naturgegebenheiten und Breiehungsumständen usw. herrühren. Jeder, wie immer er veranlagt ist, wie mißmutig, mißgünstig, aufbrausend usf. er

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Motive

Kants Auffassung von Neigungen als bloßen Naturhindernissen für moralisches Handeln hatte auch Konsequenzen für die Ausprägung seines Tugendbegriffs. Kant definiert Tugend als „die moralische Stärke des Willens eines Menschen in Befolgung seiner Pflicht" (MdS: 405). Pflichterfüllung aber ist für ihn allemal „Selbstzwang" (a.a.O.: 380). „Das liebe Selbst" (407), das sind unsere Neigungen, die in ihrer „ungestümen Zudringlichkeit" (KprV: 161) „doch allemal das erste Wort haben" (a.a.O. 146); sie sind „zu bekämpfen und . . . z u besiegen" (MdS: 380). Dieses „Vermögen und der überlegte Vorsatz, . . . Widerstand zu tun . . . in Ansehung des Gegners der sittlichen Gesinnung in uns", nennt Kant „ T u g e n d " (a.a.O.): „deren Grad wir nur durch die Größe der Hindernisse, die der Mensch durch seine Neigungen sich selber schafft, schätzen können" (a.a.O.: 405). Tugend, das ist für Kant „moralische Gesinnung im Kampfe" (KprV: 84). J e größer also die moralische Versuchung, um so größer ggf. die moralische Leistung. Kant kann also Tugend nur denken als Selbstbeherrschung, als Selbstüberwindung, als „Selbstverleugnung" (407): als Nötigung der eigenen Sinnlichkeit (MdS: 405). Nötigung des Willens zum Guten, das ist aber für Kant eigentlich der Inhalt des Pflieh tbegriffs (434; 439). Kants Tugendbegriff hat also die Tendenz, in seinen Pflichtbegriff überzulaufen. Auch in Kants Tugendbegriff gehen Neigungen nur als moralische Hindernisse ein, auch hier kann er sich nicht vorstellen, daß wohlwollende Neigungen einen positiven Beitrag zur Moralität eines Menschen leisten. 61

61

von seinem Temperament her sein mag, hat nach dieser Konzeption die Chance, moralische Handlungen auszuführen. Alceste steht, moralisch gesehen, nicht eo ipso schlechter da als der liebenswürdige Denis. - Auch eine alternative Konzeption zu der Kantischen sollte so aussehen, daß sie diesen Vorteil von dessen Konzeption bewahrt. Hier ist nun doch ein gravierender Unterschied zu Schiller festzustellen: auch wenn Schiller aus diesem Punkt nicht viel macht und er wie auch K a n t diese Differenz nicht zu bemerken scheint. Während Schiller sich „Grade der M o r a l i t ä t " (Briefe ü b e r die ästhetische Erziehung: 56) von Handlungen wie K a n t nur als die Überwindung mehr oder weniger großer „Antriebe zum Gegenteil" ( a . a . O . ) vorstellen kann, geht sein Tugendbegriff in der Abhandlung „Uber Anmut und W ü r d e " darüber hinaus: Seine Rede von einer „Neigung zu der Pflicht" ( 2 1 5 ) , der „Harmonie" von Pflicht und Neigung (212 u. 219), in der der Mensch „einig mit sich selbst" ( 2 1 2 ) ist: Das ist denn doch etwas ganz anderes als K a n t s Terminologie der Gewalttätigkeit, wie sie konstitutiv ist für dessen Begriff der Tugend, die „nur darum so viel wert" ist, ,,weil sie so viel k o s t e t " ( K p r V : 156). An Schillers Tugendbegriff läßt sich anknüpfen, wenn man gegen K a n t eine Auffassung entwickeln will, die Fälle denkbar macht, in denen es moralisch verdienstvoll ist, wohlwollende Neigungen zu haben. Bei Schiller verwundert, wie zusammenhanglos die moralische Beurteilung einzelner Handlungen und die moralische Beurteilung des ganzen Menschen, d.i. seiner Tugend, bei ihm dargestellt ist. Wenn aber, wie Schiller meint, die Neigungen eine Rolle spielen für die moralische Einschätzung ei-

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2. Nach K a n t s starker Version der Pflicht-These sollen, wie wir sahen, moralische H a n d l u n g e n nur aus Pflicht und nicht aus Neigung geschehen. W e n n Neigungen bloß widerfahrende Naturereignisse wären, für die wir nichts können u n d die wir deshalb nicht verantworten, wäxe es aber absurd, das bloße Vorliegen moralwidriger und sogar moralkonformer Neigungen als G r u n d dafür anzusehen, einer Handlung den moralischen Wert abzusprechen. Nur wo Neigungen als Motive aufgefaßt werden, zu denen m a n Stellung n e h m e n kann, gegen die m a n sich wehren oder die m a n sich aneignen kann, ist eine These allererst sinnvoll, die dem Vorhegen von Neigungen Einfluß e i n r ä u m t auf die moralische Beurteilung von Handlungen. W o es u m den moralischen Wert von Handlungen geht, können Neigungen nur q u a b e w u ß t verfolgte oder abgewehrte Motive eine Rolle spielen. Den Unterschied von Neigungen als bloß vorliegenden (und anreizenden) N a t u r g e g e b e n h e i t e n und von Neigungen als Motiven h a t t e K a n t wohl im folgenden Textstück vor Augen: Freiheit und das Bewußtsein derselben als eines Vermögens, mit überwiegender Gesinnung das moralische Gesetz zu befolgen, ist Unabhängigkeit von Neigungen, wenigstens als bestimmenden (wenngleich nicht als affigierenden) Bewegursachen unseres Begehrens (KprV: 117).

W o Neigungen als b e s t i m m e n d e „Bewegursachen unseres Begehrens" in den Blick g e n o m m e n werden, d a verantworten wir zwar nicht ihr Dasein, wohl aber unsere Stellungnahme zu ihnen. Und wir verantworten, ob sie h a n d l u n g s w i r k s a m werden oder nicht. So schreibt K a n t in der „Grundleg u n g " , daß der Mensch zwar Neigungen und Antriebe . . . nicht verantwortet und seinem eigentlichen Selbst, d.i. seinem Willen nicht zuschreibt, wohl aber die Nachsicht, die er gegen sie tragen möchte, wenn er ihnen . . . Einfluß auf seine Maximen einräumte. (457/458)

D u r c h unsere Fähigkeit, Stellung zu unseren Neigungen zu beziehen und ihnen einen mehr oder weniger großen bzw. keinen Einfluß auf unser Wollen und Handeln zu geben, h a b e n Neigungen nach K a n t Einfluß auf den moralischen W e r t von Handlungen. K a n t kann also d u r c h a u s ein Mehr oder Weniger an Moralität denken. Es ist aber bezeichnend, auf welche Weise allein er sich das Z u s t a n d e k o m m e n von G r a d e n der Moralität denken kann: H a n d l u n g e n h a b e n f ü r K a n t einen „minderen oder größeren moralischen G e h a l t " ( K p r V : 154), je nach dem „Gegengewicht gegen alle G e b o t e n e s g a n z e n M e n s c h e n , wieso sollen sie Hnnn eigentlich k e i n e Rolle spielen d ü r f e n f ü r die B e u r t e i l u n g e i n z e l n e r H a n d l u n g e n , in d e n e n d o c h d e r C h a r a k t e r eines M e n s c h e n sich ä u ß e r t ?

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der Pflicht", die der Mensch „an seinen Bedürfnissen und Neigungen" hat (405). „Je größer die Naturhindernisse (der Sinnlichkeit), .. .desto mehr wird die gute Tat zum Verdienst angerechnet." (MdS: 228) Neigungen kommen bei dieser Betrachtungsweise überhaupt nur als mehr oder weniger große „Hindernisse" (MdS: 380 und 405) in den Blick, die man „zu bekämpfen" hat (a.a.O.: 380), die man „einschränken und überwältigen" soll (a.a.O.: 481), über die man „Meister werden" kann und soll (411; MdS: 485): „Neigung ist .. .knechtisch", sie braucht deshalb einen „Vormund" (KprV: 118). Und je größer die hinderlichen Neigungen in einem gegebenen Fall sind, um so größer ist in solchem Fall die Moralität einer Handlung. Kant kann sich also, weil Neigungen für ihn immer nur moralische Hindernisse sind, einen höheren Grad von Moralität nur als die Steigerung einer Unterdrückungsleistung vorstellen. Handlungen und Personen können für ihn aber offenbar niemals dadurch moralisch wertvoller werden, daß sie zusätzlich zu dem Pflichtmotiv durch menschenfreundliche Neigungen motiviert sind. Warum eigentlich nicht? Ein erster und relativ Kant-immanenter Zug gegen Kant könnte so aussehen: Wenn die Wirksamkeit von moralkonformen Neigungsmotiven den moralischen Wert einer Handlung vermindern oder gar verhindern kann, dann ist jedenfalls nicht prinzipiell auszuschließen, daß solche Neigungen in näher zu spezifizierenden Fällen den moralischen Wert einer Handlung erhöhen können. Wenn Neigungen bei der moralischen Beurteilung überhaupt ins Gewicht fallen, warum sollen sie dann nicht auch einmal positiv zu Buche schlagen können? Die Nachsicht, die wir gegen Neigungen tragen, der Einfluß, den wir ihnen auf unsere Maxime einräumen: das sind Tätigkeiten (oder Unterlassungen) einer Person, die sie verantwortet. Diese Aktivitäten bestehen u.a. in mehr oder weniger bewußten Stellungnahmen zu unseren Neigungen: Stellungnahmen, die der Mensch „seinem eigentlichen Selbst, d.i. seinem Willen .. .zuschreibt". Die Neigungen - so könnte man vielleicht sagen - sind, nachdem wir zu ihnen Stellung bezogen haben, nicht mehr, was sie davor waren. Sie sind ihres „Naturzustandes" und damit auch ihrer natürlichen Unschuld beraubt. Wenn wir Neigungen Einfluß auf unser Handeln nehmen lassen, geben wir ihnen diesen Einfluß. Wer eine Neigung zu seinem Motiv werden läßt, der eignet sie sich an, der macht sie sich zu eigen. Und als ein Eigenes sind Neigungen dann zu etwas geworden, das wir durchaus verantworten können und zu verantworten haben. Hier eröffnet sich also eine erste Perspektive darauf, wie Neigungen auch positiv bei der moralischen Wertschätzung zu Buche schlagen könnten. Neigungen, so könnte man sagen, können dann den moralischen Wert

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einer Handlung (oder eines Menschen) erhöhen, wenn sie nicht bloß Ausdruck einer naturgegebenen Gutmütigkeit sind, sondern wo eine Person sich diese Neigungen zu eigen gemacht hat. Sich seine menschenfreundlichen Neigungen bewußt anzueignen, heißt, ein Mensch sein wollen, der solche Neigungen hat und der aus solchen Motiven handeln will. Ein zweiter Zug gegen Kant könnte in dem Hinweis auf vertraute Umgangsweisen mit Neigungen bestehen. Wir wissen aus Erfahrung, in welchen Situationen bei uns bestimmte Neigungen (und Abneigungen) aufkommen. Und wir lernen über uns, welche dieser Neigungen unter welchen Umständen gewöhnlich handlungswirksam werden. Das macht es uns möglich, Situationen zu meiden, in denen wir unschöne Neigungen entwickeln und versucht sind, nach ihnen zu handeln. Das macht es uns auch möglich, Umstände aufzusuchen und Lebenslagen herzustellen, in denen wir erfahrungsgemäß menschenfreundliche Zu-Neigungen entwikkeln. Auch in diesem Sinne kann es ein moralisches Verdienst sein, bestimmte Neigungen zu haben und nach ihnen zu handeln: wo dies nämlich auf dem bewußten Umgang mit eigenen Neigungen und entsprechenden Vermeidungs- bzw. Aufsuchungsstrategien beruht. Sowohl beim ersten wie auch beim zweiten Zug gegen Kant wurden Neigungen (wie von Kant selber) als etwas bloß Vorliegendes, Geschehendes betrachtet: etwas Vorhandenes, zu dem man so oder so Stellung nehmen kann; etwas Tatsächliches, zu dem man sich so oder anders verhalten kann; etwas Gegebenes, dem man ausweichen oder das man (auf-)suchen kann; eine Faktizität, der man Rechnung tragen muß, der man aber auf verschiedene Weise Rechnung tragen kann. Und es war die Möglichkeit solcher Stellungnahmen zu Neigungen und die Art des Umgangs mit ihnen, die es möglich erscheinen ließen, daß Neigungen den moralischen Wert von Handlungen und Personen beeinflussen. Gegen Kant wurde bislang lediglich geltend gemacht, daß solcher bewußter Umgang mit Neigungen es auch möglich erscheinen läßt, daß wohlwollende Neigungen den moralischen Wert einer Handlung aus Pflicht noch steigern. Was wir bisher gesagt haben, hätte also auch Kant mit seinem Begriff von Neigungen sagen können. Es gibt aber auch die Erfahrung, daß sich Neigungen ändern und ändern lassen. Und dies eben nicht nur in dem Sinn, daß man Einfluß auf die Situationsumstände nimmt, unter denen sie erfahrungsgemäß entstehen. Es gibt auch die Erfahrung, daß jemandem in Situationen derselben A r t Neigungen nicht mehr aufkommen, die früher in solchen Situationen regelmäßig entstanden sind. Es gibt, wenn auch in bescheidenem Ausmaß, emotionale und neigungsmäßige Lernerfolge. Es gibt so etwas wie die Erziehung des Gefühls, eine éducation sentimentale, und eine entsprechende Kultivierung von Neigungen. Wie aber ist das

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möglich? Um das zu verstehen, reicht wahrscheinlich Kants Konzeption von Neigungen nicht aus: Das Entstehen von Neigungen hängt nicht nur von Situationsumständen ab. Neigungen, wo jemand sie sich zu Motiven macht, haben einen propositionalen Gehalt und hängen dadurch zusammen mit anderen Motiven, Wertmeinungen, Gefühlen, Erwartungen, Hoffnungen, usf. Uber ihre propositionalen Gehalte und durch ihren Zusammenhang mit anderen propositionalen Einstellungen können wir Einfluß auf Neigungen nehmen: auf das Verschwinden von alten und das Entstehen von neuen. Wir können nun sagen - als ein dritter Zug gegen Kant - , wie es immerhin mögüch erscheint, daß wohlwollende Neigungen den moralischen Wert von pflichtmotivierten Handlungen noch erhöhen. Handlungen aus Pflicht und zusätzlich aus wohlwollenden Neigungen können einen höheren moralischen Wert haben als Handlungen nur aus Pflicht, wenn die Neigungen auf einer Kultivierungsleistung beruhen. Nun sind aber sicherlich auch die beiden zunächst erwähnten Phänomene, nämlich die bewußte Aneignung von Neigungen und ein bewußter Umgang mit ihnen, als Kultivierungsleistungen anzusehen. Ich kann deshalb meine drei Züge gegen Kant so zusammenfassen, daß menschenfreundliche Neigungen dort ein moralisches Verdienst sind, wo sie kultivierte, d.h. bewußt angeeignete, aufgesuchte oder sogar neu erworbene Handlungsmotive sind. Weis für einzelne Neigungen gilt, daß gilt auch für die ganze Person. Kant selber unterscheidet zwischen Temperament und Naturell auf der einen Seite und dem Charakter einer Person auf der anderen (393 und 3 98/ 399). 6 2 Aber auch hier bestimmt er ihren Unterschied, indem er die „Eigenschaften des Temperaments" als bloße „Naturgaben" (393) unserem Einfluß entzieht; und nur der Charakter, als die „praktische konsequente Denkungsart nach unveränderlichen Maximen" (KprV: 152), erscheint ihm moralisch signifikant. Aber auch wenn man sein T e m p e r a m e n t sicherlich noch schwerer beeinflussen kann als seinen Charakter, so leuchtet doch nicht ein, daß es sich hier u m einen mehr als quantitativen Unterschied handeln soll: einen Unterschied, der wohl daher rührt, daß es sich beim Temperament mehr um affektive, beim Charakter mehr um voluntative Dispositionen handelt - und daß das Wollen besser beeinflußbar ist als Gefühle. Auch hier, ähnlich wie bei einzelnen Neigungen, liegt es nahe, zu sagen, daß Temperamentseigenschaften, wo eine Person sie sich zu eigen macht, dadurch zu einem Teil ihres Charakters werden. Und auch wenn das Temperament eines Menschen weniger als sein Charakter von ihm 62

Vgl. die „ A n t h r o p o l o g i e " , AA VII: 285 ff.

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beeinflußbar ist, so ist es doch überzogen, es aus dem Bereich moralischen Urteilens herauszunehmen. K a n t kannte zwar etwas, was er die Kultivierung der Tugend nennt (MdS, Ethische Methodenlehre, §49). Diese besteht bei ihm in der Kultivierung moralischer Gefühle (MdS, Einleitung zur Tugendlehre: XII) durch die Vorstellung der Moralität in ihrer Reinheit. 6 3 Was Kant aber nicht kennt, ist die Kultivierung von Neigungen. Bei ihnen scheint ihm von vorneherein Hopfen und Malz verloren. Er hat keinen Blick für die moralische Leistung, die in der Kultivierung wohlwollender Neigungen besteht. Schiller hingegen kommt der Idee einer Kultivierbarkeit von Neigungen sehr nahe bei der Beschreibung jenes ethischen Ideals, das er mit dem Namen einer „schönen Seele" belegt: Eine schöne Seele nennt man es, wenn sich findungen des Menschen endlich bis zu dem Affekt die Leitung des Willens ohne Scheu läuft, mit den Entscheidungen desselben im

das sittliche Gefühl aller EmpGrad versichert hat, daß es dem überlassen darf und nie Gefahr Widerspruch zu stehen. 6 4

Wir waren, bevor wir auf die Auseinandersetzung zwischen Kant und Schiller zu sprechen kamen, von dem Problem ausgegangen, daß Kant mit seiner starken Pflicht-These den Menschenfeind Alceste höher schätzen m u ß als unseren Menschenfreund Denis. Wir haben, so sagte ich, einander widerstreitende Intuitionen: Alceste, den möchten wir schon loben, daß er sich trotz zuwiderlaufender Neigungen durchringt, moralisch zu handeln. Aber wir möchten es auch verdienstvoll finden dürfen, daß Denis zu solchem Verhalten sich nicht erst durchringen muß. Von einer befriedigenden Theorie wollten wir verlangen, daß sie unseren widerstreitenden Intuitionen Rechnung trägt und unserer moralischen Einschätzung Orientierung verschafft. Das möchte ich nun abschließend versuchen, indem ich drei Fälle unterscheide: Erstens gibt es (angeblich) Menschen, die gutmütig sind „von Nat u r " . Exemplare solcher naiven Moralität müssen zwar keine unfreundlichen Neigungen überwinden, aber sie haben an ihren Neigungen auch kein Verdienst. Ihr moralisches Verdienst besteht höchstens in einer positiven Einstellung zu ihrer guten Natur, und die sollte ihnen im allgemeinen leichtfallen. 63

64

V g l . 411, K a n t s F u ß n o t e bzgl. eines B r i e f e s „ v o m sei. v o r t r e f f l i c h e n S u l z e r " . Vgl. a u c h die M e t h o d e n l e h r e i n d e r K p r V . U b e r A n m u t u n d W ü r d e : 219 - m e i n e H e r v o r h .

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Motive

Zweitens gibt es Leute wie uns mit freundlichen und unfreundlichen Neigungen. Wo wir unsere unguten Neigungen überwinden und moralisch handeln, d a ist diese Leistung ein moralisches Verdienst. Drittens gibt es (hoffentlich) Menschen, die gutmütig sind aufgrund der Kultivierung ihrer Neigungen: die sich wohlwollende Neigungen bewußt erworben haben. Von jenen Menschen der dritten Art mag vielleicht einleuchten, daß sie und ihre Handlungen moralisch höher zu schätzen sind als (die von) Alceste. Dafür, wie unser Denis einzuschätzen ist, hängt alles davon ab, wie er zu seiner Freundlichkeit gelangt ist. Wenn er unschuldig ist von Natur, dann mögen wir ihn noch so sehr liebenswürdig finden: moralisch gebührt dann sicherlich Alceste das größere Verdienst. Ist Denis aber freundlich aufgrund der Selbsterwerbung seiner Neigungen, dann gehört seiner moralischen Leistung das höchste Lob. Und wir mögen von seinen pflicht- und neigungsmotivierten Handlungen sagen, sie hätten gegenüber solchen allein aus Pflicht den höheren moralischen Wert. Daß Kant das nicht so sah, daran war vermutlich sein beschränkter NeigungsbegrifF schuld. Begriffe aber sind gefrorene Uberzeugungen. Die Überzeugungen, die hier zum Tragen kommen, betreffen die Grenzziehung zwischen solchem, was an uns bloße Natur ist und deshalb unserem Einfluß und d a r u m der moralischen Beurteilung entzogen, und anderem, was zu uns „als Personen" gehört, von uns beeinflußbar und deshalb moralisch zu verantworten ist. Die Stoßrichtung meiner Kritik an Kant trifft sich mit Tendenzen beim jungen Sartre. So weit wie der Sartre von „Das Sein und das Nichts" möchte ich zwar nicht gehen, der dazu neigte, den Menschen für nahezu alles verantwortlich zu machen. Doch haben wir wohl mehr auf unsere Kappe zu nehmen, als Kant uns zutrauen und zumuten wollte. Kann man Gefühle

fordern?

Kant schließt gewöhnlich an die Behandlung der Pflicht-These seine Interpretation des biblischen Liebesgebotes an. „Nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht" sollen wir handeln: So sind ohne Zweifel auch die Schriftstellen zu verstehen, darin geboten wird, seinen Nächsten, selbst unseren Feind zu lieben. Denn Liebe als Neigung kann nicht geboten werden, aber Wohltun aus Pflicht selbst, wenn dazu gleich gar keine Neigung treibt, ja gar natürliche und unbezwingliche Abneigung widersteht, ist praktische und nicht pathologische Liebe, die im Willen liegt und nicht im Hange der Empfindung, in Grundsätzen der Handlung und nicht schmelzender Teilnehmung; jene aber allein kann geboten werden. ( 3 9 9 ) 6 i 65

Vgl. KprV: 83.

K a n n m a n G e f ü h l e fordern?

111

Man kann Kants Überlegung auf folgende Weise reformulieren: (1) Man muß unterscheiden zwischen Liebe als Gefühl und Liebe als liebevolles Handeln („Wohltun"). (2) Affektive Liebe kann nicht geboten werden. (3)

Also kann, wo Liebe gefordert wird, vernünftigerweise nur praktische Liebe gemeint sein.

Warum, mag man fragen, kann affektive Liebe nicht geboten werden? - Weil, so ist regelmäßig Kants Auskunft, Gefühle generell nicht gefordert werden können. „Gefühle zu haben, dazu kann es keine Verpflichtung durch andere g e b e n " 6 6 ; „zur Lust woran genötigt werden zu müssen, ist ein Widerspruch" 6 7 . Kants Rede vom „Widerspruch" beleuchtet den Sinn des „Könnens" in der Ausgangsfrage, ob man Gefühle fordern kann. Gefragt ist nicht, ob man Gefühle fordern d&rf. Es handelt sich nicht um eine moralische Frage, die Frage ist grundsätzlicher: Es geht darum, ob es sinnvollerweise möglich ist, sich normativ auf Gefühle zu beziehen. Aber eine abschlägige Antwort auf diese Frage ist natürlich auch eine Absage an die moralisch verstandene Frage. Beiseitelassen will ich die Frage, in welchem Sinn es „widersprüchlich" ist, Gefühle zu fordern. Irgend etwas daran scheint jedenfalls „ungereimt" zu sein, wenn Gefühle gefordert oder beanstandet werden, und es wäre gut, den Grund dafür zu wissen. Warum kann man Gefühle nicht fordern? Was ist das nationale an der Auffassung, daß man es nicht kann? Et Weis fordern kann man sinnvollerweise nur dort, wo der Adressat der Forderung fähig ist, ihr nachzukommen. Sollen setzt Können voraus. Aber Gefühle kann man nicht „machen". „Liebe ist eine Sache der Empfindung, nicht des Wollens" 6 8 , „es steht in keines Menschen Vermögen, jemanden bloß auf Befehl zu lieben" 6 9 . „Ich kann nicht lieben, weil ich will", und deshalb auch nicht, „weil ich soll ...; mithin ist eine Pflicht zu lieben ein Unding"70. Wir machen den, von dem wir ein Gefühl verlangen, das er nicht hat, völlig hilflos: Er weiß nicht, was er anstellen soll, um die Forderung zu erfüllen. - So weit also scheint die Auffassung, man könne Gefühle nicht fordern, völlig vernünftig zu sein. 66 67 68 69 70

M d S : 449. A . a . O . : 402. M d S : 401. K p r V : a.a.O. MdS: a.a.O.

