Judentum und Popkultur: Ein Essay [1. Aufl.] 9783839420478

What is Jewish? The question of cultural classifications and religious traditions are often addressed in pop culture in

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German Pages 154 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Vorbemerkung
Einleitung. Das Spiel mit der Ambivalenz
Die Gespenster des Leonard Cohen. Identität und Figur
Hip im Exil. Eine kurze Geschichte der jüdischen Popkultur
»The Rabbi is busy«. Theodizee und Popkultur
»The Inquisition – What a Show!« Massenmord in der Popkultur
Faserlandsneurotiker. Figuren des Jüdischen in Deutschland
Epilog. »So, it’s good for the birds?«
Literatur
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Judentum und Popkultur: Ein Essay [1. Aufl.]
 9783839420478

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Caspar Battegay Judentum und Popkultur

Caspar Battegay (Dr. phil.) lehrt am Institut für Jüdische Studien der Universität Basel. Seine Interessensgebiete sind deutsch-jüdische Literatur, Literaturtheorie, moderne Geistesgeschichte und Popkultur.

Caspar Battegay

Judentum und Popkultur Ein Essay

Gedruckt mit Unterstützung der Berta Hess-Cohn Stiftung, Basel

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Das Umschlagbild zeigt den Musiker DeScribe (alias Shneur Hasofer). © Shneur Z. Hasofer, DeScribe Music Group Inc. New York Satz: Justine Haida, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2047-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorbemerkung | 7 Einleitung Das Spiel mit der Ambivalenz | 11 Die Gespenster des Leonard Cohen Identität und Figur | 23 Hip im Exil Eine kurze Geschichte der jüdischen Popkultur | 41 »The Rabbi is busy« Theodizee und Popkultur | 75 »The Inquisition – What a Show!« Massenmord in der Popkultur | 91 Faserlandsneurotiker Figuren des Jüdischen in Deutschland | 117 Epilog »So, it’s good for the birds?« | 141 Literatur | 147

Vorbemerkung

Dieses kleine Buch ist aus einem Unbehagen heraus entstanden. Im deutschsprachigen Raum hat die Beschäftigung mit jüdischer Geschichte und jüdischer Identität Ende des 20. Jahrhunderts in vielen geisteswissenschaftlichen Disziplinen einen anhaltenden Boom erfahren. Doch im Gegensatz zur amerikanischen Forschung, die im Wechselspiel mit einem vielfältigen jüdischen Leben stattfindet, stehen die Jüdischen Studien in Deutschland auf einem Gräberfeld. Die Jüdischen Studien in Deutschland bleiben gebannt von Vertreibung und Massenmord. Dieser Bann hat viele Dimensionen. Obwohl sich theologische, historische oder kulturwissenschaftliche Studien zum Judentum unterdessen vom jahrhundertealten Schatten des Antisemitismus scheinbar befreit haben, wird gegenüber jüdischen Themen oft ein sakralisierender und stereotyper – oder ein rein historisierender Umgang gepflegt. So werden Ästhetisierungen des Judentums wie die Klischees vom ›Volk des Buches‹ oder vom ›jüdischen Humor‹ in vielfachen Variationen wiederholt. Kulturhistorische Detailanalysen – etwa zu Synagogenbauten, in denen niemand mehr betet, oder bestimmten deutsch-jüdischen Periodika, die niemand mehr liest – stehen an der Stelle von Beschreibungen komplexer jüdischer Realitäten, finden diese nun in Israel, den USA oder in den Gemeinden der neuen Bundesrepublik statt. Diese Angst der Wissenschaft spiegelt sich in der Angst der Politik. Wenn deutsche Politiker in einer Synagoge oder an einer Universität eine Rede halten, sprechen sie meist von ›jüdischen Menschen‹, so als ob es daneben auch noch jüdische Unterseebote oder jüdische Pferde geben würde. Schon allein die Tatsache, dass man nicht einfach von

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Juden sprechen kann/darf/will/soll zeigt den unauflöslichen Komplex von Schuld und Schuldabwehr, gutem Willen und politischer Korrektheit, die in Ignoranz und neue Stigmatisierung überzugehen droht. In den Jüdischen Studien hat man sich in diesem Komplex eingerichtet, sich eine Nische – um nicht zu sagen ein gemütliches Ghetto – geschaffen, in dem es sich bequem forschen lässt, ohne die Bedingungen des Forschens zu überdenken. Um mitzuhelfen, dieses Unbehagen zu durchbrechen, ist in diesem Buch von Judentum und Popkultur, von Juden in der Popkultur die Rede: Weder von vermeintlich jüdischen Opfern, noch von vermeintlich israelischen Tätern, sondern von hippen Juden. Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass gerade die Popkultur dazu dienen kann, festgefahrene Bilder von Zugehörigkeit und Angehörigkeit zu erschüttern. Es ist etwa das Jüdische Museum Berlin, dass mit aus Paris übernommenen Ausstellungen zur »jüdischen Farbe des Comics« (2009) oder zur »Radical Jewish Culture« (2011) um den Musiker John Zorn in dieser Hinsicht publikumswirksame Meilensteine setzt. In diesem Buch werden parodistische Figuren, ambivalente Bilder, unsichere Identitäten und aufgelöste Stereotypen gezeigt, die alle popkulturellen Erzeugnissen im weitesten Sinn entnommen sind. Damit kann die angesprochene Problematik nicht überwunden werden, vielmehr soll eine andere Weise gezeigt werden, mit ihr umzugehen. Das heißt, dass dieses Buch der Popkultur, ihren Medien und Märkten, zutraut, etwas in Bewegung zu setzen. Nicht eine neue Selbstverständlichkeit oder gar eine unmögliche Normalität wird angestrebt, sondern eine neue »subversive Lust«1 jenseits der lieb gewonnenen Konformitäten, mit jüdischer Identität umzugehen. Es soll nicht so getan werden, als sei der Autor der einzige, der das Unbehagen in den Jüdischen Studien verspürt. Er ist auch nicht der einzige, der die Lust an der Erforschung des Jüdischen in der 1 | Peter Waldmann: »Die jüdischen Punks, die Kabbalisten des Rocks«, in: Steven Lee Beeber: Die Heebie-Jeebies im CBGB’S. Die jüdischen Wurzeln des Punk, aus dem Englischen von Doris Akrap, Mainz 2006, S. 9-18, hier S. 15.

V ORBEMERKUNG

Popkultur empfindet. Er teilt beides mit Kolleginnen und Kollegen. Von ihnen kamen unverzichtbare Anregungen, freundliches Lob und strenger Tadel, Ermutigung, Förderung und Hilfe. Ohne die inspirierenden Gespräche und die Arbeit mit Frederek Musall in Heidelberg hätte sich die Idee zu diesem Büchlein gar nie im Hirn des Autors eingenistet. Alfred Bodenheimer hat in Basel die Entstehung des Textes mit großem Interesse begleitet und wichtige Inputs gegeben. Petra Ernst, Gerald Lamprecht und Klaus Hödl sei für die einmalige Gelegenheit gedankt, zusammen mit Frederek Musall in Graz zwei Lehrveranstaltungen zum Thema durchführen zu können. Von Tamar Lewinsky, Daniel Lis, Erik Petry, Peter Waldmann, Kerry Wallach, Frank Wenzel (er hat mir unter anderem erklärt, was ein Walkman® ist), Joachim Schlör, Andreas Stuhlmann und Lea Wohl kamen Hinweise und Inspiration. Gedankt sei herzlich Klaus Hödl und Stefanie Schüler-Springorum für die Einladung zur Konferenz über »Juden in der Populärkultur« im Mai 2011 in Berlin, wo ich einige Thesen dieses Essays präsentieren und zur Diskussion stellen durfte. Einen wichtigen Anteil an der Entstehung des Textes haben auch Jonas Engelmann, Werner Nell und Peter Waldmann, die nicht nur die Gründung einer Arbeitsgruppe zu Popkultur und Judentum angeregt, sondern auch Tagungen in Halle an der Saale und in Mainz durchgeführt haben. Aus den anregenden Diskussionen beider Tagungen konnte ich viel lernen. Schließlich danke ich herzlich Melissa Dettling für die unverzichtbare Korrekturlektüre. Wie immer danke ich von Herzen Sylvia Jaworski. Filme und Serien schauen, Musik hören, lesen: Diese Leidenschaften mit ihr zu teilen gehört zu meinen schönsten Erfahrungen. Außerdem danke ich dem Fonds zur Förderung des akademischen Nachwuchses der Universität Basel. Die Entscheidung der Kommission Nachwuchsförderung, meine Arbeit mit einem großzügigen Betrag zu unterstützen, hat die Entstehung dieses Essays ermöglicht. Die Drucklegung des Buches wurde durch einen Beitrag der Berta Hess-Cohn Stiftung, Basel, ermöglicht. Dem Stiftungsrat danke ich für diese Unterstützung. C.B., Basel, im September 2011

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Einleitung Das Spiel mit der Ambivalenz

Alvy Singer ist ein erfolgreicher Stand-up-Comedian aus New York. An Ostern besucht er die Familie seiner nichtjüdischen Freundin Annie im ländlichen Massachusetts. Die Familie sitzt friedlich plaudernd beim Essen, es gibt Schinken. Alvy ist fasziniert von den biederen Tischgesprächen, die sich um Motorboote und betrunkene Bekannte aus dem Ort drehen. Umgekehrt werden Alvys nervöse Witze, mit denen er auf Bühnen in Colleges und in der Großstadt Erfolge feiert, von der Familie nicht verstanden. Sarkastisch bemerkt Alvy gegenüber dem Publikum, dass die Großmutter eine klassische Judenhasserin sei. Plötzlich verwandelt sich Alvy Singer, gespielt von Woody Allen, in einen orthodoxen Juden im schwarzen Kaftan mit Bart und Schläfenlocken. Die Verwandlung hält nur ein paar Augenblicke an, so dass man als Zuschauer den Eindruck hat, einer Sinnestäuschung zu unterliegen. Die kleine Szene stammt aus Woody Allens Film Annie Hall (United Artists 1977). In der imaginären Figur des traditionellen osteuropäischen Juden wird sichtbar, wie sich der säkulare Intellektuelle von den anderen gesehen glaubt. Sie ist sein Selbstbild im Blick der stigmatisierenden Umwelt. Gleichzeitig aber offenbart und parodiert die Figur die Angst, nicht genug angepasst zu sein. Diese Angst treibt viele Immigranten in ihren neuen Gesellschaften um. Als bedrängende Sorge, den Ewigen Juden nicht abstreifen zu können, stellt sie jedoch für die jüdische Moderne schon seit der Aufklärung ein zentrales Problem dar. In gewisser Hinsicht offenbart die unvermittelte und plötzliche Verwandlung zum orthodoxen

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Juden das Gespenst des angepassten Intellektuellen, sein Anderes, das ihm in einer irritierenden Schrecksekunde gegenübersteht. Die Szene aus Woody Allens Film fasst den Ausgangspunkt dieses Essays wie ein Emblem: Es geht nicht um eine historische Einordnung jüdischer Produzenten, Musiker und Schauspieler. Es geht nicht nur um die Behandlung vermeintlich jüdischer Themen, sondern um bestimmte Figuren, die Jüdisch-Sein und Jüdisches in der Popkultur repräsentieren und um die Frage, wie dies geschieht. In Debatten über jüdische Identität und Repräsentation von kultureller Identität wird öfters auf Annie Hall verwiesen. Der Film stellt implizit die Fragen, in welchen Figuren man sich erkennt, welche Figuren konstitutiv für die jeweilige Identität sind und ob es Figuren gibt, die intrinsisch mit dem Wesen des in ihnen Figurierten verbunden sind.1 Es sind diese grundlegenden Fragen der kulturellen Identität, die seit den 1970er Jahren in populären Formaten und Medien pointiert, aber ausgesprochen unideologisch thematisiert werden. Und das liegt am Pop selbst: Pop ist der Name für eine Kultur, die mehr mit bestimmten Lebensweisen verbunden ist als mit irgendeiner Ideologie. Pop ist eine Ausdrucksform des kapitalistischen Systems, das jede revolutionäre oder auch nur neue Idee sofort absorbiert. Deshalb kann man sagen: »Gegen die ›Ideologien‹ konnte man Kunstwerke setzen; gegen die Lebensweise hilft nur eine andere Lebensweise […].«2 Doch ist Pop nicht etwa eine Anleitung zur Revolte. Es gibt kein authentisches Leben im Nicht-Authentischen. Trotz innerer Sehnsucht nach dem immer Neuen und momentan Authentischen hat beispielsweise eine Band es erst ›geschafft‹, wenn sie in 1 | Vgl. zum Beispiel Bernice Schrank: »›Cutting Off Your Nose to Spite Your Race‹: Jewish Stereotypes, Media Images, Cultural Hybridity«, in: Shofar. An Interdisciplinary Journal of Jewish Studies, Volume 25, Number 4, 2007, S. 18-44, hier S. 22. 2 | Matthias Walz: »Zwei Topographien des Begehrens: Pop/Techno mit Lacan«, in: Jochen Bonz (Hg.): Sound Signatures. Pop-Splitter, Frankfurt a.M. 2001, S. 214-234, hier S. 218.

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den Charts ist und ein Schauspieler, wenn er in großen HollywoodProduktionen mitspielt. Deshalb gilt, was Andreas Neumeister formuliert: »Im Idealfall ist Pop subversiv. Im Idealfall ist Pop populär. Im Idealfall ist Pop populär und subversiv zugleich. (Im Idealfall ist Pop subversiver als man auf den ersten Blick erkennt.) Im Idealfall tritt der Idealfall tatsächlich ein.«3 Vielleicht tritt der Idealfall aber auch nie ein und Pop bewegt sich immer in einem unscharfen Feld zwischen Mainstream und Subversion. Oft sind das Populäre und das Provokative auch ineinander verwoben. Pop darf nie langweilig werden und muss deshalb auch provozieren und schockieren, er soll aber auch unterhalten und sich verkaufen. Pop muss den Konsumenten gleichermaßen unerreichbaren Glamour wie Identifikationsmöglichkeiten anbieten.4 Pop, so könnte man es paradox zuspitzen, ist eine Maschine zur Herstellung von Authentizität. Unter dem Titel »The Myth of Authenticity« erschien im Dezember 2009 in der traditionsreichen amerikanischen Wochenzeitschrift Forward eine Kolumne von Jay Michaelson, die ebenfalls von dem merkwürdigen Doppelbild aus Annie Hall ausgeht.5 Die unausgesprochene Annahme Woody Allens (und des jüdischen Publikums) sei es, dass nur die Figur des orthodoxen Juden ein authentisches Jüdischsein, sozusagen das wirklich wirkliche Judentum, repräsentieren könne. In diesem Sinn impliziert die Figur auch eine 3 | Andreas Neumeister: »Pop als Wille und Vorstellung«, in: Sound Signatures, S. 19-26, hier S. S. 23. 4 | Der britische Künstler Richard Hamilton definiert Popkultur als »popular, transient, expendable, low-cost, mass-produced, young, witty, sexy, gimmicky, glamorous, and big business.« Brief an Peter und Alison Smithson (16. Januar 1957), in: Steven H. Madoff (Hg.): Pop Art. A Critical History, University of California Press 1997, S. 5-6; auf diese Definition kommt auch das deutsche Standardwerk zu Theorien und Diskursen des Pop immer wieder zurück: Thomas Hecken: Pop. Geschichte eines Konzepts 1955-2009, Bielefeld 2009. 5 | Jay Michaelson: »The Myth of Authenticity«, (Herbst 2010).

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imaginierte Schuld, an die Alvy Singer durch die Konfrontation mit Annies Familie erinnert wird, nämlich die Schuld, nicht das ihm zugeschriebene Leben als Jude zu führen. Gerade wegen der überwiegend säkularen und westlichen Lebensweise amerikanischer Juden stelle die versunkene und stereotyp erinnerte Welt des osteuropäischen Schtetls ein utopisches Bild dar, ein überkommenes Ideal jüdischen Seins, das sich seit den 1950er Jahren in den USA aufgebaut hat. Woody Allen, der 1935 als Allen Konigsberg geboren wurde, ist ein wichtiger Vertreter einer Generation von amerikanischen Juden, die während und nach dem Zweiten Weltkrieg aufgewachsen sind. Die Schtetl-Nostalgie ist für ihn ein zentraler Bezugspunkt und das Schtetl bei aller Ironie ein Ort der Herkunft, ein Ort der (Groß-)Väter. Aber Kaftane, Gefilte Fish, jiddische Versatzstücke, Bücher und Gelehrsamkeit sind eben alles andere als essentiell jüdisch. Für Michaelson kann auch Sushi zu einem jüdischen Essen werden, wenn Juden es essen. Dass dies unter Umständen nahe an der Realität sein kann, belegt ein Gag aus einer der ersten Folgen der Comedy-Serie The Nanny. Das Kindermädchen Fran Fein, das aus der jüdischen working class in Queens kommt, bestellt dort Abendessen beim chinesischen Lieferservice, damit ihre nichtjüdischen Pflegekinder erfahren, was jüdisches Essen sei.6 Ganz wie für die fiktive Gestalt Fran Fein sind auch für Michaelson »wirkliche Juden« nicht bärtige Rabbiner: »Real Jews are the ones who make Judaism real for themselves.« (Michaelson: »The Myth of Authenticity«). So sei das Judentum zum Beispiel nicht per definitionem ein ›Volk des Buches‹, denn die durch die Tradition erhaltenen kanonischen Texte seien nicht in sich authentisch. Authentisch ist nur: »what matters«. Dies führt den Autor zu einem individualistischen Konzept von Authentizität, das vor allem interne Kohärenz verlange und nicht etwa einen Bezug zur Tradition. 6 | In der vierten Episode der ersten Staffel, die bereits einen jiddischen Titel hat (»The Nuchshlep«), heißt es: »I’m just trying to expose the children to other cultures. We order Chinese food, they learn how Jewish people eat.« The Nanny, CBS 1993.

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Gegen diese Position wandte sich nur acht Tage später ein Blogger des Magazins Heeb mit dem Pseudonym Jewdar.7 Bemerkenswerterweise ist der Vertreter dieser explizit an ein junges und nicht religiöses jüdisches Publikum gerichteten Zeitschrift auf den ersten Blick viel weniger liberal als der Kolumnist des Forward. Der anonyme Autor macht darauf aufmerksam, dass durch die lange Tradition ein kulturelles Phänomen eben doch zu etwas Jüdischem wird, das nicht bloß ein Stereotyp darstelle, sondern das Judentum in sich mit Sinn aufladen könne; paradigmatisch dafür sei etwa der Talmud in der Antike und im Mittelalter. Michaelsons Argument führe zu einem paradoxen, liberalen Fundamentalismus, der willkürlich bestimme, wer kohärent sei und wer nicht. Ein Jude zu sein (oder sein zu wollen), heiße eben, nicht nur selbst bestimmen zu können, wie man repräsentiert wird: »But sometimes, part of being in a community means doing even the stuff that doesn’t mean anything to you, simply because you’re part of the community.« Das Heeb Magazine verweist damit auf die Gemeinschaft, die mit ihren traditionellen Formen, Riten und Regeln gegeben sein muss, um überhaupt sinnvoll von Judentum sprechen zu können. Das Interessante an dieser Argumentation ist die Betonung des Bruchs, oder besser der bewussten Ambivalenz jeglicher Repräsentation gegenüber einer als illusionär bewerteten inneren Kohärenz. Diese Ambivalenz findet sich auch in der kleinen Szene aus Annie Hall wieder. Welche Figur Woody Allens repräsentiert das authentische Judentum? Ist es der orthodoxe Jude mit der chassidischen Tracht und dem Bart – oder ist es der glatt rasierte, schlagfertige und modische New Yorker? Man kann diese beiden Figuren als Gegenfiguren bezeichnen. In gewissem Sinn repräsentieren sie sich ausschließende, doch sich innerlich aufeinander beziehende Möglichkeiten jüdischer Identität in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nicht nur repräsentiert eine Figur die Angst der anderen, 7 | Jewdar: »Backward: Authenticity and the Jewish Paper of Record«, (Herbst 2010).

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sondern ebenso deren geheime Sehnsucht. In ähnlicher Weise repräsentieren der Gefilte Fish und das treifene Sushi nicht ›jüdisches Essen‹ und ›nichtjüdisches Essen‹. Vielmehr kommt beiden Speisen der Charakter eines kulturellen Codes zu, sie stellen verschiedene Figuren in einem Spiel mit dem Verlangen nach Authentizität dar. In diesem Sinn demaskiert Woody Allen dieses Verlangen als Sehnsucht nach Ambivalenzlosigkeit, die auch Alvy Singer im Wissen um deren Vergeblichkeit umtreibt. Ambivalenz ist die Grundbefindlichkeit von Woody Allens Protagonist, wie er in der grandiosen Standup-Nummer in der Eröffnungssequenz bekennt: Es sei der Satz von Groucho Marx, der aber ursprünglich auf Sigmund Freuds Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten zurückgehe, zu keinem Club gehören zu wollen, der einen als Mitglied akzeptiere, der seine Beziehung zu Frauen und sein ganzes Erwachsenenleben präge. Die Namen »Groucho Marx« und »Sigmund Freud« sind hier Codewörter, die einen Diskurs grundlegender Ambivalenz der jüdischen Moderne aufmachen, in den sich Woody Allen selber einfügt. Darüber hinaus bezeichnet dieses widersprüchliche Verhältnis aber auch das konstitutive Paradox der Repräsentation an sich: Sobald eine Figur etabliert ist, die Identität herstellen und garantieren soll, zeigt sie auch schon wieder deren innere Brüchigkeit. * Die Popkultur der letzten Jahre hat sich in faszinierender Weise dieser Prozesse angenommen und das Spiel mit der Ambivalenz zu einem Leitmotiv der Thematisierung kultureller Identitäten gemacht. Das ist nicht nur auf den jüdischen Kontext beschränkt. Bei wichtigen Minderheiten in den USA wie den Hispanics oder den Italoamerikanern sind ähnliche Phänomene zu beobachten. Die populäre und mehrfach ausgezeichnete Fernsehserie The Sopranos (HBO, 1999-2007) zum Beispiel reflektiert auf verschiedenen Ebenen italoamerikanische Identität im Wechselspiel mit dem amerikanischen Mainstream, wofür die stereotype Figur des Mafiosos in Anspruch genommen und vielfach gebrochen wird. Auch in

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Deutschland würden sich für die deutsch-türkische Community verschiedene Beispiele finden lassen. Die in diesem Essay dargestellten Phänomene sind also nicht unbedingt spezifisch jüdisch. Doch angesichts der Auflösung des essentiell Jüdischen erscheint die Frage nach dem unauswechselbaren Proprium des Jüdischen gerade als diejenige fixe Idee europäischen Denkens, die in der Popkultur unterlaufen wird. Aus der jüdischen Perspektive gesehen geht es in der Popkultur um eine von vielen möglichen Aktualisierungen der Tradition, die hier jedoch – und das ist das Entscheidende – weder religiös noch ideologisch ausgerichtet ist. Liturgische und traditionelle Texte und Kontexte werden im Pop kulturalisiert und in gewisser Hinsicht universalisiert: Das Judentum erscheint nicht mehr wie im Lauf seiner mehrtausendjährigen Geschichte als die paradigmatische Minderheit, sondern als Teil einer Gesellschaft, die nur aus Minderheiten besteht. Gerade für diese Umkehrung der Optik bietet die Popkultur das ideale Medium. Veranschaulicht werden soll dieser Gedanke an einem Stück des kanadischen Hip-Hop-Musikers DJ SoCalled (geboren 1977 als Josh Dolgin), von dem sich auch unerwartete Verbindungslinien zu Woody Allen ziehen lassen. DJ SoCalled greift das beliebte jiddische Lied »Mein Schtetele Beltz« auf, das für das Publikum nach 1945 im Sinn von Michaelson die verlorene Zeit, die verlorene Authentizität des Schtetls zu beschwören scheint. Der Kontext wird jedoch entscheidend verändert. Im Track »(Rock the) Beltz« (Track 6 auf Ghettoblaster, LabelBleu 2007) wird dieses Lied vom legendären Folk-Sänger, Schauspieler und Gründer des Tel Aviver Cameri-Theaters Theodore Bikel auf traditionelle Weise vorgetragen. DJ SoCalled unterlegt es mit Beats und einer melodischen Abfolge verschiedener Samples, er rappt dazu zusammen mit einem französischen MC. Dieser Mix hat kein Chaos zur Folge, sondern ein virtuoses Gewebe von Sprach-, Klang- und Rhythmusebenen, die nicht zuletzt auch auf die verschiedenen Zeitebenen verweisen, die im Raum dieses Songs ineinander übergehen und aufeinander verweisen. Das ostpolnische (heute ukrainische) Beltz, wo Jiddisch, Polnisch und Russisch gesprochen wurde, sowie die kanadische Gegenwart, die ebenfalls durch verschiede-

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ne Sprachen geprägt ist, nämlich Englisch und Französisch, werden nicht in einer kontinuierlichen historischen Abfolge gezeigt, sondern als Paralleluniversen, die nebeneinander und ineinander existieren. Die nostalgische Rückwärtsbewegung der Jugenderinnerung im jiddischen Lied wird konterkariert durch den Sprechgesang. Während in »Mein Schtetele Beltz« erinnert wird, wie man als Kind unter grünen Bäumen spielte (»Oy, eden Shabes fleg ikh loyfn/Mit ale inglekh tzuglaykh/Tzu zitzn unter dem grinem beymele/Leynen bay dem taikh.«), singt DJ SoCalled von den Freitagabenden seiner Jugend in der »spoiled middle class«, an denen er Partys feierte und mit seiner Clique unterwegs war. Dabei artikuliert er entscheidende Sätze bezüglich des nostalgischen Impulses, den nicht nur die Folklore, sondern auch die Popmusik immer antreibt: »I think today if I could I would run back, but it’s never the same if you try to come back.« Der in der Erinnerung existierende Ort ist eben nie derselbe wie der, der tatsächlich einmal existiert hat. Und bei dem, was auch DJ SoCalled als ›jüdische Musik‹ bezeichnen würde, kann es nie um Authentizität gehen, angesichts der katastrophischen Geschichte nie um Kontinuität, sondern um die Hörbar- und Sichtbarmachung von Diskontinuitäten und von Ambivalenz. Das zeigt auch der zum Song gehörende Video-Clip, der auf youtube abrufbar ist.8 Die Musiker sind mit Marionetten dargestellt, die sich an Fäden bewegen. Der afro-französische Rapper, der urbane jüdische Musiker DJ SoCalled mit seiner Intellektuellenbrille und Theodore Bikel scheinen als Darsteller ihrer selbst zu agieren. Als ihre eigenen Doppelgänger sind sie imaginäre Gestalten einer kollektiven Erinnerungslandschaft. Das Video eröffnet mit einer idyllischen, Chagall-artigen Szenerie. Plötzlich sieht man, wie die Puppe von DJ SoCalled mit einem amerikanischen Auto durch diese Landschaft fährt, die gewöhnlichen Hip-Hop-Videos parodierend. Dabei bleibt das Motiv des SichUmwendens, des Zurückgehens immer präsent. Auf einmal fährt das Auto rückwärts, doch die Umgebung ist nicht mehr die gleiche, sie verliert ihre Zuordnung. Das Innere einer U-Bahn, ein dichter 8 | , (Herbst 2011).

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Tannenwald, der mit Schabbat-Kerzen erleuchtet oder in Brand gesteckt wird, Wüste und künstlicher Schnee, der vielleicht Asche ist, wechseln sich ab. Das Schtetl wird zu jenem anderen Ghetto, dem postkolonialen Wohnort der aus Afrika verschleppten Sklaven und deren Nachkommen. Die Zuschauer sehen in einen psychedelischen Traum hinein, der nicht mehr jener nostalgisch sich selbst vergewissernde »chulem« [=Traum] sein kann, von dem im Lied die Rede ist, sondern ein Albtraum, der die letzten siebzig Jahre jüdische Geschichte und die Einwanderungsgeschichte Nordamerikas zusammenschmelzend in Bilder von großer Intensität fasst. Einmal irrt die Puppe von Theodore Bikel in einer dunklen Ebene umher, so als würde er sein »Schtetele« eben nicht mehr finden. Es ist gar nicht mehr auf der Landkarte verzeichnet, wie Bikel auf Englisch sagt. Es gibt kein Zurück. Die traditionell gekleideten Juden, die als Kartonpuppen am Anfang des Videos winken, sind hier keine Figuren von Authentizität mehr, die eine bessere Vergangenheit repräsentieren könnten. Sie sind Gestalten einer irren Gleichzeitigkeit, die die globalisierten Lebenswelten schon seit längerem prägt. Es sind wandelnde Anachronismen in einer Welt, die keine eigene Zeit mehr hat, sondern nur aus Anachronismen besteht. Am Schluss des Videos rückt die Kamera der Reihe nach die Marionettengesicher der Musiker mit Nahaufnahmen ins Bild. Die Kamera geht immer näher an das Gesicht von DJ SoCalleds Doppelgänger, der den Kopf hebt und in die Kamera blickt. Das Video endet mit dem starren und melancholischen Blick der Puppe, die den Zuschauer mit aufgerissenen Augen ansieht. Es scheint, als würden die drei Musiker aus einem verschlungenen Traum erwachen, als würden sie zurückblicken auf die disparaten Bruchstücke einer nur schemenhaft erinnerten Geschichte. Es ist möglich sich vorzustellen, dass der 1977 geborene Musiker in diesem Moment auch das Doppelbild jüdischer Identität aus Woody Allens Film aus dem gleichen Jahr im Blick hat und mit einer Mischung aus Faszination und Angst, Inspiration und Abscheu darin sein oszillierendes Selbst sieht. *

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Es soll in diesem Essay davon die Rede sein, wie man sich in Figuren wiedererkennt, wie sie Identität herstellen und wie sie im Gegenteil Identität auch in Frage stellen. Dabei werden verschiedene Archetypen solcher Figuren für die Darstellung des Jüdischen in der Popkultur vorgestellt, kontextualisiert und analysiert. Im folgenden Kapitel steht ein Song von Leonard Cohen zur Diskussion, der inhaltlich, aber auch seiner Form nach kulturelle Identität thematisiert. Nach diesen einleitenden Abschnitten wird im Kapitel »Hip im Exil« anhand bedeutender Stationen von der Beat-Generation in den 1950er Jahren über die Komiker Lenny Bruce, Mel Brooks und Jerry Seinfeld bis zur Gegenwart eine kleine Geschichte der jüdischen Popkultur entworfen. Diese Geschichte kann nicht umfassend sein und sie wird nicht in einer Ausführlichkeit unternommen wie es amerikanische Autoren bereits getan haben,9 sondern soll für den deutschsprachigen Leser den Weg zu einer spezifisch jüdischen Hippness aufzeigen. Sie beschreibt das genuine Versprechen der Popkultur für das Judentum. In den Kapiteln zu »Theodizee und Popkultur« sowie zu »Massenmord in der Popkultur« wird anschaulich gemacht, wie gerade die ernsten und großen Themen der Kultur- und Zeitgeschichte, nämlich die Sinnfrage angesichts einer undurchsichtigen und zufällig erscheinenden Welt und die Erinnerung an die Shoah, in der Popkultur eine neue Form finden. In einem abschließenden Kapitel soll auch die spezifische Situation in Deutschland berücksichtigt werden. Jüdisches in der Popkultur hat im Land, von dem die Shoah ausging, eine merkwürdige Position. Oft wird gar nicht rezipiert – aus Unwissen vielleicht auch ignoriert – dass in beliebten Filmen, TV-Serien und Pop-Songs Judentum und Jüdisch-Sein verhandelt wird. Oft ist die Rezeption eigenartig zwiespältig. Eine ganz eigene Rolle spielen dann die wenigen deutschen Juden, die sich selber in der Sphäre der Popkultur bewegen. Der Umgang des Hip-Hop-Musikers DJ SoCalled mit den poetischen Identifikationsangeboten des Pops ist für den hier gewählten 9 | Etwa Paul Buhle: From Lower East Side to Hollywood. Jews in Popular American Culture, London/New York 2004.

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Zugang insofern paradigmatisch, als er deren innere Ambivalenz ausstellt. Im Folgenden wird auf verschiedene theoretische Ansätze in der Diskussion um kulturelle Identität angespielt und eingegangen, die diese Ambivalenz zum Kern jeglicher Identifizierung erklärt haben. Hier sei bloß auf Judith Butlers Forderung zur »Verwirrung und Vervielfältigung«10 konstitutiver Kategorien der Identität verwiesen, die sie Anfang der 1990er Jahre für den Bereich der Geschlechtsidentität aufgestellt hat. Indem man »in der Pose der fundierenden Illusionen der Identität«11 auftritt, können festgelegte Muster, scheinbar essentielle Identitäten parodiert und in Bewegung gesetzt werden, ohne »ein utopisches Jenseits« (etwa eines naiven Multikulturalismus) zu preisen. Die jüdischen Adepten von Judith Butler haben diese Anleitung verstanden, auch wenn sie ihr oft weniger komplex, dafür umso unterhaltsamer folgen. Ein Beispiel wird etwa die amerikanische Komikerin Sarah Silverman liefern, die Geschlechterrollen und kulturelle Identitäten satirisch vorführt. Judentum in der Popkultur ist nicht als abgeschlossener Zustand mit einem essentiellen und zeitlich fixierten Kern, sondern als ständig sich neu vergegenwärtigender Versuch zu verstehen, die Kategorien von Identität zu hinterfragen und neu zu fassen. Die dabei entstehende Ambivalenz muss spielerisch ausgehalten werden. Diesem Spiel und diesen Figuren soll in diesem Essay nachgegangen werden.

10 | Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter. Gender Studies, aus dem Amerikanischen von Kathrina Menke, Frankfurt a.M. 1991, S. 61-62. 11 | Ebd.

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Die Gespenster des Leonard Cohen Identität und Figur

In diesem Kapitel steht Leonard Cohens Song »Is this what you wanted« im Zentrum, der erste Track auf dem 1974 erschienen Album New Skin for the old Ceremony (Columbia Records 1974). Das Album ist in vielerlei Hinsicht Cohens jüdischer Herkunft verpflichtet. Der Song »Who by Fire« (Track 9) etwa basiert in Teilen auf der Liturgie für die Feiertage Rosh HaShana und Jom Kippur. Der Superstar unter den Singer-Songwritern greift bis heute neben buddhistischen und mystischen Registern gerne mehr oder weniger verschlüsselt auf jüdische Symbole und Rituale zurück. Auf seiner Welt-Konzerttour 2010 sind vor jedem seiner Auftritte auf Leinwände die Hände des Birkat Kohanim (=Priestersegen) abgebildet über einem Magen David, der aus zwei Herzen geformt ist. Als Cohen im September 2009 vor 50000 Menschen in Ramat Gan bei Tel Aviv auftrat, sprach er gegen Ende des Konzerts einen hebräischen Segensspruch, das Publikum antwortete mit einem tausendstimmigen »Amen«.1 – Doch auch jenseits solcher bekannten und expliziten Bezüge ist es möglich, Cohens Werk nicht nur ausschließlich als Meditation über Erotik und Paarbeziehungen zu verstehen, wie es in Europa meistens getan wird, sondern wenigstens punktuell als Erforschung kultureller und religiöser Identität. Indem hier die komplexe Folge von allegorischen Gestalten im Song »Is this what you wanted« untersucht wird, soll Licht auf diesen Aspekt von Cohens Schaffen geworfen und gleichzeitig zu einem besseren Ver1 | , (Herbst 2011).

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ständnis der Figuration von Identität im allgemeinen gelangt werden. Cohen ist 1934 in Montreal geboren, ist also nur einige Monate älter als Woody Allen. Dass hier ein Song aus den 1970er Jahren im Zentrum steht, ist kein Zufall. Es ist dieses Jahrzehnt, das in vielerlei Hinsicht vorgibt, wie der Zusammenhang von Popkultur und kultureller Identität noch heute verstanden wird. Der hier ausgeführte Grundgedanke ist, dass Cohens Song nicht nur verschiedene Figuren des Jüdischen vorführt, sondern auch darüber reflektiert, wie Identität gebildet wird, und wie die Übertragung, die Figuration von Identität an sich funktioniert. Um diesen abstrakt erscheinenden Prozess zu verstehen, lohnt es sich, ganz nahe an den Song heranzugehen und sorgfältig zu lauschen, zu untersuchen, wie im einzelnen Phänomen, im kleinsten Detail das Typische angelegt ist und konkret wird, so wie umgekehrt aus dem Konkreten heraus sich erst das Typische ergeben kann. * You were the promise at dawn, I was the morning after. You were Jesus Christ my Lord, I was the money lender.

Der Song beginnt mit einer Artikulation von Differenz. Wie so viele nostalgische Popsongs ist auch dieser zuerst eine Evokation vergangener Liebe. Auf poetische Weise wird die verlorene Geliebte angesprochen. Das abendliche Versprechen, »the promise at dawn«, steht für die großen Erwartungen vor dem ersten Date, die jedoch am Morgen danach, »the morning after«, bitter enttäuscht werden. Bildhaft ist diese Beziehung zwischen dem Du und dem Ich als Beziehung zwischen dem Verschwinden in der Dämmerung und dem nüchternen Licht des Tagesanbruchs beschrieben, man könnte auch sagen zwischen Rausch und Katerzustand, zwischen dem lustvollen Verlieren des Bewusstseins und dem Schock des Erwachens.