112

Motive

Andererseits aber gibt es eine geläufige Praxis, Gefühle zu fordern. Vielleicht ist der Ausdruck „fordern" zu stark, aber was wir tun, ist dies, daß wir das Vorhandensein oder Fehlen von Gefühlen bewerten und kritisieren, daß wir Erwartungen an die Gefühle anderer, aber auch hinsichtlich der eigenen haben; daß wir auf das Dasein oder Fehlen von Gefühlen mit sanktionsähnhchem Verhalten reagieren; daß wir auch m a n c h m a l im eigenen Fall vom Fehlen oder Vorhandensein eines bestimmten Gefühls befremdet sind. Wer beim Tode eines geliebten Menschen keine Trauer empfindet, der ist uns suspekt, und der mag auch selber bestürzt über sich sein. Wir nehmen es übel, wenn jemand Schadenfreude empfindet, wo Mitleid angebracht ist. Eine Mutter, die ihr Kind nicht auch affektiv liebt, ein Mensch, der seine Eltern nur „aus Pflicht" wohlwollend behandelt, offenbart einen Mangel an „Herzensbildung", den wir moralisch bewerten. „Der Liebe T u n " scheint in vielen Fällen die Begleitung des Gefühls zu erfordern. Wir meiden jemanden, der sich in entsprechenden Situationen nicht schämt, nicht betroffen ist, sich nicht schuldig fühlt, keine Dankbarkeit empfindet. Die Aufzählung dieser Gefühle legt die Vermutung nahe: es sind vor allem moralische Gefühle, die in der Praxis Inhalt von Forderungen sind. Aber fordern wir in solchen Situationen wirklich Gefühle? Sind das Geforderte nicht vielmehr bestimmte Verhaltensweisen, die gewöhnlich mit einem Gefühl einhergehen? Und Verhaltensweisen kann man natürlich fordern und nach Situationserfordernissen „an den Tag legen". Nein, ich glaube, es werden die Gefühle selber verlangt. An dem vom Tode der geliebten Mutter Betroffenen, dem die emotionale Betroffenheit fehlt, beklagen wir nicht nur das Fehlen von Trauerverhaiten. Solches Verhalten vermissen wir gegebenenfalls auch und bewerten auch dies moralisch. Aber solches Verhalten fordern wir nur als Ausdruck des Gefühls. Andernfalls erheben wir den Vorwurf der Heuchelei. Diese Praxis, Gefühle zu fordern, ist schwer vereinbar mit der zunächst plausibel gemachten Auffassung Kants, daß man Gefühle sinnvollerweise nicht fordern kann. Beides zusammen, diese Überzeugung und unsere entgegengesetzte Praxis, bildet ein Problem. Ist unsere Praxis einfach irrational: so verbreitet und selbstverständlich sie uns auch ist? Müssen wir sie also aufgeben? Weil sie Unmögliches als möglich unterstellt und uns über-fordert? Das zu tun wäre voreilig, bevor wir nicht untersucht haben, was auch an unserer Praxis vernünftig sein könnte. Ich gehe hier aus von einem konkreten Fall: Stellen wir uns eine „Liebende" vor, der das Gefühl für den Geliebten verlorengegangen ist:

K a n n m a n Gefühle fordern?

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Oktavia klagte sich an . . . Sie warf das sich selber vor, wie eine Untreue, aber sie vermochte es nicht zu ändern. Und gleichzeitig fühlte sie Lysanders Bild in ihrem Herzen blasser werden. Vergebens mühte sie sich mit allen Kräften des Willens, es wiederherzustellen. 71

Nehmen wir an, unsere Liebende würde beteuern, sie denke noch immer dasselbe über den Geliebten, ihre Wünsche und Hoffnungen seien noch die gleichen, auch sonst habe sich bei ihr nichts geändert: nur das Gefühl sei weg, der Zauber verflogen. Können wir das glauben? Ich denke, nein. Da muß sie sich täuschen. Es muß sich auch sonst etwas geändert haben, wenn Gefühle sich ändern. Es ist kein Zufall, ob man ein Gefühl hat oder nicht. Diese Reaktion gibt uns einen Wink, worin das Rationale an unserer Praxis der Gefühlskritik liegen könnte: Gefühle haben einen kognitiven Gehalt, und sie hängen über ihn zusammen mit unseren Uberzeugungen, Bedürfnissen, Wünschen, Hoffnungen, Einstellungen, Verhaltensweisen und mit Situationsumständen. Auf diese Dinge aber haben wir einen größeren Einfluß. So können wir mittelbar, auf dem Umweg über andere propositionale Einstellungen und Situationsumstände, Einfluß auf Gefühle nehmen. Und das könnte es sinnvoll machen, das Vorliegen oder Fehlen von Gefühlen kritisch zu bewerten, auch moralisch zu bewerten: Gefühle zu fordern und emotionale Mängel sich selber und anderen vorzuwerfen. Jemandem das Fehlen oder das Vorliegen eines bestimmten Gefühls vorzuhalten, würde dann etwa heißen: Was bist du für ein Mensch, daß du solche Gefühle hast!? Und „solch ein Mensch sein" würde dabei heißen: Weis mußt du für Uberzeugungen, Wünsche, Einstellungen usw. haben, wenn du zu solchen Gefühlen fähig bist bzw. wenn du nicht in der Lage bist, das-und-das zu fühlen. Das Fordern eines Gefühls könnte dann bedeuten, jemanden aufzufordern, ein anderer Mensch zu werden, was hieße: in dem Gesamtgefüge seiner Meinungen, Wünsche, Verhaltensweisen usw. etwas zu ändern, um dadurch auch seine Gefühlswelt zu verändern. Ich war von Kants Diktum ausgegangen, wonach nur praktische Liebe verlangt werden kann, weil Gefühle sinnvoller weise nicht gefordert werden können. Daran schien vernünftig zu sein, daß der Adressat solcher Forderungen nicht fähig ist, ihnen nachzukommen: Gefühle kann man nicht produzieren. Dem schien unsere Praxis entgegenzustehen, Gefühle tatsächlich zu fordern, ihr Vorliegen oder Fehlen zu kritisieren, zu bewerten, zu „sanktionieren". Diese Praxis schien zunächst unvereinbar mit dem Kantischen Diktum zu sein. Aber auch sie erwies sich als rational: Wir können Gefühle mittelbar beeinflussen, das gibt den entsprechenden Forderungen einen Ansatzpunkt. 71

Aus: Werner Bergengruen, Der spanische Rosenstock.

114

Motive N u n bleibt n o c h zu zeigen, wie dies beides: die P r a x i s u n d die K a n t i -

sche I n t u i t i o n , v e r e i n b a r zu m a c h e n ist. G e f ü h l e , g e w i ß , k a n n m a n nicht „machen".

D a s m u ß aber g e n a u e r heißen: M a n k a n n sie nicht

n i c h t unmittelbar,

nicht hier

und jetzt

hervorbringen.

K a n t i s c h e I n t u i t i o n . A b e r wir k ö n n e n sie mittelbar

spontan,

D a s erklärt

u n d mittelfristig

die be-

einflussen: d u r c h die V e r ä n d e r u n g j e n e r F a k t o r e n , mit d e n e n G e f ü h l e zusammenhängen. N u n m ö c h t e n wir sicher gerne g e n a u wissen,

wie G e f ü h l e mit

n u n g e n , W ü n s c h e n , anderen G e f ü h l e n , E i n s t e l l u n g e n , S i t u a t i o n s u m s t ä n d e n usw. z e l n e n , bestimmten

zusammenhängen.

Mei-

Verhaltensweisen,

Und wir m ö c h t e n bei ein-

G e f ü h l e n wissen, mit welchen

Meinungen, Wünschen

usf. sie z u s a m m e n h ä n g e n : und w e l c h e F a k t o r e n m a n wie v e r ä n d e r n m u ß , u m ein „ u n g e h ö r i g e s " G e f ü h l l o s z u w e r d e n und „ g e h ö r i g e " G e f ü h l e zu hab e n . Die s y s t e m a t i s c h e U n t e r s u c h u n g dieser Fragen m u ß freilich a u f eine zukünftige Arbeit verschoben werden.

4. Kapitel: Achtung

In den ersten drei Kapiteln ging es um Kants Antwort auf die Frage, was an einer Handlung es ist, worauf sich ihre moralische Beurteilung genaugenommen bezieht. Wir haben gesehen, daß Kant gegenüber einer materiellen Ethik dafür plädiert, daß die moralische Beurteilung von Handlungen von der Absicht des Handelnden abhängt - bzw. von den Maximen, in denen seine (allgemeinen) Absichten zum Ausdruck kommen und auf die Kant sein moralisches Urteilsprinzip in erster Linie angewendet wissen will. Wir haben dann gesehen, daß es für die moralische Beurteilung nicht auf irgendwelche Absichten bzw. Maximen ankommt, sondern auf die letzten Absichten, aus denen jemand handelt; auf die letzten Gründe, aus denen sich jemand eine M%&ime zu eigen macht. Eine moralische Handlung muß zuletzt aus dem Motiv geschehen, sie wegen ihrer Moralkonformität auszuführen. Der letzte Grund, sie auszuführen, muß in der (obersten) Maxime bestehen, moralische Handlungen ausführen, d. i. ein moralischer Mensch sein und ein moralisches Leben führen zu wollen. Ging es bisher um kognitive Aspekte der Kantischen Ethik, so geht es in diesem 4. Kapitel jetzt um die emotionale Seite moralischen Handelns. In den ersten drei Kapiteln ging es um die Frage nach dem eigentlichen Gegenstand bei der moralischen Beurteilung von Handlungen. Kants Antwort auf diese Frage bildet zusammen mit seiner Theorie des Kategorischen Imperativs - als des Prinzips, in dessen Anwendung für ihn das moralische Beurteilungsverfahren besteht - seine Theorie der moralischen Beurteilung. -Das Thema des jetzigen Kapitels ist demgegenüber Kants Theorie des moralischen Gefühls. Wofür braucht Kant eine solche Theorie des moralischen Gefühls? Weis ist ihre Funktion, was ist ihr systematischer Ort? Die Frage nach der Frage Die Theorie der Achtung als des moralischen Gefühls ist Kants Theorie der moralischen Motivation. Die Gründe, die jemand für eine Handlung hat, sind nicht an und für sich handlungswirksam, Handlungsgründe sind

116

Achtung

nicht automatisch auch Motive. Damit Gründe handlungswirksam und in diesem Sinne Motive werden, braucht es eine motivationale Kraft. Ich nenne diese kausale Komponente beim Handeln „Motivation". Es liegt also nahe, zwischen Gründen (für eine Handlung), Handlungsmotiven und der Hajidlungsmotivation zu unterscheiden. Weis auf diese Weise generell gilt, gilt auch für den moralischen Fall. Es gibt eine konstitutive Lücke zwischen moralischer Einsicht und moralischem Handeln. 1 Es mag jemand meinen, seine Handlung sei moralkonform, und er mag sie zuletzt tun wollen, weil sie moralkonform ist: und er mag dennoch (allein) dadurch noch nicht motiviert sein, die Handlung auszuführen. Gesucht ist demnach eine Motivationsquelle für moralisches Handeln, in Kants Sprache: eine moralische „Triebfeder". Nun mag vielleicht zusätzlich einleuchten, daß dasjenige, was Handlungsgründe ggf. handlungswirksam werden läßt, in einem affektiven Gehalt liegt: darin liegt, daß sie „emotional besetzt" sind. Wer so denkt, wird die Motivationsquelle für Handlungen in Gefühlen suchen, ähnlich wie Hume, für den erst entsprechende Gefühle einen Handlungsgrund zu einem „influencing motive" werden lassen. 2 Entsprechend wird man die Motivation zu moralischen Handlungen in sog. moralischen Gefühlen bzw in dem moralischen Gefühl vermuten. Man hat die hier vorgeführte Konstruktion und die damit einhergehenden begrifflichen Unterscheidungen manchmal dadurch zu vermeiden versucht, daß man sich auf ein angebliches Phänomen berief, das unter dem Titel einer „sittlichen Einsicht" moralisches Wissen und moralisches Motiviertsein vereint. Das „Phänomen" besitzt die folgenden Züge: Die sittliche Ginsicht blickt auf d a s G u t e nicht wie auf einen beliebigen Sachverhalt. Sie k o n s t a t i e r t nicht nur, was „ g u t " ist. Ohne einen A k t der Zus t i m m u n g gibt es keine Erkenntnis des G u t e n . Wer s a g t „dies ist g u t " , meint immer zugleich, daß d a s , was sich ihm als d a s G u t e zeigt, von ihm in seiner G e l t u n g b e s t ä t i g t wird. D a s Richtige leuchtet ein, d a s Gute aber ist 1

2

So wird die Sache auch von Günther Patzig gesehen: „Principium diiudicationis" und „Principium executionis": Uber transzendentalpragmatische Begründungssätze für Verhaltensnormen. Patzig meint, „daß es nicht ausreicht, die Triftigkeit einer moralischen Norm einzusehen, um auch nach ihr zu handeln" (205), „daß die mögliche Lücke zwischen der Zustimmung zur Gültigkeit einer Norm und einem der Norm entsprechenden Verhalten zu den unaufhebbaren Grundt&tsachen des menschlichen Lebens gehört, daß diese Lücke auch nicht durch subtile Argumentationen zum Verschwinden gebracht werden kann ... Vielmehr scheint es mir geradezu ein Kriterium der Sachangemessenheit ethischer Theorien zu sein, ob sie u.a. diese Lücke zu rekonstruieren geeignet sind." (205) David Hume, A Treatise of Human Nature, Book II, Part III, III: On the influencing motives of the will. Ahnlich äußerst sich u.a. auch Schiller: „Der Wille hat ohnehin einen unmittelbarem Zusammenhang mit dem Vermögen der Empfindungen als dem der Erkenntnis .." (Uber Anmut und Würde: 218.)

Die Präge nach der Präge

117

ursprünglich gebilligt. Ohne diese Antwort dessen, der d a s G u t e erkennt, ist sittliche Einsicht unmöglich. . . . Obwohl d a s G u t e nur in der Z u s t i m m u n g sichtbar wird, ist es doch nicht durch sie gut. Der Billigung muß der Anspruch des G u t e n v o r a u s g e h e n , gebilligt zu sein. Die L e g i t i m i t ä t dieses Anspruchs ist u n m i t t e l b a r verständlich. Sie ist der G r u n d der Billigung (complacentia), ohne die d a s G u t e nicht eingesehen werden kann. Der Anspruch ist also ein G r u n d p h ä n o m e n des Inhalts der sittlichen Einsicht. 3

Man darf wohl bezweifeln, daß es das beanspruchte Phänomen tatsächlich gibt (bzw. daß es sich hier um eine angemessene Beschreibung von etwas handelt, das es gibt): ein moralisches Wissen, das als solches zu entsprechendem Handeln motiviert. Es handelt sich hier wohl eher um den verzweifelten Versuch, „to eat the cake and have it": moralisches Erkennen und moralische Motivation einerseits zu unterscheiden, und andererseits beides doch so eng aneinanderzubinden, daß es in unterschiedslose Einheit zusammenschmilzt. Man kann sich zwar bei dem Versuch, ein so ausgesuchtes „Phänomen" wie die „sittliche Einsicht" zu konstruieren, durch Kantische Texte motiviert fühlen. 4 Aber die genaue Analyse von Kants Theorie des moralischen Gefühls wird zeigen, daß sich zu Unrecht auf Kant beruft, wer die Einheit von moralischem Erkennen und moralischem Motiviertsein propagiert. Vielmehr scheint Kant in seinen ethischen Schriften und Vorlesungen von der Einsicht ausgegangen zu sein, daß es eine Kluft gibt zwischen moralischem Wissen und entsprechendem Handeln, und daß die schwierige Aufgabe darin besteht, eine Brücke zwischen beidem zu schlagen. So lesen wir in einer Nachschrift von Kants Ethik-Vorlesung: Wenn ich durch den Verstand urtheile, daß die H a n d l u n g sittlich gut sey, so fehlet noch sehr viel, daß ich diese Handlung thue, von der ich so geurtheilet habe. ... D a s kann und wird auch niemand einsehen, daß der V e r s t a n d eine bewegende K r a f t haben sollte, urtheilen kann der V e r s t a n d zwar freylich, allein diesem Urtheile K r a f t zu geben, daß es eine Triebfeder, den Willen zur 3

4

Dieter Henrich, Der Begriff der sittlichen Einsicht und Kants Lehre vom Faktum der Vernunft: 228. Inzwischen scheint Henrich sein früheres Vertrauen in die selbstverständliche Motivationskraft der sittlichen Einsicht eingebüßt zu haben. Vgl. seine Rezension von Thomas Nagels „The View from Nowhere", Dimensionen und Defizite einer Theorie der Subjektivität: 3/4. So diagnostiziert Günther Patzig, „daß Kant bestrebt war, das 'Faktum der Vernunft', oder das Bewußtsein der Pflicht, und das Motiv, entsprechend dieser Pflicht auch zu handeln, so nahe aneinander zu binden, daß zwar die allgemeine Einsicht richtig bleibt, nach der man ein subjektives movens, ein principium executionis braucht, zugleich jedoch diese Triebfeder so nahe an das Sittengesetz selbst herangeführt, ja, mit ihm identifiziert wird, daß niemand auf den Gedanken kommen konnte, es handle sich hier um eine ganz gewöhnliche, empirische Triebfeder". A.a.O. 207.

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Achtung Ausübung einer Handlung zu bewegen, werde, dieses einzusehen ist der Stein der Weisen. 5 Wenn der Mensch alle Handlungen zu diiudiciren gelernet hat, so fehlt es ihm noch an der Triebfeder zur Ausübung derselben. 6 . . . der Mensch hat nicht solche geheime Organisation, durch Obiective Gründe bewogen zu werden. 7

F ü r K a n t also w ä r e ein solcher S a c h v e r h a l t wie die „sittliche Einsicht" der S t e i n der W e i s e n . U n d den findet m a n j a b e k a n n t l i c h nicht. Nun w a r auch K a n t der Humeschen A u f f a s s u n g , daß zur M o t i v i e r u n g v o n H a n d l u n gen die H a n d l u n g s g r ü n d e a f f e k t i v b e s e t z t sein müssen. Zur t a t s ä c h l i c h e n A u s f ü h r u n g m o r a l i s c h e r H a n d l u n g e n b r a u c h e m a n ein „ s u b j e k t i v e s P r i n zip", das subiective Principium aber, die Triebfeder, ist das Moralische Gefühl. 8 Es sieht ein jeder ein, wenn eine Handlung verabscheuenswürdig ist, nur der aber, der diesen Abscheu empfindet, hat ein Moralisches Gefühl, der Verstand verabscheut nicht, sondern er sieht die Abscheulichkeit ein, und widersetzt sich derselben, die Sinnlichkeit aber muß nur verabscheuen. Wenn nun die Sinnlichkeit dasjenige verabscheut, was der Verstand für abscheulich hält, so ist dies das Moralische Gefühl. 9 Die T h e o r i e des m o r a l i s c h e n G e f ü h l s h a t f ü r K a n t also die F u n k t i o n einer T h e o r i e m o r a l i s c h e r M o t i v a t i o n . K a n t identifiziert dieses m o r a l i s c h e G e f ü h l in der „ G r u n d l e g u n g " als ein G e f ü h l der Achtung. „ A c h t u n g " ist bei i h m der T i t e l f ü r die spezifisch m o r a l i s c h e M o t i v a t i o n s q u e l l e . 1 0 Moralische H a n d l u n g e n geschehen f ü r K a n t aus A c h t u n g f ü r das m o r a l i s c h e Gesetz. 5 6 7 8 9 10

Kant, Ethik-Vorl. Nachschrift „Moral Mrongovius", AA XXVII: 1428. A.a.O.: 1429. A.a.O. A.a.O.: 1428. A.a.O.: 1429. Maximilian Forschner bestreitet, daß Achtung für Kant die Punktion der Motivation zu moralischen Handlungen hat: „Das spezifisch moralische Gefühl der Achtung vor dem Sittengesetz und den diesem entsprechenden Handlungen wird deshalb von Kant aus seiner Funktion als Brkenntnisorgan und Motivationskraft für sittliches Handeln entlassen und als Wirkung praktischer Vernunft auf das Gefühl interpretiert." Lexikon der Ethik: Stichwort „Gefühl": 71. Korrekt ist sicher, daß das moralische Gefühl der Achtung für Kant kein „Erkenntnisorgan" ist; vgl. dazu unten den Abschnitt: Die moralphilosophische Pointe. Falsch aber ist, daß „Achtung" bei Kant nicht für eine Motivationskraft zu moralischen Handlungen steht: sein Ausdruck „Triebfeder" ist dafür ein sprechendes Indiz. Und daß Kant die Achtung als eine Wirkung des moralischen Gesetzes interpretiert, schließt nicht aus, daß sie auch eine Ursache ist: natürlich nicht für das Gesetz, sondern für das Zustandekommen moralischer Handlungen.

Begriffe m o r a l i s c h e r A c h t u n g

Begriffe moraJischer

119

Achtung

Bevor wir Kants Theorie der Achtung als des moralischen Gefühls genauer betrachten, ist es sinnvoll, sich darüber Rechenschaft zu geben, was mit dem Ausdruck „Achtung" alles gemeint sein kann und was Kant mit diesem Terminus alles bezeichnet hat. Das Wort „Achtung" hat viele Bedeutungen, moralische und nicht-moralische. 1 1 Unter den moralischen muß man mindestens drei verschiedene unterscheiden: 1 2 1. Achtung als Rücksichtnahme bzw. Respekt. Achtung in diesem Sinne ist eine Einstellung, eine Disposition zu rücksichtsvollem Verhalten. Sie ist diejenige Haltung, die von allen gegenüber allen moralisch gefordert ist. Man kann zwar in verschiedenem Maße auf andere Rücksicht n e h m e n 1 3 , aber ein gewisses (näher zu bestimmendes) Maß an Rücksichtnahme aufeinander ist der Inbegriff und der Kernbereich moralischen Verhaltens. Diesen Begriff der „Achtung" findet man bei Kant hauptsächlich in der „Metaphysik der Sitten". Achtung in diesem Sinne ist kein Gefühl (vgl. Tugendlehre, §25: 449), sondern eine Verhaltensweise, die Menschen „einander schuldig sind" (a.a.O., §24: 449). „Achtung, die ich für andere trage, oder die ein anderer von mir fordern kann (observantia aiiis praestanda), ist also die Anerkennung einer Würde (dignitas) an anderen Menschen" (a.a.O.: §37: 462). „Ein jeder Mensch hat rechtmäßigen Anspruch auf Achtung von seinen Nebenmenschen, und welchselseitig ist er dazu auch gegen jeden anderen verbunden." (A.a.O.: §38: 462.) Achtung im Sinne einer Einstellung allgemeiner Rücksichtnahme ist dasjenige, was von Kants Kategorischem Imperativ (besonders eindrücklich in seiner Zweck-an- sich-Formulierung) gefordert wird. 2. Achtung als moralische Hochschätzung. Hier ist Achtung die Wertschätzung von Personen aufgrund bestimmter moralischer Leistungen und Verdienste, die sie erbracht haben. Sie besteht im Anerkennen der Tatsache, daß jemand „diejenige Eigenschaft oder diejenigen Eigenschaften, die wir wechselseitig voneinander moralisch fordern, besonders gut exemplifiziert". 1 4 Auch solche moralische Wertschätzung ist ein graduelles Phänomen, und sie geht wohl gewöhnlich mit einem Gefühl der Anerkennung 11

Vgl. d a z u U r s u l a Wolf, D a s P r o b l e m d e s m o r a l i s c h e n Sollens: 100-111; O t t o F r i e d r i c h B o l i n o w , Die E h r f u r c h t : '27 f.; J o e l F e i n b e r ^ , S o m e C o n j e c t u r e s a b o u t t h e C o n c e p t of R e s p e c t . ^ Vgl. d a z u : E r n s t T u g e n d h a t , P r o b l e m e d e r E t h i k : 135 ff.; M a r y G r e g o r , L a w s of F r e e d o m : 181, F u ß n o t e ; S t e p h e n M a s s e y , K a n t o n S e l f - R e s p e c t : 60-64. 13 D a s w u r d e v o n T u g e n d h a t m e r k w ü r d i g e r w e i s e b e s t r i t t e n : a . a . O . : 136. I m G e s p r ä c h m i t m i r h a t T u g e n d h a t seine d i e s b e z ü g l i c h e A u s s a g e als L e i c h t s i n n s f e h l e r b e z e i c h n e t . 14 Tugendhat, a.a.O.

Achtung

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g e g e n ü b e r der g e s c h ä t z t e n P e r s o n einher. Der ggf. „ g e f ü h l s m ä ß i g e " Ausdruck moralischer H o c h a c h t u n g (oder ihres Gegenteils, der V e r a c h t u n g ) gibt ihr die K r a f t für ihr Fungieren als eine m o r a l i s c h e S a n k t i o n . K a n t kennt auch diesen Begriff von „ A c h t u n g " im Sinne der moralischen H o c h s c h ä t z u n g , welche die „ R e c h t s c h a f f e n h e i t des C h a r a k t e r s " bei einem Menschen uns a b n ö t i g t ( K p r V : 77): ... da beim Menschen immer alles Gute mangelhaft ist, so schlägt das Gesetz, durch ein Beispiel anschaulich gemacht, doch immer meinen Stolz nieder ... Achtung ist ein Tribut, den wir dem Verdienste nicht verweigern können ... (A.a.O.)

3. Achtung als moralisches Gefühl. Diese B e d e u t u n g des A u s d r u c k s „ A c h t u n g " steht in der „ G r u n d l e g u n g " und in der „ K r i t i k der p r a k t i s c h e n V e r n u n f t " im V o r d e r g r u n d . Dieses G e f ü h l kann nicht d a s s e l b e sein wie die E i n s t e l l u n g der A c h t u n g , von der unter 1. die R e d e war. Denn ( a ) soll dieses G e f ü h l j a die „ T r i e b f e d e r " zu rücksichtsvollem Verhalten sein und muß deshalb d a v o n verschieden sein. U n d (b) ist j a die Einstellung während Kant allgemeiner R ü c k s i c h t von allen gegenüber allen gefordert, bezüglich jeglicher Gefühle, und auch explizit mit B e z u g auf d a s moralische G e f ü h l der A c h t u n g , der Meinung ist, daß sie nicht g e f o r d e r t werden können (vgl. M d S : 399; 449). D a s A c h t u n g s g e f ü h l kann aber auch nicht d a s s e l b e sein wie die m o r a l i s c h e H o c h s c h ä t z u n g , über die wir unter 2. gesprochen h a b e n . Denn die A c h t u n g im Sinne des m o r a l i s c h e n G e f ü h l s soll j a eine T r i e b f e d e r für moralisches Verheilten g e g e n ü b e r allen a b g e b e n können. Die E n t s t e h u n g dieses G e f ü h l s darf d e s h a l b nicht von Unterschieden a b h ä n g e n , die zwischen verschiedenen Personen b e s t e h e n : also auch nicht von ihren unterschiedlichen moralischen L e i s t u n g e n . Die A c h t u n g als m o r a l i s c h e Triebfeder muß u n a b h ä n g i g von der m o r a l i s c h e n (oder sons t i g e n ) W e r t s c h ä t z u n g anderer Personen s e i n . 1 5 Das moralische

Gefühl

der Achtung:

Kants

Thesen

K a n t m a c h t in der „ G r u n d l e g u n g " (401) auf e n g s t e m R a u m eine Reihe von B e h a u p t u n g e n über d a s m o r a l i s c h e G e f ü h l der A c h t u n g . Seine T h e s e n 15

Kant hat nicht ausdrücklich zwischen der Achtung im Sinne des moralischen Gefühls (3.) und Achtung im Sinne moralischer Hochschätzung (2.) unterschieden. Die Stellen, an denen er von Achtung als moralischer Hochschätzung spricht, stehen im Kontext seiner Behandlung der Achtung als moralisches Gefühl. Kant hat offenbar nicht bemerkt, dafi man beides unterscheiden muß. - Dasselbe muß man mit Bezug auf Massey konstatieren. (A.a.O.) Gregor unterscheidet mit Bezug auf Kant nur zwischen Achtung als moralischem Gefühl und Achtung als rücksichtsvoller Einstellung, wie sie sich in moralischem Verhalten manifestiert. (A.a.O.) Wolf handelt nicht über Achtung als moralisches Gefühl (a.a.O.), ebensowenig Tugendhat (a.a.O.).

K a n t s Thesen

121

betreffen 1. den Gegenstand der Achtung, 2. ihre Merkmale, 3. ihre Genese, 4. ihre Funktion. Da jedenfalls nicht offenkundig ist, daß Kant seine Auffassung in der „Kritik der praktischen Vernunft" geändert hat, behandele ich die Ausführungen in der „Grundlegung" im Zusammenhang mit dem Triebfeder-Kapitel in der zweiten „Kritik". Kant vertritt die folgenden Thesen: 1. Der Gegenstand

der

Achtung

(a) Achtung hat man nicht gegenüber (intendierten) Handlungsfolgen oder -zwecken: zum „Objekte als Wirkung meiner vorhabenden Handlung". (400) (b) Ebensowenig wie zum Gegenstand einer Neigung kann man gegenüber der Neigung selber: „für Neigung überhaupt" (a.a.O.), Achtung haben. (c) „Nur ... das bloße Gesetz für sich, kann ein Gegenstand der Achtung ... sein." (A.a.O.) (d) Natürlich achten wir auch Personen, aber: „Alle Achtung für eine Person ist eigentlich nur Achtung fürs Gesetz ..., wovon jene uns das Beispiel gibt." (401, Fußnote.) 16 2. Merkmale

der

Achtung

(a) Achtung ist „ein Gefühl" (401, Fußnote). (b) Achtung ist „das Bewußtsein der Unterordnung meines Willens unter einem Gesetze ohne Vermittelung anderer Einflüsse auf meinen Sinn" (a.a.O.). „Die unmittelbare Bestimmung des Willens durchs Gesetz und das Bewußtsein derselben heißt Achtung" (a.a.O.). (c) Das Gefühl der Achtung unterscheidet sich dadurch von anderen Gefühlen, die „durch Einfluß empfangen" sind, daß diese „sich auf Neigung oder Furcht bringen lassen". Die Achtung dagegen „ist ... etwas, was weder als Gegenstand der Neigung noch der Furcht betrachtet wird" (a.a.O.). (d) Trotzdem hat Achtung „mit beiden zugleich etwas Analogisches": Insofern wir in der Achtung dem moralischen „Gesetz ... unterworfen" sind, „ohne die Selbstliebe zu befragen", hat es „Analogie mit Furcht"; „als uns von uns selbst auferlegt, ist es doch eine Folge unseres Willens und hat in" dieser „Rücksicht Analogie ... mit Neigung" (a.a.O.). 1B

In der „Kritik der praktischen Vernunft" findet man erläuternd dazu die These: (e) „Achtung geht jederzeit nur auf Personen, niemals auf Sachen." ( 7 6 )

122

Achtung

3. Genese der

Achtung

(a) Achtung ist die „ W i r k u n g des Gesetzes aufs Subjekt und nicht ... Ursache desselben" (a.a.O.). (b) Achtung ist „kein durch Einfluss empfangenes, Vernunftbegriff selbstgewirktes Gefühl" (a.a.O.). 4. Die Funktion

der

sondern durch einen

Achtung

(a) Die „Achtung fürs moralische Gesetz" muß „als subjektiver Grund der Tätigkeit, d.i. als Triebfeder zu Befolgung desselben, und als Grund zu Maximen eines ihm gemäßen Lebenswandels angesehen werden." (KprV: 79.) (b) „Achtung fürs Gesetz ist . . .die einzige . . moralische Triebfeder" (KprV: 78.) Bevor ich nun die einzelnen von Kants Behauptungen der Reihe nach durchgehe und eingehender behandele, sollten wir die Hauptthese zu verstehen versuchen, die Kant in der „Grundlegung" mit Bezug auf die Achtung vertritt. Ich meine die These: (5) Püicht ist Gesetz. (400)

Notwendigkeit

einer

Handlung

aus Achtung

fürs

Nennen wir diese Behauptung Kants „Achtungs-These" 1 - Der Ausdruck „Notwendigkeit einer Handlung", der in der These vorkommt, besagt, daß man die Handlung tun muß („tun" für „Handlung", „muß" für „praktische Notwendigkeit"). Der Ausdruck „Pflicht", mit dem die These anhebt, kann mehreres bedeuten. Zum einen definiert Kant „Pflicht" als die „praktisch-unbedingte Notwendigkeit der Handlung" (425). „Die objektive Notwendigkeit einer Handlung aus Verbindlichkeit heißt Pflicht." (439) K a n t nennt diese Notwendigkeit einer Handlung „unbedingt" bzw. „objektiv", weil sie nicht von „subjektiven", vom jeweiligen „ S u b j e k t " abhängenden Zweck-Bedingungen abhängig ist. Nach dieser ersten Lesart von „Pflicht" würde in der Achtungs-These der Ausdruck „Notwendigkeit einer Handlung" nur den Terminus „Pflicht" explizieren, mit dem die These beginnt. - ! Zweileiisr kann „Pflicht" auch für diejenige Handlung stehen, die auszuführen moralisch richtig ist: für die moralisch richtige Handlung: „P/licht ist diejenige Handlung, zu welcher jemand verbunden ist." (MdS: 222.) Diese Lesart von „Pflicht" paßt nicht gut zur Achtungs-These. Drittens könnte man den Ausdruck „Pflicht" in der Achtungs-These auch so lesen, daß er für Handlungen steht, die „aus Pflicht" geschehen. Bloß

Kants Thesen

123

pflichtmäßige H a n d l u n g e n können j a a u s anderen als genuin moralischen Motiven geschehen.

D e s h a l b k a n n K a n t n u r v o n H a n d l u n g e n , die „ a u s

P f l i c h t " g e s c h e h e n , b e h a u p t e n w o l l e n , d a ß sie n o t w e n d i g s i n d „ a u s A c h t u n g f ü r s G e s e t z " . - D e r A u s d r u c k „ a u s A c h t u n g " g i b t ein M o t i v a n , ein g e n u i n m o r a l i s c h e s M o t i v , die H a n d l u n g a u s z u f ü h r e n . E r s t e h t , m i t K a n t s T e r m i n u s , f ü r die m o r a l i s c h e „ T r i e b f e d e r " .

B e s a g t a l s o , d a s alles z u s a m -

m e n g e n o m m e n , die A c h t u n g s - T h e s e , d a ß m a n m o r a l i s c h e H a n d l u n g e n a u s d e m G e f ü h l der A c h t u n g ( a l s der m o r a l i s c h e n T r i e b f e d e r ) h e r a u s a u s f ü h r e n muß? D i e s e I n t e r p r e t a t i o n der A c h t u n g s - T h e s e w ä r e g e w i ß f a l s c h . K a n t h a t nie e i n e n Z w e i f e l d a r a n g e l a s s e n , d a ß m a n G e f ü h l e n i c h t f o r d e r n k a n n . E r s a g t d a s a u c h d e z i d i e r t ü b e r d a s G e f ü h l d e r A c h t u n g , w e n n a u c h e r s t in der „ M e t a p h y s i k der S i t t e n " : Nun kann es keine Pflicht geben, ein moralisches Gefühl zu haben oder sich ein solches zu erwerben; denn alles Bewußtsein der Verbindlichkeit legt dieses G e f ü h l z u m G r u n d e , um sich der N ö t i g u n g , die im Pflichtbegriffe liegt, bewußt zu werden. ( M d S : 3 9 9 ) 1 7 Die A c h t u n g s - T h e s e b e d e u t e t also nicht, daß m a n m o r a l i s c h e Handl u n g e n a u s A c h t u n g a u s f ü h r e n muß.

D a n n k a n n sie a b e r n u r b e d e u t e n ,

d a ß m a n m o r a l i s c h e H a n d l u n g e n , w e n n m a n sie a u s f ü h r t , a u s tut:

Achtung

d a ß a l s o b e i der A u s f ü h r u n g m o r a l i s c h e r H a n d l u n g e n die A c h t u n g

der w i r k s a m e A u s f ü h r u n g s g r u n d , die T r i e b f e d e r i s t . 1 8 D a ß P f l i c h t die „ N o t w e n d i g k e i t einer H a n d l u n g a u s A c h t u n g f ü r s G e s e t z " ist, m u ß m a n also, schrittweise p a r a p h r a s i e r t , so lesen:

Verpflichtet

zu s e i n b e d e u t e t , d a ß m a n eine b e s t i m m t e H a n d l u n g a u s f ü h r e n m u ß , u n d 17

18

Vgl. a.a.O., wo Kant generell über die „Empfänglichkeit des Gemüts für Pflichtbegriffe" schreibt. Er führt dabei, neben dem Achtungsgefühl für andere, auf: „das Gewissen, die Liebe des Nächsten und die Achtung für sich selbst (Selbstschitzung)", und sagt über sie alle, daß sie „zu haben es keine Verbindlichkeit gibt: weil sie als subjektive Bedingungen der Empfänglichkeit für den Pflichtbegriff, nicht als objektive Bedingungen der Moralität zum Grunde liegen. Sie sind ... natürliche Gemütsanlagen (praediapositio) durch Pflichtbegriffe affiziert zu werden; welche Anlagen zu haben nicht als Pflicht angesehen werden kann, sondern die jeder Mensch hat und kraft deren er verpflichtet werden kann." - Zu den „objektiven Bedingungen der Moralität", die offenbar gefordert werden können, gehört aber das Motiv, aus Pflicht zu handeln. Ich komme im Text darauf zurück. So hatte es Kant auch in seiner Ethik-Vorlesung ausdrücklich gesehen. Die Angabe des moralischen Gefühls nennt er dort eine Antwort auf die Frage: „was bewegt mich". „Dasjenige was mich antreibt, das zu tun, worin der Verstand sagt: ich soll es tun, das sind die motiva subjective moventia." (Ethik-Vorlesung Menzer, a.a.O.: 44.) - In der Moral Mrongovius heißt es: „Wenn aber die Frage ist: was mich diesen Gesetzen gemäß zu leben bewege? So ist dieses das Principium der Triebfeder . . . Dasjenige, was mich das zu thun, antreibt, was der Verstand mich heißt, sind die Motiva subiective moventia." A.a.O.: 1423.

124

Achtung

wenn m a n sie d a n n a u s f ü h r t , geschieht dies a u s d e m G e f ü h l der A c h t u n g h e r a u s , d a s wir für d a s m o r a l i s c h e G e s e t z empfinden. „ A u s Pßicht"

vs. „ a u s

Achtung"

E i n g a n g s in d i e s e m K a p i t e l h a b e ich b e h a u p t e t , daß die T h e s e v o m an sich g u t e n Willen, die M a x i m e n - T h e s e u n d die Pflicht-These in den R a h m e n von K a n t s T h e o r i e der moralischen H a n d l u n g s b e u r t e i l u n g gehören, w ä h r e n d d e m g e g e n ü b e r die A c h t u n g s - T h e s e eine T h e s e über d a s moralische G e f ü h l sei, a u f g r u n d dessen wir zur A u s f ü h r u n g von m o r a l i s c h p o s i t i v beurteilten H a n d l u n g e n motiviert sind. Diese T h e s e ist h a u p t s ä c h l i c h deshalb nicht u n p r o b l e m a t i s c h , weil es g u t e G r ü n d e für die A u f f a s s u n g g i b t , daß K a n t s Redeweisen, daß eine H a n d l u n g „ a u s P f l i c h t " geschieht u n d d a ß sie „ a u s A c h t u n g " geschieht, entweder b e d e u t u n g s g l e i c h oder doch lediglich verschiedene A u s d r ü c k e für ein und d a s s e l b e moralische M o t i v s i n d . Und entsprechend liegt die A u f f a s s u n g nahe, daß K a n t s P f l i c h t - T h e s e u n d seine A c h t u n g s - T h e s e sich nicht wesentlich u n t e r s c h e i d e n . 1 9 Wie ist d a s also: Sind die A u s d r ü c k e „ a u s P f l i c h t " und „ a u s A c h t u n g " , mit denen K a n t jeweils ein genuin moralisches Motiv bezeichnet, verschiedene A u s d r ü c k e für ein und d a s s e l b e M o t i v , oder stehen sie für zwei verschiedene M o t i v e ? W a s spricht für die Identifikation, was spricht d a g e g e n ? Ich m ö c h t e für die A u f f a s s u n g a r g u m e n t i e r e n , daß es zwar nicht zwingend ist, daß aber eine Reihe von G r ü n d e n d a f ü r sprechen, K a n t so zu lesen, daß die A u s d r ü c k e „ a u s P f l i c h t " u n d „ a u s A c h t u n g " für zwei verschiedene M o t i v e stehen - und entsprechend die P f l i c h t - T h e s e u n d die A c h t u n g s - T h e s e zwei inhaltlich verschiedene T h e s e n sind, die sich s y s t e m a t i s c h ergänzen. Der S a c h e nach meine ich, daß m a n auf j e d e n Fall zwei D i n g e unterscheiden muß, die sinnvoll durch die M o t i v e , „ a u s P f l i c h t " u n d „ a u s A c h t u n g " zu handeln, beschrieben werden können. Für die T h e s e , daß die A u s d r ü c k e „ a u s P f l i c h t " und „ a u s A c h t u n g " für K a n t b e d e u t u n g s g l e i c h oder doch bloß zwei verschiedene A u s d r ü c k e für d a s s e l b e m o r a l i s c h e Motiv sind, spricht erstens ein S a t z aus d e m T r i e b f e d e r K a p i t e l in der „ K r i t i k der praktischen V e r n u n f t " : Der Begriff der Pflicht fordert also an der Handlung objektiv Übereinstimmung mit dem Gesetze, an der Maxime derselben aber subjektiv Achtung fürs Gesetz, als die alleinige Bestimmungsart des Willens durch dasselbe. Und darauf beruht der Unterschied zwischen dem Bewußtsein, pßichtmäßig und aus Pßicht, d. i. aus Achtung fürs Gesetz, gehandelt zu haben ( K p r V : 81 - zuletzt meine Hervorhebung). 19

Vgl. z . B . Reiner, a . a . O . : 20; R . P. Wolff, a . a . O . : 65; Henson, a . a . O . : 41.

Aus Pflicht" vs. „aus Achtung"

125

Auch wenn es so ist, daß diese I n t e r p r e t a t i o n sehr naheliegt, ist es doch nicht zwingend, den zweiten Satz des Zitates so zu lesen, daß der Ausdruck „aus Pflicht" u n d der Ausdruck „aus A c h t u n g " bedeutungsgleich sind - oder daß beide f ü r dasselbe Motiv stehen. Der Ausdruck „d. i." ist häufig nicht eindeutig. Es ist immerhin möglich (auch wenn seinerseits alles a n d e r e als zwingend), daß K a n t nur die Koextensivität zweier Motive b e h a u p t e n wollte. Er würde demnach b e h a u p t e n , daß immer d a n n , wenn j e m a n d aus Pflicht handelt, er auch aus A c h t u n g handelt: u n d umgekehrt. Es w ü r d e d a n n zwar einen engen, und näher zu explizierenden, Z u s a m m e n h a n g zwischen beiden Motiven geben: aber es wäre das doch ein Z u s a m m e n h a n g zwischen zwei verschiedenen Motiven. Eine zweite Stelle in K a n t s T e x t e n , die für die Identifikation von „aus P f l i c h t " u n d „aus A c h t u n g " spricht, findet sich in der „ G r u n d l e g u n g " . Es heißt darin einmal: Auch haben wir ... gezeigt, wie ... lediglich Achtung fürs Gesetz diejenige Triebfeder sei, die der Handlung einen moralischen Wert geben kann. (440)

Es ist dies meines Wissens die einzige Stelle, an der K a n t von dem Achtungsmotiv sagt, daß es einer H a n d l u n g „moralischen W e r t " gibt. Sonst b e h a u p t e t er das immer nur von dem Motiv, aus Pflicht zu handeln. Es k ö n n t e also sein, daß ihm in dem eben zitierten Satz ein Versehen passiert ist. Drittens spricht für die Identifikation des Achtungs- mit dem Pflichtmotiv, daß K a n t b e h a u p t e t (400), daß die Achtungs-These eine „Folgerung" aus „beiden vorherigen" Thesen (also der Pflicht- und der Maximen-These) sei. Und das k ö n n t e sie in einem strengen Sinn natürlich nur sein, wenn in den „beiden vorigen" Thesen das Achtungsmotiv irgendwie implizit mit angesprochen worden wäre. Wenn aber in den beiden ersten T h e s e n die A c h t u n g irgendwo mit drin stecken sollte, d a n n wohl a m ehesten in der Pflicht-These. Nun ist aber nicht zu sehen, wie die A c h t u n g in dem Text vor ihrer E r w ä h n u n g in der A c h t u n g s - T h e s e mit drinstecken sollte: von einem moralischen G e f ü h l war bis dahin nirgends auch nur implizit die Rede. Also sieht m a n auch nicht, wie die Achtungs-These eine „Folgerung" aus der Pflicht- u n d der Maximen-These sein kann. Dies, z u s a m m e n g e n o m m e n mit der T a t s a c h e , daß K a n t die Pflicht- und die A c h t u n g s - T h e s e als zwei verschiedene „Sätze" explizit unterscheidet, spricht d a f ü r , daß es sich auch bei dem Achtungs- u n d dem Pflichtmotiv u m zwei verschiedene Motive h a n d e l t . - Das ist nun aber schon mehr ein systematischer als ein Interp r e t a t i o n s p u n k t und ein erster P u n k t gegen die Identifikation des Pflichtund des A c h t u n g s m o t i v s .