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In der ersten Zeile ist nur Cohens klagende Stimme und sein Gitarrenspiel zu hören. In der zweiten Zeile setzt eine Viola ein, wie eine zweite, elegische Stimme, die den Sänger begleitet. Das Instrument verkörpert gleichsam den Schatten des Du, der beim Ich zurückgeblieben ist. Das Subjekt dieses Liebesliedes – das »I«, das sich an das »You« wendet – ist also nicht ganz allein, es wird immer begleitet von einer Reflektion des abwesenden Anderen. Diese psychologische Lesart wird jedoch schon in den nächsten zwei Zeilen prekär: Welcher Liebhaber würde seine Geliebte »Jesus Christ my Lord« nennen? Als Kosenamen erscheint »Jesus mein Herr« doch etwas exzentrisch. Vielleicht erzählt der Song also nicht nur von einer einfachen Liebesgeschichte, sondern von einer religiösen oder im weitesten Sinn spirituellen Beziehung, so wie der Urtyp der erotischen Dichtung selbst, das Hohelied, eine lange und vorbildhafte Tradition der allegorischen Auslegung hat. Denn »Jesus Christ« ist natürlich die Verkörperung jenes Versprechens, »the promise at dawn« aus der ersten Zeile. Gemäß christlichem Dogma ist Jesus für die ganze Menschheit gestorben und am Ende der Zeiten, also bildlich gesprochen ›am Morgen‹, wird er auferstehen und zurückkehren, um das Versprechen auf ewiges Leben einzulösen. Seine Gegenfigur ist der Geldverleiher, »the money lender«, dessen Vertreibung aus dem Tempel das Matthäusevangelium erzählt. Jesus vergibt alle Sünden – der Geldverleiher hingegen verkörpert die Schuld und das Bewusstsein von Schuldhaftigkeit. Einer seiner einflussreichsten Vertreter ist Shylock aus Shakespeares Merchant of Venice, der seinem christlichen Schuldner kein Pardon und keine Gnade geben will – und dafür freilich gute Gründe hat. Der Song besitzt also neben der psychologischen noch eine abstrakte Ebene. Das »You« des Gedichts ist eine Art metaphysisches Prinzip, es stellt die Hoffnung, die Vergebung und die Gnade dar, während das »I« auf der anderen Seite für den analytischen Moment steht, in dem man realisiert, dass die Hoffnungen nicht erfüllt wurden, oder noch abstrakter für absolute Immanenz. Diese allgemeine philosophische Deutung, die freilich etwas aufgesetzt erscheint, wird von den nächsten zwei Zeilen gestützt, wenn auch bereits ironisiert.

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You were the sensitive woman, I was the very reverend Freud.

Wie der Geldverleiher steht der Name »Freud« für eine Welt der vollständigen Immanenz. Als legendärer Begründer der Psychoanalyse demaskierte Sigmund Freud die romantische Liebe endgültig und versuchte, die ihr zugrunde liegende, versteckte Triebstruktur zu beschreiben. Die Seele, die Jesus zu retten versucht, ist für ihn nur ein Zusammenspiel biodynamischer Prozesse. Für Freud und die Freudianer wären die romantischen Empfindungen der Frau, »the sensitive woman«, die hier für das Du steht, bloß sublimierte Libido, sexuelle Energie, die als solche ihrer Trägerin unkenntlich, eben unbewusst ist. Bekanntlich hat Freud die Psychologie zu einer universalen Theorie des Menschen und der Gesellschaft ausgeweitet, die zu einer sehr einflussreichen Religionskritik führte. Aus der klassisch psychoanalytischen Sicht ist Religion nichts anderes als eine Illusion, und zwar die stärkste und wichtigste aller Illusionen. In diesem Sinn sind Freud und der Geldverleiher beides archetypische Figuren einer desillusionierten Welt. Doch Cohens Song ist nicht so einfach zu verstehen. Er weist auf eine noch tiefer liegende Schicht europäischer Allegorie-Tradition, nämlich die Tradition, verschiedene Symbole, poetische Namen oder Synonyme für Jesus als den Erlöser zu finden. In diesem Lied sind es aber nicht Jesus oder Gott, die viele Namen haben. Die traditionelle Allegorese wird hier umgekehrt, und für Cohen ist es der Name »Jesus Christ«, der nur eine Metapher ist. Es ist dieser Name, der für etwas oder jemand anderes steht. Insofern ist es einleuchtend, das »You« aus der ersten Strophe als Christentum per se, als Figur des Christentums zu verstehen, gesehen von seinem klassischen Antagonisten, der Figur des Juden. In dieser Perspektive repräsentieren das Ich und das Du metahistorische und letztlich imaginäre Gestalten, die keineswegs deckungsgleich mit historisch tatsächlich einmal existierenden Menschen sind, seien es reale jüdischen Gemeinden oder christliche Kirchen. Gemeint ist das abstrakte Judentum an sich, das Jesus nicht als Mes-

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sias akzeptierte und darum dem universalen Erlösungsversprechen des Christentums an sich entgegensteht. Während das Christentum an den Geist der Gesetze glaubt, sind für das Judentum – so kann man die paulinische Antithese vereinfachen – der Buchstabe und seine Auslegung primär, was den Juden das Stigma des Materialismus verschaffte. In dieser Polarität imaginärer Gemeinschaften sind die Juden als »morning after« symbolisiert, ein Morgen, der immer noch nicht der Morgen der Erlösung ist, sondern der der ausgebliebenen Erlösung. Die zweite Figur ist der Geldverleiher. Sie basiert auf einem der wirkungsmächtigsten Stereotype, mit denen Juden historisch gedemütigt und herabgesetzt wurden, dem Stereotyp des geldgierigen und verschlagenen, geizigen und hinterlistigen Wucherers, der den ehrlichen Christen in die Falle lockt und ›aussaugt‹. Der Satz »I was the money lender« ruft dieses Stereotyp in einer ambivalenten Weise ins Gedächtnis. Versteht man das Ich des Songs als Figur des Judentums unter den Bedingungen der Diaspora, der Bedingung, einer Minorität anzugehören – und zwar der paradigmatischen Minorität überhaupt – dann kann der Song als eine Art allegorische Rede verstanden werden. Es ist dann ›der Jude‹, der zum ›Christentum‹ über deren Beziehung in den vergangenen Jahrtausenden spricht, so wie er sich vom übermächtigen Anderen gesehen glaubt. Der Geldverleiher ist also ähnlich wie Woody Allens chassidische Gestalt eine stereotype Figur des Jüdischen, eine Projektion des eigenen Ichs im Blick des Anderen. Cohens Texte haben eine eigenartige Qualität, die sich anhand dieses Songs deutlich beschreiben lässt. Nie ist es klar, ob es sich um ein Liebeslied handelt, bei dem die historischen, religiösen und philosophischen Namen und Symbole bloß Analogien für erotische und individualpsychologische Mechanismen darstellen, ob damit also nur das Liebesleben zweier Menschen mit exzentrischer Metaphorik beschrieben wird, oder ob es sich nicht viel mehr um einen abstrakten Song über den Diasporajuden an sich handelt. Die erotische Ikonographie, das Bild zweier unglücklich Liebenden, wäre dann nur eine komplexe Allegorie für dessen Verhältnis zur dominierenden Gesellschaft.

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Diese Unsicherheit ist zentral für den Song und für Cohens Lyrik insgesamt. Cohen spielt mit dieser Ambivalenz, nie löst er sie zugunsten einer Seite auf. Das hat eine merkwürdige Ambiguität zur Folge. Im Prozess der Repräsentation ist diese Ambiguität immer wirksam. Und indem Cohens Analogien immer umgedreht werden können, das heißt, indem beide Seiten des Repräsentationsprozesses – das Repräsentierte und das Repräsentierende – die andere Seite zu spiegeln, in einander zu fallen scheinen, ist dieser Song auch ein Song über die Zweifelhaftigkeit und Brüchigkeit von Identität an sich. Der bis jetzt noch nicht zitierte Refrain des Songs suggeriert, dass das lyrische Ich die Stimme einer Person sein könnte, die zu dem Bild im Spiegel vor sich spricht. And is this what you wanted To live in a house that is haunted By the ghost of you and me?

Der Beziehungsraum zwischen dem Ich und dem Du ist als Geisterhaus, als »house that is haunted«, beschrieben. Ich und Du werden von ihren Gespenstern verfolgt, von ihren unerlösten Egos der Vergangenheit. Die Beziehung ist vorbei und doch nicht vorbei, ein Zustand, den die meisten Menschen kennen. Man sagt dann jeweils, dass man etwas noch nicht überwunden hätte. Bildlich gesprochen ist dieses Haus nicht mehr bewohnt, aber Schauplatz einer unheimlichen Präsenz. Doch ist nicht nur die alltägliche Bedeutung angesprochen. Dieses Haus, »the house that is haunted«, ist Ort genau jenes Un-heimlichen, von dem Freud in seiner 1919 erschienen Studie Das Unheimliche sagt, dass es uns deshalb Angst macht, weil es das ursprünglich Vertraute, das ureigentlich Verdrängte sei, das uns nun in verwandelter Gestalt bedrängt. Ein Gespenst ist eben nicht die reale Präsenz von jemandem oder von etwas. Es repräsentiert jemand, der selber nicht hier ist. Es ist ein Avatar, ein Doppelgänger. Im Gegensatz zu den beiden ersten Strophen, die von Cohen allein gesungen werden, wird im Refrain ein weiblicher BackgroundChor eingesetzt. In der ersten Zeile ist dieser gegenüber der Lead-

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stimme leicht verschoben. In der zweiten Zeile wiederholt der Chor nur das Wort »haunted«, was eine ironische Konstellation ergibt. Durch die Verschiebung bildet der Chor eine Art Echo von Cohens Stimme – er fungiert sozusagen als ihr Gespenst. Aus dieser Perspektive ist es plausibel zu sagen, dass der Song selbst jenes mysteriöse Haus ist, von dem er spricht. Schließlich wird Cohen sich selber fünfzehn Jahre später als Bewohner des »Tower of Song« bezeichnen (mit einer einiges tieferen Stimme auf dem Album I’m your Man, Columbia 1988). Nach der buchstäblich/psychologischen und der allegorisch/historischen gibt es also eine dritte Ebene in Cohens Song, und zwar die Ebene der Selbstbezüglichkeit. Die Gespenster, die diesen Song bewohnen, können auf dieser dritten Ebene als die wechselnden Figuren des Ich und des Du verstanden werden, Figuren, die aufgereiht werden, die das innerste Selbst des Subjekts auszudrücken versuchen, die das Ich und das Du zu repräsentieren und damit zu identifizieren versuchen – und doch immer dazu gezwungen sind, in diesem Prozess zu scheitern. Im Prozess der Identifikation ist die repräsentierende Figur bereits das Gespenst des Repräsentierten geworden. Spricht das lyrische Ich Cohens zu seinem alter ego, seinem Bild im Spiegel oder einer daraus entspringenden Vision seiner selbst? Sein Song bringt eine Einsicht Homi K. Bhabhas zum Ausdruck, die dieser in Bezug auf Frantz Fanon und Jacques Lacan artikulierte: […] [T]he question of identification is never the affirmation of a pre-given identity […], it is always the production of an image of identity and the transformation of the subject in assuming that image. The demand of identification – that is, to be for an Other – entails the representation of the subject in the differentiating order of otherness. Identification […] is always the return of an image of identity that bears the mark of splitting in the Other place from which it comes. 2

2 | Homi K. Bhabha: The Location of Culture, London/New York 2004, S. 64.

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Beim Vorgang der Identifikation geht es nie um eine vorgegebene Identität, sondern um ein Anderswerden. Es geht darum, dass eine Identität mittels einer Figur hergestellt wird, und dass eine Verwandlung des Subjekts in diese Figur vonstatten geht: die Figuration. Eine Figur ist also eine Übertragung auf eine äußere Instanz, ein Objekt, in dem sich das Ich abbildet und erkennt, mit dem sich das Ich mitteilt und als Ich inszeniert. Das Verlangen nach Identifikation (»the demand of identification«) ist ein menschliches Bedürfnis. In ihm ist auch enthalten, für einen anderen etwas darzustellen (»to be for an Other«), und sei es für den Anderen im eigenen Kopf. Der Kern des Identifikationsprozesses in der Figuration ist also eine aufschiebende Struktur, eine Struktur des Andersseins (»the differentiating order of otherness«), die von Cohens Song in seinen konstant wechselnden Figuren beschrieben wird. Durch dieses Zitat versteht man auch die Ironie im Refrain besser. »Is this what you wanted/a house that is haunted/by the ghost of you and me?«: Die Figur, die man als Ausdruck des Selbst vor sich hat, ist nicht das, was das menschliche Verlangen nach Identifikation wollte, sondern das, was notwendigerweise aus diesem Verlangen hervorgeht, ein Gespenst, ein defizienter und flüchtiger, ebenso viel enthüllender wie maskierender Reflex. Aber die Ironie ist nur eine Seite von Cohens Attitüde. Die andere Seite ist die oft bemerkte, oft gefeierte Melancholie. Natürlich entzündet sich die Melancholie zuerst an der unglücklichen Liebesgeschichte. Sie ist jenseits dessen aber auch ein Ausdruck der Vergeblichkeit des dargestellten und thematisierten Repräsentationsprozesses in der Figuration. Die genannten Figuren des Selbst sind dermaßen überdeterminiert, dass sie immer mehr (und gleichzeitig weniger) sind als bloße Abbildungen, Darstellungen oder Ausdrucksweisen des Selbst. Stuart Hall hat in seinen Arbeiten zur kulturellen Identität prominent auf diese Spannung in der Beziehung zwischen Repräsentierendem und Repräsentiertem hingewiesen:

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Identification is […] a process of articulation, a suturing, an over-determination not a subsumption. There is always ›too much‹ or ›too little‹ – an overdetermination or a lack, but never a proper fit, a totality. 3

Identifikation sei keine kategoriale Einordnung, sondern ein Prozess des Sich-Ausdrückens. Die Metapher der Wundnaht (»suturing«) suggeriert auch Gewaltsames in diesem Prozess, das erinnert werden muss. Es gebe nie eine ganz passende Identifikation, sondern immer nur Annäherungen, und wie alle bedeutungsstiftenden Prozesse sei auch der Prozess der Identifikation prinzipiell offen und nicht abschließbar. Bhabha und Hall versuchen in ihren einflussreichen Konzepten beide, eine Terminologie zu finden, die essentialistischen Identitätskonzepten den Boden entzieht. Die Popkultur aber war schon immer diejenige Sphäre, in der die Konstruktion des Subjekts, seine Masken oder um mit Hall zu sprechen, seine Wundnähte, kultisch gefeiert, beschworen und vorgelebt wurde. Am mächtigsten geschah dies in den anti-authentischen Identitäten David Bowies oder Madonnas. In der Analyse popkultureller Phänomene aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts kann es nicht darum gehen, ein weiteres Konzept wie das des ›third space‹, des ›in-between‹ oder der Parodie für eine Aufweichung essentialistischer Identitätsansprüche zu beschreiben. Popkultur ist auf eine gewisse Weise bereits selbst ein solches Konzept, beziehungsweise impliziert eine universale Inszenierung des Nicht-Essentiellen. Dies zeigt sich etwa im Hip-Hop, zuerst eine spezifische Kultur der urbanen afroamerikanischen Unterschichten, der seit den 1980er Jahren zu einem transkulturellen Register geworden ist, ein universelles Äußerungssystem, das ebenso attraktiv und sinnvoll für die deutsche Mittelschicht, orthodoxe Juden in den USA, säkulare Israelis oder arabische Palästinenser geworden ist. Wenn nach Figuren des Jüdischen gefragt wird, dann interessiert deren 3 | Stuart Hall: »Introduction: Who needs Identity?«, in: Stuart Hall/Paul du Gay (Hg.): Questions of Cultural Identity, London/Thousand Oaks/New Delhi 1996, S. 1-18, hier S. 3.

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innere Beschaffenheit. Dass Identität immer von ihren Figuren abhängt, wird als Ausgangspunkt genommen. Fragwürdig ist aber das Wie, die Poetik des Jüdischen, die in diesem Song reflektiert wird. Die politischen Debatten der letzten Jahre um Integration und Migration in Europa zeigen, dass Vorstellungen von essentieller Zugehörigkeit und nationalem Wesen längst nicht überwunden sind. In der akademischen Welt bestimmen die Konzepte von Transkulturalität und der inneren Hybridität jeglicher Kultur längst den Diskurs, sie sind akzeptiert. Doch diese Konzepte sind vielen Menschen – das beweist ein Blick in die wichtigsten Internetforen – ziemlich egal. Ein Wort wie Hybridität und die dahinter liegende Vorstellung werden für das ›weltfremde Gerede einiger Intellektueller‹ gehalten. Cohens Song führt dagegen sehr subtil die Poetik kultureller Identität vor. Indem er Stereotype und populäre Bilder sowie Gegenbilder des Jüdischen aufruft, stellt er eine tragikomische Performance der Repräsentation dar. Der Song unterläuft bewusst eine folgenschwere Polarität, die Bhabha zwischen Maske und Identität, Bild und Identifikation verortet4 und die immer noch unsere Vorstellungen von Kultur und kultureller Identität prägt. In einem wichtigen Beitrag hat Simon J. Bronner jüngst die Aufgaben der Jüdischen Studien hinsichtlich dieses Diskurses skizziert: »[…] Jewish cultural studies maps the sites and occassions where brands of Jewishness are organized, packaged, and consumed.«5 Jüdisch-Sein in der Diaspora ist nicht bloß als Religion, und auch nicht als Nationalität, sondern als eine kulturelle Matrix zu verstehen, die in »brands«, also Marken, an diversen Orten manifestiert, organisiert, verpackt und konsumiert wird. Demgemäß muss es in der weiteren Analyse von Cohens Song darum gehen, diese »Marken« des Jüdischen zu beschreiben. Gleichzeitig aber geht es darüber hinaus um eine möglichst präzise

4 | Bhabha, The Location, 91. 5 | Simon J. Bronner: »The Chutzpah of Jewish Cultural Studies«, in: Ders. (Hg.): Jewishness: Expression, Identity, and Representation, Oxford/Portland OR 2008, S. 1-29, hier S. 21.

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Anatomie einer Poetik des Jüdischen, des Wechselspiels von Identität und deren Figuration. * You were the promise at dawn, I was the morning after. You were Jesus Christ my Lord, I was the money lender. You were the sensitive woman, I was the very reverend Freud. You were the manual orgasm, I was the dirty little boy. And is this what you wanted To live in a house that is haunted By the ghost of you and me? You were Marlon Brando, I was Steve McQueen. You were K.Y. Jelly, I was Vaseline. You were the father of modern medicine, I was Mr. Clean. You where the whore and the beast of Babylon, I was Rin Tin Tin. And is this what you wanted … You got old and wrinkled, I stayed seventeen. You lusted after so many, I lay here with one. You defied your solitude, I came through alone. You said you could never love me, I undid your gown.

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Wie viele Cohen-Songs bleibt auch dieser bis zu einem gewissen Grad obskur und trägt Züge einer esoterischen Privatmythologie. Die »Hure Babylon« und das »Tier«, »the whore and the beast of Babylon«, sind biblische Gestalten aus der Johannes-Apokalypse, haben aber im westlichen kulturellen Bewusstsein tatsächlich eine quasi mythologische Bedeutung als Negativ-Figuren des Bedrohlichen, Unfrommen und Diabolischen. Wie der TV-Hund Rin Tin Tin sind die erwähnten Schauspieler Marlon Brando und Steve McQueen Ikonen. Es sind zwei der erfolgreichsten, bestbezahltesten Schauspieler der 1960er und 70er Jahre, populäre und moderne Mythen im Sinne Roland Barthes. In seinem selbst schon mythischen Buch Mythologies aus den 1950er Jahren hat Barthes Mythen als »semiologische Systeme« beschrieben, die – wie etwa das Kino-Gesicht Greta Garbos – einzelne Phänomene mit einer sekundären, gesellschaftlich relevanten Bedeutung aufladen.6 Die zweite Strophe setzt also die Mythographie fort, zu der die erste mit den Namen »Jesus Christus« und »Freud« angesetzt hat. Auch diese Namen implizieren ebenfalls viel mehr, als sie primär in religiöser, historischer oder wissenschaftlicher Hinsicht bedeuten. Auf der einen Seite sind die Figuren der zweiten Strophe wiederum sexuell konnotiert. Der »dirty little boy« und Freud, Theoretiker der Perversionen, verweisen auf eine Sexualität jenseits bürgerlicher Normen, und auch die beiden Haurpflegecrème-Marken (die als Gleitcrème verwendet werden) »K.Y. Jelly« und »Vaseline« könnten sexuell aufgeladen sein. Die erotische Lesart wird in der dritten Strophe bestätigt, die den Gegensatz eines polygamen Du (»You lusted after so many«) und eines monogamen Ich (»I lay here with one«) zeichnet. Der Schlusssatz weist schließlich eindeutig auf eine sexuelle Beziehung hin. Obwohl das Du sich abweisend äußert (»You said you could never love me«), heißt es in der letzten Zeile: »I undid your gown.« [=»Ich bin dir an die Wäsche gegangen.«].

6 | Vgl. Roland Barthes: Mythen des Alltags. Vollständige Ausgabe, aus dem Französischen von Horst Brühmann, Berlin 2010, v.a. S. 251-280.

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Doch die Monogamie des Ichs ist vielleicht nicht nur erotisch/ psychologisch gemeint. Der Satz »I stayed seventeen.« sprengt ein realistisches Verstehen und zwingt fast dazu, einen übertragenden Sinn anzunehmen. Das Ich ist immer ursprünglich, jung und hoffnungsvoll geblieben. Gegenüber der Zeitlosigkeit des Ichs ist das Du in der Zeit vorangeschritten, ja kann als die Zeit selbst gelesen werden, die aus der Singularität des Augenblicks ausgebrochen ist und sich nun gegenüber dem Du als seinem Ausgangspunkt befindet. Die Dämmerung und der Morgen als Zeitangaben sowie Jesus Christus als eigentlicher Stifter der Zeit und Zeitrechnung des Westens sind im Song in der ersten Strophe nicht umsonst erwähnt. Das verfluchte Haus des Refrains, so könnte man religionstheoretisch deuten, ist diese Zeit, die vergangenen 2000 Jahre, in denen sich Christentum und Judentum gegenüber standen, wobei sich für das Christentum die Zeit nur erfüllen und damit das Haus schließen kann in einer Aufnahme des ungeliebten Judentums. Das mag eine Überinterpretation dieses Songs sein. Dass bei Cohen dieser politisch-theologische Überbau aber immer mitschwingt, zeigt auch der Text seines großen Liedes »The Future« (Track 1 auf dem Album The Future, Columbia 1992), der eine ähnlich Zeit enthobene Ich-Perspektive wie in »Is this what you wanted« beschreibt: »Im the little Jew who wrote the Bible./I’ve seen the nations rise and fall./I heard their stories, heard them all […].« Die Figur, die Cohen in diesen Songs beschwört ist nicht die des allwissenden, neutralen Beobachters, nicht die eines hegelianischen Geistes, der die Weltgeschichte beobachtet und antizipiert. Vielmehr steht sie gleichzeitig außerhalb und innerhalb der Geschichte, nimmt mit ihren Leidenschaften und Sehnsüchten an ihr teil und weiß doch bereits um die Vergeblichkeit, Vergänglichkeit und Eitelkeit der menschlichen Leistungen, zu denen auch die eigenen gehören. Diese Figur weiß um die Zukunft, aber sieht dort keinerlei Erlösung, sondern nur Gewalt: »I’ve seen the future, brother/It is murder!« »Is this what you wanted?«: Ist es wirklich das, was Du wolltest? Die Enttäuschung nach der Erfüllung eines Wunsches oder eines Traums, die Enttäuschung, die mit der Realisierung eines Ideals

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einhergeht, kann politisch oder psychologisch, aber auch repräsentationstheoretisch gedeutet werden. Auf dem LP-Cover von New Skin for the Old Ceremony ist ein mittelalterlicher Holzschnitt aus einem alchemistischen Traktat abgebildet, der ein Paar beim Sex zeigt. Die Frau und der Mann tragen beide Kronen und haben Flügel, könnten also Engel sein, der dazugehörige Text weist das Paar als Sol und Luna, als Sonne und Mond aus. Cohen kannte die Illustration vermutlich aus C.G. Jungs Psychologie der Übertragung. In dieser 1946 erschienenen Schrift versucht Jung, anhand einer alchemistischen Bildserie das Problem der Übertragung in der Psychoanalyse zu erörtern. Der Begriff der Übertragung bezeichnet einen psychologischen Mechanismus, der in jeder Analyse mehr oder weniger stark auftritt. Das Phänomen umfasst die Verlagerung der ursprünglich auf Familienmitglieder oder andere Instanzen projizierten unbewussten Inhalte auf den Arzt, so dass eine starke Verbindung zwischen Analytiker und Analysand entsteht, die beide Seiten in zuweilen unkontrollierbarer Weise affiziert. Gemäß Jung hat das »Coniunctionsbild« des geflügelten Paares »keine pornographische, sondern symbolische Bedeutung«,7 es versinnbildlicht nämlich die alchemistische Vereinigung der Gegensätze. In Jungs Lektüre steht es für die Verbindung von Patient und Analytiker, aus der schließlich die Auflösung der Übertragung und damit die heilende Sicht des Patienten auf den unbewusst in dieser Verbindung angelegten neurotischen Inhalt ermöglicht werden soll. Man kann nur spekulieren, inwiefern Cohen sich beim Schreiben des Songs auf seine Quelle bezog. Vielleicht ist es noch die ironische Erwähnung Freuds als »very reverend Freud«, als »sehr ehrwürdiger Freud«, die einen Bezug zu Jung und seinem verehrten und bekämpften jüdischen Lehrer, zu den unseligen Versuchen

7 | C.G. Jung: Praxis der Psychoanalyse. Beiträge zum Problem der Psychotherapie und zur Psychologie der Übertragung [Gesammelte Werke: Sechzehnter Band], Olten und Freiburg i.Br. 1991, S. 250.

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Jungs, die Analyse von ihrer »jüdischen Herkunft« zu erlösen, schaffen sollte.8 In einem Interview gab Cohen zu Protokoll, dass es in »Is this what you wanted?« um den Dialog mit dem (abwesenden) idealen Lover geht.9 Ein Ideal ist das, was man aus sich selbst heraus auf einen Anderen projiziert und in diesem Sinn hat das Lied tatsächlich etwas mit dem von Jung untersuchten Phänomen der Übertragung zu tun. Man könnte das Lied sogar als Beschreibung einer psychoanalytischen Situation lesen, als Monolog des Patienten. Der letzte Satz »I undid your gown.« kann dann als eine ironische Auflösung, nämlich als Entidealisierung des Anderen und gleichzeitig als Autonomisierung des Ichs, als dessen De-Figuration und im psychoanalytischen Sinn als dessen Heilung verstanden werden. In der letzten Zeile kommt die Realität endlich zu ihrem Recht; die Gespenster verlieren ihre Macht. Es ist das Ende der Figuren. * In der South Park-Folge »The Passion of the Jew« (Comedy Central 2004), die Mel Gibsons Film The Passion of the Christ und den daraus entstandenen Rummel im Medium des Zeichentrickfilms parodiert, wird exemplarisch gezeigt, wie durch die Beschwörung der jüdischen Gegenfigur in der Kreuzigung die Figur des bösen Juden – eben des Geldverleihers – erzeugt wird. Verschärft wird die Dar8 | Eine exkursorische Beobachtung, die in gewisser Hinsicht die CohenDeutung erweitert: In seiner Abhandlung spricht Jung von einer »vielstündigen Unterredung« mit Freud im Jahr 1907, in deren Verlauf Freud Jungs Annahme der Übertragung als »A und O der analytischen Methode« bestätigt und explizit gelobt hätte. Diese Erwähnung ist für Jung natürlich eine rhetorische Strategie, sein eigenes Theorem der Übertragung durch die Autorität Freuds zu sanktionieren. Gleichzeitig projiziert hier Jung seinen »Freud«, es findet also, um die Wichtigkeit der Übertragung zu bestätigen, im Text selbst eine Übertragung statt. (Jung, Praxis der Psychoanalyse, S. 176.) 9 | (Herbst 2010).

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stellung noch dadurch, dass in South Park die Handlung immer unter einer Gruppe von 10-jährigen Knaben spielt. Die Kinder reproduzieren dabei die Welt der Erwachsenen und überspitzen deren Konflikte bis ins Absurde. South Park richtet sich ursprünglich an die Generation der Enkel von Woody Allen und Leonard Cohen. Das in der Serie dargestellte Verständnis von Jüdisch-Sein ist dem entsprechend bereits aufgeladen mit den Ironisierungen und intellektuellen Aneignungen der Eltern und Großeltern, potenziert diese aber noch in einer Art Ironisierung der Ironisierung. Während Eric Cartman sich in Hitler-Pose und Nazi-Uniform an die Fans von Mel Gibson wendet und ihnen auf Deutsch »Tötet die Juden!« zuruft, was das begeisterte Publikum freilich für Aramäisch hält, leidet (der jüdische) Kyle Brovlovski unter Schuldgefühlen, nachdem er The Passion im Kino gesehen hat. In der Synagoge möchte er die versammelte Gemeinde überzeugen, sich für die Kreuzigung zu entschuldigen, ähnlich wie dies die amerikanische Regierung gegenüber der afroamerikanischen Gemeinschaft für das Unrecht der Sklaverei getan habe. Natürlich stößt Kyle bei den Juden in der kleinen Stadt South Park auf Empörung, die noch wächst, als er bekennt, dass er unter dem Eindruck von Mel Gibsons Film stehe. Der Effekt auf Kyle beweise, dass der Film antisemitische Einstellungen fördere, meint ein Synagogenbesucher. Ein anderer ruft, dass The Passion Juden in stereotyper Weise herabsetze, worauf ihm von einem Gemeindemitglied beigepflichtet wird: »Stereotyping Jews is terrible!« Der vielleicht typisch jüdische Witz bei der Sache ist jedoch, dass gerade diese Figur absolut stereotyp dargestellt ist, mit Kippa und einer Hakennase. Der performative Widerspruch wird dadurch gebildet, dass ein Stereotyp sich über Stereotype aufregt. In Bezug auf die Diskussion der Figuration kultureller und religiöser Identität zeigt die Pointe, dass wir den essentialisierenden Zuschreibungen nie entgehen, sondern nur einen anderen, spielerischen Umgang mit ihnen finden können. Das Spiel ist im Begriff der Figur angelegt, in ihr inszeniert sich das Subjekt als ein mit sich selbst identisches. Dieser Vorgang führt immer zu Ambivalenzen, die entweder als bedrohlich wahrgenommen und damit abgelehnt und verdrängt,

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gespenstisch werden – oder aber als Poetik der Identität offen gelegt werden können. Im Grund werden Eric und Kyle in dieser denkwürdigen South Park-Folge von Gespenstern ihres jeweiligen Selbst gejagt, Figuren, in die sie ihre Sehnsüchte und Ängste übertragen haben, und die nun unwillkürlich ihre Identität bestimmen. Einer Poetik kultureller Identität muss es darum gehen, auf die Übertragung aufmerksam und die Figuren als Figuren kenntlich zu machen. Der Kritiker gleicht darin manchmal jener stereotypen Figur des Jüdischen, die ausruft: »Stereotyping Jews is terrible!«

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Hip im Exil Eine kurze Geschichte der jüdischen Popkultur

»Elvis, nudists, I may have had peyes, but I was hip.« [Elvis, Nackte; ich mochte zwar Peyes (=Schläfenlocken) haben, aber ich war hip!] So äußert sich der kurz vor seiner Bar Mitzwa stehende Joine Levkes im Roman Shlepping the Exile von Michael Wex (1993).1 Joine ist der Spross einer chassidischen Familie aus Polen und wächst um 1960 in der kanadischen Provinz auf, also in einer Art Exil im Exil. Er ist ein Wunderkind, das Bibelstellen und Talmudtraktate mit allen dialektischen Tricks gegeneinander auszuspielen weiß. Doch diese Fähigkeit schützt ihn nicht vor Pubertätskrisen. In seinen verzweifelten Bemühungen, ein ganz normaler Teenager zu sein, sind die Platten von Star-Kantoren wie Jossele Rosenblatt im Regal seines Vaters nicht besonders hilfreich. Viel bedeutender sind in dieser Hinsicht die Elvis-LP Heartbreak Hotel und das unter der Matratze versteckte Sex-Heftchen. Obwohl das Glück dieser geheimen Besitztümer nur kurz währt – der gestrenge Vater wird die Schätze finden und toben wie Moses beim Anblick des goldenen Kalbes – sind sie Joines ganzes Kapital auf dem Weg in sein gelobtes Land. Es ist die Vereinigung von Jüdisch-Sein und Hippness, ein paradiesisch vorgestellter Zustand einer dualen, aber unproblematischen Identität. Es ist nicht zufällig, dass gerade Elvis die Gegen- oder Komplementärfigur zu Moses ist. Wenn mit Moses das Judentum beginnt, dann beginnt mit Elvis, der die musikalische Energie der Afroamerikaner für ein weißes Publikum adoptierte, die Popkultur, wie wir sie heute kennen. 1 | Michael Wex: Shlepping the Exile. Novel, Oakville 1993, S. 14.

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In diesem Kapitel wird eine kleine Geschichte der jüdischen Popkultur erzählt. Noch Mitte des 20. Jahrhunderts war es alles andere als absehbar, dass das Judentum – versteht man es nun als Religion oder als eine kulturell-ethnische Gemeinschaft – überhaupt zu einem populären Thema wird, beziehungsweise dass sich die Popkultur als Äußerungsform des Jüdischen etabliert. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, die in ihrem modernen Klassiker Dialektik der Aufklärung auch ein Kapitel zur aufkommenden Popkultur einfügten, hätten sich die gegenwärtigen Tendenzen auf jeden Fall nicht träumen lassen. Die beiden Philosophen beobachteten während des Zweiten Weltkriegs als Emigranten in den USA die »Kulturindustrie« mit einer Mischung aus Faszination und unverhohlenem Abscheu. Sie beschrieben diese neue Industrie einflussreich als Unterdrückungszusammenhang, als System zur Stabilisierung der Massen. Im Gegensatz zum in sich autonomen »Werk« der klassischen Hochkultur würden die Produkte der Kulturindustrie ihre kapitalistischen Produktionsbedingungen bloß reproduzieren und nicht reflektieren. Sie trügen keinerlei Widerständigkeit in sich. Der Mainstream, so ihre noch heute da und dort reproduzierte These, würde jegliche Individualität zugunsten vermarktbarer Schemata auflösen. Partikulare Existenz wäre demnach in der Popkultur gar nicht darstellbar, jüdische Identität in der Mehrheitsgesellschaft müsste im popkulturellen Mainstream verschwiegen werden. Horkheimer und Adorno müssten heute dabei zusehen, wie ihre »Dialektik der Aufklärung« von einer Dialektik von Partikularem und Universellem, von Repräsentation und Transformation überholt wird. Produkte der Massenkultur wie der neuste Batman-Film oder eine CD von Prince werden in den wichtigsten Zeitungen im »Kulturteil« besprochen und können kaum mehr ohne lächerlich zu wirken als »Massenbetrug« bezeichnet werden. Popkultur wird heute grundsätzlich anders wahrgenommen. Die faszinierenden Wechselwirkungen zwischen Kunst und Kommerz, zwischen Unterhaltung und Untergrund sind Bestandteil der Kulturtheorie geworden. Man hat aber auch längst das subversive Potential der Popkultur entdeckt.

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Polemisch und auch etwas pathetisch hat der deutsche Poptheoretiker Diedrich Diedrichsen formuliert: »Nicht der Verblendungszusammenhang der Pop- und Massenkultur ist zu kritisieren, vielmehr ist ihr Angebot an Künstlichkeit und Fiktionen der Ideologie des Natürlichen, bei der sich Hippies und Grüne mit Nazis und älteren Mitbürgern treffen, vorzuziehen […].«2 Für Diedrichsen gilt es, »das Nichtauthentische zu gestalten« und Entfremdung als »Chance« zu begreifen.3 In der globalisierten Massenkultur geschieht genau das. Bilder und Figuren von Identität, Sinnkonstruktionen und Weltdeutungen befinden sich in einem rasanten Prozess der Umwandlung und der Übertragung, der Aneignung und der Weiterverarbeitung. Individuelles und kulturell eindeutig Verortbares sowie religiös Festgeschriebenes wird universalisiert und geöffnet. Umgekehrt wird allgemein Zugängliches ethnisch neu besetzt oder kulturalisiert. Amerikanische Kulturwissenschaftler haben seit einigen Jahrzehnten ihr Augenmerk auf solche wechselseitigen Prozesse gerichtet. Auch im deutschsprachigen Raum gibt es gerade bei Journalisten und nicht akademisch institutionalisierten Autoren eine große Sensibilität dafür – wie etwa Thomas Hecken in einem fünfhundertseitigen Werk zur Geschichte des »Konzepts« Pop eindrücklich zeigt4 – die sich aber leider kaum auf jüdische Identitäten und die Figuren des Jüdischen erstreckt.5 Es gab schon immer jüdische Performer, Schauspieler, Regisseure und Komiker. Doch die Art der selbstironischen und auch selbst2 | Diedrich Diedrichsen: »And then they move, and then they move – 20 Jahre später«, in: Ders.: Sexbeat, Köln 2010, S. II [Nachwort der Neuausgabe von 2002 des Originals von 1985]. 3 | Ebd. 4 | Thomas Hecken: Pop. Geschichte eines Konzepts 1955-2009, Bielefeld 2009. 5 | Eine Ausnahme bildet hier eine gerade im Druck befindliche Publikation des kleinen, aber feinen Ventil Verlags: Engelmann/Frühauf/Nell/ Waldmann (Hg.): We are ugly but we have the music. Eine ungewöhnliche Spurensuche in Sachen jüdische Erfahrung und Subkultur, Mainz 2011.

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bewussten Repräsentation, wie sie heute für die Figuren des Jüdischen und in anderer Weise auch für andere Minderheiten in der Popkultur so typisch ist, hat sich erst Ende der 1960er und zu Beginn der 1970er Jahre zu entwickeln begonnen. Der Mainstream hatte nach dem Zweiten Weltkrieg erstmal kulturell und religiös neutral zu sein, wobei es sich offensichtlich um eine Pseudo-Neutralität und im Grund um das Primat der weißen und protestantischen Mehrheit handelte. Ein gutes Beispiel dafür ist die Tatsache, dass der Autor des wohl berühmtesten amerikanischen Weihnachtsliedes »White Christmas« (1942) Irving Berlin ist, der 1888 in Russland unter dem Namen Israel Isidore Beilin als Sohn eines Kantors geboren wurde. Berlin ist einer der wichtigsten und erfolgreichsten Songschreiber Amerikas, gleichzeitig war er sich seines Judentums politisch sehr bewusst – machte es in hunderten von Songs aber nie explizit zum Thema einer Reflexion. Das gleiche gilt in anderer Weise auch für die Sängerin, Tänzerin und Komikerin Fanny Brice, die 1910 im Alter von neunzehn Jahren mit einem Irving Berlin Song einen ihrer ersten Hits in einer Vaudeville-Show landete (»Sadie Salome«), und zwar indem sie ihn mit jiddischem Akzent vortrug. Doch obwohl auch Brice ihr Judentum alles andere als maskierte und es als Komik erzeugende Rolle und Markenzeichen geradezu vor sich hertrug, reflektierte sie in ihrem Schaffen nie über die Bedeutung der jüdischen Identität.6 Dies geschah ansatzweise erst im (allerdings nur lose auf Tatsachen beruhenden) Biopic Funny Girl (1968), der Barbara Streisand als Fanny Brice den Oscar für die beste Darstellerin eintrug. 6 | In einer Studie zu Fanny Brice schreibt Barbara W. Grossman: »Rather than emphasizing Brice’s ethnic identification, the accent served as a comic contrast to the part she played and enabled her to reduce each subject to the same absurd levels. The idea of a Jewish Nijinsky, vamp, or ballerina was apparently so incongruous that it made Brice’s outrageous actions ever funnier. The accent, together with the antics, became her signature and the principal means by which she created her cartoons.« Barbara W. Grossman: Funny Woman. The Life and Times of Fanny Brice, Indiana University Press 1991, S. 101.

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Es gibt einige historische Bedingungen, die erfüllt sein mussten, damit die Juden in die Popkultur eintreten konnten. Einige dieser Grundlagen, wie eine moderne demokratische Massengesellschaft, in der die Juden als politisch gleichberechtigte Bürger leben, waren bereits während den 1920er Jahren in Deutschland gegeben. Und die Mitwirkung von jüdischen Intellektuellen, Künstlern und Journalisten an der kulturellen Avantgarde der Weimarer Zeit ist nicht bloß eine Legende. Doch auch wenn verschiedene Kabarett-Nummern und anderes bereits in Deutschland und Österreich der Zwischenkriegszeit an zeitgenössische Repräsentationen des Jüdischen erinnern, so war erstens die reale jüdische Bevölkerung in Deutschland viel zu klein um eine kritische Masse zu bilden, und zweitens gab es ganz einfach nicht genug Zeit bis das Experiment der offenen Gesellschaft brutal abgebrochen wurde. Dennoch existieren auch Kontinuitäten und historische Zusammenhänge zwischen dem Europa der Zwischenkriegszeit und den Broadway- und Hollywood-Produktionen der 1940er und 1950er Jahre. Als Beispiel kann neben den glanzvollen Regisseuren Billy Wilder oder Ernst Lubitsch etwa der Textdichter Robert Gilbert (Robert David Winterfeld, 1899-1978) gelten, der ebenfalls als Emigrant nach Amerika ging. Gilbert war verantwortlich für einige der größten Schlagerhits der 1920er Jahre, etwa »Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist« aus der Erfolgsoperette Im weißen Rössl, und hat das Prinzip des Refrains, das so zentral für das Genre des Popsongs ist, bereits vorweggenommen.7 Doch erst in den USA konnte sich dank einer signifikanten jüdischen Bevölkerung über die Jahrzehnte auch eine entsprechende Repräsentation in der populären Kultur und in der Popkultur entwickeln. In ihrer Mehrheit hatte diese arrivierte Minderheit auch die finanziellen Mittel, sich in die ökonomischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen einzubringen. Mit der Entwicklung zu dieser 7 | Vgl. Joachim Schlör »Leerstelle Berlin 1951. Robert Gilbert und die Folgen dieser heillosen Jahre«, in: Nils Grosch/Wolfgang Jansen (Hg.): Zwischen den Stühlen. Remigration und unterhaltendes Musiktheater in den 1950er-Jahren, Münster: Waxmann [im Druck].

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Selbstverständlichkeit jüdischer Beteiligung an der Massenkultur ging auch die Beteiligung an subkulturellen Gegen-Entwicklungen einher. Juden wollten ebenfalls hip sein – und wurden es auch. In diesem Kapitel wird der für die Geschichte der Popkultur zentralen Fragen nachgegangen, wie das Jüdischsein eigentlich hip werden konnte und wie eine genuin jüdische Hippness aussehen könnte. Diese Geschichte reicht von den Autoren der Beat-Generation und dem Blues über die Repräsentationen des Jüdischen in Sitcoms und Filmen bis hin zu einem jüdisch orthodoxen afroamerikanischen Rapper, der quasi in persona die hier dargestellte Entwicklung begreift. * Es war 1957 in einem Café im Pariser Quartier Latin, als der 31-jährige Allen Ginsberg über den Tod seiner Mutter Naomi nachdachte und dabei so etwas wie eine jüdische Popliteratur erfand. Er begann ein langes Gedicht, das er erst drei Jahre später in New York beenden sollte und dem er den Titel »Kaddish« gab, die Bezeichnung für das Trauergebet. Am Anfang beschreibt Ginsberg eine nächtliche Szene der Inspiration: »I’ve been up all night […] reading the Kaddish aloud, listening to Ray Charles blues shout blind on the phonograph.«8 Der Text ist teilweise eine Variation des Gebets, das wohl wichtigste Gebet des Judentums, das wörtlich zitiert wird. Doch nicht nur »Adonais […] triumphant stanzas«, also nicht nur der Sound des Allmächtigen, sondern ebenso sehr der synkopische Rhythmus des Blues bilden die Grundlage von Ginsbergs individueller Liturgie: the rhythm the rhythm – and your memory in my head three years after –/And read Adonais’ last triumphant stanzas aloud – wept, realizing/ how we suffer –«9 Es ist bemerkenswert, dass Ginsbergs Perspektive einerseits radikal subjektiv und intim ist, so ist es ein singulärer Mo8 | Allen Ginsberg: Kaddish and other Poems. 1958-1960, San Francisco 1961, S. 7. 9 | Ebd.

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ment, in dem der Rhythmus die Erinnerung an die Mutter hervorzuholen scheint, und dass andererseits in der Lektüre des Kaddish diese Perspektive plötzlich in ein »we« umschlägt, also von einem Kollektiv die Rede ist. Dieses Wir kann die Familie sein, die unter der Krankheit der Mutter gelitten hat, doch im Zusammenhang mit dem Weinen und der Rezitation des Gebets ist das Wir auch lesbar als das jüdische Volk an sich. Das Leiden, von dem bei Ginsberg die Rede ist, wird dann zu einem allgemeinen Leiden, zu einem zweitausend Jahre andauernden Leiden im Exil. Allen Ginsberg gehörte zu jener Gruppe junger, eng verbundener Männer um Jack Kerouac, Lawrence Ferlinghetti und William S. Burroughs, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA als Schriftsteller Furore machten und die man heute als Beat-Generation bezeichnet. Man experimentierte mit allen Arten von Drogen, Alkohol und lebte offen homosexuelle Beziehungen. Ginsberg wandte sich bald ernsthaft dem Buddhismus zu. In einem Interview nannte ihn Burroughs aber einmal »a real Jewish grand mother«, weil er immer so hilfsbereit gewesen sei.10 Es ist sehr schwierig zu sagen, was eigentlich das Jüdische an einem säkularen Dichter wie Ginsberg ist. Offensichtlich sind weder religiöse noch zionistische Kategorien auf ihn anwendbar. Es ist der intertextuelle Bezug auf den traditionellen Gebetstext, eine individuelle Aktualisierung und Umschreibung der Tradition, der Ginsberg am meisten als jüdischen Dichter ausweist. Wenn man Aufnahmen von Ginsbergs rhapsodischer Stimme hört, kann kein Zweifel daran bestehen, dass er die literarische Lesung entweder als rituelles Ereignis oder aber als Pop-Konzert verstand. »Kaddish« ist eine radikale Aktualisierung und Umschreibung der jüdischen Tradition, aber auch der Tradition der amerikanischen Lyrik im Geiste Walt Whitmans. Der Katalysator dabei ist Ray Charles, der 1957 gerade dabei war, zu einem der ersten afroamerikanischen Superstars im Musikgeschäft aufzusteigen. Tatsächlich aber lag die Sehnsucht der Jugendkulturen der frühen 1960er Jahren darin, auf die andere Seite des Mainstreams zu 10 | , (Herbst 2011).

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gelangen. Und diese andere Seite stellte man sich schwarz vor. Noch Lou Reed textete auf seinem wichtigen, 1978 erschienen Album Street Hassle über einer bluesigen Bläserlinie: »I wanna be black/have a natural rhythm!« Louis Allen Reed wurde 1942 geboren, sein Vater hatte 1943 den Familiennamen von Rabinovitz zu Reed geändert und hoffte, sein Sohn würde in Amerika endlich ankommen und eine bürgerliche Karriere machen. Doch wie Steven Lee Beeber in einem Versuch über die »jüdischen Wurzeln des Punk« schreibt: »Die sterile Welt der Manieren und des Anstands sorgte bei Reed, wie bei vielen anderen seiner Generation, für Verdruss. Die Ursache für den Generationenkonflikt lag zu einem großen Teil an dem Gegensatz, den die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geborenen Kinder des so genannten jüdischen Babybooms zwischen ihrer komfortablen Situation und der Geschichte ihrer Vorfahren empfanden.«11 Aus diesem Zwiespalt speisen sich auch die zwischen Ironie und tatsächlicher Verachtung schwankenden, aber auch mit einer gefährlichen Projektion afroamerikanischer Sexualität und Gewaltbereitschaft spielenden Songzeilen: »I wanna be black/have natural rhythm/Shoot twenty foot of jism too/And fuck up the Jews./I wanna be black, I wanna be a panther/Have a girlfriend named Samantha/And have a stable of foxy whores/Oh, oh, I wanna be black!« Diese Sehnsucht nach dem Schwarz-Sein ist auch eine problematische Aneignungsfantasie. Der Schriftsteller Maxim Biller hat dies einmal zugespitzt: »[…] die Geschichte des Pop […] ist sowieso immer nur eine dumme unverschämte Lüge gewesen, die böswillige, kokette Pose weißer Bürgerkinder, die sich – egal ob in der Lower Eastside oder in Rostock-Lichtenhagen zuhause – ihr Rebellentum seit jeher von jenen ausgeliehen haben, denen es im Vergleich zu ihnen wirklich dreckig ging: Bereits die ersten Hipster, also die Patriarchen des Pop wie Ginsberg, Mailer und Kerouac, bewunderten und verklärten die Neger Amerikas als Outcasts mit den superober-

11 | Steven Lee Beeber: Die Heebie-Jeebies im CBGB’S. Die jüdischen Wurzeln des Punk, aus dem Englischen von Doris Akrap, Mainz 2006, S. 35.

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scharfen existentiellen Erfahrungen.«12 Im vermeintlich authentischen Körperbewusstsein der Afroamerikaner lag das Versprechen auf ungekannte Intensität und Ambivalenzlosigkeit. Norman Mailers Essay »The White Negro« (ebenfalls 1957) fasst dieses Begehren in Worte. Im Zeitalter von Atombombe und Konzentrationslager sei das jeden Augenblick bedrohte Leben des »Negros« ein Ideal für die überzivilisierten, gehemmten Weißen. Der Jazz sei der unmittelbare Ausdruck dieses Lebens, eine »music of orgasm«, was Lou Reeds merkwürdige Sperma-Phantasie vorwegnimmt. Mailers Idealfigur ist der so genannte Hipster: »So there was a new breed of adventurers, urban adventurers who drifted out at night looking for action with a black man’s code to fit their facts. The hipster had absorbed the existentialist synapses of the Negro, and for practical purposes could be considered a white Negro.« Hip zu sein bedeutet also nicht nur cool, jung, jazzig und schwarz zu sein, sondern auch aufzubrechen, unterwegs zu sein, sich in Gefahr zu begeben. Die Galut, die Diaspora der Juden, ist seit jeher eine solche gefährliche, kollektive Reise. Doch kurz nach der Shoah und nach der Gründung des Staates Israel wäre es wohl kaum jemandem eingefallen, das jüdische Exil als besonders attraktiv oder sogar als hip anzusehen. Tatsächlich aber gibt es eine Art von Diaspora-Chic, der von niemandem anderem als dem im vorangegangenen Kapitel thematisierten Leonard Cohen unnachahmlich verkörpert wird. Das legendäre »Chelsea Hotel« in New York diente nicht nur Ginsberg als Bühne, wo er als Poet und dilettierender Sänger auftrat, sondern regte auch Cohen zu einem seiner wunderbarsten Songs an. »Chelsea Hotel #2« (1974) ist eine biographische Reminiszenz an seine Affäre mit Janis Joplin, kann aber auch als Song über hippes Außenseitertum gedeutet werden. Der Satz »We’re ugly but we have the music« ist auf jeden Fall oft in dieser Weise verstanden worden. Es gibt eine Hippness der Randständigen, des Nicht-Dazugehören und des bewussten Außenseitertums, das jeder Avantgarde eigen ist. 12 | Maxim Biller: »Diedrich Diedrichsen: Guten Morgen, Poptrottel!«, in: Ders.: Deutschbuch, München 2001, S. 74-76, hier S. 75.

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In dem Song »By the Rivers Dark«, der als Text in Cohens Book of Longing (2006) enthalten ist, heißt es: »By the rivers dark/I wandered on./I lived my life/In Babylon.« Die Zeilen spielen mit dem Text des 137. Psalms, der für die poetische Beschreibung des Exils in der jüdischen Tradition zentral ist – und bis in Hip Hop-Lyrics der 2000er Jahre eine wichtige Rolle spielt, etwa im Song »Change« der orthodoxen jüdischen Rapper Y-Love und DeScribe (2009). In Cohens Text gibt es eine Opposition zwischen zwei geographischen Orten – Babylon und Jerusalem – die mit der Zeit zu literarischen Topoi geworden sind. In der Übersetzung von Martin Buber heißt es in der oben angeführten Bibelstelle: »An den Wassern zu Babel saßen wir und wir weinten, wenn wir an Zion gedachten. […] Vergesse ich dein, Jerusalem, so werde ich meiner Rechten vergessen. Meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben, wo ich nicht dein gedenke, wo ich nicht lasse Jerusalem meine höchste Freude sein.« Der Sehnsuchtsort Jerusalem wird bei Cohen jedoch nicht erwähnt. Die Sehnsucht wird umgedreht: »Be the truth unsaid/And the blessing gone,/If I forget/My Babylon.« Die Liebe dieses nachbiblischen Barden gilt der Stätte des Exils. Statt eines wieder aufgebauten Tempels gibt es nur die dunkle Feier eines ewigen Unterwegsseins: »Where it all goes on;/By the rivers dark/In Babylon.« Es ist eben nicht eine wie auch immer verstandene ›jüdische Herkunft‹ des Autors, die den jüdischen Aspekt eines Liedes, eines Textes oder Kunstwerks ausmacht. »By the Rivers Dark« ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die Aktualisierung und die Transformation traditioneller Motive den Bezug zum Judentum bilden. Die Popkultur begünstigt diese Art der Verwandlung. Und als Beginn der Popkultur kann man die phantasmatische Verwandlung von Weiße in Schwarze ansehen. Im Zug dieser Bewegung verweigerten die Kinder der jüdischen Mittelklasse ihren Eltern den Traum vom Ankommen, sie widersetzten sich dem Wunsch nach sozialer Integration, die sich während der Zeit des ungebremsten ökonomischen Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg immer mehr abzeichnete. Der Preis für diesen Aufschwung, für die Verwirklichung des viel genannten American Dream, an dem nun auch die Juden in ihrer

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großen Mehrheit beteiligt waren, bestand in einer großen Verdrängungsleistung. Konformitätsdruck, Disziplin und soziale Kontrolle wuchsen. Die eigene Verschiedenheit sollte zumal in der McCarthyÄra nicht allzu sehr betont werden. Um sich dem zu entziehen, gab es kein besseres Mittel, als sich mit den immer noch Ausgegrenzten der schönen neuen Gesellschaft zu solidarisieren und sogar zu identifizieren, den zum größten Teil noch immer pauperisierten und diskriminierten Afroamerikanern. Für Juden ging diese Identifikation oft mit einem Bezug zur Tradition des eigenen Ausgegrenztseins einher, mit einem Bezug zur jüdischen Tradition, wenn dieser auch oft von Sarkasmus und radikaler Umformung geprägt war. Diese Hinwendung zur Kultur der Afroamerikaner war zwiespältig. Sie fand genau in dem geschichtlichen Moment statt, in dem sich die Juden in den USA selbst von »Schwarzen« zu »Weißen« verwandelten, das heißt, dass sie von Outsidern zu Insidern wurden mit allen moralischen und politischen Implikationen, die dieser Statuswechsel mit sich brachte.13 Norman Mailers Hipster ist die Figur, die sich dieser Integration entzieht und sich selbst wieder zum Outsider erklärt. So kann man auch Ginsbergs Text zwischen jüdischer Liturgie und Blues, Lou Reeds Aufschrei und Leonard Cohens Songs historisch als Momente bezeichnen, an denen sich ein Widerstand gegen die Transformation der jüdischen Minderheit in einen Teil der Mehrheit artikuliert. Man kann diesen Widerstand auch als Sehnsucht nach einem Anderssein verstehen, als eine Sehnsucht nach Babylon. Der Beginn der jüdischen Popkultur hängt eng mit dieser Sehnsucht nach Babylon zusammen. *

13 | Vgl. Cheryl Greenberg: »Pluralism and its Discontents: The Case of Blacks and Jews«, in: David Biale/Michael Galchinsky/Susan Heschel (Hg.): Insider/Outsider. American Jews and Multiculturalism, University of California Press 1998, S. 55-87.

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Eine wichtige Figur für die jüdische Geschichte der Popkultur ist der Komiker Lenny Bruce. Als Leonard Alfred Schneider 1925 geboren, entwickelte sich Bruce von einem Witzereißer in Strip-Clubs in New York zum wohl einflussreichsten Stand-Up Comedian der USA in den frühen 1960er Jahren, und zwar mit seiner ungewöhnlich obszönen Sprache, seinem konfrontativen und aggressiven Humor und tabuisierten Themen wie Sex und Benachteiligung sozialer Gruppen, aber auch Religion. Legendär ist Bruces Meditation über die gegensätzliche Natur des jüdischen und des christlichen Gottes. Bruce wurde verschiedene Male wegen des öffentlichen Gebrauchs obszöner Sprache verhaftet, seine andauernden Auseinandersetzungen mit der Justiz zerstörten schließlich seine Karriere. 1966 starb er an einer Überdosis Drogen. Bruce genießt bis heute keine große Popularität, sondern ist vielmehr eine Art avantgardistischer Trendsetter für Entwicklungen, die dann in den 1970er Jahren in den Mainstream gelangen. In einer seiner berühmtesten Nummern, heute ein Klassiker der amerikanisch-jüdischen Geschichte, nimmt Bruce eine neuartige Typologie des Jüdischen und des Nichtjüdischen vor. Dieses bezeichnet er, was damals auf einer öffentlichen Bühne provokativ war, mit dem ursprünglich eher abfällig gemeinten Wort »goyish«. Now I neologize Jewish and goyish. Dig: I’m Jewish. Count Basie’s Jewish. Ray Charles is Jewish. Eddie Cantor’s goyish. B’nai Brith is goyish; Hadassah, Jewish. Marine corps – heavy goyim, dangerous. Kool-Aid is goyish. All Drake’s cakes are goyish. Pumpernickel is Jewish, and, as you know, white bread is very goyish. Instant potatoes – goyish. Black cherry soda’s very Jewish. Macaroons are very Jewish – very Jewish cake. Fruit salad is Jewish. Lime jello is goyish. Lime soda is very goyish. Trailer parks are so goyish that Jews won’t go near them. Jack Paar Show is very goyish. Underwear is definitely goyish. Balls are goyish. Titties are Jewish. Mouths are Jewish. All Italians are Jewish. Greeks are goyish – bad sauce.14

14 | John Cohen (Hg.): The Essential Lenny Bruce, London 1973, S. 53.

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Während die afroamerikanischen Jazz-Musiker Count Basie und Ray Charles also »jüdisch« sind, ist der Sänger und Schauspieler Eddie Cantor (geboren in New York als Isidore Iskowitz) plötzlich »goyish«, ebenso wie die wohltätige Vereinigung B’nai Brith. Für Bruce sind offensichtlich weder die religiöse noch die ethnische Identität ausschlaggebend für das Jüdischsein. Viel mehr sind es kulturelle und popkulturelle Aspekte, die das Jüdischsein, oder besser die Jüdischkeit ausmachen und die bis zur Typologisierung von alltäglichen Gegenständen oder Körperteilen reichen. In seiner Geschichte der jüdischen Komiker in Amerika schreibt Lawrence J. Epstein, dass ein Jude zu sein, für Bruce bedeutete, einen spezifischen »approach« zum Leben zu haben, einen bestimmten Tonfall und eine Haltung (»attitude«): »Bruce’s ›Jews‹ were urban and hip […] while his ›goyim‹ were too unhip for his taste, whether or not they were actually Jewish.«15 Jüdisch ist hip. Und in diesem Sinn ist eben auch Ray Charles jüdisch – weil er hip ist. Und er ist hip – weil er jüdisch ist. Für das Thema dieses Essays ist die Typologie Lenny Bruces zentral. In ihr wird noch einmal deutlich, wie zufällig Identitäten verbildlicht und damit essentialisiert werden. Die Nummer ist witzig in ihrer offensichtlichen Absurdität, aber sie dekonstruiert damit wirksam jenen Mythos der Authentizität, um den es am Anfang dieses Essays ging. Was ist authentisch? Ist ein Essen wie Gefilte Fish jüdisch? Für Lenny Bruce wäre es vermutlich goyish gewesen. Natürlich liegt die Gefahr einer solchen Typologie in der Möglichkeit der völligen Entleerung eines Begriffs wie ›jüdisch‹. Doch dagegen besaß Bruce zwei wirksame Gegengifte. Trotz der expliziten Verneinung jeglicher ethnischen oder religiösen Identifizierung, beschäftigte er sich erstens obsessiv mit grundlegenden religiösen und theologischen Fragen und zweitens benutzte er durchgehend jiddische Ausdrücke und ging von kulturellen Codes aus, die von einem jüdischen Publikum schnell als seine eigenen verstanden wurden. Ein furioses Beispiel einer religiösen Passage stellt ebenfalls die 15 | Lawrence J. Epstein: The Haunted Smile. The Story of Jewish Comedians in America, New York 2001, S. 172.

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Frage, was ein Jude sei, beantwortet sie aber in einem ganz anderen Sinn: Now, a Jew, in the dictionary, is one who is descended from the ancient tribes of Judea, or one who is regarded as descended from that tribe. That’s what it says in the dictionary; but you and I know what a Jew is – One Who Killed Our Lord.16

In der Schriftlichkeit ist diese Pointe schlecht wieder zu geben. Man muss hören, wie Lenny Bruce geschäftsmäßig aus dem Wörterbuch vorzulesen scheint, um dann mit einer Selbstverständlichkeit vortäuschenden Stimme das zu sagen, was ihm gemäß alle wissen, aber nicht auszusprechen wagen. Die Komik ergibt sich auch dadurch, dass jeder im Publikum genau weiß, dass Bruce Jesus natürlich nicht als »Lord« anerkennt, diese Anerkennung aber scheinbar vorgibt, und dass er das vermeintliche Wissen um das, was ein Jude ist, (also die immer noch geltenden gesellschaftlichen Standards) der Lächerlichkeit preisgibt. Und das ist eben nicht die Wahrheit des Juden, sondern des Antisemitismus. An anderen Stellen nahm er sich dagegen die Hypokrisie des jüdischen Establishments und der Rabbiner vor, die bloß Anleihen für Israel verkaufen und nicht über Gott sprechen wollen. Lenny Bruces Figuren des Jüdischen sind bei aller inhaltlichen Arbitrarität trotzdem – oder besser gerade deshalb – innerhalb einer jüdischen Tradition zu verstehen. Lenny Bruces Nummer mit der ›Neologisierung‹ von Figuren des Jüdischen kann als Nullpunkt der jüdischen Geschichte der Popkultur angesehen werden. Ihre Radikalität ist bis heute ein geheimer, unerreichter Bezugspunkt für alle weiteren Figuren des Jüdischen in der Popkultur. * Die Begegnung von Juden und Afroamerikanern ist für die Geschichte der Popkultur von großer Bedeutung. In der Western-Verulkung 16 | Ebd., S. 51.

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Blazing Saddles (1974) führt Mel Brooks eine besonders eindrückliche Variante einer solchen Begegnung vor. Der Held des Films ist ein Afroamerikaner, was den im Grund rassistischen Mythos des Westerns unterläuft. Der weiße Mythos von der Kulturalisierung des Westens wird parodistisch als Unterwerfungsgeschichte deutlich gemacht. Dass Mel Brooks ein jüdischer Komiker ist, wird im Film bis auf eine Szene nicht explizit ersichtlich. Es ist diese eine Szene, die aber gerade für eine Geschichte der Figuren des Jüdischen in der Popkultur zentrale Bedeutung besitzt. In der Szene sieht man eine afroamerikanische Siedler-Familie in einem Planwagen durch die Prärie fahren. Sie werden von drei Indianern gestoppt. Der erstaunte Häuptling, dargestellt von Mel Brooks selbst, schaut sich die Siedler an und beginnt auf Jiddisch zu sprechen: »Shvartse!« Als seine Kollegen mit Tomahawk und Speer auf die wehrlose Familie losgehen wollen, hindert er sie daran und meint: »Na na, seid nischt meschugge.« [»Nein, nein, seid nicht verrückt!«]. Danach scheint er den indianischen Gott anzurufen und schreit: »Los ihm geyn!« [»Lass sie gehen!«]. Nachdem der Häuptling den Siedlern auf Jiddisch gute Gesundheit gewünscht hat und diese mit einem Dank weitergefahren sind, fragt er einen anderen Indianer, ob er so was in seinem Leben schon einmal gesehen habe und stellt verwundert fest: »They’re darker than us!« [Sie sind dunkler als wir!] Indianer, Afrikaner, Juden – der Film liefert einen ganzen Katalog von minoritären Figuren. Epstein vermutet, dass gerade das den großen Erfolg von Blazing Saddles ausmachte. Denn das Publikum Mitte der 1970er Jahre empfand sich auch in irgendeiner Weise als eine Minorität, und sei es nur die eigene Jugend, die einem von der erwachsenen Mehrheitsgesellschaft abgrenzte.17 In kulturgeschichtlicher Hinsicht ist die auf den ersten Blick absurde Begegnung in der Prärie aber noch vielschichtiger. Jiddisch sprechende Einwanderer aus Osteuropa hatten sich schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit den amerikanischen Ureinwohnern identifiziert. Figuren 17 | Epstein: The Haunted Smile, S. 212-213.

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des Indianischen dienten jüdischen Immigranten als Spiegel ihrer eigenen Ängste und Ambivalenzen bezüglich der amerikanischen Mehrheitsgesellschaft.18 Indem der indianische Jude feststellt, dass es eine Gruppe gibt, die sogar noch dunkler ist als die eigene, entdeckt er, dass es noch andere Minoritäten gibt, dass er sich sozusagen nicht allein in der weiten Prärie befindet. Von dieser Entdeckung zeugt auch die Solidarität unter den Ausgegrenzten, die bei Mel Brooks gezeigt wird. Eine weitere Dimension hat die Identifikation von Juden mit Indianern nach der Shoah. In Mel Brooks Indianerhäuptling vereinen sich zwei ausgerottete Kulturen. Durch den Massenmord in Europa hat Jiddisch seine Heimat verloren, so wie die indianische Kultur dramatisch verdrängt wurde. Die große Kolonialisierung des Westens ist eben auch eine Geschichte von Gewalt und Unterdrückung. Mit den Mitteln der Popkultur variiert Mel Brooks Walter Benjamins Aussage, wonach jedes Dokument der Kultur auch eines der Barbarei darstelle. Das Genre des Westerns basiert nicht nur auf dem Mythos des einsamen Cowboys und der couragierten Pioniere, die Amerika aufbauten, sondern auf der verschwiegenen Tatsache des Völkermords. Mel Brooks Figuren zeigen vor diesem Hintergrund, dass die eigene jüdische Integration noch nicht lange her ist, und dass diese Integration vollständig nur um den Preis der Aufgabe der eigenen Kultur und Sprache zu haben ist. Bei Brooks gehen Minderheiten solidarisch, friedlich und ironisch mit einander um, ohne ihre kulturellen Eigenheiten und Besonderheiten zu verlieren. Mel Brooks hat schließlich nicht bloß den Wilden Westen umgeschrieben, sondern die ganze Weltgeschichte. So wird in einer kleinen Trailer-Parodie für den bis jetzt nie gedrehten zweiten Teil von The History of the World Part I (20th Century Fox 1981) der Weltraum, wie man ihn etwa aus den Starwars-Filmen kennt, zu einem jüdischen Raum. Das Raumschiff hat die Form eines Magen David und trägt in hebräischen Buchstaben die Aufschrift »koscher«, was nur versteht, wer einigermaßen Hebräisch entziffern kann. Im Raumschiff tanzen 18 | Vgl. Rachel Rubinstein: Members of the Tribe. Native America in the Jewish Imagination, Wayne State University Press 2010.

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zwei Orthodoxe Hora. Der Humor dieser Sequenz mag eher bescheiden sein, trotzdem zeigt sie paradigmatisch die jüdische Aneignung eines Genres, in dem kulturelle Identitäten auf der Oberfläche keine Rolle spielen. Die kleine Szene erscheint am Schluss von Mel Brooks Blödel-Version der Weltgeschichte von Moses bis zur Französischen Revolution. Juden erscheinen in dem Film nur als Opfer der Inquisition, die freilich als Musical inszeniert ist. Dass Juden im zweiten Teil der Geschichte nun den Opferstatus überwinden, ja dass »koschere Kanonen« sogar andere Raumschiffe abschießen und zerstören, kann vielleicht auch als Verweis auf die neue Wahrnehmung des Jüdischen nach der Staatsgründung Israels verstanden werden. Mel Brooks und Woody Allen bilden wichtige Stationen auf dem Weg zu einer offenen Thematisierung jüdischer Identität in Film und Fernsehen. Unbezweifelbar der Höhepunkt dieses Wegs stellt die erfolgreichste Sitcom der 1990er Jahre dar: Seinfeld (NBC, 1989-1998). Zwei der vier Protagonisten und die meisten Nebenfiguren der von Larry David und Jerry Seinfeld geschaffenen Serie sind explizit jüdisch, die Figuren von George Constanza, Jerrys bestem Freund, und Elaine Benes, der weiblichen Hauptrolle, sind mit einer bewussten Ambivalenz bezüglich ihres kulturellen und religiösen Backgrounds konzipiert.19 Wie man heute weiß, hielt Brandon Tartikoff, der Verantwortliche in der Produktionsfirma, das Konzept der Show anfänglich für »zu jüdisch«. Doch bekanntlich hatte die Serie einen gigantischen Erfolg, wurde Mitte der 1990er Jahren zu der beliebtesten Sitcom der USA und hatte ein Publikum, das bei Weitem nicht auf urbane Juden beschränkt blieb.20 Die letzte Episode »The Finale« wurde am 14. Mai 1998 ausgestrahlt und von geschätzten 76 Millionen Zuschauern gesehen. Die Charaktere in Seinfeld sind keine guten Menschen, viel19 | Zur Ambivalenz jüdischer Repräsentation in Seinfeld vgl. Rosalin Krieger: »›Does he actually say the word Jewish?‹ – Jewish Representations in Seinfeld«, in: Journal for Cultural Research, Volume 7, Number 4 (2003), S. 378-404. 20 | Vgl. David Zurawick: The Jews of Prime Time, Brandeis University Press 2003, S. 201-217.