126

Achtung

Ein zweiter P u n k t gegen die Identifikation der beiden Motive, „aus Achtung" und „aus Pflicht" zu handeln, besteht in der Feststellung, daß Kant zwar regelmäßig das Achtungsmotiv als „Triebfeder" (nämlich zu moralischen Handlungen) bezeichnet, daß er aber meines Wissens nie von dem Motiv, aus Pflicht zu handeln, sagt, daß es eine „Triebfeder" sei. Kant unterscheidet zwischen „Triebfedern" a b subjektiven Gründen des Begehrens und „Bewegungsgründen" als objektiven Gründen des Wollens: Der subjektive Grund des Begehrens ist die Triebfeder, Wollens der Bewegungsgrund (427).

der objektive des

Triebfedern sind Gefühle und Neigungen (411), ein solches Gefühl wenn auch ein besonderes - ist die Achtung. Während also die Achtung für Kant immer unter dem Titel einer „Triebfeder" läuft, ist für ihn objektiver Beweggrund das moralische Gesetz (400; KprV 72). Und m a n darf von hier aus vielleicht extrapolieren, daß er, da er das Motiv, aus Pflicht zu handeln, nie als „Triebfeder" bezeichnet, es eher unter der Bezeichnung eines objektiven Bestimmungsgrundes des Wollens gehandelt h ä t t e . Gegen die Identifikation der Motive, aus Pflicht und aus Achtung zu handeln, spricht drittens (ein Interpretationspunkt), daß Kant dort, wo er in seinem Werk explizit die Terminologie der Unterscheidung vom moralischem „principium diiudicationis" und „principium executionis" verwendet, mit dem Exekutionsprinzip immer nur das moralische Gefühl meint und unter dem Titel eines „principium executionis" nirgends das Motiv, aus Pflicht zu handeln, abhandelt. Wenn die Frage ist: was ist sittlich gut oder nicht?, so ist das das Principium der Dijudikation, nach welchem ich die Bonität der Handlung beurteile. Wenn aber die Frage ist: was bewegt mich, diesen Gesetzen gemäß zu leben, so ist das das Principium der Triebfeder. Die Billigkeit der Handlung ist der objektive Grund, aber noch nicht der subjektive Grund. Dasjenige was mich antreibt, das zu tun, worin der Verstand sagt: ich soll es tun, das sind die motiva s u b j e c t i v e moventia. Das oberste Principium aller moralischen Beurteilung liegt im Verstände und das oberste Principium des moralischen Antriebes, diese Handlung zu tun, liegt im Herzen; diese Triebfeder ist das moralische Gefühl. 2 0

Nun erwähnt Kant in dem oben zitierten Text das Motiv, „aus Pflicht" zu handeln, gar nicht und ordnet es also auch der Unterscheidung von principium diiudicationis und principium executionis nicht ausdrücklich zu. Er t u t das aber in einer Textpassage wenig später, im selben Abschnitt „Vom obersten Principio der Moralität": 20

E i n e V o r l e s u n g K a n t s ü b e r E t h i k , h r s g . v. P . M e n z e r : 44; vgl. AA X X V I I , M o r a l M r o n g o vius: 1 4 2 2 / 2 3 .

Aus Pflicht" vs. „aus Achtung"

127

Das Principium der Moralität ist aber intellectuale internum, es muß in der Handlung selbst durch pure, reine Vernunft gesucht werden. Worin besteht es denn? Die Moralität ist die Ubereinstimmung der Handlungen mit meinem allgemein gültigen Gesetz der freien Willkür. Alle Moralität ist das Verhältnis der Handlungen zur allgemeinen Regel. In allen unseren Handlungen ist das, was mein moralisch nennt, regelmäßig. Das ist das wesentliche Stück der Moralität, daß unsere Handlungen aus den Bewegungsgründen der allgemeinen Regel geschehen.21

Daß, wie es in dem letzten Passus dieses Zitats heißt, moralische Handlungen „aus den Beweggungsgründen der allgemeinen Regel geschehen", das ist eine Explikation dessen, was K a n t mit dem Motiv, „aus Pflicht"zu h a n d e l n , m e i n t . Es sieht also ganz danach aus, als würde K a n t das Motiv, aus Pflicht zu handeln, dem moralischen Dijudikationsprinzip zurechnen. Und das s p r ä c h e für meine These, daß K a n t s Pflicht-These in den R a h m e n seiner T h e o r i e der moralischen HandlungsbeurteiJung - und nicht zu seiner T h e o r i e der tatsächlichen Ausführung moralischer H a n d l u n g e n gehört. Die letztere Theorie über das Exekutionsprinzip moralischer H a n d l u n g e n aber ist jedenfalls K a n t s Theorie der A c h t u n g als des moralischen Gefühls. Ein vierter, sehr K a n t - i m m a n e n t e r G r u n d gegen die Identifikation der Motive, aus Pflicht und aus A c h t u n g zu handeln, besteht darin, daß moralisch vollkommene Wesen nicht aus A c h t u n g für das moralische Gesetz moralisch handeln ( K p r V : 76). Gleichwohl wird m a n auch von ihnen ann e h m e n müssen, daß zur Moralität ihrer Handlungen gehört, daß sie zuletzt u m des Gesetzes willen handeln: wenn auch nicht aus Pflicht. Daß sie nicht a u s Pflicht nach dem Gesetz handeln, b e d e u t e t , daß für sie das moralische Gesetz keinen n o r m a t i v e n , keinen Sollenscharakter h a t . Vielmehr sind für sie moralische Gesetze „objektive(n) Gesetze (des G u t e n ) " (414). Dies ist so, weil moralisch vollkommene Wesen entweder keine moralwidrigen Neigungen h a b e n oder (falls sie sie doch h a b e n ) nie nach ihnen h a n d e l n . Hier liegt auch für K a n t der G r u n d , w a r u m solche Wesen nicht aus A c h t u n g moralisch handeln. Da, wie wir bei der B e t r a c h t u n g der Genese des Achtungsgefühls noch genauer sehen werden, das Gefühl der A c h t u n g auf einer Einschränkung (und Demütigung) unserer Neigungen b e r u h t , sind potentiell moralwidrige Neigungen „die Bedingungen derjenigen E m p f i n d u n g , die wir A c h t u n g nennen" ( K p r V : 75). Wo aber, wie bei moralisch vollkommenen Wesen, keine Neigungshindernisse möglich sind, müssen a u c h keine ü b e r w u n d e n werden. Der fünfte (ein systematischer) G r u n d gegen die Identifikation des Achtungs- mit dem Pflichtmotiv besteht in der Peststellung, daß der Aus21

E t h i k - V o r l . , ed. M e n z e r : 51; vgl. A A X X V I I : 1 4 2 6 / 2 7 . Die H e r v o r h e b u n g a m E n d e des Zitats s t a m m t von mir.

128

Achtung

druck „aus Pflicht" (oder auch der Ausdruck, daß Handlungen „um des Gesetzes willen" geschehen) nicht nur explizierbar ist, ohne auf ein moralisches Gefühl bezugzunehmen, sondern daß es sogar abwegig wäre, ihn mit Bezug auf ein solches Gefühl explizieren zu wollen. Daß eine Handlung „aus Pflicht" geschieht, heißt einfach (wie wir im dritten Kapitel gesehen haben), daß der letzte Handlungsgrund in der Moralkonformität der Handlung besteht. Wir können also das Pflichtmotiv ohne den Bezug auf ein Gefühl explizieren, und wir können es njcht durch das Herbeizitieren eines Gefühls erklären. Ein sechster G r u n d gegen die Identifikation der Motive, aus Pflicht und aus Achtung zu handeln, ergibt sich aus unserer obigen Interpretation der Achtungs-These. Da Kant es bezüglich eines jeden Gefühls und explizit auch mit,Bezug auf das Achtungsgefühl für unmöglich hält, es zu fordern, besagt die Achtungs-These nicht, daß, wer moralisch handelt, aus Achtung handeln muß. Die Achtungs-These ist kein normativer, sondern ein deskriptiver Satz: die Feststellung, daß, wer (von uns moralisch unvollkommenen Wesen) moralisch handelt, dies aus Achtung t u t . Demgegenüber ist es plausibel, Kants Pflicht-These einen normativen Sinn zuzusprechen. Man könnte zwar die Pflicht-These auch so lesen, daß sie lediglich besagte: Wer moralisch gut handelt, der handelt aus Pflicht, bzw.: Es gehört zum Begriff moralisch guter Handlungen, daß sie aus Pflicht geschehen. Das kann man dann zwar auch so ausdrücken, daß es für die Moralität einer Handlung der Fall sein muß, daß sie aus Pflicht geschieht. Aber dieses „muß" drückt nur eine begriffliche Notwendigkeit und keine praktische Notwendigkeit, d. i. die Notwendigkeit, aus dem Pflichtmotiv zu handeln, aus. Man könnte, wie gesagt, die Pflicht-These auch in diesem schwachen Sinne lesen. Aber wenn Kant solche Dinge sagt wie, es sei „mißlich" und bloß „zufällig", wenn moralkonforme Handlungen durch Neigungen Zustandekommen, dann impliziert das schon, daß er solche Mißlich- und Zufälligkeit ungut findet. Und es wäre künstlich, anzunehmen, er begnügte sich mit dieser Feststellung und würde nicht gleichzeitig fordern, dann doch bitte nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht solche moralkonformen Handlungen auszuführen. Das zu sagen, könnte er nur vermeiden, wenn er der Meinung wäre, daß wir nicht nur auf Gefühlsmotive keinen Einfluß hätten, sondern auch alle anderen Motive (und deshalb auch das Motiv, aus Pflicht zu handeln) unserem Einfluß entzogen - und deshalb kein sinnvoller Gegenstand von Forderungen sind. Wenn Kant diese Auffassung hätte, könnte er aber - gemäß dem Prinzip der Einflußnahme - nicht gut den moralischen Wert einer Handlung von dem Vorliegen einer Absicht, wie sie das Pflichtmotiv ausdrückt, abhängig machen. Einer Handlung moralischen Wert zuzusprechen, heißt, sie und den Handelnden zu Joben.

„ A u s P f l i c h t " vs. „aus A c h t u n g "

129

Und solches Lob (wie auch jeder Tadel) ist nur dort am Platze, wo der Handelnde etwas für das Gelobte (oder Gerügte) kann. Der eben angeführte sechste Grund gegen die Identifikation von Pflichtund Achtungsmotiv enthält einen weiteren, siebten. Das Pflichtmotiv ist, wie wir im 3. Kapitel gesehen haben, eine Absicht: eine letzte Absicht, aus der jemand im Falle einer moralischen Handlung handeln muß. Demgegenüber ist das Achtungsmotiv für Kant ein Gefühl. Nun ist es zwar so, daß auch Gefühle intentionale Komponenten haben. Aber sie haben darüber hinaus noch mindestens eine andere, „affektive" Komponente (wie immer die zu analysieren sein mag): sonst wären Gefühle schlicht Absichten. Das sind sie nicht. Ein achter (und systematischer) 22 Grund gegen die Identifikation des Motivs, aus Pflicht und aus Achtung zu handeln, besteht in dem Hinweis, daß das eine Motiv, aus Pflicht zu handeln, eine kausale Bedingung für das andere, das Achtungsmotiv, ist. Das bloße „Bewußtsein des Gesetzes" reicht nicht hin, um das Gefühl der Achtung qua moralischer Triebfeder zu bewirken. Denn auch jemand, der pflichtwidrig handelt, mag ein Bewußtsein von dem Gesetz haben, mit dem seine Handlung konfligiert. Trotzdem handeln weder der Pflichtwidrige noch der neigungsbedingt Pflichtkonforme aus Achtung. Also ist das Vorliegen des Pflichtmotivs eine notwendige Bedingung für das Entstehung der Achtung. Wenn aber, wie es wohl ist, diese Bedingung auch als eine kausale Bedingung aufgefaßt werden muß, dann müssen das Pflicht- und das Achtungsmotiv zwei verschiedene Motive sein. Ein neunter, systematischer Grund gegen die Identifikation des Achtungsmotivs mit dem „aus Pflicht"-Motiv ist die Überlegung, mit der ich das Achtungskapitel eingeleitet habe. Mit ihr versuchte ich plausibel zu machen, warum Kant und warum man der Sache nach zusätzlich zu den Überlegungen des 3. Kapitels eine Theorie der moralischen Motivation benötigt; warum man zusätzlich zu dem „aus Pflicht"-Motiv noch eine moralische Triebfeder annehmen muß, um das Zustandekommen moralischer Handlungen erklären zu können. Der Grund besteht in dem Hinweis darauf, daß Gründe, und seien .es moralische, als solche nicht (hinreichend) zu Handlungen motivieren un ner zusätzlichen, emotionalen Schubkraft bedürfen, um handlungswirksam zu werden. - Das darf man sich natürlich nicht so vorstellen, daß bei jeder Ausführung einer Handlung ein Gefühl vorliegen muß, damit sie zur Ausführung kommt: Das wäre absurd und widerspräche aller Erfahrung. Vielmehr hat man sich das so zu denken, daß die Einstellung, die hinter einzelnen Handlungen steht (im Falle moralischer Handlungen die Einstellung, zuletzt aus dem Pflichtmotiv heraus 22

K a n t selber macht diesen Punkt nicht.

130

Achtung

zu handeln), bei der handelnden Person emotional besetzt ist. Solche emotionale Besetztheit zeigt sich u.a. durch emotionale, engagierte, verletzte usw. Reaktionen auf die Verletzung eigener (z.B. moralischer) Vorstellungen durch andere oder durch einen selber. Alles z u s a m m e n g e n o m m e n kann m a n wohl sagen, daß die Mehrzahl der I n t e r p r e t a t i o n s g r ü n d e und eine Anzahl systematischer G r ü n d e dafür sprechen, daß das Pflichtmotiv und das A c h t u n g s m o t i v zwei verschiedene Motive sind: bei K a n t - und der Sache nach. G r ü n d e für die Unterscheid u n g des Pflicht- und des A c h t u n g s m o t i v s sind aber genausogut G r ü n d e f ü r den unterschiedlichen Gehalt der Achtungs- und der Pflicht-These. Die A c h t u n g s - T h e s e stellt fest, welches Motiv es ist, das die Triebfeder dazu abgibt, H a n d l u n g e n a u s z u f ü h r e n , die aus Pflicht geschehen und deshalb einen moralischen W e r t h a b e n .

Die Genese der Achtung

und ihre

Merkmale

K a n t s Theorie der A c h t u n g und zumal ihrer Entstehungsgeschichte ist - erst recht in der weitläufigen Version im Triebfeder-Kapitel der „Kritik der praktischen V e r n u n f t " - zum g u t e n Teil ein Stück dessen, was P e t e r Strawson als das „imaginäre T h e m a einer transzendentalen Psychologie" bezeichnet h a t . 2 3 Eine solche „ k o n s t r u k t i v e " Psychologie versucht eine Erklärung kognitiver und moralischer K o m p e t e n z e n von Personen, ind e m sie das Zusammenspiel gewisser subjektiver „Vermögen" imaginiert. F ü r die Theorie des moralischen Gefühls lautet eine solche Geschichte, d a ß das praktische Gesetz der intelligiblen Welt - als ein P r o d u k t des Vernunftsvermögens - die Empfänglichkeit menschlicher Wesen, also ihre Sinnlichkeit, affiziert und d a d u r c h ein Gefühl hervorbringt, A c h t u n g gen a n n t , welches das praktische Vermögen dieser Wesen (d. i ihren empirischen Willen) zu moralischen Handlungen in der Sinnen weit s t i m u l i e r t Zur „transzendentalpsychologischen" Seite der Achtungstheorie gehört ihr Apriorismus: Das Gefühl der A c h t u n g ist „nicht empirischen U r s p r u n g s " u n d kann deshalb „a priori e r k a n n t " werden ( K p r V : 73). Ebenso ist die Genese dieses Gefühls „a priori einzusehen" (a.a.O: 74). Ahnlich wie Strawson f ü r K a n t s Erkenntnistheorie versucht h a t , das „analytische A r g u m e n t " von der „Transzendentalpsychologie" zu scheiden, m ö c h t e ich bei K a n t s Achtungstheorie zusehen, was man von ihr u n a b h ä n g i g von (für uns heute) merkwürdigen psychologischenund m e t a 23

P e t e r F r e d e r i c S t r a w s o n , T h e B o u n d s of Sense: 32. Vgl. a . a . O . : 88, 97.

Die G e n e s e d e r A c h t u n g u n d i h r e M e r k m a l e

131

physischen Voraussetzungen verstehen und vielleicht sogar plausibel machen k a n n . 2 4 In der Folge gehe ich nun Kants Behauptungen über das moralische Gefühl der Achtung der Reihe nach durch. Zunächst und im Zusammenhang miteinander behandele ich die beiden Gruppen von Behauptungen, die K a n t über die Genese des Achtungsgefühls und über seine besonderen Eigenschaften macht. Danach geht es um die Funktion der Achtung als Triebfeder zu moralischen Handlungen, zuletzt dann um den Gegenstand, auf den sich das Achtungsgefühl richtet. Daß es naheliegt, die Entstehungsgeschichte und die Eigenschaften des Achtungsgefühls zusammen zu thematisieren, hat seinen Grund darin, daß die Achtung aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte ihre besonderen Eigenschaften hat. Kant beschreibt in der „Grundlegung" die Achtung als eine „Wirkung des Gesetzes aufs Subjekt" (401, Fußnote) und als ein „durch einen Vernunftbegriff selbstgewirktes Gefühl" (a.a.O.). Ist die Achtung eine „Wirkung des Gesetzes", so ist offenbar das (moralische) Gesetz ihre Ursache. Und der „Vernunftbegriff", der nach dem zweiten Zitat die Achtung verursacht, ist offenkundig nichts anderes als eben dieses moralische Gesetz. In der „Kritik der praktischen Vernunft" faßt Kant die Entstehung der A c h t u n g einmal folgendermaßen zusammen: Die negative Wirkung auf Gefühl (der Unannehmlichkeit) ist, so wie aller Einfluß auf dasselbe und wie jedes Gefühl überhaupt, pathologisch. Als Wirkung aber vom Bewußtsein des moralischen Gesetzes, folglich in Beziehung auf eine intelligibele Ursache, nämlich das Subjekt der reinen praktischen Vernunft als obersten Gesetzgeberin, heißt dieses Gefühl eines vernünftigen von Neigungen affizierten Subjekts zwar Demütigung (intellektuelle Verachtung), aber in Beziehung auf den positiven Grund derselben, das Gesetz, zugleich Achtung für dasselbe (KprV: 75).

K a n t unterscheidet hier (wie mehrfach im selben Kapitel) einen negativen und einen positiven Aspekt bei der Entstehungsgeschichte der Ach2

* D i e „ T r a n s z e n d e n t a l p s y c h o l o g i e " h a t in d e r E t h i k wie in d e r E r k e n n t n i s t h e o r i e b e i K a n t die A u f g a b e , d e n „ W e g v o n d e r a p r i o r i s c h e n E r k e n n t n i s z u i h r e r a p o s t e r i o r i s c h e n A n w e n d u n g " ( B e c k , a . a . O . : 210: m e i n e Ü b e r s e t z u n g ) v e r s t ä n d l i c h zu m a c h e n . Diese A u f g a b e b e s t e h t in d e r E t h i k i n d e m „ V e r s u c h einer E r k l ä r u n g , in p s y c h o l o g i s c h e n B e g r i f f e n , wie die E r k e n n t n i s des m o r a l i s c h e n G e s e t z e s b e i d e r B e s t i m m u n g unseres Verhaltens wirksam werden kann" (a.a.O: 210/211 - meine Übersetzung). „ A l s o w e r d e n w i r " , was „ d a s m o r a l i s c h e G e s e t z ..., s o f e r n es eine solche ( T r i e b f e d e r - m e i n e E i n f . ) ist ... i m G e m ü t e w i r k t ( b e s s e r z u s a g e n , w i r k e n m u ß ) , & priori a n z u z e i g e n h a b e n . " ( K p r V : 72.) E i n e s e h r K a n t - i m m a n e n t e N a c h e r z ä h l u n g dieser G e s c h i c h t e liefert Henri L a u e n e r in s e i n e m A u f s a t z : D e r s y s t e m a t i s c h e S t e l l e n w e r t des G e f ü h l s d e r A c h t u n g in K a n t s E t h i k . L a u e n e r v e r s u c h t z u zeigen, d a ß d a s A c h t u n g s g e f ü h l „eine wichtige s y s t e m a t i s c h e P u n k t i o n z u e r f ü l l e n h a t : als T r i e b f e d e r a r t i k u l i e r t es d e n h e i k l e n Ü b e r g a n g v o n d e r n o u m e n a l e n z u d e r p h ä n o m e n a l e n S p h ä r e . " (243)

132

Achtung

tung. Der negative Aspekt besteht in folgendem: Wenn wir uns des moralischen Gesetzes bewußt 2 5 sind, tut dies unseren Neigungen und damit unserer "Eigenliebe" „Abbruch" (KprV: 73). Dies bewirkt ein Gefühl, "welches Schmerz genannt werden kann" (a.a.O.) und ist für den Menschen eine „Demütigung" (a.a.O.: 75 f.). Schon dieses Gefühl nennt Kant „Achtung". So sagt er vom moralischen Gesetz, es sei, i n d e m e s i m G e g e n s a t z e m i t d e m s u b j e k t i v e n W i d e r s p i e l e , n ä m l i c h den Neig u n g e n in u n s , d e n E i g e n d ü n k e l schwächt, l u g l e i c h ein G e g e n s t a n d der A c h d. i. d e m ü t i g t , ein G e g e n s t a n d t u n g u n d , i n d e m es ihn s o g a r niederschlägt, der g r ö ß t e n Achtung .. . ( K p r V : 7 3 )

Klarerweise aber ist diejenige Achtung, die nur die emotionale Reaktion auf die Tatsache ist, daß etwas (oder jemand) die Macht hat, unsere Neigungen einzuschränken und uns dadurch zu demütigen, nicht Achtung in einem moralischen Sinn. Es ist Achtung in einem obrigkeitlichen Sinn, wie die Achtung gegenüber jemandem, „der mächtiger ist als man selbst oder einen höheren Status h a t " und deshalb „mit besonderer Rücksicht behandelt" wird. 2 6 In dieser Hinsicht spricht Kant auch von der Achtung als dem „Bewußtsein der Unterordnung meines Willens unter einem Gesetze" (401, Fußnote). Und in dieser Hinsicht ist es auch, daß Achtung „Analogie mit Furcht" hat (a.a.O.). Der positive Aspekt der Achtung rührt von der Dignität jener Instanz her, die unsere Neigungen einschränkt. Es handelt sich dabei sozusagen um eine „gute Macht". Achtung ist für Kant ein „durch einen Vernunftbegriff selbstgewirktes Gefühl (401, Fußnote), sie ist „durch einen intellektuellen Grund gewirkt" (KprV: 73). Sie hat „eine intelligibele Ursache, nämlich das Subjekt der reinen praktischen Vernunft als obersten Gesetzgeberin" (a.a.O.: 75). Wenn die Achtung im positiven Sinn auf der Dignität ihrer Vernunftsursache beruht, worauf beruht dann ihrerseits diese Dignität? Sie liegt nach Kants Auffassung in der Tatsache begründet, daß das moralische Gesetz von uns selbst hervorgebracht, daß es ein Produkt unserer vernünftigen Natur ist: „als uns von uns selbst auferlegt" ist das Gesetz „eine Folge unseres Willens" (401, Fußnote). Es ist die „Tätigkeit eines Willens" (400), die Achtung bewirkt: „Die Anerkennung des moralischen Gesetzes ... ist das Bewußtsein einer Tätigkeit der praktischen Vernunft" (KprV: 79). „Die Majestät des Gesetzes ... flößt Ehrfurcht ein" und „erweckt" „ein Gefühl 25

26

„ D a s moralische Gefühl ist die " W i r k u n g ... v o m Bewußtsein des moralischen Ges e t z e s " ( K p r V : 75; meine Hervorh.). - Diesen Aspekt betont Beck, a.a.O.: 208 f. U r s u l a Wolf, a . a . O . : 104. Vgl. Bollnow, a.a.O.: 27 f., die zweite B e d e u t u n g von A c h t u n g , die Bollnow unterscheidet; außerdem a.a.O.: 32-34, ü b e r „ R e s p e k t " in d e m „ a u t o r i t ä r e n " Sinn, den der Ausdruck neben seinem moralischen Sinn h a t .