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mehr bilden ihr offener Egoismus, ihr Materialismus und ihre ständigen gehässigen Auseinandersetzungen die Grundlage für viele Plots in der Serie. Und das war offenbar einer der Gründe, weshalb die Charaktere als Figuren des Amerikanischen und weniger als ethnisch oder religiös vom Amerikanischen an sich unterschiedenen Figuren wahrgenommen wurden. Doch auch der Lebensstil, ständig in Cafés zu sitzen und über Essen und Superman-Comics zu reden oder über Bekannte zu schnöden, wurde offensichtlich von einer Mehrheit der Fernsehzuschauer nicht unbedingt als »jüdisch«, sondern ganz einfach als »amerikanisch« klassifiziert. So ist es auch mit Jerrys Unfähigkeit, eine erotische Beziehung lange aufrecht zu erhalten: Man kann seine Suche nach der perfekten Frau von Date zu Date als Metapher für die Unmöglichkeit der Assimilation deuten, aber in diesem Charakterzug erkannten sich ganz einfach auch Hunderttausende von gleichaltrigen, postmodernen Thirtysomethings. Dennoch gründete die Popularität von Seinfeld tiefer. Die Show thematisiert nämlich auch das Problem der Zugehörigkeit, beziehungsweise das verbreitete Gefühl, dass traditionelle Muster von Zugehörigkeit in der globalisierten Welt nicht mehr ausreichen, um die individuellen Befindlichkeiten zu fassen. Religiöse, ethnische oder nationale Identitäten werden in Seinfeld als prinzipiell auswechselbar gezeigt. Die legendäre Folge »The Yada, Yada« (1997, 8,19), geschrieben von Peter Mehlmann, beginnt damit, dass George und Larry im Café Jerrys Zahnarzt treffen, der ihnen eröffnet, vor zwei Tagen zum Judentum konvertiert zu sein. Auf die Frage, ob er eben auch im Fitness-Studio gewesen sei, antwortet er: »I just sat in the sauna. It was more like a Jewish workout.« Jerry ist darauf ernsthaft verärgert über den Witz, der sich das Vorurteil zu eigen macht, dass Juden unsportlich seien. Er meint später zu Elaine: »I mean, the guy is Jewish only two days, and already he’s making Jewish jokes!« In der Folge entspannt sich eine komplexe Handlung, in der sich Jerry bei einem katholischen Priester, ein anderer Patient des Zahnarztes, über die Witze beschwert, sich aber anscheinend nicht als Jude, sondern als Komiker von ihnen verletzt fühlt. Der ursprünglich katholische Zahnarzt wiederum beharrt auf seinen alten jüdischen Witzen und

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meint zur Begründung, dass der Sinn für Humor der Grund für das Überleben des jüdischen Volkes sei. Paradoxerweise geht der völlig areligiöse Jerry von einem religiösen Verständnis des Judentums aus, während der zum Judentum konvertierte Zahnarzt ein kulturelles Verständnis vertritt. Auch der Begriff des Volkes wird in der Folge völlig ad absurdum geführt. So meint der Zahnarzt, als ihn Jerry nach dem Grund für die dauernden jüdischen Witze befragt: »I’m Jewish. You’re not a dentist. You have no idea, what my people have been through.« – »The Jews?« – »No, the dentists. You know we have the highest suicide rate of any profession?« – »Is that why it’s so hard to get an appointment?« Volk, Gemeinschaft, Religion, Identität, Geschichte, Kultur, Berufung, Job, Hobby: Die Ordnungen der Zugehörigkeit scheinen durcheinander geraten zu sein, beziehungsweise ist die Gewichtung dieser verschiedenen Arten der Gemeinschaft nicht mehr klar hierarchisiert. Die Seinfeld-Folge führt vor, dass es eine Identität als Komiker, als Zahnarzt, als Jude gibt – und doch mehr als unklar ist, was diese Identitäten im individuellen Fall bedeuten. Weil Jerry sich überall beklagt, wird er schließlich von seinem Nachbar Kramer beschuldigt, ein »Andi-Dentite« – also ein »AntiZahnarzt« – zu sein, was sich merkwürdigerweise bestätigt. Bei einer Hochzeit machen Jerry und seine Freundin ›zahnarztfeindliche‹ Witze. Die Freundin meint schließlich, dass niemand Zahnärzte brauche, »not to mention the blacks and the Jews!« Die Folge endet mit Jerrys verzerrtem Gesicht. Es bleibt offen, ob er anhand der rassistischen Reaktion der Freundin auf einmal die diskriminierende Tendenz seines eigenen Zahnarztwitzes erkennt, oder ob ihn der Einblick in den performativen Charakter der Identität sowie die Verletzlichkeit der eigenen Identität erschüttert. Jerry Seinfeld bleibt ein jüdischer Komiker, der die Komik aus der Tatsache der völligen Ungewissheit des »Jüdischen« zieht. Die Bedrohung des Zahnarztes mit seinen schlechten Witzen liegt für Jerry ja gerade in der eigenen kulturellen Nicht-Identität – und in der Identität als Komiker. *

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Woody Allens Darstellung von Geschlechterrollen, Mel Brooks Adaptionen verschiedener Genres und Seinfeld mit der zur Schau getragenen Unsicherheit der jüdischen Identität haben für die jüdische Geschichte der Popkultur eine enorme Tiefenwirkung gehabt. Ein jüngerer Film, der die hier angesprochenen Stränge dieser Geschichte bündelt, ist Jonathan Kesselmanns The Hebrew Hammer (2004). Der Film ist eine jüdische Parodie des legendären Blaxploitation-movie Shaft von 1971. Adam Goldberg spielt Mordechai Jefferson Carver, ein Hybrid aus Privatdetektiv und Batman, der sich »The Hebrew Hammer« oder auch »The Certified Circumsized Dick« nennt (ein nicht besonders subtiles Wortspiel mit der Doppelbedeutung von »dick« als Detektiv oder männlichem Genital). Er tritt als Mischung aus Humphrey Bogart, Zuhälter und chassidischem Juden mit Tallit auf, pflegt das Image des harten Kerls und des Frauenschwarms und trägt Symbole des Judentums als Zeichen besonderer Hippness, etwa ein übergroßes goldenes Chai [das aus den hebräischen Buchstaben Chet und Jod zusammengesetzte Zeichen für »Leben«]. Gemäß Catchphrase auf dem Filmposter ist der Hebrew Hammer »Part Man. Part Steel. 100 % Kosher.« In seiner überbetonten Männlichkeit soll sich Hammer vom Stereotyp des intellektuellen und neurotischen Bild des Juden befreien, er soll hip sein und eindeutig jüdisch und sich damit etwa von den neurotischen Identitätsspielen in Seinfeld unterscheiden. Die Handlung des Films hat eher sekundäre Bedeutung, sie ist vollkommen absurd und dient hauptsächlich als Stereotypenschleuder. Praktisch alle existierenden Klischees über Juden und Judentum werden affirmativ übernommen und ins Positive gewendet, teilweise auch parodiert und ad absurdum geführt. In einer Szene muss Hammer beispielsweise die Sicherheitsschranken der »Jewish Justice League« absolvieren, die nicht nur darin bestehen, die sechs Gerichte der Sederplatte an Pessach in alphabetischer Reihenfolge aufzuzählen, sondern auch mit der Geige »Hava Nagila« zu spielen und am Schluss zu beweisen, dass er so lange lamentieren und neurotisch das eigene Schicksal beklagen kann, wie man es von den Figuren Woody Allens oder der Figur George Costanzas in Seinfeld kennt. Durch diese

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Vervielfältigung der Stereotypen wird wie in der im zweiten Kapitel angesprochenen South Park-Folge deutlich gemacht, dass die einzige Weise, sich von Stereotypen zu distanzieren, darin besteht, performativ mit ihnen zu spielen. Ein gutes Beispiel für dieses Spiel mit der Ambivalenz der Stereotype ist Hammers Ansinnen, die »Worldwide Jewish Media Conspiracy« zu kontaktieren, um Kopien von Yentl, Fiddler on the Roof und Chaim Potoks The Chosen zu bestellen und dadurch die durch den Weihnachtsrummel demoralisierten Juden moralisch zu stärken. Die drei Filme haben die Wahrnehmung des Jüdischen in Nordamerika dermaßen dominiert, dass ihre Figuren die historische Realität längst überformt haben. Ihre Titel sind Codewörter, nur schon die Erwähnung in »The Hebrew Hammer« besitzt eine selbst vergewissernde Funktion, stellt aber ironisch diese Funktion auch in Frage. Als Beschützer der Juden in Brooklyn muss Hammer sich im Kampf gegen den infamen und antisemitischen Sohn des Weihnachtsmannes bewähren, der Chanuka abschaffen möchte. Doch der Beiname Hammer ist nicht zufällig gewählt: Er ist eine Anspielung auf Judah Makkabäus (HaMakkabi heißt Hammer), der die jüdische Revolte gegen die Seleukiden im 2. Jahrhundert v.u.Z. anführte. In Erinnerung an die so genannten Makkabäer, die den Tempel in Jerusalem wieder eroberten und neu weihten, wird acht Tage lang Chanukka gefeiert, wie Weihnachten ein Fest, das traditionell mit dem Anzünden von Lichtern verbunden wird. In seinem Kampf um Chanukka und die Ehre des jüdischen Volkes wird der neue Makkabäer unterstützt von seinem afroamerikanischen Freund Mohammed Ali Paula Abdul Rahim von der »Kwansaa Liberation Front« und der schönen und temperamentvollen Esther Blumenbergensteinenthal, die er am Schluss zur Freude seiner Mutter heiratet. Die Vornamen Ester und Mordechai erinnern an das biblische Buch Ester, das ebenfalls die Rettung der Juden und deren blutige Rache zeigt. Der Hebrew Hammer ist eine ambivalente Figur. Einerseits ist er unbestritten ein Held. Er betritt eine Nazi-Kneipe, bestellt einen Manishewitz (ein Kiddusch-Wein), ballert anschließend alle Skinheads mit riesigen Pistolen zu Boden und ruft: »Shabbat Shalom motherfuckers!« Der skandalöse Ausspruch kann als Quintessenz einer jü-

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dischen Rachephantasie im Medium der Popkultur verstanden werden – und auch als Zeichen dafür, dass die jüdische Figur teilweise schwarz geworden ist. Durch die obszöne Gangstersprache wird die eigene Identität, die mit dem hebräischen Gruß für den Schabbat behauptet wird, in einen popkulturellen, von der afroamerikanischen Gegenkultur geprägten Kontext gestellt. Andererseits ist der Hammer – wie etwa Samantha Baskind festgestellt hat – nicht unbedingt »cool«, auch wenn er das sicherlich für das jüdische, hauptsächlich pubertäre Publikum sein sollte. So ist er ein dermaßen schlechter Tänzer, dass er die Frau, die er eigentlich verführen will, niederschlägt; seine Gitarrenkünste gehen ihr auf die Nerven und nach dem Schabbat-Diner bei seiner Mutter leidet er offensichtlich an unerotischen Verdauungsbeschwerden.21 Doch vielleicht geht es dem Hammer gar nicht darum, besonders »cool« zu werden, wie Baskind das unterstellt. Zu einem kleinen Yeshiva-Schüler, der von nichtjüdischen Jungen auf der Straße geplagt wird, meint Hammer: »Hey you bad, bold, big-nosed biblical brother – stay Jewish!« Es ist das Jüdisch-Sein, das durch die Adaption schwarzer Muster und durch die Freundschaft mit dem Afroamerikaner Mohammed hip werden soll, selbst wenn es nicht cool ist. Bei aller angenommenen Heldenhaftigkeit sind seine wahren Brüder nicht die coolen Sabras der zionistischen Mythologie. Der Hammer ist vielmehr ein hipper »big-nosed biblical brother« von Woody Allen, Mel Brooks und Jerry Seinfeld. * Obwohl Hammers ewig nörgelnde Mutter den Wert der heldenhaften Rettung von Chanukka nicht so hoch einschätzen kann (»It’s not even a high holiday!«), ist es signifikant, dass in The Hebrew Hammer gerade dieser Feiertag die Handlung bestimmt. Wohl wegen der zeit21 | Samantha Baskind: »The Fockerized Jew?: Questioning Jewishness as Cool in American Popular Entertainment«, in: Shofar. An Interdisciplinary Journal of Jewish Studies, Volume 25, Number 4 (2007), S. 3-17.

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lichen Koinzidenz mit Weihnachten ist Chanukka für die Identität des amerikanischen Judentums von großer Bedeutung. Als Kind ohne Christbaum und ohne Geschenke ist man in einem nichtjüdischen Umfeld nicht hip, in der Schule ist man damit nicht populär. Weihnachten, der Weihnachtsmann und die damit verbundenen Feiern und die Geschenke haben eine große Anziehungskraft auch auf jüdische Jugendliche. Verdeutlicht wird dieser Umstand gut in einer Episode der Sitcom Friends (NBC 1994-2004), in der Ross seinem Sohn Ben im Kindergartenalter die jüdische Tradition näher bringen will (»The One with the Holiday-Armadillo«, Episode 7, 10). Weil er kein Kostüm auftreiben kann außer einem Gürteltierdress, verkleidet er sich als »Holiday Armadillo«. Obwohl Ben zuerst aufmerksam zuhört, wird Ross nach den ersten Worten (»Years and years ago, there were this people, called the Macabees …«) von Chandler unterbrochen, der als Weihnachtsmann die Wohnung betritt (»Ho ho ho, merry Christmas!«), was beim kleinen Ben Begeisterungsstürme auslöst. Die absurde Idee des »Holiday-Armadillos« zeigt die fehlende popkulturelle Repräsentation von Chanukka im Mainstream und das Primat des Christentums in der kulturellen Tradition – aber auch die Kreativität amerikanischer Juden, mit dieser Leerstelle umzugehen. Seit den 1990er Jahren gibt es eine bemerkenswerte Anzahl von popkulturellen Versuchen, Chanukah ebenso hip zu machen wie Weihnachten und eine eigene Popkultur um Chanukka erst aufzubauen. Der Klassiker ist Adam Sandlers »Chanukah-Song«, der 1994 in einer Show von »Saturday Night Live« erstmals performt wurde und von dem es unterdessen verschiedene Versionen gibt. Im Song geht es um das verbreitete Gefühl der Entfremdung von der Mehrheit und um die emotionale Aufwertung des eigenen kulturellen Erbes in ironischer Form: »Put on your yarmulka, it is Hanukkah/ It’s so much fun-akka, to celebrate Hanukkah!« [»Zieh dir deine Yarmulke (=Kippa) an, es ist Chanukka/Es macht so großen Spaß, Chanukka zu feiern!«]. Der größte Teil des Liedes besteht darin, dass unter großem Gelächter des Publikums berühmte Personen mit jüdischem Background aufgezählt werden, etwa David Lee Roth oder

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Kirk Douglas. Zu einem Bild von O.J. Simpson ruft Sandler »Not a Jew!«, was ihm den stärksten Applaus einbringt. Ganz ähnlich wie Lenny Bruce ordnet auch Adam Sandler verschiedenen Figuren der Popkultur die Etiketten »jüdisch« oder »nichtjüdisch« zu, jedoch ohne die Zuordnungen radikal zu unterlaufen. Er geht vielmehr von essentiellen Identitäten aus und outet sie, wenn auch mit einem ironischen Gestus. Dreißig Jahre nach der Performance von Bruce ist Sandler an einem Punkt, an dem Juden ihr Jüdisch-Sein offen legen können ohne dadurch ihre Karriere zu schädigen, ja gerade durch die Thematisierung des Judentums auch im Mainstream Karriere zu machen. Dennoch ist die jüdische Tradition eben im Gegensatz zu Weihnachten nicht hip, beziehungsweise zielt sein Song auf das Paradox ab, gerade das Nicht-Hippe, über das sich Sandler lustig macht, hip werden zu lassen. Spätestens seit Adam Sandlers Song ist Chanukka in der Popkultur an jedem Jahresende omnipräsent. Drei Beispiele sollen hier genannt werden, die alle mehr oder weniger offensiv mit der jüdischen Marginalisierung umgehen. Erwartungsgemäß besonders pointiert und krude wird das Verhältnis zwischen Weihnachten und Chanukka in der Zeichentrick-Serie South Park dargestellt, wie ein erstes Beispiel zeigt. Bereits in der Weihnachtsfolge der ersten Staffel, »Mr. Hankey the Christmas Poo« (Comedy Central 1997, Episode 1,10), soll Kyle Brovlovski im Krippenspiel der Schule Joseph darstellen, was ihm jedoch zu seiner großen Enttäuschung von seiner Mutter verboten wird. Im Song »A lonely Jew on Christmas« legt er sein Dilemma als Jude in der christlich dominierten Gesellschaft dar: »Hanukkah is nice, but why is it, that Santa passes over my house every year?« Die Episode basiert auf persönlichen Erlebnissen der Autoren Matt Stone und Tray Parker während ihrer Kindheit in Colorado und ist in der Tradition amerikanischer Cartoons, etwa den ChristmasSpecials der Peanuts, entstanden. Die ekelhaft-groteske Figur des sprechenden Kots ist wider Erwarten enorm populär geworden (es gibt davon sogar Plüschversionen …). Die ganze Folge ist ein TVKlassiker, der von Millionen von Fernsehzuschauern gesehen wurde. In der dritten Staffel kehrt Mr. Hankey zurück und präsentiert eine

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Revue mit bekannten Weihnachtsliedern (Comedy Central 1999, Episode 3,15). Kyle Brovlovski macht mit seinem »Dreidl Song« den Anfang, teilweise begleitet von seinem antisemitischen Freund Eric Cartman, dessen Song-Text lautet: »Jews play stupid games.« Der unmittelbar darauf folgende Song zeigt Weihnachten in der Hölle, wo ein weinender Adolf Hitler in Fantasie-Deutsch »Oh Tannenbaum« singt, eine Hitler-Nummer, die von Mel Brooks hätte sein können. South Park ist hemmungslos regressiv, aber es ist nicht der infantile Fäkalhumor, der für den Erfolg der Serie verantwortlich ist, sondern ihre Moralität. Denn Mr. Hankey, der Geist aus der Kloschüssel, ist eine Figur für die vollständige Entfremdung des Weihnachtsfestes in seiner kommerzialisierten und telegenen Form, aber auch eine drastische Vergegenständlichung des Unpassenden, Nicht-Dazugehörigen. Ein zweites Beispiel ist das Lied »Give the Jew Girls Toys« (2005) der Komikerin Sarah Silverman, das mit dazu gehörigem Video ebenfalls für die Figur des ausgeschlossenen Juden an Weihnachten steht. Silverman verändert die Perspektive jedoch in der Hinsicht, dass sie die Situation mit der parodistischen Thematisierung von Geschlechterrollen verbindet. Wie in all ihren Nummern spielt sie die stereotype Figur der Jewish American Princess (auch mit der Abkürzung JAP bezeichnet) – also eine verwöhnte junge Frau aus reicher jüdischer Familie, die ihre Reize zu ihrem materialistischen Vorteil einsetzt – die dem Weihnachtsmann auflauert, ihn mit einem Brecheisen bedroht, um ihn schließlich zu fesseln und zu knebeln. Ein witziger Effekt ergibt sich dadurch, dass Silverman die Frustration, keine Geschenke zu bekommen, mit der ebenfalls zum Typus gehörenden sexuellen Frustration der JAP verbindet und so die sexuelle Konnotation des ›Spielzeugs‹ einbringt: »If you bring me a toy to open Christmas morning,/I’ll let you be my boyfriend, all bearded, fat and horny./Oh yeah, oh yeah!« – Silverman erwähnt Chanukka nicht, sie zieht bloß die religiöse Begründung des Weihnachtsmannes in Zweifel, der nichts mit Jesus zu tun habe. Dieser sei zwar nicht Gottes Sohn, aber ein netter Junge: »If you ask yourself what would Jesus do,/he’d say give the Jew girls toys!« Indem Silverman sie materialis-

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tisch wendet, ironisiert sie die vulgärchristliche Idee, dass Jesus bloß die Liebe zu allen Menschen predigte. In dem Sinn sei der Weihnachtsmann eben nicht christlich genug. Denn wie Oskar Schindler habe auch er eine Liste, doch: »You made a list and I checked it twice/ and there’s nobody named Silverman, or Moskowitz or Weiss.« Im Unterschied zum Judenretter Schindler sind beim Weihnachtsmann keine Juden auf der Liste. Dieser Vergleich ist völlig deplatziert, was in Silvermans Nummern Methode hat. Im Kapitel zu »Massenmord in der Popkultur« wird Silvermans Postholocaust-Kontrasthumor und auch Steven Spielbergs Film Schindler’s List (1993) noch einmal herangezogen werden. Für die Popkultur bildet Schindler’s List einen Kulminationspunkt in der Auseinandersetzung amerikanischer Juden mit der Shoah und mit der eigenen Identität als Juden in einer nichtjüdischen Umgebung. Der Filmtitel dient oft als eine Art Signalwort für die Verantwortung gegenüber dem jüdischen Erbe. Mit der Erwähnung des Films verbunden wird aber auch oft Kritik an einem moralisierender Zwang, sich selbst bloß in der Opferrolle zu sehen. Sarah Silvermans Nummer »Give the Jew Girls Toys« will genau dies vermeiden. Sie ironisiert den instrumentellen Umgang mit der Shoah und appelliert an die Autonomie jüdischer Identität. So wie The Hebrew Hammer stereotype Figuren jüdischer Männlichkeit aufnimmt und performativ ad absurdum führt, so macht dies Silverman mit Figuren jüdischer Weiblichkeit. Ihre gespielte JAPyness, die ostentative Darstellung der Jewish American Princess, dient genau wie die Figur des Hebrew Hammers als Vehikel zum Ausagieren jüdischer Machtphantasien, die jedoch durch die selbstironische Darstellung einer vermeintlich eigenen Identität gebrochen werden. Chanukka wurde sogar zum Thema eines Hip Hop-Songs, wie der halb parodistisch, halb ernsthaft angelegte Track »Chanukah’s da Bomb« des Rappers Chutzpah in einem dritten Beispiel zeigt. Zwar gab es im Hip Hop immer schon viele Juden, von denen außer der großen Ausnahme der Beastie Boys die Mehrheit auf der Produzenten-Seite in Erscheinung trat. Doch wie die Beastie Boys machten sie ihr Jüdisch-Sein kaum zum Thema, beziehungsweise blieb der Hip Hop völlig frei von Figuren des Jüdischen. Dies änderte sich

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in der ersten Hälfte der 2000er Jahre. Neben dem chassidischen, der Chabad-Bewegung nahestehenden Musiker Matisyahu (geboren 1979 als Matthew Paul Miller), der mit seinen religiösen Songs weltweit auch kommerziell höchst erfolgreich ist, sind etwa die bereits erwähnten Rapper Y-Love und De-Scribe oder der säkulare DJ SoCalled zu nennen, der in der Einleitung dieses Essays präsentiert wurde. Im Gegensatz zu diesen ernsthaften und musikalisch ambitionierten Versuchen, Judentum und Hip Hop-Kultur zu synthetisieren, ist Chutzpah eher dem Spektrum der Scherz-Rappern zuzurechnen.22 Sein Video ist vollgestopft mit mutierten Insignien des Raps. Die Rapper tragen bunte Trainingsanzüge, um den Hals baumeln übergroße goldene Davidssterne anstatt Dollarzeichen. Es gibt tanzende, spärlich bekleidete junge Frauen, doch anstatt mit einem amerikanischen Wagen, fahren die drei Musiker mit einem Volvo durch die Gegend, das bevorzugte Auto religiöser Juden. Chutzpah erklärt im Text den Sinn von Chanukka: »We got eight candles, one for every night. This is what we call the Festival of Lights« und grenzt sich klar von der Mehrheitsgesellschaft ab: »Christmas gets the publicity, and all the lights are around the Christmas tree, but Hanukah is better if you’re asking me.« Seine Botschaft ist einfach: »Hanukah is what we celebrate, Hanukah is what makes us great! Hanukah’s da bomb!«23 Mit Chutzpah ist Chanukka endgültig hip geworden. Das beweist schlagend ein User-Kommentar auf youtube, der meint, dass er nach Anschauen des Clips Chanukka feiern möchte – und nicht einmal jüdisch sei. Der Clip kann in einen Prozess eingeordnet werden, in dem weiße Juden der Mittelschicht sich afroamerikanische Symbole und Ausdrucksmittel aneignen und transformieren. Dies ist nicht unproblematisch. Wie man bei Chutzpah gut sieht, benutzt er einerseits den Rap bloß, um seine jüdischen Anliegen zu transportieren. Andererseits könnte er auch jodeln, denn nichts in 22 | Einen Überblick über jüdischen Rap gibt Keith Kahn-Harris: »Creating Jewish Rap: From Parody to Syncretism«, in: Transversal. Zeitschrift für Jüdische Studien, Innsbruck, Wien, Bozen 1/2009, S. 21-38. 23 | , (Herbst 2011).

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dem Track macht die Art der Musik zwingend. Mit anderen Worten sind Judentum und Hip Hop hier bloß arbiträre Elemente in einem parodistisch intendierten Spiel. Von 1960 bis in die 1990er Jahre ging es darum, wie und wie explizit jüdische Figuren auf der Leinwand, auf dem TV-Schirm oder auf der Bühne gezeigt wurden. Lenny Bruce, Woody Allen, Mel Brooks, Seinfeld und auch noch die folgenden populären Sitcoms wie The Larry Sanders Show, Mad about You sowie Produktionen abseits des Mainstreams wie The Hebrew Hammer thematisieren das JüdischSein und jüdische Identität, aber sie gehen immer von bestehenden Figuren des Jüdischen aus. Diese Figuren bilden entweder das eigene Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit ab, sie transportieren ein Verlangen nach Hippness oder sie zeigen Figuren, die umgekehrt gerade durch ihr Jüdisch-Sein hip sind, wie hier anhand verschiedener Beispiele um Chanukka gezeigt wurde. Es geht dabei zwar immer um das Problem, inwieweit die essentiellen Zuordnungen und die stereotypen Zugehörigkeiten Gültigkeit haben oder inwieweit man ihnen entfliehen kann. Es ist die Frage, inwieweit der Bildschirm universell bleibt – oder wie weit er ethnisch besetzt werden darf. Doch es geht mit Ausnahme des konvertierten Zahnarztes in der Seinfeld-Folge immer um Figuren, die bereits irgendwie jüdisch sind (auch wenn sie es nicht sind, wie im Fall von Ray Charles). Der zitierte youtube-Kommentar weist jedoch auf einen Riss im Innenraum des Jüdischen hin: Was wäre, wenn Jüdisch-Sein dermaßen hip geworden wäre, dass plötzlich viele andere jüdisch werden möchten? Wenn also Jüdisch-Sein zu einer ähnlich populären Identität mutieren würde wie die Identität eines afroamerikanischen Rappers? Jüdische Identität wäre dann im Mainstream angekommen, ja hätte diesen bis zu einem gewissen Grad okkupiert und erobert, sie wäre zu einer Idealfigur für Nichtjuden geworden. Dass diese Vorstellung keineswegs ganz abseitig oder utopisch ist, zeigt abschließend ein kurzer Blick auf verschiedene Konversionsszenen in amerikanischen Produktionen zwischen 2000 und 2010. *

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Im Film Keeping the Faith (2000) spielt Ben Stiller Jacob Schramm, einen offensichtlich coolen Rabbiner, für den die offensichtlich nicht-jüdische Geliebte (Jenna Elfman) am Schluss ankündigt, zum Judentum zu konvertieren, wobei offen bleibt, ob sie diesen Schritt schließlich auch ausführen wird. Die beabsichtige Konversion wird im Film zwar als Beweis ihrer großen Liebe präsentiert, doch im Unterschied etwa zu einer Konversionsszene in Seinfeld, die bloß dazu diente, die Komplexität jüdischer Identität in sich komisch zu veranschaulichen, wird hier ernsthaft die Möglichkeit eines solchen Religionswechsels in Betracht gezogen. Während die »Schickse«, die nichtjüdische Frau, lange Zeit das Objekt der Begierde für die männlichen jüdischen Protagonisten (etwa bei Philip Roth) spielte und jüdische Frauen mit einem nichtjüdischen Partner, wenn sie eine Ehe eingingen, sich oft gezwungenermaßen aus der jüdischen Gemeinschaft verabschieden mussten, wird nun in Keeping the Faith ein ganz anderes Bild gezeigt: ein männlicher und sehr attraktiver, witziger Jude, der außerdem religiös ist – und so hip, dass seine blonde, ebenfalls gut aussehende Geliebte, um bei ihm zu sein, die jüdische Religion und Kultur studieren und annehmen möchte. Obwohl der Film nicht frei von Klischees ist und gänzlich den Genre-Konventionen einer romantischen Hollywood-Komödie folgt, ist es bemerkenswert, dass Jacobs Jüdisch-Sein vollständig frei scheint von Ambivalenz, die die Figuren des Jüdischen noch in den 1990er Jahren begleitete. Eine ähnlich affirmative Darstellung findet sich in der fünften und sechsten Staffel von Sex and the City (HBO 1998-2004). Die Serie um vier Freundinnen in New York verhandelt in idealisierter Form praktisch alle kleinen und großen Ereignisse, die eine moderne Frau betreffen können: Beziehungen in allen Varianten, One Night Stands, sexuelle Erfüllung und Frustration, Einsamkeit, Übergewicht, Shopping, Job, Streit mit den Freundinnen, Hochzeiten und Scheidungen, Schwangerschaft und Geburt, Aids-Test, Brustkrebsdiagnose etc. Dabei werden alle Episoden aus der Sicht von Carrie Bradshaw (Sarah Jessica Parker) erzählt, einer erfolgreichen Kolumnistin mit einem komplizierten Liebesleben. Obwohl vor allem die explizite Thematisierung von Sexualität aus explizit weiblicher

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Sicht die Serie populär machte, wurde öfters darüber spekuliert, ob Carrie jüdisch sei. Es ist gegen Ende der Serie jedoch ihre Freundin Charlotte York – »the quintessential WASP«24 –, die auf einmal mit dem Judentum in Kontakt kommt. Sie verliebt sich nämlich in ihren Scheidungsanwalt Harry Goldenblatt (Evan Handler), den sie zuerst unästhetisch, aber erotisch anziehend findet. Harry ist ein »Mensch« durch und durch, warmherzig und liebevoll. Ohne so religiös zu sein wie Jacob Schramm in Keeping the Faith, ist Harry doch seinem Judentum sehr verbunden und als sie heiraten wollen, fordert er von Charlotte, dass sie konvertiert. Der Vorgang der Konversion wird in der Serie realistisch gezeigt. Charlotte wird zuerst von einem Rabbiner abgewiesen, nimmt dann Unterricht und nähert sich langsam der jüdischen Tradition an. Ironisiert wird das Ganze dadurch, dass Charlotte ihren Religionswechsel mit dem gleichen Perfektionismus angeht, mit dem sie auch ihr Park Avenue-Appartement einrichtet oder ihr Lauftraining absolviert, denn abgesehen von den religiösen Ritualen nimmt Charlotte auch jiddische Redewendungen auf. Doch was eigentlich das Judentum für Harry bedeutet, ist alles andere als klar. Als Charlotte für Harry ein perfektes Schabbat-Abendessen vorbereitet, wird sie von ihm tief verletzt. Er möchte eigentlich an dem Abend lieber ein Baseball-Spiel schauen (»Pick-A-Little, Talk-A-Little«, Folge 4,6). Die Szene führt zu einem bitteren Streit, auch wenn Harry und Charlotte sich gemäß dem pseudoromantischen Schema der Show wieder versöhnen werden. Es ist für diesen Essay geradezu eine Schlüsselszene: Charlotte, mit einem schwarzen langen Kleid und einem weißen Kopftuch bekleidet, spricht in perfektem Hebräisch und in der richtigen Melodie die Bracha über die Kerzen für den Schabbat-Anfang, während Harry an ihr vorbei auf den Bildschirm starrt, um das Spiel nicht zu verpassen. Charlotte ist in einem religiösen Sinn jüdischer als Harry, der nicht auf koschere Ernährung achtet und lieber ein Mets-Spiel 24 | < www.samuelfreedman.com/articles/jinterest/ust07172003.html>, (Herbst 2011).

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schaut als zu beten. Dass er trotz dieser Gleichgültigkeit auf einer Konversion und anschließend auf einer jüdischen Hochzeitszeremonie besteht, zeigt im Gegensatz zu Jacob in Keeping the Faith eine gewisse Ambivalenz bezüglich seines Jüdisch-Seins. Doch wiederum im Gegensatz zu Alvy Singer, dem Protagonisten aus Woody Allens Annie Hall, scheint er mit dieser Ambivalenz völlig problemlos umgehen zu können. Die Ambivalenz besteht – aber sie stört nicht. Vielmehr ist sie unaufhebbar, sie gehört zum modernen Leben dazu. Harry Goldenblatt aus Sex and the City ist ein erfolgreicher Anwalt in New York, ist klug und hat eine schöne Frau. Unmissverständlich ist er für das weibliche Publikum als Figur eines idealen Ehemannes angelegt. Die Tatsache, dass er auch noch jüdisch ist, dient zwar zur Charakterisierung seiner Figur, macht ihn aber in keiner Weise zu einem Vertreter einer besonderen Minderheit, es macht ihn nicht exotischer als die anderen Charaktere der Serie, die alle ihre eigenen Identitäten haben. Die Herausforderungen, die sich aus Charlottes Wechsel zum Judentum ergeben, werden in der Serie mit der gleichen Ironie und mit dem gleichen dokumentarischen Interesse behandelt, wie beispielsweise auch der große Altersunterschied in der Beziehung von Samantha Jones zu ihrem jüngeren Freund, Mirandas Affäre mit einem afroamerikanischen Arzt oder die Tatsache, dass deren Sohn, den sie zusammen mit einem irischen Katholiken hat, getauft werden soll. Es geht hier weniger um kulturelle Abweichungen von einem weißen Mainstream, sondern darum, dass es diesen gar nicht gibt, oder dass der Mainstream sich immer im Ausgleich und in der Auseinandersetzung der verschiedenen Minderheiten bildet. Die fiktiven weiblichen Charaktere in Keeping the Faith und Sex and the City konvertieren aus Liebe. Die jüdische Identität des Bräutigams ist weder ein Hinderungsgrund für diese Liebe, noch ein besonderer Attraktionsgrund. Weder Jacob Schramms noch Harry Goldenblatts Judentum ist irgendwie exotisch. Es ist ganz einfach ein wichtiger Teil ihrer Identität – und sie sind hip nicht trotz und auch nicht wegen ihres Judentums. Sie sind es aus sich selbst heraus. *

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Die kurze Geschichte der jüdischen Popkultur ist zwangsläufig auch die Geschichte des popkulturellen Mainstreams, der sich von einer Fiktion der WASPness in einen »Mainstream der Minderheiten« verwandelt.25 Dieser neue Mainstream ist eigentlich mehr ein Feld verschiedener Ströme und Nebenströme, die ineinander fließen und sich spalten. Heute sind dem entsprechend so viele und so vielgestaltige Figuren des Jüdischen in der Popkultur sichtbar geworden, dass allein der Gedanke an essentialistische Zuordnungen lächerlich erscheint. Begann diese Geschichte damit, dass Juden zu Schwarzen werden wollten, um hip zu werden, kann nun die umgekehrte Bewegung beobachtet werden. Ein inspirierendes Beispiel stellt in dieser Hinsicht der Afroamerikaner Yitzhak Jordan dar, der Anfang der 2000er Jahre zum Judentum konvertierte und unter dem Namen Y-Love als orthodoxer jüdischer Rapper in den USA und in Israel ziemlich erfolgreich ist. Y-Love ist Sohn eines äthiopischen Vaters und einer puertoricanischen Mutter und stammt aus sehr einfachen Verhältnissen in Baltimore. Heute sagt er in Interviews, dass ihn das Judentum immer schon angezogen habe und dass er eine »jüdische Neshamah«, eine jüdische Seele habe. Er sei über seine Großmutter, die anscheinend ebenfalls eine Affinität zum Judentum verspürte, zum Judentum gekommen, habe aber erst nach einigen orientierungslosen Jahren als Jugendlicher den Schritt der Konversion erwogen. Dieser hat er in einem chassidischen Umfeld in Brooklyn vollzogen und anschließend einige Zeit in einer orthodoxen Yeshiva [einer Talmud Hochschule] in Jerusalem zugebracht, die speziell für »Rückkehrer zum Glauben« oder Übergetretene konzipiert ist. Wie er in einem Interview erklärte, sei sein Lernpartner in der Yeshiva ein amerikanischer Jude namens David Singer gewesen, der sein Leben lang Hip Hop gehört habe; zusammen hätten sie Talmudtraktate mittels Rap memoriert. Als beide 2001 nach New York zurückkehrten, begannen sie, in kleinen Clubs aufzutreten. Obwohl Y-Love sowohl in der jüdisch orthodoxen als auch in der afroame25 | Vgl. den wichtigen Band: Tom Holert/Mark Therkessidis (Hg.): Mainstream der Minderheiten. Pop in der Kontrollgesellschaft, Berlin 1996.

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rikanischen Community auf Rassismus gestoßen sei, werde er als afroamerikanischer Jude je länger desto mehr akzeptiert. Im selben Interview erzählt er, dass die Yeshiva-Kids in Jerusalem ganz wild auf seine Musik seien – und seine Songs auch die einzige Hip Hop Musik sei, die von den Rabbinern zugelassen würde. Doch seine Platten verkaufen sich auch in den USA und bei einem nicht-orthodoxen Publikum gut. Dabei ist Y-Loves großes Thema die Bewegung zwischen dem Einzelnen und Gott, zwischen Exil und Israel. Seine erste CD, die 2008 veröffentlicht wurde, trägt den Titel This is Babylon. Die Texte sind auf Englisch, Hebräisch, Aramäisch, Jiddisch und Französisch und bilden so die babylonische Sprachverwirrung und die linguistische Vielfalt der jüdischen Diaspora ab. Jüdisch-Sein ist mit Y-Love so hip geworden, dass es sogar Hip Hop – die wohl hippste Ausdrucksform des Planeten – absorbieren konnte. Y-Love ist eine neue Figur des Jüdischen, die zum ersten Mal ganz hip im Exil ist.

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»The Rabbi is busy« Theodizee und Popkultur

Popkultur hat die Eigenart, stellenweise zum Kult zu werden. Pop kann sich in einen Religionsersatz verwandeln, die Produkte der Kulturindustrie werden dann von Fans als quasi heilige Gegenstände wahrgenommen. Im Pop resakralisiert sich bis zu einem gewissen Grad der profane Alltag der westlichen Welt. Im Verlauf dieses Prozesses ist es nur logisch, dass auch die moralische Frage nach Gut und Böse aufgeworfen wird, dass in mitunter kruder Form Antworten auf Hiobs alte Frage nach dem Sinn des menschlichen Lebens und Leidens gegeben werden. Die Brüder Joel und Ethan Coen haben sich in einigen Filmen mit diesem Aspekt der Popkultur beschäftigt und dies zumindest in ihrem jüngsten Film, A Serious Man (2009), auch aus dezidiert jüdischer Sicht und in bester jüdischer Tradition. Die Coens sind bereits selbst zum Kult geworden – spätestens mit ihrem Film The Big Lebowski von 1998, heute ein klassisches Beispiel der Gattung des Kult-Films. Es gibt unzählige Lebowski Fan-Clubs, Lebowski-Festivals und eine Tendenz, die Hauptfigur des Films als Religionsstifter darzustellen mit der eigenen »Online-Religion« Dudeism, die über ihre Webseite bereits über 50000 »Dudeism priests« ordiniert hat.1 Und nicht zuletzt beschäftigen sich verschiedene wissenschaftliche

1 | , (Herbst 2010).

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und semi-wissenschaftliche Publikationen mit einem religiösen Verständnis des Films.2 In The Big Lebowski geht es ebenfalls wie in A Serious Man um die Empfindung von Sinnlosigkeit angesichts existentieller Fragen, die oft in komischer Weise überzeichnet ist. Jüdische Identität wird in The Big Lebowski nur am Rand thematisiert, obwohl sie teilweise esoterisch kodiert darin enthalten ist. Es soll hier auf einige Aspekte dieses Films eingegangen werden, die Aufschluss über die Figuration von Identität geben. Diese Figuration ist immer in einem Wechselspiel von Kontingenz, also völliger Zufälligkeit, und essentiellen Zuschreibungen angelegt. Die Frage, was eigentlich Identität ausmacht, ist das innerste Thema des Films. The Big Lebowski ist zuerst die Geschichte einer Verwechslung: Es gibt zwei Figuren mit dem Namen Jeffrey Lebowski, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Der Gegensatz zwischen diesen beiden Personen, ohne deren unfreiwillige Verbindung der Plot aber gar nicht ins Rollen kommen würde, macht ein nicht unbeträchtlicher Teil der Komik und der Handlung aus. Die Coen-Brüder beziehen sich mit ihrem Film auf genau das populäre Genre, das die Sinnfrage traditionell nicht auflösen kann, nämlich den Film Noir.3 Es ist John Hustons Verfilmung von Dashiell Hammets Krimi The Maltese Falcon (1941) mit Humphrey Bogart in der Hauptrolle, die den Topos des unauffindbaren Sinns vorgegeben hat. Der Schatz, dem alle Protagonisten von Hustons stilbildendem Film so verzweifelt nachjagen, die kleine, anscheinend unendlich wertvolle Statuette des »Malteser Falken«, bleibt bis zum Schluss unauffindbar. Der Zuschauer erfährt zwar am Ende, wer die Morde ausgeführt hat und warum, doch das Rätsel des Films, nämlich die Beschaffenheit und der Verbleib des Falken, bleibt ungelöst. Der Plot erscheint auf einmal als völlig zufällig, es scheint ungewiss 2 | Zum Beispiel Cathleen Falsani: The Dude abides. The Gospel According to the Coen Brothers, Grand Rapids (MI) 2009. 3 | Vgl. Thomas S. Hibbs: »The Human Comedy Perpetuates Itself: Nihilism and Comedy in Coen Neo Noir«, in: Mark T. Connard (Hg.): The Philosophy of Neo Noir, University Press of Kentucky 2007, S. 137-150.

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zu sein, was eigentlich der Sinn der Story ist, die man eben noch gebannt verfolgt hat. The Big Lebowski ist als Parodie dieser Struktur angelegt. Hammett und Chandler seien Inspirationsquellen gewesen, wie die Coens in einem Interview erklärt haben.4 In The Big Lebowski begegnen die Zuschauer einer der vielen Sam Spade-Parodien der Popkultur, nämlich dem Dude, einem Lebenskünstler, dargestellt von Jeff Bridges, der in Vielem dem Typus des Schnorrers oder des Luftmenschen gleicht. Die Handlung des Films gänzlich zu rekapitulieren ist unmöglich. Satire, Dialogwitz und Thriller-Versatzstücke mischen sich zu einem traumhaften Panoptikum urbanen, multikulturellen Lebens im Großraum Los Angeles. Durch eine zufällige Verwechslung mit einem gleichnamigen Milliardär gerät der harmlose Althippie Jeffrey Lebowski, der Kiffen und Bowlingspielen zu seinen Hobbys zählt und zum Einschlafen gern dem Gesang der Wale lauscht, in einen Strudel aus kriminellen Ereignissen. Lebowski nennt sich selbst The Dude (oder El Duderino, oder His Dudeness). »Dude« ist ein Slang-Ausdruck, der universell einsetzbar ist, ungefähr mit »Kerl« oder »Alter« zu übersetzen. Vordergründig geht es um die Entführung von Bunny Lebowski, der jungen und attraktiven Gattin des »großen Lebowskis«. Am Schluss kommt jedoch heraus, dass diese Entführung gar nie stattgefunden hat, so wie auch das vermeintlich verschwundene Lösegeld über eine Million Dollar nie existiert hat. Ganz ähnlich dem berühmten »Malteser Falken« im Klassiker von 1941 erweist sich das Zentrum des Begehrens als leer, und die Story am Ende als Ablauf von Ereignissen, deren wahre Bedeutung man nie ganz erfahren wird. Die Figur des Films, die damit am wenigstens Mühe bekundet, ist Lebowski alias The Dude selbst, der sich von Anfang an eher widerwillig um die Aufklärung des Mysteriums kümmert, aber viel mehr an einem geruhsamen Leben interessiert ist. Immer begleitet wird Lebowski von seinem Freund und Bowlingpartner Walter Sobchak, gespielt von John Goodman, einem 4 | Vgl. die Aussagen von Joel und Ethan Coen in The Making of The Big Lebowski, auf , (Herbst 2010).