Die G e n e s e d e r A c h t u n g u n d ihre M e r k m a l e

133

des Erhabenen unserer eigenen Bestimmung .., was uns mehr hinreißt als alles Schöne." (Religion: 23, Fußnote.) Die „ E r h a b e n h e i t " unserer „Vernunftsbestimmung" aber bewirkt nach Kant bei dem Menschen, der sich ihrer bewußt wird, eine „Erhebung" (KprV: 79), also ein „positives Gefühl" (a.a.O.): Man kann aus dem ... vorhergehenden sich es jetzt leicht erklären, wie es zugehe: daß, ob wir gleich unter dem Begriffe von Pflicht uns eine Unterwürfigkeit unter dem Gesetze denken, wir uns dadurch doch zugleich eine gewisse Erhabenheit und Würde an derjenigen Person vorstellen, die alle ihre Pflichten erfüllt. Denn sofern ist zwar keine Erhabenheit an ihr, als sie dem moralischen Gesetze unterworfen ist, wohl aber sofern sie in Ansehung ebendesselben zugleich gesetzgebend und nur darum ihm untergeordnet ist. (439/40)

Da Achtung für K a n t also eine Wirkung des Bewußtseins unseres eigenen Willens und seiner Autonomie ist, und da für ihn dieser Wille, den er mit der praktischen Vernunft identifiziert, unser „eigentliches Selbst" (458) ausmacht, also das, was wir als Menschen wesentlich sind: deshalb ist Achtung für Kant wesentlich Selbstachtung.27 Entsprechend achten wir an anderen Personen dasselbe, was wir an uns selber achten, also die menschliche „Bestimmung", die sie mit uns teilen und worin unsere gemeinsame Würde liegt, d. i. unsere Autonomie. Oben h a t t e ich schon gesagt, daß die Genese der Achtung verantwortlich ist für die besonderen Eigenschaften dieses Gefühls. Nach Kants Thesen hat die Achtung Analogie mit Furcht und Neigung: aber doch eben nur Analogie. Denn sie ist nicht, wie Furcht und Neigung, „durch Einfluß empfangen", sondern durch einen Vernunftbegriff bewirkt. Worin die Analogie des Achtungsgefühls mit dem Gefühl der Furcht besteht, haben wir bereits gesehen: Sie beruht darauf, daß die Instanz, gegenüber der man Achtung empfindet, eine mächtige und insofern furchteinflößende ist. Auf die Analogie, die das Achtungsgefühl mit Neigung hat, komme ich noch näher in dem Abschnitt über die Funktion der Achtung zu sprechen. So sei hier nur kurz angedeutet, daß der Neigungsaspekt am Achtungsgefühl eben mit jener positiven Seite der Achtung zu tun hat, die auf den ehrwürdigen Charakter jener Instanz zurückgeht, die uns Achtung abnötigt. Wenn K a n t 27

Vgl. R . P. Wolff, a . a . O . : 83-84. Wolff findet K a n t s T h e o r i e d e r A c h t u n g „ i n a p p r o p r i a t e from t h e p o i n t of view of his m o r a l p h i l o s o p h y " . A b e r als eine „ a n a l y s i s of a c e n t r a l e l e m e n t i n m o r a l e x p e r i e n c e it is s u p e r b . " (83) Wolff liest K a n t s B e s c h r e i b u n g der G e n e s e v o n A c h t u n g als D a r s t e l l u n g d e r O n t o g e n e s e e i n e r „ m a t u r e , s e l f - r e g u l a t e d a u t o n o m y . R e s p e c t for a n e x t e m a l a u t h o r i t y is t r a n s m u t e d i n t o selfr e s p e c t , a n d t h i s s e l f - r e s p e c t , I s u g g e s t , is t h e e m o t i o n w h i c h K a n t calls r e v e r e n c e

(Achtung)."

(84)

134

Achtung

die Disanalogie zwischen A c h t u n g einerseits und Furcht und Neigung andererseits dadurch zum Ausdruck bringt, daß die letzteren G e f ü h l e „durch Einfluß e m p f a n g e n " seien und die A c h t u n g eben nicht, dann darf man das sicher so ausdrücken, daß die A c h t u n g für K a n t ein nicht-empirisches, also ein Gefühl a priori ist, während es sich bei Furcht und Neigung (und anderen Gefühlen, „die sich auf Neigung oder Furcht bringen lassen"(401, Fußn o t e ) ) um empirische Gefühle handelt. Das darf man deshalb sagen, weil die Ausdrücke „empirisch" und „ a p r i o r i " bei K a n t auch einen genetischen Sinn haben und auf den „ U r s p r u n g " von Erkenntnissen usw.

hinweisen

( w ä h r e n d wir heute eher geneigt sind, diese Ausdrücke nur noch für die verschiedene Begründungsweise unterschiedlicher Urteile zu v e r w e n d e n ) . Explizit freilich schreibt meines Wissens K a n t nie dem Achtungsgefühl selber das P r ä d i k a t des Apriorischen zu, sondern er sagt i m m e r nur, daß die A c h t u n g „nicht empirischen Ursprungs ist und a priori erkannt ( K p r V : 72: meine Hervorhebung).

wird"

Und er behauptet: „hier haben wir ...

den ersten, vielleicht auch einzigen Fall, da wir aus Begriffen a priori das Verhältnis einer Erkenntnis (hier ist es einer reinen praktischen V e r n u n f t ) z u m Gefühl der Lust oder Unlust bestimmen konnten" (a.a.O.: 73). W a s heißt es aber genau, daß die A c h t u n g „kein durch Einfluß genes, sondern durch einen Vernunftbegriff selbstgewirktes

Gefühl"

empfan(401,

Fußnote) ist, und daß sie deshalb kein empirisches, sondern ein apriorisches Gefühl darstellt? Es heißt wohl, daß die A c h t u n g nicht die W i r k u n g einer empirischen, sondern einer apriorischen Ursache, nämlich des moralischen Gesetzes, ist.

- Nun muß es einem aber nicht zwingend erscheinen, das

moralische Gesetz als einen nicht-empirischen und deshalb apriorischen Satz bzw. Sachverhalt aufzufassen. Denn nicht alles, von d e m man sinnvollerweise sagen kann, es sei nicht empirisch, ist deshalb a priori.

Es

sei denn, mit „ a p r i o r i " wäre nicht mehr als „nicht-empirisch" gemeint. Dann aber wäre der Ausdruck „ a p r i o r i " ziemlich uninformativ. es ist alles andere als plausibel, daß die Menge aller

Denn

nicht-empirischen

Sätze eine homogene Gruppe darstellt. Zu dieser G r u p p e gehören nämlich so unterschiedliche Sätze wie analytische Sätze (begriffliche W a h r h e i t e n ) , K a n t s transzendentale Grundsätze des Verstandes, n o r m a t i v e Sätze und Wertaussagen.

Das moralische Gesetz gehört in eine der beiden letzten

G r u p p e n : j e nachdem, ob es für Wesen wie uns oder für moralisch vollkommene Wesen formuliert wird.

Entweder also ist seine Charakterisie-

rung als „ a p r i o r i " uninformativ - weil man mit Hilfe dieses Ausdrucks den spezifischen Charakter des moralischen Gesetzes nicht von dem der anderen Satzformen unterscheiden kann. Oder aber die Charakterisierung des Gesetzes als „ a p r i o r i " ist falsch: O b es so ist, hängt davon ab, welche engere Bedeutung man dem Ausdruck „ a priori" gibt.

Die Punktion der Achtung als moralische Triebfeder

135

N u n ist es aber möglich, K a n t s G e d a n k e n ohne den Ausdruck „a priori" zu explizieren: so daß sich diese Redeweise zur Charakerisierung des Acht u n g s g e f ü h l s als genauso überflüssig erweist wie bei der C h a r a k t e r i s i e r u n g des genuin moralischen Motivs, „aus P f l i c h t " zu h a n d e l n . 2 8 Man k a n n K a n t s G e d a n k e n vielleicht folgendermaßen erläutern: Der besondere C h a r a k t e r des Achtungsgefühls h ä n g t ab von „ n i c h t - n a t ü r l i c h e n " , „kulturellen" Voraussetzungen, die auf unserer eigenen A k t i v i t ä t beruhen. Diese unsere A k t i v i t ä t besteht in der Hervorbringung des moralischen Gesetzes, oder wie ich lieber sagen will der Erfindung eines moralischen S t a n d p u n k t e s , dem Entwickeln eines moralischen Selbst Verständnisses. Das moralische G e f ü h l e n t s t e h t nur und erst, wenn m a n zuvor schon auf einem moralischen S t a n d p u n k t steht, wenn man bereits ein moralisches Selbstverständnis h a t u n d auf dieser Basis moralisch urteilt. Deshalb kann das moralische G e f ü h l auch keine Motivationsquelle sein, diesen moralischen S t a n d p u n k t allererst e i n z u n e h m e n . 2 9 Man m u ß schon auf diesem S t a n d p u n k t stehen, d a m i t das Achtungsgefühl seine motivationale K r a f t entfalten k a n n . 3 0 U n d diesen S t a n d p u n k t h a b e n wir nicht empirisch "in der N a t u r " v o r g e f u n d e n , sondern er ist eine menschliche, kulturelle E r r u n g e n s c h a f t .

Die Funktion

der Achtung

aJs moralische

Triebfeder

W i r h a b e n im Z u s a m m e n h a n g mit der E n t s t e h u n g des positiven Aspektes der A c h t u n g gesehen, daß diese eine W i r k u n g des Bewußtseins von unserem eigenen Willen u n d seiner A u t o n o m i e ist. Und wir h a t t e n gesagt: Weil dieser Wille nach K a n t s Auffassung unser „eigentliches Selbst" a u s m a c h t , deshalb ist A c h t u n g f ü r K a n t wesentlich Selbstachtung. I n d e m wir das moralische Gesetz achten, a c h t e n wir uns selbst als moralische Gesetzgeber. 28 29 30

Vgl. im 3. Kapitel den Abschnitt: Die moralische Relevanz der Motive. Vgl. u n t e n den Abschnitt: Die moralphilosophische Pointe. Es gehört zu den Merkwürdigkeiten des Textes von K a n t s „ G r u n d l e g u n g " , daß er gegen E n d e des 3. Abschnittes b e h a u p t e t , es sei nicht einzusehen, wie das moralische Gefühl entstehen könne: „Um das zu wollen, wozu die Vernunft allein d e m sinnlich affizierten vernünftigen Wesen das Sollen vorschreibt, dazu gehört freilich ein Vermögen der Vernunft, ein Gefühl der Lust oder des Wohlgefallens a n der Erfüllung der Pflicht einzußößen, m i t h i n eine K a u s a l i t ä t derselben, die Sinnlichkeit ihren Prinzipien gemäß zu b e s t i m m e n . Es ist a b e r gänzlich unmöglich einzusehen, d. i. & priori begreiflich zu machen, wie ein blofier G e d a n k e , der selbst nichts Sinnliches in sich enthält, eine E m p f i n d u n g der Lust oder Unlust hervorbringe; ... so ist die Erklärung, wie u n d w a r u m uns die Allgemeinheit der Maxime als. Gesetzes, mithin die Sittlichkeit interessiere, uns Menschen gänzlich unmöglich." (460) Diese Sätze passen schwer z u s a m m e n mit der in der Fußnote 401 a n g e d e u t e t e n und im Triebfeder-Kapitel der K p r V ausführlich erzählten Entstehungsgeschichte des moralischen Gefühls.

136

Achtung

Wenn es so ist, daß wir in der Achtung für das moralische Gesetz mit unserem „Selbst" konfrontiert sind: also mit dem, was wir als Menschen wesentlich sind: dann leuchtet es ein, daß das Gefühl der Achtung „Analogie ... mit Neigung" haben soll (401, Fußnote). Die nur zu natürliche Neigung zu unserem „Selbst" macht uns ggf. auch geneigt, dieses zu „realisieren": durch die Ausführung von Handlungen, die unserer Bestimmung gemäß sind und die aus dem Bewußtsein unserer Würde heraus geschehen. Von hierher wird verständlich, wieso Kant hoffen konnte, in der Achtung eine Triebfeder für moralisches Handeln überhaupt gefunden zu haben. Da für ihn ein moralisches Handeln ein Handeln „aus einem moralischen G r u n d e " (MdS: 378) ist, und da ein solches Handeln sich am moralischen Gesetz als letztem Handlungsmotiv orientiert, ist dieses Gesetz bei jeglichem moralischem Handeln (explizit oder implizit) dem Handelnden präsent. Wenn aber das Bewußtsein des Gesetzes - da wir dabei mit unserer W ü r d e als autonome Wesen konfrontiert sein sollen - uns dieses Gesetz als Gegenstand einer Neigung erscheinen läßt, die zum Gegenstand hat, was wir als Menschen wesentlich sind: dann leuchtet es ein, daß Kant das dadurch erzeugte Gefühl als moralische Triebfeder überhaupt ansehen konnte. Achtung vor dem Gesetz wäre demnach die affektive Motivationsquelle für moralisches Handeln überhaupt. So kann Kant schreiben: Dieses Gefühl (unter dem Namen des moralischen) . . . dient . . . bloß zur Triebfeder, um dieses (moralische Gesetz - meine Einf.) in sich zur Maxime zu machen. (KprV: 76.)

Das Bewußtsein des moralischen Gesetzes ist auch subjektiver Bestimmungsgrund, d. i. Triebfeder, zu dieser Handlung, indem es auf die Sinnlichkeit des Subjekts Einfluss hat und ein Gefühl bewirkt, welches dem Einflüsse des Gesetzes auf den Willen beförderlich ist. (A.a.O.: 75.)

Die Vorstellung des Gesetzes ist „Triebfeder zu Befolgung desselben" und kann deshalb „als Grund zu Maximen eines ihm gemäßen Lebenswandels angesehen werden" (a.a.O.: 79). Ist nach Kants Auffassung wirklich die Achtung die Triebfeder zu moralischen Handlungen, oder ist es nicht vielmehr das moralische Gesetz selber? Oder vertritt Kant beide Auffassungen? Dann würde sich die Frage stellen, ob beides miteinander vereinbar ist, und wenn ja, wie; oder m a n müßte sagen, daß Kant sich widerspricht. Diese Fragen kommen deshalb auf, weil Kant tatsächlich in der „Kritik der praktischen Vernunft" Formulierungen wählt, die einmal das moralische Gesetz selber und dann wieder die Achtung als die moralische Trieb-

Die Punktion der Achtung &ls moralische Triebfeder

137

feder bezeichnen. So heißt es einmal sogar innerhalb eines Absatzes im Triebfeder-Kapitel: A l s o m u ß d i e Achtung

f ü r s m o r a l i s c h e G e s e t z . . . a l s Triebfeder

zu B e f o l g u n g

d e s s e l b e n . . . a n g e s e h e n w e r d e n . ( 7 9 ; die e r s t e H e r v o r h . s t a m m t von m i r . )

Zwei Sätze weiter heißt es d?nn: D a d a s Gesetz selbst in e i n e m m o r a l i s c h g u t e n W i l l e n d i e T r i e b f e d e r sein m u ß ... ( A . a . O . , m e i n e H e r v o r h . )

Die zweite Lesart, wonach das moralische Gesetz selber die moralische Triebfeder wäre, wird auch gestützt durch den Anfangsabschnitt im Triebfeder-Kapitel. Dort heißt es: W e n n nun u n t e r Triebfeder ... d e r s u b j e k t i v e B e s t i m m u n g s g r u n d d e s Will e n s e i n e s W e s e n s v e r s t a n d e n wird ..., so wird ... d a r a u s f o l g e n : d a ß ... d i e T r i e b f e d e r d e s m e n s c h l i c h e n W i l l e n s ... n i e m a l s e t w a s a n d e r e s als d a s m o r a l i s c h e G e s e t z sein könne, m i t h i n der o b j e k t i v e B e s t i m m u n g s g r u n d j e d e r z e i t u n d g a n z allein z u g l e i c h der s u b j e k t i v h i n r e i c h e n d e B e s t i m m u n g s g r u n d d e r H a n d l u n g s e i n m ü s s e ... ( A . a . O . : 7 1 / 7 2 . )

Wäre die zweite Lesart diejenige, die Kants Auffassung authentisch wiedergibt, dann würde er nun in der „Kritik der praktischen Vernunft" beanspruchen, jenen „Stein der Weisen" gefunden zu haben, von dem er in der Ethik-Vorlesung sprach. Denn dann würde man das Triebfeder-Kapitel als die Geschichte darüber lesen müssen, wie das moralische Gesetz selber als Triebfeder wirkt. Dagegen aber spricht nicht nur das Prinzip wohlwollender Interpretation, das einem Autor, wenn irgend möglich, Bescheidenheit zubilligt. Dagegen spricht auch und hauptsächlich, daß Kant im zweiten Absatz des Triebfeder-Kapitels explizit sagt: ... wie ein G e s e t z f ü r sich u n d u n m i t t e l b a r B e s t i m m u n g s g r u n d d e s W i l l e n s sein k ö n n e ..., d a s ist ein f ü r d i e m e n s c h l i c h e V e r n u n f t u n a u f l ö s l i c h e s P r o blem . . . ( A . a . O . :

72.)

Dieses „Problem" ist das, was Kant in seiner Ethik-Vorlesung als den „Stein der Weisen" bezeichnet hat, und auch in der „Kritik der praktischen Vernunft" hält er dieses Problem also noch für „unauflöslich" („für die menschliche Vernunft"). Da man nun den Stein der Weisen, wie die Vernunft selber moralische Handlungen motivieren könnte, nicht finden kann, so b l e i b t n i c h t s ü b r i g , a l s bloß s o r g f ä l t i g zu b e s t i m m e n , a u f w e l c h e A r t d a s m o r a l i s c h e G e s e t z T r i e b f e d e r w e r d e , u n d w a s , i n d e m sie es i s t , m i t d e m m e n schlichen B e g e h r u n g s v e r m ö g e n als Wirkung jenes B e s t i m m u n g s g r u n d e s auf

138

Achtung

dasselbe vorgehe ... Also werden wir nicht den Grund, woher das moralische Gesetz in sich eine Triebfeder abgebe, sondern was, sofern es eine solche ist, sie im Gemüte wirkt ... anzuzeigen haben. (A.a.O.)

Diese Geschichte darüber, was das moralische Gesetz im Gemüte bewirkt, ist Kants Theorie der Achtung als moralische Triebfeder Kants Lösung des Problems, wie die (praktische) Vernunft, die selber keine motivierende Kraft hat, trotzdem für eine solche Motivationsquelle sorgt, besteht in der Konstruktion eines moralischen Gefühls, das die Vernunft quasi aus ihrem eigenen Schoß entläßt und das dann seinerseits zu moralischen Handlungen motiviert. Auf diese Weise ist die Vernunft, aber eben nur indirekt, auch der subjektive Bestimmungsgrund moralischer Handlungen. 3 1 Man kann Kants Äußerungen über die moralische Triebfeder, die auf den ersten Blick als widersprüchlich erscheinen, also auf eine Art und Weise interpretieren, die den Widerspruch auflöst. Wenn Kant vom moralischen Gesetz selber sagt, es sei die moralische Triebfeder, dann ist das eine verkürzte und drastische Redeweise. Die Redeweise verkürzt die ausführlichere Beschreibung, wie das Gesetz durch die Hervorbringung eines moralischen Gefühls indirekt moralisches Verhalten motiviert. Das Drastische dieser Redeweise kann man verstehen aus Kants Bemühen heraus, die moralische Motivationsquelle und die Notwendigkeit genuin moralischer Motive für moralisches Handeln möglichst deutlich abzusetzen von externen, empirischen, „hedonistischen", „heteronomen" Motiven, aus denen zufälligerweise manchmal auch moralkonforme Handlungen entspringen. Ist die Achtung für Kant die einzige und alleinige moralische Triebfeder, oder kennt er noch andere? Und ist die Achtung eine hinreichende Triebfeder für moralische Handlungen? 31

G e n a u s o i n t e r p r e t i e r t a u c h R a l p h W a l k e r . W a l k e r s c h r e i b t ü b e r K a n t s S a t z : „ U n d so ist die A c h t u n g f ü r s G e s e t z n i c h t T r i e b f e d e r z u r S i t t l i c h k e i t , s o n d e r n sie ist die S i t t lichkeit s e l b s t , s u b j e k t i v als T r i e b f e d e r b e t r a c h t e t " ( K p r V : 76): „ B y i n s e r t i n g ' s u b j e c t i v e l y c o n s i d e r e d ' K a n t is r e c o g n i z i n g t h c o b v i o u s p o i n t t h a t it c a n n o t s t r i c t l y b e t h e m o r a l law itself t h a t m o t i v a t c s us, b u t o u r c o n s c i o u s n e s s of it; clearly s o m e t h i n g wc were n o t a w a r e of c o u l d n o t m o t i v a t e u s a t all." W a l k e r , A c h t u n g in t h e G r u n d l e g u n g , 105. — W a l k e r s R e d e v o n „ c o n s c i o u s n e s s " ist eine l e i c h t e U n t e r b e s t i m m u n g des m o r a l i s c h e n G e f ü h l s d e r A c h t u n g , d a s u n s g e n a u g e n o m m e n m o r a l i s c h m o t i v i e r t . K a n t will m i t s e i n e m S ä t e wohl z u m A u s d r u c k b r i n g e n , d a ß die A c h t u n g n i c h t d a z u m o t i v i e r t , d e n s i t t l i c h e n S t a n d p u n k t allererst e i n z u n e h m e n (in d i e s e m Sinne ist sie n i c h t „ T r i e b f e d e r z u r S i t t l i c h k e i t " ) , s o n d e r n d a ß ihr Vorliegen v o r a u s s e t z t , d a ß wir s c h o n auf d e m S t a n d p u n k t d e r S i t t l i c h k e i t s t e h e n . Die A c h t u n g ist in d i e s e m S i n n e n i c h t „ T r i e b f e d e r z u r S i t t l i c h k e i t " , s o n d e r n T r i e b f e d e r z u s i t t l i c h e n H a n d l u n g e n . Sie ist „die S i t t l i c h k e i t s e l b s t " , i n s o f e r n sie d a s S t e h e n auf d e m s i t t l i c h e n S t a n d p u n k t v o r a u s s e t z t u n d in d i e s e m Sinne die S i t t l i c h k e i t s e l b e r b e e i n h a l t e t : freilich „ s u b j e k t i v b e t r a c h t e t " , d . h . als Motiv, als „ T r i e b f e d e r " , u n d n i c h t „ o b j e k t i v " , als „ o b j e k t i v e r B e s t i m m u n g s g r u n d d e r M o r a l i t ä t " , d.i. als m o r a l i s c h e s K r i t e r i u m .

Die Punktion der Achtung als moralische Triebfeder

139

K a n t b e a n t w o r t e t beide Fragen positiv. „ A c h t u n g fürs moralische Gesetz ist ... die einzige ... moralische Triebfeder" ( K p r V : 78), sie ist „das einzige echte moralische G e f ü h l " (a.a.O.: 85). Auf diese T h e s e gehe ich im S c h l u ß a b s c h n i t t dieses Kapitels (und zwar kritisch) näher ein. Die klarste Stelle, an der K a n t die T h e s e v e r t r i t t , daß die A c h t u n g zur Herv o r b r i n g u n g moralischer Handlungen hinreichend ist, findet sich Ln der „Religionsschrift". Dort heißt es: Die Anlage für die Persönlichkeit ist die Empfänglichkeit der Achtung für das moralische Gesetz, als einer für sich hinreichenden Triebfeder der Willkür. (27)

Die C h a n c e n , wahr zu sein, stehen für eine solche T h e s e schlecht. Es gibt so etwas wie moralische Willensschwäche, d. i. Willensschwäche auf m o r a l i s c h e m Gebiet. Selbst wo das Pflichtmotiv der oberste Beweggrund f ü r den Handelnden ist, m u ß er nicht immer der stärkste u n d deshalb h a n d l u n g s b e s t i m m e n d e G r u n d sein. Zu sagen, daß die A c h t u n g eine hinreichende Motivationsquelle für moralische Handlungen ist, zwingt einen zu der Auffassung, daß, wo j e m a n d nicht moralisch handelt, ihm die Acht u n g fehlte. Und d a die A c h t u n g nach K a n t s Auffassung von der Idee des moralischen Gesetzes „unzertrennlich" ist (a.a.O.: 27/28) u n d unvermeidlich e n t s t e h t („das Gesetz in ihm zwingt ihm unvermeidlich Achtung f ü r sein eigenes Wesen a b " : MdS: 403), sprechen wir j e m a n d e m , i n d e m wir i h m die A c h t u n g s m o t i v a t i o n absprechen, auch die moralische Orient i e r u n g ab - oder wir erklären ihn z u m pathologischen Fall. Beides aber ist unplausibel oder doch jedenfalls nicht zwingend. Weil es moralische Willensschwäche gibt, ist ein vorliegendes A c h t u n g s m o t i v m a n c h m a l nicht ausschlaggebend oder ausreichend. Aber nicht jeder Fall von moralischer Willensschwäche ist pathologisch. Und es gehört geradezu zur Definition von moralischer Willensschwäche, daß j e m a m d mit einer moralischen G r u n d o r i e n t i e r u n g „against his own best j u d g m e n t " , gegen seine obersten P r ä f e r e n z e n h a n d e l t . K a n t könnte dieser Kritik höchstens ausweichen, indem er leugnete, daß es so etwas wie Willensschwäche und entsprechend auch Willensschwäche auf moralischem Gebiet ü b e r h a u p t gibt. Aber es ist wohl k a u m zu bestreiten, daß K a n t das P h ä n o m e n der moralischen Willensschwäche k e n n t u n d a n e r k e n n t . 3 2

32

Vgl. zu diesem Thema: Alexander Broadie/Elisabeth M. Pybus, Kant and Weakness of Will.

140

Achtung

Der Gegenstand

der

Achtung

Gefühle h a b e n bekanntlich (intentionale) Gegenstände. Welches ist also der G e g e n s t a n d , auf den nach K a n t s Auffassung das moralische Gefühl der A c h t u n g gerichtet ist? Intentionale G e g e n s t ä n d e sind nach der Auffassung mancher Philosophen g e n a u g e n o m m e n Propositionen. Dazu paßt gut, daß jedenfalls für K a n t der intentionale Gegenstand der A c h t u n g in einem Satz besteht, nämlich dem moralischen Gesetz - bzw. in dem, wofür dieser Satz steht. Diese These, wonach der eigentliche G e g e n s t a n d der A c h t u n g nicht Personen sind, sondern das moralische Gesetz, erregt an K a n t s Achtungstheorie mit den s t ä r k s t e n Anstoß. K a n t schreibt: Nur ... das bloße Gesetz für sich, kann ein Gegenstand der Achtung sein ... (400) Der Gegenstand der Achtung ist also lediglich das Gesetz ... (401, Fußnote.) Die A c h t u n g gegenüber Personen, die wir gewöhnlich als die „ n a t ü r l i c h e n " G e g e n s t ä n d e von A c h t u n g ansehen, ist für K a n t nur m i t t e l b a r A c h t u n g für sie: Alle Achtung für eine Person ist eigentlich nur Achtung fürs Gesetz (der Rechtschaffenheit usw.), wovon jene uns das Beispiel gibt. (A.a.O.) Diese T h e s e verletzt zunächst unsere „ n a t ü r l i c h e n " I n t u i t i o n e n . Sie läßt sich aber so explizieren, daß sie den G o u t des A b s u r d e n verliert u n d sich lediglich als eine besonders „philosophische" Formulierung unseres gewöhnlichen Verständnisses e n t p u p p t , wonach A c h t u n g sich p r i m ä r auf Personen bezieht bzw. auf besondere Eigenschaften von ihnen, bei K a n t : auf ihre Autonomie. Bereits bei der B e t r a c h t u n g der Entstehungsgeschichte von A c h t u n g , so wie K a n t sie erzählt, konnten wir sehen, daß g e n a u g e n o m m e n nicht das Gesetz selber es ist, was das moralische Gefühl hervorruft. K a n t h a t das m a n c h m a l selber deutlich ausgesprochen, e t w a wenn er schreibt, daß für das „Gesetz selber kein Gefühl s t a t t f i n d e t " ( K p r V : 75). Nicht das moralische Gesetz selber ist die Ursache der A c h t u n g , sondern dies, (a) daß das Bewußtsein des Gesetzes unsere Neigungen einschränkt und (b) daß uns die T a t s a c h e bewußt wird, daß wir selber es sind, die uns einschränken, im selbstgegebenen „ A u f t r a g e " angesichts unserer „ B e s t i m m u n g " . Nun ging es im K o n t e x t der Entstehungsgeschichte der A c h t u n g u m das moralische Gesetz als ihre Ursache - und nicht u m das Gesetz als ihren intentionalen Gegenstand. Aber es ist j a offenkundig K a n t s Auffassung, daß wenigstens im Fall der A c h t u n g die Ursache dieses Gefühls identisch ist

Der Gegenstand der Achtung

141

mit ihrem intentionalen G e g e n s t a n d : so daß hier also der glückliche Fall eines intentionalen G e g e n s t a n d e s vorhegen m ü ß t e , der tatsächlich existiert. ( D e n n die Ursache eines Sachverhalts kann sich nicht begnügen mit intentionaler Nichtexistenz.) Das heißt d a n n aber, daß die komplexe Proposition, daß das Bewußtsein des Gesetzes unsere Neigungen einschränkt und wir selber als moralischer Gesetzgeber diese E i n s c h r ä n k u n g vornehmen: d a ß diese komplexe Proposition den kognitiven Gehalt, den intentionalen G e g e n s t a n d des Achtungsgefühls darstellt. Entsprechend heißt, A c h t u n g für das Gesetz zu h a b e n , diese komplexe Proposition zu denken. Daß das Gesetz der G e g e n s t a n d der A c h t u n g ist, heißt also f ü r K a n t , daß wir in der A c h t u n g mit unserer „ V e r n u n f t b e s t i m m u n g " konfrontiert sind: mit unserer A u t o n o m i e (im Kantischen Sinn der Fähigkeit, nach allgemeinen Prinzipien zu handeln): U n s e r e i g e n e r W i i l e ... ist der e i g e n t l i c h e G e g e n s t a n d der A c h t u n g , u n d die W ü r d e der M e n s c h h e i t b e s t e h t e b e n in dieser F ä h i g k e i t , a l l g e m e i n g e s e t z g e b e n d ... zu sein.

(440)

D i e G e s e t z g e b u n g s e l b e r aber, die ¿dien W e r t b e s t i m m t , m u ß e b e n d a r u m e i n e W ü r d e , d. i. u n b e d i n g t e n , u n v e r g l e i c h b a r e n W e r t h a b e n , für w e l c h e n d a s W o r t Achtung allein d e n g e z i e m e n d e n A u s d r u c k der S c h ä t z u n g a b g i b t , d i e ein v e r n ü n f t i g e s W e s e n ü b e r sie a n z u s t e l l e n hat. A u t o n o m i e i s t also der G r u n d der W ü r d e der m e n s c h l i c h e n u n d j e d e r v e r n ü n f t i g e n N a t u r . ( 4 3 6 )

Daß das moralische Gesetz „eine Folge unseres Willens" ist (401, Fußn o t e ) , das „ i m p o n i e r t " uns; wir „imponieren" uns dabei selbst angesichts unserer W ü r d e : und das nötigt uns einerseits A c h t u n g ab, „flößt" sie uns aber auch ein und „ i m p o n i e r t " d a d u r c h ein Gefühl, das moralische Handlungen motiviert. J e t z t können wir K a n t s These einen plausibleren Sinn geben, daß Menschen nur indirekt ein Gegenstand der A c h t u n g sind: weil sie ein Beispiel geben für das Gesetz. Daß sie das „Beispiel eines Gesetzes" (401, Fußnote) geben, darf m a n freilich nicht so verstehen, daß sie es durch moralisches Verhalten verkörpern. Denn diejenige Achtung, die wir gegenüber anderen a u f g r u n d ihrer moralischen Verdienste haben, ist A c h t u n g im Sinn von moralischer Hochschätzung, und nicht A c h t u n g im Sinn der emotionalen R e a k t i o n auf das moralische Gesetz selber: also auf die komplexe T a t s a che, d a ß wir uns angesichts seiner unserer A u t o n o m i e bewußt werden. Nun h a t K a n t freilich entschiedenen Anlaß dazu gegeben, dies, daß Personen uns das Beispiel eines Gesetzes geben, so zu verstehen, daß sie das Gesetz durch ihr Verhalten überzeugend verkörpern und deshalb unsere Hochachtung verdienen. Wie ich schon oben in dem A b s c h n i t t über die „Begriffe moralischer A c h t u n g " a n g e m e r k t h a b e , h a t K a n t zwischen der A c h t u n g

142

Achtung

gegenüber dem Gesetz und der Hochachtung gegenüber moralischem Verhalten von Personen nicht sauber getrennt. Wenn er etwa schreibt: Weil wir E r w e i t e r u n g u n s e r e r T a l e n t e a u c h als P f l i c h t a n s e h e n , so s t e l l e n wir u n s a n einer P e r s o n von T a l e n t e n a u c h g l e i c h s a m d a s Beispiel eines Gesetzes vor (ihr d u r c h Ü b u n g hierin ä h n l i c h zu w e r d e n ) , u n d d a s m a c h t u n s e r e Achtung aus (401, Fußnote),

so ist es ganz natürlich, die Achtung, von der in dem Zitat zuletzt die Rede ist, als moralische Hochschätzung zu interpretieren. Es gibt aber eine Lesart, die diese Interpretation vermeidet und es erlaubt, das Wort „Achtung" auch hier als die Bezeichnung des moralischen Gefühls zu lesen, das j a eigentlich Kants Thema ist. Am plausibelsten läßt sich diese Lesart an dem anderen Satz von Kant in der Achtungs-Fußnote machen, in dem er sagt: r„Alle Achtung für eine Person ist eigentlich nur Achtung fürs Gesetz (der Rechtschaffenheit usw.), wovon jene uns das Beispiel gibt." (A.a.O.) Der Klammerausdruck in diesem Zitat macht erstens deutlich, daß das Gesetz, gegenüber dem man Achtung empfindet, nicht unbedingt das Gesetz, also das Sittengesetz sein muß, sondern ein besonderes moralisches Gesetz sein kann. Zweitens und hauptsächlich aber führt uns der Klammerausdruck zu folgender Interpretation der Rede, daß uns Personen ein Beispiel eines Gesetzes geben. Danach würde Kant sagen: Daran, daß wir eine Person achten, können wir quasi ablesen, daß es ein moralisches Gesetz gibt, das sie durch ihr hochachtenswertes Verhalten exemplifiziert. Und es ist eigentlich dieses Gesetz, auf das wir durch unsere Achtung für die Person gestoßen werden, dem gegenüber wir die Achtung empfinden. Daß uns ein Mensch „das Beispiel eines Gesetzes" gibt, das sollte man aber in erster Linie so lesen, daß er als Mensch diejenige Eigenschaft hat, die wir achten, wenn wir „das Gesetz" achten: daß er nämlich autonom ist, oder doch die Fähigkeit zu autonomem Verhalten und eigener Gesetzgebung hat: Wenn wir Personen achten, achten wir also ihre Autonomie. Achtung fürs Gesetz und Achtung gegenüber Personen hat also am Ende denselben Gegenstand, nämlich deren Autonomie. Achtung vor andern ist die „Einschränkung unserer Selbstachtung durch die Würde der Menschheit in eines anderen Person." (MdS: 449) Diese Würde einer Person aber beruht auf ihrer Autonomie. (436, 440) Wir achten andere aufgrund der Tatsache, daß sie, wie Kant sich ausdrückt, „Zwecke an sich" sind (428 ff.): Wesen, die sich selber ihre Zwecke setzen und das Recht dazu haben, und die deshalb nicht zur Disposition meines Willens stehen. Nur weil für Kant Personen in diesem Sinn ein Beispiel für das moralische Gesetz geben, kann seine Idee Plausibilität gewinnen, daß Achtung

Die m o r & l p h i l o s o p h i s c h e P o i n t e

143

f ü r das Gesetz (im explizierten Sinn) eine Triebfeder für jegliches moralisches Verhalten gegenüber einem jeden sein kann. Denn Achtung für das Gesetz ist für ihn Achtung vor der Autonomie als der nach seiner Auffassung wesentlichen Eigenschaft des Menschen und deshalb jedes Menschen. W e n n plausibel zu machen wäre, daß das Bewußtsein der Autonomie von Personen ein Neigungsgefühl erzeugt, dann könnte es eine tatsächliche Motivationsquelle sein, die Autonomie eines jeden zu berücksichtigen. Die moralphilosophische

Pointe

Kants Theorie des moralischen Gefühls hat ihre moralphilosophische Pointe darin, daß er sich durch sie gezielt und entschieden von den MoralSense-Ethiken absetzt. Für Shaftesbury z.B. 3 3 war das moralische Gefühl das P r o d u k t eines eigenen, von einem ästhetischen Geschmacksvermögen ununterschiedenen „Sinnes" (sense), einer Art Wahrnehmungsorgan (u.a.) für die Tugendhaftigkeit von Handlungen. (224) Gleichzeitig aber hatten moralische Gefühle bei ihm und anderen Moral-Sense-Philosophen die Funktion, Zustimmung zu solchen Handlungen auszudrücken und zu tugendhaften Handlungen zu motivieren. Die Vernunft hat bei Hutcheson u.a. die Funktion, das „Vor-Urteil" des moralischen Sinnes zu prüfen und ggf. zu korrigieren. Aber „... correction by reason does not prove ideas of virtue and vice to be previous to a sense." 3 4 Für Shaftesbury ist der „moral sense", als ein „sense of right and wrong", ein moralisches Urteilsvermögen. (229) Dabei hat der moralische Sinn eine intellektuelle und eine emotionale Seite. Die intellektuelle Seite erfaßt die moralisch relevanten Aspekte von Personen und ihren Handlungen, die emotionale Seite ist die affektive Reaktion auf das Vorliegen solcher Eigenschaften. Dabei dominiert die intellektuelle Seite insofern, als die moralische Gefühlsreaktion erst auf das intellektuelle Erfassen der moralisch bedeutsamen Eigenschaften von Personen und ihre Handlungen folgt. (228) Für Hutcheson ist, im Gegensatz zu Shaftesbury, der moralische Sinn kein Urteilsvermögen, sondern nur die Fähigkeit, moralische Gefühle zu haben. (231) Die moralischen Eigenschaften von Personen und ihre Handlungen lassen sich nicht durch den moralischen Sinn und die ihm zuzurechnenden moralischen Gefühlsreaktionen erfassen; deren Erfassen ist Sache 33

34

Bei d e r f o l g e n d e n D a r s t e l l u n g d e r M o r a l - S e n s e - E t h i k e n ( i n s b e s o n d e r e v o n S h a f t e s b u r y u n d H u t c h e s o n ) s t ü t z e ich m i c h auf J ü r g e n S p r u t e s D a r s t e l l u n g i n „ D e r Begriff d e s M o r a l Sense b e i S h a f t e s b u r y u n d H u t c h e s o n " . Die Ziffern in K l a m m e r n , die i n d e n f o l g e n d e n T e x t e i n g e s t r e u t s i n d , b e z i e h e n sich auf die S e i t e n v o n S p r u t e s Aufsatz. H u t c h e s o n , H l u s t r a t i o n s u p o n t h e M o r a l Sense, 465.

144

Achtung

der Vernunft. (232) Gleichwohl sind aber auch für Hutcheson moralische Gefühle für eine moralische Beurteilung konstitutiv. Jemand kann zwar durch die Vernunft das Vorliegen moralisch signifikanter Eigenschaften konstatieren. Seine Feststellungen darüber sind aber erst dann ein moralisches Urteil, wenn sie mit moralischen Gefühlsreaktionen einhergehen. (233) Zum moralischen Urteil gehört für Hutcheson also immer beides: das Urteil der Vernunft, zusammen mit den moralischen Gefühlen, die der moralische Sinn hervorbringt. Man kann sich diese Auffassung so plausibel machen, daß ein moralisches Urteil immer ein beteiligtes, Stellung nehmendes, engagiertes Urteil ist, und dieses Engagement kommt in der emotionalen Betroffenheit (oder Betreffbarkeit) der urteilenden Person zum Ausdruck. Auch das oberste Moralprinzip, bei Hutcheson ein Utilitätsprinzip, steht mit moralischen Gefühlen im Zusammenhang: Zwar ist nach Hutchesons Auffassung dieses oberste Moralprinzip keiner Begründung fähig. Aber es ist einer solchen Begründung auch insoweit nicht bedürftig, als wir von seiner Gültigkeit aufgrund unserer moralischen Gefühlsreaktionen überzeugt sind. (235) Auf praktisch alle hier dargestellten Behauptungen Shaftesburys und Hutchesons bezieht sich Kants Kritik. Ich zitiere ausführlich die relevanten Stellen aus Kants ethischen Schriften. Für Kant ist das moralische Gefühl nur W i r k u n g des G e s e t z e s aufs S u b j e k t u n d nicht . . . Ursache desselben (401, Fußnote).

Er wendet sich vehement gegen eine b e s o n d e r e A r t von G e f ü h l e , u n t e r d e m N a m e n eines p r a k t i s c h e n o d e r m o r a lischen als von d e m m o r a l i s c h e n G e s e t z e v o r h e r g e h e n d u n d i h m z u m G r u n d e liegend ( K p r V : 75). Dieses G e f ü h l ( u n t e r d e m N a m e n des m o r a l i s c h e n ) ... dient n i c h t zu B e u r teilung der H a n d l u n g e n oder wohl gar zur G r ü n d u n g des o b j e k t i v e n S i t t e n gesetzes selbst, s o n d e r n bloß zur T r i e b f e d e r , u m dieses in sich z u r M a x i m e zu m a c h e n . ( A . a . O . : 76.) Hier geht kein G e f ü h l i m S u b j e k t vorher, ( A . a . O . : 75.)

d a s auf M o r a l i t ä t g e s t i m m t w ä r e .

... der M e n s c h ... n i m m t ... wirklich d a r a n (d. i. an m o r a l i s c h e n G e s e t z e n - Einf. H . K . ) ein I n t e r e s s e , wozu wir die G r u n d l a g e in uns d a s m o r a l i s c h e G e f ü h l n e n n e n , welches fälschlich für das R i c h t m a ß u n s e r e r s i t t l i c h e n Beu r t e i l u n g von einigen a u s g e g e b e n w o r d e n , d a es v i e l m e h r als die subjeJctive W i r k u n g , die d a s G e s e t z auf den Willen a u s ü b t , a n g e s e h e n w e r d e n m u ß , wozu V e r n u n f t allein die o b j e k t i v e n G r ü n d e h e r g i b t . (460)

Die moralphilosophische Pointe

145

Diese (moralischen - Einf. H.K.) Handlungen bedürfen auch keiner E m p fehlung von irgendeiner subjektiven Disposition oder Geschmack, sie mit unmittelbarer Gunst und Wohlgefallen anzusehen, keines unmittelbaren Hanges oder Gefühles für dieselben; sie stellen den Willen, der sie ausübt, als G e g e n stand einer unmittelbaren A c h t u n g dar, dazu nichts als Vernunft gefordert wird, u m sie dem Willen aufzuerlegen ... (435) A c h t u n g (Teverentia) ist ... nicht ein Urteil über einen Gegenstand, den zu bewirken oder zu befördern es eine Pflicht gäbe. (MdS: 402) Dieses Gefühl einen moralischen Sinn zu nennen ist nicht schicklich; d e n n unter d e m Wort Sinn wird gemeiniglich ein theoretisches, auf einen Gegenstand bezogenes Wahrnehmungsvermögen verstanden: dahingegen das moralische Gefühl ... etwas bloß Subjektives ist, WEIS kein Erkenntnis abgibt. (MdS: 400)

Für K a n t ist also das moralische Gefühl 1. kein zusätzliches „Sinnesorgan". Es h a t 2. keine Urteilsfunktion, 3. geht es nicht vor dem Sittengesetz vorher und liegt ihm nicht zugrunde. 4. DM moralische Gefühl folgt d e m Gesetz hinterher: es ist bloß eine „Wirkung des Gesetzes aufs S u b j e k t " . 5. Das moralische Gefühl ist - als Wirkung und auf der vorgängigen Grundlage des moralischen Gesetzes - eine Ursache (Triebfeder) zu moralischem Verhalten. Erläuterungsbedürftig an Kants Thesen dürfte vor allem die überraschende Formulierung sein, es gebe keine „besondere Art von Gefühl, unter dem Namen eines praktischen oder moralischen" (KprV: 75), sowie die These, daß das moralische Gesetz dem Achtungsgefühl „vorhergeht", und nicht umgekehrt. Die Verblüffung über die erste Formulierung ist leicht auflösbar mit Bezug auf die These vom „Vorhergehen" des Gesetzes vor dem moralischen Gefühl. Kant wendet sich gegen eine „besondere Art von Gefühl unter dem Namen eines praktischen oder moralischen, als vor dem Gesetze vorhergehend und ihm zugrundehegend" (a.a.O.): Die Betonung liegt auf der von mir hervorgehobenen Passage. 3 5 Was aber heißt dies nun, daß dem moralischen Gesetz kein moralisches Gefühl „vorhergeht" und ihm „zugrundeliegt"? Man kann dieses „vorher" und „nachher" (wie auch das „Zugrundeliegen") t e m p o r a l / k a u s a l oder „logisch", d. h. mit Bezug auf Begründungsprioritäten, lesen. Temporal/kausal interpretiert wäre Kants Vorstellung die, daß zuerst das moralische Gesetz da ist (woher auch immer) und in 35

Vgl. „Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie", AA VIII: 395, Fußnote, wo Kant zwei Arten von „Lust" unterscheidet: „Diejenige Lust (oder Unlust), die notwendig vordem Gesetz vorhergehen muß, damit die T a t geschehe, ist pathologisch; diejenige aber, vor weicher, damit diese geschehe, das Gesetz notwendig vorhergehen muß, ist moralisch."

146

Achtung

der zeitlichen und kausalen Folge davon ein G e f ü h l der A c h t u n g e n t s t e h t : im a l l g e m e i n e n wohl n o c h „ v e r m i t t e l t " durch die Anwendung in b e s t i m m t e n m o r a l i s c h e n B e u r t e i l u n g e n . Danach

des G e s e t z e s

dann k ö n n t e die Ach-

t u n g ihre M o t i v a t i o n s f u n k t i o n für die A u s f ü h r u n g m o r a l i s c h e r Handlungen erfüllen. Logisch i n t e r p r e t i e r t würde K a n t s Auffassung b e s a g e n , daß das Gefühl der A c h t u n g keine F u n k t i o n b e i der B e g r ü n d u n g des m o r a l i s c h e n G e s e t z e s h a t . Diese Begründung

(wie i m m e r sie aussehen m a g ) m ü ß t e u n a b h ä n g i g

sein v o m Vorliegen irgendwelcher, und seien es sog. m o r a l i s c h e , Gefühle. A u c h wenn K a n t s T h e s e n das explizit n i c h t sagen, neigt m a n

dazu,

ihn so zu v e r s t e h e n , daß das m o r a l i s c h e G e f ü h l nicht nur d e m m o r a l i s c h e n G e s e t z „ h i n t e r h e r g e h t " , sondern auch k o n k r e t e n m o r a l i s c h e n B e u r t e i l u n gen (bei denen das G e s e t z a n g e w e n d e t wird) „ n a c h f o l g t " . A u c h eine solche Auffassung k ö n n t e m a n t e m p o r a l / k a u s a l oder logisch i n t e r p r e t i e r e n . W ä h r e n d auch hier wie im vorherigen die logische Auffassung einzuleucht e n v e r m a g , gibt die t e m p o r a l / k a u s a l g e d e u t e t e A u f f a s s u n g ein schiefes B i l d dessen, was in vielen F ä l l e n b e i m m o r a l i s c h e n U r t e i l e n wirklich ges c h i e h t . Ist es doch in vielen F ä l l e n m o r a l i s c h e r B e u r t e i l u n g augenfällig, d a ß das erste U r t e i l sehr „ e m o t i o n a l " und „ u n b e d a c h t " ist und deshalb k o r r i g i e r t werden m u ß - oder daß es gar kein „ U r t e i l " im präzisen Sinne ist, sondern vielmehr eine bloße affektive R e a k t i o n a u f einen m o r a l i s c h sig n i f i k a n t e n S a c h v e r h a l t . T a t s ä c h l i c h gehen m o r a l i s c h e G e f ü h l e dem Urteil häufig v o r h e r , oder das Urteil selber

ist sehr „ g e f ü h l s b e t o n t " :

e t w a wo

wir m o r a l i s c h e n A b s c h e u oder m o r a l i s c h e s E n t s e t z e n über j e m a n d e n z u m A u s d r u c k bringen. J e d e n f a l l s a b e r ist K a n t s H a u p t p u n k t gegen die M o r a l - S e n s e - E t h i k e n der B r i t i s c h e n S e n t i m e n t a l i s t e n , d a ß das m o r a l i s c h e Urteil in seiner T r i f t i g k e i t n i c h t a b h ä n g i g ist von m o r a l i s c h e n G e f ü h l e n und d a ß das m o r a l i s c h e G e s e t z , weder genetisch noch was seine m ö g l i c h e B e g r ü n d u n g b e t r i f f t , von m o r a l i s c h e n G e f ü h l e n a b h ä n g t bzw.

a b h ä n g e n darf: D a s m o r a l i s c h e G e -

setz h a t nicht darum für uns Gültigkeit ..., weil es interessiert (denn das ist Heteronomie und Abhängigkeit der praktischen Vernunft von Sinnlichkeit, nämlich einem zum Grunde liegenden Gefühl, wobei sie niemals sittlich gesetzgebend sein könnte), sondern . . . es interessiert, weil es für uns als Menschen gilt, da es aus unserem Willen als Intelligenz, mithin aus unserem eigentlichen Selbst entsprungen ist. ( 4 6 0 / 4 6 1 ) M a n m u ß b e r e i t s a u f e i n e m m o r a l i s c h e n S t a n d p u n k t s t e h e n , ein moralisches S e l b s t v e r s t ä n d n i s b e s i t z e n , b e v o r das A c h t u n g s g e f ü h l e n t s t e h e n kann.