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Vietnam-Veteran, der, obwohl er eigentlich Katholik ist, einige Elemente des Judentums seiner Exfrau angenommen hat. Walter zitiert Maimonides und Theodor Herzl, und weigert sich, am Schabbat in der kalifornischen Bowlingliga anzutreten. Auf die Frage seines Kumpels Donny, was Schabbes sei, lautet seine berühmt gewordene Antwort: »Saturday, Donny, is Shabbes, the Jewish day of rest. That means I don’t work, I don’t drive a car, I don’t fucking ride in a car, I don’t handle money, I don’t turn on the oven, and I sure as shit don’t fucking roll! Shomer shabbes!« Durch die Figur Walters, der aggressiv seine Identität einfordert, wird der Blick frei für die seltsame Identitätslosigkeit Jeffrey Lebowskis selber. Es ist natürlich spekulativ zu behaupten, dass Lebowski alias The Dude jüdisch ist, und es ist für das primäre Verständnis des Films auch völlig egal. Neben seinem Namen hat der Dude jedoch noch andere Eigenschaften, die ihn als potentiell jüdische Figur ausweisen: die von ihm verkörperte Welthaltung universeller Gelassenheit und Gleichheit aller, die Beharrlichkeit, mit der er seine säkularen Rituale in einer zentrumslosen Welt pflegt, der er sich doch perfekt angepasst hat. Dies macht ihn, wie man es mit den Worten des Historikers Juri Slezkine zutreffend beschreiben könnte, zu einer Figur »gleichermaßen für das Unbehagen an der Moderne und für ihre Errungenschaften«5 und damit zum einzig »wahrhaft Modernen.«6 Das moderne säkulare Judentum besitzt eine Tendenz, sich in universalistischen Weltanschauungen selbst zu überschreiten. Bedeutsam sind etwa in der Geschichte der Juden in Osteuropa Ende des 19. und anfangs des 20. Jahrhunderts die jüdischen Kommunisten und Sozialisten. Oft wurde von Historikern beschrieben, wie sich der religiöse in einen politischen Messianismus verwandelte, was auch für den Zionismus einen wichtigen Faktor darstellte. In ganz anderer Weise kann auch die Psychoanalyse als eine solche 5 | Juri Slezkine: Das jüdische Jahrhundert, aus dem Englischen von Michael Adrian, Bettina Engels und Nikolaus Gramm, Göttingen 2006, S. 91. 6 | Ebd.

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Transformation ursprünglich religiösen Denkens in eine weltliche Form eines großen Sinnzusammenhangs verstanden werden, die vor allem für gebildete, assimilierte Juden in Westeuropa und den USA attraktiv wurde. Diese jüdische Tendenz zur Universalisierung zeigt sich beim Dude in verschiedenen Posen und messianischen Zuschreibungen von Außen. Der von Sam Elliot verkörperte Erzähler in CowboyKluft, der im Film ab und zu auftaucht und »The Stranger« genannt wird, sagt am Schluss des Films: »It’s good knowin’ he’s out there, the Dude, takin’ it easy for all us sinners.« Wenn der Dude ein Glaubensbekenntnis hat, dann heißt es also »Take it easy.« Und er nimmt es für uns alle easy. In einem Artikel beschreibt Jeff Bridges diesen messianischen Aspekt des Dudes folgendermaßen: Then there’s this perspective. A few years ago I met a guy named Bernie Glassman. Bernie started an organisation called the Zen Peacemakers and has founded a number of Zen centres in the United States. He calls his brand of Zen Farkatke Zen. He’s a Jewish fella, a wonderful cat. Anyway, we got to talking, and he said, »You know, a lot of folks consider the Dude a Zen Master.« I said, »What are you talking about? Zen?« He said quite a few people had approached him wanting to chat about the Dude’s Zen wisdom. I’d never heard of that. I never thought of the Coen Brothers as Zen guys. They never talked about it. I don’t think the word Zen was ever mentioned, or Buddhism, or Judaism, for that matter. I don’t think of the Dude as a fancy spiritualist or anything like that. But I can see what these folks are talking about. There’s enough room in the movie that a lot can be read into it.7

In einer gewissen Weise ist der Dude die Figur der Figuration selbst. In ihm eröffnen sich unendlich viele, kontingente Möglichkeiten, Identität zu übertragen, auch wenn die Worte »Buddhism« oder »Ju7 | Jeff Bridges: »Zen and the Art of Dudeliness«, in: The Guardian, 27. Juli 2007. (Herbst 2010).

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daism« gar nie erwähnt werden. Und doch ist es wiederum nicht kontingent, dass es ein »Jewish fella« ist, der auf die Idee kommt, der Dude könnte ein Zen-Meister sein. Wer eigentlich der große Lebowski aus dem Titel ist, bleibt insgesamt fragwürdig. Im Büro des Milliardärs Lebowski hängt ein kleiner Wandspiegel, der gestaltet ist wie ein »Times-Magazine«-Cover mit dem Untertitel »Man of the Year«, in dem sich der Betrachter selbst sehen kann. Als der Dude zum ersten Mal seinen Namensvetter besucht, blickt er ebenfalls in diesen Spiegel – und erscheint so als ein postmoderner Jedermann. Der Dude bleibt ohne inneren Identitätskern, er ist der, den man in ihm erblickt. Wer »the man in me« eigentlich ist, bleibt ganz wie in Bob Dylans Lied mysteriös, zu dem der Dude in einer der berühmtesten Szenen des Films völlig high durch den Nachthimmel über Los Angeles schwebt. The Big Lebowski ist durchgehend und konsequent als Inszenierung metaphysischer Fragen angelegt, liefert aber ebenso konsequent weder letzte Antworten, noch verweist der Film auf irgendein tieferes Verständnis. Die Figuren reden ununterbrochen an einander vorbei ohne sich zu verstehen (Lebowskis »What’s the point, Walter?« ist sprichwörtlich geworden). Die deutsche Gangsterbande nennt sich »Nihilisten«, wenn Walter »the Rambam« (also Maimonides als hohe religiöse jüdische Autorität) zitieren will, wird er unterbrochen bevor er zu einem Inhalt kommen kann, und der Kubaner Jesus Quintana, ein narzisstischer und pädophiler Bowlingspieler (John Torturro), hat mit seinem Namenspatron eigentlich nur den Namen gemeinsam. Einzig Bowling als rituelle und gemeinsame Beschäftigung scheint eine Art Lebenssinn zu vermitteln, der sich schlicht mit den Worten »Take it easy« ausdrücken lässt. * Im Gegensatz dazu beginnt der Film A Serious Man mit traditionellen Worten, nämlich mit einem Zitat des wichtigsten mittelalterlichen Bibelkommentators Rashi (Rabbi Schlomo Jizchak, 1040-1105), was jedoch erstaunlicherweise sehr nahe am Credo des Dude ist:

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»Receive with simplicity everything that happens to you.« Bei dem Zitat handelt es sich um einen aus dem Kontext genommenen Satz aus dem Kommentar zum 18. Kapitel des Fünften Buch Moses. Es ist nur der erste von verschiedenen Sinn-Sprüchen aus unterschiedlichen Quellen, die durch den ganzen Film hindurch allgemeine Lebensweisheiten zum Ausdruck bringen. Am Schluss des Films wird ein alter Rabbiner zu Wort kommen, der jedoch nicht wie man erwarten würde ebenfalls aus dem Talmud zitiert, sondern aus dem Text eines berühmten Songs der Band Jefferson Airplane, der im Soundtrack des Films enthalten ist und auch sonst eine gewisse Rolle spielt. Die Handlung umfasst etwa zwei Wochen des Jahres 1967 und ist in einem Suburb von Minneapolis angesiedelt. Autos, Häuser und sozialer Habitus strahlen solider und konservativer Mittelstand aus, auch wenn die Allgegenwart von Cannabis, die Musik von Jimi Hendrix und Jefferson Airplane eine aufkommende Gegenwelt zumindest andeuten. Der Film ist fast gänzlich aus der Perspektive des Physik-Professors Larry Gopnick (Michael Stuhlbarg) erzählt, der in eine Lebenskrise gerät: Seine Frau Judith (Sari Lennick) eröffnet ihm völlig unerwartet, dass sie sich in seinen Kollegen Sy Ableman (Fred Melamed) verliebt hat und sich scheiden lassen will. Ein koreanischer Student, der durch die Prüfung gefallen ist, versucht ihn zu bestechen. Sein leicht retardierter Bruder lebt zeitweilig im Wohnzimmer und erwartet einen Prozess wegen illegalen Glücksspiels und »Sodomie«. Die Anwaltskosten treiben Larry in den Ruin und nicht einmal seine Berufung auf eine feste Stelle an der Universität ist noch sicher. Dazu kommt, dass die pubertären Kinder Nervensägen sind. Im Lauf des Films stirbt der Liebhaber seiner Frau bei einem Autounfall und wie selbstverständlich ist es Larry, der für dessen Begräbnis aufkommen soll. Mit einem Wort, Larry ist ein Hiob unserer Zeit. Ein ebenso Mitleid erregendes wie undurchsichtiges Schicksal treibt ihn zur Verzweiflung. Öfters wiederholt er, dass er doch gar nichts getan habe: »I havn’t done anything!« Aber genau da scheint Larrys Missverständnis anzu-

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fangen. Als exakter Naturwissenschaftler weiß er zwar, dass Handlungen Konsequenzen haben. Doch er muss sich von seinem in Mathematik ungenügenden Studenten Clive Parks belehren lassen. Alle Interpretationen von Handlungen seien reine Vermutungen, die höchst unsicher seien: »Mere surmise. Very uncertain.« Larry unterrichtet gerade Schrödingers Paradox, nach dem unter Umständen zwei sich ausschließende Zustände gleichzeitig als Realität angenommen werden müssen. Diese Erkenntnis im täglichen Leben umzusetzen, fällt ihm jedoch schwer. Als der Vater dieses Studenten den Professor beschuldigt, das Geld genommen zu haben, ohne die Noten zu verbessern und gleichzeitig droht, ihn wegen Diffamierung seines Sohnes als Erpresser zu verklagen, meint Larry: »Look. It doesn’t make sense. Either he left the money or he didn’t.« Mr. Parks antwortet: »Please. Accept the mystery.« Das Mysterium mit Gelassenheit zu akzeptieren, also das, was dem Dude in The Big Lebowski so spielend gelingt, ist schließlich auch das Motto dieses Films. Wie in The Big Lebowski wird auch hier jüdische Tradition und fernöstliche Alltagsweisheit in ihrem kleinsten gemeinsamen Nenner fusioniert. Larry aber ist eine Art Anti-Dude: Er versucht so verzweifelt, ein ernsthafter Mensch zu sein, dass er alle Hinweise, wie sich sein Leben vereinfachen könnte, ignoriert. Er hält an einem kausalistischen Verständnis von Schicksal fest, anstatt es in seiner Dunkelheit und Unerklärbarkeit anzunehmen. Beinahe alle Personen, die im Film vorkommen, sind Juden. Joel und Ethan Coen haben das Milieu ihrer Kindheit detailgetreu portraitiert. Es ist nicht bloß eine universelle Comédie Humaine, die der Film vorführt, sondern eine explizit jüdische Komödie. Eine Bekannte aus der jüdischen Gemeinde rät Larry, sich trotz seiner Bedenken als Naturwissenschaftler an den Rabbiner der Gemeinde zu wenden. Es sei eben nicht immer einfach, herauszufinden, was Gott von einem möchte, aber: »We’re Jews! We’ve got that well of tradition to draw on, to make us understand.« Allein in der Tatsache, jüdisch zu sein, würde schon ein Teil des Trostes liegen. Es ist die unerschöpfliche Quelle der Tradition und die Gewissheit des Kollektivs, auf die Larrys Bekannte vertraut.

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Die drei Rabbiner, die bei der (fiktiven) jüdischen Gemeinde B’nei Abraham beschäftigt sind, geben Larry nicht die erhofften Antworten. Der erste ist Junior-Rabbiner Scott, der doziert, dass sich Gott überall offenbart, sogar auf dem Parkplatz, der aus seinem Büro zu sehen ist. Es würde nur darum gehen, eine andere Perspektive auf die Dinge zu entwickeln. Einen solchen anderen Blick wagt Larry im Film genau einmal, leider bloß weil er bekifft ist. Als die sinnliche und auch etwas geheimnisvolle Nachbarin, von Larry still begehrt, ihn zu einem Ice-Tea einlädt und ihn anschließend zum Rauchen eines Joints verführt, liegt er ruhig auf der Couch und betrachtet sein Glas im Gegenlicht. Vielleicht, murmelt er, hatte Rabbi Scott doch recht. Auf einmal scheint er im Cannabis-Rausch zu verstehen: »He spoke of perception. All my problems are just … are just a mere …« Die Bedeutung der Wahrnehmung, beziehungsweise die Erkenntnis, dass Gott eben nicht aus der subjektiven Sicht Larrys auf die Welt blickt, wäre ein Anfang. Dass unendlich viele andere Wahrnehmungen möglich sind, und dass damit auch die Frage, warum etwas ausgerechnet ihm passiert, eine sinnlose Frage ist, weil immer irgendetwas ausgerechnet jemandem passiert, dämmert Larry vielleicht in diesem Moment. Doch wie alle Erkenntnisse im Rausch, wird auch diese schnell vergessen. Und bevor Larry in seiner Meditation fortfahren und zu einer Lösung seiner Krise finden kann, wird er schon von der nächsten Katastrophe überrascht. Mit heulenden Sirenen fährt die Polizei vor, die gerade seinen unzurechnungsfähigen Bruder verhaftet hat. Als Larry beim zweiten Rabbiner, dem leitenden Rabbiner der Gemeinde, vorspricht, fragt er gequält, was Gott ihm mitzuteilen versucht, indem er für das Begräbnis seines Rivalen bezahlen soll: »What is HaShem [=Gott] trying to say me, making me pay for Sy Abelman’s funeral?« Rabbi Nachner erzählt darauf hin eine vollkommen absurde Anekdote eines anderen Gemeindemitglieds, eines Zahnarztes, der auf den Zähnen eines seiner nichtjüdischen Patienten hebräische Buchstaben eingraviert findet, welche die Worte »Hilf mir« ergeben. Der Zahnarzt erfährt jedoch nie den Grund dieses Wunders und muss sich nach tagelangem Nachforschen eben-

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falls mit dem Mysterium abfinden. Wie die Schrift auf die Zähne kam und ob sie sogar eine Nachricht von Gott war, weiß niemand. Nachners lakonische Antwort auf die ungelösten Fragen lautet: »The teeth? We don’t know. A sign from HaShem? We don’t know. Helping others? Couldn’t hurt.« Gott gibt eben keine Antworten auf die drängenden Fragen des Lebens. Sein Gesetz aber ist gültig, egal ob wir an ein Wunder glauben, sonst eine Erklärung finden oder uns mit der schieren Unerklärbarkeit zufrieden geben. Der zweite Rabbiner lenkt Larry damit weniger hin zur Wahrnehmung der Welt, als zu ihrer existentiellen Tatsächlichkeit: Ob wir sie mögen oder nicht, es gibt nun mal nur diese eine Welt, die wir haben und in der wir sind. Gott verrät uns nicht, warum wir hier sind. Es gibt nur eines, dessen man sich gewiss sein kann: Altruismus, anderen zu helfen, gut zu sein, schadet wenigstens nicht. Dies verdichtet sich auch in Nachners ironischem Hinweis an Larry, als dieser verzweifelt danach fragt, warum Gott ihm jeglichen Sinn verweigert, obwohl er ihn die Frage danach so schmerzhaft spüren lasse: »He hasn’t told me.« Obwohl die Figur Nachners die Parodie eines modernen Rabbiners darstellt – er ist eitel, sein ganzes Auftreten wirkt vollkommen narzisstisch – muss man diese Aussage für das Judentum der Moderne ernst nehmen: Gott schweigt. Auch in der folgenden Szene, der Abdankung von Sy Abelman in der Synagoge, spricht Nachner zur versammelten Gemeinde von dieser Unzugänglichkeit. Die kommende Welt, ha olam haba, sei im Gegensatz zu dieser Welt, ha olam haze, keine wirkliche Welt. Man könne sie sich nicht als Paradies vorstellen, sie sei keine Belohnung, die auf diejenigen warte, die gut waren. Die kommende Welt, das sei der »Schoß Abrahams«. Mit dieser allegorischen Figur, einem biblischen Bild, kann man zwar ebenfalls nicht viel Konkretes verbinden. Vielmehr ist damit das selbe gemeint, das Larrys mütterliche Bekannte ihm mitgibt. Es ist die Tatsache der jüdischen Gemeinschaft, die mit historisch gewachsenen Riten und Traditionen dem Einzelnen Sinn verspricht. Es ist die reale Gemeinde mit ihren sozialen Strukturen, die im Film nicht umsonst B’nei Abraham, also »Söhne

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Abrahams«, heißt, was auch das ganze Judentum meinen kann. Die Gewissheit, als Jude zu sterben, heißt, nicht alleine zu sterben. Larry hört Nachner in der Synagoge allerdings nicht zu. Eifersüchtig beobachtet er stattdessen seine Frau, die hinter einem schwarzen Schleier Tränen für den toten Liebhaber vergießt. Es ist, als würde Larry seinem eigenen Begräbnis beiwohnen, außer dass er kurz vor dem Tod noch mit dem überheblichen und unsympathischen Sy ausgetauscht wurde. In Selbstmitleid versunken ist Larry unzugänglich für den Trost, der in Nachners mahnenden Worten liegt, wie zweifelhaft dieser auch immer sein mag. Die Schönheit der Tradition holt ihn einige Tage später ein. Nach einer schrecklichen Nacht, in der er träumt, wie sein nichtjüdischer Nachbar Jagd auf Juden macht und seinen Bruder und ihn erschießt, wacht er noch in der Dämmerung auf. Schlaftrunken bemerkt er: »It’s Shabbes.« Larry erinnert sich in diesem Augenblick, dass an diesem Samstag die Bar Mitzwa seines Sohnes Danny stattfindet, auf die er sich freut. Doch dieses »It’s Shabbes« steht für die umfassende Tatsache, das Unglück wie das Glück, Jude zu sein. Larrys Worte »It’s Shabbes« sind an ihn selbst gerichtet, sie sind damit ein Gegenstück zu Walters Kampfansage »Shomer Shabbes« in The Big Lebowski. Es handelt sich hier nicht um eine aggressive und nach außen gerichtete Bestimmung der eigenen Identität, sondern um eine stille und selbstgenügsame. Die folgende Szene der Bar Mitzwa ist denn auch die einzige Szene des Films, in der Larry Ruhe finden kann. Die ganze Gemeinde ist versammelt und wirkt in sich selbst zufrieden. Obwohl Danny vor dem rituellen Vorlesen noch einen Joint geraucht hat, bringt er alles tadellos hinter sich. Die Eltern sind stolz und sogar Judith scheint sich Larry wieder anzunähern. Den ganzen Film über ist Larry jedoch verständlicherweise weit davon entfernt, seinem Schicksal einen Sinn abzuringen – und die, welche eine besonderen Sinnfülle vermitteln sollten, nämlich die Rabbiner, erscheinen nur als Personifikation einer schmerzenden Leerstelle. Auch beim dritten Rabbiner hat Larry kein Glück. Der uralte und als höchste Autorität der Gemeinde angesehene Rabbi

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Marshak lässt über seine Vorzimmerdame ausrichten, dass er beschäftigt sei: »The Rabbi is busy.« Für einen kurzen Moment gelingt es Larry in das Büro des rätselhaften Geistlichen spähen. Er erblickt ihn regungslos an seinem Pult sitzend und meint: »He doesn’t look busy!« Doch der verzweifelte Protest ist wirkungslos. Die Szene vergegenwärtigt in komischer Weise das alte Problem der Theodizee, also der nach Leibniz benannten Frage nach dem Status des Leidens in einer von Gott als gut erkannten Welt. Denn was auch immer Marshaks Geschäft eigentlich ist, es benötigt vor dem unendlich weit unter ihm befindlichen Larry keine Rechtfertigung. Es ist eben nicht nur der alte Rabbiner, der beschäftigt ist, ohne dass man es sieht. Es ist der Allmächtige selbst, der so »busy« ist, obwohl keiner eigentlich weiß, mit was. Auf jeden Fall muss sich Gott – und Larry scheint trotz seines physikalischen Weltbilds einen solchen anzunehmen – nicht um die Gerechtigkeit der Menschen kümmern. Er hat seine eigene Gerechtigkeit, die sich nicht am Leiden der einzelnen Menschen messen lässt. Auch auf diese Szene folgt ihr Gegenstück, aus dem hervorgeht, dass Larry die Antwort, die er vom Rabbiner einfordert, bereits besitzt. »I need help!« lautet seine Klage vor Marshaks Tür. In der Nacht hat sein Bruder Arthur einen Weinkrampf. Auch Arthur, der im Leben nichts Vorzeigbares erreicht hat, hadert auf seine Weise mit Gott. Er ist völlig aufgelöst und eifersüchtig auf den jüngeren Bruder, der doch wenigstens eine Familie und einen Job hat. »HaShem hasn’t given me shit. He hasn’t given me bupkes!« [=»Gott hat mir keinen Scheiß gegeben. Er hat mir gar nix gegeben!«] Gegenüber dem armen Bruder fällt Larry nun ein, was er auch zu sich selber sagen könnte: »It’s not fair to blame HaShem. Sometimes you have to help yourself.« Es ist genau der Ratschlag, den Larry vom schweigenden Marshak erwartet, und den er doch bereits kennt, ohne ihn auf sich selbst anwenden zu können. Marshak kommt im Film aber noch einmal vor und spricht sogar. Er spricht jedoch nicht zu Larry, sondern zu dessen Sohn Danny. In der Gemeinde B’nei Abraham ist es Brauch, dass die Jungen nach ihrer Bar Mitzva zu Rabbi Marshak geschickt werden. So betritt der

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völlig bekiffte Danny das geheimnisvolle Zimmer, das seinem Vater verwehrt bleibt. Er findet sich in einer Zauberhöhle wieder, vollgestopft mit den verschiedensten Gegenständen, Büchern, mysteriösen medizinischen Modellen und einem einschüchternden Ölgemälde von der Bindung Isaaks. Dieses Gemälde bildet ein besonders hinterhältiges Detail, zeigt es doch genau den schrecklichen Moment, in dem der Sohn Abrahams beinahe zum Opferlamm seines Vaters wird. Dadurch wird die Verheißung an Abraham erneuert. Es ist ein zwiespältiger Gründungsmoment des Judentums. A Serious Man kommt aber vollkommen ohne Pathos aus. Danny erhält von Rabbi Marshak sein Radio zurück, der im Hebräischunterricht konfisziert wurde. Marshak mustert den verständnislos vor ihm sitzenden Jungen und rezitiert schließlich mit einer heiseren Altmännerstimme die Anfangsworte des Jefferson Airplane Songs »Somebody to love«: »When the truth is found to be lies« – der Rabbiner zieht den Schleim durch die Nase und fährt fort – »and all the hope within you dies.« Er macht eine bedeutungsschwangere Pause und fragt: »Then what?« Die Frage würde als Antwort genau den ungenannten Titel des Songs provozieren, nämlich die Hippie-Weisheit »you better find somebody to love«. Stattdessen zählt Marshak aber Mitglieder von Jefferson Airplane auf, als seien sie die Rabbiner, die an einer talmudischen Diskussion beteiligt sind: »Grace Slick, Marty Bailin, Paul Kantner, Jorma …« Marshak ist der Nachname »Kaukonen« entfallen, der ihm von Danny vorgesagt wird, so wie in der vorherigen Szene der Kantor Danny die hebräischen Worte des zu rezitierenden Tora-Abschnitts einflüstert. Die Moral, die Marshak Danny auf den Weg gibt, lautet »Be a good boy.« Es ist die gleiche Moral, die Kollege Nachner ex negativo und etwas ironischer als »Helping others? Couldn’t hurt« beschrieben hat. Ob Danny diese einfache Maxime beherzigen will, weiß man nicht. Der offene Schluss des Films deutet zumindest an, dass sein Vater Larry bald ein Stück weit vom Pfad der Tugend und seinem Motto, ein »serious man« zu sein, abweichen wird. Der Film spielt mit der Austauschbarkeit der verschiedenen Zitate. Ob der Rabbiner zum Text einer psychedelischen Rockgruppe

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greift, oder ob er Rashi zitiert, wie man es von ihm erwarten würde, ist gleichbedeutend geworden. Schon längst sind bestimmte Songs oder Kontexte der Popkultur, das wird hier angedeutet, kanonisch geworden, bilden selbst eine Tradition, die mit der tausende Jahre älteren Tradition so eng verwoben ist, dass beide bald ununterscheidbar sind. Judentum und Popkultur sind in A Serious Man beinahe eins geworden, auf jeden Fall wird sich dieses Judentum, das des späten 20. Jahrhunderts im Mittleren Westen der USA, das von Joel und Ethan Coen vorgeführt wird, bald unter dem Einfluss der Popkultur transformieren.8 Es wurde in diesem Kapitel bereits festgestellt, dass der Dude aus The Big Lebowski eine Gegenfigur zu Larry Gopnick darstellt – und es ist ein reizvolles Gedankenspiel, dass der Dude selbst, dieser Kiffer mit der Hippie-Vergangenheit, Larrys Sohn sein könnte.9 Natürlich stimmen die Namen nicht überein, aber die Jahre, in denen die Handlung der beiden Filme jeweils angesiedelt sind, lassen diese Deutung zumindest symbolisch zu. A Serious Man spielt in den späten 1960er und The Big Lebowski in den frühen 1990er Jahren. Danny wäre dann genau dieser »good boy«, jener, der es schafft, alles easy zu nehmen, der hip wird, während sein Vater an den eigenen moralischen Gesetzen scheitert und ganz und gar nicht hip ist. * Vor dem Einsetzen der Haupthandlung beginnt der Film A Serious Man mit einer in schwarz-weiß gehaltenen Anekdote, einer Art Vorfilm, in dem durchgehend Jiddisch gesprochen wird und der in einem osteuropäischen Schtetl spielen soll. Es ist eine von den Coens 8 | Dazu passt auch die Diagnose von Joshua Neuman, dem Herausgeber des Heeb-Magazines – dass die Popkultur für das säkulare amerikanische Judentum zu einem neuen, quasi religiösen Kanon geworden sei, vgl. Joshua Neuman: »Die Religion der jüdischen Popkultur«, in: JMB. Jüdisches Museum Berlin Journal, 2011, Nr. 4, S. 60-61. 9 | Diese bestechende Idee – und auch einige damit verbundene Gedanken am Schluss diese Kapitels – verdanke ich Daniel Lis aus Basel.

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erfundene Legende, in der bis zum Schluss unsicher ist, ob ein Mann ein Dibbuk ist, also ein Gespenst, oder ein Lebender. Diese Unschärfe verbindet den Vorfilm mit der Handlung um den glücklosen Physikprofessor. Gleichzeitig haben Joel und Ethan Coen sich aber noch weitergehend dazu geäußert, sie haben ihrem Film einen Deutungsrahmen gegeben, der ihn innerhalb der jüdischen Moderne verortet. You look at a shtetl, and you go, »Right—Jews in a shtetl.« And then you look at the prairie in Minnesota and you kind of think—or we kind of think, with some perspective on it, having moved out, »What are we doing there?« It just seems odd. Added Joel Coen: »Mel Brooks once had a song called ›Jews in Space.‹ I guess that’s sort of the idea.«10

Erstaunlicherweise sprechen auch Joel und Ethan Coen von einer Idee der jüdischen Authentizität oder zumindest von einer Selbstverständlichkeit jüdischer Existenz im osteuropäischen Schtetl ganz ähnlich wie dies bereits bei Woody Allen reflektiert wird. Juden im Mittleren Westen Amerikas erscheinen noch aus der Perspektive des beginnenden 21. Jahrhunderts und aus der Sicht zweier jüdischer Filmemacher, die eine Generation später geboren wurden, »odd«, also merkwürdig oder skurril. Joel Coen zieht sogar Mel Brooks heran und vergleicht die Region, wo er selber mit seinem Bruder aufgewachsen ist, mit dem Weltraum, in dem Juden deplaziert oder komisch erscheinen. Aus der Sicht der Regisseure ist die Bedingung von Larrys Existenz also wesentlich von dieser Deplatziertheit geprägt. Doch es ist nicht nur er selber, seine Anwälte, der Anwalt seiner Frau, die Ärzte und die Kollegen an der Universität sind Juden. Der Film spielt im Grund ebenfalls in einem Schtetl, einem Schtetl, das zwar geographisch verschoben ist, aber trotz seines materiellen Aufstiegs und seiner Verbürgerlichung eine sehr geschlossene soziale, religiöse und kulturelle Struktur aufweist. Die Coens wollen nicht entschei10 | , (Herbst 2010).

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den, ob das amerikanische Judentum bloß einen Dibbuk darstellt – oder noch am Leben ist. Gegen Ende des Films bekommt Larry einen Anruf seines Arztes – und es wird eine vernichtende Diagnose angedeutet. War die Entspannung und die Wendung zum Guten nur ein Aufschub? Die Frage bleibt offen, so wie auch der denkwürdige Schluss des Films insgesamt. Dieser verschiebt die individuelle Theodizee Larrys hin zu einer kollektiven, auch wenn diese Wendung ebenfalls nur angedeutet bleibt. Ein Unwetter kommt auf und eine Tornadowarnung wird ausgesprochen. Im Schlussbild sieht man, wie ein Furcht erregender Wirbelsturm von der rechten Leinwandhälfte auf Dannys Hebrew School zurast, der immer noch »Somebody to love« von Jefferson Airplane hört. Die treibenden Gitarrenriffs verleihen der Szene eine endzeitliche Stimmung. Es sieht aus, als ob HaShem zu den Juden von B’nei Abraham kommt, sich in einer Rauchsäule seinem Volk im Exil zeigt, ob um es grausam zu strafen oder um es in die Freiheit zu führen, das bleibt ungewiss. Das Schlussbild von Danny, der auf den nahenden Tornado blickt, ist aber auch ein eindrückliches Bild für die historische Situation um 1968: Bald wird das bürgerlich-traditionelle Milieu, das der Film so lebensgetreu zeigt, aufgewirbelt werden. Die jüdische Minderheit, die sich so gemütlich in ihrem neuen amerikanischen Schetl eingerichtet hat, wird sich bald als eine unter vielen kulturellen Gruppen wieder finden.

»The Inquisition – What a Show!« Massenmord in der Popkultur

Als Steven Spielberg bei der Oscar-Verleihung 1993 einen Oscar als bester Regisseur für Schindler’s List bekam, war das in verschiedener Hinsicht ein spezieller Moment. Schindler’s List stellt eine Wasserscheide in der populären Vermittlung der Shoah dar. Denn Spielberg war und ist einer der größten Unterhaltungsfilmer und Produzenten Hollywoods, der mit Filmen wie Jaws (1975) (Der weiße Hai), E.T. the Extraterestrial oder der Indiana Jones-Serie reich und berühmt wurde. Man solle sich einmal vorstellen, so schrieb der Kulturkritiker John Gross in der New York Review of Books, dass Walt Disney persönlich einen Film über den Holocaust drehen würde. Dieser Vergleich sei ihm als erstes eingefallen, als er von Spielbergs Vorhaben hörte. Doch Gross war wie viele Kritiker begeistert vom Resultat. Schindler’s List gilt allgemein als geglückte Auseinandersetzung mit der Shoah im Medium des Blockbusters. Der Publikumserfolg war beachtlich und bis heute ist der Film bei einem breiten Publikum der Holocaust-Film geblieben. Viele jüngere Zuschauer in den USA, aber auch in Europa, haben sich wohl im Kino zum ersten Mal bewusst mit dem historischen Faktum des Völkermords beschäftigt. Das Echo von Schindler’s List hat dasjenige der vierteiligen Miniserie Holocaust (1978), die als erste populäre Thematisierung der Shoah gelten kann, bei Weitem übertroffen, was am historischen Zeitpunkt nach dem Fall des Eisernen Vorhangs liegt. Das Ende des Kalten Kriegs hat den Blick auf einmal frei gemacht auf das Jahrhundertverbrechen. So gelang 1993 nicht nur der Holocaust in die Popkultur, sondern die Popkultur prägt seit diesem Datum das Bild des Holocausts entscheidend mit.

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Spielberg gewann für Schindler’s List seinen ersten Oscar. Es ist aufschlussreich, seine Rede anlässlich der Verleihung unter die Lupe zu nehmen. An erster Stelle würdigt Spielberg den polnischen Holocaust-Überlebenden Poldek Pfefferberg, der sein Leben Schindler verdankt und der Thomas Keneally veranlasste, das Buch zu schreiben, welches zur Vorlage des Films wurde. Nachdem der Regisseur auch seinem Drehbuchautor, den Schauspielern, seiner Frau und seiner Mutter gedankt hat, richtet er sich im letzten Satz in einer merkwürdigen Weise an die anonymen Toten: »And to the six million who … who can’t be watching this among the one billion watching this telecast tonight.« [»Und für die sechs Millionen, die … die das hier nicht sehen können unter der Milliarde, die diese Übertragung sieht.«] Spielberg hadert an der Oscar-Nacht in aller Kürze mit einer Widersprüchlichkeit seines Films. Die Geschichte der »Schindler-Juden« ist die Geschichte von Überlebenden, während die Geschichte der meisten Juden in Osteuropa mit dem Tod endete. Sein deutscher Protagonist, an dessen offensichtlicher charakterlicher Ambiguität Spielberg interessiert war, hat Juden gerettet, während die große Mehrheit der Deutschen passiv blieb oder sich als Komplizen mitschuldig machte. Von Stanley Kubrick ist der Ausspruch überliefert, dass Schindler’s List ein Film über Erfolg, »success«, sei, während es beim Holocaust um das Misslingen, »failure«, gehe, nämlich um das komplette Versagen der europäischen Zivilisation. Der Film kann also gar nicht repräsentativ sein. Und doch möchte Spielberg darin mit aller Kraft eine historisch relevante Aussage machen und ihn den Ermordeten widmen. In der Gegenüberstellung der unvorstellbaren Anzahl von Opfern mit der noch um ein Vielfaches größeren Anzahl der Fernsehzuschauer in der Oscar-Nacht deutet der Regisseur einen fernen Sinnhorizont an, der sich aus seinem Film ergibt, dass nämlich jetzt endlich im popkulturellen Event die ganze Welt vom Massenmord Kenntnis nehme. Vielleicht drückt sein Satz aber nur eine Hilflosigkeit aus, die in der absoluten Unvereinbarkeit der extremen Realität von Ghetto und Todeslager mit der Situation bei einer Hollywood-Preisverleihung besteht. Spielbergs Widmung, als eine pointierte Verdichtung

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des ganzen Films mit der ihn begleitenden Rezeption, macht auch auf eine zunehmende Wichtigkeit des Holocausts für die jüdische Identität amerikanischer Juden aufmerksam.1 Das eigene JüdischSein wird als Verpflichtung gegenüber den Opfern in Europa verstanden. Es soll hier nur am Rand auf den Inhalt von Schindler’s List eingegangen werden – Film- und Kulturwissenschaftler haben dies mit großer Ausführlichkeit und Genauigkeit bereits getan – und auch nicht auf die allgemeine Diskussion um die Repräsentierbarkeit des Holocausts, die dem Film folgte. In diesem Kapitel stehen die popkulturellen Referenzen auf Schindler’s List im Zentrum. Denn Spielbergs Film wurde immer auch als Imperativ nicht zu vergessen, auch das eigene Jüdisch-Sein nicht zu vergessen, verstanden. Spielberg selbst bestätigte diese Wahrnehmung in gewisser Weise 1994 mit der Etablierung der »Survivors of the Shoah Visual History Foundation«, eine Stiftung, die in den folgenden Jahren zehntausende von Interviews mit Überlebenden in der ganzen Welt archiviert hat. Bereits der Titel des Films ist zu einem Codewort für die moralische Verpflichtung geworden, dem Massenmord eingedenk zu bleiben. * In einem Interview erzählt Julia Louis-Dreyfus, die in Seinfeld Elaine Benes verkörpert, dass Spielberg sich während der Dreharbeiten für Schindler’s List die Seinfeld-Episoden ans Set schicken ließ. Er sei durch die Arbeit am Film so niedergeschlagen gewesen, dass er nachts im Hotel etwas zum Lachen gebraucht habe. Es ist nicht bekannt, ob das den Tatsachen entspricht, und es ist ebenfalls nicht öffentlich geworden, ob Spielberg später die Folge gesehen hat, die sich um Jerrys Kinobesuch anlässlich von Schindler’s List dreht. Im zweiten Teil von »The Raincoats« (1994, Folge 19,5) gehen Jerry und 1 | Vgl. Yosepha Loshitzky: »Introduction«, in: Ders. (Hg.): Spielberg’s Holocaust. Critical Perspectives on Schindler’s List, Bloomington University Press 1997, S. 1-17, hier S. 7.