D e s h a l b ist das A c h t u n g s g e f ü h l keine „ T r i e b f e d e r zur S i t t l i c h k e i t "

( K p r V : 7 6 ) , keine M o t i v a t i o n s q u e l l e , um einen solchen m o r a l i s c h e n S t a n d -

Selbstachtung als Quelle moralischer Motivation

147

p u n k t allererst einzunehmen. Hat aber j e m a n d (woher auch immer) ein moralisches S e l b s t v e r s t ä n d n i s , dann entsteht nach K a n t ein A c h t u n g s gefühl - und dann kann es seine K r a f t zur Motivierung moralischer Handlungen e n t f a l t e n . 3 6

Selbstachtung

als Quelle

moralischer

Motivation

In den bisherigen A b s c h n i t t e n dieses K a p i t e l s habe ich mich größtenteils auf die R e k o n s t r u k t i o n der Kantischen A c h t u n g s t h e o r i e b e s c h r ä n k t und nur beiläufig und an wenigen P u n k t e n einige seiner B e h a u p t u n g e n der K r i t i k unterzogen. S o erschien es z. B. als nicht zwingend, daß K a n t dem A c h t u n g s g e f ü h l aufgrund seiner Genese einen apriorischen Status z u s p r i c h t . 3 7 K r i t i k erregte a u ß e r d e m K a n t s These, daß die A c h t u n g 36

37

Ursula Wolf, die in ihrem Buch über „Das Problem des moralischen Sollens" Kants Achtungstheorie und daran anschließende Theorie-Versuche kritisch diskutiert (107111), findet Kants Vorstellung einer Achtung vor dem Gesetz wenig nützlich, um eine „Grundlage für die moralische Rücksicht" (105) abzugeben. Meines Erachtens aber trifft Wolfs Kritik Kant deshalb nicht, weil sie den systematischen Ort verkennt, den die Achtung bei Kant einnimmt: Wenn Wolf sagt, Kants Theorie der Achtung gebe keine gute „Grundlage für die moralische Rücksicht" (a.a.O.) ab, dann meint sie mit „moralischer Rücksicht" die „moralische Grundeinstellung", die sich „als Einstellung der universalen Achtung" (wie sie sich in rücksichtsvollem Verhalten zeigt) bezeichnen läßt. (100) Kant aber meint mit Achtung nicht diese Einstellung, sondern ein Ge/ühi^das zu Handlungen gemäß dieser Einstellung motivieren soll. Dafür aber ist diese Einstellung .bzw. die Überzeugung des Handelnden von der Richtigkeit dieser Einstellung vorausgesetzt, und das Achtungsgefühl ist nach Kants erklärter Lehrmeinung nicht geeignet, diese Einstellung bzw. die Uberzeugung, daß man sie einnehmen soll, zu begründen. Wenn es aber Kants erklärte Meinung ist, daß sich mit Bezug auf das Achtungsgefühl die moralische Einstellung nicht begründen läßt, und er in der Folge davon der Achtung keine derartige Begründungsfunktion innerhalb seiner Theorie zuweist, dann kann man ihm auch nicht wie Wolf vorwerfen, daß die Achtung diese Punktion nicht e r f ü l l t . Wenn Wolf von der „ Grundlage" der moralischen Rücksicht spricht, für die Kants Theorie nichts tauge, dann meint sie das im Sinne einer Begründung. Wolf geht es darum, die Einstellung der universalen Achtung zu „fundieren" (110), also Gründe dafür zu finden, warum man diese Einstellung einnehmen soll. Innerhalb von Kants Ethik ist das die Präge nach der Begründung des Kategorischen Imperativs, der die Einstellung universeller Rücksicht vorschreibt. Dagegen ist seine Achtungstheorie eine Theorie über moralische Motivation; eine Theorie darüber, was uns emotional antreibt, die (vorausgesetzte und wie immer begründete) Uberzeugung von der Richtigkeit universaler Rücksichtnahme auch zu leben. Günther Patzig hat in neueren Aufsätzen zur Ethik immer wieder betont, daß die moralische Motivation kein besonderes, von allen anderen Motiven unterschiedenes Motiv zu sein brauche. Gegen Kant macht er geltend, es könne „nicht die Rede davon sein, daß moralische Motive von allen anderen Motiven radikal verschieden wären". Vielmehr seien sie „Motive wie alle anderen" (Philosophische Anmerkungen zum Begriff der Autonomie: 16). Es ist nicht völlig klar, wie Patzig seine Kritik

148

Achtung

eine hinreichende Triebfeder zu moralischem Handeln sei. Drittens fand die Auffassung Kritik, daß empirisch, d. h. temporal und kausal, d a s Achtungsgefühl dem moralischen Urteil immer nachfolge. Diese aber hat K a n t nicht explizit vertreten. - Im Schlußabschnitt dieses K a p i t e l s werde ich die Kritik an K a n t einerseits u m einige Punkte erweitern, andererseits möchte ich versuchen, seiner Konzeption der moralischen Motivation eine Alternative gegenüberzustellen. 1. Ein weiterer Stein des Anstosses an K a n t kann seine A u f f a s s u n g sein, d a s Achtungsgefühl sei die einzige und aJJeinige moralische Triebfeder. S o schreibt K a n t (wie oben schon einmal erwähnt): die „ A c h t u n g fürs moralische Gesetz ist ... die einzige ... moralische Triebfeder" ( K p r V : 78), sie sei „ d a s einzige echte moralische G e f ü h l " (a.a.O.: 85). Diese Auffassung von der Achtung als dem alleinigen moralischen Gefühl ist schon K a n t - i m m a n e n t ein Problem. Das kann man sich klarmachen an seinem durchaus ambivalenten Verhältnis zum Mitgefühl bzw. Mitleid (in dem Schopenhauer d a s moralische Gefühl entdeckt zu haben meinte). K a n t schreibt z.B. in der „Kritik der praktischen Vernunft": S e l b s t d i e s G e f ü h l d e s M i t l e i d s u n d der w e i c h h e r z i g e n T e i l n e h m u n g , wenn es vor der Überlegung, was Pßicht sei, vorhergeht und Bestimmungsgrund wird, ist w o h l d e n k e n d e n P e r s o n e n s e l b s t l ä s t i g , b r i n g t ihre ü b e r l e g t e M a x i m e n in V e r w i r r u n g u n d b e w i r k t d e n W u n s c h , ihrer e n t l e d i g t u n d allein der g e s e t z g e b e n d e n V e r n u n f t u n t e r w o r f e n zu sein. ( K p r V : 118 - m e i n e H e r v o r h . )

Der Akzent liegt in diesem S a t z m . E . auf der von mir hervorgehobenen P a s s a g e . D a s Mitleidsgefühl (oder auch das Gefühl der Mitfreude) ist problematisch, wo es vor der moralischen Überlegung vorhergeht und diese Überlegung und ihr Ergebnis bestimmt. Diese Kritik a m Mitgefühl läßt es aber offen, ob nicht dieses Gefühl, wenn es der moralischen Überlegung nachfolgt bzw. sie zwar begleitet, aber nicht ihr Ergebnis ( m i t - ) b e s t i m m t , doch eine begrüßenswerte weitere affektive Motivationsquelle zu moralischen Handlungen ist. Daß es so ist, betont K a n t in der „ M e t a p h y s i k der Sitten": meint. Die Kritik trifft K a n t höchstens dann, wenn sie d a r a u f abzielt, daß n a c h K a n t das moralische Gefühl eine Entstehungsgeschichte h a b e n soll, a u f g r u n d deren es Eigenschaften h ä t t e , die es von anderen Motiven radikal unterscheiden würden. P a t z i g s Kritik verfehlt K a n t , wenn sie auf dessen A u f f a s s u n g von der Wirkungsweise a n g e h t , das Achdes Achtungsgefühls abzielt. Denn zwar ist, was seine Entstehung tungsgefühl für K a n t „ a priori g e w i r k t " ; a b e r diese noble Herkunft hindert es nicht d a r a n , als ein empirisches F a k t u m (wie andere Motive a u c h ) seine Wirkung zu entfalten. Wenn ich K a n t richtig verstehe, ist sein moralisches Gefühl ein Sachverhalt in der sinnlichen, natürlichen (Erscheinungs-) Welt, das seine Wirkung innerhalb dieser S p h ä r e nach den dort geltenden ( N a t u r - ) Gesetzen entfaltet. Hier ist also keine Differenz zu P a t z i g s eigener Auffassung.

Selbstachtung als Quelle moralischer Motivation

149

Mitfreude und Mitleid (sympatJiia moraJis) sind zwar sinnliche Gefühle einer (darum ästhetisch zu nennenden) Lust oder Unlust an dem Zustande des Vergnügens sowohl als Schmerzens anderer (Mitgefühl, teilnehmende Empfindung), wozu schon die Natur in den Menschen die Empfänglichkeit gelegt hat. A b e r diese als Mittel zu Beförderung des tätigen und vernünftigen Wohlwollens zu gebrauchen, ist noch eine besondere, obzwar nur bedingte Pflicht ( M d S , Tugendlehre §34: 456). Obzwar aber Mitleid (und so auch Mitfreude) mit anderen zu haben an sich selbst nicht Pflicht ist, so ist es doch tätige Teilnehmung an ihrem Schicksale und zu dem Ende also indirekte Pflicht, die mitleidige natürliche (ästhetische) Gefühle in uns zu kultivieren und sie als so viele Mittel zur Teilnehmung aus moralischen Grundsätzen und dem ihnen gemäßen Gefühl zu benutzen. ( A . a . O . , §35: 457.) Es scheint also so, daß K a n t außer d e m A c h t u n g s g e f ü h l noch w e i t e r e m o r a l i s c h e G e f ü h l e k e n n t , die als T r i e b f e d e r n zu m o r a l i s c h e m Verheilten zu f u n g i e r e n v e r m ö g e n .

Diese anderen G e f ü h l s m o t i v e wie z . B . eben das

M i t l e i d u n t e r s c h e i d e n sich zwar v o n d e m v o n K a n t aus g u t e m G r u n d priv i l e g i e r t e n A c h t u n g s g e f ü h l : insoweit diese n ä m l i c h im G e g e n s a t z zur A c h t u n g keinen i n t e r n e n B e z u g z u m m o r a l i s c h e m G e s e t z haben. D e s h a l b b e steht die G e f a h r , daß die v o r g ä n g i g e O r i e n t i e r u n g an diesen G e f ü h l e n zu u n m o r a l i s c h e m H a n d e l n f ü h r t . So v e r l e i t e t e t w a das M i t l e i d in m a n c h e n F ä l l e n zu u n g e r e c h t e m V e r h a l t e n . W o aber der „ K u r s " des H a n d e l n s durch das m o r a l i s c h e G e s e t z f e s t g e l e g t ist, da müssen uns j e g l i c h e m o t i v a t i o n a l e Ressourcen recht sein, die zur V e r w i r k l i c h u n g der für rechtens e r k a n n t e n H a n d l u n g e n sich a n b i e t e n .

( I c h k o m m e darauf i m 3.

und hauptsächlich

i m abschließenden 5. P u n k t z u r ü c k . ) 2. Das m o r a l i s c h e G e s e t z schreibt vor, auf andere Rücksicht zu n e h m e n . Eine a l l g e m e i n e M o t i v a t i o n zu solcher R ü c k s i c h t s n a h m e ist nur d e n k b a r , w e n n d i e j e n i g e E i g e n s c h a f t v o n P e r s o n e n , aufgrund deren sie ein R e c h t auf R,ücksichtsnahme h a b e n , ein G e f ü h l e r z e u g t , das uns zu r ü c k s i c h t s v o l l e m Verhalten motiviert. Autonomie

K a n t hat diese Eigenschaft v o n Menschen in ihrer

lokalisiert und die M o t i v a t i o n s q u e l l e zu rücksichtsvollem V e r -

h a l t e n in d e m m o r a l i s c h e n G e f ü h l der Achtung

gesehen. Ich w e r d e in der

Folge beide P u n k t e problematisieren. (a)

K a n t b e z e i c h n e t abwechselnd das moralische Gesetz b z w .

das B e -

wußtsein v o n i h m ( 1 ) , das S u b j e k t der praktischen V e r n u n f t ( 2 ) und die A u t o n o m i e des W i l l e n s ( 3 ) als dasjenige, was das G e f ü h l der A c h t u n g bew i r k t und d e s h a l b auch G e g e n s t a n d dieses G e f ü h l s ist. F ü r K a n t scheint das alles dasselbe zu sein: Als Wirkung aber vom Bewußtsein des moralischen Gesetzes ( l ) , folglich in Beziehung auf eine inteiligibele Ursache, nämlich das Subjekt der reinen

150

Achtung praktischen Vernunft ( 2 ) als obersten Gesetzgeberin ( 3 ) , heißt dieses Gefühl . . . A c h t u n g für dasselbe ... ( K p r V : 75 - Ziffern von mir eingefügt.)

Daß aber die „Vernunftanlage" von Menschen, ihre Autonomie im Sinne moralischer Selbstgesetzgebung, ein Gefühl in jedem von uns hervorbringen soll, das „Analogie ... mit Neigung" (401, Fußnote) hat und deshalb zur Rücksichtnahme gegenüber jedem vernünftigen Wesen motiviert: das leuchtet nicht ein. Solche „Vernunftanlage" ist nicht in jedem Menschen vorhanden bzw. (hinreichend) entwickelt, sie gehört nicht, wie Kant offenbar dachte, zu unserer anthropologischen Grundausstattung. 3 8 (b) Aber auch denen von uns, bei denen diese Vernunftanlage entwikkelt ist und die sie bei anderen präsupponieren, flößt sie nicht immer ein Achtungsgefühl ein, das sie zu moralischen Handlungen motiviert. Dieser Befund könnte erstens bedeuten, daß die Motivationsquelle zu moralischen Handlungen dürftiger sprudelt , als Kant sich das dachte, und daß Kant zu Unrecht nicht nur eine „Vernunftanlage", sondern auch das Achtungsgefühl zu unserer anthropologischen Grundausstattung gerechnet h a t . 3 9 Kant meinte, ein solches Gefühl sei unzertrennlich mit der Vorstellung des moralischen Gesetzes in j e d e m endlichen vernünftigen Wesen verbunden. ( K p r V : 8 0 ) < o

Es gibt aber Menschen, die von der „Vorstellung des moralischen Gesetzes" nicht beeindruckt werden. So gehört das Achtungsgefühl sicher nicht, wie Kant meinte, zu den „natürliche(n) Gemütsanlagen ... die jeder Mensch h a t " (MdS: 399). Unser Befund könnte zweitens bedeuten, daß Kant sich bei der Lokalisierung der Quelle des moralischen Gefühls im Gesetz (in unserer Vernunft, unserer Autonomie usw.) geirrt hat, und entsprechend in seiner Identifikation des moralischen Gefühls als Achtung vor diesem Gesetz. Was aber könnte es anstelle dessen sein, was uns zu moralischen Handlungen gegenüber einem jedem motiviert? 3. Die Auffassung, es sei das moralische Gesetz die Quelle der moralischen Motivation, und entsprechend die Achtung vor diesem Gesetz die moralische Motivationsquelle, ist zumindest nicht alternativelos: und deshalb nicht zwingend. Die Ursache dafür, daß Menschen moralische Gefühle, die dann motivationale Ressourcen fürs moralische Handeln darstellen, entwickeln, könnte man auch in der Erfahrung erblicken, daß andere Menschen die menschliche Grundsituation mit uns teilen. Wenn die 38 39 40

Vgl. Patzig, Principium diiudicationis ...: 217. Vgl. Patzig, a.a.O. Vgl. in der „Religion" (46), wo es über die „Triebfeder cum Guten" heißt: „diese, die in der Achtung fürs moralische Gesetz besteht, haben wir nie verlieren können, und wäre das letztere möglich, so würden wir sie auch nie wiedererwerben."

Seibatachtung ala Quelle moralischer Motivation

151

andern im wesentlichen nicht anders dran sind als wir selber, kann da, wo diese gemeinsame Problemsituation affektive Folgen hat, dies die weitere Folge haben, daß wir andere nicht schlechter behandeln als uns selber. Das Gefühl, „unter dem Namen eines moralischen", das uns aufgrund der Wahrnehmung existentieller Gleichheit zu moralischem Handeln allen gegenüber motivieren könnte, wäre ein Gefühl der „Solidarität" mit den andern Teilhabern an der existentiellen Grundsituation. 4 1 Die gemeinsame existentielle Grundsituation, die ich meine, besteht u.a. in Tatsachen wie denen, daß wir nicht umhin können, zu überlegen und zu bestimmen, wie wir leben und wer wir sein wollen - daß wir, um mit Sartre zu reden, zur Freiheit verurteilt sind - ; daß wir Angst und Verzweiflung, glücklichen und unglücklichen Zufallen, Krankheit und Tod ausgeliefert sind: all dem, was Jaspers „Grenzsituationen" genannt hat. Das Bewußtsein der Gemeinsamkeit in dieser menschlichen Problemsituation, das gemeinsame Leben und Lebenmüssen zu fragwürdigsten Konditionen, könnte uns immerhin geneigt machen, aufeinander Rücksicht zu nehmen und einander zu helfen. 4 2 4. Für eine weitere Alternative zu Kants Achtungstheorie ist der Begriff der „Selbstachtung" konstitutiv. Wir haben schon einmal in diesem Kapitel von „Selbstachtung" gesprochen, als es um die Ursache und den Gegenstand des Achtungsgefühls ging. Es erwies sich bei unserer KantExegese mit Bezug auf Ursache und Gegenstand des Achtungsgefühls, daß es „aus unserem Willen als Intelligenz, mithin aus unserem eigentlichen Selbst entsprungen ist" (461) und diesen autonomen, intelligenten Willen auch zu seinem intentionalen Gegenstand hat. Und das hatten wir so interpretiert, daß wir selbst, in eigener Person und der des anderen, es sind, die das Achtungsgefühl bewirken und auf das es sich intentional bezieht. Der Ausdruck „Selbst" in dem Wort „Selbstachtung" bezweckte hier also die Identifizierung der Ursache und des Gegenstandes der Achtung. Wenn in der Folge von „Selbstachtung" die Rede ist, wird der Ausdruck anders gemeint. Der Ausdruck „Selbstachtung" steht jetzt für die eigene Wertschätzung seiner Person, für das, was man auch „Selbstwertgefühl" nennt. Auch Kant kennt natürlich solche „Achtung für seine eigene Person" (KprV: 93; vgl. a.a.O.: 161). Und er kennt auch das Gegenteil, die 41

42

Und wo wir entsprechende Ubereinstimmungen in der Grundsituation mit anderen Lebewesen als Menschen (Ubereinstimmungen etwa begl. von Empfindung*- und in der Folge von Schmers- und Leidensfähigkeit) erkennen, könnte uns das auch zu einem Mitgefühl mit ihnen veranlassen, das als Motivationsquelle für rücksichtsvolles und hilfsbereites Verhalten auch ihnen gegenüber fungierte. Vgl. dazu Ursula Wolf, a.a.O., ihr Kapitel über „Die Frage n a c h der moralischen Ginstellung als centraler Bestandteil der Frage n a c h dem guten L e b e n " : 178 ff.