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seine Freundin Rachel Goldstein ins Kino, doch anstatt den Film zu verfolgen, beginnen sie zu knutschen. Später rechtfertigt sich Jerry damit, dass gerade seine Eltern zu Besuch gewesen wären und die beiden keine Privatsphäre mehr in seiner Wohnung gehabt hätten. In der kurzen Kino-Szene hört man die deutsche Stimme eines SS-Mannes, der Befehle brüllt und flucht, während man sieht, wie Rachel und Jerry sich im Zwielicht des Kinosaales küssen und umarmen. Das Paar wird von Jerrys Nachbarn, dem Postboten Newman, beobachtet, der das ungebührende Betragen sogleich Jerrys Eltern meldet. Diese sind höchst verärgert und stellen ihren Sohn zur Rede. Auch Rachels Vater scheint unterdessen schon von der Szene erfahren zu haben, denn als Jerry sie zu einem Date abholen möchte, hält er ihm eine Moralpredigt und verbietet seiner Tochter, sich weiterhin mit Jerry zu treffen, einem Mann, der keinerlei moralische Empfindungen kenne. Die Ironie der Seinfeld-Folge ergibt sich aus dem Widerspruch zwischen dem alltäglichen Leben in der westlichen Konsumgesellschaft und der unvorstellbaren Realität des Bösen. Dieses Böse scheint aber nicht ein universelles Böses zu sein, sondern stellt Juden als potentielle Opfer und Nachfahren von Opfern vor eine besondere Herausforderung. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht eine Aussage von Larry David, dem wichtigsten Autor der Serie, dass ihm die Idee zu Jerrys Fauxpas während eines Gottesdienstes gekommen sei. Während er eines Tages in der Synagoge gesessen sei, habe er sich vorgestellt, was passieren würde, wenn er auf einmal die Brust seiner Frau neben sich berühren würde. David spricht es zwar nicht aus, doch indem er seine Inspiration offen legt, spricht er implizit dem Anschauen von Schindler’s List eine ähnlich sakrale Dimension zu wie der Teilnahme an einem Gottesdienst. Der Film kommt dieser Deutung entgegen, indem er mit einer Szene des SchabbatSegens und brennenden Kerzen beginnt und mit dem Besuch der Überlebenden und deren Nachkommen an Schindlers Grab aufhört. Erotik ist in dieser Perspektive eine Störung, eine Entweihung der quasi heiligen Situation. Der Kontrast von Hohem, Heiligem mit dem Niederen, Profanen war schon immer eines der wichtigs-

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ten humoristischen Mittel. Diesem Humor liegt auch bei Seinfeld eine kritische, aufklärerische Tendenz zu Grunde. Die sakralisierenden Aspekte von Spielbergs Film wurden von akademischer Seite hart kritisiert. Abgesehen davon, dass die religiösen Rituale im Film als Ikonen des osteuropäischen Judentums dienten, wie es von außen und im Rückblick nostalgisch gesehen würde, wurde erklärt, dass diesen Ritualen inhaltlich keinerlei religiöse Bedeutung zukäme. Die tiefe spirituelle Krise des Judentums nach dem Holocaust würde von diesen leeren Signalen nicht erfasst. Überhaupt würde gerade diese Einbindung sakraler Praktiken in eine epische Handlung von Gefährdung und Rettung die Konsequenz der Shoah für das Judentum nicht erfassen.2 Eine Katharsis für die Shoah darf es nicht geben. Gibt es dagegen eine bessere Antwort auf den absurden Horror des Holocausts als ein sich küssendes jüdisches Paar? Aber das Paar stellt nicht nur die Kontinuität des Lebens angesichts der Katastrophe dar, sondern auch die eigentliche Antwort auf eine ästhetisierte und nostalgisch verbrämte Version von Judentum. Zu dieser fragwürdigen Ästhetisierung gehört auch die Entscheidung, Schindler’s List in schwarz-weiß zu drehen, was die Fiktion von Zeitgenossenschaft evozieren soll, in Wahrheit aber nur kitschig ist. Mit einer Umgehung von Nostalgie und Ästhetisierung wird auch eine implizite Kritik am scheiternden Anspruch von Schindler’s List verbunden, die moralisch verbindliche Erzählung der Shoah darstellen zu wollen. In diesem Sinn handeln Jerry und Rachel hier entgegen der empörten Reaktionen ihrer Eltern durchaus moralisch. Sie verweigern sich im Kino dem kathartischen Narrativ, sie weinen nicht – und insofern genießen sie den Film auch nicht3 – sondern küssen sich in einem schwerelosen Augenblick der völligen Geschichtslo-

2 | Vgl. die Ausführungen von Sara R. Horowitz: »But is it Good for the Jews? Spielberg’s Schindler and the Aesthetics of Atrocity«, in: Loshitzky (Hg.): Spielberg’s Holocaust, S. 119-139. 3 | Vgl. Omer Bartov: »Spielberg’s Oskar: Hollywood tries Evil«, in: ebd., S. 41-60, hier S. 51.

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sigkeit, in dem die vermeintliche Verpflichtung der Identität keine Rolle mehr spielt. In ganz anderer Weise, aber eben so kritisch, taucht Schindler’s List in einer Episode der Zeichentrick-Serie South Park auf. In der zum ersten Mal am 20. November 2002 ausgestrahlten Folge »The Death Camp of Tolerance« (Comedy Central, 14, 6) entdeckt der homosexuelle Grundschullehrer Mr. Garrisson, dass er Millionen von Dollar Schadenersatz verlangen könnte, falls die Schule ihn aufgrund seiner sexuellen Ausrichtung entlassen würde. Also versucht er, seine Entlassung aus dem Schuldienst zu provozieren, indem er zusammen mit seinem masochistisch veranlagten Partner Mr. Slave im Klassenzimmer ein bizarres pornographisches Schauspiel inszeniert. Wie in anderen Episoden parodiert South Park auch hier übersteigerte Political Correctness, die in eine neue Ideologie umzuschlagen droht.4 Eltern und Lehrer sind nämlich nicht über den offensichtlich unzumutbaren Lehrer besorgt, sondern über ihre Kinder, die sich nicht mehr von ihm unterrichten lassen möchten. Um Toleranz eingeimpft zu bekommen, werden sie zuerst durch ein »Museum of Tolerance« geführt (das offensichtlich das Holocaust Museum in Washington karikiert, die Museumsleiterin trägt einen Davidsstern um den Hals) und schließlich in einem Umerziehungslager, einem »Tolerance Camp«, interniert. Der Film wechselt zu schwarz-weiß, die Jungen werden von einer Art SS-Offizier mit deutschem Akzent empfangen, der den Zweck ihres Aufenthaltes bekannt gibt. Die Kinder sollten lernen, tolerant gegenüber jeder Lebensentscheidung von anderen zu sein und niemanden zu diskriminieren. »Here intolerance will not be tolerated!« Diese paradoxe Maxime bildet das Motto für eine krasse Satire antiautoritärer Erziehung mittels Anspielungen auf Szenen in Schindler’s List. Im Lager müssen die Kinder zum Beispiel mit Fingerfarben im Akkord Bilder von verschieden farbigen Menschen auf einem Regenbogen malen, und zwar unter dem vorgehaltenen Revolver des Aufsehers. 4 | Vgl. auch Brian C. Anderson: South Park Conservatives. The Revolt against Liberal Media Bias, Washington DC 2005, S. 75-100.

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Bald leiden sie an Unterernährung, Kyle bricht beim Basteln aus Erschöpfung zusammen. Als Cartman das Klo aufsucht, entdeckt er in der Latrine stehende Mädchen, die sich dort verstecken, weil sie nicht mehr arbeiten können. Die Szene spielt auf ein besonders einprägsames und schockierendes Detail aus Schindler’s List an, als sich Kinder im Kot der Latrinen verstecken, um der Gaskammer zu entkommen. Die Macher von South Park bewegen sich mit dieser Karikatur wie üblich auf dem schmalen Grat zwischen Geschmacklosigkeit und Genialität. Noch drastischer als in Seinfeld ein paar Jahre zuvor werden hier die moralischen Implikationen der Rezeption von Spielbergs Films parodiert. Tatsächlich wurde Schindler’s List in den USA und auch in europäischen Ländern immer wieder als allgemeiner Aufruf gegen jeglichen Rassismus und gegen Diskriminierung von Menschen an sich verstanden und im Zusammenhang mit einer allgemeinen Erziehung zu Toleranz und Menschenrechten auch an Schulen gezeigt. Die Idee, dass der Holocaust oder ein Film über den Holocaust Toleranz erzeugen soll, ist aber absurd. Aus der Geschichte des Massenmords kann nichts anderes gelernt werden als die historischen Abläufe der Vernichtung selbst und die Unausmesslichkeit menschlichen Handelns im Bösen wie im Guten. Für ein deutsches Publikum brach Spielberg möglicherweise ein festgefahrenes Narrativ auf, dass ›man nichts machen konnte‹, und zeigte, dass es trotz allem möglich war, auch noch im tiefsten Abgrund Menschen zu retten. Für ein jüdisches Publikum in den USA musste diese deutsche Debatte belanglos sein. Viel wichtiger war/ist für dieses die kathartische Funktion des Films, nämlich anhand des Films trauern zu können und mit Hilfe des zum Guten bekehrten Nichtjuden, über den die geretteten Juden sich quasi erlösen können, sich als ein besserer Mensch zu fühlen als man es vor dem Film war. Diese Funktion von Spielbergs Film im öffentlichen Diskurs ist aber eine Instrumentalisierung der Geschichte, nicht ihre Dokumentation, und schon gar nicht ihre Erklärung. In unterschiedlicher Weise thematisieren Seinfeld wie South Park beide diese Instrumentalisierung, indem sie den kultischen Charakter, den Schindler’s List vielleicht ganz gegen die

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ursprüngliche Absicht Spielbergs selbst erlangt hat, satirisch offen legen. * Anhand der Rezeption von Schindler’s List kann man die zentrale Stelle des Holocausts im Diskurs über jüdische Identität seit den 1990er Jahren gut veranschaulichen. Es gibt aber noch andere Modelle, die in der Popkultur zur Auseinandersetzung mit dem Massenmord genutzt werden. Diesen zwei Möglichkeiten, die im Folgenden vorgestellt werden sollen, ist beiden ein hochgradig phantasmatischer Charakter eigen: Imitation und Rache. In die Rolle des absoluten Feindes zu schlüpfen, die Figur dessen zu verkörpern, der einem selbst auslöschen möchte, und sogar Adolf Hitler selbst zu spielen, hatte für jüdische Komiker traditionell einen unwiderstehlichen Reiz. Auf einige Beispiele soll hier eingegangen werden. Aber auch die brutale Rache hat die jüdische Imagination seit der Shoah beschäftigt, nicht nur die Idee der Rache an noch lebenden Nazi-Verbrechern, sondern die irreale Vorstellung, in der Geschichte zurück zu gehen oder diese umschreiben zu können. Letzteres Modell erlangte große Wirkung durch Quentin Tarantinos Inglorious Basterds (2009), ein Film, dessen Bedeutung für die Figuren des Jüdischen in der Popkultur am Ende dieses Kapitels analysiert werden soll. Es gibt zwei große Hollywood-Filme der frühen 1940er Jahre, die sich in satirischer Weise um die Person Hitlers und die nationalsozialistische Herrschaft drehen und die beide noch heute Referenzwerke für die Darstellung der Nazis sind: Charlie Chaplins The Great Dictator (United Artists 1940) und Ernst Lubitschs To Be or Not To Be (United Artists 1942). Bemerkenswerterweise gehen beide Filme von einer doppelten Imitation Hitlers, von einer Art Hitler-drag aus: In beiden Filmen wird der Film-Hitler von einer anderen Figur noch einmal im Film gespielt. In Chaplins Meisterwerk, sein erster Tonfilm, ist dies der anonyme jüdische Frisör, der mit dem grotesken und bösartigen Diktator Adenoid Hynkel verwechselt wird. Lubitschs Farce, ebenfalls ein Klassiker des Hollywood-Kinos, beginnt bereits mit

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einer furiosen Verwechslungsszene. Es ist das Jahr 1939 und Adolf Hitler taucht plötzlich in der Innenstadt von Warschau auf, die Menge ist entsetzt, und alles starrt den Diktator an, der wie ein Gespenst seelenruhig herumspaziert. Doch bald löst ein kleines Mädchen das Rätsel. Es nähert sich dem vermeintlichen Hitler und fragt nach einem Autogramm, doch nicht von Hitler, sondern von Mr. Bronski, ein Schauspieler einer polnischen Theatertruppe. Bronski, so stellt sich heraus, wollte nur seine Glaubhaftigkeit testen für eine Bühnensatire über das »Dritte Reich«, in der er die Rolle Hitlers spielt. Die Aufführung wird bald vom polnischen Außenministerium verboten, sie könnte den realen Hitler beleidigen, und das Theater setzt den politisch unverdächtigen Hamlet auf den Spielplan. Das nützt nichts: Warschau wird bombardiert und die Deutschen besetzen bald darauf ganz Polen. Der Auftakt des Films setzt das Thema, nämlich das Maskenspiel, das Bühne/Film und Leben verwirrt. Die Schauspieler, die auf der Film-Bühne Nazis verkörpern, müssen dies bald auch im wirklichen Film-Leben tun. Die Handlung von To Be or Not To Be ist verwickelt und kann hier nur angedeutet werden. Um den polnischen Widerstand und sich selbst zu retten, begeben sich die Schauspieler des Ensembles in die Rolle von Nazi-Soldaten und Bronski muss dieses Mal nicht zum Spaß, sondern um zu überleben den Hitler geben. Dass die richtigen deutschen Soldaten auf seine bescheidene Darstellung reinfallen – anders als das kleine polnische Mädchen auf der Straße – ist Teil der konstitutiven Ironie von Lubitschs Film, in dem die meisten Figuren ein dauerndes Doppelspiel betreiben. Lubitsch wie Chaplin gehen in ihren Filmen von der Beobachtung aus, dass Hitler und sein Personal wie zweitklassige Schauspieler agieren, so dass es gar nicht auffällt, wenn ihre Rollen von Doubles besetzt werden. Die Nazis selbst sind Schauspieler der übelsten Sorte, und die Akteure in To Be or Not to Be machen mit ihrem völlig übertriebenen Spiel nur deren Wesentliches deutlich, nämlich die konstitutive Lüge. Dabei sind die Gestapo-Leute in der kleinen Szene des polnischen AntiNazi-Stücks, die man als Zuschauer von To Be or Not To Be am Anfang zu sehen bekommt, von geradezu irritierender Harmlosigkeit

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angesichts der monströsen Brutalität der historischen Nazi-Schergen. Die grotesken Übertreibungen der Schauspieler vermögen die noch viel groteskere Realität des Nationalsozialismus niemals einzuholen, was Lubitsch genau wusste, aber nicht Dobosh, der fiktive Regisseur der polnischen Truppe. In einer der Probeszenen am Anfang des Films beharrt dieser auf Glaubwürdigkeit der Rollen, indem er die Übertreibungen eindämmen möchte. In dem darauf folgenden Wortwechsel meldet sich auch der Schauspieler Rawitch, der einen Nazigeneral verkörpern soll, und der sich gerne auf Kosten der Nebenrollen aufspielt. Ein anderer Schauspieler, der als einziger klar als jüdisch markierte Greenberg, meint zu ihm: »Mr. Rawitch, what you are, I wouldn’t eat.« Der angesprochene Rawitch versteht das nur im Englischen mögliche Wortspiel sofort: Greenberg hat ihn indirekt einen »ham« genannt, nicht nur das Wort für den unkoscheren Schinken, sondern auch das Wort für einen Schmierenkomödianten. Die Bezeichnung »ham« kehrt im Film wie eine Chiffre immer wieder. So ist es nicht zufällig die Rolle des Hamlet, den der narzisstische Star des Ensembles, Joseph Tura gespielt vom Komiker Jack Benny, so gerne spielt. Ein Gestapo-Offizier meint einmal: »What he did to Shakespeare, we are doing now to Poland.« Abgesehen von der konkreten Bedeutung dieses burlesken Witzes, dass Tura als Schauspieler im Kleinen dieselbe zerstörerische Wirkung hat, wie die Deutschen in Polen, sagt der Satz auch, dass die Nazis ganz ähnlich funktionieren wie der mit Kitsch und übertriebenem Pathos agierende Tura, nämlich als schlechte Schauspieler, die alles ruinieren. In einer der letzten Szenen springen die aus Polen entkommenen Schauspieler mit dem Fallschirm über England aus einem Flugzeug. Der immer noch als Hitler verkleidete Bronski landet auf einem Heuhaufen. Zwei mit Mistgabeln bewaffnete Bauern stehen daneben und der eine meint: »First it was Heß, now a ham.« Zuerst sei also Rudolf Heß gelandet, und nun ein Schmierenkomödiant. Die englischen Bauern erkennen sofort – wie das kleine Mädchen am Anfang – dass es sich beim vermeintlichen Hitler um einen schlechten Schauspieler handelt.

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Um das Gespenst Hitler zu bannen, die existentielle Bedrohung und die Furcht, die von dieser Figur ausgeht zu distanzieren, gewissermaßen um den Hitler in sich selbst zu exorzieren, ist es notwendig, ihn zu spielen und das Gespielte an ihm deutlich zu machen. Denn in der komischen Vervielfältigung verliert Hitler seine Macht. Auf die Spitze getrieben hat das Mel Brooks 1968 in seinem ersten Film The Producers. Als der Broadway-Produzent Max Bialystock (Zero Mostel) und sein Buchhalter Leo Bloom (Gene Wilder) die Idee haben, dass ein Flop eigentlich mehr einbringen würde als ein Erfolg, wollen sie ein Musical mit dem Titel »Springtime for Hitler« produzieren und suchen per Zeitungsannonce einen Hitler-Darsteller. Zu Beginn der Casting-Szene stehen ungefähr hundert Männer auf der Bühne, die außer dem ikonischen Schnauzer und der Haarsträhne alle überhaupt keine Ähnlichkeit mit Hitler aufweisen. Die Männer recken den Arm, rufen »Heil«, sprechen wild durcheinander, bewegen sich spastisch oder tanzen, irgendwo steht ein Bodybuilder, der nur mit einer Badehose bekleidet ist. Diese blödsinnige Vervielfältigung der Figur Hitlers ist die konsequente Entdämonisierung und damit seine endgültige Entmachtung. Hitler, das wussten Lubitsch und Brooks, kann man nicht adäquat darstellen, adäquat ist es im Film nur, wenn die inhärente Lächerlichkeit des Diktators ausgespielt wird. Mel Brooks war gleichermaßen fasziniert von der Darstellung Hitlers und der Dialektik von Bühne und Leben, Maske und Wirklichkeit. Deshalb war es vielleicht geradezu unvermeidlich, dass er ein Remake von Lubitschs To Be or Not To Be drehte. Gerade hinsichtlich einer Analyse der Figuren des Jüdischen lohnt es sich, Lubitschs und Brooks Filme miteinander zu vergleichen. Während Lubitsch 1942 noch nicht über die Endgültigkeit der Auslöschung der europäischen Juden Bescheid wissen konnte, stand Brooks vierzig Jahre später das ganze Ausmaß der Katastrophe vor Augen. In Lubitschs Original kommen die Worte »Jew« oder »jewish« nicht vor, die Schauspieler sind nicht als jüdisch erkennbar. Sogar Greenbergs Identität, dessen Traum es ist, einmal ausgerechnet den jüdischen Geldverleiher Shylock aus Shakespeares The Merchant of Venice zu spielen, ist nur

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angedeutet. Zweimal rezitiert er im Film den Monolog Shylocks auf dem Rialto, beim zweiten Mal umringt von deutschen Soldaten, um sie abzulenken. Doch Greenberg spricht den Monolog nicht ganz so, wie er bei Shakespeare steht. Das Wort »Jew« ist gestrichen, und nur derjenige, der das klassische Stück kennt, kann die Dimension von Greenbergs Äußerung ganz verstehen. Anstatt »I’m a Jew.« sagt Greenberg: »It’s me!« Und anstatt »Hath not a Jew eyes? Hath not a Jew hands, […]?« sagt er »Have we not eyes?« In Mel Brooks Version dagegen, die übrigens unter der Regie von Alan Johnson entstand und nicht unter Brooks selbst, spricht der jüdische Schauspieler Lupinsky den Monolog textgetreu. Auch an anderen Stellen hat Brooks die jüdische Tragödie explizit gemacht. Einige Mitarbeiter des Theaters tragen gelbe Judensterne, der Theaterdirektor Bronski versteckt Juden im Theater und rettet sie schließlich auf der Flucht nach England. Zusätzlich macht Brooks aus Maria Turas getreuer Garderobenfrau den homosexuellen Sasha, der das rosa Dreieck für Homosexuelle am Mantel zu tragen gezwungen ist. In einer späteren Szene wird er von der Bühne weg von der Gestapo verhaftet und in ein Konzentrationslager geschickt. Diese offene Thematisierung der homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus ist ungewöhnlich für eine Hollywood-Komödie von 1983. Durch die mehrfache Konkretisierung der Bedrohung – und durch das retrospektive Wissen um die Dimension der Naziverbrechen – erhält auch To Be or Not To Be eine neuartige Qualität. Im Original-Drehbuch von Melchior Lengyel und Edwin Justus Mayer ist die Komik bereits von einer existentiellen Dichte. Slapstick, Burleske und Wortwitz sind auch für sich selbst komisch – und doch steht der Witz für das Überleben angesichts der Todesgefahr. Brooks verdichtet einerseits diese Funktion, andererseits läuft er auch Gefahr, das Original zu überladen, das oft vom Unausgesprochenen lebt. Brooks reflektiert in gewisser Weise über die Vorlage, als er in seiner Rolle als Bronski einmal bemerkt: »Without Jews, fags and Gypsies, there is no theatre.« [»Ohne Juden, Schwule und Zigeuner, gibt es kein Theater.«] Diese Bemerkung gilt zumindest für die beiden jüdischen Komiker auch umgekehrt: Ohne Theater gibt es keine Juden. Das Spielen hat nicht

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nur für die Schauspieler in To Be or Not To Be ganz real eine existentielle Bedeutung – sondern auch für Lubitsch und Brooks. Während bei Lubitsch der Hitler-Imitator Bronski eine Nebenrolle darstellt, und die Hauptrolle des Schauspielers Josef Tura dem Komiker Jack Benny auf den Leib geschrieben wurde, konnte Brooks nicht widerstehen, sich selbst als Bronski zu besetzen und den Film leicht umzuschreiben. Die Nazi-Satire, die man in Lubitschs Film nur im Probestadium zu sehen bekommt, verwandelt sich in Brooks Remake in eine musikalische Revuenummer der »Bronski-Folies«. Auf der Bühne tanzt Brooks als Bronski als Hitler unterstützt von seinen Generälen vor einer Landkarte Europas herum, alles, was er wolle, so singt er, sei »Peace« [Frieden], und zwar »a little peace of Poland, a little peace of France« [ein kleines Stück Polen, ein kleines Stück Frankreich; ein Wortwitz, der durch den gleichen Wortlaut der englischen Wörter »peace« und »piece« ermöglicht wird]. Auf dem Soundtrack des Films war auch Brooks satirischer Hitler-Rap enthalten, der in einigen Ländern sogar bis in die Charts gelangte, in Deutschland jedoch verboten wurde. Der Text dieser Nummer beruht zum Teil auf den Musical-Szenen in The Producers. Auch in diesem früheren Film ist Hitler doppelt fiktionalisiert. Brooks überließ die Darstellung hier dem jüdischen Stand-Up-Comedian und Schauspieler Dick Shawn, der als völlig exaltierter und stellenweise zusammenhangslos agierender Hippie Lorenzo DuBois in die Hitler-Rolle schlüpfte. DuBois spielt zur unerwarteten Freude des BroadwayPublikums eine Art Hitler-Drag-queen mit stereotyp homosexuellen Untertönen. Dieser ›schwule Hitler‹ ist wie der ›jüdische Hitler‹ eine groteske Verschmelzung der Antipoden und damit die Figur einer Re-Ermächtigung. Die potentiellen Opfer des größenwahnsinnigen Mörders befreien sich mit der travestierenden Geste von ihrem Opfer-Sein. Brooks ist ein Meister dieser Geste, auf der ein Großteil seiner Komik beruht. Etwas anders geartet zeigt sich dies auch in seiner Re-Inszenierung der Spanischen Inquisition als Musical in seiner History of the World Part 1. Brooks selbst verkörpert dort den Juden mordenden Torquemada, der sich tanzend und singend durch die Folterkammern

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bewegt. Besonders signifikant ist, dass die gefolterten Juden wie osteuropäische Chassidim dargestellt sind und sich teilweise mit jiddischem Akzent unterhalten, obwohl es sich in der historischen Realität natürlich um spanischsprachige Sephardim gehandelt hatte. Der Anachronismus enthüllt den Genozid am osteuropäischen Judentum als wahres Thema dieser Revuenummer. Am Ende der Nummer werden die Juden quasi zwangsgetauft, sie werden in ein Schwimmbecken mit synchronschwimmenden Nonnen geworfen, die jedoch – wie um die Taufe umzukehren – auf einer gigantischen Menorah wieder auftauchen. Im Refrain des Songs heißt es passend zu den sorgfältig choreographierten Tanzszenen: »The Inquisition – What a Show!« Die ganze Szene transformiert den historischen Terror im Medium der Popkultur in einen Witz. Mit »schwarzem Humor«, wie das gerade in Deutschland oft genannt wird, hat das nichts zu tun. Viel mehr liegt die tiefe Witzigkeit der Szene in der Tatsache, dass Mel Brooks, Jahrgang 1926 und Soldat im Zweiten Weltkrieg, noch lebt und als sein eigener Feind, der schon lange tot ist, diesen lächerlich machen kann. Brooks Weltgeschichte zeigt die Shoah als Show – und zwar nicht, um deren Tragik zu mindern oder ihre Opfer zu denunzieren, sondern um deren gravitätische, objektivierende Wirkung hinsichtlich jüdischer Identität aufzulösen. Bei Mel Brooks sind genau jene Schemata der »Witzarbeit« zu finden, die Sigmund Freud beschreibt. Wichtig für die befreiende, sublimierende Wirkung der Pointe ist für den Psychoanalytiker »die subjektive Bedingung der Witzarbeit«, nämlich die Beteiligung des Eigenen am Witz. Für ein Kollektiv wie für eine einzelne Person liegt nach Freud die Bedeutung der Selbstbeteiligung darin, »dass der Person die Kritik oder Aggression direkt erschwert und nur auf Umwegen ermöglicht wird.« Obwohl Brooks sich natürlich längst frei äußern kann, funktioniert seine Inquisitions-Show noch genau nach diesem Prinzip des Umwegs. In der Show werden die Nazis ihrer Deutungsmacht über die Opfer enthoben, die Show ist darum im Grund eine als Witz getarnte, phantasmatische Rache, einer Rache auf Umwegen. *

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Aber dennoch ist dieser Humor ein ›Opfer-Humor‹, das heißt, dass die Ironie Woody Allens oder Mel Brooks mit ihrer Umwegfunktion einiges an Sublimierung verlangt, und zwar von Autor und Zuschauer. Zudem sind die jüdischen Aspekte dieser Witze oft nur codiert zu verstehen oder nur für Juden selbst ersichtlich, es sind beinahe esoterische Witze, die jedoch eine allgemein verständliche exoterische Seite besitzen. Einem nichtjüdischen Mehrheitspublikum ist es ebenfalls möglich, darüber zu lachen, aber möglicherweise oft gerade aus gegensätzlichen Gründen. Eine Filmsequenz wie die erwähnte Inquisitions-Episode funktioniert auch ohne Wissen um Mel Brooks Judentum, sogar ohne Kenntnis eines jüdischen Symbols wie der Menorah. Eine solche Komik kann darum immer, und auch wenn dies gar nicht in der Intention der Produzenten liegt, einen Zug von billiger und im Grund unmöglicher Versöhnlichkeit enthalten, die sich ein nicht-jüdisches Publikum, sei es bewusst oder uneingestanden, vielleicht wünscht. Eine solche Komik weist etwas diffus Denunziatorisches auf: Wenn sogar ein Jude noch darüber lacht – so könnte man als Zuschauer deuten – dann kann es doch nicht so schlimm gewesen sein. Mel Brooks und Woody Allen kann durchaus so etwas wie ein ›Opfer-Humor‹ unterstellt werden, von dem sich zum Beispiel The Hebrew Hammer energisch, aber nicht ganz erfolgreich, distanzieren möchte. Zugespitzt gesagt, wird mit dem ›Opfer-Humor‹ das innerlich Jüdische einem nichtjüdischen Publikum zur Aneignung und Vergewaltigung angeboten. Ein Artikel in der Jüdischen Allgemeinen kam denn auch vor ein paar Jahren zum Schluss, dass so genannte jüdische Witze bei Nichtjuden so beliebt seien, weil sie »ein Judenbild« zeichneten, »das den tradierten Stereotypen entspricht.«5 Als Beispiele jüdischer Komiker, die selber stereotype Figuren des Jüdischen verwenden würden, nennt der Autor Woody Allen und Mel Brooks: »Woody Allen gibt in seinen Filmen vorzugsweise den Typus des kleinen, schwachen Ghettojuden, den man ob seiner Hilflosigkeit halb bemitleidet, halb 5 | Michael Wuliger: »Selten so gelacht«, in: Jüdische Allgemeine, 18.01.2007 (Frühling 2011).

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verlacht. Max Byalistok, der Held von Mel Brooks’ The Producers (deutsch »Frühling für Hitler«) ist der prototypische vulgäre Raffke, der arischen Blondinen geil hinterherhechelt.«6 Es sind in der Tat die witzigen, selbstironischen, die Gewalt internalisierenden und sublimierenden Juden, die die Figuren des Jüdischen in der Mehrheitsgesellschaft vor allem in Deutschland prägen. Die problematischen Implikationen dieser Wahrnehmung wurden bereits im Kapitel zur »Geschichte der jüdischen Popkultur« angesprochen, verstärken sich aber noch wesentlich, wenn es um die Darstellung der Shoah geht. Sarah Silverman hat in einem Comedy-Programm einmal prägnant das jüdische Unbehagen gegenüber dem ›Opfer-Humor‹ formuliert, und zwar in einem Witz, der dessen krasse Überbietung und somit seine Aushebelung darstellt. Silverman erzählt von ihrer kleinen Nichte, die eine Hebrew School besucht und die Tante eines Tages anruft: »Aunt Sarah, did you know that Hitler killed 60 million Jews?« I corrected her, and I said, »You know I think he’s responsible for killing six million Jews.« And she says, »Oh, yeah. Six million. I knew that. But seriously, auntie, what’s the difference?« »The difference is that 60 million is unforgivable, young lady.« Silverman weist mit dieser Bemerkung, dass 60 Millionen Opfer unentschuldbar wären, auf die absolute Unentschuldbarkeit und Versöhnungslosigkeit hin, die sich aus der Größenordnung des Massenmordes ergibt. Hinter der simulierten Relativierung der sechs Millionen Ermordeten steckt die Abwehr von im Kern revisionistischen Nivellierungstendenzen. Für den Holocaust kann es aus Sicht der potentiellen Opfer keine closure, keinen Schlussstrich geben, was nicht heißt, dass das Opfersein die eigene jüdische Identität bestimmt. Gleichzeitig widersetzt sich dieser Witz schnellen Aneignungsmöglichkeiten, er bietet keine Möglichkeit zur Instrumentalisierung der jüdischen Perspektive, sondern ist nur aus dieser überhaupt verständlich. *

6 | Ebd.

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Shakespeare lässt seinen Shylock ausrufen: »And if you wrong us, shall we not revenge?« [»Und tut ihr uns unrecht, sollen wir uns nicht rächen?«] Mit dieser rhetorischen Frage schließen sowohl Greenberg in Lubitschs Originalversion sowie Lupinsky in Mel Brooks Remake von To Be or Not To Be ihre Monologe. Rache wird in beiden Filmen jedoch nur verdeckt und indirekt geübt, die jüdischen Protagonisten rächen sich nicht, sondern flüchten vor den Nazis nach England. Das Motiv der offenen und brutalen Rache geistert aber ebenfalls durch das jüdische Imaginäre, und dies nicht erst seit der Shoah. So ist der 137. Psalm, der im dritten Kapitel dieses Essays als prägend für die Wahrnehmung einer Kontinuität des jüdischen Exils gelesen wurde, ebenso topisch für die Artikulation eines Rachebedürfnises. Der Psalm ist nämlich nicht nur ein Text der Trauer, sondern auch einer der Rache. Zuerst wird Gott beschworen, die Zerstörer Jerusalems nicht zu vergessen: »Den Edomssöhnen, gedenke, Du […]« Am Schluss des kurzen Psalms wird dann allgemein zur Rache aufgerufen, und zwar mit drastischen und bis heute schockierenden Worten: »Tochter Babel […]/Selig, der dir zahlt/dein Gefertigtes, das du fertigtest uns:/selig, der packt und zerschmeißt/deine Kinder an dem Gestein.« In der Luther-Übersetzung heißt es: »Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt, und zerschmettert sie an dem Stein!« Im Geist dieser expliziten Fantasie sind legendenhafte Erzählungen von israelischen Geheimagenten oder jüdischen Privatleuten bekannt, die ihre einstigen Häscher und Quäler aufspüren und Gerechtigkeit einfordern. Bekannt wurde etwa ein Geheimplan von jüdischen Partisanen und ehemaligen Widerstandskämpfern, die in Verbindung mit der Haganah standen und vorgehabt hätten, das Trinkwasser in deutschen Großstädten oder wenigstens führende Mitglieder der SS zu vergiften. Das öffentliche Interesse an solchen Geschichten wuchs nach dem Eichmann-Prozess 1961. Damit innerlich verbunden sind die Überlieferung und die Ehrung des jüdischen Widerstands. Im Mainstream hat sich aber bis heute die Ikonographie der Passivität und des Opfers festgemacht, der Lämmer, die sich zur Schlachtbank führen ließen.

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Explizit um solche Bilder zu bekämpfen und alternativ solche von starken und stolzen Juden zu etablieren, ist zum Beispiel ein Film wie Defiance (2008) gedreht worden. Der Film erzählt die »wahre Geschichte« von Tuva, Zus, Asael und Aron Bielski, die in den weißrussischen Wäldern ab 1941 eine Gruppe von jüdischen Partisanen anführen und aktiv gegen die deutsche Armee kämpfen, aber auch jüdische Zivilisten verstecken. Der Film basiert lose auf einer historischen Studie über die Brüder, lässt jedoch weitgehend deren problematische und ambivalente Aspekte aus, etwa die Gewalttätigkeit gegenüber der polnischen Zivilbevölkerung. Dass es ausgerechnet James Bond-Darsteller Daniel Craig ist, der die Rolle von Tuvia Bielski spielt, ist für eine Untersuchung der Figuren des Jüdischen bedeutsam. Ganz ähnlich wie bereits Paul Newman in Otto Premingers Film Exodus (1960) verkörpert auch Craig einen starken und schönen Juden, der ins Schema des Helden eines Blockbusters passt. Interessant ist auch, dass Tuvia Bielski auf einem eindrücklichen Schimmel reitet und eine Mischung aus militärischem Kommandant, Monarch und Messiasfigur darstellt, es werden Vorstellungen von Märchenprinzen oder Cowboys aufgerufen. Alle Assoziationen bewegen sich weit weg vom Stereotyp des Opferjuden. Während Exodus jedoch ein mehr oder weniger stringentes, glanzvolles zionistisches Narrativ vorgab und den Holocaust nur ganz am Rande thematisierte, spielt Defiance im dunklen Zentrum jüdischen Leidens und Versagens. Die Story kommt ganz ohne gelobtes Land aus. Der Ort, an dem ein Jude frei sein kann, so äußert sich Tuvia Bielski in einer Rede an Flüchtlinge einmal im Film, sei im Wald bei den Partisanen, es ist der Ort des Widerstands. Obwohl die Brüder zu Beginn ihrer Flucht noch Racheakte ausführen – Tuvia erschießt etwa den lokalen Polizeichef, der für den Tod der Eltern verantwortlich ist –, merken sie schnell, dass sie mit diesen Operationen das Leben ihrer Schützlinge gefährden und konzentrieren sich vor allem auf das Überleben und den Aufbau einer Gemeinschaft im Wald. Gegenüber seinem Bruder Zus, der sich sowjetischen Partisanen anschließt, bleibt Tuvia bei den versteckten Juden. Ihre Rache, meint er, sei das Leben selbst. Das Moment der Rache ist dabei nur der erste Impuls und der pri-

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märe Antrieb der Bielskis, nicht das zentrale Motiv ihres Kampfes. Die Botschaft des Films besteht vor allem im Heroismus des Gemeinschaftlichen und in der Heroisierung des gemeinsamen Überlebenswillens. Das Jüdische, das Defiance zeigt, ist dementsprechend vor allem die Gemeinschaft, die in sich stärker ist als die äußerliche Vernichtung. Es ist Quentin Tarantinos Film Inglorious Basterds, der zum ersten Mal prominent eine jüdische Rachephantasie im Medium der Popkultur offen, ohne jegliche Ambivalenz und in ihrer ganzen Brutalität zeigt. Dafür wurde der Film in der jüdischen Presse auch als »Jewish Revenge Porn«7 bezeichnet, weil er wie ein Porno Fantasien von Macht und Potenz ausstellt und so eine Ersatzlust generiert. Der Film wurde an anderer Stelle hart kritisiert, er würde Juden im Grund in Nazis verwandeln und zeige eine magische, manichäische Welt, in der man sich nicht um komplexe Moral zu sorgen brauche und Gewalt alle Probleme löse.8 Tatsächlich ist Tarantino weder an historischer Wirklichkeit, noch an moralisch-theologischen Konsequenzen der Geschichte interessiert. Es ist vielmehr die Botschaft des Films, dass es um Moral nicht gehen kann, wenn heute über den Holocaust gesprochen wird. Tarantino war schon immer ein Spezialist für Rache, so ist etwa sein Kill Bill nichts anderes als die hyperbolische Schilderung eines ausgedehnten Rachefeldzugs. Zum ersten Mal jedoch richtet er in Inglorious Basterds seine Fantasie auf einen historischen Zeitraum, auch wenn es zweifelhaft ist, ob dieser mehr der Realität entspricht als die Schauplätze seiner früheren Filme. Die Handlungsangabe »Once upon a time in Nazi occupied France«, wie es am Anfang des Films heißt, verweist auf eine Märchenzeit, die jedoch mit einem historischen Abschnitt der Wirklichkeit auf eine traumhafte Art verwandt ist. Dieser Traum, darauf wurde in der Debatte um Tarantinos 7 | Karine Cohen-Dicker: »Jewish Revenge Porn«, (Frühling 2011). 8 | Vgl. Liel Leibovitz: »Inglorious Indeed«, (Frühling 2011).

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Werk immer wieder aufmerksam gemacht, ist der Film selbst, das Kino als machtvolle Maschine zur Konstruktion von Geschichte und von vermeintlich authentischen Vorstellungen darüber. Inglorious Basterds ist weder ein Film über die Nazis, noch über den Zweiten Weltkrieg oder den Holocaust, sondern ein Film über die mediale Repräsentation der Nazis, ein Nazi-Zitat, und damit gerade nicht ein Film über den Massenmord, sondern ein Film über den Massenmord in der Popkultur. Einen solchen Film konnte vielleicht nur ein nicht-jüdischer Regisseur wie Tarantino drehen. Um ihn jedoch drehen zu können, engagierte er bewusst den jüdischen Schauspieler und Regisseur Eli Roth, wie die das Kapitel abschließenden Ausführungen zeigen. Inglorious Basterds hat zwei Handlungsstränge, die sich erst ganz am Schluss überkreuzen und die beide von der Idee der jüdischen Rache an den Nationalsozialisten ausgehen. Im ersten Strang wird gezeigt, wie die junge französische Jüdin Shosanna Dreyfus (Mélanie Laurent) als einzige fliehen kann, als ihre Familie von deutschen Soldaten erschossen wird. Später taucht sie als Kinobetreiberin im besetzten Paris unter falschem Namen wieder auf. In diesem Kino soll die Première eines deutschen Kriegsfilms stattfinden, bei der Goebbels, die gesamte deutsche Armeeführung und sogar Hitler selbst anwesend sind. Zusammen mit ihrem schwarzen Freund und Filmvorführer Marcel dreht sie jedoch einen Kurzfilm, der während der Première die deutsche Produktion unterbricht. Während sie von der Leinwand zum deutschen Publikum spricht, zündet Marcel die tausenden von leicht brennbaren Filmrollen an und das ganze Kino geht in einem Flammenmeer unter. Es ist also im ganz materiellen Sinn der »Film«, der sich an den Nazis rächt, es ist eine Rache mit und im Medium des Kinos. Dieser mediale und somit selbstbezügliche Aspekt wird noch dadurch verstärkt, dass Shosanna zum Zeitpunkt ihrer kinematographischen Ansprache bereits tot ist, sie wird nämlich von ihrem deutschen Verehrer – als sie diesen zum wiederholten Mal abweist und anschließend mit einer Pistole verwundet – erschossen. Ihr bläulich-graues und riesenhaftes Gesicht, dass als Projektion über dem Flammeninferno schwebt, ist also tatsächlich

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so etwas wie ein Gespenst. Nachdem die Leinwand verbrannt ist, bleibt ihr Gesicht über einer ameisenhaft um ihr Leben kämpfenden Masse deutscher Uniformierter auf der im Kino schwebenden Asche verzerrt sichtbar. Dieses unheimliche Bild ist als eine nicht gerade subtile Anspielung auf den Massenmord in den Vernichtungslagern zu verstehen, und ist dennoch ein schockierendes, vorher nie gesehenes Bild für die medial inszenierte Umkehrung der Shoah. Der Satz »This is the face of Jewish vengeance«, den ihre Stimme triumphierend in den Saal ruft, artikuliert der Zweck dieser Umkehrung, die gnadenlose Rache. Shosannas Gesicht ist die Figur der jüdischen Rache in der Popkultur. Auch für die zweite Handlungsebene ist das Motiv der Rache zentral. Es geht um eine Einheit unerschrockener amerikanischer Soldaten, die hinter den feindlichen Linien operieren. Wie es ihr von Brad Pitt gespielter Kommandant Aldo Raine, genannt »Aldo the Appache«, ausdrückt, geht es dieser Einheit einzig und allein darum, so viele Nazis wie möglich zu töten – und zu skalpieren. Die »Basterds«, wie die Agenten genannt werden (der Titel ist ein Verweis auf den Kriegsfilm The Inglorious Bastards von Enzo Castellari von 1978) lassen jeweils einen deutschen Soldaten am Leben, ritzen ihm mit einem Messer ein blutiges Hakenkreuz in die Stirn und lassen ihn laufen, damit er als lebendiges Zeugnis der Möglichkeit jüdischer Vergeltung die deutsche Kampfmoral schwächt. Wie in jedem Tarantino-Film (und wie in vielen Action-Streifen) sind die einzelnen Figuren ähnlich wie Superhelden durch simple, aber einprägsame Charakterzüge und Attribute ironisch charakterisiert. So spricht Aldo Raine einen breiten Südstaaten-Akzent und der deutsche Deserteur Hugo Stieglitz ist fanatischer Messerspezialist. Der Einheit gehören auch einige jüdische Soldaten an, so etwa Sergeant Donny Donnowitz, der den Spitznamen »Bear Jew« trägt. Die Spezialität des »Bear Jew« ist es, mit einem Baseball-Schläger Deutsche zu köpfen oder tot zu prügeln. Kein Wunder, dass sogar Adolf Hitler selbst – gespielt von Arturo Ui-Darsteller Martin Wuttke – die Gerüchte zu glauben beginnt, der ›Bärenjude‹ solle ein Golem sein. Diese von Eli Roth verkörperte Nebenrolle ist für die Thematik der

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jüdischen Rache ebenso bedeutend wie die Figur Shosannas. Und es ist signifikant, dass sie gerade von Eli Roth gespielt wird. Roth ist selbst nicht als Schauspieler, sondern als Regisseur und Produzent von Low Budget-Horrorfilmen wie Cabin Feaver (2002) oder Hostel (2005) berühmt geworden. Es sind Filme, die eine verdrängte Urlust an Blut und Gewalt befriedigen, dies aber immer wieder ironisch brechen und das Verhängnis der Figuren oft mit ebenso menschlicher Dummheit oder Gier begründen. Wenn in Inglorious Basterds Aldo Raine seine Ansprache an die Soldaten hält, fokussiert die Kamera das Gesicht von Donny Donnowitz, das sich zu einem Grinsen verzieht. Es ist ein stolzes Lächeln, voller Genugtuung, Grausamkeit und Vorfreude. Das ist nicht nur das Lächeln der Figur Donny Donnowitz, sondern allgemein das Lächeln eines jüdischen Jungen, der sich in einem Tagtraum den grauenhaften Tod seiner größten Feinde ausmalt. Der Film macht genau diese ohnmächtige Fantasie sichtbar: In einem Interview wurde Roth die Frage gestellt, was er beim Ansehen des Films als jüdischer Amerikaner empfinde. Seine Antwort war: »It’s everything I’ve always wanted to see. It’s everything I’ve fantasized about, visualized. […] It’s like this dream, that you had, and you realize that somebody else had that same dream.«9 Im Film selbst wird diese Aussage in Donnowitz’ Lächeln gespiegelt. Hitlers Traumtod wird in Inglorious Basterds explizit gezeigt. Die Basterds schmuggeln sich mit Hilfe einer übergelaufenen deutschen Filmschauspielerin namens Bridget von Hammersmark auch an die Filmpremière in Shosannas Kino, natürlich ohne um deren Zerstörungspläne zu wissen. Donnowitz und einem anderen jüdischen Soldaten gelingt es, während der Vorstellung die Wachen umzubringen und Hitler und Goebbels, die voller Panik über das Feuer aus ihrer Loge flüchten wollen, mit Kugeln zu durchlöchern. Ganz im Gegensatz zum deutschen Film Der Untergang – dessen Misslingen daher rührt, dass er eine per se unmögliche Authentizität und historische Genauigkeit behauptet – stellt Tarantino mit seinem kontrafaktischen Epos Hitlers sterblichen und versehrten Körper zur 9 | , (Frühling 2011).

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Schau. In einem klugen Artikel für die Zeit hat Wim Wenders diese unverständliche Pietät in Bernd Eichingers und Oliver Hirschbiegels Der Untergang kritisiert und sie als letzten Respekt vor dem »Führer« entlarvt: »Alles sieht man in Der Untergang, nur Hitlers Tod nicht! […] Warum auf einmal dieses dezente Nichtzeigen, warum die plötzliche Prüderie? […] Warum nicht zeigen, dass das Schwein endlich tot ist? Warum dürfen wir Hitler und Goebbels nicht sterben sehen? Werden sie durch das Nichtzeigen nicht erst recht zu mythischen Figuren? Warum verdienen sie einen so würdigen Abgang, während alle anderen guten und schlechten Deutschen abgeknallt werden? Was für ein Verdrängungsvorgang entspinnt sich da vor unseren Augen?«10 Während Der Untergang noch einmal ein Hoftheater des Schreckens inszeniert und doch vor dem entscheidenden Moment zurückschreckt, nämlich Hitler endlich den Garaus zu machen, kennen Quentin Tarantino, Eli Roth und der Rest des Ensembles weniger Skrupel. Natürlich weiß jeder Zuschauer, dass es Martin Wuttke als Hitler und Sylvester Groth als Goebbels sind, die mit Kinoblut überströmt zusammenbrechen – und doch wird die Fantasie vom gewaltsamen Tod Hitlers und Goebbels gezeigt und damit ausagiert. Was bei einem anderen Film möglicherweise als pietätlos oder pornographisch zu kritisieren wäre, dient hier einer Gespensteraustreibung. Inglorious Basterds zeigt mit einem dummen Goebbels die Banalität des Bösen sowie in der Figur des von Christoph Waltz dargestellten SS-Kommandanten Hans Landa dessen Schläue, Attraktivität, Chic und Eitelkeit. In Deutschland besteht die merkwürdige Situation, dass sich die Zuschauer mit den amerikanischen Juden identifizieren und nicht mit ihren eigenen Vorfahren (mögen sie auch fiktionalisiert sein), wie Jens Jessen in der Zeit festhielt.11 Jessen scheint nicht mit der Möglichkeit eines durchaus zu Ironie und Abstraktion fähigen deutschen Publikums zu rechnen. Doch 10 | Wim Wenders: »Tja, dann wollen wir mal«, in: Die Zeit, 21.10.2004, , (Frühling 2004). 11 | Jens Jessen: »Skalpiert die Deutschen!«, in: Die Zeit, 5.9.2009, (Frühling 2011).

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Jessens pädagogische Sorgen gelten sowieso weniger den möglichen Missverständnissen, die der Film auslösen könnte (und damit einer falschen Schuldsublimierung), sondern viel mehr »der Würde des Gegenstandes«, die er durch Tarantino entweiht sieht. Die »Verhöhnung deutscher Überläufer« geht ihm als liberalen und humanistisch gesinnten Journalisten zu weit; noch schlimmer würde »das Schicksal der Juden« für cineastische Scherze missbraucht. In dieser Kritik steckt bereits die ganze Problematik der deutschen Rezeption amerikanisch-jüdischer Popkultur, auf die vor allem das nächste Kapitel eingehen wird. Die von Jessen angenommene »Würde des Gegenstandes«, nämlich des von Deutschen angerichteten Massenmordes, besteht für ihn offensichtlich vor allem darin, dass man diesem den moralischen Status abspricht. Was dem bildungsbürgerlichen Post-Liberalismus einer deutschen Institution wie der Zeit zutiefst widerlich sein muss, ist der radikale, anti-pädagogische Gestus Tarantinos. Gerade darin liegt aber die Glanzleistung seines Films. Der Holocaust ist kein Lehrstück, das es besonders gut zu studieren gilt. In Wahrheit geht es dem Zeit-Feuilletonisten nämlich darum, dass er als Repräsentant des guten Deutschlands von dem Film ebenfalls zum Tod verurteilt wird, und sei es nur virtuell. Sein Unbehagen am vermeintlichen Missbrauch des jüdischen »Schicksals« ist in Wahrheit fehlende Selbstironie, und vielleicht noch tiefer eine Angst davor, dass in dem Film Juden gezeigt werden, die ganz gut ihr eigenes Schicksal bestimmen können und die zwischen bösen Nazideutschen und nicht so bösen Widerstandsdeutschen keinen Unterschied machen, dass hier aus amerikanischer Sicht lustvoll ein »Deutscher« und ein »Deutschland« konstruiert wird, die es so monolithisch in der Realität nie gegeben hat. Es ist ein ähnlicher Mechanismus, mit dem Deutsche zuweilen »Juden« konstruieren. Auch Tarantino kreiert »Juden« und sie haben nicht mehr mit der Realität zu tun als die deutschen Zerr- und Wunschbilder – doch sind sie ironischer und damit weniger übergriffig. Mit der Verwundung und Vernichtung der Nazi-Figuren gibt der Film Raum für die Abgründe jüdischer Rachefantasien und kreiert damit Figuren des Jüdischen, die sich nicht nur mit einer Befreiung von der Opferiden-

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tität zufrieden geben, sondern ihre Identität im Übergriff auf ihre Übergreifer, in der Markierung und Vernichtung ihrer Vernichter suchen. Die anachronistische Dimension dieser Umkehrung ironisiert sie dabei von vorneherein – es ist auch diese Ironie, die das Lächeln von Eli Roth bezeugt. Es ist ein Lächeln, das auf die »Würde« des Opferseins zu pfeifen scheint und das jegliche Moral suspendiert. Deshalb scheint Eli Roths Lächeln nicht nur das Ende der Ambivalenz anzuzeigen, sondern auch jedem, der in der Shoah nach einer Identität sucht, zu antworten: Vergeblich!

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Faserlandsneurotiker Figuren des Jüdischen in Deutschland

Schon im letzten Kapitel wurde an einigen Stellen die Wahrnehmung des Jüdischen in Deutschland nach der Shoah gestreift. Die Rezeption der amerikanischen Popkultur in Deutschland, und ganz besonders auch deutsche Produktionen selbst, sind es wert, in dieser Hinsicht genauer betrachtet zu werden. Dieser Essay ging zuerst von Woody Allens Annie Hall aus, und es ist für das letzte Kapitel aufschlussreich, sich die deutsche Übersetzung des Filmtitels zu vergegenwärtigen. Während der amerikanische Titel ganz einfach der Name der Freundin des Protagonisten ist, nimmt der Titel Der Stadtneurotiker eine Abstrahierung vor. Es ist eine Abstrahierung, die bezeichnenderweise Eingang in den Alltagswortschatz gefunden hat. In Deutschland scheint man in Alvy Singer vor allem die universelle Figur eines Intellektuellen in der Großstadt zu sehen und nicht den jüdischen Komiker, als den er sich selbst bereits am Anfang des Films klar benennt. Es ist erstaunlich, dass sogar der deutsche Philosoph Vittorio Hösle, unterdessen in den USA beheimatet, in einem Essay zu Woody Allen diese Abstraktion mit vollzieht. Obwohl Hösle sehr genau darum weiß, dass Woody Allens verschiedene Alter Egos tief »in traditionellen jüdischen Werten verwurzelt«1 sind, wie er ganz zu Ende seines Büchleins allgemein bleibend schreibt, ignoriert er diese Verwurzelung in der Analyse von Allens Filmen komplett. Allen nehme eine Wieder1 | Vittorio Hösle: Woody Allen. Versuch über das Komische, München 2001, S. 121.

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belebung der klassischen aristophanischen Komödien vor, wobei er »eine Fülle des Komischen« wiedergewinnen würde, »die seit mehr als zweitausend Jahren verloren gegangen« sei.2 Hösle ist blind für die amerikanisch-jüdische Tradition des Vaudevilles und der Standup-Comedy, aus der Woody Allen hervor ging. Die für Allens Inspiration zentralen Marx Brothers oder Ernst Lubitsch finden keinerlei Erwähnung. Hösle ignoriert in seinem »Versuch über das Komische« sogar Freuds Überlegungen zum Witz und argumentiert mit Schopenhauer, Bergson und – was besonders merkwürdig, wenn nicht sogar komisch erscheint – Heidegger. Krass ins Auge sticht das de-historisierende Moment in Hösles Lektüre bei einem Beispiel aus Woody Allens Film Manhattan Murder Mistery (1993): Larry Lipton sitzt mit seiner Frau in einer Aufführung einer Wagner-Oper, als er unvermittelt aufsteht und das Theater verlassen will. Seine Begründung ist, dass er nicht plötzlich ein Bedürfnis verspüren möchte, Polen zu erobern. Hösle weiß zwar um die Tatsache, »dass Wagners Musik Hitler und viele Nationalsozialisten faszinierte«3 – was er nicht schreibt ist, dass Richard Wagner selbst einer der einflussreichsten antisemitischen Ideologen des 19. Jahrhunderts war –, doch die Interpretation der Bemerkung Liptons ist irritierend: »Nicht nur wirft sie Licht auf die Eheprobleme der Liptons, die Vorstellung, dass der asthenische Lipton […] Polen erobern könnte, ist wirklich erheiternd.«4 Nicht einmal angedeutet wird hier, dass der jüdische Zuhörer sich durch die Wagnerschen Fantasien deplaziert fühlen könnte, und dass der »sehr gute Witz« eben gerade deshalb so gut ist, weil er die historischen Konsequenzen des deutschen Nationalismus einerseits klar benennt, andererseits ironisch distanziert. Hösle versteht den Witz, über den er die ganze Zeit spricht, offensichtlich nicht, oder er möchte ihn nicht verstehen. Denn der »asthenische Lipton«, also die stereotype Körperschwäche, ist gleichzeitig eine ambivalente Metapher des Jüdischen an sich, das 2 | Ebd., S. 15. 3 | Ebd., S. 51. 4 | Ebd.

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vor der Kulisse der Wagner-Oper und damit der gesamten deutschen Kulturgeschichte von Parzival über Luther bis Hegel und Wagner historisch noch genauer hervortritt. In diesem Kapitel geht es um die deutsche Rezeption des Jüdischen in der amerikanischen Popkultur, beziehungsweise um dessen Nicht-Rezeption, und um die deutsch-jüdischen Versuche der späten 2000er Jahre, diese Leere polemisch kenntlich zu machen. Die Filme Woody Allens der 1970er Jahre können die Problematik dieser Rezeption gut illustrieren. In seinem Film Everything you always wanted to know about Sex* (*but were afraid to ask) (1972) gibt es eine kleine Episode, die eine Folge der fiktiven Fernseh-Show »What’s your perversion?« darstellt. In dieser Show möchte ein älterer Rabbiner mit masochistischen Neigungen, dass er am Boden kniend und angekettet von einer jungen Assistentin ausgepeitscht wird, während seine Frau vor seinen Augen aus einem Hundenapf Schweinefleisch essen muss. Im Entstehungsjahr des Films war es gerade dreißig Jahre her, dass diese Arten von Folter in Europa an Juden massenhaft ausgeübt wurden. Es ist also nicht nur ein drastischer Witz, der sich über die Prüderie des US-Fernsehens und die verklemmten Sexualratgeber der Zeit lustig macht, sondern hier wird der reale Schrecken versuchsweise aufgehoben, indem er in einen lächerlichen, witzigen Kontext gestellt wird. Woody Allen, der 1945 zehn Jahre alt war, scheint sehr genau um die Implikationen dieser Szene gewusst zu haben. Sie hat eine die quälenden Bilder des Judenmordes distanzierende und somit befreiende Funktion inne. Für das deutsche Publikum war es aber gerade umgekehrt. Es hatte im allgemeinen ebenfalls das Bedürfnis, sich zu befreien, aber nicht vom Bewusstsein des Opfers, sondern vom Bewusstsein des Täters oder Mitläufers. Es ist zum Beispiel nicht unerheblich, dass viele Synchronsprecher als Schauspieler bereits zwischen 1933 und 1945 tätig gewesen waren. John Pauls Harding beispielsweise, unter dessen Leitung die Synchronfassung von Annie Hall erstellt wurde, hatte als junger Schauspieler in Propagandafilmen wie Stukas (1941) oder Mein Leben für Irland (1941) mitgespielt. Unabhängig davon, ob die Synchronsprecher und auch die Zuschauer sich des historischen

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Kontexts, in dem sie sich selbst vorfanden, bewusst waren oder ob sie sich im Kino in einem geschichtslosen Raum wähnten, konnten sie solche Szenen jüdischer Ambivalenz, wie sie Woody Allen bis heute gekonnt inszeniert, nur durch eine enorme Abstraktionsleistung genießen. Die »semitischen Traumata«5 – wie sich Hans C. Blumenberg 1977 in einem Zeit-Artikel über Annie Hall das Wort »jüdisch« vermeidend ausdrückte – empfand man zwar als amüsant und poetisch, doch man mochte sie nicht in einem historischen Kontext sehen. Die eigenen deutschen Traumata brachte man damit schon gar nicht in Verbindung. Es ist symptomatisch, dass in der gleichen ZeitAusgabe einige Seiten weiter vorne beinahe uneingeschränkt positiv über die Memoiren Graf Schwerin von Krosigks berichtet wird, der unter Hitler bis 1945 Finanzminister gewesen war und im März 1977 starb. Die Möglichkeit, dass ein Feuilletonredaktor morgens angeregt im Buch eines der führenden Politiker des »Dritten Reiches« blättert und abends begeistert einen Film von Woody Allen ansieht, sagt einiges über die psychohistorische Situation des Jahres 1977 in der BRD. Gerade der Antisemitismus der RAF zeigt das unheimliche Fortleben der Nazi-Vergangenheit an. Hösles Ignoranz bezüglich Woody Allens Jüdisch-Sein ist nur ein Symptom. Sucht man in Deutschland nach einer positiven Wahrnehmung des Jüdischen jenseits von Shoah oder außerhalb der Diskussion um die politische Situation des Staates Israel, stößt man auf eine beklemmende Leere. Als weiteres Beispiel dafür kann etwa die völlige Ausblendung der jüdischen Themen, Motive und Traditionszusammenhänge bei Leonard Cohen gelten, der in Deutschland ebenfalls seit den 1970er Jahren eine große Popularität genießt. Vielleicht bleibt es noch halbwegs verständlich, dass man 1974 die liturgischen Zitate und die Thematisierung jüdischer Identität auf dem Album New Skin for the old Ceremony nicht rezipierte – schließlich war das Wissen darum mit den Juden ausgetrieben worden – aber es ist mehr als merkwürdig, dass man im Jahr 2008 Cohens Gedicht5 | Hans C. Blumenberg: »Clown ohne Maske. Autobiographie eines Komikers«, in: Die Zeit, 24.6.1977.

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band The Book of Longings, von dem eine ausgezeichnete deutsche Übersetzung vorliegt, völlig losgelöst von seiner jüdischen Thematik las. Das Buch quillt beinahe über von jüdischen Symbolen, überall sind die hebräischen Buchstaben des Gottesnamens in die Illustrationen eingefügt. Es ist nicht so, dass man das Buch ignorierte, es wurde eifrig in der Presse besprochen, jedoch unter säuberlicher Ausklammerung des jüdischen Elements.6 Eine unüberwindbare Furcht scheint verbreitet, die bekannten Repräsentanten der Popkultur auch als Repräsentanten des Judentums wahrzunehmen. Erfolgreiche Hollywood-Filme wie Meet the Parents und das Sequel Meet the Fockers mit Ben Stiller zum Beispiel, in denen ein Großteil der Komik offensichtlich dadurch erzeugt wird, dass eine jüdische und eine perfekte WASP-Familie zusammentreffen, werden in Deutschland völlig losgelöst vom ethnisch-religiösen Hintergrund rezipiert. Anspielungen und Witze, welche die jüdische Identität der Figuren betreffen, werden in deutschen Synchronfassungen oft einfach weggelassen oder mit sinnfreiem Blabla substituiert. Juden, die ihr Judentum weder mit quälerischer Seelenpein befragen, noch es negieren, noch es zum absoluten Daseinsgrund machen wie etwa die orthodoxen Siedler im Westjordanland, sondern es ganz einfach als selbstverständlicher Teil ihrer sozialen, kulturellen und künstlerischen Identität begreifen, scheinen in Deutschland immer noch beunruhigend zu sein. Warum? Die Lösung auf diese Frage gibt eine bemerkenswerte Stelle aus Christian Krachts Debütroman Faserland (1995). Das Buch stellt so etwas wie das Gründungsdokument der neueren deutschen Popliteratur oder je nach Interpretation auch ihren Abgesang dar. Der junge, reiche, namenlose und männliche Protagonist unternimmt eine Reise quer durch Deutschland, von Sylt im Norden bis an den Bodensee und nach Zürich in der Schweiz, wo er in Kilchberg das 6 | Als Beispiel kann eine Besprechung von Alexander Müller in der FAZ vom 6.10.2008 dienen: »Ich stehe immer noch drauf«, , (Frühling 2010).

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Grab von Thomas Mann besuchen möchte. Auf dieser Inspektionsreise kommt er mehr durch Zufall auch nach Heidelberg: Das ist nun Heidelberg, und es ist wirklich schön dort im Frühling. Dann sind die Bäume schon grün, während überall sonst in Deutschland noch alles hässlich und grau ist, und die Menschen sitzen in der Sonne an den Neckarauen. Das heißt tatsächlich so, das muss man sich erst mal vorstellen, nein, besser noch, man sagt das ganz laut: Neckarauen. Neckarauen. Das macht einen ganz kirre im Kopf, das Wort. So könnte Deutschland sein, wenn es keinen Krieg gegeben hätte und wenn die Juden nicht vergast worden wären. Dann wäre Deutschland so wie das Wort Neckarauen.7

Faserland ist heute ein Klassiker. Kurz nach seinem Erscheinen wurde dem Buch Materialismus, Oberflächlichkeit und Politikferne vorgeworfen. Dabei wurde teilweise übersehen, dass es Kracht in seinem Vorführen neurotischer Mode- und Oberflächenfixiertheit um die Suche nach einer anderen Ästhetik ging, darum, dass ein modisch hässliches auch ein moralisch hässliches Deutschland ist. Die Stelle aus dem Heidelberg-Kapitel weist auf eine deutsche Sehnsucht nach einem schönen Land hin, in dem es den Holocaust, und insbesondere Birkenau, nie gegeben hätte – was auch das letzte Kapitel zeigt, welches eine durchwegs idealisierte Schweiz vorführt. Kracht lässt diese Sehnsucht jedoch nie in Verdrängung umschlagen. Die real existierenden Juden erinnern die Deutschen daran, dass Deutschland eben nicht so schön ist, wie es ohne die historische Schuld sein könnte. Lebende Juden in ihrer ganzen lebendigen und menschlichen Widersprüchlichkeit erinnern viele Deutsche leider bis heute an das Faktum des Massenmordes – und stellen deshalb eine genuine Störung der eigenen Identität dar, die es zu vermeiden gilt. *

7 | Christian Kracht: Faserland. Roman, Köln 1995, S. 81.

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Seit geraumer Zeit heißt das Zauberwort Normalität. Ein Blick auf die Popkultur zeigt jedoch, dass diese angestrebte Normalität durch dieselbe Ignoranz erkauft wird, die bereits die Situation in den 1970er Jahren auszeichnete. Ich möchte hier auf zwei Filmbeispiele aus den frühen 2000er Jahren hinweisen, die beide den Versuch unternehmen, mit jüdischen Figuren in Deutschland betont normal umzugehen, das heißt, sie jenseits von Shoah-Diskursen als Juden zu begreifen und zu thematisieren8 . Dies ist erstens die Schimanski-Folge Das Geheimnis des Golem (2004) und zweitens Dani Levys Film Alles auf Zucker (2004), der dadurch besonderes Gewicht erhielt, dass der Regisseur selber (Schweizer) Jude ist. Leider können es beide Produktionen nicht vermeiden, in eine Art Faserlandsfalle zu tappen, das heißt, die simulierte Normalität ist in beiden Filmen – zwar in jeweils unterschiedlicher Weise und durchaus auf unterschiedlichem Niveau – in Wahrheit bloß ein Bild für die Sehnsucht nach dem Normalen, hinter dem sich dunkel der historische Abgrund auftut. Der Duisburger Horst Schimanski (Götz George) ist wohl der beliebteste deutsche TV-Kommissar. Nach seinem jahrzehntelangen Einsatz in der Tatort-Serie bekam er 1997 seine eigene Serie, für die er in unregelmäßigen Abständen auf seine unkonventionelle und zupackende Art mysteriöse Fälle aufklärt. Schimanski lebt im Ruhestand zusammen mit seiner belgischen Freundin auf einem Hausboot. In der Folge Das Geheimnis des Golem wird der Schauplatz Belgien insofern signifikant, dass die große jüdische Community von Antwerpen zur Handlung beiträgt. Der sympathische Pensionär Schimanski wird des Mordes am jüdischen Diamantenhändler Rosenfeld verdächtigt, den er eigentlich als privater Bodyguard beschützen sollte. Als Schimanski mit einem rätselhaften Koffer und einem Buch voller unentzifferbarer Buchstaben- und Zahlenkombinationen aus Duisburg nach Antwerpen flieht, gelangt er an Rab8 | Der Tatort, Ein ganz normaler Fall, der am 27. November 2011 ausgestrahlt wurde und im jüdischen Milieu Münchens spielt, konnte hier leider nicht mehr für die Analyse berücksichtigt werden.

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biner Moishe Ginsburg, ein alter Freund des Ermordeten, der mit Hilfe seiner kabbalistischen Weisheit und eines speziellen Computerprogramms die Chiffren lesen kann; das Buch sei »ein kabbalistisch verschlüsseltes Kontenverzeichnis«. Denn, so wird bald klar, Juden haben Geheimwissen und Geld, beides aus uneinsichtigen Quellen. Der befreundete Polizist Hänschen meint im Film einmal zu einem jungen Kollegen, der in Rosenfelds Machenschaften Waffenhandel vermutet: »Immer wenn Juden beteiligt sind, kommen jüdische Weltverschwörung, CIA, Al Quaida, Mossad. Ist doch alles Quatsch […]. Wir sind immer noch eine deutsche Mordkommission und nicht James Bond. Ist das angekommen?« Doch leider ist diese weise Selbstbeschränkung nicht beim Regisseur des deutschen Fernsehkrimis angekommen. Seine jüdischen Figuren stellen so uralte Stereotype dar, dass man sich verwundert die Augen reibt. Miriam Magall hat in einem exzellenten Aufsatz bereits auf die verschiedenen Stereotype aufmerksam gemacht, die in diesem Film versammelt sind,9 hier soll lediglich auf einige Aspekte noch einmal hingewiesen werden. Rosenfeld und Rabbi Ginsburg sind Prototypen des Wandernden Juden. Bereits in der Eröffnungsszene sieht man Rosenfeld, wie er geduckt und ängstlich sich nach Verfolgern umsehend aus einem Zug steigt. Rosenfeld ist ein kleines, hageres, dunkel wirkendes Männlein, das gebückt geht und einen konstant leidenden Gesichtsausdruck besitzt. In der Synagoge bei Rabbi Ginsburg angekommen, bewegen sich die beiden Kumpane in düsteren Gewölben, wo das Licht durch Bogenfenster fällt und Bücher und Pergamentrollen herumliegen. Die beiden unterhalten sich, obwohl sie Deutsche sind, mit jiddischen Versatzstücken, erzählen sich alte jüdische Witze und trinken »a bissel Schnaps«. Natürlich dürfen die Juden nicht die wirklichen Bösewichte sein. Am Schluss erfährt man, dass das Geheimnis der beiden darin bestand, das Weiterleben des toten Ari Goldman simuliert zu haben, damit der wohltätige Geldstrom von 9 | Miriam Magall: »Das Judenbild im neueren deutschen Film«, , (Frühling 2011).

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dessen Konti (etwa für jüdische Kindergärten) nicht abbrach. Der wirkliche Schurke ist der karrieregeile Polizist König, der Widersacher Schimanskis, der selber hinter den sagenhaften Reichtümern Goldmanns her war. In ihrem Bestreben, das Publikum in die »für die meisten Leute unbekannte jüdische Kultur«10 eintauchen zu lassen, wie die Produzentin sich geäußert haben soll, wird Schimanski auch dabei gezeigt, wie er bei einem jüdischen Ehepaar in Duisburg zum Essen eingeladen wird. Besonders normal sollte wohl erscheinen, dass dieses Essen am »Jom Kippur« stattfindet. Jeder, der einmal eine kleine Einführung ins Judentum zur Hand genommen oder mit einem Rabbiner gesprochen hätte, wüsste natürlich, dass ausgerechnet an diesem hohen jüdischen Feiertag gar nichts gegessen wird, weil man dann fastet. Die Sinnlosigkeit des Drehbuchs wird auf diese Weise fortgesetzt: In Antwerpen lernt Schimanski die ebenso attraktive wie undurchsichtige Lea Kaminski kennen, die ihn (mit Vorliebe zu Klezmerklängen) um den Finger zu wickeln weiß. Die Figur entspricht – wie Miriam Magall überzeugend darlegt – gänzlich dem Stereotyp der schönen Jüdin, einer dunkeläugigen Femme Fatale, die mittels kalkulierter Erotik ihren materiellen Gewinn verfolgt. Am Ende stellt sich zwar heraus, dass Lea die Tochter von Ari Goldman ist und nur deshalb so sehr an dessen Koffer interessiert war. Doch wie Rosenfeld bleibt sie eine letztlich unfassbare Figur. Sie verabschiedet sich von Schimanski, der wieder zu seiner blonden Freundin zurückkehrt, mit einem melancholischen »Mach’s gut. Schalom.« Die unfreiwillige Komik der Schimanski-Folge ist die eine Seite der Darstellung des Jüdischen. Die andere ist der unfreiwillige Gebrauch uralter und herabsetzender Stereotype wie das des hässlichen, schwachen jüdischen Mannes, der schönen Jüdin, der jüdischen Heimatlosigkeit oder des Verschwörungswissens. Die Figuren des Jüdischen, die in Das Geheimnis des Golem auftauchen, immerhin eine Produktion des öffentlich rechtlichen Fernsehens, sind zwar

10 | , (Frühling 2011).

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oberflächlich politisch korrekt eingekleidet, schließen jedoch nahtlos an Zerrbilder aus dem frühen 20. Jahrhundert an. Im gleichen Jahr wie Das Geheimnis des Golem erschien auch der Kinofilm Alles auf Zucker, in dem mit Henny Hübchen, Hannelore Elsner, Anja Franke oder Sebastian Blomberg einige der bekanntesten Schauspieler Deutschlands mitspielen. Der Film war kommerziell unerwartet erfolgreich und gewann gleichzeitig wichtige Preise, unter anderem die Auszeichnungen für den besten Spielfilm, die beste Regie und das beste Drehbuch beim Deutschen Filmpreis 2005. Jakob Zuckermann alias Jaeckie Zucker war in der DDR ein bekannter Sportreporter und schlägt sich nach der Wende mehr schlecht als recht als Nachtclubbetreiber und Billardspieler durch. Mit seiner Frau Marlene befindet er sich in Scheidung, mit seinen Kindern Thomas (der bei der Bank arbeitet, die seinen Vater ins Gefängnis bringen will) und der lesbischen Jana im Dauerstreit. Dass er Jude ist, ist Jaeckie ziemlich egal. Wahlweise will er »mit dem Club« nichts zu tun haben oder sieht sich als benachteiligtes Opfer des Holocausts – bis auf einmal die Nachricht eintrifft, dass seine Mutter gestorben sei und in Berlin begraben werden möchte. Ihr Erbe verteilt sie auf die beiden Söhne Jakob (Jaeckie) und Samuel, aber nur unter der Bedingung, dass die beiden seit 40 Jahren zerstrittenen Brüder traditionell zusammen Schiwa (die jüdischen Trauerrituale) sitzen und sich aussöhnen. Samuel hatte sich damals mit der Mutter in den Westen abgesetzt und ist unterdessen anscheinend so orthodox, dass er beim agnostischen Teil der Familie in Berlin als »Onkel Ajatolla« bekannt ist. Als Samuel mit seiner Frau und den beiden erwachsenen Kindern, der lebenslustigen Lilly und dem frommen Joshua, tatsächlich anreist, spielt Marlene vor, einen jüdischen Haushalt zu führen, präsentiert koscheres Essen und bemüht sich, eine heile Familie vorzuführen. Doch nicht nur Jackie, der während der Trauerwoche heimlich an einem Billardturnier teilnimmt, auch Samuel ist auf das Erbe angewiesen, denn er hat sich als Immobilienhändler verspekuliert. Nach einigen turbulenten Ereignissen, unzähligen tragikomischen Wendungen und mehr oder minder

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überraschenden Enthüllungen, versöhnen sich die beiden dickköpfigen Brüder schließlich. Auch sonst sind sich die beiden Familienzweige näher gekommen. Zwischen Lilly und Thomas haben sich einerseits zarte Bande geknüpft, andererseits hat sich herausgestellt, dass der strenggläubige Joshua und Jana eine amouröse Vergangenheit zusammen haben und dass Joshua unwissentlich der Vater von Janas Tochter ist. Im Gedächtnis bleibt weniger die durchaus unplausible Handlung, als vielmehr der Slapstick und die schrägen Charaktere der Figuren. Der Film wurde dafür gelobt, dass er das Genre der jüdischen Komödie in Deutschland etwa im Geist Ernst Lubitschs neu belebe (Dani Levy wurde auch der Ernst Lubitsch-Preis 2005 zugesprochen) und dass er einen unkonventionellen Umgang mit den jüdischen Figuren finden würde. Das Judentum sei hier eben nicht auf Stereotype beschränkt, vielmehr würde ein befreiender und ironischer Umgang mit den bestehenden Stereotypen gefunden. Eine Mehrheit des nichtjüdischen Publikums empfand es sicherlich als befreiend, von einem Film über eine moderne jüdische Familie »aus dem Schuldgefühl entlassen« zu werden, anstatt wieder angesichts jüdischer Opfer mit Scham konfrontiert zu werden, wie Dani Levy selber eine Intention seines Filmes beschrieb.11 Aber auch Paul Spiegel, damals Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, fand in einem Interview mit der Welt, Alles Auf Zucker »eine sehr gute Komödie«, die »dazu dienen kann, Juden wie Nichtjuden in Deutschland auf einen Weg der Normalität zu bringen.«12 Spiegel sah diese Normalität vor allem darin, dass der Film Juden als Menschen mit Stärken und Schwächen zeige, als Teil der

11 | »Jüdischer Humor macht vor nichts Halt«, in: Jüdische Allgemeine, 6.1.2005, , (Frühling 2011). 12 | »Wir sind auf dem Weg zur Unbefangenheit«, in: Die Welt, 7.1.2005, , (Frühling 2011).