152

Achtung

„Selbstverachtung und inneren Abscheu" (426) und die mögliche Schann beim „inneren Anblick der Selbstprüfung" (KprV: 88). Aber diese moralischen Reaktionen haben in Kants Theorie der moralischen Motivation keine tragende Bedeutung. Dieses Selbstwertgefuhl kann nun, wie wir wissen, schwanken, d.a. mehr oder weniger groß sein. Die Größe unseres Selbstwertgefühls hän*t sicherlich ab von dem Maße, in dem wir unser je eigenes Selbstverstäninis zu realisieren vermögen. Auf der Basis dieser Bestimmungen ist cie folgende Konzeption von moralischer Motivation vorstellbar: Angenommen, es habe jemand, aufgrund wovon auch immer, ein moralisches Selbst Verständnis. Bei so j e m a n d e m wäre dann seine Selbstachtung gebunden an die mehr oder weniger gelingende Verwirklichung eines moralischen Selbst Verständnisses. Da das Moralische in so jemandes Selbstkonzeption zentral ist, ist das Erfüllen dieser Konzeption oder die Abweichung von ihr beim Handeln schmerzlich oder freudvoll für ihn: eine Einbuße oder ein Gewinn für sein Selbstwertgefühl. Diese Gefühle des Schmerzes oder der Freude, von Schuld, Scham, Stolz und Zufriedenheit mit sich (bzw. ihre Erwartung) können dann als Motivationsquelle zu moralischen Handlungen führen, die mit dem moralischen Selbstbild übereinstimmen. Man kann sich diese Konzeption der moralischen Motivation aufgrund von Selbstachtung auch klarmachen, indem man von einer Kritik ausgeht, die häufig an solchen Theorien moralischer Motivation geübt worden ist, die als moralische Motivationsquelle das Gefühl der Sympathie für andere ins Auge gefaßt haben. Das Ungenügen dieser Motivationsquelle wird gewöhnlich darin gesehen, daß Sympathie einerseits ungerecht und andererseits begrenzt ist auf wenige Mitmenschen, meist solche aus unserer unmittelbaren persönlichen Umgebung. Unsere Sympathie ist ungerecht, insofern wir Leute mehr oder weniger sympathisch oder unsympathisch finden. Unsere Sympathie ist begrenzt, weil es uns unmöglich ist, alle anderen in sie einzubeziehen. Nun ist nach gängiger Auffassung die Moral (und das Recht) u.a. dafür da, diejenigen von uns, die wir nicht leiden können, vor unseren Übergriffen zu schützen. Dafür aber würde trivialerweise Sympathie, eben wegen ihrer Ungerechtigkeit und Begrenztheit, nichts nützen. Aber auch wenn es nicht möglich ist, solche Gefühle wie Sympathie, Wohlwollen, Mitleid usf. zu universalisieren, so ist es doch möglich, Sympathie für sich selber zu entwickeln als einen, der sich gegenüber allen moralisch verhalten will. Und diese Sympathie für sich selber als j e m a n d , der ein moralisches Selbstbild hat und dieses Selbstverständnis leben will, kann man u.a. entwickeln und stabilisieren, indem m a n in sich das Wissen wachhält, daß dasjenige an anderen Personen (und ggf. auch an anderen

S e l b s t a c h t u n g als Q u e l l e m o r a l i s c h e r M o t i v a t i o n

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Lebewesen), was moralisch berücksichtigt werden muß, nicht etwas ist, was uns selber und unsere Nächsten, mit denen wir sympathisieren, auszeichnet, sondern etwas ist, das allen anderen ebenso zukommt: so daß im Hinblick auf die moralisch signifikanten Gesichtspunkte ein jeder mein Nächster ist. An dieser Konzeption der moralischen Motivation aufgrund der Sympathie mit sich selber als einem moralisch orientierten Menschen ist zweierlei ganz und gar Kantisch: Erstens wird daran festgehalten, daß für den Fall, daß es eine Motivationsquelle für moralisches Handeln gegenüber einem jedem geben sollte, diese sich nicht auf solches stützen kann, wodurch sich verschiedene Menschen voneinander unterscheiden. Die hier entwickelte Vorstellung entspricht dieser Kantischen Doktrin dadurch, daß sie sich (wie im vorigen Punkt 3. bereits entwickelt) nur auf die existentielle Grundsituation bezieht, die alle Menschen miteinander (und gegebenenfalls noch andere Lebewesen mit uns) teilen. Zweitens entspricht die hier entwickelte Vorstellung von moralischer Motivation der Kantischen Lehrmeinung, daß moralische Gefühle nur und erst unter der Voraussetzung eines moralischen Selbstverständnisses entstehen und in der Folge ihre motivationale Kraft entfalten können. Die moralische Motivationskraft besteht nach dieser Konzeption darin, daß wir sympathisieren mit einem Bild von uns selber als jemandem, der den Grundgegebenheiten des Lebens mit Bezug auf alle anderen Lebewesen Rechnung trägt. Der Unterschied zu Kant besteht aber darin, daß nicht mehr angenommen wird, wir kämen als Menschen, als vernünftige Wesen usw. nicht umhin, ein moralisches Selbstverständnis zu haben. Wir können heute keinen guten Sinn mehr mit der Vorstellung von einer „Bestimmung des Menschen" verbinden: sei diese „Bestimmung" nun eine moralische oder eine andere. Wir neigen eher zu Sartres Auffassung, daß die Essenz des Menschen darin besteht, daß er keine hat, und daß wir zur „Bestimmung", d.h. jetzt zur Definition unseres Menschseins angewiesen sind auf die Ausbildung von Selbst Verständnissen, die so verschieden sein können, wie Menschen eben sind. Wir haben also nicht „als Menschen" eine „moralische Bestimmung", sondern einige von uns haben, woher auch immer, ein moralisches Selbst Verständnis. Und für diese, aber eben nur für diese, darf eine Theorie der moralischen Motivation hoffen, verständlich zu machen, was sie antreibt, moralisch zu handeln. Die hier entwickelte Theorie moralischer Motivation aufgrund der Anbindung des Selbstwertgetühl3 an die Realisierung eines moralischen Selbstverständnisses kann es offenlassen, ob ein solches moralisches Selbstverständnis zentral (oder eine notwendige Bedingung) ist für die Möglichkeit eines positiven Selbstwertgefühls überhaupt. Daß eine moralische Grund-

154

Achtung

Orientierung für die Möglichkeit eines positiven Selbstwertgefühls nötig ist, behaupten die Vertreter der sogenannten psychologischen Begründung der Moral. 4 3 Eine modifizierte Version dieser Auffassung könnte besagen, daß zwar ein moralisches Selbstbild nicht notwendig ist für ein positives Selbstwertgefühl überhaupt, daß es aber notwendig ist für ein stabiles oder für ein autonomes Selbstwertgefühl - oder was es sonst noch an wünschenswerten Eigenschaften gibt, die ein Selbstwertgefühl haben kann. Solche Auffassungen liefen darauf hinaus, daß man zwar nicht mehr sagen würde, daß ein moralisches Selbstbild zum „Wesen des Menschen" gehört, daß aber solch ein Selbstbild eine notwendige Bedingung formuliert für ein gelingendes Leben, für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung, usf. Ich kann hier offenlassen, ob solche Auffassungen sich zwingend begründen lassen. 5. Ein letzter Punkt. Ich habe bereits oben auf die Irritation hingewiesen, die Kants These zu erzeugen vermag, daß das Achtungsgefühl die einzige und aJleinige moralische Motivationsquelle sei. Es ist schon eine verblüffende Tatsache, daß nicht nur Kant, sondern auch andere Philosophen auf ein oder das moralische Gefühl (als eine mögliche moralische Motivationsquelle) fixiert waren - und sich nur darin unterscheiden, welches Gefühl sie als das moralische identifizieren. Ich habe in den vorausgehenden Betrachtungen bereits eine ganze Reihe solcher anderen moralischen Gefühle erwähnt. Zu ihnen gehören Mitleid, Sympathie, moralischer Stolz, moralische Freude, moralische Zufriedenheit mit sich, Schuld- und Schamgefühle. Die Liste läßt sich erweitern um solche Gefühle wie moralische Empörung, moralisches Entsetzen, Gefühle der Verlegenheit, der Peinlichkeit, des Gekränktseins, Gedemütigtseins, Entwürdigtseins; das Gefühl von Gesichtsverlust, verletzter Ehre, usf. Peter Strawson44 hat Ansätze zu einem regelrechten „System" moralischer Gefühlsreaktionen entwickelt. Er unterscheidet (a) zwischen unmittelbaren, nicht-distanzierten Reaktionen auf moralisch signifikantes Verhalten anderer gegenüber dem Reagierenden selber, z.B. Übelnehmen und Dankbarkeit, Zorn, Groll, Vergebung, Liebe, Verachtung, Gefühle des Verletztseins usf.; (b) stellvertretenden, distanzierten Reaktionen, mit denen jemand auf das Verhalten anderer gegenüber Dritten reagieren kann, wie z.B. Entrüstung, Empörung, Abscheu, Mißbilligung, Verurteilung, Billigung, Anerkennung, Bewunderung, Verehrung; (c) selbstreaktiven Gefühlen und Haltungen, mit denen der Handelnde auf sein eigenes Verhalten reagiert, wie z.B. moralische Scham, Schuld- und Reuegefühle sowie berechtigter moralischer Stolz. 43 44

Vgl. Tugendhat, Probleme der Ethik: 137 ff. Freedom and Resentment.

S e l b s t a c h t u n g als Q u e l l e m o r a l i s c h e r M o t i v a t i o n

155

Die so geordneten moralischen Gefühle scheinen in einem systematischen Zusammenhang zu stehen, so daß es schwer vorstellbar ist, daß jemand mit Gefühlen der einen Gruppe auf moralisch signifikante Sachverhalte reagiert, und gleichzeitig für die Gefühle der anderen Gruppen unempfänglich ist. Sie scheinen auch noch auf die Weise zusammenzuhängen, daß die moralischen Reaktionen anderer auf mein Verhalten nur dann den Stachel einer spezifisch moralischen Sanktion für mich haben, wenn ich bereit und in der Lage bin, sie in selbstreaktive moralische Gefühle zu „übersetzen". Und nur in diesem Fall vermögen solche Reaktionen Auswirkungen zu haben auf mein Motiviertsein zu moralischen Handlungen. Strawsons Anregung folgend sollte eine Theorie der moralischen Motivation eine Pluralität moralischer Gefühle als mögliche Motivationsquellen zu moralischen Handlungen ins Auge fassen. Und dies nicht etwa bloß' nach der kulturrevolutionären, liberalen und hauptsächlich ästhetischen Maxime, doch möglichst viele Blumen blühen zu lassen, sondern eher aufgrund der skeptischen Einsicht, daß wir froh sein können über eine jede motivationale Ressource zu moralischem Handeln, die uns ins Blickfeld gerät. Möglicherweise gibt es j a ein System moralischer Gefühlsreaktionen auch in dem Sinne, daß sie arbeitsteilig organisiert sind und daß in verschiedenen Bereichen der Moral jeweils andere Gefühle das moralische Motivationsgeschäft besorgen. Für alle diese moralischen Gefühle würde die Kantische Einsicht gelten, daß sie genetisch erst auf der Basis eines moralischen Selbstverständnisses dasind, und daß sie „logisch" dem moralischen Urteil nicht vorhergehen dürfen, weil sie sonst in vielen Fällen zu moralisch bedenklichen Handlungen motivieren würden. Wo aber das moralische Urteil ihnen vorhergeht - oder die spontanen moralischen Gefühlsreaktionen korrigiert und am Zügel hält - , dürfen moralische Gefühle in der als moralisch richtig beurteilten Richtung ihre Wirksamkeit entfalten, und da dürfen wir uns dann über jedes Gefühl, das sich bereitfindet, dem moralischen Motivationsgeschäft dienlich zu sein, freuen. Wahrscheinlich werden in einer solchen Konzeption der moralischen Motivation die selbstreaktiven moralischen Gefühle eine bevorzugte Rolle spielen. Und wahrscheinlich wird unter diesen privilegierten Rollenträgern das Gefühl der Selbstachtung (selber ein moralisches Gefühl?), das Selbstwertgefühl - immer auf der Basis eines moralischen Selbstverständnisses - eine Hauptrolle spielen. Denn zentral für diese Theorie der moralischen Motivation ist die Idee einer Anbindung des Selbstwertgefühls an die mehr oder weniger gelingende Verwirklichung eines moralischen Selbstverständnisses .

Schluß

Fassen wir abschließend einige Ergebnisse unserer Untersuchung zusammen! Im 1. Kapitel habe ich Kants Auffassung, wonach ein guter Wille an sich gut ist, im Sinne der gesinnungsethischen Grundthese interpretiert, daß es für die moralische Beurteilung von Handlungen in erster Linie auf die Absicht des Handelnden ankommt - und die moralische Beurteilung anderer Handlungsaspekte eine Funktion des Urteils über die Handlungsabsicht ist. Im 2. Kapitel ergab sich, daß Maximen als allgemeine Absichtssätze zu verstehen sind, in denen eine Person zum Ausdruck bringt, welche Art von Handlungen sie in Situationen einer b e s t i m m t e n Art auszuführen gedenkt. Es sind aber, so zeigte sich im 3. Kapitel, nicht nur einfache (allgemeine) Absichten, auf die es nach Kant für die moralische Handlungsbeurteilung ankommt. Vielmehr kommt es ihm auf die letzten Absichten an, aus denen jemand eine Handlung ausführt. Das genuin moralische Motiv besteht darin, daß jemand eine Handlung zuletzt deshalb ausführt, weil er sie für konform mit einem von ihm akzeptierten Moralprinzip hält. Das 4. Kapitel interpretierte Kants Theorie des moralischen Gefühls der Achtung als seine Theorie der moralischen Motivationskraft. Diese Thesen zusammengenommen bilden, was ich Kants Gesinnungsethik genannt habe. Die kritische Diskussion dieser Thesen machte deutlich, daß nur eine kräftig revidierte Konzeption eine Chance hat, zu überzeugen. Es k o m m t , so zeigte sich im 1. Kapitel, für die moralische Beurteilung einer Handlung nicht nur auf die Handlungsabsicht an, sondern auch auf die voraussehbaren Handlungsfolgen. Im 2. Kapitel zeigte sich, daß bei der moralischen Handlungsbeurteilung die Bezugnahme auf Maximen, auf allgemeine Absichten also, verzichtbar, wenn nicht schädlich ist. Gegen die starke Version von Kants Pflicht-These, wonach eine moralische Handlung nicht nur zuletzt, sondern allem aus einem moralischen Motiv erfolgen müsse, versuchte ich im 3. Kapitel die moralische Signifikanz derjenigen Neigungen geltend zu machen, die auf moralischen Kultivierungsleistungen beruhen. Gegen jeden Monismus des moralischen Gefühls habe ich im 4. Kapitel auf der Pluralität moralischer Empfindungen insistiert, die zusammen u n d arbeitsteilig das moralische Motivationsunternehmen zu betreiben vermögen.

Schluß

157

Meine Kant-kritischen Thesen lassen sich zu einer kohärenten Alternativkonzeption verbinden. Nach ihr wäre die moralische Beurteilung von Handlungen abhängig sowohl von voraussehbaren Handlungsfolgen als auch von den letzten Handlungsabsichten. Wo Handlungen vertretbare Folgen erwarten lassen und aus einer moralischen Grundorientierung heraus erfolgen, da wird deren Moralität nicht nur nicht beeinträchtigt durch gleichgerichtete Neigungen: Wohlwollende Neigungen aufgrund von Kultivierungsanstrengungen vermögen sogar den moralischen Wert einer Person und ihrer Handlungen zu erhöhen. Die Pluralität moralischer Gefühle schließlich wird von einer solchen Konzeption anerkannt, begrüßt, entfaltet und nutzbax gemacht, aus der skeptischen Einsicht heraus, daß wir über jeden Helfer froh sein können, der sich am moralischen Motivationsgeschäft beteiligt.

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Personenregister Amerika, K . 26

Hardwig, J . 74

A une, B . 55, 78, 80, 81, 82 f.

Hare, R . M . 34 Henrich, D. 102,

117

Henson, R . G . 74, 86, 89, 124

Boron, M. 73 Beck, L. W . 19, 23, 52, 131,

132

Herman, B . 69, 70, 76, 89, 90

Bergengruen, W . 113

Höffe, O. 52, 55, 67

B i t t n e r , R . 48, 52, 53, 54, 58, 59, 68, 96

Hume, D. 116, 116, 118

Bollnow, O. 119,

Hutcheson, F . 143 f.

132

Broad, C. D. 28, 51, 78, 91 Broadie, A. 139

Jaspers, K . 151

Cramer, K . 54, 95

Kemp, J. 4

Diderot, D. 94

Lauener, H. 131

Dönhoff, M. 38 Massey, S. J . 119,

Davidson, D. 9

120

Menzer, P. 60, 100, 123, 126, Enzensberger, H. M. 94

Fassbinder, R . W . 38 Feinberg, J .

127

Molière 94

Nagel, T h . 32, 41, 42, 43, 43,

117

119 P a t o n , H. J . 19, 28, 73, 78, 80, 81, 84, 86,

Fontane, T h . 73

91,

Foot, P h . 40, 95 Forschner, M . 118

92

Patzig, G . 3, 51, 56, 84, 93, 116, 117, f.,

149,

ISO

Frankfurt, H. 58

Prauss, G . 74, 76, 87

Freud, S. 61, 73

Pybus, E . M . 139

Gadamer, H.-G. 9 Gregor, M. 119,

Quine, W. V. O. 9

120 Reiner, H. 87, 124

Habermas, J . 3 8

Rescher, N. 1

147

Personenregister

Strawson, P. F . 130, 154 f.

Rorty, R. 8 R o s s , D. 84, 91

Tugendhat, E . 29, 49, 119, 120,

154

Sartre, J . P . 110, 151, 153 Schiller, F . 77, 84 f., 9 6 - 1 0 2 , 102, 109, 116 Schopenhauer, A. 148 Schwemmer, O. 51 Shaftesbury, A. A. C. 143 f. Singer, M . G . 5 9 Sprute, J . 143

104 {.,

Walker, R . C. S. 138 Weber, M. 12, 36, 36 Williams, B . 4, 19, 33 Williams, T . C. 52 Wolf, U. 29, 119, 120, 132, 147, Wolff, R . P. 124,

133

151

Sachregister A b s i c h t ( e n ) 1, 2, 7, 11-18, 21, 37 f., 40 f., 43, 50, 51, 59, 61, 64-67, 75, 78, 129

G e f ü h l ( e ) 7, 64 f., 107 f., 111-114, 116, 118, 123, 126, 128-130, 138, 149

Absichtssätze 49 f., 50, 51, 65

-, moralisches 3, 64, 98, 105, 115 f., 123, 125 f., 138 f., 143-150, 154 f.

A c h t u n g 3, 7, 115-155 Allgemeinheit 18 f., 20, 47 f., 51 Analytische Philosophie 8 f. a priori/Apriorismus 3 f., 24, 38, 68 f., 81, 130, 134, 147, 147 f. A u t o n o m i e 73, 133, 140-142, 149 f.

G e s e t z ( e ) 49 -, des Guten 63, 127 -, moralische(s) 46 f., 48, 49, 118, 120, 120, 126, 128-132, 134-138, 140, 142 f., 145 f., 149 f. Gesinnung 2, 6, 40, 55, 77, 83

Bewegungsgrund 2, 7, 64, 126

G esinnungsethik/gesinnungsethisch 2-4,11, 12, 23, 35, 38, 40, 40, 41 f., 77, 156

-, o b j e k t i v e r 64

Grundsätze 46-48

-, subjektiver 64

gut 24 f., 28-30, 85 -, an sich 7, 20, 23, 25, 27 f., 30

Charakter 54 f., 60 f., 94, 105, 108

-, inferentiell 23, 80 -, instrumenteil 24 f.

empirisch 24, 44, 68-70, 81, 130, 134, 138, 147

f.

Erfolgsethik 16, 33 f. Ethik 3 f., 6 -, formale 17

-, intrinsisch 19, 20, 27 -, moralisch 24 f., 29 f., 45, 63, 73, 116 f. -, nicht-inferentiell 19, 19 -, ohne Einschränkung 6 f., 26-28 Gut, oberstes 26-30

-, materiale 16 f., 22-24, 33, 35 -, teleologische 16

Handlung 11-13, 47 -, aus Pflicht 7, 62-64, 66, 72-80, 83-90,

Folgen 12, 17, 36 f., 78 -, faktische (tatsächliche) 16, 33, 37 f., 42, 43

93, 99, 100, 122-124, 126-128, 135 -, pflichtgemäße (pflichtmäßige) 62, 66-68, 71-77, 83, 88 f., 122 f.

-, intendierte 37 -, voraussehbare 35-41, 43

Höchstes Gut 26 f.

Folgenethik 12 F o r m des Wollens 18 f., 20, 22 Furcht 132 f.

Imperative 46, 49 -, hypothetische 20, 22, 29, 48, 51, 51, 56 -, kategorische 20, 22-24, 29, 48, 51, 88

165

Sachregister

Intention 59 f.

K a t e g o r i s c h e r I m p e r a t i v 1-3, 20, 24, 45 f., 51-53, 62, 66 f., 67, 72, 119, 147

Selbstachtung, Selbst wertgefühl 133, 133, 135, 142, 151-154, 155 Selbatverständnis, moralisches 3, 77, 135, 146 f., 151-154, 155 Sinn, moralischer 143 f.

L e g a l i t ä t vs. M o r a l i t ä t 62, 65-67, 72, 75, 100 Liebe 70, 11&-113

Sollen 29, 55 f., 63, 79, 101, 127 Standpunkt, moralischer 3, 77, 135, 146 f. subjektiv/Subjektivität 47, 50, 50, 54 Sympathie 70, 90, 152, 154

M a x i m e n 2, 7, 45-61, 66 f., 78, 80-82, 108 -, f o r m a l e und materiale 80-82

Temperament 103, 108

-, oberste 53, 83,

T r i e b f e d e r n ) 64, 64, 79, 81 f., 123, 126

M i t l e i d 70, 148 f., 152, 154

-, moralische 100, 116, 118, 120, 123, 126, 129, 135-138, 143, 146, 148 f.

M o r a l luck 41-44 M o r a l - S e n s e ( - E t h i k ) 143 f., 146

Tugend 97 f., 101, 104, 104, 109

M o t i v a t i o n 85, 116, 118, 118, 135, 138 -, moralische 3 f., 115 f., 118, 129, 136, 146, 147, 148, 150 f., 153 f. M o t i v e 2, 7, 64-66, 68, 75, 81 f., 87, 88, 92 f., 105, 116, 123, 128

Universalismus 2-4 Utilitaristen, utilitaristisch 11 f., 19, 40, 72 verallgemeinerbar/Verallgemeinerbarkeit 1, 2, 19 f., 22, 34, 45, 52, 82

Naturell 103, 108 Neigungen 64, 68-70, 77, 79, 79, 82 f., 86, 87, 90, 102-110, 126, 132 f. 136, N o t w e n d i g k e i t , praktische 122, 128

Person 54 f., 60 f., 70, 83, 101, 108-110,

Verantwortungsethik/verantwortungsethisch 36-38, 40-44 Vernunft, praktische 2, 4, 31, 72, 130, 132, 133, 138, 143, 149 f. Vorsätze 49

140-142 P f l i c h t ( e n ) 39, 40, 63, 78-80, 96 f., 105, 122 P r i n z i p der Einflußnahme 32-35, 37, 4244, 54, 128 principium diiudicationis 8, 99-101, 126 f. principium executionis 8, 99-101, 126 f.

Wert 86 -, moralischer 63, 72, 82, 84-87, 89-92, 95 f., 105-108, 110 Wille 2, 11, 58, 59 -, an sich guter 7, 11 f., 15, 17, 19-21, 25, 26, 30, 78 f. -, guter 6 f., 11-13, 19 f., 31, 78 f. -, vs. Willkür 52, 56-58

B e g e l ( n ) 47 f., 52, 55, 88

Willensschwäche 139 -, moralische 139

Scham(gefühl) 152, 154

Wissen 35, 38 f.

Schuld(gefühl) 154

-, empirisches 38

166 -, m o r a l i s c h e s 116 f.

Sachregister

Zweck a n sich 67, 119, 142

-, nicht-inferentielles 19

Z w e c k ( e ) 13, 17 f., 23 f., 51, 82

Wollen 7, 12-14, 17, 49, 108

-, e r r e i c h t e ( r ) 14, 16, 33

-, vs. W ü n s c h e n 12, 14 f.

-, i n t e n d i e r t e ( r ) 15-17, 22, 33-35

W ü r d e 132, 136, 141 f.

Q U E L L E N U N D STUDIEN ZUR P H I L O S O P H I E MALTE HOSSENFELDER

Kants Konstitutionstheorie und die Transzendentale Deduktion Groß-Oktav. VII, 182 Seiten. 1978. Ganzleinen D M 9 3 , I S B N 3 11005969 X (Band 12) Kritische Erörterung des Kantischen Versuchs, bestimmte Gesetzesaussagen über die Erfahrungswelt a priori zu beweisen. Kants Beweis wird zunächst auf seine konsequente Form gebracht durch Elimination der gesamten Konstitutionstheorie mit ihrem Vermögensdualismus und Idealismus. Dann wird an der „gereinigten" Fassung der Transzendentalen Deduktion deren eigentliche Problematik aufgewiesen, die in den logischen Schritten von der Einheit des Selbstbewußtseins zum System der Grundsätze liegt. RAINER ENSKAT

Kants Theorie des geometrischen Gegenstandes Untersuchungen über die Voraussetzungen der Entdeckbarkeit geometrischer Gegenstände bei Kant Groß-Oktav. X , 320 Seiten. 1978. Ganzleinen D M 125,I S B N 3 110076446 (Band 13) An Hand der einschlägigen Bemerkungen des „kritischen" Kant zu Grundlagenproblemen der Mathematik wird die von Kant intendierte „Theorie des geometrischen Gegenstandes" unter gnoseologischen Gesichtspunkten als eine spezielle Theorie des entdeckenden Erkennens und unter ontologischen bzw. semantischen Gesichtspunkten als eine spezielle Handlungstheorie dargestellt.

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Q U E L L E N U N D S T U D I E N ZUR PHILOSOPHIE

HANSGEORG HOPPE

Synthesis bei Kant Das Problem der Verbindung von Vorstellungen und ihrer Gegenstandsbeziehung in der „Kritik der reinen Vernunft" G r o ß - O k t a v . X, 252 Seiten. 1983. Ganzleinen D M 104,ISBN 3 110089815 (Band 19) Untersuchungen der f ü r Kant zentralen Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung als intentionaler Bezugnahme auf Gegenstände und Sachverhalte. G r u n d t h e s e ist, daß wir es in der „Kritik" nicht mit einem, sondern mit zwei (terminologisch nicht unterschiedenen) Erfahrungsproblemen zu tun haben, von denen Kant nur eines wirklich zu lösen vermag.

W O L F G A N G KERSTING

Wohlgeordnete Freiheit Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie G r o ß - O k t a v . XVI, 380 Seiten. 1983. Ganzleinen D M 148,ISBN 3 11009587 4 (Band 20) Erste deutschsprachige historisch-systematische Gesamtdarstellung der Rechtsphilosophie Kants, die eine textanalytisch vorgehende problemorientierte Rekonstruktion der Argumentation und Architektonik der „Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre" von 1797 bietet.

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