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deutschen Gesellschaft: »Wir sind nicht besser und nicht schlechter als andere Teile dieser Gesellschaft.«13 Tatsächlich vermeidet Dani Levy die Fehler, mit der die angesprochene Schimanski-Folge angefüllt ist. Doch obwohl Alles auf Zucker so weit entfernt von der deutsch-jüdischen Vergangenheit zu spielen scheint, ist der Film viel mehr damit verbunden, als Regisseur und Publikum annehmen. Dies beweist ein auch nur flüchtiger Blick in die amerikanischen Besprechungen, die zum größten Teil skeptisch bis negativ ausfielen. Die meisten US-Kritiker bemerkten, dass das wahre Thema des Films nicht das Judentum, sondern die anhaltende Teilung Deutschlands in Ost und West sei. Andere meinten, dass der Unterhaltungswert des Films bescheiden sei und es ihm an Schnelligkeit mangle.14 Die Kritikerin der Chicago Tribune schreibt: »It [Alles auf Zucker] remains a diverting, mildly entertaining movie, far short of provoking the controversy (or hysterical laughter) it apparently prompted during its release in Germany.«15 Der Hinweis, dass das deutsche Gelächter über den Film möglicherweise hysterisch war, ist bedenkenswert. Wenn man sich anfängt zu überlegen, worin eigentlich das spezifisch Jüdische des Films besteht oder was an den Figuren ihr Jüdisch-Sein ausmacht, dann stößt man schnell auf die Leere, die jüdische Figuren in Deutschland meistens besetzen. Die Figur zum Beispiel, die am meisten jüdisch sein sollte, der junge Joshua, bleibt ohne jegliche konkrete Charakterisierung. Zwar trägt er einen Vollbart, Hut und einen langen Mantel, doch über seine inneren Motive und seinen Glauben erfährt man so gut wie nichts. Er ist kein Charakter, sondern eine Signalfigur für das gesetzestreue Judentum, das eine reine Chiffre bleibt. Das sieht man auch am Rabbiner, der die 13 | Ebd. 14 | Ruthe Stein: »A German-Jewish Comedy. You read right«, in The San Francisco Chronicle, 3.3.2006, , (Frühling 2011). 15 | Jessica Reaves: »Movie Review: Go for Zucker«, in: Chicago Tribune, 6.4.2006, , (Frühling 2011).

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Jüdische Gemeinde Berlin repräsentiert, aber eine lächerliche Figur ohne jegliche Motivation ist. Das Judentum erscheint nicht als etwas, das zu den Figuren als ein Teil von ihnen gehört, sondern von außen auf sie gekommen ist. Auch bei der Figur, die irgendwie am meisten eine kulturelle jüdische Identität vertritt, Samuels beleibter Frau Golda, besteht das Jüdisch-Sein vor allem in einem merkwürdig lächerlichen Akzent (der jiddisch oder auch hebräisch oder russisch sein könnte). In diesem Sinn ist Alles auf Zucker wohl ein typisch deutscher Film, aber kein jüdischer. Das Gelächter darüber war vielleicht weniger ein Gelächter über die tatsächliche Komik, als ein Gelächter darüber, dass es offiziell erlaubt, ja sogar erwünscht war, zu lachen. Die Hysterie bestand darin, dass Regisseur und Publikum verzweifelt normal sein wollten und diese Normalität mit komischen Figuren, beziehungsweise mit Lachen darüber beweisen mussten. Die Figuren des Jüdischen in Dani Levys Film sowie das Lachen über sie, das sie provozieren sollen, überspielen nur die innere Leere, die Aufgesetztheit des Jüdischen in Deutschland, das sie letztlich vorzeigen. »Der Film«, so schreibt Antja Schmelcher in der Welt, »feiert eine kleine Versöhnungsorgie. Jeder wird hier mit jedem versöhnt, die Lesbe mit dem Schwiegervater, der Orthodoxe mit dem Gottlosen, der Arme mit dem Reichen, der Westen mit dem Osten und vor allem die Deutschen mit sich selbst.«16 Diese große Geste der Versöhnung führt zum Glaubwürdigkeitsproblem der Komödie Alles auf Zucker, gleichzeitig legt die Kritikerin den Finger auf den wunden Punkt, dass nämlich der Film nicht etwa das widerspruchsvolle Leben deutscher Juden vorführt, und damit auch Widerspruch und Debatte provozieren würde, sondern bloß die deutsche Selbstversöhnung zelebriert. Für diese sind wirkliche Juden überflüssig, ganz im Gegensatz zu den stereotypen Abziehbildchen, die hier hervorgeholt werden.

16 | Antje Schmelcher: »Koscher wie ein Schweinskotelett«, in: Die Welt, 6.1.2005, , (Frühling 2011).

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Auch Juden sind ganz normale Deutsche – das scheint Alles auf Zucker zu sagen – und eigentlich sind auch Deutsche ganz normale Juden. Mit diesem vermeintlichen Gleichgewicht der Normalität spielt der jüdische Komiker und ehemalige Viva-Moderator Oliver Polak in einer Comedy-Nummer mit dem Titel »Lasst uns alle Juden sein«, die auch als youtube-Video kursiert.17 Als deutscher jüdischer Stand-Up Komiker ist Polak eine ungewöhnliche Erscheinung. Er thematisiert in seinem Programm kulturell-religiöse Eigenheiten der jüdischen Minderheit wie Beschneidungen, jüdisches Essen oder russische Verwandtschaft. Damit scheint er an äußerst erfolgreiche Formate etwa des türkisch-deutschen Komikers Bülent Ceylan aus Mannheim anzuschließen. Bülent Ceylans Programme tragen Titel wie »Döner for one – mit alles« (2002), »Halb getürkt« (2005) oder »Ganz schön turbülent« (2009). Ceylan und Polak sind beide Jahrgang 1976 und versuchen, ihre kulturell-religiöse Herkunft als ironischer Nährboden ihrer Nummern fruchtbar zu machen, sich jedoch an ein junges deutsches Mehrheitspublikum zu richten. Beide Komiker imitieren amerikanische Formate des ethnischen Humors, der die eigene Biographie zum Thema macht, was für die Tradition des deutschen Kabaretts eher ungewöhnlich ist. Polak, dessen Vater »einige deutsche Konzentrationslager überlebt«18 hat, wie ein Artikel von Henryk M. Broder im Spiegel festhält, geht jedoch deutlich darüber hinaus und thematisiert auch zentral den Holocaust als Negativfolie, auf der sich alle Begegnungen und jegliche gegenseitige Wahrnehmung von Juden und nichtjüdischen Deutschen zwangsläufig abspielen müssen. Insofern unterscheidet sich Polak vom eher harmlosen, das heißt politik- und geschichtsfernen türkisch-deutschen Humor. Sein erstes Programm und das dazugehörige Buch heißen Ich darf das, ich bin Jude, ein Titel, der ironisch auf die Identität als Opfer oder Nachkomme von Opfern verweist, dem vermeintlich das Privileg zusteht, sich anders als die anderen Deutschen über 17 | , (Herbst 2011). 18 | , (Frühling 2011).

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die dunklen Seiten der deutschen Geschichte lustig zu machen. Polak weiß sehr genau um die bloße Scheinbarkeit jeglicher Normalität im deutsch-jüdischen Verhältnis. Mit einer ähnlichen Strategie wie die Amerikanerin Sarah Silverman wehrt sich Polak dezidiert gegen die Rhetorik des »Einmal muss es doch genug sein«, genau so sehr verweigert er sich aber der Festlegung auf die Identität als Opfer: »Lassen Sie uns ganz unverkrampft miteinander umgehen. Ich meine: Wie lange ist diese dumme Geschichte her? Über 60 Jahre, oder? Treffen wir doch für die Dauer der Lektüre folgende Vereinbarung: Ich vergesse die Sache mit dem Holocaust – und Sie verzeihen uns Michel Friedman.«19 Während Polaks Nummern in seinem Programm Ich darf das meistens von familiären Situationen ausgehen – etwa der Tatsache, dass er und seine Eltern die einzigen drei Juden Papenburgs gewesen waren, und er jeden Mittwochnachmittag zwei Stunden zum Religionsunterricht der Jüdischen Gemeinde in Osnabrück fahren musste (»im Bar-Mizwah-Mobil meiner Eltern«20) – berührt er mit seinem Lied »Lasst uns alle Juden sein« eine abstraktere Ebene. Zu Beginn sieht man Oliver Polak, wie er verkatert oder einfach nur schlecht gelaunt aufwacht und durch ein Fenster schaut, auf das Regentropfen fallen. Zu Piano-Begleitung singt er: »Manchmal, da bin ich traurig und ich frag’ mich, wo soll ich hin./Ich schau aus meinem Fenster, mein Leben ergibt keinen Sinn./Warum ist es kompliziert? Warum kann es nicht einfach sein?/Warum können nicht einfach alle Menschen Juden sein?« Wie eine Art Tagtraum sieht man dann, wie Polak und zwei weitere Männer sich in beigen Ganzkörper-Anzügen durch eine deutsche Fußgängerzone bewegen und in Ghostbusters-Manier mit Strahlenkanonen hantieren. Mit den Strahlen verwandelt das Team Streifenpolizisten, eine Prostituierte, Dönerverkäufer, Schülerinnen, japanische Touristen, Kinderwagen schiebende Mütter und einen Wachtturm-Verkäufer in »Juden«. Alle Figuren besitzen plötzlich gedrehte Schläfenlocken, einen Bart und 19 | Oliver Polak: Ich darf das, ich bin Jude, Köln 2008, S. 11. 20 | Ebd., S. 54.

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tragen einen schwarzen Hut – also die stereotypen Insignien des orthodoxen Judentums. Der einzige Jude freilich, der im Video wirklich gezeigt wird, also Oliver Polak selbst, ist wie ein Popstar gekleidet und sieht nicht so aus, wie sich das deutsche Publikum – glaubt man der Schimanski-Folge Das Geheimnis des Golems oder Alles auf Zucker – ein Jude vorstellt. Polaks ironischer Refrain lautet: »Kommt, lasst uns alle Juden sein! Auch du und du und du. Auch du gehörst dazu.« Wenn alle Menschen Juden wären, würde es das Judentum paradoxerweise nicht mehr geben. Denn mit der jüdischen Religion im Innersten verbunden ist der Gedanke der Auserwähltheit unter den Völkern, also die Idee, dass im Judentum eine göttliche Mission zum Ausdruck kommt, die erst mit dem Kommen des Messias abgeschlossen wäre. Dieses heilsgeschichtliche Ereignis hätte auch die Vereinigung und die Erlösung der ganzen Menschheit zur Folge. Doch Polak geht gar nicht von einer religiösen Perspektive aus, sondern von der biographischen Erfahrung, im Nachkriegsdeutschland Jude zu sein und damit einer extrem ausgestellten, doch durch Tabus geschützten Minderheit anzugehören, also so etwas wie ein Pandabär zu sein, wie er sich in einem englischen Interview mit DW-TV äußerte.21 In Polaks persönlicher Familiengeschichte hat sich diese Erfahrung noch verdichtet; sein Vater ist der einzige Überlebende der ca. 100 Juden, die aus der Kleinstadt Papenburg deportiert wurden, kehrte nach dem Krieg jedoch zurück, um »das lebende Mahnmal« zu sein. Diese unfreiwillige Funktion des Gedächtnisträgers geht schließlich auch auf den Sohn über: »Und dann kam auch noch ich: ›Mahnmal – the next Generation‹. Ob ich wollte oder nicht.«22 Der Aufruf »Lasst uns alle Juden sein!« formuliert eine imaginäre Flucht aus diesem Zwang zur Repräsentation, er ist ein ambivalentes Statement gegen die anhaltende Fixierung der Identität als »Jude« und damit als Verkörperung der deutschen Schuld, die essentiell mit der deutschen Wahrnehmung des »Jüdischen« verbunden ist, wie zu

21 | , (Frühling 2011). 22 | Polak, Ich darf das, S. 31.

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Beginn dieses Kapitels mit Verweis auf die Stelle in Krachts Roman Faserland gezeigt wurde. Der Schluss des Videos ist vielleicht am gelungensten. Wie ein Straßenmusiker an einen Brunnen gelehnt steht Dirk von Lowtzow, der Frontman der Band Tocotronic, und singt die Refrainzeile »Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein« aus dem gleichnamigen Song (Track 17 auf dem Album Digital ist besser, L’age d’or 1995). Anstatt »Jugendbewegung« singt Lowtzow in Polaks Video aber »Ich möchte Teil einer Judenbewegung sein.« Man sieht, wie Polak sich nähert, in der Anfangsmelancholie am Sänger vorbeigeht, ihn kurz anschaut, seufzt und nach rechts aus dem Video verschwindet. In dem Kalauer spiegelt sich die Sehnsucht des einsamen jüdischen Jungen nach Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, nach Ambivalenzfreiheit, nach einer Jugendbewegung – aber auch das Bewusstsein, dass diese Jugendbewegung für Polak eine »Judenbewegung« sein müsste, einer Bewegung mit einer leicht verschobenen Identität, in was auch immer diese bestünde. Ob dieses Video und Polaks Comedy-Programme im allgemeinen nun als gelungen eingeschätzt werden oder nicht: Die Vieldeutigkeit dieses Schlusses und die angedeutete Offenheit der Identität besitzen die Leichtigkeit im Umgang mit jüdischer Identität, die in Deutschland bis dahin nicht erreicht wurde. Die Rolle, die Oliver Polak auf der Bühne (und auch auf der Bühne des Internets) verkörpert, stellt bei aller Naivität eine Figur des Jüdischen dar, für die Identität nichts Festgelegtes und Eindeutiges hat, sondern einen Grenzbereich darstellt, der Spielwiese und Mahnmal verbindet. * Der Ekel, ein »lebendes Mahnmal« sein zu müssen, es vielleicht sogar sein zu wollen, die anhaltende Trauer über die Vernichtung des Judentums, die Wut über die Ignoranz und die Missverständnisse, die Hilflosigkeit angesichts der erschreckenden Kontinuität des Antisemitismus, die Lust und die Angst zu stören, zu verletzen, zu provozieren, die merkwürdige Liebe zu Deutschland trotz allem, der

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Frust über Deutschland, das Erschrecken darüber, selbst ein Deutscher zu sein, die Ratlosigkeit vor der Frage, was es heißt, ein Jude zu sein – alle diese Emotionen hat Maxim Biller in kleine, autobiographische Vignetten gegossen, die 2009 als Buch unter dem Titel Der gebrauchte Jude. Selbstporträt erschienen. Eine zentrale Figur dieser Selbstbefragungen ist Marcel Reich-Ranicki. Begegnungen mit dem Literaturkritiker und Überlebenden des Warschauer Ghettos sind leitmotivisch in Billers Versuch über seine jüdische Identität als deutscher Schriftsteller eingefügt. Er schildert lakonisch und mit rückblickender Ironie, wie er 1984 als 24-jähriger Absolvent der Journalistenschule für das Lifestyle-Magazin Elaste ein Interview mit Reich-Ranicki geführt hat. Von Elaste erschienen von 1980 bis 1986 bloß sechzehn Ausgaben, dennoch haben darin Autoren wie Thomas Meinecke und der heutige Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo publiziert; das Magazin ist ein Vorläufer der ebenfalls längst verblichenen Zeitschrift Tempo, die bis heute einen erheblichen Einfluss auf den Journalismus in Deutschland ausübt – in ihrem Stil ist das Magazin der Süddeutschen Zeitung und das Zeit-Magazin gegründet worden. In Tempo erschien Billers berüchtigte Kolumne »Hundert Zeilen Hass«. Das Grundgesetz dieser frühen Texte ist die Polemik, ihre Methode ist die Nicht-Unterscheidung von Hoch- und Popkultur, von E und U. Genau diese für Deutschland noch in den 1980er Jahren provozierende Einebnung war auch das Prinzip der Texte in Elaste, wie Biller Reich-Ranicki erklärt haben will: »Was ist das für ein Magazin, für das Sie arbeiten?«, sagte er und zupfte wieder an seiner Krawatte. »Es heißt Elaste«, sagte ich. »Was? Kenne ich nicht.« Ich erklärte ihm, dass es uns noch nicht lange gab, dass keiner von uns älter als fünfundzwanzig war und dass es in unserer Zeitschrift um Mode, Sex und Pop ging. »Pop?«, sagte er. »Alles, was populär und so gut ist wie die Eroica von Beethoven – zum Beispiel.« 23 23 | Maxim Biller: Der gebrauchte Jude. Selbstporträt, Köln 2009, S. 80.

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Für den jungen Biller ist Reich-Ranicki eine Figur der Popkultur, eine Einschätzung, gegen die sich der Kritiker vehement gewehrt zu haben scheint, die aber spätestens mit der Fernsehsendung »Das literarischen Quartett«, die ab 1988 im ZDF ausgestrahlt wurde, kaum mehr zu bezweifeln ist. »Ich sah, dass er überlegte, ob die Beschreibung auch auf ihn passte, und er sah, dass ich es sah, und das sah ich natürlich, und er sah, dass ich es sah. Jüdisches Schach. »Ein alter Mann wie ich«, sagte er. »Sie haben sich den falschen ausgesucht.« 24

Doch Biller beharrt darauf, dass Reich-Ranicki »der Richtige« sei. In dem publizierten Interview kann man nachlesen, dass Billers Fragen nach Reich-Ranickis Essgewohnheiten, nach guten Restaurants, nach der Frau, die bei ihm den größten Eindruck hinterlassen habe oder nach dem Modegeschmack des Literaturkritikers diesen zur Weißglut trieben. Reich-Ranicki wollte professionell über Literatur sprechen, eventuell über sein Verhältnis zur deutschen Literatur als Jude, aber nicht über die alltäglichen Aspekte seines persönlichen Lebens.25 Dass Biller aber gerade an solchen Nebensachen einhakte und damit provozierte, hat vor allem zwei Gründe. Beide führen zu den Ausgangspunkten dieses Kapitels und dieses Essays zurück, der Figuren des Jüdischen in der Popkultur. Erstens liefert Biller nämlich eine wunderbare Umschreibung von Pop, wenn er erklärt: »Alles, was populär und so gut ist wie die Eroica von Beethoven«. Damit ist gesagt, dass es nicht an einem vermeintlichen Wesen eines Werkes oder eines Produktes liegt, dass etwas als E oder U beurteilt wird, sondern an dessen Wahrnehmung und dessen Popularität. Für Biller ist eben nicht nur die Eroica, sondern auch Reich-Ranicki Pop. Pop, so wurde im einleitenden Kapitel dieses Essays ausgeführt, ist mehr mit einer Lebensweise als mit einer Theorie oder einer Ideologie ver24 | Ebd. 25 | Maxim Biller: »Kennen Sie einen guten deutschen Witz, Herr ReichRanicki?«, in: Ders.: Die Tempojahre, München 1991, S. 44-49.

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bunden. Deshalb fragt Biller nach Reich-Ranickis Lebensweise – sie scheint auf einmal viel aussagekräftiger über die aktuelle Situation von Kultur, Politik und Gesellschaft als die intellektuellen Statements. Doch in dem Interview und vor allem in der Erinnerung daran, ist noch ein anderer Versuch verpackt, der Versuch, sich eine jüdische Identität begreifbar zu machen. »Ich weiß nicht«, soll Reich-Ranicki zu Biller gesagt haben, »warum Sie ausgerechnet mit mir ein Interview machen wollen.« Nur gedacht liefert Biller die Antwort, die er 1984 nicht auszusprechen wagt: »Lieber Herr Reich-Ranicki, ich bin verrückt nach alten, sturen Juden, ich bin ein junger, sturer Jude, wollen Sie bitte mein literarischer Ersatzvater sein?«26 Jahre später, nachdem Biller seinem Wahl-Ersatzvater einen Brief schreibt, treffen sich die beiden sturen Juden wieder in Reich-Ranickis Wohnung in Frankfurt. Die Schilderung des Gesprächs zwischen ihnen und der freundlichen und klugen, rauchenden Tosia Reich-Ranicki, passt gar nicht zum Klischee des angry young man, als der sich Biller in seinen ersten Publikationen stilisiert hat, sondern trifft beinahe elegische Töne. Der alte und der junge Literat sind als literarische Figuren angelegt. Sie erscheinen, das bemerkt Tosia Reich-Ranicki, wie »zwei alte, vergessene Emigranten in einem Nabokov-Roman«. Damit ist die Situation des Gesprächs als Exil umrissen, das ausgemessen werden muss. In ihrem Gespräch über das »Judesein« – »ein seltsames Wort«, wie Reich-Ranicki meint – drehen sich die beiden Figuren im Kreis. Man könne es sich »nicht aussuchen«, es sei »schwer«, Jude zu sein, meint der ältere, er fragt provozierend, ob es dem jüngeren möglicherweise sogar »Spaß« mache? Darauf gibt der jüngere wiederum nur die Antwort, dass man es sich nicht aussuchen könne. Schließlich gelangt Biller dennoch zu einer Antwort, oder genau genommen zu zwei Antworten. In einem Moment seltener Verlangsamung von Zeit und Gedanken bemerkte ich plötzlich die Bücher. […] ich dachte immer nur an die Bücher in den Regalen hinter ihm. Sie waren die Antwort, die ich von ihm brauchte. Jetzt 26 | Biller, Der gebrauchte Jude, S. 80.

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wurde es mir klar. Er, noch gottloser als mein Vater, der zumindest einmal im Jahr in die Synagoge geht, um die Lieder zu hören, die bei ihm zu Haus in Moskau im stibl heimlich gesungen wurden, er, dem Israel nicht näher war als New York, oder Warschau, er, der nicht auf einem jüdischen Friedhof liegen wollte – er war der jüdischste Jude, den ich je treffen würde. Er hatte nur Worte, harte, schmetterlingszarte, spinozahaft klare Worte, mehr nicht, keine Treppe zum Himmel, kein offenes Israelticket bei El Al. So schrieb er sich – Jude ist Jude – um sein Leben ins Leben hinein, nicht umgekehrt, und auch mir bliebe bis zum Schluss nichts anderes übrig. […], Judesein war Schriftstellersein, man musste es aber wollen. 27

Reich-Ranicki ist für Biller also die Figur des Jüdischen, des JüdischSeins, die ihn selbst zu spiegeln scheint und die damit dessen eigene Identität konstruiert. Bemerkenswerterweise ist die Definition jüdischer Identität, die hier geliefert wird – »Judesein war Schriftstellersein, man musste es aber wollen« – genau so arbiträr wie es etwa die ironischen Definitionen von Lenny Bruce aus den frühen 1960er Jahren sind. Dass das Schreiben, die stete Umformulierung und der ständige Versuch, der Wille, schreibend Figuren der Identität zu formulieren und zu reformulieren, das Jüdische darstellen soll, ist die eine, abstrakte und intellektuelle Antwort, die sich Biller selbst gibt. Die andere Antwort deutet Reich-Ranicki nur an. Sie liegt auf einer emotionalen Ebene und scheint die erste Antwort wieder zurückzunehmen, oder zumindest einzuschränken. Der Kritiker meint plötzlich wie aus dem Nichts, dass er in den 1960er Jahren hunderte von Artikeln für die Zeit geschrieben habe: »Aber ich durfte nie – nie! – zu einer Konferenz. Und als sie einen Kulturchef suchten, lehnten sie mich ab, Verdacht auf Rabulistik. So steht es in einem Zeit-Jubiläumsbuch von 1998.«

27 | Ebd., S. 170.

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»Ich kenne die Stelle.« »Ja. Sehen Sie.« »Was?« »Es liegt immer bei denen.« 28

»Es«, also das Jüdisch-Sein, wird dennoch auch von Außen bestimmt, von antisemitischen Zuschreibungen, von Verletzungen, Rückweisungen und Kränkungen – von »denen«. Es ist wiederum die Situation des Exils, die hier negativ beschworen wird. Die beiden Figuren, die bei Biller sprechen, sind tatsächlich Exilanten, in ihrer ganzen Exponiertheit und Verletzbarkeit, aber auch in ihrer geschärften Wahrnehmung. Speziell an der jüdischen Situation in der Bundesrepublik ist jedoch, dass die deutsche Identität ebenfalls in verdrehter Weise auf eine Definition des Jüdischen angewiesen scheint. Von der anderen Seite her als dies Christian Kracht in seinem Roman Faserland versucht hat, beschreibt Biller diese Verwiesenheit im Konzept des »gebrauchten Juden«: »Sie sollten mir dankbar sein. Wüssten sie ohne mich, wer sie sind? Ich gehe einmal im Jahr zwischen den kalten Stelen des Holocaustmahnmals an der Cora-Berliner-Straße hindurch und denke, wahrscheinlich nicht.«29 Die Deutschen brauchen also immer noch die Figur des Juden – aber für eine Selbstbestimmung jüdischer Identität muss das Gebraucht-Werden und damit die Abstrahierung des Jüdischen zurückgewiesen werden, muss dem Missbrauch eine jüdische Unbrauchbarkeit, beziehungsweise Unmittelbarkeit und Konkretisierung entgegengesetzt werden: »Ich will nicht Jude sein, weil man mich als Juden sieht. Ich will Jude, Mann, Schriftsteller sein, weil ich es bin.«30 Dieser Wunsch nach Selbstbestimmung in kultureller, religiöser und sexueller Hinsicht, so naiv er sein mag, kann abschließend als Leitmotiv dieses Essays verstanden werden. Die Aussage fasst zusammen, was hier versucht wurde anhand der Sphäre der Popkultur zu beschreiben, ob aggressiv oder 28 | Ebd. 29 | Ebd., S. 163. 30 | Ebd., S. 164.

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verspielt, ob platt oder komplex, ob mit den Mitteln des Films, der Musik oder des geschriebenen Wortes. Es sollten Figuren des Jüdischen umrissen werden, die sich den traditionsreichen Fixierungen und Essentialisierungen, den folgenschweren Abstraktionen widersetzen. Maxim Billers Rückgriff auf den Pop ist in dieser Hinsicht konsequent. Denn die Popkultur stellt ein enormes Inspirationspotential dar, Identitäten innovativ und vor allem souverän zu gestalten. Pop liefert Figuren des eigenen Ichs, ohne dabei ideologischen oder theoretischen Anforderungen genügen zu können oder auch nur zu wollen. Vielmehr liegt in ihnen die ganze Ambivalenz – die Rätselhaftigkeit des gelebten Lebens. Warum bin ich wer ich bin? »Weil ich es bin.«

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Epilog »So, it’s good for the birds?«

In seinem jüngsten Roman The Frumkiss Family Business, der 2010 in Kanada erschienen ist, schafft Michael Wex die Figur des jiddischen Schriftstellers, Abenteurers, Provokateurs und homme de femmes Elyokim Faktor, der über Umwege der Shoah in Polen entrinnt und 1947 in Kanada ankommt. Faktor war in Polen ein legendärer Autor anstößiger Kolumnen und Gedichte sowie ein umjubelter Komödiendichter. Doch in der neuen Welt ist er ein Unbekannter, er hat kein Publikum mehr. Über familiäre Beziehungen wird Faktor beim kanadischen Fernsehen angestellt, und zwar für das Kinderprogramm The New Curiosity Shop, einer Art Sesamstraße. Dort kreiert er die Figur des kettenrauchenden Dodovogels Yankee Gallstone, der Englisch mit jiddischem Akzent spricht.1 Die Puppe Yankee Gallstone wird zu einer Kultfigur, zu einem Symbol der jüdischen Identität in der Popkultur. Das Buch beginnt mit einer Urszene. Der kleine Allan Millner, der später zu einem sehr unsympathischen Stalker von Faktor wird, sitzt an Pessach zu Hause vor dem Fernseher und schaut sich fasziniert The New Curiosity Shop an. Seine Lieblingsfigur ist ein merkwürdiger Vogel, ein (eigentlich heute ausgestorbener) Dodo: Allan fell for a new character, a puppet, that had made his debut about two weeks earlier […]. It was a bird, a dodo, […]. The dodo sounded like Allan’s 1 | Die Figur kann auch als Anspielung auf Bernard Malamuds ikonische Kurzgeschichte »The Jewbird« (1962) verstanden werden.

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mother and father and some of the other mothers and fathers on his street and like all of the bubbes and zeydes who came to visit the kids whose parent’s didn’t sound like Allan’s, and he talked a lot about being a dodo. 2

Der Vogel, der wie ein Mensch spricht, spricht viel darüber, ein Vogel zu sein. Und ein Vogel zu sein ist offenbar nicht besonders angenehm, denn der Dodo ist konstant übellaunig und sarkastisch, dies jedoch auf eine so charmante Art, dass Millionen von Kindern »from coast to coast« zu Begeisterungsstürmen hingerissen werden. Neben jiddischen Sprichwörtern ist es ganz besonders ein Satz, der zum Markenzeichen des Dodos wird: »[…] that crazy dodo would look at Omar or Stanley, or most often at Pip the Penguin, and ask, ›So it’s good for the birds?‹ Then he’d get really upset and start muttering and sputtering, although the vitriol that he seemed to be spewing was nothing but schoolyard tongue-twisters in Yiddish.«3 Allan erkennt im Dodo die Sprechweise seines Vaters wieder, er ist davon entzückt, auf dem Bildschirm nicht abstrakte Figuren, sondern die Gestalten seiner Umwelt gespiegelt vorzufinden. »So it’s good for the birds?«, also etwa »Also es ist gut für die Vögel?« ist eine Parodie des stereotypen Satzes »Ist es gut für die Juden?«, der, hier in der leicht fehlerhaften Syntax der Einwanderer, die Quintessenz der jüdischen Selbstbezüglichkeit darstellt. Der Satz ist heute ein Selbstläufer und kann nur noch ironisch verwendet werden. Schon 1959 hat ihn beispielsweise Philip Roth ironisiert, indem er ihn in seinem ersten Buch Goodbye Columbus zum Refrain des alten Synagogendieners Yakov Blotnik gemacht hat. In der Kurzgeschichte »The Conversion of the Jews« verkörpert Blotnik die erste Generation der ostjüdischen Immigranten in der modernen amerikanischen Gesellschaft. »For Yakov Blotnik life had fractionated itself simply: things were either good-for-the-Jews

2 | Michael Wex: The Frumkiss Famiy Buiseness. A Megilla in 14 Chapters, Toronto 2010, S. 3-4. 3 | Ebd., S. 5

E PILOG : »S O , IT ’ S GOOD FOR THE BIRDS ?«

or no-good-for-the-Jews.«4 Die stereotype Perspektive des jüdischen Emigranten ist also die Einteilung des Lebens in Ereignisse, die gut für die Juden und Ereignisse, die schlecht für die Juden sind. Darin kommt die jüdische Selbstbezüglichkeit und die Paranoia, aber auch die in der Geschichte begründete Angst vor der schlimmstmöglichen Wendung zum Ausdruck. Der Dodo, der ein Jude ist, ist eine Übertragung dieser Figur in die Sphäre der Popkultur. Gleichzeitig ist es eine sarkastische Zuspitzung. Denn was könnte nach seinem Aussterben dem Dodo noch Schlimmeres widerfahren? Oder anders gefragt: Was kann den polnischen, jiddisch sprechenden Juden nach ihrer Ausrottung überhaupt noch passieren? Das Fernsehen ist der einzige Ort, an dem sich der jiddische Dichter als Dodo, also als Untoter äußern darf. Doch das Fernsehen ist auch der einzige Ort, von dem eine derart massive Wirkung für die jüdischen Zuschauer ausgehen kann. Diese identifizieren sich im Dodo und sehen sich trotz der in der Übertragung stattgefundenen Verzerrung nicht bloßgestellt, sondern in ihrer selbst empfundenen Fremdartigkeit in der partikularen Existenz anerkannt. Um es einfacher zu sagen: Im Dodo macht sich ein Jude – ob es Elyokim Faktor ist oder Michael Wex sei dahingestellt – über sich selber als Jude lustig. Der paranoide Vogel ist eine Figur des Jüdischen, die zeigt, dass der Umgang mit der eigenen Identität nie ganz ernst genommen werden darf. * Am Ende dieses Essays stellt sich die Frage: Ist es gut für die Vögel? Oder mit anderen Worten: Hilft die Darstellung eines marginalen Bereichs wie der Figuren des Jüdischen in deutscher Sprache wirklich bei der Suche nach einem anderen, realitätsbezogenen Umgang mit jüdischer Identität? Ist dieser Essay mit seiner Aufzählung jü4 | Philip Roth: »The Conversions of the Jews«, in: Emanuel Litvinoff (Hg.): The Penguin Book of Jewish Short Stories, New York 1979, S. 189208, hier S. 197-198.

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discher Künstler, Komiker, Musiker und Autoren, mit seiner Benennung des Jüdischen nicht insofern kontraproduktiv, dass er für deutsche Leser erst Markierungen setzt, wo diese vielleicht gar nichts gesehen hätten? Plaudert ein solches Unternehmen wie das hier versuchte also Intimitäten und Witze aus, die wiederum zu verschobenen Wahrnehmungen von Juden, zu fatalen Missverständnissen führen könnten? Vieles, was hier anhand der jüdischen Popkultur beschrieben wurde, ist für ein jüdisches Publikum wohl eine Selbstverständlichkeit und benötigt eine Vermittlung wie die vorliegende gar nicht. Und warum soll jüdische Popkultur an ein nichtjüdisches Publikum in Deutschland vermittelt werden? Ist das nicht völlig unmöglich? Ist es vielleicht sogar paradox? Denn ist jüdische Popkultur nicht etwas, was Juden für Juden machen, um sich introspektiv zu befragen und zu hinterfragen, um die eigene Identität spielerisch zu authentifizieren? Obwohl diese Fragen nicht uneingeschränkt zu verneinen sind, wäre dieser Essay nicht geschrieben worden, wenn sie nur mit Ja beantwortet werden könnten. Erstens wird hier die Meinung vertreten, dass die Jüdischen Studien in Deutschland dringend neue Forschungsfelder und Untersuchungsgegenstände erschließen müssen, um ihre selbst deklarierte gesellschaftliche Funktion als Bewahrer einer untergegangenen Kultur und Brückenbauer erfüllen zu können. Schöne Worte nützen wenig gegen Unverständnis und Rassismus, wenn nicht konkret an zeitgenössischen Phänomenen gezeigt werden kann, wie Judentum und jüdische Identität in der globalisierten Gesellschaft jetzt verstanden werden. Zweitens kann aus dem anhand der Popkultur gewonnenen Verständnis von Identität und von ihrer Figuration gelernt werden, dass ohne das Akzeptieren von Ambivalenz jegliche Identität droht zu hypostasieren und absolut zu werden. Ohne Ambivalenz und ohne das Spiel damit kann es wohl gar keine Identität geben. Für den Umgang mit kulturellen und religiösen Identitäten in den deutschsprachigen Ländern wäre diese Erkenntnis politisch nicht unwichtig. Nicht unwichtig wäre ein solcher neuer, freundlicher und ironischer Umgang schließlich auch für die jüdische Minderheit selbst. Die Dodo-Puppe in Michael

V ORBEMERKUNG

Wex’ Roman ist ein gutes Bild für einen solchen Umgang – so wie es auch die Puppen im Video von DJ SoCalled sind, die in der Einleitung beschrieben wurden. Diese Puppen inszenieren ein Spiel mit dem Jüdisch-Sein und dem Exil, an dem sich Judentum immer in irgend einer Weise ausrichtet. Der Dodo als Figur des Jüdischen macht deutlich, dass er sich im Exil befindet, aber er macht auch klar, dass er damit spielt. Das Medium der Popkultur erlaubt wie kein anderes Medium ein solches Spiel. Die Popkultur erweist die Wirkungsmacht und die Vielfalt der jüdischen Tradition. Das Judentum selbst ist darin die Figur eines Spiels, das gegen alle Selbstverständlichkeiten immer wieder neu inszeniert wird.

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Kultur- und Medientheorie Sven Grampp, Jens Ruchatz Die Fernsehserie Eine medienwissenschaftliche Einführung Juni 2012, ca. 200 Seiten, kart., ca. 16,80 €, ISBN 978-3-8376-1755-9

Annette Jael Lehmann, Philip Ursprung (Hg.) Bild und Raum Klassische Texte zu Spatial Turn und Visual Culture Juni 2012, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1431-2

Markus Leibenath, Stefan Heiland, Heiderose Kilper, Sabine Tzschaschel (Hg.) Wie werden Landschaften gemacht? Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf die Konstituierung von Kulturlandschaften September 2012, ca. 200 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1994-2

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Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Lars Koch, Christer Petersen, Joseph Vogel (Hg.)

Störfälle Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2011

2011, 166 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN 978-3-8376-1856-3 Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften bietet eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über »Kultur« und die Kulturwissenschaften – die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur sowie historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus wird mit interdisziplinären Forschungsansätzen diskutiert. Insbesondere jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kommen dabei zu Wort. Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen 10 Ausgaben vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50 € je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected]

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